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German Pages 462 [481] Year 2021
Beiträge zur historischen Theologie Herausgegeben von
Albrecht Beutel
198
Marc Bergermann
Historia Pelagiana Wahrnehmung und Darstellung des pelagianischen Streites in der protestantischen Kirchenhistoriographie des 18. Jahrhunderts
Mohr Siebeck
Marc Bergermann, geboren 1984; 2004–2011 Studium der Ev. Theologie in Marburg, Bochum, Prag, Berlin; 2013–2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Antikes Christentum der Humboldt-Universität zu Berlin; 2015–2019 Vikariat und Probedienst in Minden, Westfalen; 2019 Promotion; seit 2019 Pfarrer in Bückeburg, Niedersachsen. orcid.org/0000-0002-7480-0372
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT. ISBN 978-3-16-159070-2 / eISBN 978-3-16-159071-9 DOI 10.1628/978-3-16-159071-9 ISSN 0340-6741 / eISSN 2568-6569 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Minion gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Im Gedenken an Elisabeth Bergermann, meine Großmutter.
Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Wilhelms-Universität Münster im November 2018 als Dissertationsschrift angenommen. Zu Druck gebracht wurde sie mit der Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG Wort. Dem Bewilligungsausschuss gilt großer Dank, der auch aus der Erleichterung über den umfänglichen Druckkostenzuschuss für ein solch seitenreiches Werk hervorgeht. Die Entstehungsgeschichte dieser Untersuchung reicht zurück bis auf ein systematisch-theologisches Seminar zur Herausforderung der Neurowissenschaften an die theologische Anthropologie unter der Leitung von Prof. Dr. Jörg Lauster aus dem Sommersemester 2007 an der Marburger Philipps-Universität, gefolgt von Anregungen durch ein patristisches Hauptseminar und einer von Prof. Dietmar Wyrwa im Sommersemester 2008 an der Bochumer Ruhr-Universität Bochum betreuten Seminararbeit über den pelagianischen Streit, und einem vertiefenden Seminar über Augustinus im folgenden Wintersemester an der Karls-Universität in Prag unter der Leitung von Filip Outrata. Ohne die so geweckte Neugierde für die Anthropologie, die Eröffnung der Patristik und die Vertiefung in das Denken Augustins wären die nachfolgenden Seiten wohl anders bedruckt worden. Inhaltlich wäre diese Arbeit ohne die Unterstützung und Geduld vieler lieber Menschen, verlässlicher Weggefährten und geschätzter Kollegen in den vergangenen Jahren ein Ding der Unmöglichkeit geblieben. Sie verdienen an dieser Stelle ausdrückliche Würdigung: Allen voran danke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Albrecht Beutel, der mich durch alle Phasen dieser Arbeit immer wieder aufs Neue zu motivieren vermochte: Ohne Zwang und Drängen, aber mit Neugierde und Nachdruck; ohne Vormeinung, aber mit Kenntnisreichtum. Insbesondere seine Offenheit für die grundlegende Fragestellung, die aus einem gemeinsamen Prüfungsgespräch meines Ersten Theologischen Examens bei der Evangelischen Kirche von Westfalen im Jahr 2011 und nachfolgenden Gesprächen über Pelagius und dessen Theologie erwuchs, und seine taktvolle Art der kritischen Rückfrage jenseits allzu üblicher Barschheit der Wissenschaften wussten mich in meinem Streben nach Erkenntnis und Aufklärung in Bewegung zu halten und letztlich ans Ziel zu tragen. Dank gebührt ihm ferner für die Aufnahme meiner Untersuchung in die Reihe Beiträge zur Historischen Theologie. Ilse König, Elena Müller und Tobias
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Vorwort
Stäbler vom Verlag Mohr Siebeck standen mir mit viel Geduld, sowie Rat und Tat stets zur Seite, sodass auch ihnen großer Dank gebührt. Schwerlich denkbar wäre diese Studie an der Schnittstelle zwischen Patristik und neuzeitlicher Kirchengeschichte zudem ohne die Anregungen, Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich während meiner Arbeit für das Akademievorhaben Die alexandrinische und antiochenische Bibelexegese in der Spätantike an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und anschließend am Lehrstuhl für Antikes Christentum an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin unter Leitung von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Christoph Markschies erfahren habe. Ihm, wie auch all meinen dortigen geschätzten Kolleginnen und Kollegen gilt mein inniger Dank. Ausdrücklich, aber nicht ausschließlich, seien aus deren Reihen Christoph-Friedrich Collatz und Johann Anton Zieme genannt, deren Hilfe unerlässlich für das Gelingen dieses Unternehmens war. Darüber hinaus danke ich Martina Roesner, die als katholische Philosophin meine Perspektive zu weiten aber auch scharf zu stellen vermochte, und als Freundin humorvoller Beistand war und bleibt. Seelischer Beistand sollte mir während der letzten Phase meiner Arbeit durch meine Vikariatsgemeinde in Minden zuteil werden. Und so danke ich hier mit aller Herzlichkeit jeder und jedem einzelnen aus der reformierten Petrikirchengemeinde, der sich meine Klagen von der Kanzel oder patristischen Vorträge angehört und mir immer wieder gutes Gelingen gewünscht hat. Ausdrücklich gilt dieser Dank meinem geschätzten Mentor Bernhard Speller, an dem ein hervorragender Kirchenhistoriker verloren gegangen ist, aber auch dem gesamten Presbyterium der Gemeinde und dem Superintendenten des Kirchenkreises Minden, Jürgen Tiemann: ohne die Rücksichtnahme, Kulanz und das Verständnis aller Genannten wäre der nötige Endspurt nicht geglückt. All dieses Interesse und Unterstützen mag zudem Zeugnis dafür sein, dass unser akademischer Erkenntnisgewinn nicht im Elfenbeinturm verbleiben, sondern zu den Gemeinden getragen werden kann und muss! Dank auch an die unzähligen Berliner Cafés und ihre neugierigen Mitarbeiter, Besucher und Tischnachbarn: Ihnen wie auch all denjenigen sei gedankt, welche nun zwar unerwähnt bleiben, mir aber mit kleinen Bemerkungen in alltäglichen Gesprächen neue Impulse, oder mit kleinen Seitenhieben immerzu Ansporn gaben, diese Arbeit konsequent zum Abschluss zu bringen. Nach jenem Abschluss lag Arbeit für andere vor, und auch diesen sei nun ausdrücklich gedankt: der Prüfungskommission unter dem Vorsitz von Prof. HansPeter Großhans sowie allen Anwesenden bei meiner Verteidigung im Januar 2019 für ihre anregenden Rückfragen und nachdrückliche Bekräftigung, diesen akademischen Weg noch weiter zu beschreiten. Unter all diesen gilt besonderer Dank Pof. Dr. Holger Strutwolf, der sich für das Zweitgutachten meiner Dissertation verpflichtete und wie mein Doktorvater dieses in bemerktenswerter Schnelligkeit, aber auch umfassender Gründlichkeit erstellte.
Vorwort
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Nicht zuletzt, sondern abschließend danke ich meinen Eltern Marion und Dieter Bergermann, die immer an mich glaubten und mir finanziell und seelisch den Rücken stärkten – und natürlich meiner geliebten Frau Lisa Julika Bergermann. Mit welcher Geduld und Rücksicht sie mein Changieren zwischen lethagischer Verzweiflung und euphorischer Begeisterung für das Thema begleitet hat, ist mit keinem Gold der Welt, hoffentlich aber mit Liebe und Dankbarkeit aufzuwiegen. Bückeburg, den 19. August 2020
Marc Bergermann
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
II. Fragestellung und Themeneingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 III. Quellenlage und ‑auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1. Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2. Quellenübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 IV. Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 V. Methode und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
A. Ausgangslage: Die konfessionelle Instrumentalisierung der historia Pelagiana im 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
II. Literarische Niederschläge zur historia Pelagiana und deren Entstehungskontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Der Remonstrantenstreit unter den Reformierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Der Gnadenstreit in der katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3. Die transkonfessionelle Debatte um die Autorität der Kirchenväter 58 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
B. Aufbruch und Zwischenstationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
I. Gottfried Arnolds Unpartheyische Kirchen‑ und Ketzerhistorie (1699/1700) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Wahre Christen: die Pelagianer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2.1. Pelagius’ Eifer für das wahre Christentum gegen das »Heuchelwesen« seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
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2.2. »Lehren aus Christi worten« bei Pelagius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Die unchristlichen »Orthodoxi« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.1. Lügen und Verleugnungen gegen »gottesfürchtige« Pelagianer 80 3.2. Augustins Rolle im pelagianischen Streit und sein Verhältnis zu den »Orthodoxi« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4. Kritik und Verteidigung der Lehre des Pelagius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4.1. »Und hierinne irrete freylich Pelagius«. Kritik an der optimistischen Anthropologie des Pelagius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4.2. »Ich weiß auch nicht, was in diesem […] bekäntnüß des Pelagii zu straffen sey«. Arnolds Richtigstellung der pelagianischen Gnadenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5. »Der anfang der eigentlichen atheisterey«. Arnolds Äußerungen zum »Pelagianismus« in den Verteidigungsschriften der Ketzer-Historie ab 1703: eine Kehrtwende? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 II. Johann Lorenz von Mosheims Institutiones (1755) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Mosheim zum Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3. Verbreitung und Bekämpfung der pelagianischen Lehre . . . . . . . . . . . 115 3.1. Pestis ab Occidente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3.2. Die Überträger der pelagianischen »Pest« und ihre Theologie . 117 3.3. Augustins Kampf gegen die pelagianische »Pest«, origenistische Sympathien im Orient und verschlagene Wandermönche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4. Die Beurteilung des Streites und seiner Konsequenzen . . . . . . . . . . . . 124 4.1. Ein unheilvoller Streit, Spitzfindigkeiten der doctores und die simplicitas der ersten Christen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.2. Die schädlichen Folgen des pelagianischen Streites . . . . . . . . . . . . 129 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 III. Siegmund Jakob Baumgartens Auszug der Kirchengeschichte (1746) und Geschichte der Religionspartheyen (1766) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Über die pelagianischen »Irtümer« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2.1. Irrtümer und ihre Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2.2. Dogmenhistorische Ansätze zur Diskussion um den Pelagianismus vor Pelagius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2.3. Die inneren Motive und Entwicklungen der Lehre des Pelagius 143 2.4. Eine Lehre im Widerspruch zur Heilsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Die Pelagianer als Religionspartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
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C. Wendepunkt und Hinwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
I. Johann Salomo Semlers Arbeiten zum pelagianischen Streit . . . . . . . . . . 151 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Dogmenhistorische und dogmatische Kritik an der Lehre Augustins und Rehabilitation der Lehre des Pelagius . . . . . . . . . . . . . . . 153 2.1. Quaestionis est res ista, non haeresis: Dogmenhistorische Voraussetzungen des Pelagianismus und Besonderheiten der nordafrikanischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
2.1.1. Der Pelagianismus ist keine Häresie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2.1.2. Ein knapper Beitrag zur Pelagianismus ante Pelagium-Debatte . . 156 2.1.3. Philosophische und weitere Fremdelemente in der Theologie Augustins und Pelagius’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2.1.4. Mangelhafte hermeneutische Voraussetzungen in der nordafrikanischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
2.2. Tradux peccati und die Erbsündenlehre als Neuerungen Nordafrikas und Augustins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2.2.1. Der Tradux-Gedanke in Nordafrika und die Seelenlehre . . . . . . . 162 2.2.2. Der Sündenbegriff: Sache oder Tat (res oder actus)? . . . . . . . . . . . 164 2.2.3. Augustins Übertragung der Sündenauswirkung auf die Seele des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2.2.4. Augustins Vorstellung vom peccatum originale im Widerspruch zur westlichen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
2.3. Vielfältige Lehrmeinungen über Begründung und Zweck der Taufe und Kindertaufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
2.3.1. Uneinheitliche Taufverständnisse vor Beginn des Streites . . . . . . . 171 2.3.2. Das Verständnis der Kindertaufe in Nordafrika im Gegensatz zur mehrheitskirchlichen Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2.3.3. Die Position der Pelagianer zur Kindertaufe und ihre Begründung in der kirchlichen Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2.3.4. Die Frage nach der Kindertaufe als offener Streitpunkt . . . . . . . . . 179 2.4. Der freie Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2.4.1. Dogmenhistorische Voraussetzungen zur Willenslehre . . . . . . . . . 181 2.4.2. Liberum arbitrium bei Pelagius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2.4.3. Liberum arbitrium bei Augustinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2.5. Gnaden‑ und Prädestinationslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2.5.1. Semlers Anliegen in der Darstellung der Gnaden‑ und Prädestinationslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2.5.2. Die dogmenhistorische Dimension der Gnaden‑ und Prädestinationslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2.5.3. Die Gnadenlehre Augustins als wahre Neuerung und Pelagius’ traditionsgemäßes Verständnis von Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2.5.4. Verteidigung der Gnadenlehre des Pelagius gegen den Vorwurf, er habe keine Gnade gelehrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2.5.5. Die Prädestinationslehre als Erfindung und Lieblingslehre Augustins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
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2.5.6. Die Wurzeln der Prädestinationslehre in mangelhafter Schriftauslegung und unangemessenen dogmatischen Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2.5.7. Der geheime Ratschluss Gottes als »Totschlagargument« Augustins zur Verteidigung seiner Gnaden‑ und Prädestinationslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 2.5.8. Augustins Gnaden‑ und Prädestinationslehre im Widerspruch zum aufgeklärten Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
2.6. »Wo hat Augustinus also die Rechtfertigung der Protestanten?« Mangelhafte Christologie als Wurzel verfehlter Soteriologie bei Augustinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
2.6.1. Ungeklärte christologische Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2.6.2. Die unverdiente Sohnschaft Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2.6.3. Christi Leben und Leiden als Beginn des Versöhnungsgeschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2.6.4. Christus als praeclarissimum lumen praedestinationis: Von der Prädestinationslehre bestimmte Christologie . . . . . . . . . . 208 2.6.5. Augustins »nestorianische« Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2.6.6. »Warum nicht auch ich?« Keine Sonderstellung Christi in der Prädestinationslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2.6.7. Keine reformatorische Idiomenkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . 214 2.6.8. »Justificatio, ist bey ihm nicht viel anderes als was sie im concilio tridentino ist«: Die Gleichstellung augustinischer und gegenreformatorischer Gnadenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3. Die kirchenpolitische Dimension des Konfliktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
3.1. Unchristlich und unapostolisch: Niedere Beweggründe zum Vorgehen gegen die Pelagianer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3.2. Entkräftung der Betrugsvorwürfe gegenüber den Pelagianern und Verteidigung der Traditionsgemäßheit ihrer Lehrmeinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3.3. Intrigen und Manipulation: Nordafrika schreitet ein, der Kaiser bestätigt und Zosimus gibt nach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 3.4. Geistliche Fragen, weltliche Antworten: Kritik an der Kooperation von Staat und Kirche beim Prozess gegen die Pelagianer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 3.5. »[E]s sollte Augustinus den Protestanten wol nicht so oft Verhör und colloquia zugestanden haben«: Augustinus, der gnadenlose und intrigante Bischof . . . . . . . . . . . . 238 4. Pelagius, der heilige und gebildete Mönch: Die Demetrias briefausgabe von 1775 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 5. »Warum soll also Pelagius noch immer ein Irrlehrer bey uns heißen, und Augustin den Ruhm der Rechtgläubigkeit haben?« Die Aufnahme der Demetriasbriefausgabe Semlers bei der Leserschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
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II. Christian Wilhelm Franz Walchs Entwurf einer vollständigen Historie der Ketzereyen(1768) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Zur Geschichte des Streites an sich und der Schwierigkeit ihrer Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2.1. Zur Relevanz des Streites und der darin aufgeworfenen dogmatischen Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2.2. Ein »wahrer Widerspruch« oder lediglich ein »Wortkrieg«? . . . 266 2.3. Herausforderungen der Darstellung und Beurteilung des Streites . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Exkurs: Walchs Umgang mit den Quelleneditionen und der Sekundärliteratur und die Beurteilung letzter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
2.4. Parteilichkeit und Kontext als Problem bisheriger Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2.5. Anfang und sinnvolle Periodisierung einer historia Pelagiana . . 276 3. Die Lehren der Pelagianer und ihrer Gegner in der Darstellung und Beurteilung Walchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 3.1. Zur Einteilung, Gewichtung und Verbreitung der pelagianischen Lehre allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 3.2. Die Gnadenbegriffe des Pelagius und dessen Heilsordnung . . . . 280 3.3. Gottes Ratschluss und die Prädestination bei Pelagius . . . . . . . . . 286 3.4. Pelagianische Lehren »zweite Klasse«: Kirche ohne Makel, Reichtumskritik und Eidverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3.5. Die Frage nach dem Ketzerstatus der Pelagianer . . . . . . . . . . . . . . . 290 Exkurs: Johann Walchs Interesse an einer Untersuchung des Pelagianismus vor Pelagius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
3.6. Christian Walchs Standpunkt und Beitrag zur Pelagianismus ante Pelagium-Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 3.7. »Allezeit Irtümer von groser Wichtigkeit«: Walchs Beurteilung der pelagianischen Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 4. Beurteilung der Persönlichkeiten im Streit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 4.1. »Theologische Betrügerei«: Beurteilung des Verhaltens der Pelagianer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 4.2. »Der fleisigste Gegner der Pelagianer«: Beurteilung des Verhaltens Augustins und weiterer Gegner der Pelagianer . . . . . 316 4.3. »Fehler auf beiden Seiten«: Die abschließende Beurteilung der Streitparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 5. Die kirchenpolitische Dimension des Streites . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 5.1. Politische Intrigen und theologische Allianzen: Das fehlbare Verhalten der nordafrikanischen Gegner des Pelagius . . . . . . . . . . 320 5.2. »Einen Mohren weiss machen« – Zum Versuch der Ehrenrettung des Papstes Zosimus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
XVI
Inhaltsverzeichnis
D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken: Die Ethisierung der historia Pelagiana am Ende des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . 329
I. Ludwig Timotheus Spittlers Grundriß der Geschichte der christlichen Kirche (1782) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 2. Der pelagianische Streit an sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 2.1. Kontextualisierung und Problematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 2.2. Die fortwährende Relevanz des Streites . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 3. Augustins und Pelagius’ Anliegen und Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 3.1. Pelagius’ »Ernst für das praktische Christentum« . . . . . . . . . . . . . . 333 3.2. Augustins unablässiger Einsatz gegen Pelagius . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 4. Die Theologie des Pelagius und Augustins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
II. Heinrich Philipp Konrad Henkes Allgemeine Geschichte der christlichen Kirchenach der Zeitenfolge (1788) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 2. Der fortwährende Manichäismus Augustins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 3. Pelagius’ und Caelestius’ »warmer Eifer für praktische Religion« . . 343 4. Der pragmatische Realpolitiker Augustinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 5. Verhalten und Lehre der Streitparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 III. Johann Matthias Schroeckhs Christliche Kirchengeschichte(1790) . . . . 347 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 2. Noch eine Darstellung des pelagianischen Streites? Rechtfertigung der eigenen Arbeit zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 2.1. Kritik an der fortwährenden Instrumentalisierung des Streites 350 2.2. Der pelagianische Streit – vertane Chance für eine längst überfällige Diskussion zur christlichen Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 3. Würdigung des Anliegens des Pelagius und Kritik am augustinischen Lehrsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 3.1. Hermeneutische Vorrausetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
3.1.1. Exegese, Vernunft und Erfahrung in »götteswürdiger Übereinstimmung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 3.1.2. »Einer der schlechtesten Schriftausleger«: Kritik am exegetischen und philosophischen Fundament des augustinischen Lehrgebäudes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
3.2. Die anthropologische Rahmung der Theologie Augustins und des Pelagius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 3.3. »Mit der Bibel in der Hand philosophirt«: Verteidigung der theologischen Ethik des Pelagius . . . . . . . . . . . . . 370 3.3.1. Voraussetzungen und Anliegen des Pelagius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
Inhaltsverzeichnis
XVII
3.3.2. Die Rolle der Diskussion um den Pelagianismus vor Pelagius . . . 371 3.3.3. Lob für den Brief an Demetrias und Semlers Bemühung um diesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
3.4. »[N]iemand hatte noch den Menschen so tief erniedrigt, als Augustinus«: Kritik am augustinischen Lehrgebäude . . . . . . . 378
3.4.1. Voraussetzungen augustinischer Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 3.4.2. Das »unschickliche Wort Gnade«: Dogmatische und dogmenhistorische Kritik der Gnadenlehre Augustins . . . . . 379 3.4.3. Augustins Selbstbetrug: Die Erfindung der Erbsünde . . . . . . . . . . 383 3.4.4. Augustins Nähe zum Manichäismus und seine pessimistische Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 3.4.5. Die Prädestinationslehre als grausame Willkür . . . . . . . . . . . . . . . . 389 3.4.6. Ethische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 4. Welcher ist der »ächte christliche« Lehrbegriff ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 4.1. Der zaghafte Mittelweg der Semipelagianer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 4.2. Ein »fünfter Lehrbegriff« als Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . 396 5. Die kirchenpolitische Dimension des Streites . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 5.1. Verhalten der Streitparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
5.2. Freispruch des Pelagius bei der Anhörung in Jerusalem und der Synode zu Diospolis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 5.3. Kirchenpolitische Intrigen der Nordafrikaner und das Verhalten der römischen Bischöfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 5.4. Schroeckhs Kritik an der katholischen Ehrenrettung des Zosimus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461
Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen biblischer Bücher richten sich nach: Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaften nach RGG 4. Aufl. UTB 2868. Tübingen: Mohr Siebeck, 2007. Deutschsprachige Bibelzitate, soweit nicht anders kenntlich gesetzt, sind wiedergegeben nach: Die Bibel. Lutherübersetzung. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 2016. Die Abkürzungen christlicher antiker Literatur sind entnommen aus: A Patristic Greek Lexicon, hg. v. G. W. H. Lampe. Oxford: Oxford University Press, 1968 (= 2007); Dic‑ tionnaire latin-français des auteurs chrétiens, hg. v. A. Blaise. Turnhout: Brepols, 1954 (= 1993). Die Abkürzungen von Zeitschriften-, Reihen‑ und Lexikontiteln richten sich nach: Schwertner, Siegfried M. IATG3 – Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. 3. Aufl. Berlin/Boston: De Gruyter, 2017.
Einleitung I. Einführung »Was mich […] von der Brüdergemeine so wie von andern werthen Christenseelen absonderte, war dasselbige, worüber die Kirche schon mehr als Einmal in Spaltung gerathen war. Ein Theil behauptete, daß die menschliche Natur durch den Sündenfall dergestalt verdorben sei, daß auch bis in ihren innersten Kern nicht das mindeste Gute an ihr zu finden, deßhalb der Mensch auf seine eignen Kräfte durchaus Verzicht zu thun, und alles von der Gnade und ihrer Einwirkung zu erwarten habe. Der andere Theil gab zwar die erblichen Mängel der Menschen sehr gern zu, wollte aber der Natur inwendig noch einen gewissen Keim zugestehn, welcher, durch göttliche Gnade belebt, zu einem frohen Baume geistiger Glückseligkeit emporwachsen könne. Von dieser letztern Überzeugung war ich auf ’s innigste durchdrungen, ohne es selbst zu wissen, obwohl ich mich mit Mund und Feder zu dem Gegentheile bekannt hatte; aber ich dämmerte so hin, das eigentliche Dilemma hatte ich mir nie ausgesprochen. Aus diesem Traume wurde ich jedoch einst ganz unvermuthet gerissen, als ich diese meine, wie mir schien, höchst unschuldige Meinung, in einem geistlichen Gespräch ganz unbewunden eröffnete, und deßhalb eine große Strafpredigt erdulden mußte. Dieß sei eben, behauptete man mir entgegen, der wahre Pelagianismus, und gerade zum Unglück der neueren Zeit, wolle diese verderbliche Lehre wieder um sich greifen. Ich war hierüber erstaunt, ja erschrocken. Ich ging in die Kirchengeschichte zurück, betrachtete die Lehre und die Schicksale des Pelagius näher, und sah nun deutlich, wie diese beiden unvereinbaren Meinungen durch Jahrhunderte hin und her gewogt, und von den Menschen, je nachdem sie mehr thätiger oder leidender Natur gewesen, aufgenommen und bekannt worden.«1
Mit diesem Bericht schildert Johann Wolfgang von Goethe seinen Lesern rückblickend auf die eigenen Jugendjahre ein unkonventionelles Erweckungserlebnis: Im zarten Alter von zwanzig Jahren ist er fasziniert vom Pietismus in Gestalt der Herrnhuter Brüdergemeine und ihrer Frömmigkeit, die sich an den einfachen, apostolischen Anfängen des Christentums orientiert.2 Doch das Gespräch mit den Herrnhutern und der nicht minder frommen Freundin der
1 Johann Wolfgang Goethe, Dichtung und Wahrheit, hg. v. Klaus-Detlef Müller. Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke 14. Briefe, Tagebücher und Gespräche (Frankfurt a. M.: Deutscher Klassiker Verlag, 1986), dritter Teil, 15. Buch (690,31–691,25). 2 Vgl. Goethe, Dichtung und Wahrheit, dritter Teil, 15. Buch (Goethe, Sämtliche Werke 14, 689,22–690,2).
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Einleitung
Mutter Goethes, »Fräulein« Susanna Katharina von Klettenberg,3 die selbst angetan ist von der neuen Frömmigkeitsbewegung, führt Goethe mitnichten in deren Gemeinschaft, sondern zeigt ihm gerade seine Absonderung von der Christenheit selbst auf. So beschreibt Goethe hier eben nicht ein pietistisches Erweckungserlebnis, sondern die Erweckung der Selbsterkenntnis, unbewusst schon immer der über Jahrhunderte hinweg verketzerten pelagianischen Lehre zugestimmt zu haben. Bemerkenswert ist, wie sich dieser Erkenntnisprozess in der Darstellung Goethes vollzieht: In der naiven Meinung, mit seiner positiven Sicht auf das Vermögen des Menschen nichts Verwerfliches zu vertreten, trifft Goethe im Gespräch auf den Widerspruch seiner frommen Gesprächspartnerin, die ihm aufgrund seiner Ansichten sogleich den Ketzerhut des Pelagius aufsetzt. Derart durch deren »Strafpredigt« aufgewühlt, spürt Goethe dem pauschalen Pelagianismusvorwurf durch das Studium der Kirchengeschichte nach. So stößt er schließlich nicht nur auf den »Erzketzer«4 Pelagius und dessen Schicksal und Lehre, sondern auch auf die Erkenntnis, dass die beiden Grundgegensätze, die im pelagianischen Streit rund um die Frage nach der Beschaffenheit der Natur des Menschen nach Adams Sündenfall aufbrachen, die Menschheit seitdem für Jahrhunderte in zwei Lager spalteten. Angeregt durch das religiöse Gespräch und aufgeschreckt durch den Pelagianismusvorwurf wird Goethe über den pelagianischen Streit, dessen Anfänge und weitreichende Folgen schließlich durch die Kirchenhistoriographie aufgeklärt. Begonnen hatte alles um das Jahr 410.5 Pelagius, ein angesehener Paulusexeget aus Britannien und prominenter Lehrmeister für die Jugend der römischen Oberschicht unterrichtete diese in der damaligen Mode der asketischen, jungfräulichen Lebensführung. Konsequent vertrat er daher die Ansicht, dass der Mensch aus seinem eigenen natürlichen Vermögen, mittels seines freien Willens, nach Vollkommenheit und letztlich Seligkeit streben könne, wenn er 3 Fräulein von Klettenberg wird Goethes Gegenüber im Gespräch während einer Versammlung der Herrnhuter Brüdergemeine in Marienborn bei Frankfurt im Jahr 1769 gewesen sein und auch den Pelagianismusvorwurf eingebracht haben. Zu von Klettenberg vgl. Detlev Lüders, »Klettenberg, Susanna Katharina von«, NDB 12 (Berlin: Duncker & Humblot, 1980): 54. 4 Trefflich beobachtet Gisbert Greshake zu Pelagius: »Er ging als ›Erzketzer‹ in die Geschichte der westlichen Kirche ein und wurde zum Chiffre für alle Bewegungen, welche der Freiheit des Menschen zu viel und der Gnade Gottes zu wenig Raum geben« (Gisbert Greshake, »Einleitung«, in Pelagius. Epistula ad Demetriadem. Brief an Demetrias. Einleitung, Edition und Übersetzung von Gisbert Greshake, 7–51. FC 65 [Freiburg/Basel/Wien: Herder, 2015], 36). 5 Für aktuelle Darstellung des pelagianischen Streites vgl. Volker H. Drecoll, »Die Auseinandersetzung um die Kindertaufe in Karthago 411–413«, in Augustin Handbuch, hg. v. dems., 179–183 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007), Winrich Löhr, »Der Streit um die Rechtgläubigkeit des Pelagius 414–418«, in a. a. O., 190–197; Greshake, »Einleitung«, 7–20. Eine kritischere Beschreibung, die gängige Topoi der neuzeitlichen Augustinuskritik aufgreift und ausbaut, bietet Kurt Flasch, Augustin. Einführung in sein Denken. 3. Aufl. (Stuttgart: Reclam, 2003), 176–180.
I. Einführung
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sich denn nur reichlich bemühe. Mit dieser positiven Anthropologie im Gepäck und seinem Schüler Caelestius im Gefolge floh Pelagius 410 vor den einfallenden Goten unter Alarich I. aus Rom nach Nordafrika. Dort kollidierten seine Lehrmeinungen und die seines Schülers schnell mit denen der nordafrikanischen Tradition, insbesondere aber mit der pessimistischen Anthropologie und Gnadenlehre des bereits in der gesamten Kirche des weströmischen Reiches in höchstem Ansehen stehenden Bischofs von Hippo: Augustinus. Die anfänglich zurückhaltende Kontroverse spitzte sich schnell zu und mündete schließlich in öffentlichen, reichsweiten Verurteilungen der Pelagianer und ihrer Lehrmeinungen im Jahr 418 durch das Edikt des Kaisers Honorius und die Epistula trac‑ toria des römischen Bischofs Zosimus I.6 Fortan galt Pelagius für Jahrhunderte als Erzketzer und mit Augustinus gesprochen als »Feind der Gnade«: verfressen, hochmütig, hinterhältig und feige; der die Gnade und Würde Gottes angriff durch seine dreiste und unbiblische Behauptung der Willensfreiheit des Menschen, seiner unbeschädigt guten Natur und seines Vermögens, sich frei heraus zum Guten wie zum Schlechten entscheiden und daher auch moralisch einwandfrei leben zu können. Augustinus hingegen galt als Bewahrer des wahren Glaubens und Verteidiger der Gnade Gottes. Nicht nur Martin Luther sah seine reformatorischen Erkenntnisse in Augustins antipelagianischen Schriften bestätigt.7 Auch dessen »altgläubige« Widersacher und die römisch-katholische Kirche nach deren Reform durch das Konzil von Trient beriefen sich auf Augustins antipelagianische Position. Diese festgefahrenen Vorstellungen dominierten für Jahrhunderte das Bild des pelagianischen Streites. Daran änderte sich auch in den folgenden Zeiten bis zum 17. Jahrhundert nichts: Entgegen aller Wandlungsprozesse nach den blutigen und kräftezehrenden konfessionellen Kriegen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Form der auf6 Das Aufforderungsschreiben des Zosimus ist nur fragmentarisch erhalten, vgl. die Rekonstruktion bei Otto Wermelinger, Rom und Pelagius. Die theologische Position der römischen Bischöfe im pelagianischen Streit in den Jahren 411–432. PuP 7 (Stuttgart: Anton Hiersemann, 1975), 307 f. 7 Vgl. hierzu. Albrecht Beutel, »Luther«, in Augustin Handbuch, hg. v. Volker H. Drecoll, 615–622 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007). Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung. PhB 593 (Hamburg: Felix Meiner, 2007), 146 sieht die Ursache für den starken Rückbezug der Reformatoren auf die augustinische Lehre im »religiöse[n] Individualismus, den die Reformation vertritt«, der »durchweg auf rein objektive, übernatürlich bindende Realitäten bezogen und an sie gebunden« sei und durch sein Streben nach einer Festigung dieser Bindung »von neuem auf die Augustinische Fassung des Dogmas zurückgewiesen« werde. So sei die augustinische Lehre »für Luther wie für Calvin wieder der eigentliche Halt und das Kernstück ihres theologischen Systems« geworden und der Bruch mit den Gedanken des Humanismus, wie am anschaulichsten deutlich in der Kontroverse zwischen Luther und Erasmus um die Frage nach dem freien Willen, vollzogen worden – mit weitreichenden Konsequenzen für die Folgezeit: »Das Verdikt des reformatorischen Glaubens über den humanistischen ist damit gefällt – und vergeblich hat das siebzehnte Jahhundert versucht, gegen diesen Urteilsspruch anzukämpfen.« (Cassirer, Philosophie der Aufklärung, 147).
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Einleitung
kommenden, um Ausgleich bemühten Irenik und der Infragestellung althergebrachter Dogmen wie der Prädestinations‑ und augustinisch-reformatorischen Erbsündenlehre8, wollte sich auch im 17. Jahrhundert kein Theologe der Sympathie mit dem Erzketzer Pelagius bezichtigen oder sich gar den von allen Seiten und Konfessionen gern vergebenen roten Ketzerhut des Pelagius öffentlich aufsetzen lassen.9 Ganz im Gegenteil verhärteten die im Rahmen kirchenpolitischer Konflikte innerhalb des Reformiertentums und der römisch-katholischen Kirche des 17. Jahrhunderts entstanden Darstellungen der historia Pelagiana10 das bisherige Bild des Streites trotz aller Erkenntniszuwächse nur noch weiter.11 Auch wenn sich Goethe in seiner autobiographischen Darstellung des Gesprächs aus dem Jahr 1769 sicherlich übertrieben naiv und überrascht gibt, ist seine Reaktion darauf, den Ketzerhut aufgesetzt zu bekommen, geradezu symptomatisch für die Umbrüche seiner Zeit: Er zeigt sich nicht etwa bemüht, sich den Hut schnell mit theologischen Erörterungen seiner Rechtgläubigkeit vom Haupt zu reißen, sondern lässt ihn dort ganz einfach sitzen. Ja, der Hut scheint ihm sogar recht gut zu stehen, ist Goethe doch selbst von der positiven Anthropologie und deren ethischen Konsequenzen »auf ’s innigste durchdrungen«12. Damit steht der theologische Laie Goethe in der Zeit der Aufklärung gewiss nicht allein da. Das Bewusstsein, mit solcher Meinung eine Irrlehre zu vertreten, verflüchtigt sich zunehmend; nicht grundlos klagen Goethes fromme Gesprächspartner, »zum Unglück der neueren Zeit, wolle diese verderbliche Lehre wieder um sich greifen«.13 Begünstigt wird dies im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert durch den gedanklichen Wandel, der sich in den Köpfen der Bildungseliten und bald, aufgrund volksaufklärerischer Bestrebungen, auch unter weiteren Die kritische Auseinandersetzung mit der Erbsündenlehre, insbesondere in Verbindung mit dem Imputationsgedanken, hatte im deutschen Sprachraum ihren Ursprung in den innerlutherischen wie interkonfessionellen Kontroversen des auslaufenden 16. und 17. Jahrhunderts und war keineswegs erst von neologischen Theologen initiiert worden. Zur Rekonstruktion dieser Entwicklung vgl. Anselm Schubert, Das Ende der Sünde. Anthropologie und Erbsünde zwischen Reformation und Aufklärung. FKDG 84 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002), sowie Christine Axt-Piscalar, »Sünde. VII Reformation und Neuzeit«, TRE 32 (Berlin/ Boston: De Gruyter, 2006): 407–409. 9 Für eine typologische Darstellung des Pelagius mit rotem Ketzerhut vgl. Hartmann Schedel, Weltchronik 1493. Kolorierte Gesamtausgabe, hg. v. Stephan Füssel (Köln: Taschen, 2018), CXXXV. 10 Im Folgenden steht der Terminus historia Pelagiana für die Geschichte des pelagianischen Streites, wie für unterschiedliche Versuche kirchengeschichtlicher Darstellungen des Streites. Davon ist der tatsächliche Titel Historia Pelagiana einzelner Werke, insbesondere des 17. Jahrhunderts, zu unterscheiden. 11 Zu diesem negativen Bild des Pelagius vgl. Martien F. Parmentier, »Pelagius as the Bogeyman of Catholics and Protestants in the Seventeenth Century«, Aug(L) 53 (2003): 147–158. 12 Goethe, Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, 15. Buch (Goethe, Sämtliche Werke 14, 691,8). 13 Goethe, Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, 15. Buch (Goethe, Sämtliche Werke 14, 691,17–19). 8
I. Einführung
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Bevökerungsgruppen mit der Kritik althergebrachter Dogmen, dem Toleranzgedanken und der anthropologischen Wende der 60er Jahre hin zu einem optimistischen Menschenbild und dem Fortschritts‑ und Perfektibilitätsgedanken der Aufklärungszeit vollzieht.14 Auch die protestantische Theologie blieb von diesem Wandel nicht unberührt. Goethe spricht in Dichtung und Wahrheit von dem »Freiheits‑ und Naturgeist« jener Zeit, von dem auch der prominente reformierte Theologe Johann Caspar Lavater (1741–1801) ergriffen worden sei, und »der Jedem sehr schmeichlerisch in die Ohren raunte: man habe, ohne viele äußere Hülfsmittel, Stoff und Gehalt genug in sich selbst, alles komme nur darauf an, daß man ihn gehörig entfalte«.15 Dieser Wandel wiederum ließ Sympathien für Pelagius’ Lehre und ihre ethischen Folgen in die Theologie Einzug finden. Insbesondere Vertreter der sogenannten Neologie sahen sich aufgrund ihres positiven Menschenbildes in Folge der anthropologischen Wende ab den 60er Jahren des Jahrhunderts nicht nur der Abweichung von Luthers Theologie, sondern gar der Zuneigung zum Pelagianismus bezichtigt. Freilich konnten diese sich jedoch trotz zunehmender Toleranz nicht ohne die drohende Gefahr von Repressalien, Zensur oder akademischen Debatten um ihre Rechtgläubigkeit, öffentlich zu Pelagius bekennen. Und wer noch zur Mitte des 18. Jahrhunderts in Johann Heinrich Zedlers Uni‑ versal-Lexicon, dem deutschen Standardnachschlagewerk, nach Pelagius, dem pelagianischen Streit und Pelagianern suchte, wurde schnell mit dem Bild einer hochmütigen Irrlehre und grundlegenden Ketzerei konfrontiert.16 Goethes Kenntnis der kirchengeschichtlichen Erforschung des pelagianischen Streites dürfte sich noch auf dem Stand von 1699 bzw. 1723 befunden haben. Ausgangspunkt und Quelle seiner durch den Pelagianismusvorwurf angeregten Nachforschungen war nämlich Gottfried Arnolds epochemachende Unpart‑ heyische Kirchen‑ und Ketzerhistorie.17 Auch jener pietistische »Querulant« Arnold hatte an der Jahrhundertwende darin mit seiner positiven Darstellung des Pelagius am Fortbestehen der negativen Beurteilung vorerst nichts zu ändern vermocht.18 Als Goethe im Jahr 1769 aus seinem Dämmerschlaf geweckt wird, 14 Zu diesen miteinander verwobenen und einander bedingenden Leitmotiven der Aufklärungszeit vgl. Albrecht Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung. Ein Kom‑ pendium. UTB 3180 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009), 22 f.25.95. 15 Goethe, Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, 14. Buch (Goethe, Sämtliche Werke 14, 661,26–31). 16 Vgl. die Lemmata »Pelagius, ein Ertz-Ketzer« und »Pelagianer« in Johann Heinrich Zedler, Universal-Lexicon 27, 150, resp. 153–155. 17 Gottfried Arnold, Unparteyische Kirchen‑ und Ketzerhistorie vom Anfang des Neuen Testaments bis auf das Jahr Christi 1688, 4 Teile in 2 Bänden (Frankfurt a. M.: Thomas Fritsch, 1699/1700). Zu Goethes Rezeption Arnolds siehe. S. 14, Anm. 39. 18 Gisbert Greshake stellt hinsichtlich der Wahrnehmung des Pelagius fest, dass erst zur Mitte des 20. Jahrhunderts Bemühungen stattfanden, »seiner authentischen Gestalt ansichtig zu werden« (Greshake, »Einleitung«, 12). Ausdrücklich lehnt er es jedoch ab, von Rehabililitierungsbemühungen zu sprechen, sondern sieht das Ziel dieser Untersuchungen darin, »Pelagius
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Einleitung
hatten sich Wahrnehmung und Darstellung des Schicksals und der Lehre des Erzketzers Pelagius im pelagianischen Streit innerhalb der protestantischen Kirchenhistoriographie des 18. Jahrhunderts jedoch trotz aller Kontinuitäten nach außen hin bereits einem immensen Wandel unterzogen. Goethe wird die vollen Ausmaße und Feinheiten jenes Wandels wohl höchstens erahnt haben. Diesem Wandel, seinen Ursachen und vor allem Topoi nachzuspüren, wird Ziel der folgenden Untersuchung sein.
II. Fragestellung und Themeneingrenzung Die generelle Leitfrage dieser Untersuchung lautet, wie der pelagianische Streit des frühen 5. Jahrhunderts, seine Akteure und die in ihm verhandelten Lehrmeinungen innerhalb der protestantischen Kirchengeschichtsschreibung im Laufe des 18. Jahrhunderts wahrgenommen, dargestellt und beurteilt wurden.19 Sie verbindet sich mit meiner Beobachtung, dass in diesem Zeitraum ein signifikanter Wandel in dessen Rezeption und Darstellung stattgefunden hat. Daraus wiederum resultiert die weiterführende Frage nach den Ursachen jenes Wandels, dessen Verlauf und schließlich nach dessen Relevanz für das Bild vom pelagianischen Streit am Ende des 18. Jahrhunderts.20 Doch warum wendet sich diese Untersuchung aus allen spätantiken theologischen Kontroversen gerade der Wahrnehmung und Darstellung des pelagianischen Streites zu? Und warum ausgerechnet im 18. Jahrhundert, noch dazu ausschließlich anhand von kirchengeschichtlichen Darstellungen, wie der bereits erwähnten Unpartheyischen Kirchen‑ und Ketzerhistorie Gottfried Arnolds? Goethes Beobachtungen sind hierzu weiterführend, insofern er mit den im pelagianischen Streit aufbrechenden Fronten ein grundsätzliches Dilemma christlicher Theologie und Lebensführung benennt, das aufgrund der Zentralität der strittigen Positionen tentakelartig von der Anthropologie bis in die Eschatologie in nahezu sämtliche theologischen Loci hinausgreift und auch bis jenseits des verengten Verstehensfilters Augustins als ihn selbst in den Blick zu nehmen« (Greshake, »Einleitung«, 12, Anm. 20). Tatsächlich liegt hier ein signifikanter Unterschied zu den Pelagius wohl gesonnenen Darstellungen im 18. Jahrhundert, denen man die Absicht, Pelagius teilweise oder gänzlich rehabilitieren zu wollen, deutlich anmerkt. 19 Trotz des eröffnenden Zitats Goethes wird jedoch keine Untersuchung solcher und ähnlicher Rezeptionen des pelagianischen Streites über die Kirchengeschichtswissenschaft hinaus angestrebt. Daher kann die Frage, ob der pelagianische Streit gesamtgesellschaftliches Thema wurde oder doch nur innerhalb akademischer Kreise Beachtung fand, nicht im Zentrum dieser Untersuchung stehen. 20 Nicht jedoch ist das Ziel der folgenden Untersuchung kirchenhistoriographischer Arbeiten des 18. Jahrhunderts zum pelagianischen Streit eine Darstellung der dogmatisch-theologischen Ansichten oder der vertretenen Geschichtskonzeptionen der jeweiligen Autoren, sondern primär die Nachzeichnung des jeweiligen Bildes und Urteils vom pelagianischen Streit und der dort vertretenen Lehrmeinungen und Akteure.
II. Fragestellung und Themeneingrenzung
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in die heutige Zeit nichts an Bedeutung eingebüßt hat.21 Tatsächlich spiegelt die Auseinandersetzung zwischen dem nordafrikanischen Bischof Augustinus und dem aus Britannien stammenden Laientheologen Pelagius zu Beginn des 5. Jahrhunderts ja nicht nur grundlegende Differenzen in Lebensführung, Ethik und Theologie spätantiker Christen wider, sondern blieb auch von Relevanz für die dogmatischen Grundfragen der folgenden Jahrhunderte.22 Zentrale Streitpunkte wie die Frage nach dem Verhältnis der menschlichen Natur zur Gnade Gottes, der Erbsünden‑ und Prädestinationslehre, dem freien Willen und dem Vermögen zur moralischen Vervollkommnung sind hier eng miteinander verwoben und verkörpern sich in nicht wenigen Kirchengeschichtsdarstellungen gleichsam paradigmatisch in der Gegenüberstellung des »Kirchenvaters« und des »Ketzers«.23 Vor allem möchte ich der Frage nach der Auswahl dieser Kontroverse daher mit meiner These begegnen, dass sich nahezu alle Grundfragen des pelagianischen Streites im theologischen Diskurs des 18. Jahrhunderts mit besonderer Aktualität wiederfinden. Gegenüber Luther und in gewisser Weise auch gegenüber der lutherischen Orthodoxie war das 18. Jahrhundert in großen Teilen durch ein weitaus positiveres Menschenbild bestimmt. Dieses fand besonders in der zweiten Jahrhunderthälfte Ausdruck im Anthropozentrismus, dem Perfektibilitätsgedanken,24 der Ethisie21 Tatsächlich bietet heute nicht nur das Internet eine Fülle an mehr oder weniger differenzierten Stellungnahmen und Gedanken zum pelagianischen Streit, zumeist mit einer positiven Würdigung des Anliegens der Pelagianer. Zuletzt erfuhr der pelagianische Streit im Feuilleton erneute Aufmerksamkeit durch einen Essay von Friedrich Christian Delius in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29. 10. 2016, der darin monierte, dass Luther es – im Festhalten an der augustinischen Erbsündenlehre – nicht vermochte, dieses mit einer fehlerhaften Exegese von Röm 5,12 begründete Dogma endlich gänzlich zu überwinden. Neben dieser Kritik am Reformator geht Delius jedoch auch auf die Wurzeln der Erbsündenlehre und den pelagianischen Streit ein, wobei er bezeichnenderweise hierzu eine Vielzahl an gängigen Allgemeinplätzen der Augustinuskritik und Würdigung des Pelagius anführt, die uns noch in der folgenden Untersuchung beschäftigen werden. Delius’ Beitrag, als Appell an Luther selbst gerichtet, erschien anschließend im Rahmen des Reformationsjubiläums 2017 als kleines Büchlein (Friedrich Christian Delius, Warum Luther die Reformation versemmelt hat. Eine Streitschrift [Hamburg: Rowohlt, 2017]; zu den Bemerkungen über den pelagianischen Streit darin vgl. insbesondere Delius, Streitschrift, 26–29). 22 Gisbert Greshake erkennt in diesem Sinne im pelagianischen Streit einen »der größten Ideenkonflikte in der abendländischen Kirche vor der Reformation, ein Ideenkonflikt, der in unzähligen Varianten durch die Geschichte weitergeht«. (Greshake, »Einleitung«, 7, mit Verweis auf Georges de Plinval, Pélage, ses écrits, sa vie et sa réforme: étude d’histoire littéraire et religieuse [Lausanne: Payot, 1943], 17). 23 Die heutige Forschung tritt von einer scharfen Entgegensetzung Augustins und Pelagius’ meist deutlich zurück und es ist durchaus berechtigt, eine solche Gegenüberstellung als eine vereinfachende Antithetik zu beurteilen, vgl. Greshake, Gnade als konkrete Freiheit. Eine Unter‑ suchung zur Gnadenlehre des Pelagius (Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag, 1972), 32. Dennoch ist dies eine Sichtweise auf Augustinus, Pelagius und ihre Lehren, die sich noch in den meisten der zu untersuchenden kirchengeschichtlichen Werke nachweisen lässt. 24 Zum Perfektibilitätsgedanken vgl. Albrecht Beutel, »Perfektibilität«, RGG4 6 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003): 1105. Als Beispiel sei hier besonders auf die äußerst populäre,
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Einleitung
rung des Christlichen, der Betonung des freien Willens und der starken Kritik an Augustinus sowie dessen Gnaden-, Erbsünden‑ und Prädestinationslehre.25 Besonders anschaulich mag dies eine Szene aus Friedrich Nicolais »Bestseller« Sebaldus Nothanker machen, der in den 1770er Jahren erschien: Dem auf Wanderschaft befindlichen Sebaldus begegnet ein Fremder mit Ziel Berlin. Die beiden kommen miteinander ins Gespräch, und bald stimmt der Fremde einen regelrechten Lobgesang auf die konventionelle Sünden‑ und Gnadenlehre an, worauf Sebaldus nur achselzuckend entgegnet: »Dieß sind gesalbte Schalle, die einer verderbten Einbildungskraft heilig scheinen, die aber keinen Sinn enthalten. Wir besitzen Kräfte zum Guten. Wer dieß läugnen wollte, würde Gottes Schöpfung schänden, der uns so viele Vollkommenheiten gegeben hat. Ohne den Einfluß einer übernatürlich wirkenden Gnade zu erwarten, können wir Tugenden und edle Thaten ausüben.«26
Nicht zuletzt bildeten schließlich das Toleranzdenken und der Antikonfessionalismus des Pietismus und der Aufklärung ein den »Pelagianismus« und eine positive Pelagiusrezeption begünstigendes Klima. Dies ist besonders bemerkenswert, da vor dem 18. Jahrhundert von einer ausdrücklich positiven und öffentlich geäußerten Bewertung der Ansichten Pelagius’ innerhalb der Kirchen, vor allem des Westens, nicht die Rede sein kann.27 So umstritten manche Ansichten des Augustinus bisweilen waren, so galt doch bislang weithin die Verketzerung und damit Verwerfung der Ansichten des Pelagius als gesichert, oder wie Bernd Moeller vermerkt: »Die Zurückweisung und Ausschließung des Pelagius […] ist unter den dogmatischen Entscheidungen der Kirchengeschichte eine der am nachhaltigsten wirksamen. Seither gelten die Lehre von der Erbsünde und von der Alleinwirksamkeit der göttlichen Gnade zum erstmals 1748 erschienene Schrift Die Bestimmung des Menschen von Spalding verwiesen, der bekennt: »Ich spüre Fähigkeiten in mir, die eines Wachstums ins Unendliche fähig sind.« (Johann Joachim Spalding, Die Bestimmung des Menschen (1.–11. Aufl.), hg. v. Albrecht Beutel/ Daniela Kirschkowski/Dennis Prause, unter Mitarbeit v. Verena Look und Olga Söntgerath. SpKA I/1 [Tübingen: Mohr Siebeck, 2006], 20,34–21,1); vgl. zu den Kerngedanken des Textes auch Albrecht Beutel, Johann Joachim Spalding: Meistertheologe im Zeitalter der Aufklärung (Tübingen: Mohr Siebeck, 2014), 79–83; ders., Kirchengeschichte, 247–249; ders., »Einleitung«, in Johann Joachim Spalding. Die Bestimmung des Menschen, XL–XLII. 25 Siehe hierzu weiter unten S. 28, Anm. 98 und 99. 26 Friedrich Nicolai, Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Not‑ hanker. Kritische Ausgabe, hg. v. Bernd Witte (Stuttgart: Reclam, 1991), 163. Der äußerst erfolgreiche Roman erschien in drei Bänden zwischen 1773–1776. Zu diesem aufklärerischen Roman vgl. Beutel, »Aufklärung und Pietismus auf dem Weg nach Berlin: die Figur des ›Frömmlings‹ in Friedrich Nicolais Roman ›Sebaldus Nothanker‹ (1773–1776)«, in ders., Reflektierte Religion. Beiträge zur Geschichte des Protestantismus, 170–185 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007), sowie ferner Axt-Piscalar, »Sünde«, 411. 27 Auch angesichts der weiterhin »gerade auf dogmatischem Feld höchst sensible[n] Wachsamkeit der obrigkeitlichen Zensur« (Beutel, Kirchengeschichte, 221) in deutschen Landen vermag dies zu überraschen. Zur Zensur vgl. auch ders., »Zensur und Lehrzucht im Protestantismus. Ein Prospekt«, RoJKG 28 (2009): 99–116.
II. Fragestellung und Themeneingrenzung
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Heil allgemein als kirchliche Dogmen und die ihnen entgegenstehenden Auffassungen der ›Pelagianer‹ als häretisch. Diese selbst aber […] sind in allen Kirchen als Ketzer verworfen, mit der Folge, daß der Vorwurf, ›pelagianisch‹ zu lehren […] eine Totalabsage begründen kann.«28
Im Sinne einer solchen Totalabsage war sicherlich auch die Strafpredigt, die Goethe zu hören bekam, zu verstehen. Doch war nicht allein die Überschneidung dogmatischer Loci ausschlaggebend für den Wandel, der sich letztlich vollzog, sondern insbesondere die kirchengeschichtlichen Darstellungen des Streites. Ohne sie wäre es wohl kaum zu einem neuen Bewusstsein für diesen Konflikt gekommen. Entscheidend waren hierfür wiederum die Wandlungen, die die Professionalisierung der Kirchengeschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, ihrer Ideale29 und Methoden mit sich brachte. Dazu zählen Gedanken wie der der Unparteilichkeit30, der wachsende Anspruch an eine objektive Geschichtsschreibung, aber insbesondere die Kritik an überlieferten Dogmen und Wissensbeständen in Form der Dogmengeschichtsschreibung sowie die Anwendung der pragmatischen Methode und des historisch-kritischen Quellengebrauchs. Damit gingen konsequent intensivierte Quellenstudien, die kritische Aufarbeitung vorangehender Literatur des 17. Jahrhunderts zur historia Pelagiana und die Abgrenzung von dieser in den einzelnen Kirchengeschichtsdarstellungen einher, die folgend als Ausgangspunkt und Quellen dieser Untersuchung dienen werden. Der von mir konstatierte Wandel in der Wahrnehmung und Darstellung der Kirchenhistoriographie lässt sich nun keineswegs monokausal herleiten, sondern nur aus dem Zusammenwirken aller genannten und weiterer ungenannten Faktoren, die sich in der folgenden Untersuchung noch herauskristallisieren werden.31 Zudem darf die Rede vom »Wandel« des Bildes des pelagianischen 28 Bernd Moeller, Kirchengeschichte. Deutsche Texte 1699–1927. Bibliothek der Geschichte und Politik 22 (Frankfurt a. M.: Deutscher Klassiker Verlag, 1994), 742 f. 29 Freilich soll die Berücksichtigung dieser Ideale bei der Analyse und Interpretation der Quellen nicht dazu führen, den Autoren methodische Inkonsequenzen, das Abweichen von eigenen Maßstäben und offenkundige Versehen vorzuwerfen; dies ist ohnehin schon zu Zeiten des 18. Jahrhunderts zur Genüge geschehen, wie insbesondere die ausartende Kritik des lutherisch-orthodoxen Ernst Salomon Cyprian an Gottfried Arnolds Ketzer-Historie verdeutlicht, vgl. unten S. 16, Anm. 45. Ausdrücklich sollen heutige Wissenschaftsideale und der heutige, umfassendere Forschungsstand zu Quellen und Ablauf des pelagianischen Streites nicht hinzugezogen werden, um die Leistungen der »Vorväter« zu schmälern, sondern vielmehr um die Relevanz dieser Schriften für das heutige Bild vom Streit freizulegen. 30 Zum Begriff vgl. bspw. Johannes Wallmann, Der Pietismus. Ein Handbuch. 2. Aufl. UTB 2598 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2005), 158 f.; Beutel, Kirchengeschichte, 217 f.; Moeller, Kirchengeschichte, 739 f. Unparteilichkeit steht bei Arnold freilich nicht für eine neutrale objektive Kirchengeschichtsschreibung im heutigen Sinn, sondern dafür, die Kirchengeschichte losgelöst von der Konfessionszugehörigkeit zu betrachten. Ausgangspunkt ist für Arnold dabei erstmals das Individuum, vgl. Moeller, Kirchengeschichte, 736. 31 Somit könnte bspw. das Schwinden des scharfen Tons gegenüber Pelagius nicht allein aus der Zielsetzung einer möglichst objektiven Kirchengeschichtsschreibung resultieren, sondern
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Streites nicht als eine einzelne, klar und ohne Abzweigungen verlaufende Entwicklungslinie mit teleologischer Ausrichtung missverstanden werden. Vielmehr wird die nachfolgende Untersuchung anhand verschiedener kirchengeschichtlicher Arbeiten, die zum Teil in Wechselwirkung miteinander stehen, zum Teil nahezu zeitgleich erschienen sind, zeigen, dass sich sowohl Kontinuitäten wie auch Abbrüche und Neuansätze, sowohl in der Darstellungsweise wie auch in der inhaltlichen Bewertung des Streites, seiner Akteure und deren Lehrmeinungen finden. Das wiederum führt zu einem weiteren zentralen Aspekt der Fragestellung: Innerhalb des vom Wandel bestimmten 18. Jahrhunderts und der ebenso von Umbrüchen geprägten protestantischen Theologie wie Kirchengeschichts wissenschaft verschieben sich auch die Interessen am pelagianischen Streit im Generellen, wie aber vor allem an den prägnanten Topoi, die der Landschaft des Streites über die nüchterne Auflistung und Abarbeitung von dogmatischen Loci – wie in den Magdeburger Centurien – hinaus erst Gestalt und Tiefe verleihen. Nicht nur erfährt somit der Streit an sich im Voranschreiten des Jahrhunderts zunehmend mehr Aufmerksamkeit, akademischen Fleiß und Neubewertungen, sondern speziell einzelne Topoi, die immer wieder begegnen, aber von den einzelnen Kirchenhistorikern unterschiedlich diskutiert und ausgestaltet werden. Diese Topoi markieren im Unterschied zum generellen Wandlungsverlauf der Darstellung des Streites zudem den Punkt, an dem die individuellen Darstellungen einzelner Autoren von Gottfried Arnold bis Johann Matthias Schroeckh in den Blick rücken. Deren kirchengeschichtliche Darstellungen, sei es in Gestalt von Gesamtdarstellungen der Kirchengeschichte wie bei Arnold und Mosheim, oder in Gestalt von Monographien zum Streit, wie vor allem bei Semler, Walch und Schroeckh, bilden das Fundament, anhand dessen die größeren Entwicklungslinien nachgezeichnet werden sollen. Erst ihre besonderen Interessen an einzelnen Topoi, wie die Frage nach dem Pelagianismus vor Pelagius oder der kirchenpolitischen Dimension des Streites, helfen dabei, sowohl die einzelnen, individuellen Motive und Ursachen als auch den Wandel selbst und die Relevanz des pelagianischen Streites besser nachzuvollziehen. Daher bildet die Nachzeichnung dieser Topoi die Basis der gesamten Fragestellung und deren Beantwortung.
auch aus persönlichen Positionen des jeweiligen Verfassers, die von den traditionellen dogmatischen Haltungen abweichen, was insbesondere anhand der Darstellung Gottfried Arnolds deutlich werden wird. Ohnehin fällt so ein potenzielles Konfliktfeld auf, und zwar zwischen dem bisweilen polemischen Diskurs um diese dogmatischen Grundfragen und der Verwissenschaftlichung der Kirchengeschichtsschreibung und ihrem Anspruch auf Unparteilichkeit und Objektivität.
II. Fragestellung und Themeneingrenzung
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Diese Topoi verweisen wiederum auf die überwiegend in Kontroversen des 17. Jahrhunderts entstandene Literatur zur historia Pelagiana zurück. Sie ausführlich zu behandeln, kann nicht zentraler Gegenstand dieser Untersuchung sein. Dennoch ist deren Berücksichtigung und Kontextualisierung unabdingbar, da die Betrachtung der Autoren des 18. Jahrhunderts noch zeigen wird, dass sie häufig auf die Vorarbeiten des 17. Jahrhunderts Bezug nehmen oder diese gar ihrer Darstellung partiell zugrunde legen.32 Zudem übernehmen die protestantischen Kirchenhistoriker eine Vielzahl der bereits im 17. Jahrhundert begegnenden Topoi, zum Teil in Aneignung und Abwandlung, zum Teil in Abgrenzung von diesen. Daher lautet eine weitere Frage schließlich, wie innovativ die protestantischen kirchengeschichtlichen Arbeiten des 18. Jahrhunderts gegenüber den bisweilen opulenten Vorarbeiten namhafter katholischer und reformierter Theologen wie Gerhard Vossius und deren jeweiliger Widersacher tatsächlich waren. Wie zu sehen sein wird, dienten die Arbeiten des 17. Jahrhunderts überwiegend polemischen Zwecken und als Kampfmittel für die Verteidigung der eigenen Partei oder des eigenen Standpunktes. Daher ist mit der Frage nach der Relevanz der Vorarbeiten des 17. Jahrhunderts auch die Frage nach der Instrumentalisierung des pelagianischen Streites, seiner Akteure und Streitfragen verbunden. Vermochten die Kirchenhistoriker des 18. Jahrhunderts sich von derartigen Instrumentalisierungen loszulösen und schließlich zu eigenständigen, fortschrittlichen Darstellung dieser Grunddebatte christlicher Theologie durchzuringen, oder blieb dies letztlich Aufgabe der nachfolgenden Generation des 19. und 20. Jahrhunderts?33
32 Diese Untersuchung wird noch zeigen, dass auch ein Großteil der von den zu betrachtenden Autoren angeführten Verweise oder Zitate der antiken christlichen Autoren diesen Vorarbeiten entnommen ist. Eigene Quellenstudien und die Nutzung damaliger Editionen schließt dies freilich nicht aus. Da die Frage nach den damals verwendeten Quellenausgaben im Rahmen einer Rezeptionsgeschichte für den Nachweis von altkirchlichen Zitaten durchaus berechtigt ist, werden im Folgenden, wo vom jeweiligen Autor selbst darauf verwiesen oder daraus zitiert wird und dies genau und zweifelsfrei nachgewiesen ist, die entsprechenden Quellenbelege in ihrer äußeren Zitation nach den damals verwendeten Editionen angegeben. Wo hingegen die jeweils verwendete Edition, wie im überwiegenden Falle von Übersetzungen oder Paraphrasen, nicht zweifelsfrei nachweisbar ist, wird in der äußeren Zitation der Nutzbarkeit halber nur die aktuell maßgebliche Edition geboten. Das gilt freilich auch für in der Sekundärliteratur und von mir selbst angeführte altkirchliche Quellenzitate und ‑verweise. 33 Gustav Friedrich Wiggers, Versuch einer pragmatischen Darstellung des Augustinismus und Pelagianismus nach der geschichtlichen Entwicklung. 1. Band (Hamburg: Perthes, 1821) kann als entsprechende Wegmarke in der Erforschung des pelagianischen Streites im 19. Jahrhundert angesehen werden. Zu Wiggers vgl. Heinrich Klenz, »Wiggers, Gustav (Adam) Friedrich«, ADB 42 (Leipzig: Duncker & Humblot, 1897): 463–465.
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Einleitung
III. Quellenlage und ‑auswahl 1. Eingrenzung Sämtliche innerhalb der zu betrachtenden einhundert Jahre entstandenen kirchengeschichtlichen oder gar profangeschichtlichen Darstellungen einzubeziehen, ist unmöglich und für die Überschaubarkeit des Gegenstandes ohnehin nicht zuträglich.34 Um den postulierten Wandlungs‑ und Entwicklungsprozess innerhalb des 18. Jahrhunderts nachzuzeichnen, ist daher eine repräsentative Quellenauswahl unabdingbar. Zunächst stellt freilich die gewählte Textgattung ein erstes Auswahlkriterium dar. Dieses ist mit »Kirchenhistoriographie« jedoch breit gesetzt. Da als inhaltliche Anforderung der Fragestellung die Darstellung und Beurteilung des pelagianischen Streites gegeben ist, fallen sämtliche Arbeiten aus dem Raster, die den pelagianischen Streit oder seine dogmatischen Inhalte und Akteure lediglich streifen oder nur knapp erwähnen. Darunter fallen viele kleinere kirchengeschichtliche Lexika und Studienhilfen, aber auch größere Arbeiten zur Kirchengeschichte oder dogmenhistorische Untersuchungen zu theologischen Loci, die den pelagianischen Streit inhaltlich betreffen. So grenzt sich die Quellenauswahl bereits überwiegend auf größere Gesamtentwürfe der Kirchengeschichte und Einzeluntersuchungen zum pelagianischen Streit ein. Innerhalb der zeitlichen Begrenzung auf das 18. Jahrhundert als weiterem Eingrenzungskriterium werden wiederum lediglich protestantische Kirchengeschichtsdarstellungen aus dem deutschen Sprachraum betrachtet. Diese räumliche Eingrenzung ist der Beobachtung verpflichtet, dass die deutsche protestantische Theologie von großer Bedeutung innerhalb des 18. Jahrhunderts war und dies bis ins 20. Jahrhundert hinein blieb.35 Freilich entstanden auch innerhalb der katholischen Kirchengeschichtsschreibung Darstellungen des pelagianischen Streites; selbige hatte aber im 18. Jahrhundert nach den in der innerkatholischen Kontroverse um die Gnadenlehre des 17. Jahrhunderts entstandenen Darstellungen keine nennenswerten Innovationsschübe mehr hervorgebracht. Hingegen zeigen sich die größten Innovationsschübe innerhalb der 34 Für eine Übersicht der innerhalb des 18. Jahrhunderts relevanten kirchengeschichtlichen Werke vgl. Meinhold, Geschichte II, 11–110 sowie Beutel, Kirchengeschichte, 215–219. 35 Peter Walter und Martin Jung beobachteten: »Deutschland war seit der Reformation und bis in das 20. Jahrhundert hinein eine, ja die Hochburg protestantischer Theologie. Dies lag nicht nur an den geschichtlichen Umständen, die in Deutschland zur Entstehung der Reformation und der Entwicklung bi-, später sogar trikonfessioneller Verhältnisse geführt hatten, sondern auch an der durch die territoriale Zersplitterung des Landes bedingten großen Zahl von Universitäten.« (Peter Walter /Martin H. Jung. »Einleitung«, in Theologen des 17. und 18. Jahr‑ hunderts. Konfessionelles Zeitalter – Pietismus – Aufklärung, hg. v. Peter Walter/Martin H. Jung, 9–34 [Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2003], 25 [Hervorhebung von Walter/ Jung]).
III. Quellenlage und ‑auswahl
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blühenden und sich professionalisierenden protestantischen Kirchengeschichtsschreibung des deutschen Sprachraumes während des 18. Jahrhunderts.36 Daraus wiederum ergibt sich, dass neben den ausgewählten Werken und Autoren eine große Vielzahl an Darstellungen des pelagianischen Streites Fortbestand hatten, die jedoch inhaltlich wie strukturell zumeist schematisch den herkömmlichen Darstellungs‑ und Beurteilungsmustern verhaftet bleiben. Ohnehin fallen zudem eine Vielzahl dieser Darstellungen des pelagianischen Streites derart knapp und damit unbedeutend aus, dass eine detaillierte Einbeziehung dieser nicht zu rechtfertigen ist und deshalb eher von den größeren Entwicklungslinien ablenkt und diese Untersuchung ausbremsen würde. Hier ist diese Einsicht jedoch dazu dienlich, das Innovationspotential und bzw. oder die Repräsentanzfunktion der Quellen als weitere, inhaltliche Auswahlkriterien in den Blick zu nehmen. Als innovativ können sämtliche Quellen aufgefasst werden, die neue Gedanken und Topoi oder Methoden der Darstellung und Urteilsbegründung, bieten. Hier fallen zunächst anfangs des Jahrhunderts Gottfried Arnold (1666– 1714), aber auch die späteren, umfänglichen Arbeiten Johann Salomo Semlers (1725–1791), Christian Wilhelm Franz Walchs (1726–1784) und Johann Matthias Schroeckhs (1733–1808) ins Auge. Jedoch wird so auch gewährleistet, dass neben diesen großen Arbeiten auch kleinere, bisher kaum beachtete Darstellungen zum pelagianischen Streit dennoch in den Blick geraten, wo sie aufgrund ihres Innovationspotentials als relevant gelten können. Insbesondere Ludwig Timotheus Spittler (1752–1810) und Heinrich Philipp Konrad Henke (1752–1809) verdienen mit ihren Darstellungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts Aufmerksamkeit. Kompaktere Quellen können auch dann als relevant aufgefasst werden, wenn sie sich als repräsentativ für eine breitere theologische Strömung oder einen Wandlungsprozesse erweisen und somit einen Beitrag zum differenzierten Gesamtbild der Wahrnehmung und Darstellung des pelagianischen Streites bieten.37 In ihrer Repräsentanzfunktion bilden sie zugleich exemplarisch die Zwischentöne zwischen den lauteren Paukenschlägen der größeren, innovativen Quellen ab. Hierzu können erneut Spittler und Henke angeführt werden, aber vor allem die »Übergangstheologen« Johann Lorenz von Mosheim (1693–1755) und Siegmund Jakob Baumgarten (1706–1757). Ein weiteres, äußerliches Auswahlkriterium ist das der Popularität und Verbreitung der Quelle. Beispielsweise wirkte die Unpartheyische Kirchen‑ und Ket‑ zerhistorie Gottfried Arnolds als die erste größere kirchengeschichtliche Gesamt36 Vgl.
Beutel, Kirchengeschichte, 218. wenig oder gar nicht innovative Darstellungen des pelagianischen Streites müssen so Betrachtung finden. Würden diese vernachlässigt, würde das Innovationspotenzial späterer Darstellungen (Semler etc.) nicht deutlich werden und ein verzerrtes historisches Bild der Darstellungen und Rezeption des pelagianischen Streites gezeichnet werden. Dadurch ist gewährleistet, dass auch die durch das gesamte Jahrhundert hindurch fortwährende lutherisch-orthodoxe, bzw. konservative Grundlinie der Beurteilung des pelagianischen Streites repräsentiert wird. 37 Auch
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darstellung in deutscher Sprache weit über den engeren Kreis des Pietismus hinaus. Damit wurde sie nicht nur für die weitere Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts maßgebend und prägend,38 sondern durchaus auch für dessen interessiertes Bildungsbürgertum, wie ein erneutes Zitat Goethes verdeutlicht, welches gleichsam die kirchengeschichtliche Quelle seines eingangs geschilderten Erweckungserlebnisses benennt: »Einen großen Einfluß erfuhr ich dabei von einem wichtigen Buche, das mir in die Hände geriet, es war Arnolds ›Kirchen‑ und Ketzergeschichte‹. Dieser Mann ist nicht ein bloß reflektierender Historiker, sondern zugleich fromm und fühlend. Seine Gesinnungen stimmten sehr zu den meinigen, und was mich an seinem Werk besonders ergetzte, war, daß ich von manchen Ketzern, die man mir bisher als toll oder gottlos vorgestellt hatte, einen vorteilhaftern Begriff erhielt.«39
Mit solchen ausdrücklichen Erwähnungen innerhalb der Bildungseliten, aber vor allem mittels der Auflagenhöhe, Übersetzungen in fremde Sprachen, Bekanntheit des Autors und freilich der Bezugnahme von Rezensenten und anderer Kirchengeschichtler auf diese Werke und derer Darstellungen des pelagianischen Streites lassen sich Popularität und Verbreitung leicht feststellen. Das Kriterium gilt besonders für Arnold und Mosheim, aber auch für Baumgarten und dessen prominenten Schüler Semler. Letztlich bieten sich anhand dieser Quelleneingrenzung Wegmarken innerhalb des 18. Jahrhunderts, die größere oder kleinere Weichenstellungen für ein neues, innovatives Bild des Streites und seiner Topoi darstellen, als repräsentativ für bestimmte Strömungen gelten können und bzw. oder populäre Darstellungen waren, die die Meinungen zum pelagianischen Streit zu prägen vermochten. Alle treffen sich unter dem Hauptkriterium, einen aussagekräftigen Gehalt zum pelagianischen Streit zu bieten. 38 Zur Relevanz der Ketzer-Historie für die Kirchenhistoriographie des 18. Jahrhunderts vgl. Erich Seeberg, Gottfried Arnold. Die Wissenschaft und die Mystik seiner Zeit. Studien zur His‑ toriographie und zur Mystik (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1964), 535–611; Meinhold, Geschichte I, 432 f.; Schmidt, »Arnold, Gottfried«, 138 f.; Moeller, Kirchen‑ geschichte, 736 f.741; Beutel, Kirchengeschichte, 217 f. sowie ders., »Gottfried Arnold, Unpartheyische Kirchen= und Ketzer=Historie, vom Anfang des Neuen Testaments biß auf das Jahr Christi 1688 (1699/1700)«, Lexikon der theologischen Werke, hg. v. von Michael Eckert u. a. (Stuttgart: Kröner, 2003): 23 f.; Katharina Greschat, »Gottfried Arnolds ›Unparteiische Kirchen‑ und Ketzerhistorie‹ von 1699/1700 im Kontext seiner spiritualistischen Kirchenkritik«, ZKG 116 (2005): 46–62. 39 Goethe, Dichtung und Wahrheit, Zweiter Teil, 8. Buch (Goethe, Sämtliche Werke 14, 382,11–19). Zur tiefgreifenden Wirkung der Ketzer-Historie auf Goethe vgl. Meinhold, Ge‑ schichte I, 432; Friedrich Meinecke, Die Entstehung des Historismus. Band 1 (München/ Berlin: R. Oldenbourg, 1936), 47–55 sowie Richard Brinkmann, »Zur Genese und Aporie des modernen Individualitätsbegriffs. Goethes ›Werther‹ und Gottfried Arnolds ›Kirchen‑ und Ketzerhistorie‹«, in ders., Wirklichkeiten. Essays zur Literatur, 91–126 (Tübingen: Niemeyer, 1982). Es darf daher angenommen werden, dass Goethe seine Kenntnis zu Pelagius aus der Ketzer-Historie bezogen hat und anhand dieser in seiner Sympathie für den vermeintlichen Erzketzer bekräftigt wurde.
III. Quellenlage und ‑auswahl
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Anhand der so gesetzten Kriterien grenzt sich die Quellenlage nun deutlich auf die bereits zuvor erwähnten protestantischen Autoren und ihre Werke ein. Im Folgenden soll daher dargelegt werden, inwiefern sich diese in ihrem theologischen Gesamtwerk mit dem pelagianischen Streit befassten und welche Quellen hier konkret relevant sind.
2. Quellenübersicht Der »radikale« Pietist Gottfried Arnold40 hatte keine eigenständige Monographie zum pelagianischen Streit verfasst, wie diese Kontroverse ohnehin kein Hauptthema seines theologischen Schaffens darstellte. Jedoch beschreibt Arnold eingangs des 18. Jahrhunderts in seiner monumentalen und epochenmachenden Unparteyischen Kirchen‑ und Ketzerhistorie von 1699/1700 innerhalb des ersten Bandes den pelagianischen Streit ausführlich zur Eröffnung des letzten Kapitels des fünften Buches unter dem Titel »Von den beruffenen Kaetzereyen dieser zeit« vor der Darstellung der Semipelagianer und des Nestorianischen Streites.41 Das Erscheinen des ersten Bandes der Ketzer-Historie fällt in Arnolds Quedlinburger Zeit nach der Abkehr von der Universität Gießen.42 Daher ist es nicht 40 Zu Arnold vgl. u. a. Erich Seeberg, Gottfried Arnold. Die Wissenschaft und die Mystik seiner Zeit. Studien zur Historiographie und zur Mystik (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1964); Werner R aupp, »Arnold, Gottfried«, The Dictionary of Eighteenth-Century German Philosophers 1, hg. v. Heiner F. Klemme/Manfred Kuehn (London/New York: Bloomsbury Academic, 2010): 34–36; Hans Schneider, »Arnold, Gottfried«, RGG4 1 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1998): 791 f.; Gerhard Dünnhaupt, »Gottfried Arnold«, in Personalbiblio‑ graphien zu den Drucken des Barock. Band 1, hg. v. dems. 2. Aufl. (Stuttgart: Hiersemann, 1990): 314–352. Arnolds kirchenkritisches Denken wurde wohl erstmals in seinem Gedicht Babels Grabeslied öffentlich deutlich; noch einige Jahre nach diesem schwer datierbaren Gedicht blieb er dem kirchlichen Amt fern, trotz gegenteiliger Bemühungen Philipp Jakob Speners, mit dem Arnold zunächst ab 1688 in Briefkontakt, ab 1689 schließlich in vertrautem Umgang stand, vgl. Moeller, Kirchengeschichte, 737. Sein nach der Gießener Professur erfolgter Rückzug in spiritualistische Kreise nach Quedlinburg, wo er schon zuvor ab 1693 für mehrere Jahre durch Vermittlung Speners Hauslehrer war wie auch seine zunehmende Begeisterung für die mystische Theologie und asketische Ehelosigkeit werden häufig als weitere Zeichen der Radikalisierung angesehen, vgl. Wallmann, Pietismus, 153–155. 41 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 234–238 (zu den Pelagianern), 238 (zu den sog. Semipelagianern). Zusätzliche Informationen zu Augustins Leben, Konflikten, Werken und »Irrthümern« können einem Abschnitt des dritten Kapitels »von den vornehmsten Lehrern und Scribenten dieses seculi« entnommen werden, welcher von den Vorstellungen des Hieronymus und Johannes Chrysostomus eingerahmt wird, vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 220–222. Weitere kleinere Informationen zum Themenkomplex finden sich noch über die Ketzer-Historie verstreut, sind aber für die unmittelbare Darstellung des pelagianischen Streites nur von sekundärer Relevanz. 42 Den Beginn der Planungen und Vorarbeiten zur Ketzer-Historie vermutet Hans Schneider bereits im Jahr 1694 (vgl. Schneider, Gottfried Arnold in Gießen“, in Gottfried Arnold [1666– 1714]. Mit einer Bibliographie der Arnold-Literatur ab 1714, hg. v. Dietrich Blaufuß/Friedrich Niewöhner, 267–299. Wolfenbütteler Forschungen 61 [Wiesbaden: Harrassowitz, 1995], 294 f.). Als Abfassungsdatum der Vorrede benennt er den 1. März 1698 und korrigiert damit die An-
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Einleitung
abwegig, die Ketzer-Historie mit Moeller als »eine Frucht dieser die Spannungen der Zeit denkwürdig abbildenden akademischen Episode in Arnolds Leben« zu interpretieren.43 Die Ketzer-Historie veranlasste mit ihrer Kritik an orthodoxer Kirchlichkeit wenig überraschend rasch große Entrüstung und harsche Kritik von Seiten der lutherischen Spätorthodoxie. Insbesondere der ernst zu nehmende Vorwurf, Arnold sei in seiner Ketzer-Historie entgegen seines im Titel postulierten Anspruches in Wahrheit nicht weniger parteiisch als die Kirchenhistoriker, von denen er sich distanzierte, wurde immer wieder laut.44 Zu seinen prominentesten und vehementesten Kritikern seien vor allem Ernst Salomon Cyprian und Tobias Pfanner gezählt,45 die ab 1700 bis teilweise in die vierziger Jahre des Jahrgabe 1697 im Werk selbst als zu früh; die ersten fünfzehn Bücher der Ketzer-Historie, folglich der gesamte erste Band, seien ebenfalls in dieser Zeit, also schon in Gießen vor dessen Amtsniederlegung entstanden, vgl. hierzu ausführlich Schneider, »Gießen«, 292 f. Arnold selbst notiert hierzu vage in ders, »Öffentliches Zeugniß / daß die Gießische THEOLOGI Ihm zu seiner Kirchen‑ und Ketzer-Historie keinen Vorschub gethan / wie die Rostockische THEOLOGI Dieselbe jüngsthin in ihrer Verantwortung beschuldiget«, in Gottfried Arnold. Gießener Antrittsvorlesung sowie andere Dokumente seiner Gießener Zeit und Gedoppelter Lebenslauf, hg. v. Hans Schneider, 135–137. EPT 4 (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2012), 4 [EPT 4, 137,19–23 Schneider]: »Gestalt ich auch in Giessen das allerwenigste von diesem Wercke geschrieben sondern nur die erste Vorrede sammt denen ersten Büchern kaum verfertiget und jene also gleich vor meinem Abzug daselbst datiret habe.« Jedenfalls sieht Schneider den Amtsverzicht und den Charakter der Ketzer-Historie in engem Zusammenhang: Mittels der KetzerHistorie habe Arnold so vor allem den Verfall der Kirche aufzeigen wollen, vgl. Schneider, »Gießen«, 296. 43 Moeller, Kirchengeschichte, 738. Freilich beschränkte sich Arnold, wie schon seine vorangehenden Arbeiten bezeugen, nicht auf eine bloße Kritik der akademischen Theologie; in der organisierten Kirche selbst sah er die Ursache des Verfalls und des Abfalls vom reinen und wahren Christentum der Anfänge. 44 Vgl. Moeller, Kirchengeschichte, 740. 45 Vgl. insbesondere Ernst Salomon Cyprian, Allgemeine Anmerkungen über Gottfried Arnolds Kirchen‑ und Ketzer-Historie, Worinnen bescheidenlich und gründlich erwiesen wird, daß Arnold, vermöge seiner vorgefaßten Meynungen nothwenig partheyisch schreiben, seine Klagen wider die Kirche auf schwache Gründe bauen, und einiger Scribenten Meynung so gar verdrehen müssen, Daß auch nur in einem halben paragrapho der Sinn und die Worte Augustini, denen Donatisten zum Behuff, über sechsmal verfälschet worden. (Helmstedt: Georg Wolffgang Hamm, 1700); ders., Fernere Proben von Gottfried Arnolds Partheylichkeit, vornehmlich die Ge‑ schichte derer Quacker, Brownisten, D. Krellens und Jakob Böhms betreffende, So in der KetzerHistorie angemercket. Ernst Salomon Cyprian, des Gymnasii zu Coburg Director und Prof.: Nebst einer Vorrede an Herrn D. Veieln (Frankfurt a. M./Leipzig: Pfotenhauer, 1702) sowie Tobias Pfanner, Durch Herrn Gottfried Arnoldens DUPLIC an Hoff-Rath Pfannern Fernerweit ver‑ anlaßte Erläuterungen Seines unpartheyischen Bedenckens Uber die Arnoldische Kirchen‑ und Ketzer-Historie (1701), und ders. Unpartheyisches Bedenken, über Herrn Gottfried Arnolds Un‑ partheyische Kirchen‑ und Ketzerhistorie, Sampt dessen kurtzer Beantwortung und darauff er‑ statteter Erläuterung (1701). Zu diesen und den weiteren Konflikten um Arnolds Ketzer-Historie vgl. Hans Schneider, »Cyprians Auseinandersetzung mit Gottfried Arnolds ›Kirchen‑ und Ketzerhistorie‹«, in Ernst Salomon Cyprian (1673–1745): zwischen Orthodoxie, Pietismus und Frühaufklärung. Vorträge des internationalen Kolloquiums vom 14. bis 16. September 1995 in der Forschungs‑ und Landesbibliothek Gotha, Schloss Friedenstein, hg. v. Ernst Koch/Johannes Wall-
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hunderts – also bereits weit nach Arnolds Tod 1714! – Gegenschriften veröffentlichten, was Arnold wiederum zu etlichen Verteidigungsschriften ab 1703 veranlasste.46 In diesen sah sich Arnold zu vermeintlichen Klarstellungen, Korrekturen, ja Revisionen zur besonders umstrittenen Passage über den pelagianischen Streit veranlasst. Über seine Pelagiusdarstellung äußert er sich recht ausführlich erstmals in den Supplementa von 170347 sowie fünf Jahre später in Die Abwege oder Irrungen48 und zuletzt in Historisch-theologische Betrachtungen von 1709.49 Bereits jene scharfe Kritik und Arnolds Repliken auf diese verdeutlichen die rasche und weitreichende allgemeine Rezeption seines Hauptwerkes. Von ihr zeugen letztlich auch die vielen Auflagen der Ketzer-Historie.50 Neben dieser mann, 111–135. Veröffentlichungen der Forschungs‑ und Landesbibliothek Gotha 34 (Gotha: Forschungs‑ und Landesbibliothek, 1996); Jürgen Büchsel, »Gottfried Arnolds Verteidigung der Unparteiischen Kirchen‑ und Ketzerhistorie. Dargestellt anhand seines Briefwechsels mit Hofrat Tobias Pfanner«, in Der radikale Pietismus. Perspektiven der Forschung, hg. v. Wolfgang Breul/Marcus Meier/Lothar Vogel, 85–104. AGP 55 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2010); ders., Hg., Gottfried Arnolds Weg von 1696 bis 1705. Sein Briefwechsel mit Tobias Pfanner und weitere Quellentexte, eingeleitet und herausgegeben. von Jürgen Büchsel. Hallesche Quellenpublikationen und Repertorien 12 (Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen, 2011); Irmfried Martin, »Der Kampf um Gottfried Arnolds ›Unparteyische Kirchen‑ und Ketzer‑ historie‹: vornehmlich auf Grund des dritten Bandes der Schaffhauser Ausgabe von 1740–1742« (Dissertation, Universität Heidelberg 1972/3); sowie Dirk Fleischer, »Umstrittene Kirchengeschichtsschreibung: Gottfried Arnolds ›Unparthiische Kirchen‑ und Ketzer-Historie‹ im Urteil der Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts«, in Aufklärung und Historik: Auf‑ sätze zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft, Kirchengeschichte und Geschichtstheorie in der deutschen Aufklärung, hg. v. Horst W. Blanke/Dirk Fleischer, 160–172 (Waltrop: Spenner, 1991). 46 Bezeichnenderweise trägt beispielsweise der Band Arnolds Historisch-theologische Be‑ trachtungen auf dem Buchrücken der Ausgabe der Berliner Staatsbibliothek nur den Titel Arnoldi Defensio. 47 Gottfried Arnold, Supplementa, Illustrationes und Emendationes zur Verbesserung der Kirchen-Historie (Frankfurt a. M.: Thomas Fritsch, 1703). 48 Gottfried Arnold, Die Abwege Oder Irrungen und Versuchungen gutwilliger und frommer Menschen, aus Beystimmung des gottseeligen Alterthums angemercket (Frankfurt a. M.: Thomas Fritsch, 1708). 49 Gottfried Arnold, Historisch-theologische Betrachtuungen merckwürdiger Wahrheiten / Auf Veranlassung derer bißherigen Einwürffe Gegen G. Arnolds Schrifften Von einigen nach und nach bescheidentlich aufgesetzet / und nun Auf vieler Begehren zu nöthiger Verantwortung dargeleget Von Gottfried Arnold (Frankfurt a. M.: Fritsch, 1709). 50 Gottfried Arnold, Unparteyische Kirchen‑ und Ketzerhistorie vom Anfang des Neuen Testaments bis auf das Jahr Christi 1688. 4 Bände (Hildesheim: Georg Olms, 2008 [ND von Frankfurt a. M.: Thomas Fritschens sel. Erben, 1729]). Diese Ausgabe mitsamt dem Supplementband stellt die wohl am stärksten verbreitete Auflage dar. Eine weitere bemerkenswerte Ausgabe ist die 1749 erschienene Schaffhausener, die die Ergänzungen der Supplementa unmittelbar durch kenntlich gemachte Einschübe in den eigentlichen Text inkorperierte, was die Herren Herausgeber Hurter mit dem im Titel enthaltenen Vermerk »in bequemere Ordnung gebracht« bewarben, vgl. Gottfried Arnold, Unparteyische Kirchen‑ und Ketzerhistorien vom Anfang des Neuen Testaments bis auf das Jahr Christi 1688. Bey dieser neuen Auflage, an vielen Orten, nach dem Sinn und Verlangen, des seel. Auctoris, verbessert, vermehret, und in bequemere Ord‑
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Hauptquelle sind für das Gesamtbild des pelagianischen Streites bei Arnold auch dessen Verteidigungsschriften zu konsultieren. Nicht Anfeindungen der Orthodoxie und Verdruss über die eitle Wissenschaft, sondern eine große Leidenschaft für letztere trieb hingegen den hoch angesehenen Johann Lorenz von Mosheim in seinem akademischen Schaffen an.51 Nicht ohne Grund erklang über ihn, den »Übergangstheologen«,52 das Lob, er sei der »Vater der modernen Kirchengeschichte«.53 Mit Arnold hatte er gemein, sich die Unparteilichkeit auf die Fahne seiner kirchengeschichtlichen Arbeit geschrieben zu haben – freilich geschah die Aufnahme des Begriffs »Unpartheilichkeit« bei ihm aber in bewusster Abgrenzung, ja oftmals expliziter Ablehnung der Arnold’schen Konzeption.54 Ein Blick aber in das kirchenhistorische Œuvre Mosheims ernüchtert, zeigt sich doch, dass er wie Arnold zuvor keine eigenständige Monographie zum nung gebracht, und mit dessen Bildnis und Lebens-Lauff gezieret. 4 Teile in 2 Bänden (Schaffhausen: Emanuel und Benedict Hurter, 1740/1741). 51 Zu Mosheims Verhältnis zur lutherischen Orthodoxie vgl. Eginhard P. Meijering, »Mosheim und die Orthodoxie«, in Johann Lorenz Mosheim (1693–1755). Theologie im Span‑ nungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte. Vorträge, gehalten anläßlich eines Arbeits‑ gespräches vom 12. bis 15. September 1994 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, hg. v. Martin Mulsow u. a., 261–275 (Wolfenbütteler Forschungen 77. Wiesbaden: Harrassowitz, 1997). 52 So Dirk Fleischer, »Geburtstag Johann Lorenz von Mosheim«, http://www.denkmalaktuell.de (zuletzt aufgerufen am 25. 03. 2020, 16:00 Uhr): »Er gehört als Theologe zu der Gruppe der Übergangstheologen: Er war ein Vertreter jener theologischen Richtung, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Übergang vom Alt‑ zum Neuprotestantismus markiert.« Zur Problematik des Begriffs vgl. Beutel, Kirchengeschichte, 96–98; Martin Mulsow vermerkt, dass die Bezeichnung Übergangstheologie als »nicht mehr repräsentativ gelten« kann; die Frage, ob man stattdessen von »konservativer Aufklärung« oder mit Johannes Wallmann »vernünftiger Orthodoxie« reden soll, sei »vom Forschungsstand her noch zu früh«. (Martin Mulsow, »Zur Einführung«, in Johann Lorenz Mosheim [1693–1755]. Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte. Vorträge, gehalten anläßlich eines Arbeitsgespräches vom 12. bis 15. September 1994 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, hg. v. Martin Mulsow u. a., 7–15. Wolfenbütteler Forschungen 77 [Wiesbaden: Harrassowitz, 1997], 13 [mit Anm. 4 zum Begriff ]). 53 Vgl. Dirk Fleischer, »Protestantische Kirchengeschichtsschreibung im Zeitalter der Aufklärung«, in Konstruktion von Geschichte. Jubelrede – Predigt – Protestantische Historio‑ graphie, hg. v. Klaus Tanner, 117–139. LStRLO 18 (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2012), 118; Mulsow, »Einführung«, 7; Ulrich Johannes Schneider, »Zum Sektenproblem der Kirchengeschichte«, in Johann Lorenz Mosheim (1693–1755). Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte. Vorträge, gehalten anläßlich eines Arbeitsgespräches vom 12. bis 15. September 1994 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, hg. v. Martin Mulsow u. a., 147–191. Wolfenbütteler Forschungen 77 (Wiesbaden: Harrassowitz, 1997), 147; Florian Neumann, »Mosheim und die westeuropäische Kirchengeschichtsschreibung«, in a. a. O., 111, mit Anm. 2, und 146: »Da er […] mit seinen selbst entwickelten Kriterien ein neues und noch unsicheres Terrain zu erschließen begann und nachfolgenden Generationen von Kirchenhistorikern auf diese Weise den Weg wies, ist es vollends berechtigt, von Mosheim als dem Vater der neueren Kirchengeschichte zu sprechen.« Vgl. auch Eginhard P. Meijering, Die Geschichte der christlichen Theologie im Urteil J. L. von Mosheims (Amsterdam: Gieben, 1995). 54 Siehe hierzu S. 107, Anm. 160.
III. Quellenlage und ‑auswahl
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pelagianischen Streit verfasst hat. Man ist hier also auch wieder auf die kirchengeschichtlichen Gesamtdarstellungen Mosheims sowie versprengte Notizen in anderen Werken angewiesen. Das hohe Ansehen, das Mosheim schon zu Lebzeiten genoss, legt es dennoch nahe, seine Darstellung des Themas in den Blick zu nehmen.55 Nahezu zwingend wird eine solche Untersuchung aber dann, wenn man die breite Rezeption seines kirchengeschichtlichen Hauptwerkes, den In‑ stitutiones historiae ecclesiasticae antiquae et recentioris, berücksichtigt.56 Die Institutiones erschienen in erster Auflage im Jahr 1726.57 Sie erfuhren bereits zu Lebzeiten wie auch noch etliche Jahrzehnte nach Mosheims Tod mehrere überarbeitete Auflagen, wobei sich diese Untersuchung mit der im Todesjahr Mosheims veröffentlichten Fassung von 1755 befassen wird.58 Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis weit hinein ins 19. Jahrhundert erschienen zudem eine Vielzahl an Übersetzungen der Institutiones, aus denen insbesondere die englische von Archibald Maclaine, und die beiden miteinander konkurrierenden deutschsprachigen Übersetzungen des Heilbronner Rektors Johann Rudolf Schlegel (1729–1790) und des Roßdorfer Pfarrers Johann von Einem, die auf der 55 Deutlich wird dies beispielsweise in Nicerons Nachrichten: »Mosheim war einer der vortreflichsten Redner seines Volks, der Vater der Kirchengeschichte.« (Jean-Pierre Niceron, »Johann Lorenz von Mosheim«, in Johann Peter Nicerons Nachrichten von den Begebenheiten und Schriften berühmter Gelehrten, übersetzt und mit Anmerkungen und Zusätzen begleitet von Christian David Jani. 23. Teil [Halle: Christoph und Peter Francken, 1777], 430). Ohnehin bezieht sich das größte Lob insbesondere auf Mosheims Schaffen auf dem Feld der Kirchenhistoriographie. So habe Mosheim gerade dann angefangen sich mit dieser zu beschäftigen, als »die Unruhen kaum einigermassen gestillet, welche die Kirchen‑ und Ketzerhistorie Gottfried Arnolds unter den Gottesgelehrten erregt hatte« und verdiene damit zurecht den Titel als »Wiederhersteller und Vater der Kirchengeschichte« (Niceron, Nachrichten, 439). 56 Als maßgebliche Ausgabe verwende ich im Folgenden die im Todesjahr Mosheims veröffentlichte Fassung von 1755: Johann Lorenz von Mosheim, Institutiones historiae ecclesia‑ sticae antiquae et recentioris. Libri Quatuor. Ex ipsis fontibus insigniter emendati, plurimis acces‑ sionibus locupletati, variis observationibus illustrati (Helmstedt: Weygand, 1755). 57 In ihnen bietet Mosheim eine umfassende Darstellung der gesamten Kirchengeschichte bis auf seine Gegenwart hin, konventionell nach Jahrhunderten gegliedert, wiederum unterteilt in die äußere und innere Geschichte der Kirche, die abermals in mehrere Kapitel segmentiert sind. Innerhalb der Darstellung des fünften Jahrhunderts zielt Mosheim mit der äußeren Kirchengeschichte (Historia Ecclesiae Externa) auf die Darstellung der »profanen« bzw. »weltlichen« Umstände der Kirche. Daher führt Mosheim im ersten Teil (Fata Prospera Ecclesiae) die Faktoren an, welche die Kirche begünstigten, im zweiten (Fata Ecclesiae Christianae adversa) hingegen die Umstände, die dem Gedeihen der Kirche entgegenstanden, wie Verfolgungen, an. Die eigentliche »innere« Kirchengeschichte (Historia Ecclesiae Interna) der Kirche des fünften Jahrhunderts unterteilt er in fünf weitere Unterkapitel (1) Historia Litterarum et Eruditionis; 2) Historia Doctorum et Formae Civitatis Christianae; 3) Historiae Doctrinae; 4) Historia Caerimoniarum et Rituum; 5) Historia Seditionum sacrarum seu Haeresium. 58 Eine umfängliche oder vollständige Darstellung der einzelnen Auflagen und Übersetzungen bis hinein ins zwanzigste Jahrhundert kann und muss hier freilich nicht erfolgen. Eine vollständige Auflistung aller Ausgaben liegt nicht vor, vgl. aber die Anmerkungen bei Beutel, Kirchengeschichte, 218 sowie Fleischer, »Geburtstag«, der zu berichten weiss, dass die In‑ stitutiones allein in den Vereinigen Staaten von Amerika und England bis zum Jahr 1892 insgesamt 71mal aufgelegt wurden.
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Übersetzung Maclains aufbaut, herausstechen.59 Räumlich wie zeitlich entfaltete diese Kirchengeschichtsdarstellung Mosheims – in gewandelter Form – somit eine große Wirkung, die bis weit über den für die Fragestellung relevanten deutschen Sprachraum und Europa hinausging und Aufmerksamkeit verdient;60 nicht zuletzt, da auch Mosheim das Desiderat einer angemessenen Darstellung der pelagianischen Streites bis zu seiner Zeit hin beklagt.61 Der seit dem Jahr 1734 ordentliche Professor der Theologie zu Halle Siegmund Jakob Baumgarten befasste sich erst in einer späten Phase seines Wirkens mit der Kirchengeschichte und hatte sich zuvor über die Kernfragen des pelagianischen Streites in moraltheologischen und dogmatischen Abhandlungen geäußert – ohne jedoch explizit auf den pelagianischen Streit zu verweisen.62 59 Maclaines Übersetzung erschien erstmals 1764 in London. Neben dieser britischen Ausgabe MacLaines kam es später auch zu einer amerikanischen Auflage, die in den Vereinigten Staaten weitere und langanhaltende Verbreitung und Fortschreibung fand (im Folgenden immer angeführt und zitiert nach der ersten amerikanischen Ausgabe Archibald Maclaine, An Ecclesiastical History, ancient and modern, from the birth of Christ, to the beginning of the present century: in which the Rise, Progress, and Variations of Church Power are considered in their Con‑ nexion with the State of Learning and Philosophy, and the Political History of Europe during that Period. By the late learned John Lawrence Mosheim, D. D. Translated from the original Latin, and accompanied with Notes and Chronological Tables. First American Edition. Band 1 [Philadelphia: Stephen C. Ustick, 1798]). Schlegel veröffentlichte die erste deutschsprachige Übersetzung des Werkes mit dem relevanten Abschnitt zum pelagianischen Streit 1770 (Johann Lorenz von Mosheim vollständige Kirchengeschichte des neuen Testaments, aus dessen gesammten größern Werken und andern bewährten Schriften mit Zusätzen vermehrt, und bis auf die neuern Zeiten fortgesetzt. Des ersten Bandes Zweyter Theil, welcher das vierte bis auf das siebende Jahrhundert enthält [Heilbronn: Eckebrechtische Buchhandlung, 1770], 724–741); der entsprechende Band von Einems folgte 1771 (Johann Lorenz von Mosheims vollständige Kirchengeschichte des Neuen Testaments, aus dessen gesamten lateinischen Werken frey übersezt, mit Zusäzzen vermehret und mit Herrn D. Archibald Maclaine Anmerkungen zur engländischen Uebersezzung. Dritter Theil [Leipzig: Weygand, 1771], 150–174). 60 Die angesprochenen, miteinander konkurierenden deutschsprachigen Übersetzungen stellen eine kuriose Mischung aus Übersetzung und Überarbeitung des Textbestandes Mosheims sowie eigener Ergänzungen und schließlich der Übertragung von Zusätzen Maclaines dar. Besonders eklatant fallen jedoch die mehr oder minder kenntlich gemachten langen und wortwörtlichen Einschübe aus Walch, Entwurf, ins Gewicht, die einen Großteil der aufgeblasenen Anmerkungen beider Übersetzungen ausmachen, siehe unten S. 134, Anm. 257. 61 Siehe unten S. 109. 62 Vgl. hierzu u. a. Siegmund Jakob Baumgarten, Unterricht vom rechtmäßigen Verhalten eines Christen oder Theologische Moral (Halle: Johan Andreas Bauer, 1738 [ND der fünften Auflage von 1756 bei Hildesheim: Olms, 2012]), welches als Hand‑ oder Arbeitsbuch zur Ethik mit Verweis auf Hilfsmittel bezeichnet werden könnte, auf historische Exkurse verzichtet und – gut lutherisch – einzig und ermüdend exzessiv Schriftbelege für eigen formulierte Aussagen gelten lässt; auch in einer späteren Schrift – Kurzer Begrif der theologischen Streitigkeiten, zum acade‑ mischen Gebrauch ausgefertiget, hg. v. Johan Philip Christian Bast (Frankfurt a. M.: Stocks Erben und J. G. Schilling, 1750) – erwähnt Baumgarten in keinem seiner Artikel (beispielsweise Art. von der Vorhersehung (Baumgarten, Kurzer Begrif, 47–54); Art. von der Gnadenwahl (55–57); Art. vom Fal und der Sünde (95–107); Art. vom freien Willen des Menschen (108–111); Art. von der Taufe (164) jemals Pelagius oder die Pelagianer, sondern immer wieder »Particularisten unter den Reformierten« (55.111), »Papisten« (55.95.100 f.108.111.123 f.), Arminianer (97 f.123 f.)
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Erst im dritten Teil seines kirchenhistorischen Überblickswerkes Auszug der Kirchengeschichte, von der Geburt Jesu an von 1746 widmet sich Baumgarten der Geschichte dieser Kontroverse, im Anschluss an seine Darstellung der Auseinandersetzung Augustins mit den Donatisten.63 Die Präsentation des pelagianischen Streites findet im Wesentlichen in § 247 unter dem Titel »pelagianische Irtümer« statt, setzt sich aber reichlich verworren in den folgenden Paragraphen (u. a. »Bischöfe derselben Zeit«) fort.64 Baumgartens Darstellung in seinem Auszug ist vor allem hinsichtlich der Exemplarität der Übergangsstellung relevant, aber auch in Hinblick auf den großen Sprung, den sein Schüler Semler machen wird. Entsprechend der Fokussierung auf die kirchengeschichtlichen Arbeiten grenzt sich die Quellenauswahl aus dem üppigen theologischen Œuvre65 Johann Salomo Semlers etwas ein. Ausgangspunkt ist die dreibändige Untersuchung theo‑ logischer Streitigkeiten von Siegmund Jakob Baumgarten.66 Diese wurde posthum von dessen Schüler und späterem Kollegen Semler herausgegeben, jeweils mit einer ausführlichen Praefatio versehen und nicht nur um Anmerkungen zum Text ergänzt, sondern eigens um eine ausführliche, mit reichlich Anmerkungen versehene, deutschsprachige Historische Einleitung aus der Feder Semlers bereichert.67 Bei dieser Historischen Einleitung Semlers handelt es sich um eine Darstellung der Kirchengeschichte von den ersten frühchristlichen Schriften bis und insbesondere Sozinianer (48.95.100 f.108.123 f.157) als Vertreter falscher Ansichten zu diesen dogmatischen Loci. Die alleinige Erwähnung zeitgenössischer Gegner lässt sich mit dem damals verbreiteten Sozianianismusvorwurf, wie auch Baumgartens lutherisch-orthodoxer Grundhaltung und der in der Vorrede Basts formulierten Zielsetzung, ein Lehrbuch bieten zu wollen, welches sich besser für den Unterricht eignet als vorangehende Werke und auch nicht allzu historisch gestaltet sein soll (vgl. Baumgarten, Kurzer Begrif, 3 [Vorrede]), begründen. 63 Siegmund Jakob Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte, von der Geburt Jesu an. Dritter Theil (Halle: Johan Andreas Bauer, 1746). 64 Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte 3, 925–937. 65 Siehe die gesamten gedruckten Veröffentlichungen Semlers in Gottfried Hornig, Johann Salomo Semler. Studien zum Leben und Werk des Hallenser Aufklärungstheologen. Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 2 (Tübingen: Max Niemeyer, 1996), 313–336. Aus diesen sollen im Folgenden nur kirchenhistoriographische Publikationen in nuce betrachtet werden, wobei kleinere Arbeiten, wie beispielsweise Semler, Versuch christlicher Jahrbücher, 100–110, nur ergänzend hinzugezogen werden. 66 Siegmund Jakob Baumgarten, Untersuchung Theologischer Streitigkeiten. Band 1–3, Mit einigen Anmerkungen, Vorrede und fortgesetzten Geschichte der christlichen Glaubenslehre, hg. v. Johann Salomo Semler (Halle: Johann Justinus Gebauer, 1762/1763/1764). 67 Insbesondere im ersten Band ist dabei das sich aus der Zusammenstellung ergebende Textkonvolut verwirrend: Semler steuert dort eine allgemeine Vorrede (3–10) zu allen Teilen des Bandes bei, gefolgt von seiner »Vorläufige[n] Betrachtung bey der Geschichte der christlichen Glaubenslehre« (11–36) zum anschließenden, ebenfalls von ihm verfassten ersten Teil der »Geschichte der Christlichen Glaubenslehre/Historischen Einleitung« (37–311). Dann setzt Semler abrupt mit einer Vorrede, diesmal zur »Polemik« Baumgartens, ein (311–317). Darauf folgt ein knapper editorischer Vorbericht (318) des Baumgartenschülers und späteren Hallenser Unterbibliothekars Joachim Christoph Bertram (1730–1803) zur Konstitution und Gestalt der nun folgenden Textedition von Der theologischen Streitigkeiten Erster Theil über die Theologie
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zum vierten nachchristlichen Jahrhundert (Band 1 und 2) sowie schließlich vom vierten bis zum siebenten Jahrhundert (Band 3). Allerdings behandelt Semler nur ausgewählte Themen und Autoren, ist also gar nicht auf eine Gesamtdarstellung, wie in späteren eigenen kirchengeschichtlichen Arbeiten, erpicht.68 Auch wird das Vorhaben, bis zum siebenten Jahrhundert vorzustoßen, nicht vollständig realisiert: Semler bricht seine Darstellung mit einem Kurzabriss des nestorianischen Streites im fünften Jahrhundert abrupt ab.69 Den pelagianischen Streit behandelt Semler schließlich im dritten Teil der Historischen Einleitung, die in der Rezeptionsgeschichte der Kontroverse eine zentrale Stellung einnehmen wird.70 Bereits drei Jahre später veröffentlicht der Hallenser Theologe zudem eine eigenständige Kirchengeschichtsdarstellung, den ersten Band der Historiae Ecclesiasticae.71 Hier äußert er sich in einem Fließtext ohne weitere Anmerkungen zum pelagianischen Streit und dessen Verlauf, jedoch allein für eine gelehrte Leserschaft auf Latein. Erst 1773 legt Semler im ersten Band des Versuchs eines fruchtbaren Auszugs der Kirchengeschichte wieder eine deutschsprachige Betrachtung des pelagianischen Streites vor.72 Gegenüber seiner ausführlichen Behandlung in der Historischen Einleitung bieten diese beiden Arbeiten jedoch keine neuen Erkenntnisse oder Meinungen, die hier von Relevanz wären. Zudem fasst die Darstellung im Versuch noch einmal Erkenntnisse der Historiae Ecclesiasticae zusammen.73 in engerer Bedeutung von Baumgarten (Inhaltsverzeichnis auf den Seiten 319–322, Text dann mit neuer Zählung auf den Seiten 1–747). 68 Johann Salomo Semler, »Historische Einleitung«, in D. Siegmund Jacob Baumgartens Untersuchung Theologischer Streitigkeiten. Band 3, hg. v. Johann Salomo Semler (Halle: Gebauer, 1764). Zur »Historischen Einleitung« vgl. Marianne Schröter, Aufklärung durch Historisierung: Johann Salomo Semlers Hermeneutik des Christentums. Hallesche Beiträge zur europäischen Aufklärung 44 (Berlin/Boston: De Gruyter, 2012), 232 f.236 f. Schröter sieht in der »Historischen Einleitung« »geradezu eine Programmschrift für Semlers wissenschaftliche Arbeit«. (Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 233). 69 »[I]ch mus hier abbrechen, um nicht die Ausgabe dieses Bandes durch eine Arbeit aufzuhalten, die zur Hauptsache nicht gehöret; die ich also auch nicht für so wichtig halten darf, daß ich Lesern die baumgartische Abhandlung länger dadurch vorenthielte. Es wird mir an Gelegenheit nicht felen, diese historische Untersuchungen weiter fortzusetzen.« (Semler, »Historische Einleitung«, 332). Scheinbar führte äußerer Zwang, vermutlich Zeitdruck seitens des Verlags bzw. Herausgebers dazu, dass Semler sein Vorhaben hier vorerst abbrach, um das Erscheinen des Bandes nicht länger zu verzögern. 70 Vgl. dazu insbesondere Semler, »Historische Einleitung«, 277–302. 71 Johann Salomo Semler, Historiae Ecclesiasticae Selecta capita. Cum Epitome Canonum excerptis dogmaticis et tabulis chronologis. Band 1 (Halle: Trampius, 1767); insgesamt drei Bände, erschienen 1767/1769. 72 Johann Salomo Semler, Versuch eines fruchtbaren Auszugs der Kirchengeschichte. Band 1, bis 1400 (Halle: Hemmerde, 1773). Die zwei nachfolgenden Bände erschienen 1774 und 1778. Zum Werk vgl. Silke-Petra Bergjan, »›Versuch eines fruchtbaren Auszugs aus der Kirchengeschichte‹ Johann Salomo Semler über die Bedeutung und Aufgabe der Geschichte der Alten Kirche«, ZKG 113 (2002): 51–74; Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 165. 73 Vgl. Semler, Historiae Ecclesiasticae 1, 220–229 sowie ders., Versuch eines fruchtbaren Auszugs 1, 111–116. Semler betont in der Vorrede des Versuchs eines fruchtbaren Auszugs, dass
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Zwar muss man bis einschließlich dieses Zeitpunktes zunächst nüchtern feststellen, dass sich Semler bislang ausschließlich im Kontext von Gesamtdarstellungen und Abrissen der Kirchengeschichte zum pelagianischen Streit geäußert hat und die Länge der Darstellungen dabei zudem nicht erheblich von denen anderer dogmatischer Kontroversen der frühen Kirche abweicht.74 Dennoch lässt sich gegenüber den bislang erwähnten Autoren merkliches Interesse erkennen,75 was mutmaßlich auch dem häufigen Pelagianismusvorwurf geschuldet ist: wie es schon in der Praefatio zum dritten Band der Untersuchung Baumgartens der Fall ist, versucht Semler die ihm gemachten Anschuldigungen vor allem durch ein genaues Studium der ihm vorgeworfenen Häresien zu widerlegen – so dort geschehen anhand einer feinteiligen Differenzierung zwischen arianischen und sozinianischen Vorstellungen zu Christus.76 Auf ähnliche Weise befasste sich Semler in der Folgezeit nun auch genauer mit dem pelagianischen Streit. Ein bemerkenswertes Produkt dieser Studien ist die 1775 erschienene Edition des Briefes Pelagius’ an Demetrias77, Pelagii Sancti et Eruditi Monachi Epistola Ad Demetriadem cum Aliis Aliorum Epistolis.78 Man kann gar von einer Studienausgabe sprechen, weil sie sich erneut, ausschließlich in lateinischer Sprache verfasst, an Gelehrte und Studenten der Theologie richtet und zudem weitere Quellen und Sekundärliteratur zum Themenkomplex mit Kommentar wiedergibt.79 Der darin ebenfalls enthaltene, gekürzte und unkommentierte Wiederabdruck von Daniel Whitbys (1638–1725) Tractatus de Imputatione Divina Peccati Adami80 dieser nicht einfach mit den Selecta capita identisch sei, sondern vor allem hinsichtlich des politischen Handelns der Päpste neue Erkenntnisse hinzugekommen seien, vgl. Semler, Versuch eines fruchtbaren Auszugs 1, 24 [Vorrede]. 74 Die Darstellung des pelagianischen Streits nimmt sechs Seiten ein, die des nestorianischen Streites knapp sieben, vgl. Semler, Versuch eines fruchtbaren Auszugs 1, 111–116 resp. 116–122. 75 Beispielsweise in der Zentralstellung des pelagianischen Streites innerhalb des Abschnittes zu den lateinischen Theologen im dritten Teil seiner »Historischen Einleitung«. 76 Vgl. Semler, »Vorrede« in: Baumgarten, Untersuchung Theologischer Streitigkeiten 3, 5–8. 77 Pelag.-haer., Demetr. (ediert unter Hieronymus in PL 30, 15–45, nachfolgend auch nach der Ausgabe FC 65 Greshake angeführt); Eine englischsprachige Übersetzung bietet Brinley R. Rees, The Letters of Pelagius and his Followers (Woodbridge: Boydel, 1991), 35–69. 78 Johann Salomo Semler, Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola ad Demetriadem cum Aliis Aliorum Epistolis. Dan. Whitby S. T. P. Tractatus de Imputatione divina Peccati Adami Po‑ steris Eius Universis in Reatum. Recensuit et Notas addidit D. Io. Sal. Semler (Halle: Hemmerde, 1775). 79 Martin Ohst charakterisiert den Band als eine »Quellenedition«, problematisiert jedoch ausführlich die editorischen Mängel (vgl. Martin Ohst, »Semler – Pelagius – Augustin. Eine Episode aus der Frühzeit der kritischen Dogmengeschichtsschreibung«, in Streit um die Wahrheit. Kirchengeschichtsschreibung und Theologie, hg. v. Stefanie Frost/Ute Mennecke/Jorg Christian Salzmann, 100–124. Kontexte 44 [Göttingen: Edition Ruprecht, 2014], 105, ferner 103). 80 Daniel Whitby, Tractatus de Imputatione divina Peccati Adami Posteris Eius Universis in Reatum (London: Wyat, 1711). Zum Werk und dessen Rezeption im deutschsprachigen Raum vgl. Schubert, Ende der Sünde, 214–216, der sich dem Werk freilich insbesondere unter dem Aspekt der Kritik Whitbys an der Erbsündenlehre zuwendet. Zu Whitby allgemein vgl. Jean-
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ist in dessen Kritik an Augustins Erbsündenlehre und der Imputationslehre programmatisch. Weitaus gemäßigter, aber nicht minder bedeutsam für das Gesamtbild des pelagianischen Streites im 18. Jahrhundert, äußerte sich der zwar für Neuerungen auf dem Gebiet der Kirchengeschichtswissenschaft offene, aber dogmatisch der Tradition verpflichtete lutherische Übergangstheologe Christian Wilhelm Franz Walch.81 Sein höchstes Verdienst zur Erforschung des pelagianischen Streites liegt zweifelsohne in dessen quellenbasierter und voluminöser Aufarbeitung des Konfliktes im vierten Teil seines im Jahr 1768 erschienen Entwurfs einer vollständigen Historie der Ketzereyen, Spaltungen und Religionsstreitigkeiten bis auf die Zeiten der Reformation.82 Auch wenn für heutige Lesegewohnheiten die zahlreichen Exkurse zur Sekundärliteratur, aber auch die eingedeutschten Quellenzitatansammlungen schnell ermüdend wirken und er entgegen der radikalen Äußerungen eines Semlers auf den ersten Blick gemäßigt erscheint, so mindert dies nicht den Wert, den dieses Werk Walchs überraschenderweise noch heute für die genaue Kenntnis des pelagianischen Streites, seines Ablaufes, Inhaltes und seiner Quellen besitzt. Louis Quantin, »Whitby, Daniel (1637/8–1726)«, ODNB 58 (Oxford, Oxford University Press, 2004): 530–532. 81 Das Verhältnis von Walch und Semler scheint mir über die Jahre ambivalent: So gingen Semler und Walch in vielerlei Hinsicht theologisch keine gemeinsamen Wege: Walch wandte sich 1774 in einer Untersuchung über den Schriftgebrauch innerhalb der Alten Kirche gegen Semlers Position, jedoch erfolglos. Zugleich nahm jedoch Semler gut 18 Jahre zuvor Walchs Anregungen zu einer Dogmengeschichte aus dessen Gedanken auf und setzte sie in seiner »Historischen Einleitung« erstmals in die Tat um, vgl. Karl Aner, Die Theologie der Lessing‑ zeit (Halle a.S.: Max Niemeyer, 1929), 228. Walch selbst wiederum verweist in Gedanken von der Geschichte der Glaubenslehre. Zweite verbesserte und vermehrte Ausgabe (Göttingen: Victorin Bossiegel, 1764) ausdrücklich auf Semlers »Historische Einleitung« in seiner Auflistung derjenigen lutherischen Theologen, welche sich bislang um eine Darstellung der »Geschichte der Glaubenslehre« bemüht hätten, vgl. Walch, Gedanken, 171 mit Anm. 75. Freilich war zur Zeit der Veröffentlichung der zweiten Auflage der Gedanken Walchs der dritte Teil von Semlers His‑ torischer Einleitung, in welchem er den pelagianischen Streit behandelte, noch nicht erschienen. Hinsichtlich meiner Einordnung Christian Walchs als »Übergangstheologe« sei bemerkt, dass dieser durchaus in seiner Methodik, namentlich in der Anwendung der pragmatischen Methode innerhalb der Kirchenhistoriographie, in seiner Forderung einer Dogmengeschichte und seiner konsequenten Orientierung an den Quellen neologische oder zumindest aufklärerische Züge aufweist. Aufgrund seiner dogmatischen Ausrichtung und besonnenen Orientierung an den traditionellen lutherischen Lehrmeinungen ist er m. E. jedoch eher der Übergangstheologie zuzuordnen, wie auch noch hinsichtlich seiner Beurteilung der pelagianischen Lehre deutlich werden sollte. Auch Aner betonte Walchs Einsatz für eine Dogmengeschichte in seinen Ge‑ danken, »freilich ohne aufklärerische Tendenz«. (Aner, Lessingzeit, 228). Und auch für Volker Leppin, »Walch, Christian Wilhelm Franz«, RGG4 8 (2005): 1271 f. zeigt sich, dass Walch den »Fortgang der deutschen Aufklärungstheologie nicht mitvollziehen« konnte, anders als eben der »Neologe« Semler. 82 Leppin, »Walch«, 1271 f. sieht Walchs Leistung bei seinem der pragmatischen Methode verpflichteten Entwurf vor allem in der umfassenden Materialsammlung.
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Christian Walch war Sohn des Jenaer Professors Johann Georg Walch (1693– 1775), der gleichenorts zunächst ab 1718 als außerordentlicher Professor für Philosophie und Altertümer, und ab 1728 als ordentlicher Professor für Theologie tätig war.83 Aus Johann Walchs philosophischem Werk ragt das umfassende Phi‑ losophische Lexicon von 1726 heraus.84 In seinen kirchengeschichtlichen Arbeiten hatte er sich nicht weiter mit dem pelagianischen Streit auseinandergesetzt, wohl aber in einigen Bemerkungen dieses philosophischen und philosophiegeschichtlichen Lexikons, das uns neben einer Dissertation unter seinem Vorsitz aus dem Jahr 1738 noch weiter unten beschäftigen wird.85 Der Sohn Christian Walch tritt in vielerlei Hinsicht in die Fußstapfen des Vaters, das gilt für die eher traditionell lutherische Orientierung als auch für die akademische Karriere: 1750 wird Christian Walch ebenfalls an der Universität Jena außerordentlicher Professor für Philosophie, wechselt 1753 an die Universität Göttingen, wo er 1754 ordentlicher Professor für Philosophie und außerordentlicher Professor für Theologie wird. Seit 1757 hat er eine ordentliche Professur für Theologie inne und las dort sämtliche theologische Disziplinen, fokussierte sich aber wie der Vater stark auf die Kirchengeschichte. Mit diesem Fokus geht eine beeindruckende Kompilations‑ und Sammeltätigkeit einher, die Karl Aner vollkommen treffend urteilen ließ, Walch sei ein »bienenfleissiger Gelehrter« gewesen.86 Das Ergebnis dieses Bienenfleißes, insbesondere auf dem Gebiet des patristischen Quellenstudiums, ist Walchs elfbändiger Entwurf einer vollständigen Historie der Kezereien, Spaltungen und Religionsstreitigkeiten bis 83 Zur Biographie Johann Georg Walchs vgl. Christoph Schmitt, »Walch, Johann Georg«, BBKL 13 (Hamm: Traugott Bautz, 1998): 183–186. Walch war nicht nur Schüler des lutherischen Theologen Johann Franz Buddeus (1667–1729), sondern auch dessen Schwiegersohn. Zu Johann Walchs umfangreichem kirchengeschichtlichen Werk zählt das fünfbändige kontroverstheologische Handbuch Historische und theologische Einleitung in die Religionsstreitigkeiten, welche sonderlich außer der evangelisch-lutherischen Kirche entstanden, Band 1–5 (Jena: Johann Meyer: 1724–1736) sowie die daraus erwachsene, ebenfalls fünf Bände umfassende Historische und theo‑ logische Einleitung in die Religionsstreitigkeiten der evangelisch-lutherischen Kirche. Band 1–5 (Jena: Johann Meyer, 1730–1739). Besonderes Verdienst erwarb er sich auch durch die 1740–1753 in 24 Bänden erfolgte Edition von Luthers Werken in deutscher Sprache, die für nachfolgende Generationen maßgeblich blieb und noch bis heute in theologischen Fachbereichsbibliotheken im Wiederabdruck ihren Platz neben der Weimarer Ausgabe einnimmt. 84 Johann Georg Walch, Philosophisches Lexicon: Darinnen Die in allen Theilen der Phi‑ losophie, als Logic, Metaphysic, Physic, Pnevmatic, Ethic, natürlichen Theologie und Rechts- Gelehrsamkeit, wie auch Politic fürkommenden Materien und Kunst-Wörter erkläret, und aus der Historie erläutert; die Streitigkeiten der ältern und neuern Philosophen erzehlet, die dahin gehörigen Bücher und Schrifften angeführet, und alles nach Alphabetischer Ordnung vorgestellet worden (Leipzig: Joh. Friedrich Gleditschens seel. Sohn, 1733); im Folgenden zitiert nach der zweiten Auflage von 1733. 85 Siehe S. 292–296. 86 Vgl. Aner, Lessingzeit, 228, Anm. 2. Allerdings bemerkt Aner hier auch zu Christian Walch, dass er an »historischer Schöpferkraft weit von dem älteren Mosheim […] und dem gleichaltrigen Semler […] überstrahlt« worden sei.
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auf die Zeiten der Reformation (1762–1785).87 Zwar blieb das kirchengeschichtliche Kompendium, welches in seiner »ereignisgeschichtlichen Stoffülle bis heute nicht übertroffen« ist,88 letztlich unvollendet und bricht in seiner quellenlastigen Darbietung der verschiedenen theologischen Auseinandersetzungen und Häresien im neunten Jahrhundert ab, der pelagianische Streit und dessen Folgestreitigkeiten werden darin jedoch so umfassend und detailliert dargeboten wie nie zuvor in deutscher Sprache. Nach den im Inhalt wie im Umfang gewichtigen Darstellungen durch Semler und Walch in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts finden sich erst in den letzten zwei Jahrzehnten gegen Ausklang des Jahrhunderts wieder beachtenswerte Äußerungen zum pelagianischen Streit in kirchengeschichtlichen Arbeiten. Der Blick fällt auf die Werke dreier Kirchenhistoriker jener letzten Jahre des Jahrhunderts: Ludwig Timotheus Spittlers, Heinrich Philipp Conrad Henkes und zuletzt Johann Mathias Schroeckhs. In dem Zeitraum zwischen 1782 und 1790 verfassten alle drei kirchengeschichtliche Arbeiten, die sich in unterschiedlichem Umfang dem pelagianischen Streit widmeten. Spittler äußerte sich zur spätantiken Kontroverse im 1782 erschienenen Kompendium Grundriß der Ge‑ schichte der christlichen Kirche und Henke 1788 in seiner Allgemeine Geschichte der christlichen Kirche nach der Zeitfolge.89 Beide Quellen sind aufgrund der Chronologie wie der Gestalt ihrer Darstellungen zuerst zu betrachten, da sie den pelagianischen Streit ähnlich wie Arnold, Baumgarten und Mosheim relativ kompakt und überblicksartig im Rahmen ihrer kirchengeschichtlichen Kompendien abliefern. Schroeckhs Darstellung des Streites von 1790 hingegen erstreckt sich über die Bände 14 und 15 seiner ohnehin umfänglichen Christliche[n] Kirchengeschichte und ist der Gestalt nach mit Walchs Entwurf zu vergleichen. Welcher vorläufige Höhepunkt mit dieser letzten Darstellung erreicht ist, wird schon mit der Hoffnung deutlich, die Spittler mit Rückblick auf vorangehende kirchengeschichtliche Arbeiten in das große Werk Schroeckhs steckt: »Hätte der geschmackvolle Mosheim Semlers Freimütigkeit und Walchs Bedachtsamkeit mit sorgfältigerem Quellenstudium vereinigt, so würde eine gute Kirchengeschichte nicht mehr bloß frommer Wunsch seyn, und Schroekh würde den Weg des Geschichtsschreibers nicht erst bahnen dörfen.«90
87 Christian Wilhelm Franz Walch, Entwurf einer vollständigen Historie der Kezereien, Spaltungen und Religionsstreitigkeiten bis auf die Zeiten der Reformation. Band 1–11 (Leipzig: Weidmanns Erben und Reich, 1762–1785). 88 Beutel, Kirchengeschichte, 144. 89 Ludwig Timotheus Spittler, Grundriß der Geschichte der christlichen Kirche (Göttingen: Wittwe Vandenhoek, 1782); Heinrich Philipp Conrad Henke, Allgemeine Geschichte der Christlichen Kirche nach der Zeitenfolge. Ein akademisches Lehrbuch. Erster Theil (Braunschweig: Verlag der Schulbuchhandlung, 1788). 90 Spittler, Grundriß, 10 f.
IV. Forschungsüberblick
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IV. Forschungsüberblick Trotz der unbestrittenen kirchen‑ und dogmengeschichtlichen Bedeutung des pelagianischen Streites hat dessen Rezeption im 18. Jahrhundert in der bisherigen Augustinusforschung und in Studien zur allgemeinen Kirchenväterrezeption bestenfalls am Rande Beachtung gefunden.91 Überwiegend konzentrierte sich das Interesse an der Rezeptionsgeschichte dieser Auseinandersetzung bislang auf dogmenhistorische und rezeptionsgeschichtliche Einzelaspekte vorangehender Jahrhunderte, zudem geriet dabei der pelagianische Streit niemals als Gegenstand selbst in den Fokus: So wurde der spätantiken und unmittelbar auf den pelagianischen Streit selbst folgenden Kontroverse um Augustins Prädestinationslehre viel Aufmerksamkeit geschenkt;92 das gilt auch für die Augustinusrezeption Luthers und seine Fokussierung auf die Gnadenlehre, vermittelt und angeregt durch Augustins antipelagianische Schriften.93 Einen grundlegenden Beitrag für die Erforschung der Rezeption einzelner dogmatischer Kerngedanken des Streites leistete Anselm Schubert mit seiner Dissertation zur Anthropologie und der frühneuzeitlichen Kritik an der Erbsündenlehre in der Zeit zwischen Reformation und Aufklärung, mit der es ihm eindrücklich gelang, die bisherige Annahme, dass die Kritik an der augustinischen Erbsünden‑ und damit verbunden der Imputationslehre erst mit der Aufklärung einsetzte, zu korrigieren.94 Ebenfalls auf solch indirektem und partiellem Wege erfuhr die Rezeptionsgeschichte des pelagianischen Streites Aufmerksamkeit in der internationalen Forschung zu den innerreformierten und innerkatholischen Konflikten des
91 Aus der überschaubaren Menge der Studien, die sich diesem Problemfeld widmen, sei hier auf Josef Lössl, »Augustine, ›Pelagianism‹, Julian of Aeclanum and Modern Scholarship«, ZAC 11 (2007): 147–150 verwiesen. Freilich finden sich hingegen eine Vielzahl an Forschungsüberblicken zum Stand der Pelagianismusforschung im 20. Jahrhundert, vgl. u. a. Otto Wermelinger, »Neuere Forschungskontroversen um Augustinus und Pelagius«, in Interna‑ tionales Symposion über den Stand der Augustinus-Forschung vom 12. bis 16. April 1987 im Schloß Rauischholzhausen der Justus-Liebig-Universität Gießen, hg. v. Cornelius Mayer/Karl Heinz Chelius, 199–217. Cass. XXXIX /1. »Res et Signa«, Gießener Augustinus-Studien 1 (Würzburg: Augustinus-Verlag, 1989); Charles T. Mathewes, »The Career of the Pelagian Controversy: Introductory Essay«, AugStud 33 (2002): 201–212; sowie Greshake, Gnade als konkrete Freiheit, 40–44. Greshake sieht dabei die Pelagianismusforschung des 20. Jahrhunderts gegenüber den vorangehenden Jahrhunderten aufgrund der neuen Quellenlage »vor einer grundsätzlich gewandelten Situation«. (Greshake, Gnade als konkrete Freiheit, 41). 92 Vgl. Uta Heil, »Die Auseinandersetzung um Augustin im Gallien des 5. Jahrhunderts (bis 529)«, in Augustin Handbuch, hg. v. Volker H. Drecoll, 558–564 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007); Reinhold Rieger, »Gottschalk«, in Augustin Handbuch, hg. v. Volker H. Drecoll, 570– 574 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007), 571 f. 93 Vgl. Albrecht Beutel, »Luther«, 617–620. 94 Vgl. Schubert, Ende der Sünde.
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17. Jahrhunderts in den Niederlanden und Frankreich.95 Diese Kontroversen zwischen »strengen« Reformierten und Arminianern bzw. zwischen Jesuiten und Jansenisten drehte sich neben allen kirchenpolitischen Motiven auch immer wieder um die dogmatischen Kernfragen des pelagianischen Streites und brachte in dessen Verlauf und Folge eine große Anzahl an Publikationen hervor, die sich zwecks Unterstützung der eigenen Partei mit der historia Pelagiana auseinandersetzten.96 Eigenständige rezeptionsgeschichtliche Studien zum Bild des pelagianischen Streites in diesen Konflikten liegen bislang nicht vor. Dementsprechend mag es nicht überraschen, dass eine entsprechende rezeptionsgeschichtliche Studie zur Wahrnehmung des pelagianischen Streites, seiner Akteure und der verhandelten Lehren für das 18. Jahrhundert bislang ein Desiderat darstellt. Einordnen lässt sich das 18. Jahrhundert in die Epoche der Aufklärung.97 Diese ist in den unterschiedlichen Disziplinen der Geisteswissenschaften im Allgemeinen, wie auch der Theologie und Kirchengeschichte im Speziellen weitreichend erforscht worden. Eine Untersuchung der Rezeption des pelagianischen Streites in den akademischen Kreisen des 18. Jahrhunderts oder gar dessen Darstellung innerhalb der protestantischen Kirchengeschichtsschreibung blieb bisher aus, obwohl hier die spannende Frage besteht, in welcher Wechselwirkung die Streitpunkte und Personen des pelagianischen Streites – wie die Diskussion um die verdorbene Natur des Menschen, die Erbsündenlehre98, die Prädestinationslehre99, die Gnadenangewiesenheit des Menschen sowie 95 Vgl. Jean-Louis Quantin, »Augustine in the Seventeenth and Eighteenth Centuries. I–IV«, in The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine. Band 1, hg. v. Karla Pollmann u. a., 83–91 (Oxford: Oxford University Press, 2013); Anneliese Bieber-Wallmann, »Remonstrantenstreit«, in Augustin Handbuch, hg. v. Volker H. Drecoll, 627–633 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007); Gaetano Lettieri, »Der katholische Augustinismus von Baius bis Jansenius«, in a. a. O., 633–645. 96 Mit diesen Arbeiten und Studien sind wertvolle Vorarbeiten für meinen Abriss entsprechender Werke in Abschnitt A gegeben. 97 Da der Aufklärungsbegriff mehrdeutig ist, eine Klärung oder Behandlung dieser Fragestellung aber nicht Ziel dieser Dissertation sein kann, habe ich mich für eine Begrenzung meiner Untersuchung auf das 18. Jahrhundert entschieden. Zum Aufklärungsbegriff vgl. insbesondere die Differenzierungen bei Beutel, Kirchengeschichte, 15–23, bzw. ders., »Aufklärung I. Geistesgeschichtlich«, RGG4 1 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1998): 929–941; ders., »Aufklärung II. Theologisch-kirchlich«, in a. a. O.: 941–948; sowie Claus-Dieter Osthövener, »Aufklärung«, EStL, hg. v. Werner Heun u. a. (Stuttgart: Kohlhammer, 2006): 135–140. 98 Wolf-Dieter Hauschild betont die Kritik der Neologie an der Erbsünden‑ und Prädestinationslehre aufgrund des optimistischen Menschenbildes, vgl. Wolf-Dieter Hauschild, Lehr‑ buch der Kirchen‑ und Dogmengeschichte. Band 2, Reformation und Neuzeit. 3. Aufl. (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2007), 469. Zum »Problem der Erbsünde« im 18. Jahrhundert vgl. auch Cassirer, Philosophie der Aufklärung, 145.147 f.166 f.; Axt-Piscalar, »Sünde«, 410 f. Besonders anschaulich für die Kritik an der Erbsünde war auch die Kontroverse um Johann August Eberhards Neue Apologie des Sokrates, vgl. Beutel, Kirchengeschichte, 261. 99 Christian Link konstatiert in seinem Artikel zur Prädestinationslehre: »Im 17. Jh., vollends seit der Aufklärung, schwand die P[rädestinationslehre] begrifflich aus dem Zentrum
IV. Forschungsüberblick
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die Frage nach dem freien Willen und der eingeschränkten Befähigung des Menschen zum ethisch korrekten Handeln – zu Anschauungen der Aufklärung stehen, insbesondere der »Überzeugung individueller und gesellschaftlicher Perfektibilität«,100 dem Fortschrittsgedanken, der traditionskritischen Haltung im Allgemeinen und gegenüber überlieferten Dogmen und kirchlichen Autoritäten im Besonderen, dem Anthropozentrismus und einer damit verbundenen »Ethisierung des Christlichen«.101 Häufig begegnet in Darstellungen der Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung die generelle und populäre Kritik am Kirchenvater Augustinus, die eng mit den verhandelten dogmatischen Fragen, aber auch dessen Wesen und kirchenpolitischem Agieren verknüpft ist.102 Besonders Augustins Erbsündenlehre findet im 18. Jahrhundert kaum noch Fürsprecher, wohl aber viele Kritiker.103 Darüber hinaus wurde nicht nach der Wahrnehmung des Pelagius und seiner Lehren vertieft gefragt. Entsprechend geriet auch die Rezeption des pelagianischen Streites in der Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts kaum in den Blick. Dabei zeigt diese mehr noch als die dogmatischen Abhandlungen dieser Zeit, wie Lehre und Person Augustins bzw. des Pelagius wahrgenommen und bewertet wurden. Dass mit diesem kirchenhistoriographischen Zugang zu Wahrnehmung und Darstellung des Streites keineswegs ein kirchengeschichtswissenschaftlicher Selbstzweck oder ein umständliches Konstrukt gegeben ist, sondern auch ein nötiger Beitrag für die Augustinusforschung geleistet wird, zeigte Josef Lössl bereits vor einigen Jahren an: »Earlier I made the point that in order to understand the archetypal dimension of the Pelagian controversy […] and also in order to gain a vision of the future of scholarship in this area we need to go back to the origins of this scholarship. Just as Jan Assmann, in order to grasp the origin and nature of modern Egyptology, studied Spencer and Cudworth, so a student of Augustine, Pelagianism, and Julian of Aeclanum should study Garnier, Noris, Cave, Arnold, Tillemont, Mosheim and Walch.«104 der Theol[ogie].« (Christian Link, »Prädestination II. Dogmengeschichtlich«, RGG4 6 [Tübingen: Mohr Siebeck, 2003]: 1530). 100 Beutel, Kirchengeschichte, 18. 101 Beutel, Kirchengeschichte, 23. 102 Vgl. Aner, Lessingzeit, 157 sowie 162: »Augustinus war im Zeitalter der Neologie der meistgehaßte Mann. Schien er doch der Idee der Menschenwürde am meisten Abbruch getan zu haben.« Im ähnlichen Geist vermerkt auch Cassirer: »Die Polemik gegen Augustin durchzieht […] diese ganze ›neologische‹ Literatur, und ihr Ton wird mit der Zeit immer schärfer.« (Cassirer, Philosophie der Aufklärung, 167). Schließlich zeige sich zunehmend »in den religiösen Grundanschauungen des Humanismus der Pelagianische Geist im Vordringen; immer bewußter strebt man danach, das harte Joch der Augustinischen Tradition abzuwerfen«. (Cassirer, Philosophie der Aufklärung, 145). 103 Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem übte, stelltvertretend für viele »Neologen« wiederholte Kritik an der Erbsündenlehre, vgl. Aner, Lessingzeit, 158.162; zum Bruch der Neologie mit der Erbsündenlehre vgl. auch Cassirer, Philosopie der Aufklärung, 166 f. 104 Lössl, »Augustine«, 147.
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Die hinter solchen Kirchengeschichtsdarstellungen105 stehenden Beweggründe betrachtet Lössl ebenfalls als von großer Relevanz für die weitere Forschung: »What is important in dealing with these early studies is their motivation.«106 Allerdings geht Lössl in seinem Aufsatz der Frage nach der Wahrnehmung und Darstellung des pelagianischen Streites in der Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts und deren Motivation nicht im Detail nach. Diese bislang unzureichende Erforschung der Rezeption und Darstellung der Kontroverse zwischen Augustinus und Pelagius im 18. Jahrhundert wird auch beim Studium des Augustin Handbuches deutlich, dessen Darlegung der Rezeptionsgeschichte Augustins im 17. Jahrhundert mit der Jansenismusdebatte endet.107 Das Augustinus-Lexikon liefert ebenfalls keinen Eintrag, der sich beispielsweise mit der Augustinusrezeption der Neu‑ oder Aufklärungszeit befasst, welche immerhin das Bild des pelagianischen Streits tangieren würde. In weiteren Studien und Sammelbänden wird zwar die Bedeutung des Augustinus für die Philosophie der Aufklärung betont, doch nicht über die unmittelbare Rezeption des pelagianischen Streites diskutiert.108 Das lässt sich auch für das Feld der Pelagiusforschung sagen: Pelagius wurde in der Forschung der letzten Jahrzehnte zwar bisweilen als Vorreiter der Aufklärung und manche seiner Gedanken als »seiner Zeit voraus«109 betrachtet, wenn hinsichtlich seiner Lehre von »rationalisierender Aufklärung«110, »Vorwegnahme des späteren Liberalismus und Freidenkertums«111 und »moralische[m] Humanismus«112 die Rede ist. Sebastian Kopp spricht gar von der Lehre des Lössl verweist hier auch auf Christian Wilhelm Franz Walchs Entwurf. Lössl, »Augustine«, 147 (mit Anm. 9). 107 Freilich erhebt das Handbuch hinsichtlich der Rezeption des Augustinus – geschweige denn der des pelagianischen Streites – keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, wie bereits die Formulierung »Aspekte der Wirkungsgeschichte« (Hervorhebung von M. B.) im Inhaltsverzeichnis verdeutlicht. 108 So der Fall in den folgenden Sammelbänden zur Wirkungsgeschichte: Allan D. Fitzgerald, Hg., Augustine through the Ages. An Encyclopedia (Grand Rapids [Michigan]: William B. Eerdmans Publishing, 1999); Kurt Flasch/Dominique de Courcelles, Hgg. Augus‑ tinus in der Neuzeit. Colloque de la Herzog August Bibliothek de Wolfenbüttel, 14–17 octobre 1996 (Turnhout: Brepols, 1998); Adolar Zumkeller und Achim Krümmel, Hgg., Traditio Augustiniana. Studien über Augustinus und seine Rezeption. Festgabe für Willigis Eckermann O. S. A. zum 60. Geburtstag (Würzburg: Echter, 1984); Günter Frank/Thomas Leinkauf/ Markus Wriedt, Hgg. Die Patristik in der frühen Neuzeit. Die Relektüre der Kirchenväter in den Wissenschaften des 15.–18. Jahrhunderts. Melanchthon Schriften der Stadt Bretten 10 (Stuttgart: Frommann-Holzboog, 2005); Irena Backus, The Reception of the Church Fathers in the West: From the Carolingians to the Maurists. 2 Bände (Leiden: Brill, 1997). 109 Georges de Plinval/Jeanne de La Tullaye, »Introduction et Notes«, in La crise pélagienne. Epistula ad Hilarium Syracusanum. De perfectione iustitiae hominis. De natura et gratia. De gestis Pelagii. BAug 21 (Paris: Desclée de Brouwer, 1966), 603. 110 Joseph Mausbach, Die Ethik des heiligen Augustinus. Zweiter Band: Die sittliche Be‑ fähigung des Menschen und ihre Verwirklichung (Freiburg i. Br.: Herder, 1929), 118. 111 John Morris, »Pelagian Literature«, JTS XVI (1965), 59 f. 112 Hermann Reuter, Augustinische Studien (Aalen: Scientia, 1967), 39. 105 106
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Pelagius als »dem ersten großen Versuch einer aufgeklärten, auf der bloßen Natur und Vernunft fußenden Sittenlehre in der Kirche«.113 Trotz dieser Beobachtungen, die beinahe zwingend auf das Zeitalter der Aufklärung und das 18. Jahrhundert verweisen, wurde bisher keine Untersuchung zur tatsächlichen Rezeption des Pelagius in jener Zeit angestellt. Dabei ist, wie Gisbert Greshake in seiner Studie über die Gnade bei Pelagius formuliert, »zumindest seit der Neuzeit« die Beschäftigung mit Pelagius »nie ganz abgerissen«.114 Da diese Untersuchung zur Wahrnehmung und Darstellung des pelagianischen Streites und seiner Kontrahenten überwiegend anhand von Kirchengeschichtsdarstellungen und damit aus kirchenhistoriographischer Perspektive erfolgt, ist die Berücksichtigung der Literatur über die Erforschung der Kirchengeschichtsschreibung im 18. Jahrhundert von grundlegender Relevanz.115 Albrecht Beutel betont hierzu, dass »im 18. Jahrhundert […] die wissenschaftliche Kirchengeschichtsschreibung des Protestantismus einen entscheidenden Aufschwung erlebt [hat]. Dabei spielte die vorbehaltlose Anwendung der pragmatischen Methode ebenso eine Rolle wie die Übernahme des dreiteiligen profanhistorischen Gliederungsschemas (Altertum, Mittelalter, Neuzeit), sowie ein konsequenter historisch-kritischer Quellengebrauch«.116
Inwiefern sich die in der Entwicklung stehende Kirchengeschichtswissenschaft des 18. Jahrhunderts diesen hier genannten Methoden und Kriterien hinsicht-
113 Sebastian Kopp, »Augustins Kampf gegen den Pelagianismus«, ALG 7 (1955): 25. Für weitere Charaktrisierungen Pelagius’ und seines theologischen Anliegens vgl. Greshake, Gnade als konkrete Freiheit, 41 f. 114 Greshake, Gnade als konkrete Freiheit, 41; Greshake wendet sich selbst jedoch nicht der Literatur des 17. oder 18. Jahrhunderts zu, sondern bietet selbst einen Überblick über die jüngere Forschungsgeschichte und Quellenforschung zu Pelagius, vgl. Greshake, Gnade als konkrete Freiheit, 41–44. 115 Zur Kirchengeschichtsschreibung im Zeitalter der Aufklärung liegen umfassende Studien und Einführungen vor, vgl. Beutel, Kirchengeschichte, 215–219; ders., »Kirchengeschichte/ Kirchengeschichtsschreibung II. Entwicklung 3. Mittelalter und Neuzeit«, RGG4 4 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2001): 1183–1191; Fleischer, »Protestantische Kirchengeschichtsschreibung«; ders., Zwischen Tradition und Fortschritt. Der Strukturwandel der protestantischen Kirchen‑ geschichtsschreibung im deutschsprachigen Diskurs der Aufklärung. Teil 1. WiKr 22 (Waltrop: Spenner, 2006); Horst W. Blanke/Dirk Fleischer, Hgg. Aufklärung und Historik: Auf‑ sätze zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft, Kirchengeschichte und Geschichtstheorie in der deutschen Aufklärung (Waltrop: Spenner, 1991); John Stroup, »Protestant Church Historians in the German Enlightenment«, in Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, hg. v. Hans E. Bödeker u. a., 169–192. VMPIG 81 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1986); Klaus Wetzel, Theologische Kirchengeschichts‑ schreibung im deutschen Protestantismus 1660–1760. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde des Fachbereichs Evangelische Theologie der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (Gießen/Basel: Brunnen Verlag, 1983). 116 Beutel, Kirchengeschichte, 218.
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lich der Darstellung des pelagianischen Streites verpflichtet fühlte, wird noch betrachtet werden müssen.117 Erhellend für diese Untersuchung ist auch das Aufkommen der Dogmengeschichte und damit der Dogmenkritik im späten 18. Jahrhundert.118 Hier wurde der »Wechsel der Lehrvorstellungen [der vorhergehenden Jahrhunderte] ›pragmatisch‹, nämlich aus persönlichen Motiven und durch äußere Faktoren« erklärt.119 Inwieweit diese Einsicht und Arbeitsweise der Dogmengeschichtswissenschaft des 18. Jahrhunderts auch für ihre eigenen Betrachtungen und Positionen zu den dogmatischen Grundfragen gilt, die bereits während des pelagianischen Streites diskutiert wurden, wird zu erörtern sein. Auf diesem Feld der geschichtswissenschaftlichen Forschung finden sich nun aber kleinere Einzelbeobachtungen und ‑studien, die sich unmittelbar auf die Wahrnehmung und kirchengeschichtlichen Darstellung des pelagianischen Streites bei einzelnen Autoren beziehen. Insbesondere zu Arnold und Semler sind auf diesem Wege bereits Vorarbeiten entstanden, die für diese einzelnen Autoren in eine ähnliche Richtung wie die der gesetzten Fragestellung weisen. Bernd Moeller widmet sich so in seinem Band zu deutschen Texten der Kirchengeschichte unter anderem Arnold. Interessanterweise bietet er dabei als Auszug aus der Ketzer-Historie ausgerechnet die Darstellung des Pelagius und seiner Anhänger, die er in den beigefügten Erörterungen wie folgt kommentiert: »Die Darlegungen dieses Kapitels gehören zu jenen Teilen der Kirchen‑ und KetzerHistorie, die von den Kritikern Arnolds mit besonderer Schärfe bestritten worden sind […] Jedoch ließ Arnolds Beweisführung die Kirchenhistoriker der Folgezeit nicht unbeeindruckt, und auf die Dauer ist von ihr wenigstens soviel zum Allgemeingut der historischen Erkenntnis geworden, daß dem Pelagius als leitende Motive Interessen der Frömmigkeit, asketische Überzeugungen zugeschrieben und die Lehrentscheidungen gegen ihn als die Eliminierung älterer Traditionen der christlichen Ethik und Theologie und als Eröffnung einer in gewissen Sinn neuen – freilich bedeutenden – Entwicklung beurteilt werden.«120
Damit erschöpft sich bei Moeller die kurze Untersuchung dieses Abschnitts über den pelagianischen Streit bei Arnold nahezu vollständig; auch der weiteren Entwicklung und Bedeutung der Darstellung des Augustinus und des Pelagius
117 Freilich sind die Entwicklungsstadien dieser Methoden und Kriterien im Laufe des 18. Jahrhunderts zu beachten. 118 Vgl. hierzu Michael A. Lipps, Dogmengeschichte als Dogmenkritik. Die Anfänge der Dogmengeschichtsschreibung in der Zeit der Spätaufklärung. BSHST 48 (Frankfurt a. M.: Peter Lang, 1983); sowie zur Verknüpfung von »Historie und Dogma« Walter Sparn, »Auf dem Weg zur theologischen Aufklärung in Halle. Von Johann Franz Budde zu Siegmund Jakob Baumgarten«, in Zentren der Aufklärung. I: Halle: Aufklärung und Pietismus, hg. v. Norbert Hinske, 71–89. WSA 15 (Heidelberg: Lambert Schneider, 1989), 83–85. 119 Beutel, Kirchengeschichte, 219. 120 Moeller, Kirchengeschichte, 744.
IV. Forschungsüberblick
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durch die Unparteyische Kirchen‑ und Ketzerhistorie für die folgenden Kirchengeschichtsdarstellungen wird nicht weiter nachgegangen. Abseits dieser Äußerungen Moellers beschäftigen sich jedoch auch die einschlägigen Monographien zu Arnold am Rande mit der Betrachtung des Augustinus und des Pelagius, wie beispielsweise die für lange Zeit in der Arnoldforschung tonangebende Monographie von Erich Seeberg, der etwas nebulös von einer »innere[n] Verwandtschaft Arnolds mit Pelagius«121 spricht und die vermeintliche Weltverfallenheit Augustins aus Sicht Arnolds herausstellt.122 Auch Siegfried Wollgast widmet einen kurzen Abschnitt seines Aufsatzes über die philosophischen Quellen und das philosophische System Arnolds dem pelagianischen Streit und betont die von Luther und der lutherischen Orthodoxie123 abweichende Meinung Arnolds zum freien Willen des Menschen sowie seine Sympathien für Pelagius.124 So beobachtet Wollgast, dass bei Arnold »die Anerkennung der menschlichen Willensfreiheit […] der göttlichen Gnade keinen Abbruch« tue.125 Auch die Prädestinations‑ und Erbsündenlehre des Augustinus werde von Arnold zurückgewiesen, denn »die strenge Prädestinationslehre nimmt dem einzelnen Menschen die Verantwortung für sein Denken und Tun ab, die Lehre vom freien Willen hingegen sichert ihm einen wichtigen Entscheidungsspielraum und fördert sein Verantwortungsbewusstsein«.126 Johannes Wallmann will für das Pelagiusbild Arnolds beobachtet haben, dass Arnold – entgegen des häufigen Postulats, dass dieser Ketzer prinzipiell in Schutz nehme – die Erzketzer Arius und Pelagius aufgrund ihrer Streitlust scharf an Seeberg, Gottfried Arnold, 102, vgl. auch 161 f. Vgl. Seeberg, Gottfried Arnold, 102. 123 Unter den lutherisch-orthodoxen Theologen fühlten sich daher auch nicht wenige zu polemischen Gegenschriften berufen, wie beispielsweise Ernst Salomon Cyprian, Tobias Pfanner und Elias Veiel, vgl. Wallmann, Pietismus, 156. 124 Vgl. Siegfried Wollgast, »Zu den philosophischen Quellen von Gottfried Arnold und zu Aspekten seines philosophischen Systems«, in Gottfried Arnold (1666–1714). Mit einer Biblio‑ graphie der Arnold-Literatur ab 1714, hg. v. Dietrich Blaufuß/Friedrich Niewöhner, 301–335. Wolfenbütteler Forschungen 61 (Wiesbaden: Harrassowitz, 1995), 325 f. 125 Wollgast, »Quellen«, 326. 126 Ausführlich: »Arnold widmet Pelagius, vornehmlich seiner Ablehnung der Erbsünde, in der Kirchen‑ und Ketzer-Historie sechs Seiten und betont, schon bei älteren Kirchenvätern vor Pelagius sei die Auffassung vertreten worden die Sünde Adams könne anderen Menschen nicht zugerechnet werden. Aber Pelagius hat die vorhandenen Elemente systematisiert und in eine neue Qualität gebracht. Sorgfältig referiert Arnold an gleicher Stelle auch Argumente von Pelagius und seines Mitstreiters Julianus […] für die Willensfreiheit. Da Anerkennung bzw. Ablehnung des freien menschlichen Willens in direkter Beziehung zu einem bestimmten Gnadenverständnis stehen, geht Arnold auch darauf ein. Er stellt fest: die Anerkennung der menschlichen Willensfreiheit tut der göttlichen Gnade keinen Abbruch. Arnold erkennt insgesamt: die strenge Prädestinationslehre nimmt dem einzelnen Menschen die Verantwortung für sein Denken und Tun ab, die Lehre vom freien Willen hingegen sichert ihm einen wichtigen Entscheidungsspielraum und fördert sein Verantwortungsbewusstsein.« (Wollgast, »Quellen«, 325 f.). 121 122
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gegangen hat.127 Diese Beurteilung trifft auf Arius durchaus zu, nicht aber auf Pelagius, wie noch zu sehen sein wird.128 Insgesamt bleibt jedoch festzuhalten, dass die Darstellung des pelagianischen Streites bei Arnold bisher zwar oft wahrgenommen, aber höchstens bruchstückhaft und pauschal untersucht wurde. Etwas detaillierter gestaltet sich inzwischen aber die Forschungslage zu Semlers Bild des pelagianischen Streites. Die frühere Forschung zu Semler hatte sich nicht mit dessen kirchenhistoriographischen Untersuchungen zum pelagianischen Streit auseinandergesetzt. Zudem wurden, mit Ausnahme der Untersuchung der Schriften Semlers zur Kirchengeschichte, überwiegend exegetische, dogmatische und hermeneutische Werke Semlers als Quellen herbeigezogen. Durch die exegetischen und dogmatischen Schriften versuchte sich die Forschung, besonders Gottfried Hornig, Klarheit über Semlers Christologie und Soteriologie129 sowie insbesondere dessen Bibel‑ bzw. Kanonkritik130 zu verschaffen. Die Forschung an seinen kirchengeschichtlichen Schriften verdeutlichte Semlers Geschichtsbild und Konzeption der Historik131 oder befasste sich mit anderen inhaltlichen Themenkomplexen innerhalb der Epochen der Kirchengeschichte, die bei Semler Erwähnung fanden.132 127 »Dabei tauscht Arnold keineswegs alle Ketzerhüte in Doktorhüte um – Arius und Pelagius, die Hauptketzer der alten Kirchengeschichte, kommen wegen ihrer Streitsucht sehr schlecht weg.« (Johannes Wallmann, Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation. 7. Aufl. UTB 1355 [Tübingen: Mohr Siebeck, 2012], 132). 128 Das scheint Wallmann jedoch später auch selbst aufgefallen zu sein. In Wallmann, Pietismus, 158 erwähnt er lediglich Arius, der »wegen seiner Streitsucht sehr schlecht weg« kommt. Von Pelagius ist hier nicht mehr die Rede. 129 Hornig, Studien, 136–159. Gottfried Hornig beklagt jedoch, dass »eine genauere genetische und systematische Untersuchung zur Christologie und Soteriologie Semlers« zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Sammelbandes noch nicht vorlag; seine eigenen Ausführungen betrachtet er »lediglich als Prolegomena einer künftigen Darstellung des Themas« (Hornig, Studien, 136). So müsse ein Strukturvergleich mit der Soteriologie und Christologie Baumgartens erfolgen, um die Eigenarten der Konzeption Semlers deutlicher herauszustellen. Gewiss ist sich Hornig, dass weder Baumgarten noch Semler – entgegen eines der Aufklärungstheologie und »Neologie« vorgebrachten Urteils – eine Reduktion der Christologie auf eine »Jesulogie« vornahmen (vgl. Hornig, Studien, 137). Die geforderte Untersuchung steht weiterhin aus. Semlers Christologie scheint jedoch in seiner Kritik an der Christologie Augustins hervor, siehe unten S. 202–212. 130 Vgl. Hornig, Studien, 50–52.229–278. 131 Auf diesem Feld hat sich insbesondere Dirk Fleischer mit Arbeiten über Semlers Geschichtskonzeption verdient gemacht. Vgl. u. a. Fleischer, Tradition und Fortschritt; ders., »Geschichte und Sinn. Johann Salomo Semler als Geschichtstheoretiker«, ZGW 56/5 (2008): 397–417; ders., »Kritik und Identitätsbildung. Zum historischen Denken Johann Salomo Semlers.« / Einleitung zu D. Johann Salomo Semlers Neue Versuche die Kirchenhistorie der ersten Jahrhunderte mehr aufzuklären (1788). Mit Beilagen, hg. v. Dirk Fleischer, I–VIII. Religionsgeschichte der frühen Neuzeit 7 (Nordhausen: Traugott Bautz 2010). 132 Vgl. Athina Lexutt, »›Der Mönch braucht keine Gelehrsamkeit‹: Luther zwischen Theologie und Religion in der Beurteilung Johann Salomo Semlers; ein Beitrag zur Rezeption
IV. Forschungsüberblick
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Wo in diesen Forschungsarbeiten Augustinus oder Pelagius im Kontext des pelagianischen Streites begegnen, wird zumeist Semlers scharfe Kritik an einer Theologie, die in ihrer Betonung der Erbsünde Augustins Ansicht nachfolgt, immer wieder thematisiert.133 Zuletzt so auch von Marianne Schröter in ihrer umfänglichen Studie zu Semlers Hermeneutik des Christentums, in der sie sich auch der Kritik Semlers an der Erbsündenlehre zuwendet und hinsichtlich Semlers Bild des pelagianischen Streites beobachtet, Semler sähe »einen deutlichen Vorteil auf Seiten des Pelagius«.134 Dass Semler darüber hinaus eine generelle Abneigung gegen Augustinus als Person, wie auch dessen Theologie vertrat, wurde ebenfalls mehrfach bereits festgehalten, aber selten vertieft:135 Immer wieder geht er den nordafrikanischen Kirchenvater nicht allein für seine Erbsünden‑ und Prädestinationslehre scharf an – wie übrigens auch eine Vielzahl seiner Zeitgenossen, beispielsweise Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem136 – sondern auch für dessen Wesenszüge wie Augustins Förderung des Wunderglaubens137 und seine politischen Winkelspiele.138 des Themas ›Reformation und Mönchtum‹ im 18. Jahrhundert«, in Reformation und Mönchtum, hg. v. Athina Lexutt, 189–212 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2008). 133 Vgl. Aner, Lessingzeit, 162.228. 134 Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 284. 135 Vgl. Aner, Lessingzeit, 104.162.228.329. 136 Vgl. Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Betrachtungen über die vornemsten Wahrheiten der Religion an Se. Durchlaucht den Erbprinzen von Braunschweig und Lüneburg. Zweyten Teils zweyter Band, oder viertes Stück (Braunschweig: Fürstliche Waisenhaus-Buchhandlung, 1779), 728. Über Jerusalems Kritik an Augustin und seiner Lehre vgl. Aner, Lessing‑ zeit, 162.223 sowie Wolfgang E. Müller, Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem. Eine Unter‑ suchung zur Theologie der »Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion«. TBT 43 (Berlin/Boston: De Gruyter, 1984), 60, mit Anm. 168 und 104, mit Anm. 420. Nicht nur Semler und Jerusalem taten sich ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Kritiker Augustins hervor. Vielmehr, so stellt Aner zugespitzt fest, war ohnehin »Augustin […] im Zeitalter der Neologie der meistgehaßte Mann«. (Aner, Lessingzeit, 162; vgl. auch 223). Dieser Abneigung gegen den Kirchenvater, »die der Zeit im Blute steckte« habe Semler jedoch »entschieden Vorschub geleistet«. (Aner, Lessingzeit, 329). Über die Kritik an der Erbsündenlehre bei Jerusalem, Semler und generell in der neologischen Aufklärungstheologie informiert ausführlich Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 27–286. 137 Zur Kritik an der Förderung des Wunderglaubens vgl. Semler, Versuch eines fruchtbaren Auszugs 1, 105: »Dis schikt sich zu den elenden lateinischen Theorien des Augustinus, der daher auch nicht ermangelt dis, (wie viele andere Wunder) zu erzälen; es ist sehr unwürdig, wie Augustinus sich bei solchen dummen Erzählungen auffürt […].« Vor allem der seit Julian von Aeclanum formulierte Vorwurf der politischen Einflussnahme Augustins gegen seine Gegnerschaft wird in der Augustinuskritik Semlers und der des 20. Jahrhunderts aufgenommen. Vgl. hierzu Flasch, Augustin, 178 f., der den Vorwurf der Intrige Augustins und Bestechung mittels Zusendung nordafrikanischer Zuchtpferde an den Kaiserhof in Ravenna aufgreift. 138 Vgl. Semlers Kritik an der Erbsünden‑ und Prädestinationslehre Augustins in Semler, Versuch eines fruchtbaren Auszugs 1, 115; ders., Versuch einer freiern theologischen Lehrart, zur Bestätigung und Erläuterung seines lateinischen Buchs (Halle: Hemmerde, 1777), 283.362; ders., Unterhaltungen mit Herrn Lavater, über die practische Religion; auch über die Revision der bisherigen Theologie (Leipzig: Weidmanns Erben und Reich, 1787), 167. Dazu knapp Hornig, Studien, 128.
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So ist Semlers Abneigung gegen Augustinus wohlbekannt, aber letztlich kaum differenziert untersucht worden. Welche Aufmerksamkeit Semler jedoch dem pelagianischen Streit und Pelagius selbst widmete, untersuchte erstmals Martin Ohst in einer Studie über Semlers Edition und Kommentar des Briefes Pelagius’ an die römische Jungfrau Demetrias.139 Anhand der umfänglichen Einleitung Semlers und seiner Kommentare, sowie seinem Umgang mit den Quellen zeichnet Ohst darin Semlers Zielsetzung und Bild des pelagianischen Streites nach und kommt trotz aller Kritik an Semlers Schematismus zu dem Urteil: »[I]m Rückblick liegt die Vermutung nahe, dass es solcher Aufräumungsaktionen wie der Semlers bedurfte, damit gerade in der klassischen protestantischen Dogmengeschichtsschreibung ein Augustin-Bild entstehen konnte, in welchem lebendiges theologisches Interesse unbekümmert um die legitimatorischen Zwänge und Sprachreglungen eines hierarchisch-autoritäten Kirchentums seine erkenntnisleitenden Kräfte eindrucksvoll unter Beweis stellen konnte.«140
So zutreffend und gut begründet dieser Befund auch ist: mir scheint die bisherige starke Fokussierung der Forschung zur Theologiegeschichte des 18. Jahrhunderts auf Semler und dessen Dogmenkritik einer der Hauptgründe dafür zu sein, warum der pelagianische Streit in der Rezeption des 18. Jahrhunderts bislang nicht weiter untersucht wurde. Wofür noch ins Detail gehen oder sich anderen Autoren zuwenden, wenn doch mit Semler alles Entscheidende dazu gesagt und festgehalten wurde? Tatsächlich liegen daher auch keinerlei Studien oder aussagekräftige Bemerkungen zum Bild des pelagianischen Streites in den kirchengeschichtlichen Darstellungen der weiteren hier zu untersuchenden Autoren Baumgarten, Walch, Spittler, Henke und schließlich Schroeckh vor.141 Lediglich Mosheims Darstellung in den Institutiones findet, erneut bei Ohst, Erwähnung, wenn er diese als »Dokument des Überganges«142 bezeichnet und trotz darin enthaltener herkömmlicher Schemata und Stereotypen beobachtet, dass »unterhalb dieser Oberfläche […] Bewegung spürbar« sei.143 Jener Bewegung über das 18. Jahrhundert hinweg nachzuspüren, den kleinen wie den großen Wellen, soll dazu beitragen, das bisherige Desiderat aufzulösen. 139 Vgl. Ohst, »Episode«. Zum Forschungsdesiderat Augustinismus und Pelagiusforschung im 18. Jahrhundert vgl. auch ders., »Augustinus-Deutungen des protestantischen Historismus«, in Augustinus – Spuren und Spiegelungen seines Denkens. Band 2, Von Descartes bis in die Gegen‑ wart, hg. v. Norbert Fischer, 147–196 (Hamburg: Meiner, 2009). 140 Ohst, »Episode«, 121 f. 141 Freilich liegen auch zu diesen – insbesondere zu Baumgarten und Walch, umfassende Studien zu deren Geschichtsverständnis und Theologie vor, jedoch wird der pelagianische Streit und die Beurteilung des Augustinus und des Pelagius nicht als eigentlicher Forschungsgegenstand aufgegriffen. 142 Ohst, »Episode«, 101. 143 Ohst, »Episode«, 101.
V. Methode und Aufbau
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V. Methode und Aufbau Methodisch folgt diese Untersuchung zur Wahrnehmung und Darstellung des pelagianischen Streites innerhalb der protestantischen Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts einer subjektperspektivischen, objektorientierten Rezeptionsgeschichte.144 Mit der Rezeptionsgeschichte ist zunächst ein wirkungsgeschichtlicher Ansatz ausgeschlossen, der vom Wirkungsmodell eines Einflusses des Objektes, hier des pelagianischen Streites, auf das Subjekt, in diesem Falle die einzelnen Autoren des 18. Jahrhunderts, ausgeht.145 Ausgangspunkt ist vielmehr die Perspektive der Rezipienten in Gestalt ihrer jeweiligen kirchengeschichtlichen Darstellung des Streites. Damit folgt die gewählte Methode der Fragestellung: Wie rezipierten die verschiedenen Leser (subjektperspektivisch), konkret die ausgewählten Kirchenhistoriker, das Objekt, den pelagianischen Streit (objektorientiert)?146 Der Rezeptionsprozess wird dazu durch die Analyse und Interpretation der einzelnen kirchengeschichtlichen Darstellungen des pelagianischen Streites abgebildet. Die Untersuchung insgesamt folgt in der Darstellung dieser einzelnen Quellenanalysen und ‑interpretationen dabei einem diachronen Darstellungsmodell, indem die einzelnen Quellen nacheinander behandelt werden.147 Innerhalb der Analyse und Interpretation der einzelnen Quellen wird, besonders bei den umfänglicheren Quellentexten wie Semlers Historischer Ein‑ leitung, im Interesse des Lesers und der Fragestellung nicht zwingend der bisweilen verwirrenden und zu Redundanzen und Sprüngen neigenden Gliederung der Autoren gefolgt. Vielmehr wird die jeweilige Quelle hinsichtlich Zum subjektperspektivischen, objektorientierten Ansatz der Rezeptionsgeschichte vgl. Gunter Grimm, »Rezeptionsgeschichte. Prämissen und Möglichkeiten historischer Darstellungen«, IASL 2 (1977): 144–147. Dieser methodische Grundsatz scheint mir im Rahmen der Zielsetzung der förderlichste zu sein. Im Folgenden werde ich daher ausschließlich und kompakt die Methode, die sich daraus für mein Fragestellung ableitet, darlegen und skizzieren. Eine umfängliche Abwägung und Diskussion möglicher weiterer Methoden und ihrer Vor‑ und Nachteile wird nicht angestrebt und ist im Rahmen dieser Untersuchung nicht zu leisten. Für methodologische Grundüberlegungen und die Findung angemessener Methoden zur Quellenauswertung und Zielsetzung allgemein vgl. Volker Sellin, Einführung in die Geschichts‑ wissenschaft. Erweiterte Neuausgabe. 2. Aufl. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008), 83– 97, der betont: »Eine […] allgemeine historische Metode gibt es nicht. Es gibt nur methodische Grundsätze, die sich je nach Fragestellung und Quellenbestand zu spezifischen Methoden konkretisieren.« (Sellin, Einführung, 93 f.). 145 Zur Differenzierung von Wirkungs‑ und Rezeptionsgeschichte vgl. Grimm, »Rezeptionsgeschichte«, 145. 146 Zu diesem und weiteren wirkungs‑ und rezeptionsgeschichtlichen Ansätzen im Überblick vgl. Grimm, »Rezeptionsgeschichte«, 146. 147 Es ist zunächst eine Schwäche des diachronen Ansatzes, parallele Entwicklungslinien und Prozesse schwer abbilden zu können. Dennoch entspricht der Ansatz der grundliegenden Methode einer subjektperspektivischen Rezeptionsgeschichte und wird ferner im Schlussteil durch eine synchrone Darstellung ergänzt. 144
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ihres Aussagegehaltes zum pelagianischen Streit und dessen kirchenpolitischer Dimension, den verhandelten dogmatischen Streitfragen und den agierenden Persönlichkeiten, wie sie sich aus der Fragestellung ableiten, überprüft. Diese selbstgesetzten Aspekte des pelagianischen Streites bilden zugleich die übergeordnete Gliederungsmatrix der einzelnen Kapitel zu den jeweiligen Quellentexten. Die hingegen aus der Textanalyse und ‑interpretation gewonnenen Topoi – wie die Frage nach dem sog. Pelagianismus vor Pelagius oder die Kontroverse um Einbeziehung der weltlichen Macht in den Konflikt – werden wiederum innerhalb dieser Gliederungsmatrix dargeboten und wirken auf die Fragestellung zurück.148 Der Aufbau der Untersuchung folgt dieser zur Beantwortung der Fragestellung gewählten Methode. Da eine solche Rezeptionsgeschichte des pelagianischen Streites auch immer eine Rezeptionsgeschichte vorangehender Texte unterschiedlichster Gattungen zum pelagianischen Streit darstellt, findet eingangs zunächst ein Überblick über die Literatur des 17. Jahrhunderts zum Streit Raum. Dieser bildet zugleich die Ausgangslage und den Hintergrund, vor dem sich die Rezeption des Streites innerhalb des 18. Jahrhunderts vollzieht.149 Diese Rezeption in Gestalt der einzelnen Quellentexte wird anschließend in drei Abschnitte unterteilt dargeboten: Im Abschnitt »Aufbruch und Zwischenstationen« werden zunächst die entsprechend charakterisierten Arbeiten Arnolds, Mosheims und Baumgartens zum Streit behandelt. Darauf folgt im Abschnitt »Wendepunkt und Hinwendung« die genauere Betrachtung der wegweisenden Arbeiten Semlers und Walchs, zuletzt gefolgt vom Abschnitt »Schlussfolgerungen und Nachgedanken«, in welchem die weitere Rezeption des pelagianischen Streites und aus diesem gezogene Konquenzen bei Spittler, Henke und Schroeckh nachgezeichnet werden.150 Um schließlich das Gesamtbild der Vielfalt und des Wandels der Wahrnehmung und Darstellung des pelagianischen Streites in der protestantischen 148 Freilich hat auch diese Gliederungsmatrix ihre Schwächen und wird daher manchmal, zumal bei den kompakteren Darstellungen oder dort, wo einzelne Topoi für mehrere dieser Gliederungselemente relevant sind, zugunsten der Flexibilität durchbrochen, ohne dadurch den Aussagegehalt für die Fragestellung zu schmälern. 149 Hiermit möchte ich zudem eine erste Ordnung und Übersicht zu den Werken des 17. und frühen 18. Jahrhunderts über den pelagianischen Streit und Pelagianismus bieten. Hier soll die Frage aufgeworfen werden, in welcher Beziehung diese Texte und ihre Autoren zueinander stehen und welche grundsätzliche Ausrichtung in diesen Werken gegeben ist. Weitere inhaltliche und strukturelle Details zu diesen Werken sind den Fußnoten bzw. Abhandlungen in meinen Kapiteln zu den untersuchten Autoren des 18. Jahrhunderts zu entnehmen. 150 Diese Binnenstrukturierung soll freilich nicht den Eindruck erwecken, dass es nur eine strenge Entwicklungslinie gab. Freilich bestand neben dieser Entwicklung ein buntes Neben‑ und Miteinander von konservativen und progressiven Ansätzen und Gedanken, die sich teilweise eben auch bei einzelnen Autoren selbst wiederfinden werden. Die Struktur dient vielmehr als Elementarisierung und bezieht sich vor allem auf die progressiveren Tendenzen im 18. Jahrhundert, wobei ohnehin für das spätere 18. Jahrhundert seit den 60er Jahren keine namhaften konservativen kirchengeschichtlichen Darstellungen des pelagianischen Streites begegnen.
V. Methode und Aufbau
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Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts zusammenzufassen, wurde für den Schlussteil eine synchrone Darstellungsweise gewählt. Dazu führt der Schlussteil die Ergebnisse der Einzeluntersuchungen als Entwicklungslinien der Darstellung und Beurteilung des pelagianischen Streites zusammen und zeichnet zudem den Wandel der einzelnen Topoi nach, um besondere Interessensschwerpunkte und die Verlagerung dieser Interessen an jenen Topoi herauszuarbeiten.
A. Ausgangslage: Die konfessionelle Instrumentalisierung der historia Pelagiana im 17. Jahrhundert I. Einführung Die von den zu untersuchenden Kirchenhistorikern des 18. Jahrhunderts verwendete Literatur zum pelagianischen Streit entstand nahezu ausschließlich in mitunter hitzig geführten theologischen Debatten in Frankreich, Holland und England des 17. Jahrhunderts bis hinein in die frühen Jahre des 18. Jahrhunderts. Innerhalb des deutschen Sprachraumes wurden vor dem 18. Jahrhundert keine relevanten kirchengeschichtlichen Aufarbeitungen des pelagianischen Streites oder des Pelagianismus’ unternommen. Bekanntlich entfachte sich im 17. Jahrhundert innerhalb der lutherischen Theologie Deutschlands an der Anthropologie und insbesondere Erbsündenlehre des wiederholt des Pelagianismus bezichtigten Helmstedter Theologieprofessors Georg Calixt (1586–1656) eine Kontroverse,1 deren zweite Phase in den Beginn des berüchtigten Synkretistischen Streites fällt,2 der sich u. a. auch um die Frage nach der rechten Prädestinationslehre drehte; doch brachten diese Diskussionen – wie auch die folgende Wandlung der lutherischen Anthropologie und »Unterminierung« der augustinischen Erbsündenlehre3 – keinen direkten eigenen kirchenhistoriographischen Beitrag zur unmittelbaren Erforschung des pelagianischen Streites hervor. Hieraus kann lediglich mitgenommen werden, dass der Vorwurf des Pelagianismus weiterhin ein gern vergebener Ketzerhut war, den sich niemand freiwillig aufsetzen lassen wollte – einer gewandelten, positiveren Anthropologie wie auch Kritik an der Erbsünden‑ und Prädestinationslehre sowie Augustinus im Allgemeinen zum 1 Zur ersten Phase der Rezeption der Erbsündenlehre Calixts vgl. Schubert, Ende der Sünde, 65–76, zur zweiten 76–91. 2 Zum synkretistischen Streit vgl. Jörg Baur, »Die Helmstedter Lesart des Rechtfertigungsartikels und deren rechtgläubige Kritiker. Eine Untersuchung zur Genese des synkretistischen Streites«, in Zur Rechtfertigungslehre in der Lutherischen Orthodoxie. Beiträge des sechsten Wittenberger Symposiums zur Lutherischen Orthodoxie, hg. v. Udo Sträter, 81–135. LeucoreaStudien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 2 (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2003); Heinz Staemmler, Die Auseinandersetzung der kursächsischen Theologen mit dem Helmstedter Synkretismus. Eine Studie zum »Consensus repetitus fidei vere Lutheranae« (1655) und den Diskussionen um ihn. TSP 4 (Waltrop: Spenner, 2005); sowie Quantin, »Augustine in the Seventeenth and Eighteenth Centuries«, 87 f. 3 Vgl. Schubert, Ende der Sünde, insbesondere 107–223.
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A. Ausgangslage
Trotz.4 Pelagius blieb für alle Beteiligen einer der »Erzketzer« schlechthin. Verlauf und Positionen des hier zu betrachtenden unmittelbaren pelagianischen Streites wurde höchstens in kirchenhistoriographischen Gesamtübersichten, wie insbesondere den für das protestantische Geschichtsbild maßgeblichen Magdeburger Centurien5 des 16. Jahrhunderts oder dem großen katholischen Geschichtswerk, den Annales Ecclesiastici von Caesar Baronius (1538–1607) abgehandelt.6 Bemerkenswerterweise ist die Darstellung des pelagianischen Streites bzw. der pelagianischen Lehren innerhalb der Centurien oder Annales jedoch 4 Zu den Pelagianismusvorwürfe gegenüber Calixt vgl. Schubert, Ende der Sünde, 86.97– 99.105. 5 Die Darstellung des pelagianischen Streites und der Lehre Pelagius’ findet sich im fünften Band der Centurien, Quinta Centuria ecclesiasticae historiae. Dieser bietet zunächt eine dogmatische Darstellung der Lehre der Pelagianer nach Loci (576–587), gefolgt von einer Widerlegung dieser Lehren (587–605); über Augustinus selbst wird getrennt davon berichtet (1113–1136). Zu den Magdeburger Centurien vgl. Albrecht Beutel, »Matthias Flacius Illyricus, Centuriae Magdeburgensis (13 Bde., 1559–1574)«, Lexikon der theologischen Werke, hg. v. von Michael Eckert u. a. (Stuttgart: Kröner, 2003): 73; Harald Bollbuck, Wahrheitszeugnis, Gottes Auftrag und Zeitkritik. Die Kirchengeschichte der Magdeburger Zenturien und ihre Arbeits‑ techniken. Wolfenbütteler Forschungen 138 (Wiesbaden: Harrassowitz, 2014). Bollbuck bietet neben einer historischen Kontextualisierung (Abschnitt II.) auch ausgiebige Informationen zu der praktischen Organisation und Durchführung der Ausarbeitung der Magdeburger Centurien (Abschnitt III.+IV.), Ausführungen zur Methode und Struktur der Centurien (V.), der Einbettung dieser in das Mäzenen-, Patronats‑ und Widmungswesen jener Zeit (VII.) sowie Quellen zur Praxis der Ausarbeitung der Bände (VIII.). Innerhalb des Unterabschnitts zur Darstellung der Kirchenväter (Bollbuck, Wahrheitszeugnis, 355–364); wird auch kurz die Beurteilung Augustins referiert, insbesondere Bollbuck, Wahrheitszeugnis, 359 f. Über die Kirchenväter und Augustinus bemerkt Bollbuck: »Einige Patres wie Augustinus […] formen die Zenturien hinsichtlich ihrer evangelisch vorbildlichen Lehre oder ihres Kampfes für die rechte Religion unter Ausblendung des historisch-politischen Kontexts zu proto-lutherischen Theologen. Sie sind die idealen Zeugen der Wahrheit. In vielen Fällen sind aber die Quellenexzerpte, die die Basis der Beschreibung bilden, und die Stellung der Väter zu den Inhalten des lutherischen Bekenntnisses zu kontrovers. Es erhebt sich ein inkohärentes und daher ausgewogen wirkendes, wenn auch kaum objektiveres Bild von Kirchenlehrern, die mehr oder weniger den wahren Glauben vertraten.« (Bollbuck, Wahrheitszeugnis, 362). Kritik an den Kirchenvätern wird insbesondere dann laut, wenn diese den freien Willen des Menschen in den Augen der Verfasser zu sehr betonen, wie beispielsweise bei Augustinus und Cyrill von Alexandrien. Matthias Flacius Illyricus (1520–1575), Herausgeber und Organisator der Magdeburger Centurien rezipierte in eigenen Einzelarbeiten und Kontroversen Augustinus durchaus abweichend von den Aussagen der Centurien als Gegner einer Konzeption des freien Willens und Verkünder der verdorbenen Natur des Menschen, vgl. hierzu auch Philippe Büttgen, »Flacius Illyricus, Matthias (1520–75)«, in The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine. Band 2, hg. v. Karla Pollmann u. a., 998–1000 (Oxford: Oxford University Press, 2013). In Flacius’ eigener kirchengeschichtlicher Grundkonzeption folgte laut Bollbuck einer »blühenden Urkirche […] ihr Verfall durch Pelagius’ Lehre von den guten Werken, Augustinus mit seiner Gnadentheologie führte sie wieder auf die rechte evangelische Bahn […]«. (Bollbuck, Wahrheitszeugnis, 81). 6 Zum pelagianischen Streit vgl. Caesar Baronius, Annales Ecclesiastici. Band 5 (Rom: Mascardus u. a., 1588–1607). Auch die Annales erfuhren vielfache Neuauflagen bis hinein ins 18. Jahrhundert. Zu Baronius und den Annales sowie dessen Augustinusrezeption vgl. JeanLouis Quantin, »Baronio, Cesare«, in The Oxford Guide to the Historical Reception of Au‑ gustine. Band 2, hg. v. Karla Pollmann u. a., 622 f. (Oxford: Oxford University Press, 2013).
I. Einführung
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für keinen der von mir zu untersuchenden Theologen des 18. Jahrhunderts ein nennenswerter Bezugspunkt.7 Wirkliche Bewegung kam in die Darstellung des pelagianischen Streites im deutschen Sprachraum erst mit der Rezeption jener Schriften, insbesondere umfangreicher Monographien, des 17. Jahrhunderts zum »Pelagianismus« und dogmenhistorisch darauf bezogenen Themen. Dominant – wenn nicht gar eine Monopolstellung bildend – war hier die in Frankreich und Holland auf Lateinisch und später auch Französisch verfasste Literatur. Dabei wird vor allem die Literatur in den Blick genommen, die bis zum Jahr 1699, also ungefähr bis zum Jahr der Veröffentlichung der Unparteyischen Kirchen‑ und Ketzerhistorie Gottfried Arnolds publiziert wurde und nur sporadisch auf darüber unmittelbar in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts hinaus erschienene Literatur verweisen. Weitere, spätere Quellen der zu betrachtenden Kirchenhistoriker werden an gebotener Stelle bei diesen selbst erwähnt werden. Freilich soll mit dieser Abgrenzung nicht etwa der Eindruck einer plötzlichen und starren Diskontinuität zwischen den beiden frühneuzeitlichen Jahrhunderten hinsichtlich der Darstellung und Beurteilung des pelagianischen Streites erweckt werden, sondern ganz im Gegenteil zunächst die bestehenden Kontinuitäten und Anknüpfungspunkte aufgezeigt werden. Die eigentlichen und mit zunehmendem Verlauf des 18. Jahrhunderts signifikanten Unterschiede darzustellen, wird Aufgabe der Beschäftigung mit dem jeweiligen Kirchenhistoriker des 18. Jahrhunderts an sich sein. Wie eingangs erwähnt, waren all jene Arbeiten des 17. Jahrhunderts stark von ihrem unmittelbaren Entstehungskontext geprägt, wenn nicht sogar überwiegend mit der Absicht abgefasst, dem eigenen theologischen Lager zu einer besseren Begründung ihrer Argumentationen zu verhelfen, also als kontroverstheologisches oder polemisches »Kampfmittel«.8 So erwuchs in Frankreich und den Niederlanden die Literatur zum pelagianischen Streit, den Semipelagianern Hinsichtlich der Gnaden‑ und Prädestinationslehre vertrat er gegen Molina und dessen »Semipelagianismus« eine deutlich augustinistische Position innerhalb der katholischen Kirche. 7 Freilich blieben die Magdeburger Centurien allgemein auch im schnell voranschreitenden 18. Jahrhundert eine bestimmende Größe, jedoch nicht in Bezug auf die Darstellung der pelagianischen Kontroverse. So erfuhren die Centurien vielfache Neudrucke; auch Baumgarten mitsamt Semler gaben eine erweiterte Auflage heraus; allerdings umfasst diese nicht Band 5, in dem die pelagianischen Lehren behandelt werden. Daher sind diese Studien zu vernachlässigen. Als Grund dafür, dass die Centurien von den Autoren des 18. Jahrhunderts kaum genannt werden, ließe sich freilich auch anführen, dass jedem Theologen (und Theologiestudenten) dieser Zeit die Centurien als ein entsprechendes Standardwerk bekannt waren, wohingegen die dem englischen und französischen Sprachraum entstammenden Arbeiten nur den Experten ein Begriff waren und u. a. daher auch den weniger Informierten genannt werden mussten. Die Frage nach den Adressaten der noch zu untersuchenden Werke des 18. Jahrhunderts ist daher alles andere als sekundär. 8 Zum Begriff und Gegenstand der Kontroverstheologie vgl. Albrecht Beutel, »Kontroverstheologie«, Enzyklopädie der Neuzeit 6, hg. v. Friedrich Jaeger (Stuttgart: Metzler, 2007): 1164–1166.
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A. Ausgangslage
und der umstrittenen Existenz einer Sekte der »Prädestinatianer« aus den hitzig geführten Streitigkeiten innerhalb der katholischen Konfession zwischen Jansenisten und Jesuiten, innerhalb des Protestantismus insbesondere in Holland zwischen Arminianern und »orthodoxen« Calvinisten in Form des »Remonstrantenstreites«. Eine Auseinandersetzung um die generelle Rezeption der Kirchenväter wie auch Augustinus im Speziellen spielte sich zwar ebenfalls überwiegend in Frankreich und Holland ab, hatte aber darüber hinaus Bezüge nach und Impulse aus England aufgenommen. Nahezu alle Kirchenhistoriker, die noch im Hauptteil dieser Studie zu behandeln sind, setzen sich in irgendeiner Form – mehr oder weniger intensiv – mit einzelnen oder einer Vielzahl dieser Schriften des 17. und frühen 18. Jahrhunderts während ihrer Darstellung des pelagianischen Streites auseinander. Keiner von ihnen kommt ohne Bezug auf diese Texte aus. Vielmehr wird noch festzustellen sein, dass deren Darstellungen oftmals in expliziter Aufnahme oder Ablehnung dieser außerhalb des deutschen Sprachraums entstandenen Arbeiten des 17. Jahrhunderts Profil gewannen – mitunter mehr als anhand der eigentlichen Primärquellen zum pelagianischen Streit, die ebenfalls in teilweise bis heute maßgeblichen Editionen im vierten Quartal des 17. Jahrhunderts entstanden. Die meisten Autoren waren mit den lateinischen oder gar französischen und englischen Ausgaben des Auslandes bestens vertraut oder zumindest über diese informiert.9 Übersetzungen waren dabei für die deutsche Gelehrtenwelt nicht erforderlich, sondern entsprachen einer allgemeinen Tendenz der Volksbildung, hier besonders im Kontext der Ausbildung angehender Theologen und der selbstständigen Fortbildung von Pfarrern.10 Notwendig ist die hier erfolgende Verortung auch, um das genuine und in‑ novative der Autoren des 18. Jahrhunderts angemessen herausarbeiten und würdigen zu können. Aber allein schon aufgrund der bereits thesenartig genannten Abhängigkeit nahezu aller zu untersuchenden Kirchengeschichtler des 18. Jahrhunderts von diesen »Vorarbeiten« gilt es folglich, in einem kompakten Überblick die wichtigsten, immer wieder erwähnten Werke und deren Autoren vorzustellen und verständlich zueinander ins oftmals verworrene Verhältnis zu setzen. Dazu ist es jedoch ebenso erforderlich, die Entstehungskontexte, insbesondere die großen theologischen Streitigkeiten, kurz aufzuzeigen. Das kann hier nur skizzenhaft geschehen und soll vor allem der schnellen Orientierung 9 Als Gründe hierfür lassen sich nicht nur das Interesse der Autoren an diesen Texten benennen, sondern sicherlich schon auch der international ausgerichtete europäische Buchmarkt (vgl. Steffen Martus, Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert. Ein Epochenbild [Berlin: Rowohlt, 2015], 427 f.) sowie das weit verbreitete Rezensionswesen mit seinen Zeitschriftenorganen. 10 Für das Beispiel einer Übersetzung siehe weiter unten die Angaben zu Thomasius’ Leclerc Übersetzung, S. 61, Anm. 100. Diese Übersetzung erfolgte nach Thomasius selbst jedoch als Gegenpol zur Übersetzung der Arbeiten Caves, die europaweite Verbreitung fanden.
I. Einführung
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dienen; zudem sind hier bereits vielfältige Vorarbeiten der neueren Forschung geleistet worden.11 Als Ausgangspunkt der nun folgenden Rekonstruktionen und Verortungen dienen die Angaben der Kirchenhistoriker des 18. Jahrhunderts über die von ihnen verwendete oder zitierte Literatur, zu der nicht nur »rein« historisch interessierte, sondern überwiegend dogmatisch bzw. kontroverstheologische Arbeiten im historiographischen Gewand zählen. Somit ist hier weder Vollständigkeit noch alleinige Beschränkung auf kirchengeschichtliche Darstellungen angestrebt, stattdessen sind nur diejenigen Texte in den Blick zu nehmen, die die Autoren ausdrücklich verwendet oder angeführt haben. Natürlich soll in den eigentlichen Ausarbeitungen zu den Autoren des 18. Jahrhunderts dennoch sichtbar werden, ob gegebenenfalls verwendete Literatur von diesen nicht ausgewiesen wurde, sei es aus Absicht oder sonstigen Gründen. Auch die eigentliche inhaltliche Auseinandersetzung und Bezugnahme der Hauptautoren mit jener Literatur werde ich an entsprechender Stelle bei diesen selbst in aller Ausführlichkeit bieten. Methodisch wird so vorgegangen, dass grundsätzlich eine überwiegend chronologisch orientierte Vorstellung der wichtigsten Schriften und ihrer Autoren geboten wird, wobei bestehende Verbindungslinien und gegenseitige Bezüge innerhalb bestimmter Kontroversen aufgezeigt werden. Zudem lassen sich drei Phasen verstärkter Beschäftigung mit dem pelagianischen Streit benennen, die in den zeitlichen Kontext der bereits oben erwähnten Kontroversen fallen. Von einer darüber hinausgehenden systematischen, zum Beispiel an dogmatischen Streitpunkten festgemachten Untergliederung sehe ich hier aus Gründen der Übersichtlichkeit, auch für ein schnelles Nachschlagen, ab.12 Eine umfassende 11 Vgl. u. a. Josef Lössl, Julian von Aeclanum: Studien zu seinem Leben, seinem Werk, seiner Lehre und ihrer Überlieferung. SVigChr 60 (Leiden: Brill, 2001), 1–4, wenn auch mit einem Schwerpunkt auf die Forschungsgeschichte zu Julian von Aeclanum, die aber »ihren ursprünglichen Ort im Kontext der historisch-theologischen Pelagianismusforschung« (Lössl, Julian, 1) hat. Vollkommen berechtigt bleibt Lössls Darstellung hier aufgrund seines gänzlich anders gelagerten Interesses recht oberflächlich. Insbesondere sein Forschungsbericht zum 18. Jahrhundert und dessen Pelagianismusforschung fällt durch seine extreme Kürze und Lückenhaftigkeit auf (vgl. Lössl, Julian, 4 f.), und das trotz seiner Betonung, dass diese Arbeiten – Lössl nennt hier insbesondere Schroeckhs und Christian Walchs Werke – »den Forschungstand entscheidend verbessert« haben (Lössl, Julian, 4) und »sich auch einflußreichere neuere Studien systematisch auf Vorarbeiten des 18. Jahrhunderts« stützen (Lössl, Julian, 5). Quantin, »Augustine in the Seventheenth and Eighteenth Century«, bietet eine prägnante Zusammenfassung zur Augustinusrezeption – und zum Teil über die in den verschiedenen Kontroversen in Frankreich und den Niederlanden entstandene Literatur über die Pelagianer. Zur Rezeption innerhalb des deutschsprachigen Raumes im 18. Jahrhundert liefert er jedoch nicht mehr als ein Desiderat. Freilich zeigen schon diese beiden Beispiele die dringende Notwendigkeit, hierzu mehr Licht ins Dunkle zu bringen und die bisher stiefmütterlich vernachlässigte Behandlung der pelagianischen Streitigkeit und seiner Akteure im 18. Jahrhundert in den Blick zu nehmen. 12 So wäre auch eine eher dogmatische, bzw. dogmenhistorische Untergliederung denkbar gewesen. Mit diesem Schema wäre zugleich eine häufige Grundstruktur der Zitations-
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A. Ausgangslage
Betrachtung der über den festgelegten Zeitrahmen hinausgehenden literarischen Produktionen aus England, Frankreich und Holland innerhalb des 18. Jahrhunderts wird hier nicht angestrebt; ohnehin nimmt die Textproduktion zur Geschichte des pelagianischen Streites und der damit unmittelbar verbundenen Themen in den angeführten Ländern nach dem ersten Quartal des 18. Jahrhunderts merklich ab und verlagert sich überwiegend – wenn auch nicht ausschließlich!13 – an die Schreibtische der deutschsprachigen protestantischen Universitätstheologen. Die Gründe hierfür sind vielfältiger Natur; so wurde im 17. Jahrhundert eine nicht geringe Anzahl an »großen Werken« verfasst, die trotz ihres kontroversen Entstehungskontextes lange Zeit als maßgeblich galten. Auch kann man ein merklich abnehmendes Interesse an diesem Themenfeld annehmen, was der ermüdenden und langatmigen Führung der Streitigkeiten im 17. Jahrhundert sowie deren Abflachen verschuldet ist, wie auch dem Aufkommen neuer theologischer oder zunehmend politischer Konflikte. Ein weiterer, wenn nicht gar der ausschlaggebende Grund, nicht zu weit über den Rand des Übergangs vom 17. zum 18. Jahrhundert hinauszublicken, ist der einfache Befund, dass die ausgewählten deutschsprachigen Theologen nur noch höchst selten »ausländische« Literaturproduktionen des 18. Jahrhunderts zum Thema des pelagianischen Streites wahrnahmen oder erwähnen. Referenzpunkt oder Stein des Anstoßes bleiben die großen Texte des 17. Jahrhunderts, von einigen Ausnahmen abgesehen. Überblickt man die Veröffentlichungsdaten der Publikationen des 17. Jahrhunderts, die sich mit dem pelagianischen Streit befassen oder diesen sogar markant in ihrem Titel tragen, so fallen drei Phasen einer besonders intensiven publizistischen Beschäftigung mit dem Thema auf.14 Zunächst finden sich in dem relativ kurzen Zeitraum der späten Zehner‑ und frühen Zwanzigerjahre des Jahrhunderts mit den Schriften von Joannes de Laet (1617), Gerhard Johannes Vossius (1618) und Hugo Grotius (1622) drei immer wieder erwähnte Monographien großen Umfanges, die sich schon dem Titel nach unmittelbar mit dem pelagianischen Streit, beziehungsweise weiter gefasst der historia Pelagiana, weise innerhalb der von mir zu untersuchenden Kirchengeschichtsdarstellungen des 18. Jahrhunderts aufgegriffen. Deren Autoren bieten oft monolithische Blöcke voller mehr oder weniger verständlichen Abkürzungen, in denen eine Vielzahl an verwendeter Sekundärliteratur und Quellen zu jeweils einem bestimmten Thema, wie zum Beispiel den Prädestinatianern oder der Dogmengeschichte der Kindertaufe, geboten werden. Zumeist geschieht dies am Ende eines größeren Absatzes oder Paragraphen zum jeweiligen Thema, bei längeren Texten liegen jedoch auch mehrere Fußnoten in einzelnen Kapiteln oder Paragraphen zur relevanten Sekundärliteratur vor. Da sich die Kirchenhistoriker hier jedoch meist doch signifikant voneinander unterscheiden, ist dieser Zugang als wenig praktikabel zu verwerfen. 13 Natürlich wird der pelagianische Streit weiterhin im Kontext der Kirchengeschichtsschreibung auch im französischen Sprachraum des 18. Jahrhunderts behandelt, dort zumeist im Rahmen einer größeren Geschichtsdarstellung anstatt von Monographien. 14 Vergleichbare Phasen, die mit entsprechenden theologischen Kontroversen einhergingen, nimmt auch Lössl, Julian, 2–4 wahr.
I. Einführung
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befassen. Eine zweite Phase lässt sich vom Ende der Dreißiger‑ bis zum Anfang der Fünfzigerjahre beobachten, wobei diese Publikationen sich zunehmend vom direkten Thema Augustinus und pelagianischer Streit wegbewegen und dafür verstärkt die Semipelagianer und Streitigkeiten um die Prädestinationslehre Augustins, insbesondere in Form der vermeintlichen Sekte der Prädestinatianer, in den Blick nehmen. In diese Phase fällt auch die wichtige posthume Veröffentlichung des Augustinus von Cornelius Jansen (1640), die die in diese Phase fallenden wiederaufflammenden Streitigkeiten zwischen Jesuiten und Jansenisten weiter befeuert.15 Eine dritte, weiter gestreckte Phase lässt sich nach einer längeren »Pause« von nahezu 25 Jahren für die gut letzten dreißig Jahre des Jahrhunderts ausmachen, wobei sich mit Ausnahme von Henry Noris Historia pelagiana (1673) hier überwiegend Darstellungen des pelagianischen Streites innerhalb umfangreicher kirchengeschichtlichen Gesamtdarstellungen finden, die bereits auf den dominanten Grundmodus der Behandlung dieses Themas im 18. Jahrhundert vorausweisen, aber von den Kirchenhistorikern jenes folgenden Jahrhunderts dennoch wahrgenommen und behandelt werden. Zudem widmete sich Jean Garnier hier als erster vertieft dem Studium des pelagianischen Bischofs Julian und dessen Schriften im Rahmen seiner Marius Mercator-Edition, weitere Autoren folgten ihm hierin oder bauten auf Garnier auf.16 Ein weiteres Grundmoment dieser dritten Phase ist die zunehmende Diskussion unter Patristikern über die Autorität der Kirchenväter allgemein, wie auch insbesondere zu Augustinus, die alle Konfessionen übergreifend geführt wird. Hierzu muss erwähnt werden, dass diese drei Phasen intensivierter Beschäftigung mit dem Pelagianismus und verwandter Themen keineswegs völlig losgelöst voneinander standen, was schon daran deutlich wird, dass einzelne Schriften auch in späteren Phasen neu herausgegeben wurden und von fortwährender Relevanz blieben;17 zudem lassen sich mit den Auseinandersetzungen zwischen den Jesuiten und Jansenisten,18 der Arminianismuskontroverse bzw. dem Remonstrantenstreit19 15 Cornelius Jansen, Augustinus, sive doctrina Sti. Augustini de humanae naturae sanitate, aegritudine, medicina adversus pelagianos et massilienses. 3 Bände (Löwen: Jacobus Zegers, 1640). 16 Für diese intensivierte Phase der Beschäftigung mit Leben und Werk Julians und Jean Garnier als Pionier auf diesem Forschungsfeld vgl. Lössl, Julian, 3 f. 17 So vor allem die Historia Pelagiana von Vossius, welche erstmals im Kontext der Dordrechter Synode 1618 und später als Editio Altera im Jahr 1655 erschien. 18 Zu den Anfängen des »Gnadenstreites« und dessen Fortführung in der Jansenismusdebatte vgl. Walter /Jung, »Einleitung«, 14–18. 19 Zum Remonstrantenstreit vgl. Bieber-Wallmann, »Remonstrantenstreit«, 627–633: »Es gibt bisher keine eingehende Untersuchung zur Beschäftigung mit der Theologie Augustins und zur Verwendung von Zitaten aus seinen Werken im Remonstrantenstreit der Niederlande.« (Bieber-Wallmann, »Remonstrantenstreit«, 627). Was hier, wenn auch inzwischen durch einzelne Beträge in Pollmann u. a., The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine aufgeholt, für Augustinus festgestellt wird, muss erst recht für den sträflich vernachlässigten Pelagius bzw. pelagianischen Streit konstatiert werden.
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A. Ausgangslage
zwischen traditionellen Calvinisten und arminianisch geprägten Reformierten sowie dem Erscheinen der Mauriner Augustinusausgabe gesicherte Gründe innerhalb der kirchengeschichtlichen Entwicklungen des Katholizismus und Protestantismus in Frankreich und Holland für die Herausbildung dieser drei Phasen benennen.
II. Literarische Niederschläge zur historia Pelagiana und deren Entstehungskontexte 1. Der Remonstrantenstreit unter den Reformierten Die erste Phase der verstärkten Beschäftigung mit dem pelagianischen Streit geht einher mit der Auseinandersetzung zwischen den nach Jacob Arminius (1559–1609)20 benannten Arminianern oder Remonstranten21 und den strengen Reformierten in Holland über die unterschiedlichen Standpunkte hinsichtlich der Gnaden-, Erwählungs‑ und Prädestinationslehre. Die »orthodoxen« Calvinisten warfen den arminianisch geprägten Reformierten vor, eine semipelagianische, wenn nicht gar pelagianische Lehrmeinung zu diesen Dogmen zu vertreten, und damit Gottes allem zuvorkommende Gnade im augustinischen Sinne zugunsten einer positiveren Anthropologie und Willensfreiheit des Menschen aufzugeben, oder zumindest im Sinne eines semipelagianischen Synergismus zu marginalisieren.22 Am Anfang dieser ersten Phase der Beschäftigung mit der Geschichte des pelagianischen Streites im Kontext dieses Remonstrantenstreites steht der in Antwerpen geborene, und unter anderem philosophisch und theologisch geschulte Universalgelehrte Johannes de Laet (1581–1649).23 Neben seiner Aktivität als Direktor der holländischen West-Indien-Kompanie war de Laet, der aufgrund seiner erfolgreichen Handelstätigkeit wie auch Familiengeschichte und nicht zuletzt seines breiten wissenschaftlichen Interesses zudem vielfältige Beziehungen nach England pflegte, als Delegierter Leidens auf der Synode von Dordrecht (1618–1619) zugegen, deren eigentliches Ziel die Lösung des religiösen wie politischen Konflikts zwischen den Remonstranten und traditionellen 20 Zu Arminius und der Kontroverse um ihn vgl. Bieber-Wallmann, »Remonstrantenstreit«, 628 f. 21 Zur Herkunft des Begriffs »Remonstrantie« vgl. Bieber-Wallmann, »Remonstrantenstreit«, 630. 22 Arminius selbst bot allerdings reichlich Anlass für derlei Vorwürfe: »Sein Anliegen, dem freien Willen des Menschen und der Gnade Gottes gleichermaßen gerecht zu werden, bedeutet aus heutiger Sicht, daß Arminius zwar kein Pelagianer war, wie seine Gegner behaupteten, daß er sich aber auch von der radikalen Vorordnung der Gnade, wie Augustin sie vertrat, im Laufe der Auseinandersetzungen entfernte.« (Bieber-Wallmann, »Remonstrantenstreit«, 629). 23 Zu de Laet vgl. Rolf H. Bremmer, »The Correspondence of Johannes de Laet (1581–1649) as a Mirror of his Life«, Lias 25 (1998): 139–164.
II. Literarische Niederschläge zur historia Pelagiana und deren Entstehungskontexte
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Calvinisten war.24 Theologisch stand de Laet innerhalb des Remonstrantenstreits in Holland auf Seiten der Gegenremonstranten gegen die arminianischen Reformierten, wofür seine Monographie De Pelagianis et Semipelagianis commentariorum von 1617 das wohl deutlichste Zeugnis ablegt.25 Im ersten Teil dieser klar gegen die vermeintlichen pelagianischen und »semipelagianischen« Tendenzen bei den Arminianern ausgerichteten Schrift finden sich erstmals eine relativ umfassende Darstellung des pelagianischen Streites26 sowie Fragmente von Schriften der Pelagianer zusammengestellt.27 Es folgt im selben Teil eine an den zentralen dogmatischen Streitpunkten orientierte Darlegung und polemische Widerlegung28 der Lehren der Pelagianer – insbesondere anhand Augustins antipelagianischer Schriften –, die den ersten Teil beschließt.29 Der zweite Teil des Bandes ist ähnlich aufgebaut und befasst sich nun mit der Geschichte und Lehre der Semipelagianer und deren Widerlegung, konsequenterweise unter der Überschrift »Commentatorium de Reliquiis Pelagianae Haereseos seu de Semipelagianis«.30 Baumgarten attestiert dieser Schrift treffend, »zur Bestätigung des reformierten Lehrbegriffs der Dordrechter Synode geschrieben« zu sein.31 Im ersten Jahr der genannten Dordrechter Synode veröffentlichte nun auch der bei Heidelberg geborene, reformierte Theologe und Philosoph Gerhard Jan 24 Zur Dordrechter Synode und ihren Canones vgl. Aza Goudrian, »Dordrecht, Synod of«, in The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine. Band 2, hg. v. Karla Pollmann u. a., 897–903 (Oxford: Oxford University Press, 2013); Bieber-Wallmann, »Remonstrantenstreit«, 630–633; zu de Laet als Delegierter auf der Synode vgl. Henk Florijn, »Johannes de Laet (1581–1649) and the Synod of Dort, 1618–1619«, Lias 25 (1998): 165–176. 25 Joannes de Laet [Ioannes Latius], De Pelagianis et Semipelagianis commentariorum ex veterum patrum scriptis. Libri II. Hodiernis controversiis dirimendis peropportuni ac perquam necessarii. Accesserunt Vadiani & Cassandri quædam de eodem argumento (Harderwijk: Ex officina Thomæ Henrici, 1617). Erwähnt und rezipiert wird De Pelagianis von Arnold, KetzerHistorie, 237; Mosheim, Institutiones, 230, Anm. m; Lilienthal, Dissertatio, 10 f., Anm. *; Walch, Entwurf, 840 f. 26 Über den Verlauf des pelagianischen Streits, insbesondere orientiert an den Konzilien bis zum Edikt des Kaisers Honorius berichtet de Laet, De Pelagianis, 1–34. Darauf folgt (34–42) eine Darstellung der Streitigkeiten Augustins mit Julian von Aeclanum sowie des Konzils von Ephesus 431, und der »Überbleibsel« (reliquia) des Pelagianismus innerhalb der katholischen Kirche zur Zeit Leos I. 27 Die zusammengestellten Fragmente finden sich bei de Laet, De Pelagianis, 42–67. 28 Als deutliches Beispiel mag hier nur die Überschrift des vierten Kapitels innerhalb der Widerlegungen genannt sein: Consectaria perverso dogmatis Pelagianorum contra peccatum Originale (de Laet, De Pelagianis, 80). 29 De Laet, De Pelagianis, 67–99; behandelt werden folgende Streitpunkte: Die Erbsünde (De Peccato Originali, 67–83), der freie Wille (De Libero Arbitrio, 83–88), die Gnade Gottes (De Gratia Dei, 89–92) und zuletzt die Befähigung des Menschen zum moralisch einwandfreien Lebenswandel (De Perfectione hominum in hac vita, 93–99). 30 De Laet, De Pelagianis, 100. Der zweite Teil ist von vergleichbarer Länge (100–203) wie der erste, schließt jedoch mit einer deutlicheren Bezugnahme auf die damals gegenwärtige Kontroverse. 31 Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 493.
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A. Ausgangslage
Vossius (1577–1649)32 seine große und weitaus umfangreichere Historia Pelagia‑ na.33 In jungen Jahren zog seine Familie nach Holland, wo er unter anderem in Leiden und Dordrecht lebte, studierte und lehrte. Im Jahr 1615 wurde der universell gebildete Vossius auf Empfehlung seines arminianisch orientierten Freundes Hugo Grotius zum Direktor des Staatenkollegiums der Universität Leiden ernannt, einer Institution zur Ausbildung heranreifender Theologen. Dieses Amt verlor Vossius nach dem für die Arminianer negativem Ausgang der Dordrechter Synode,34 erst 1622 fand er an der Universität wieder eine Anstellung und lehrte Rhetorik und Griechisch. Zum Verhängnis wurde ihm seine allseits bekannte, freundschaftliche Beziehung zu dem Arminianer Grotius, aber freilich griffen ihn die strengen Calvinisten auch für einige seiner Aussagen zur Prädestination in seiner Historia Pelagiana an – die er ohnehin erst auf Bitten Grotius’ zur Zeit der Dordrechter Synode veröffentlichte. Verhält sich auch die Forschung zu Vossius zumeist recht schwammig hinsichtlich seiner Positionierung im Streit, so muss zumindest die ihm vorgeworfene Sympathie für das Anliegen der Arminianer aufgrund dieses Befundes als deutlich gesichert gelten, wenn nicht gar die Qualifizierung als Arminianer.35 Innerhalb der Historia Pelagiana schildert er eingangs wie auch schon de Laet im ersten von insgesamt sieben Büchern die Geschichte des Pelagius und die Anfänge der pelagianischen Häresie.36 Darauf 32 Zu Vossius vgl. Friedrich Koldewey, »Vossius, Gerhard Johannes«, ADB 40 (1896): 367–370; Cornelis Simon Maria R ademaker, Life and Work of Gerardus Joannes Vossius (1577–1649). Respublica literaria Neerlandica 5 (Assen: Van Gorcum, 1981). 33 Erstmals erschienen 1618; im Folgenden beziehe ich mich auf die Ausgabe Historia Pelagia na sive Historiae de controversiis quas Pelagius ejusque reliquiae moverunt, libri VII. Editio Altera, ex ipso autographo Auctoris longe auctior & emendatior (Amsterdam: Elzevirios, 1655). Rezipiert wird die Historia Pelagiana von Arnold, Ketzer-Historie, 234; Mosheim, Institutiones, 230, Anm. m; Lilienthal, Dissertatio, 3, Anm. **; Baumgarten, Abris einer G eschichte der Re‑ ligionsparteien, 108; Walch, Entwurf, u. a. 841; Schroeckh, Christliche K irchengeschichte 15, 164 f. 34 Zu den Beschlüssen der Dordrechter Synode vgl. Bieber-Wallmann, »Remonstrantenstreit«, 632. 35 Schon Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 493 vermerkte: »Voßii Schrift ist bey Gelegenheit der arminianischen Streitigkeit von der Gnade in der reformirten Kirche geschrieben.« Friedrich Koldewey attestierte Vossius eine irenische Leitlinie: »V. hatte sich infolge seines friedfertigen und allen Zänkereien abgeneigten Charakters von dem Getriebe der Parteien stets fern gehalten, aber bald nach seiner Ankunft in Leiden verbreitete sich das Gerede, daß er es mit den freisinnigen Remonstranten hielte. In den genauen Beziehungen, die ihn mit dem angesehensten Führer derselben, Hugo Grotius, verknüpften, sahen die Gegner, Gomarus und sein Anhang, eine Bestätigung des Verdachts, nahmen auch an seiner Geschichte des Pelagianismus […] heftigen Anstoß.« (Koldewey, »Vossius«, 368). Mit Quantin ist aber davon auszugehen, dass Vossius Arminianer war und innerhalb der Kontroverse eine theologische Mittelposition zwischen Augustinischen und Semipelagianischen Meinungen vertrat (vgl. Quantin, »Augustine in the Seventeenth and Eighteenth Centuries«, 86), was seine genaue Zuordnung nicht erleichtert, aber durchaus seinen irenischen Charakter betonen mag. 36 Vossius, Historia Pelagiana, 4–10 (Kapitel III, De Pelagio, ac ejus magistris & Pelagiane haeresios primis incunabulis).
II. Literarische Niederschläge zur historia Pelagiana und deren Entstehungskontexte
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folgen drei Kapitel über die von den Pelagianern bis Julian verfassten Schriften,37 anschließend die zu erwartenden Darstellung des Semipelagianismus beginnend mit Cassian.38 Erst darauf werden auch die Schriften des Hieronymus und Augustins gegen Pelagius, Caelestius und Julian sowie ausführlich weitere Schriften gegen die »Semipelagianer« angeführt.39 Abgeschlossen wird dieses erste Buch mit ausgiebigen Ausführungen über die Päpste, Konzile und Reichsbeschlüsse, die sich gegen die Pelagianer und Semipelagianer richteten.40 Die nun anschließenden Bücher 2–7 sind wie auch bei de Laet an den dogmatischen Kernstreitfragen, wie der Erbsündenlehre, dem Gnadenverständnis und der Prädestinationslehre, orientiert.41 Wie so häufig in dieser Zeit der Fall versteht Vossius die pelagianische Kontroverse als nicht abgeschlossen, sondern bis in seine Gegenwart fortwährend.42 Ferner habe sich Augustinus insbesondere von der griechisch-theologischen Tradition, aber auch seinen eigenen früheren Ansichten entfernt.43 Einige Jahre nach der Veröffentlichung der Historia Pelagiana macht sich Vossius im Jahr 1627 aufgrund äußeren Drucks von Seiten der Kirchenführung in Holland44 in seiner Schrift über die lateinischen Historiker45 als ein Anhänger der augustinischen Prädestinationslehre kenntlich – wobei diese sehr unterschiedlich interpretiert werden kann und Vossius zudem selbst betonte, dass er zwar Augustins Lehrmeinung nicht habe verdammen wollen, ja Augustinus sogar nicht im Gegensatz zu den anderen Kirchenvätern stünde, aber
37 Vossius, Historia Pelagiana, 10–30 (Kapitel IV, De iis quae Pelagius scripsit [10–22]; Kapitel V, De Caelestio, & scriptis ejus [22–24]; Kapitel VI, De Iuliano & ejus scriptis [24–30]). 38 Vossius, Historia Pelagiana, 31–53. 39 Vossius, Historia Pelagiana, 53–65. Besonders spannend für die damalige Kontroverse ist hierbei Kapitel XVI über die Augustinus fälschlicherweise zugerechneten Texte, vgl. Vossius, Historia Pelagiana, 60–62. Vossius verwirft hier aus inhaltlichen wie äußeren Gründen die Autorschaft Augustins u. a. für das Werk De pradestinatione Dei (PL 121, 12–80), welches nach heutigem Forschungsstand klar dem insbesondere durch den sog. Abendmahlsstreit bekanntgewordenen Benediktiner Ratramnus von Corbie zuzurechnen ist, der eine harte, »doppelte« Prädestinationslehre vertritt. 40 Vossius, Historia Pelagiana, 80–132. 41 Vossius, Historia Pelagiana, 134–829. Man beachte die Aufteilung der Bücher zur Gnadenlehre: Buch III, Generatim tractat de gratiae necessitate; Buch IV, Est de gratia praeveniente. 42 Dies ist freilich ein gängiges Motiv der historia Pelagiana des 17. Jahrhunderts. Auch die Canones der Dordrechter Synode bezogen sich in ihren Verwerfungen des Pelagianismus sowohl auf den »historischen« wie auch zeitgenössischen Pelagianismus in Form der Remonstranten, vgl. hierzu Bieber-Wallmann, »Remonstrantenstreit«, 632 sowie die Canones selbst in BSRK, 851 f.; 856; LXII. 43 Quantin, »Augustine in the Seventeenth and Eighteenth Centuries«, 86 zieht daraus den Schluss: »The implicit lesson of the book was that one should look for the middle ground, somewhere between Augustine and the Semi-Pelagians, which expressed the true consensus of antiquity.« 44 Vgl. Quantin, »Augustine in the Seventeenth and Eighteenth Centuries«, 86. 45 Vgl. Gerhard Johannes Vossius, De historicis latinis libri tres (Amsterdam: Maire, 1627).
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A. Ausgangslage
doch hinsichtlich der Prädestinationslehre hinzugefügt habe, was die anderen Kirchenväter überwiegend ausgelassen hätten.46 Der bereits mehrfach erwähnte Theologe und Rechtsgelehrte Hugo Grotius (1583–1645),47 der unter anderem durch seine Naturrechtslehre eine breite und langanhaltende Rezeption erfuhr, tat sich ebenfalls in der Arminianismuskontroverse durch eine Monographie hervor und veröffentlichte 1622 seine Dis‑ quisitio.48 Der bekennende Arminianer Grotius, der für seine Ansichten zu lebenslanger Haft in Holland verurteilt wurde und deshalb 1519 im Anschluss an die Dordrechter Synode nach Paris floh, legte hiermit jedoch keine weitere Darstellung des pelagianischen Streites unter geschichtlichen Gesichtspunkten vor, sondern vielmehr eine »Analyse des Verhältnisses von historischer und systematischer Theologie angesichts des Pelagianismusvorwurfes gegen die Arminianer«, wie Josef Lössl treffend beobachtet.49 Markant war Grotius’ Position dennoch, nicht zuletzt in seiner durchaus scharfen Kritik an Augustinus und dessen hitzigem Wesen in Konflikten, aber auch an den von Augustinus vermeintlich neu eingeführten Lehrmeinungen.50 Die Remonstranten verteidigte er im zeitlichen Umfeld der Dordrechter Synode hingegen gegen den Pelagianismusvorwurf und betonte, dass die Frage nach der Prädestination innerhalb der Theologie zu dem Bereich gehöre, der zur Diskussion offenstünde.51
2. Der Gnadenstreit in der katholischen Kirche Nach dieser ersten intensiven Beschäftigung mit der Geschichte des Pelagianismus im Kontext des Remonstrantenstreites unter den reformierten Protestanten Hollands und im Umfeld der Synode von Dordrecht, kommt es erst am Ende der Dreißigerjahre mit dem Gnadenstreit innerhalb der katholischen Kirche wieder zu einer intensiveren Beschäftigung mit diesem Thema – von einem »Ausreißer«, dem spanischen Dominikaner und Erzbischof von Trani und Salpi, Diego Alvarez (verstorben 1639) abgesehen, der nicht nur im Zusammenhang eines »sich zur Arminianismuskontroverse in seltsamer Parallelität entwickelnden Gnadenstreits« stand,52 sondern zugleich bereits auf die intensivierte Auseinandersetzung mit diesem Thema innerhalb der katholischen Kirche Vgl. Quantin, »Augustine in the Seventeenth and Eighteenth Centuries«, 86. Aus der Fülle an Publikationen zu Grotius vgl. Volker H. Drecoll, »Grotius, Hugo (1583–1645)«, in The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine. Band 2, hg. v. Karla Pollmann u. a., 1086–1088 (Oxford: Oxford University Press, 2013). 48 Vgl. Hugo Grotius, Disquisitio an Pelagiana sint ea dogmata quae nunc sub eo nominee traducuntur (Paris: Drovart, 1622). 49 Lössl, Julian, 2. 50 Quantin, »Augustine in the Seventeenth and Eighteenth Centuries«, 86. 51 Quantin, »Augustine in the Seventeenth and Eighteenth Centuries«, 86. 52 Lössl, Julian, 2 f. 46 47
II. Literarische Niederschläge zur historia Pelagiana und deren Entstehungskontexte
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der nächsten Jahre vorausweist.53 Schon 1629 verfasste Alvarez seine Historia de origine Pelagianae haeresis54, die vor allem der Beweisführung dienen sollte, dass die Jesuiten eine pelagianische Lehre vertraten und somit als Häretiker zu überführen seien.55 Für die Zusammenstellung dieser Schrift bediente sich Alvarez ausdrücklich bereits im Titel unter anderem bei Baronius’ Annales. Trotz seiner scheinbaren Abseitsstellung und seiner katholischen Konfession wurde seine Schrift von den protestantischen Kirchenhistorikern des 18. Jahrhunderts wahrgenommen und angeführt.56 Freilich waren die Werke der nun folgenden zweiten Phase der Beschäftigung mit dem pelagianischen Streit im 17. Jahrhundert von weitaus größerer Relevanz. Zudem scheint sich die Diskussion des Themas weiter zu internationalisieren und auch thematisch auszuweiten. Im Jahre 1639 veröffentlichte der anglikanische Erzbischof von Armagh James Ussher (1581–1656) in Dublin seine Darlegung der Herkunft der pelagianischen Häresie.57 Usshers Antiquitates wurden nicht nur später vielfach von den Kirchenhistorikern des 18. Jahrhunderts erwähnt,58 sondern standen zudem im weit verzweigten Kontext der Debatte um die allgemeine Kirchenväterrezeption, wie auch um die Rezeption Augustins im Speziellen und um die Frage nach der Existenz einer Häresie der »Prädestinatianer« in der Geschichte der Alten Kirche, die in ihren Ansichten de facto den radikalen Gegenpol zu den Lehrmeinungen der Pelagianer repräsentierten. Freilich firmiert diese Darstellung als eine Kirchengeschichte Britanniens und ist zudem von eher kompilatorischer Motivation. Das kann jedoch nicht über die bereits angesprochene Verzweigung von Ussher und insbesondere dieses Werkes innerhalb der internationalen Debatten hinwegtäu Zum Gnadenstreit vgl. Quantin, »Augustine in the Seventeenth and Eighteenth Centuries«, 84–88; ders., »Histoires de la grâce: ›Semi-pélagiens‹ et ›prédestinatiens‹ dans l’érudition ecclésiastique du XVIIe siècle«, in Europäische Geschichtskulturen um 1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession, hg. v. Thomas Wallnig u. a., 327–359 (Berlin/Boston: De Gruyter, 2012); Christoph Horn, Augustinus. BSR 531. 2. Aufl. (München: C. H. Beck, 2012), 163; Volker Reinhardt, Pontifex: Die Geschichte der Päpste. Von Petrus bis Franziskus (München: C. H. Beck, 2017), 638 f. 54 Vgl. Diego Alvarez, Historia de origine Pelagianae haeresis et eius progressa et damnatione, per plures summos pontifices et concilia facta historia, collecta ex annalibus Baronii et allis probatis auctoribus (Trani, 1629/Douay, 1635). 55 Vgl. Walch, Entwurf, 842. 56 Alvarez’ Historia wird erwähnt bei Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 493; Walch, Entwurf, 528 f. 57 James Ussher, Britannicarum Ecclesiarum Antiquitates. Quibus inserta est pestiferae ad‑ versus DEI gratiam à Pelagiano Britanno in Ecclesiam inductae Haereseos HISTORIA (Dublin, 1639). Zu Ussher vgl. R. Buick Knox, James Ussher. Archbishop of Armagh (Cardiff: University of Wales Press, 1967). 58 Usshers Britannicarum Ecclesiarum Antiquitates finden Erwähnung u. a. bei Arnold, Ketzer-Historie, 237; Lilienthal, Dissertatio, 3, Anm. **; Mosheim, Institutiones, 230, Anm. m; Walch, Entwurf, 842; Semler, »Historische Einleitung«, 286, Anm. 484 u. a.; Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 165. 53
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A. Ausgangslage
schen: Ussher schrieb seine Antiquitates in durchaus polemischer Absicht gegen die Historia Pelagiana von Vossius – welcher dem Arminianismus zumindest nahestand – um die Autorität und das Ansehen Augustins wiederherzustellen.59 Ussher setzte sich nicht nur mit der arminianischen Position auseinander, sondern grenzte sich auch von den Ansichten mancher französischen Jesuiten ab. Deren schärfste Widersacher und Kritiker waren natürlich überwiegend die Jansenisten in der Tradition des Cornelius Jansen (1585–1638),60 dessen epochales Werk, der Augustinus61, posthum 1640 in Leuven durch seine Schüler veröffentlicht wurde und die bereits zu Lebzeiten Jansens bestehende Kontroverse zusehends weiter befeuerte und den sog. Gnadenstreit entschieden prägte. Ziel Jansens wie seiner Mitstreiter war eine Reform der katholischen Kirche, seine Polemik richtet sich dabei sowohl gegen die protestantische Rezeption Augustins, vor allem aber gegen den seiner Meinung nach verbreiteten Pelagianismus innerhalb der katholischen Kirche selbst, insbesondere unter den Jesuiten.62 1642 verurteilte Papst Urban VIII. den Augustinus Jansens in seiner Bulle In eminenti als Irrlehre. Elf Jahre später kam es in der Bulle Cum occasione zur erneuten Verurteilung von fünf aus dem Augustinus abgeleiteten Sätzen durch Innozenz X.63 59 Vgl. Quantin, »Augustine in the Seventeenth and Eighteenth Centuries«, 87. Knox, James Ussher, 107 erwähnt auch Usshers 1631 veröffentlichte Gotteschalci et praedestinatione controversiae ab eo motae, historia: una cum duplice ejusdem confession, nunc primum in lucem edita (Dublin, 1631), und dass sowohl dieser, wie auch er selbst die Prädestinationslehre vertreten hätten; auch die Britannicarum Ecclesiarum Antiquitates haben in diesem Sinne deutlich »his support for this doctrine and his detestation of Pelagianism« gezeigt (Knox, James Ussher, 107). 60 Zu Jansen vgl. Lettieri, »Der katholische Augustinismus«, 638 f.; Jean-Louis Quantin, »Jansen, Cornelius«, in The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine. Band 3, hg. v. Karla Pollmann u. a., 1203 f. (Oxford: Oxford University Press, 2013); Leonhard Hell, »Cornelius Jansenius«, in Theologen des 17. und 18. Jahrhunderts. Konfessionelles Zeitalter – Pie‑ tismus – Aufklärung, hg. v. Peter Walter/Martin H. Jung, 70–87 (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2003). Zur Bezeichnung »Jansenist« und der Geschichte des Jansenismus vgl. ders., »Jansenism«, in a. a. O., 1204–1209, wo die Wahrnehmung Augustins bei den Jansenisten durch die Schwerpunktlegung auf Fragen zur Gnade und Prädestination und der daraus folgenden Charakterisierung Augustins als »the doctor of grace« als »somewhat unbalanced« bezeichnet wird (Quantin, »Jansenism«, 1208). 61 Zum Werk und Jansens Augustinusrezeption vgl. Henri de Lubac, Die Freiheit der Gnade. Band I. Das Erbe Augustins (Einsiedeln: Johannes Verlag, 1971), 58–129; Leonhard Hell, »Cornelius Jansenius«, 81–87. 62 Vgl. Lettieri, »Der katholische Augustinismus«, 638. 63 Vgl. DH 2001–2007. Zur Geschichte der Verurteilung der fünf Sätze aus dem Augustinus Jansens vgl. Dominik Burkard, »Zur Vorgeschichte der ›fünf Propositionen‹ aus dem Augustinus von Cornelius Jansenius (1649–1652)«, in Der Jansenismus – eine ›katholische Häresie‹? Das Ringen um Gnade, Rechtfertigung und die Autorität Augustins in der frühen Neuzeit, hg. v. Dominik Burkard/Tanja Thanner, 241–279. RST 159 (Münster: Aschendorff, 2014); sowie Tanja Thanner, »Zur Entstehungsgeschichte der Bulle Cum occasione. Die Zensurierung der fünf Lehrsätze durch Mitglieder des Augustinerordens«, in a. a. O., 281–309, und Lettieri, »Der katholische Augustinismus«, 643 f. Alle fünf verworfenen Sätze betreffen unmittelbar die Gnaden-, Erbsünden‑ Prädestinations‑ und Willenslehre.
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Mit dem ersten Teil des Augustinus64 bot Jansenius eine üppige historisch-theologische Darstellung des Pelagianismus unter dem Titel De Haeresi Pelagiana. Diese ist erwartungsgemäß alles andere als unpolemischer Natur:65 Sie reicht von den Wurzeln der pelagianischen Häresie bei Origenes’ »philosophischer« Paulusexegese, über die weitere Vorgeschichte und Geschichte des pelagianischen Streits und schließt bezeichnenderweise mit einem Kapitel über die Sekte der Prädestinatianer, die deutlich mit »Non esse haeresim« als erdachtes Konstrukt zurückgewiesen wird.66 Unter den Jesuiten, die im Dauerkonflikt mit den Jansenisten – auch zur Frage nach den Prädestinatianern – standen und zugleich vom Anglikaner Ussher Kritik für ihre Darstellungen erfuhren, sind besonders Jacques Sirmond und dessen Schüler Denis Pétau aufschlussreich. Jacques Sirmond (1559–1651)67 war führend in der Editionswissenschaft und Patristik engagiert, tätigte ausgiebige Bibliotheksreisen, bei denen er auf bislang inhaltlich unbekannte Handschriften stieß,68 edierte und veröffentlichte diese und zahlreiche weitere Werke, darunter die von Eusebius von Caesarea, sowie 1631 sogar vierzig echte Sermones Augustins und 1643 den umstrittenen Praedestinatus. Sirmond war es auch, der letzteren anonymen und ursprünglich unbetitelten Text benannte und Arnobius dem Jüngeren, einem in Rom wirkenden Asketen der 430er und 440er Jahre zusprach. Der Praedestinatus besteht aus drei Teilen, dessen erster eine erweiterte Fassung von Augustins De Haeresibus darstellt und als letzte und neunzigste Häresie erstmals die vermeintlichen Prädestinatianer vorstellte.69 Dieses Textkonvolut selbst will freilich keine Edition darstellen, sondern folgt der Absicht, 64 Zum Werk insgesamt vgl. Lettieri, »Der katholische Augustinismus«, 639–643, der Jansens Augustinus nicht bloß als Werk charakterisiert, »das darauf abzielte, die Aussageabsicht Augustins so getreu wie möglich darzustellen […] vielmehr verfolgt die Schrift auch das Ziel, die Kohärenz der gesamten römisch-katholischen Tradition zu erweisen«. (Lettieri, »Der katholische Augustinismus«, 641). 65 Bezeichnend ist nicht nur, dass Jansenius seinen ersten Band mit dieser Darstellung eröffnet, sondern auch dass sich diese in insgesamt acht Büchern über den gesamten Band erstreckt. 66 Vgl. Jansenius, Augustinus 1,545 f.: De Praedestinatiubus & eorum haeresi, Non esse haeresim, sed calumniam, qua Massilienses S. Augustini doctrinam infamarunt. Von einer Häresie der Prädestinatianer kann laut Jansen also gar nicht die Rede sein, sondern nur von einer Unterstellung der Gegner Augustins, mit der sie die Lehre des nordafrikanischen Kirchenvaters diskreditieren wollten. 67 Zu Sirmond vgl. Jean-Louis Quantin, »Sirmond, Jacques«, in The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine. Band 3, hg. v. Karla Pollmann u. a., 1749–1751 (Oxford: Oxford University Press, 2013) sowie die weiteren Ausführungen bei Lössl, Julian, 3, Anm. 21. 68 Sirmond veröffentlichte im Jahr 1650 u. a. auch Rufins des Syrers De Fide nach zwei Handschriften der Abtei Corbie. 69 Jacques Sirmond, Praedestinatus, praedestinatorum haeresis et libri S. Augustino temere ascripti refutation (Paris, 1643 [= PL 53, 583–672]). Der zweite Teil gibt den Traktat eines vermeintlichen Prädestinatianers über die Prädestination wieder, welcher wiederum im dritten Teil widerlegt wird; zur bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein umstrittenen Autorschaft sowie dem Aufbau und Inhalt der Schrift vgl. David Lambert, »Augustine and the Predestinatus:
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A. Ausgangslage
prädestinatianische Lehren als schändlich darzustellen und sie einer eigenen Gruppierung zuzuschreiben, zugleich aber Augustinus davon freizusprechen, selbst diese Lehren vertreten zu haben.70 Mit der Herausgabe des Praedestinatus begegnete Sirmond zugleich offen Jansens Augustinus und der darin enthaltenen Verneinung der Existenz einer Sekte der Prädestinatianer.71 Die intensiven Kontroverse um die Urheberschaft und Authentizität des Praedestinatus veranlasste Sirmond zur Abfassung einer weiterer Schrift zum umstrittenen Themenkomplex in Gestalt seiner Historia Praedestinatiana von 1648.72 In dieser schildert Sirmond die Geschichte der Prädestinatianer von ihren Anfängen bei den Mönchen von Adrumentum bis hinein ins neunte Jahrhundert.73 Beiden Arbeiten sind freilich besonders für die Erforschung der Debatte um die Existenz einer Sekte der Prädestinatianer zur Zeit des Antiken Christentums von Bedeutung – ein Thema, das Sirmond zeitlebens beschäftigte.74 Sirmonds Schüler, der unter anderem als Verfasser verschiedener Kirchenväterausgaben bekannt gewordene Denis Pétau (1583–1652), veröffentlichte 1644 erstmals seine Darstellung der pelagianischen und semipelagianischen Dogmengeschichte und folgte damit der jansenistenfeindlichen Einstellung seines Lehrers.75 Die Behandlung des Pelagianismus ereignet sich folglich im Rahmen des literarischen – und kirchenpolitischen! – Konfliktes zwischen den französischen Jesuiten und den Heresy, Authority and Reception«, Millennium. Jahrbuch zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. 5 (2008): 149–162. 70 Baumgarten bemerkt hierzu weniger differenziert: »Sirmond vom Jesuitenorden hat eine alte Schrift unter dem Namen Praedestinatus zuerst herausgegeben, darin diese Meinung Augustini und seiner Anhänger als eine Ketzerey bestritten worden; welches denn eine Menge von Streitschriften verursacht hat, ob diese Schrift ächt oder unächt sey, ingleichen wie weit sie von richtigem und erweislichem Inhalt sey;« (Baumgarten, Geschichte der Religionspart‑ heyen, 498). 71 Bereits 1633 geriet Sirmond in Konflikt mit einem der engsten Vertrauten Jansens, JeanAmbroise Duvergier de Hauranne (1581–1643), besser bekannt als Saint-Cyran, benannt nach dem Kloster, dessen Abt er war. Der von Seiten Saint-Cyrans eröffneten Polemik begegnete Sirmond mit zwei Gegenschriften, vgl. Lettieri, »Der katholische Augustinismus«, 639. 72 Vgl. Jacques Sirmond, Historia Praedestinatiana. Quibus initiis exorta, & per quos potis‑ simum profligata Praedestinatiorum haeresis olim fuerit, & oppressa (Paris: Cramoisy, 1648); wird angeführt von Mosheim, Institutiones, 231, Anm. q; Baumgarten, Geschichte der Religions‑ partheyen, 498; Walch, Entwurf, 525. 73 Vgl. hier zu auch Quantin, »Sirmond«, 1750. 74 Vgl. Quantin, »Sirmond«, 1750. 75 Denis Pétau [Dionysius Petavius], »De Pelagianorum et Semipelagianorum dogmatum historia«, in ders., Opus de theologicis dogmatibus 3 (Paris: Cramoisy, 1644) angeführt u. a. von Baumgarten (Geschichte der Religionspartheyen, 493); Christian Walch (Entwurf, 482) empfiehlt aufgrund der Parteilichkeit des Werkes stattdessen die Lektüre von Jean Leclercs Petavius-Ausgabe mit kritischem Kommentar. Lössl, Julian, 3 betont zwar den bereits modern dogmenhistorischen Anstrich des Werkes Pétaus, kritisiert aber ebenso zurecht, dass dieser es »mitunter schwierig macht, zwischen Pétaus theologischen Einsichten und historischen Darstellungen zu unterscheiden«. Zu Petavius theologischem Gepräge vgl. ausführlich Michael Hofmann, Theologie, Dogma und Dogmenentwicklung im theologischen Werk Denis Petau’s. Mit einem biographischen und einen bibliographischen Anhang (Bern u. a.: Lang, 1976).
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Jansenisten76 zunehmend über diese Werke zur umstrittenen Prädestinationslehre Augustins und deren radikal zugespitzter Form bei der vermeintlichen Sekte der Prädestinatianer. Die Existenz dieser altkirchlichen Sekte wird dabei ebenso hitzig diskutiert wie die eigentliche Prädestinationslehre. Der Grund hierfür ist simpel: Die Rezeption Augustins und seiner Theologie innerhalb der Katholischen Kirche gestaltete sich nach dem Konzil von Trient als ebenso ambivalent wie de facto ungeklärt.77 Die Hardliner unter den Jesuiten bemühten sich intensiv um den Nachweis einer bereits früh verdammten Häresie der Prädestinatianer, um die eigenen zeitgenössischen jansenistischen Gegner und zugleich Anhänger einer harten augustinistischen Prädestinationslehre der Häresie zu überführen. Kurioserweise kam es in der Folgezeit zur Frage nach der Existenz einer Sekte der Prädestinatianer auch zu verwirrenden Intrigen: So versuchte Sirmond den französischen Literaten Jean de Launoy (1601–1678)78 gegen Sirmonds Dauergegner Gilbert Mauguin (verstorben 1674), der wie er selbst Jesuit, aber den Jansenisten zugeneigt war, aufzuhetzen. Launoy, der auf dem kirchenpolitischen Parkett als deutlicher Gallikaner, und damit Befürworter einer starken französischen Nationalkirche, im scharfen Gegensatz zur päpstlichen Autorität und dessen Infallibilitätsanspruch auftrat und zugleich eine jansenistische Theologie vertrat, schloss sich aber der Ansicht Mauguins an, bestritt also ebenfalls das Bestehen einer Sekte der Prädestinatianer, wodurch Sirmonds Bemühungen scheiterten.79 Besonders deutlich wird Mauguins Position in den 1650 erschienenen Werken Veterum auctorum qui IX saeculo de Zur Vorgeschichte des Konfliktes vgl. Lettieri, »Der katholische Augustinismus«, 633–
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77 Zur ambivalenten bis unklaren Position des Katholizismus zu Augustinus im Vorfeld der Auseinandersetzungen zwischen Jesuiten und Jansenisten vgl. Lettieri, »Der katholische Augustinismus«, 633–636, der treffend beobachtet: »Auf der einen Seite hatte das Konzil von Trient die Verurteilung des Pelagianismus […] bekräftigt und dabei augustinische Wendungen benutzt, da man darauf bedacht war, die höchste theologische Autorität des Abendlandes nicht den Lutheranern und Calvinisten zu überlassen. Auf der anderen Seite sorgte die Art und Weise, wie auf Augustin zurückgegriffen wurde dafür, eine Erlösungsvorstellung zu verbreiten, die das Ergebnis der Rechtfertigung als Zusammenwirken der stets geschenkten, unverdienten Barmherzigkeit Gottes einerseits und der freien Mitwirkung des Menschen andererseits verstand […].« (Lettieri, »Der katholische Augustinismus«, 633). 78 Vgl. Jacques M. Grès-Gayer, »›L’Aristarque de son siècle.‹ Le docteur Jean de Launoy (1601–1678)«, in Papes, princes et savants dans l’Europe moderne. Mélanges à la mémoire de Bruno Neveu, hg. v. Jean-Louis Quantin/Jean-Claude Waquet, 269–285. HEMM 90 (Genf: Droz, 2007); ders., »L’électron libre du gallicanisme: Jean de Launoy (1601–1678)«, RHR 226,3 (2009): 517–543; Susanne Schurr, »Launoy, Jean de«, BBKL 4 (Hamm: Traugott Bautz, 1992): 1241–1244. 79 Der literarische Dauerkonflikt zwischen Sirmond und Mauguin zur Prädestinations‑ und Prädestinatianerfrage war auch den Zeitgenossen nicht entgangen, vgl. insbesondere Walch, Entwurf 5, 222–224, Anm. 1. Walch bemerkt über die Auseinandersetzung: »Man kann kaum glauben, mit wie viel Eifer und mit wie wenig wahrer Kritik auf beiden Theilen gestritten worden. Sirmond, Mauguin und Usher wurden wol ausgeschieben, aber nicht bereichert, noch weniger berichtiget. Endlich merkten einige rechtschaffene Männer den Fehler des Ueber-
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praedestinatione et gratia scripserunt opera et fragmenta80 sowie Vindiciarum praedestinationis.81 Obwohl sich Mauguin hier im Speziellen mit dem Streit um die Prädestinationslehre im neunten Jahrhundert befasst und eine Vielzahl an Fragmenten hierzu anführt, bietet er im zweiten Band auch eine ausführliche und ausdrücklich gegen Sirmond gerichtete Abhandlung zur Bestreitung der Existenz einer Sekte der Prädestinatianer seit dem fünften Jahrhundert unter dem Titel Vindiciarum Praedestinationis et Gratiae, Dissertatio altera, seu Accurata Historia Praedestinatianae R. P. Iac. Sirmondi Confutatio,82 innerhalb derer er Sirmonds Ausagen nicht nur Stück für Stück widerlegt, sondern die widerlegte Historia Praedestinatianae sowohl im Inhaltsverzeichnis wie auch der Kopfzeile jeder verso-Seite als »Praedestinatiana Fabula« lächerlich macht.83 Nach den Entlassungen führender jansenistischer Theologen von der Sorbonne in Paris im Jahr 1656 kam es unter dem weiterhin antijansenistischen Kurs des jesuitisch geschulten Kardinals und regierenden Ministers Jules Mazarin (1602–1661) vier Jahre später zur Schließung der zentralen jansenistischen Schule von Port-Royal. 1661 zwang Mazarin vor seinem Tod im selben Jahr alle französischen Geistlichen, die Bulle Ad Sanctam Beati Petri Sedem Alexanders VII. zu unterzeichnen, woraufhin jansenistische Geistliche Frankreich verließen.84 Nach Mazarins Tod übernahm Ludwig XIV. die alleinige Regierung des Landes und fuhr zunächst aufgrund des Krieges mit Holland einen gemäßigten Kurs gegenüber den Jansenisten, um eine innere Instabilität Frankreichs zu vermeiden. Auch die 1669 von Papst Clemens IX. angeregte Pax Clementina verschaffte den Jansenisten eine gut zehnjährige Ruhephase, wobei der Konflikt noch lange nicht beendet war. Denn 1680 sah Ludwig die Jansenisten zunehmend nicht nur als theologische Aufrührer, sondern auch als politische Gegner, sodass es im selben Jahr zu vermehrten Festnahmen kam; viele Jansenisten flohen zudem ins Ausland.
3. Die transkonfessionelle Debatte um die Autorität der Kirchenväter Innerhalb dieser Zeitspanne und noch darüber hinaus begann nun eine dritte Phase der Beschäftigung mit dem Pelagianismus und seiner Geschichte im Kontreibens, der gmacht worden: man fand, daß in einigen Sirmond und in andern Mauguin und Usher Recht habe.« (Walch, Entwurf 5, 224, Anm. 1). 80 Vgl. Gilbert Mauguin, Veterum auctorum qui IX saeculo de praedestinatione et gratia scripserunt opera et fragmenta. Band I (Paris: Billaine, 1650). 81 Vgl. Gilbert Mauguin, Vindiciarum praedestinationis et gratiae. Band II (Paris: Billaine, 1650). 82 Vgl. Mauguin, Vindiciarum praedestinationis et gratiae II, 443–690. 83 Zur Widerlegung äußert sich auch Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 498. 84 Vgl. zum Wortlaut DH 2010–2012.
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text der Diskussion um die Autorität der Kirchenväter.85 1673 veröffentlichten sowohl Henry Noris als auch Jean Garnier ihre Studien zur Geschichte des pelagianischen Streites und seiner Folgen. Henry Noris (1631–1704) war italienischer Kirchenhistoriker, Mitglied des Ordens der Augustiner-Eremiten und Kardinal mit irischen Vorfahren.86 Für die Veröffentlichung seines dreiteiligen Werkes, der Historia Pelagiana und Dissertatio de Synodo V. Oecumenica zusammen mit seinen Vindiciae Augustinianum87 in Padua holte er sich die Erlaubnis des Sanct‑ um Officium in Rom ein, wo er in hohem Ansehen stand.88 Dennoch wurde das Doppelwerk, durch das Noris schlagartig berühmt wurde, Anlass für noch über Noris’ Tod hinausragende Kontroversen: Bereits unmittelbar nach deren Publikation wurde er des Jansenismus verdächtigt, erhielt jedoch bald Rückhalt durch Benedikt XIV., was den fortwährenden Jansenismusvorwurf aber nicht verstummen ließ.89 Noris’ Absicht in diesem Werk war die konsequent durchgeführte Verteidigung Augustins und seiner Gnadenlehre.90 Das Werk und dessen einzelne Beiträge erfuhren noch über längere Zeit hinaus in unterschiedlichen Zusammenstellungen weitere Auflagen, auch in Frankreich, und waren daher besonders lang und breit wirkmächtig.91 Der französische Jesuit Jean Garnier (1612– 85 Zur Kirchenväterrezeption in der katholischen Kirche des 17. Jahrhunderts allgemein vgl. Jean-Louis Quantin, »The Fathers in Seventeenth-century Roman Catholic Theology«, in The Reception of the Church Fathers in the West. From the Carolingians to the Maurists. Band 2, hg. v. Irena Backus, 951–986 (Leiden: Brill, 1997). 86 Zu Noris und dessen Historia Pelagiana vgl. Paola Vismara, »Noris, Enrico (1631–1704)«, in The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine. Band 3, hg. v. Karla Pollmann u. a., 1455–1457 (Oxford: Oxford University Press, 2013); sowie Michael Klaus Wernicke, »Die Augustiner-Eremiten Christian Lupus und Enrico Noris im Jansenistenstreit«, in Der Janse‑ nismus – eine ›katholische Häresie‹? Das Ringen um Gnade, Rechtfertigung und die Autorität Augustins in der frühen Neuzeit, hg. v. Dominik Burkard/Tanja Thanner, 145–162. RST 159 (Münster: Aschendorff, 2014), 155–162. 87 Henry Noris, Historia Pelagiana & Dissertatio de Synodo V. Oecumenica in qua Origenis ac Theodori Mopsuesteni Pelagiani erroris Auctorum iusta damnatio exponitur, et Aquileiense schism describitur. Additis Vindiciis Augustinianis pro Libris a S. Doctore contra Pelagianos, ac Semipelagianos Scriptis (Padua: Piero Maria Frambotti, 1673). 88 Vgl. Wernicke, »Augustiner-Eremiten«, 156 f. 89 So erfuhr Noris 1695, dass seine Historia Pelagiana bei der spanischen Inquisition angezeigt wurde. Vgl. auch Wernicke, »Augustiner-Eremiten«, 159–162, der betont, dass Noris »sich stets vehement gegen den Vorwurf, Jansenist zu sein« verteidigte, er aber »mit der Tendenz der Jesuiten, die Autorität des Kirchenvaters Augustinus zu schwächen, nicht einverstanden« war (Wernicke, »Augustiner-Eremiten«, 161). Vgl. zur Augustinusrezeption Noris’ und Pelagianismusvorwürfen auch Vismara, »Noris«, 1455 f. 90 Vgl. hierzu Michael Klaus Wernicke, Kardinal Enrico Noris und seine Verteidigung Augustins. Cass. XXVIII (Würzburg: Augustinus-Verlag, 1973); sowie ders., »Augustiner-Eremiten«, 157–159. Bemerkenswerterweise begrüßte der führende Jansenist Arnauld Noris’ feine Unterscheidungen in dessen Ausführungen zur Gnade bei Augustinus, vgl. Wernicke, »Augustiner-Eremiten«, 157 f. 91 Die Zusammenstellungen sind bisweilen etwas verwirrend: Die Ausgabe Padua, 1673 enthält a) die Historia pelagiana, b) die Dissertatio historica, sowie c) die Vindicae Au‑ gustinianae. Die Pariser Ausgabe 1703 bietet neben der eigentlichen Historia Pelagiana zwei
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1681)92 war ebenfalls als Kirchenhistoriker tätig und publizierte im Jahr 1673 im ersten Teil der Werke des antipelagianischen Häresiologen Marius Mercator (ca. 390–451)93 auch sieben eigene Abhandlungen über die Geschichte des pelagianischen Streites.94 Bereits im Jahr 1648 hatte Garnier zudem den erstmals von ihm Julian von Aeclanum zugewiesenen Libellus fidei herausgegeben und sich somit auch um die Forschung zu Julian früh verdient gemacht.95 Nicht minder wirkmächtig und hinsichtlich seiner Äußerungen zu Julian auf Garnier bauend96 ist der anglikanische Geistliche und Kirchenhistoriker mit Schwerpunkt auf die Patristik William Cave (1637–1713). Dieser tat sich in den Achtzigerjahren durch mehrere für die frühe Kirchengeschichte relevante Publikationen hervor, unter diesen Ecclesiastici: or, the History of the lives, acts, weitere eingeschobene Bände Noris’, zunächst einen betitelt mit Historica Dissertatio De uno ex trinitate carne passo. Accedunt Historiae Pelagianae Henrici Noris ab anonymi scrupulis vindicae (vormals veröffentlicht 1695 und 1696 sowie in Leuven 1702). Dieser Band wiederum enthält a) die bereit bekannte Dissertatio historica, b) die Dissertatio I: de uno ex trinitate carne passo, c) Dissertatio II: Apologia Monachorum Scythiae, sowie d) die im Titel genannte Dis‑ sertatio III: anonymi scrupuli. Circa veteres Semipelagianorum Sectatores evulsi ac eradica. Es folgen e) eine erneute Wiederlegung von Aussagen des Anonymus in der Dissertatio IV: Re‑ sponsio ad appendicem, auctoris Scrupulum, f ) die Dissertatio V: Janseniani erroris calumnia sublata. Ab den nächsten Seiten ist ein weiterer Band eingebunden: Somnia Quinquaginta Fr. Macedo in Itinerario Sancti Augustini post Baptismum Mediolano Romam. Excutiebat Levi Bra‑ chio P. Fulgentius Fosseus Augustinianus Sac. Theol. Professor. Ad reverendissimum ac sapientis‑ simum patrem D. Joannem Mabillon Congreg. S. mauri ord. S. Benecicti, der vormals 1681 sowie in Antwerpen 1701 unter Noris’ Pseudonym Levi Brachio P. Fulgentius Fosseus erschien und niemand geringerem als dem gelehrten französischen Benediktiner Jean Mabillon (1632–1707) gewidmet war, der ebenfalls unter Pseudonym publizierte (Eusebius Romanus) und die Verehrung von Reliquien unbekannter Heiliger in Rom scharf verurteilte. Auch dessen kontroverse Äußerungen zu den Werken Augustins brachten ihm den Vorwurf des Jansenismus ein, wobei er jedoch von der Kirchenleitung ähnlich wie Noris gedeckt wurde. Erst im Anschluss an diese Schilderung von 50 Träumen, die Augustinus auf seinem Weg von Mailand nach Rom gehabt haben soll, folgt die Vindicae Augustinianae. 1675 erschien auch eine eigenständige Ausgabe der Vindicae Augustinianae, 1764 liegt auch eine eigenständige Ausgabe der Historia Pelagiana vor. 92 Zu Garnier vgl. Friedrich W. Bautz, »Garnier, Jean«, BBKL 2 (Hamm: Traugott Bautz, 1990): 178. 93 Zu Mercator vgl. Claudia Konoppa, Die Werke des Marius Mercator: Übersetzung und Kommentierung seiner Schriften (Frankfurt a. M.: Peter Lang, 2005). 94 Jean Garnier, Dissertationes septem, quibus integra continetur historia Pelagiana (= Appendix secunda ad primam partem operum Marii Mercatoris; Paris: Cramoisy, 1673 [= PL 48, 233.255–698]). Das Werk wird erwähnt in Mosheim, Institutiones; Baumgarten (Ge‑ schichte der Religionspartheyen, 493). Der Appendix enthält die folgenden Abhandlungen: Dissertatio I: De primis auctoribus et praecipuis defensoribus haeresis quae a Pelagio nomen accepit; Dissertatio II: De synodis habitis in causa Pelagianorum; Dissertatio III: De con‑ stitutionibus imperatorum in eadem causa 418–430; Dissertatio IV: De subscriptione in causa Pelagianorum; Dissertatio V: De libellis fidei scriptis ab auctoribus et praecipuis defensoribus haeresis Pelagianae; Dissertatio VI: De iis quae scripta sunt a defensoribus fidei catholicae ad‑ versus haeresim Pelagianorum ante obitum S. Augustini; Dissertatio VII: De ortu et incrementis haeresis Pelagianae seu potius Caelestianae. 95 Vgl. auch Lössl, Julian, 3. 96 Vgl. Lössl, Julian, 3 f.
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death and writings of the most eminent Fathers of the Church97 von 1683 sowie der erste Band der Historia Literaria98 des Jahres 1688. Wichtig ist Cave dabei für die Frage nach der Geschichte des pelagianischen Streites nur indirekt, da er seinen Schwerpunkt auf die Verteidigung der Kirchenväter gegen die scharfen Angriffe von Kritikern legte, was ihm letztlich die Kritik dieser einbrachte. Gegen Cave schrieb vor allem der gebürtige Schweizer Theologe Jean Leclerc (1657–1736) an, der nach Verlassen Genfs Frankreich, England und Holland zu Bildungszwecken bereiste und seit seiner Zeit in Amsterdam zunehmend remonstrantische Lehrmeinungen vertrat und schließlich auch am Amsterdamer Seminar der Remonstranten unterrichtete.99 Leclerc, der in seiner großen französischsprachigen Bibliothèque universelle et historique (1686–1693) den pelagianischen Streit ausführlich im achten Band behandelt, kritisierte Cave für dessen allzu positive Darstellung der Kirchenväter durch Verschweigen ihrer Fehler in dessen Historia Li‑ teraria und verwarf zugleich auch die Erbsünden‑ und Gnadenlehre Augustins.100 97 William Cave, Ecclesiastici: or, the History of the lives, acts, death and writings of the most eminent Fathers of the Church, That florisht in the forth century, wherein Among other things an Account is given of the Rise, Growth, and Progress of Arianism, and all other Sects of that Age descending from it. Together with an introduction, containing An Historical Account of the State of Paganism Under the first Christian Emperours (London: Chiswel, 1683). 98 William Cave, Scriptorum ecclesiasticorum historia literaria, a Christo nato usque ad saeculum XIV facilimethodo digesta (London: Chiswel, 1688). 99 Zu Leclerc vgl. Maria-Cristina Pitassi, »Le Clerc, Jean«, in The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine. Band 2, hg. v. Karla Pollmann u. a., 1283–1285 (Oxford: Oxford University Press, 2013); Kurt Flasch, »Jean Leclerc über Augustinus«, in Augustinus in der Neuzeit. Colloque de la Herzog August Bibliothek de Wolfenbüttel, 14–17 octobre 1996, hg. v. Kurt Flasch/Dominique de Courcelles, 243–253 (Turnhout: Brepols, 1998); sowie knapp Myriam Silvera, »Introduzione«, in Jacques Basnage. Corrispondenza da Rotter-dam 1685–1709, edita con introduzione e note a cura di Myriam Silvera. Etudes de l’Institut Pierre Bayle 29 (Amsterdam: APA-Holland University Press, 2000), LXVII f. 100 Vgl. Jean Leclerc, Bibliotheque universelle et historique. Band 8 (Amsterdam: Wolfgang, Waesberge, Boom & van Someren, 1688), 147–195 (zum pelagianischen Streit und dessen Folgen insbesondere 147–187). Leclerc informiert hier auch über Usshers Britannicarum Ecclesiarum Antiquitates. Christian Thomasius (1655–1728) besorgte 1721 eine Übersetzung der Bibliothèque in Auszügen (Christian Thomasius, Hg. Johannes Clerici Unpartheyische Lebens-beschreibung einiger Kirchen-Väter und Ketzer, namentlich Iustini Martyris, Clementis Alexandrini, Origenis, Cypriani, Prudentii, Gregorii Nazianzeni, Eusebii, Pelagii und Celestii, Aus dessen Bibliotheque Universelle ins Teutsche übersetzt, Und nebst einer Vorrede des Hn. Geh. Raths Thomasii, wie auch ausführlichen Summarien, Marginalien und Registern ans Licht ge‑ stellet [Halle: Neue Buchhandlung, 1721]) und versah diese mit einer ausführlichen Vorrede, mit der ausdrücklichen Absicht, der bereits erfolgten Übersetzung der Schriften Caves ins Deutsche entgegenzuwirken. Thomasius wettert hier besonders scharf gegen das »Praejudicium menschlicher Autorität«, also die vermeintlich insbesondere in der katholischen Kirche verbreitete Gleich‑ oder gar Höherstellung der Kirchenväter der ersten fünf Jahrhunderte mit der Heiligen Schrift. Diese Fehlannahme möchte Thomasius wieder aufdecken und eine eigene »höchstnöthige Warnung« gegen sie aussprechen. Er erkennt dabei durchaus an, das es bereits einige katholische Schriftsteller wie du Pin gab, die sich trauten, den Kirchenvätern Fehler anzurechnen, ebenso im reformierten Lager Jacques Basnage, ja selbst die Magdeburger Centurien hätten hierzu, so formuliert Thomasius zurückhaltend, »in etwas die Bahne ge-
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A. Ausgangslage
Selbiger habe ferner anfangs selbst nahezu semipelagianische Ansichten vertreten, eine dogmatisch durchaus uneinheitliche und widersprüchliche Entwicklung vollzogen und Pelagius hinsichtlich der Gnadenlehre nicht nur völlig falsch verstanden, sondern zudem noch unangebracht scharf bekämpft.101 Auch Augustins mangelnde Sprachkenntnisse des Griechischen und Hebräischen sowie seinen Gebrauch der philologisch minderwertigen lateinischen Übersetzung der Heiligen Schrift als Grundlage der Schriftauslegung werden von Leclerc offen bemängelt. Damit sollte er den Grundstein für einen gängigen Topos der Augustinuskritik legen. Kurt Flasch, der sich auf diesem Gebiet selbst erhebliches Renommee erarbeitet hat,102 bezeichnet ihn deshalb treffend als den brochen«. Nichtsdestotrotz sei durch Caves Lebensbeschreibung der Väter und deren vielfache Übersetzungen das missliche »Praejudicium« leider wieder eingeführt worden, wogegen sich aber besonders Leclerc stellte, dessen Bibliothèque Thomasius nun in einer Auswahl übersetzt vorlegt. Tatsächlich wurden Caves Schriften nicht nur mehrfach in englischer und lateinischer Sprache wiederaufgelegt, sondern auch ins Französische (La Religion Des Anciens Chrétiens, Dans les premiers Siécles du Christianisme. Tome I [Amsterdam: Desbordes, 1711]) und Deutsche (Antiquitates Ecclesiasticae, Oder Beschreibung des Lebens, Wandels und Tods, wie auch der Lehr und Schrifften der fürnehmsten Väter, welche gelebet haben im vierten Seculo [Bremen: Brauer, 1701]) übertragen. Eine Übersetzung von Leclercs Werk sieht Thomasius daher als dringend nötig an, damit »man diese Lebens-Beschreibung gegen des Herrn Cave sein Werk halten, und es ein jeder hernach selbst nach denen Regeln gesunder Vernunfft urtheilen soll, wer von beyden unpartheyischer geschrieben habe«. Spannenderweise wählt Thomasius neben den Kirchenvätern Clemens Alexandrinus, Origenes, Cyprian Carthaginensis, Prudentius, Gregor von Nazianz und Euseb als einzige dargestellte Häretiker Pelagius und Caelestius für die Übersetzung aus, worauf er in seiner Vorrede auch noch ausdrücklich hinweist. Auch Gottfried Arnold, der noch gesondert zu betrachten sein wird, grenzte sich in seiner Darstellung der ersten Christen bekanntlich von Caves Ausfassung des frühen Christentums ab, vgl. Arnold., Die Erste Liebe Der Gemeinen Jesu Christi / Das ist / Wahre Abbildung Der Ersten Christen / Nach Ihrem Lebendigen Glauben und Heiligen Leben / Aus der ältesten und bewährtesten KirchenScribenten eigenen Zeugnissen, Exempeln und Reden / Nach der Wahrheit der Ersten einigen Christlichen Religion / allen Liebhabern der Historischen Wahrheit / und sonderlich der Antiquität, als in einer nützlichen Kirchen-Historie / Treulich und unpartheyisch entworffen / Worinnen zu‑ gleich des Hn. William Cave Erstes Christentum Nach Nothdurfft erläutert wird (Frankfurt a. M.: Thomas Fritsch, 1696). 101 Vgl. hierzu u. a. Jean Leclerc, Appendix Augustiniana, in qua sunt S. Prosperi Carmen de ingratis cum notis Lovaniensis theologi; Joannis Garnerii Societatis Jesu presbyteri dissertationes pertinentes ad historiam Pelagianam; Pelagii Britanni commentarii in epistolas S. Pauli; ac denique Des. Erasmi, Joan. Lud. Vivis, Jacobi Sirmondi, Henrici Norisii, Joannis Phereponi et aliorum præfationes, censuræ, notæ, & animadversiones in omnia S. Augustini opera Tomus XII. Qui huic editioni peculiaris, undecim prioribus ex sola editione Parisiensi sine mutatione ex‑ preßis (Antwerpen [= tatsächlich aber Amsterdam]: P. Mortier, 1703) (zitiert nach Variorum exertationes in S. Augustini opera in PL 47, 197–570), 595b. 102 Vgl. insbesondere dessen scharfe Kritik an der augustinischen Gnaden‑ und Prädestinationslehre in Kurt Flasch, Logik des Schreckens. Augustinus von Hippo. Die Gnadenlehre von 397. Herausgegeben, erklärt und mit einem Nachwort versehen von Kurt Flasch. ExCl VIII. 2. Aufl. (Mainz: Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, 1995). Zu Flaschs Augustinuskritik vgl. Cornelius Mayer, »Paradigma neuzeitlicher Augustinuskritik. Kurt Flaschs Einführung in das Denken Augustins«, in Internationales Symposion über den Stand der Augustinus-Forschung vom 12. bis 16. April 1987 im Schloß Rauischholzhausen der Justus-Liebig-Universität Gießen,
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»Klassiker der Augustinuskritik«.103 Zum Kreis derjenigen, die gegenüber den Kirchenvätern und insbesondere Augustinus kritische Töne anschlugen, zählte auch ein prominenter Schüler Launoys, Louis Ellies du Pin (1657–1719),104 der Autor der voluminösen Nouvelle bibliothèque des auteurs ecclésiastiques, deren erster Band 1686 erschien und mehrfache Auflagen und Nachdrucke erfuhr.105 Im dritten Band behandelt der Gallikaner du Pin, der zwar kein Jansenist war, aber diesen nicht feindlich gesinnt gegenüberstand, nicht nur das Leben und Werk Augustins, sondern auch das Pelagius’ und Caelestius’.106 Ebenfalls zu erwähnen ist in diesem zeitlichen wie thematischen Zusammenhang der aufgrund der Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) aus Frankreich in die Niederlande geflohene, hugenottische Theologe Jacques Basnage (1653–1723),107 der fortan erfolgreich als Historiker und Diplomat des Holländischen Staates wirkte. Mit seiner Histoire de l’église depuis Jésus-Christ jusqu’à présent verfasste er einen französischsprachigen, kirchengeschichtlichen Gesamtüberblick von den Anfängen bis in seine Gegenwart, der im ersten Band von 1699 auch eine augustinuskritische Darstellung des pelagianischen Streites beinhaltet.108 Drei hg. v. Cornelius Mayer und Karl Heinz Chelius, 231–245. Cass. XXXIX /1. »Res et Signa«, Gießener Augustinus-Studien 1 (Würzburg: Augustinus-Verlag, 1989). 103 Vgl. Flasch, »Jean Leclerc«, 243 sowie weiter unten meine Ausführungen zum Appendix der Mauriner Ausgabe von 1703. Flasch betont, dass Leclerc mit Augustinus und insbesondere dessen Erbsünden‑ und Gnadenlehre hart ins Gericht geht, deshalb aber kein Anhänger des Pelagius war, sondern einige Richtigstellungen zum pelagianischen Streit traf (Flasch, »Jean Leclerc«, 252), wie, dass die Pelagianer durchaus einen Begriff von der Gnade hatten und dass die Sündlosigkeit von ihnen nur als theoretische Möglichkeit, nicht jedoch faktisch behauptet worden sei. 104 Zu du Pin vgl. knapp Silvera, »Introduzione«, LXIV. 105 Louis Ellies du Pin, Nouvelle bibliothèque des auteurs ecclésiastiques. Band 1 (Paris: Pralard, 1686). Das Werk wird u. a. angeführt von Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 515. Thomasius, Johannes Clerici Unpartheyische Lebensbeschreibung, Vorrede [2] erwähnt du Pin als einen der ersten katholischen Autoren, die sich gewagt haben, gegen die vermeintliche Fehlerlosigkeit der Kirchenväter anzuschreiben. Schroeckh zählt du Pin zu den katholischen Autoren, die Augustinus »wenigstens von gewissen Seiten, nur nicht, was seine Glaubens‑ und Sittenlehre betrifft, freyer« beurteilten (Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 515). 106 Vgl. Louis Ellies du Pin, Nouvelle bibliothèque des auteurs ecclésiastiques. Band 3 (Paris: Pralard, 1690); zu Pelagius dort 502–508; zu Caelestius 508 f.; zu Augustinus 522–691. 107 Zu Basnage vgl. Gerald Cerny, Theology, Politics and Letters at the Crossroads of Euro‑ pean Civilization. Jacques Basnage and the Baylean Huguenot Refugees in the Dutch Republic. AIHI CVII (Dordrecht: Martinus Nijhoff Publishers, 1987); E.-André Mailhet, Jacques Basnage. Théologien, controversiste, diplomate et historien. Sa vie et ses écrits (Genf/ Paris: Champion, 1976). 108 Jacques Basnage (de Beauval), Histoire de l’Église depuis Jésus-Christ jusqu’à présent. Divisée en quatre Parties. Band 1 (Rotterdam: Reinier Leers, 1699) berichtet in livre XI, Kapitel VIII und IX über Pelagius und seine Nachfolger, X über die Konzilien gegen sie; livre XII schildert schließlich die vermeintlichen Prädestinatianern. Das Werk wird angeführt in Mosheim, Institutiones; Baumgarten; Geschichte der Religionspartheyen. Bezeichnenderweise stand Basnage auch mit Leclerc in Korrespondenz; zur Korrespondenz Basnages und seiner Gesprächspartner vgl. Silvera, »Introduzione«.
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A. Ausgangslage
Jahre später erschien posthum der 13. Band der Mémoires pour servir à l’histoire ecclésiastique des six premiers siècles de L’Eglise des aus wohlhabender Familie stammenden jansenistischen Historikers Louis Sébastien Le Nain de Tillemont (1637–1698).109 Der üppige Band wurde bereits 1695 von Tillemont fertiggestellt, trägt den Titel La vie de saint augustin und war für lange Zeit eine maßgebliche französischsprachige Augustinusbiographie, die freilich auch einen Abschnitt über den pelagianischen Streit beinhaltete.110 Wie angesichts seiner jansenistischen Prägung zu erwarten, zeichnet Tillemont in diesem Werk ein äußerst positives Bild von Augustinus und betrachtete diesen als den größten aller frühchristlichen Autoren und als fortwährende Autorität der katholischen Kirche seiner Gegenwart. Die dritte Phase der intensivierten Beschäftigung mit dem pelagianischen Streit im Kontext der Debatten um die Interpretation und Autorität der Kirchenväter – insbesondere Augustins – und im Rahmen größerer Gesamtdarstellungen der Kirchengeschichte fällt zudem in den Veröffentlichungszeitraum der für die folgenden Jahrhunderte maßgeblichen Edition der Schriften Augustins, der Mauriner Ausgabe (1679–1690).111 Diese von den Benediktinern der Maurinerkongregation in Paris erarbeitete Ausgabe war angeregt und bedingt durch die intensivere Beschäftigung mit Augustinus und beförderte sie zugleich rückwirkend. Bezeichnenderweise begrüßte der führende Jansenist Arnauld dieses 1670 ein Jahr nach dem »Clementinischen Frieden« begonnene Editionsvorhaben. Im 17. Jahrhundert verwendeten protestantische Autoren bislang noch eher die mehrmals nachgedruckte und ursprünglich in Basel von Erasmus herausgegebene Gesamtausgabe der Werke Augustins (1528–1529) anstatt die jüngere aber unter ihnen verschmähte Louvanienserausgabe (1576–1577) zu nutzen.112 Dies änderte sich erst mit Erscheinen der Mauriner Ausgabe, die sich europaweit schnell unter den Protestanten als neuer Standard durchzusetzen vermochte. Zugleich löste das Erscheinen des zehnten und letzten Bandes der Ausgabe, der Augustins antipelagianische Schriften enthielt, im Jahr 1690 Proteste unter den Jesuiten aus, da durch den Abschluss der Edition mit eben 109 Zu Tillemont und dessen Augustinusrezeption vgl. Jean-Louis Quantin, »Tillemont, L. S. Le Nain de«, in The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine. Band 3, hg. v. Karla Pollmann u. a., 1806–1808 (Oxford: Oxford University Press, 2013). 110 Louis Sébastien Le Nain de Tilemont, Mémoires pour servir à l’histoire ecclésiastique des six premiers siècles de L’Eglise. Tome treizième, qui contient la Vie de saint Augustin, dans laquelle on trouvera l’histoire des Donatistes de son temps, et celle des Pélagiens (Paris: Charles Robustel, 1702). 2010 gab Frederick van Fleteren den ersten, 2012 den zweiten Band, 2015 schleßlich den dritten Band einer englischsprachigen Übersetzung heraus. 111 Zur Editionsgeschichte der Schriften Augustins vgl. Quantin, »Augustine in the Seventeenth and Eighteenth Centuries«, 84 sowie Dorothea Weber, »Handschriften-Tradition und Ausgaben«, in Augustin Handbuch, hg. v. Volker H. Drecoll, 2–7 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007), 4–7. 112 Vgl. Quantin, »Augustine in the Seventeenth and Eighteenth Centuries«, 84.
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diesen Schriften der Eindruck erweckt werden konnte, dass diese antipelagiana der krönende Abschluss der Text‑ und Gedankenproduktion Augustins seien.113 Auch die vom Leiter des Mauriner Editionsvorhabens, Thomas Blampin (1640– 1710) verfasste praefatio jenes zehnten Bandes mag hieran ihren Anteil gehabt haben,114 in der Blampin ausführlich die Vorgeschichte und den Verlauf des pelagianischen Streites einschließlich Julians und der »Semipelagianer« in Gallien referiert, ohne kritische Äußerungen gegen die Jansenisten zu beinhalten.115 Im Jahr 1700 erschien zudem in einem Zusatzband zur Mauriner Ausgabe eine nahezu unveränderte lateinische Fassung von Tillemonts La vie de saint Augustin, die mit einem Vorwort des gelehrten Benediktiners Jean Mabillon (1632–1707) versehen war – also bereits zwei Jahre vor der Veröffentlichung der französischen Fassung.116 Auch der 1700–1703 erfolgte Wiederabdruck der Mauriner Ausgabe wurde erneut um einen Appendix Augustiniana vermehrt:117 In diesem zwölften Band, der 1703 in Amsterdam gedruckt wurde, stellte der »Klassiker der Augustinuskritik« Leclerc unter seinem Pseudonym Joannes Phereponus Materialien von sich und unterschiedlichen Autoren – unter ihnen Erasmus, Noris und Sirmond – zusammen und versah diese mit weiteren Anmerkungen.118
113 Vgl.
hierzu Quantin, »Augustine in the Seventeenth and Eighteenth Centuries«, 84. Für die Herausgabe der antipelagianischen Schriften lässt sich auch das nüchterne historische Argument anführen, dass Augustinus bis zu seinem Lebensende gegen die Pelagianer bzw. Julian anschrieb. 114 Vgl. Thomas Blampin, »In tomum decimum Praefatio«, in Augustini opera omnia. Band 10 (= PL 44, 9–108). 115 Einzelne Jesuiten machten daraufhin nicht nur Stimmung gegen die Mauriner Ausgabe, sondern planten gar eine Gegenedition der Schriften Augustins zur Gnade. Diese Kampagne scheiterte letztlich, da die Mauriner starke Verbündete im französischen Episkopat und an der Kurie fanden; vgl. Quantin, »Augustine in the Seventeenth and Eighteenth Centuries«, 84, der in diesem Kontext auch das Ausmaß betont, »to which the reception of Aug. in the Roman Catholic Church was now dominated by the Jansenist controversy«. 116 Tillemont stand im engen wissenschaftlichen Austausch mit den Maurinern und hatte diesen daher sein bis dato unveröffentlichtes Manuskript der Vie de saint Augustin zukommen lassen. Tillemont zählte auch zu denjenigen, die für eine chronologisch orientierte Neuanordnung der Briefe Augustins, die bis heute maßgeblich ist, optierten; vgl. Quantin, »Tillemont«, 1807. 117 Leclerc, Appendix augustiniana, Der Text findet sich heute abgedruckt unter dem Titel Variorum exertationes in S. Augustini opera in PL 47, 197–570, gefolgt von Noris’ Vindicae Au‑ gustinianae (= PL 47,571–882). Zum Appendix vgl. auch Flasch, »Jean Leclerc« sowie Arnoud Visser, »Appendix augustiniana (1703)«, in Jesuit Books in the Low Countries 1540–1773. A Selection from the Maurits Sabbe Library, hg. v. Paul Begheyn u. a., 233–236 (Löwen: Peters, 2009). 118 Sowohl Flasch, »Jean Leclerc«, 243 wie auch Visser, »Appendix«, 235 berichten von mitunter skurrilen Maßnahmen katholischer Bibliothekare und Zensoren zur Unterbindung des Studiums dieses Bandes.
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A. Ausgangslage
III. Zusammenfassung Anhand dieses Überblicks fällt bereits quantitativ die enorme Menge an Publikationen des 17. Jahrhunderts auf, die sich mit dem pelagianischen Streit oder dem sog. Pelagianismus befassen, wobei hier auch Arbeiten angeführt wurden, die nicht bloß kirchenhistoriographischer Art sind.119 Die »großen« Monografien und ausführlichen Abhandlungen zum pelagianischen Streit scheinen damit bereits im 17. Jahrhundert verfasst, dagegen wirken die Veröffentlichungen des 18. Jahrhunderts – insbesondere der ersten Hälfe – an Stofffülle, Umfang und Ausführlichkeit auf dem ersten Blick unbedeutend. So intensiv wie innerhalb dieser Debatten des 17. Jahrhunderts wurde der pelagianische Streit wohl nie zuvor literarisch und im Diskurs aufgearbeitet. Auch qualitativ zeugen diese Arbeiten von der enormen Belesenheit ihrer Autoren, deren Sammeleifer und intensiver dogmatischer Auseinandersetzung mit den verhandelten Lehrinhalten. Es sollte aber auch der Makel deutlich geworden sein, dass die Arbeiten des 17. Jahrhunderts überwiegend aus inner‑ wie interkonfessionellen Kontroversen erwachsen sind und zumeist als polemische Kampfmittel für jeweils eine Seite fungierten – oder zumindest stark durch diese bestehenden Gegensätze bestimmt waren, sei es innerhalb der Remonstrantenkontroverse, dem Streit zwischen Jansenisten und Jesuiten oder der allgemeinen Debatte innerhalb der Patristik über die Autorität der Kirchenväter, insbesondere Augustins.120 Neben der von verschiedenen Autoren vorgetragenen Kritik an Augustinus und seiner Lehre begegnet zudem abseits der gewohnten und von Augustinus übernommenen scheinbaren Lobesfloskeln kein direktes, offenes und niedergeschriebenes Lob für den Häretiker Pelagius oder dessen Anhänger und Lehren. Das Bild von Pelagius verharrt damit im gewohnten Interpretationsrahmen. Neben der zum Ende des 17. Jahrhunderts hin anschwellenden Debatte um die Autorität der Kirchenväter im Generellen wie um Augustinus im Speziellen, spielt vor allem die Frage um Augustins Prädestinationslehre und die vermeintliche Sekte der Prädestinatianer eine zentrale Rolle für die damaligen Debatten und Darstellungen. Eher randständig findet hingegen Origenes als Urheber pelagianischer Gedanken Erwähnung. Es wird im Folgenden nicht unwichtig sein, zu betrachten, wie die Autoren des 18. Jahrhunderts im Einzelnen mit diesen Texten, ihren Entstehungskontexten und Themen umgingen, um ihre eigene Geschichte des pelagianischen Streites zu erzählen.121 119 Zudem muss beachtet werden, dass ich im Hauptteil dieser Studie nur einzelne, wenn auch repräsentative und bedeutende kirchengeschichtliche Darstellungen des 18. Jahrhunderts herausgegriffen habe, die sich mit dem pelagianischen Streit befassen. 120 Als Ergebnis des Gnadenstreits im 17. Jahrhundert für die Autorität Augustins hält Christoph Horn mit Verweis auf die Augustinuskritik des späteren 18. Jahrhunderts sogar fest: »Nach dem letzten großen gnadentheologischen Streit erlangt der Kirchenvater keine beherrschende Stellung in der abendländischen Geistesgeschichte mehr.« (Horn, Augustinus, 164). 121 Mit der Frage, wie sich die Kirchenhistoriker des 18. Jahrhunderts auf diese Texte des
III. Zusammenfassung
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Dies gilt auch für die angeführten Gesamtausgaben Augustins. Über die Bewandtnis der Entstehung und Rezeption dieser hinaus sind die Editionen für eine Untersuchung der Darstellung der pelagianischen Kontroverse im 18. Jahrhundert in erster Linie relevant für die Frage nach möglichen Textgrundlagen für die von den protestantischen Kirchenhistorikern angeführten Quellenzitate Augustins und damit auch des in den antipelagianischen Schriften Augustins zitierten Pelagius, wobei für jeden Kirchenhistoriker des 18. Jahrhunderts einzeln zu prüfen sein wird, welche der Editionen letztlich als tatsächliche Textgrundlage verwendet wurde. Man wird feststellen, dass einige der zu untersuchenden Autoren sich partiell tatsächlich stärker an der Zitatauswahl (und Argumentation!) der großen Monographien des 17. Jahrhunderts orientierten, als ein eigenes Quellenstudium betrieben zu haben.
vorangehenden Jahrhunderts bezogen, ist nicht nur gemeint, ob diese sich positiv oder negativ über sie und ihre Inhalte äußerten. Vielmehr muss zunächst die grundsätzliche Bezugsweise geprüft werden. Schließlich gibt es hierneben mehrere Arten des Umgangs: a) die bloße Nennung der Texte um deren Vollständigkeit willen oder da es sich um Standardwerke handelt. Dieser Zugang setzt im Extremfall keine wirkliche Auseinandersetzung mit den Inhalten dieser Schriften voraus; b) eine summarische Aufzählung dieser mit einer knappen Beurteilung; c) Zitate aus diesen Schriften zu unterschiedlichen Zwecken, oder d) intensive inhaltliche Rezeption innerhalb von Argumentationsgängen.
B. Aufbruch und Zwischenstationen I. Gottfried Arnolds Unpartheyische Kirchen‑ und Ketzerhistorie (1699/1700) 1. Einführung Satan hat es weit gebracht im Zeitalter der Aufklärung. Ja, in der Sicht des frommen Pfarrers Johann Gottfried Hering aus dem sächsischen Örtchen Grünhain habe er es in diesem »verderbten Seculo« sogar bewerkstelligt, »daß man uns lieber bereden wolte, es wären gar keine Ketzereyen mehr, und dahero treue Lehrer, die wieder die Irrthümer zeugen, einer Ketzermacherey beschuldiget«.1 Dabei sei doch auch im Jahr des Herrn 1756 »die Sache selbst, daß es Ketzer gebe, nicht zu leugnen, noch die Grund-Irrthümer eines Ketzerischen Menschen zu vertheidigen, oder unter die Problemata zu setzen«.2 Einer, der dies dennoch wagte und dem Satan damit ordentliche Zuarbeit leistete, war »der sehr tieff verfallene Gottfried Arnold in seiner Erz-Ketzerischen Kirchen‑ und KetzerHistorie« sowie diejenigen, »die ihme nachgefolget« waren.3 Tatsächlich wird sich noch zeigen, dass langfristig einige protestantische Theologen von Rang und Namen Arnolds Impulse für eine neue Betrachtungsweise zum Anlass nahmen, neu über die Kirche und ihre vermeintlichen Ketzer nachzudenken. Dennoch konnte man sich durchaus auch noch in der Mitte des so aufgeklärten 18. Jahrhunderts derart konservativ und polemisch wie Hering in seinem populären Compendieuse[n] Kirchen‑ und Ketzer-Lexicon äußern.4 Jenes verwerfliche Zeitalter hat den lutherischen Pfarrer geradezu dazu 1 Johann Gottfried Hering, Compendieuses Kirchen‑ und Ketzerlexicon In welchem Alle Ketzereyen und Secten, und deren Urheber und Stifter, von derer Apostel Zeiten her, wie auch die meisten geistlichen Orden angezeiget und beschrieben, darnebst auch viele zur Kirchen-Historie dienende Termini und Sachen angeführet und beschrieben, darnebst auch viele zur Kirchen-His‑ torie dienende Termini und Sachen angeführet und erklähret werden. Denen angehenden Studio‑ sis Theologiae zu Erleichterung der Theologiae Polemicae, Wie auch Ungelehrten zu einiger Be‑ stärckung in der Erkänntniß der Wahrheit zur Gottseeligkeit heraus gegeben und anjeßo mit nützlichen Registern versehn von M. J. G. H. Vierdte und nochmahls verbesserte Aufl. (Schneeberg: Carl Wilhelm Fulden, 1756), 2 [Vorrede]. 2 Hering, Ketzerlexicon, 2 f. [Vorrede]. 3 Hering, Ketzerlexicon 3 [Vorrede]. 4 Das Kompendium Herings erschien erstmals 1733 in Schneeberg und erfuhr dort in den Jahren 1734, 1744 und 1756 weitere Auflagen. Hering selbst gibt 1731 als Erscheinungsdatum in
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B. Aufbruch und Zwischenstationen
angestachelt, darin »angehenden Studiosis Theologiae zur Erleichterung der Theologiae Polemicae, wie auch Ungelehrten zu einiger Verstärkung in der Erkänntniß der Wahrheit zur Gottseeligkeit« alle Ketzereien und Sekten in bester häresiologischer Tradition vorzuführen.5 Als einer der größten Ketzer gilt dem sächsischen Pfarrer Pelagius, an dem er kein gutes Haar lässt.6 Seine kompakte häresiologische Darstellung ist dabei repräsentativ für die vor Beginn des 18. Jahrhunderts übliche Darstellungsweise und Beurteilung des Streites und der Person und Lehre des Pelagius. Sie stellt zugleich aber auch einen streng orthodoxen Traditionsstrang dar, der sich noch bis weit ins späte 18. Jahrhundert hineinzieht: Ein wahrer »Erz-Ketzer« sei dieser Pelagius gewesen, Begründer einer entsprechend ketzerischen Sekte. Zwar sei er ein Mann von großem Verstand gewesen, aber »durch den eitlen und übeln Gebrauch der Philosophie in Irrthümer gerathen« – Augustinus und Johannes Chrysostomus mussten »bitterlich darüber weinen, als sie von seinem Abfall hörten«.7 Seine Irrtümer bestanden darin, den Tod nicht als Sündenfolge zu verstehen, den Menschen von Natur aus einen freien Willen zum Guten zuzusprechen und die Erbsündenlehre zu verwerfen; ferner könne Gott zwar die Beschaffenheit der menschlichen Natur, nicht aber deren Gerechtigkeit und Heiligung angerechnet werden, da diese aus dem Menschen selbst hervorgingen.8 Das habe Pelagius durch Männer, welche selbsttätig einen Zustand der morader Vorrede der vierten Auflage von 1756 an (im Folgenden zitiert nach dieser), die Angabe wird allerdings fehlerhaft sein, vgl. Hering, Ketzerlexicon, Vorrede S. 5. Eine fünfte Auflage erschien 1789 in Stendal unter dem Titel Kurtzgefasstes Kirchen‑ und Ketzer-Lexicon. Merkwürdigerweise erschien das Lexikon unter anonymer Verfasserschaft, lediglich die Initialen J. G. H. wurden gegeben, anhand derer sich Johann Gottfried Hering benennen lässt, vgl. Michael Holzmann/ Hanns Bohatta, Hgg., Deutsches Anonymen Lexikon 1501–1850. Band 6 (Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1911), Nr. 6159. Er gibt sich zudem als Autor der Vorrede der vierten Auflage zu erkennen, bestreitet dort aber wenig überzeugend jegliche Verfasserschaft für den Haupttext und gibt sich lediglich als Herausgeber des Werkes: »[Mir ist] nicht nur niemahls im Sinn gekommen, Bücher zu schreiben, sondern auch, wenn ich mir dergleichen vorgenommen hätte, dieses gewiß meine letzte Arbeit würde gewesen seyn, da ich meine Schwäche in der Kirchen-Historie gar wohl weiß; nachdem ich aber hören müssen, daß einige meiner bekannten guten Freunde mich, vielleicht, weil die Anfangs-Buchstaben meines Nahmens, ich weiß nicht warum, auf den Titel gesetzet worden, für den Autoren dieses Lexici gehalten, da ich doch heilig versichern kann, daß ich es nicht eher, als bis es schon gedruckt gewesen, gesehen […].« (Hering, Ketzerlexicon, 5 f. [Vorrede]). Abseits der doch unwahrscheinlichen zufälligen Übereinstimmung der Initialen und der daraus folgenden Absurdität, dass Hering sich in der Vorrede zu erkennen gibt, aber als Herausgeber herausredet, deuten auch der allgemein fromme, wenig akademische Ton und der polemische Stil der Vorrede, die sich übereinstimmend in den einzelnen Artikeln wiederfinden, zweifelsfrei auf dessen Autorenschaft des gesamten Kompendiums. 5 Damit spricht sich Hering freilich gegen eine damnatio memoriae der Ketzer aus, schließlich gäbe es, mit 1 Kor 11,19 gesprochen, immer wieder entsprechende »Rotten« in der Kirche und die Kenntnis über diese müsse zu derer Bekämpfung und der Förderung des Wort Gottes vermehrt werden, vgl. Hering, Ketzerlexicon, 4 f. [Vorrede]. 6 Vgl. Hering, Ketzerlexicon, 448–453. 7 Hering, Ketzerlexicon, 449. 8 Vgl. Hering, Ketzerlexicon, 450.
I. Gottfried Arnolds Unpartheyische Kirchen‑ und Ketzerhistorie (1699/1700)
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lischen Vollkommenheit erlangten, bestätigt gesehen, »welches mit der Apathia oder Befreyung von allen Affecten überein stimmet, welche die Stoici ihrem Sapienti zueigneten«.9 Konsequent habe er daher die Gnade Christi geleugnet, und betont, dass wir Menschen »durch die natürliche Kraft unsers eignen freyen Willens die Seeligkeit erlangen können«.10 Pelagius selbst ging nach der Flucht aus Rom und dem kurzen Aufenthalt in Nordafrika nach Palästina und stellte sich bei der Anhörung in Diospolis durch die Bischöfe derart geschickt an, »daß Er sie durch sine zweydeutige Antwort und verstellte Demuth betrog«.11 Wie schändlich sein Charakter war, wird Hering auch daran ersichtlich, dass Pelagius »eine Verfolgung wider den Hieronymum« in die Wege leitete und mittels seiner vier Bücher vom freien Willen versuchte, »Augustinum mit List zu hintergehen«.12 Nachdem Pelagius aber schlussendlich verurteilt und ins Exil geschickt wurde, will Hering noch gewusst haben, dass Pelagius »sich in sein Vaterland begab, und fast gantz Britannien mit seinem Geiste ansteckte«.13 Hering stand mit seiner derartig einseitigen und bisweilen arg spekulativen Darstellung,14 die nicht auf Quellen, sondern auf seit Jahrhunderten tradierten Vorurteilen und Gerüchten basierte, bei weitem nicht allein da, sondern dürfte wohl als repräsentativ für einen konservativeren Strom in Folge der Magdeburger Centurien gesehen werden.15 Von diesem konservativen Grundschema der Darstellung des pelagianischen Streites aus lässt sich nun der gewaltige Paradigmenwechsel, den Gottfried Arnold mit seinem Hauptwerk, der Unpartheyischen Kirchen‑ und Ketzerhistorie von 1699/1700 in Hinblick auf die Darstellung der Kontroverse losgetreten hat, bestens nachzeichnen.16 Zugleich wird daran im Folgenden ersichtlich, wo Arnold bisherigen Darstellungsweisen und Denkmustern verhaftet bleibt, aber eben auch wegweisend für das Beschreiten neuer Pfade wurde. Mit der Ketzer-Historie richtet sich Arnold an eine breite Leserschaft, sowohl interessierte Laien und Gebildete, als auch die Gelehrtenschaft sollten erreicht 9 Hering,
Ketzerlexicon, 450. Ketzerlexicon, 450. 11 Hering, Ketzerlexicon, 451. 12 Hering, Ketzerlexicon, 451. 13 Hering, Ketzerlexicon, 452. 14 So will er nicht nur wissen, dass es Pelagius nach dessen Exilierung in dessen Heimat verschlagen habe, sondern auch, dass er in jungen Jahren in Rom Mönch geworden sei, vgl. Hering, Ketzerlexicon, 449. 15 Noch die Lemmata »Pelagius, ein Ertz-Ketzer« und »Pelagianer« in Zedler, UniversalLexicon 27, 150 resp. 153–155 von 1741 zeugen von der fortwährenden konservativen Sicht auf den Streit in der ersten Hälfe des 18. Jahrhunderts. 16 Freilich sei für diese Untersuchung zu beachten, dass Arnold noch inmitten der eingangs beschriebenen Augustinusrezeption und Darstellungen des pelagianischen Streites des 17. und frühen 18. Jahrhunderts steht, mit denen er wohl vertraut war, und sich bei diesen in seiner Ketzer-Historie an nicht wenigen Stellen bedient; insbesondere Vossius’ Historia Pelagiana ist ein von Arnold häufig genutztes Werk. 10 Hering,
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werden. Das drückt sich im Aufbau und Stil der Ketzer-Historie aus: Sie ist in deutscher Sprache verfasst und daher für eine breite Leserschaft verständlich. Auch die reichlichen Zitate frühchristlicher Autoren wie Augustinus und Pelagius liefert Arnold den Lesern in Übersetzung. Zugleich wird ein gewisser wissenschaftlicher Standard mit Fußnoten, welche die Zitate entsprechend nachweisen, sowie mit Verweisen auf die Literatur zum Thema angestrebt. Man wird feststellen, dass Arnold neben der Nutzung der Annales Ecclesiastici einige Passagen seiner Darstellung stark an der Argumentation von Vossius in dessen Historia Pelagiana anlehnte, sowie angeführte Quellenzitate aus selbiger entnommen hat.17 Was Arnolds Werk so relevant und besonders macht, war dessen bereits im Titel verankerter Anspruch auf Unparteilichkeit. Der Begriff steht bei Arnold in erster Linie für den überkonfessionellen Standpunkt des Verfassers jenseits der konfessionellen Parteien. Damit will er zudem den individuellen Blick‑ und Standpunkt der einzelnen »unparteiischen« wahren Christen jenseits dieser Konfessionskirchen einnehmen, also der wahren Frommen, seien es Märtyrer, Mystiker oder vor allem Ketzer. Hering hat das durchaus ganz richtig in seinem Spott erkannt, wenn er in seiner Anführung des Titels der Ketzer-Historie das programmatische Adjektiv »unparteiisch« durch »Erz-Ketzerisch« austauscht. Die Unparteilichkeit ist bei Arnold insofern keineswegs unparteilich und wird erst recht nicht dem modernen Anspruch auf Objektivität oder Neutralität gerecht. Der Bezug auf das Individuum ist aber nicht nur durch die Perspektive des Verfassers gegeben, sondern auch durch das, worauf er seinen Blick richtet.18 Denn im Vergleich mit älteren Kirchengeschichtsdarstellungen wie den Magde burger Zenturien19 verlagert Arnold den Schwerpunkt von der Darstellung der Lehre und Institutionen auf die einzelnen Persönlichkeiten und gewinnt damit einen individualistischen Zugang zur Kirchengeschichte.20 Dieses Individualisierungsmoment wird sich auch in der Darstellung des Pelagius zeigen – die 17 Vgl.
Moeller, Kirchengeschichte, 744. Zur doppelten Bedeutung des Begriffs »unparteiisch« bei Arnold vgl. Beutel, Kirchen‑ geschichte, 217 f.; Schmidt, »Arnold, Gottfried«; Moeller, Kirchengeschichte, 739 f. Durch diesen Anspruch auf Unparteilichkeit sei Arnold, Moeller zufolge, aber dazu veranlasst worden, »auch seine Sympathie für die Ketzer und Frommen durchaus zu begrenzen und zumal deren Lehren sowie ihre Vergemeinschaftungen eher mit Vorbehalt zu betrachten«. (Moeller, Kir‑ chengeschichte, 740). 19 Wie auch die Magdeburger Centurien gliedert sich Arnolds Ketzer-Historie konservativ nach Jahrhunderten; innerhalb der Jahrhunderte teilt er nach den immer gleichen fünf thematischen Blöcken ein. Auch innerhalb der Darstellung der »Ketzer« findet sich eine recht starre Darbietung, die sich nach kurzen biographischen Daten auf das Abarbeiten dogmatischer Loci beschränkt. Strukturell ist damit auch die Darstellung des Pelagius wenig innovativ und leidet unter einer mangelhaften Nachzeichnung der historischen Zusammenhänge. 20 Vgl. Moeller, Kirchengeschichte, 736. 18
I. Gottfried Arnolds Unpartheyische Kirchen‑ und Ketzerhistorie (1699/1700)
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bezeichnenderweise mit seinem Namen, nicht aber mit »pelagianischer Streit« oder vergleichbarem Titel überschrieben ist. Den »Ketzern« gilt, wie dem Leser schon sehr augenfällig der von Hering ins Lächerliche gezogene Titel vermittelt, in der Ketzer-Historie Arnolds ein besonderes Augenmerk. Häufig wurde in der orthodoxen Kritik, wie der Herings, die Meinung vertreten, dass Arnold konsequent die üblichen Bewertungen von Ketzern und Orthodoxen umkehrt, die Ketzer als die wahren Christen und die Orthodoxen als die unchristlich agierenden Ketzermacher zeichnet. Wieweit dies zutrifft, wird noch zu prüfen sein.
2. Wahre Christen: die Pelagianer 2.1. Pelagius’ Eifer für das wahre Christentum gegen das »Heuchelwesen« seiner Zeit Die Ketzer-Historie bietet direkt zu Beginn der Darstellung des pelagianischen Streites eine Spitze gegen die sogenannten »Orthodoxi«, setzt damit den Grundton für die folgende Darstellung und offenbart zugleich Arnolds grundlegendes antagonistisches Denkschema von Orthodoxen und Ketzern: »WJr haben schon oben vernommen, dass die meisten so genannten orthodoxi dieser zeit meistens mehr verdienet gehabt, unter die kätzerrolle zu kommen, als die andern, welche von ihnen sind verdammet worden.«21 Nahezu widerwillig verhandelt Arnold das Thema unter der Darstellung der Häresien, nur »der angefangenen methode zu folge«.22 Der Konvention und Gewohnheit verpflichtet verwendet er für Pelagius und seine »vornehmste[n] Freunde« dabei überwiegend, aber nicht konsequent, den Sammelbegriff »Pelagianer«, bemüht sich aber auch, diesen in ihrer Lehre differenziert gerecht zu werden.23 Daher findet der Sammelbegriff »Pelagianer« keine Anwendung als Titulation einer Häresie. Es fällt ohnehin auf, dass sich Arnold weder hier noch an späterer Stelle in der Ketzer-Historie zur Beschreibung des Pelagius und der Pelagianer eines polemischen Stils oder häresiologischer Motive bedient. Arnolds Sprachgebrauch ändert sich hingegen in den Verteidigungsschriften ab 1703 teilweise drastisch, dort allerdings eher gegen einen allgemeinen »Pelagianismus« gerichtet.24 Zur dogmengeschichtlichen Entwicklung und Herkunft der Theologie des Pelagius stellt Arnold keine großen Vermutungen an. Er erwähnt lediglich ohne Arnold, Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 29,28–31). Arnold, Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 29,32). 23 Vgl. hierzu beispielsweise Arnold, Ketzer-Historie, 234, § 2. Arnold vermerkt im vierten Teil der Ketzer-Historie nach einer deutschsprachigen Übersetzung der Definitiones Caelestius’, dass zu oft nicht zwischen den Meinungen der einzelnen Pelagianer unterschieden werden könne, dies aber von den wenigsten Gelehrten beachtet werde. 24 Siehe unten S. 104 f. 21 22
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weitere Erörterungen oder Belege, Pelagius sei »in Syrien seiner profession nach ein Mönch gewesen«.25 Hieran schließt unmittelbar die Erwähnung des Lobes von Seiten der »Orthodoxi« für Pelagius’ moralisch einwandfreien Lebenswandel als gängiges Motiv vieler Darstellungen des Streites an, womit Arnold soweit dem gängigen Schema verhaftet bleibt – wenn es hier auch gegen die Gegner des Pelagius und seine orthodoxen Zeitgenossen ins Feld geführt wird. Diese »Orthodoxi« gestünden nämlich ein, dass Pelagius »vor großem eifer im Christentum gleichsam gebrant gehabt« und dass er »in großer übung der gottseeligkeit und gedult gelebet«, ja gar »sein leben von so vielen gerühmet worden«.26 Arnold wird konkreter und benennt die Lobenden: »Ja es haben ihn die grössesten Lehrer als Paulinus Nolanus, Chrysostomus, Augustinus und andere zu erst seiner heiligkeit wegen hoch und werth gehalten. (d) Insonderheit gestehet dieser letztere von ihm ein keusches leben und löbliche sitten, und wie er nach Christi befehl alles, was er gehabt, verkauffet habe. (e) Imgleichen, daß er ein heiliger mann, der im Christentum weit gekommen, kurz: ein guter Christ gewesen (f ).«27
Arnold stellt den vermeintlichen Ketzer somit pointiert als guten Christen heraus, was selbst die großen Kirchenväter haben eingestehen müssen. Dass dies jedoch nur »zu erst«, also vor dem Ausbruch des Streites der Fall war, muss ihm allerdings verwerflich erscheinen, da sich Pelagius’ christliche Motivation und daraus resultierende moralische Integrität bis auf dessen Hauptlehrsätze erstreckte: »Daß es aber bey ihm nicht heuchelen und lobbegierde, sondern ein grosser ernst gewesen seyn muss, erkennet man nicht allein aus seiner hauptlehre, darauff er aus großem eiffer wider das heuchelwesen der damaligen Christen, und aus liebe zum wahren Christentum gerathen ist, wie die Theologi selber bekennen. (g) Sondern man siehets auch aus andern seiner lehren, darinnen er sich einfältig nach Christi klaren worten gerichtet und deswegen von den anderen heuchlern verworffen worden.«28 25 Arnold,
Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 30,12 f.). Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 30,13–17). 27 Arnold, Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 30,18–24). Die folgend in Klammern gesetzten Buchstaben geben getreu dem Text Arnolds die Fußnotenverweise wieder und beziehen sich jeweils auf den vorangehenden Satz: (d) Aug., init. Ep. ad Pau‑ linum; (e) Aug., pecc. mer. 2,16 (CSEL 60, 97,20–98,20 Urba/Zycha); (f ) Aug., pecc. mer. 3,1 (CSEL 60, 129,6–7 Urba/Zycha) und 3,5 (CSEL 60, 131,25 f. Urba/Zycha). Freilich sind aber diese Paraphrasen aus den Schriften Augustins völlig aus ihrem Kontext gerissen, in welchem sie eine andere Funktion als die der Betonung des moralisch einwandfreien Lebenswandels des Pelagius verfolgen; dort dienten sie der Untermauerung der folgenden Angriffe auf Pelagius durch Herausstellen der scheinbaren Gewogenheit gegenüber Pelagius, der aber leider vom rechten Pfad abgekommen sei. Hier hingegen verwendet sie Arnold zum alleinigen Aufzeigen der Gottseligkeit des Pelagius. 28 Arnold, Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 30,25–33). Mit den Theo‑ logici zielt Arnold, wie er in seiner Fußnote belegt, nicht etwa wieder auf die vorangehend angeführten Kirchenväter, sondern ganz konkret auf lutherisch-orthodoxe Theologen und 26 Arnold,
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Arnold referiert hiermit nicht mehr die Position der Zeitgenossen des Pelagius, sondern seine eigene Meinung. Der eingangs erwähnte Verdacht der Heuchelei oder der Gier nach Lob wird nicht nur ausdrücklich zurückgewiesen, sondern auf die Gegner des Pelagius zurückgeworfen, wenn er vom verbreiteten »Heuchelwesen«, das Pelagius bekämpfen wollte, und den »andern heuchlern« spricht, die die an Christi Worten orientierten Lehren des Pelagius verwarfen. Zugleich stellt er die große Ernsthaftigkeit, mit der Pelagius sein Anliegen verfolgte, heraus. Diese möchte Arnold anhand der theologischen Lehrmeinungen des Pelagius belegen, zunächst mit der hier vorerst nicht genauer definierten »Hauptlehre« des Pelagius: Letztere habe Pelagius nämlich als einen Gegenimpuls zum verkommenen Christentum des fünften Jahrhunderts und aufgrund seiner Liebe zum wahren Christentum hervorgebracht. Die Verwendung des Verbs »gerathen« in Arnolds oben zitierter eigener Formulierung darf im Sinne eines nötigen Findungsprozesses, ja einer zwingenden Kausalität verstanden werden: Der Liebhaber des wahren Christentums kann gar nicht anders, als im Gewahrwerden solcher skandalösen Zustände des Christentums entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten und damit all diejenigen, die sich der Laxheit ergeben haben, vor den Kopf zu stoßen. Es ist nicht zu weit hergeholt, sich hier an Arnolds eigene Lebensumstände, seien es die Auseinandersetzungen mit der Orthodoxie oder seine Erfahrungen an der Gießener Fakultät, erinnert zu fühlen.29 Auch der Begriff »Eifer« zur Beschreibung der Motivation des Pelagius ist nicht verweist ausdrücklich auf Christian Chemnitz’ »Liber de libero arbitrio«, das dem Locus »de humanis viribus seu de libero arbitrio« in Chemnitz’ Loci Theologici, reverendi et clarissimi viri, D. Martini Chemnitii, sacrae theologiae doctoris, atque ecclesiae brunsvicensis quondam Superintendentis fidelißimi. Quibus et loci communes D. Philippi Melanthonis perspicuè ex‑ plicantur, & quasi integrum Christianae doctrina Corpus, Ecclesiae Dei syncerè proponitur. Editi nomine haeredum, opera et studio Policarpi Leiseri D. Successoris ipsius (Frankfurt a. M.: Spieß, 1591) entspricht. Darin bemerkt Chemnitz über Pelagius: »Erat amans disciplinae, et videbat flagitiosam ignaviam inter Christianos.« (Chemnitz, Loci theologici, 218r). 29 Bereits Arnolds, Die erste Liebe der Gemeinen Jesu Christi von 1696 verdeutlicht dessen Kritik an Formen kirchlicher Organisation und der Orthodoxie. Diese Schrift, wie auch Arnolds enorme Belesenheit hinsichtlich der frühchristlichen Autoren brachten ihm den Ruf als Professor für Geschichte an die Universität Gießen ein. An dieser hatte sich zuvor um 1688 eine starke pietistische Fraktion etablieren können, unter der Herrschaft und vorläufigen Billigung des Landgrafen Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt (Zum Pietismus an der Universität Gießen und in Hessen-Darmstadt vgl. Friedhelm Ackva, »Der Pietismus in Hessen, in der Pfalz, im Elsaß und in Baden«, in Geschichte des Pietismus. Band 2: Der Pietismus im 18. Jahrhundert, hg. v. Martin Brecht u. a., 198–224 [Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1995], 203). Seit 1695 befand sich die Universität schließlich fest in pietistischer Hand, vgl. Schneider, »Gießen«, 269. Arnolds Amtsantritt fand 1697 statt, doch bereits ein Jahr später legte er das Amt, frustriert von seiner Erfahrung mit den dortigen Kollegen, nieder, begleitet von seiner populären Flugschrift Offenherziges Bekenntnis, welche bey unlängst geschehener Verlassung eines academischen Amtes abgelegt worden (Frankfurt a. M.: Thomas Fritsch, 1700). In dieser Schrift bekundete Arnold seinen »Ekel vor den hochtrabenden, ruhmsüchtigen Vernunftswesen des akademischen Lebens«. (vgl. Wallmann, Pietismus, 155).
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negativ konnotiert, sondern als Eifer für das wahre Christentum durchaus positiv aufzufassen.30 2.2. »Lehren aus Christi worten« bei Pelagius Neben der noch nicht näher definierten Hauptlehre des Pelagius sind es auch seine Nebenlehren, die gemäß Arnold dessen Einsatz für das wahre Christentum belegen. Arnold qualifiziert sie als rechte Lehren, da Pelagius sich »einfältig«, also ohne dogmatische Verfremdung und Überformung, an den klaren Worten Christi orientiert habe. Arnold lastet Pelagius somit nicht die Hybris an, das menschliche Vermögen aus Hochmut gegen die Gnade Gottes betont zu haben, sondern zeigt im Gegenzug Pelagius’ einfältige Demut und daraus resultierende Lehre sowie Liebe für das wahre Christentum auf, die sich gegen die moralische Verdorbenheit der Christenheit im fünften Jahrhundert richteten. Nicht ohne Grund spricht Arnold daher in diesen Nebenlehren von »Lehren aus Christi worten«.31 Alle unter diese Bezeichnung fallenden Nebenlehren des Pelagius seien jedoch von den »Orthodoxi« als häretisch angesehen worden. Zunächst führt Arnold Pelagius’ Reichtumskritik an, die Pelagius den Schriftstellen Mt 19,23 bzw. Mk 10,24 entnahm: »Ein reicher wenn er seinen reichthum behalte, und ihn nicht verläugne, könne also nicht ins reich GOttes eingehen.«32 Diese und eine vergleichbare Aussage des Caelestius33 mussten sogleich die Missgunst der etablierten und wohlhabenden Priesterschaft hervorrufen und zu entsprechenden Verurteilungen führen, wie Arnold bissig anmerkt, denn: »Dieses stunde den reichen Bischöffen, Praelaten und Pfaffen schon nicht an, und dahero hatten sie hohe zeit, daß sie solche sätze als kätzerisch verwarffen, ehe sie ihre zusammen gescharrte schätze hingeben müsten.«34 30 Wenn Arnold den Begriff »Eifer« im negativen Sinne verwendet, kombiniert er diesen meist mit entsprechenden Begriffen oder Kontexten, wie exemplarisch in den Komposita »Zorn-eiffer« oder »unter dem Vorwand des religions-eifers«, vgl. Arnold, Ketzer-Historie 2, Additamenta, 21, Nr. 35 f. 31 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 30,31 f.). Beachtenswert ist für die Frage nach der Darstellung und Rezeption des pelagianischen Streites im nachfolgenden auch, dass an so früher Stelle im Text Lehraussagen angeführt werden, die in sonstigen Darstellungen des Pelagius oder des pelagianischen Streites entweder gar keinen Raum finden (u. a. Frauen im Gottesdienst, Eidesverweigerung) oder deutlich der Frage nach der Gnadenlehre untergeordnet sind (Reichtumskritik). 32 Arnold, Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 30,37 f.). 33 »Wenn ich das geld lieb habe, und alles tichten meines willens darauff richte, so kann ich dem HErrn nicht dienen, weil geschrieben stehet, niemand kann 2 herren dienen.« (Arnold, Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 31,2–5); das Zitat stammt aus div. leg. 6 (PL 30, 112A; von Arnold angeführt nach der 1516 in Basel erschienen Hieronymus-Ausgabe des Erasmus, Band 4, 59). Zur pelagianischen Reichtumskritik vgl. Andreas Kessler, Reichtums‑ kritik und Pelagianismus. Die pelagianische Diatribe de divitiis: Situierung, Lesetext, Überset‑ zung, Kommentar. Par. 43 (Freiburg, Schweiz: Universitätsverlag, 1999), 53 f. 34 Arnold, Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 31,5–8).
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Es ist daher nicht zu weit gegriffen, wenn man konstatiert, dass Arnold primär das kirchliche Establishment, und nicht etwa moralisch verkommene Laien, mit dem vermeintlichen »Heuchelwesen« des damaligen Christentums gleichsetzt. Seine wohl eindeutigste Qualifizierung dieser Priesterschaft, die sich gegen Pelagius’ schriftgemäße Reichtumskritik stellt, lautet jedoch im Anschluss an dieses Beispiel schlicht und einfach: »gottlos«.35 Die Priesterschaft hat Pelagius nicht etwa aus Sorge um die rechte, schriftgemäße christliche Lehre als Häretiker verdammt, sondern allein aus Gier und Sorge um ihr eigenes Wohl und Haben. Als nicht minder »gottlos« sieht Arnold die Verdammung der pelagianischen Zurückweisung modischer Kleidung (»Kleiderpracht«), besonders unter der Priesterschaft, an.36 Zur Habgier unter der Gegnerschaft des Pelagius gesellt sich somit auch die Eitelkeit. Dabei haben die »Orthodoxen« selbst widerwillig zugeben müssen, dass »die hoffart unter ihren Christen so sehr zunahm«.37 Dies belegt Arnold mit Verweis auf den hier ganz mit Pelagius auf einer Linie stehenden Hieronymus.38 Neben solchen »orthodoxen« Zeitgenossen sei Pelagius auch von »verständigen und gelehrten leuten« – Arnold nennt hier ausdrücklich Erasmus und Vossius – in seiner Kritik an der Eitelkeit mancher Christen entschuldigt worden.39 Die Berechtigung zur Zurückweisung schmuckreicher Kleidung sieht Arnold auch in dem aus »gehorsamen, Gottbegierigem hertzen« stammenden Bekenntnis der Pelagianer zur Nachfolge Christi in der Armut, womit er zugleich den Bogen zur eingangs angeführten Reichtumskritik spannt.40 Wie man Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 31,9). »Eben so gottloß war es gehandelt, wenn man auch dieses als kätzereyen an ihnen verdammete, daß der kleiderpracht Gott zuwider sey, sonderlich aber an den Priestern.« (Arnold, Ketzer-Historie, 234 [= Moeller, Kirchengeschichte, 31,9–11]). 37 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 31,13 f.). 38 Hieronymus selbst zählt zu den Gegnern solcher nach außen getragener Eitelkeiten und ist zudem selbst Vertreter eines asketischen Christentums. Ohnehin finden sich zwischen seinen und Pelagius’ Lehrmeinungen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede, wofür die Tatsache bezeichnend ist, dass Pelagius’ Epistula ad Demetriadem für lange Zeit auch unter dem Namen Hieronymus’ tradiert wurde, vgl. Greshake, »Einleitung«, 40. 39 Arnold führt als Beleg Vossius, Historia Pelagiana, (Liber V, P. II appendix), 532 an. Auch den Verweis auf Erasmus hat Arnold aus diesem appendix zum fünften Buch unter dem Titel De aliis ad actualem vitam pertinentibus, ab Hieronymo in Pelagio damnatis entnommen; vgl. Vossius, Historia Pelagiana, 531–536, insbesondere 531 f. Ohnehin orientiert Arnold sich hier stark an Vossius’ Vorarbeit. 40 Arnold, Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 31,17). Arnold bietet hierzu aus dem anonymen pelagianischen Traktat de divitiis 10,1 (Kessler, Reichtumskritik, 274,1–3; Arnold bezog sich auf die Ausgabe Marguerin de la Bigne, Maxima Bibliotheca Veterum Patrum, et antiquorum scriptorum ecclesiasticorum. Band 5 [Lyon: Anissonios, 1677], 794) eine Paraphrase: »Man müsse Christo nachfolgen in armuth und nicht im reichthum, in demuth und nicht in ehren u.s.f.«. Zu den Spekulationen über die Autorenschaft des Textes vgl. Kessler, Reichtumskritik, 104–144; Peter Brown, Der Schatz im Himmel. Der Aufstieg des Christentums und der Untergang des römischen Reiches (Stuttgart: Klett-Cotta, 2017), 461 f.; zur Kontextualisierung christlicher und speziell pelagianischer Reichtumskritik in der Spätantike vgl. Kessler, Reichtumskritik 187–219; Brown, Schatz im Himmel, 459–476. 35 36
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sieht, verläuft die Darstellung dieser Lehrmeinungen des Pelagius bei Arnold nach einem sich wiederholenden Muster: Seine Ansichten sind Christi Worten gemäß oder werden durch die Äußerungen der Orthodoxen selbst gestützt – obwohl diese jene Lehrmeinungen als häretisch verwerfen. Dieses Verwerfungsurteil gilt auch für die praktische Ansicht des Pelagius, dass es Frauen erlaubt sein sollte, im Gottesdienst zu singen,41 und schriftgemäß das Eidesverbot Christi konsequent anzuwenden.42 Beides sei von den Gegnern des Pelagius gleichsam als »unrecht« verworfen worden. Arnold kann sich eines bissigen Kommentares hierzu nicht enthalten: im ersteren Falle habe der »Antichrist« selbst seit geraumer Zeit sich darum bemüht, »arme […] Layen, und sonderlich die weiber« vom Gottesdienst auszuschließen. Arnold verfolgt hier eine deutlich suggestive Darstellungsweise: durch Verwendung des Hinweises auf den »Antichristen«, der eine gegen Pelagius gestellte Absicht verfolgt, kann sich jeder Leser letztlich nur, wie auch Arnold, auf die Seite des Pelagius stellen. Hinsichtlich der positiven Beurteilung der Eidesverweigerung durch Pelagius muss freilich unweigerlich an Arnolds eigene Ablehnung des Eides auf das Konkordienbuch gedacht werden; durchaus eine von vielen Gesinnungsansichten, die er mit Pelagius teilt.43 Freilich stellen diese Lehrmeinungen nicht die »Hauptlehre« des Pelagius dar, sondern »Nebenlehren«, die nicht im Widerspruch zu Kernanliegen protestantischer Theologie stünden. Auf jene sensible Hauptlehre, die sich im Kontext der Gnadenlehre bewegt, kommt Arnold erst später zu sprechen.44 Letztlich möchte Arnold zunächst seinen Lesern anhand der ungefährlichen Nebenlehren einsichtig machen, »So sollte es auch unrecht gethan seyn, wenn Pelagius den weibspersonen vergönnete, GOtt mit gesängen zu loben.« (Arnold, Ketzer-Historie, 234 [= Moeller, Kirchengeschichte, 31,19–21]). Der erste Satzteil gibt freilich nicht Arnolds Ansicht wieder, sondern nimmt die Sicht des Hieronymus ein, der dessen Befürwortung des Frauengesangs im Gottesdienst als Unrecht verwirft, wie Arnold mit einem allgemeinen Verweis auf Hier., Pelag. 1 (CChr.SL 80, 53–97 Moreschini)) belegen will. Besonders deutlich wird Arnolds Position, wenn man den folgenden Satz betrachtet: »[…] weil nemlich der Antichrist schon längst die armen layen, und sonderlich die weiber vom Gottesdienst fast ausgeschlossen hatte.« (Arnold, Ketzer-Historie, 234 [= Moeller, Kirchengeschichte, 31,21–23). 42 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 31,24f ). Arnold verweist zur pelagianischen Ablehnung des Eidesschwurs auf Pelag.-haer., Demetr. [19] (FC 65, 128,9–17 Greshake). Er zitiert den Brief an Demetrias erneut nach der Hieronymus-Ausgabe des Erasmus. 43 1699 hatte Arnold seine Ketzer-Historie dem späteren ersten preußischen König Friedrich I., der damals noch Markgraf von Brandenburg und Kurfürst war, gewidmet und lobte diesen für die Gewährleistung der Gewissensfreiheit in seinem Land. Durch Speners Vermittlung wurde Arnold schließlich 1705 Superintendent in Werben und ging 1707 als Pfarrer nach Perleberg, wo er bis im Jahr seines Todes 1714 dank der Toleranz Friedrichs I. sein Amt ausüben durfte – selbiger erließ Arnold auch die eidliche Bekenntnisverpflichtung und hob diese 1713 in Preußen gänzlich auf, vgl. Moeller, Kirchengeschichte, 738. 44 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 235–237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 35–40). 41
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»daß diese leute [die Pelagianer] sich einfältig und im gehorsam nach GOttes willen zu richten getrachtet, auch durch ihr untadelich leben bey freund und feind ein gut zeugnüß, ja in vielen stücken der übung des Christentums bey den Orthodoxen beyfall erhalten haben«.45
Sehr unscheinbar schließt Arnold an diesen Passus einen Querverweis auf seine deutschsprachige Übersetzung der Definitiones an, der Hauptschrift des Caelestius über das Sündenverständnis und das menschliche Vermögen zur Vermeidung der Sünde.46 Arnold betitelt diesen Auszug bezeichnenderweise mit »Eine schrifft von der vollkommenheit« und gibt sie gänzlich unvoreingenommen wieder. Warum der Verweis an genau dieser Stelle? Möglicherweise fügte Arnold den Querverweis hier ein, da er im direkten Anschluss an diese Übersetzung den als Lob interpretierbaren Ausspruch Luthers aus der Vorrede der Vita Patrum wiedergibt, demnach auch unter »dem hauffen der Pelagianer« sicherlich der ein oder andere gute Christ gewesen sei, dies jedoch aufgrund der Unklarheit, wem welche Lehre genau zuzuweisen sei, nicht mehr nachvollziehbar sei.47 Das ist allerdings nur eine schwache Brücke, da die Definitiones inhaltlich wenig mit den bisher referierten Nebenlehren zu tun haben und auch das vermeintliche Lob Luthers an dieser Stelle von Arnold mit gänzlich anderer Absicht referiert wird.48 Denkbar ist, dass Arnold entweder recht zusammenhanglos diesen Querverweis eingeschoben hat – er wäre an späterer Stelle bei der Behandlung der Sündenlehre weitaus angebrachter gewesen! – oder weil Arnold durch die Hintertür nicht nur die angeführten Nebenlehren der Pelagianer, sondern auch die Kritik an der Erbsündenlehre und Betonung des Vermögens zur Vollkommenheit innerhalb dieser lobenswerten Lehren kontextualisieren möchte.49 Dafür sprechen mindestens zwei Argumente: Zum einen der Sachverhalt, dass Arnold es als wertvoll erachtete, eine solche Übersetzung anzufertigen und die Definitiones damit einer breiteren Leserschaft bekannt und zugänglich zu machen. Zum anderen, dass er die Übersetzung mit Belegen der Schriftgemäßheit der Lehre des Caelestius schließt – ganz so wie Arnold in der bisherigen Darstellung der Nebenlehren deren Schriftgemäßheit betonte.50 45 Arnold,
Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 31,29–34). Arnold, Ketzer-Historie 2, 4. Teil, 76–78, Nr. 12. Die Definitiones sind nur fragmentarisch in Aug., perf. iust. 2,1–20,43 (CSEL 42, 4,11–46,26 Urba/Zycha) überliefert. 47 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie 2, 4. Teil, 76. 48 Siehe die Ausführungen weiter oben S. 74 f. 49 Die Brisanz und geschickte Einflechtung dieses Querverweises wird wohl aber den wenigsten Lesern präsent geworden sein, zugleich ist er ein gutes Beispiel für Arnolds vielfaches Changieren zur Vermeidung des Vorwurfs, gegenüber den pelagianischen Kernlehren Sympathien zu hegen. 50 Caelestius argumentiere für die Negierung einer substanzhaften Sünde und für die Potenz zur menschlichen Vollkommenheit mit den Befehlen der Heiligen Schrift zur Vollkommenheit und Sündlosigkeit, vgl. Arnold, Ketzer-Historie 2, 4. Teil, 77. 46
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3. Die unchristlichen »Orthodoxi« 3.1. Lügen und Verleugnungen gegen »gottesfürchtige« Pelagianer Arnold schildert alle prominenten Pelagianer als gottesfürchtige Christen: Caelestius’ Bücher vom einsamen Leben sollen »eine jede Gottbegierige seele lesen […], weil sie lauter antrieb zur gottseligkeit in sich hielten«.51 Auch Pelagius’ De fide trinitatis erachtet Arnold entgegen jeglicher damnatio memoriae als höchst lesenswert und hinsichtlich der dort formulierten Gotteslehre als »orthodox«;52 gleiches gilt ihm für die Schriften Julians, zu denen er hervorhebt, dass sich Julian scharf von den Arianern abgrenzte.53 Arnold macht es sich hier ähnlich einfach wie die Pelagianer selbst in ihrer Verteidigung: schließlich wurden sie nicht für ihre Gottes‑ oder Trinitätslehre kritisiert, die sie aber vorschieben, um ihre Bekenntnistreue aufzuzeigen. Das Aufzeigen von Lob für die Pelagianer dient Arnold nicht nur zur Betonung der Rechtgläubigkeit der Pelagianer, sondern vor allem als Gegenpol für die üble Nachrede, unangemessenen Beleidigungen und unchristlichen Verhaltensweisen der »Orthodoxi« gegenüber Pelagius und den Pelagianern. Durch Arnolds Voranstellung der bisherigen Lobesbekundigungen erscheinen deren Entgleisungen besonders deplatziert und ausfallend.54 In Anspielung auf eigene Lebenserfahrung notiert Arnold eingangs über diese Verleumdungen: »Welches aber keinen wunder nehmen kan, der die art der orthodoxen weiß, vermöge welcher sie denen, die sie unterdrücken wollen, nicht gern das geringste lob übrig lassen, sondern sie so herunter machen, daß auch ein natürlich frommer mann einen abscheu vor ihnen bekommen möchte.«55 51 Arnold, Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 32,2–4). Mit jenen drei Büchern meint Arnold die Briefe, welche Caelestius in seinen Jugendjahren an seine Eltern gerichtet hat. Sie sind nicht mehr überliefert, vgl. Bettina Windau, »Caelestius, Pelagianer«, LACL3 (Freiburg i. Br.: Herder, 2002): 135. Auch Arnold paraphrasiert für seine Beurteilung lediglich die Informationen, die Gennadius von Marseille bietet, vgl. Genn., vir. ill. 44 (PL 58, 1083B). Gennadius wurde immer wieder selbst »semipelagianischer« Tendenzen bezichtigt, vgl. Ulrich Hamm, »Gennadius von Marseille«, LACL3 (Freiburg i. Br.: Herder, 2002): 283. 52 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 234 (= Moeller, Kirchengeschichte, 32,7–9). Arnold führt als Belege dieses Lobes für den Scharfsinn des Pelagius und dessen De fide trinitatis neben Aug., c. ep. Pel. 2,5 (CSEL 60, 463,17–465,25 Urba/Zycha) und Aug., pecc. mer. 3,10 (CSEL 60, 144,13 Urba/Zycha) erneut Genn., vir. ill. 42 (PL 58, 1083A) an. 53 Freilich stellt Arnold bei all diesem Lob nicht heraus, dass Augustinus zwar zugab, dass Julian sich von häretischen Ansichten der Arianer abgrenzt, damit aber nur hinsichtlich der Gotteslehre eine orthodoxe Position vertrat; über die Beurteilung seiner Gnadenlehre ist somit allerdings nichts gesagt. 54 »Und diese klare bekäntnisse weisen uns nun das unrecht, das ihnen von den Orthodoxen geschehen, wenn sie so einen hauffen handgreiffliche lügen und verläumdungen wider sie ausgegossen gehabt nur damit sie ja allen credit bey gewissenhafften leuten verlieren möchten.« (Arnold, Ketzer-Historie, 234 [= Moeller, Kirchengeschichte, 32,13–18]). 55 Arnold, Ketzer-Historie, 234 f. (= Moeller, Kirchengeschichte, 32,18–23).
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Arnold führt nun eine Reihe geschmackloser und lächerlicher Anschuldigungen gegenüber Pelagius an, um zu demonstrieren, wie verdorben und »unchristlich« die vorgeblich so christlichen Widersacher der Pelagianer waren. Aus der Fülle an Zitaten sticht ein Kirchenvater besonders hervor und wird zudem mehrfach namentlich und mit entsprechend abfälligen Bemerkungen erwähnt: Hieronymus.56 Von diesem ohnehin als polemisch und streitsüchtig bekannten Eigenbrötler weiß Arnold allerhand unchristliche Aussprüche vorzutragen und zu beurteilen: »Andere [= Hieronymus] geben ihm [Pelagius] einen zunamen, und sagen, er habe sich von dem Schottländischen brey wol ausgestopffet. (y) Und dieses that der schmähsüchtige Hieronymus bey der auslegung der Propheten, da man sehen kann, was von einem solchen schändlichen affect vor schöne glossen und geistreiche gedancken zu erwarten gewesen. […] Der jetzt gedachte grobe Hieronymus heißt Pelagium nach seiner gewöhnlichen grobheit nicht allein einen narren, der sich von dem Schottländischen brey, oder wie andere exemplaria lesen, von huren-speise, dick gefressen. (d) Sondern er vergleicht ihn auch mit dem höllen-hund Cerbero, den man mit der geistlichen keule todtschlagen müste, damit er seinem meister, dem höllen-gott Plutone, ewiglich das maul halte. (e) […] So klingts auch von einem so grossen Lehrer, als Hieronymus seyn wolte, sehr leichtsinnig, wenn er Pelagium also hönisch durchzog: Du hörest vielleicht, wie Moses, GOtt von angesicht zu angesicht in wolcken und dunckeln reden, und kömmst mit einem gehörnten kopf hervor (h).«57
Die Lächerlichkeit, ja Dummheit solcher Diskreditierungsstrategien stellt Arnold dem Leser, der diese freilich auch schon längst als vollkommen unangemessen entlarvt haben sollte, noch einmal ausdrücklich vor Augen: »Drum lacht ihn [Pelagius] einer von den Orthodoxen [Orosius] aus, daß er nur ein auge, breite schuldern und einen starcken hals hätte. (g) Als wenn nemlich diese beschaffenheit des leibes ihm eine schande gewesen wäre bey denen, die verständiger und gescheider waren, als diese Orthodoxen.«58
Die Verleumdungen blieben, so Arnold, nicht allein auf die Physiognomie, Essensvorlieben und den Lebenswandel des Pelagius bezogen. Sie werden erst da besonders relevant, wo sie Lügen über angebliche pelagianische Lehren darstellen, die besagt hätten, »sie glaubten keine erlösung vor die kleinen kinder, 56 Kritisch die Stimme gegen Hieronymus zu erheben, ist freilich ein gängiger Topos, da dieser für seine Streitlust und Dauerkonflikte auch mit anderen Kirchenvätern bekannt war. Arnold verweist an anderer Stelle in seinem Abschnitt zur Darstellung des Hieronymus darauf, dass sich Hieronymus insbesondere mit dem nicht weniger streitbaren und bissigen Häresiologen und zyprischen Bischof Epiphanius gut verstanden habe, vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 220 f. 57 Arnold, Ketzer-Historie, 235 (= Moeller, Kirchengeschichte, 32,28–33,36). Die Belege für die Aussagen des Hieronymus entstammen Hier., in Jerem. prologus (CSEL 59, 4,20 f. Reiter) = Anm. y und d; in Jerem. III 1 (CSEL 59, 151,13–18 Reiter) = Anm. e; Hier., Pelag. 1,30 (CChr.SL 80, 38,10–12 Moreschini) = Anm. h. Zu dieser Polemik gegen Pelagius vgl. Greshake, »Einleitung«, 11 f. 58 Arnold, Ketzer-Historie, 235 (= Moeller, Kirchengeschichte, 33,27–31). Arnold referiert hier aus Orosius, apol. 15 (CSEL 5, 625,4 f. Zangemeister).
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oder wolten keine tauffe zur vergebung der sünden zulassen«.59 Arnold bezieht sich hiermit auf zugespitzte Fehlinterpretationen der pelagianischen Lehrmeinung zum weiteren Schicksal ungetauft verstorbener Säuglinge und dem Zweck der Taufe.60 Arnold erkennt in all diesen Diskreditierungen der Pelagianer durch die Orthodoxen »keine geringe verbitterung und eiffersucht«, die er darin begründet sieht, dass die Pelagianer »bey den unpartheyischen ihres guten wandels wegen beliebt gewesen, welches die andern verdrossen hat«.61 Zur Besitzgier und der Eitelkeit gesellt sich somit in der Darstellung Arnolds auch noch die Eifersucht als ein Hauptantrieb der sich »unchristlich« verhaltenen »gerühmten Rechtglaubigen«, die stattdessen gegenüber den Pelagianern eigentlich »nothwendig recht liebreich hätten seyn sollen«.62 Abseits der Bemerkung, dass derartig üble Nachrede schlichtweg »unchristlich« sei, betont Arnold aber auch, dass dies ohnehin nicht der richtige Weg sei, ein verirrtes Schaf wieder auf den rechten Weg zu bringen. Mit einem solchen Schaf setzt Arnold Pelagius gleich, wenn er nachfolgend erstmals dessen Verfehlungen andeutet: »Und durch solche schändliche expressiones und tractamenta solte dieses irrende schaaf von den vermeintlichen hirten zu recht gebracht werden, welches doch aus einer guten meinung und absicht gefehlet hatte, wie wir bald sehen wollen.«63
Worin die vermeintliche Verfehlung liegt, lässt Arnold zunächst offen. Jedenfalls wird sie hier sogleich durch die gute Intention, die er Pelagius dabei unterstellt, abgeschwächt. Stärker als die vorsichtige Kritik an Pelagius ist jedoch ohnehin die Kritik an den hier erwähnten Geistlichen, die ihrem Amt als Hirte in keiner Weise gerecht werden. Um das Bild von den verwerflichen, unchristlichen Orthodoxen zu vollenden, führt Arnold vor der Darstellung der Hauptlehre der Pelagianer noch die Verfolgungen, Verdammungen und letztlich päpstlichen und kaiserlichen Beschlüsse 59 Arnold, Ketzer-Historie, 235 (= Moeller, Kirchengeschichte, 33,3–5). Als Beleg für diese Vorwürfe führt Arnold das Liber Pontificalis in der Vita Innocenti, sowie die Ausgabe und Kommentierung von Aug., haer. des Calvinschülers Lambert Daneau (1530–1595) an (D. Aurelii Augustini Hipponensis episcopi liber de haeresibus, ad quodvultdeum [Genf: Vignon, 1576]); zu dessen entsprechenden Äußerungen über das pelagianische Taufverständnis in Aug., haer. 88 (CChr.SL 46, 341,47–55 Vander Plaetse/Beukers) vgl. Daneau, Liber de haeresibus, 233.237 f. 60 Arnold erwähnt daher auch, einige Orthodoxe hätten selbst eingestanden, dass Pelagius dergleichen nicht lehrte, wofür er sich auf Aussagen im Schreiben des Konzils von Karthago an Innozenz I. von 416 (Aug., ep. 175 [CSEL 44, 652–662 Goldbacher]) sowie des Antwortschreibens Augustins an Hilarius von 414 (Aug., ep. 157 [CSEL 44, 449–488 Goldbacher] = ep. 89 Amerbach) bezieht. Arnold verwendete hier wie generell jedoch nicht die Zählung und den Text der Maurinerausgabe, sondern der Epistola-Ausgabe des Buchdruckers Johannes Amerbach von 1493. 61 Arnold, Ketzer-Historie, 235 (= Moeller, Kirchengeschichte, 34,1–3). 62 Arnold, Ketzer-Historie, 235 (= Moeller, Kirchengeschichte, 33,10 f.). 63 Arnold, Ketzer-Historie, 235 (= Moeller, Kirchengeschichte, 33,19–23).
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gegen die Pelagianer knapp und ohne größere Darstellung der historischen Zusammenhänge an.64 Die »Orthodoxen« selbst hätten eingestanden, in den Konzilien zu hart mit den Pelagianern umgegangen zu sein und zudem deren Lehre nur unzureichend geprüft zu haben, womit sich Arnold auf die kritischen Bemerkungen des römischen Bischofs Zosimus zum bisherigen Verfahren bezieht.65 Die Eifersucht habe die Orthodoxen letztlich zu solch »gewaltsamer Verfolgung« und zu den Konzilsentscheidungen und Dekreten geführt, die die Pelagianer verketzert und schließlich ausgestoßen haben, ja es war der Priesterschaft laut Arnold »eine große freude, dass sie die obrigkeit wider diese leute auffhetzen konten, die ihnen ihre vortheile in etwas stören und ihr leben beschämen wollten«.66 Generell bescheinigt Arnold den orthodoxen Widersachern ein derart rücksichtsloses Verhalten, dass es nur zum bedauernswerten Ausgang des Streites kommen konnte: »Woferne nun ihm [Pelagius] seine wiedersacher nicht allein mit gehöriger sanfftmuth und weißheit, sondern auch mit einem exemplarischen leben begegnet, seine worte recht eingenommen, und nicht offt verkehrt und übel gedeutet, ihn auch selbst nicht so feindselig tractiret hätten, würde sichs in allem anders gegeben haben.«67
Somit folgert Arnold, der ganze Streit hätte einen anderen Ausgang genommen, wenn die Gegner des Pelagius diesem freundlicher und offener begegnet wären und einen um Verständnis bemühten, offenen Diskurs über das strittige Thema gesucht hätten. Stattdessen hätten sie sich aber gar nicht erst darum bemüht, Pelagius’ Aussagen richtig aufzufassen, sondern entstellten deren Sinn durch Verdrehungen und Fehlinterpretationen. Die feindseligen Gegenschriften hätten dann ihr übriges getan, sodass Arnold verbittert resümiert: »Bey solchen umständen aber, wie man in dieser sache auff seiten der Orthodoxen verfahren, muste endlich wol ein absurdum über das andere herauskommen!«68 Arnold erscheint der gesamte Verlauf und Ausgang der Streitigkeit an sich unnötig und vermeidbar, hätte nur die richtige Debattenkultur bestanden – und zwar auf Seiten der orthodoxen Gegenspieler des Pelagius. Es seien alleinig diese an der Eskalation des Streites schuldig. So kann Arnold den »streit vom pelagia64 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 235 (= Moeller, Kirchengeschichte, 34,17–36). Im Einzelnen nennt Arnold hier das Konzil von Ephesus von 431 sowie die kaiserlichen Edikte gegen die Pelagianer durch Honorius, Theodosius und Constantius (belegt in den Fußnoten Arnolds nach Baronius, Annales, CDXIIX; CDXIX; CDXXI). 65 Arnold verweist hierzu auf Zos., ep. 3 (CSEL 35,1, 103–108 Guenther [dort ep. 46] / FC 58,2, 590–600 Sieben; bei Arnold belegt nach Philippe Labbé/Gabriel Cossart, Hgg. Sacrosancta Concilia Ad Regiam Editionem Exacta. Quae Nunc Quarta Parte Prodit Auctior. Band 2 [bei Arnold fälschlicherweise Band 1] [Paris: Societas Typographica Librorum Ecclesiasticorum, 1671], 1558 f.) an die nordafrikanischen Bischöfe. 66 Arnold, Ketzer-Historie, 235 (= Moeller, Kirchengeschichte, 34,15–17). 67 Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 35,18–23). 68 Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 35,23–26). Hervorhebung von Arnold.
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nismo« an sich nur als unfruchtbar verwerfen. Letztlich haben die Orthodoxen damit eine Überspitzung der Annahme eines freien Willens bei den Pelagianern sogar mit zu verantworten, haben sie doch die Eskalation gesucht.69 Man muss sich jedoch ins Gedächtnis rufen, dass diese scharfe Kritik an den Gegnern der Pelagianer, den »Orthodoxi«, ein Grundprinzip der Ketzer-His‑ torie Arnolds ist und keinesfalls eine Besonderheit der Darstellung des Pelagius. Bemerkenswert ist aber der Hinweis auf das Aufhetzen, ja förmliche Instrumentalisieren der weltlichen Obrigkeit gegen die Pelagianer in Gestalt des kaiserlichen Edikts und des Exilsurteils. Arnold führt dies in seiner Darstellung nicht weiter aus, aber dieser Aspekt der politischen Einflussnahme wie des problematischen Zusammenspiels von Staat und Kirche wird in nachfolgenden Darstellungen des Streites immer mehr in den Fokus rücken und seinen Höhepunkt in den Darstellungen Semlers und Schroeckhs erlangen.70 Auch die Darstellung des vorbildlichen Lebenswandels der Pelagianer ist weder neu noch Alleinstellungsmerkmal der Darstellung des Pelagius in der Ketzer-Historie. Aber in Kombination mit der drastischen Deklassierung der Orthodoxie als »unchristlich« und der Hervorhebung des Strebens Pelagius’ nach dem »wahren Christentum« erfährt dieser dennoch eine bislang ungehörte Aufwertung durch Arnold. Freilich gilt es folgend zu betrachten, ob sich dieser positive Grundtenor auch innerhalb der Darstellung der dogmatischen Hauptlehren der Pelagianer fortsetzt, hört der Leser doch schon von dem »irrenden« Schaf Pelagius und seiner Verfehlung aus guter Absicht. 3.2. Augustins Rolle im pelagianischen Streit und sein Verhältnis zu den »Orthodoxi« Wiewohl so oft die Rede von den orthodoxen Widersachern des Pelagius ist, sei die Frage nach deren Beziehung zu Augustinus zu stellen und welche Rolle dieser innerhalb des pelagianischen Streites in der Darstellung Arnolds eigentlich gespielt hat. Es hat sich schon beobachten lassen, dass Augustinus eher am Rande genannt wird und keine zentrale Rolle als Gegner des Pelagius einnimmt. Jedoch bietet Arnold in seinem Kapitel zu Augustinus einige Aussagen, die dessen Betragen und Position innerhalb von Streitigkeiten allgemein wie auch innerhalb des pelagianischen Streites betreffen. So weiß Arnold über Augustinus zu berichten, dass »man denn aus seinen schrifften und actionem ein ziemlich bescheiden, vorsichtig und ernsthafftig gemüthe erkennen kan, sonderlich so lang er nicht eben in streitigkeiten verwickelt, und noch nicht von andern ins angesicht so gelobet und erhoben worden«.71 69 Arnold wird gleichsam seine zeitgenössischen lutherisch-orthodoxen Kontrahenten im Sinn gehabt haben. 70 Siehe unten S. 233–238 sowie S. 405–408. 71 Arnold, Ketzer-Historie, 221.
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Augustinus sei folglich in Konfliktsituationen hitzig und wenig besonnen gewesen – und muss sich noch weitere Kritik gefallen lassen: »[Augustinus] auch hiernächst in eiffer wider die kätzer gerieth, ließ er sich offt seine affecten mercklich verleiten. Wozu denn seine spitzige vernunfft ihm ein rechtes schwerd war, durch die er auch die offenbahrsten dinge dennoch vermänteln, verdrehen und scheinbarlich behaupten kann. Wiewol er manchmal auch ein sehr schlecht genügen thut, wenn seine vorträge nur ein wenig nach der warheit und unpartheylich beleuchtet werden.«72
Die hier lautwerdende Kritik an der unhinterfragten Autorität Augustins wird bei Autoren wie Semler noch weiter ausgebaut werden, bis hin zu einem Hinderungsgrund für die Fortentwicklung des protestantischen Lehrbegriffs. An dieser Stelle findet sich auch ein Bezug, der eine Zuordnung Augustins zur Gruppe der Orthodoxen erlauben mag: Die Kunst, Aussagen zu verdrehen, die auch den orthodoxen Gegenspielern des Pelagius bescheinigt wurde, beherrschte dank seiner Geistesschärfe auch Augustinus. Doch noch etwas fällt auf: Augustin wird hier als äußerst passiv geschildert; er wird »in Streitigkeiten verwickelt«, von seinen »affecten mercklich« verleitet. Und von Arnold sogar als Marionette der Orthodoxen gezeichnet: »Weil er aber zu der Zeit lebete, da sonderlich die Orthodoxen mit den donatisten, pelagianern und arianern viel zu disputieren hatte, so brauchten sie ihm nur fleiss, weil sie ihn hierzu geschickt sahen. Drum reizten sie ihn nicht allein immer an, wider die kätzer zu schreiben, sondern sie schoben ihn auch überall vor, wenn etwas bey hofe, auf concilien und sonsten wider solche zu tun war.«73
Der Kirchenvater findet in der Ketzer-Historie zudem nahezu ausschließlich in Zitatbelegen Erwähnung und begegnet innerhalb der Darstellung des pelagianischen Streites nicht als der Hauptwidersacher in der Kontroverse. Wer nur Arnolds Beschreibung liest, könnte leicht den Eindruck gewinnen, Augustinus habe nicht aktiv an den Ereignissen mitgewirkt. Im gleichen Maße, wie Augustinus somit in der Darstellung zurücktritt, werden die Orthodoxen in den Fokus des Lesers gerückt. Diese nebulöse, weit gefasste anonyme Masse der »Orthodoxi« sei der primäre Gegenspieler des Pelagius. Man könnte sich leicht dazu verleiten lassen, dass Arnold Augustinus daher von der Gruppe der durchweg negativ belegten Orthodoxi abhebt, jedoch ist dies seinem mitunter uneinheitlichen Sprachgebrauch und einer gewissen Inkonsequenz in der Verwendung seiner Sammelbegriffe geschuldet. Denn sowohl über einzelne Zitate Augustins, die als Beleg für die Position der »Orthodoxi« angeführt werden, wie auch über Gleichsetzungen mit diesen wird Augustinus durch Arnold selbst als einer dieser schändlichen Gegner des Pelagius quali Arnold, Ketzer-Historie, 221. Arnold, Ketzer-Historie, 221.
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fiziert. Trotzdem bleibt das Bild Augustins in diesem Streit merkwürdig blass, da Arnold sich mit wirklicher Kritik an Augustinus bedacht zurückhält und stattdessen Hieronymus oder die anonyme Masse der Orthodoxi anführt. Das gilt auch für die Darstellung der Lehre Augustins im Kontext des pelagianischen Streites. Arnold zufolge habe Augustin zu früheren Zeiten ähnliche Ansichten wie Pelagius vertreten, sei dann aber von diesen abgerückt. Auf direktem Wege hingegen erfährt der Leser nahezu nichts über Augustins dogmatische Ansichten, da die meisten mit dem Gedankengut der »Orthodoxi« verschmelzen, wobei die Lehrmeinungen anderer Kirchenväter zum freien Willen und der Erbsünde freilich denjenigen Augustins entsprechen. Und letztlich hätten es laut Arnold diese Orthodoxi und damit auch Augustinus eher verdient, häretischer Neuerungen wie der Erbsündenlehre bezichtigt zu werden. Wirklich festmachen lässt sich darüber hinaus eine Beurteilung der Lehre Augustins durch Arnold jedoch nicht. Was bleibt, ist ein konfuses Bild des nordafrikanischen Kirchenvaters, insbesondere seiner Rolle und Lehre im Kontext des pelagianischen Streites, das sich wenig durch eine klar vorgetragene Kritik, aber noch weniger durch Lob seines Wirkens auszeichnet. Angesichts der harschen Augustinuskritik der französischsprachigen Theologie des 17. Jahrhunderts ist es verwunderlich, dass Arnold diese Vorlage nicht reproduziert hat. Doch warum bleibt Augustinus in der Darstellung Arnolds dann so blass und im Hintergrund? Dafür mag es mehrere Gründe geben: Dass Augustinus sowohl literarisch wie theologisch der größte Widersacher Pelagius’ war, wird allgemein bekannt gewesen sein, zumindest unter der theologisch gebildeten Leserschaft der Ketzer-Historie. Allein daher wird es nicht nötig gewesen sein, ihn ständig zu erwähnen. Zudem hat sich Hieronymus mit seinen Diffamierungen als Beleg der Schändlichkeit der Gegnerschaft des Pelagius weitaus besser angeboten. Dass Arnold Augustins Rolle im Streit als unbedeutend aufgefasst hat, ist hingegen äußerst unwahrscheinlich, dafür betont er zu oft die theologischen Unterschiede. Hat Arnold daher die Rolle Augustins absichtlich heruntergespielt? Das wäre möglich, kann aber letztlich nur auf der Ebene der Spekulation verbleiben. Möglicherweise wollte Arnold den Vorwurf vermeiden, dass er den auch unter Protestanten noch durchaus recht hoch angesehenen Kirchenvater, immerhin Gewährsmann Luthers, zu stark kritisiere; dafür sprechen auch seine mehrfachen »Klarstellungen« in den Verteidigungsschriften, in denen er seine Absicht einer ausgeglichenen Darstellung der patres, insbesondere Hieronymus’ und Augustins, in der Ketzer-Historie beteuert.74 An Augustins Stelle tritt in Arnolds Darstellung gleichsam die amorphe Masse der Orthodoxi, die freilich viel leichter kritisiert werden kann.
Siehe unten S. 102.
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4. Kritik und Verteidigung der Lehre des Pelagius 4.1. »Und hierinne irrete freylich Pelagius«. Kritik an der optimistischen Anthropologie des Pelagius Zur Darstellung der pelagianischen Kernlehren lässt Arnold Pelagius selbst zu Wort kommen. So nutzt und kommentiert er Zitate des Pelagius, um dessen dogmatische Ansichten zum freien Willen, der Erbsünde und dem damit verbundenen Zustand Neugeborener, der Ursache des Todes, dem natürlichen Vermögen des Menschen und der Gnade Gottes auszuführen.75 Arnold eröffnet seine folgende Darstellung programmatisch mit dem Verweis, dass die Orthodoxen im Lebenswandel der Pelagianer nichts Sträfliches haben vorfinden können, »wohl aber an sich selbst genug zu strafen«76 gehabt hätten. Das wirkt redundant, verfolgt aber die Absicht, dass die Leser den nun möglicherweise nicht mehr einwandfreien Lehrmeinungen des Pelagius mit Mäßigung und Selbstreflexion begegnen mögen. Bevor die eigentlichen Lehrmeinungen im Detail angesprochen werden, erinnert Arnold den Leser in gleicher relativierender Absicht daran, dass »Pelagius und die anderen sich des wahren Christentums ernstlich beflissen, und hingegen die so genannten rechtglaubigen, sonderlich die lehrer in offenbarer bosheit, sicherheit und heucheley leben sahen«.77
Damit greift Arnold nahezu wortwörtlich auf den Eingangspassus seiner Darstellung und die bisherigen Beobachtungen zu den »Orthodoxi« zurück. Zugleich stellt diese Aussage aber den hermeneutischen Schlüssel zu Arnolds Verständnis und Verteidigung der Lehrmeinungen des Pelagius und seiner Anhänger dar: Denn Stein des Anstoßes und Anlass für alle folgenden Lehren ist der schändliche Lebenswandel der »Orthodoxi«, insbesondere deren scheinbar größten Lehrer. Die im Folgenden dargestellten Lehrmeinungen sind also aus ihrer Motivation heraus zu verstehen, dass ein wahrer Christ durch die ihm entgegenstehenden »Heuchelchristen« dazu veranlasst, ja förmlich gezwungen wurde, solche Meinungen notwendigerweise zu vertreten. Konkreter Stein des Anstoßes wurde den Pelagianern laut Arnold, dass die Orthodoxen sich »immer auff GOttes gnade und ihre natürliche schwachheit berieffen, und damit ihre sünden bemänteln wollten«.78 Nun erfährt der Leser, dass Pelagius und seine Anhänger die Gnadenlehre und Anthropologie, aber auch das Sündenverständnis der Orthodoxen als anstößig empfanden und kritisierten. Arnolds Interpretation zur Motivation der Pelagianer ist freilich 75 Im Folgenden vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 235–238 (= Moeller, Kirchengeschichte, 36,3–40,20). 76 Arnold, Ketzer-Historie, 235 (= Moeller, Kirchengeschichte, 35,1 f.). 77 Arnold, Ketzer-Historie, 235 (= Moeller, Kirchengeschichte, 35,3–6). 78 Arnold, Ketzer-Historie, 235 (= Moeller, Kirchengeschichte, 35,8–10).
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auch für seine eigene Meinung zu einer solchen Gnadentheologie bezeichnend: Schändlicher Lebenswandel und Dogmatik der »Orthodoxi« gehen für ihn Hand in Hand, stehen in Korrelation: Die Gnadenlehre wie auch das zugrundeliegende pessimistische Menschenbild fördern unchristliches Verhalten, so wie dieses wiederum rückwirkend eine solche Gnadenkonzeption und Anthropologie zur Verschleierung der eigenen, konkreten Sünden hervorbringt. Zunächst unscheinbar, aber programmatisch ist an dieser Stelle die Verwendung des Begriffs »Sünde« durch Arnold: Sie steht im Plural, es ist nicht von der einen Sünde in Gestalt der Erbsünde die Rede, sondern von konkreten, ac‑ tualiter begangenen Individualsünden. Man findet diese Differenzierung später noch bei Semler, der sehr detailliert »die Sünde« im Sinne von »Erbsünde« von den Sünden im Sinne von individuellen Tatsünden differenziert und allein letzteren Wirklichkeit zuspricht.79 In jenem Sinne spricht auch Arnold von Sünden: Die Berufung der Widersacher der Pelagianer auf die Gnade Gottes und eine Anthropologie, die die Vorstellung einer Erbsünde impliziert, dient somit der Verschleierung der Sünden, an denen der Einzelne selbst schuld trägt. Und eine solche Gnadenlehre fördert folglich ein laxes Christentum – eine scharfe Spitze, nicht nur gegen die »Orthodoxi« zur Zeit des Pelagius, sondern auch gegen die lutherische Spätorthodoxie.80 Arnold lässt es auf einer solchen Verteidigung dogmatischer Zuspitzungen der Pelagianer aus gut gemeinter Absicht nicht bewenden, sondern trifft eine weitere, feine, aber gewichtige Aussage: »Dahero gestehen nun die Theologi selber, daß die liebe zu einem Christlichen leben, und der eiffer wider die grosse faulheit der Christen, Pelagium anfänglich dahin bewogen, die kräfte des freyen willens zu erheben.«81
Hiermit ist niemand anderes als Christian Chemnitz (1615–1666) angesprochen, den Arnold hier im Nebensatz paraphrasiert wiedergibt und de facto als lutherisch-orthodoxen Zeugen für die Wahrheit dieser Aussage anführt.82 Doch das ist nur ein Detail. Von grundsätzlicher Bedeutung für die Beurteilung der dogmatischen Hauptlehren des Pelagius ist hingegen die Frage nach der Interpretation des temporalen Adverbs »anfänglich«. An dessen Verständnis entscheidet sich, ob man einen Teil der folgenden Aussagen Arnolds als bleibende Kritik an der pelagianischen Lehre vom Vermögen des freien Willens (liberum arbitrium) auffassen muss oder doch nur einen vorläufigen Mangel mit ihm erkennt. Siehe unten S. 169 f. Auch dieser Topos der Korrelation von Gnadenlehre und verwerflichem Lebenswandel wird gängiges Motiv einer pelagianischen Positionen gegenüber freundlich eingestellten Haltung und später u. a. von Schroeckh noch weiter ausgebaut, siehe unten S. 391. 81 Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 35,10–14). 82 Arnold erwähnt diesen in der Anm. (q), und bezieht sich erneut auf Chemnitz, Loci Theologici (dort: Locus »de humanis viribus seu de libero arbitrio«). 79 80
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Konsultiert man zum Adverb »anfänglich« das Grimmsche Wörterbuch, stellt man schnell fest, dass der Begriff dort im Sinne von »erst« (initio), »zuerst« (primitus), oder weitergedacht als »zuerst, aber dann« verstanden werden muss.83 Grundsätzlich steht »anfänglich« damit im Gegensatz zu »fortwährend, bleibend«. So verhält es sich auch im Satz Arnolds.84 Pelagius habe zunächst den freien Willen des Menschen übermäßig hervorgehoben, wie Arnold hier eingesteht. Damit ist jedoch ein »aber dann« impliziert, also der Verweis, dass dies mitnichten fortwährend der Fall war. Somit wird hier der gängige Vorwurf, Pelagius stelle den freien Willen des Menschen über die göttliche Gnade, gleich mehrfach relativiert, denn diese Hochstellung des freien Willens sei nun nicht nur erstens gegen den Sittenverfall und die moralische Trägheit der Christen seiner Zeit motiviert gewesen, sondern auch zweitens in ihrer Zuspitzung nur vorläufig gewesen. Somit gesteht Arnold Pelagius Raum zur theologischen Entwicklung und Präzisierung seiner Lehre ein. Doch Arnold belässt es nicht bei dieser Argumentation, sondern widerspricht dem seit je her gängigen häresiographischen Vorwurf, Pelagius habe mit der Überbetonung des freien Willens eine neue Lehre eingeführt. Arnold verteidigt Pelagius hingegen und führt aus, dass dieser keineswegs eine neue, umstürzlerische Lehre »auff die bahn zu bringen« trachtete, sondern letztlich nur einer altkirchlichen Tradition gemäß das wiederholte, was schon Generationen von anerkannten christlichen Lehrern vor ihm über den freien Willen behauptet hatten, diese sogar »offt wol härter hievon geschrieben hätten«.85 Davon zeuge allein schon das Verhalten der griechischen Kirche im Osten, die während der Anhörung des Pelagius in Diospolis an der Lehre der Pelagianer nichts auszusetzen hatte. Sie sei sogar »bekanter massen nicht ferne von ihrer meinung gewesen«.86 Die typische häresiologische Anschuldigung, etwas »Neues« ersonnen zu haben, wird hier von Arnold mittels des knappen Verweises auf frühe Kir83 Vgl., Jacob Grimm/Wilhelm Grimm, DWb 1 (München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1999), 327 f. Folgende Beispiele werden dort angeführt: »dasz man ein nützlich ding, ob es einem anfänglich schon ein wenig beschwerung machet, nicht soll hinwegwerfen. Lokman fab. 19; ein knabe gieng einsmals heuschrecken zu greifen, ersahe auch ohngefehr einen scorpion und meinete anfänglich, es wäre auch eine grosze heuschrecke. fab. 27«. In beiden Beispielen ist die Stoßrichtung, dass aus einem Rückblick heraus ein anfängliches Fehlurteil festgestellt wird. Zudem werden als lateinische Äquivalenzbegriffe initio und primitus genannt und vermerkt: »heute ist anfangs üblicher«. 84 Weder Sprachgebrauch noch Kontext legen hingegen auch nur ansatzweise nahe, dass Arnold »anfänglich« verwendet, um Pelagius als den ersten Theologen darzustellen, der den freien Willen zu stark betonte. Vgl. dazu auch Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kir‑ chengeschichte, 35,27–30): »Erstlich gestehen die, so in den alten schrifften erfahren sind, daß viel Lehrer vor Pelagio schon von den natürlichen kräfften des menschen nichts anders geredet haben […]«. 85 Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 35,17). 86 Arnold, Ketzer-Historie, 238 (= Moeller, Kirchengeschichte, 41,8 f.).
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chenväter und die ostkirchliche Tradition zu entkräften versucht.87 Freilich führt Arnold in seiner Darstellung des Streites zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch keine dogmenhistorischen Untersuchungen an, aber der Topos der Traditionsgemäßheit pelagianischer Lehre wird ebenso wie deren ostkirchliche Akzeptanz immer wieder aufgegriffen und besonders bei Semler zu dessen Rehabilitierung angeführt.88 Arnold rekurriert im Folgenden immer wieder auf die oberflächliche und inhaltlich nicht vertiefte dogmengeschichtliche Argumentation, dass die Pelagianer keineswegs als erste und einzige derartig über das natürliche Vermögen des Menschen – und damit über den freien Willen – gesprochen hätten.89 Er bezieht sich dazu auch knapp auf die später im Zuge der heranreifenden Dogmengeschichte zunehmend populäre Pelagianismus ante Pelagium-Debatte und referiert, dass diese Argumentation auch von Autoren bestätigt werde, die »in den alten schrifften erfahren sind«, womit er die patristischen Untersuchungen zu dieser Frage in Vossius’ Historia Pelagiana meint, der sich wiederum mit Augustinus und der ostkirchlichen Tradition in Gestalt von Johannes Chrysostomus und Isidor von Pelusium auseinandergesetzt hatte.90 Augustinus selber habe dies bekannt,91 und Chrysostomus und Isidor hätten ausdrücklich behauptet, dass »die natürlichen kräffte den glauben oder den anfang des glaubens, das verlangen nach der bekehrung, und eine gewisse stuffe der busse und hoffnung zuwege bringen« könnten.92 Inwiefern eine solche Auffassung von der Natur des Menschen und der Funktion und Folge des Glaubens innerhalb der Wirkkette der Rechtfertigung und Heiligung im Sinne des Ordo Salutis wirklich mit der Ansicht der Pelagianer im Einklang steht, sei für diese Untersuchung vorerst dahingestellt.93 Weiterführend ist hingegen, dass Arnold dies zur Entschuldigung der Pelagianer anführt. Denn da diese mit der entsprechenden Tradition vertraut gewesen seien, »achtetens auch die Pelagianer nicht vor etwas neues oder
87 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 236.238 (= Moeller, Kirchengeschichte, 35,27–36, resp. 41,4–9). 88 Zu dieser Rehabiliationsstrategie bei Semler siehe u. a. S. 224–228. 89 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 35,27–31). 90 Arnold, Ketzer-Historie, 236, Anm. r verweist erneut auf Vossius, Historia Pelagiana, 441[–458], der »in den alten Schrifften erfahren« sei. Auch alle angeführten Kirchenväter finden bei Vossius ausführlich Erwähnung. Von einem eigenen Quellenstudium Arnolds ist daher für dieses kurze Referat nicht auszugehen; vgl. zu Augustins Position Arnold, Ketzer-Historie, 443; zu Chrysostomus 444–451; zu Isidorus Pelusiota 451 f. Abseits Augustins ist damit wieder überwiegend eine ostkirchliche Tradition angeführt. 91 Entweder ist damit gemeint, dass schon Augustinus die Traditionslinie erkannt oder aber dass er selbst anfangs ähnliche Ansichten vertreten habe, wie beispielsweise in seinem Frühwerk De libero Arbitrio. 92 Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 35,33–35). 93 Insbesondere Christian Walch wird sich intensiv mit der Frage nach den Konsequenzen für die Heilsordnung beschäftigen, siehe S. 280–286.
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unrechts, wenn sie nicht zugeben wollten, daß die sünde Adams den andern menschen zugerechnet werde«.94 Damit steht man nun inmitten der Frage nach der strittigen Auffassung der Sünde bei den Pelagianern. Hierzu führt Arnold Augustins Auslegung der zentralen Schriftstelle Röm 5,12 an.95 Die Aussage, dass in Adam alle Menschen gesündigt hätten, verstünde Pelagius nun nicht im Sinne der augustinischen Erbsündenlehre, sondern – mit der korrekten Bedeutung des ἐφ’ ᾧ – im Sinne einer individuellen Nachfolge aller Menschen in dieser ersten Sünde, mit der Adam lediglich ein negatives Vorbild gesetzt hat.96 Hier begegnet erstmals ein deutlicher Widerspruch Arnolds gegen die Ansicht des Pelagius: »Und hierinne irrete freylich Pelagius, ob gleich aus einer wolgemeinten absicht auff diese meynung fiel, wie wir oben aus einem Theologo gesehen haben.«97 Die Kritik an der irrigen Vorstellung von der Sünde bei Pelagius wird sogleich mit der wiederholt von Arnold vorgetragenen Argumentation, dieser habe nur aus guter Absicht derart gedacht, relativiert. Doch woran genau stößt sich Arnold? Welcher Art ist das »Irren« des Pelagius? Tatsächlich besteht Pelagius’ Irrtum für Arnold darin, dass ersterer die Verdorbenheit der menschlichen Natur nicht aus dem mangelhaften Verhalten so vieler Christen seiner eigenen Zeit, insbesondere seiner orthodoxen Widersacher, abzuleiten vermag. Vielmehr scheint Arnold Pelagius regelrecht auffordern zu wollen, sich unter den Christen seiner Zeit hinsichtlich ihrer Sündenverfangenheit umzusehen, wenn er markant fortfährt: »[Pelagius] erkennte aber den großen verfall der menschen nicht, ob er ihn wol an den falschen Christen so augenscheinlich sehen konnte.«98 Der angesprochene Verfall stand Pelagius mit dem »Heuchelwesen des Christentums« dauerhaft vor Augen. So groß die Sympathien Arnolds für den frommen Christen Pelagius nun auch sind: seiner positiven Anthropologie und der damit einhergehenden Unterschätzung der Macht einer wie auch immer gearteten Ursünde mag Arnold nicht unhinterfragt folgen. Aber selbst in diesem scheinbaren Widerspruch zu Pelagius findet sich ein gemeinsamer Nenner: Arnold kritisiert mitnichten dessen Verwerfung der Erbsündenlehre. Ganz im Gegenteil pflichtet er Pelagius bei und betont, dass die Erbsündenlehre die 94 Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 35,36–36,1). Die »andern menschen« sind hier im Sinne der Erbsündenlehre als die Nachkommen Adams zu verstehen, auf die dessen Sünde sich fortgepflanzt habe. 95 Arnold zitiert nach Aug., nat. et gr. VIII, 9 (CSEL 60, 238,9–20 Urba/Zycha). 96 Die Sünde Adams wird somit als Individualsünde bzw. actualiter begangene Sünde aufgefasst, die sich keinesfalls negativ substanziell auf die Natur aller Nachkommen Adams auswirkte, sondern allein aufgrund seines negativen Vorbildes, dem die Menschen nachfolgten, fortsetzte. 97 Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 36,5–7). Mit dem Theologen ist erneut Christian Chemnitz gemeint. 98 Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 36,7–9).
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Menschen zu noch mehr Nachlässigkeit und moralischer Verdorbenheit verleite. Das Problem an Pelagius’ Lehre von dem Vermögen des Menschen sieht Arnold folglich nicht in der Überschätzung menschlichen Vermögens, sondern darin, dass er die ganze Tragweite der menschlichen Verdorbenheit nicht wahrgenommen habe, also gleichsam noch zu optimistisch gewesen sei. Damit steht Arnold der Position des Pelagius jedoch deutlich näher als der Augustins; der Unterschied besteht allein in der jeweiligen qualitativen Bemessung der Verdorbenheit des Menschen. Arnold wie Pelagius gehen nicht von einer wesenhaften Verderbnis im Sinne der traduzinianischen Erbsünde, sondern im Sinne einer moralischen Trägheit des Willens aus, die sich durch schlechte Vorbilder wie die »Orthodoxi« fortsetzt. Nur unterschätzt Pelagius nach Arnold die Schwere der daraus resultierenden Verfallenheit des Menschen. Auf diese grundlegende Fehleinschätzung des Menschen und dessen »Verfall« lassen sich laut Arnold weitere Lehrsätze der Pelagianer zurückführen. Doch anstatt seine dogmatische Kritik zu vertiefen, betrachtet Arnold einzelne Ansichten der Pelagianer nun im antagonistischen Ballwechsel von Pelagianern und Orthodoxen, jeweils mit der Pointe, dass die Pelagianer entschuldigt werden.99 Auf die pelagianische Lehrmeinung, dass »die sünden Adams ihm allein und nicht seinen nachfolgern geschadet hätten und daß die kleinen Kinder in solchem stande seyn darinnen Adam vor dem fall gewesen«100 reagierten die Orthodoxen laut Arnold mit dem überzogenen Vorwurf, die Pelagianer würden in den Kleinkindern keine Sünde sehen.101 Arnold eröffnet daran anknüpfend eine Reihe weiterer gegenseitiger Vorwürfe,102 wobei er hierzu wie auch zu den folgenden Aussagen um das Ehe‑ und Sexualitätsverständnis den Pelagianer Julian von Aeclanum ausführlich zu Wort kommen lässt.103 Die für Arnold unangebrachte Kritik der Orthodoxen an der Sündenvorstellung der Pelagianer und die Betonung der abgrundtiefen Verdorbenheit der menschlichen Natur haben die Pelagianer dazu veranlasst, die Orthodoxen des Manichäismus zu beschuldigen, wenn sie den Menschen förmlich nicht als Geschöpf Gottes, sondern des Teufels ansehen. Nicht ganz ohne eine gewisse Logik habe daher der geschickt argumentierende Julian die Konsequenz gezogen, dass all diejenigen, die dem Menschen einen freien Willen Im Folgenden vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 36). Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 36,10–13). 101 »Aber hierinnen thate man ihnen zu viel, wenn die Orthodoxen sagten, sie wollten in ihnen gar keine sünde gestehen.« (Arnold, Ketzer-Historie, 236 [= Moeller, Kirchen‑ geschichte, 36,16–18]). 102 Im Folgenden vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 36 f.). 103 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 36,25–27) mit Anm. z, die das Zitat Julians aus Aug., c. Iul. imp. 1,73 (CSEL 85,1, 87–89 Zelzer) nachweist. Damit stellt dieser Abschnitt Arnolds zugleich intensivste Auseinandersetzung mit Julian im Kontext des pelagianischen Streites dar, wenn auch im Fließtext selbst dieser an keiner Stelle erwähnt wird. 99 100
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zusprechen und Gott als ihren Schöpfer ansehen, Pelagianer und Caelestianer genannt werden müssten.104 Tatsächlich wurden aber auch die Pelagianer von den Orthodoxen in Entgegnung dieser Kritik des Manichäismus bezichtigt, mit Arnold gesprochen »jedoch mit unrecht«105 – den gleichlautenden Vorwurf der Pelagianer, die Orthodoxen seien manichäischem Gedankengut verhaftet, verwirft Arnold bezeichnenderweise jedoch nicht. Arnold führt darauf noch kommentarlos zwei weitere Kritikpunkte Julians an, die in ihrer Stichhaltigkeit nicht von der Hand zu weisen sind: Die »Orthodoxi« müssten eigentlich den Ehestand verwerfen, da in ihrer Logik daraus verdorbene Kinder hervorgehen müssten.106 Noch treffender folgert Julian daraus, dass die Orthodoxen Gott eigentlich der Ungerechtigkeit beschuldigen müssten, da er ihrer Meinung nach zwar den Kindern die fremde Sünde Adams zurechne, aber ihnen die eigene Sünde vergebe. Arnolds Vorgehen ist hier bemerkenswert: in durchaus üblicher Tradition überlässt er seine Argumentation den freilich subjektiv ausgewählten, ihm dienlichen Zitaten und Paraphrasen. So muss er gar nicht mehr selbst betonen, wie absurd die Lehren der »orthodoxen« Widersacher sind. Diese Einsicht drängt sich jedem aufmerksamen Leser auf – wie auch die in der letzten Paraphrase mitschwingende Kritik an der Imputationslehre, welche selbst in der lutherischen Orthodoxie des auslaufenden 17. Jahrhunderts so kontrovers diskutiert wurde und bei späteren Darstellungen des pelagianischen Streites noch deutlich stärker unter Beschuss geraten wird.107 Diesen ersten Block zu den Lehrmeinungen, über welche die Pelagianer »sich auch nicht mit den Orthodoxen vereinigen konten« kommentiert Arnold mit dem Hinweis, dass die Pelagianer für dergleichen Ansichten von den Orthodoxen »beschrien und verhast« wurden.108 Gleiches gilt für Julians gegen die augustinische Erbsündenlehre gerichtete Aussage, dass der Tod nicht etwa durch natürliche Fortpflanzung der Erbsünde auf die Nachkommen Adams kommt, sondern durch deren eigene, individuelle Sünde beziehungsweise Nachfolge nach dem negativen Vorbild Adams.109 Ausführlicher wird Arnold schließlich, wenn er auf die von den Pelagianern wahrgenommenen ethischen Konsequenzen der Erbsündenlehre eingeht: 104 Vgl.
Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 36, 19–24). Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 36,29). 106 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 36,29–32). Zum Verständnis der Ehe und Sexualität bei Julian und seiner Kritik an Augustinus vgl. Lössl, Julian, 139 f. 107 Zur Diskussion um die Imputationslehre im 17. und 18. Jahrhundert vgl. Schubert, Ende der Sünde, 174–223. 108 Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 36,37–37,2). 109 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 37,2–5). Arnold zitiert hier Julian nach Aug., c. Iul. imp. 2,173 (CSEL 85,1, 292 f. Zelzer). Zum dahinterstehenden Verständnis der Natur des Menschen vgl. Lössl, Julian, 138 f. 105
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»Überdiß besorgten sie [die Pelagianer] auch, daß durch die lehre von dem verderb der natur, der wachsthum in der gottseligkeit gehemmet, und die leute zweifflend gemacht würden, ob sie immer völliger werden könten.«110
Es ist schon zu erahnen, wo dies hinführen wird: Die Pelagianer waren also in Sorge darüber, dass die Erbsündenlehre zu moralischer Laxheit und Faulheit führe, weil durch diese jedes Streben des Menschen nach moralischer Vollkommenheit unterbunden werde. Damit ist man wieder bei dem an sich so gut gemeinten Antrieb der Pelagianer angelangt, gegen das »Heuchelwesen« ihrer Zeit vorgehen zu wollen. Arnold ist nun aber auch darin konsequent, dass er nach diesem erneuten Anführen des frommen Anlasses auch die bereits vernommene Kritik an der Untertreibung der Verdorbenheit der menschlichen Natur durch die Pelagianer wiederholt zur Sprache bringt: »Und in diesem an sich selbst löblichen vorhaben sind sie nun zu weit gegangen und auff solche meynungen gerathen, die sie nicht behaupten konten.«111 Allerdings kann der Leser in diesem Satz feine Nuancen feststellen, welche die Aussage in eine andere Richtung lenken. Zunächst ist der Abschluss des Zitats mindestens zweideutig: Entweder ist Arnold selbst der Meinung, dass eine derartige Betonung des natürlichen Vermögens des Menschen unangemessen sei; oder aber Arnold meint hiermit, dass das Umfeld der streitsüchtigen, moralisch laxen und nur auf ihr eigenes Wohl bedachten Orthodoxen es den Pelagianern nicht erlaubte, ohne heftigen Widerspruch derartiges zu äußern. Bezeichnenderweise spricht Arnold hier nicht von »Irrungen« oder »Irrlehren« der Pelagianer, bedient sich also nicht eines häresiographisch-polemischen Vokabulars, obwohl er dieses doch durchaus gegenüber den Ansichten der Orthodoxen verwendet. Er spricht stattdessen ausdrücklich von »meynungen«, also Ansichten zu einer strittigen Frage.112 Noch deutlicher wird dies durch die folgende polemische Gegenüberstellung mit den »Orthodoxi«, welche den eingangs erwähnten Einwand, diese müssen sich hinsichtlich der Lehre erst einmal an die eigene Nase fassen, aufgreift:
110 Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 37,9–13). Anschließend zitiert Arnold als Beleg hierzu Aug., c. Iul. imp. 2,226 (CSEL 85,1, 340 f. Zelzer) sowie Pelag.haer., Demetr. (ediert unter Hieronymus in PL 30 / FC 65 Greshake). 111 Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 37,22–24). 112 Man wird noch bei Semlers Darstellung in der »Historischen Einleitung« sehen (siehe unten S. 153), dass sich dieser der Argumentation des Caelestius bedient, demnach strittige Themen zur Diskussion offenstünden und hierzu folglich unterschiedliche Meinungen bestehen können. Die Verwendung des Begriffs »meynung« könnte zugleich meine Annahme stützen, dass Arnold keineswegs seine eigene Meinung widergibt, sondern auf die Umstände der damaligen Zeit abzielt, die eine freie Meinungsäußerung zu diesen Fragen unterdrücke.
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»Wiewol auch die einbildungen der sicheren heuchler und maulchristen nicht besser war, wenn sie meinten, es sey um ein geringes zu thun, so könten sie selig werden, wenn sie wolten.«113
Anders als die Pelagianer vertreten die als »Heuchler« und »Maulchristen« Diffamierten hier zwar auch eine Meinung, die aber als »Einbildungen« abgewertet wird. Zugleich stellt Arnold diese »Maulchristen« damit in unmissverständlichen Worten als die wahren Ketzer dar, wenn er fortfährt: »Mit welchem und andern betrug des Teuffels sie eben so wol der gnade und krafft GOttes nichts, den naturkräfften aber alles zuschrieben, und also nicht weniger kätzer waren, da sie im grund der seligkeit fehleten, und noch dazu aus vorsatz und bosheit zur stärckung ihrer sicherheit.«114
Die Vehemenz dieser Aussage kann nicht unterschätzt werden. Aber blickt man hinter die Polemik, die den orthodoxen »Maulchristen« eigennützige, bösartige Motive unterstellt und mit dem Teufel in Verbindung bringt, so entdeckt man eine geschickte Taktik Arnolds: Er schiebt den Orthodoxen hiermit nämlich gleichsam ihren eigenen Vorwurf gegenüber den Pelagianern unter. Sie seien es, die in Wirklichkeit die natürlichen Kräfte des Menschen überbetonen und Gottes allmächtige Gnade damit herabstufen, nicht die Pelagianer. 4.2. »Ich weiß auch nicht, was in diesem […] bekäntnüß des Pelagii zu straffen sey«. Arnolds Richtigstellung der pelagianischen Gnadenlehre An dieses pelagianische Verständnis des freien Willens knüpft nun auch die Kritik der »Orthodoxi« am Gnadenverständnis der Pelagianer an. Arnold führt dieses überwiegend mittels übersetzter Zitate aus, wobei die gesamte Passage erneut stark der Zitatauswahl und dem Argumentationsgang der Historia Pelagiana von Vossius folgt.115 Die »Orthodoxen« hätten demnach die Pelagianer beschuldigt, sich zu sehr auf den freien Willen zu verlassen und damit die »hülffe des Schöpffers« verachtet.116 Diese Kritik richtet sich gegen die pelagianische Rede von der Gnade des freien Willens, wie sich auch die folgenden Absätze mit dem mehrteiligen Modell von Gottes Gnade bei den Pelagianern auseinandersetzen. Jegliches menschliche Vermögen bestünde nach der von Vossius zitierten Position des pelagianischen Dialogpartners Critobulus aus Hieronymus’ Dia‑ logus adversus Pelagianos allein aus und durch Gottes Gnade. Sie sei es, die den 113 Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 37,24–27). Einen Beleg für diese Behauptung bietet Arnold nicht. 114 Arnold, Ketzer-Historie, 236 (= Moeller, Kirchengeschichte, 37,27–32). 115 Vgl. Vossius, Historia Pelagiana, 294–300 (Thesis I) und 300–304 (Antithesis I). 116 Arnold, Ketzer-Historie, 237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 38,5). Arnold bezieht sich hierzu auf Hier., Pelag. 1 (CChr.SL 80, 53–97 Moreschini). Der Verweis ist Vossius, Historia Pelagiana, 295 entnommen.
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Menschen den freien Willen gegeben habe, aus dem heraus der Mensch handle. Gottes Hilfe werde daher auch nicht durch die Gnade des freien Willens aufgehoben, sondern zeige sich gerade in dieser. Diese »gnade des freyen willens« sei den menschlichen »creaturen« einmal beigegeben worden und erhalte diese nun.117 Ausdrücklich betont der Dialogpartner Critobulus, dass die Pelagianer »beydes in seinen gräntzen stehen« lassen, also sowohl die Gnade Gottes in Form des freien Willens, als auch das freie menschliche Vermögen, etwas zu tun oder zu unterlassen.118 Inwiefern verstanden die »Orthodoxi« nun diesen Gnadenbegriff der Pelagianer als Schmähung der »hüllfe des Schöpffers«? Das Problem sieht Arnold in der Auffassung der »Orthodoxi«, die den Begriff »Gnade« bei den Pelagianern als allein im Moment der Schöpfung des Menschen, nicht aber in dessen fortwährendem Schöpfungswerk, also seiner erhaltenden, dem Menschen gleichsam von außen zukommenden Gnade sehen.119 Gottes Gnadenhandeln werde also verengt auf die eine Gnade der Gabe des freien Willens, so interpretieren laut Arnold die Orthodoxen die Pelagianer; zum Beleg führt er hierzu Schriften Augustins an, womit dieser nun zugleich als einer der Orthodoxen identifiziert wird.120 Diese Fehlinterpretation widerlegt Arnold sogleich mit einem Zitat des Pelagius’, aus dem hervorgeht, dass der pelagianische Gnadenbegriff sich nicht alleinig auf das einmalige Schöpfungsmoment der Gnadengabe des freien Willens verengt. Vielmehr kenne Pelagius darüber hinaus eine Gnade des Gesetzes und eine Gnade der Lehre.121 Gottes fortwährende Hilfe oder Gnade werde also mitnichten verworfen, sondern zeige sich in der Gabe des alttestamentlichen Gesetzes und der Lehre Jesu Christi. Diese Lehre bestünde im Sinne eines Neuanfangs darin, dass »dem menschen gezeiget würde, wie er selig werden könne«.122 Arnold interpretiert diese Gnade der Lehre nicht nur passiv, sondern so, als würden 117 »Wir heben nicht die hülffe GOttes auff, wenn wir sagen, daß die creaturen durch die einmal beygelegte gnade des freyen willens erhalten werden.« (Arnold, Ketzer-Historie, 237 [= Moeller, Kirchengeschichte, 37,34–36]). Arnold zitiert in Übersetzung aus Hier., Pelag. 1,4 (CChr.SL 80, 2 f. Moreschini) nach Vossius, Historia Pelagiana, 295. 118 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 37,37–38,3). 119 Zur Kritik am Gnadenverständnis Pelagius’ vgl. Greshake, »Einleitung«, 23 f.28 f., der ausdrücklich betont: »Es trifft also nicht zu, wenn Augustinus Pelagius vorwirft, er ›bezeichne überhaupt nichts anderes als Gnade, denn unsere mit Freiheit ausgestattete Natur‹: Gnade ist viel mehr (1) die menschliche Natur, Gnade ist (2) Weisung durch Gott, und Gnade ist (3) der durch Gott geschenkte Neuanfang.« (Greshake, »Einleitung«, 23). 120 »Denn die Orthodoxen legten ihnen das wort gnade aus, als verstünden sie die allgemeine gnade der schöpfung, oder die art, darinnen GOtt den menschen geschaffen habe.« (Arnold, Ketzer-Historie, 237 [= Moeller, Kirchengeschichte, 38,6–9]). Arnold verweist hier auf Aug., ep. 95 (CSEL 34,2, 506–513 Goldbacher) und Aug., s. 11 (CChr.SL 41/1, 161–163 Lambot). Beide Augustinuszitate sind wieder entnommen aus Vossius, Historia Pelagiana, 295. 121 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 38,12 f.). Arnold verweist hierzu auf die definitiones Caelestius’. Den Beleg dazu entnahm Arnold erneut Vossius, Historia Pelagiana, 296). 122 Arnold, Ketzer-Historie, 237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 38,13 f.).
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die Pelagianer auch eine »würckliche Hülffe«, also ein aktives Gnadenhandeln Gottes – die wirksame, übernatürliche Gnade – nicht ausschließen. Auch hinsichtlich der Gnadenlehre der Pelagianer führt Arnold den Vorbehalt an, dass sie sich »auch in solchen expressionen nach den klaren worten der vornehmsten Lehrer, die zuvor dergleichen mit ihnen bekannt hatten«, richteten, also gar nichts »Neues« und damit häretisches erdacht hätten.123 Vielmehr hätten sie sich gewundert, dass sie für ihre Lehrmeinungen angegangen wurden, obwohl dergleichen zuvor ohne Widerspruch hingenommen wurde.124 Neben den üblichen Topoi wird auch vermehrt offene Kritik an der Erbsündenlehre und Augustinus laut, wenn auch über den Umweg der pelagianischen Kritik an diesen. Arnold bemerkt, dass im selben Maße, wie die Pelagianer durch den Verweis auf das Vermögen des Menschen dessen moralisch einwandfreien Lebenswandel herbeiführen wollten,125 von den Orthodoxen die »lehre von der schwachheit zur trägheit angewendet« worden.126 In diesem Kontext und mit gleicher Stoßrichtung wird Augustinus für seine Lehre vom freien Willen oder besser gesagt gänzlich unfreien Willen offen und direkt kritisiert, nicht nur von den Pelagianern, sondern durchaus auch von Arnold. Die Pelagianer hätten sich an »solche harte redensarten der größten Lehrer gestossen, welche dem menschen überhaupt allen freyen willen zu benehmen schienen, als von Augustino gewiß ist«.127 Über die bisherige Verteidigung des pelagianischen Gnadenbegriffs geht Arnold auch hinaus, indem er ausdrücklich mittels einer Paraphrase mehrerer Zitate herausstellt, dass die Pelagianer keineswegs leugnen würden, »daß dem menschen eine sonderbare gnade zur vergebung seiner sünden nötig sey, welche durch den glauben an JEsum Christum gegeben werde, und weder gesetz noch natur sey. Und dieser JEsus helfe ferner zur vermeidung der sünden da er uns durch seine heiligkeit ein exempel gelassen«.128
Die Pelagianer kennen nach Arnold also durchaus eine übernatürliche Gnade Gottes, die zur Sündenvergebung notwendig sei und nicht nur eine Gnade des freien Willens beziehungsweise der Natur des Menschen und des Gesetzes. Diese 123 Arnold,
Ketzer-Historie, 237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 37,27–32). »Dahero sie sich nicht versahen, daß man nunmehro darüber einen lärm anfangen würde, was sonst ohne wiederspruch war geduldet worden.« (Arnold, Ketzer-Historie, 237 [= Moeller, Kirchengeschichte, 38,23–26]). 125 Dass die Pelagianer nur ein nobles Anliegen hatten, will Arnold wieder durch »die Gelehrten« selber gestützt wissen und führt hierzu in der Anm. m erneut Chemnitz, Loci Theologici (dort der Locus »de humanis viribus seu de libero arbitrio«), sowie Vossius, Historia Pelagiana, 298 an. 126 Arnold, Ketzer-Historie, 237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 38,19 f.). 127 Arnold, Ketzer-Historie, 237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 38,27–30). Arnold bezieht sich hierzu erneut auf Vossius, Historia Pelagiana, 298 f. 128 Arnold verweist für diese Paraphrae sehr allgemein gehalten auf Aug., gest. Pel. 35; ders., ep. 94; ders., gr. et pecc. or. 124
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Gnade werde durch den Glauben an Christus erlangt, der zugleich – aber eben nicht ausschließlich! – als gutes Vorbild im Gegensatz zum schlechten Beispiel Adams wirke.129 Bereits mit dieser Zitatcollage stellt Arnold auch die Gnadenlehre der Pelagianer als tadellos dar, wird sie denn nur richtig verstanden. Freilich ist dies unter den »meisten« – womit Arnold Autoren der Spätantike und des 17. Jahrhunderts benennt und kritisiert – anders aufgefasst worden. Vielmehr hätten sie Pelagius, und zwar »ein jeder in absicht auff seine parthey«, vorgeworfen, eine verkürzte Gnadenlehre zu vertreten oder das Wort »Gnade« nur zum Schein zu nutzen.130 Der Verweis Arnolds auf die jeweilige »parthey« im deutlichen Gegensatz zum Leitmotiv der Unparteilichkeit seiner Ketzer-His‑ torie zielt zutreffend auf die Arbeiten insbesondere des 17. Jahrhunderts ab, die aufgrund ihrer Einbindung in die inner‑ und interkonfessionellen Streitigkeiten höchst voreingenommen und parteiisch waren, und häufig polemischen Zwecken dienten. Seinen demgegenüber unparteiischen Lesern will Arnold nun aber selbst anhand einiger ausführlicher Pelagiuszitate die Gelegenheit bieten, sich zur Frage nach der Ehrlichkeit und Klarheit der Aussagen des Pelagius unvoreingenommen eine Meinung zu bilden – freilich sollte aufgrund dieses ausdrücklichen Hinweises Arnolds auf seine Leserschaft und die vorherige Erwähnung der Parteilichkeit einiger kluger Köpfe klar sein, dass Arnold damit nur eine möglichst positive Beurteilung zulassen will. Er zitiert daher Pelagius: »Die unverständlichen leute, […] meinen, wir schmähen die Göttliche gnade, wenn wir sagen, sie vollbringe die heiligung in uns nicht ohne unseren willen. Gleich als wenn GOtt seiner gnade etwas zu verrichten gäbe, und nicht denen, welchen er auch den beystand seiner gnade verleihet, damit sie desto leichter dasjenige durch die gnade vollbringen können, was ihnen befohlen wird nach ihrem freyen willen zu thun. Welche gnade wir bekennen, daß sie nicht wie du meinest, allein im gesetz, sondern auch in der hülffe GOttes bestehe. GOtt hilft uns durch seine lehre und offenbarung, indem er die augen unsers herzens auffthut, indem er uns zukünfftige dinge zeiget, damit wir nicht in das gegenwärtige verwickelt werden; indem er uns durch die mannigfaltige und unaussprechliche gabe der himmlischen gnade erleuchtet. Sollte der nun noch die gnade 129 Arnold bemüht sich mit diesem Zitat aufzuzeigen, dass die gegnerische Darstellung der christologischen und soteriologischen Verkürzung bei Pelagius – Christus als bloßes Vorbild – unzutreffend ist, kennt doch Pelagius auch eine »sonderbare Gnade«, die aus dem Glauben an Christus erwächst. Dass vom Kreuzestod Christi und der daraus resultierenden Satisfaktionsleistung nichts erwähnt wird, sondern nur von Lehre und Offenbarung, stellt für Arnold scheinbar kein Problem dar. 130 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 38,37 f.). Arnold führt in der zugehörigen Anmerkung eine umfängliche Liste an Autoren und Werken von der Spätantike bin hinein ins 17. Jahrhundert als Beleg für diese Position an: Heiricus Autissiodorensis, Miracula S. Germani (PL 124, 1207–1270); Orosius; Hieronymus; Aug., haer. 80 (CChr.SL 46, 336 Vander Plaetse/Beukers); Ps.-Prosp., Conf. (PL 51, 607–610); Noris, Historia Pelagiana; de Laet, De Pelagianis et Semipelagianis commentariorum; Petavius, Opus de Theologicis Dogmatibus, Liber I, Tomus III; Ussher, Britannicarum Ecclesiarum Anti‑ quitates sowie ders., Gotteschalci et praedestinatione controversiae.
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läugnen, der also saget? Oder bekennet er nicht zugleich den freyen willen der menschen und auch die gnade GOttes?«131
Dieses Pelagiuszitat bietet freilich bis heute viel Freiraum für Interpretationen und Anlass zum Anstoß.132 So jedoch nicht für Arnold, der das Zitat wie folgt beurteilt und die gegenteilige Meinung damit schroff zurückweist: »Wer hier noch den Pelagium im verdacht haben wollte, als meynte ers doch nicht recht, da die worte an sich selbst klar und unsträflich sind, der würde einem andern freyheit geben, eben dergleichen von den Orthodoxen zu vermuthen.«133
Arnold kommt also anhand des Zitats zu dem Schluss, dass Pelagius mit dem hier gesagten eine klar verständliche Lehre vertritt. Er lässt den Lesern zwar die Option, die Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit dieser Worte des Pelagius anzuzweifeln, ihn also mit den »Orthodoxi« für einen Betrüger zu halten. Wer aber Pelagius vorwerfe, ein Lügner zu sein, der erlaube es anderen, dasselbe den vermeintlichen »Orthodoxen« vorzuwerfen, die sich mit ihrer Erbsündenlehre ja für »schwache menschen, ja noch mehr ausgeben, als die vermeintlichen ketzer«.134 Arnold gerät nun regelrecht in Fahrt, führt ein weiteres Zitat des Pelagius an, in welchem dieser betont, dass Gott das Gute im Menschen wirke und den »trägen willen zum verlangen nach GOtt entzündet«, und zwar durch die Verheißung des kommenden, der Offenbarung der Weisheit und Belehrung, »was gut ist«.135 Eine christologische oder soteriologische Verkürzung sieht Arnold hier nicht, sondern konstatiert lediglich: »Ich weiß auch nicht, was in diesem […] bekäntnüß des Pelagii zu straffen sey.«136 Besonders jene Betonung der Klarheit und Eindeutigkeit der Aussagen des Pelagius stellt Arnolds finale Argumentationslinie zu dessen Rehabilitierung dar. Das ist freilich kein Zufall, sondern greift den gängigen Vorwurf auf, Pelagius habe sich mit Vorsatz mehrdeutig ausgedrückt, um nicht seiner häretischen Lehre überführt werden zu können. Für Arnold hingegen sind Pelagius’ Worte klar verständlich, sodass jegliches Missverständnis nur aus Fehlinterpretationen oder absichtlicher Verdrehung der eigentlichen Intention herrühren könne. 131 Arnold, Ketzer-Historie, 237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 39,5–20). Arnold zitiert Pelagius hier in eigener Übersetzung nach Aug., gr. et pecc. or. 1,8 (CSEL 42, 130,31–131,20 Urba/ Zycha). 132 Insbesondere die in diesem Zitat stark verkürzte bis hin zu nicht vorhandene Christologie kann als problematisch empfunden werden; Christi Kreuzestod als Gnade Gottes, der die Sündenvergebung damit erwirkte, wird nicht genannt. Zudem wird die völlige Angewiesenheit auf die Gnade Gottes durch die Aussage aufgeweicht, dass diese nur dabei helfe, das leichter zu vollbringen, was der Mensch auch aus eigenem freien Willen vermag. 133 Arnold, Ketzer-Historie, 237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 39,20–24). 134 Arnold, Ketzer-Historie, 237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 39,25 f.). 135 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 39,32–34). Arnold zitiert hier Pelagius nach Aug., spir. et litt. 2 und 41 (CSEL 60, 155 f. und 194 f. Urba/Zycha). 136 Arnold, Ketzer-Historie, 237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 39,26 f.).
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Beides attestiert er anschließend den Gegnern der Pelagianer, ausdrücklich auch Augustinus. Natürlich, so fährt Arnold relativierend fort, hätten auch die Pelagianer sich die Freiheit genommen, nicht immer dieselben Begrifflichkeiten für ein und denselben Sachverhalt zu verwenden, was schließlich auch von den »Orthodoxi« so praktiziert worden sei. Aber anders als diese »erklärten sie [die Pelagianer] sich doch immer deutlich, zumal, wenn sie im streit begriffen waren«.137 Damit spielt Arnold auf die mehrfach geschilderte Streitlust und das unchristliche Betragen der »Orthodoxi« innerhalb von Konflikten an, zugleich werden die Pelagianer als besonnen und in der Wortwahl bedacht geschildert – womit Arnold zwei gängige Vorwürfe der Gegner des Pelagius bestreitet. Doch wie steht es nun, da Arnold herausgearbeitet hat, dass die Lehre des Pelagius zur Gnade äußerlich klar formuliert und unsträflich sei, um deren in‑ haltliche Qualifizierung? Denn all die zuletzt genannten Verteidigungen könnten sich ausschließlich auf die Beurteilung von deren Klarheit und Unmissverständlichkeit bezogen haben, aber müssen nicht zwangsweise eine inhaltliche Qualifizierung seitens Arnolds beinhalten. Hierzu vernahm der Leser bislang zwar Äußerungen Arnolds, die die Schärfe der pelagianischen Lehren vielfach relativieren und eingangs deren Orientierung an den Worten Christi herausstellten – aber wie ist es nun um die Beurteilung der Hauptlehren der Pelagianer durch Arnold bestellt? Arnold bringt dies kurz und prägnant auf den Punkt: »Also da sie den menschen in geistlichen dingen viel zuzuschreiben schienen, führten sie doch alles ursprünglich wieder auf GOtt und liessen ihm seine schuldige ehre.«138 Arnold interpretiert folglich die zugespitzten Aussagen der Pelagianer so, dass sie zwar bei oberflächlicher Betrachtung scheinbar alles auf die Natur des Menschen zurückführen, sodass dies wie eine menschliche Hybris erscheinen mag. Aber dies ist für Arnold zu kurz gedacht, denn letztlich führe Pelagius alles Vermögen zum Wollen allein auf Gott zurück, womit dessen Würde und Allmacht, die bei dieser Debatte um den freien Willen und das natürliche Vermögen des Menschen auf dem Spiel stehen, unangetastet bleibe. Arnold belegt dies mit einem weiteren Zitat des Pelagius, welches noch einmal hervorhebt, dass das Vermögen, das Gute zu wollen, allein auf Gott zurückzuführen sei, Gott aber zugleich dem so befähigten Menschen mit seiner Gnade weiterhin beistehe.139 Gott stifte das Können (posse) und damit die Voraussetzung zum Wollen (velle), also dem freien Willen, der durch die Hilfe Gottes noch zusätzlich unterstützt werden
Arnold, Ketzer-Historie, 237 (= Moeller, Kirchengeschichte, 40,6–8). Arnold, Ketzer-Historie, 237 f. (= Moeller, Kirchengeschichte, 40,8–11). 139 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 238 (= Moeller, Kirchengeschichte, 40,11–20). Arnold zitiert hier Pelagius nach Aug., gr. et pecc. or. 1,4 (CSEL 42, 127,18–26 Urba/Zycha). 137 138
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könne.140 Arnold will also beobachtet haben, dass Pelagius mit dieser drastischen Formulierung und weiteren »harte[n] formuln«141 keineswegs seinen menschlichen Hochmut und eine Herabwürdigung der Allmacht Gottes an den Tag legte. Freilich funktioniert eine solche Argumentation zugunsten der Gnadenlehre des Pelagius nur unter einer Bedingung, die Arnold hier nicht explizit ausspricht: der Verwerfung der Erbsündenlehre. Wäre Adams Sünde nur ihm selbst angerechnet, so hätte nur er unter den Konsequenzen seiner Individualsünde zu leiden; alle nach ihm und aus ihn geborenen Menschen würden jedoch weiterhin gemäß der guten Schöpfung über einen uneingeschränkt freien Willen verfügen, wie es Augustinus ausschließlich für den prälapsalen Zustand des ersten Menschen annimmt. Folglich kann alles gute Tun in direkter Linie aus dem freien Willen abgeleitet werden, der wiederum von Gott dem Menschen aus Gnade bei seiner Schöpfung beigegeben wurde.142 Arnold erkennt zwar, eine allgemeine Verdorbenheit unter den Menschen an, die Pelagius sogar unterschätzt habe, aber damit ist keineswegs die Erbsünde gemeint, sondern die durch das negative Beispiel Adams über Generationen hinweg fortgeführte schlechte Gewohnheit des Menschen – die durch die Annahme einer Erbsünde nur weiter befördert wird.
5. »Der anfang der eigentlichen atheisterey«. Arnolds Äußerungen zum »Pelagianismus« in den Verteidigungsschriften der Ketzer-Historie ab 1703: eine Kehrtwende? Zwar nicht den Teufel, aber allzu große Sympathien für den Ketzer Pelagius sahen in der Folgezeit viele Kritiker in Arnolds Ketzer-Historie am Werk. Die breiten Interpretationsspielräume, die Arnold in seiner Darstellung des pelagianischen Streites geboten hatte, mögen dafür ebenso Anlass gegeben haben wie ausdrückliches Lob für Lehre und Charakter des Erzketzers.143 Arnold sah sich daher in der Zeit nach Antritt des Pfarramtes und nach seiner Eheschließung veranlasst in seinen Supplementa (1703), Abwege oder Irrungen (1708) sowie den Historisch-theologische[n] Betrachtungen (1709) zu seiner Darstellung des Pelagius einige Revisionen vorzunehmen. Wäre der Vorwurf von 140 Zur Unterscheidung der drei Kräfte posse, velle und esse/agere bei Pelagius vgl. Aug., gr. et pecc. or. 1,4 f. (CSEL 42, 127 f. Urba/Zycha). 141 Wie die, dass der Mensch den weltlichen Anfechtungen auch von Natur aus widerstehen könne, dies durch die Gnade Gottes aber leichter werde. 142 Auch frühere Kirchenväter wären Arnold zu Folge für ähnliche oder härtere Aussagen zugunsten der Vorstellung eines freien Willens nicht kritisiert oder verketzert worden; vielmehr haben sich die Orthodoxen um deren Verteidigung bemüht. Arnold stellt hierzu spitz fest, dass »einige kätzermacher« dies »vergebens läugnen oder bemänteln wollen« (Arnold, KetzerHistorie, 238 [= Moeller, Kirchengeschichte, 41,2 f.]) und verweist konkret auf Baronius, An‑ nales 5, 417, Nr. 18. 143 Vgl. Schmidt, »Arnold, Gottfried«, 138.
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lutherisch-orthodoxer Seite unter den geänderten Lebensumständen im Pfarramt nicht so laut gewesen, hätte Arnold von derartigen Änderungen sicher abgesehen.144 Tatsächlich würde ein Pelagianismusvorwurf nicht fern liegen, da man für die Zeit vor 1703 beobachten kann, dass Arnold für Pelagius und die anderen prominenten Pelagianer offene Sympathien hegt und sogar für sie Stellung bezieht: uneingeschränkt lobt er den einwandfreien Lebenswandel des Pelagius sowie dessen gut gemeinte Absichten in der Bekämpfung eines laxen Christentums; Pelagius sei ein wahrer Christ, ganz im Gegensatz zu seinen Widersachern. Differenzierter äußerte Arnold sich über Pelagius’ Lehre, aber selbst die Überschätzung des Vermögens des menschlichen Willens – Arnolds einziger Kritikpunkt an Pelagius’ Theologie – wird mit dem Verweis, dass eine solche Überschätzung nur »anfänglich« gegeben war, relativiert. Pelagius wird von Arnold somit nicht als starre Schablone für festgesetzte Positionen dargestellt, sondern als Theologe, der seine Lehrmeinungen verfeinern konnte. Arnold hat seine in der Ketzer-Historie getroffenen Äußerungen über den pelagianischen Streit und die pelagianische Lehre niemals als falsch bezeichnet, sondern sprach in seinen Verteidigungsschriften ab 1703 von Verbesserungen oder Explikationen des bereits Gesagten.145 Freilich erfüllen solche Vorbemerkungen vor allem den Zweck, jegliche substantielle Kritik von sich zu weisen. Sein historisches Interesse scheint demgegenüber in den Hintergrund zu treten: Primär dienen die Anmerkungen Arnolds persönlicher Verteidigung und sind aus dieser heraus, und nicht etwa aus dem Wunsch, die Geschichte präziser darzustellen, motiviert.146 Nachdem sich Arnold in den Supplementa von 1703 zunächst davon distanziert, in der Ketzer-Historie allzu harte und einseitige Kritik gegenüber Hieronymus und Augustinus geäußert zu haben,147 wendet er sich seiner Darstellung der »Ketzerey Pelagii« zu. Arnold geht nun hart mit den Pelagianern ins Gericht. Die Verwendung des Ketzerbegriffs setzt dabei den Grundton für die 144 Arnold verfasste seine Verteidigungsschriften zur Zeit der Ausübung des Pfarramtes. Denkbar ist daher, dass seine Klarstellungen zur Pelagiusdarstellung und dem Pelagianismus erfolgten, um trotz aller Toleranz, die er erfuhr, nicht in kirchenpolitische Schwierigkeiten zu geraten oder zumindest nicht unter die Zensur zu fallen. 145 So schreibt Arnold im Eröffnungsparagraphen (§ 1) der Anmerkungen zu seinen Darstellungen der Häresien in Die Abwege oder Irrungen, 600, dass er hier die Gelegenheit nutze, sich »von einem oder anderm in der Kirchen-Historie enthaltenem punct […] zu expliciren«. 146 Hermann Dörries beobachtet in den Supplementa, ausdrücklich im Kontext der Ausführungen Arnolds zu Pelagius, ein deutliches Zurücktreten des historischen Interesses Arnolds. Alles »›Historische‹« sei »ihm nun gleichgültig geworden«, »historische Fragen überhaupt [haben] an Bedeutung für ihn verloren«. (Hermann Dörries, Geist und Geschichte bei Gott‑ fried Arnold. AAWG.PH III/51 [Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1963], 78). 147 Arnold betont dementgegen, in beiden Fällen eine ausgewogene, unparteiische und historisch korrekte Darstellung geboten zu haben, die es ihm freilich auch auferlegt, Fehler nicht zu verschweigen.
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weitern Ausführungen. Hinsichtlich der Lehre vom freien Willen betont Arnold konsequent, dass er mit seinen damaligen, rein auf die historischen Zusammenhänge bezogenen Äußerungen in der Ketzer-Historie, »denen an sich selbst verwerfflichen und schädlichen Irthümern von der Krafft des freyen Willens, und der Geringmachung der natürlichen Verderbnüß, wie sie alle aus heydnischen Principiis fliessen, nicht im geringsten das Wort rede«.148
Arnold unterscheidet damit die reine Darstellung äußerer historischer Fakten von einer Beurteilung der Lehre vom freien Willen und der Natur des Menschen: so löst er das Lob für Pelagius’ einwandfreien Lebenswandel aus der Beurteilung von dessen Lehre heraus. Die Darstellung des Lobs habe damals allein der historischen Vollständigkeit und seinem »unpartheyischen« Grundsatz gedient.149 Bemerkenswert ist noch, dass Arnold hier erstmals philosophische Wurzeln für die Lehre vom freien Willen und die Hochschätzung der menschlichen Natur anführt. Diese Ergänzung, so doppeldeutig sie bei einer spitzfindigen Lesart auch verstanden werden könnte,150 bleibt jedoch abseits des Verwerfungscharakters der Passage ohne weitere Folgen. Zwar bleibt Arnold an späterer Stelle bei der Meinung, Pelagius’ Worte seien absolut unsträflich, dass Gott den Menschen durch seine Verheißung fromm mache, wenn auch freilich unter der Voraussetzung, dass Gott durch seine Gnade den »ohnmächtigen Menschen« auch »genugsame Kräffte« dazugibt.151 Allerdings kann diese kurze Aussage Arnolds breit als pelagianisch, semipelagianisch oder doch gut orthodox-lutherisch oder augustinistisch verstanden werden, womit Arnold seiner Offenheit in mancher Formulierung treu bleibt. Aber nicht darauf kommt es ihm an, sondern darauf, dass eine solche Annahme Arnold, Supplementa, 119. Offenbar setzt Arnold seinen Grundsatz der Unparteilichkeit nun konsequenter um. Hermann Dörries wagt daher, die provokante Frage zu stellen: »Wenn der Verfasser [Arnold] jetzt nur noch für eine unvoreingenommene Behandlung der Angeklagten eintritt, selbst aber entschieden von ihnen abrückt und das Urteil den geschulten Richtern überläßt – berührt nicht solche Verwandlung des beredten Anwalts in den unbeteiligten Berichterstatter das Wesen des Werkes selbst?« (Dörries, Geist und Geschichte, 78). 150 So könnte der Leser den Passus auch so verstehen, als nähme Arnold hiermit jedoch auch eine Unterscheidung vor, welche die Kritik an Pelagius zunächst wieder abmildert: Er selbst distanziert sich so verstanden zwar ausdrücklich von dessen Hochschätzung des freien Willens, allerdings nur im heidnisch-philosophischen, also vorchristlichen Sinne. An sich selbst seien solche philosophischen Ansichten von der Kraft des freien Willens, wie Arnold sehr deutlich macht, absolut zu verwerfen und schädlich. Arnold hatte jedoch an keiner Stelle seiner Darstellung der Lehre des Pelagius in der Ketzer-Historie, anders als beispielsweise später Hering mit seinem Verweis auf die Stoiker, diese in die antik-philosophische Tradition gestellt – und dies ist auch in den Supplementa nicht ausdrücklich erfolgt. Freilich lässt sich dies auch anders interpretieren: So kann die Anführung heidnisch-philosophischer Prinzipien als schlichte Korrektur an seiner eigenen Darstellung in der Ketzer-Historie aufgefasst werden, die dies nicht ausreichend explizierte; so verstand es auch Dörries, Geist und Geschichte, 78. 151 Arnold, Supplementa, 120. 148
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des freien Willens ohne Berücksichtigung der Gnade Gottes, also im rein antikphilosophischen Sinne freilich falsch und »sträfflich« sei. Weitere Zurückweisungen Arnolds haben keinen eindeutigen dogmatischen Bezugspunkt. Zur Hervorhebung des guten Lebenswandels des Pelagius in der Ketzer-Historie merkt Arnold bitter an, dass weder jener, noch die schändlichen Verhaltensweisen seiner Gegner, Pelagius’ Lehren »gut machen« würden.152 Die guten Absichten der Pelagianer hätten es zwar erlaubt, sie weniger hart zu behandeln, sie aber trotzdem nicht von »der Schuld der schweren Irrungen befreyet« – genauso wenig wie die Verleumdungen und harten Vorgehensweisen ihrer Gegner durch gute Absichten zu entschuldigen gewesen wären.153 Spätestens jetzt muss man feststellen, dass Arnold von einer seiner grundlegenden Verteidigungsstrategien für die Pelagianer Abstand nimmt: Eindeutig verwirft er seine parteiische Methode, die er so ausgiebig in der Ketzer-Historie angewandt hat. Kleine Spuren seiner in der Ketzer-Historie gepflegten Relativierungsmethode finden sich aber auch in diesen Revisionen: So wird die Kritik an Pelagius durch den Hinweis darauf, dass Pelagius’ Schüler später noch über dessen theologische Ansichten hinausgingen, sich also radikalisierten, abgemildert, was zugleich wieder Pelagius selbst als vergleichsweise harmlos erscheinen lässt.154 Wirklich drastisch wird Arnold ohnehin erst fünf Jahre später in seinem Urteil gegen die Äußerungen der Pelagianer zum freien Willen und der Verwerfung der Verdorbenheit der menschlichen Natur. In Die Abwege oder Irrungen schreibt er über seine frühere Darstellung der Pelagianer: »Ferner habe ich wegen des verderblichen grund-irrthums der alten und neuen Pelagianer von der krafft des freyen willens und verleugnung des natürlichen verderbens im menschen daselbst [in den Supplementa] frey bekannt, […] daß nicht leicht eine gefährlichere abführung von der wahren bekehrung und wiedergeburt erdacht werden könne, als eben der Pelagianismus. Ja daß diese gottlose Lehre neben dem mißbrauch der vernunfft in Göttlichen dingen der anfang der eigentlichen atheisterey und aller gottlosigkeit in der welt sey und bleibe.«155
Nun ist der »Pelagianismus« – ein Begriff, den Arnold in der Darstellung des Streites selbst konsequent gemieden hat! – eine der verwerflichsten und schädlichsten aller denkbarer Häresien, ja die Vorstufe zum Atheismus und zur Gottlosigkeit selbst. Dass Arnold mit diesen Äußerungen jedoch keine Klar Vgl. Arnold, Supplementa, 120 (zu § 5). Vgl. Arnold, Supplementa, 120: »Dabey sie dann ihre gute Absicht, die sie vorgegeben, zwar wol eines gelindern tractaments werth gemachet, nicht aber von der Schuld der schweren Irrungen befreyet hätte gleichwie die §. 4. und 5. u. 10. angezeigten harten proceduren, Spottreden, Verfolgungen und dergleichen ihrer Gegenpart eben so wenig mit der guten Intention justicirt werden können«. 154 Vgl., Arnold, Supplementa, 120. 155 Arnold, Abwege oder Irrungen, 600 f. 152 153
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stellung seiner Ketzer-Historie, sondern seiner Supplementa vornimmt, zeigt freilich nur, wie mehrdeutig er sich für seine Zeitgenossen zur Causa Pelagiana immer wieder geäußert hat, sodass er sich wieder zu derart scharfen Äußerungen veranlasst sieht, die sich nicht ansatzweise aus der ein Jahrzehnt zuvor entstandenen Ketzer-Historie ablesen lassen. Über Arnolds Motive zu diesen Äußerungen lassen sich nur Spekulationen anstellen, aber man sieht in den Verteidigungsschriften, spätestens in Abwege oder Irrungen, meiner Ansicht nach nicht etwa eine pauschale Abwendung von seinem positiven Bild des Pelagius, sondern vielmehr eine plakative Ablehnung des Pelagianismus, um den gegen ihn selbst gerichteten Pelagianismusvorwurf von sich zu weisen.156 So naheliegend und einleuchtend es auch sein mag, hiermit Pelagius’ eigene Lehre durch Arnold als häretisch verworfen anzusehen, muss man sich dennoch Arnolds Begriffsgebrauch näher ansehen: Pelagius selbst wird hier nicht erwähnt, sondern nur die Pelagianer, darunter die »alten«, worunter die unmittelbaren Anhänger und »Schüler« des Pelagius selbst zu verstehen sind, wie auch die »neuen« Pelagianer.157 Auch ist seine Verwendung des Pelagianismusbegriffes nun im Sinne eines generalisierten, verallgemeinerten Pelagianismus’ zu verstehen, der gleichsam zum Sammelbegriff für die Überschätzung des menschlichen Willensvermögens und die Ablehnung der Annahme einer verdorbenen Natur im philosophischen Sinne geworden ist. In die gleiche Richtung weist auch Arnolds Umgang mit diesem Begriff in seiner letzten zu betrachtenden Verteidigungsschrift Historisch-theologische Be‑ trachtungen von 1709. Nach einer knappen Wiederholung des bereits in den Supplementa Gesagten schwört Arnold nun förmlich vom Pelagianismus ab: »Hier siehet in genere ein jeder schon soviel, daß Hr. A[rnold] vom Pelagianismo ernstlich abhorrire, und nimmermehr intendire, demselben zu favorisiren.«158 156 Die einfachste Erklärung lautet, dass Arnold seine Ansicht geändert und von seiner positiven Darstellung des Pelagius abrückte und diesen schlussendlich verurteilt hat. Das allein trifft es aber nicht. Was Arnold hier verwirft, ist nicht zwingend sein bisheriges Urteil über das theologisch selbstständig denkende Individuum Pelagius, sondern das häresiographische und ‑logische Konstrukt des »Pelagianismus’«, eines Oberbegriffes, unter dem sämtliche, verschiedene Positionen versammelt werden, die die Willensfreiheit und das natürliche Vermögen des Menschen überbetonen und Gottes Gnade vernachlässigen oder als überflüssig betrachten. Somit distanziert sich Arnold persönlich davon, selbst einen dogmatischen Pelagianismus zu vertreten, was aber seine historische Darstellung des Pelagius nicht berührt. Freilich bleiben dessen persönliche Sympathien für Pelagius letztlich der Spekulation überlassen. 157 Arnold spielt mit der Rede von »neuen« Pelagianern nicht etwa auf die spätantiken Semipelagianer an, was ohnehin eine eher ungewöhnliche Bezeichnung dieser wäre. Es ist davon auszugehen, dass Arnold viel mehr auf frühneuzeitliche Vertreter zielt, denen von verschiedenen Seiten der Pelagianismusvorwurf gemacht wurde. Zu denken sei hier auch an die Polemik innerhalb der katholischen und protestantischen Debatten des 17. Jahrhunderts im Rahmen der Augustinusrezeption jener Zeit. Freilich dient diese Distanzierung Arnolds noch stärker zum Schutz seiner selbst. 158 Arnold, Historisch-theologische Einleitung, 340, Teil 3, 25.
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Arnold verwirft in diesem Bekenntnis absolut unzweifelhaft und ausdrücklich den Pelagianismus, aber dieser allgemeine Verwerfungssatz hat nur noch wenig Bezug zur Darstellung des Pelagius in der Ketzer-Historie. Es geht ausschließlich um das Aufzeigen seiner eigenen Rechtsgläubigkeit. Zugleich gesteht Arnold nun mit der Verwendung der zeitlichen Bestimmung »nimmermehr« ein, vormals doch Anlass zu der Interpretation geboten zu haben, eine wie auch immer geartete Form von »Pelagianismus« oder Sympathien für diesen gehegt zu haben. Doch was tragen all diese Revisionen und die Abschwörung letztlich zu Arnolds Bild des Pelagius und seiner Lehre, wie er es in der Ketzer-His‑ torie gezeichnet hat, bei? Wenig; denn nicht das historische Interesse um Präzisierung und Würdigung des vormals immer so schmählich als Ketzer beurteilten Pelagius war in den defensiven Revisionsschriften mehr am Werk, sondern das Bemühen um die Abwehr der Vorwürfe, die sich gegen Arnold selbst richteten. Der Bezug zur eigentlichen Darstellung des Pelagius in der Ketzer-Historie ist in den Verteidigungsschriften ohnehin vollkommen minimiert, sodass es Arnold hier nicht mehr um historische Korrekturen oder Klarstellungen geht, sondern um eine rein dogmatische Beurteilung und persönliche Abgrenzung vom Pelagianismus als dogmatisches Abstraktum und theologisches Feindbild.
6. Zusammenfassung Unter nachfolgenden Generationen von Kirchenhistorikern haben Arnolds Revisionen für das Ketzerbild im Generellen wie für das des Pelagius im Speziellen keine signifikante Beachtung gefunden. Was im Gedächtnis blieb, ja geradezu Gemeingut unter den Gebildeten wurde, war die radikale Umwertung von Ketzern und Orthodoxen in der Ketzer-Historie.159 Noch viele Jahrzehnte später konnte daher ein lutherischer Dorfpfarrer wie eben Hering das Anliegen und die Methode Arnolds darauf zuspitzen, jener habe das Bestehen von Ketzereien gänzlich bestritten und demgegenüber die rechtgläubigen Kirchenväter als Ketzermacher verurteilt. Tatsächlich blieb Arnold in seiner radikalen Vorreiterrolle unter den Akademikern für viele Jahrzehnte zwar allein, aber eben nicht unbeachtet, wie die 159 Differenzierter äußerte sich Andreas Sommer über Ansatz und Ziel des Werkes: »Es mischt die traditionellen Fronten zwischen Rechtgläubigkeit und Ketzerei gänzlich auf, um so die wahre Christlichkeit von den konkurrierenden kirchlichen Institutionen abzulösen, nicht aber um diese Christlichkeit nun neuerlich irgendeiner bestimmten separatistischen Gruppe zuzuschrieben.« (Andreas Urs Sommer, »Fragmentarisierte [Heils‑]Geschichte? Bemerkungen zu Gottfried Arnold«, in Interdisziplinäre Pietismusforschungen. Beiträge zum Ersten Interna‑ tionalen Kongress für Pietismusforschung 2001. Band 1, hg. v. Udo Sträter u. a., 135–144. Hallesche Forschungen 17/1 [Tübingen: Max Niemeyer, 2005], 135).
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vielen Bezugnahmen weiterer hier zu betrachtender Autoren noch offenlegen werden.160 Einige, wie der im Anschluss zu betrachtende Mosheim haben es sich geradezu zum Ziel gesetzt, mit Arnolds nicht erfülltem Anspruch, unparteilich die Kirchengeschichte darzustellen, ernst zu machen. Offenkundig waren historische Pelagiusstudien kein theologisches Hauptanliegen Arnolds. Seine Darstellung bleibt knapp und in der Struktur konservativ, zudem in manchen Passagen stark der ihm vorangehenden Literatur verhaftet, insbesondere den Vorarbeiten Vossius’. Dennoch erweckt die Darstellung beim Leser den Eindruck, als habe sich Arnold in Pelagius wiedergefunden. Wenn man Arnolds Biographie hinzuzieht, leuchtet die bislang ungehörte und ungewohnte positive Beurteilung Pelagius’, die kaum vorhandene Beachtung des zumeist noch hoch geachteten Augustinus und die große Verachtung für die Orthodoxie umso mehr ein.161 Für die damalige Zeit war es dennoch ein nahezu unfassbares Novum, so positiv über einen der zentralen Ketzer zu schreiben, wie die starke Kritik von lutherisch-orthodoxer Seite und Arnolds Selbstverteidigung verdeutlichen. Freilich war es weniger problematisch, dessen Lebenswandel positiv darzustellen, denn diesbezüglich konnte sich Arnold auf die Kirchenväter selbst beziehen; innovativ ist auch die Kritik an den »Orthodoxen« nicht, ja selbst die Kirchenväter härter anzugehen, haben schon andere Autoren vor Arnold gewagt. Sich aber in so vielen Punkten positiv über die Lehre Pelagius’ zu äußern, anstatt diese pauschal zu verurteilen, ist das wahre Novum dieser Darstellung des Pelagius in der Ketzer-Historie.162 Arnold rückt zudem nicht allein die ihm durchaus einleuchtende dogmatische Unzulänglichkeit des freien Willens und der Unterschätzung der Sün160 Zur weiteren Rezeption neben den in dieser Untersuchung folgenden Beobachtungen vgl.
Fleischer, »Umstrittene Kirchengeschichsschreibung«, 165–172, der einen guten Überblick von Mosheims bis Schroeckhs allgemeiner Rezeption der Ketzer-Historie bietet. 161 Die Ursache für diese positive Haltung gegenüber Pelagius selbst sehe ich letztlich nicht ausschließlich in einer generellen Parteinahme für die Ketzer, wie beispielsweise schon der schnelle Vergleich mit Nestorius oder Arius bei Arnold aufzeigen würde, die beide deutliche Kritik erfahren, sondern wohl eher in Arnolds moralischem Anspruch, den er in Übereinstimmung mit der Ethik des Pelagius sieht, welchen er als »des wahren Christentum ernstlich beflissen« betrachtet. Die Behauptung Wallmanns (Wallmann, Kirchengeschichte, 132), Pelagius sei in der Ketzer-Historie wie Arius aufgrund derer Streitlust von Arnold scharf kritisiert worden, kann nicht bestätigt werden; eher muss von einer klaren Sympathie für Pelagius die Rede sein. 162 Bernd Moeller hingegen betont, dass Arnold in seiner Ketzer-Historie insbesondere die sittlichen Vorzüge der Ketzer herausstellte, deren Lehre jedoch in den Hintergrund treten ließ und auf diese Weise ein positives Bild des Erzketzers malen konnte. Dazu bezieht Moeller sich ausdrücklich auf die Darstellung de Pelagius, vgl. Moeller, Kirchengeschichte, 743. Ich kann dieser Feststellung nur bedingt zustimmen: Es trifft zu, dass Pelagius Charakter und Betragen als uneingeschränkt gut, frei von jeglichem sonst üblichen Hinweis auf dessen betrügerisches Verhalten, bewertet wird; aber auch dessen Lehre erfährt in der Ketzer-Historie eine überwiegend positive Beurteilung, mit der einen Einschränkung zur Einschätzung der Verdorbenheit des Menschen; erst in den Verteidigungsschriften verurteilt Arnold pauschal einen generalisierten nicht individuell gebundenen Pelagianismus.
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denverfallenheit des Menschen ins Blickfeld der Leser, sondern würdigt auch randständige Aspekte pelagianischer Lehre: So wirft Arnold ein Licht auf die Reichtumskritik und die Ausführungen zur Gleichberechtigung der Frauen im Gottesdienst – Aussagen eines Erzketzers, die diesen heute noch in Gestalt der Kapitalismuskritik und Gleichberechtigungsdebatte auch innerhalb der Kirche anschlussfähig und merkwürdig aktuell erscheinen lassen.163 Die Frage nach der Kindertaufe, die in den meisten modernen Darstellungen als ursprünglicher Anlass des Streites herausgestellt wird, findet hingegen nur am Rande Erwähnung. Das gilt in besonders auffälliger Weise auch für die Prädestinationslehre Augustins, die in der Darstellung Arnolds überraschenderweise keinerlei Erwähnung findet und nur bei der Behandlung der Semipelagianer knapp angerissen wird.164 In späteren Darstellungen des Streites wird sie mit der Erbsündenlehre zum Hauptziel der antiaugustinischen Kritik und als Augustins Erfindung herausgestellt. Es wirkt, als sei Arnold mit seiner Sympathie für Pelagius und der eher zurückhaltenden Kritik an Augustinus zu früh gekommen. Ihm fehlte noch das rechte Handwerkszeug, vor allem in Gestalt der Dogmengeschichte und ‑kritik, um seine Ansichten weiter zu untermauern und gegenüber Kritikern stichhaltig zu verteidigen.165 Dass Arnold dennoch wegweisend für einen zukünftig freieren Umgang mit dem pelagianischen Streit wurde, steht außer Frage und wird auch nicht durch seine späteren Relativierungen und die pauschale Verwerfung des Pelagianismus ab 1703 geschmälert. Arnolds Ketzer-Historie stellte somit, wie schon das eingangs zitierte Votum Goethes verdeutlicht, zu Beginn des 18. Jahrhunderts einen wichtigen Schritt hin zu einer neuen kirchengeschichtlichen Betrachtung und gesellschaftlichen Rezeption des vermeintlichen »Erzketzers« als wahren Christen dar, wenn nicht sogar einen wichtigen Schritt hin zur Rehabilitierung seiner Person – und schließlich auch seiner Lehrmeinung. Doch bis diese neue Sicht in voller Breite ihre Wirkung entfaltet, ist es noch ein langer Weg von mehr als einem halben Jahrhundert, wie der fromme Pfarrer Hering eingangs des Kapitels so eindrücklich veranschaulichte.
163 Natürlich lässt sich diese Beobachtung nicht pauschalisieren, sondern nur in Analogie zur Gegenwart aufzeigen. Dennoch lässt sich in einigen Aspekten des Denkens Pelagius’ eine bemerkenswerte Modernität erkennen, die seine Beschreibung als einen frühen Aufklärer nicht gänzlich unberechtigt erscheinen lässt. 164 Im Abschnitt über die Semipelagianer (Arnold, Ketzer-Historie, 238) vermerkt Arnold schließlich nur, dass Augustinus sich gegen die Vertreter einer doppelten Prädestination gestellt habe. Von einer Sekte der »Prädestinatianer« weiß Arnold unter einem solchen Titel ebenfalls nicht zu berichten, sondern lässt auf die Darstellung der Semipelagianer unmittelbar die des »Nestorii streit« folgen. 165 Freilich ließe sich auch argumentieren, dass es gerade Arnolds früher Mut und Anstoß war, der das Feld für einen freieren Umgang mit dem Ketzer Pelagius in späteren Jahrzehnten mit bereitet hat.
II. Johann Lorenz von Mosheims Institutiones (1755)
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II. Johann Lorenz von Mosheims Institutiones (1755) 1. Einführung Kopfschüttelnd dürfte wohl noch einige Jahrzehnte nach der Veröffentlichung der Ketzer-Historie Johann Lorenz von Mosheim (1693–1755)166 über Arnolds wohlwollender Darstellung des Pelagius gesessen haben. Denn anders als das enfant terrible des Pietismus Arnold hat Mosheim zweifelsohne keine Sympathien für den Erzketzer gehegt. Und doch befindet sich unter der Oberfläche seiner eigenen knappen Schilderung des pelagianischen Streites in den In‑ stitutiones vieles schon in Bewegung, im Übergang zu einer neuen Sicht auf den pelagianischen Streit. Mosheim beklagt in den Institutiones berechtigterweise, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine angemessene Darstellung des pelagianischen Streites gäbe, eine solche aber dringend nötig wäre.167 Er selbst leistet diesen Beitrag jedoch nicht, wie man ernüchtert feststellen muss: mit dem Thema befasst er sich auf knapp zwei Seiten seiner Institutiones.168 Rechnet man noch großzügig die daran anschließenden, ebenfalls kurzen Darstellungen der Prädestinatianer und Semipelagianer sowie weiterer Gnadenstreitigkeiten diesem Komplex hinzu,169 kommt man auf gut drei Seiten in der späteren Auflage von 1755.170 166 Zu Person, Leben und akademischem Wirken Mosheims vgl. u. a. Bernd Moeller, »Johann Lorenz von Mosheim und die Gründung der Universität Göttingen«, in Theologie in Göttingen, hg. v. Bernd Moeller, 9–40. Göttinger Universitätsschriften. Serie A: Schriften. Band 1 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1987), 9–40; Inge Mager, »Zu Johann Lorenz von Mosheims theologischer Biographie«, in Johann Lorenz Mosheim (1693–1755). Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte. Vorträge, gehalten anläßlich eines Arbeitsgespräches vom 12. bis 15. September 1994 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, hg. v. Martin Mulsow u. a., 277–296. Wolfenbütteler Forschungen 77 (Wiesbaden: Harrassowitz, 1997); Karl Heussi, »Zur Lebensgeschichte Johann Lorenz von Mosheims«, ZGNKG 10 (1905): 96–123; Angelika Alwast/Jendris Alwast, »Johann Lorenz Mosheim«, BLSHL 10 (Neumünster: Wachholtz, 1994): 258–263; Albrecht Beutel, »Mosheim, Johann Lorenz v.«, RGG4 5 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2002): 1546 f.; Nathanael Bonwetsch, »Mosheim als Kirchenhistoriker«, in Festschrift zur Feier des hundertjährigen Bestehens der Königlichen Gesell‑ schaft der Wissenschaften zu Göttingen, 235–261 (Berlin: Weidmann, 1901). 167 Vgl. Mosheim, Institutiones, 230, § XXIII, Anm. m. 168 Eingeordnet ist die Darstellung der Kontroverse in die Behandlung der Kirchengeschichte des fünften Jahrhunderts, im zweiten Hauptteil zur inneren Kirchengeschichte, dort wiederum recht traditionell zur Darstellung der Häresien jener Zeit in Kapitel fünf, vgl. Mosheim, In‑ stitutiones, 230 f., §§ XXIII f. 169 § XXV Praedestinatiani; XXVI Semi-Pelagiani; XXVII Controversiarum de gratia varietas. Die Übersetzungen weichen davon erheblich ab, sind in der Regel deutlich länger, bedingt durch Ergänzungen im Text und insbesondere in den Anmerkungen. 170 Diese erste Auflage von 1726 und die von 1737 führt die Lehre der Pelagianer noch kürzer aus; auch fehlen einige historische Details zum Ablauf der Kontroverse. Die Anmerkungen sind dort knapp gehalten, in der ersten Auflage sogar noch im Text selbst enthalten. Die letzte von Mosheim selbst bearbeitete Fassung von 1755 hingegen beinhaltet gegenüber den vorangehenden Ausgaben eine Vielzahl von Ergänzungen: So werden die dogmatischen Lehrsätze
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Aufgrund dieses äußeren Textbefundes und der Ermangelung einer Monographie Mosheims zum pelagianischen Streit lässt sich bereits erahnen, dass auch er sich nur mäßig mit dem Thema befasst hat.171 Ein tatsächliches Interesse an dessen Aufarbeitung ist bei Mosheim nicht zu erkennen. Es ist geradezu bezeichnend für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts, wie stiefmütterlich der pelagianische Streit noch behandelt wird. Für viele protestantische Theologen war alles Relevante zum Streit und dem Erzketzer bereits gesagt worden. Die beiden deutschsprachigen Übersetzungen der Institutiones, die in kurioser Konkurrenz zueinander stehen, stellen hingegen nicht nur einen Rezeptionsprozess sondern zugleich einen Wandlungsprozess gegenüber der ursprünglichen Darstellung des pelagianischen Streites durch Mosheim dar.172 Denn in ihnen klingt bereits der bevorstehende Gesinnungswandel in der Darstellung des pelagianischen Streites ab den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts an, den Semler besonders laut propagieren wird. Derart polternd wird der ruhige Mosheim selbst nie, aber auch in seiner zurückhaltenden Darstellung wird sich durchaus eine Beurteilung des pelagianischen Streites und seiner Akteure finden lassen, die der Darstellung Arnolds gar nicht so fern ist, im Blick auf die Lehre des Pelagius und seinen Charakter hingegen in sehr traditionell lutherisch-orthodoxen Bahnen verläuft. Gerade aber in diesem Spannungsfeld aus einer neuartigen Unparteilichkeit zum Dargestellten und einer relativ konservativen Grundhaltung repräsentiert Mosheim zugleich einen breiten Rezeptionsstrom des pelagianischen Streites und seiner Akteure in der späteren ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der dargestellt werden muss, um ein vollständiges Bild der kirchengeschichtlichen Rezeption und Beurteilung des Konfliktes und seiner Akteure und Lehrmeinungen bieten zu können.173 der Pelagianer ausgeführt und der eigentliche Ablauf der Kontroverse wesentlich verständlicher geschildert. Außerdem wurden die Anmerkungen teilweise umgestellt, ergänzt oder inhaltlich verändert. Die Ausgabe von 1764 schließlich tritt im neuen Druckbild und ‑satz in Erscheinung, bleibt aber inhaltsgleich mit der Fassung von 1755. 171 Es sollte bedacht werden, dass auch ein so umfangreicher kirchengeschichtlicher Gesamtüberblick nur wenig Platz zur Behandlung einer einzelnen Häresie beziehungsweise Thematik bietet; auch andere Ketzerdarstellungen sind nur selten wesentlich länger und mitunter gar kürzer gestaltet, lediglich die christologischen Streitigkeiten schildert Mosheim deutlich ausführlicher. So befasst sich Mosheim in den vorangehenden Paragraphen kurz mit den Donatisten, alsdann mit Arius und schließlich ausführlich mit dem christologischen Streit und dessen Folgen bis hin zu den »Monophysiten« in der vermeintlichen Nachfolge des Eutyches. Im Vergleich mit der Darstellung des nestorianischen Streites und seiner Folgen ist die Darstellung des pelagianischen Streites damit sehr mager ausgefallen, vgl. Mosheim, Institutiones, 218–230: §§ 1–3 (Donatisten); § 4 (arianischer Streit); §§ 5–12 (Nestorius bis zur »Monophysitischen« Partei im Osten). 172 Siehe S. 134, Anm. 257. 173 Inwiefern Mosheim hier eine konsequent »unparteiische« oder konsequent konservative Darstellung oder eben eine milde Mischung aus beiden bietet, wird am Rande ebenfalls zu betrachten sein.
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2. Mosheim zum Stand der Forschung Mosheims Urteil, dass bis auf seine Zeit keine angemessene Darstellung des pelagianischen Streites vorliege, fußt nicht allein auf dem in der Tat mageren Befund in der deutschen Kirchengeschichtsschreibung zu jenem Zeitpunkt. Mosheim verfügte über eine umfängliche Kenntnis der bereits geschilderten Literatur des 17. Jahrhunderts und darüber hinaus auch der der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die ihm derart parteiisch und vorbelastet erscheinen, dass auch sie diese Lücke nicht zu schließen vermögen.174 So erwähnt Mosheim bereits in einer Fußnote des ersten Paragraphen der Darstellung des pelagianischen Streites einige der wichtigsten Arbeiten des 17. Jahrhunderts zum pelagianischen Streit, darunter die Werke Vossius’, Usshers, de Laets, Garniers und Jansens,175 ergänzt um den Hinweis auf den französischen Jesuiten Jacques Longueval (1680–1735), dessen Historia Pelagiana jedoch nur in Form eines unveröffentlichten Manuskriptes vorlag.176 Mosheim strebt mit dieser Literaturrundschau keine Vollständigkeit an. Vielmehr deutet schon sein diese Auflistung eröffnender Vermerk Scripserunt multi eine kleine Auswahl Mosheims an, die er zudem in den weiteren Fußnoten noch ergänzt.177 Mosheim geht zusammenfassend auch auf die Schwierigkeiten aller genannten Darstellungen ein und kommt so schließlich zur Anzeige des bestehenden Desiderats, dass keiner jener Autoren den pelagianischen Streit angemessen dargestellt habe; vielmehr, beklagt Mosheim, hätten sie das Thema nur unzureichend und ungenau anstatt 174 Im Folgenden vgl. Mosheim, Institutiones, 230, Anm. m; vgl. zum Befund auch Ohst, »Episode«, 101. 175 Folgende Titel des 17. Jahrhunderts zur Darstellung des pelagianischen Streites listet Mosheim in seiner Fußnote m ohne genauere Angaben auf: Vossius, Historia Pelagiana; Ussher, Britannicarum Ecclesiarum Antiquitates; de Laet, De Pelagianis et Semipelagianis commentariorum; Jean Garnier, Auctarium Theodoreti cyrensis episcopi seu Operum Tomus Quintus (Paris, 1684); Jansen, Augustinus. 176 Zu diesem Entwurf vgl. Lössl, Julian, 349 und Carlos Sommervogel, Hg., Bibliothèque de la Compagnie de Jésus. 1. Partie: Bibliographie par les pères Augustin et Aloys de Backer. 2. Partie: Histoire par le père Auguste Carayon. Nouvelle édition (Brüssel/Paris: Oscar Schepens/ Alphonse Picard, 1890–1932), 1937. Auch im ersten Band der Histoire de l’église gallicane Longuevals von 1730 finden sich Aussagen zum pelagianischen Streit, insbesondere jedoch zu den Semipelagianern in Gallien sowie partiell den Prädestinatianern; zudem sind die Inhalte weit über das Werk verstreut und die Aussagen zum pelagianischen Streit selbst wenig gehaltvoll; vgl. Jacques Longueval, Histoire de l’église gallicane, dediée à nosseigneurs de clergé. Tome Premier. Depuis l’établissement de la Religion, jusqu’ à l’an 434 (Paris, 1730), 453 f. 177 Auch Ralph Häfner und Martin Mulsow notieren zu Mosheims Anmerkungen und seiner tatsächlichen Kenntnis der Literatur: »Nicht immer sind […] dessen Fußnoten so beredt, daß sie erschöpfend darüber informieren, was der Verfasser alles in der Hinterhand gehabt hat.« (R alph Häfner /Martin Mulsow, »Mosheims Bibliothek«, in Johann Lorenz Mosheim [1693–1755]. Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte. Vorträge, gehalten anläßlich eines Arbeitsgespräches vom 12. bis 15. September 1994 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, hg. v. Martin Mulsow u. a., 373–399. Wolfenbütteler Forschungen 77 [Wiesbaden: Harrassowitz, 1997], 373). Ähnliches lässt sich auch über seine Kenntnisse der Literatur zum pelagianischen Streit annehmen.
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erschöpfend behandelt und sich zudem nicht vor der eigenen Voreingenommenheit gegenüber dieser Materie zu hüten vermocht – oder anders gesagt: Die Darstellungen waren unzureichend fundiert und zudem parteiisch.178 An dieses Urteil hat sich Mosheim selbst in seiner Darstellung recht konsequent gehalten und daher keine seiner folgenden Ausführungen merklich auf jene Literatur aufbauen lassen. Sie, wie auch weitere, neuere Texte, dienen ihm ausschließlich als weiterführende Literatur zum Thema oder zu einzelnen Unterthemen sowie als Fundgrube für weitere Literatur. Das gilt auch für die am Ende des zweiten Paragraphen zur Darstellung des pelagianischen Streites genannten Texte. Neben bereits Bekanntem, wie der His‑ toria Pelagiana von Vossius,179 führt Mosheim eine Ausgabe der Vierteljahresschrift Bibliothèque italique (1729) für einige weitere »gelehrte Beobachtungen« (eruditae observationes) an.180 Mit diesem unscheinbaren Hinweis verweist Mosheim jedoch auf eine anonym verfasste, aber ausführliche Rezension der His‑ toria Pelagiana von Henry Noris,181 die zugleich Literatur zum Thema und eine eigene französischsprachige Darstellung der pelagianischen Kontroverse und der folgenden Streitigkeiten bietet. Zwischen all diesen internationalen Werken streut Mosheim auch die 1727 veröffentlichte Isagoge historico-theologica des an der Universität Jena tätigen lutherischen »Übergangstheologen« Johann Franz Buddeus (1667–1729) für eine Darstellung des pelagianischen Streites ein.182 Als letzten Literaturhinweis zum pelagianischen Streit selbst erwähnt Mosheim die in den innerbritischen Streitigkeiten um die Kindertaufe entstandene Arbeit The History of Infant baptism (1705)183 des gemäßigten anglikanischen Theologen William Wall (1647–1728), allerdings in der späteren lateinischen Übersetzung von Johann Ludwig Schlosser (1702–1754),184 dem Vorgänger 178 Vgl. Mosheim, Institutiones, 230, § XXIII, Anm. m: Sed inter tot scriptores nemo adhuc aut totum argumentum prorsus exhausit, aut partium sibi studio satis cavit. 179 Vossius, Historia Pelagiana I, Kapitel 55, 130. 180 Anonymus, Rezension von Historia Pelagiana von Henry Noris, Bibliothèque Italique, Ou Histoire Littéraire De L’italie 5 (1729): 74–114. 181 Siehe zu Noris’ Arbeit oben S. 59. 182 Johann Franz Buddeus, Isagoge historico-theologica ad theologiam universum singulasque eius partes. Band 2, Isagoges Historico-Theologicae. Liber posterior sive Pars specialis huiusque Sectio posterior Iurisprudentiam ecclesiasticam, Historiam ecclesiasticam, theologiam polemicam et exegeticam (Leipzig: Thomas Fritschens Erben, 1727), 1071–1084. 183 William Wall, The History of Infant-Baptism. In two parts. The First being An impartial Collection of all such Passages in the Writers of the four first Centuries as do make FOR, or AGAINST it. The Second, Containing several things that do illustrate the said History (London: Downing, 1705). Zu Wall vgl. Oscar Burdick, »William Wall«, ODNB 56, hg. v. Colin Matthew/Brian Harrison (Oxford: Oxford University Press, 2004): 918. 184 William Wall, Historia Baptismi infantum duabus partibus […] ex anglico latine vertit nonnullis etiam observationibus et vindiciis auxit Ioan. Ludovicus Schlosser (Bremen: Rump, 1748). Wall griff publizistisch in die hitzig geführte Diskussion um die Säuglings‑ und Kindertaufe zwischen dem anti-baptistischen Anglikaner David Russen (Fundamentals Without Foun‑
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Goezes in Hamburg, der vor allem durch den zweiten Hamburgischen Theaterstreit zu zweifelhaften Ruhm gelangen sollte.185 Wall habe eine gefällige und gelehrte (concinnam et eruditam) Darstellung des pelagianischen Streites geliefert, die jedoch nicht vollkommen gewesen sei. Schlosser jedoch habe laut Mosheim die Ausführungen Walls um hervorragende Anmerkungen bereichert.186 Hieran lässt sich beobachten, dass sich in England, das über ein recht starkes baptistisches Lager verfügte, die Beschäftigung mit dem pelagianischen Streit überwiegend aus der Perspektive nach der Bedeutung der Kindertaufe abspielte. Schlossers Übersetzung sorgte zudem für eine breitere Rezeption des Werkes in der deutschen Gelehrtenwelt des 18. Jahrhunderts, wofür Mosheim nur ein Beispiel ist. Neben diesen Literaturangaben zum pelagianischen Streit an sich bietet Mosheim darüber hinaus Arbeiten zu einzelnen Details innerhalb des Themenkomplexes: Zu Verlauf und Inhalt der Synode von Diospolis verweist Mosheim so auf Gabriel Daniels (1649–1728) Histoire du concile de Diospolis in dessen Opus‑ culis von 1724.187 dation: or, a True Picture of the Anabaptists in Their Rise, Progress and Practice, to which is Added a Letter from the Reverend Mr. James Brome to the Author [London: Bassett, 1703]) und dem Baptisten Joseph Stennett (An Answer to Mr. David Russen’s Book, Entitul’d, Fundamentals Without Foundation: or, a True Picture of the Anabaptists, etc. Together with Some Brief Remarks on Mr. James Broome’s Letter Annex’d to that Treatise [London: S. Crouch Brown und J. Baker, 1704]) ein. Daher veröffentlicht er 1705 seine History of infant baptism mit der Absicht, die Streitigkeiten zu beendigen bzw. ein Schisma zu vermeiden. Gegen Wall schrieb nun wiederum der Baptist John Gale mehrere Briefe, die 1711 veröffentlicht wurden (John Gale, Reflections on Mr. Wall’s History of Infant-Baptism. In several Letters to a Friend [London: Darby, 1711]) und Wall dafür kritisierten, gerade mit seinem Werk die Gefahr eines Schismas zu befeuern; zugleich beklagte er, dass Wall in seinem Werk de facto für das die lange Tradition der Kindertaufpraxis votiert; vgl. zur Kontroverse David E. Seip, A Victorian Dissenter. Robert Govett and the Doctrine of Millenial Reward (Eugene, Oregon: Pickwick Publications, 2018), 136 f. Walls Werk erfuhr noch zu dessen Lebzeiten, bezeichnend für die Relevanz der Frage nach der Säuglingstaufe, mehrere Auflagen (1705, dann 1707 und 1720). 185 Zu Schlosser vgl. Otto Beneke, »Schlosser, Johann Ludwig«, ADB 31, hg. v. Historische Commission bei der Königl. Akaemie der Wissenschaften (Leipzig: Duncker & Humblot, 1890): 544. 186 Quam eruditus eius interpres egregiis observationibus locupletavit. (Mosheim, In‑ stitutiones, 231, Anm. p). 187 Vgl. Gabriel Daniel, »Histoire du Concile de Palestine ou de Diospolis, dans lequel le Pelagia-nisme fut condamné, et Pelage absous, avec quelques Dissertations sur ce Concile«, in Opusculis. Band 1, hg. v. Gabriel Daniel, 635–718 (Paris: Mariette, 1724), 635–671 (vgl. Mosheim, Institutiones, 230, Anm. n.). Gabriel Daniel, den Mosheim als redegewandt und gelehrt beschreibt – war, wie so viele an den pelagianischen Streitigkeiten Interessierte vor ihm, französischer Jesuit und Historiker, der neben seinen historiographischen Arbeiten auch für seine Schriften gegen den berühmten Jansenisten und Physiker Blaise Pascal bekannt war. Zum Leben und vor allem Werk Daniels vgl. Augustin de Backer /Aloys de Backer, Bibliothèque des écrivains de la Compagnie de Jésus, ou, Notices bibliographiques: 1. de tous les ouvrages publiés par les mebres de la Compagnie de Jésus, depuis la fondation de l’ordre jusqu’à nos jours; 2. des apologies, des controverses religieuses, des cri-tiques litéraires et scientifiques suscitées à leur sub‑ ject. Première Série (Liège: Grandmont-Donders, 1853), 241–248.
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Im Zusammenhang der Fehleinschätzungen des Papstes Zosimus I. gegenüber den Pelagianern führt Mosheim beiläufig und ohne weiteren Kommentar des lutherischen Theologen Johann Fricks Zosimus in Clemente XI. redivivus von 1714 an.188 Johann Frick (1670–1739) tat sich unter anderem durch seine Kritik an der päpstlichen Vollmacht hervor, wofür er vor allem und wenig überraschend von jesuitischer Seite angegriffen wurde.189 Mosheim versorgt seine Leser über das hier erwähnte hinaus noch mit Literatur zu den Prädestinatianern190 und Semipelagianern191, die jedoch eher zweitrangig ist. Jedenfalls lässt sich für seinen Umgang mit den hier insgesamt aufgezählten Quellen festhalten, dass von einer direkten Abhängigkeit Mosheims von irgendeinem dieser Texte nicht die Rede sein kann, sondern er eine zwar unspektakuläre, aber selbstständige Darstellung liefert. Zudem bietet er in diesen Verweisen einige interessante Kommentare den pelagianischen Streit und dessen Erforschung betreffend. Auffällig ist aber der verschwindend geringe Anteil an Quellenerwähnungen. Mosheim bietet im Haupttext keine Zitate, führt aber auch in den Fußnoten keine wirklichen Verweise auf die eigentlichen Quellen zum Streit an, wodurch der wohl nicht unbegründete Verdacht entsteht, dass Mosheim zu dieser Darstellung kein weiteres Quellenstudium betrieben hat, sondern sich ausschließlich auf seine eigenen umfänglichen Kenntnisse des Themenkomplexes wie der diesen behandelnden Sekundärliteratur verließ.
Johann Frick, Zosimus in Clemente XI. redivivus, sive dissertationes ecclesiasticae duae: de finibus potestatis papalis ultra id quod decet protensis in causa pelagiana, et de primatu: oppositae Christophoro Leopoldo, Jesuitae Augustano. Accedit de schismate protestantibus immerito imputato dissertatio iubilaea, revisa et aucta: Nec non instrumentum appellationis IV. episcoporum Gall. (Ulm: Daniel Bartholomä, 1719), 4; vgl. Mosheim, Institutiones, 231, Anm. o. 189 Vgl. Gustav Moritz Redslob, »Frick, Johann«, ADB 7 (1878): 379 f. 190 Zu den Prädestinatianern verweist Mosheim, Institutiones, 231, Anm. q auf Sirmond, Historia Praedestinatiana; Basnage, Histoire de l’église 1, 698–705; Denis Pétau [Dionysius Petavius], Opus de Theologicis Dogmatibus, in hac novissima editione auctius. Band 6 (Venedig: Ex Typographia Remondiniana, 1645), 168.174. 191 Zu den Semipelagianern erwähnt Mosheim erneut Basnage, Histoire de l’église 1, 693– 697, gefolgt von der berühmten Histoire littéraire de la France, Band 2 (Paris: Osmond u. a., 1735) des Mauriners und Jansenisten Antoine Rivet de la Grande. Rivet schildert dort auf den Seiten 9–23 die Semipelagianer und teilweise auch Prädestinatianer in Abschnitt XV– XXXVIII des Kapitels »Etat des letres dans les gaules en ce siécle«. Vorangehend wird im selben Kapitel, Abschnitt X–XIV (7–9) kurz Pelagius und der pelagianische Streit vorgestellt. Anschließend folgt bei Mosheim ein erneuter Verweis auf Vossius, Historia Pelagiana, 538 f. (Libri Sexti, Qui est de Praedestinatione, & quaestione adnexa, An gratia possit amitti). Die Anmerkung schließt Mosheim mit dem knappen Hinweis auf Francesco Scipione Maffeis (1675–1755) Traktat »De haeresi Semipelagiana«, in Raccolta d’Opuscoli scientifici, e filologici. Band 29, hg. v. Angelo Calogera (Venedig: Zane, 1743), 399–422. 188
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3. Verbreitung und Bekämpfung der pelagianischen Lehre 3.1. Pestis ab Occidente Mosheim bezeichnet den von ihm dargestellten historischen Zusammenhang als Pelagiana controversia. Dies signalisiert bereits, dass Mosheim anders als Arnold nicht einen auf das Individuum Pelagius bezogenen Zugang wählt, sondern vielmehr von der allzeit bekannten kirchengeschichtlichen Größe und dem Themenkomplex »pelagianischer Streit« ausgeht, und damit gleichsam dessen historischen Verlauf selbst ins Zentrum stellt.192 Möchte jemand nun ein so zentrales und inhaltlich wiederkehrendes Thema der Kirchengeschichte wie den pelagianischen Streit kompakt auf zwei Seiten darstellen, so will jedes Wort und jeder erwähnte Zusammenhang wohl gewählt sein. In diesem Sinne hat der Leser auch bereits den ersten Satz in seiner Programmatik nicht zu unterschätzen: Alia ab Occidente pestis hanc aetatem in‑ vadebat et ad sequentia tempora dimanabat.193 Hinsichtlich des allgemeinen Sprachgebrauchs sticht dem Leser als erstes die deutliche Pestreferenz und damit der polemische Einstieg Mosheims ins Auge. Natürlich hatte auch Arnold seine Darstellung des Pelagius mit dem Hinweis auf die Darstellung eines vermeintlichen Ketzers eröffnet, aber in kritischer Abgrenzung von Voreingenommenheit und den gewöhnlichen häresiographischen Implikationen dieses Ketzerbegriffs.194 Hier hingegen bedient sich Mosheim einer sehr traditionellen Einleitung zur Darstellung von Häresien:195 Diese, hier ganz speziell die pelagianische Häresie, breiten sich wie eine Seuche aus. Auch andere Häresien beschreibt er mit dem Begriff pestis.196 Der Gebrauch der Verben 192 Ein schneller Überblick verrät, dass Mosheim den pelagianischen Streit historisch auf die
Jahre 410–431, also vom ersten Auftreten des Pelagius und des Caelestius in Nordafrika bis zum dritten ökumenischen Konzil in Ephesus eingrenzt. 193 Mosheim, Institutiones, 230, § XXIII. In der ersten Auflage verwendete Mosheim anstatt pestis noch den nicht minder negativen Begriff malum. Vgl. Mosheim, Institutiones (1726), 322. 194 Siehe oben S. 73. 195 Auch die Magdeburger Centurien bedienen sich direkt eingangs des Bildes der Pelagianer als einer grassierenden Pest, um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, wie diese zu beurteilen seien: Grassata autem est ea pestis in Oriente (Quinta Centuria ecclesiasticae hi‑ storiae, 576). Diese Krankheitsbilder sind freilich althergebrachtes Mittel der Häresiographie. Hier sei als Beispiel nur das Panarion, also die »Arzneikiste« gegen das Gift der Häresien, angeführt, welches der zyprische Bischof Epiphanius von Salamis im vierten Jahrhundert zur entsprechenden Eindämmung solcher häretischen Seuchen verfasst hat, vgl. u. a. Epiph., haer. prooemium I 1,2 (GCSNF 10, 155,12 f. Holl/Bergermann/Collatz); vgl. hierzu auch Rebecca Lyman, »Origen as Ascetic Theologian: Orthodoxy and Authority in the Fourth-century Church«, in Origeniana Septima. Origenes in den Auseinandersetzungen des 4. Jahrhunderts, hv. V. Wolfgang A. Bienert/Uwe Kühneweg, 187–194 (Leuven: Peeters, 1999). 196 So werden u. a. auch der Manichäismus, Donatismus und Arianismus als pestes bezeichnet (vgl. Mosheim, Institutiones, 179.183.218.230), auch die Mystik sei eine pestis (Mosheim, In‑ stitutiones, 214.598, Anm. r, vgl. hierzu Karl Heussi, Johann Lorenz Mosheim. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte des achtzehnten Jahrhunderts [Tübingen: Mohr Siebeck, 1906], 60). Es
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invadere (um sich greifen, eindringen, befallen) und dimanare (sich ausbreiten) malen das Bild der schrecklichen Seuche, die sich weiter ausbreitet, drastisch und in klaren häresiographischen Tönen weiter aus. Dem Leser wird somit bereits hier klar signalisiert, was er im Folgenden zu erwarten hat, nämlich nichts anderes als die Darstellung einer gefährlichen Häresie.197 Von Neutralität oder zumindest Unparteilichkeit gegenüber dem Darzustellenden ist also keine Spur, auch wenn der Begriff »Häresie« oder Ketzerei selbst nicht fällt; jedem noch so ungeschulten Leser wird sofort deutlich, dass alle folgend dargestellten Lehren von der rechten Lehre abweichen und zu verwerfen sind. Damit steht Mosheims Darstellung bereits in der Eröffnung scheinbar im völligen Gegensatz zu Arnolds Grundkonzeption einer dem Anspruch nach unparteiischen Darstellung, wie dieser sie bereits in seiner Einleitung zum pelagianischen Streit de facto vorgibt. Aber dies ist nur scheinbar der Fall, da Mosheim anders als Arnold und entgegen dem Eindruck, den der eröffnende Satz hinterlässt, anschließend eine recht nüchterne und durchaus unparteiliche Darstellung des pelagianischen Streites bietet. Das soll aber nicht bedeuten, dass Mosheim keine eigenen Beurteilungen und Kommentare einstreut, sondern diese nur meist besser als solche kenntlich macht, als es Arnold tat. Der Grundton ist mit der Pestreferenz aber unmissverständlich negativ gegenüber Pelagius, Caelestius und deren Lehre. Was erfährt der Leser nun Inhaltliches zum pelagianischen Streit abseits jener eingänglichen Warnhinweise? Er erhält geographische wie zeitliche Informationen. »Epizentrum« der Epidemie ist nicht der Orient, sondern das Abendland: ab Occidente verbreitete sich die Pest.198 Wie weit diese Lehre räumlich um sich griff, wird aus dieser kurzen Ausführung nicht deutlich, aber es ist anzunehmen, dass Mosheim damit auf eine weitere Ausbreitung über die gesamte Westkirche anspielt; zugleich zeigt er anhand des weiteren Verlaufs des pelagiawerden jedoch nicht alle vermeintlichen Häresien so harsch bezeichnet und beurteilt. Das ist bemerktenswert, ist Mosheim doch sonst um eine möglichst unparteiliche Darstellung, ja Objektivität bemüht. Zwar ist dies bei Mosheim weitaus mehr der Fall als bei einigen Autoren zuvor, letztlich scheint hier aber doch deutlich seine Meinung hindurch. Anders als es bei Arnold überwiegend aber nicht ausschließlich der Fall ist, verdreht Mosheim nicht einfach recht parteiisch Orthodoxie und Häresie, sondern strebt nach Unparteilichkeit, auch wenn sich »alte Vorurteile« (so Heussi, Mosheim, 66) bzw. eigene dogmatische Standpunkte hier deutlich zeigen und die Unparteilichkeit einschränken. Vgl hierzu sowie zur Beurteilung der Ketzer bei Mosheim generell auch Heussi, Mosheim, 66 f. 197 Auch Ohst, »Episode«, 101 stellt fest, dass Mosheims Bericht oberflächlich »Satz für Satz, ja Wort für Wort bestimmt [ist] durch die Formgesetze und Stereotypen der Ketzerpolemik und ‑geschichtsschreibung.« Ohst erkennt dort aber feine Abtönungen in Mosheims »doppelbödige[m]« Bericht. 198 Wie auch heute, so ließe sich hier darüber streiten, was als Abend‑ oder Morgenland zu verstehen sei; allerdings lässt sich aus späteren Aussagen Mosheims das Abendland ungefähr gleichsetzen mit der Westkirche des fünften Jahrhunderts; zumindest aber Jerusalem und damit Palästina rechnet Mosheim ausdrücklich dem Morgenland zu, vgl. Mosheim, Institutiones, 230, § XXIV.
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nischen Streites und Pelagius’ Akzeptanz im Osten auf, dass für diese Lehre dort zumindest Sympathien bestanden, und womöglich Nährboden gegeben war. Damit wäre man bei der für das 18. Jahrhundert zunehmend spannenden Frage nach der Herkunft der pelagianischen »Pest«: Bis auf den heutigen Tag wird eine geistige Herkunft der Lehren des Pelagius in der Tradition und Frömmigkeit der Ostkirche gesehen, wenn nicht sogar eine direkte Beeinflussung des Pelagius durch eigene Reisen oder zumindest Kontakte zu wichtigen ostkirchlichen Lehrern wie Rufin,199 angenommen. Bei Mosheim findet sich jedoch keine Spur von einer solchen dogmengeschichtlichen Genealogie, auch wenn er noch auf die Sympathien für Pelagius im Osten zu sprechen kommen wird. Über die zeitliche Verbreitung erfährt der Leser ebenfalls zunächst wenig. Allerdings wird Mosheim nicht nur eine unmittelbare Ausbreitung dieser »Pest« in Form der semipelagianischen Lehre und direkter nachfolgender Streitigkeiten zur Gnadenlehre verstanden haben, wie die nachfolgenden Paragraphen nahelegen, sondern eine in der gesamten Kirchengeschichte hindurch virulente und immer wieder aufflammende Epidemie vor Augen gehabt haben. 3.2. Die Überträger der pelagianischen »Pest« und ihre Theologie Nach dem häresiographischen Einleitungssatz stellt Mosheim nun die beiden Hauptträger dieser Seuche vor. Neben den üblichen Herkunftsangaben – Pelagius stamme aus Britannien, Caelestius sei Ire gewesen – ist der kleine und durchaus übliche Hinweis, beide seien Mönche (monachi) gewesen für die Beurteilung durch Mosheim nicht irrelevant.200 Angesichts Mosheims starker Abneigung gegen das Mönchtum allgemein ist hiermit zugleich eine weitere, nur dem aufmerksamen Leser der Institutiones und des Œuvres Mosheims offensichtliche, negative Vorqualifizierung impliziert. Mosheim ist wahrlich kein Freund des Mönchtums, sondern kritisierte schon dessen frühe Gestalt wie auch die individuellen monastischen Lebensformen ungewöhnlich scharf. Diesen Aspekt führt Mosheim in der Darstellung des pelagianischen Streites nicht weiter aus. Impliziert ist aber dennoch Mosheims grundlegende Skepsis gegenüber den beiden Briten, denn aus solchen monastischen Kreisen könne letztlich nichts Gutes folgen – vor allem die Wandermönche waren Mosheim als Sophisten und Betrüger verschrien.201 199 Zu
Rufin vgl. Greshake, »Einleitung«, 15, Anm. 33 mit weiteren Literaturhinweisen. Mosheim, Institutiones, 230, § XXIII. 201 Am Eremiten‑ und Anachoretentum kritisierte Mosheim dessen Strenge gegenüber Leib und Seele, am Koinobitentum, dass es dort allerlei Unmenschen gäbe, und an den Wandermönchen, dass diese allesamt Betrüger und Sophisten seien, die Leute mit Wundern und dergleichen Missetaten betrügen, vgl. Mosheim, Institutiones, 170, § XV. Zur kritischen Haltung gegenüber dem Mönchtum (insbesondere dessen Leibfeindlichkeit) und Origenes vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann, »Platonismus, Kirchen‑ und Ketzergeschichte: Mosheims dogmatisch-historische Kategorien«, in Johann Lorenz Mosheim (1693–1755). Theologie im 200
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Mosheim verzichtet aber auf weitere Ausführungen hierzu, und erwähnt kompakt und ohne weitere Ausführungen Pelagius’ und Caelestius’ Aufenthalt in Rom sowie das Lob für ihre Frömmigkeit und Tugend, welches Arnold so bunt ausgeschmückt und immer wieder angeführt hat.202 Freilich kann Mosheim demgegenüber dieses Lob so kurz gehalten haben, um seine Darstellung kompakt zu gestalten. Angesichts des bereits angeschlagenen Tones ist aber davon auszugehen, dass Mosheim keine große Relevanz in diesem Lob hinsichtlich der Darstellung des Streites zu erkennen vermag, sondern dies nur der historischen Vollständigkeit und Unparteilichkeit halber erwähnt. Mosheim führt nach diesen knappen Schilderungen nun zwei »Lehren der Christen« (dogmata Christianorum) an, die Pelagius und Caelestius angeblich meinten, auszurotten zu müssen (extirpanda esse ea arbitrabantur).203 Es handelt sich zum einen um das angeborene natürliche Verderben des Menschen (innata naturae vitiositate), zum anderen um die Notwendigkeit einer inneren göttlichen Gnade zur Erlangung des Heils.204 Mosheim nennt abschließend auch Pelagius’ und Caelestius’ Grund, warum diese Lehren ausgemerzt werden müssten: Sie würden ein Steigerungsvermögen der Heiligkeit unterbinden und stattdessen einer zur Trägheit neigenden Sicherheit Raum schaffen.205 Durchaus pointiert, treffend und leicht verständlich bringt Mosheim somit das eigentliche Anliegen der beiden Pelagianer auf den Punkt, welches klar in deren moralisch-ethischer und pädagogischer Grundkonzeption verankert ist und sich entsprechend auch auf deren Lehre auswirkt. Die Annahme einer natürlichen, vererbbaren Verdorbenheit wie auch die Notwendigkeit einer inneren Gnadenwirkung Gottes unterbinden das eigene Streben nach moralischer Vervollkommnung und einem gottgewollten, tugendhaften Lebenswandel. Mosheim führt die Lehre Pelagius’ und Caelestius’ weiter aus und liefert damit die übliche knappe Zusammenstellung pelagianischer Lehrsätze, wie sie in nahezu jedem Werk zum Streit angeführt werden: So haben die beiden laut Mosheim ferner gelehrt, dass die Erbsündenlehre zu verwerfen sei, die Eltern des Menschengeschlechts also nur für sich selbst gesündigt hätten, weshalb Neugeborene im selben Zustand zur Welt kämen wie Adam im prälapsalen Zustand. Das führt wiederum zur theologisch-ethischen Grundvoraussetzung und Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte. Vorträge, gehalten anläßlich eines Arbeitsgespräches vom 12. bis 15. September 1994 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, hg. v. Martin Mulsow u. a., 193–210. Wolfenbütteler Forschungen 77 (Wiesbaden: Harrassowitz, 1997), 205 f.; sowie Schneider, »Sektenproblem«, 166–168. 202 Romae degentes et magna pietatis et virtutis laude florentes […] (Mosheim, Institutiones, 230, § XXIII). 203 Vgl. Mosheim, Institutiones, 230, § XXIII. 204 [G]ratiae divinae interioris ad mentium illuminationem et emmendationem necessitate (Mosheim, Institutiones, 230, § XXIII). 205 [I]ncrementis sanctimoniae valde obsistere atque hominum securitatem nutrire rati (Mosheim, Institutiones, 230, § XXIII).
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zugleich Verpflichtung, dass der Mensch sich aus seinem eigenen natürlichen Vermögen heraus bessern und die höchste Stufe der Vervollkommnung in der Frömmigkeit erreichen könne. Differenziert stellt Mosheim auch die Einordnung von innerlicher und äußerer Gnade durch Pelagius und Caelestius vor: Der Mensch bedürfe zwar, um erweckt oder erhoben zu werden, einer äußeren Gnade, aber eine innerliche Gnade sei ganz und gar nicht notwendig.206 Mit dem Aspekt der Erweckung durch eine äußere Gnadenwirkung spielt Mosheim auf die pelagianische Vorstellung an, extern durch die Gnade in Form des Gesetzes und schließlich durch die Gnade in Form der Lehre und des Vorbilds Christus aus einem Zustand der Trägheit erweckt zu werden; wie es sich auch mit einem Wecker verhält, stünde es damit dem Menschen aber frei, den Weckruf anzunehmen oder ihn verhallen zu lassen und zu verschlafen. Die innerliche, ja innige (interioris) Gnade Gottes, die den Menschen selbst zum Heil bewegt, nicht aber allein ein externer Weckruf ist, der den Menschen nur von außen berührt, wird von den beiden Pelagianern laut Mosheim verworfen. Freilich ist dieses verworfene Gnadenverständnis eine gut lutherische Lehrposition,207 was Mosheim aber nicht hervorhebt, sondern recht neutral für sich stehen lässt. Einzig die Vehemenz, mit der eine Bestreitung dieses Gnadenverständnisses formuliert wird, fällt auf.208 3.3. Augustins Kampf gegen die pelagianische »Pest«, origenistische Sympathien im Orient und verschlagene Wandermönche An diese knappe aber präzise Darlegung der pelagianischen Lehre schließt nun der erste Abschnitt zur geschichtlichen Darlegung des Streites an: von der Flucht des Pelagius und Caelestius aus Rom im Jahr 410 bis zum Konzil von Karthago 412 und der darauf erfolgenden Verurteilung des Caelestius und dessen Weggang in den Osten des Reiches. Mosheim leitet zunächst elegant von der Darstellung der Lehre zu der Geschichte des pelagianischen Streites über, indem er bemerkt, dass diese und noch weitere damit verbundene Lehren von den beiden Mönchen (Monachi) in Rom heimlich ausgestreut wurden (occulte disseminabant).209 Die erste Spitze ist erneut durch den Hinweis auf die monastische Lebensweise der beiden Pelagianer gegeben, zugleich bestätigt sich hier die besondere Schändlichkeit der umtriebigen Wandermönche. Diese haben nämlich im Ver206 Gratia quidem externa opus esse homini, qua excietur: interioris vero gratiae divinae eum minime indigere (Mosheim, Institutiones, 230, § XXIII). 207 Vgl. CA, Art. XVIII. 208 Die Verneinung vero […] minime begegnet vor allem in Antwortsätzen und lässt sich mit »nein, keineswegs« übersetzen, sodass die Wirksamkeit einer innerlichen Gnade laut Mosheim besonders deutlich und gänzlich durch die Pelagianer ausgeschlossen wird. 209 Ohst notiert zum verborgenen Vorgehen der Pelagianer in der Darstellung Mosheims: »Die Oppositionellen artikulieren sich nicht offen, sondern sie agieren verborgen, heimlich, heimtückisch.« (Ohst, »Episode«, 101).
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borgenen ihre Lehren wie ein Übel ausgestreut – der Vergleich mit einem unbemerkten, bösartigen Geschwür wird hier durch den Gebrauch von disseminare nahegelegt, womit man wieder beim klassisch häresiographischen Krankheitsbild angekommen ist.210 Auch der Aspekt der Heimlichkeit verweist den Leser klar auf die Schändlichkeit und Unwahrheit dieser Lehre, denn, so ist Mosheim hier zu verstehen, rechtes Tun und Lehren, wie ja auch die Wahrheit selbst, müssen sich nicht verbergen, sondern ans Licht gebracht werden. Den Weg der beiden Mönche nach Nordafrika schildert Mosheim kompakt und relativ nüchtern, aufgrund des Goteneinfalls in Rom seien diese zunächst nach Sizilien, dann nach Afrika ausgewichen, wo sie ihre Lehrsätze deutlicher vortrugen (profecti clarius proferebant).211 Pelagius sei von dort aus nach Palästina weitergezogen, Caelestius verblieb in Karthago, wo er sich bekanntlich um das Amt eines Presbyters bemühte. Dort wurden jedoch bald seine neuartigen Lehrmeinungen (novis eius opinionibus) entdeckt (detectis) und er vom Konzil von Karthago im Jahr 412 dafür verurteilt, woraufhin sich Caelestius in den Nahen Osten absetzte (discedebat et in Orientem preoficiscebatur). Freilich sind jene Lehren nicht als neu gegenüber der vorher von Pelagius in Rom verbreiteten Lehren zu verstehen, sondern im negativ wertenden Sinne als allgemeine Neuerungen, also häretische Lehransichten, die von der reinen, ursprünglichen Lehre der Kirche abweichen, aber sogleich also solche aufgedeckt und bekämpft wurden. Auffällig ist, dass Mosheim sich nicht nur erneut einer häresiologischen Sprache bedient, sondern diese auch anders als Arnold ohne doppelten Boden oder kritische Seitenhiebe gegen die bislang noch unbenannten Gegner des Pelagius verwendet. Ganz im Gegenteil, Mosheim lobt nun den folgend eingeführten Augustinus in den höchsten Tönen als Widersacher dieser Sekte, der in jener geschilderten Zeit erstmals gegen diese anfing vorzugehen: Ab hoc tempore Augustinus, inclytus ille Hipponensium episcopus, sententias Coelestii et Pelagii scriptis incipiebat aggredi: cui quidem praecipua laus in ortu suo extinctae sectae debetur.212
Bemerkenswert ist hier das Lob, welches Mosheim dem berühmten nordafrikanischen Bischof für die »Auslöschung dieser Sekte«, die Augustinus gleichsam im Keim erstickt habe,213 zu Teil werden lässt. Kritische Töne gegenüber
210 Disseminare lässt sich auch im Sinne von säen, also Ausbringen der Saat übersetzen. Im hier geschilderten Kontext legt sich aber der durchaus verwandte Wortsinn des Ausstreuens eines malums nahe. 211 Vgl. Mosheim, Institutiones, 230, § XXIII. 212 Mosheim, Institutiones, 230, § XXIII. 213 Von Einem übersetzt dies etwas abgeschwächt mit »in ihrer Geburt unterdrückt« (von Einem, Vollständige Kirchengeschichte, 156), Schlegel mit »bey ihrem Entstehen unterdrückt« (Schlegel, Vollständige Kirchengeschichte, 730). Die Stärke von extinctae wird in keiner von beiden Übersetzungen getroffen.
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Augustinus werden nicht laut, auch das aggredi ist keinesfalls im überzogen aggressiven Sinne zu verstehen. Nach der Erwähnung des löblichen Vorgehens Augustins gegen die Pelagianer wendet sich Mosheim dem weiteren Schicksal des Pelagius in Palästina zu. Anders als im Westen, habe dieser im Orient mehr Glück gehabt.214 Mosheim begründet dies sogleich damit, dass der Jerusalemer Bischof Johannes der Lehre des Pelagius wohlgesonnen war und Pelagius daher ohne Einschränkungen öffentlich seine Meinungen kundtun und so eine Anhängerschaft um sich versammeln konnte. Auch warum Johannes so offen gegenüber der Lehre des Pelagius war, diesen sogar in Schutz nahm, will Mosheim begründet wissen: Johannes habe in der pelagianischen Lehre eine Übereinstimmung mit den von ihm so geliebten Lehrmeinungen des Origenes gesehen, sodass es wenig überrascht, dass er Pelagius unter sein Patronat gestellt habe und dieser anschließend seine Meinungen so offen kundtun und eine Anhängerschaft versammeln konnte.215 An dieser Stelle ist vor allem die Verbindungslinie zwischen den dogmatischen Lehrmeinungen des Alexandriners Origenes und Pelagius relevant. Auch Arnold erwähnte kurz diese Ähnlichkeiten und stellt Origenes als einen Kirchenvater dar, der die Lehre vom freien Willen deutlich krasser formuliert habe als später Pelagius.216 Wie auch Arnold stellt Mosheim jedoch keine Genealogie zur Genese der pelagianischen Lehransichten in dem Sinne auf, dass Pelagius in der direkten Traditionslinie des Origenes stehe oder dieser anachronistisch ein Pelagianer gewesen sei. Mosheim zeigt lediglich eine analoge Übereinstimmung der beiden Lehrmeinungen auf, ohne über weitere Einflüsse der Ostkirche oder von Origenes auf Pelagius zu spekulieren.217 Trotz der Ermangelung einer in manchen vorangehenden und späteren Darstellungen so häufig geschilderten Pelagianismus ante Pelagium-Genealogie handelt es sich bei diesem Verweis Mosheims auf die von Johannes festgestellte Übereinstimmung mit Origenes keineswegs um eine nebensächliche Randnotiz. Mosheim hat sich publizistisch intensiv mit dem Alexandriner Origenes auseinandergesetzt. Zugleich hegte er bekanntlich gegenüber Origenes, ins214 Pelagio
fortuna magis favebat in Oriente (Mosheim, Institutiones, 230, § XXIV ). Nixus enim patrocinio, Iohannis, episcopi Hierosolymitani, qui Origenianis sententiss, quas amabat, Pelagiana dogmata consentanea videbat esse, libere quae sentiret profitebatur et dis‑ cipulos colligebat (Mosheim, Institutiones, 230, § XXIV ). 216 Arnold, Kurz gefasste Kirchenhistorie, 249. 217 Leider bietet Mosheim hierzu auch keine weiterführende Anmerkung; mit großer Gewissheit wird er aber Kenntnis von der sich mit diesem Thema befassenden Literatur gehabt haben. Vermutlich hat er sich hier aufgrund der Kürze der Darstellung wie auch des Mangels an tragfähigen Quellen, die mehr als eine bloße Analogie aufzeigen, einer weiteren Ausführung enthalten. In der ersten Auflage von 1726 vermerkt er noch: Probabile est Platonicorum recentiorum, qui libertatem hominis magnopere extollebant, nec non Graecorum lectionem, quos Origeni constat fuisse deditos, ut tam foedas susciperet sententias Pelagium adduxisse. (Mosheim, In‑ stitutiones [1726], 323). In seiner Übersetzung von Contra Celsum verweist Mosheim an keiner Stelle auf Pelagius. 215
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besondere gegen dessen Schriftexegese in Form der Allegorese, eine große Antipathie und tat dies auch bei vielen Gelegenheiten, auch in den Institutiones kund.218 Letztlich ist für eine Abqualifizierung der dogmatischen Meinungen des Pelagius auch der Erweis einer genealogischen Linie von Origenes zu Pelagius nicht nötig, sondern die dem Jerusalemer Bischof nachgesagte Feststellung einer Übereinstimmung völlig ausreichend. Zugleich – da er hier auch auf weitere Polemik gegen Origenes oder Pelagius verzichtet – kann der Leser Mosheim nicht der Parteilichkeit bezichtigen, stellt dieser doch nur die historischen und kausalen Zusammenhänge zur Begründung der Popularität des Pelagius im Osten dar, die auch heute noch einleuchten. Dieses Wohlwollen in Palästina findet auch Ausdruck in den Verhandlungen der pelagianischen Lehre während der Anhörung in Jerusalem und der Synode von Diospolis im Jahr 415, von denen Mosheim nun knapp berichtet. In diesem Kontext fällt auch wieder der Name Augustins, der den spanischen Presbyter Orosius nach Jerusalem entsandte, um Anklage gegen Pelagius zu erheben. Weder in Jerusalem noch in Diospolis kam es jedoch zu einer Verurteilung, ganz im Gegenteil wurde bekanntlich keine Verfehlung des Pelagius festgestellt und dieser von jeglichen Verbrechen und Fehlern freigesprochen (criminis et erroris absolvebatur).219 Die gesamte Passage ist jedoch vollkommen frei von Beurteilungen Mosheims und stellt allein die historischen Zusammenhänge dar.220
218 Auch in den Vorbemerkungen zu seiner Übersetzung von Contra Celsum lässt Mosheim Kritik an Origenes laut werden: So hätte dieser an vielen Stellen seiner Widerlegung des Philosophen besser schweigen und anderes deutlicher erklären sollen, vgl. Johann Lorenz von Mosheim, Origenes, Vorstehers der Christlichen Schule zu Alexandrien und Aeltestens Acht Bücher von der Wahrheit der Christlichen Religion wider den Weltweisen Celsus., Jo‑ hann Lorenz Mosheim hat sie aus dem Griechischen übersetzt und durch Anmerkungen auf‑ gekläret (Hamburg: Johann Carl Bohn, 1745), 14 f. Zu Mosheims Kritik an Origenes vgl. Peter Meinhold, Geschichte der kirchlichen Historiographie. Band II. OA.PT 5 (Freiburg i. Br./ München: Karl Alber, 1967), 26 f.; zur Rezeption des Origenes vgl. R alph Häfner, »Johann Lorenz Mosheim und die Origenes-Rezeption in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts«, in Jo‑ hann Lorenz Mosheim (1693–1755). Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte. Vorträge, gehalten anläßlich eines Arbeitsgespräches vom 12. bis 15. September 1994 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, hg. v. Martin Mulsow u. a., 229–260. Wolfenbütteler Forschungen 77 (Wiesbaden: Harrassowitz, 1997). Mosheim lässt deutliche Abneigungen gegen die Allegorese des Origenes und die alexandrinische Schriftauslegung durchscheinen (vgl. hierzu Heussi, Mosheim, 57 f.), hingegen spricht er sehr milde über Theodor von Mopsuestia und die Nestorianer; wenn er nicht gar eindeutige Sympathien für deren Schriftauslegung hegte. 219 Vgl. Mosheim, Institutiones, 230, § XXIV. Mosheim erwähnt weder hier noch an späterer Stelle die durchaus als unseriös zu beschreibenden Bischöfe Heros von Arles und Lazarus von Aix, die Pelagius erneut zur Anzeige brachten, aber selbst in Diospolis nicht als Ankläger erschienen. Zu Verlauf und Inhalt der Synode von Diospolis verweist Mosheim, Institutiones, 230, Anm. n auf Daniel, »Histoire du Concile«, 635–671. 220 Auch der Hinweis auf Verbrechen und Fehler, von denen Pelagius freigesprochen wird, ist nicht im Sinne einer Beurteilung Mosheims zu verstehen, sondern ist in Kombination mit absolvebatur eine gängige Formulierung zur Entlastung eines Angeklagten.
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Etwas anders ist dies in den anschließenden Ausführungen zum Verhalten der römischen Kurie gegen Pelagius gelagert. Der 417 zum römischen Bischof gewählte Zosimus I. sei regelrecht von Caelestius und Pelagius um den Finger gewickelt worden und habe daher zunächst für diese Position bezogen.221 Mosheim schildert diese Taktik der beiden Pelagianer mit recht anschaulichen Worten: Der Papst sei zum einen durch die mehrdeutige und nur scheinbar gesunde (ambigua et ad speciem sana) – also nur dem Schein nach rechtgläubige – Schrift Confessio fidei des Caelestius, zum anderen durch Pelagius’ schmeichlerische und hinterhältige Briefe und Versprechen (blandis et insidiosis Pelagii litteris et obtestationibus) in die Irre geleitet und auf deren Seite gezogen (captus) worden.222 Diese Aussagen beinhalten eine Beurteilung der Vorgehensweisen der beiden Pelagianer, aber ebenso eine, wenn freilich auch sehr allgemeine Kritik an deren Lehre. Mosheim ist hier wenig innovativ, sondern steht mit dieser Kritik, die insbesondere Pelagius, aber auch die anderen Pelagianer der Verschlagenheit, Doppeldeutigkeit und absichtlichen Verstellung bezichtigt, in einer langen Tradition, die schon bei Augustinus selbst ihren Anfang nahm.223 Würde Mosheim dies jedoch nicht ähnlich beurteilen, hätte er diese oben genannten, allesamt negativ konnotierten Adjektive verzichten können; da dies aber nicht der Fall ist, liegt nun ein deutlicher Beleg für Mosheims negative Beurteilung des Pelagius sowie des Caelestius vor. Ohnehin, so fällt bislang auf, ist bei Mosheim nicht von Pelagianern, sondern ausschließlich von Pelagius und Caelestius die Rede, welche freilich weitere Anhänger gewinnen. Angesichts dieser direkten Kritik ist die folgende Ausführung Mosheims, dass Zosimus daher zum Vorteil dieser beiden Mönche handelte und sie als rechtgläubige Männer bezeichnete, denen Unrecht geschehen sei, mit seiner erneuten Referenz auf das Mönchtum der beiden schon recht nebensächlich, aber angesichts der negativen Beurteilung von Mönchen durch Mosheim durchaus konsequent: Denn auch hier bestätigt das hinterhältige, ja typisch sophistische Verhalten sein Vorurteil gegenüber den Wandermönchen.224
221 Interessanterweise übergeht Mosheim dessen Vorgänger Innozenz I., der die Pelagianer zunächst de facto verurteilte, bevor Zosimus dieses Urteil zunächst aufhob. Vermutlich überging Mosheim dieses nicht ganz überflüssige Detail jedoch nur aus Gründen der didaktischen Übersichtlichkeit. 222 Vgl. Mosheim, Institutiones, 231, § XXIV. Obtestatio ließe sich auch mit »Beschwörung« oder »Flehen« übersetzen. Von Einem und Schlegel übersetzen mit »Versicherungen«. Mosheim verweist in der zu dieser Aussage gehörigen Fußnote o auf Johann Frick, Zosimus in Clemente. 223 Siehe S. 99 und 275. 224 [S]ecundum hos Monachos propuntiabat, iniuriamque ad adversariis hominibus recte sentientibus fieri sciscebat (Mosheim, Institutiones, 231, § XXIV ).
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4. Die Beurteilung des Streites und seiner Konsequenzen 4.1. Ein unheilvoller Streit, Spitzfindigkeiten der doctores und die simplicitas der ersten Christen Mosheim führt nun das Verhalten der Nordafrikaner aus und betont, dass sie fortwährend Pelagius und Caelestius mittels Konzilien, Schriften und Korrespondenzen und unter der Führung Augustins verfolgten.225 Man kann sich hier zurecht fragen, ob diese Bemerkung lediglich eine simple Feststellung Mosheims ist oder doch gewissermaßen eine positive oder negative Beurteilung der Gegnerschaft des Pelagius beinhaltet, wovon auch Augustinus als deren Anführer betroffen wäre. Das gilt auch für die weiteren Ausführungen Mosheims zum drastischen Vorgehen gegen die Pelagianer: So habe schließlich auch Zosimus, nachdem er eines »besseren belehrt wurde« (meliora edoctus), seine vormals positiven Meinungen über die Pelagianer zurückgenommen und verdammte diese nun aufs Schärfste (severe condemnabat). Darauf habe das Konzil von Ephesus 431 nicht nur Nestorius mit dem Bannstrahl gleich eines Blitzes erschlagen (fulmine suo percussit), sondern auch Pelagius und Caelestius zu Boden gestreckt. Schließlich beendet Mosheim seine unmittelbare Darstellung des pelagianischen Streites mit dem Vermerk, dass anschließend lokale Bemühungen in Frankreich, Britannien und Palästina in Form von Konzilien, kaiserlichen Gesetzen und Strafen diese »Sekte« bereits in ihrem Entstehen unterdrückt hätten.226 Die Anwendung des Sektenbegriffs allein führt bei Mosheim zwar nicht mehr zwingend zu einer negativen Bewertung;227 dennoch ist eine negative Konotierung nicht zu übersehen, wenn man sich noch einmal die eindeutig negative Qualifizierung als pestis vor Augen führt. Gleichzeitig fällt die deutliche Parallelität zur weiter oben genannten Formulierung auf, dass Augustinus das Lob zukommt, diese Sekte im Keim erstickt zu haben. In beiden Fällen findet sowohl der Sektenbegriff Anwendung wie auch der Hinweis auf die konsequente Unterdrückung dieser Gruppierung in ihren Anfängen. Aber wie wird dieses konsequente Vorgehen Augustins und der weiteren Gegner des Pelagius von Mosheim nun beurteilt? 225 Verum Afri, duce Augustino, conciliis, scriptis, epistolis insectari eos constantissime per‑ gebant (Mosheim, Institutiones, 231, § XXIV ). Mit den Konzilien sind die nordafrikanischen Versammlungen in Karthago sowie Mileve 416 gemeint, bei den Schriften spielt Mosheim auf die antipelagianischen Arbeiten Augustins an; hinsichtlich der Briefe zielt Mosheim auf die Korrespondenz zwischen den nordafrikanischen und römischen Bischöfen in der causa Pelagiana. 226 Ephesinum deinde concilium, illud ipsum, quod Nestorium fulmine suo percussit, eosdem prosternebant, denique Galli, Britanni, Palaestini conciliis, Imperatores legibus et poenis sectam in ipsis initiis suis opprimebant (Mosheim, Institutiones, 231, § XXIV ). 227 Zum Sektenbegriff bei Mosheim vgl. Schneider, »Sektenproblem«, 188–190. Schneider bemerkt zu Mosheims Verwendung des Begriffs in ausdrücklicher Abgrenzung von Arnolds negativer Begriffsanwendung, dass »die Begriffe von Sekte und Kirche den Sinn einer weitgehend neutralen historischen Bezeichnung bekommen«. (Schneider, »Sektenproblem«, 188).
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Scheint das im vorangehenden Paragraphen genannte Lob für Augustins Vorgehen gegen diese Sekte noch deutlich, kann der Leser sich nun zurecht fragen, ob Mosheim nicht doch Kritik an der radikalen Streitführung der Bischöfe und ihrer politischen Interventionen anklingen lässt. Um diese mögliche Kritik angemessen einschätzen zu können, sollte der Blick noch auf die nachfolgenden Paragraphen zu den Streitigkeiten um die Prädestinatianer gerichtet werden. Bereits eingangs der Beschäftigung mit den Prädestinatianern lässt Mosheim seine Beurteilung des pelagianischen Streites, und damit des Streites und seines Verlaufes wie seiner Führung an sich, deutlich erklingen: Infausta haec certamina, ut sit inter homines, alias procrebant dissensiones aeque noxis.228 Dieser einleitende Satz verbindet die Darstellung der Prädestinatianer eng mit der vorangehenden zum pelagianischen Streit, wenn Mosheim schreibt, dass aus jenen unheilvollen Streitigkeiten (infausta haec certamina) ebenso schädliche Uneinigkeiten (dissensiones aeque noxis) hervorgegangen seien. Der vorangehend präsentierte pelagianische Streit wird durch Mosheim negativ qualifiziert. Und aus diesem schädlichen Streit konnten weitere schädliche Konflikte und Meinungsverschiedenheiten hervorgehen, wie die folgenden Aufzählungen der Parteien der vermeintlichen Prädestinatianer und Semipelagianer verdeutlichen sollen; auch weitere Streitigkeiten um die Gnade spiegeln im Laufe der Kirchengeschichte diese schädliche Parteiung wieder und sind Folgen des pelagianischen Streites. Auch unter der scheinbar recht neutralen Überschrift Multa religionis capita diligentius illustrata verbirgt sich im Kapitel über die Geschichte der Lehrmeinungen eine starke Kritik an den dogmatischen Streitigkeiten und insbesondere Spitzfindigkeiten des fünften Jahrhunderts.229 Relevant ist dies für die Rezeption des pelagianischen Streites auch insofern, als hier dogmatische Streitpunkte angesprochen werden, die im Zentrum des pelagianischen Streites standen. Mosheim leitet den Paragraphen damit ein, dass bei den Kontroversen, die dieses Jahrhundert nicht ruhen ließen (exagitarunt), einzelne Glaubensartikel (religionis capita) nicht nur in größerem Umfang genauer als zuvor erklärt, sondern auch festgelegt und aufpoliert, beziehungsweise noch drastischer ausgedrückt, ausgeschmückt (limata) wurden. Zu diesen religionis capita zählt Mosheim nun knapp die über Christi Natur und Person, also des christologischen Streites und dessen Konzilien und Festlegungen auf.230 Wesentlich länger ist die Auf Mosheim, Institutiones, 231, § XXV. Folgenden vgl. Mosheim, Institutiones, 209 f. (Saec. V, Teil II, Kapitel 3: Historia Doctrina, § 1). Freilich legt Mosheim eine große Abneigung gegen dogmatische Streitigkeiten, Spitzfindigkeiten oder dogmatischen Fanatismus insgesamt an den Tag. Vgl. hierzu SchmidtBiggemann, »Platonismus«, 209. 230 Mosheim vermerkt hierzu nur: de CHRISTO nimirum, eiusque persona et naturis (Mosheim, Institutiones, 209, § 1). 228
229 Im
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führung von dogmatischen Streitpunkten, welche die Kernthemen des pelagianischen Streites waren: der von der Erbsünde verdorbenen Natur des Menschen, dem natürlichen Vermögen, die Gesetze Gottes zu befolgen, der Gnade und der Freiheit.231 Sehr kritisch gegenüber diesen dogmatischen Festlegungen, aber vor allem gegenüber den spitzfindigen Vertiefungen fährt Mosheim fort, dass den »feinen Gelehrten« des fünften Jahrhunderts (praecipuis horum temporum doctoribus) wohl die Einfachheit (simplicitas) der ersten Christenheit (primae aetatis Christianae) zu wild und plump (agrestis) war. Diese Simplicitas habe schlicht und ergreifend darin bestanden, an Gottes Wort zu glauben und seinen Befehlen zu gehorchen.232 Da diese Einfachheit von Mosheim klar als sancta et veneranda qualifiziert wird,233 die doctoribus des fünften Jahrhunderts jedoch als recht wichtigtuerisch und aufgeblasen daherkommen, ist eine klare Kritik an den Gelehrten jener Zeit ausgesprochen. Freilich ist auch der Inhalt der sim‑ plicitas mit ihrer Zentrierung auf das göttliche Gebot und Wort so zentral und letztlich Kernbestand christlicher Lehre, ja dessen ursprüngliche Lehre für Mosheim, dass alles weitere, insbesondere Spitzfindigkeiten über Dinge, die unklar und Geheimnis Gottes sind, in die Irre gehen müssen. Daher betont Mosheim nun auch konsequent, wie schon Arnold vor ihm, dass die Gelehrten des fünften Jahrhunderts mit ihrem Vorgehen nicht etwa den Weg zu einem verständigen Glauben (sapienter credendi) und heiligen Leben (sancte vivendi) eröffneten, sondern vielmehr zu Streitigkeiten, die die göttlichen Geheimnisse (divinaque mysteria) in Spitzfindigkeiten (subtilitatum), zweideutige Begriffe (ambiguorum vocabulorum) und Unterscheidungen (distinctionumque) verwickelten. Mosheim beschreibt dieses falsche Vorgehen sehr anschaulich anhand eines schönen Gegensatzpaares: Anstatt die göttlichen Geheimnisse aus ihren Schwierigkeiten und Dunkelheiten zu entwirren (explicarunt), verwickeln (laqueis implicarunt) die Gelehrten diese noch weiter in Unklarheiten und verhindern de facto damit, dass sie zum verständigen Glauben und heiligen Leben führen. Aus solchen gelehrten Spielereien und Penibilitäten resultierten wiederum Unglück, Raufereien und Hass (malorum, rixarum et odiorum), die zu allem Leid auch noch an die folgenden Generationen weitergeflossen seien (ad posteros manavit). Der Zirkel lässt sich bei Mosheim letztlich endlos weiterdenken. Deutlich wird hier die scharfe grundsätzliche Kritik Mosheims 231 Allerdings ist aus dieser ungleichmäßigen Gewichtung wohl nicht viel abzulesen, denn der christologische Streit wird weitaus ausführlicher als die pelagianische Kontroverse geschildert. Vielmehr lässt sich die Knappheit der Erwähnung auf die zentralen Begriffe natura und per‑ sona zurückführen, wohingegen die Streitpunkte des pelagianischen Streites doch weiter gefasst waren und nicht nur die Christologie, sondern Anthropologie, Schöpfungs‑ und Gnadenlehre betrafen. 232 [S]implicitas […] quae Deo loquenti credere et mandanti obedire iubebat (Mosheim, In‑ stitutiones, 209, § 1). 233 Schmidt-Biggemann, »Platonismus«, 210 spricht synonym von der »apostolischen Einfachheit«.
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an diesen Religionsstreitigkeiten über dogmatische Fragen: Anstatt in der reinen urchristlichen und erstrebenswerten simplicitas zu verbleiben und sich nach dem Wort Gottes zu richten, zum rechten Glauben und Leben zu führen und höchstens starke Unklarheiten zu beseitigen, verwickelten sie Gottes Geheimnisse in Spitzfindigkeiten.234 Ohnehin steckt hinter dem Verweis auf das Ideal der simplicitas des ersten Christentums nicht nur ein gewisses Verfallsmodell des Christentums, das dem Arnolds nicht unähnlich ist, sondern auch eine scharfe generelle Kritik an dem überheblichen Versuch, göttliche Geheimnisse weiter ergründen zu wollen, vielleicht gar zu lösen, anstatt Glaube und rechtes Leben durch simplen Gehorsam gegenüber Gottes klaren Worten als Ziel im Auge zu behalten. Mit denjenigen Gelehrten, die sich zu solchen Spekulationen und unnötigen Spitzfindigkeiten hinreißen lassen, meint Mosheim jedoch nicht ausschließlich die Kirchenväter und hohen kirchlichen Würdenträger, sondern recht unparteiisch einen jeden, der sich solchen Überlegungen hingibt – also durchaus auch deren Gegner.235 Neben diesem an sich schädlichen Aspekt solcher unnötigen Feinheiten und überheblichen Ergründungsversuche beklagt auch Mosheim wie zuvor Arnold, dass das aggressive Vorgehen der einen Konfliktpartei letztlich die jeweilige Gegenseite dem entgegenstehende, aber ebenso gefährliche Fehltritte unbedacht hervorbringen ließ.236 Klar ist somit Mosheims Grundhaltung, wie schon bei Arnold, dass derartige Streitigkeiten keineswegs zu Problemlösungen oder Klärungen führen, sondern zum genauen Gegenteil, nämlich weiteren Problemen, Zuspitzungen, ja Spaltungen.237 Betrachtet man nun die Abschnitte zum pelagianischen Streit und zu Augustin mit dieser Brille der allgemeinen Beurteilung Mosheims der theologischen Konflikte im fünften Jahrhundert, so fällt in der Darstellung des pelagianischen Streites aber eine signifikante Abweichung von Arnold auf: Denn hier sind es 234 Diese kritische Haltung zur Dogmatik des fünften Jahrhunderts passt zur allgemeinen Ansicht Mosheims, vgl. hierzu Schmidt-Biggemann, »Platonismus«, 200 f. Vgl. auch die Aussage Mosheims: »Man lerne die Dogmatic so kurz als man immer kann.« (Johann Lorenz von Mosheim, Kurze Anweisung, die Gottesgelahrtheit vernünftig zu erlernen, in academischen Vorlesungen, hg. v. Christian Ernst v. Windheim [Helmstedt: Weygand, 1756], 50.) Ohnehin zeichnet sich Mosheim durch eine scharfe Skepsis, ja Abneigung gegenüber der Philosophie, insbesondere dem Neuplatonismus aus, vgl. hierzu Heussi, Mosheim, 55 f. sowie zu der Ansicht, die Philosophie habe zur Sektenbildung deutlich beigetragen Schneider, »Sektenproblem«, 176–184. 235 Die doctores bei Mosheim sind also nicht einfach mit den den »Scribenten« oder gar »Orthodoxi« bei Arnold gleichzusetzen, sondern viel weiter als theologische Autoren, die miteinander im Diskurs stehen, Schriften verfassen und durchaus völlig unterschiedliche Ansichten vertreten. Das gemeinsame Element der doctores ist deren Bildung und Beschäftigung mit den theologischen Fragen. 236 Omitto, alios, dum nimis urgerent adversarios, in contraria vitia, aeque periculosa, incautos incidisse (Mosheim, Institutiones, 210, § 1). 237 Mosheim geht indes nicht so weit wie Arnold, dies als Entschuldigung für die Lehre des Pelagius anzuführen, siehe u. a. oben S. 93.
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vor allem Pelagius und Caelestius, die mit Doppeldeutigkeiten und Unehrlichkeit in ihren Schriften die Kontroverse anheizten238 und ihre Gegner zu einem vehementen Vorgehen verführten. Wenn man aber zu diesem Befund noch den Paragraphen über Augustinus selbst hinzuzieht, wird sichtbar, dass auch dieser für gewisse Unzulänglichkeiten in der Streitführung von Mosheim keine Verteidigung erfährt.239 Nach einigem allgemeinen Lob für Augustins Charaktereigenschaften240 lässt Mosheim Kritik an diesem laut werden.241 So attestiert Mosheim diesem an sich vortrefflichen Mann ein geradezu hitziges Gemüt (naturae quidam ardor), das ihn mehr bestimmt habe als Vernunft und Umsicht (ratio et prudentia). Das hat nun aber laut Mosheim auch Konsequenzen für den Umgang mit Augustins Lehre, mit der dieser viel Anlass gegeben habe, über seine wahren Intentionen zu streiten und ihn für seinen Wankelmut und die Übereile, mit der er kopfüber (praecipitemque) über ungewisse Sachverhalte (rebus haud fatis exploratis) schrieb, zu kritisieren.242 Zwar werden hier im eigentlichen Sinne nur Charaktereigenschaften Augustins beanstandet, doch findet sich auch darüber hinaus238 Vgl.
Mosheim, Institutiones, 231, § XXIV.
239 Zur Darstellung Augustins vgl. Mosheim, Institutiones, 161 (in Saec. IV, Teil II, Kapitel 2).
Die einzige Fußnote zu diesem Textabschnitt bietet kurz und knapp die damals gängigen Editionen von Augustins Schriften. Mosheim nennt hier zunächst die Lovanienserausgabe, gefolgt von der Maurineredition der Pariser Benediktiner, welche ihre Edition nitide et accurate (Mosheim, Institutiones, 161, Anm. s) erstellten, dennoch viel Kritik von Seiten der Jesuiten erfuhr. Schlegel ergänzt dazu ausführlicher in seiner Übersetzung: »Sie beschuldigen nemlich die Benedictiner des Jansenismus, und behaupten, sie hätten sich solcher Handschriften bedient, welche von den Anhängern des Gottschalks und Ratramnus verfälscht worden.« (Schlegel, Vollständige Kirchengeschichte, 481, Anm. s). 240 Mosheim erwähnt unter anderem Augustins Liebe zu Wahrheit, Fleiß, Frömmigkeit, Scharfsinn, aber auch – und dies ist durchaus ambivalent zu verstehen – dessen Spitzfindigkeit. 241 Diese Darstellung im Kapitel zu den Schriftstellern des vierten Jahrhunderts ist gerahmt von der des Hieronymus und des Optatus von Mileve und lässt sich grob in zwei Abschnitte unterteilten: Zunächst spricht Mosheim ein Lob für Augustinus aus und greift hierbei die üblichen Lobesformulierungen auf; anschließend folgt in einem ebenso langen Abschnitt die Kritik, respektive das, was an Augustin tadelwürdig sei. Auffällig ist die Ausgewogenheit beider Abschnitte, eine klare Gegenüberstellung von pro und contra. Gelobt wie getadelt werden nahezu ausschließlich Charaktereigenschaften des Kirchenvaters, jedoch mit einer vorangestellten Bemerkung zu seiner großen christentumsgeschichtlichen Relevanz (AUGUSTINI […] fama totum implevit orbem Christianum), vgl. Mosheim, Institutiones, 161. Ferner fällt auf, dass über dessen Lebenslauf, einzelne Schriften und dogmatische Lehren nichts Inhaltliches ausgesagt wird. Zwar verhält es sich bei den Darstellungen anderer Autoren ebenfalls so, dafür wird aber häufiger ein einzelner, bestimmter dogmatischer Standpunkt oder eine entsprechende Auseinandersetzung geschildert, die für die jeweilige Person markant ist (vgl. exemplarisch die knapperen, aber doch inhaltlich gehaltvolleren Abschnitte zu Rufin von Aquileia oder selbst der eine Satz zu Paulinus von Nola, Mosheim, Institutiones, 161 f.). Warum bei Augustinus nur Allgemeinplätze und das übliche Lob und Tadel erscheinen, lässt sich wohl damit begründen, dass Augustins Handeln und dogmatische Standpunkte in der Diskussion einzelner Häresien, Streitigkeiten und dogmatischer Lehren selbst verhandelt werden, sodass hier nur ein kurzer Abriss zu dessen Charakter geboten wird. 242 Itaque magnam multis praebuit facultatem de veris eius sententiis dimicandi, aliis incon‑
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gehend zweierlei Kritik, die schon aus der generellen Kritik an den Konflikten des fünften Jahrhunderts bekannt ist: Zum einen wird dem Leser hier aufgezeigt, wie die von Augustinus hervorgerufenen Unklarheiten und Meinungsänderungen Stoff für weiteren Streit bieten, zum anderen habe er zu oft über theologische Sachverhalte geschrieben, die dem Menschen ungewiss sind, womit die Kritik an der Ergründung göttlicher Geheimnisse anklingt. So bietet auch Augustins Lehre Gelegenheit zum Anstoß. Letztlich sticht die Darstellung Augustins hier jedoch nicht aus der der anderen Autoren bzw. Kirchenväter heraus. Sie kann in Ihrer Ausgewogenheit und den formulierten Charaktereigenschaften als durchaus tropisch beschrieben werden.243 4.2. Die schädlichen Folgen des pelagianischen Streites Jenen Stein des Anstoßes, den Augustins Lehre durchaus darzustellen vermochte, expliziert Mosheim in der Darstellung der Prädestinatianer.244 Dort führt er unter anderem aus, dass Augustinus seine Lehre von der Notwendigkeit der göttlichen Gnade für das Heil des Menschen245 und Gottes Vorherbestimmung des künftigen Schicksals der Menschen246 uneinheitlich und verschieden (varie) und manchmal nicht ausreichend deutlich (Nec satis interdum luculenter) vortrug, sodass seine Aussagen missverstanden wurden und den Prädestinatianern Anlass zu ihren Fehlschlüssen gaben.247 Zu Augustins Ehrenrettung bemerkt Mosheim, dass dieser seine Denkart aber nun deutlicher erklärte (mentem suam clarius ex‑ plicantis), und durch sein großes Ansehen (auctoritas) als auch die Konzile von Arles und Lyon, in deren Folge die radikalisierten Ansichten verworfen wurden, die weitere Ausbreitung dieser Sekte der Prädestinatianer – deren Existenz Mosstantiam eius, praecipitemque de rebus haud satis exploratis scribendi celeritatem accusandi (Mosheim, Institutiones, 161). 243 So beobachtete bereits Heussi zur Darstellung der einzelnen Persönlichkeiten: »[D]ie Charakteristik besteht daher in der Regel in der Anführung von ›allgemein-menschlichen‹ Eigenschaften […] Was er zur Charakteristik der Persönlichkeit anführt, ist eigentlich niemals direkt verkehrt, wenn auch stark schablonenhaft und sehr massiv und absolut klingend; aber eines vermissen wir regelmäßig, nämlich die historische Nuancierung.« (Heussi, Mosheim, 29). 244 Im Folgenden vgl. Mosheim, Institutiones, 231, § XXV. 245 Sententiam suam de gratia divina homini ad salutem necessaria (Mosheim, Institutiones, 231). 246 Decretisque Die de futuris fatis hominum (Mosheim, Institutiones, 231). 247 Dies habe nämlich bei den Mönchen Adrumetums und anderer in Gallien dazu geführt, anzunehmen, Gott habe die Gottlosen nicht nur zu ewigen Strafen, sondern auch deren Verfehlungen und Sünden, die solche Strafen verdienen, vorherbestimmt (Deum improbos non ad poenas tantum aeternas, verum etiam ad culpam et peccata, quae poenas illas menrentur, praedestinasse [Mosheim, Institutiones, 231, § XXV ]). Folglich seien sowohl die guten wie die bösen Handlungen aller Menschen von Gott von Ewigkeit her durch unvermeidliche Notwendigkeit bestimmt (inevitabili propterea necessitate bonas aeque, ac malas omnium actiones ex omni aeternitate detrerminatas divinitus esse [Mosheim, Institutiones, 231, § XXV ]). Die Vertreter dieser Lehre einer doppelten Prädestination seien nun Prädestinatianer genannt worden.
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heim ohnehin stark anzweifelt und sie auf eine bloße Wortstreitigkeit reduziert wissen will – habe verhindern können.248 Das Grundmotiv der schädlichen Folgen des pelagianischen Streites und der in diesen vorgetragenen Lehrmeinungen wird auch in den Darstellungen der Semipelagianer und Mosheims daran anschließend Ausblick über die weiteren Streitigkeiten zur Gnade expliziert. Anders als im Falle der prädestinatianischen Ansichten habe die semipelagianische Lehre, die aus einer Abmilderung Augustins Lehre durch Johannes Cassian hervorgegangen sei, weite Verbreitung und Akzeptanz gefunden, auch weil Augustinus und besonders seine Anhänger nicht konsequent genug gegen diese vorgegangen seien.249 248 Damit schließt Mosheim die eigentliche Darstellung dieser dem pelagianischen Streit nachfolgenden Häresien ab. Bemerkenswerter als diese ist jedoch der Schlusssatz: In diesem merkt Mosheim die Kontroverse unter Gelehrten an, dass die Prädestinatianer möglicherweise eine Erfindung der Semipelagianer gewesen seien, um die Anhänger Augustins, die doch richtig und der Wahrheit gemäß lehrten, zu diskreditieren. Mosheim erwähnt hierzu Mauguin, Vindiciarum praedestinationis et gratiae 2, 447 f. Der nächste, knapp gehaltene Literaturhinweis bei Mosheim bezieht sich auf Friedrich Spanheims (1632–1701) »Historia Ecclesia‑ stica a Christo nato ad tempora Reformationis«, in ders., Operum. Tomus I. Continens Geo‑ graphiam, Chronologiam, et Historiam, et Historiam Sacram atque Ecclesiasticam utriusque Temporis (Leiden: Boutestein, 1701). Spanheim war deutscher, reformierter Kirchenhistoriker und liefert in Spanheim, »Historia Ecclesiastica«, 989–995 seiner Arbeit eine relativ umfängliche lateinische Darstellung der pelagianischen Häresie, aber insbesondere der Semipelagianer und der vermeintlichen Prädestinatianer. Dabei lässt er in seiner Darstellung keinen Zweifel daran, dass es sich bei den Pelagianern aus seiner Sicht um eine Häresie handelt. Die nächste, reichlich kryptische Anmerkung bezieht sich auf die überarbeitete und kommentierte Fassung von Antiquae Lectiones. Tomus I, seu antiqua monumenta ad historiam mediae aetatis illu‑ strandam (insgesamt sechs Bände, erschienen in Ingolstadt, 1601–1604) des katholischen Professors für kanonisches Recht und Historikers Henricus Canisius (Hendrik de Hondt, 1562–1610). Basnage veröffentlichte diesen überarbeiteten Text unter dem Titel Thesaurus Monumentorum ecclesiasticorum et historicorum sive Henrici Canisii Lectiones Antiquae, Variis Opusculis, Observationibus, & Notis auctae (Antwerpen: Wetstein, 1725). Mosheim verweist hier auf Basnage, Thesaurus, 315, Anm. c zu den Prädestinatianern sowie Basnages eigene kritische Beobachtungen zu Faustus von Riez, Basnage, Thesaurus, 345–350, hierzu vor allem der Abschnitt VI (348), der sich wiederum auf Mauguins Argumente zum Thema bezieht. Im letzten Literaturverweis erwähnt Mosheim die von François Granet, einem französischen Literaten (1692–1741), herausgegebenen und kommentierten Werke des Jean de Launoy (1603–1678), und führt knapp die Verstrickungen um ihn, Sirmond und Mauguin aus. Letztlich schließt Mosheim aber mit der Bemerkung ab, dass die ganze Frage um die Existenz dieser Sekte bei genauerer Betrachtung wohl nicht mehr als ein Streit um Worte sei (Liticula haec: Num secta quaedam Praedestinatiana olim exiterit? si acrius prematur, in verbi forte pugnam definet [Mosheim, Institutiones, 231, Anm. r]). Dies könnte wohl so zu verstehen sein, dass Mosheim es für einen Streit um den Begriff »secta« handelt und ob dieser allgemein über alle Vertreter einer solchen Ansicht gestülpt werden könne; schließlich sei ganz klar, dass es Vertreter dieser Ansicht gibt und gab, aber wohl zweifelhaft ist, ob hier von einer organisierten Sekte, die sich organisierte, die Rede sein kann; vgl. so auch die Ergänzung in der engl. Übersetzung durch Maclaine, Ecclesiastical History, 87 f., Anm. g, der sich entsprechend äußert und nicht die Existenz einzelner Personen mit solchen Ansicht bezweifelt, wohl aber die einer organisierten Sekte unter diesem Namen. 249 Vgl. Mosheim, Institutiones, 232, § 16. Zunächst schildert Mosheim, wie Johannes Cassianus aus dem Orient nach Gallien kam, dort ein Kloster errichtete und zusammen mit
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Die weiteren Folgeerscheinungen des pelagianischen Streites schildert Mosheim unter dem kurzen Abschnitt Controversiarum de gratia varietas.250 Anders als in den vorangehenden Paragraphen beschreibt er keine konkrete geschichtliche Situation, Häresie oder andere Anlässe, sondern trifft sehr allgemeine Aussagen über die weitere Rezeption der Gedanken Augustins, Pelagius’ und der Semipelagianer. Sehr pointiert präsentiert er dabei die grundsätzlichen Positionen, die aus den pelagianischen Streitigkeiten resultierten und im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte von durchgängiger und fortwährender Relevanz blieben. Kontinuität ist das Stichwort, der pelagianische Streit und die Herausbildung der semipelagianischen Position stellen nur den Urknall dieser fortwährenden, ja immerwährenden Streitigkeit dar. Dass Mosheim diese andauernde Debatte ein Greul ist, wird schnell deutlich. Mosheim eröffnet mit der Bemerkung, wie – nach dem pelagianischen Streit selbst und den Semipelagianern – jene heiklen Debatten (spinosissimae illae lites)251 um die Art und Natur der göttlichen Kraft, welche die Menschen zum Heil nötig haben (modo et natura virtutis divina, cuius ad salutem homines in‑ digent) und um die gratia begannen. In recht dramatisch klingenden Worten des anderen (et alii) bemüht war, die Ansicht Augustins halbwegs zu mildern (sententiam temperare quodammodo volebant, Mosheim, Institutiones, 232). Dafür hätten sie viel Beifall erhalten, wie Mosheim feststellt, was wiederum zu deren Sektenbildung beitrug, die von ihrer Gegnerschaft als »semipelagianisch« bezeichnet wurde. Den Grund für diese Bezeichnung führt Mosheim sogleich kurz aus: Die meisten (plerique) Gegner dieser Sekte meinten, dass die Menschen keine innere, zuvorkommende Gnade (gratiam praevenientem interiorem) benötigen, sondern die Kräfte der eigenen Natur (naturae viribus) ausreichen, um die Besserung der Seele einzuleiten (emendationem animi inchoare), an Christus zu glauben und das Vorhaben eines heiligen Lebenswandels zu denken und hervorzubringen. Es ist also keine vorangehende, innerliche Gnade nötig, um diese Schritte einzuleiten, sondern allein die menschliche Natur ausreichend. Von der zuvor dargestellten Position der Pelagianer unterscheiden sich Cassianus und seine Anhänger aber darin, dass er betont, kein Mensch könne von sich aus in diesem aus eigener Kraft errungenem Zustand verbleiben, wenn er dabei nicht ständig durch die Hilfe und Gnade Gottes unterstützt werden würde (nisi ope et gratia divina perpetuo fulciatur). Die Schüler des Augustinus hätten nun zwar mit diesen gestritten, konnten über sie letztlich aber nicht triumphieren. Die Ursache dafür sieht Mosheim in zwei Punkten: Erstens entsprach diese Vorstellung der Semipelagianer, aus den eigenen Kräften der menschlichen Natur die ersten Schritte auf dem Weg zum Heil zu setzen, dann fortwährend durch die göttliche Gnade gestützt zu werden, laut Mosheim der Denkweise der meisten, insbesondere aber der Mönche (Monachorum in primis), sie wurde aber auch von angesehenen Autoren (gravissimis etiam auctoribus), vor allem griechischen, toleriert. Wieder kann man hier eine Spitze Mosheims gegen die östliche, von Philosophie geprägte Theologie (beispielsweise Origenes) und gegen Mönchtum und Askese herauslesen. Zweitens trägt Augustinus zusammen mit seinen Anhängern selbst Schuld daran, dass sich diese Ansichten der Semipelagianer festsetzen konnten, da er mit seinen Gefolgsleuten zusammen es nicht wagte (non auderet), die Semipelagianer als gänzlich schädlich und schändlich zu verurteilen. Dieses zögerliche, unentschlossene Verhalten habe schließlich zur weiten Verbreitung dieser Ansichten beigetragen. Inwiefern sich diese Schuld Augustinus selbst oder viel mehr überwiegend seinen »Schülern« zuschreiben lässt, bleibt hier unklar. 250 Im Folgenden vgl. Mosheim, Institutiones, 232, § XXVII. 251 Mosheim, Institutiones, 232, § XXVII.
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Bedauerns schildert Mosheim, wie diese Debatten alle folgenden Zeiten (omnem consequentem aetatem) in miserabler Weise beunruhigt (misere lacerarunt) haben und bis zu seiner eigenen Zeit fortdauern (et ad nostram […] protractae sunt), sehr zum Bedauern aller guten und frommen Menschen (bonis omnibus et piis lugentibus). Nach diesen einleitenden, dramatischen Worten schildert Mosheim noch einmal kurz und bündig die drei möglichen Grundpositionen zum fortwährenden Streit um die göttliche Gnade, indem er deren Repräsentanten, Augustinus, Cassian und zuletzt Pelagius, anführt. Die Reihenfolge ergibt sich wohl aus der Gewichtigkeit der jeweiligen Position und aus der Größe ihrer Akzeptanz und Anhängerschaft. So seien zwar viele durch alle Zeiten der Meinung Augustins nachgefolgt, der Gott alles, der menschlichen Natur aber nichts zugeschrieben habe (qui Deo cuncta, nihil humanae naturae), auch wenn sich Augustins Anhänger in nachfolgenden Zeiten unterschiedlicher Argumentationen für diese Meinung bedient hätten. Noch mehr aber haben laut Mosheim in der Folgezeit die Meinung Cassians akzeptiert und vertreten; als Multiplikatoren für die Verbreitung dieser semipelagianischen Lehre benennt Mosheim die gallischen Mönche, von denen aus sich die Lehre über ganz Europa verbreitet habe (ex Monachorum Gallorum scholis ad omnes Europae provincias permanavit).252 Die Meinung des Pelagius sei im Gegensatz zu denen Augustins und Cassians in der Folgezeit nur von wenigen offen (nec idcirco aperte a multis proposita est) vorgetragen worden, da sie den meisten zu kühn und frei erschien (PELAGII opinio nimis audax et libera plerisque visa fuit). Mosheim betonte bereits vorangehend, dass schon anfänglich die pelagianische Lehre im Verborgenen Verbreitung fand, was an sich schon auf ihre Schändlichkeit im Gegenüber zur öffentlich vorgetragenen Wahrheit deutet. Auch mit dem Hinweis, dass die Lehrmeinungen des Pelagius vielen einfach zu waghalsig waren, liefert Mosheim zugleich eine interessante Qualifizierung der Lehre des Pelagius: Werden die prädestinatianischen Ansichten als relativ irrelevant angesehen und bald unterdrückt, die Lehren des Augustinus verschiedentlich interpretiert und der Semipelagianismus als populäre, aber letztlich abgemilderte Variante Augustins und als Gegenstück zum Prädestinatianismus dargestellt, so nimmt nur die Lehre des Pelagius eine wirklich radikale Außenseiterposition in der weiteren Geschichte der Kirche ein: 252 Auch wenn die Sprache Mosheims hier sehr neutral ausfällt, Cassians Position nicht als häretisch und schändlich an sich beschrieben wird, so ist schon der Verweis auf das von Mosheim generell nicht sehr positiv bewertete Mönchtum wieder bezeichnend. Noch deutlicher wird dies folgend durch den Verweis auf die Griechen und Bewohner des Orients, welche ja schon vor Cassian diese Lehre vertreten hätten und es bis zum heutigen Tag laut Mosheim so halten. Auch dies ist wieder eine mehr oder minder dezente Kritik Mosheims, der sich ja schon in der Darstellung der eigentlichen pelagianischen Kontroverse auf die Akzeptanz der Position des Pelagius im Orient bezog.
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At licebit tamen ex omnibus saeculis numerum qualemcumque eorum colligere, qui, quod illum fecisse accepimus, perfectam homini facultatem adscripserunt legem divinam suis viribus servandi.253
Durch alle Zeiten hindurch fänden sich also beträchtliche Mengen an Zeugnissen, deren Urheber dieselbe Meinung wie Pelagius vertreten haben sollen – allerdings meist, ohne sich eben dazu öffentlich zu bekennen. Zwar führt Mosheim keine Persönlichkeiten namentlich an, die im Laufe der Kirchengeschichte jene pelagianischen Ansichten vertreten hätten, aber darauf kommt es ihm auch nicht an; vielmehr darauf, dass der Leser die fortwährende Schändlichkeit jener Lehren erkennt, die aufgrund ihrer ungebrochenen Radikalität bis auf die Lebzeiten Mosheims nur im Verborgenen vorgetragen werden können. Zugleich ist damit aber auch angezeigt, dass sich die pelagianische Lehre einer ebenso fortwährenden Popularität im Verborgenen erfreut.254
5. Zusammenfassung Was lässt sich nun insgesamt für das Bild und die Beurteilung des pelagianischen Streites und seiner Akteure bei Mosheim festhalten? Können, mit Martin Ohst gesprochen, Mosheims wenige Zeilen, die er dem pelagianischen Streit widmet, als »ein Dokument des Überganges« bezeichnet werden, der dann von seinen Übersetzern beschritten und überschritten wird? Schaut man nun noch einmal unter die Oberfläche, an der nach Ohst die »herkömmlichen Schemen und Stereotypen von Wahrheit und Lüge, von Rechtgläubigkeit und Ketzerei«,255 die so typisch für bisherige Darstellungen des Streites war, weiterhin herrschen, lassen sich zwei Grundlinien in Mosheims Darstellung des Streites erkennen. So ist an erster Stelle dessen Kritik am Streit selbst wie an dessen Führung und Verlauf zu notieren: Das aggressive Vorgehen der einen Streitpartei förderte nur noch mehr Fehltritte und extreme Ansichten der jeweils anderen Partei, ein Motiv, das in ähnlicher Variante, aber mit anderer Zielrichtung schon bei Arnold begegnete.256 Auch dogmatische Spitzfindigkeiten, Versuche, Gottes Geheimnisse zu ergründen, anstatt für klare, einfache Sachverhalte zu sorgen, und damit das Abweichen von der ursprünglichen simplicitas der ersten Christen, werden beiden Streitparteien als weitere Brandbeschleuniger und Grundprobleme dieses Konfliktes zur Last gelegt. Ebenso werden von Mosheim die weitreichenden Konsequenzen des Streites in Gestalt von Folgestreitigkeiten als Teil des Problems, das dieser Konflikt darstellt, angeführt. Die im pelagianischen Streit vorgetragenen Mosheim, Institutiones, 232. Als Beispiel könnte Gottfried Arnold angeführt werden, wie dessen vehemente Abwehrbemühungen und Revisionen belegen mögen. 255 Ohst, »Episode«, 101. 256 Siehe oben u. a. S. 92. 253 254
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Spitzfindigkeiten, Mehrdeutigkeiten und Unklarheiten führten, wie bereits die folgenden Streitigkeiten um die vermeintlichen »Prädestinatianer« zeigten, nur zu weiteren »Bränden« oder »Seuchenherden«. Eine zweite Grundlinie, die weitaus weniger markant ist, ist die kritische Beurteilung von Lehre und Verhalten des Pelagius und Caelestius. Diese ist zwar überwiegend wenig polemisch vorgetragen und steht gegenüber der genannten Streitproblematik im Hintergrund, ist aber doch eindeutig bereits am gewählten Vokabular zu erkennen.257 257 Diese beiden Grundlinien werden von den zwei deutschen Übersetzern der Institutiones unter starker Einbeziehung des Entwurfs Walchs unterschiedlich breit ausgebaut. Besonders Schlegel stellt den Aspekt der Schändlichkeit und Schädlichkeit des Streites in den Vordergrund seiner Ergänzungen. Auf beiden Seiten zeigt er Verfehlungen der Streitparteien auf, bestehend in Mehrdeutigkeiten und Parteilichkeit, die diesen »Wortstreit« charakterisieren. Der pelagianische Streit war in seinen Augen somit ein »Unglück«, welches sich vom Abendland her geographisch wie zeitlich ausbreitete und sich noch bis auf seine Gegenwart hin in den protestantischen und katholischen Konflikten des 17. und 18. Jahrhunderts fortsetzt, ohne ein Ende zu finden. Dazu skizziert Schlegel eine kleine Wirkungsgeschichte des pelagianischen Streites durch die Zeitalter der Kirchengeschichte hindurch, was die langfristigen Konsequenzen dieses Streites des fünften Jahrhunderts veranschaulicht, zugleich aber auch den Leser auf die Problematik stoßen soll, dass aufgrund des weiter schwelenden pelagianischen Streites bislang keine wirklich objektive und angemessene Darstellung des Streites habe verfasst werden können. Hiermit zeigt sich deutlich, dass Schlegel die Hauptlinie der Mosheimischen Darstellung des pelagianischen Streites aufgegriffen hat und mit Walchs Argumentation konsequent weiterführte. Von Einem beschreitet demgegenüber einen anderen Pfad: Zwar baut auch er die negative Beurteilung des Streites an sich weiter aus. Das ist jedoch nicht sein Hauptanliegen. Vielmehr möchte er die Gefahr, die von der pelagianischen Lehre ausgeht, aufzeigen und seinem Leser spätestens am Ende seiner Ergänzungen zum pelagianischen Streit geradezu schulmeisterlich einbläuen. In Schlegels Einschätzung, dass der pelagianische Streit vor allem ein bloßer Streit um Worte war, sieht von Einem daher eine irreführende Fehleinschätzung der Gefahr. Bereits eingangs der Darstellung wählt er daher programmatisch als Übersetzung von Mosheims pestis die verengende Formulierung »gefährliche Lehre« und baut damit den Nebenpfad Mosheims mit Walchs Argumenten zu einer breiten Straße aus, die auf dem Platz mündet, auf dem von Einem den zentralen Widerspruch der pelagianischen Hauptlehren zum lutherischen Lehrbegriff anprangert. Sowohl von Einem wie auch Schlegel bauen darüber hinaus die Darstellungen der einzelnen Pelagianer deutlich aus, ergänzen auch den bei Mosheim sträflich vernachlässigten Julian. Besonderheiten, wie dessen Äußerungen zur Ehe oder der Sexualität werden jedoch an keiner Stelle bei den Übersetzern hervorgehoben, einziges Merkmal des Bischofs scheint zu sein, dass er sich der Unterschriftenaktion des römischen Papstes widersetzte und für seine Parteinahme für Pelagius abgesetzt wurde. Von Einems und Schlegels Ergänzungen zu Pelagius und Caelestius sind in erster Linie biographischbibliographischer Natur, beide führen die Hintergründe etwas tiefer aus und stellen die noch bekannten Schriftstücke dieser Pelagianer vor. Die Lehre von Pelagius wird in den Ergänzungen beider Autoren detailreicher geschildert, wobei beide sich hier an der Materialsammlung Christian Walchs bedienen. Schlegels Beurteilung der Lehre des Pelagius geht in eine ähnliche wie die Mosheims, wie er ohnehin seinem Lehrer etwas »treuer« ist als von Einem, dessen Kritik an Pelagius bereits genannt wurde. Letztlich zeigen die von den Institutiones ausgehenden Übersetzungen der 70er Jahre des 18. Jahrhunderts bereits den zu erwartenden Fortschritt in der kirchenhistoriographischen Bearbeitung und Darstellung des pelagianischen Streites an. Darin, wie Schlegel und von Einem Mosheims Darstellung unter Einbeziehung neuerer Literatur in unterschiedliche Richtungen hin erweitern, anpassen und kommentieren, zeigen sich exemplarisch die miteinander verzweigten Flussarme der weiteren Rezeption des pelagianischen
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So begegnet Pelagius bei Mosheim nicht als der fromme Christ, der vor allem um das »wahre Christentum« bemüht war. Seine Qualifikation des Pelagius als Mönch ist voreingenommen negativ und wird immer wieder herausgestellt. Auch die schmeichlerischen und doppelzüngigen Bemühungen sowohl des Pelagius wie auch des Caelestius, mit der diese versucht haben, die römischen Päpste für sich zu gewinnen, ist hierfür ein weiterer Beleg. Bei der Beurteilung der Lehre des Pelagius ist Mosheim hingegen oberflächlich betrachtet etwas zurückhaltender, aber Aussagen wie die, dass es Augustinus zu verdanken sei, dass sich diese Lehre nicht weiterverbreitete, sprechen deutlich gegen eine positive Beurteilung derselben; ohnehin findet sich kein Lob, wie es beispielsweise bei Arnold für einen Großteil der pelagianischen Lehren der Fall war. Nicht unbedeutend ist auch der Hinweis, dass Pelagius’ Lehre im Osten des Reiches, wie bei dem Jerusalemer Bischof Johannes, der ein Freund der Lehre des Origenes war, positive Aufnahme und Sympathien fand. Auch hier wird Mosheim nicht explizit, aber seine überwiegend negative Beurteilung des Origenes, analog zu der des Mönchtums im Allgemeinen, legt hier einen gewissen, unbestimmten Verdacht und skeptische Vorsicht gegenüber der Lehre des Pelagius nahe. Zu weiteren Spekulationen zur Linie Origenes – Pelagius, auch über die Zwischenstation Rufin, lässt sich Mosheim jedoch aufgrund seiner pragmatischen Darstellung und der Kürze der Darstellung nicht hinreißen. Die Diskussion um den Pelagianismus vor Pelagius wird Mosheim sehr wohl bekannt gewesen sein, aber er verbleibt hier nur bei knappen Andeutungen und widmet sich auch in seinen Arbeiten zu Origenes nicht dieser Frage, die bereits vor ihm, aber auch noch nach ihm ausführlicher erörtert und diskutiert wurde. Besonderheiten im Lehrgebäude des Pelagius, wie die Gleichberechtigung der Frau im Gottesdienst, die Reichtumskritik oder die Eidesverweigerung, werden von Mosheim nicht genannt. Auch auf weiterführende Aussagen zur Kindertaufe verzichtet Mosheim. Ohnehin trifft Mosheim nicht nur keine domgenhistorischen, sondern auch keine vertiefenden dogmatischen Ausführungen. Mosheim beschränkt sich daher auf das, was seiner Meinung nach die Kernbestände in Pelagius’ und Caelestius’ Lehre seien, also auf deren Gnadenverständnis und Naturbegriff, und auch diese werden nur sehr kompakt anführt. Dass Mosheim Pelagius’ dogmatische Positionen als sehr extrem und ungewöhnlich, ja gefährlich betrachtete, wird auch in seiner Aussage ersichtlich, dass sich aufgrund der extremen Position dieser Lehre in der Folgezeit kaum jemand angeschlossen habe, sondern man eher noch dem Semipelagianismus Streites, seiner Akteure und der verhandelten Lehre: gemäßigt orthodoxe Positionen in der Nachfolge Mosheims wie bei Schlegel; hinsichtlich der Lehrbeurteilung streng orthodoxe, in der Anwendung der neueren kirchenhistoriographischen Methoden progressive Ansichten wie die Walchs, denen von Einem so eng nachfolgt.
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zuneigte. Auffällig ist ferner, dass sich Mosheim zur Beschreibung der pelagianischen Partei ausdrücklich des Sektenbegriffs bedient. Allerdings hat dieser bei Mosheim deutlich an Schärfe verloren. Letztlich ist Mosheim insgesamt um eine wenig hitzige und unpolemische Darbietung des Pelagius und seiner Lehre bemüht, die sein Bild des pelagianischen Streites auf den ersten Blick unspektakulär erscheinen lässt. Doch wie steht es um Augustinus? Mosheim zeichnet ein sehr ausgewogenes, und darin nahezu schablonenhaftes Bild des nordafrikanischen Kirchenvaters, Kritik wie Lob halten sich in etwa die Waage. Augustin wird als ein Kirchenvater beschrieben, der durchaus übereilte und nicht immer klare Lehraussagen traf, diese letztlich aber verfeinerte und im Laufe des Konfliktes und seiner Folgen klarstellte, was jedoch nicht verhindern konnte, dass einige seiner Schüler ihn fehlinterpretierten und seine Lehren überspitzten.258 Ausdrückliches Lob wird ihm für die Unterdrückung der pelagianischen Lehre, die er im Keim erstickte, zuteil. Jedenfalls tritt er etwas deutlicher innerhalb des pelagianischen Streites in Erscheinung, als es in Arnolds KetzerHistorie der Fall war. Augustins mehrfaches Eingreifen in die Streitigkeit wird benannt, aber seine eigene Lehrposition ist nur als Negativum, also als das, was Pelagius verwirft, benannt, ohne Augustinus ausdrücklich als Urheber oder Vertreter einer solchen Lehre zu benennen; dahinter steckt keine Vertuschungstaktik Mosheims, sondern vielmehr die Tatsache, dass Augustins Positionen wohl als grundsätzlich bekannt angenommen wurden, sodass eine gesonderte Erwähnung nicht nötig erschien. Letztlich kann man sicher zum Augustinusbild Mosheims festhalten, dass er diesen als nicht fehlerfrei und in seinen Aussagen nicht immer klar betrachtet. Von einer Polemik gegen diesen kann aber bisher an keiner Stelle die Rede sein, vielmehr zeichnet Mosheim ein sehr ausgeglichenes Bild. Hinsichtlich der Frage nach der Entwicklung des Bildes und Urteils vom pelagianischen Streit in der Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts nimmt die Untersuchung Mosheims in den Institutiones letztlich eine unspektakuläre, aber nicht unbedeutende Rolle als »Dokument des Überganges«259 ein und das gleich auf mehrere Weisen: So verfällt Mosheim nicht in eine Parteinahme für eine von beiden Seiten des Streites, weder für Pelagius noch für dessen Gegner wie Augustinus. Dadurch vermeidet Mosheim eine einseitige Darstellung wie einerseits die Bei258 Dies kann auch kritisch aufgefasst werden in dem Sinne, dass Mosheim hier andeuten möchte, dass Augustin zu seiner eigenen Verteidigung seine vormals nicht ganz klaren und durchaus so zu interpretierenden Aussagen zurechtbog, um der Anschuldigung, eine doppelte Prädestination zu vertreten, zu entgehen. Maclaine fügt in der engl. Übersetzung zur Stelle über Augustins Handeln gegen diese »Sekte« gar den Satz ein »that it might not be attributed to him«. (Maclaine, Ecclesiastical History, 87). 259 Ohst, »Episode«, 101.
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spiele aus der althergebrachten Tradition gegen Pelagius, aber auch andererseits die, welche zugunsten Pelagius’ eine radikale Umwertung der Streitparteien vornehmen, wie es insbesondere in Semlers dogmenhistorischen Untersuchungen der Fall sein wird.260 Mosheims eigene Meinung zu Pelagius und dessen Lehre lässt sich durchaus ablesen, sie ist aber sprachlich gemäßigt und ohne üppige Polemik ausgedrückt und zudem nicht das methodische Hauptanliegen seiner Darstellung, in der er um eine pragmatische Darstellung des Geschehens bemüht ist. Sprachlich kann sich Mosheim noch nicht ganz von den üblichen Kategorien und Begrifflichkeiten der Tradition und vorangehender Darstellungen lösen, wenn er zwar einen gewandelten Sektenbegriff verwendet aber noch stark mit häresiologische Bilder arbeitet. Dennoch befindet er sich am Übergang zu einer weitaus objektiveren Beurteilung des pelagianischen Streites durch Verzicht auf die grobe Polemik der Tradition. Das zeigt sich bereits an der Überschrift, die nicht von einer pelagianischen Häresie oder Ketzerei spricht, sondern weitaus nüchterner den historischen Zusammenhang als Pelagiana controversia vorstellt. Die milde Sprache ist in Mosheims Methodik auch der Darstellung begründet, will er Pelagius doch nicht als einen Ketzer überführen, sondern hier wie auch in den anderen Teilen der Institutiones eine zeitgemäße, pragmatische Darstellung bieten. Zugleich bleibt er den alten Darstellungsmustern verhaftet, wie der Centurienmethode, aber, was hier bedeutender ist, der Einordnung Pelagius’ innerhalb seines Kapitels zu den Ketzern jener Zeit. Mosheim löst sich in seiner Darstellung durchaus von den Vorarbeiten des 17. Jahrhunderts; Arnold war von diesen für seine Quellenauswahl und teilweise auch Struktur stärker abhängig; Mosheim zählt diese zwar noch auf, sie dienen ihm aber vor allem als weiterführende Literaturhinweise sowie als Materialsammlungen. Zudem verweist er seine Leser auf die Parteilichkeit dieser Darstellungen. Dennoch geht Mosheim nicht soweit, seiner Darstellung ein ausführliches Quellenstudium, wie beispielsweise durch Semler geschehen, zugrunde zu legen und verzichtet gänzlich auf Zitate und Belege, was partiell auch der Knappheit seiner Darstellung zuzuschreiben ist. Man kann Mosheims Darlegung des Streites letztlich weder als konsequent konservativ – wie es sich beispielsweise in seiner Beurteilung der Lehre Pelagius’ zeigt –, noch als konsequent innovativ in Form seines Anspruches auf wahre Unparteilichkeit bewerten. Sie steht wie auch die Darstellung des Streites bei Siegmund Jakob Baumgarten zwischen diesen Polen, am Übergang.
260 Auch Arnolds Beurteilung in der Ketzer-Historie vor dessen Verteidigungsschriften fällt in diese Linie und stellt, wenn auch aus anderen Motiven als Semler, ein frühes Beispiel dar, das man durchaus als »Ausreißer« betrachten muss.
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III. Siegmund Jakob Baumgartens Auszug der Kirchengeschichte (1746) und Geschichte der Religionspartheyen (1766) 1. Einführung Auch der bisweilen als »Übergangstheologe«, treffender aber als »Vater der Neologie«261 bezeichnete Siegmund Jakob Baumgarten (1706–1757)262 hatte sich in den späteren Jahren seines Wirkens in kirchengeschichtlichen Arbeiten zum pelagianischen Streit geäußert, ohne diesem jedoch ein besonderes Augenmerk zu schenken, womit dessen Darstellungen der seines Zeitgenossen Mosheim in äußeren Zügen ähnlich ist. Dennoch zeichnen sich bei genauerem Hinsehen in seinen Darstellungen und Bemerkungen zum pelagianischen Streit neben althergebrachten Topoi und ebenso konventionellen Beurteilungen neue inhaltliche Schwerpunktsetzungen ab, die einen weiteren Übergang markieren. Der Geschichte des pelagianischen Streites widmet sich Baumgarten erstmals im dritten Teil seines kirchenhistorischen Überblickswerkes Auszug der Kirchen‑ geschichte, von der Geburt Jesu an aus dem Jahr 1746. Dessen Präsentation erfolgt im Wesentlichen in § 247 unter dem Titel »pelagianische Irtümer«, setzt sich aber reichlich verworren in den folgenden Paragraphen fort.263 261 So u. a. Wallmann, Kirchengeschichte, 155. Zum Begriff »Übergangstheologie« vgl. auch Hauschild, Lehrbuch 2, 467 f. Martin Mulsow vermerkt, dass die u. a. von Wolfgang Gericke, Theologie und Kirche im Zeitalter der Aufklärung. KGE III/2 (Berlin: Evangelische Verlagsanstalt, 1989), 77 verwendete Bezeichnung »Übergangstheologie« als »nicht mehr repräsentativ gelten« kann, auch die Frage, ob man stattdessen von »konservativer Aufklärung« oder mit Johannes Wallmann von »vernünftiger Orthodoxie« reden soll, sei »vom Forschungsstand her noch zu früh«. (Mulsow, »Einführung«, 13 [mit Anm. 4 zum Begriff ]). Beutel, Kirchen‑ geschichte, 129 bezeichnet Baumgarten in seinem Bemühen um eine Verwissenschaftlichung der Theologie hingegen als »Vater der Neologie«, zumindest in Bezug auf den für die Aufklärungstheologie zentralen Wissensstandort Halle; durch die Charakterisierung als »Vater« vermeidet Beutel eine wertende Qualifizierung im Sinne von »Übergangstheologie«; er behält jedoch die Mittlerposition Baumgartens bei, indem jener als Vater gezeichnet wird, der sein theologisches Erbgut an eine neue Generation weitergibt, die erst in Form ihrer Vertreter wie Semler aus den Schuhen ihrer Väter hinauswachsen wird – aber eben aufgrund des durch solche Väter wie Baumgarten vermittelten theologischen Erbgutes. 262 Zu Leben und Wirken Baumgartens vgl. Martin Schloemann, Siegmund Jacob Baumgarten: System und Geschichte in der Theologie des Überganges zum Neuprotestantismus (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1974), 29–58; ders., »Baumgarten, Siegmund Jacob«, RGG4 1 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1998): 1180 f.; Beutel, Kirchengeschichte, 109–111; Friedrich W. Bautz, »Baumgarten, Siegmund Jacob«, BBKL 1 (Hamm: Traugott Bautz, 1975): 423; Stefan Laube, »Siegmund Jakob Baumgarten«, Personenlexikon zur Christlichen Archäologie. Forscher und Persönlichkeiten vom 16. bis zum 21. Jahrhundert. Band 1, hg. v. Stefan Heid/ Martin Dennert, 137 f. (Regensburg: Schnell & Steiner, 2012). Über das persönliche und theologische Verhältnis zwischen Baumgarten und Semler informiert Hornig, Studien, 4–6.32–37. 263 Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte 3, 925–928.929–937. Nach einer kurzen Einleitung zu Grundanliegen und Akteuren des Streites (vgl. dort 925), wendet sich Baumgarten dessen Verlauf bis 417 zu (vgl. 925 f.), um folgend detailliertere Hintergrundinformationen
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Weitere Äußerungen Baumgartens zum pelagianischen Streit lassen sich der posthumen Veröffentlichung seiner Geschichte der Religionspartheyen im Jahre 1766 durch Semler entnehmen, die ergänzend hinzugezogen werden.264 Der Text besteht in erster Linie aus Joachim Christoph Betrams (1730–1803)265 Mitschrift einer Vorlesung Baumgartens über die Geschichte der Religionsparteien aus dem akademischen Jahr 1754/55, abgeglichen mit handschriftlichen Nachlässen Baumgartens und basierend auf Auszügen aus dem Abris einer Geschichte der Religionsparteyen von 1755,266 womit der hieraus resultierende Text als eine erzu Lehre und Herkunft des Pelagius und insbesondere des Caelestius zu bieten (vgl. 927 f.). Im anschließenden Paragraphen zu den Bischöfen der Zeit werden – verstreut zwischen gänzlich anders gelagerten Streitigkeiten und Fragestellungen – bischöfliche und konziliare Entscheidungen gegen die Pelagianer und deren Lehre aufgelistet (vgl. 929–937, insbesondere 929.932 f.; weitere Ausführungen zu den Konzilsentscheidungen gegen die Pelagianer bei 942– 944). Erst in § 254 geht Baumgarten auf Augustins Auseinandersetzung mit Julian von Aeclanum und den »Semi-Pelagianismus« ein. 264 D. Siegmund Jacob Baumgartens Geschichte der Religionspartheyen, hg. v. Johann Salomo Semler (Hildesheim: Olms, 1966 [ND der Ausgabe Halle: Gebauer, 1766]). Semler tat sich ohnehin als Herausgeber verschiedener Schriften und Vorlesungen seines Lehrers aus dessen Nachlass hervor, wie er auch einige seiner Projekte fortsetzte. Im Falle der Geschichte der Religionspartheyen handelt es sich um eine muntere Textcollage, die der ehemalige Schüler Baumgartens Joachim Christoph Bertram, der für Semler bei der Herausgabe der Schriften Baumgartens als Assistent tätig war, zusammengetragen hatte. 265 Der gebürtig aus Sennen stammende Bertram erfuhr seine schulische Bildung am Halleschen Waisenhaus, später nahm er gleicherorts das Studium auf und machte sich als Assistent von August Hermann Francke ab 1758 verdient. 1775 war er als Bibliothekar in Halle tätig; zu Bertram vgl. Heinrich Döring, Die gelehrten Theologen Deutschlands im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Nach ihrem Leben und Wirken dargestellt. Band 1 (Neustadt an der Orla: Johann Karl Gottfried Wagner, 1831), 100 f. 266 Zwei Jahre vor seinem Tod – im selben Jahr des Erscheinens der einbändigen Institutiones Mosheims – wurde Baumgartens Abris einer Geschichte der Religionsparteien, oder gottes‑ dienstlichen Geselschaften, und derselben Streitigkeiten so wol als Spaltungen, ausser und in der Christenheit: für seine Zuhörer ausgefertiget von D. Siegm. Jac. Baumgarten (Halle: Johann Justinus Gebauer, 1755) veröffentlicht. In dieser einbändigen historiographischen Darstellung verschiedener Religionsgruppierungen wird der pelagianische Streit in knappen Grundzügen in § 68 – erneut als »pelagianische Irtümer« benannt – nachgezeichnet, vgl. Baumgarten, Abris einer Geschichte der Religionsparteien, 107–109. Hier sind nun Julian und die Semipelagianer unmittelbar in die Darstellung einbezogen. Die semipelagianische Irrlehre sieht Baumgarten, vermittelt durch »einige Mönchsorden und Schullehrer«, »in der römischen Kirche angenommen« und »bey den jansenistischen Streitigkeiten in derselben [römischen Kirche]« (Baumgarten, Abris einer Geschichte der Religionsparteien, 108) als durchgesetzt an. Hierzu führt er die üblichen Texte des 17. Jahrhunderts an, namentlich Vossius, Historia Pelagiana von 1618 und Henry Noris’ gleichnamiger Titel aus dem Jahr 1673. Wie schon im Auszug der Kirchengeschichte werden die geschilderten Lehrmeinungen des Pelagius durchweg als »Irtümer« dargestellt. Zum historischen Ablauf des Streites werden kaum Angaben gemacht, der Fokus liegt vielmehr auf der jeweils formulierten Irrlehre, ihren bedeutendsten Urhebern und Vertretern. Im darauffolgenden Paragraphen schildert Baumgarten nun namentlich den »Prädestinatianismus«, vgl. Baumgarten, Abris einer Geschichte der Religionsparteien, 109 f. Über die Frage einer wirklichen Existenz einer organisierten, einheitlichen Sekte der »Prädestinatianer« bestehen unterschiedliche Lehrmeinungen, insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert. Vgl. dazu u. a. Mosheim, Institutiones, 231 mit Anm. r. Ich vertrete die Ansicht, es handle sich dabei nur um »theo-
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weiterte Fassung dieses Abrisses verstanden werden kann.267 Semlers Beteiligung reduziert sich jedoch auf seine Herausgeberschaft sowie das Beisteuern einer Vorrede.268 Ohnehin wird sich schnell zeigen, dass Semlers Gedanken keinen Einzug in dieses Werk seines Meisters gefunden haben.269 Wie auch in Baumgartens vorangehenden Behandlungen finden sich keine Zitate aus den Quellen. Die Literatur zum Streit, unter der sich größtenteils die bereits bekannten Autoren zusammenfinden, wird in Blöcken zumeist kurz vorgestellt und auch historisch mit all ihren Schwierigkeiten kontextualisiert, jedoch nicht zitiert.270 retische Zuspitzung«. (Heil, »Auseinandersetzung«, 561). Der »Prädestinatianismus« wird als der »entgegenstehende Irtum« zu den Irrlehren der Pelagianer präsentiert; bemerkenswerterweise vermerkt Baumgarten jedoch die Ursache dieser Lehre, welche nämlich in dem »übertriebene[n] Widerspruch Augustini und einiger harter Anhänger desselben gegen die Pelagianer« (Baumgarten, Geschichte der Religionsparteien, 109) zu finden sei. So findet sich hier, zumindest im Nachspiel der eigentlichen pelagianischen Streitigkeiten, eine gewisse Kritik an der Lehre, ja auch an der prinzipiellen Vorgehensweise Augustins im Streit – wenn auch in dezenter Wortwahl und abgeschwächt durch den Verweis auf die radikale Auslegung der Aussagen Augustins durch manche seiner Anhänger. Davon abgesehen bietet der Text gegenüber der vorangehenden Darstellung im Auszug der Kirchengeschichte keine nennenswerten neuen Aspekte. 267 Bertram selbst informiert ausführlich über die Zusammenstellung der Texte in seinem »Vorbericht«, in Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 22. Seine eigene Mitschrift der in 150 Stunden in den Jahren 1754/5 gehaltenen Vorlesung Baumgartens ergänzte er, wo lückenhaft, anhand der Nachschriften weiterer Zuhörer und glich sie mit ebenfalls in den Text eingeflossenen handschriftlichen Aufzeichnungen Baumgartens ab; den Abris hat Bertram mit Anführungszeichen versehen in den Gesamttext eingerückt. Die handschriftlichen Aufzeichnungen Baumgartens setzten sich aus Aufzeichnungen von 1734 zum historischen Teil der Polemik, Aufzeichnungen von 1739 zum collegio haeresiologico und Anmerkungen und Nachträgen zu den Korrekturfahnen des Abrises zusammen, und sind im Gesamttext durch Bertram mit »Ms« kenntlich gemacht. Baumgarten selbst betonte schon in der Vorrede in Abris, 4 f., dass er bei der Korrektur dessen unter großem Zeitdruck gestanden habe und die Korrekturen noch Stück für Stück bogenweise über einen längeren Zeitraum habe vornehmen können. Aus diesen Korrekturen und Ergänzungen stammen auch die Aufzeichnungen, welche Bertram später erwähnt, und welche nicht gänzlich in den Text von 1755 eingegangen sind. 268 Semler beteuert in seiner Vorrede zur Geschichte der Religionspartheyen, 3, ausdrücklich, »daß in diesem wichtigen und in seiner Art neuen Werke eben so wenig etwas fremdes eingemischt, oder ein eigenmächtiger Zusatz in Baumgartens Abhandlung eingerückt worden« sei. 269 Die unter der Überschrift »pelagianische Irrthümer« zusammengetragenen Ausführungen werden darin unter dem Abschnitt »von den vormaligen irrgläubigen Parteyen des christlichen Altertums« nach der Darstellung der »Monotheleten« präsentiert (vgl. Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 489–495, § 68, insbesondere 489–491 und 494f ). Innerhalb dieser Darstellung der pelagianischen Irrungen werden nun auch die Semipelagianer behandelt, die Prädestinatianer in einem darauffolgenden, gesonderten Paragraphen. Zu den Semipelagianern vgl. Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 491–493; zu den »prädestinatianischen Irrtümern« vgl. 495–498. Aus den handschriftlichen Notizen Baumgartens ergänzt Bertram, dass diese nicht nur keine eigene gottesdienstliche Gemeinschaft, sondern folglich auch keine »öffentliche Secte« bildeten (Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 495, Anm. S). 270 Zu den Literaturangaben Baumgartens zum pelagianischen Streit vgl. Baumgarten, Ge‑ schichte der Religionspartheyen, 493 (mit Anm. Q und R). Baumgarten verweist auf die bereits bekannten Autoren Garnier, Pétau, Ussher sowie Jansen und Alvarez. Darüber hinaus erwähnt er auch John Forbes, Institutiones theologico-historiae, Buch 8 (Amsterdam, 1648). Forbes
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2. Über die pelagianischen »Irtümer« 2.1. Irrtümer und ihre Konsequenzen Auch ohne mit Baumgartens dogmatischen und moralischen Schriften vertraut zu sein, wird jedem Leser schon anhand des Titels deutlich, dass Baumgarten die pelagianischen Lehren als »Irtümer« zurückweist. Dieser Sprachgebrauch setzt sich konsequent im Text fort.271 Dabei wird vor allem die Lehre Pelagius’ bzw. Caelestius’ verworfen. Genau genommen ist an keiner Stelle von pelagianischer Lehre, sondern ausschließlich von »Irtümern« die Rede, was an sich schon die klare inhaltliche Abwertung seitens Baumgartens verdeutlicht. Darüber hinaus zeigt er anhand von Julian von Aeclanum die schädlichen Folgen auf, die das Beharren auf diesen Irrtümern mit sich bringt: Dieser vormals hoch angesehene Bischof wird als zentraler Schriftsteller betrachtet, welcher (1593–1648) war schottischer Theologe und Minister, sein Werk wurde von Vossius aprobiert. Der achte Band beschreibt die pelagianische Häresie und ihre Folgen in Gestalt weiterer Streitigkeiten über die Gnade Gottes, den freien Willen des Menschen und damit verbundene Fragen. Dabei reicht die Darstellung vom unmittelbaren Streit, bis zur »Sekte« der Remonstranten bzw. Arminianer und schließlich der »erdichteten« Häresie der Prädestinatianer (»De commentita haeresi Praedestinatiana«, Forbes, Institutiones, 373–440), womit Forbes eine proaugustinische Position einnimmt. Baumgarten erwähnt auch Claude Menard, S. Aurelii Augustini Hipponensis Episcopi, adversus Julianum Pelagianum, libri duo posteriores, hactenus desiderati, & nunc primùm ex manuscriptis codicibus editi. Opera ac studio Claudii Menardi Iuliomagi, Andegauensium Propratoris. Additus est et eiusdem Augustini liber de Gestis Pelagii, ante paucos annos editus (Paris: Sebastian Chappelet, 1616), eine Edition der antipelagianischen Schriften Augustins, welche auch eine Einführung zum pelagianischen Streit, insbesondere aber zu Julian enthält (vgl. Menard, S. Aurelii Augustini Hipponensis Episcopi, adversus Julianum Pelagianum, 461–475). Darauf werden weitere Ausführungen zu den anschließenden Jahrhunderten und den Semipelagianern geboten, gefolgt von Anmerkungen zu Aug., adv. Iul. (vgl. Menard, S. Aurelii Augustini Hipponensis Episcopi, adversus Julianum Pelagianum, 486–530). Weitere Literatur zu den Prädestinatianern findet sich bei Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 498 mit Anm. U und V. Nicht nur bietet Baumgarten hier Beurteilungen und Verhältnisbestimmungen der Werke der Autoren Sirmond, Ussher und Mauguin, sondern darüber hinaus führt er auch Johann Jakob Hottinger, Fata doctrinae de praedestinatione et gratia Dei salutari: secunda et adversa, inde a beato SS. Apostolorum excessu, ad haec usque tempora, in annales dige‑ sta: accedunt exercitationes duae historico-dogmaticae, I. De voluntate Dei antecedente et con‑ sequente, II. De gratia Dei sufficiente et efficacy (Zürich, 1727), sowie Aegidius Strauchus, Hg. Dissertatio Historico-Theologica De Praedestinatianis, quam in Academia Wittebergensi, sub Praesidio Aegidii Strauchii, S. S. Theol. D. Venerand. Facult. Theol. Assessor et Histor. P. P. placide συμφυλολογουντων sententiarum collationi exponit Fridericus Kohlmeier Jeveranus ad Diem 24. Martii. (Wittenberg: Johann Rohner, 1658) und zwei weitere dissertationes zur vieldiskutierten Frage nach dem Prädestinatianismus an. 271 Vgl. Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte 3, 925–927 mit sieben Belegstellen für »Irtümer«. Auffällig ist, dass eine Häufung dieses Begriffs vor allem in den Paragraphen zum pelagianischen Streit begegnet; dies fällt auch hinsichtlich der Paragraphenbenennung anderer Kontroversen oder Häresien auf: So spricht Baumgarten u. a. von »origenistischen« (899), »nestorianischen« (964) und »eutychianischen Streitigkeiten« (997, Hervorhebung von M. B.) bei der Betitelung dieser Auseinandersetzungen und verzichtet überwiegend auf den Gebrauch des Begriffs »Irrtümer« in diesen Paragraphen.
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»diese Irtümer [des Pelagius] in vielen Schriften zu vertheidigen gesucht«.272 Anders als einsichtig gewordene Bischöfe habe er mit siebzehn anderen Bischöfen in dessen Irrtum »beharret«. Nach seinem »Verfal« geriet er zunehmend in den schriftstellerischen Konflikt mit Augustinus.273 Die Tendenz Baumgartens ist klar ersichtlich: Der eigentlich aus guter Familie stammende und in gesunden Beziehungen stehende Julian fiel den schädlichen Irrungen des Pelagius anheim, die seinen Niedergang einleiten sollten.274 Bezeichnenderweise sieht Baumgarten den Grund für Julians Niedergang hingegen nicht im äußerlichen, kirchenpolitischen Einsatz gegen die Pelagianer, womit Baumgarten eine Sonderstellung unter den untersuchten Autoren einnimmt. 2.2. Dogmenhistorische Ansätze zur Diskussion um den Pelagianismus vor Pelagius Anders als Mosheim stellt Baumgarten in seinem Auszug der Kirchengeschichte kurze Spekulationen zur Herkunft der »Irtümer« des Pelagius an. Diese sind hier allerdings so knapp gehalten, dass man höchstes von dogmenhistorischen Ansätzen reden kann. Baumgarten erwähnt zunächst die Ungewissheit hinsichtlich der Frage, ob Pelagius seine Irrtümer aus seiner britischen Heimat importiert oder sie in Rom von Rufin »eingesogen« habe.275 Erwägungen zur ohnehin unfundierten britischen Linie stellt Baumgarten jedoch gar nicht erst an,276 sondern wendet sich der Linie über Rufin zu. Jener sei syrischer Presbyter gewesen, der sich unter Papst Anastasius I. beim römischen Senator und späteren Heiligen Pammachius aufgehalten habe und daher definitiv nicht mit Rufin von Aquileia identifiziert werden könne.277 Dass Baumgarten keine weitere Rezeptionslinie zurück bis auf Origenes, dessen Werke durch Rufin von Aquileia ins Lateinische übersetzt wurden, zieht, ist daher hier nur konsequent. Ostchristliche Einflüsse über Rufin den Syrer werden dennoch nicht bestritten, sondern als mögliche Option für die Herleitung der pelagianischen Lehre angeführt. Das wird besonders deutlich, wenn man die späteren Notizen Baumgartens aus der Geschichte der Religionspartheyen hinzuzieht. Darin geht Baumgarten über eine Rückführung auf Rufin den Syrer hinaus. Lakonisch Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte 3, 950. Vgl. Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte 3, 951. 274 Baumgarten berichtet über Julian auch, dass dieser Sohn des apulischen Bischofs Memor gewesen sei und zudem mit Paulinus im Kontakt gestanden habe, vgl. Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte 3, 951. 275 Vgl. Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte 3, 927. 276 Freilich ist die Ursache für die Annahme der Wurzeln des Pelagianismus in Britannien nicht allein aufgrund der Herkunft Pelagius’ aus dieser Region begründet, sondern auch in der späteren Verbreitung pelagianischen Gedankenguts dort. 277 Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte 3, 927. 272 273
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notiert er die interessante Abfolge: »Die Vorläufer sind Origenes sec. 3; Theodorus Mopsuestenus sec. 4; dessen Discipel Rufinus gewesen, und dessen wieder Caelestius.«278 Man könnte zurecht fragen, ob Baumgarten selbst diese eher rudimentären und partiell ungewöhnlichen Notizen hätte veröffentlicht sehen wollen. Zunächst tritt – angesichts der in der ersten Hälfe des 18. Jahrhunderts so beliebten Pelagianismus ante Pelagium-Diskussion wenig überraschend – Origenes auf den Plan. Der Leser erfährt aber nicht ansatzweise, inwiefern jener als Vorgänger des Pelagius angesehen werden kann oder in welchem genauen Verhältnis er zu diesem steht. Ungewöhnlich ist zudem die »genealogische« Folge, die Baumgarten mit Theodor von Mopsuestia eröffnet, dessen Schüler Rufin der Syrer wiederum Lehrer des Caelestius gewesen sei.279 Tatsächlich finden sich gedankliche Gemeinsamkeiten zwischen Theodor von Mopsuestia und Pelagius; wie diese jedoch zueinander im Verhältnis stehen, ist Baumgarten wohl genauso unklar wie der gegenwärtigen Forschung.280 Aufgrund des abschließenden Vermerks, dass Pelagius der »eigentliche Urheber« dieser Irrrungen gewesen sei, kann man jedoch davon ausgehen, dass Baumgarten von einem eher losen Zusammenhang von vorangehenden Vertretern analoger Ansichten oder Vorformen ausgeht, die Pelagius zweifelsohne beeinflusst haben, aber keineswegs bereits die Rede von einem Pelagianismus vor Pelagius rechtfertigen. 2.3. Die inneren Motive und Entwicklungen der Lehre des Pelagius Baumgarten äußert sich auch über die innere Entwicklung der Lehre bei Pelagius und stellt heraus, dass dieser seine irrigen Lehrmeinungen schon in seinen ersten Schriften und im öffentlichen Vortrag in Rom bekannte, aber diese erst im berühmten Fall seines Widerspruchs gegenüber Augustins Confessiones-Zitat Da quod iubes et iube quod vis laut wurden.281 Dieser Befund zur Vorgeschichte und Konstanz der pelagianischen Lehre führt bei Baumgarten zu einer bemerkenswerten Konsequenz: Da Pelagius’ Lehrbegriff schon von seinen frühen schriftstellerischen Zeiten an feststand, wurde ihm Augustins berühmter Ausspruch, Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 490.
278
279 Vor allem Letzteres ist eine kuriose Verhältnisbestimmung, galt und gilt Rufin wenn über-
haupt dann doch als Lehrer des Pelagius selbst, nicht seines Schülers Caelestius. 280 Zur unklaren Verhältnisbestimmung der Gedanken Theodors zu Pelagius vgl. Sebastian Thier, Kirche bei Pelagius. PTS 50 (Berlin/New York: De Gruyter, 1999), 38 mit Anm. 114; sowie Alexander Souter, Pelagius’ Expositions of Thirteen Epistles of St Paul. I. Introduction. TaS IX (Cambridge: Cambridge University Press, 1922/1926), 195 f. 281 Vgl. Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte 3, 927. Zu Pelagius’ Widerspruch gegen Aug., Conf. 10,40 (CSEL 33, 256,24 Knöll) vgl. Winrich Löhr, »Exkurs: Das Verhältnis zwischen Pelagius und Augustin und das theologische Anliegen des Pelagius«, in Augustin Handbuch, hg. v. Volker H. Drecoll, 183–190 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007), 191; Greshake, »Einleitung«, 17.
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wie auch dessen Lehre insgesamt, nicht zum Anlass für die Ausformulierung seiner Lehre. Anders als im Falle der Darstellung Arnolds sind es somit nicht die Extrempositionen seiner Gegner, wie insbesondere Augustins, die Pelagius überhaupt erst zu seiner Lehre geführt haben. Vielmehr stand dessen Lehrbegriff schon von vornherein fest, womit den Gegnern des Pelagius keine Schuld für dessen Ausformulierung einer Irrlehre angelastet werden kann. Die Opposition gegenüber dem Zitat aus den Confessiones ist so nur Ausdruck eines bereits bestehenden, irrenden Widerspruchs. In seiner Geschichte der Religionspartheyen benennt Baumgarten später zwei Motive für die Hervorbringung dieser Irrungen: zum einen äußerliche Anlässe, zum anderen die innere Veranlagung des Menschen zur Selbstüberschätzung, die Baumgarten als »allgemeine Neigung des Menschen zur Selbsterhebung« beschreibt.282 Das ist freilich eine klare Spitze gegen das pelagianischen Menschenbild und spielt zugleich auf die von Pelagius vertretene Ansicht zur Neigung des Menschen zu Überheblichkeit gegenüber Gott und der Überschätzung des eigenen Vermögens an. Die äußeren Motive sind nicht minder interessant: sie sind jedoch auch hier für Baumgarten nicht als Pelagius’ Trotzreaktion auf die Lehre Augustins zu verstehen, sondern bestehen zum einen in der Auflehnung des Pelagius gegen die manichäische Abwertung der Natur,283 und zum anderen in der enormen Popularität der asketischen Lebensweise jener Zeit. In deren Kontext falle auch Pelagius’ »irrige« Aussage, dass der Mensch durch Übung zu absoluter Sündlosigkeit kommen könne.284 Baumgarten möchte die pelagianische Lehre ihren Ursprüngen nach somit in einer Mischung aus Widerstand gegenüber einer anderen extremen Irrlehre, dem Manichäismus, und einem zeitgenössischen Trend, dem immer populärer werdenden Mönchtum und der damit verbundenen Askese, sehen. Seine Begründung ist damit gänzlich anders gewichtet als die apologetische Argumentation Arnolds, der den Anlass der Lehre des Pelagius im scharfen Widerstand des Pelagius gegenüber dem Sittenverfall seiner Zeit und deren Ausformung und Zuspitzung im Konflikt und Widerspruch zu dessen unchristlicher Gegnerschaft sieht. 282 Baumgarten,
Geschichte der Religionspartheyen, 490, Anm. K. Es wäre naheliegend, dass der erwähnte Widerspruch der Pelagianer gegen die Manichäer sich letztlich gegen entsprechende Tendenzen bei Augustinus richtet. Dementgegen muss jedoch beobachtet werden, dass erstens Augustinus hier keine Erwähnung findet, und zweitens Baumgarten ausdrücklich von Manichäern spricht, nicht irgendwie manichäisch gearteten Lehren. 284 »Ausser der allgemeinen Neigung des Menschen zur Selbsterhebung, ists wol gewesen die Heftigkeit gegen die Manichäer, die alle Kräfte der Natur für Werke des bösen Gottes gehalten; ingleichen die starken aufkommenden Mönchsübungen, indem der erste irrige Satz Pelagii gewesen, der Mensch könne es gar wohl bis zur völligen Unsündlichkeit bringen.« (Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 490). 283
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2.4. Eine Lehre im Widerspruch zur Heilsordnung Nahezu sämtliche Grundlehren der lutherischen Heilsordnung werden laut Baumgarten mit den pelagianischen Irrungen verworfen: So hätten die Pelagianer das natürliche Vermögen des Menschen »zu sehr« erhoben, die Erbsünde und übernatürliche Gnadenwirkung Gottes »geleugnet«285 und den Sündenfall des ersten Menschen »sehr verringert«, hingegen eine Unversehrtheit der Natur behauptet.286 Da sie die Erbsünde leugneten, sei das reelle Böse bei den Pelagianern alleinig auf Verführung und schlechte Vorbilder (»böse Exempeln«) zurückgeführt worden, womit Baumgarten auf die Konzepte eines freien Willens, der exemplum-Funktion Christi und das alleinige Resultieren des Bösen aus diesem freien Willen heraus bei den Pelagianern anspielt. Nur durch willentliche Verführung zum Bösen oder eine an schlechten Vorbildern orientierte, mit Adam beginnende Grundhaltung neige der Mensch zum Bösen. Eine seit Adams Fall von Generation zu Generation an die Menschen vererbte Sünde schließen die Pelagianer aus und wie Baumgarten weiterführend bemerkt, haben sie die Erbsündenlehre als »eine Erfindung Augustini ausgegeben«.287 Dieses Motiv der Erfindung klingt hier nur an, wird aber noch in aller Ausführlichkeit bei Semler begegnen.288 Baumgarten nimmt Augustinus auf zweierlei Weise in Schutz: Zunächst verteidigt er Augustus damit, dass nicht etwa der Gegenstand selbst, die Erbsünde und die Lehre von ihr das Novum sei, sondern der Sprachgebrauch, den Augustinus zu ihrer Beschreibung verwendet; er habe »einige neue Kunstworte, die vorher unbekanter und ungewöhnlicher gewesen, davon gebracht«.289 Die Erbsündenlehre und die Kenntnis von ihr sind damit von Baumgarten zweifelsohne vorausgesetzt, womit sich Baumgarten auf die tradux peccati in der nordafrikanischen Tradition beziehen dürfte.290 Lediglich Augustins Neologismen zur Beschreibung einer seit alters bekannten menschlichen Grundverfassung können somit als sprachliche Erfindungen aufgefasst werden. Die Lehre selbst ist hingegen keine häretische Neuerung. Die Leugnung der Erbsünde als Grundirrtum habe die Pelagianer wiederum zur irrigen Annahme einer unbeschädigten Natur des Menschen geführt, woraus letztlich eine Bestreitung der unbedingten Notwendigkeit einer inneren, über-
285 Vgl.
Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 489. Vgl. Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 491. 287 Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 491. 288 Er wird dieses Motiv innerhalb seiner dogmenhistorischen Untersuchungen zur scharfen Kritik an Augustins Erbsündenlehre verwenden, die damit gleichsam dekonstruiert und als wahre Neuerung und Häresie aufgezeigt werden wird. 289 Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 491. 290 Zum tradux peccati-Gedanken siehe insb. unten S. 162–164. 286
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natürlichen Gnadenwirkung Gottes resultierte.291 Hierzu notiert Baumgarten im Detail die Herabsetzung des Sündenfalls Adams bei den Pelagianern, dessen Folge letztlich keine naturhafte Änderung, sondern lediglich eine »Veränderung der äussern Umstände« gewesen sei, womit sich Baumgarten wieder auf das negative Beispiel Adams bei Pelagius beziehen dürfte, an dem sich folgende Generationen rein äußerlich orientiert hätten.292 Baumgarten stellt jedoch auch differenziert heraus, dass die Pelagianer nun keineswegs vollständig die »Möglichkeit und Wirklichkeit der innern Gnadenwirkung GOttes«, also das Vorhandensein und Wirken einer göttlichen Gnade selbst, geleugnet hätten. Vielmehr hätten sie eine unabdingbare Angewiesenheit auf diese übernatürliche, innerlich wirkende Gnade – um sich Gott zuwenden zu können – bestritten.293 Aus solchen Vorstellungen seien wiederum die irrigen Behauptungen einer »möglichen Unsündlichkeit im gegenwärtigen Zustande der Menschen«, der Übereinstimmung der Kinder mit Adam im prälapsalen Zustand sowie der Unversehrtheit der Ebenbildlichkeit Gottes des postlapsalen Menschen hervorgegangen.294 Durchgängig und konsequent zeigt Baumgarten somit eine aufeinander aufbauende Folge von Fehlannahmen auf, die im konsequenten Widerspruch zum Lehrbegriff und der Heilsordnung der lutherischen Kirche stehen. Eine derartige Schwerpunktlegung begegnete bereits bei Mosheim,295 entspricht einer lutherisch-orthodoxen Ausrichtung auf die Betonung der Sündhaftigkeit des Menschen und dessen unbedingter Angewiesenheit auf Gottes Gnadenhandeln, und zugleich Baumgartens ganz eigener Gewichtung und Systematisierung dogmatischer Loci:296 Wer die Kernpunkte der spätlutherischen Heilsordnung und christlichen Grundwahrheiten angreift, kann in diesem Sinne freilich nur eine Irrlehre vertreten.297 291 »Es ist eine Folge des vorhergehenden Irrthums gewesen, weil sie eine integritatem und Vollständigkeit der Natur behauptet haben.« (Baumgarten, Geschichte der Religionspart‑ heyen, 491). 292 »Sie haben den Fall sehr verringert und eine blosse Veränderung der äussern Umstände zugelassen […].« (Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 491, Anm. N). 293 »Sie [die Pelagianer] haben die Möglichkeit und Wirklichkeit der innern Gnadenwirkungen GOttes nicht geleugnet, sondern nur die allgemeine Nothwendigkeit zur Bekehrung.« (Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 491). 294 Vgl. Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 491. 295 Vgl. Mosheim, Institutiones, 230. 296 Wirft man beispielsweise einen erneuten Blick auf dessen moralische Schrift Kurzer Be‑ grif der theologischen Streitigkeiten, zum academischen Gebrauch, sieht man die Ausführungen über die Taufe und insbesondere die Frage nach der Kindstaufe im zweiten Teil des Werkes in einem Sammelkapitel (Artik. Von den Schlüsseln des Himmelreichs, der Taufe und dem Abend‑ mal) verhandelt, wohingegen die Behandlung der Sündhaftigkeit des Menschen und Gnadenlehre deutlich mehr Raum einnimmt. 297 Zum Verständnis der Heilsordnung in der lutherischen Spätorthodoxie und ihrer weiteren Rezeption vgl. Johann Anselm Steiger, »Ordo salutis«, TRE 25 (Berlin/Boston: De Gruyter, 1995): 371–376. Steiger stellt das besondere Interesse, das Baumgarten an der Heils-
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3. Die Pelagianer als Religionspartei Wenig innovativ zeigt sich Baumgarten in der den etablierten Topoi verpflichteten Charakterisierung der Pelagianer. Pelagius wird als »im grossen Ansehen der Tugend und Wissenschaft« stehend geschildert.298 Dies kann jedoch nicht mit einer positiven Auffassung Pelagius’ durch Baumgarten gleichgesetzt werden, sondern gibt lediglich das so oft wiederholte Lob Augustins wieder.299 Demgegenüber führt Baumgarten nämlich auch an, dass Pelagius »die diospolitanische Entscheidung sehr misbraucht« habe,300 womit Baumgarten der üblichen Charakterisierung Pelagius’ als verschlagenem Geist folgt. Über den Charakter Caelestius’ wird lediglich erwähnt, dieser sei mit den Irrtümern »freier herausgegangen«,301 womit sich Baumgarten auf dessen öffentliches Auftreten in Karthago um 411 bezieht – auch dies ist jedoch ein gängiger Topos in gemäßigter Ausgestaltung. Pelagius als eigentlichen »Urheber« der pelagianischen Irrungen beschreibt Baumgarten in seiner Geschichte der Religionspartheyen später differenzierter als Mönch schottischer und damit genau genommen iroschottischer, Herkunft.302 Gefolgsleute habe er überall gefunden, wo er sich länger aufhielt, also seiner Heimat, aber auch Italien, Afrika, Rhodos (!) und Palästina. Zu den bedeutendsten Anhängern seiner »Partey« zählt Baumgarten nicht nur Caelestius und Julian, sondern auch den Diakon und Zeitgenossen des Pelagius Anianus von Celeda, den Baumgarten als einen Mönch beschreibt, der die Ausbreitung der Partei der Pelagianer in Gallien, Afrika und Italien befördert habe.303 Über dessen Funktion als Multiplikator der pelagianischen Partei und Lehre hinaus erfährt der Leser wenig, selbst heute ist man über ihn noch weitgehend im Unklaren. Innovationspotential lässt sich bei Baumgarten für die Darstellung der Pelagianer hinsichtlich der Frage ausmachen, ob und inwiefern die Pelagianer nun als eine häretische Gruppierung angesehen werden. Im Rahmen der Frage, ob eine Sekte der Prädestinatianer jemals bestanden habe, trifft Baumgarten auch einige klärende Ausführungen über die Pelagiaordnung immer wieder gehegt hatte, ebenso heraus wie Semlers Ablehnung des ordo salutis in pietistischer Ausprägung. Infolge der voranschreitenden Aufklärung wurde nicht nur die klassische Harmatiologie zunehmend hinterfragt, sondern auch die Lehre der Heilsordnung vom Perfektibilitätsgedanken verdrängt (vgl. Steiger, »Ordo salutis«, 374 f.). 298 Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte 3, 927. 299 Vgl. Aug., pecc. mer. 3,1 (CSEL 60, 129,6 f. Urba/Zycha), demzufolge Pelagius ein heiliger Mann von nicht geringem Fortschritt als Christ war. 300 Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte 3, 926. 301 Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte 3, 927. 302 Vgl. Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 490. 303 Mit diesen Lokalisierungen begegnet Baumgarten letztlich nur der Verlegenheit, Anianus eindeutig zu lokalisieren, da über die geographische Zuordnung Celedas Uneinigkeit besteht. Zu Anianus vgl. Kate Cooper, »An(n)ianus of Celeda and the Latin Readers of John Chrysostom«, StPatr 27 (1993): 249–255.
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B. Aufbruch und Zwischenstationen
ner als Gruppierung.304 Eine Separation hinsichtlich der gottesdienstlichen Gemeinschaft oder in Form einer eigenen Kirchenverfassung – also gemäß Baumgartens eigener Definition eines Schismas305 – liegt weder bei den Prädestinatianern, noch bei den Pelagianern vor. Dennoch von zwei Parteien zu reden, sieht Baumgarten als berechtigt an, da es Anhänger dieser zwei Grundirrtümer gegeben habe, die sich »durch diese Irrthümer von einander unterschieden, auch einander bestritten und […] verurteilt« hätten.306 Die Pelagianer können und werden also als Gemeinschaft von Gesinnungsgenossen definiert, welche dieselben »Irrtümer« vertraten und im Konflikt zu entgegengesetzten Lehrmeinungen standen. Damit sieht Baumgarten das Kriterium von religiösen (Streit‑) Parteien, die in ihrer Lehrmeinung zueinander im Widerspruch stehen, erfüllt.307 Bezeichnend für Baumgartens Stellung am Übergang zu einer neuen Beurteilung des pelagianischen Streites ist gerade, dass er trotz aller angezeigten Mängel in der pelagianischen Theologie eine äußerliche Beschreibung als Häresie zugunsten seines Begriffs einer Religionspartei vermeidet.
4. Zusammenfassung Beschränkt sich die Kritik auch gänzlich auf diese »pelagianischen Irtümer«, fällt jedoch auch auf, dass – anders als bei Arnold oder Mosheim – der Streit an sich nicht als schändlich oder verwerflicher Irrtum betrachtet wird, der noch weitere fatale Folgen mit sich brachte und zudem mit zweifelhaften Methoden geführt wurde.308 Das Motiv der Streitkritik begegnet lediglich ansatzweise in der Geschichte der Religionspartheyen, wenn Baumgarten die »Veranlassung« zu den späteren prädestinatianischen Ansichten nicht nur in Augustins heftigem Widerspruch gegen die Pelagianer findet, sondern auch 304 Vgl.
Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 496. der Widerspruch nur verschiedene Arten von gottesdienstlichen Uebungen und Kirchenverfassung unter dem Vorgeben einer Nothwendigkeit, so wird solches eine Spaltung genant.« (Baumgarten, »Vorläufige Einleitung«, in: ders., Geschichte der Religionspartheyen, 7, Anm. E). 306 Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 496. 307 »Wenn aber einige eifrige Anhänger dieser Irrthümer in der allgemeinen Kirche der vorigen Zeit dadurch verstanden werden, die sich durch diese Irrthümer von einander unterschieden, auch einander bestritten und nach Maaßgebung der überwiegenden Anhänger in den Conciliis verurtheilet haben, so hat die Erweislichkeit dieser Parteyen ihre völlige Richtigkeit.« (Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 496). Dies ist zunächst ein rein nomineller Begriff von Religionsparteien oder Sekten, der all diejenigen Vertreter solcher Ansichten unter diesem einen Hut der »Pelagianer« oder »Prädestinatianer« versammelt. Allerdings ist Baumgarten so präzise, dass er sich hierzu speziell auf die »Kirche der vorherigen Zeit« bezieht, nicht also einen zeitlosen und historisch losgelösten Begriff einer Sekte der Pelagianer vertritt. 308 Zur Kritik an der Streitführung vgl. Arnold, Ketzer-Historie, 235 f. (= Moeller, Kir‑ chengeschichte, 33,9–35,2) sowie Mosheim, Institutiones, 209 f. 305 »Betrift
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in Überbleibseln »seiner vorigen manichäischen Grundsätze« und der Verteidigung, die Augustinus durch seine Anhänger erfuhr, welche aber ohnehin seine Lehren überspitzt hatten.309 Darüber hinaus begegnet wie in der kirchengeschichtlichen Darstellung Mosheims ein reichlich blasser Augustinus.310 Er verbleibt im Rahmen der gängigen Topoi: Nüchtern wird Augustins Tätigkeit und Rolle innerhalb des Streites kurz angerissen, ja den eigentlichen Umständen gegenüber marginalisiert; sein Handeln gegen die Irrungen der Pelagianer sei gerechtfertigt, jedoch versteife er sich in der Folgezeit auf Aussagen, die zu Fehlinterpretationen und Streitigkeiten führten. Ein sonderliches Interesse an diesem wohl prominentesten spätantiken Theologen und seiner Rolle im pelagianischen Streit wird bei Baumgarten nicht sichtbar. Unter den Schülern Baumgartens haben wohl vor allem die traditionsorientierten und nur mäßig an aufklärerischen Gedanken Interessierten diese Ansichten zum pelagianischen Streit gleichsam vertreten und rezipiert, was angesichts der durchwegs orthodox lutherischen Haltung nicht überraschen mag.311 Doch auch Johann Salomo Semler hatte als Schüler und späterer Herausgeber der Schriften Baumgartens dessen Ansichten zur Kenntnis genommen. Positiv sollte er an Baumgartens Abwendung vom Ketzerbegriff anknüpfen und dessen dogmenhistorische Ansätze konsequent zur Grundlage seiner Argumentation
309 Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 495, Anm. T. Daher kann Baumgarten auch zugespitzt bemerken: »Der Urheber ist wol ohnstreitig Augustinus selbst, ob er gleich die üblen Folgen seiner Lehre nicht nur nicht zugestanden, sondern so gar verworfen und widerlegt haben soll.« (Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 495, Anm. T). Allerdings betont Baumgarten dort auch, dass seine Anhänger wesentlich härtere Aussagen getroffen hätten und er selbst habe noch zu Lebzeiten die prädestinatianisch gesinnten Mönche von Adrumentum »wieder zurechtgebracht«. Daraus ist durchaus herauszulesen, dass Augustinus eine gewisse Mitschuld an den prädestinatianischen Ansichten trage, die aus seiner überzogenen und unnötig heftigen Widerlegung der pelagianischen Partei resultierten. 310 Er erwähnt lediglich, dass nach dem Konzilsentscheid 411 gegen Caelestius »Augustinus wieder diese Irtümer zu schreiben anfängt«. (Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte 3, 926). Zudem habe der Nordafrikaner zu den fünf Bischöfen gezählt, die nach den für Pelagius günstig ausgefallenen Entscheidungen in Diospolis gegen jenen »so an Innocentium geschrieben« hätten, vgl. Baumgarten, Auszug der Kirchengeschichte 3, 928. Die Absender des Schreibens Aug., ep. 177 (CSEL 44, 669–688 Goldbacher) sind neben Augustinus Aurelius, Alypius, Evodius und Possidius. Augustinus begegnet somit als einer derer, die sich gegen die »pelagianischen Irtümer« wandten und wird von Baumgarten für seinen Charakter, seine Lehre oder seine Streitführung weder kritisiert noch übermäßig gelobt. Freilich darf aus der Kürze dieser Notizen zu Augustin nicht zu viel abgeleitet werden. Generell liegt der Fokus der Darstellungen Baumgartens eher auf den konkreten historischen Ereignissen als auf den in ihnen begegnenden Persönlichkeiten, sodass das Fehlen einer ausführlichen Beurteilung Augustins nicht überrascht. 311 Dass die historischen Arbeiten Baumgartens, in denen der Streit behandelt wird, keine weiteren Auflagen erfahren haben, zeugt ebenfalls von einer eingeschränkten bis marginalen Zurkenntnisnahme dieser durch nachfolgende Generationen.
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B. Aufbruch und Zwischenstationen
ausbauen.312 Aber in der dogmatischen Beurteilung der pelagianischen Lehrmeinung konnte er seinem Lehrer nicht mehr folgen.313 So bemerkt Semler in seiner erstaunlich knappen Vorrede zur Geschichte der Religionspartheyen Baumgartens von 1766 frei, dass aller orthodoxer »Eifer und Widerspruch die innerliche christliche Religion nicht halb so gut beförderte, als Pelagius«.314 Ein anonymer Rezensent des Bandes nimmt auf diese Stelle ausdrücklich Bezug und betont voller Verdruss, dass Semler einmal wieder seine »Lieblingslehre« vorgetragen habe, welche sei, »daß die christliche Lehre jederzeit vielen Veränderungen ausgesetzt gewesen sey, daß man die allgemeinen Lehren des Christentums sorgfältig von den minderwesentlichen unterscheiden müsse, und daß man deswegen gegen alle andre Religionsparteyen glimpflich und billig gesinnet seyn müsse«.315
Damit ist nicht nur das Anliegen und die Methode Semlers treffend beschrieben, sondern gleichsam ein Zeugnis dafür gegeben, welche Präsenz die Ansichten Semlers, denen sich diese Untersuchung nun anhand seiner Historischen Ein‑ leitung von 1764 zuwenden wird, zu diesem Zeitpunkt bereits erlang hatten.
312 Walter Sparn erblickt ähnlich in »Baumgartens Schüler Johann Salomo Semler den konsequenten Vollstrecker des Programms der theologischen Aufklärung«. (Sparn, »Auf dem Wege«, 77). 313 Bezeichnenderweise vollzog Semler nach dem Tod Baumgartens eine verstärkte eigenständige theologische Positionierung und Loslösung von dessen Lehransichten, deren Verlauf und Signifikanz in der Forschungsliteratur unterschiedlich beurteilt wird. Hornig, Studien, 33 spricht von einem »gleitenden Prozeß, ohne daß irgendein zeitlich markierbarer Einschnitt erkennbar wäre«. 314 Semler, »Vorrede«, in Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 14. 315 Anonymus, Rezension von Geschichte der Religionspartheyen von Siegmund Jakob Baumgarten, Theologische Berichte von neuen Büchern und Schriften von einer Gesellschaft zu Danzig ausgefertig 33 (1766): 157. Zwar bestreitet der ungenannte Rezensent nicht, dass in der Vorrede Semlers auch »viel wahres« sei, aber Semler hätte sich doch genauer ausdrücken und die »Wichtigkeit«, also Gefahr der »arminianischen, sozinianischen Fragen« und der Relevanz der Schrift zur Klärung dieser »richtiger« bedenken sollen (vgl. Anonymus, Rezension von Geschichte der Religionspartheyen, 161).
C. Wendepunkt und Hinwendung I. Johann Salomo Semlers Arbeiten zum pelagianischen Streit 1. Einführung »[I]ch habe nicht Pelagii Vorstellungen […] Ich bin auch darum kein Pelagianer, wenn ich ihnen gleich darin Recht gebe, daß Augustinus eine vorher nicht erhörte gratiam und praedestinationem, ohne Grund der h. Schrift, aus lateinischen Worten, aufgebracht hat; […] Hoffentlich bin ich […] deswegen kein Pelagianer, wenn ich die grosse Unwissenheit und den falschen Eifer Augustini ebenso wol, als der gelerte Erasmus, und der so beschrieene Phereponus gestehe.«1
Diese ablehnende Haltung des Hallenser Aufklärungstheologe Johann Salomo Semler (1725–1791)2 kommt nicht von ungefähr. Wiederholt sah er sich der Anschuldigung ausgesetzt, dem Pelagianismus anzuhängen oder zumindest dieser, in den Bekenntnisschriften protestantischer Konfessionen verurteilten Position, in seinem »Indifferentismus« nahezustehen.3 Wendet man sich im 1 Semler, »Vorrede«, in: Baumgarten, Untersuchung Theologischer Streitigkeiten 3, 14 f. Phereponus ist das Pseudonym Leclercs. 2 Zu Biographie und Werk Semlers vgl. Hornig, Studien; 2–85; ders., »Semler, Johann Salomo«, TRE 31 (Berlin/Boston: De Gruyter, 2000): 142–148; Dirk Fleischer, »Semler, Johann Salomo«, NDB 24 (Berlin: Duncker & Humblot, 2010): 236 f.; Friederike Nüssel, »Semler, Johann Salomo«, RGG4 7 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2004): 1204 f.; Werner R aupp, »Semler, Johann Salomo«, The Dictionary of Eighteenth-Century German Philosophers 3, hg. v. Heiner F. Klemme/Manfred Kuehn (London/New York: Bloomsbury Academic, 2010): 1084–1086. 3 Zum Pelagianismusvorwurf vgl. u. a. Semler, »Vorrede«, in: Baumgarten, Untersuchung Theologischer Streitigkeiten 3, 9.14 f. Gegenüber dem Vorwurf des Indifferentismus, sowohl des gegen ihn wie auch gegen Pelagius gerichteten, äußert sich Semler in der Praefatio seiner Demetriasbriefausgabe immer wieder. Im Zedler wird der Begriff polemisch wie folgt definiert: »Indifferentismus in Religions-Sachen ist, wenn man glaubet, was man will, und keinen Unterschied machet, ob man dieser oder jener Religion zugethan sey.« (Zedler, UniversalLexicon, 652 [Art. »Indifferent«], vgl. ferner Hering, Ketzerlexicon, 266 f., Goethe Wörterbuch 4, 1517 [Art. »Indifferentismus«]). Mindestens ebenso häufig sah sich Semler des zeitgenössischen Sozinianismus, Arianismus und weiterer als häretisch beurteilter Ansichten bezichtigt, vgl. hierzu Semlers eigene Angaben und Verteidigungen in Semler, »Vorrede«, in: Baumgarten, Untersuchung Theologischer Streitigkeiten 3, 5–8.10.16; sowie Hornig, Studien, 143. Semler ist beizupflichten, dass insbesondere der ihm gemachte Sozinianismusvorwurf undifferenziert sei; siehe hierzu v. a. seine detaillierte Verteidigung in Baumgarten, Untersuchung Theo‑ logischer Streitigkeiten 3, 5–8 gegen die Anschuldigungen des in Mohrungen wirkenden ostpreußischen Diakons Sebastian Friedrich Trescho(w), vgl. Paul Tschackert, »Trescho, Se-
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C. Wendepunkt und Hinwendung
Folgenden seinen Aussagen speziell zur pelagianischen Kontroverse und ihren Akteure zu, mit der sich Semler immer wieder in seinen kirchengeschichtlichen Arbeiten befasst hat, erscheint der Vorwurf einer Sympathie für Pelagius weniger abwegig, als er selbst in seiner Verteidigung darzustellen bemüht ist. So zeigt sich Semler dem Trend gemäß zwar tatsächlich vorrangig als großer Augustinuskritiker, der insbesondere die Gnaden‑ und Prädestinationslehre des Kirchenvaters ins Visier nimmt, zudem vermag eine wirkliche Kongruenz der Lehrmeinungen Semlers mit denen des Pelagius aus verschiedentlichen Gründen zunächst schwerlich belegbar zu sein4 – aber neben der großen Abneigung gegenüber Augustinus lässt sich eine große Sympathie, ja persönliche Hochschätzung des als Häretiker verdammten Pelagius und seiner Lehre beim Blick in die kirchenhistoriografischen Quellen nicht mehr von der Hand weisen. Besonders eindrücklich wird dies in dem Effekt, den die Schriften Semlers zum pelagianischen Streit auf die gebildete Leserschaft ausübten. Veranschaulichen mag dies die Wahrnehmung der Demetrias-Edition aus dem Jahr 1775, die nicht unbemerkt an den Lesern vorbeiging, wie eine anonyme Rezension aus der Allgemeinen Deutschen Bibliothek des Jahres 1777 veranschaulicht. Nicht nur das Urteil über das rezensierte Werk selbst, sondern auch die Beurteilung des Pelagius fallen äußerst positiv aus, wenn der Unbekannte dort resümiert, »daß nach abermaliger Durchlesung dieser Stücken und der Semlerischen Anmerkungen dazu, der so verschriene böse Pelagius noch ehrwürdiger, und der große heilige Augustin noch kleiner und schlechter in seinen [des Rezensenten, M. B.] Augen geworden, als beyde es schon lange gewesen«.5 bastian Friedrich«, ADB 38 (Leipzig: Duncker & Humblot 1894), 574 f. Diese Anschuldigung wird zudem weiter relativiert, wenn man in Betracht zieht, dass »das Verdikt, ein Sozinianer zu sein, zu den am freigiebigsten verteilten Ketzerhüten« (Beutel, Kirchengeschichte, 79) der altprotestantischen Orthodoxie gegenüber Vertretern der Neologie und weiterer Gruppierungen in der Aufklärungszeit zählte. Freilich zeigt sich in Semlers Verteidigung (s. o.) und in weiteren Werken (vgl. u. a. Semler, Versuch eines fruchtbaren Auszugs der Kirchengeschichte. Band 2, von 1400 bis 1600 [Halle: Hemmerde, 1774], 623) eine Würdigung der exegetischen und moralischen Anliegen der Sozinianer; Semler jedoch aufgrund gewisser Übereinstimmungen und Sympathien für deren Anliegen als Sozinianer zu bezeichnen, erscheint nicht zuletzt auch aufgrund des noch weitgehend ungeklärten Verhältnisses von Sozinianismus und theologischer Aufklärung (vgl. Beutel, Kirchengeschichte, 81) als problematisch. 4 Eine Übereinstimmung der dogmatischen Lehrmeinungen nachzuweisen, gestaltet sich schon hinsichtlich der Frage, was den »Pelagianismus« des 18. Jahrhunderts eigentlich ausmache, als schwierig. Karl Aner möchte einen »groben« (»Leugnung der Erbsünde, die Verteidigung der an sich unschuldigen Begierden und die Annahme natürlicher Kräfte zum Guten«) von einem »feinen« (»Überschätzung der Vernunft, Intellektualismus ohne Forderung der Herzensänderung, Lauheit im Preis der gratia praeveniens«) Pelagianismus unterschieden wissen, vgl. Aner, Lessingzeit, 158. Zum Begriff »Pelagianismus« und der späteren Wortschöpfung »Semipelagianismus« vgl. Christoph Markschies, »Pelagius/Pelagianer/Semipelagianer II. Dogmatisch 1. Zur Begrifflichkeit und ihrer nachantiken Geschichte«, RGG4 5 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003): 1082–1084. 5 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola ad Demetriadem cum Aliis Aliorum Epistolis von Johann Salomo Semler, ADB 31/2 (1777): 438.
I. Johann Salomo Semlers Arbeiten zum pelagianischen Streit
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Welchen Anteil die Arbeiten Semler zum pelagianischen Streit an diesem Urteil hat, wird die folgende Untersuchung anhand der Historischen Einleitung und der genannten Demetrias-Edition offenlegen.
2. Dogmenhistorische und dogmatische Kritik an der Lehre Augustins und Rehabilitation der Lehre des Pelagius 2.1. Quaestionis est res ista, non haeresis: Dogmenhistorische Voraussetzungen des Pelagianismus und Besonderheiten der nordafrikanischen Theologie Semler stellt bereits eingangs seiner Darstellung des pelagianischen Streites in seiner Historischen Einleitung von 1764 heraus, dass a) die Lehrmeinungen zu diesen und anderen im pelagianischen Streit verhandelten Themen keineswegs bereits festgelegt waren und dass b) der Streit sich weniger um die Sache selbst (rem) als vielmehr um die Art und Weise (rei modum), inwiefern der Mensch hinsichtlich der guten Werke lobenswert genannt werden könne, gedreht hat.6 Oder, wie Semler es bezeichnenderweise mit einem prägnanten Zitat Caelestius’ zum Streit um die Kindertaufe formuliert: Questionis est res ista, non haeresis.7 Eine strittige, ungeklärte theologische Frage sei die Aufklärung der verhandelten Themenfelder, aber keineswegs eine Häresie. Dieser Gedanke zieht sich konsequent durch Semlers dogmenhistorische Betrachtungen in der Historischen Einleitung zum pelagianischen Streit. Doch was war hier gemäß Semler umstritten? Er führt drei mögliche Ursachen an, die zum Ausbruch des Streites oder zumindest eines Widerspruches des Pelagius gegen Augustins Lehrmeinungen geführt haben könnten.8 Mit diesen sind zugleich mehrere von Semlers dogmenhistorisch untermauerten Hauptkritikpunkten an der Lehre Augustins angezeigt.9 Den ersten möglichen Anlass sieht Semler mit dem berühmten Satz der Con‑ fessiones – da, quod iubes, et iube quod vis – gegeben.10 Der Widerstand gegen diesen Gebetswunsch richtet sich besonders gegen das augustinische Verständnis des freien Willens, sowie der Prädestinations‑ und Gnadenlehre. Der zweite denkbare Anlass für die Eskalation des Streites sei Pelagius’ Ablehnung des tradux peccati-Gedankens, wie er vor allem in Nordafrika verbreitet 6 »[S]o war aller Streit blos über eine Frage, wegen der Art und Weise, wie man in bonis operibus laudabilis wirklich wird; nicht über rem, sondern rei modum […].« (Semler, »Historische Einleitung«, 283 f.). 7 Der Sprachgebrauch ist von Caelestius’ Stellungnahme zur tradux peccati übernommen, vgl. Aug., gr. et pecc. or. 2,3 (CSEL 42, 169,13 Urba/Zycha). 8 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 279–283. 9 Man kann weiterfragen, ob Semler nicht seine ihm eigenen Kritikpunkte an Augustins Theologie Pelagius regelrecht untergeschoben hat. 10 Aug., Conf. 10,40.45.60 (CSEL 33, 256,24; 261,2 f.; 272,11 f. Knöll). Vgl. hierzu Semler, »Historische Einleitung«, 279 f.
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C. Wendepunkt und Hinwendung
war und letztlich von Augustinus in Form der folgenreichen Erbsündenlehre propagiert wurde.11 Daran knüpft unmittelbar der dritte von Semler genannte, mögliche Anlass zum Streitausbruch an, der Konflikt um die Begründung der Notwendigkeit der Kindertaufe; folglich die insbesondere in Nordafrika hitzig diskutierte Frage, ob Neugeborene unschuldig und frei von Sünde oder bereits von Geburt an der Ursprungssünde verfallen, also unter den Einfluss der Erbsünde gestellt seien.12 Bevor Semler im weiteren Verlauf seiner Historischen Einleitung zur direkten, inhaltlichen Rehabilitierung der Lehre des Pelagius und zur Verwerfung der Lehre Augustins übergeht, nimmt er eine dogmenhistorische Relativierung der strittigen Lehren vor. Dazu verortet Semler zunächst in groben Zügen die theologischen Voraussetzungen des Pelagius und die Besonderheiten der nordafrikanischen Lehransichten vor dem gesamtkirchlichen Hintergrund. 2.1.1. Der Pelagianismus ist keine Häresie Semler bezweckt nicht allein die Rehabilitierung des Pelagius anhand dieser dogmenhistorischen Beleuchtung der Genese von Erbsünden-, Prädestinations-, Gnaden‑ und Tauflehre sowie damit verbundener Ansichten innerhalb des antiken Christentums, sondern vor allem die Demontage des augustinischen Lehrbegriffs. In diesem Geiste eröffnet Semler bereits zu Beginn des ersten Hauptteils seine Argumentation: Er beklagt dort, dass von den pelagianischen Autoren selbst wenige Zeugnisse heute noch überliefert seien, die ein ausgewogenes Bild des pelagianischen Streites zeichnen könnten. Somit sei man besonders auf die »Urtheile der andern oder catholischen Partey«13 angewiesen. Schenke der Leser diesen leichtsinnig und unkritisch seinen Glauben, »so ist es eine gar leichte Sache, greuliche Irtümer und lauter Bosheit bey Pelagio und seiner Partey anzutreffen, und noch dazu diese Personen zu den ersten Urhebern solcher Beschreibungen und Vorstellungen zu machen«.14
Besonders seien solche Autoren bemüht, allen voran freilich Augustinus, immer wieder zu betonen, dass die von Pelagius und seinen Anhängern vertretene Ansicht deren eigene Erfindung und somit eine außerhalb der mehrheitskirchlichen Tradition stehende Neuerung, folglich Häresie sei.15 Dass dies jedoch dem historischen Befund keineswegs entspräche, stellt Semler schon in der ersten Anmerkung dieses Textabschnittes heraus.16 Diese wichtige Anmerkung 11 Vgl.
Semler, »Historische Einleitung«, 280–282. Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 282 f. 13 Semler, »Historische Einleitung«, 277. 14 Semler, »Historische Einleitung«, 277 f. 15 »Augustinus thut […] so, als wenn dieses auctores huius perversitatis seien […].« (Semler, »Historische Einleitung«, 278). 16 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 278, Anm. 475. 12
I. Johann Salomo Semlers Arbeiten zum pelagianischen Streit
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bezieht sich auf die oben zitierte Aussage Semlers und verdeutlicht, dass mit den dort genannten »Beschreibungen und Vorstellungen«, als deren Urheber die Pelagianer von der »catholischen Partey« kritisiert werden, deren Lehren vom freien Willen, der Gnade und der Ursünde gemeint sind. Zugleich vermerkt Semler damit kritisch, dass Pelagius und seine Anhänger keineswegs als die ersten Urheber der genannten Positionen aufgefasst werden können, denn: »Wenn man auch nur meine bisherigen Auszüge gelesen hat, so weis man, daß in der Lehre de libero arbitrio, de gratia, und vom Sündenfal, in der griechischen und lateinischen Kirche schon lange eine Verschiedenheit statt gefunden.«17
Die Grundaussage dieses Satzes, die gleichsam programmatisch ist für die gesamte Argumentation zugunsten des Pelagius, ist schnell zusammengefasst: Schon lange Zeit vor Pelagius und Augustinus wurden zum freien Willen, der Gnade Gottes und dem Sündenfall innerhalb der Ost‑ und Westkirche18 verschiedene Lehrmeinungen vertreten. Damit zielt Semler jedoch nicht nur auf einen theologischen Gegensatz von Ost und West, sondern vor allem auch auf ein vielfältiges Meinungsbild innerhalb dieser zwei Blöcke selbst: Folglich bestand ein von seiner Lokalität abhängiges, breites Meinungsspektrum, jedoch keine dogmatische und durch ein Konzil bestätigte einheitliche Lehre. Die mehrheitskirchliche Position ist somit letztlich keine einheitliche Position. Diese Feststellung dient Semler als Ausgangspunkt für seine folgende Kritik an der traditionsorientierten Begründung der Augustinischen Lehrmeinung und der Behauptung, Pelagius habe eine neue, häretische Lehre vertreten: Denn von hier aus ist die Behauptung nicht mehr haltbar, dass Pelagius etwas Neues auf dem Weg gebracht habe, was im Widerspruch zu einer einzigen, eindeutigen und schon lange Zeit gültigen Tradition stünde, die im Osten wie Westen die allein akzeptierte Position sei. Pelagius kann kein »Neuerer« sein und folglich auch nicht der Häresie bezichtigt werden, steht er doch mit seiner Lehrmeinung in einem breiten und vielarmigen Traditionsfluss. Dogmenhistorischer Ausgangspunkt des pelagianischen Streites sei somit nicht etwa ein bereits lang fixiertes Dogma, sondern vielmehr eine von ihrer Lokalität abhängige Vielfalt an Meinungen zum freien Willen, der Sünden‑ und Gnadenlehre. Damit ist nahezu das gesamte dogmenhistorische Programm Semlers zugunsten der Rehabilitierung Pelagius’ zusammengefasst.
17 Semler,
»Historische Einleitung«, 278, Anm. 475. An dieser lokalen Unterteilung zeigt sich hervorragend die für Semler typische »Geographie der Theologie«, also sein Bewusstsein für die ortsgebundenen, unterschiedlichen Ansichten zu dogmatischen Loci, vgl. hierzu Hornig, Studien, 126.280 f. sowie Ohst, »Episode«, 104.117. 18
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C. Wendepunkt und Hinwendung
2.1.2. Ein knapper Beitrag zur Pelagianismus ante Pelagium-Debatte Im Kontext der dogmenhistorischen Erwägungen zum pelagianischen Streit begegnet in diesem Sinne immer wieder auch die Diskussion um den sog. Pelagianismus vor Pelagius. Zu dieser Diskussion um die Genese der pelagianischen Ansichten äußert sich Semler erstaunlicherweise knapp und zudem wenig innovativ.19 Schon Hieronymus habe angemerkt, dass sich diese Lehre aus der ostkirchlichen Tradition von Origenes herleiten lasse, dessen Lehrmeinungen wiederum über die lateinischen Übersetzungen seines Werkes durch Rufin nach Rom gelangten und dort Verbreitung fanden. Dies ist eine damals durchaus gängige und bis auf den heutigen Tag akzeptierte Lehrmeinung über die Einflüsse auf die Genese der Theologie des Pelagius.20 Bereits Rufin habe damals in Rom die Vorstellung einer Fortpflanzung der Sünde (tradux peccati) öffentlich verworfen, wie Caelestius selbst zu berichten wisse.21 Nun kann man die Wertigkeit der griechischen Theologie und Glaubenslehre, traditionskritisch wie Semler es selbst war, gegenüber der lateinischen durchaus in Frage stellen. Semler kommt es jedoch nicht so sehr auf den Beweis der Traditionsgemäßheit Rufins und der Pelagianer an, sondern lediglich auf die Widerlegung der Behauptung, Pelagius habe bislang gänzlich unbekannte Lehren vertreten. Betrachtet man Semlers Argumentation, so dient dieser Erweis der Traditionsgemäßheit der Lehre des Pelagius zudem der Verwerfung der Lehre Augustins als wahre Neuerung. Freilich ist Semler hiermit letztlich doch dem klassischen Argument der Traditionsgemäßkeit aufgesessen, auch wenn er den Traditionsstrang, dem Pelagius folgt, als schriftgemäß darstellt. Semler argumentiert in seiner dogmenhistorischen Darstellung somit nicht anders als Generationen römisch-katholischer Theologen vor ihm, nur dass er damit versucht, einen vermeintlichen Häretiker zu rehabilitieren.22 Deutlich wird an diesen knappen Ausführungen, wie Semler aufgrund des unzureichenden historischen Befundes bemüht ist, nicht wild über die Herkunft der Gedanken des Pelagius zu spekulieren. Insbesondere Hieronymus wird zudem Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 280. So äußerten sich über die Linie Origenes – Pelagius bereits Mosheim, Institutiones, 230, sowie Lilienthal, Dissertatio. Theo Kobusch, »Die Idee der Freiheit. Origenes und der neuzeitliche Freiheitsgedanke«, in Autonomie und Menschenwürde. Origenes in der Philosophie der Neuzeit, hg. v. Alfons Fürst/Christian Hengstermann, 67–80. Adamantiana 2 (Münster: Aschendorff, 2012), 69 sieht in Origenes’ Vorstellung vom freien Willen keine Ausnahmeposition in der frühen Kirchengeschichte. 21 Verwirrenderweise vermerkt Semler, dass Caelestius dies »in der nachherigen Untersuchung zu Diospolis« (Semler, »Historische Einleitung«, 280) ausgesagt habe. Vermutlich meinte Semler jedoch Caelestius’ Aussage bei der Anhörung 411 in Karthago, in der er zu seiner Verteidigung anführte, dass doch schon andere Theologen die Vorstellung einer Erbsünde verworfen hätten, vgl. Aug., gr. et pecc. or. 2,3 (CSEL 42, 168,12–21 Urba/Zycha) und Drecoll, »Auseinandersetzung«, 180. 22 Zu dieser Erkenntnis der traditionsgebundenen Argumentation vgl. Ohst, »Episode«, 107–111. 19 20
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von Semler als Zeuge aufgrund seines mehr als fragwürdigen und streitsüchtigen Charakters angezweifelt,23 sodass sich die Ausführungen gemäß seinen eigenen Grundsätzen auf dieses Minimum beschränken müssen, wohingegen sich insbesondere bei Christian Walch umfänglichere Erörterungen der Pelagianismus ante Pelagium-Debatte finden. Semler dient der knappe Nachweis hier lediglich der Untermauerung seiner Behauptung, dass Pelagius mitnichten neue Lehrmeinungen vertreten habe. 2.1.3. Philosophische und weitere Fremdelemente in der Theologie Augustins und Pelagius’ Mit der Diskussion um den Pelagianismus vor Pelagius ist oftmals auch die Frage nach nichtchristlichen bzw. philosophischen Elementen in der Theologie Augustins oder Pelagius’ verbunden worden. Auch Semler widmet sich der Frage, inwiefern sie der christlichen Lehre fremdes Gedankengut, insbesondere aus der antiken und spätantiken Philosophie, aber auch aus eigener Neuschöpfung, zugeführt haben. Semler gesteht vorbehaltslos ein, es fänden sich in der Tat viele inhaltliche Elemente der stoischen und pythagoreischen sowie methodische Anteile der aristotelischen Philosophie in Pelagius’ Lehre vermengt.24 Jedoch sieht Semler diesen Tatbestand nicht als problematisch an: Denn, so fährt er dogmenhistorisch begründend fort, die Pelagius vorangehenden Kirchenautoritäten haben gleichsam stoische, platonische und aristotelische »Beihülfe gelegentlich gar sehr mitgebraucht«, wie allseits bekannt sei. Semlers Entkräftigung des Vorwurfes gegenüber Pelagius ist tiefgreifend in seiner Differenzierung von der durch Zeitverlauf und Wissensaneignung bedingten Theologie des Gelehrten und den feststehenden christlichen Wahrheiten verankert: Semler zufolge sei es generell undenkbar, schon bestehende Kenntnisse und Vorstellungen nicht im Laufe der Zeit und des Erkenntniszuwachses mit neuen Erkenntnissen in Verbindung zu bringen und daher abzuwandeln. Damit beschreibt Semler nichts anderes als Lern‑ und Fortbildungsprozesse des menschlichen Verstandes, der sich einer Sache, hier konkret der christlichen Wahrheit annehmen will. Aus diesen Aneignungsprozessen, die notwendig schon immer stattfanden und weiterhin stattfinden, resultieren nun aber, so fährt Semler fort, »keine algemeinen Lehrsätze, noch weniger neue Theile der Glaubenslehre«.25 Vielmehr handle es sich dabei um »einseitige Übungen einzelner« Gelehrter, die wiederum andere 23 Kritik an Hieronymus im Kontext des pelagianischen Streites durch Semler findet sich u. a. in Semler, »Historische Einleitung«, 279, Anm. 476 (»wie unbillig spottet Hieronymus!«) und 280, Anm. 477 (»Hieronymi ungeschickte Sticheleien«). 24 Semler, »Historische Einleitung«, 302. Ferner: »Es ist nicht zu leugnen, daß in Pelagii Lehre sich viel von stoischen und pythagoreischen Begriffen und Lehrsätzen eingemischet hat; auch die aristotelische Gewohnheit, Gedanken zusammen zu setzen, hat manchen Antheil.« (Semler, »Historische Einleitung«, 302, Anm. 499). 25 Semler, »Historische Einleitung«, 302, Anm. 499.
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Menschen so von der christlichen Wahrheit unterrichten, wie es die jeweiligen Zeitumstände und Erkenntnisse des Gelehrten erlauben.26 Das ist keineswegs so abwertend gemeint, wie es hier klingen mag. Semler beabsichtig nicht etwa aufzuzeigen, dass dies sinnlose Gedankenspielereien einzelner Gelehrter sind, sondern dass sich Theologie im Generellen nicht anders gestalten kann als in Abhängigkeit von Zeit, Ort und Erkenntnis. Dies kann auch positiv verstanden werden und so ist es auch von Semler beabsichtigt, der – nicht zuletzt dank der konsequenten Anwendung der historisch-kritischen Methode – von der Möglichkeit eines positiven Wachstums, einer Verbesserung des Christentums wie dessen Theologie ausgeht.27 Jedoch, so schreibt Semler in der Einleitung seines Versuchs einer freiern theologischen Lehrart, »kann man daran nicht zweifeln, daß diese Theologie, welche wieder verschiedene Fertigkeiten begreift, sowol an sich veränderlich, als auch eines steten Wachstums fähig, folglich aber auch eben deswegen gewissen Mängeln immer ausgesetzt seie«.28
Nutzt Semler nun diese Grundeinsicht und seine dogmenhistorischen Beobachtungen zugunsten der Entschuldigung des Pelagius, da es schließlich unabdingbar sei, andere Gedanken in die eigenen einfließen zu lassen und diese zu rekombinieren, kommt Augustinus in diesen Belangen jedoch weniger gut davon: Augustinus habe seine ihm vertrauten Gedanken und eigenen Einfälle in die christliche Lehre eingebracht und mit dieser vermischt.29 Was an sich, wie oben dargestellt, nicht problematisch ist, resultiert aber aufgrund des Inhaltes der so gebildeten augustinischen Lehren in schwerwiegenden Folgen für den Lehrbegriff der folgenden Jahrhunderte. So sieht Semler Augustinus als den alleinigen Urheber aller Nachteile, die sonst den Scholastikern angelastet werden, aller missbräuchlichen Schriftauslegung und ‑verwendung sowie aller Überbetonung des maßgebenden Beispiels der Autoritäten.30 26 »Es werden aber aus solchen Verbindungen keine algemeine Lehrsätze, noch weniger neue Theile der Glaubenslehre; es ist die einseitige Uebung einzelner Personen, die man Gelerte nent, welche nun andere Menschen von christlichen Wahrheiten so unterrichten, als es die Zeitumstände mit sich bringen.« (Semler, »Historische Einleitung«, 302, Anm. 499). 27 Konsequenterweise gilt Semler damit das Urchristentum als unvollkommen und keineswegs als Idealzustand wie es bei Arnold der Fall war. Vervollkommnung des Christentums erwartet Semler vielmehr in der Zukunft, vgl. Dirk Fleischer, »Einleitung«, in Nachrichten von des Herrn D. J. S. Semlers Tod und Leichenfeierlichkeit, nebst einer Trauer-Rede, Cantate, Gedichten und Silhouette. Neu herausgegeben, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen, hg. v. dems. (Riga: Fromm, 2015), XIII. 28 Semler, Versuch einer freiern theologischen Lehrart, 1 (Hervorhebung von M. B.). 29 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 302, Anm. 499. 30 »Augustin hat selbst zuerst und vornehmlich die ihm geläufigen Gedanken und Einfälle so in die christliche Lehre gemischt, daß aller Nachtheil, der auf Rechnung der Scholasticorum geschrieben wird, alle Unterlassung des guten Gebrauchs der heiligen Schrift, aller Einflus des praeiudicii auctoritas, blos von ihm herrürt.« (Semler, »Historische Einleitung«, 302, Anm. 499).
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Scholastik, Kritik an Schriftauslegung und Autoritätshörigkeit – dies sind klassische Vorwürfe der Protestanten gegenüber der römisch-katholischen Kirche und ihrer Lehre. Zwar nicht explizit, aber doch deutlich wird Augustinus als Ursprung all des Schlechten gezeichnet, was die Reformatoren und Protestanten bekämpften. Augustinus wird so implizit als arger Widersacher der reformatorischen Anliegen dargestellt, als Vertreter der vorreformatorischen Epoche und Denkweise der Kirche. Man muss zu dieser Darstellung jedoch bemerken, dass Semler nicht auf die negativen Folgen der Lehre des Pelagius eingeht, sondern sich ausschließlich auf die Widerlegung des Vorwurfs, er habe seine Gedanken aus der heidnischen Philosophie zusammengeklaubt, fokussiert. Bei Augustinus hingegen merkt Semler nur kurz an, dass dieser seine eigenen Kenntnisse und Gedanken in die christliche Lehre eingebracht habe, ohne über die Herkunft der Gedanken genaueres zu sagen. Aber das spielt hier auch keine Rolle, vielmehr übt Semler Kritik an der Art und Weise dieser Vermischung: Augustinus habe seine Kenntnisse derart (»so«) mit der christlichen Lehre vermengt, dass die drei aufgezählten negativen Folgen daraus resultieren. Anschließend beschränkt Semler sich allein auf diese negativen Folgen des so gewonnenen Lehrbegriffs und driftet in eine scharfe Kritik an Augustinus im Generellen ab. So fährt Semler fort, man müsse schon entweder Augustins Schriften nicht gelesen haben oder »jetzt richtige Vorstellungen«, also spätere, weiter entwickelte Gedanken wie die der Reformatoren und nachfolgender Protestanten, denen Augustins unterschieben, um überhaupt noch daran zweifeln zu können, dass Augustins Lehrbegriff derartig viele negative Folgen hervorgebracht habe.31 2.1.4. Mangelhafte hermeneutische Voraussetzungen in der nordafrikanischen Kirche Ebenfalls in gut protestantischer Tradition, aber auch in Einklang mit seinem eigenen wissenschaftlichen Umgang mit dem Urtext der Heiligen Schrift, kritisiert Semler nicht allein die von Augustinus neu eingebrachten Lehrmeinungen und deren Folgen, sondern auch deren Ursache, die er vornehmlich in den mangelhaften Sprachkenntnissen und exegetischen Fähigkeiten der nordafrikanischen Theologen sieht. Rufin und die anderen mit der griechischen Sprache und Schriften vertrauten Theologen haben den Nordafrikanern in den Augen Semlers etwas Grundlegendes voraus: Sie können und haben die Heilige Schrift in ihrer Ursprache, dem Griechischen, selbst gelesen und ihren Arbeiten und Ansichten zugrunde 31 »Man mus seine Schriften nicht gelesen haben, wenn man daran noch zweifelt; oder man mus jetzige richtige Vorstellungen unter seine lateinischen Beschreibungen, unrichtiger Weise und aus Mangel der Uebung im Gebrauch der sogenanten Väter, stecken.« (Semler, »Historische Einleitung«, 302, Anm. 499).
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gelegt. Über die elementaren Grundlagen der Theologie der nordafrikanischen Kirche weiß Semler hingegen nur zu berichten, »daß in dieser Kirche man bloß die lateinische Uebersetzung der heiligen Schrift, zumal des N.Test. stets gebraucht hat und der griechischen Ausdrücke, woran manche solche Vorstellungen [von der Erbsündenlehre, Taufe und Satisfaktionslehre in Nordafrika] nicht leicht würden haben hängen können, nicht kundig gewesen«.32
Semlers beinahe schon vernichtendem Urteil nach stehen die Lehren der Nordafrikaner damit unter starkem Vorbehalt, wie er seiner folgenden dogmenhistorischen Darstellung nachweisen will,33 da in der nordafrikanischen Kirche ausschließlich die lateinische Übersetzung verwendet wurde. Dies ist für den Lutheraner und zugleich streng wissenschaftlich an den Urtexten orientierten Semler freilich ein grundlegender Fehler im System der nordafrikanischen Hermeneutik, der nur zu weiteren Fehlannahmen in deren Lehre führen konnte. Die lateinische Textbasis, auf der die Nordafrikaner aufgrund ihrer mangelhaften bis gar nicht vorhandenen Griechischkenntnisse ihre Argumentation aufbauen, so kann mit Semler gedacht werden, sei verfremdet, ja verdorben. Hätte ihnen das Neue Testament in griechischer Sprache vorgelegen, hätten die Vertreter dieser nordafrikanischen dogmatischen Behauptungen selbige nur schwer am griechischen Urtext festmachen können und wären folglich nicht zu ihren fehlerhaften Anschauungen gekommen. Vergleicht man diesen Vorschub zur dogmenhistorischen Darstellung der Theologie der Nordafrikaner mit Semlers eigenem Anspruch an die Studierenden und Gelehrten der Theologie, so muss sein Urteil über die Nordafrikaner wohl fatal ausfallen – fehlt ihnen doch schon die sprachliche Grundlage zur rechten Hermeneutik der Heiligen Schrift – und damit das Vermögen, eine schriftgemäße, christliche Lehre zu formulieren.34 Was für die Nordafrikaner im Generellen gilt, betrifft auch Augustinus im Besonderen: Semler zufolge habe Augustinus »lateinische Gedanken« aus der Vulgata-Übersetzung in die Heilige Schrift hereingelesen, die vom Grundtext der Bibel in hebräischer und griechischer Sprache abweichen und somit dogmatische und moralische Gehalte entstellen.35 Schon die von Augustinus Semler, »Historische Einleitung«, 281, Anm. 478. Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 281, Anm. 478. 34 Zu den biblischen Sprachen als Basis des Theologiestudiums vgl. Johann Salomo Semler, Versuch einer nähern Anleitung zu nützlichem Fleisse in der ganzen Gottesgelersam‑ keit für angehende Studiosos Theologiae, hg. v. Dirk Fleischer. WiKr 23,1 (Waltrop: Spenner, 2001 [ND der Ausgabe Halle: Gebauer, 1757]), 10–13. Zur Zentralstellung der Hermeneutik vgl. Semler, Versuch einer nähern Anleitung, 201: »Die Hermeneutik ist eine der allerwichtigsten und unentbehrlichsten Wissenschaften. Sie muß den ganzen Grund gewähren, worauf alle übrigen theologischen Beschäftigungen beruhen.« 35 »Ich habe es oft schon so ausgedruckt, Augustinus hat lateinische Gedanken, aus der lateinischen Uebersetzung, eingefürt, welche von dem Sin der heiligen Schrift, im Grundtexte, so gar in dogmatischen und moralischen Stellen, gar sehr abweichen.« (Semler, »Historische Einleitung«, 302 f., Anm. 499). Die Hermeneutik Semlers und ihre Grundsätze sind wiederholt 32 33
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verwendete lateinische Textbasis ist derart korrumpiert, dass folglich auch die daraus gezogenen Schlüsse nichts anderes sein können als eine Verfälschung der christlichen Lehre. Dass Augustinus Pelagius als den Urheber neuer Lehren und somit häretischer Falschlehren ansehen konnte, sieht Semler in diesem simplen Sachverhalt begründet, dass Augustinus keine griechischen Sprachkenntnisse – ja generell eine minderwertige Sprachbegabung – und zudem eine schlechte Kenntnis wichtiger Autoren besessen habe: »Augustin, der keinen griechischen Schriftsteller zu lesen im Stande war, der so viel elende Beispiele von seiner neuern Erklärung der Bibel überal gibt, welche alle den Stempel von seiner Unerfahrenheit in den Sprachen haben, er, der so wenig gebessertes Judicum offenbaret, also unfelbar wenig gute Schriften gelesen hat.«36
Augustins große sprachliche Mängel, die Semler hier feststellt, haben ihn nur zu einer falschen Beurteilung des Sachverhalts und der Urheberschaft der Ansichten, wie sie die Pelagianer vertraten, führen können. Die Aussage Semlers beinhaltet zugleich einen direkten Angriff auf Augustins exegetische Lehransichten, wenn Semler von den »elende[n] Beispiele[n]« der »neuern Erklärungen der Bibel« durch Augustinus spricht. Nicht etwa Pelagius vertrat demnach eine neue Auslegung der Bibel und damit auch neue Lehrart, sondern Augustinus, der aufgrund seiner sprachlichen Mängel wie auch genereller Unzulänglichkeiten seines Beurteilungsvermögens zu einem falschen Schriftverständnis kam. Es bleibt vorerst festzuhalten: Semler veranschaulicht bereits zu Beginn seiner dogmenhistorischen Darstellung programmatisch, dass die pelagianischen Lehren zum freien Willen, der Gnade und dem Sündenfall keineswegs eine Neuerung sind, sondern ein Teil der unterschiedlichen Ansichten zu diesen dogmatischen Fragen in der griechischen und lateinischen Kirche im fünften Jahrhundert darstellen. Augustinus begegnet bei Semler somit nicht allein als unrechtmäßiger Ketzermacher, wie es bei Gottfried Arnold der Fall war, sondern selbst als Häretiker. Und außerdem, so betont Semler mit einer rhetorischen Frage, sei »es nicht historisch unleugbar und notorisch, daß Pelagii tropus paedias ehedem der herschende und gemeine gewesen? Wie viel hundert Stellen kann man nicht anfüren?«37 Somit sei nicht nur Augustinus der wahre Neuerer, sondern Pelagius lediglich ein Vertreter einer bestimmten Lehrmeinung eines breiten kirchlichen Traditionsstromes, die seit langer Zeit verbreitet, ja sogar vorherrschend in der christlichen Kirche gewesen sei. Gegenstand der Forschung geworden, vgl. Gottfried Hornig, »Über Semlers theologische Hermeneutik«, in Unzeitgemäße Hermeneutik. Verstehen und Interpretation im Denken der Aufklärung, hg. v. Alex Bühler, 192–222 (Frankfurt a. M.: Vittorio Klostermann, 1994); sowie Schröter, Aufklärung durch Historisierung. 36 Semler, »Historische Einleitung«, 278. 37 Semler, »Historische Einleitung«, 278.
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2.2. Tradux peccati und die Erbsündenlehre als Neuerungen Nordafrikas und Augustins 2.2.1. Der Tradux-Gedanke in Nordafrika und die Seelenlehre Semler beklagt zu den dogmatischen Vorstellungen der Nordafrikaner vor und zur Zeit Augustins, dass eine umfängliche dogmengeschichtliche Betrachtung dieser noch ausstehe – und nimmt sich einer solchen sogleich selbst hinsichtlich des nordafrikanischen Gedankens der tradux peccati als Wurzel der augustinischen Erbsündenlehre an.38 Obwohl sich Augustinus eigentlich von der manichäischen Vorstellung vom malum morale distanzieren wollte, sei er durch die anthropologisch optimistischen Ansichten der Pelagianer zum Vermögen des Menschen dazu angestachelt worden, »den Fal der ersten Menschen und seine Folgen mehr zu entwickeln, als bisher geschehn war« – also seine Sündenlehre weiter auszubauen.39 Damit ist Semlers Grundansicht zur Lehrmeinung Augustins rund um dessen Sünden-, Gnaden-, und Prädestinationslehre formuliert: Augustinus errichtet sich sein eigenes, neues Lehrgebäude, das freilich nicht aus der Luft gegriffen ist, jedoch und dennoch viele Neuerungen mit sich bringt. Das betrifft ebenso Augustins Verständnis der Verdorbenheit des Menschen, welches Semler ebenfalls nach dem bekannten dogmenhistorischen Muster als Neuerung präsentiert. Zunächst hält Semler zum Gedanken der Fortpflanzung der Sünde ganz allgemein fest, »daß eben diese neue Vorstellung de traduce peccati die nächste Ursache ist an dem öffentlichen Widerspruche der Pelagianer. Die bisherige Lehre, oder fides enthielte nichts von dieser Bestimmung«.40
Die Ansicht von der tradux peccati sei also vor Ausbruch des Streites durch keine kirchlich reglementierte Lehrentscheidung als allgemeingültig und für den orthodoxen Glauben notwendig festgelegt worden. Genau genommen, habe sie noch nicht einmal in vorangehenden Canones und Bekenntnissymbolen Erwähnung gefunden, was für Semler sicherlich keine Überraschung darstellt, da es sich seiner Ansicht nach beim Gedanken der tradux peccati um eine »neue Vorstellung«, also noch junge Erfindung, nicht aber kirchliche Tradition, handele, die vor allem in Nordafrika lokale Verbreitung finden konnte und im deutlichen Widerspruch zur östlichen Tradition stand: »Die besondre Vorstellung von traduce sowol peccati als animae ist in Africa gewönlicher gewesen, hingegen weder in Origenes, noch anderer griechischer Väter Schriften jemalen 38 »Es ist einer nähern Untersuchung wehrt, was die africanische Kirche für besondre dogmatische Vorstellungen und Meinungen gleichsam eigen gehabt.« (Semler, »Historische Einleitung«, 281, Anm. 478). 39 Semler, »Historische Einleitung«, 305, Anm. 500. 40 Semler, »Historische Einleitung«, 280.
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bisher vorgekommen; daher Rufinus mit andern, welche in griechischen Schriften belesen waren, dieselbe nicht aufkommen liessen, als ein Stück der christlichen Lehre, das von solcher Wichtigkeit sowol als Gewisheit wäre, als der übrige fides.«41
Mit dieser Aussage Semlers erfährt der Leser nicht nur, dass der tradux-Gedanke in seiner Ausrichtung auf die Sünden‑ und Seelenlehre eine lokale Besonderheit insbesondere der lateinischen, nordafrikanischen Theologie sei, der der östlichen Theologie zudem gänzlich fremd sei; sondern auch, dass Rufins – und letztlich der Pelagianer – Einsatz gegen die Verbreitung und dogmatische Festlegung der daraus folgenden Erbsündenlehre berechtigt sei: Die mit den griechischen Autoren vertrauten Anhänger Rufins und Pelagius’ verwehrten der Vorstellung einer tradux peccati und einer Erbsündenlehre den Eingang in die Grundbestand des christlichen Glaubens, da sie gegenüber den eigentlichen Glaubensgrundsätzen weder über ebenbürtige Relevanz noch Absicherung verfügte. Relevanz und Absicherung der Inhalte des christlichen Glaubens messen sich in Semlers Verständnis letztlich allein an deren Schriftgemäßheit. Was sich durch die Schrift und das Wort Gottes klar belegen lässt, ist der wahre Inhalt des christlichen Glaubens.42 Was darüber hinausgeht oder dem schlimmstenfalls widerspricht, ist entweder bloße theologische Spekulation – oder ein Lehrirrtum. Der tradux-Gedanke habe laut Semler seinen Ursprung in dem nordafrikanischen, traduzianistischen Verständnis der Seelenlehre, namentlich bei Tertullian (ca. 150–220) in der Ausprägung als tradux mali und tradux animae, die dem Gedanken der Erbsündenlehre vorarbeitet.43 Die Darlegung der traduxLehre – zunächst knapp in ihrer Ausgestaltung als tradux animae, dann ausführlicher als tradux malum – erfolgt anhand einzelner Zitate aus Tertullians Werk gegen Marcion,44 welche fragmentarisch angeführt und von Semler nur geringfügig kommentiert worden sind.45 Semler bietet damit lediglich eine knappe dogmenhistorische Darlegung der Genese der tradux-Lehre in Nordafrika, wenn er einzig auf deren Ursprung bei Tertullian verweist und eine Fülle fragmentarischer Zitate aus Adversus Marcionem bietet. Andere theologische Schriftsteller oder eine klare Entwicklungslinie hin zur Erbsündenlehre werden hier (noch) nicht erwähnt oder nachgezeichnet.46 Vornehmlich bezweckt Semler mit seiner Zitatauswahl aus 41 Semler,
»Historische Einleitung«, 281 f. Zu Semlers Auffassung der Schriftgemäßheit vgl. Hornig, Studien, 125–129; Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 148–154. 43 Zur Tradux-Gedanken Tertullians vgl. Anthony C. Thiselton, The Hermeneutics of Doctrine (Grand Rapids, Michigan/ Cambrige, U. K.: Eerdmans Publishing, 2007), 292 f. 44 Die Tertullian-Zitate in Semler, »Historische Einleitung«, 281, Anm. 478 stammen aus Tert., Marc. 2,25 (SC 368, 148–154 Braun); 2,2 (SC 368, 28); 2,10 (SC 368, 78); 2,23 (SC 368, 138). 45 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 281 f., Anm. 478. 46 Semler verweist lediglich knapp auf Rufin und Hieronymus zum Ursprung des tradux- Gedankens bei Tertullian, vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 281, Anm. 478. 42
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Tertullian ohnehin aufzuzeigen, wie widersprüchlich selbst die Ansichten eines einzelnen nordafrikanischen Theologen zu diesem Themenkomplex waren und dass keinesfalls von einer einheitlichen, festgelegten Lehre die Rede sein kann. Exemplarisch mag dafür hinsichtlich der Präsentation der tradux malum nur auf die Gegenüberstellung von Tertullians Adversus Marcionem 2,2 auf der einen und 2,10 und 23 auf der anderen Seite verwiesen werden, mit der Semler aufzeigen möchte, dass Tertullian keineswegs eine einheitliche Herleitung des malum originale (ursprünglichen Bösen) bietet. Dass Semler damit seine Argumentation vorerst abbricht, mag daher nicht überraschen, ist doch schon aufgezeigt, dass selbst in Nordafrika mit seinen theologischen Sonderheiten keine festgelegte Lehre zu diesen dogmatischen Ansichten, wie dem des traduxGedanken, bestand. 2.2.2. Der Sündenbegriff: Sache oder Tat (res oder actus)? Gleichsam zeichnet Semler auch das Bild der Erbsündenlehre und des peccatum originale in seiner weiteren dogmenhistorischen Darstellung. Zuvor wendet er sich aber dem Sündenbegriff an sich zu. Zu diesem Zweck führt er die neun De‑ finitiones des Caelestius an.47 Überwiegend gibt Semler deren Text unkommentiert wieder, mit einer signifikanten Ausnahme: Zur Frage, ob die Sünde reine Tat (actus) oder substantieller Art (res) sei,48 bemerkte schon Caelestius treffend, dass man im zweiten Fall davon ausgehen muss, dass die Sünde als res einen Urheber habe, der ein anderer neben Gott sein müsse. Semler betont freilich, dass die so nötige Annahme eines weiteren Gottes neben dem einzigen Gott impius (gottlos) sei, weshalb man mit Caelestius klar sagen müsse, dass jede Sünde reine Tat sei, nicht aber selbst Substanz und daher auch vermieden werden könne.49 Über den Begriff der Sünde bei Caelestius kann Semler daher frei jeder Kritik vermerken, dass Caelestius nur die actualiter begangenen Taten als Sünde verstanden habe.50 Und das, so können Semlers knappe Kommentare aufgefasst werden, völlig zu Recht. Bemerkenswerterweise möchte Semler sogar Augustins Begriff von der Sünde als mit dem des Caelestius weitgehend übereinstimmend darstellen und bietet dazu folgend drei frei zusammengestellte Augustinuszitate aus unterschiedlichen Lebensabschnitten des Bischofs, die er ohne Angabe der Quelle und ihres inhaltlichen wie zeitlichen Kontextes nebeneinanderstellt, 47 Semler, »Historische Einleitung«, 286, Anm. 484 zitiert die Definitiones nach Ussher, Britannicarum Ecclesiarum Antiquitates (Ausgabe London, 1687), 123 f. 48 Peccatum actus, an res? (Caelest., definitiones 4, zitiert von Semler, »Historische Einleitung«, 286, Anm. 484 nach Ussher, Britannicarum Ecclesiarum Antiquitates [Ausgabe Whole Works, London, 1687], 123). 49 »[P]eccatum omne actum esse, non rem; also vitari potest.« (Semler, »Historische Einleitung«, 286, Anm. 484). 50 »Es ist klar, daß Caelestius sonst nichts peccatum nennen lassen will, als was wir actuale nennen.« (Semler, »Historische Einleitung«, 286, Anm. 484).
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um seine Argumentation uneingeschränkt zu untermauern: Selbst Augustinus habe so zugeben müssen, dass die Wahlfreiheit gegenüber zwei Entscheidungsoptionen wesentlich sei für die Freiheit,51 und betonte an anderer Stelle gar, dass Niemand in dem sündigt, was in keiner Weise vermieden werden kann, sondern Zwang ist.52 Wenn man also wirklich keine Möglichkeit habe, die Sünde zu umgehen, dann ist es keine Sünde oder zumindest keine bewusste, freie Entscheidung für die Sünde. Mit der in die gleiche Richtung der Entscheidungsmöglichkeit weisenden Definition peccatum est voluntas amittendi vel retinendi, quod justitia vetat et unde liberum est abstinere habe Augustinus sogar eine Definition geboten, die selbst Julian von Aeclanum akzeptierte.53 Semlers quellenkritisch fragwürdiges Vorgehen zielt hier deutlich darauf, dem Leser zu vermitteln, dass kein wirklicher Unterschied des grundliegenden Begriffs von Sünde bei den angeführten Autoren vorliegt. Anders als in vorangehenden dogmenkritischen Erwägungen versucht Semler, einen Konsens hinsichtlich des Grundbegriffes Sünde zu konstruieren, der sich a) durch den Charakter der Sünde als Tat, niemals aber als Substanz, und b) der Möglichkeit, die Sünde zu vermeiden, auszeichnet. Freilich zielt dies nicht darauf, einen Zustand der seligen Eintracht zwischen Augustinus und den Pelagianern Caelestius und Julian zu präsentieren: Indem Semler hier hinsichtlich des theologischen Grundbegriffes der Sünde eine für das monotheistische Christentum notwendige Schlussfolgerung all den genannten Autoren zuschreibt, muss folglich in der aus der tradux-Lehre gespeisten Erbsündenlehre ein grundlegender, allgemein logischer Fehler vorliegen. 2.2.3. Augustins Übertragung der Sündenauswirkung auf die Seele des Menschen Semler wendet sich der von Augustinus formulierten Erbsündenlehre aus dogmenhistorischer Perspektive ausführlich in zwei Anmerkungen zu.54 Die 51 Indifferentiam ad utrumque essentialem esse libertati (zitiert nach Semler, »Historische Einleitung«, 287, Anm. 484). 52 [Nemo] peccat in eo, quod caueri nullo modo potest (Aug., lib. arb. 3, 171 [CSEL 74, 131,14– 16 Green]). 53 »Sünde ist der Wille, außer Acht zu lassen oder beizubehalten, was die Gerechtigkeit verbietet und wovon sich fernzuhalten (einem) freisteht.« (Aug., c. Iul. imp. 1,44 [CSEL 85,1, 31 Zelzer]; eigene Übersetzung). »amittere« ist hier schwierig zu übersetzen. Ich denke, dass die Grundbedeutung »verlieren« insofern enthalten ist, als man etwas aus dem Auge verliert, wie etwa eine bestehende Sünde. Man lässt diese Sünde einfach weiterlaufen und entscheidet sich nicht bewusst gegen diese. Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 287, Anm. 484. Anschließend bezieht Semler sich in derselben Anmerkung noch auf Noël Alexandres (1639–1724) kritische Worte gegenüber den Jansenisten in dessen Selecta historiae ecclesiasticae capita, et in loca ejusdem insignia, Dissertationes historicae, chronologicae, criticae, dogmaticae. Saeculi V. Pars prima (Paris: Dezallier, 1679), 83 f. (Saec. 5, Art. 3. [De Pelagianorum erroribus], § 2 [Eorum errores circa Liberi Arbitrii vires]) und die damit verbundene Diskussion um das rechte augustinistische Verständnis vom freien Willen und der Sünde in 17. Jahrhundert. 54 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 291, Anm. 488 und 291 f., Anm. 489.
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erste dieser Anmerkungen knüpft im Fließtext an Semlers kirchenhistorische Darstellung der Ereignisse ab 416 an. Dort berichtet er knapp von den Synoden in Karthago und Mileve sowie von den Schreiben dieser Synoden an den römischen Bischof Innozenz I. und dessen hörige Antwort, die laut Semler zudem die Lehrmeinung des Pelagius nicht korrekt wiedergibt: »[E]s sind uns auch Innocentii Antworten übrig. Er antwortet nach Carthago, wie man es ihm vorsagte. Pelagius lehre: sufficere quod liberum arbitrium cum nasceremur accepimus, ultra iam a domino nihil quaeramus, worin man dem Pelagius unfelbar unrecht that, der ja in lauter orationibus, operationibus und ἀσκησεσι begriffen war, aber eben dis, orare, operi, was die Volziehung des actus betrift, dem Menschen, der Gnade aber die Beförderung zum Wollen, velle, orare, beilegte.«55
Semler bezieht sich hier auf die von Pelagius bei Augustins De gratia Christi 4,5 geschilderte Zuweisung der menschlichen Fähigkeiten posse, velle, esse/operi.56 Das Können verdankt der Mensch demzufolge allein der Gnade Gottes, woraus wiederum der freie Wille und der Vollzug der so frei getroffenen Entscheidung resultieren. Semler schildert dies hier freilich etwas gebrochen, da Pelagius in erster Linie die Fähigkeiten velle und esse auf den Menschen bezieht und nur in zweiter Linie die Unterstützung Gottes durch seine Gnade zum velle betont. In seiner Kritik an Innozenz schwenkt Semler nun auf Innozenz’ eigenes Verständnis der Verdorbenheit der menschlichen Natur über: »Daneben beschreibt er [Innozenz] das Verderben des Menschen selbst nicht richtig: nescientes, nisi magnis precibus gratia in nos implorata descendat, nequamquam terrenae labis et mundani corporis, vincere conemur errores.«57
Semler kritisiert mittels der Anführung dieses Zitats aus Innozenz’ Antwortschreiben vom 27. Januar 417 an das Konzil von Karthago, dass Innozenz den augustinischen Gnaden‑ und Sündenbegriff nicht in seiner ganzen Konsequenz verstanden hat, und dass seine Lehrmeinung sich von der des Augustinus signifikant unterscheidet, da nach dessen Verständnis die Gnade vom sündhaften Menschen nicht durch sein Tun und Beten herbeigezwungen werden kann. Zudem verortete Innozenz das »malum originale im Körper« und so »verstunden es wirklich in dieser Zeit manche Liebhaber der Hypothese von traduce«.58
Semler, »Historische Einleitung«, 290 f. Aug., gr. et pecc. or. 1,4 f. (CSEL 42, 127 f. Urba/Zycha). Zu diesen Fähigkeiten vgl. Anthony Dupont, »The Question of the Impact of Divine Grace in the Pelagian Controversy. Human posse, uelle et esse according to Pelagius, Jerome, and Augustine«, RHE 112 (2017): 539–568. 57 Semler, »Historische Einleitung«, 291 (im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler). Das Zitat stammt aus Aug., ep. 181,5 (CSEL 44, 707,14–708,16 Goldbacher / FC 58,2, 534 Sieben). Damit antwortete Innozenz auf das vorangehende Schreiben der Synode von Karthago von 416, vgl. Aug., ep. 177 (CSEL 44, 669–688 Goldbacher). 58 Semler, »Historische Einleitung«, 291, Anm. 488. 55
56 Vgl.
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Von Irenäus’ Zeiten an sei als Folge der Sünde Adams folglich vornehm die Verdorbenheit und Sterblichkeit des Leibes (corruptionem und mortalitatem in corpore) ausgemacht worden. Eine innere Auswirkung der Sünde auf die Seele des Menschen und deren Vermögen hingegen und somit auch konkrete moralische Folgen, seien kaum im Blick der Vorgänger Augustins gewesen.59 Sie hätten, so verteidigt Semler Pelagius, »bisher alle corruptionem in den Leib gesetzt, und daher desselben incorruptionem aus Christi incarnatione und resurrectione gelehret«.60 Semler argumentiert hier also mit einem christologischen Argument: Christi Fleischwerdung und dessen ausdrücklich leibliche Auferstehung geschehen in der Ansicht damaliger Theologen zur Erlösung des Leibes von einer solchen Korruption.61 Zudem habe Augustinus auf eine allgemeine Verdammung aller Menschen als Auswirkung des Sündenfalls Adams geschlossen, nicht jedoch im Umkehrschluss auf eine »algemeine Erlösung und Verschaffung der moralischen Ausbesserung und Seligkeit«,62 die auf jene Verdammung durch die Versöhnungstat Christi erlösend antwortet.63 Auch die von Augustinus als notwendiges und unwiderstehliches Mittel zur Vorherbestimmung zum Heil (praedestinationem ad salutatem) aufgefasste Taufgnade (gratia baptismi) – ohne die ungetauften Menschen keine Gnade, dafür aber die Verdammung zugesprochen wird – betrachtet Semler zusammen mit den anderen genannten Lehrmeinungen Augustins als »Vorstellungen«, die »allerdings neu und unbekant« gewesen seien.64 Wenn man nun aber Augustinus als das Maß aller Dinge in den angesprochenen dogmatischen Lehrmeinungen ansetzen würde, müssten »alle Lehrer vor den Augustinus, entweder Pelagianer oder Semipelagianer heissen«,65 spöttelt Semler ironisch. Aufgrund jener laut Semler weitgehend akzeptierten Verortung des Bösen im Körper habe auch Pelagius seine prägnante Argumentation zur Schlüsselstelle Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 305, Anm. 500. Semler, »Historische Einleitung«, 291, Anm. 488. 61 Man sollte an dieser Stelle jedoch Semlers »bisher« nicht übersehen, da sich in den christologischen Dogmatisierungen der folgenden Jahrzehnte und Jahrhunderte ein anderer Trend zeigt und festigt, der betont, dass Christus als ganzer Mensch, also mit Leib und Seele, für die Sünden der Menschen gestorben sei; insbesondere das apollinarische Konzept, dass das oberste Seelenvermögen des Menschen Jesu durch den Logos ausgetauscht sah, fand dementsprechend Wiederspruch, sah man so zwar den Leib des Menschen, nicht aber auch seine Seele von der Sündenschuld freigekauft, vgl. hierzu Wolf-Dieter Hauschild, Lehrbuch der Kir‑ chen‑ und Dogmengeschichte. Band 1, Alte Kirche und Mittelalter. 4. Aufl. (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2010), 171–173; sowie Carl Andresen/Adolf Martin Ritter, Geschichte des Christentums I/1. Altertum. ThW 6/1 (Stuttgart: Kohlhammer, 1993), 84. 62 Semler, »Historische Einleitung«, 305, Anm. 500. 63 Schon hier finden sich Anklänge der Kritik an den christologischen Vorstellungen Augustins, die sich für Semler vor allem in dessen Verkürzung der Satisfaktionsleitung bzw. Versöhnungstat Christi zeigen, siehe unten S. 202–206. 64 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 305, Anm. 500. 65 Semler, »Historische Einleitung«, 305, Anm. 500. 59 60
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Röm 5,12 vornehmen können:66 Wenn die Seele Pelagius zufolge nicht wie das Fleisch ex traduce (aus der Fortpflanzung) hervorgeht, wäre es somit ungerecht, dass diese nicht ex massa Adae geborene oder geschaffene Seele, eine alte, fremde Sünde, also Erbsünde, zu tragen habe. Wenn dies zutrifft, so habe Pelagius zufolge nur das Fleisch die Fortpflanzung der Sünde und entsprechende Bestrafung zu tragen. Die stärkere Traditionslinie der damaligen Zeit sieht Semler folglich dadurch vertreten, dass eine traduzianistische, genetische Vorstellung allein für die Genese des Leibes angenommen wurde, nicht aber für die Entstehung der Seele, wie es aus Augustins Schriften bisweilen – aber nicht konsequent! – herausgelesen werden kann.67 Semler betont ferner, dass nicht nur Pelagius, sondern auch »alle Mönche« und die heidnischen Philosophen »Affekten und Ausbrüche der Begierden durch den Körper, für Sünden« erklärten, und »sie auch durch Fasten und Wachen« gezielt vermieden.68 Die Tradition und Mehrheit ging damals demzufolge von einer alleinigen Körperbezogenheit der Sünde aus – frei jeder Auswirkung auf die Seele und den freien Willen –, die zudem durch einen moralisch einwandfreien Lebenswandel gezielt und bewusst vermieden werden könne.
66 »Inocentius wil originale peccatum beschreiben; und nent, mundani corporis et terrenae labis errores; also sitzt malum originale im Körper, und dessen irdischer Beschaffenheit. So verstunden es wirklich in dieser Zeit manche Liebhaber der Hypothese von traduce; daher Pelagius über Röm. 5,12 […] den Einwurf machen konte: Illud quoque accredit, quia, si anima non est ex traduce, sed sola caro, ipsa tantum habes traducem peccati, et ipsa sola poenam meretur und folglich ist iniustum, ut hodie nata (oder creata) anima, non ex massa Adae, tam antiquum peccatum portet alienum.« (Semler, »Historische Einleitung«, 291, Anm. 488, mit Zitat aus Aug., pecc. mer. 3,5 [CSEL 60, 132,9–13 Urba/Zycha], der hier Pelagius wiedergibt). 67 Es lassen sich drei Positionen zur Herkunft der menschlichen Seele differenzieren: Der Kreatianismus geht von der Erstschöpfung einer neuen Seele durch Gott bei jedem Zeugungsakt aus. Der Präexistentialismus betont die Existenz der ewigen Seelen schon vor dem fleischlichen Zeugungsakt. Die Anhänger des Traduzinianismus hingegen folgen der Ansicht, dass sich die Seele von Vater und Mutter auf deren Kind vererbt und aus deren Eigenschaften zusammensetzt. Zu diesen Ansichten vgl. Pannenberg, Systematische Theologie 2, 212; zum Traduzianimus Tertullians vgl. Heinrich Karpp, Probleme altchristlicher Anthropologie: bib‑ lische Anthropologie und philosophische Psychologie bei den Kirchenvätern des dritten Jahr‑ hunderts. BFChTh 44,3 (Gütersloh: Bertelsmann, 1950), 59 f. Augustins Position zur Frage nach der Herkunft der Seele blieb unentschlossen, auch wenn sich aufgrund der Erbsündenlehre eine Präferenz des traduzinianischen Seelenverständnisses nahelegt. M. E. war sich Augustin jedoch der Probleme einer traduzinianischen Seelenkonzeption bewusst und haderte daher in einigen seiner Schriften mit einem klaren Bekenntnis zu dieser Vorstellung, obwohl sie doch für seine Konzeption der Erbsünde, die sich eben nicht allein auf den Leib des Menschen, sondern immer auch auf dessen Seele bezieht, unabdingbar war. Gegenüber Optatus äußerte Augustinus sich bezüglich der kreatianischen Auffassung noch 418 zögerlich, vgl. Aug., ep. 190,1 (CSEL 57, 140,10–141,3 Goldbacher) sowie 4–5 (CSEL 57, 149,3–154,4 Goldbacher); zu Augustins Position vgl. auch Karpp, Probleme, 243–246. 68 Semler, »Historische Einleitung«, 291.
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2.2.4. Augustins Vorstellung vom peccatum originale im Widerspruch zur westlichen Kirche Semler geht es letztlich darum, zu zeigen, dass zu dieser Zeit außer Augustinus noch niemand den Begriff von einem originale malum respektive peccatum vertreten habe.69 Er stellt zu Beginn der zweiten ausführlichen Anmerkung zum Erbsündenkomplex fest, »daß selbst die sogenanten Catholici erst nach und nach ihre Gedanken und Vorstellungen von originale peccatum in gehörige Beschaffenheit und Ordnung gebracht haben«.70 Um den anfänglichen, signifikanten Unterschied zwischen den »Catholici« und Augustin zu betonen, führt Semler weitere zwei Äußerungen Innozenz’ I. als Vertreter71 der römisch-katholischen Fraktion an, die erneut dem Schreiben vom 27. Januar 417 an das Konzil von Karthago entnommen sind und kommentiert diese.72 Semler bemerkt zu den Zitaten Innozenz’ programmatisch einleitend: »Hier ist also Augustini Begrif vom originale malum noch nicht.«73 Denn erstens schreibe Innozenz, dass »Christus […] redemit hominem a praeter‑ itis peccatis«. Aufmerksam notiert Semler hierzu, von einem Plural der Sünden sei bei Augustinus anders als hier bei Innozenz nicht die Rede gewesen, da doch von Augustinus die eine Erbsünde in Gestalt des peccatum originale von diesem behauptet wurde, Innozenz jedoch von den actualiter begangenen Sünden im Plural spricht.74 Zweitens äußere sich Innozenz über das Vermögen, wieder sündigen zu können mit den Worten [Christus] sciens, hominem posse iterum peccare. Das Adverb iterum sieht Semler nun »klar wider den Begrif von Erbsünde, den Augustinus behauptete«,75 gestellt, setzt dieses iterum erstens einen in seiner Entscheidung freien Willen voraus und impliziert zweitens die freie Potenz auch nach der Erlösung von vergangenen Sünden, sich wieder zu verfehlen. Folgt man der Logik Semlers, kann somit dieses Schreiben Innozenz’, das eigentlich »im Widerspruch gegen den Pelagius« verfasst wurde, als Zeugnis der römischen Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 291. Semler, »Historische Einleitung«, 291, Anm. 489. 71 »Innocentius, der doch nach dem Sin der Kirche hierin redet […].« Semler, »Historische Einleitung«, 291, Anm. 489). 72 Die Zitate setzt sich aus zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Abschnitten dieses Briefes zusammen: a) Christi pro sua gratia relevasset adventus, qui per novae regenerationis purificationem omne praeteritum vitium sui baptismatis lavacro purgavit (Aug., ep. 181,7, [CSEL 44, 710,15–17 Goldbacher / FC 58,2, 536 Sieben]) und b) quamvis hominem redemisset a praeter‑ itis ille peccatis, tamen sciens iterum posse peccare (Aug., ep. 181,7 (CSEL 44, 710,19 f. Goldbacher / FC 58,2, 536 Sieben]). Die Zitate sind auch in den pseudo-cölestinischen Kapiteln bzw. Indiculus 1 und 3 enthalten (Text in: DH 239 und 241). 73 Semler, »Historische Einleitung«, 291. 74 »[V ]om plurali war aber die Rede nicht, zumal bey Kindern, wo doch peccatum originale sollte behauptet werden.« (Semler, »Historische Einleitung«, 291). 75 Semler, »Historische Einleitung«, 291, Anm. 489. 69 70
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Mehrheitskirche gegen Augustins Vorstellung des einen peccatum originale und zugunsten der Vorstellung einer Vielzahl persönlicher Sünden und eines in seinen Entscheidungen freien Willens verstanden werden. Augustinus selbst habe »zur Unzeit«, wie Semler anmerkt, in der späteren Auseinandersetzung mit Julian von Aeclanum den Unterschied zwischen der einen Sünde und den vielen Sünden wahrgenommen und die damit verbundenen Konsequenzen herausgestellt. Ein bedeutendes Zeugnis gibt hiervon Augustins Contra Iulianum 1,21 f.,76 welches Semler in Auszügen zitiert.77 Augustinus gibt dort, um dessen Argumentation zu entkräften, Julian wieder, der sich wiederum auf den sermo ad Neophytos des Johannes Chrysostomus beruft.78 Semler zitiert nach Augustins Contra Iulianum nun Chrysostomus: Infantes baptizamus, cum non sint coinquinati peccato.79 Julian beruft sich in seiner Argumentation gegen die Annahme einer Erbsünde auf Chrysostomus, da dessen zuvor zitierter Ausspruch so interpretiert werden könnte, als richte er sich mit der Benutzung des Singulars peccatum gegen die Annahme eines peccatum originale. Dem begegnete Augustinus äußerst spitzfindig damit, dass er diese vermeintliche Fehlannahme natürlich nicht Julian selbst anlasten wolle, vielmehr dem Übersetzer der Homilie des Chrysostomus, da andere Handschriften durchaus die (für Augustinus korrekte) Lesart »Sünden« statt »Sünde« haben.80 Augustinus, wie Semler ihn weiter zitiert, suggeriert, dass es sich beim Vorzug des Singulars nicht um bewusste Verfälschungen in diesen Handschriften handle, womit Augustinus wohl eine Verfälschung durch die Hand der Pelagianer meine, so Semler weiter.81 Die Absicht der Verfälscher sei, so Augustinus, dass der Leser oder Zuhörer denke, hiermit sei die eine Sünde des ersten Menschen Adam gemeint und somit in ihrer Übertragung auf die Kinder letztlich verworfen.82 Anschließend führt Semler noch Augustins Bemerkung an, dass im griechischen Urtext bei Vgl. Aug., c. Iul. 1,21 f. (PL 44, 654–656). Semler, »Historische Einleitung«, 291 f., Anm. 489. 78 Zu Inhalt und Überlieferung des sermo ad neophytos von Johannes Chrysostomus vgl. Reiner Kaczynski, »Einleitung«, in Johannes Chrysostomus. Catecheses baptismales. Taufktechesen. Erster Teilband. Übersetzt und eingeleitet von Rainer Kaczynski. FC 6 (Freiburg/ Basel/Wien: Herder, 1992), 36 f.57 f., zu Augustins Umgang mit den Zitaten Chrysostomus’ vgl. Berthold Altaner, »Augustinus und Johannes Chrysostomus«, in Berthold Altaner. Kleine Patristische Schriften, hg. v. Günter Glockmann, 302–311. TU 83 (Berlin: Akademieverlag, 1967), 304 f. 79 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 291, Anm. 489, Zitat nach Aug., c. Iul. 1,21 (PL 44, 655) = Chrys., catech. (sermo ad neophytos) 3,6 (SC 50, 170 Wenger). 80 Hoc non tibi tribuerim, sed interpreti, quamquam in allis codicibus eamdem inter‑ pretationem habentibus, non peccato sed peccatis legatur; (Aug., c. Iul. 1,22 [PL 44, 655]), vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 281, Anm. 478. 81 [U]nde miror, si non aliquis ex numero vestro singularem maluit numerum adscribere […] (Aug., c. Iul. 1,22 [PL 44, 655]). Semler bemerkt dazu ironisch: »Pelagianer hätten es wohl verfälscht.« (Semler, »Historische Einleitung«, 291, Anm. 489). 82 [U]t unum primi hominis peccatum venire in mentem. (Aug., c. Iul. 1,22 [PL 44, 656]), vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 292, Anm. 489. 76
77 Vgl.
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Chrysostomus eindeutig der Plural verwendet werde, der wiederum zugunsten der Argumentation Augustins auf die Freiheit der Säuglinge von actualiter begangenen Sünden bezogen werden kann, nicht jedoch auf eine Leugnung der Erbsünde durch Chrysostomus.83 Doch was möchte Semler mit diesem Exkurs und üppigen Zitaten aus Innozenz’ Schreiben und Augustins Schrift gegen Julian belegen? In erster Linie, dass trotz des Anschlusses des römischen Bischofs an die Verurteilung pelagianischer Lehren, dieser keineswegs mit Augustinus einer Meinung hinsichtlich des Sündenverständnisses war: Innozenz’ Sündenbegriff, den Semler stellvertretend für den der römischen Mehrheitskirche anführt, umfasst in der Darstellung Semlers nur die im Plural zu fassenden persönlichen Sünden, die zudem dem Leib anhängen und gezielt vermieden werden können. Die Annahme einer (Erb‑)Sünde, also des einen peccatum originale, wie sie durch Augustinus proklamiert wurde, vertritt Innozenz stellvertretend für Rom und den Westen nicht. Letztlich dienen die Ausführungen Semlers also dazu aufzuzeigen, wie sehr sich das Sündenverständnis der Mehrheitskirche von dem Sündenbegriff Augustins in seiner neumodischen Zuspitzung als Erbsünde unterschied, und dass selbst in der letzten Phase des pelagianischen Streites eine klare Festlegung und Definition der Erbsündenlehre noch nicht getroffen war. Augustinus weicht mit seinem peccatum originale somit – anders als Pelagius und seine Anhänger, die sich in der grundliegenden Auffassung der Sünde allein als Tat in bester katholischer Gesellschaft befinden – von der Tradition deutlich ab. 2.3. Vielfältige Lehrmeinungen über Begründung und Zweck der Taufe und Kindertaufe 2.3.1. Uneinheitliche Taufverständnisse vor Beginn des Streites Analog zur Darbietung des tradux-Gedankens und der Erbsündenlehre verfährt Semler hinsichtlich der dogmengeschichtlichen Dimension von Taufe und Katechumenat.84 Die Taufe sei freilich schon im fünften Jahrhundert allgemein verbreitet als Gnade Gottes verstanden worden. Semler führt zur Belegung einige Ansichten über die Wirkung der Taufe an: »post acceptam dei gratiam, sol man nicht administrare, weltliche Geschäfte und Einkünfte besorgen; da verstund man, in baptismo omnia dimittuntur etc.«85 Dieser Ansicht stellt Semler wieder Äußerungen Innozenz’ I. entgegen. In dessen Schreiben an die Synode von Toledo aus dem Jahr 404 kritisierte der römische Bischof, dass es eine völlig absurde Vorstellung sei, anzunehmen, dass 83 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 292, Anm. 489, mit Zitat aus Aug., c. Iul. 1,22 (PL 44, 655 f.). 84 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 281, Anm. 478. 85 Semler, »Historische Einleitung«, 281, Anm. 478.
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mit der Taufe alles Vorangehende hinweggenommen sei und somit auch jegliche von den Katechumenen vor der Taufe vollbrachte Gerechtigkeit.86 Semler möchte nicht nur diese unterschiedlichen Taufverständnisse offenlegen, sondern zugleich den Widerspruch bei Innozenz aufzeigen, dass der Heilige Geist zwar erst mit der Taufe erteilt werde, Innozenz aber zugleich lehre, dass in den Katechumenen schon vor der Taufe die Gerechtigkeit wirksam sei.87 Letztlich bezweckt Semler mit diesen Zitaten Innozenz’ erneut aufzuweisen, wie groß noch die Unklarheiten über das rechte Taufverständnis, wie zuvor in seinen Ausführungen zum tradux-Gedanken, im vierten und fünften Jahrhundert waren: »So ungewis war man noch.«88 Neben seinem Versuch einer solchen knappen dogmengeschichtlichen Darstellung, die aber verständlicherweise nur fragmentarisch verbleibt, möchte Semler vor allem die Besonderheiten der nordafrikanischen Kirche und die Widersprüchlichkeit, Unbestimmtheit und bisweilen Absurdität der zur damaligen Zeit gemeinhin vertretenen theologischen Ansichten offenlegen. Insbesondere aber der Gedanke, dass zu all diesen theologischen Ansichten noch keine festgelegte, eindeutige Lehre bestand, wird von Semler wiederholt – zugunsten Pelagius’ und gegen Augustins dem vermeintlichen Tatsachenbestand widersprechende Behauptungen – stark gemacht. 2.3.2. Das Verständnis der Kindertaufe in Nordafrika im Gegensatz zur mehrheitskirchlichen Tradition Gewichtiger als das Verständnis der Taufe an sich war im pelagianischen Streit, insbesondere in seiner ersten Phase, die Frage nach der Notwendigkeit der Kindertaufe im Speziellen. Semler bemerkt dazu: »Die Kindertaufe wurde von niemand bestritten; aber über den besondern Grund derselben, ausser und neben der Verordnung Christi und der Kirche, welcher Grund in dieses peccatum originale gesetzt wurde, war man streitig.«89
Semler stellt also durchaus zutreffend fest, dass die Pelagianer, allen voran Caelestius in Karthago um 411, keinesfalls die Sache selbst, also die Kindertaufe angezweifelt haben. Vielmehr haben auch die Pelagianer die Notwendigkeit zur Kindertaufe, genauso wie die Nordafrikaner, akzeptiert und öffentlich vertreten. Gestritten wurde berechtigterweise letztlich nur über die Begründung dieser Notwendigkeit der Kindertaufe. Die Kindertaufe wurde als unzweifelhaft 86 So gibt Innozenz der Synode zu bedenken: Quod ante baptismum uxor accepta non debeat imputari […] Quod si secundum illos qui ita credunt verum est; ergo omnis justitia, quae a cate‑ chumenis ante baptismum fuerit operata, per baptismum auferetur (zitiert nach Inn., ep. 4 [PL 20, 493 / FC 58,2, 402,7 f.14–16 Sieben]). Innozenz argumentiert hiermit freilich vor allem gegen ein Taufverständnis, welches die Auflösung von vor der Taufe bestehender Eheverhältnisse impliziert. 87 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 282, Anm. 278. 88 Semler, »Historische Einleitung«, 282, Anm. 278. 89 Semler, »Historische Einleitung«, 282.
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nötig angesehen; aber warum dies so sei, war bekanntlich nicht festgelegt und zudem eine strittige theologische Frage – aber keine Ansicht zur Begründung der Kindertaufe könne als Häresie bezeichnet werden, solange sie nicht der Schrift widerspreche. Genau genommen wurde laut Semler über eine ganz konkrete Begründung gestritten, nämlich die durch die Erbsündenlehre. Die Kritik Semlers an dieser Sonderlehre ist durchaus scharf, betont er doch im obigen Zitat, dass diese Begründung der Kindertaufe zusätzlich zur und außer‑ halb der eigentlichen Anordnung zur Taufe durch Christus selbst als auch der kirchlichen Taufpraxis und ‑lehre stünde: es ist schriftgemäß, Kinder zu taufen, da auch Christus dies forderte. Und die bisherige mehrheitskirchliche Taufpraxis im fünften Jahrhundert folgte dieser Aufforderung ohne einer neben die Forderung Christi tretenden Begründung durch das peccatum originale zu bedürfen. Die Formulierung Semlers legt aber nicht nur eine willkürliche Setzung der Erbsündenlehre zur Rechtfertigung der Kindertaufe durch die Nordafrikaner nahe, sondern verdeutlicht zugleich, dass es sich dabei um eine neue Lehrentwicklung, ja einen späten, nachträglichen Einschub handelt, der keineswegs der bisherigen Tradition der Kirche entsprach. Doch was war die bisherige, traditionelle Lehrmeinung zur Kindertaufe? Semler fährt dazu fort: »[I]ndem diejenigen, welche die ältere Lehrart gewont waren, einen solchen Grund in den Kindern nicht zugaben, bey denen peccatum, ein actus nemlich, voluntatis oder des eigenen Bewustseyns, wie es bisher am meisten stets verstanden wurde, noch nicht statt finden könte.«90
Zwar führt Semler hier die »ältere Lehrart« noch nicht weiter aus, aber die Formulierung zeigt erneut, dass die Erbsündenlehre eine Neuerung der jüngsten Zeit darstellen muss. Zudem betont Semler, die Annahme eines peccatum originale zur Begründung der Kindertaufe widerspräche der geläufigen Vorstellung zur Beschaffenheit des Kindes und zur Sünde selbst: Die Sünde (peccatum) wurde ausschließlich als willentliche beziehungsweise bewusste Handlung (actus) des mündigen Menschen verstanden. Nur was der Mensch in Gedanken oder als aktive Handlung vollzieht, kann in diesem Sinne als Sünde gelten. Neugeborene seien jedoch nicht zu diesem willentlichen oder faktischen Akt fähig, da sich die dazu erforderlichen geistigen (und physischen) Eigenschaften des Menschen in ihnen noch nicht entwickelt haben, sie also keine Schuld tragen können. Mehr noch, diese Annahme des peccatum originale widerspräche in ihrer Willkürlichkeit und Gnadenlosigkeit der Gerechtigkeit Gottes, so Semler: »Eine felerhafte Beschaffenheit aber anzunehmen, ohne alle Schuld der Kinder, schiene wider die Gerechtigkeit und Güte GOttes gleich gut anzustoßen.«91 Es drängt sich die Frage auf, wessen Ansicht Semler eigentlich wiedergibt: Die der spätantiken Mehrheitskirche, der Pelagianer oder gar seine eigene? Semler, »Historische Einleitung«, 282. Semler, »Historische Einleitung«, 282.
90 91
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Vermutlich deckt sich seine dogmenhistorische Rekonstruktion hier deutlich mit seinen eigenen Ansichten zur strittigen Frage. Einen sicheren Beleg für die ältere nordafrikanische Lehrart will Semler an dieser Stelle bei Tertullian selbst gefunden haben: »Wenn auch Tertullianus unbeständig und ungewis redet, so ist doch von einigen Stellen nicht zu leugnen, daß er deutlich genug sich ausgedruckt. Er legt Kindern innocentiam bey.«92
Zum Beleg dieser Aussage offeriert Semler einige Zitateinsprengsel aus Tertullians De Anima und weitere Exkurse hierzu, die er vollständig William Walls Historia Baptismi Infantum entnahm.93 Semler stellt der Behauptung Tertullians von der Unschuld der Neugeborenen Tertullians eigene traduzianistische Aussagen entgegen, dass jede Seele aus Adam geboren werde und unrein sei.94 Semler führt zur Erklärung weitere Zitate Tertullians an, denen zudem zu entnehmen ist, dass dieser keine Notwendigkeit zur übereilten Kindertaufe sah,95 da sich in den unschuldigen Kindern schließlich noch keine aktiv begangene, persönliche Sünde manifestiert habe. Somit sieht Semler in Tertullian Aussagen anders als Wall keinen Widerspruch,96 da er die Unschuld der Kinder letztlich darin sieht, dass sie keine aktive, persönliche Sünde begangen haben und daher auch keine Schuld tragen. Zudem bemerke Tertullian an anderer Stelle, dass (fast) keine Geburt rein bleibe; denn sie sei heidnisch und darum habe der Apostel gesagt, dass, wenn beide Geschlechter geheiligt seien, Heilige daraus hervorgingen.97 Semler bezweckt mit dieser Zitatzusammenstellung und Gegenüberstellung, Tertullian als einen Gewährsmann für die ältere Lehrmeinung zur Herkunft der Seele und daher der Frage nach der Notwendigkeit der Kindertaufe zu 92 Semler,
»Historische Einleitung«, 282. hat hier, mit einigen Kürzungen und knappen eigenen Anmerkungen, vollständig auf Wall, Historia Baptismi infantum 1, 63–65 zurückgegriffen. In § 6 liefert Wall dort auch die nachfolgenden Zitate aus Tert., An. 39 f. (CSEL 20, 366–368 Reifferscheid/Wissowa), im darauffolgenden Paragraphen die auch bei Semler zu findenen Zitate zur Kindertaufe von den beiden französischen Autoren Jean Cabassut (1604–1685) und Nicolas Rigault (1577–1654), der eine Edition von Tertullians Schriften erstellte. 94 »Omnem animam ex Adamo procreatam (er hielte die Seele mit mehrern für materiel), immundam esse.« (Semler, »Historische Einleitung«, 283). 95 Vgl. Tert., Bapt. 18,5 (CChr.SL. 1, 293 Dekkers): quid festinat innocens aetas? Vgl. hierzu Pier F. Beatrice, The Transmission of Sin: Augustine and the Pre-Augustinian Sources (Oxford: Oxford University Press, 2013), 86 und Gerard Lukken, Original Sin in the Roman Li‑ turgy: Research into the Theology of Original Sin in the Roman Sacramentaria and the Early Baptismal Liturgy (Leiden: Brill, 1997), 193 f. 96 »Beides widerspricht sich also nicht; obgleich Wall es so ansieht.« (Semler, »Historische Einleitung«, 283). 97 Adeo nulla ferme nativitas munda est, utique ethnicorum. Hinc enim et apostolus ex sanctificatio alterutro sexu, sanctos procreari ait. (Tert., An. 39 [CSEL 20, 367,2–4 Reifferscheid/ Wissowa]). Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 283. Semler stellt sich im Text die Frage, ob das fere (fast) wohl von katholischen Schreibern eingefügt wurde. 93 Semler
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präsentierten: Zwar stamme die Seele jedes einzelnen Menschen letztlich von Adam als dem Urmenschen ab, aber wenn sich zwei bereits geheiligte, also gläubige und mit dem heiligen Geist getaufte Christen zum Geschlechtsakt vereinen und ein Kind hervorbringen, so ist auch dieses trotz der letztlichen Abstammung von Adam geheiligt und würde folglich im Falle eines frühzeitigen Todes keinesfalls der Verdammung anheimfallen. Eine Art von Ursünde würde sich also nicht auf die nächste Generation fortpflanzen. Zwar expliziert Semler dies nicht, aber angesichts der Zitatzusammenstellung ist dies eine sich aufzwingende Folgerung. Interessanterweise deckt sich diese Ansicht mit einer Aussage Pelagius’ aus dessen expositio in epistulam ad Romanos 5,15, wie sich Semler freilich bewusst war, auch wenn er dies hier nicht erwähnt.98 Dennoch lässt sich beobachten, dass Semlers Versuch, eine scheinbar in sich widerspruchsfreie Ansicht Tertullians zur Frage nach der Notwendigkeit der Kindertaufe herauszuarbeiten, nicht wirklich aufgeht: Die angeblich so klare Aussage Tertullians, dass Kinder unschuldig seien, relativiert sich mit jedem weiteren Zitat des nordafrikanischen Kirchenvaters.99 Zudem wird letztlich fraglich, ob Tertullian nicht doch als ein Beleg dafür gelten könnte, dass schon vor dem pelagianischen Streit nicht nur die Begründung der Kindertaufe unklar war, sondern zugleich die Kindertaufe selbst in ihrer Notwendigkeit angezweifelt wurde, was aber freilich nicht Semlers Aussage über die laut ihm nicht bezweifelte Notwendigkeit der Kindertaufe im pelagianischen Streit selbst widerlegt. Tertullian wäre somit– und darauf kommt es Semler letztlich besonders an – Zeuge für die Erbsündenlehre als einer späteren Erfindung. Was nun die Vorstellung von Zweck und Ziel, nicht der ursächlichen Begründung der Kindertaufe unmittelbar vor Beginn des pelagianischen Streites anbelangt, so ist sich Semler sicher, dass Augustinus und viele weitere Kirchenväter noch völlig im Unklaren darüber waren, ob ungetauft verstorbene Säuglinge einer ewigen Verdammnis anheimfallen oder zunächst »in einem mittlern Zustande«, also in einem Läuterungszustand, verweilen.100 Welche Positionen nun genau vertreten wurden und wie diese sich voneinander unterschieden oder bei einzelnen Theologen variierten, führt Semler nicht aus, sondern verweist erneut auf Walls Historia baptismi infantum für eine umfängliche Darlegung der verschiedenen Lehrmeinungen.101 Relevant ist für Semler 98 Der Satz lautet: si baptismum mundat antiquum illut delictum, qui de duobus baptizatis nati fuerint debent hoc carere peccato. Non enim potuerunt ad filios tra[n]smittere quod ipsi minime habuerunt. (Pelag.-haer., exp. in Rom V 15, zitiert nach Alexander Souter, Pelagius’ Expositions of Thirteen Epistles of St Paul. II. Text and Apparatus Criticus. TaS IX [Cambridge: Cambridge University Press, 1922/1926], 47,4–7). Vgl. hierzu Löhr, »Exkurs«, 193. 99 Semler zitiert beispielsweise auch die Ansicht Tertullians zum Unterschied christlicher und nichtchristlicher Kinder: anima omnis eo usque in Adam censetur, donec in Christo recenseatur. (Tert., An. 40 [CSEL 20, 367,12 f. Reifferscheid/Wissowa]). 100 Semler, »Historische Einleitung«, 283. 101 Vgl. Wall, Historia Baptismi infantum 1, 208.
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hier ohnehin erneut vor allem die Feststellung, dass zur Zeit des Ausbruchs des pelagianischen Streites die Widersacher des Pelagius selbst keine eindeutige oder festgelegte Meinung zur Kindertaufe vertreten haben. 2.3.3. Die Position der Pelagianer zur Kindertaufe und ihre Begründung in der kirchlichen Tradition Dieser Argumentationslinie geht Semler konsequent nach:102 Zu Beginn seiner kirchenhistorischen Darstellung vom Anfang des pelagianischen Streites gibt er die Verwerfungssätze aus der Anhörung Caelestius’ in Karthago 411 wieder.103 Zusätzlich zu diesen zitiert Semler aus dem 157. Brief Augustins kritische Aussagen des nordafrikanischen Bischofs zu Caelestius’ Begriff der Sündlosigkeit und Kindertaufe.104 Zum daraus entnommenen Augustinus-Zitat Unde enim re dimendi sunt, nisi a diaboli potestate? bietet Semler eine ausführliche Anmerkung über redimendi und befasst sich dort aus dogmenhistorischer Perspektive mit Ansichten zu Ursache und Zweck der Kindertaufe.105 Dazu zitiert er nun wiederum eine gegen die Pelagianer gerichtete Stelle aus Augustins pecc. mer. 1,26.106 Dort argumentiert Augustinus, dass, da die Kinder von den Folgen der Sünde erlöst werden müssen, sie aber selbst in diesem Alter noch keine Sünde aktiv begangen haben können, folglich nur die Ursprungssünde verbleibe. Semler tut diese Schlussfolgerung jedoch direkt und treffend als petitio principii, also als Zirkelschluss, der das zu Beweisende bereits als zutreffend voraussetzt, ab. Ohnehin hätten die Pelagianer – und prinzipiell vollkommen unanstößig – die Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 284 f. mit Anm. 481. Die übliche Bezeugung geht von sechs (vgl. Aug., gest. Pel. 23 [CSEL 42, 76,15–77,16 Urba/Zycha]) beziehungsweise acht Verwerfungssätzen aus (vgl. Mercat., Commonitorium super nomine Caelestii [Collectio Palatina 36; ACO 1,5,1; 65–70]), vgl. hierzu Drecoll, »Auseinandersetzung«, 180 f. Semler, »Historische Einleitung«, 284 bietet hingegen sieben Thesen, die er nach eigener Aussage in Anm. 480 Usshers und Walls Arbeiten entnommen hat. Sie stellen eine Mischform der gängigen Bezeugungen dar. 104 Semler, »Historische Einleitung«, 284 (im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler): ubi, quamquam noluerit de originali peccato aliquid expressus dicere, tamen ipso redemtionis nomine non parum sibi praescripsit. Unde enim redimendi sunt, nisi a diaboli potestate; in que esse non possunt, nisi originalis obligatione peccati. Aut quo pretio re dimuntur, nisi originalis obligatione peccati. Aut quo pretio redimuntur, nisi Christi sanguine, […] quod in remissionem effuses est peccatorum. Das Zitat stammt aus Aug., ep. 157,22 (CSEL 44, 471,12–18 Goldbacher). Semlers Hinweis »Es habe Caelestius beim Synodo libellum überreicht« ist hierzu irreführend, und dürfte sich auf Aug., gr. et pecc. or. 2,2 (CSEL 42, 168,2 f. Urba/Zycha) und 2,5 (CSEL 42, 169,23 Urba/Zycha) beziehen, wo Augustinus auf das Libellus fidei Caelestius’ verweist. 105 Vgl. für die folgenden Ausführungen Semler, »Historische Einleitung«, 284, Anm. 481. 106 Concedant oportet eos egere illis beneficiis mediatoris, ut […] reconcilientur deo, ut in illo vivi, salvi, liberati, redemti, illuminati fiant. Unde, nisi a morte, vitiis, reatu, subiectione, tenebris peccatorum? Quae, quoniam nulla in ea aetate per suam vitam propriam commiserunt, restat, originale peccatum. (Aug., pecc. mer. 1,26 [CSEL 60, 38,9–15 Urba/Zycha]; im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler). 102 103
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Ansicht vertreten, dass die Kindertaufe notwendig sei. Wie an vorangehender Stelle schärft Semler somit ein, dass die Sache selbst, die Kindertaufe, von den Pelagianern nicht bezweifelt wurde. Semler fährt fort, dass nach pelagianischer Lehrmeinung nicht aufgrund von kirchlichen Verordnungen, sondern allein, weil Christus selbst sagte, dass man durch die Taufe in das Himmelreich gelangt, die Kindertaufe notwendig sei. Die Spitze Semlers ist unübersehbar: Die Pelagianer vertraten, gut reformatorisch, eine theologische Lehrmeinung zur Kindertaufe, die sich allein an dem sola scriptura-Prinzip orientierte, und konnten dementsprechend kirchliche Verordnungen und Traditionen kritisch hinterfragen oder letztlich gänzlich außer Acht lassen, wenn sie nicht durch die Schrift belegt wurden. Das typisch katholische Traditionsprinzip findet in der Sicht Semlers somit bei den Pelagianern keine Anwendung. Demgemäß konnten sich die Pelagianer auch nicht der mit einem Zirkelschluss begründeten Meinung Augustins anschließen, dass in den kleinen Kindern eine Ursprungssünde vorhanden sein solle. Augustinus habe aber fälschlicherweise aus dem oben erwähnten Begriff redemti eine solche Sünde bei den Kindern gefolgert, von welcher die Kinder erlöst werden müssten. Die Pelagianer jedoch mussten diese Ansicht verwerfen, wie auch Augustins Auffassungen zur Prädestination und seinen Gnadenbegriff, da sie sich nicht durch die Heilige Schrift beweisen ließen.107 Semler möchte jedoch auch verdeutlichen, dass die Pelagianer mit dieser schriftgemäßen Lehrmeinung zu ihrer Zeit mitnichten allein dastanden: Schon Johannes Chrysostomus habe gegen 395 in seiner bereits genannten Homilie Ad neophytos die Notwendigkeit zur Kindertaufe nicht angezweifelt. Er habe jedoch die Vorstellung einer Befleckung der Kinder durch die Sünde verworfen und hingegen betont, dass die Taufe alleinig erfolge, um ihre »Heiligkeit, Gerechtigkeit, Kindschaft, Recht zum Erbtheil, und Brüderschaft gegen Christum« deutlich zu vermehren. Folglich ist nicht das Abwaschen einer Ursünde im Kind oder der Ausgleich einer offenen Schuld Zweck der Kindertaufe bei Chrysostomus, wie Semler in Anschluss an Julians Argumentation herausstellen möchte, sondern die vermehrte Heiligung des Kindes durch den Heiligen Geist und dessen verstärkte Anbindung an den Leib Christi und die Gemeinschaft der Kirche.108 Als zusätzlichen Zeugen für ein Taufverständnis ohne Annahme einer von Geburt an bestehenden Sünde führt Semler einen weiteren Vertreter der antioche107 »Augustin schließt aber aus dem Worte redemti etwas, das die Pelagianer an sich und stets leugneten, es sei diese Sache, ein solch peccatum bey Kindern, nicht in der heiligen Schrift, wie sie auch leugneten, was Augustinus lehrte, von der Bestimmung und Absicht besonderer Gnade.« (Semler, »Historische Einleitung«, 285, Anm. 481). 108 »[D]amit sie Glieder Christi und Tempel des heiligen Geistes werden.« (Semler, »Historische Einleitung«, 285, Anm. 481), vgl. Chrys., catech. (sermo ad neophytos) 3,5 f. (SC 50, 170 Wenger).
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nischen Schule, Theodor von Mopsuestia, an. Auch wenn dieser sich ausdrücklich gegen die Pelagianer gestellt habe, vermerkt Semler, so habe er sich zwar anders als Chrysostomus, aber im selben Geiste zu Kindertaufe geäußert. Selbige erfolge laut Theodor, damit den kleinen Kindern das »Recht (oder Vermögen)« verliehen werde, »nach ihrer geistlichen Auferstehung nicht zu sündigen«.109 Den an sich sündenfrei geborenen Kindern werde also eine Augmentation zuteil, mittels derer sie auch nach der Taufe weiterhin die aktive, persönliche Sünde vermeiden können. Weder bei Chrysostomus noch Theodor finden sich in diesen Paraphrasen somit Hinweise auf eine Sünde im Kleinkind, wie sie Augustinus annahm. Vielmehr sei dieses frei von Sünde und der Zweck der Taufe eine zusätzliche Heiligung oder Bekräftigung, nicht aber eine Form von Retribution oder Rekonstitution. Mittels dieser beiden Antiochener möchte Semler nicht nur eine dogmenhistorische Relativierung zu den Ansichten über Begründung und Zweck der Kindertaufe liefern, sondern zugleich Pelagius und seine Anhänger von dem Vorwurf befreien, eine neue Lehre auf den Weg gebracht zu haben und gegen bereits eindeutig festgelegte Lehrsätze der Kirche verstoßen zu haben. Vielmehr, so zeigt Semler mit den knappen Zitaten an, bestand nicht nur eine große Vielfalt an Meinungen zur Kindertaufe, sondern gar eine gewisse Tendenz zur Position, welche die Pelagianer vertraten. Semler stellt zudem prägnant fest: »Also ist nicht wahr, daß es in der Kirche unveränderliche Vorschriften hierüber gebe, wie doch Augustinus voraussetzt.«110 Hiermit wird nicht nur Semlers durch dogmenhistorische Beobachtungen getragene Erkenntnis, dass es zur Zeit des pelagianischen Streites und davor keine festgelegte Lehrmeinung, sondern eine Vielzahl an Ansichten gab, ersichtlich, sondern zugleich dessen konsequentes Perfektibilitätsdenken auch in Bezug auf die christliche Theologie.111 Die Vorschriften der damaligen wie heutigen Kirche zur Kindertaufe, wie auch immer sie gestaltet sein mögen, seien keinesfalls »unveränderlich«, sondern einer ständigen Vervollkommnung und Verbesserung ausgesetzt, wie aus der Dogmengeschichte ersichtlich sei. Und letztlich stellt Semler zur Kindertaufe im Kontext des pelagianischen Streites fest: »Von den Ursachen oder Gründen und Absichten der Taufe der Kinder konnte man mehr oder weniger denken ohne zugleich stets sich an Gott und heil. Schrift zu versündigen.«112 Semler, »Historische Einleitung«, 285, Anm. 481. »Historische Einleitung«, 285, Anm. 481. 111 Zum Perfektibilitätsgedanken bei Semler vgl. Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 206, die betont, dass der Perfektibilitätsgedanke Semlers »nicht nur einseitig als Ausdruck einer Fortschrittsgewissheit gelesen werden« darf, sondern »ebenso sehr eine Selbstrelativierung der Aufklärungstheologie im Horizont des sie übergreifenden Zieles der fortschreitenden Vervollkommnung des Christentums« impliziert. Freilich schließt dies für Semler m. E. nicht aus, die impelagianischen Streit vertretenen dogmatischen Lehrmeinungen auch am Stand der ihm gegenwärtigen Theologie zu messen. Vgl. hierzu ferner Hornig, Studien, 134 f. 112 Semler, »Historische Einleitung«, 285, Anm. 481. 109
110 Semler,
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2.3.4. Die Frage nach der Kindertaufe als offener Streitpunkt Schließlich, so überträgt Semler den Sachverhalt in allgemeine Verhältnisse, hätten auch in neuerer Zeit »Gottesgelernten der lutherischen Kirche einen verschiedenen tropum paedias, über die Sünden, so man bey Kindern annimt«.113 Und folglich, so formuliert er normativ, müsse hierzu »niemand etwas befelen oder algemein zu glauben auferlegen, da es GOtt und die heilige Schrift nicht gethan hat«.114 Hier scheint deutlich Semlers Ansicht von der Glaubensfreiheit und dem privaten Glauben hervor, deren Grenze er allein mit der Heiligen Schrift und Gott selbst gesetzt sieht.115 Solange dadurch nicht der Heilsordnung116 widersprochen werde, dürfe jede Glaubensansicht frei vertreten werden. Und kein Mensch habe einem anderen Gläubigen vorzuschreiben, wie er den Zweck der Taufe und die Notwendigkeit, Kinder zu taufen, zu verstehen habe, da nicht einmal Gott oder die Heilige Schrift selbst eine bestimmte, festgelegte Lehrmeinung befehlen. Damit ist diese Aussage Semlers zugleich eine Spitze gegen die Hybris zeitgenössischer Theologen, wie auch gegen die Gegner des Pelagius, allen voran gegen Augustinus und dessen in den Augen Semlers sicherlich dreiste Lüge, dass es zur Kindstaufe in der Kirche unveränderliche Vorschriften gäbe, die Christen anderer Ansicht diktiert werden können. Blickt man nun wieder auf den Fließtext, so stellt Semler dort heraus, dass Augustinus selbst zugegeben habe, seine Ansichten zur Frage nach Sündhaftigkeit und Kindertaufe im Laufe der Zeit Schritt für Schritt verbessert zu haben.117 Mit diesem Eingeständnis des prominentesten Gegners der Pelagianer sieht Semler einen deutlichen Beweis dafür, »daß es eine freie Lehre oder Vorstellung ist, welche successive bessere Einsichten zulässet«.118 Bei den verschiedenen Ansichten und sich wandelnden Lehrmeinungen, die in der Bibel nicht vorgeschrieben werden und die der Heilordnung nicht widersprechen, handelt es sich um nichts anderes als um zu untersuchende Fragestellungen (quaestiones), zu keiner Zeit jedoch um Häresie. Daher hätte Augustinus, fährt Semler fort, »da es viel mehr solche Fragen gibt, welche questiones sind und nie haereses werden, weil sie fidem, die Heilsordnung nicht umstossen, billiger gegen Pelagium, der auch gestund, daß er zunäme an Erkäntnissen, sich verhalten haben«.119 113 Semler,
»Historische Einleitung«, 285, Anm. 481. Semler, »Historische Einleitung«, 285, Anm. 481. 115 Zur Glaubensfreiheit und privatem Glauben vgl. Johann Salomo Semler, Lebens‑ beschreibung von ihm selbst abgefaßt. Zweiter Theil (Halle, 1782), 176 f. (= Moeller, Kirchen‑ geschichte, 208 f.) sowie Hornig, Studien, 180–192, »Einleitung« zu Nachrichten von des Herrn D. J. S. Semlers Tod und Leichenfeierlichkeit, XIII. 116 Zum Begriff und Stellenwert der Heilsordnung im Konzept Semlers vgl. Hornig, Studien, 86–92. 117 Semler, »Historische Einleitung«, 283. 118 Semler, »Historische Einleitung«, 283. 119 Semler, »Historische Einleitung«, 283. 114
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Mit dieser Aussage Semlers ist man zugleich wieder bei seiner Grundeinstellung angekommen, die im Text immer wieder hervorscheint: Da die im pelagianischen Streit zu untersuchenden Fragestellungen ergebnisoffene quaestiones seien und keine Häresien, die gegen die Glaubensgrundsätze verstoßen, dürfe jeder im Rahmen der Heilsordnung in seinem privaten Glauben eigene Ansichten zu diesen Fragen vertreten. Damit ist aber auch verbunden, dass jeder die Meinung des anderen zu respektieren und mit dieser angemessen umzugehen habe. Dies sei aber bei Augustinus nicht der Fall gewesen, der nicht nur entgegen Semlers bisheriger Erkenntnis behauptete, dass seine eigene Vorstellung der gängigen Tradition entspräche und somit »alt« sei, sondern zugleich Pelagius vorwarf, wissentlich dessen eigene Ansichten, die der kirchlichen Tradition entgegenstünden und in letzter Zeit neu aufgekommen seien, zu verschleiern und anderen Autoren und Theologen zuzuschreiben.120 Diese Denunziation durch Augustinus kontert Semler bissig mit einem dogmenhistorisch orientierten Kommentar: »Höchstens konnte Augustinus es von Africa so sagen; in Orient und Occident ist diese Vorstellung nicht aufzuweisen, sondern eine eben so mangelhafte, als Pelagii, wie ich in Hilarii Auszuge es allein hinlänglich dargethan habe.«121
Die Aussage mag auf dem ersten Blick auch gegen Pelagius gerichtet sein, was jedoch nur Semlers umständlicher Formulierung geschuldet ist. Semler möchte hiermit nichts anderes aufzeigen, als dass der Vorwurf, die Neuheit der eigenen Lehre zu verschleiern, vielmehr den Nordafrikanern, und somit Augustinus gemacht werden könne. Erneut wird somit Semlers Ansicht deutlich, dass zu Beginn des fünften Jahrhunderts keine festgelegte Lehre zu Kindertaufe und angrenzenden Fragestellungen bestanden habe, sondern zu diesen unterschiedliche Lehrmeinungen vertreten worden seien. Und letztlich sei nicht etwa Pelagius Gründer einer Häresie gewesen, sondern Augustinus Gründungsvater neuer Ansichten gewesen, die mitnichten der Tradition entsprochen hätten – und somit die wirkliche Häresie darstellten: Augustinus habe es »erfunden«, dass »alle Kinder, die nicht getauft würden, würden verdamt«.122 Augustins Taufverständnis und die damit verbundene negative Anthropologie stehen anders gesagt weder in einer kirchlichen Tradition, noch sind sie in der Heiligen Schrift zu finden, sondern sind alleinig Erfindungen 120 Semler, »Historische Einleitung«, 283: »Gleichwol nent Augustinus den ganzen Zusammenhang seiner Vorstellung alt«. Die folgend zitierte Kritik Augustins an Pelagius (Pelagius […] sciens hanc nescio quam esse novitatem, quae contra antiquam et ecclesiae insitam opinionem sonare nunc coeperit) ist Aug., pecc. mer. 3,3 (CSEL 60, 132,17 f. Urba/Zycha) entnommen. Augustinus befasst sich dort mit Pelagius’ Expositiones in Epistolam ad Romanos, die freilich nicht nur Pelagius’ eigene Ansichten enthalten, sondern die einer breiten Vielfalt spätantiker Autoren, vgl. Souter, Pelagius’ Expositions I, 174–200. 121 Semler, »Historische Einleitung«, 283. 122 Semler, »Historische Einleitung«, 301.
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des nordafrikanischen Kirchenvaters. Wie schon an so vielen Stellen zuvor ist die Verwendung des Wortes »Erfindung« durchwegs negativ konnotiert und impliziert eine Neuerung, die in orthodoxer Sprachtradition seit den ersten Jahrhunderten des Christentums nichts anderes als Häresie bedeuten würde. Freilich ist Semler kein Anhänger einer strengen Orthodoxie, die jeden neuen Gedanken in der Theologie zugleich als häretisch verwerfen möchte; vielmehr ist Semler offen für eine Fortführung, ja Verbesserung lutherischer Theologie, insofern sich diese aus der Schrift und Vernunft (mittels historisch-kritischer und exegetischer Untersuchungen) herleiten lassen.123 2.4. Der freie Wille 2.4.1. Dogmenhistorische Voraussetzungen zur Willenslehre Um aufzuzeigen, dass auch die Lehrmeinung zum freien Willen Anfang des fünften Jahrhunderts noch keineswegs festgelegt war, bezieht sich Semler insbesondere auf den Bericht von Pelagius’ empörtem Widerspruch gegenüber dem Confessiones-Zitat Da quod iubes, et iube quod vis in Rom, noch vor Ausbruch des eigentlichen pelagianischen Streites:124 Es sei irrelevant, ob es nun der römische Bischof selbst war, der dieses Zitat vortrug oder nicht; wesentlich sei hingegen, dass man Augustinus zwar von dem Zwischenfall berichtet hatte, ihm aber nicht mitteilte, dass man »diese Zwistigkeit so gleich entschieden hätte«. Darin sieht Semler den Beweis dafür, dass Augustins Lehrmeinung keinesfalls »damalen schon für arbitrum doctrinae gehalten« wurde, woraus der berichtende Bischof sogleich »die klare Bosheit Pelagii abgenommen hätte«.125 Wäre die dogmatische Lehrmeinung zum freien Willen festgelegt und der Ansicht Augustins entsprechend gewesen, hätte die Angelegenheit mit Verweis auf diese Festlegung und gegebenenfalls Traditionsgemäßheit direkt vor Ort in Rom durch den anwesenden Bischof entschieden werden können. Dass dies jedoch nicht der Fall war, sieht Semler als einen ausreichenden Beweis für die Offenheit der Streitfragen zum Verständnis des an. Damit erschöpft sich jedoch schon Semlers dogmenhistorische Argumentation zur Diskussion um den freien Willen; auf das Aufzeigen eines konkreten Meinungsspektrums anhand der Kirchenväter verzichtet Semler hier.
123 Hornig, Studien, 97 beobachtet, dass Semler sich »als Bewahrer und Fortsetzer der lutherischen Lehrtradition versteht und als solcher verstanden werden will, letzteres gewiß nicht im Sinne lutherischer Orthodoxie, wohl aber im Sinne eines gelehrten melanchthonischen Luthertums.« 124 Aug., Conf. 10,40 (CSEL 33, 256,24 Knöll). 125 Semler, »Historische Einleitung«, 279 f.
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2.4.2. Liberum arbitrium bei Pelagius Deutlich ausführlicher äußert sich Semler zur freien Willensinstanz bei Pelagius. Genau genommen betone Pelagius die potestas liberi arbitrii, also das Vermögen zu einer freien Willensinstanz. Die facultas zur Willensfreiheit sei dem Menschen wesentlich und mache folglich das Wesen und die Natur des Menschen aus;126 deutlicher konnte er seine eigene, positive Anthropologie nicht in Kürze verdeutlichen. Über einen solchen liberum arbitrium, fährt Semler fort, verfüge laut Pelagius jeder Mensch per naturam, von Natur aus, aber Pelagius schreibe auch bereits: sed in solis Christianis junatur [korrekt: juvatur] a gratia (aber dass dieser freie Wille allein bei Christen durch die Gnade unterstützt werde). Im Schöpfungszustand sei dieser Wille gut und in denen, die zu Christus gehören, wird dieser durch Christi Hilfe unterstützt (Christi munitur auxilio).127 So seien diese zu beurteilen und verurteilen (judicandi atque damnandi sunt), eben weil sie einen freien Willen haben, durch den sie zum Glauben (ad fidem) kommen, und die Gnade Gottes erlangen – oder die Freiheit missbrauchen können. Interessant ist noch eine in Klammern gesetzte Differenzierung Semlers zum liberum arbitrium; dieser sei »an sich« in jedem Menschen von Natur aus, nicht jedoch »in theologischer Bedeutung, die Augustinus voraussetzt«.128 Mit der Erwähnung Augustins, und dass dieser die theologische Sinnhaftigkeit voraussetze, kritisiert Semler de facto den Bischof Hippos, insofern Pelagius einen weiter gefassten Willensbegriff ansetzte, Augustinus sich jedoch auf einen engeren verschärfte und daher Pelagius gar nicht erst korrekt verstehen konnte – und wollte. Zwar habe Augustinus einen »dissensum«, einen Widerspruch oder Meinungsunterschied zu seiner eigenen Meinung förmlich erzwungen, dies sei aber noch nicht Beweis genug, um zu behaupten, »daß Pelagius selbst alles Gegentheil gelehrt habe, auch nicht, daß er blos aus listiger Betrügerey sich so erklärt habe, ohne innerlich ehrliche Gründe zugleich mit seinen Beschreibungen in seinem Gewissen zu verknüpfen«.129 Anders gesagt: Nur, weil Augustins Lehre einen Widerspruch erzwingt, lässt es sich erstens nicht kausal folgern, dass Pelagius genau diese gegensätzliche Semler, »Historische Einleitung«, 295. »Historische Einleitung«, 295. 128 Semler, »Historische Einleitung«, 295. Zum einen könnte Semler hier eine Unter scheidung vornehmen, um sicherzustellen, dass der Mensch von Natur aus über die Fakultät, also naturgegebene Möglichkeit, zum freien Willen verfügt (»an sich«), wohingegen in theologischer Begrifflichkeit nicht von einem gänzlich freien Willen gesprochen werden kann. Zum anderen, aber ähnlich gelagert, könnte Semler hiermit meinen, dass der Mensch prinzipiell einen freien Willen hat, um sich in alltäglich menschlichen Situationen frei entscheiden zu können, also auf innerweltliche Zusammenhänge bezogen; hinsichtlich seines Heils und der Gnadenwirkung Gottes, folglich theologisch verstanden, verfügt der Mensch über diese Freiheit hingegen nicht – was gut lutherisch wäre. 129 Semler, »Historische Einleitung«, 295. 126
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Lehre vollständig vertreten habe, und zweitens nicht behaupten, dass Pelagius’ Gedanken nicht mit seinen Äußerungen übereinstimmten – er also seine Ansichten verleugnet und andere betrogen habe. Ganz im Gegenteil wären solche Folgerungen schon logisch illegitim. Seine Ausführungen zum Verständnis des freien Willens bei Pelagius schließt Semler mit einer scharfen Spitze gegen manche seiner Zeitgenossen: »Aber man ist freilich der Kirchensprache noch immer sehr gewont, die sich doch für uns nicht eben schickt, da wir, Gottlob, eine viel bessere und edlere Erkenntnis und Uebung unserer Lehrsätze haben.«130 Wen oder was kritisiert Semler mit dieser Bemerkung? Entweder richtet sich diese gegen die damalige »Kirchensprache« und ihre Nutzer, als kirchliche Vertreter, die somit als ungenügend gegenüber der Wissenschaftssprache dargestellt wird oder es verhält sich ironisierend umgekehrt, nämlich der Eitelkeit der Vertreter der Wissenschaft entgegengestellt. Auch wenn der Bezug letztlich unklar bleibt: Semler möchte die unkritische Haltung und damit verbunden undifferenzierte Sprache mancher kirchlichen Vertreter im Umgang mit den überlieferten Dogmen angreifen, sieht sich und seine (durch ihn) gebildeten Leser hingegen mit weitreichender Erkenntnis und Befähigung im kritischen Umgang mit diesen Dogmen, wie hier zum pelagianischen Streit, ausgestattet. 2.4.3. Liberum arbitrium bei Augustinus In der Behandlung der Frage nach den Auseinandersetzungen in der römischen Kirche über die göttliche Gnadenhilfe und das liberum arbitrium des Menschen im Verständnis Augustins vermag Semler seine bisherige Augustinuskritik zu steigern: Denn anhand dieser von Augustinus hervorgerufenen Streitigkeiten lasse sich erkennen »wie schlechten Grund alle solchen Einfälle in der heiligen Schrift haben müssen«.131 Augustins Lehre lasse sich also nicht mit der Schrift begründen und ist daher in Semlers lutherischem Verständnis von vornherein zu verwerfen. Auch sei es gänzlich »falsch«, »wenn man den Widerspruch gegen liberum arbitrium so weit ausdehnet, daß dadurch geleugnet werden sollte, Menschen, die getauft sind, und die christliche Wahrheiten hören und wissen, seien zu keinen Vorstellungen und Gedanken dazu oder davon aufgelegt, wenn nicht durch eine Wirkung, ohne und ausser den vorgestelten Wahrheiten, die Seele in natürlichen Fähigkeiten, eine mutationem graduum erfare«.132
Grundsätzlich kritisiert Semler hier zunächst Augustins überzogene Vorstellung der Einschränkung des Vermögens des menschlichen Willens: Der menschliche Wille wird als derart unfrei aufgefasst, dass dadurch Menschen, die getauft wurden, das Evangelium gehört und damit den Zuspruch der Rechtfertigung er Semler, »Historische Einleitung«, 295. Semler, »Historische Einleitung«, 301. 132 Semler, »Historische Einleitung«, 301. 130 131
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halten haben, abgesprochen wird, aus ihrem eigenen natürlichen Vermögen (und mit Gottes Hilfe!) einen moralischen Erkenntniszuwachs und eine graduelle Steigerung des Seelenzustandes zu erlangen. Allein in einer von Gott hinzukommenden Wirkung, der Gnade nach Augustinus, könne eine solche »Veränderung des Menschen«133 herbeigeführt werden. Doch in diesem Verständnis von Gnade im Sinne einer strikten Notwendigkeit und Erwählung Gottes, das natürliche Vermögen des Menschen ignorierend, sieht Semler schon wenig zuvor »keine moralische Art mehr übrig«,134 also keinen Platz für ein wirkliches Entfalten des natürlich veranlagten moralischen Vermögens hin zur moralischen Verbesserung, da der freie Wille so de facto eliminiert wird. Diese Vorstellung konnte nur einen Widerspruch bei Semler hervorrufen, der zwar den Gedanken, dass der Mensch zu Lebzeiten den Zustand vollkommener Sündlosigkeit erreichen könne, verwarf, nichtsdestotrotz aber die Möglichkeit zur moralischen Veränderung des Menschen und seiner willentlichen Zustimmung zum Willen Gottes im Zuspruch der Rechtfertigung als gegeben ansah.135 Wie stark sich Semler über diese Herabwürdigung des menschlichen Vermögens zur Entwicklung in Verstand und Willen empört, wird auch in folgender Aussage deutlich: »Augustinus hat so wenig Zuwachs in Fähigkeit des Verstandes bekommen, daß er auf die allerelendeste Weise die heilige Schrift ausleget, daß er einfältige Schlüsse und actua zusammenhängt, die niemanden überzeugen, ob sie gleich zur Vertheidigung dieser seltsamen gratia, und also auch ex gratia herrüren solten.«136
In gekonnter Polemik und im Rückbezug auf das vorher Verhandelte attestiert Semler Augustinus einen Mangel an Verstandeszuwachs, was man durchaus als generelle Kritik an Augustins geistigen Gaben verstehen darf. Der nordafrikanische Bischof sei daher so einfältig, dass nicht nur dessen Exegese der Heiligen Schrift völlig misslingt, sondern er auch keiner logisch stringenten, überzeugenden Argumentation zugunsten seiner »seltsamen gratia« fähig sei. Endgültig verspottet Semler Augustins Gnadenbegriff dadurch, dass Augustins falsches Schriftverständnis und dessen Unfähigkeit zum logischen Schluss nicht nur der Verteidigung seiner gratia dienen solle, sondern doch letztlich auch, wenn konsequent nach Augustinus selbst begriffen, aus dieser augustinischen Gnade (ex gratia) resultiere. Semler führt Augustins Lehre ad absurdum – wer möchte schon diese augustinische Gnade haben, wenn aus ihr derartige Einfalt, ja Dummheit hervorgeht? So sieht Semler sich auch genötigt, folgend seinen eigenen Gnadenbegriff im konsequenten Gegensatz zu den Vorstellungen Augustins zu entfalten. Dabei 133 Semler,
»Historische Einleitung«, 301. Semler, »Historische Einleitung«, 301. 135 Vgl. hierzu Hornig, Studien, 112–115. 136 Semler, »Historische Einleitung«, 301 f. 134
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arbeitet sich Semler von der Wirkung der göttlichen Gnade bis auf eine eigene Beurteilung der Erbsündenlehre voran: Die aus Gottes Willen und Vermögen resultierenden Wirkungen zielen auf Verstand und Willen des Menschen, mit dem Vorsatz der Verdeutlichung bzw. Vermittlung der wahren, schriftgemäßen Glaubensinhalte, beziehungsweise »der in den Wahrheiten enthaltenen ob‑ iectorum«.137 Daher sei ein Christ nie ohne die Unterstützung der Gnade Gottes (sine gratiae auxilio). Jedoch nicht im radikalen Sinne der »Erfindung« Augustins, die der Christ nur als unwahr verwerfen könne.138 Denn letztlich müsse man davon ausgehen, dass der Mensch über »Ueberbleibsel des göttlichen Ebenbildes in der Seele« verfüge, also – wenn auch von Semler nicht expliziert – die menschlichen Seelenvermögen Verstand und Wille einen zwar fragmentarischen Abglanz des göttlichen Urbildes darstellen, aber in der Seele weiterhin vorhanden sind und daher der menschliche Wille keineswegs in Passivität oder reiner Neigung zur Sünde verfangen ist. Diesen Aspekt göttlicher Ebenbildlichkeit des Menschen beziehungsweise dessen Überbleibsel in der Seele, hält Semler fest, habe Augustinus nicht ausreichend betont. Letztlich muss man, so fährt Semler fort, »die Folgen der ersten Sünde nicht übertreiben, wie es Augustinus zu allererst gethan hat«.139 Diese Aussage trifft Augustinus gleich doppelt, bezweckt sie nichts Geringeres als eine deutliche Bestreitung der Erbsündenlehre Augustins und benennt diesen auch erneut als den ersten Urheber jener abstrusen und neuen »Erfindung«. Augustins Gnaden‑ und Erbsündenlehre eliminieren für Semler nicht nur jedes Vermögen des Menschen zur moralischen Besserung, sondern verwerfen zugleich die verbliebene Gottebenbildlichkeit140 der Seele und den freien Willen des Menschen, sodass nichts als fatum und necessitas verbleiben.141 Zudem widersprechen diese Lehren der Schrift und entbehren in ihrer Konsequenz auch jeglicher Logik, was Semler auf Augustins eingeschränkten Verstand und dessen absichtliche Ignoranz anderer Ansichten zurückführt. Ein vernichtendes Urteil. 2.5. Gnaden‑ und Prädestinationslehre 2.5.1. Semlers Anliegen in der Darstellung der Gnaden‑ und Prädestinationslehre Auch wenn sich Semler in seinen dogmenhistorischen Anmerkungen zum pelagianischen Streit eingangs insbesondere den Themenkomplexen Erbsünden137 »Vielmehr geht diese Wirkung, wegen des Willens und der Kraft Gottes, stets auf den Verstand und Willen in Absicht der in den Wahrheiten enthaltenen obiectorum.« (Semler, »Historische Einleitung«, 302). 138 »[U]nd es ist ein Christ nie sine gratiae auxilio, ob er auch gleich Augustini Erfindung nicht für wahr halten kann.« (Semler, »Historische Einleitung«, 302). 139 Semler, »Historische Einleitung«, 302. 140 Zum Verständnis der Gottebenbildlichkeit im Luthertum vgl. Schubert, Ende der Sünde, 108–124, insbesondere 112 f. zur Vorstellung von den reliquiae imaginis. 141 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 301.
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lehre, Kindertaufe und dem freien Willen zuwendet, so nehmen die dogmenkritischen Äußerungen zur Gnaden‑ und Prädestinationslehre doch den größten Raum ein. Erneut ist es hier Semlers vorwiegende Strategie, Augustins Lehrmeinungen als die wahren Neuerungen und Abweichungen von den bisherigen kirchlichen Lehrmeinungen im Osten wie dem Westen aufzuzeigen. Doch anders als im Falle der dogmenhistorischen Untersuchung der Tauflehre oder der Vorstellung einer Tradux peccati, bei der Semler zumindest gewisse Vorläufer in der Westkirche, konkret in der nordafrikanischen Tradition, ausmachen konnte, wird insbesondere die Prädestinationslehre Augustins uneingeschränkt als dessen Erfindung dargestellt; sie wird zudem von Semler als die Haupt-, ja Lieblingslehre Augustins ausgemacht. Allerdings ist die Beweisführung Semlers hierzu zersetzter und weniger überzeugend unterfüttert als im Falle der dogmenhistorischen Untersuchung von Erbsünden‑ und Tauflehre; teilweise geschieht dies nur durch die redundante Wiederholung, dass diese Ansichten »Erfindungen« Augustins seien. Zudem verstärkt sich zunehmend die Tendenz, Augustins Lehre jegliche traditionsbezogene Begründbarkeit abzusprechen, wohingegen der Versuch, die Traditionsgemäßheit der Lehre des Pelagius darzulegen, zurücktritt. Die Gründe benennt Semler teilweise selbst: So beklagt er den Mangel an Kenntnissen über die wahre und genaue Lehrmeinung des Pelagius, wohingegen Augustins dogmatische Ansichten mehr Verbreitung gefunden hätten, als für einen gesunden Lehrbegriff von der Gnade eigentlich nötig wäre; somit ließen sich keine sicheren Aussagen zu Pelagius’ genauer Lehre treffen. 2.5.2. Die dogmenhistorische Dimension der Gnaden‑ und Prädestinationslehre Die dogmenhistorische Darlegung der Gnadenlehre wird von Semler mit der Widerlegung der Traditions‑ und Schriftgemäßheit der Prädestinationslehre in Verbindung gebracht, sodass die Abhandlung beider dogmatischen Loci im Folgenden ebenfalls zusammenhängend betrachtet wird. Ohnehin findet in der dogmenhistorischen Widerlegung der augustinischen Lehrmeinung zugunsten der Ansichten des Pelagius der Bezug auf die Heilige Schrift Anwendung: Man könne Pelagius aus seiner von der Augustins unterschiedenen Exegese nicht den Vorwurf der Häresie machen, allein schon deshalb nicht, weil »Pelagius so viele Vorgänger hatte«.142 Auch vermerkt Semler, dass »selbst in Rom Pelagius Gönner habe«, Augustinus hingegen – wäre er denn nicht Bischof gewesen – für seine Gnaden‑ und Prädestinationslehre aus der Kirche ausgestoßen worden wäre:143 »Denn aus der vorherigen traditione ecclesiae konnte dis viel weniger mit einigem Schein Semler, »Historische Einleitung«, 290, Anm. 487. Semler, »Historische Einleitung«, 292 mit Anm. 490.
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bestätigt werden, als Pelagii Erklärungsart.«144 Für die Traditionsgemäßheit der Lehre Pelagius’ zu argumentieren, sei folglich viel leichter, als das Gleiche für die Lehransichten Augustins hinsichtlich der Gnaden‑ und Prädestinationslehre zu leisten. Schließlich bestätige laut Semler selbst die historische Tatsache des Aufkommens der semipelagianischen Lehrmeinungen, dass es hinsichtlich der Prädestinationslehre und der damit verbundenen Gnadenlehre keineswegs bereits vor Augustinus klare dogmatische Festlegungen gab, denn die Kontroverse hätte nicht solche Ausmaße angenommen, wenn bereits alles geklärt gewesen wäre; damit argumentiert Semler ähnlich wie hinsichtlich der nicht erfolgten Klärung der causa um den Protest Pelagius’ in Rom gegen das berüchtigte Con‑ fessiones-Zitat. Augustinus selbst habe vor seiner Zeit im Bischofsamt eine zumindest semipelagianische Meinung vertreten, wie Semler etwas irreführend mit einem anschließenden Zitat aus De praedestinatione sanctorum 7 belegt und kommentiert: »Die Historie der semipelagianischen Lehre bestätigt es, daß hierin vor Augustinus keine deutlichen Stellen und Lehrsätze in der Kirche da gewesen sind; Augustinus ist selbst, ehe er Bischof worden, dieser Meinung gewesen, fidem a nobis (oder inchoari) in nobis, et per illam nos impetrare dei dona, quibus temperanter et iuste et pie vivamus in hoc seculo.«145
Semler gibt das Zitat dieser späten, antipelagianischen Schrift nur verkürzt wieder: So lässt er unter anderem die Information aus, dass Augustinus an dieser Stelle seine vor dem Episkopat vertretene Ansicht zur Gnade, derzufolge die Gnade dem aus dem Menschen selbst stammenden Glauben nachfolgt, als einen Fehler bezeichnete, welcher der pelagianischen Lehre ähnlich gewesen sei (cum similiter errarem).146 Semler merkt an, dass Augustinus selbst nie erklärt habe, wie er »eines andern richtig überzeugt worden«.147 Noch deutlicher als zur Gnadenlehre spricht sich Semler hinsichtlich der Prädestinationslehre aus: Ohnehin habe Augustin diese »wunderliche Sache« sich »ganz allein ersonnen«, »zur bessern Behauptung der bischöflichen Auctorität und des Einflusses der bischöflichen oder clericalen Verrichtungen«.148 Nicht nur wird hier von Semler erneut darauf verwiesen, dass die von Augustinus vertretene Gnaden‑ und Prädestinationslehre nichts anderes als seines eigenen Geistes Kind sei, sondern dass zugleich die Absicht dieser Lehre allein in der Ab Semler, »Historische Einleitung«, 292 mit Anm. 490. Semler, »Historische Einleitung«, 304 f. (im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen und Ergänzungen von Semler). 146 Das vollständige Zitat lautet: praecipue testimonio etiam ipse conuictus sum, cum similiter errarem, putans fidem qua in deum credimus, non esse donum dei, sed a nobis esse in nobis, et per illam nos impetrari dei dona quibus temperanter et iuste et pie vivamus in hoc saeculo. (Aug., praed. sanct. 7 [PL 44, 964,12–17]). Augustins Angabe, diese Position vor seinem Episkopat vertreten zu haben, findet sich etwas später in Aug., praed. sanct. 7 (PL 44, 964,23–25). 147 Semler, »Historische Einleitung«, 305. 148 Semler, »Historische Einleitung«, 300. 144 145
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sicherung kirchenpolitischer Machtinteressen der kirchlichen Führungseliten zu finden sei – also in nichts anderem, als purem Eigeninteresse und Machtkalkül Augustins und der katholischen Kirche.149 Hinsichtlich der Prädestinationslehre lässt sich also klar festhalten, dass diese in den Augen Semlers einzig und allein eine Neuschöpfung, ja negativ abwertend und dem Sprachgebrauch Semlers folgend, eine »Erfindung« sei – zudem noch aus niederen Zwecken, nämlich der Absicherung der bischöflichen Macht. 2.5.3. Die Gnadenlehre Augustins als wahre Neuerung und Pelagius’ traditionsgemäßes Verständnis von Gnade Ebenso schildert Semler wiederholt Augustins Gnadenbegriff als eine völlige Neuheit. So ist er sich gewiss, dass Augustinus in seinen antipelagianischen Schriften eine »so besondre gratiam lehrte, davon kein Mensch bisher was gehört hatte«.150 Doch welche Ansichten wurden denn nun eigentlich zuvor vertreten und gehört? Semler gibt hierzu bereitwillig Auskunft, indem er sich mit der Dogmengeschichte der Gnadenlehre, insbesondere im vierten Jahrhundert vor Auftreten des Pelagius befasst.151 Dass Semler so explizit auf die Zeit vor Pelagius verweist, ist freilich kein unbedeutendes Detail, sondern ist die ganze Pointe der Anmerkung: Pelagius’ Ansicht zur Gnade sei schon lange Zeit vor ihm die vorherrschende Lehrmeinung zur Gnade gewesen. Augustinus habe einen bislang ungehörten Lehrbegriff von der Gnade eingeführt. Zudem seien die dogmatischen Grundlagen für eine brauchbare Gnadenlehre zur Zeit der pelagianischen Kontroverse einfach noch nicht geklärt worden. Zur Verteidigung der Lehre Pelagius’ betont Semler, dass dieser wie auch Hilarius oder alle griechischen Kirchenväter keineswegs einen »Ethnicismus«,152 also eine gottlose, heidnische Lehre vertreten habe, auch wenn Pelagius eindeutig Augustinus widersprochen habe. Vielmehr haben auch »Innocentius und andre 149 Dies sieht Kurt Flasch nicht anders, wie seine These zum begünstigenden Einfluss des Patronatswesens im fünften Jahrhundert auf Augustins Gnadenlehre belegt, vgl. Flasch, Au‑ gustin, 217. 150 Semler, »Historische Einleitung«, 305 f. Auch die jüngere Augustinusforschung stimmt diesem Urteil zu. So notiert Volker H. Drecoll: »Theologiegeschichtlich wird man wohl sagen müssen, daß Augustinus mit der Formulierung seiner Gnadenlehre etwas Neues eingebracht hat. Erst durch diese Neufassung wurde z. B. die Position des Pelagius zu einer häretischen Position.« (Volker H. Drecoll, »›Ungerechte Gnadenlehre.‹ Zeitgenössische Anfragen an Augustin und ihr Einfluß auf seine Gnadenlehre«, in Gnade – Freiheit – Rechtfertigung: augusti‑ nische Topoi und ihre Wirkungsgeschichte. Internationales Kolloquium zum 1650. Geburtstag Augustins vom 25. bis 27. November 2004 im Erbacher Hof zu Mainz, hg. v. Cornelius Mayer/ Andreas E. J. Grote/Christof Müller, 25–40 (Stuttgart: Franz Steiner, 2007), 26; zur Genese der Gnadenlehre Augustins nach gegenwätigem Forschungsstand vgl. ders., Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins. BHTh 109 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1999). 151 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 305 f., Anm. 500. 152 Zum Begriff vgl. Goethe-Wörterbuch. Band 3: Einwenden – Gesäusel (Stuttgart: Kohlhammer, 1998), Sp. 469: »Heidentum, der Glaube an mehrere göttl Wesen; in polem Zshg«.
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Bischöfe erst nach und nach die Sprache gelernt«, wohingegen Pelagius’ Ansicht zur Gnade »in der Kirche schon gewesen« sei.153 Mit dem Verweis auf dem Spracherwerb der Bischöfe und Innozenz’ spielt Semler auf die nach und nach erfolgende Übernahme der Position Augustins an, die vorher eben keinesfalls bereits die eindeutig und allgemein bekannte und akzeptierte Mehrheitsmeinung war. Um nun dogmenhistorisch zu belegen, dass Pelagius keineswegs eine neue Gnadenlehre ersonnen hat, führt Semler kurioserweise den später im Decretum Gelasianum für seine »semipelagianische« Gnadenlehre verurteilten Johannes Cassianus ins Feld:154 Dieser war zwar Zeitgenosse Augustins und Pelagius’, habe in seinen Conlationes jedoch eine monastische Lehre zum freien Willen und der Gnade überliefert, die schon »lange vor Pelagii Zeit, die herschende gewesen« sei.155 Allerdings war sich Semler noch unsicher über die genaue Datierung der Conlationes beziehungsweise der darin wiedergegebenen, früheren Lehrmeinungen, deren sukzessive Abfassung heute für die Jahre 425–429, also erst kurz vor Augustins Tod und lange nach Pelagius’ Verschwinden, angenommen wird.156 Semler drückt jedoch Gewissheit darüber aus, dass eine genaue »Zeitrechnung« der Conlationes nur weiter absichern würde, dass schon lange vor Pelagius solche Lehrmeinungen verbreitet waren.157 In den 24 Conlationes, die der Gesprächsform der Apophthegmata patrum folgen, gibt Cassian die Lehren der Wüstenmönche, welche er während seiner Reisen durch Ägypten kennenlernte, wieder, wobei unklar ist, wie groß letztlich Cassians Eigenanteile bei diesen »Wiedergaben« sind. Für Semler ist letztlich nur wichtig, dass in den Conlationes eine ältere monastische Lehrtradition aus der Ostkirche überliefert ist, der zufolge im Menschen ein freier Willensentschluss hin zum »Unterricht von der christlichen Religion und ihrem Inhalte« noch vor Hinzutreten oder Mitteilung der göttlichen Gnade vorhanden sei.158 Konsequent schließt Semler nach dieser dogmenhistorischen Argumentation anhand des Zeugnisses Cassians Beobachtungen zum spätantik-christlichen Bedeutungsspektrum des Begriffs gratia respektive χάρις an. Die christlichen Schriftsteller vor und während des vierten Jahrhunderts belegen laut Semler »unleugbar« und damit überdeutlich, dass der Begriff Gnade nicht einheitlich Semler, »Historische Einleitung«, 303, Anm. 499. Zu Cassian vgl. Matthias Skeb, »Johannes Cassian«, LACL3 (Freiburg i. Br.: Herder, 2002): 376–378. 155 Semler, »Historische Einleitung«, 305, Anm. 500. 156 Zu den Conlationes vgl. Skeb, Johannes Cassian, 377. 157 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 305, Anm. 500. 158 Semler, »Historische Einleitung«, 305, Anm. 500. Letztlich betont Semler mit all dem erneut, dass »Innocentius und andre Bischöfe erst nach und nach die Sprache gelernt, und vorher Pelagii vorstellung allerdings, was gratiam betrift, in der Kirche schon gewesen«. (Semler, »Historische Einleitung«, 303, Anm. 499). 153
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verwendet wurde, sondern ein breites Bedeutungsspektrum vorlag, das Semler als »gratiam in significatu ecclesiastico« bezeichnet wissen will.159 Semler zeigt nun im Folgenden keinesfalls dieses breite Bedeutungsspektrum auf, sondern beschränkt sich auf das frühchristliche Verständnis von Gnade als »Volziehung der Taufe«, wobei Gnade sogar vorzugsweise in diesem Sinne aufgefasst worden sei.160 Belege führt Semler hierzu nicht an; ihm geht es ohnehin mehr darum, dass es von diesem frühchristlichen Gnadenverständnis her »unleugbar« sei, einen freien Willensentscheid im Menschen hinsichtlich der nichtgeistlichen Dinge, wie dem Entschluss der Ehe zu entsagen oder zu beten, anzunehmen.161 Dass Semler hier so deutlich zwischen geistlichen und nichtgeistlichen Dingen unterscheidet, ist kein Detail: Das hier von Semler so verallgemeinerte antike Christentum vor Augustinus wird somit vor den Zeitgenossen Semlers davon freigesprochen, selbst einen Pelagianismus vertreten zu haben, der die göttliche Gnadenwirkung in den geistlichen Dingen bestreiten würde. Im diesem frühchristlichen Sinne, so fährt Semler fort, wurde dann auch völlig konsequent der Satz vertreten, dass der Mensch ohne und vor der göttlichen Gnade fähig sei, sich auf diese vorzubereiten oder sich Verdienst zu erwerben.162 Sichtbar wird hier also nicht nur ein dogmengeschichtlicher Rückblick Semlers zum freien Willen und dem Gnadenbegriff vor Augustinus, sondern auch eine Hinführung zur Position des Pelagius, die zugleich wiederum dogmenhistorisch eingezeichnet und somit vom Vorwurf der Häresie freigesprochen wird. 2.5.4. Verteidigung der Gnadenlehre des Pelagius gegen den Vorwurf, er habe keine Gnade gelehrt Insbesondere verteidigt Semler die Gnadenlehre des Pelagius konsequent gegenüber dem Vorwurf, die Gnade Gottes beziehungsweise Christi verkürzt, wenn nicht sogar gänzlich verworfen zu haben. Augustinus zitiert zu diesem Zweck eine Stelle aus Pelagius’ De natura: Sive per gratiam, sive per adiutorium, sive per misericordiam, et quicquid illud est, per quod esse homo absque peccato potest, confitetur, quisquis rem ipsam confitetur.163
Semler karikiert Augustins Kritik daran spöttisch mit einer Anführung der pedantischen Betonung der Gnade durch Augustinus in dessen Entgegnung De natura et gratia: Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 305, Anm. 500. Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 305, Anm. 500. 161 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 305, Anm. 500. 162 »[U]nd also galt freilich der Satz, homo sine et ante gratiam potest se praeparare, oder mereri, wie dis Wort jetzt so gebraucht wird.« (Semler, »Historische Einleitung«, 305, Anm. 500). 163 Pelag.-haer., Nat. nach Aug., nat. et grat. 10 (CSEL 60, 240,7–9 Urba/Zycha). 159 160
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»Denn wenn ich sage, der Mensch kan disputieren, der Vogel kan fliegen, der Haase kan laufen: wenn ich gleich ea, per quae [der Gnade] haec effici possunt, nicht dazu setze, leugne ich es also deswegen?«164
Natürlich könnte, so die Pelagius verteidigende Argumentation Semlers, zusätzlich zu all diesen genannten Fähigkeiten und Handlungen noch die Gnade Gottes angeführt werden. Doch wäre es absurd bis hin zu lächerlich pedantisch, die Wirkung der Gnade in jedem dieser Fälle als Ermöglichungsgrund anzuführen. Folglich gelte: nur weil Pelagius nicht immerzu die Gnade erwähnt, heißt dies keineswegs, dass er sie ablehnt. Semlers Argumentation leuchtet durchaus ein, allerdings zeugen die von ihm angeführten Beispiele weniger für die unabdingbar notwendige Gnadenwirkung zur Sündlosigkeit im Verständnis Augustins, sondern eher für die für Pelagius unbeschädigte Schöpfungsgnade. Auch die technischen Vorstellungen einer gratia interna, infusa und habitualis habe Pelagius durchaus vertreten, sich jedoch nicht »die neue Vorstellung von gratia actuali oder efficaci anbefehlen«165 lassen. Generell war dieser Ungehorsam gegen die bischöfliche Lehrgewalt das externe Moment, welches dazu geführt habe, dass seine Gegner ihn immer wieder als Feind der Gnade ansahen.166 Zum Beleg der gratia Christi im Gnadenbegriff des Pelagius führt Semler zunächst knapp in zehn Punkten die von Noël Alexandre vorgetragene Lehre Pelagius’ und Julians an. Diese Ausführungen Alexanders, die Semler als so geeignet ansieht, »daß man vieler andern Schriften entberen kann«,167 erörtert Semler, indem er Pelagius zitiert, was wiederum belegen sollen, dass selbiger lediglich keine gratia actualis gelehrt habe.168 Augustinus hingegen war so sehr von dieser seinen Erfindung, der »gratia actuali, welche sie allerdings nicht lehrten«169 überzeugt, dass die Pelagianer aus Augustins Sicht letztlich gar keine Gnadenwirkung vertreten hätten. Im Anschluss an das Pelagiusziat Itaque liberum mihi est nec voluntatem bonam habere, nec actionem170 notiert Semler 164 Semler,
»Historische Einleitung«, 288. »Historische Einleitung«, 288. 166 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 288. 167 Semler, »Historische Einleitung«, 289, Anm. 487. 168 Aug., gr. et pecc. or. 1,5 (CSEL 42, 128,12–23 Urba/Zycha): Itaque liberum mihi est nec voluntatem bonam habere, nec actionem: nullo autem modo possum non habere possibilitatem boni: inest mihi etiamsi noluero, nec otium sui aliquando in hoc natura recipit. Quem nobis sensum exempla aliqua facient clariorem. Quod possumus videre oculis, nostrum non est, quod vero bene aut male videmus, hoc nostrum est; quod loqui possumus, Dei est, quod vero bene aut male loquimur, nostrum est. Et ut generaliter universa complectar, quod possumus omne bonum facere, dicere, cogitare, illius est qui hoc posse donavit, qui hoc posse adiuvat: quod vero bene aut male loquimur, nostrum est; quia haec omnia vertere in malum etiam possumus. 169 Semler, »Historische Einleitung«, 290. 170 Zitat aus Aug., gr. et pecc. or. 1,5 (CSEL 42, 128,12 f. Urba/Zycha). 165 Semler,
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daher auch: »(dis gilt so gar auch bey der gratia operante, ausser wenn man Augustini irresistibilem gratiam annemen will)«.171 Auch die Äußerungen des Pelagius zur Gnade in seinem Paulusbriefkommentar zu Röm 7,19.23 und Phil 2,13 hätten Augustinus keineswegs zufriedengestellt:172 »Augustinus war damit nicht zufrieden, er sollte gratiam ad singulos actus efficacem und ἀνικητον auch behaupten. Uber exegetische Verschiedenheiten aber kann man keine haeresin erregen, da Pelagius so viel Vorgänger hatte.«173
Alle bisherigen Kritiken Semlers an Augustins Gnadenbegriff erscheinen jedoch verhalten, wenn er diesen schließlich als von der gratia Christi abweichend schildert und ins Lächerliche zieht. Dazu knüpft Semler an eine Aussage Augustins zur Beurteilung des kirchenpolitischen Vorgehens gegen die Pelagianer an: conciliorum episcopalium vigilantia, in adiutorio Salvatoris, qui suam tuetur ecclesiam toto christiano orbe damnati sunt.174 Semler deutet dieses Zitat so, dass laut Augustinus ein solches Vorgehen gegen die Pelagianer den Erlöser Christus selbst unterstütze. Semlers Anmerkung bezieht sich nun insbesondere auf das hervorgehobene in adiutorio Salvatoris, zu dem Semler in einer begleitenden Fußnote nun ein weiteres Augustinuszitat anführt, welches er als »mystisch« charakterisiert: unde uberiores deo debemus agere gratias, quam quod eius sic defenditur gratia ab eis quibus datur.175 Semler hat für ein solches Gnadenverständnis Augustins nur die schärfste Kritik übrig, verwirft dieses mit den drastischen Worten, eine solche Vorstellung sei »unerträglich schlecht und wirklich unchristlich«.176 Folge man der Vorstellung Augustins, so verteidige jeder, der an der Verurteilung Pelagius’ beteiligt sei, letztlich die Gnade Gottes, »quae eis datur, eben indem sie so handeln, […] adversus eos, quibus vel non datur, vel in‑ gratium est, quod datur, quia, ut eis gratum sit, occulto et justo dei judicio, non datur«.177 Semler, »Historische Einleitung«, 290, Anm. 487. Operatur in nobis velle quod bonum est, velle quod sanctum est, dum nos terrenis cupiditatibus deditos, et mutorum more animalium tantummodo praesentia diligentes, futurae gloriae magnitudine et praemiorum pollicitatione succendit; dum revelatione sapientiae in desiderium Dei stupentem suscitat voluntatem; dum nobis (quod tu alibi negare non metuis) suadet omne quod bonum est (Zitat Pelagius’ aus Aug., gr. et pecc. or. 1,10 [CSEL 42, 133,30– 134,6 Urba/Zycha]). 173 Semler, »Historische Einleitung«, 290, Anm. 487. 174 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 296 (im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler). Das Zitat stammt mit Auslassungen Semlers aus Aug., ep. 190,6 (CSEL 57, 157,14–18 Goldbacher). 175 Aug., ep. 191,1 (CSEL 57, 164,1–3 Goldbacher). Semler hat das Zitat aus Ussher, Britannicarum Ecclesiarum Antiquitates, 330 (nach der Ausgabe Whole Works, London, 1687) entnommen; dort folgt ebenfalls nahtlos die Fortsetzung des Zitats. 176 Semler, »Historische Einleitung«, 296. 177 Semler, »Historische Einleitung«, 297, Zitat aus Aug., ep. 191,1 (CSEL 57, 164, 3–5 Goldbacher). Das Zitat ist wie das vorangehende aus Ussher, Britannicarum Ecclesiarum Ant‑ 171
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Semler kann dies nur spöttisch kommentieren: »[I]st dis nicht artige Lehrart?«178 Eine solche Lehrmeinung, die letztlich eine gratia Dei beziehungsweise Christi vertritt, die zu ihrer Durchsetzung der Unterstützung nordafrikanischer Bischöfe bedarf, ist für ihn ein falsches Gnadenverständnis. Pelagius wurde laut Semler durch »solche unbegründeten Einfälle und africanischen Wetterleuchten« daher auch alles andere als »gelerter oder einsichtsreicher«.179 Mit jener Bemerkung bezweckt Semler keineswegs eine Kritik an Pelagius’ geistigen Fähigkeiten, sondern spöttelt viel mehr über die unverständlichen, schwammige Aussagen Augustins zur Gnade, die seiner Ansicht nach nicht nur keinerlei Erhellung bringen, sondern im Widerspruch zur wahren gratia Christi stehen: so schreibt Semler, haben Pelagius und seine Anhänger diese Gnade Gottes wirklich nicht; allerdings ermangeln sie dadurch auch nichts, denn »Augustini Erfindung und noch weniger diese defensio gratiae, ist nicht die gratia Christi, die wir zu unsrer Vereinigung mit GOtt und Seligkeit brauchen und haben«.180 Aufs Schärfste wird hier der Gnadenlehre Augustins widersprochen, indem Semler die klare Differenz zwischen Augustins Gnadenverständnis und der Gnade Christi, die zu Erlösung und Versöhnung mit Gott führe, betont. Insbesondere die oben aus dem Augustinuszitat abgeleitete Behauptung, Augustinus habe die Gleichsetzung eines drastischen kirchenpolitischen Vorgehens gegen die Pelagianer mit der Gnade Gottes vertreten, dient Semler als Nachweis für die Unchristlichkeit des augustinischen Gnadenbegriffs: Das Vorgehen der Bischöfe gegen Pelagius ist eben gerade nicht im Sinne der Gnade Christi, da es moralisch verwerflich und unchristlich ist und weder zu dieser Gnade hinführt, noch aus dieser hervorgeht. Keine wirkliche Begründung zur Widerlegung Pelagius’ liefernd habe sich Augustinus laut Semler zur Unterstützung seiner eigenen Ansicht schließlich eines Ediktes bedienen müssen. Letztlich sieht Semler damit keine überzeugenden Begründungen oder Beweise dafür, dass gratiam hanc Pelagianis non dari181. So einleuchtend diese Argumentation Semlers zunächst erscheint, so bemüht ist sie. Inhaltlich bietet Semler neben einer Flut aus Zitaten weniger Erkenntnisse darüber, wie sich bei den beiden Kontrahenten schließlich im Detail die Gnadenlehren gestalten; außerdem wird Pelagius’ Gnadenlehre von Semler nahezu ausschließlich vor dem Hintergrund einer selbst fehlerhaften Gnadenlehre Augustins gezeichnet, die zum einen in ihrer Engführung und Ausprägung als
iquitates, 330 (nach der Ausgabe Whole Works, London, 1687) entnommen, womit Semler an dieser Stelle seine Argumentation stark auf dessen aufbaut. 178 Semler, »Historische Einleitung«, 297. 179 Semler, »Historische Einleitung«, 297. 180 Semler, »Historische Einleitung«, 297. 181 Semler, »Historische Einleitung«, 297.
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gratia actualis eine Erfindung Augustinus sei, zum anderen gar als unchristlich charakterisiert und lächerlich gemacht wird.182 2.5.5. Die Prädestinationslehre als Erfindung und Lieblingslehre Augustins Hinsichtlich der dogmatischen Gehalte des pelagianischen Streites ist es Semlers erklärte Absicht, die Prädestinationslehre als »Augustini neue Lehre« aufzudecken: »Ich wil einige Stellen hier samlen, damit ich diese wilde und ungeschickte Lehre historisch beweise, daß es wirklich Augustini Erfindung und Haupt‑ oder Favoritenlehre, wodurch er allein sich ganz vornehmlich wider die Pelagianer zu wehren pflegte.«183
Die Prädestinationslehre ist damit als die zentrale Lehre, ja Lieblingslehre Augustins charakterisiert. Wenig überraschend stellt Semler in Bezug auf diese auch fest: »Augustin hatte seine eigne Vorstellung schon, aus dieser fliesset es, daß er mit andern Beschreibungen nicht zufrieden war.«184 Zunächst unterstellt Semler Augustinus damit eine große Starrköpfigkeit hinsichtlich einmal gewonnener Ansichten und mangelnde Flexibilität und Offenheit für andere Meinungen – dies will Semler sicherlich nicht nur auf dessen Ansichten zur Prädestination beschränkt wissen. Ferner kann diesem Satz entnommen werden, Augustinus habe eine eigene Meinung gebildet und knüpfe also nicht an bestehende kirchliche Traditionen oder die zeitgenössische Mehrheitskirche an, sondern schaffe mit seiner Prädestinationslehre eine gänzlich neue Lehre. Sie ist nicht nur »Augustins neue Vorstellung«,185 sondern in der Sicht Semlers Ursache noch gewichtigerer dogmatischer Folgen: »[H]ieraus entstunden nun sehr ungeschickte Fragen, insbesonders de duplici praede‑ stinatione, ad vitam und ad mortem; wenigstens haben wir die vielen theils wunderbaren Vorstellungen von Gnadenwahl, und Versehung zum ewigen Leben, welche nach und nach sich ausbreiten, und freilich mit andern Sätzen nun in eine Verbindung gesetzt werden musten, solchen lateinische Quellen, praedestinare, electi, und der besondern Hypothese Augustini zu danken, welche er übertrieb.«186 182 Pelagius’ Gnadenlehre kann Semler hingegen noch dreizehn Jahre später in den höchsten Tönen loben und verteidigen: »Was den Pelagius und seine gelehrten Teilnehmer betrift, so sind sie wahrlich von aller Gottlosigkeit weit entfernt gewesen; sie haben die neue Ordnung GOttes durch Christum aufs höchste geschätzt, waren auch selbst in derselben begriffen; folglich waren solche anathemata unnötig, als wenn sie gratiam Christi verachteten.« (Semler, Versuch einer freiern theologischen Lehrart, 363). 183 Semler, »Historische Einleitung«, 312, Anm. 508. 184 Semler, »Historische Einleitung«, 292, Anm. 490. Semlers Verwendung des Begriffs »Beschreibungen« bezieht sich auf dessen Unterscheidung der kontingenten und prozesshaft gewachsenen dogmatischen Lehre von der transzendenten göttlichen Wahrheit, vgl. hierzu Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 326 f. 185 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 303. 186 Semler, »Historische Einleitung«, 304.
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Semler sieht insbesondere in der augustinischen Schrift De praedestinatione die Quelle einer Vielzahl »ungeschickter Fragen« aufkommen, die sich um die Prädestinationslehre drehen: Die doppelte Prädestination allen voran, aber auch die negativ konnotiert als »wunderbar« beschriebenen Vorstellungen von göttlicher Erwählung und Vorhersehung, die sich ohnehin erst nach und nach ausbreiteten, aber keineswegs schon breite Akzeptanz gefunden hatten. Als Wurzel der Prädestinationslehre selbst macht Semler sowohl die unbiblischen Begriffe der lateinischen Übersetzung der Heiligen Schrift, die Augustinus nutzte, als auch gänzlich eigene Einfälle Augustins aus. Eine Verankerung in der nordafrikanischen Tradition kann Semler jedenfalls nicht ausmachen, wie er im Anschluss an Prosper von Aquitanien bemerkt: »[V ]iele halten diese Lehre Augustini für das Gegentheil von dem, was bisher die Väter oder Lehrer in der Kirche zu behaupten pflegten. Dis ist ein unleugbarer historischer Satz.«187
Augustinus habe sich kaum die Mühe gemacht, seine Lehrmeinung mit historischen Fakten als traditionell zu belegen. Und selbst da, wo er dies, wie im Falle der Anführung seines Landsmannes Cyprian getan habe, könne dieser bei genauerer Betrachtung nicht als Gewährsmann für die spezifische Erwählungslehre Augustins, dass Christus nur für einige, nicht aber für alle Menschen gestorben sei, angesehen werden.188 Letztlich vermerkt Semler gar, dass Augustinus und Cyprian überwiegend gänzlich verschiedene Lehrmeinungen vertreten hätten.189 Wirkliche Übereinstimmung mit Augustins Lehransichten findet sich für Semler lediglich in der Westkirche bei den Autoren, die wie er allein des Lateinischen mächtig sind: Sie alle haben die für die Interpretation der Folgen der Sünde Adams so zentrale Stelle Röm 5,12 laut Semler so verstanden wie Augustinus und somit zur »doppelten Auslegung, ohne boshaften Vorsatz«190 beigetragen. 2.5.6. Die Wurzeln der Prädestinationslehre in mangelhafter Schriftauslegung und unangemessenen dogmatischen Ableitungen Wie schwer begründbar die Prädestinationslehre Augustins mit der Heiligen Schrift ist, zeigt sich für Semler immer wieder in den mühsamen Auslegungen und Anführungen verschiedener Schriftzitate durch Augustinus: »Augustinus kan sich auch nicht gut helfen, was den öffentlichen Vortrag von solchem Lehrsatze der Prädestination betrift; er sagt, dicendum est verum, ut, qui potest capere, 187 Semler,
»Historische Einleitung«, 306, Anm. 501. Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 306, Anm. 501, sowie 306–308, Anm. 501. 189 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 306, Anm. 501. 190 Semler, »Historische Einleitung«, 308, Anm. 501. 188
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capiat; welcher Ausspruch Christi sehr elend angebracht ist, wie er die Hauptsache, aus Röm. 9 und 11 eben so schlecht beweiset. Hatte wohl Christus jemalen von solcher Prädestination geredet, und versteht nicht Paulus, (wenn man nicht ein eben so ungeschickter und unfleissiger Ausleger der Bibel ist, wie Augustinus.) ganz andere Sachen, wenn er sagt, GOtt hat uns, alle Christen, ἐξελεξατο?«191
Gemäß Semler gelingt es Augustinus kaum, seine eigene Lehre öffentlich gut zu verkaufen, besser wird es auch nicht durch die Einbeziehung des Christuszitats aus Mt 19,12. Handelt es sich hierbei noch um ein Element, dass auf die Unfassbarkeit der göttlichen Vorherbestimmung und Erwählung zielt, also den geheimen göttlichen Ratschluss, so werden die zentralen Paulusstellen von Röm 9–11 von Augustinus zur inhaltlichen Untermauerung der Prädestinationslehre herangezogen. Doch auch deren Auslegungen führen Semler zur Behauptung, dass Augustinus ein miserabler Exeget sei, stehe seine Prädestinationslehre, die er so schlecht mit der Schrift begründet habe, doch nicht im Einklang mit den Worten des Apostels Paulus, geschweige denn Jesu Christi selbst. Denn die Botschaft Paulus’ lautet in der Interpretation Semlers, dass alle Christen durch Gott erlöst seien, nicht etwa nur ein kleiner auserwählter Teil der Christen aufgrund einer für die Menschen unverständlichen, geheimnisvollen göttlichen Entscheidung, wie es Augustinus verstand. Tatsächlich sieht Semler in einer Vielzahl der antipelagianischen Schriften Beispiele miserabler Schrifthermeneutik und unangemessener dogmatischer Schlussfolgerungen.192 Die Wiedergabe einer längeren Stelle aus Contra Iulianum schließt Semler mit dem unmissverständlichen Vermerk: »Das heißt schlecht dogmatisirt, viel unbilliger als Pelagius und Julianus thaten.«193 Insbesondere in einem Werk Augustins sieht Semler jedoch den völlig unfähigen Exegeten am Werk: »In dem Buche de correptione et gratia ist eine rechte Menge von elenden Schrifterklärungen und ungegründeten Beschreibungen.«194 Als exemplarischen Beleg für diese Behauptung führt Semler Augustins Auslegung von Joh 6,70 f. an, wo geschrieben steht: »Jesus antwortete ihnen: Habe ich nicht euch Zwölf erwählt? Und einer von euch ist ein Teufel. Er redete aber von Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Der verriet ihn hernach und war einer der Zwölf.« Augustinus interpretierte dies in De correptione et gratia 14 wie folgt:
Semler, »Historische Einleitung«, 310 f., Anm. 506. Semler verweist für Beispiele allgemein auf die Werke Aug., c. ep. Pel. (CSEL 60, 423– 570 Urba/Zycha) sowie c. Iul. (PL 44, 641–874) und corrept. (CSEL 92, 219–280 Folliet), vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 312, Anm. 508. 193 Semler, »Historische Einleitung«, 313, Anm. 508. 194 Semler, »Historische Einleitung«, 313, Anm. 508. 191 192
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Nonne ego vos duodecim elegi, et unus ex vobis diabolus est? (Io VI, 71), illos debemus in‑ tellegere electos per misericordiam, illum per iudicium; illos ad obtinendum regnum suum, illum ad fundendum sanguinem suum.195
Semler kommentierte diese Auslegung Augustins wiederum mit den vernichtenden Worten: »War wol damalen Christi Vorstellung, elegi duodecim? Aber Augustinus macht aus lateinischen Worten Quellen zu dogmatischen Begriffen.«196 Die Worte Christi in dieser Schriftstelle sollen Semler gemäß keine allgemeingültige und umfassende Prädestinationslehre begründen, sondern bezogen sich ausschließlich auf die Erwählung der zwölf Jünger Jesu. Oder sollte Christus etwa im Sinne einer allgemeinen Erwählung aus der ganzen Menschheit nur diese zwölf Jünger erwählt haben? Semlers Kritik lautet daher, Augustinus leite aus der lateinischen Bibelübersetzung, die er ohnehin als minderwertig ansah, dogmatische Fachbegriffe und Vorstellungen ab, die so vormals nicht dogmatisiert wurden, geschweige denn von Christus selbst in diesem Sinne intendiert waren. Augustinus missinterpretiert beziehungsweise überinterpretiert daher die genannte Schriftstelle. Besonders deutlich wird diese Kritik an dem Exegeten und Dogmatiker Augustinus jedoch an einem Kommentar zu einer Stelle aus Augustins De dono per‑ severantiae: Illud fidelibus debet esse certissimum, hunc esse ex praedestinatis, illum non esse. Nam si fuissent ex nobis, ait unus praedestinatorum, qui de pectore Domini biberat hoc secretum, mansissent utique nobiscum.197
Semler kommentiert diese Auslegung von 1 Joh 2,19 (»Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns.«) spöttisch mit: »Kann man dis anders als einfältig, ungeschickt, unwürdig nennen, und solten wol die Pelagianer dadurch eine Besserung und Aenderung ihrer Erkentnis bekommen? Denn 1) ist ja sichtbar, daß Johannes in seinem Briefe nicht eine Silbe von praedestinatis hat; wie konte jemand, der nicht lateinisch erklärt, im griechischen solche Vorstellungen fassen? 2) Ist es ja unleugbar eine exegetische Schleicherey, Johannes, der an der Brust Christi, blos der Folge des Orts nach, dismal, gelegen, wie bey accumbere der Ordnung nach geschiehet, habe dis secretum aus der Brust Christi gesogen. Kan was unerträglicheres in der Exegesi vorkommen? Man vergleiche aber wieder mit solchen Vorstellungen, den Begriff von Christi Genugthuung für die massam perditionis, oder für alle natürlich in Sünde und reatu seienden Menschen; und urtheile, ob Augustinus wol solche Vorstellung gehabt habe, von Seligkeit durch den Glauben an Christum, von Rechtfertigung etc. als wir haben?«198
195 Aug.,
corrept. 14 (CSEL 92, 235,32–35 Folliet). Semler, »Historische Einleitung«, 313, Anm. 508. 197 Aug., persev. 21 (PL 45, 1004). 198 Semler, »Historische Einleitung«, 313 f., Anm. 508. 196
198
C. Wendepunkt und Hinwendung
Auch diese Auslegung beziehungsweise Instrumentalisierung von 1 Joh 2,19 betrachtet Semler als misslungen: Zum einen findet sich im griechischen Urtext der Heiligen Schrift nicht der von Augustinus hineingelesene lateinische Begriff praedestinatis, zum anderen ist die weitere Auslegung der Schriftstelle in seinen Augen schlichtweg ein peinliches Armutszeugnis für seine missratene Exegese. Aber noch ein dritter, neuer Gedanke ist hier wichtig, der Semler immer wieder umtreibt: Der Leser soll sich aufgrund der gelieferten Beispiele ernsthaft fragen, ob die von Augustinus vertretene Lehrmeinung zur Prädestination und seine christologischen Vorstellungen überhaupt in Einklang stehen mit der protestantischen Rechtfertigungslehre! Bereits zuvor bemerkte Semler hinsichtlich der problematischen Verbindung von Erwählungslehre und Christi Versöhnungstat im augustinischen Lehrsystem: »Man bedenke indessen, ob Augustinus den Lehrbegrif gehabt habt, von Christi Genugthuung für die Menschen, und ob er alsdenn noch hätte von massa perditionis reden können?«199
2.5.7. Der geheime Ratschluss Gottes als »Totschlagargument« Augustins zur Verteidigung seiner Gnaden‑ und Prädestinationslehre Ohnehin sieht Semler den – im wahrsten Sinne des Wortes – fatalen Punkt in der Gnadenlehre Augustins auch darin, dass dieser und seine Anhänger die Gnade geradezu als fatum verstanden hätten. Semler knüpft damit an ein Zitat aus Julians Schreiben an Rufus von Thessaloniki an.200 Darin wird den Pelagius verurteilenden Bischöfen unter anderem vorgeworfen, dass sie unter Gnade nichts anderes als ein fatum verstünden.201 Augustins Entgegnung zu diesem Vorwurf kommentiert Semler mit den Worten, Augustinus habe »nicht deutlich und gründlich« auf diesen Vorwurf geantwortet.202 Zum einen wendet Semler hiermit ein typisches Motiv der Pelagiuskritik gegen Augustinus – nämlich der Vorwurf, sich unklar, gar zweideutig auszudrücken; zum anderen knüpft Semler an die gängige Augustinuskritik an, nämlich dass dieser seine Lehre keineswegs so klar formuliert habe, wie er es selbst von seinen Gegner forderte. Daher sieht Semler auch kein Problem darin, wenn Julian und seine Anhänger diese »wunderliche Sache«, nämlich die Gnaden‑ und Prädestinationslehre Augustins, auch mit »einem wunderlichen Namen« (fatum) benennen, Semler, »Historische Einleitung«, 312, Anm. 508.
199
200 Zum Schreiben Julians an Rufus von Thessaloniki vgl. Semler, »Historische Einleitung«,
300, Anm. 497 sowie Wermelinger, Rom und Pelagius, 236–238; und Lössl, Julian, 124, Anm. 231. 201 [S]ub nomine gratiae ita fatum. (Iul., ep. Ruf. 4 [CChr.SL. 88,337,28–32 De Coninck/ D’Hont]), zitiert bei Semler, »Historische Einleitung«, 300 (im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler). Zu Julians Verwendung des Begriffes fatum vgl. Lössl, Julian, 124. 202 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 300.
I. Johann Salomo Semlers Arbeiten zum pelagianischen Streit
199
anstatt sich Augustins Redensart anzuschließen und seine Konzeption einer Erwählung einzelner aus der Masse der Menschen gradewegs als gratia zu bezeichnen.203 Semler wie auch Julian konnten darunter keine Gnade, sondern nur pure Willkür in Gestalt einer unbegründeten und unergründlichen Vorherbestimmung verstehen. In ihrer Sicht ist die Gnadenlehre Augustins so durch dessen Prädestinationslehre geprägt, eingegrenzt und bestimmt, dass sie Gnade bei Augustinus provokant mit fatum gleichsetzen. So versteht sich auch der Einwand, dass sich Augustins Gnaden‑ und Prädestinationslehre keineswegs mit der protestantischen Rechtfertigungslehre und der biblischen Aussage, dass Christi Versöhnungstat zur Erlösung aller Christen geschah, verträgt. Den geheimen Ratschluss Gottes dabei als letztliche Begründung, ja als Beweis für diese Prädestinations‑ und Gnadenlehre anzuführen, empfindet Semler als schlechte Ausflucht Augustins, dem es besserer Argumente ermangele.204 Semler verdeutlicht dies anhand eines erneuten Zitats aus Augustins De dono perseverantiae: Ex duobus itaque parvulis originali peccato pariter obstrictis, cur iste assumatur, ille relinquatur, et ex duobus aetate iam grandibus impiis, cur iste ita vocetur, ut vocantem sequatur, ille autem aut non vocetur, aut non ita vocetur, inscrutabilia sunt iudicia Dei. Ex duobus autem piis, cur huic donetur perseverantia usque in finem, illi non donetur, in‑ scrutabiliora sunt iudicia Dei.205
Semler konzentriert seine Kritik dabei vor allem auf das in der zitierten Stelle so häufig angeführte Pauluszitat aus Röm 11,33 (»Wie unbegreiflich sind seine Urteile«): »Augustinus könte ja noch mehr Einfälle aufgeschrieben und blos zur Beschützung derselben gesagt haben, inscrutabilia sunt iudicia dei; würde dadurch ein anderer ehrlicher Christi, wie doch viele Pelagianer gewesen sind, wol einige Ueberzeugung bekommen, die er seiner eigenen Einsicht und Gewissen könte entgegen setzen? Daß Paulus diesen Satz gegen Juden gebraucht, die es mit zu ihrer Gewonheit schon hatten, alle Heiden als eine geringe Kleinigkeit vor GOtt, gegen sich, anzusehen: gibt dis einem jeden Lehrer das Recht, in ganz anderer Zeit, und unter ganz andern Umständen der Zeit und Menschen, es immer nachzusagen? Ist er auch ein Apostel?«206
Die Kritik Semlers lautet hier erstens, dass Augustinus das Zitat aus Röm 11,33 beziehungsweise den Verweis »unerforschlich sind Gottes Ratschlüsse« lediglich vorschiebt, um seine eigenen Ideen und Erfindungen zu schützen und zu legitimieren, was freilich niemanden wirklich überzeugt, erst recht nicht ehrliche Christen, wie es eben laut Semler die meisten Pelagianer waren. Zweitens Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 300, Anm. 498. »[E]r weis nichts zu antworten, als man solle sich die Sache ex occulto dei iudico […] beweisen lassen.« (Semler, »Historische Einleitung«, 300, Anm. 498). 205 Aug., persev. 21 (PL 45, 1004), zitiert nach Semler, »Historische Einleitung«, 313, Anm. 508). 206 Semler, »Historische Einleitung«, 313, Anm. 508. 203 204
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kritisiert der Exeget Semler, dass Augustinus jenes Zitat aus seinem konkreten zeitlichen Kontext herausgerissen habe und es folglich falsch angewandt ist, da es sich lediglich auf die spezifische Situation des Paulus in Abgrenzung von manchen jüdischen Ansichten damaliger Zeit handelt, die er in dem bekannten Passus Röm 9–11 verhandelte. Die rhetorischen Schlussfragen sind höchst spöttisch gemeint – und beide klar mit »Nein« zu beantworten. Auch Zitate aus Augustins De gratia Christi et de peccato originali 1,11 und 1,13 f. führt Semler an, um den geheimen Ratschluss durch die Frage, warum nicht allen Menschen die Gnade Christi zuteilwerde, als zentrales Hauptproblem der Prädestinations‑ und Gnadenlehre aufzuzeigen.207 Eher spöttisch führt Semler dazu an, Augustinus habe darauf »blos« »o welch eine Tiefe des Reichthums«, ebenfalls Röm 11,33 entnommen, geantwortet. Eine Antwort, die Semler sichtlich zuwider ist und ihm mehr als unbefriedigend erscheint – nicht zu Unrecht, kann man dies doch getrost als »Totschlagargument« bezeichnen. Besonders ersichtlich wird dieser menschliche Widerstand gegen den geheimen göttlichen Ratschluss auch hinsichtlich des augustinischen Taufverständnisses. Augustins gratia irresistibilis208 sei übermäßig stark auf die Taufe zentriert; und daher könne Augustinus für das Schicksal derjenigen, welche diese nicht erhalten – konkret Säuglinge, die frühzeitig versterben – nichts Anderes bereithalten als sein Todschlagargument des geheimen, aber doch gerechten Ratschlusses Gottes.209 Wie unbefriedigend, ja skandalös Semler dieser lapidare und gnaden-lose Verweis Augustins auf die Unergründbarkeit des göttlichen Urteils zum Nachweis der eigenen Gnaden‑ und Prädestinationslehre ist, wird durch das häufige Rekurrieren Semlers auf dieses Thema immer wieder deutlich; er kann sich nicht davon losreißen, diese Vorstellung vom geheimen Ratschluss nicht als letztliche Begründung akzeptieren zu wollen, zerstört sie doch nicht nur seiner Meinung nach sämtliche Freiheit des Menschen, den letzten Abglanz Gottes in seiner Seele, sondern zugleich Gottes gnadenvolles Handeln, ja die Gnade Christi selbst. 2.5.8. Augustins Gnaden‑ und Prädestinationslehre im Widerspruch zum aufgeklärten Denken Schlussendlich beurteilt Semler die Gnadenlehre und die mit dieser eng verbundene Prädestinationslehre nicht allein als Erfindungen Augustins, sondern auch als groben Unfug. 207 Semler, »Historische Einleitung«, 292, Anm. 490 mit gekürzten Zitaten aus Aug., gr. et pecc. or. 1,11 (CSEL 42, 134,17–21 Urba/Zycha) und 1,13 f.(CSEL 42, 136,9–22 Urba/Zycha). 208 Augustinus selbst verwendete diesen Terminus jedoch nicht. 209 »Augustin rechnet von seiner gratia irresistibili das meiste auf die Taufe; und wer diese nicht bekomt, für den weis er weiter nichts, als occultum sed justum die judicum.« (Semler, »Historische Einleitung«, 303, Anm. 499).
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201
Augustins Ausführungen zur Erwählung Gottes und der Kindertaufe in deren Kontext bezeichnet Semler daher auch als »Augustini ungeschickte […] Einmischung seiner wunderlichen Bestreitung der Manichäer«,210 Augustins Aussagen in ep. 217211 zur Prädestination kommentiert er mit den Worten: »Augustin es sich einbildet.«212 Angesichts dieser für Semler so abstrusen, unlogischen Lehre Augustins ist es für Semler daher auch wenig überraschend, wenn sich vernünftig denkende Menschen mit Pelagius oder seinen Anhängern identifizieren können und wollen: »Wäre es wol einem vernünftigen Menschen zu verdenken, viel lieber Pelagius und Julianus wieder zu heissen, als solche alberne Dinge zu Grundsätzen in der christlichen Glaubenslehre zu machen?«213
Wird hier Augustins Lehre als wunderlich, lächerlich und unwürdig, zu den christlichen Glaubensgrundsätzen gezählt zu werden, bezeichnet, so werden Pelagius und Julian in ihrem Widerspruch zum augustinischen Lehrbegriff als aufklärerische Identifikationsfiguren für an der Vernunft orientierte Menschen gezeichnet. Krasser könnte der Gegensatz nicht ausfallen: Der Kirchenvater als Vertreter absurder, der Vernunft und Schrift widerstreitender Vorstellungen, die vermeintlichen Häretiker hingegen als voraufklärerische Identifikationsfiguren für den aufgeklärten Menschen, der sich seiner Vernunft bedient. Wie sehr die Prädestinationslehre dem aufgeklärten Menschen widerspricht, wird besonders in der Kritik Semlers deutlich, dass diese die Menschen nicht ermutigt, sondern moralisch entmutigt, verzweifelt und träge mache.214 Dazu trägt besonders die entmutigende Vorstellung des geheimen Ratschlusses Gottes (occultum dei judicium) bei. Mit der rechten Glaubenslehre von der Gnade hat dies für Semler nichts mehr zu tun: Was schließlich könnte beweisen, dass das Vorgehen der nordafrikanischen Bischöfe gegen die Pelagianer und die Intervention am Kaiserhof eine Verteidigung der Gnade sei, »da es defensio der africanischen Vorstellung war?«215 Nichts Anderes sei dort verteidigt worden als der nordafrikanische Gnadenbegriff, wie er von Augustinus geprägt wurde, nicht aber die wirkliche Gnade Gottes, so ist es aus Semlers Worten herauszulesen. Augustins und der Semler, »Historische Einleitung«, 301. [T]am multos, volentibus hominibus, sed deo nolente, saluos non fieri, contraria esse non possint (Aug. ep. 217,19 [CSEL 57, 418,2–4 Goldbacher] zitiert bei Semler, »Historische Einleitung«, 301, Anm. 498). 212 [T]am multos, volentibus hominibus, sed deo nolente, saluos non fieri, contraria esse non possint (Aug. ep. 217,19 [CSEL 57, 418,2–4 Goldbacher]). Zitiert und kommentiert bei Semler, »Historische Einleitung«, 301, Anm. 498. 213 Semler, »Historische Einleitung«, 301, Anm. 498. 214 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 309 f. 215 Semler, »Historische Einleitung«, 297. 210 211
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nordafrikanischen Bischöfe Gnadenverständnis ist eben nicht die wahre Gnade. Der Sprengkraft dieser Aussage ist sich Semler voll und ganz bewusst: »Ich werde mit niemanden Streit hierüber füren.«216 Semler ist sich aber sicher, dass seine Leser sich keineswegs von dem Augustinus zugeschriebenen Heiligentitel blenden lassen werden, sondern vielmehr durch Nachdenken – und natürlich Lesen seiner Bemerkungen! – »hier bald zu mehrerer Einsicht gelangen werden«,217 worunter Semler wohl nichts anderes versteht, als zur selben Meinung wie er zu gelangen. Ohnehin, so Semler, »braucht niemand sich Augustini jetzige neue Erfindung« – die Prädestinationslehre – aufgrund dessen Ansehen und unter Auslassung eigener Erwägungen »zur wirklichen Glaubenslehre […] machen zu lassen«.218 Der kritische Leser soll demzufolge keinerlei Rücksicht auf das hohe Ansehen nehmen, welches Augustinus genießt, sondern sich seines eigenen Verstandes zur Beurteilung dieser Gnaden‑ und Prädestinationslehre bedienen. Dass man auf diesem Wege nur zu einer Verwerfung des Gnaden‑ und Prädestinationsbegriffes Augustins kommen könne, ist für Semler selbstverständlich und seine ganze Darstellung des dogmenhistorischen und dogmatischen Gehalts des pelagianischen Streites daraufhin ausgelegt. 2.6. »Wo hat Augustinus also die Rechtfertigung der Protestanten?« Mangelhafte Christologie als Wurzel verfehlter Soteriologie bei Augustinus 2.6.1. Ungeklärte christologische Voraussetzungen Doch Semler bietet seinen Lesern neben dieser in aller Breite vorgetragenen Kritik an der erfundenen Prädestinationslehre eine weitere Argumentationslinie gegen die Stringenz der augustinischen Soteriologie: dazu verortet er diese in der Nähe einer nestorianischen Christologie.219 Die »Hauptsache« in der Frage nach der Rechtfertigung des Menschen kann Semler rückblickend im Sinne der unzertrennlichen Verschränkung von Soteriologie und Christologie bei Luther formulieren, kommt auf den »Begrif von Christi Leben und Sterben an, für uns, für die Sünden«.220 Zur Zeit des pelagianischen Streites wie auch zuvor sei die Frage nach Sinn und Zweck des Lebens und Kreuzestodes Christi für die Menschen als Sünder »noch lange nicht festgesetzt und untersucht worden«.221 Augustinus habe daher eine frühe, wenig ausgereifte Position zur Zurechnung der Gerechtigkeit Christi (imputatio ju‑ stitiae Christi) vertreten, die eben nicht so gewesen sei, »wie es ferner nach und 216 Semler,
»Historische Einleitung«, 297. »Historische Einleitung«, 297. 218 Semler, »Historische Einleitung«, 301. 219 Im Folgenden vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 303, Anm. 499 sowie 304. 220 Semler, »Historische Einleitung«, 303, Anm. 499. 221 Semler, »Historische Einleitung«, 303, Anm. 499. 217 Semler,
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203
nach konnte zusammengesetzt werden, da die Lehre von der Person Christi, in 2 volständigen Naturen, besser und deutlicher war ausgemacht worden«.222 Ohne auf die theologischen Feinheiten der angesprochenen Imputations‑ und Zwei-Naturen-Lehre einzugehen, zeichnet Semler Augustinus in eine vielfältige und fluide Zwischenzeit ein, in der zentrale dogmatische Festlegungen zur Christologie, wie die Entwicklungen des christologischen Streites in Folge der Auseinandersetzung zwischen alexandrinischer und antiochenischer Schule und die christologisch relevanten Konzilsbeschlüsse von Ephesus 431 beziehungsweise Chalkedon 451 noch nicht vorlagen, ganz zu schweigen von den späteren reformatorischen, insbesondere lutherischen Einsichten zur darauf aufbauenden christozentrischen Soteriologie als Kern der Theologie selbst. Genau jener christologische Aspekt der Soteriologie ist es, den Semler als grundlegende Schwäche der augustinischen Gnadenlehre ausmacht: speziell die Frage nach der Ausgestaltung der Idiomenkommunikation und damit einhergehend nach der Zwei-Naturen-Lehre sowie nach dem Stand der Erniedrigung Christi in seinem Leben und Sterben führen Semler schließlich zu der Antwort, dass Augustins Gnadenlehre nur durch anachronistisches Hineinlesen späterer reformatorischer Lehrmeinungen mit der lutherischen Rechtfertigungslehre zu vereinbaren sei – im Umkehrschluss könnte man freilich die Legitimität des Vorgehens Semlers, da er die augustinische Christologie an der Luthers bzw. seiner Zeit beurteilt, hinterfragen.223 Diese Kritik an der augustinischen Christologie im Kontext der Soteriologie ist es, die Semlers Darstellung der dogmatischen Gehalte des pelagianischen Streites bereichert.224 Semler ist damit einer der ersten, die dem Aspekt der Christologie im Rahmen des pelagianischen Streites ihre Aufmerksamkeit widmen und ihr eine zentrale Rolle innerhalb dieser Kontroverse zuweisen; überwiegend sollte dies erst in den Untersuchungen des 20. Jahrhunderts der Fall sein.225 Allerdings beschränkt sich Semlers Untersuchung auf die für ihn mangelhafte Christologie Augustins im Kontext seiner Gnadenlehre, wohingegen Semler keine Erwägungen zu den christologischen Ansichten des Pelagius vornimmt.226 Semler, »Historische Einleitung«, 303, Anm. 499. Freilich sähe Semler diesen Vorwurf wohl als unbegründet an, da sein Gedanke der Perfektibilität des Christentums und damit einhergehend die Verbesserung und Präzisierung der christlichen Lehre ihm hier Legitimationsgrund ist. 224 Semler widmete sich dem Verhältnis von Christologie und Soteriologie noch 1787 ausführlich, vgl. Johann Salomo Semler, Vorbereitung auf die Königlich Großbritannische Aufgabe von der Gottheit Christi (Halle: Hemmerde, 1787 [= ND: Johann Salomo Semler, Christologie und Soteriologie. Mit Einleitung, Kommentar und Register, hg. v. Gottfried Hornig/Hartmut R. Schulz. Würzburg: Königshausen & Neumann, 1990]); vgl. hierzu Hornig, Studien, 136–159. 225 Die jüngste Untersuchung zur Christologie im pelagianischen Streit bietet Dominic Keech, The Anti-Pelagian Christology of Augustine of Hippo, 396–430. Oxford Theology and Religion Monographs (Oxford: Oxford University Press, 2012). 226 Dazu sollte erst die Pelagiusforschung des 20. Jahrhunderts auf Basis der Rekonstruktionen weiterer Schriften des Pelagius kommen, vgl. Anthony Dupont, »Die Christusfigur des 222 223
204
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2.6.2. Die unverdiente Sohnschaft Christi Semlers Hauptargumentation gegen die augustinische Christologie und ihre soteriologischen Konsequenzen ist ohnehin nicht im Rahmen des unmittelbaren pelagianischen Streites zu finden, sondern im Abschnitt zum Streit um den Semipelagianismus.227 Semler möchte dort »Augustini Lehre de gratia noch insbesondere historisch kurz untersuchen und seine Vorstellungen etwas näher bestimmen«.228 Tatsächlich folgt hier jedoch keine historische Untersuchung im Sinne einer erneuten rückblickenden dogmenhistorischen und ‑kritischen Dekonstruktion; vielmehr spielt im Folgenden der Gedanke einer historischen Entwicklung nur insofern eine Rolle, als damit die Differenz zur späteren, weiter entwickelten protestantischen Christologie und letztlich Rechtfertigungslehre offenkundig werden soll. Zu diesem Endzweck bedient sich Semler einer Collage augustinischer Zitate aus dessen späten antipelagianischen Werken De correptione et gratia, De praede‑ stinatione sanctorum, De dono perseverantiae und schließlich Contra Iulianum opus imperfectum. Überwiegend lässt Semler diese für sich selbst sprechen, lediglich durch gelegentliche Hervorhebungen von für ihn zentralen Begriffen und zunächst kurzen Kommentaren wird seine Zielrichtung dabei sichtbar. Bereits anhand der Zitate aus De correptione et gratia 29 und 30 möchte Semler die Stellung und Funktion Christi in der augustinischen Soteriologie verdeutlichen. So arbeitet Semler mit den ersten beiden Zitaten zunächst auf die von Augustinus selbst proklamierte Relevanz und Macht der Gnade Christi hin: »Adam hat keine dergleichen gratiam nötig wie seine Nachkommen; in tali certamine laborantes ac periclitantes dari sibi pugnandi vincendique virtutem per Christi gratiam poscunt.«229 Im darauffolgenden Zitat wirft Augustinus die Frage
Pelagius: Rekonstruktion der Christologie im Kommentar von Pelagius zum Römerbrief des Paulus«, Aug(L) 56 (2006): 321–372; sowie ders., »The Christology of the Pre-controversial Pelagius: a Study of ›De natura‹ and ›De fide trinitatis‹, complemented by a Comparison with ›Libellus fidei‹«, Aug(L) 58 (2008): 235–257. 227 Auf die Christologie, insbesondere die Aspekte der Satisfaktions‑ bzw. Versöhnungslehre, kommt Semler direkt im an die Darstellung des pelagianischen Streites anschließenden Paragraphen zu sprechen, der sich primär mit den Semipelagianern und den vermeintlichen »Prädestinatianern« befasst, vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 319–324. Da Semler sich hier aber immer wieder, im Fließtext wie in den Anmerkungen, auf Pelagius und den pelagianischen Streit und nicht nur auf die Situation im gallischen Mönchtum der Folgezeit bezieht, verdienen auch diese Äußerungen eine vertiefte Betrachtung. 228 Semler, »Historische Einleitung«, 319. 229 Semler, »Historische Einleitung«, 319 mit Zitat aus Aug., corrept. 29 (CSEL 92, 253,14–16 Folliet); im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler. Die im Druck Semlers vorfindbare Kapitelangabe 39 ist nicht korrekt.
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205
auf, welche Gnade mächtiger sein soll als die des eingeborenen Sohnes Gottes (quae [gratia] potentior, quam dei unigenitur filius).230 Die Beschaffenheit jenes Sohnes Gottes, dessen Gnade die Menschen bedürfen, rückt Semler nun mit dem nächsten Zitat Augustins in den Vordergrund:231 In Abgrenzung von apollinaristischer Christologie betont Augustinus mit der Inkarnation die vollständige susceptio hominis in Vernunftseele und Leib des Menschen Christi.232 Ohne vorangehende Verdienste seiner eigenen Gerechtigkeit (nullis justitiae suae praecedentibus meritis) sei dieser Mensch Christus so von Beginn an (ab initio) der Sohn Gottes. Es besteht folglich keine kausale Folge zwischen vorangehenden Verdiensten Christi und seiner Sohnschaft. Nicht nur wäre dies in Anbetracht des ab initio in der Zeitenfolge logisch unmöglich, sondern selbst in Anrechnung des gerechten Lebenswandels und der Sündenfreiheit des Menschen Christus wären diese als Verdienste Christi nicht der Grund dafür, dass er Sohn Gottes wurde; mit Augustinus selbst gesprochen: Jener Mensch Christus verdiente nicht aufgrund seiner Verdienste, Sohn Gottes zu sein.233 Das wird auch in der Fortsetzung des Zitats überdeutlich: Jene besondere nativitas Christi, in gnadenhafter Personeinheit von Mensch und Gott, Fleisch und Logos (in unitatem personae hominem deo, carnem verbo) ist nicht der Verdienst guter Werke (non bona opera merverunt), sondern gute Werke folgten aus dieser besonderen nativitas Christi. So weit bleibt zweierlei für Semlers Argumentation anhand dieser Zitate festzuhalten: Augustinus betont zum einen die unübertroffene Macht und Relevanz der Gnade Christi für die Erlösung der Menschen, zum anderen, dass der Mensch Christus nicht aufgrund eigener Verdienste zum Sohn Gottes erwählt wurde. 230 »Nun beschreibt er diese gratiam weiter: ›Proinde etsi non interim laetiore nunc, verum tamen potentiore gratia indigent isti; et quae (gratia) potentior, quam dei unigenitus filius, sequalis patri et coaeternus, pro eis homo factus, et sine suo ullo vel originali vel proprio peccato ab hominibus peccatoribus crucifixus?‹« (Semler, »Historische Einleitung«, 319 mit Zitat aus Aug., corrept. 30 [CSEL 92, 254,1–5 Folliet]; im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler). 231 »Also dei filius homo est gratia potentior, qua indigemus. Deus ergo naturam nostram, i. animam rationalem carnemque hominis Christi, suscepit; susceptione singulariter mirabili vel mirabiliter singulari, ut nulli (sol nullis heissen) justitiae suae praecedentibus meritis, filius dei sic esset ab initio (homo Christus), quo esse homo coepisset, ut ipse et Verbum quod sine initio est, una persona esset.« (Semler, »Historische Einleitung«, 319 mit Zitat aus Aug., corrept. 30 [CSEL 92,254, 10–15 Folliet]; im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler). 232 Zu Augustins Ablehnung des Apollinarismus vgl. Volker H. Drecoll, »Der Christus humilis«, in Augustin Handbuch, hg. v. dems., 438–445 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007), 441. 233 »Denn es wird doch niemand sagen, quamvis de Spiritu sancto et virgine Maria filium hominis natum, per liberum tamen arbitrium bene vivendo et sine peccato bona opera faciendo, meruisse, ut esset dei filius […].« (Semler, »Historische Einleitung«, 319 mit Zitat aus Aug., corrept. 30 [CSEL 92, 254,17–19 Folliet]; im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler).
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2.6.3. Christi Leben und Leiden als Beginn des Versöhnungsgeschehens Semler geht in seiner Argumentation anhand der Zitate nun einen Schritt weiter und vertieft sich auf Christi Mittlerfunktion bei Augustinus: Per hunc mediatorem deus ostendit eos, quos eius sanguine redemit, facere se ex malis de‑ inceps in aeternum bonos; quem (mediatorem deus) sic suscepit, ut numquam esset malus, nec ex malo factus semper esset bonus.234
Augustinus setzt hier Christus in seiner Funktion als Mittler zwischen Mensch und Gott mit den Menschen, die durch dessen Blut vom Bösen erlöst und auf ewig gut gemacht werden, parallel: So wie die so Erlösten forthin gut sein werden, so ist es Christus auf ewig. Semler kommentiert die betreffende Stelle daher wie folgt: »Ich gestehe, daß ich hier wenig verstehe, wozu Augustinus solche wunderliche Vergleichungen macht; aber ich mus es noch mehr zu erleutern suchen, damit man es etwa noch einsehen kann.«235 Bevor er die bisherigen Erläuterungen anhand weiterer Zitate vertieft, bietet er in einer Anmerkung zum per hunc mediatorem deus ostendit aufschlussreiche Ansichten bezüglich seiner skeptischen Meinung zur Funktion Christi innerhalb der Soteriologie Augustins: »Ich kan diese Construction nicht anders verstehen: als GOtt hat zeigen wollen, an demjenigen, was er mit Christo hat vor sich gehen lassen, was er ebenfals für große Veränderungen an den Subjectis bewerkstellige, für welche Christus gestorben ist; quos sanguine eius redemit; wonach das Leben und Leiden Christi nur zum Anfang der Versönung dieser wenigen Menschen gehört; ihre justificatio aber durch gratiam oder gratuitam operationem, potentiam dei, an ihnen selbst inhaesive bewerkstelliget wird.«236
Expliziert man die Kritik, die in diesen Selbstaussagen Semlers zum Verständnis der augustinischen Christologie und Soteriologie steckt, dann erscheint der Mittler Christus hier zugespitzt lediglich als ein anschauliches Mittel, durch dessen Wesen und Werden Gott hat aufzeigen wollen, was er an Veränderungen mit denjenigen Menschen beabsichtigt, für die Christus am Kreuz gestorben ist, folglich: für diejenigen, die Gott erwählt hat. Ohne es hier weiter zu auszuführen, wirft dies einen Widerspruch zur wirkmächtigen Gnade Christi in den vorangehenden Zitaten auf. Das allein wäre im Sinne einer protestantischen, christozentrischen Soteriologie schon eine Missachtung des solus Christus und damit der Zentralität des Gottmenschen Christus für das Heilsgeschehen in Augustins Soteriologie. Doch Semler sieht Christi Leben und Sterben im Prozess der Rechtfertigung ganz an den Rand gedrängt, genauer gesagt nur als Beginn 234 Semler, »Historische Einleitung«, 319 f.; Zitat aus Aug., corrept. 30 (CSEL 92, 255,35–38 Folliet); im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler. 235 Semler, »Historische Einleitung«, 320. 236 Semler, »Historische Einleitung«, 320, Anm. 512.
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der iustificatio der wenigen erwählten Menschen: Eine Rechtfertigung, allein durch Christi Leben und Sterben am Kreuz ist für Semler in der augustinischen Christologie somit nicht zu finden! Vielmehr treten Leben und Sterben Christi im Prozess der Rechtfertigung des Menschen bei Augustinus zugunsten der faktisch damit größeren und mächtigeren Gnade Gottes zurück, die letztlich die iu‑ stificatio abschließt, indem sie »inhaesive« dem so Gerechtfertigten wesenhaft zuteilwird. Christologie und Soteriologie erscheinen Semler so bei Augustinus auseinandergezogen. Und auch wenn er es hier noch nicht ausspricht, sieht Semler in der reduzierten Relevanz Christi im Heilsgeschehen sowie jener Einwohnung der Gnade Gottes als Abschluss der Rechtfertigung eine Theologie, die im Widerspruch zur protestantischen steht, ja als der tridentinischen nahestehend angesehen werden kann und muss: Die Rechtfertigung des Menschen erfolgt durch die Gnade Gottes, die dem Leben und Sterben Christi im Prozess der Rechtfertigung nachfolgt, aber letztlich die zentrale und abschließende iustificatio herbeiführt;237 jene Einwohnung oder Verleihung der göttlichen Gnade aufgrund der göttlichen Prädestination einiger Weniger erfolgt durch eine Gnadenqualität, die wie ein Abzeichen verliehen wird und sich auch hierin grundsätzlich vom lutherischen Rechtfertigungsverständnis unterscheidet, da dem so erwählten Menschen eine qualitative Wandlung, ja Sanierung in sich zu eigen wird.238 Das lutherisch extra nos in der Christusgemeinschaft ist hier genau so fern wie die Rechtfertigung allein durch Christus.239 237 Dazu Walter Mostert: »Augustin lehrt, daß die Gnade gerade im Innern dessen wirken muß, dem die Sünden vergeben sind. Auf diese Weise tritt […] zur remissio peccatorum als Aufhebung der begangenen und mit dieser Aufhebung vergangenen Sünden die iustificatio (= Rechtfertigung) als innere Sanierung des Menschen hinzu. Die remissio peccatorum ist also keineswegs schon die iustificatio, sondern diese ist ein Zusätzliches, und zwar als sanctificatio (= Heiligung) oder sanatio (= Heilung) zu verstehen. Aber Augustin geht noch weiter. Es ist keineswegs so, daß dem Menschen diese innere gratia iustificans (= rechtfertigende Gnade) ein für allemal mitgeteilt wird und es dabei bleibt.« (Walter Mostert, Rechtfertigungslehre. Biblisch-theologisch. Dogmengeschichtlich. Fundamentaltheologisch, hg. v. Christian Möller u. a. [Zürich: Theologischer Verlag, 2011], 178 f.). 238 Gunther Wenz, Sünde. Harmatiologische Fallstudien. Studium Systematische Theologie 8 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2013), 123 zeigt die Differenz zur reformatorischen Rechtfertigungslehre und Nähe dieser Ansicht zum Tridentinum auf: »Nach Maßgabe reformatorischer Theologie ist unter der rechtfertigenden Gnade allein Gottes Gunst und die Wirklichkeit seiner Barmherzigkeit, nicht aber eine Qualität zu verstehen, die dem Gerechtfertigten und Begnadeten an sich selbst zukommt. Dagegen verwirft das Tridentinum die Behauptung, die Menschen würden gerechtfertigt werden entweder durch bloße Anrechnung der Gerechtigkeit Christi (sola imputatione iustitiae Christi) oder durch bloßen Nachlass der Sünden (sola peccatum remissione), unter Ausschluss der Gnade und Liebe, die in ihren Herzen durch den Heiligen Geist ausgegossen wurde und innerlich anhafte; oder auch: die Gnade, durch die wir gerechtfertigt werden, sei lediglich die Gunst Gottes (vgl. DH 1561).« 239 Ohnehin lässt sich Augustins Soteriologie nur ungenau als Rechtfertigungslehre, zutreffender hingegen als Gnadenlehre charakterisieren; Mostert, Rechtfertigungslehre, 174 will so bei Augustinus von Gnadenlehre sprechen, »weil sich seine Fragestellung im wesentlichen um das Wesen und Wirken der Gnade dreht«.
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2.6.4. Christus als praeclarissimum lumen praedestinationis: Von der Prädestinationslehre bestimmte Christologie Bereits in diesem kleinen Exkurs hat Semler die Mittlerfunktion Christi bei Augustinus vor allem in Ihrer Exemplarität für die Gnadenwahl der wenigen von Gott vorherbestimmten Menschen gesehen. Noch deutlicher zeigt Semler diese von der Prädestinationslehre her bestimmte Christologie anhand praed. sanct. 30 auf.240 Der Mensch Christus, der Erretter und Mittler zwischen Gott und Mensch selbst (ipse salvator, ipse mediator dei et hominum), wird hier von Augustinus als das am hellsten strahlende Licht der Vorherbestimmung und Gnade (praeclaris‑ simum lumen praedestinationis et gratiae) bezeichnet. Denn, so argumentiert Augustinus erneut, durch welche vorangehenden Verdienste, sei es durch Werke oder den Glauben, habe die menschliche Natur in ihm (natura humana, quae in illo est) sich diesen Status als Sohn Gottes erworben (comparavit)? Augustinus verschärft diese Frage sogleich durch zwei weitere rhetorische Fragen, die seine Intention zunehmend herausschälen: So fragt er weiter, wodurch es jener Mensch (ille homo) Christus verdient habe (meruit), vom Logos in Personeinheit (in unitatem personae) zum eingeborenen Sohn Gottes angenommen (assumtus) zu werden; war dies etwa aufgrund vorangehender Verdienste Christi der Fall? Natürlich muss dies negiert werden, wie bereits deutlich wurde. Nicht vorangehende Verdienste des Menschen Christus bzw. seiner menschlichen Natur führten zu dieser Annahme durch den göttlichen Logos, sondern lediglich Gottes Vorherbestimmung oder genauer gesagt: Nonne faciente ac suscipiente Verbo ipse homo, ex quo esse coepit, filius dei unicus esse coepit?241 Eben jene Annahme durch den Logos ist es, die den konkreten Menschen zum einzigen Sohn Gottes machte.242 Im Sinne dieser gnadenhaften Erwählung kann Christus konsequent bei Augustinus als das anschaulichste Beispiel bzw. hellste Licht der Prädestination bezeichnet werden. Dies wiederum führt zu einer Steilaussage bei Augustinus, die Semler zunächst für sich stehend zitiert: Respondeat hic homo deo, si audet et dicat, cur non et
240 »De praedestinatione sanctorum 15, n. 30. gerät er [Augustinus] wieder in diese Vorstellungen. Est praeclarissimum lumen praedestinationis et gratiae, ipse salvator, ipse mediator dei et hominum; qui, ut hoc esset, quibus tandem suis vel operum vel fidei praecedentibus meritis natura humana, quae in illo est, comparavit? Respondeatur: ille homo, ut a Verbo in unitatem personae assumtus filius dei unigenitus esset, unde hoc meruit? Quod eius bonum qualecunque praecessit?« (Semler, »Historische Einleitung«, 320 mit Zitat aus Aug., praed. sanct. 30 [PL 44, 981 f.] im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler). 241 Aug., praed. sanct. 30 (PL 44, 982), zitiert nach Semler, »Historische Einleitung«, 320; im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler. 242 Karl Barth bemerkte später zu dieser Stelle bei Augustinus: »Mit welchem eigenen und dem Glauben vorangehenden Werken sollte dieser Mensch als Mensch es verdient haben, Gottes Sohn und so unser Mittler und Erretter zu sein?« (Karl Barth, Die kirchliche Dogmatik. Zweiter Band: Die Lehre von Gott [Zollikon/Zürich: Evangelischer Verlag, 1946], 127).
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ego?243 Da nicht etwa vorangehende Verdienste, sondern allein die willkürliche Gnadenwahl Gottes das bestimmende Moment der Sohnschaft Christi ist, könnte eigentlich jeder Mensch ausrufen: Warum nicht auch ich? Immer weiter rückt Semler anhand von Zitaten den Begriff der göttlichen Gnade ins Zentrum und die Funktion Christi an den Rand der Soteriologie Augustins: So sei es die gleiche Gnade, durch die sowohl der eine konkrete Mensch ab initio suo zu Christus gemacht ist (factus est), als auch ein jeder Mensch ab initio fidei suae Christ werde.244 Hiermit werden wieder jene »wunderliche Vergleichungen«, von denen Semler vorangehend sprach, deutlich. Von hier aus ist es freilich weder ein überraschender noch weiter Schritt zur Gleichsetzung der göttlichen Gnade mit der Prädestination im Verständnis Augustins, wie Semler sogleich mit einem weiteren Zitat belegt: Ipsa est igitur praedestinatio sanctorum, quae in sancto sanctorum maxime clarvit.245 Gnade ist so verstanden die Vorherbestimmung der Heiligen, also derjenigen, die Gott zum Heil bestimmt hat; Christus als der Heiligste der Heiligen begegnet hier erneut in einer Lichtmetaphorik als das allen vorangehende, strahlende Beispiel jener göttlichen Prädestination. 2.6.5. Augustins »nestorianische« Christologie Jene Vorherbestimmung des Herrn selbst leitet Augustinus aus seiner Lesart von Röm 1,4 ab, der die lateinische Vulgatafassung zugrunde lag.246 Wenig überraschend bietet dies den Ansatzpunkt für Semlers durchaus berechtigte Kritik an Augustins Auslegung dieser Schriftstelle: Das im Urtext gegebene ὁρισθέντος247 wird in der Vulgata mit praedestinatus wiedergegeben, was Augustinus wiederum zu seiner Fehlinterpretation der Schriftstelle geführt hat, liest er in sie doch die 243 Aug., praed. sanct. 30 (PL 44, 982, zitiert nach Semler, »Historische Einleitung«, 320; im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler). 244 Ea gratia sit ab initio fidei suae homo quicunque Christianus, qua gratia homo ille ab initio suo factus est Christus (Aug., praed. sanct. 31 [PL 44, 982], zitiert nach Semler, »Historische Einleitung«, 320; im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler). Zum Gedanken des initium fidei bei Augustinus vgl. Thomas Gerhard Ring, »Initium fidei«, AugL 3 (Basel: Schwabe, 2011): 605–610. 245 Aug., praed. sanct. 31 (PL 44, 982, zitiert nach Semler, »Historische Einleitung«, 320; im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler). 246 Nam et ipsum dominum gloriae, in quantum homo factus est dei filius, praedestinatum esse didicimus, Rom I,4. Praedestinatus est ergo Iesus, ut, qui futurus erat secundum carnem filius David, esset tamen in virtute filius dei (Aug., praed. sanct. 31 [PL 44, 982], zitiert mit Auslassung des Schriftbelegs von Semler, »Historische Einleitung«, 320; im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler). 247 περὶ τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ τοῦ γενομένου ἐκ σπέρματος Δαυὶδ κατὰ σάρκα, (4) τοῦ ὁρισθέντος υἱοῦ θεοῦ ἐν δυνάμει κατὰ πνεῦμα ἁγιωσύνης ἐξ ἀναστάσεως νεκρῶν, Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ κυρίου ἡμῶν (Röm 1,3 f ). Zur Fehlinterpretation anhand der lateinischen Vulgatafassung vgl. Barth, kirchliche Dogmatik II/2, 127: »Augustin bezieht sich dabei etwas unglücklich auf Röm. I,4, weil die dabei vorausgesetzte Vulgataübersetzung des ὁρισθέντος υἱοῦ θεοῦ qui praedestinatus est Filius Dei schwerlich das Richtige trifft.«
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Prädestination des Menschen Jesu selbst hinein. Semler kritisiert: »[E]s lautet aber auch in manchen alten Abschriften nur destinari, wie schon Rufinus die Unrichtigkeit der Lesart, praedestinatus, getadelt hatte.«248 Wieder einmal ist es die mangelhafte Schriftauslegung Augustins auf Basis der lateinischen Übersetzung, die zu theologischen Trugschlüssen führt: »Augustinus redet sehr ungeschickt von Prädestination dieses Menschen JEsu, zum Sohne Gottes, in Einer Person; Paulus fürt als Beweise des Satzes, daß JEsus, der da aus dem Samen Davids und unter den Juden geboren war Sohn GOttes sey, die grossen Begebenheiten an, δυνάμιν, so κατὰ πνεῦμα ἁγιωσύνης sich stets offenbaret, und besonders, die Auferstehung von den Todten. Die entstehende Ueberzeugung, die in Vergleichung dieser Begebenheiten bestehet, nent er ὁρισθηναι. Petrus nante es, GOtt hat JEsum, wie ihr aus seinen großen Handlungen und Veränderungen abnemen könt, zum HErrn und Christ gemacht. Von der Vereinigung hominis, der keine merita hätte, mit λογος oder filio dei, redet Paulus nicht, wenn er ὁρισθεις sagt; Paulus hat hier nichts von divinitas, quae se deposuit, oder verbo, quod in unitatem personae assumsit hominem. Blos das lateinische praedestinatus verfürt den Augustinus zu so ungeschickten Vorstellungen.«249
Die von Augustinus vertretenen Vorstellungen einer Selbsterniedrigung der Gottheit und der adsumptus homo (bzw. der susceptio hominis)250 durch den gött248 Semler,
»Historische Einleitung«, 320, Anm. 513. Semler, »Historische Einleitung«, 320 f., Anm. 513. 250 Im Gedanken des assumere hominem, des im Fleisch erscheinenden und in ihm wirkenden Logos (adsumptus homo/ susceptio hominis), sieht Friedrich Loofs, Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte. 1. und 2. Teil: Alte Kirche, Mittelalter und Katholizismus bis zur Gegenwart, hg. v. Kurt Aland (Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1959), 225 einen »alt-abendländischen« Terminus sowie eine novatianische Unterströmung; und »in der Gnadenlehre Augustins drängt sie sich gelegentlich stark hervor«, wie er mit dem Zitat »nullum […] est illu‑ stribus praedestinationis exemplum quam ipse Jesus« aus Aug., persev. 67 (PL 45, 1033) treffend belegt, in welchem Jesus ausdrücklich als das hervorragendste Beispiel der Prädestination bezeichnet wird. Karl Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte. 12. Aufl. (Tübingen: Mohr Siebeck, 1960), 135 bemerkt zu dieser Form »altabendländischer« Christologie: »Ihre Formeln gingen auf Tertullian zurück. Für ihn sind in der einen Person zwei Substanzen (deus und homo) eng verbunden, nicht vermischt. Diese Christologie war, unbeeinflußt vom Logosbegriff, nach dem Schema κατὰ σάρκα – κατὰ πνεῦμα entworfen. Dieselben Formeln wurden als fest umschriebene Größen mit großer Sicherheit von Novatian gebracht: Christus ist zugleich Gott und Mensch; wie die Einigung zu denken ist, bleibt unerörtert. Mit dieser ›altabendländischen‹ Christologie wurde nun im 4. Jh. die griechische […] Christologie verbunden: der Logos erscheint im Fleisch, und der Logos ist das in dem Menschgewordenen wirkende Subjekt (so Hilarius, Ambrosius, Augustin).« Drecoll vermerkt zur Annahme des Menschen durch das Wort Gottes bei Augustinus: »Das Wort Gottes, das zugleich mit dem Vater gleichewiger Gottessohn und Gottes virtus et sapientia ist, hat einen Menschen angenommen und hat aus sich und jenem angenommenen Menschen den einen Jesus Christus gemacht, ohne dadurch zerrissen oder körperlich eingeschlossen zu sein. Dieser Inkarnierte ist der Mittler, mit dem Vater gleich secundum divinitatem (nach der Gottheit), kleiner als der Vater (vgl. Joh 14,28) secundum carnem (nach dem Fleisch), unsterblich und unveränderlich secundum divinitatem, sterblich und veränderlich secundum cognatam nobis infirmationem (nach der uns angeborenen Schwäche). Die Funktion der Inkarnation ist dann genauer eine zweifache: Der Inkarnierte bietet dem Menschen zur Erlösung ein magisterium (einen Unterricht) und ein adiutorium (eine Hilfestellung) dar.« (Drecoll, »Christus humilis«, 443). 249
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lichen Logos werden hier von Semler als unpaulinische Gedanken herausgestellt, folglich als von Augustinus in den Text hineingelesene Deutungen. Semler rückt Augustinus in die Nähe des Nestorius: »Man könte gar den Augustinus hier änlicher unrichtigen Vorstellungen beschuldigen, wie man sie dem Nestorius beilegte; er setzt wirklich hominem subsistentem voraus, indem er erst es durch gratiam entstehen läßt, daß homo mit verbo vereinigt wird, wenn er gleich gar keine merita hatte; oder aber er redet ungeschickt genug, wenn er nativitatem läßt als ein Glück oder Vorzug des Menschen ansehen, der per nativitatem doch erst entstund. Da es λογῳ allein zukomt, nasci, oder ἐν σαρκι und σαρξ γινεσθαι, und man sagen mus, ἁμα σαρξ, ἁμα λογου σαρξ.«251
Diese Nähe zu Nestorius sieht Semler in der Christologie Augustins zunächst darin, dass sie den Anschein erweckt, dass ein zunächst rein menschlicher Jesus erst durch die Gnade Gottes mit dem Logos vereinigt wird.252 Tatsächlich stimmt auch Augustins Auffassung, dass die Menschwerdung nicht auf ein meritum der menschlichen Natur zurückzuführen ist, mit der Ansicht des Nestorius überein; in beiden Fällen legt die Ablehnung der Annahme vorangehender merita das Missverständnis nahe, es gäbe »zuerst« einen bloßen Menschen Jesus, der allein aus Gnade von der göttlichen Natur angenommen werde.253 Natürlich meinten weder Augustinus noch Nestorius, dass zuerst ein rein menschlicher Jesus als historisches Individuum existiert habe, dem sich der Logos dann später in gnadenhafter Weise verbunden habe, aber Semler erkennt die Problematik zutreffend, dass die Rede davon, dass die Inkarnation nicht aufgrund eigenen Verdienstes erfolgt sei, doch zumindest suggeriert, dass es
251 Semler,
»Historische Einleitung«, 321, Anm. 513. Leitfaden, 224 f. sieht Hilarius, Ambrosius und Augustinus dennoch durch die alexandrinische Christologie geprägt. Allerdings nimmt er den »altabendländischen« Sprachgebrauch (adsumptus homo) bei Augustinus deutlich war: »Wesentlich ebenso, wie Ambrosius, dachte Augustin in bezug auf die christologische Frage; Christus ist auch ihm der im Fleisch erschienene und als Subjekt in ihm wirkende Logos. Doch finden sich die alt-abendländischen Termini (assumere hominem u. dgl.) bei ihm häufiger […].« (Loofs, Leitfaden, 225). 253 Die von Nestorius zugrunde gelegte instrumentelle Deutung der Prosopon-Einheit der beiden Naturen in Christus macht dieses Missverständnis zumindest erklärlich. Nestorius schreibt: »Christus ist unteilbar in dem Christus-sein, er ist aber doppelt in dem Gott‑ und Mensch-sein; er ist einfach in der Sohnschaft; in dem, welcher angezogen hat, und in dem, welcher angezogen ist, doppelt. In dem Prosopon des Sohnes ist er ein einziger, aber, wie mit zwei Augen, geschieden in den Naturen der Menschheit und Gottheit.« (Nest., Sermon 12 [Loofs, Nestoriana 280, 5 f.]). Nestorius deutet die Prosopon-Einheit in Christus in dem Sinne, dass das Prosopon des Logos Gebrauch macht vom Prosopon der Menschheit Christi als einem Instrument (ὀργανόν). Die Gottheit ist bei diesem ganzen Vorgang aktiv, die Menschheit hingegen passiv. Die logische Folge dieser Christologie hinsichtlich der Frage nach menschlichen Verdiensten fasst Grillmeier treffend zusammen: »Der aktive Teil ist die Gottheit Christi, der passive die Menschheit. Da ist kein Platz für irgendein meritum, ein Verdienst, aufgrund dessen der Mensch Jesus die Ehre der Sohnschaft verdienen würde.« (Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche. Band 1 [Freiburg/Basel/Wien: Herder, 1979], 659). 252 Loofs,
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jemanden gegeben habe, der zumindest theoretisch irgendwelche moralischen Verdienste hätte erwerben können. 2.6.6. »Warum nicht auch ich?« Keine Sonderstellung Christi in der Prädestinationslehre Die nativitas Christi erscheint so als ein bloßes Glück, das unlogischerweise erst per nativitatem entstünde; da es aber dem Logos allein zukomme, geboren, inkarniert, Fleisch zu werden, wirft Semler seinen Lesern die Frage und deren Beurteilung auf, ob man überhaupt von einer solchen Prädestination, die einen Menschen zum Sohn Gottes machte, sprechen könne.254 Semlers Urteil zu dieser Argumentation Augustins fällt deutlich aus: »Wenn nun dis sol der klare Beweis und rechte Grund sey, die gratiam, qua homo sit bonus, kennen zu lernen: so ist offenbar, daß Augustinus sehr zufälliger Weise dis vorgebracht hat, ohne einige Vorgänger in solcher seltsamen Vorstellung zu haben.«255
Die Inkarnation dient so verstanden Augustinus lediglich als Zweck dazu, die Universalität der Gnade Gottes aufzuzeigen.256 Parallel dazu wird in der Prädestination Christi zum Sohn Gottes, ohne vorangehende Verdienste, die Erwählung einiger weniger Menschen, ebenfalls ohne vorangehende Verdienste sichtbar; ja, die Erwählung sowohl Christi als auch der erwählten Menschen ist ein und dieselbe Gnade:257
»[S]o wil ich jederman urtheilen lassen, ob eine praedestinatio oder electio hominis, ut fieret oder esset homo filius dei, gesagt werden könne?« (Semler, »Historische Einleitung«, 321, Anm. 513). 255 Semler, »Historische Einleitung«, 321, Anm. 513. 256 Mausbach, Ethik 2, 133 bemerkt treffend: »Augustin kennt keinen wichtigeren Zweck der Inkarnation als den, dem Menschengeschlechte die Freiheit und Größe der göttlichen Gnade offenbar und anschaulich zu machen«. 257 Karl Barth äußerte sich zu diesem Sachverhalt wie folgt: »Augustin hat das Alles gegen Pelagius und die Pelagianer gesagt. Damit hängt es zusammen, daß er die Bedeutung der Praedestination Jesu Christi für uns wesentlich darin gesehen hat, daß wir gerade und zuhöchst in ihr die Freiheit der Gnade im Gegensatz zu allem menschlichen Verdienstanspruch uns klar zumachen haben.« (Barth, Kirchliche Dogmatik II/2, 128), ferner dort: »Die Erwählung Jesu Christi ist in der Tat die Offenbarung unserer eigenen Erwählung; in seiner Erwählung kann und soll uns die unsrige zur Erkenntnis werden«. Josef Lössl bemerkt hierzu ähnlich: »[E]s sei dieser Abgrund [zwischen Erwählten und Verworfenen], der der Wirklichkeit entspreche, wie sie am einschneidensten in der Person Jesu Christi selbst zum Ausdruck komme, dessen Menschheit ohne jegliches Verdienst vom göttlichen Logos angenommen worden sei. Dementsprechend könne man Jesus Christus als Paradebeispiel von Prädestination verstehen.« (Josef Lössl, »De praedestinatione sanctorum et de dono perseuerantiae (Über die Vorherbestimmung der Heiligen und über die Gabe der Beharrlichkeit«, in Augustin Handbuch, hg. v. Volker H. Drecoll, 344–347 [Tübingen: Mohr Siebeck, 2007], 346). 254
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Iesum […] non audebis dicere, praecendentibus operum meritis filium dei factum ab initio. Qua ergo gratia homo ille ab initio factus est bonus, eadem gratia homines, qui sunt mem‑ bra eius, es malis fiunt boni.258
Semler kommentiert die vorangehenden Zitate kurz und knapp mit der rhetorischen Frage: »[W]o hat Augustinus also die Rechtfertigung der Protestanten?«259 Zur Antwort ist der so von Semler vorgebildete protestantische Leser selbst aufgefordert: Die protestantische Rechtfertigungslehre ist in diesen Lehrmeinungen Augustins nicht erkennbar: Wenn es die Gnade Gottes ist, die letztlich die iustifi‑ catio herbeiführt, die Inkarnation lediglich dem Zweck dient, jene Universalität und Majestät der Gnade Gottes gegenüber jeglichen Verdiensten aufzuzeigen und der Mensch Christus durch dieselbe Gnade wie die zum Heil bestimmten Menschen prädestiniert ist, dann verflüchtigt sich der christologische Kern der protestantischen Rechtfertigungslehre;260 übrig bleibt für Semler so lediglich die augustinische Gnadenlehre in ihrem unauflösbaren Kausalzusammenhang mit der verhassten Prädestinationslehre, von der selbst Christus betroffen ist.261 Zur resümierenden Erörterung seiner bislang überwiegend knappen Notizen zur kritisierten Christologie im Kontext der Soteriologie führt Semler nun anhand von Auszügen aus den vorangehenden augustinischen Zitaten fünf Punkte an: »Man kann aus Vergleichung dieser Stellen hinreichend einsehen, daß Augustinus neuerlich und wunderlich genug sagt, 1) hominem, anima et corpore constantem, fecit deus mediatorem, quem voluit, und zwar fecit hunc hominem bonum, oder so, daß er muste unfelbar alle moralische Volständigkeit haben. Nestorius hat sich so nicht einmal ausgedrückt.«262
258 Aug., c. Iul. imp. 1,138 (CSEL 85,1, 154,32–35 Zelzer), zitiert nach Semler, »Historische Einleitung«, 321. 259 Semler, »Historische Einleitung«, 321. 260 Pannenberg, Systematische Theologie 3, 242 nimmt dies ebenfalls wahr: »Dennoch blieb bei Augustinus die Wirkung der paulinischen Rechtfertigungslehre begrenzt durch ihre Unterordnung unter die Vorstellung von der den Menschen umwandelnden Wirksamkeit der von Gott ausgehenden Gnade oder caritas […] Noch die Reformation vermochte sich trotz des Durchbruchs zu einem tieferen Verständnis des genuin paulinischen Sinnes der Rechtfertigung nicht völlig zu befreien von dem Gefälle der auf Augustin zurückgehenden Verknüpfung der Vorstellungen von Rechtfertigung und Erneuerung des Menschen«. 261 Die stark von der Prädestinationslehre her gedachte Gnadenlehre Augustins verdeutlicht Semler auch anhand des nachfolgenden Zitats: Ille igitur, (deus,) quos dignatur, vocat, et quem vult, religiosum facit, qui hominem, quem voluit, unum sine ullis humanae voluntatis praecedentisbus meritis, mediatorem dei et hominem fecit. (Aug., c. Iul. imp. 1,138 [CSEL 85,1, 155,50–53 Zelzer], zitiert nach Semler, »Historische Einleitung«, 321). 262 Semler, »Historische Einleitung«, 321. Die Argumentation ist angelehnt und zusammengezogen aus Aug., corrept. 30 [CSEL 92, 254,1–255,38 Folliet] sowie Aug., c. Iul. imp. 1,138 (CSEL 85,1, 154,28–155,53 Zelzer); im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler.
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Erneut stellt Semler hiermit die Nähe Augustins zur nestorianischen Christologie explizit heraus. Er betont sogar, dass Augustinus mit seiner Vorstellung eines von Gott zum Mittler gemachten Menschen, und zwar eines, den Gott so gut und moralisch unfehlbar machte, wie er es wollte, noch über die christologischen Ansichten des Nestorius hinausgeschossen sei. Auf jene Gnade Gottes, die Christus zu einem guten Menschen gemacht habe, geht Semler im zweiten und dritten Punkt erneut ein: »2) eadem hac gratia, quae fecit Christum hominem bonum, homines fiunt boni. 3) So wenig man bey homine Christo, der vor Geburt aus Maria gar nicht da war, annehmen kan, ein vorläufig moralisch Verhalten, sondern eine blosse wilkürliche Wahl GOttes, wonach dis individuum der mediator seyn sol: eben so komt bey Menschen, die gratiam dei bekommen, ut boni fiant e malis, alles allein auf GOttes Prädestination an.«263
Semler greift damit Augustins Parallelisierung der gnadenhaften göttlichen Erwählung Christi mit der der wenigen erwählten Menschen auf. Seine Kritik geht hier nicht allein gegen die augustinische Prädestinationslehre, sondern mit ihr gegen die Christologie Augustins, die parallel zur Prädestinationslehre verläuft und von dieser abhängig ist: Der Mensch Christus (homine Christo) ist hier ebenso beliebig von Gott zum Sohn bestimmt, wie die Menschen, denen die gleiche Gnade Gottes zuteil wird. Ausdrücklich sieht Semler somit in der Erwählung des Menschen Christus reine Willkür Gottes am Werk. Der Mensch Christus erscheint so als gänzlich von der Gnade und damit Vorherbestimmung Gottes abhängig – so sehr, dass man als Menschen berechtigterweise fragen darf: Hätte nicht auch ich so zum Sohn Gottes erwählt werden können? Christus ist damit für Semler seiner Sonderstellung und soteriologischen Relevanz beraubt. 2.6.7. Keine reformatorische Idiomenkommunikation Eine solche Christologie hat weitreichende Konsequenzen in Hinblick auf die lutherische Idiomenkommunikation und die Rechtfertigung des Menschen durch die Anrechnung der Gerechtigkeit Christi. Semler urteilt: »4) divinitas, oder natura divina filii dei se deposuit so tief, als humanitas evecta est aufs höchste; also hat Augustinus keine solche communicationem idiomatum angenommen, als nachher den tropum paedias hie und da ausmacht; auch keine Rechtfertigung durch das Leben und Leiden Christi gelehrt, indem alle Menschen, die Glieder Christi werden, durch gratiam, quae inhaesive facit bonum et religiosum, selig werden.«264
Semlers Argumentation bleibt hier trotz aller Klarheit des Urteils knapp, der Leser muss sich selbst die Brücken bauen: Bereits in den vorangehenden Zitaten Semler, »Historische Einleitung«, 321. Semler, »Historische Einleitung«, 321 f.
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ordnete Augustinus das Mittleramt Christi dessen menschlicher Natur zu: Auch, so urteilt Wolfhart Pannenberg, »in den Confessiones hat er den Mittlergedanken genauer erörtert mit dem Ergebnis, daß Christus, weil er als Logos dem Vater gleich ist, nicht nach seiner Gottheit, sondern nur nach seiner Menschheit Mittler sein könne: In quantum enim homo, intantum mediator (Conf. X, 68)«.265
Die westliche Christologie ist in dieser Betonung der menschlichen Natur von Augustinus geprägt.266 Die spätere reformatorische Theologie hingegen ist ihm in dieser einseitigen Betonung der menschlichen Natur nicht gefolgt, sondern sah die gottmenschliche Person Christus als Subjekt des Mittleramtes.267 Diese Person Christus, nicht aber eine der beiden Naturen, muss bei Semlers Worten, »divinitas, oder natura divina filii dei se deposuit so tief, als humanitas evecta est aufs höchste«, als Subjekt des Mittleramtes aufgefasst werden. Mit dieser Paraphrase bezieht Semler sich auf ein weiteres vorangehend angeführtes Zitat aus Augustins De praedestinatione sanctorum. 31: Praedestinata est ista naturae humanae tanta subuectio, ut quo attolleretur altius, non haberet; sicut pro nobis ipsa divinitas, quo usque se deponeret humilius, non habuit.268
Semler wollte schon mit der Anführung dieses Zitats und den darin enthaltenen Hervorhebungen die einseitige Betonung der menschlichen Natur Christi für das Heilsgeschehen in seinem Mittleramt durch Augustinus herausstellen: Doch nur in der gottmenschlichen Person Christus kommt die reformatorische communicatio idiomatum, die Mitteilung der Eigenschaften beider Naturen, zu tragen. Nur von dieser gottmenschlichen Person ausgehend können in Anwendung der Lehre von der Idiomenkommunikation die Selbstentäußerung der göttlichen Natur und die Erhöhung der menschlichen Natur in der Inkarnation korrekt aufgefasst und letztlich im Sinne von Luthers Rechtfertigungslehre auf das Verhältnis Christi zu den Glaubenden als »frölich wechßel« übertragen 265 Wolfhart Pannenberg, Systematische Theologie. 2. Band (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2015), 449. Dabei habe, wie Otto Scheel, Die Anschauung Augustins über Christi Person und Werk: Unter Berücksichtigung ihrer verschiedenen Entwicklungsstufen und ihrer dogmengeschichtlichen Stellung (Tübingen/Leipzig: J. C. B. Mohr, 1901), 325–327 betont, die Gottmenschheit Christi durchaus ein konstitutives Element für das Mittleramt bei Augustinus gehabt. Pannenberg sieht darin nicht etwa eine Inkongruenz im Denken Augustins, denn »unter Voraussetzung der Gottmenschheit ist nach Augustin doch die menschliche Natur Christi für den Vollzug seines Mittlerseins entscheidend. Das Übergewicht dieses Gesichtspunkts unter den Aussagen Augustins zu diesem Thema hat auch Scheel bestätigt (327).« (Pannenberg, Systematische Theologie 2, 449). 266 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie 2, 449. 267 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie 2, 450 mit Verweis auf die Konkordienformel SD VIII, 46 f. (BSELK 1524 / BSLK 1031): »Also ist Christus unser Mittler […] nicht nach einer Natur allein, es sey die Göttliche oder die Menschliche, sondern nach beiden Naturen […]«. 268 Aug., praed. sanct. 31 [PL 44, 983]), zitiert nach Semler, »Historische Einleitung«, 320 f.
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werden.269 Da Semler diese communicatio idiomatum bei Augustinus jedoch nicht auffinden kann, fehlt folglich die Brücke, welche die Christologie mit der Rechtfertigungslehre als konkrete Anwendung der Zwei-Naturen-Lehre verbindet.270 Christus ist lediglich erwählt zum Sohn Gottes aufgrund des Willens Gottes und seiner Vorherbestimmung. 2.6.8. »Justificatio, ist bey ihm nicht viel anderes als was sie im concilio tridentino ist«: Die Gleichstellung augustinischer und gegenreformatorischer Gnadenlehre Ohnehin könne bei Augustinus von Rechtfertigung im reformatorischen Sinne nicht die Rede sein, da nicht Leben und Leiden Christi, und damit einhergehend die Imputation der Gerechtigkeit Christi für die Menschen und das extra nos der Christusgemeinschaft des Glaubens,271 die Rechtfertigung des Menschen 269 »Der soteriologische Bezug der Zwei-Naturen-Lehre tritt in der Übereignung aller Gaben
des Gott-Menschen Christus, des Bräutigams, an die mit ihm vereinigte Seele […] zutage, im frölich wechßel und streytt […].« Hauschild, Lehrbuch 2, 288 (vgl. Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen [WA 7, 25 f.]). 270 Vgl. Hauschild, Lehrbuch 2, 287 f. 271 Pannenberg führt den Imputationsgedanken auf Luther zurück: »Der Gedanke einer Imputation des Verdienstes Christi zugunsten des Sünders geht auf Luther zurück. Er findet sich z. B. in der Vorrede zum großen Galaterkommentar WA 40/1,40 ff., aber der Sache nach auch schon in der Vorlesung über den Römerbrief 1515/16 (WA 56, 276,21: iustitia Dei imputentur credentibus, cf. 284,20 ff.). Dieser Gedanke stammt im Unterschied zu dem der Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit nicht von Paulus. Melanchthon, der ihn nur selten benutzte, suchte den Gedanken einer imputatio iustitiae gratuitae etwas mühsam aus Rom 4,4 herzuleiten (CR 21, 752, 38 f.).« (Pannenberg, Systematische Theologie 3, 254, Anm. 410). Hinsichtlich des extra nos im Kontext des Gedankens der Idiomenkommunikation hält Pannenberg fest: »Nach dem Sermon von zweierlei Gerechtigkeit 1519 beruht die Gerechtigkeit der Glaubenden darauf, daß sie durch den Glauben an Christus hängen und so (außerhalb ihrer selbst) eins sind mit ihm, folglich auch an seiner Gerechtigkeit teilhaben.« (Pannenberg, Systematische Theologie 3, 243, vgl. WA 2,146,12–15). »Die grundlegende Bedeutung der Christusgemeinschaft des Glaubens für die Rechtfertigung hat Luther auch in späteren Jahren betonen können […] Doch in vielen seiner späteren Äußerungen steht der Gedanke der göttlichen Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit […] im Vordergrund, bzw. auch die Zurechnung (imputatio) der Gerechtigkeit Christi zugunsten der Glaubenden.« (Pannenberg, Systematische Theologie 3, 244). Zum Verhältnis des Gedankens der exzentrischen Christusgemeinschaft und der Imputation der Gerechtigkeit Christi bemerkt Wenz, Sünde, 96: »Während für Melanchthon die Vorstellung göttlicher Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit oder besser gesagt: der imputatio der Gerechtigkeit Christi zugunsten des Glaubenden im Vordergrund steht, fungiert bei Luther der Gedanke exzentrischer Christusgemeinschaft des Glaubens als Grundlage der Rechtfertigungslehre.« Letztlich sei aber davon auszugehen, »dass der Gedanke der in der ›unio cum Christo‹ gegebenen Glaubensgerechtigkeit mit der Vorstellung forensischer Imputation nicht nur kompatibel, sondern derart vereinbar ist, dass eine wechselseitige Explikation beider rechtfertigungstheologischer Grundannahmen möglich ist. Dabei ist die Imputationsvorstellung rechtfertigungstheologisch auf den Gedanken gläubigen Seins in Christo notwendigerweise angewiesen, weil ihr ohne diesen Gedanken die Externität des Glaubensgrundes zu einer Äußerlichkeit verkommen müsse mit der Folge, dass der Glaube der in Christus aus göttlicher Gnade gegebenen Gerechtigkeit gerade nicht inne würde und die forensisch begründete Rechtfertigung auf eine Ergänzung durch die Annahme zu erfolgender Erneuerung des Menschen
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darstellen, sondern alles auf die göttliche Gnade ankommt, die den so auserwählten Menschen wesentlich wandelt, bestimmt und selig macht.272 Wenn die Menschen so in ihrem eigenen Wesen durch die Gnade Gottes bestimmt sind, ist die Anrechnung einer fremden Gerechtigkeit darüber hinaus überflüssig.273 zwangsläufig angewiesen wäre.« (Wenz, Sünde, 96). Luthers simul iustus et peccator verhindere dabei die falsche Annahme, dass die Rechtfertigung im Sinne der Imputationslehre eine Äußerlichkeit sei: »Hält man sich an diesen Gedankenzusammenhang, dann verflüchtigt sich der falsche Schein, als sei Luthers imputative Rechtfertigungsvorstellung von derart forensischformaler Äußerlichkeit, dass sie auf Ergänzung durch die Zusatzannahme realer Erneuerung und Heiligung zwangsläufig angewiesen bleibt, um nicht ihrer eigenen Insuffizienz zu erliegen.« (Wenz, Sünde, 99). In ähnlicher Weise argumentierte schon Pannenberg: »Der Vorwurf, daß es sich bei der reformatorischen Lehre von der Rechtfertigung als Gerechterklärung des Menschen um eine ›bloß äußerliche Anrechnung der Gerechtigkeit Christi‹ durch einen richterlichen Akt Gottes, handle, der den Sünder freispricht, ›ohne an seiner inneren Beschaffenheit etwas zu ändern‹ trifft auf den ersten Blick eher Melanchthon als Luther.« (Pannenberg, Systematische Theologie 3, 245 f., Zitat darin aus: Franz Diekamp, Katholische Dogmatik nach den Grund‑ sätzen des heiligen Thomas. Zweiter Band: Die Lehre von der Schöpfung – Die Lehre von der Er‑ lösung durch Jesus Christus – Die Lehre von der Gnade [Münster, Aschendorff, 1930], 507). Denn »Luthers Fundierung der Rechtfertigung in der Christusgemeinschaft des Glaubens spielte bei Melanchthon keine Rolle mehr. Bei ihm ist der Rechtfertigungsakt zumindest in seinem ersten Schritt rein forensisch gedacht worden.« (Pannenberg, Systematische Theologie 3, 246). Und so »heißt es im Rechtfertigungsartikel der Augsburger Konfession, daß die Menschen durch den Glauben gerechtfertigt werden um Christi willen, und zwar in der Weise, daß Gott den Glauben an Christi Erlösungstat (als Inhalt des Evangeliums) ihnen zur Gerechtigkeit anrechne«. (Pannenberg, Systematische Theologie 3, 246, mit Verweis auf CA 4). Letztlich sei aber »für Melanchthon die forensisch gedachte Gerechterklärung des Glaubenden eng verbunden mit einem tatsächlichen Gerechtwerden des Menschen in sich selber«. (Pannenberg, Systematische Theologie 3, 246). 272 Auch Alfred Schindler, »Iustificatio«, AugL 3 (Basel: Schwabe, 2011): 859 stellt heraus: »Der Begriff i[ustificatio] ist in A[ugustins] Sprache kein Terminus technicus, wie dies mit der Zeit z. B. bei gratia der Fall war. Die in der abendländischen Theologie spätestens sei dem 16. Jh. umkämpfte Rechtfertigungslehre sucht man bei A. vergeblich«. 273 Semlers Ansichten zur Rechtfertigung und Imputation finden sich in dessen Versuch einer freiern theologischen Lehrart, 556–567 zusammengefasst. Gegenüber der wesenhaften Einwohnung der göttlichen Gnade betont Semler dort zunächst das extra nos als Fundament der Imputation und damit der Rechtfertigung: »Fundamentum aber von dieser Imputatio, ist nicht in dem Menschen, sondern ausser ihm.« (Semler, Versuch einer freiern theologischen Lehrart, 562). Doch führt er dort nicht nur eine orthodoxe Grundposition an, sondern anschließend auch unterschiedliche, abweichende Lehrmeinungen zur Rechtfertigung und Imputation auf. Zu allem bemerkt Semler dem Titel des Werkes entsprechend liberal: »Es ist also aus dergleichen verschiedenen Vorstellungen wohl hinlänglich klar, daß die geistliche wahre Wohlfart eines Christen nicht an eine einzige Reihe von Gedanken und Beschreibungen gebunden seie; sondern daß alles auf den wirklich neuen bessern Zustand des Menschen ankomt, er durch den geistlichen Erfolg aus christlichen Wahrheiten entsteht.« (Semler, Versuch einer freiern theo‑ logischen Lehrart, 567). Eine vorangehend erörterte Position steht der Ansicht der Sozinianer und Arminianer nahe, die die Begriffe der Zurechnung und Anrechnung beibehielten, aber sie nicht mehr auf das Verdienst Christi bezogen, sondern auf die »Anrechnung unvollständiger eigener Gerechtigkeit« (Zitat aus Albrecht Ritschl, Die christliche Lehre von der Recht‑ fertigung und Versöhnung. Band 3. 2. Aufl. [Bonn: Marcus, 1883], 78). Pannenberg hält hierzu fest, der Gedanke habe sich in der Aufklärungstheologie durchgesetzt, so auch bei Semler, der »sich verhaltener, aber in grundsätzlich derselben Richtung« (Pannenberg, Systematische
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Im fünften und letzten Punkt seiner Argumentation gegen die augustinische Christologie und Soteriologie spricht Semler noch einmal an, dass es in Augustins Theologie als Mensch konsequent denkbar sei, zu fragen, »warum hat GOtt mich Menschen nicht zum Mitler und Sohn GOttes genommen oder prädestinirt?«274 Der Ausruf expliziert für Semler die schwache Christologie Augustins. So kommentiert er dies nur noch lakonisch: »Aber man müste gar sehr weitläufig werden, wenn Augustini Lehrbegrif nach einzeln Stücken und ihrer Verbindung solte untersucht werden […] Augustinus hat offenbar von Vereinigung beider Naturen, und der Erniedrigung Christi ganz anders und erweislich schlechter gedacht, als wir.«275
Von dieser Argumentation her kommend, erschließen sich nun Semlers vorangehende Bemerkungen zur Inkarnation, dem Leben und Kreuzestod Christi und der Imputation der Gerechtigkeit Christi. Dort hieß es: »Die Hauptsache komt auf den Begrif von Christi Leben und Sterben an, für uns, für die Sünden; der war, wie ich hinlänglich gezeigt habe, noch lange nicht festgesetzt und untersucht worden; und diese imputationem justitiae Christi, lehrte Augustinus auch noch nicht so, wie es ferner nach und nach konnte zusammengesetzt werden, da die Lehre von der Person Christi, in 2 volständigen Naturen besser und deutlicher war ausgemacht worden.«276
Zudem wären es vergebliche Mühen, die augustinischen Soteriologie mit dem »richtigen und gründlichen Lehrbegrif der Protestanten« in Einklang zu bringen, denn: »Justificatio, ist bey ihm nicht viel anderes als was sie im concilio tridentino ist«.277 Damit überbietet Semler zugleich seinen Vorwurf, man müsse schon fälschlicherweise einiges neueres aus der protestantischen Lehre in den Theologie 3, 259, Anm. 434) geäußert habe; Pannenberg verweist dazu auf Semler, Versuch einer freiern theologischen Lehrart, 564–567; tatsächlich fällt Semler dort nun den Spitzensatz: »Es ist ferner auch unleugbar, daß eine subjetivische Gerechtmachung, wodurch der Mensch selbst, materialiter und formaliter, selbst inhaesive iustus wird, auf eine evangelische oder richtige Weise statt finden kann; welches sonst bey uns zur Heiligung und Erneuerung gerechnet wird.« (Semler, Versuch einer freiern theologischen Lehrart, 565). Damit greift Semler zwar dem Sprachgebrauch nach tridentinische Vorstellungen auf, bettet sie aber sogleich in die ordo salutis ein und nimmt ihr damit die Schärfe für das Ohr des protestantischen Lesers. 274 Semler, »Historische Einleitung«, 322. 275 Semler, »Historische Einleitung«, 322. 276 Semler, »Historische Einleitung«, 303, Anm. 499. »Daß A[ugustinus] an eine Imputation denkt, wie man sie aus Luthers Rechtfertigungslehre kennt und wie es auch Rm 4,5 nahelegen könnte, ist so gut wie ausgeschlossen.« (Schindler, »iustificatio«, 862). Zur Frage nach der imputativen Rechtfertigung bei Augustinus vgl. auch ders., »Imputative Rechtfertigung bei Augustin?«, in Signum Pietatis. Festgabe für C. P. Mayer O. S. A. zum 60. Geburtstag, hg. v. Adolar Zumkeller, 409–423 (Würzburg: Augustinus-Verlag, 1989). sowie ders., »Rechtfertigung bei Augustinus und im reformatorischen Streit«, in Gnade – Freiheit – Rechtfertigung: augustinische Topoi und ihre Wirkungsgeschichte. Internationales Kolloquium zum 1650. Geburtstag Augustins vom 25. bis 27. November 2004 im Erbacher Hof zu Mainz, hg. v. Cornelius Mayer/Andreas E. J. Grote/Christof Müller, 41–72 (Stuttgart: Franz Steiner, 2007). 277 Semler, »Historische Einleitung«, 303, Anm. 499.
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augustinischen Lehrbegriff hineinlegen,278 indem er hier die Möglichkeit zur Gleichsetzung als völlig unmöglich herausstellt und demgegenüber eine nahezu vollständige Deckungsgleichheit zwischen den tridentinischen Artikeln zur Rechtfertigung und Augustins Begriff von iustificatio postuliert. Semler belegt dies hier nicht weiter, man muss sich aber nur noch einmal die weiter oben zitierte Passage aus Augustins Iul. imp. 1,138 vor Augen führen,279 die in der Tat der Rechtfertigungslehre des Tridentinums sehr nahesteht: Die Rechtfertigung erfolgt dort nicht als äußerlich bleibende Imputation einer fremden Gerechtigkeit, sondern als innerliche Sanierung der Menschen, die die Gläubigen wesenhaft von Bösen zu Guten macht.280 So wird die Rechtfertigung im Tridentinum auch konsequenterweise mit dem Begriff der »Einwohnung« (inhaerentia) erklärt.281 Semler spielt auf diesen Aspekt an vorangehenden Stellen durch die Betonung des »inhaesiven« Charakters der Gnadenlehre Augustins an, die freilich im Widerspruch zu seinem eigenen Rechtfertigungsverständnis steht.282 278 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 302, Anm. 499; zur künftigen Vermeidung einer solchen falschen Lesart Augustins durch die Brille der gegenwärtigen Rechtfertigungslehre vermerkt Semler, müsse man sich vor allem der Dogmengeschichte widmen, vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 303, Anm. 499. 279 Siehe oben S. 213. 280 Hanc dispositionem seu praeparationem iustificatio ipsa consequitur, quae non est sola peccatorum remissio [can 11], sed et sanctificatio et renovatio interioris hominis per voluntariam susceptionem gratiae et donorum, unde homo ex iniusto fit iustus et ex inimico amicus, ut sit ›heres secundum spem vitae aeternae‹ (Tit 3,7) (DH 1528). Pannenberg bemerkt hierzu: »Das Konzil von Trient hat der Reformation eine Beschreibung der Rechtfertigung als eines Prozesses der inneren Umwandlung des Menschen durch die Gnade entgegengesetzt. Die Beschreibung beginnt bei den Voraussetzungen dieses Prozesses und führt über verschiedene Stufen der Vorbereitung unter Berücksichtigung der dabei wirksamen Faktoren [DH 1520–1528] bis hin zur Eingießung der rechtfertigenden Gnade der caritas, die nach Röm 5,5 durch den Heiligen Geist in den Herzen derer, die gerechtfertigt werden, ausgegossen wird [DH 1530].« (Pannenberg, Systematische Theologie 3, 247). »Während hier [in den reformatorischen Aussagen] die Rechtfertigung in der Beziehung des Glaubens zur Verheißung des Evangeliums ihren Ort hat, gehört die Annahme der Lehrverkündigung der Kirche im Glauben für das Konzil nur zur Vorbereitung auf den Empfang der Rechtfertigung durch die sakramentale Gnade.« (Pannenberg, Systematische Theologie 3, 247 f.) 281 Ita neque propria nostra iustitia tamquam ex nobis [s. 2 Kor 3,5] propria statuitur, neque ignoratur aut repudiatur iustitia Dei [s. Röm 10,3]; quae enim iustitia nostra dicitur, quia per eam nobis inhaerentem iustificamur [can. 10 und 11], illa eadem Dei est, quia a Deo nobis infunditur per Christi meritum (DH 1547). 282 Semler stellt seine Kritik an einer solchen wesenhaften, inneren Wandlung des Menschen in seinem Versuch einer freiern theologischen Lehrart deutlich heraus: »Niemalen aber heißt iu‑ stificatio, die Wirkung GOttes in den Menschen, wodurch sie zuerst den Anfang einer moralischen Vollkommenheit und Gerechtigkeit mitgetheilet bekommen. Subiectum dieser iu‑ stificationis, nach dem termino a quo, ist der Mensch, der bisher ein Sünder war […]; Caussa efficiens principalis der Rechtfertigung, ist die Dreieinigkeit; es gehört zum eigentlichen Verhältnis GOttes als Oberherrn, über die Menschen eine Entscheidung, ein Urtheil zu fällen.« (Semler, Versuch einer freiern theologischen Lehrart, 559 f.). Von einer Veränderung des Menschen im Prozess der Rechtfertigung könne nur wie folgt gesprochen werden: »Forma dieser Rechtfertigung also des Glaubens, überhaupt, besteht in einer moralischen Veränderung,
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Wieder einmal platziert Semler Augustinus also durch den Vergleich mit diesem zentralen gegenreformatorischen Text der römisch-katholischen Kirche in größtmöglicher Ferne zum Anliegen der Reformation. Generell sei der »ganze Begrif von Bekehrung und fides, subiective, […] bey uns [Protestanten] anders und besser« als bei Augustinus.283 Anhand dieser Darstellung der Christologie und Gnadenlehre vermag ein vernichtendes finales Urteil Semlers zum Lehrgebäude Augustins nicht mehr überraschen: »[I]ch weis, daß ich mit gutem Grunde wünschen kan, wir möchten lieber von den gelehrten Leuten, Pelagius, Julianus, Theodor von Mopsuest [etc.] noch Schriften übrig haben, und dagegen möchten 2 Drittheile von Augustini unnützen Schreibereien verloren gegangen seyn; wir würden gleich von der Gnade GOttes und Besserung des Menschen keine Irtümer fortpflanzen; aber viel nachtheilige Folgen von bischöflicher Unart entbert haben, auch beide protestantische Kirchen viel leichter in nützlicher Ausbreitung der christlichen reinen Lehre fortfaren.«284
Weder die übliche Polemik gegen unnütze Schriften eines im Vergleich ungebildeten Bischofs noch das Interesse Semlers an den verloren gegangenen und vernichteten Schriften der vermeintlichen Häretiker sind hier noch bemerkenswert, wohl aber die finale Pointe: Augustinus hat den beiden protestantischen Kirchen eine schwere Erblast mit seiner Gnadenlehre mitgegeben, die eine Ausbreitung der reinen christlichen Lehre erschwert und verhindert hat und diesen Prozess bei fortwährender Anerkennung des Kirchenvaters und seiner auctoritas innerhalb der protestantischen Kirchen weiterhin ausbremst. Die Implikation ist für den Leser deutlich: Augustinus und seine Schriften sollen endlich hinter sich gelassen werden, sie belasten nur das Erkennen der reinen Lehre von Gottes Gnade und der Rechtfertigung. Man könnte schon viel weiter sein, wenn man Augustinus und seinen Vorstellungen nicht immer noch anhängen würde; ja, man würde sogar mehr von seinen gelehrten Gegnern wie eben Pelagius lernen können, der jedoch mitsamt einem großen Teil seiner Schriften aufgrund kirchenpolitischer Intrigen seiner nordafrikanischen Gegner der damnatio memoriae zum Opfer fiel.
3. Die kirchenpolitische Dimension des Konfliktes Wie kam es schließlich zur Verurteilung der Pelagianer als Häretiker und zu deren Exilierung? Sowohl Semlers dogmenhistorische Re‑ und Dekonstruktionen der Lehrfixierungen und noch offenen theologischen Debatten vor und während des pelagianischen Streites, als auch seine unnachgiebige, bisweilen redundante quae constituit hominem iustum, actione iudiciali (oder iudicis Dei,) die sich ausserhalb des Menschen befindet.« (Semler, Versuch einer freiern theologischen Lehrart, 560 f.). 283 Semler, »Historische Einleitung«, 303, Anm. 499. 284 Semler, »Historische Einleitung«, 308 f., Anm. 502.
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Kritik am augustinischen Lehrgebäude drängen dem Leser lediglich einen einzigen Schluss auf: nicht-theologische Faktoren haben die Kontroverse zuungunsten der Pelagianer und zugunsten Augustins und der Fraktion der Nordafrikaner entschieden. Folgt der Leser Semlers, wenn auch bisweilen konfuser, Argumentation, so waren lediglich die kirchenpolitischen und politischen Einflussnahmen und Intrigen der Nordafrikaner das ausschlaggebende Moment: das Ansehen Augustinus und entsprechende politische Intrigen und Druckmittel hätten dazu geführt, dass nicht allein nordafrikanische Provinzialsynoden, sondern auch zwei römische Bischöfe und der Kaiser die Pelagianer als Häretiker verurteilten – freilich moralisch unchristlich, theologisch unbegründet und staatskirchenrechtlich unrechtmäßig.285 3.1. Unchristlich und unapostolisch: Niedere Beweggründe zum Vorgehen gegen die Pelagianer Semler lässt keinen Zweifel daran, dass nicht allein das Vorgehen der Gegner der Pelagianer theologisch wie moralisch und rechtlich äußerst verwerflich war, sondern bereits deren ursächliche Motivation: »Nach der kirchliche Gewalt, welche damalen die christlichen Kaiser noch selbst gelten zu lassen, aus begreiflichen Ursachen, für gut fanden, hätte man gar wol Pelagianer, ohnerachtet sich einzele Personen sehr schicklich erklärten, von kirchlichen Aemtern ausschließen mögen; es wäre aber dergleichen Härte und bürgerliche Bedrückung nicht nötig gewesen, welche blos von den Bischöfen aus leiblichen und unchristlichen Absichten angewendet worden, weil sie freilich der Gelersamkeit nach zu kurz gekommen waren.«286
Semler zeichnet hier den für die Pelagianer zivilrechtlich nachteiligen Ausgang des theologischen Konfliktes in den kirchenrechtlichen Usus des römischen Reiches und das Verhältnis zwischen Staat und Kirche zu Beginn des fünften Jahrhunderts ein. So sei es nach damals geltendem Kirchenrecht und entsprechender autonomer Rechtsprechung, welche der Kaiser der Kirche zugestanden habe, durchaus legitim gewesen, die Pelagianer im Falle eines Widerspruchs zu verfassten Bekenntnissen einem Lehrbeanstandungsverfahren zu unterziehen und als Rechtsfolge diese von kirchlichen Ämtern auszuschließen. Freilich sieht Semler aber selbst diese Voraussetzung nicht erfüllt, da einige der Pelagianer – man darf hier durchaus auf Pelagius, Caelestius und Julian schließen – Lehrmeinungen vertreten und erklärt haben, die nicht zu beanstanden seien. Schlimmer noch, die Rechtsfolge einer im geltenden Kirchenrecht zu klärenden Frage war nicht der Ausschluss vom kirchlichen Amt, sondern die dem Zivilrecht folgende 285 Semlers Äußerungen über die kirchenpolitische Dimension des pelagianischen Streites finden sich über die gesamte Darstellung hinweg verteilt. Sie sind zudem, wie die folgenden Erörterungen zeigen werden, oftmals mit dem Argument der Widerlegung der augustinischen und nordafrikanischen Theologie verwoben. 286 Semler, »Historische Einleitung«, 302, Anm. 499.
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Exilierung der Pelagianer. Diese Untersuchung wird sich jener aus Semlers Sicht schwierigen Verschränkung von kirchlichem und weltlichem Recht, respektive dem Verhältnis Staat und Kirche noch an späterer Stelle ausführlich widmen;287 hier jedoch sei das Augenmerk zunächst auf die Polemik Semlers gelegt: Alleinige Ursache der harten zivilrechtlichen Konsequenzen für die Pelagianer war das verwerfliche Verhalten ungelehrter Bischöfe, die aus materiellen, weltlichen und unchristlichen Motiven gegen jene vorgingen. Wahre theologische Motive und eine uneigennützige Wahrung althergebrachter christlicher Lehren werden von Semler grundsätzlich ausgeschlossen. Semlers Argumentation legt den Schluss nahe, dass der Stumpfsinn und die mangelnde Bildung der Bischöfe die Ursache jenes unchristlichen Vorgehens waren. Vorwürfe hinsichtlich des unchristlichen Verhaltens der Gegner der Pelagianer müssen in Semlers Historischer Einleitung freilich nicht erst am Ausgang des Streites gesucht werden.288 Bereits zur Eröffnung seiner Darstellung notiert er: »Augustinus thut […] so, als wenn dieses auctores huius perversitatis seien; er ist dabey so unbillig, daß er es als etwas verächtliches vorstellet, diese haeresis sey entstanden, non ab episcopis seu presbyteris, vel quibuscunque clericis, sed a quibusdam veluti monachis i. e. laicis.«289
Ungeachtet der barschen Wortwahl Augustins liegt Semlers Hauptkritik darin, dass Augustinus die Ursache jener »Häresie« darin sieht, dass sich mit Pelagius und Caelestius Mönche, die nicht zum Lehrstand gehören, folglich als theologische Laien zu gelten haben, theologisch geäußert haben. Diese exklusive, elitäre Haltung Augustins und der anderen Bischöfe kritisiert Semler als »unapostolisch«: »Es ist keine blosse argwöhnische Leichtsinnigkeit, wenn ich anmerke, daß auch hierin die neidische Aufmerksamkeit und ein unapostolischer Stolz der Bischöfe nicht wenig Antheil gehabt, an dem heftigen Verfaren wider diese Mönche, und die bisher hoch angesehene Frömmigkeit derselben, in eben diesem Stande. Pelagius und Cälestius waren noch dazu bisher schon ansenliche Schriftsteller gewesen.«290
Äußerst niedere, unapostolische Motive, Neid und Stolz bei den Bischöfen werden hier der angesehenen Frömmigkeit des Pelagius und des Caelestius gegenübergestellt. Deutlich sichtbar wird dies für Semler in der den bischöflichen Stolz und den theologischen Exklusivitätsanspruch treffenden Kritik Pelagius’ an der berühmten Confessiones-Stelle, die er in Rom in Gegenwart eines anderen Bischofs geäußert habe und welche später Augustinus zu Ohren kam: Siehe unten S. 233–238. Vgl. auch Semler, Versuch eines fruchtbaren Auszugs, 99. 289 Semler, »Historische Einleitung«, 278; im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebung von Semler. 290 Semler, »Historische Einleitung«, 278 f. 287 288
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»Dis ist wol keine geringe Veranlassung, daß Pelagius, der zum Lehrstand nicht gehörte, einem Bischof in Gegenwart eines Bischofs, wegen eines Lehrsatzes widersprochen hat.«291
In dieser Argumentation Semlers war für Augustinus und die Bischöfe nicht die theologische Gegenposition des Pelagius der eigentliche Grund, den Fehdehandschuh aufzunehmen, sondern des Laien Pelagius Anspruch, sich überhaupt theologisch zu äußern. Dieser theologische Exklusivitätsanspruch im elitären bischöflichen Denken ist mit dem Gedanken einer klaren kirchlichen Hierarchie verknüpft, die ebenfalls zum Gegenstand der Kritik Semlers wird.292 Denn selbige, bzw. der Bruch dieser Hierarchie durch Pelagius’ Beharren in seiner Lehrmeinung, wird als offener Widerstand wahrgenommen, aufgrund dessen sich die Bischöfe zu Strafmaßnahmen gerechtfertigt sahen. Im Anschluss an seine Darstellung der Versammlung in Jerusalem und der Synode zu Diospolis urteilt Semler dementsprechend, »daß Pelagii Sätze und Bestimmungen hier alle richtig sind, und er wird es an mehrern auch sonst nicht haben seien lassen. Aber Hieronymus hatte schon so geurtheilt; semper simulat poenitentiam, ut docendi in ecclesia habeat facultatem; weil nemlich Pelagius sich nicht geradehin dem Ansehen der Bischöfe unterwerfen und sich Irtümer selbst schuld geben wolte«.293
Semler sieht in allen Verhandlungen nicht eine Rechtfertigungspflicht der Pelagianer, sondern viel mehr eine grundlegende Pflicht auf Seiten der Bischöfe: »So war ja alle dieses Verfaren ohne den Grund, der allein den Lehrern Pflichten auflegt gegen Zuhörer.«294 Dahinter verbirgt sich wohl nichts anderes als eine Kritik an den Bischöfen, die gegen Pelagius vorgingen: Sie selbst sind in diesem Bild die Lehrer, deren Pflicht es sei, den Zuhörenden, also Pelagius und seinen Anhängern, an Wissen zu überbieten und ihnen zugleich Kenntnis zu vermitteln;295 doch selbst dieser grundlegenden Pflicht seien die Bischöfe in
Semler, »Historische Einleitung«, 279. Semler hatte sich auch in anderen Werken kritisch über diese kirchliche Hierarchie und ihre Autoritätsansprüche gegenüber den Laien geäußert: »[B]los sich selbst und der obern Cleriserey verstatteten sie die Freiheit, das selbst nicht zu glauben und nicht zu thun, was sie ohne Unterschied allen andern Kirchengliedern befelender Weise auflegten.« (Semler, »Vorrede«, in Baumgarten, Geschichte der Religionspartheyen, 16 sowie hierzu Schröter, Auf‑ klärung durch Historisierung, 180). 293 Semler, »Historische Einleitung«, 289. 294 Semler, »Historische Einleitung«, 299, Anm. 496. 295 Vgl. dazu Semler, »Vorrede«, in Baumgarten, Untersuchung theologischer Streitigkeiten, 7: »Es würde aller Grund des bisherigen Lehramts müssen aufgehoben werden, wenn Lehrer nicht solten die Pflicht haben, alle andere Glieder ihrer Geselschaft an Güte und Ausbreitung der Erkentnis zu übertreffen«. 291 292
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ihrer Lehrautorität aufgrund ihrer Einfältigkeit und ihres drastischen kirchenpolitischen Vorgehens nicht gerecht geworden.296 3.2. Entkräftung der Betrugsvorwürfe gegenüber den Pelagianern und Verteidigung der Traditionsgemäßheit ihrer Lehrmeinungen Über Semlers Kritik an dem eitlen Anspruch der Bischöfe auf Unterwerfung und Widerruf des Laien Pelagius geht die Kritik am Betrugsvorwurf noch hinaus. Hieronymus’ vorangehend zitierter Vorwurf, Pelagius’ Aussagen während der Anhörungen seien reine Täuschungen gewesen, wird die Feststellung entgegengehalten, dass der Herzen‑ und Gewissensfreiheit des Individuums mit diesem Vorgehen Gewalt angetan wird: »Diese hämischen Beurtheilungen und gehegter Verdacht [des Hieronymus] ist nicht aus dem Geist des Evangelii, auch keine Frucht der gratiae spiritualis; es ist der Anfang von unbilliger, äusserlicher Gewalt über die Herzen und Gewissen der Menschen. Einiges erklärt Pelagius rechtmäßig, anderes leugnet er je gesagt oder gelehrt zu haben.«297 296 Wirft man heute einen Blick in den Quellenbestand, zeichnet sich ein anderes Bild: In der ersten Phase des pelagianischen Streites (ca. 411–413) zeigte sich insbesondere Augustin noch überzeugt und bemüht darum, dass Pelagius und seine Anhänger zum rechten Glauben zurückfinden würden. So auch zu Beginn der zweiten Phase (ab 414), in der Augustin sich durch Schreiben und Ermahnung durch Orosius um einen Gesinnungswechsel des Pelagius bemüht. Freilich muss man sich Semlers Meinung so weit anschließen, dass sich Augustin, zumindest soweit überliefert, niemals um eine persönliche Unterredung mit Pelagius bemüht hat. Ein erstes Aufeinandertreffen in Nordafrika war wohl von kurzer Dauer, ein Wiedersehen ergab sich niemals. (vgl. Drecoll, »Auseinandersetzung«, sowie Löhr, »Streit«, 183–186.190–192). Die Verhandlungen in Nordafrika in den Jahren 416 und 418 verliefen ohne Anhörung und Beteiligung des Pelagius. Zwar forderten die nordafrikanischen Bischöfe in gemeinsamen Schreiben an den Bischof Innozenz I. von Rom, dass Pelagius vor den römischen Bischof zitiert werde, um sich zu verantworten und seine Ansichten zu verwerfen; Innozenz zeigte sich jedoch wenig engagiert und letztlich wurde Pelagius ohne erneute Anhörung seitens der Nordafrikaner oder des römischen Bischofs verdammt. Die Lage um 415 in Palästina gestaltete sich anders, hier sind fragmentarisch Protokolle der Synode zu Diospolis in Aug., gest. pel. (CSEL 42, 51–122 Urba/ Zycha) überliefert, die sich, wie zuvor die Anhörung in Jerusalem, der Untersuchung unter Einbeziehung und Teilnahme des Pelagius annahm, vgl. Löhr, »Streit«, 184 f., Wermelinger, Rom und Pelagius, 57–77. 297 Semler, »Historische Einleitung«, 289. Die Gegenüberstellung von äußerlicher Gewalt und dem innenliegenden Herzen und Gewissen spielt sowohl auf das schwierige Ineinandergreifen von geistlichen Fragen und weltlichen Regelungsmaßnahmen, als auch auf das damit bei Semler verknüpfte Motiv der Unterscheidung von öffentlicher und privater Religion an: »Semler möchte zwar die öffentlichen Religionslehrer an den Lehrbegriff der jeweiligen Religionspartei gebunden sehen. Er schreibt dem Staat sogar das Recht zu, über die in seinen Grenzen geltende öffentliche Religion zu befinden, und verfaßt mit seiner Verteidigung des königlichen Edikts vom 9. Juli 1788, wider die freimütigen Betrachtungen eines Ungenannten (1788) sogar eine Apologie des Wöllnerschen Religionsedikts. Aber zugleich räumt er durch seine Unterscheidung von öffentlicher und privater Religion dem einzelnen Individuum doch eine Freiheit ein, die ihm die altprotestantische Orthodoxie vorenthalten hatte.« (Jan Rohls, Protestantische Theo‑ logie der Neuzeit. Band 1, Die Voraussetzungen und das 19. Jahrhundert [Tübingen: Mohr Siebeck, 1997], 210). Diese Ansicht ist bei Semler durchaus stimmig auf die Pelagianer anwendbar:
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Dass Pelagius nach Semler, anknüpfend an diese Betonung der Innerlichkeit des Glaubens und der Gewissensfreiheit, ein Recht auf Meinungswandel und eine Präzisierung seiner Lehransichten habe, obwohl jene ohnehin kein Argument dafür sind, dass er vorher inhaltlich falsch gelehrt habe, wird von Semler ebenfalls gegen den Vorwurf der Täuschung zu Felde geführt: »Es mag seyn, daß Pelagius nach mehrern Erinnerungen und Untersuchungen besser und genauer sich ausgedruckt, (obgleich unerwiesen ist, daß er vorher schlechtere Gedanken gehabt,) war denn dis aber nicht gut, daß er so viel Belehrung angenommen und sich volständiger erklärte? Ist es denn blos Verstellung und Heucheley gewesen?«298
Semler ist ohnehin viel daran gelegen, sämtliche im Streit gegen die Pelagianer erhobenen Betrugsvorwürfe als unberechtigt und unchristlich darzustellen. Aus offiziellen Anhörungen ist laut Semler eine gemeinschaftlich getragene Beurteilung hervorgegangen, die nun einmal gegenüber den Angeklagten positiv ausfiel; wie könnten folglich Caelestius und Pelagius so viele so geschickt betrogen haben, oder wie Semler selbst schreibt: »[S]o ist es so leicht nicht, geradehin zu sagen, es sey lauter Betrug des Caelestius, und zu Jerusalem, des Pelagius.«299 Freilich ist auch Semler bewusst, dass dies kein starkes Argument, sondern höchstens ein Indiz sein kann, wie seine vorsichtige Formulierung verdeutlicht. Auch seine anschließende Bemerkung, »Dieser [Pelagius] bejahet ausdrücklich, daß die Kindertaufe nötig sey«,300 kann nicht wirklich überzeugen, verdeutlicht aber erneut, dass Semler keinen Widerspruch der pelagianischen zur althergebrachten Lehrmeinung sieht, ferner, dass für ihn damit einer der Hauptvorwürfe gegen die Pelagianer entkräftet ist. Besonders ausführlich widerlegt Semler die Betrugsvorwürfe im Rahmen der Begegnung des Caelestius mit Bischof Zosimus in Rom im Jahr 417. Semler hält hierzu fest, dass die Anhörung Caelestius’ laut Schreiben öffentlich in der Clemensbasilika in Rom stattgefunden habe,301 vorangehende Verhandlungsprotokolle geprüft, Caelestius’ Schrift(en) gelesen und selbiger ausführlich und
Zwar könnten sie nach geltendem Recht der jeweiligen Religionsgemeinschaft vom öffentlichen Amt aufgrund der Bekenntnisgebundenheit, die die Kirche für sich geltend machen kann, ausgeschlossen, jedoch nicht für ihre private Religion belangt werden. 298 Semler, »Historische Einleitung«, 290. Semlers hier geäußerte Ansicht der sich nach und nach präzisierenden Lehrmeinung deckt sich freilich mit seiner Vorstellung der Perfektibilität der christlichen Religion: »Semler ist nun der Auffassung, daß die christliche Religion sich im Laufe der Geschichte immer mehr vervollkommnet habe und vervollkommnen werde, weil dies in den göttlichen Gegenständen angelegt sei, die eine unaufhörliche Entwicklung zuließen.« (Rohls, Protestantische Theologie, 210); vgl. zum Gedanken der Perfekibilität des Christentums bei Semler auch Hornig, Studien, 134 f.197–209. 299 Semler, »Historische Einleitung«, 295. 300 Semler, »Historische Einleitung«, 295. 301 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 293, Anm. 491.
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gründlich befragt worden seien.302 Aber »es mochte Caelestius schreiben und sagen, was er wolte, so mußte es doch einmal haeresis seyn, damit nicht so viel Bischöfe unrecht gehabt hätten«.303 Semler betont hiermit, dass auch noch so genaue Verhandlungen zu diesem Zeitpunkt kein gutes Urteil für Caelestius mehr hervorbringen können – und zwar aus dem simplen Grund, dass schon zu viele (nordafrikanische) Bischöfe sich in mehreren Konzilien und Briefen gegen diesen ausgesprochen haben und nun alles daran setzen würden, um nicht ihr Gesicht zu verlieren; und dies bedeute freilich, dass sie nicht eher Ruhe geben würden, bis Caelestius für seine Lehren verurteilt werde. Zosimus selbst hat das bisherige Verhalten gegen Caelestius dennoch scharf kritisiert: die Angelegenheit sei übereilt und übereifrig angegangen, der Angeklagte nicht ausreichend befragt und letztlich kein entscheidendes Urteil gefällt worden. Zosimus hat, nachdem Caelestius ihm seinen libellus fidei überreicht und sich persönlich geäußert hat, Caelestius bekannterweise (vorerst) von allen Anschuldigungen freigesprochen und ihn als rechtgläubig anerkannt.304 Hier kommt Semler auf den Betrugsvorwurf zu sprechen. Es sei bekannt, »daß alle Gelerten bisher dafür halten, Zosimus sey durch und durch betrogen und hintergangen worden«.305 In der Tat begegnet diese Ansicht über Caelestius und Pelagius noch bei vielen Vertretern auch des 18. Jahrhunderts, wie beispielsweise bei Ludwig Holberg.306 Semler hält dem entgegen, man sei natürlich freigestellt, 302 Zur Beschreibung des Verfahrens vgl. Zos., ep. 2 (CSEL 35,1, 99,4–103,2 Günther [dort ep. 45] / FC 58,2, 580–588 Sieben) aus dem Jahr 417. 303 Semler, »Historische Einleitung«, 293, Anm. 491. 304 Vgl. Zos., ep. 3 (CSEL 35,1, 103,3–17 Günther [dort ep. 46] / FC 58,2, 590 Sieben) vom 21. September 417 an Aurelius und die Bischöfe Afrikas. Volker Reinhardt, Pontifex, 70 lässt die Frage offen, inwiefern Caelestius sich doch unehrlich gegenüber Zosimus geäußert habe und betont die drastische Kritik, die in der Rehabilitierung des Caelestius für die Gegner der Pelagianer enthalten ist: »Caelestius selbst behauptete – ob wider besseren Wissens oder nicht, bleibt offen –, in seinen Positionen mit Innozenz I. übereinzustimmen. Daraufhin wurden die gegen ihn verhängten Urteile als unzureichend belegt eingestuft und als Ergebnis fehlerhafter Prozessführung aufgehoben. Caelestius’ Ankläger sollten binnen zwei Monaten mit stichhaltigen Beweisen in Rom escheinen […] danach wollte Zosimus das Urteil in letzter Instanz selbst fällen. Auch wenn so die Möglichkeit einer zweiten, besser begründeten Verurteilung gewahrt blieb, war dieses Zwischenresultat bereits eine schallende Ohrfeige für Innozenz I. und dessen Administration. Es kam noch schlimmer. Nach einer weiteren Überprüfung von Pelagius’ und Caelestius’ Schriften sei er – so der Papst in einem Schreiben an die afrikanischen Bischöfe – zu der Erkenntnis gelangt, dass deren Positionen voll und ganz mit der offiziellen Glaubenslehre vereinbar und die gegen sie erhobenen Beschuldigungen daher böswilliger Natur seien. Das war ein Seitenhieb gegen die theologischen Hauptankläger, zwei gallische Bischöfe, die sich als unversöhnliche Gegner des Patroclus von Arles einen Namen gemacht hatten«. 305 Semler, »Historische Einleitung«, 294, Anm. 491. 306 Vgl. Ludwig Holberg, Allgemeine Kirchenhistorie. Vom Ersten Anfang des Christentums bis auf die Reformation Lutheri. Aus dem Dänischen ins Deutsche übersetzt von Georg Au‑ gust Detharding. Erster Theil (Kopenhagen/Leipzig: Mummische Buchhandlung, 1762), 281 f. Semler, »Historische Einleitung«, 294, Anm. 492, setzt sich aber auch mit der Frage auseinander, ob Zosimus die Relevanz der strittigen Fragen schlichtweg unterschätzt habe. Der Züricher reformierte Theologe Johann Jakob Hottinger (1652–1735) habe laut Semler beispiels-
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eine solche Meinung über diese Vorgänge zu vertreten, betont aber sogleich, dass eine solche Ansicht lediglich auf dem Argument beruhe, »Caelestius habe reser‑ vationem mentalem gebraucht«,307 also seine wahren Gedanken zurückgehalten und so Zosimus getäuscht. Semler lässt dies jedoch nicht als sicheres Argument gelten, da niemand solche verborgenen Gedanken kenne und erkennen könne – außer Gott selbst, wie Semler in expliziter Übereinstimmung mit Zosimus vermerkt.308 Letztlich stimmt Semler also diesem ersten Urteil des Zosimus über Caelestius auf der Basis seiner Aussagen und seines Glaubensbekenntnisses zu und kritisiert gleichsam die bisherigen skandalösen und dilettantisch durchgeführten Verfahren gegen diesen. Semler führt Zosimus’ Vergleich an, dass Caelestius wie die »unschuldige Susanne« aus Dan 13,46 »fälschlich beschuldiget worden« sei.309 Mit diesem kräftigen Bild einer zweifelsfrei unschuldigen biblischen Person – ja der prototypischen zu Unrecht beschuldigten Person! – im Hinterkopf, kündigt Semler zwar an, es dem geneigten Leser überlassen zu wollen, welches Urteil dieser dazu fällt, »ob nicht Zosimus es […] zu erkennen giebt, daß er selbst ohne Hitze und Vorurtheil von der Sache [der Kontroverse um Caelestius] urtheile«.310 Aber schon die nächste, eigentlich ebenfalls als indirekte Frage formulierte Aussage impliziert Semlers eigene Ansicht zur Lehre und Verwerfung des Caelestius: Wenn die Lehre der nordafrikanischen Bischöfe wahrhaftig so allgemein und lang in der »catholischen lateinischen Kirche« akzeptiert gewesen wäre wie zu Zeiten und nachfolgend behauptet, hätte sich dann Zosimus, ohne selbst in Schwierigkeiten zu geraten, so frei zur causa Pelagii äußern und letztlich Caelestius und Pelagius verteidigen können? Natürlich zielt diese Anfrage auf einen klaren Widerspruch ab, der im Umkehrschluss impliziert, dass die Lehre der Nordafrikaner nicht so weit und bereits langandauernd anerkannt und verbreitet gewesen sein kann.311 Diese Verteidigungslinie baut Semler noch weiter weise weniger die passive Haltung des Zosimus als dessen, der sich betrügen lässt, kritisiert als vielmehr, dass dieser aus lauter Arroganz die Gewichtigkeit des Streites und der damit verbundenen Themen unterschätzte. Im Verweis auf Hottingers Fata doctrinae, § 86 vermerkt Semler zwar, dass Hottinger viele Mühen in dieses Werk investiert, »aber an eigner Untersuchung es felen lassen« habe (Semler, »Historische Einleitung«, 294, Anm. 492) – also keine quellennahe Arbeit betrieb, sondern sich mit der Sekundärliteratur begnügte – und Hottinger als Reformierter zudem ein »strenger und eingenommener Augustinianer« (Semler, »Historische Einleitung«, 294, Anm. 492) gewesen sei, folglich gar nicht objektiv über das Thema habe urteilen können. Zu Hottinger vgl. Georg von Wyẞ, »Hottinger, Johann Jakob«, ADB 13 (Leipzig: Duncker & Humblot): 193–195. 307 Semler, »Historische Einleitung«, 294, Anm. 491. 308 Vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 294, Anm. 491. 309 Semler, »Historische Einleitung«, 294, Anm. 492. Der Vergleich mit Susanna aus Dan 13,1–64 (LXX) ist dem Schreiben Zosimus’ aus dem Jahr 417 entnommen, vgl. Zos., ep. 2 (CSEL 35,1, 101,5–11 Günther [dort ep. 45] / FC 58,2, 586 Sieben). 310 Semler, »Historische Einleitung«, 294, Anm. 492. 311 Semler, »Historische Einleitung«, 294, Anm. 492.
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aus, indem er die Schreiben Julians an Zosimus ins Feld führt,312 über die Semler urteilt, dass Julian sich wohl kaum so frei heraus an den römischen Bischof hätte wenden können, »wenn man in der römischen Kirche dergleichen unerhörte Neuigkeiten in Pelagii Vorstellung bemerkt hätte«.313 Natürlich zielt auch diese Aussage wieder darauf ab, zu beweisen, Pelagius habe eben nicht eine neue Lehre vertreten, sondern eine ganz bestimmte, durchaus kirchlich akzeptierte Traditionsströmung. Mit dieser Widerlegung des Betrugs‑ und Häresievorwurfs verdeutlicht Semler umso mehr, welche Ungerechtigkeit Caelestius – der »unschuldigen Susanne« – und Pelagius aufgrund der vermeintlichen Eitelkeit der afrikanischen Bischöfe widerfahren ist, als diese es schließlich zustande bringen, dass Zosimus unter dem Druck der nordafrikanischen Front einknickt und die Pelagianer in seiner Epistula tractoria verurteilt. 3.3. Intrigen und Manipulation: Nordafrika schreitet ein, der Kaiser bestätigt und Zosimus gibt nach Freilich besteht für Semler kein Zweifel, dass bereits der so sehr auf den Primatsanspruch des römischen Bischofssitzes pochende Amtsvorgänger des griechischstämmigen Zosimus, Innozenz I., unter der Einflusssphäre der Nordafrikaner gestanden hat. Deutlich wird diese Sicht in Semlers Darstellung der Ereignisse des Jahres 416. Dort berichtet er knapp von den Synoden in Karthago und Mileve, sowie von den Schreiben dieser Synoden an Innozenz I. und von dessen gegenüber den Nordafrikanern gefälliger und höriger Rückmeldung: »[E]s sind uns auch Innocentii Antworten übrig. Er antwortet nach Carthago, wie man es ihm vorsagte […].«314 Freilich konnte Semler dem ehrgeizigen Innozenz I. auch den Primatsanspruch als Motivation zum Vorgehen gegen die Pelagianer zusprechen:315
312 Zu den beiden Briefen an Zosimus, von denen der erste verloren und der zweite nur fragmentarisch bei Marius Mercator überliefert ist, vgl. Wermelinger, Rom und Pelagius, 229–231. 313 Semler, »Historische Einleitung«, 294, Anm. 492. 314 Semler, »Historische Einleitung«, 290. 315 Ohnehin ist hinter der Zustimmung Innozenz I. nicht allein Hörigkeit gegenüber den Nordafrikanern zu sehen. Vielmehr dürfte die Beanspruchung der höchsten Lehrautorität durch Rom hier das Motiv gewesen sein. Reinhard, Pontifex, 68 f. urteilt gar: »In seiner Rolle als Schiedsrichter lobte Innozenz I. erst einmal das vorbildliche Verhalten der afrikanischen Bischöfe, die die endgültige Beantwortung der Frage seiner höchsten Lehrautorität unterstellten; damit zollten sie nicht nur ihm, sondern auch dem Apostel Petrus den gebührenden Respekt, von dem alle Ämter und Würden der Kirche ihren Ausgang nahmen. Die Verurteilung des Pelagius und des Caelestius schrumpfe neben dieser Hervorhebung des römischen Primats zur Nebensache.«
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So sei Innozenz »mit dem, was in Palästina zur Vertheidigung Pelagii vorgefallen, nicht zufrieden [gewesen], illum magis subterfugisse, quam se tota veritate purgasse […] quando se nostro iudicio committet? Nemlich Pelagius solte sich überal von Bischöfen verhören lassen, und blos ihrem Ausspruch sich unterwerfen; da er doch vorher schon viel, ohne sie zu fragen, sehr gut und gelehrt geschrieben hatte; dulten und gelind noch weiter mit sanftmütigem Geist zu recht bringen, war nicht mehr gewönlich«.316
Letztlich verfügt damit der römische Bischof, dass die Pelagianer sich kurzerhand der Lehrautorität der Bischöfe und damit der kirchlichen Hierarchie zu unterwerfen haben. Bekanntlich ist es nicht bei Innozenz’ Verurteilung der Pelagianer geblieben. Nach seinem Tod und der Rehabilitierung der Pelagianer durch seinen Amtsnachfolger Zosimus sahen sich die Nordafrikaner zu drastischen politischen Gegenmaßnahmen, bei denen sie vor Bestechung und Manipulation nicht zurückschreckten, veranlasst, um Zosimus zur Revision seines Freispruchs und der letztlichen Verurteilung der Pelagianer zu erpressen: Den entscheidenden Schritt hierzu macht auch für Semler die intrigante Einflussnahme der nordafrikanischen Bischöfe am Kaiserhof in Ravenna und die daraus folgende weltliche Verurteilung der Pelagianer in Gestalt des Reskripts des Kaisers Honorius. Den Fokus legt Semler dabei vor allem auf jene Verknüpfung der kirchlichen Konzilsentscheidung in Karthago im Jahr 418 mit der Verurteilung durch die weltliche Macht. Dazu betont Semler zunächst, es sei »die alte Ordnung« gewesen, Konzilsakten und darin enthaltene Entscheidungen durch Zusendung an den kaiserlichen Hof »in Execution« zu bringen und so den »weltlichen Arm« zur Durchführung aufzufordern.317 Für Semler ist unzweifelhaft, dass die nordafrikanischen Bischöfe derartig am Kaiserhof in Ravenna interveniert haben, um ihren Konzilsentscheid gegen Pelagius reichsweit durchzusetzen.318 Auch die Verfasserschaft des schließlich veröffentlichen kaiserlichen Reskripts gegen die Pelagianer sieht Semler in bischöflicher Hand: Wie schon Leclerc vor ihm319 vermute Semler, dass dieses wohl kaum alleinig aus der Feder eines Hofbeamten in Ravenna stammen könne, sondern vielmehr davon auszugehen sei, dass dieses unter der tatkräftigen Mitarbeit des einen oder anderen Bischofs ent Semler, »Historische Einleitung«, 293. war dis die alte Ordnung, daß acta conciliorum, wenn anders ihr Inhalt sollte in Execution gebracht werden, an den kaiserlichen Hof erst geschickt wurden; es ist also kein Zweifel, daß die africanischen Bischöfe es selbst eingeschickt und den weltlichen Arm aufgefordert haben.« (Semler, »Historische Einleitung«, 296, Anm. 493); zur Überstellung des Schreibens nach Ravenna vgl. Wermelinger, Rom und Pelagius, 196, Anm. 297. 318 Vgl. auch Semler, Versuch eines fruchtbaren Auszugs, 113. 319 Semler verweist selbst auf diese Übereinstimmung mit Leclerc, sei aber aufgrund eigener Untersuchungen zu dieser Erkenntnis gelangt; Wall wiederum verwarf die Ansicht Leclercs in seiner Historia Baptismi Infantum. 316
317 »Es
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standen sei, da »Hofbediente […] wol nicht dergleichen dogmatische Vorstellung so gehabt, daß es in diesem Rescript so gut ausgedrückt werden können«.320 Nach der Anführung und Gegenüberstellung verschiedener (textkritischer) Varianten des Reskripts, die Semler selbst zusammengetragen hat,321 bringt er einen mehr als bissigen Schlusskommentar, der erneut den Charakter einer deutlichen Verteidigung des Pelagius und einer scharfen Kritik an Augustinus trägt: Der von Semler der Collectio Quesnelliana XV entnommene Schlusssatz – nam superna maiestas ut colligit ex secreti ignoratione reverentiam, ita ex inepta disputatione iniuriam322 –, der eigentlich gegen Pelagius und Caelestius gerichtet war, könne viel trefflicher und mit größerer Berechtigung von Pelagius gegen Augustins Verständnis der gratia efficax vorgebracht werden – »wenn er auch ein edictum hätte publicieren dürfen«.323 In einem Durchgang wird hier durch Semler nicht nur die rechtliche Benachteiligung des Pelagius kritisiert, sondern auch ein erneuter Seitenhieb gegen die Gnadenlehre Augustins ausgeteilt: Eigentlich habe Pelagius das Recht, öffentlich gegen die falsche Vorstellung von Gnade bei Augustinus vorzugehen; jener wird davon aber aufgrund äußerer, rein machtpolitischer Umstände abgehalten. Auch in seiner Betrachtung der förmlich durch die Nordafrikaner erpressten Meinungsänderung in Zosimus’ Epistula tractoria spielt Semler in höchst amüsanter und eleganter Weise mit dem Gnadenbegriff und wendet diesen gegen Augustinus und seine Anhänger. Im Kontext des Schriftwechsels zwischen Nordafrika und Zosimus hagelt es zunächst Spott und Kritik an den nordafrikanischen Bischöfen: »Als wenn diese äusserliche elende Geselschaft von ungelehrten Bischöfen, dergleichen doch unleugbar Africani waren, ecclesia Christi allein wäre, und dis ex adiutorio Christi zu Stande gekommen; eben so einfältig (gelert, gründlich oder würdig kan ich es nicht nennen,) reden die africanischen Bischöfe in ihrer Antwort an den Zosimus.«324 Semler, »Historische Einleitung«, 296, Anm. 493.
320
321 Vgl. dazu Wermelinger, Rom und Pelagius, 196–209 sowie kritisch zum Text der Migne-
Ausgabe Hubert Wurm, Studien und Texte zur Dekretaliensammlung des Dionysius Exiguus KStT 16 (Bonn: Röhrscheid, 1939), 82 f. Semler verweist auf den ersten Abdruck des Reskripts in den Magdeburger Centurien; Ussher hat den Text in seiner Historia Pelagiana erneut abgedruckt, aber nach Kollation des von Baronius verwendeten Textes mit dem Codex Thuaneus. In Jean Hardouins Konzilstextsammlung (ACED) ist der Text nach einer colbertinischen Handschrift abgedruckt worden. Das Reskript nach der Textfassung Coll. Quesnell. XIV wurde zuletzt abgedruckt in PL 56, 490B–492B. Die Zusammenstellung von Dokumenten zum pelagianischen Streit, welche sich in der Collectio Quesnelliana finden, reicht wohl bis auf das fünfte oder sechste Jahrhundert zurück, vgl. hierzu auch Mar Marcos, »Anti-pelagian Legislation in Context«, in Lex et Religion. XL Incontro di Studiosi dell’Antichità Cristiana (Roma, 10–12 maggio 2012). SEAug 135, 217–244 (Rom: Institutium Patristicum Augustinianum, 2013), 317 mit Anm. 2. 322 Zitiert nach Semler, »Historische Einleitung«, 296. 323 Semler, »Historische Einleitung«, 296, Anm. 493. 324 Semler, »Historische Einleitung«, 297. Semler verweist hierzu auf Ussher, Britannicarum Ecclesiarum Antiquitates, 155 (nach der Ausgabe Whole Works, London, 1687).
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Die nordafrikanischen Bischöfe werden hier unverhüllt als dummer, ungelehrter und elender Haufen dargestellt, von dem unmöglich gesagt werden könne, dass sie die Kirche Christi repräsentieren und ihre Konzilsentscheidungen mit dem Beistand Christi selbst (ex adiutorio Christi) zusammengekommen sind. Dieser elende Haufen setzte mit einem Antwortschreiben Zosimus weiterhin machtpolitisch unter heftigen Druck, der zuvor in seiner Epistula tractoria geschrieben hatte: nos instinctu dei; (omnia enim bona ad auctorem suum referenda sunt,) ad fratrum et coepiscoporum nostrorum conscientiam universa retulimus.325 Diese hörig anmutende Formulierung kommentiert Semler mit den Worten: »[S]o fürchtete er sich, selbst pelagianisch zu reden, und den Zusammenhang mit Africa zu verlieren, daß er ihnen alles überläßt.«326 Zosimus scheint hier dem Druck der Nordafrikaner nachzugeben und greift mit größtmöglicher Vorsicht hinsichtlich der Begründung seines Meinungswandels auf die augustinische Gnadenlehre zurück: Gottes Antrieb (instinctu dei) habe ihn dazu veranlasst, da ohnehin alles Gute an seinen Urheber Gott zurückzubinden sei. Jeglichen pelagianisch anmutenden Anschein, als würde er sich eigene Verdienste zusprechen, unabhängig von der göttlichen Gnade, weist er damit von sich. Doch scheint durch seine Worte mehr als deutlich die kirchenpolitische Einflussnahme der Nordafrikaner durch, da er alles an das Einverständnis seiner Brüder und Mitbischöfe zurückgebunden hat (ad fratrum et coepiscoporum nostrorum conscientiam universa retulimus). Semler muss hier nichts mehr tun, als diese Zitate anzuführen, um den nordafrikanischen Einfluss auf Zosimus aufzuzeigen und zugleich erneut den augustinischen Gnadenbegriff ad absurdum zu führen: Schließlich lautet die Pointe in der Anführung jenes Zitats aus Zosimus’ Epistula tractoria, dass nicht allein die Gnade Gottes in Gestalt des instinctus dei das ausschlaggebende Moment war, sondern die Nordafrikaner, die Zosimus im Nacken saßen. Doch selbst das greift für Semler in seiner Darstellung des Machtverhältnisses zwischen Nordafrika und Rom noch zu kurz: Mit diesem befasst er sich in einer Anmerkung, die an die erwähnte Angst des Zosimus die Gemeinschaft mit den Nordafrikanern aufs Spiel zu setzen, anknüpft.327 Semler verweist darauf, dass das zweite Konzil von Mileve die Appellation (appellatio transmarina) an den römischen Bischof untersagte und zur Sicherung des Macht‑ und Lehranspruchs Nordafrikas die Exkommunikation androhte.328 Freilich habe dies die im Kontext des pelagianischen Streites aufkommenden Anfragen und Bedrängungen der Nordafrikaner nicht verhindert, vielmehr habe Papst Zosimus den nordafrikanischen Bischöfen aufgrund äußerer Umstände – nämlich eigener univer Zitiert nach Semler, »Historische Einleitung«, 297, vgl. DH 243. Semler, »Historische Einleitung«, 297. 327 Im Folgenden vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 297, Anm. 495. 328 Vgl. can. 22 (Mansi 4, 332) des zweiten Konzil von Mileve (416): Ad transmarina autem, qui putaverit appellandum, a nullo intra Africam in communionem suscipiatur. 325 326
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saler Machtinteressen – und nicht wie angeführt aus instinctu dei, Mut gemacht, dass eine solche Anfrage für sie keine negativen Konsequenzen birgt. Durch diese Legitimation erhofft Zosimus sich, das Amt des römischen Bischofs weiter zur zentralen Appellations‑ und Entscheidungsinstanz ausbauen zu können. Zosimus erscheint hiermit nicht allein als Spielball der Nordafrikaner, vielmehr zeigt sich für Semler hier ein gegenseitig stabilisierendes Machtgefüge, in dem beide Seiten ihre jeweiligen Machtansprüche auskämpfen und wechselseitig zusichern: Die Nordafrikaner um Augustinus drücken ihre Lehrentscheidung gegen die Pelagianer reichsweit durch, erkennen dadurch aber auch Zosimus als Appellations‑ und Entscheidungsinstanz an; Zosimus wiederum kräftigt seinen Primatsanspruch, gibt aber auch »wider Willen«329 den Nordafrikanern mit der entsprechenden reichsweiten Sanktionierung der nordafrikanischen Provinzialsynode nach. All dieses Kräftemessen wird auf dem Rücken der Pelagianer ausgetragen, die letztlich hier die alleinigen Leidtragenden und Opfer eines kirchenpolitischen Machtspiels sind. Freilich mussten die kirchlichen Würdenträger solche Motive für ihr Vorgehen, folgt man Semlers Argumentation, hinter frommen Worten verschleiern; darin sieht Semler die »Erzälung, libero arbitrio hoc fecisti […] et tamen instinctu dei (welches also so viel ist als gratia […])« begründet.330 Semler zitiert diese »Mär« der Gnade aus dem Schreiben der nordafrikanischen Bischöfe, das auf die Epistula tractoria und den entsprechend oben zitierten Passus reagiert und vermerkt, dass sie »sehr ungegründet und schlecht abgefasset« sei.331 Göttliche Gnade ist hier also keineswegs am Werk, sondern allein bischöflicher Machtanspruch. Das wird auch da deutlich, wo Augustinus selbst auf die Schreiben Zosimus’ reagiert und diesen für seine Äußerungen lobt, aber auch ermahnende Worte findet: »Augustinus […] ermanet aber auch den Zosimus (woher man siehet, daß er blos nachgeben müssen, äusserer Umstände wegen, nicht aber ex instinctu dei, oder gratia, sonst brauchte er Augustini Instruction nicht;).«332
Semler zeigt hiermit nicht nur den instinctus dei als vorgeschobenes Argument auf, welches die tatsächlichen, weltlichen Beweggründe verschleiert, sondern bewerkstelligt es zugleich, es so hinzustellen, als würde Augustinus seinem eigenen Gnadenverständnis in Wahrheit keine Tragfähigkeit zusprechen! Schließlich müssten Augustinus und die nordafrikanischen Bischöfe gar nicht erst auf kirchenpolitische und politische Druckmittel zurückgreifen, wenn die göttliche Gnade tatsächlich so unwiderstehlich und allmächtig wirken würde, wie Augustinus es darstellt. Äußere Maßnahmen, faktisch Werke von Menschen, 329 Semler,
»Historische Einleitung«, 297, Anm. 495. Semler, »Historische Einleitung«, 297, Anm. 495. 331 Semler, »Historische Einleitung«, 297, Anm. 495. 332 Semler, »Historische Einleitung«, 298. 330
I. Johann Salomo Semlers Arbeiten zum pelagianischen Streit
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können doch im Verständnis Augustins nichts zu dieser Gnade beitragen, weder verstärkend und, noch weniger diese in Gang setzend. Für Semler lautet der dem Leser nahegelegte Schluss: Mit seinen machtpolitisch motivierten An‑ und Zurechtweisungen widerlegt Augustinus sich selbst und die Wirksamkeit seines Gnadenbegriffs. 3.4. Geistliche Fragen, weltliche Antworten: Kritik an der Kooperation von Staat und Kirche beim Prozess gegen die Pelagianer Die kirchliche Verurteilung und Verketzerung der Pelagianer und das gegen sie durch die weltliche Macht vollstreckte Exilsurteil veranlassen Semler zu tiefgehenden Überlegungen über das Verhältnis von Kirche und Staat während des pelagianischen Streites.333 In seine Leitfrage, inwiefern weltliche Strafmaßnahmen in geistlichen Angelegenheiten legitimiert sind, spielen, neben eigenen Erfahrungen mit Konflikten aufgrund seiner »neologischen« Ansichten,334 vor allem Überlegungen zum Staatskirchenrecht, Naturrecht, der Glaubensfreiheit und seiner Unterscheidung von öffentlicher und privater Religion stark hinein,335 ja finden hier ausdrucksstark zusammen und bilden wohl einen der ertragreichsten Argumentationsstränge in seiner Kritik an den Gegnern der Pelagianer. Irritieren mag im Folgenden lediglich, dass Semler kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Entwicklungen des 17. und 18. Jahrhunderts als Maßstab zur Beurteilung des Prozesses gegen die Pelagianer im fünften Jahrhundert anlegt.336 Nach der kirchlichen Verurteilung und dem kaiserlichen Exilsurteil war es der Bischof von Aeclanum, Julian, der sich an die Spitze der Verteidigung der Pelagianer stellte und auf deren Rehabilitierung versuchte hinzuwirken. Semler greift dessen Argumentation auf und zitiert dazu aus Augustins Contra Iulianum 333 Zur Zusammenarbeit von Staat und Kirche im Prozess gegen die Pelagianer vgl. Mathijs Lamberigts, »Co-operation between Church and State in the Condemnation of the Pelagians« in Religious Polemics in Context: Papers presented to the Second International Conference of the Leiden Institute for the Study of Religions (LISOR) held at Leiden, 27–28 April 2000, hg. v. Theo L. Hettema/Arie van der Kooij, 363–375 (Assen: Royal van Gorcum, 2004). 334 So sah er sich aufgrund seiner liberalen Ansätze und kritischen Anfragen immer wieder selbst in theologische und geellschaftliche Konflikte verstrickt oder Vorwürfen ausgesetzt, die jedoch keine weitreichenden rechtlichen Konsequenzen hatten, vgl. Hornig, Studien, 41– 44.50–52.68–76.210–228. 335 Zur Unterscheidung von öffenlicher und privater Religion in Kontext seines Religions‑ und Theologiebegriffs vgl. Hornig, Studien, 161; zur Glaubensfreiheit und staatlicher Intervention dort auch 294 f.297–300; ferner Günter Mühlpfordt, »Mitteldeutsche Anfänge des Gesinnungsbegriffs ›liberal‹: Für und wider die Liberalen zur Zeit der Aufklärung. Eine bezeichnungsgeschichtliche Studie«, in Recht, Idee, Geschichte. Beiträge zur Rechts‑ und Ideen‑ geschichte für Rolf Lieberwirth anläßlich seines 80. Geburtstages, hg. v. Heiner Lück/Bernd Schildt, 536–544 (Köln/Weimar/Wien: Böhlau, 2000). 336 Freilich ist dies wohl dem generellen Perfektibilitätsdenken Semlers geschuldet, sodass er nicht nur hinsichtlich überkommener Dogmen, sondern auch rechtlicher Verhältnisse so urteilen kann wie folgend dargestellt.
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opus imperfectum die Bitte Julians und anderer »Pelagianer«,337 den Prozess neu aufzurollen.338 Augustins Entgegnung auf diese Bitte durchzieht Semler mit einigem Hohn: »Augustinus aber antwortet darauf, absit a christianis poestatibus terrenae reipublicae, (nemlich die Bischöfe hatten wol caelestem rempublicam zeither auf Erden verwaltet?), ut de antiqua catholica fide dubitent, (es war aber die Frage, ob dis antiqua fides sey; die Pelagianer erboten sich zum Beweise, daß es nicht wahr sey;) et ob hoc oppugnatoribus eius ( fidei) locum et tempus examinis praebeant.«339
Ferner sei es laut Augustinus, dass die christlichen Autoritäten des weltlichen Reiches den alten katholischen Glauben bezweifeln und seinen Anfechtern auch noch Zeit und Ort für dessen Prüfung einräumen. Spöttisch stellt Semler dieser Zurückweisung der Entscheidungsbefugnisse der weltlichen Autoritäten durch Augustinus die zugespitzte, gegenteilige Anmaßung der Bischöfe gegenüber, dass diese wohl schon immer die Angelegenheiten des himmlischen Reiches hier auf Erden verwaltet hätten. Damit ist dies nicht nur eine Spitze Semlers gegen die plumpe Zurückweisung, die Kontroverse um Pelagius durch weltliche Schiedsrichter angemessen und ruhig beurteilen zu lassen, sondern zugleich eine kritische Anfrage an das Selbstverständnis der Bischöfe, welche gegen die Pelagianer vorgingen: Maßen diese sich etwa überheblich an, letztgültig über innerliche, geistliche Belange zu urteilen, die dem Herrschaftsbereich des Himmels, und damit letztlich Gott zufallen? Eine absolute, allumfassende und korrekte Beurteilung innerlichen Glaubens, unsichtbarer Dinge, so Semler, könne nur von Gott erfolgen; die weltliche Obrigkeit hingegen habe die Pflicht, den Schaden, der einer Gesellschaft durch gefährliche Meinung oder Lehre entstehen kann, zu beurteilen und zu verhindern. Eine logische und in Bezug auf den christlichen Glauben hermeneutische Beurteilung obliegt hingegen in Semlers Verständnis den gelehrten Theologen, darf aber nicht zwangsweise eine weltliche Bestrafung im Falle einer Abweichung nach sich ziehen.340 337 Gemeint sind wohl die siebzehn Bischöfe, welche die Epistula tractoria des Zosimus nicht unterschreiben wollten. 338 »Julianus und andre Pelagianer baten, dari tanto negotio judices, u tea, quae subreptionibus acta constabat, emendarentur potius, quam punirentur, examine […].« (Semler, »Historische Einleitung«, 298, Anm. 496 mit Zitat aus Aug., c. Iul. imp. 1,10 (CSEL 85,1, 10,2–4 Zelzer). Vgl. hierzu auch Semler, Versuch eines fruchtbaren Auszugs, 115. 339 Semler, »Historische Einleitung«, 298, Anm. 496 mit Zitat aus Aug., c. Iul. Imp. 1,10 (CSEL 85,1, 11,14–16 Zelzer). 340 »Die absolute Beurtheilung des Zusammenhangs einer Meinung oder Lehre mit der innern Gemütsfassung, gehört ohnehin blos für GOtt. Den äusseren Nachtheil und öffentlichen Schaden gehegter Meinung […], beurteilt die Obrigkeit […]; den logischen und hermeneutischen Ungrund aber beurtheilen die Lehrer, aber allemal nach dem dazu von den Urhebern solcher Lehrsätze angenommenen Erkentnisgrunde.« (Semler, »Vorrede«, in: Baumgarten, Unter‑ suchung Theologischer Streitigkeiten 1, 9).
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Wenn von Abweichung die Rede sein könnte, dann höchstens in Bezug auf Augustins Lehrbegriff: Denn die von Augustinus postulierte Identität des althergebrachten katholischen Glaubens mit seinem eigenen Lehrbegriff stellt Semler konsequent auf Basis seiner vorangehenden dogmenhistorischen Untersuchungen in Frage; die Pelagianer zeichnet Semler dabei nahezu als mutige Aufklärer, die sich bemühten, diese dreiste Behauptung zu widerlegen. Allerdings steht das hier nicht weiter zur Debatte; es ist hinlänglich gezeigt worden, dass Semler es als erwiesen betrachtet, dass höchstens Augustinus selbst es verdiene, der Häresie bezichtigt zu werden. Abseits dieser dogmenhistorischen und ‑kritischen Diskussion sieht Semler den Skandal im pelagianischen Streit vielmehr in der schwammigen, unrechtmäßigen Verquickung von weltlichen Rechtsfolgen mit geistlichen Angelegenheiten: »Ich kann wenigstens nicht begreifen, woher exilium und deportatio als eine Strafe wider eine irrige Vorstellung von einer unsichtbaren Sache statt finden können, da die Pelagianer übrigens unsträflich lebten, und in allen Tugenden viele von jener Partey übertrafen, auch von GOtt, ex occulto iudicio, diese gratiam nicht bekamen, wie Augustinus selbst redet.«341
Semler erscheinen die vorgenommenen weltlichen Strafmaßnahmen gegen die vermeintlich falschen Glaubensvorstellungen der Pelagianer als vollkommen unangemessen. Die Beurteilung und Verurteilung »unsichtbarer Sachen« liegt für Semler ohnehin nicht in der Hand von Menschen, sondern allein in Gottes Hand. Der private Glaube sei daher vor kein menschliches Gericht, sei es ein kirchliches oder weltliches, zu stellen. Hier muss der Leser sich wieder die vorangehende Äußerung ins Gedächtnis rufen, dass es hingegen durchaus legitim gewesen sei, wenn denn wirklich zweifelsfrei den Pelagianern Abweichung von Glaubensbekenntnissen vorgeworfen werden könne, diese – als kirchenrechtliche Konsequenz – von kirchlichen Ämtern auszuschließen.342 Freilich sah Semler dies weder inhaltlich mit Blick auf die pelagianische Lehre als begründ Semler, »Historische Einleitung«, 299. Hierzu bemerkt Rohls, Protestantische Theologie, 209, dass für Semler »die Dogmen und Bekenntnisse gar nicht den Zweck [haben], unseren Glauben zu normieren. Vielmehr dienen sie ausschließlich dazu, eine äußerliche Religionspartei oder ‑gesellschaft zu konstituieren und aufrechtzuerhalten. Die jeweilige Kirche als Religionsgesellschaft wird nämlich begründet durch einen Vertrag ihrer Glieder, zu dem auch bestimmte Lehrartikel gehören, so daß der Pfarrer als Religionsbediensteter in seinen öffentlichen Religionsgeschäften an diese Artikel gebunden ist. Von dieser öffentlichen Religion unterscheidet Semler nun aber die private Religion der einzelnen Individuen, die keine äußerliche, sondern eine ganz und gar innerliche ist. Über sie kann die öffentliche Religionspartei nichts verordnen, weil sie der unsichtbaren moralischgeistigen Welt angehört und nicht der sichtbaren bürgerlichen. Die Privatreligion ist auch gar nicht gebunden an eine bestimmte öffentliche Religionspartei und deren Lehrartikel, sondern sie gehört allen wahre Christen in den verschiedensten Parteien und wird von ihnen nach eigenem Gewissen geübt. Die öffentliche Religion ist immer geknüpft an eine bestimmte Lehre, ist also immer Theologie, die sowohl der Zeit als auch dem Ort nach relativ ist. Die private Religion als die persönliche Überzeugung des einzelnen Individuums entbehrt hingegen jeder lehrmäßigen Bindung«. 341 342
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bar noch praktisch als anwendbar an, da Pelagius schließlich dem Laienstand angehörte. Eine weltliche Rechtsfolge, ja Bestrafung sei schließlich für Semler nur dann begründbar gewesen, wenn die Pelagianer mit ihrer Lehre – sei diese nun häretisch oder orthodox, ist dabei völlig dahingestellt! – eine Gefahr für den Staat und die öffentliche Ordnung dargestellt hätten.343 Semler schließt aber selbst diesen letzten legitimen Verurteilungsgrund durch die weltliche Obrigkeit mit Verweis auf den tadellosen Lebenswandel der Pelagianer, der den ihrer Gegner bei weitem übertroffen habe, aus. Erneut führt Semler den Gnadenbegriff Augustins selbst zu Felde und richtet ihn gegen die augustinische Partei: da die Pelagianer aus Gottes geheimem Ratschluss heraus nicht jene Gnade Gottes erhielten, folglich ohnehin nicht zu den wenigen zum Heil Vorherbestimmten gezählt werden können, hat Gott schon sein Verdammungsurteil über diese gesprochen. Wenn Augustins Gnaden‑ und Prädestinationslehre wirklich ernst genommen und konsequent angewendet werden würde: wozu dann noch die weltliche Verurteilung, wenn das höchste Urteil schon gesprochen ist? Nach Abwägung und Ablehnung der oben angeführten möglichen Begründungen einer Verurteilung der Pelagianer durch die weltliche Macht kommt Semler zu dem Schluss: »Diejenigen, welche solche rescripta civilia gesucht und befördert haben, wodurch Christen, die den Staat nicht beunruhigen, und so gar ein löblich Leben füren, Haab und Gut verlieren und des Landes verwiesen werden, handeln nicht einmal vernünftig und nach gemeinem Naturrecht, geschweige daß sie nach dem Sinne Christi und der Apostel hierin sich richten solten.«344
Semler geht hier in allgemeine Betrachtungen über, was auf Augustinus und seine Anhänger bezogen werden soll, aber faktisch genauso Anwendung auf 343 Diese Position sah man bereits in den staatsrechtlichen Überlegungen Pufendorfs: »Anknüpfend an Grotius und Hobbes löst Pufendorf das Recht aus seiner theologischen Bindung und entwickelt in seinem Werk De iure naturae et gentium (1672) eine rein naturrechtliche Begründung des Staates […] Naturrecht, bürgerliches Recht und Moraltheologie werden so strikt voneinander getrennt, wobei allerdings die speziellen christlichen Pflichten den natürlichen deshalb nicht widersprechen können, weil Gott nicht nur die Quelle der Offenbarung, sondern auch die der Vernunft ist […] Auf dem Hintergrund der naturrechtlichen Herleitung des Staates entwickelt Pufendorf in seinem Werk De habitu religionis Christianae ad vitam civilem (167) seine Ansicht vom Verhältnis des Staates zur Kirche. Weder die natürliche noch die geoffenbarte christliche Religion führt notwendigerweise zur Bildung eines dem Staate vergleichbaren kirchlichen Gemeinwesens, das mit oberster Befehlsgewalt ausgestattet ist. Vielmehr ist die allgemeine christliche Kirche etwas rein Innerliches und Geistliches, das sich in örtlichen Gemeinden, die sich frei miteinander verbinden, konkretisiert. Das Aufsichtsrecht des Staates über seine Bürger erlaubt Eingriffe in die grundsätzlich freie Religionsausübung nur dann, wenn die Religion die Sicherheit des Staates bedroht.« (Rohls, Protestantische Theologie, 130); zu Pufendorfs und Thomasius’ staats‑ und kirchenrechtlichen Gedanken vgl. ausführlich Emanuel Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens. Band 1 (Gütersloh: Bertelsmann, 1949), 77–110. 344 Semler, »Historische Einleitung«, 299.
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die Situation während der Reformationszeit oder in Semlers eigener Gegenwart finden kann: Wenn jemand Christen mittels staatlicher Gewalt um ihre Existenzgrundlage bringt, obwohl diese in keiner Weise dem Staat oder dessen Bürgern Schaden verursacht haben, so widerspricht dies nicht nur aus aufklärerischer Sicht der bloßen Vernunft und dem damit verbundenen Naturrecht, sondern ferner auch aus christlicher Sicht den biblischen Maßgaben Christi und der Apostel. Augustinus und seine Anhänger haben demnach sowohl irrational und das Naturrecht brechend als auch unchristlich und unapostolisch gehandelt, als sie mit ihren vorangehend geschilderten, machtpolitisch motivierten Intrigen die Pelagianer ins Abseits drängten. Semler sieht in diesem politischen wie staatskirchenrechtlichen Skandal des pelagianischen Streites eine allgemeine »Moral von der Geschicht«, die er seinen Lesern abschließend nahelegt: »Ich überlasse es fleißigen Lesern und Kennern der Kirchengeschichte, diese Anfänge einer kirchlichen falschen πολιτειας und zu grossen Einflusses auf die Sachen, welche blos ein Landesherr nach den Grundsätzen einer Staatsverfassung zu beurtheilen hat, weiter zu bemerken, und zugleich zu beobachten, wie sehr dadurch das Reich selbst und respublica nach und nach zu Grunde gerichtet werden, daß man über die Gemüter und Vorstellungen der Menschen von unsichtbaren Sachen, eben dergleichen Zwangsmittel anwendet, als über Dinge, so zur sichtbaren Welt und eigentlichen bürgerlichen Geselschaft gehören.«345
Zweierlei gibt Semler seinen Lesern so allgemein gesprochen als Lektion aus dem pelagianischen Streit mit auf den Weg: Erstens sieht er im Verlauf und Ausgang des pelagianischen Streits ein in der Kirchengeschichte wiederkehrendes Element, nämlich die falsche, kirchenpolitische Einflussnahme auf Angelegenheiten, die lediglich die weltliche Obrigkeit zu beurteilen hat – und zwar nach verfassungsrechtlich festgesetzten Regelungen. Zu oft sieht Semler diese klare Scheidung von kirchlichen und weltlichen Befugnissen im Falle des Aufkommens von strittigen theologischen Fragen gebrochen; zwar führt er hier keine expliziten Beispiele an, aber es ist nicht zu weit hergeholt, hier an weitere Ketzerprozesse des Mittelalters, aber insbesondere die causa Lutheri oder Semlers eigene Konflikte mit der Orthodoxie seiner Zeit zu denken. Zweitens – und auch hier darf der Leser nicht nur an den pelagianischen Streit, sondern auch an die Ereignisse der Reformationszeit denken – sieht Semler die größte Bedrohung der öffentlichen Ordnung, des Staates und seiner Bürger in eben jener schädlichen Anwendung von weltlichen Zwangsmaßnahmen und Maßregelungen auf reine Glaubensvorstellungen, also den privaten Glauben der Menschen. Mit seiner Scheidung von »unsichtbaren Sachen« und Dingen, die zur »sichtbaren Welt und eigentlichen bürgerlichen Geselschaft gehören« verteidigt Semler aufklärerisch und liberal so die innerlich verankerte Glaubensfreiheit, Semler, »Historische Einleitung«, 299.
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den innerlichen, privaten Glauben, vor den äußerlichen Zwangsmaßnahmen und Strafen. Die hier zwar nicht aufgeführten, aber doch naheliegenden und für den Staat schädlichen Folgen der Auseinandersetzungen der Reformationszeit in Gestalt des Schmalkaldischen, aber vor allem des Dreißigjährigen Krieges klingen hier an. Semler sieht somit in der Unterdrückung der individuellen Glaubensfreiheit, im Versuch der vereinheitlichenden Maßregelung des privaten Glaubens, die deutlich größere Gefahr, als in vermeintlich ketzerischen Ansichten, die theologisch frei diskutiert und toleriert werden.346 In Bezug auf den pelagianischen Streit war es jedoch nicht vornehm der Arm der weltlichen Macht, der sich anmaßte, in die theologische Debatte einzugreifen und letztlich Einfluss auf den privaten Glauben zunehmen, sondern die Bischöfe um Augustinus, die selbigen Arm für die Durchsetzung ihrer eigenen Machtansprüche instrumentalisierten. 3.5. »[E]s sollte Augustinus den Protestanten wol nicht so oft Verhör und colloquia zugestanden haben«: Augustinus, der gnadenlose und intrigante Bischof Kann Semler noch die meisten Bischöfe, die sich gegen die Pelagianer stellten, mit ihrer mangelnden Bildung und daraus resultierenden niederen Beweggründen entschuldigen, so fällt die tragende Rolle Augustins in all diesen kirchenpolitischen Intrigen um so mehr ins Gewicht. Er ist die maßgebliche Trieb346 Der Gedanke lässt sich wieder bei Pufendorf nachweisen: »Da aber der oberste Zweck des Staates nur der innere Friede ist, kann es nicht im Interesse des Staates liegen, eine Uniformität in allen Fragen der Lehre und des Kultus zu erzwingen. Denn der innere Friede des Staates wird eher durch Tolerierung verschiedener christlicher Konfessionen als durch Erzwingung konfessioneller Uniformität erreicht. Damit legitimiert Pufendorf die auf den Widerstand der lutherischen Orthodoxie stoßende Toleranzpolitik des brandenburgischen Herrscherhauses.« (Rohls, Protestantische Theologie, 131). Auch Thomasius’ Konzeption des Territorialismus birgt diesen starken Toleranzgedanken mit entsprechenden Konsequenzen für das Ketzerrecht: »Damit wird das landesherrliche Kirchenregiment frei von der Herrschaft der kirchlichen Theologen und des partikularen Bekenntnisses, so daß das Territorialsystem auch eine Tolerierung verschiedener Konfessionen ermöglicht. Dies bedeutet zugleich eine Preisgabe der konfessionellen Uniformität des Staates und dementsprechend auch des Ketzerrechts, demzufolge derjenige als Ketzer bürgerliche Strafen zu gewärtigen hat, der von einem bestimmten Bekenntnis abweicht.« (Rohls, Protestantische Theologie, 131). »Darüber hinaus wurde durch die Theoretiker des ›Territorialismus‹ insbesondere Christian Thomasius und Justus Henning Böhmer, Juristen an der 1694 gegründeten Universität in Halle (Saale) auch der Umfang der landesherrlichen Befugnisse denkbar ausgeweitet […]. Dabei war das Anliegen der ›Territorialisten‹ […] keinesfalls eine Unterdrückung der religiösen Autonomie der Individuen. Diese sahen sie aber vor allem durch klerikale Tendenzen in den evangelischen Kirchen gefährdet und setzten daher auf den Staat zur Sicherung der – auch innerkirchlichen – Toleranz. Dieser sollte indes nicht zur Definition und Durchsetzung der religiösen Wahrheit oder Unterdrückung abweichender Lehren o. dl. Befugt sein. Die Absicht, die Religionsfreiheit des Individuums zu sichern, ging aber einher mit der weitgehenden Beseitigung der Autonomie der Kirche.« (Heinrich de Wall und Stefan Muckel, Kirchenrecht. Ein Studienbuch. 5. Aufl. [München: C. H. Beck, 2017], 36).
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feder hinter der kirchlichen wie politischen Verurteilung der Pelagianer und verdient daher hier abschließend auch eine gesonderte Betrachtung.347 Wie manipulativ Augustinus vorgegangen ist, um die Pelagianer endgültig verurteilt zu wissen, zeigt Semler insbesondere anhand dessen Einflussnahme auf Kaiser Honorius auf, der schließlich das Exilsurteil gegen die Pelagianer aussprach. Um ihn so weit zu bekommen, habe Augustinus vor keinem Mittel zurückgeschreckt. Das bekannteste findet sich im Vorwurf, es habe eine Lieferung von prächtigen Pferden aus Nordafrika an den Herrschaftssitz in Ravenna stattgefunden, um Kaiser und Beamte zu bestechen und für das Anliegen der nordafrikanischen Bischöfe zu gewinnen.348 Diese und weitere Vorwürfe leitet Semler jedoch zunächst erstaunlich nüchtern, aber dabei durchaus seiner quellenkritischen Haltung entsprechend, ein: »[N]un folgen Beschreibungen, deren Bedeutung die Historie allein uns bestimmen könte, wenn wir Historie hätten aus dieser Zeit […].«349 Ohne weitere (unabhängige) Quellen ließen sich folglich diese Korruptionsvorwürfe nicht letztgültig bestätigen.350 Auch wenn Semler zu den von Julian geschilderten Vorgängen hier keine direkte Stellung bezieht, spricht der versteckt spöttisch kommentierte Einschub eines Zitats aus Hottingers Historia für einen Anschluss Semlers an Julians Vorwürfe. Semler schreibt dort: »[S]o gar Hottinger wird hier ein Geschichtsschreiber für den Julianus«,351 da dieser aufzeige, dass nicht nur die Gelehrten der Kirche, sondern auch das Volk gegen die Pelagianer standen.352 Als Urheber dafür, dass Pelagius und seine Anhänger von allen beobachtet, gerügt und für unverbesserlich angezeigt wurden, benenne auch Hottinger ganz klar Augustinus.353 Freilich verwendet Semler dies in einem verfremdenden Sinne, denn die hier angeführten Zitate des zuvor als »strenge[n] und eingenommene[n] Augustinianer«354 bezeichneten reformierten Theologen beinhalten keineswegs eine Kritik an Augustins Vorgehen. Vielmehr ist es Hottingers primäre Absicht, aufzuzeigen, dass Augustin der Urheber des berechtigten Vorgehens gegen die Pelagianer sei, und 347 Freilich widmet Semler Augustins Rolle keinen eigenen Abschnitt innerhalb seiner Untersuchung; vielmehr finden sich entsprechende Gedanken immer wieder eingebettet in den vorangehend herausgearbeiteten Hauptkritikpunkten. 348 Zu diesen Vorwürfen vgl. Lössl, Julian, 282–284. 349 Semler, »Historische Einleitung«, 298, Anm. 496. 350 Zum selben Urteil kommt Lössl, Julian, 283 f.: »Daß er [Julian] die Vorwürfe, wie es scheint, in aufrichtiger Unerschrockenheit und hartnäckig wiederholte, steigert zwar ihre Glaubwürdigkeit. Ein abschließendes Urteil über die Vorgänge erlaubt es jedoch nicht«. 351 Semler, »Historische Einleitung«, 298, Anm. 496. 352 Nec soli doctores ecclesiae in Pelagianos armati et animati sunt, sed etiam populus (Semler, »Historische Einleitung«, 298; im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler; entnommen aus: Hottinger, Historia Pelagiana II, § 78). 353 Sunt, inquit etc. auctor itaque est Augustinus, Pelagium et complices ab omnibus observari, admoneri, incorrigibiles deferri etc. (Semler, »Historische Einleitung«, 298; im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebungen von Semler; entnommen aus: Hottinger, Hi‑ storia Pelagiana II, § 78). 354 Semler, »Historische Einleitung«, 294, Anm. 492.
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sich diesem auch alle anderen, seien es Kirchgelehrte oder das einfache Volk, uneingeschränkt angeschlossen haben. Semler nimmt darauf spöttisch in seinem Schlusskommentar Bezug: »[D]as Volk hatte also wol allesamt diese gratiam [den Gnadenbegriff Augustins], und verstunde es […].«355 Damit will er freilich keineswegs Hottingers Position bekräftigen, sondern führt die Argumentation Hottingers ad absurdum: Natürlich könne das einfache Volk keineswegs dem augustinischen Gnadenbegriff folgen, geschweige denn diesen überhaupt begreifen und verinnerlichen. Semler möchte vielmehr spöttisch aufzeigen, dass durch Augustins manipulatives Vorgehen das theologisch ungeschulte Volk sich seiner Ansicht und damit seinem Gnadenbegriff allein aufgrund dessen einfältigen Obrigkeitsgehorsams, Augustins Einfluss, seiner aggressiven Angriffe auf Pelagius und nicht zuletzt seiner Bestechungsaktionen anschloss und sich gegen Pelagius verbrüderte.356 In seinem ganzen Verhalten während des Streites sieht Semler »deutliche Züge, die zu Augustini Charakter gehören; und wenn er zu Augspurg und Passau mit gewesen wäre, würde er aus adiutorio gratiae sehr schlechte consilia wider die Protestanten gegeben haben«.357 Ohne weiter ins Detail zu gehen, vergleicht Semler Augustins Verhalten mit dem der altgläubigen Widersacher der Reformatoren während der Reichstage in Augsburg (1518/1530) und den Verhandlungen zwischen dem römisch-deutschen König Ferdinand I. und den protestantischen Reichsfürsten unter der Führung Moritz von Sachsens im Jahr 1552 in Passau.358 Semler sieht es als erwiesen an, dass Augustinus, hätte er in jener Zeit gelebt und an den Verhandlungen teilgenommen, der ärgere Feind der Protestanten gewesen wäre, als sämtliche tatsächlichen altgläubigen Gegner. Doch nicht nur diskreditiert Semler Augustinus mit diesem Reformationsvergleich für alle Protestanten in bislang ungehörter Schärfe, sondern stellt den augustinisch verstandenen Beistand der Gnade faktisch als absolut gnadenlos dar. In gleicher Weise äußert er sich auch zu Augustins Auseinandersetzung mit Julian. Augustinus habe nach Semler gar nicht erst das Anliegen Julians begriffen.359 Semler führt vor allem ein Zitat Julians an, in dem dieser die weitere Semler, »Historische Einleitung«, 298, Anm. 496. Wenn dies denn überhaupt historisch zutreffend und nicht eine Verzerrung ist. Es erscheint unwahrscheinlich, dass die pelagianischen Streitigkeiten überhaupt derartige Wellen schlugen, dass selbst theologisch ungeschulte Bürger hieran Anstoß nahmen. 357 Semler, »Historische Einleitung«, 298. Das Zitat knüpft an den oben ausführlich beschriebenen Schriftwechsel zwischen Nordafrika und Zosimus und dem vorgeschobenen Argument, Zosimus habe ex instinctu dei, also aus bloßer Gnade Gottes heraus seine Meinung zu den Pelagianern geändert, an. 358 Zu den Verhandlungen in Passau vgl. Thomas Kaufmann, Geschichte der Reformation (Leipzig/Frankfurt a. M.: Insel Verlag, 2009), 697. 359 »Sollte wol Augustinus auch von sich sagen können, nescio quid loquatur Julianus?« (Semler, »Historische Einleitung«, 299, Anm. 496; im lateinischen Text nicht kursiv gesetzte Hervorhebung von Semler). 355 356
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Untersuchung der Angelegenheit – und der Gedanken und Meinungen Augustins selbst – fordert.360 Augustins sture Entgegnung – Quid adhuc quaeris, quod iam factum est apud apostolicam sedem? […] Ergo haeresis ab episcopis non adhuc examinanda, sed coercenda est potestatibus christianis361 – vermag Semler in schärfster protestantischer Weise gegen den nordafrikanischen Kirchenvater selbst zu wenden: »In der That, es sollte Augustinus den Protestanten wol nicht so oft Verhör und colloquia zugestanden haben, mit episcopis, wenn er dabei gewesen wäre.«362 Erneut eröffnet Semler damit das Gedankenspiel, in dem Augustinus als altgläubiger Bischof und damit prinzipieller Widersacher der Reformatoren begegnet. Damit findet jedoch nicht etwa eine Gleichsetzung mit den katholischen Bischöfen im Streit mit Luther statt, sondern viel schärfer eine negative Überbietung dieser: Hätte Augustin zur Zeit Luthers als Bischof gewirkt und wäre er so gegen diesen vorgegangen, wie er gegen Pelagius und seine Anhänger auftrat, dann hätte er sich unchristlicher als die tatsächlichen katholischen Bischöfe verhalten. Anders als diese hätte er Luther nicht einmal Anhörungen und Gespräche, wie beispielsweise zwischen Luther und Cajetan am Rande des Reichstags zu Augsburg 1518/1530 zugestanden, sondern auf nichts anderes als eine direkte Verurteilung Luthers und dessen Ansichten gedrängt. Denn, so fährt Semler fort: »Wo sind denn Pelagius, Cälestius, Julianus, in einem concilio gehört worden?«363 In dunkleren Farben könnte Augustinus wohl kaum von einem lutherischen Theologen gezeichnet werden. Denn damit wird nicht nur explizit Augustins kirchenpolitisches Vorgehen gegen Gegner wie die Pelagianer kritisiert, sondern zugleich implizit, dass er die Lehre der Reformatoren, und damit Luthers, direkt angegriffen und verworfen hätte – ja letztlich gefordert hätte, diese schnellstmöglich, ohne Prozess, zu verurteilen – und damit gleichsam den Reformator Luther. Ferner ist es bei diesem Vergleich der Kontroverse zwischen Pelagius und Augustinus mit der zwischen Luther und seinen altgläubigen Gegnern nicht weit hergeholt, nicht nur Augustinus mit den altgläubigen Bischöfen auszutauschen, sondern auch Pelagius in der Rolle des zu Unrecht beschuldigen Verfechters des wahren biblischen Glaubens zu sehen. Denkt man, Semler habe damit nun genug zu Augustinus gesagt, setzt er erneut nach und stellt Augustins Vorgehen gegen die Pelagianer als logisch inkonsequent dar. Dazu führt er ein schon bekanntes Argument an, diesmal in leichter Variation: Im Blick auf Augustins vehementen Einsatz zur Verurteilung und Vertreibung der Pelagianer wird wieder einmal dessen Gnaden‑ und 360 [N]ihil te magnis timere, quam interrogationem, perscrutatricem tui animi et dogmatis, novimus. Inde est quippe, quod omnibus opibus negationem examinis, a mundi potestatibus, com‑ paratist […]. (Semler, »Historische Einleitung«, 299; Zitat aus: Aug., c. Iul. imp. 2,103 [CSEL 85,1, 235,31–35 Zelzer]). 361 Aug., c. Iul. imp. 2,103 (CSEL 85,1, 235,39–45 Zelzer). 362 Semler, »Historische Einleitung«, 299, Anm. 496. 363 Semler, »Historische Einleitung«, 299, Anm. 496.
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Prädestinationslehre als inkonsequent angewandt, bzw. schlichtweg unsinnig dargestellt: »Und warum hilft Augustinus zur Verjagung solcher Leute, die doch sowol selbst allesamt gratiam, qua ex occulto dei iudicio nicht hatten, als auch unmöglich jemanden verfüren konten, der sonst gratiam qua bekame oder praedestinatus war?«364 Würde Augustinus doch seine eigene Prädestinations‑ und Gnadenlehre konsequent weiterdenken, hätte er gar nicht gegen die Pelagianer vorgehen müssen, da doch die Pelagianer, die ohne die aus Gottes geheimem Ratschluss stammende Gnade verloren sind, unmöglich diejenigen von ihrer Meinung hätten überzeugen können, die die unwiderstehliche Gnade Gottes aufgrund göttlicher Erwählung erhalten haben. Oder anders: Wenn Augustin wirklich seiner eigenen Gnaden‑ und Prädestinationslehre voll vertraut hätte, hätte er die Pelagianer gelassen gewähren lassen können, da von ihnen keine Gefahr für die Erwählten ausginge. Außerdem hätte er sich darauf verlassen können, dass den Pelagianern die gerechte Strafe zuteil wird, ohne dass er sich selbst ein Urteil über Glaubensfragen hätte anmaßen müssen, welches allein Gott vorbehalten ist. Semler zufolge habe Augustin folglich seine eigenen Ansichten nicht konsequent verfolgt oder diesen nicht wirklich vertraut – was wirft das für ein Licht auf eine Lehre, wenn nicht einmal ihr eigener Erfinder auf diese sein Handeln aufbaut?
4. Pelagius, der heilige und gebildete Mönch: Die Demetriasbriefausgabe von 1775 Semler arbeitete sich auch in späteren Jahren am pelagianischen Streit und den darin aufgeworfenen Lehrfragen ab. Seine besondere Aufmerksamkeit erregte in dessen Kontext immer wieder der Brief des Pelagius an die römische Adelige und entschiedene Jungfrau Demetrias. In seinem 1773 veröffentlichten Ver‑ such eines fruchtbaren Auszugs der Kirchengeschichte macht Semler diesen seiner Leserschaft als »bekanten Brief an die Demetrias, dessen Inhalt sehr gut verstanden werden kan«, schmackhaft.365 Auch in seinem Versuch christlicher Jahr‑ bücher, oder ausführlicher Tabellen über die Kirchenhistorie bewirbt Semler 1783 schwärmend »den schönen Brief an Demetrias«.366 Semler selbst hatte den Brief an Demetrias zuvor im Jahr 1775 in einer regelrechten Studienausgabe veröffent-
364 Semler,
»Historische Einleitung«, 299, Anm. 496. Versuch eines fruchtbaren Auszugs, 112. 366 Johann Salomo Semler, Versuch christlicher Jahrbücher, oder ausführlicher Tabellen über die Kirchenhistorie. Erster Theil bis auf das Jahr 900 (Halle: Hemmerde, 1783), 101. Das Büchlein ist eine eher nüchterne Chronik kirchengeschichtlich bedeutsamer Jahresdaten und Ereignisse für Studien‑ und Lernzwecke. Doch so klein darin jene Notiz zum Brief auch ist, so gewichtig ist sie angesichts des auf Details verzichtenden Faktenüberblicks, den Semler in dieser Chronik bietet. 365 Semler,
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licht, die sogar nur den ersten Band einer Reihe von Quellen zum pelagianischen Streit darstellen sollte; es blieb jedoch leider bei diesem einen Band.367 Wohin jene Studien am Brief des Pelagius an Demetrias den Leser führen sollen, ist auch ohne Vorkenntnis der vorangehenden Äußerungen Semlers zum pelagianischen Streit schnell ersichtlich: Bereits die Veröffentlichung des Textes unter dem Namen des Pelagius belegt deutlich, welchen sowohl dogmenhistorischen wie auch dogmatischen Stellenwert Semler dieser Quelle zuschreibt. Er will den Text nebst weiteren Dokumenten aus der ersten Phase des Streites damit für eine breitere, akademische Öffentlichkeit ans Licht führen, und die (ethische) Theologie des Pelagius anhand dieser wichtigsten vollständig erhaltenen Quelle frei der antipelagianischen Verzerrung dem Urteil des Lesers selbst überlassen – freilich nicht ohne Anleitung Semlers in Gestalt einer ausführlichen und in den pelagianischen Streit einführenden Praefatio und zahlreicher Anmerkungen zum Text, die im Folgenden das Hauptaugenmerk verdienen.368 Wie tendenziös dabei die Ansichten Semlers sind, verdeutlicht bereits der provokant gewählte Titel, in welchem Pelagius von Semler mit einer »demons Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola ad Demetriadem cum Aliis Aliorum Epistolis. Dan. Whitby S. T. P. Tractatus de Imputatione divina Peccati Adami Posteris Eius Universis in Re‑ atum. Recensuit et Notas addidit D. Io. Sal. Semler. Halae Magdeburgicae, Impensis Car. Herm. Hemmerde, 1777. Semlers ursprüngliche Absicht mehrerer Quellenbände erwähnen auch Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 437 und Weiss, Fanaticismus, 169; vgl. hierzu auch Hornig, Studien, 327 sowie Ohst, »Episode«, 101. 368 Nach der ausführlichen, 31 Seiten umfassenden Einleitung zum pelagianische Streit und zum Brief an Demetrias, bietet Semler im ersten Teil des Bandes seine eigenwillige Quellenauswahl: dem Brief des Pelagius an Demetrias mit ausgiebig kommentierenden und textkritischen Anmerkungen (Semler, Epistola, 3–100 = Pelag.-haer., Demetr. [PL 30, 16–46 / FC 65 Greshake]), folgt Augustins und Alypius’ Brief an Demetrias’ Mutter Juliana (Semler, Epistola, 103–134 = Aug., ep. 188 [CSEL 57, 119–130 Goldbacher]), Hieronymus’ Schreiben an selbige Tochter (Semler, Epistola, 135–166 = Hier., ep. 130 [CSEL 56, 175–201 Hilberg]), dann liturgiegeschichtlich relevante Auszüge aus dem Sakramentar Leos I. über die bei der Weihe von Jungfrauen verwendeten Gebetsformulare (Semler, Epistola, 167–169), sowie weitere, knappe Exzerpte aus einem fränkischen Sakramentar (Semler, Epistola, 170 f.). Geschlossen wird das Textkonvolut von dem anonym überlieferten Brief an Celantia (Semler, Epistola, 172–198 = PL 22, 1204–1220), den Semler Pelagius selbst zurechnet (die Autorschaft ist bis heute umstritten, vgl. Volker H. Drecoll, »Pelagius, Pelagiani«, AugL 4 [Basel: Schwabe, 2016]: 626; Joachim Stüben, »Pelagius«, LACL3 [Freiburg i. Br.: Herder, 200]: 562), und zusammengefassten Kommentaren aus Aug., gr. et lib. arb. über Pelagius’ Brief an Demetrias (Semler, Epistola, 199 –206). Freilich lässt sich als grobes Kriterium, das diese Quellenauswahl zusammenhält, die Fokussierung auf den Aspekt der asketischen Frömmigkeit und Lebensweise innerhalb des pelagianischen Streites ansehen. Die zweite und längere Hälfte des Bandes ist mit dem unvollständigen Wiederabdruck von Whitbys Tractatus aus dem Jahr 1711 gefüllt (Semler, Epistola, 207–476). Zur Gliederung und Quellenauswahl vgl. Ohst, »Episode«, 101–103, der zu Semlers Einleitung und Kriterien der Quellenauswahl treffend beobachtet: »Semlers knappe und unsystematische Ausführungen über die Prinzipien seiner Auswahl und Behandlung der altkirchlichen Quellentexte und ‑auszüge sind eigenwillig platziert: Weder stehen sie am Anfang der Einleitung noch am Schluss, sondern unterbrechen unmotiviert deren ohnehin nicht sonderlich präzise geführten Gedankengang.« (Ohst, »Episode«, 103). 367
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trativen Umwertung«369 als heiliger und gebildeter Mönch (Sanctus et eruditus Monachus) bezeichnet wird. Zudem offenbart der Blick auf das Titelblatt den Verfasser mit der im Titel genannten Wiederveröffentlichung des Traktates Whitbys zur Anrechnung der Sünde Adams für alle nachfolgenden Generationen im Zustand des reatus als Kritiker augustinischer Theologie,370 insbesondere der Erbsünden‑ und der damit verbundenen Imputationslehre. Auch wenn der Traktat recht lose an das vorangehende Textkonvolut angefügt ist, sieht man doch auch hiermit schon deutlich die Ausrichtung gegen Augustinus und den klaren Wunsch einer Rehabilitierung des Pelagius am Werk.371 All das ist weder überraschend noch wirklich neu. Die Relevanz jener Publikation liegt für diese Untersuchung weniger in neuen inhaltlichen Aspekten als vielmehr im Tatbestand, dass nach jahrhundertelanger Polemik gegen Pelagius und der Instrumentalisierung seines Namens zur Verketzerung oder Anschuldigung theologischer Gegner es jemand wie Semler wagt, eine Schrift des vom Erzketzer zum Heiligen umgewerteten Pelagius zu veröffentlichen,372 die darin enthaltene Theologie der augustinischen gegenüberzustellen und diese damit wiederum als Irrweg der Theologie darzustellen. Tatsächlich hat der gesamte Band zudem in der akademischen Landschaft des späten 18. Jahrhunderts mehr Widerhall als vorangehende Arbeiten Semlers oder anderer Autoren zum pelagianischen Streit gefunden.373 Semlers Demetriasbriefausgabe stellt somit schon aufgrund ihrer bloßen Publikation und breiten Rezeption eine Landmarke innerhalb der kirchengeschichtlichen Erforschung des pelagianischen Streites dar.374 Niemals zuvor, Ohst, »Episode«, 105. Ohst sieht aber auch eine Distanz Semlers gegenüber der Schrift und Methode Whitbys, beide treffen sich aber im Ziel in der Kritik an der Erbsündenlehre, vgl. Ohst, »Episode«, 103 f. 371 Dieses Ziel wird schon in der Einleitung überdeutlich, in welcher »Semler in einer Reihe ineinander verschlungener, einander auch immer wieder unterbrechender und blockierender Gedankengänge klar [macht], dass er Pelagius vom Makel des Ketzerurteils befreien will. Er will nicht mehr und nicht weniger leisten als eine Rehabilitation durch die Revision eines Unrechtsurteils«. (Ohst, »Episode«, 106), vgl. beispielweise Semler, Epistola, ohne Seitenangabe [5]. 372 Mit Blick auf Mosheims noch recht konservative Äußerungen zu Pelagius erkennt Ohst in Semlers Edition: »Die Stereotypen der Ketzerpolemik sind verschwunden und haben auszeichnenden Epitheta Platz gemacht.« (Ohst, »Episode«, 105). 373 Siehe unten S. 250–259. 374 Ohst sieht die Publikation des Bandes »als öffiziösen Akt der wichtigsten Theologischen Fakultät des friderizianischen Preußen« (Ohst, »Episode«, 106), da sich mit Semlers Widmung an Johann Friedrich Gruner und Johann August Nösselt zwei weitere der insgesamt vier Ordinarien der Friedrichsuniversität zu dessen Inhalt und Autor bekannten, vgl. Ohst, »Episode«, 105 f. Damit beanspruchte und bestätigte Ohst zufolge die Fakultät selbst »nicht mehr und nicht weniger als das Recht, aus dem antipelagianischen Formelkonsens der großen abendländischen Kirchtümer auszuscheren – allerdings nicht mit der Absicht, eine neue, folgende Diskussionen leitende und begrenzende Lehrnorm zu setzen, sondern die Sachdiskussion gerade von allen derartigen autoritativen Hemmnissen zu befreien. Die hermeneutisch begründete Aufhebung der dogmatischen Setzung soll ja gerade neuen, hermeneutisch reflektierten Bemühungen die Bahn freimachen und sie nicht durch Regulierungen hindern!« (Ohst, »Episode«, 106). 369
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die kurze Dissertatio von Lilienthal einmal außer Acht gelassen, wurde in der deutschsprachigen Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts der Erforschung des pelagianischen Streites und der Lehre des Pelagius ein eigener Band gewidmet oder so viel Aufmerksamkeit in akademischen Zirkeln geschenkt. Nicht umsonst finden sich nach 1775 auch keine weiteren ausführlichen Arbeiten in Semlers Œuvre zum pelagianischen Streit – mit der Ausgabe des Demetriasbriefes ist für Semler sowohl das nötige Handwerkszeug geboten als auch seinerseits alles Wesentliche für die Leserschaft gesagt.375 Abseits des beschriebenen Tatbestandes der Veröffentlichung und Rezeption bietet der Band jedoch keine neuen Erkenntnisse oder Ansichten Semlers, da Semler in seiner Praefatio nur wiederholt und anhand der kommentierten Quellentexte exerziert, was er bereits in den vorangehenden Arbeiten an Meinungen und Thesen vertreten hat.376 Vielmehr lässt sich mit Blick auf diese Edition Semlers Zielsetzung, Argumentation und seine Bewertung des pelagianischen Streites in ihren Grundzügen noch einmal überblicken und in ihrer forschungsgeschichtlichen Relevanz beurteilen.377 Semlers Ziel, Pelagius und dessen Theologie in den Augen der Leser zu rehabilitieren,378 demgegenüber aber Augustinus und dessen Lehre konsequent abzuwerten und zu verwerfen – also eine beidseitige Umwertung, wie in der Rezension wahrgenommen, vorzunehmen –, erfolgt in der Edition wie in den Hinsichtlich Semlers eigenem hermeneutischen Ideal mag dies durchaus zutreffen, wohl aber nicht angewandt auf die Theologie Augustins: Semlers Darstellung seiner Theologie lässt dem Leser keine andere freien Schlüsse zu als die, die Lehre Augustins zu verwerfen – oder sich selbst als starrsinnig und autoritätsgläubig zu offenbaren; diese Opposition von eigener theologischer Meinungsbildung anhand wissenschaftlicher Studien und einem konformen Autoritätsgehorsam, die Semler damit seinen Lesern als Spielräume eröffnet, sieht auch Ohst, »Episode«, 109 f. 375 Der Leser darf beim Studium des Demetriasbriefs jedoch keineswegs erwarten, dass Semler ein sonderliches philologisches Interesse am Text gehegt hat. Für diesen, wie für den Text der weiteren dargebotenen Quellen aus der anfänglichen Phase des pelagianischen Streites bis 416, wurden zwar verschiedene Ausgaben kollationiert und Varianten in den Anmerkungen angeführt, jedoch ohne Nachweis der jeweiligen Ausgabe. Ohnehin hatte diese Editionsarbeit nicht Semler selbst, sondern einer seiner Studenten vorgenommen, vgl. Ohst, »Episode«, 103: »Mit geradezu entwaffnender Offenheit gesteht Semler durch die Oberflächlichkeit und Fehlerhaftigkeit dieser einführenden Bemerkungen sein Desinteresse an der editionsphilologischen Seite der selbstgestellten Aufgabe ein«. 376 Ohst beobachtet in Semlers Demetriasbriefausgabe hinsichtlich der Leitfunktion, die die »konstanten Leitmotive seiner thematisch so vielfältigen Lebensarbeit« einnehmen: »Er baut seine Thesen nicht aus der Interpretation seiner Quellen auf, sondern er exekutiert vielmehr seine Thesen an den Texten.« (Ohst, »Episode«, 107). 377 Hier hat ohnehin Ohst, Semler entscheidende Vorarbeiten geleistet; sein Beitrag bestätigt im Abgleich mit meiner Untersuchung der »Historischen Einleitung« die bereits weiter oben festgestellten Merkmale der Darstellung des Streites bei Semler, findet aber freilich, wo davon abweichend oder weiterführend, Berücksichtigung und Erwähnung. 378 Vgl. u. a. Semler, Epistola, ohne Seitenangabe [5], wo Semler dem Leser seine Rehabilitations‑ und Umwertungsabsicht verdeutlicht: nisi me omnia fallunt, multi iam luculenter intelligent, Pelagio iniuram factam esse ab Augustino; nec praecipue placebit gratiae divinae interpres nouus, qui sit ipse a probitate humana non obscure alienus.
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vorangehenden Arbeiten zum Streit über drei grobe Argumentationslinien, die gern auch einmal verwirrend miteinander verflochten werden:379 So präsentiert Semler in einem historisch-moralisierenden Argumentationsstrang die äußeren historischen Abläufe und die kirchenpolitischen Verwicklungen so, dass die Gegner des Pelagius als moralisch verwerflich, am eigenen Machterhalt und ‑ausbau interessiert und vor staatlichen Zwangsmaßnahmen nicht zurückschreckend, ja unchristlich und intrigant erscheinen.380 Ferner stellt in Semlers Argumentation dieser äußerlich-historische Aspekt der moralisch verwerflichen politischen Intrige die einzige wirkliche Ursache für die Verdammung der Pelagianer und die Durchsetzung der augustinischen Lehre dar. Denn mittels seiner dogmenhistori‑ schen Argumentation möchte Semler im zweiten Argumentationsstrang das Bild einer vielgestaltigen, vielfältigen und von ihrer Lokalität geprägten christlichen Theologie des fünften Jahrhunderts malen, dem er den seiner Meinung nach unrechtmäßigen Anspruch Augustins entgegenstellt, die eine, althergebrachte, wahre Lehrmeinung zu vertreten.381 Durch diese dogmenhistorische Kontex379 Ohst spricht hingegen von einem »doppelschichtig[en]« Argumentationsziel Semlers, vgl. Ohst, »Episode«, 106 f. Die m. E. bei Semler für sich stehenden historischen und dogmenhistorischen Argumentationslinien sind hier bei Ohst miteinander verbunden. Da die Gedanken bei Semler ohnehin häufig ineinanderfließen, abgebrochen und an späterer Stelle wieder aufgenommen werden, ist eine zu scharfe Trennung jedoch unnötig; eine Differenzierung dient lediglich einer besseren Anschaulichkeit der von Semler oftmals verworren präsentierten Gedanken‑ und Argumentationsgänge. 380 Vgl. Semler, Epistola, [ohne Seitenangabe] 10 f. 381 Paul Tschackert, »Semler, Johann Salomo«, ADB 33 (Leipzig: Duncker & Humblot, 1891), 702 f. zufolge sieht bei Semler den Gedanken der »Zufälligkeit« bei der Entstehung des Dogmas als charakteristisch an, wenn er vermerkt, »daß das Dogma selbst jederzeit eine allmähliche Geschichte durchlebt habe, eine Geschichte mit menschlichen Schwächen, Fehlern und Einseitigkeiten, wie denn z. B. die Lehre von der Erbsünde bloß durch den zufälligen Sieg Augustin’s über den Freidenker Pelagius in das kirchliche Lehrsystem eingedrungen sei. Durch diese Art, das kirchliche Dogma nicht als eine fertige und starre, sondern als eine im Flusse befindliche Größe zu betrachten, wurde S. der ›Vater der Dogmengeschichte‹ und wird als solcher in der Geschichte dieser Disciplin stets einen geachteten Namen behalten […]. Leider schoß er in seinem aufgeklärten Eifer dadurch über das Ziel hinaus, daß er in der Geschichte der Dogmen lediglich den Zufall als wirkende Ursache gelten ließ und von der Nothwendigkeit des Dogmas für die Religion keine Ahnung hatte. Daß die christliche Frömmigkeit selbst eine gemeinsame begriffliche Erkenntniß ihrer selbst innerhalb der Christenheit erzeugen muß, um über sich klar zu werden, um die Gewähr der inneren Wahrheit zu erhalten und vor Irrthum sich zu schützen, diese innere Nothwendigkeit des Dogmas für die christliche Religion und damit den inneren Grund seiner Geschichte hat S. nicht erkannt.« Statt von reiner Zufälligkeit zu sprechen, erscheint mir nicht zuletzt aufgrund meiner Beobachtungen zu Semlers dogmenhistorischen Erwägungen zum pelagianischen Streit jedoch das Charakteristikum der Kontingenz und Lokalität des Dogmas zur Beschreibung von dessen Genese wesentlich präziser, vgl. Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 325, die betont, dass es Semler »um die Beschreibung des Komplexes der überkommenden Lehrüberzeugungen als historisch-kontingente und prozesshaft gewachsene Größen« gehe. »Jede dogmatische Lehrfestlegung ist demnach durch bestimmte historisch-kulturelle Bedingungen geprägt und generell auf spezifische Problemkonstellationen resp. theologische Streitfragen hin ausgerichtet. Diese Charakterisierung impliziert notwendig die Zeitgebundenheit und konfessionelle Partikularität
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tualisierung und Lokalisierung wird dem Leser vielmehr der Eindruck vermittelt, dass Augustins Theologie nicht nur im Osten, sondern auch im Westen des Reiches die abweichende Neuerung darstellt, Pelagius hingegen mitnichten eine neue Lehre, sondern die damals am weitesten verbreitete Lehrmeinung vorgetragen habe.382 In einem dritten, bereits oben als schwierig beurteilten383 dogmatischen Argumentationsstrang betrachtet Semler die Lehrmeinungen Augustins von der hohen Warte seiner gegenwärtigen protestantischen Theologie aus: das katholische Zeitalter, in welchem der pelagianische Streit tobte, ist in nachreformatorischer Zeit für den Protestantismus aber ohnehin vorbei, damit auch die unhinterfragten Autoritätsansprüche der Theologie Augustins und die fortwährende Gültigkeit des Ketzerurteils über Pelagius.384 Semlers Gedanke der Perfektibilität des Christentums, der notwendigerweise einen verbesserten Stand seiner gegenwärtigen Theologie gegenüber der der Alten Kirche impliziert, kann auch zu keiner anderen Schlussfolgerung führen. Merkwürdig und bemerkenswert inkonsequent bleibt bei Semler, dass Pelagius und dessen Theologie von all diesen Argumentationslinien entweder gar nicht oder lediglich in einem rehabilitierenden Sinne betroffen sind. Man kann hier mit Fug und Recht davon sprechen, dass Semler zweierlei Maß anlegt und mit großer Befangenheit an die Untersuchung des pelagianischen Streites herantritt, Pelagius und seine Anhänger von kritischen Anfragen ausklammert.385 Die modische Augustinuskritik, der Gedanke der Perfektibilität des Christentums und die damit konsequent einhergehende Abwertung der Alten Kirche386 sowie eigene Erfahrungen mit Anfeindungen und Häresievorwürfen aus dem orthodoxen Lager, die ihm die Identifikation mit Pelagius erleichterten, haben daran ihren Anteil gehabt.387 dogmatischer Sätze, was eine Gleichsetzung mit dem Geltungsanspruch göttlicher Wahrheit verbietet.« (Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 325 f.). Vgl. zum Gedanken der Standortgebundenheit des Dogmas bei Semler auch Ohst, »Episode«, 104. 382 Vgl. Semler, Epistola, ohne Seitenangabe [3 f.]. 383 Siehe oben S. 202. 384 Das gilt auch für den machtpolitischen Anspruch der Kirche in Semlers Sicht: »Im deutschen Protestantismus, für den Semler lehrt und schreibt, ist seit der Reformation ein neues, nachkatholisches Zeitalter der christlichen Religion angebrochen. Beginnend schon im 15. Jahrhundert, haben die weltlichen Mächte ihre einst seit dem 4. Jahrhundert von der Kirche usurpierten Rechtsbefugnisse hinsichtlich der öffentlichen Religion in ihren Territorien zurückgewonnen und damit zugunsten der privatreligiösen Freiheit ihrer Untertanen die kirchlichen Herrschaftsgelüste in die Schranken gewiesen.« (Ohst, »Episode«, 108, vgl. auch 115 f.). 385 Das lässt sich auch anhand von Semler, Epistola, ohne Seitenangabe [6] beobachten, wo Semler Augustinus und den nordafrikanischen Bischöfen vorwirft, dass zur Heilnotwendigkeit der Kirche eine einheitliche und verbindliche Lehre bestehen müsse, die ggf. auch mit Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden müsse. Ohst beobachtet dazu hinsichtlich der unausgewogenen Beurteilungsmaßstäbe Semlers: »Die Frage, ob und inwiefern auch Pelagius und seine Anhänger ihrerseits genau auf dem Boden dieses (überwundenen!) katholischen Christentumsverständnisses gestanden haben, stellt Semler nicht einmal.« (Ohst, »Episode«, 108). 386 Vgl. dazu auch Semler, Epistola, ohne Seitenangabe [11 f.]. 387 So beobachtet Ohst, dass sich Semlers Befangenheit auch noch einmal dadurch gesteigert
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Diese methodische Schwäche beobachtet auch Martin Ohst anhand Semlers Beurteilung von Augustinus und Pelagius in der Demetriasbriefausgabe: »Sein Urteil über Augustin ist – ich vermag es nicht anders zu sagen – grobschlächtig, während Pelagius auch als Theoretiker asketisch-monastischer, an der Logik des Verdienste orientierter Leistungsfrömmigkeit von ihm mit dem protestantisch wohl höchstmöglichen Maß an Wohlwollen bedacht wird.«388
Pelagius dementsprechend als »religös und intellektuell überlegenes Opfer« und Augustinus als »religiös und intellektuell minderrangige[n] Täter« zu erkennen, möchte Semler damit seinem Leser nicht nur als einzig sinnvollen Schluss nahelegen, sondern nötigt diesen geradezu dazu, dieses Urteil mit ihm zu fällen.389 Tatsächlich ist diese Nötigung seiner Leser, zum gleichen Urteil wie er selbst zu kommen, neben den bisweilen verworrenen Argumentationsgängen und der chaotischen Struktur die wohl größte Schwäche sämtlicher Arbeiten Semlers zum pelagianischen Streit. Von Objektivität und Unparteilichkeit bei Semler hinsichtlich des nordafrikanischen Kirchenvaters zu sprechen, wäre eine Schlussfolgerung, die zwar seinen eigenen hermeneutischen und dogmenhistorischen Ansprüchen entsprechen mag, in der Analyse der konkreten Durchführung bei Semler jedoch keinen Halt findet. Wie einseitig und vorbelastet sein Urteil ist, mag exemplarisch noch einmal der Blick auf die für Semler so zentrale kirchenpolitische Dimension des Konflikts verdeutlichen, der er sich freilich auch in seiner Praefatio der Demetriaussausgabe immer wieder zuwendet. Die nordafrikanischen Bischöfe und Augustinus können in seinem Urteil nur als eitle und machtbesessene Intriganten erscheinen, da Semler als einzige kausale Ursache für ihr harsches Vorgehen gegen die Pelagianer immer wieder ihre verletzte Ehre und die Bedrohung ihrer Autorität durch die Lehrmeinung des Pelagius benennt.390 Hingegen sei es im Streit nur vordergründig um theologische Streitfragen gegangen. Damit unterstellt Semler Augustinus und den Bischöfen vollkommen einseitig mangelnde Ernsthaftigkeit in Behandlung der strittigen theologischen Grundfragen, da es habe, »dass er sich mit Pelagius gemeinsam als Glied in eine die Zeitalter überspannende Reihe von Streitern für authentisch gelebtes Christentum eingebunden weiß: Auch er selbst ist ja Zielscheibe und Opfer der autoritären Obskuranten, wie er nicht ohne Pathos darlegt«. (Ohst, »Episode«, 111, vgl. hierzu auch 113 sowie Semler, Epistola, ohne Seitenangabe [7 f.]). 388 Ohst, »Episode«, 107, vgl. dort auch Anm. 36 zu Semlers gemäßigter Kritik am Asketismus des Pelagius, die in keinem Verhältnis zu seiner ansonsten geäußerten Kritik am Asketismus steht. 389 Vgl. Ohst, »Episode«, 111: »Man täte Semler auch kein Unrecht, wenn man sagte: Er drängt seinem Leser dieses Urteil geradezu auf«. 390 Vgl. Semler, Epistola, ohne Seitenangabe [10 f.]: Nos autem eam rem agimus, Augustinum praeiuisse ista exempla eiiciendorum hominum christianorum ex societate externa, ex terris et provinciis imperio civili subiectis, propter haeresin; su, quia dissentiebant ab ista episcoporum constietudine ecclesiasticae doctrinae.
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in seiner Argumentation ja nicht wirklich auf deren Gehalt, sondern lediglich dessen Durchsetzung für die Nordafrikaner angekommen sei.391 Eine solche Einseitigkeit würdigt freilich sowohl die theologische Tiefe als auch Ernsthaftigkeit Augustins herab, erst recht, wenn Semler dem gegenüber das fromme Bestreben und die christliche Motivation des Pelagius betont. Die Frage, ob nicht nur Pelagius, sondern auch Augustinus aufgrund einer ernsthaften Frömmigkeit zu den Schlüssen seiner Gnaden-, Erbsünden-, und Prädestinationslehre gekommen sei, stellt sich Semler nicht einmal. Bezeichnenderweise stellen seine dogmengeschichtlichen Rückblicke auch keinerlei tiefgreifenden Überlegungen zur tatsächlichen Genese und Entwicklung der augustinischen Gnadenlehre an. Das fällt schon an Semlers Umgang mit den Schriften Augustins auf: diejenigen aus der Zeit vor dem pelagianischen Streit finden faktisch, abseits des einen berühmten Confessiones-Zitats, das für Pelagius zum Stein des Anstoßes geworden ist, und gelegentlicher Bezüge auf den frühen Dialog lib. arb., für seine Überlegungen keine Berücksichtigung.392 Und selbst in diesen beiden Fällen folgen die Verweise dem gewohnten Zweck: Die Reaktion auf Pelagius’ Kritik am Confessiones-Zitat wird als verletzte bischöfliche Eitelkeit durch einen Laien dargestellt; Verweise auf lib. arb. und darin enthaltene Äußerungen zur Betonung eines freien Willens dienen Semler lediglich als Beleg der inneren Widersprüchlichkeit des augustinischen Lehrsystems. Von der Freiheit, den eigenen Lehrbegriff weiterentwickeln zu dürfen, ist hier anders als im Falle des Pelagius, nichts zu hören. Ohnehin scheint Semler in seiner Argumentation oft dem logischen Kurzschluss zu erliegen, dass eine Widerlegung oder Kritik Augustins bzw. dessen Theologie im Umkehrschluss einer Bestätigung oder gar Rehabilitation des Pelagius und seiner Anhänger entspricht. Das ist freilich auch dem antagonistischen Denken innerhalb der Darstellung der Kontroverse verschuldet: Zwei Fronten stehen sich hier klar gegenüber: Augustinus und die die Nordafrikanischen Bischöfe gegen Pelagius und den großen Rest der Christenheit! Zwar lässt sich ins Feld führen, dass zur korrekten Darstellung der Lehre und des Charakters des Pelagius Semler tatsächlich zu wenig unabhängige Quellen vorlagen, dennoch fällt bereits am Umfang der Abarbeitung am augustinischen Lehrbegriff auf, welches Gewicht Semler auf dessen Widerlegung legt, die damit gleichsam die Pelagianer entlastet: zu solcher Lehre konnten sie ja nur in Widerspruch treten, soll hier der Schluss lauten, dem sich auch die Leser anschließen sollen. 391 Dazu auch Ohst, »Episode«, 119: »Semler interpretiert also die augustinische Gnadenlehre vorherrschend und einseitig unter dem Leitgesichtspunkt vorausgesetzter klerikaler Herrschaftsinteressen.« 392 Das beobachtet auch Ohst, »Episode«, 112 mit Anm. 39 anhand der Demetriasbriefausgabe.
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Den kirchenpolitischen Argumentationsstrang stärkt in diesem Kontext ohnehin die dogmengeschichtliche Konstruktion Semlers, indem er das Bild einer Christenheit, im Osten wie Westen, zeichnet, zu der der Lehrbegriff der Pelagianer nicht im Widerspruch stand; im Umkehrschluss muss die Folgerung lauten, dass Augustinus und die Nordafrikaner als machtbesessene Minderheit förmlich die ganze Kirche mit ihrem Vorgehen gegen die Pelagianer erpressten, ja verurteilten. Diese Argumentation Semlers, die multikausale Faktoren ausschließt und die vielfältige Dynamik einer solchen Kontroverse auf die kirchenpolitische Motivation und Agitation einer Partei verengt, kann nur zu dem schiefen Bild führen, das er vom pelagianischen Streit zeichnet. Doch darf man bei all dieser Kritik nicht außer Acht lassen, dass noch in der ersten Hälfe des Jahrhunderts und darüber hinaus ein eingefahrenes Ketzerurteil über Pelagius Fortbestand hatte. Fast scheint es rückblickend so, dass ohne die volle Offensive gegen Augustinus, die Semler entschieden mitvorangetrieben hat, diese alten Urteile nicht aufgebrochen worden wären.393 Mit seinen Schriften forderte Semler dabei nicht allein seinen Lesern eine Revision ihres bisherigen Urteils über die pelagianische Theologie und Pelagius ab; vielmehr vollzog Semler selbst mit jeder Publikation, vor allem aber mit der Veröffentlichung einer Schrift des großen Erzketzers Pelagius selbst eine reelle Rehabilitation: Statt der damnatio memoriae und der damit einhergehenden Vernichtung der Schriften lässt Semler diese mehr als 1250 Jahre nach dem Konflikt unter dem Namen des Verfassers Pelagius an das Licht der gebildeten Öffentlichkeit treten, damit sie ihr eigenes Urteil anhand der Quelle selbst fällen möge.
5. »Warum soll also Pelagius noch immer ein Irrlehrer bey uns heißen, und Augustin den Ruhm der Rechtgläubigkeit haben?« Die Aufnahme der Demetriasbriefausgabe Semlers bei der Leserschaft Semler hatte Erfolg mit seinem Vorhaben, Pelagius mit der Edition des Demetriasbriefes in akademischen Kreisen zu rehabilitieren, ihm damit eine Stimme, und mit seiner Praefatio und den Kommentaren einen Fürsprecher 393 Ohst geht in seinem Urteil über die forschungsgeschichtliche Relevanz der Arbeit Semlers zum pelagianischen Streit in die gleiche Richtung. Zwar erkennt er im »emanzipatorischen Impetus« der Historiographie Semlers eine Schwäche, die dazu führt, dass dieser doch wieder nur dem üblichen antagonistischen Gegenüber von wahrer und falscher Frömmigkeit, Irrtum und Wahrheit verhaftet bleibt (vgl. Ohst, »Episode«, 120); dennoch haben spätere Autoren nur ein höheres Maß an Gerechtigkeit walten lassen können, »weil Semler ihnen kritisch vorgearbeitet hatte« (Ohst, »Episode«, 120) und »es solcher Aufräumungsaktionen wie der Semlers bedurfte, damit gerade in der klassischen protestantischen Dogmengeschichtsschreibung ein Augustin-Bild entstehen konnte, in welchem lebendiges theologisches Interesse unbekümmert um die legitimatorischen Zwänge und Sprachregelungen eines hierarchisch-autoritäten Kirchentums seine erkenntnisleitenden Kräfte eindrucksvoll unter Beweis stellen konnte«. (Ohst, »Episode«, 121 f.).
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zu verschaffen. Zwei Zeugnisse einer theologisch liberalen Leserschaft aus dem Jahr 1777, die bereits eingangs des Kapitels erwähnte anonym verfasste Rezension aus der ADB und darüber hinaus der zweite Band der kleinen Schrift Wider den Fanaticismus des Sulzer Superintendenten Jacob Friedrich Weiss (1731–1793), mögen dies exemplarisch belegen.394 Die Rezension des Unbekannten395 ist, dem damaligen Usus entsprechend, jedoch weniger eine Rezension im heutigen Sinne als ein eigenständiger Aufsatz, in welchem sich der Verfasser die Gedanken des rezensierten Autors zu eigen macht und diese reproduziert. Der Rezensent pflichtet so bereits eingangs Semlers Gegenwartsanalyse voll bei, »daß die wenigsten, auch Theologen von Profession, jene Schriften selbst gesehen und gebraucht haben, weil man sich einmal auf das Ansehen älterer Lehrer nicht anders verlasse, als ob sie schon alles richtig eingesehen, alles völlig abgeurteilt hätten«.396 In dieser »heilige[n] Faulheit oder Unart«397 habe sich ein Großteil der akademischen Öffentlichkeit somit bislang blind den Urteilen vorangehender Autoritäten angeschlossen, womit der Rezensent mit Semler bereits die Notwendigkeit einer solchen Publikation der Quellentexte benennt. Die Position des Rezensenten weicht in keiner Weise von der Semlers ab, wenn er im Folgenden ein offenes Bekenntnis Semlers zitiert und alle Theologen dazu auffordert, sich diesem anzuschließen: »So sollten nun wohl freylich alle Theologen […] so von der Brust reden, wie dieser [Semler] hier zu thun das Herz hat, indem er sagt: ›ich bekenne und läugne es nicht, daß ich der Meynung bin, Pelagius und die es mit ihm hielten, seyn unbillig und widerrechtlich durch äußerliches Ansehen und Gewalt unterdrückt worden, seyn zwar von des Augustins und der afrikanischen Provinzialtheologie, aber keineswegs vom wahren und seligmachenden Christentum entfernt gewesen […]‹.«398 394 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola; Jacob Friedrich Weiss, Wider den Fanaticismus. Zweytes Stück (Frankfurt a. M./Leipzig, 1778). 395 Leider lassen sich nur Mutmaßungen über die Autorschaft anstellen. Da auch auf ein Autorenkürzel verzichtet wurde, ist hier auch die Auswertung von Gustav Parthey, Die Mitarbeiter an Friedrich Nicolai’s Allgemeiner Deutscher Bibliothek nach ihren Namen und Zeichen in zwei Register geordnet. Ein Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte (Berlin: Nicolaische Buchhandlung, 1842) nicht weiterführend. Definitiv ist der Autor unter der akademisch interessierten Theologenschaft zu suchen, möglicherweise verbirgt sich hierhinter ein prominenter Zeitgenosse oder Kollege Semlers, der diesem durch die Rezension förmlich Schützenhilfe bietet. Aufhorchen lässt, dass sowohl diese Rezension als auch das Büchlein Wider den Fanaticismus im gleichen Jahr veröffentlicht wurden, zudem beide Schriften anonym. Stilistisch lässt sich jedoch keine Identität der Verfasserschaften nachweisen, auch wenn beide inhaltlich Semlers Arbeiten positiv aufnehmen. Allerdings folgt der Sulzer Superintendent Jacob Friderich Weiss anders als der anonyme Verfasser der Rezension Semler nicht in seiner offenen Rehabilitation des Pelagius, sondern lediglich in der Augustinuskritik und der Kritik an dessen Gnadenlehre, sodass eine Identität daher aufgrund inhaltlicher Kriterien ausgeschlossen ist. 396 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 437. 397 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 437. 398 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 437, Zitat aus Semler, Epistola, ohne Seitenangabe [3].
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Tatsächlich sieht es der Rezensent anhand des »vortrefflichen« Briefes des Pelagius an Demetrias als erwiesen an, dass Pelagius tatsächlich jenem wahren Christentum zuzurechnen ist: »[M]an kann also wohl nicht zweifeln, daß es ihm mit dem edelmüthigen Eifer, womit er auf rechtschaffenes Wesen und heiligen Wandel so stark dringt, ein wahrer Ernst und recht ehrlich darum zu thun gewesen sey, den faulen schlechten Christen seiner Zeit ihre vom menschlichen Unvermögen hergenommene Entschuldigungen zu benehmen, und sie zur treuen Anwendung der guten Kräfte und Anlagen, mit welchen unser Natur von Gott ausgerüstet worden, und besonders der großen göttlichen Anweisung und Hülfe, welche Christen dazu in der Lehr Jesu empfangen haben, anzutreiben.«399
Der Rezensent fasst Semlers gesamte Arbeit zum pelagianischen Streit und seinen intendierten Zielpunkt in einem Satz zusammen, wenn er auf seine Lektüre rückblickend reflektiert, »daß nach abermaliger Durchlesung dieser Stücken und der Semlerischen Anmerkungen dazu, der so verschriene böse Pelagius noch ehrwürdiger, und der große heilige Augustin noch kleiner und schlechter in seinen [des Rezensenten] Augen geworden, als beyde es schon lange gewesen«.400
In derartiger Kürze wäre es Semler selbst nicht möglich gewesen, zu beschreiben, wie das überkommene und parteiische Bild der altkirchlichen Kontroverse methodisch zu korrigieren und neu zu beurteilen sei: Durch wiederholtes Studium der eigentlichen Quellen und kritisches Einbeziehen der Sekundärliteratur – insbesondere Semlers eigener Arbeiten! Auf diesem Weg der Meinungsbild kann die Folgerung eines gründlich arbeitenden Lesers nur lauten, Pelagius nicht nur milde zu rehabilitieren als einen, der es nicht besser wusste, sondern diesen – der Bezeichnung des Pelagius im Titel der Edition entsprechend – in höchsten Ehren zu halten und demgegenüber die ganze Hinfälligkeit und Minderwertigkeit der Theologie und des Charakters Augustins zu erkennen.401 Bezeichnenderweise offenbart dieses Zitat aus der Rezension auch, dass eine solche Folgerung für den Rezensenten jedoch keine vollständige Kehrtwende vom strengen Augustinusanhänger zum Pelagiusverfechter darstellt, sondern für diesen bereits vorher eine deutliche Tendenz pro Pelagius vorlag.402 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 437. Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 438. 401 Auch Tschackert, »Semler«, 702 notiert zu Semlers Motivation und Intention: »Es war ihm nämlich eine Lust, aus unbekannten Quellen Mittheilungen zu machen oder längst bekannte in ein neues Licht zu rücken; wie er z. B. im Jahre 1775 das Schreiben des Pelagius an die Demetrias herausgab, um den britischen Mönch als einen mit den griechischen Kirchenvätern übereinstimmenden Lehrer und Augustin’s Lehre von der Erbsünde als eine irrige zu erweisen; aber zu einer irgendwie vollendeten Darstellung der Kirchengeschichte fehlte ihm wieder Sammlung und Geschmack.« 402 Die Rezension ist damit gleichsam symptomatisch für die breite Abneigung gegenüber Augustinus jener Zeit, die Semler mit seinen Schriften gern bedient und mit dogmenhistorischen Argumenten und kreativer Polemik unterfüttert. 399
400 Anonymus,
I. Johann Salomo Semlers Arbeiten zum pelagianischen Streit
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Der Rezensent sieht daher auch konsequent selbst die pelagianische Gnadenlehre anhand der Darstellung in der »vom ächten protestantischen Geist stark belebten« Praefatio Semlers in einem derart positiven Licht, dass er »den Pelagium noch ferner einen Feind und Gegner der Gnade schelten«403 kann und will. Deutlich verwirft er die augustinische Vorstellung einer unmittelbaren Gnadenwirkung und sieht hingegen eine Übereinstimmung der pelagianischen Gnadenlehre mit der Lehrmeinung vieler zeitgenössischer und als rechtgläubig geltender Theologen: »Sind es doch auch unsre für orthodox geltenden Theologen mit Pelagio offenbar eins, wenn sie nach gerade von keinem andern Gnadenwirkungen mehr wissen wollen, als solchen, wobey dem Menschen seine eigene Entschliessung und Freyheit ungekränkt bleibt, und die anders nicht als mittelbar, nicht vor, nicht außer, nicht bey oder neben, sondern nur durch das Wort und die erkannte Wahrheit geschehen, die nicht in Absicht ihrer Art zu wirken (modus operandi) sondern nur deswegen übernatürlich heißen, weil sie durch die offenbarte Lehre hervorgebracht werden, und ausrichten, was unsere bloßen Naturkräfte und die sich selbst gelassene menschliche Vernunft nicht auszurichten vermögen.«404
Wieweit damit die pelagianische Gnadenlehre getroffen ist, sei dahingestellt. Jedenfalls sieht der Rezensent mit der Widerlegung des Urteils, Pelagius habe die Wirkung göttlicher Gnade schlichtweg vollkommen verleugnet, sieht der Rezensent auch die Verurteilung des Pelagius als Häretiker hinfällig: »Warum soll also Pelagius noch immer ein Irrlehrer bey uns heißen, und Augustin den Ruhm der Rechtgläubigkeit haben?«405 Selbst die letzte Bastion der Gegner des Pelagius, die Berufung auf die vermeintliche Verleugnung der Verdorbenheit des Menschen, sieht der Rezensent mit Semler als gefallen an: »Will man sich auf das von Pelagio verkannte Verderben und Unvermögen des Menschen berufen? aber warlich, der brave Mönch hat auch davon stark genug gezeugt.«406
Der Rezensent kommt sogar zu dem Urteil, dass man sich für das rechte soteriologische Verständnis von Rechtfertigung und Heiligung voll und ganz Pelagius anschließen könne, ohne dadurch etwas zu missen:
403 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 439; der Rezensent zitiert vorangehend lose, ohne kenntlichgemachte Auslassungen, einen Passus der Praefatio, der sich mit der augustinischen und pelagianischen Gnadenlehre befasst, vgl. Semler, Epistola, ohne Seitenangabe [11–13]. 404 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 440. 405 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 440. 406 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 440, mit nachfolgender Anführung eines Zitats aus Pelag.-haer., Demetr. 8 (FC 65, 84,16–20 Greshake), welches die Macht der schlechten Gewohnheit, nicht jedoch die Natur für verfehltes Verhalten verantwortlich sieht.
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C. Wendepunkt und Hinwendung
»Und ist es denn, um von Rechtfertigung und Heiligung recht zu glauben, und die Nothwendigkeit und Wohlthat göttlicher Gnade und Hülfe zu beyden zu erkennen, nicht genug, wenn man, wie Pelagius thut, das Daseyn und de Allgemeinheit des sittlichen Verderbens bey den Menschen anerkennt?«407
So ist freilich schließlich wenig überraschend für den Rezensenten auch die Vorstellung einer Imputation der Sünde Adams wie auch der Gerechtigkeit Christi für die Menschen hinfällig.408 Zunehmend steigert sich die Identifikation des Rezensenten mit der Lehrmeinung des Pelagius: »Das Verderben mag also so groß angenommen werden, als es will, so muß es doch immer durch moralische Mittel, durch das göttliche Wort zu überwinden seyn, folglich es dabey immer auf des Menschen eigenes freyes Verhalten gegen diese Mittel, auf den Gebrauch, den er von diesem Wort macht, ankommen […]. Das muß also doch seine Sache, dazu muß er vermögend seyn, und es thun oder lassen können. Und nun gerade das will Pelagius, da predigt, darauf dringt er mit so vielem Ernst und Eifer. Auch hiebey also, wer ist der irre lehrt, er oder Augustin?«409
Er geht sogar so weit, im Falle der Lehre des Pelagius von einer »verketzerte[n] Orthodoxie« zu sprechen.410 Jedem, der sich das Buch Semlers vornehme und es »unpartheyisch liest«,411 können diese so vorgetragenen Gedanken nur einleuchten, womit er Semlers Anspruch auf diese zwingende Konsequenz untermauert. Doch bei der bloßen Einsicht und Erkenntnis sollen die Leser nicht verharren, vielmehr fordert der Rezensent sie dazu auf, wie Semler den Mut zu fassen, »mit der Sprache frey herauszugehen, und sich durch das alte Zettergeschrey vom Pelagianismus sich nicht schrecken zu lassen«.412 Er selbst jedenfalls trage – obwohl er anonym bleibt! –
407 Anonymus,
Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 441. Vgl. Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 441 f. Der Rezensent bezieht sich dabei auch auf den der Studienausgabe beigefügten Tractatus von Whitby, pflichtet diesem in der generellen Kritik an der Imputation der Sünde Adams bei, grenzt sich aber im Punkt des »rei modi« von dessen Argumentation aber ebenso wie Semler ab, vgl. Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 441. 409 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 443. In diesem Sinne folgert Rohls, Protestantische Theologie, 210 über Semler: »Und das hat zur Folge, daß vor allem jene Dogmen attackiert werden, die die menschliche Freiheit aufheben. Auf diese Weise gelangt er vor allem zur Kritik der von der altprotestantischen Orthodoxie geteilten augustinischen Lehre von der Erbsünde, der völligen Unfreiheit des Willens und der allein von Gott bewirkten Begnadigung einer nur begrenzten Anzahl von Menschen. An ihre Stelle tritt die Vorstellung, daß die Menschen zwar mit einer von ihren Vorfahren überkommenen natürlichen Bindung an die Sinnlichkeit geboren, aber durch die gnädige Einwirkung der christlichen Wahrheiten gebessert und zur geistigen Sittlichkeit erzogen werden.« 410 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 444. 411 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 444. 412 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 444. 408
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»keine Bedenken, den Pelagium […] für einen der besten und verdientesten alten Kirchenlehrer zu schätzen, der große Gelehrsamkeit und Rechtschaffenheit mit einander verband, und ächte Tugend und Gottseligkeit, so wie sie nicht dem Menschen eingegossen wird, sondern nur durch eigenen großen Fleiß und Uebung zu erlangen steht, kannte, und mit einem warmen Herzen und mit wahrer männlicher Beredsamkeit empfahl«.413
Ein derart pathetischer Lobpreis auf Pelagius ist bisher noch nirgendwo begegnet, aber er ist die beinahe logische Konsequenz der Darstellung Semlers. Wenig mag es da noch überraschen, dass der unbekannte Rezensent selbst dem milden Urteil Semlers über die asketische Frömmigkeit des Pelagius beipflichten und in dessen Schreiben an Demetrias eine Predigt erblicken kann, die den meisten Mönchen und Nonnen »die Lust zu ihrem Gelübde« genommen und »die christliche Kirche vor einem der größten und schädlichsten Misbräuche gutentheils verwahrt« hätte.414 So sehr der Rezensent den Brief an Demetrias lobt, so wenig hat er für Augustins und Alypius’ Schreiben an Demetrias,415 das des Hieronymus,416 und die exzerpierten Kommentare417 Augustins zum Brief des Pelagius übrig.418 Deutlich sei an diesen auch zu erkennen, dass sich die Gegner des Pelagius, insbesondere Augustinus, gar nicht erst bemüht hätten, diesen richtig zu verstehen, sodass es den Rezensenten wenig überrascht, dass Augustinus »beym Pelagio die Gnade nirgends finden« kann.419 Augustinus erscheint dem Rezensenten derart starr im Denken, das auch die mehrfache Erklärung des Pelagius hieran nichts mehr zu ändern vermag.420 Augustinus habe auf eine »eigene unmittelbare Ein‑ und Nebenwirkung außer aller Kraft und Gnad, welche die christliche Lehre auch bey der treulichsten Anwendung haben kann«,421 bestanden. Diese Form der Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 444 f. Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 445. Der Rezensent sieht dies darin begründet, dass sich Pelagius mit den Schwierigkeiten und Gefahren der Askese ausgekannt und vor diesen gewarnt habe, folglich auch keine »mönchische Frömmigkeit« (ebd.) von Demetrias oder sonst wem verlangt habe. Auch Ohst, »Episode«, 107, Anm. 36 beobachtet, dass für Semler »die von Pelagius vertretene Askese […] einer verkirchlichten Fehlform mit hoher Überlegenheit« gegenübersteht. 415 Über das Schreiben vermerkt der Rezensent vernichtend: »Sie [Augustinus und Alypius] fechten dawider mit nichtsbeweisenden, übel verstandenen und übel angewandten Schriftstellen, und mit Consequenzen, davon Pelagius hundertmal das ausdrückliche Gegentheil bezeugt, so elend, daß es eine Sünde und eine Schande ist.« (Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 446). 416 Hieronymus’ Schreiben falle »gegen des Pelagii Schreiben gewaltig ab, und ist nach des Mannes Art voller Mönchsmoral, und voller Declamation und frommwitzigen Spielwerks«. (Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 446). 417 »Vom gleichen Schlage und mit eben den Schikanen als der Brief«, urteilt der Rezensent über die Kommentare Augustins (Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 446). 418 Vgl. Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 445 f. 419 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 446. 420 Vgl. Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 446 f. 421 Anonymus, Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 447. 413 414
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Gnade habe er freilich »beym Pelagio eben so vergeblich als in der Schrift« gesucht, denn sie ist, so schließt der Ungenannte seine Rezension spöttisch, »ein afrikanisches Hirngespinst«.422 Auch über den direkten Weg der Rezension hinaus fand Semlers Demetriasbriefausgabe akademischen Widerhall. 1777 hatte der gebürtige Stuttgarter Jacob Friderich Weiss, seit 1774 Superintendent in Sulz am Neckar, den zweiten Teil seines Büchleins »Wider den Fanaticismus« veröffentlicht.423 Im Rahmen des im Oktober gefeierten Jubiläums der Universität Tübingen stieß der ausgewiesene »Stubengelehrte« Weiss, der »mit wahrer Leidenschaft Buch um Buch schrieb«424 auf zwei Inauguraldisputationen des im selben Jahr zum außerordentlichen Professor der Theologie ernannten Gottlob Christian Storr (1746–1805).425 In diesen beiden Disputationen hatte der Begründer der älteren Tübinger Schule sich zum einen mit der unmittelbaren Wirksamkeit es Heiligen Geistes auf die Seele und zum anderen mit der Relevanz dieser Lehre kritisch auseinandergesetzt.426 Dabei bemühte sich Storr darum, »die Lehre, daß Gott nicht nur durch sein Wort, sondern auch mit und neben demselben zu unserer geistlichen Wohlfart unmittelbar in unsere Seelen wirke, aus der h. Schrift zu beweisen, und sie so zu bestimmen und einzuschränken, damit sie von dem verdacht des Fanaticismus, und andern widrigen Folgen gerettet würde«.427
Weiss las diese Disputationen »mit Vergnügen« und macht sich im Folgenden nun daran, Storrs Position mit der seinigen zu vergleichen.428 Das Ergebnis seines »unpartheyischen Nachdenkens« legt er nun seinen Lesern zur Prüfung vor.429 422 Anonymus,
Rezension von Pelagii Sancti et eruditi Monachi Epistola, 447. Jacob Friderich Weiss hatte zuvor in Stuttgart und Tübingen studiert, hier 1751 auch den Magister der Philosophie erlangt. 1756 war er Repetent, 1759 Vikar in Stuttgart, seit 1774 schließlich Pfarrer und Superintendent in Sulz. Neben philosophischen Studien und Publikationen befasste er sich freilich vor allem mit der Theologie, wie u. a. in seinem »stark vom Geist der Aufklärung« (Christoph Weismann, Die Katechismen des Johannes Brenz. Band 2: Biblio‑ graphie 1528–2013. SuR 22 [Berlin/Boston: De Gruyter, 2016], 1143) geprägten Katechismus über die Glückseligkeitslehre Jesu Christi nach der heutigen Volkssprache (Tübingen: Heerbrandt, 1791). Bezeichnenderweise beklagte sich jedoch sein Nachfolger über das fast eingeschlafene kirchliche Leben in der Stadt; zu Weiss vgl. Christoph Kolb, Die Aufklärung in der Württem‑ bergischen Kirche (Stuttgart: Kohlhammer, 1908), 45–50; sowie Weismann, Katechismen 2, 1143. 424 Karl Hartmann, »Aus der Sulzer Kirchengeschichte«, in Sulz. Alte Stadt am jungen Neckar. Festschrift zur 700-Jahrfeier der Stadtrechtsverleihung, hg. v. Winfried Hecht/Paul T. Müller/Peter Vosseler, 156–166 (Sulz am Neckar, 1984), 164. 425 Zu Gottlob Christian Storr vgl. Theodor Schott, »Storr, Gottlob Christian«, ADB 36 (Leipzig: Duncker & Humblot, 1893): 456–458.; Werner R aupp, »Storr, Gottlob Christian«, NDB 25 (Berlin: Duncker & Humblot, 2013): 447–449; Klaus-Gunther Wesseling, »Storr, Gottlob Christian«, BBKL 10 (Hamm: Traugott Bautz, 1995): 1590–1594. 426 Vgl. Weiss, Fanaticismus, 4. 427 Weiss, Fanaticismus, 5. 428 Vgl. Weiss, Fanaticismus, 5 f. 429 Weiss, Fanaticismus, 6. 423
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Erneut steht also die Betrachtung der Lehre der unmittelbaren Gnadenwirkung zur Diskussion. Weiss macht mit Blick auf diese Diskussion seine Position mehr als deutlich und holt zum Rundumschlag gegen Augustins Gnaden‑ und Prädestinationslehre aus: »Augustinus sah das wohl ein, daß, wenn man eine besondere unmittelbare Hülfe Gottes allgemein machen wollte, dieses mit der Erfahrung nicht übereinstimmen würde. Deswegen verfiel er auf die Lehre von einer unbedingten Prädestination, machte das sittliche Verderben des menschlichen Geschlechts recht groß, um zu behaupten, daß alle andere Hülfsmittel, ausser einer unmittelbaren besondern göttlichen Gnade, zu unserer Bekehrung unzulänglich seyen, und entschuldigte auch die Sünden und Laster der Prädestinirten damit, daß sie ihrer Natur nach nichts anders als sündigen können, bis sie die besondere Gnade Gottes ergreiffe, welche sie auch gewiß noch ergreiffen werde, wenn sie jezt gleich noch so viel Vergnügen auch an verdammlichen Sünden finden. –‑ Die Lehre des Augustinus von der Prädestination hat man aufgegeben, warum nicht auch die so genau damit verbundene Lehre von besondern unmittelbaren Einflüssen Gottes zu unserer Bekehrung? Es bleibt also bey dem, was ich hievon in der Schrift wider den Fanaticismus § 66. 67. geschrieben habe, um so mehr, als die Beweise für die ausserordentliche Wirkungen Gottes auf uns, welche aus der heiligen Schrift genommen werden, noch sogar schwach und unzulänglich zu seyn scheinen.«430
Storr vertritt demgegenüber die Meinung, »daß man sich nicht nur an der Lehre von den unmittelbaren Einflüssen Gottes auf die Christen, will die heilige Schrift so stark darauf dringe, fest halten, sondern sie auch dem gemeinen Volk auf der Canzel nicht vorenthalten solle«; dabei habe er »seine Unzufriedenheit über zween grose Gelehrten, den Herrn D. Semler und Herrn Ober-Consistorialrath Spalding« bezeugt.431 Weiss nimmt im Folgenden nun sowohl Semler als auch Spalding in ihrer von Storr kritisierten Verwerfung der unmittelbaren Gnadenwirkung Gottes in Schutz.432 Semlers Ansichten seien »untadelhaft«, wenn er bekennt, »daß er das System von ausserordentlichen Gnadenwirkungen nicht für schriftmäßig, sondern blos für eine hergebrachte Lehre einer Kirchenparthey ansehe; andern theils aber kennt er die Macht der Vorurtheile, des jugendlichen Unterrichts, des kirchlichen Ansehens, des gelehrten Neids, den er schon so häufig erfahren hat, viel zu gut, als daß er sich die Hoffnung machte, daß seine neuere Einsichten so schnellen Eingang finden werden; deßwegen behandelt er die anders denkende mit einem friedsamen und toleranten Sinn, fordert nicht, daß man etwas auf sein Wort glauben solle, dringt selber auf die Untersuchung seiner Lehren, und läßt dann einem jeden, billiger und vernünftiger Weise, die Wahl, die Feyheit, ihm, nach dem Maas seiner eignen Einsichten, bey Weiss, Fanaticismus, 155 f. Fanaticismus, 156 f. 432 Dabei bezieht sich Weiss auf entsprechende Äußerungen Semlers in seiner Institutio ad doctrinam Christianam liberaliter discendam: auditorum usui destinata (Halle: Hemmerde, 1774), 551 (vgl. Weiss, Fanaticismus, 157 f.) sowie Spaldings Über die Nutzbarkeit des Predigt‑ amtes und deren Beförderung, hg. v. Tobias Jersak. SpKA I/3 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2002), 180 (vgl. Weiss, Fanaticismus, 160 f.). 430
431 Weiss,
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zupflichten, oder an seinen alten Meynungen hangen zu bleiben. Ist das nicht der rechte Weg, den Untersuchungsgeist rege zu machen und zu erhalten? Hat die Wahrheit etwas davon zu beförchten?«433
Die Begründung, dass eine solche Lehre von der unmittelbaren Gnadenwirkung nicht biblisch fundiert ist, sondern lediglich auf dem Ansehen der augustinischen Gnadenlehre basiert, liefert Weiss, seine Erörterungen abschließend, mit dem ausdrücklichen Bezug auf die entsprechenden dogmenhistorischen Untersuchungen zum pelagianischen Streit in Semlers Demetriasbriefausgabe.434 Bemerkenswert ist hier vor allem, dass Weiss die dogmenhistorischen Grundgedanken Semlers über die augustinische Gnadenlehre in jenem Werk knapp in deutscher Sprache »um der Nichttheologen willen« zusammenfasst und alle, die »mehr davon wissen wollen« auf die Studienausgabe, insbesondere ihre »freymüthige« Praefatio verweist.435 In seinem volksaufklärerischen Impetus möchte Weiss somit die Erkenntnisse und Gedanken Semlers noch weiter, gar über die rein akademische Leserschaft hinaus, verbreitet wissen! In seiner Zusammenfassung stimmt Weiss dabei vollkommen mit Semler überein: Augustinus habe die entsprechende Gnadenlehre erfunden, um Pelagius, der »ihm misfiel« verdächtig und zum Ketzer zu machen. Demgegenüber habe die gesamte alte Kirche, insbesondere die griechische, von der Verderbnis des Menschen, dessen freien Willen, eigenen Kräften und der allgemeinen, »durch das Worte wirksamen Gnade« genau so gelehrt, wie Pelagius es tat.436 Verdammt werden konnte er schließlich nur durch die »bischöfliche Gewalt«.437 Ganz im Sinne Semlers findet sich Pelagius somit auch für Weiss dogmenhistorisch rehabilitiert; anders als Semler und der anonyme Rezensent bekennt sich Weiss jedoch nicht gleichsam zur Theologie des Pelagius. Sein Gegenüber zu Augustinus, den er für Protestanten als nicht mehr tragfähig erachtet, ist ein anderer: »Wer sich nun heut zu Tag noch den Augustin zu seinem Meister wählen will, und damit beruhigen kann, der thue es. Aechte Protestanten erkennen nur Einen als ihren Meister, nemlich Christum; den sehen sie allein als ihren Lehrer und Führer an, und sich als Brüder, die gemeinschaftlich von Ihm lernen, und sich von Ihm leiten lassen.«438
433 Weiss, Fanaticismus, 159. Ähnlich gibt er auch die Argumentation Spaldings wieder: »Denn man sieht es dem Herrn Spalding gar zu merklich an, daß er diese Lehre nicht für eine in dem Wort Gottes geoffenbarte, sondern blos für eine kirchliche, für eine Parthey Lehre halte.« (Weiss, Fanaticismus, 161). 434 Im Folgenden vgl. Weiss, Fanaticismus, 169–171. 435 Auch hier wird wieder deutlich, wenn Weiss vom »ersten Band von actis ad causam pelagianam pertinentismus« (Weiss, Fanaticismus, 169) spricht, dass Semler beabsichtigte, noch weitere Quellen aus den späteren Phasen des pelagianischen Streites zu publizieren. 436 Vgl. Weiss, Fanaticismus, 169. 437 Vgl. Weiss, Fanaticismus, 170. 438 Weiss, Fanaticismus, 170 f.
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In letzter Konsequent mag Weiss Semler nun doch nicht so weit folgen, Pelagius und dessen Theologie gleichsam zu erheben, sondern spricht ihr nur im damaligen Kontext der Alten Kirche ihre Gültigkeit und weite Verbreitung zu. Weiss äußert sich damit anders als der unbekannte Rezensent verhältnismäßig vorsichtig und konservativ – was aber nicht überraschen mag, wenn man bedenkt, dass Weiss als Superintendent seine Pfarrer streng überwachte und solche, bei denen vermeintlich »pelagianische und socinianische Meinungen« zutage traten, theologische Aufsätze schreiben ließ.439
6. Zusammenfassung Anhand des Büchleins von Weiss und jener Rezension lässt sich sehen, dass Semlers Plan aufgegangen ist: Seine Erörterungen zum pelagianischen Streit haben Eingang in die akademische Diskussion gefunden. 1777 steht Augustinus als moralisch wie theologisch diskreditiert, Pelagius hingegen für manche Theologen gar als früher Vorreiter einer aufgeklärten, emanzipatorischen Theologie da. Freilich sind vor allem Augustins Erbsünden‑ und Prädestinationslehre schon zu Lebzeiten des Nordafrikaners Gegenstand schärfster Auseinandersetzungen gewesen, die in den darauffolgenden Jahrhunderten immer wieder aufflammten. Insbesondere die verschiedentlichen Diskurse und Kontroversen des nachreformatorischen 16. und 17. Jahrhunderts führten bereits zu einer merklichen Hinterfragung des Kirchenvaters und seiner Gnadentheologie. Auch Semler zählt unverkennbar zur Traditionslinie solcher Theologen, die eine äußerst kritische, genau genommen klar ablehnende Haltung gegenüber den zentralen Lehren Augustins einnehmen. Dafür stehen repräsentativ die Darstellung des pelagianischen Streites in der Historischen Einleitung sowie die Demetrias‑ briefausgabe mit ihrer Einleitung und Kommentierung. Bereits die Historische Einleitung zeugt von Semlers enormer Vertrautheit mit den Quellen. Jedoch kommt er nicht umhin, sich für Argumentationszusammenhänge wie Quellenzitate ausführlich bei der Sekundärliteratur zu bedienen: So arbeitet er sich intensiv an den Autoren der letzten zweieinhalb Jahrhunderte, insbesondere an dem reformierten Kirchenhistoriker Johann Jakob Hottinger ab – freilich meist mit der Absicht, diese zu widerlegen oder zu korrigieren. Innerhalb der Polemik gegen Augustinus und der Verteidigung Pelagius’ sticht ein Element besonders hervor: Augustinus wird an mehreren Stellen als größerer Widersacher Luthers gezeichnet als die römisch-katholischen Bischöfe, Kardinäle und der Papst, hätte er denn zur Reformationszeit gewirkt. Zudem investiert Semler viel Mühe darauf, die Differenz zwischen Augustins Gnadenlehre und der protestantischen Rechtfertigungslehre aufzuzeigen. Durch Hartmann, »Aus der Sulzer Kirchengeschichte«, 164.
439
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diese Parallelsetzung und dogmatische Abgrenzung kann Semler Augustinus in Lebenswandel und Lehre kritisieren, ohne unterdessen Luther mit in den Schmutz zu ziehen. Jene Parallelsetzung vollzieht Semler auch auf kirchenpolitischer Ebene: wie zur Reformationszeit seien Glaubensfragen unter Einbeziehung weltlicher Mächte und Strafmittel angegriffen, be‑ und verurteilt worden, was Semler als eine unrechtmäßige Einbeziehung des Staates in religiöse Streitfragen und Glaubensinhalte betrachtet – mit negativen Folgen für den Staat und dessen Bürger selbst. Für Semler ist daher auch diese generelle Kritik am kirchenpolitischen Vorgehen der nordafrikanischen Bischöfe, sowie deren Verwicklungen mit dem römischen Bischof und dem Kaiserhof in Ravenna, ein wesentliches Element zur Rehabilitation des Pelagius und seiner Anhänger. Über die bisweilen zweifelhafte, harsche Polemik gegen Augustinus, das Lob für den Lebenswandel des Pelagius, die Parallelsetzungen zur Reformationszeit und Kritik am Zusammenwirken von Staat und Kirche hinaus bedient sich Semler insbesondere der Dogmenkritik zur Rehabilitation der Lehre des Pelagius: Nicht etwa dieser verdiene das Urteil, der Häresie bezichtigt zu werden, sondern Augustinus, dessen Lehren von der Gnade, Erbsünde und Prädestination laut Semlers dogmenhistorischen Beobachtungen die wahren Neuerungen und damit häretisch seien. Darüber hinaus beurteilt Semler die exegetischen Begründungen dieser Lehren als mangelhaft und diese selbst somit als unbiblisch bis hin zu unchristlich in ihrer ethischen Konsequenz. Deutlich wird dies schließlich auch in der Schlüsselrolle, die Semler der misslungenen Christologie des nordafrikanischen Bischofs zuschreibt und die er als Grund für die Unvereinbarkeit der augustinischen Gnadenlehre mit der reformatorischen Rechtfertigungslehre ansieht. Letztlich stellen Semlers Arbeiten trotz seiner sowohl konventionellen wie bissigen Polemik gegen Augustinus und trotz seines bisweilen anstrengenden Schreibstils einen entscheidenden Wendepunkt in der Rezeption des pelagianischen Streites dar.440 Inwiefern sich dies in nachfolgenden Darstellungen des 18. Jahrhunderts beobachten lässt, wird anschließend zu erörtern sein. 440 Milde äußert sich Bernd Moeller, Kirchengeschichte, 787 über den Schreibstil Semlers: »So radikal und in gewisser Hinsicht umstürzend die theologischen und kirchenhistorischen Erkenntnisse Semlers waren, so schwer fiel es ihm, sie literarisch zu vermitteln.« Emmanuel Hirsch drückte sich vorangehend weniger zurückhalten aus: »Das oft elende, stets undurchsichtige, umständliche Deutsch, das Semler schreibt, [ist] wohl das schlechteste, das je ein Deutscher von geistigem Stand geschrieben hat« (Hirsch, Geschichte, Band 4, 50). Moeller sieht dies nicht allein in der enormen literarischen Produktivität Semlers begründet, sondern insbesondere in dessen Arbeitsweise: »Das Ringen mit dem Stoff und der Sache, um die es ihm [Semler] ging, mag hierin in Erscheinung treten, aber auch sein historisches Verfahren: Semler gewann seine Überzeugungen, anders als z. B. Mosheim, innerhalb seiner gelehrten his-
II. Christian Walchs Entwurf einer vollständigen Historie der Ketzereyen
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II. Christian Wilhelm Franz Walchs Entwurf einer vollständigen Historie der Ketzereyen(1768) 1. Einführung Am 16. September des Jahres 1769 vollendete der Göttinger Theologe Christian Wilhelm Franz Walch (1726–1784) seine umfangreiche Vorrede zu Johann von Einems erstem Band seiner deutschsprachigen Übersetzung der Institutiones Mosheims.441 In Bezug auf ältere, auch protestantische Darstellungen des pelagianischen Streites kritisiert er dort, dass diese bislang überwiegend für konfessionelle und theologisch-polemische Zwecke abgefasst und instrumentalisiert wurden.442 Ein grundliegender Fehler, der das Bild der Geschichte des pelagianischen Streites nur verzerren konnte, war für die Darstellung der pelagianischen Lehrmeinungen nicht vom Widerspruch ihrer damaligen Gegner, sondern von den Grundsätzen des eigenen, protestantischen Lehrgebäudes auszugehen und diese Lehren von dort anachronistisch zu beurteilen: »Es ist über allen Widerspruch erhaben, daß man in den Schulen der Theologen, auch protestantischen Theologen […] Pelagii Lehren nicht, wie sie Augustini, oder Hieronymi Grundsäzzen, sondern wie sie unserem Lehrbegrif widersprochen, vorstellte, um nun gegen unsere Gegner Folgerungen zu machen, die der ganzen pelagianischen Historie ihren ganzen Werth bestimmen sollten.«443
Doch nicht nur das, auch sei seit der Reformationszeit bis hin zur Gegenwart Walchs das Lehrsystem Augustins ebenfalls für eigene konfessionelle Zwecke nicht nur instrumentalisiert, sondern auch ausgehöhlt, und förmlich mit der jeweils eigenen Meinung ausgestopft worden:
torischen Arbeiten selbst und suchte sie aus dieser heraus zu beweisen.« (Moeller, Kirchen geschichte, 787). 441 Zu von Einem und seiner Übersetzung von Mosheims Institutiones, siehe oben S. 134, Anm. 257. Von Einem übernimmt eine Vielzahl von Walchs Aussagen zum pelagianischen Streit aus dessem folgend darzustellendem Entwurf. 442 Christian Wilhelm Franz Walch, »Vorrede«, in Johann Lorenz von Mosheims voll‑ ständige Kirchengeschichte des Neuen Testaments […] mit einer Vorrede Sr. Hochwürden Herrn D. Christian Wilh. Franz Walchs von en Veränderungen des Studiums der Kirchenhistorie, Erster Theil, hg. v. Johann August Christoph von Einem, 12–176 (Leipzig: Weygand, 1769) stellt einen programmatischen kirchengeschichtlichen Aufsatz dar, der die Geschichte der neueren (16.– 18. Jahrhundert) Kirchenhistorik und ihrer Entwicklung vorstellt; dazu zeigt er Lob, aber vor allem Kritik an älteren Arbeiten auf und geht detailliert auf viele kirchengeschichtliche Werke und deren besondere Methodik ein. Vor allem kritisiert Walch die Parteilichkeit vorangehender Darstellungen, insbesondere zu den Ketzern. Die Arbeiten seien oft zu polemischen Zwecken erstellt worden, wie die Kirchengeschichte dafür überhaupt generell genutzt werde. Das wiederum führte dazu, dass die Darstellungen der Ketzer in erster Linie zum Zweck entstanden, die eigenen Gegner zu widerlegen. 443 Walch, »Vorrede«, 17.
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C. Wendepunkt und Hinwendung
»Ein jeder schenkte daherr dem Mann [Augustinus] sein eigen System, der Jesuit so gut, wie der Janseniste, der Lutheraner und der Reformirte. Dennoch ist nichts gewisser, als daß Augustinus zwar von allen so verschiedenen Systems etwas, aber zuverlässig keines ganz gelehret […].«444
Innerhalb der angedeuteten Kontroversen zwischen Jesuiten und Jansenisten, oder innerhalb des Protestantismus’ selbst, und der daraus hervorgehenden Literatur zum pelagianischen Streit habe folglich jeder Autor seiner eigenen Lehre zur Unterstützung ihrer Rechtsgläubigkeit den Anstrich der augustinischen Lehre verpasst; Augustinus’ Name und Ansehen waren für damalige Zeiten förmlich Garant der Orthodoxie. Dem gegenüber stand für die vorangehenden Autoren Pelagius für den Inbegriff der Irrlehre; Walch stimmt diesem Urteil über die Lehre des Pelagius durchaus zu,445 kritisiert jedoch den logischen Fehlschluss, dass aus der Verwerflichkeit der Lehre des Pelagius automatisch und pauschal die Fehlerfreiheit der Lehre des Augustinus angenommen werden könne: »Daß Augustinus und Pelagius von der moralischen Natur des Menschen, von seiner Bestimmung, von den von Gott festgesetzten Mitteln, diese zu erreichen, von dem Verhältniß der menschlichen Kräfte zum Gebrauch dieser Mittel und Erfüllung der vorgeschriebenen Bedingungen, mit einander gestritten, dieses war ausgemacht; es war dabey kein Zweifel, daß Pelagius geirret, obgleich die Gründe dieses Urtheils bey so verschieden denkenden Schriftstellern ebenfalls verschieden gewesen seyn können. Nur leider! war durch dieses Vorurtheil das Urtheil von Augustino, daß er richtig gelehret, ebenfalls sehr allgemein.«446
Als Christian Walch diese Vorbemerkungen über den bisherigen Umgang mit dem pelagianischen Streit vollendete, hatte er bereits sein eigenes Opus magnum vollendet, den im Jahr 1768 veröffentlichten vierten Teil seines Entwurfs einer vollständigen Historie der Ketzereyen, Spaltungen und Religionsstreitigkeiten bis auf die Zeiten der Reformation. Walchs Entwurf ist ein aufschlussreiches Zeugnis für die vielfältigen Blickwinkel, die im letzten Drittel des Jahrhunderts zum pelagianischen Streit eingenommen werden konnten.
444 Walch,
»Vorrede«, 43 f. Walchs Ablehnung der pelagianischen Lehre wird schon an früherer Stelle sichtbar: »Nichts ist gewisser, als daß aus den philosophischen Schulen, in welchen die sonst verdienten Männer unterrichtet worden, Grundsäzze in die Sittenlehre der Christen übertragen worden, die eine durch hinreichende Kenntniß des Menschen, seiner Kräfte und seiner Bestimmung aufgeklärte, und durch die Lehren Christi und seiner Apostel erleuchtete Vernunft nie billigen wird. Zu diesen kamen der Mangel einer guten Hermeneutik und einer Menge von Vorurtheilen […] Ein bald feinerer, bald größerer Pelagianismus verbreitete sich in dem Theil der Moral, welche das Herz bessern und zur Ausübung der tugendhaften Handlungen tüchtig machen soll.« (Walch, »Vorrede«, 24). 446 Walch, »Vorrede«, 43. 445
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2. Zur Geschichte des Streites an sich und der Schwierigkeit ihrer Darstellung 2.1. Zur Relevanz des Streites und der darin aufgeworfenen dogmatischen Fragen Muss man sich überhaupt dem pelagianischen Streit, einer theologischen Elfenbeinturmkontroverse des fünften Jahrhunderts, und den in ihm diskutierten Streitfragen zuwenden – und wenn ja: warum? Eine Bejahung dieser provokant gestellten Frage wäre Walch leichtgefallen, denn in seiner Sicht hätte »die unleugbare Wichtigkeit der Religionsfragen, über welche gestritten worden, und die ausgebreitete Furchtbarkeit einer genauen Käntnis dieser Streitigkeiten beides unsern [Walchs] Fleis und der Leser Aufmerksamkeit so wol gereizet, als verdienet«.447
Eine Kenntnis von den pelagianischen Kontroversen zu erlangen, ist also schon aufgrund der Relevanz der in ihm verhandelten »Religionsfragen« unabdingbar – sie sind zugleich dermaßen bedeutsam, dass sie auch die Wissbegier der Leser förmlich auf sich ziehen, also bis auf die Gegenwart Walchs relevant sind. Ihre fortwährende inhaltliche Relevanz ziehen diese Fragen laut Walch daher, dass sie teils unmittelbar zu den Grundlehren offenbarter Religion zu rechnen sind und andernteils mit anderen solchen Grundlehren in einer direkten Beziehung stehen.448 Der konkrete Gegenwartsbezug dieser Fragen ist über die dogmatische Tragweite hinaus in den bis auf die Zeit Walchs vorherrschenden theologischen Spaltungen und selbst innerkonfessionellen Parteiungen sichtbar, die durch die verschiedenen Standpunkte zu jenen aufgeworfen sind.449 Durch damit einhergehende und andauernde theologische Auseinandersetzungen sei es in der Darlegung der Dogmatik und christlichen Ethik zu einer »Menge von scharfsinnigen Erklärungen, Bestimmungen, Einschränkungen, und ganzen Säzen« gekommen, die wiederum aus der Geschichte der pelagianischen Streitigkeit zusätzliche Klarheit erlangen können, sodass Walch »noch iezt die Käntnis derselben dem gelehrten Lehrer der Religion vor unentbehrlich halten« muss.450 Gerechtfertigt sieht Walch diese Beurteilung der Zentralität des pelagianischen Streites für den Theologen allein schon darin, dass eine Vielzahl namhafter Autoren in späteren dogmatischen Kontroversen »wie um die Wette sich bemühet, diese Geschichte zu untersuchen und aufzuklären«.451 Walch bezieht sich damit freilich auf einen Teil der bereits oben angeführten Autoren und ihrer Kollegen und Gegner in solchen Kontroversen wie denen zwischen den Arminianern und streng Reformierten, oder denen zwischen Jesuiten und Jansenisten. Um überhaupt zu verstehen, worin der eigentliche Widerspruch des in diesen Kontroversen so oft angeführten Augustinus zu den pelagianischen 447 Walch,
Entwurf, 520. Walch, Entwurf, 520. 449 Vgl. Walch, Entwurf, 520. 450 Walch, Entwurf, 520. 451 Walch, Entwurf, 520. 448 Vgl.
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Lehren bestehe, müssen diese überhaupt erst einmal bekannt sein. Wer Augustins Lehre von der Erbsünde, der Gnadenwirkung, dem freien Willen und der Prädestination wirklich erfassen will, muss sich folglich erst mit den Lehrmeinungen seiner Gegner, der Pelagianer auseinandersetzen. Daraus wiederum werde für die arminianischen und jansenistischen Streitigkeiten ersichtlich »wie erheblich die Käntnis der pelagianischen Streitigkeiten jedesmal gewesen und wie natürlich es gewesen, daß die gelehrtesten und scharfsinnigsten Theologen bey Führung der neuern Kriege einen recht besondern Fleis auf ihre Untersuchung gewendet«.452
Doch nicht nur aufgrund dieser jüngeren Geschichte theologischer Konflikte, die freilich teilweise noch bis in Walchs Zeiten hinein fortbestehen, wie er hier anmerkte, ist die Kenntnis des pelagianischen Streites für Theologen unabdingbar, sondern auch aus der unmittelbaren Gegenwart der Leserschaft selbst. Selbigen traut Walch zu, mit einem Großteil der im Streit verhandelten Fragen aufgrund ihrer Relevanz bereits vertraut zu sein und ihm nahezu vollzählig zuzustimmen, »daß ein groser Theil dieser Fragen von sehr großem Gewicht vor den Glauben und die Sitten der Christen sey«.453 Bemerkenswerterweise kommt Walch auf die Frage, ob die Streitfragen wichtig oder »unerheblich« waren, am Ende seiner Beurteilung des pelagianischen Streites erneut zu sprechen; diesmal jedoch kann er sich vorstellen, »daß die Antworten auf diese Frage sehr verschieden ausfallen müßen, da noch iezt unter den Christen eine bewundernswürdige Uneinigkeit über eben diese Frage herrschet und besonders diejenige Parthei einem grosen Theil der pelagianischen Lehrsäze öfentlichen Schuz ertheilet, die durch ihren übrigens Religionsbegrif genöhtiget ist, alle diejenigen vor Kezer zu erklären, welche die Pelagianer vor keine Kezer halten wollen«.454
Walch drückt sich hier etwas verwirrend und unklar aus; letztlich wird durch den hier aufgetanen Konflikt die Relevanz des Streites bzw. seiner Streitfragen ja nicht vermindert, sondern ganz im Gegenteil aktuell. Ferner ist unklar, oder lässt sich nur spekulieren, wen Walch hier meint, wenn er über eine Gruppe spricht, die einen großen Teil der pelagianischen Lehren zwar öffentlich in Schutz nimmt aber selbst durch ihr übriges Religionsverständnis sich dazu gezwungen sieht, jeden zu einem Ketzer zu erklären, der die Pelagianer nicht für Ketzer hält. Spielt Walch damit auf neologische Theologen wie Semler an, der Pelagius deutlich in Schutz nimmt und rehabilitiert, zugleich aber durch sein lutherisches Bekenntnis eigentlich lutherischen Lehren, die eben zweifelsohne antipelagianisch motiviert sind, verpflichtet ist? Das ist letztlich mehr als bloße Spekulation, da Walch sogleich betont, dass er selbst »von der Wahrheit des symbolischen Lehrbegrifs unserer Kirche von der Erbsünde und den Gnadenwirkungen überzeugt« sei Walch, Entwurf, 528. Walch, Entwurf, 721. 454 Walch, Entwurf, 823. 452 453
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und somit die pelagianische Lehren nur als Irrtümer betrachten könne.455 Somit würde sich auch erklären, warum Walch eine solche Gruppierung im Kontext der Frage nach der Relevanz der im pelagianischen Streit verhandelten Fragen erwähnt: Eine solche Gruppe wäre schließlich selbst aus eigener Motivation darauf erpicht, die Relevanz möglichst weit herunterzuspielen und den Streit beispielsweise als bloßes Wortgefecht oder als gänzlich unnötige und schädliche Kontroverse anzuführen. Walch kommt darauf noch später zu sprechen.456 Wie Walch selbst die pelagianischen Lehrsätze beurteilt, wird bereits in seiner Vorrede deutlich: »Die Lehrsäze des Pelagius sind allezeit Irtümer von groser Wichtigkeit: sie empfehlen sich dem Stolz des Menschen, und streiten wieder den Glauben und die Erfahrung des Christen.«457 Die Irrlehre des Pelagius biedert sich für Walch förmlich der durch den Fall Adams bestimmten conditio humana in ihrer Eitelkeit und Überschätzung eigener Fähigkeiten an, wohingegen sie gänzlich gegen die christlichen Glaubensgrundwerte und auch die empirische Erfahrung menschlicher Unzulänglichkeit und Unvollkommenheit gestellt ist; und da dies ein Grundproblem menschlichen Seins ist, haben diese im pelagianischen Streit von Pelagius vertretenden »Irtümer« fortwährende, große Wichtigkeit – zeigen sie doch geradezu eben diesen Fehlstand des Menschen. Daher sieht Walch die Kernpunkte des pelagianischen Streites auch auf dem Feld der theologischen Anthropologie und Soteriologie verortet. Bedingt dadurch, dass dieser Kernpunkte auf den »Lehrbegrif von dem Heil des Menschen nach dem Fal« im Herzen der christlichen Dogmatik einen solch großen Einfluss ausüben, hätten sich dann aber die Streitfragen immer mehr ausgeweitet.458 Einen ersten Gegensatz und Kern der eigentlichen pelagianischen Kontroversen sieht Walch in der grundsätzlich verschiedenen Einschätzung der menschlichen Natur durch die Pelagianer und ihre Gegner: »Die Hauptsache kam auf das Verhalten der natürlichen Kräfte des Menschen gegen die von Gott bekantgemachte Heilsordnung an und verbreitet sich ganz natürlich über die Beschaffenheit des natürlichen Kräfte, da der eine Theil ein algemeines Verderben durch die mittelst der natürlichen Zeugung fortgepflanzten Erbsünde und daher entstehenden Mangel aller Freiheit, etwas wahrhaftig moralisch Gutes zu thun und gänzliches Unvermögen, diesem Uebel abzuhelfen, behauptete, der andere aber dieses alles leugnete.«459
Nicht nur hat die jeweilige Meinung Auswirkungen auf die Heilsordnung, sondern als weitere Grundpunkte auf das Verständnis der Gnadenwirkung im Sinne einer rein äußerlich oder doch innerlich wirkenden Gnade, und das Prädestinationsverständnis. Walch, Entwurf, 823 f.
455
456 Zur Frage, ob der pelagianische Streit nur ein »Wortkrieg« gewesen sei siehe weiter unten
S. 268. 457 Walch, Entwurf, 3 [Vorrede]. 458 Vgl. Walch, Entwurf, 721 f. 459 Walch, Entwurf, 521 f.
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2.2. Ein »wahrer Widerspruch« oder lediglich ein »Wortkrieg«? Es war schon einiges über die zentrale Relevanz zu hören, die der pelagianische Streit in der Kirchengeschichte einnimmt. Walch stellt seinen Lesern jedoch auch die Frage, ob zwischen den Konfliktparteien ein tatsächlicher, inhaltlicher Widerspruch bestand, oder doch nur ein »Wortkrieg«.460 Walch fürchtet, dass »weniger geübte Leser« leicht dem Fehlschluss erliegen könnten, dass sich der Streit tatsächlich nicht um inhaltlich sich gegenüberstehende Meinungen drehte, sondern um bloße Wort‑ und Definitionsgefechte einzelner Begriffe und Sachverhalte, was wiederum bedeuten würde, dass kein wirklicher Gegensatz bestand, der ganze Streit also ein leeres theologisches Scheingefecht wäre und die Theologen in diesem wieder einmal der in ihrer Zunft durchaus (bis heute) verbreiteten »Logomachie« erlägen wären.461 Walch führt hierzu zwei Beispiele an, die dies nahelegen könnten. Das erste Beispiel dreht sich um das Verständnis und den Gebrauch des Begriffs »Sünde« bei Augustinus und Pelagius und stellt für Walch tatsächlich nur einen Scheinkonflikt dar: Augustinus habe die »böse Lust, die überwiegende Neigung des Menschen zu dem sinlichen Vergnügen« als Sünde verstanden, Pelagius dieses hingegen bestritten und »nur einzelne Handlungen, welche mit der Vorschrift des göttlichen Gesezes nicht übereinstimmen« als Sünde bezeichnet.462 Walch stellt nun die rhetorische Frage, ob die Bezeichnung »Sünde« für eine »Fertigkeit, wie die böse Lust« Anwendung finden kann, und beschließt das Beispiel mit dem Urteil: »Hier ist also ein Wortkrieg.«463 Als Beispiel für einen tatsächlichen, inhaltlichen Widerspruch führt Walch hingegen den Streit um die Frage an, ob Adam vor seinem Fall sterblich gewesen sei. Zwar begegnet Walch dieser Frage zunächst damit, dass das Wort »sterblich« hier zweideutig aufgefasst werden könnte, man zudem diese Frage so beantworten könnte, dass sie zugleich bejaht und verneint werden könne, also kein wirklicher inhaltlicher Gegensatz bestehen würde in den Meinungen beider Parteien, sondern wieder nur ein »Wortkrieg«. Doch diesem Urteil steht Walch zufolge entgegen: »Beide Theile haben sich über ihre Begriffe so gnugsam erkläret, daß, wenn ihren Meinungen unter sich vergleichen werden, die Realität des Wiederspruchs über allen Zweifel erhoben ist.«464 Walch ist sich nach dem Anführen dieser beiden Beispiele durchaus bewusst, dass sich ein Großteil des pelagianischen Streites um den Gebrauch einzelner Wörter, und somit um die Definition von theologischen Begriffen drehte.465 So wurde zwischen beiden Konfliktparteien über das Wort »Gnade« gestritten, was 460 Im
Folgenden vgl. hierzu Walch, Entwurf, 820–823. Walch, Entwurf, 820. 462 Walch, Entwurf, 820. 463 Walch, Entwurf, 820. 464 Walch, Entwurf, 820. 465 Vgl. Walch, Entwurf, 821. 461 Vgl.
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Walch jedoch nicht als »Logomachie«, also bloße Freude am Wortgefecht und Haarspalterei, ansieht, wie er sogleich auch von seinem eigenen theologischwissenschaftlichen Fachanspruch, insbesondere der damaligen Disziplin der Polemik, her klarstellt: »Alle Arten von eigentlich theologischen Streitfragen müßen sich endlich auf die ächten Begriffe, welche mit den biblischen Wörtern und Redensarten verknüpfet werden müßen, zurük bringen laßen. Es war daher zwischen Augustino und Pelagio über das Wort Gnade eben so wenig ein Wortkrieg, als zwischen den Verehrern der ewigen Gottheit Christi und ihren Bestreitern einer ist, wenn sie uneinig sind, was der Name Gott bedeute, wenn er in der Schrift dem Heilande der Welt beigelegt wird.«466
Deutlich lässt sich hier nicht nur Walchs sicherlich philosophisch inspiriertes Verlangen nach eindeutigen Begriffsklärungen wiedererkennen, sondern auch die Forderung einer gut protestantischen Rückbindung von Definitionen an ihre biblische Grundlage. Und eben genau in diesem Punkt könne ein inhaltlicher Unterschied klar festgestellt werden, wie Walch auch anhand der Parallelstellung mit den arianischen Auseinandersetzungen über die Gottheit Christi verdeutlicht. Doch Walch gesteht auch ein, dass es im pelagianischen Streit dennoch immer wieder zu Wortgefechten, ja »Logomachie« kam. Das sei dann aber weniger ein Problem der Streitfragen an sich gewesen, als vielmehr der Art und Weise, wie diese Fragen von den einzelnen involvierten Akteuren behandelt wurden. Die zwischen Pelagius und Augustinus verhandelte Streitfrage über die Bedeutung tugendhafter Handlungen von Heiden beispielsweise sei so lang keine »Logomachie« gewesen, bis Julian von Aeclanum sie zu einer gemacht habe.467 Ferner gesteht Walch ein, dass es im Streit immer wieder dazu gekommen sei, dass unterschiedliche Inhalte von beiden Parteien mit demselben Wort verbunden wurde, was zu Verständigungsproblemen und letztlich auch inhaltlichen Konflikten geführt habe, wo eigentlich keine wirklichen Konflikte bestanden.468 Walch führt hierzu an, dass beide Gruppen letztlich der Meinung gewesen seien, dass die Gnade Gottes zu jeder einzelnen guten Handlung des Menschen nötig sei.469 Zudem habe in streng logischer Hinsicht oftmals kein Widerspruch bestanden in den Positionen, sondern lediglich in der daraus resultierenden moralischen Konsequenz.470 Walch veranschaulicht dies anhand des Streites um die mögliche vollkommene Erfüllung des göttlichen Gesetzes. Hätten beide Streitparteien »nach der Logik beurtheilet« eine gemeinsame Vorstellung von Um466 Walch,
Entwurf, 821. Walch, Entwurf, 821. 468 Vgl. Walch, Entwurf, 821 f. 469 Vgl. Walch, Entwurf, 822. 470 Vgl. Walch, Entwurf, 822. 467 Vgl.
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fang und Gestalt dieses Gehorsams, also was alles genau unter diesen Gehorsam fällt bzw. wie dieser inhaltlich definiert wird, gehabt, hätte nach logischen Gesichtspunkten folglich kein Widerspruch bestanden.471 Tatsächlich, so Walch, habe auch Pelagius die Möglichkeit und auch Notwendigkeit eines solchen Gehorsams allein auf »die Unterlaßung vorsezlicher Sünden« bezogen, was mithin »von keinem Christen geleugnet werden« könne, sodass folglich in diesem Streitpunkt auch kein logischer Gegensatz zwischen beiden Konfliktparteien bestand.472 Aus moralischer Perspektive und in Anbetracht des gesamten pelagianischen Lehrsystems und der Verortung der Aussagen vom möglichen und nötigen Gehorsam in diesem, muss laut Walch jedoch von einem »sehr reelen« Widerspruch ausgegangen werden. Doch, und hier finde sich wieder ein gemeinsamer Fehler beider Seiten, »beide Theile hatten ihre Gedanken übel ausgedrükt: sie hätten nicht fragen sollen, ob es möglich sey, ohne Sünde zu seyn; sondern ob die Unterlaßung der vorsezlichen Sünden diejenige volkommene Heiligkeit sey, welche nach dem Gesez gefordert werde, und ob dadurch die dem volkommenen Gehorsam ertheilte göttliche Verheißungen erlanget werden können?«473
Es ginge also eigentlich nicht darum, nach einer prinzipiellen Sündlosigkeit zu fragen, die dem lutherischen Theologen Walch ohnehin indiskutabel sein musste. Vielmehr hätten die Streitparteien ihre Frage zum einen darauf verengen und ausrichten müssen, ob der Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes sich alleinig auf die Vermeidung vorsätzlicher, also absichtlich und wider besseres Wissen des Gesetzes begangener Sünden bezieht; zum anderen wäre so die Frage aufgeworfen, ob durch einen so verstandenen Gehorsam wiederum die göttliche Heilsverheißung dem diesen Gehorsam vollkommen haltenden Menschen zugesprochen werde. So gefragt würde aus einem bloßen moralischen Unterschied dann auch ein »logischer«, also real-dogmatischer werden, da dem jeweiligen Lehrsystem jeweils andere Antworten auf diese für die Heilsordnung relevante Frage entwachsen.474 Abseits dieser Einzelbeobachtungen zur Frage, ob nun wirkliche Unterschiede zwischen den Streitparteien bestanden oder es sich doch nur um Wortklaubereien und einen »Wortkrieg« handelte, resümiert Walch: »[V ]ergleichet [man] die ganzen Systems beider Theile unter sich, und entwikelt die strittigen Fragen durch die Ausklärung und Bestimmung der Begriffe, so kan nicht anders geurtheilet werden, denn das der Wiederspruch zwischen den Pelagianern und ihren Gegnern ein wahrer Wiederspruch und kein Wortkrieg gewesen.«475 471 Vgl.
Walch, Entwurf, 822. Entwurf, 822 (Hervorhebungen von M. B.). 473 Walch, Entwurf, 822. 474 Vgl. Walch, Entwurf, 823. 475 Walch, Entwurf, 823. 472 Walch,
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2.3. Herausforderungen der Darstellung und Beurteilung des Streites So unzweifelhaft relevant die Kenntnis der Geschichte des pelagianischen Streites und der darin verhandelten dogmatischen Fragen von Walch auch vorgetragen sei, sie muss auch inhaltlich durch diesen vermittelt werden; und genau in dieser Vermittlung sieht sich Walch vor zwei Schwierigkeiten gestellt. Zunächst ist da ein forschungshistorisches Problem: Die ihm vorangegangenen Historiker und Theologen, welche sich mit der historia Pelagiana vor allem im 17. Jahrhundert so fleißig auseinandergesetzt und die »Bibliotheken mit vielen Folianten« bereichert haben, nehmen dabei eine ambivalente Rolle für Walch ein: Zwar hätten sie durch ihre Kompilationstätigkeit die wichtigen Quellen zusammengetragen und zudem durch ihre Äußerungen oftmals Unklarheiten der Geschichte aufgeklärt oder korrigiert, jedoch sei durch sie »die Arbeit des unpartheiischen und kritischen Geschichtschreibers ungemein vergrösert und zum Theil erschwehret worden«.476 Exkurs: Walchs Umgang mit den Quelleneditionen und der Sekundärliteratur und die Beurteilung letzter Walchs Darstellung schließt mit einer langen Anmerkung, die eine chronologische Zusammenstellung und jeweils kurze Beschreibungen der Werke von Autoren vorangegangener Jahrhunderte und auch des 18. Jahrhunderts selbst zur his‑ toria Pelagiana bietet.477 Nicht nur ist dies eine bis heute für die Wissenschaftsgeschichte der Erhellung des pelagianischen Streites hilfreiche Übersicht, sondern zeigt zudem mit welchem Bienenfleiß Walch sich eine umfängliche Kenntnis aller relevanten Arbeiten zum Thema erworben hat – und wie wichtig diese Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur für ihn neben der Arbeit mit den Primärquellen ist. Walch bemerkt selbst, dass die Anzahl dieser Arbeiten »sehr gros« ist;478 und vor allem die Autoren des 17. Jahrhunderts nehmen einen großen Raum in dieser Übersicht ein. Zwar seien nicht alle genannten Darstellungen und Editionen »von gleichem Wert, verdienen aber deswegen doch nicht allein genant zu werden; sondern können auch durch den Platz, den sie in der Reihe derselben behaupten, eine Art von Wichtigkeit erhalten«.479 Walch teilt diese Schriften in zwei Klassen ein: eine erste, unter der er siebzehn Autoren und ihre Werke auflistet, die Walch als erheblich für die Untersuchung der historia Pelagiana betrachtet. In der zweiten Klasse versammelt er Autoren, 476 Walch, Entwurf, 521, vgl. auch 528: »Drittens kann ebenfals daher geschloßen werden, daß eben durch diesen Fleis eine neue Untersuchung der pelagianischen Historie ungemein erleichtert und zugleich erschwehret worden: erleichtert, durch den Fleis im Sameln: Bemerkung der Schwierigkeiten: Berichtigung mancher historischen Umstände«. 477 Vgl. Walch, Entwurf, 839–846. 478 Vgl. Walch, Entwurf, 839. 479 Walch, Entwurf, 839 f.
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»welche nach unsern Einsichten nicht zu den erheblichen Verbeßerern dieser Historie gerechnet werden können«.480 Das bedeutet keineswegs, dass dies qualitativ schlechtere Arbeiten sind, sondern dass sie bei den Forschungssprüngen, die insbesondere die Autoren und Editoren des 17. Jahrhunderts zur Aufklärung der historia Pelagiana geleistet haben, nicht mithalten können oder schlichtweg keine so große Rezeption erfahren haben wie die Werke der ersten Klasse. Dennoch weiß Walch hier unter anderem die »allgemeinen Kirchenhistorien« Noël Alexandres, Tillemonts, Spanheims, Weismanns und Basnages als »vorzüglich zu empfehlen«.481 Spätestens hier, aber auch schon in einigen vorangehenden Fußnoten wird auch sichtbar, dass Walch mit Semlers Historischer Einleitung vertraut war, die er bezeichnenderweise in diese zweite Klasse einordnet.482 Nicht minder interessant ist, dass Walch hier auch die Arbeiten seines Vaters, wenn auch ohne genaue Beurteilung, auflistet – ausdrücklich auch die darunter aufgenommene Abhandlung Dissertatio de Pelagianismo ante Pelagium Lilienthals.483 Zurück zu den Autoren und Werken erster Klasse: Walchs Auflistung reicht hier von der von den vorangehend untersuchten Autoren bislang ungenannten Schrift De Pelagiana haeresi des Humanisten Joachim von Watt (1484–1551)484 bis Francesco Scipione Maffeis Istoria teologia aus dem Jahr 1742.485 Walch teilt dabei die Beschäftigung mit der historia Pelagiana und Produktion entsprechender Arbeiten in drei Perioden ein: Zur ersten zählt er besagtes Werk des Reformators von St. Gallen Joachim von Watt – das er allerdings als »sehr unerheblich« einstuft486 –, und Georg Cassanders De Pelagio eiusque ad Ioannem Baucheim epistola, das »an sich nicht viel beser, iedoch wegen des Mannes eigner Denkungsart merkwürdig« sei.487 Ganz anders schätzt Walch nun die Walch, Entwurf, 845. Walch, Entwurf, 845. 482 Vgl. Walch, Entwurf, 846; weitere Nennungen und Beschäftigungen mit Semlers »Historischer Einleitung« finden sich bei Walch, Entwurf, 671. Über die Einordnung der Arbeit in diese zweite Klasse lässt sich nicht nur mutmaßen, dass Walch ihr überwiegend eher kritisch gegenüberstand. 483 Walch, Entwurf, 846. Christian Walch erwähnt aus den Miscellaneis Sacris (Amsterdam, 1744) seines Vaters ferner auch die darin enthaltene Dissertatio qua Historiam Doctrinae de Peccato Originis […] praeside Ioanne Georgio Walchio […] auctor Ioannes Nericus Petri (Jena, 1738). 484 Joachim von Watt, »De Pelagiana haeresi«, in ders., De primitivae ecclesiae statu sive chritianismi aetatibus, 183–192 (enthalten in Joannes de Laet, De Pelagianis et Semipelagianis commentariorum ex veterum patrum scriptis […] [Harderwijk: Ex officina Thomae Henrici, 1617]). 485 Vgl. Walch, Entwurf, 840. 486 Walch, Entwurf, 840. 487 Walch, Entwurf, 840. Die angesprochene epistula Cassanders ist die Vorrede zur Edition des Werks des Benediktiners Honorius von Autun (1080–ca.1150) in Georg Cassander, De praedestinatione et libero arbitrio dialogus Honorii Augustodunensis (Köln: Lambert Sylvius, 1552). 480 481
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von Matthias Flacius organisierten Magdeburger Centurien,488 und kann sogar dem katholischen Gegenwerk des Caesar Baronius aufgrund der »Herausgabe einiger alten Urkunden« aus den Archiven des Vatikans etwas Positives abgewinnen;489 in dem Lob für beide Werke ist wieder Walchs Vorliebe für edierte Archivmaterialien wie Urkunden wahrzunehmen. Jean de Laets 1617 herausgegebene Schrift De Pelagianis et Semipelagianis commentariorum sieht Walch als ersten Versuch, der Geschichte des pelagianischen Streites »ihr ihre rechte Gestalt« zu geben, und lobt den Autor dafür, »zuerst die Fragmente von der Pelagianer Schriften« gesammelt zu haben.490 Mit de Leat schließt Walch die erste Periode der Beschäftigung mit der Geschichte des pelagianischen Streites, deren zweite er mit den calvinistischen Gelehrten Gerhard Johann Vossius als sechsten genannten Autor beginnen lässt. Diesen lobt er als »in theologischen Sachen billig und gemäsigt denkende[n] Gelehrten«, der sich Verdienste auf dem Feld der Aufklärung der damals ausgebrochenen arminianischen Kontroverse erworben hat und zudem vermochte »den Ungrund der harten Klagen zu entdecken, daß Arminius und seine ächten Schüler die an den Pelagianern von der alten Kirche verdamte Irtümer wieder erneuerten«.491 Seine erstmals 1718 in Leiden und 1655 in erweiterter Fassung von seinem Sohn Gerhard zu Amsterdam herausgegebenen Historiae de controversiis »übertrafen bey weiten alles, was bishero davon geschrieben worden«.492 Sein Hauptverdienst sei dabei, nicht etwa auf dem Feld der Geschichte des pelagianischen Streites Neues hervorgebracht zu haben, sondern seine Kompilation der verhandelten Streitfragen und die Erörterung der unterschiedlichen Ansichten zum Streit aus der Dogmengeschichte.493 Trotz mancher Fehler sei das Werk somit für den, »der die patristische Theologie treibet, unentbehrlich«.494 Als nächstes nennt Walch den langjährigen Freund Vossius’, Hugo Grotius und seine Disquisitio aus dem Jahr 1622. Für diesen »Arminianer« und dessen Werk hat Walch jedoch weitaus weniger Lob übrig, sei es doch ohnehin recht kurz und daher wenig erhellend für die Geschichte des Streites, zudem aufgrund seiner Voreingenommenheit innerhalb der Kontroverse zwischen den Arminianern und den Reformierten entsprechend eingefärbt.495 Nach kurzer Nennung des Werkes des spanischen 488 »Sie samleten in der fünften centuria nicht allein aus den Schriften der Alten die Nachrichten mit Fleis, sondern bereicherten auch die Historie mit Urkunden.« (Walch, Entwurf, 840). 489 Vgl. Walch, Entwurf, 840. 490 Walch, Entwurf, 840 f. 491 Walch, Entwurf, 841. 492 Walch, Entwurf, 841. 493 Vgl. Walch, Entwurf, 841. 494 Walch, Entwurf, 841. 495 »In den wenigen Bogen darf man keine pelagianische Historie erwarten, man wird aber durch das wenige Gute, das er sagen können, schadlos gehalten. Am Ende machte er zwischen den Lehrsäzen der älteren Gegner der Pelagianer und der strengen Reformirten eine Vergleichung, die den leztern nicht gefallen konte.« (Walch, Entwurf, 841).
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Dominikaners Alvarez, das Walch jedoch nach eigener Bekundung nicht habe einsehen können, wendet er sich sogleich dem opus magnum des Jansenius, dem 1640 veröffentlichten Augustinus zu. Wie schon im Falle Vossius’ sei es als Darstellung des geschichtlichen Ablaufes des Streites eher »eine sehr mittelmäßige Schrift, allein so bald er von Lehrsäzen redet, so wird sie erheblich«.496 Als besonderes Glück sieht Walch es an, dass nach all diesen, in hitzig geführten Kontroversen entstandenen Schriften sich nun mit dem Erzbischof von Armagh, James Ussher, ein Außenstehender über die Geschichte des pelagianischen Streites geäußert habe, »der ganz frey war von Absichten, die sich auf neuere Streitigkeiten bezogen hatten«.497 In seinem 1639 veröffentlichten Werk Britannicarum Ecclesiarum Antiquitates wendet er sich auch dem Briten Pelagius zu und zeigt sich laut Walch hinsichtlich dessen Geschichte als »sehr fleisiger Samler«, jedoch habe er sich nur sporadisch dem Lehrsystem des Pelagius zugewendet.498 Walch schließt nun diese zweite Periode der literarischen Produktionen zum pelagianischen Streit mit Verweis auf den Jesuiten Pétau und seine Abhandlung De pelagianorum et semipelagianorum dogmatum historia von 1644, die Walch jedoch nicht ohne Kritik anführt.499 In die dritte Periode ordnet er nun die 1673 veröffentlichte Historia Pelagiana des Augustiners Henry Noris ein, in der er insbesondere neue Aspekte in die Geschichte des Streites eingebracht, aber sich wenig Mühe mit der Sammlung »der pelagianischen Irtümer« gemacht habe.500 Des Jesuiten Jean Garnier Verdienst für die Aufhellung des pelagianischen Streites sieht er in den von ihm 1673 herausgegebenen antipelagianischen Werken des Marius Mercator, und den dort im zweiten Anhang angefügten Dissertationes septem, quibus integra con‑ tinetur historia Pelagiana, die laut Walch »mit zu den wichtigsten Hülfsmitteln gerechnet werden müssen«.501 Die Mauriner Augustinusausgabe nennt Walch als nächstes und lobt diese besonders für die im 1690 veröffentlichen zehnten Band auffindbare Vorrede zur Geschichte des pelagianischen Streites.502 Walch verlässt nun das siebzehnte Jahrhundert und wendet sich den Werken dreier jüngerer 496 Walch, Entwurf, 842. Dennoch bemerkt Walch dort auch, dass diese Schrift in der Geschichte des Streites auch »manche Umstände verbeßert« habe. 497 Walch, Entwurf, 842. 498 Walch, Entwurf, 842. 499 Vgl. Walch, Entwurf, 843: »Sie [Petavius’ Schrift] ist völlig in dem Geschmak geschrieben, der in dieses Mannes Schriften herrschet. In der Historie ist er unvolständig, und selbst denn, wenn er der Pelagianer Irtümer erehlen sol; doch lernet man aus ihm verschiedenes, das ihm eigen ist«. 500 Vgl. Walch, Entwurf, 843. 501 Walch, Entwurf, 843. Allerdings spart Walch auch nicht mit Tadel, auch hinsichtlich der an sich sehr von Walch gelobten Sammlung und Herausgabe unbekannter Urkunden: »Man klaget sehr über die wenige Treue, die er bei ihrem Abdruk erwiesen: wir sezen hinzu, daß er durch und durch eine sehr verwegene Kritik herrschen läßet, und erst dadurch zu Fehltritten, oft zu glüklichen Muthmasungen verleitet wird.« (Walch, Entwurf, 844). 502 Blampin, »In tomum decimum praefatio« (= PL 44,9–108).
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Autoren zu: Zunächst stellt er die bereits hinlänglich bekannte History of Infant baptism von William Wall (1647–1728) vor, die auch eine »sehr wolgeschriebene Historie der Pelagianer« enthält.503 Weniger Lob erfahren nun die letzten beiden genannten Werke der Schriften erster Klasse: Des Reformierten Johann Jakob Hottingers (1652–1735) Fata doctrinae de praedestinatione et gratia dei aus dem Jahr 1727 enthält zwar im ersten Band eine ausführliche Darstellung der Geschichte des pelagianischen Streites, ist Walch aber »zuweilen unangenehm«, da Hottinger dort mit zu großem Eifer die reformierte »Lehre vom unbedingten Rathschlus« vorgetragen habe.504 Wer jedoch gern eines »strengen Reformirten Urteil« kennenlernen wolle, habe man hier einen brauchbaren Autor vor sich.505 Zum Abschluss nennt Walch noch als siebzehnten Autor den italienischen Gelehrten Francesco Scipione Maffei und dessen Istoria teologica von 1742, die Walch spitz als »Schutzschrift der Bulle Unigenitus« bezeichnet.506 Es wird also deutlich, dass Walch über eine umfängliche Kenntnis der Literatur zum pelagianischen Streit, insbesondere der Arbeiten des vorangehenden 17. Jahrhunderts, verfügte und sich dieser Abhandlungen und Ausgaben nicht nur bediente, sondern sich auch kritisch mit ihnen und ihrem eigenen historischen Kontext und Inhalt auseinandersetzte. Das ist jedoch wenig überraschend, wenn man sich noch einmal vor Augen führt, dass Walchs Methodik in seinem Entwurf maßgeblich von einer genauen Quellensichtung, Auswertung und Hinzuziehung der Sekundärliteratur getragen ist; dabei bildet er sich aus seiner orthodox lutherischen und zugleich der pragmatischen Methode verpflichteten Grundhaltung heraus jedoch seine eigene begründete Meinung – durchaus in Abgrenzung von den vorangegangenen Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts zum pelagianischen Streit. 2.4. Parteilichkeit und Kontext als Problem bisheriger Darstellungen Walch weiß den Fleiß seiner Vorgänger durchaus zu schätzen, sieht aber, wie in seinen abschließenden Einschätzungen zu den einzelnen Autoren und ihren Werken, deutliche Schwierigkeiten, die sie für die weitere Erforschung der his‑ toria Pelagiana aufwerfen: und zwar »durch den Partheygeist, der hier ganz unvermeidlich« sei.507 Das Problem ist der Mangel an Unparteilichkeit der vorangegangenen Arbeiten, Kompilationen und Werkausgaben, die aus kontroverstheologischer und daher notwendigerweise parteilicher Motivation heraus 503 William Wall, History of Infant baptism. Walch erwähnt auch die lateinische Übersetzung durch Schlosser hier im lobenden Ton, da er »durch seine Anmerkungen Walls Erzehlung zu vieler Volkommenheit« gebracht habe, vgl. Walch, Entwurf, 844. 504 Walch, Entwurf, 844. 505 Vgl. Walch, Entwurf, 844. 506 Walch, Entwurf, 844. Vgl. Francesco Scipione Maffei, Istoria teologica delle dotrine e delle opinioni […] della divina gratia, del libero arbitrio et della predestinatione (Trient: Gianbatista Parone Stampatore Episcopale, 1742). 507 Walch, Entwurf, 528.
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abgefasst wurden. Bezeichnenderweise führt hierzu Walch nicht nur Baronius als katholischen Gegenpart zu Flacius und seinen Magdeburger Centurien an, die unzweifelhaft als weiterer Pfeil im Köcher römisch-katholischer Polemik gegen die Geschichtstheologie der Lutheraner gerichtet waren, sondern auch die Autoren Tillemont, Noël Alexandre und Basnage, deren Arbeiten zum pelagianischen Streit er ohnehin in die weniger wichtige zweite Klasse der Sekundärliteratur einordnete, wie schon oben sichtbar wurde – hier allerdings mit der klaren Begründung, dass sie »nicht ganz unpartheiisch« seien.508 Walch führt nun das ganze Feld der wichtigen Autoren zum Streit an, und inwiefern diese in Kontroversen verstrickt waren und sich notwendigerweise nicht unvoreingenommen äußern konnten – als einzige positive Ausnahme nennt Walch den von ihm ohnehin sehr geschätzten Erzbischof Ussher.509 Generell gelte jedoch für alle vorangegangenen Autoren, insbesondere des 17. Jahrhunderts, und ihre Motivation: »Man mus diese Absichten gnau kennen, wenn man nicht sich verführen laßen will.«510 Wie soll es, so fragt Walch an, auch möglich sein, dass all diese völlig unterschiedlich motivierten und von gegensätzlichen Meinungen überzeugten Menschen »einerlei Sprache führen«. Seine Aufgabe sieht Walch in der Darstellung des Ablaufes des pelagianischen Streites, wie auch in seinen Inhalten daher darin, mit großer Sorgfalt und dem Mittel der Unparteilichkeit »das Wahre und Falsche« zu unterscheiden, auf dass er seine Leser in Stande setze, »sich eine vor die Theologie unserer Zeiten, beides vor die Dogmatik und Polemik recht brauchbare Käntnis zu erwerben«.511 Eng mit diesem forschungshistorischen Problem ist auch die generelle Rezeption des pelagianischen Streites und seiner Lehrfragen verknüpft. Walch bietet dazu einen Überblick der Folgestreitigkeiten, durch welche »die pelagianischen erneuert worden«: Der Streit um die Prädestinationslehre Gottschalks im neunten Jahrhundert, die hochmittelalterlichen Auseinandersetzungen zwischen den thomistischen und scotistischen Scholastikern, der Konflikt zwischen Luther und Rom, aber auch der Streit mit Erasmus im Besonderen, wie auch letztlich erneut die jansenistische und arminianische Kontroverse.512 Allein anhand dieser Vielzahl an mit Walch, Entwurf, 528. Zu den Autoren, die in die Auseinandersetzung zwischen Jesuiten und Jansenisten verwickelt waren, bemerkt Walch wenig überraschend, dass Alvarez und Jansenius Gegner der Jesuiten gewesen seien; auf jesuitischer Seite fänden sich Garnier, Pétau und Daniel. Noris wiederum habe sich so ausgedrückt, dass seine Gegner ihn als einen Jansenisten angesehen hätten. Zu de Laet, Grotius und Vossius notiert Walch, dass sie aufgrund des arminianischen Streites die Feder ergriffen hätten; Maffei bekanntlich zur Verteidigung der päpstlichen Bulle Unigenitus, Hottinger und Forbese hingegen seien »eifrige Anhänger der Lehren der reformierten«, Wall wiederum der englischen Kirche; vgl. Walch, Entwurf, 528 f. 510 Walch, Entwurf, 528. 511 Walch, Entwurf, 529. Zu Walchs Ausrichtung der Dogmengeschichte als Hilfswissenschaft der Dogmatik und theologischen Polemik vgl. oben S. 261, Anm. 442. 512 Vgl. hierzu Walch, Entwurf, 524–527. Insbesondere Walchs Einschätzung der Relevanz und Aktualität der dogmatischen Fragen des pelagianischen Streites für die Reformationszeit und 508 509
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dem pelagianischen Streit selbst direkt verbundenen Folgestreitigkeiten ist nicht nur die Wichtigkeit seiner Kernfragen hiermit erneut belegt, sondern auch aufgezeigt, dass durch die dadurch entstehenden Parteiungen der Zwischenzeit eine unparteiische Erforschung des Streites maßgeblich erschwert ist. Doch es gibt noch ein zweites Problemfeld für den Historiker bei der Erforschung und Darstellung der historia Pelagiana, das im Streit selbst begründet ist: Und zwar müsse der »kritische Geschichtsschreiber« erstens darauf achten, dass er die einzelnen Pelagianer nicht über einen Kamm schere, sondern möglichst differenziert ihre Lehren wahrnehme und dem jeweiligen Vertreter zuordne, ohne diese zugleich jedem anderen Pelagianer unterzuschieben; zweitens müsse innerhalb des Verlaufs des Streites bei den einzelnen Pelagianern wiederum darauf geachtet werden, inwiefern sich ihre Lehrmeinungen verändern.513 Diese konkreten Einzelmeinungen angemessen darzustellen, ist ein weiterer Teil des Darstellungsproblems, welches ebenfalls im Streit selbst verankert ist: Überhaupt die wahre Meinung des Pelagius und seiner Anhänger nachzuzeichnen sei von diesen selbst maßgeblich erschwert worden, »weil sie sich so sehr in den Verdacht der Zweideutigkeit gesezet haben«.514 Doch diesem Allgemeinplatz der Kritik an den Pelagianern steht laut Walch in der Kirchengeschichtsschreibung die Kritik entgegen, dass die Gegner der Pelagianer »die die Auseinandersetzung Luthers mit Erasmus verdienen hier angeführt zu werden: »Einmal war es sehr natürlich, daß bei dem gesamten Angrif, den die Protestanten auf die römische Kirche thaten, fast alle diese pelagianische Streitfragen in Betrachtung kamen, und dieses geschahe sehr früh. Sie waren es, über welche die zwei in diesen Sachen gelehrtesten Männer auf beiden Seiten Luther und Erasmus den Kampf anfiengen.« (Walch, Entwurf, 525). Die Auseinandersetzung zwischen Luther und Erasmus ist somit letztlich eine erneute Verhandlung der Streitfragen der pelagianischen Kontroverse. Walch geht auch darauf ein, inwiefern die Protestanten damals berechtigt waren, der römisch-katholischen Kirche den Vorwurf des Pelagianismus zu machen, und zwar dank der Berufung auf die Schrift allein: »[D]ie Protestanten verbinden nicht ohne Ursach mit den viel wichtigen Wiederlegungsgründen, welche sie aus der heiligen Schrift nehmen, den Beweis, die römische Kirche lehre nicht, wie Augustinus, sondern trete, wo nicht den Pelagianern, doch gewis den halben Pelagianern sehr nahe.« (Walch, Entwurf, 525). Doch Walch benennt auch innerprotestantische Konfliktlinien, und zwar zwischen Lutheranern und Calvinisten, hinsichtlich der pelagianischen Kontroverse, die sich auch auf die kirchengeschichtliche Beschäftigung mit dieser ausgewirkt hätten: »[D]er Partheigeist hatte auf beiden Theilen selbst in blos historische Untersuchungen derselben einen Einflus. Augustinus wurde von einem, Theil mit sehr übertriebnen Lobsprüchen überhäufet und von dem andern oft übel erkläret.« Walch spricht hier auch die polemisch genutzte Behauptung einer Existenz von Prädestinatianern an: »Und seitdem Sirmond Gelegenheit zu der Frage gegeben, ob eine Parthei der Prädestinatianer die Kirche beunruhiget, ist es beinahe unter den Lutheranern vor Orthodoxie gehalten worden, sie zu bejahen, und unter den Reformirten, sie zu verneinen.« (Walch, Entwurf, 525). 513 Walch hatte bereits in seinen Gedanken von der Geschichte der Glaubenslehre. Zweite ver‑ besserte und vermehrte Ausgabe (Göttingen: Victorin Bossiegel, 1764) auf eine entsprechende Beachtung des Wandels im Denken Augustins hingewiesen; solche Veränderungen nachzuvollziehen, setzt er sich nun hier auch für die einzelnen Pelagianer zum Ziel. 514 Walch, Entwurf, 725.
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wahre Meinungen fälschlich auslegen und ihren Sinn verdrehen«.515 Die unparteiische Geschichtsschreibung werde durch dieses Gegenüber der Positionen in ein Dilemma gezwungen, hinter dem jedoch für ihn letztlich nur ein falscher Zirkelschluss (»sehr böser Zirkel«) stehe: »[E]ntweder Pelagius ist ein Betrüger; oder Augustinus und seine Gehülfen sind Kezermacher und Verläumder.«516 Zwar führt Walch hier keine Autoren an, es ist jedoch gut denkbar, dass er für die zweite Position sowohl Arnold als auch Semler vor Augen hatte. An beiden könnte er kritisieren, in ihrer parteilichen geschichtlichen Darstellung des Streites dem falschen Zirkelschluss erlegen zu sein, den Walch in seinem Entwurf durch konsequentes Aufzeigen von Fehlern auf beiden Seiten zu meiden bemüht ist. 2.5. Anfang und sinnvolle Periodisierung einer historia Pelagiana Ein Grundanliegen Walchs, das eng mit der Frage nach den Wurzeln der pelagianischen Lehre verknüpft ist, ist die Klärung der Frage, wo angemessen und sinnvoll mit einer Darstellung der eigentlichen pelagianischen Streitigkeiten zu beginnen sei. Wach berichtet hierzu von Hieronymus, der Origenes als den »Stamvater des pelagianischen Systems« identifiziert habe und darauf seine Genealogie des Pelagianismus aufbaut.517 Wer jedoch so argumentierte, könnte genauso gut noch weiter in die Geschichte der Philosophie zurückblicken und einen Großteil dieser in einer Darstellung der historia Pelagiana einbeziehen, wogegen sich Walch jedoch deutlich ausspricht und eine klare Eingrenzung vornimmt: »Wir glauben aber, daß dieses keine Historie der pelagianischen Streitigkeiten, sondern nur der Lehrsäze des Pelagii seyn würde und diese wird hier nicht erwartet. Unsern Einsichten nach fänget die Historie einer solchen Streitigkeit mit dem ersten Wiederspruch an, der zwischen zwei einzelnen Personen über eine Religionsfrage entstanden, und da hier doch unstreitig Pelagius und Caelestius die Hauptpersonen sind, gegen welche der Wiederspruch erreget worden, so kann der Anfang der pelagianischen Historie nicht weiter hinausgeseßt werden, als bis zu der Zeit, da man angefangen, die Orthodoxie dieser Männer in Zweifel zu ziehen.«518
Walch begegnet hiermit kritisch dem Problem des Ausuferns einer historia Pe‑ lagiana in eine Konstruktion des Pelagianismus vor Pelagius, welches er aber als eine ganz andere Frage ansieht, da sich dies auf die Lehrmeinungen, nicht aber den geschichtlichen Ablauf und Zusammenhang des eigentlichen Streites bezieht. Klar sei aus historiografischer Sicht und Vernunft, dass Pelagius und Caelestius die »Urheber der Streitigkeiten« seien.519 Den ganz konkreten »wahre[n] Ursprung dieser Händel« sieht Walch nun in der Kontroverse, die Caelestius 515 Walch,
Entwurf, 726. Entwurf, 726. 517 Walch, Entwurf, 567, Anm. 518 Walch, Entwurf, 567, Anm. 519 Vgl. Walch, Entwurf, 566 f. 516 Walch,
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in Karthago hervorgerufen habe.520 Räumlich sei der Anfang der Kontroverse also in Nordafrika zu verorten, zeitlich im Ankunftsjahr des Pelagius und seines Schülers dort, inhaltlich ginge es um die von beiden vorgetragene Lehre von der Erbsünde und Gnade. »Und eher hat auch die Chronologie keinen Nuzen«, so Walch kurz und bündig.521
3. Die Lehren der Pelagianer und ihrer Gegner in der Darstellung und Beurteilung Walchs 3.1. Zur Einteilung, Gewichtung und Verbreitung der pelagianischen Lehre allgemein Die Rede von der einen pelagianischen Lehre ist schon immer, und auch bis heute, ein großes Problem der Darstellung der Lehren der einzelnen Pelagianer. Dieses Generalisierungsproblems war sich Walch freilich nicht als erster bewusst, aber er bemühte sich aufgrund der ihm vorliegenden Quellensammlungen und deren Auswertung um klare Zuweisungen einzelner Lehraussagen zu den verschiedenen dogmatischen Fragestellungen. Dem geht die Grundeinsicht voraus, »daß die drei, Pelagius, Caelestius, Julianus, nicht in allen völlig übereinstimmen«, sodass Walch es als eine Pflicht ansieht, »theils einem jeden nur das seinige zuzuschreiben, theils wo der Unterschied erweislich ist, solchen zu bemerken«.522 Folgerichtig unterscheidet Walch in seiner Darstellung durchaus zwischen Pelagianern und den einzelnen Personen, die diesen zugerechnet werden, kommt jedoch an vielen Stellen nicht umher, doch wieder den Sammelbegriff »Pelagianer« zu verwenden, wenn er über deren Verhalten oder Lehren spricht. Die »pelagianischen Lehren« teilt Walch, wie bereits oben angemerkt, in zwei unterschiedliche Klassen ein.523 Zur ersten rechnet Walch die hinlänglich bekannten Grundlehren der Pelagianer, die er ohne große Umschweife als »pelagianische Irtümer« bezeichnet und inhaltlich so charakterisiert, dass es sich dabei um Fragen handle, »welche sich […] auf die moralische Beschaffenheit der Menschennatur und das darauf gegründete Verhältnis derselben gegen die geoffenbarte Religion beziehen«.524 Ein wesentliches Merkmal ist für Walch die Systematisierbarkeit dieser Lehrmeinungen erster Klasse, deren Systemkern – oder Grundstein des Lehrgebäudes – die pelagianische Antwort auf die anthropologische Grundfrage nach der Beschaffenheit der menschlichen Natur und seines ethischen Handlungs‑ und Entscheidungsvermögens im Verhältnis zu den Inhalten und Glaubenswahrheiten der in der Heiligen Schrift of520 Walch,
Entwurf, 566. Walch, Entwurf, 574. 522 Walch, Entwurf, 724. 523 Im Folgenden vgl. Walch, Entwurf, 734 f. 524 Walch, Entwurf, 735. 521 Vgl.
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fenbarten Religion ist. Daher könne wohl um diese Grundfrage herum eine Systematisierung der Lehrmeinungen der Pelagianer in »Haupt und Nebenfragen« erfolgen, Walch wählt jedoch in dieser kirchenhistorischen Arbeit nicht diesen systematisierenden, sondern einen komparatistischen Zugang zur Lehre der Pelagianer. Dazu sammelt er schlichtweg sämtliche ihm bekannten Lehrmeinungen der Pelagianer nach den Quellen und erörtert diese an gebotener Stelle.525 Anschließend stellt er die jeweils entsprechende Gegenmeinung der Kontrahenten der Pelagianer dar. Freilich sind die Lehren nicht beliebig zusammengestellt, sondern folgen einer dogmatischen Grundstruktur von der Schöpfungstheologie bis hin zur Eschatologie und Ethik. Und anhand der Ausgiebigkeit der Kommentierung einzelner Lehrmeinungen lassen sich ferner doch gewisse Gewichtungen in Haupt‑ und Nebenfragen erkennen, wobei unter erstere die Gnadenlehre des Pelagius und seine Heilsordnung zu zählen sind. Zur zweiten Klasse der pelagianischen Lehren zählt Walch solche, die er als »zufällige Fragen« charakterisiert, die also nicht »in einem nothwendigen systematischen Zusammenhang« zu den Lehren der ersten Klasse stehen.526 Zu diesen Lehrmeinungen zählen die von der makellosen Kirche, der Armutsforderung und des Eidverbots. Spannender als diese Unterteilung in zwei Grundklassen ist eine Einteilung, die Walch gegen Ende seiner Darstellung des pelagianischen Streites bietet. Ebendiese richtet sich hier nämlich nach dem Schädlichkeitsgrad der einzelnen Lehren des pelagianischen Lehrgebäudes. Die Schädlichkeit wiederum bestimmt sich nach der Schwere des Gegensatzes, den die jeweilige Lehre zu »Grund und Ordnung des Heils« bildet. Hierzu teilt Walch wiederum in drei Klassen ein, mit absteigendem Schädlichkeitsgrad: Zur ersten Klasse zählt er die Verwerfung der Erbsündenlehre sowie die Meinung, dass der Mensch kraft des natürlichen Vermögens seines eigenen Willens gute Werke vollbringen und dadurch wiederum Seligkeit erlangen könne. Diese beiden in der ersten Klasse genannten Lehrmeinungen setzt Walch mit den »Hauptlehren« der Pelagianer gleich – sie stellen also den Kern der pelagianischen Lehre für ihn dar und verkörpern zugleich schädlichste Grundirrtümer. Die zweite Klasse nach Schädlichkeitsgrad zeichnet sich wiederum dadurch aus, dass sie nur »zur Unterstüzung dieser beiden, aber als nothwendige Folgen derselben angenommen« werden, also Nebenlehren darstellen, die aber immer noch grundsätzlich mit den Hauptlehren verwoben sind, wie beispielsweise die Verwerfung der Lehrmeinung, dass der Tod eine Strafe für die Sünde Adams sei.527 Überraschend ist nun aber vornehmlich die dritte Die pelagianischen Lehrmeinungen sind ausführlich dargelegt in Walch, Entwurf, 735–
525
760.
Walch, Entwurf, 734. Walch führt insgesamt folgende Lehren in dieser zweiten Klasse an: »[D]ie Bestreitung des Sazes, daß der Tod eine Strafe der Sünde, daß Adam im Stand der Unschuld Unsterblichkeit gehabt, daß die Sünde Adams seinen Nachkommen zugerechnet werde, und die Lehren, daß die Gnade Gottes allein auf natürliche; oder doch übernatürliche blos äuserliche Wohl526 527
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Klasse, die Walch nach Schädlichkeitsgrad der pelagianischen Lehrmeinungen einteilt. Genau genommen sind die dort vertretenen Lehren für sich genommen keine schädlichen Irrtümer, sondern gar »Wahrheiten«.528 Erst innerhalb des Begründungszusammenhanges des pelagianischen Lehrsystems würden sie zu Irrtümern werden, oder um es anhand des Beispiels der Kindertaufe mit Walchs eigenen Worten zu verdeutlichen: »So tragen wir kein Bedenken, Pelagio beizutreten, daß ungetaufte Kinder selig werden. Allein in seinem System ist dieser Saz irrig und erheblich.«529 Walch scheut sich also mitnichten, Augustinus zu widersprechen, was jedoch nicht automatisch zu einer Verteidigung des Pelagius führt. Der hier angeführte und von den Pelagianern vertretene Lehrsatz beispielsweise stellt in der Sicht Walchs für sich genommen und in anderen Lehrsystemen kein Problem dar, wohl aber in den Begründungszusammenhängen des pelagianischen Systems, womit er wohl auf die Grundannahme der Unverdorbenheit der menschlichen Natur anspielt.530 Sind die Kernlehren des Lehrgebäudes der Pelagianer nun zwar schädliche Irrlehren, so hält sich Walch aber auch nicht damit zurück, die Orthodoxie des Pelagius, Caelestius und Julians hinsichtlich der damals vorhandenen orthodoxen Symbole herauszustellen, wie anhand der Glaubensbekenntnisse von Pelagius und Caelestius sichtbar sei.531 Für die Beurteilung der pelagianischen Lehre ist bei Walch ferner interessant, dass er der Lehre zwar wie eingangs gezeigt eine hohe dogmatische Relevanz zuordnet, diese aber lediglich im theologischen Elfenbeinturm des 5. Jahrhunderts verortet. So haben die Auseinandersetzungen mit den Pelagianern »mehr die gelehrten Glieder der Kirche, als die Kirche selbst beunruhiget, und nicht sie [die Pelagianer], sondern ihre Gegner haben jene zu öfentlichen Angelegenheiten der Kirche gemacht«.532 Ohnehin seien die Pelagianer nicht sonderlich verthaten beruhe: daß Christus allein uns von der Strafe unserer wirklichen Sünden erlöset: blos durch Lehre und Beispiel der Urheber unserer Heiligung sey: daß eine gültige Volkommenheit eigenen Gehorsams möglich sey: daß im alten Testament allein der Gehorsam gegen das Gesez der Grund der Seligkeit sey: daß die Heiden dergleichen Gehorsam erwiesen, und dadurch selig worden.« (Walch, Entwurf, 825). 528 Vgl. Walch, Entwurf, 825 f. 529 Walch, Entwurf, 825 f. 530 Die genannte dogmatische Behauptung von der Seligwerdung ungetaufter, verstorbener Säugling an sich ist somit eine Aussage, der generell beigepflichtet werden könne; allein als Konsequenz des gesamten pelagianischen Lehrsystems mit seinem falschen Sünden‑ und Naturverständnis handelt es sich wieder um eine Irrlehre, da ihre Begründung dogmatisch unzureichend sei. Pelagius sei in diesem Punkt also zum richtigen Ergebnis, aber unter falschen Voraussetzungen gekommen. Folglich gibt es eine gut orthodoxe Begründung davon auszugehen, dass ungetaufte Säuglinge nicht der Verdammnis anheimfallen, die jedoch nicht der Argumentation des Pelagius von einer unbeschädigten Natur des Menschen frei von Erbsünde entspricht. Dies ist der einzige Punkt, an dem Walch eingeschränkt der Lehrmeinung des Pelagius gegen die Lehrmeinungen seiner Gegner beipflichtet. 531 Vgl. Walch, Entwurf, 792 f. 532 Walch, Entwurf, 530.
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breitet gewesen im Volk, auch wenn sich einige sicherlich um eine stärkere Verbreitung der Anhängerschaft bemüht haben, wie Walch vermerkt. Dazu führt er an, dass sich insbesondere Augustinus und Hieronymus darüber beklagt hätten, dass die Pelagianer überall Anhänger gesucht hätten. Walch erscheint es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass sich Laien in diesen Streit merklich eingemischt hätten: »[U]ns komt es sehr unwahrscheinlich vor, daß wirklich viele vornehme und gemeine Glieder der Kirche, aus den Laienstand, sich mit Eifer in diese Händel gemischet.«533 Den Grund hierfür sieht Walch in der Natur der strittigen Fragen selbst: »Die Fragen waren viel zu subtil.«534 Über ihren beeindruckenden Lebenswandel und guten Charakter hätten die Pelagianer sich hingegen sicherlich Zuneigungen erworben, und dass ihre Lehre im Osten des Reiches Beifall erhielt, war ohnehin kein Geheimnis.535 Ein letztes Argument dafür, dass die Anhängerschaft der Pelagianer im Reich sehr klein gewesen sein muss, sieht Walch letztlich darin, dass es nach deren Verurteilung durch Kirche und Staat – abseits des Protestes mancher Bischöfe, die die Verurteilungen nicht unterzeichnen wollten – zu keinen nennenswerten Unruhen in der Bevölkerung gekommen sei.536 3.2. Die Gnadenbegriffe des Pelagius und dessen Heilsordnung Konsequenterweise nimmt innerhalb der Darstellung der pelagianischen Lehren die Verhandlung der Gnadenlehre besonderen Raum ein. Nachdem Walch vorangehend die optimistische Anthropologie der Pelagianer herausgestellt und mit einer Vielzahl an Quellennachweisen belegt hat, schließt er diese grundlegenden Betrachtungen mit der Feststellung, dass der Mensch nach pelagianischer Lehre nicht allein vermag, das Gute zu erkennen, sondern auch über eigene Kräfte verfügt, nach diesem zu streben und demgemäß zu handeln, oder sich eben frei für das Sündigen zu entscheiden;537 folglich gilt für Walch: »Daß die Pelagianer die Freiheit des Willens gelehret, ist über allen Zweifel erhoben.«538 Walch, Entwurf, 718. Walch, Entwurf, 718. 535 Vgl. Walch, Entwurf, 718. 536 »Man mus sich in der That verwundern, daß durch diese Schritte die Unruhen nicht größer geworden sind, und dieses kan keine andere Ursach haben, als daß wirklich die Anzahl der Pelagianer sehr klein gewesen, und der gemeine Haufe der Christen keinen Antheil genommen.« (Walch, Entwurf, 838 f.) 537 Vgl. Walch, Entwurf, 735–742. Hierzu zählen die schöpfungstheologischen Äußerungen der Pelagianer zur Beschaffenheit der Natur des Menschen (735 f.), dem Sündenfall Adams und dessen Folgen für künftige Generationen (736 f.739), der Imputation (737), zur Kindertaufe (737–739), der Herkunft der Seele (740), zur Sexualität (741 f.) und schließlich zum freien Willen (742). Zwar sind dies zweifelsohne allesamt wichtige Topoi innerhalb dieser Untersuchung und auch für Walch, allerdings bietet er hier wenig überraschendes Material, sondern beschränkt sich überwiegend auf einen quellenbasierten Nachweis der jeweiligen Lehrmeinung, sodass auf eine genauere Betrachtung verzichtet werden kann. 538 Walch, Entwurf, 742. 533 534
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Für die pelagianische Gnadenlehre ist diese Grundannahme eines freien Willens von zentraler Bedeutung, dreht sich laut Walch ein Großteil des Streites doch um die Kernfrage, »wie die hier angenommene Freiheit des Menschen mit der in der Schrift angegebenen Gnade Gottes zu unsern guten Handlungen vereiniget werden müße«.539 Kern des pelagianischen Streites ist folglich die Verhältnisbestimmung vom freien Willen des Menschen zu der in der heiligen Schrift offenbarten Gnade Gottes hinsichtlich der Vollbringung guter Werke. Wie dieses synergetische Verhältnis nun genau bei Pelagius gewichtet ist, könne jedoch nicht geklärt werden, bevor der Gnadenbegriff der Pelagianer näher bestimmt sei.540 Fest stünde der Grundsatz, »daß Pelagius allezeit die Gnade mit dem freien Willen verbunden, aber dieses Wort in mancherlei Bedeutung genommen«.541 Folglich sei zu klären, in welchen vielfältigen Bedeutungen Pelagius den Begriff »Gnade« verwendete. Walch stellt hierzu eine Liste von sieben Gnadenverständnissen bei Pelagius auf, die sich an der Folge der Dogmatik bzw. Heilsgeschichte orientieren: An erster Stelle steht hier im pelagianischen Gnadenverständnis die Gnade als Schöpfungsgnade, wie sie in der Ausstattung der Natur des Menschen mit einem freien Willen angelegt ist. Unter Gnade sei bei Pelagius – und insbesondere Caelestius – an zweiter Stelle die Verkündigung des Gesetzes zu verstehen.542 Als drittes könnte bei Pelagius auch die Vergebung vergangener, actualiter begangener Sünden, nicht jedoch zukünftiger Sünden als Gnade verstanden werden. Die Gnade Christi ist in Pelagius’ Lehrsystem auf das positive Vorbild oder »Beispiel«, welches Christus mit seinem Lebenswandel vorgelebt und hinterlassen hat, beschnitten. Bemerkenswerterweise notiert Walch hierzu noch, die so verstandene Gnade Christi im Gegensatz zum Alten Testament stünde im Lehrsystem des Pelagius.543 Den »Beistand des h. Geistes« verstünde Pelagius ebenfalls als Gnade, und zwar in dem Sinn, dass durch diese Beihilfe eine »innerliche Veränderung in dem Verstand, daß die Wahrheit erkant werde«, stattfindet.544 Als sechstes Verständnis fügt Walch noch die Taufe von Er‑ wachsenen und Kindern an, gefolgt von der ewigen Seligkeit als letzten möglichen Gnadenbegriff bei Pelagius. Allein die Auflistung so vieler Gnadenbegriffe ist für Walch schon Beweis genug dafür, dass die Pelagianer sich »sehr zweideutig« bzw. mehrdeutig hinsichtlich der Gnade geäußert haben. Das ist durchaus kritisch zu verstehen, Walch, Entwurf, 743, Anm. Walch, Entwurf, 743, Anm. 541 Walch, Entwurf, 743, Anm. 542 Vgl. Walch, Entwurf, 743, Anm. Walch betont dort, dass Caelestius diese Lehrmeinung vertreten habe, Pelagius diese hingegen zwar verwarf, aber sich nachweislich doch derartig ausgedrückt hat. 543 »Viertens, daß Beispiel des heiligen Lebens, welches Christus uns hinterlaßen, nante er die Gnade Christi, und zwar in Gegensaz des A. T.« (Walch, Entwurf, 743, Anm.). 544 Walch, Entwurf, 743, Anm. 539
540 Vgl.
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doch Walch verfällt nicht in Polemik, sondern meldet den Vorbehalt an, dass noch einige nähere Klärungen stattfinden müssen: »Z. B. ob sie [die Pelagianer] durch die Gnade mitgetheilte Fertigkeiten, oder thätige Einwirkungen verstanden: ob sie allein einen Einflus derselben in den Verstand, oder auch in den Willen angenommen; ob sie solchen zu allen einzelnen Handlungen erfordern?«545
Diesen Fragen will Walch nun weiter nachgehen, und nimmt dazu noch einmal Anlauf: Den Pelagianern zufolge sei der Mensch von Natur aus im Stande, sowohl frei zu sündigen als auch sich die Seligkeit durch Gebrauch seiner Kräfte anzueignen; dazu gab Gott den Menschen als Leitfaden das Gesetz, welches keine unmöglichen Forderungen stellt, und gegenüber dem Gott folgerichtig einen vollkommenen Gehorsam abverlangt.546 Dieser vollkommene Gehorsam sei dem Menschen wiederum möglich; zum Teil aufgrund seiner »unverderbten Naturkräfte« – aber eben auch zum Teil aufgrund der Gnade.547 Denn Pelagius hätte keineswegs grundsätzlich einen wie auch immer gearteten Beistand Gottes zur Verrichtung guter Werke und der Erlangung der Seligkeit verworfen, so Walch; ganz im Gegenteil sprach er über diejenigen, welche dieses behauptet hätten, das Anathema aus. Für die Pelagianer hätte dieser Beistand Gottes jedoch in erster Linie in »äuserlichen göttlichen Wohltaten« bestanden, von denen der Mensch wie von einem Werkzeug dank seines freien Willens Gebrauch machen könne, um gute Werke zu vollbringen.548 Die göttliche Gnade rückt hier in den Stand eines Gebrauchsgegenstandes, das abhängig von seinem Nutzer ist. Allerdings würde sich die göttliche Gnade nun doch nicht allein auf diese äußerlichen Wohltaten beschränken, sondern auch eine »innerliche Veränderung« bewirken.549 Diese Veränderung findet jedoch nur im Verstand des Menschen statt und berührt nicht seinen freien Willensentscheid.550 Eine so verstandene Gnadenwirkung verursacht die »richtige Erkäntnis des göttlichen Willens, die aber auch vom richtigen Gebrauch der Verstandskräfte abhange«.551 Eine übernatürliche Veränderung des Willens werde von den Pelagianern jedoch konsequent bestritten. Wie schon in der vorangehend genannten äußeren Gnadenwirkung zeichnet sich diese innerliche auch dadurch aus, in Abhängigkeit von ihrem Nutzer zu stehen. Zudem ist ihr Wirkungsbereich deutlich beschränkt, und zwar alleinig auf den Verstand, in welchem diese Gnade lediglich einen Erkenntniszuwachs – beim rechten Gebrauch der Kräfte des Verstandes – bewirken kann. Doch die Einschränkungen der Gnadenwirkung gehen noch weiter, zu Walch, Entwurf, 744, Anm. hierzu Walch, Entwurf, 745–747. 547 Vgl. Walch, Entwurf, 747. 548 Walch, Entwurf, 747. 549 Walch, Entwurf, 747. 550 Vgl. Walch, Entwurf, 747. 551 Walch, Entwurf, 748. 545
546 Vgl.
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nächst hinsichtlich der Entscheidung zu und Durchführung von konkreten moralischen Handlungen: Eine göttliche Gnadenwirkung sei für die Pelagianer bei der Verrichtung äußerer Handlungen nicht erforderlich, wie bei moralischen Entscheidungen und Handlungen ohnehin der Einfluss der Gnade Gottes sehr eingeschränkt sei durch der Pelagianer »Unterscheidung des posse, velle, ope‑ rari«.552 Und letztlich sei diese Gnade nicht mehr zwingend notwendig und würde durch die Pelagianer gar durch eine zweifache Einschränkung im pelagianischen Lehrgebäude verleugnet werden, da eine solche Gnade weder für alle Menschen erforderlich sei, noch etwas Anderes bewirke, »als eine Erleichterung der Haltung der göttlichen Gebote«.553 Für Walch werfen diese Beobachtungen zur pelagianischen Gnadenlehre, hier insbesondere des Wirkungsfeldes der Gnadenwirkung, folgende drei Fragen auf: Erstens: »[H]aben die Pelagianer eine wahre Gnadenwirkung angenommen, welche die Kräfte der Seele verbeßert? und haben sie diese allein in dem Verstand, oder auch zugleich im Willen angenommen?«554 Diese erstere Frage weiß Walch kurz und bündig zu beantworten: Pelagius und seine frühen Anhänger hätten die Durchführung guter Werke unzweifelhaft dem eigenen Vermögen des Menschen zugesprochen, folglich ohne eine zusätzlich hinzutretende Gnadenwirkung im velle und esse/operari.555 Julian wiederum habe dem Anschein nach die Lehre einer inneren Gnade vertreten, die sich jedoch nur auf den Verstand des Menschen auswirke und dort auf die Erkenntnis des Guten beziehe; eine supranaturalistische Gnadenwirkung werde jedoch auch von diesem gänzlich verworfen.556 Zweitens fragt Walch an: »[O]b die Pelagianer eine Nothwendigkeit der Gnadenwirkungen zu einzelnen Handlungen (circa singulos actus) angenommen?«557 Für die Beantwortung dieser zentralen Frage hinsichtlich der Wirkmacht der Gnade muss Walch weiter ausholen: Zunächst einmal ziele diese Anfrage auf die »innerlichen Handlungen, wie die Liebe gegen Gott, die Buße ist«, nicht jedoch in erster Linie auf die äußeren konkreten moralischen Handlungen. Neu formuliert könnte die Frage also auch lauten, ob im pelagianischen Lehrsystem der Buße eine göttliche Gnadenwirkung vorangehe. Caelestius habe dies bestritten, Pelagius hingegen auf den ersten Blick bestätigt. Allerdings habe sich Pelagius wieder so unklar ausgedrückt, dass Walch diese Beurteilung relativieren muss und sich Hieronymus und Augustinus anschließt, die behaupteten, dass die 552 Walch,
Entwurf, 748. Entwurf, 748. 554 Walch, Entwurf, 748. 555 Vgl. Walch, Entwurf, 748. 556 Vgl. Walch, Entwurf, 748 f. 557 Walch, Entwurf, 749. 553 Walch,
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Pelagianer allesamt eine Notwendigkeit der besonderen Gnadenwirkung auf die innerlichen Handlungen verworfen haben: »Wir glauben«, so Walch über die Beurteilung des pelagianischen Gnadenwirkungsbegriffs durch die beiden Kirchenväter, »daß sie ihnen hierunter nicht Unrecht gethan«.558 Um dies zu belegen, geht Walch nun auf die Unterscheidung und Zuweisung ein, die Pelagius hinsichtlich der bereits oben genannten Vermögen posse, velle und operari/esse getroffen hat und die durch Augustinus überliefert sind: »Wir unterscheiden jene drei [Vermögen: Möglichkeit, Willen und Tat], indem wir sie sozusagen in eine bestimmte Reihenfolge bringen, folgendermaßen: An die erste Stelle setzen wir das Können (posse), an die zweite das Wollen (velle), an die dritte Stelle das Sein (esse). Das Können verlegen wir in die Natur, das Wollen in unsere Entscheidungskraft, das Sein in das Vollführen. Das erste Vermögen, nämlich das Können, gebührt im eigentlichen Sinne Gott, der es seiner Kreatur [aus Gnaden] verliehen hat; die beiden anderen dagegen, d. h. Wollen und Sein, sind auf den Menschen zu beziehen, weil sie der Quelle seiner freien Entscheidung entspringen […] dass wir in rechter Weise handeln, reden oder denken, ist […] unser Werk, da wir all dies auch zum Bösen wenden können […].«559
Walch zitiert diese ihm »wichtige […] Stelle« ausgiebig und schlussfolgert hiernach vollkommen zutreffend, dass für Pelagius das Vermögen, gut zu handeln (esse), in der natürlichen Veranlagung zu wollen (velle) und dem zum guten wie zum bösen Handeln offenen, freien Willen verortet und zugewiesen wird.560 Von einem übernatürlichen Vermögen ist hier jedoch keine Rede. Fraglich bleibt Walch hierbei, was Pelagius bei der oben angegebenen Stelle genau mit adiuvat semper gratiae auxilio meint, die sich laut Walch weder auf das velle noch esse, sondern alleinig auf das posse beziehe. Zur Klärung wiederrum führt Walch eine Erklärung dieses Verhaltes durch Pelagius an: [A]diuvat nos Deus per doctrinam et revelationem suam, dum cordis nostri oculos aperit, dum nobis, ne praesentibus occupemur, futura demonstrat, dum diaboli pandit insidias, dum nor multo et inestabili dono caelestis gratiae illuminat.561
Diese Stelle mit ihrer Hervorhebung der Hilfe durch die Lehre und Offenbarung und eine weitere spätere Belegstelle sind für Walch ein deutlicher Beweis für eine rein äußerlich wirkende Gnade.562 Weder habe Pelagius letztlich also eine wirkliche innerliche Gnadenwirkung auf die Fähigkeit, Gutes zu denken und
Walch, Entwurf, 749. Aug., gr. et pecc. or. 1,4 (CSEL 42, 127 f. Urba/Zycha). Übersetzung nach Adolf Martin Ritter, Alte Kirche. KTGQ 1. 9. Aufl. (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2007), 241. 560 Vgl. Walch, Entwurf, 749 f. 561 So Pelagius nach Aug., gr. et pecc. or. 1,8 (CSEL 42, 131,13–17 Urba/Zycha), hier zitiert nach und mit Hervorhebung durch Walch, Entwurf, 750. 562 Ferner zitiert er Aug., gr. et pecc. or. 1,10 (CSEL 42, 133,30–134,6 Urba/Zycha): operatur in nobis velle […] quod bonum est. 558 559
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zu wollen, gelehrt noch eine Veränderung des Willens oder eine der Hervorbringung guter Werke vorangehende, wirkende Gnade.563 Die dritte und letzte Frage in diesem Komplex der Gnadenwirkung befasst sich damit, inwiefern eine so verstandene Gnade für jeden Menschen allgemein nötig sei. Zu bejahen sei diese Frage in Pelagius’ Lehrsystem durchaus, allerdings nur, wenn man eben davon ausgeht, dass unter dieser Gnade nichts weiter als die natürliche Schöpfungsgnade und die äußerliche Gnade verstanden werde. Jedoch sei selbst dieses Gnadenverständnis unzureichend getroffen, da die Pelagianer auch denjenigen Menschen gute Werke zugesprochen haben, die niemals durch die Offenbarung, insbesondere durch das Vorbild und die Lehre Christi, erleuchtet wurden.564 Konsequenterweise resultiert daraus die Lehrmeinung der Pelagianer, dass gute Werke allein durch den rechten, freien Gebrauch der durch die natürliche Gnade veranlagten Fähigkeiten des Menschen erreicht werden könnte, wie durch tugendhafte Heiden bewiesen sei.565 Letztlich wird in diesem Vorgehen Walchs bei der Darstellung der Gnadenwirkung im pelagianischen Lehrsystem sichtbar, wie er diese mit jeder vertieften Betrachtung als stark eingeschränkt und letztlich vom freien Willensentscheid des Menschen vollkommen abhängig, ja für den Menschen nicht zwingend notwendig entlarvt. Nach diesem Fokus auf die Gnadenwirkung und die damit verbundenen Gnadenbegriffe kommt Walch nun auch auf die Verortung der eingangs erwähnen Gnade, durch welche völliger Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes möglich sei, zu sprechen. Das ist insofern relevant, als Walch hier bereits seinen nun folgenden Ausführungen zur pelagianischen Heilsordnung vorarbeitet, und auch eine deutliche Werkgerechtigkeit im pelagianischen Lehrgebäude sichtbar macht: Selbige Gnade, die Gehorsam ermöglicht, sei nämlich nichts anderes als die Folge vorangehender guter Werke.566 Und ohne diesen vollständigen Gehorsam gegenüber dem göttlichen Gesetz könne wiederum die Seligkeit nicht erlangt werden.567 Aus all diesen Beobachtungen zum pelagianischen Lehrsystem rekonstruiert bzw. konstruiert Walch nun die pelagianische Heilsordnung:568 Der Mensch verfügt über einen freien Willen und aus eigenen Kräften heraus bekehrt sich der Mensch, das heißt, er unterlässt es fortan aufgrund seiner willentlichen Entscheidung zu sündigen. Der sich so aus eigenem Vermögen von der Sünde abkehrende Mensch glaubt an Christus, was bedeutet, dass er seiner Lehre beipflichtet. Nun lässt der Mensch sich taufen, wodurch die vorangehenden 563 Vgl.
Walch, Entwurf, 750. hierzu insgesamt Walch, Entwurf, 750 f. 565 Zu Walchs Diskussion der Lehrmeinung tugendhafter Heiden vgl. Walch, Entwurf, 751 f. 566 Vgl. Walch, Entwurf, 752 (Art. XXVI). 567 Vgl. Walch, Entwurf, 753 (Art. XXVII). 568 Zum Begriff und der Geschichte der Heilsordnung vgl. Steiger, »Ordo salutis«. 564 Vgl.
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Sünden vergeben werden, sodass er nun vollständig frei von Sünde ist.569 Nun als Christ hört dieser getaufte und sündenfreie Mensch den »Unterricht« Christi und bekommt dessen Lebenswandel als Vorbild vorgesetzt. Durch Unterricht und Vorbild Christi wird es diesem Menschen noch einfacher, gegenüber dem Gesetz Gottes vollständigen Gehorsam zu leisten, als den Menschen, die diesen Unterricht und dieses Vorbild nicht erfahren haben.570 Will dieser Mensch nun selig werden, so muss er vollkommen »heilig« leben, das heißt, so gerecht sein, »daß er nicht einmal eine sündliche Gedanke hat«.571 Dieser heilige Lebenswandel, selbst in Gedanken, ist diesem Menschen trotz aller Versuchungen kraft seines Willens möglich. Da der Wille jedoch weiterhin absolut frei ist, kann er sich jedoch auch jederzeit dazu entscheiden, den Versuchungen nicht zu widerstehen, wodurch er wieder aus dem Stand der Gnade fallen kann.572 Daraus resultiert schließlich, dass der Mensch, welcher das göttliche Gesetz vollständig befolgt, selig wird und das ewige Leben erlangt – das gelte für Christen wie aber auch für diejenigen, die ohne die Kenntnis des Unterrichts und des Vorbilds Christi gerecht gelebt haben; die Sünder hingegen werden aufgrund ihrer Sünde auf ewig verdammt. Sowohl Kinder als auch erwachsene Christen werden selig und kommen in den Himmel, die Kinder, weil sie getauft wurden, die Erwachsenen jedoch weil sie aus ihrem freien Willen heraus glauben und getauft sind und »nun das göttliche Gesez so volkommen halten, daß in ihnen keine Sünde mehr ist«.573 Dies ist laut Walch die pelagianische Heilsordnung, wie sie sich rekonstruieren lässt. Zwar enthält sich Walch hier noch einer persönlichen Beurteilung dieser, doch allein die Aufstellung einer so abfolgenden Heilsordnung stellt jedem protestantischen Theologen klar vor Augen, dass sie im Widerspruch mit der lutherischen Heilsordnung steht.574 3.3. Gottes Ratschluss und die Prädestination bei Pelagius Walch bemüht sich als nächstes überraschenderweise um eine kurze Darstellung der pelagianischen Prädestinationslehre. Ihm zufolge gingen die Pelagianer von einem bedingten Ratschluss Gottes aus. Bedingt insofern, als dass Gottes Ent569 Vgl.
Walch, Entwurf, 755. Vgl. Walch, Entwurf, 756. 571 Walch, Entwurf, 756. 572 Vgl. Walch, Entwurf, 756. 573 Walch, Entwurf, 759. 574 Johann A. Steiger stellt das besondere Interesse, das Baumgarten an der Heilsordnung immer wieder gehegt hatte, eben so heraus, wie Semlers Ablehnung des ordo salutis in pietistischer Ausprägung (vgl. Steiger, »Ordo salutis«, 374). Infolge der voranschreitenden Aufklärung wurde nicht nur die klassiche Harmatiologie zunehmend hinterfragt, sondern auch die Lehre der Heilsordnung von dem Perfektibilitätsgedanken verdrängt (Steiger, »Ordo salutis«, 374 f.). 570
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scheidung über Heil oder Verdammnis des einzelnen Menschen von dessen guten Werken oder Sünden abhängig ist. Wer im ersteren Sinne handelt, bekommt die Gnade und folglich die »Herrlichkeit« zugesprochen, dem Sünder hingegen blüht die Verdammnis.575 Angesichts der rekonstruierten Heilsordnung ist dies wenig überraschend, weiterführend sind hier jedoch die Beobachtungen Walchs dazu, welchen Stellenwert die Frage nach der Prädestination und dem Ratschluss Gottes innerhalb des eigentlichen pelagianischen Streites spielt: Er räumt dieser Streitfrage nämlich nur einen relativ geringen Stellenwert in der Diskussion ein und sieht diese Frage vornehmlich in den nachfolgenden semipelagianischen Streitigkeiten und den Auseinandersetzungen mit den vermeintlichen Prädestinatianern verortet, die durch unpolemische, dogmatische Äußerungen Augustinus’ zur Prädestinationslehre veranlasst worden seien.576 Walch macht nun bezüglich dieser Lehre Augustinus eine treffende Beobachtung: »Augustinus nahm die Prädestination unleugbar zu Hülfe, wenn er den Knoten auflösen wollte, warum denn nicht alle diejenigen Gnade erhielten, durch welche nach seinem Lehrbegrif die Menschen in Stand gesezt würden, selig zu werden.«577 Walch verdeutlicht hiermit nicht nur die Kritik der Gegner Augustinischer Prädestinationslehre, dass diese einen tyrannischen Willkürgott mit seinem geheimen Ratschluss propagiere; sondern er qualifiziert die Prädestinationslehre mit ihrem Verweis auf einen geheimen Ratschluss als ein bloßes Hilfsmittel oder eine Behelfsbrücke, um die von den guten oder sündhaften Werken der Menschen unbedingte Gnadenzuwendung Gottes in seinem Lehrsystem erklärbar zu halten. Zur Prädestinationslehre des Pelagius ließe sich aufgrund der Quellenlage – Walch verweist hier auf die damals nur fragmentarisch überlieferten Expositiones der Paulusbriefe durch Pelagius – wenig mehr sagen als, dass die Pelagianer zwar von ewigen Ratschlüssen Gottes hinsichtlich des Schicksals der Menschen ausgegangen seien, diese jedoch nicht auf einer Prädestination, also Vorherbestimmung fußen würden, sondern auf göttlicher praescientia. Gott wisse den Glauben und die guten Werke vorher, aber sie sind den Menschen nicht vorherbestimmt worden durch Gott, sondern entspringen dem freien Willensentscheid des einzelnen Menschen. Somit liegt den ewigen Ratschlüssen Gottes ein »Bewegungsgrund« außerhalb Gottes zugrunde, der im freien Gebrauch des menschlichen Willens liegt.578
Vgl. Walch, Entwurf, 759. »[D]a Augustinus, und zwar mehr dogmatisch als polemisch, sie in seine Vorträge mischte, so gab sie zu den Streitigkeiten mit den halben Pelagianern und Prädestinatianern Anlaß.« (Walch, Entwurf, 760, Anm.). 577 Walch, Entwurf, 760, Anm. 578 Vgl. Walch, Entwurf, 760, Anm. 575 576
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3.4. Pelagianische Lehren »zweite Klasse«: Kirche ohne Makel, Reichtumskritik und Eidverbot Neben den zentralen Lehren des pelagianischen Lehrsystems stehen eine Reihe an Aussagen, die Walch bereits eingangs seiner Vorstellung der pelagianischen Glaubenssätze zu deren zweiter Klasse zählt: Es sind »zufällige Fragen«, die nicht »in einem nothwendigen systematischen Zusammenhang« zu den Lehren der ersten Klasse, wie der oben behandelten Gnaden‑ und Prädestinationslehre, stehen. Einen genaueren Blick sind sie dennoch wert, da zuletzt Arnold diese Themen zumindest erwähnt hatte und sie seitdem in vielen anderen Darstellungen in den Hintergrund getreten sind oder keine Erwähnung mehr fanden. Bereits eingangs des entsprechenden Abschnittes bezeichnet Walch diese Nebenlehren als »Irtümer«, über die geklagt worden sei.579 Die pelagianische Lehre von einer makellosen Kirche, die freilich an die ohnehin häretische Lehrmeinung der Donatisten erinnert, bei diesen aber wie auch Walch bemerkt in einem anderen Begründungszusammenhang steht, geht von einer Kirche auf Erden aus, die »aus lauter Heiligen« besteht, also frei von jeglicher Sünde sei.580 Für Walch läuft dies auf die Streitfrage hinaus, »ob die sichtbare Kirche auf Erden nach der Absicht Gottes aus solchen Gliedern bestehen solle und könne, die ohne Sünde sind«.581 Pelagius müsse seinem Lehrsystem gemäß, das davon ausgeht, dass der Mensch ohne Sünde sein kann, dies behaupten, Augustinus hingegen klar verneinen. Walchs persönliche Beurteilung wird hier diesmal auch besonders sichtbar: »Augustinus verneinte es, und hatte darinnen Recht.«582 Allerdings wäre es laut Walch für beide Parteien besser gewesen, in der Lehre zwischen der sichtbaren und unsichtbaren bzw. verborgen Kirche zu differenzieren.583 Für Walch ist diese Lehrmeinung letztlich bemerkenswert, da sie bei den Pelagianern in einem anderen Sinne verstanden sei als bei den Donatisten.584 Als zweite Nebenlehre führt Walch die schon bei Arnold verhandelte Reichtumskritik an, also die Verwerfung des »Besiz zeitlicher Güter« und der Ausschluss Reicher von der Seligkeit. Arnold hatte diese Aussage gar nicht in Frage gestellt, sondern den ersten Pelagianern zugeordnet und klar befürwortet. 579 Vgl.
Walch, Entwurf, 783 sowie im Folgenden 783–787. Vgl. Walch, Entwurf, 783, mit Anm. 1. 581 Walch, Entwurf, 783 f. 582 Walch, Entwurf, 784. Allerdings kritisiert Walch hier, dass Augustinus die in diesem Bedeutungszusammenhang relevante Paulusstelle Eph 5,26 fälschlich auf die triumphierende, also unsichtbare Kirche bezogen habe. 583 Walch legt damit freilich anachronistisch Gedanken lutherischer Ekklesiologie als Maßstab an. Zur entsprechenden Differenzierung bei Luther vgl. Dorothea Wendebourg, »Kirche«, in Luther Handbuch, hg. v. Albrecht Beutel, 403–414. UTB 3416 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2010), 405 f. 584 Vgl. Walch, Entwurf, 784. Eine vertiefte Gegenüberstellung bietet er aber über das Genannte hinaus nicht. 580
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Walch hingegen will in seiner folgenden Anmerkung der Frage auf den Grund gehen, ob diese Lehraussage überhaupt Pelagius oder Caelestius zugeordnet werden könnte.585 Er stellt nur klar, dass diese Aussagen zwar sicher den auf Sizilien ansässigen Anhängern des Pelagius zugesprochen werden, nicht aber Pelagius selbst mit absoluter Gewissheit. Walch hält es aber dennoch für wahrscheinlich, dass Pelagius durchaus dieser unter Mönchen üblichen Meinung beipflichtete.586 Seinem Schüler Caelestius könne man diese Ansicht jedoch definitiv nicht zur Last legen, da ihm höchstens nachzuweisen wäre, die Liebe zu zeitlichen Dingen als ein Hindernis, zur Seligkeit zu gelangen, anzusehen; von einer Unmöglichkeit sei aber nicht die Rede.587 Somit könne sich letztlich nur festhalten lassen, dass die sizilianischen Pelagianer diese Lehre gewisslich vertreten haben, nicht aber Pelagius oder Caelestius. Aber selbst dies ist mehr als zweifelhaft, da bis auf die aus Sizilien überstellte Klageschrift über solche Pelagianer keine weiteren Belege für diese Behauptung vorlägen.588 Rezeptionsgeschichtlich spannend ist an dieser Stelle noch eine zweite Fußnote zu diesem Thema, welche sich mit dessen Beschäftigung in der Sekundärliteratur auseinandersetzt. Insbesondere Vossius habe sich intensiv diesem Lehrsatz gewidmet, wobei sein Hauptverdienst hier gewesen sei, Gutes zusammengetragen zu haben. Ferner verweist Walch auch auf Walls History of Infant Baptism und Christian Eberhard Weißmanns Werk Introductio in Memorabilia Ecclesiastica; letzterer hatte sich dort gegenüber der Arnoldschen Darstellung und Beurteilung kritisch gezeigt, wofür ihm Walch deutlich beipflichtet.589 Man sieht hier, dass Arnolds Darstellung des pelagianischen Streites durchaus wahrgenommen wurde – und auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach dessen Publikation immer noch mit negativen Beurteilungen. Eine weitere Nebenlehre der Pelagianer, die auch Arnold schon ausführte, ist die des Eidesverbots für Christen.590 Auch hierzu stellt Walch fest, dass es eigentlich nur eine Lehre der sizilianischen Pelagianer gewesen sei, Caelestius ließe sich dessen gar nicht überführen und Pelagius habe in seiner Epistola ad De‑ Vgl. Walch, Entwurf, 784. Vgl. Walch, Entwurf, 784, Anm. 1. 587 Vgl. Walch, Entwurf, 784, Anm. 1 mit Verweis auf div. leg. (PL 30, 105–116), welcher bislang Hieronymus zugesprochen wurde, aber von Walch als Zeugnis des Caelestius angesehen wird. 588 Vgl. Walch, Entwurf, 785. 589 Vgl. Christian Eberhard Weiẞmann, Introductio In Memorabilia Ecclesiastica Histo‑ riae Sacrae Novi Testamenti maxime vero Seculorum Primorum Et Novissimorum ad juvandam notitiam Regni Dei Et Satanae Cordisque Humani salutarem plana & facili methodo in gratiam Studiosae juventutis concinnata. Band 1 (Stuttgart: Mezler, 1718). Paul Tschackert, »Weißmann, Christian Eberhard«, ADB 41 (Leipzig: Duncker & Humblot 1896), 614 sieht dieses Hauptwerk Weißmanns zwar als von Arnolds Ketzer-Historie beeinflusst, »aber doch freier als dieses einseitig pietistische Werk« an, das zudem »nicht bloß zeitlich, sondern auch inhaltlich zwischen Arnold’s und Mosheim’s Arbeiten zu stehen kommt«. 590 Vgl. Walch, Entwurf, 785, mit Anm. 585 586
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metriadem lediglich »Lügen, Fluchen und Schwören in eine Klaße gesetzet«.591 Eine solche Meinung hätte damals jedoch nicht verketzert werden können, sodass Augustinus hieran auch wenig auszusetzen hatte.592 3.5. Die Frage nach dem Ketzerstatus der Pelagianer Die gesamte Darstellung des pelagianischen Streites im Entwurf ist durchzogen von Anmerkungen, an denen Walch sich immer wieder den Fragen widmet, inwiefern die Pelagianer als a) eigene Religionspartei, bzw. b) Ketzerei angesehen werden könnten und c) neue Lehren vertreten hätten – vor allem letztere Frage sieht Walch als »unleugbar von Wichtigkeit« an.593 Hierin erfährt der Leser nicht nur mehr über Walchs Verständnis einer Religionspartei bzw. des Ketzerbegriffes, sondern erhält auch dogmenhistorische Beurteilungen, die schließlich zur so prominenten Debatte über den Pelagianismus ante Pelagium führen werden. Bereits früh in seinen allgemeinen Vorbemerkungen zum Streit trifft Walch eine eindeutige Klarstellung: »Zwischen den Pelagianern und fast allen andern Kezereien und Spaltungen, deren Geschichte wir erzehlet, ist ein Unterschied, der ihrer Historie eine so eigne Gestalt giebt. Die Pelagianer haben nie eine Parthei gemacht.«594
Die Pelagianer bildeten demnach keine eigene Religionspartei, und sind damit eine für ihn bemerkenswerte Ausnahmeerscheinung im Reigen der durch Walch dargestellten Auseinandersetzungen und Spaltungen.595 Der »äußerlichen« Gestalt nach ist diese Gruppe der Pelagianer somit nicht einmal eine Ketzerei, und weder Augustinus noch andere hätten von einem gottesdienstlichen Absonderung der Pelagianer berichtet – was sie ganz gewisslich getan hätten, wenn es sich auch nur ansatzweise hätte nachweisen lassen.596 Warum kam es nicht zu solch einer Abspaltung? Walch erwähnte schon an anderer Stelle, dass die Fragen, die im Streit verhandelt wurden, für viele Menschen ohnehin zu speziell gewesen sein, als dass sich eine große Anhängerschaft gebildet hätte. Ferner ging es im Streit primär um einzelne Personen und Lehrgestalten, die dann letztlich Verurteilungen erfuhren, was aber deren Anhänger nicht dazu veranlasste, aus Protest mit der Heilsgemeinschaft der Mehrheitskirche zu brechen.597 591 Walch, Entwurf, 785, Anm., mit Verweis auf Pelag.-haer., Demetr. 19 (FC 65, 128,9 Greshake): Mentiri itaque maledicere atque iurare lingua tua nesciat. 592 Walch, Entwurf, 785, Anm. 593 Walch, Entwurf, 567. 594 Walch, Entwurf, 529. 595 Vgl. Walch, Entwurf, 529 f. 596 Vgl. Walch, Entwurf, 717, mit Anm. 597 »Die pelagianischen Streitigkeiten betrafen eigentlich nur einzele Personen und Lehrer: es sind daher in der christlichen Kirche keine besondere Partheien entstanden […] und auch selbst durch die feierlichsten Verdammungen und Landesverweisungen ihrer vornehmsten
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Von einer Religionspartei kann bei den Pelagianern aber nicht nur aufgrund dieser äußerlichen Kriterien einer Partei nicht gesprochen werden, sondern auch aus theologischen Gründen: Sie hätten keine öffentlichen gemeinsamen Glaubensbekenntnisse verfasst und ihre wichtigsten Lehrer waren untereinander nur als Freunde verbunden, von denen jeder für sich eigene Lehrsätze vertrat oder unter denen man sich zumindest verschieden ausdrückte, auch wenn man inhaltlich übereinkam.598 Doch wie ist es um den Ketzerbegriff bestellt – sind die Pelagianer für Walch Ketzer? Nach äußeren Kriterien des Ketzerbegriffs beurteilt, verneint Walch auch diese Frage klar. Es handele sich in der ganzen Angelegenheit nach dem äußeren Kriterium lediglich um eine theologische Streitigkeit. Zu einem Schisma sei es schließlich nicht gekommen.599 Auch die Pelagianer selbst wiesen die Anschuldigung, Ketzer zu sein, zurück, und zwar mit einem bereits wohl bekannten, inhaltlichen Argument: Die Lehren, in denen sie von ihrer Gegnerschaft abwichen, seien niemals zuvor durch kirchliche Autoritäten wie Konzilsbeschlüsse in Gestalt von Glaubensbekenntnissen bzw. Symbolen festgelegt und als verbindlich für die Gesamtkirche vorgeschrieben worden.600 Folgerichtig könnten Sie keiner Abweichung, also Häresie überführt werden. Diese durchaus berechtigte Spitzfindigkeit der Pelagianer führt nun zu der dogmenhistorischen Dimension der letztgenannten Fragestellung, nämlich inwiefern die Pelagianer wirklich neue Lehren vertreten hätten. Wie schon eingangs erwähnt, hält Walch diese Frage für erheblich, da die unterschiedlichen Weisen, wie sie unter den neueren Autoren beantwortet worden seien, »Einflus selbst in die Vorstellung und Beurtheilung des pelagianischen Lehrbegrifs« hätten.601 Dass Walch inhaltlich die pelagianischen Lehrmeinungen von der Erbsünde, der Freiheit des Willens und der Gnade für Irrtümer hält, sollte bereits hinlänglich deutlich geworden sein. In dem Abschnitt, welcher sich mit der Neuheit dieser Lehren befasst, widmet er sich nun der Frage: »[I]st die pelagianische Kezerei neu?«602 Damit ist nicht nur klar, dass Walch folglich aufgrund theologischer Kriterien das pelagianische Lehrsystem durchaus als eine Ketzerei betrachtet, sondern es also für Walch auch nachzuspüren gilt, ob Pelagius als erster so gelehrt hat, oder ob er diese Lehre von anderen übernommen oder gar geLehrer ließen sich doch diese dadurch nicht bewegen, sich von den übrigen gottesdienstlichen Geselschaften abzusondern.« (Walch, Entwurf, 717). 598 Vgl. Walch, Entwurf, 721. Walch war freilich mit den Glaubensbekenntnissen des Pelagius und des Caelestius vertraut, aber diese waren Glaubensbekenntnisse von Einzelpersonen, und wären somit ein weiterer Beleg für Walchs Aussage, dass der Streit sich vor allem auf einzelne Führungsfiguren beschränkte. 599 Vgl. Walch, Entwurf, 827 f. 600 Vgl. Walch, Entwurf, 826 f. 601 Walch, Entwurf, 793. 602 Walch, Entwurf, 793.
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lehrt bekommen hat – wobei man mitten in der Frage nach dem Pelagianismus vor Pelagius und einer möglichen Orientreise des Pelagius vor dem Streit angekommen ist. Exkurs: Johann Walchs Interesse an einer Untersuchung des Pelagianismus vor Pelagius Schon in seinem philosophischen Lexikon von 1726 äußerte sich Johann Walch kurz zur Diskussion um den Pelagianismus vor Pelagius, also inwiefern inhaltlich als pelagianisch qualifizierbare Lehrmeinungen schon vor diesem vertreten wurden. Bezeichnenderweise erörtert er diese Frage ausgerechnet in seinem Artikel über die Freiheit des Willens, in welchem er auch erstmals die Forderung zur Abfassung einer Darstellung des Pelagianismus vor Pelagius auf den Tisch bringt:603 »Doch wie einige de Spinozismo ante Spinozam; andere de manichaeismo ante Manichaeos geschrieben; also könnte man auch ein nützliches Werck des Pelagianismo ante Pelagium verfertigen.«604 Die Frage nach der Willensfreiheit des Menschen war in der Sicht Johann Walchs das zentrale Thema des Pelagianismus und wurde in der Ausprägung einer Überhöhung des freien menschlichen Willens in geistlicher Hinsicht, also auf dessen Heil bezogen, zum zentralen Qualifikationsmerkmal des Pelagianismus: »Andere erhoben die Freyheit des Menschen in geistlichen so sehr und meinten, daß der Mensch auch aus natürlichen Kräften was gutes und GOtt wohlgefälliges thun könte, welches man den Pelagianismum nennet, der seinen Ursprung aus der Stoischen Schule hatte.«605 Nicht nur stellt Johann Walch somit die übertriebene Hochschätzung des freien Willens ins Zentrum des pelagianischen Lehrgebäudes, sondern sieht dessen Ursprung in der Stoischen Philosophie. Doch diese »pelagianischen« Gedanken der Stoiker blieben nicht auf ihre Philosophie begrenzt, sondern weiteten sich frühzeitig auf die christliche Kirche aus und zeitigten sich dort erstmals bei Origenes: »Denn schon vor dem Pelagio waren einige in der christlichen Kirche mit diesem Irrthum [gemeint ist der ›Pelagianismus‹] eingenommen. Origenes soll zuerst mit dieser Lehre dem Pelagio seyn fürgegangen, wie ihn denn Hieronymus […] nennet Pelagianorum amasium und […] Pelagiani erroris principen, die Lehre aber des Pelagii Origenis ramuseulum, welches auch Huetius [gemeint ist der französische Gelehrte Pierre Daniel Huet] in den Origenianis, worinnen er seine Lehren gar gnau untersuchet, nicht in Abrede seyn kan, und über dies von ihm bekannt ist, daß er sich durch die heydnische Philosophie zu andern Irrthümern verführen lassen.«606 Johann Walch, Lexicon, 1043–1062. Johann Walch, Lexicon, 1055. 605 Johann Walch, Lexicon, 1055. 606 Johann Walch, Lexicon, 1055. Mit Nachweis von Hier., Pelag. 3,19 (CChr.SL 80, 124,23– 25 Moreschini): transite ad amasium uestrum, qui praeterita in caelis et antiqua delicta solui dicit 603 604
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Johann Walch lässt hier keinen Zweifel an seiner Sicht der Dinge: Unverkennbar scheint ihm der generelle schädliche Einfluss der nichtchristlichen, ja »heydnischen« Philosophie auf Origenes, der nicht nur von Hieronymus polemisch als Vorgänger des Pelagius (bzw. Pelagianorum amasium und Pelagiani erroris principen) bezeichnet wird, sondern als solcher auch nachweislich durch die wissenschaftliche Arbeit des französischen Gelehrten und Origeneskenners Pierre Daniel Huet (1630–1721) entlarvt worden sei.607 Ferner lässt Johann Walch spätestens hier keinen Zweifel mehr daran aufkommen, dass er die pelagianischen Lehrmeinungen über das natürliche Vermögen des freien menschlichen Willens als Irrlehre betrachtet. Hinsichtlich der Frage nach einer Genealogie der pelagianischen Lehrmeinungen bzw. des Pelagianismus muss jedoch auch bemerkt werden, dass Walch hier mitnichten bemüht ist, eine historisch motivierte Genealogie des Pelagianismus zu eröffnen. Vielmehr listet er nur chronologisch auf, wer inhaltlichanalog pelagianische Gedanken hegte, spricht jedoch nicht davon, dass Pelagius Origenes gelesen habe, eine Reise in den Orient unternahm oder Rufin, dem lateinischen Übersetzer des Origenes, in Rom begegnet sei. Johann Walch geht hier folglich nicht auf eine direkte Traditionslinie ein, sondern bleibt allein bei der Übereinstimmung bzw. Analogie der Lehrinhalte im Bezug auf den freien Willen stehen. Einzig eine direkte Übernahme heidnisch-philosophischer Gedanken durch Origenes wird hier direkt angesprochen. Wie sehr dieses Thema Johann Walch jedoch weiterhin beschäftigt hat, wird daran ersichtlich, dass zwölf Jahre nach seiner Anzeige des Desiderats sein Schüler Theodor Christoph Lilienthal (1717–1781)608 in einer Dissertation Thesen zum Pelagianismus vor Pelagius unter seinem Vorsitz verteidigte.609 in baptismo; sowie Hier., ep. 133,3 (CSEL 56, 247, 11 f. Hilberg): vis adhuc et alium nosse erroris tui principem? doctrina tua Origenis ramusculus est. 607 Pierre Daniel Huet war von 1685 bis 1689 Bischof von Soissons und später auch von Avranches. Während eines Aufenthaltes in Stockholm stieß er in Schwedens Königlicher Bibliothek auf Fragmente von Origenes’ Kommentar zum Matthäusevangelium. Daraus resultierte Huets Vorhaben, Origenes zu redigieren. Das Projekt fand 1668 in Gestalt der von Walch angeführten Origenianis seinen Abschluss. Zu Huet vgl. Jürgen von Stackelberg, »Huet, Pierre Daniel (1630–1721)«, in ders., Kleines Lexikon vergessener Autoren des 17. Jahrhunderts (Frankreich), 61 f. (Bonn: Romanistischer Verlag, 2014). 608 Der lutherische Theologe und spätere Königsberger Professor der Theologie Lilienthal lebte während seiner Jenaer Studienzeit im Jahr 1736 sogar bei Johann Walch, und bediente sich dessen Bibliothek, so dass die Annahme, es sei schon dort zu ausführlichen Gesprächen über die Frage nach dem Pelagianismus vor Pelagius gekommen ist, sicherlich keine bloße Phantasie ist; zur weiteren Vita vgl. Wilhelm Heinrich Erbkam, »Lilienthal, Theodor Christoph«, ADB 18 (Leipzig: Duncker & Humblot, 1883): 650 f. 609 Theodor Christoph Lilienthal, Dissertatio de Pelagianismo ante Pelagium. Quam Rectore Magnificentissimo Serenissimo Principe ac Domino, Domino Guiliermo Henrico […] Praeside Ioanne Georgio Walchio […] Placidae Dissentientium Disquisitioni subliciet Auctor M. Theodorus Christophorus Lilienthal (Jena: Ritter, 1738). Den Autor der Dissertatio zweifelsfrei zuzuweisen, fällt wie bei vielen Dissertationen jener Zeit zunächst schwer, vgl. hierzu die
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In dieser 1738 in Jena veröffentlichten Dissertatio möchte Theodor Lilienthal herausarbeiten, dass es »Pelagianismus« – also Lehrinhalte, die ab dem 5. Jahrhundert in Folge der pelagianischen Kontroverse, als »pelagianisch« verstanden wurden, schon vor Pelagius selbst gab.610 Die Dissertatio ist dabei kleinschrittig aufgebaut: Nach seiner einleitenden Fragestellung trifft Lilienthal zunächst Ausführungen über Pelagius und den Ablauf des pelagianischen Streites an sich, gefolgt von Ausführungen zur Herkunft des Pelagius bis zu dessen Verschwinden und der Verbreitung seiner Lehre durch Julian von Aeclanum; auch die Lehre des Pelagius wird anhand der Kanones der Synode von Mileve ausgeführt.611 In seiner darauffolgenden Darlegung des Pelagianismus vor Pelagius setzt Lilienthal schon bei den antiken Philosophen – natürlich den Sophisten – an, grundlegende Arbeit von Ewald Horn, Die Disputationen und Promotionen an den Deutschen Universitäten vornehmlich seit dem 16. Jahrhundert. Mit einem Anhang enthaltend ein Verzeich‑ nis aller ehemaligen und gegenwärtigen deutschen Universitäten. Beihefte zum Centralblatt für Bibliothekswesen 11 (Leipzig: Harrassowitz, 1893), 51–57. Aus dem Titelblatt geht hervor, dass Lilienthal die Dissertatio verfasst und unter dem Präses Walch verteidigt hatte (Praeside Io‑ anne Georgio Walchio […] Auctor M. Theodorus Christophorus Lilienthal). Auch Christian Walch, Entwurf, 802, Anm. 1 schreibt die Dissertatio eindeutig Lilienthal zu, ebenso Henrich Döring, Die gelehrten Theologen Deutschlands im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Nach ihrem Leben und Wirken dargestellt. Band 2 (Neustadt an der Orla: Johann Karl Gottfried Wagner, 1832), 317–322; sowie August Rudolph Gebser, Geschichte der Domkirche zu Königsberg und des Bisthums Samland: mit einer ausführlichen Darstellung der Reformation im Herzogthum Preußen (Königsberg: Hartungsche Hofbuchdruckerey, 1835), 358. Tatsächlich wurde die Dissertatio nachträglich 1744 in Johann Walchs Miscellaneis sacris aufgenommen, in deren Vorwort Walch gestand, dass diese Dissertation nicht seine Arbeit ist, er aber das Eine oder Andere hinzugesetzt habe, vgl. so auch Georg Christoph Hamberger/Johann Georg Meusel, Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebenden teutschen Schriftsteller. Band 8 (Lemgo: Meyersche Buchhandlung, 1800), 263. Simon Gerber, Schleiermachers Kir‑ chengeschichte. BHTh 177 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2015), 299–303, Anm. 220 rechnet sie hingegen Walch selbst zu und betont, dort dass Walch schon gut hundert Jahre vor Schleiermacher das Thema des Pelagianismus vor Pelagius behandelt hatte. Es könnte angenommen werden, dass Walch und Lilienthal die Dissertatio gemeinsam abgefasst hatten, wobei die Anteile des jeweiligen Autors freilich nicht nachweisbar sind und Walch sich in der Vorrede seiner Mis‑ cellaneis sacris bescheiden hinsichtlich seiner eigenen Anteile am Werk geäußert haben könnte, vgl. in ähnlicher Richtung auch Horn, Disputationen, 55. Das liegt aber im Bereich der Spekulation, sodass ich von einer durch das Interesse Walchs angeregten und beförderten, aber letztlich von Lilienthal abgefassten und von Walch nur geringfügig ergänzten Arbeit ausgehe. Darauf deutet schlussendlich auch die Widmung der Dissertatio Lilienthals an seinen Vater Michael Lilienthal (1686–1750), der als lutherischer Theologe hohe akademische Würden erlangt hatte. Daher spreche ich im Folgenden von der Dissertatio Lilienthals, auch wenn Walch inhaltlich seine Anteile an dieser gehabt haben wird. 610 Hinc non abs re fore, existimaui, praesenti dissertation Pelagianismum exponere ante Pelagium; (Lilienthal, Dissertatio, 2). Lilienthal erwähnt die bereits bekannten Autoren des 17. Jahrhunderts zum pelagianischen Streit: Ussher, Vossius, Noris, Garnier, zieht aber auch Primärquellen heran (vgl. Lilienthal, Dissertatio, 3, Anm. **). Aus der weiteren bekannten Sekundärliteratur zum Streit erwähnt Lilienthal, Dissertatio, 10 f., Anm. *: de Laet, Leclerc, Jansen, Pétau und Buddeus. 611 Zur Gliederung dieser ersten Abschnitte: I. Einleitung zur Fragestellung (§ 1); II. Geschichte des Pelagius und der pelagianischen Häresie an sich (§ 2–4).
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um bei diesen »Pelagianismus« festzustellen. Selbst auf das frühe Judentum und das Christentum vor Pelagius sowie Häretiker wie Kirchenväter geht er ein und zeigt auf, wo sich schon bei all diesen in der Lehre der gesuchte »Pelagianismus« finden ließe.612 Hier, wie auch schon in den vorangehenden Anmerkungen zur Herkunft des Pelagius spricht sich Lilienthal nun deutlich zur Genealogie der pelagianischen Lehre aus: Seine unmittelbaren Vorgänger (praecepti) und Lehrer seien vor allem Rufin der Syrer, aber auch dessen theologischer Lehrer Theodor von Mopsuestia gewesen – womit Pelagius in eine häretische Tradition gestellt wird, wenn man von Theodor vom Mopsuestias posthumer Verurteilung als Häretiker auf dem zweiten Konzil von Konstantinopel ausgeht.613 Und wenig überraschend findet sich unter den Kirchenvätern, die bereits vor Pelagius eine pelagianische Lehrmeinung vertreten haben, neben Clemens von Alexandrien erneut Origenes.614 Zuletzt verweist Lilienthal noch auf Pelagianismus nach Pelagius – womit nicht nur die Schüler des Pelagius wie Calaestius angesprochen sind, sondern bezeichnenderweise Philipp Melanchthon.615 Bereits bei diesem kurzen Überblick dürfte das große Interesse Johann Walchs sowohl an der Frage nach dem Auftreten pelagianischer Gedanken als auch an einer möglichen Genealogie dieser Lehren sichtbar geworden sein. So sehr konstruiert heute die Bemühungen seines Schülers Lilienthal, nachzuweisen, dass der Pelagianismus auch unter Juden und Christen allgemein verbreitet gewesen sei, auch erscheinen mögen, in ihnen spiegelt sich bereits neben einem frühen dogmenhistorischen Interesse auch die für die Erforschung der historia Pelagiana im 18. Jahrhundert brennende Frage nach deren Wurzeln. Freilich dürfte sich Johann Walch bewusst gewesen sein, dass seine knappe Anmerkung im Philosophischen Lexicon keine lückenlose Traditionslinie des Pelagianismus in Form einer Genealogie darstellt: Um eine solche hat sich dann aber sein Schüler Lilienthal bemüht: Unmittelbare Verbindungen finden sich
612 Die Gliederung gestaltet sich wie folgt: III. Pelagianismus vor Pelagius (§ 5–38, Lilienthal, Dissertatio, 11–69), darin: III.1: Unter den Heiden: Unter den Heiden allgemein (§ 5), unter den heidnischen Philosophen im speziellen: Stoiker, Epikureer, Peripatetiker, Platoniker (§ 6–21); III.2: Unter den Juden: unter den Juden, insbesondere Pharisäern und Sadduzäern vor der Zerstörung Jerusalems im Jahr 64 (§ 22–25), unter den Juden nach der Zerstörung Jerusalems (§ 26); III.3: Unter den Christen: In Apostolischer Zeit: Pseudapostel (§ 27), unter den Häretikern der frühen Kirche: Gnostiker, Montanisten, Manichäer, Jovinianer (§ 28–32), unter den Kirchenvätern, insbesondere Clem. und Or. u. a. (§ 33–38). Schließlich: IV. Pelagianismus zur Zeit von Pelagius (§ 39–43, Lilienthal, Dissertatio, 69–77), darin: IV. 1: Die Lehrer bzw. »Praecepti« des Pelagius: Rufin der Syrer und Theodor von Mopsuestia (§ 39–42). 613 Vgl. Lilienthal, Dissertatio, 6–8, sowie § 39–42. 614 Vgl. insb. Lilienthal, Dissertatio, 63–68, § 35–37. 615 V. Ausblick und Schluss: Pelagianismus nach Pelagius bis zu Melanchthon (§ 44, Lilienthal, Dissertatio, 77–80).
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für diesen von der antiken Philosophie hin zu Origenes, und von Theodor von Mopsuestia, hin zu Rufin dem Syrer, bis zu dessen »Schüler« Pelagius.616 Christian Walch schließt sich in den Gedanken noch dem Urteil des Hieronymus und seines Vaters an und beurteilt Origenes als frühen Vertreter, wenn nicht gar Vorvater, des Pelagianismus.617 Nur wenige Jahre später sollte er dies in seinem großen Entwurf zum pelagianischen Streit deutlich differenzierter sehen. 3.6. Christian Walchs Standpunkt und Beitrag zur Pelagianismus ante Pelagium-Debatte Wie sein Vater und auch Lilienthal zuvor zeigt Walch an der dogmenhistorischen Dimension pelagianischer Lehre großes Interesse, wofür allein schon die häufige Erwähnung und Verhandlung dieser Fragestellung im Entwurf zeugt.618 Allerdings muss dabei bemerkt werden, dass es sich dabei nicht um eine in die Tiefe gehende dogmenhistorische oder ‑kritisch Untersuchung handelt, wie sie vor allem Semler vorgenommen hatte. Walch verbleibt im Folgenden häufig an der Oberfläche der Frage: anstatt dogmatische Entwicklungslinien nachzuzeichnen, geht er personenzentriert der Frage nach, wer konkrete Persönlichkeiten waren, die Pelagius vorgeprägt hätten oder seine Lehrer gewesen sein könnten. In diesem Kontext wird die Frage behandelt, ob Pelagius schon vor seiner Zeit in Rom eine Reise in den Orient unternommen haben könnte. Wie schon oftmals in den Darstellungen zum pelagianischen Streit zu lesen war, insbesondere wenn es um das Verhalten Johannes von Jerusalems oder die Entscheidung der Anhörung von Diospolis gegenüber Pelagius geht, war man im Osten den Lehrmeinungen des Pelagius gegenüber zumindest nicht abgeneigt, wenn nicht gar sehr aufgeschlossen, da man dort schon seit längerer Zeit ähnliche Meinungen, besonders hinsichtlich des menschlichen Willens vertreten habe. Und es steht auch für Walch zumindest fest, dass die Grundlagen für die Lehre des Pelagius letztlich im Osten schon immer Zuspruch gefunden hätten: »Ehrlich kan doch in Ewigkeit nicht geleugnet werden, daß wenigstens im Orient die Grundsäze, aus denen Pelagii Lehren gefloßen, ja vielleicht diese selbst schon vor den Pelagianern Beifal gehabt.«619 Diese Beobachtung hat die Historiographen des pelagianischen Streites schon immer zu der Annahme 616 Zu Rufin dem Syrer und der Frage nach der Identität mit Rufin von Aquilea siehe S. 142, 298–300 sowie Henri-Irénée Marrou, »Les attaches orientales du pélagianisme«, CRAI 112 (1968): 459–472; Walter Dunphy, »Rufinus the Syrian: Myth and Reality«, Aug(L) 59 (2009): 79–157. 617 Im Bezug auf den pelagianischen Streit ist wohl vor allem an Origenes’ Äußerungen zum freien Willen, wie sie in Or., philoc. 21–27 (SC 226 Junod) zusammengestellt wurden, zu denken. Zur Passage vgl. Hendrik S. Benjamins, Eingeordnete Freiheit. Freiheit und Vorsehung bei Origenes. SVigChr 28 (Leiden: Brill, 1994), 55 f. 618 Vgl. Walch, Entwurf, 538–541.567.571.713.718.723.729.794–802. 619 Walch, Entwurf, 718.
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verleitet, Pelagius habe seine Lehren daher sogar erster Hand aus dem Orient bezogen, indem er dorthin vor seiner Zeit in Rom eine Reise unternahm. Walchs Urteil über solche Spekulationen lautet kurz und knapp: »Seine Reise nach den Morgenländern, die er vor dem Ausbruch seiner Kezerei gethan haben sol, ist erweislich falsch.«620 Nach Zeugnis mancher Autoren, denen sich Walch noch zuwendet, habe Pelagius eine Reise in den Orient vor dem Streit unternommen, und sei dort im Jahr 405 mit Johannes Chrysostomus in Kontakt getreten. Das Gerücht sei aber durch Henry Norris aufgrund seiner chronologischen Untersuchungen hinreichend widerlegt worden.621 Doch worauf fußt diese Behauptung überhaupt? – Auf zwei schriftlichen Zeugnissen, die von einem gewissen Pelagius im Orient berichten: An erster Stelle steht ein Brief des Chrysostomus, in welchem er sich enttäuscht über einen Mönch namens Pelagius äußert.622 Das zweite Zeugnis ist ein Schreiben des Isidorus von Pelusium an einen Mönch namens Pelagius.623 Da hiermit zwei Zeugnisse aus dem Osten des Reiches von einem Pelagius reden, tut sich die Frage auf, ob dieser von »unserm Pelagio« zu unterscheiden sei. Walch bespricht hier die unterschiedlichen Arten, wie diese Frage von den bisherigen Autoren der historia Pelagiana beantwortet wurde, und schließt sich der Meinung an, die sich für eine Unterscheidung der beiden Personen aussprechen, da eine bloße Namensidentität keine zwingende wirkliche Identität darstellen müsse.624 Damit schließt Walch sich Petavius, Basnage, Spanheim und Weißmann an und ergänzt noch dazu, dass Isidor nicht von dem britischen Pelagius reden könne, da der von diesem erwähnte Pelagius als Eremit bezeichnet werde, was vom Briten jedoch nicht gesagt werden könne, da er viel gereist sei und sich in Städten aufgehalten habe.625 Zu den Befürwortern der Identitätstheorie zählt Walch hingegen Baronius, de Laet, Jansenius und Ussher, die darin nicht nur einen Beweis für den schlechten Charakter des Pelagius gesehen hätten, sondern eben auch den Nachweis für einen frühzeitigen Aufenthalt des Pelagius im Osten des Reiches. Für Walch steht hinsichtlich der Vergangenheit des Pelagius und der Wurzeln seiner Lehre fest, dass er keine Reise in den Osten vor seinem Romaufenthalt unternommen hatte, dort also folgerichtig auch nicht »zuerst im Orient in seine Irtümer verfallen« sei.626 Auch die Behauptung, Pelagius habe bereits in Britannien seine Lehren verbreitet, verortet Walch ins Reich der Fabeln.627 Walch, Entwurf, 538. Vgl. Walch, Entwurf, 538, Anm. 2. 622 Vgl. Chrys., ep. ad olympiadem (zitiert nach Bernard de Montfaucon, Sancti patris nostri Ioannis Chrisostomi opera omnia. Band 3 [Paris, 1721], 243). 623 Walch, Entwurf, 544. Vgl. Isid. Pel., ep. 314 (PG 78, 363C/D). 624 Vgl. Walch, Entwurf, 545. 625 Vgl. Walch, Entwurf, 545. 626 Walch, Entwurf, 568. 627 »Alles, was von Pelagii Verbreitung seiner Irtümer in Brittannien vor seinem Aufenthalt zu Rom gesaget wird, ist schlechterdings Fabel.« (Walch, Entwurf, 568). 620 621
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Die Frage, ob er hingegen in Rom pelagianische Irrtümer vertreten habe, diskutiert Walch ausführlich: Er bezieht sich dabei auch wie viele vor ihm auf den Widerspruch, den Pelagius gegenüber Augustins vielfach angeführtem Confessiones-Zitat Da quod iubes et iube quod vis hervorbrachte.628 Sein Hauptargument dafür, dass Pelagius schon hier häretisch gelehrt habe, ist jedoch, dass die Abfassung des Pauluskommentars in die Zeit seines Romaufenthaltes fällt. Zwar habe Pelagius sich hier so verschleiernd ausgedrückt, dass man nicht immer klar wissen könne, ob er nur fremde Meinungen zitieren würde oder doch seine eigenen.629 Letztlich fällt Walch jedoch das Urteil, »daß Pelagius allerdings schon zu Rom diejenigen Säze wenigstens zum Theil vorgetragen, welche ihm nachhero als Kezerei zur Last geleget worden« seien.630 Ohnehin habe erst durch den Widerspruch, den Pelagius erregt hat, Augustinus von dem Gerücht erfahren, dass Pelagius eine falsche Gnadenlehre vertrete.631 Doch woher stammen die Ideen des Pelagius denn nun? Brachte er diese originär hervor, oder steht er in einer langen Traditionslinie »pelagianischer« Gedanken und ist nur deren Rezipient? Die Brücke zu dieser vermeintlichen Tradition, wie sie von den Befürwortern einer Pelagianismus ante Pelagium-Theorie vertreten wird, steht wieder in Rom: Pelagius habe dort nicht nur mit Rufin von Aquileia, dem lateinischen Übersetzer des Origenes, Umgang gehabt, sondern sei von diesem zu seinen Irrlehren verleitet worden, so eine sich bis heute hartnäckig haltende Meinung.632 Walch jedoch hält die Behauptung, Pelagius habe über Rufin als seinen Lehrmeister in Rom seine Lehrmeinung aus der Schule des Origenes bezogen, aber keineswegs für gesichert, sondern für sehr ungewiss.633 Walch argumentiert hiergegen jedoch zunächst ausdrücklich nicht ideengeschichtlich, indem er den dogmenhistorischen Entwicklungen des pelagianischen Lehrsystems nachspürt, sondern indem er anhand dreier Quellen überprüft, ob Rufin wirklich Pelagius’ Lehrmeister gewesen sein könnte.634 Hieronymus berichtete von einem Grunnius, der praecursorem Pelagii und niemand anderes als Rufin von Aquileia sei und für seine origenistische Ketzerei verdammt wurde, die wiederum in Ost und West durch Pelagius neu auflebte.635 Aug., Conf. 10,40 (CSEL 33, 256,24 Knöll). Vgl. Walch, Entwurf, 570. 630 Walch, Entwurf, 571. 631 Vgl. Walch, Entwurf, 571. 632 Vgl. Walch, Entwurf, 538. 633 Vgl. Walch, Entwurf, 538. 634 »Hier ist nun noch nicht die Frage vom Entstehen des Lehrbegrifs, sondern allein von dem historischen Umstand, daß Ruffinus zu Rom Pelagii Lehrmeister im eigentlichen Verstand gewesen.« (Walch, Entwurf, 538 f.). 635 Vgl. Hier., Ier., Prologus 5 (CChr.SL 74, 2,15 Reiter; von Walch angegeben nach der Ausgabe Domenico Vallarsi/Scipione Maffei, Hgg, Sancti Eusebii Hieronymi Stridonensis Presbyteri Operum. 4. Band [Verona: Bernus, 1735], 835) sowie Hier., Ier. V 2 (CChr.SL 74, 628 629
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Ferner habe Rufin bei seiner Ankunft in Rom mehrere Mönche zu seinen Irrlehren verführt, unter die Noris auch den Pelagius rechnet, was Walch jedoch zurecht als bloße Mutmaßung abtut.636 Caelestius habe 412 in Karthago selbst berichtet, seine Bestreitung der Erbsündenlehre durch den Presbyter Rufin in Rom kennengelernt zu haben, was Walch jedoch sogleich – wenn auch relativ schwach – damit entkräftet, dass Caelestius hier nur von sich selbst spräche, jedoch daraus nicht gefolgert werden könne, dass dies auch Pelagius beträfe.637 Eine etwas absurd erscheinende Argumentation Walchs angesichts der durch das Lehrer-Schüler-Verhältnis geprägten Verbundenheit beider Pelagianer; für Walch jedoch konsequent, insofern er ja auf einer strikten Trennung der einzelnen Pelagianer hinsichtlich deren Lehrmeinungen erpicht ist. Marius Mercator wiederum berichtete von einem Rufin in Rom, der allerdings gebürtiger Syrer sei.638 Aus all diesen Zeugnissen resultiert für Walch die Frage, ob Pelagius jemals überhaupt irgendeinen Rufin zum Lehrer gehabt habe.639 Lange Zeit sei diese Frage bejaht, erst durch Basnage in Zweifel gezogen worden.640 Schließlich habe der Dominikaner Bernardo Maria Rubeis (1687–1775) diese Annahme als höchst unwahrscheinlich aufgezeigt und klargemacht, dass Mercator sich durch das Zeugnis des Caelestius habe verführen lassen.641 Ferner habe Caelestius zwar eine erbsündenkritische Lehre aufgegriffen, jedoch sei damit nicht zwingend ein Lehrer-Schüler-Verhältnis gegeben.642
174,4 Reiter; von Walch angegeben nach Vallarsi/Maffei, Operum 4, 966); vgl. Walch, Ent‑ wurf, 539. 636 Vgl. Hier., ep. 127 (CSEL 56, 145–156 Hilberg; von Walch angegeben nach der Ausgabe Domenico Vallarsi/Scipione Maffei, Hgg, Sancti Eusebii Hieronymi Stridonensis Presbyte‑ ri Operum. 1. Band [Verona: Bernus, 1734], 951); vgl. Walch, Entwurf, 539. 637 Caelestius’ Aussage ist überliefert in Aug., gr. et pecc. or. 2,3 (CSEL 42, 168,12–14 Urba/ Zycha). Vgl. Walch, Entwurf, 539. 638 Mercat., Commonitorium adversum haeresim Pelagii et Caelestii vel etiam scripta Juliani. 3 (ACO 1,5,5): hanc […] questionem […] Rufinus quidam natione Syrus Romam primus invexit et […] Pelagium, gente Britannum monachum decepit eumque ad praedictam adprime imbuit atque instituit impiam vanitatem. Vgl. Walch, Entwurf, 539. 639 Vgl. Walch, Entwurf, 539. 640 Vgl. Walch, Entwurf, 539 f. 641 Vgl. Walch, Entwurf, 540 mit Verweis auf Bernardo Maria de Rubeis, Monumenta Ec‑ clesiae Aquileiensis commentatio historico-chronologico-critico illustrate (Venedig: Giambattista Pasquali, 1740), Cap. XL, § 6 und ders., De peccato originali (Venedig: Occhi, 1757), Cap. V, 13 ff. Walch widerspricht jedoch Rubeis insofern, als dass er der Meinung ist, Mercator habe sich vielmehr durch das Zeugnis des Hieronymus in die Irre leiten lassen. 642 »Wir wollten lieber sagen, daß weil Caelestius nichts von Pelagio saget, und von sich selbst nicht meldet, daß er ein Schüler des Ruffini sey; sondern nur, daß er den Lehrsaz von ihm, wie von andern, die er aber eigentlich nicht nennet, gehöret habe, alles auf den einzigen Mercator beruhe, der vielmehr von Hieronymo, als dem Cälestio sich hat können verführen laßen.« (Walch, Entwurf, 540).
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Um überhaupt aber klären zu können, ob Pelagius jemals einen Rufin zum Lehrer gehabt habe, müsse erst geklärt werden, wer eigentlich jener Rufin sei, den »der gröste Haufe nennet den Ruffinum von Aquileia«.643 Hieronymus und Caelestius hätten hierunter klar den bekannten Rufin von Aquileia verstanden. Dem steht aber die Aussage Mercators entgegen, der von Rufin dem Syrer sprach, sowie weitere Argumente, die Garnier zusammengetragen hat und ihn zur Annahme eines Rufin aus Palästina geführt haben, der von Hieronymus über Rom nach Mailand geschickt worden sei.644 Dass ein solcher Rufin von dem bekannten Rufin von Aquileia unterschieden werden müsse, sei gewiss, allerdings habe Garnier zwar brauchbar gegen die erste Meinung gesprochen, aber nicht hinreichend beweisen können, dass es einen Rufin aus Palästina gegeben habe, der hier gemeint sei.645 Letztlich kommt Walch somit zunächst zu einem bescheidenen Ergebnis hinsichtlich der Frage, ob Pelagius Schüler Rufins gewesen sei: Caelestius sei nicht ein direkter Schüler Rufins, sondern habe dessen Lehre gegen die Erbsündenlehre nur aufgegriffen; und es gibt nur zwei Rufins, Rufin von Aquileia und Rufin den Syrer, die für die Fragestellung in Betracht kommen und voneinander zu trennen, keineswegs jedoch derselben Identität seien. Letztlich kann damit für Walch aufgrund der ungesicherten Quellenlage jedoch auch kein LehrerSchüler-Verhältnis für Pelagius und welchen Rufin auch immer nachgewiesen werden. Inwiefern ist es dann noch berechtigt, von einem Pelagianismus vor Pelagius zu sprechen? Für Hieronymus, so Walch, sei völlig unzweifelhaft, dass »Origenes der Stammvater des pelagianischen Systems«, und dieses über Rufin an Pelagius vermittelt worden sei.646 Walch ist hinsichtlich einer solchen Genealogie der pelagianischen Lehre mehr als skeptisch, bezeichnet diesen Gedanken des Hieronymus klar als Irrtum,647 und widerlegt diesen durch einige nähere Definitionen und Klärungen. So stellt Walch hinsichtlich der Erörterung der dogmenhistorischen Wurzeln der pelagianischen Lehre folgenden Grundsatz auf: »Erstlich mus kein Saz hier vor pelagianisch angegeben werden, der nicht erweislich pelagianisch ist. Wenn daher ältere Schriftsteller, wie Origenes, Rufinus, auch Theodor von Mopsueste eben die Säze sollten vorgetragen haben, so können sie doch nicht als pelagianisch angesehen werden. Vielmehr dürfen aus Schriften dieser und dergleichen Männer nie gleichsam Säze entlehnt werden, die nie erweislich von einem Pelagianer vertheidiget worden, um gleichsam keine Lüke in dem System zu laßen.«648 643 Walch,
Entwurf, 540. Walch, Entwurf, 540. 645 Walch, Entwurf, 540. 646 Walch, Entwurf, 567, ferner 729. 647 Vgl. Walch, Entwurf, 711 f. 648 Walch, Entwurf, 729. Walch äußert sich auch gegenüber dem gängigen Vorwurf, Theodor von Mopsuestia sei ein Verteidiger des Pelagius gewesen, vgl. 712 f. Walch kommt jedoch 644
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Doch wie blickten die Zeitgenossen des Streites und die Gegner des Pelagius selbst auf diesen Sachverhalt, und wie äußert sich die vorangegangene Sekundärliteratur dazu? Augustinus selbst, dem man eine gute dogmengeschichtliche Kenntnis (»Käntnis der Geschichte der Glaubenslehren«) nicht absprechen könne, so Walch, habe keine Genealogie pelagianischer Lehre in seinen Werken nachgezeichnet, sondern darauf bestanden, dass die pelagianische Lehre gänzlich neu sei: »Man wird nicht finden, daß er ie von einem Vorläufer des Pelagii rede: daß er die Pelagianer mit alten Kezern vergleiche: daß er Origenem, Ruffinum nenne: lauter Merkmale, daß er Pelagium vor einem Erfinder einer neuen Lehre gehalten.«649
Die vermeintlichen ketzerischen Stammväter finden bei Augustinus also keine Erwähnung; Augustinus verfolgt viel mehr das Ziel, die Neuheit und damit Heterodoxie der Lehre des Pelagius aufzuzeigen, anstatt eine Ketzergenealogie zu konstruieren. Auch Prosper von Aquitanien und Vinzenz von Lérins haben sich hierin Augustinus angeschlossen und die Neuheit der pelagianischen Lehre betont.650 Die andere Linie, die eine »sehr weitläufige Genealogie« der pelagianischen Lehre vertritt und sich damit deutlich für den Pelagianismus vor Pelagius ausspricht, wird vor allem von Hieronymus stark gemacht. Wirkliche Urheber der Lehre von der Unverdorbenheit der menschlichen Natur und ihrer Möglichkeit zur Affektlosigkeit seien die Philosophen Pythagoras und Zeno, der Begründer der Stoa, gewesen. Origenes, Rufin, Evagrius Ponticus und Jovinian hätten diese Lehre »erneuert, aber auch wiederleget«.651 Marius Mercator hingegen sah Theodor von Mopsuestia als Urheber der pelagianischen Lehre, die über Rufin dann an Pelagius weitergegeben worden sei.652 Die Pelagianer selbst hätten ihre Lehre selbst als althergebracht angesehen und hingegen ihre Gegner einer neuen Lehre beschuldigt.653 Nach diesen Quellenzeugnissen widmet sich Walch auch überblicksartig der Sekundärliteratur zu dieser Frage nach einer dogmenhistorischen, personenbezogenen Genealogie pelagianischer Lehre.654 Zunächst nennt er hier Jansenius, der sich der Genealogie Hieronymus’ angeschlossen habe und daher Origenes als den Stammvater ansieht, dessen Lehre über die Mönche Evagrius
zu dem Urteil, dass Theodor als ein Anhänger des Origenes Hieronymus, einem bekennenden Feind des Origenismus, widersprechen könne, ohne dadurch zwingend Pelagius zu verteidigen. 649 Walch, Entwurf, 794, Anm. 650 Vgl. Walch, Entwurf, 794 f. 651 Walch, Entwurf, 795. Auch Orosius habe sich der Meinung des Hieronymus angeschlossen, vgl. Walch, Entwurf, 796. 652 Vgl. Walch, Entwurf, 796. 653 Vgl. Walch, Entwurf, 796. 654 Im Folgenden vgl. Walch, Entwurf, 796–798.
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und Palladius an Pelagius vermittelt worden sei.655 Noris führt Pelagius’ Lehre von der Bestreitung der Erbsünde, der erwerbbaren Gnade und der Möglichkeit, sündfrei zu leben, ebenfalls auf Origenes zurück, vermittelt über Rufin von Aquileia. Nicht nur begegnet diese Theorie häufig, sie ist auch die wohl prominenteste jener Zeit gewesen und habe, wie Walch betont, von Noël Alexandre, Hottinger, Baumgarten und Semler Befürwortung erfahren – allerdings vor allem aufgrund des Ansehens, das Noris bei diesen genossen habe.656 Der erste Kritiker dieser weit verbreiteten Meinung sei Garnier gewesen, der aufgrund seiner Sympathie für Mercator in Theodor von Mopsuestia den Stammvater des Pelagianismus gesehen habe, vermittelt an Pelagius über Rufin den Syrer.657 Maffei zieht nun zwar auch nicht Origenes in seine Genealogie der pelagianischen Lehre, macht dafür aber den Gedanken stark, dass diese Lehren zuerst bei den Pythagoreern und Stoikern entstanden seien; wie sie jedoch zu Pelagius und Caelestius gelangt seien, habe sich Maffei gar nicht erst nachzuweisen bemüht.658 Walch möchte die Frage nach einer Genealogie pelagianischer Lehren nun differenzierter als seine Vorgänger beantworten:659 Wenn es nur darum ginge, nachzuweisen, dass das, was Pelagius von der »moralischen Beschaffenheit der Menschennatur gegen die Tugend« und »ihre Belohnung nach dem Tode« gelehrt hatte, schon vor ihm öffentlich vertreten wurde, dann müsse diese Frage bejaht werden.660 Denn schon ältere Philosophen aber auch christliche Gelehrte und andere Lehrer »aus allerlei Völkern, Zeiten und Religionen« hätten keine Erbsünde oder übernatürliche Wirkung der Gnade gekannt, den Menschen einen zum Guten wie Bösen völlig freien Willensentscheid, und mögliche Tugendhaftigkeit zugesprochen.661 Solle man daraus nun aber folgern können, Pelagius sei in irgendeiner Weise Schüler oder Nachfolger dieser Personen? Walchs Antwort fällt deutlich aus: »Allein dieses würde sehr ungerecht seyn, Pelagium zum Nachfolger einer Menge von Leuten zu erklären, die er zum Theil nicht gekant. Wenn man daher die Frage gnauer bestimt, ob Pelagius in dem Verstand Vorläufer gehabt, daß er von ihnen seinen Lehrbegrif, wenigstens deßen vornehmste Grundsäze, gelernet, oder entlehnet, welches billig geschehen sol, so glauben wir, daß sie schlechthin zu verneinen.«662
Vgl. Walch, Entwurf, 796. Vgl. Walch, Entwurf, 797, mit Anm. 657 Vgl. Walch, Entwurf, 797 f. 658 Vgl. Walch, Entwurf, 798. 659 Im Folgenden vgl. Walch, Entwurf, 798–802. 660 Vgl. Walch, Entwurf, 798. 661 Vgl. Walch, Entwurf, 799. 662 Walch, Entwurf, 799. 655 656
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Walch eliminiert nun im Folgenden einen »pelagianischen« Vorvater bzw. Vordenker nach dem anderen, beginnend bei den genannten Pythagoreern, Stoikern und Origenes: Selbst wenn der Beweis gelingen sollte – was Walch ausdrücklich für ausgeschlossen hält – , dass diese Lehrmeinungen vertreten hätten, die auch von Pelagius oder Caelestius vertreten wurden, wäre es kein Beweis dafür, das Pelagius oder Caelestius diese von den antiken Philosophen oder eben Origenes übernommen hätten.663 Walch verbleibt jedoch nicht bei dieser relativ banalen Argumentation gegen eine Genealogie der pelagianischen Lehre, sondern benennt auch ein inhaltliches Argument gegen eine Herleitung des pelagianischen Lehrbegriffs aus der stoischen oder pythagoreischen Philosophie: anders als der erkenntnisphilosophische, von der Vernunft des Menschen her argumentierende Ansatz der antiken Philosophen, basiere die Lehrmeinung der namhaften Pelagianer alleinig auf der Heiligen Schrift, und darauf, was diese über die Ursache des Todes, die Sünde, Taufe, Christus und das Himmelsreich lehre:664 »Die heidnischen Philosophen können und dürfen hier in keine Betrachtung kommen, weil weder Pelagius, noch Cäelestius, noch Julianus ihre Lehrsäze anders angesehen und vorgetragen haben; als Theile des geoffenbarten Lehrbegrifs.«665
Die stoische und pythagoreische Philosophie habe die angesprochenen christlichtheologischen Topoi nicht zum Gegenstand und sind daher als mögliche Stammväter der pelagianische Lehren auszuschließen. Dieses Argument trifft freilich nicht auf den christlichen Denker und philosophisch bewanderten Origenes zu. Anstatt auf dessen Lehrbegriff genauer einzugehen, gar eine dogmengeschichtliche Herleitung zu bieten, umschifft Walch jedoch an diesem spannenden Punkt die Tiefen der dogmatischen Ansichten des Origenes mit dem Vermerk, dass eine solche Untersuchung hier »zu weitläufig« ausfallen würde.666 Statt dessen bemerkt Walch, dass die Ähnlichkeiten der Lehrmeinungen des Origenes und der Pelagianer ihre Grenzen hätten und »der grose Mann« Origenes sich zudem unterschiedlich ausgedrückt habe. Als stärkstes Argument gegen ein Lehrer-Schüler-Verhältnis sieht Walch jedoch an, dass Pelagius dem Origenes zu oft widersprochen habe und diesen zudem als einen Irrlehrer angesehen habe, als dass er für einen »dankbaren Schüler und Anhänger« dessen gehalten werden könnte.667 Mit Verweis auf seine vorangehenden Untersuchungen zu Rufin, genau genommen Rufin von Aquileia, schließt Walch auch diesen knapp als persönlichen Lehrer des Pelagius oder Caelestius aus, um noch auf den Sonderfall des Theo Vgl. Walch, Entwurf, 799 f. Walch, Entwurf, 800. 665 Walch, Entwurf, 800. 666 Vgl. Walch, Entwurf, 800. 667 Walch, Entwurf, 800, vgl. auch 802, Anm. 2 zu Pelagius’ Beurteilung bei der Anhörung von Diospolis, Origenes habe häretische Positionen vertreten. 663
664 Vgl.
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dor von Mopsuestia einzugehen:668 Selbiger war bekanntlich ein Zeitgenosse des Pelagius und später in die Streitigkeiten involviert worden, aber ein Lehrer des Pelagius und damit Vorvater pelagianischer Gedanken sei dieser keineswegs gewesen, genau genommen »mehr ein Feind des Hieronymi, als ein Gönner der Pelagianer«.669 Wenn nun aber alle personellen Wurzeln pelagianischer Lehre ausgeschlossen und damit die traditionellen Pelagianismus ante Pelagium-Argumentationen verworfen sind, so stellt sich Walch die Frage, ob nicht doch eine »andere äuserliche Quelle, Ursach, oder Veranlaßung des Verfals des Pelagii in seine Irtümer entdekt werden könne«670 – womit man erneut bei der Beantwortung der Frage angekommen wäre, wie Walch die Lehre des Pelagius denn nun persönlich bewertet. 3.7. »Allezeit Irtümer von groser Wichtigkeit«: Walchs Beurteilung der pelagianischen Lehre Walch lässt, wie schon das just angeführte Zitat deutlich zeigt, keinen Zweifel daran, dass es sich bei der pelagianischen Lehre für ihn um eine Irrlehre handelt. Aus der verworfenen traditionellen Pelagianismus ante Pelagium-Genealogie erwächst Walch nun aber nicht nur eine andere Quelle der pelagianischen Irrlehre, sondern zugleich ein wichtiges Argument, warum diese überhaupt eine grundlegende Irrlehre ist: »Das natürliche Verderben des Menschen, das Pelagius so eifrig bestritten, enthält unleugbar einen Grund von dem Hang des Herzens zu den schmeichelhaften Einbildungen von der Gröse der natürlichen Kräfte unserer Seele und deren Zulänglichkeit, die Tugend auszuüben, und von dem Recht, welches uns unsere gute Werke verschaffen, von Gott Belohnung zu fordern. Wenn man nur bedenket, daß der Lehrbegrif des Pelagii in der That ein christlicher Naturalismus ist, so wird sich leicht begreifen laßen, daß Pelagius darauf verfallen, und vor ihm, neben ihm, und nach ihm eine Menge unter den Christen eben so denken können.«671
Mit der Rede vom »christlichen Naturalismus« ist hier freilich keine neutrale Kategorisierung, sondern eine klare Abwertung durch den auch philosophisch gebildeten Walch vorgenommen. Dessen Vater Johann Georg definierte den Begriff in seinem philosophischen Lexikon wie folgt: »Dieses Wort wird auf verschiedene Art genommen. Denn zuweilen ist es eben so viel, als der Pelagianismus, wenn man den natürlichen Kräften des Menschen in geistlichen zu viel beyleget, und die Nothwendigkeit der Gnaden-Wirckungen leugnet, um welchen Naturalismus wir uns hier nicht zu bekümmern haben, der nicht vor die Philosophie, sondern Theologie gehöret.«672 668 Vgl.
Walch, Entwurf, 801. Entwurf, 801. 670 Walch, Entwurf, 801 f. 671 Walch, Entwurf, 801. 672 Johann Walch, Philosophisches Lexicon, 1870. Johann Georg Walch stellt diesem theo669 Walch,
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Christian Walch greift freilich jenen theologisch aufgefassten Naturalismusbegriff auf und kritisiert damit den optimistischen Hochmut der pelagianischen Lehre hinsichtlich des Vermögens der menschlichen Natur: Pelagius und seine Anhänger sind in ihrem »christlichen Naturalismus« dem auf dem Leim gegangen, was sie am vehementesten bestritten haben, nämlich der Verdorbenheit der menschlichen Natur, die sich erstens in einer Hybris hinsichtlich der natürlichen Fähigkeiten des Menschen, tugendhaft handeln zu können, und zweitens der Einforderung einer Belohnung seitens Gottes für gute Taten, ausdrückt. Walch schlägt mit dieser Argumentation gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Zunächst wird die pelagianische Lehre selbst geschickt als Beweis für die eitle Verdorbenheit der menschlichen Natur angeführt, diese damit wiederum als Irrlehre entlarvt und schlussendlich gegen eine personenzentrierte Genealogie argumentiert, bis hin zur Auflösung einer solchen in die grundsätzliche Verdorbenheit der menschlichen Natur als Quelle der pelagianischen Lehrmeinungen, und welche Verdorbenheit wiederum selbst Ausdruck in der pelagianischen Irrlehre fand und bis auf die Gegenwart fortbesteht in der Christenheit. Sehr geschickt stellt Walch somit den »christlichen Naturalismus« des Pelagius als Ausdruck dessen, was Pelagius gerade verwerfen will, dar: Nämlich als eine aus der Sündenverfallenheit und der verdorbenen Natur des Menschen heraus resultierenden Überheblichkeit des Menschen, der sich ganz auf seine eigenen Fähigkeiten beruft, um gerecht vor Gott zu werden, kraft seines freien Willens, und daher einen Anspruch auf Belohnung von seiten Gottes für seine Werke verlangt. Insbesondere der Mönchsstand sei besonders anfällig für einen solchen Stolz auf die natürlichen Fähigkeiten des Menschen.673 Walch fasst seine Beurteilung der pelagianischen Lehre daher schon eingangs seines Entwurfes für ihn treffend mit den Worten zusammen: »Die Lehrsäze des Pelagius sind allezeit Irtümer von groser Wichtigkeit: sie empfehlen sich dem Stolz des Menschen, und streiten wieder den Glauben und die Erfahrung des Christen.«674 logischen Naturalismusbegriff den philosophischen anschließend entgegen: »Es bedeutet aber auch die Meinung derjenigen, welche dafür halten, daß die Vernunft einen Menschen alles lehre, was ihm zu seiner Seligkeit nöthig, daß er also der Offenbarung der heiligen Schrift nicht nöthig habe.« (Walch, Philosophisches Lexicon, 1870). Zum Naturalismusbegriff und dessen überwiegend negativem Gebrauch im 18. Jahrhundert vgl. auch den Artikel »Naturalisterey, Naturalismus«, in Zedler, Universal-Lexicon 23, 1237 f., der Johann Georg Walchs Definition und Text nahezu wortwörtlich plagiiert; siehe ferner auch die arg verkürzte und zugleich auf die Artikel der Bekenntnisschriften zugespitzte Definition Herings: »Naturalistae, sind in besondern Verstande diejenigen, welche den Articul von der Dreyeinigkeit, vom freyen Willen und von der Gnade GOttes leugnen, und gläuben, daß sie das ewige Leben ohne die Gnade JEsu CHristi erlangen können, wenn sie nur iherer natürlichen Vernunft folgen.« (Hering, Lexicon, 379), ferner den Artikel »Naturalist« in Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm 13, 442. 673 Vgl. Walch, Entwurf, 802. 674 Walch, Entwurf, 3 [Vorrede].
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Die auf die ethischen Konsequenzen einer solchen Irrlehre zielende Frage, ob die Lehre des Pelagius aber nun zu einer moralischen Vervollkommnung oder gar zu größerem Laster führt, sei laut Walch »keine frage, deren umständlichen Beantwortung von uns verlanget, oder gegeben werden kan«.675 Was hier zunächst wie ein Abschluss und eine deutliche, um Neutralität oder Objektivität bemühte Kirchengeschichtsschreibung klingt, die sich nicht einer dogmatischen Stellungnahme verpflichtet sieht, führt aber dennoch zu einer, freilich etwas verschnörkelten aber doch klaren Stellungnahme Walchs zur Ethik des Pelagius: »Ein wahrer Jünger unseres Erlösers der beides Wißenschaft und Erfahrung hat, wird sich stets freuen, daß die Sittenlehre seines Meisters nicht pelagianisch sey und die Sprache des Pharisäers, die er von den Pelagianern höret, wird ihn warnen, weder dem natürlichen Stolz des Herzens, das von Gott kein Geschenk annehmen wil, Gehör zu geben; noch alles vor Tugend zu halten, was den äußerlichen Glanz der Tugend von sich giebt.«676
Walch stellt sich hiermit überdeutlich gegen die pelagianische Lehrmeinung: Der wahre Christ hält sich fern von pelagianischen Lehren, ist dieser bereits durch ihren pharisäischen Stil gewahr und dementsprechend gewarnt, auf die verdorbene Natur des Menschen, wie sie sich im »natürlichen Stolz des Herzens« zeigt und Gottes Gnadengabe verweigert, zu hören oder sich von vermeintlichen Tugenden blenden zu lassen. Oder anders gesagt: der wahre Christ weiß um seine verdorbene Natur, und dass die pelagianische Lehre, die behauptet, dass die Natur des Menschen nicht verdorben sei, er über einen freien Willen verfüge und auf keine zusätzliche oder über diese Natur hinausgehende Gnadengabe angewiesen sei, eben genau Ausdruck der Sündhaftigkeit des Menschen ist, was wiederum für Walch dessen absolute Angewiesenheit auf Gottes Gnade zur Gerechtwerdung verdeutlicht. Diesen seinen persönlichen dogmatischen Grundansatz expliziert Walch wenige Seiten später, wenn er über die Frage spricht, ob die Streitigkeiten wichtig oder unerheblich waren: »Uns wird hier das Recht nicht versaget werden, nach unsern Einsichten davon zu urtheilen, und da wir von der Wahrheit des symbolischen Lehrbegrifs unserer Kirche von der Erbsünde und der Gnadenwirkung überzeugt sind, so werden wir hier nichts sagen, als was zugleich in demselben völlig gegründet seyn solte.«677
Diese auf die kirchlichen Symbole und Bekenntnisse sich beziehende Meinung mit Bekenntnischarakter überträgt Walch folgend auf den pelagianischen Lehrbegriff und kann daher urteilen:
Walch, Entwurf, 818. Walch, Entwurf, 818 f. 677 Walch, Entwurf, 823. 675 676
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»Betrachten wir den pelagianischen Lehrbegriff in seinem völligen uns zuverläßig und hinreichend bekanten Zusammenhang und im ganzen, so müßen wir ihn nicht allein vor ein künstlich Gewebe von Irtümern; sondern auch vor wahre Grundirtümer halten.«678
Und selbst wenn man von den Bekenntnissschriften absähe, so würden die Lehrmeinungen des Pelagius immer noch der Heiligen Schrift entgegengestellt sein: »Beides der Heilsgrund und die Heilsordnung hat in dem pelagianischen System eine andere Gestalt; als wir in der Bibel zu finden überzeuget sind.«679 In der Darstellung der Lehrmeinungen der Gegner der Pelagianer beschränkt Walch sich eingangs sinnigerweise auf diejenigen Lehren, welche denen der Pelagianer entgegengesetzt sind, sodass diese hier im Einzelnen nicht mehr ausführt werden müssen.680 Die Abhandlung der Lehrmeinungen der Gegnerschaft fällt zudem deutlich kompakter aus als die der pelagianischen Lehre, gleiches gilt für die Entfaltung ihrer Heilsordnung.681 Herausgreifen möchte ich einige Äußerungen Walchs zur Kindertaufe, der Seelenlehre, der äußerlichen oder innerlichen Gnadenwirkung und zur fortwährenden Sündhaftigkeit des Menschen. Wie bereits festzustellen war, kann Walch sich unter Ausklammerung des sonstigen pelagianischen Lehrsystems durchaus der Meinung des Pelagius anschließen, dass ungetaufte Kinder, die versterben, trotzdem selig werden.682 Augustinus’ Lehre, dass solche Kinder hingegen der Verdammnis anheimfallen, betrachtet Walch als ganz »offenbar übertriebne Lehre«, die jener bereits vor Ausbruch des Streites vertreten habe.683 Neben klarer Kritik an dieser Lehre Augustins weißt Walch hinsichtlich der Frage nach der Herkunft der Seelen auch auf dogmatische Entwicklungslinien beziehungsweise Meinungsänderungen des nordafrikanischen Theologen hin: So habe dieser zunächst eine kreatianische Seelenlehre vertreten, bis er durch den pelagianischen Streit und die Einwände der Pelagianer die traduzianische Seelenlehre für wahrscheinlicher hielt, ohne sich hier jedoch klar festzulegen – anders als Hieronymus, der an der kreatianischen Meinung festhielt, allerdings auch ohne nähere Begründung.684 Nachdem zuvor bei Walch dem Verständnis der Gnadenwirkung im pelagianischen Lehrsystem so viel Beachtung geschenkt wurde, lohnt sich hier auch ein vertiefter Blick auf die entgegengesetzten Lehrmeinungen des Hieronymus und Augustinus. Diese hätten die Meinung vertreten, dass zur Vollbringung guter Walch, Entwurf, 824. Entwurf, 824. 680 Vgl. Walch, Entwurf, 760 f. 681 Zur Lehre vgl. im Folgenden Walch, Entwurf, 761–770, zur Heilsordnung 770–772. 682 Vgl. Walch, Entwurf, 762. 683 Vgl. Walch, Entwurf, 762; Walch bezieht sich hier auf die tauftheologische Untersuchung William Walls, vgl. Wall, History of Infant Baptism, 237 f. 684 Vgl. Walch, Entwurf, 763. 678
679 Walch,
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Werke nicht allein eine äußerliche Gnade, »wohin auch der Unterricht und das Beispiel Christi« – also die Belehrung gehörten, ausreiche, sondern eine innerliche Gnadenwirkung unabdingbar sei.685 Diese innerliche Gnade wirkt nun nicht allein im Verstand des Menschen, sondern auch in dessen Willen. Ohnehin sei für jede gute Handlung des Menschen Gottes Beistand erforderlich.686 Damit sei aber für Augustinus und Hieronymus laut Walch nicht etwa der freie Wille aufgehoben, sondern der Mensch überhaupt erst in den Stand gesetzt, sich seines freien Willens richtig zu bedienen.687 Auch wenn die Gnade Gottes somit den Willen des Menschen bessert, sodass dieser gute Werke wollen und vollbringen kann, ändert dies laut Walch für Augustinus nichts an dessen grundsätzlicher Sündhaftigkeit, und damit der »böse[n] Lust«, die in ihm verbleibt und mit der er zeitlebens zu kämpfen hat.688 Konsequenterweise ist damit kein Mensch ohne Sünde, womit Walch in seiner Augustinusinterpretation durchaus die lutherische simul iustus et peccator-Lehre anklingen lässt, ohne sie für den gelehrten Leser jedoch notwendig explizieren zu müssen. Die Heilsordnung der Gegner, womit vor allem Augustinus gemeint ist, gestaltet sich für Walch knapp wie folgt: Aufgrund der Erbsünde stehen alle Menschen unter dem Zorn Gottes; wer jedoch getauft wird, dem sind die Sünden vergeben, wodurch Kinder, die ungetauft versterben, der Verdammnis anheimfallen, getaufte hingegen selig werden. Die Taufe wiederum ist an die Gnade Gottes gebunden, »weil sie nur bei denen statt hat, die da glauben« und durch die Taufe überhaupt vermittelt wird. Ein erwachsener Mensch hat zwar einen freien Willen mit dem grundsätzlichen Vermögen, sich für das Gute oder Böse zu entscheiden, neigt aber aufgrund des »Verderbens« zum Bösen, wodurch sichtbar wird, dass die in seiner Natur angelegten Kräfte allein nicht ausreichen, um gute Werke zu vollbringen und dadurch Seligkeit als Belohnung zu erhalten. Erst durch die vorausgehende Gnadenwirkung des heiligen Geistes vermag der Mensch sich zu bekehren, zu glauben und anschließend das Gute zu wollen und zu vollbringen, wobei beim Vollbringen der guten Werke immer die Gnade Gottes mit wirksam sei. Die Erbsünde sei dabei nicht vom Menschen genommen und er begehe auch actualiter weiter tatsächliche Sünden, die ihm aber vergeben werden.689 Über all dem, oder im Hintergrund all dessen, steht wiederum die Erwählungs‑ oder Prädestinationslehre des Augustinus, zu der Walch die kritischen Anfragen
Vgl. Walch, Entwurf, 766, Anm. Vgl. Walch, Entwurf, 766, Anm. 687 Vgl. Walch, Entwurf, 767. 688 »Ob nun gleich die Gnade den Willen des Menschen so beßert, daß er das Gute wollen, und wirklich gute Werke thun kann, so bleibet doch noch in ihm die böse Lust, und zwar aus der Ursach, damit er gegen dieselbe kämpfe.« (Walch, Entwurf, 769). 689 Vgl. Walch, Entwurf, 770 f. 685 686
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anklingen lässt, »warum Gott nicht allen Menschen diese Gnade der Taufe, der Bekehrung, des Beistandes zu den guten Werken ertheile«.690 Freilich lässt es Walch nun aber bei solchen kritischen Anfragen nicht bewenden, sondern widmet sich an späterer Stelle ausführlicher einer Betrachtung einzelner dogmatischer Ansichten der Gegner des Pelagius, im speziellen aber vor allem des Augustinus, da von keinem Gegner des Pelagius so viele Äußerungen vorlägen wie von diesem.691 Zwar betont Walch eingangs, dass er sich ausdrücklich »gegen Pelagium erkläret« habe, was jedoch nicht zu dem Fehlschluss führen dürfe, dass seiner Ansicht nach dessen Gegner wiederum nur Wahrheiten vertreten hätten.692 Diesen Fehlschluss vermeidend, widmet sich Walch nun einen Blick auf einzelne Lehraspekte bei Augustinus. Walch erkennt unter den Lehren des Augustinus, die dieser im Kontext des pelagianischen Streites vertrat, zweierlei Arten von Fehlern: diejenigen, in welchen er den Pelagianern beipflichtete, und solche, die ihm und seinen Anhängern unmittelbar zu eigen waren.693 Zur ersteren Gruppe von Irrtümern zählt Walch die Ansicht des Augustinus, dass er die Seligkeit als eine »Belohnung« für die eigenen guten Werke angesehen habe, ganz so wie die Pelagianer auch.694 Einen damit verbundenen, weiteren Fehler dieser Art sieht Walch in der auf den passiven, erleidenden Gehorsam Christi verkürzten Versöhnungslehre bei den Pelagianern, aber eben auch bei Augustinus. Aus diesem der aktiven, tätigen Komponente ermangelnden Gehorsam Christi resultieren weitere Fehlannahmen: Derjenige bekomme Seligkeit versichert, der gerecht sei; und nur derjenige könne gerecht sein, der das Gesetz Gottes erfülle. Allerdings bestünden hier bei den Pelagianern und Augustinus doch Unterschiede: Augustinus ging von einem menschlichen Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes aus, der Raum für die Erbsünde und für tatsächliche, actualiter begangene Sünden ließe, was Pelagius für seinen absoluten Gehorsam, der frei aller Sünde sein müsse, ausschließe.695 Ferner habe Pelagius den guten Werken selbst die Wirkkraft beigelegt, den Menschen gerecht zu machen, wohingegen Augustinus zwar auch betont habe, dass durch sie der Mensch gerecht werde, aber dass dies nur mittel‑ bar durch die Werke der Fall sei, da letztlich Gott selbst diese in dem Menschen 690 Walch, Entwurf, 772. Die aufgeworfenen Fragen haben Walch zufolge die anschließenden Streitigkeiten mit den »Semipelagianern« und »Prädestinatianern« hervorgerufen, denen sich diese Untersuchung aber nicht vertieft widmet, und die auch Walch aus diesem Kontext zunächst ausklammert. 691 Vgl. Walch, Entwurf, 828, sowie im Folgenden 828–833. 692 Vgl. Walch, Entwurf, 828. 693 Vgl. Walch, Entwurf, 829.831. 694 »Dahin rechnen wir vornemlich, daß er und die Pelagianer die Erlangung der ewigen Seligkeit vor eine Belohnung eigner guten Werke hielte.« (Walch, Entwurf, 829). 695 Vgl. Walch, Entwurf, 830.
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wirke.696 Walch zufolge hätten beide diese Fehler umgehen können, wenn sie nur davon ausgegangen wären, dass Christus in seinem vollkommenen, leidenden wie tätigen Gehorsam dem Menschen nicht nur Vergebung der Sünden geschenkt habe, sondern auch die vollkommene Gerechtigkeit erworben hätte.697 Augustinus hätte letztlich diese seine »unrichtige[n] Begriffe von der Heilsordnung« vermeiden können, wenn er zwar weiterhin von dem unvollkommenen Gehorsam des Menschen in all seiner Sündhaftigkeit ausgegangen wäre, aber doch zugleich Raum für die vollkommene Heiligung, »nemlich die zugerechnete« gelassen hätte.698 Walch erkennt hier wie auch Semler, dass Augustinus keine Lehre der Imputation der fremden Gerechtigkeit Christi vertreten habe, die so wesentlich für den traditionellen, an den Bekenntnisschriften orientierten, lutherischen Lehrbegriff ist. Zwar habe Augustinus letztlich viel Zutreffendes über die guten Werke gesagt und auf »die innere Heiligkeit« gedrungen, war jedoch selbst nicht ganz frei »von den Vorzügen selbsterwehlter guter Werke«.699 Unter die Fehler der Gegner der Pelagianer rechnet Walch an erster Stelle Augustins unklare Äußerungen darüber, was dieser eigentlich genau als sündhaft an der Sexualität des Menschen bzw. den »sinnlichen Lüsten« empfunden habe; leider geht Walch auf diesen Punkt jedoch nicht vertieft ein.700 Walch kommt aber zu dem interessanten Urteil, dass Augustinus die Natur des Menschen zu wenig gekannt habe; eine Aussage, die man im ähnlichen Wortlaut bereits bei Arnold vernommen hat – dort aber im Bezug auf Pelagius.701 Spannend sind ferner Aussagen, die im Kontext der augustinischen Prädestinationslehre zu verorten sind: Zwar habe Augustinus darin recht gehabt, den Menschen die Freiheit und Befähigung abzusprechen, das »wahrhaft moralisch« Gute selbst zu bestimmen, und ihm allein die Freiheit zum Bösen übrig zu lassen. Allerdings hätte Augustinus unter das Böse, das der Mensch zu tun vermag, auch den Widerstand des natürlichen, also verdorbenen Menschen gegen die wirkende Gnade Gottes setzen müssen, wodurch die Streitigkeiten mit den Semipelagianern und Prädestinatianern hätten vermieden werden können.702 Ferner hätte er zwischen vorsätzlichen und nicht vorsätzlichen Sünden unterscheiden sollen, als er davon sprach, dass gemäß 1 Joh 1,8 und der fünften Bitte im Vater Unser auch die Gerechten nicht gänzlich Sünden unterlassen könnten. Das damit nämlich unvorsätzliche Sünden gemeint gewesen seien, hätte vermieden, dass er von seinen Gegnern als »Feind der Tugend« bezeichnet wurde.703 696 Vgl.
Walch, Entwurf, 830. Walch, Entwurf, 830. 698 Vgl. Walch, Entwurf, 831. 699 Walch, Entwurf, 831. 700 Vgl. Walch, Entwurf, 831. 701 »Er kante zu wenig die Natur des Menschen.« (Walch, Entwurf, 831). Vgl. weiter oben die ähnliche Beurteilung des Pelagius durch Arnold, S. 92. 702 Vgl. Walch, Entwurf, 832. 703 Vgl. Walch, Entwurf, 832. 697 Vgl.
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Zuletzt kommt Walch auch noch einmal auf die Unzulänglichkeiten des Taufverständnisses des Augustinus zu sprechen. Neben der bereits angeführten Kritik an einer »unbedingten Nohtwendigkeit der Taufe zur Seligkeit der Kinder« vermerkt Walch kurz, dass Augustinus überhaupt »von der Kraft und Wirkung der Taufe etwas verwirrete Begriffe gehabt« habe.704 Walch hat diese Kritiken an der Lehre des Augustinus primär dazu angeführt, aufzuzeigen, dass das »jansenistische Dilemma: wer kein Anhänger des Augustini ist, mus ein Pelagianer seyn«705 hinfällig ist, da es zu Fehlern auf beiden Seiten, folglich auch im Lehrbegriff des Augustinus gekommen sei. Bezeichnenderweise schließt Walch diese Kritik am Lehrbegriff des Augustinus jedoch mit einer Anmerkung, die eine Klarstellung enthält und darin noch von seiner Hochachtung, wenn nicht sogar (Ehr)furcht, gegenüber Augustinus zeugt: »Wir müßen hier nochmals erinnern, daß wir gar nicht den gesamten Lehrbegrif des Augustini, sondern nur seine Wiedersprüche gegen die eigentlichen Pelagianer beurtheilen wollen.«706 Walch möchte somit deutlich vermeiden, als genereller Augustinuskritiker in Erscheinung zu treten, wie es in seiner Zeit durchaus nicht unüblich war, und wofür in meiner Untersuchung Semler als schillerndstes Beispiel stehen mag.
4. Beurteilung der Persönlichkeiten im Streit 4.1. »Theologische Betrügerei«: Beurteilung des Verhaltens der Pelagianer Eine bemerkenswerte Beurteilung des Charakters des Pelagius findet sich unmittelbar eingangs des Abschnittes, in dem sich Walch um eine umfassende Sichtung und Auswertung der Quellen zu Pelagius bemüht: »Pelagius ist allezeit in der Geschichte eine Person, deren Charakter zu untersuchen, wol wehrt ist«, heißt es dort.707 Im Folgenden führt Walch zwar aus, dass die Betrachtung seiner Lehre eine genaue Untersuchung dieser Person noch wichtiger macht, aber dennoch ist die Fokussierung auf die Person, das Individuum anstelle des Kollektivs der Pelagianer, hier bemerkenswert und zugleich Zeugnis des zunehmenden Interesses an der Person hinter der Lehre oder Häresie in der Kirchenhistoriographie. Nicht umsonst nimmt daher in Walchs Werk auch eine genaue Auswertung sämtlicher Quellen zur Person und charakterlichen Einordung des Pelagius sowie der anderen im Streit involvierten Personen so viel Raum ein. Jedoch muss auch nüchtern festgestellt werden, dass Walch sich in der genaueren Betrachtung des Pelagius den üblichen Allgemeinplätzen ergibt, wenn er zunächst das übliche Lob für Pelagius’ Scharfsinnigkeit, Gelehrsamkeit, Keuschheit 704 Walch,
Entwurf, 833. Walch, Entwurf, 833. 706 Walch, Entwurf, 833. 707 Walch, Entwurf, 541. 705
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und die allgemeine Hochachtung, die ihm selbst von seinen späteren Gegnern entgegengebracht wurde, referiert.708 Auch die polemische bis geschmacklose Kritik selbiger – beispielsweise an dessen Kleidungsstil oder Essensgewohnheiten, aber auch der vermeintlichen Eitelkeit – kommt bei Walch knapp zu Wort.709 Walch kann jedenfalls über den Charakter des Pelagius wenige Seiten später resümieren: »Pelagius war unstreitig ein Mann, der sehr viele Naturgaben und erlangte Fertigkeiten hatte […] Sein äußerliches Betragen und Lebenswandel war rühmlich und unsträflich.«710 Doch Walch bleibt auch in der charakterlichen Beurteilung des Pelagius nicht bei diesem positiven Urteil stehen, sondern zieht aufgrund einer grundlegenden Charakterschwäche dessen Christlichkeit selbst in Zweifel: »Die zu erzählende Geschichte seiner Streitigkeit liefert einige Züge, die wir gewis nicht als Merkmale eines ächten Christentums ansehen können. Ein sehr verschlagener Kopf war Pelagius, der aber nicht allemal aufrichtig, offenherzig und ehrlich war.«711
Diese heftige Kritik an der Unaufrichtigkeit des Pelagius wird Folgend zum Grundton in der Beurteilung seiner Person und ist zugleich eng mit dessen Darstellung seiner Lehre selbst verknüpft.712 Besonders anschaulich wird dies im Anschluss an die Wiedergabe des Protokolls der Anhörung von Diospolis.713 Pelagius’ Betragen wird dort von Walch als durch Zweideutigkeit und Unehrlichkeit in der Redeweise charakterisiert, bis hin zu der Beurteilung als »theologische Betrügerei«. Wie kommt es zu dieser harschen Beurteilung des Verhaltens des Pelagius? Zunächst gibt sich Walch in der Auswertung des Protokolls diplomatisch. Er gibt hierzu Augustins Beurteilung der Anhörung an, der bemängelte, dass die Ankläger selbst nicht anwesend gewesen seien, um den »Betrüger Pelagium seiner Lügen« überführen zu können.714 Ohnehin habe sich Augustinus sehr bemüht, aufzuzeigen, dass »Pelagius listige, unbestimte und auch wol falsche Antworten« auf die Anfragen der Anhörenden gegeben, also »geheuchelt« habe.715 Auch in »den neuern Zeiten« habe das zu der Beurteilung geführt, dass Pelagius’ Äußerungen zu Diospolis als Betrügerei abgetan sein worden, man sich also dem Urteil des Augustinus allgemein angeschlossen habe.716 Walch gibt sich jedoch vorsichtig, wenn es darum geht, sich dieser allgemeinen Beurteilung an708 Vgl.
Walch, Entwurf, 542. Walch, Entwurf, 543. 710 Walch, Entwurf, 546. 711 Walch, Entwurf, 546. 712 Im Folgenden vgl. hierzu Walch, Entwurf, 610–612.726 f.833 f. 713 Zum Protokoll vgl. Walch, Entwurf, 601–609. 714 Vgl. Walch, Entwurf, 610. 715 Walch, Entwurf, 610. 716 Vgl. Walch, Entwurf, 610 f. Vgl. dazu auch Walchs Hinweise auf die Beurteilung des Verhaltens des Pelagius zu Diospolis in der Forschungsliteratur, Walch, Entwurf, 612. 709 Vgl.
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zuschließen: »Wir getrauen uns nicht, es völlig gut zu heisen.«717 Aufgrund der Quellenlage allein »können wir den Pelagium nicht überal vor einen Betrieger halten«.718 Freilich fällt jedoch schon hier auf, dass Walchs Anliegen sich nur darauf bezieht, keine Verallgemeinerung vorzunehmen; an der grundsätzlichen Kritik zweifelhafter, betrügerischer oder zumindest zweideutiger Verhaltensweisen des Pelagius rüttelt Walch jedoch nicht, sondern zeigt im Folgenden deutlich auf, dass diese nachweisbar seien. Das geschieht insbesondere an der Stelle, wo Walch das bereits erwähnte jansenistische Dilemma anspricht, also entweder Pelagius der Betrügerei zu bezichtigen oder Augustinus und seine Gefolgschaft als gnadenlose Ketzermacher zu brandmarken.719 Walch bemerkt hierzu, dass es zwar auf Seiten Augustinus und seiner Anhänger durchaus zu fehlerhaftem Verhalten wie der »Consequenzmacherei« gekommen sei, letztlich aber »auf Pelagii Seiten die Fehler gröser gewesen« seien.720 Worin diese Fehler genau bestanden haben, führt Walch nun ausführlich an: »Einmal ist der Verdacht, daß er [Pelagius] mit Worten spiele und Zweideutigkeiten liebe, wol durch unleugbare Beispiele, z. B. in Absicht auf das Wort Gnade so erwiesen, daß wenn auch gleich die Billigkeit erfordert, von einem Fall stets auf alle nicht zu schließen, doch er seinen Gegnern nicht verdenken konnte, wenn sie die theologische Vorsicht bis zum Argwohn getrieben hätte; hingegen hat Augustinus seine Behutsamkeit an vielen Orten so gezeiget, daß wir ihn vor einen historischen Lügner zu halten, Bedenken finden.«721
Für Walch steht also als unbestreitbar fest, dass Pelagius sich Wortspielen und Zweideutigkeiten bedient, wie besonders sein Gebrauch des theologisch so zentralen Begriffs »Gnade« belegt, wie man ihn ja in seinen vielen bei Pelagius gebräuchlichen Bedeutungen schon kennengelernt hat.722 Zwar wiederholt Walch hier seine schon vorher anklingende Vorsicht, nicht vom Einzelnen aufs Allgemeine zu schließen, zeigt doch aber auch Verständnis für das Argwohnen der Gegner und nimmt unter diesen insbesondere Augustinus als historisch vertrauenswürdig und besonnen in seiner Darstellung und Beurteilung des Verhaltens des Pelagius in Schutz. Doch Walchs Kritik endet hiermit noch nicht, er fährt fort: »Zweiten wuste Pelagius sehr wol, oder konte es doch wißen, daß das sicherste Mittel, in theologischen Streitigkeiten allem Misverständnis vorzubeugen, die Sorgfalt sey, auf das bestimteste sich auszudrüken.«723
Walch, Entwurf, 611. Entwurf, 611. 719 Vgl. Walch, Entwurf, 726. 720 Walch, Entwurf, 726. 721 Walch, Entwurf, 726 f. 722 Siehe hierzu oben S. 280–283. 723 Walch, Entwurf, 727. 717
718 Walch,
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Da Pelagius dazu klug genug gewesen sei, es aber trotzdem nicht vermied, sich zweideutig auszudrücken, habe er sich also mit voller Absicht des Mittels der zweideutigen, ausweichenden Redeweise bedient. Das macht auch das folgende, harsche Urteil Walchs deutlich: »Wer nach entstandnen Klagen über Heterodoxie fortfähret, unbestimt zu reden und die schon gerügte Zweideutigkeit zu behalten, hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn seine Gegner seine Ehrlichkeit in Zweifel ziehen und der unpartheiische Richter kann diesem nicht Unrecht geben.«724
Mit dem »unpartheiische[n] Richter« meint Walch freilich sich selbst – und seine Leserschaft, der mit dieser Beweisführung ein deutliches Zeugnis für Pelagius’ zweideutige Redeweise und Unehrlichkeit vor Augen gestellt werden soll, die wiederum nur dazu führen kann, sich dieser Beurteilung anzuschließen. Walch führt hierzu in der folgenden Anmerkung auch einige Beispiele der vielfältigen Kritik an »Pelagii List und Verstellung« aus den Quellen an. Spannenderweise erwähnt er hierbei auch Semler, der in seiner Historischen Einleitung zwar ein Beispiel hierfür angeführt hat, aber viel zu milde über Pelagius geurteilt habe, obwohl »die im Wort Gnade gesuchte Zweideutigkeit […] unmöglich geleugnet werden« könne.725 Diese festgestellte Unehrlichkeit und Zweideutigkeit in der Redeweise des Pelagius überträgt Walch an späterer Stelle auch bedenkenlos und im nahezu gleichen Wortlaut, garniert mit scharfer Kritik auf alle Pelagianer und ihr »sittliches Betragen«: »Die Pelagianer haben vornemlich das zu Schulden kommen laßen, wie wir schon mehrmals bemerket und bewiesen haben, daß sie nie ehrlich gnug mit ihren Gegnern umgegangen.«726 Moralisierend urteilend fährt Walch für seine Leserschaft fort: »An ihrem Beispiel kann der Theolog die wichtige Pflicht lernen, mit Aufrichtigkeit und Freimühtigkeit seine wahren Gedanken öfentlich, und so bestimt, als es möglich ist, vorzutragen.«727 Sich wieder scharf gegen die Pelagianer richtend und die gesellschaftliche Sprengkraft ihres fehlerhaften Verhaltens aufzeigend bemerkt er ferner: »Es ist kein Kenzeichen einer guten Sache, so gar nach entstandenen Wiederspruch noch in Zweideutigkeiten der Wörter und Redensarten seine Gedanken zu verhüllen. Das sind theologische Betrügereien, welche weder dem Christen, nach dem Lehrer geziemen, und selbst die Bande der menschlichen Gesellschaft trennen müßen.«728
Schärfer kann die Kritik wohl kaum ausfallen: Walch greift hier zum einen das bereits aus seinen Gedanken bekannte Vokabular auf, wenn sich seine Kritik hier Walch, Entwurf, 727. Entwurf, 727, Anm. Walch bezieht sich auf Semler, »Historische Einleitung«,
724
725 Walch,
288.
Walch, Entwurf, 833. Entwurf, 833 f. 728 Walch, Entwurf, 834. 726
727 Walch,
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vor allem auf die »Redensarten« der Pelagianer bezieht; zum anderen zeigt er hart auf, dass das Verhalten der Pelagianer gegen jegliche gesellschaftliche Konvention und Vereinbarung verstößt, und somit zersetzend auf diese wirkt. Doch damit nicht genug, Walch bezichtigt die Pelagianer auch eines weiteren Vergehens, welches sonst häufig deren Gegnern angelastet wird: »Sie [die Pelagianer] sind wahre Consequenzmacher, und wenn sie nichts weiter hier gethan, als daß sie unermüdet sagten, ihre Gegner wären Manichäer, so wäre das schon hinreichend, gegen sie den Verdacht entweder der gröbsten Unwißenheit, oder sehr unchristliche Unbilligkeit zu bestätigen.«729
Walch geht bei dieser harten Kritik wieder ganz ähnlich vor wie im Falle des Vorwurfs der Unehrlichkeit: Ein Beispiel wird auf das Allgemeine übertragen, anschließend unterstellt er den Pelagianern entweder große Unwissenheit, oder unchristliches Verhalten; auch hier ist wieder impliziert, dass der erstere Fall, die Unwissenheit, auf die gebildeten Pelagianer oder zumindest Pelagius selbst nicht zutrifft, folglich nur die Unchristlichkeit übrig bleibt. Für Walch besteht also die Hauptkritik an den Pelagianern in ihrer Unehrlichkeit und Zweideutigkeit, aber auch Konsequenzmacherei, wobei jedoch ersteren beiden der Vorrang eingeräumt werden muss, so oft wie Walch hierauf in seinem Werk zu sprechen kommt.730 Ein Sonderfall in der Beurteilung des Verhaltens der Pelagianer durch Walch stellt die Behandlung der Frage nach dem vermeintlichen Angriff von Pelagianern auf das Kloster des Hieronymus dar.731 Walch hält es für unwahrscheinlich und ungesichert, dass es sich bei den Angreifern wirklich um Pelagianer gehandelt habe. Ferner hätte er sich gar nicht erst dieser Frage gewidmet, wenn sie nicht für viele ein so wichtiger Punkt für die Beurteilung des Verhaltens der Pelagianer wäre: »Diese Privathändel würden wir nicht berühren, wenn wir nicht bemerkten, daß alle neuere Gelehrten diese als ein merkwürdig Beispiel des pelagianischen Sitten sehr verhaßt vorstellen. Es ist aber gar nicht ausgemacht, daß es Pelagianer gethan.«732
Laut Walch ist dieser »Angriff der Pelagianer« nichts Weiteres als ein privater Konflikt am Rande, dem keine Aufmerksamkeit beizumessen wäre, wenn sich nicht die neueren Chronisten des Streites so damit auseinandergesetzt hätten und dies als ein zentrales Beispiel für das verwerfliche Verhalten der Pelagianer angeführt hätten. Aufgrund der Quellenlage erscheint es Walch nun aber unwahrscheinlich, dass der Angriff von Anhängern des Pelagius durchgeführt wurde. Walch, Entwurf, 834. Vgl. u. a. auch Walch, Entwurf, 818: »Ihre Fehler haben wir auch nicht verschwiegen, und unter diesen ist der Mangel der ächten theologischen Ehrlichkeit im Bekäntnis seiner Meinungen, und in Führung der Religionsstreitigkeiten der vornehmste.« 731 Im Folgenden vgl. hierzu Walch, Entwurf, 613 f., mit Anm. 1–3. 732 Walch, Entwurf, 613. 729 730
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C. Wendepunkt und Hinwendung
Ganz gewiss ist ihm aber: »Wenigstens erfordert es die Billigkeit, Pelagium vom Antheil freizusprechen.«733 4.2. »Der fleisigste Gegner der Pelagianer«: Beurteilung des Verhaltens Augustins und weiterer Gegner der Pelagianer Wie schon sichtbar wurde, ist Walch stets darum bemüht, Fehler und Schwächen auf beiden Seiten aufzuzeigen. Konnte man zuvor schon davon lesen, dass den Gegnern der Pelagianer in ihrem Urteil, die Pelagianer seien verschlagen und unehrlich in ihren theologischen Äußerungen und hielten ihre wahre Meinung durch Doppeldeutigkeiten hinter dem Berge, beizupflichten sei, so hält sich Walch doch auch nicht mit Kritik an diesen zurück. Besonders in den Blick zu nehmen ist hier freilich Augustinus, aber eben auch Hieronymus. Wenig überraschend finden sich auch bei Walch hier wieder die inzwischen bestens bekannten Topoi der Kritik an beiden, doch auch einige darüberhinausgehende Bemerkungen zur Charakterisierung dieser. Augustinus sieht Walch an erster Stelle unter den Gegnern der Pelagianer. Früh habe sich der »überaus fleißige Mann« in den Streit eingebracht, und sich mit Eifer gegen die Pelagianer, wie zuvor schon gegen die Manichäer und Donatisten, gestellt.734 Und obwohl seine Partei nicht frei von dem Fehler der »Consequenzmacherei« war, habe er sich durch seine häufig behutsame Art hervorgetan und somit auch als verlässlicher Zeuge der historia Pelagiana.735 So war Augustinus zwar »der fleisigste Gegner der Pelagianer«, aber die scharfe Kritik insbesondere der jüngeren Zeit am nordafrikanischen Kirchenvater sieht Walch als ungerechtfertigt und völlig überzogen an.736 Zwar waren die Gegner der Pelagianer nicht frei von Fehlern, aber dennoch sei es notwendig, ja »erfordert die Gerechtigkeit, sie loszusprechen«737 von einigen der ihnen zu Last gelegten Fehler. Ausdrücklich richtet Walch seine Kritik hier gegen Gottfried Arnolds Beurteilung der Pelagianer und ihrer Gegner: »So thut Arnold ihnen [den Gegnern der Pelagianer] viel zu wehe, daß sie Feinde der Gottseligkeit gewesen, und den Eifer der Pelagianer, dieselbe zu befördern, nur hindern und stören wollen.«738
Walch nimmt hier Bezug auf Arnolds Darstellung und Interpretation des Bestrebens und Antriebs beider Parteien in seiner Unparteiischen Kirchen‑ und Ketzer-Historie: Die Pelagianer hätten nur aus ihrem Eifer für das rechte Christentum und die Gottseligkeit gehandelt, angesichts eines zunehmend verkom733 Walch,
Entwurf, 614. Walch, Entwurf, 707 f. 735 Vgl. Walch, Entwurf, 726 f. 736 Vgl. Walch, Entwurf, 835. 737 Walch, Entwurf, 834. 738 Walch, Entwurf, 834. 734 Vgl.
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menden Heuchelchristentums. Die »Orthodoxi«, also die Gegner der Pelagianer, wiederum repräsentieren nicht nur dieses Heuchelchristentum, sondern hätten lediglich das verwerfliche, ja unchristliche Ziel, aktiv gegen die wahren Frommen, die Pelagianer, vorzugehen und sie in ihrem Fortschreiten zur Seligkeit aufzuhalten. Für Walch ist das eine völlig überzogene, einseitige Darstellung des tatsächlichen Sachverhalts, die er daher auch als entsprechend übertrieben verwirft und gar nicht weiter diskutiert. Statt dessen bezieht Walch sich nun auf die Kritik eines »neuere[n] Schriftsteller[s]«, der die Ursache des Vorgehens gegen die Pelagianer in »dem Stolz der Bischöffe und ihrer Begierde, allein in Glaubenssachen zu richten, mit Ausschließung der Laien«, sieht.739 Zwar wird der Autor hier nicht namentlich erwähnt, es dürfte aber gewiss sein, dass sich Walch hiermit auf Semler und seine Kritik an dem Verhalten der Bischöfe bezieht.740 Walch tut diese Kritik als »sehr unerwiesene[n] Argwohn« ab, die allein dadurch zu widerlegen sei, dass Hieronymus, selbst »kein Freund der bischöflichen Rechte«, gegen die Pelagianer vorgegangen sei.741 Unter den Gegnern der Pelagianer nimmt Walch aber den, der am schärften angegriffen wurde, auch am meisten in Schutz, also Augustinus. Hier ist auch deutlich zu spüren, dass das allgemeine theologische Klima in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wohl zunehmend antiaugustinisch geprägt war, so stark gar, das Walch hier eine deutliche Lanze für den für viele Jahrhunderte doch so hoch angesehenen und überwiegend unangezweifelten Kirchenvater brechen muss: Er sei in der Tat der »fleisigste Gegner der Pelagianer« gewesen, habe aber mitnichten die »Unruhen angefangen«.742 Und selbst die Vehemenz seines Vorgehens gegen die Pelagianer will Walch angesichts pauschaler Augustinuskritik differenzierter dargestellt wissen: »Augustinus war heftig, aber, ehrlich zu sagen, im Anfang ganz bescheiden: gegen die, welche von den Pelagianern anders dachten; als er, wie die Morgenländer und Zosimus, sehr billig und sie zu entschuldigen, geneigt: erst nachhero heftig, zumal in den Schriften gegen Julianum, der ihn auch nicht wenig gereizet hatte.«743
Augustinus sei also anfangs nicht nur besonnen gewesen, sondern habe auch die Meinungen einiger Befürworter des Pelagius besonnen betrachtet und toleriert. Erst später, vor allem in der Kontroverse mit Julian von Aeclanum sei er vehement gegen die Pelagianer vorgegangen; aber selbst hier entschuldigt Walch Augustinus damit, dass insbesondere Julian ihn doch sehr zu solchem heftigen Vorgehen provoziert habe. 739 Walch,
Entwurf, 834 f. hierzu weiter oben S. 221. 741 Walch, Entwurf, 835. 742 Walch, Entwurf, 835. 743 Walch, Entwurf, 835. 740 Siehe
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C. Wendepunkt und Hinwendung
Dass Walch jedoch nicht zu einer pauschalen Befürwortung der Gegner des Pelagius neigt, zeigt sich wieder am Beispiel des strittigen und umstrittenen Hieronymus.744 Zwar folge dieser in der Gegnerschaft der Pelagianer an zweiter Stelle auf Augustinus, übertrifft diesen aber bei Weitem an Heftigkeit in seinem Umgang mit den Pelagianern. Seine Schriften seien zwar ebenfalls wertvolle Quellen für die historia Pelagiana, jedoch »weit weniger fruchtbar und weit weniger gründlich, wol aber weit heftiger und vol von einem Adfect, der noch sehr wahrscheinlich aus dem Irtum entstanden, daß Pelagius seine Lehren dem Rufino zu danken habe«.745 Hier klingt also die übliche Kritik an der überzogenen Streitbarkeit Hieronymus’ an, wenn auch hinsichtlich seiner Abneigung gegen die Pelagianer mit einer interessanten Begründung: Letztlich sei Hieronymus aus persönlicher Abneigung gegen Rufin, den er zudem ja als Lehrmeister des Pelagius ansah, so heftig gegen die Pelagianer vorgegangen; von theologischen Differenzen ist hier zumindest jedoch nicht die Rede. Anders als in der Beurteilung des Betragens des Augustinus findet hier auch keine Verteidigungsbemühung seitens Walchs statt. Die insgesamt dem Augustinus positiv, dem Hieronymus jedoch kritisch gesonnene Beurteilung findet eine kompakte Zusammenfassung für das Bild, welches Walch von beiden zeichnet: »Betrachten wir die Gegner der Pelagianer […] so können wir nicht anders, als den Augustinum dem Hieronymo sehr weit vorzuziehen. Der leztere ist vol Adfect, und begehet alle Fehler, die ein aufgebrachter Polemikus ie begehen kann, der erste aber läst sich auch in Hitze bringen, am meisten gegen Julianum und ist nicht vorsichtig gnung, die Geseze der Liebe zu bewahren, ist aber dabei doch allezeit gemäsiget und fein.«746
4.3. »Fehler auf beiden Seiten«: Die abschließende Beurteilung der Streitparteien Die hier angeführten Beispiele und Zusammenfassungen mögen schon weitreichend belegen, dass Walch die Frage »Wer hat Recht?« folglich nur mit Fehlern im Verhalten beider Parteien beantworten kann. Doch neben dem bereits angeführten, den Parteien spezifischen Fehlverhalten führt Walch auch einige ihnen gemeinsame Fehler im Betragen an. Der Grundfehler bestand darin, dass sowohl die Pelagianer wie auch ihre Gegnerschaft den Streit über theologische Fragen mit zu großer Vehemenz (»Heftigkeit«) geführt hätten; dies wiederum habe zu weiteren Fehlern geführt wie unklaren und zweideutigen Ausdrucksweisen – nicht nur auf Seiten der Pelagianer! – und durch übertriebene Widersprüche gegen die Lehre des Gegners hervorgerufene Fehler in den eigenen Lehrsätzen.747 All dies hätte folglich durch eine weniger heftige Streitführung vermieden werden können – eine Meinung, die sich durch das gesamte 18. Jahrhundert zieht. 744 Vgl.
hierzu Walch, Entwurf, 711. Walch, Entwurf, 711 f. 746 Walch, Entwurf, 839. 747 Vgl. Walch, Entwurf, 522. 745
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Doch Walch sieht noch eine weitere Reihe konkreter Fehler im Verhalten der Streitparteien. Sie basieren auf einer dem biblischen Text gegenüber gewalttätige Hermeneutik, einem mangelhaften Einbezug der Philosophie, der Bezugnahme auf kirchliche Autoritäten für die eigene Argumentation und auf den gegenseitigen Vorwurf, älteren Häresien nachzufolgen.748 Biblische Beweise wurden von den Pelagianern und ihren Gegnern gleichsam angeführt um die eigene Position zu belegen, doch Walch zufolge seien hier »auf beiden Theilen die unter den alten Kirchenlehrern sehr häufigen Fehler vorgefallen«.749 Pelagius’ Auslegung der Bibelstelle Röm 5,12 (»Deshalb, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben.«), die dieser auf die Nachahmung Adams bezieht, bezeichnet Walch als eine »gewaltthätige Erklärung«.750 Doch auch die entsprechende Auslegung der Gegnerschaft, wie sie Niederschlag in dem Konzil von Karthago 418 fand, kommt bei Walch nicht besser davon, wenn er sie wie Semler als »ein böses Beispiel der tridentinischen Hermeneutik« abwertet.751 Trotz beider Abstrafung spricht Walch jedoch in Bezug auf diese strittige Bibelstelle, dass die Pelagianer hier eine »beßere Leseart« gehabt hätten.752 Ferner bedienten sich im Streit beide Gruppen der Philosophie, was Walch an sich hier nicht verwerflich findet, wohl aber bemängelt »daß es vielleicht beßer gewesen wäre, wenn beide Theile mehr philosophische Einsichten gehabt; oder beßer genuzet hätten«.753 Das Problem bestand für den philosophisch bewanderten Walch also viel mehr im mangelnden philosophischen Bildungsgrad und dem unzureichenden Umgang mit der Philosophie. Als ebenfalls kritisch empfindet Walch den Einbezug des »Vorurtheil[s] menschlichen Ansehens in die Polemik« im pelagianischen Streit.754 Walch meint damit nicht etwa voreingenommene Meinungen gegenüber dem Gegner, sondern die Einbeziehung kirchlicher Autoritäten zur Bestärkung der eigenen Argumentation.755 Insbesondere die Pelagianer hätten sich hierdurch hervorgetan und immer wieder Namen zur Stützung ihrer eigenen Lehrmeinungen angeführt, was für den Protestanten Walch freilich schon deshalb ein Greul ist, da dergleichen Autoritäten keine Relevanz spielen sollten für eine innertheologische und daher von der Schrift her zu erfolgende Argumentationsführung. 748 Im
Folgenden vgl. Walch, Entwurf, 789–791.803. Entwurf, 789. 750 Walch, Entwurf, 790. 751 Walch, Entwurf, 790. 752 Walch, Entwurf, 790. 753 Walch, Entwurf, 790. 754 Walch, Entwurf, 791. 755 Vgl. Walch, Entwurf, 791 f., Anm. für Walchs Zusammenstellung der Anführung kirch licher Autoritäten auf beiden Seiten. 749 Walch,
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Eine letzte, ebenfalls vor allem von den Pelagianern angewandte Strategie, die Walch hier beklagt, sei die gewesen, den Gegner dadurch zu diskreditieren, dass man deren »Lehrbegrif mit andern Kezereien« verglich.756 So hätten die Pelagianer ihren Gegnern immer wieder unterstellt, Manichäer zu sein, wohingegen diese ihnen wiederum unterstellten, Nestorianer zu sein. Den Manichäismusvorwurf tut Walch wenig später mit der aufschlussreichen Bemerkung ab, »daß noch heut zu Tage die freimühtigen Bekenner der geoffenbarten Lehren von der Erbsünde und den Gnadenwirkungen sich es müßen gefallen laßen, diese verhaßte Beschuldigung zu tragen«.757 Nebenbei wird hiermit auch wieder deutlich, dass die Erbsündenlehre für Walch nicht etwa eine Erfindung des Augustinus, sondern Teil der in der Heiligen Schrift geoffenbarten Religionslehren ist.
5. Die kirchenpolitische Dimension des Streites Neben diesen einzelnen Äußerungen zu den beiden größten Gegnern der Pelagianer finden sich in Walchs Darstellung noch zwei gewichtige Kritiken an der Gegnerschaft der Pelagianer allgemein, die beide unmittelbar mit der politischen und kirchenpolitischen Dimension des Konfliktes im Zusammenhang stehen: Der Vorwurf des »Parteimachens« und der damit verbundenen Instrumentalisierung von Konzilen und politischer Obrigkeit, sowie eine scharfe antipäpstliche Kritik am Ansehen des Heiligen Stuhls und am Verhalten und der Lehrentscheidung seines Inhabers Zosimus. 5.1. Politische Intrigen und theologische Allianzen: Das fehlbare Verhalten der nordafrikanischen Gegner des Pelagius Walch sieht einen grundlegenden Fehler unter den Gegnern der Pelagianer im »Geist des Partheimachens«.758 Dieser sei zwar nicht die Ursache für den Streit gewesen, habe diesen jedoch zusätzlich angefeuert und zu dessen Verbreitung entschieden beigetragen. Walch äußert zwar sein Verständnis für die nicht gänzlich unbegründete Sorge, die Ansichten der Pelagianer würden weite Verbreitung und Anhängerschaft finden; die Mittel zur Eindämmung des Problems jedoch seien nicht nur unangemessen, sondern gar hinderlich gewesen: Bedenken zu äußern, sei eventuell angebracht gewesen, nicht jedoch »die Bemühungen, schlechterdings eine feierliche Verdammung des Mannes [Pelagius] erst zu Jerusalem, hernach zu Diospoli zu erpreßen«.759 Walch kritisiert hier nicht nur aufs Schärfste die unangebrachte Instrumentalisierung 756 Vgl. Walch, Entwurf, 803 sowie die Bemerkung: »Die Pelagianer haben hier sehr viel gesündiget.« (Walch, Entwurf, 803, Anm.). 757 Walch, Entwurf, 804. 758 Walch, Entwurf, 836. 759 Walch, Entwurf, 836.
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der genannten Zusammenkünfte, sondern vor allem die erpresserische Art mit der die Gegnerschaft eine Verdammung des Pelagius herbeiführen wollte. Auch der geschäftige Einsatz von Orosius, Heros und Lazarus gegen Pelagius in diesem Kontext sei nicht nur an sich verwerflich gewesen, sondern habe zudem seinen eigentlichen Zweck, die Eindämmung und Verurteilung pelagianischer Lehre, völlig verfehlt bzw. ins Gegenteil verkehrt, nämlich hin zu deren öffentlicher Anerkennung und Verbreitung im Osten.760 Walch rechnet für diese Phase des Vorgehens gegen die Pelagianer nun ausdrücklich Hieronymus die Schuld zu, nicht aber Augustinus, der bis dahin »erweislich keinen Fehler begangen« habe.761 Zu Fehlern auf Seiten der Nordafrikaner sei es erst dann gekommen, als sie von dem für Pelagius positiven Ausgang der Anhörung zu Diospolis erfuhren und nun völlig überstürzt, ohne zuvor Akteneinsicht zu nehmen und ihre Bedenken nach dem Leitsatz christlicher Nächstenliebe ihren orientalischen Kollegen mitzuteilen, sich um »theologische Allianzen« bemühten.762 Hier wird es nun besonders brisant, da nicht mehr theologische Diskurse und Inhalte entscheidend sind, sondern politische Machtspiele und Intrigen, die Walch hier kritisiert: »[E]s war blose Politik, die ihnen auch gelang, den römischen Stuhl mit einzuflechten. Zosimus schien ihre Hofnung zu stören: nun thaten sie Recht, daß sie sich von dem fremden Bischof keine Geseze vorschreiben ließen; allein ihre Schritte waren doch nur gar zu politisch, und in der That sind uns die geheimen Triebfedern unbekant, welche den sehr niedrig denkenden Bischof aus einem heftigen Beschüzer in einen eben so heftigen Verfolger verwandelten.«763
Lässt man hier die barsche Papstpolemik zunächst einmal bei Seite, fällt die scharfe Kritik an der politischen Intrige, und eben jenem genannten Parteimachen, dem Schmieden theologischer Allianzen, das sich hinter der Rede von »geheimen Triebfedern« verbirgt, ins Auge. Aus eben jenem Parteimachen und Intrigieren im Verborgenen sei nun auch der »gefährliche Weg« hervorgegangen, die Entscheidung durch Konzile herbeizuführen.764 Bereits zuvor merkt Walch an, dass der prinzipielle Einsatz von Konzilen zur Verwerfung der »pelagianischen Irtümer« und der Festlegung der ihnen entgegenstehenden Lehren in Form eines Bekenntnisses wie auch die Bestätigung dieser Entscheidung durch die politische Obrigkeit und alle damit einhergehenden Konsequenzen, wie die Unterzeichnung der entsprechenden Erlässe durch die Bischöfe und der Ausschluss und die Absetzung der Verurteilten, vollkommen rechtmäßig seien.765 Kritisiert und bestritten könne dies, so Walch, nur von denen werden, 760 Walch,
Entwurf, 836. Entwurf, 836. 762 Vgl. Walch, Entwurf, 837. 763 Walch, Entwurf, 837. 764 Vgl. Walch, Entwurf, 837. 765 Vgl. Walch, Entwurf, 835. 761 Walch,
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»welche der Kirche das allen Geselschaften zukommende Recht rauben wollen, alle rechtmäßigen Mittel zur Erhaltung ihres Zweks, wohin die Kirche die Reinigkeit der Lehre rechnen mus, anzuwenden; oder der Gleichgültigkeit in der Religion öfentlich das Wort reden«.766
Unzweifelhaft dürfte dies eine kritische Replik auf Semlers Äußerungen zu den politischen Dimensionen des pelagianischen Streites und der Einbeziehung politischer Autoritäten sein. Das wird hier nicht nur inhaltlich sichtbar, sondern auch in dem allgemeingehaltenen Stil der hier erfolgenden rechtlich-politischen Belehrung, welche der Semlers doch sehr ähnlich ist. In beiden Fällen können die Aussagen nicht nur auf die damalige Mehrheitskirche im pelagianischen Streit angewandt werden, sondern auch auf die zur Zeit Semlers und Walchs gegenwärtige Kirche und ihre Rechte. Bei Walch erscheint hier die Kirche als eine Religionsgesellschaft, die wie alle anderen Organisationen über Recht, Rechtsmittel und einen Zweck, eine Aufgabenbestimmung, verfügt: Die Kirche hat das Recht, alle legitimen Rechtsmittel einzusetzen, um ihren zentralen Zweck erfüllen zu können, den Walch hier ausdrücklich in der Bewahrung der reinen, wahren christlichen Lehre bestimmt sieht. Jeder der hiergegen argumentiere, und damit zielt Walch deutlich gegen Semler, öffnet Tür und Tor für religiöse Gleichgültigkeit und ein »anything goes« im christlichen Glauben. Doch was ist dann, wenn der Einsatz legitimer Mittel gutes Recht der nordafrikanischen Kirche war, das eigentliche Vergehen dieser gewesen? Walch erkennt es an der Unverhältnismäßigkeit, beziehungsweise der hysterischen Übersteigerung: Rechtens wäre es gewesen, wenn der Konflikt um Caelestius’ Äußerungen zur Kindertaufe allein eine Sache der Kirche von Karthago geblieben wäre; doch die Nordafrikaner begingen den Fehler, von der lokalkirchlichen, gemeindlichen Ebene auf die der Provinz, dann der »Nation«, schließlich »der Welt« zu wechseln, um diese Angelegenheit zu klären – und zwar mittels »Concilien und [aufgrund der] Begierde, diese in Ehren zu halten«.767 Die Nordafrikaner machten das Problem also in den Augen Walchs größer, als es tatsächlich war, ja sorgten möglicherweise selbst erst dafür, dass es groß wurde: »Vielleicht wäre der Pelagianismus nie so berühmt und nie so schädlich geworden, wenn man blos den Theologen als Privatschriftsteller die Sache überlaßen hätte.«768 Das Kritierium der Verhältnismäßigkeit war also nicht gegeben. Und auch die Einbeziehung der politischen Obrigkeit und des weltlichen Rechts, die Walch nochmals ausdrücklich als an sich nicht verwerflich betrachtet, war hier unangebracht und widerrechtlich erfolgt: »Strafgeseze, welche den Irrenden die bürgerlichen Rechte nehmen, ehe diese erweislich bürgerliche Geseze übertreten, oder die öfentliche Ruhe gestöret, sind allezeit gefährlich Walch, Entwurf, 835 f. Walch, Entwurf, 837. 768 Walch, Entwurf, 838. 766 767
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und der kaiserliche Hof handelte sehr wider die Klugheit, indem er solche gab, und Gefahr lief, erst dadurch in die gottesdienstliche Geselschaft Rotten einzuführen.«769
Erneut erinnert diese Belehrung an den vergleichbaren Passus in Semlers »Historischer Einleitung«; und erneut werden hier die zur Zeit Semlers und Walchs präsenten staats‑ und kirchenrechtlichen Ansichten deutlich auf den pelagianischen Streit selbst übertragen.770 Walch spricht hier ausdrücklich davon, dass die im pelagianischen Streit begangenen rechtlichen Fehler »allezeit gefährlich« seien. Scharf kritisiert Walch daher auch die damalige Strafgesetzgebung, deren Fehler es war, Bürgern bereits dann ihre bürgerlichen Rechte abzusprechen, bevor ihnen sicher nachgewiesen wurde, Gesetze übertreten oder die öffentliche Ruhe gestört zu haben. Wie schon in den bisherigen Äußerungen Walchs zum Streit und seiner Wichtigkeit und der Verbreitung pelagianischer Ansichten zu sehen war, war die Störung der öffentlichen Ruhe definitiv nicht gegeben – und das Gesetz wohl aufgrund des in bürgerlicher Hinsicht einwandfreien Verhaltens der Pelagianer auch nicht gebrochen, sodass hier in Walchs Sicht Unrecht geschah. Mehr noch als das: durch das Einschreiten des Kaisers drohte überhaupt erst der Bruch der gottesdienstlichen Gemeinschaft, also die Bildung einer kirchlich eigenständig organisierten Ketzerei, die dem losen Verbund, den die Pelagianer ja eigentlich laut Walch bildeten, nicht als Merkmal zu eigen war. Auch die nach den Verurteilungen erfolgte Unterschriftenaktion sieht Walch skeptisch: Wenn schon, so Walch, »ja was hätte unterschrieben werden sollen«, so hätte es ausgereicht, »die zu empfehlende Lehren, blos im dogmatischen Ton vorzutragen, und nicht überal polemisch und mit dem Anathema zu reden«.771 Walch fordert hier also eine konstruktive Lösung ein statt einer destruktiven, die nur im Bejahen der Verurteilung bestünde. Ohnehin hätte großer Bedarf an einer solchen dogmatischen Klärung bestanden, die jedem hätte vorgelegt werden sollen, da »bei weiten der gröste Theil der Lehrer von diesen Streitigkeiten nicht gnug unterrichtet gewesen« seien.772 5.2. »Einen Mohren weiss machen« – Zum Versuch der Ehrenrettung des Papstes Zosimus Ein bemerkenswertes Unterkapitel der Auseinandersetzung mit der Gegnerschaft der Pelagianer stellen Walchs Betrachtungen zur Rolle des römischen Bischofs Zosimus dar.773 Dieser trat als Nachfolger des zwischenzeitlich verstorbenen Innozenz I. bekanntlich dadurch in Erscheinung, dass er den Pelagius und seine Anhänger zunächst von allen Anschuldigungen freisprach, dann 769 Walch,
Entwurf, 838. Semlers Ansicht siehe oben S. 228–238. 771 Walch, Entwurf, 838. 772 Walch, Entwurf, 838. 773 Im Folgenden vgl. Walch, Entwurf, 661–663. 770 Zu
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jedoch eine radikale Kehrtwende vollzog und die Pelagianer und ihre Lehrmeinungen verurteilte. Walch nutzt diesen Sachverhalt in seiner Darstellung nun für eine harsche Kritik am Primat des römischen Bischofs und seiner vermeintlichen Unfehlbarkeit in kirchlichen Lehrentscheidungen, auch wenn diese freilich erst im 19. Jahrhundert als Dogma der Infallibilität festgelegt wurde. Der erste Teil von Walchs scharfer Papstkritik bezieht sich zunächst auf die scheinbar so harmlose Sachfrage, was denn eigentlich zuerst erfolgt sei: Zuerst die kirchliche Verurteilung der Pelagianer durch das nordafrikanische Konzil von Karthago und das Edikt des Kaisers Honorius und dann die Verurteilung der Pelagianer durch die Epistula tractoria des römischen Bischofs Zosimus – oder hat doch diese die chronologische Priorität vor der nordafrikanischen und kaiserlichen Verurteilung?774 Worauf diese Frage zielt, wird schon in der Formulierung deutlich: Haben Kaiser und Nordafrikaner die Pelagianer verurteilt »ohne alle Rücksicht auf Zosimi Entscheidung«?775 Hat der römische Bischof sein Fähnchen nur nach dem Wind gerichtet, sich gar von der nordafrikanischen und kaiserlichen Entscheidung treiben lassen, oder hat er seine vermeintliche Führungsrolle unter den Bischöfen machtbewusst ausgefüllt und ist in der Verurteilung richtungsweisend vorangeschritten? Walchs Beantwortung dieser Frage dürfte spätestens in seiner Beurteilung von römisch-katholischen Autoren klar sein: »Den leztern Theil der Frage bejahen sehr viele Schriftsteller der römischen Kirche mit einer beinahe unglaublichen Unverschämtheit, da nicht allein die Historie schlechterdings keinen Grund dazu anbietet, sondern auch gerade das Gegentheil auf das allerkläreste erweiset.«776
Walch hält es also allein aufgrund der historischen Tatsachen für nachweislich belegt, dass die nordafrikanische Synode und der Kaiser gänzlich unabhängig von der Meinung des römischen Bischofs ihre Entscheidung gefällt hätten. Das ist freilich bissigste Papstkritik, da somit auf historischer Ebene erwiesen sei, dass der vermeintliche Primat des römischen Papstes keineswegs von der frühen Kirche an behauptet werden könnte, weder gegenüber lokalen Synoden, noch gegenüber der weltlichen Obrigkeit: Der römische Bischof nimmt hier in der Beurteilung Walchs eine zweitrangige Rolle ein. Zugleich ist dies freilich auch eine scharfe Kritik an allen römisch-katholischen Autoren, insbesondere des 17. Jahrhunderts, wie ein Vermerk Walchs deutlich macht, die immer noch behaupten, dass zuerst Zosimus die Pelagianer offiziell verurteilt habe.777 Vgl. Walch, Entwurf, 661. Walch, Entwurf, 661. 776 Walch, Entwurf, 661. 777 Walch, Entwurf, 661 Anm. zählt unter die Befürworter einer Priorität der Verurteilung der Pelagianer durch Zosimus Baronius, Jansenius, Noris, Garnier und Pétau. Ussher, Vossius, Tillemont, Quesnel, Rubeis, Basnage, Hottinger, die Benediktiner (praef. § VIII) und Schlosser 774 775
II. Christian Walchs Entwurf einer vollständigen Historie der Ketzereyen
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Ist hier schon hart der Primat des Papstes, sein Machtanspruch, in Zweifel gezogen, wenn nicht gar in den Augen Walchs widerlegt, so wird im Folgenden das theologische Urteil und damit das Ansehen des Heiligen Stuhls und seines Inhabers durch Walch hinterfragt.778 Seine Papstkritik macht er an dem wechselhaften Urteil des Zosimus fest, der die Pelagianer zunächst als orthodox von allen Anschuldigungen freisprach, dann aber doch als schlimme Ketzer verurteilte. Die »Vertheidiger der päpstlichen Oberherrschaft« seien stets erpicht gewesen, die Frage, ob Zosimus in seinem Urteil zu entschuldigen sei, zu verwirren, also in die Irre gehen zu lassen.779 Walch hingegen ist sich, wie er sogleich noch im Detail ausführt, sicher, dass die Frage, »ob sich Zosimus wiedersprochen und ob er zuvor ein sehr unrichtiges Urtheil so wol von der Wahrheit, als der Wichtigkeit der verschiedenen Lehrsäze gefället, mit völliger Gewisheit zu bejahen« sei.780 Damit auch keine Zweifel hinsichtlich der zentralen Bedeutung dieses Sachverhalts für die richtige Beurteilung des allgemeinen Ansehens des Papstes verbleiben, vermerkt Walch sogleich: »Zosimi Ausführung gehöret stets zu den Begebenheiten, welche in die wichtige Streitigkeit über das Ansehen des römischen Stuhls einen sehr großen Einflus haben.«781 Spitz bemerkt Walch hinsichtlich einer Rehabilitierung von Zosimus’ Verhalten: »Es ist nicht zu leugnen, daß schon Augustinus sich viele Mühe gegeben, hier einen Mohren weiß zu waschen, allein seine Mühe hat was sehr verdächtiges in sich.«782 Auch die Autoren jüngerer Zeiten, insbesondere des 17. Jahrhunderts seien »sehr bemühet [gewesen], zu beweisen, daß Zosimus die pelagianischen Irtümer nicht selbst gelehret, wie schon Augustinus eifrig behauptete.«783 Walch entlarvt diese Bemühung als eine der Finten, die er schon zuvor unter die Verwirrungsbestrebungen der Katholiken eingeordnet hatte: »Allein davon ist keine Frage: sondern ob er pelagianische Irtümer gebilliget.«784 Es geht also nicht um die ablenkende Frage, ob Zosimus selbst aktiv pelagianisch gelehrt habe, sondern zunächst um die Frage, ob er die pelagianischen Lehrmeinungen toleriert, sie also faktisch passiv vertreten habe. Walchs Antwort fällt erwartungsgemäß klar aus: »Und da ist kein Zweifel, daß in Cälestii Bekantnis gerade zu diese vorgetragen, und von Zosimo genehmigt worden.«785 Neben dieser ersten Frage und ihrer eindeutigen Beantwortung tut sich eine weitere auf, die die theologische Urteilsfähigkeit des Zosimus, aber auch die in der Übersetzung Walls – die also zudem eine große Mehrheit darstellen – hätten hingegen gründlich das Gegenteil bewiesen. 778 Im Folgenden vgl. Walch, Entwurf, 661–663. 779 Vgl. Walch, Entwurf, 661 f. 780 Walch, Entwurf, 662. 781 Walch, Entwurf, 662. 782 Walch, Entwurf, 662. 783 Walch, Entwurf, 662. Gemeint sind hier Garnier, Noris und Noël Alexandre. 784 Walch, Entwurf, 662. 785 Walch, Entwurf, 662.
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C. Wendepunkt und Hinwendung
christliche Integrität der Pelagianer selbst weiter in Zweifel zieht: »Hat sich Zosimus von Pelagio und Cälestio betrügen laßen?«786 Wie sehr Walch hier aber vor allem auf eine Kritik am theologischen Urteilsvermögen des Papstes zielt, wird an der sogleich getroffenen Einschränkung deutlich, dass es bei dieser Frage nicht darum ginge, ob auch andere Christen sich von Pelagius und Caelestius in die Irre hätten führen lassen können, sondern darum, »ob der Bischof von Rom nicht einen Beweis gegeben, daß er wenigstens in rebus facti irren könne, welches schlechterdings bejahet werden mus«.787 Mit der Fehlentscheidung, Pelagius und Caelestius als orthodox freizusprechen, habe der Papst also selbst den Beweis für seine Fehlbarkeit vorgelegt. Bezeichnenderweise spricht Walch auch nicht mehr von der Einzelperson Zosimus, sondern vom römischen Bischof allgemein, womit die Fehlbarkeit dem Amt selbst attestiert wird. Die bissige Papstkritik Walchs setzt sich fort: gönnerhaft beantwortet Walch die Frage, ob Zosimus dafür zu entschuldigen sei, durch die gewieften Pelagianer in die Irre geführt worden zu sein: »welches unsers Wißens immer vergeben wird.«788 Auch Päpste machen also Fehler, aber Gott vergibt auch ihnen. Das ändert aber für Walch nichts daran, einen verantwortungslosen Theologen auf den Heiligen Stuhl sitzen zu sehen, sodass er nach dieser Entschuldigung nachtritt: »Da Zosimus von den vorhergegangenen Begebenheiten und dem Briefwechsel der Afrikaner mit Innocentio völlig unterrichtet war, so ist sein Leichtsinn, sich durch die Männer betrügen zu laßen, ganz unverantwortlich.«789 Zosimus handelte also verantwortungslos und die Fakten außer Acht lassend, als er die Pelagianer zu seinem Amtsantritt zunächst als orthodox von allen Anschuldigungen freisprach. Bekanntlich änderte Zosimus nun aber recht bald sein Urteil, und verurteilte die Pelagianer, was Walch zur letzten und dritten Frage in diesem Komplex zur Papstkritik führt, nämlich »ob Zosimus sich selbst wiedersprochen« habe.790 Für Walch ist die Beantwortung dieser Frage aufgrund der historischen Quellenlage einfach und, wie zu erwarten, fällt sie zu Ungunsten Zosimus aus: »Es komt nur darauf an, daß Zosimus erste Briefe mit den Auszügen der tractoriae verglichen werden, um einzusehen, daß in den letzten eben diejenigen vor sehr gefährliche Kezer erkläret werden, welche nach den erstern volkommen orthodox waren, und deren erwiesene Orthodoxie den römischen Theologen lauter Freudenthränen ausgepreßet.«791
Man merkt förmlich an der lebendigen und bissigen Sprache, wie Walch hier zu polemischen Höchstleistungen aufläuft: Ein schlichter Quellenvergleich lege offen, dass Zosimus sich selbst widerspricht und damit theologisch völlig unglaubwürdig erscheint; freilich hätte Walch hier auch die Option gehabt, ge786 Walch,
Entwurf, 662 f. Entwurf, 663. 788 Walch, Entwurf, 663. 789 Walch, Entwurf, 663. 790 Walch, Entwurf, 663. 791 Walch, Entwurf, 663. 787 Walch,
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mäßigt einen Gesinnungswechsel des Zosimus nachzuzeichnen, doch hat er sich für den Weg entschieden, einen radikalen Bruch und Widerspruch aufzuzeigen: Von Freudentränen über die Orthodoxie der Pelagianer hin zu deren harschen Verurteilungen im Schnellschritt.
6. Zusammenfassung Es ist in dieser Untersuchung deutlich geworden, dass es sich bei der Darstellung des pelagianischen Streites in Walchs Entwurf nicht allein um das umfänglichste Werk zum Thema handelt, sondern auch um eine überraschend gehaltvolle Quelle zur Beurteilung des Streites und seiner Akteure im 18. Jahrhundert aus der Hand eines lutherischen Theologen jenseits neologischer Strömungen. Freilich besteht der Großteil des Textes, der hier natürlich nicht vollständig präsentiert werden konnte, aus der detailversessenen und um Vollständigkeit bemühten Anführung von Quellenzitaten und Hinweisen auf die Sekundärliteratur, denen das entsprechende Studium durch den fleissigen und belesenden Kompilator Walch vorausgegangen ist. Das ist bisweilen äußert ermüdend, dafür aber so genau und für seinen damaligen Forschungsstand vollständig, insbesondere zur dritten Phase des Streites mit seiner Auswertung von Konzilsakten und bischöflichen Briefen, dass das Werk selbst für heutige Interessierte am pelagianischen Streit einen Mehrwert als Nachschlagewerk bietet. Zudem stehen die Zitate nicht zusammenhangslos nebeneinander, sondern dienen der Begründung oder Untersuchung eines historischen Sachverhaltes oder der Darlegung dogmatischer Positionen und werden zudem oftmals ausgiebig von Walch diskutiert und anschließend ausgewertet. Somit zeichnet Walch detailreich die Chronologie des Streites nach, immer basierend auf den ihm vorliegenden Quellen und mit vorsichtiger Berücksichtigung der Sekundärliteratur, der er aufgrund ihrer parteilichen Gebundenheit an theologische Kontroversen des 17. Jahrhunderts kritisch gegenübersteht. Eine dogmengeschichtliche Darstellung im eigentlichen Sinne wird jedoch von Walch nicht geboten. Zwar widmet er sich ausführlich der Frage nach dem Pelagianismus vor Pelagius und streift dogmenhistorische Problemstellungen bei der Anfrage, ob die pelagianische Lehre nun wirklich als häretisch zu bezeichnen sei; aber eine detailreiche Untersuchung, wie Semler sie anstellte, ist hier von Walch nicht angestrebt. Walchs Sicht auf die rekonstruierte Dogmatik und Ethik der Pelagianer ist jedoch überdeutlich als die eines sich selbst als gut lutherisch verstehenden Theologen zu erkennen, sei es in Andeutungen oder in den klaren Selbstzeugnissen Walchs. Seine Darstellung des Streites ist dadurch trotzdem kaum parteilich getrübt, da sich seine eigene Position meist klar erkennen lässt und dem Leser dennoch Raum zur eigenen Meinungsfindung geboten wird – auch wenn Walch selbst wohl davon ausgeht, dass bei genauerer Auswertung der aufmerk-
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C. Wendepunkt und Hinwendung
same Leser nur den Schluss ziehen könne, gleichfalls die pelagianischen Lehrmeinungen zu verwerfen. In der Darstellung und Untersuchung der Lehrpositionen legt Walch seinen Schwerpunkt deutlich auf die Gnaden‑ und Erbsündenlehre, sowie die daraus resultierenden Folgen für die Heilsordnung. An der Freiheitsfrage zeigt er kein besonderes Interesse, wohl aber an der Frage nach der Kinder‑ und Säuglingstaufe, in der er Pelagius gegenüber Konzessionen macht und sich von Augustins Position zum Status ungetaufter Säuglinge distanziert. Dennoch ist seine Augustinusdarstellung, erst recht im Kontrast zu Semler, frei von Polemik diesem gegenüber. Walch gesteht zwar Fehler auf Seiten Augustins ein und stellt dessen Lehre und Heilsordnung aus lutherischer Sicht als verfehlt dar, ansonsten wird er jedoch von Walch gegen allzu heftige Anschuldigungen klar in Schutz genommen. Walch orientiert sich stark an den Einzelpersonen, die anhand der verschiedenen Quellenzeugnisse vorgestellt werden; das gilt auch für deren Lehren, allerdings bleiben die Persönlichkeiten dennoch blass, auch weil er keine Verknüpfung von Charakter und Lehrmeinung der Vertreter beider Parteien anstrebt. Fast schon etwas zwanghaft erscheint jedoch Walchs Bemühen, Fehler auf beiden Seiten, also sowohl bei den Pelagianern als auch deren Gegnern, aufzuzeigen, was sicherlich ein etwas überzogener Ausdruck seines Bemühens um Unparteilichkeit ist. Kritik wird bei ihm vor allem an der Art der Diskussionsführung auf beiden Seiten laut, wobei er auch hier mit den Pelagianern strenger ins Gericht geht und insbesondere deren verwerfliche Mehrdeutigkeit im Ausdruck ihrer Lehrmeinungen scharf kritisiert. Wie schon Semler instrumentalisiert auch Walch seine Darstellung des pelagianischen Streites für seine Papstkritik, die durchaus amüsant und spitzfindig ausfällt, wie auch für seine Ansicht über das rechte Verhältnis von Staat und Kirche in Religionsfragen, aber auch über das innerhalb der Kirche selbst geltende Recht hinsichtlich des Umgangs mit von der Orthodoxie abweichenden Ansichten.
D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken: Die Ethisierung der historia Pelagiana am Ende des 18. Jahrhunderts I. Ludwig Timotheus Spittlers Grundriß der Geschichte der christlichen Kirche (1782) 1. Einführung Der aus dem württembergischen Adel stammende Ludwig Timotheus Freiherr von Spittler (1752–1810) liefert mit seinem 1782 erstmals erschienenen Grund‑ riß der Geschichte der christlichen Kirche eine erste freimütige, aber zugleich gemäßigt daherkommende Darstellung und Beurteilung des pelagianischen Streites in der Kirchengeschichtsschreibung am Ende des 18. Jahrhunderts.1 Spittlers Kompendium erfuhr sechs Auflagen.2 Schon diese Auflagenhöhe zeugt von der enormen Popularität des kirchengeschichtlichen Überblickwerkes, das inhaltlich bis in das 18. Jahrhundert hineinreicht.3
1 Zu Spittlers Vita vgl. Dirk Fleischer, »Spittler, Ludwig Timotheus Freiherr von«, NDB 24 (Berlin: Duncker & Humblot, 2010): 715 f. Schon zu Stuttgarter Schulzeiten wurde durch seinen Lehrer Johann Christian Volz – einem prominenten Historiker Württembergs – sein Interesse für die Geschichtswissenschaft erweckt. Nach Zeit und Abschluss des Studiums der Theologie in Tübingen erhielt Spittler einen Ruf als ordentlicher Professor an die Göttinger Universität, wo er an der philosophischen Fakultät vor allem Vorlesungen über Kirchen‑ und Dogmengeschichte zu halten hatte. Ihm bot sich gar die Aussicht, die Nachfolge Christian Walchs an der Theologischen Fakultät anzutreten, doch er verzichtete auf diesen Aufstieg zugunsten seines Freundes Gottlieb Jacob Planck, vgl. Fleischer, »Spittler«, 715. Mit diesem Verzicht auf eine theologische Professur geht auch eine Schwerpunktverlagerung auf die politischen und landesgeschichtlichen Arbeiten in Spittlers Werk und Leben einher, vgl. Fleischer, »Spittler«, 715. 2 Ludwig Timotheus Freiherr Spittler, Grundriß der Geschichte der christlichen Kirche (1. Aufl. 1782; 2. Aufl. 1785; 3. Aufl. 1791; 4. Aufl. 1806; 5. Aufl. 1814). 3 Als Grundlage der Darstellung wähle ich hier die erste Auflage von 1782. Dass dieses Werk solche Popularität erlangen konnte, liegt sicherlich nicht zuletzt an dessen Ausrichtung wie auch an dem gelungenen sprachlichen Stil Spittlers: Sprache und Syntax sind einfach, aber nicht schmucklos oder gar trocken geraten, sondern angenehm geschmeidig und anschaulich. Es entfaltet sich in diesem kirchengeschichtlichen Kompendium so überwiegend ein gut lesbares Narrativ, wenn auch freilich nur unter Vernachlässigung von Details und dem Verzicht auf größere dogmenhistorische Einzelausführungen.
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Spittler stand der Neologie nahe und so war ihm Semler ein großes Vorbild.4 Von diesem übernahm er die Unterscheidung von Theologie und Religion und bemühte sich auf ähnliche Weise um eine pragmatische Geschichtsschreibung und eine Reduktion der dogmatischen Traditionen.5 Spittler wendet sich im Grundriß auch von der starren Einteilung nach Jahrhunderten ab: »Die Methode, Kirchengeschichte nach den Abschnitten der Jahrhunderte zu erzehlen, ist […] endlich einmal gestürzt.«6 Stattdessen setzt er auf eine Periodeneinteilung mit jeweils drei Unterkapiteln: 1) »Geschichte der Ausbreitung«, 2) »Geschichte der Kirche, noch blos als Gesellschaft betrachtet« (äußere Verfassung der Kirche), und 3) »Geschichte dieser Gesellschaft als religiosen Gesellschaft«, in der Spittler sich insbesondere den Lehrmeinungen zuwendet.7 Er sieht jedoch auch selbstkritisch Schwächen dieser seiner Darstellungsweise und gesteht ein: »[D]urch alle unsere Eintheilung muß doch immer etwas verloren gehen, weil wir das Kontinuum unmöglich so darstellen können, wie es sich, in der Natur selbst, als Phänomen zusammentreffender tausendfältiger Ursachen zeigt. Bey obrigen drey Abschnitten schien mir der Verlust der Wahrheit der möglich geringste.«8
Innerhalb seiner Periodisierung der Kirchengeschichte verhandelt Spittler den pelagianischen Streit in der zweiten Periode, welche er als eine Zeit der »theologischen Kontroversen« charakterisiert. Innerhalb des dortigen Unterabschnittes zu den Lehrmeinungen jener Zeit bettet er die Darstellung des pelagianischen Streites zwischen den nestorianischen und monophysitischen Kontroversen der Ostkirche und der Darstellung der manichäischen Priscilianer ein.9
4 Allerdings erschöpften sich Spittlers Sympathien für Semler wohl in der gemeinsamen theologischen Stoßrichtung. Nach einer Studienreise (1776/77), die ihn auch nach Halle führte, zeigte sich Spittler jedenfalls enttäuscht von der Begegnung mit Semler, vgl. Josef Schweizer, Ludwig Timotheus Spittler. Ein Lebensbild. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde einer hohen Philosophischen Fakultät der Universität zu Tübingen (Würzburg: Philippi, 1907), 22. 5 Vgl. Fleischer, »Spittler«, 716. 6 Spittler, Grundriß, 15. 7 Zur Untergliederung vgl. Spittler, Grundriß, 15 f. Vgl. hierzu auch Aner, Lessingzeit, 332: »Im Rahmen eines kurzen Kompendiums sind derartige große durch Jahrhunderte laufende Längsschnitte angängig; in größeren Darstellungen, wie der Schroeckhschen, reißen sie das nur in seiner Gleichzeitigkeit Verständliche auseinander.« 8 Spittler, Grundriß, 16. 9 Spittler teilt die Geschichte in sechs Perioden ein: 1) Die »Zeit der Unterdrückung« (bis vor Konstantin, 4. Jahrhundert); 2) die »Zeiten theologischer Streitigkeiten« (bis Mohammed, 7. Jahrhundert), zu dessen erstem Unterabschnitt über Konstantin Spittler schön vermerkt: »Der Unterdrückte wird Herr.« ; 3) »Von Muhammed bis auf Gregor VII.«; 4) »Von Gregor VII. bis Luther«; 5) »Von Luther bis auf Stiftung der Universität Halle 1694«; 6) »Von Stiftung der Universität Halle bis auf unsere Zeiten«.
I. Ludwig Timotheus Spittlers Grundriß der Geschichte der christlichen Kirche (1782) 331
2. Der pelagianische Streit an sich 2.1. Kontextualisierung und Problematisierung Wie wenig starr, sondern elegant Spittler diese Einbettung vornimmt, wird schon an Einleitung und Schluss des Abschnittes zu den »pelagianischen Streitigkeiten« deutlich.10 Eingangs greift er dort den Topos der vorangehend geschilderten theologischen Streitigkeiten im Osten auf und wie anspruchsvoll oder genauer gesagt überfordernd diese sprachlich wie folglich auch inhaltlich für das gemeine Volk und einen Großteil der Kirche im Westen waren: »In die Occidentalische Kirchen waren nun zwar alle diese Streitigkeiten weit nicht so sehr eingedrungen, der Bischof von Rom nahm wohl an den meisten innigsten Antheil, aber die wenig beträchtlichere Kirchen und noch mehr das Volk erfuhr wenig davon, selbst die Sprache schien nicht den Reichthum und die Biegsamkeit zu haben, um an solchen Spizfindigkeiten Theil nehmen zu können.«11
Das ist nicht nur ein Resümee zu den ostkirchlichen Kontroversen und zugleich eine elegante Überleitung zu einer gewichtigen theologischen Streitigkeit der Westkirche, sondern eine schöne Maßnahme, um das »Mindset« und die Voraussetzungen des Umfeldes, in welchem der pelagianische Streit ausgetragen wird, kurz und knapp darzulegen und bereits die Schwierigkeiten anzudeuten, aus denen heraus sich selbiger entwickelt. Die pelagianischen Streitigkeiten, von denen Spittler hier im Plural spricht, da auch die Auseinandersetzungen um die Verschärfung der Prädestinationslehre und die sogenannten Semipelagianer hierbei kurz besprochen werden, verortet Spittler bezeichnenderweise zwischen zwei gleich negativ geladenen Polen: Dem pelagianischen Streit gehen die ostkirchlichen Auseinandersetzungen zur Christologie voraus, deren sprachliche und theologische Feinheiten die lateinische Christenheit im Westen gar nicht im Stande ist, angemessen aufzufassen. Wieder schwingt, wie auch in vorangegangenen Darstellungen, hier bereits eine deutliche Kritik gegenüber der lateinischen Sprache und der daraus erwachsenen Theologie im Westen mit. Der andere Pol ist die nach den pelagianischen Streitigkeiten akut werdende Problematik der Völkerwanderung und des Zerfalls des Imperium Romanum, begünstigt durch die Goten‑ und Vandaleneinfälle. Die dadurch hervorgerufene Bedrängnis führte wiederum zu einer abnehmenden theologischen Kenntnis und Gelehrsamkeit des Klerus, was Spittler mit dessen Existenzsorgen begründet:
10 Zur Darstellung des pelagianischen Streites insgesamt vgl. Spittler, Grundriß, 129–133 (§ 41). 11 Spittler, Grundriß, 129 f.
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
»Durch den Einbruch der barbarischen Völker war auch der Klerus größtentheils in eine tiefe Unwissenheit versunken, er hatte sich seiner Existenz zu erwehren, wie konnt’ er an Gelehrsamkeit und Ausbreitung theologischer Kentnisse denken?«12
2.2. Die fortwährende Relevanz des Streites Die Relevanz des pelagianischen Streites kann Spittler für seine zeitgenössische Theologie nicht hoch genug einordnen und stellt diese ausdrücklich über die vorangegangenen theologischen Auseinandersetzungen in ihrer Gegenwartsbedeutung, wenn er schreibt, dass »im Occident eine Glaubensstreitigkeit aus[brach], welche zwar nicht dadurch merkwürdig wurde, daß sie zu Entstehung einer besondern Christenpartie Veranlassung hab, aber auf unsere gegenwärtige Dogmatik einen viel tiefdringendern Einfluß hatte, als Nestorianische und Monophysitische Zwistigkeiten«.13
Hieran lassen sich gleich mehrere Beobachtungen für die Fragestellung treffen: Der pelagianische Streit ist eine »Glaubensstreitigkeit«, aber wie schon bei so vielen vorangegangenen kirchengeschichtlichen Darstellungen geht daraus keine eigenständige kirchliche Partei abseits der Mehrheitskirche hervor, also keine Ketzerei per definitionem. Ohnehin spricht Spittler an keiner Stelle in seiner Darstellung von einer Ketzerei der Pelagianer, sondern schildert diese neutral bis hin zu deutlich wohlwollend. Überdeutlich wird auch der Einfluss, den Spittler den im pelagianischen Streit verhandelten Fragen auf die Dogmatik seiner Zeit beimisst. Die christologischen Streitigkeiten des Ostens werden hingegen als »Zwistigkeiten« und weiter oben als »Spitzfindigkeiten« deklassiert; wirft man einen kurzen Blick auf die vorangehende Beurteilung der nestorianischen und monophysitischen Auseinandersetzungen wird auch eine durchweg negative Beurteilung der spekulativen und abstrakten Theologie des Ostens durch Spittler deutlich: »Religion und Theologie war im Orient ein verunstaltetes Gewebe von Aberglauben und sectirischer Grübeley. Um Bestimmungen der Heilsordnung kümmerte sich der Orientaler fast gar nicht, die größte wichtigste Religionswahrheiten wurden unter einem Schwall von Spitzfindigkeiten und Albernheiten erstickt. Wer sollt’ es glauben, daß Mahomed der Betrüger eine bessere Religion aus seiner Arabischen Wüste hervorbrachte, als die damalige Christliche war?«14
Eine verächtlichere Beurteilung ostkirchlicher Theologie und Religiosität ist kaum vorstellbar, wird diese doch sogar hinter den Islam gestellt. Hier offenbart sich Spittler zugleich als aufklärerisch und neologisch denkender Theologe: Die ostkirchliche Theologie und Frömmigkeit ist für ihn geprägt von Aberglauben und kontraproduktiver Grübelei, also ein Nachdenken, das nicht Spittler, Grundriß, 130. Spittler, Grundriß, 130. 14 Spittler, Grundriß, 129. 12 13
I. Ludwig Timotheus Spittlers Grundriß der Geschichte der christlichen Kirche (1782) 333
zielgerichtet, sondern zum Selbstzweck da ist und sich bestenfalls um irrelevante, abstrakte theologische Fragestellungen dreht. Die Heilsordnung, welche letztlich auf einen praktischen Glaubensvollzug zielt, werde hingegen vollkommen vernachlässigt, die zentralen Glaubenswahrheiten, womit Spittler wohl auch auf die Gnadenlehre zielt, unter Spitzfindigkeiten und Unsinn begraben, was dem aufklärerischen Denker zum Ende des 18. Jahrhunderts mit seiner Orientierung an der moralischen Nutzbarkeit der Glaubenslehre nur ein Dorn im Auge sein kann.
3. Augustins und Pelagius’ Anliegen und Verhalten 3.1. Pelagius’ »Ernst für das praktische Christentum« Bezeichnenderweise rückt Spittler Pelagius auch weniger in die Nähe ostkirchlicher Theologie als in allen anderen kirchengeschichtlichen Darstellungen. Genau genommen zeigt er nur da Verbindungslinien auf, wo diese Pelagius in einem durchaus guten Licht erscheinen lassen: So habe er anders als die meisten Theologen des Westens Griechisch verstanden und war damit schon »nach dem Maaß seines Zeitalters«, welches Spittler ja zuvor als theologisch im Verfall begriffen schilderte, höchst gebildet. Der Bezug auf die griechische Bildungssprache – und schließlich auch Ursprache des neuen Testaments – ist also eine positive Qualifizierung und zeugt vom geistigen Vermögen und der Bildung des Pelagius. Zudem sei sein theologisches Anliegen nicht bestimmt von abstrakten theologischen Spekulationen, sondern von seinem »Ernst für das praktische Christentum« im Angesicht des »tiefen Verfall[s] der Frömmigkeit seiner Zeit«, über die Pelagius »äusserst betrübt« gewesen sei.15 Zentral war für Pelagius daher laut Spittler auch einzuschärfen, »wie es allein bey dem Menschen stehe fromm zu werden«,16 also die Betonung des natürlichen Vermögens und des Hinreichens dieses eigenen Vermögens zur Seligwerdung. Eine Verbindungslinie zur östlichen Theologie bei Pelagius sieht Spittler hingegen in der Befürwortung seiner Gnadenlehre bei den »morgenländische[n] Bischöfe[n]«, die »in der Lehre von der Gnade ihm schon vorher viel ähnlicher dachten als die Abendländische[n Bischöfe]«.17 Freilich kann das Aufzeigen dieser Verbindung sehr unterschiedlich interpretiert werden, da Spittler keine Qualifizierung dieser Gnadenlehre vornimmt. Auch eine bloße Nennung dieses Sachverhaltes aufgrund historischer Faktizität und zwecks der Erklärung, warum Pelagius im Osten nicht verurteilt wurde, ist hier denkbar. In Kombination mit den Äußerungen zum theologisch moralischen Anliegen des Pelagius lässt sich jedoch eine gewisse Sympathie aus diesen Zeilen für selbige herauslesen. Spittler, Grundriß, 130. Spittler, Grundriß, 130. 17 Spittler, Grundriß, 131. 15 16
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Ohnehin ist Spittlers Formulierung hier spannend: Pelagius wird an keiner Stelle als durch ostkirchliche Theologie in seiner Gnadenlehre beeinflusst gezeichnet, auch von der dogmenhistorischen Pelagianismus ante Pelagius-Debatte, die für Semler wie Walch aus unterschiedlichen Gründen so hoch relevant war, findet sich bei Spittlers Darstellung keine Spur mehr.18 Vielmehr wird eine bloße Analogie der Gnadenlehre des Pelagius zu der der orientalischen Bischöfe festgestellt, die seiner Lehre beipflichten, weil sie ihr ohnehin nahestanden. Zudem wird Spittler die Gnadenlehre und ihre Implikationen als zentral für die Theologie angesehen haben, da sie unmittelbare praktische Auswirkungen auf den christlichen Lebensvollzug hat und nicht zu den bloß spekulativen Diskussionen der Ostkirche zu zählen ist. Sichtbar ist an der Beurteilung des Charakters und Anliegens des Pelagius auch, welche Bedeutung Spittler, so knapp die Darstellung der Vita des »fromme[n] Mönch[es] aus Britannien« auch ausfällt, der konkreten Einzelperson und ihrem Antrieb beimisst. Pelagius ist kein hölzernes Abziehbild eines Häretikers, sondern ein gleichwertiger, wenn nicht gar hochqualifizierter Theologe mit einem verständlichen Anliegen, das auf eine Verbesserung des praktischen Christentums und damit der gelebten Frömmigkeit und christlichen Moral zielt. Freilich bleibt die Charakterisierung des Pelagius dennoch knapp, verzichtet Spittler doch weitestgehend auf biografische Details, was angesichts der Kürze des Grundrißes jedoch nicht überrascht.19 3.2. Augustins unablässiger Einsatz gegen Pelagius Nach der kurzen Charakterisierung des Pelagius schildert Spittler zunächst den weiteren Verlauf des Streites, von der Zeit des Pelagius in Rom, wo »niemand
18 Freilich kann dies auch der nötigen Kürze des Abschnitts zum pelagianischen Streit im Kompendium Spittlers geschuldet sein. Angesichts einiger doch vorhandener Details, die Spittler einstreut, und der oben angeführten Argumentation erscheint mir dies jedoch unwahrscheinlich. 19 Damit ist Karl Aner hierin durchaus zuzustimmen, dass Spittler wahrlich keine Personengeschichte, sondern Kirchengeschichte im wahrsten Sinne des Wortes schreibt, »in deren ›Handlung‹ die führenden Persönlichkeiten an den jeweiligen Punkten auftreten«. (Aner, Lessingzeit, 333, Anm. 2). Damit widerspricht Aner ausdrücklich Ferdinand Christian Baur, der beklagt habe, Spittler »erblicke das bewegende Prinzip der Geschichte schlechthin in den Individuen«. (zitiert nach Aner, Lessingzeit, 332, Anm. 2). Aner nennt hierfür als besonders charakteristisches Beispiel die Einführung Augustins. Als weiteres Beispiel erwähnt er ferner den Beginn der Darstellung der Reformationsgeschichte; diese eröffnet Spittler nicht mit der Entwicklung Luthers, sondern mit dem Thema Ablasshandel und Luthers Reaktion auf diesen, vgl. Spittler, Grundriß, 333, Anm. 2. Meiner Meinung nach sind die von Aner angeführten »Auftritte« dieser wichtigen Personen auf der Bühne der Kirchengeschichte ein durchaus gelungenes Merkmal der doch relativ narrativen Geschichtsdarstellung Spittlers, die ihre Akteure organisch und fließend zugunsten der Lesbarkeit einführt, wenn auch sicherlich zuungunsten der Übersichtlichkeit.
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[…] etwas dagegen« hatte,20 was sein öffentlich vorgetragenes theologisches Anliegen betrifft, über die Flucht nach Afrika angesichts des Einfalls Alarichs in Rom, die Diskussion um Caelestius in Nordafrika und dessen Anzeige durch den Presbyter Paulinus, bis hin zur Behandlung der Causa Pelagiii im Osten und der letztgültigen Verurteilung der Pelagianer durch den römischen Kaiser. Diesem Abschnitt des Streites widmet Spittler ein besonderes Augenmerk. Hier bemerkt man anhand seiner durchaus scharfen Kritik am Verhalten der Gegner des Pelagius Spittlers Nähe zu Semler: Augustinus, der nun eingeführt wird und den Spittler spöttisch als »das Orakel der Afrikanischen Kirche« bezeichnet, habe Pelagius sogleich Orosius hinterhergeschickt, um die »Bischöfe auf den verdächtigen Mann aufmerksam« zu machen, und »heßt dem Keßer einen Mönch auf den Hals, der an Fertigkeit und Grobheit im Polemisieren nicht leicht seines Gleichen gehabt haben mag«.21 Damit ist natürlich niemand Geringeres gemeint als Hieronymus, über den Spittler ferner noch vermerkt: »Das war Hieronymus, ein Mann dem es gewiß an Genie und Kenntnissen nicht fehlte, aber an Mäßigung, und kaltblütigem Urtheil, besonders wann von Orthodoxie oder Heterodoxie die Rede war.«22 Es ist schon bemerkenswert, dass angesichts der durchgängigen heftigen Kritik an Hieronymus in den Darstellungen des pelagianischen Streites nicht dieser zum Hauptfeind und Prügelknaben der neologischen und aufklärerischen Theologen wurde, sondern Augustinus – was letztlich nur dogmatisch aufgrund dessen ausgeprägter Erbsünden-, Gnaden‑ und Prädestinationslehre verständlich ist, wohin gegen Hieronymus bei Spittler sprachlich als hitziger Jagdhund des Augustinus gezeichnet wird, der erst recht angesichts des Problemfeldes Orthodoxie – Heterodoxie kaum noch an der Leine zu halten ist. Trotz Augustins starker Versuche der Einflussnahme durch Orosius und Hieronymus drohte Pelagius, siegreich und ohne Verurteilung aus dem Konflikt hervorzugehen, sodass die »Afrikaner […] deßwegen den Römischen Bischof in die Partie« zu ziehen versuchten, was »bald gelang […], bald mißlang […], dann Caelestius wußte durch zweydeutige Glaubensbekenntnisse den untrüglichen Bischof zu täuschen«.23 Mit diesem herrlich bissigen Oxymoron des untrüglichen und doch betrogenen Bischofs zielt Spittler freilich auf Zosimus, der die beiden Pelagianer bekanntlich zunächst von allen Anschuldigungen freigesprochen hatte; doch es blieb für Augustinus »eine einzige Maschine übrig, die man spielen lassen konn20 Spittler, Grundriß, 130. In der fünften Auflage heißt es hingegen: »So predigte er lange Zeit in Rom, und niemand erinnerte dagegen.« (Spittler, Grundriß, 5. Aufl., 141). 21 Spittler, Grundriß, 131. 22 Spittler, Grundriß, 131. In der fünften Auflage eröffnet Spittler die Passage mit den bissigen Worten: »Leider war dieser Mönch Hieronymus […].« (Spittler, Grundriß, 5. Aufl., 141). 23 Spittler, Grundriß, 131.
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
te«:24 Mit diesem erneut wunderbaren Sprachbild der Maschine, derer sich Augustinus gegen Pelagius bedient, leitet Spittler Augustins Einflussnahme auf den Kaiserhof in Ravenna zuungunsten der Pelagianer ein: Allein seinem großen Ansehen sei zu verdanken, dass »sehr strenge Gesetze gegen die Pelagianer« erlassen wurden, die wiederum dazu führten, dass alle, und damit letztlich auch der Papst, sich gegen sie vereinigte.25 Erneut ist es wie bei Semler nicht theologische Argumentation, sondern bloße (kirchen‑)politische Intervention und Intrigieren, die also zur Entscheidung gegen die Pelagianer und ihre Lehrmeinungen führten.
4. Die Theologie des Pelagius und Augustins Worin die von Pelagius und Augustinus vertretenden Lehren bestanden, fasst Spittler nach diesem geschichtlichen Überblick zusammen: »Pelagius und seine Partie, so weit sie mit einander übereinkamen, scheinen der Meynung gewesen zu seyn, daß wir durch Adams Fall gar nichts verlohren hätten, daß der Tod ganz natürliche Einrichtung der menschlichen Natur sey, daß es ganz in unsern Kräften stehe, durch Befolgung der Gebote Jesu Christi ewig seelig zu werden.«26
Durch Adams Fall ist also der Natur des Menschen kein Schaden entstanden, zu dessen Charakteristika es ohnehin gehöre, sterblich zu sein und kraft seiner unbeschadeten Naturvermögen die Gebote Christi ohne weitere nötige Unterstützung einhalten zu können, um Seligkeit zu erlangen. Bemerkenswert ist an dieser Zusammenstellung, mit welcher Neutralität Spittler diese hier darbietet, was nicht nur der Knappheit der gesamten Darstellung des pelagianischen Streites anzurechnen ist. Das wird dort sichtbar, wo die Gegenposition des Augustinus eingeleitet wird: »Augustin, besonders beim Polemisiren sehr zum Ueberspannen geneigt, schloß bey dem Werk der Bekehrung und Beglückung des Menschen so sehr alle Selbstthätigkeit derselben aus, daß er alles auf einen unbedingten Rathschluss Gottes gründete […].«27
Wie schon zuvor im Falle des Hieronymus nimmt sich Spittler die Zeit und den Raum und die überzogen polemische Art des Augustinus zu kritisieren um damit zugleich die nachfolgend genannte Gegenposition als unangemessene Übertreibung zu charakterisieren: Wo Pelagius alles dem menschlichen Vermögen zuschreibt, sieht Augustinus laut Spittler keinerlei Eigenbeteiligung des Menschen an seinem Heil, sämtliche »Selbstthätigkeit«, die einem aufgeklärten Menschen wie Spittler sicherlich wichtig war, ist ausgeschlossen. Streng genommen nimmt Spittler, Grundriß, 131. »[S]o bald aber der kaiserliche Hof Strafgeseße gegeben hatte, so vereinigte sich alles gegen sie.« (Spittler, Grundriß, 132). 26 Spittler, Grundriß, 132. 27 Spittler, Grundriß, 132. 24 25
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Spittler zwar nur eine kompakte Gegenüberstellung der zentralen Lehransichten vor, aber eine Kritik an Augustins Charakter und Lehre ist schwer zu überhören. Dies wird auch deutlich, wenn anschließend von den Folgen der Ansichten Augustins zu hören ist. Aufgrund seiner übertriebenen Prädestinationslehre seien seine Anhänger in Afrika und Frankreich im Sinne einer doppelten Prädestination noch weiter gegangen und »glaubten der Mensch sey nicht nur zur Seeligkeit und Verdammung sondern auch zu Tugend und Laster prädestinirt«.28 Solche Zuspitzungen mussten laut Spittler wiederum zu weiterem Widerspruch führen, den Spittler im Aufkommen der Semipelagianer sieht. Trotz der Unterschiede zwischen West‑ und Ostkirche hätten beide doch so im Austausch miteinander gestanden, als dass »sich nicht die aufgeklärteren Begriffe der leßtern auch der erstern hätten mittheilen sollen«.29 Die Semipelagianer kommen in der Darstellung Spittlers ähnlich günstig davon, wie die eigentlichen Pelagianer.30 Polemik gegen diese findet sich an keiner Stelle, vielmehr liegt nahe, dass Spittler in ihnen nicht nur eine notwendige Gegenposition zu einer übertriebenen Prädestinationslehre sah, sondern auch eine inhaltlich nicht sonderlich verwerfliche Ansicht; doch Letzteres ist freilich der Interpretation des Lesers überlassen. Doch wie im Falle der eigentlichen Pelagianer wurde auch in diesem Falle die Sache durch die Unterstützung des römischen Bischofs zugunsten der »Augustinischen Partie« entschieden. Dadurch, dass das theologische Anliegen Augustins zur Sache des römischen Bischofs geworden sei, sei wiederum mit dem Aufstieg des römischen Bischofs auch das theologische Ansehen Augustins in der Folgezeit unangefochten hoch geblieben.31 Doch bei Spittler steht Augustins Ansehen definitiv nicht mehr hoch im Kurs: Dessen Erfolg gegen die Pelagianer sieht er nicht nur in seiner Verbindung zum mächtiger werdenden römischen Papst, sondern auch in der schlichten Tatsache, dass sich kein angemessen befähigter literarischer Gegner unter den Pelagianern gefunden habe, der ihm die Stirn hätte bieten können: »Ueberdiß hatte die Gegenpartie keinen Schriftsteller, der so feurig, so unerschöpflich, so voll des lebhaftesten Wißes gewesen wäre, als Augustinus, und da die Welt von jeher auch überschrien werden konnte, so behaupteten sich die Meynungen des fruchtbarern Schriftstellers.«32
Nicht der Inhalt, sondern der Stil und die literarische Gewalt, wie das »Überschreien« verdeutlicht, haben somit zu Augustins Erfolg maßgeblich beigetragen. Spittler, Grundriß, 132. Spittler, Grundriß, 132. 30 »Es erhub sich eine gewisse Partie, der das mittlere Zeitalter den Namen Semipelagianer gab, die nicht ganz alle unmittelbare Würkung Gottes auf die Seele des Menschen läugnete, aber sie nicht als unentbehrlich nothwendig sondern als Erleichterungsmittel für unsere Belehrung ansah.« (Spittler, Grundriß, 132). 31 Vgl. Spittler, Grundriß, 133. 32 Spittler, Grundriß, 133. 28 29
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Auch die »lateinische Hermeneutik dieser Zeitalter« hätte zum langanhaltenden Erfolg der Positionen und damit Lehrmeinungen Augustins über die Jahrhunderte beigetragen.33 Wie schon so oft zuvor zu sehen war, – insbesondere bei dem von Spittler so geschätzten Semler – ist der Bezug auf die lateinische Schriftauslegung durchweg negativ konnotiert.34 Die Lehrmeinungen Augustins sieht Spittler als in sich selbst widersprüchlich an, da man die Möglichkeit habe, »Prädestination und Semipelagianismus aus ihm erweisen zu können, dann wenige Schriftsteller sind sich so ungleich wie er, und zeigen in ihren Schriften ein so unverkennbares Gepräge der Zeit und Veranlassung, bey welcher sie geschrieben wurden«.35 Die Botschaft Spittlers liegt deutlich zutage: Wenn zwei sich konträr gegenüberstehende Meinungen aus dem Werk ein und derselben Person nachweisen lassen, dann kann dieser Schriftsteller nur reich an Widersprüchen oder unklar in seinen Formulierungen sein; allerdings zielt Spittler deutlich auf die Widersprüchlichkeit, die er in der Gebundenheit der Schriften Augustins an Zeit und unterschiedliche Anlässe begründet sieht.
5. Zusammenfassung Spittlers Darstellung des Streites fällt dem Kompendium angemessen kurz aus, ist aber prägnant im Stil. Er ist durchaus spitz und treffend in der Kritik, driftet jedoch nicht in eine überzogene Polemik ab. Sein Hauptaugenmerk liegt auf einem schnellen Überblick, dennoch haben sich interessante Beobachtungen, insbesondere zur negativen Beurteilung Augustins machen lassen. Ebenfalls dem Charakter eines Kompendiums dürfte auch anzurechnen sein, dass Spittler vollkommen auf dogmenhistorische Erwägungen oder vertiefte Untersuchungen, wie durch Semler geschehen, verzichtet; nicht einmal die damit eng verbundene Pelagianismus ante Pelagium-Debatte findet hier ansatzweise Erwähnung. Über Pelagius wird, abseits der Stellen, an denen Spittler spielerisch ironisch den häresiologischen Sprachgebrauch seiner Gegner aufgreift, kein böses Wort verloren. Dessen Darstellung bleibt in Verhalten wie Lehre neutral bis hin zu wohlwollend, wobei die Neutralität eher Spittlers um Objektivität bemühtem kirchenhistorischen Grundsatz verschuldet ist, das Wohlwollen hingegen sicherlich gewisser eigener Sympathien des neologisch-akademischen Theologen Spittlers für Pelagius und sein auf ein praktisches Christentum zielendes Anliegen. Auch wenn Spittler ebenfalls den Sammelbegriff »Pelagianer« verwendet, treten diese vollkommen in den Hintergrund: Caelestius wird noch relativ ausführlich im Kontext des beginnenden Streites erwähnt, Julian findet hier keine Erwähnung. Spittler, Grundriß, 133. Siehe oben S. 62; 159 f.; 195 f. 35 Spittler, Grundriß, 133. 33 34
II. Heinrich Philipp Konrad Henkes Allgemeine Geschichte der christlichen Kirche
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Augustinus wird überhaupt erst durch seinen Einsatz gegen die Pelagianer in Spittlers Grundriß eingeführt; anders als Semler verzichtet dieser auf eine scharfe und modische Polemik gegen den nordafrikanischen Bischof, doch das Aufzeigen seines kirchenpolitischen Vorgehens gegen die Pelagianer und die Benennung der Faktoren, die zu seinem Erfolg beigetragen haben, zeugen dennoch von dem bestenfalls als distanziert zu bezeichnenden Verhältnis des Autors zu Augustinus. Trotz der Kürze, in der die gegensätzlichen theologischen Positionen beider Parteien angeführt werden, lässt sich die fortwährende Gewichtigkeit und Zentralität der verhandelten Streitfragen für die Theologie im Urteil Spittlers nicht von der Hand weisen; den Kern des pelagianischen Streites sieht er dabei in der unterschiedlichen Beurteilung des menschlichen Vermögens beziehungsweise in der Entscheidung der Frage, ob und inwiefern der Mensch zu seiner Seligwerdung beiträgt oder gar alleiniger Akteur hierbei ist.
II. Heinrich Philipp Konrad Henkes Allgemeine Geschichte der christlichen Kirchenach der Zeitenfolge (1788) 1. Einführung »Neue Aufklärung über wichtige und interessante Stellen in der Kirchengeschichte darf man von diesem Buche nicht erwarten. Dennoch ist dieses Buch die Frucht eines sehr mühsamen Fleißes, es sey nun, daß der Verfasser die unglückliche Gabe besitze, sich leichte Sachen schwer zu machen […].«36
So bescheiden erklärt sich Heinrich Philipp Konrad Henke (1752–1809) wenig werbewirksam über seine Allgemeine Geschichte der christlichen Kirche nach der Zeitenfolge von 1788, die nun ins Blickfeld tritt.37 Henke, Allgemeine Geschichte, 1 [Vorrede]. Zu Henke vgl. Beutel, Kirchengeschichte, 159; Nach dem Studium der Philosophie und Theologie in Helmstedt, u. a. bei Carpzov, wurde er dort 1777 Professor der Philosophie und bereits ein Jahr später der Theologie. Der Schwerpunkt und besondere Wert seiner als rationalistisch und »vorkantianisch« zu bezeichnenden Theologie liegt dabei insbesondere in der Kirchengeschichte und Dogmatik. Trotz dieser Zugehörigkeit zum in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts aufkommenden theologischen Rationalismus und seines akademischen Lehramts bekleidete Henke jedoch auch zahlreiche kirchliche Ämter, wie das des Leiters des Predigerseminars Michaelstein im Harz und vermochte somit seinen kritischen Rationalismus mit einem »kirchliche[n] Geist« zu vereinbaren. Dogmatisch bemühte Henke sich im Geiste des Rationalismus um eine Modernisierung dogmatischer Lehren durch eine Rückführung auf die »evangelische Einfachheit«, was auch eine Kritik an unbrauchbaren Lehrbegriffen und eine Umwandlung von Kernlehren wie der Erbsündenlehre beinhaltete, vgl. Beutel, Kirchen‑ geschichte, 159. Kirchenhistoriographisch dazu ganz analog verhält sich sein Anliegen, die geschichtliche Wahrheit ausschmückungsfrei darzustellen. Mit dem dogmatischen Grundsatz einer Rückbesinnung auf die »evangelische Einfachheit«, also einer Fortführung des schon bei 36 37
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Sinn und Zweck seines Fleißes sieht Henke darin, ein Handbuch der christlichen Geschichte, und damit einen Leitfaden für akademische Vorlesungen vorzulegen, der »in vielem Betracht besser wäre, als alle seine Vorgänger«.38 Möglichen Kritikern seines hohen Anliegens begegnet er dabei mit schlitzohrigem Biss: »Wenn es scheinen sollte, daß dies viel gewagt sey, so darf man fragen, wozu überhaupt noch Bücher geschrieben werden.«39 Dem Leser soll letztlich mit diesem mehrbändigen Kompendium »[r]ei cher Vorrath von Fakten, in gepreßter Kürze zusammengefaßt« vorgelegt werden.40 Wichtige Hilfsmittel und Sekundärliteratur will Henke ebenfalls aufzeigen, wobei »keine Bücher blos zur Parade aufzustellen« sind,41 weil sie etwa bekannt oder sonderlich kostbar wären. Abseits dieser strengen Grundsätze ist Henkes Allgemeine Geschichte insbesondere methodisch-strukturell innovativ: Wie schon Spittler zuvor verabschiedet sich Henke endgültig von der starren und antiquierten Einteilung der Geschichte in Zenturien und entfaltete somit das »geschichtliche Material in organisch-pragmatischer Periodisierung«.42 Und ähnlich wie Spittler unterteilt Henke daher die Geschichte der Kirche in acht Perioden, von ihren Anfängen bis zum 18. Jahrhundert.43 Henke folgt dabei der Chronologie und der damit einhergehenden Kausalität, wie bereits der Titel des Werkes mit »nach der Zeitenfolge« deutlich offenlegt.44 Arnold und Mosheim so prominenten simplicitas-Gedankens, geht in Henkes Kirchenhistorik jedoch auch die Fortführung der traditionellen Verfallstheorie im rationalistischen Gewand einher, insbesondere hinsichtlich der vorreformatorischen Geschichte. 38 Henke, Allgemeine Geschichte, 2 [Vorrede]. 39 Henke, Allgemeine Geschichte, 2 [Vorrede]. Zentraler Leitgedanke ist ihm die bereits oben erwähnte, von Ausschmückungen und Lückenfüllern freie Darlegung der geschichtlichen Wahrheit: »[D]ie simple Wahrheit, wie sie nach genauem und vorsichtigem Verhör der Urkunden und Zeugen lautet, nicht wie man wünscht, daß sie lauten mögte, muß sprechen […].« Das gilt auch ausnahmslos für Zeiträume und Sachverhalte, zu denen die Quellenlage bescheiden ausfällt: »Die Kirchengeschichte hat viele dunkle Stellen […] auch da ists nicht verstattet, das Dunkle durch fremdes Licht erhellen […].« (Henke, Allgemeine Geschichte, *3). 40 Henke, Allgemeine Geschichte, 4 [Vorrede]. 41 Henke, Allgemeine Geschichte, *4 [Vorrede]. 42 Beutel, Kirchengeschichte, 159. 43 Henke teilt in folgende Perioden ein: 1) »Von Christi Geburt bis zur Zerstörung Jerusalems«; 2) »Bis zur Kirchenversammlung zu Nicäa«; 3) »Bis zu Gregor dem großen«; 4) »Bis zu Carl dem großen«; 5) Bis zu Gregor VII.; 6) »Bis zu den Päpsten in Avignon«; 7) »Bis zur Reformation«; 8) »Bis auf unsere Zeiten«, vgl. Henke, Allgemeine Geschichte, 11 f. 44 Vgl. Henke, Allgemeine Geschichte, 6 f. [Vorrede]. Hierzu auch Aner, Lessingzeit, 332: »Henke beginnt daher einfach dem historischen Verlauf zu folgen und strebt damit der Methode häufigerer Querschnitte zu.« Jedoch eröffnet sich auch ein methodischer Unterschied zu der dreiteiligen Untergliederung, die Spittler noch vorgenommen hat: Zwar nicht explizit, aber doch anhand eines Beispiels deutlich, äußert er sich damit gegen eine solche systematische Untereinteilung, indem Henke aufzeigt, wie solche Unterteilungen immer wieder aufeinander zu beziehen wären: »Ausbreitung des Christentums war oft nichts weiter, als Auferlegung eines neuen Jochs der Hierarchie.« (Henke, Allgemeine Geschichte, 7 [Vorrede]) Henke spielt damit auf eine Verflochtenheit der ersten Unterteilungskategorie Spittlers mit dessen zweiter zu
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Nach einem äußerst polemischen Paragraphen über die Verbreitung des »Aberglaubens« zur Zeit solch großer Kirchenväter wie Johannes Chrysostomus und Hieronymus, worin Henke die Märtyrer‑ und Reliquienverehrung als Zeichen des Verfalls der Religion beklagt, leitet er zu einem »vertraute[n] Freund« des zuvor so deutlich kritisierten Hieronymus über: Augustinus.45 Henke zeichnet ein kompaktes Bild des nordafrikanischen Bischofs, seiner Vita, Lehre und seines Werks auf den folgenden vier Seiten, mündend in seiner Auseinandersetzung mit den Donatisten.46
2. Der fortwährende Manichäismus Augustins »Aber erst durch die pelagianischen Streitigkeiten […] ward der Augustinische Lehrbegriff vollendet.«47 – Mit diesem Satz eröffnet Henke im Anschluss an die skizzenhafte Lebensbeschreibung Augustins im vorangehenden Paragraphen die Darstellung des pelagianischen Streites.48 Der Eröffnungssatz bedarf einer kurzen Erörterung. Er fungiert hier zum einen als Anknüpfung an den vorangehenden Paragraphen, zum anderen als Ersatz für die übliche Voranstellung der Relevanz des Streites für die zeitgenössische Theologie, wie es zuletzt bei Spittler vernommen werden konnte. Henke betont eben nicht eine solche allgemeine Bedeutung des pelagianischen Streites für nachfolgende Generationen und die Dogmatik seiner Zeit, sondern schränkt Organisation und Struktur der Kirche an. Ohnehin stellt Henke sich gegen eine Unterteilungswut, wie sie zum Beispiel in den Magdeburger Centurien so deutlich hervortritt: »Einmal bleibt sie immer willkürlich; der Geschichtsschreiber nimmt nicht den Stoff seiner Arbeit, wie er ihn findet, sondern er bequemt, zwängt und zerlegt den Stoff nach seinem Wohlgefallen.« (Henke, Allgemeine Geschichte, 8 [Vorrede]). Dies führt laut Henke zwangsweise auch zu Redundanz und unausgewogenen Darstellungen, wo Nebensächliches zu ausführlich und Wichtiges zu flüchtig behandelt wird. Für ungeübte Leser, also Studienanfänger, die zur Zielgruppe dieses kirchengeschichtlichen Überblickswerkes gehören, sei dies völlig unangemessen und verwirrend, vgl. Henke, Allgemeine Geschichte, 9 [Vorrede]. Bis auf eine thematischorientierte Unterteilung in Paragraphen verzichtet Henke daher auf jede weitere schematische Untergliederung der Perioden. 45 Vgl. Henke, Allgemeine Geschichte, 157–160; auch die Kritik an Epiphanius von Salamis kommt hier, wie auch an anderen Stellen bei Henke nicht zu kurz: »Aber viel mehrere lehrt uns Epiphanius, erst ein Mönch, nachher Bischof zu Salamis, kennen und niedermachen. Sein Anker soll den rechten Glauben bewahren und befestigen; seine Medicinschachtel (Panarium) Hülfe geben wider das Gift von achtzig Irrlehren; nur daß jener sehr seicht liegt, und diese so unzuverläßig ist, wie Markschreyerwaare. Indessen mag ers mit seinen Bemühungen gut gemeint haben; seine Nachrichten und Widerlegungen sind auch nicht unfruchtbar für die Geschichte; aber Lebensart und Studium bildeten ihn zu einem leichtgläubigen, stolzen und heftigen Mann.« (Henke, Allgemeine Geschichte, 142). Ohnehin ist diese dritte Periode mit ihrer Betonung von Verfallserscheinungen durch Aberglauben und theologische Kontroversen ein deutliches Zeugnis für die in Henkes Geschichtsbild vorherrschende Verfallsidee. 46 Vgl. Henke, Allgemeine Geschichte, 161–165. 47 Henke, Allgemeine Geschichte, 165. 48 Im Folgenden vgl. Henke, Allgemeine Geschichte, 165–169.
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diese vielmehr auf ihre unmittelbare Bedeutung für das Lehrgebäude des Augustinus ein. Und in diesem nehmen Augustins Lehräußerungen zum pelagianischen Streit förmlich die Position des Schlusssteines ein. Vorangehend lernen die Leser Augustinus als einen Vertrauten des schrecklich streitbaren Hitzkopfes Hieronymus kennen.49 Anders als dieser gelehrte Rüpel sei Augustinus »der feinere Dialektiker und sinnreichere Schwäßer« gewesen, wenn auch nicht halb so schriftgelehrt wie dieser.50 Deutlich bissiger im Ton als bei Spittler wird Augustinus hier von Henke direkt als Phrasendrescher deklassiert, der zudem deutlich weniger bewandert in der Schrift gewesen sei als Hieronymus. Augustinus sei es auch, der für die Ausgestaltung einzelner Elemente der »Religionsphilosophie«, also Dogmatik, »unter den Lateinern nachher im Ganzen« verantwortlich sei, indem er ihr »noch beträchtlichere Zusäße« gab – also faktisch neue Inhalte aus der Philosophie und damit neue Lehrmeinungen hinzufügte. Von den alten Deutungskategorien Orthodoxie und Häresie, wie sie auch für Semler in gewandelter, kritischer Form noch so wichtig waren, hat sich Henke zwar schon verabschiedet, aber die Kritik, dass Augustinus Neues in die ursprüngliche simplicitas eingemischt habe, ist doch unverkennbar. Nahezu sämtliche seiner vielen Schriften seien aufgrund von Anfragen und Konflikten verfasst worden, »die ihm vorgelegt, oder von ihm selbst auf die Bahn gebracht waren«;51 auch hier schwingt wieder Kritik mit, wird Augustinus doch als jemand dargestellt, der die Streitigkeiten erst veranlasst habe. Lediglich De civitate Dei sei nicht aufgrund einer Anfrage oder eines Konfliktes, den Augustinus hervorgerufen hat, abgefasst worden, sondern weil die Umstände der Goteneinfälle ihn dazu genötigt hätten.52 Dieses nicht besondere historische Faktum wäre an sich wenig relevant, doch Henke trifft eine bemerkenswerte Beurteilung der »doppelte[n] Staatsverfassung«, die Augustinus mit seiner Unterscheidung zwischen der himmlischen und der irdischen Stadt vornimmt. Henke ist der festen Überzeugung, dass man in dieser Theorie und der dazu entworfenen Geschichte dieser beiden Städte »den Manichäer, der er [Augustinus] sonst gewesen war, dennoch nicht verkennt, so sehr er auch verfeinert und mit der rechtgläubigen Kirche ausgesöhnt erscheinet«.53 Dies ist freilich insofern eine interessante Beurteilung, als dass ein gängiger Topos der Augustinuskritik der Pelagianer der Vorwurf, dieser sei immer noch Manichäer, gewesen war. Walch berichtete davon in seinem Entwurf an mehreren Stellen und verwarf diese Anschuldigung der Pelagianer als illegitim in der Streitführung.54 Henke lässt jedoch bei seiner Formulierung keinen Zweifel aufkommen, dass er dies 49 Vgl.
Henke, Allgemeine Geschichte, 160. Allgemeine Geschichte, 161. 51 Henke, Allgemeine Geschichte, 161. 52 Vgl. Henke, Allgemeine Geschichte, 161 f. 53 Henke, Allgemeine Geschichte, 162. 54 Siehe oben S. 320. 50 Henke,
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faktisch wie die Pelagianer sieht – also Augustinus als nur scheinbares Mitglied der orthodoxen Kirche, aber in Wahrheit als fortwährenden Manichäer. Zwar habe er sich in der Folgezeit in seinen Streitschriften vehement von den Manichäern distanziert und diese zu widerlegen gesucht; so habe er sich in Bezug auf die menschliche Natur und die »Sünde und ihre Fortpflanzung« nun dafür ausgesprochen, dass »der Mensch kein gemischtes Wesen und die Sünde keine Substanz sey«,55 womit Augustinus also gegen das dualistische Menschen‑ und Weltbild sowie die Materialität des Bösen im manichäischen Denken votiert. Henke sieht hierin jedoch sogleich eine Inkonsequenz, da Augustinus doch bisweilen weiter davon gesprochen habe, dass der Wille des Menschen kraft seiner Freiheit von Natur aus sowohl zum Guten wie zum Bösen ausgelegt sei.56 Zwar führt Henke dies nicht weiter aus, aber in diesen frühen Ansichten Augustins, wie jener sie unzweifelhaft noch in frühen Teilen von De libero arbitrio vertreten hatte, meint Henke noch das manichäische, dualistische Menschenbild erkennen zu können, das der Abkehr von diesem und der Hinwendung zur Orthodoxie widerspricht.
3. Pelagius’ und Caelestius’ »warmer Eifer für praktische Religion« Doch wie erscheinen in der Darstellung Henkes nun Augustins Gegenüber, Pelagius und Caelestius? Sie, beide Mönche, hätten »schon verschiedene Jahre, unangefochten und mit dem Ruhm großer Frömmigkeit und Wissenschaft zu Rom gelebt«,57 bevor sie der Goteneinfall nach Nordafrika und dort in den Konflikt mit der vorherrschenden Frömmigkeit trieb. Den grundlegenden strukturellen Konflikt sieht Henke somit, wie auch Spittler,58 in den sich widersprechenden Menschenbildern und der damit verbundenen Frömmigkeit und Ethik: »Ihr [Pelagius und Caelestius] warmer Eifer für praktische Religion wollte sich mit den gemeinherrschenden Vorstellungen von natürlicher Unmöglichkeit einer vollkommnen Tugend, und von dem nothwendigen Ersaß, den die Gnade, das ist, die geheime heiligende Kraft äußerlicher Kirchengebräuche, leisten müsse, nicht vertragen.«59
Der Wortlaut ist dem Spittlers wieder einmal frappierend ähnlich; dieser sprach von einem Eifern »mit allem Ernst für das praktische Christentum« angesichts des beklagenswerten Sittenverfalls. Hier bei Henke steht ein ebenfalls durchaus positiv – da gemäßigt als »warm« – bezeichneter Eifer unvereinbar der in Nordafrika vorherrschenden Meinung entgegen, der zufolge der Mensch un55 Henke,
Allgemeine Geschichte, 162. Henke, Allgemeine Geschichte, 162 f. 57 Henke, Allgemeine Geschichte, 165. 58 Siehe oben S. 333. 59 Henke, Allgemeine Geschichte, 165. 56 Vgl.
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
fähig sei, vollkommen tugendhaft zu sein. Mehr noch, für das fehlende Vermögen vollkommener Tugendhaftigkeit sei als Surrogat dort die »Gnade« notwendig. Selbige ist jedoch von Henke so geschildert, als sei sie alleinig eine Kraft, die an den institutionalisierten Vollzug eines rein äußerlichen, nicht jedoch inwendigen Geschehens in Gestalt der Sakramente gebunden ist. Das ist freilich eine drastische Zuspitzung und Verkürzung, wird die Gnade hier doch auf den äußerlichen Vollzug des Taufsakramentes reduziert. Zudem wird diese »Kraft äußerlicher Kirchenbräuche« durch die Adjektive »geheim« und »heiligend« weiter entrückt. Pelagius’ und Caelestius’ Lehre stand dem vollkommen entgegen: »Sie lehrten im Gegentheil, der Mensch habe zum Guten natürliche Anlage und Kraft genug erhalten, und könne, unter Gottes Beystande, durch eignen Fleiß in der Heiligung, ganz fehlerlos werden.«60 Nicht eine äußere, externe Kraft ist es den beiden Pelagianern zufolge, die den Menschen das vollkommen tugendhafte Leben und somit letztlich die Seligkeit ermögliche, sondern die Kraft der eigenen Natur unter Beihilfe Gottes, wie Henke in der prägnant eingeschobenen Bemerkung klarstellt. Gott ist in dieser Darstellung des pelagianischen Kernanliegens also nicht aus der Rechnung genommen, sondern durchaus in unterstützender Funktion vertreten. Insgesamt sei das jedoch »eine Sprache, die den gemächlichern Sittenlehrern gar nicht gefiel: diese fanden darinn bald zu viel Ubereinstimmung mit heidnischer Philosophie, bald Origenismus, bald gar Manichäismus.«61 Zwei verschiedene ethische Anschauungen prallen hier also aufeinander: Der deutlich positiv gezeichnete Einsatz der Pelagianer für eine stark auf den ethischmoralischen Vollzug ausgelegte Frömmigkeit und Lebensgestaltung gegenüber der bequemen, sich auf ihrer Gnadenlehre und dem pessimistischen Menschenbild ausruhenden Ansicht der nordafrikanischen christlichen Lehrer, die sogleich mit häresiologischen Anschuldigungen um sich werfen. Noch konsequenter als Spittler geht Henke in dem nun nachfolgend skizzierten Ablauf des pelagianischen Streites jedoch nicht auf die Stichhaltigkeit solcher Anschuldigungen und der damit implizierten Wurzeln pelagianischer Lehre ein. Zwar notiert er den Beifall, den Pelagius im Osten des Reiches erhielt und die Unterstützung und Freisprechung, die der Grieche Zosimus ihm und Caelestius zukommen ließ;62 doch mögliche dogmenhistorische Wurzeln werden gar nicht erst angedeutet, der Pelagianismus vor Pelagius ist als Thema abgetan und für Henke wohl ohnehin zu den Teilen der Geschichte der Kirche zu zählen, die er in seinen Vorbemerkungen als dunkel schildert und nicht durch aus Eigeninteresse motivierte Ausschmückungen ausfüllen will. Henke, Allgemeine Geschichte, 165. Henke, Allgemeine Geschichte, 165. 62 Vgl. Henke, Allgemeine Geschichte, 166. 60 61
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4. Der pragmatische Realpolitiker Augustinus Wie jedoch Semler, Walch und Spittler vor ihm wirft Henke ein besonderes Augenmerk auf die Stellung des römischen Bischofs Zosimus: Nachdem sich dieser zunächst für Pelagius’ und Caelestius’ Rechtgläubigkeit ausgesprochen hatte, intervenierten die Nordafrikaner mit ihrer Verurteilung dieser durch ihr Lokalkonzil in Karthago von 418 »zum starken Erweise ihrer Unabhängigkeit von der Römischen Kirche«; zudem hätten sie, wie Henke augenzwinkernd vermerkt, »um die Wahrheit desto gewisser zu beschüßen, kaiserliche Geseße wider diese Keßer ausgewirkt«, damit »auch Zosimus sich besinnen würde«.63 Letztlich überließ er jedoch die Entscheidung den Nordafrikanern und alle italienischen Bischöfe, die sich der Verurteilung der Pelagianer nicht anschließen wollten, wurden abgesetzt, so wie Julian von Aeclanum, der sich zwar noch um ein neues Glaubensbekenntnis bemüht habe, damit aber zum Scheitern verurteilt gewesen sei, weil in der Sicht Henkes »der Streit […] einmal, als abgethan, angesehen werden« sollte.64 Augustinus wird in seinem ambivalenten Verhältnis zum römischen Bischof als pragmatisch-verschlagener Realkirchenpolitiker dargestellt: »[S]o bündig er [Augustinus] sonst dem Apostel Petrus die Ehre, der Fels der Kirche zu sey, wegzuerklären suchte, so war er doch froh, sein System von Erbsünde und Gnade durch die mächtigen Stüßen des Ansehens der Römischen Bischöfe befestigt zu wissen.«65
Die Beipflichtung des römischen Bischofs war demnach für Augustinus eine wichtige Stütze zum Erhalt der Kernsätze seines Lehrsystems. Ähnliches über die Ursachen des langanhaltenden Erfolgs der theologischen Ansichten Augustins in der lateinischen Kirche hörte man schon bei Spittler.66
5. Verhalten und Lehre der Streitparteien In der letztlich auch durch römisch-päpstliche Rückendeckung gesicherten Erbsündenlehre bestand neben dem oben angeführten ethischen und frömmigkeitsbezogenen Grundproblem der eigentliche theologische Gegensatz zwischen den zerstrittenen Parteien für Henke: Die Pelagianer leugneten die Auswirkungen des Sündenfalls auf Adam und seine Nachkommen, nämlich die Bestrafung des Leibes durch den Tod und die der Seele durch die vererbte Sünde, welche nur durch das Sakrament der Taufe abgewaschen werden könnte; genauso stellen sie sich gegen die letztlich siegreiche Position ihrer Gegner, dass der Mensch ohne die Gnade Gottes von sich aus zu nichts Gutem fähig sei.67 63 Henke,
Allgemeine Geschichte, 166. Allgemeine Geschichte, 166. 65 Henke, Allgemeine Geschichte, 166 f. 66 Siehe oben S. 335. 67 Vgl. Henke, Allgemeine Geschichte, 167. 64 Henke,
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Henke geht wie auch Walch, nur freilich deutlich knapper, auf die Kommunikation beider Streitparteien hinsichtlich ihrer Lehrmeinungen ein und bemerkt zu beiden Parteien, dass »viel unbestimmtes«, also unklare, schwammige Ausdrücke dominierten. Er gesteht auch zu, dass bei den Pelagianern eine gewisse Zweideutigkeit vorherrschte, doch charakterisiert diese sogleich relativierend und wohlwollend als eine »vielleicht geflissentliche und friedliebende« Zweideutigkeit.68 Deutlich harscher ist da Henkes Ton gegenüber den nordafrikanischen Theologen: Für eine angemessene Untersuchung jener theologischen Streitfragen sei die Exegese unabdingbar, allerdings »hätte man wohl von Africa her, wo der Geist der Bibelsprache weniger bekannt war, nicht viel Aufklärung darüber erwarten sollen«.69 Auch hier begegnet also wieder der gängige Topos der mangelhaften hermeneutischen und sprachlichen Bildung der Nordafrikaner, angesichts derer man auch keinen anderen Ausgang des Streites hätte erwarten sollen, womit zugleich auch die Lehrmeinungen der Nordafrikaner disqualifiziert werden. Henke kommt abschließend auch noch einmal gesondert auf Augustinus und dessen Motivation zu sprechen. Eine doppelte Voraussetzung hätte ihn zu seinen »harten Behauptungen, die von noch härtern Folgen so fruchtbar waren«70 – womit Henke wohl auf die Folgestreitigkeiten und vor allem die Verschärfungen der augustinischen Theologie wie der Prädestinationslehre anspielt – geführt: Zum einen die in Nordafrika traditionell starke Praxis der Kindertaufe zur Vergebung der Sünden, zum anderen die traduziansche Ansicht Augustins, dass die Seelen der Menschen durch die Fortpflanzung entstehen würden.71
6. Zusammenfassung Letztlich lässt sich für die Darstellung des pelagianischen Streites durch Henke festhalten, dass er im Tonfall wieder deutlich drastischer gegenüber Augustinus, insbesondere gegenüber dessen Persönlichkeit ist. Aber auch seine Lehre, die letztlich mit der Haltung allzu bequemer Sittenlehrer zu identifizieren ist, wird von dem theologischen Rationalisten Henke klar abgewertet. Pelagius und Caelestius kommen ähnlich wie bei Spittler mehr als glimpflich davon, eine negative Qualifikation ihrer Lehre ist nicht herauszulesen, höchstens ihre Art, ihre Lehrinhalte zu kommunizieren, hätte eindeutiger ausfallen können; doch mit dieser kleinen Bemerkung ist Henke meilenweit von der scharfen Kritik an der Redeweise der Pelagianer durch Walch entfernt. Zur Beurteilung des Streites an sich erfahren wir recht wenig, doch scheint Henke dessen Relevanz vor allem in der Bedeutung für das Lehrgebäude Augustins zu sehen, deren Schlussstein 68 Henke,
Allgemeine Geschichte, 167. Henke, Allgemeine Geschichte, 167. 70 Henke, Allgemeine Geschichte, 167. 71 Vgl. Henke, Allgemeine Geschichte, 167. 69
III. Johann Matthias Schroeckhs Christliche Kirchengeschichte
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folglich die Erbsünden‑ und Gnadenlehre gemeinsam darstellen. Als Anlass wird bezeichnenderweise auch nicht der Konflikt um die Kindertaufe benannt, sondern ganz ähnlich wie bei Spittler ein frömmigkeitstheologischer Grundkonflikt zwischen Theologen, die einerseits ihren Schwerpunkt auf den moralischpraktischen Vollzug des christlichen Lebens in der Ethik setzen, anderseits in Ermangelung eines menschlichen Vermögens zum tugendhaften Lebenswandel auf eine starke Sakramentstradition und Gnadenbegrifflichkeit als Surrogat ausweichen. Noch durch dogmenhistorische und dogmatische Nachweise zu erörtern, welcher Position beizupflichten ist, scheint hier nach den entsprechenden Arbeiten Semlers längst überflüssig geworden zu sein.
III. Johann Matthias Schroeckhs Christliche Kirchengeschichte(1790) 1. Einführung Spittler legte große Hoffnung in die monumentale Christliche Kirchengeschichte Johann Matthias Schroeckhs (1733–1808), die auch die letzte umfängliche Untersuchung innerhalb des 18. Jahrhunderts zum pelagianischen Streit beinhaltet.72 Mit ihren 268 Seiten reicht sie im Umfang an die Darstellung Christian Walchs heran und teilt mit dieser auch die quellenbasierte Methode und Struktur. Doch abseits dieser Quellenorientierung enden auch schon die Gemeinsamkeiten, schlägt Schroeckh doch anders als der traditionell lutherische Walch einen deutlich liberaleren Pfad in der Beurteilung und Untersuchung des Streites und seiner Akteure und theologischen Standpunkte ein. Ohnehin nimmt er eine Sonderstellung unter den hier betrachteten Autoren ein, hatte der 1733 in Wien geborene Schroeckh doch niemals ein theologisches Ordinariat bekleidet.73 Zum Werk siehe oben S. 26. Zur Biographie Schroeckhs vgl. Dirk Fleischer, »Urchristentum, Reformation und Aufklärung. Zum Selbstverständnis des Wittenberger Historikers Johann Matthias Schroeckh«, in Christentum im Übergang. Neue Studien zu Kirche und Religion in der Aufklärungszeit, hg. v. Albrecht Beutel/Volker Leppin/Udo Sträter, 269–281. AKThG 19 (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2006), 269–271. Dabei zog es den jungen Schroeckh eigentlich früh und gegen den Willen seines Vaters, dem der Beruf eines Kaufmanns für den Sohn vorschwebte, zum Predigtamt: Nach der Schulzeit begann er daher auch 1751 das Theologiestudium in Göttingen, wo er noch die letzten Lehrjahre Johann Lorenz von Mosheims miterlebte und durch diesen für die gründliche Auseinandersetzung mit der Kirchengeschichte begeistert wurde: »Mosheim war mein mündlicher Lehrer in der Kirchengeschichte: und ich freue mich, daß er es gewesen ist. Wenn sich zu dieser Geschichte eine ausnehmende Neigung bey mir hervorgethan hat; wenn ich sie nach einer nicht verwerflichen Methode untersucht, und vielleicht mehr als eine andere Gattung der Wissenschaften kennen gelernt habe: so bin ich dieses seiner Anweisung vornehmlich schuldig.« (Johann Matthias Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte. Erster Theil [Leipzig: Engelhart Benjamin Schwickert, 1768], 193). Kritisch äußert sich Tzschirner, ein Schüler Schroeckhs, über dessen Abhängigkeitsverhältnis von Mosheim: »[I]n der Kir72 73
348
D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Die Tatsache, dass Schroeckh niemals Träger eins kirchlichen Amtes war, dürfte sein Anliegen, möglichst frei von Vorgaben und Vormeinungen die Geschichte zu untersuchen, begünstigt haben. Ohne dieses gebührende Maß an Freiheit wäre eine unparteiische Geschichtsschreibung als wahre Wissenschaft für Schroeckh gar nicht erst denkbar.74 Freilich bedeutet dies jedoch keineswegs, dass eine konfessionelle Prägung und Präferenz Schroeckhs nicht auch in seinen kirchenhistorischen Schriften bemerkbar ist, wie innerhalb seiner Darstellung des pelagianischen Streites vor allem kritische Aussagen gegenüber dem römischen Bischof belegen werden. Als bekennender Protestant sieht er den Protestantismus dabei speziell in dessen Freiheitsbezug und in der wechselseitigen Beeinflussung von Wissenschaft und protestantischer Religion verwirklicht.75 Zu dieser Beeinflussung trägt freilich auch die sich professionalisierende Kirchengeschichtsschreibung bei, die die vielfältigen historischen Ursprünge von Veränderungen des christlichen Glaubens und der Kirche sichtbar machen soll, um fortdauernde Konflikte der Kirchengeschichte und Gegenwart auflösen zu können.76 Dieses Anliegen verbindet sich bei Schroeckh mit seinem Streben nach einer freien Untersuchung dieser geschichtlichen Veränderungen und zielt – wie auch im Falle des pelagianischen Streites – auf eine kritische Hinterfragung von auf Ansehen basierter Autorität, traditionellen kirchlichen Hierarchien und durch diese Machtansprüche geförderten dogmatischen Lehrmeinungen.77 Schroeckh sieht sich dabei am Ende des 18. Jahrhunderts vor gute Voraussetzungen gestellt, hatte die Kirchengeschichtsschreibung sich seiner Meinung chengeschichte hat er sich im Wesentlichen nicht von Mosheim’s Muster und Methode entfernt, ohne daß seine breite und wortreiche Darstellung die gleichmässige Haltung und den edlen Schmuck der lateinischen Diction dieses Geschichtschreibers erreicht hätte.« (Heinrich Gottlieb Tzschirner, Ueber Johann Matthias Schröckh’s Leben, Charakter und Schriften. Besonders abgedruckt aus dem zehnten Theile der Schröckhischen Kirchengeschichte [Leipzig: Schwickert, 1812], 53); vgl. hierzu erneut Fleischer, »Urchristentum«, 270, Anm. 4). Mit der Zeit in Göttingen wuchs sein Interesse an einer akademischen Laufbahn, sodass Schroeckh nach seinem Wechsel an die Universität in Leipzig 1755 die philosophische Doktorwürde erwarb und sich bereits im Folgejahr habilitierte. Nach einer sechsjährigen Zeit als Extraordinarius der Philosophie folgte Schroeckh 1767 einem Ruf an die Universität Wittenberg als ordentlicher Professor für Poesie, hielt jedoch in Leipzig weiterhin Vorlesungen zur Kirchen‑ und Dogmengeschichte. Ab 1775 übernahm er schließlich den Lehrstuhl für Geschichte und die Leitung der Wittenberger Universitätsbibliothek. Für diese Untersuchung ist freilich seine Lehrtätigkeit in Form von Vorlesungen zur Kirchengeschichte relevant, darüber hinaus befasste sich Schroeckh jedoch auch unter anderem mit der sächsischen Landes-, deutscher Reichs‑ und der europäischen Staatengeschichte. Diplomatie war ebenfalls Thema seiner Vorlesungen; bemerkenswert ist dies insofern, da Schroeckh innerhalb seiner Darstellung der pelagianischen Streitigkeiten insbesondere die kirchenpolitischen Dimensionen ausleuchtet und kritisch hinterfragt. 74 Vgl. Fleischer, »Urchristentum«, 270, der zusammenfasst, »daß für Schroeckh Wissenschaft und Freiheit untrennbar zusammengehören«. 75 Vgl. Fleischer, »Urchristentum«, 272 f. 76 Vgl. Fleischer, »Urchristentum«, 273 f. 77 Vgl. Fleischer, »Urchristentum«, 274.
III. Johann Matthias Schroeckhs Christliche Kirchengeschichte
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nach nicht zuletzt dank seines Lehrers Mosheim von einer »bloßen Gedächtnißwissenschaft«, wie sie noch zu Anfang des Jahrhunderts vorherrschte und als »Denkmal von den Thaten der Orthodoxen« und als »Ketzerregister« in Erscheinung trat, zu einer »möglichst unpartheyischen Darstellung der Verdienste und Fehler beyder Seiten« gewandelt.78 Eine solche strebte er nun mit seiner zwischen 1768 und 1803 in insgesamt 35 Bänden veröffentlichten Christlichen Kirchengeschichte an. Getragen ist seine Darstellung von einem Geschichtskonzept, das Dirk Fleischer als in seiner Grundstruktur statisch bezeichnet und sich somit von den dynamischen Geschichtskonzeptionen der Mehrheit der Aufklärungshistoriker abhebt.79 Das Moment einer statischen Wiederholbarkeit, basierend auf einer Anthropologie, die davon ausgeht, dass sich die Neigungen und Absichten der Menschen niemals ändern, ist daher bei Schroeckh dominant.80 Sein Geschichtsbild ist, typisch für viele protestantische Historiker, von einem Verfallsmodell bestimmt: Als Idealzustand – und bleibende Norm – des Christentums sieht Schroeckh zunächst wie Arnold und Mosheim die Zeit des Urchristentums der ersten Jahrhunderte an.81 Dieser Zustand, der sich vor allem durch seine große Freiheit in Glaubensfragen auszeichnete, aber auch nicht frei von Fehlern war, sei fortan nie wieder erreicht worden und endete – wenig überraschend – mit der Regentschaft Konstantins im vierten Jahrhundert.82 Von dieser Zeit an hätten »Herrschaft, Befehl, Drohungen 78 Vgl. Johann Matthias Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte. Siebenter Theil. 2. Aufl. (Leipzig: Engelhart Benjamin Schwickert, 1785), 566. Vgl. hierzu auch Fleischer, »Urchristentum«, 274 f. 79 Zu Schroeckhs Geschichtskonzeption im Detail vgl. Fleischer, »Urchristentum«, 275– 277 sowie ders., »Kirchengeschichte als Wissenschaft. Zur geschichtstheoretischen Theoriebildung von Johann Matthias Schroeckh«, in Johann Matthias Schroeckh. Kirchenhistorik oder Einleitung in die christliche Kirchengeschichte, hg. v. Dirk Fleischer, 7–22. Geschichte denken. Texte über die Grundlagen der historischen Sinnbildung in der Neuzeit 13 (Nordhausen: Traugott Bautz, 2015). Die Kirchengeschichte lehre Schroeckh zufolge, dass »in der Kirche so wenig, als in der ganzen Welt, etwas Neues mehr vorgehe: es treten nur von Zeit zu Zeit andere Personen, unter neuen Umständen auf […]«. (Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 1, 56 f.). 80 Zwar schließe ich mich Fleischers Beurteilung, dass die Anthropologie Schroeckhs mit diesem Moment der Wiederholbarkeit pessimistische Züge trägt an, würde jedoch aufgrund meiner Beobachtungen zum pelagianischen Streit in der Darstellung Schroeckhs nicht so weit gehen, Schroeckh als »noch stark der Anthropologie der lutherischen Orthodoxie verpflichtet« zu bezeichnen (Fleischer, »Urchristentum«, 276). Eher ist Fleischer dabei beizupflichten, dass der Mensch für Schroeckh über einen freien Willen verfügt, ihm jedoch der »Gedanke der menschlichen Selbstvervollkommnung« (ebd.) der Aufklärer und neologischer Theologen wie Semler fremd war. Dies drückt sich auch in seiner positiven Beurteilung des Synergismus, den die Semipelagianer vertraten, aus: Ein freier Wille, aber kein Heil ohne die Mitwirkung und Hilfe der Gnade Gottes. 81 Vgl. Fleischer, »Urchristentum«, 277 f. 82 Vgl. hierzu Fleischer, »Urchristentum«, 277 f. Freilich konnten Theologie und Wissenschaft jener ersten Jahrhunderte noch nicht den wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, die Schroeckh an sie stellt, sodass Schroeckh in den Wissenschaften einen Bereich des Urchristentums sah, der übertroffen werden könne, vgl. Fleischer, »Urchristentum«, 279.
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
und Strafen«83 regiert, gänzlich im Gegensatz zur freien Untersuchung der Religionsfragen, die vorher vorherrschte.84 In eben jene theologisch wie politisch autoritär geprägte Zeit fällt freilich auch der pelagianische Streit, beziehungsweise die pelagianischen Streitigkeiten, die Schroeckh ausführlich im vierzehnten und fünfzehnten Band seiner Christlichen Kirchengeschichte schildert.85
2. Noch eine Darstellung des pelagianischen Streites? Rechtfertigung der eigenen Arbeit zum Thema 2.1. Kritik an der fortwährenden Instrumentalisierung des Streites Angesichts der immensen literarischen Produktivität seiner Vorgänger wirft Schroeckh die selbstkritische Frage auf, warum überhaupt noch über den pelagianischen Streit geschrieben werden müsse, was durchaus an Henkes Kommentar zu dieser Frage erinnert.86 Schroeckh vermerkt: »Ueber diese Geschichte sind in den neuern Zeiten mehr Bücher, als über irgend andere theologische Händel der ersten Jahrhunderte, und mit so viel Gelehrsamkeit, Fleiß, zum Theil auch Genauigkeit, geschrieben worden, daß man glauben sollte, es sey gar nichts für ihre Aufklärung und unpartheiische Beurteilung übrig geblieben.«87
Damit ist auch schon das Problemfeld aufgezeigt, welches Schroeckh zur Abfassung seiner eigenen Darstellung legitimiert, nämlich die mangelhafte, parteiische Beurteilung des Streites durch frühere Autoren. Deren Darstellungen seien »bey Gelegenheit des Ursprungs neuer kirchlicher Partheien, zu ihrer Verteidigung, und unter heftigen Streitigkeiten, welche sie veranlaßten, aufgesezt worden [und] so wurde eine absichtliche und einseitige Darstellung in denselben unvermeidlich.«88 Freilich zielt Schroeckh damit klar auf all die Arbeiten, welche insbesondere im 17. Jahrhundert während der innerkatholischen theologischen Das widerspricht keineswegs seiner Vorstellung des Idealzustandes des Urchristentums: Eine ausdifferenzierte und verwissenschaftliche Theologie wurde überhaupt erst in der Folgezeit des Verfalls und theologischer Zwistigkeiten notwendig, was wiederum mit der Vorstellung Schroeckhs übereinstimmt, dass der Idealzustand des Urchristentums nicht wieder erreichbar sei. 83 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 1, 52. 84 Freilich sah Schroeckh in der Reformation einen merklichen Aufschwung und eine Verbesserung der kirchlichen Umstände, auch wenn die reformatorische Bewegung in seiner Sicht vorerst unvollendet blieb und einer Ergänzung durch die Aufklärung bedurfte, vgl. Fleischer, »Urchristentum«, 279 f. 85 Johann Matthias Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte. Vierzehnter Theil. 2. Aufl. (Leipzig: Engelhart Benjamin Schwickert, 1790); ders., Christliche Kirchengeschichte. Fünf‑ zehnter Theil. 2. Aufl. (Leipzig: Engelhart Benjamin Schwickert, 1790). 86 Siehe oben S. 332. 87 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 161. 88 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 161.
III. Johann Matthias Schroeckhs Christliche Kirchengeschichte
351
Kontroversen zwischen Jansenisten und Jesuiten sowie innerreformiert aufgrund des Arminianismus abgefasst wurden. Somit kritisiert Schroeckh wie schon einige der anderen hier betrachteten Autoren, dass die Darstellungen des pelagianischen Streites lediglich zur Stützung der eigenen Position und Partei und als polemische Waffenkiste in diesen theologischen Grabenkämpfen genutzt wurden. Freilich habe man es aufgrund des Ansehens Augustins und der Angst, selbst verketzert zu werden, vermieden, für Pelagius Position zu beziehen,89 jedoch habe die Parteilichkeit der Darstellungen auch dazu geführt, dass »man noch in den neuern Zeiten sehr uneinig darüber geblieben, nicht allein was Pelagianer und Semipelagianer, sondern was selbst Augustinus eigentlich im Widerspruch gegen beide gelehrt habe«.90 Nicht etwa seien die theologischen Standpunkte in den pelagianischen Streitigkeiten so verwirrend ähnlich gewesen, vielmehr habe die Einseitigkeit und die polemische Instrumentalisierung der Lehrmeinungen in den bisherigen Darstellungen während genannter Kontroversen des 17. Jahrhunderts dazu geführt, dass »aus diesen meistentheils Abbildungen zum Vorschein [kamen], wie sie dieselben [einzelnen Parteien] zu ihren Systemen und Absichten brauchten«.91 Jede Partei habe sich also die Darstellung der Streitigkeiten und der vertretenen Lehrmeinungen so zurechtgebogen, dass sie die Lehrmeinung der jeweiligen Partei unterstützten und legitimierten, was jedoch wenig mit dem tatsächlichen Hergang und den tatsächlichen Lehrmeinungen, wie sie in einer unparteilichen kirchengeschichtlichen Darstellung hervortreten sollten, gemein hat. Folglich würde man in Schroeckhs Übersicht der bisherigen Literatur, die er für die Untersuchung des pelagianischen Streites als relevant ansieht, wenig positive Beurteilungen erwarten;92 doch dem ist mitnichten so: Nicht nur ist diese Übersicht Schroeckhs auch heute noch ungemein hilfreich – nennt er dort doch nicht nur die wichtigsten Texte und zugleich ihre Entstehungskontexte und wichtigsten Kernaussagen! –, sondern bietet zudem neben reichlicher Kritik an der Parteilichkeit, Einseitigkeit und Zeitgebundenheit mancher Autoren einiges Lob für manch andere Autoren und deren Werke. Anhand dieser Rezensionen zu den vorangehenden Werken lässt sich wiederum erkennen, welche Methodik und Zielsetzung Schroeckh in seiner Darstellung der pelagianischen Streitigkeiten anstrebt, und welche Fehler es in seinen Augen zu vermeiden gilt. Besonderes Lob erfährt der in die arminianische Kontroverse verwickelte Gerhard Johann Vossius für seine erstmals 1618 veröffentlichten Historiae de controversiis, quas Pelagius. Nicht nur verteidigt Schroeckh den während der 89 Vgl.
Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 161. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 148. 91 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 148. 92 Im Folgenden vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 162–175. 90
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Kontroverse selbst scharf kritisierten Vossius,93 sondern betont, dass sein Werk vor allem hinsichtlich der Darstellung der verschiedenen dogmatischen Lehrmeinungen und der Vergleiche selbiger zwischen der Mehrheitskirche, den Pelagianern und Semipelagianern gut gelungen sei.94 Zwar bedauert Schroeckh das Desiderat eines dogmengeschichtlichen Rückblickes über die Lehrmeinungen zum freien Willen vor Augustinus, dennoch fällt er das Schlussurteil, dass sich Vossius’ »Arbeit sehr wohl gebrauchen«95 lässt. Deutlich weniger positiv beurteilt Schroeckh die Arbeiten James Usshers und Cornelius Jansenius’. Bei beiden zeigt er sich unzufrieden mit den negativen Darstellungen des Pelagius und seiner Anhänger: Ussher habe »keineswegs mit der Mäßigung und Partheylosigkeit eines Geschichtsschreibers die Feder geführt, vielmehr den Kezer Pelagius meistentheils mit den von Hieronymus und Augustinus entlehnten Farben geschildert«.96 Ohnehin ist dies eine der wenigen Stellen, an denen Schroeckh den Ketzerbegriff aufgreift, freilich hier ohnehin nur, um den Sprachduktus Usshers wiederzugeben. Für Schroeckh selbst spielt die Deutungsdimension »Ketzer und Orthodoxe« jedoch keine Rolle mehr, wohl aber das Gegenüber zweier klar geschiedener Parteien. Jansenius’ Darstellung der Geschichte des Pelagianismus sei letztlich »von geringem Werthe«, gibt er von dem pelagianischen Lehrsystem doch »einen sehr schwarzen Begriff, ohne dessen Urheber nur einige Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen«.97 Henry Noris weiß Schroeckh für seine »historischkirche, chronologische und andere Erörterungen« zu loben, jedoch sei ausgerechnet die Geschichte des Pelagianismus »der schwächste Teil seines Werks, und konnte schon darum nur einseitig gerathen, weil Noris als Augustinermönch, die natürliche Anlage zur uneingeschränkten Verehrung Augustins mitbrachte«.98 Als besonders nützlich betrachtet Schroeckh die Marius Mercator-Ausgabe des Jesuiten Jean Garnier. Zwar hat Schroeckh wenig überraschend wenig gute Worte für Mercator selbst übrig, lobt jedoch die im Werk Garniers enthaltenen Abhandlungen zur Geschichte des Pelagianismus als erhellende Beiträge. Ferner sei das Werk allein deshalb schon nützlich, da sich darin die »gehaltenen Synoden, ergangenen kaiserlichen Befehle, geforderten Unterschriften, die Glaubensbekenntnisse der Pelagianer« behandelt finden und Garnier zudem seine Aussagen durch »Urkunden und Zeugnisse« stützt.99 Eine »gelassene Beurtheilung des Pelagianismus«100 sei von Garnier jedoch nicht zu erwarten, betont Schroeckh abschließend lakonisch. Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 164 f. Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 163 f. 95 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 164. 96 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 165. 97 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 166. 98 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 168. 99 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 169. 100 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 169. 93 94
III. Johann Matthias Schroeckhs Christliche Kirchengeschichte
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Den Nutzen der Vorrede des zehnten Bandes der Benediktinerausgabe der Schriften Augustins sieht Schroeckh vornehmlich in dem gründlich aufgearbeiteten chronologischen Überblick des Streites bis hin zum Tode Augustins, der zudem durch Quellenangaben gestützt ist. Als schneller »Leitfaden« sei der Überblick somit brauchbar, nicht jedoch, wenn der Leser eine gründliche Kenntnis des »pelagianischen Lehrbegriffs« sucht, bietet der Text hierzu doch nicht viel mehr »als die verdammenden Aussprüche des Augustinus, Hieronymus und Prosper [zu] wiederholen«.101 Doch besonders vernichtend fällt die Beurteilung der Fata Doctrinae de Praedestinatione des Calvinisten Johann Jakob Hottinger aus dem Jahr 1727 aus. Überdeutlich betont Schroeckh die Parteilichkeit und Zweckgebundenheit des Werkes – und seine eigene starke Abneigung diesem gegenüber: »Uebringes bedeutet dieses Werk nicht viel mehr als eine Sammlung von Nachrichten, Meinungen und Erklärungsarten, die der Verfasser zur Befestigung seines kirchlichen Systems, welches überall fast auf eine widerwärtige Weise hervorblickt, unternommen hat.«102
Damit ist auch genau jener Mangel angesprochen, den Schroeckh zuvor als einen Hauptgrund für die notwendige Abfassung einer neuen, unparteilichen Darstellung des pelagianischen Streites angeführt hat. Folglich überrascht es auch wenig, dass Schroeckh urteilt, Hottinger habe »Pelagius und seine Anhänger […] durchgehends in häßlichen Bildern« erscheinen lassen, aber von Augustins antipelagianischen Werken gesagt, dass dieser sich damit »selbst übertroffen habe; und das seine Lehre beinahe vor göttlich gehalten worden sey«.103 Vernichtend fällt auch Schroeckhs daraus resultierende Schlussbeurteilung aus, in der er Hottinger als großen Bewunderer des zuvor schon scharf kritisierten Jansenius herausstellt: »Die bis zum Beleidigenden grobe Partheilichkeit des Verfassers macht ihn so sehr zum Verehrer des Jansenius, daß er […] diejenigen, welchen sein oben gedachtes Werk nicht gefällt, ohne alle Umstände vor Pelagianer erklärt.«104
Was Schroeckh an Hottinger so scharf kritisiert, findet er im Gegensatz bei William Walls Darstellung der Geschichte der Kindertaufe nicht vor, lobt er diesen doch vor allem dafür, »ziemlich frey von ungestümen Partheygeiste«105 zu schreiben. Ähnlich erhoffte sich Schroeckh auch von Scipio Maffeis Istoria teologica, dass der Autor darin bemüht sei, die Dogmengeschichte der im pelagianischen Streit verhandelten Lehrsätze frei von den neueren theologischen Kontroversen und 101 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 15, 170. Christliche Kirchengeschichte 15, 170. 103 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 170 f. 104 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 171. 105 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 171. 102 Schroeckh,
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Parteien des 17. und 18. Jahrhunderts zu untersuchen, doch er sieht sich bald enttäuscht: »Allein schon die gewaltsame Auslegungsart, mit welcher er alle Lehrer vor den Augustinus zu Anhängern desselben macht, schlägt diese Erwartung nieder.«106 Endgültig lässt Schroeckh alle in dieses Werk gesteckten Hoffnungen fahren, da er ihren Zweck wieder einmal nicht in der unparteilichen und von polemischen Zwecken freien Untersuchung der Geschichte des pelagianischen Streites sieht, sondern in einer Verteidigung der umstrittenen päpstlichen Bulle Unigenitus, die dadurch als Augustinisch legitimiert werden sollte: »Wenn man vollends […] aus seiner Ausführung sieht, daß der Verfasser hauptsächlich zur Ehre der Bulle Unigenitus habe beweisen wollen, in diesem päpstlichen Geseze, nicht in den Schriften der Jansenisten, sey der wahre Lehrbegriff des Augustinus und der ganzen katholischen Kirche zu suchen: so giebt man alle Hoffnung zu neuen Belehrungen aus der Geschichte auf.«107
Eine interessante Bemerkung fällt Schroeckh über den bislang ungenannten lutherischen Theologen Johann Andreas Cramer, der eine Abhandlung »über die Schicksale der geoffenbarten Lehren von der Erbsünde, dem freyen Willen, der Gnade, und der Erwählung der Menschen« im Jahr 1761 verfasst hatte.108 Nicht nur habe dieser ausgewiesene Chrysostomuskenner betont, dass Chrysostomus keineswegs die Erbsündenlehre vertreten hätte, sondern auch eingestanden, dass »die Semipelagianer sehr glimpflich beurtheilt werden müßten, weil sie nicht im Grunde des Glaubens geirrt hätten«109 – eine interessante Schlussnotiz, die für Schroeckhs eigene Beurteilung der theologischen Position der sogenannten Semipelagianer im Hinterkopf behalten werden sollte.110 Nicht minder spannend sind Schroeckhs Schlussbemerkungen, die sich mit Semlers und Christian Walchs Arbeiten zum pelagianischen Streit befassen: Semler attestiert er einen »weit freyern Gang« als allen bisher genannten Autoren, wenn es um die Behandlung des pelagianischen Streites und der darin verhandelten dogmatischen Lehrmeinungen geht. Seine besondere Sympathie für die Leistung und Meinung Semlers und Übereinstimmung mit dieser ist dabei nicht zu überhören: Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 172. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 172. 108 Mit jener Abhandlung meint Schroeckh den Abschnitt »Ueber die Schicksale der geoffenbarten Lehren von der Erbsünde, dem freyen Willen, der Gnade, und der Erwahlung der Menschen« in Cramers Fortführung von Jacques Bénigne Bossuets (1627–1704) Weltgeschichte. Vgl. Johann Andreas Cramer, Jacob Benignus Bossuet, Einleitung in die Geschichte der Welt und der Religion, fortgesetzt von Johann Andreas Cramer. Zweiyte Fortsetzung oder Dritter Theil. Zweyte und verbesserte Aufl. (Leipzig: Bernhard Christoph Breitkopf, 1761), 519–617. Zu Bossuet vgl. Jean-Louis Quantin, »Bossuet, Jacques-Bénigne«, in The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine. Band 2, hg. v. Karla Pollmann u. a., 705–707 (Oxford: Oxford University Press, 2013). 109 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 174. 110 Siehe hierzu weiter unten S. 392–396. 106 107
III. Johann Matthias Schroeckhs Christliche Kirchengeschichte
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»Er zeigte, wie wenig Recht Augustinus gehabt hatte, sich auf die Uebereinstimmung älterer Lehrer mit seinen Meinungen zu berufen; wie seicht und willkürlich seine ganze bey dieser Gelehrsamkeit ausgesponnene Theologie gewesen sey; auf der andern Seite aber, daß Pelagius und seine Parthey sowohl in Ansehung der dogmatischen Vorwürfe, als der kirchlichen und bürgerlichen Anstalten wider sie, sehr ungerecht behandelt worden wären.«111
Es ist hier nicht zu viel gesagt, dass Schroeckh hier nicht allein die Meinung Semlers wiedergibt, sondern freilich auch seine ganz eigene Sicht auf den pelagianischen Streit. Zugleich sind in dieser kurzen Zusammenfassung Themenfelder versammelt, denen sich auch Schroeckh noch genauer zuwenden wird: In Bezug auf Augustins Lehre kündigt sich hier eine dogmenhistorische wie auch inhaltlich dogmatische Abrechnung an; hinsichtlich Pelagius und seiner Anhänger eine möglichst unbefangene Würdigung seiner Theologie und kritischen Auseinandersetzung mit dem für Schroeckh so misslichen kirchen‑ und gesellschaftspolitischen Umgang mit den Pelagianern. Diese Gedanken bei Semler vorfindend, fällt Schroeckhs Schlussbemerkung zu Semler entsprechend positiv aus, da dieser »es doch gewiß zuerst veranlaßt [habe], daß die pelagianischen Streitigkeiten, besonders unter deutschen Protestanten, viel unpartheiischer und gerechter als ehemals beurtheilt worden sind«.112 Bemerkenswert ist hieran auch das Gewicht, welches Schroeckh hinsichtlich der möglichst unparteilichen Darstellung des Streites auf die deutschsprachige Theologie und Kirchengeschichtsschreibung legt, schreibt er ihr mit Semler somit eine Vorreiterrolle in der bislang doch so parteiischen Untersuchung des Streites zu, die sich durchaus durch die bisherigen Beobachtungen bestätigt sieht. Zu guter Letzt lobt Schroeckh Christian Walch für die ihm so »eigene […] pünktliche […] Sorgfalt« und »äußerste […] Behutsamkeit«,113 mit der er in seinem voluminösen Entwurf den pelagianischen Streit untersucht hatte. Er hebt dabei hervor, dass Walch wirklich alles gelesen habe, was für die Geschichte des Streites relevant sei. Allerdings habe er verpasst, von manchen der wichtigsten Streitschriften Auszüge mitzuteilen. Ferner bezeichnet Schroeckh Walchs Methode als »besonders sehr weitschweifig«, bietet damit jedoch »vielen und gründlichen Stoff zur Geschichtbeschreibung«.114 Wie schon eingangs bemerkt, wird Schroeckhs eigene Darstellung des pelagianischen Streites sowohl im Umfang als auch im ermüdenden Einbeziehen der Quellen einen vergleichbaren Weg einschlagen, was diese Bemerkung um so amüsanter erscheinen lässt; auch wenn Schroeckh mit seiner intensiven Wiedergabe der Quellen, auf der seine gesamte Darstellung deutlich aufbaut, eine andere Struktur als Basis gewählt hat als Walch, der voran geschichtliche Informationen in seinen Paragraphen 111 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 15, 174. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 174 f. 113 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 175. 114 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 175. 112
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
liefert und diese dann anschließend anhand der ihm vorliegenden Quellen und Sekundärtexte auf ihre Stichhaltigkeit hin prüft oder belegt. Schroeckhs Beobachtungen zu Walchs Entwurf decken sich auch inhaltlich in der Beurteilung Augustins und Pelagius’ mit den Beobachtungen dieser Untersuchung, wenn er seine rezensionsartige Übersicht über vorangehende Werke zum pelagianischen Streit mit folgendem Vermerk zu Walch schließt: »Im Allgemeinen möchte wohl das Urtheil über den Augustinus zu vortheilhaft ausgefallen, und die Pelagianer möchten vielleicht zu sehr nach dem theologischen System des Verfassers gerichtet worden sey; allein seine Mäßigung erhält ihm doch auch öfters auf einer weisen Mittelstrasse.«115
2.2. Der pelagianische Streit – vertane Chance für eine längst überfällige Diskussion zur christlichen Ethik Viel ist bei den vorangehend untersuchten Autoren schon über die Relevanz des pelagianischen Streites beziehungsweise der pelagianischen Streitigkeiten gesagt worden. Fast alle haben gemein, dem pelagianischen Streit eine große Zentralität innerhalb der Theologiegeschichte einzugestehen. So auch Schroeckh, der eingangs seines Fazits betont: »Wichtiger und fruchtbarer als diese Streitigkeiten waren vielleicht noch keine gewesen, welche christliche Lehrer miteinander geführt hatten.«116 Im Kontext des spätantiken Christentums zu Beginn des 5. Jahrhunderts räumt Schroeckh dem Streit somit zunächst höchste Relevanz ein. Das geschieht freilich im Rückblick auf die vorangehenden theologischen Kontroversen, wobei er vor allem den arianischen Streit im Blick hat, der zwar nicht irrelevant sei, aber eben nicht den Kern des Christlichen Glaubens und Lebensvollzuges treffen würde: »Selbst die Arianischen und damit verwandten […] giengen doch nicht so gerade auf das große Ziel dieser Religion, auf die in derselben liegenden göttlichen Anstalten, die Menschen weiser, besser, glückseeliger in mehr als Einem Leben, Gott selbst immer ähnlicher zu machen, hin.«117
Den Zielpunkt des christlichen Lebensvollzugs, und damit der christlichen Ethik, sieht Schroeckh folglich in einer durch den Lebenswandel vollziehbaren Annäherung an das Wesen Gottes. Durchaus deutlich sind hier die aufklärerischen Tendenzen im Denken Schroeckhs erkennbar, der im Wesen des Menschen Verbesserungspotential erkennt; keineswegs aber ist dies mit dem so oft begegnenden Perfektibilitätsdenken gleichzusetzen. Es geht ausschließlich um eine Verbesserung des moralischen und seelischen Zustandes des Menschen, im jetzigen Leben, aber auch im Leben in eschatologischer Perspektive. Damit Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 175. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 152. 117 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 152. 115 116
III. Johann Matthias Schroeckhs Christliche Kirchengeschichte
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zielt der pelagianische Streit darauf, die Grenzen dieses moralischen Vermögens des Menschen hinsichtlich seiner geistigen Vervollkommnung im Verhältnis zu Gottes Gnade auszuloten, wie Schroeckh selbst zusammenfasst: »[K]urz, wie weit sich sein sittliches Vermögen, seine Pflicht und Schuld, seine Freyheit oder Einschränkung in allem was seine geistige Vollkommenheit befördern kann, erstrecke?«118 Der Arianische Streit wiederum habe diesen unmittelbaren Nutzen für die christliche Ethik nicht gehabt; zwar betraf er in seinen christologischen Aussagen den »Stifter des Christenthums selbst«,119 sei aber ein Streit gewesen, der »weniger fruchtbar in der Art, wie er geführt wurde; und für die moralische Seite des Christenthums, die er bey aller seiner scheinbaren Spitzfindigkeit gar wohl treffen konnte, meistentheils unnüz, oder gar nachtheilig« gewesen.120 Ganz im Gegenteil hingegen der pelagianische Streit, welchen Schroeckh – trotz aller Kritik an der Streitführung und den kirchenpolitischen Entscheidungen – als fruchtbar bezeichnet. Fruchtbar insofern, da es vor diesem Streit in der Christentumsgeschichte »nur wenige Händel über die Sittenlehre, besonders über die Quelle und den Grund christlicher Tugend« gegeben habe.121 In den Auseinandersetzungen mit den rigorosen asketischen Forderungen der apokalyptischen Montanisten, wie auch in den Konflikten mit den christlichen Gnostikern wurden zwar Überlegungen zur Ethik angestellt, im ersteren Falle jedoch speziell hinsichtlich der geforderten asketischen Praxis und Kirchenzucht, im Falle der Gnostiker hingegen zu sehr mit der Zielsetzung, deren auf einen scharfen Dualismus, der um die unde malum-Frage kreist, basierende Ethik zu widerlegen, »als daß man daher die Veranlassung genommen hätte, lehrreiche Erörterungen über die Moral anzustellen«.122 Mit der bloßen Bestreitung und Ablehnung der moralischen Forderungen der Gnostiker wurde also laut Schroeckh die Chance vertan, positive Äußerungen zur christlichen Ethik zu fällen. Besonders dringlich wurde dies für den Protestanten Schroeckh freilich mit dem Aufkommen des Mönchtums im dritten und vierten Jahrhundert, während dessen es »heilsam« gewesen wäre, die Fragen zu klären, »auf welchen Forderungen des Christentums diese außerordentliche Frömmigkeit beruhe; wie fern sie sich mit der Bestimmung des Menschen, und mit den Fähigkeiten seiner Seele vereinigen lasse«.123 Für Schroeckh wurde die Beantwortung dieser Fragen sträflich vernachlässigt, wenn nicht gar unter »dem Schutze dieser neuersonnenen Heiligkeit« unterdrückt, sodass auch das Nachdenken einzelner Theologen zu diesen 118 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 15, 152. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 152. 120 Johann Matthias Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte. Vierzehnter Theil. 2. Aufl. (Leipzig: Engelhart Benjamin Schwickert, 1790), 333. 121 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 333. 122 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 334. 123 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 334. 119
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Fragen nicht vermeiden konnte, dass sich »zwischen christlicher Gottseeligkeit und Aberglauben«124 bald kein Unterschied mehr feststellen ließ. Entsprechende ethische Diskussionen wurden »zum Stillschweigen gebracht; es schien, daß nunmehr für die Moral des Christentums auf lange Zeit hinaus nichts mehr zu thun und zu berichtigen sey«.125 Freilich sieht dies Schroeckh ganz anders, hat er doch den Mönchsstand durchaus negativ konnotiert als »außerordentliche Frömmigkeit«126 bezeichnet, in dessen Vollzug und Begründung sich zudem eine Unterscheidung zwischen wahrer Gottseligkeit und falschem Aberglauben nicht mehr erkennen ließe. Angesicht dieses tiefen Schlummers, in den sich das Christentum hinsichtlich seiner Ethik gewogen hat, begrüßt Schroeckh es nun, »daß die pelagianische Streitigkeit die christlichen Lehrer in der sichern Einbildung etwas störte, in welche sie der Mönchsgeist versezt hatte«, bedauert aber sogleich, dass dieser notwendige Weckruf »viel zu spät« erklungen sei.127 Erst durch den pelagianischen Streit sei überhaupt der längst überfällige Diskurs über die christliche Anthropologie, Ethik und Gnadenlehre in ihrem Zusammenhang angestoßen worden. Auf den Prüfstand gerieten folglich a) die »Verfassung und […] Kräfte der menschlichen Natur«, b) die »wahre […] Bildung der Tugend« sowie c) die »Unentbehrlichkeit und Wichtigkeit des göttlichen Beistandes zu derselben« in ihrer Beziehung zueinander.128 Bemerkenswert ist an dieser klaren Zusammenstellung die Sichtbarkeit einer gewissen theologischen Tendenz und Präferenz, die auch Schroeckhs weitere Beurteilung des Streites bestimmen wird, namhaft eine deutliche Sympathie mit dem Synergismus, wie er im semipelagianischen Lehrsystem im Ineinandergreifen von geschenkter göttlicher Gnade und freier Annahme dieses Gnadengeschenkes durch das natürliche Vermögen des freien Willens im Menschen präsent ist. Die Zentralität und Wichtigkeit des pelagianischen Streites misst Schroeckh aber letztlich nicht allein im Rückblick auf vorangehende Kontroversen der ersten Jahrhunderte, sondern auch im Ausblick auf die folgenden Jahrhunderte und im Blick auf seine Gegenwart. Den von Schroeckh geschilderten dogmatischen und ethischen Kernpunkten wohnt eine solche Immanenz für den christlichen Glauben und die christliche Ethik inne, daß diese Streitigkeit »darum für alle folgenden Jahrhunderte merkwürdig [sei], weil man sie in denselben so oft unter abwechselnden Gestalten erneuert hat«.129 Nicht nur scheint dieser Gedanke das Geschichtsmodell Schroeckhs – nämlich die grundsätzliche Wiederholbarkeit 124 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 14, 334. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 334. 126 Damit greift Schroeckh freilich lutherische Kritik am heilstheologischen »Sonderweg« des Mönchstums auf. 127 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 334. 128 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 334 f. 129 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 335. 125
III. Johann Matthias Schroeckhs Christliche Kirchengeschichte
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der Geschichte im neuen Gewand – zu bestätigen, sondern deutet damit auch die ständige Relevanz dieser theologischen Fragen an, wie sie durch die gesamte Kirchengeschichte hindurch in solchen Kontroversen wie der zwischen Luther und Erasmus oder im 17. Jahrhundert zwischen Jansenisten und Jesuiten oder orthodoxen Calvinisten und Arminianern sichtbar ist. Insbesondere im Fortbestehen der letztgenannten Parteien, die sich im 17. Jahrhundert herausbildeten, sieht Schroeckh nicht nur die fortwährende Relevanz des pelagianischen Streites und seiner Erforschung, sondern auch die Ursache dafür, »warum keine Religionsstreitigkeit der alten Kirche in so vielen neuern Werken, so gelehrt, mühsam, aber auch so partheiisch beschrieben worden ist, als eben diese«.130 Schroeckh erblickte im pelagianischen Streit die Chance, dass mit diesem endlich ein Raum für freien Austausch zwischen Theologen über längst überfällige Fragen zur Anthropologie, Ethik und Gnadenlehre hätte geschaffen werden können. Indes resümiert er jedoch schon am Ende des ersten Teils seiner Darstellung des pelagianischen Streites mit Rückblick auf die bisherige Streitführung und im Ausblick auf die weitere Geschichte der Streitigkeiten ernüchtert: »Allein schon an diesem Orte verspricht der Gang, den sie nehmen, die Beschaffenheit ihres Zeitalters, und der Geist der Anführer von beiden Seiten, der an keine ernstliche Annäherung, geschweige denn Vereinigung über Wahrheiten, welche in der Mitte zwischen beiden lagen, denken läßt, für freyere Untersuchung und reinere Religionsbegriffe sehr wenig.«131
Abseits der generellen Kritik für die Zeit seit Kaiser Konstantin, die sich wieder gut mit Schroeckhs Geschichtsbild erklären lässt, ist hier vor allem die Kritik an der Streitführung und dem Antagonismus dominant: Zwei Parteien stehen sich gegenüber, doch anstatt um Annäherung bemüht zu sein, bemühen sich die Köpfe beider Seiten um Abgrenzung. Statt Gemeinsamkeiten zu suchen, werden Differenzen aufgezeigt. So ist in der Argumentation Schroeckhs angesichts des deutlichen Antagonismus keine konstruktive, offene Diskussion dieser dogmatischen Fragen möglich. Gleichsam ist hier bereits der Weg aufgezeigt, den Schroeckh neben einem freien Diskurs als den inhaltlich einzig gangbaren ansieht: einen Mittelweg zwischen beiden Parteien mit ihren einander gegenüberstehenden Extrempositionen, der zugleich die für Schroeckh tatsächlichen Wahrheiten in diesen Glaubensfragen darstellt. Dabei hätten Augustinus und die beiden führenden Pelagianer durchaus gemeinsame Standpunkte vertreten, auf deren Basis sie lediglich über das konkrete Ausmaß und Verhältnis der Einschränkung des natürlichen Vermögens des Menschen und der göttlichen Gnadenwirkung hätten diskutieren können. Denn auch die Pelagianer hätten »ein allgemeines sittliches Verderben der Menschen von ihren frühesten Jahren Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 335. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 443.
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an, und die Nothwendigkeit eines beständigen göttlichen Beistandes zu ihrer Besserung«132 genau so wenig geleugnet wie Augustinus. Doch zu einer solchen Annäherung oder Synthese kam es nicht: Auch wenn mit dem Tode Augustins 430 die unmittelbaren Auseinandersetzungen endeten, so waren durch die pelagianischen Streitigkeiten für nachfolgende Generationen in der Sicht Schroeckhs der scharfe Gegensatz der inhaltlichen Positionen und die Art der Streitführung so fest vorgegeben, dass er sich für die gegensätzlichen Lehrsysteme des Motivs des Festungsbaus bedient: » [D]ie verschiedenen Lehrgebäude standen so abgesondert von einander, beinahe feindlichen Festungen gleich, da, daß man sie unmöglich verwechseln konnte.«133 Derart fern voneinander positioniert und steinern und trutzig festgelegt war keine Annäherung der Lehrmeinungen zu erwarten, die scharf voneinander abgegrenzt waren und sich gegenüberstanden.134
3. Würdigung des Anliegens des Pelagius und Kritik am augustinischen Lehrsystem 3.1. Hermeneutische Vorrausetzungen 3.1.1. Exegese, Vernunft und Erfahrung in »götteswürdiger Übereinstimmung« Für Schroeckh ist Grundvoraussetzung jeglicher Lehrmeinung ihre Fundierung in der Heiligen Schrift. Das vorangehende Zitat gibt dabei bereits das Hauptkriterium für diese Fundierung vor, welches Schroeckh in der Übereinstimmung der Lehrmeinungen mit dem in der Heiligen Schrift enthaltenen Lehrbegriff sieht. Folglich lässt sich an dieser Übereinstimmung wiederum messen, wer in der Auseinandersetzung der befähigtere Exeget aber auch Menschenkenner und Ethiker sei. Dabei ist es der Bezug auf die Heilige Schrift, welchen Schroeckh für die Klärung der im pelagianischen Streit aufgeworfenen Fragen als so unabdingbar wie in keiner anderen theologischen Auseinandersetzung darstellt: »Gab es jemals Religionsfragen unter den Christen, welche nicht allein aus der heiligen Schrift entschieden; sondern auch vollständig aus derselben erklärt werden konnten, weil sie sehr viel und in mancherley Verhältnissen, über dieselben gelehrt hatte: so waren es gewiß diese.«135 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 444. Christliche Kirchengeschichte 15, 147. 134 Die hier festgestellte scharfe Abgrenzung steht keineswegs im Gegensatz zu der an anderer Stelle von Schroeckh postulierten Verwirrung über die konkreten Lehrmeinungen der einzelnen Parteien und ihrer Vertreter. Letztere Ansicht bezieht sich alleinig auf die Verwirrung, welche Schroeckh durch die Literatur des 17. Jahrhunderts zum pelagianischen Streit gestiftet sieht, die er als hoch parteiisch und zweckgebunden sieht; betrachtet man die Lehren hingegen anhand der Quellen, sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten offenkundig, so die Sicht Schroeckhs hier. 135 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 153. 132
133 Schroeckh,
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Freilich deutet Schroeckh hiermit auch schon ein Grundproblem angemessener biblischer Exegese in Bezug auf die strittigen Fragen an, nämlich die große Vielfalt an relevanten Stellen und ihre partielle Widersprüchlichkeit untereinander. Das verlangt den an den Streitigkeiten Beteiligten Kompetenzen ab, die über exegetische Grundkenntnisse deutlich hinausgehen müssen: »Außer den gemeinsten Erfordernissen zur biblischen Behandlung solcher Streitigkeiten, wie hinlängliche Sprachkenntniß; Vermeidung der gewöhnlichen Fehler, seinen Lehrbegriff unvermerkt in die heilige Schrift hineinzutragen; oder aus einzelnen Fällen und Beispielen zu freygiebig auf das Allgemeine zu schließen und dergleichen mehr; war es hier noch besonders nöthig, die Lehren des Christenthums nicht unendlich weit von dem Unterrichte der Vernunft und Erfahrung zu trennen; sondern vielmehr in eine Gottes würdige Uebereinstimmung zu bringen.«136
Gut protestantisch ist für Schroeckh, wie für so viele der vorangehend betrachteten Autoren, die Kenntnis der Ursprachen für die angemessene und einzig wahre Exegese der Heiligen Schrift unabdingbar – eine klare Spitze gegen Augustinus, wie sogleich noch deutlich werden wird. Neben dieser absoluten Grundkenntnis, ohne die keine korrekte Erörterung theologischer Grundfragen Fundierung erhält, stellt Schroeckh einen Katalog mit ebenfalls grundsätzlich zu vermeidenden Fehlern in der biblischen Hermeneutik: Die eigene Vorprägung und Lehrmeinung soll nicht in den biblischen Text hineingelesen werden, sondern ganz im Gegenteil auf ihre Wahrhaftigkeit hin anhand der Schrift überprüft werden; ferner soll der geübte Exeget übereilte Verallgemeinerungen vermeiden. Soweit bietet Schroeckh hier wenig Überraschendes an. Äußerst bemerkenswert ist nun aber, dass Schroeckh über diese exegetischen Grundforderungen hinaus fordert, die »Lehren des Christentums« in eine »Gottes würdige Uebereinstimmung« mit der Philosophie und Ethik als Wissenschaft (»Unterrichte der Vernunft und Erfahrung«137) zu bringen. Nicht allein die korrekte Auslegung der Heilige Schrift führt also zur Klärung der strittigen Fragen, sondern erst das Miteinander von biblischer Exegese und rational philosophischen Erkenntnissen und ethischen Erwägungen. Schroeckh eröffnet hier nun aber freilich keinen ausufernden Diskurs über das Verhältnis von Theologie und Philosophie oder Glauben und Vernunft, sondern setzt als oberstes Leitkriterium, dass dieses Zusammenwirken gotteswürdig sei. Warum ein solcher Einbezug philosophischer und ethischer Erwägungen zur Klärung nötig ist, leuchtet schon aufgrund der vorangehend von Schroeckh erwähnten Vielfalt der biblischen Aussagen zu einzelnen »Religionsfragen« ein; Schroeckh zielt aber vor allem darauf ab »sich nicht aus übel verstandener Ehrerbietung gegen die, bisweilen kaum recht erklärte, heilige Schrift, einem Hange zum Geheimnißvollen, Uebernatürlichen, dem bekannten Gange der menschlichen Seele Widersprechenden, zu überlas Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 153 f. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 154.
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
sen«.138 Schroeckh verbietet sich und den streitenden Theologen also eine falsche Ehrfurcht vor der Schrift in Gestalt einer Exegese, die es zum einen nicht wagt, die dunklen Stellen jener mit der Vernunft aufzuhellen, und die zum anderen dazu neigt, Unverständliches als geheimnisvoll zu mystifizieren, statt Aufklärung zu bringen. So vorzugehen, sei nicht wie der oben von Schroeckh vorgeschlagene Weg »Gottes würdig«, sondern »übel verstandene […] Ehrerbietung«.139 3.1.2. »Einer der schlechtesten Schriftausleger«: Kritik am exegetischen und philosophischen Fundament des augustinischen Lehrgebäudes Auf den pelagianischen Streit blickend, muss Schroeckh eingestehen, dass beide Streitparteien – allerdings in unterschiedlichem Maße – auf dem Feld der angemessenen Schriftauslegung als Grundlage jeglicher theologischen Diskussion »Proben ihrer Schwäche hinterlassen haben«140 – insbesondere jedoch Augustinus: »Einer der schlechtesten Schriftausleger unter ihnen [den Streitgegnern], war wohl Augustinus, wenn man aus den häufigen Spuren seiner Unwissenheit im biblischen Sprachgebrauche, aus der Menge der zu seinem Dienste gezwungenen Schriftstellen, wo er auch nur einzelne Worte antraf, die ihm günstig zu seyn schienen, und aus den Spitzfindigkeiten, mit welchen er die Bibel überschüttet, schließen darf.«141
Dieser Absatz muss in Gänze zitiert werden, nicht allein aufgrund der Vehemenz der Kritik, sondern auch, da er parallel zu den erst kurz zuvor von Schroeckh geschilderten Grundlagen zur Klärung der Streitfragen zu lesen ist. Augustinus ermangelt demnach sämtlicher darin geforderter Kompetenzen und verstößt somit in dieser Kritik Schroeckhs gegen alle Grundregeln der Exegese. Allem voran steht, wie schon bei Semler, seine unzureichende Kenntnis der Ursprachen. Schon im ersten Teil der Darstellung der pelagianischen Streitigkeiten bemängelte Schroeckh, Augustinus habe mit den »ursprünglichen Sprachen […] gar keine vertraute Bekanntschaft« gehabt, was es für Schroeckh lächerlich erscheinen lässt, dass Augustinus versuchte, Pelagius und Caelestius »richtigere Einsichten beizubringen«.142 Wie soll jemand, der die biblischen Texte nicht einwandfrei in seiner Ursprache zu lesen vermag, die korrekten exegetischen Schlüsse ziehen können? Tatsächlich könne man ihn »bloß auf die lateinische Uebersezung derselben losexegesiren und dogmatisiren« und »das Erste Beste, was zum Behuf seiner Denkungsart dienen kann, aus ihren Worten herleiten, und immerfort mit neuen Einfällen oder Spitzfindigkeiten bereichern« sehen.143 138 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 15, 154. Christliche Kirchengeschichte 15, 154. 140 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 154. 141 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 154. 142 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 444. 143 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 384. 139 Schroeckh,
III. Johann Matthias Schroeckhs Christliche Kirchengeschichte
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Doch Augustinus verstößt auch gegen die weiteren aufgelisteten Grund-sätze: So habe er seine eigene Meinung in den biblischen Text hineingelesen, indem er Schriftstellen nach seinem eigenen Gutdünken »zu seinem Dienste gezwungen« habe. Selbst einzelne Worte, die ihm für seine Argumentation günstig erschienen, habe er dazu herangezogen. In Schroeckhs Sicht ist die Heilige Schrift für Augustinus letztlich nicht mehr als ein Hilfsmittel und Steinbruch für die Unterstützung der eigenen Lehrmeinung – und wird zudem mit seinen Spitzfindigkeiten überhäuft. Eine derart ungenügende Exegese kann für Schroeckh folglich nur zu widersinnigen und weit hergeholten Lehren wie Augustins Erbsündenlehre, Anthropologie und Taufverständnis führen: »[S]o wundert man sich gar nicht, daß er durch die biblischen Schriftsteller die ungetauften Kinder verdammen läßt; daß er der heiligen Schrift die Lehre beilegt, alle Menschen müßten die Schuld und Strafe der Sünde eines einzigen, an der sie nicht den geringsten Antheil genommen haben, noch nehmen konnten, bloß deswegen tragen, weil er ihr Stammvater gewesen sey; und andere Lehrsäze mehr in die Bibel hineinträgt.«144
Das Bild eines biblischen Exegeten bestätigt sich für Augustinus im Urteil Schroeckhs also nicht, er versagt vielmehr auf ganzer Linie, weil er nur seine eigenen Lehrmeinungen in den Text hineinlese. Als ein Beispiel für diese Sicht auf Augustins Exegese sei Schroeckhs Schlussbeurteilung der Schrift De gratia Christi et de peccato originali angeführt.145 Er vermerkt über deren zwei Bücher: »Die Eifrigkeit, mit welcher Augustinus diese zwey Bücher zusammen schrieb, entschuldigt ihn gewissermaaßen, daß sie keine andere Empfehlung haben, als die sehr geläufige Entwickelung seines Lehrbegriffs. Bey der Widerlegung des gegenseitigen, und vornehmlich bey den biblischen Beweisen, die er für die Erbsünde und für die Verdammlichkeit der Kinder vorbringt, konnte sich kein mäßig geübter Ausleger der Schrift beruhigen.«146
Es liegt somit eine hastig dahingeschriebene Schrift vor, die kaum der Lektüre wert ist und zudem eine Argumentation und Schriftauslegung in sich birgt, die selbst wenig erprobte Exegeten dazu verlasst, sich die Haare zu raufen. Analog zu Augustins ungenügender Exegese der Heiligen Schrift sieht Schroeckh auch dessen Auslegung vorangegangener kirchlicher Autoritäten. In einem ermüdenden Durchgang durch Augustins contra Iulianum kommt Schroeckh auf Augustins Instrumentalisierung von Kirchenväterzitaten zu sprechen.147 Julians Einwände gegen die Erbsündenlehre und ihre dogmatischen Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 384. Zur gesamten Zusammenfassung der Schrift Augustins vgl. Schroeckh, Christliche Kir‑ chengeschichte 15, 46–52. 146 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 52. 147 Zur Zusammenfassung Schroeckhs vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 76–88, hier im Folgenden insbesondere 80 f. 144 145
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Folgen habe Augustinus »mit Waffen, die ihm eben die gedachten Lehrer hergaben, oder hergeben mußten« bestritten.148 Wie die Schrift selbst würden auch die kirchlichen Autoritäten somit zu bloßen Werkzeugen und Steinbrüchen für Augustins Argumentation instrumentalisiert und degradiert. Und ebenso wie er bei der Heiligen Schrift einzelne Stellen verallgemeinert herausgegriffen habe, wählte er einzelne Kirchenväterzitate von Ambrosius, Cyprian, Hilarius und weiteren aus, um die differenzierten Gegenargumente Julians mit diesem verallgemeinerten Zitatenwust zurückzuweisen: »[S]o wälzt er gleichsam diese Last auf seine Gegner hin, und glaubt dadurch dessen Beweis zerschmettert zu haben.«149 Dass diese mangelhafte Methodik nicht etwa ein unglücklicher Einzelfall in der schwierigen Argumentation gegen den gewieften Julian sei, verdeutlich Schroeckh mit einem Resümee, das an eine kurze Paraphrase der Anführung des Ambrosius in Augustins Argumentation anschließt: »Ein einziges solches Beispiel wie Augustinus seine gesammleten Stellen benüze, sagt ohne Zweifel soviel als zwanzig andere.«150 Die Kritik ist vernichtend: Nicht allein versagte Augustinus im pelagianischen Streit mit seiner unzureichenden Schriftauslegung, sondern selbst im Gebrauch der für Protestanten ohnehin nicht gültigen kirchlichen Autoritäten in Gestalt der Kirchenväter. Als fatalstes Beispiel der augustinischen Exegese gilt Schroeckh auch dessen auf Basis der lateinischen Bibelübersetzung getroffene Interpretation von Röm 5,12.151 Obwohl Augustinus ein schrecklicher Exeget gewesen sei, wie Schroeckh soeben darlegte, sei seine Auslegung der Stelle von den Synoden als die einzig legitime Auslegung innerhalb der Mehrheitskirche autorisiert worden. Schroeckh zufolge kommt es bei der richtigen Klärung von »Religionsfragen« nicht allein auf die korrekte Exegese an, sondern auf ein gottwürdiges Miteinander von Exegese und philosophischen Überlegungen. Hatte Augustinus zumindest in Letzteren mehr vorzuweisen? Zwar charakterisiert Schroeckh Augustinus »weit mehr« als »Philosoph[en] und Menschenbeobachter« denn als Exegeten; folglich sei zu erwarten, dass Augustinus, ohne die Heilige Schrift dabei aus dem Blick zu verlieren, seine empirischen Beobachtungen und philosophischen Kenntnisse zur Natur des Menschen und der vermeintlichen Sünde sowie dem vermeintlichen Vermögen des Kindes zu sündigen einbezieht, wenn er seine Lehrmeinungen bildet.152 Doch auch als Menschenkenner und Philosoph enttäuscht Augustinus Schroeckh gänzlich: 148 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 15, 80. Christliche Kirchengeschichte 15, 81. 150 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 81. 151 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 154. 152 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 384. 149 Schroeckh,
III. Johann Matthias Schroeckhs Christliche Kirchengeschichte
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»Aber was er etwan davon berührt, wird nur einseitig aufgefaßt, damit es sich in sein System zwingen laße, für dessen Ausschmückung und Befestigung er einen wunderbaren Reichthum an Worten, Wendungen, Ausflüchten und Gegenstreichen in Bereitschaft hat.«153
Wie auch schon in seiner Exegese ist es also in der Sicht Schroeckhs nicht Augustins Ziel, die »Wahrheit« bzw. den eigentlichen Schriftsinn herauszuarbeiten und daraus seine schriftgemäße Lehre zu deduzieren. Auch die Menschenkenntnis und Philosophie diene ihm bestenfalls nur als Steinbruch zur Unterstützung seiner eigenen Lehrmeinung.154 Denn letztlich habe Augustinus sich die Inhalte nicht nur zur Unterstützung seines Systems zurechtgebogen, sondern bewusst ausgeklammert, wo sie nachteilig für seine Argumentation gewesen wären: »Mit gründlicher exegetischer Fertigkeit konnte sich dieser Bischof nicht forthelfen; mit philosophischen Beobachtungen über den menschlichen Geist und sittliche Begriffe, wollte er es nicht thun, weil sie seinem einmal angenommenen System sehr nachtheilig geworden seyn würden.«155
Schroeckh zufolge verzichtete Augustinus also ganz bewusst auf ein Einbeziehen der Philosophie und erfahrungsbasierten Ethik, da diese seinem Lehrsystem geschadet hätten. Augustinus beschränkte sich demgemäß zur Stützung seiner Lehrmeinungen allein auf seine mangelhafte Exegese der lateinischen Bibelübersetzung. Wie Schroeckh bereits darlegte, ist dies nicht allein aufgrund der schlechten Textbasis – wie im Falle der Übersetzung vom Röm 5,12 – ein Problem, sondern auch aufgrund der in der Heiligen Schrift enthaltenen dunklen, schwer verständlichen Stellen. In Schroeckhs Konzeption würde hier die Einbeziehung der Philosophie und insbesondere Ethik zur Klärung beitragen. Darauf verzichtet Augustinus jedoch, sodass, »wenn das ächte menschliche Gefühl sich dawider empörte«, er sich darin flüchtete, seine Lehren als »unerforschliche und unbegreifliche Lehren, die aber augenscheinlich in der Bibel stünden, oder daraus hergeleitet werden könnten«,156 auszuweisen. Das ist eine scharfsinnige Beobachtung Schroeckhs: Da, wo Augustins Interpretationen und die entsprechenden Lehrmeinungen, wie beispielsweise die Annahme der Sündhaftigkeit der Kleinkinder oder die Prädestinationslehre, dem menschlichen moralischen Empfinden und seiner Vernunft widersprechen, versucht Augustinus gar nicht erst, selbiges zur Sprache kommen zu lassen, sondern weicht auf die Unerforschbarkeit der angeblich biblisch fundierten Lehren als Antwort aus. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 384. Bezeichnenderweise lernt der Leser an dieser Stelle auch Genaueres über Schroeckhs eigene dogmatische Ansichten kennen. So bemerkt er über die »Würde und die Kräfte der menschlichen Natur«, dass diese Natur »niemals aufhört, ein Gottes würdiges Werk zu seyn«. (Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 384). 155 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 154 f. 156 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 155. 153 154
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Als wohl bekanntestes Beispiel kann für diese Unerforschbarkeit die Erwählungs‑ bzw. Prädestinationslehre Augustins angesehen werden. Bereits bei Semler begegnete die Kritik an der Flucht Augustins in den unerforschlichen Ratschluss Gottes in aller Ausführlichkeit und im Bezug auf Augustins De dono perseverantiae.157 In seiner eigenen Zusammenfassung des augustinischen Traktates über das Gut der Beharrlichkeit im rechten Glauben, bemerkt Schroeckh:158 »Hierauf folgen lange Wiederholungen der schon bekannten Ausflüchte des Verfassers: es sey unerforschliche Einrichtung Gottes, daß diese Gabe dem einen ertheilt werde, dem andern nicht; beide ohne Rücksicht auf ihr Verhalten; so wie ein Kind durch die Taufe angenommen, das andere verlassen werde; genug, daß der eine prädestinirt sey, nicht aber der andere.«159
Doch Augustinus tut sich selbst schwer damit, seine Prädestinationslehre zu verkaufen. Schroeckh begründet dies mit dem »ächte[n] menschliche[n] Gefühl«, das »sich dawider empörte«,160 und welches bei Augustinus in seiner »ängstlichen Mühe […], die Lehre von der Prädestination im öffentlichen Vortrage zu mildern« in Erscheinung tritt und verrät, »wie sehr er ihre innere und natürliche Härte empfunden habe«.161 Augustinus ignorierte somit faktisch sein eigenes moralisches Empfinden, was es freilich nicht einfach machte, die Botschaft an den Mann zu bringen. Die Unfassbarkeit dieser Lehre für viele Menschen sieht Augustinus mit dem biblischen Zitat »Wer es fassen kann, der fasse es (Mt 19,12)« legitimiert – doch für Schroeckh gehört auch »diese Stelle in die große Menge der übrigen biblischen, von denen er die gezwungenste Anwendung gemacht hat«.162 Zunächst scheint es nach dieser vernichtenden Kritik so, als wolle Schroeckh an Augustinus doch noch ein gutes Haar finden, indem er betont, dass dessen Absicht »gut und rühmlich« sei, wolle Augustinus doch nur »die Unentbehrlichkeit, Größe und Würksamkeit der Wohlthaten und Veranstaltungen Christi für das menschliche Geschlecht in höchsten und hellsten Lichte darstellen«.163 Nicht nur ist dies freilich ein nobles Anliegen, sondern Schroeckh zufolge habe Augustinus seine Lehre in dieser Hinsicht als schriftgemäß aufgefasst. Doch Schroeckh weist sogleich das zugrundeliegende Bild einer Waage mit menschlichem Hochmut auf der einen und der göttlichen Gnade und Erlösungstat Christi auf der anderen Waagschale als unzutreffend und nicht biblisch zurück: Siehe oben S. 197; 213 f. Schroeckhs Zusammenfassung von Aug., persev. vgl. Schroeckh, Christliche Kir‑ chengeschichte 15, 125–130. 159 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 126. 160 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 155. 161 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 129. 162 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 129. 163 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 384 f. 157
158 Für
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»Allein dazu war es nach ihren Lehren [der Heiligen Schrift] nicht nöthig, den Menschen in ein so tiefes, gewissermaaßen fürchterliches Verderben und Elend herabzusezen; dem Teufel und der Sünde eine so schröckliche, für die Menschen unwiderstehliche Macht beizulegen, damit nur Christus und die Gnade Gottes noch mächtiger in ihnen erscheinen möchten.«164
Die in der Heiligen Schrift selbst enthaltene Lehre bedarf also Schroeckh gemäß weder einer künstlich beigemessenen Herabwürdigung des Menschen noch einer unangemessenen Machtzuschreibung gegenüber dem Teufel und der Sünde, damit die Gnade Gottes umso stärker erscheint. Anders gesprochen: Zum einen sind die Gnade Gottes und die Erlösungstat Christi für sich genommen mächtig genug und bedürfen dieses Taschenspielertricks nicht. Zum anderen ist die Erniedrigung des Menschen und die Betonung seines Elends und seiner Ohnmacht ein ebensolcher Taschenspielertrick, um die eigene zu verkaufende Botschaft, hier die »Unentbehrlichkeit, Größe und Würksamkeit der Wohlthaten und Veranstaltungen Christi« – also das Evangelium selbst! –, an den Mann zu bringen. Nicht zuletzt ist hier freilich auch die Anspielung auf den Teufel ein Mittel Schroeckhs, Augustins Theologie in die Nähe des Aberglaubens zu rücken, der mit der Vorstellung vom Teufel ohnehin im 18. Jahrhundert, vor allem von Semler, aufs Schärfste bekämpft wurde.165 3.2. Die anthropologische Rahmung der Theologie Augustins und des Pelagius Nach einer Darstellung der Synode von Diospolis fasst Schroeckh die grundsätzlichen Motive und Antriebe Augustins und Pelagius’ zusammen. In schwärzesten Tönen zeichnet er das Anliegen Augustins: »Augustinus wollte, daß die Menschen vor sich selbst erschröcken sollten, um im Gefühl ihrer Ohnmacht und Abscheulichkeit, sich der einwürkenden, alles durchdringenden und bessernden göttlichen Macht desto unbedingter zu überlassen.«166
Der menschlichen Ohnmacht wird hier die göttliche Macht gegenübergestellt. Zugunsten Ersterer setzt Augustinus Schroeckh zufolge den Menschen so tief als nur möglich: Der Mensch soll in der von Schroeck Augustinus zugesprochenen Logik zur Erkenntnis des eigenen verdorbenen, sündhaften Wesens geführt werden, welches im Erschrecken vor sich selbst mündet. In diesem Zustand tiefsten Erschüttertseins wird der Mensch seiner eigenen Abscheulichkeit und letztlich Ohnmacht, sich nicht bessern zu können, gewahr. Dieser Ohnmacht steht nun aber die große Macht Gottes gegenüber: Durch das Erschrecken vor sich selbst und die Einsicht in die eigene Unfähigkeit hindurch gelangt der Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 385. Zum Teufelsstreit vgl. Dirk Fleischer, »Aufklärung als kulturelle Kraft: Zum Teufelsstreit der Spätaufklärung«, in Teufelsstreit in der Spätaufklärung. Ein Quellenband, hg. v. dems., IX–XVII (Nordhausen: Traugott Bautz, 2013). 166 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 444. 164 165
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Mensch zur Erkenntnis, dass sich Besserung alleinig darin findet, sich der alles durchdringenden göttlichen Macht, konkret der Gnade Gottes zu überlassen. Soweit die Position Augustins in der Sicht Schroeckhs, der hier die pessimistische Anthropologie Augustins besonders in den Vordergrund stellt und noch an späterer Stelle vertiefen und zu einem Hauptkritikpunkt ausgestalten wird. Diese Machtungleichheit findet sich hingegen nicht in der Anthropologie, die Schroeckh als die Position des Pelagius ausweist: »Pelagius hingegen verlangte, daß sie [die Menschen] mit den ihnen von Gott verliehenen Kräften eben sowohl als mit ihrer freywilligen Ausartung, genau bekannt, die erstern unter seiner Leitung zum treuen und beständigen Gebrauche der von ihm vorgeschriebenen Besserungsmittel anwenden sollten.«167
Nicht nur ist das hier von Schroeckh gewählte Vokabular deutlich freundlicher ausgefallen, sondern auch die damit geschilderte Anthropologie im Verhältnis zur Gnadenlehre: Der Erkenntnisprozess mündet hier, anders als bei Augustinus, nicht in der Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit und Ohnmacht, sondern ganz im Gegenteil in der Erkenntnis der eigenen, von Gott verliehenen Macht und ihrer freien Anwendbarkeit. Damit zielt Schroeckh freilich auf die Betonung des freien Willens bei Pelagius, der eben nicht durch eine Ursünde verdorben nur noch zur Sünde neigt. Die so gezeichnete optimistische Anthropologie eines mit einem freien Willen ausgestatteten Menschen mündet nun auch nicht in einer Gnadenlehre, die durch das bedingungslose Überlassen seiner selbst gegenüber einer alles umfassenden göttlichen Macht bestimmt ist, um Besserung zu erlangen; sondern konsequenterweise in einer Ethik, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Mensch sich selbst Besserung erwirkt, indem er seine gottgeschenkten freien Fähigkeiten unter Anleitung Gottes dazu nutzt, die von Gott in der Heiligen Schrift offenbarten und vorgeschriebenen Forderungen zu seiner Besserung einzuhalten. Entgegen der Passivität, die die augustinische Gnadenlehre dem Menschen hinsichtlich seines eigenen Heils zuspricht, steht hier in Schroeckhs Zusammenfassung der Ansichten des Pelagius die Aktivität der ethischen Forderungen, die konsequent aus einer optimistischen Anthropologie hervorgehen. Geschickt sind in dieser knappen Zusammenfassung nicht nur die sich diametral gegenüberstehenden Positionen von Schroeckh dargestellt, sondern auch die Position Gottes im pelagianischen Modell: Gott erscheint hier immer noch als der Geber und Leitende, doch mit entsprechenden Verschiebungen hin zu einer unterstützenden Haltung. Von einer Herabwürdigung Gottes und seiner Allmacht bei Pelagius findet Schroeckh jedoch keine Spur. Wie grundsätzlich für Schroeckh die Anthropologie als Ausgangs‑ und Zielpunkt fungiert, wird auch in einer weiteren Zusammenfassung der sich Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 444.
167
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gegenüberstehenden Lehrmeinungen deutlich. Nahezu heldengleich zeichnet Schroeckh dabei Pelagius: »Da stand ein Mann auf, der, ob er gleich zugab, daß die Menschen auf dieser Bahn ihrer Besserung und Glückseeligkeit sehr oft wankten, ober dieselbe wohl gar völlig verfehlten, sie dennoch, ihrer natürlichen Anlage nach, vor stark genug hielt, um auf derselben feste und bis ans Ende ausdauernde Schritte zu thun, wenn sie nur mancherlei Leitung, Hülfsmittel, Stüzen und Erleichterungen, die ihnen Gott darbiete, treulich benüzten.«168
Abseits dieses fast wieder an Luther zu Worms 1521 erinnernden Aufstands und Einstehens Pelagius’ stimmt diese Zusammenfassung Schroeckhs nahezu mit der oben zitierten überein. Neu ist die empirische Perspektive und das Eingeständnis des Pelagius, dass die Menschen sich freilich oft genug damit schwertun, auf dem hier von Schroeckh ausgemalten Pfad der Besserung zu bleiben. Demgegenüber wird aber die grundsätzliche Stärke der menschlichen Befähigung zu seiner Selbstbesserung betont. Zwar reiche diese grundsätzlich allein schon aus, um zur Seligkeit zu gelangen, jedoch werde die dazu notwendige Konsequenz und Ausdauer durch göttliche Hilfestellung noch gefördert. Noch schwärzer als vorangehend, ja fatalistisch fällt jedoch das Bild des augustinischen Lehrgebäudes aus, in welches Schroeckh nun auch die Prädestinationslehre miteinbezieht: »Ein anderer [Augustinus] leugnete alles dieses [die vorangehend dargestellte Lehrmeinung Pelagius’] schlechterdings; er fand die Menschen nicht bloß so schwach, sondern von Natur so elend, und so leblos, daß sie, an Statt einige Schritte zu ihrer Wiederherstellung thun zu können, nicht einmal den Willen dazu von selbst fassen könnten; daß dieser von Gott selbst erregte, durch seinen Beystand, seine innere unwiderstehliche Würkung, alles Gute im Menschen überhaupt hervorgebracht, und jeder einzele Fortschritt desselben im Guten geführt und unterstüzt werden müsse; aber, sezte, er hinzu, alles dieses so wenig in Beziehung auf das Verhalten des Menschen, die ohnedem bloß zum Bösen, nicht zum Guten, freye Entschließungen besizen, daß Gott nur eine gewisse Anzahl Menschen ausgesucht hat, denen er jenen Beistand, oder jene Gnade, wie er sie nannte, wenn sie gleich nicht wollen, ertheilt.«169
Erneut greift Schroeckh hier das Bild des Pfades der Besserung auf, allerdings mit der Pointe, dass es im augustinischen Modell dem Menschen nicht nur schwer falle, auf diesem Pfad zu schreiten, sondern überhaupt erst den Willen zu fassen, aufzustehen und einen Schritt zur eigenen Besserung zu tun. In diesem Bild bleibend betont Schroeckh die drückende Passivität der augustinischen Anthropologie damit, dass jeder noch so kleine »Fortschritt« des Menschen im Guten letztlich allein auf die göttliche Führung und Unterstützung in Gestalt der unwiderstehlichen Gnade angewiesen und zurückzuführen sei. Wem Gott diese unwiderstehliche Gnade »ertheilt« wie einen Befehl und wem er sie ver Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 152. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 152 f.
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
weigert, das steht in der augustinischen Prädestinations‑ und Erwählungslehre in keinerlei Kausalität zum Verhalten des Menschen, wie Schroeckh im Rückblick auf die vorangehende Passivität des Menschen karikiert. 3.3. »Mit der Bibel in der Hand philosophirt«: Verteidigung der theologischen Ethik des Pelagius 3.3.1. Voraussetzungen und Anliegen des Pelagius Auch wenn Pelagius in der Geschichte und im pelagianischen Streit selbst als »Feind der Gnade« und »Zerstörer des Christentums« bezeichnet wurde, sei es doch niemals seine Absicht gewesen, die Gnade Gottes »vorsezlich zu verfälschen«, sondern diese vielmehr »mit seinen Begriffen von den Kräften der menschlichen Natur zu vereinbaren«.170 Freilich beinhaltet das »vorsezlich« zumindest die Möglichkeit einer Verfälschung, doch abseits dieser Andeutung der Fehlbarkeit des Pelagius hält sich Schroeckh wenig überraschend gänzlich mit Häresieanschuldigungen oder häresiologischer Sprache zurück. Ohnehin sind ihm Orthodoxie und Heterodoxie keine Interpretationsmuster mehr; diese überkommene Deutungsdimension spricht Schroeckh ohnehin nicht einmal mehr an, sondern vergleicht Pelagius und Augustinus gleichberechtigt als zwei Theologen und Exegeten. Das ist auch dogmenhistorisch für ihn begründbar: Zur Zeit des Streites gab es zur Gnadenlehre »noch kein allgemein herrschendes Lehrgebäude, keine durchaus angenommene Erklärungsart der Bibel, die er [Pelagius] angriff, indem er behauptete, die sündliche Ausartung des ganzen menschlichen Geschlechts sey bloß aus einer Nachahmung der ersten Sünde Adams entstanden, und die vielfache Anweisung und Hülfe, welche Gott den Menschen zu ihrer Besserung leiste, erstreckte sich nicht bis zu übernatürlichen Veränderungen in ihrem Innern; sie sey eben so nöthig als nüzlich; wenn gleich der Mensch auch viel Vermögen, Gutes zu thun, besize«.171
Häresie ist da schon gar nicht möglich, wo keine dogmatischen Festlegungen bestehen. Zwar kann man die zitierte Stelle auch bloß als eine kompakte Darstellung des Lehrsystems des Pelagius ansehen; aus Sicht Schroeckhs jedoch ist es wichtig festzustellen, dass es zu all diesen Kernfragen von der Anthropologie, Sündenlehre und strittigen Frage einer inneren Gnadenwirkung bis hin zu deren ethischen Konsequenzen zur Zeit des pelagianischen Streites noch keine dogmatischen Festlegungen in Form von kirchlichen Symbolen und Konzilsbeschlüssen vorlagen. Schroeckh sieht ferner Pelagius’ Antrieb zu diesem Lehrsystem als ethisch legitimiert an: »Er glaubte auf diese Art das eigene Bestreben nach edeln Fertig Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 157. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 157 f.
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keiten glücklicher aufzuwecken, als wenn er der bessernden und heiligenden Kraft Gottes alles zueignete.«172 Zwar behält sich Schroeckh mit dieser Formulierung vor, dass Pelagius damit dennoch auf einen Holzweg geraten könnte. Gewichtiger ist hier jedoch, dass er die ethische Dimension anspricht, die Pelagius für die Klärung der eben noch zu klärenden Religionsfragen in Betracht zieht. Damit spielt Schroeckh also auf die eingangs erwähnten Grundvoraussetzungen zur Klärung der »Religionsfragen« an, die er nicht nur in sauberer exegetischer Arbeit und Kenntnis sieht, sondern auch im Einbezug der Philosophie und Ethik. Letzteres scheint also bei Pelagius gegeben zu sein, doch wie beurteilt Schroeckh dessen exegetische Fertigkeiten im Umgang mit der Heiligen Schrift? Zwar sei »die Stelle, welche [Pelagius] unter den biblischen Auslegern einnimmt, keine der höchsten; aber leicht und ungezwungen genug weiß er seine Meinungen oft aus derselben herzuleiten«.173 Pelagius sei also kein großer Exeget gewesen, übertrumpfte aber dennoch in seinen Fertigkeiten Augustinus: Anders als dieser zwingt er seine Lehrmeinung nicht induktiv dem biblischen Text auf, sondern leitet sie eben deduktiv aus diesem ab und hält sich somit an die exegetischen Grundsätze, die Schroeckh vormals aufgestellt hatte, auch wenn er Pelagius nicht als den fähigsten unter den pelagianischen Autoren ansieht, sondern Julian.174 3.3.2. Die Rolle der Diskussion um den Pelagianismus vor Pelagius Auch wenn Schroeckh das Deutungsschema »Orthodoxie und Heterodoxie« hinter sich lässt, so widmet er sich dennoch in einem dogmenhistorischen Kurzabriss vorangehend der Frage, ob Pelagius eine neue Lehre oder doch nur bereits bekannte Meinungen vertreten habe.175 An dessen Ende kommt Schroeckh zu dem Schluss: »Frey also die Wahrheit herausgesagt, war sein Lehrbegriff eben so gar nicht neu; er leugnete dieses ausdrücklich, und konnte sich wenigstens mit so vielem Befugniß als Augustinus, auf die Uebereinstimmung mit ältern Schriftstellern berufen.«176
Diesem »Freispruch« Pelagius’ durch Schroeckh, der noch einmal deutlich macht, dass seiner Meinung nach Augustinus und Pelagius unter denselben Gesichtspunkten betrachtet und bewertet werden müssen, geht nun die schon bei Walch so dominante dogmenhistorische Diskussion um den Pelagianismus vor Pelagius voran. Schroeckh setzt dazu kurioserweise, aber auch passenderweise bei den Gemeinsamkeiten und Unterschieden Hieronymus’ mit Augustinus an. Nachdem Schroeckh zunächst Augustinus als den besonneneren, aber auch langweiligeren 172 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 15, 158. Christliche Kirchengeschichte 15, 158. 174 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 158. 175 Im Folgenden vgl. hierzu Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 406–409. 176 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 409. 173 Schroeckh,
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Autoren, Hieronymus hingegen als »unterhaltend« und lebhaft, aber auch gegenüber seinen Gegnern als gnadenlos und verachtend geschildert hat, geht er auf beider Gemeinsamkeiten ein: »Gemein haben beide mit einander besonders den häufigen Mißbrauch biblischer Stellen zu ihren dogmatischen oder polemischen Bedürfnissen, und die unglückliche Folgerungssucht, der keine Seite eines fremden Lehrgebäudes entgeht.«177
Der bereits gegenüber Augustinus geäußerte Vorwurf der zweckgebundenen Instrumentalisierung und des den Inhalt verzerrenden Missbrauchs der Heiligen Schrift wird also auch auf Hieronymus angewandt;178 beiden ist ferner die unnachlässige Streitsucht gemein. Ein signifikanter Unterschied zwischen beiden bestand jedoch hinsichtlich der Einschätzung der Genealogie der pelagianischen Lehre: »Augustinus hatte nie bey einem Christen, nicht einmal bey Kezern, die Lehre des Pelagius angetroffen […].«179 Schroeckhs Begründung hierfür ist kurios bis amüsant: »[I]n den griechischen Schriftstellern konnte er sie nicht suchen, und überhaupt war es ihm unmöglich zu denken, daß sein Lehrbegriff nicht immer der allgemeine gewesen seyn sollte.«180 Nicht nur spielt Schroeckh hiermit wiederholt auf die unzureichenden Griechischkenntnisse des Augustinus an, sondern unterstellt diesem auch eine ignorante Vermessenheit, die es dem nordafrikanischen Kirchenvater unmöglich erscheinen lässt, dass jemals eine andere als seine Meinung die allgemein verbreitete – und damit katholische – gewesen sein sollte. Ganz anders hingegen Hieronymus über Pelagius: Nicht nur sah er diesen, wie auch Augustinus es tat, als Ketzer an, sondern behauptete gar, Pelagius habe »den so übel berüchtigten, für seinen eigenen [Hieronymus’] Ruf so gefährlichen Origenes, zu Vorläufern gehabt«.181 Seit dieser »Entdeckung« des Hieronymus nun sei diese Genealogie des Pelagianismus »ein ziemlich gewöhnlicher Eingang zu pelagianischen Geschichten geworden«.182 Die Formulierung macht bereits hier deutlich, dass Schroeckh nicht viel von der entsprechenden Theorie hält und eine direkte Genealogie verwirft; ohnehin ist der ganze Vorwurf des Pelagianismus vor Pelagius von dem Hitzkopf Hieronymus in die Welt gesetzt worden, der sich nicht nur scharf gegen Pelagius, sondern auch gegen Origenes und den Origenismus gewandt hat und somit als voreingenommen gelten darf.183 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 406. Schon vorangehend urteilt Schroeckh erneut, Augustinus würde »dem Anschein nach, stets aus der heiligen Schrift, in der That aber aus seinem Lehrbegriff, in welchen sich jene schicken muß« heraus argumentieren (Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 405). 179 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 406. 180 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 406. 181 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 406. 182 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 406. 183 Zu Hieronymus’ Auseinandersetzung mit dem »Origenismus« vgl. Heinrich SchlangeSchöningen, Hieronymus. Eine historische Biografie (Darmstadt: wbg Zabern, 2018), 247–260. 177 178
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Schroeckh schildert nun im Einzelnen, wie diese Pelagianismus ante PelagiusGenealogie bei Autoren ab dem 17. Jahrhundert rezipiert und diskutiert wurde.184 Garnier habe die Meinung von Noris, dass Rufin von Aquileia, der Übersetzer des Origenes, als Erster im Westen des Reiches pelagianische Irrlehren verbreitet habe und Pelagius und Caelestius darin seine Schüler wurden, »durch mancherley Gründe sehr wankend gemacht«.185 Demgegenüber habe der Jesuit die These der Unterscheidung Rufins des Syrers von Rufin von Aquileia vertreten und Theodor von Mopsuestia als den »Urheber des pelagianischen Lehrgebäudes« ausfindig gemacht.186 Schroeckh hält beide Thesen für wenig stichhaltig, ohne dafür nähere Erklärungen zu bieten, rechnete es Garnier jedoch positiv an, dass dieser die deutlichen Differenzen zwischen den Lehren Origenes’ und Pelagius’ herausgearbeitet habe. Schroeckh liefert hier erneut wenig Details, stellt aber als ein Differenzierungsmerkmal heraus, dass Origenes »etwas mehr als Pelagius auf die Nothwendigkeit eines innern göttlichen Beistandes« gesetzt hatte.187 Gemeinsamkeiten fänden sich hingegen, wenig überraschend, hinsichtlich der Vorstellungen vom freien Willen zum Guten wie zum Bösen. Über diese Feststellungen hinaus hätte Schroeckh zufolge Garnier jedoch weitaus konsequentere Schlüsse ziehen können: Eine dogmenhistorische Gesamtschau hätte deutlich gemacht, dass eine Reihe der »angesehensten Kirchenlehrer«188 von Justin bis Chrysostomus ebenso wie Origenes als Vorläufer des Pelagius hätten angesehen werden müssen, gleichen sich deren Lehren doch in entscheidenden Punkten. Dessen war sich nicht nur Garnier insgeheim bewusst, so die stillschweigende Unterstellung Schroeckhs, sondern auch Petavius, der zugegeben habe, »daß die griechischen Theologen der Erbsünde keine Meinung in ihren Schriften gethan haben«.189 Selbst einer der »einflußreichsten Vertreter einer lutherischer Orthodoxie«, Johann Hülsemann (1602–1661),190 habe über die Lektüre Justins, Irenäus’ und Tertullians in Hinblick auf die Lehre vom freien Willen gestanden, »man höre die eigenen Worte des Pelagius«.191 Eine besondere Stellung in der Frage nach dem Pelagianismus vor Pelagius nimmt freilich die von Johann Georg Walch mit Ergänzungen 1744 wiederveröffentlichte Dissertatio Lilienthals ein, die Schroeckh als »eine ziemlich brauch Im Folgenden vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 407–409 sowie 335 f. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 407. 186 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 407. 187 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 407. 188 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 408. 189 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 408. 190 Zu Hülsemann, der vehement gegen Georg Calixt für die lutherische Orthodoxie eintrat, vgl. Friedrich W. Bautz, »Hülsemann, Johann«, BBKL 2 (Hamm: Traugott Bautz, 1990): 1124; sowie Erich Beyreuther, »Hülsemann, Johann«, NDB 9 (Berlin: Duncker & Humblot, 1972): 734. 191 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 408; Schroeckh bezieht sich auf Johann Hülsemann, Diatribe de Auxiliis Gratae, quae vocant: Accessit Disputatio cum Hugone Grotio de harmonia Pauli et Jacobi de justificatione (Leipzig, 1652), 134. 184
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bare, aber nur unvollständige Sammlung dahin gehörigen Stellen« beurteilt.192 Lilienthal habe darin zeigen wollen, dass selbst die Kirchenväter, deren Aussagen den Pelagianismus zu begünstigen scheinen, letztlich doch die Erbsünde gekannt und gar nicht erst geleugnet hätten; sie hätten »sich nur vor den pelagianischen Händeln unvorsichtig darüber« geäußert.193 Es folgt eine Auflistung der Relativierungen, die Lilienthal zur Rehabilitierung und Verteidigung der Kirchenväter anführt. So hätten sie vielleicht »auch nur von den Kräften des Menschen in natürlichen und bürgerlichen, nicht in geistlichen Dingen, gesprochen«.194 Und selbst wenn sie sich geirrt hätten, müssten sie doch entschuldigt werden, »weil sie bei der Bestreitung so mancher Abwege, leicht auf einen entgegen gesezten hätten gerathen können«,195 schließt Schroeckh das Zitat Lilienthals. Wie sehr ihm diese Inschutznahme zuwider ist, wird sogleich deutlich: »Mit solchen Voraussetzungen ist es freylich nicht schwer, den Glauben der Kirchenväter überall in Ehren zu halten.«196 Mehr noch als über Lilienthals peinliche Argumentation zur Verteidigung der Kirchenväter empört sich Schroeckh jedoch darüber, dass nicht gleiches Maß an Pelagius angelegt wurde: »Man sollte glauben, dergleichen Entschuldigungen müßten auch dem Pelagius zu Statten kommen; allein mit ihm ändert sich gleich der ganze Auftritt.«197 Er empört sich, dass hier zweierlei Maß angelegt werde, obwohl doch auch Pelagius ebenfalls wie die angeführten Kirchenväter seine Lehre in Abgrenzung von einer Irrlehre formulierte: »Er suchte zwar auch den Abweg des Manichäismus zu vermeiden; doch da er nach der kirchlichen Entscheidung ein Ketzer ist, so darf er nicht einerley Recht mit den sogenannten katholischen Lehrern fordern.«198 Schroeckhs bissiger Spott wird hier überdeutlich am Ende seines Kurzabrisses zur Beurteilung der Frage, ob die Lehrmeinungen des Pelagius schon vor diesem selbst vertreten wurden: Allein die kirchliche Entscheidung, Pelagius als einen heterodoxen Ketzer anzusehen, habe dazu geführt, dass er ungerechterweise im dogmengeschichtlichen Rückblick oftmals nicht wie die als orthodox klassifizierten Kirchenväter nach gleichem Maß beurteilt werde.199 192 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 14, 408.
193 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 408. Schroeckh verweist hierzu auf die Aus-
gabe der Dissertatio von 1744 in Johann Walch, Miscellaneis sacris, 608. 194 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 408, erneut mit Verweis auf Walch, Mis‑ cellaneis sacris, 608. 195 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 408. 196 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 408. 197 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 408 f. 198 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 409. 199 Analog urteilt Schroeckh schon hinsichtlich der Überlieferung des Pauluskommentars des Pelagius. Solange dieser unter dem Namen des Hieronymus gelesen wurde, habe er großen Beifall gefunden, denn: »Der im Ruf der Rechtgläubigkeit stehende Schriftsteller mag die seltsamsten und anstößigsten Meinungen vortragen; man wird sie kaum bemerken wollen, oder auf alle Weise mildern. Man seze aber vor seine Schriften den Nahmen von Ketzern: und sogleich werden sie auch durchgehends einen ketzerischen Verstand haben. So wurde Pelagius
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Schroeckh wendet sich in der Diskussion um den Pelagianismus vor Pelagius auch der Beurteilung Christian Walchs zu, der das pelagianische Lehrsystem bekanntlich als »christlichen Naturalismus« charakterisierte, der schon vor Pelagius verbreitet gewesen sei und der seinen Grund in »dem Hang des Herzens zu den schmeichelhaften Einbildungen von der Größe der natürlichen Kräfte unserer Seele« habe.200 Zur Bekräftigung dieser Ansicht hat Walch sich auf Christian Eberhard Weißmann berufen, der ebenfalls betonte, dass eine entsprechende »Kezerey nicht erst mit dem Pelagius habe gebohren werden können; sondern dem gefallenen Menschen angebohren sey; ja sie sey die Erbsünde selbst […]«.201 Schroeckh tut jedoch sowohl Walchs also auch Weismanns Position als Frömmelei ab, und entlarvt zudem ihren so formulierten Beweis der Verdorbenheit des Menschen als einen logisch unzulässigen Zirkelschluss: »Es scheint jedoch, daß alle dies Betrachtungen mehr fromm als gründlich genannt werden können. Denn Irrthümer des Verstandes aus einem verdorbenen Herzen abzuleiten, ist zwar der kürzeste Weg, um sie abscheulich zu machen; erspart jede Widerlegung derselben, und läßt sich auf alle Angriffe gegen Heilige Schrift und Religion oder gar gegen das kirchliche System ausdähnen; hat aber nur die unbemerkten Fehler an sich, daß es als bewiesen annimmt, was erst bewiesen werden soll und überhaupt keinen sichern historischen Grund gewährt.«202
Den Pelagianismus könne man daher auch nicht gesichert als »christlichen Naturalismus« ausweisen. Man kann hier hinsichtlich der zu Beginn der zweiten Hälfe des 18. Jahrhunderts von Lilienthal und den Walchs geführten Diskussion um den Pelagianismus vor Pelagius festhalten, dass Schroeckh ein solches Bemühen um eine Ketzergenealogie irrelevant erscheint, er sie deshalb nicht in den Mittelpunkt seines Forschungsinteresses stellt und auch keine eigenen Nachforschungen mehr dazu anstellt. Relevant ist die Diskussion für ihn nur da, wo sie ihm als Argument gegen die ungerechte Behandlung des Pelagius dient und er eine Beurteilung nach dem gleichen Maße wie für die »orthodoxen« Kirchenväter einfordert: Pelagius hatte Vorläufer und keineswegs nur neue Gedanken zu Wege gebracht; gleiches gilt partiell auch für Augustinus – der zwar an Vorgänger anknüpft, aber in seiner Konsequenz drastisch über diese hinausgeht. Schroeckh benutzt freilich nicht mehr die Deutungskategorie »alt/neu« zur eine Zeitlang als ein Heiliger im Leben und Lehren angesehen; nachdem er durch den Widersprich angesehener Männer zum groben Irrlehrer gemacht worden war, behielten auch seine Sitten, Lehren und Schriften beinahe nichts Gesundes mehr übrig.« (Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 341.) 200 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 411, der hier Walch, Entwurf, 802 zitiert. 201 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 411 der hier Weiẞmann, Introductio 1, 488 zitiert. Zu Walchs Bezug auf Weißmann siehe auch oben S. 289. 202 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 411 f.
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
dogmenhistorischen Beschreibung von Lehrmeinungen, die noch für Semler so relevant war. In diesem Sinne überrascht es auch nicht, dass die Pelagianismus ante Pelagium-Diskussion in den Hintergrund tritt, ist Schroeckh doch das Aufweisen der ungenügenden Schriftgemäßheit der Lehre des Augustinus das zentrale Argument gegen diesen. 3.3.3. Lob für den Brief an Demetrias und Semlers Bemühung um diesen Bereits hier sollte deutlich sein, dass Schroeckh bemüht ist, Pelagius Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Hier geschieht dies freilich dem Anschein nach nur aus dogmenhistorischen Motiven und dem Willen nach gerechter Behandlung, doch Schroeckh weiß neben dem üblichen Lob für das Verhalten des Pelagius,203 diesen vor allem für seinen Brief an die Jungfrau Demetrias zu preisen.204 Nach einer ausführlichen, um Objektivität bemühten Darlegung des Inhalts des als »merkwürdig« charakterisierten Schreibens betont Schroeckh in seiner Beurteilung, das Schreiben habe »übrigens seinem Verfasser nicht wenig Ehre« gemacht.205 Selbst die sonstige Kritik, die Schroeckh bereits hinsichtlich des Mönchstandes geäußert hat, wird in Bezug auf Pelagius hinfällig, da er diesen als ein Ausnahmeexemplar ansieht. Denn in dem Schreiben begegne mit Pelagius ein Mönch, »wie man ihn sehr selten antrifft; der mit der Bibel in der Hand philosophirt; eine vollkommenere Gottseeligkeit einschärft; aber auch zugleich zeigen will, daß sie mit den Kräften der menschlichen Natur, wenn sie von Gott gestärkt werden, nicht unvereinbar sey; der mit Menschenkenntniß, seiner Beredtsamkeit, und so entfernt von der eigentlichen mönchischen Schwärmerey schreibt, daß er vielmehr das Mechanische, Uebertriebene und Scheinheilige dieses Standes, unter Erhebung der christlichen Tugend, die im Herzen ihren Sitz hat, auf seinen wahren Werth herabsezt; kurz, der weniger Mönch, und im überdachten Vortrage der christlichen Sittenlehre geschickter ist, als die meisten, welche dazu öffentlich bestellt waren.«206
Schroeckh zeichnet Pelagius somit als einen herausragenden Sittenlehrer, der zudem die Unzulänglichkeiten des üblichen Mönchstandes hinsichtlich der Seligwerdung konsequent und basierend auf Bibel und Philosophie aufgedeckt habe. Herabgesetzt habe er dabei die so schön mit dem »Mechanischen« gleichgesetzte »Scheinheiligkeit« des Mönchstandes; hervorgehoben hingegen die dem gegenüber lebendige christliche Tugend, welche dem Menschen ins Herz geschrieben stehe. Besonnen und mit hoher Menschenkenntnis habe Pelagius seine Abhandlung verfasst, die betont, dass die Seligkeit mit den Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 336 f. Für die Darstellung des Schreibens an Demetrias vgl. Schroeckh, Christliche Kirchen‑ geschichte 14, 343–360. 205 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 353. 206 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 354 f. 203 204
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natürlichen Kräften des Menschen, soweit sie von Gott unterstützt werden, vereinbar seien. In diesem so kritisch gegenüber dem Mönchtum formulierten Part erscheint diese positive Hervorhebung der Anthropologie des Pelagius in einem nahezu synergetischen Licht bemerkenswert. Freilich jedoch muss festgehalten werden, dass Schroeckh hiermit nicht etwa primär ein Urteil über den Theologen, sondern vor allem über den christlichen Ethiker Pelagius fällt. Die positive Würdigung dieses Sittenlehrers ist jedoch nicht zu überhören. Die Kritik Augustins an Pelagius’ Brief an Demetrias wird daher auch brüsk von Schroeckh für Augustins »Folgerungssucht« und für die ungerechtfertigte Vorgehensweise abgewiesen, »daß ein moralisches Ermahnungsschreiben nicht allein gleich einer Probe eines dogmatischen Systems beurtheilt wird, sondern auch an dasselbe willkührliche Forderungen von gewissen nicht einmal durchgängig eingeführten Formeln gemacht werden […]«.207
Auch hier wird also die Differenzierung Schroeckhs deutlich, der das Schreiben des Pelagius als eine ethische Abhandlung bzw. Anweisung zu loben weiß, sie jedoch auch klar und seiner Meinung nach gerecht von einer dogmatischen Abhandlung unterscheidet. Augustinus habe dies mutwillig nicht getan, sondern das Schreiben als Beispiel des dogmatischen Systems des Pelagius absolut gesetzt und zudem ungerechterweise dogmatisch bislang nicht fest vorgeschriebene Meinungen als Maßstab angesetzt. Wie wichtig Schroeckh eine gerechte Behandlung dieses ethischen Werkes des Pelagius ist, wird auch an seiner Übereinstimmung mit Semler deutlich. Dessen Edition des Briefes an Demetrias von 1775 lobt er für die Herausgeberschaft, »sehr lesenswerte […] Vorrede« und »vielen schäzbaren Anmerkungen und Beilagen«.208 Allem voran weiß Schroeckh jedoch an Semler dessen Bemühen um Gerechtigkeit für Pelagius zu schätzen: »Herr D. Semler hat zuerst, und mit dem besten Erfolge, vielleicht nur an einigen Stellen zu hitzig, den Gesinnungen des Pelagius in diesem Schreiben Gerechtigkeit wiederfahren lassen.«209
Damit eröffnete Semler eine Riege an »Protestanten«, die den Brief an Demetrias als »ein eben so schlau als zierlich abgefaßtes Schreiben«210 ansahen. Auch Schroeckh kann sicherlich in diese Reihe der Pelagius Wohlgesonnenen aufgenommen werden.
207 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 14, 357. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 344. 209 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 358. 210 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 358. 208
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
3.4. »[N]iemand hatte noch den Menschen so tief erniedrigt, als Augustinus«: Kritik am augustinischen Lehrgebäude 3.4.1. Voraussetzungen augustinischer Theologie Was Pelagius über das natürliche Vermögen des Menschen zum guten Handeln aussagt, erscheint Augustinus als menschliche Hybris, so Schroeckh. Er zeichnet für Augustins Befürchtungen hinsichtlich der Lehre des Pelagius das Bild einer Waage: in der einen Schale die Gnade Gottes und Erlösungstat Christi, in der anderen das menschliche Eigenvermögen, beziehungsweise die menschliche Überschätzung des eigenen Vermögens. Steigt nun die eine im Ansehen, sinkt die andere entsprechend herab. Konkret gesprochen: »Augustinus […] hielt sich überzeugt, daß die dankbare Verehrung des göttlichen Gnadenbeistandes, und der Werth der Erlösung Christi überaus fallen, der menschliche Stolz hingegen, unbekannt mit seiner Schwachheit, desto mehr steigen müsse, wenn das System des Pelagius Beifall erhielte.«211
Eine Befürwortung des pelagianischen Lehrsystems setzt folglich den Wert der Gnade Gottes und Erlösungstat Christi herab, erhebt jedoch das natürliche Vermögen des Menschen. Augustinus »vermeinte«, diese pelagianische Lehre »im klärsten Widerspruche gegen die heilige Schrift« stehen zu sehen, und sammelte sich deshalb aus dieser »nach dem Maaße seiner geringen Sprachkenntniß« Lehrsätze zusammen, »welche er sich einmal als biblisch eingeprägt« hatte.212 Bemerkenswerter als diese schon bekannte Kritik an dem vermeintlich philologischen und exegetischen Vermögen des Augustinus ist jedoch die nachfolgende dogmenhistorische Notiz: »Hie und da hatte er Vorgänger; aber entscheidender, härter, abschröckender hatte noch kein christlicher Lehrer über das Ganze gesprochen.«213 Diese kurze Bemerkung beruht auf einer Untersuchung zur dogmenhistorischen Fundierung des Lehrsystems Augustins, auf die noch zurückzukommen ist. Hier sei jedoch angemerkt, dass Schroeckh selbst die Lehrmeinungen des Augustinus, welche als wahr und schriftgemäß gelten können, »mit eigenthümlichen seichtern Vorstellungen« vermischt sieht.214 Augustinus habe folglich überall, wie zum Beispiel zur Erlösungstat Christi, Neues hineingetragen, was zwar gut in sein Lehrsystem hineinpasse, aber »seiner Menschenkenntniß und biblischen Theologie wenig Ehre« gemacht habe.215 All diese genannten Kritikpunkte erörtert Schroeckh anhand seiner Quellenanalyse von Augustins antipelagianischer Hauptschrift De peccatorum meritis et
211 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 15, 158. Christliche Kirchengeschichte 15, 158. 213 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 158. 214 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 158 f. 215 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 159. 212 Schroeckh,
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remissione aus dem Jahr 411.216 Schroeckh sieht in dieser Quelle das gegen Pelagius gerichtete Lehrsystem des Augustinus »in einer ziemlichen Vollständigkeit« enthalten und erörtert dieses daher auch in aller Ausführlichkeit.217 Die Kritik fällt, wie zu erwarten, auch hier vernichtend aus. Ausführlich schildert Schroeckh auf den folgenden Seiten die Mängel der antipelagianischen Schrift und damit auch ihres Autors: Der »Lehrbegriff« sei keineswegs gründlich, und wer erwartet »Vernunft, Erfahrung und heilige Schrift müßten gemeinschaftlich an der Errichtung desselben gearbeitet haben«, der wird enttäuscht. Schroeckh eröffnet hiermit wieder die Grundvoraussetzungen gelungener dogmatischer Lehre: Eine saubere philologisch fundierte Exegese und hinreichende Kenntnis und »gottgemäße« Einbeziehung der Philosophie, Ethik und eigenen Menschenkenntnis. 3.4.2. Das »unschickliche Wort Gnade«: Dogmatische und dogmenhistorische Kritik der Gnadenlehre Augustins Der Streit um den Begriff »Gnade« ist für Schroeckh eines »der merkwürdigsten Beispiele, wie man sich in diesen Händeln unbestimmte biblische Ausdrücke, gleichsam als einen Ball, zugeworfen, sich darüber gezankt, verkezert, aber nie verglichen habe«.218 Der noch unbestimmte, ungeklärte Begriff »Gnade« wird hier von Schroeckh als ein Spielball zweier Kinder gezeichnet, der hin‑ und hergeworfen und umkämpft wird, aber um dessen Verständnis es zu keiner Annäherung der Parteien gekommen ist. Abseits der nicht erfolgten Bemühung um einen Ausgleich bzw. eine Annäherung sieht Schroeckh jedoch das Grundproblem wieder in der Exegese und Sprachkenntnis selbst: Ein in der Heiligen Schrift »so vieldeutig« gebrauchter Begriff sei »immer auf einerley Art durch gratia übersezt« und zum »Merkmal der Rechtgläubigkeit« gemacht worden.219 Wird dies hier noch sehr verallgemeinert ausgedrückt, konkretisiert Schroeckh seine Aussage sogleich auf Augustinus hin: »Niemand gefiel sich wiederum in diesem Wortgeklingel mehr, als Augustinus, bey dem es immer einerley bedeuten sollte.«220 Augustinus fand eine regelrechte Freude daran, den Begriff der »Gnade« von seiner großen Bedeutungsfülle in der Heiligen Schrift auf eine einzige Bedeutung hin zu verengen. Konsequent passt es auch in das von Schroeckh gezeichnete Bild des philologisch unzureichend geschulten Bischofs, nicht einmal den griechischen Begriff für Gnade in dessen neutestamentlichem Kontext zu untersuchen, geschweige denn nach dessen hebräischer Vorlage im Alten Testament zu suchen. 216 Vgl. hierzu ausführlich Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 368–392 (insbesondere 383–392). 217 Im Folgenden vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 383 f. 218 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 155. 219 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 155. 220 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 155.
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Allerdings habe sich um diese philologische Grundlagenforschung nicht nur Augustinus, sondern auch niemand der anderen Parteien bemüht. Dermaßen jeglicher philologischen Grundlage ermangelnd, auf der man hätte angemessen diskutieren können, bemerkt Schroeckh bissig: »besser konnte man es nicht anfangen, um damit nie zum Ende zu kommen.«221 Tatsächlich sah Schroeckh als Grund dafür, warum keine Annäherung beider Parteien stattfinden konnte, dass der augustinische Gnadenbegriff aus Sicht der Pelagianer nicht biblisch fundiert sei. Gemeinhin sei zwar zur damaligen Zeit die gemeinsame Grundansicht vertreten worden, unter dem Gnadenbegriff »den göttlichen Beistand zur Verbesserung des Menschen« zu verstehen.222 Augustinus jedoch konkretisierte diese Gnade als »eine innerliche Wirkung Gottes in der menschlichen Seele«.223 Dieser Interpretation einer allein innerlichen Gnadenwirkung haben sich nun die Pelagianer deshalb schon nicht anschließen können, da sie sie für »eine willkührliche, keiner biblischen Stelle angemessene[n] Erklärung« hielten.224 Schroeckh pflichtet den Gegnern Augustins in ihrer Verwerfung der augustinischen Definition bei, indem er ergänzt: »[U]nd bewiesen wurde sie auch eigentlich nicht; sondern vorausgesezt.«225 Diese Bemerkung ist zugleich erneuter Beleg dafür, dass Schroeckh zufolge Augustinus nicht etwa von der Heiligen Schrift ausgehend seine Lehre formuliert – bzw. den biblischen Lehrbegriff selbst herausarbeitet! – sondern umgekehrt seine eigene Lehrmeinung bedingungslos voraussetzt und die Heilige Schrift regelrecht als Belegquelle missbraucht. Die Pelagianer hingegen hätten im Rahmen der oben angeführten Mehrheitsmeinung zum Gnadenverständnis und im Gegensatz zum enggefassten augustinischen Gnadenbegriff eine »mannichfaltige göttliche Gnade oder Hülfe und Erleichterung für den Menschen zu seiner Besserung« in ihren Schriften vertreten.226 Schroeckh listet diese »göttlichen Wohltaten und angebotenen Hülfsmittel«,227 beginnend beim Geschenk des freien Willens, auf und gesteht auch ein, dass die Pelagianer sich dem Lehrbegriff Augustinus im Laufe der Zeit durchaus angenähert hätten. Dennoch habe Augustinus letztlich nicht die eine Gnade vorgefunden, »welche der Mittelpunkt seines Lehrbegriffs geworden war«.228 Die Ursache hierfür findet der Leser in der Darstellung Schroeckhs im Ausgangspunkt des augustinischen Gnadenbegriffs. Diese Gnade »fing sich ei Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 155. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 155. 223 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 155. 224 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 155. 225 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 155. 226 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 155 f. 227 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 156. 228 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 156. 221 222
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gentlich mit der Taufe an«.229 Das steht bereits im eklatanten Widerspruch zum vielfältigen pelagianischen Gnadenverständnis. Dort wurde unter der Gnade die Verleihung des freien Willens, die Verkündigung des Gesetzes und göttlichen Willens im Alten Testament, die Vernunft (»Erleuchtung des Verstandes«), das Vorbild (»Beispiel«) Jesu, die »Warnung vor teuflischen Nachstellungen«, und dann erst die Sündenvergebung, »besonders durch die Taufe«, aber eben nicht allein durch diese, gefolgt von der Unterstützung Gottes beim Tun des Guten verstanden.230 Der Augustinus so wichtigen Taufe gehe also im pelagianischen Lehrsystem ein ganzer Strauß an Gnadengeschenken voraus. Schroeckh sieht nun aber den dogmenhistorischen Ausgangspunkt des augustinischen Gnadenbegriffs im nordafrikanischen Taufverständnis.231 Unter Verweis auf Cyprian sei die göttliche Gnade als »durch die Taufe […] gestiftete […] heilsame […] Veränderungen« verstanden worden.232 Ausgehend von dieser Veränderung durch die Taufe, also der Gnade selbst, werde überhaupt erst die Liebe möglich, mit der die göttlichen Gebote erfüllt werden könnten, die im pelagianischen System hingegen selbst als Gnade verstanden werden. Die Gnade sei von Gott frei gewirkt, für die Menschen hingegen unwiderstehlich. Fließend geht Schroeckh nun mit großem Tempo in den augustinischen und augustinistischen Lehrbegriff von der Gnade über, der sich hier ironischerweise nun doch weit – und mit voller Absicht von Schroeckh nicht weiter erklärt – auffächert: »die Gnade, ohne welche nichts geschiehet, sollte von der Gnade, durch welche etwas geschieht, unterschieden werden; eine vorherwürkende, eine mitwürkende, eine zuvorkommende, eine anfangende, eine rufende Gnade, und noch andere Gattungen derselben, wurden nach und nach vom Augustinus und seinen Schülern ausfindig gemacht.«233
Die Absicht Schroeckhs liegt hier deutlich auf der Hand: Erscheint die Auflistung der vielfältigen Erscheinungsweisen göttlicher Gnade im pelagianischen Lehrsystem durchaus einleuchtend und biblisch fundiert, so entbehren die scholastischen Differenzierungen des einen augustinischen Gnadenbegriffs in der stupiden Auflistung der gratia operans, praeoperans, cooperans, praeveniens, subsequens etc. jeglicher inhaltlicher Plausibilität aus sich selbst heraus. Passend dazu resümiert Schroeckh allgemein über beide Streitparteien, dass man keineswegs sagen dürfe, »daß sie eine bloße Wortstreitigkeit geführt hätten«; doch die sogleich folgende Kritik »daß sie vielen geistlosen Wortkram aufgebracht« hätten, kann durchaus vor allem auf Augustinus und seine Anhänger bezogen werden.
229 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 15, 156. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 156. 231 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 156. 232 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 156. 233 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 156. 230 Vgl.
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Wie sehr Schroeckh gegen Augustins Lehrbegriff argumentiert, wird nicht zuletzt auch durch einen Verweis an dieser Stelle auf Semlers Einleitung deutlich.234 Ohnehin war schon vorangehend in der Kritik an Augustins Hermeneutik, seiner dogmenhistorischen Fundierung des Gnadenbegriffs auf die nordafrikanische Tradition und die Wortklauberei die Nähe Schroeckhs zu Semler sichtbar geworden. Hier nun zitiert er die Stelle, an der Semler postuliert, Augustinus habe lateinische Gedanken aus der lateinischen Bibelübersetzung eingeführt, »welche von dem Sinne der heiligen Schrift im Grundtexte, sogar in dogmatischen und moralischen Stellen, gar sehr abweichen«.235 Doch trotz alledem habe sich »das für den dogmatischen Vortrag so unschickliche Wort Gnade in dem theologischen System« festgesetzt und »bis auf unsere Zeiten erhalten«, wobei noch eine Vielzahl an Formen zu den ohnehin schon aufgezählten hinzugetreten sei. Eine kompakte inhaltliche Darstellung der Gnadenlehre Augustins bietet Schroeckh in seiner Besprechung von de spiritu et littera von 412.236 Nachdem er diese kurz ausgebreitet und als Kernlehre den »inneren Beistand der göttlichen Gnade, der zum Guten unentbehrlich sey« herausgearbeitet hat,237 vermerkt er, Augustinus habe diese innere Gnadenwirkung dann versucht, aus der Heiligen Schrift nachzuweisen: Augustins Lehre der innerlichen Gnadenwirkung »liegt eben nach seiner Meinung« vor allem in der seinem Werk namengebenden Aussage des Paulus, »Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig« (2 Kor 3,6), was Schroeckh jedoch sogleich als eine illegitime Anführung und Fehlinterpretation der genannten Schriftworte abtut, da diese ihm zufolge bedeuten, »man müße figürliche Ausdrücke nicht buchstäblich nehmen, wenn daraus ein ungereimter Verstand entspringt«.238 Folglich ließe sich laut Schroeckh aus der Stelle heraus wohl ein hermeneutischer Schlüssel für die Worte der Schrift, nicht jedoch wie in der Interpretation Augustins eine innerliche Gnadenwirkung herauslesen, auch wenn Paulus hinsichtlich der Gnade »besonders ihr eifrigster Vertheidiger« gewesen sei.239 Letztlich würden auch diejenigen, so Schroeckh, »welche mit dem Verfasser [Augustinus] über seinen Hauptsaz einig sind, […] diesen doch nicht immer in so vielen seichten Schrifterklärungen finden, und außerdem bey einiger Aufmerksamkeit den willkührlichen Gebrauch des Wortes Gnade zu einerley Absicht leicht bemerken«.240
234 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 156 f. Schroeckh bezieht sich hier auf Semler, »Historische Einleitung«, 302 f. 235 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 157. 236 Vgl. hierzu Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 392–395. 237 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 393. 238 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 393. 239 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 394. 240 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 395.
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Selbst diejenigen also, welche sich inhaltlich der Lehrmeinung Augustins zur Gnade anschließen, müssten seine oberflächliche Exegese erkennen und die willkürliche Eingrenzung des Begriffs »Gnade« auf sein eigenes Verständnis hin leicht durchschauen können. Hinsichtlich des Kernbegriffs des augustinischen Lehrsystems führt Schroeckh als den Schlüssel seiner Kritik Augustins mangelhafte exegetische Fertigkeit und das induktive Verfahren des Hereinlesens der eigenen Lehrmeinung in die Schrift an. 3.4.3. Augustins Selbstbetrug: Die Erfindung der Erbsünde Freilich weiß auch Schroeckh Augustins Theologie nicht allein aufgrund ihrer mangelhaften Schriftfundierung zu hinterfragen. So leitet Schroeckh seine Untersuchung der Dogmengeschichte der Erbsündenlehre mit der Beurteilung ein, Augustinus habe bei der Erfindung der Erbsündenlehre und ihrer Begründung durch die Tradition nichts anderes als Selbstbetrug und Betrug an seinen Lesern betrieben: »Dabey hintergieng Augustinus zuerst sich selbst, sodann auch Leser, welche ihm glaubten, durch die Behauptung, daß dieser sein Lehrbegriff seit den ersten Zeiten der Christen, der allgemeine unter ihnen gewesen sey.«241 Augustinus selbst habe sich unter den vorangehenden Kirchenvätern nur auf Cyprian von Karthago berufen können, dennoch gab es in der Folgezeit immer wieder Autoren, die darum bemüht waren, die dogmenhistorische Fundierung der Erbsündenlehre nachzuweisen. Schroeckh führt hier als einen dieser Autoren zunächst, wie so viele vor ihm, Vossius an, der den Vorwurf der Pelagianer, »Augustinus habe die Erbsünde ersonnen« als falsch aburteilte.242 Ähnlich sei »bis auf die neuesten Zeiten« hinsichtlich der allgemeinen Verbreitung der Erbsündenvorstellung vor Augustinus geurteilt worden. Die Grundargumentation lautet dazu wie folgt: »Diese Lehre, sagte man, war so alt, als das Christenthum; höchstens kann man nur den Nahmen neu nennen, dessen sich Augustinus bediente; (peccatum originis, originale,) wenn gleich auch dieser vielleicht vor seinen Zeiten schon vorhanden war, und etwas Aehnliches (originis vitium) bereits bei Tertullianus (de anima, c. 41.) vorkömmt.«243
Demzufolge lautet die Position der Verteidiger des nordafrikanischen Kirchenvaters, dass die Erbsündenlehre erstens Kernbestand des Christentums sei und demzufolge keine Neuerung sein kann, die in das christliche Lehrsystem durch Augustinus eingeführt wurde. Folglich wäre zweitens höchstens die Bezeichnung als Erbsünde bzw. peccatum originale als neu zu charakterisieren, wenn sich auch begriffliche Vorläufer bereits bei Tertullian vorfinden ließen. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 385. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 385, mit Verweis auf Vossius, Historia Pelagiana, Lib. VI, 158 ff. 243 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 385 f. 241 242
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Schroeckh ist an dieser Stelle wieder nahe bei Semler, der sich ebenfalls mit dieser Verteidigung der Erbsündenlehre und ihres Erfinders intensiv auseinandergesetzt und diese dekonstruiert hat. So nun auch Schroeckh, der dazu auf Daniel Whitbys De imputatione divina peccati Adami in der Demetriasbriefausgabe Semlers verweist.244 Whitby hatte dort eine Liste an altkirchlichen Theologen zusammengetragen, die »theils dasjenige, was man unter der Erbsünde versteht, überhaupt verworfen; theils die Kinder von aller Schuld und Strafe der Sünde ganz frey erklärt; theils endlich zwar einen natürlichen Ursprung der Sünde, aber keine angeborne, erkannt haben«.245
Schroeckh wendet sich in einem nächsten Schritt nun selbst den kirchlichen Schriftstellern zu, die Vossius und Whitby angesprochen haben. Dem schickt er jedoch die Vorbemerkung voraus, dass jene Autoren sich zwar über Lehren geäußert hätten, zu denen es noch keine dogmatischen Festlegungen gab und über die es noch nicht zu theologischen Kontroversen gekommen ist, sodass sie sich überwiegend noch sehr ungenau und an verschiedenen Stellen unterschiedlich dazu ausgedrückt hätten. Schroeckh führt diesen bereits bekannten Einwand hier nicht etwa – wie sonst der Fall – zur Verteidigung des Pelagius an, sondern schiebt diesen von den Befürwortern der Erbsündenlehre des Augustinus nun vorgebrachten Einwand als irrelevant beiseite: Denn entweder werde bei diesen Augustinus vorangehenden Autoren ohnehin die von beiden Streitparteien im Grundsatz vertretende Meinung, dass durch Adam die Sünde und der Tod in die Welt kamen, vertreten; oder aber, wenn einer dieser Autoren an einer Stelle scheinbar die speziellere Position der Erbsündenlehre des Augustinus vertreten habe, habe er sich an einer anderen Stelle selbst widerlegt und das Gegenteil behauptet, sodass die Aussage als aufgehoben angesehen werden könne.246 Schroeckh führt zur Unterfütterung dieser Behauptung nun zunächst die Positionen einzelner Kirchenväter an, die nicht der nordafrikanischen Tradition zuzurechnen sind, insbesondere Irenäus von Lyon und Johannes Chrysostomus. Irenäus habe von einem »Verlust« gesprochen, den alle Menschen in Adam erlitten und der zum Verstoß aus dem Paradies und zur Bindung an die Sterblichkeit führte.247 Doch damit ist letztlich nicht die Erbsünde, sondern nur der oben Vgl. Semler, Epistola, 317 f. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 386. 246 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 386. 247 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 386 f.: »Es ist also freylich gewiß, daß Irenaeus von dem Verlust spricht, den wir in Adam erlitten haben, da der Mensch einmal durch Ungehorsam überwunden und ausgestoßen worden sey; (adv. haer. L. III. c. 20) daß er die Menschen durch die alte Schlange verwunden, und ihr Geschlecht durch eine Jungfrau an den Tod binden läßt. (L. IV. c. 5. L. V. c. 19.).« Schroeck paraphrasiert hier frei nach und mit Verweis auf IREN., haer. 3,20 (SC 211, 390,57 f. Rousseau/Doutreleau); haer. 4,2 (SC 100, 412,110 Rousseau); sowie haer. 5,19 (SC 153, 248,1–250,18 Rousseau/Doutreleau/Mercier). Schroeckh verwendete die ältere Zählung haer. 4,5 für haer. 4,2 nach der von ihm verwendeten Ausgabe 244 245
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angeführte gemeinsame Nenner – Sünde und Tod, die durch Adams Verfehlung in die Welt kamen – angesprochen. Und an anderer Stelle habe Irenäus wiederum ohnehin die Ansicht vertreten, dass die alle Menschen, die Anteil an der einen menschliche Natur haben, zum guten Handeln genauso fähig seien wie zum Verlust des Guten und dem Unterlassen guter Taten.248 Die Menschen würden demnach über einen freien Willen verfügen, wären jedoch durch »Nachläßigkeit vergeßlich geworden« und bedürften deshalb nun »guten Rathes«.249 Vossius habe letztere Aussage des Irenäus jedoch bezeichnenderweise ausgelassen. Chrysostomus wiederum habe zwar von einem Einfluss der Adamssünde gesprochen, die sich jedoch nur auf den Leib Adams und seiner Nachkommen in Gestalt der Sterblichkeit manifestiert habe.250 Schroeckh führt nun aber wieder Vossius an, der behauptete, dass sich die erste Sünde nicht allein auf den Leib des Menschen in Form der Sterblichkeit, sondern auch auf dessen Seele in Gestalt »der Herrschaft der Leidenschaften« über diese ausgewirkt habe.251 Das sei zwar ganz und gar nicht die Mehrheitsmeinung zu Chrysostomus, wie Schroeckh kurz bemerkt,252 aber angenommen, die angeführte Stelle wäre so korrekt interpretiert, dann würde sie doch im Gegensatz zu Chrysostomus’ Auslegung der berüchtigten Stelle Röm 5,12 stehen.253 Die relevante Stelle, wie durch des einen Ungehorsam viele zu Sündern geworden sind, wird dort dahingehend interpretiert, dass es »nichts Ungereimtes« an sich habe, dass Adams Leib durch seinen Ungehorsam gegenüber Gott sterblich geworden sei und deshalb auch logischerweise seine leiblichen Nachkommen, die Menschen, sterblich seien. Wie jedoch »durch seinen Ungehorsam ein anderer zum Sünder geworden wäre, was hätte dieses vor einen Zusammenhang?«, zitiert Schroeckh Chrysostomus weiter. Damit sei als Folge der Sünde zwar die Sterblichkeit des Leibes durch François Feuardent, Divi Irenaei Episcopi Lugdunensis, et Martyris, adversus Valentini, et similium Gnosticorum haereses, Libri quinque (Paris: Sebastian Nivell, 1576), 234. 248 »Doch eben dieser Schriftsteller [Irenäus] erklärt sich in einer andern Stelle, […] daß alle Menschen von einerley Natur, und gar wohl fähig wären, das Gute zu behalten, und zu würken; aber auch fähig, es wieder zu verlieren, und nicht zu thun; daß sie durch viele Nachläßigkeit vergeßlich geworden wären, und also, bey ihrem freien Willen, guten Rathes bedürfen« (Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 387). Schroeckh verweist für die Paraphrase auf Iren., haer. 4,37 (SC 100, 922–942 Rousseau), bzw. 4,72 nach der älteren Zählung der von Schroeckh verwendeten Ausgabe Feuardent, Adversus Valentini, et similium Gnosticorum haereses, 313–315. 249 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 387. 250 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 387, mit Verweis auf Chrys., hom. 11 in Rom. 6 (PG 60, 483–494). 251 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 387. 252 Schroeckh vermerkt: »[W]iewohl es das Ansehen hat, daß er [Chrysostomus] bloß von dem Körper, und von den Folgen seiner Sterblichkeit, rede […].« (Schroeckh, Christliche Kir‑ chengeschichte 14, 387 f.). 253 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 388 mit Verweis auf Chrys., hom. 10 in Rom. 5,12 (PG 60, 473).
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Chrysostomus legitimiert, jedoch keinesfalls die Erbsünde im Sinne einer Sündenverfangenheit des Menschen und seiner Seele. Schroeckh merkt an, dass es mehrere dieser Stellen bei Chrysostomus gäbe, Vossius jedoch diese lapidar damit kommentiert habe, »man habe sie nicht recht verstanden«.254 Nun führt Schroeckh noch kurz darauf eine Liste aus überwiegend griechischen Kirchenvätern, aber auch Tertullian und Hilarius, an, die allesamt nicht mit der Erbsündenlehre vertraut gewesen seien,255 sondern lediglich einen »frühen […] Hang zur Sünde« bei den Menschen zugegeben hätten und daraus auch den »Mißbrauch ihres freyen Willens«, der aber eben frei zum Guten wie zum Bösen sei, ableiteten, »aber von einer angebohrenen Sündlichkeit der menschlichen Natur, die eine gewiße Nothwendigkeit zu sündigen hervorbringt, wissen sie desto weniger«.256 Schroeckh freilich verwirft die in seiner Sicht die geschichtliche Wahrheit verfälschende Argumentation Vossius’ und schließt sich Semler an, den er dafür lobt, als Erster »in den neuern Zeiten die historische Wahrheit anschauend gezeigt« zu haben.257 Demgemäß sei es unmöglich, für spätere Lehrmeinungen eine Übereinstimmung mit der frühchristlichen Kirche ausfindig zu machen, da ohnehin anhand der Kirchenväter selbst eine große Verschiedenheit an Lehrmeinungen belegt sei.258 Doch wie schon Semler wendet sich auch Schroeckh der Frage zu, inwiefern der Anspruch Augustins auf eine schon immer bestehende, allgemeine Verbreitung der Erbsündenlehre durch die nordafrikanische Tradition legitimiert sei.259 Spöttisch bemerkt Schroeckh dazu, dass Augustinus selbst für die »Einbildung«, dass »sein Begriff von der Erbsünde stets der herrschende gewesen sey«,260 entschuldigt werden müsse, da er ja ohnehin nicht die Schriften der griechischen Kirchenväter habe lesen können. In der nordafrikanisch-lateinischen Tradition hingegen habe er Ansichten vorgefunden, die »ihn in jener Meinung bestärken« konnten.261 254 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 14, 388. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 388 f. Schroeckh nennt hier Clemens von Alexandrien, Tertullian, Origenes, Hilarius, Cyrill von Jerusalem, Gregor von Nazianz sowie Gregor von Nyssa. 256 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 389. 257 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 389. Schroeckh verweist für die oben genannte Position der überwiegend griechischen Kirchenväter auf Christian Friedrich Röẞler, Lehrbegriff der christlichen Kirche in den drey ersten Jahrhunderten (Frankfurt a. M.: Varrentrapp, 1775), 151–170. 258 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 389. Basnage sei Augustinus in der Behauptung der allgemeinen Verbreitung und Akzeptanz seines Lehrsystems leichtfertig auf den Leim gegangen, wie Semler aufzeige, vgl. Semler, »Historische Einleitung«, 278, Anm. 475. 259 Im Folgenden vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 389–391. 260 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 389. 261 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 390. 255 Vgl.
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Zwar habe Augustinus sich vor allem auf Cyprian berufen; doch schon Tertullian habe, trotz aller »Unbeständigkeit in seinen Vorstellungsarten«, »die Grundzüge der Lehre von der Erbsünde mehrmals klar entworfen«,262 wobei seine Aussagen in De anima über die Sündhaftigkeit der Seele zweideutig seien.263 Mit Arnobius und Optatus führt Schroeckh noch zwei Gewährsmänner für die Position einer angeborenen Schwachheit der menschlichen Natur an, die jedoch schon nahe an die Lebzeiten Augustinus heranrücken bzw. zeitgleich mit diesem lebten.264 Letztlich habe Augustinus seine Erbsündenlehre jedoch aus der Seelenlehre des Tertullian hergeleitet, der eine traduzianische Vorstellung vertrat und somit davon ausging, dass sich die Seele der Eltern an die Nachkommen vererbt. Diese bei westlichen Theologen durchaus weit verbreitete Ausprägung der Seelenlehre konnte wiederum leicht von Tertullian mit der Vorstellung einer Vererbung der Sünde (tradux peccati) verknüpft und von Augustinus bequem und »ohne Bedenken« in sein Lehrsystem integriert werden, auch wenn er selbst sich hinsichtlich des traduzianischen Seelenverständnisses unentschlossen zeigte.265 Analog hierzu sei laut Schroeckh die Erlösungslehre zur Zeit Augustins noch nicht geklärt gewesen. Der Begriff der Erlösung oder Erlösungstat Christi sei zwar weit verbreitet gewesen, allerdings habe man darunter vor allem »den richtigsten Unterricht von Gott und seiner Verehrung« sowie die »Befreyung von der Gewalt und Anbetung der bösen Geister; und endlich vom Tode« oder
262 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 390, mit grobem Verweis auf Tert., Marc. 1,22 (von Schroeckh angegeben nach der Ausgabe Nicolai Rigalti, Tertulliani, Q. Sept. Flor. Opera, ex recensione Niclolai Rigaltii, cum noti editionis a Iac. Pamelio curatae et Commentariis variorum interpretum; et cum Novatiani Tractt. de Trinitate, et de cibis Judaicis, nec non Carmine de Jona et Ninive; cura et cum argumentnis atque notis Phil. Priorii [Paris: de Petit, 1675], 376; gemeint ist die Stelle bei CSEL 47, 320,5–8 Kroymann) sowie Tert., Test. 3 (Rigalti, Opera, 66 bzw. die präzise Stelle bei CSEL 20, 138,1–7 Reifferscheid/Wissowa). 263 Vgl. Tert., An. 39 f. (CSEL 20, 366,14–368,13 Reifferscheid/Wissowa; von Schroeckh angegeben nach der Ausgabe Rigalti, Opera, 294). 264 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 390 f. mit Verweis auf Arn., Adversus Nationes 1 (nach der Ausgabe: Didier Hérauld, Arnobii Disputationum Adversus Gentes Li‑ bri Septem. M. Minuncij Felicis Octavius. Editio noua, ad editionem Romanam expressa, quibus‑ dam tamen in locis e ms. Reg. aucta & emendata Desiderii Heraldi ad Arnobii Libros VII [Paris: Orry, 1605], 18 ff.) und Optat., Contra Parmenianum Donatistam 4,7 (nach der Ausgabe von du Pin, Sancti Optati afri Milevitani Episcopi de schismate Donatistarum Libri Septem: ad manu‑ scriptos codices et veteres Editiones collati, et innumeris in locis emendati. Quibus accessere Hi‑ storia Donatistarum una cum Monumentis veteribus ad eam spectantibus: nec non Geographica Episcopalis Africae [Paris: Pralard, 1700], 75 / CSEL 26, 112 f. Ziwsa). 265 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 391 mit allgemeinem Verweis auf Tert., An. 4 f. (CSEL 20, 303,25–305,10 Reifferscheid/Wissowa; von Schroeckh angegeben nach der Ausgabe Rigalti, Opera, 216); 9 (CSEL 20, 309,25–312,10 Reifferscheid/Wissowa, bzw. Rigalti, Opera, 226); 27 (CSEL 20, 344,27–346,21 Reifferscheid/Wissowa bzw. Rigalti, Opera, 271); 16 (CSEL 20, 321,17–323,7 Reifferscheid/Wissowa bzw. Rigalti, Opera, 239); sowie Hier., ep. 78 (CSEL 55, 49–87 Hilberg). Zu Schroeckhs Beurteilung der Seelenlehre Augustins vgl. auch Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 52 f.
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»die Erwerbung der Unsterblichkeit« verstanden.266 Die Bedeutung von Christi Kreuzestod für das Wohl der Menschen sei dabei keineswegs bestritten, aber auch noch nicht weiter ausgearbeitet worden in Hinblick »auf unsere Sünden und ihre Folgen«.267 Eine Präzisierung sei dann erst durch die Nordafrikaner erfolgt mit ihrer Versöhnungs‑ und Satisfaktionslehre; fast könnte man diese Aussage Schroeckhs als Lob auffassen, wenn nicht sogleich der Vermerk folgen würde: »[U]nd Augustinus suchte sie noch darinne zu übertreffen.«268 3.4.4. Augustins Nähe zum Manichäismus und seine pessimistische Anthropologie Eng verbunden mit der Diskussion der Erbsündenlehre ist auch die bereits von vorangehenden Autoren aufgeworfene Frage nach der Nähe dieser Lehre zum manichäischen Dualismus. Schroeckh interpretiert den Widerstand Pelagius’ gegen die Erbsündenlehre als Bemühung, die »manichäischen Folgen, welche er von der gewöhnlichen Erklärung der Erbsünde fürchtete, durch seinen Lehrbegriff« zu verhüten.269 Tatsächlich widmet Schroeckh der Frage, inwiefern dieser Manichäismusvorwurf der Pelagianer gegenüber Augustinus und seinen Anhängern angesichts deren Erbsündenlehre und negativen Anthropologie und Bewertung der Materie berechtigt sei, einigen Raum in seiner Untersuchung des pelagianischen Streites.270 Auch Schroeckh bescheinigt Augustinus, trotz seiner äußerlichen Ablehnung des einst vertretenen Manichäismus, eine fortwährende Nähe zu dieser Lehre.271 Er veranschaulicht dies anhand einer Reihe von Widersprüchen, die er in den Aussagen Augustins vorfand. So sei beispielsweise die Natur der Kinder »gut von gott geschaffen«, zugleich »durch Adams Sünde angesteckt«.272 Er bescheinigt damit sowohl der katholischen als auch der manichäischen Anthropologie eine »Nothwendigkeit zu sündigen« für Kinder. Zwar sei dies im manichäischen Lehrsystem durch eine ursprünglich bereits böse geschaffene Natur gegeben, im katholischen hingegen durch den kontingenten Sündenfall Adams. Doch auch für diesen letzteren Fall gilt Schroeckh zufolge, dass aus »dem Zufälligen […] etwas Unzertrennliches« wurde. Wie auch immer letztlich diese Frage entschieden wird, Schroeckh ist der Ansicht, dass eine gewisse Nähe der katholischen zur manichäischen Lehre nicht von der Hand zu weisen ist und Augustinus es zudem sträflich vernachlässigt hat, hiergegen verantwortungsvoll und stichhaltig zu argumentieren.273 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 392. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 392. 268 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 392. 269 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 409. 270 Im Folgenden vgl. hierzu Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 60–64. Den gegenteiligen Vorwurf, Pelagius sei Mani in der Lehre nachgefolgt, weist Schroeckh hingegen als unsinnig zurück, vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 409. 271 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 63. 272 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 64. 273 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 64. 266 267
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Letztlich hat es Augustinus Schroeckh zufolge aber zustande gebracht, dass die Erbsündenlehre und entsprechende Imputation der Sünde Adams im Laufe der Zeit immer mehr für erwiesen angesehen wurden.274 Die Folgen dieses Menschenbildes schildert Schroeckh nun nicht nur für ungetaufte Kinder, denen Augustinus »die Hoffnung zur Seeligkeit abgesprochen« habe, in dramatischen Worten, sondern in Bezug auf den Menschen an sich: »Niemand hatte noch den Menschen so tief erniedrigt, als Augustinus; die Unschuld der Kinder, die herrlichsten Anlagen, Selbstgefühl und Selbstschätzung, so viele Beispiele der rühmlichsten Anstrengung weiser Männer aus allen Zeiten, ein sichtbarer voller Genuß der angestammten Freyheit; all dieses und noch viel mehr galt nichts bey ihm.«275
Augustinus zerschmettert den Menschen, tritt ihn in den Staub, erniedrigt ihn, wie er niemals zuvor erniedrigt worden ist. Hier besteht kein Zweifel mehr an der vollständigen Ablehnung der Anthropologie und Erbsündenlehre Augustins durch Schroeckh – und genau so wenig an der höchst positiven Einschätzung der Natur und ihres freien Willens, die Schroeckh dem Menschen beimisst. Der Mensch Schroeckhs ist ein voller Möglichkeiten und Fähigkeiten steckender Mensch, der durch seinen freien Willen in der Lage ist, diese seine Fähigkeiten nach bester Art auszuleben, wie schon so viele »weise Männer« zuvor, womit Schroeckh gewiss auch auf »heidnische« Gelehrte wie den in jener Zeit hierzu so oft angeführten Sokrates anspielt. Der von Schroeckh hochgelobte Mensch ist ein Meisterwerk der Schöpfung Gottes – der Mensch Augustins hingegen ein zutiefst erniedrigter, unfähiger Wurm. Berechtigterweise lässt diese Erniedrigung des Menschen die zwar von Schroeckh unausgesprochene, aber implizierte Frage aufkommen, warum eine solche Lehre allgemeine Verbreitung unter den Menschen gefunden hat. Schroeckh beantwortet dies damit, dass Augustinus »diese Vorstellung zur Sache des Christenthums machte«: Dazu machte er seine negative Anthropologie mitsamt der Erbsünden‑ und Imputationslehre zum Fundament des christlichen Glaubens, auf dem er wiederum die Erlösungstat Christi und die Gnade Gottes als »unentbehrlich für die erste bis zur lezten bessern Veränderung«276 aufbauen und verkaufen konnte. 3.4.5. Die Prädestinationslehre als grausame Willkür Für einen christlichen Theologen mag dieser »Eifer« des Augustinus, so Schroeckh, ja zumindest dem Anschein nach angemessen sein, nicht jedoch für den christlichen Philosophen. Schroeckh meint damit, dass sich aus der Exegese der Schrift, erst recht einer falschen, wie Augustinus sie vorgenommen Im Folgenden vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 159. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 159. 276 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 159. 274 275
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hat, durchaus diese Position vertreten lässt; außerdem hat Schroeckh selbst ja niemals die biblische Erlösungstat Christi bestritten. Wenn man jedoch wieder das Vernunftskriterium, welches er zuvor als für die christliche Lehrbildung als ebenso unabdingbar wie eine gute Exegese angesehen hatte, an Augustins Lehrsystem anlegt, so widerspricht dem insbesondere Augustins Prädestinationslehre, da Augustinus »eben jene mit großem Rechte emfolene Gnade nur für eine Anzahl Menschen, und auch für diese nur gebieterisch gleichsam aufgedrungen, einschränkte«.277 Die beliebige Exklusivität der Gnadenzusprache sowie ihre Unwiderstehlichkeit sind es, die Schroeckh hier als wider die Vernunft herausstellt – ganz zu schweigen von der grausamen und ungerechten Konsequenz, die er sogleich noch aufzeigen wird. Die Prädestinationslehre sei »die äusserste Entfernung von den Pelagianern« und zudem »selbst von katholischen Lehrern« zu jener Zeit »in der Schrift gefunden« worden.278 Sie wird damit gleichsam zentrales Erkennungsmerkmal des augustinischen Lehrsystems, wie auch Zeugnis für Augustins mangelhafte Hermeneutik der Schrift und Anwendung der Vernunft. Für Schroeckh ist es angesichts des Starrsinns, der Dickköpfigkeit und der nicht vorhandenen Bereitschaft zur Annäherung an den theologischen Gegner wenig überraschend, dass Augustinus »auf so harte und für die Menschen äußerst niederschlagende Lehrsäze von Gottes furchbar willkührlicher Handlungsart [verfiel], und im Grunde schlecht zusammenhängenden Veranstaltungen desselben, zur Besserung und Glückseeligkeit des Menschen, kurz von einer unbedingten Vorherbestimmung (praedestinatio) der Menschen zur Seeligkeit oder zum Elende ohne Ende, von einer göttlichen Gnade, die selbst dem heißesten Wunsche und Gebete nicht bewilligt werde, so unentbehrlich sie auch dem Menschen ist, aber für denjenigen unwiderstehlich seyn soll, der sie empfange«.279
Diese erdrückende Auflistung in einem Bandwurmsatz ist nicht etwa schlechter Stil Schroeckhs, sondern Stilmittel, um die erdrückende Fülle der Ungerechtigkeit, Grausamkeit und Unsinnigkeit der augustinischen Prädestinationslehre offenzulegen. Gottes Gnadenhandeln nach dem Modell Augustins legt Schroeckh als pure Willkür dar, die an Grausamkeit angrenzt, da die Vorherbestimmung eine unbedingte ist und als solche sich auch nicht nach den Gebeten der Menschen, selbst wenn sie in tiefster Not stecken, richtet. Das Prinzip ist alleinig eine grausame Willkür und Kontingenz, die sogar noch weiter durch die von Schroeckh so aufgefasste doppelte Prädestination zur Erlösung wie zur Verdammnis verstärkt wird.
Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 159. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 109. 279 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 104. 277 278
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Sowohl »der Schrift« wie auch der »Vernunft« habe Augustinus mit seiner Prädestinationslehre als Krönung seines Lehrsystems »Gewalt« angetan.280 Das diese grausame Lehre begründende Zusammenspiel von schlechter Exegese und mangelhafter Anwendung der Vernunft kulminiert in »widersinnige Auslegungen«, wie die von 1 Tim 2,4: Die dortige Aussage, »Gott will, dass alle Menschen selig werden«, bezieht Augustinus in seiner Schrift de correptione et gratia allein auf die von Gott zur Seligkeit Prädestinierten, in denen gleichsam »das ganze Menschengeschlechte« vertreten sei.281 Je konsequenter Augustinus seine eigenen widervernünftigen Lehrsätze von der Prädestination vorgehalten wurden, desto tiefer habe er sich »in die empörendsten Folgen seiner Lehrsäze« hineingestürzt.282 3.4.6. Ethische Konsequenzen Doch Schroeckh geht selbst in diesem Punkt noch weiter über die Unsinnigkeit der Lehre von der Erbsünde hinaus: »[G]ewisse Behauptungen des Augustinus waren nicht bloß leere Luftgespinste; sondern auch beleidigend und schädlich für sittliche Empfindungen.«283 Über die Beleidigung und Herabwürdigung des Menschen und die grausame Beliebigkeit der Vorherbestimmung Gottes im augustinischen Lehrsystem hinaus haben diese Lehren somit für Schroeckh höchst fatale Konsequenzen für das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen: »Kinder, wie alle Menschen, welche ohne ihre Schuld die Taufe nicht empfangen haben, der Gewalt des Teufels Preiß zu geben; die Tugenden der rechtschaffensten Heyden beinahe auf Nichts herab zu würdigen; dagegen die lasterhaftesten Menschen, ganz am Ende ihrer Tage, ohne Neigung und Bestrebung von ihrer Seite, plötzlich durch den gewaltsamen Zug der Gnade fromm und seelig werden zu lassen; solche Lehren können wohl zu keiner anderen Classe gerechnet werden.«284
Augustins Prädestinationslehre ist für Schroeckh somit eine schreiende Ungerechtigkeit, die das menschliche Gerechtigkeitsempfinden verhöhnt. Nicht nur, dass Unschuldige ohne Anlass mit Schuld beladen und bestraft werden, sondern auch, dass Menschen, die nach keinerlei moralischer Richtschnur gelebt haben, allein durch Gottes unwiderstehliche Gnade selig werden, ist für Schroeckh zutiefst ungerecht und Zeugnis der Abwegigkeit – und letztlich der Unchristlichkeit des biblisch nicht fundierten augustinischen Lehrsystems. Dessen konsequente Missbilligung hat Schroeckh allezeit vor Augen geführt. Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 105. Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 105 mit Verweis auf Aug., corrept. 14 (CSEL 92, 233–235 Folliet; Schroeckh bezieht sich vermutlich auf die Antwerpener Ausgabe von 1700, Band 10, 511). 282 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 105. 283 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 159. 284 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 159 f. 280 281
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4. Welcher ist der »ächte christliche« Lehrbegriff ? 4.1. Der zaghafte Mittelweg der Semipelagianer Schroeckh verfolgt mit seiner Darstellung der pelagianischen Streitigkeiten nicht allein die Absicht, eine dogmenhistorische Aufarbeitung, theologische Würdigung des Pelagius und Kritik des Augustinus zu bieten. Vielmehr dient ihm diese Untersuchung als Anreiz dazu, nicht nur eine Bewertung der Lehrsysteme vorzunehmen, sondern letztlich einen Lösungsansatz zu bieten. Schroeckh deutet so schon im letzten Absatz seines ersten Bandes zum pelagianischen Streit, nach der knappen Zusammenfassung der Grundposition Augustins und Pelagius’, auf die Vorzüge eines dritten theologischen Weges, zwischen Augustinus und Pelagius, hin: »Man muß die gute Absicht und den Eifer von beiden schäzen; welcher aber von ihnen ein geschickterer Schriftausleger, ein nützlicherer Sittenlehrer, und ein bewährterer Kenner der Menschen gewesen sey? oder ob keiner von beiden den Lehrbegriff der heil. Schrift ganz getroffen habe? Das kann nicht allein die Geschichte des Pelagianismus; sondern auch die Erfahrung aller Zeiten, und vornemlich eine ruhige Prüfung, bey der man weder an Augustinus noch an Pelagius denkt, lehren.«285
So ist es eine der Besonderheiten der Darstellung der pelagianischen Streitigkeiten bei Schroeckh, nicht allein bei der Kritik am augustinischen Lehrsystem und der partiellen Rehabilitierung des pelagianischen stehen zu bleiben, sondern darüber hinaus einen gangbaren theologischen »Mittelweg« zu suchen. Viel »Scharfsinn« sei schon zu Zeiten der Kontroverse selbst nicht nötig gewesen, »um einzusehen, daß Augustinus, indem er der Bibel treu zu bleiben glaubte, sich auf mancherley Abwege verloren hatte«, und »daß es zwischen ihm und dem Pelagius einen Mittelweg gebe, den man mit Ehren betreten könne«, so Schroeckh.286 Die sogenannten »Semipelagianer« seien es gewesen, die sich um einen solchen Mittelweg zwischen den beiden Extrempositionen bemüht hätten. Schroeckh fragt sich, »welcher von den drey Lehrbegriffen, deren Vertheidigern in denselben gegen einander zu Felde zogen, ausschließend der ächte christliche; oder ob es keiner von allen völlig gewesen sey«.287 Schroeckh springt also von der eigentlichen Darstellung und Beurteilung des pelagianischen Streites in die unmittelbare Aktualität des Streites für seine Gegenwart und, inwiefern die anhand der vorangegangenen Darstellung gewonnenen Erkenntnisse nun zu einem Lösungsansatz in den durch die gesamte Kirchengeschichte hindurch immer wieder umstrittenen dogmatischen Fragen führen könnten. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 444. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 160. 287 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 157. 285 286
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Es ist zunächst naheliegend, dass Schroeckh im »semipelagianischen« Bemühen den Versuch, einen solchen Mittelweg zu beschreiten, erkennt, doch »sie blieben bloß beym Anfange stehen«.288 Das Bemühen der Semipelagianer blieb also zaghaft in den Kinderschuhen stecken, nicht mutig und konsequent genug sind diese in ihrer Lehre vorangeschritten, sondern den vorangehenden Lehrmeinungen gewissermaßen verhaftet geblieben. So hätten sie sich zwar daran gestoßen, dass »Pelagius zu viel und zu dreist; Augustinus aber zu wenig philosophirt habe«, konnten sich aber letztlich »nur von einem kleinen Theil seiner [Augustins] anstößigen Meinungen losreissen«.289 Trotz dieser Mängel und dem fehlenden Wagemut der Semipelagianer weiß Schroeckh deren angestrebten Mittelweg zwischen den zutiefst verfeindeten zwei Parteien hoch zu schätzen, sodass die Beurteilung der semipelagianischen Lehrmeinung durch Schroeckh hier einmal genauer in den Blick zu nehmen ist. Schroeckh fasst deren Mittelposition wie folgt zusammen: »Nichts weniger, sagten andere [die Semipelagianer], die sich zwischen diesen zween Streitenden stellten; die Gnade Gottes wird allen angeboten; es kommt auf die Menschen an, ob sie dieselbe annehmen wollen, oder nicht; sie sind zwar ausgeartet, aber keineswegs so sehr, daß es ihnen unmöglich wäre, das Gute zu wollen, und zu glauben; doch muß Gottes Hülfe gleich hinzutreten, wenn der Glaube bei ihnen gestärkt, und gute Werke von ihnen vollbracht werden sollen: und so muß in ihrem ganzen Leben eigenes Bestreben mit der göttlichen Gnade stets verbunden werden, um sich immer mehr zu bessern und glücklich zu machen.«290
Inhaltlich ist der Mittelweg so wunderbar aufgezeigt: Die Gnade wird nicht etwa nur einzelnen Menschen wie ein Befehl »ertheilt«, sondern allen Menschen wie ein frei annehmbares Geschenk angeboten. Ist im Modell Augustins das Verhalten des Menschen dabei völlig irrelevant, so ist dieses bei den Semipelagianern ausschlaggebend, da die Menschen sich frei dazu entscheiden können, das Gnadengeschenk anzunehmen oder abzulehnen. Im Sinne dieser optimistischen Anthropologie verbleibend wird dem Menschen zwar attestiert, »ausgeartet« zu sein, jedoch in einem so geringen Maße, dass dadurch seine Befähigung, das Gute zu wollen und zu glauben, nicht aufgehoben sei. Wurde nun von Schroeckh in seiner Darstellung der pelagianischen Vorstellung der Seligwerdung die Erlangung der Glückseligkeit zumindest potenziell alleinig aus den natürlichen Anlagen des Menschen und seines freien Willens in Aussicht gestellt, so ist dies im semipelagianischen Synergismus ausgeschlossen: Zu den natürlichen Anlagen des Menschen muss notwendigerweise die göttliche Gnade hinzutreten. Jedoch nicht etwa, da die Fähigkeiten des Menschen nicht dazu ausreichen würden, sich selbst zu bessern und Glückseligkeit zu erlangen, sondern da eine Erlangung der Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 160. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 160. 290 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 153. 288 289
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
Glückseligkeit allein im dauerhaften Verbund des »eigene[n] Bestreben[s] mit der göttlichen Gnade« im Lebensvollzug bei den Semipelagianern gedacht wird. Mit der im freien Willensentscheid gefällten Annahme dieser Gnade tritt diese sogleich und unmittelbar zur Unterstützung und Stärkung seiner eigenen Bestrebungen hinzu. Zielpunkt dieser Lehre der Semipelagianer in der Darstellung Schroeckhs ist es, »sich immer mehr zu bessern und glücklich zu machen«.291 Dieser Mittelweg, der historisch aus dem Widerspruch gallischer Bischöfe und Mönche gegenüber der harten Prädestinationslehre Augustins entstand,292 verdient Schroeckh zufolge mindestens so viel Aufmerksamkeit wie die Lehrmeinungen der Pelagianer und des Augustinus und seiner Anhänger – wenn nicht gar noch mehr!293 Insbesondere die »Anführer der Katholischen« seien zunehmend darum bemüht gewesen, den Graben zwischen sich und den gegnerischen Pelagianern aufzutun und keinerlei Annäherung in der Lehrmeinung zuzulassen. Angesichts dieser (einseitigen) Verhärtung sei folglich jedem, »der erhebliche Religionsstreitigkeiten auch würdig und nüzlich geführt zu sehen wünscht, der Auftritt einer dritten Partey [willkommen], begleitet von der günstigen Erwartung, daß sie, nach reifer Ueberlegung des Unterschieds zwischen den zwo ältern, keiner von ihnen völlig Recht geben, und wohl gar die neben beiden herumschwankende Wahrheit fest ergriffen haben möchte«.294
Somit sei schon das Aufkommen einer dritten Meinung neben den zwei sich bereits verfestigt habenden für die Streitführung selbst erfreulich. Aber darüber hinaus ist mit dieser neuen, dritten Partei die Hoffnung auf ein besonnenes Abwägen zwischen den beiden vorangehenden Extrempositionen verbunden. Doch besonders bemerkenswert sind nicht allein die hohen Erwartungen, die Schroeckh in die Semipelagianer zur Auflockerung des verfestigen Grabenkampfes zwischen Pelagianern und Anhängern Augustins steckt, sondern die scharfe und schön formulierte Bewertung, dass es beide Parteien bedingt durch ihre extreme Abgrenzung voneinander verpasst hätten, den wahren Lehrbegriff, ja mehr, die Wahrheit selbst zu treffen. Vielmehr stünde die »Wahrheit« schwankend neben den beiden bisherigen Streitparteien und warte förmlich darauf, endlich von einer dritten Partei ergriffen und festgehalten zu werden. Dies impliziert auch, dass zu jenen dogmatischen Streitfragen klare, wahre Antworten gefunden werden könnten. Schroeckh lässt hier zwar offen, wer von den beiden Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 153. äußert sich über die geschichtlichen Hintergründe der Entstehung der semipelagianischen Partei aus dem gallischen Widerspruch ausführlich, vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 108–115. Mit der übermäßigen Verwendung dieser Bezeichnung hält er sich jedoch zurück und verweist an anderer Stelle auf dessen späte Prägung, vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 116: »Wenn ihnen dieser Nahme beigelegt worden sey, ist unbekannt; schwerlich aber ist solches eher, als in den neuern Jahrhunderten geschehen«. 293 Im Folgenden vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 116. 294 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 116. 291
292 Schroeckh
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bisherigen Parteien der Wahrheit am nächsten gekommen sei, aber anhand der bisher gemachten Beobachtungen wird der Leser wohl treffend mutmaßen, dass die Wahrheit in der Sicht Schroeckhs öfters in ihrem Schwanken die Schulter der pelagianischen Partei berührte und diese ihr nahestand, um sie zu ergreifen. Die Semipelagianer standen den Pelagianern laut Schroeckh insofern nahe, als sie Elemente des Lehrsystems des Pelagius aufgegriffen hätten, »freylich aber nicht vollkommen die Hälfte desselben«.295 Als den Gründer der semipelagianischen Partei sieht Schroeckh Johannes Cassian an, der jedoch keineswegs beabsichtigt habe, eine eigene Partei zu gründen.296 Ohnehin seien die semipelagianischen Lehren, so Schroeckh, »im Grunde weit älter als er unter den Christen«.297 Schroeckh belässt es bei dieser dogmenhistorischen Andeutung, bietet aber nach einer Skizze der dogmatischen Lehrmeinung Cassians höchstes Lob für die Semipelagianer, die haben zeigen wollen, »wie viel der zum Christen veredelte Mensch leisten könne, zur richtigen Bestimmung seiner Kräfte« und die zu »der ganzen Bahn, an die er sich halten müße, weit mehr beigetragen, als der Bischof, der für das aufs Höchste getriebene Elend und Unvermögen der menschlichen Natur nur gewaltsame Mittel der Besserung, oder gar nur Strafe wußte, ehe sogar diese Natur mit sich selbst bekannt werden konnte«.298 Dieses hohe Lob für die positive Anthropologie und daraus erwachsene Ethik der Semipelagianer wird also sogleich wieder von Schroeckh mit dem schwarzen Bild der Anthropologie und Prädestinationslehre Augustins kontrastiert. Bei den Semipelagianern hingegen sieht Schroeckh den Christen als durch die Taufe »veredelte[n] Mensch«, dessen große Kräfte nur in die rechten Bahnen gelenkt werden müssten. Leider, aber für Schroeckh wenig überraschend, gab es von Seiten Augustins kein Zeichen der Annäherung. Ohnehin sei nichts weniger zu erwarten gewesen, »als daß ein siebzigjähriger Lehrer, der so lange Zeit mit dem größten Ansehen über Religionsstreitigkeiten entschieden hatte, nun erst […] etwas anders denkenden Christen, die sich ihm selbst zweifelnd zu nähern versuchen, auf halben Wege entgegen zu kommen, einen Schritt vorwärts« tun sollte.299 Der vom Altersstarrsinn gezeichnete Augustinus verweigert sich jeglicher Annäherung und geht stattdessen auf literarischen Konfrontationskurs mit seinen innerkatholischen gallischen Kritikern.300 Die Semipelagianer seien letztlich durch »sein Ansehen und das Gewicht der Concilienbeschlüsse« gegen die Pelagianer ausgebremst und daran ge-
295 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 15, 116. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 116 f. 297 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 118. 298 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 121 f. 299 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 122. 300 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 122. 296 Vgl.
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hindert worden, die strittigen Lehrmeinungen einer konsequenten Prüfung zu unterziehen und eigene, mutige Schlüsse daraus zu ziehen.301 Ohnehin seien laut Schroeckh »Nahmen und das Zeugniß berühmter Lehrer« in diesem Streit von großem Einfluss gewesen. Doch selbst wenn man die »Schüchternheit« der Semipelagianer beiseite lasse, so waren sie nicht imstande, sich gegen die Schmutzkampagne der augustinischen Partei zur Wehr zu setzten, die sie als Pelagianer abstempelte, »denn gehäßige Folgerungslust und Kezernahmen waren unter den geläufigsten Waffen der Streitenden«.302 4.2. Ein »fünfter Lehrbegriff« als Lösungsvorschlag Der von den Semipelagianern eingeschlagene dritte Weg wurde somit Schroeckh zufolge nicht zu Ende gegangen. Aus den anfänglichen zwei Streitparteien, den Pelagianern und den »Katholischen«, erwuchsen aus letzterer zum einen im Widerspruch zur Anthropologie und Prädestinationslehre Augustinus jene Semipelagianer, zum anderen aber auch die dem entgegengesetzte Richtung einer vierten, prädestinatianischen Lehrmeinung.303 Für Schroeckh ist dabei irrelevant, ob selbige eine eigene kirchlich verfasste Partei darstellten oder nicht; dieser Frage widmet er keine große Aufmerksamkeit mehr.304 Wichtiger ist Schroeckh hierbei nach dem in den Kinderschuhen steckengebliebenen, dritten Weg der Semipelagianer die Frage, ob neben den aufgelisteten bisherigen vier Lehrsystemen »ein fünfter Lehrbegriff, wahrer und brauchbarer als alle vorhergehende, sich aus ihrer Mitte erheben würde«.305 Doch Schroeckh sah für das Gelingen eines fünften Lehrbegriffs zumindest in den pelagianischen Streitigkeiten selbst keinen Erfolg, lehrte der bisherige Ablauf ihm doch, dass »man keine Vereinigung der Partheyen, oder einen Vergleich derselben, sondern nur die Unterdrückung der schwächern durch die endlich herrschende« zu erwarten habe.306 Der so verstandene fünfte Weg wäre jedoch, wenn man die Gedanken Schroeckhs weiterspinnt, nicht etwa ein bloßer fauler Kompromiss, sondern das Ergebnis einer freien Untersuchung der umstrittenen theologischen Fragen – die christliche Wahrheit bzw. wahre christliche Lehre selbst. Zwar bleibt es unbestimmt, worin ihm die Semipelagianer um Cassian nicht weit genug in ihrer Lehre gegangen seien, doch es erscheint mir nicht zu weit hergeholt, die Antwort darauf, und damit auch den angedachten fünften Weg, in der abschließenden Wehklage des Schroeckhschen Fazits vorgefunden zu haben: 301 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 15, 160. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 160. 303 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 147 f. 304 Wohl aber der Position Prospers als Verteidigung der Prädestinationslehre, vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 130–137. 305 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 148. 306 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 148. 302
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»Wie doch die so einfache, faßliche und trostvolle Lehre Jesu, die seiner Würde und der menschlichen Natur gleich angemessen ist; den Menschen demüthigt, ohne ihn ganz zu Boden zu werfen; ihm einen höhern Beistand zur Vollkommenheit verspricht und schenkt, aber ihn zugleich zur ununterbrochenen Thätigkeit auffordert, auch in diesen Streitigkeiten verkannt und gemißhandelt worden ist!«307
Hier, ganz am Ende dieser Untersuchung zur kirchengeschichtlichen Darstellung des pelagianischen Streites im 18. Jahrhundert, begegnet wieder die simplicitas des Urchristentums, welche schon von Arnold und Mosheim so hoch geschätzt und in ihrem Verlust betrauert wurde. Schroeckh geht hier sogar noch einen deutlichen Schritt weiter auf den Anfang zu, nämlich auf Jesus Christus und seine unmittelbare Botschaft selbst. Von Paulus und seiner Theologisierung des Evangeliums, auf der Augustinus so stark aufbaute, ist hier gar nicht erst die Rede. Der fünfte Weg ist vielmehr die reine christliche Lehre, die Lehre Christi selbst. Sie ist simpel, einfach verständlich und doch voller Trost. Die Würde Christi und die Natur des Menschen werden in ihr beide angemessen erfasst. Sie lehrt den Menschen, demütig zu sein, erniedrigt ihn dabei jedoch keineswegs, erst recht nicht so, wie es Augustinus tat. Und diese Lehre Christi birgt Schroeckh zufolge zum einen das Versprechen, dass den Menschen ein göttlicher Beistand zur eigenen Vervollkommnung geschenkt werde, zum anderen die ethische Forderung, dadurch nicht in Passivität zu verfallen. Somit zeichnet sich die einfache Lehre Christi selbst durch angemessene Ausgewogenheit aus, wie sie Schroeckh so oft für die Klärung der Streitfragen des pelagianischen Streites eingefordert hat. Doch in den pelagianischen Streitigkeiten wurde diese Lehre Christi nicht allein verachtet, sondern regelrecht misshandelt. Pelagius jedoch trage daran Schroeckh zufolge wenig Schuld: Er »hatte wenigstens das Verdienst, freyere und nüzlichere Untersuchungen über diese Seite des Christenthums veranlaßt zu haben«.308 Auch wenn Pelagius somit schlussendlich nicht in jeder Hinsicht mit seiner Lehrmeinung brilliert habe, so erscheint er Schroeckh regelrecht als früher Aufklärer, wenn er von einer »freieren Untersuchung« spricht, die Pelagius mit seinem Widerspruch angestoßen hat.309 Im Umkehrschluss muss freilich auch wieder festgestellt werden, dass somit dem Verhalten der Gegner der Pelagianer die Schuld für das Scheitern einer solchen Annäherung und Erkenntnis der eigentlichen christlichen Wahrheit nahezu vollständig anzulasten ist.
Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 160. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 160 f. 309 Die Bezeichnung »freie Untersuchung« ist ein gern gewählter Einleitungsbegriff für verschiedenste theologische Werke der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und insbesondere von den Neologen wie Semler gern gewählt worden. 307 308
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
5. Die kirchenpolitische Dimension des Streites 5.1. Verhalten der Streitparteien Einer der Hauptkritikpunkte an beiden Parteien lautet ohnehin immer wieder die bereits lautgewordene mangelhafte Bereitschaft zum meinungsfreien und ergebnisoffenen Austausch zur Findung der Wahrheit, mithin zur freien Untersuchung der umstrittenen theologischen Fragen. Statt sich um Annäherung und Ausgleich in der Findung der Wahrheit zu bemühen, hätten beide Parteien nur danach getrachtet, ihr eigenes Lehrsystem zu verteidigen.310 Schroeckh verdeutlich dies beispielsweise an der Diskussion um die Frage, ob der Mensch prinzipiell frei von Sünde leben könne: »[A]llein, wie diese vereinzelte Frage von beiden Seiten behandelt wurde, blieb es immer ein unfruchtbarer Streit, bey welchem sie, an Statt etwas gemeinschaftlich auszumachen, oder auf das Ausgemachte zu bauen, vielmehr eine Menge Auswege übrig behielten, um sich zurück zu ziehen, wenn ihr Lehrgebäude in Gefahr kam.«311 Auch während der noch einzeln zu betrachtenden, da für Schroeckh für den Verlauf des pelagianischen Streites so wichtigen Synode von Diospolis haben sich beide Seiten laut Schroeckh nicht mit Ruhm bekleckert: Von seiten der Gegner des Pelagius seien da Anklagepunkte vorgebracht worden, die entweder nichts Anstößiges beinhaltet hätten, mühelos zu entkräften gewesen seien oder »auch nur exegetische und dogmatische Kleinigkeiten« in sich bargen, die selbst in den Augen der strengsten Rechtgläubigen zu ertragen gewesen wären.312 Ohnehin waren die Kläger jedoch nur darum bemüht, »eine Anzahl kezerischer oder verdächtiger Lehren auf einen verhaßten Mann hinzuwälzen«.313 Allerdings gesteht Schroeckh auch ein, dass Pelagius selbst während der Verhandlungen mehrere Lehrsätze des Caelestius verworfen habe, obwohl es doch »nach allem, was man von seinen Gesinnungen weiß, die seinigen waren«.314 Jedoch wird Pelagius hinsichtlich dieses Vorwurfs der Unaufrichtigkeit, der vor allem von Augustins Seite und der seiner Anhänger immer wieder erhoben wird, von Schroeckh sogleich mit dem Argument in Schutz genommen, dass Pelagius diese Lehrmeinungen zwar vertreten habe, sie jedoch anders hergeleitet, begründet und ausformuliert habe.315 Dass Pelagius letztlich von allen Vorwürfen freigesprochen wurde, sah Augustinus nicht allein durch die Abwesenheit der beiden Ankläger und der Schwierigkeiten bei der Übersetzung ihrer Anklagepunkte ins
310 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 431 sowie ders., Christliche Kirchen‑ geschichte 15, 57 f. 311 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 431. 312 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 441. 313 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 441. 314 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 441. 315 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 441.
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Griechische begründet, sondern vor allem »in den listigen Antworten und offenbaren Betrügereyen des Pelagius«.316 Doch laut Schroeckh habe Augustinus damit Pelagius mitnichten als Betrüger offenbart, sondern vielmehr mit seiner Beschwerde gezeigt, dass Pelagius von bestimmten Termini und Lehrsätzen nicht dieselbe Vorstellung vertrat, die Augustinus mit diesen verbunden hatte. Dadurch ist aber freilich kein Betrug aufgedeckt, sondern lediglich eine Meinungsverschiedenheit. Schroeckh schildert Augustins Versuch, Pelagius des Betrugs und der Zweideutigkeit zu überführen, als »etwas traurige und unedle Bemühung, bey der sich daher Augustinus, an Statt die geheimen Ränke seines Gegners überall deutlich zu entwickeln, bisweilen selbst verwickelt hat«.317 Doch Schroeckh teilt nicht nur gegen Augustinus, sondern die Synode selbst aus: »Das macht aber noch nicht den Betrüger aus: die Synode konnte es, wenn sie wollte, und argwöhnsich genug dazu war, leicht verhüten, nicht hintergangen zu werden.«318 Dennoch kommt der Leser nicht umhin, in Schroeckhs Beschreibungen des Verhaltens des Pelagius und seiner Anhänger deutliche Kritik zu erkennen. Als »vornehmsten« Fehler der Pelagianer kennzeichnet Schroeckh, wie schon so viele Autoren zuvor, deren Zweideutigkeit im Ausdruck und die daraus resultierende Unschärfe ihres genauen Lehrsystems. Dergleichen wäre aber zwingend allein schon für die Streitführung notwendig gewesen, damit »es entweder zur würklichen Annäherung von beiden Seiten, oder zur desto leichtern Entscheidung des ganzen Streites« hätte kommen können.319 Schroeckh erscheint es ferner denkbar, dass die Pelagianer durch ihre Zweideutigkeit bemüht waren, eine möglicherweise zu starke Differenz zum »katholischen« Lehrsystem zu verbergen, wodurch sie aber erst recht ihren Gegnern darin Vorschub gaben, sie des »sichtbaren Mangel[s] an Aufrichtigkeit« zu bezichtigen.320 Schroeckh hält den Pelagianern jedoch zugute, dass sie mehr als ihre kirchenpolitischen und dogmatischen Gegner den »Kirchenfrieden« beizubehalten wünschten.321 Die Kritik am kirchenpolitischen, aber auch argumentativen Verhalten der Gegner der Pelagianer fällt daher auch umso deutlicher aus: Schroeckh wirft ihnen vor, ihre kirchenpolitische Machtstellung gegen die »kleine Anzahl anders denkender Lehrer« ausgespielt zu haben.322 Besonderen Widerspruch Schroeckhs erfahren die Gegner des Pelagius jedoch für die übertriebene Betonung des Ursprungs und der Vererbung der ohnehin von beiden Streitpar-
Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 442 f. Christliche Kirchengeschichte 15, 13. 318 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 443. 319 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 43. 320 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 43. 321 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 43. 322 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 42. 316
317 Schroeckh,
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D. Schlussfolgerungen und Nachgedanken
teien – wenn auch unterschiedlich – vertretenen Verdorbenheit des Menschen, da sie diese Erbsündenlehre schlichtweg nicht stichhaltig hätten begründen können.323 Analog bestanden sie darauf, dass »der bessernde Beistand Gottes«, also die Gnade, die auch von den Pelagianern nicht bestritten worden sei, nur nach ihrer eigenen Definition aufgefasst werden müsse. Zum Ausgleich mit den Pelagianern hätte man sich ebenfalls nicht herabgelassen, dafür aber den Lehrbegriff des angesehenen Augustins, den sie »vor den einzigen biblischen« ansahen, durch »kaiserliche Befehle und Strafen« durchgesetzt, nicht aber mit angemessenen theologischen Begründungen. Ohnehin hätten die Anhänger Augustins und dieser selbst sich durch den immensen Einsatz kirchenpolitischer Maßnahmen und der Ausnutzung ihrer eigenen Machtposition zur Beilegung des pelagianischen Streites zu ihren Gunsten ausgezeichnet. Letztlich, so Schroeckh, war dies auch das entscheidende Kriterium für den Sieg der nordafrikanischen Partei. Dieser Sieg sei jedoch nur ein »durch Zwangsmittel würkender Befehl an christliche Lehrer [gewesen], ihre Einsichten über die Religion sogleich zu ändern«.324 Doch Meinungen zu strittigen Religionsfragen ließen sich laut Schroeckh »weder durch Bannflüche, noch durch Absezungen; sondern lediglich auf dem Wege des ungehinderten Nachforschens« ändern.325 Freier Diskurs, nicht kirchenpolitischer Zwang hätten zur wahren Klärung, nicht allein zur Unterdrückung anderslautender Lehrmeinungen geführt. Immer wieder wurde bereits auf die Relevanz, die Schroeckh der kirchenpolitischen Dimension des pelagianischen Streites beimisst, verwiesen. Tatsächlich ist er vor allem an den Stellen, an denen er sich mit machtpolitischen Aspekten, wie Synoden, Konzilien und dem Machtverhältnis zwischen Rom und Nordafrika, beschäftigt, sehr mitteilungsbereit und offenbart seine höchst kritische Meinung. Deren Grundton lautet, dass die Gegner der Pelagianer ihre eigene kirchenpolitische Machtposition ausgespielt hätten und alleinig aufgrund dieses hohen, zumeist auf dem Ansehen Augustins basierenden Einflusses den kirchenpolitischen Ausgang des Streites zuungunsten der Pelagianer für sich entschieden hätten. Nicht etwa theologische Argumente, die im freien Diskurs und in »freier Untersuchung« ausgetauscht wurden, waren hier die entscheidenden Mittel, sondern Unterdrückungsmaßnahmen wie die frühen Anhörungen, die nordafrikanischen Konzilsbeschlüsse, die Einbeziehung des Kaisers Honorius und dessen Edikt, sowie die durch (kirchen‑)politischen Druck erzwungene Meinungsänderung des römischen Bischofs Zosimus.
Im Folgenden vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 43. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 40. 325 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 40. 323 324
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5.2. Freispruch des Pelagius bei der Anhörung in Jerusalem und der Synode zu Diospolis Bereits in der Besprechung der durch Orosius’ Bestreben eingeleiteten »Synode«326 bzw. Anhörung in Jerusalem im Jahr 415 wird die für Schroeckh so relevante Machtdimension und das den Ausgang des Streites entscheidende Machtgefälle deutlich.327 Bereits den zu Beginn der Anhörung erfolgten Ausspruch des vorgeladenen Pelagius, »Was geht mich denn Augustinus an?«, hätten die anwesenden Presbyter als Beleidigung gegen den hochangesehenen Bischof Augustinus aufgefasst und sogleich hysterisch damit reagiert, man müsse Pelagius aus der Kirchengemeinschaft ausschließen.328 Lobend hebt Schroeckh nun aber überraschenderweise das Verhalten des Jerusalemer Bischofs Johannes hervor, der diese Schmierenkomödie als kirchenpolitische Erpressung beziehungsweise Druckausübung erkannt habe: »[Johannes] sah vermutlich in der Antwort des Pelagius den nicht zu tadelnden Unwillen eines Gelehrten, den man durch das Ansehen eines andern Gelehrten in Verlegenheit oder Furcht sezen will, der ihm an Gelehrsamkeit nicht gleich kömmt; aber freylich ein eigentlicher Kirchenlehrer und ein allgemein verehrter Kezerbesieger ist.«329
Neben der hier wieder so deutlich geäußerten Kritik an Augustinus und dem Lob für Pelagius ist der Vorwurf, die Presbyter hätten Pelagius mundtot machen wollen, unüberhörbar. Als Motiv der Presbyter für jene scharfe Ablehnung des Pelagius deckt Schroeckh das für den »katholischen« Klerus beanspruchte Deutungsmonopol über dogmatische Fragen auf.330 Deutlich schält dabei Schroeckh auch die Deutungshierarchie heraus, die Pelagius dem Mönchsstand und damit den Laien zuordnet, die nach derartigem katholischen Verständnis nicht das Recht hätten, einem dem Klerus angehörenden Bischof wie Augustinus zu widersprechen. Freilich sieht Schroeckh dies, wieder gut protestantisch und die von Luther ohnehin aufgehobene Differenzierung zwischen Laien und Klerus beiseiteschiebend, gänzlich anders und schreibt jedem Christen das Recht zu, »über Religionslehren seine Meinung öffentlich zu sagen«.331 Doch nicht etwa die religiöse Meinungsfreiheit eines jeden Christen, die sie deutungshierarchisch ablehnten, sei den Presbytern in den Verhandlungen mit Pelagius »der höchste Greuel in ihren Augen« gewesen, sondern bereits die bloße Möglichkeit, dass 326 Schroeckh selbst findet die Begriffe Synode oder Kirchenversammlung unzutreffend, da außer dem Vorsitzenden Johannes keine Bischöfe, sondern nur Presbyter zugegen waren, vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 419. 327 Vgl. hierzu im Folgenden Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 419–425. 328 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 420. 329 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 420. 330 Im Folgenden vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 420 f. 331 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 420 f.
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sich die »katholischen Aeltesten« gleichberechtigt mit einem »kezerischen Laien« zwecks Verhandlungen an einen Tisch setzen mussten.332 Der Absicht dieser überheblichen Presbyter und des Anklägers Orosius, Pelagius nun für die Aussage, dass der Mensch ohne Sünde sein könne, als Ketzer verurteilt zu sehen, wollte der von Schroeckh so geschätzte Bischof Johannes nicht folgen: »[E]r verlangte vielmehr von ihnen, vermuthlich um eine ruhigere Untersuchung dieser Sache zu veranlassen, daß sie den Pelagius ordentlich anklagen möchten.«333 Schroeckh interpretiert hier das Verhalten Johannes’ als Bemühung um eine Abkühlung der aufgeheizten Situation zwecks freier Untersuchung der strittigen Frage und erbittet sich für das ordentliche Verfahren von den Anklägern eine präzise Begründung für die vorgebrachte Häresieanklage. Doch dem verweigerten sich Orosius und die Presbyter mit dem dreisten Vermerk, man würde keine Anklage einreichen, sondern nur die bereits erfolgte Verurteilung des ketzerischen Laien und seiner Lehren bekannt geben, damit auch nicht noch die Gemeinde des Jerusalemer Bischofs dadurch in Aufruhe geraten möge.334 Johannes habe sich darauf zwar bemüht, die vermeintlich ketzerischen Lehrsätze des Pelagius durch beschwichtigende Auslegungen abzumildern, gab den Gegnern des Pelagius aber letztlich in ihrer Forderung nach, dass die Klärung der Angelegenheit an einen »lateinischen Richter« verwiesen werden müsse, da sich Orosius zuvor über die für ihn mangelhafte Leistung des anwesenden Dolmetschers beschwert hatte.335 Somit wurde die Angelegenheit zur Klärung an den römischen Bischof überwiesen. Nach Zeugnis des Orosius sei der Jerusalemer Bischof Johannes ziemlich schlecht bei der Anhörung von Jerusalem davongekommen: zwar ginge man im einträchtigen Gebet auseinander, doch war der Bischof nicht nur überzeugt, sondern letztlich beschämt und beinahe beleidigt worden. Schroeckh will sich dieser Beurteilung durch Orosius nicht anschließen, sondern bedauert Johannes und lobt dessen »gemäßigte und billige Gesinnungen«.336 Der Jerusalemer Bischof erscheint hier gleichsam als positive Ausnahmeerscheinung unter den »katholischen« Bischöfen. An seiner gemäßigten Gangart gegenüber Pelagius sei dabei nichts auszusetzen, da Pelagius sich selbst öffentlich bei der Anhörung gegen all jene ausgesprochen habe, dass ein Mensch ohne »Gottes Hülfe in der Tugend vollkommen werden könne«.337 Schroeckh sieht jedoch in der Versammlung selbst große Mängel. So wäre es die hauptsächliche Verpflichtung dieser gewesen, das Verständnis der Gnade bei Pelagius auch inhaltlich näher zu erörtern und zu klären anstatt sich bloß auf 332 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 14, 421. Christliche Kirchengeschichte 14, 421. 334 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 421 f. 335 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 422 f. 336 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 423. 337 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 424. 333 Schroeckh,
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die bereits erfolgte Verurteilung durch die Nordafrikaner in der Beweisführung zu verlassen. Auch Orosius’ Einwand gegen den Dolmetscher tut Schroeckh als bloße Farce ab, da Pelagius genauso gut wie Orosius Latein geredet habe und die beiden sich folglich über die strittigen Lehren hätten problemlos austauschen können.338 Eine besondere Spitze spart sich Schroeckh gegenüber dem römischen Bischof auf: Dass selbiger nun konsultiert werden sollte, sei nicht etwa eine förmliche »Appellation an den Römischen Bischof«, sondern die logische Folge daraus, dass der geführte pelagianische Streit eine Angelegenheit der lateinisch-westlichen Kirche sei, die zudem in lateinisch verfassten Schriften geführt werde. Somit sei laut Schroeckh nicht die Autorität des römischen Bischofs hier ausschlaggebend gewesen, sondern lediglich die Tatsache, dass die strittigen Lehren in Nordafrika bereits abgelehnt wurden und nun auch dem römischen Bischof als »vornehmste[m]« Vertreter der lateinischen Christenheit zur Entscheidung vorgelegt würden. Deutlich gewichtiger als die Jerusalemer Anhörung sieht Schroeckh jedoch die Synode von Diospolis an, über die er urteilt, dass »in der ganzen pelagianischen Geschichte nicht leicht eine wichtigere Begebenheit vorkomme […], so groß und vielfach waren die Folgen, welche sie nach sich gezogen hat«.339 Bekanntlich wurde Pelagius auf dieser Synode eindeutig vom Ketzervorwurf freigesprochen und dennoch sei in der gesamten Geschichte des pelagianischen Streites keine Begebenheit gegeben gewesen, die schwerer zu beurteilen sei. Unbestritten ist für Schroeckh jedoch eins: Keine Synode der Welt könne dem Menschen vorschreiben, »gewisse moralische Meinungen vor wahr oder falsch zu halten«.340 Nachdem er zuvor in seiner Beurteilung der Anhörung von Diospolis die freie Meinungsäußerung von Christen in Religionsfragen stark gemacht hat, betont er nun die Gewissensfreiheit aller Menschen gegenüber kirchenpolitischen Gremien und ihren Entscheidungen. Schwierigkeiten, die Synode angemessen zu beurteilen, bereite aber die »eigentliche Darstellung des Pelagianismus, und die Entscheidung einer nicht unbeträchtlichen Synode über den Stifter desselben«.341 Generell beurteilt Schroeckh selbst die Synode von Diospolis daher ambivalent. Hinsichtlich der bereits erwähnten Zweideutigkeit der Aussagen des Pelagius sei sie zwar nicht ihrer Pflicht nachgekommen, für Klärung durch vertiefte Nachfragen zu sorgen.342 Allerdings sei zu ihrer Verteidigung einzuwenden, dass in der Ostkirche über die strittigen Lehrsätze bisher kein Konflikt bestanden habe und man auch nicht mit den dazu aufgekommenen lateinischen Schriften vertraut gewesen sei. Selbst die anwesenden Bischöfe, welche Schroeckh als »von einiger 338 Vgl.
Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 424. Christliche Kirchengeschichte 14, 440. 340 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 440. 341 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 440 f. 342 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 441 f. 339 Schroeckh,
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Mäßigung« beschreibt, hätten sich in der Anhörung verständlicherweise mit den vorgelegten Fragen ohne weiteres Nachforschen und Aufschlüsseln des dahintersteckenden Lehrsystems begnügen können, da es damals so üblich gewesen sei »ohne viel Weitläufigkeit die Rechtgläubigkeit eines Beklagten zu erforschen«.343 Letztlich hätten »die Bischöfe zu Diospolis weder ausnehmendes Lob, noch großen Tadel« verdient, urteilt Schroeckh etwas unentschlossen. Anderen ist es nicht so schwergefallen, die Synode und ihre Entscheidungsträger zu beurteilen. Hieronymus bezeichnete sie als eine »elende Synode«, da mit ihr der zweite Versuch, Pelagius im Osten als Ketzer zu verurteilen, gescheitert war, ein eigenes kirchenpolitisches Interesse also nicht durchgesetzt werden konnte. Augustinus hingegen, besonnener als der dauerhitzige Hieronymus, tolerierte die Entscheidung der Synode nach Einsicht der Akten, da Pelagius so zwar freigesprochen, aber Augustins Meinung nach dessen Häresie klar verdammt wurde, indem Pelagius selbst auf der Synode dazu genötigt wurde, die häretischen Positionen zu verwerfen.344 Schroeckhs Hauptkritik an der Synode besteht schließlich darin, dass sie von den meisten ihrer teilnehmenden Bischöfe nicht ergebnisoffen geführt wurde, sondern mit der Absicht, »den herrschenden Lehrbegriff so schnell als möglich« mit etlichen Zwangs‑ und Druckmitteln wie Verhören, Bekenntnissen und der Exkommunikation durchzudrücken und zu erhalten. Derartige Mittel sind für Schroeckh jedoch vollkommen ungeeignet, ja kontrapoduktiv, wenn »theologische Streitigkeiten von einiger Erheblichkeit für gelehrte, scharfsinnige und Wahrheitsliebende Köpfe in das erwünschte Licht gesezt werden sollten«.345 Freilich bezieht sich die Beschreibung solcher nach Wahrheit strebender Denker nicht auf die anwesenden Bischöfe, sondern ist eher an Schroeckhs Zeitgenossen und Leser adressiert, die sich damit wie er selbst identifizieren sollen. Die Synode von Diospolis steht für Schroeckh jedenfalls – trotz des Freispruches Pelagius’ – stellvertretend dafür, dass es innerhalb des pelagianischen Streites aufgrund der Art der Streitführung, der Verhärtung der Fronten, der zeitlichen Beschaffenheit jener Epoche und der kirchenpolitischen Maßnahmen zu keinerlei Annäherung oder »Vereinigung über Wahrheiten, welche in der Mitte zwischen beiden lagen« kommen würde. Folglich erwartete Schroeckh auch keine »freyere Untersuchung und reinere Religionsbegriffe« mehr als Methode und Ergebnis der pelagianischen Streitigkeiten.346 Den wichtigen Impuls, den Pelagius mit der durch ihn aufgeworfenen längst überfälligen Diskussion um bislang ungeklärte Kernaspekte des Christlichen Glaubens und Lebens gegeben hat, schmälert dies nicht, aber es wäre für Schroeckh wünschenswert gewesen, wenn man sich schon damals auf die biblisch-christliche Wahrheit besonnen hätte, 343 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 14, 442. Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 442. 345 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 443. 346 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 14, 443. 344
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statt sich immer tiefer in dogmatische und kirchenpolitische Grabenkämpfe und Frontverhärtungen zu verwickeln. 5.3. Kirchenpolitische Intrigen der Nordafrikaner und das Verhalten der römischen Bischöfe Nach dem für sie so negativen Ausgang der Synode von Diospolis setzten die nordafrikanischen Bischöfe alle kirchenpolitischen Hebel in Bewegung, um doch noch eine übergreifende Verurteilung der Pelagianer zu erwirken. Schroeckh schildert die nordafrikanische Partei um Augustinus dabei als überhebliche Gruppe, die sich zutiefst in ihrem Ansehen gekränkt fühlte. Ohnehin war ja, wie Schroeckh schon mehrfach andeutete, das Ansehen der einzelnen gegen Pelagius agierenden Persönlichkeiten überhaupt einer der Hauptgründe für die letztgültige Verurteilung der Pelagianer und ihre Lehre. Die stolzen nordafrikanischen Bischöfe sahen sich jedenfalls als zu mächtig an, um sich von der »Entscheidung einer ausländischen Synode« beeindrucken zu lassen.347 Sie konnten Einiges für sich in die Waagschale werfen: Nicht nur setzten sie sich generell aus »Bischöfen von nicht geringem Ansehen« zusammen, sondern hatten mit Augustinus und Hieronymus die »beiden vornehmsten Lehrer […] und Schriftsteller […] der abendländischen Kirche dieser Zeit« auf ihrer Seite.348 Dieser geballten kirchenpolitischen Übermacht standen zwei Mönche gegenüber, von denen Caelestius bereits von den Nordafrikanern als Ketzer ausgestoßen worden war und der andere von Hieronymus und Augustinus heftig in mehreren Schriften angegriffen wurde. Doch »konnte die Ueberlegenheit, welche sie [die nordafrikanischen Bischöfe] bereits besaßen, noch leicht durch den Beitritt des ersten Bischofs der Abendländer verstärkt werden«.349 Tatsächlich lag den nordafrikanischen Bischöfen alles daran, die Pelagianer verurteilt zu sehen, sodass diese »Mittel […] also unverzüglich in Bewegung gesetzt« wurden.350 Zu diesem Zweck wurde auf der Synode von Karthago 416 von Caelestius und Pelagius verlangt, ihre »Irrlehren« in aller Deutlichkeit als solche zu bezeichnen und zu widerrufen, andernfalls würden sie dem Bann unterworfen werden.351 Von dieser Entscheidung berichteten sie wiederum in einer Briefkampagne dem römischen Bischof Innozenz I., damit, wie sie bemerkten, »auch das Ansehen des Apostolischen Stuhls hinzukommen möchte«.352 Innozenz I., den Schroeckh als den »ersten Römischen Bischof von einer kühnern Herrschbegierde« charakterisiert,353 habe aufgrund dieses Charakterzugs die Gelegenheit zur Er Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 4. Christliche Kirchengeschichte 15, 4 f. 349 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 5. 350 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 5. 351 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 5. 352 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 6. 353 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 9. 347
348 Schroeckh,
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weiterung seines kirchenpolitischen Ansehens und Machtanspruches nicht ungenutzt sein lassen können. Die Nordafrikaner hatten mit diesem machtbesessenen römischen Bischof Innozenz somit laut Schroeckh den idealen Ansprechpartner, beziehungsweise das ideale Instrument zur Durchsetzung ihres Vorhabens gefunden: Schroeckh schildert Innozenz I. als zugleich überheblichen wie durch Schmeicheleien geblendeten Bischof, »welcher sich nicht allein als den vornehmsten in den Abendländern« verstand, sondern sich »auch überdies von einer großen Anzahl ausländischer Bischöfe zu gewissen Absichten angelegentlich gesucht und geschmeichelt fühlte«.354 Tatsächlich tat er mehr, als die Nordafrikaner von ihm verlangten und überschritt in der Beurteilung Schroeckhs damit zugleich gänzlich seinen Kompetenz‑ und Herrschaftsbereich:355 Nicht allein pflichtete er den nordafrikanischen Bischöfen in der Verurteilung Caelestius’ und Pelagius’ vollkommen bei, sondern »wirft sich zugleich zum allgemeinen Richter und Gesezgeber aller Christen auf, von welchem sie einen entscheidenden Ausspruch über diese Händel einzuholen schuldig gewesen wären«.356 Schroeckh zeichnet Innozenz als absolutistischen Herrscher, wie bereits die Überschreitung der Gewaltenteilung von Legislative und Judikative in einer Person sowie der absolutistische Anspruch, dass die gesamte Christenheit verpflichtet sei, sich in solchen Streitfragen seinen Rat und sein Urteil einzuholen, verdeutlichen. Konsequent erscheint es da auch, dass Innozenz sich den Anstrich eines Dogmatikers verpasst habe, obwohl er doch letztlich nur das wiederholte, was bereits die nordafrikanischen Bischöfe »über die Nothwendigkeit des göttlichen Gnadenbeistandes zur Besserung des Menschen« und die Verwerflichkeit der gegenteiligen pelagianischen Lehre gesagt hatten.357 Die Richtigkeit der Lehrmeinungen der antipelagianischen Partei sei für ihn schon dadurch erwiesen gewesen, dass sie sich so verantwortlich an den Nachfolger Petri in Rom gewendet hatte. Die pelagianische Lehre wird von ihm auf ganzer Linie mitsamt ihren Vertretern verurteilt, doch Verhandlungen mit ihnen in Rom wollte er nicht führen, sondern überließ derartige Untersuchungen anderen Bischöfen. Die nordafrikanischen Bischöfe hatten laut Schroeckh somit ihr Ziel auf ganzer Linie erreicht: »[D]enn ihre Partey sah sich durch den Beitritt des Römischen Patriarchen so sehr verstärkt, daß es ihr fernerhin ganz gleichgültig sey konnte, ob und wie viele auswärtige Kirchenversammlungen sich des Pelagius annahmen.«358 Schroeckh betont aber sogleich, dass sich die stolzen und einflussreichen nordafrikanischen Bischöfe damit keineswegs dem römischen Bischof unterordneten, da »in den Schreiben der Africaner nicht die geringste 354 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 15, 10. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 10. 356 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 10. 357 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 10 f. 358 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 11. 355 Vgl.
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Spur einer Unterwürfigkeit gegen den Römischen Bischof« vorzufinden sei.359 Sowohl die fünf nordafrikanischen Bischöfe in ihren Schreiben wie auch die Synode von Karthago bezeichneten Innozenz lediglich gleichberechtigt als ihren »Bruder«, von dem sie nicht etwa erst eine Entscheidung erwarteten, sondern ihm lediglich ihre bereits getroffene Entscheidung mitteilten und von ihm nun seinen Beitritt verlangten.360 Schroeckh verfolgt bereits hier in der Darstellung Innozenz’ eine konsequente Strategie der Herabstufung der kirchenpolitischen Machtposition des Papstes. Innozenz wird dabei fast exemplarisch für den überheblichen Machtanspruch des römischen Papstes angeführt, der sich seiner Meinung nach kirchengeschichtlich im Verhältnis zu Nordafrika gar nicht bestätigt. Es ist daher nicht weit hergeholt, wie auch wie bei Semler und Walch, eine allgemeine Papstkritik des protestantischen Autors zu erkennen. Besonders deutlich wird diese Einschätzung in der Beurteilung Zosimus’, der die Verurteilung der Pelagianer durch seinen Vorgänger Innozenz für nichtig und sie stattdessen für orthodox erklärte.361 Dieser Widerspruch zu seinem Vorgänger habe ihm nun unterschiedlichste Beurteilungen nachfolgender Generationen eingehandelt, wobei die negativen in der kurzen Darstellung Schroeckhs deutlich überwiegen. Ein gängiger Vorwurf sei, die »Schwächen und Fehltritte des Zosimus« zu beklagen, da er sich so leichtfertig durch die Verteidigungsschriften der Pelagianer habe überzeugen lassen.362 Wiederum andere Kritiker sahen in Zosimus’ Widerspruch zum Urteil seines Vorgängers einen deutlichen Beweis gegen die immer wieder postulierte Übereinstimmung oder »Untrüglichkeit«363 der römischen Päpste in Glaubensfragen – die Unfehlbarkeit des Papstes war hier freilich noch nicht dogmatisch vorgeschrieben, aber wird hier schon deutlich kritisiert und als nicht haltbar angesichts des offenkundigen Unterschiedes zwischen Innozenz und dem frühen Zosimus aufgezeigt. Sicherlich findet sich die Meinung Schroeckhs in beiden dieser Beurteilungen wieder, doch er zieht vor allem eine Lehre aus dem zunächst erfolgten Freispruch der Pelagianer: »Für die unpartheiische Geschichte ist die Beobachtung eben so gegründet und nothwendig, daß die Bestimmungen über die Lehre von der Erbsünde, und von dem freyen Willen des Menschen im Geistlichen, welche sich seit einiger Zeit aus Africa her zu verbreiten anfiengen, für die Römischen Bischöfe bis dahin ziemlich fremd und unbekannt; in den Augen des Zosimus aber diese gesammte Streitfragen unbedeutend gewesen sind.«364 359 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 15, 11. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 12. 361 Vgl. hierzu Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 22 f. 362 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 23. 363 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 23. 364 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 23. 360 Vgl.
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Er zieht aus Zosimus’ schnell erfolgtem Freispruch der Pelagianer also die dogmenhistorische Konsequenz, dass die nordafrikanischen Lehrmeinungen nicht einmal im Zentrum der Westkirche sonderlich verbreitet, sondern selbst dem römischen Bischof unbekannt, wenn nicht gar gleichgültig waren. 5.4. Schroeckhs Kritik an der katholischen Ehrenrettung des Zosimus Der weitere Gang des pelagianischen Streites ist hinlänglich bekannt. Die Nordafrikaner empörten sich über die Entscheidung des Zosimus und hielten ihre eigene, lokale Synode in Karthago ab, die 418 schließlich und endgültig die pelagianischen Lehren und ihre Vertreter verketzerte.365 In einem zwar allgemein gehaltenen Urteil, das sich aber letztlich auf die Synode von Karthago bezieht, urteilt Schroeckh, dass Synoden theologische Streitigkeiten oftmals »verworrener gemacht, als sie sonst geworden wären, Entscheidungen und Bannflüche darüber ausgesprochen, welche sich auch die zahlreichste Menge von Bischöfen nicht hätte anmaaßen sollen, wenn anders christliche Geistesfreyheit mehr als ein bloßer Nahme war, weit seltener endlich dazu etwas beigetragen, daß sie in ein besseres Licht gesezt wurden«.366
Zwar ist dies eine allgemeine Kritik, die jedoch auf den Beobachtungen, die Schroeckh aus den bisherigen Synoden gewonnen hat, basiert. Die Betonung am Schluss, dass so viele Synoden leider bislang nicht zur Klärung oder doch wenigstens Erhellung theologischer Streitigkeiten beigetragen haben, zeigt jedoch, dass Schroeckh nicht prinzipiell Synoden als Entscheidungsgremien verwirft, sondern lediglich solche, die, wie schon oben gezeigt wurde, nicht wirklich nach der Wahrheit streben, sondern lediglich nach der Durchsetzung der Meinung der kirchenpolitisch mächtigsten Partei. Welch eindeutiges Machtinstrument der Nordafrikaner auch diese Synode wieder einmal in den Augen Schroeckhs ist, verdeutlicht seine Argumentation, dass eigentlich lediglich ökumenische Konzilien das Recht haben, »allgemein gültige Glaubensgeseze einzuführen«.367 Die nordafrikanische Synode von Karthago sei jedoch eine lokale Kirchenversammlung, die eben auf jene nordafrikanischen Provinzen in ihrem Geltungsanspruch beschränkt sei und zudem offen der Anhörung von Jerusalem, der Synode von Diospolis und der Meinung des römischen Bischofs entgegengesetzt ist. Trotz all dieser offenkundigen Gegenwinde haben es die Nordafrikaner zuwege gebracht, dass die Beschlüsse jener Synode »den entscheidenten Ausschlag wider die pelagianischen Meinungen der ganzen abendländischen Kirchen gegeben haben«.368 365 Im
Folgenden vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 28–31. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 28. 367 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 28. 368 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 29. 366
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Es überrascht wenig, dass Schroeckh die Ursache für den Erfolg der Beschlüsse gegen die Pelagianer nicht in deren inhaltlicher Argumentation sieht, die er stellenweise als »dreist« charakterisiert, sondern in den kirchenpolitischen Intrigen und Winkelzügen der einflussreichen Nordafrikaner.369 Durch ihren orthodoxen Ruf und ihr hohes Ansehen begünstigt, beschritten sie dazu einen Weg, den sie bereits zuvor gegen die in Nordafrika so präsenten Donatisten eingeschlagen hatten, und wandten sich »zur Demüthigung der Pelagianer« an den römischen Kaiser Honorius.370 Die Folge dessen ist heute wohl bekannt: Honorius erließ ein Edikt gegen die Pelagianer; derart von den Nordafrikanern und dem römischen Kaiser unter Druck gesetzt, revidierte schließlich auch Zosimus seine Meinung zuungunsten der Pelagianer. Dennoch, so bemerkt Schroeckh, hätten neuere katholische Autoren seit Baronius sich immer wieder mit schwachen Argumenten darum bemüht, für die Ehre des römischen Papstes einzutreten, indem sie die gegenteilige Reihenfolge behaupteten:371 demnach hätte zuerst Zosimus seine Meinung geändert und beim Kaiser eine Bestätigung dieses Urteils erwirkt. »Unpartheiischere Schriftsteller von eben dieser Kirchengemeinschaft«372 – Schroeckh listet hier Quesnel, Tillemont und die Herausgeber der Benediktinerausgabe auf – haben jedoch ehrlich eingestanden und klar bewiesen, dass die nordafrikanischen Bischöfe zunächst ihren politischen Einfluss ausspielten und sich noch vor der Synode von Karthago an den Kaiser wandten. Darauf deute bereits der Titel des von Honorius dann erlassenen Gesetzes hin, welches ein Reskript auf eine konkrete Anfrage sei. Quesnel habe als Ansprechpartner am Kaiserhof den Hofbeamten Valerius ausgemacht, mit dem Augustinus ohnehin im vertrauten Briefwechsel stand. Auch die sprachliche Gestalt (»schwülstige Schreibart«) des Reskripts deutet Schroeckh zufolge klar auf einen Verfasser aus dem Klerus oder jemanden, der den nordafrikanischen Bischöfen nahestand, hin.373 Derart durch die politische Intrige der nordafrikanischen Bischöfe und durch die Vereinigung der »weltliche[n] Macht mit den Aussprüchen der kirchlichen Richter« unter Druck geraten, blieb Zosimus nichts anderes übrig, als sein Urteil zu revidieren und sich der Verurteilung der Pelagianer anzuschließen, wollte er nicht »den schlimmsten Verdacht auf sich laden«, selbst den pelagianischen Meinungen nahezustehen.374 Die Frage, ob Zosimus seine Wende aufgrund dieses äußeren, kirchenpolitischen Drucks, oder doch aufgrund eines theologischen Gesinnungswechsels vollzog, hält Schroeckh nun nach eigener Auskunft für »ziemlich unerheb369 Vgl.
Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 29. Christliche Kirchengeschichte 15, 29. 371 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 30. 372 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 30. 373 Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 30 f. 374 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 32. 370 Schroeckh,
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lich«.375 Das heißt jedoch nicht, dass er nicht die Gelegenheit zur Papstkritik verstreichen lässt: »Nur als dann würden seine Entscheidungen sehr merkwürdig seyn, wenn er ein vorzüglich gelehrter Theologe von eben so vielem Scharfsinne als Freymüthigkeit gewesen wäre; lauter Eigenschaften, von denen sich bey ihm beinahe gar keine Spuren entdecken lassen.«376
Aufgrund dieser Charakterisierung als schlechter Theologe lässt sich auch Schroeckhs vermeintliche Gleichgültigkeit gegenüber den Beweggründen Zosimus’ zur Revision seines Urteils verstehen. Was auch immer ihn motiviert hat, so urteilt Schroeckh, »im Grunde […] hat das endliche Urtheil des schwachen, wenn gleich friedfertigern Kopfs nichts über den Werth oder Unwerth der pelagianischen Lehrsäze, sondern nur darüber entschieden, daß die Anhänger derselben desto geschwinder und allgemeiner unterdrückt worden sind«.377
Zosimus’ theologisches Urteil ist Schroeckh wahrlich gleichgültig, da er ihm keinerlei Wert beimisst; relevant sei letztlich an dem Urteil Zosimus’ nur, dass er die kirchenpolitischen wie politischen Unterdrückungsmaßnahmen und Repressalien gegenüber den Pelagianern damit noch beschleunigt hat. Immer wieder, so fährt Schroeckh bissig amüsiert fort, habe es bemühte Versuche von katholischen Autoren gegeben, das Verhalten des Zosimus zu entschuldigen oder abzumildern.378 Der Grund – die Ehrenrettung des Papstamtes und seiner Würde selbst – liegt freilich auf der Hand und muss von Schroeckh nicht erst ausgesprochen werden. Doch höhnisch zeigt sich Schroeckh hier nun froh darüber, protestantischer, um Unparteilichkeit bemühter Kirchenhistoriker zu sein, der sich nicht um das Ansehen des Papstes scheren muss, und sich somit »in diese Geschichte an einen Standort versezen zu können, in welchem es bloß darauf ankommt, daß jedem Recht wiederfahre; nicht aber daß eine gewisse Gattung von Menschen durchaus Recht behalte«.379 Schroeckh hat nun einen regelrechten Lauf in seiner Papstkritik und spottet über den Einfluss seines Urteils im Verhältnis zu dem der nordafrikanischen Bischöfe und damit auch über seinen kirchenpolitischen Einfluss im Generellen: »An dem kaiserlichen Hofe zu Ravenna selbst scheint der Ausspruch der afrikanischen Bischöfe über den Pelagianismus weit mehr gegolten zu haben, als der Beitritt des Zosimus zu demselben.«380 375 Schroeckh,
Christliche Kirchengeschichte 15, 34. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 34. 377 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 35. 378 Schroeckh nennt hier u. a. Jean Garnier, »Defensio Zosimi Papae in negotio Caelestii«, in Marii Mercatoris Opera, Band 1 (Paris: Cramoisy, 1673 [= PL 48, 79B–83A]). 379 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 35. 380 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 35. 376
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Auch Zosimus’ daraufhin veröffentlichte Epistula Tractoria verurteilt Schroeckh aufs Schärfste als kirchenpolitisches Zwangsmittel. Die Verweigerung der Unterschrift durch Julian und weitere achtzehn Bischöfe kann Schroeckh daher auch bestens nachvollziehen und als rechtens erachten: »Sie beklagten sich nicht mit Unrecht darüber, daß Bischöfen, welche in ihrer Einfalt bey ihren Gemeinen saßen, ohne eine Kirchenversammlung mit ihnen anzustellen, solche Unterschriften abgedrungen wurden; auch fanden sie es höchst unbillig, daß Pelagius und Caelestius, welche manche ihnen beigemessene Lehrsäze verworfen hätten, abwesend und unverhört so schimpflich verurtheilt werden sollten.«381
Die Verweigerung der Unterschrift sieht Schroeckh also durch das absolutistische Verhalten des römischen Bischofs gegenüber den anderen Bischöfen wie auch gegenüber Pelagius und Caelestius begründet; in beiden Fällen kam es zu keinerlei Diskussion der strittigen Punkte. Selbst die anschließende Appellation des Julian und der anderen Bischöfe an den Kaiser in Ravenna, ein Konzil einzuberufen, sei kurzerhand durch den Augustinus nahestehenden Hofbeamten Valerius unterminiert worden.382 Letztlich habe sich laut Schroeckh der pelagianische Streit alleinig durch den politischen wie kirchenpolitischen Machteinfluss, die Manipulation, Intrigen und das »Networking« der dominanteren Partei und ihrer angesehenen Bischöfe entschieden. Mit merklicher Resignation resümiert er daher: »Kurz, alles nahm auch in dieser kirchlichen Streitigkeit den gewöhnlichen Gang von Vorwürfen und Gegenvorwürfen, Concilienbeschlüssen, die als Ueberzeugungsmittel angerechnet wurden, und Strafgesezen des Hofes zum Vortheil derjenigen Parthey, die aus den angesehensten Bischöfen bestand, und sich bey ihm am beliebtesten zu machen gewußt haben.«383
6. Zusammenfassung Mit den zuletzt untersuchten Autoren Spittler, Henke und Schroeckh ist diese Untersuchung am Ende des 18. Jahrhunderts und der in diesem verfassten Arbeiten zum pelagianischen Streit angelangt. Bieten die ersteren beiden eher eine kompakte Zusammenfassung des Streites im Rahmen ihrer kirchengeschichtlichen Überblickswerke, garniert mit einigen spitzen Bemerkungen gegenüber Augustinus und seinen Anhänger, so stellt die Arbeit Schroeckhs neben den Werken Walchs und Semlers eine der gründlichsten und eindeutig umfänglichsten Untersuchungen dar. Jedoch merkt man ihm, wie auch Spittler und Henke, seine Nähe zu Semlers theologischen Positionen und kirchengeschichtlicher Methodik deutlich Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 39. Vgl. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 44. 383 Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte 15, 45. 381 382
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an. Doch nicht nur in der Gutwilligkeit gegenüber Pelagius und seiner Lehre, sondern auch in der scharfen und weiterhin modischen Augustinuskritik steht er dem Neologen Semler in nichts nach. Konsequent wird das Bild eines unfähigen Theologen, schlechten Exegeten und gerissenen Kirchenpolitikers gezeichnet, der zur Durchsetzung seiner mäßig begründeten Lehre vor nichts zurückschreckt. Im Anbetracht dieser so negativen Rezeption des Kirchenvaters ist es jedoch bemerkenswert, dass die Darstellungen der augustinischen Lehre zumeist angemessen neutral wiedergegeben werden, bevor Schroeckh sie in den anschließenden Kommentaren widerlegt. Schroeckhs Hauptanliegen ist die gerechte Würdigung der Person und Lehre des Pelagius, nachdem dieser im Streit selbst und von der Nachwelt für viele Jahrhunderte so ungerecht behandelt wurde. In diesem Sinne ist auch die ausgeprägte Kritik Schroeckhs an den kirchenpolitischen Machtstrukturen und Intrigen zu verstehen, die er als die letztliche Ursache der Durchsetzung der augustinischen Lehren ansieht. Angesichts seines Anliegens, Pelagius eine gerechte Behandlung widerfahren zu lassen, kommt dessen Lehre und insbesondere Ethik bei Schroeckh wenig überraschend gut davon. Insbesondere für einen moralisch einwandfreien Lebenswandel eignet sich Pelagius’ Lehre und Ethik. Zwar deutet er immer wieder kleinere dogmatische Unzulänglichkeiten an, vertieft diese jedoch nicht, sodass insgesamt doch ein positives Bild der Lehre des Pelagius gezeichnet wird – durch das zudem die persönliche Zuneigung Schroeckhs zu dieser pelagianischen Lehre hindurchscheint. Ohnehin spielen für ihn die Deutungskategorien Heterodoxie und Orthodoxie keine Rolle mehr in seiner Darstellung des Streites. Es geht nur um ein gerechtes Abwägen, das jedoch sehr einseitig zuungunsten des Augustinus ausfällt. Das vor allem für die Walchs so dominante Thema des Pelagianismus vor Pelagius wird zwar von Schroeckh noch traktiert, nimmt jedoch nicht mehr die dominante Stelle wie zuvor ein; sie dient ihm vielmehr nur noch als Argument dafür, Pelagius nach denselben Maßstäben wie seine Gegner zu beurteilen. Zwischen diesen Gegnern und den Pelagianern selbst sucht Schroeckh in seiner Darstellung des Streites für seine Gegenwart immer wieder einen theologischen Mittelweg, der aufgrund des Streitverhaltens der Parteien und der kirchenpolitischen Maßnahmen damals von den Semipelagianern seiner Meinung nach nicht konsequent beschritten werden konnte. Schroeckh selbst fand ihn jedoch in der konsequenten Rückbesinnung auf die christliche Lehre selbst, die einfache Lehre Jesu Christi.
Schluss Zum Abschluss mag noch einmal Goethe zu Wort kommen, der vom frommen Fräulein von Klettenberg der Übereinstimmung mit Pelagius bezichtigt wurde: »Ich ging in die Kirchengeschichte zurück, betrachtete die Lehre und die Schicksale des Pelagius näher, und sah nun deutlich, wie diese beiden unvereinbaren Meinungen durch Jahrhunderte hin und her gewogt, und von den Menschen, je nachdem sie mehr thätiger oder leidender Natur gewesen, aufgenommen und bekannt worden.«1
Goethes Konsultation der Kirchenhistoriographie führte ihn nicht nur zur Einsicht, dass eine tatsächliche Nähe seiner anthropologischen Ansichten zu denen des Pelagius nicht von der Hand zu weisen ist, sondern auch zur Erkenntnis der über Jahrhunderte währenden Relevanz und des fundamentalen Charakters des pelagianischen Streites, seines Verlaufs und der einander diametral gegenüberstehenden Lehren des Pelagius und Augustins. Die ausführliche Konsultation der protestantischen Kirchenhistoriographie des 18. Jahrhunderts muss freilich zu einem differenzierteren Bild führen als der schnelle Überblick über mehr als 1200 Jahre Christentumsgeschichte, den sich der theologische Laie Goethe verschaffte. Tatsächlich war das Aufzeigen der fortwährenden Relevanz des Streites für die Christentumsgeschichte ein auch von den protestantischen Kirchenhistorikern des 18. Jahrhunderts gern gewählter Topos. Darüber hinaus lässt sich jedoch nun im Gesamtüberblick nicht nur meine These des signifikanten Wandels der Wahrnehmung, Darstellung und Beurteilung des pelagianischen Streites im 18. Jahrhundert bestätigen, sondern auch anhand der einzelnen kirchengeschichtlichen Darstellungen des pelagianischen Streites beobachten, wie der Streit, seine Akteure und die in ihm verhandelten Lehrmeinungen im Verlauf des Jahrhunderts rezipiert wurden. Besonders augenfällig werden dabei nicht allein wiederkehrende Gemeinplätze2, sondern auch tiefergehende Topoi des pelagianischen Streites, die sich in unterschiedlicher Form, Intention und Gewichtung in vielen der Darstellungen fanden und diese entscheidend prägten – und damit 1 Goethe, Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, 14. Buch (Goethe, Sämtliche Werke 14, 691,20–25). 2 Als Gemeinplätze können hier u. a. das oft ausgesprochene Lob für Pelagius’ Lebenswandel, aber auch die Kritik an dessen vermeintlicher Zweideutigkeit und Gerissenheit aufgefasst werden. Davon unterscheide ich die weiter unten angeführten Topoi, welche tiefergehende Diskussionen abbilden.
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wiederum teilweise Diskussionen der vorangegangenen Literatur insbesondere des 17. Jahrhunderts rezipierten und transformierten.
1. Werden jener Wandel und dessen Ursachen nachgezeichnet, der sich innerhalb der protestantischen Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts in der Wahrnehmung, Darstellung und Beurteilung des pelagianischen Streites vollzog, so fällt quantitativ zunächst auf, dass dieser theologischen Kontroverse, trotz der ihr oft attestierten Relevanz, innerhalb der Kirchenhistoriographie der ersten fünf Jahrzehnte keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Abgesehen von der Dissertation Theodor Lilienthals, die sich jedoch ohnehin nur mit dem Topos des Pelagianismus vor Pelagius befasste, fanden sich Darstellungen des pelagianischen Streites nur als Pflichtstoff in kirchengeschichtlichen Gesamtüberblicken, zudem in kurzer und schematischer Form, die sich im Aufbau noch stark an Darstellungen vorangegangener Zeiten orientierten. Erst die umfänglichen Arbeiten Christian Walchs und Johann Semlers in den 60er Jahren markierten in Hinblick auf die quantitative Stofffülle wie auch auf ihre inhaltlichen Ansätze einen Wendepunkt, an dem sich auch die nachfolgenden Darstellungen der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts orientierten. Trotz der geringen Aufmerksamkeit, die der pelagianische Streit zunächst erfuhr, kann man schließlich von einer regelrechten »Renaissance« der kirchenhistoriographischen Pelagianismusforschung im späteren 18. Jahrhundert sprechen. Man muss sich dazu zunächst vor Augen führen, wie der pelagianische Streit bereits innerhalb der reformierten und katholischen Kontroversen in den Niederlanden und Frankreich im vorangegangenen Jahrhundert wahrgenommen, dargestellt, aber vor allem auch instrumentalisiert wurde. Zweifelsohne lieferten die Kontroverstheologen und Patristiker jener Zeit einen bis auf die Gegenwart unerlässlichen Beitrag, ja schufen sie das Fundament für alle weiteren Arbeiten zum pelagianischen Streit; aber dennoch versperrte die eigentliche Intention, mit der jeweiligen Darstellung oder Teiluntersuchung der eigenen Partei ein Argumentations‑ und Kampfmittel für die theologische Polemik zu verschaffen, den freien, unvoreingenommenen Blick auf einen Konflikt, der aufgrund zweier sich ohnehin grundsätzlich gegenüberstehender theologischer Lehrgebäude und ihrer Vertreter schnell zu einer einseitigen Positionierung verlockt. Tatsächlich operierten sämtliche dieser Darstellungen mit dem traditionellen häresiologischen Vokabular und der Zielsetzung der Diskreditierung ihrer theologischen Kontrahenten durch die Überführung des Pelagianismus oder der entgegenstehenden Radikalposition des konstruierten Prädestinatianismus. Innerhalb dieser konservativen Deutungsmuster und Zielsetzungen ist eine tatsächliche Umwertung des Streites, seiner Akteure und Lehrgebäude nicht zu erwarten
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gewesen und wurde auch nicht geleistet. Unter den Bedingungen ihrer Zeit und deren Methoden stellten jene kontroverstheologisch zu verortenden Arbeiten des 17. Jahrhunderts jedoch den »state of the art« zum pelagianischen Streit dar. Damit boten jene Arbeiten der Kontroverstheologie und frühen Patristik des 17. Jahrhunderts für eine neue Generation von Kirchenhistorikern nicht nur umfängliches Quellenmaterial in Form von maßgeblichen Editionen wie der Maurinerausgabe, sondern mit ihren Studien auch zentrale Topoi, die von den protestantischen Theologen des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum dankbar aufgegriffen und diskutiert wurden. Angesichts der immensen schriftstellerischen Produktivität der Autoren des 17. Jahrhunderts und der trotz aller Parteilichkeit hohen Qualität ihrer Arbeiten vermag es kaum zu überraschen, dass es erst ab den 1760er Jahren, noch dazu im deutschen Sprachraum zu einer Renaissance der Untersuchung des pelagianischen Streites kommen sollte: Die lang anhaltende Dominanz und Autorität der westeuropäischen Literatur des 17. Jahrhunderts ließ eine Beschäftigung mit dem pelagianischen Streit im deutschen Raum zunächst überflüssig erscheinen; erst mit dem dortigen Aufblühen und der Professionalisierung der Geschichts‑ und insbesondere Kirchengeschichtswissenschaft und Dogmengeschichte kam frischer Mut und Interesse an einer Neubearbeitung und Würdigung des Streites auf. Insbesondere die neuen Methodiken und Grundsätze der aufblühenden Kirchengeschichtsschreibung ließen überhaupt erst ein erneutes Aufrollen der causa Pelagiana sinnvoll werden. Abseits dieser methodischen und wissenschaftlichen Fortschritte sind die Ursachen für den Wandel des Bildes vom pelagianischen Streit aber auch im wachsenden Interesse der Theologen an den im pelagianischen Streit verhandelten theologischen Grundfragen und ihrer Gegenwartsrelevanz zu finden. Auch volksaufklärerische Tendenzen haben, wie am Beispiel Semlers besonders deutlich wurde, ihren Anteil an einer Aufarbeitung des pelagianischen Streites, noch dazu überwiegend in deutscher Sprache zur größtmöglichen Verbreitung des Wissens. Damit leisteten diese Darstellungen ihren Beitrag dazu, den pelagianischen Streit aus dem Bereich des arkanen Wissens akademischer Theologen herauszurücken. Dies muss für die Frage nach dem Wandel der Wahrnehmung und Darstellung des pelagianischen Streites innerhalb des 18. Jahrhunderts stets im Hinterkopf behalten werden: freilich am meisten für den Wendepunkt, den Semler inhaltlich und Walch in der Materialfülle markierten, aber auch schon für die Phase, die ich als »Aufbruch und Zwischenstationen« bezeichnet habe: Gottfried Arnolds Darstellung des Streites innerhalb der Ketzer-Historie wurde nicht allein gewählt, da sie zur Jahrhundertwende erschienen ist und somit bereits chronologisch von Relevanz war. Vielmehr wurde sie Teil dieser Untersuchung, da Arnold erstmals zu einem radikalen Umdenken hinsichtlich Pelagius’ und seiner orthodoxen Kontrahenten einlud und somit ein positives Bild des ver-
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meintlichen Erzketzers zeichnete. Damit öffnete er, trotz aller Kritik, die er noch über lange Zeit für seinen »unparteilichen« Ansatz erfuhr, und trotz seiner späteren Revisionen, Raum für vormals undenkbare Rezeptionen des pelagianischen Streites, aber insbesondere des Pelagius und seiner Lehre, wie Goethe so eindrücklich dokumentierte. Die Darstellungen Mosheims und Baumgartens wiederum stellten Zwischenstationen des Übergangs dar, die hinsichtlich der verhandelten pelagianischen Lehren konservativ blieben, jedoch in kritischer Abgrenzung Impulse des unparteilichen Ansatzes Arnolds aufgriffen und zur Auflösung des Ketzerbegriffs in seiner Anwendung auf Pelagius beitrugen. So gesehen zeigt sich auch, dass Semlers Untersuchungen keineswegs einen völlig selbstständigen Neuansatz darstellen. Vielmehr fußen auch sie auf den umfänglichen inhaltlichen Vorarbeiten des 17. Jahrhunderts und den vorangehenden Zwischenstationen. Semler wagte es aber, ähnlich Arnold, radikaler diese Schritte hin zu einer Neubewertung des pelagianischen Streites zu gehen. Ihm gelang es, vor dem Hintergrund seiner eigenen liberalen, neologischen Theologie und dem gewandelten Zeitgeist der anthropologischen Wende, unter Einbeziehung der Dogmengeschichte und ‑kritik, ein neues Bild vom pelagianischen Streit zu zeichnen. Wie Arnold, nur wesentlich radikaler und dogmengeschichtlich fundiert, zielte auch Semler auf die Rehabilitation des Pelagius und seiner Lehren – ein Schritt, der in dieser Form und Offenheit vor dem 18. Jahrhundert nicht gewagt wurde. Inhaltlich lässt sich dieser Wandel der Wahrnehmung und Darstellung des pelagianischen Streites, seiner Akteure und Lehren freilich am besten nachweisen. Und hier ist die Entwicklungslinie, auch wenn diese nicht geradlinig und frei von Verzweigungen verlief, eindeutig: Die Bezeichnung des Pelagianismus als Ketzerei oder Häresie wurde schnell abgelöst von der Bezeichnung als Religionspartei; aus den pelagianischen Irrtümern wurde gleichsam die pelagianische Lehre, welche es unparteilich darzustellen galt. Damit ging nicht nur eine partielle bis – aufgrund der dogmenhistorischen Verortung und des ethischen Impetus des Anliegens des Pelagius – vollständige Rehabilitierung der pelagianischen Lehre einher; vielmehr wird der Erzketzer Pelagius selbst einer radikalen Umwertung unterzogen, bin hin zu dessen persönlicher Rehabilitierung. Auch wenn Pelagius heutzutage manchem als regelrechter Frühaufklärer erscheinen mag, so gingen die untersuchten Autoren jedoch nicht so weit, ihn derart zu stilisieren. Wohl sieht man bei Arnold und Semler einen Pelagius, der sich gegen die Missstände seiner Zeit erhob, ja bei Semler gar einen Reformator Pelagius, offene Parallelen zwischen Pelagius und dem aufklärerischen Zeitgeist werden jedoch nur von den eher konservativen Autoren, wie eben Hering, gezogen, nicht jedoch im Sinne einer positiven Rezeption. Freilich muss man hier mehr oder weniger stark zwischen den Zeilen lesen, um zu erkennen, dass ein Semler dennoch in Pelagius einen Gesinnungsgenossen erkannt hat, dem er verspätet zu seinem Recht und Ansehen verhelfen wollte.
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Demgegenüber, wenn auch nicht in streng reziproker Wechselwirkung zur Neubeurteilung des Pelagius stehend, wird Augustinus mitsamt seiner Lehre, insbesondere der ohnehin schon sturmreif geschossenen Erbsünden‑ und Prädestinationslehre ab den 1760er Jahren einer zunehmenden scharfen Kritik unterzogen – womit die augustinuskritischen Äußerungen jedoch einem vor dem Hintergrund des damaligen Menschenbildes üblichen Trend entsprechen und weniger innovativ und mutig sind als die positiven Darstellungen des vermeintlichen Ex-Ketzers Pelagius. Sichtbar wird der Wandlungsprozess auch anhand der Beurteilung des Nutzens des pelagianischen Streites und seiner Führung: kann Baumgarten dem Streit noch zur Jahrhundertmitte einen Nutzen für die Klärung von Lehrfragen zusprechen, so vertreten die meisten anderen Autoren die Position, dass der pelagianische Streit unnötigerweise oder derart verfehlt geführt wurde, dass er nur weitere schädliche Folgen hervorgebracht habe. Einhergehend mit der zunehmenden Augustinuskritik wird dabei vor allem die augustinische Partei ins Visier genommen und hinsichtlich ihres verwerflichen Verhaltens scharf angegangen. Blickt man so auf den entsprechenden Wandel der Wahrnehmung und Darstellung des pelagianischen Streites zurück, stellt sich im Einzelnen die Frage nach dessen Ursachen und Motiven. Tatsächlich sind diese vielfältig und lassen sich bei sämtlichen Autoren keinesfalls monokausal eingrenzen. Persönliche Motive, wie die eigene Frömmigkeit, Theologie und Konflikte mit der Orthodoxie, werden vor allem für Arnolds und Semlers positive Rezeption und Darstellung des Pelagius, mit dessen Antrieb und Schicksal sie sich gleichsam identifizieren konnten, eine Rolle gespielt haben. Im Falle Semlers, und der ihm nachfolgenden Darstellungen Spittlers, Henkes und Schroeckhs, drückt sich zudem zweifelsohne auch das optimistische Menschenbild nach der anthropologischen Wende und die starke Ethisierung des Christentums jener Zeit aus. Diese Merkmale des späten 18. Jahrhunderts fallen daher nicht ohne Grund mit der Neubewertung des pelagianischen Streites zusammen und dürfen als externe Faktoren, welche die Stoßrichtung der jeweiligen Darstellungen bestimmten, nicht unterschätzt werden. Gleiches gilt jedoch auch für die bereits angesprochenen Fortschritte, die auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung im Generellen wie innerhalb der Kirchengeschichtsschreibung im Speziellen vollzogen wurden. Die pragmatische Methode seit Mosheim, die zunehmende Loslösung von den Vorgaben der vorangegangenen Literatur des 17. Jahrhunderts, intensivierte eigene Quellenstudien, aber insbesondere die Dogmengeschichte in ihrer Anwendung durch Semler trugen entscheidend zu einer Darstellung und Neubewertung des Streites bei, hinter welche seriöse Kirchenhistoriker trotz Fortbestehens konservativer theologischer Strömungen auch im späten 18. Jahrhundert nicht mehr zurückgehen konnten. Hinsichtlich des Interesses der Autoren an einzelnen dogmatischen Loci lässt sich für das 18. Jahrhundert nach den ausgiebig geführten Kontroversen um die
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Gnade während des 17. Jahrhunderts wenig überraschend feststellen, dass vor allem die Erbsünden‑ und Prädestinationslehre Augustins dogmenhistorisch wie hermeneutisch vollständig hinsichtlich ihres Legitimitätsanspruches dekonstruiert werden. Daher stehen beide Lehrgegenstände auch im Fokus der späteren, dogmenhistorisch orientierten Arbeiten zum pelagianischen Streit. Aus dieser Schwerpunktlegung heraus wird auch verständlich, warum die Frage, ob der Mensch über einen freien Willen verfügt, innerhalb der meisten Darstellungen eine so untergeordnete Rolle einnimmt: Zum einen ist das Themenfeld innerhalb des Protestantismus seit der Auseinandersetzung und dem damit einhergehenden Bruch zwischen Luther und Erasmus vorbelastet. Zum anderen mussten sich die ausgewählten Autoren auch nicht mehr allzu sehr der Frage nach dem liberum arbitrium stellen oder sich dazu direkt positionieren, da sie mit ihrer Beurteilung der Erbsünden‑ und Prädestinationslehre Augustins bereits eine Klammer gesetzt hatten, zwischen der die Beurteilung der Frage nach dem freien Willen zu finden ist: Werden mit der Erbsünde und der Prädestination Anfang und Zielpunkt der Soteriologie Augustins zerlegt, so ergibt sich notwendiger‑ und logischerweise die Konsequenz der Annahme eines freien Willens. Daneben wussten Autoren wie Arnold mit dogmatischen Punkten des pelagianischen Streites zu überraschen, die heute bestenfalls randständig verhandelt werden, wie Pelagius’ Befürwortung der aktiven musikalischen Beteiligung von Frauen am Gottesdienst oder der Ablehnung des Eides.3 Die heute oftmals als eigentlicher Anlass für den pelagianischen Streit wahrgenommene Auseinandersetzung um die Säuglings‑ und Kindertaufe wird bei den wenigsten Autoren ausführlich diskutiert, wobei sich hier eine forschungsgeschichtliche Linie über die History of Infant Baptism William Walls findet, die insbesondere Semler aufgreift und diskutiert. Freilich ließen sich innerhalb der relativ schnell verlaufenden De‑ und Rekonstruktion des Bildes einer theologischen und kirchenpolitischen Kontroverse, seiner Akteure und Lehrmeinungen Schwächen und Nachteile nicht vermeiden: Die Einseitigkeit zwölf vorangegangener Jahrhunderte in ihrer Verurteilung des Pelagius und überwiegenden Hochschätzung und Verehrung Augustins schlägt mit den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts endgültig ins radikale Gegenteil um und schießt damit häufig über die eigenen kirchenhistoriographischen Ansprüche hinaus. Insbesondere Semler muss hierfür verantwortlich gesehen werden. Wie stark ausgeprägt auch seine Überzeugung war, mit den eigenen Untersuchungen zum pelagianischen Streit und der Demetriasbriefausgabe nach Jahrhunderten der Fehldarstellung endlich die Wahrheit freigelegt zu haben, wird nicht zuletzt an seiner festen Überzeugung deutlich, dass sich seine aufmerksamen Leser mit 3 Lediglich die pelagianische Reichtumskritik erregte das Interesse der jüngeren Pelagianismusforschung, wofür hier exemplarisch auf Kessler, Reichtumskritik verwiesen sei.
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logischer Notwendigkeit einer positiven Neubewertung des Pelagius und seiner Lehren und insbesondere seiner scharfen Kritik an Augustinus und dessen Lehrgebäude anschließen müssten. Semlers Gedanken fielen auf fruchtbaren Boden, wie die Rezeption seiner Arbeit durch Spittler, Henke und Schroeckh belegt. Damit einhergehend vermochte die Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts auch nicht, sich von der verlockenden antagonistischen Gegenüberstellung zweier Streitparteien zu lösen, auch wenn die vormals gängige Rede von Häresie im Gegensatz zu Orthodoxie ausblieb. Vielmehr wurden Vorzeichen und Sprachgebrauch ausgetauscht, aber das Denkmuster zweier streng geschiedener Streitparteien konnte nicht überwunden werden, sodass die Texte weiterhin zu einseitigen Positionierungen zum Streit einladen.
2. Auch wenn der pelagianische Streit selbst nicht Gegenstand ausführlicher theologischer beziehungsweise kirchenhistoriographischer Debatten gewesen ist, so waren es aber einzelne Topoi, die innerhalb der verschiedenen Darstellungen des pelagianischen Streites verhandelt wurden. Viele, aber mitnichten alle dieser Topoi waren bereits ausführlich in den Kontroversen um den Arminianismus und Jansenismus eröffnet worden. Die Diskussion und Darstellung dieser Topoi ist es, die der Neubewertung des pelagianischen Streites innerhalb der deutschsprachigen Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts über die bloßen Gemeinplätze der traditionellen Darstellung des pelagianischen Streites seit Augustinus hinaus einen bleibenden Mehrwert verschafften. An der Art und Weise, wie diese aufgegriffen, fortgeführt oder auch fallengelassen wurden, wird das persönliche Interesse der Autoren des 18. Jahrhunderts an einzelnen der vielen Aspekte des pelagianischen Streites deutlich sichtbar, darüber hinaus aber auch, wie sich über das gesamte Jahrhundert hinweg die theologischen Interessen und Schwerpunkte immer wieder verschieben. Auch wenn die hier untersuchten Darstellungen des pelagianischen Streites nicht innerhalb von Kontroversen entstanden, so zeigen sich anhand der verhandelten Topoi doch auch die leitenden Motive und Vorgehensweisen, die damit die einzelnen Darstellungen prägten. Der häufigste und breiteste diskutierte Topos innerhalb der kirchengeschichtlichen Darstellungen des 18. Jahrhunderts ist die Debatte um den Pelagianismus vor Pelagius. Die Frage, inwiefern bereits vor Pelagius pelagianische Lehren vertreten wurden und woher diese nun stammen, beschäftigte bereits die Autoren des 17. Jahrhunderts, wie den Augustiner-Eremiten und späteren Kardinal Henry Noris. Streng genommen handelt es sich bei der Pelagianismus ante PelagiumDebatte um ein Argumentationsmittel, das bereits von Augustinus und Hieronymus kultiviert wurde. Damals wie auch bei den untersuchten Autoren des 18. Jahrhunderts verfolgte das Rekurrieren auf eine mögliche Genealogie des
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Pelagianismus jeweils ganz eigene Zwecke: Augustinus bestritt, dass Pelagius Vorgänger gehabt habe, die bereits eine pelagianische Lehre vertreten hätten. Die Absicht hinter diesem Postulat ist in einem streng häresiologischen Kontext einleuchtend: Da Pelagius keine Vorgänger hatte, konnte er sich somit nicht auf die Autorität einer theologischen Tradition berufen. Damit wiederum muss er logischerweise eine neue Lehre in das christliche Lehrgebäude eingeführt haben, womit Pelagius der Häresie zu überführen sei. Hieronymus mit seiner Kenntnis der ostkirchlichen Traditionen argumentiert gänzlich anders als Augustinus und stellt Pelagius’ Theologie in einen genealogischen Zusammenhang mit der Lehre Origenes’. Trotz Hieronymus’ eigener Nähe zur Theologie des Pelagius in manchen Punkten will er diesen damit freilich als wohl bissigster Gegner des Pelagius keineswegs verteidigen. Durch das Konstrukt der Nähe des Pelagius zu Origenes stellt Hieronymus ersteren vielmehr in zweifelhafte Gesellschaft: Epiphanius von Salamis hatte 377 Origenes aufgrund dessen Subordinatianismus in seinen häresiologischen Ketzeralmanach, das Panarion, aufgenommen, gewohnt heftig angegangen und als Erzketzer denunziert.4 Damit trat Epiphanius den ersten origenistischen Streit los und machte sich auch den bereits mehrfach erwähnten Bischof Johannes von Jerusalem, der Sympathisant der Lehre des Origenes war, zum Feind.5 Auch wenn sich Epiphanius und Hieronymus alles andere als grün waren, so kamen sie jedoch in ihrer Ablehnung des Origenismus überein. Die Konstruktion eines Pelagianismus vor Pelagius dient Hieronymus somit als Beleg dafür, dass Pelagius in einer häretischen Tradition steht, womit er gleichsam selbst als Ketzer diskreditiert ist. Augustinus und Hieronymus verfolgten mit ihrer Widerlegung beziehungsweise Konstruktion eines Pelagianismus vor Pelagius also das gleiche Ziel: die Überführung des Pelagius als Häretiker. Die protestantischen Kirchenhistoriker des 18. Jahrhunderts griffen diesen auch von den Autoren des 17. Jahrhunderts angesprochenen Topos nun mit einer gewandelten Zielsetzung auf und kamen dabei in ihren Überlegungen, ob es Vorgänger pelagianischer Lehren gegeben habe, zu unterschiedlichen Ergebnissen, die bezeichnend für ihre eigenen Methoden und Argumentationen sind. Grundsätzlich lassen sich hier folgende Zwecke der Debatte um den Pelagianismus vor Pelagius feststellen: Zunächst die traditionelle Zielsetzung, mittels der Konstruktion einer Häretikerdynastie Pelagius als Nachfolger von vorangegangenen Häretikern zu diskreditieren, zumeist über die Linie Origenes – Rufin. Im Umkehrschluss konnte damit eine kritische Haltung gegenüber Origenes 4 Vgl.
Epiph., haer. 64 (GCS 31, 403,1–523,18 Holl/Dummer). Elizabeth Ann Clark, The Origenist Controversy. The Cultural Construction of an Early Christian Debate. Princeton Legacy Library 4558 (Princeton: Princeton University Press, 1992); sowie John Frederick Dechow, »The Heresy Charges against Origen«, in Origeniana Quarta. Die Referate des 4. Internationalen Origeneskongresses (Innsbruck, 2.–6. September 1985), hg. v. Lothar Lies, 112–122. IThS 19 (Innsbruck/Wien: Tyrolia-Verlag, 1987). 5 Vgl.
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weiter unterfüttert werden. Solche Genealogien zu eröffnen, konnte ferner dem Zweck dienen, die fortwährende Schädlichkeit der pelagianischen Irrlehre als über Jahrhunderte fortbestehende Erzketzerei zu unterstreichen. Zweifelsohne wurden derartige Zielsetzungen und damit verbundene Argumentationsgänge auch im 18. Jahrhundert noch gepflegt. Doch überwiegend sollten dieselben Argumentationen einer anderen Zielsetzung dienen: der Rehabilitation des Pelagius und seiner Lehre. Entweder wurde dazu eine häretische Erbfolge grundsätzlich verworfen oder aber gerade eben stark gemacht. Das mag zunächst paradox erscheinen, doch hatten sich im 18. Jahrhundert inzwischen die hermeneutischen Grundvoraussetzungen entscheidend gewandelt: Mit Arnold, aber auch Mosheim und Baumgarten, setzte in der ersten Hälfte des Jahrhunderts die Auflösung des traditionellen Ketzerbegriffs und damit einhergehend der häresiologischen Argumentationsmuster ein. Arnold konnten die Ketzer als die wahren Frommen gelten, Mosheim und Baumgarten vermieden bereits trotz ihrer orthodoxen Ablehnung der pelagianischen Lehre den Ketzerbegriff. Ab den 1760er Jahren ist der Begriff in Anwendung auf Pelagius selbst für theologisch konservativere, aber kirchenhistoriographisch progressive Vertreter wie Christian Walch obsolet geworden. Damit kann der traditionelle, häresiologische Argumentationsgang des Hieronymus nicht mehr einleuchten. Er dient, dieser Basis beraubt, vielmehr der Rehabilitation des Pelagius durch das Aufzeigen seiner Traditionsgemäßheit innerhalb der christlichen Frömmigkeit und Theologie der Spätantike. Schließlich aber ebbte das große, jedoch bisweilen heute naiv erscheinende Interesse, welches noch Johann Walch und dessen emsiger Schüler Lilienthal so anschaulich hegten und pflegten, mit Semler ab und mündete in die Überführung dieses Gedankenganges in die dogmenhistorische Untersuchung der Wurzeln der pelagianischen Lehre. Semler und den ihm nachfolgenden protestantischen Kirchenhistorikern dient sie so als fundiertes Mittel der Rehabilitation des Pelagius. Christian Walch griff zwar noch die Gedanken seines Vaters auf und diskutierte die einzelnen möglichen Haltungen zum Pelagianismus vor Pelagius ausführlich wie kein anderer der untersuchten Autoren, aber kam zum Schluss, dass die Diskussion letztlich müßig, und tatsächliche Genealogien oder ein LehrerSchüler-Verhältnis nicht nachweisbar seien. Freilich bleibt offen, ob Christian Walch damit die Diskussion um den Pelagianismus vor Pelagius als durch die Dogmengeschichte abgelöst ansieht – oder ob er die müßige Diskussion um dieses Thema nur so ausführlich schildert, um eine mögliche Genealogie und damit dogmengeschichtliche Legitimation der Lehre des Pelagius zu untergraben. Als ein großer Freund der Lehre des Pelagius hat Christian Walch sich jedenfalls nicht gezeigt. Der Topos der Diskussion um die Existenz einer Sekte der Prädestinatianer nimmt eine ähnliche Funktion innerhalb der Darstellungen des pelagianischen Streites ein. Das Thema wurde lebhaft innerhalb der innerreformierten und in-
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nerkatholischen Kontroversen des 17. Jahrhunderts diskutiert und stellte somit ein Erbe dar, mit dem sich die betrachteten Autoren auseinandersetzen mussten. Innerhalb der Argumentationslogik des 17. Jahrhunderts diente die Konstruktion einer Sekte der Prädestinatianer den Gegnern der streng augustinistischen Jansenisten als Beleg für deren häretische Ansichten: Nur schlecht konnte man die Jansenisten der Treue gegenüber dem trotz mancher Kritik weiterhin in allen Konfessionen hoch angesehen Augustinus überführen. Lediglich durch die Erfindung einer Sekte der Prädestinatianer, die Augustins Lehre von der Prädestination übertrieben zuspitzten, konnte das Bild einer Ketzerei kreiert werden, mit dem die theologischen Gegner identifiziert werden konnten. Die untersuchten Autoren des 18. Jahrhunderts standen diesem üppigen Erbe der vorangehenden Literatur zum pelagianischen Streit weitestgehend emotionslos gegenüber. Schon Mosheim verwirft recht knapp die Existenz einer solchen Sekte als bloße Erfindung. Und auch den scharfen Kritikern Augustins ist sie nicht mehr dienlich, da nun Augustinus selbst als Urheber der schädlichen und häretischen Lehre von der Prädestination überführt wird; spätere radikale Anhänger einer solchen Lehre dienen lediglich als weiterer Beleg für die schrecklichen Auswüchse der augustinischen Prädestinationslehre. Analog findet sich auch immer wieder der Topos der Diskussion um die Frage, ob Augustinus weiterhin dem Manichäismus angehangen habe. Weniger dogmenhistorische Erkenntnisse als augustinuskritische Motive sind bei dieser bis auf den heutigen Tag wenig aussichtsreichen Diskussion, die eher eine Bekenntnisfrage pro oder contra Augustinus zu sein scheint, jedoch oftmals federführend gewesen. Ein weiterer, zentraler und häufig begegnender Topos ist der der »lateinischen Hermeneutik«, welcher eng verknüpft ist mit der Diskussion um die Auslegung von Röm 5,12 und die Schriftgemäßheit der Lehre Augustins, hier freilich insbesondere der Erbsündenlehre. Es überrascht hier nicht mehr, dass dieser Topos erneut vor allem der zunehmenden Augustinuskritik dient. Die Diskussion um Röm 5,12 fand freilich bereits vor dem 18. Jahrhundert statt, wurde aber von nahezu sämtlichen untersuchten Autoren zumindest angesprochen oder gar diskutiert: so kam bereits Arnold kritisch auf Augustins Auslegung dieser Schriftstelle zu sprechen. Ihren Höhepunkt erreichte die Kritik an Augustins falscher Auslegung der Schriftstelle auf Basis der minderwertigen lateinischen Vulgataübersetzung jedoch durch Semlers redundante Kritik der augustinischen Hermeneutik: selbiger habe die Ursprachen nicht beherrscht, auf die minderwertige Vulgata zurückgegriffen und seine schädliche Erbsündenlehre nicht nur aus einer falschen Übersetzung von Röm 5,12 heraus-, sondern sie gleichsam in diese hineingelesen. Semlers Meinung blieb nicht ungehört, sondern wurde »common sense« nachfolgender Darstellungen des pelagianischen Streites, wie Spittler, Henke und Schroeckh eindrücklich belegen. Der Topos ist besonders spannend, nicht allein, weil er mit der Erbsündenlehre einen zentralen Streit-
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punkt betrifft, sondern auch, da die Diskussion um Augustins Auslegung von Röm 5,12 und dem Festhalten der Reformatoren an der Erbsündenlehre bis heute nicht abebben will und Wellen bis hinaus über die Theologie schlägt.6 Dass die Diskussion um die Schriftauslegung Augustins so vehement von Semler geführt wird, mag angesichts seines Interesses an der Hermeneutik wenig überraschen und geht Hand in Hand mit der modischen Augustinuskritik, die dadurch gleichsam weiter befeuert wird, da der Topos der lateinischen Hermeneutik einen Keil zwischen die Hermeneutik Augustins und die der Reformatoren treibt. Das gilt auf dogmatischer Ebene auch für den Semler eigenen und innovativen Topos der Kritik an Augustins Christologie im Kontext der Soteriologie. Sie wird als schlichtweg unausgereift und im Kontrast zu späteren Konzilsentscheidungen dargestellt und in größtmögliche Distanz zu den Reformatoren gestellt. Letztlich ist von diesem Topos auch die Frage nach der Relevanz der Heilsordnung für die Beurteilung des pelagianischen Streites und der darin verhandelten Lehren betroffen. Der Topos des ordo salutis wird besonders von Semler und Christian Walch als Beurteilungsmaßstab an die strittigen Lehren herangetragen. Natürlich muss für Semler das Ergebnis lauten, dass Augustins Heilsordnung nicht mit der lutherischen übereinstimmt, aber auch der in seiner Haltung gegenüber Augustinus weitaus gemäßigtere Walch muss dies eingestehen. Er sieht jedoch vor allem die Verkehrung der pelagianischen Heilsordnung und ihre Differenz zu der seiner Zeit. Freilich ist das Herantragen eines relativ neuen Beurteilungsmaßstabes, den der ordo salutis darstellt, methodisch zweifelhaft für eine objektive Darstellung. Zumindest für Semler ist dies jedoch aufgrund seines Ideals der Perfektibilität des Christentums kein Hindernis, da sich die Gültigkeit und Wahrheit einer Lehrmeinung für ihn nicht am Urzustand orientiert. Damit ist gleichsam ein weiterer Topos angesprochen, welcher in den Darstellungen des 18. Jahrhunderts unterschiedlich aufgegriffen wird: Der der simplicitas der Lehre Christi und der ersten Christen. Arnold und auch Mosheim betonen die Reinheit der Lehre der ersten Christen, die über die Jahrhunderte verkompliziert und verwässert wurde. Dieser Topos der Hochschätzung der simplicitas der ersten Christen steht freilich im Kontrast zu Semlers Gedanken der Perfektibilität des Christentums und findet sich daher auch nicht in seiner Argumentation wieder. Bemerkenswert ist an diesem Topos vor allem, dass er entweder zur Verteidigung des Pelagius oder aber zur Kritik an Pelagius wie Augustinus angewendet wird. Anders als die Topoi rund um den Pelagianismus vor Pelagius oder die »lateinische Hermeneutik« begegnet er eher am Rande der Argumentationen, oder in der Beurteilung des Nutzens oder Schadens des pelagianischen Streites für die folgenden Generationen, wie bei Mosheim. Erst Schroeckh greift den Gedanken 6 Vgl. Delius, Streitschrift, 16–23. Zur Stützung seiner Position bezieht Delius sich auf Elaine Pagels und Kurt Flasch, wobei er letztlich nur Argumente wiederholt, die, wie schon zu sehen war, spätestens seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wenig innovative Gemeinplätze der Erbsünden‑ und Augustinuskritik waren.
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trotz seiner sonstigen Nähe zu Semler in einer radikalisierten Form auf: Zwischen den Positionen Augustins und Pelagius’ muss es einen Mittelweg geben, der Versuch der Semipelagianer war jedoch halbherzig und ist daher gescheitert. Als Lösung sieht Schroeckh jedoch die Rückkehr zu der einfachen Lehre Jesu selbst, einer förmlichen simplicitas Christi. Damit geht er schon wieder einen Schritt über Semlers einseitige Rehabilitation des Pelagius hinaus. Die bisher aufgelisteten Topoi stehen im Kontext der Dogmatik und Dogmengeschichte. Darüber hinaus begegneten jedoch auch mehrere Topoi, die sich um die äußeren Aspekte und kirchenpolitischen Fragen des pelagianischen Streites und dessen Folgen drehten. So nutzen nahezu sämtliche untersuchten Autoren die Darstellung des späteren Verlaufs des pelagianischen Streites für ihre antikatholische Papstkritik: Die römischen Bischöfe erscheinen als Spielbälle der intriganten Nordafrikaner oder selbst als machtbesessen und keinesfalls unfehlbar, vielmehr wechselhaft in ihren Urteilen. Neben der simplen Freude jener Autoren an der Papstkritik dient dieser Topos freilich dem Nachweis des zweifelhaften Prozesses gegen die Pelagianer durch die Kooperation von Staat und Kirche. Erstaunlicherweise sind die Autoren hier einhellig einer Meinung und verurteilen die Art und Weise, wie der Prozess gegen die Pelagianer verlief, wenn auch in unterschiedlich starker Ausprägung. Selbst Baumgarten und Walch, die einem gut geführten theologischen Streit zur Klärung offener oder strittiger Fragen etwas abgewinnen können, gestehen dies ein. Damit geht in den meisten Fällen auch eine entsprechende Kritik an den gegen die Pelagianer geführten kirchlichen Versammlungen und Konzilien einher; die Aufarbeitung der entsprechenden Quellentexte durch die Autoren des 17. Jahrhunderts leisteten hierfür wertvolle Vorarbeiten. Besonders eindrücklich sind im Kontext des späteren Streitverlaufs jedoch die Parallelen, die vor allem Semler zwischen dem pelagianischen Streit und der Reformationszeit immer wieder zieht. Bereits hinsichtlich der dogmatischen Fragen tat Semler so einen tiefen Graben zwischen Augustinus und den Reformatoren auf, aber besonders in seinen Erörterungen zum kirchenpolitischen Verhalten der Gegner der Pelagianer sieht er Augustinus als unerbittlichsten Gegner nicht nur des Pelagius, sondern förmlich der Reformatoren, wenn er denn zeitgleich mit diesen gelebt hätte. Dieser Topos des Reformationsvergleichs erstreckt sich auch bis auf den Topos der Frage nach der Legitimität der innigen Verbindung von Staat und Kirche in Hinblick auf die Freiheit des Glaubens und der Lehre. Trotz mancher Einseitigkeit Semlers leuchtet seine Kritik ein, dass eine Verknüpfung der Beurteilung geistiger Fragen mit weltlicher Autorität, wie es im pelagianischen Streit so tragisch der Fall war, jeglicher Legitimität entbehren muss. Damit führt dieser Topos zum letzten großen Topos über Sinn und Gewichtigkeit des Streites. An der Beantwortung der Frage nach dem Sinn oder Unsinn des Streites zeigt sich, für wie produktiv oder kontraproduktiv die gesamte theo-
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logische und kirchenpolitische Kontroverse wahrgenommen wurde. Tatsächlich wird der pelagianische Streit von keinem der untersuchten Autoren als gänzlich unsinnig wahrgenommen; wohl aber differenzierten sie überwiegend zwischen der notwendigen Diskussion theologischer Fragen, die einer Klärung bedurften, und der moralisch zweifelhaften Führung des Streites. Vor allem aus diesem fehlerhaften und moralisch fragwürdigen Verlauf des Streites erwuchsen so Anfragen, ob eine besonnenere Untersuchung der Streitfragen für die Pelagianer nicht fairer und für nachfolgende Generationen theologisch und frömmigkeitsbezogen nicht fruchtbarer gewesen wäre. Blickt man so als eine dieser nachfolgenden Generationen ein letztes Mal auf die Arbeiten des 18. Jahrhunderts zum pelagianischen Streit zurück, so mag man wohl berechtigterweise mit dem unbekannten Rezensenten der Demetriasbriefausgabe Semlers ausrufen: »Warum soll also Pelagius noch immer ein Irrlehrer bey uns heißen, und Augustin den Ruhm der Rechtgläubigkeit haben?« Diese rhetorische Frage eines Ungenannten wäre im 17. Jahrhundert wohl noch Anlass für heftigen Widerspruch und Repressalien gewesen. Nach dem Wandlungsprozess in der kirchengeschichtlichen Erforschung des pelagianischen Streites im 18. Jahrhundert ist sie hingegen nur Zusammenfassung des neuen Bildes vom pelagianischen Streit und seinen beiden Hauptakteuren und derer Lehren. Dass der Rezensent dennoch ungenannt bleiben möchte, zeugt nur davon, dass es neben dieser Entwicklung, die zu einer positiven Rezeption Pelagius’ und seiner Lehre, insbesondere deren ethischer Aspekte führte, weiterhin konservative Strömungen und Vertreter gab, die sich mit diesem Wandel nicht abfinden wollten. Jedoch verfügten diese nicht mehr über die traditionellen Mittel, um diesem neuen Bild vom pelagianischen Streit noch eine einleuchtende konservative kirchengeschichtliche Darstellung gegenüberzustellen. Erst mit Gustav Friedrich Wiggers ab 1821 erschienenem Versuch einer prag‑ matischen Darstellung des Augustinismus und Pelagianismus nach der geschicht‑ lichen Entwicklung sollte eine neue Phase der pragmatischen Betrachtung des pelagianischen Streites eingeleitet werden, die aber ohne die bahnbrechenden Vorarbeiten der protestantischen Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts nicht denkbar gewesen wäre. Selbige wiederum fußt auf der Basis der Vorarbeiten der Autoren des 17. Jahrhunderts, aber vermochte sich trotz fortwährender Rezeption von deren Positionen zunehmend loszulösen und eigene Gedanken zu fassen. Die kirchengeschichtlichen Untersuchungen des pelagianischen Streites aus dem deutschen Sprachraum führten damit letztlich die in Frankreich und den Niederlanden erbrachte Forschung unter neuen Vorzeichen und mit eigenen Ergebnissen fort. Goethe musste sich jedenfalls nicht im Geringsten darum sorgen, von Fräulein von Klettenberg in aller Öffentlichkeit als Pelagianer entlarvt zu werden. Er befand sich mit namhaften protestantischen Theologen, die den Weg in die Zukunft weisen sollten, in bester Gesellschaft.
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Heute haben wir uns eine bemerkenswerte Offenheit hinsichtlich entscheidender anthropologischer Grundfragen des pelagianischen Streites, wie der, ob der Mensch über einen sogenannten »freien Willen« verfügt, errungen – je nachdem, um es noch einmal mit Goethe zu sagen, ob wir »mehr thätiger oder leidender Natur« sind. Das gilt nicht nur für die Philosophie, die schon immer sehr freimütig mit dieser Frage umgegangen ist und sie in unterschiedlichster Weise zu beantworten suchte, oder auch für die jüngere Neurowissenschaft mit ihrer fortwährenden Kontroverse um Determiniertheit oder Offenheit des menschlichen Willens; sondern insbesondere für die Theologie und ihren Blick auf den Menschen. Letztlich baut nahezu die gesamte eigene theologische Haltung auf der anthropologischen Grundentscheidung auf, ob wir die Natur des Menschen durch eine Erbsünde verdorben, oder im unbeschädigten Zustand der guten Schöpfung Gottes verblieben sehen. Bemerkenswert ist, dass wir die Offenheit, wie wir als Theologen diese Frage heute diskutieren,7 an unsere Mitmenschen vermitteln und damit ganz unterschiedlichen Sozialisierungen begegnen können, der Vorarbeit unserer Vorväter des theologiegeschichtlich immer noch so sträflich vernachlässigten 18. Jahrhunderts verdanken. Und an dieser Neuausrichtung hatte nicht nur der sich in der protestantischen Dogmatik und aufgeklärten Anthropologie vollziehende Abschied von der Erbsündenlehre Anteil, sondern auch die kirchengeschichtliche und dogmenhistorische Aufarbeitung eines immerwährend relevanten theologischen Konflikts im 18. Jahrhunderts, in welchem die Urteile gefällt zu sein schienen und die Rollenzuweisungen für gut 1200 Jahre als festgelegt galten. Auch wenn das antagonistische Schema der Streitparteien im 18. Jahrhundert nicht vollständig überwunden wurde, so haben die hier untersuchten Autoren doch auf unterschiedliche Weise dazu beigetragen, dass wir das Gegenüber vom pelagianischen und augustinischen Welt‑ und Menschenbild mit größerer theologischer Freiheit neu zu überdenken vermögen, ohne in einseitige Rehabilitationen oder Verurteilungen zurückzufallen.
7 Neben diesem allgemeinen Befund sei exemplarisch verwiesen auf die entsprechenden Explikationen in Ingolf U. Dalferth, Umsonst: Eine Erinnerung an die kreative Passivität des Menschen (Tübingen: Mohr Siebeck, 2011); Gottfried Seebass, Handlung und Freiheit. Phi‑ losophische Aufsätze (Tübingen: Mohr Siebeck, 2006).
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Register Stellen I. Biblische Bücher Altes Testament Daniel 13,1–64 227 13,46 227 Neues Testament Matthäus 19,12 196, 366 19,23 76
2. Korintherbrief 3,5 219 3,6 382 Epheserbrief 5,26 288 Philipperbrief 2,13 192 1. Timotheusbrief 2,4 391
Markus 10,24 76
Titusbrief 3,7 219
Johannes 6,70 f. 196 14,28 210
1. Johannesbrief 1,8 310 2,19 197 f.
Römerbrief 1,3 f. 209 1,4 209 4,4 216 4,5 218 5,5 219 5,12 7, 91, 167 f., 195, 319, 364 f., 385, 422 f. 7,19 192 7,23 192 9–11 196, 200 9 196 10,3 219 11,33 199 f. 1. Korintherbrief 11,19 70
II. Autoren der Spätantike Arnobius der Ältere Adversus Nationes 1 387 Augustinus Contra duas epistulas Pelagianorum 2,5 80 Contra Iulianum 1,21–22 170 Contra Iulianum opus imperfectum 1,10 234 1,44 165 1,73 92 1,138 213
456
Register
2,103 241 2,173 93 2,226 93
De haeresibus 80 98 88 88
Confessiones 10,40 143, 153, 181, 298 10,45 153 10,60 153 10,68 215
De libero arbitrio 3, 171 165
De correptione et gratia 141 97, 391 29 204 30 205 f., 213 De dono perservantiae 21 197, 199 67 210 Epistulae 94 97 95 96 157 82 157,22 176 175 82 177 149, 166 181,5 166 181,7 169 188 243 190,1 168 190,4–5 168 190,6 192 191,1 192 217,19 201 De gestis Pelagii 23 176 35 97 De gratia Christi et de peccato originali 1,4 100, 284 1,4 f. 101, 166 1,5 191 1,8 99, 284 1,10 192, 284 1,11 200 1,13 f. 200 2,2 176 2,3 153, 156, 299 2,5 176
De natura et gratia 10 190 De peccatorum meritis et remissione et de baptismo parvulorum 1,26 176 2,16 74 3,1 74, 147 3,3 180 3,5 74, 168 3,10 80 De perfectione iustitae hominis 2,1–20,43 79 De praedestinatione sanctorum 7 187 30 208 f. 31 209, 215 Sermones 11 96 De spiritu et littera 2 99 41 99 Chrysostomus, Johannes Catechesis (sermo ad neophytos) 3,5 f. 177 3,6 170 Epistulae ad Olympiadem 297 Homiliae in epistulam ad Romanos in Rom. 5,12 385 in Rom. 6 385 Concilium Milevitatum II Canon 22 231 Epiphanius von Salamis Panarion omnium haeresium prooemium I
457
Register
1,2 115 Panarion omnium haeresium 64 420 Gennadius De viris illustribus 42 80 44 80 Hieronymus Presbyter Commentariorum in Jeremiam Prologus 81 Prologus 5 298 3,1 81 5,2 298 Dialogus adversus Pelagianos 1 78, 95 1,4 96 1,30 81 3,19 292 Epistulae 78 387 127 299 130 243 133,3 293 Innozenz I. Epistulae 4 172 Irenäus von Lyon Adversus haereses 3,20 384 4,2 384 4,37 385 5,19 384 Isidorus Pelusiota Epistulae 314 297 Iulian von Aeclanum Epistula ad Rufum 4 198
Marius Mercator Commonitorium adversum haeresim Pelagii et Caelestii vel etiam scripta Juliani 3 299 Commonitorium super nomine Caelestii 176 Nestorius Sermones 12 211 Optatus von Mileve Contra Parmenianum Donatistam 4,7 387 Origenes Philocalia 21–27 296 Orosius Liber apologeticus 15 81 Pelagius Epistula [ad amicum] de divina lege 6 76 Epistula ad Celantiam 243 Epistula ad Demetriadem 8 253 19 78, 290 Expositiones in epistulas Paulinas in Rom 5,15 175 De Natura 190 Prosper von Aquitanien Ps.-cölestinische Kapitel / Indiculus 1.3 169 Pseudo-Prosper von Aquitanien Confessiones 98 Tertullian De anima 4 f.
387
458
Register
Bekenntnisschriften Konkordienformel VIII 215
9 387 16 387 27 387 39 f. 174 39 174 40 175 41 383
Dordrechter Synode Canones 51 Heiricus von Auxerre Miracula S. Germani 98
De baptismo 18,5 174 Adversus Marcionem 1,22 387 2,2 163 2,10 163 2,23 163 2,25 163
Innozenz X. Bulle Cum occasione 54 Konzil von Trient Decretum de iustificatione 207, 219
De testimonio animae 3 387 Zosimus Epistulae 2 3
226 f. 83, 226
Epistula tractoria 3, 228, 230–234, 324, 411
Luther, Martin WA In epistolam S. Pauli ad Galatas commentarius, 1531 (WA 40,1) 216 Römerbriefvorlesung, 1515/16 (WA 56, 155–528) 216 Von der Freiheit eines Christenmenschen, 1520 (WA 7, 20–38) 216
III. Autoren des Mittelalters und der Neuzeit Alexander VII. Bulle Ad Sanctam 58
Melanchthon, Philipp Loci praecipui theologici VIII 216
Personen Adam 91–93, 145 f., 174 f., 265 f., 384 f., 388 f. Alarich 3, 335 Alexander VII. 58 Alexandre, Noël 165, 191, 270, 274, 302, 325 Alvarez, Diego 52 f., 140, 272, 274 Alypius 149, 243, 255 Amerbach, Johannes 82
Ambrosius von Mailand 210 f., 364 Anastasius I. 142 Aner, Karl 24 f., 35, 152, 330, 334 Anianus von Celeda 147 Arius 33 f., 107, 110 Arminius, Jacob 48, 271 Arnauld, Antoine 59, 64 Arnobius der Ältere 387 Arnobius der Jüngere 55
Register
Baronius, Caesar 42, 53, 230, 274, 297, 324, 409 Barth, Karl 208, 212 Basnage, Jacques 61, 114, 130, 274, 297, 299, 324, 386 Baur, Ferdinand Christian 334 Benedikt XIV. 59 Bertram, Joachim Christoph 21, 139 f. Blampin, Thomas 65 Bossuet, Jacques Bénigne 354 Böhmer, Justus Henning 238 Buddeus, Johann Franz 25, 112, 294 Cabassut, Jean 174 Cajetan, Thomas 241 Calixt, Georg 41, 373 Carpzov IV., Johann Benedikt 339 Cassirer, Ernst 3, 29 Cave, William 29, 44, 60–62 Christian Chemnitz 75, 88, 91, 97 Clemens von Alexandrien 295, 386 Clemens IX. 58 Constantius III. 83 Cramer, Johann Andreas 354 Cyprian, Ernst Salomon 9, 16, 33 Cyprian von Karthago 62, 195, 364, 381, 383, 387 Cyrill von Jerusalem 386 Daneau, Lambert 82 Daniel, Gabriel 27, 113 Einem, Johann von 19 f., 120, 123, 134 f., 261 Epiphanius von Salamis 81, 115, 341, 420 Erasmus von Rotterdam 3, 64 f., 77, 151, 274 f., 359, 418 Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt 75 Euseb von Caesarea 55, 62 Eutyches 110 Evodius 149 Faustus von Riez 130 Ferdinand I. 240 Flacius, Matthias 42, 271, 274 Flasch, Kurt 2, 62 f., 188, 423 Forbes, John 140 f., 274
459
Frick, Johann 114, 123 Friedrich I. (von Preußen) 78 Gale, John 113 Garnier, Jean 29, 47, 59 f., 111, 140, 272, 274, 294, 300, 302, 324 f., 352, 373 Gennadius von Marseille 80 Goethe, Johann Wolfgang von 1–6, 9, 14, 108, 413, 416, 425 f. Goeze, Johann Melchior 113 Gottschalk von Orbais 128, 274 Granet, François 130 Gregor I. (der Große) 340 Gregor VII. 330, 340 Gregor von Nazianz 62, 386 Gregor von Nyssa 386 Grotius, Hugo 46, 50, 52, 236, 271, 274 Gruner, Johann Friedrich 244 Hering, Johann Gottfried 69–73, 103, 106, 108, 416 Heros von Arles 122, 321 Hieronymus 77–81, 86, 156 f., 163, 223 f., 292 f., 296, 298–301, 304, 307 f., 315–318, 335 f., 341 f., 352 f., 371–374, 404 f., 419–421 Hilarius von Poitiers 188, 210 f., 364, 386 Hondt, Hendrik de 130 Holberg, Ludwig 226 Honorius (Kaiser) 3, 49, 83, 229, 239 f., 259, 273, 302, 324, 353, 400, 409 Honorius von Autun 270 Hottinger, Johann Jakob 141, 226 f., 273 f., 302, 324, 353 Huet, Pierre Daniel 292 f. Hülsemann, Johann 373 Innozenz I. 82, 123, 166–172, 169, 189, 224–229, 323, 405–407 Innozenz X. 54 Irenäus von Lyon 167, 373, 384 f. Isidorus Pelusiota 90, 297 Jansen, Cornelius 47, 54 f., 140, 294 Jerusalem, Johann Friedrich Wilhelm 29, 35 Johannes Cassian 51, 130, 132, 189, 395 f.
460
Register
Johannes Chrysostomus 15, 70, 74, 90, 170 f., 177 f., 297, 341, 354, 373, 384–386 Julian von Aeclanum 45–51, 92 f., 139– 142, 147, 165, 170 f., 198–201, 239 f., 267, 283, 294, 317, 345, 364, 371, 411 Klettenberg, Susanna Katharina von 2, 413 Konstantin I. 330, 359 Laet, Johannes de 46, 48–51, 274, 294, 297 Launoy, Jean de 57, 63, 130 Lazarus von Aix 122, 321 Leclerc, Jean 44, 56, 61–65, 151, 229 Leo I. 49 Lilienthal, Theodor Christoph 245, 293–296, 374 f., 421 Longueval, Jacques 111 Ludwig XIV. 58 Luther, Martin 3, 7, 33 f., 202, 216 f., 241, 260, 274 f., 288, 359, 369, 401, 418 Mabillon, Jean 60, 65 Maclaine, Archibald 19 f., 130, 136 Maffei, Francesco Scipione 273 f., 302 Mani 388 Maria 214 Marius Mercator 60, 228, 272, 299–302, 352 Mazarin, Jules 58 Melanchthon, Philipp 216 f., 295 Mohammed 330, 332 Moriz von Sachsen 240 Nestorius 107, 124, 211–214 Noris, Henry 29, 47, 59 f., 65, 112, 139, 272, 274, 294, 299, 302, 324 f., 352, 373, 419 Nösselt, Johann August 244 Novatian 210 Optatus von Mileve 128, 168, 387 Origenes 55, 62, 66, 121 f., 135, 143, 156, 276, 292–303, 372 f., 420 Orosius 81, 98, 122, 224, 301, 321, 335, 401–403
Pagels, Elaine 423 Pammachius 142 Pannenberg, Wolfhart 215–219 Pascal, Blaise 113 Paulinus von Nola 74, 128, 142, 335 Paulus 196, 199 f., 210, 216, 382, 397 Pétau, Denis 55 f., 140, 272, 274, 297, 324, 373 Pfanner, Tobias 16 f., 33 Pin, Louis Ellies du 61, 63 Planck, Gottlob Jacob 329 Possidius 149 Prudentius 62 Pufendorf, Samuel von 236–238 Quesnel, Pasquier 324, 409 Ratramnus 51, 128 Rigault, Nicolas 174 Rubeis, Bernardo Maria de 299, 324 Rufin von Aquileia 117, 128, 135, 142, 156, 159, 293, 298, 300 f., 303, 318, 373, 420 Rufin der Syrer 142 f., 295 f., 299, 302, 373 Rufus von Thessaloniki 198 Russen, David 112 Schlegel, Johann Rudolph 120, 123, 128, 134 f. Schleiermacher, Friedrich 294 Schlosser, Johann Ludwig 112 f., 273, 324 Spalding, Johann Joachim 8, 257 f. Spanheim, Friedrich 130, 270, 297 Stennett, Joseph 113 Storr, Gottlob Christian 256 f. Susanna 227 Tertullian 163 f., 168, 174 f., 210, 373, 383, 386 f. Theodor von Mopsuestia 122, 143, 178, 220, 295 f., 300–302, 373 Theodosius II. 83 Thomasius, Christian 236–238 Tillemont, Louis Sébastien Le Nain de 29, 64 f., 270, 274, 324, 409 Treschow, Sebastian Friedrich 151
Register
Ussher, James 53–58, 140 f., 230, 272, 274, 294, 297, 324, 352 Vinzenz von Lérins 301 Vossius, Gerhard Johann 11, 46 f., 50 f., 54, 72, 77, 90, 95–97, 107, 111 f., 114, 141, 271 f., 289, 294, 324, 351 f., 383–386
461
Walch, Johann Georg 25, 293 f., 304 f., 373 Wall, William 112 f., 174–176, 239, 273 f., 289, 353 Wallmann, Johannes 34, 107, 138 Watt, Joachim von 270 Weiss, Jacob Friedrich 251, 256–259 Weißmann, Christian Eberhard 289, 375 Whitby, Daniel 23 f., 254, 384 Wiggers, Gustav Friedrich 11, 425
Orte Amsterdam 61, 65, 271 Antwerpen 48, 60 Armagh 53, 272 Augsburg 240 f. Basel 64, 76 Britannien 2, 7, 53, 71, 117, 124, 142, 297, 334 Diospolis 71, 89, 113, 122, 149, 223, 296, 312, 320 f., 367, 398, 401–408 Dordrecht 48, 50, 52 Dublin 53 England 19, 41, 44, 46, 48, 61, 113 Ephesus 49, 83, 115, 124, 203 Frankreich 28, 41–48, 58–63, 124, 337, 414, 425 Gallien 65, 111, 129 f., 147 Genf 61 Gießen 15 f., 75 Göttingen 25, 347 f. Grünhain (Sachsen) 69 Halle (Saale) 20–22, 138 f., 238, 330 Hamburg 113 Heidelberg 49 Holland 41, 43–46, 48–52, 58, 61, 63 Italien 147
Jena 25, 112, 293 f. Jerusalem 116, 122, 223–225, 320, 401 f., 408 Karthago 82, 119 f., 124, 147, 156, 166, 169, 172, 176, 228 f., 276 f., 299, 319, 322, 324, 345, 405–409 Leiden 50, 271 Leipzig 348 London 20 Mailand 60, 300 Michaelstein (Harz) 339 Mohrungen 151 Nantes 63 Niederlande 28, 43–45, 63, 414, 425 Nordafrika 3, 71, 115, 120, 147, 153 f., 159–164, 224–240, 335, 337,343–346, 381–386, 400, 403, 405–410, Padua 59 Palästina 71, 116, 120–124, 147, 224, 229, 300 Paris 52, 58, 64 Passau 240 Perleberg 78 Port-Royal 58 Quedlinburg 15 Ravenna 35, 229, 239, 260, 336, 410 f. Rhodos 147
462
Register
Rom 3, 55, 59 f., 71, 118–120, 143, 156, 171, 181, 186 f., 222, 225, 231, 293, 296– 300, 334 f., 343, 400, 406 Schneeberg 69 Sizilien 120, 289 Stendal 70 Sulz am Neckar 251, 256 Syrien 74
Trient 3, 57, 219 Tübingen 256 Werben 78 Wittenberg 348 Worms 369