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German Pages 221 [217] Year 2008
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII
I
Hermann Hesse als Streitobjekt
Mauro Ponzi Der Wald und die Steppe. Streifzüge durch die Fiktion Hermann Hesses . . . . . . .
1
Klaus-Peter Philippi Hesse und die heutige Germanistik in Deutschland (Historisierung – Distanz – Kritik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
Volker Michels Zur Hermann Hesse-Rezeption in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
Helga Esselborn-Krumbiegel Lesen als Reskription – Plädoyer für eine neue Hesse-Lektüre . . . . . . . . . . . . . . . .
57
Flavia Arzeni Hesse und die Gartenkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
Ralph Freedman Hermann Hesse und Rainer Maria Rilke: vereinbar oder unvereinbar?. . . . . . . . . .
81
Rudolf Koester Hermann Hesse und Jakob Wassermann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
Antonio Vitolo Literatur, Tiefenpsychologie, Sublimierung zwischen Jung, Freud und Hesse . . . . 105 Volker Wehdeking Hermann Hesse, Carl Gustav Jung und Thomas Mann. Die intertextuellen Bezüge in der Erzählprosa des späteren Werks . . . . . . . . . . . . . 121 Friedhelm Brusniak «Das Sinnen und Gedankenmachen hat keinen Wert …». Eine wiederentdeckte Radierung zu Hermann Hesses Knulp von Ludwig Schwerin . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Géza Horváth Hermann Hesse als ‹vielgelesener› deutschsprachiger Autor in Ungarn – vor und nach der Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Inhalt VI
II
Besprechungen
Adrian Hsia, Hermann Hesse und China. Darstellung, Materialien und Interpretationen. (Lisa Kreil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Ralph Freedman, Rainer Maria Rilke, (Renate Scharffenberg) . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Bärbel Reetz, Emmy Ball-Hennings. Leben im Vielleicht. (Micaela Mecocci) . . . . . 183 Friedbert Aspetsberger, Schnitzler, Bernhard, Menasse. Der Umstandsmeier, der Angeber, der Entgeisterer. Drei mal gute Literatur. (Annedoris Baumann) . . . . . 185
III Mitteilungen Die Deutsche Mozart-Gesellschaft zwischen Zukunft und Vergangenheit (Maddalena Fumagalli). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Dem Chaos die Stirn bieten! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Vorträge in Vézélay und in Montpellier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Hesse Center in Nepal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Appeal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Verstärkte Kontakte mit der Association Romain Rolland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
IV Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 zusammengestellt von Michael Limberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Siglen-Verzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Die Autoren dieses Bandes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
Mauro Ponzi
Vorwort
Germanisten und Professoren halten Hesse meistens für einen Autor zweiter Klasse, auf den die kritische Aufmerksamkeit zu fokussieren nicht lohnt. Trotz seines weltweiten Erfolgs wird sein Werk an den deutschen Universitäten immer noch als «Goldschnittsirup» bezeichnet. Dennoch sind wir überzeugt, daß Hesses Werk noch nicht richtig, in allen seinen Nebenbedeutungen und Implikationen betrachtet worden ist: besonders seine Wechselbeziehungen mit wichtigen Denkströmungen des 20. Jahrhunderts blieben bisher unerforscht. So wollen wir die Diskussion um den Autor und selbst die scharfe Kritik nicht beiseite legen und haben diesen Band dem Thema Hesse als Streitobjekt gewidmet. Über die radikale Ablehnung dieses weltberühmten Autors, dessen literarische Leistung oft verkannt wird, hinaus – aber auch über jene unkritische Bewunderung hinaus – haben wir hier die literaturwissenschaftliche Hypothese aufgeworfen, daß die Verwendung einer neuen analytischen Methode – nämlich eine reader oriented Analyse nach den Prinzipien des new criticism – Licht auf Struktur, auf Aufbau und Wirkung seiner Werke werfen kann. So stehen seine Beziehungen zur künstlerischen Avantgarde, zur Psychoanalyse, zu den ‹fremden› Kulturen, zu ‹anderen› (und nicht nur den ‹indischen›) Religionen im Mittelpunk unserer Forschung. In diesem Band wird der Disput um das literarische Format Hermann Hesses thematisiert, werden die neuen analytischen Methoden auf sein Werk angewendet, um seine Schreibstrategie einerseits und die Leserstrategien des Publikums andererseits erklären zu können, werden unbekannte und teilweise unveröffentlichte Briefe von und an Hesse zitiert, um die Vielfalt seiner kulturellen Interessen und die Vielzahl seiner persönlichen Beziehungen darzustellen. So geht die philologische Forschung Hand in Hand mit der Absicht, neue Aspekte seiner Persönlichkeit und seines Werks immer wieder zu fokussieren. Seine literarische Produktion muß unserem Verständnis nach in ihrer Ganzheit betrachtet und bewertet werden, ohne dabei die «Kitschecke» zu übersehen, aber auch ohne ihre große Leistung zu unterschätzen, die sprachlichen und strukturellen Versuche, welche viele Züge der heutigen literarischen Kommunikation vorweggenommen haben. Mauro Ponzi Herausgeber Vize-Präsident der Hermann-Hesse-Gesellschaft
Mauro Ponzi
Der Wald und die Steppe Streifzüge durch die Fiktion Hermann Hesses
1. Herder hat seine Studien zur Ästhetik «kritische Wälder» betitelt. Die Überzeugung, daß der Text – und besonders der fiktive Text – ein ‹Wäldchen› ist, durch das der Leser streifen kann, macht es uns leichter, eine Lösung auf die Frage der unterschiedlichen Wirkung des Werks von Hermann Hesse auf das Publikum und die Literaturkritik zu finden. Das bringt die Tatsache mit sich, daß der Akt des Lesens eigentlich ein Umweg ist. Die Vermittlung in der literarischen Fiktion ist nicht so unmittelbar wie bei anderen Medien, sie verlangt, daß der Empfänger aktiv auf das Wäldchen der Erzählung – auf das Geschriebene – mit einem Verständigungsprozeß, mit Überlegungen, usw. reagiert. Die Interpretation des Werkes von Hermann Hesse wurde von seiner Rezeption immer so beeinflußt, daß man jahrelang eher über dessen Wirkung auf das Publikum als über dessen literarische Struktur und ästhetische Eigenschaft geforscht und geschrieben hat. Kein Zufall: Man kann nämlich selten ein so auffallendes Beispiel nennen, in dem die Resonanz beim Publikum und die Urteile der Literaturwissenschaft so weit auseinander gegangen sind. Literaturkritiker, Germanisten und Professoren halten Hesse meistens für einen Autor zweiter Klasse, für einen ‹minderwertigen› Autor, wobei es sich lohnt, die kritische Aufmerksamkeit zu fokussieren, nur um die Ursache seines weltweiten Erfolgs festzustellen und um die Kriterien und Methoden der Rezeptionsästhetik an dessen Beispiel zu verwenden. Das Publikum hat dagegen, mit immer neuen Wellen, Hesses Werk so geliebt, daß es ihn zu einem Idol, zu einem Guru, zu einem literarischen Wunder, zu einem Longseller (für das Glück der jeweiligen Verleger) gemacht hat. Und die wiederholte Behauptung, daß der weltweite Erfolg durch eine Reihe interpretatorischer Mißverständnisse, die keine philologische Plausibilität haben, verursacht worden sei, bleibt ohne Wirkung. Der Erfolg dauerte viele Jahrzehnte hindurch und ist in allen Ländern so weit verbreitet, daß er nur mit den wissenschaftlichen Grundgedanken der Kommunikationstheorie analysiert werden kann. Hermann Hesses Rezeption in Europa – und besonders in Deutschland – wurde bis zum Ende des zweiten Weltkrieges eben nicht von einem riesigen Erfolg gekennzeichnet. Die deutsche Literaturwissenschaft hat ihn bis Anfang der 70er Jahre
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kaum zur Kenntnis genommen. Er wurde als «albern», «epigonal», «zuckrig romantisch», als Autor von «Goldschnittsirup» bezeichnet1. Erst als er 1946 den Nobelpreis für Literatur erhielt, wurde er in Deutschland ‹populär›. Seine Werke werden seitdem in Deutschland ständig verlegt und verkauft. Der Fall Hermann Hesse als internationaler Erfolg entstand nach dem zweiten Weltkrieg, und zwar am Ende der 50er Jahre, als in den Vereinigten Staaten die Taschenbuchausgabe von Siddhartha veröffentlicht wurde, die ein Kultwerk der Beat-Generation wurde. Der Mythos der Reise nach Westen (let’s go west!) und die Mythisierung Hermann Hesses gingen Hand in Hand. Der Ausbruch seines internationalen Erfolgs war auch der Anfang einer Reihe von Paradoxen, die die Rezeption seines Werks begleiteten. Die Mythisierung des Orientmotivs bei Hesse war in Amerika auch eine Umorientierung: Ziel der Befreiungs- und Bildungsreise war gleichzeitig der Orient, aber auch Kalifornien. Die konkrete Reise nach Westen, die Lebenserfahrung on the road wurden im Namen eines mythisierten Ostens verwirklicht. Es ist wohlbekannt, daß die Hesse-Rezeption in den USA – die dann den internationalen Erfolg des Autors bewirkte und sowohl dessen Interpretation als auch die Mythisierung seiner Figur beeinflußt hat – den philologischen Grund und den geschichtlichen Hintergrund seiner Werke vernachlässigt hat, und vielmehr durch die inneren und kulturellen Bedürfnisse der jungen amerikanischen Generationen verursacht wurde. Hesses Werk war nur ein Vorwand, um die innenspezifischen Ansprüche und Träume der jungen amerikanischen Generationen ausdrücken zu können. Die jungen Leute fanden in seinen Romanen Bilder, Personen und Situationen, die für ihren eigenen alternativen und selbstbefreienden way of life umfunktioniert wurden. Deswegen ist aber interessant, die Stufen der amerikanischen Rezeption zu rekonstruieren, um die Ursachen eines unerwarteten, aber weiten Erfolgs besser zu verstehen, und aus seinen Romanen jene Motive, die von den heutigen Lesern als entscheidend, faszinierend, verwickelnd und reizend bezeichnet werden, bestimmen zu können. Solche Analyse – um die Schlußfolgerungen vorauszuschicken – hat zum Ergebnis, daß ein Großteil der Motive, die von den Lesern als ästhetische oder literarische Eigenschaften von Hesses Werken bezeichnet werden, extratextuell ist: es sind keine ursprünglichen Motive seiner Romane, sondern hinzugefügte Motivationen, die vielmehr die persönliche Erfahrung der Empfänger betreffen: in erster Linie handelt es sich um ihre Leseerfahrung, aber auch ihr Welterlebnis. Timothy Leary selbst fängt seinen berühmten Aufsatz in der «Psychedelic Review» (1963) mit dem Satz an: «Alles Geschriebene, alle Autoren werden gründlich mißverstanden», um die Überlegenheit der mündlichen Lehre eines ‹Weisen› über das geschriebene Wort zu bestätigen. Selbst Timothy Leary ist der Autor des größten (und eigentlich geglückten) Mißverständnisses in der Geschichte der Hesse-Rezeption: «Die Kritiker erzäh1
Vgl. F. Baumer, Deutschland, in Hermann Hesses weltweite Wirkung. Internationale Rezeptionsgeschichte, hrsg. von M. Pfeifer, Frankfurt a.M. 1977, S. 30.
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len uns, Hesse sei ein meisterhafter Romancier. Nun, vielleicht. Doch der Roman ist ein soziales Modell und das Soziale ist in Hesse esoterisch. Auf einer anderen Ebene ist Hesse der Meisterführer zum psychedelischen Erlebnis und seiner Anwendung. Vor deiner LSD-Sitzung solltest du Siddhartha und Steppenwolf lesen»2. Er interpretiert Hesses Erzählwerk als eine esoterische Schrift, die in der Lage sei, eine höhere geistige Wahrheit mitzuteilen und den ‹inneren Weg› zu zeigen, da die Wahrheit als solche in der Innerlichkeit jedes Menschen liege. Hesse wäre es gelungen, diese höhere Wahrheit durch paradigmatische Geschichten, welche nichts anders als die Wiederholung eines einzigen autobiographischen Buches seien, symbolisch auszudrücken. Timothy Leary behauptet: «Hesses eigentliche Mitteilung entgeht der Mehrzahl der Leser». Der Sinn und die literarische Struktur des Hesseschen Werks entgehen eigentlich dem selben Timothy Leary – und vielleicht ihm mehr als den anderen Lesern. Die Tatsache, daß ein Kunstwerk vom Publikum ganz anders rezipiert wird, als es Intention des Autors ist, ist ein Phänomen, das sich in der Literatur- und Kulturgeschichte öfter ereignet, als man sich vorstellt. So wie die Tatsache, daß der Erfolg eines Werks durch eine Rezeption verursacht wird, die in die entgegengesetzte Richtung geht als die Interpretation, die der Autor sich gewünscht hätte, ist schon mehrmals in der deutschen Literaturgeschichte vorgekommen. Die Rezeption eines Kunstwerks ist nämlich ein sehr komplexes Phänomen, das nicht nur von der einfachen Beziehung Autor-Publikum, sondern auch von anderen Faktoren – dem Kunstmarkt, der Verlagsstrategie, der Kunstdebatte, der kulturellen Auseinandersetzung und der subjektiven Einstellung des einzelnen Empfängers – abhängig ist. Wie ist es denn also möglich, daß die Intention des Autors und die Rezeption des Publikums so radikal auseinandergehen? Manchmal interferiert die literarische Mitteilung mit den Erwartungen des Publikums und wirkt mit vielen anderen kulturellen und kommunikativen Komponenten mit, die mit dem Text interagieren, Sinngebungen und Lesestrategien ermöglichen, die ursprünglich nicht vom Autor mitkalkuliert wurden. Es handelt sich um das, was man in der Kommunikation ‹zusätzlichen Wert› oder ‹zusätzliche Bedeutung› nennen könnte. Es ist eine Wertung, eine Nebenbedeutung, die der Leser einem Text oder einem Kunstwerk bei der Rezeption hinzufügt. Das Kunstwerk wird dadurch an Bedeutungen ‹angereichert›. Manchmal ist diese subjektive Komponente des Empfängers so groß, daß sie den Erfolg eines Kunstwerks bewirkt, während der Autor überrascht feststellen muß, daß der Erfolg seines künstlerischen Produkts von Motivationen, die er als ‹extratextuell› einschätzt, verursacht wird. Im Fall Hermann Hesses übernimmt das Phänomen eine weltweite Größe. Generationen von Literaturwissenschaftlern haben sich die Frage gestellt, warum denn 2
T. Leary, Meisterführer zum psychedelischen Erlebnis, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Steppenwolf›, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1972, S. 352.
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eigentlich Hesse der meist gelesene Autor deutscher Sprache in der Welt ist. Seine Bücher sind (abgesehen von der Bibel) die meist verbreiteten Bücher auf der Erde. Obwohl man sein Werk in allen Richtungen und Komponenten analysiert und in seiner Prosa höchst interessante Stellen und Motive gefunden hat, sind sich alle Literaturwissenschaftler in der Behauptung einig, daß andere Autoren in der deutschen Literaturgeschichte bedeutender, entscheidender und wichtiger sind als Hermann Hesse. Warum also Hermann Hesse? Sein internationaler Erfolg wird nur durch die Interferenzen seiner Rezeption, jene ‹Anreicherung an Bedeutung› durch die Leser, jenen ‹hinzugefügten Wert›, der durch die Kommunikations- und Rezeptionskontingenz ermöglicht wurde, verursacht. Sie wurden aber von der Struktur des literarischen Textes erleichtert.
2. Die Analyse der amerikanischen Hesse-Rezeption weist darauf hin, daß seine literarische Wirkung hauptsächlich von Außerliterarischem abhängig gewesen ist. Alle Forschungen über die amerikanische Rezeption der deutschen Literatur sind sich einig, den besonderen Charakter des relativen Erfolgs von Autoren wie Thomas Mann, Kafka und Grass zu betonen. Diese Autoren werden von einer begrenzten Gruppe von Lesern durch Zufall gelesen, ohne den kulturellen und geschichtlichen Hintergrund, in dem diese Autoren lebten und in dem ihre Werke entstanden, zu kennen. Die Literaturwissenschaftler ziehen daher die Schlußfolgerung, daß der Erfolg eines deutschen Autors in den Vereinigten Staaten meistens durch Zufall verursacht wird. Hesses Romane waren auf dem amerikanischen Büchermarkt seit Jahren vertreten, ohne die Aufmerksamkeit der Masse zu erwecken; sie waren wenige Jahre nach der deutschen Ausgabe ins Englische übersetzt worden, und eigentlich war die Übersetzung nicht immer die beste. Als Hesse 1946 den Nobelpreis für Literatur bekam, stellten sich die meisten amerikanischen Journalisten und Intellektuellen die Frage, wer denn dieser Hermann Hesse sei – wie Egon Schwarz erzählt. Man könnte paradoxerweise behaupten, daß das wenn auch exzentrische Urteil von Timothy Leary für die amerikanische Hesse-Rezeption entscheidender gewesen ist als die Entscheidung des Nobelpreiskomitees. Der außerordentliche Erfolg Hesses in den Vereinigten Staaten ist das Resultat einer zufälligen Mitwirkung von drei miteinander verbundenen Faktoren: das Publikum, die Literaturwissenschaftler und die Verleger. 1957 ist das Jahr, in dem der unwiderstehliche – und teilweise unerklärbare – Aufstieg beginnt, und zwar das Jahr der Veröffentlichung der Taschenbuchausgabe von Siddhartha, die 25 Auflagen in einem Jahr erreichte und 2 Millionen Exemplare in einem Jahrzehnt verkaufte. Das große Publikum zeigte erst ein Interesse für unseren Autor, als sein Werk als Paperback erschien, aber gleichzeitig hatten auch die
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Literaturwissenschaftler und die Professoren ihn ‹entdeckt›. Hesse war nämlich ein Mythos der Beat-Generation geworden, auch dank dem Buch von Colin Wilson The Outsider (1956), das maßgebend für die Interpretation seines Werks wirkte. In einem Hesse gewidmeten Kapitel dieses Buches betont Wilson alle Aspekte seiner Weltanschauung, die sich der westlichen Mentalität und Lebensweise entgegensetzen. Das Hesse-Bild als ein ‹alternativer› Schriftsteller war ein Kennzeichen der ganzen BeatGeneration: in dem berühmten Roman On the road von Jack Kerouac wird Hesse als ein Mythos der Hauptperson und ihrem way of life erwähnt. Der Mythos der Reise als Lebensalternative, die Ablehnung der Wohlstandsgesellschaft entstand im Grunde zusammen mit der Mythisierung Hermann Hesses als Vertreter dieser Alternative zu der ‹abendländischen› Kultur und Gesellschaft. Und eben diese ‹verbrannte› Generation hat Hermann Hesse jenen ‹alternativen› Charakter verliehen, der dann in anderen Formen den folgenden Generationen überliefert worden ist und seinen weltweiten Erfolg verursacht hat. Kerouac und die Beat-Generation wollten in Hesses Erzählwerk alle mythisierten Elemente der Reise als Welterlebnis sehen: den alternativen Charakter seiner Stellungnahme, den Individualismus, die Selbstbefreiung, usw.; so daß Fred Heines, der Drehbuchautor des nach dem Steppenwolf produzierten Films seine große Überraschung äußerte, als er erfuhr, daß Hesse in Deutschland nicht für einen Underground-Schriftsteller gehalten wurde. Auf jeden Fall hat die amerikanische Rezeption, die aus der Begeisterung der Jugendlichen für bestimmte Themen und Motive des fiktionalen Werks von Hermann Hesse entstand, die Intuition der Leser gezeigt, denen es – wenn auch zufällig und ohne literaturwissenschaftliches Instrumentarium – gelungen ist, ein Grundmotiv und vielleicht die innere Kraft seines Werks in den Vordergrund zu rücken, und zwar den Mythos der ewigen Jugend. Kein Zufall, daß Hesse in mehreren Wellen und mit unterschiedlichen Motivationen ein Mythos für verschiedene Generationen von Lesern gewesen ist, die aber alle einen gemeinsamen Punkt hatten: Es waren jeweils Generationen von Teenagern, die ihre eigene jugendliche Lage verherrlichten. Hesses Rezeption der amerikanischen Beat-Generation Ende der 50er Jahre mit ihrer Aktualisierung, in deren Mittelpunkt Themen standen, die als ‹alternativ› empfunden und mit den persönlichen Erlebnissen der Leser unmittelbar verbunden wurden, war musterhaft für die spätere Rezeption. Motive wie der ‹Weg nach Innen›, die Selbstfindung, die Reise, die Unvermittelbarkeit der menschlichen Erlebnisse, wurden als on the road-Themen verstanden, ohne die Absicht des Autors und den kulturellen Kontext, in dem sie entstanden, in Betracht ziehen zu müssen. Und von Anfang an war die Dekontextualisierung seines Werks die Ursache seines Erfolgs. Mit anderen Worten eben die Themen, die – warum auch immer – als aktuell und berührend empfunden wurden, waren Ursache für den Erfolg – daher der Faktor ‹Zufall›, auf den alle Forscher dieses Phänomens hinweisen. Und man kann den außerordentlichen und einzigartigen Charakter desselben besser verstehen, wenn man die Behauptung umformuliert: Eine philologisch und literaturwissen-
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schaftlich korrekte Lektüre seines Werks hätte nie einen Erfolg dieser Ausmaße hervorbringen können. Das Problem besteht also nicht darin, eine philologisch und literaturwissenschaftlich korrekte Interpretation zu bestimmen und zu liefern, sondern vielmehr darin, die Dynamik dieses außerordentlichen Erfolgs zu erklären. Es handelt sich einerseits um ein kultur-soziologisches und andererseits um ein Kommunikationsproblem. Hesse ist im Grunde zu einem Symbol, zu einem Emblem geworden, dessen Wertung über das Literarische weit hinaus geht. Nach der ersten on the road-Welle der Rezeption, in deren Mittelpunkt das Anderssein der ‹verbrannten› Generation stand, die ihre eigenen Mythen über den Tag hinaus suchte, kam 1963 die zweite Welle zustande und fand ihren Hauptvertreter in der Figur von Timothy Leary, der einige Stellen der Hesseschen Fiktion, in denen er von «Visionen» spricht, mit der LSD verbundenen «Reise» in Verbindung setzte. Hier wird es klar und deutlich, wie man Hesses fiktiven Text ‹benutzen› und umdeuten kann, wenn man den hinzugefügten Sinndeutungen eine entscheidende Rolle zuschreibt. Aber eben diese hinzugefügten Motive haben Hesse zu einem Mythos der Hippie-Bewegung der 70er Jahre gemacht. Die mystischen Visionen – das «magische Theater» im Steppenwolf, die Visionen in Siddhartha – werden von Timothy Leary unmittelbar auf die psychedelischen Visionen zurückgeführt. Hesse war kein Rauschgiftverbraucher und kannte kein LSD. Die persönliche Erfahrung von Timothy Leary ist zur Lesestrategie geworden und als hinzugefügte Sinndeutung wirkte sie als Kriterium für die Interpretation des literarischen Textes, dessen Erfolg sie verursacht hat. Das ist selbstverständlich ein Grenz-Fall, der aber entscheidend ist, um besser zu verstehen, wie tatsächlich ein Großteil des außerordentlichen Erfolgs von Hermann Hesse in Amerika auf Zufall und Mißverständnis gründete. Ende der 60er Jahre ‹entdeckte› die Studentenbewegung einen anderen Aspekt der Hesseschen Poetik, und zwar seinen Pazifismus; seine negative Stellungnahme gegenüber dem Krieg wurde nämlich politisch verwertet und bewirkte eine neue Form der Popularität, die sich parallel zur Friedensbewegung und zum Widerstand gegen den Vietnam-Krieg entwickelte. Diesmal handelte es sich nicht um ein Mißverständnis: Die Studenten hatten nur den von Hesse vertretenen Pazifismus beim Ausbruch des ersten Weltkrieges aktualisiert. Die außerordentliche Popularität und der beispiellose Erfolg seines Erzählwerks in den Vereinigten Staaten waren demzufolge durch sehr unterschiedliche Lesestrategien verursacht worden, die statt sich auszuschließen, sich gegenseitig verstärkten und vermehrten. Die Forschung der amerikanischen Universität bekundet ihr Interesse für unseren Schriftsteller seit Anfang der 60er Jahre: 1961 hat die Zeitschrift «Monatshefte» (Madison, Wisconsin) Hermann Hesse ein Heft gewidmet. In dem gleichen Jahr erschien eine Studie von Ralf Freedman, der später eine erfolgreiche Biographie unseres Autors veröffentlicht hat. Die Aufsätze von Ernst Rose, Theodore Ziolkowski und Mark Boulby machten Mitte der 60er Jahre den Autor innerhalb der akademischen Kreise der USA ziemlich bekannt. Siegfried Unseld behauptet, daß
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die amerikanischen Studenten – unbesehen von der sozialen Klasse, aus der sie stammten – 1967 Hermann Hesse lasen. So haben diese Studien mitgewirkt, das Werk des deutschen Schriftstellers, wenn auch in begrenzten Kreisen, bekannt zu machen. Mitte der 60er Jahre wurde Hermann Hesse auch von den amerikanischen Verlegern ‹entdeckt›, indem sie die Möglichkeit erblickten, mit der Veröffentlichung seiner Werke in Taschenbuchausgabe große Gewinne erzielen zu können. 1967 kaufte der New Yorker Verlag Ferrar, Strauss and Giroux vom Verlag Harper and Brothers die Rechte, Hesse zu veröffentlichen, unterschrieb einen Vertrag mit Suhrkamp, ließ seine Romane neu übersetzen und gab sie als Paperbacks heraus. 1968 konnte man seine Romane auch in Drugstores kaufen. Zwischen 1966 und 1976 wurden 1.486.000 Exemplare in Taschenbuchausgabe vom Demian, 1.600.000 Exemplare vom Steppenwolf und zwischen 1971 und 1976 1.402.000 Exemplare vom Siddhartha verkauft. Diese Daten, obwohl sie durch eine bestimmte und kurze Zeitspanne begrenzt sind und nur den Verkauf einiger Romane als Paperbacks betreffen, zeigen das Ausmaß seines Erfolgs in den Vereinigten Staaten. Obwohl der Autor selbst ausdrücklich verboten hatte, seine Romane zu verfilmen, kamen Versuche zustande, Filme mehr oder weniger explizit nach seinem Werk zu produzieren: vor allem nach Siddhartha (1973) und dem Steppenwolf (1974). Diese Filme hatten im Vergleich mit den Romanen keinen Erfolg, vielleicht weil sie unangemessene (zu mystische und allgemeine) Töne benutzten. Die Hesse-Mode hat in Amerika auch paradoxe Höhepunkte erreicht: Medaillen und T-Shirts, Rockgruppen und Kneipen trugen Namen Hessescher Figuren (in Berkeley gab es eine Bar, die ‹Steppenwolf› hieß). Der amerikanische Erfolg seiner Werke und die Kulturmode hat weltweite Wirkung gehabt. Ende der 60er Jahre waren 11 Millionen Exemplare seiner Werke in den Vereinigten Staaten und 12 Millionen in Japan verkauft worden. Hesses Werke wurden in 35 Sprachen übersetzt – Siddhartha sogar in 12 indische Sprachen. In der ganzen Welt waren 1976 30 Millionen Exemplare seiner Werke verkauft worden. Unzählige Bücher, Monographien, Biographien, Aufsätze, Artikel, Dissertationen wurden über ihn geschrieben und veröffentlicht. Diese Daten beziehen sich hauptsächlich auf die Zeitspanne 1976/77, weil 1977 das Jubiläum seiner Geburt gefeiert wurde und deshalb eine Reihe von Daten veröffentlicht wurden. In den letzten Jahrzehnten aber fuhr sein Erfolg fort und sein Werk wurde immer noch massenhaft verkauft: in Deutschland, in Italien und in der ganzen Welt. Hesses Rezeption in den USA hat – trotz Mißverständnisse und ‹hinzugefügten Sinngebungen› – mindestens den Verdienst gehabt, die Aufmerksamkeit auf diesen deutschen Autor zu lenken und die Literaturkritik und die internationale Germanistik zu zwingen, sowohl den Schriftsteller als auch seinen weltweiten Erfolg wahrzunehmen. Zu den Auswirkungen seines außerordentlichen Erfolgs muß man auch die nachträglich sich steigernde Mißgunst der Professoren zählen: je größer der Er-
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folg seines Erzählwerks war, desto kritischer waren die Urteile der Literaturwissenschaft. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen hält die europäische Germanistik Hermann Hesse für einen «epigonalen spätromantischen» Autor. Man kann leicht merken, daß dieses negative und abwertende Urteil sich jene Argumente der jungen Generationen aneignet, die Hesse mythisiert haben. Mit anderen Worten übernimmt die Germanistik jene Lesestrategien des breiten ‹ungebildeten› und ‹groben› Publikums als begründet und plausibel, von denen sie in ihrem Elfenbeinturm Abstand nehmen möchte. Vor einigen Jahren, auf einem internationalen Kongress in Norditalien über die Wirkung Hermann Hesses, bezeichnete ein berühmter deutscher Professor – der übrigens auch Rektor der Freien Universität Berlin in der stürmischen Zeit der Studentenbewegung gewesen war – Hesse als einen ‹trivialen› Schriftsteller und warf dessen Romanen vor, eine ‹verderbliche› und ‹gefährliche› Wirkung auf Jugendliche gehabt zu haben, und klagte über die Tatsache, daß «seine» Studenten, nachdem sie Hesses Romane gelesen hatten, plötzlich aufhörten zu studieren, Goethe zu lesen, und stattdessen Rauschgift nahmen und nach Indien reisten. Das ist ein paradigmatisches Beispiel, in dem man deutlich erkennen kann, daß die Lesestrategie des deutschen Professors und die seiner Studenten vollkommen übereinstimmen: alle sehen in Hesses Werk eine Aufforderung, eine ‹Morgenlandfahrt› zu unternehmen, ‹Visionen› durch Rauschgift zu haben, und den ‹richtigen Weg› der Wohlstandsgesellschaft zu verlassen. Das ist im Grunde die ‹amerikanische› Interpretation. Nur die literarische oder ethische Bewertung dieser literarischen Mitteilung stimmt nicht überein, aber sowohl der Professor als auch seine Studenten durchstreifen auf gleichen Wegen den fiktionalen Wald Hesses. Es handelt sich offensichtlich um eine falsche Interpretation. Es ist falsch, in Hesses Romanen die Ursache für bestimmte Verhaltensweisen der Jugendlichen sehen zu wollen. Die Ursache der Rauschgiftverwendung oder der Reisen nach Katmandu in der Lektüre der HesseRomane suchen zu wollen, wäre als ob man für die ‹Selbstmordepidemie› von 1774 die Lektüre des Werther schuldig machen wollte. Es gibt keine Ursache-WirkungBeziehung. Obwohl die deutschen Studenten alle möglichen, literaturwissenschaftlichen Kriterien besaßen, um Hesses Romane im Kontext ihrer kulturellen Tradition interpretieren zu können, haben sie sie dennoch im Licht der amerikanischen Rezeption gelesen. Sie haben sie im Zusammenhang mit einem alternativen und ‹rebellischen› Way of Life rezipiert und haben die literarische Mitteilung in Bezug auf ihre persönliche Lage und Erfahrung angenommen. Sie haben diese Romane aktualisiert. Die deutschen Studenten haben aus der amerikanischen Kultur die Bluejeans, die langen Haare, die Coca-Cola, die Rock-Musik, den Mythos vom Orient als Alternative zur Wohlstandsgesellschaft und Hermann Hesse als Zusammenfassung aller dieser Mythen importiert. Kein Wunder, daß ein deutscher Professor für deutsche Literatur empört war, weil es «seinen» Studenten nicht gelungen war, Hermann Hesse im Zusammenhang mit der deutschen Kultur zu interpretieren. Schade, daß auch er den Autor nach der ‹amerikanischen› Lesestrategie interpretierte.
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3. Der literarische Text ist derart strukturiert, daß er eine Zusammenarbeit zwischen Autor und Leser vorsieht. Jeder literarische Text ist zwangsläufig elliptisch, er geht davon aus, daß der Leser mit seiner Einbildungskraft die Lücke und die Sprünge des Erzählens füllt, indem er seine eigene kulturelle Kenntnis, aber auch seine eigenen Erfahrungen und Gefühle einbringt. Wie Umberto Eco in seinem Buch Im Wald der Fiktionen schreibt: «Jede erzählerische Fiktion ist zwangsläufig ‹schnell›, einfach weil sie, während sie eine Welt mit ihren Ereignissen und Personen aufbaut, unmöglich alles über ihre Welt sagen kann. Sie macht Andeutungen und erwartet dann vom Leser, daß er kooperiert und eine Reihe von Leerstellen füllt» 3. Auch Wolfgang Iser meint, daß die «Aussparungen» des Textes von dem Empfänger erfüllt werden: «Da das Gemeinte niemals vollständig in das Gesagte zu übersetzen ist, entstehen in den sprachlichen Äußerungen zwangsläufig Implikationen. Diese sind als das NichtGesagte die zentrale Bedingung dafür, daß der Empfänger das Gemeinte zu produzieren vermag. Somit bilden die ‹Aussparungen› der Rede das zentrale Konstituens der Kommunikation»4. Der Akt des Lesens setzt die Tatsache voraus, daß der Empfänger in der Lage ist, den ungeschriebenen Teil des Textes zu erkennen und zu entziffern. Wolfgang Iser spricht vom «impliziten Leser» und Umberto Eco vom «Modell-Leser», die ebenfalls vom «empirischen Leser» zu unterscheiden sind. «Im Lesen erfolgt eine Verarbeitung des Textes» – schreibt Wolfgang Iser –, «die sich durch bestimmte Inanspruchnahme menschlicher Vermögen realisiert. Wirkung ist daher weder ausschließlich im Text noch ausschließlich im Leserverhalten zu fassen; der Text ist ein Wirkungspotential, das im Lesevorgang aktualisiert wird»5. Der Text ist eine Umarbeitung der Wirklichkeit, schreibt Iser weiter: «Durch ihn erfolgen Eingriffe in die Welt, in herrschende Sozialstrukturen und in vorangegangene Literatur. Solche Eingriffe manifestieren sich als Umorganisation derjenigen Bezugsysteme, die der Text durch sein Repertoire aufführt. In solcher Umorganisation relevanter Bezugsfelder bringt sich die kommunikative Absicht des Textes zum Ausdruck»6. Der Text wartet in seiner Struktur auf eine ‹Antwort› des Empfängers, die seine Lesestrategien bestimmt und mit dem selben Werk interagiert. «Erst wenn der Empfänger durch seine Reaktionen (responses) zu erkennen gibt, daß er die Intention des Sprechers bzw. dessen Auswahl aus dem vorgängig gemeinsamen kommunikativen Modell richtig aufgenommen hat, sind die notwendigen Voraussetzungen für das Gelingen einer Sprachhandlung gegeben»7 – so meint Iser. Der Text sei eine «faule Maschinerie», behauptet Umberto Eco, sie 3 4 5 6 7
U. Eco, Im Wald der Fiktionen. Sechs Streifzüge durch die Literatur, München 1996, S. 11. W. Iser, Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, München 1984, S. 97. Ebd., S. 7. Ebd. Ebd., S. 94.
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verlangt, daß der Leser an ihrer eigenen Arbeit Anteil nimmt. Der Modell-Leser entsteht laut Eco mit dem Text zusammen und ist der Kern seiner Erzählstrategie: «Ein Wald ist ein Garten mit sich verzweigenden Pfaden. Auch wenn es in einem Wald keine gut ausgetretenen Pfade gibt, kann jeder sich seinen Weg selber suchen, kann sich entscheiden, rechts oder links um einen bestimmten Baum herumzugehen, und die Entscheidung bei jedem weiteren Baum wiederholen»8. Jeder empirische Leser entwickelt seine eigene Lesestrategie, die Erzählstrategie des Autors setzt die Mitarbeit eines impliziten Lesers, dem eine Vielzahl von Wahlmöglichkeiten angeboten werden, voraus. Diese Freiheit wird deshalb genossen, weil der Leser im Wald der Fiktionen seine Entscheidungen trifft auf Grund der Annahme, daß einige davon vernünftiger erscheinen als andere. Der Leser kann aber nicht immer mit der Schnelligkeit des Textes mithalten. Eco betont, daß der Modell-Leser einer Geschichte nicht der empirische Leser ist: «Der Modell-Leser ist eine Art Ideal-Leser, den der Text nicht nur als Mitarbeiter vorsieht, sondern sich auch zu erschaffen versucht. […] Es gibt also Spielregeln und der Modell-Leser ist derjenige, der sich an das Spiel zu halten versteht. […] Gewiß verfügt der Autor, um seinem ModellLeser Instruktionen zu erteilen, über besondere Gattungssignale. Aber oft sind diese Signale sehr vieldeutig»9. Hermann Hesses Erzählstrategie setzt die Zusammenarbeit des Lesers, einen Modell-Leser voraus, nur sind seine Texte eben nicht als ein Wald, sondern vielmehr als eine Steppe strukturiert, deren ‹Interpretationswege› wesentlich zahlreicher als im ‹Wald› sind, weil die Abzweigungs-Signale (und zwar die Bäume in der Metaphorik des Waldes) überhaupt abwesend sind. Die Struktur des fiktionalen Textes bei Hesse bietet dem Leser einen sehr breiten Raum, in dem er seine eigene Interpretationsstrategie erbauen kann, in dem er seine eigenen Wege in der Steppe, in der es wenige und nur sehr lockere ‹Spielregeln› gibt, suchen kann. Dennoch führen alle Wege der Steppe der Fiktionen bei Hesse zu den Grundmotiven seines Erzählwerks: zur Vielzahl der Bejahungen, zur Annahme des kosmischen Rhythmus, zur Fähigkeit jedes Individuums, den Horizont seiner Zielsetzung und seiner Verhaltensweise in jedem Moment seines eigenen Lebens neu bestimmen zu können. Der ‹implizite Leser› des Hesseschen fiktiven Textes fügt viel aus seinen eigenen Erlebnissen beim Akt des Lesens hinzu und fühlt, nur zu einer höheren ihm offenbarten Wahrheit Zugang zu haben. Diese Vielzahl von möglichen (wenn auch subjektiven) Streifzügen entwertet keineswegs den fiktiven Text von Hesse, sondern sie verstärkt ihn, obwohl die Sinngebungen der empirischen Leser anders und der Kulturwelt des Autors fremd gegenüber sind. Dennoch ist es auch vor dem breiten Raum und der weiten Ferne der Hesseschen fiktiven Steppe angebracht, auf die Grenze der Interpretation hinzuweisen. Wie Umberto Eco selbst 8 9
U. Eco, Im Wald der Fiktionen, a.a.O., S. 15. Ebd., S. 19 f.
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betont, sind unzählige Lesestrategien möglich, einige davon sind aber besser als die anderen in der Lage, die Grundstrukturen des Textes zu ergreifen, «sich an das Spiel zu halten». Einige Lesestrategien sind gewiß falsch. Das Phänomen der subjektiven ‹Anreicherung an Bedeutung› eines Textes kommt bei jedem Akt des Lesens zustande. Der Empfänger entziffert die Hauptmitteilungen eines fiktiven Textes, indem er sie mit einer Reihe von Nebenbedeutungen, von ‹sekundären Mitteilungen› anreichert: die literarische Mitteilung wird automatisch auf die Kultur, auf das Erlebnis, auf die persönliche Lage des Lesers und auf die geschichtlich-gesellschaftliche Kontingenz bezogen. Die fiktiven Texte der Moderne heben den Anspruch auf, eine Mehrdeutigkeit zu besitzen, welche diese Vielzahl von subjektiven Lesestrategien und die subjektive ‹Anreicherung an Bedeutung› erleichtert10. Dieser Vorgang ermöglicht den Zugang zu einem breiteren Publikum und der Rezeption des literarischen Textes. Die Literatur des 20. Jahrhunderts ist derart aufgebaut, daß sie ihre Nebenbedeutungen verbreitet und vermehrt. Umberto Eco, ein Meister der Kommunikation, schreibt seine Romane auf Grund einer Stratifikation der Bedeutungen, so daß sie auf verschiedenen semantischen Ebenen gelesen werden können, seine Geschichten ‹deuten› auf unterschiedliche und vielfältige Lesestrategien. Normalerweise aber betrifft dieses ‹übersegmentale› Schwanken die Nebenbedeutungen, d.h. die ‹sekundären› Aspekte der Romanentwicklung, es ändert keineswegs den Sinn der literarischen Hauptmitteilung. Die «hinzugefügten» Bedeutungen reichern normalerweise sekundäre Sinngebungen an, nicht aber so bei Hermann Hesse. Die «hinzugefügten Sinngebungen» sind das zufällige Resultat von so breiten Interferenzen, daß sie die Absicht des Autors geändert und umgebildet haben. Die «hinzugefügten» Bedeutungen haben die Vorherrschaft zugunsten der ursprünglichen Mitteilung erreicht. Die ‹alternative› Einstellung Hermann Hesses und das Anderssein seiner Hauptpersonen – besonders von Harry Haller im Steppenwolf – wurde eben nicht im Kontext der Auseinandersetzung mit den Deutschnationalen, die seine Auswanderung aus Deutschland und seine Einbürgerung in die Schweiz bewirkt haben, ‹gelesen› und begriffen, sie wur10
«Die von uns als ‹poetisch› hervorgehobene Botschaft scheint nun allerdings von einer fundamentalen Mehrdeutigkeit geprägt zu sein. Sie verwenden die Ausdrücke absichtlich so, daß deren referentielle Funktion verändert wird. Sie stellt die Ausdrücke in syntaktischen Relationen, die den gewohnten Koderegeln zuwiderlaufen. Sie eliminieren die Redundanzen, so daß Stellung und referentielle Funktion eines Ausdrucks auf mehrere Weisen interpretiert werden können; sie läßt sich nicht eindeutig dekodieren; sie macht glauben, der herrschende Kode werde so nachhaltig verletzt, daß er nicht mehr zur Dekodierung der Botschaft dienen könne. Dies alles bedeutet, der Empfänger findet sich in der Lage eines Kryptoanlytiker, der zur Dekodierung einer Botschaft gezwungen wird, deren Kode unbekannt ist, wobei er den Kode nicht aus Kenntnissen ableiten kann, die der Botschaft vorausgingen, sondern ihn aus dem Kontext der Botschaft selbst erschließen muß. Dadurch verschiebt sich das Interesse des Empfängers von den Signifikaten, die ihn die Botschaft verweisen könnte, auf die Struktur der Signifikanten» (U. Eco, Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Theorie der Massenkultur, Fischer, Frankfurt a.M. 1984, S. 78 f.).
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de dagegen als Generationskonflikt im Kontext der amerikanischen Gesellschaft der 50er und 60er Jahre aktualisiert und wurde dadurch zum Symbol einer «verbrannten» Generation, die die Verhaltensmodelle der Wohlstandsgesellschaft (affluent society) ablehnen wollte. Nur eine reader-oriented Lesestrategie ermöglicht diese Aktualisierung des Hesseschen Motivs des Outsider. Das größte Mißverständnis, das diese «hinzugefügten Sinngebungen» bewirkt haben, betrifft das Motiv des Orients. Der Orient ist bei Hesse ein vager Bezugspunkt, der mit seiner eigenen Kindheit verbunden ist, ein «Überall und Nirgendwo» – wie er selber schreibt –, eine sonderbare Verflechtung von Animismus, Buddhismus, Pietismus und Taoismus, die mit so allgemeinen Zügen geschildert wird, daß sie ins Unbestimmte mündet und nur die Funktion hat, jene Aura, jenen Ton von Wahrheitsaussage seinem Erzählwerk zu verleihen, die die jungen amerikanischen Leser und die junge Generation überhaupt fasziniert hat. Die amerikanische Rezeption hat jedenfalls das Verdienst gehabt, aus Hermann Hesses fiktionalem Werk einige von der Literaturkritik ‹vergessenen› Motive herauszuschälen: nämlich das Motiv des Pazifismus und des alternativen Charakters seiner Dichtung, die zu oft auf eine spätromantische Schwärmerei reduziert wurde. Es handelt sich hier um ein einzigartiges Beispiel von ‹Revitalisierung› und Aktualisierung einer literarischen Mitteilung, die um so auffallender ist, weil sie in einer Medien- und Fernsehgesellschaft geschieht. Das Besondere besteht darin, daß die literarische Mitteilung eine so breite Wirkung eben in einem Kommunikationskreislauf gehabt hat, der andere Medien (wie Musik, Video und Film) bevorzugt. Die literarische Mitteilung bei Hermann Hesse ist ein einziger und einmaliger Fall geblieben, der in der Lage gewesen ist, ein so breites Publikum zu erreichen. Mode oder Tendenzen wurden später von anderen Medien (in erster Linie von Film und Musik) getragen, bis zur Abflachung und Homogenisierung aller Mitteilungen durch das Fernsehen, wo sie vorbeiziehen und keine Spur hinterlassen. Besonders anläßlich von Tagungen und Jubiläumsveranstaltungen haben sich die Literaturwissenschaftler oft die rhetorische Frage gestellt, wie der Autor selbst reagiert hätte, wenn er seinen weltweiten Erfolg in seiner ganzen Größe hätte miterleben können. Die Antwort ist ebenso verbindlich und selbstverständlich wie die Frage rhetorisch ist. Hesse hat seine Beziehung zum Publikum – und das wird von tausend Briefen bestätigt – immer als eine persönliche Beziehung zwischen Autor und einzelnem Leser verstanden. Niemals hat er das Publikum als eine Masse mit einer gleichförmigen Haltung betrachtet. Obwohl es bei einem Autor, der immer viel Wert auf die kommunikative Struktur seines Werks gelegt hatte, paradox klingen kann, hatte Hesse eine sehr traditionelle Auffassung der Literatur als Medium. Er hat die Verfilmung seiner Romane nie genehmigt. Er war nämlich nicht daran interessiert, breite Massen von Empfängern zu erreichen, er meinte stattdessen, daß seine Schriften für den einzelnen Leser ein Trost hätten sein können. Er verstand demzufolge sein Werk im Rahmen der romantischen und pietistischen Tradition
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eng verbunden mit einer bildenden und beruhigenden Funktion. Es war also Ironie des Schicksals, daß seine Romane, die nach einer so traditionellen Auffassung aufgebaut wurden, wegen der Interferenz von unvorhersehbaren und zufälligen Ereignissen zum Kultobjekt geworden sind – weit über die Absicht (und vielleicht auch über den Wunsch) des Autors hinaus. Dieser Überschuß von Sinngebungen, diese semantischen Ergänzungen sind so stark und weitreichend gewesen, daß sie die weitere Rezeption seines Werks beeinflußt haben. Seit Ende der 50er Jahre hat die amerikanische Rezeption zweifellos auch in Europa auf die nachfolgenden Generationen eine eindeutige Wirkung ausgeübt. Obwohl es selbstverständlich erscheinen mag, ist es dem weiten Erfolg in Amerika zuzuschreiben, daß die Verleger in Europa – auch in Italien – Hesses Werk immer wieder in Taschenbuchausgabe neu drucken und in großer Menge verkaufen. Aufgrund der amerikanischen Rezeption greifen immer neue Leser neugierig zu Hesses Erzählwerk. Aufgrund der amerikanischen Rezeption beschäftigen sich Literaturkritiker und Journalisten immer wieder mit diesem Autor (auch wenn sie manchmal die Nase rümpfen), weil sie auf den Triumphwagen des Siegers aufsteigen wollen, mit der Konstellation Hesse umgehen. Eine philologisch und kulturgeschichtlich korrekte Lesestrategie seiner fiktiven Texte ist leicht festzustellen, wenn man sein Werk im Rahmen der kulturgeschichtlichen Kontingenz, in der es entstand, betrachtet. So wird die Hauptmitteilung seines Werks deutlich. Aber eine strukturalistische und leserorientierte literaturwissenschaftliche Abhandlung darf den Fall Hermann Hesse nicht erledigen, indem sie ihn durch den ‹Zufall› der amerikanischen Rezeption erklärt. Den eigentlichen Sinn seines Werks zu begreifen, hilft uns nicht, seinen außerordentlichen und weltweiten Erfolg zu verstehen. Mit anderen Worten: die Ursache seines Erfolgs liegt fast ausschließlich in der ‹Antwort› und in der subjektiven Lesestrategie der Empfänger. Und hier kommt die entscheidende und brennende Frage zutage, auf deren Antwort die Rezeptionstheoretiker seit Jahren warten: gibt es in der Struktur des Werks von Hermann Hesse irgendein funktionales Element, das diese nachträgliche Sinngebung ermöglicht und legitimiert. Der Zufall als Ursache seines Erfolgs, der anhand der amerikanischen Rezeption so oft erwähnt wurde, überzeugt nicht ganz und gar, weil dieser Erfolg eben weltweit war, in verschiedenen Ländern und in verschiedenen Epochen zustande kam und weil er unterschiedliche Generationen von Lesern mit sehr unterschiedlichen Motivationen betraf. Ein Ereignis, das mehrmals wiederkehrt, darf eben nicht unter den Begriff ‹Zufall› geordnet werden. In seinem fiktiven Text könnte ein eingebautes Strukturelement anwesend sein, das diese Mehrdeutigkeit ermöglicht oder – über die Absicht des Autors hinaus – jene ‹Anreicherung an Bedeutung›, worauf ein Großteil seines Erfolgs gründet, eine Vielzahl von möglichen Lesestrategien auf den Wegen der fiktionalen Steppe erleichtert.
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4. Hesses Rezeption in Italien – abgesehen von einer auffallenden Ausnahme – ist den gleichen Gang der deutschen Interpretation gegangen. Ein Großteil der Literaturwissenschaftler und Literaturkritiker haben ihn für einen Vertreter der «romantischen Schwärmerei», die eigentlich sein Frühwerk kennzeichnete, oder für einen ortsgebundenen (und deshalb «provinziellen») oder aber für einen «exotischen» Autor gehalten. Die auffallende Ausnahme in der Hesse-Rezeption in Italien war Ferruccio Masini, der sein Werk über einen Umweg exzentrisch und fast esoterisch interpretiert hat. Masini sieht in Hermann Hesses Werk den Versuch, der deutschnationalen Kultur der Jahrhundertwende eine Alternative entgegenzusetzen: und zwar die Ablehnung des ‹westlichen› Humanismus, der auf dem Glauben an Fortschritt gründete und nationale und kulturelle Wurzeln hatte, erreicht durch die Verneinung des Eurozentrismus, die Anerkennung und den Respekt ‚fremder‘ und anderer Kulturen, die Masini mit einem Hesseschen Ausdruck «Vielzahl der Bejahungen» nennt, und die er in Hesses Erzählwerk als Bejahung jedes möglichen Erlebnisses findet. Masini entnimmt diesen Begriff einer Stelle, in der Hermann Hesse von «exzentrischen Schriftstellern» spricht, und zwar von Autoren, die «die Welt von einem andern Mittelpunkt aus betrachten und die Dinge und Werte verschoben sehen»11. Die Struktur der Werke von Hesse setzt – wie schon bemerkt – einen impliziten Leser voraus, der sehr aktiv sein muß und die Lücken und Sprünge des fiktiven Textes mit subjektiven Interferenzen füllt. Hesses literarischer Text gestaltet sich als leerer Mittelraum, leer wie eine Steppe, die gleichförmig und platt scheint und dennoch interpretatorische Wege, alle fragwürdig und gleichzeitig legitim, enthält. In der Beschreibung von Orten und Personen verwendet unser Autor allgemeine Verben und Adjektive, die undeutliche oder nicht ausreichend bestimmte Bilder hervorbringen. Paradigmatisch ist der Anfang seines berühmtesten Romans (es gilt aber auch für sein ganzes Erzählwerk): «Im Schatten des Hauses, in der Sonne des Flußufers bei den Booten, im Schatten des Waldes, im Schatten des Feigenbaumes wuchs Siddhartha auf, der schöne Sohn des Brahmanen […]». Das «Haus» hat kein Merkmal, es kann groß, klein, baufällig, neu, aus Holz, aus Stein, mit zwei Stockwerken, usw. sein; jeder Leser kann es sich vorstellen wie er will, und normalerweise, indem er seine eigene Erfahrung benutzt, stellt er es sich wie das Haus seines eigenen Vaters vor. Etwas ähnliches geschieht mit den Booten (sind sie klein, groß, mit Segel, ohne Segel?), mit dem Wald, mit dem Fluß, usw. Diese Schreibweise steht der Erzähltechnik der Jahrhundertwende diametral gegenüber, die mit langen und sehr genauen Beschreibungen dem impliziten Leser keinen Raum ließ. Hesse hat seine fiktiven Texte mit einer einfachen, allgemeinen Sprache aufgebaut und 11
H. Hesse, Über Literatur, Berlin-Weimar 1978, S. 43.
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seine kommunikative Absicht stimmt mit seiner in vielen Briefen an die Leser geäußerten Stellungnahme überein: er lieferte nämlich keine authentische Interpretation seines Werkes sondern empfahl seinen Lesern, ihre eigene Lesestrategie zu suchen. Wir bleiben jedoch eine Antwort auf jene Frage schuldig, die wir am Anfang unseres Diskurses gestellt haben: Sind in der Struktur des fiktionalen Hesse-Texts Elemente anwesend, die eine exzentrische Lesestrategie ermöglichen und legitimieren? Hesse selbst unterschrieb manchmal seine Briefe mit Selbstironie als ‹Unterhaltungsschriftsteller›. Literaturwissenschaftlich gesagt, ist die Sprache das punctum dolens, das Problem seiner Romane. Er verarbeitet seine literarische Sprache in einer mittleren – seine Verehrer sagen «einfachen» – Form, die jener Massensprache, die der Steppenwolf eigentlich aufheben wollte, ähnelt. Oder, besser gesagt, die Massensprache, von der Hesse sich unterscheiden wollte, war eben jene der deutschnationalen Rhetorik. Er wurde nämlich bis zum Ende des zweiten Weltkrieges für einen exzentrischen Schriftsteller gehalten und blieb am Rande der deutschen Kultur. Als Nobelpreisträger wurde er weltberühmt. Zu diesem Zeitpunkt aber war seine Sprache nicht mehr alternativ, sie war «für Jedermann und für Niemand» – wie der Untertitel von Also sprach Zarathustra lautet. Aber eben seine «einfache», «flache», mittlere Sprache ist der Schlüssel, um seinen weltweiten Erfolg zu verstehen. Siegfried Unseld behauptete, daß die Ursache des Erfolgs bei Hesse in seiner literarischen Sprache liegt: «Hesse sucht in seiner sprachlichen Form jenes Einfache, das bekannterweise schwer zu machen ist, weil ihm ein Prozeß des Denkens, des Erfahrens, des Leidens voran geht; aber es ist eben auch diese einfache Form, die die Kritiker verleitet, Hesses Werk als bare Unterhaltungsliteratur abzutun»12. Hesses Sprache entspricht der Einfachheit der Sprache der Jugendlichen. Man muß auch zugeben, daß jedes Werk seine Kitsch-Ecke hat. Umberto Eco zitiert am Anfang seines berühmten Buches Apokalyptiker und Integrierte eine Stelle von Platon, um zu beweisen, wie jede Veränderung der Kulturmittel in der Geschichte der Menschheit das frühere Kulturmodell in tiefe Schwierigkeiten bringt. Die neuen Kommunikationsmittel und das neue Kulturmodell funktionieren aber in einer vollkommen anderen Weise als die früheren, sowohl im Aufbau und in der Struktur der Mitteilung als auch in ihrer Rezeption13. Hesses Erzählwerk hatte das einzigartige Schicksal, in ein anderes kommunikatives Kulturmodell verwickelt, mitgerissen und verbreitet zu werden. Und dieses Anderssein betrifft weder die historisch-gesellschaftliche Lage noch den sprachlichen Raum, sondern vielmehr die Veränderung der Kommunikationsmittel. Hesses Romane haben Anklang in einem Kulturmodell gefunden, das ganz andere Medien verwen12 13
S. Unseld, Hermann Hesses Wirkung, in Über Hermann Hesse, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1977, Bd. 2, S. 451. Vgl. U. Eco, Apokalyptiker und Integrierte, a.a.O, S. 37ff.
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det und sie haben in diesem Kommunikationskreislauf eine ganz besondere Bedeutung erreicht. In diesem Übergangsprozeß hat seine literarische Mitteilung einen Großteil ihrer ursprünglichen Bedeutungen verloren und andere und neue gewonnen. Man könnte wahrheitsgemäß behaupten, daß der Erfolg durch diese semantische Umwertung verursacht wird. Umberto Eco behauptet, daß «das Verhältnis des Konsumierenden zum kommerzialisierten Kunstprodukt grundsätzlich unreflektiert, also das zu einem Fetischobjekt»14 ist. Hesses Werk wurde verehrt und mythisiert als ob es ein Kultfilm wäre oder er ein Rockstar. Die Einzigartigkeit des Phänomens besteht darin, daß Hesses Werke hauptsächlich Romane und Erzählungen sind, eine ‹veraltete› Ware, die im Grunde als solche für diesen breiten Erfolg kommunikativ ungeeignet ist. War es nur ein Zufall? Eine zufällige Interferenz im dem Übergang zwischen zwei verschiedenen ‹Kulturmodellen›? Hier taucht die ewige Frage, – die im Mittelpunkt jedes Symposiums über diesen Autor steht, wieder auf: Warum denn Hermann Hesse? Warum hatte gerade er diesen weltweiten außerordentlichen Erfolg und nicht andere deutsche Schriftsteller, die eine kühnere oder originellere oder raffiniertere Sprache benutzten? Hesses Erzählwerk erwies sich als besser geeignet, diese Umwertung der Bedeutungen zu ermöglichen, weil es immanente Eigenschaften hat, die es für jede Art von Publikum zugänglich machte. Mit anderen Worten, gibt es in seinem Werk mehr als eine Kitsch-Ecke. «Kitsch», schreibt Eco, «ist das, was abgenutzt erscheint; was zu den Massen oder zu dem mittleren Publikum deshalb gelangt, weil es abgenutzt ist; und was sich deshalb abnutzt (und damit verarmt), weil der Gebrauch, den eine große Anzahl von Leuten davon gemacht haben, seinen Verschleiß beschleunigt und verstärkt hat»15. Er schreibt weiter: «Eine an sich informationsarme Botschaft kann sich, wenn sie im Lichte eine beliebigen Kodes gelesen wird, als sehr viel reichhaltiger herausstellen, als vom Autor beabsichtigt»16. Es ist genau das, was mit den Romanen von Hesse geschieht: sie haben auf Grund ihrer Unbestimmtheit – auf Grund ihrer «informationsarmen Botschaft» – ein interpretatorisches Surplus, das die Leser durch ihre Interferenzen hinzufügen. Die Vielzahl der literarischen Quellen seines Erzählwerks (Romantik, Psychoanalyse, Orient, Pietismus, Pazifismus, usw.) öffnet den Weg auf eine Vielzahl von möglichen Lesestrategien. Der mittlere Ton seiner erzählerischen Sprache ermöglicht jeden Streifzug durch das Wäldchen der Fiktion, weil die Kontraste und die Spannungen durch die Wiederverwendung von schon verbrauchten (und deshalb beruhigenden) literarischen Motiven und Erzählstrategien zu einer Versöhnung führen. Der weltweite Erfolg gründet nicht nur auf dem Zufall der amerikanischen Rezeption, sondern auch auf der inneren Struktur der ‹armen› und ‹einfachen› Sprache seines Werks. Sie erleichtert nämlich die Vielzahl 14 15 16
Ebd., S. 74. Ebd., S. 81. Ebd., S. 86.
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der Lesestrategien, aber alle Wege und Umwege dieser fiktionalen Steppe führen am Ende zum Kernpunkt seiner literarischen Mitteilung. Es gibt in seinen Briefen und Aufsätzen mehrere Hinweise darauf, daß er diese einfache Sprache als Erzählstrategie verwendet hat. Man ist nicht in der Lage festzustellen, ob er sich aller kommunikativen Folgen dieser Strategie bewußt war, dennoch können wir bei keinem anderen Autor seiner Zeit eine so große Achtung auf den impliziten Leser als in der Baustruktur seiner fiktiven Texte finden.
Klaus-Peter Philippi
Hesse und die heutige Germanistik in Deutschland (Historisierung – Distanz – Kritik)
Ich bin selbst kein Liebhaber, kein Verehrer, sondern ein Germanist, für den Hesse nur noch in einer entschieden historischen Perspektive wichtig oder auch nur, in persönlicher Hinsicht, zu lesen erträglich ist – also im Blick auf etwas, was ich (wie überstandene Masern) hinter mir habe, wogegen ich immun geworden bin: Historisierung also, zugleich damit Distanzierung aus einer um wenigstens drei Generationen späteren Lebens- und Leseperspektive heraus ebenso wie aus einem inzwischen völlig veränderten Verständnis der Germanistik als Wissenschaft – und folgerichtig daran anschließend Kritik (im alten Sinn von ‚Unterscheidung‘): von Schreibverfahren, Autorselbstbild und Form sowie Gestaltung seiner Welterfahrung. Obwohl mir also Hesse als Schriftsteller und seine Art der Literatur vor allem ex negativo noch etwas ‹zu sagen› hat, will ich mich bemühen, die eben berufene Distanzierung auch mir selbst gegenüber zu üben. Meine eigene Darstellung verflechte ich mit den Zitaten der die Position der Germanistik für mich hier repräsentierenden Literatur (vgl. die Literaturliste). Ich beginne mit einer Beobachtung zu einem Phänomen, das man für eine Randerscheinung halten könnte. In seinem Hesse-Magazin zum 125. Geburtstag 2002 berichtet der Suhrkamp-(und Insel-) Verlag stolz vom Absatz seiner Produkte: Im Jahr 2001 wurden im deutschsprachigen Raum insgesamt 491.680 Exemplare der Werke [gemeint sind wohl alle einzelnen Bände] von Hermann Hesse verkauft, das bedeutet im monatlichen Durchschnitt 40 973 Bücher (S. 2.)
Das ist für sog. Belletristik eine gewaltige Zahl (zumal noch die Verkäufe im nichtdeutschsprachigen Raum hinzukommen). Im Magazin wird der Autor in multimedialen Reproduktionen den Benutzern ans Herz gelegt: in Verfilmungen und Hörbüchern, mit Hinweisen auf Lesungen und Theateraufführungen: Hesse für jedes Interesse, «damit Sie sich aus dem umfangreichen Angebot jene Art der Begegnung auswählen können, die Sie bevorzugen» (S. 2). Hesse also nicht vor allem als Autor, als Schriftsteller, sondern als Objekt eines multimedialen Angebots, wo das Medium sich vor die Sache drängt, der man ‹begegnen› soll – ich denke, Hesse selbst müßte es gegraust haben. Der Verlag hat mit einer besonderen Weise fragwürdiger Publikation eines Teils der Texte am fragwürdigen Bild Hesses in der Literaturwissenschaft mitgearbeitet: z.B. mit der scheibchenweisen Verwurstung in Titeln, mit
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denen Hesse in die Bücherecken der Lebenshelfer- und Esoterik-Autoren abgedrängt wird, der Ratgeber-Schriften und der Pseudo-Mystik für den Hausgebrauch und den schnellen Verzehr. Es sind nicht so sehr die illustrierten und Geschenkausgaben, sondern die sog. ‹Lesebücher› (die leider auch der seriöse Volker Michels zu machen hatte …) wie Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Lebensstufen (it 2357) oder Wer lieben kann ist glücklich. Über die Liebe (1986) etc. (Es gibt auch Titel zu ‹Individuation und Anpassung›, ‹Über das Alter›, zu ‹Krisis und Wandlung›). Da ist dann noch das ‹Brevier› (so eine Sammlung, von Siegfried Unseld unter dem Titel Lebenszeiten 1996 herausgegeben), wo mit dem Wort eine Aura des Religiösen herbeizitiert, Hesse zum quasi-religiösen Gebrauch angebotenen wird, und die ähnlich auch Goethe in gnomischen Häppchen prostituierenden Bände Lektüre für Minuten (zu Hesse sind es immerhin gleich drei). Sieht man, daß erst seit 2001 mit den Sämtlichen Werken in 20 Bänden (hrsg. von Volker Michels) eine brauchbare Leseausgabe auf den Markt kommt, die jetzt 2004 abgeschlossen werden soll, die Hinweise zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte (und, was wirklich wichtig ist, zur Textgeschichte, zu den Druckvorlagen!) enthält, dann sieht man, wie der Verlag aus Geschäftsinteresse die ernsthafte wissenschaftliche Arbeit an Hesse eher behindert als gefördert hat, denn das Bild, das die Flut von Hesse-Publikationen abgibt, lässt ihn eher als Parkbank- und Omnibuslektüre denn als Schriftsteller erscheinen, der von der Wissenschaft ernst genommen werden muß. Die Ausgabe der Gesammelten Schriften in sieben Bänden von 1957, die es auch als zwölfbändige Taschenbuchausgabe gibt, ist sogar als bloße Leseausgabe wegen der fehlenden Quellenangaben und der unerklärten Ausschnitte aus kleineren Texten wie Briefen etc. eigentlich eine Zumutung. Daß der Verlag hier weit hinter seinen Anstrengungen z.B. für Brecht zurückgeblieben ist, hat viele Gründe – es macht aber deutlich, wie liederlich er aus wissenschaftlicher Sicht mit Hesse umging. Das macht es Wissenschaftlern nicht leicht, ihre um historisch-analytische Erkenntnis bemühten Anstrengungen gerade Hesse zu widmen: Man muß bis heute eine Hemmschwelle gegenüber dem so Präsentierten überspringen. Und daß die Pflichtlektüre in den Schulen im Lande Baden-Württemberg einen Zugang zu Hesse eröffnet oder auch nur einige fundierte Kenntnisse hinterlassen habe, kann ich aus meiner akademischen Praxis nicht bestätigen. Bezeichnenderweise ist die (im Hesse-Magazin angekündigte) Tübinger Ringvorlesung Hermann Hesse 1877 – 1962 – 2002 im Sommer 2002, deren Beitrage jetzt publiziert sind1, erst auf Anregung der Internationalen Hesse-Gesellschaft und sanften Druck des Rektorats zustande gekommen – aus ganz freien Stücken wäre uns Germanisten in Tübingen das nicht eingefallen. Der Zuspruch vor allem älterer Bildungsbürger war übrigens enorm …
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Hermann Hesse 1877 – 1962 – 2002, hrsg. von C. Blasberg, Tübingen 2003.
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Natürlich wird über Hesse noch wissenschaftlich gearbeitet, auch in Deutschland: vor allem von Autoren, deren Lektüreerfahrung mit Hesse weit in ihre Lebensgeschichte und zugleich in die Lebenszeit des Autors zurück reicht, und von jungen Doktoranden, die eine Marktlücke gefunden zu haben glauben2. Und dann gibt es die Jubiläen, die immer wieder institutionell gefördert neue Publikationen zur Folge haben.3 Viel Material liegt noch unerschlossen in den Archiven von Marbach und Zürich und wartet darauf, ediert und kommentiert zu werden. Im Zentrum aktueller Debatten steht Hesse in der Wissenschaft nicht mehr, auch nicht mehr unter Aspekten seiner Wirkungsgeschichte, und das wohl seit der Mitte der 70er (bis 80er) Jahre, als die aus den USA angestoßene Renaissance des Autors, eine gewiß fehlinterpretierende4 (oder eben gar nicht interpretierende) Wiederentdekkung, die unter den Vorzeichen des Vietnam-Kriegs und einer spezifischen jugendlichen outsider-Bewegung stand, wieder abgeflaut war. Hesses Zuordnung zu einzelnen der eingespielten ‚Epochen‘-Begriffe der Literaturwissenschaft ist nicht leicht, weil er sich selbst keiner der stilbildenden Gruppen zugesellt und keine der theorieformulierenden Bewegungen gestützt, die ästhetischen und poetologischen Debatten um Formen und Funktionen der Literatur nicht wirklich entschieden mit geführt, sondern allenfalls als Außenseiter kritisch kommentiert hat, der sich nicht zuordnen lassen wollte, der auch den literarischen Formen und publizistischen Demonstrationen einer oft recht aggressiven literarischen ‚Moderne‘ fern blieb. So kann man einen Teil seiner Werke vielleicht der literarischen ‚Neuromantik‘ um und nach 1900 zurechnen (Romantische Lieder, 1898), andere evtl. zur Literatur des ‚Impressionismus‘. Viel bringt das nicht. Ludwig Völker hat formuliert, Hesse sei zu jung für den Naturalismus, zu alt für den Expressionismus gewesen5. Das ist es nicht allein: Gegenüber den spezifisch Modernen wie den Expressionisten und Dadaisten, der politisierten und/oder ästhetisch hoch reflexiven Literatur der 20er und frühen 30er Jahre, den Benn, Brecht, Trakl, Döblin, den Hofmannsthal, Broch, Mann, Rilke, Musil, Jünger etc. ist Hesse aus der Perspektive der Germani2
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Zu den ersteren gehören vor allem auch die amerikanischen Germanisten Ralph Freedman, Joseph Mileck, Eugen Schwarz und Theodore Ziolkowski wie S. Unseld, zur anderen Gruppe z.B.: Peter Huber, Hermann Hesse und das Theater, Würzburg 1991 (Diss. München 1990); Ch. Gellner, Weisheit, Kunst und Lebenskunst: Fernöstliche Religion und Philosophie bei Hermann Hesse und Bertolt Brecht, Mainz 1997 (Diss. Tübingen 1996); A. Miltenberger, Verborgene Strukturen in erzählenden Texten von 1900 – 1950, München 2000 (Diss. Eichstätt 1999). z.B. «Der Dichter sucht Verständnis und Erkanntwerden». Neue Arbeiten zu Hermann Hesse und seinem Roman ‹Das Glasperlenspiel›, hrsg. von E. Zimmermann, Bern 2002. Das stellt mit Recht z.B. Bernhard Zeller in seiner Monographie Hermann Hesse (überarbeitete und erweiterte Neuauflage Reinbek bei Hamburg 1975) auf S. 161 unter Hinweis auf Timothy Leary fest: «Hesse als ‚cult hero of the psychedelic generation‘, ein ebenso massives wie folgenreiches Mißverständnis!». L. Völker, Hermann Hesse, in Leben und Werk deutschsprachiger Autoren vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hrsg. von G.E. Grimm und F.R. Max, Stuttgart 1993, S. 595.
Klaus-Peter Philippi 22
stik der letzten fünfundzwanzig Jahre, die den jeweiligen Gewinn für die ästhetische Erweiterung und Renovation des Formenkanons sucht, die eher strukturanalytisch als inhaltlich fragt, die ihr Erkenntnisinteresse oft weniger an der Person des Autors und am einzelnen Text als an übergreifenden ‚kulturwissenschaftlichen‘ bzw. theorieinspirierten Fragestellungen orientiert, nicht mehr wirklich interessant. Meine Kollegin Cornelia Blasberg formulierte, Hesse habe «eigenwillig an der Moderne vorbei […] geschrieben»6. Das trifft genau. Solche Einsichten stehen natürlich in einem direkten Widerspruch zu den Motiven der bisher letzten Hesse-Welle, für die Zeller konstatierte, daß die «weitaus überwiegende Zahl all dieser Hesse-Leser», «dessen Werk im Grunde nur eine einzige große Autobiographie darstellt», «Jugendliche» gewesen seien, «und diese junge Lesergeneration fragt nicht nach ästhetischen Normen, nach Kompositionsgesetzen oder Sprachstrukturen; sie fühlt sich in erster Linie von den Tendenzen und dem Inhalt der Schriften Hesses angesprochen»7: Dies ist präzis das Gegenteil einer wissenschaftlichen Einstellung, die auf Beschreibung in historischen und literarischen Kontexten, in ästhetischen und poetologischen Zusammenhängen drängt und dabei notwendig immer theoretisch orientiert bleibt – sei es nur im Zusammenhang einer allgemeinen Hermeneutik, die zur Klärung und Reflexion der eigenen Verständnisvoraussetzungen verpflichtet und die sich nie irgendwelchen ‹Wirkungen› einfach hingeben oder naiv nach dem therapeutischen Nutzen für die eigenen Lebensprobleme fragen kann. Die Wissenschaft ist, anders als gelegentlich die Literatur und ihr Alltagsgebrauch, keine Erbauungsveranstaltung, sondern konstituiert sich durch Unterscheidung, Abstraktion und Kritik (zunächst als ‹Unterscheidung›). Auch in neueren Hesse-Darstellungen wird das oft vergessen, und so können sie von der Fachwissenschaft kaum wirklich ernst genommen werden, wenn in ihnen Hesses Werke sympathetisch bis hagiographisch wie z.B. von Martin Pfeifer8 ohne weitere Begründung «zeitlos»9 genannt, zugleich aber seine Kritiker verbal abgestraft werden (damit will ich nicht jeden törichten Satz verteidigen, der über Hesse geschrieben worden ist). Pfeifer gibt den wichtigen Hinweis, daß die Wirkung Hesses nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg (siehe auch die Wirkung auf Siegfried 6
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«Während andere zeitgenössische Schriftsteller wie Rilke, Musil Horvath, Döblin ihren auktorialen Status vom Text subvertieren, regelrecht zerstören, den Text als mediale Instanz sui generis anschaulich werden lassen, geht Hermann Hesse den entgegengesetzten Weg und schreibt seinen Gedichten, Romanen und Erzählungen Lebenslehren ein, die Sinn und Bedeutung von außen, von der Instanz des personhaften Autors und seines beschriebenen Lebens entlehnen» (so aus der Perspektive neuerer literaturtheoretischer Positionen meine Tübinger Kollegin Cornelia Blasberg, a.a.O., Vorwort, S. 9 und 10). B. Zeller, Hermann Hesse in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Erweiterte Neuauflage, Reinbek 1975, S. 15. In seinem Beitrag Hermann Hesse zu dem von Hartmut Steinecke herausgegebenen Band Deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 175 – 185. Ebd., S. 175.
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Unseld, der über Hesse kurz nach dem Krieg in Tübingen promovierte)10 besonders stark war, und nennt ihn deshalb den «Dichter einer neuen Jugendgeneration»11. Dem muß der an den Bedingungen der Wirkung auf Seiten der Betroffenen Interessierte (also in einer wirkungsästhetischen bzw. literatursoziologischen Perspektive) nachgehen – während Pfeifer ausschließlich unter thematischen Aspekten urteilt und den Aspekt der «Rebellion gegen die etablierte Gesellschaft», «überhaupt gegen die herrschende Moral» ins Zentrum rückt, wobei die jungen Leser dies angeblich «anhand von Hesses Büchern»12 «wieder und wieder» tun werden, dies ‹Rebellieren›, weil sie [die Bücher] Themen berühren, die unserer Zivilisation von Anfang an eigen sind, die den Bedrängten, Fragenden, Suchenden hilfreich erscheinen, gleichgültig unter welchem politischen System sie leben, welchen sozialen Organisationen sie angehören und zu welcher Bevölkerungsschicht sie zu rechnen sind.
So unpräzis und für eine konkrete Debatte unbrauchbar wie hier mit dem Begriff ‚Zivilisation‘ umgegangen wird, desavouiert sich dieser Beitrag für eine ernsthafte weitere Diskussion. Dies und nicht zuletzt das von Hesse dargestellte individuelle Ringen um Menschwerdung ist es, was die Leser anspricht und zur Auseinandersetzung herausfordert. Solche Haltung [sic!] und damit zeitlos Gültiges in einer sprachlichen Diktion von gekonnter und dadurch überwältigender Schlichtheit in seinen Dichtungen formuliert, gestaltet und dadurch literarisch manifestiert zu haben, dies macht den Rang Hermann Hesses aus und ist der wesentlichste Grund für die fortdauernde Wirkung seiner Werke13.
Da wird es fatal: Eine ganz unbestimmte ‹Haltung› zugleich zum ‹zeitlos Gültigen› zu erklären läßt auf eine völlig unhistorische Denkform schließen, die jedem Literaturwissenschaftler ein Greuel sein muß. Daß damit etwas Richtiges an Hesses Selbstverständnis getroffen sein, kann will ich gar nicht bestreiten: Der bezeichnende Titel Der Weg nach Innen, unter dem er 1931 die Texte Kinderseele, Klein und Wagner, Klingsors letzter Sommer und Siddharta erscheinen ließ, verweist auf eine im Kern sehr schlichte Radikal-Opposition gegen die eigene Zeit und gegen Geschichte im Ganzen, als Hilfe gegen den Blick ins Chaos (1921). Mit der Feststellung «überwältigender Schlichtheit» als Wirkungsgrund hat Martin Pfeifer etwas bemerkt, was sich 10
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S. Unseld, Hermann Hesses Anschauung vom Beruf des Dichters (masch. Diss. Tübingen 1951), der ehrfurchtsvoll Hesse zitiert und paraphrasiert und weitgehend ohne analytische Kriterien auskommt, d.h. auch ganz distanzlos bleibt: Dichtungen sind eben ‚heilig‘, wie Hesse dies selbst formulierte …. Wirkliche unterscheidende Argumentation findet man kaum: «Hesses Anschauung vom Beruf des Dichters als eines Bewahrers von ‚Maß und Ordnung‘, wie er sich dem Leser durch die besondere dichterische Gestaltungsweise aufschloß, wird auch durch den Inhalt der Dichtungen bestätigt» – da Unseld aber zur ‚Gestaltungsweise‘ (wohl auch zeitbedingt) kaum etwas Präzises zu sagen weiß, dreht er sich im Kreis. Bei mir hätte er mit dieser Dissertation nicht promoviert werden können. Vgl. auch seine Begegnungen mit Hermann Hesse, Frankfurt a.M. 1975. Ebd., S. 183. Ebd., S. 184. Ebd.
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wunderhübsch mit der Schlichtheit seiner eigenen Argumentation verbindet: Hesse ein Autor für schlichte und der Tröstung bedürftige Gemüter – womit er vielleicht nicht ganz gegen seinen Willen wieder in den Schoß seiner pietistischen Herkunft zurückkehrt, seine Texte als neue Erscheinungsformen einer biblia pauperum lesbar werden. Sie werden mir diesen Sarkasmus nachsehen, hoffe ich … – aber Texte wie der von Pfeifer sind von der heutigen Germanistik sehr weit entfernt. Man kann in den Phänomenen der Wirkung auf heutige Leser (bzw. des Verkaufs), deren Funktionsbestimmung und deren Wertung höchst umstritten ist, etwas Positives sehen, wie Völker, der Hesses Lebens- und Schreibgeschichte als Signal kultureller Kontinuität in den geschichtlichen, sozialen und literarischen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts zu lesen für möglich hält – zugleich nennt er aber die Rezeption Hesses nach 1945 bezeichnend für den ‹Modernitätsrückstand› der deutschen Gesellschaft; ich stimme ihm da völlig zu, halte die Dissertation von Unseld für ein hervorragendes Exempel und frage mich, ob dieser ‹Modernitätsrückstand›, dieses vielleicht bewußte Zurückbleiben hinter dem möglichen Stand der Erkenntnis über die ‚geistige Situation der Zeit‘ (Karl Jaspers) nicht in Hesses ‹begeisterten› und ihn wie ein Brevier studierenden Leserkreisen bis heute zu konstatieren ist (wir haben inzwischen schon eine ‚Postmoderne‘ fast hinter uns …). Die barbarische Kontinuitätsunterbrechung durch das sog. ‚Dritte Reich‘ habe dazu geführt, daß in den 50ern die 20er Jahre einseitig rekonstruiert wurden (mit verschiedenen Tendenzen in den beiden deutschen Literaturgesellschaften), und zwar unter besonderer Inanspruchnahme der konservativen Autoren wie Carossa, Binding, Bergengruen, Hesse, Schneider, Ina Seidel, Weinheber, Wiechert etc. (von denen mir heute nur noch der radikale Christ Reinhold Schneider wenigstens moralisch einleuchtet). Die Phasenverzögerung bis zur Rezeption der ‚klassischen Moderne‘ wie z.B. der Expressionisten (erst durchgreifend seit 1955, der großen Marbacher Ausstellung), besonders aber von Kafka, Broch, Musil, Döblin, Heinrich Mann, Joseph Roth, Brecht etc., darunter viele jüdische Autoren, durchweg Exilierte, hat das begünstigt – und danach haben sich die Wertungen in der Wissenschaft gänzlich umgekehrt, sind Autoren wie Hesse ohne ihren historischen Kontext – in dem sie dann mehr oder weniger auch aufgehen – nicht mehr wirklich wichtig. Zumal dieser zwar schon 1909 geschrieben hat: «Ich weiß besser als mancher zu wohlwollende Kritiker, daß ich eigentlich kein Erzähler bin» und «wir jetzt ein Bedürfnis fühlen, den einsamen Einzelnen darzustellen»14 (das sieht Pfeifer noch heute positiv), ungeachtet dessen aber an der romanhaft-fiktionalen Form des ‹Erzählens› festhält. Schon 1916 schrieb ein Kritiker (Hans Bethge; der meinte das positiv): «Hesse geht keine neuen Wege, er sucht auch keine […]» (zitiert bei Völker)15. Die aktuellen Literaturge14 15
L. Völker, a.a.O., S. 594. Bethges Artikel findet sich in Hermann Hesse im Spiegel der zeitgenössischen Kritik, hrsg. von A. Hsia, Bern-München 1975, S. 155.
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schichten – meist Sammelbände mehrerer Verfasser – ordnen Hesse und sein Werk zunächst nach den dominierenden historischen Zäsuren 1918 und 1945 in die drei damit gegebenen Phasen ein. Für die Zeit nach 1945 wird nur noch Das Glasperlenspiel (1943) ausführlicher behandelt – und Hesses sonderliche Position als dezidierter Eremit, der zugleich gegen den Elfenbeinturm wettert16; im Mittelpunkt eines anhaltenden literarhistorischen Interesses steht die Phase der Weimarer Republik, mit ihr vor allem Der Steppenwolf (1927), der im ersten Jahr seines Erscheinens an der Spitze der deutschen Bestsellerliste stand17. Die Zeit sich gegenüber dem Buch durchsetzender, die Massengesellschaft und ihre Freizeit bestimmender neuer Medien wie vor allem des Films war eine des gesellschaftlichen Prestigeverlusts und oft der Einkommensbasis der Schriftsteller; der «gesellschaftliche Funktionswandel der Kunst» führte zu einer internen Polarisierung der Gruppe der schreibenden Intellektuellen – und zum Verlust ihres einstigen Publikums, des gebildeten mittleren Bürgertums, das sich im Alltag der neuen Massenkultur und einer Zeit der ökonomischen Verelendung nicht mehr zurecht finden konnte. Die ‹Modernität der Antimoderne›, zu der man (als offene oder heimliche Nachfolger Thomas de Quincey’s, Poes, Rimbauds, Baudelaires) in Deutschland Ernst Jünger und z.T. auch Hermann Hesse rechnen konnte, versuchte ihr ästhetisches Spiel mit dem bewußtseinserweiternden Drogenrausch – und zugleich eine auf den angeblich ewigen Bestand der geistigen Traditionen zurückgreifende, der Moderne bewußt radikal entgegengesetzte Neudefinition des Menschen und der ihn bestimmenden ‹Wirklichkeit›18.Die Erfahrung des ‚gespaltenen Ich‘ und die Suche nach Mustern ästhetisch-intensiver restitutio in integrum prägte die literarischen Texte: gegen solch schneidende Analyse der Befindlichkeit der Zeit, wie sie z.B. Ernst Bloch in seinem Buch Erbschaft dieser Zeit19 formuliert hat, der die «Angst vorm ‚Chaos‘»20 als ihr Charakteristikum ausmacht, über das sie sich mit allen Mitteln hinwegzutäuschen suche. Hesse stellte demgegenüber apodiktisch fest (in seinem Buch Wanderung, 1920): «Der Weg der Erlösung führt nicht nach rechts und nach links, er führt ins eigene Herz, und dort allein ist Gott, und dort allein ist der Friede». Daß er am 10. 11. 1930 (in einem unglücklichen engen zeitlichen Zusammenhang, kurz vor Erwin Guido Kolbenheyer, Wilhelm Schäfer und Emil Strauß) aus der Preußischen Akademie der Künste, Sektion Dichtkunst, austrat (Hesse hat das in einem Brief an Thomas Mann mit seinem «tiefen Misstrauen gegen die deutsche Republik» begründet, einen «haltlose[n]und geistlose[n] Staat»; Inge Jens hat der Akademie eine 16
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Literatur in der Bundesrepublik Deutschland bis 1967, hrsg. von L. Fischer (Hansers Sozialgeschichte der dt. Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, hrsg. von R. Grimminger, Bd. 10), München 1986, S. 193. Literatur der Weimarer Republik 1918 – 1933, hrsg. von B. Weyergraf. (Hansers Sozialgeschichte …, Bd. 8). München 1995, S. 61. Ebd., S. 628. E. Bloch, Erbschaft dieser Zeit, Berlin 1935. Erweiterte Neuauflage Frankfurt a.M. 1962. Ebd., S. 397.
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vorzügliche Studie gewidmet)21, stellt eine ziemlich schrille Begleitmusik zu den eben zitierten kontemplativ-pseudoreligiösen Tönen dar. Immerhin war 1926/27 das alle Autoren bedrohende ‹Gesetz gegen ‚Schmutz und Schund‘› erlassen worden; 1927 wurde Johannes R. Becher, 1932 Carl von Ossietzky wegen angeblichen ‹Landesverrats› verurteilt. Wenn Ludwig Fischer von der «traditionalistischen Fortführung einer Autonomie-Ästhetik [spricht], die sich letztlich romantischer Hypostasierung von ‚Poesie‘ zur eigenen, eigentlich geschichtswirksamen Realität»22 verdanke, dann korrespondiert das «dem Ausbleiben fast jeder Abarbeitung an den Ausdrucksweisen der literarischen Moderne»23 und führt im gesamten Werk «immer wieder zu den verschiedensten Formen von Flucht, Regression, Absonderung, beschaulicher Idyllik und nicht selten, besonders in der Lyrik […], gefühliger Konventionalität»24. Fischer hat auch mit bestechender Schärfe das Grundproblem gesehen, das darin liegt, daß es einen «konkreten Bezug zwischen Kunst und Politik, den Hesse ja zu erkennen behauptet, […] faktisch für ihn nur in der Person des Autors und im ‹Schicksal› seiner Bücher»25 gibt. «Im Werk selbst transformiert sich Politisches allenfalls in ein ‚Gleichnis‘»26 – Barner hat davon gesprochen, dem «Gegenwartsbezug» fehle «die Materialität»; «das Utopische speist sich […] aus tief Vergangenem, besonders aus einem romantisierten Mittelalter» und «das Musterhafte ist entnervend ‚rein‘»27. Fischer hat gezeigt, daß die «scheinbar politische, tatsächlich jedoch aus dem literarisch-ästhetischen Programm abgeleitete Illusionslosigkeit Hesses»28 exakt der Politikverdrängung der westdeutschen Leserschaft nach 1945 entsprach und wohl auch noch entspricht – prüfen Sie, die Liebhaber, das bitte an sich selbst, ob diese ‹Liebe› nicht der Sehnsucht nach einer ästhetischen Utopie ohne die Wirren, Widersprüche, Kämpfe und Verletzungen der alltäglichen Politik, ja des Lebens, auch in der Demokratie, zu verdanken ist … Die hier sich vollziehende «Ausgrenzung des ‹Geistigen› aus der gesellschaftlichen Praxis»29 korrespondiert der Art der Rezeption innerhalb der «Fluchtmentalitäten» der 70er Jahre30.
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Vgl. H. Hesse-Th. Mann, Briefwechsel, Frankfurt a.M. 1968; erweiterte Ausgabe 1975, S. 24; I. Jens, Dichter zwischen rechts und links. Die Geschichte der Sektion für Dichtkunst an der Preußischen Akademie der Künste dargestellt nach den Dokumenten, München 1971, 2. erweiterte und verbesserte Auflage Köln 1994. Literatur in der Bundesrepublik Deutschland bis 1967, a.a.O., S. 194. Ebd. Ebd. Ebd., S. 194 f. Ebd., S. 195. Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart, hrsg. von W. Barner, München 1994, S. 34. Literatur in der Bundesrepublik Deutschland bis 1967, a.a.O., S. 195. Ebd., S. 196. Ebd.
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Lothar Köhn hat all dies in seinen Überlegungen zur methodischen Rekonstruktion einer Geschichte der Literatur in der Weimarer Republik31 schon 1974/75 gesehen und damit auch das Hesse-Verständnis der Germanistik (und meines) vorbereitet – und niemand kann sich wundern, der die germanistischen Beiträge zur Kenntnis genommen hat, daß sich die Germanistik für Hesse nur noch sehr am Rande und eher unter negativen Vorzeichen interessiert! Köhn hat als Grundgedanken einer Rekonstruktion der Geschichte der Literatur zwischen 1914 und 1933, im Blick auf die fehlende stilgeschichtliche Einheit der Epoche, auf der Ebene durchaus abstrakter (erschlossener) Bewußtseinsformen, mit einem Zitat von Ernst Troeltsch die Formel von der ‹Überwindung des Historismus›32 geprägt. Die setzt bereits 1914 mit der Verherrlichung des Weltkriegs aus ideologisch-ästhetischen Gründen ein – mit wenig Gegenwehr, zu der bald auch Hesse zu rechnen war. Der spätere ‹Zug zum Surrealismus› (das magische Theater!) bleibt bei Hesse Teil eines individualgeschichtlichen Bildungsprojekts; Hesse gehört zur ‚Politik‘ der Un- bzw. Anti-Politischen (wie Thomas Mann), denen es um Ethik oder Metaphysik geht33. Eine Alternative, die einer radikal-kritischen Analyse der eigenen Zeit zu verdanken war, hätte die Erkenntnis sein können (ich folge hier mit Köhn Ernst Bloch), als Frucht eines Relativismus aller Werte nun die Montage als Konstruktionsprinzip zu verstehen: «sie improvisiert mit dem gesprungenen Zusammenhang, sie macht aus den pur gewordenen Elementen […] variable Versuchungen und Versuche im Hohlraum. Dieser Hohlraum ist eben durch den Einsturz der bürgerlichen Kultur entstanden; und in ihm spielt […] sichtbarer eine neue Figurenbildung aus den Partikeln des chaotisch gewordenen Kulturerbes»34. Kultur im Unter- oder Übergang: die Skala der dies Erfahrenden und Benennenden reicht von den Völkischen bis zur undogmatischen Linken der Kracauer und Bloch. Hesse schrieb, im Gewand des Romans, eher kulturkritische Pamphlete und ethische Manifeste, aber keinen, nicht einmal einen essayistischen Experimentalroman (wie Musil, Broch oder Mann). Es gibt bei ihm geradezu programmatisch keine sprachlich-strukturelle Neuschöpfung; die Texte bleiben im Kern narzißtische Selbstdarstellung, auch wenn er z.B. von seinem Demian behauptete, es sei die «Geschichte […] eines wirklichen, einmaligen, lebenden Menschen»35 – also gerade keine Fiktion … Der Einzelne (vor allem der Autor selbst) wird, bis hin zum Glasperlenspiel, als 31
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L. Köhn, Überwindung des Historismus. Zu Problemen einer Geschichte der deutschen Literatur zwischen 1918 und 1933, in «DVjs» I. Teil 48, 1974, S. 704–766; II. Teil: 49, 1975, S. 94– 165. E. Troeltsch, Der Historismus und seine Überwindung. Fünf Vorträge. 1924; dazu auch K. Mannheim, Historismus, in: ders., Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk, eingel. u. hrsg. von K.H. Wolff, Darmstadt 1964; F. Meinecke, Die Entstehung des Historismus. 1936, 2. Aufl. 1946. L. Köhn, Überwindung des Historismus, in «DVjs», 48, 1974, S. 742. E. Bloch Erbschaft dieser Zeit. Erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a.M. 1962, S. 214ff. GW, 5, S. 7
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an sich und der Welt Leidender, zum Führer oder wenigstens – qua Literatur, in einer Wiederbelebung legendarischer Formen des Erzählens – zum ethischen Vorbild der Selbst-Suche stilisiert, als Hoffnung auf eine Elite neuer Menschen (eine Parallele zu vielen Expressionisten, zu Jünger) gegenüber dem von Nietzsche verachteten ‹Herdenmenschen›, auch wenn Hesse sich und seine Figuren der direkten Inanspruchnahme entziehen will. Brecht und andere hatten erkannt, daß der Einzelne nicht mehr als geschichtsmächtig zu begreifen war, sondern die ‚Person‘ als eine Art blinder ‚Zufall‘ in der allumfassenden Kollektivierung durch den Krieg, die moderne Technik und Verwaltung erschien. Demgegenüber war die Regression in «uralte Bestände», so Gottfried Benn, nicht nur ästhetisch allzu verlockend. Der «sich radikalisierende Abbau überzeitlicher Normensysteme, als ‚Historismus‘»36 seit dem 18. Jahrhundert eine zentrale bürgerliche Denkkategorie, bewirkt, daß wir uns bis in unser Innerstes als geschichtlich (und das heißt eben nicht mehr wesentlich von uns selbst her und nicht als überzeitlich) bestimmt erfahren: «Vergeschichtlichung und Vergesellschaftung des Denkens» also, seit der nachidealistischen Auseinandersetzung mit Hegel, am Ende der großen metaphysischen Denksysteme. Wenn für Nietzsche klar war, daß «der Nihilismus die zu Ende gedachte Logik unserer großen Werte und Ideale» darstellt37, die «obersten Werte sich entwerten», dann verband sich das mit der Vorstellung des «Umschlags der Philosophie der geschichtlichen Zeit in das Verlangen nach Ewigkeit»38. Der «pathologische Zwischenzustand», das ‚Chaos‘, schien ohne die Perspektive auf eine Überwindung nicht erträglich39 («pathologisch» ist dabei die «ungeheure Verallgemeinerung, der Schluß auf gar keinen Sinn», so Nietzsche). Der Impuls, jenseits oder in der Geschichte selbst «Übergeschichtliches zu bestimmen»40, führt zu Vorstellungen von einem «IrdischAbsoluten», wie Broch das genannt hat. Hesse hat sich vom nach 1918 bestimmenden «Horizont der praktisch-politischen Realisierung von Werten»41 abzuwenden versucht, um «jenseits der Historisierung zu einem neuen Absoluten vorzustoßen»42 – durch Imaginationen der Kunst bzw. der Künstler-Existenzen als der ‚Geistigen‘ – und ist als Apologet einer «innerweltlichen Transzendenz» (Georg Lukács) der Welt des Gegebenen polemisch verhaftet geblieben: mit einer Transzendenz ohne bestimmte Gottesvorstellung. Brecht hat in um 1920 entstandenen Versen das wie folgt ausgedrückt:
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F. Meinecke, a.a.O. F. Nietzsche, Werke, hrsg. von K. Schlechta, München 1956, Bd. III, (Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre), S. 557. K. Löwith, Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts, 4. Aufl., Stuttgart 1958 (Überschrift eines Nietzsche-Abschnitts). L. Köhn, a.a.O., S. 750 f. Ebd., S. 751. Ebd., S. 753. Ebd., S. 752.
Hesse und die heutige Germanistik in Deutschland 29 Wenn die Irrtümer verbraucht sind Sitzt als letzter Gesellschafter Uns das Nichts gegenüber43.
Daß der Künstler allenfalls «innere Politik» betreibe, hat Thomas Mann in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen (1918) der Epoche nach 1917/18 als Aufgabe aus bürgerlich-konservativer Perspektive zugewiesen: «seine Aufgabe, das Gewissen des Lebens zu wecken und wachzuhalten, ist schlechterdings keine politische Aufgabe, sondern eher eine religiöse»44 – man bemerkt die kategoriale Unsicherheit, die sich in der Modalität ausdrückt … So hat auch Hesse Kafkas ‚Schloß‘-Roman (erschienen 1926) wie der Herausgeber Max Brod religiös interpretiert (1935)45; wenn man heute die Leerstelle dort feststellt, wo sich das Zentrum aller Wahrheit in den Erzähl- und Verhaltensstrukturen angesiedelt hat, muß man die Vorzeichen nur umkehren: und Hesse hat nicht schlecht gelesen … Das berührt sich in der Hoffnung auf ein ‹magisches [oder ‚mystisches‘] Denken›, das eine neue Wirklichkeit schaffe, mit Ernst Jünger: beim Bemühen um die Konstruktion eines ‹Umschlags›, «aus dem Nichts in neuen Sinn»46 in aestheticis, aber nicht mit Jüngers totalitären PraxisKonzepten einer ‹konservativen Revolution›, der in einer metaphysischlebensphilosophisch grundierten Anstrengung eine Art positivistischer Identifikation mit der ‹Wirklichkeit› (Der Arbeiter, 1932) versuchte, in der jeder nur perspektivischen Weltdeutung (also der Erkenntnis, die Nietzsche formuliert hatte) abgeschworen wird: im «Wille[n] zur totalen Diktatur […] als Wille zur totalen Mobilmachung» (Der Arbeiter, S. 42). Die «magischen Dichtungen» Kafkas47, so dagegen Hesse, werden als Transformationen der «Spekulation» eines «jüdische[n] Kierkegaard» gedeutet, eines «talmudisch denkende[n] Gottsucher[s]». In einem Brief von 1930 hat Hesse seine Werke als «jeweils eine neue Inkarnation, eine etwas anders gemischte und anders differenzierte Verkörperung meines eigenen Wesens im Wort […]»48 gedeutet: Dabei wird der Buchstabe zum Fleisch, in dem das ‚eigene‘ und unveränderliche ‚Wesen‘ immer neu sich ausdrückt – so kann man nur sprechen, wenn man sich selbst eine religiöse Existenzform zuspricht, göttlicher ‚Geist‘ zu sein beansprucht … Und wenn Hesse einem Leser zuredet: «Hören Sie nur auf diese Stimme, die jetzt nicht mehr aus einem Buch, sondern in Ihrem eigenen Innern spricht, sie wird Sie weiter führen»49, so soll sich hier die vox poetae aus dessen Inkarnation in den Geist verwandeln, der sich im Leser dann als dessen eigener zu erkennen geben und ihn führen soll … der Struktur nach also 43 44 45 46 47 48 49
GW, 8, S. 99; 10, S. 5. Th. Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen, Berlin 1918, S. 580. Vgl. GW, 12, S. 477ff. L. Köhn, a.a.O., S. 765. GW, 12, S. 479. GW, 12, S. 82. GW, 11, S. 94.
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eigentlich eine vox Dei ist. «Der uralte Zauber»50, von dem Hesse spricht, «das Geheimnis einer hierarchisch geordneten kleinen Schar von Bevorzugten» (in seiner Besprechung seiner Morgenlandfahrt), wird hier endgültig zum ‹faulen Zauber› einer Legenden-Fabrikation nach religiösen Mustern, die sich nicht nach ‚rechts‘ oder ‚links‘, sondern nach ‚oben‘, in ein entmaterialisiertes Reich des Geistes und der Kunst von der Wirklichkeit des Lebens programmatisch entfernt. Wo man also nur lesend nach-beten und nachfolgen kann, wendet sich der Gast, nicht nur als Wissenschaftler, mit Grausen. Und so ist denn der in jeder Hinsicht historisch gewordene Autor allenfalls als ein Leitfossil vergangener Epoche lesbar, nicht mehr ein offenes Problem der Wissenschaft im Kontext heutiger Zeiterfahrung – das Problem sind allenfalls die Leser als Verehrer (und sie ausnutzend, ja ausbeutend der event-Charakter sowie die eher grotesken Züge eines öffentlichen Hesse-Kultes), die dem ‚Meister‘ folgen möchten, wenn sie zu Nachbetern und im ‚Geiste‘ Nachfolgenden werden, die zuvor den eigenen Geist, das sapere aude, das kritische Nachdenken über sich und ihre Zeit aufgegeben haben, an die sie doch unlöslich gebunden bleiben.
Nachtrag Zur veränderten Theorie-Situation in der Literaturwissenschaft: Ich will nur in der äußersten Kürze, ohne völlig falsch zu werden, auf die zentralen Veränderungen im Bestand der theoretischen Konzepte, die beinahe herrschenden Denk- und Analyseformen eingehen, die die Wissenschaft in den letzten gut zwanzig Jahren verändert haben – mit denen ich hier gar nicht operierte und die ich großen Teils für überzogen, pragmatisch zu vernachlässigen und meinen Erkenntnisinteressen nicht förderlich halte. Der folgenreichste Einschnitt in die hermeneutische Tradition der Geisteswissenschaften, auch der Germanistik natürlich, erfolgte mit dem sog. linguistic turn, der verspäteten Rezeption des Hauptwerks von Ferdinand de Saussure Cours de linguistique generale (1917) sowie der Wirkung von Roman Jakobson und dem russischtschechischen Formalismus und Strukturalismus der Todorov, Eijchenbaum, Sklovskij, Lotman u.a., die seit den späten 20er und 30er Jahren schrieben, in Deutschland nach etwa 1960. Sprache und sprachliche Produkte werden hier als nach internen Regeln organisierte Systeme von Zeichen verstanden, deren ‹Bedeutung› nur in einer gegebenen Ordnung und im Bezug auf andere Zeichen, nicht durch externe Referenz auf Dinge, Sachen oder Gedanken und Gefühle, gegeben ist. Der einzelne Text wird dabei grundsätzlich als in sich strukturierter ganz unab50
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hängig von seinen möglichen Kontexten analysiert. Gesucht wird nach Regelmäßigkeiten, Ordnungen, Gesetzlichkeiten innerhalb eines Systems, das dann oft abstrakt über der Ebene der Teilsysteme (= Texten) konstruiert wird; die Tätigkeiten sind Segmentieren, Vergleichen, Klassifikation (Roland Barthes). Damit wird die traditionelle (literarische) Hermeneutik, die das Individuelle am Text zugleich auch als Besonderes des Autors und seiner intellektuell-emotionalen ‹Intention› (ein Rest der alten Genieästhetik …) durch Beziehung auf den Leser in ihren jeweils verschiedenen geschichtlichen Zusammenhängen als Teil eines alle Vereinzelungen umgreifenden ‚geistigen‘ Prozesses zu verstehen sucht, zumindest in den Hintergrund gedrängt, im Grunde theoretisch abgelöst. Der Vorrang präziserer und funktional bestimmter Begrifflichkeit wird von reduziertem Interesse für das Individuelle begleitet, was nicht nur bewußt in Kauf genommen, sondern als wesentlicher wissenschaftlicher Vorteil angesehen wird. Die gesamte Postmoderne (oder der ‚Poststrukturalismus‘) setzt sich vor allem systematisch und schärfer von der ‚Moderne‘ ab, die noch in den grand récits der Philosophie und der Literatur von Emanzipation und Aufklärung, von ‹der Geschichte› oder in metaphysischen Spekulationen ihr Heil – auch ihr ästhetisches – gesucht hat. An deren Stelle tritt eine andere, beschränktere Legitimation: die des Sprachspiels, nein: der vielen Sprachspiele, die das intelligible und das soziale Subjekt in eine Teilfunktion eines dieser Spiele aufzulösen scheinen. Die Legitimation diskursiver, besonders wissenschaftlicher Aussagen wird nicht mehr von dem fundamentum inconcussum ‹Gott› oder dem ‹vernünftigen Subjekt› als letzter Referenzebene hergeleitet. Die moderne «Entwertung der Heterogenität» (so Lyotard) muß, so das Programm, rückgängig gemacht werden, um nicht eine bestimmte und exkludierende Form von Rationalität und mit ihr die Ausgrenzung alles Heterogenen und Heteronomen zu verabsolutieren. Die Diskursanalyse und der New Historicism gehen dabei nicht so weit wie die Dekonstruktion. Sie haben immer ein (konstruiertes) ‹Allgemeines› im Blick: am Einzelnen (Text, Autor) sind sie nicht interessiert, sondern an Seh-, Denk-, Rede- und Schreib-Systemen, übergreifenden Strukturen. Das Subjekt wird minimiert, ‹Autor› ist nur eine Funktion des Textes (Foucault), die im Zeichensystem kultureller Symbolisationen auftaucht; ‹Bedeutung› ist immer Bedeutungszuschreibung, die auf Machtkonstellationen und Ordnungssysteme verweist, mit denen sie in vielfältig vernetzten Prozessen in Zusammenhang steht (ein letztlich aus der Kybernetik übernommenes Modell): gegen Metaphysik und Geschichtstheorie. Die Dekonstruktion als Programm soll solche falschen Totalisierungen in der Praxis der Lektüre, des Sprechens und Schreibens, aber im Grunde aller sozialen Tätigkeit, verhindern – zu der einen Sprache (der des ‹Begriffs› bei Hegel) sollen andere daneben gesetzt werden. Methodologische Basis dieses Verfahrens, das sich selbst dabei immer kritisch reflektiert, die herrschende Sprache mit deren Mitteln und als von dieser reklamierter Teil zu erweitern und zu de-konstruieren, ist ein verallge-
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meinerter Textbegriff: «Das, was ich den Text nenne, ist praktisch alles» (Derrida). – also ohne Grenzen, in einer unendlichen Fülle von Übergängen. Er ist «kein Zentrum […], ohne Grenzen der differentiellen Verweisung». Diese Allgemeinheit ist der Ausgangspunkt des diskursiven Verfahrens bei der Übertragung von einem Text auf einen anderen; diese Allgemeinheit ist kein ‹Begriff›, der eine ‹Substanz› hätte51. Der Terminus der differánce soll das bezeichnen, daß es eine letzte, substantielle Bestimmung nicht gibt, sondern diese immer ‚aufgeschoben‘ bleibt, also kein einzelner Text, kein Autor-Subjekt, keine geschichtliche Konstellation für sich identifizierbare, abschließend bestimmbare ‹Bedeutung› hat. Über die Einsicht in die Existenz einer Vielzahl von Sprachen hinaus, die es zu jeder Zeit gibt, ist keine Verallgemeinerung mehr möglich. Es gibt also keine universelle Methodologie, keine Taxonomie, aber auch keine Geschichtsphilosophie – nur immer neue, neue Fragen aufwerfende und alte umschreibende Lektüren unter der Einwirkung der Macht (von denen die letzte und unhintergehbare ‹die Sprache› selbst ist …).
Literaturhinweise 1. Neuere Literaturgeschichten Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart, hrsg. von Wilfried Barner, München 1994. Literatur in der Bundesrepublik Deutschland bis 1967, hrsg. von Ludwig Fischer (Hansers Sozialgeschichte der dt. Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, hrsg. von Rolf Grimminger, Bd. 10), München 1986. Literatur der Weimarer Republik 1918 – 1933, hrsg. von Bernhard Weyergraf (Hansers Sozialgeschichte der dt. Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart Hansers Sozialgeschichte, Bd. 8), München 1995. Herbert Lehnert, Geschichte der deutschen Literatur vom Jugendstil bis zum Expressionismus, Stuttgart 1978.
2. Kurze monographische Darstellungen u.a. Siegfried Unseld, Hermann Hesses Anschauung vom Beruf des Dichters (masch. Diss.), Tübingen 1951. «Text + Kritik», 10/11: Hermann Hesse, hrsg. von Heinz Ludwig Arnold, München 1977. Bernhard Zeller, Hermann Hesse in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Erweiterte Neuauflage, Reinbek 1975. Rudolf Koester, Hermann Hesse, Stuttgart 1975. Ludwig Völker, Hermann Hesse, in Leben und Werk deutschsprachiger Autoren vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hrsg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max, Stuttgart 1993, S. 594–598. 51
Hier gibt es Beziehungen zum System-Begriff der Systhemtheorie von Niklas Luhmann, einem weiteren Theorieimplantat in die neuere Germanistik.
Hesse und die heutige Germanistik in Deutschland 33 Martin Pfeifer, Hermann Hesse, in Deutsche Dichter der Moderne, hrsg. von Hartmut Steinecke. Berlin 1994.
3. Zum problemgeschichtlichen Kontext: Lothar Köhn, Überwindung des Historismus. Zu Problemen einer Geschichte der deutschen Literatur zwischen 1918 und 1933, in «DVjs», 48, 1974, S. 704–766 und 49, 1975, S. 95–165. Ernst Troeltsch, Der Historismus und seine Probleme, 1: Das logische Problem der Geschichtsphilosophie, Berlin 1922 (Neudruck: Ges. Werke III, Tübingen 1961). Ernst Troeltsch, Der Historismus und seine Überwindung. Fünf Vorträge, Berlin1924. Karl Mannheim, Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk, Eingel. und hrsg. von Kurt H. Wolff, Darmstadt 1964. Ernst Bloch, Erbschaft dieser Zeit, Berlin 1935, 2. erweiterte Neuauflage, Frankfurt a.M. 1962.
4. Hesses Selbsteinschätzung (ein Beispiel unter vielen): «Es hat im Laufe der Jahrhunderte tausend ‚Gesinnungen‘ und Parteien und Programme gegeben, tausend Revolutionen, sie haben die Welt verändert und (vielleicht) vorwärts gebracht. Aber keines ihrer Programme und Bekenntnisse hat seine Zeit überdauert. Die Bilder und Worte einiger echter Weiser und Liebender und Sichopfernder haben die Zeiten überdauert, und tausendmal hat ein Wort Jesu, oder ein Wort eines griechischen oder andern Dichters, nach Jahrhunderten noch Menschen getroffen und aufgeweckt, und ihnen den Blick für das Leid und das Wunder des Menschentums geöffnet. In der Reihe dieser Liebenden und Zeugen ein kleiner, einer von Tausenden zu sein, wäre mein Wunsch und Ehrgeiz, nicht aber für ‚genial‘ und dergleichen zu gelten».
(Brief, 1937 – zitiert nach GW, 11, S. 16 – in Ges. Briefe, Frankfurt a.M., 1982, Bd. III: 1936 – 1948, nicht unter denen von 1937 zu finden …). 5. Neueste Literatur «Der Dichter sucht Verständnis und Erkanntwerden». Neue Arbeiten zu Hermann Hesse und seinem Roman ‹Das Glasperlenspiel›, hrsg. von Eva Zimmermann, Bern 2002. Hermann Hesse 1877 – 1962 – 2002, hrsg. von Cornelia Blasberg, Tübingen 2003.
Volker Michels
Zur Hermann Hesse-Rezeption in Deutschland1 «Teils ausgelacht, teils angespuckt, teils den sentimentalen Leserkreisen überlassen»2, das, meine Damen und Herren, ist die bittere Bilanz, die Hermann Hesse ein Jahr nachdem ihm der Nobelpreis verliehen wurde, in einem Brief an den Schriftsteller Albrecht Goes über das Echo ziehen mußte, das sein Lebenswerk zu seinen Lebzeiten in den deutschen Medien und in Hochschulkreisen fand. Und weil sich daran bis heute kaum etwas geändert hat, ist es wohl wert, dieses merkwürdige Phänomen ein wenig zu untersuchen. Denn weit über den Spezialfall Hermann Hesse hinaus ist es symptomatisch für die Reaktion unseres Kulturbetriebes auf Autoren, die gegen den Strom des Zeitgeistes schwimmen, sich also gegenüber den jeweils angesagten Moden und Anpassungszwängen nicht affirmativ verhalten. Doch Gottseidank gilt auch für künstlerische Leistungen das physikalische Gesetz von der Erhaltung der Energie, dem zufolge Energie nicht verlorengehen kann und umso größer ist, je erheblicher die Widerstände sind, die sie zu überwinden vermag. Wie sonst hätte Hermann Hesses Werk trotz des beharrlichen Totschweigens derer, die sich im deutschen Sprachgebiet für sachverständig halten, dennoch eine Gesamtauflage von 25 Millionen Exemplaren erreichen können, was immerhin einem knappen Viertel der weltweiten Verbreitung seiner Bücher entspricht. Nun wird mancher vielleicht einwenden, es habe doch anläßlich des Nobelpreises 1946, seines Todes 1962, der runden Geburtstage wie des 100. im Jahr 1977 und erst recht 2002, anläßlich des 125., hierzulande wahrhaftig nicht an Rummel um diesen Schriftsteller bis hinein in die Regenbogenpresse gefehlt und auch sein Heimatstädtchen Calw habe sich diesmal nicht lumpen lassen, um mit dem Etikett Hermann Hesse alles Erdenkliche zur Hebung des Fremdenverkehrs beizutragen und zum Wohl der Veranstalter mit ihren mehr oder weniger sinnvollen Darbietungen. Das ist schon richtig. Aber die wirklich inhaltlichen Auseinandersetzungen mit Hesses Werk, mit seiner kulturpolitischen Bedeutung für die Gegenwart und 1
2
Der Vortrag, den Volker Michels im Juli 2003 in Hesses Geburtsstadt Calw gehalten hat, wurde in dem Band Hermann Hesse und die Literarische Moderne, hrsg. von A. Solbach, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2004, veröffentlicht. Wir danken Herrn Michels und dem Suhrkamp Verlag für die freundliche Genehmigung, diesen Aufsatz in dem Ort, wofür er ursprünglich geschrieben wurde, herausgeben zu dürfen. Hermann Hesse: An Albrecht Goes [Oktober 1946], in ders., Gesammelte Briefe, Dritter Band 1936–1948, in Zusammenarbeit mit Heiner Hesse hrsg. von Ursula und Volker Michels, Frankfurt a.M. 1982, S. 379.
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Zukunft, waren in der deutschen Presse doch an den Fingern abzuzählen, ganz zu schweigen von der Überprüfung seiner Bewertung in der einheimischen Literaturlandschaft des 20. Jahrhunderts, wo ihm neben Kafka, Rilke, Brecht, Benn, Thomas Mann, Döblin, Musil, Böll oder Grass nach wie vor eher der letzte Platz zugewiesen wird. Statt sich angesichts seiner für einen deutschen Dichter einzigartig grenzüberschreitenden Wirkungsgeschichte zu fragen, wie stichhaltig unsere Literaturgeschichten noch sind, mit ihren von Generation zu Generation immer wieder voneinander abgeschriebenen Gerüchten vom weltfremden Innerlichkeitsapostel, vom unpolitischen Nabelbeschauer, vom spätromantischen Realitätsflüchtling und wie sie alle heißen. Noch nie war diese längst fällige Revision so einfach wie heute, dank der leichten Verfügbarkeit seiner Schriften (zu Hesses Lebzeiten gab es sie ja noch nicht in Taschenbüchern) und der zahlreichen Nachlaßeditionen nach seinem Tode. Noch nie, meine Damen und Herren, war auch das inhaltliche Fundament seiner Werke, das sich seit Hesses Lebzeiten mehr als verdoppelt hat, dermaßen komplett zugänglich und noch immer schweigen die doch sonst nicht auf den Mund gefallenen Meinungsmacher und wollen eine Kurskorrektur nicht riskieren. Wenn überhaupt, dann sind es Künstlerkollegen, die zuweilen einen vorurteilsfreien Befund wagen, wie zum Beispiel der Schweizer Schriftsteller Hermann Burger, der schon vor 25 Jahren erkannt hatte: «Der Dichter aus Montagnola ist eine Weltmacht»3, womit er auf die soziologischen Auswirkungen der Hesse-Renaissance hinwies, wie z.B. auf die Förderung des ökologischen Bewußtseins, die Ächtung der Gewalt, die antiautoritären Bewegungen, die Reformpädagogik, die Überwindung des Eurozentrismus, die Annäherung der Kulturen z.B. in den religionenübergreifenden Verständigungsbemühungen der Weltethos-Bestrebungen von Hans Küng, alles Impulse aus Hesses millionenfach gelesenen Büchern, die sonst wohl kaum jene Akzeptanz gefunden hätten, die ihnen heute zukommt. Außerliterarische Wirkungen, gewiß – werden die Philologen sagen, Wirkungen, welche einen Sprachwissenschaftler nicht zu interessieren brauchten. Zum Nachteil der Germanistik, meine ich, denn sind es nicht eben jene Scheuklappen, die einmal mehr bestätigen, was Hesse bereits 1912 am Beispiel von Jean Paul, Johann Peter Hebel und Eduard Mörike konstatiert hat: «Das Destillieren der ‹Klassiker› hat das lesende Volk besorgt, nicht die Wissenschaft, und auf vielen Gebieten ist diese hinter dem Volk noch um viele Schritte Wegs zurück»4. In der Tat ist es so, daß Hermann Hesse und sein Werk längst von der Bildfläche verschwunden wären, wenn er auf die Zuwendung angewiesen sein würde, die er hierzulande bei den professionellen Sachwal3 4
H. Burger, Schönes Lesen – Zur Hesse-Jubiläumsausgabe, in «Aargauer Tagblatt» vom 30.4.1977. Hermann Hesse, An Reinhard Buchwald [1912], in ders., Gesammelte Briefe, Erster Band 1895–1921, in Zusammenarbeit mit Heiner Hesse hrsg. von Ursula und Volker Michels, Frankfurt a.M. 1973, S. 213ff.
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tern findet. Nicht unseren Fachleuten unter den Akademikern, sondern Ihnen, meine Damen und Herren, also den unvoreingenommenen Lesern, ist es zu verdanken, daß seine Bücher solch eine Breitenwirkung erzielen. Woher aber kommt diese Hochnäsigkeit der Fach- und ihrer Gefolgsleute in der Presse? Wie läßt sie sich erklären? Lassen Sie mich versuchen, einige Antworten auf diese Frage zu finden, zunächst mit einem kurzen historischen Rückblick. Die ersten 15 Jahre seines Schaffens lebte Hesse alles in allem noch in leidlichem Frieden mit dem deutschen Kulturbetrieb. Die Mehrzahl der Kritiker und Literaturhistoriker war damals sehr angetan vom Peter Camenzind, den frühen Gedichten, den heimatverbundenen Erzählungen der Sammelbände Diesseits, Nachbarn, und Umwege, den realistisch-resignativen Romanen Gertrud, und Roßhalde, den anschaulichen Reiseberichten Aus Indien. Nur wenn er Ursachen aufzeigte und gesellschaftskritische Töne anschlug wie in seiner Schülertragödie Unterm Rad, wurden sie ungemütlicher. Da hagelte es erstmals Verrisse und empörte Leserbriefe, wie die Zuschrift eines Lehrers: «Schopenhauer und Nietzsche sind ja Muster an Grobianen, aber gegen Sie sind sie Waisenknaben»5. – Doch auch dies hielt sich durch den Vergleich mit zwei hochkarätigen Philosophen immerhin in respektvollen Grenzen. Nicht gern, und anfangs noch unpolemisch, tolerierte man Hesses Mitarbeit in der satirischen Zeitschrift Simplicissimus, sein Engagement als Mitherausgeber der gegen das selbstherrliche Regime des letzten deutschen Kaisers gerichteten europäischen und antipreußischen Zeitschrift März. Doch mit dem Weltkrieg, als Hesse erstmals in die Mühle geriet zwischen Vaterlandsliebe und Vernunft, veränderte sich das Klima nachhaltig. Sein Aufruf 0 Freunde, nicht diese Töne vom Oktober 1914 und mehr noch ein Jahr später seine Äußerung: Es ist mir nicht gelungen, mich dem Kriege literarisch anzupassen. Es ist meine Hoffnung, Deutschland möge weiterhin der Welt nicht bloß mit den Waffen imponieren, sondern mit den Künsten des Friedens und mit der Betätigung einer übernationalen Humanität.6
brachte die systemkonforme Presse in Rage. Daß Hesse sich im August 1914 aus Solidarität mit seinen zum Kriegsdienst mobilisierten Kollegen und Freunden in Deutschland freiwillig gestellt, doch wegen seiner Kurzsichtigkeit nicht rekrutiert wurde, daß er statt dessen im Sommer 1915 in Bern eine Zentrale für Deutsche Kriegsgefangenenfürsorge gegründet hatte, die bis 1919 Hunderttausende von Internierten betreute, wollte plötzlich niemand mehr wissen. Als Drückeberger, vaterlandsloser Gesell und Nestbeschmutzer war er von nun an in den Medien seiner Heimat geächtet. Und das hielt noch jahrzehntelang vor, zumal er sich schon 1912 ins Ausland abgesetzt hatte und nicht mehr nach Deutschland zurückkehrte, es sei 5 6
H. Hesse, Unterm Rad, Roman in der Urfassung, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. – Zürich 1977, S. 221. Hermann Hesse: An die Redaktion des «Kunstwart», 23.10.1915, in ders., Gesammelte Briefe, a.a.O., Bd. 1, S. 297.
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denn bis 1929 zu gelegentlichen Lesereisen und ein letztes Mal 1936 zu einer kurzen Konsultation bei einem Spezialisten für Augenkrankeiten in Bad Eilsen. Ausgerechnet Hesse, der für viele seiner Landsleute als legitimer Nachfahre bester deutscher Traditionen galt, der als Erneuerer des klassischen Idealismus die blaue Blume der Romantik wieder zum Erblühen gebracht und ihr zu zeitgemäßer Leuchtkraft verholfen hatte, dem es wie keinem anderen geglückt war, das Alemannische ins Überregionale auszuweiten und dem Thomas Mann 1937 bescheinigen sollte: Deutscheres gibt es nicht als diesen Dichter und das Werk seines Lebens – nichts das deutscher wäre in dem alten, frohen, freien und geistigen Sinn, dem der deutsche Name seinen besten Ruhm, dem er die Sympathie der Menschheit verdankt.7
– also ausgerechnet dieser Inbegriff vaterländischen Selbstwertgefühles hatte als erster, und noch dazu freiwillig, dem militanten Deutschland des 20. Jahrhunderts den Rücken gekehrt. Das war eine narzißtische Verletzung der nationalen Eigenliebe, die man ihm künftig nie mehr verzeihen konnte. Dabei hatte Hesse sein Vaterland ja nur physisch verlassen, weil es einen politischen Kurs einschlug, der es ihm unmöglich machte, sich damit zu identifizieren. Als Schriftsteller jedoch ist er seiner Heimat treuer geblieben als alle, die sich das Deutschtum programmatisch auf ihre Fahne schrieben. Indem er das Deutsche ins Kosmopolitische, das Lokale in eine geistige Heimat verwandelte, die deutsch ist wie keine andere, und an der doch alle Nationen partizipieren können, ja, in der sie sich wiederfinden wie in ihrer eigenen. Nicht von ungefähr ist Hesse mittlerweile der meistübersetzte deutschsprachige Autor. In sechzig verschiedenen Sprachen liegen seine Werke vor. Nur die Märchen der Brüder Grimm haben eine größere Verbreitung gefunden, wie die Statistik der UNESCO ausweist. Also nicht Hesse hat Deutschland im Stich gelassen, sondern Deutschland seine besten Traditionen. Hätte sein Vaterland das weltoffene Deutschtum, das Hesse verkörperte, nicht verspielt, dann wäre es dem Dichter wohl kaum so leicht gefallen, in die Schweiz zu übersiedeln. Von nun an also sollte der Vorwurf des auslandsdeutschen Vaterlandsverräters ihm anhaften als ein Stigma, das, wie jede negative Etikettierung, nicht mehr zu tilgen ist, sobald sie einmal ausgesprochen und von den Medien oft genug verbreitet wurde. Denn sie erleichtert den Mitläufern das Leben. Man hatte nun eine Formel, die es der ja eher trägen Mehrheit erspart, sich überhaupt mit dem Fall zu befassen. In einem obrigkeitshörigen Staat mußte das Folgen haben. Weil hierzulande die einflußreichsten Kulturträger, obenan die Lehrer und Universitätsprofessoren, Beamte und somit Gehaltsempfänger der jeweiligen deutschen Regierungen sind, konnten sie ja kein Interesse daran haben, durch die Beschäftigung mit einem Autor ins Gerede zu kommen, ja sich zu gefährden, der den systemkonformen Kurs der Majoritäten nicht teilte. 7
Th. Mann, Dem sechzigjährigen Hermann Hesse, in Über Hermann Hesse, Erster Band 1904– 1962, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1976, S. 108–111.
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So wurde Hesse, anders als seine politisch elastischeren Autoren-Kollegen, die mit der jeweiligen Staatsräson zu fraternisieren verstanden, zunehmend ausgegrenzt und kulturpolitisch unterschlagen. Im Gegensatz zur akademischen Beschäftigung mit Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Richard Dehmel, Hugo von Hofmannsthal, Stefan George, Walter Flex, Ernst Jünger, und anderen, die längst vergessen sind, gab es über Hesse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so gut wie keine Forschung und Philologie, auf die man sich künftig hätte stützen können, auch nicht als sich nach dem Ersten Weltkrieg die Konstellationen veränderten, in der ersten deutschen Demokratie, der mehrheitlich ungeliebten Weimarer Republik, weil sich Hesse mit keiner ihrer politischen Parteien zu solidarisieren vermochte. Für jene Jahre galt, was er 1930 in seinem Aufsatz Notizen zum Thema Dichtung und Kritik bemerkte: Gehört der Autor einer gegnerischen Partei an, so wird er abgelehnt, sei es durch Bekämpfung oder durch Verspottung. Gehört er der eigenen Partei an, so wird er gelobt oder mindestens geschont. Gehört er keiner Partei an, so bleibt er oft überhaupt unbeachtet, denn es steht ja keine Macht hinter ihm.8
Letzteres traf auf ihn selber zu. Denn nie wäre es ihm eingefallen, sich in Symbiose mit einer der damaligen politischen Gruppierungen zu begeben, obwohl er in den Kommunisten und der SPD das kleinere Übel sah. Nie wäre er bereit gewesen – wie später der junge Günter Grass – die SPD öffentlich zu propagieren, damit diese von seinen Ideen und Formulierungen, er als Autor hingegen von der Verbreitung seines Namens im Wahlkampf hätte profitieren können. Obwohl Hesse schon 1932 der Meinung war, daß Deutschland die Aufgabe habe, «zwischen Sowjet und dem Westen neue Formen der Entkapitalisierung zu finden». Ein auch heute wieder bedenkenswerter Standpunkt, denn noch nie gab es bei uns so viele Millionäre wie jetzt um die Jahrtausendwende bei einer Rekordmarke von Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe. Nein, die Unabhängigkeit, die Meinungsfreiheit und Unbestechlichkeit des Künstlers waren Hesse zu wichtig, um sie irgendeiner Parteidisziplin zu unterwerfen. Den Künstler verstand er «als Nerv im Körper der Menschheit, […] als ein Organ zum Wecken, zum Warnen, zum Aufmerksammachen, [nicht zum] Plakate zu verfassen», betont er 1931 in seinem offenen «Brief an einen Kommunisten», denn Ein Beil ist ein Beil und man kann damit Holz spalten oder auch Köpfe. Eine Uhr aber oder ein Barometer sind zu anderen Zwecken da, und wenn man mit ihnen Holz oder Köpfe spalten will, gehen sie kaputt, ohne daß irgend jemand davon Nutzen hat.9
8 9
H. Hesse, Notizen zum Thema Dichtung und Kritik [1930], in ders., Betrachtungen und Berichte II: 1927–1961, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 2003 (SW 14) S. 425–438. H. Hesse, Brief an einen Kommunisten, in ders., Politik des Gewissens, Die politischen Schriften. Erster Band: 1914–1932, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1977 und 1981, S. 466–470.
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«Die Kunst», schreibt er seinem Sohn Heiner, der ihn damals gleichfalls zu einer parteipolitischen Solidarisierung bewegen wollte, die Kunst gehört zu den Funktionen der Menschheit, die dafür sorgen, daß Menschlichkeit und Wahrheit fortbestehen, daß nicht die ganze Welt und das ganze Menschenleben in Haß und Partei, in lauter Hitlers und Stalins zerfällt. Der Künstler liebt die Menschen, er leidet mit ihnen, er kennt sie oft sehr viel tiefer als je ein Politiker oder Wirtschaftler sie gekannt hat, aber er steht nicht als Herrgott oder Redakteur über ihnen, der genau weiß, wie alles sein sollte.10
Und in einem Brief vom Sommer 1949 an einen jungen Leser heißt es: Wir Dichter haben hinter uns nicht die Autorität einer Kirche oder eines Staates, dafür sind wir frei von dogmatischen Festlegungen, und so ist es das Amt der Literatur, die ewigen Wahrheiten immer wieder für eine neue Zeit neu vorzubringen, wir fordern und predigen nicht, aber wir suchen unsere Leser unmerklich auf den Weg zu leiten, den der Mensch gehen muß, wenn er seine Bestimmung erfüllen will.11
Bei so wenig Mimikry, meine Damen und Herren, ist es nicht verwunderlich, daß Hesse in Deutschland mit keiner einzigen literarischen Ehrung ausgezeichnet wurde, zumindest nicht in den ersten 50 Jahren seines Schaffens bis zum Stockholmer Nobelpreis 1946, danach dann schon, aber da war es ja keine Kunst mehr. Und um ein weiteres Beispiel anzuführen für den geringen Stellenwert, den er selbst noch in den liberalen 20er Jahren in Deutschland hatte: Als sein Verleger Samuel Fischer 1927 eine Zeitung für einen Vorabdruck des Steppenwolf suchte, fand sich kein einziges Blatt, das Wert darauf legte, während doch so viele andere Romane, die sich inzwischen als Eintagsfliegen herausgestellt haben, keinerlei Probleme hatten, von Feuilletonredaktionen in Fortsetzungsfolgen verbreitet zu werden. Mit dem Nationalsozialismus verschärfte sich das Klima. Nun hatte er sogar Mühe, seine zuvor von etwa 50 verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichten Feuilletons, Gedichte und Buchbesprechungen unterzubringen, so daß ein Redakteur des Simplicissimus 1937 anläßlich Hesses 60. Geburtstags reimte: Die ganze deutsche Presse notiert für Hesse Baisse. Ja gäb es noch den Mosse, dann hätt’ der Hesse Hausse!12
Denn das von Rudolf Mosse begründete Berliner Tageblatt, das zuvor die meisten zeitkritischen Betrachtungen Hesses erstmals gedruckt hatte, sollte bald darauf von den NS-Behörden eingestellt werden.
10 11 12
Hermann Hesse: An Heiner Hesse [1.2.1937], in ders., Politik des Gewissens, a.a.O., Bd. 2, Frankfurt a.M. 1977 und 1981, S. 641–643. H. Hesse, An einen jungen Leser [Sommer 1949], in ders., Gesammelte Briefe, a.a.O., Bd. 4, Frankfurt a.M. 1968, S.30. Aus einem Brief von Hans Erich Blaich (Pseudonym Owlglass) an Erich Schairer vom 10.4.1937, in H. Hesse, Politik des Gewissens, a.a.O., Bd. 2, S. 645.
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In einem 20seitigen Aufsatz habe ich unter dem Titel Zwischen Duldung und Sabotage Hesses existenzbedrohliche Lage unter den braunen Machthabern darzustellen versucht13. Ich möchte das jetzt nicht wiederholen. Nur soviel in aller Kürze: Einige der Nationalsozialisten unter unseren Vätern haben ihm anfangs goldene Brücken zu bauen versucht, weil sie um Hesses Popularität bei der Jugend wußten und wohl auch weil sie hofften, daß sein heimatverbundenes Frühwerk, das so viele unverwechselbar deutsche Traditionen regeneriert und aktualisiert, gut in ihren völkischen Kram passen könnte. Sie haben sogar seine Weigerung geschluckt, den infamen Maulkorberlaß zu unterschreiben, den Gottfried Benn 1933 den neuen Machthabern angedient hatte und den, in Form des «Kulturkammergesetzes» vom November 1933, jeder Schriftsteller unterzeichnen mußte, der fortan in Deutschland veröffentlichen wollte: Sind Sie bereit, unter Anerkennung der veränderten geschichtlichen Lage, weiterhin Ihre Person der Preußischen Akademie der Künste zur Verfügung zu stellen? Eine Bejahung der Frage schließt eine öffentliche Betätigung gegen die Regierung aus und verpflichtet Sie zu einer loyalen Mitarbeit an den nationalen und kulturellen Aufgaben im Sinne der veränderten geschichtlichen Lage.14
Die veränderte Lage war der Nationalsozialismus. Hesse unterschrieb das nicht, und erstaunlicherweise ließ man ihn trotzdem in seinem Berliner Stammverlag weiter publizieren. Nur wurden, nachdem er 1935/36 in einer schwedischen Zeitschrift die Neuerscheinungen seiner aus Deutschland vertriebenen Autoren-Kollegen auf Kosten der ‹Blut und Boden-Literatur› rühmte und damit eine neue Pressekampagne gegen sich auslöste, die zeitkritischen unter seinen Büchern nicht mehr nachgedruckt15. Auch durften die noch lieferbaren Titel des S. Fischer Verlages in kein Buchhändlerverzeichnis aufgenommen werden. So wurde das, was von Hesses Werk noch übriggeblieben war, im Buchhandel ab 1937 angeboten wie pornografische Literatur unter dem Ladentisch. Dennoch konnte sein Verlag in den zwölf Jahren des 1000 jährigen Reiches 161 Tausend Hesse-Bücher ausliefern, was etwa der Menge entspricht, die heutzutage bei uns in vier Monaten bestellt wird. Das Autorenhonorar mußte auf deutsche Sperrkonten überwiesen werden, so daß Hesse hätte verhungern können, wenn nicht – wie schon im Ersten Weltkrieg – Schweizer Mäzene ihn über Wasser gehalten hätten. Das änderte sich erst 1946 nach der Kapitulation Deutschlands mit dem Stockholmer Nobel- und dem Frankfurter Goethe-Preis, den Hesse zur Unterstützung Kriegsgeschädigter in Deutschland und auch an seine Heimatstadt Calw verschenkte. 13 14 15
V. Michels, Zwischen Duldung und Sabotage, in H. Hesse, Zarathustras Wiederkehr und andere Denkschriften zum Radikalismus von rechts und links, Frankfurt a.M. 1993, S. 107ff. H. Sarkowicz – A. Mentzer, Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon, Hamburg-Wien 2000, S. 14. Dies betraf u.a. die Bände Unterm Rad, Der Steppenwolf, Betrachtungen, Narziß und Goldmund.
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Nun endlich also hatte das Blatt sich gewendet, und plötzlich war Hesse kein Geächteter mehr, sondern eine international respektierte Größe, auf die sich auch jene zur Entlastung ihres Gewissens zu berufen versuchten, die ihn vordem ausgegrenzt, geschmäht und den Triumphwagen Hitlers gezogen hatten. «Es sind die unwahrscheinlichsten Antworten der Welt auf die Arbeit eines Künstlers möglich», schrieb Hesse 1947 in seiner Betrachtung Geheimnisse. Ein Künstler arbeitet für ein Volk, das […] sein natürlicher Markt ist, das Volk aber läßt das ihm anvertraute Werk verkommen, es versagt dem Künstler Anerkennung sowohl wie Brot. Plötzlich nun erinnert ein ganz anderes, fremdes Volk sich dessen und gibt dem Enttäuschten das, was er mehr oder weniger verdient hat: Anerkennung und Brot. Im selben Augenblick jubelt das Volk, dem jene Arbeit zugedacht und angeboten war, dem Künstler heftig zu und freut sich darüber, daß ein aus ihm Hervorgegangener so ausgezeichnet wird.16
Dieses Wendemanöver mit all seinen unappetitlichen Begleiterscheinungen machte Hesse so zu schaffen, daß er hinzufügte, der Gedanke, künftig all seine Dichtungen aus dem Verkehr zu ziehen, habe für ihn einen großen Reiz. Kein Wunder bei dem, was ihm damals zugemutet wurde: Straßen, die vor dem Dritten Reich nach ihm benannt, dann umbenannt wurden und nach dem Nobelpreis wieder seinen Namen trugen, Bettelbriefe von ehemaligen Nationalsozialisten und das Ansinnen, Persilscheine zur Entnazifizierung einstiger Parteimitglieder zu verfassen oder die journalistischen Huldigungen ehemaliger Gegner hinzunehmen. Zum ersten Mal in Deutschland hatte Hesse nun also eine auch regierungsamtlich gebilligte Konjunktur. Akademien, sowohl in den westlichen Besatzungszonen als auch im kommunistischen Osten, bemühten sich um seine Mitgliedschaft – natürlich vergeblich. Obwohl ihm das neue Feinde brachte, wurde er erstmals sogar an einigen Hochschulen behandelt, und nie zuvor sind hierzulande so viele Dissertationen über ihn verfaßt worden wie in den Jahren 1947 bis 1957. Nun kamen Schlag auf Schlag auch die verspäteten Ehrungen: nach dem Goethe-Preis der Pour le mérite, dann der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und der Wilhelm Raabe-Preis. Hesse nahm keine einzige dieser Auszeichnungen persönlich entgegen und kommentierte gelassen: [Preise und Ehrungen] sind ein kleiner Bestandteil des komplizierten, zum großen Teil aus Mißverständnissen konstruierten Phänomens, das man Berühmtheit nennt und sollen als das, was sie sind, hingenommen werden: als Versuche der offiziellen Welt, sich ihrer Verlegenheit inoffiziellen Leistungen gegenüber zu erwehren.17
16 17
H. Hesse, Geheimnisse, in ders., Betrachtungen und Berichte II: 1927–1961, SW, 14, S. 228. H. Hesse, Danksagung und moralisierende Betrachtung, in ders., Betrachtungen und Berichte II: 1927–1961, a.a.O., S. 475–476.
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«Ruhm ist nur der Inbegriff aller Mißverständnisse»18 und «Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles»19, hatte schon Rilke gesagt. Waren Hesses «inoffizielle Leistungen» nun also wirklich akzeptiert? Wenn es darauf ankam, wie 1947, als ihm von der Tübinger Universität der EhrendoktorTitel verliehen werden sollte, zeigte es sich rasch, wo man sich befand: im restaurativen Nachkriegsdeutschland, wo viele der alten Platzhirsche – demokratisch gewendet und wieder in einflußreichen Positionen – nicht daran dachten, ihre alten Ressentiments aufzugeben. Der 1952 wiederholte Antrag, Hesse die Ehrendoktorwürde zu geben, wurde beidesmal von den zuständigen Professoren abgelehnt. Oder als zu seinem 75. Geburtstag der damalige Kultusminister Dr. Schenkel einen Festakt in der Stuttgarter Liederhalle zu verhindern suchte, und es einer Intervention des Bundespräsidenten Theodor Heuss bedurfte, um diese Entscheidung rückgängig zu machen. Daß ihm das glückte, ist ein Indiz für das alles in allem doch eher Hesse-freundliche Klima des Jahrzehntes nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn einstweilen brauchte man ihn für das beschädigte deutsche Selbstwertgefühl noch so lange, bis mit der Fußballweltmeisterschaft und dem Wirtschaftswunder renommiert werden konnte. Kein Lesebuch, das damals nicht Texte von Hesse brachte, keine Anthologie ohne seine Gedichte, keine Zeitung ohne Feuilletons und Kurzgeschichten von ihm, meist in gekürzten Raubdrucken, kein Sonntagsredner ohne ein Hesse-Zitat, auch wenn sie im Munde solcher, eigentlich ganz anders gepolter Leute nicht sonderlich glaubwürdig wirkten und eine schleichende Entwertung erfuhren. Die im Nationalsozialismus aufgewachsene Jugend, die von Hesse nichts wußte, erlebte solche Wendemanöver ihrer Väter als befremdlich, und bald schon begann sie den Dichter mit seinen Nutznießern zu verwechseln, was zu ersten polemischen Streitschriften führte, obenan das 1957 erschienene Taschenbuch Kitsch, Konvention und Kunst von Karlheinz Deschner. Daß dieses Bändchen damals eine größere Verbreitung fand als die darin als «Goldschnitt-Sirup»20 disqualifizierten HesseWerke, die es ja noch nicht als Taschenbücher gab, ist symptomatisch für den Überdruß der damaligen Nachwuchsgeneration an einem Autor, den sie kaum kannten, jedoch von vielen falschen Propheten unter den Altvorderen propagiert sahen. Die nächste Attacke auf den mittlerweile 80jährigen Hesse ließ nicht lange auf sich warten. Sie erschien mit der Überschrift In der Gartenlaube als Titelgeschichte der fortschrittlichsten deutschen Wochenschrift «Der Spiegel» am 9. Juli 1958, eines 18 19
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R.M. Rilke, Rodin, in ders., Worpswede; Rodin, in Verbindung mit R. Sieber-Rilke besorgt durch E. Zinn, Frankfurt a.M. 1975 (Sämtliche Werke 9), S. 141. R.M. Rilke, Requiem für Wolfgang Graf von Kalckreuth, in ders., Gedichte, 1. Teil, 2. Hälfte, in Verbindung mit R. Sieber-Rilke besorgt durch E. Zinn, Frankfurt a.M. 1975 (Sämtliche Werke 2), S. 664. K.-H. Deschner, Kitsch, Konvention und Kunst. Eine literarische Streitschrift, München 1957, S. 127.
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Nachrichten-Magazins, das millionenfach hauptsächlich von Intellektuellen gelesen wird. Dieser Bericht des bis heute anonym gehaltenen Verfassers hat hierzulande das Hesse-Bild bis weit in die 70er Jahre hinein bestimmt und der eben erst zaghaft begonnenen akademischen Beschäftigung mit diesem Autor den Garaus gemacht. Neben einer ähnlichen Titelgeschichte über den Dichter Rainer Maria Rilke gehört dieses Pamphlet zu den blamabelsten Entgleisungen in der Geschichte des Nachrichten-Magazins, die man auch dort inzwischen nicht mehr so recht wahrhaben möchte. Als ich 1976 die «Spiegel»-Redaktion bat, mir für den Band Über Hermann Hesse, der die Wirkungsgeschichte des Dichters in Deutschland dokumentiert, einen Abdruck des Artikels zu genehmigen, verweigerte Rudolf Augstein die Nachdruckerlaubnis. Was in diesem Aufsatz zur Erhärtung der Legende vom weltfremden «Dichter im Gemüsebeet» an teils fehlerhaft recherchierten, teils geistreich vergifteten Halbwahrheiten serviert wurde, entsprach eher dem Wunschdenken des ungenannten Verfassers als der Wirklichkeit und war weder in Einklang zu bringen mit dem aufklärerischen Profil des Nachrichtenmagazins noch mit dem Format des Porträtierten, das auf die Lächerlichkeit eines Gartenzwerges unter den Nobelpreisträgern heruntergespielt wurde, auf eine literarische Schrebergärtnerei, mit der zu befassen hoffnungslos rückständig und unter der Würde jedes Lesers sei, der ernstgenommen werden und mitreden wollte. Denn wer mochte sich schon durch die Beschäftigung mit einem Autor disqualifizieren, den (Zitat «Spiegel») «quietistische Kleingärtnerfreuden vom internationalen Konzert der Weltliteratur ausschließen». Als dann wenige Jahre nach Hesses Tod rund um den Erdball eine Verbreitung seiner Bücher einsetzte, wie sie keinem anderen deutschsprachigen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts beschieden war und dem Begriff der Weltliteratur erstmals auf eine Weise gerecht wurde, die niemand für möglich gehalten hatte, lag die Unhaltbarkeit dieser Prognosen auf der Hand. Auch der Vorwurf, Hesse sei nicht zeitgemäß, fehlte dabei nicht, ein Einwand, der sich übrigens durch die gesamte Sekundärliteratur der letzten 90 Jahre zieht, auffallend häufig im Ersten Weltkrieg, in der NS-Zeit und im Kalten Krieg der 50er Jahre im Verlauf der Diskussionen um die Remilitarisierung Deutschlands. Als ob nicht gerade das Unzeitgemäße das Überdauernde und Zeitlose seiner Werke ausmachen würde, der Blick über den Tellerrand, der die Gefahren des jeweils Modischen und Zeitgemäßen erkannt und daraus Antitoxine für eine bessere Zukunft entwickelt hat. Je größer der Abstand zu den zeitgeschichtlichen Turbulenzen wird, auf die Hesses Bücher reagieren, desto erkennbarer wird die Aktualität und Tragfähigkeit dessen, was er darin als Antworten auf die Probleme der Industriegesellschaft entwickelt hat. «Hesse ist das antimaterialistische Ferment, das Amerika braucht», antwortete 1970 eine New Yorker Studentin anläßlich einer Umfrage. Daß bei einem Dichter wie ihm das Gemüt eine bedeutendere Rolle als bei intellektuelleren Autoren spielt, kann nicht geleugnet werden. Wenn es der «Spiegel»
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jedoch mit Gemütlichkeit verwechselt, erliegt er einem Trugschluß und unterschlägt Hesses Sympathien für radikale Positionen. «Mir liegt alles Politische nicht, sonst wäre ich längst ein Revolutionär!». Auch der Vorwurf mangelnder Welthaltigkeit und allzu großer Subjektivität greift ins Leere. Denn gerade bei Hesse wird offensichtlich, «daß der Mensch ebenso gut durch den Urwald seiner Seele reisen kann, wie durch die Breitengrade der Erde und daß die Ergebnisse dieselben sind»21. Hesse selbst reagierte auf solche Angriffe eher stoisch und antwortete auf Zuschriften, die sich über Deschner und den «Spiegel» entrüsteten: Daß in Deutschland, das sich wieder stark und kriegerisch fühlt, wieder Schmähschriften über mich erscheinen, ist nach den übermäßigen Ehrungen und Feiern, beinahe erfrischend. Den «Spiegel» und andere Anpöbelungen dürfen Sie nicht zu ernst nehmen, das sind unschöne, aber natürliche Regungen der Jugend auf die Alten, der Streber auf die allzu Erfolgreichen. Es bedarf keines Kampfes, nur des Beharrens.22
War es denn seinem Freund, dem mittlerweile endlich sakrosankten Thomas Mann, mit den Vertretern der nachwachsenden westdeutschen Kahlschlag-Literatur und den Mitgliedern der exklusiven Gruppe 47 nicht ganz ähnlich gegangen? Thomas Mann und Hermann Hesse, die prominenten Alten, standen den ehrgeizigen Jungen im Weg. Und alles, was publiziert wurde, das deren Renommee abträglich war, wurde um ihrer eigenen Selbstbehauptung willen, nicht selten mit klammheimlichem Beifall hingenommen. Aber, meine Damen und Herren, sind es nicht, im Gegensatz zu den Literaturwissenschaftlern und Trendsettern in den Kulturmagazinen, von jeher die Schriftsteller gewesen, die sich in Hesse wiedererkannt und das Treffendste über ihn veröffentlicht hatten? Hatte der Krieg auch diese Regel außer Kraft gesetzt? Ja und nein. Da gab es schon einige, wie den Schweizer Max Frisch, wie Peter Weiss, Arno Schmidt, Günter Eich, Wolfdietrich Schnurre oder Uwe Johnson, denen Hermann Hesse nahestand, die mit ihm korrespondiert, ja ihn sogar besucht hatten. Aber angesichts des damaligen Tiefpunktes der Reputation Hesses in Deutschland wagte keiner von ihnen – denn wer wollte schon das Image der Progressivität verlieren – für seinen Mentor einzutreten. Sie trauten sich nicht, einen Autor zu verteidigen, bei dessen Tod, 1962, die überregionale Presse unwidersprochen verlautbaren konnte: «Mit Hermann Hesse, sagen wir’s deutlich, ist heute kein Blumentopf mehr zu gewinnen», wie im Nekrolog der Wochenschrift «Die Zeit» zu lesen war23. Oder in der Münchner «Süddeutschen Zeitung»:
21
22 23
H. Hesse, [Knut Hamsun; 25.7.1918], in ders., Die Welt im Buch. Rezensionen und Aufsätze aus den Jahren 1917–1925, in Zusammenarbeit mit Heiner Hesse und Marco Schickling hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 2002 (SW 18), S. 47–49. H. Hesse, Sein Leben in Bildern und Texten, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1979, S. 338. R.W. Leonhardt, Gehört Hermann Hesse zur deutschen Gegenwartsliteratur?, in «Die Zeit», 3, 17.8.1962. Vgl. Über Hermann Hesse. Zweiter Band 1963–1977, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1977, S. 466.
Volker Michels 46 Gefühlvoll abgewandt, hat dieser Sohn deutscher Missionare aus Württemberg die deutsche Flucht aus der Wirklichkeit in das Reich poetischer Träume als Mensch und Autor dargelegt wie selten einer […] Er war der Autor des individuellen Katzenjammers, […] der Quälerei und Distanzlosigkeit. Er lehnte die soziale Bindung ebenso wie die künstlerische ab.24
Was immer das heißen mochte, jedenfalls absprechend sollte es sein. Denn bald darauf war Sozialverhalten und linksradikal «politische Relevanz» im Sinne einer gesellschaftlichen Veränderung nach allzu langer Adenauer-Prosperität und ihrer Ausblendung der politischen Vergangenheit angesagt, begreiflicherweise unter den Söhnen der alten Nazis und neuen Marktwirtschaftskapitäne. Zeitgleich mit dem bald darauf einsetzenden Auschwitz-Prozeß, der Rebellion gegen die Väter, der Studentenrevolte der 68er, die mit dem «Muff von tausend Jahren unter den Talaren» aufräumen wollte, und Mao Tse-tungs rote Bibel propagierte, war unser großer Bruder, die Beschützermacht USA, in den Vietnamkrieg verwickelt, was auch dort eine Widerstandsbewegung auf den Plan rief, die sich allerdings weniger mit Marx und Mao als mit Hermann Hesse identifizierte. «Make love not war», war die Devise der gewaltfreien Hippie-Wehrdienstverweigerer, die unter Berufung auf Hesse ihre Militärpässe verbrannten und im Gefolge des Drogenpapstes, des legendären Psychologieprofessors Timothy Leary aus Harvard, sich psychedelisch den Gewaltsamkeiten der L.B. Johnson / R. Nixon-Regierung zu entziehen versuchten, welche 2,5 Millionen Menschen, natürlich 90 Prozent davon Zivilisten, in Vietnam das Leben kosteten. Die Nachricht, daß ausgerechnet Hermann Hesse und nicht, wie bei uns Marx, Mao, Marcuse, Jean Paul Sartre oder Ho Tschi Minh zu den Idolen der transatlantischen Jugendrevolte zählte, war für Rudi Dutschke, Daniel Cohn-Bendit und einige Mitglieder der späteren RAFBewegung, wie auch den deutschen Medien unfaßbar. Ideologische Schlagbohrer imponieren uns Deutschen offenbar mehr als poetische Geigerzähler. Denn radikale Knalleffekte, egal mit welchen Folgen, sind für die journalistische Sensationsindustrie nun einmal lukrativer. Man zog das Hesse-Phänomen ins Lächerliche. Denn eine ernsthafte Analyse der Ursachen hätte ja auf eine Revision unseres so bequem ahnungslosen Bildes von diesem Autor hinauslaufen müssen. Lieber diskreditierte man die amerikanische Widerstandsbewegung gleich mit, und wieder war es das millionenfach verbreitete Nachrichtenmagazin «Der Spiegel», das im Oktober 1968 unter dem Titel Hermann Hesse-Wonnen für Hippies das Meinungsbild bestimmte, indem er nicht etwa Hesses politische Schriften anführte, sondern den Dichter mit einem erfundenen Zitat aus seinem Indien-Tagebuch zu verharmlosen versuchte. Zitat «Spiegel»: «Daß der Natur- und Gartenfreund Hesse auch den ‹FlowerPower›-Idyllikern etwas zu sagen hat, zeigen Tagebuchnotizen über seinen Lebens-
24
C. Hohoff, Abschied von Hermann Hesse, in «Süddeutsche Zeitung», 10.8.1926. Vgl. Über Hermann Hesse. Erster Band, a.a.O., S. 388–394.
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stil: ‹Wein getrunken, Feuerwerk abgebrannt und Schmetterlinge gesammelt›»25. So einfach ist das, meine Damen und Herren, und bestätigt einmal mehr Hesses Notizen zum Thema Dichtung und Kritik aus dem Jahre 1930, wo es heißt: Auf keinem Gebiet der Technik oder der Wirtschaft ließe ein Volk sich eine so willkürliche und ahnungslose Berichterstattung gefallen. Es wird im Sport- oder Handelsteil einer durchschnittlichen Zeitung sehr viel sachlicher und gewissenhafter gearbeitet als im Feuilleton; schöne Ausnahmen hier und da seien mit Anerkennung zugegeben.26
Schöne Ausnahmen, meine Damen und Herren, die gab es durchaus, aber bezeichnenderweise nie in Deutschlands tonangebenden Blättern. Das kann ich beurteilen, denn ein Jahr später, 1969, war ich nicht mehr ein unbeteiligter Beobachter, sondern selber ein Rädchen im hiesigen Kulturbetrieb, als Mitarbeiter in dem für Hermann Hesse zuständigen Verlag – und somit an vorderster Front im Meinungsstreit um diesen Dichter. Das Klima, das ich damals dort, unmittelbar nach der Revolte der Lektoren gegen den Verleger Siegfried Unseld antraf, war ausgesprochen Hesse-feindlich. Von fast allen Kollegen, nicht nur im Lektorat, sondern bis hinein in die Presse- und Herstellungsabteilung wurde er bagatellisiert und in Frage gestellt, ja manche Kollegen plädierten sogar dafür, diesen angeblich so überholten Innerlichkeitsapostel zusammen mit ähnlichen Verlagsautoren wie Rilke, Carossa und Reinhold Schneider und Gertrud von le Fort, die sich nicht für den Klassenkampf eigneten, abzustoßen und anderen, weniger progressiven Verlagen zu überlassen. Als ich Max Frisch nach seiner frühen Korrespondenz mit Hesse befragte, wollte er nichts mehr davon wissen und verwies statt dessen auf seine Verbindung mit Brecht; Peter Weiss, den ich bat, eine Auswahl der für ihn ja lebensbestimmenden Hesse-Texte zusammenzustellen, lehnte verlegen ab. Ein anderes prominentes Mitglied der Gruppe 47 lächelte über meine Bemerkung, es sei nun endlich an der Zeit, unser verfahrenes Hessebild auch mit Hilfe seines überwältigenden, in Buchform noch unveröffentlichten Nachlasses ein wenig zu korrigieren. «Was, aus diesem Aschenhaufen wollen Sie noch Glut kitzeln?», war die Antwort. Rolf Hochhuth und Fritz J. Raddatz, der damalige Feuilletonchef der «Zeit», äußerten noch Ahnungsloseres, und Marcel Reich-Ranicki, der dort gerade unter dem Titel Seele und Geschäft einen Verriß des Briefwechsels zwischen Hesse und seinem Verleger Peter Suhrkamp veröffentlicht hatte, gab sich mitleidig herablassend: «Warum beschäftigen Sie sich nicht gleich mit Ganghofer?». Ein haarsträubender Vergleich, der davon zeugt, wie wenig er sich mit Ganghofer, geschweige denn mit Hesse beschäftigt haben konnte. Doch, meine Damen und Herren, mit solchen Sprüchen macht man Karriere auf dem Jahrmarkt unserer Mediengesellschaft und wird Feuilleton25 26
Ebd. H. Hesse, Notizen zum Thema Dichtung und Kritik [1930], in Betrachtungen und Berichte II: 1927–1961, a.a.O., S. 428.
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chef der meinungsbestimmenden «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», wo er von nun an drei Jahrzehnte lang, bis auf den heutigen Tag – mittlerweile zwar nicht mehr im Amt, aber nach wie vor als freier Mitarbeiter – seinen Ressentiments gegen Hesse Luft machen und eine Diskussion der ihm mißliebigen Autoren verhindern konnte. Zunächst riskierte er das noch auf ganz ungebrochen direkte Weise, dann – etwas kleinlauter geworden durch die unaufhaltsam weltweite Renaissance dieses Dichters – ließ er seine «Chorknaben» (wie Martin Walser die ihm hörigen Redaktionsmitarbeiter der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» genannt hat) zum Sprachrohr des Unmutes werden über seine Ohnmacht, das ihm unerklärliche Hesse-Phänomen kleinzukriegen. Nur zwei Beispiele unter vielen, die man hier anführen könnte: Zunächst ein Zitat von Reich-Ranicki selber aus seiner Besprechung des ersten Bandes von Hermann Hesses Gesammelten Briefen, die am 28. September 1973 unter dem präpotenten Titel Unser lieber Steppenwolf. Ein Beitrag zur deutschen Sentimentalität erschien: Der schwärmerisch singende Asket in kurzen Hosen [Kennen Sie ein Bild von Hesse in kurzen Hosen? Ich jedenfalls habe noch kein einziges gesehen! V.M.], der jugendbewegte Klassiker der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, ihr biederster Rebell und sentimentalster Anarchist, unser lieber wackerer Steppenwolf, gehört zu jenen Schriftstellern, die sich leicht und nicht zu Unrecht verspotten lassen […] Für die heutige Jugend ist Hesse zu deutsch […] Mit seiner anachronistischen und weltfremden Literatur hat er oft Unheil angerichtet.27
Beweisen braucht man das nicht, wenn man ein Papst und ein Franz Josef Strauß der Kulturindustrie ist. Über Hesses Briefe kaum ein Wort in dieser Besprechung, es sei denn der Satz: Es steht in diesen Briefen viel Vernünftiges und Richtiges, sie nötigen oft ehrlichen Respekt ab […] nur daß ich dabei gähnen mußte. Denn Hesse offeriert hier, um es kurz und grob zu sagen, gute Gesinnung und wenig Geist.28
Ich will jetzt nicht das leichtfertige Ausspielen von Geist gegen humanitäre Gesinnung hinterfragen, nicht untersuchen, ob zu Hesses Lebzeiten zungenfertiger Esprit oder hilfsbereiter Einsatz angesichts der deutschen Katastrophen ersprießlicher gewesen wäre, sondern nur feststellen, daß unser telegener Medienclown und Meinungsleithammel dabei (der auf fatale Weise das deutsche Bedürfnis nach autoritären Führerparolen bedient) dabei weniger über die Briefausgabe als über die Unerwünschbarkeit einer Hesse-Renaissance in Deutschland referiert hat. Immer wieder, mit einer geradezu obsessiver Renitenz hat er versucht, Hesses Popularität zu bestreiten, nach der Devise: was nicht sein darf, kann auch nicht sein. Als ob sie damit aus der Welt zu schaffen gewesen wäre! Er hat sich sogar zu Prognosen wie 27 28
M. Reich-Ranicki, Unser lieber Steppenwolf. Beitrag zur deutschen Sentimentalität, in «Die Zeit», 28.9.1973. Vgl. Über Hermann Hesse. Zweiter Band. a.a.O., S. 171–176. Ebd., S. 172.
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dieser verstiegen: «Es ist wohl der Augenblick nicht fern, wo nur noch Studenten der Germanistik sich mit Hesse beschäftigen werden»29, und dabei keine Gelegenheit ausgelassen, gerade das zu unterbinden. Als im August 1982 die Deutsche Presseagentur die Meldung brachte, die deutsche Hesse-Auflage habe seit 1970 die Zehn-Millionen-Grenze überschritten, wurde er etwas vorsichtiger und ließ einen seiner Chorknaben in der renommiertesten unserer Tageszeitungen kommentieren: «Ja, kein deutscher Schriftsteller ist erfolgreicher. Leider»30. Inzwischen sind wir bei 25 Millionen, meine Damen und Herren, und unser gar zu amüsanter Weichensteller wird allgemach etwas elastischer. Seit kurzem ist er plötzlich bereit, wenigstens Hesses Schülertragödie Unterm Rad gelten zu lassen und hat den Roman in seinen Kanon der 20 lesenswertesten Bücher des Jahrhunderts aufgenommen. Immerhin nicht ganz freiwillig. Denn ohne ein Werk von Hermann Hesse hätte Siegfried Unseld Reich-Ranickis Kanon nicht im Insel Verlag veröffentlicht. Als die Buchreihe daraufhin doch publiziert werden konnte, scheint er plötzlich eine KreideDiät eingelegt zu haben und gab dem staunenden Publikum auf einmal zum Besten: Das Werk des Erzählers Hermann Hesse hat sich als dauerhaft erwiesen und war nach dessen Tod außerordentlich erfolgreich. Hans Giebenrath ist der unheroische und zarte Held des vor einem Jahrhundert entstandenen kleinen Romans Unterm Rad, des vielleicht schönsten Buches von Hermann Hesse.31
Hesses Stellenwert an unserer geistesgeschichtlichen Börse hat sich damit freilich kaum verbessert. Wenn heutzutage eine Bagatelle von Brecht, von Benn, Kafka oder Thomas Mann, sei es eine entlegen publizierte Buchbesprechung, ein verschollenes Gedicht oder auch nur ein unveröffentlichter Brief auftaucht, wird das von den maßgebenden Feuilletons wie eine Sensation zelebriert und mit seitenlangen Kommentaren versehen. Die vielen Nachlaßeditionen von Hermann Hesse dagegen, die ungleich mehr Unbekanntes und Nützliches zur Bewältigung unserer Gegenwarts- und Zukunftsprobleme zutage gefördert haben, werden in unserer Presse nun schon seit 30 Jahren in denkwürdiger Regelmäßigkeit ignoriert und totgeschwiegen. Nun, sie sind Gottseidank unabhängig vom Zuspruch der Sachverständigen und brauchen nicht künstlich am Tropf der Medien reanimiert werden. Selbst bei den 15 bisher erschienenen Bänden der ersten Hesse-Gesamtausgabe ist das der Fall, über die zu berichten sich bisher nur wenige regionale Zeitungen bereitgefunden haben. In den deutschen Medien, deren maßgebliche Kulturredaktionen inzwischen ja zu einem erheblichen Teil von ehemaligen Zöglingen des Kritikerpapstes betrieben werden, herrscht Friedhofsruhe und der merkwürdige Konsens: Ist über diesen Autor etwas Gutes zu konstatieren, so sagen wir lieber nichts. Man müßte also schon etwas Abträgliches über Hesse erfinden, um sie aus 29 30 31
Rundfunkinterview: Was versteht Reich-Ranicki unter dem Hesse-Mythos?, 1987. Typoskript im Archiv des Suhrkamp Verlags, Frankfurt a.M. F.-J. Görtz, Hesse-Droge, in «Frankfurter Allgemeine Zeitung», 11.8.1982. Suhrkamp-Journal, April-Juni 2003, Frankfurt a.M. 2003, S. 10.
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ihrer Lethargie zu wecken. Dann freilich wären sie plötzlich alle am Ball. Denn leider gilt auch bei uns, und nicht nur für die Sensationspresse, das amerikanische Rezept: «Only bad news are good news». Soweit der historische Rückblick auf den Umgang mit diesem Schriftsteller in seinem eigenen Sprachgebiet. Nicht verwunderlich also die Abstinenz unserer Hochschulen. «Hesse ist ein Fremder in der deutschen Literatur und ein Deutscher in der Weltliteratur»,32 hat der aserbaidschanische Nachwuchsautor Sharia Sinaria anläßlich Hesses 125. Geburtstag festgestellt und damit wohl den treffendsten Nenner gefunden. Nun aber doch noch ein paar Worte zu den Universitäten. Zunächst einmal ist zu sagen, daß die Hesse-Abstinenz der deutschen Literaturwissenschaft singulär ist in der Welt und im internationalen Vergleich. Die differenziertesten Bibliographien und Biographien sind an amerikanischen Universitäten entstanden. In Korea und Japan gibt es regelmäßig erscheinende Hesse-Jahrbücher mit den neuesten Forschungsergebnissen der dortigen Hochschulen. Nicht daß die Motivation deutscher Studenten, sich mit diesem Autor zu befassen, geringer wäre. Im Gegenteil. Doch bei den Literaturwissenschaftlern hierzulande haben sie immer noch fast keine Chance. Wenn sie nicht in anderen Fakultäten, wie der Psychologie, den Religions- oder Politikwissenschaften, der Kunstgeschichte, der Sinologie oder Indologie über Hesse arbeiten, sind sie auf verlorenem Posten. Unzähligemale hatte ich es in den letzten Jahrzehnten mit jungen Leuten zu tun, die sich verzweifelt an den Verlag wandten und um Auskunft baten, an welchen Universitäten der deutschsprachigen Länder sie eine germanistische Staatsexamensarbeit oder Dissertation über Hesse schreiben könnten. An den Lehrstühlen, an denen sie sich bewarben, hätten die Professoren stets abgewinkt und sie auf Kafka, Brecht, Döblin, Benn, Musil, Thomas Mann oder die Exilliteratur verwiesen und Hesse für indiskutabel erklärt. Daß dabei mitunter auch andere Faktoren eine Rolle spielen, konnte ich vor einigen Jahren von einem germanistischen Lehrstuhlinhaber der Münchner Universität erfahren. Er meinte, wenn er Hesse in sein Vorlesungsverzeichnis einbeziehe, dann müsse er nicht nur mit einer Überfüllung des Hörsaals, sondern auch mit einem kaum zu verkraftenden Zuwachs an Arbeit rechnen. Das mag einer der Gründe sein, warum sich unsere Literaturwissenschaftler allenfalls auf Arbeiten über das Phänomen von Hesses Breitenwirkung einlassen, – Rezeptionsanalyse nennt sich dieser Trend –, doch stets mit der Tendenz: Ein Autor, der ein solches Echo in allen Bevölkerungsschichten finde, könne ja nur Trivialliteratur schreiben. Übrigens steht Hesse damit nicht allein. Ganz ähnlich geht es seinem weltweit millionenfach gelesenen österreichischen Kollegen Stefan Zweig oder dem Franzosen Antoine de Saint-Exupéry. Denn wie Hesse glückt es auch ihnen, das Schwierige verständlich und das Komplizierte einfach auszudrücken. Hinzu kommt die konstruktiv32
Mein Hesse. Eine Hommage, hrsg. von U. Rothfuß, Berlin 2002, S. 181–184.
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humanitäre Wirkung ihrer Bücher, also das, was die Kritiker und leider auch Autorenkollegen wie Jean-Paul Sartre, der das Werk von Saint-Exupéry als «Humanitätskitsch» bezeichnet hat, mit dem Schlagwort «Lebenshilfe» verächtlich machen, als ob nicht in allen Bereichen unseres Alltags vor allem das eine Rolle spielt, was uns das Leben ermöglicht und erleichtert. Diese Autoren lassen keine Trennung zu zwischen Ethik und Ästhetik. Sie plädieren für Vernunft, Güte und Menschlichkeit. Außerliterarische Kategorien – gewiß. Der Widerstand, auf den sie damit bei der Literaturkritik stoßen, ist vielleicht ein Ausweichen vor den unbequemen Anforderungen und Konsequenzen, die sich aus der Lektüre solcher Bücher ergeben. Daß sie sich trotzdem und ganz unabhängig vom Urteil der Schriftgelehrten zu behaupten vermögen, zeigt diesen die Grenzen ihrer Einflußmöglichkeit. Und das hat man nicht gern. Was Schriftsteller wie Hesse, Stefan Zweig und Saint-Exupéry außerdem verbindet, ist eine klare Sprache von einprägsamer Musikalität und einem – verglichen mit anderen Autoren – erstaunlich reichhaltigen Wortschatz. Das bewahrt sie vor Willkürlichkeiten des Ausdrucks und Gewaltsamkeiten der Form auf Kosten des Inhalts. Sie eignen sich nicht für multiple Interpretationen und müssen beherzigt statt zerredet werden. Ist es doch keine Kunst, komplexe Themen kompliziert darzustellen und den Klärungsprozeß, den die Autoren selber leisten müßten, auf den Leser abzuwälzen. Weil Hesse eher an der unmißverständlichen Vermittlung seiner Aussagen gelegen ist als an einem ausgefallenen stilistischen Design oder an Expeditionen in den Sterndeuter-Himmel entlegener, verschlüsselter und erläuterungsbedürftiger Metaphern, erreicht er fast jeden Leser, gleich welchen Alters und welcher Vorbildung. Er drückt aktuelle Inhalte mit traditionellen Mitteln aus, während sonst in der Regel neue Inhalte auf innovative oder doch zeitkonforme Weise dargestellt werden. Diese Abweichung von der Regel irritiert die Fachleute. Auch überfrachtet er seine Erzählungen nicht mit Theorie und Essayistik, die wir bei Hesse zwar auch finden, aber dort, wo sie hingehören, in seinen kulturkritischen Schriften, Betrachtungen und Rezensionen. Freilich irriteren solche Verstöße gegen die Normen der Avantgarde weniger die Leser als die Schriftgelehrten, die nur das Deutbare für bedeutend halten. Würde doch das Klare und Unmißverständliche ihre Funktion als Vermittler und Interpreten außer Kraft setzen und ihnen zumuten, sich statt mit der Verpakkung mit den Inhalten zu befassen. Da sie aber wenig Lust haben, sich an den zeitund systemkritischen Impulsen der Literatur die Finger zu verbrennen, wird ihre Abneigung gegen Autoren verständlich, deren Aussagen weder verschlüsselt noch beliebig auslegbar sind. Das Klare ist nicht erklärungsbedürftig. Oder bevorzugen sie vielleicht deshalb die schwerer verständlichen Autoren, um durch deren Deutungsbedürftigkeit die Philologie als Wissenschaft besser legitimieren zu können? Vielleicht hängt das bedrohliche Schwinden der Attraktivität der Germanistik, die doch zu den unentbehrlichsten Sonden für unser Selbstverständnis gehört, auch damit zusammen, daß dort mit all den linguistischen, dekonstruktiven und anderen Spe-
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zialisierungen an den inhaltlichen und interdisziplinären Qualitäten der Literatur vorbeidoziert wird und somit auch an den Interessen der Studenten. Natürlich – und das soll fairerweise nicht verschwiegen werden – hat das Klare, das Sinnfällige und Unmißverständliche bei Autoren wie Hesse und Stefan Zweig auch seine Gefahren. Denn sobald es jemand geglückt ist – meist über den Weg schwerer Leiden und persönlicher Krisen –, einen verwickelten Sachverhalt auf den deutlichsten, den einfachsten Ausdrucksnenner zu bringen, dann ist er sofort in aller Munde und wird bevorzugt von solchen Leuten benutzt und heruntergewirtschaftet, zu denen er am wenigsten paßt. Die Sprache ist ja etwas Lebendiges, und manche Ausdrucksweisen, Begriffe und Worte nutzen sich ab, wie Münzen, deren Wert kaum mehr zu erkennen ist, je länger sie im Verkehr gewesen sind. So entsteht oft schon nach wenigen Jahrzehnten das Bedürfnis nach neuer Prägung und griffigeren Formulierungen für dieselben Werte. Wenn sich Marcel Reich-Ranicki lustig macht über Hesses Sprache und dabei übersieht, daß dieser ja kein Gegenwartsautor mehr ist, sondern bereits im 19. Jahrhundert zu schreiben begann, wenn er Worte wie ‹Seele› anachronistisch findet und sagt, «wenn ich das Wort Seele höre, wittere ich allemal Schmus»33, mag er zwar recht haben, argumentiert aber ahistorisch. Denn durch frömmlerische und schmalzige Kontaminationen ist das Wort inzwischen so entwertet, daß es in bestimmten Zusammenhängen deplaziert wirkt und heute durch Bezeichnungen wie «Psyche» ersetzt wird. Oder denken Sie an die Abneigung zeitgenössischer Lyriker zu reimen, seit karnevalistische Büttenreden, Schlager, Werbung und andere Formen der Kommerzialisierung die einprägsamsten Sprachmuster erschöpft und bis zur Trivialität heruntergewirtschaftet haben. Am anfälligsten für diesen sprachlichen Verschleißprozeß in Hesses Werk ist seine Lyrik. Vielleicht weil fast alle seine Gedichte gereimt sind. Nur in etwa fünfzig der von ihm veröffentlichten Gedichte verzichtet er auf den «Marsch und [die] Tänze der Syntax», auf die «Zärtlichkeiten des Anklangs» und das Musizieren mit den Vokalen, wie er die melodischen Effekte des Versmaßes und der Reime einmal beschrieben hat34. Daß heute, nach 800 Jahren gereimter Lyrik, die Ergiebigkeit unserer Sprache für neuartige Klangpaarungen verbraucht ist und die althergebrachte Reimform mehr und mehr in Mißkredit kommen mußte, ist mittlerweile für die meisten modernen Lyriker ein durchaus überzeugender Grund, auf den Reim überhaupt zu verzichten. Diesen Verschleißprozeß der traditionellen Formen hat Hesse besonders in der Lyrik mit Ingrimm beobachtet. Denn im Verzicht auf Reim und Rhythmus sah er eine Kapitulation, eine Preisgabe genau dessen, was das Besondere der Gedichte, ihre Magie und Einprägsamkeit ausmacht. Um so erstaunlicher ist es, wie wenig trotzdem die heute überholt anmutende Form 33 34
M. Reich-Ranicki, Unser lieber Steppenwolf, in Über Hermann Hesse. Zweiter Band, a.a.O., S. 173. H. Hesse Nachts im April notiert [6./7.4.1962], in ders., Die Gedichte, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 2002 (SW, 10), S. 397–398.
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seiner Gedichte der Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen anzuhaben vermag. Ja, diese Aussage bleibt selbst bei so strapazierten Themen wie Liebe und Tod, Freude und Leid, Schönheit und Vergänglichkeit so frisch und authentisch, daß sie es bisweilen sogar schafft, die mittlerweile hinzugekommenen Nebengeräusche vergessen zu machen und den mißbrauchten Wörtern wieder etwas von ihrer ursprünglichen Würde und Aussagekraft zurückzugeben. Aber wie Don Quichotte steht er damit wohl auf verlorenem Posten. Einem Kritiker seiner Verse antwortete Hesse im Januar 1934: Ich habe in der Tat vor «Herz und Schmerz» nicht die mindeste Scheu. Ich bin der Meinung, daß diese Reime, ständige Ornamente im Volkslied, schon den Eichendorff oder den Goethe keineswegs durch ihre Originalität und Neuheit erschüttert haben, sondern daß sie von allen deutschen Dichtern einige Jahrhunderte lang ebenso natürlich und harmlos gebraucht wurden, wie wir uns der Buchstaben oder der Interpunktion bedienen. So wenig ich das Bedürfnis habe, plötzlich das Komma oder das Fragezeichen durch irgendwelche neuen Zeichen in irgendeinen persönlichen Jugendstil ersetzen zu wollen, so wenig trage ich Bedenken, diese alten heimeligen Reimpaare wieder zu verwenden. […] Die Sprach-Turnereien heutiger Originale werden altes Blech sein, noch ehe ihre Schöpfer graue Haare kriegen.35
Das hat sich bestätigt. Von den Sprachexperimenten des damaligen Expressionismus und Dadaismus hat kaum etwas überlebt. Freilich sind auch die ausgelatschten Herz- und Schmerzlichkeiten seither nicht glaubwürdiger geworden und haben ihr Verfallsdatum längst überschritten. Diese historisch bedingte Sprachentwertung hat Hesses Prosa weniger zugesetzt als seiner Lyrik. Aber auch dort kommt sie vor. Hesse-Leser im Ausland stört das weniger als uns, weil die Übersetzungen ja in erster Linie das Inhaltliche wiedergeben und es dem jeweils aktuellen Sprachgebrauch angleichen. Weil aber bei Hesse das Inhaltliche standhält, trägt es auch das Formale. Sagen wir es deutlicher: Hesse ist leicht zu lesen, jedoch schwer zu leben, weil alles, was er schrieb, nicht l’art pour l’art ist, sondern Krisenbewältigung mit evolutionären Impulsen, mit Anstößen, die auf eine Humanisierung des Menschen zielen. Diese ethische Komponente und nicht Hesses – von der Literaturkritik vorgeschobener – formaler Traditionalismus, scheint mir der entscheidende Störfaktor zu sein, der den meisten seiner Verächter zu schaffen macht. Dabei spielt natürlich auch der Generationenkonflikt eine Rolle. Er zeigt sich an der Zusammensetzung seiner Leserschaft, also der Tatsache, daß mehr als die Hälfte davon der Altersgruppe zwischen 14 und 35 Jahren angehört, gefolgt von Lesern im Rentenalter, während die Generation der Berufstätigen, also das sogenannte Establishment, nicht annähernd so sehr ins Gewicht fällt. Denn offenbar stört Hesse beim Geldverdienen. Es ist schon ein merkwürdiges Phänomen: Solange wir noch jung und voller Ideale sind, lesen wir diesen 35
H. Hesse: An Hugo Marti [Mitte Januar 1934], in ders., Gesammelte Briefe. Zweiter Band 1922–1935, a.a.O., S. 410.
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Dichter, während viele nichts mehr mit ihm anfangen können, sobald sie berufstätig werden – sobald also Ideale zu Karrierekillern werden können –, um dann aber merkwürdigerweise wieder als Pensionäre, sobald sie ihre Wettbewerbsmimikry hinter sich haben, erneut zu Autoren wie Hesse und den guten Vorsätzen ihrer Jugend zurückfinden. Denn in seinen Büchern werden Erfahrungen, Regungen und Antriebe ausgesprochen, die man sich oft kaum einzugestehen wagt, weil sie uns in Konflikt bringen mit den Erwartungen unserer an schnellstmöglicher Rentabilität orientierten Gesellschaft. Das wird wohl auch künftig so bleiben. Dennoch habe ich die Hoffnung, daß vielleicht die erste Gesamtausgabe Hesses, die ich im nächsten Jahr abzuschließen hoffe, ein wenig dazu beitragen kann, die Überheblichkeit unseres akademischen Kulturbetriebes zu verunsichern. In 20 Bänden umfaßt diese Ausgabe etwa das Doppelte dessen, was zu Lebzeiten des Dichters zugänglich war und erstmals auch das, was an unseren Hochschulen am meisten geschätzt wird, nämlich den Zündstoff seiner kompletten politischen und kulturkritischen Schriften in sechs, 4500 Seiten umfassenden Bänden. Vielleicht wird dies dazu beitragen, daß sich endlich die Schere, die zwischen Hesses Popularität bei den Lesern und der von den Medien manipulierten Meinung über ihn klafft, eines Tages doch noch schließen wird. Dann wäre auch mein mehr als dreißigjähriger Einsatz für diesen Dichter nicht ganz vergeblich gewesen. Erste Ansätze dazu sind bereits zu sehen. Im vergangenen Jahr veranstaltete die Universität Tübingen eine erste Ringvorlesung über Hesse. Die Beiträge dazu sind soeben in Buchform erschienen, wenn auch das Vorwort der Herausgeberin, Prof. Cornelia Blasberg, nicht eben ermutigend klingt: «Der so eigenwillig an der Moderne vorbeischreibende Autor ist tabu»,36 heißt es da. Ermutigender dagegen war das ebenfalls 2002 unter Leitung von Prof. Andreas Solbach an der Universität Mainz unter dem Motto «Hermann Hesse und die Modernisierung» organisierte erste akademische Kolloquium in Deutschland. Einer der Referenten, der Mainzer Literaturwissenschaftler Christian Schärf, zog dabei diese beachtenswert mutige Bilanz: Was Hesse in seinen Texten betreibt, ist die Verwandlung einer fiktionalen Gestalt in ein begreifbares identifikationsfähiges Individuum und damit in den Zustand der Lesbarkeit […] Damit steht Hesse in einem fundamentalen konzeptionellen Widerstreit mit der ästhetisch-literarischen Moderne, die den Weg in die Unlesbarkeit gegangen ist und eine elitäre Immunisierung gegen Kritik entwickelt hat. Eine Figur wie Büchners Lenz etwa, mit dem man fast schon habituell die literarische Moderne beginnen läßt, verliert im Laufe des Erzählfragmentes seine Lesbarkeit. Er wird für sich selbst wie für seine Umwelt unbegreiflich und unentzifferbar. Der Text inszeniert Unlesbarkeit als Schizogenese des Menschen, seiner Geschichtlichkeit, und Erzählbarkeit. […] Oder wie liest man eigentlich den Ulysses? Was heißt hier Lesen? Oder Kafkas Schloß: Es ist ein Schloß da, aber kein Schlüssel. Zeichen, aber keine Deutung – und gerade deshalb ein Übermaß an Deutungswille. Unlesbarkeit wird durch Unkritisierbarkeit geschützt. Wer sich dieser Entwicklung entge36
Hermann Hesse 1877 – 1962 – 2002, hrsg. von C. Blasberg, Tübingen 2003, S. 7–11.
Zur Hermann Hesse-Rezeption in Deutschland 55 genstellte, mußte als hoffnungslos konservativ und für das Zeitbewußtsein indiskutabel erscheinen. Hiermit wäre Hermann Hesses Position in der ästhetischen Moderne ziemlich genau benannt. Dennoch geht Hesse bewußt den Weg in die andere Richtung: Bei ihm wird aus der Exponiertheit der Figur eine Sinngeschichte, […] die das Welthafte und Sinnvolle gerade angesichts der Sinnkrise beschwört und ins Bild setzt. Was wir bei der Lektüre Hesses erfüllt finden, ist unser phylogenetisch verwurzelter Wunsch, davon zu hören, daß die Welt und der Mensch in einem sinnhaften Bezug zueinander stehen, daß sie miteinander eine Geschichte bilden, die zwar problematisch sein mag, die aber immerhin mit Gewinn lesbar ist.37
Das zeugt, meine Damen und Herren, von einem neuen komparatistischen Problembewußtsein, das auf einen Richtungswechsel des akademischen Umgangs nicht nur mit Hesse, sondern auch mit jener Moderne hoffen läßt, die bisher immer gegen ihn ausgespielt wurde. Zum Schluß noch eine grundsätzliche Überlegung anläßlich dieser alles in allem doch eher ernüchternden Bilanz der offiziellen Hesse-Bewertung in Deutschland, die einmal mehr das Sprichwort bestätigt, daß der Prophet im eigenen Lande nichts gilt. Aber war nicht gerade das von jeher ein Indiz für Wertbeständigkeit in der Zukunft? Ging es Künstlern wie Johann Sebastian Bach, Mozart, Schubert, William Turner und van Gogh, Kleist, Mörike oder Büchner, die erst Generationen nach ihrem Tod in ihrer Bedeutung erkannt und als Klassiker akzeptiert wurden, etwa anders? Bei Hesse kommt noch etwas hinzu, was ich seine existentielle oder religiöse Dimension nennen möchte, nämlich die bereits erwähnte Tendenz aller seiner Schriften, über den bloßen Unterhaltungswert hinaus zu einer Humanisierung des Menschen zu ermutigen. Wer damit Ernst macht, der war und bleibt den Machthabern aller Zeiten ein Dorn im Auge. Wie oft sind gerade die lautersten Anwälte der Menschlichkeit verfolgt, verbrannt und ans Kreuz geschlagen worden? Wer seinem Gewissen folgt und Ideale nicht nur als Lippenbekenntnisse heuchelt, sondern sie zu leben und zu praktizieren versucht, der kommt bei denen, die fünfe gerade sein lassen, um ihre Karriere nicht zu gefährden, in Teufels Küche und wird als Störfaktor empfunden. Das ist Hesse bis auf den heutigen Tag geblieben, und gerade das, denke ich, wird ihm früher oder später auch hierzulande seine zeitlose Aktualität sichern.
37
Vgl. dazu den Beitrag von Ch. Schärf Hermann Hesse und die literarische Moderne. Der Dichter als Missionar, in Hermann Hesse und die literarische Moderne, hrsg. von A. Solbach, Frankfurt a.M. 2004.
Helga Esselborn-Krumbiegel
Lesen als Reskription – Plädoyer für eine neue Hesse-Lektüre «Die Bücher der Dichter bedürfen weder der Erklärung noch der Verteidigung», schrieb Hermann Hesse in einem Brief1, und wir könnten hinzufügen: «die Bücher der Dichter werden auch nicht in erster Linie für Literaturwissenschaftler geschrieben, sondern für Leser». Das eine schließt nun zwar das andere nicht aus, nicht selten aber begegnen sich Literaturwissenschaft und Lesergemeinde mit Skepsis. Immer wieder öffnet sich die Kluft zwischen der Begeisterung für das Werk auf der einen Seite und dem kühlen Blick der literaturwissenschaftlichen Analyse auf der anderen Seite. Während der oftmals jugendliche Leser ‹seinen› Hesse verschlingt, befällt den zumeist erwachsenen Literaturwissenschaftler zuweilen ein leichtes Unbehagen, wenn er an seine «naive» Jugendlektüre zurückdenkt. Er verzichtet dann oft lieber darauf, zu «begreifen, was uns ergreift» – und Sie wissen, ich zitiere hier den Literaturwissenschaftler Emil Staiger und mit ihm eine ganze Schule werkimmanenter Literaturbetrachtung, die heute als zumindest ‹überholungsbedürftig› gilt. Aus einer veränderten Perspektive aber könnte der analytische Blick durchaus dazu beitragen, Hesses Dichtung neu zu erschließen. Diesen veränderten Blick wollen wir gemeinsam wagen. Offensichtlich haben wir es mit Texten zu tun, die, obwohl viel gelesen, ganz eindeutig nicht zum Kanon der Literaturwissenschaft zählen, aber durchaus, anders als die Unterhaltungsliteratur, zum schulischen Lektürekanon gehörten und noch gehören. Das allein zeigt schon, daß Hesses Bücher quer zu jedem ‹Schubladendenken› ihr Zielpublikum erreichen: junge Menschen vor allem lesen Hesse an der Bushaltestelle und im Schulunterricht – das ist ungewöhnlich, erfahrungsgemäß schließt das eine das andere eher aus –, zugleich aber verschließt sich die Literaturwissenschaft, die ja auch künftige Lehrer und Lehrerinnen ausbildet, weitgehend einer kritischen Beschäftigung mit einem ‹Schulautor› – auch das ist ungewöhnlich. Die akademische Ablehnung lässt sich aus literaturwissenschaftlicher Sicht zunächst scheinbar einwandfrei legitimieren: Hermann Hesses Texte sind – darüber herrscht mehr oder weniger Einigkeit – thematisch zwar in mancher Hinsicht auf der Höhe ihrer Zeit, literarisch aber konventionell; das bedeutet: eine vertraute, ja streckenweise epigonale Sprache, eine kaum durch perspektivische Schnitte unterbrochene Handlungsführung und ein zwar brüchiges, aber letztendlich solides Figurenkonzept. 1
H. Hesse, Briefe, erw. Ausgabe, Frankfurt a.M. 1964, S. 376.
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Eine solche – eingeschränkte – Perspektive lässt sich aber nur dann aufrecht erhalten, wenn man als Literaturwissenschaftler das dichterische Werk isoliert: von seiner Entstehung auf der einen Seite und von seiner Wirkung auf der anderen Seite. Wenn man es dagegen in der Vielfältigkeit seiner Bezüge belässt, können sich neue Sichtweisen öffnen. Es ist nämlich gerade bei Texten, die auf den ersten Blick so leicht zugänglich erscheinen, aufschlussreich, unter die Oberfläche zu schauen. Und das ist, denke ich, genau unsere Aufgabe als Literaturwissenschaftler. Der Blick unter die Oberfläche meint hier zweierlei: 1. unter der Oberflächenstruktur der Texte eine verborgene Tiefenstruktur aufzudecken und 2. die Textstrategien zu verfolgen, die Leser, Text und Autor verbinden und die so die Rezeption steuern. Beide Interpretationszugänge führen über den Leseprozess zur Textanalyse. Sie wollen nicht bislang geläufige Deutungen fortspinnen, sondern vielmehr unvertraute Zugänge öffnen. Eine solche Annäherung kann meines Erachtens dazu beitragen, Hesses ‹Erfolgsgeschichte› aus literaturwissenschaftlicher Sicht neu zu schreiben, denn sie entschlüsselt diese Erfolgsgeschichte aus der Sicht des Lesers.
I. Textkonstituierung Ich möchte zunächst die Konstituierung der Texte genauer betrachten. Wer sich bislang mit der Entstehung von Hesses Texten befasste, fragte meist nach biographischen Hintergründen und Auslösern. Von diesem Zugang sind meines Erachtens derzeit weder weitere wirklich relevante Erkenntnisse zu erwarten noch eigentlich zu erhoffen. Der biographische Ansatz hat nämlich nicht selten den Blick auf den Text verstellt, statt ihn zu öffnen. Wenn wir uns aber die enorme Resonanz vergegenwärtigen, die Hesses Werk erfahren hat, so ist es immer in aller erster Linie eine Resonanz auf die Texte gewesen. Erst im Nachhinein haben Hesses Leser – dann allerdings ziemlich rasch – angefangen, sich für den Autor und sein Leben zu interessieren und haben in diesem krisengeschüttelten Lebenslauf reichlich Material entdeckt, das die Texte wie ein Kommentar begleitete, Texte, die eines solchen Kommentars gar nicht bedurft hätten. Andererseits haben manche Interpreten im Leben des Autors Anhaltspunkte gesucht und gefunden, die ihre jeweils eigenen Leseerfahrungen bestätigten. In diesem Sinne sind gerade auch zahlreiche pseudowissenschaftliche Studien zu Hermann Hesse mit Vorliebe von seiner Biographie ausgegangen. Wir wollen dagegen die Entstehung der Werke in erster Linie als die Konstituierung von Texten betrachten. Wir wissen, daß nur wenige Themen Hesses Werk durchziehen und immer die gleichen Konflikte nach einer Lösung drängen. Auch
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die Konstellationen, in denen diese Konflikte bearbeitet werden, ähneln einander: fast alle Dichtungen Hesses entwerfen das Schicksal des Außenseiters, der gegen innere und äußere Widerstände seine Identität zu finden und zu leben versucht. Unter der Oberfläche ähnlicher Konflikte aber lassen sich ganz unterschiedliche Wege der Konfliktbewältigung, wenn auch nicht unbedingt der Konfliktlösung entdecken. Der Kulturanalytiker Alfred Lorenzer prägte den Begriff der Symbolisierung für jene Transformation von unbewussten und teilbewussten Lebensentwürfen in die sinnlich unmittelbare Anschauung der Texte. In der Konstituierung von literarischen Werken werden demnach die Konflikte und Konfliktbewältigungen in die Symbolstruktur der Texte eingeschrieben. Entschlüsseln kann sie der Leser, wenn er sich auf die Inszenierungen des Textes einlässt. Das bedeutet: ambivalente Reaktionen, die der Text selber auslöst, nicht zu harmonisieren, sondern ihnen nachzuspüren. Lorenzer betont, daß der Leser «in das angebotene Drama einsteigen» müsse, denn «aus der szenischen Anteilnahme erwächst das szenische Verstehen»2. Eine prozessorientierte Textbetrachtung geht also immer vom Leser aus. Der Leser, der, wie Lorenzer formuliert, «seine Betroffenheit ‹anerkennt› und als Interpretierender ‹nicht zurückschaudert›, verändert sein Bewußtsein»3. Unbewusst lässt er sich zunächst auf die Teilhabe an den inszenierten Konflikten ein, um dann nach und nach zum bewussten Teilnehmen durchzudringen. Dabei erlebt er den Übergang vom intuitiven Einfühlen zur bewussten inneren Wahrnehmung. Dieser Weg führt über die Symbolstruktur der Texte. Deshalb lohnt es sich, hinter dem manifesten Textsinn den latenten zu entdecken und zu beobachten, wie beide Ebenen zusammen die Texterfahrung konstituieren. Immer wieder begegnen uns in Hesses Werken bildhaft verdichtete Szenen, die hinter dem manifesten Textsinn einen anderen latenten Sinn andeuten. Dieser latente Sinn ist aber nicht etwa der Tiefsinn des manifesten – so als müsse man in der Interpretation nur intensiver immer in dieselbe Richtung weitergehen –, sondern dieser latente Sinn steht oftmals geradezu im Widerspruch zum manifesten Textsinn. Während im manifesten Sinn die bewussten Textintentionen Gestalt gewinnen, machen sich im latenten Sinn die unbewussten und teilbewussten Konflikte geltend. Hinter den bildhaften Inszenierungen des Textes tut sich eine Bedeutung auf, die nicht ausgesprochen, aber mitgefühlt wird. Der Leser, der den manifesten und den latenten Textsinn gleichermaßen realisiert, erbringt eine Interpretationsleistung, die einem Noch-einmal-Schreiben des Textes im Leseprozess gleich kommt. So wird Lektüre im Sinne Roland Barthes’ zur Reskription, die immer wieder neu Bedeutung schafft: «Die Einheit eines Textes liegt nicht in seinem Ursprung, son2 3
A. Lorenzer, Tiefenhermeneutische Kulturanalyse, in Kultur-Analysen. Psychoanalytische Studien zur Kultur, hrsg. von A. Lorenzer, Frankfurt a.M. 1986, S. 11–98, hier S. 62. Ebd., S. 28.
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dern in seinem Bestimmungsort»4. Indem der Leser sich den Widersprüchen eines Textes aussetzt, erfährt er fremde Normkonflikte als potenziell eigene und entdeckt in einer fremden Lebenspraxis die mögliche eigene Konfliktlösung. Eine Szene aus dem Steppenwolf soll eine solche symbolische Inszenierung illustrieren: der Mord an Hermine im Magischen Theater. Der manifeste Textsinn lässt den Mord als die unbeherrschte Tat eines Eifersüchtigen erscheinen, der «das Herz alles Lebens» getötet hat. Alle auf Tod gestellten Zeichen in diesem Roman lassen den Leser indes von vornherein ahnen, daß diese Tat mehr als eine bloße Affekthandlung ist. Noch einmal ist Harry Haller an einem Tiefpunkt seiner Existenz angekommen: die Vernichtung seines Spiegelbildes vor dem Mord muss bereits als Ausdruck der Selbstverachtung gedeutet werden. Über die Selbstbefreiung siegt der innere Zwang zur Selbstzerstörung. Diesem manifesten Textsinn steht jedoch ein latenter Textsinn gegenüber, der den Zerstörungsprozess positiv konnotiert: der ästhetisch vollkommene Anblick der Schönheit wird in ritueller Sprache in einer beinahe stillstehenden Zeit zelebriert: «von dem toten Gesicht, von den toten weißen Schultern, den toten weißen Armen hauchte, langsam schleichend, ein Schauder aus, eine winterliche Öde und Einsamkeit, eine langsam wachsende Kälte»5. Die Kälte jedoch, die von der Toten ausströmt, wird für Harry übergangslos zur Musik der Unsterblichen: «Die Kälte, die von ihnen [Stirn, Locke und Ohrmuschel der Toten] ausströmte, war tödlich und war dennoch schön: sie klang, sie schwang wunderbar, sie war Musik!»6. Es folgt, Sie erinnern sich, die Begegnung mit dem «Unsterblichen», Mozart. In der Überhöhung dieser Szene zum Sinnbild der jenseitigen Welt widerspricht der latente Textsinn so zunächst der Interpretation des Mordes als einer Katastrophe. Durch die Transformation des Mordgeschehens in ein ästhetisches Arrangement werden in dieser Szene Leben und Tod in Kunst verwandelt. Die Tote wird nämlich nicht nur wie ein Kunstobjekt beschrieben, sondern auch von Pablo später wie eine Spielfigur ‹wiedererweckt›. Hermine repräsentierte ja als Harry Hallers Alter Ego zunächst die lebenszugewandte Seite des Steppenwolfs, die mit dem Mord vernichtet scheint. In der Transformation jedoch gewinnt das Ausgegrenzte eine neue symbolische Qualität: Lebensenergie und Eros erheben, ‹verwandelt› in Kunst, Anspruch auf Reintegration in ein verändertes Selbstbild. Harry Haller kann dieses neue Selbst allerdings in der Welt des Romans selber nicht realisieren. Es ist der Leser, dem die Aufgabe zufällt, den Neuanfang zu wagen, den Harry nur entwerfen kann: «Pablo wartete auf mich. Mozart wartete auf mich»7 . Ich habe Ihnen diese bekannte Szene in Erinnerung gerufen, um deutlich zu machen, wie die latente Bedeutung in Widerspruch zum manifesten Textsinn tritt. Erst 4 5 6 7
R. Barthes, Image, Music, Text, New York 1977, S. 148. H. Hesse, Der Steppenwolf, in GS, 7, S. 405. Ebd. Ebd., S. 413.
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in der Reskription durch den Leser gelingt in der Einheit von Fühlen und Erkennen die Vermittlung der beiden Ebenen. Der Leser vollzieht in seiner Wiederholung des Suchprozesses, den Harry Haller durchlaufen musste, die Stadien der IchFindung nach und entwirft in der Synthese des manifesten und des latenten Sinnes seine Antwort auf die Herausforderung des Textes. «Lesen heißt», so argumentiert der amerikanische Literaturwissenschaftler Jonathan Culler, «die Rolle des Lesers spielen, und Interpretieren heißt, eine Leseerfahrung postulieren»8. Würden wir uns entschließen, Hesses Dichtung auf dieses verborgene Zusammenspiel von manifestem und latentem Textsinn hin zu interpretieren – gerade auch in jenen Werken, die scheinbar in immerwährender Wiederholung das gleiche Thema umkreisen –, könnten vertraute Texte eine ungeahnte neue Dynamik entfalten.
II.Wirkung Neben die Konstituierung der Texte, die ich als Symbolisierung beschrieben habe, tritt als zweiter Angelpunkt einer möglichen neuen Hessedeutung: die Wirkung der Texte. In der literaturwissenschaftlichen Tradition wurde die Wirkung eines Werkes bislang vorwiegend unter die Fragen: wer – wann – wo – warum? gestellt. Welchen Einflüssen sah sich der Schriftsteller ausgesetzt, wie nahm er sie auf, wie wirkten sie in seinem eigenen Werk fort? Wann und unter welchen geistesgeschichtlichen oder gesellschaftspolitischen Bedingungen wurde sein Werk gelesen und auf welche Weise wurde es in diesem Prozess gedeutet, umgedeutet, eventuell auch fehlgedeutet? Wie wirkte das Werk seinerseits weiter auf andere Schriftsteller? Diesen geistesgeschichtlichen, literatursoziologischen, aber auch literaturpsychologischen Fragestellungen möchte ich einen anderen Ansatz entgegenstellen, der wiederum vom Text und seinem Leser ausgeht. Texte entfalten ihr Potenzial erst im Leseakt; sie fungieren nicht primär durch Nachahmung der empirischen Welt, sondern gewinnen in der Kommunikation mit dem Leser einen eigenen Aussagestatus. Der Leser entschlüsselt die Texte, indem er ihren Strategien folgt und so ‹Bedeutung› konstruiert. «Lesen ist gelenktes Schaffen» heißt es schon in Jean Paul Sartres umfangreichem Essay Was ist Literatur?9 und bei Umberto Eco wird der Leser sogar ausdrücklich zum Konstrukteur des Werkes10. Lektüre wird zur Reskription. Das kann allerdings nicht beliebig sein, sondern ist durch den ‹ersten Schreiber›, den Autor gelenkt. 8 9 10
J. Culler, Dekonstruktion. Derrida und die poststrukturalistische Literaturtheorie, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 72. J.P. Sartre, Was ist Literatur? Ein Essay, Reinbek bei Hamburg 1969, S. 29. Vgl. U. Eco, Das offene Kunstwerk, Frankfurt a.M. 1973.
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In Hesses Werken finden wir eine sehr bewusste Inszenierung des ErzählerLeser-Diskurses, der im Wechselspiel von Nähe und Distanz die Interpretation bestimmt. Diesem Diskurs wollen wir gemeinsam nachgehen. Zunächst binden die Texte den Leser durch Identifikation eng an das erzählte Geschehen und sichern durch ihre differenzierte Leserlenkung durchgängig die Rezeption. In fast jedem Text lassen sich nämlich Strategien ausmachen, die sowohl die Kontaktnahme mit dem Leser als auch seine enge Führung durch den Text bewirken. Mit Umberto Eco könnte man behaupten: «Man kann den Text nicht verwenden, wie es einem beliebt, sondern nur so, wie der Text will, daß man ihn verwendet»11. Ich möchte diesen gelenkten Leseprozess an einem Beispiel deutlich machen: dem Roman Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend. Der Roman geht aus von der schwindenden Verfügungsgewalt des Erzählers über die erzählte Wirklichkeit: «Die Dichter, wenn sie Romane schreiben, pflegen so zu tun, als seien sie Gott und könnten irgendeine Menschengeschichte ganz und gar überblicken und begreifen und sie so darstellen, wie wenn Gott sie sich selber erzählte, ohne alle Schleier, überall wesentlich. Das kann ich nicht, so wenig wie die Dichter es können»12. Dieser Verlusterfahrung setzt der Text die gezielte intensive Leserlenkung entgegen, als könne so gleichsam der verlorene Zugriff auf die Deutung der Welt wiedergewonnen werden. Zunächst bindet der Erzähler seine Geschichte ausdrücklich an das einzelne Subjekt, das erzählende Ich: «Meine Geschichte aber ist mir wichtiger als irgendeinem Dichter die seinige; denn sie ist meine eigene, und sie ist die Geschichte eines Menschen – nicht eines erfundenen, eines möglichen, eines idealen oder sonst wie nicht vorhandenen, sondern eines wirklichen, einmaligen, lebenden Menschen»13. Hier spricht also nicht der autonome allwissende Dichter, sondern ein IchErzähler, der von seiner eigenen Entwicklung Zeugnis ablegt. Indem Emil Sinclair rückblickend das eigene Schicksal deutet, bestimmt er allein die Perspektive des Verständnisses. Hierdurch werden Darstellung und Deutung des Erzählten zugleich eingeschränkt auf die individuelle Sicht und autorisiert durch die Garantie des Selbsterlebten. In einer Gegenbewegung wird diese Beschränkung wieder aufgehoben durch den paradigmatischen Anspruch des Erzählten: «Jeder Mensch aber ist nicht nur er selber, er ist auch der einmalige, ganz besondere, in jedem Fall wichtige und merkwürdige Punkt, wo die Erscheinungen der Welt sich kreuzen, nur einmal so und nie wieder»14. 11 12 13 14
U. Eco, The Role of the Reader: Explorations in the Semiotics of Texts, Bloomington 1979, S. 40. H. Hesse, Demian, in GS, 5, S. 7. Ebd. Ebd.
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Diese beiden einander scheinbar widersprechenden Bestimmungen des Menschen: als einmalig besondere Existenz und zugleich als Schnittpunkt überindividueller Kräfte und Konstellationen geben dem Leser bereits den Schlüssel zum Verständnis dieser ‹Seelenbiographie› an die Hand. Das erzählte Leben erscheint als geschlossener Kosmos: als Innenwelt eines Ich, das sich erlebend, berichtend und deutend im Erzählprozess als Subjekt konstituiert: «Wir können einander verstehen; aber deuten kann jeder nur sich selbst»15. Zugleich wird die Weltsicht des Ich-Erzählers und seine Deutung der eigenen Geschichte im voraus festgelegt und bestätigt und zu allgemeiner Gültigkeit erhoben: die einmalige ‹Seelenbiographie› wird zum Paradigma menschlicher Existenz: «Das Leben jedes Menschen ist ein Weg zu sich selber hin, der Versuch eines Weges, die Andeutung eines Pfades. Kein Mensch ist jemals ganz und gar er selbst gewesen; jeder strebt dennoch, es zu werden, einer dumpf, einer lichter, jeder wie er kann»16. Das Subjekt aber, das uns in diesem Roman begegnet, ist von Ich-Zerfall und Desintegration bedroht. Es konstituiert sich nicht mehr naiv als klar umgrenztes Individuum, sondern überwindet und sprengt seine Grenzen. Zugleich sucht es sich jedoch als Subjekt neu zu erfahren und zu definieren. Emil Sinclairs Gespräche mit Pistorius, mit Demian, mit Frau Eva wie auch seine gemalten Porträts sind solche Versuche der Ich-Findung. Die unterschiedlichen Ich-Entwürfe werden von verschiedenen Gestalten repräsentiert, die sich nach und nach als Spieler auf Emil Sinclairs innerer Bühne entpuppen. Im Schnittpunkt dieser Figuren aber steht der Leser, genau dort, wo sich die verschiedenen Perspektiven in ihren Deutungen gegenseitig bestätigen oder ergänzen. Hineingezogen in den autonomen Kosmos des Ichs erlebt der Leser so die Entfaltung innerpsychischer Wirklichkeiten. Wie versprengte Splitter eines Kaleidoskops erscheinen die Figuren und Lebensentwürfe. Erst ihre Zusammenschau ergibt ein neues konsistentes Bild. Diese Zusammenschau aber wird nicht von einer der beteiligten Figuren selber geleistet, sondern gelingt erst im Erzählakt. Deshalb steht im Schnittpunkt der Perspektiven in diesem Roman der Leser. Indem der Autor ihn im Deutungszentrum der Texte situiert, überträgt er ihm die Aufgabe der Reskription: der Leser soll die Splitter des Kaleidoskops zusammenfügen. Um jedoch zugleich die Reskription von Anfang an zu lenken und einer willkürlich beliebigen Deutung vorzubeugen, baut der Erzähler schon im Vorspann den Kontakt zum Leser auf, entwirft Leitlinien des Verständnisses und entlässt seinen Leser anschließend scheinbar in die Selbstständigkeit. Im Verlauf des Romans wird dieser Leser indes immer wieder an die gebahnten Rezeptionswege erinnert, ja geradezu auf sie verpflichtet. Der Spannungsbogen des Erzähler-Leser-Kontakts 15 16
Ebd., S. 8. Ebd.
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bleibt bis zu dem Augenblick erhalten, in dem der Text sich am Schluss des Romans öffnet, den Leser zwar aus seiner Abhängigkeit löst, ihn jedoch in eine im Sinne des Autors gedeutete Welt entlässt. Unterstützt wird die Leserbindung einerseits durch ausdrückliche Deutungshinweise, andererseits durch das sprachliche Pathos, das den Leser ganz auf Resonanz stimmt. Zugleich wächst mit der Eindringlichkeit des Gesagten sein paradigmatischer Anspruch. Erfahrungen und Einsichten reklamieren intersubjektive Gültigkeit und geben so in Sentenzen Leitlinien des Verständnisses vor: «nichts auf der Welt ist dem Menschen mehr zuwider, als den Weg zu gehen, der ihn zu sich selber führt», verkündet Emil Sinclair und er fügt hinzu: «es gab keine, keine, keine Pflicht für erwachte Menschen als die eine: sich selber zu suchen, in sich fest zu werden, den eigenen Weg vorwärts zu tasten, einerlei wohin er führte»17. Auch spricht der Erzähler seinen ‹idealen› Leser immer wieder unmittelbar an: «Ich weiß, daß manche nicht glauben werden, daß ein Kind von noch nicht elf Jahren so zu fühlen vermöge», heißt es im Hinblick auf die Kromererlebnisse. «Diesen erzähle ich meine Angelegenheit nicht. Ich erzähle sie denen, welche den Menschen besser kennen»18. Demian endet mit Sinclairs Blick in den Spiegel der Selbsterkenntnis. Sinclairs Konzept einer neuen Identität integriert die Urbilder der Menschheit ebenso wie die polaren Kräfte des eigenen Innern. Dieses Ich, das sich nicht umgrenzt, sondern entgrenzt und öffnet, prägt folgerichtig auch die Strategien der Leserlenkung: am Ende des Romans wird auch der Leser – ‹ausgerüstet› mit einer ganz bestimmten Selbst- und Weltwahrnehmung – wie sein Identifikationsobjekt Emil Sinclair auf sich selber zurückverwiesen und in die Offenheit des Textes entlassen: einer Offenheit allerdings, die eine auf Schritt und Tritt gedeutete ist. In Demian wie im Steppenwolf tritt zwar der deutende auktoriale Erzähler zurück; statt seiner etablieren aber unterschiedliche Deutungsperspektiven den Sinnhorizont des Textes. Diese Perspektiven sind gebunden an die einzelnen Figuren und ihren je eigenen – exemplarischen – Lebenslauf. Diese exemplarischen Lebensläufe schaffen in beiden Romanen einen verbindlichen Bedeutungsrahmen. Und nur innerhalb dieses Rahmens wird der Leser gleichsam mit dem Helden in die individuelle Sinnverantwortung entlassen. Geführt durch die Textstrategien bleibt er aber zugleich an den vorgezeichneten Sinnentwurf im Roman gebunden. Zwei ausgewählte Texte haben wir beleuchtet und dabei zwei Strategien entdeckt, denen Hesses Werke unter anderem ihre Faszination verdanken: die inszenierte Symbolisierung auf der einen Seite und die gezielte Leserlenkung auf der anderen Seite. Diese Strategien aber sind den Texten eingeschrieben, sie werden zwar vom Leser nachvollzogen, aber in der Regel erst vom Interpreten sichtbar 17 18
Ebd., S. 48–126. Ebd., S. 37.
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gemacht und benannt. Der hermeneutische Weg über den Leseprozess, den Sie soeben ein Stück weit mitgegangen sind, lässt uns das ‹Phänomen Hesse› und das Geheimnis seiner Wirkung ein wenig genauer begreifen. Lesen als Reskription entdeckt und aktualisiert latente Bedeutungen und macht prägende Textstrategien bewusst. Die kritische Beschäftigung mit dem Erfolgsautor Hermann Hesse kann so sein Werk auf neue Weise erschließen, auch wenn der Autor selber den Grabenkämpfen der Literaturkritik nur wenig Bedeutung zumaß. Obwohl selber ein leidenschaftlicher Literaturkritiker verwies Hesse doch die Literaturkritik in ihre Grenzen, als er feststellte: «Die Bücher der Dichter bedürfen weder der Erklärung noch der Verteidigung, sie sind überaus geduldig und können warten, und wenn sie etwas wert sind, dann leben sie länger als die, die über sie streiten»19.
19
H. Hesse, Briefe, erw. Ausgabe, Frankfurt a.M. 1964, S. 376.
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Hesse und die Gartenkunst Jeder Garten, ob groß oder klein, ist, ganz unabhängig von der natürlichen Beschaffenheit seiner Umgebung, ein Produkt der Zeit, in welcher er angelegt wurde, sowie der Kultur, die diese Zeit geprägt hat. Das betrifft nicht nur das Schönheitsempfinden, Geschmacks- oder Gewohnheitsfragen, sondern es gilt auch für die tiefergehenden Tendenzen einer Gesellschaft und die Vorstellung, die eine Gesellschaft von der Welt und deren Lauf hat. So kennen wir eine Verbindung von Sakralität und Natur in den antiken vorhellenischen Gärten des Orients, die Entdeckung der Landschaft verbunden mit einer funktionalen Unterordnung unter die Architektur bei den Gärten im alten Rom, religiöse Inbrunst bei den Klostergärten des Hochmittelalters, Ordnung und Perspektive bei jenen der Renaissance, die Lust an Theatralik bei den klassischen französischen Gärten sowie die Wiederentdeckung der Natur in den englischen Gärten des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts. In Bezug auf die Epoche, in der sie entstanden sind, geben Gärten, so Pierre Grimal, «ebenso viele aufschlußreiche Hinweise auf Geist und Seele wie das die Bildhauerei, die Malerei oder die Werke der Dichter vermögen»1. Hesse selbst hat kein neues Gartenbild erschaffen, hat aber für Gärten ein so tiefes und leidenschaftliches Empfinden gehabt, ihnen einen so großen Teil seiner Zeit und seiner Gedanken gewidmet, so oft und ausführlich über sie geschrieben, daß sie zu einer wesentlichen Komponente seiner künstlerischen Persönlichkeit und seines Charakters geworden sind. Ein Garten stellt häufig den ersten Mittler zwischen Mensch und Natur dar, denn er bietet die erste Gelegenheit, sich ihr zu nähern, sie kennenzulernen und sich mit ihr anzufreunden. Das gilt auch für Hesse, der sich schon als Kind der Natur nahe fühlte und im Laufe seines Lebens in ihr stets eine Inspirationsquelle fand, da er sie zum wiederkehrenden Thema und zur Metapher sowohl in seinem literarischen Werk als auch in seinen Zeichnungen und Aquarellen werden ließ. Diese Verbundenheit mit der natürlichen Welt, die sich bei ihm schnell als bedeutsam erwies, ist bei einem so ungemein populären Autor wie Hesse selbstverständlich eingehend erforscht und erläutert worden. Weniger wurde allerdings darüber geschrieben, wie diese Naturverbundenheit sich in Liebe zum Garten verwandelt und welche Formen diese Liebe in den verschiedenen Stadien von Hesses Leben angenommen hat. 1
P. Grimal, L’arte dei giardini. Una breve storia, hrsg. von M. Magi, Rom 2000, S. 4.
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Mit großer Anteilnahme und Erschütterung war Hesse Zeuge der Umwälzungen und tragischen Ereignisse des Jahrhunderts, in dem er gelebt hat: Seine Gärten spiegeln folglich einen individuellen Gemütszustand wieder, stellen aber zugleich die Antwort des Intellektuellen auf eine Epoche voller Kriege und gesellschaftlicher Umbrüche dar und zeigen seine Reaktion auf eine völlig andere Welt als jene, die er in seiner Jugend erlebte. Der vom Menschen gestaltete Naturraum hat den poetischen und symbolischen Wert einer Zufluchtsstätte, er bildet mit seiner zyklischen Wiederkehr der Rhythmen der Natur ein stabiles Element angesichts der vom Menschen hervorgerufenen Unordnung und Zerstörung. Hesse ist neun Jahre alt, als ihm seine Mutter ein kleines Blumenbeet auf dem steil ansteigenden Stück Erde anvertraut, das sich hinter dem Haus der Familie in Calw befindet. Dort macht er, seiner Aufgabe ernsthaft hingegeben wie ein kleiner Wissenschaftler, seine ersten Erfahrungen mit der organischen Welt. In der Jahreszeit der Blüte geht er von einer Pflanze zur anderen, öffnet hier einen Blütenkelch, um den rätselhaften Verlauf ihrer inneren Äderung zu untersuchen, schnuppert dort an gespreizten Blütenblättern und hebt derweil die Augen zum Himmel, um die wie wollene Flocken vorüberziehenden Wolken zu bewundern. Noch war er mit den lateinischen Namen der Pflanzen, die er liebte, nicht vertraut – und das sollte sich auch später nicht wesentlich ändern. Will man sie in den Beschreibungen, die er hinterlassen hat, wiedererkennen, muß man einen kindlichen Jargon, seinen süddeutschen Dialekt oder eine Mischung aus beiden zu Hilfe nehmen. Die traubenförmigen roten Blüten eines Strauchs nennt er «brennende Liebe», ein zerzaustes Gesträuch «stinkende Hoffart» und bestimmte rote und weiße herzförmige Blumen «Frauenherzen»2. Wie fast alle Kinder mag auch er keine farblichen Nuancen. Ihm gefallen die lebhaften Farben der Gladiolen, das Blau von Heliotrop oder Phlox, und diese Vorliebe für ein wenig grelle Farben wird Hesse auch als Erwachsener beibehalten. Wenn wir mit August Wilhelm Schlegel eine Unterscheidung vornehmen wollen, die die Gärten der verschiedenen Jahrhunderte in solche teilt, bei denen die Form und solche, bei denen die Farbe überwiegt, in Gärten, die von der Architektur und andere, die von der Malerei beeinflußt wurden, dann sind es letztere, die Hesse ohne zu zögern bevorzugt. Das berichtet er in einer autobiographischen Notiz, die bezeichnenderweise Kindheit des Zauberers betitelt ist. Hier schreibt Hesse sich die Berufung zu, selbst ein Zauberer zu sein und behauptet, in seiner Kindheit «noch bevor die Schuljahre begonnen hatten, die Geheimnisse der Zauberer von der Sonne, vom Regen, vom Fluß und von den Wäldern, den Insekten der Erde und den Vögeln des Himmels»3 gelernt zu haben. Dann vergehen viele Jahre. Der Schriftsteller Hermann Hesse heiratet eine empfindsame, anziehende und schwierige Frau. Kraft schöpft er aus dem Wunschbild 2 3
H. Hesse, Garten der Kindheit. Aus der Erzählung Der Zyklon, in GW, 2, S. 395. H. Hesse, Kindheit des Zauberers. Traumfährte, in GW, 7, S. 371.
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einer einfachen und unberührten Natur, welches sehr weit entfernt ist von den formalen Paradigmen eines neoklassischen Naturbildes, wie es damals en vogue war; seine Auffassung von Natur könnte man eher in die Nähe der ethischen und ästhetischen Ideale eines John Ruskin oder eines Leo Tolstoi rücken. Um dieser Vision Gestalt zu geben, läßt sich Hermann Hesse zusammen mit seiner Frau Maria Bernoulli in einem kleinen Dorf am Ufer des Bodensees nieder, in einem Bauernhaus in Gaienhofen. Man schreibt das Jahr 1904: Hesse veröffentlicht seinen ersten Roman, Peter Camenzind, der das Bedürfnis des Autors nach einem authentischeren und ursprünglicheren Leben in literarischer Form widerspiegelt. Das Buch wird sofort zu einem außergewöhnlichen Erfolg bei der Jugend, eben wegen der unbedingten, der rettenden Rolle, die die Natur darin spielt: eine unberührte Natur mit hohen Bergen und klarem Himmel, eine Natur, die sich der Verderbtheit des städtischen Lebens und dem unkontrollierten Wachstum der modernen Metropolen widersetzt4. In Peter Camenzind findet sich neben vagen Reminiszenzen an Rousseau auch eine allgemeine, unausgesprochene Sehnsucht nach Flucht aus einer als zwanghaft empfundenen Zivilisation, die mit der Moderne gleichgesetzt wird; ein Gefühl, dem viele Künstler von Gaugin bis Van Gogh bereits vor Hesse Ausdruck verliehen haben. Hesses einfache und überzeugende Sprache fängt diesen Geist ein und verleiht Impulsen Ausdruck, die in eben diesen Jahren zur Entstehung vieler kleiner alternativer Gemeinschaften in Deutschland und der Schweiz führten5. Hesse und seine Frau Maria hegten den Wunsch, an den Rändern der damaligen Gesellschaft eine selbstgenügsame kleine Gemeinschaft zu bilden, die überleben konnte, ohne von den Mechanismen der Warendistribution und den großen Zentren des Konsums abzuhängen – wie man sieht, eine außerordentlich zukunftweisende Bestrebung, nimmt sie doch Formen des Denkens und Fühlens vorweg, die sich erst in den folgenden Jahrzehnten langsam durchsetzen sollten. Das Stück Land, welches das kleine Haus neben der Dorfkirche umgab, war bescheiden, man konnte es fast gar keinen Garten nennen: es war wenig mehr als ein 4
5
Das Thema Großstadt versus Land, des Gegensatzes zwischen der Mühsal des Stadtlebens und der Reinheit der Natur durchzieht die gesamte deutsche Kultur seit über zwei Jahrhunderten. Der Protest gegen die Verstädterung und die Sehnsucht nach einer mythischen Heiligkeit der Erde haben weitreichende Wurzeln in der deutschen Romantik, überdauern in der Heimatkunst während der letzten Jahrzehnte des 19. und der ersten des 20. Jahrhunderts und reichen bis in die ökologischen Bewegungen des heutigen Deutschlands. Die bekannteste und gewiß eine der exzentrischsten Gemeinschaften war die des Monte Verità, oberhalb von Ascona im Kanton Tessin. Ihr Ziel war es, die eigene Ablehnung der damaligen Gesellschaft durch die Suche nach alternativen Lebensformen auszudrücken: Vegetarismus, Nudismus, Verzicht auf Tabak und Alkohol, Homöopathie und andere Formen natürlicher Medizin. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stand der Monte Verità im Zentrum der Aufmerksamkeit ganz Europas und war ein Ziel, zu dem Intellektuelle wie Künstler pilgerten; unter ihnen auch Hesse, der eine der herausragenden Gestalten der Gruppe kannte, den extravaganten ‹Prediger›, Bildhauer und Maler Gusto Gräser. Vgl. I. Bignardi, Le piccole utopie, Mailand 2003, S. 56–75.
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Beet mit Blumen und ein paar Johannisbeersträuchern. Im darauffolgenden Jahr, nach der Geburt seines Sohnes, war Hesse in der Lage, ein Stück Land außerhalb des Dorfes zu erwerben, dort ein behaglicheres Haus zu bauen und das zu schaffen, was der erste wirkliche Garten seines Lebens werden sollte. Hesse pflanzt dort mit großem Eifer eine Linde, eine Buche, Kastanienbäume und etliche Obstbäume, außerdem Gemüse, Erbsen, Blumenkohl, Salate, um die kleine Familie zu ernähren. Auch Beeren, Himbeeren und Erdbeeren, die wenig Platz brauchen und viel Freude bringen. Neben dem Nutzgarten, am Weg entlang, der dorthin führt und auf dem verbleibenden Terrain setzt er Blumen, die über alles geliebten Sonnenblumen, die im Laufe der Jahre in seinen Gärten immer wieder zu finden sein werden, Dahlien, Kapuzinerkresse, Fuchsien, Malven und Nelken6. Seine Lieblingsfarben sind die gleichen wie auf den Aquarellen, die er fünfzehn oder zwanzig Jahre später malen wird: einfache, unzweideutige Farben, ohne Abstufungen, Rot- und Gelbtöne vor allem, das Rot der Dahlien und einer Sorte Kapuzinerkresse sowie das Gelb der Sonnenblume. Sie ist die perfekte Blume, die den Menschen mit Licht und Glück erfüllt, und deren Kerne ein einfaches und gehaltvolles Nahrungsmittel liefern. Neben Sonnenblumen liebt Hesse auch Zinnien mit ihren dichten, üppigen Blütenblättern und ihren schreienden Farbtönen: «Das knallt nur so von Licht und jauchzt von Farbe. Die grellsten Gelb und Orange, die lachendsten Rot und die wunderlichsten Rotviolett»7. Zinnien erinnern, so Hesse, an den Brauch junger Mädchen vom Land, sich an Feiertagen Bänder in die Haare zu flechten und bunte Kleider zu tragen. Die Lust an der Fülle lebhafter Farben, die ohne festgelegte Ordnung in möglichst großflächigen Tupfen hier und dort verstreut sind, ist typisch für den viktorianischen Geschmack, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur viele ästhetische und ethische Wertvorstellungen sondern auch die Idee des Gartens verändert hat. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, genauer im Jahr 1908, wird Gertrud Jekyll in ihrem Buch Colour in the Flower Garden den Regelkanon eines neuen Gartentyps verkünden, des naturbelassenen Gartens, des «cottage garden», der lange Zeit den ästhetisch-poetischen Maßstab für das englische und in Teilen auch für das europäische Bürgertum bilden soll. Der «cottage garden» verkörpert zahlreiche Ideale zugleich: das der maßvollen Kosten, Dreh- und Angelpunkt der Moral der damaligen Mittelklasse; das der Nähe zur Natur, da er alles meidet, was artifiziell und verkünstelt ist; das der Zweckmäßigkeit, weil er gewöhnliche und widerstandfähige Blumen, anspruchslose oder sogar wilde Pflanzen bevorzugt oder auch solche, die aus der Mode gekommen sind. Inwieweit Hesse mit diesen Prinzipien vertraut war, die für die moderne Gartenbaukunst zweifellos eine 6
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H. Hesse, Am Bodensee, in ders., Freude am Garten. Betrachtungen, Gedichte und Fotografien. Mit farbigen Aquarellen des Dichters, hrsg. u. mit e. Nachwort von V. Michels, Frankfurt a.M. 1992, S. 23. H. Hesse, Zinnien, in Freude am Garten, a.a.O., S. 77.
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Revolution darstellten, wissen wir nicht. Sicher ist, daß sich die Gartenbauregeln der Jekyll weltanschaulich vom Art and Crafts movement herleiten, und daß Hesse sich in seinen autobiografischen Schriften, worin er über die Zeit am Bodensee nachdenkt, just auf Ruskin und Morris beruft8. Wenn Hesse seine Tätigkeit im Garten von Gaienhofen oder später in dem von Bern beschreibt, ist er sehr genau und verhehlt nicht, welche Mühe ihn die Aussaat, das Düngen und Gießen oder die harte Arbeit des Unkrautjätens gekostet haben. Es sei schön, so Hesse, wenn die Gartenarbeit eine neue Aufgabe darstellt, die man aus eigenem Antrieb verrichtet; es sei hart, wenn diese zur Verpflichtung oder man selbst gar zu ihrem Sklaven wird9. Ein paar Jahre später zieht Hesse in die Nähe von Bern. In einer unvollendet gebliebenen Erzählung, an der er allerdings lange gefeilt hat, und die er in stilistischer Hinsicht für einen seiner besten Texte hielt, Das Haus der Träume, hat Hesse diese Erfahrung in exemplarischer Weise in Literatur verwandelt. In der Wirklichkeit war der Garten in Bern symmetrisch angelegt, nicht ohne Eleganz, mit einem steinernen Brunnen, einem Ahornwäldchen, Eichen und Buchen, an denen die Zeit deutliche Spuren hinterlassen hatte. In der literarischen Fiktion hingegen ist der Garten das Ergebnis umsichtiger und sorgfältiger Pflege durch die Hauptfigur Neander (in den Hesse das projiziert, was er selbst in Zukunft sein wird – oder gerne sein möchte), der viel gesehen hat und weit gereist ist, Menschen und Länder kennengelernt, Pflichten gekannt, Anerkennung erfahren und so ein nahezu biblisches Alter erreicht hat. Neander spürt, daß der Augenblick gekommen ist, langsam Abschied von der Welt zu nehmen, die verwickelten Fäden des Lebens zu lösen und zu den wenigen wesentlichen Dingen zu gelangen, die dessen Endpunkt ausmachen. Das vermittelnde Element dieses Übergangs bildet ein großer verzauberter Garten mit uralten, majestätischen, von Vögeln bevölkerten Bäumen, mit hochaufragendem Fliedergesträuch und üppigen Rosenbeeten, dessen Pflege die unablässige Aufmerksamkeit des Greises gilt. Der Garten, sagt der Sohn des Protagonisten in der Erzählung, ist wie ein Märchen und er, der gebrechliche Neander, ist wie ein Zauberer. Die Jahreszeiten wechseln, der Garten wandelt sich mit ihnen, und mit diesem Wandel wechseln auch Erinnerungen und Vorahnungen des kommenden Todes einander ab. Der Garten wird so zum Symbol des menschlichen Schicksals: Als Neander den Blick hebt und in der Ferne die Umrisse der hohen Berge erblickt, weiß er, daß der Kampf beendet und die Zeit des Verzichts und einer unstillbaren, nicht wieder gutzumachenden Sehnsucht gekommen ist:
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Hermann Hesse in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, hrsg. von B. Zeller, Reinbek bei Hamburg1981, S. 51. H. Hesse, Am Bodensee,a.a.O., S. 23.
Flavia Arzeni 72 Seit er die Lebenshöhe überschritten hatte und tiefer ins Tal der langen Schatten hinabgestiegen war, hatten seine Gedanken die Flucht vor dem Tode aufgegeben. Von wo er kam und wohin er ging, schien ihm ein und dasselbe Land.10
Man hört hier Töne, die an Novalis erinnern, einen Dichter, den Hesse sehr schätzte: In Heinrich von Ofterdingen antwortet das geliebte Mädchen auf Heinrichs Frage «Wo gehen wir denn hin?» «Immer nach Hause»11. Was auch immer der romantische Dichter sucht, er wird nichts anderes finden als die eigene Seele, was auch immer der greise Neander sucht, er wird, wenn er seinen Garten bestellt, nichts anderes tun als sich mit dem Chor der Stimmen der Natur zu vereinen. Wenn Hesse sich in die Gedanken des alten Neander einfühlt und den Blick zurückwendet, klingt in seiner Prosa zuweilen ein romantischer Ton nach, freilich nur, um schnell wieder zu verstummen. Hesses Garten ist ebensowenig wie der des greisen Neander ein romantischer Garten. Die Romantiker halten sich nicht bei der Wirklichkeit der Bäume, Sträucher und Pflanzen auf, bei den Räumen und Mauern, die einen Garten ausmachen. Ihr Garten ist kein Ort des Körpers, sondern einer der Seele, kein Raum der Wirklichkeit, sondern einer der Poesie. Hoffmanns und Eichendorffs Gärten sind Gärten für Zauberer und Taugenichtse, man durchquert sie, man betrachtet sie, und man träumt von ihnen. Hesse durchquert sie ebenfalls und betrachtet sie, aber er weiß sehr wohl, daß man im Garten auch arbeiten muß. In der direkten Art, die ihm eigen ist, versöhnt Hesse, getreu seiner Berufung zum Lehrer, die noch vor der zum Künstler rangiert, den Dualismus von Klassik und Romantik, indem er der Romantik das uralte und zugleich hochmoderne Konzept eines unermüdlichen Arbeitseifers hinzugesellt. Den Garten, den Hesse in Bern besaß, können wir uns nur vorstellen. Der Autor hat keine genauen Beschreibungen dieses Gartens in seinen Briefen oder Aufzeichnungen hinterlassen, möglicherweise weil dieser ein bereits gestaltetes Areal und in gewisser Hinsicht vollendet war, wie Volker Michels bemerkte12, und Hesse folglich eher bewahrend als schöpferisch in diesem Garten gewirkt hat; oder vielleicht weil Hesse, kurz nachdem er sich in Bern niedergelassen hatte, den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlebte und zugleich Maria Bernoulli langsam in einem Sumpf seelischer Instabilität und Angst versinken sah. Seine Gedanken teilen sich also auf zwischen den tragischen Ereignissen, die die Welt erschütterten, und den traurigen Begebenheiten in der eigenen Familie. Seiner Frau widmet er in diesen Jahren eine feinfühlige Erzählung, die er Iris nennt, nach jener magischen blauen Blume, die wie ein Sinnbild für Marias Zerbrechlichkeit erscheint und zudem den ureigenen Geist der deutschen Romantik verkörpert. Hesses Aufenthalt im Haus am Melchenbühlweg in Bern reicht von der unmittelbaren Vorkriegszeit bis zum Kriegsende. Im Jahr 1919 verläßt er die deutsche 10 11 12
H. Hesse, Das Haus der Träume, in Freude am Garten, a.a.O., S. 162. Novalis, Heinrich von Ofterdingen, hrsg. von J. Hörisch, Frankfurt a.M. 1982, S. 161. V. Michels, Nachwort, in Freude am Garten, a.a.O., S. 224–225.
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Schweiz und zieht allein weiter nach Süden, nach Montagnola im Kanton Tessin, wo er die Casa Camuzzi bewohnt, ein merkwürdiges Gebäude eklektischen Stils, verziert mit Giebeln und Türmchen. Der Garten ist inzwischen zu einem notwendigen Element im Leben des Schriftstellers geworden, und auch hier gibt es einen mit vielen prächtigen, alten Bäumen, an deren Stämmen im dortigen milden Klima üppige Kletterpflanzen empor ranken. Zwei Bäume sind es, die Hesse besonders liebt: eine große Magnolie mit ihrer wunderbaren weißen Blüte13, sowie einen uralten Judasbaum, dessen rosige Frühlingsfarben und violette Schattierungen auf den Hülsen im Herbst ihn verzaubern. Viele Jahre später erinnert er sich in einigen bewegenden Passagen noch an dessen Tod. Der Baum wurde in einer fürchterlichen Sturmnacht gefällt, der massive Stamm war zerborsten, und die Wurzeln hatten eine klaffende Wunde in der Erde hinterlassen14. Wenige Tage zuvor war Hesses guter Freund Hugo Ball gestorben. An einem grauen, regnerischen Tag hatte er ihm auf dem Friedhof das letzte Geleit gegeben; nun kommt zum Tod des Freundes noch der des Baumes, und dieser erscheint ihm fast grausamer und unnatürlicher als jener. Der Freund – so denkt er sich – hat vielleicht nach dem Lebenskampf Frieden gefunden, vielleicht bedeutet der Tod für ihn die Vollendung einer dunklen Sehnsucht; der Baum aber wollte gewiß nicht sterben: Er stand da, kräftig und vital, bereit, zum hundertsten Male zu blühen. Für ihn gibt es keinen Frieden, sondern nur die Zersetzung und das Nichts. In den Bäumen sieht Hesse sich selbst. Nach dem Scheitern seiner Ehe (vielleicht aber auch schon früher) ist er ein einsamer Mann. Und die Bäume – sagt er – sind wie einsame Menschen: In ihren Wipfeln rauscht die Welt. Ihre Wurzeln ruhen im Unendlichen; allein sie verlieren sich nicht darin, sondern erstreben mit aller Kraft ihres Lebens nur das eine: ihr eigenes, in ihnen wohnendes Gesetz zu erfüllen.15
Die Vollendung des eigenen Schicksals ist also ein einsames Werk. Allein sucht der Mensch nach seinen Neigungen und verfolgt sie, allein, die Füße in der Erde und die Sinne der Natur zugewandt, erbaut er sich sein eigenes Leben. Wie ein Baum trägt er die Kraft, den eigenen Kreis zu vollenden, in sich selbst. Und wenn er vom Weg abkommt, wenn er seine Zuversicht verliert, dann erinnert ihn der Anblick eines Baumes daran, daß die Rettung nicht von den anderen, sondern aus ihm selbst kommt, daß seine Heimat nicht irgendein Ort auf dieser Welt, sondern ein Ort in
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Hesse hat eine Beschreibung der wunderbaren Blüte einer Sommermagnolie in Klingsors letzter Sommer geliefert: «Über der Baumschwärze schimmerten blaßspiegelnd die großen blechernen Blätter der Sommermagnolien, riesige, schneeweiße Blüten dazwischen halbgeschlossen, groß wie Menschenköpfe, bleich wie Mond und Elfenbein, von denen durchdringend und beschwingt ein inniger Zitronengeruch herüberkam» (GW, 5, S. 294). H. Hesse, Klage um einen alten Baum, in Freude am Garten, a.a.O., S. 53. H. Hesse, Bäume, erneut veröffentlicht in Freude am Garten, a.a.O. S. 39
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seinem eigenen Inneren ist. Wenn wir traurig und mutlos sind und nicht mehr wissen, in welche Richtung wir gehen sollen, kann ein Baum so zu uns sprechen: Sei still! Sei still! Sieh mich an! Leben ist nicht leicht, Leben ist nicht schwer. […] Heimat ist nicht da oder dort. Heimat ist in dir innen, oder nirgends.16
Ein Dichter, der die Generationen der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zwar auf einem ganz anderen Gebiet, jedoch in ähnlich starker Weise wie Hesse beeinflußte, Bertolt Brecht, hat Bäume in seinem Werk von jungen Jahren an bis ins Alter häufig zum Thema gemacht. Brecht spricht in völlig anderer Weise von Bäumen, im brechtschem Tonfall eben, frech und ohne Ehrfurcht. Die Bäume geben hier keine Antwort auf die großen Fragen des Lebens, sie existieren, damit man sich an ihnen erfreuen, damit man auf sie hinaufklettern und ihre Früchte essen kann, damit die Vögel darin wohnen oder gar die Hunde sie anpinkeln können. Später, nach dem Krieg, nach dem Exil, kehrt Brecht nach Berlin zurück und erblickt in den Trümmern eines halbzerstörten Platzes eine Pappel, die den Bomben und den Stürmen der Menschen getrotzt hat, eine einsame Pappel auf dem Karlsplatz, und da empfindet er für diesen Baum, der überlebt hat, ein Gefühl der Ehrfurcht und Brüderlichkeit.17 Während der zweiten Hälfte seines Aufenthalts in Montagnola, der vom Beginn der dreißiger Jahre bis zu seinem Tod währen sollte, ist Hesse dank der Hilfe Hans Bodmers, des Züricher Freundes und Bewunderers, in der Lage, sich ein eigenes Haus zu bauen. Inzwischen ist Hesse ein anerkannter Schriftsteller, und sein Wohnsitz spiegelt seine ständig wachsende literarische und intellektuelle Bedeutung. Das Haus hat eine herrliche Aussicht, die von der Anhöhe über dem Dorf bis zu den umliegenden Hügeln reicht. Es verfügt über ein großzügiges, steil zum Tal hin abfallendes Grundstück, das mehr als einen Hektar umfaßt. Dieses Stück Land wird schnell zum Garten seines Lebens und wird dies für immer bleiben, ihm gilt all seine sorgfältige Pflege, es ist der zentrale Pol seiner körperlichen und seelischen Gesundheit. Er beginnt damit, daß er den steinigen Boden verbessert, indem er ihn mit gehaltvoller Komposterde und Dünger anreichert, er erschließt eine Quelle, steckt Wege ab, baut Mäuerchen und richtet am Waldesrand im Schatten der Kastanien für einen ausgesprochen ländlichen Zeitvertreib sogar eine Boccia-Bahn ein. Die Verbindung aus Zier- und Nutzgarten in Gaienhofen hatte für Hesse nicht nur die metaphysische Funktion, der modernen Welt zu entsagen, die Einsamkeit zu preisen und die Überlegenheit seiner individuellen Entscheidungen gegenüber jenen des Massenmenschen zu behaupten, sondern hatte auch eine eminent physische Funktion und bot seiner schöpferischen Arbeit andere Ausdrucksmöglichkeiten. Auch der Garten von Montagnola hat eine symbolische Bedeutung, wenn auch 16 17
Ebd. S. 40. B. Brecht, Die Pappel vom Karlsplatz, in ders., Gesammelte Werke in 20 Bänden, Bd. 10, Frankfurt a.M. 1967, S. 975.
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eine völlig andere: er ist ein therapeutisches Mittel, das die Leiden des Körpers heilt und die Ängste des Geistes besänftigt, indem er eine tägliche, beständige Teilhabe des menschlichen Lebens an der Natur verwirklicht. Er bietet nicht nur Abwechslung vom Schreibtisch, lindert die Beschwerden der Augen und Glieder durch Bewegung an der frischen Luft (eine Funktion, die zeitweilig auch die Malerei innehatte), sondern er muß auch der «Meditation, dem Fortspinnen von Phantasiefäden und der Konzentration von Seelenstimmungen»18 dienen. Hesse hat die Freude an einfachen Dingen nicht verloren. Seinen Gästen überläßt er die großen Zimmer, die geräumige Terrasse und die bewunderungswürdige Aussicht; er selbst zieht eine bescheidenere Ecke vor, neben dem Stall, dem «Treffpunkt und Mittelpunkt des Gartens»19. Von hier nimmt seine Tätigkeit als unermüdlicher Gärtner und Züchter des Gemüsegartens ihren Ausgang, hier umgibt er sich mit einfachen Pflanzen, Salatsorten, Hundsrosen, Obstbäumen und Sonnenblumen. Von seiner Arbeit berichtet er in einem langen Gedicht, Stunden im Garten (1935), das er in klassischer Manier anläßlich des sechzigsten Geburtstags seiner Schwester geschrieben und nach dem Vorbild von Vergils Bucolica und Georgica in Hexametern verfaßt hat. Jede Geste, jede Handlung wird mit der Präzision eines Handbuchs für Gartenbau und mit der Seele eines Dichters beschrieben. Frühmorgens macht Hesse sich auf den Weg und läßt seinen liebenden, strengen Blick über sein Reich schweifen. Dann geht er ans Werk: er zupft Unkraut, beschneidet, stützt die schwächsten Pflanzen mit Stöcken, bindet hie und da einen herabfallenden Zweig fest. Er ist darauf bedacht, alles so zu organisieren, daß es den Kriterien größtmöglicher Wirtschaftlichkeit entspricht: die Bindfäden stammen von den Bücherpaketen, die ihm die Verleger senden, und die Bücher selbst, die nutzlosen oder überzähligen, dienen ihm anstelle von Steinen als Fundament für Wege. Die Gesten selbst sind langsam; Hesse wählt stets den langen Weg, den, der Zwischenstufen nicht überspringt, sondern im Gegenteil, jedesmal wieder eine Kontinuität schafft. Er selbst stellt die Substanzen her, die den Garten nähren: er verbrennt Laub, Wurzeln und Unkraut, dann siebt er die Asche durch und verteilt sie sparsam auf den Pflanzen, die sie brauchen. Und er versäumt nicht, während der Arbeit mit kritischer Distanz über die gesellschaftlichen Wirren seiner Zeit nachzudenken und stellt Reflexionen über die Methoden an, die vor allem der Zeitersparnis dienen. Über den Garten nimmt Hesse die Verbindungen zu den Kindheits- und Jugendjahren wieder auf: Und es mahnt mich der Duft des Karottenlaubes der Kindheit, […] Ferne Jugend! Auch du wehst aus den Freuden des Gartens In die herbstlichen Jahre mir sehnlich herüber und rührest Oft so mahnend und herb und süß ans alternde Herz mir.20 18 19 20
H. Hesse, Rückverwandlung, erneut veröffentlicht in Freude am Garten, a.a.O., S. 104. H. Hesse, Stunden im Garten, in Freude im Garten, a.a.O., S. 104. Ebd., S. 107.
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Zwischen Frühling und Herbst, zwischen Jugend und Alter, gibt es für Hesse keinen Konflikt, keinen Bruch, und wie der Fluß in Siddhartha ist der Garten ein Symbol dieses fließenden Übergangs. Schatten nur trennen den Jungen vom Mann und den Mann vom Greis, schreibt Hesse in Siddhartha. Und bereits Jahre zuvor hatte er in der Erzählung Kurgast diese Gedanken in den Überlegungen eines Gichtkranken (in dem er sich vielleicht selbst porträtiert) vorweggenommen: Denn einzig darin besteht für mich das Leben, im Fluktuieren zwischen zwei Polen, im Hin und Her zwischen den beiden Grundpfeilern der Welt. Beständig möchte ich mit Entzücken auf die selige Buntheit der Welt hinweisen und ebenso beständig daran erinnern, daß dieser Buntheit eine Einheit zugrunde liegt; beständig möchte ich zeigen, daß Schön und Häßlich, Hell und Dunkel, Sünde und Heiligkeit immer nur für einen Moment Gegensätze sind, daß sie immerzu ineinander übergehen21.
Nicht nur im Fließen des Wassers, auch im Brennen des Feuers manifestiert sich diese Einheit. Wenn er seine Kräuter und Zweige verbrennt – so wie ihn sein Freund Gunter Böhmer in einer Zeichnung dargestellt hat, mit ausgestrecktem Arm und über die Flammen gebeugt – hat Hesse Teil an der großen Metamorphose der Dinge, er stellt Asche her, aus der neues Leben kommen wird, das seinerseits wieder zu Asche werden wird, er ist zugleich Priester und Diener des Prozesses der mystischen Vereinigung mit der Natur: Mir zum Beispiel bedeutet das Feuer (nebst Vielem, das es bedeutet) Auch einen chymisch-symbolischen Kult im Dienste der Gottheit Heißt mir Rückverwandlung der Vielfalt ins Eine.22
Hier haben wir eines der zentralen Themen in Hesses gesamtem Werk, jenes, das er in dem Essay Über Schmetterlinge beschrieben hat als «Die Ahnung einer verborgenen, heiligen Einheit hinter der großen Mannigfaltigkeit, einer Urmutter hinter all den Geburten, eines Schöpfers hinter all den Geschöpfen»23. Auch die Wolken im Himmel mit ihrem unaufhörlichen Vorüberziehen spiegeln die rastlose Suche und die unbestimmte Sehnsucht nach dem Einen und der Vielfalt wider, nach dem Schwachen,dem Nachgiebigen, welches das Starke besiegt, um sich dann im Gleichgewicht der Natur wieder neu zu ordnen. Hingekauert wie ein Chinese, während durch seine Hände die Überreste einer pflanzlichen Welt gleiten, die sich in Asche verwandeln wird, verleiht Hesse einer Weltanschauung Ausdruck, in der sich klassische Weisheit mit dem taoistischen Gedanken des Wuwei mischt, der Wille, nicht handeln zu wollen, die Dinge vorüberziehen zu lassen, ohne einzugreifen, das was geschieht, zu akzeptieren, ohne irgend etwas verbessern oder lehren zu wollen.
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H. Hesse, Kurgast, in GW, 7, S. 112. H. Hesse, Freude am Garten, a.a.O., S. 115. H. Hesse, Kleine Freuden, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1977, S. 285.
Hesse und die Gartenkunst 77 Also bescheiden wir uns, und setzen wir möglichst dem Wettlauf Auch in drangvoller Zeit jene Ruhe der Seele entgegen, Welche die Alten gerühmt und erstrebt, und tun wir das Gute. Ohne an Ändrung der Welt gleich zu denken; auch so wird sich’s lohnen.24
Auch wenn der Rhythmus der Jahreszeiten, das Auftauchen und Verschwinden der Farben, der plötzliche Ansturm der Düfte ihm durchaus irdische Freuden schenkt, wie die, den Duft einer Hyazinthe oder Narzisse einzuatmen oder das unwiderstehliche Rot einer Nelke zu betrachten, läßt er sich auch von solchen Erfahrungen zu Gedanken über die großen Gesetzmäßigkeiten anregen, die die Welt beherrschen. Mit dieser schöpferischen und bisweilen naiven Verklärung des Gartens zu einem Sinnbild für das Fühlen und die Schicksalswege des Menschen steht Hesse nicht allein da. Er knüpft im Gegenteil an einen Topos an, den die deutsche Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts vielfach verwendete, nicht immer, aber häufig unter dem Vorzeichen der Ruhelosigkeit, des Obskuren und des Geheimnisvollen. Verlassen, rätselhaft und still: So ist der Garten eines Georg Trakl, der dem Dichter in den düsteren Farben der Abenddämmerung eine Vorahnung auf das Ende gibt; so sind die Gärten bei Gertrud Kolmar, bevölkert von Geschöpfen der Nacht, wo sich urplötzlich Zeichen der Wildheit oder des Todes regen, metaphorische Orte gescheiterter oder unvollendeter Lebenswege25. Nicht so die edlen Gärten Stefan Georges: unbewegt und komponiert wie Gemälde, doch auch sie Erzeugnisse des Geistes und in einer erhabenen Kälte weit entfernt vom Leben angesiedelt. Ganz anders die realen oder fiktiven Gärten Hesses. In ihnen gibt es nichts Dunkles, nichts Bedrohliches. Um sie zu beschreiben, um die bunten Blumen darzustellen, die sie beleben wie Kindergesichter, bedient sich Hesse gereimter Verse mit einfachem Rhythmus, ähnlich dem der Volkslieder. Die Assoziationen, die ihre Farben bei ihm hervorrufen, sind ebenso elementar: Die Blässe der Weißen Rose in der Dämmerung ist das Zeichen von Sehnsucht, Auslöschung und Tod; das Rot der Nelke erinnert an Leidenschaft und Liebe26; das Hellblau ist die Farbe des Himmels, den Hesse so liebt: das Blau der Iris dagegen steht für das Magische und Unerklärliche der menschlichen Seele. Hesses heitere und unbeschwerte Naturauffassung ähnelt der eines anderen großen Gartenliebhabers und -kenners: Rudolf Borchardt. Der geniale Essayist Borchardt, der im selben Jahr wie Hesse geboren wurde, verfügte über eine umfassende humanistische Bildung und führte ein Leben, das in bestimmten Aspekten – wie der Tatsache, daß er das heimatliche Deutschland verließ und sich südliche Orte und Landschaften zum Leben suchte – an den Autor von Siddharta erinnert. In seinem 24 25
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H. Hesse, Freude am Garten, a.a.O., S. 120. Siehe Metafore botaniche nella lirica di Gertrud Kolmar, in der ausführlichen und präzisen Abhandlung von M. Cottone, Progettare un sogno. Letteratura e giardino in Germania, Palermo 2000, S. 99–118. Nelke «Rote Nelke blüht im Garten, / Läßt verliebte Düfte glühen, / will nicht schlafen, will nicht warten, / Einen Trieb nur hat die Nelke: / Rascher, heißer, wilder blühen!» in H. Hesse, Freude am Garten, a.a.O., S. 30.
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zu Recht berühmten Buch Der leidenschaftliche Gärtner, einer Frucht sowohl unmittelbarer Erfahrung als auch historischer und literarischer Kenntnisse unterschiedlicher Epochen und Kulturen, vertritt Borchardt eine Auffassung vom immanenten und universellen Wesen des Gartens und der tiefen Verwandtschaft zwischen Pflanze und menschlicher Seele, die man mit Fug und Recht Goethisch nennen darf. Auch Hesse denkt, wenn er von seiner Terrasse aus sieht, wie der Tag schwindet, die Farben der Blumen dunkler werden und schließlich die Nacht deren Umrisse verschluckt, an das Werden und Vergehen der Dinge und die großen zyklischen Abläufe des Naturgeschehens. Es sind dies auch die tröstlichen Gedanken des Alters: Das Ende birgt den Keim eines neuen Anfangs, der Sonnenuntergang trägt die neue Morgenröte in sich, und die Morgendämmerung verspricht den neuen Tag. Wie jede Blüte welkt und jede Jugend Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.27
Das Thema des unerbittlichen Voranschreitens der Zeit, dem Hesse in den meditativen Versen des Gedichts Stufen Ausdruck verleiht, ist das gleiche, das der späte Goethe auf großartig konzise Weise in dem Gedicht Selige Sehnsucht anklingen läßt. Wie Hesse und Borchardt ist auch Goethe ein leidenschaftlicher Gärtner, der eine poetische Beziehung zu seinen Gärten besitzt, der die Geheimnisse der Blumen kennt und um deren symbolischen Wert weiß; aber auch ein genauer Beobachter, ein höchst aufmerksamer Naturforscher, der Fachkenntnis mit Liebe und die künstlerische Erfindung mit Wissenschaft verbindet. Wir wissen, daß die ungeheure Popularität, die mit dem Namen Hesses verbunden war und immer noch ist, zum einen in der literarischen und stilistischen Qualität seines Werks begründet liegt und sich zum anderen dem zutiefst humanen, hilfreichen, ja sogar therapeutischen Wesen seiner Botschaft verdankt. Dieser alles andere als sekundäre Gesichtspunkt offenbart sich in exemplarischer Weise an Hesses Naturbegriff sowie an jenem natürlichen Mikrokosmos, den ein Garten darstellt. In ihm sieht Hesse ein Hilfsmittel, ein Werkzeug, um die Übel der Welt, die allgemeinen wie die individuellen, zu überstehen. Im Jahr 1933, jenem Schicksalsjahr, in dem Deutschland die Voraussetzungen für seine eigene Katastrophe und jene ganz Europas schafft, schreibt Hesse in einem Brief, seine Reaktion auf die Nachrichten, die ihn aus seiner Heimat erreichen, sei, daß er wie ein Sklave in seinem Garten arbeitet. Von all dem, was man tut und sagt, scheint ihm das sich Abmühen im Garten, bis zur völligen Erschöpfung, das Weiseste zu sein.28 27 28
H. Hesse, Stufen, GW, 1, S. 119. H. Hesse, Brief an Olga Diener vom 5.6. 1933, wieder veröffentlicht in ders., Freude am Garten, a.a.O. S. 146.
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Staaten lösen sich auf und Regierungen wanken. Inmitten der allgemeinen Unsicherheit sucht Hesse sein Heil wieder einmal in den Naturgesetzen und in ihrer Bejahung. Bereits im Jahr 1908, lange Zeit bevor zwei Weltkriege Europa verheeren sollten, hatte Hesse in seinen Aufzeichnungen geschrieben: Und der ganze, einfache und sichere Kreislauf, der dem Menschen so viel und schwer zu denken gibt und an dem alle Religionen ahnungsvoll verehrend deuten, geht in jedem kleinen Gärtchen so still und rasch und deutlich vor sich. Kein Sommer, der sich nicht vom Tode des vorigen nährt. Und kein Gewächs, das nicht ebenso still und sicher zur Erde wird, wie es aus Erde zur Pflanze ward.29
Die Gartenarbeit, gibt Hesse uns zu bedenken, ist eine schlichte, demütige und sich stets wiederholende Arbeit. Schon die gebeugte Haltung desjenigen, der im Garten arbeitet, deutet auf etwas Religiöses, auf das Zelebrieren eines Rituals hin. In der Wiederholung verbirgt sich die Lust und in der Demut die Freude; ein deutlich vom heiligen Franz von Assisi inspirierter Gedanke, der allerdings auch östlichen Philosophien nicht fremd ist. Hesse war, wie wir sahen, kein phantasievoller Gärtner: seine Pflanzen sind bescheiden, seine Hände bedienen sich keiner komplizierten Gerätschaften und verteilen auch keine kostspieligen Materialien. Der Natur folgen, sie nicht zwingen, das ist sein Prinzip. Und man sollte keine Eile haben: Hesse warnt vor dem Verkünstelten und Übertriebenem, er ist gegen den ‹Instant-Garten›, wie er von einer bestimmten Richtung des modernen Gartenbaus propagiert wird. In dem Essay Kleine Freuden stimmt er eine Lobrede auf das Kleine und Bescheidene an: kleine Freuden, kleine Genüsse, die das moderne Leben zu verlieren droht. Unter diesen Freuden stehen diejenigen obenan, welche uns die tägliche Berührung mit der Natur erschließt. Unsere Augen vor allem, die viel mißbrauchten, überanstrengten Augen des modernen Menschen, sind, wenn man nur will, von einer ganz unerschöpflichen Genußfähigkeit.30
Er schlägt uns vor, die großen Glücksgefühle, die die Seele aufwühlen, die Wonnen der großen Anlässe sozusagen, einmal beiseite zu lassen, und uns im täglichen Leben mit bescheideneren, einfacheren Dingen zufriedenzugeben, mit kleinen Freuden eben, die Trost spenden. Seine demütige Selbstdarstellung und der zurückhaltende, leise Ton seiner Botschaft, haben Hesse immer wieder oberflächliche Urteile bei einem großen Teil der offiziellen Kritik eingetragen. Vor allem in Deutschland hat man ihn einer reaktionären Haltung, mangelnden politischen Engagements und einer beschränkten, provinziellen Mentalität bezichtigt.31 Sein innovativer und vorausschauender Ansatz, 29 30 31
H. Hesse, Freude am Garten, a.a.O., S. 14 H. Hesse, Kleine Freuden, a.a.O., S. 9. V. Michels,«Teils ausgelacht, teils angespuckt, teils den sentimentalen Leserkreisen überlassen». Zur Hermann Hesse-Rezeption in Deutschland, in Hermann Hesse und die literarische Moderne, hrsg. von A. Solbach, Frankfurt a.M. 2004, S. 28–55.
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seine therapeutische Begabung und sein Verständnis für die Verirrungen der modernen Seele wurden daher eher durch die Zustimmung seiner großen Leserschaft entdeckt als durch die Beiträge der Forschung. In seiner Auffassung vom Garten als Ort der Arbeit und Meditation zugleich, als Zentrum der Ausdruckskraft des einzelnen und Abbild des Kosmos, in dieser Verschmelzung von Werten unserer Kultur mit anderen, die aus einem fernen Orient kommen, liegt eine unbestreitbare Aktualität. Wie immer findet Hesse auch dort, wo er die Tugenden der Gartenarbeit beschreibt, in der Prosa bessere Formulierungen als in der Lyrik. Das Fragment Das Haus der Träume ist den bukolischen Versen von Stunden im Garten überlegen. Doch die Seiten, die er der Natur und dem Garten gewidmet hat, bleiben ungeachtet ihrer stilistischen Qualitäten ein komplexes, fraglos originelles Werk und – nach ihrer Wirkung zu urteilen – wohl auch ein notwendiges. Das, womit er sich das abschätzige Urteil einer überheblichen Kritik einhandelte, ist genau das, was ihm die Verehrung der Massen eintrug: seine Fähigkeit, die Literatur mit dem Leben, die dichterische Einbildungskraft mit den alltäglichen Sorgen eines jeden Menschen zu verbinden. Und die Tatsache, daß er, frei von rhetorischen Phrasen, ethische Verhaltensmodelle darstellte, die den Menschen in Zeiten des Krieges oder der gesellschaftlichen Wirren und Umwälzungen zu leben und zu überleben helfen.
Ralph Freedman
Hermann Hesse und Rainer Maria Rilke Vereinbar oder unvereinbar?1
1. Hesse und Rilke: zwei Namen aus der deutschen Kulturgeschichte des vergangenen Jahrhunderts, die unverwischbare Spuren hinterlassen haben, Spuren, die sich über die gesamte Welt ausgebreitet haben. Ähnliche Themen, neue Sprachwendungen, neue Gedanken aus alten Traditionen, gleiche Visionen von Gott, Menschheit und Natur in verschiedenen Formen! All das war ihnen gemeinsam. Und dennoch: sie wußten voneinander, lebten sogar einige Jahre in der Schweiz nur wenige Kilometer voneinander entfernt und hatten gemeinsame Freunde, aber wechselten trotzdem nur ein oder zwei nichtssagende Geschäftsbriefe und trafen sich vielleicht höchstens einmal, und dann nur flüchtig. Warum? Noch rätselhafter ist die Frage, warum eine ähnliche Lücke Leser, Liebhaber und sogar professionelle Kritiker betrifft, selbst in dieser Zeit, dem sogenannten ‹Age of Criticism›. Sie waren fast gleichaltrig. Rilke wurde 1875 geboren, Hesse nur zwei Jahre später. Gemeinsam durchlebten sie Höhepunkt und Untergang der sogenannten Belle Epoque während der letzten Jahre des neunzehnten und der ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts. Zwar überlebte Hesse, der erst 1962 starb, Rilke, dessen Leben schon kurz vor Neujahr 1927 endete, um viele wichtige Jahre, aber den Kern der Epoche unserer Zeit, den Ersten Weltkrieg, den Keim des großen Umschwungs in das Chaos der Moderne erlebten sie zur gleichen Zeit. Doch war es nicht nur das Zeitalter, das ihnen gemeinsam war, denn sie teilten es natürlich mit vielen großen Künstlern – wie Thomas und Heinrich Mann, André Gide, Marcel Proust, T.S. Eliot, Ezra Pound und manchen anderen der sogenannten ‹Hochmodernen› –, sondern ein seltsamer Zusammenklang, der gleichzeitig zu einer Dissonanz wurde und diese zwei Dichter zusammen- und doch auseinanderhielt. Beide schufen sie, in entgegengesetzter Weise, die Grundlagen einer neuen Kultur. 1
Eine frühere Version dieses Artikels erschien unter dem gleichen Titel in Krisen als Wege zur Einheit, drei Vorträge von Ralph Freedman, hrsg. U. Rothfuss, Sparkasse Pforzheim Calw, Calw 2003.
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Es war ein künstlerisches Wollen, das ihnen gemeinsam war. Aus einer ähnlichen Sentimentalität heraus rangen sie um eine neue Sprache und um einen Weg zu einer quasi-religiösen Umkehr. Doch war es das letztere – die Besonderheit der ‹quasi-religiösen Umkehr› – das jeder anders gestaltete. Das äußere Merkmal war das Genre. Obwohl wir Rilke hauptsächlich als einen Dichter von Versen kennen, hatte er sich in seiner Jugend sehr um erzählende Prosa bemüht. Doch außer zwei weltberühmten Werken – Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rieke und Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge – ist er nicht besonders als Autor von Romanen und Novellen bekannt. Sein sonstiges episches Werk wird kaum gelesen, während die Gedichte sein großes Lebenswerk darstellen. Bei Hesse ist es umgekehrt. Hier war die Lyrik nicht ausschlaggebend. Trotz der Verse des Naturwanderers, der herausfordernden Steppenwolfgedichte, der erhabenen Gedichte des Glasperlenpiel-Spielers, würden diese Gedichte kaum gelesen, kämen sie nicht aus der Feder eines der wichtigsten Prosadichter der deutschen Sprache des letzten Jahrhunderts. Dieser Unterschied zwischen den Genres macht auch den Unterschied zwischen den Formen der ‹quasi-religiösen Umkehr› aus. Rilke arbeitete sich aus den religiösen Bildern des Stundenbuchs zum spirituellen Höhepunkt der Duineser Elegien empor. Hesses religiöses Bildnis zeigte sich indessen in vier zunehmend unkonventionellen Romanen: Demian, Siddhartha, Steppenwolf und Glasperlenspiel.
2. Daß diese bewußt sprachlich wie auch inhaltlich neugeschaffenen Werke beider Dichter in der Schweiz entstanden oder beendet wurden, ist sicher ein Zufall und dennoch …. Der Unterschied ist natürlich groß. Rein biografisch gesehen, war Hesses Erneuerung und sein Anspruch auf literarische Größe mit seinem fast lebenslangen Aufenthalt in der Schweiz verbunden – Demian während der Kriegsjahre in Bern, Siddhartha und Das Glasperlenspiel im Tessin. Im Steppenwolf bezeichnete er sich zwar als allgemeiner Großstadtmensch der deutschen Nachkriegszeit – und daher aus einem Basel und Zürich, die im Grunde deutsche Städte darstellen konnten –, aber die Mühe, mit der er ein kosmopolitisches Bildnis des inneren Menschen anstrebte, entstand tief aus seiner seit der Kindheit angenommenen Schweizer Lebensanschauung, aus einer Welt, die zugleich jenseits und diesseits der allgemeinen Welt existierte. Diese Mühe war allen späteren Romanen gemeinsam, in denen selbst der Nachhall der Belle Epoque eine Resonanz verlorener Ganzheit darstellen konnte: der Osten im Siddhartha, ein neugeschaffenes Mittelalter im Glasperlenspiel.
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Bei Rilke war es ganz anders und dennoch …. Zunächst wurde die Schweiz erst in seinem späteren Leben zu seiner Heimat. Die Duineser Elegien waren tief mit einer neuen Vision der Dichtung verbunden, doch wurden sie schon 1912 in Duino begonnen und in einzelnen Teilen Jahre hindurch bearbeitet und geschaffen. Doch wäre die Serie vielleicht nie beendet worden, wenn die Vision nicht durch die Wahl seiner Schweizer Heimat nach 1919 ein neues Obdach gefunden hätte. Angefangen mit dem Gedichtkreis Aus dem Nachlaß des Grafen C.W. (1920) bis zu den zwei Jahre späteren, den Zyklus beendenden Elegien und Sonetten an Orpheus, fing eine sich stets erneuernde Schaffensperiode an, die sich vom deutschen in den französischen Bereich ausdehnte mit Gedichten und Übersetzungen, die den schwierigen Anfang machten, seine deutsche durch eine französische Sprachkunst zu erweitern2. Für Rilke, anders als bei Hesse, war die Schweizer Schaffensperiode zwar die letzte seines Lebens, aber wenn man sein ganzes unstetes Leben bedenkt, vielleicht nur durch Zufall, denn er starb im frühen Alter von 51 Jahren, und die Schweiz hätte einfach eine weitere Arbeits- und Lebensinsel sein können wie es Paris gewesen war. Aber das kann man nicht beurteilen. Was klar wird, je länger man die Werke der Schweizer Zeit betrachtet, ist, daß auch er sich nach dem Zusammenbruch der Belle Epoque in der europäischen Nachkriegswelt zurechtfinden mußte und seitdem versuchte, sich mit einer neuen Konzeption der dichterischen Sprache vom Druck dieser Welt zu befreien. Hier hören wir den Zusammenklang und die Dissonanz, die Hesse und Rilke trotz anscheinender Verwandtschaft stets auseinanderhalten.
3. Ein Teil davon war sicher persönlich und hatte seine Gründe. Rilke fand Hesse seicht und sentimental, doch war das nicht immer so. Als Hesse noch ganz am Anfang seiner Karriere stand und Rilke schon einen soliden Ruf mit seinem Stundenbuch gewonnen hatte, schrieb Rilke eine interessante Rezension von Hesses kleinem Buch lyrischer Prosa, Eine Stunde hinter Mitternacht (1899). Man kann leicht sehen, warum das Buch Rilke anzog, denn zu dieser Zeit versuchte er sich ja selbst an der Lyrik der spätromantischen Dichtung und der Gottesverehrung seines kürzlich beendeten Buches vom mönchischen Leben. Einiges davon blieb stecken, wenn er schrieb: «Es verlohnt sich wohl von einem Buche zu reden, welches fürchtig ist und fromm von einer dunklen, betenden Stimme». Das wäre die richtige Antwort für einen Rezensenten, der eine verwandte Seele zu finden glaubt, und der junge Hesse 2
Vgl. R. Freedman, Rainer Maria Rilke, Der Meister, Frankfurt a.M. 2002 [«Je est un autre: Das Fenster nach Frankreich»], S. 403–451.
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war zuerst glücklich, verstanden zu sein. Er übersah den letzten Satz: «Denn die Kunst ist nicht ferne von diesem Buche.. » oder, wie es an anderer Stelle heißt: es stünde «am Rande der Kunst»3. Hesses Freude dauerte nicht lange. Er erkannte den double entendre [das doppeldeutige Spiel] ziemlich bald, besonders da der Verleger, Eugen Diederichs, nur seiner jungen Frau zur Liebe in die Veröffentlichung eingewilligt hatte. Er zeigte sich zurückhaltend, druckte nur das Minimum von 600 Exemplaren und hatte selbst mit denen einen miserablen Verkauf4. Rilkes zweideutiges Lob zeigte schon den Weg. Dennoch lebte darin noch ein Verwandtschaftsgefühl, das er später nicht aufbringen konnte. Während der Vorkriegszeit wies Rilke also Hesse nicht vollkommen ab und zählte ihn zu den damals wichtigen Romanschriftstellern. So las er 1906 während seiner Lesestunden auf Capri den Damen sogar aus Hesses eben erschienenem Peter Camenzind vor.5 Diese Augenblicke stammen aber aus der grauen Vorzeit, lange vor den Schweizer Jahren. Für den späteren Hesse, besonders wenn er Gedichte schrieb, hatte Rilke keine Geduld. Eine Episode dürfte als Beispiel gelten. Rilkes Schweizer Werk, das mit seinem dortigen Leben gegen Ende des Ersten Weltkriegs anhob, war von Anfang an einer neuen Lyrik gewidmet. Der Stil der Duineser Elegien, den er in schmerzvoller Arbeit seit 1912 entwickelt und verfeinert hatte, wurde zur Zeit seiner Vollendung im Februar 1922 zu einem dichterischen Lebensspiel, das die Lyrik seiner letzten Jahre beherrschte und besonders seine Verwandtschaft mit Paul Valéry offen bekundete6. Aus dieser Atmosphäre heraus ist Rilkes Ungeduld mit Hesses gefühlvollen, doch in des Meisters Augen primitiveren Versen zu verstehen. Sie wohnten eine Zeitlang nicht weit voneinander entfernt, in der Gegend von Locarno, wo viele deutsche Künstler, Dichter und Schriftsteller lebten – so nahe, daß sie sich leicht hätten zu Fuß besuchen können. Hier teilten sie sich denselben Arzt, Dr. Hermann Bodmer in Locarno, nicht nur als Patienten, sondern auch als persönliche Freunde. So geschah es, daß Rilke ein Hesse-Gedicht in die Hände fiel. Bodmer sandte ihm eine Abschrift, in der er die Verse als «schön» und «herrlich» bezeichnete. Die ersten Zeilen lauten: Alle Tode bin ich schon gestorben Alle Tode will ich wieder sterben … 7. 3
4 5 6 7
Zitiert aus K. Jonas, Rilke und Hesse. Versuch einer Dokumentation, «Philobibilion», 23 (1979), S. 171–172. Vgl. S. Schank, Rilke und Hermann Hesse [File://rilke-online.de/ topics/tophesse.htm], der auf den Aufsatz von Jonas basiert. R. Freedman, Hermann Hesse. Autor der Krisis, Frankfurt a.M. 1982, S. 107. R. Freedman, Rainer Maria Rilke. Der Meister, a.a.O., S. 29. Ebd, S. 462–464. K. Jonas, Rilke und Hermann Hesse, S. 171–72.
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Rilkes Privatmeinung seiner intimen Freundin Nanny Wunderly-Volkart gegenüber war nicht gerade schmeichelhaft. «Dr. Bodmer nannte es ein ‹herrliches Gedicht›, schrieb er ihr am 18. Januar 1920. «Ich konnte das Wort ‹herrlich› nicht wiederholen, sagte ‹sehr schön›. Aber auch das gesagt zu haben, drückt mich ein wenig». Er gab seine Gründe an: «Es ist einfach, als wär’s redlich und rein übersetzt aus einer alten Diktion». Das ist das scheinbar Positive, aber beinhaltet auch schon eine fast beiläufige Kritik – die Sprache ist eine («redliche und reine») Übersetzung aus einer «alten (veralteten?) Diktion». Aber dann: «Es rollt über ein Programm, man weiß ja schon was kommen muß». Und zu seiner engsten Vertrauten verschärfte Rilke seine Antwort noch mit herablassender Ironie, «daß es so reinlich kommt, erzeugt eine gewisse solide Befriedigung, etwa wie wenn man sich die Hände wäscht und man merkt, daß das Wasser trüblich wird und die Hände rein». Dann, noch schärfer und ironisch herablassender: «Diese Poesie darf nicht unterschätzt werden […]. Die Sprache ist nicht unausstehlich und von höherer Natur […]» doch, das Messer in der Wunde drehend, «abgesehen von solchen Gehörlosigkeiten wie ‹Fisch und Hirsch›, die zusammen aussehen beinah wie eine jüdische Firma», eine Bemerkung, die weniger mit Juden zu tun hatte als mit Rilkes aristokratischer Geringschätzung vom kleinbürgerlichen Geist8. Diese Geringschätzung, die aus Hermann Hesse, dem Sohn einer gewichtigen Familie von pietistischen Missionaren, einen stümperhaften Kleinbürger machte, ist wohl der schärfste Gegensatz, der diese beiden Dichter auseinander hielt. Natürlich waren diese Worte nicht für die Öffentlichkeit, sondern für das Ohr seiner intimsten Freundin bestimmt, aber sie drücken dennoch Rilkes Gefühl aus, daß Hesse zwar seinen Erfolg als bekannter Romanschriftsteller seiner Zeit verdient hatte, aber nicht als Lyriker. Wenn Rilke sich überhaupt weiter über Hesse äußerte, so fühlt man, daß er ihn wohl fromm und reinlich aber zu oberflächlich fand, um ihn als gleichwertigen Dichter seiner Generation zu akzeptieren. Hesses Bemerkungen über Rilke sind zahlreicher, doch zeigen sie ähnliche Symptome in entgegengesetzter Richtung. Er war sehr von den positiven Aspekten von Rilkes Rezension von Eine Stunde hinter Mitternacht eingenommen und sah darin des anderen Dichters Mitgefühl für den Ton seiner lyrischen Sprache. Dreißig Jahre später schrieb er an seine Schwester Marulla: «Rilke ist ein wunderbarer Dichter. Er war im Jahr 1899 der Einzige, der freundliche Worte über meine Stunde hinter Mitternacht schrieb». Doch hinter dieser anscheinenden Kritiklosigkeit stehen Worte, die fast wie ein Gegengewicht zu Rilkes Kritik an Hesse funktionieren: «Von seinen späteren Versen sind manche mir zu übersteigert, zu abstrakt». Dann folgen die Worte: «aber sein ganzes Werk gehört das Beste was das nicht reiche geistige Deutschland in den letzten 25 Jahren hervorgebracht hat». Die einzige ziemlich 8
Briefe an Nanny Wunderly-Volkert, hrsg. von R. Luck, Frankfurt a.M. 1977. Zitiert nach K. Jonas, a.a.O, S. 116 f.
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leichte Kritik scheint dem «nicht sehr reichen geistigen Deutschland» gewidmet zu sein, doch sie kann nicht umhin das Lob zu vermindern9. Andernorts drückt sich Hesse aber viel schärfer aus. Er sah Rilke als Dichter der Schwäche und Lebensangst, als einen «Neurotiker», der trotz allem als Dichter «ein Gesunder» war. (Wie das mit dem «Dichter der Schwäche und Lebensangst» zu vereinbaren ist, sei dahingestellt.) Sein uneingeschränktes Lob gehört fast ausschließlich dem Roman Malte Laurids Brigge – ein Buch, das ganz dem Hesseschen Stil der dreißiger Jahre entspricht10. Um aber das wirkliche Ausmaß von Hesses Reaktion auf Rilkes Person und Werk zu beurteilen, muß man sich (genau wie bei Rilke) mit sehr persönlichen Bemerkungen abfinden. Und da kehrt seine Ablehnung, sogar Verachtung, von Rilkes ‹Snobismus› immer wieder, nicht nur in persönlichen Haltungen und Gebärden, sondern auch im Ton und in der Sprache seiner letzten Dichtungen. Die Duineser Elegien (besonders die späten, in der Schweiz verfaßten) schienen für Hesse Beispiele seiner literarischen Hochnäsigkeit zu sein, die sich auch – und hier lag seine größte Verachtung – auf Rilkes Nachahmer und kritiklosen Bewunderer erstreckte. Eine persönliche Distanz zwischen diesen beiden Dichtern hat also literarische Gründe. Kontakte waren aber immer irgendwie unumgänglich. In einer bekannten Episode während des Ersten Weltkriegs bat Hesse im Namen der ‹Versorgung für deutsche Kriegsgefangene› um freie Exemplare von Rilkes Büchern (er dachte hauptsächlich an den Cornet und Das Stundenbuch – Werke, die Hesses damaliger Neigung entsprachen), doch lehnte die ihm nahestehende Frau von Rilkes Verleger, Katharina Kippenberg, ab, weitere Bücher zu spenden, woraufhin Rilke nur einen Fünfzigmarkschein einsandte und nicht weiter reagierte: wieder ein Beispiel von Rilkes persönlicher Nonchalance, was Hesse anbetraf11. Was die dürftigen Belege, andeuten ist, daß Rilkes kaum verhehlte Mißachtung nicht direkt in derselben Art beantwortet wurde. Anfangs hätte es Hesse gern gehabt, von Rilke angenommen zu werden. Aber die schroffe Ablehnung blieb auch nach Rilkes Tod haften. Am Ende aber ergänzten sich die Haltungen beider Dichter zueinander, und zwar sowohl auf persönlicher als auch künstlerischer Ebene. Rilke fand Hesses Lyrik stilistisch flach und uninteressant; Hesse hielt Rilkes Lyrik im Grunde für kränklich, seine Haltung besonders in den späten Gedichten kalt und unverständlich. Die Arroganz der Darbietung des einen wurde vom Widerwillen des Empfangs des Anderen wettgemacht. Eine Untersuchung von Ausschnitten aus den Werken dieser Dichter in ihren respektiven Hauptgenres könnte vielleicht einer klareren Idee von Hesses und Rilkes Geist näherkommen. 9 10 11
H. Hesse, Gesammelte Briefe, hrsg. von V. Michels; Frankfurt a.M. 1979, Bd. 2 1922–1935, S. 272. (Kursivierung vom Verfasser) Ebd. K. Jonas, a.a.O., S. 173–175.
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4. Wir beginnen mit Passagen aus den bekanntesten Werken beider Künstler: dem Anfang von Rilkes Erster Duineser Elegie und dem großen Traumbild am Ende von Hesses Demian. Die Anfangszeilen: Wer wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? Und gesetzt selbst, es nähme Einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch gerade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.12
Die anscheinend komplizierte Sprache dieser lyrischen Dichtung klärt sich auf, wenn man einsieht, daß der Dichter eine andere Logik, die Logik der Prosa übernommen hat. Gleich bei der ersten Zeile, «Wer wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?» sehen wir eine Figur vor uns, einen Menschen, der schreit, wenn er auch weiß, daß er nicht gehört werden kann. Wir wissen nichts über diese Engel, nur daß das ‹Ich› für sie nicht existiert. Dann geht es weiter, und der Dichter sagt, prosaisch ausgedrückt, daß der Engel so riesig ist, so stark , daß das ‹Ich› einfach in ihm verschmilzt. Dann geht Rilke noch einen Schritt weiter, einen Schritt, der in der konventionellen Dichtung keinen Platz hat. Denn plötzlich stehen wir der Verbindung zwischen Schönheit und Schrecklichkeit gegenüber, wie man sie in Baudelaires Hymne à la Beauté finden kann. Nun verstehen wir, daß der Engel schön und gleichzeitig schrecklich ist. Plötzlich ist das ‹Ich› ein ‹Wir› geworden, denn der Dichter weiß nun, daß wir es mit der Menschheit überhaupt zu tun haben. Als Menschen lernen wir, daß wir keinen Platz in der Welt einnehmen, der uns persönliche Macht gibt. Im Gegenteil! Wir sind ‹verschmäht›; ein ganz geistesabwesender Engel braucht uns gar nicht, um ihn zu stören. Wir sind im Grunde so unbedeutend, daß der Engel uns ‹gelassen› verschmähen kann. Hier stehen wir vor einer Gegenüberstellung des empirischen Ich mit dem metaphysischen Engel. Die Elegie fängt wie jede erzählerische Geschichte an. Sie ist verkürzt und formell umgearbeitet. Doch in dieser Umarbeitung liegt die lyrische Schönheit des Gedichts. Diese dichterische Schönheit wäre Rilkes Antwort auf die Frage, warum er die Situation so kompliziert beschreiben muß, wo es doch viel einfacher gewesen wäre, die Geschichte direkt zu erzählen. Der Grund ist sein Anliegen, die Lage mit poetischer Tiefe auszudrücken. Wir wissen nicht nur, was während des Zusammentref12
R.M. Rilke, Erste Duineser Elegie, in R.M. Rilke, Gedichte 1910–1926, Frankfurt a.M. 1996, Bd. 2, S. 201.
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fens des ‹Ich› mit dem kosmischen Engel geschieht; wir erfahren es auch als Teil einer erhöhten Vision. Nun Hesses lyrische Prosa: eine typische Stelle in seinem berühmten Roman, Demian. Die Stelle ist auch eine Vision – ein besonders gestaltetes Traumgebilde: In den Wolken war eine große Stadt zu sehen, aus der strömten Millionen von Menschen hervor, die verbreiteten sich in Schwärmen über weite Landschaften. Mitten unter sie trat eine mächtige Göttergestalt, funkelnde Sterne im Haar, groß wie ein Gebirge, mit den Zügen der Frau Eva. In sie hinein verschwanden die Züge der Menschen, wie in eine riesige Höhle, und waren weg. Die Göttin kauerte sich am Boden nieder, hell schimmerte das Mal auf ihrer Stirn. Ein Traum schien Gewalt über sie zu haben, sie schloss die Augen, und ihr großes Antlitz verzog sich in Weh. Plötzlich schrie sie hell auf, und aus ihrer Stirn sprangen Sterne, viele tausend leuchtende Sterne, die schwangen sich in herrlichen Bögen und Halbkreisen über den schwarzen Himmel. Einer von den Sternen brauste mit hellem Klang gerade zu mir her, schien mich zu suchen. Da krachte er brüllend in tausend Funken auseinander, es riss mich empor und warf mich wieder zu Boden, und donnernd brach die Welt über mir zusammen.13
Die Traumvision besteht aus verschiedenen Ebenen. Konkret gesehen, sieht man anfangs das Schlachtfeld, auf dem eine Granate explodiert und die Welt überschüttet. Die Göttin, die an Demians Mutter Frau Eva erinnert, schafft aber eine weitere und tiefere Dimension. Wir wissen noch nicht, daß der junge Held Emil Sinclair bald seinen Retter und Mentor Max Demian durch den Tod verlieren wird – ein Schicksal, das schon durch die leuchtende Granate angezeigt wurde – oder daß er selbst schwer verwundet im Lazarett liegen wird. Wir wissen nur, daß es Krieg ist, daß er im Feld steht und daß es dort eine ungeheure Explosion gegeben hat. Die Stimmung ist also die einer großen Vision, doch wird sie wie eine gewöhnliche Erzählung dargestellt. Unser Zitat fängt ganz gelassen in der erzählenden Vergangenheit an. In den Wolken ist eine große Stadt zu sehen, aus der eine Million Menschen herausströmt. Außer daß diese Million aus den Wolken kommt, scheint die Situation ganz lebensgetreu zu sein. Aber eben weil es in den Wolken geschieht, wissen wir, daß es sich um etwas Traumhaftes handelt. Die Reihe der Bilder geht weiter. Die Menschen verbreiten sich über ganze Landschaften. Eine Göttergestalt erscheint mit den Gesichtszügen der Frau Eva, die Sinclair verehrt und liebt. Wie Theodore Ziolkowski schon vor vielen Jahren bemerkte, scheint diese Vision direkt aus der Offenbarung im Neuen Testament zu stammen14. Die Frau, von der Sonne bekleidet, den Mond unter ihren Füßen mit einer Krone von zwölf Sternen auf ihrem Haupt ist eine Figur, die allgemein mit der Jungfrau Maria identifiziert wird – mit der neuen Eva. Wie Hesses allumfassende Figur schreit sie im Schmerz der Geburt. 13 14
GS, 5, S. 161. 12. Kapitel, Vers 1–2. Vgl. Th. Ziolkowski The Novels of Hermann Hesse, Princeton 1965, S. 132.
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Wir müssen uns das Ganze bildlich vorstellen, denn die Handlung schreitet fort wie jede Erzählung. «Die Göttin kauerte sich am Boden nieder; ein Mal auf ihrer Stirn schimmerte; ihr großes Antlitz verzog sich in Weh. Plötzlich schrie sie hell auf, und aus ihrer Stirn sprangen Sterne aus […]». Ein dramatischer Höhepunkt! Die biblischen Anspielungen sind in den erzählenden Text eingebaut, im Gegensatz zu Rilke, der, umgekehrt, erzählerische Elemente in einen neuen poetischen Rahmen fügt. Der Unterschied zwischen Rilke und Hesse besteht also aus gegensätzlichen Haltungen zur Lyrik in Versen und Prosa. Die Sprache Rilkes geht von einer Logik der lyrischen Poesie aus, die Sprache Hesses von der Logik der Erzählung. Ein weiteres Beispiel könnte diese Beziehung verstärken. Es besteht aus dem Vergleich einer Stelle aus Hesses Siddhartha über Siddharthas Abschied von der ‹Liebesgöttin› Kamala und einem Liebes- und Todesgedicht Rilkes aus derselben Periode des Ersten Weltkriegs. Wie auch in unserem Zitat aus Demian, so ist auch dieses Zitat in einem konkreten Bild dargestellt: Kamala besaß in einem goldenen Käfig einen kleinen seltenen Singvogel. Von diesem Vogel träumte er. Er träumte: dieser Vogel war stumm geworden, der sonst stets in der Morgenstunde sang, und da ihm dies auffiel, trat er vor den Käfig und blickte hinein, da war der kleine Vogel tot und lag steif am Boden. Er nahm ihn heraus, wog ihn einen Augenblick in der Hand und warf ihn dann weg, auf die Gasse hinaus, und im gleichen Augenblick erschrak er furchtbar, und das Herz tat ihm weh, so, als habe er mit diesem toten Vogel allen Wert und alles Gute von sich geworfen. Aus diesem Traum auffahrend, fühlte er sich von tiefer Traurigkeit umfangen. Wertlos, so schien ihm, wertlos und sinnlos hatte er sein Leben dahingeführt; nichts Lebendiges, nichts irgendwie Köstliches oder Behaltenswertes war ihm in Händen geblieben. Allein stand er und leer, wie ein Schiffbrüchiger am Ufer.15
Wieder stehen wir einer Traumfolge gegenüber, aber, im Gegensatz zu unserem Zitat aus Demian, benutzt Hesse seine erzählerische Kraft mit noch schärferer Einsicht. Ohne es direkt zu sagen, macht er klar, daß der Vogel die Seele, das innere Wesen des Menschen darstellt. Im Buddhismus haben nämlich alle Tiere, die einem Ei entschlüpfen, eine besondere Bedeutung. Sie werden durch das Ei und aus dem Ei zweimal geboren und folgen daher einer Logik der mehrfachen Überschreitung16. Hesse benutzt diese buddhistische Vorstellung in einer halbchristlichen Weise; es handelt sich um die Seele als einen christlichen Begriff, den er dann mit dem buddhistischen Begriff vom Überschreiten und Überschrittenwerden verbindet. Der Vogel, im Käfig gefangen, wird allmählich stumm, bis er tot zu Boden fällt. Und der Käfig Kamalas, offensichtlich das Gefängnis der Sinne, ist in der Sprache der
15 16
GS, 5, S. 416–17. Ebd.
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Psychoanalyse, die Hesse zu dieser Zeit beschäftigte, ein Symbol des weiblichen Geschlechts. Siddhartha wirft die kleine Leiche «auf die Gasse hinaus», aber damit ist es nicht getan. Er endet seinen Traum mit der Erkenntnis, daß er mit dem toten Vogel alles Gute von sich geworfen hat und «leer, wie ein Schiffbrüchiger am Ufer» steht, ohne Seele und ohne wahres Leben. Nun wacht er auf und erkennt, daß er sein ganzes Leben wertlos und sinnlos verbracht hat: «Finster begab sich Siddhartha in einen Lustgarten, der ihm gehörte, verschloss die Pforte, setzte sich unter einem Mangobaum nieder, fühlte den Tod im Herzen […]»17. So grenzen sich Traum und Leben voneinander ab: ein Traum ist ein Traum, nicht eine Vision. Der Hinweis auf äußere Motive, wie die aus der indischen Klassik, enthüllt die der Vision zugrunde liegende Bedeutung, ohne aber den Strom der Erzählung zu beeinträchtigen. Einige Absätze später wird diese Erkenntnis noch einmal in Worte gefaßt: Da wußte Siddhartha, daß das Spiel [der weltlichen Liebe] zu Ende war, daß er es nicht mehr spielen konnte. Ein Schauer lief ihm über den Leib, in seinem Innern, so fühlte er, war etwas gestorben18.
Siddhartha weiß nun, daß er fast im Morast der Sensualität erstickt wäre, daß Tod und Eros nicht weit voneinander entfernt sind und daß er sich durch diese Traumvision retten konnte. Etwas Ähnliches geschieht in einem nicht sehr bekannten Gedicht von Rilke, ein Liebes- und Todesgedicht aus der Anfangszeit des Ersten Weltkriegs. Es handelt sich um eine Liebesbeschwörung, die Rilke seiner damaligen Freundin, der Malerin Loulou Albert-Lasard widmete: ein lyrisches Gedicht in einer doppelten Rolle von Eros und Tod – und, gleichzeitig, eine chiffrierte Erzählung. Die ersten zwei Strophen lauten: Sind wirs, Lulu, sind wirs? Oder grüßen sich in uns entgangene Gestalten? Durch die Herzen, die sie offen halten, geht der Gott mit Flügeln an den Füßen, jener, weißt du, der die Dichter nimmt; eh sie noch von ihrem Wesen wissen, hat er sie erkannt und hingerissen und zum Unermessenen bestimmt.19
Das Bild des Gottes mit Flügeln an den Füßen bezieht sich auf Hermes, gleichzeitig ein Gott der Liebe und des Todes. Also handelt es sich bei Rilke um griechische Mythologie wie bei Hesse um indische Mythologie. Wie sich bei Hesse die ganze 17 18 19
Ebd., S. 417. Ebd. R.M. Rilke, Gedichte 1910–1926, a.a.O., Bd. 2, S. 116–17.
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Geschichte vom Käfig und dem verstorbenen Vogel zu einem Bild zusammensetzt, so baut sich auch hier ein ganzes Gedicht aus dem Hermesbild zusammen: Hermes, der zugleich Bote zum Totenreich und eine phallische Gottheit darstellt. Diese Bilder erscheinen schon in den ersten zwei Zeilen. Die Frage ob sie, Rainer und Lulu, es wirklich sind, ob sie eine wirkliche Existenz annehmen, ist mit einem Bild gekennzeichnet, das gleichzeitig konkret und abstrakt ist, denn «schon entgangene Gestalten» – Gestalten des Todes – grüßen sich in den Liebenden. Mit der Erscheinung des «Gottes» vertieft sich das Bild, denn es bringt auf ironische Weise die beiden Themen Eros und Tod zusammen. Man sieht den geflügelten Gott durch die «offen» gehaltenen Herzen beider eilen: «jener, weißt du, der die Dichter nimmt» und sie erkannt zu haben, ehe sie den wesentlichen Geist wahrgenommen und sie durch seinen tödlichen Einfluß am «Unermesslichen», jenseits des ermeßbaren Lebens, bestimmt zu haben. Wenn wir dieses thematisch erzählerische Gedicht mit der eben besprochenen Episode in Hesses Siddhartha vergleichen, sehen wir, daß Rilke ähnliche Motive (wie Eros und Tod) innerhalb eines anderen Genres behandelt. In beiden erkennt man ein erzählendes Wesen. Doch wurde dieses Grundprinzip in Rilkes Dichtung umgeformt. Das Gedicht bleibt ein lyrisches Werk, auch wenn es von erzählerischen Handlungen und Motiven durchdrungen ist.
5. Es ist wohl ein Fehler, Hesse und Rilke zusammenzustellen, als ob sie im Grunde vergleichbar wären. Die obengenannten Beispiele zeigen, daß sie technisch gesehen aus vollkommen anderen Gegenden stammen, obgleich sie auch einige Jahre in derselben Schweizer Gegend verbracht haben. Die Lyrik der Prosa bei Hesse und die erzählende Lyrik bei Rilke geben uns ein Gefühl für ihre kompositorische Parallelität. Aber in der konfliktreichen Atmosphäre der dreisprachigen Welt, die sie beide aufnahm, folgten sie ganz anderen, sich gegenseitig kontrastierenden Bahnen. Hesse, wie die Beispiele aus Demian und Siddhartha bezeugen, versuchte sich an einer Weltsprache im ursprünglichen Sinn – einer Sprache, die sich direkt an die aktive Teilnahme der Leser wandte. Die Prosa mit lyrischem Einschlag war daher sein bester Weg. Für Rilke blieb das Sprachgebilde selbst von größter Bedeutung, das sein «quasi-religiöses» Weltbild in sich trug. Das Erzählerische ist also in die lyrische Sprache eingebettet. Das Aktive bei Hesse schien für Rilke eine flache Dimension zu bieten; das Passiv-werkliche bei Rilke war für Hesse Teil eines Snobismus und minutiöser Untersuchung «kränklicher» Gefühle. Rilke und Hesse sind beide wichtige Dichter der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, aber sie sind es in entgegengesetzter Weise, so daß sie im Grunde nicht vergleichbar sind. Auch wenn sie Mythen und religiöse Themen behandeln,
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ist die gegengesätzliche Richtung auch in der Rezeption offensichtlich. Jede Wertschätzung ist daher überflüssig. Sie können beide als entgegengesetzte Pfeiler der großen Kultur vom Ende des neunzehnten bis zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts akzeptiert werden.
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Herman Hesse und Jakob Wassermann Hermann Hesse, der den Großteil seines Lebens als Schriftsteller weltabgeschieden in entlegenen Ortschaften wie Gaienhofen und Montagnola verbrachte, stand lange bei der breiten Öffentlichkeit in dem Ruf eines unzugänglichen Einsiedlers. Dieses allzu einseitige Dichterbild mußte revidiert werden. Obgleich Hesse zeitlebens zur Entfaltung seiner schöpferischen Kräfte viel Einsamkeit brauchte, pflegte er dennoch auf seine Weise Umgang mit zahlreichen Menschen aus nah und fern. Gleich zu Beginn seiner literarischen Tätigkeit knüpfte er freundschaftliche Kontakte mit recht unterschiedlich gearteten Künstlern, vor allem mit Malern und Musikern, aber auch mit Schriftstellern. Zu den frühesten Dichterfreundschaften zählten zum Beispiel die mit Ludwig Finckh, Helene Voigt-Diederichs und Emil Strauß. Die mit der Zeit anwachsenden, erstaunlich vielfältigen und weit reichenden Beziehungen zu Künstlerkollegen, die selbstverständlich von Stimmungen, Spannungen oder auch Unterbrechungen beeinflusst wurden, stellten für Hesse eine existentielle Notwendigkeit dar. Daß die kollegialen Kontakte in seinem privaten und professionellen Leben eine beachtliche sowie mannigfaltige Rolle spielten, wurde schon bald nach seinem Tod erkannt, als man anfing, deren Bedeutung (anhand von neu veröffentlichten Briefen und anderen Materialien) wissenschaftlich zu erörtern. So lautete das Thema des zweiten, 1982 in Calw veranstalteten Internationalen Hermann-Hesse-Kolloquiums: Hermann Hesse und seine literarischen Zeitgenossen. Referiert wurde auf dieser Tagung über des Dichters Verhältnis zu Helene Voigt-Diederichs, Ludwig Finckh, Stefan Zweig, Emil Strauß, Christian Wagner, Thomas Mann, Hans Morgenthaler und Romain Rolland1. Ein namhafter Zeitgenosse und Schriftstellerkollege, dessen Kontakt mit Hesse bei dem Calwer Kolloquium nicht zur Sprache kam, war der Bestsellerautor Jakob Wassermann. Diese Lücke soll hier nachträglich geschlossen werden. Die Bekanntschaft mit Jakob Wassermann (1873–1934) wurde bereits in Hesses frühen Gaienhofener Jahren angeknüpft. Doch war und blieb sein Verhältnis zu diesem literarischen Zeitgenossen stets ein zwiespältiges. Dazu äußerte sich Hesse einmal – en passant – in einem 1942 (also lange nach Wassermanns Ableben) ver1
Hermann Hesse und seine literarischen Zeitgenossen. 2. Internationales Hermann-HesseKolloquium in Calw aus Anlaß des 20. Todesjahres des Dichters. Referate, hrsg. von F. Bran und M. Pfeiffer, Bad Liebenzell/Kreis Calw 1982.
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fassten Brief, in dem er seine Einstellung gegenüber Wassermann mit seiner Beziehung zu Stefan Zweig verglich, der seinerzeit in Brasilien Selbstmord begangen hatte. «Zweigs Tod», heißt es da, «hat […] mich ergriffen. Doch habe ich zu ihm (noch weit mehr als bei Wassermann) immer ein halbes und gestörtes Verhältnis gehabt […]»2. Die von dem sonst meist umfassend unterrichteten S. Fischer-Biografen Peter de Mendelssohn aufgestellte und bislang unangefochtene Behauptung, daß Hesse und Wassermann «einander kaum kannten und sich […] nicht über einander geäußert haben»3, ist nicht haltbar. Richtig jedoch ist seine damit verbundene Feststellung: «Eine literaturkritische Betrachtung würde […] die [beiden] Namen […] nicht ohne geisteswidrigen Zwang miteinander verknüpfen. Welten scheinen im deutschen Schrifttum zwischen ihnen zu liegen»4. Im Gegensatz zu Hesse schrieb Wassermann groß aufgebaute, vielfach spannende Romane, die mit zahllosen scharf umrissenen, unverwechselbaren Gestalten aufwarten und die sich durch komplizierte, vielsträhnige, aber dennoch deutliche Handlungen auszeichnen. So pries ihn Heinrich Mann als einen «Romancier von Geblüt»5, während Thomas Mann kurz nach Wassermanns Tod (trotz erheblicher Vorbehalte) dem Verstorbenen ganz ähnlich seine Anerkennung aussprach. Er schrieb: «Sein Werk hat mir wegen eines gewissen leeren Pompes und feierlichen Geplappers oft ein Lächeln abgenötigt, obgleich ich wohl sah, daß er mehr echtes Erzählerblut hatte als ich»6. Ungeachtet der durchaus unterschiedlichen Prägungen ihrer Werke und der ‹Welten›, die zwischen ihnen liegen, hat man dennoch versucht, auf Gemeinsamkeiten zwischen Hesse und Wassermann hinzuweisen. Gottfried Benn zum Beispiel, der zu beiden Autoren eine negative Einstellung hatte und der Hesse abschätzig als einen «durchschnittlichen Entwicklungs-, Ehe- und Innerlichkeitsromancier»7 einstufte, rechnete ihn und Wassermann (zusammen mit Emil Strauß und E.G. Kolbenheyer) zu den «offensichtlich zweitrangigen Epikern»8. Leicht abfällig äußerte sich auch Carl Jacob Burckhardt gegen Ende der sechziger Jahre in einem Brief, der vermutlich auf Hesses Popularität zumal unter amerikanischen Jugendlichen und Aussteigern anspielt und in diesem Zusammenhang Wassermann erwähnt. Burckhardt wünscht einem Freund Erfolg bei einem bevorstehenden Vortrag in Fürth (wo Wassermann seine Kindheit und Jugend verbrachte) und fügt hinzu: «Hoffentlich […] werden keine Hippie-Stoßtrupps nach der Geburtsstadt Jakob Wasser2 3 4 5 6 7 8
Brief (16. Mai 1942) an Otto Basler, zitiert nach D. Prater, Stefan Zweig and Hermann Hesse, in «Modern Austrian Literature», XIV (1981), Nr. 3/4, S. 69. P. de Mendelssohn, S. Fischer und sein Verlag, Frankfurt a. M. 1970, S. 378. Ebd. H. Mann, Für Jakob Wassermann, in «Die neue Rundschau», XLIV (1933), S. 357. Th. Mann, Briefe 1889–1936, hrsg. von E. Mann, Frankfurt a. M. 1961, S. 245. G. Benn, Ausgewählte Briefe, Wiesbaden 1957, S. 200. Ebd., S. 144.
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manns entsandt»9. In den siebziger Jahren setzte ein in der DDR wirkender HesseBiograf den Roman Roßhalde (1914) mit Wassermanns Gänsemännchen (1915) in Beziehung. Beide um etwa zur selben Zeit entstandenen Werke kreisen um die Problematik der Künstlerehe. Hier räumt der marxistisch ausgerichtete Biograf – erwartungsgemäß – dem Gänsemännchen den Vorrang ein, denn dessen viel breitere Gesellschaftsschilderung, so heißt es, «wird zwar […] durch moralischen Schematismus eingeengt, aber sie unterscheidet sich doch durch ihre Kritik des Kapitalismus wesentlich von der begrenzten humanistischen Perspektive Hesses»10. Verfolgt man die persönlichen und literarischen Entwicklungsgänge der beiden Autoren, so fallen auch da einige (vielleicht oberflächliche) Ähnlichkeiten und Berührungspunkte ins Auge. Als Wassermann und Hesse zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ihre ersten schriftstellerischen Erfolge – der eine mit der Geschichte der jungen Renate Fuchs (1901), der andere mit Peter Camenzind (1904) – verzeichneten, blickten beide auf prekäre, qualvolle Knaben- und Jünglingsjahre zurück. Wassermann hatte eine entbehrungsreiche, von drückender Armut geprägte Kindheit hinter sich; Hesse war als Teenager in pubertäre Wirren geraten, die zur Auflehnung gegen die elterliche Autorität führten und die ihn in der Schule und bei der Berufswahl stark in Bedrängnis gebracht hatten. Danach jedoch, als junge, noch unbekannte Autoren, hatten beide das Glück, mit 25/26 Jahren von dem geschäftstüchtigen, Epoche machenden Verleger Samuel Fischer entdeckt und gefördert zu werden. Zu den Gemeinsamkeiten zwischen Hesse und Wassermann hat man ferner ihre Übersiedlungen ins Ausland zu zählen. Beide waren gebürtige Deutsche, die sich als Erwachsene in deutschsprachigen Nachbarländern niederließen, Hesse in der Schweiz, Wassermann in Österreich. Zu erwähnen wäre wohl auch, daß beide Schriftsteller anfangs Ehen eingingen, die unglücklich ausliefen und zu Scheidungen führten. 1926 wurden Hesse und Wassermann (mit zahlreichen anderen Dichtern) zu Mitgliedern der Sektion für Dichtung der Preußischen Akademie der Künste gewählt. Doch ihre Mitgliedschaft war von begrenzter Dauer. Beide Autoren waren den Nazis nicht angenehm. Beachtung verdient schließlich eine ‹kommerzielle› Gemeinsamkeit, welche die beiden so unterschiedlich gearteten Erzähler miteinander verband: Wassermann und Hesse wurden und blieben (neben Thomas Mann) die größten «Geldverdiener»11 des S. Fischer Verlags. Persönlichen Kontakt bekamen die beiden erstmals als junge aufstrebende Talente im Jahre 1905, nachdem Hesse sich bei Wassermann brieflich nach dessen Liebesroman Melusine (1896), einem im Buchhandel vergriffenen und an sich unbeträchtlichen Frühwerk, erkundigt hatte. Eine Antwort auf seine Frage ließ nicht lange auf sich warten. Am 23. Juli 1905 schrieb der in Fulpmes (Stubaital, Tirol) urlaubende 9 10 11
C. J. Burckhardt, Briefe 1919–1969, Bern – München – Wien 1971, S. 291. F. Böttger, Hermann Hesse. Leben – Werk – Zeit, Berlin 1974, S. 186. P. de Mendelssohn, a.a.O., S. 847.
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Wassermann einen freundlichen, ausführlichen Brief12 an Hermann Hesse in Gaienhofen, worin er zu Beginn, auf dessen Ansuchen eingehend, sein Bedauern darüber ausdrückt, daß er ihm leider kein Exemplar von Melusine liefern könne, da er selbst nur noch ein einziges davon besitze, welches sich zu Hause in seiner Wohnung in Wien befinde. «Im übrigen», so heißt es weiter, «tun Sie jenem Produkt sehr viel Ehre an, wenn Sie sich darum bemühen; es ist durchaus eine Erstlingsarbeit von bedenklich studienhaftem Charakter […]». Das zentrale Anliegen des Briefes ist es jedoch, dem Gaienhofener Kollegen seine Freude über das aus diesem Anlass von ihm erhaltene Lebenszeichen kundzutun. So erwidert Wassermann die von Hesse «so freundlich ausgesprochenen Gefühle von Herzen» und schlägt ihm vor, daß sie beide fortan mit ihren Büchern einen wechselseitigen Tauschhandel betreiben. Dieser im Sommer 1905 abgefasste Brief muß bei seinem Empfänger wohlwollende Aufnahme gefunden haben, denn bald darauf war Wassermann bei Hesse in Gaienhofen zu Gast, wo sich der Besucher am Reiz der Bodenseelandschaft und am Umgang mit einem verständigen Generationsgenossen erfreute. Hier lernte er nicht nur Hermann Hesse näher kennen, sondern auch dessen erste Frau, Maria, und Hesses nunmehr in Gaienhofen ansässigen Jugendfreund Ludwig Finckh. Für Wassermann war es ein «hübsches Zusammensein»13, das er in guter Erinnerung behielt und für das er sich später, im Herbst 1905, brieflich bedankte. In der Folgezeit riss die Verbindung – trotz längerer Unterbrechungen – nie ganz ab. Während des ersten Weltkrieges, als Hesse von der neutralen Schweiz aus deutsche Kriegsgefangene in Frankreich mit Lesestoff zu versorgen suchte und deswegen Freunde und Kollegen um Bücher- oder Geldspenden anging, wandte er sich auch an Wassermann, der dieser Bitte (mit anderen Dichtern) bereitwillig entgegenkam14. 12
13
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Unveröffentlichter Brief (23. Juli 1905) von Jakob Wassermann an Hermann Hesse. Original in der Schweizerischen Landesbibliothek Bern. Zu Dank verpflichtet bin ich Herrn Dr. Thomas Feitknecht, dem Leiter des Schweizerischen Literaturarchivs, der mir freundlicherweise Kopien der unveröffentlichten, in der Schweizerischen Landesbibliothek Bern aufbewahrten Briefe Jakob Wassermanns (und seiner Ehefrauen) an Hermann Hesse zur Verfügung stellte. Unveröffentlichter Brief (11. November 1905) von Jakob Wassermann an Hermann Hesse (Schweizerische Landesbibliothek Bern). Dieser Brief enthält auch einen kritischen Kommentar zu Hesses neuem Roman Unterm Rad. Wassermann lobt die «Kraft in dem Buche […] die Gelenkigkeit […] des Wortes, des Ausdrucks»; doch steckt ihm «noch zu viel Parteinahme drin». Interessant ist, daß Hesse dazu auch Bedenken hegte. So schrieb er im Mai 1907 an seinen Halbbruder Karl Isenberg: «Das Tendenziöse [in Unterm Rad] kam erst während der Ausführung, absichtslos und nur aus bitteren Erinnerungen erwachsen, hinein. Aber […] das war unnötig» (H. Hesse, Gesammelte Briefe, hrsg. von U. und V. Michels, 4 Bände, Frankfurt a. M. 1973ff., I, S. 139). Diese Briefausgabe wird fortan als GB bezeichnet. Vgl. Hermann Hesse. 1877/1977. Stationen seines Lebens, des Werkes und seiner Wirkung. Gedenkausstellung zum 100. Geburtstag im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar. Katalog, hrsg. von F. Pfäfflin, A. Bergold, V. Fuchs, B. Kramer, I. Kussmaul in Verbindung mit B. Zeller, München 1977, S. 142 und GB, I, S. 349.
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Es stellten sich zudem Kontakte mit Familienangehörigen Jakob Wassermanns her. Im Sommer 1924 bekam Hesse von der etwas überspannten ersten Frau Wassermanns (Julie), von der sich der Schriftsteller mittlerweile getrennt hatte, einen schwärmerischen, stellenweise recht verstiegen klingenden Brief15. Die Briefschreiberin glaubt sich erinnern zu können, daß sie Hesse zuletzt während eines Winterurlaubs zu Beginn des Jahres 1915 gesehen habe. Es sei kurz vor der Geburt ihrer nun neunjährigen Tochter Eva gewesen, mit der sie Hesse in Bälde einen Besuch abstatten möchte. Beim Anblick der engelhaften Kleinen würde ihm gewiss «das Herz […] lachen». Erwähnt wird auch ihr zwanzigjähriger Sohn Georg Wassermann, der seinerzeit Hesse seine Aufwartung machte und der den Dichter durch sein Klavierspiel (welches Julie Wassermann zum Schönsten ihres Lebens zählt) mit Wohlbehagen erfüllen soll. Ihr Brief schließt mit einer ihr unverkennbar gewichtigen Frage, ob Hesse ihr Buch, Jakob Wassermann und sein Werk (1923), das sie ihm hatte zukommen lassen, inzwischen gelesen habe. Hesses Interesse hielt sich offenbar in Grenzen; eine Rezension erschien nicht. Nach dem ersten Weltkrieg fühlte Wassermann sich bewogen, die Bekanntschaft mit Hesse durch einen Besuch bei ihm zu erneuern. Das geht aus seinerzeitigen Briefen hervor. Im Sommer 1920, nach Einleitung von aufreibenden Scheidungsverhandlungen, welche sich jahrelang hinziehen sollten, verließ Wassermann das ihn deprimierende, verarmte Nachkriegsösterreich und suchte vorübergehend Erholung in der Schweiz, wo ihn allerdings die hohen Preise verstimmten. Von Axenstein sandte er am 23. Juni – merklich bedrückt – ein Lebenszeichen an Hermann Hesse16. Sein Brief weist darauf hin, daß sich manches in seinem Leben gewandelt hat. Dieser Mitteilung folgt die nüchtern-lakonische Feststellung: «Ich habe viel durchgemacht […]». Er würde, heißt es, Hesse sehr gerne einen Besuch abstatten, müsse aber wegen der erheblichen Reisekosten davon absehen. Ihn begleite nämlich, so heißt es weiter, seine «Freundin und Lebensgefährtin» (es ist Marta Karlweis, seine zukünftige zweite Frau), die er «nicht gut allein lassen» könne. Ein Besuch bei Hesse ließ sich erst ein Jahr später, 1921, verwirklichen, als Wassermann nach einem Aufenthalt in Davos über Lugano nach Montagnola reiste17. Ihn begleitete abermals Marta Karlweis, die Hesse nun auch kennen lernte. Vor seiner Ankunft in Montagnola schrieb Wassermann von Davos-Dorf einen kurzen Brief18, in dem er Hesse den Erhalt einer Postkarte bestätigt und Genugtuung über diese Aussicht auf eine Zusammenkunft ausdrückt, die dann Gelegen15 16 17 18
Unveröffentlichter Brief (24. August 1924) von Julie Wassermann an Hermann Hesse (Schweizerische Landesbibliothek Bern). Unveröffentlichter Brief (23. Juni 1920) von Jakob Wassermann an Hermann Hesse (Schweizerische Landesbibliothek Bern). Vgl. M. Karlweis, Jakob Wassermann. Bild, Kampf und Werk, Amsterdam 1935, S.341. Unveröffentlichter Brief (18. August 1921) von Jakob Wassermann an Hermann Hesse. (Schweizerische Landesbibliothek Bern).
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heit biete, «sich über mancherlei gehörig auszusprechen […]». Nach dieser vertraulichen Aussprache in Montagnola sollte nahezu ein Jahrzehnt vergehen, bis die beiden Schriftsteller einander – während ihrer Winterurlaube Anfang der dreißiger Jahre – erneut zu Gesicht bekamen. Dennoch ging die Verbindung im Verlauf der zwanziger Jahre nicht verloren. Bemerkenswert ist, daß der meistens überarbeitete Wassermann Hesses 50. Geburtstag (2. Juli 1927) nicht vergaß und ihm von daheim in Altaussee (Steiermark) herzlich dazu gratulierte: «ich beglückwünsche uns, daß wir Sie haben und lieben dürfen»19. Der Geburtstagsbrief enthält auch Wassermanns knappe, besonnen-zwiespältige Reaktion auf den soeben erschienenen Steppenwolf: «Das Buch hat mich unablässig zwischen Verzweiflung (die auf das Zuständliche, das Objektive der Welt geht) und Bewunderung (die auf das Persönliche geht) hin- und hergestoßen»20. In den Jahren vor Wassermanns frühem Tod (1934) begegnete ihm Hesse noch mehrmals, und zwar im schneebedeckten Oberengadin, wo auch ein reizvolles, bekanntes Bild aufgenommen wurde, das Hesse mit Wassermann und Thomas Mann sportlich-warm gekleidet in einer hibernalen Gebirgslandschaft zeigt. Dank der finanziellen Beihilfe eines Freundes (Joseph Englert) konnte Hesse zusammen mit Ninon im Januar/Februar 1930, 1931 und 1932 luxuriös in Chantarella bei St. Moritz urlauben und dem Skilauf frönen. In dieser alpinen Winterlandschaft traf er Wassermann, der sich im selben Hotel aufhielt. Über die Begegnung im Jahre 1931 (bei der auch andere Größen des deutschen Literaturbetriebs zugegen waren) schrieb Hesse an einen Freund: «Im übrigen geht es äußerst nobel und literarisch hier zu, Verleger [Samuel] Fischer mit Familie, Thomas Mann mit Frau und Tochter, Wassermann mit Frau und Söhnlein sind in unsrem Hotel, zum Glück sind es lauter nette Menschen […]»21. Die hier erwähnte Gattin Wassermanns ist Marta Karlweis, die der Schriftsteller 1926, nach einer mühevoll erwirkten Scheidung von seiner ersten Frau, Julie, geheiratet hatte und die ihm bereits zwei Jahre vor der Eheschließung ein Kind geboren hatte. Das war Karl Ulrich (Uli) Wassermann, das besagte ‹Söhnlein›. Der Kleine, der bei der Begegnung mit Hesse im Engadin knapp sieben Jahre alt war, muß von dem Dichter nachhaltig beeindruckt worden sein. Das meinte jedenfalls die Mutter, als sie im Herbst 1931 von Altaussee an Hesse schrieb und ihm mitteilte, für ihn hege ihr kleiner Sohn «eine stille Liebe […] im Herzen»22. Einen starken Eindruck hinterließ wohl auch Marta, zumal auf Ninon, der die vormalige Freundin und nunmehrige Gattin Wassermanns während des Engadiner Aufenthalts Unterricht im Stricken erteilte. Daß sie sich wie ihr Ehe19 20 21 22
Brief (24. Juni 1927) von Jakob Wassermann an Hermann Hesse. Teilabdruck in Über Hermann Hesse, hrsg. von V, Michels. 2 Bände, Frankfurt a. M. 1976 f., I, S. 419. Ebd. GB, II, S. 271. Unveröffentlichter Brief (11. November 1931) von M. Wassermann-Karlweis an Hermann Hesse (Schweizerische Landesbibliothek Bern).
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mann schriftstellerisch betätigte, konnte ihr Ansehen nur erhöhen23. Zwei Jahre nach Wassermanns Tod machte Hesses Gattin sich die Mühe, in Zürich einen Vortrag von Marta Wassermann-Karlweis zu besuchen. Ninon fand ihn «glänzend» und schrieb an Hesse: «was für ein Charme hat diese Frau – mich fasziniert sie!»24. 1933, als Wassermann seinen sechzigsten Geburtstag feierte und der Verleger Samuel Fischer seinem Autor im März (inmitten der bedrückenden Umsturzereignisse in Deutschland) mit einer Nummer der «Neuen Rundschau» huldigte, ergriff Hesse den Anlass, dem Schriftstellerkollegen zusammen mit Heinrich Mann, Stefan Zweig und Alfred Döblin in diesem führenden literarischen Blatt Anerkennung zu zollen. Daß er dabei seine Vorbehalte gegen Wassermanns Dichtkunst nicht verschwieg, sollte freilich nicht außer Acht gelassen werden; denn für rückhaltlose Beweihräucherung war er kaum zu haben. Hieraus erklärt sich ein zunächst etwas befremdend wirkender Satz, der in Hesses im Märzheft der «Neuen Rundschau» (1933) abgedruckten Beglückwünschung Wassermanns zu finden ist: «Vieles in Ihrer Art ist der meinen gerade entgegensetzt, und manchmal empfand ich Sie, bei aller Hochschätzung, fremd und beinah feindlich, ähnlich wie ich Balzac oft empfand»25. Das besagt lediglich, daß Hesse bei aller bewussten Andersartigkeit seines Wesens und Werkes dem Kollegen seine aufrichtige Bewunderung nicht versagen kann. Was aber an diesem offenen Brief, der so kurz nach dem Machtantritt Hitlers in Deutschland im Druck erschien, deutlich in die Augen springt, ist die den rasch aufrückenden, antisemitischen Nationalsozialisten sicherlich unbequeme Würdigung von Wassermanns jüdischer Herkunft und Verwurzelung neben der Wertschätzung der hier sichtlich ertragreichen deutsch-jüdischen Symbiose. Hesse beginnt mit einem lobenden Hinweis auf ein beachtliches Frühwerk Wassermanns und hebt zum Schluß Menschenliebe und Moral des ruhelos ringenden Künstlers hervor: Ich habe in meinen jungen Jahren Ihre Juden von Zirndorf geliebt und habe seither oft wieder in Ihren Dichtungen jenen Klang wiedergefunden, der mich damals gewann: einen Klang von Ballade und von Altem Testament, eine Verschwisterung von Deutschtum und von Judentum […] Und jedes Mal, wenn […] Ihr Werk wieder zu mir sprach, war es die Gesinnung, die […] Sie mir lieb machte, die Gesinnung gegen die Menschen, als Humanität, und die Gesinnung gegen Ihre Arbeit und Ihr Handwerk, als Moral des Künstlers26.
Das (eingangs schon erwähnte) zwiespältige Verhältnis zu Wassermann, das in dem offenen Glückwunschbrief zum sechzigsten Geburtstag wohl angedeutet, aber – verständlicherweise – nicht sonderlich betont wird, tritt in privaten Äußerungen Hesses, zumal im Briefwechsel innerhalb des Bekanntenkreises, deutlicher zutage. 23 24 25 26
Hermann Hesse hatte 1930 in der Zeitschrift «Bücherwurm» auf Marta Karlweis’ Buch Ein österreichischer Don Juan hingewiesen. Vgl. SW, 19, S. 176. Ninon Hesse, Lieber, lieber Vogel. Briefe an Hermann Hesse, ausgewählt, erläutert und mit einem Essay eingeleitet von Gisela Kleine, Frankfurt am Main 2000, S. 364–365. H. Hesse, Für Jakob Wassermann, in «Die neue Rundschau», XLIV (1933), S. 360. Ebd.
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Obgleich er Wassermann «als Menschen recht gern»27 habe, schätze er an dessen «Werk weit mehr die charakterhaften, moralischen Qualitäten, die Gewissenhaftigkeit seiner Arbeit als das eigentlich Dichterische»28. Das war Hesses kritische Einstellung in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren, als Wassermanns Ruhm seinen Höhepunkt erreicht hatte. Anders als in diesen brieflich zusammengefassten, rückblickenden Pauschalurteilen äußerte sich der junge Hesse nahezu drei Jahrzehnte zuvor. Zu berücksichtigen ist hier seine langjährige Tätigkeit als Rezensent, die schon um die Jahrhundertwende einsetzte. So ließ er im Dezember 1904 in der «Münchner Zeitung» eine Besprechung erscheinen, in der er auf Wassermanns Werke mehr im Einzelnen einging. Gerügt wird da «die Urteilslosigkeit der Menge», der Hesse den Erfolg von Wassermanns Geschichte der jungen Renate Fuchs (1901), «einem etwas konfusen Frauenroman», zuschreibt, während Die Juden von Zirndorf (1897), ein Buch, das «die Renate Fuchs dreimal aufwiegt»29, wenig Beachtung gefunden hat. Mit Zustimmung werden daneben (allerdings ohne Titelangabe) «einige sehr raffiniert gearbeitete Novellen»30 zur Kenntnis genommen. Dagegen wird Der Moloch (1903), ein Roman, von dem Wassermann selbst nicht viel hielt31, als Flop abgeschrieben. Hesses Hauptaugenmerk gilt jedoch dem jüngsten Werk seines Kollegen, dem historischen (dekadenznahen) Roman Alexander in Babylon, welchem eine ausführliche, ausgewogene Kritik zuteil wird. Indem Hesse den neuen Roman mit dem historischen Vorspiel der Juden von Zirndorf in Beziehung setzt, erkennt und veranschaulicht er, daß Alexander, der Titelheld, «nur scheinbar, nur äußerlich das Ganze des Romans» beherrscht, worin «grob gesagt, der Fehler des Buches»32 liegt. Doch das soll den Leser nicht abschrecken. Auf der Suche nach dem Wert dieser Dichtung gelangt Hesse treffsicher zu der Erkenntnis: Held und Inhalt [des] Romans ist eigentlich die Stadt Babylon, die Stadt der Überreife, des Glanzes, der Kunst, der Sünde. Sie wird zum Sinnbild und Träger des alten Orients […] Aus diesem Babylon, das in Mord und Wollust sich verzehrt, blicken angstvoll suchende Augen, verirren sich beklommene Seelen in die Rätsel des Seins, dessen Wert und dessen Nichtigkeit unentschieden auf zitternden Waagschalen schwanken. Da klingen ein paar Mal, aus der prachtliebenden, etwas übersättigten Sprache des Ganzen heraus, zitternd bange Töne auf, die kein Formkünstler imitieren kann, und ihretwegen nimmt man das Ganze ernst, und durch sie wird die ganze satte, prunkhafte Darstellung gerechtfertigt33. 27
28 29 30 31 32 33
GB, II, S. 237. Vgl. auch Hermann Hesse, Briefwechsel mit Heinrich Wiegand 1924–1934, hrsg. von K. Pezold, Berlin-Weimar 1978, S. 192 und H. Wiegand, Tagebuchnotizen 1928– 1930 in Hermann Hesse in Augenzeugenberichten, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a. M. 1987, S. 137. GB, II, S. 391. SW, 16, S. 147. Ebd. Vgl. R. Koester, Jakob Wassermann, Berlin 1996, S. 26. SW, 16, S. 147. Ebd., S. 148–149.
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Diese glanzvolle Rezension, die dem Münchner Publikum Wassermanns Frühwerke, ihre Schwächen und ihre Stärken, so einsichtig und anschaulich vor Augen führte, blieb ohne Nachfolge. Die in den Folgejahren veröffentlichten, mit Caspar Hauser (1908) beginnenden Hauptwerke des Autors, die ihm seinen Ruhm eintrugen, wurden von Hesse nicht besprochen. Wohl würdigte er in einem Brief aus dem Jahre 1922 – allerdings nur peripher – das literarische Denkmal, das Wassermann dem großen Juristen Feuerbach in Caspar Hauser setzte34. Hinzu kam – in der «Neuen Rundschau» (1925) – ein knappes Lob für ein Nachwort, das Wassermann zu einer Neuausgabe von Karl Immermanns Münchhausen schrieb35. Doch die zahlreichen Bestseller seines Kollegen boten Hesse keinen Anreiz zu weiteren Rezensionen. Das bedeutet indessen nicht, daß ihm die Werke des späten Wassermann insgesamt missfielen. Hohe Anerkennung fanden nämlich zwei Spätwerke, Christoph Columbus, der Don Quichote des Ozeans: Ein Porträt (1929) und Bula Matari: Das Leben Stanleys (1932), wohl weil in diesen Biographien das «eigentlich Dichterische», das Hesse an Wassermanns Œuvre nicht sonderlich schätzte, dem Authentischen und Historischen (obschon in subjektiver Deutung) weitgehend zu weichen hatte. Hesse muß das Columbus-Buch kurz nach seinem Erscheinen gelesen haben, denn er drückte sein Gefallen daran schon Anfang 1930 in einem Brief an eine Bekannte aus36. Ähnlich äußerte er sich in einem Brief (1933) an Gottfried Bermann Fischer, Samuel Fischers Schwiegersohn, nachdem Wassermann mit Bula Matari, der Lebensbeschreibung des britischen Journalisten und Afrikareisenden Henry Morton Stanley, erneut als Biograph an die Öffentlichkeit getreten war. Hesse schrieb: «Wassermanns Stanley hat mir gefallen, hier und im Columbus ist er mir nicht bloß genießbar, sondern herzlich sympathisch»37. Es ist möglich, daß er sich angesprochen fühlte durch «die sprachliche Schlankheit der Stanley-Biographie, die sich» (laut einer rühmenden Kritik) «wohltuend von den Romanen Wassermanns abhebe»38. Immerhin fühlte Hesse sich bewogen, sein Vergnügen an der Lektüre dem Autor mitzuteilen. Der mittlerweile sterbenskranke Wassermann, der sich vorübergehend zur ärztlichen Behandlung in Zürich aufhielt, antwortete dankerfüllt am 19. Januar 1933: «Daß Sie den Stanley goutieren, freut mich aufrichtig. Das Buch wird viel missverstanden, vielleicht weil es […] zu einfach ist»39. Knapp ein Jahr später war Wassermann tot. 34 35 36 37 38 39
Vgl. GB, II, S. 36. Vgl. SW, 18, S. 559. Vgl. GB, II, S. 237. Gottfried Bermann Fischer und Brigitte Bermann Fischer, Briefwechsel mit Autoren, hrsg. von R. Stach, Frankfurt a. M. 1990, S. 152. M. Neubauer, Jakob Wassermann. Ein Schriftsteller im Urteil seiner Zeitgenossen, Frankfurt a. M. 1994, S. 174. Unveröffentlichter Brief (19. Januar 1933) von Jakob Wassermann an Hermann Hesse (Schweizerische Landesbibliothek Bern).
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Nach seinem Hinschied gab es hin und wieder noch Kontakte mit der geschiedenen ersten und verwitweten zweiten Frau des Verstorbenen. So erhielt Hesse Anfang 1937 von Marta Wassermann-Karlweis, die seinerzeit in der Schweiz Fuß zu fassen suchte, einen Brief40, in dem sie sich bei ihm für eine Geschenksendung von allerlei Lektüre bedankt und in dem sie ihn zugleich um einen Gefallen bittet. Sie brauche dringend den einen oder anderen Gedichtband von ihm, denn Radio Zürich habe sie eingeladen über ihn zu sprechen, und in ihrem Vortrag gedenke sie diesmal hauptsächlich seiner Poesie Beachtung zu schenken. Gut zwei Jahre später, abermals nach einer Geschenksendung, erreichte ihn wieder ein Dankbrief, nunmehr aus Nordamerika. Marta Wassermann-Karlweis, inzwischen nach Kanada verschlagen und an Heimweh leidend, schrieb ihm im Sommer 193941, nicht nur um Hesse ihren Dank für die Zusendung von hochwillkommener deutscher Lektüre auszusprechen, sondern auch um ihm ihre neue Lebenslage und ihre Eindrücke vom neuen Land zu schildern. Drei beigelegte Fotos machen deutlich, daß sie nun beengt in ärmlichen Verhältnissen lebt. Sie bewohnt ein winziges zweizimmeriges Haus ohne elektrisches Licht, ohne fließendes Wasser. Von der ersten Frau Wassermann, die sich in Zürich niedergelassen hatte, bekam Hesse Anfang 1941, nachdem er ihr eins seiner Bücher zugesandt hatte, einen Dankbrief42. Darin gibt sie kurz Nachricht über ihre beiden Söhne, Albert und Georg Wassermann. Doch vornehmlich gefällt Julie sich in der Rolle der Ratgeberin, die Hesses Augenschmerzen durch eine (langatmig beschriebene) Diätkur zu lindern weiß. Zudem erbietet sie sich, ihm einen Tee gegen Harnsäure zu schicken. Neben Hesses postalischem Kontakt mit den beiden Frauen bleibt zu erwähnen, daß Wassermann schließlich – postum und auf Umwegen – seinem Schriftstellerkollegen doch noch eine Rezension «abzugewinnen» vermochte. Mitte der unheilvollen dreißiger Jahre hatte Hesse begonnen, die schwedische Zeitschrift Bonniers «Litterära Magasin» mit Literaturberichten über neue Bücher zu beliefern. Da er darin auch Schrifttum empfahl, das im Dritten Reich aufgrund seiner rassistischen Politik streng verpönt war, sah er sich bald heftigen Angriffen in der reichsdeutschen Presse ausgesetzt. Gehässig beschimpft wurde Hesse bereits im November 1935 in der von Will Vesper herausgegebenen Zeitschrift «Die neue Literatur». Da hieß es: «Der deutsche Dichter Hermann Hesse übernimmt die volksverräterische Rolle der jüdischen Kritik von gestern. Den Juden und Kulturbolschewiken zuliebe hilft er im Auslande falsche, sein Vaterland schädigende Vorstellungen verbreiten. 40 41 42
Unveröffentlichter Brief (29. Januar 1937) von Marta Wassermann-Karlweis an Hermann Hesse (Schweizerische Landesbibliothek Bern). Unveröffentlichter Brief (12. August 1939) von Marta Wassermann-Karlweis an Hermann Hesse (Schweizerische Landesbibliothek Bern). Unveröffentlichter Brief (29. Januar 1941) von Julie Wassermann an Hermann Hesse (Schweizerische Landesbibliothek Bern).
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[…] wenn er als Berichterstatter zu anderen Völkern spricht, so hat er zu seinem Volk zu stehen. […] Kann er […] dabei nicht helfen, so schweige er wenigstens […]»43. Doch den Mund verbieten ließ Hesse sich nicht. Als Marta WassermannKarlweis 1935 in einem Amsterdamer Exilverlag (Querido) ihre Biographie Jakob Wassermann: Bild, Kampf und Werk erscheinen ließ, war gleich im Folgejahr in der schwedischen Zeitschrift eine lobende Rezension von Hermann Hesse zu lesen. Hier errichtete er – aller nazistischen politischen Korrektheit zum Trotz – dem verstorbenen Kollegen Wassermann und dessen Witwe ein kleines, gemeinsames Denkmal. Für Hesse ist ihr Buch «mehr als nur der Nachruf einer Liebenden, es ist eine Darstellung und Analyse von Wassermanns geistiger Lebenslinie, ein hellsichtiger Überblick über seine Entwicklung. […] So sehen wir den Kampf des erfolgreichen Romanciers, der sein Leben lang zwischen zwei Widersprüchen ringend unterwegs war: dem Widerspruch zwischen Deutsch und Jüdisch und dem anderen Widerspruch zwischen dem gestaltungsfreudigen, in Bildern schwelgenden Künstler und dem verantwortlichen, vom Elend der Menschheit tief angerührten Frommen, dem Menschenbruder und Mitleidenden. Niemand anders hätte den Dichter und sein Schicksal so verstehen und darstellen können»44.
43 44
Zitiert nach H. Hesse, Politik des Gewissens. Die politischen Schriften, hrsg. von V. Michels, 2 Bände, Frankfurt a. M. 1977, II, S. 551. H. Hesse, Neue deutsche Bücher. Literaturberichte für Bonniers Litterära Magasin 1935–1936, hrsg. von B. Zeller, Marbach am Neckar 1965, S. 89.
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Literatur, Tiefenpsychologie, Sublimierung zwischen Jung, Freud und Hesse Literatur und Tiefenpsychologie haben viele gemeinsame Aspekte: Etwa die Spannung bei der Suche nach dem Sinn, die unaufhörliche Frage nach der Identität, eine Offenheit gegenüber der Gemeinschaft und der Gesellschaft, aber und vor allem, innerhalb einer radikalen Zugehörigkeit zum Humanismus, eine bewußte Erforschung der Spaltbarkeit. Lange vor jeder Forschung über das Doppel-Ich und den Doppelgänger, und lange vor Dostojewskij, tritt im Amphitruo von Titus Maccus Plautus Sosia auf, der Sklave Amphitryons, ein lebendiger, echter und selbstständiger Charakter zwischen Krieg und Liebe, dessen Gestalt von Merkur angenommen wird, um Zeus dazu zu verhelfen, die Nacht mit Alkmena zu verbringen, bevor ihr Gatte Amphitryon, der sich nach seiner Frau sehnt, aus dem Krieg gegen di Teleboi heimkehrt. Ubi maior, minor cessat…Gegen Ende des 19. Jahrhunderts lenken die Tiefenpsychologie und die dynamische Psychiatrie, insbesondere Bernheim, Charcot, Binet und Janet, die Aufmerksamkeit auf geistige Krankheiten, welche die psychoanalytische Behandlung der Hysterie einleitet. In Folge der Studien über Hysterie von J. Breuer und S. Freud, selbst die noch im Bereich der organischen Psychiatrie durchgeführt wurden, wird die Behandlung von hysterischen Frauen von einer allmählichen Aufgabe der Technik, in der die Hände auf die Stirn gelegt werden, verzeichnet und wird stattdessen ein antikes medizinisches und kulturelles Mittel wiederhergestellt, nämlich der Dialog. S. Freud und C.G. Jung gründen, gemeinsam und selbstständig, eine eigene Theorie und ein eigenes therapeutisches Verfahren auf Zuhören und Interpretation, wobei sie sich wohl bewußt sind, daß bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. Artemidoro von Daldi einen Aufsatz mit dem Titel Ονειροκριτικα verfaßt hatte. Freud geht außerdem tiefer auf semantische Fragen ein, wie z.B. auf die gegensätzliche Bedeutung der in der Frühzeit entstandenen Wörter und die Verwendung von Vokalen in primitiven Wörtern. Drei Jahrzehnte lang widmet er sich dem Thema der Identität Moses’ und zieht dazu Studien über Ägyptologie und das Meisterwerk von Michelangelo heran. Der Ausgangspunkt Jungs dagegen sind experimentelle Studien über Assoziationen, die in der Abteilung für Psychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, Burghölzli, durchgeführt wurden. Danach stürzt er sich in Studien über den Symbolismus in der Literatur, der Anthropologie, der Geschichte der
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Religionen und der Kunstgeschichte (Symbole der Wandlungen, GW, 5). Freud und Jung zeichnen sich durch ein ausgeprägtes Interesse an der Literatur aus. So entsteht der Freudsche Aufsatz Vergänglichkeit nach seinem Spaziergang mit Rainer Maria Rilke und Lou Andreas-Salomé in einer vom 1. Weltkrieg verwüsteten Landschaft. Sophokles, Virgilio, Cervantes, Shakespeare gehören zu Freuds Bibliothek – die Kirchenväter, Goethe, Broch zu der Jungs. Auch Descartes, Leibniz, Nietzsche und Burckhardt sind Teil der Buchbestände. Die Liebe der Tiefenpsychologie zur Literatur hat ihren Ursprung in der Bewunderung für die literarische Schöpfung und sieht dabei von biographischen Aspekten, ja selbst vom Inhalt ab. Die Literatur erleuchtet die dunkelsten Wege der menschlichen Gefühle. Und die Literaten, wie die Künstler an sich, nehmen durch ihre Erfindungsgabe die zukünftige Form der Gefühle ganzer Völker vorweg. Ja, der Literat ist das Subjekt, das mit seinem Text zukünftiges Gedankengut antizipiert. Dies vorausgeschickt soll aber betont werden, daß der Text selbst, das Werk, keinen nachgeordneten Status hat, auch wenn der Text etwas anderes als der einzelne Mensch ist. Der Text selbst läßt, unabhängig von der literarischen Gattung, der er angehört, archaische wie auch auf Neues gerichtete Motive anklingen. Allerdings muß man sich auch die Frage stellen, auf die hier nur kurz eingegangen werden kann, warum die neugeborene Psychoanalyse nur die Klassiker und die Großen mochte und nicht auch die Avantgarde des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts im Blickfeld hatte, sieht man von der Kontaktaufnahme Freuds zum Surrealisten Bréton einmal ab. So viel zu den Überzeugungen der Pioniere der Psychoanalyse. Zum Abschluß dieser Einleitung möchte ich noch darauf hinweisen, daß Freud und Rilke sowie Freud und Jung und Beckett persönlich miteinander bekannt waren. Ein ähnlicher Kontakt hatte sich auch zwischen Hermann Hesse und Jung ergeben. Diesem möchte ich hier Raum geben und den Inhalt eines interessanten Briefwechsels zwischen den beiden aufzeigen, der einen Austausch voll von Intuition, Übereinstimmungen aber auch Unstimmigkeiten ist, was die Themen Literatur, das Unbewußte, Autorenidentität und Personencharakterisierung angeht. Vor allem aber geht es darin um die Umstände, unter denen literarisches Schaffen entsteht, und um die Sublimierung, also um jenen komplexen Prozeß, der für die Behandlung der Psyche und für die Entstehung der Kultur gleichermaßen entscheidend ist. Diesem Prozeß haben sowohl Hesse als auch Jung besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Alles beginnt mit einem Brief vom 3.12.1919, den C.G. Jung an Hermann Hesse schreibt und in dessen ersten Zeilen eine freundliche Danksagung für den Demian enthalten ist, der als «ebenso meisterhaft wie wahrhaft» beschrieben wird. Jung weiß darin die wahre Identität von Hesse/Autor, die sich hinter Emil Sinclair verbirgt, zu enthüllen: Es ist sehr unbescheiden und aufdringlich von mir, daß ich Ihr Pseudonym durchbreche, aber ich hatte, als ich das Buch las, das Gefühl es müsse irgendwie über Luzern gegangen sein.
Literatur, Tiefenpsychologie, Sublimierung zwischen Jung, Freud und Hesse In den Sinclairskizzen der NZZ (in der «Neuen Zürcher Zeitung», den 4.8.1918, den 6.8.1918, den 20.5.1919 erschienenen Der Europäer, eine Fabel und Aus dem Jahre 1925, von Emil Sinclair) habe ich allerdings Sie nicht erkannt, habe ich mich aber stets gewundert, was der Sinclair für ein Mensch sein müsse, da mir seine Psychologie merkwürdig auffiel.1
In Luzern wohnte und arbeitete in Wirklichkeit Dr. Joseph B. Lang, ein Schüler von Jung, bei dem Hesse sich zwischen 1916 und 1917 einer Psychotherapie von circa 70 Sitzungen unterzog. Der Hesse-Roman Demian. Die Geschichte einer Jugend erschien 1919 zuerst in der «Neuen Rundschau», dann für den Fischer Verlag eben unter diesem Pseudonym Emil Sinclair. Erst ein Jahr später gab sich Hesse als Autor preis. (Das Pseudonym ging auf Isaak von Sinclair, 1775–1815, den Freund von Hölderlin zurück). Jung fährt im Briefwechsel einen Vertrauensvorschuß gebend damit fort, seinen eigenen Gemütszustand und sein eigenes Leben zum Zeitpunkt der Demian-Lektüre zu beschreiben, wobei er sich eine hermeneutische Ausschweifung erlaubt, die zum Nachdenken anregen sollte. Er legt ein Bekenntnis ab: Hesses Buch habe für ihn in seiner Verwirrung und seinem Verlorenheitsgefühl die Funktion eines Leuchtturms in der stürmenden Nacht gehabt. Daneben stellt er den hermeneutischen Versuch: Ein gutes Buch muß wie ein richtiges Menschenleben ein Ende haben: Ihr Buch hat ein bestmögliches Ende, nämlich da, wo Alles Vorausgegangene auch wirklich ein Ende hat, und wo Alles das wiederum beginnt, womit das Buch begonnen hat, nämlich mit der Geburt und dem Aufwachen des Neuen Menschen. Die Große Mutter ist schwanger geworden durch die Einsamkeit des Suchenden. Sie hat (in der Granatexplosion) den alten Menschen in den Tod geboren und dem Neuen die ewige Monade, das Mysterium der Individualität, eingepflanzt. Und wie der erneuerte Mensch wieder erscheint, so erscheint auch die Mutter wieder in einem Weib auf dieser Erde.2
Jung stellt hier eine Überlegung auf zwei Ebenen an: Auf der einen Seite berücksichtigt er seinen eigenen biografischen Werdegang und seinen persönlichen Ausweg aus der Depression, in der er sich befand, seitdem er sich in seine ehemalige Patientin Sabine Spielrein verliebt hatte, andererseits thematisiert er die Loslösung von Freud. Mit der Veröffentlichung von Symbole der Wandlungen im Jahr 1912, der Bekanntschaft mit Toni Wolff, zuerst Patientin, dann Geliebte Jungs und der Entstehung der Septem Sermones ad Mortuos im Jahr 1916, also im selben Jahr, in dem er Hermann Hesses persönliche Bekanntschaft macht, lebt Jung persönlich die Spaltung und Wiederherstellung der Persönlichkeit, der er sich bei der Behandlung von psychotischen Patienten seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts hatte nähern können. Hesse, der im Demian die Fähigkeit unter Beweis gestellt hatte, die innere und äußere Welt, den üblen Gärungsprozess des Ersten Weltkrieges, wie auch die 1 2
C.G. Jung, Briefe, Walter Verlag, Olten 1972, Bd. III, S. 221. Ebd.
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Notwendigkeit der individuellen und kollektiven Erneuerung erfassen zu können, wußte darin auch die Vielschichtigkeit des einzelnen Individuums darzustellen, von der Sinclair-Hölderlin, Gute und Böse, Eva – Mutter und Geliebte, Zeugnis ablegen. Hier möchte ich jedoch die Aufmerksamkeit des Lesers auf eine Seite des Romans lenken, nämlich auf den Beginn des fünften Kapitels, das mit ‹Der Vogel kämpft sich aus dem Ei› überschrieben ist: Mein gemalter Traumvogel war unterwegs und suchte meinen Freund. Auf die wunderlichste Weise kam mir eine Antwort. In meiner Schulklasse, am meinem Platz, fand ich einst nach der Pause zwischen zwei Lektionen einen Zettel in meinem Buche stecken. Er war genau so gefaltet, wie es bei uns üblich war, wenn Klassengenossen zuweilen während einer Lektion heimlich einander Billets zukommen ließen. Mich wunderte nur, wer mir solch einen Zettel zuschickte, denn ich stand mit keinem Mitschüler je in solchem Verkehr. Ich dachte, es werde die Aufforderung zu irgendeinem Schülerspaß sein, an dem ich doch nicht teilnehmen würde, und legte den Zettel ungelesen vorn in meinem Buch. Erst während der Lektion fiel er mir zufällig wieder in die Hand. Ich spielte mit dem Papier, entfaltete es gedankenlos und fand einige Worte darin geschrieben. Ich warf einen Blick darauf, blieb an einem Wort hängen, erschrak und las, während mein Herz sich vor Schicksal wie in großer Kälte zusammenzog: Der Vogel kämpft sich aus dem Ei. Das Ei ist die Welt. Wer geboren werden will, muß eine Welt zerstören. Der Vogel fliegt zu Gott. Der Gott heißt Abraxas.
Ein Name, der Sinclair unbekannt war. Ein Vertretungslehrer, Dr. Follen, lüftete das Geheimnis wenig später. Bei Herodot war Abraxas der Gott, dem es zustand, das Göttliche mit dem Symbolischen zu vereinigen! Als Bruder des ägyptischen Mithra, verwies Abraxas, eine gnostische Gottheit, auf die 365 Tage im Jahr in Richtung Ewigkeit. Außerdem, so erinnert M. Dahrendorf in H. Hesses Demian und C.G. Jung, verwies das Wort Abraxas mit seinen 7 Buchstaben auf die 7 Himmel der Gnostiker und die 7 Planeten3. Hier ist ein Hinweis auf ein kleines Werk von Jung nötig, das zwischen 1913 und 1917 verfaßt wurde, die Septem Sermones ad Mortuos, die nach langem Zögern in Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung aufgenommen wurden4. Jung identifiziert sich darin mit Basilides, einem gnostischen Autor aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. und zitiert den Namen Abraxas, was bedeuten soll höher als Gott und der Teufel, irreale Realität, undefiniert, Kreatur die sich vom Nichts unterscheidet oder all das, was Pleroma, Kraft, Dauer, Veränderung ist. Das Motiv der Granatexplosion ist ein Topos, der in der Literatur des 20. Jahrhunderts und dort spezifisch mit der extremen Entwicklung des Tragischen im Roman verknüpft werden muß. In La coscienza di Zeno wird zum Beispiel ein Universalsprengkörper vorgesehen, das Äquivalent einer Bombe. 3 4
M. Dahrendorf, H. Hesses Demian und C.G. Jung, in «Germanisch-Romanische Monatsschrift», VIII (1958), S. 192. C.G. Jung, Erinnerungen, Träume, Gedanken, hrsg. von A. Jaffè, Rascher Verlag, Zürich 1961.
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Hier möchte ich aber das Thema von Abraxas unter dem Blickwinkel der Beziehung zwischen Hesse und Jung aufgreifen, da in dieser meiner Meinung nach die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des vorweggenommenen Gedankens deutlich wird, der für das System Jungs und die Utopie Hesses so kennzeichnend ist. Jung schreibt: Von Demian wüßte ich Ihnen noch ein kleines Geheimnis zu erzählen, dessen Zeuge Sie geworden sind, dessen Sinn Sie aber dem Leser und vielleicht auch Ihnen selbst vorenthalten haben. Ich könnte Ihnen darüber sehr befriedigenden Aufschluß erteilen, da ich mit Demian schon längst gut befreundet bin und er mich jüngst in seine besonderen Angelegenheiten eingeweiht hat – unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit. Immerhin werden Sie die Anspielung im Laufe der Jahre merkwürdig bestätigt finden.5
Es ist nicht einfach, die Grenzen dieser Aussage Jungs mit Sicherheit zu bestimmen, die ja als Mutmaßung vorgebracht wird, jedoch die starke Anspielung dessen ist, der von sich behauptet, den entscheidenden erklärenden Schlüssel zu besitzen, den der andere bereits in sich trägt oder den er sich erst mit Umsicht aneignen muß. Hier wird aber eine Tatsache augenfällig: Jung bewundert Hesses Authentizität und dessen Treue zur Tiefenpsychologie, und da er fest vorhat, den Demian in die Bibliothek des Psychologischen Clubs aufzunehmen, sendet er Hesse ein Exemplar der Septem sermones ad mortuos, das seit circa drei Jahren nur in privater Form unter wenigen Auserwählten zirkuliert. Die Gnosis – eine östliche und westliche Strömungen auf sich vereinigende religiöse Lehre antiker Herkunft und philosophische Wiederaufarbeitung religiöser Instanzen –, die Neigung zur kreativen Introversion, die innere Notwendigkeit, der Spaltung Einhalt zu gebieten, münden damit in den Vorschlag Jungs ein, die Wahlverwandtschaft zweier Personen, die in einen schmerzlichen und kreativen Prozeß verstrickt sind, anzuerkennen und zu festigen. Indem er Hesse dieses Siegel einer mit Esoterik erfüllten Auseinandersetzung zukommen ließ, vertraute er ihm ein an das eigene Geschick geknüpftes Mandala an. Das Mandala, ein Kreis- oder Vieleckbild, das auf das christliche Mittelalter zurückgeht, aber auch in östlichen Kulturen vorkommt, verspricht das Erreichen eines Gleichgewichts anstelle eines erschütternden Sturms. Jenes Mandala sollte dann auf der Titelseite des 9. Bandes, Teil 1, der Gesammelten Werke erscheinen, die dem kollektiven Unbewußten gewidmet sind. In der anfänglichen neuen Unabhängigkeit von Freud in beruflicher und menschlicher Hinsicht und in der bereits erwähnten Nähe zu Rilke und Andreas-Salomé schloß Jung mit Hesse einen Bund und nahm diesem gegenüber die Position des gleichaltrigen Analytikers ein (Jung ist am 25. Juli 1875 in Kesswil geboren), der sich bereits auf dem Weg zum internationalen Ruhm befindet. Jung hatte zu dieser Zeit schon circa zehn Jahre psychiatrische und analytische Praxis hinter sich und verlieh 1914 seiner Heilmethode und seiner Theorie den Namen 5
C.G. Jung, Briefe, a.a.O., Bd. I, S. 221–222.
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Analytische Psychologie, um sie dadurch von Freuds Psychoanalyse zu unterscheiden. Der von 1906 bis 1913 mit Freud stattgefundene intensive Briefwechsel stellt dennoch einen objektiven Wert im Rahmen der Geschichte der Tiefenpsychologie (McGuire, Ellenberger) dar. Zwischen Natur und Geschichte konfiguriert sich dennoch unzweifelhaft, bei Hesse so wie bei Jung, die Subjektivität, die klar und deutlich jeden einzelnen dazu drängt, den Monolog dem Dialog vorzuziehen. Anders ausgedrückt, der Dialog wird schrittweise zur Suche nach einem Maß für das Sprechen zu sich selbst ohne Maske. Die Monologstruktur, die M. Blanchot, R. Barthes und Ferruccio Masini analysiert haben, wird vom letzteren als «Erfahrung, die zum Monolog wird», als «Musik der Ideen»6 verstanden. Hesse selbst betrachtete seine Prosawerke nicht als Romane, sondern als ‚Monologe‘, in denen die einzelne mythische Figur, Peter Camenzind, Knulp, Demian, Siddharta, Harry Haller, in ihrer Beziehung zwischen dem Ich und der Welt erleuchtet wird. (Man sollte dabei erwähnen, daß ein sehr bedeutendes Werk von Jung aus dem Jahr 1916 den Titel Die Beziehung zwischen dem Ich und dem Unbewußten trägt.) In diesem Rahmen weist Ferruccio Masini zu Recht darauf hin, daß sich Hesses sehr kontrollierte Ausdrucksverschiebung «nicht so markant in der Auflösung der Schreibverfahren, sondern eher in der Auflösung und in den unendlichen Varianten dieses Themas artikuliert»7. Wanderung und Wandlung verknüpfen sich. Die Wege zur Innerlichkeit und zur ‹Mutter› bestehen nebeneinander. Weder Calw noch später Montagnola können vollständig die Rolle des Vaterlands übernehmen. Wie die Hauptfigur des gleichnamigen Romans strahlt Goldmunds Blick vor Lydia das seltsame Licht des heimatlosen Mannes aus, wie es der Hesses tut. Eine Lage, die Freud in seinem Aufsatz Das Unheimliche zwanzig Jahre nach der Traumdeutung gut aufzeigt und die Jung seit seinem Anfangswerk Psychologie und Pathologie sogenannter okkulter Phänomene bei den Patienten und in seinen eigenen psychischen Seelenqualen untersucht, bis er Trost in der Gnosis findet, die im Westen und im Osten, zwischen Philosophie und Religion das Göttliche im Menschen erforscht und versucht, das Unbekannte zu umschreiben. Unterdessen scheinen das Motiv des Doppelgängers und das Motiv der initiierenden Erkenntnis Hesse und Jung in einer Wahlverwandtschaft des Denkens zu verbinden, die in erster Linie humanistisch geprägt ist, diese humanistische Prägung aber überschreitet und die Grenzen des der Natur und dem Menschen innewohnenden Mysteriums berührt. Der Mensch, sagt Hesse in Besinnung, habe einen qualvollen Weg wie kein anderer: Sünde und Tod [sind] seine Speise. Und Hesses Prosa, eine zweistimmige Melodie, strebt immer über die Worte, den Körper, das 6 7
F. Masini, Introduzione, in H. Hesse, Altri romanzi e poesie, hrsg. von F. Masini, Mailand 1981, S. XIII. Ebd. S. XV.
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Wirkliche hinaus zur ‹Mutter› hin, Ursprung und letztes Ziel, das bei Bachofen die Gegensätze auflöst. Innerhalb dieser Grenzen entsteht und festigt sich der Bund zwischen Hesse und Jung. Am 28.1.1922 schreibt Jung an Hesse: «Empfangen Sie meinen herzlichsten Dank für Ihre schönen Gedichte, zu deren Ausgabe ich Ihnen noch zugleich gratulieren möchte»8. Der Brief endete nach einigen autobiographischen Überlegungen mit den besten Wünschen, sich in der Sonne Montagnolas zu erholen und einer interessanten Aussage: «Ihre Gedichte sind übrigens für einen wie mich, der nie Gedichte liest, schlechthin schön». Es handelt sich dabei um Ausgewählte Gedichte, eine Auswahl aus Romantische Lieder, Gedichte, Unterwegs, Musik des Einsamen und Wanderung. Die Behauptung, selten Gedichte zu lesen, wird jedoch in den darauffolgenden fünf Jahren durch die Realität überholt. Da beendet Jung nämlich einen Aufsatz mit dem Titel Analytische Psychologie und Gedichte (1928). Und nicht nur das. Er stellt kurz darauf eine spezifische Frage an Hesse, die eines seiner Gedichte betrifft. Aber zur Zeit des Briefes vom 28.1.1922 ist dies alles noch nicht geschehen. Das Interesse scheint auch vor allem die Folge einer direkten analytischen Begegnung zu sein, denn im Februar, Mai und Juli 1921 nahm Hesse bei Jung einige Sitzungen während er an Siddharta schrieb, und das Buch ist ja bekanntlich 1922 veröffentlicht worden. Im Jahr 1923 – eine letzte biografische Präzisierung in Bezug auf den Bund zwischen Hesse und Jung sei an dieser Stelle gestattet – nahm Hesse die Schweizerische Staatsbürgerschaft an. Es folgen viele schwierige Jahre für Europa. Jahre, die für Hesse und Jung einschneidend sind. Der kulturelle Weg führt die beiden durch den Nebel des Totalitarismus, der im Westen Europas das Gesicht des Nazifaschismus annahm. Die Veröffentlichung von Betrachtungen im Jahre 1928 – einer Sammlung von Schriften aus der Zeit zwischen 1904 und 1927 – hatte zur Folge, daß Hesses Werk später im Hitler-Deutschland verboten wurde. Jung hingegen bezog zum Nationalsozialismus bis 1938 nur zögernd Stellung. Er schwankte zwischen starker Unruhe – seiner Schülerin Barbara Hannah vertraute er anläßlich einiger Konferenzen 1930 in Berlin an, daß die Gesichter der Berliner und Berlinerinnen eine sehr gefährliche psychische Epidemie aufwiesen – und einer paradoxen Hoffung auf eine Wiedergeburt der deutschen Kultur. Vielleicht wurde diese noch komplexer durch das Bedürfnis, die eigene Autonomie vor Freud zu bewahren, da sich jener ja aufgrund seiner Identität als Jude und dem kritischen Potential der Psychoanalyse im Gegenlager befand. Es ist bekannt, daß Freuds Praxis in der Berggasse 19 in Wien von der Gestapo durchsucht worden, sein Werk auf den Index gesetzt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war, während Freud von Marie Bonaparte einen Passierschein für die Durchreise durch Frankreich erhielt, auf dem Weg ins Londoner
8
C.G. Jung, Briefe, a.a.O., Bd. I, S. 59.
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Exil, wo er 1939 starb9. Im Jahr 1933, also in dem für die Verbreitung des Nationalsozialismus entscheidendem Jahr, vertraute Jung der ungarischen Jüdin Jolande Jacobi den Vorstand des Kulturkreises von Eranos in Ascona an, wo über Jahrzehnte hinweg jährlich Tagungen von großer Bedeutung über die Beziehung zwischen westlicher und östlicher Kultur unter dem Blickwinkel der analytischen Psychologie stattfanden. 1932, nach der Veröffentlichung von Die Morgenlandfahrt, mit der von Alfred Kubin illustrierten Titelseite – der bekannte österreichische Autor von Die Andere Seite war ebenfalls Schriftsteller und Maler –, begann Hesse an Das Glasperlenspiel zu arbeiten, einer qualvollen, sich über zehn Jahre hinziehenden schriftstellerischen Arbeit. Ein Brief von Jung an Hesse vom 18.11.1934 enthält diesbezüglich besonders aufschlußreiche Hinweise. Jung bedankt sich zunächst für Hesses Rezension zu seinem Aufsatz Wirklichkeit der Seele, der in jenem Jahr in «Die Neue Rundschau» erschienen war, und fährt fort mit der Behauptung, Hesses Urteil lustig gefunden zu haben, laut dem der sechzigjährige Jung in jenem Aufsatz sich «professoraler als früher» zeige. Bezug nehmend auf die Bewertung Hesses folgt dann «so tut es einem doch je und je ein wenig leid um die Abseitigkeit und Weltferne des einstigen ‚okkulten‘ Jung»: Es ist mir also gelungen, sogar einen Ihrer Späherblicke zu täuschen. Man muß eine gute Exoterik haben «dans ce meilleur des mondes possibles»; denn keine zu haben hat gar keinen Zweck. Die Perlen müssen vor den Säuen bewahrt werden.10
Im Mai war in «Die Neue Rundschau» einer der drei Lebensläufe des Joseph Knecht von Das Glasperlenspiel erschienen, und kurz nach dem oben zitierten Brief veröffentlichte Hesse auch die Einleitung zum Roman. Man konnte annehmen, daß Jung dem schöpferischen Entwurf Hesses und damit dem im Werden begriffenen und dem Symbolismus verpflichteten Roman nahe stand wie kaum ein anderer. Ohne Zweifel konnte sich hier eine Unstimmigkeit bezüglich der Interaktion zwischen Wahl und Intention eines Eintauchens in eine okkulte Dimension abzeichnen. Die private und öffentliche Beziehung zwischen Hesse und Jung konnte wahrscheinlich Divergenzen im kreativen Arbeitsprozeß, Urteilsbekundungen und Spannungen bei Geschmacksfragen aushalten. Letztendlich waren sich beide über den Zusammenhang zwischen Kunst und Wissen/Heilung einerseits und Text und Individuum andererseits bewußt. Jeder der beiden hielt sein Augenmerk auf das Opus gerichtet, auf die Wirklichkeit des wichtigeren Gleichklang. Noch nicht einmal die Unterschiede in der Einstellung zum Nationalsozialismus konnte Anlaß für eine Entfernung voneinander werden. (Jung half privat vielen Kollegen und jüdischen Persönlichkeiten. Mit der Gründung des Eranos-Kreises hatte er zudem einen Widerstand in Form von Reflexion und Auseinandersetzung geschaffen, die auf eine Distanzierung vom Nationalsozialismus hinwies. Anfänglich hatte Jung den Natio9 10
Vgl. A. Vitolo, Un esilio impossibile. Neumann tra Freud e Jung, 1. Teil, Rom 1990. C.G. Jung, Briefe, a.a.O., Bd. I, S. 221f.
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nalsozialismus verwirrt und still akzeptiert und zudem waren Studien entstanden, die seine Tendenz erkennen ließen, in der undurchsichtigen Konstellation des Nationalsozialismus eine Art Notwendigkeit zu sehen, so daß die Züge jüdischer Identität im Schatten dargestellt wurden). Ein Brief vom 18.9.1934 erweist sich jedoch aus einem ganz bestimmten Grund als ein Schriftstück von größtem Interesse. Er präsentiert hier die erste dialogische Überlegung zum Thema der Sublimierung, ein Gegenstand, der von Freud in Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie 1905 eingeleitet und in dem wichtigen Aufsatz Jenseits des Lustprinzips 1920 wieder aufgenommen wurde. Jung schreibt: Mit der Bemerkung über die Sublimierung tun Sie mir unrecht. Es ist nicht aus Ressentiment, daß ich diesen Begriff bekämpfe, sondern aus den massenhaften Erfahrung von Patienten (wie auch Ärzten), die jedesmal an der Schwierigkeit auskneifen und ‚sublimierten‘, daher einfach verdrängen. Sublimatio gehört zur königlichen Kunst, wie das wahre Gold gemacht wird. Davon weiß Freud nichts, ja noch schlimmer, er verrammelt alle Wege, die zur wahren Sublimatio führen könnten. Diese aber ist ungefähr das Gegenteil von dem, was Freud als Sublimierung versteht. Es ist keine gewollte und gewaltsame Überführung eines Triebes ein uneigentliches Anwendungsgebiet, sondern eine alchymische Wandlung, zu der das Feuer und die schwarze materia prima nötig sind. Sublimatio ist ein großes Geheimnis. Freud hat sich dieses Begriffes bemächtigt und ihn für die Willensphäre und das bürgerliche, rationalistische Ethos usurpiert. Anathema sit! Aber wer versteht heute etwas von diesen Dingen? Darum bleibt es auch im dunkeln.11
Mit dieser detaillierten Erklärung von Theorie und klinischen Erfahrungen, die an der Grenze zur Animosität liegt, ging Jung weit über eine Wiederaufnahme der zuvor erwähnten Rezension Hesses hinaus. Dort hatte Hesse die Aufmerksamkeit Jungs für die Sublimierung in Wirklichkeit der Seele kommentiert und auf das historische Primat Freuds hinsichtlich der Formulierung der Sublimierung verwiesen. Jung präsentierte sich jetzt als Anti-Freud und oktroyiert Hesse den Weg in Richtung einer Zugehörigkeit zur alchemistischen Auffassung der Sublimierung auf, für die er mit einer originellen und elaborierten Wiederaufnahme des Themas als Erbe einstand. Trotzdem enthielt und zeigte Jungs Konzept eine interessante Entwicklung auf: Wenn die Sublimierung – eine dem chemischen Prozess des Übergangs eines Elements vom festen zum gasförmigen Zustand, ohne jeglichen Beweis für das Zwischenstadium flüssig entliehene Metapher – nicht auf die eindimensionale Umwandlung eines sexuellen Impulses in etwas anderes eingegrenzt wurde, dann brachte die «epistemische› und klinische Tragweite dieses Phänomens erneut einige, sehr unterschiedliche Fragen von großer Bedeutung ins Gedächtnis zurück, und zwar die der Entropie – Tendenz zum Wärmetod, zum Gefrierpunkt (der Tod durch Erfrieren bei Null Grad) – und ihrem Gegenteil (Negentropie, Syntropie – ein energetischer Aufschwung), die der Rolle der kulturellen Schöpfung, des Trie11
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bes und der Idee vom Tod, die der Möglichkeit der Umwandlung von Energie, die bis zum Erreichen von Null Grad dazu tendiert, Wärme in eine andere Entität abzugeben, um somit gewissermaßen neuen Sinn zu stiften. All das wurde von Jung auf die Alchemie zurückgeführt, eine arabische und hebräische Lehre, Vorläuferin der modernen Chemie, die mit der Gnosis und der Religion weit über die dogmatischen Aspekte hinaus verbunden ist, und es warf für ihn wesentliche Fragen auf, nämlich wie die seelische Qual des Menschen ein Kunstwerk erschaffen kann; wie das psychische Leiden in einer dunklen Kenntnis des Konflikts zwischen kontinuierlicher virtueller Schöpfung und Sinnesverlust, Konkretisierung und Verlorensein bestehen kann; wie das Vermögen Symbole zu erschaffen Garantie für die Vitalität des Opus sein kann, das dem Grau der Verdrängung entrissen wurde. Der Brief von 1934 ist vor diesem Hintergrund wesentlich. In diesem Zusammenhang erscheint die Alchemie ohne Zweifel nicht als ein irrealer Versuch, das unedelste Metall in Gold zu verwandeln, etwas was so gut wie unmöglich ist, sondern als eine Tendenz des Subjekts zur Selbstverfeinerung über einen Weg, der aus Mikrohalluzinationen und Phantasien besteht, wie es Künstlern und herausragenden Denkern eigen ist. Hesse antwortete auf den Brief von Jung in einem Brief, der mit «September 1934» datiert und mit der Genehmigung des Suhrkamp Verlags in C.G. Jung, Briefe, Bd. II, S. 2234–5, abgedruckt ist. Hesse schreibt an Jung: Ich teile und billige Ihre Auffassung der Freudschen Sublimierung. Ich habe auch nicht Freuds Sublimierung gegen Sie verteidigt, sondern den Begriff an sich, er ist für mich ein wichtiger Begriff in der ganzen Kulturfrage. Und hier sind wir allerdings verschiedener Gesinnung. Für Sie, den Arzt, ist Sublimieren etwas Gewolltes, Überführung eines Triebs in ein uneigentliches Gebiet der Anwendung. Für mich ist Sublimierung zwar letzten Endes auch Verdrängung, aber ich wende das hohe Wort nur so, wo es mir erlaubt scheint, von geglückter Verdrängung zu reden, also von Auswirkung eines Triebs auf einem zwar uneigentlichen, aber kulturell hochrangigen Gebiet, z.B. zu der Kunst12.
Es handelt sich hier vor allem um eine Stellungnahme als Antwort auf Jungs Nachfrage. Diese ist zu jenem Zeitpunkt keine echte Opposition zu Jung, die erst später deutlich wird, sondern steht im Zusammenhang mit einer Untersuchung der spezifischen Idee der Sublimierung in der Kunst. Zu Beginn entsteht die Sublimierung also aus der Verdrängung, dann jedoch schlägt sie den Weg der Kunst ein, indem sie den sexuellen Urtrieb in eine andere Form überträgt. Hier ergibt sich nach Hesse die unverwechselbare Besonderheit der Sublimierung. Jene verlangt letzten Endes, daß der wahre Künstler sich nicht der Psychoanalyse unterzieht. In der Antwort zieht es Hesse vor, Betrachtungen über Musik anzustellen, ein Terrain, das der Alchemie bei Jung gleichkommt. Persönlichkeiten wie Händel und Bach zum Bei12
Ebd., S. 224
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spiel wären also von der Psychoanalyse auszusparen und das aufgrund ihrer herausragenden Kreativität. Hesse fährt so fort: wo ein begabter Mensch mit einem Teil seiner Triebkräfte solche Dinge fördert, finde ich seine Existenz und sein Tun von höchstem Wert, auch wenn er vielleicht als Individuum pathologisch ist. Was mir also während einer Psychoanalyse unerlaubt scheint: das Ausbiegen in ein Scheinsublimieren, das scheint mir erlaubt, ja höchst wertvoll und erwünscht, wo es gelingt, wo das Opfer Frucht trägt.13
Diese Argumentation zeigt deutlich das Problem, das auch noch heute die Debatte über Theorie und Praxis der Psychoanalyse belebt und die auch die Diskussion über ihr epistemologisches Statut und ihre erkenntnistheoretischen Grundlagen mit einbezieht. Kann die Psychoanalyse in ihrer historisch definierten Form der Anwendung, also mit häufigen und regelmäßigen wöchentlichen Sitzungen, mit ihrem Gebot der Vermeidung eines realen Kontakts (zwischen Therapeut und Patient) und der Aufrechterhaltung metaphorischer und symbolischer Kommunikation, bei der die Traum- und Phantasieanalyse Vorrang haben, bei hoch kreativen Persönlichkeiten durchgeführt werden? Die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, angefangen bei Mahler bis hin zu Pauli, Joyce, Svevo und Beckett scheinen dies zu verneinen. Bis hier hätte man allerdings annehmen können, daß Hesses Argumentation so stark subjektiv verankert ist, daß dies ‚a priori‘ eine Grenze darstellt. Wirft man jedoch einen Blick auf die Fortsetzung seiner Ausführungen, kristallisiert sich eine überpersönliche Ebene heraus, eine grundsätzliche Überlegung über den Stand der Dinge, die meiner Meinung nach dazu auffordert, die Fähigkeit zur Interaktion und die Autonomie Hesses zu erkennen: Er schreibt: Innerhalb unser Kategorie, innerhalb der Kunst, treiben wir Künstler echte Sublimatio, und nicht aus dem Willen und Ehrgeiz, sondern aus Gnade, – nur freilich ist damit nicht der «Künstler› gemeint, wie das Volk und der Dilettant ihn sich denkt, sondern der dienende und Don Quichotte, der noch im Verrückten Ritter ist, Opfer […]. Bei Ihnen habe ich, instinktiv immer das Gefühl gehabt, daß Ihr eigentlicher Glaube ein echter, ein Geheimnis ist. Ihr Brief bestätigt mich, und ich freue mich. Für Ihr Geheimnis haben Sie das Gleichnis der Chemie, so wie ich für meines das Gleichnis der Musik habe […].14
In dem von Hesse angestellten Vergleich wird eine interessante Ebene der Übereinstimmung zwischen der Sublimierung des Psychoanalytikers Jung und dem Literaten Hesse geschaffen, indem die beiden Subjekte offen in die Rolle des Vertreters einer kreativen Disziplin erhoben werden, welche die innere Beziehung und die Verarbeitung der psychischen Seelenqual auf unterschiedliche Art und Weise angeht. Somit wird die Sublimierung, die noch lange nicht als Phänomen erhellt ist, sozusagen in ihrer unverwechselbaren Besonderheit als eine im Unbewußten verwurzelte 13 14
Ebd., S. 225. Ebd., S. 224.
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Erfahrung anerkannt. Sie lebt im abgründigsten Geheimnis und ist sowohl Teil der unvorhersehbaren Berufung und der Inspiration als auch Teil der dabei notwendigen Nähe zum nicht Erkennbaren. Der Künstler, so wie der Psychoanalytiker, wären also – und könnten auch nichts anderes sein als – abhängig von dieser inneren Wirklichkeit, die in sich selbst von einer gewissen Freiheit gekennzeichnet ist wie auch von intensiver Subjektivität und vom Streben nach der Schöpfung als der Instanz, die zutiefst all das angeht, was gemeinsam, zeitlos und dem Todestrieb nahe ist. Jung antwortet seinerseits postwendend am 1. Oktober 1934 und nach den üblichen Danksagungen behauptet er: Über Worte sollte man sich natürlich nicht streiten. Immerhin möchte ich in aller Bescheidenheit anmerken, daß der Ausdruck ‚Sublimierung‘ im Falle des Künstlers wohl insofern nicht angebracht ist, als es sich bei ihm ja nicht um eine Verwandlung eines primären Triebes handelt, sondern vielmehr um die Tatsache, daß ein primärer Trieb (Kunsttrieb) die Gesamtpersönlichkeit dermaßen ergreift, daß alle andern Triebe untergehen, woraus ja dann eben das göttlich Vollendete entsteht.15
Hierauf läßt Jung noch weitere Präzisierungen zur Klärung von Terminologie und Konzepten der zur Diskussion stehenden Begriffe folgen. Das, was jedoch zählt in Jungs Aussage, ist die klare Einordnung der Sublimierung in die Reihe der kreativen Prozesse, indem er die These widerlegt, daß diese eine Metamorphose eines primären Triebs ist. So bekräftigt er das Primäre des Schaffensstriebs (oder künstlerischen Impulses), der dazu fähig ist, die Gesamtpersönlichkeit des Subjekts zu ‚ergreifen‘, alle anderen Triebe unterzuordnen und auf das Ziel einer höheren Vollendung zu richten. Diese Position wird von Jung mit derselben Klarheit in Gestaltungen des Unbewußten ausgedrückt. Eine ähnliche Aussage findet sich außerdem in Über psychische Energetik und das Wesen der Träume, wo wir folgenden Satz lesen können: «Die Kunst ist (dem Künstler) eingeboren wie ein Trieb […]» und «Das Geistige erscheint in der Psyche auch als ein Trieb […]. Es ist kein Derivat eines anderen Triebes, wie es die Triebpsychologie haben möchte, sondern ein Prinzip sui generis»16. Hesse und Jung haben somit unterschiedliche Positionen. Noch immer handelt es sich nicht um eine echte Meinungsverschiedenheit, aber zweifelsohne bei beiden um einen Zugewinn an Autonomie. Dieser Disput geschieht zu einem wichtigen historischen Zeitpunkt, zu dem jeder der beiden dem eigenen inneren Weg und dem eigenen Werk Züge der Selbsteinkehr aufdrückt, wie es sich für herausragende Persönlichkeiten ziemt, die die langsame Inkubation der Krise beobachten, die zum Zweiten Weltkrieg führen wird. Hesse und Jung setzten in den darauffolgenden Jahren auf sehr verschiedene Art und Weise ihr Talent in die Praxis um. Hesse empfing Martin Buber und Thomas 15 16
Ebd., S. 225. Ebd.
Literatur, Tiefenpsychologie, Sublimierung zwischen Jung, Freud und Hesse 117
Mann, verteidigte Ernst Bloch und erlebte den Freitod seines Bruders Hans. Jung distanzierte sich öffentlich vom Nationalsozialismus und tauchte in Studien über den alchemistischen und religiösen Symbolismus ein. Zwei Jahre später bedankte sich Jung in einem Brief vom 27.10.1936 für die Zusendung eines Gedichts, das in jenem Jahr veröffentlicht wurde. Es handelte sich dabei um Josef Knechts Traum, und wurde später in Das Glasperlenspiel eingefügt, das am 18. November 1943 das Licht der Welt erblicken sollte, und zwar bei Fretz und Wasmuth in Zürich. Bei Suhrkamp, der zu diesem Zeitpunkt bereits den Fischer-Verlag abgelöst hatte, konnte es nicht erscheinen, weil der Verleger wie auch sein Vorgänger bei Fischer verfolgt und für kurze Zeit im Lager interniert worden war. Das interessante Gedicht drängte Jung Hesse danach zu fragen, ob es einen Traum beschreibe, wie der Titel erkennen ließe, und wer der Träumer sei. Eine Antwort sei nicht notwendig, fügt Jung hinzu. Und die Antwort kam auch nie. Die höhere Vision des Magister Ludi Josef Knecht ist eine Anspielung auf Homo ludens (erschienen 1938) von J. Huizinga, das Hesse erst 1943, beim Erscheinen der deutschen Ausgabe las, wird in dem 1936 als Erasmusdruck in Berlin veröffentlichten Gedicht, das Jung in dem eben zitierten Brief zugesandt worden war, zusammengefasst. Hesses Betrachtungen über das Spiel des Zufalls und die Notwendigkeit des Kosmos, die der aktive Pazifist darin anstellte, der sich immer mehr Thomas Mann näherte, Martin Buber und dem Indologen Heinrich Zimmer – Gästen in Eranos – bekannt war, erreichten auch Jung und noch im Zeichen der Freundschaft. Jungs Frage hatte einen heiklen Bereich berührt: Der Träumer war bestimmt Hesse, aber sein Traum beinhaltete Elemente von Jungs Kulturbegriff wie zum Beispiel die Astrologie. Jung selbst hatte den Mut zu einer definitiven Distanzierung vom Nazifaschismus erst 1938 gefunden, nachdem er auf seiner Rückkehr von einer Indienreise von der schrecklichen Gefahr, die über Europa aufziehen würde, geträumt hatte17. Der Zweite Weltkrieg stellt definitiv den größten Einschnitt in der Beziehung zwischen den beiden dar. Nach 1936 und mit dem Schweigen Hesses, das auf die Zusendung des Gedichts folgte, entsteht eine lange Pause. Erst 1950 gibt es aufgrund zweier Schriftstücke von großer Bedeutung neue Signale. Am 24.3.1950 antwortet Jung Prof. Emanuel Maier von der Universität Miami, Florida, USA, der ihm zuvor am 16. Januar geschrieben hatte: Ich kenne Hesses Werk, und ich kenne ihn persönlich. Ich kannte den Psychiater, der ihn behandelte. Er starb vor ein paar Jahren. Durch ihn übten meine Schriften einen gewissen Einfluß auf Hesse aus (er zeigt sich in Demian, Siddharta und im Steppenwolf). Ungefähr zu jener Zeit (1916) machte ich Hesses persönliche Bekanntschaft. Der Psychiater war der Dr. J.B. Lang. Er war ein sehr merkwürdiger, aber außerordentlich gelehrter Mann, der orientalische Sprachen (Hebräisch, Arabisch und Syrisch) studiert hatte und sich vor allem für die Gedankenwelt der Gnosis interessierte. Er hatte durch mich ein reiches Wissen 17
Vgl. A. Vitolo, Jung davanti al nazismo, in «Studi junghiani», Rom, 1995, S. 35ff.
Antonio Vitolo 118 über Gnosis erworben, das er an Hesse weitergab. Aus diesem Stoff schrieb er sein Demian. Der Ursprung von Siddharta und Steppenwolf ist verborgener. Direkt oder indirekt gingen Sie – wenigstens teilweise – aus einigen meiner Gespräche mit Hesse hervor. Ich bedaure, Ihnen nicht angeben zu können, wieweit er meine Hinweise und Andeutungen bewußt aufnahm. Leider bin ich nicht in der Lage, Ihnen ausführlich Auskunft zu geben, da mein Wissen rein beruflich ist. Ich habe keinen Roman von Hesse systematisch durchgearbeitet – sicher eine interessante Untersuchung, speziell unter dem Gesichtspunkt meiner theoretischen Begriffe. Jeder, der über genügende Kenntnis meines Werkes verfügt, wäre dazu imstande. […].18
Eine solche Einstellung scheint zweifelsohne zu sehr auf Darstellung bedacht und tendiert dazu, die Vaterschaft der Ideen zu bestimmen und zu beanspruchen; sie basiert hauptsächlich auf zwei Aspekten: der psychoanalytischen Kompetenz und der Kenntnis der Gnosis. Aber selbst wenn die Dinge wirklich so verlaufen wären, wären weder Hesses schöpferische Autonomie noch der distanzierte Blick Jungs auf Hesses Persönlichkeit wirklich erklärt. In der Beziehung zu H. Broch, S. Beckett und K. Kerényi, könnte etwas Ähnliches geschehen sein: Die anfänglich fruchtbare Auseinandersetzung entwickelte sich zu einer gewissen intellektuellen Rivalität, einer Art beunruhigendem gegenseitigem Mißverstehen. Die Behandlung von Künstlern und auf jeden Fall die Beziehung zu Künstlern im klinischen Rahmen, auch wenn sie in diesem Fall nur indirekt stattfand und auf einer Entscheidung basierte, die Jung auch hinsichtlich einiger anderer prominenter Denker traf, – man erinnere sich an den Wissenschaftler und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli, der zu Toni Wolf in Behandlung geschickt worden war –, scheint ein schwieriges Unterfangen zu sein, das fast nicht praktikabel ist! Das, was hier aber wichtig erscheint, ist, daß Jung behauptet, auf drei Werke und vor allem auf die gnostische Kultur Hesses Einfluß ausgeübt zu haben, während er gegenüber den Werken auf Distanz bleibt. Prof. Maier sendete Jungs Brief an Hesse, der ihm folgendermaßen antwortete: Da ich ein Freund der Diskretion bin, habe ich Jungs Brief nicht geöffnet. Ich habe 1916 bei einem befreundeten Arzt, der zum Teil Schüler von Jung war, eine Analyse gehabt. Damals lernte ich Jungs Jugendarbeit, die Wandlungen der Libido kennen, die mir Eindruck machte. Ich las auch spätere Bücher von Jung, aber nur etwa bis zum 1922, da die Analyse mich später nicht mehr stark interessierte. Ich habe vor Jung stets Respekt gehabt, doch von seinen Schriften nicht so starke Eindrücke gehabt wie von denen Freuds. Daß ich im Anschluß an einen Vorleseabend, den ich als Gast von Jungs Zürcher Klub gab, auch einige analytische Sitzungen bei Jung hatte, etwa 1921, wird er Ihnen geschrieben haben. Auch dort hatte ich von ihm einen schönen Eindruck, nur begann ich damals einzusehen, daß für die Analytiker ein echtes Verhältnis zur Kunst unerreichbar ist, es fehlt allen dafür das Organ.19 18 19
C.G. Jung, Briefe, a.a.O., Bd. II, S. 183f. Ebd. Weitere Meinungen zum Briefwechsel, vgl. H. Ball, Hermann Hesse, sein Leben und sein Werk, Berlin, 1927, S. 153ff.; A. Schuller, On the Psychotherapeutic Process and the Destruction of the Therapist: Contribution by Hermann Hesse in «The International Review of Psychoanalysis», 1976, S. 181–192; D. Farrell, The Forgotten Childhood of Hermann Hesse in «The Annual of Psychoanalysis», 15 (1987), S. 247–268.
Literatur, Tiefenpsychologie, Sublimierung zwischen Jung, Freud und Hesse 119
Die Antwort Hesses an Maier und an Jung zementiert den Bruch. Auffällig ist aber die Fähigkeit Hesses, die Beziehung zu Jung, von Lang absehend, zu beschreiben. Jung und sein Werk bedeuten für Hesse Analyse. Diese reflektiert er mit, wenn er sich an einige wenige Treffen im Zusammenhang mit einer Dichterlesung am Abend des 19. Februar 1921 erinnert. Die Rolle der Poesie in der Beziehung zwischen Hesse und Jung ist dabei einzigartig! Man erinnere sich nur an die Hinweise auf die Gedichte in den Briefen vom 18.1.1922 und vom 27.10.1936 und an die Frage Jungs zu dem Gedicht von Josef Knecht. Es wird hier jedoch auch evident, daß Hesse stets an den direkten analytischen Kontakt mit Jung denkt, und auch der Verlust des Interesses an Jung wird zeitlich eingegrenzt und auf das Jahr 1922 datiert, also genau auf das Jahr, in dem das Gedicht geschickt wird, wie bereits weiter oben dargestellt. Auch die kulturellen Gründe für den Bruch werden deutlich, wie etwa die Einstellung zur Kunst. Auf der Basis der in dieser Arbeit untersuchten Briefe könnten wir als weitere Ursachen die unterschiedlichen Auffassungen von Sublimierung und Kreativität hinzufügen. Hesse verleiht seiner Präferenz für Freud Ausdruck, von dessen Schriften er sich berührt fühlte, und gibt Werturteile ab, die niemanden aussparen: Die Tiefenpsychologie kann den Künstler nicht verstehen – und auch nicht dazu beitragen, ihn zu verstehen – aufgrund eines tiefliegenden Unvermögens. Ob dieser Sachlage wäre auch das durchdachteste Forschungskriterium, den dunkelsten und ausschlaggebenden Beweggrund der von Jung und Hesse eingenommenen Positionen zu erhellen, zum Scheitern verurteilt. Hierbei erweist sich der Blickwinkel von Mauro Ponzi, der Texte von der Erfahrung des Anderen zusammengestellt hat, als fruchtbarer. Der Andere, so wie das Anderswo, wird in den Geisteswissenschaften zum Anziehungspunkt, der das davon faszinierte Subjekt dazu zwingt, unaufhörlich zu forschen. Zwischen Hesse und Jung richtet sich nach dem ersten therapeutischen Versuch der «Andere› im Geheimnis der Kunst und im schöpferischen Akt ein. Der Andere durchzieht die Sublimierung, genauso wie das Werk. Jung deutet mit Respekt und mit staunender Bewunderung für die Künstler auf jenes Mysterium hin. Dabei bleibt er aber von seiner eigenen theoretischen und therapeutischen Lösung überzeugt. Nach seinem Versuch, im Flußbett der Psychoanalyse zu baden, wie es den wirklichen Künstlern geschieht, nimmt Hesse die Aufgabe, das Geheimnis zu wahren, wieder allein auf sich, in seinem eigenen unverwechselbaren Stil, durch den er sich in der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts auszeichnet. Joyce, Kafka und Broch lassen die Handlungen von Ulysses, Die Verwandlung, Der Tod des Vergil circa 24 Stunden, wenige Tage oder die letzte Nacht vor dem Tod dauern. Dieser Tendenz zur Zeitraffung, die das Lager, den Gulag und die Atombombe (Intuition von I. Svevo) ankündigt, scheint Hesse nicht gewogen. Er ordnet durch
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seine Romane und vielschichtigen Figuren jedes Ding in Raum und Zeit an, bis sich einzigartige Transzendenz und neue Sinnformen, die der Spiegel der Sublimierung und des Anderen sind, einstellen. (Deutsch von Karin Ertl und Svenja Stork)
Volker Wehdeking
Hermann Hesse, Carl Gustav Jung und Thomas Mann Die intertextuellen Bezüge in der Erzählprosa des späteren Werks
Die Einflüsse und intertextuellen Bezüge Carl Gustav Jungs auf Hesses Texte seit der Schreibzeit am zweiten Teil von Siddhartha lassen sich besonders deutlich, wie in einem verkleinerten Modell, im Kontrast zu seiner Gedankenlyrik unmittelbar vor dieser Werkphase ablesen, und zeigen sich, bis hin zur Gestaltung der Ganzheit in verdeckten Anspielungen auf Jungs Mandala-Interpretation im späteren Werk bis zum Glasperlenspiel (1943). Im Gedicht Vergänglichkeit (vom Februar 1919) vertritt Hesse noch eine deutlich andere Lebensphilosophie: Vom Baum des Lebens fällt Mir Blatt um Blatt, O taumelbunte Welt, Wie machst du satt, Wie machst du satt und müd, Wie machst du trunken! Was heut noch glüht, Ist bald versunken. Bald klirrt der Wind Über mein braunes Grab, Über das kleine Kind Beugt sich die Mutter herab. Ihre Augen will ich wiedersehn, Ihr Blick ist mein Stern, Alles andre mag gehen und verwehn, Alles stirbt, alles stirbt gern. Nur die ewige Mutter bleibt, Von der wir kamen, Ihr spielender Finger schreibt In die flüchtige Luft unsre Namen.1
Die eingängige Metaphorik in einer Sprache von einfachen, iterativen Parataxen besteht aus geläufigen Motivkomplexen des Natur- und Menschenkreislaufs; dem herbstlicher Lebensbaum mit fallenden Blättern, «alles stirbt, alles stirbt gern», korrespondiert die Melancholie menschlichen Sterbens, «bald versunken» nach dem in «glühenden» Herbstfarben taumelnden Leben der Natur, Wind über «braunem Grab». Die ,Stirb- und Werde‘-Thematik im Mutter-Kind-Zyklus schließt die «ewige 1
H. Hesse, Vergänglichkeit, in Die Gedichte, Frankfurt a.M. 1977, Bd. 2, S. 449.
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Mutter» ein, bezieht sich zunächst auf das lyrische Ich und seine Sehnsucht nach dem Hoffnungsstern in den Augen der «ewigen Mutter», meint also eine Wiedergeburt in der Transzendenz; das Kollektiv am Ende, die «flüchtigen» bald vergessenen Namen werden hier bewahrt; das Ganze suggeriert, im heraufbeschworenen Herbst nach dem Kriegsende ein Topos der vielen in den Kriegsjahren Gefallenen: die Sehnsucht nach Hinwendung zur Mutter in der Todesgefahr, nach Liebe. Archetypische Aspekte der Anima als archaischer Mutter und erdnaher Semele/Demeter seit den Griechen finden ihren Beleg im Werk; und die Begegnung mit dem Jung-Schüler Josef Bernhard Lang wird in ersten Verwendungen der Symbolik kollektiver Archetypen manifest. In Anspielung auf die Urmutter im Demian (1917/19) zieht es die Freunde und Mitstudenten ebenfalls zur archaisch geschilderten «Mutter Eva», die dem Freund des Protagonisten, Emil Sinclair, zur zentralen Bezugsperson bei seiner Erneuerung wird. Nach Klaus Theweleits Männerphantasien breitet hier die große Mutter und die eigene Mutter der sterbenden und gefallenen Soldaten ihre Arme um die Söhne, die im letzten Blick Liebe und Hoffnung auf Leben im Unvordenklichen suchen2. Diese Deutung ist legitim, weil Hesse, auch wenn er sich zunehmend dem Pazifismus zuwandte und seit 1915 in deutschen Zeitungen als «vaterlandsloser Geselle» beschimpft wurde, sich 1914 zu Kriegsbeginn freiwillig gemeldet hatte. Jedoch belegt seine intensive Arbeit an Kriegsgefangenenprojekten (seit 1915 mit Richard Woltereck in der Berner Zentrale für Deutsche Kriegsgefangenenfürsorge bis 1919, dann beider publizistischer Einsatz für die Zeitschrift «Vivos voco») seine pazifistische Solidarität mit den Opfern, wie er sie sah, und stimmt zum lyrischen Bild der großen Mutter als Anima und Trösterin. Die «Glaubensvereinigung auf der Grundlage der religiösen Wiedergeburt des einzelnen und der bevorstehenden geistigen Erneuerung der Gesellschaft» schart sich für den Studenten Sinclair um Demians Mutter, Frau Eva, deren Bild vom 1915 im Krieg schwerverwundeten, sterbenden Freund im Abschied heraufbeschworen wird3. Der jugendliche Held fühlt sich «heimgekommen», als er in seiner Gralssuche im Kreis der Freunde Frau Eva endlich kennenlernt; er versteht, daß diese ,ewige Mutter‘ «nur ein Sinnbild seines Innern» ist, in der eigenen Identitätssuche Erneuerung versprechend. Sie verkörpert die Geheimnisse des Grals für den Bund der Freunde. Nach der Dostojewski-Lektüre der Brüder Karamasow notiert Hesse 1919, von der Amoral eines neuen «Allesverstehens» beeindruckt, die aus ,Asien‘ herüberdringe:
2 3
K. Theleweit, Mütter, in Männerphantasien. Frauen Fluten, Körper, Geschichte, Bd. 1, Reinbek 1987, S. 107–114. Vgl. Th. Ziolkowski, Der Schriftsteller Hermann Hesse, Frankfurt a.M. 1979, S. 62–74.
Hermann Hesse, Carl Gustav Jung und Thomas Mann 123 Das Ideal der Karamasows, ein uraltes, asiatisch-okkultes Ideal, beginnt europäisch zu werden, beginnt den Geist Europas anzufressen […]. Dieser Untergang ist eine Heimkehr zur Mutter, ist eine Rückkehr nach Asien, zu den Quellen, zu den Faustischen ‹Müttern›, und wird, […] wie jeder Tod auf Erden zu einer neuen Geburt führen.4
Für Hesse birgt dieser Blick ins nihilistische ,Chaos‘ Erneuerndes und die zyklischen Bilder in dem Gedicht, bezogen auf die ‹ewige Mutter› konnotieren in dem ‹alles stirbt gern› auch das Ende der Wilhelminischen Epoche. Bald nach der Begegnung mit Lang und C.G. Jung 1917 entsteht Demian, teilweise inspiriert durch Traumanalysen mit Symbolen wie dem jungen Adler, der sich aus dem Nest kämpft, einem vogelähnlichen, dunklen und bi-polaren Gott und Demiurg Abraxas aus der Gnosis (2. Jh. Syrien)5, der durch Liebe überwunden werden muß (Motiv in Klingsors letzter Sommer), sowie einer quälenden Bergbesteigung, die den Träumenden im Sturz vom Gipfel in einen Vogel verwandelt, der ins «Unendliche, an die Brust der Mutter» fliegt6. Noch eine andere deutliche Anspielung ist in Hesses Gedicht Vergänglichkeit enthalten: die im «klirrenden» Wind über das eigene Grab wachgerufene Krisenstimmung in Hölderlins Hälfte des Lebens: «im Winde/ klirren die Fahnen». Der eigene Lebensbruch, das noch einmal notwendige, nun fast ohne Mittel, ohne Familie und Freunde am neuen Lebensort Montagnola in der «Casa Camuzzi» mühsame Proben des Neuanfangs kann man aus diesem intertextuellen Hölderlinbezug unschwer herauslesen: «Weh mir, wo nehm ich, wenn / Es Winter ist, die Blumen, und wo / Den Sonnenschein, / Und Schatten der Erde?»
1. Hesses aktuelle Rezeption und Relevanz Die intertextuelle Spur der Kernvorstellungen Carl Gustav Jungs im Werk des Nobelpreisträgers wird seit 1922 zunehmend deutlich und ist für eine Interpretation des späteren Werks von nicht zu unterschätzender Bedeutung7. Die für Hesses intellektuelle Vorstellungen zentrale Werkentwicklung zwischen 1919 und 1943 war geprägt durch den zeitbedingten Existentialismus einer subjektivistischen Sinnsuche auf dem Weg zur Individuation, verstärkt durch die persönliche und längere Begegnung – bis hin zu zahlreichen psychoanalytischen Sitzungen – mit Josef B. Lang und Carl Gustav Jung. Mit Thomas Manns teilte er die Zwischenposition gegen nationalsozialistische 4 5 6 7
H. Hesse Die Brüder Karamasow oder Der Untergang Europas, in Eine Literaturgeschichte in Rezensionen und Aufsätzen, Frankfurt a.M. 1982, S. 321f. Vgl. H.-J. Schmelzer, Auf der Fährte des Steppenwolfs. Hermann Hesses Herkunft, Leben und Werk. Stuttgart 2002, S. 198–202. Ebd. Der Text entstand in Teilen für die Humboldt-Gesellschaft, Mannheim, 77. AkademieSitzung, Bad Nauheim, 1.–3. 11. 2002, und wurde in «Literatur im Unterricht», 3 (2002), H.3, S. 219–238, unter ‹Perspektiven›, hauptsächlich zu Siddhartha, veröffentlicht. Die Bezüge zu Jung und Th. Mann wurden 2003 ergänzt.
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Attacken aber auch extreme Emigranten wie Leopold Schwarzschild in Paris 1936 im Wunsch, die bildungsbürgerlichen, nichtnationalsozialistischen Leser in Deutschland nicht zu verlieren, um überhaupt noch intellektuell wirken zu können. So trafen sich beide mehrfach in der Schweiz und Hesse bezog sich auch im Werk zunehmend als Freund auf die spätere Prosa des Nobelpreisträgers. In Siddhartha und Die Morgenlandfahrt sah Hesse zudem ‹Arbeiten aus religiösem Antrieb› (1930). Ihre christliche und fernöstliche, theologische Botschaft macht sie bis heute erstaunlich haltbar. Inzwischen gibt es von Siddhartha über zwölf Übersetzungen in indische Sprachen, weitere ins Chinesische (drei seit 1968) und Japanische; und ein China-Kenner unter den kanadischen Germanisten, Adrian Hsia8, vertritt die wohlbegründete Auffassung, Hesse habe dort und in manchen chinesisch inspirierten Gedichten den Kern des Zen-Buddhismus als chinesische Variante in der Indischen Dichtung verwirklicht. Das fernöstliche Fremdbild Hesses kann aber nur ein Verstehenshorizont sein, das Selbstbild dieses von der Indienmission in der eigenen Familie stark mitgeprägten Schriftstellers hat in der deutschen Literaturtradition zwischen 1750 und 1830, Goethe, dem Pietismus des späteren 18. Jhs., den Früh- und Spätromantikern und der klassischen Musik, besonders Mozarts, seine Wurzeln und ist zusätzlich durch die Nietzsche-Lektüre (etwa dessen bi-polarer Darstellung des Apollinischen und Dionysischen in der Geburt der Tragödie, 1871) in Hesses Tübinger Jahren, später Kafka (Rezension des Prozeß, 1925/35) und durch expressionistische Autoren und bildende Künstler geprägt. Hesses Indienreise (1911) hat im Werk langen Nachhall. Sicher liegt in Hesses Werk aus aktueller Perspektive ein blickerweiterndes Kontrastprogramm zum einseitig westlichen Globalisierungsprozeß vor, zum flachen Hedonismus der spätindustriellen westlichen Gesellschaft mit ihrer Neigung zum ethischen Relativismus, unverbindlicher Postmoderne, einseitigem Materialismus und zur ‹Ich-AG›, gerade unter dem Blickpunkt des 11. September 2001, der meist mit dem ‹Culture Clash› der interkulturellen religiösen Verwerfungen, wie sie Huntington in seinen Thesen seit 1995 vertritt, assoziiert wird. Der weltweit meistgelesene deutschsprachige Autor des 20. Jhs. wurde im HesseJubiläums-Jahr 2002 (125. Geburtstag, 40. Todestag) nicht nur mit einem umfassenden Programm in seiner Heimatstadt Calw geehrt. Über die Heimatregion hinaus zeigten vier Großstädte, Berlin, Zürich, Winterthur und Budapest, Ausstellungen und veranstalteten Lesungen. Hesse-Symposien und Konzerte finden europaweit, im Medienverbund unterstützt, Resonanz. In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul befindet sich ein großes Hesse-Museum in der Planungsphase, Siddhartha und der Steppenwolf wurden anspruchsvoll verfilmt, und Vertonungen der Gedichte und Siddharthas versammeln mehrere Komponisten-Generationen von Richard Strauss 8
A. Hsia, Zur Rezeption Hermann Hesses in China. Ergänzungen 2002, in Hermann Hesse und China. Darstellung, Materialien und Interpretation, Frankfurt a.M. 1981, Erw. Neuausgabe 2002, S. 363f.
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über den Freund und Zeitgenossen Othmar Schoeck (1896–1957), den Finnen Yrjö Kilpinen (1892–1959) sowie den Villa-Massimo-Rom-Preisträger Hans-Georg Pflüger (1944–1999). Hinzu kamen Neutöner der um 1968 Geborenen: Wolfram Graf, Christian Kram, Matthias Bonitz (Siddhartha), und der Chilene Andrés Maupoint (Der Erleuchtete). Dennoch gibt es neben den älteren amerikanischen Germanisten Theodore Ziolkowski und Ralph Freedman, und Ende der 90er Jahre Eugene Stelzig9, sowie den durch die Hesse-Page der University of California (Santa Barbara) für die neuere Forschung hilfreichen Günther Gottschalk wenige deutsche Germanisten, die sich mit Hesse heute ernsthaft beschäftigen; 2002 entstanden aus Ringvorlesungen an der Universität Tübingen und einem internationalen Siddhartha-Kolloquium in Calw zwei Sammelbände, die eigentlich die relative germanistische Abstinenz in Deutschland seit den 80er Jahren eher unterstreichen10; Neben einzelnem von Hans Mayer und Beda Allemann sind es heute vor allem der Suhrkamp-Lektor Volker Michels und der Bibliograph Martin Pfeifer. Fragt man die Fachkollegen der Neugermanistik nach dem Grund, wird oft auf die Flut aufzuarbeitender Dissertationen hingewiesen, oder man trifft auf die durch seine Popularität geförderte Meinung, Hesses Intentionen lägen recht deutlich auf der Hand, das Wesentliche sei erforscht, vielleicht wäre ein intertextueller Ansatz noch reizvoll. Der gegenwärtige Trend der Hesse-Rezeption wird vom Calwer Kulturdezernent durch eine Ausstellung WeltFlechtWerk – die Einheit hinter des Gegensätzen und ein Symposion zu den Themen ‹Weltgesellschaft›, ‹Beschleunigung› und ‹Jugend› unterstrichen mit dem Impetus gegen die ‹Einbahnstraße Globalisierung›, der Hesse einen west-östlichen Verständigungsweg zum «Gemeinsamen hinter allem Trennenden» eröffne, vertieft durch einen, auch ökologisch sensiblen Humanismus»11. 9
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11
E. Stelzig, Hermann Hesse’s Fictions of the Self. Autobiography and Confessional Imagination. Princeton N. J 1999. Ebenfalls wichtig sind die Studien von D. Richards, Exploring the Divided Self. Hermann Hesse’s ‹Steppenwolf› and its critics, Cadmen House 1997 und L. Tuskin, Understanding Hermann Hesse: the Man, his Myth, his Metaphor, Columbia, S. C., 1998. Hermann Hesse 1877 – 1962 – 2002, hrsg. von C. Blasberg, Tübingen 2003. Mit 7 Beiträgen zu neueren, oft kulturwissenschaftlichen Fragestellungen zum Hesse-Werk, darunter einer eher gegen das Phänomen der unkritischen Lesergemeinde und die quasi-spirituelle Autor-Persona Hesses im Glasperlenspiel polemisierende Untersuchung des Tübinger Germanisten K.-P. Philippi, Hermann Hesse, Das Glasperlenspiel: ‹Zerfall der Werte› und Flucht in die Legende, S. 121–146. –Hermann Hesses ‹Siddhartha›. 11. Internat. Hermann-HesseKolloquium in Calw 2002. Referate, hrsg. von M. Limberg, Stuttgart 2002. Mit einer Auswahlbibliographie der Hesse-Forschung zur indischen Komponente aus den 80er und 90er Jahre, S. 150–157, die vorwiegend esoterische und religiöse Fragestellungen des späten 20. Jhs. an Hesses Werk zeigt. Am 4./5. 7. 2003 fand in Calw das Symposion der 2002 gegründeten Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft mit dem Thema germanistischer Vernachlässigung Hesses in Deutschland statt: Hermann Hesse als Streitobjekt?, an dem der Verf. als Mitglied und Professor für Literaturwiss./Medien der Hochschule der Medien, Stuttgart, teilnahm. Vgl. U. Rothfuss – J. Nida-Rümelin, Geleitworte, in Hermann Hesse Jahr 2002. Calw. Festival-Veranstaltungs-Kalender, hrsg. von der Stadtverwaltung. Geschäftsbereich Kultur u.
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Auf der Suche nach dem Kern seiner Botschaft aus der krisenhaften Entwicklung zum inneren Selbst hat Hesse die Text-Auswahl (aus seiner mittlerweile bei Suhrkamp auf 20 Bände geplanten Werkneuausgabe) leichter gemacht, als er 1935 vom «fragwürdigen Weg des Bekennens» sprach und die hier ausgewählten Texte heraushob: ich habe, bis zur Morgenlandfahrt […] beinahe mehr von meinen Schwächen und Schwierigkeiten gezeugt als von dem Glauben, der mir trotz der Schwächen das Leben ermöglicht und gestärkt hat. Wenn Sie sich für eine Stunde von sich selbst emanzipieren könnten, so würden Sie […] sehen, daß zum Beispiel der Steppenwolf keineswegs bloß von Haller handelt, sondern ebensosehr von Mozart und den Unsterblichen. Und Sie würden in meinen früheren Erzählungen […], im Siddhartha etc. einen zwar nicht dogmatisch durchformulierten, aber doch eben einen Glauben entdecken. Zu formulieren versucht habe ich ihn auf dichterische Weise erst in der Morgenlandfahrt und auf direkte Weise in dem Gedicht [Besinnung, d. V., von 1933].12
Und an Günter Eich schreibt er 1932: Wesentlich tiefer als alle anderen Kritiken hat die Ihre das Problem [der Morgenlandfahrt, d. V.] formuliert, wo in der Tat ihr paradoxer (vielmehr zwei-poliger) Sinn am besten gefaßt werden kann. Sie sagen: des Autors echte Zugehörigkeit zum Bund zerfalle von dem Moment an, wo er über den Bund zu schreiben versuche […]. im Grunde haben Sie natürlich recht. Es ist unmöglich und von Gott verboten, über die prinzipiellen Dinge nachzudenken oder zu schreiben.[…] Also: Das Schreiben oder Denken über das Heilige […] ist im Grunde verboten.13
Hier sind also schon ein paar Aspekte für den weiter zu verfolgenden Ansatz angedeutet und ist die hier vorgenommene Auswahl begründet. Die Schwierigkeit, das Numinose in Worte oder gar eine philosophische Botschaft zu kleiden, bleibt dem Autor bewußt, ebenso wie die Zugehörigkeit zu einem ‹Bund› der eingeweihten Freunde, Künstler, Sucher und Hesse-Leser. Weitere Gründe liegen in der Textqualität, die Hesse später öfter selbst heraushebt. Und es sind zwei Erzählungen aus der Werkphase, die Hesses größte persönliche Krise abschließt, die aber auch in der historischen ‹Großwetterlage› als Krise verankert ist, den Lebensbedingungen unter dem Währungsverfall nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Weltwirtschaftskrise. So notierte Hesse über seinen Beginn als Maler, mitten im Ersten Weltkrieg als Selbsthilfe während seiner gefährlichsten Krise im Alter von fast vierzig Jahren, wie er Handschriften illustrierte, um zu Geld zu kommen, nachdem die immer rascher entwerteten Tantiemen aus dem S. Fischer-Verlag für seine Erfolgsbücher Peter Camenzind und Demian nach der Trennung von seiner Frau und den Söhnen an die
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Tourismus, S. 9, 11, 18. Zahlreiche Gegenwartsautoren schrieben zu Mein Hermann Hesse. Eine Hommage, hrsg. von U. Rothfuss, Berlin 2002. H. Hesse, Brief an H.M. , 19. 11. 1935; in Gesammelte Briefe in 4 Bänden, hrsg. von U. und V. Michels, Frankfurt a.M. 1990, Bd. 2, S 148f. H. Hesse, Brief an Georg Winter (d.i. Günter Eich), September 1932, ebd., S. 72f.
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Familie gingen: «Jetzt, wo die Geldverhältnisse mich als Dichter fast brotlos machen, beginne ich von der Malerei zu leben» (Brief, 1920). Die Eckdaten dieser die Krisen produktiv umsetzenden Werkphasen sind zunächst die Jahre 1919–22 mit Siddhartha als Antwort auf den totalen Wechsel von Lebensumständen: Umzug nach Montagnola nach dem Scheitern der ersten Ehe, dem Tod des Vaters, der einsamen Malerexistenz im Casa Camuzzi nach der Familienphase mit drei Söhnen, der eigenen Umwertung aller Werte nach dem 1. Weltkrieg. Die Morgenlandfahrt entstand 1929–31 als Pendant zum Abschluß von Hesses Midlife-Crisis, gespiegelt im Steppenwolf 1927 und nach dem Scheitern der kurzen Ehe mit Ruth Wenger, auf dem Weg zur dritten, stabilen Ehe mit Ninon Dolbin und einem neuen, etablierten Lebensgefühl im neuen Haus, das ihm der Schweizer Gönner Hans C. Bodmer auf Lebenszeit zur Verfügung stellte. Die Morgenlandfahrt markiert ein wichtiges Werk-Scharnier zum letzten großen Werk der Altersprosa, dem Glasperlenspiel (1931–43), für das er dann, zusammen mit dem Gesamtwerk, und besonders unterstützt durch den befreundeten Thomas Mann, den Nobelpreis 1946 erhielt. Hesse war eine eindrucksvolle Kontrastfigur zum Zivilisationsbruch des Dritten Reiches und es lohnt, seiner Suche nach dem ‹Heiligen› in den Prosatexten nachzugehen, die sich in dem Gedicht Besinnung von 1933 nochmals summiert und verdichtet. Bereits über Siddhartha aber schreibt Hesse im Rückblick gegenüber einer Fehldeutung, die darin allzusehr eine ‹Indische Dichtung› mit fernöstlichem Telos vermutet: Siddhartha ist ein sehr europäisches Buch, trotz seines Milieus, und die Siddhartha-Lehre geht so stark vom Individuum aus und nimmt es so ernst, wie keine asiatische Lehre es tut. Siddhartha ist der Ausdruck meiner Befreiung vom indischen Denken. Ich bin kein Vertreter einer festen, fertig formulierten Lehre, ich bin ein Mensch des Werdens und der Wandlungen, und so steht neben dem ‹jeder ist allein› in meinen Büchern auch noch anderes, z.B. ist der ganze Siddhartha ein Bekenntnis zur Liebe […]. Ich suchte das zu ergründen […], was allen menschlichen Formen der Frömmigkeit gemeinsam ist, was über allen nationalen Verschiedenheiten steht, was von jeder Rasse und von jedem einzelnen geglaubt und verehrt werden kann.14
Hier sind bereits neben der Suche nach dem Heiligen in unorthodoxer Christlichkeit15 die Unterschiede zum in der Zwischenkriegszeit popularisierten, Deutschen Existentialismus markiert, dem Hesse auch nahestand, weil er mit Begriffen wie ‹Sorge› und ‹Angst› derselben Krisenzeit entsprang. Es ging um die existentielle 14 15
H. Hesse, Über Siddhartha, in Schriften zur Literatur I, in Gesammelte Werke in 12 Bänden, Frankfurt a.M. 1987, Bd. 11. Wie sie sich im, nicht im Glasperlenspiel aufgenommenen, Vierten Lebenslauf Josef Knechts von 1934 in einer imaginierten Kirchenmusiker-Vita im 18. Jh. niederschlägt, die dem Geist des schwäbischen Pietismus Oetingers, Bengels und Zinzendorfs entwächst, aber auch die Mystik Jakob Böhmes und der Kabbala integriert und letztlich zur Kunst neigt; der Text steht in der für Hesses Werk neuen Tradition des historischen Romans und unter dem Einfluß Jacob Burckhardts. Vgl. Th. Ziolkowski, Nachwort, in H. Hesse, Der vierte Lebenslauf Josef Knechts, Frankfurt a.M. 1986, S. 176f.
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Einsamkeits- und Geworfenheitsthematik im ‹Vorlauf auf den Tod› und den melancholischen Rückzug in die Natur, heraus aus Technik, Gesellschaft und Politik. Hesse verband seine christliche Prägung mit der Mentalität solcher, in der Zeit liegender, Geborgenheit im ‹Seienden› Heideggers und v. Bollnows, Heinemanns und Jaspers’16. Siddhartha lebt aber auch aus dem Menschheitserneuerungspathos des Expressionismus nach dem 1. Weltkrieg. So versucht Hesse mit dieser indischen Legende, mit Demian. Die Geschichte einer Jugend (1919), Zarathustras Wiederkehr. Ein Wort an die Deutschen (1919) und Sinclairs Notizbuch (1923) einen neuen Nachkriegsimpetus: die Deutschen nach dem großen Krieg zur inneren Einkehr, zu Pazifismus und zu humanitärem Internationalismus zu bewegen. Unter diesem Vorzeichen werden Romain Rollland, T.S. Eliot, Thomas Mann und Hugo Ball seine Freunde, später treten Carl Gustav Jung, André Gide, Rudolf Alexander Schröder, Hans Carossa und Martin Buber hinzu. Nach der Indienreise von 1911 und der Begegnung mit Sigmund Freud und Jung, vermittelt durch den Jung-Schüler und Psychotherapeuten Hesses, Josef Bernhard Lang, gewinnt der Weg zum Selbst als dem ‹innigeren Verhältnis zum eigenen Unbewußten› (Künstler und Psychoanalyse, 1918) die Bedeutung von Lebensnorm, Gott und Sinn. Von nun an bildet die Selbstfindung des Schriftstellers durch seine Bilder und Fiktionen die Voraussetzung zur Lösung der Bewußtseins- und zeitkrisen. Logos und Mythos verschränken sich zu einem bis zum Ende auszuhaltenden Spannungsverhältnis, ob im menschenzugewandten Taoismus Siddharthas im 2. Teil oder den späten, auf Chinesisch-Pantheistisches oder auf Humor und Weisheit abzielenden Gedichten.17
2. ‹Siddhartha› und der schwierige Schreibprozeß einer indischen Heiligenlegende Diesen frontal alle bürgerlichen Sicherungen hinter sich lassenden Neubeginn spielt Hesse noch im selben Jahr im ersten Teil der indischen Heiligen-Legende Siddhartha durch, deren therapeutische Funktion in der Niederschrift er im Tagebuch 1920/21 liebevoll durch die Charakterisierung als «mein indischer Roman, mein Falke, meine Sonnenblume» hervorhebt. «Ich war jetzt ein kleiner, abgebrannter Literat, ein abgerissener und etwas verdächtiger Fremder, der von Milch und Reis und Makkaroni lebte, seine alten Anzüge bis zum Ausfransen austrug und im Herbst sein Abendessen in Form von Kastanien aus dem Walde heimbrachte»18. 16
17 18
Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1927; K. Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, Berlin 1930; O.Fr. Bollnow, Existenzphilosophie, Stuttgart 1942; F. Heinemann, Neue Wege der Philosophie, Geist – Leben – Existenz, Leipzig 1929. Hesse hat Heidegger erst in den späten 50er Jahren erwähnt. V. Wehdeking, Hermann Hesse, in Metzler Autoren Lexikon, Stuttgart 2004, 3. Aufl., S. 313– 315, hier S. 316. Zitat nach S. Unseld, Siddhartha (1976), in Über Hermann Hesse, Bd. 2, Frankfurt a.M. 1982, S. 392ff.
Hermann Hesse, Carl Gustav Jung und Thomas Mann Im Februar 1920 beginnt Hesse mit der Niederschrift. Zunächst läuft alles gut und rasch, Lebenslauf und Legende durchdringen sich organisch. Auf der Suche nach einer gültigen Wahrheit nimmt Siddhartha, Sohn des Brahmanen, Abschied von seinen Eltern und ihren religiösen Bräuchen, um gemeinsam mit seinem Freund Govinda als Samana, als asketischer Bettler auf Wanderschaft zu gehen. Beide verlassen die Samanas, um Gotama Buddha zu hören, der Anhänger für seine Religion sucht. Govinda wird Schüler Buddhas, Siddhartha verweigert sich, er will nichts von Lehrern lernen. Er will nicht zurück.19
Der schwierige Schreibprozeß in Teilen, nach einer einjährigen Unterbrechung fortgesetzt, wurde erst Ende 1922, nach weiterer Analyse bei Carl Gustav Jung vollendet, weil er den Asketen und Dulder aus eigenster Erfahrung beschreiben konnte, nicht aber einen «Sieger und Jasager», einen, der wie im Beinamen Buddhas als ‹Siddhartha›, als «einer der sein Ziel erreicht hat» bestehen kann; Carl Gustav Jungs Analyse und sein mit japanischem Denken vertrauter Vetter Gundert helfen dabei entscheidend: Hesse kann seinen Dreistufenweg in der Erzählung durch neues Selbstbewußtsein über die Kraft der künstlerischen Phantasie finden und sein erneuertes Indienbild aus sich selbst gestalten. Er erkennt, daß gegenüber seinem bisherigen Indienbild aus dem Elternhaus, aus der Lektüre der Upanishaden, der Reden Buddhas und der indischen Philosophie, es des seelischen, ,alten‘ Indien der Götter bedarf. Er sucht eine Durchgangsstufe des Chaos der alten archaischen Götzenwelt, die den reinen, vernünftigen Buddhismus auf dem Weg zum Nirwana und Ende der Wiedergeburten reformiert und zu einer neuen Dimension seines eigenen Wegs nach Innen führt. Nun kann er die Erzählung zu Ende gestalten. In der Forschung und Exegese (Ziolkowski, Freedman, Winter, Hsia) sind die Dreistufigkeit der Entwicklung und Erlösung des Helden und die Parallelen zur historischen Buddha-Gestalt, dem Gautama aus einer nepalesischen Königsfamilie im 6. Jh. v. Chr. mit dem Beinamen Siddhartha (= ‹Einer der sein Ziel erreicht hat›) vielfach betont worden. Ähnlich wie Hesses Protagonist verläßt der historische Gautama, bereits als Kind, wie sein Autor, ein Hochbegabter, Frau und gerade geborenen Sohn, entsagt mit 29 Jahren dem weltlichen Leben, um Asket zu werden, lernt die Übungen des Yoga, meditiert sechs Jahre lang am Ufer eines Flusses und gelangt unter einem Feigenbaum in drei Nachtwachen zur erlösenden ‹Erleuchtung›, die ihn zum Heilslehrer und Stifter einer Weltreligion werden läßt. In einer Vision hat der historische Buddha alle früheren Existenzen durchlaufen und erkennt den Zusammenhang aller Dinge, ähnlich Hesses fiktionaler Figur in der Gleichzeitigkeit und Einheit der Welt. Auch wenn Hesse in seiner Struktur dreier Lebensphasen Siddharthas, die in je 20-jährigen Stufen die bi-polaren Stadien vom heiligen Asketen als Samana und weltlichem Wohlleben bis zum Wüstling und zum Überdruß durchleben muß, bis er am Fluß beim Fährmann Vasudeva und durch den Verlust des innig geliebten Sohnes Weisheit, Liebe und Einsicht in die All-Einheit des Om erlangt (oder, viel19
Ebd., S. 395.
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mehr der Widmung des 2. Teils gemäß, unter dem Einfluß des Japanologen Wilhelm Gundert des Tao) ist diese «versteckte, kritische Exegese des Buddhismus»20 nicht als eine Vita des Religionsführers beabsichtigt: Hesses […] Sicht der Menschwerdung steht in ausdrücklichem Gegensatz zu derjenigen Gautamas. In seinem Tagebuch von 1920 erklärt er kategorisch, daß er sich gegen den bewußten Versuch Buddhas wende, weil dieser von einem bestehenden Entwicklungsschema ausgehe, und daß er statt dessen (genau wie Siddhartha) hoffe, ‹Gottes Willen gerade dadurch [zu] erfüllen, daß ich mich treiben lasse› (in Klein und Wagner nannte ich es ‹sich fallen lassen›). Neuere Arbeiten weisen darauf hin, daß die Idee des Siddhartha eine größere Gemeinsamkeit mit den philosophischen und religiösen Systemen Chinas aufweise als mit denen Indiens.21
Hesse notiert in einer Rezension der Brahmanas und Upanishaden 1921: Die Philosophie des Vedanta, des Veda-Endes zeigt uns den vielgestaltigen indischen Geist wohl in seiner lebendigsten Blüte […]. Wie erregend und beglückend das erste Kennenlernen der Upanishaden einst auf Humboldt und auf Schopenhauer gewirkt hat, ist bekannt.[…] Ihre zentrale Lehre ist die vom Atman, vom Selbst im Ich. Das Finden des Selbst und das Unterscheiden des (individuellen, egoistischen) Ich vom Selbst ist für uns der Inbegriff aller indischen Lehre, wie es auch der Lehre Buddhas zugrunde liegt.22
Und noch einen Unterschied zum orthodoxen Buddhismus betont Hesse in einem Brief an Lisa Wenger, die Mutter seiner neuen, wesentlich jüngeren Partnerin Ruth Wenger, die seine Kamala-Darstellung inspirierte: «Siddhartha wird, wenn er stirbt, nicht Nirwana wünschen, sondern mit seiner Wiedergeburt einverstanden sein, und aufs neue den Lauf antreten»23. Den meisten westlichen Lesern, die zwischen den religiösen Varianten indischen und japanischen Buddhismus’ und chinesischen Taoismus’ nicht kompetent zu differenzieren vermögen und dies auch nicht anstreben, kann die zu schier endloser Exegese – inzwischen auch auf Schulebene – Anlaß gebende, ‹Indische Dichtung› auch als sprachlich und strukturell sehr dicht gearbeitetes Kunstwerk Lektüre- und Deutungsgewinn bringen. Hier ist nicht der Raum, die dreiteilige Legende, die ein ganzes Leben des Heiligkeit suchenden Brahmanen umfaßt, zu analysieren; aber die Bildlichkeit von Fluß und Fähre, Mangobaum und ganzheitlichen Traumvisionen ist im Stil einfachster Parataxen, bewußt archaischer Ausdrucksweise, epischen Wiederholungen, Iterativ und in den drei jeweils 48 Stunden umfassenden Handlungsverdichtungen einschneidender Entscheidungen der Heiligen-Vita von überzeugender Geschlossenheit auf allen Ebenen. Die Gattung Legende muß den Stoff eines idealen Lebenswegs durch eingängige, den Lesererwartungshorizont affirmierende Themen, Bilder, Raum- und Zeit-Struktur und Motiv-Komplexe gestalten. 20 21 22 23
Ebd., S. 140. Ebd. Ziolkowski verweist auf Materialien zu Hermann Hesses ‹Siddhartha›, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1986; vgl. auch A. Hsia, Hermann Hesse und China, a.a.O., S. 237–248. Materialien zu Hermann Hesses ‹Siddhartha›, a.a.O., S. 146f. H. Hesse, Brief an Lisa Wenger, 10.2.1921, in Gesammelte Briefe, a.a.O., Bd. 1, S. 466.
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Zum Genre gehört auch die übernatürliche wunderbare Vereinigung mit Gott (oder der All-Einheit) am Ende der Legende und die Beglaubigung von Siddharthas Heiligkeit von den Zeugen Vasudeva, Kamala und Govinda. Siddhartha ist, wie Ziolkowski betont, ein imitabile im Hinblick auf sein Ziel, den Frieden24, und daher für einen Neuanfang nach dem ‹großen Krieg› in der Stimmung expressionistischer Menscheitserneuerung nach 1918 ebenso relevant, wie heute gültig. Zentrales Symbol ist der Fluß, aber auch die Fähre Vasudevas hat unterschwellig im Abendland die Symbolik von Charon und Styx oder Lethe für den Weg in Transzendenz und eine andere seelische Dimension. Von Heraklit bis Faulkner (Wild Palms), Thomas Wolfe (Of Time and the River), Marcel Proust, Thomas Mann, Hermann Broch, T.S. Eliot und Gabriel Garcia Marquez (Die Liebe in Zeiten der Cholera) steht seine Zeitlosigkeit gegen die Pressionen der Zeitlichkeit in der conditio humana. «Wie man das Fließende als eine Erscheinung der Ganzheit im Räumlichen verstehen kann, so ist die Verwandlung – in der indischen Bedeutung der Seelenwanderung – seine Erscheinungsform in der Zeit»25. Hesse notiert im Tagebuch: «Nirwana ist, wie ich es verstehe, das Zurückkehren des Einzelnen zum ungeteilten Ganzen, der erlösende Schritt hinter das principium individuationis zurück, also, religiös ausgedrückt, Rückkehr der Einzelseele zur Allseele, zu Gott»26. Räumlich entspricht dieser Gleichzeitigkeit die Auflösung der polaren Gegensätze im Selbst, genauer in Platons unsterblicher ‹Seele›, wie sie noch im Demian fungiert; nun heißt es umschreibend im 1. Kapitel von Siddhartha: «Und wo war Atman [das Einzige, das All-Eine] zu finden, wo wohnte Er, wo schlug Sein ewiges Herz, wo anders als im eigenen Ich, im Innersten, im Unzerstörbaren, das ein jeder in sich trug?» (SI, S. 9)27. Das Heranbilden des Intellekts bis zur Samana-Askese in den Wäldern geschieht am Fluß, die sinnlichen Freuden und weltlichen Güter winken in der Stadt, die Rückkehr geschieht wieder zum Fluß, die bei Hesse häufigen Polaritäten von Geist und Natur werden nun chronologisch getrennt und nacheinander durchlaufen. Der Dialog mit Vasudeva, den er jedes Mal nicht bezahlen kann, und der ihm Weisheit bietet, sowie die antizipierte Lösung des Ganzen in der Botschaft des Flusses, dem heiligen ‹Om› oder Tao, machen das Übersetzen mit der Fähre am Fluß zum wiederholten Scharnier der Handlung nach der ersten und vor der dritten, letzten Individuation. Mit 60 Jahren erlangt Siddhartha endlich das Signum der Heiligkeit, manifest in seinem «strahlenden Lächeln» der Erleuchtung, das auch bei Gautama und Vasudeva sichtbar war, ein Gesicht, das weder Fröhlichkeit noch Traurigkeit verrät, sondern «leise nach innen zu lächeln» scheint. Dem korrespondiert Gautamas Blick «voll Güte und Stille»: «Die Augen des Buddha blickten still zu Bo24 25 26 27
Th. Ziolkowski, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Siddhartha›, a.a.O., S. 141. Ebd., S. 142. H. Hesse, Gesammelte Schriften in 7 Bänden, Frankfurt a.M. 1957, Bd. 7, S. 463. H. Hesse, Siddhartha. Eine indische Dichtung, Frankfurt a.M. 1974, S. 9. Im folgenden zitiert als SI mit Seitenzahlen.
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den, still in vollkommener Gleichmut strahlte sein unerforschliches Gesicht. […] Mit einem halben Lächeln, mit unerschütterlicher Helle und Freundlichkeit sah Gotama dem Fremdling ins Auge» (SI, S. 32). Hesse greift für die Ebene der Heiligkeit zum Oxymoron und häuft die paradoxen Gegensätze: «So wahrlich wünsche auch ich blicken und schreiten zu können, so frei, so ehrwürdig, so verborgen, so offen, so kindlich und geheimnisvoll» (SI, S. 32). Die Vollkommenheit und Gleichzeitigkeit des Flusses wird am Ende der Legende aufgenommen in der magischen Vision Govindas, als er auf Siddharthas Wunsch diesen auf die Stirn küßt: Er sah seines Freundes Siddhartha Gesicht nicht mehr, er sah statt dessen andre Gesichter, viele, eine lange Reihe, einen strömenden Fluß von Gesichtern, von Hunderten, von Tausenden, welche alle kamen und vergingen, [..] welche alle sich beständig veränderten und erneuerten, und welche doch alle Siddhartha waren.[…] er sah die Körper von Männern und Frauen nackt in Stellungen und Kämpfen rasender Liebe – er sah Leichen ausgestreckt, still, kalt, leer – er sah Tierköpfe, von Ebern, von Krokodilen, von Elefanten, von Stieren, von Vögeln – er sah Götter, sah Krishna, sah Agni – , er sah all diese Gestalten und Gesichter in tausend Beziehungen zueinander, jede der andern helfend, sie liebend, sie hassend, sie vernichtend, sie neu gebärend,[…] über alles war beständig etwas Dünnes, Wesenloses […] wie ein dünnes Glas oder Eis gezogen, wie eine durchsichtige Haut […] oder Maske von Wasser, und diese Maske lächelte, […] war Siddharthas lächelndes Gesicht.[…] Und so sah Govinda […] dies Lächeln der Einheit über den strömenden Gestaltungen, dies Lächeln der Gleichzeitigkeit über den tausend Geburten und Toden, […] So, das wußte Govinda, lächelten die Vollendeten. […] Tränen liefen, von welchen er nichts wußte, über sein altes Gesicht, wie ein Feuer brannte das Gefühl der innigsten Liebe, der demütigen Verehrung in seinem Herzen. Tief verneigte er sich, bis zur Erde, vor dem regungslos Sitzenden, dessen Lächeln ihn an alles erinnerte, was er je in seinem Leben jemals geliebt hatte, was jemals in seinem Leben ihm wert und heilig gewesen war (SI, S. 121).
Der hier zur rasanten Coda gesteigerten Sprache einer Vision des Numinosen in Annäherung an das All-Eine und Heilige Atman entspricht der in den starken, hellen Farben des Expressionismus, übrigens ähnlich der Aquarell-Malerei Hesses in dieser Periode der frühen 20er Jahre, gehaltene Eingangsstil mit seinen hochrhetorischen Dreifach-Formeln und iterativen Appositionen, die dem Leser Identifikation mit dem Helden und rasche, tiefenscharfe Einfühlung in die indische Atmosphäre der Legende vermitteln, durch den ,hohen Ton‘ auf das Ziel einer religiös motivierten Queste und indischen Gralssuche sensibel vorbereitend; die lyrische Prosa ist voller Assonanzen, auch Neologismen, und buddhistische oder hinduistische Fachtermini gehören ebenfalls zur expressiven Palette: Liebe rührte sich in den Herzen der jungen Brahmanentöchter, wenn Siddhartha durch die Gassen der Stadt ging, mit der leuchtenden Stirn, mit dem Königsauge, mit den schmalen Hüften. […] Er aber, […] schuf sich nicht Freude, er war sich nicht zur Lust. Wandelnd auf den rosigen Wolken des Feigengartens, sitzend im bläulichen Schatten des Hains der Betrachtung, waschend seine Glieder im täglichen Sühnebad, opfernd im tiefschattigen Mangowald, von vollkommenem Anstand der Gebärden, von allen geliebt, aller Freude, trug er doch keine Freude im Herzen. Träume kamen ihm und rastlose Gedanken aus dem Wasser des Flusses geflossen, aus den Sternen der Nacht gefunkelt, aus
Hermann Hesse, Carl Gustav Jung und Thomas Mann 133 den Strahlen der Sonne geschmolzen, Träume kamen ihm und Ruhelosigkeit der Seele, aus den Opfern geraucht, aus den Versen der Rig-Veda [die älteste indische Dichtung, d. V.]gehaucht, aus den Lehren der alten Brahmanen geträufelt. […] Vortrefflich waren die Opfer und die Anrufung der Götter – aber war dies alles? Gaben die Opfer Glück? Und wie war das mit den Göttern? War es wirklich Prajapati [der Schöpfer, der höchste Gott in der Mythologie der Veda, d. V.], der die Welt erschaffen hatte ? War es nicht der Atman [im Sanskrit Atem, Lebenskraft, Selbst, in der indischen Philosophie die Seele, d. V.], er, der Einzige, der Alleine? Waren nicht die Götter Gestaltungen, erschaffen wie ich und du, der Zeit untertan, vergänglich?(SI, S. 7–9)
Mit einem letzten Beispiel soll Hesses Erzählkunst in Umsetzung der bi-polaren Archetypen C.G. Jungs und der arkanen Träume illustriert werden, Träume zu denen Hesse eine erstaunliche Disposition und Sensibilität mitbrachte, seit er, acht Wochen vor dem 1. Weltkrieg einen prophetischen Traum der flammenden Zerstörung der Welt durch den Kriegsgott Ares aufzeichnete (Der Traum von den Göttern, 1914/24). Er besaß in hohem Maße das Gespür für Zeitströmungen, hier ähnlich Georg Heym mit seinem Gedicht Der Krieg (1912), mit dem Phänomen begabt, das Ernst Bloch den «Vorschein» nannte, einem Zukunftsgespür, das auch zu arkanen Träumen führte. In Siddharthas 7. Kapitel, Sansara, das auf die ewige Daseinserneuerung und die Welt der Triebe anspielt, sinkt der durch eine durchzechte Nacht mit Tänzerinnen, «öder Musik», Glücksspiel Schlaflose und von sich selbst Angeekelte vor dem Stadthaus im Morgengrauen in einen kurzen, betäubten Schlaf und träumt einen erschreckenden Traum; wieder fallen die Iterative und Wiederholungen auf, die den Text herausheben: Kamala besaß in einem goldenen Käfig einen kleinen seltenen Singvogel. Von diesem Vogel träumte er. Er träumte: dieser Vogel war stumm geworden, der sonst stets in der Morgenstunde sang, und da dies ihm auffiel, trat er vor den Käfig und blickte hinein, da war der kleine Vogel tot und lag steif am Boden. Er nahm ihn heraus, wog ihn einen Augenblick in der Hand und warf ihn dann weg, auf die Gasse hinaus, und im gleichen Augenblick erschrak er fruchtbar, und das Herz tat ihm weh, so, als habe er mit diesem toten Vogel allen Wert und alles Gute von sich geworfen. Aus diesem Traum auffahrend, fühlte er sich von tiefer Trauer umfangen. Wertlos, so schien es ihm, wertlos und sinnlos hatte er sein Leben dahingeführt;[…] Allein stand er und leer, wie ein Schiffbrüchiger am Ufer (SI, S. 69).
Siddharthas weltlicher Tiefpunkt, unmißverständlich vom Erzähler mit dem Hinweis umschrieben, er habe in dieser Nacht «gegen seine Standesgenossen den Überlegenen gespielt, welcher er nicht mehr war» (SI, S. 68) wird durch den hellsichtigen, archetypischen Traum mit dem universalen Vogelsymbol als Himmelsbote zu einer für den Leser eindringlichen Schlüsselpassage vor der Peripetie. Danach wird sich Siddhartha ohne Zögern von seinem Stadthaus und Lustgarten trennen, unter dessen Mangobaum er ein letztes Mal meditiert, «den Tod im Herzen und das Grauen in der Brust», überdenkt nochmals seinen Weg der als Suche nach Heiligkeit begann, und kommt zur Einsicht, «daß das Spiel zu Ende war, […] ein Schauer lief ihm über den Leib, in seinem Innern, so fühlte er, war etwas gestorben» (SI,
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S. 70). Zurück am Wald beim Fluß, in dem er einst als Samana asketisch lebte und Buddha suchte, beschließt er, einem übermächtigen Todeswunsch folgend, unter einem Kokosbaum zu sterben, sich übermüdet und voller Selbstekel ins Wasser gleiten zu lassen; die Archetypen vom Lebensbaum (hier zweimal, mit Mango- und Kokosbaum als Orten für den nicht vollzogenen Todeswunsch, gestaltet) und bergender Anima in der Sphäre des vielstimmig sprechenden Flußwassers heben die Passage heraus. Die Hinweise auf den göttlichen Blitz, auf ein momentanes ‹Durchzucktwerden› von Erkenntnis verweisen dabei auch sprachlich auf das Erlebnis der Epiphanie, des Erscheinens der Gottheit, oder, in dieser Krise neuerlicher Selbstwahl des lebensmüden Helden, mit Heideggers Existentialismus im ‹Vorlauf auf den Tod› zu sprechen, der blitzhaft spürbaren ‹Unverborgenheit des Seins› im ‹Dasein› Siddharthas, einer für ihn in dieser Todesgefahr rettenden Erfahrung der ‹alétheia›: da zuckte aus entlegenen Bezirken seiner Seele, aus Vergangenheiten seines ermüdeten Lebens her ein Klang. Es war ein Wort, eine Silbe, die er ohne Gedanken mit lallender Stimme vor sich hin sprach, das alte Anfangswort und Schlußwort aller brahmanischen Gebete, das heilige ‹Om›, das soviel bedeutete wie ‹das Vollkommene› oder ‹die Vollendung›. Und im Augenblick, da der Klang ‹Om› Siddharthas Ohr berührte, erwachte sein entschlummerter Geist plötzlich, und erkannte die Torheit seines Tuns.[…] und wußte um Brahman, wußte um die Unzerstörbarkeit des Lebens, wußte um alles Göttliche wieder, das er vergessen hatte. Doch war dies nur ein Augenblick, ein Blitz. […] Om murmelnd, legte [er] sein Haupt auf die Wurzel des Baumes und sank in tiefen Schlaf (SI, S. 73f.).
Der tief Erschrockene wird nun sein Leben wieder auf die Suche nach dem Heiligen richten, die schmerzvolle Trennung von Kamala und seinem 12-jährigen Sohn erleiden, die Liebe der ‹Kindermenschen› verstehend nachvollziehen und nach der Trennung von Vasudeva auf dessen Fähre im Fluß die Botschaft des Wassers im ‹Om› hören, verstehen und Frieden finden. Die dramatisch verdichtete Peripetie, Goethes Faust-Szene nach der Beschwörung des Erdgeists mit den rettenden Osterglocken vergleichbar (aber diesmal umgekehrt, den Weg aus der Phase der Sinnlichkeit markierend), ist durch den arkanen Traum vom kleinen Himmelsvogel im goldenen Käfig sprachlich und psychologisch meisterhaft gestaltet. Daß in der Ablösung vom Vater eingangs der Legende, in der leidvollen, vergeblichen Liebe zum unreifen Sohn Siddharthas auch eine Aufarbeitung des Abschieds von Hesses eigenem Vater enthalten war, und im warnenden Vogelsymbol die verdeckte Allusion auf den Totenspruch des 1916 verstorbenen Johannes Hesse «Der Strick ist zerrissen, der Vogel ist frei» (Psalm 124, V.7), enthalten ist, zeigt nur, wie sehr diese vielschichtige Legende auch eine sehr persönliche Ablösung vom Eltern-Ich Hesses war. Die Umkehr Siddharthas durch das im eigenen ‹inneren Raum›28 vernommene ‹Om› muß noch durch den Aspekt des neuen Rufs des Flusses von außen, für das 28
Vgl. R. Freedman, Peripetie und Vision. Bermerkungen zur Entstehungsgeschichte des Siddhartha, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Siddhartha›, a.a.O., Bd. 2, 1976, S. 213f. Freedman betont, daß über den Grundbegriff C.G. Jungs hinaus seit Siddhartha «alle im Roman beschriebenen Ereignisse in Wirklichkeit Bilder eines inneren Raumes sind».
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Erkennen von ‹Om› und die darin liegende Erfahrung des Urgrunds aller Dinge, deren Gleichzeitigkeit und ewige Wandelbarkeit des Tao ergänzt werden; der Fluß, dessen Stimmen Siddhartha nun immer deutlicher vernimmt, hat es ihm zugeraunt, dem innersten Selbst entspricht ein Echo aus dem Numinosen: Tief war sein Schlaf und frei von Träumen, […] er hörte das leise Strömen des Wassers […] daß der Vogel, die frohe Quelle und Stimme in ihm doch noch lebendig war, […] darüber strahlte sein Gesicht unter den ergrauten Haaren. […] Ihm schien, es habe der Fluß ihm etwas besonderes zu sagen, etwas, das er noch nicht wisse, das noch auf ihn warte. In diesem Fluß hatte sich Siddhartha ertränken wollen, in ihm war der alte, müde, verzweifelte Siddhartha heute ertrunken. Der neue Siddharta aber fühlte eine tiefe Liebe zu diesem strömenden Wasser und beschloß bei sich, es nicht so bald zu verlassen. […] (SI, S. 76–82). Und wieder einmal, als eben der Fluß in der Regenzeit geschwollen war und mächtig rauschte, das sagte Siddhartha: ‹Nicht wahr, o Freund, der Fluß hat so viele Stimmen, sehr viele Stimmen? Hat er nicht die Stimme eines Königs, und eines Kriegers, und eines Stieres, und eines Nachtvogels, und einer Gebärenden, und eines Seufzenden, und noch tausend andere Stimmen?›. ‹Es ist so›, nickte Vasudeva, ‹alle Stimmen der Geschöpfe sind in seiner Stimme›. ‹Und weißt du›, fuhr Siddhartha fort, ‹welches Wort er spricht, wenn es dir gelingt, alle seine zehntausend Stimmen zugleich zu hören?›. Glücklich lachte Vasudevas Gesicht, er neigte sich gegen Siddhartha und sprach ihm das heilige Wort Om ins Ohr. Und eben dies war es, was auch Siddhartha gehört hatte. Und von Mal zu Mal ward sein Lächeln dem des Fährmanns ähnlicher, […] (SI, S. 88).
Hesse hat seinen Privatmythos einer dreistufigen Wandlung seiner Helden auf dem Weg zum höheren Selbst, sei es im Demian, sei es in Siddhartha oder den Morgenlandfahrern in einem Essay zur eigenen ‹Theologie› 1932 festgehalten, die eine Affinität zum Existentialismus Kierkegaards, auch dessen Vorliebe für Mozart als einem der ‹Unsterblichen›, und dessen Postulat vom «Sprung in den Glauben» erkennen lassen: Die indische Dichtung Hesses ist demnach poetische Illustration der Kategorien ‹naiver Mensch›, ‹Yoga› und ‹Erwachtsein› [die Lehre von der ‹Stufenfolge der Menschwerdung› im indischen Brahmanismus, d. V.], des Weges aus der Unschuld in die Schuld, aus der Schuld in die Verzweiflung, aus der Verzweiflung entweder zum Untergang oder zur Erlösung: nämlich nicht wieder hinter Moral und Kultur zurück ins Kinderparadies, sondern über sie hinaus in das Lebenkönnen kraft seines Glaubens. […] Was für die Zeitgenossen eine Weile wie die Flucht in die Individualität, ins Einzelgängertum aussah, war in Wirklichkeit Auseinandersetzung mit einer bipolaren Weltsicht, in der das indische Element weltflüchtige Passivität vertrat; daß sowohl im Siddhartha als auch im Glasperlenspiel ästhetisierende Introvertiertheit sich zu weltoffenem Gemeinschaftssinn wandelt, deutet auf eine Integration, wenn nicht sogar Überwindung wesentlicher Bestandteile der fernöstlichen Überlieferung. […]
Über die Umdeutung der indischen Motive im Siddhartha ist Hesse sich durchaus im klaren gewesen: «Daß mein Siddhartha nicht die Erkenntnis, sondern die Liebe obenan stellt, daß er das Dogma ablehnt und das Erlebnis der Einheit zum Mittelpunkt macht, mag man als ein Zurückneigen zum Christentum, ja als einen wahrhaft protestantischen Zug empfinden». Hesses Indienbild […] ist also in enger Verbindung mit seiner Kritik an den geistigen Normen der spätbürgerlichen Gesellschaft, genauer mit einer Relativierung
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christlich-dogmatischer Glaubenslehren zu sehen. In dem Zwiespalt von rationaler Skepsis und religiöser Sehnsucht «[fand] er in der indischen All-Einheitsmystik Antworten auf seine Fragen. Hesse hat den ‹religiösen Antrieb› als das wichtigste Merkmal seines Lebens und Werkes bezeichnet; daß zwei der Hauptthemen dieses Werkes, die Vorstellung der Einheit des Seins und das Modell der ‹Menschwerdung› der asiatischen Überlieferung entstammen, kennzeichnet die Eigenart und die Intensität seiner Beschäftigung mit dem fernen Osten»29. Dem Aufsatz zur Offenbarung in Hinduismus und Buddhismus Wolfgang Gantkes verdanke ich die Zuordnung dieser Hesse-Legende in die Nähe der reformierten Variante des Mahayana-Buddhismus, der keine Offenbarung kennt, aber doch eine ‹Begegnung mit dem Heiligen› und den «Beistand göttlicher oder bereits erlöster menschlicher Wesen» auf dem Weg zur Erleuchtung. Das Heilsziel kann also nicht Offenbarung im christlichen Sinne sein wie in der radikalen Selbstmitteilung Gottes an die Welt in der Menschwerdung des Jesus von Nazaret (H. Waldenfels), sondern das Heilsziel jenseits einer personalen Gottesexistenz durch das ‹Erreichen des Nirvana›,[…] die Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten (Samsara). Dieses Heilsziel vermag der Mensch nach der Lehre des Buddha aus eigener Kraft zu erlangen. Im Rahmen des Hinayana-Buddhismus wird daher auf den Rückgriff auf Gottes- und Erlösergestalten ganz verzichtet. Dies ändert sich erst im MahayanaBuddhismus, der im ersten vorchristlichen Jahrhundert in Indien entstand und für den das Ideal des ‹Erleuchtungswesens› (Bodhisattva) im Zentrum steht.[…] Hier bemüht sich der ‹Bodhisattva› nicht ausschließlich um die eigene Erlösung, sondern er kehrt aus Mitleid und Liebe (Karuna) an der Schwelle der Erlösung, zum Nirvana, gleichsam freiwillig um und arbeitet in der unerleuchteten Vielheitswelt für die Befreiung aller lebenden Wesen, also nicht nur der Menschen.30
Wichtig ist hier auch, daß es sich nicht um eine anthropozentrische Lehre allein handelt, sondern den ganzen Kosmos meint und auch die «Erlösung nichtmenschlicher Wesen» einschließt. In Siddharthas bescheidenem Dienen mit der Fähre, seiner Weitergabe des All-Einheits-Gefühls an Govinda in der Vision der tausend Gesichter, die auch Tiere einschließt, bestätigt sich diese Deutung. Gantke weist ausdrücklich auf die aktuelle Relevanz der fernöstlichen, nicht-anthropozentrischen «Verbundenheit mit der lebendigen Mitwelt» als einer «Faszinationskraft» solcher Kosmologie des Hinduismus, Taoismus und Buddhismus «im Zeichen der heutigen ökologischen Krise» hin31. Der Hesse-Biograph Ralph Freedman macht in diesem Zusammenhang auf einen, wie ein Stück späterer Prosa lebendig vom Autor aufgezeichneten Traum 29 30 31
H. Winter, Legende und Wirklichkeit. Hermann Hesses indische Dichtung, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Siddhartha›, a.a.O., S. 284, 291f. W. Gantke, Offenbarung in Hinduismus und Buddhismus, in «Lebendiges Zeugnis», 54 (1999), H. 1, S. 5–19, hier S. 6f. Ebd. Zum Mahayana-Buddhismus bei Hesse vgl. auch A. Otten, Durchbruch und Einordnung in Materialien zu Hermann Hesses ‹Siddhartha›, Bd. 2, a.a.O., S. 217–223.
Hermann Hesse, Carl Gustav Jung und Thomas Mann
(Pelaiang32) auf der Indien-Reise von 1911 aufmerksam, der viele der SiddharthaMotive wie in einer Vorblende schildert. Hesse ging in Singapur nach dem Abendessen im Hotel mit dem befreundeten Maler Hans Sturzenegger ins Kino, wo sie «über unzählige langzopfige Chinesenköpfe hinweg» Stummfilmszenen vom Raub der Mona Lisa und aus Schillers Kabale und Liebe sehen. Kein Wunder, daß Hesse bei solchen déja-vu-Themen in dem schwülstickigen Kinosaal einschläft. Er träumt von einem Schiffsdeck und sieht sich neben seinem Vater, der das erfragte Reiseziel mit «Asien» benennt, aber nicht den «realen Kontinent», sondern einen imaginären «geheimnisvollen Ort, irgendwo zwischen Indien und China»: Aus der Distanz des Nachhinein liefert der Traum unschwer die Inhalte dessen, was Hesse eigentlich in Asien suchte. Die Gestalt des Traum-Vaters wird […] identisch mit der des lächelnden Buddha. ‹Ich lehre dich nicht›, sagt er freundlich zu seinem Sohn, ‹ich erinnere dich nur›. Und sein Lächeln ist das des ,Gurus‘, des ,Vollendeten‘, des ,Heilands‘. Doch im nächsten Augenblick ist er verschwunden. […] Am Ende erscheinen sämtliche Gestalten [an Deck, d. V.], Vater, Freund, Engländer, Guru und ‹alle Menschengesichter, die ich je mit Augen gesehen› an einem heiligen Ort versammelt, der wenig zu tun hat mit der Realität der überfüllten asiatischen Städte, dem undurchdringlichen Urwald und dem schwülen Kinoraum. ‹Sie schauten geradeaus, mit ergriffenen, schönen Blicken […] und vor uns tat sich ein vieltausenjähriger Hain auf […] und tief in der Nacht des heiligen Schattens glänzte golden ein uraltes Tempeltor […] unser Sehnen war gestillt und unsere Reise zu Ende›. Diese Zeilen erinnern fast an die Prosa des älteren Hesse und zeigen bereits damals sein ganz persönliches Indienbild. ‹Wir schlossen die Augen, und wir beugten uns tief und schlugen unsere Häupter an die Erde, einmal und wieder und nochmals, in rhythmischer Andacht›. So endet der Traum, und Hesse erwacht: Hart und schmerzhaft war er mit seiner Stirn auf die hölzerne Kante der Kino-Brüstung aufgeschlagen! Die Vision der Einheit am Ende des Traumes, das Ergebnis dieser Reise nach innen jedoch bleibt.33
Auch die Abneigung gegen eine Vermittlung der Kernanliegen des Buddhismus durch Lehre, vielmehr das Erinnern und Erlebenmüssen im Selbst, hier in einem visionären Zusammenfließen aller Gestalten, wird in Siddharthas Antlitz-Vision wiederaufgenommen. Das Erlebnis des Heiligen, der All-Einheit, diesmal in einem uralten Tempelhain mit goldenem Tor, das die Gläubigen vereint wie die vollendete Suche nach dem Gral, wird zehn Jahre später in Hesses dichterischem Indienbild ebenfalls gestaltet. Dessen Verarbeitung der Krise von 1916 mit dem Tod des Vaters wird durch den Singapur-Traum nochmals präfiguriert und bestätigt einmal mehr die kreative erzählerische Leistung in der Umsetzung durch eine indische Legende, die die religiöse Botschaft ganz der Fabel und der fiktionalen Erzählstruktur anvertraut. Ein spätes Hesse-Gedicht, Der erhobene Finger (1961), schildert Siddharthas Weg mit nunmehr chinesichen Konnotaten des Zen-Buddhismus34. 32 33 34
H. Hesse, Pelaiang, in Gesammelte Werke in 12 Bänden, Bd. 6, Frankfurt a.M. 1970, S. 251ff. R. Freedman, Hermann Hesse. Autor der Krisis. Biographie, Frankfurt a.M. 1999, S. 199f. Vgl. zur Deutung dieses Gedichts und der chinesischen religiösen Aspekte A. Hsia, Hermann Hesse und China, a.a.O., S. 115–138.
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3. Die Morgenlandfahrt und das Gedicht Besinnung Solche Zustände des Einswerdens mit dem ewigen Weltkreislauf konnten für den ruhelos zwischen Unrast und Aufbruch zu Neuem, Introversion und Sendungsbewußtsein schwankenden Autor der Mitte Vierzig nicht lange anhalten. Häufige Sanatoriumsaufenthalte, neue Verliebtheit, die in eine scheiternde, kurze Ehe mit der zwanzig Jahre jüngeren Ruth Wenger mündet, häufige Depressionen und Todeswünsche finden ihren literarisch bedeutenden Niederschlag im Steppenwolf (1927). Hesse befreit sich darin von seiner midlife crisis, schildert schonungslos einen zwischen Bürger und Künstler zerrissenen, vereinsamten, mit sich selbst zerfallenen lupus campestris und alter ego des Anti-Helden Harry Haller, der sich doch lebenshungrig in die schöne Hermine verliebt, um sie im imaginären ‹magischen Theater› eines Spiegelkabinetts am Ende einer wüsten Ballnacht aus Eifersucht gegenüber seinem Freund und Saxophonisten Pablo symbolisch zu erstechen. Das kühle, kaum erträgliche Gelächter Mozarts und der ‹Unsterblichen› entläßt ihn in die Verzweiflung, dennoch bereit, «das Spiel» des Lebens nochmals zu beginnen und die «Hölle seines Innern» nochmals zu durchwandern. Auf der Schwelle zum vieljährigen Alterswerk, dem Glasperlenspiel, geschrieben gegen die Zeit des Nationalsozialismus mit der Botschaft geistigen Überwinterns, 1930/31 gelingt ihm nochmals ein dreistufiges Erlösungsmodell seines Privatmythos in dem surrealen Märchen Die Morgenlandfahrt (1932). Schon seine Freunde J.B. Lang und C.G. Jung hatten gewarnt, das östliche Erlösungsmodell auf die westlich geprägte Psyche zu übertragen: wo die indische Lehre den Menschen «von der Natur befreien» will und in der Meditation den Zustand der «Bildlosigkeit und Leere» erstrebt, wollen beide Indienreisenden, Hesse als Künstler und Jung als Psychoanalytiker, der Archetypen in West und Ost sucht, «in der lebendigen Anschauung der Natur und der psychischen Bilder verharren». Jung sagt dazu, das Böse und den Schatten, wie in der östlichen Philosophie, als eigene Kraft annehmend und nicht verdrängend, und darin dem unorthodoxen Christen Hesse sehr nahe: Ich möchte weder von den Menschen befreit sein, noch von mir, noch von der Natur; denn das alles sind für mich unbeschreibliche Wunder. Die Natur, die Seele und das Leben erscheinen mir wie die entfaltete Gottheit, und was könnte ich mir mehr wünschen? Der höchste Sinn des Seins kann für mich nur darin bestehen, daß es ist, und nicht darin, daß es nicht oder nicht mehr ist.35
Deutlich grenzt sich Jung damit von der buddhistischen Lebensphilosophie ab, die die guten wie auch die schlechten Gedanken und Leidenschaften [und die BiPolarität, d.V.] überwinden und dem Nichts, dem Nirwana, begegnen will, um Ruhe und Frieden zu erlangen36. 35 36
C.G. Jung, Erinnerungen, Träume, Gedanken, hrsg. von A. Jaffé, Zürich 1961, S. 280. M. Wegener-Stratmann, C.G. Jung und die östliche Weisheit. Perspektiven heute, Olten 1990, S. 73.
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Hesses zunehmende Hinwendung zu den Werten des chinesischen Tao, das man unter westlichen Weisheitsaspekten mit «Frömmigkeit, Ehrfurcht und Dienenwollen» umschreiben könnte (weniger das im Westen schwer erreichbare ‹Leerwerden›, frei von Wünschen, frei von der Qual des Ichseins) und das auf einem eigenen Weg erfahren wird, den man nicht lehren und lernen kann, sondern nur im «Innersten erfahren»37, spiegelt sich nun in den als surrealem Märchen für Erwachsene konzipierten Erfahrungen des Ich-Erzählers in der Morgenlandfahrt (1932). Die dritte, endgültige Bindung an Ninon Dolbin gibt ihm Halt, die Konzeption des Glasperlenspiels ist begonnen, die Morgenlandfahrt versucht die dreistufige Erlösung nun in der Tradition westlicher Mythologeme aus dem Mittelalter und der Frühromantik. Der Held und Ich-Erzähler berichtet von seiner zeitlosen Pilgerfahrt im ‹Bund›, einer mystischen Ordens-Gruppe. Man befindet sich, jeder mit einer etwas anderen ‹Queste›, «im ewigen Heimwärtsstreben der Geister nach Morgen, der Heimat» (M, S. 16). Novalis’ Ofterdingen wird in dieser Sehnsucht nach dem Morgenland ebenso zitiert, wie Wackenroders «Morgenland [als] Heimat alles Wunderbaren» die Märchenform bestimmt, der Aufbruch scheint einer Durchpoetisierung der Welt zu gelten, wie sie Friedrich Schlegel im 116. Athenäumsfragment als Erzählverfahren einer «progressiven Universalpoesie» postulierte. Dennoch sind in die wunderbaren, surrealen Elemente merkwürdig realistische Zeitumstände der Epoche ‹nach dem großen Krieg› eingelagert, dem Bund gehören aus der Biographie Hesses vertraute, fiktive Helden, Freunde und Künstler an. Parzifal wird neben Goldmund genannt, «der Maler Klingsor und der Maler Paul Klee» ebenso wie ‹Fatme› aus 1001er Nacht und ‹Ninon, die Ausländerin› (Anspielung auf Ninons Geburtsnamen «Ausländer»), fiktive mittelalterliche Geographica mischen sich mit Baseler und Züricher Stadtvierteln und schwäbischen Dörfern, die im Leben Mörikes und zugleich in der Stauferzeit Bedeutung hatten. Hesse ist also auch irgendwie sehr bei sich zuhause, während er die überzeitliche Pilgerschaft als ‹H.H.› antritt. Es sind gerade diese Brüche und ‹Dekonstruktionen› des Wunderbaren, die heute postmodern gestimmten Lesern vielleicht reizvoll erscheinen: etwa in den Teilen 2 bis 4 des fünfteiligen Märchens, die an Kafkas Prozeß38 angelehnte Atmosphäre des letzten Teils (5) der im Erzählverfahren spielerisch gemischten Gattung Märchen, Novelle, surrealer Erzählung mit Elementen neusachlichen Realismus’. Nimmt man als postmodern neben der spielerischen Gattungsmischung die partiellen TextUntertext-Widersprüche um eine Sinndominante und das dekonstruktive Erzählverfahren, so bietet gerade Die Morgenlandfahrt reichlich Anhaltspunkte gegen die bornierte These, Hesse sei im Großen und Ganzen ein neuromantischer Epigone. Denn 37 38
A. Otten, Durchbruch und Einordnung, a.a.O., S. 219 u. Anm. 9. Hesse rezensierte Kafkas Prozeß 1925 und wies auf früher gelesene Erzählungen wie den Hungerkünstler und die Strafkolonie hin; hier und in einer das sehr geschätzte Schloß einbeziehenden Rez. von 1935 zeigte Hesse seine Bewunderung für den ex negativo wirken wollenden Autor, teilte aber dessen Sicht nicht.
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gerade nach dem neuromantischen Eingang von Queste und Bund im ‹geheimen Wort› kommt es zu Kafkas Landvermesser-Situation des ausgeschlossenen Herumirrens im Schloß (1926), ähnlichen sozialen Widersprüchen der Zuordnung von K. zwischen Schloß («in herrschaftliche Dienste aufgenommen») und Dorf (als Schuldiener) und neusachlicher Desillusionierung des Novalis-Aufbruchs durch Szenen eines zeitgenössischen Stadtromans von 1930 (mit Straßenszenen aus Basel und Zürich), und dem sozialen Widerspruch zwischen Andreas Leos dürftiger Berufssituation und Behausung im zivilen Leben und dem inneren Glanz als Ordensoberer in einer machtvollen, im Aufbau der katholischen Kirche angenäherten, Hierarchie. Auszuschließende Lektürevarianten am Beispiel eines abtrünnigen ‹Jünglings› (M, S. 19–22) belegen dennoch eine subtile Leserlenkung bei aller Verrätselung durch Unbestimmheitsstellen, so daß eine postmoderne Lektüre dekonstruktiver Reskription durch den Leser (Lorenzer) ihren Reiz auch für das Jahrhundertende behält. Die Bezüge zu Novalis und Kafka sind auch in der Zwischenkriegszeit auf beindruckende Weise innovative, intertextuelle Anspielungen. Die Einlösung vom ‹Gesetz des Dienens› durch H.H. kontrastiert Kafkas auf Verzweiflung angelegten Roman-Ausgang bei Hesse allerdings zu einem mehr an Goethe angelehnten, pantheistischen Urvertrauen in der Morgenlandfahrt. H.H. darf dem Bund weiter dienen. Im Ansatz ist dies Ironieverfahren bereits im Märchen der späteren Romantik, ewa bei E.T.A. Hoffmann zu finden. Der Ich-Erzähler ist auf der Suche nach dem Züricher Bürger ‹Leo›, der sich dann vom kümmerlichen Beruf – Gelegenheitsdienste als Masseur und Hundepfleger – als Kleinbürger zum Obersten Bundesrichter des ‹Hohen Stuhls› des Ordens glanzvoll wandelt und den Erzähler gnädig wiederaufnimmt um für den weiteren Weg eine allegorische Verkörperung des Dienens und der Gottsuche anzudeuten. Die Handlung der dreistufigen Ich-Findung des Morgenlandfahrers ist rasch erzählt: Ein Mann namens ‹H.H.› hat die entschiedene Absicht, einen Bericht zu schreiben über eine […] Pilgerfahrt, die er als Angehöriger eines Geheimbundes unternommen hatte, ehe er diesem Bund abtrünnig geworden war. Es gehört jedoch zu den Satzungen des Bundes, daß niemand das Bundes-Geheimnis weitersagen dürfe, und es gehört zum Geheimnis, daß der Abtrünnige es vergißt. [Der Ich-Erzähler] indes will um jeden Preis darüber berichten, obgleich ihm bald klar wird, daß er sich nur mehr unwesentlicher Fakten und subjektiver Erlebnisse erinnert. Es gibt einen Mann, Leo genannt, Bundesbruder und Bundesdiener, der eines Tages, aus vorerst unerklärlichen Gründen, den Bund verlassen hatte und das den Bund konstituierende Dokument (das selbst das Bundesgeheimnis ist) mit sich genommen hatte. H.H. erfährt das Fortgehen Leos als Zerfall des Bundes, und er wendet sich von ihm ab, er wird zum Apostaten. Aber er findet keinen Frieden außerhalb des Bundes, darum will er zu ihm zurückkehren. Die Rückkehr, das weiß er, ist ihm nur möglich, wenn er Leo wiederfindet. Er macht sich auf, ihn zu suchen. Als er ihn schließlich wiederfindet, erweist es sich, daß Leo der Abgesandte des Bundes ist, der [den Erzähler] erwartete, um ihn heimzuführen. Der Wiederaufnahme […] geht ein Gerichtsverfahren voraus. H.H. muß sich vor dem Hohen Rat des Bundes selbst anklagen. Hauptkläger und Richter aber ist Leo. Es zeigt sich, daß er immer schon geheimer Großmeister des Bundes war. Der geständige und bereuende H.H. wird durch Leo wieder aufgenommen
Hermann Hesse, Carl Gustav Jung und Thomas Mann 141 und sogar in einen hohen Rang versetzt. Zudem bekommt er nun den offiziellen Auftrag zum Schreiben der Bundeschronik anhand der ihm jetzt zugänglichen Geheimdokumente des Bundes-Archivs. Diesem Happy-End folgt ein kurzes Nachspiel, das noch zur Handlung gehört, aber erklärende Funktion hat: H.H. findet im Archiv nicht das gefürchtete Dossier über seine Apostasie, sondern statt dessen eine gläserne Statue, eine Doppelfigur, deren eine Hälfte er selbst ist, im Zustand der Auflösung, deren andere aber Leo im Zustand kräftigen Wachstums, genährt von der Lebenssubstanz des [Erzählers]. Nicht genug der Erklärung: Hesse, der Autor, hängt noch eine ausführliche Interpretation der Geschichte an. [Der Erzähler], schreibt Hesse, erinnert sich eines früheren Gesprächs mit Leo: ‹Wir hatten davon gesprochen, daß die Gestalten aus Dichtungen lebendiger und wirklicher zu sein pflegen als die Gestalten ihrer Dichter›.39
Die Schuld des Erzählers, so argumentiert Luise Rinser in ihrer gut belegten Deutung, der doch vom Bund und Leo in der ominösen (im Tessiner Muggiotal beim Luganer See unweit von Hesses Domizil gelegenen) Schlucht von «Morbio Inferiore» ebenso verlassen wurde, wie er zeitweise den Bund aufgab, mag darin liegen, daß er laut Leos Vorwurf ohne Not seine Geige verkaufte. Die ‹innerseelische› Bedeutung der Geige des «Märchen-Erzählers und Violinspielers» wäre die Poesie, und sein Verrat an ihr, sein Aufgeben der Dichtung, dazu sein «verzweifeltes, dummes, engstirniges, selbstmörderisches Leben» (M, S. 90) seine Schuld. Leo soll auf des Erzählers Kosten wachsen, er steht als «Bruder Leo» und Frater Leone u.a. für den Begleiter und Chronisten des Franziskus von Assisi, dessen Vita der junge Hesse erzählte, unter Verwendung eigener Jugenderlebnisse. Die Nähe zu den Tieren, Vögeln wie wilden Wölfen, soll der Erzähler wieder lernen. Eine ironische Anspielung auf den Steppenwolf zeigt, daß H.H. nicht die Sanftmut besitzt, wie Leo beruhigend auf den Wolfshund Necker einzuwirken. Ihm fehlt aber auch Leos Nähe zu den Kindern und Spielern (im erwähnten «Kinderkreuzzug»), die in einer schnöden Vernunftwelt der «Zahlen und Figuren» das «eine geheime Wort» aus Novalis’ Gedicht Nachspruch kennen, das in die Wunderwelt des Bundes zurückführt. Leo wäre (nach der Deutung Luise Rinsers) «des Menschen eigenstes Wesen in voller Verklärung, der himmlische Urmensch» und eine «Imago der platonischen Idee von Persönlichkeit», die den geheimen Code, das Schlüsselwort des Bundes als Erinnerung bei seinem Verschwinden mitnimmt40. Als eine fiktionale Figur stärker und lebendiger als deren Dichter, soll Leo, dessen Name natürlich auch an einen typischen Papstnamen anklingt, weiter wachsen. Der Erzähler hingegen soll Chronist des Bundes werden. Da Die Morgenlandfahrt, 1931 abgeschlossen, in der Hesse-Gesamtausgabe dem im selben Jahr begonnenen Glasperlenspiel voransteht, erfüllt sie eine Vorspiel- und Überleitungs-Funktion. Hier wird eine Vorblende auf die fiktiven Lebensläufe Josef Knechts, als Chroniken vorbildlichen Dienens am Geist in dürftiger Epoche geboten. Leos wahre und zentrale 39 40
L. Rinser, Versuch einer Deutung der ‹Morgenlandfahrt› von Hermann Hesse, in Über Hermann Hesse, Bd. 2, Frankfurt a.M. 1982, S. 297–316, hier S. 300f. Ebd., S. 313.
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Rolle für den Bund, der, bei Hinweisen Hesses auf Mozarts Zauberflöte und Don Giovanni, als der scheinbar harmlose, immer wohlgelaunte, dienstbereite Jüngling gezeichnet wird, der im Bund auf der Suche nach der Vogelsprache ist und die Dokumente verwaltet, schließlich Großmeister und gnädiger Richter wird, ist als die eines Götterboten für den Erzähler erst zu ahnen, als er verschwunden ist. Er trägt Züge Papagenos, aber wird am Ende zu Sarastro, zum Priester des Verzeihens. Das Urteil trägt, anders als bei dem von Hesse geschätzten Kafka, aber in der metaphysischen Vorverurteilung Josef K.s und des Landvermessers sich von ihm abgrenzend, überraschend milde Züge mit für Hesses Denken zentralen Gründen, die einen vom Erzähler lang entbehrten, höheren Widerhall und Zuspruch verraten: Ihr wisset, wie es dem Bundesbruder H. ergangen ist. Es ist ein Schicksal, das Euch nicht fremd ist,[…] Der Angeklagte wußte […] nicht,[…] daß sein Abfall und seine Verirrung eine Prüfung war. Er hat lange nicht nachgegeben. […] hat es jahrelang ertragen, nichts mehr vom Bund zu wissen, allein zu bleiben und alles zerstört zu sehen, woran er geglaubt hatte. […] sein Leid wurde zu groß, und ihr wisset, sobald das Leid groß genug ist, geht es vorwärts. […] Diesseits dieser Verzweiflung leben die Kinder, jenseits die Erwachsenen. […] H. ist nicht mehr Kind und ist noch nicht ganz erwacht.[…] Wir heißen ihn aufs neue im Bund willkommen, dessen Sinn zu verstehen er sich jetzt nicht mehr anmaßt. Wir geben ihm seinen verlorenen Ring zurück, […] (M, S. 92).
Selten hat Hesse in seinem Werk eines der Kernsymbole C.G. Jungs (seit dessen ‹Nachtmeerfahrt›, 1913–18), das Mandala, bildliche Kombination von Kreis und Quadrat, Ausdruck für den ‹Weg zur Mitte, zur Individuation›, in seine Bildwelt übernommen. Hier geschieht es durch den wiedergewonnenen Ring, in einem magischen Moment, in dem H.H. «tausend Dinge» einfallen. Es wird ihm wieder bewußt, «daß der Ring in gleichen Abständen vier Steine trägt»: einmal am Tag muß sich deren Träger unter langsamem Drehen des Rings «bei jedem der vier Steine» die vier Vorschriften des Bundes-Gelübdes «vergegenwärtigen» (M, S. 92). Auch wenn H.H. sie nicht wieder erinnern kann, wurden sie dem Leser anfangs vorgestellt, samt den «Ringworten» (aus Wielands Oberon), die die vier griechischen Naturelemente ennumerieren: «In Erd’ und Luft, in Wasser und in Feuer / Sind ihm die Geister untertan» (M, S. 14). Das Bundesgesetz mahnt auf dem Weg zur Individuation die Pilger des Bunds (1) «zur Treue im Glauben, (2) zum Heldenmut in Gefahr, (3) zur brüderlichen Liebe» und (4) zur Abkehr von «der Welt und ihrem Irrglauben» (M, S. 14). Der Kreis als Archetypus für das Selbst, und die orientierenden vier Himmelsrichtungen für die Umwelt begegnen im tibetischen Weltrad, im Buddhismus wie im Taoismus. Hesse könnte nicht deutlicher unterstreichen, daß es hier um eine Zeit und Raum transzendierende Suche nach dem «wahren Osten im Geistigen» geht, um sein wiedererlangtes, «persönliches orientalisches Ideal» seit der Indienfahrt 191141. 41
Vgl. R. Freedman zur Morgenlandfahrt, in Hermann Hesse, a.a.O., S. 426–39, hier S. 430. Die Mandala-Deutung durch den Verf. ist – als selten deutliche Jung-Nachfolge Hesses – in der Forschung bisher übersehen worden.
Hermann Hesse, Carl Gustav Jung und Thomas Mann 143
Einen wichtigen Schlüssel zu Leos wachsender Bedeutung in einer Doppelfigur mit dem schwindenden Erzähler und Chronisten hat Volker Michels kürzlich im Nachwort zur neuen Hesse-Gesamtausgabe zu den Morgenlandfahrern liefern können. Er verwies einleuchtend auf die Buchstaben LEO als Kryptogramm für «Lux Ex Oriente», als «das spirituelle Ziel» der gesamten Queste in Umkehr des bekannten Diktums «Ex Oriente Lux»42. Die mit der Intensität von Kafkas Prozeß heraufbeschworene Gerichtsszene endete damit in Gnade und für den Erzähler noch einmal in einer zum Orient, der Heimat des Wunderbaren in der Romantik, führenden Allegorie des Heimkehrens. Die wächserne Doppelfigur drängt dem Betrachter aber auch die Inscriptio auf: «Er mußte wachsen, ich mußte abnehmen», in der die Prophetie Johannes des Täufers anklingt43. Eine archetypische Deutung der Gestalten Fatme und Leo führt zum Gedanken der Polarität. Fatme, deren ersehnter Anblick dem suchenden H.H. als Reiseziel im Orient als Animafigur vorschwebt, ist die magische Erzählerin, die den Sultan aus der Kraft des Unbewußten zum Frieden bezähmt. Sie muß Leo weichen, der dieselbe Kraft des Orients als «Lux», als Licht und männlicher Geist verkörpert, in dessen Zeichen Josef Knecht im Geisteshort Kastalien die Epoche falschverstandenen, ‹nordischen› Germanentums und der systematischen Herabsetzung von intellektueller Kultur zu überdauern ansetzt. Wieder also hatte Hesse in den Morgenlandfahrern in Blochs und C.G. Jungs Sinne ein hohes Maß an Intuition und ahnungsvollem «Vorschein» verwirklicht. Zur Durchgangsstufe der «Verzweiflung» nach frohgemutem Aufbruch des Bundes, von der der Apostat wieder zum Novizen begnadigt und zugleich im Orden erhöht wird, hat Hesse zur selben Zeit im Essay Ein Stücken Theologie (1932) eine griffige Wandlungsformel für die innere Struktur seiner Erzählprosa formuliert: Der Weg der Menschwerdung beginnt mit der Unschuld (Paradies, Kindheit, verantwortungsloses Vorstadium). Von da führt er in die Schuld, in das Wissen um Gut und Böse, in die Forderungen der Kultur, der Moral, der Religionen, der Menschheitsideale. Bei jedem, der diese Stufe ernstlich und als differenziertes Individuum durchlebt, endet sie unweigerlich in Verzweiflung […] mit der Einsicht, daß es ein Verwirklichen der Tugend, ein völliges Gehorchen, ein sattsames Dienen nicht gibt, daß die Gerechtigkeit unerreich-
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Vgl. V. Michels, Anmerkungen zur neuen Ausgabe, in H. Hesse, Sämtliche Werke in 20 Bänden, Bd. 4, Frankfurt a.M. 2000, zur Morgenlandfahrt, S. 613–620, hier S. 617. Michels verweist auf den Nachlaßfund eines Schulheftes von 1931, in dem das «Etikett […] L.E.O.» von Hesse mit 16 Symbolzeichen aus dem I Ging umrahmt wird, und deutet es zum ersten Mal als ‹Lux ex Oriente (Licht aus dem Osten)› und «Inbegriff der Morgenlandfahrt selbst». Für meine Deutung der Jung-Intertextualität ist auch wichtig, daß Hesse hier eine «Kette von abwechselnd dunklen und hellen Quadraten» zu einer Mandala um L.E.O. formte, C.G. Jungs Schatten-Vorstellung, verbunden mit dem Kreis des chinesischen TaigituZeichens, mitaufnehmend. Aufschlußreich für die Bedeutung der ,Leo‘-Entschlüsselung ist die jahrzentelange Forschungsdebatte über dessen Identität zwischen R.H. Farquharson, 1963, der Hesses Kater ,Löwe‘ als Namengeber vorschlug, und dessen Widerlegungen durch A. Hsia, 1974 und J. Derrenberger, 1975, Leo sei eine Hesse-Selbstprojektion. Johannes, 3, 30, «Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen».
Volker Wehdeking 144 bar, das Gutsein unerfüllbar ist. Diese Verzweiflung führt nun entweder zum Untergang oder […] zum Erleben eines Zustandes jenseits von Moral und Gesetz, ein Vordringen zu Gnade und Erlöstsein, […] zum Glauben.44
Das Gedicht Besinnung, entstanden im Herbst 1933, spricht für die Deutung der Abfolge von der Anima zum Animus und faßt in für Hesse selten eindringlicher Gedankenlyrik seine Lebensweisheit als Polaritätsüberwindung zusammen. Im Umfeld dieses Gedichts wird aber die Melancholie einer deutschen Herbststimmung und Resignation angesichts der Zeitläufte 1933 greifbar, denen die Weltwirtschaftskrise vorausging. So spricht er im Herbst 1929 im Gedicht Morgenlandfahrt bereits von «Pöbelspott» und dem Hohn des «Kindervolks» der «Städt’ und Märkte» angesichts des Pilgerzugs der Eingeweihten «zum heiligen Grab» und zum «Zauberschloß der Ferne» und seinen «Feen». Die «Märchenwelt» scheint 1933 «untergangen», das «Morgenland» wird nur noch «im Traum» als «verlorene Heimat» und «Geisterbotschaft» eines «edleren Daseins» geschaut. Von der Gegenwart dieses Jahres 1933 will Hesse, lyrisch kaum verschlüsselt, «nichts mehr hören noch sehen, / Einschlafen … erlöschen … vergehen …»45. Die Gedankenlyrik von Besinnung erinnert im getragenen Ernst an Goethes frühe Hymnen und Hölderlins Wie wenn am Feiertage und Patmos: Besinnung Göttlich ist und ewig der Geist. Ihm entgegen, dessen wir Bild und Werkzeug sind, Führt unser Weg; unsre innerste Sehnsucht ist: Werden wie Er, leuchten in Seinem Licht. Aber irden und sterblich sind wir geschaffen, Träge lastet auf uns Kreaturen die Schwere. Hold zwar und mütterlich warm umhegt uns Natur, Säugt uns Erde, bettet uns Wiege und Grab; Doch befriedet Natur uns nicht, Ihren Mutterzauber durchstößt Des unsterblichen Geistes Funke Väterlich, macht zum Manne das Kind, Löscht die Unschuld und weckt uns zu Kampf und Gewissen. So zwischen Mutter und Vater, So zwischen Leib und Geist Zögert der Schöpfung gebrechlichstes Kind, Zitternde Seele Mensch, des Leidens fähig Wie kein andres Wesen, und fähig des Höchsten: Gläubiger, hoffender Liebe.
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H. Hesse, Ein Stücken Theologie, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Siddhartha› Bd. 1, a.a.O., S. 374. H. Hesse, Schmetterlinge im Spätsommer und Sommer ward alt, beide Frühherbst 1933.
Hermann Hesse, Carl Gustav Jung und Thomas Mann 145 Schwer ist sein Weg, Sünde und Tod seine Speise, Oft verirrt er ins Finstre, oft wär ihm Besser, niemals erschaffen zu sein. Ewig aber strahlt über ihm seine Sehnsucht, Seine Bestimmung: das Licht, der Geist. Und wir fühlen: ihn, den Gefährdeten, Liebt der Ewige mit besonderer Liebe. Darum ist uns irrenden Brüdern Liebe möglich noch in der Entzweiung, Und nicht Richten und Haß, Sondern geduldige Liebe, Liebendes Dulden führt Uns dem heiligen Ziele näher.46
Mit einer solchen lupenreinen Botschaft des religiös inspirierten Humanismus in Hesses dreistufiger Privatmythologie konnte er hoffen, seine deutschen, nichtnationalsozialistischen Leser und Bildungsbürger zu erreichen, bis auch seine Werke, wie jene des Freundes und Dioskuren Thomas Mann (dieser nach 1936) ab 1939 das Adelsprädikat «in Deutschland unerwünscht» erhielten. Das große Bekenntnisgedicht gipfelt genau in der Mitte, nach der bi-polaren humanen Ausgesetztheit «zwischen Mutter und Vater», «zwischen Leib und Geist»: auf seinem «gefährdeten» Weg folgt die anrührende, brüderlich-existentielle Hinwendung des Dichters zum «gebrechlichsten Kind der Schöpfung», dem Menschen, «zögernd» vor der Selbstwahl, «zitternd» wie die Schalen der Waage vor der Entscheidung. Noch einmal geht es um das «geistige Lebenszentrum», die Seele, mit dem Ziel der Liebe und der «Schaffung des Raumes in uns, in dem wir Gottes Stimme hören können»47. Wie in der Morgenlandfahrt fällt am Ende die Entscheidung des höchsten Gerichts so aus, daß Hesse sein christliches Urvertrauen, anders als in Sophokles’ Ödipus auf Kollonos, auf den Hesse anspielt, bewährt sieht in dem Credo: «Und wir fühlen: ihn, den Gefährdeten, / Liebt der Ewige mit besonderer Liebe». Unverkennbar, durch den Chiasmus am Gedichtende rhetorisch noch einmal hervorgehoben («geduldige Liebe,/ Liebendes Dulden») ist der Geist des dienenden Tao, aber auch die Weisheit paulinischer Christlichkeit in der kaum verhüllten Trias höchster Werte im 1. Korintherbrief, Vers 13, wenn Hesse in der Gedichtmitte von «Gläubiger, hoffender Liebe» spricht48. Als Hesse 1932 programmatisch gegen die Entwicklung in Deutschland in der Zeitschrift «Europe» auf Bitte Romain Rollands seinen großen Aufsatz Dank an Goethe zu dessen Zentenarfeier veröffentlicht, gelangen die intertextuellen Bezüge zu dessen Zwei-Seelen-These und Faust I in die Nähe dienenden Taos. Hesse 46 47 48
H. Hesse, Besinnung in Die Gedichte, Bd. 2, a.a.O., S. 623. Brief an Emmy und Hugo Ball, Zürich, ca. Mai 1921, und Adele Hesse, April 1922 in H. Hesse, Gesammelte Briefe, a.a.O., Bd. 1, S. 474 und Bd. 2, S. 47ff. Paulus an die Korinther I, 13, 13, «Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die Größte unter ihnen».
Volker Wehdeking 146
spricht von Goethe als dem «Stern» seiner «Jugend», sieht bei ihm die Nähe zu allem was ihm «heilig» war und kontrastiert dessen «Weisheit» mit dem heraufdämmernden «offiziellen deutschen Standpunkt»: «[sie] atmet gemeinsame Luft mit der Weisheit Indiens, Chinas, Griechenlands, sie ist nicht mehr […] Intellekt, sondern Frömmigkeit, Ehrfucht, Dienenwollen: Tao»49. Aktuelle Rezensionen, vor allem zum Glasperlenspiel, ironisieren aus postmoderner Mentalität heraus die «Übererfüllung» epischer Geschlossenheit. Die Einsichten Hesses über den Zusammenfall der Gegensätze «Yin und Yang, Individualismus und Dienen», in der Rezeption «östlicher Meditationstechniken und der damit verbundenen Haltung» gilt als heute durch die Spiritualismusmode eingeholtes «Ideal, das sich als ebenso hohl erwiesen hat, wie die Ideale des alten Europa»50. Dennoch bleibt der Ausbruch aus dem «selbstgenügsamen Spiritualismus» am Romanende seines letzten magnum opus und das darin implizierte, immer neu einzulösende Postulat einer «Synthese von Geist und Leben» für die fortbestehende, weltweite Leser-Gemeinde der Morgenlandfahrer auf der Suche nach Lebenssinn gültig51. Im Glasperlenspiel werden die Polaritäten Hesses zugunsten musikalischer und mathematischer Abstraktionen verändert, jedoch die – ohne den Bezug auf C.G. Jung – rätselhaften Ganzheitssymbole der Mandala kehren wieder, hier vor allem im Grundriß der Schule von Eschholz, der der Magister Ludi Josef Knecht in Kastalien zugeteilt wird. Die fünf Mammutbäume im Zentrum des rechteckigen Gebäudeareals werden in Gestalt einer Qincunx angeordnet, ein Baum im Zentrum und die vier anderen nach den Himmelsrichtungen, so daß man sie auf der von Hesse überlieferten Schauplatzskizze52 als kreisförmig angeordnete Baumgruppe erkennt. Als Hesse sich mit der Einleitung zum Glasperlenspiel im Sommer 1931 intensiv beschäftigt, geht diesem für sein malerisches Werk die seltene Darstellung einer Wendeltreppe (zum Dach der Casa Camuzzi) von 1930 voraus, der die Dialektik von Kreis und Spirale in diesem Werk als Figur des Entwicklungsromans vorausnimmt53. 49 50
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H. Hesse, Dank an Goethe, in «Europe», 1932. Zit. nach H. Hesse, Eine Literaturgeschichte in Rezensionen und Aufsätzen, Frankfurt a.M. 1970, S. 145–154, hier 152. Julia Schröder, Nichts zu lachen. Wiedergelesen: Hermann Hesses ‹Glasperlenspiel›, in «Stuttgarter Zeitung», 29.6.2002, S. 20. – Dazu auch H. Gfrereis (Hg.), Vorbemerkung, in Diesseits des ‹Glasperlenspiels›. «Marbacher Magazin» 98 (2002), S. 1–4, die von einem «uneigentlichen Roman» spricht. Vgl. zum gewollten Offenhalten des Hesse-Romans durch das gewaltsame Ende Josef Knechts, J. Jakobs, M. Krause: Der deutsche Bildungsroman. Gattungsgeschichte vom 18. bis zum 20. Jharhundert, München 1989, S. 203f., sowie V. Wehdeking, Hermann Hesse, in Metzler Autoren Lexikon, 3. aktual. u. erw. Aufl. Stuttgart 2004, S. 313–317, hier 317. Vgl. H. Gfrereis, Hermann Hesse – Diesseits, in «Marbacher Magazin» 98 (2002), S. 20f. Abbildung 10–11 «unter den Vorarbeiten zum Glasperlenspiel», Skizze des Romanschauplatzes und Kommentar. H. Hesse, Wendeltreppe, Abb. S. 87, datiert auf «gemalt um 1930», in Hermann Hesse als Maler, Frankfurt a.M. 2002.
Hermann Hesse, Carl Gustav Jung und Thomas Mann 147
Solche auf die innere Einheit eines Ganzheitssymbols hinweisenden Reminiszenzen an Hesses Maulbronn-Erfahrung als Gegenmodell zur auseinanderfallenden Kultur und Lebensform seiner Zeit (der späten 30er Jahre) verdichten sich im Glasperlenspiel zu einem Traum vom Schauplatz, der den Zeichnenden zunächst Linien entwerfen läßt, wie «die Ordnung der Blätter an einem Baumzweig»: Es befriedigte ihn nicht, was dabei entstand, […] und zuletzt bog er im Spielen die Linie zu einem Kreis, von welchem die Seitenlinien ausstrahlten, ähnlich wie vom Kreis eines Kranzes die Blumen. Dann ging er zu Bett, und schlief schnell ein. Im Traum kam er wieder auf jene Hügelkuppe, über den Wäldern, […] und sah unter sich das liebe Eschholz liegen, und indem er hinabschaute, zog das Rechteck der Schulgebäude sich zu einem Oval und dann zum Kreis auseinander.54
Als ‹Magister Ludi› entwächst Josef Knecht seinem kastalischen Elite-Institut der hermetischen Glasperlenspiele in der Einsicht, daß Demut des Wissens bedeutet, man müsse die geschlossene Welt der Bildung auch wieder verlassen können. Magister Ludi heißt nicht nur Meister des Spiels, sondern auch im Lateinischen ‹Schulmeister›. Auch im letzten Roman will Hesse also auf seinen ‹Outsider als Helden›, auf das in seinem Werk durchgängige Motiv von einem «Einzelnen, der anders sein will», nicht verzichten. Knecht verläßt die elitäre Welt der Bildung, deren innere Problematik gegenüber dem umgebenden bürgerlich-republikanischen Staat «durch zahlreiche Figuren des Pathologischen wie den Archivar Fritz Tegularius» gekennzeichnet ist55. Er wird wieder zum einfachen Erzieher eines Weltkindes und stirbt dabei in einem eiskalten Bergsee: Ein ‹leises Schaudern, ein Morgengefühl von Kühle und Nüchternheit›, kündigt dem Helden die Auflösung an. Es ist das Gefühl, das er ‹Erwachen› nennt, ein Gefühl gesteigerter Gegenwart und Wirklichkeit, und wir wären nicht in der Welt Hermann Hesses, wenn nicht an dieser Stelle die Poesie der Prosa zu Hilfe käme und dem Helden eine Verszeile in den Sinn brächte wie etwas Halbvergessenes. Sie taucht zunächst falsch zitiert auf, findet aber schnell ihre wahre Gestalt und den Folgevers: «und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben». […] Entscheidend ist, «daß das leise Schaudern gerade nicht dem Zauber des Anfangs gilt, sondern der Notwendigkeit des Endes: ‹Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!›».56
Diesen Verszeilen, die Hesse am 4. Mai 1941 mitten in einem Krieg schrieb, dessen Ende noch lange nicht abzusehen war, und dem langen Prosabrief, in dem Knecht den Ordensoberen Alexander bittet, Kastalien zu verlassen, was dieser als «Abfall» deutet, folgt Knechts freudiger Aufbruch, ein «entschlossener Abschied. Und ein schöner Tod»57.
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Zitiert nach H. Gfrereis, a.a.O., S. 20f. Vgl. L. Müller, Leises Schaudern. Beim Lesen des Glasperlenspiels, in «Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft», 46 (2002), S. 427–437, hier 436f. Ebd. Ebd.
Volker Wehdeking 148
Hesse will diesen Unfall als Opfertod verstanden wissen, aber auch als Ausbruch aus der Wiederholung des Gleichen und des Stillstands. Tito, der Sohn des Freundes Plinio Designori, mit dem er den Herbst als Tutor auf einer Berghütte verbringen wollte, fühlt sich am Tod des Magister Ludi mitschuldig, und erfährt einen Reifeschub in der Ahnung, «daß diese Schuld ihn selbst und sein Leben umgestalten und viel Größeres von ihm fordern werde, als er bisher von sich verlangt hatte»58. Dieser Ausgang des Opus Magnum, im Kapitel Die Legende von seinem Biographen, wohl einem ehemaligen Glasperlenspiel-Schüler, festgehalten, fiel Hesse nicht leicht, beanspruchte nochmals ein volles Jahr bis zum 29. April 1942. Eine neuere Deutung dieser zunächst kaum konsequent erscheinenden Stufe des Entwicklungsromans, die die Ordensprovinz Kastalien relativiert und die Individuation C.G. Jungs als nie abschließbaren Lebensprozess betont, konzentriert sich auf den pastoralen, plötzlichen Tod im Signum des Eros: Wie leidenschaftlich Knecht den wohlgestalteten Jungen liebt, zeigt die vom Erzähler ausgemalte Schlußszene, in der Tito, bereits entkleidet, beim ersten Sonnenstrahl im Vollgefühl seiner Schönheit und jugendlichen Kraft zum Entzücken des Betrachters einen heidnischen Schautanz vollführt: ‹Mehr als dieser Anblick (des anbrechenden Tages) ergriff und fesselte ihn der menschliche Vorgang vor seinen Augen, der festliche Morgen- und Sonnenbegrüßungstanz seines Schülers›.59
Der Schluß des im Exil ihm nahegekommenen Freundes Thomas Mann in Tod in Venedig (1912) kommt hier als intertextuelle Anspielung in den Blick. Der schöne Jüngling als psychopompos, ein erlösender Seelenführer ins Unvordenkliche60, ist sicher eine Reverenz an den Freund, dessen zur gleichen Zeit entstandenen Dr. Faustus über den Untergang der heimgesuchten Nation Hesse später mit der Widmung «Glasperlenspiel mit schwarzen Perlen» von Thomas Mann übersandt wurde. Als «Thomas von der Trave» hat Hesse den Freund ins Alterswerk interpoliert. Als die Heimsuchung überwunden war, verhalf Thomas Mann denn auch wie kein anderer dem ihm so nahe Gerückten zum Nobelpreis.
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H. Hesse, Das Glasperlenspiel, in Gesammelte Werke in 12 Bänden, a.a.O., Bd. 9, S. 471. H.-J. Schmelzer, Auf der Fährte des Steppenwolfs. Hermann Hesses Herkunft, Leben und Werk, Stuttgart- Leipzig 2002, S. 326; H. Hesse, Das Glasperlenspiel, a.a.O., S. 467. Vgl. K.-P. Philippi, Hermann Hesse, Das Glasperlenspiel, a.a.O., (s. Anm.10). Er deutet in einer genauen Lektüre dieses Opfertods am Ende die Bewegung des Lichts nach Osten auf der Seeoberfläche, als Knecht versinkt und stirbt, als Eingehen «in einen erweiterten Raum», in die Transzendenz (S. 139). Thomas Manns Parallelrolle in beider Briefe aneinander, als «Bewahrer des Geistes» in der antiintellektuellen NS-Zeit, hebt er, wenn auch kritisch wegen der elitär-geistesaristokratischen Politikferne Hesses, ebenfalls hervor (S. 142).
Friedhelm Brusniak
«Das Sinnen und Gedankenmachen hat keinen Wert …» Eine wiederentdeckte Radierung zu Hermann Hesses Knulp von Ludwig Schwerin
Zu den Desideraten der Hermann-Hesse-Forschung zählen eine umfassende Dokumentation der Illustrationen seiner Werke und ein interdisziplinärer Diskurs über die tatsächlichen und mutmaßlichen Intentionen der Künstler und ihrer Auftraggeber1. Dabei besteht nicht zuletzt im Hinblick auf weniger bekannte oder zu Unrecht vergessene Hesse-Illustratoren die Hoffnung, zu differenzierteren Würdigungen ihrer Arbeiten zu gelangen oder zumindest etwaige Forschungslücken präziser zu umreißen, wie es etwa Helmut Brosch 1996 in seiner vorbildlichen Edition des Briefwechsels von Ludwig Schwerin (1897–1983) mit Hermann Hesse im Zuge der Vorbereitungen auf die große Schwerin-Ausstellung in Buchen, dem Geburtsort des Malers, aus Anlaß der 100. Wiederkehr seines Geburtstages am 10. Juli 1997 und in einem nicht minder sorgfältigen zusammenfassenden Beitrag für den Katalogband von 1997 vorgenommen hat2. Zwar war spätestens seit dem Erscheinen des zweiten Bandes der Gesammelten Briefe (1922–1935) von Hermann Hesse durch Ursula und Volker Michels im Jahre 1979 bekannt, daß Hesse 1922/23 von Schwerin den Teilausschnitt eines Madonnen-Holzschnitts (nach Holbein d.Ä.) und einige Radierungen, unter anderem zu Knulp, erhalten hatte3, doch erst die akribischen Recherchen Broschs lassen erkennen, welch zentrale Bedeutung der Auseinandersetzung Ludwig 1
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Die Anregung zum vorliegenden Beitrag erhielt ich durch Gespräche am Rande des 12. Internationalen Hermann-Hesse-Kolloquiums in Calw 2004 und die freundliche Einladung von Mauro Ponzi zur Mitarbeit am vorliegenden zweiten Band des Hermann-HesseJahrbuchs, um damit die Thematik des ersten Bandes 2004 – Hermann Hesse und das Fremde – aufzugreifen und über die Fachgrenzen hinaus weiterzuführen. Für Auskünfte zum aktuellen Stand der Hermann-Hesse-Bibliographie danke ich wiederholt sehr herzlich Michael Limberg, Düsseldorf. H. Brosch, Ludwig Schwerins Briefwechsel mit Hermann Hesse, in «Der Wartturm. Heimatblätter des Vereins Bezirksmuseum Buchen e.V. », XXXVII (1996), Nr. 4, S. 3–9; Ders., Ludwig Schwerin, Leben und Werk, in Von Deutschland ins ‹Land der Väter› (Israel). Menschen, Tiere und Landschaften. Gesehen von Ludwig Schwerin (Buchen 1897–1983 Ramat Gan). Ausstellung im Bezirksmuseum Buchen 7. Mai bis 28. September 1997, hrsg. von Stadt Buchen/Odenwald und Verein Bezirksmuseum e.V. Buchen, Buchen 1997 [Katalogbearbeitung: H. Brosch], S. 15–36, hier: S. 22 f. Hermann Hesse, Gesammelte Briefe Bd. 2 (1922–1935), hrsg. von U. und V. Michels, Frankfurt a.M. 1979, S. 37 (Nr. 25) und 47 (Nr. 34).
Friedhelm Brusniak 150
Schwerins mit den zwischen 1907 und 1914 entstandenen, 1915 im S. Fischer Verlag Berlin erschienenen Drei Geschichten aus dem Leben Knulps für die Biographie des jungen Künstlers mindestens bis Ende der 1920er Jahre beizumessen ist4. Der Aufmerksamkeit Helmut Broschs ist es darüber hinaus zu verdanken, daß zum Schwerin-Jahr 1997 wenigstens eine der als verschollen geltenden Radierungen zu Knulp – «Abend» (1929; s. Abb. 2) – wieder aufgefunden und publiziert wurde5. Frühere Radierungen zu Hesses Knulp konnten von Brosch ebensowenig nachgewiesen werden wie eine vermutlich 1923 «für ein Mädchen» – vielleicht Meta ‹Bever›, Schwerins Jugendliebe in Buchen – «als Geschenk» mit «ganz kleine[n] Bildchen, Federzeichnungen in Braun und leicht koloriert», illustrierte Ausgabe, die Ludwig Schwerin auf Anraten des Grafikers Bruno Goldschmitt (1881–1964) an den Leipziger Verleger Erich Matthes (1888–1970) schickte, der ihm daraufhin einen Illustrationsauftrag für E.T.A. Hoffmanns Das Fräulein von Scuderi erteilte6. Als ich vor etwa zwanzig Jahren in einem Antiquitäten- und Trödelladen in Schwäbisch Hall zufällig auf die nachstehend abgebildete Radierung vom Ende des Jahres 1922 (s. Abb. 1) stieß, konnte ich nicht ahnen, daß es sich dabei um eines jener Exemplare handelte, das zu einer ebenfalls als verschollen geltenden KnulpSerie gehörte, die Schwerin im Januar 1923 auch Hermann Hesse geschickt hatte, und zwar um eines jener im Begleitbrief ausdrücklich erwähnten «Blättchen», auf das er «eine Stelle aus dem Knulp gesetzt» hatte7. Da eine andere «kleine Radierung, die in Gedanken an Knulp entstand[en war]», vom Mai 1922 bisher noch nicht 4
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Ich danke Herrn Gymnasialprofessor i.R. Helmut Brosch, Buchen, auch bei dieser Gelegenheit für die vielfältigen Informationen über seine Schwerin-Studien und über neue Quellenfunde seit Erscheinen des Katalogbandes von 1997. Besondere Beachtung verdient beispielsweise der Hinweis, daß inzwischen das verschollen geglaubte Autograph der von Brosch bereits 1988 herausgegebenen biographischen Aufzeichnungen Schwerins (vgl. A. und L. Schwerin, Jahresringe, hrsg. von H. Brosch, Buchen 1988, S. 46–163) – mit aufschlußreichen Umschlagzeichnungen (u.a. musizierende Kameraden aus der Schulzeit in Buchen) – wieder aufgetaucht ist. Dank für freundliche Auskünfte gebührt ebenso Herrn Rainer Trunk, Bürgermeisteramt Buchen / Odenwald, Frau Viktoria Fuchs, Schiller-Nationalmuseum / Deutsches Literaturarchiv Marbach a.N. (Handschriftenabteilung), Herrn Direktor Dr. Thomas Feitknecht, Schweizerisches Literaturarchiv Bern, und Frau Dr. Regina Bucher, Hermann-Hesse-Museum Montagnola. H. Brosch, Ludwig Schwerins Briefwechsel …, a.a.O., S. 7; Ders., Von Deutschland ins „Land der Väter“ …, a.a.O., S. 101 (seinem Stiefsohn Hans [Yaakov] Steinberger zu Weihnachten 1931 gewidmetes Exemplar). H. Brosch, Ludwig Schwerins Briefwechsel …, a.a.O., S. 8. Meine ehemalige Kollegin Frau Dr. Elke Riemer-Buddecke, Bad Arolsen, bestätigte mir nicht nur Forschungsdefizite hinsichtlich Schwerin als Illustrator dieses Leipziger Zweifäusterdrucks von 1924 (vgl. Elke Riemer, E.T.A. Hoffmann und seine Illustratoren, Hildesheim 1976), sondern gab mir dankenswerterweise auch wichtige Hinweise auf kunsthistorische Zusammenhänge, in denen Ludwig Schwerins Radierungen zu sehen sind. H. Brosch, Ludwig Schwerins Briefwechsel …, a.a.O., S. 6. Die für die vorliegende Publikation erforderliche Expertise und die fachgerechte Restaurierung wurde durch Mitarbeiter des Martin von Wagner Museums der Universität Würzburg durchgeführt. Mein besonderer Dank für die kompetente Beratung gilt Herrn Dr. Tilman Kossatz.
«Das Sinnen und Gedankenmachen hat keinen Wert …» 151
wieder aufgetaucht ist8, darf das hier erstmals veröffentlichte «Blättchen» nun als die früheste erhaltene Knulp-Radierung Ludwig Schwerins und – zusammen mit den bekannten Steinzeichnungen Karl Walsers (1877–1943) aus dem Jahre 1922, die Schwerin und Hesse gleichermaßen enttäuschten9 – somit auch als eine der ältesten Illustrationen zu Knulp überhaupt angesehen werden, die zudem noch die ausdrückliche Zustimmung Hesses fand10. Eine Gegenüberstellung dieser ebenfalls «kleine[n] Radierung», die Ludwig Schwerin «in Erinnerung an die Walz» des Sommers 1922 «anspruchslos, aber innen raus» und stets in Gedanken an Hermann Hesse, gemacht hatte11, und der späteren von 1929 bietet sich ungeachtet der offenkundigen unterschiedlichen künstlerischen Ambitionen an, beziehen sich doch beide auf zwei aufeinanderfolgende Situationen der mittleren Knulp-Geschichte und sind motivisch miteinander verbunden. Zugleich wird bei näherer Beschäftigung mit den beiden Illustrationen deutlich, daß Broschs aus dem Briefwechsel gewonnene Informationen über Hesses ‹Eichendorffiade› als Inspirationsquelle für den «die Kunst der Landstraße» suchenden ‹Tippelbruder› aus Buchen und über den ‚Vagabunden‘ Knulp als Identifikationsfigur für den ‚Wandervogel‘ Ludwig Schwerin auch aus dieser Perspektive nachdrücklich bestätigt sowie in einem solchen Kontext schließlich bisher kaum beachtete musikalische Neigungen des ‹Wandervogelkünstlers› entdeckt werden können12. Der Sohn des jüdischen Religionslehrers Jakob Schwerin (1860–1905) in Buchen hatte nach dem Kriege mit Unterstützung seines Bruders 1919 ein Studium an der ‹Badischen Landeskunstschule› in Karlsruhe aufgenommen, bevor er 1921 nach München wechselte, wo er sich bald als freier Künstler betätigte13. Doch schon im folgenden Jahr geriet er in eine existentielle seelische Krise und wandte sich in seiner Not mit einem undatierten, «an einem Sonntagmorgen 1922» verfaßten Brief an Hermann Hesse, nicht an den «verehrten Dichter» und den «berühmten Mann», sondern an den «Tippelbruder», dem er sich «wesensähnlich» fühlte, und den er sogar mit ‹Du› anredete. Er sei mit der «Kunstäußerung» seines Lehrers nicht klar gekommen und möchte von der «deutschen Volksseele», die er noch viel zu wenig kenne, «in Bildern sprechen». «Halbe Nächte» könne er bei Geschichten von Levin Schücking, Wilhelm Hauff, E.T.A. Hoffmann, Selma Lagerlöf, Gottfried Keller, bei «Märchen und deutschen Heldensagen» sitzen; ein «deutsches Volkslied» sei ihm «die schönste Musik». Nach einer unvergessenen Walz im Sommer 1921 habe er festgestellt, daß ihm «das Erleben der Landstraße» fehle, doch die «verfluchte Rück8 9
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Ebd. Ebd., S. 8. Die Ausgabe erschien ebenfalls im S. Fischer Verlag Berlin; eine Ausgabe des Suhrkamp Verlages Frankfurt a.M. von 1979 enthält auch das unveröffentlichte Fragment Knulps Ende. Ebd., S. 6 f. Ebd., S. 6. Ebd., S. 3 f. Hier und im folgenden nach Ebd., S. 3–9.
Friedhelm Brusniak 152
sichtnahme», die er seiner Familie schulde, die ihn bisher unterstützt habe, hindere ihn, sich von den bürgerlichen Konventionen zu befreien. Nun wisse er nicht mehr, was aus ihm werden solle. Hesse antwortete mit einem ebenfalls undatierten Brief (Poststempel Bern, 28.04.1922) vorsichtig distanziert – er kenne Schwerin nicht und könne nur jemandem einen Rat erteilen, den er «sehr gut kenne» –, dankte für den Brief und die beiliegenden (nicht näher beschriebenen) Radierungen und gab jenen Rat, den er auch anderen in solchen Fällen zu geben pflegte: sich genau zu prüfen und dann dem eigenen Herzen zu folgen14, denn es könne sehr wohl sein, daß die Landstraße wirklich seine «gesuchte Heimat u[nd] Zauberquelle» sei. Im Mai 1922 bedankte sich Schwerin endlich für Hermann Hesses Brief und das beigelegte Exemplar der 1919 erschienenen Erzählung Klingsors letzter Sommer. Er habe das Buch «andächtig gelesen», und es wäre ihm gewesen, als sei es «ein ganz persönliches Erzählen» Hesses selbst mit ihm. Er spare sich «alle Lobeserhebungen und dergl[eichen]» und wolle lediglich bemerken, daß ihm seinerzeit, als er das erste Buch von Hesse – Knulp – las, «schon klar war, daß er dort auf dem Bücherbrett zu stehen habe, wo Gottfried Keller, Storm und Möricke [sic!]» ständen. Eigentlich wollte er sich mit einer kleinen Knulp-Radierung revanchieren, doch habe ihn die Druckerei im Stich gelassen; sie werde eines Tages schon den Weg zu ihm finden. Im Januar 1923 bezog sich Schwerin in einem weiteren Schreiben an Hermann Hesse aus München auf jenen Brief, den er im vergangenen Jahr «aus seelischen Nöten heraus» verfaßt hatte und teilte mit, daß er «nicht Vagabund geworden», sondern geblieben sei, was er war. Auch in diesem Sommer sei er gewalzt, zuerst allein durch den Schwarzwald, dann «mit einem Tippelbruder von Freiburg durch den Hegau nach Konstanz und Lindau», und habe seiner Sehnsucht Genüge getan, denn es sei «wundervoll» gewesen: Dann saß ich zu Hause, im Odenwald, wo ein alter Stadtturm meine Unterkunft war und hab ausgeruht und meine Reise verdaut. Und bin mir klar geworden, daß mir die Sommerwalz das ist, was das Gewürz der Speise. Die Sehnsucht nach dem Erleben Deutschlands, nach dem Kennenlernen von Land und Leuten begleitet mich das ganze Jahr und einmal, da darf ich dieser Sehnsucht Genüge tun, so daß sie wirkt, wie das Hungern auf ein gutes Mahl. Ein paar kleine Radierungen hab ich gemacht in Erinnerung an die Walz. Anspruchslos, aber innen raus. Ich hab auch immer Ihrer gedacht[,] als ich sie machte, so wollen Sie auch ein paar Blättchen haben. Es sind keine Skizzen irgendwelcher Landschaft[,] sondern eben Erinnerungen an die Landstraße Deutschlands. Auf das eine Blättchen hab ich eine Stelle aus dem Knulp gesetzt. Verzeihen Sie, bitte, diese Eigenwilligkeit. Aber des Knulp wegen habe ich sie lieb gewonnen und erhalten sie [sic!] diese Blättchen. So schön das Buch war, das Sie mir sandten (Klingsors letzter Sommer), so fein Ihre anderen Bücher sind, es ist mir keines lieber geworden den[n] Knulp.
Erst vor diesem autobiographischen Hintergrund erschließt sich die Botschaft der Radierung mit dem Knulp-Zitat. Denn der Ort, an dem das Gespräch mit Knulp 14
Vgl. hierzu neuerdings V. Michels, Außenseiter wird man nicht freiwillig. Hermann Hesse als Beispiel für viele, in «Hermann-Hesse-Jahrbuch», I (2004), S. 31–45, hier: S. 40 f.
«Das Sinnen und Gedankenmachen hat keinen Wert …» 153
stattfand, war ja eigentlich nicht die freie Natur, sondern ein von Mauern umgrenzter Friedhof, der zwar weit entfernt vom nächsten Dorf verlassen zwischen den Feldern lag, aber keineswegs trist und unnahbar wirkte, sondern im Gegenteil voller Blumen, Büsche und Bäume zum Ausruhen, Sinnieren und Philosophieren einlud. Auch wenn es sich bei dem Gespräch mit Knulp um Tod, Trennung, Abschied, Trauer und Angst handelte, milderten die schattenspendenden Bäume die gespannte Atmosphäre am heißen Nachmittag. Schwerin ging jedoch gar nicht erst auf diesen ‹konkreten Ort› und die Tageszeit ein, sondern wählte – bewußt skizzenhaft – mit einem Rastplatz am Rand irgendeiner ‹ungeraden›, ins Ungewisse verlaufenden «Landstraße Deutschlands», mitten in einer wenig einladenden, namenlosen Gegend, zwischen einem Wegekreuz und einem verdorrten Baum Metaphern der Einsamkeit und des Todes, des ‹Ausgesetzt-Seins› und der Vorahnung eines schwierigen Lebensweges beziehungsweise Künstlerschicksals, der offenen Entscheidung und der Trennung. Trotzdem erscheint die Situation nicht völlig hoffnungslos, denn obwohl Knulp der Straße und dem wie ein Bollwerk erscheinenden Berg, hinter dem sich eine Gewitterwolke auftürmt, den Rücken zuwendet, ist er nicht allein und unterhält sich mit dem Gesprächspartner, der neben ihm am Boden liegt. Durch den romantischen Freundschaftstopos wird die Vereinsamung gemindert. Der Weg zum Berg, hinter dem sich das Unbekannte verbirgt, wird schließlich zwischen ‹lebenden› Bäumen hindurchgeführt. Schwerin läßt damit die ebenfalls romantische ‹Verlockung zur Entgrenzung› ebenso zu wie die realistisch erscheinende Perspektive einer ‹Überwindung› der Probleme und Herausforderungen. Und mit Hesses Einsicht «Das Sinnen und Gedankenmachen hat keinen Wert, und man tut ja auch nicht, wie man denkt, sondern tut jeden Schritt eigentlich ganz unüberlegt, so, wie das Herz gerade will»15 liefert er außerdem eine weitere, psychologisch geschickt gewählte Begründung für einen Ausweg aus der Bedrängnis. Allem Anschein nach hatte Schwerin seine «seelischen Nöte» im ‹Konflikt zwischen Künstler und Bourgeoisie› mit seinen «kleinen Radierungen» überzeugend verarbeitet, denn am 28. Januar 1923 dankte Hesse aus Montagnola für die Sendung, die ihm Freude bereitet habe. Alle Blätter sprächen «unmittelbar» zu ihm, seien «schön», täten ihm «wohl», und er sehe an ihnen, daß er «auf gutem Wege» sei. Tatsächlich bestätigt eine Ansichtskarte von der Sommerwalz 1923 vom 5. September aus Heide in Schleswig-Holstein, daß Schwerin seine Identitätskrise überwunden hatte. Doch noch im Mai 1924 schrieb er erneut an Hesse, um ihm ein Exemplar der von ihm illustrierten, im Zweifäusterdruck erschienenen Erzählung Der Hochwald von Adalbert Stifter zu dedizieren, denn er habe, als er die Bildchen zeichnete, «immerfort» an den Schwarzwald, an Knulp und an Hermann Hesse denken müssen. Unmißverständlich äußerte er dabei auch seine «große Enttäuschung» über Walsers Knulp-Illustrationen und bot Hesse seine Mitarbeit an, da 15
Hermann Hesse, Sämtliche Werke Bd. 3, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 2003, S. 180.
Friedhelm Brusniak 154
seine Art ihm zu sehr liege, als daß er es nicht «sinngemäß und gut fertig brächte». Zwar zeigte sich auch Hesse in seiner knappen Antwort vom 21. Mai 1924 von den Zeichnungen Karl Walsers enttäuscht, doch ging er auf Schwerins Angebot nicht näher ein. Möglicherweise ist dies der Grund dafür, daß es zu keiner persönlichen Begegnung zwischen beiden kam und Hermann Hesse nicht wie Juliana von Stockhausen (1925), Thomas Mann (1929), Stefan Zweig (1931) und Selma Lagerlöf (1932) von Schwerin porträtiert wurde. Ungeachtet dessen ließ Knulp Ludwig Schwerin auch in den folgenden Jahren nicht los. 1929 sandte er Hermann Hesse seine Radierung «Abend» zu, für die dieser sich mit einer Briefkarte vom 19. April desselben Jahres bedankte. Er habe Freude an dieser «liebe[n] Radierung» gehabt und nähme sie gern mit nach Hause. In der Tat scheint es sich in diesem Falle zumindest auf den ersten Blick um eine ‚echte‘ Illustration zu Knulp und nicht um eine weitere Radierung zu handeln, die von einem ausgewählten Zitat aus Hesses Geschichte Meine Erinnerung an Knulp angeregt wurde. Und obwohl eine gewisse Motivähnlichkeit mit der Radierung von 1922 besteht – vor allem mit dem Blick auf die Landstraße und in die Ferne –, so ist doch unverkennbar, daß nun nicht die Motive der Einsamkeit und Isolation, der Ungewißheit und Angst, sondern die der Gemeinsamkeit und Freundschaft, der Zuversicht und Hoffnung im Vordergrund stehen. Der zum Hügel abgeflachte Berg ist weiter in die Ferne gerückt, die drohenden Wolken sind verschwunden, und die Straßenführung ist der Landschaft angepaßt. Die beiden Rastenden fühlen sich im Schutz der Bäume am Waldesrand geborgen, scheinen Teil der Natur zu sein und keinerlei Angst vor der Weite der Landschaft zu haben. Sie konzentrieren sich auf die Musik und lauschen den Tönen, die der Mundharmonika entlockt werden. Indem die Metapher der Musik in den Mittelpunkt des Bildes gerückt ist16, verstärkt sich zugleich der Eindruck, daß die beiden Freunde die Kraft des Loslassens besitzen, denn die Musik ist dem Wesen nach etwas Flüchtiges. Die ganze Szene wirkt somit gegenüber 1922 nicht nur harmonischer, sondern auch hoffnungsvoller. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, daß die Physiognomie des Knulp auffallend der Ludwig Schwerins ähnelt (s. Abb. 3)17. Sollte es sich wirklich um ein Selbstbildnis handeln, käme allerdings eine weitere Dimension hinzu. In jedem Falle hat Schwerin, dem es 1929 wesentlich besser ging als Anfang der 1920er Jahre, im Gegensatz zur älteren Radierung weder Ort noch Zeit verschleiert oder verändert, sondern jene ‹konkrete Situation› festgehalten, in der bezeichnenderweise die Musik mehr auszudrücken vermag als Worte18: 16 17
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Auf die Bedeutung der Diagonalen für die Bildkomposition bzw. für die Blickrichtungen der beiden Freunde kann hier nicht näher eingegangen werden. Das in Abb. 3 wiedergegebene Selbstbildnis von 1926 ist ebenfalls veröffentlicht bei H. Brosch, Ludwig Schwerins Briefwechsel …, a.a.O., S. 3. Auch Helmut Brosch stimmt dieser Hypothese aus seiner Kenntnis weiterer Selbstporträts Schwerins ausdrücklich zu. Über Hesse und die Volksmusik referierte Dagmar Lipinski im Rahmen eines im Sommer-
«Das Sinnen und Gedankenmachen hat keinen Wert …» 155 Spät am Abend saßen wir am dunklen Rand eines Gehölzes einander gegenüber, jeder mit einem großen Stück Brot und einer halben Schützenwurst, aßen und sahen dem Nachtwerden zu. Vor Augenblicken noch waren die Hügel vom gelben Widerschein des Späthimmels beglänzt und in flaumig schwimmendem Lichtrausch aufgelöst gewesen, nun aber standen sie schon dunkel und scharf und malten ihre Bäume, Felderrücken und Gebüsche schwarz auf den Himmel, der noch ein wenig lichtes Tagesblau, aber schon viel mehr tiefes Nachtblau hatte. Solange es noch licht gewesen war, hatten wir einander drollige Sachen aus einem kleinen Büchlein vorgelesen, das hieß ‹Musenklänge aus Deutschlands Leierkasten› und enthielt lauter dumme lustige Schundlieder mit kleinen Holzschnitten19. Das hatte nun mit dem Tageslicht sein Ende gefunden. Als wir fertig gegessen hatten, wünschte Knulp Musik zu hören, und ich zog die Mundharfe aus der Tasche, die voller Brosamen war, putzte sie aus und spielte die paar oft gehörten Melodien wieder. Die Dunkelheit, in der wir schon eine Weile saßen, hatte sich vor uns weit in das vielfältig gewölbte Land hinein verbreitet, auch der Himmel hatte seinen bleichen Schein verloren und ließ im Schwärzerwerden langsam einen Stern um den andern hervorglühen. Die Töne unserer Harmonika flogen leicht und dünn feldeinwärts und verloren sich bald in den weiten Lüften.20
1932 ging Ludwig Schwerin nach Berlin und emigrierte 1938 nach Palästina. Die Verbindung zu Hermann Hesse hielt er aufrecht und sandte ihm nach Kriegsende ein Exemplar seines illustrierten Reiseberichts Värmländischer Sommer (1939) zu, das Ende Februar 1947 in seine Hände gelangte. Von Knulp ist in diesem Zusammenhang allerdings nicht mehr die Rede. Für die künftige Schwerin- und HesseForschung dürften jedoch weitere Quellenfunde zu diesem Thema gleichermaßen willkommen sein.
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semester 2003 von Prof. Dr. Brigitte Bachmann-Geiser und Dr. Waltraud Linder-Beroud geleiteten Seminars des Instituts für Volkskunde der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. zum Thema Was lehren uns die Dichter über die Volksmusik? Eine Veröffentlichung des Deutschen Volksliedarchivs Freiburg i.Br. zu dieser Frage ist geplant. Die Erstausgabe erschien bei Wiegand in Leipzig 1849. Auf welche Ausgabe Hesse Bezug nimmt, ist nicht mehr feststellbar. Vgl. A. Timme, Georg Wiegand und die «Musenklänge aus Deutschlands Leierkasten», Göttingen 1935 (= Göttingische Nebenstunden 12). Für freundliche Auskünfte zum Forschungsstand danke ich Frau Barbara Boock, Deutsches Volksliedarchiv Freiburg i.Br. Hermann Hesse, Sämtliche Werke Bd. 3, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 2003, S. 182. Zur Bedeutung der Mundharmonika vgl. neuerdings Ch. Wagner, Die Mundharmonika. Ein musikalischer Globetrotter, Berlin 1996 (= Publikation des Harmonikamuseums 5).
Friedhelm Brusniak 156
Abb. 1: Das Sinnen und Gedankenmachen hat keinen Wert … sign. u. r. (unter Zeichnung): LS 22, mit Bleistift sign. u. r. (unter Textzitat): Ludwig Schwerin 9 x 11,2 cm (Maße des gesamten Blattes: 15,7 x 22 cm) Kaltnadel-Radierung im zeitgenössischen Rahmen, Privatbesitz
«Das Sinnen und Gedankenmachen hat keinen Wert …» 157
Abb. 2: Abend Bez. u. l.: Abend (zu Hesses «Knulp») Sign. u. r.: Ludwig Schwerin. 29 Radierung auf Karton, Bezirksmuseum Buchen, Inv. Nr. 5489 Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung
Abb. 3: Ludwig Schwerin, Selbstbildnis 1926 Aquarellierte Federzeichnung. Schwerin-Fotoarchiv Bezirksmuseum Buchen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung
Géza Horváth
Hermann Hesse als ‹vielgelesener› deutschsprachiger Autor in Ungarn – vor und nach der Wende 1. Einleitung Die Rezeption, d.h. die breite Aufnahme der Werke eines Autors vom jeweiligen Leserpublikum vor allem in der Übersetzung der jeweiligen Landessprache einerseits, die kritische Reaktion darauf andererseits, sowie seine wissenschaftliche Würdigung hängt vor allem vom jeweiligen Literatur-Kanon und dem aktuellen Stand der Kulturpolitik des betreffenden, rezipierenden Landes ab. Insbesondere gilt das für ein Land wie Ungarn, das nach dem Zweiten Weltkrieg, der sogenannten ‹Befreiung›, d.h. gewalttätigen Besetzung durch eine der Siegermächte, die Sowjetunion, über vier Jahrzehnte offiziell eine ‹Volksrepublik› als Staatsform hatte und unter Druck und harter politischer Kontrolle einer demagogischen kommunistischdiktatorischen fremden Weltmacht im Rahmen eines «realen Sozialismus» schmachtete, auch wenn nach der blutigen Niederwerfung der Revolution – dem weltweit größten und effektivsten Aufstand gegen eine fremde kommunistische Willkür – von 1956 durch die Sowjets, mit informaler Billigung der westlichen Mächte sowie der USA, der politische Druck allmählich nachließ und in Ungarn, der «lustigsten Baracke des Ostblocks», der sogenannte ‹Gulaschkommunismus› konsumiert wurde. Die ungarische Hesse-Rezeption beginnt selbstverständlich viel früher, sie geht auf den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück und entfaltet sich erst richtig nach der politischen Wende von 1989. Die kommunistische Ära hat jedoch auch die momentane Situation auf eine ziemlich paradoxe Weise, und zwar negativ mitgeprägt. Rezeptionsgeschichtlich ist über die Aufnahme des Œuvre und des Lebens von Hermann Hesse in Ungarn bis heute spärlich berichtet worden. 1979 schrieb der vor kurzem verstorbene Literaturhistoriker und Komparatist, Mihály György Vajda ein Ungarn-Kapitel im zweiten Band von Hermann Hesses weltweite Wirkung. Die Hesse-Rezeption konnte er nur bis 1977 überblicken1. 1
Gy.M. Vajda, Ungarn, in Herman Hesses weltweite Wirkung. Internationale Rezeptionsgeschichte, hrsg. von M. Pfeifer, Frankfurt a.M. 1979, Bd. 2, S. 83–90. Im übrigens soliden Beitrag schreibt Vajda fälschlich drei Schriften dem Dichter Hermann Hesse zu, die 1913 und 1914 in der Zeitung der Sozialdemokraten «Népszava» (Volksstimme) von einem gewissen Hermann Hesse erschienen (Az idegen / Der Fremde /, Ifjúkori barátok / Jugendfreunde / und Lángtenger / Feuermeer /). Sogar Vajda scheint verdächtig zu sein, daß Ifjúkori barátok
Géza Horváth 160
Einen Vortrag hielt der Germanist Gábor Kerekes am 20. April 2002 auf der ersten Internationalen Hermann-Hesse-Gedenkkonferenz in Budapest mit dem Titel Hesse-Rezeption in Ungarn; der Beitrag ist bis heute noch nicht publiziert worden. Am 5. Juli 2003 hielt ich einen Vortrag auf dem Symposium Hermann Hesse als Streitobjekt im Rahmen des Calwer Kultursommers in Calw, dessen erweiterte Fassung dieser Beitrag ist. Im Studienjahr 2003/2004 ist eine erste Ungarische Hermann-Hesse-Bibliographie im Rahmen einer Seminarreihe am Germanistischen Institut der Universität Szeged erstellt worden, deren – in ungarischer Sprache abgefaßtes – Vorwort einen kurzen Überblick über die jüngste Hesse-Rezeption in Ungarn gibt2. Die zum Teil kommentierte Bibliographie ist im Dezember 2004 erschienen und besteht aus drei Teilen. Der erste Teil teilt Angaben von Primärtexten von Hesse in ungarischer Übertragung in chronologischer Folge mit (die erste Angabe stammt von 1906, die letzte von 2004) und umfaßt 226 Titel. Der zweite Teil präsentiert die Schriften über Hermann Hesse von 1914 bis 2004 in ungarischer oder deutscher Sprache, die in Ungarn erschienen sind oder von ungarischen Verfassern über Hesse im Ausland publiziert wurden. Dieser Teil umfaßt insgesamt 105 Titel. Der dritte und kürzeste Teil berichtet über Hermann-Hesse-Veranstaltungen in Ungarn. Die Bibliographie ist auch im Internet auf der Homepage der Ungarischen Landesbibliothek (Országos Széchenyi Könyvtár) zugänglich und wird jährlich verbessert und ergänzt: www.ki.oszk.hu/adatbazisok/bibliografiak/targyi/hesseherman.html.
2. Die drei Phasen der ungarischen Hesse-Rezeption Die Hesse-Rezeption in Ungarn läßt sich in drei Phasen einteilen. 1. Die erste Phase reicht von etwa 1900 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 2. Die zweite Phase dauert von etwa 1945 bis zur politischen Wende von 1989, und die letzte, 3. die dritte Phase reicht von dieser Zäsur bis in die heutigen Tage und sogar in die nahe Zukunft, bis etwa 2010, hinein.
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von Hermann Hesse aus dem Russischen übersetzt wurde (!) Distanzierend bemerkt er: «Mir war es nicht möglich, diese Texte zu identifizieren» (S. 84). Identifizieren konnte auch ich die Texte nicht, nach Einblick in diese Schriften konnte jedoch festgestellt werden, daß sie nicht vom Verfasser des Glasperlenspiels stammen. Magyar Hermann Hesse-bibliográfia, hrsg. von G. Horváth und R. Cso" sz, Budapest 2004, S. 115.
Hermann Hesse als ‹vielgelesener› deutschsprachiger Autor in Ungarn – vor und nach der Wende
2.1. Die erste Phase Bis 1945 sind von Hermann Hesse nur neun Gedichte und drei Prosawerke in ungarischer Übertragung, einige Lexikonartikel, eine wichtige Besprechung des Romans Demian sowie kürzere Erwähnungen in einem umfassenden Artikel über die Wege der deutschen Prosa in der renommierten Literaturzeitschrift «Nyugat» (Westen) und eine kurze Passage in einer Geschichte der Weltliteratur erschienen. Das erste Hesse-Werk in ungarischer Übertragung ist das frühe Gedicht A magány (Hochgebirgswinter 2: Berggeist v. 1902), das in der Nachdichtung des berühmten Dichters Gyula Juhász 1906 in einer Zeitschrift in Szeged (Süd-Ungarn) erschien. Als Kuriosum ist das 1915 in einer Anthologie veröffentlichte frühe Gedicht Tél 1914-ben (Winter 1914) zu bezeichnen, das im zehnten Band der Sämtlichen Werke nur im Nachlaß-Teil vorkommt3. 1916 sind sieben frühe Hesse-Gedichte in einer Anthologie deutscher Dichter von 1150 bis 1900 erschienen. Zusammengestellt, übersetzt und herausgegeben wurde die Anthologie vom Literaturhistoriker und Ethnographen László Vajthó. Sie enthält folgende Gedichte: Gondola-Ábránd (Venezianische Gondelgespräche, 1902), A fekete lovag (Der schwarze Ritter, 1900), Idegen város (Fremde Stadt, 1901), Csak ma ne! (Nicht heut, 1900), Vallomás (Geständnis, 1898), Monda (Sage, 1901), Sötétbe járt (Er ging im Dunkel, 1901). Von den Prosawerken sind in dieser Zeit der Roman Camenzind Péter (Peter Camenzind, 1904) übersetzt von József Károly und erschienen 1920 im Tevan Verlag in Békéscsaba (Süd-Ungarn) sowie die indische Dichtung Szidhártha (Siddhartha, 1922) 1923, also ein Jahr nach der deutschen Originalfassung, in der Übersetzung des Germanistikprofessors József Túróczi im Budapester Genius Verlag. Beide Übersetzungen blieben jedoch ohne jegliche Resonanz. 1923 ist eine Besprechung über den 1919 erschienenen Roman Demian vom berühmten Schriftsteller Sándor Márai, dem Verfasser des wiederentdeckten, international bekannten Romans A gyerták csonkig égnek (Die Glut) in Kassa (Kaschau, heute Kosice in der Slowakei) erschienen. Vor dem Ersten Weltkrieg und auch in der Zwischenkriegszeit blieb Hermann Hesse im Vergleich zu Stefan Zweig oder Thomas Mann ein kaum gelesener und nur mäßig bekannter Autor in Ungarn. Grund dafür war vor allem, daß in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das ungarische Leserpublikum hauptsächlich aus 3
SW, 10, S. 548–549. Hier sei erwähnt, daß ich die Motivation, die die ungarischen Übersetzer von Hesse-Gedichten zur Nachdichtung bewegt haben, nicht ergründen konnte. Im Fall von verstorbenen Übersetzern habe ich renommierte Forscher der Übersetzer/Dichter, wie z.B. den von Lo" rinc Szabó, vergebens danach gefragt und von auch noch heute lebenden Dichtern, wie László Lator, habe ich die Antwort bekommen, er hätte einige Gedichte von Hesse im Auftrag der Zeitschrift für Weltliteratur Nagyvilág (Grosse Welt) anläßlich des achtzigsten Geburtstages des Dichters, 1957 übersetzt. Lator nimmt jedoch seine Hesse-Nachdichtungen, durch neue ergänzt, auch in Bände seiner ausgewählten Übersetzungen auf.
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den Städtebewohnern, vor allem aus den mittleren und höheren Schichten des liberalen Bürgertums in Budapest bestand, dem das großbürgerliche Milieu und die ‹zeitgemäß-moderne› Thematik von Thomas Mann eher paßte als die ländlichkleinstädtische oder exotische Welt von Hermann Hesse. Außerdem hatte Mann bereits früh Beziehungen zu Ungarn: anfangs über den liberal-kommunistischen Ästheten Georg Lukács, später, seit den 30-er Jahren, über Baron Lajos (Ludwig) Hatvany, der Mann mehrmals nach Ungarn einlud und seine Werke ins Ungarische übersetzen ließ – Der Zauberberg ist in ungarischer Übersetzung früher erschienen als das Original, weil der S. Fischer Verlag die Fahnen des Romans Kapitel für Kapitel nach Ungarn schickte. So entstand die ungarische Fassung parallel zum deutschen Original. Übrigens war der Übersetzer jener József Turóczi, der auch Hesses Siddhartha übersetzt hat4. Während Thomas Mann zwischen 1913 und 1937 fünfmal in Ungarn war und die bedeutendsten Vertreter der Kultur – vor allem der Literatur und Musik – kennengelernt hat, sind Hesses diesbezügliche Affinitäten ziemlich schwach. Mann kannte persönlich und schätzte auch u.a. den Romancier, Dramatiker und Essayisten Zsigmond Móricz, den Komponisten Béla Bartók, und er schrieb ein Vorwort zur deutschen Ausgabe des Romans Nero von Dezso" Kosztolányi. Hesse hatte dagegen ziemlich spärliche ungarische Beziehungen und kein Interesse an der ungarischen Kultur: Er kannte und schätzte die ungarische Konzertsängerin Ilona Durigo, die bedeutendste Interpretin des Liedschaffens von Othmar Schock, die zwischen 1921 und 1938 als Lehrerin für Sologesang am Zürcher Konservatorium tätig war, hatte mit Károly (Karl) Kerényi intensiv korrespondiert, hatte von 1938 bis 1953 eine ungarische Haushälterin und Köchin, Kato Stefanek, die auf Empfehlung des Ehepaars Kerényi in Hesses Domizil in Montagnola angestellt wurde, und von den ungarischen Schriftstellern kannte er wohl nur einen: Béla Balázs, der nicht zu den wichtigsten Repräsentanten der ungarischen Literatur gehört5. In diesem Zeitraum war die Literaturwissenschaft zunächst vom Positivismus, von der Mitte der 20er Jahre an von der Geisteswissenschaft beeinflußt. In diesem Sinne schrieb der Geisteswissenschaftler Antal Szerb in seiner A világirodalom története (Die Geschichte der Weltliteratur, 1941) im Vergleich zur verhältnismäßig starken Thomas-Mann-Passage kaum ein paar Zeilen über Hermann Hesse, der damals bereits seit fast zehn Jahren am Glasperlenspiel gearbeitet und auch als international bekannter Dichter gegolten hat. Szerb scheint Hesse nicht gekannt zu haben, ob4 5
Vgl. Thomas Mann és Magyarország (Thomas Mann und Ungarn), hrsg. von A. Mádl und J. Gyo" ri, Budapest, 1980, S. 7. Balázs ist der einzige ungarische Schriftsteller, von dem Hesse Kenntnis genommen hatte. Seinen Roman Unmögliche Menschen rezensierte Hesse 1931 im «Bücherwurm» zusammen mit Dominik Müllers Felix Grollimund’s russisches Abenteuer, Lion Feuchtwangers Erfolg, den indischen Offenbarungsworten Anbetung Mir, Georg Grosz’s Über alles die Liebe, Richard Huelsenbecks’ China friβt Menschen, Hans Carossas Die Schicksale Doktor Bürgers und André Gide’s Werke in deutscher Ausgabe. Vgl. SW, 19, S. 203–204.
Hermann Hesse als ‹vielgelesener› deutschsprachiger Autor in Ungarn – vor und nach der Wende 163
wohl die oben erwähnten Werke in ungarischer Übersetzung fast zwanzig Jahre vor seiner Weltliteratur erschienen waren und Szerb natürlich hervorragend u.a. auch deutsch konnte und die deutsche Kultur und Literatur sehr genau kannte. Die Hesse gewidmeten Zeilen in seiner Literaturgeschichte stammen übrigens aus dem Eppelheimer Handbuch der Weltliteratur.
2.2. Die zweite Phase Die zweite Phase der ungarischen Hesse-Rezeption wird grundsätzlich von einer kommunistischen Kulturpolitik bestimmt, die nach der sogenannten dreifachen T-Parole: «támogatni, tu" rni, tiltani», d.h. «fördern, dulden oder verbieten» klassische und moderne Kulturgüter sowohl der ungarischen als auch der Weltkulturerbschaft je nach sozialistischem Klassenbewußtsein behandelt hat. So war Hesse zwar nicht zu einem totalen Verschwiegenwerden verdammt, konnte jedoch nur notgedrungen aus Anlass bestimmter hervorragender Gelegenheiten an den äußersten Rand des Rampenlichtes des ungarischen Kulturbetriebs rücken, besonders in Jubiläumsjahren, wie 1946 nach der Verleihung des Nobel-Preises für Literatur an Hermann Hesse, anläßlich seines achtzigsten Geburtstages 1957, in seinem Todesjahr 1962 und aus Anlaß der hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages 1977. In dieser zweiten Rezeptionsphase sind an die neunzig Primärtitel erschienen, davon etwa achtzig Gedichte, den Rest haben Prosa-Werke ausgemacht. Zur gleichen Zeit sind etwa vierzig Sekundärtitel, einige ausführlichere Darstellungen, dann vorwiegend Buchbesprechungen sowie Lexikonartikel über Hesse und seine Werke veröffentlicht worden. Als schwaches und unverständiges Echo auf die Verleihung des Nobel-Preises erschien 1946 im politischen Wochenblatt der Ungarischen Radikalen Partei «Haladás» (Fortschritt) ein hasserfüllter Artikel von Zsuzsa Madarassy, die fälschlicherweise den Nobel-Preis auf 1947 vordatierte (!) und bis auf Peter Camenzind Hesse nicht gelesen zu haben schien. Auf den Nobel-Preis reagiert noch in diesem Jahr ein viel positiverer Artikel von Lajos Gogolák in der Wochenzeitschrift «Új Magyarország» (Neues Ungarn). Anläßlich des 80sten Geburtstages des Dichters leistete sich die Monatsschrift für Weltliteratur «Nagyvilág» (Grosse Welt) 1957 eine Widmung für Hermann Hesse: der Literaturhistoriker György Mihály Vajda präsentierte hier eine umfassende, selbstverständlich von marxistischen Gemeinplätzen wimmelnde, jedoch solide Würdigung des achtzigjährigen Dichters. Begleitet wurde der Aufsatz von einigen Hesse-Gedichten in ungarischer Übersetzung (Néha/Manchmal, Elisabeth/ Elisabeth III. Wie eine weiβe Wolke, Pillangó/Blauer Schmetterling in der Übersetzung von László Lator, Éjszaka/Nacht, Álmatlanság/Schlaflosigkeit, Tovatu" no" ifjúság/Jugendflucht, Fekszem a fu" ben/Im Grase liegend in der Nachdichtung von György Végh. 1958 veröffentlichte einer der renommiertesten ungarischen Dichter, Lo" rinc Szabó,
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eine umfassende Auswahl seiner Meisternachdichtungen der Weltliteratur unter dem Titel Örök barátaink (Unsere ewigen Freunde). Von den fünfundvierzig KrisisGedichten (1926) aus der Steppenwolf-Zeit hatte er fünf nachgedichtet (Reggel az álarcosbál után/Morgen nach dem Maskenball, Öltözés közben/Bei der Toilette, Hiába ittam ki a konyakot/Vergebens hab ich allen Cognac …, Réti farkas/Der Steppenwolf und Sejtelmek/Ahnungen). 1962 erschien im Tankönyvkiadó (Lehrbuchverlag) eine große Anthologie der Weltliteratur – ein Riesenunternehmen in sechs großen Bänden und Teilbänden –, vor allem als Hilfsmaterial für Studierende der Weltliteratur. Der Band VI./2. enthält elf Gedichte von Hesse. Die bisher auch hinsichtlich der Lyrik von Hesse reichste Anthologie erschien ‹zufällig› im Todesjahr des Dichters, die Vorarbeiten der Anthologie reichen nämlich in die frühen fünfziger Jahre zurück. Einen kleinen Durchbruch bedeutet der nachrufartige Aufsatz des Germanisten Elo" d Halász, Hermann Hesse, 1877 – 1962 in der Literaturzeitschrift «Tiszatáj» (Theissgegend) im Jahre 1963. Halász, der nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang als Professor an der Universität Szeged tätig war, widmete Hesse ein paar Seiten auch in seiner A német irodalom története (Geschichte der deutschen Literatur, 1970) unter dem Titel Die Wendung des Realismus nach innen. Hesses Tod wirkte etwas belebender auf die ungarische Rezeption als die vorangegangenen Jahre: Neben der Würdigung von Halász ist 1963 die erste ungarische Übersetzung des ersten Prosawerks von Hesse Narziss és Goldmund nach dem Krieg beim größten ungarischen Verlag für Weltliteratur ‹Europa› in der Übersetzung des früh verstorbenen Schriftstellers József Gáli und mit einem repräsentativen Nachwort des wegen seiner kaum marxistischen Literaturauffassung damals noch vernachlässigten Literaturhistorikers Géza B. Németh erschienen. Der essayistische Hesse-Aufsatz, in dem Leben und Werk gewürdigt wurde, wurde später auch in den Sammelband der Aufsätze Arcok és pályák (Gesichter und Lebensbahnen, 1970) von Németh aufgenommen. 1964 erschienen dann drei Besprechungen der Erzählung Narziß und Goldmund. 1965 wird von der Germanistin Zsuzsa Széll eine erste Doktorarbeit über Hermann Hesses Glasperlenspiel an der Eötvös József Universität Budapest verteidigt6. Die nächste Etappe bildet die hundertste Wiederkehr von Hesses Geburtstag. 1977 wurde im Europa Verlag Narziβ und Goldmund in der alten, übrigens sehr schönen Übersetzung – diesmal ohne das umfassende Nachwort von Németh – herausgebracht. Von 1963 bis heute ist diese Riesennovelle in Ungarn in einer Auflagenhöhe von mehr als 30.000 Exemplaren erschienen. Den eigentlichen Durchbruch gegen Ende der kommunistischen Ära brachte dann im Jahre 1984 die ungarische Übersetzung des Romans Az üveggyöngyjáték 6
Ze. Széll, Hermann Hesse: Az üveggyöngyjáték (H.H.: Das Glasperlenspiel), Budapest, 1965, S. 102.
Hermann Hesse als ‹vielgelesener› deutschsprachiger Autor in Ungarn – vor und nach der Wende
(Das Glasperlenspiel, 1943) von Ede Szabó, der ebenfalls im Europa Verlag erschien. Der Literaturhistoriker und Übersetzer aus dem Deutschen, Miklós Györffy, der auch gegenwärtig als Professor für Weltliteratur an der Loránd Eötvös Universität Budapest tätig ist und von Hesse die Novelle Klein és Wagner (Klein und Wagner, 1919) übersetzt hat, hat ein Nachwort zum Glasperlenspiel mit dem Titel Kultúrkritika és Utópia között (Zwischen Kulturkritik und Utopie) nunmehr in einem neuen Geist geschrieben, in dem er jedoch Hesse als utopischen Glasperlenspieler behandelt. In seiner A német irodalom rövid története (Kurze Geschichte der deutschen Literatur, 1995) behandelt Györffy Hesse zusammen mit Thomas Mann, Robert Musil und Hermann Broch als repräsentativen Vertreter der spätbürgerlichen Welt. In den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ist Hesse als einziger schweizerischer Dichter der frühen Vergangenheit mit bereits früher publizierten, insgesamt zwölf Gedichten in der Anthologie Klasszikus német költo" k (Klassische deutschsprachige Dichter vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, 1977) vertreten7. 1980 erschien Csillagsors (Roβhalde, 1914) im Verlag für die ungarische Gegenwartsliteratur sowie für Weltliteratur, Magveto" (Sämann). Der Roman wurde in einigen Zeitschriften auch rezensiert8. Ab und zu sind noch kürzere, ‹inoffizielle› Würdigungen über Hesse erschienen, z.B. 1978 eine höchst kundige Besprechung des damals noch nicht übersetzten Steppenwolf von einem der bedeutendsten und damals kaum geduldeten ungarischen Dichter des 20. Jahrhunderts, János Pilinszky, in der katholischen Wochenzeitschrift «Új ember» (Neuer Mensch) mit dem Titel Az önmegvetésto" l az alázatig (Von der Selbstverachtung bis zur Demut). Pilinszky betrachtet Harry Haller als einen an Depression und Schuldgefühl leidenden Selbstverachter, der jedoch in nichtdogmatischem Sinn der Gnade nahe ist. Der Artikel wurde 1984 auch in den Prosaband A mélypont ünnepélye (Das Fest des Tiefpunktes) von Pilinszky aufgenommen. Im Rahmen eines wissenschaftlichen Kolloquiums über die deutschsprachige Prosa zwischen 1900 und 1933 am Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur der Eötvös Loránd Universität Budapest wurden fünf Vorträge über Hesse gehalten und im Budapester Universitätsverlag publiziert9.
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Zum Vergleich: in der Anthologie sind z.B. Gottfried Benn oder Paul Celan mit je 20 Gedichten vertreten. Z.B. von Csaba Lo" rinczy: Útban a lelki szegénységhez. Hermann Hesse Csillagsors címu" könyvéro"l (Unterwegs zur Armut der Seele. Über Hermann Hesses Buch Roβhalde), in «Új Írás», 1981/10. Vgl. Welt und Roman. Visegráder Beiträge zur deutschen Prosa zwischen 1900 und 1933, hrsg. von A. Mádl, in «Budapester Beiträge zur Germanistik», Bd. 10., Budapest 1982.
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2.3. Die dritte Phase Mit der politischen und damit auch mit der kulturpolitischen Wende von 1989 begann auch hinsichtlich der ungarischen Hesse-Rezeption eine neue Epoche. Während zwischen 1945 und 1990 in Ungarn nur einige staatliche Verlage funktionieren konnten – drei davon mit Schwerpunkt Belletristik: Európa Kiadó, Magveto" Kiadó und Szépirodalmi Kiadó –, sind nach der Wende von 1989 Hunderte von kleineren und größeren Privatverlagen ins Leben gerufen worden, von denen in den vergangenen zehn Jahren manche bereits gescheitert sind. Die Übergangsperiode kann mit dem Leiden am Übersetzen vom A pusztai farkas (Der Steppenwolf, 1927) plausibel charakterisiert werden. Gegen Mitte der achtziger Jahre mit den Übersetzungsarbeiten ohne einen Verlagsvertrag begonnnen – was durchaus als ein laienhaftes, gar Don Quichotte-artiges Unterfangen gelten konnte –, war die fertiggestellte Übersetzung zu einer Odyssee durch die großen Verlage verurteilt, bis sie endlich zu Weihnachten 1992 in einem neu gegründeten kleinen Verlag, ‹Balassi Kiadó›, dessen Schwerpunkt Literatur- und Kulturwissenschaft sowie alte ungarische Literatur war, erscheinen durfte. Kennzeichnend für die damaligen Verhältnisse im Bereich Kultur und Verlagswesen ist, daß ein bekannter Verlagslektor und Übersetzer, dem ein Teil der Steppenwolf-Übersetzung inoffiziell zur Korrektur gezeigt wurde und der den Roman als ‹faschistisch› ablehnte, nach der Wende Teile der Übersetzung in Fortsetzungen in seiner renommierten Literaturzeitschrift mitteilen wollte – selbstverständlich ohne Erfolg, weil der Übersetzer auf die Publikation verzichtete. Seit 1992 ist der ungarische Steppenwolf bei zwei Verlagen in fünf Auflagen in etwa 20.000 Exemplaren gedruckt und vertrieben worden und ist heute auch bereits in der neuen ungarischen Hermann-Hesse-Werkausgabe auf dem ungarischen Büchermarkt präsent. Auf den Roman ist u.a. sowohl in der liberalen Kulturszene – zweimal in der Wochenzeitschrift für Literatur und Kultur «ÉS: Élet és Irodalom» (Leben und Literatur) – wie auch in der katholisch orientierten Presse ‹Pannonhalmi Szemle› (Pannonhalmer Rundschau) reflektiert worden. Diese letzte Phase der ungarischen Hesse-Rezeption ist bislang die reichste und fruchtbarste. Zwischen 1989 und 2004 sind etwa 15 Gedichtübertragungen in verschiedenen literarischen Zeitschriften, an die 25 Prosawerke – 5 in Zeitschriften, 5 als selbständige Bände in drei Verlagen, dann insgesamt 16 Bände im Rahmen der Ungarischen Hermann-Hesse-Werkausgabe im Cartaphius Verlag – erschienen. Interessant ist, daß zwischen 1945 und 1989 mehr Gedichte übersetzt und veröffentlicht wurden als in der letzten Phase. Ein Grund dafür ist, daß die vorwiegend in Zeitschriften und Anthologien veröffentlichten Gedichte weniger auffallend – und natürlich auch schneller und billiger – waren, als die übersetzerische und verlagspolitisch-technische Prozedur umfangreicher Prosawerke. Von den insgesamt etwa 80 Gedichtübertragungen haben einige mehrfach – zwei- bis vierfach – die ungarischen Dichter und Übersetzer inspiriert. Das meistübertragene Hesse-Gedicht ist bis heute Blauer Schmetterling (1927), das zwischen
Hermann Hesse als ‹vielgelesener› deutschsprachiger Autor in Ungarn – vor und nach der Wende
1957 und 1995 in vier Fassungen nachgedichtet wurde. Drei verschiedene Übersetzungen liegen von folgenden Gedichten vor: Jugendflucht (1897), Stufen (1941), Dem Frieden entgegen (1945); je zwei Fassungen gibt es von Nicht heut (1900), Ravenna (1901), Heimweg vom Wirtshaus (1901), Die Zypressen von San Clemente(1901), Manchmal (1904), Im Nebel (1905), Nachtfest der Chinesen in Singapur (1911), Vergänglichkeit (1919), Herbst (1919), Wanderer im Schnee (1921), Der Steppenwolf (1926), September (1927), Besinnung (1933). Hesses Gedichte haben ungarische Dichter ersten Ranges inspiriert wie Gyula Juhász, Lo" rinc Szabó, György Somlyó, László Kálnoky, Dezso" Keresztury, György Rónay, László Lator, Dezso" Tandori und viele andere. Zu bemerken ist, daß ungarische Hesse-Übertragungen auch außerhalb der heutigen Staatsgrenzen erschienen sind, wie z.B. September, Ravenna (1901), Chiogga (1901), Blütenzweig (1913), Herbst (1919), Blume, Baum, Vogel (1916) im Jahr 1995 in Pozsony (Preβburg, heute Bratislava in der Slowakei) in der Nachdichtung von Imre Kerék. Seit 1990 wird in Ungarn jährlich immer mehr von und über Hermann Hesse publiziert. Besonders attraktiv sind die Jahre 2002 und 2004. Im Jubiläumsjahr 2002 sind drei größere Prosawerke (A varázsló gyermekkora. Mesék/Kindheit des Zauberers. Märchen mit 26 Texten, Kerék alatt/Unterm Rad, 1906, Narziss és Goldmund/Narziβ und Goldmund, 1930) und die Erzählung Az európai/Der Europäer von ihm und acht Beiträge über ihn beziehungsweise über seine Werke veröffentlicht worden. 2004 sind die Neuausgabe von Roβhalde (1914), Gertrud (1910), Csodálatos ifjúság. Válogaott elbeszélések II./Schön ist die Jugend. Ausgewählte Erzählungen II. mit elf Texten, sowie A napkeleti utazás. Sváb életrajz/ Die Morgenlandfahrt (1930) Schwäbischer Lebenslauf. Zweite Fassung, (1935) erschienen. Im selben Jahr sind noch sieben Beiträge und Nachworte zu Hesses Werken erschienen.
2.4. Die ungarische Hermann-Hesse-Werkausgabe 1994 beschloß ein junger und kleiner Verlag, Hermann Hesses Werke herauszugeben. Der Leiter des Cartaphilus Verlags, Zsolt Szász, hat mich als Übersetzer des Steppenwolf gebeten, einen Plan zu einer ungarischen Hermann-Hesse-Werkausgabe zusammenzustellen und dann als Herausgeber dieser Ausgabe beauftragt. Zunächst waren etwa zehn Bände vorgesehen, mit der Zeit hat sich das Projekt jedoch auf 25 Bände erweitert. Davon sind bis heute folgende 16 Bände erschienen: 1. Peter Camenzind, übersetzt von Tünde Farkas, Nachwort zur 2. Ausgabe von Géza Horváth, 1995, 1999. 2. Rosshalde – zuerst unter dem Titel Csillagsors (Sternenschicksal) erschienen –, übersetzt von Judit Korányi, Nachwort zur letzten Ausgabe von Géza Horváth, 1980 (Magveto" Kiadó), 1996, 1999, 2004. 3. Knulp, übersetzt von Gábor Dohy und Rita Hudáky, Nachwort zur zweiten Ausgabe von Géza Horváth, 1997, 2004.
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4. Gertrud, übersetzt von Rita Hudáky und Gábor Dohy, Nachwort zur zweiten Ausgabe von Géza Horváth, 1998, 2004. 5. Gyermeklélek/Kinderseele, übersetzt von Miklós Györffy und Géza Horváth, Nachwort zur zweiten Ausgabe von Géza Horváth, 1980, 1997, 2002. 6. A fürdo" vendég, A nürnbergi utazás/Kurgast.Die Nürnberger Reise, übersetzt von Géza Horváth, 1999. 7. illantás a káoszba/Blick ins Chaos. Aufsätze, übersetzt von Edina Ács, Tamás Bella et alii, Nachwort von Géza Horváth, 2000. 8. A pusztai farkas/Der Steppenwolf, übersetzt und Nachwort von Géza Horváth, 1992, 1997, 1998 (Balassi Verlag), 2000. 9. Assisi Szent Ferenc gyermekkorából/Aus der Kindheit des heiligen Franz von Assisi. Legenden, übersetzt von Rita Hudáky und Gábor Dohy, Nachwort von Géza Horváth, 2001. 10. A varázsló gyermekkor. Mesék/Die Kindheit des Zauberers. Märchen, übersetzt von Tamás Bárász, Géza Horváth et alii, Nachwort von Géza Horváth, 2002. 11. Narziss és Goldmund/Narziss und Goldmund, übersetzt von József Gáli, Nachwort zur letzten Ausgabe von Géza Horváth 1963, 1977 (Európa Verlag), 2002. 12. Kerék alatt/Unterm Rad, übersetzt von Rita Hudáky und Gábor Dohy, Nachwort von Géza Horváth, 2002. 13. A márványmalom/Die Marmorsäge. Ausgewählte Erzählungen I., übersetzt von Géza Horváth, Vincze Zsuzsanna, Nachwort von Géza Horváth, 2003. 14. Az üveggyöngyjáték/Das Glasperlenspiel, übersetzt von Ede Szabó, Gedichtübertragungen von Endre Vajda, Nachwort zur letzten Ausgabe von Géza Horváth, 1984, 2003. 15. Csodálatos ifjúság/Erzählungen II., übersetzt von Róbert Cso" sz, Zsuzsa Fekete, Géza Horváth, Zita Kis, Nachwort von Géza Horváth, 2004. 16. A napkeleti utazás. Sváb életrajz/Die Morgenlandfahrt. Schwäbischer Lebenslauf, übersetzt, mit Erklärungen versehen und Nachwort von Géza Horváth, 2004. Für 2005 sind folgende Bände geplant: 17. Az álmok háza/Das Haus der Träume. Ausgewählte Erzählungen III., übersetzt von Zsuzsanna Buczkó, Géza Horváth et alii, Nachwort von Géza Horváth, Frühjahr 2005. 18. Sziddhárta/Siddhartha, übersetzt von Ágnes Kászonyi (Erstausgabe: Európa Verlag, 1992), Nachwort von Géza Horváth, Winter 2005. Im Rahmen der ungarischen Hermann-Hesse-Werkausgabe sollen jährlich zwei bis drei Bände erscheinen. Bis 2010 sind noch folgende Bände geplant: Ausgewählte Gedichte, Demian, Die Welt der Bücher, Ausgewählte Briefe, Hermann Hesse als Maler, Hermann Hesse. Fotoalbum mit Texten und eine Herman-Hesse-Monographie. Dank der neuen Ausgabe der Sämtlichen Werke von Hermann Hesse im Suhrkamp Verlag, herausgegeben von Volker Michels, sind auch die Arbeiten vor allem
Hermann Hesse als ‹vielgelesener› deutschsprachiger Autor in Ungarn – vor und nach der Wende 169
hinsichtlich der Auswahl der kleineren Schriften (Betrachtungen, Selbstzeugnisse, Gedenkblätter, politische Schriften, Rezensionen) an der ungarischen Hesse-Ausgabe in großem Masse erleichtert worden. Es ist durchaus möglich, daß durch die Erschließung und Veröffentlichung der deutschen Texte in den Bänden 11–20 auch weitere ungarische Hesse-Bände entstehen können. Das hängt vor allem von den Marktverhältnissen sowie von den Förderungen ab. Die einzelnen Bände erreichen eine Auflagenhöhe von durchschnittlich 2000–3000 Exemplaren, einige Bände der Reihe (Peter Camenzind, Roβhalde, Knulp, Kinderseele, Gertrud, Der Steppenwolf) haben bis heute eine zweite oder dritte Auflage erlebt. In Ungarn gibt es einen etwa 3000 Personen starken Hesse-Leserkreis, der auch die weniger eingeführten oder bekannten Bände (Märchen, Legenden) sammelt. Im Vergleich zu Ungarns Bevölkerungszahl – innerhalb der Landesgrenze leben knapp zehn Millionen Einwohner – und der Auflagenhöhe eines belletristischen Erstlings oder einer durchschnittlichen Buchausgabe von 1000–2000 Exemplaren, präsentieren die ungarischen Hesse-Bücher einen soliden Überdurchschnitt. Bis auf einige Bestseller wie Harry Potter oder die Bücher des ersten ungarischen Literatur-Nobel-Preisträgers, Imre Kertész, sind diese Zahlen schon beachtlich. Es muß hinzugefügt werden, daß die Herstellungskosten paradoxerweise praktisch so hoch sind wie in den westlichen, hochentwickelten Ländern, obwohl die kaufschwache Leserbasis nur einen geringen Bruchteil der westlichen Leserschaft ausmacht. Deshalb ist die schon mehrmals zugesprochene Förderung durch Inter-Nationes von äußerstem Belang. Die neue ungarische Hermann-Hesse-Werkausgabe hat sowohl die literarischen als auch die wissenschaftlichen Reaktionen stark beeinflußt. Zur populärliterarischen Rezeption gehören nach wie vor Besprechungen in regionalen und überregionalen Tageblättern, in führenden Kultur- und Literaturzeitschriften, essayistische Beiträge in Periodika, sowie Reaktionen in den Medien: Diskussionen in Rundfunk und Fernsehen und es gibt sogar eine ungarische Internet- Homepage für Hesse-Fans. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Hermann Hesses Werk in Lehre und Forschung an universitären Einrichtungen, in Literaturgeschichten, Lexika oder Studiensammlungen von Literaturwissenschaftlern nahm im letzten Jahrzehnt stark zu. Laut einer Umfrage an führenden Lehrstühlen und Instituten ungarischer Hochschulen und Universitäten für Germanistik und Weltliteratur ergab sich, daß in den vergangenen 5–10 Jahren das Interesse an Hermann Hesses Lebenswerk rapid gestiegen ist. Während z.B. in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre an den ungarischen Universitäten Hesse kaum beachtet und behandelt wurde – d.h. seine Werke sind z.B. auf keiner Pflichtlektürenliste vorgekommen und es wurde keine Lehrveranstaltung über oder zu Hesse abgehalten –, werden heute Seminare und Vorlesungen über Hesse landesweit angeboten, Seminararbeiten, Diplomarbeiten und sogar Doktorarbeiten über ihn geschrieben. Ungarn hat mit seinen 93.000 Quadratmetern und knapp zehn Millionen Einwohnern – kaum größer als der Freistaat Bayern oder
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das Bundesland Baden-Württemberg – vier traditionsreiche Universitäten: in der Hauptstadt Budapest, in Szeged (Südost-Ungarn), in Pécs (Südwest-Ungarn) und in Debrecen (Ost-Ungarn). In den letzten 10 Jahren sind noch die Universitäten Veszprém (West-Ungarn) – die ehemalige Hochburg der Schwerindustrie, der Chemieund Ölforschung – und Miskolc (Nord-Ungarn) – das ehemalige Universitätszentrum für Schwerindustrie – je um eine philosophische Fakultät erweitert worden. Außerdem gibt es noch Hochschulen, an denen im Gegensatz zu den Universitäten, wo die Ausbildung von Gymnasiallehrern und Nachwuchswissenschaftlern bevorzugt wird, Primärschullehrkräfte ausgebildet werden. Am Germanistischen Institut der Universität Budapest wird Hesse im Rahmen der Vorlesungen Deutsche Literatur von 1910 bis 1945 und Die deutsche Literatur nach 1945 behandelt. Zum Rigorosum muß entweder Das Glasperlenspiel oder Der Steppenwolf gelesen werden. 2002 sind hier sieben Diplomarbeiten geschrieben worden10. In Budapest werden zwei PhD-Arbeiten geschrieben: Der Einfluß Friedrich Nietzsches auf Hermann Hesse. Formen des Nihilismus bei Nietzsche und Hesse vom Oberassistenten der Universität Veszprém, László V. Szabó, und Männerbilder, Frauenbilder – Geschlechterzuweisungen bei Hermann Hesse (Arbeitstitel) von Orsolya Erdo" dy, und eine an der Universität Debrecen: Auβenseitertum in Herman Hesses ‹Der Steppenwolf› und Hans Heny Jahnns ‹Die Niederschrift des Gustav Anias Horn, nachdem er neunundvierzig Jahre alt geworden war› von Eniko" Riskó . An der Universität Szeged werden seit zehn Jahren Seminare sowie Vorlesungen zu Hermann Hesse gehalten. In diesem Zeitabschnitt sind etwa 50 Seminararbeiten, 20 Diplomarbeiten und eine PhD-Dissertation (Wege der deutschen Innerlichkeit am Beispiel von Johann von Goethes ‹Die Leiden des jungen Werther›, Hermann Hesses ‹Siddhartha› und Thomas Manns ‹Doktor Faustus›) geschrieben worden. Im Rahmen eines Seminars zum literarischen Übersetzen werden in Szeged seit Jahren Hesse-Texte besprochen und übersetzt und nach einem Preisausschreiben preisgekrönte Prosa-Übersetzungen von Hesse in die ungarische Werkausgabe aufgenommen. Am Germanistischen Institut der Universität Veszprém wird Der Steppenwolf gelesen. Hier werden jährlich durchschnittlich zwei Diplomarbeiten über Hesse geschrieben und László V. Szabó hat neben seiner Doktorarbeit auch einige wissenschaftliche Aufsätze zu diesem Themenbereich abgefaßt. An der Péter Pázmány Katholischen Universität in Piliscsaba werden ebenfalls Seminare über Hesse abgehalten, Das Glasperlenspiel oder Der Steppenwolf muß als Pflichtliteratur zum Rigorosum gelesen werden, jährlich werden etwa 2–3 Seminar10
Der Briefwechsel von Hermann Hesse und Thomas Mann/2001 und 2003, Deutungsmöglichkeiten der Identität in Hermann Hesses ‚Der Steppenwolf‘, Das Gottesbild bei Hermann Hesse, Buddhistische Motive in Hermnn Hesses Werken, Tod oder Unsterblichkeit, Die Erscheinungsformen des Todes in Hermann Hesses Werken.
Hermann Hesse als ‹vielgelesener› deutschsprachiger Autor in Ungarn – vor und nach der Wende
arbeiten geschrieben und zwischen 2000–2003 sind sechs Diplomarbeiten geschrieben worden. Auch an Instituten und Lehrstühlen für Weltliteratur werden Hesses Werke (vor allem Der Steppenwolf, Siddhartha und Das Glasperlenspiel) als empfohlene Literatur oder Pflichtlektüre gelesen. In den 90-er Jahren sind immer mehr Schriften über Hesse erschienen: 1990 ein umfassender Artikel von Ferenc Barnás: A zene szerepe Herman Hesse írói világában (Die Rolle der Musik in Hermann Hesses Schrifttum. In: Literatura) oder Az üveggyönygjáték folytatása. Hesse és Harnoncourt (Die Fortsetzung des Glasperlenspiels. Hesse und Harnoncourt) vom Ästhetik-Professor der Universität Budapest, Péter Balassa. Noch 1987 erschien ein schmales Bändchen Világirodalom a 20. században. Fo" bb áramlatok (Weltliteratur im 20. Jahrhundert. Wichtigere Strömungen) als Schwanenlied des Literaturhistorikers und früheren Vorsitzenden der ersten Abteilung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Miklós Szabolcsi, der Hesse im Zusammenhang mit dem Steppenwolf und Thomas Manns Zauberberg als Vertreter des späten Realismus und an einer anderen Stelle Das Glasperlenspiel zusammen mit Manns Doktor Faustus, Hermann Brochs Der Tod des Vergil und Robert Musils Mann ohne Eigenschaften unter dem Stichwort ‹Variationen des synthetischen Realismus. Der philosophische Roman› behandelt hat.
3. Ausblick Was die nahe Zukunft betrifft, ist eine erste ungarische Monographie über Hermann Hesse geplant, die als abschließender Band der ungarischen Hesse-Ausgabe erscheinen soll. Die Monographie ist nicht nach traditionellen Normen strukturiert: sie beruht nicht auf einer biographischen Basis, sondern liefert anhand textzentrischer Erklärungen eine thematische Annäherung an Hesses Lebenswerk. Die Monographie hat daher keinen Cicerone-Charakter: es werden keine Wanderungen durch das Œuvre, die Lebensstadien, die Entsehungsgeschichten unternommen und die Werke werden nicht im Spiegel der Biographie und des Lebenswerks vorgestellt, sondern eher umgekehrt: das Werk will den Hesse-kundigen Leser anhand der einzelnen Hesse-Texte als in sich ruhende ‹Textwelten› gleichsam von jeweiligen Kernen eines konzentrischen Kreises durch Hesses Lebenswerk führen, wobei die Werke durch das Aufzeigen intertextueller und interkultureller Bezugssysteme in ein breiteres Umfeld eingebettet werden. Vor allem werden Motive und Funktionen der Handlungsstruktur – wie Bipolarität, Kreis oder Spirale, Einheit, der Protagonist als Erwählter, der Seelenführer und Hesses dreistufige Entwicklungslehre – untersucht. Betont werden charakteristische Werke der markanten Schaffensperioden: Demian, Klingsor, Siddhartha, Kurgast, Der Steppenwolf, Narziss und Goldmund, Die Morgenlandfahrt und Das Glasperlenspiel. Im zweiten Teil als eine Art Appendix
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soll dann ein biographischer Hintergrund (Familie, Pietismus, Indien, Schulen) und vor allem das geistige Erbe: das Abendland (Christentum, Mittelalter, das Ideal der Vollkommenheit in der neuzeitlichen Kultur: von Defoe bis Goethe, die deutsche Romantik, Schopenhauer und Nietzsche), die orientalischen Kulturen (Indien: Buddhismus, Brahmanismus), China: Taoismus, Hesse und die Musik, Hesses weltweite Wirkung zu seinen Lebzeiten und nach seinem Tod in Europa, Asien, USA und in Ungarn. Ein Register mit Lebensdaten, Werkangaben, bibliographischen Hinweisen soll den Band beschließen.
Besprechungen Adrian Hsia, Hermann Hesse und China. Darstellung, Materialien und Interpretationen. 2. Auflage, Suhrkamp, Frankfurt am Main: 2002, 398 S., € 12,50. Den gelben Buchumschlag ziert ein chinesisches Zeichen. Eine alte Form des Zeichens Yi, so liest man auf der Innenseite, das für Hesse besonderen Wert besaß, weil es «den Begriff der Veränderung durch Wandlung symbolisiert». Wir haben es mit einer Neuauflage der erstmals im Jahre 1974 erschienenen Aufsatzsammlung Hermann Hesse und China zu tun: Der Autor Adrian Hsia, gebürtiger Chinese, der in Deutschland aufwuchs und aktuell an der McGill University Montreal, Kanada, als Professor für Neuere Germanistik lehrt, legt ein Buch vollgepackt mit kulturellem Hintergrundwissen vor, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, dem Leser Darstellung, Materialien und Interpretation zu liefern, um Licht in die bislang noch eher unerforschte Wechselwirkung zwischen Hermann Hesse und China zu bringen. Adrian Hsias eigene Abstammung garantiert dabei, daß der Blick auf China ohne romantisierende Nostalgie erfolgte, dem «Reiz des Exotismus», der immer wieder seine abendländischen Opfer fordert, fällt er natürlich nicht anheim, seine hybride kulturelle Identität bewahrt ihn davor. Und so ermöglicht er es auch dem Leser, die Asien-Thematik bei Hesse aus einer Innen-Perspektive zu begreifen. Hermann Hesse und China ist in fünf Großkapitel gegliedert, Ausgangspunkt ist ein kurzer, einleitender Aufsatz, der Hesses «Internationalität des Geistes» thematisiert und in dem Hsia die vereinenden aber auch die trennenden Linien der Kulturen herausstellt, die Hesse begleiteten und leiteten: die abendländische, die südasiatische (oder indische) und die ostasiatische. Im zweiten Kapitel, das großflächig mit ‹Indien› überschrieben wird, unterstreicht Hsia die Verbundenheit der Familie Hesse mit der Kultur des indischen Raums. «Zwar vermittelte Hesses Elternhaus ihm sinnliche Eindrücke von der indischen Kultur, aber den Weg zur indischen Philosophie mußte er selbst finden» (S. 33). Der Gedanke von und für die Einheit aller Menschen faszinierte Hesse, die Menschen Asiens, die er als «Meister der Synthese» betrachtete, sowie die Begegnung mit der indischen Philosophie, die sich, wie Hsia beweist, ab rund 1912 ereignete, finden ihren Niederschlag in zur jugendlichen Standardlektüre avancierten Werken wie Siddhartha oder Das Glasperlenspiel. Adrian Hsia fügt an dieses Kapitel eine bisher unveröffentlichte und daher wertvolle Abhandlung Hesses an: Die Schrift Geist der Romantik aus dem Jahre 1926 veranschaulicht die Integration von asiatischem Gedankengut bei Hesse, im Mittelpunkt steht die gemeinsame Basis der Dinge und die Überwindung vordergründiger Polaritäten. Im dritten Kapitel ‹China und die Chinesen› schließlich lenkt Hsia den Blick des Lesers nun dezitiert auf das im Buchtitel Versprochene: Hermann Hesse und China. «Nach der ersten Begegnung mit der indischen Weisheit lernte Hermann Hesse allmählich die chinesische Philosophie und Literatur kennen» (S. 51). Es war nie im Interesse Hesses, und das wird der Autor nicht müde zu betonen, das Chinesische streng gegen das Indische abzugrenzen. Die Brücke zwischen Indien und China, das vereinende Element und das Gemeinsame, von dem beide Kulturen ausgehen: Bei Hesse ist demnach ein sehr fortgeschrittener Begriff von ‹Kul-
Besprechnungen 174 tur› festzustellen, als Verfechter der Internationalität von Kultur widerstrebt ihm ein separierendes Denken in starren Schienen. «Eine Spekulation darüber, ob Hesse Indien oder China näher stand und welches Element in seiner Dichtung eine größere Rolle spielt, wäre sinnlos, denn Hesse selbst spricht meist von Ergänzungen des Einen durch das Andere» (S. 52). Hsia erwähnt besonders auch die persönlichen Reiseerlebnisse Hesses, die in Briefform überliefert sind. Hesses Eindrücke äußern sich hier in anfänglichem Enthusiasmus und sprachloser Überwältigung, konstatiert er doch die Chinesen als die «heimlichen Herrscher des Ostens» (S. 62). Doch Hsia verschweigt auch nicht die Ernüchterung, die Hesse im Lauf der Jahre erfahren mußte und die Skepsis, mit der er dem modernen China der Fünfziger Jahre gegenüberstand. «Die Chinesen, einst das friedlichste und an kriegs- und militärfeindlichen Bekundungen reichste Volk der Erde, sind heute die gefährlichste und rücksichtsloseste Nation geworden» (S. 87). Eine Äußerung wie diese kann natürlich nur als eine Reaktion der Enttäuschung aufgefasst werden: Hesse hegte eine tiefe Liebe für die klassische chinesische Kultur und das chinesische Volk, das große Werke der Literatur und Philosophie hervorgebracht hat. Im Kapitel ‹Hesses chinesische Lektüre› zeichnet Hsia die Grundrisse der drei chinesischen Haupt-Geistesströmungen nach: Dabei zeigt er, daß Taoismus, Konfuzianismus und ZenBuddhismus für Hermann Hesse nicht nur eine endlose Inspirationsquelle für seinen literarischen Output darstellten, sondern auch praktische, lebensbezogene Eigenarten beinhalteten, die Hesse in seinen persönlichen Alltag integrierte, nach denen er zu leben begann. Während der Taoismus die Wesenseinheit aller Dinge, den ewigen Kreislauf und die Aufhebung des Polarismus anstrebt, versteht sich der Konfuzianismus als eine Philosophie der gesellschaftlichen Organisation, in deren Zentrum Menschlichkeit und Gerechtigkeit stehen. Die Forderung nach Humanität und der gesetzte Schwerpunkt auf Riten und Rechtlichkeit, den der Konfuzianismus propagiert, stehen dabei der taoistischen Natürlichkeit und Selbstregulation gegenüber. Auch die Einflüsse des Zen-Buddhismus, der die chinesische (das heißt taoistische) Umformung des Buddhismus darstellt, und des I-Ging, des Buchs der Wandlungen, bei dem es sich um einen sehr alten Orakel- und Weisheitsspruch handelt und auf das Hsia im fünften Kapitel noch einmal viel genauer eingehen wird, beleuchtet der Autor kurz. «Zum Verständnis der Beziehung zwischen Hesses Dichtung und China müssen noch seine Kenntnisse und Eindrücke von der chinesischen Erzählkunst berücksichtig werden» (S. 139). Neben den Lehren des Taoismus, des Konfuzianismus und des Zen-Buddhismus war es natürlich die chinesische Dichtung selbst, die Hesse in ihren Bann zog. Hsia wartet mit einem chinesischen Märchen zur Veranschaulichung auf, um «die Verschmelzung von Wirklichem mit Überwirklichem in der chinesischen Geschichte zu illustrieren» (S. 142). Hesses Faszination für diese Erzählkunst, die ihm vorkam «wie ein alter chinesischer Seidenteppich, auf dem Hunderte von Vögeln, Drachen, Blumen, Menschen, Bäumen und Wolken in feiner geduldiger Stickerei nebeneinander stehen» (S. 140) schlägt sich natürlich auch im Repertoire seiner Privatbibliothek nieder, innerhalb der sich die «kleine, aber bevorzugte und gepflegte» (S. 145) asiatische Ecke beständig erweiterte. Sodann öffnet sich das fünfte und längste Kapitel der ‹Interpretationen›. Der Autor beginnt zunächst mit der Analyse von einzelnen Gedichten, Märchen und kürzeren Erzählungen. Behutsam fügt er kulturelle Riten Chinas, Anekdoten und geschichtlichen und sozialen Hintergrund, die Hesse allesamt in seinem Erzählstoff verwebte, zusammen. Vom Gedicht an die Sängerin Ying-Ning, über Das Haus der Träume, Iris und Piktors Verwandlungen neben anderen weniger bekannten Erzählungen, die Hsia nicht außer Acht läßt, führt das Kapitel schließlich hin zu den größeren Prosawerken, beginnend mit Demian. Einmal mehr wird klar, daß Hesse nicht in die Schublade eines einheitlich westlichen oder östlichen Oeuvres zu pressen ist und das genau das als sein Verdienst zu betrachten ist: «Fast überall finden sich Elemente beider Kulturwelten ineinander verflochten. Manche Motive sind westlich und
Besprechnungen östlich zugleich» (S. 200). Dies beweist auch die Analyse des Demian, in dem sich neben dem offensichtlichen Einfluß von Nietzsches ‹Antichrist› auch chinesische Motive nachweisen lassen. In Emil Sinclairs ‹Traumvogel› sieht Hsia eine Parallele zum Vogel Pöng, der das Sinnbild des höchsten taoistischen Menschen verkörpert. Auch in Demians Meditation, einer Übung und Ausstrahlung des konzentrierten Willens, und im geistigen ‹Rufen› Sinclairs nach Eva, die die Verkörperung des Taos selbst darstellt, wird, allerdings erst auf den zweiten Blick, eine chinesische Motivik ersichtlich, die Hsia dem Leser verständlich näherzubringen vermag. Klingsors letzter Sommer, Der Steppenwolf, Narziß und Goldmund und Die Morgenlandfahrt stehen neben den ‹Paradeexempeln› für enthaltene chinesische Elemente wie Siddhartha und Das Glasperlenspiel im Zentrum der Betrachtung. Auch wenn Siddhartha unterschrieben ist mit «Eine indische Dichtung» so beruhen doch die darin transportierten Gedanken auf chinesischer Philosophie. «Mehr als zwanzig Jahre einer innigen, vielfältigen Beschäftigung mit ostasiatischer Weisheit» (S. 237), so Hesse selbst in einem Brief, ließ er der endgültigen Niederschrift und Beendigung des Buches vorangehen. Die Zweitteilung und die doppelte Widmung des Buches lassen einmal mehr die Hesses Hinwendung und seine tiefe Achtung sowohl vor Indien als auch vor China erkennen. Den längsten Interpretationsraum reserviert Hsia natürlich für Hesses Alterswerk Das Glasperlenspiel. Neben einer sorgfältigen Analyse der chinesischen Motive und Korrektur bisheriger Irrtümer, der die wissenschaftliche Literatur aufgesessen ist, widmet sich das Kapitel vor allem der Erklärung und der Parallelisierung des Buches I-Ging mit dem Glasperlenspiel. «Das Glasperlenspiel, wie wir es im Roman kennenlernen, ist längst eine Sprache geworden. Es ist eine Sprache ohne nationale und völkische Grenzen, sie ist jedem Gelehrten und Eingeweihtem verständlich, ähnlich wie das Latein im Mittelalter» (S. 272). Durch Sechs-Strich-Zeichnungen, sogenannte Hexagramme, liefert das I-Ging dem Gelehrten 64 Lebenssituationen und deren Interpretation. Durch die Wandlung eines der sechs Striche entsteht ein neues Hexagramm und eine neue Lebenssituation. Auch hier finden wir wieder eine Basis Hesses, auf der er sein literarisches Werk begründete: Das I-Ging symbolisiert Vielfalt, der eine Einheit zugrunde liegt. «Man baut die Welt in sein Bambusgehölz ein» (S. 280), wie es der «ältere Bruder» in Das Glasperlenspiel beschreibt, oder, wie es Hesses selbst mit Worten bezeichnete: «Es ist in diesem Buch […] ein System für die ganze Welt aufgebaut […]» (S. 284). Auch hier erlaubt es die Genauigkeit der Analyse Hsias nicht, eine 1:1-Übertragung von altem chinesischem Gedankengut gelten zu lassen. Neben den Analogien zwischen dem Glasperlenspiel und dem Buch IGing deckt er auch Abweichungen auf, die sich in folgendem Satz konzentrieren: «Der entscheidende Unterschied ist, daß die Wandlungen, die das uralte chinesische System des I-Ging ausdrückt, dem Tao unterworfen sind, während das Glasperlenspiel nicht mehr den Geist an sich darstellen will, sondern zum Abstraktum des Geistes geworden ist» (S. 284). Dem Interpretationskapitel folgt ein etwa dreißig Seiten umfassender Anhang, in dem Hsia vor allem Primärtexte und Auszüge daraus versammelt, die als eine Art Schlüsseltexte konkret Aufschluß über Hesses Verhältnis zum geistigen Indien und China geben. Des weiteren findet man weiterführende Bibliographien, sowohl von Hesses Schriften über China, als auch eine Bibliographie der Arbeiten über Hesses Beziehung zu China. Den Abschluß bildet interessanterweise eine Auflistung der Bücher, die sich in der ‹chinesischen Ecke› von Hesses Privatbibliothek befanden. Somit komplettiert der Autor das weite und verzweigte Feld in das er sich vorgewagt hat bestmöglich und unterstreicht mit der Nennung der Bücher, aus denen Hesse sein Wissen über den asiatischen Raum bezogen hat, seine eigenen Thesen. Bei den Ergänzungen 2002, die ja den Grund für die Neuauflage und nicht zuletzt auch für vorliegende Rezension darstellen, handelt es sich um eine ‹Zurückwerfung des Lichtes›: Hier spricht nicht Hesse über China, sondern China über Hesse. Die Konjunktion ‹und› im Buchtitel Hermann Hesse und China scheint in diesem Fall höchst angebracht. Das Strahlen des
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Besprechnungen 176 Chinesischen, das Hesse in seinem Werk verarbeitet hat, äußerte sich vor allem in den letzten zwanzig Jahren auch in einem Rückstrahlen: China reagiert endlich, fast hundert Jahre, nachdem Hesse diese Welt für sich entdeckte, auf den Autor. Kann die erste Auflage von Hermann Hesse und China vorwiegend nur mit dem Einfluß Chinas auf Hesse aufwarten, so ist die nun vorliegende Neuauflage also um ein Kapitel erweitert, das Aufschluß über die Rezeption Hesses in China gibt. Adrian Hsia kommentiert die sehr zögerlich einsetzende Übersetzung von Hesses Werken ins Chinesische und die damit verbundene Rezeption. Er unterscheidet dabei zwei Rezeptions-Gebiete, nämlich die ‹Insel›, das heißt Taiwan, und das chinesische Festland. Die erste Hesse-Übersetzung ins Chinesische datiert Hsia mit dem Jahr 1936, nähere Angaben hierzu fehlen aber. Als in den Sechzigern die Hippie-Bewegung in den USA in vollem Gange war griff die Hesse-Euphorie auch auf Taiwan über: «Mehr oder weniger über Nacht wurde Hesse zum Bestseller auf der Insel» (S. 365). Es folgt eine wahre Translations-Flut: Genaue Tabellen mit der Auflistung sämtlicher Übersetzungen vervollständigen das Bild, wobei Hsia die Problematik nicht unterschlägt, daß nur ein Übersetzer, nämlich Hsüan Cheng, direkt aus dem Deutschen ins Chinesische übertrug, währenddessen alle Anderen aus dem amerikanischen Englisch übersetzten. Die Rezeption Hesses in Hongkong beschreibt Hsia als schleppenden Prozess, die jüngste Rezeption Hesses im chinesischen Kulturraum schreibt er somit dem chinesischen Festland zu. Da Hesse zu den ‹progressiven Schriftstellern› gerechnet wurde, deren Lektüre und Rezeption unter dem Regime Mao Tsetungs geächtet war, erfolgte die Aufnahme vieler großer Werke der deutschen Literatur, darunter eben auch Hesses Büchern, erst nach Tsetungs Tod und dem Fall der Viererbande. Hsia erwähnt die chinesische Hesse-Übersetzerin Zhang Peifen, die sich jahrelang mit der Übertragung des Werks auseinandergesetzt und somit Pionierarbeit auf diesem Gebiet geleistet hat. Wieder folgen Übersetzungs-Tabellen, genaue Auflistungen und der Hinweis, daß Hesse in China zunächst vor allem als Romancier rezipiert wurde und erst später, etwa ab Beginn der neunziger Jahre, auch seine Lyrik entdeckt wurde. Der Autor bringt seine Motivation für die Verschlossenheit der Chinesen Hesses Werk gegenüber auf den Punkt: «Der chinesische Leser empfindet die deutsche Dichtung oft als zu philosophisch. Das lesende Publikum kann die deutschen Werke nicht nebenbei konsumieren, weil sie Nachdenken erfordern. Für die Eingeweihten und die Besinnlichen ist dies gerade der Reiz bei der Dichtung Hermann Hesses» (S. 375). Kurz skizziert Hsia Vorworte, Erläuterungen und Kommentare, mit denen die Übersetzer fallweise ihre Arbeiten versehen haben und nennt letztendlich noch zwei chinesische Aufsätze, die sich mit Hesses Werk auseinandersetzen, um, wie er wohlwollend schreibt, «die Qualität der Hesse-Forschung in China zu verdeutlichen» (S. 384). «Mächtig aufgeholt zu haben» (S. 388), das schreibt Hsia der Hesse-Forschung in China zu, mit dieser Feststellung wird der Aufsatz über die Hesse-Rezeption in China beendet, angehängt wird noch eine ausführliche Bibliographie der ins Chinesisch übersetzte Werke Hesses in Taiwan und in der Volksrepublik China, eine Bibliographie der Aufsätze über Hermann Hesse und China und eine Bibliographie der Arbeiten über Hesses Beziehung zu China. Das vierhundert Seiten starke Buch ist keineswegs als etwas zu verstehen, das in einem Zuge oder gar nur ‚nebenbei‘ durchzulesen wäre, eine Rezension auf der Internetseite des Buchriesen Amazon beschreibt Hermann Hesse und China als Buch «für gründliche Leser». Hsia bietet Seite für Seite eine profunde Auseinandersetzung mit der Integration indischen und chinesischen Denkens in Hesses literarischem Werk, die Darstellung ist zweifellos gelungen. Doch Hermann Hesse und China ist auch ein über weite Strecken anstrengend zu lesendes Buch. Als Einführung zum Werk Hesse ist das Buch deshalb sicherlich nicht geeignet. Zu speziell, detailverliebt und oftmals auch sehr abstrakt erklärt Hsia Hesses Erzählhaltung mit dem Hinweis auf chinesische Elemente, jedoch absolut ohne, und das muß man dem Autor sicherlich zugute halten, Chinoiserie.
Besprechnungen 177 Der chinesische und indische Aspekt bei Hesse wird oft mit einem ironischen Fingerzeig auf den «selbsternannten Guru Hesse» abgetan: Genau hier setzt Adrian Hsia an und legt dar, daß bei wohl keinem anderen Autor eine derartig tief verwurzelte Ebene von asiatischem Gedankengut in der, als Ausgangsposition zu betrachtenden, abendländischen rationalistischen Weltsicht vorzufinden ist. Hsia beweist die Belesenheit Hesses und entlarvt das GuruImage als ignorantes Vorurteil. Dabei vermittelt er den Respekt und die Faszination, die Hesse dem asiatischen Denkstil gegenüber empfunden haben muß. Die zahlreichen Anekdoten, die der Autor den großen Büchern des Taoismus, des Konfuzianismus und des ZenBuddhismus entnimmt, versetzen den Leser des Buches mitten hinein in den «Seidenteppich», von dem Hesse spricht. Hsia analysiert auch die Einzelheiten nicht außer Acht lassend, wobei sein Schreibstil manchmal gewöhnungsbedürftig und zum Polemischen neigend ist. Die Hesse-Renaissance in Nordamerika skizzierend kommt er, die triste Situation in den U.S.A der sechziger Jahre darstellend, etwa zu folgender Feststellung: «Es herrschte Saturiertheit, aber zugleich Leere; Betriebsamkeit, aber zugleich Sinnlosigkeit. So konnten Hesse, Krishna, Buddha, Lao Tse und Jesus zu Gurus und Antipoden werden» (S. 34). Auch unter einem ironischen Gesichtpunkt mutet die Nennung von diesen Herrschaften in einem Atemzug etwas befremdlich an. Trotzdem: Das Gedanken-Prisma, das die Literatur Hesses umgibt, beschreibt Hsia mit scharfer Genauigkeit und läßt dabei keinen Zweifel am Ausgangspunkt: «Jawohl, wir fuhren nach Asien, und Asien war nicht ein Weltteil, sondern ein ganz bestimmter, geheimnisvoller Ort, irgendwo zwischen Asien und China. Von dort waren die Völker und ihre Lehren und Religionen ausgegangen, dort waren die Wurzeln alles Menschenwesens und die dunkle Quelle alles Lebens, dort standen die Bilder der Götter und die Tafeln der Gesetze. Oh, wie hatte ich das nur einen Augenblick vergessen können!» (S. 68). Lisa Kreil
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Ralph Freedman, Rainer Maria Rilke, aus dem Amerikanischen von Curdin Ebneter. Zwei Bände in Kassette (Bd. 1: Der junge Dichter 1875–1906, Bd. 2: Der Meister 1906–1926), Insel Verlag, Frankfurt a.M.- Leipzig 2002., S. 444 und 626, € 64,60. «Life of a Poet» nannte Ralph Freedman seine 1996 erschienene Rilkebiographie. Das Besondere an ihr ist, wie es im Vorwort heißt, die Absicht des Autors, «die eingehende Schilderung der markantesten Ereignisse von Rilkes Leben gleichgewichtig mit der vertieften Lektüre seiner Gedichte und Prosatexte» zu verbinden, «in denen sie sich künstlerisch umgeformt spiegeln». Dies Versprechen wird schon für den jungen René Rilke eingelöst, dessen früheste dichterische Versuche im Zusammenhang stehen mit den seine innere Welt bestimmenden gegensätzlichen Kräften und widerstreitenden, Ansprüchen aus denen «neue Wirklichkeiten entstanden» (S. 24). Unsere Kenntnis von Rilkes Kindheit und seiner Zeit in der Militärschule, die hier einfühlend dargestellt sind, wird erweitert und ergänzt dadurch, daß Freedman Zugang zu den noch weitgehend unveröffentlichten Briefen René Rilkes an seine Mutter hatte, in denen das Gegeneinander der elterlichen Bestrebungen sichtbar wird: Phia Rilke sah in dem Sohn den künftigen Dichter, Josef Rilke den Offizier in einer Laufbahn, die ihm versagt geblieben war. So versuchte sich René neben Gedichten wie Das Grabmal, Allerseelen, Der Friedhof (1888) an einem ersten Prosawerk, der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges – Sentimentales und Heroisches stehen nebeneinander.
Besprechnungen 178 In dem von Brüchen bestimmten Lebenslauf Rilkes – vom verwöhnten und kränkelnden Kind in die robuste Welt der Militärschule, über ein Intermezzo auf der Handelsschule in Linz bis zur Existenz des Privatschülers in Prag, der den Gymnasialstoff nachholt und mit Auszeichnung die Matura besteht (1895) – wird eines immer deutlicher, der Entschluß Schriftsteller zu werden. Und so nennt Freedman Rilkes erstes Studienjahr in Prag das des «jungen Schriftstellers», der vielfältige Verbindungen knüpft und sich als Theaterdichter und Zeitschriftengründer versucht. Zudem erscheint zwischen 1896 und 1899 jedes Jahr ein Gedichtband, die letzten beiden schon unter dem Namen Rainer Maria Rilke, den er der Geliebten und mütterlichen Freundin Lou Andreas-Salomé verdankt. Denn im Jahr 1897 kam es – schon in München – zu wohl der wichtigsten Wende in seinem Leben, der Begegnung mit Lou, aus der sich die bis an sein Lebensende dauernde Freundschaft mit ihr ergab. In den vier ersten Jahren der Beziehung wird Rilke erwachsen. Freedman widmet Lou und ihrem Einfluß einen Schwerpunkt schon in diesem ersten Teil seiner Biographie, der ihrer Bedeutung für Rilke gerecht wird. Einmal geht es um die Übersiedlung von München nach Berlin in das Zentrum der damaligen literarischen und kunstkritischen Kreise, dann um die gemeinsamen Reisen in Russland, um die gewaltsame Trennung 1901 und endlich um Lous heilende Hilfe in der Krise der ersten Pariser Zeit. Der vielfältigen literarischen Tätigkeit Rilkes in diesen Jahren geht der Autor in einfühlenden Analysen nach, ohne daß diese die Erzählung der Lebensumstände überfrachten. Die wichtigsten Arbeiten der Münchner Zeit, die autobiographische Erzählung Ewald Tragy und der Gedichtzyklus Christus-Visionen blieben unveröffentlicht, zwei Novellenbücher, Am Leben hin und Zwei Prager Geschichten erschienen 1898 und 1899 – daneben viele Beiträge auch in bedeutenden Zeitschriften wie «Pan» und «Jugend». Mit dem Band seiner Geschichten Vom lieben Gott und anderes (1900) knüpfte Rilke eine erste Bindung an den Insel Verlag. Die Übersiedlung aus dem Umkreis des Ehepaars Andreas nach Worpswede und im Zuge der Heirat mit der Bildhauerin Clara Westhoff nach Westerwede bei Bremen bildete erneut einen tiefen Einschnitt. Freedman nennt dieses Kapitel Passing through Eden, was die Vorläufigkeit dieser Lösung eher wiedergibt als das deutsche Ausflug ins Paradies. Zugleich nämlich begann damit Rilkes finanzielle Unsicherheit, von der man sich nur schwer ein wirkliches Bild machen kann. Er verlor die von Prager Verwandten für sein Studium gewährten monatlichen Zuwendungen zum Unterhalt und mußte feststellen, daß er auch von intensiver schriftstellerischer Tätigkeit als Kritiker nicht leben konnte, dabei aber zu seiner eigentlichen Arbeit (damals am Stunden-Buch) nicht mehr kam. Zwei Monographien entstanden in dieser Zeit: ein Buch über die Worpsweder Malergruppe, mit der ihn sein Freund Heinrich Vogeler bekannt gemacht hatte. Darin fehlt allerdings Paula Modersohn-Becker, mit der Rilke und seine Frau eine problembelastete Freundschaft verband. Die zweite dieser Auftragsarbeiten führte Rilke nach Paris, was zugleich das Ende des Versuchs bedeutete, mit seiner Frau und der kleinen Tochter Ruth ein gemeinsames Leben im eigenen Heim zu führen. Das kleine Haus in Westerwede wurde aufgegeben. Paris: das war Rodin, bei dem Rilke, über ihn schreibend, in die Lehre ging, das war aber auch der Schrecken der Großstadt, der sich in den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge spiegelt. Rilke flieht aus Paris nach Viareggio wo der dritte Teils seines Stunden-Buches entsteht: Von der Armut und vom Tode, die Gedichte, von denen es bei Freedman heißt: «aus einer Krise entstanden, verwandeln sie diese Krise, indem sie sie transzendieren» (S. 289). Die Interpretation dieses Gedichtkreises ist in besonderer Weise kennzeichnend für den Umgang des Autors mit Rilkes Werk, für seinen erhellenden Blick auf scheinbar längst Bekanntes. Es folgen in Rilkes Leben die Stationen Rom, Dänemark, Schweden – «der Künstler in ihm kämpfte weiterhin gegen die verletzliche, verwirrende Person, in der er steckte» (S. 335). In Rom konzipierte Rilke seinen Malte-Roman (Februar 1904), dort entstanden auch die
Besprechnungen 179 ersten großen Gedichte wie Orpheus. Eurydike. Hermes, die zuerst in der «Neuen Rundschau» erschienen und die Zustimmung Hofmannsthals und seiner Freunde fanden. Die Geschichten vom lieben Gott kamen bei der Insel in einer Neuausgabe heraus, zugleich übernahm Rilke eine Art Lektorentätigkeit bei seinem Verleger Axel Juncker, bei dem er 1902 den Erzählungsband Die Letzten und die erste Ausgabe des Buch der Bilder publiziert hatte. Das Lektorat trug ihm 50 Mark im Monat ein, viel, verglichen mit den 150 Mark, die ihm sein Buch über Rodin einbrachte. Dankbar war Rilke deshalb, als ihn eine durch Ellen Key vermittelte Einladung nach Südschweden erreichte, zumal er dänische Studien begonnen hatte – Malte Laurids Brigge war von Beginn an ein junger Däne – dazu vermittelte Axel Juncker, ebenfalls Däne, den Blick auf seine Heimat. Im Herbst des Jahres 1904 versuchten Rilke und auch seine Frau vergebens, in Kopenhagen Fuß zu fassen. In Schweden übersetzte Rilke Teile von Kierkegaards Briefen an seine Braut und überarbeitete seine schon 1899 entstandene Weise von Liebe und Tod des Cornets Otto Rilke, die Juncker als Buch herausbringen wollte. Dem Cornet, in ‚Christoph Rilke‘ umbenannt, widmet Freedman eine eingehende Betrachtung, die dem kleinen Werk ohne die durch seine spätere ungeheure Verbreitung genährten Vorurteile entgegentritt, wenn auch mit der durchaus kritischen Zusammenfassung: «Die Liebe ist in diesem Werk noch nicht ‹geleistet›, aber im Schatten des Todes erlebt und errungen. Der Tod ist letzte, rauschhafte Steigerung des Lebens, juvenile Hingegebenheit, und nicht Frucht von Bereitschaft und Reife. Er wird eher besinnungslos als wissend angenommen, noch fehlt ihm das Gewicht erfahrener Daseinsnot» (S. 354). Den Abschluß des ersten Bandes von Freedmans Biographie bildet wiederum ein Neubeginn: im Jahre 1905 findet Rilke Freunde und Förderer in der Gestalt der Gräfin Luise von Schwerin, ihres Schwiegersohns, des Biologen Jacob von Uexküll und des literarisch interessierten Bankiers Karl von der Heydt, mit denen gemeinsam er und seine Frau die Sommermonate auf Schloß Friedelhausen an der Lahn bei Marburg verbringen konnten. Hier gewann Rilke den Insel-Verlag für sein Stunden-Buch, hier erwirkte er die Einladung von Rodin nach Paris, wo er seinen Rodin-Vortrag ausarbeiten wollte, von hier aus führte der Weg in seine erste Meisterschaft, zu den Neuen Gedichten, mit deren einem «Römische Sarkophage». Der zweite Band, Der Meister, umfaßt die Jahre 1906 bis 1926. «Zeit des Umbruchs» ist der erste Teil überschrieben, in dem wir Rilke in Paris an der Arbeit an den Neuen Gedichten und den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge sehen. Der Bruch mit Rodin liegt hinter ihm, gerade entdeckt er Paula Modersohn-Becker: die Freundin hat sich wie er aus vertrauten Bindungen gelöst um zu sich selbst und ihrer Kunst zu finden. Diese Freundschaft ist es, die im Abschnitt «Einem neuen Stil entgegen» einen ersten Schwerpunkt bildet. Unterbrochen wird dieser Sommer 1906, in dem das Rilkebildnis der Künstlerin entsteht, durch Reisen Rilkes mit Frau und Tochter, an deren Ende er so mittellos dasteht wie vor der großherzigen Unterstützung durch den (nun verstimmten) Karl von der Heydt – der Ausweg: eine Einladung nach Capri, wo er den Winter 1906/07 verbringt. Im späteren Rückblick erscheint dieser Winter glücklicher, als er wohl war – immerhin war eine zweite Auflage des Stunden-Buchs nötig, die neue Ausgabe vom Buch der Bilder sowie der neugefaßte Cornet lagen vor. In Gedanken begleitete der Dichter Clara Rilke auf ihrer Reise nach Ägypten und schuf neben den erst viel später ans Licht gebrachten «Improvisationen aus dem Capreser Winter» so bedeutende Verse wie Die Rosenschale und Alkestis; dazu gelang im Zusammenwirken mit der Gastgeberin die Übertragung der Sonette aus dem Portugiesischen von Elizabeth Barrett-Browning. Nach seiner Rückkehr am 31.Mai 1907 vollendet Rilke in Paris die Neuen Gedichte und wendet sich dem Malte zu. Wichtig: die Begegnung mit dem Werk Cézannes, die sich in den
Besprechnungen 180 Briefen spiegelt, die Rilke seiner Frau und zugleich an Paula Modersohn-Becker nach Deutschland schreibt – die Freundin war in ihre familiären Bindungen zurückgekehrt, am 20.November 1907 starb sie nach der Geburt ihrer Tochter. Ein Jahr darauf stellt sich Rilke ihrem Tod im Requiem für eine Freundin, dem Freedman eine ausführliche Deutung widmet (S. 69–72). Dazwischen liegt die erfolgreiche Vortragsreise nach Prag und Wien, die Versöhnung mit Rodin, das Erlebnis Venedigs, ein zweiter Winter auf Capri und wieder eine Rückreise nach Paris, wo der Neuen Gedichte zweiter Teil abgeschlossen werden kann. In mehreren Schritten analysiert der Verfasser die Neuen Gedichte als Rilkes Abkehr vom «offenkundig Subjektiven» seiner Lyrik. Am «Archaischen Torso Apollos» verdeutlicht er seine Auffassung und endet zusammenfassend: «Der Dichter hatte eine große Wandlung durchgemacht. Dieses Gedicht, und die Poetik, die ihm zugrunde liegt, war die differenziertere Version seines fortgesetzten Austauschs mit Rodin. Es umschloß auch die Leidenschaft und das Grauen seines Lebens: die enge Beziehung von Geschlechtlichkeit, Tod und Kunst; Kunst als erstarrtes, gleichsam ‚eingefrorenes‘ Begehren und seine endliche Freisetzung im geschaffenen Objekt oder Kunstding, das von allen – vom Leser wie vom Dichter – eine neue Ausrichtung verlangt» (S. 64). Die folgenden Abschnitte gelten dem schwierigen Prozeß der Arbeit an den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge mit all den Unterbrechungen und Krisen, den Reisen und neuen Begegnungen, deren Wichtigste und Folgenreichste die mit der Fürstin Marie von Thurn und Taxis war (Dezember 1909). Nach der Vollendung des Malte tritt Rilke in eine Lebensphase voller Unsicherheiten ein, die zugleich – wie die unerfreulich endende Reise nach Nordafrika und Ägypten – auf die spätere Verwandlung des Geschauten ins Werk vorbereiten. Das nächste Kapitel: Engel und Liebende, stellt das Entstehen der ersten Elegien dar, mit der «Alchemie, die menschliches Erleben in Kunst verwandelt». Es folgen Innere Landschaften. Der Autor betont: «Es wäre irrig zu meinen, Rilkes Fortschreiten habe sich in hermetisch gesonderten Phasen vollzogen. In Wirklichkeit durchlief seine lebenslange Arbeit eine graduelle Entwicklung, die allerdings durch erkennbare Wendepunkte gekennzeichnet war» (S. 142). Nach dem Winter auf Duino, wo die ersten Elegien und das Marien-Leben entstanden, folgen Sommermonate in Venedig, in denen Rilke die bewunderte Tragödin Eleonora Duse fast täglich sieht und ihr beizustehen versucht, und schließlich die Spanienreise, die eigentlich eine Reise nach Toledo und zu El Greco ist und in Ronda endet. Hier entstehen neben großen Gedichten Teile der Sechsten, der Helden-Elegie: «Die dichterische Produktion der letzten beiden Monate in Spanien bewies wieder einmal, daß sich Rilke täuschte, wenn er die größtmögliche innere und äußere Ruhe als Vorbedingung guten Arbeitens ansah. Es war vielmehr so, daß er aus dem Abgrund von Nöten heraus, zu denen nur Lou ganz vordringen konnte, und aus dem Erkunden des Todes im Zeichen einer neuen religiösen und ästhetischen Sichtweise heraus, eine Dichtung von wachsender geistiger, struktureller und künstlerischer Komplexität zu schaffen vermochte» (S. 175). Im Abschnitt Träume von Verbundenheit zeichnet Freedman die Begegnungen der Jahre 1913/14 nach, darunter so wichtige wie die mit Franz Werfel und Sigmund Freud. Er verweist auf «Rilkes fließende und intuitive Art, Gedanken aufzunehmen» (S. 196), auch wenn sie seine Widerstände hervorriefen, so in der Ablehnung eine Psychoanalyse für sich selbst. 1914 kommt es zu der Beziehung mit Magda von Hattingberg, die mit Briefen beginnt, die Rilke ‹stürzend von Herzen› gingen und die nach der Begegnung in Berlin und gemeinsamem Reisen in tiefer Enttäuschung endet – paradigmatisch geradezu für den Wunsch, geliebt zu werden und die Abwehr des Zuviel. Dann der Erste Weltkrieg, Das Gefängnis Europa und wieder der Versuch, gegen alle Widerstände zur eigenen Arbeit zu gelangen – als es 1915 endlich zu gelingen beginnt mit den Sieben Gedichten, dem Requiem auf den Tod eines Knaben und der Vierten Elegie, erreicht ihn die
Besprechnungen 181 Einberufung zum österreichischen Militärdienst, der zwar nach einer entwürdigenden Grundausbildung mit der Versetzung ans Wiener Kriegsarchiv gemildert wird, Rilke aber aus allem herausreißt, was in München schon erreicht schien. Die Jahre von 1914 bis 1916 sind zugleich die Zeit der Verbindung Rilkes und der Malerin Loulou Albert-Lasard, die Freedman einfühlend vergegenwärtigt. Rilke kehrte aus Wien im Juli 1916 zurück: ‹München als Exil› empfindend, wo er das Ende des Krieges und die Zeit des Umsturzes in Deutschland politisch wach und engagiert erlebte – unfähig zur Arbeit, eingebunden im Umgang mit wohlmeinenden Menschen, endlich auch in einer eigenen Wohnung. Freedman kennzeichnet Rilkes innere Zerrissenheit, die in dieser Umbruchszeit in den Beziehungen zu zwei Frauen sichtbar wird: da ist die junge Schauspielerin Elya Maria Nevar, mit der den Dichter eine liebevolle Freundschaft verbindet, auf der anderen Seite die Dichterin Cläre Studer, die künftige Frau Ivan Golls: das leidenschaftliche Gegenteil. Der Verfasser geht auf beider Briefe und Erinnerungsbücher differenzierend ein. Der dritte Teil: Die Magie des Orpheus umfasst Rilkes Jahre in der Schweiz, der ‹begünstigten Zuflucht›. Zunächst überwiegt hier die Lebensbeschreibung die Auseinandersetzung mit dem Werk – es dauert lange, bis Rilke endlich wieder arbeiten kann. Wieder sind es zwei Frauen, die bei aller Verschiedenheit tief in sein Leben hineinwirken: Nanny WunderlyVolkart, «Nike», die fürsorgende, hilfreiche Freundin bis in die letzten Stunden und Baladine Klossowska, «Merline», die Geliebte, die Rilke aus der Erstarrung löst und ihm den Elegienort, den Turm von Muzot, bewohnbar macht. Mit ihr durchlebt Rilke noch einmal die Feindschaft zwischen der Liebe und seiner Arbeit, deren erschütterndes Zeugnis, das Testament, am Ende des Winters auf Schloß Berg entsteht, wo doch zum ersten Mal nach langer Wartezeit die Vollendung der Elegien möglich schien. Aber vorher durchläuft der Verfasser auf Rilkes Spuren viele Stationen seines immer wieder verlängerten Aufenthalts: Nyon, Genf, Bern, Zürich. … In Soglio findet der Dichter einen ersten Ruhepunkt vor seiner Vortragsreise, hier entsteht das Ur-Geräusch neben der Vorbereitung für die Lesungen. Und allerorten kommt es zu Begegnungen und Wiederbegegnungen mit Menschen, altvertrauten wie Marthe aus Paris und neu gewonnenen wie eben «Nike». Freedman läßt alle die Orte und Menschen lebendig werden, die hier aufzuzählen zu weit führen würde. Rilke «sehnte sich nach einer festen Bleibe, gleichgültig wo und wie, entschied sich dann aber doch für eine offene Situation. Sein Zögern weist auf widersprüchliche Impulse hin, die ihn als Dichter und als Mensch bestimmten. Er war auf sich und sein Werk bezogen, dabei aber empfänglich für andere; er war beherrscht und zugleich impulsiv, genau planend und zugleich unberechenbar. Dies wirkte sich nicht zuletzt auf sein Verhalten gegenüber Unterkunfts- und Hilfsangeboten aus. Rilkes häufige Rückzieher sind Ausdruck seiner Befürchtungen wie seiner Ansprüche» (so im Zusammenhang mit dem Winter in Locarno, S. 315f.). Einen Schwerpunkt bildet das Kapitel Das Labyrinth der Liebe und die Sprache der Dichtung, in dem es um Rilke und ‹Merline› geht – und um Rilkes Wiedersehen mit Paris während der sechs Tage im Oktober 1920, die ihm vergönnt waren. Mit dieser, wenn auch kurzen Anknüpfung an den Ort seiner besten Arbeitsjahre schienen die Voraussetzungen für das ersehnte Anheilen an den Bruchstellen seines Daseins gegeben. Die Entscheidung, die dann für Schloß Berg, gegen Genf und damit die Geliebte fiel, unterstreicht Rilkes Wunsch, optimale Arbeitsbedingungen im Alleinsein zu finden. Als Vorstufe entstehen hier die Gedichte Aus dem Nachlaß des Grafen C.W. und dann der Entwurf im Ton der Elegien: «Laß dir das Kindheit war …», den Rilke später nicht in die Elegiendichtung aufnahm. Danach aber fordert das Leben ihn aus der Arbeit zurück – er folgt einem Hilferuf der erkrankten Freundin nach Genf …
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Der Sommer 1921 führt Rilke und Merline ins Wallis, wo sie endlich Muzot finden und einrichten. Und als Rilke dort im November allein zurückbleibt, beginnt im Februar 1922 die große Arbeit. Merline hat ihm eine Zeichnung des Cima da Conegliano (um 1500) über dem Schreibpult angeheftet: Orpheus unter dem steigenden Baum. Die Sonette an Orpheus entstehen zuerst. Freedman deutet zunächst diesen ersten Teil des Orpheus-Zyklus: «Rilke war selbst vom ‹Überfluß› dieses ‹Vor-Sturms› erstaunt. Er fand mit den einzigartigen Gedichten die geeignete Form für die Konflikte, die einen großen Teil seines Lebens verdüsterten – und dies erleichterte den Wiedereinstieg in die Elegien» (S. 377), und: «Zwei seiner bedrängendsten Themen konnte er nun klarsichtig in Angriff nehmen. Das überwältigende Problem der Elegien war von Anfang an die Dialektik von Leben und Tod gewesen. Das zweite war der Widerstreit, die ‚alte Feindschaft‘, zwischen den Bedürfnissen der Kunst und den Anforderungen des Lebens. Paradoxerweise ist ja der Eros, als Teil des Lebenstriebes, für die Kunst einerseits notwendig und andrerseits ihr größter Gegenspieler» (S. 378). Sorgfältig zeichnet der Verfasser anschließend den Entstehungsprozeß der neuen Elegien nach und endet: «Rilke kannte Teile der späten Elegien auswendig, war aber erst jetzt imstande, sie im Zusammenhang niederzuschreiben. Sein Werk bleibt ein überwältigender Beleg für die Verwandlung eines Lebens und einer Arbeit in Dichtung […]» (S. 390). Abschließend heißt es: «Wie hart es auch für alle jene war, die ihn liebten – das Schwanken zwischen Himmel und Erde, Anwesenheit und Abwesenheit – , die Dialektik seines Geistes und Lebens fand ihren fruchtbarsten Niederschlag in diesem Korpus von Gedichten, der seine und seines Jahrhunderts äußerste Leistung darstellt» (S. 402). Im folgenden Kapitel: Das Fenster nach Frankreich beschreibt Freedman Rilkes Hinwendung zur französischen Sprache als seines neuen Mediums, in den Valéry-Übertragungen und den eigenen französischen Gedichtkreisen. Er führt uns damit bis ins Jahr 1925 und zu Rilkes langem letzten Paris-Aufenthalt, schon überschattet von der Krankheit. Auch hier macht uns der Verfasser mit den vielen Menschen vertraut, denen er begegnet, darunter Christiane von Hofmannsthal und ihr Vater – und geht auf den ‹Fall Rilke› ein, der deutsche Zeitungen darüber klagen lässt, daß ein deutscher Dichter in Frankreich gefeiert wird. «Je est un autre. Ich ist ein anderer [Rimbaud]. Der Dichter war nach wie vor ein Seher, der bereit war, alles zu opfern, was seiner Aufgabe hinderlich war. Und so trat er ins letzte Jahr seines Lebens ein» (S. 451). Im Oktober 1925 schreibt Rilke sein Testament, in dem er auch die Verse für seinen Grabstein bestimmt: «Rose, oh reiner Widerspruch […]». Dabei wird er am 4. Dezember erst 50 Jahre alt: Berge von Post erreichen ihn an diesem Tag. Noch immer ist seine Krankheit, die er seit 1923 schon als bedrohlich empfindet, nicht erkannt. Freedman nennt das abschließende Kapitel seiner Biographie Das letzte Wort; besonderes Augenmerk schenkt er der Korrespondenz Rilkes mit der russischen Lyrikerin Marina Zwetajewa, für die der Dichter eine letzte Elegie schreibt: «O die Verluste ins All, Marina, die stürzenden Sterne! […]». Sorgsam begleitet der Verfasser Rilke in seiner letzten Lebenszeit, die ihm noch ein Wiedersehen mit Paul Valéry vergönnt, dessen Zustimmung zu den Gedichtkreisen Vergers und Quatrains Valaisans Rilke beglückt und ermutigt hatte. Seine letzte Arbeit galt Valérys: Tante Berthe, die Übertragung diktierte er Génia Tschernorwitowa, einer jungen Russin, die als seine Sekretärin in den letzten Wochen um ihn war. Als dann endlich Rilkes Leiden als Leukämie erkannt wurde, gab es keine Hilfe. Am 29. Dezember 1926 ging sein Leben zu Ende. Freedman verweist auf die Zehnte Elegie: «Wie der früh verstorbene Jüngling […] zog dieser viel ältere Mann so einsam, wie er es im Leben immer hatte sein wollen, den Berg hinauf: ‹Einsam steigt er dahin, in die Berge des Ur-Leids›. Und der Dichter hatte hinzugefügt: ‹Aber erweckten sie uns, die unendlich Toten, ein Gleichnis, / siehe, sie zeigten vielleicht auf die Kätzchen der leeren / Hasel, die hängenden, oder / meinen den Regen, der fällt auf dunkles Erdreich im Frühjahr […]›» (S. 490).
Besprechnungen 183 Auch eine ausführlichere Vorstellung dieser Biographie könnte ihr nicht wirklich gerecht werden, so groß ist die Fülle der in sie eingegangenen Beobachtungen im Verlauf dieses Lebens, zu vielfältig die zwischen Leben und Werk aufgezeigten Bezüge. Die Lektüre öffnet dem Leser die Augen für das Wesen der Inspiration, ihr Kommen und ihr Ausbleiben, und für den Künstler, der dem ausgesetzt ist. Anton Kippenberg hat überliefert, Rilke habe einmal gesagt: «Man kann auch am Schreibtisch ein Held sein» – die Geschichte seines Lebens lässt uns das Gemeinte verstehen. Wie im ersten Band von Ralph Freedmans Rilke-Biographie ist auch hier der reichhaltige Anhang zu loben, großteils ein Verdienst von Vera Hauschild, zumal das ‹Literatur- und Siglenverzeichnis›; ‹Quellen und Anmerkungen› umfassen allein 85 Seiten, schließlich ergänzt durch ein Werk- und Personenverzeichnis. Ganz besonders hervorzuheben ist die Arbeit Curdin Ebneters, des sachkundigen und sprachmächtigen Übersetzers, dem nicht zuletzt unser Dank gebührt. Renate Scharffenberg
Besprechnungen 183
Bärbel Reetz, Emmy Ball-Hennings. Leben im Vielleicht, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2001, 399 S., € 11,00. Mit flüssigem Stil und lebhafter Beschreibung taucht die Autorin den Leser zunächst in die – väterlicherseits durch Meer, Sehnsucht, Abenteuerlust, mütterlicherseits durch Sprache und Lieder der dänischen Verwandtschaft geprägte – engbegrenzte «Glasglocke» einer glücklichen Kindheit im kleinbürgerlichen Milieu des Flensburger Arbeiterviertels, aus dem rege Phantasie und erste Schauspielambitionen – nur das Theater gewährleistet eine Überwindung der bürgerlichen Moralregeln – die Heldin Emmy, der die Schule zur Qual wird, sie angesichts der erlittenen Strafen «Strategien gegen Schmerzen» entwickeln läßt, in ein unstetes Zigeunerleben mit Schauspielgruppen von Schmiere zur Schmiere, über Tingeltangelbühne und fragwürdige Vergnügungsetablissements durch die Provinz lockt. Ihre «Wandersucht ins Ungewisse» überläßt Emmy blindlings den Zufällen der Halbwelt, die sich als «Männerwelt» mit fließenden Grenzen zwischen Animation und Prostitution entpuppt, Illusionen der Freiheit durch Drogenrausch und Sucht erweckt, mit Endstation Armut und Kleinkriminalität – «hungern oder huren». Mit Bärbel Reetz taumelt der Leser im weiteren in die wild ausschweifende Boheme der brisanten Vorkriegsjahre in München und Berlin und begegnet im Lindenkabarett etwa oder in Ernst von Wolzogens «Überbrettl» (das Kabarett hat in Emmys Leben das Theater endgültig verdrängt) ganzen Generationen von Künstlern und Intellektuellen, zu deren bekanntesten Exponenten Werfel, Schönberg, Wedekind, Georg Heym, Klabund, Rudi Junghans, Karl Kraus, Else Lasker-Schüler zählen. Atemloses «schreiendes Leben» hält den Leser gefangen und Neugier erweckt den Wunsch, diesen extravaganten Gestalten näher auf dem Leib zu rücken. Mit Staunen stellt man fest, daß die dynamische, polygame, leichtlebige, von «Weglaufsucht» und «Leben im Vielleicht» begeisterte Heldin Emmy immer wieder physischen Zusammenbruch, psychische Abstürze, menschliche Enttäuschungen und finanziellen Ruin überlebt und gewissermaßen literarisch zu verarbeiten versucht. Zwischen sexueller Begierde und religiöser Ekstase gestalten sich ihre «Lehrjahre» und münden unter dem Einfluß gebildeter Menschen in einen Prozeß geistiger und literarischer Reife. Mehrfache Haftstrafen bewirken eine Seelenanalyse, Gedanken über Schuld und göttliche Gnade enden in Todes- und Glaubenssehnsucht. Nach unzähligen Liebesaffairen bringt ihre Begegnung mit dem asketischen, strengen, priesterlichen, hageren, dem Zölibat verhafteten und im Rausche futuritischer und dadaistischer
Besprechnungen 184 Manifeste lebenden Hugo Ball, der ihr nicht Liebhaber, sondern zuverlässiger und verständnisvoller Freund und Bruder, ihrer Tochter ein verantwortungsvoller Vater ist – «ein Mann, mit dem sie beten kann» – einen tiefen Umschwung in ihr Leben. Aus dem Teufelskreis von Opiumrausch, Ekstasen, vom Kabarett zur Kirche, vom Bett zum Beichtstuhl führt ein langer, quälender Läuterungsprozeß an Hugo Balls Seite, durchaus keine Blitzreaktion also, schließlich zur Konversion zum Katholizismus, geprägt von Dualismus Glaubensfreude/Glaubenszweifel. «Ruf und Echo» nennt die Protagonistin selbst ihre schwierige Beziehung zu Hugo Ball. Auf verschiedenen Stationen im schweizer Emigrantenmilieu (Zürich, Ascona, Locarno, Agnuzzo, Bern) widmen sich Emmy und Hugo in völliger Armut und Abgeschiedenheit, in ständigem Versteckspiel mit der Polizei, schriftstellerischer Tätigkeit und religiösen Erörterungen. Die Morphinistin Emmy wird Mitarbeiterin der wichtigsten Zeitschriften, gibt ihre Prosawerke Gefängnis und Brandmal sowie ihre früher geschriebene Gedichtsammlung Helle Nacht heraus. Hugo Balls im Cabaret Voltaire zelebrierten Lautgediche stoßen an die äußersten Grenzen sprachlicher Äußerung («ein Mysterium des Logos»). Interessant schildert Bärbel Reetz Balls Beschäftigung mit politischem Journalismus (Bakunin, Bolschewismus), mit Psychoanalyse (Korrespondenz mit Jung), seine Studien zum Byzantinischen Christentum, seine masochistische Wollust an Selbstbestrafung mittelalterlicher Mystiker, sein Verhältnis zu Luther, der ihm zum Antichrist wird, seine Beobachtungen zum Exorzismus. Emmy und Hugo schreiben Tagebücher, ihre «Weglauflust» läßt Emmy immer wieder aus diesem Konkubinat, das dennoch durch Eheschließung besiegelt wird, ausbrechen. In Rom, Neapel, Capri findet sie ihr Arkadien und das Leben mit einfachen, südlichen Menschen führt ihr immer wieder neue Nahrung zu. Prägend für beide ist ihre Begegnung mit Hermann Hesse: der neun Jahre jüngere Hugo Ball «errötet wie ein Mädchen», wird Hesses junger, kongenialer Gefährte, dem er in Narziß und Goldmund ein bleibendes Denkmal setzt. Viele Gegensätze und Gemeinsamkeiten verbinden Ball und Hesse, wie die Herkunft aus dem Religiösen und die Ablehnung des Krieges. Sieben Jahre freundschaftlichen Austausches verbinden beide in einer Wechselwirkung tiefer Berührung durch Person und Werk. Achtundzwanzig Jahre steht Hesse «einer seiner besten Leserinnen» Emmy bei und sucht, Mäzene für sie aufzutreiben. «Es ist ganz unmöglich, ihr Leben auf eine rationale Formel zu bringen» äußert er, nennt Emmy und Hugo «wertvolle, liebe und geistvolle Menschen». In Hugos letzten Lebensjahren gerät er immer stärker unter den Einfluß seiner Frau: Emmy ist für ihn (platonische) Geliebte, Mutter, Kind, Engel, oberster Priester. Während ihrer Witwenschaft gerät Emmy in einen Sog von Erinnerungen, unterhält lebhafte Korrespondenz mit Ninon Hesse, macht Reisen als Flucht von der Realität. Bärbel Reetz, die keine Mühe scheut, ihre beachtlichen Recherchen noch zu vertiefen und zu vervollständigen und jeder nur irgend zugänglichen Quelle gierig folgt, gibt im letzten Kapitel «Das Büchermachspiel» eine abschließende Zusammenfassung über die literarische Entwicklung der Autodidaktin Emmy Ball-Hennings, die Verse ihrer Jugendzeit, das Fabulieren in Briefen und Tagebüchern, ihre Prosa nach Ende der Kabarett-Periode; überraschenderweise druckt sie auch einen vernichtenden Artikel des sarkastischen Kritikers Franz Herweg ab, der das Bild abrundet. Nach Balls Tod wird Emmys Leben zur Legende: Emmy «der schillernde Paradiesvogel», «der weibliche Vagabund». Trotz ihrer «Vielfachheiten» tendiert sie im Alter immer mehr zu Thematisierung des Religiösen, Verklärung und Harmonisierung, widmet sich fast ausschließlich Hugo Balls Leben und Werk und wird allgemein als ‹katholische Schriftstellerin› gesehen. Seit sie nicht mehr ihr eigenes Erleben schildert, wenden sich die im Laufe der Zeit so mühsam eroberten größeren und kleineren Verleger zunehmend von ihr ab.
Besprechnungen 185 Imponierend ist der Anhang, aus dem hervorgeht, daß die Autorin nicht nur veröffentlichte Werke, sondern auch unpublizierte Manuskripte im Nachlaß benutzt und auf eine zahlreiche Sekundärliteratur hinweist. Im Einklang mit der Autorin sind die Forschungsergebnisse noch nicht als abgeschlossen zu betrachten, da viele wesentliche Quellen noch nicht zugänglich sind. Micaela Mecocci
Besprechnungen 185
Friedbert Aspetsberger, Schnitzler, Bernhard, Menasse. Der Umstandsmeier, der Angeber, der Entgeisterer. Drei mal gute Literatur. Sonderzahl, Wien 2003, S. 181, € 18. Bei Büchern mit dem Lesen hinten anzufangen, stellte für mich schon immer eine Verlokkung dar. Bei dem Buch von Friedbert Aspetsberger bietet es sich geradezu an, dieser Leidenschaft zu folgen. Wesentliche Informationen über die Zusammenstellung von Aufsätzen über Schnitzler, Bernhard und Menasse erhält der Leser auf den letzten Seiten. In seinen Unvorgreiflichen Nachbemerkungen erklärt der Autor, warum es kein Avant-, wohl aber ein Après-Propos zu seinen Aufsätzen gibt. Dieses Après- ist aber, wie sich herausstellt, in gewisser Weise auch ein Avant- (s.u.). Aus den ganz am Schluß stehenden Drucknachweisen erfährt der Leser, daß alle der in dem Buch enthaltenen Kapitel auf Referate oder Artikel zurückgehen, die zu anderen Gelegenheiten gehalten oder verfaßt wurden. Das gilt auch für das Après-Propos. Anstelle der vom Verleger gewünschten Hinweise methodischer Art verwendet Aspetsberger «mehrere Gedanken und Sätze» aus dem Avant-Propos zu dem Sammelband Kulturwissenschaften in Klagenfurt, Leipzig 2002, die sich zwar nicht direkt auf die in dem Band versammelten Studien bezögen, jedoch von den «hier genannten Grundsätzen geprägt» seien (S. 167). Aspetsberger präsentiert in seinen Nachbemerkungen also weniger eine übergeordnete Methode, sondern vielmehr prägende Gedanken und Grundsätze. Es geht ihm im Après-Propos grundsätzlich um kulturwissenschaftliche Gedanken und im Speziellen vor allem um «Wirklichkeiten als Fiktionen erster und zweiter Klasse» (S. 171). Zuerst einen Blick auf das Nachwort zu werfen, ist auch insofern aufschlußreich, als daß darin schon einige Charakteristika des ganzen Buches deutlich werden. Allein schon die Überschrift Après-Propos. Unvorgreifliche Nachbemerkungen bezeugt Aspetsbergers Freude an Wortverdreh- oder Wortverwirrungen, am Spiel mit Gegensätzen und Widersprüchen. Dieser unkonventionelle, ausgeklügelte Umgang mit der Sprache prägt das ganze Buch. Beim Aufblättern der Unvorgreiflichen Nachbemerkungen gewinnt man sogleich den Eindruck, daß Friedbert Aspetsberger dem Leser etwas Besonderes bieten will, etwas Raffiniertes, von einer ‹gewöhnlichen› literaturwissenschaftlichen Abhandlung Abweichendes. Dafür bedient sich Aspetsberger einerseits einer saloppen, andererseits einer bewußt komplex-vertrackten, insgesamt einer stilistisch nicht festzulegenden Sprache. Daß der Literaturwissenschaftler Aspetsberger sprachliche und gedankliche Virtuosität zur Schau stellen will, fällt nicht nur sogleich ins Auge, sondern blendet den Leser geradezu. Und schon hier ahnt der Leser, daß dieser ‹exzentrische› Umgang mit der Sprache, der grundsätzlich anregt, gefällt und vergnügt, irgendwann auch störend werden könnte, denn er ist bisweilen so sehr damit beschäftigt, die sprachlichen Kapricen des Autors zu verfolgen, daß dabei dessen in Worte gefaßte Gedanken es schwer haben, Gestalt anzunehmen. Grundsätzlich erscheint es aber als ein Plus, daß sich das Buch dem wissenschaftlichen Diskurs (oder besser gesagt: einer oft gebräuchlichen ‚Abart‘ desselben) entzieht. Der Professor für Germanistik an der Universität Klagenfurt hat sich offensichtlich vorgenommen, einen Text zu
Besprechnungen 186 schreiben, der die Gattungsgrenzen der (wissenschaftlichen) ‚Literaturkritik‘ überschreitet. Unzweifelhaft gelingt ihm dies. Sprachgewaltig bringt Aspetsberger, das Werk und die Qualitäten der Schriftsteller auf griffige Formeln. Dies zeigen schon der Titel und die Covergestaltung: Der Titel wartet mit prägnanten, geistreichen und nur scheinbar negativen Charakterisierungen auf (Umstandsmeier, Angeber, Entgeisterer), die von dem Gesamturteil 3 x gute Literatur eingerahmt werden, was auf dem Umschlagbild als Tafelanschrieb in schwungvollen Lettern präsentiert wird. Das Vorgehen Aspetsbergers in den einzelnen Kapiteln (oder «Studien», wie er sie selbst nennt) über Arthur Schnitzler, Thomas Bernhard und Robert Menasse kann wie folgt beschrieben werden: Er bietet eine Analyse der gewählten literarischen Werke hinsichtlich Erzählsituation, -bedingungen, -kontexten und des Erzählaufbaus, gibt dafür jeweils Belege und ergeht sich in Exkursen zu einzelnen Aspekten. Nicht zuletzt stellt er Bezüge auf zwei Ebenen her, indem er einerseits die dargestellten Aspekte auf die heutige Gesellschaft, Zeit und ‚Kultur‘ überträgt und andererseits die Traditionslinien innerhalb der Literaturgeschichte aufzeigt. Wie schon erwähnt, läßt sich Aspetsbergers Text nicht in eine Schublade stecken. Die Form der Aufsätze (mit Fußnoten etc.) suggeriert Wissenschaftlichkeit, die Sprache hingegen kokettiert nicht selten mit Flapsigkeit. Statt literaturwissenschaftlichem Jargon à la «Das wird noch zu erörtern sein» wirft der Autor ein «Werrma sehn» (S. 14) in den Raum. Er will sich damit wohl bewußt vom wissenschaftlichen Diskurs abheben und den Leser mit verschiedensten sprachlichen Facetten bei Laune halten (schließlich wird im Klappentext schon eine «vergnügliche Lektüre» versprochen). Zudem ist Aspetsbergers Sprache formal ‹durchgestylt›; beispielsweise werden viele Komposita mit Bindestrichen versehen (wie z.B. «Grund-Sätze»), um die einzelnen Komponenten näher zu betrachten und einen tieferen Sinn in ihnen zu finden, und Doppeldeutigkeiten typographisch hervorgehoben (wie z.B. «niederschreiben», S. 105). Aspetsberger bewegt sich auf verschiedenen Niveaus und wechselt diese virtuos. So setzt er sich in Bezug zum literaturwissenschaftlichen Diskurs, etwa indem er Sekundärliteratur diskutiert (vgl. u.a. im Schnitzler-Essay, S. 14f.), sucht diesen jedoch andererseits stets zu unterlaufen. Auch an Witz und Ironie sich selbst und der eigenen Zunft gegenüber läßt es Aspetsberger nicht fehlen, etwa wenn er Hugo von Hofmannsthal zitiert und kommentiert: «Worum ich mich schon so viele Seiten bemühe, hat der 23jährige Hofmannsthal auf einen Blick gesehen und mit einem Wort gesagt» (S. 23). Eine große Stärke des Buches ist, daß Aspetsberger die Bildende Kunst hinzuzieht, wodurch der Text an Anschaulichkeit und Reiz gewinnt. Für seine Erläuterungen der Literatur nimmt er die Malerei – wohl um ihrer schnellen (im Vergleich zur langwierigeren Lektüre) Evidenz willen – zur Hilfe, um seine Erkenntnisse zu illustrieren. Im Schnitzler-Kapitel zum Beispiel erkennt er in den Bildern u.a. von Magritte und Dalì die Frauenbilder aus Schnitzlers Texten wieder. Das, was Schnitzlers Figuren empfinden, bzw. was Aspetsberger als ihre Gefühle herausarbeitet, verdeutlicht er anhand der Bildenden Kunst. Wie viel Wert Aspetsberger auf Anschaulichkeit legt, zeigt sich auch schon in den Titelbezeichnungen («Umstandsmeier», «Angeber», «Entgeisterer»), die als Schablonen fungieren und dann in den Studien weiter ausgeführt werden. Bei Schnitzler zeigt Aspetsberger, «was das Faszinosum seines Erzählstils, sein umständliches Aufstellen von Sätzen zur Führung der Leser mitbedingt» (S. 34) und dem Anliegen gemäß, Schnitzlers Dichtung nicht «ihrer Vielfältigkeit zu berauben» (S. 60) und Schnitzler nicht auf ein Bild festzulegen, macht er die Vielfältigkeit Schnitzlers nicht zuletzt auch anhand von zahlreichen Exkursen deutlich.
Besprechnungen 187 Die einzelnen Kapitel variieren hinsichtlich ihres Stils. Während mir bei den SchnitzlerAbhandlungen die Freude am Exkurs etwas anstrengend wird, ist der Bernhard-Essay angenehmer zu lesen und wirkt insgesamt schlüssiger. Wie es sich bei Bernhard anbietet und vielfach bewährt hat, bezieht sich Aspetsberger zur Erläuterung von Bernhards Texten auf die Musik. Mit dem Verweis auf einen Aspekt der Zwölftonmusik – das Verhindern von Banalität (als bestimmter Form des Traditionalismus) (vgl. S. 111) – beschreibt Aspetsberger den «Themen- und Stoffwechsel» der «Selbstbefestigungs- und Widerspruchskoloraturen» der Witwe in Am Ziel als ein systematisches Vermeiden traditioneller Harmonien (S. 89). Der Vergleich zwischen Schönbergs Musik und Bernhards Sprache überzeugt nur bedingt. Wenn überhaupt, müsste Aspetsberger meines Erachtens statt von der «Zwölfton-Musik Arnold Schönbergs» (S. 89, Hervorhebung A.B.) präziser von der Zwölftonreihe sprechen. Auch erscheint es mir einseitig und nicht präzise genug, als Charakteristik der Musik Schönbergs ihren «zwanghaften Ablauf» ins Zentrum zu rücken. Die Dodekaphonie als Musik zu beschreiben, die «zwanghaft» die traditionellen Harmonien zu vermeiden sucht, trifft meiner Ansicht nach nicht den Kern von Schönbergs Methode, auch wenn es stimmt, daß die Komposition mit 12 Tönen als Alternative zu der als überholt angesehenen tonalen Harmonik konzipiert wurde. Das Entscheidende der Zwölftonmusik ist jedoch der Gedanken von der Gleichberechtigung aller 12 Töne (im Gegensatz zu dem in Hierarchien denkenden traditionellen Tonsystem). Aspetsberger zieht noch weitere musikalische Termini (z.B. «Duett», «carmen figuratum») oder ins Gegenteil verkehrte Bezeichnungen («ein Belcanto als Canto brutto», S. 92) zur Erläuterung von Bernhards Texten heran. Insgesamt wird jeder Leser die Frage, ob die Vergleiche zwischen musikalischer und sprachlicher Stimmführung, Form und Stilistik wirklich zum Verständnis der Literatur beitragen, vermutlich anders beantworten. In dem Kapitel über Thomas Bernhard setzt Aspetsberger den Akzent auf dessen «Irritationen der Macht», seine Machtspiele mit und ohne Worte, mit «banalen Grundsätzen und Pantomine». Bernhards Intention, so Aspetsberger, sei es, die psychischen Bedürfnisse der Mächtigen und der unter der Macht Leidenden zu zeigen. Es gehe Bernhard um Macht: Der Dichter wird zum Zeremonienmeister und er «installiert sich als Benenner der Wirklichkeit und zeigt sich in seinen Benennungen als Herr über sie» (S. 80). Gerade weil es um Macht und nicht um die Bedeutung gehe, gebe es bei Bernhard auch so viele Namen, Benennungen, Grundsätze und Gemeinplätze. Alles dies seien Zeichen der Anmaßung, der ‹Superbia›; kurz: Zeichen der Macht, die wichtiger ist als die Wirklichkeit. Aspetsberger beschreibt in einer für mich sehr erhellenden Darstellung die Wirkung von Bernhards Texten sowie seine Taktik, und er zeigt das Gelingen der Texte gemäß der von Bernhard erhofften Wirkung, d.h. dem Auslösen und Provozieren eines Machtkampfes zwischen «Kunst» und «Öffentlichkeit». Bernhard polemisiert gegen die in Österreich gesetzlich verankerte Freiheit der Kunst und ihrer Lehre, indem er künstlerisch die Vergeblichkeit der Kunstmittel demonstriert (vgl. S. 106). Es müsse jedoch offen bleiben, ob Bernhard sich mit seiner Subversivität endgültig durchgesetzt habe. An Menasse schließlich interessiert Aspetsberger dessen Verhältnis zur Öffentlichkeit (u.a. wie Menasse sich darstellt, wodurch er seine Leser und vor allem seine Leserinnen besticht) und seine politische Haltung. Ist Menasse Essayist oder Dichter? Da er für Aspetsberger in erster Linie Dichter ist, bietet er zunächst eine rühmende Besprechung des Romans Schubumkehr. Aspetsberger setzt sich aber auch kritisch mit Menasses Medienwirksamkeit auseinander (S. 135f.), was er wieder anhand von Bildmaterial (vor allem Fotografien von Menasse) illustriert.
Besprechnungen 188 Interessant erscheinen mir auch die Einschätzungen von Menasses politischen Essays, anhand derer die treffsicheren Kommentare des Autors zur österreichischen Politik dargelegt werden. Aspetsberger erörtert hier insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Politik, konkreter nach dem Zusammenwirken und gegenseitigen Bedingen von Epik und Essayistik (Gesellschaftsanalyse). Aspetsberger stellt grundsätzliche Fragen: Was ist die gesellschaftliche Auswirkung von Literatur? Wer liest sie? Inwiefern und wen beeinflußt sie? Aspetsberger traut der Literatur viel zu, und damit ist er – so scheint mir – bei seinem eigentlichen Thema angelangt: der Überlegenheit der Literatur, der Überlegenheit des Literaten, des Handelns als Literat. Er proklamiert die Überlegenheit der Fiktion gegenüber der Realität (im Sinne des zeitlichen Vorgeschaltetseins: Fiktion geht der Realität voraus: «Die Realität ist immer frei als Fiktion erfunden und immer erst spät als Realität fest geworden» (S. 141). In seinem Menasse-Kapitel zeigt sich Aspetsberger besonders engagiert und persönlich betroffen und wagt auch Äußerungen zum politischen Tagesgeschehen. Das paßt stimmig zum Stil des ganzen Buches, das zwischen ‚Wissenschaftlichkeit‘ und ‚Essayistik‘ (verstanden als eher persönlich gefärbte Darstellung von Gedanken und Konzepten) vagiert. Was ist Aspetsbergers Anliegen? Will er unterhalten, will er belehren? Will er seinen geistreichen Stil, seine brillanten Gedanken zur Schau stellen? Diese Fragen drängen sich beim Lesen bisweilen auf, wohl weil die Aufsätze und Vorträge ihres ursprünglichen Kontextes enthoben sind. Mannigfaltig sind die Vergnügen, die Aspetsberger dem Leser beschert: Das Vergnügen am Gedankenspiel und Sprachspiel. Das Vergnügen am Bilderbetrachten. Das Vergnügen am Blättern, am Herumspringen innerhalb der Seiten und Kapitel. Sehr wesentlich ist zudem, daß der Leser durch die Essays zu den Primärtexten geführt wird, so daß er Lust bekommt, die behandelte Literatur (wieder) zu lesen. Außerdem hat das Buch (ohne in geringster Weise didaktisch zu sein) eine ‚Botschaft‘: Dem Leser soll das ‚Eines‘-Denken ausgetrieben werden. Das verdeutlicht ein Gedanken aus dem Après-Propos, der in gewisser Weise auch als ein Motto des Buches gelten kann: «Nichts war und ist Eines, auch wenn ein Globus danach aussieht und mancher Kopf danach denkt» (S. 168). Der Untertitel Dreimal gute Literatur klingt wie ein Werbeslogan, wie ein verkaufs- oder besser gesagt lesefördernder Aufruf. Das lässt man sich gerne gefallen und bekräftigt es gern. Das Après-Propos, versuchsweise schon vor den Studien gelesen und nochmals hinterher, scheint mir an dieser Stelle weitgehend entbehrlich, auch wenn es wichtig und klug daherkommt. Annedoris Baumann
Mitteilungen
Die Deutsche Mozart-Gesellschaft zwischen Zukunft und Vergangenheit Die Deutsche Mozart-Gesellschaft (DMG), Sitz Augsburg, hat im Jahre 2001 ihr 50 jähriges Jubiläum gefeiert und gilt heutzutage – mit den ihr angehörenden regionalen Mozart-Gesellschaften – als der bedeutendste Ort der praktischen sowie der wissenschaftlichen MozartPflege in Deutschland. Dazu dienen die regelmäßig seit ihrer Entstehung organisierten Mozartfeste und ihr seit 1954 erscheinendes Mitteilungsorgan, die «Acta Mozartiana» (AM)1. Die Zeitschrift soll der wissenschaftlichen Diskussion über Mozarts Leben und Werk dienen und damit versteht sie sich als ein Ort der Auseinandersetzung mit der Welt Mozarts, ein interdisziplinärer, nicht nur für Fachleute, Musiker und Musikwissenschaftler, sondern auch für den Kulturwissenschaftler anregender Ort. Es genügt als Leser, die Aufmerksamkeit auf einige in dieser Zeitschrift veröffentlichten Aufsätze zu lenken, um sich ihren interdisziplinären Charakter klarzumachen. Es wird hier nämlich nicht nur das (musikalische) Werk des Komponisten erforscht, vielmehr werden Mozarts Leben und Werk unter dem Aspekt der Rezeptionsgeschichte und der Kulturgeschichte der Zeit in Betracht gezogen. Das beweisen z.B. die Beiträge von H. Arens, Stefan Zweig und die Musik (1958), Ph. Autexier, Mozart als Freimaurer. Wege und Ziele der Forschung (1985), H. Fähnrich, E.T.A. Hoffmann und Mozart (1963), O.F.W. Beck, Mozart im Film. Bericht und Anregung (1988), R. Fuhrmann, Mozart und die Französische Revolution (1989), E. Huber, Über das Phänomen «Mozart». Musikpsychologische Betrachtungen (1956), M. Schuler, Franz Anton Mesmer und Mozart (1984), E. Valentin, Mozart in der französischen Dichtung (1983), E. Valentin, Mozarts europäische Sendung (1986), I. Kraus, Kunsthistorische Betrachtungen zu Marc Chagalls Gemälde Die Musik (1995), L. Lütteken, Mozart, Prag und die Aufklärung. Eine Problemskizze (2004) und H.C. Jacobs, Das Gerücht von Mozarts Vergiftung und seine Literarisierung. Neu entdeckte Dokumente aus den Pariser Zeitungen des Jahres 1824 (2004), die sich mit Mozart in einem weiteren Kontext beschäftigen. In diesem reichen interkulturellen Kontext erhält damit die Mozart-Forschung neue, oft unerwartete Konturen und die AM spielen eine wichtige Rolle nicht nur im Rahmen der Mozart-Gesellschaft, sondern – in einem weiteren Sinne – für das Mozart-Bild schlechthin. 1
Einen weiten Blick in die Mozart-Forschung und die Mozart-Pflege erhält man durch das Festschrift-Programm des 50. Mozartfestes in Augsburg (5–20 Mai 2001), das über Veranstaltungen, Projekte, Daten, Fakten und Persönlichkeiten der DMG in den Jahren 1951– 2001 ausführlich informiert. Es ist auch ein großes Verdienst dieser Veröffentlichung, die wichtigsten in diesen Jahren in der AM erschienenen Artikel und Aufsätze versammelt zu haben, die für den Leser ein bedeutendes Zeugnis davon geben, wie und in welche Richtung in den verschiedenen Epochen das Mozart-Bild sich geändert hat.
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Im Jahre 1993 hat der damalige Vizepräsident der DMG Friedhelm Brusniak (der 1994 zum Präsidenten wurde) den «kulturellen Auftrag» der DMG darin gesehen, die MozartForschung zwischen Tradition und zukunftsorientiertem Kulturengagement zu unterstützen: «Wir dürfen uns nicht selbstzufrieden und selbstgenügsam zurücklehnen, sondern müssen uns aktiv in die Diskussion um das Mozart-Bild unserer Zeit einschalten»2. Das «Mozart-Bild unserer Zeit», hatte schon vorher Erich Valentin, dessen wichtige und bedeutende Rolle in Rahmen der Mozart-Forschung und der DMG allen Mozartkennern und Mozartfreunden bekannt ist, als den Forschungsschwerpunkt im Rahmen der Mozart-Kritik gekennzeichnet: «Der Kern der Sache ist nicht nur das Musikalische, das Künstlerische, das Ästhetische, das uns anspricht und angeht. Die Motivation liegt tiefer. Sie weist auf die Zeit zurück, in der Mozart lebte. Und diese Zeit war die Geburtsstunde unserer Gegenwart»3. Mit anderen Worten: Mozart vertritt in unserer Zeit nicht nur unsere kulturelle Vergangenheit, seine Bedeutung liegt vielmehr darin, daß er die Vergangenheit mit unserer Gegenwart verknüpft, die wieder mit ihm und durch ihn einen Sinn bekommt. Erich Valentin hat – Hermann Hesse folgend – «das Mozart-Bedürfnis unserer verworrenen Zeit» unterstrichen: «das wahrhaftige, ehrliche, nach Beseelung ‹dürstende› Verlangen, Mozart als ‹Zeitgenossen› bei und neben sich [Hermann Hesse] zu haben»4. In diesem Sinne kann Valentin von einer «europäischen Sendung» des Komponisten sprechen und uns daran erinnern, daß bereits Karl Kraus sein Werk mit Europa gleichgesetzt und sein Requiem als das Requiem Europas betrachtet hat. Im Jahre 1958 schreibt der Mozartkenner, und befindet sich dabei noch einmal auf Hesses Spuren, das Bedeutende im Werk des Komponisten sei nicht allein das Ästhetische, sondern das Ethische, als Symbol einer verlorengegangenen Ordnung: Nachdem wir gelernt haben, Mozart in und aus seiner Wirklichkeit zu sehen, frei von allen Emblemen und liebevoll gemeinten Zutaten und Legenden, ist mit seinem Werk auch seine menschliche Gestalt ganz nah und unmittelbar in unseren Gesichtskreis getreten. Die Spur von seinen Erdentagen ist, weitab von allem Historischen, deutlich geworden, als sei es unser eigener Weg. Da zeigt es sich, daß das Schicksal dieses Begnadeten, das man so gern in Märchenferne erhob, eng gekettet war an die Wirklichkeit, die ihn wie seine Generation, den Umkreis Schillers, vor schwere Entscheidungen stellte. […] von der Mitte des Jahrhunderts bis kurz vor seinem Ende erstreckt sich der unruhvolle Gang eines Lebens, das mitten hindurchgeht durch die schicksalsvollsten geschichtlichen und geistigen Krisen der abendländischen Welt.5
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F. Brusniak, Der kulturelle Auftrag der DMG. Vortrag anläßlich der Eröffnung des 42. Deutschen Mozartfestes in Augsburg am 13. Juni 1993, in [Festschrift] 50. Deutsches Mozartfest 2001 der Deutschen Mozart-Gesellschaft e.V., Augsburg 2001, S. 69, auch in «Acta Mozartiana. Mitteilungen der Deutschen Mozart-Gesellschaft e.V. », XL (1993), S. 74–76. E. Valentin, Mozarts europäische Sendung. Vortrag anläßlich der Eröffnung der 34. Europäischen Wochen in Passau und des 35. Deutschen Mozartfestes am 13. Juni 1986, in 50. Deutsches Mozartfest 2001.., a.a.O., S. 62, auch in «Acta Mozartiana. Mitteilungen der Deutschen Mozart-Gesellschaft e.V.», XXXIII (1986), S. 65–66. E. Valentin, „… die Welt hat einen Sinn“. Hermann Hesse zum Gedanken, in 50. Deutsches Mozartfest 2001 …, a.a.O., S. 49, auch in «Acta Mozartiana. Mitteilungen der Deutschen Mozart-Gesellschaft e.V. », XXXIV (1987), S. 25–27. E. Valentin, Das Maß und das Menschliche, in 50. Deutsches Mozartfest 2001.., a.a.O., S. 52, auch in [Festschrift] 7. Deutsches Mozartfest Berlin 1958, S. 18–21.
Mitteilungen 191 Das Werk Mozarts sei durch das «Zeitnahe, das Gegenwärtige, das Lebendige, das Unmittelbare»6 inspiriert worden, und diese Zeitnähe sollte auch das Mozart-Bild unserer Zeit kennzeichnen. In seinem Aufsatz Die goldene Spur. Zur Bedeutung von Hermann Hesses Mozart-Bild für die Deutsche Mozart-Gesellschaft hat vor einigen Jahren Friedhelm Brusniak ganz richtig festgestellt, daß in dieser Perspektive Hesses Mozart-Bild zu verstehen sei. Denn Mozart sei für den Dichter kein kindlich-naives Genie mehr, wie es auch das Lachen der Unsterblichen im Steppenwolf beweist7. Diese Zeitnähe erhält für den Kulturwissenschaftler eine besondere Bedeutung8. Denn, wie die jüngste Kritik aus germanistischer Seite betont hat, ist das Werk Hermann Hesses in seiner Gegenwart fest verankert, es beruft sich auf eine moderne, uns sehr nahestehende Welt, es darf keineswegs nur als ‚Flucht‘ in eine ferne Welt betrachtet werden. Im Steppenwolf sind die Aufzeichnungen des deutschen Intellektuellen Harry Haller als ein Dokument der Zeit, als Spiegel einer Krise, die die gesamte bürgerliche Gesellschaft zwischen den beiden Weltkriegen erfaßt, und nicht nur als pathologische Phantasien eines einzelnen zu interpretieren, indem die ständige Bezugnahme auf die Wirklichkeit, auf das Leben zum grundlegenden Thema wird. Das alles hat wieder mit Mozart zu tun, der in diesem Werk unter den Unsterblichen, aber auch neben dem Jazzmusiker Pablo in dem ironischen Aktualisierungsprozeß des magischen Theaters auftritt. Dem Steppenwolf, auf dem die Schuld lastet, den Logos mit dem Irrationalen verwechselt zu haben, wird von einem modern gekleideten Mozart befohlen, dem «Radio des Lebens» zu lauschen. «Sie sollen leben, und Sie sollen das Lachen lernen. Sie sollen die verfluchte Radiomusik des Lebens anhören lernen, sollen den Geist hinter ihr verehren, sollen über den Klimbin in ihr lachen lernen»9. In diesem ironischen Blick auf die Wirklichkeit hat Hermann Hesse Mozart unter den Unsterblichen dennoch in die Perspektive einer modernen Welt gestellt («Pablo wartete auf mich, Mozart wartete auf mich»10); er hat seine Gestalt als Symbol dieser Welt literarisiert. Diese Wirklichkeitsnähe Mozarts hat auch Erich Valentin erkannt. Die AM haben die Aufgabe auf sich genommen, sich mit der kulturellen Modernität Mozarts zu beschäftigen, mit seiner Fähigkeit, unsere zeitgenössische Welt zu interpretieren: «Mozart ist, wie Busoni sagte, überall. Er ist es im Diesseits, und er ist es im Jenseits, und er ist es sogar auch in unserer Welt, die mehr denn je seiner versöhnenden, seiner liebevollen und heilsamen Mitte bedarf»11. Maddalena Fumagalli
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E. Valentin, Mozart: Sinnbild der Mitte, in 50. Deutsches Mozartfest 2001 …, a.a.O., S. 55, auch in «Acta Mozartiana. Mitteilungen der Deutschen Mozart-Gesellschaft e.V. », XIII (1966), S. 55–61. F. Brusniak, Die goldene Spur. Zur Bedeutung von Hermann Hesses Mozart-Bild für die Deutsche Mozart-Gesellschaft, in [Festschrift] 49. Deutsches Mozartfest Hildesheim 2000, S. 89–92. Vgl. zu diesem Thema den Aufsatz von F. Brusniak, Hesse und Mozart. Aspekte der Wirkungsgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts am Beispiel der Deutschen MozartGesellschaft, in «Dem Chaos die Strirn bieten». Hermann Hesses Der Steppenwolf. 12. Internationales Hermann-Hesse-Kolloquium in Calw 2004. Referate, hrsg. von M. Limberg, Stuttgart 2005, S. 105–114. H. Hesse, Der Steppenwolf, Frankfurt a.M. 1974, S. 277. Ebd., S. 278. E. Valentin, Mozart: Sinnbild der Mitte, a.a.O., S. 56, auch in «Acta Mozartiana. Mitteilungen der Deutschen Mozart-Gesellschaft e.V.», XIII (1966), S. 55–61.
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Dem Chaos die Stirn bieten! 12. Internationales Hermann-Hesse-Kolloquium 2004 zu Hermann Hesses ‹Der Steppenwolf› Rund 300 Besucher sind vom 9.–10. Juli 2004 zum 12. Internationalen Hermann-HesseKolloquium nach Calw gekommen. In diesem Jahr widmete sich das Kolloquium wieder einem Werk von Hermann Hesse, seinem Roman Der Steppenwolf. Seit 1977, dem Jahr des 100. Geburtstages von Hermann Hesse, finden in dessen Geburtsstadt die Internationalen Hermann-Hesse-Kolloquien statt, bei denen sich Fachleute eines bestimmten Aspekts im Werk des Literaturnobelpreisträgers annehmen. Im Jahr 2004 kamen Gelehrte aus Deutschland und Korea, aus der Schweiz, den USA, aus Ungarn und Litauen, um in Vorträgen über Hermann Hesses wohl bekanntesten Roman Der Steppenwolf zu sprechen. Über 300 Zuhörer aus ganz Europa waren nach Calw gekommen, um durch die Vorträge eine Annäherung an den Roman Hermann Hesses zu finden. Hermann Hesses Steppenwolf – von den einen als schonungsloses Bekenntnis anerkannt, von Kirchenkreisen als «giftige, gefährliche Wirrnis, giftig in seiner ungezügelten Sinnlichkeit, gefährlich in seiner radikalen und ätzenden Verneinung aller Lebenswerte» abgetan – zieht seit Erscheinen im Jahr 1927 vielfältiges Interesse auf sich. In den USA erlangte das Werk in den frühen 70er Jahren geradezu kultische Verehrung – das Interesse an Hesses Roman besteht ungemindert bis heute. Während des zweitägigen Kolloquiums in Calw befaßten sich Wissenschaftler mit der Entstehungsgeschichte und der Rezeption des Steppenwolf und untersuchten einzelne Aspekte, so daß literarische, philosophische, kulturhistorische und gesellschaftspolitische Dimensionen des Werkes angesprochen wurden. Arnold Stadler, Büchner-Preisträger des Jahres 1999, hielt in der Tradition prominenter Schriftsteller bei den Hesse-Kolloquien den Auftaktvortrag über «Hesse, Der Steppenwolf und ich, wir drei». Dabei ging er auf die Wechselbeziehungen zwischen Hesse, Hesses Werk und sich selbst als Mensch und als Schriftsteller ein. Rudolf Probst, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Schweizerischen Literaturarchiv, untersuchte in seinem Beitrag die Transformationen von Hesses «Steppenwolf» – von der Handschrift zum Typoskript, und Peter Huber, wissenschaftlicher Assistent und Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg, stellte Bezüge zwischen den Krisis-Gedichten und dem Roman her; Rudolf Koester, Germanistik-Professor an der University of Nevada, Las Vegas, stellte eine Untersuchung über das Urteil der Zeitgenossen Hesses und der Folgezeit über den Steppenwolf vor, und die Oberassistentin Enikö Risko von der Gesamthochschule Nyiregihaza in Ungarn arbeitete über das Außenseitertum im dem Roman. Friedhelm Brusniak, Professor für Musikwissenschaft an der Universität Würzburg, bot einen Beitrag über Hesse und Mozart und Irmgard Yu-Gundert, Germanistikprofessorin in Korea, ging auf Hesses Stufenlehre im Steppenwolf ein. Ralph Freedman, Hesse-Biograf und weltweit bekannter GermanistikProfessor von der Princeton-University sah den Steppenwolf als «Gedicht von einer symbolischen Stadt». Raminta Gamziukaite-Maziuliene, Professorin für deutsche Literatur an der Universität Vilnius, stellte die Hesse-Rezeption in den baltischen Ländern Estland, Lettland und Litauen vor. Eine von Michael Limberg zusammengestellte Auswahlbibliographie über Hesses Steppenwolf von 1973 bis 2004 rundet den Band ab. Die Dokumentation des 12. Internationalen Hermann-Hesse-Kolloquiums erschien im Frühjahr 2005 als 170-Seiten-Buch im Staatsanzeiger-Verlag Stuttgart. Herausgegeben wurde der Band von Michael Limberg, der auch die Tagungsleitung des Kolloquiums inne hatte.
Mitteilungen 193
Vorträge in Vézélay und in Montpellier Anlässlich der «Jours internationales Romain Rolland» in Vezelay / Frankreich war der Geschäftsführer der Internationalen Hermann Hesse Gesellschaft, Prof. Uli Rothfuss, eingeladen, einen Vortrag über die Rezeption der Werke Romain Rollands in Deutschland zu halten und auf die Beziehungen im Werk und in den Persönlichkeiten zwischen Romain Rolland und Hermann Hesse einzugehen. Die Romain-Rolland-Tagung in dem burgundischen Städtchen, in dem der Nobelpreisträger seine letzten Lebensjahre verbrachte, soll der Beginn weiterer Tagungen im «Centre Jean Christophe» der Universität Paris in Vézélay sein, das nach einem der Hauptwerke Romain Rollands benannt ist. Rund 120 Zuhörer folgten den Vorträgen von internationalen Fachreferenten – neben Referenten aus Frankreich und Deutschland waren Vortragende unter anderem aus Indien, aus Korea und Japan zugegen – und beteiligten sich rege an Diskussionen. Die Vorträge der Tagung werden in einer Sonderausgabe der Zeitschrift «Europe» – die einst von Romain Rolland mit herausgegeben wurde – veröffentlicht. Unmittelbar im Anschluß folgte Geschäftsführer Uli Rothfuss einer Einladung in das Centre Culturel Franco-Allemand «Maison Heidelberg» in Montpellier in Südfrankreich. Damit wurde die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Kulturinstitut in Südfrankreich und der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft fortgesetzt. Prof. Uli Rothfuss sprach am 5. Oktober in Montpellier über die freundschaftliche Verbindung zwischen Hermann Hesse und Romain Rolland als Wegbereiter der deutsch-französischen Freundschaft.
Mitteilungen 193
Hesse Center in Nepal Date: July 1, 2005 Dear Sir, We have enclosed herewith the matter to put in your Jahrbuch. We appreciate your gesture of goodwill towards our endeavour to set up Hermann Hesse Study Centre in Nepal. One of the objectives of the proposed Study Centre is to create an environment conducive for the children of Nepal, who are badly affected by the on going conflict between the rebel forces and the government forces of Nepal. The Nepali children are deprived of their inborn right to education. We hope our effort, though small in size, will certainly be beneficial to them. We are seeking assistance from home and abroad to promote our cause. We are very grateful to you for your word to provide us a space in your Jahrbuch to put our Appeal. We expect your cooperation in the days to come, too. Yours faithfully, Ramesh Adhikari (President)
I kindly inform you that Mr. Ramesh Adhikari, president of this organization has nominated me as a new secretary of this society. I am an M.A. thesis year student of English literature at Tribhuvan University. I am doing my thesis on «Siddhartha», and am affiliated with this
Mitteilungen 194 organization since the last one year. Mr. Adhikari introduced me with your name and work. I am really proud to communicate with you, and join our hands for the betterment of the community and the world.Best regards, Jagannath Lamichhane SecretaryHerman Hesse Society Nepal-2000.
Mitteilungen 194
Appeal Hermann Hesse Society Nepal intends to open Hermann Hesse Study Centre in Kathmandu, Nepal with the objectives of promoting German literature among the Nepali readers and providing an opportunity to the Nepali children, who are badly affected by the ongoing conflict between the government and the rebels. We are seeking cooperation and assistance from interested individuals and organization from all over the world. Interested individuals and organizations can assist us in the following ways: by donating books on literary works of Hermann Hesse (in German and English language); by donating books on literary works of Goethe (in German and English language); by donating or offering free subscription of literary magazines, periodicals, journals etc.; by donating educational materials (reading and audio/visual) which help mental and intellectual development of young children; by offering sponsorship for schooling of young children; by donating office equipments and other necessary accessories to facilitate smooth operation of Hermann Hesse Study Centre; by offering monitory contribution to promote the cause of Hermann Hesse Study Centre. Interested individuals and organizations are requested to contact: Hermann Hesse Society Nepal Phone no: 977–1–256952/ 977–1–257245 Fax: 977–1–244787 P.O. Box: G.P.O. 7402, Sundhara, Kathmandu Hotmail: [email protected] Homepage: www.geocities.com/hesse_nepal
Mitteilungen 194
Verstärkte Kontakte mit der Association Romain Rolland Die Internationale Hermann Hesse Gesellschaft und die Association Romain Rolland haben die Absicht, in Zukunft enge Kontakte zu pflegen. Im Mittelpunkt der vorgesehenen Begegnungen und Seminare stehen Hermann Hesse und Romain Rolland, die überzeugten Pazifisten, die schon zu ihrer Zeit für eine versöhnende Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich und für ein friedliches, geeintes Europa eintraten. Die freundschaftliche und geistige Verbundenheit dieser beiden großen Europäer soll Impulse geben für einen intensiven deutsch-französischen Kulturaustausch, der gerade heute, angesichts des Ringens um eine gemeinsame kulturelle und geistige europäische Identität, eine besondere Bedeutung gewinnt. Unter diesem Themenkreis ist für den Herbst 2006 ein gemeinsames Seminar geplant. Liselotte Schneider
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 zusammengestellt von Michael Limberg
Das Werk von Hermann Hesse ROMANE, ERZÄHLUNGEN, BETRACHTUNGEN Das Glück ist ein Talent. In: Zum Glück. Wege und Umwege. Hrsg. v. Jörg Zirfas. Leipzig: Reclam 2003. 197 S.; S. 17. Sechs Aussprüche zum Thema «Glück». Das Leben bestehen. Krisis und Wandlung. Ausgew. v. Volker Michels. Frankfurt/M. u. Leipzig: Insel 2002. 196 S. (Insel-Taschenbuch; 2858) Der Steppenwolf. (Auszug). In: Mettenleiter, Peter / Knöbl, Stephan (Hrsg.): Blickfeld Deutsch. Oberstufe. Paderborn: Schöningh 2003. S. 353. Der Wolf. In: Menzel, Wolfgang / Fröchling, Jürgen (Hrsg.): 66 «unentbehrliche» literarische Texte. Ausgewählt, befragt, kommentiert und zum Lesen empfohlen von … Braunschweig: Westermann 2003. 384 S.; S. 163–166. (S. 162: Kurzbiographie Hesses). Die Kunst des Müßiggangs. In: Lob der Faulheit. Geschichten und Gedichte. Ausgew. v. Joachim Schultz u. Gerhard Köpf. Die Stadt. In: Lektüre zwischen den Jahren. »Glücklichsein beginnt immer ein wenig über der Erde». Ausgewählt von Rainer Weiss. Frankfurt/M. u. Leipzig: Insel 2004. 157 S.; S. 23–30. Eine Sonate. In: Frauenbilder. Ein Lesebuch. Ausgew. v. Heike Ochs. Frankfurt/M. u. Leipzig: Insel 2004. 188 S.; S. 76–82. In der alten Sonne und andere Erzählungen. Vollst. u. ungekürzte Ausgabe. Moskau: Jupiterinter 2003. 201 S. (Serija Klassiki v originale) Klein und Wagner. Frankfurt a. Main: Büchergilde Gutenberg 2002. 103 S. (Die kleine Reihe) Klingsors letzter Sommer. (2 Auszüge). In: Mettenleiter, Peter / Knöbl, Stephan (Hrsg.): Blickfeld Deutsch. Oberstufe. Lehrerband. Paderborn: Schöningh 2003. S. 484, mit Arbeitsanweisungen. Siddhartha. Eine indische Dichtung. Mit einem Nachwort von Volker Michels. 159 S. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2004. Von den zwei Küssen. In: 33 Liebesgeschichten. Ein Lesebuch. Hrsg. v. Susanne Gretter. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2004 (st 3639). 256 S.; S. 17–26. Weihnacht (Dezember 1917). In: Es begibt sich aber zu der Zeit. Texte zur Weihnachtsgeschichte. Hrsg. v. Walter Jens. Frankfurt/M.: Fischer 2003, 2. Aufl. 481 (+8) S.; S. 186– 188. *
Hermann Hesse. Insel-Kalender für das Jahr 2005. Zusammengestellt von Ursula MichelsWenz. Mit farbigen Aquarellen. Frankfurt/M. u. Leipzig: Insel 2004. (it 3046), 163 (+13) S.
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 196
BRIEFE UND BRIEFWECHSEL Justus Hermann Wetzel. Aus dem Briefwechsel mit Hermann Hesse. In: Rudloff, Nancy (et al.) (Hrsg.): Justus Hermann Wetzel. Komponist, Schriftsteller, Lehrer. Berlin: Universität der Künste 2004. 118 S.; S. 84–93. Weitere Erw.: S. 7, 9, 11, 14, 16, 21, –23, 25, 35, 63, 72, 73, 79f., Dabei: [26] Lieder von Justus Hermann Wetzel. Compact Disc.
GEDICHTE Auch zu mir kommst du einmal (Bruder Tod). In: wege mit franziskus. Zeitschrift der Thüringischen Franziskanerprovinz von der heiligen Elisabeth, 1/2004, S. 8. Auf einer Reise, heiß und matt (Bahnhofstück). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (November). Biegt sich in berauschter Nacht (Verzückung). In: Das leuchtende Buch. Die Welt als Wunder im Gedicht. Hrsg. v. Dieter M. Gräf. Frankfurt/M. u. Leipzig: Insel 2004. 310 S.; S. 75. Da ich in Jugendnot und Scham (Zu spät). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (Februar). Das Blau der Ferne klärt sich schon (Höhe des Sommers). In: Wort und Sinn. Ein Lese- und literarisches Arbeitsbuch für die Jahrgangsstufe 7. Hrsg. u. bearbeitet von Peter Mettenleiter. Paderborn: Schöningh 2000. 255 S.; S. 222. Das sind die Stunden, die wir nicht begreifen (Dunkelste Stunden). In: Glücklich geschieden. Das Buch zur Trennung. Ausgew. v. Günter Stolzenberger. Frankfurt/M. u. Leipzig: Insel 2004 (it 3004). 276 S.; S. 105. Der Regen singt, die Ebene liegt voll Nacht (Ankunft in Cremona). In: Kennst du das Land. Die hundert schönsten Italien-Gedichte. Hrsg. v. Hansjürgen Blinn. Berlin: Aufbau 2003. 176 S.; S. 47. Der See starrt wie Glas (Windiger Tag). In: Blumen, Gärten, Landschaften. Bilder und Gedichte. Hrsg. v. Dietrich Bode. Stuttgart: Reclam 2004. 183 S.; S. 163. Der Schneewind packt mich jäh von vorn (Schlittenfahrt). In: Mehnert, Volker: Am Anfang war der Schlitten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 36 v. 12.2.2004, Seite R 1. Es duften blaue Blumen hier und dort (Paradies-Traum). In: Ich will dich. Die hundert schönsten erotischen Gedichte. Hrsg. v. Hansjürgen Blinn. Berlin: Aufbau 2003, 3. Aufl., 184 S.; S. 126. Fast eine deutsche Stadt, so eng gebaut (Padua). In: Kennst du das Land? Die hundert schönsten Italien-Gedichte. Hrsg. v. Hansjürgen Blinn. Berlin: Aufbau 2003. 176 S.; S. 25. Flügelt ein kleiner blauer (Blauer Schmetterling). In: Wege zum Glück. Textheft für Schülerinnen und Schüler. Zentrale Lernstandserhebungen in der Jahrgangsstufe 9. NordrheinWestfalen 2004. 15 S.; S. 12. Flügelt ein kleiner blauer (Blauer Schmetterling) In: Gedichte für Kinder. Zum Lesen und Vorlesen. Ausgew. v. Günter Stolzenberger. Mit Illustrationen von Claudia Weikert. Frankfurt/M. u. Leipzig: Insel 2004 (it 3067). 147 S.; S. 118. Geknickter Ast, an Splittersträngen (Knarren eines geknickten Astes, 1. Fassung) In: Hertl, M. u. R.: Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Nikos Kazantzakis. Lebens-LeidensJahre mit Leukämie. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004. 130 S.; S. 85f. Gewartet habe ich vor vielen Türen (Verführer). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (Oktober). Hast du das ganz vergessen (Wiedersehen). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (März). Hör ich seine Weise flüstern. In: Hertl, M. u. R.: Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Nikos Kazantzakis. Lebens-Leidens-Jahre mit Leukämie. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004. 130 S.; S. 75. 1. Fassung des Gedichts Einst vor tausend Jahren (Unruhvoll und reiselüstern). Auf S. 76 die geänderten beiden ersten Strophen der Endfassung, jedoch ohne die geänderte vorletzte Zeile der 4. Strophe.
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 197 Ich bin auch in Ravenna gewesen (Ravenna). In: Italien. Eine Reise in Gedichten. Hrsg. v. Dietrich Bode. Stuttgart: Reclam 2004 (UB 18304). 128 S.; S. 43. Ich log! Ich log! Ich bin nicht alt (Ich log). In: Glücklich geschieden. Das Buch zur Trennung. Ausgew. v. Günter Stolzenberger. Frankfurt/M. u. Leipzig: Insel 2004 (it 3004). 276 S.; S. 260. Ich wollt ich wär eine Blume (Liebeslied). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (April). Immer war ich auf der Fahrt (Der Pilger). In: Kast, Verena (Hrsg.): Diese vorüberrauschende blaue einzige Welt. Gedichte zu Lebensfreude und Endlichkeit. Zürich: Pendo 2003, 2. Aufl., S. 27. Jüngling fühle in der Brust (Mai). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (Mai). Liebe zieht am Zauberfaden. In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (Juni). Meine Lieder stehen (Im Scherz). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (Januar). Mühsam schleppt er sich die Strecke (Der alte Mann und seine Hände). In: Hertl, M. u. R.: Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Nikos Kazantzakis. Lebens-Leidens-Jahre mit Leukämie. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004. 130 S.; S. 78. Mühsam schleppt er sich die Strecke (Der alte Mann und seine Hände). In: Kast, Verena (Hrsg.): Diese vorüberrauschende blaue einzige Welt. Gedichte zu Lebensfreude und Endlichkeit. Zürich: Pendo 2003, 2. Aufl., 128 S.; S. 50. Noch einmal, ehe der Sommer verglüht (Spätsommer). In: Blumen, Gärten, Landschaften. Bilder und Gedichte. Hrsg. v. Dietrich Bode. Stuttgart: Reclam 2004. 183 S.; S. 112. Noch sieht man ihn als letzte Säule (Bildnis eines zu alt gewordenen Literaten). In: Hertl, M. u. R.: Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Nikos Kazantzakis. Lebens-Leidens-Jahre mit Leukämie. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004. 130 S.; S. 77 Nun der Tag mich müd gemacht (Beim Schlafengehen). In: Die Lieblingsgedichte der Deutschen. Mit einem Nachwort von Lutz Hagestedt u. 20 Federzeichnungen v. Wolfgang Nickel. München, Zürich: Piper 2003. 174 S.; S. 142. Nr. 85 (von 100) auf der Liste der vom Patmos Verlag und dem Westdeutschen Rundfunk im Jahr 2000 veranstalteten Umfrage. Oft war ich müd und glaubte alt zu sein (Neue Liebe). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (Dezember). O lache, so lange dir blüht das Glück). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (Juli). Rote Nelke blüht im Garten (Nelke). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (April). Seid willkommen, kurze Liebesfeuer. In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (April). Seltsam, im Nebel zu wandern! (Im Nebel). In: Kontext Deutsch 6. Braunschweig: Schroedel 2002. 302 S.; S. 148. Seltsam, im Nebel zu wandern! (Im Nebel). In: Wort und Sinn. Ein Lese- und literarisches Arbeitsbuch für die Jahrgangsstufe 8. Hrsg. u. bearbeitet von Peter Mettenleiter. Paderborn: Schöningh 2000. 278 S.; S. 237. Seltsam, im Nebel zu wandern! (Im Nebel). In: Mettenleiter, Peter / Knöbl, Stephan (Hrsg.): Blickfeld Deutsch. Oberstufe. Paderborn: Schöningh 2003. S. 10. Seltsam, im Nebel zu wandern! (Im Nebel). In: Willst du dem Sommer trauen? Deutsche Naturgedichte. Hrsg. v. Hanns Zischler. Berlin: Wagenbach 2004. (120. Salto) 117 (+3) S.; S. 56. Seltsam, im Nebel zu wandern! (Im Nebel). In: Die Lieblingsgedichte der Deutschen. Mit einem Nachwort von Lutz Hagestedt u. 20 Federzeichnungen v. Wolfgang Nickel. München, Zürich: Piper 2003. 174 S.; S. 67. Nr. 26 (von 100) auf der Liste der vom Patmos Verlag und dem Westdeutschen Rundfunk im Jahr 2000 veranstalteten Umfrage. So viele Frauen, wenn sie lieben, geben (Die Geheimnisvolle). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (August) Sonne, leuchte mir ins Herz hinein (Reiselied). In: Wort und Sinn. Ein Lese- und literarisches Arbeitsbuch für die Jahrgangsstufe 8. Hrsg. u. bearbeitet von Peter Mettenleiter. Paderborn: Schöningh 2000. 278 S.; S. 173.
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 198
Splittrig geknickter Ast (Knarren eines geknickten Astes, 2. Fassung) In: Hertl, M. u. R.: Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Nikos Kazantzakis. Lebens-Leidens-Jahre mit Leukämie. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004. 130 S.; S. 86. Splittrig geknickter Ast (Knarren eines geknickten Astes, 3. Fassung) In: Hertl, M. u. R.: Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Nikos Kazantzakis. Lebens-Leidens-Jahre mit Leukämie. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004. 130 S.; S. 83. Voll Blüten steht der Pfirsichbaum (Voll Blüten). In: Blumen, Gärten, Landschaften. Bilder und Gedichte. Hrsg. v. Dietrich Bode. Stuttgart: Reclam 2004. 183 S.; S. 112. Von der Wiege bis zur Bahre (Der Mann von fünfzig Jahren). In: Ich will dich. Die hundert schönsten erotischen Gedichte. Hrsg. v. Hansjürgen Blinn. Berlin: Aufbau 2003, 3. Aufl., 184 S.; S. 127. Weil ich dich liebe (Weil ich dich liebe). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (Juli). Wetterbraune, dichtgedrängte Fassaden (Chioggia). In: Italien. Eine Reise in Gedichten. Hrsg. v. Dietrich Bode. Stuttgart: Reclam 2004 (UB 18304). 128 S.; S. 39. Wetterbraune, dichtgedrängte Fassaden (Chioggia). In: Kennst du das Land? Die hundert schönsten Italien-Gedichte. Hrsg. v. Hansjürgen Blinn. Berlin: Aufbau 2003. 176 S.; S. 42. Wie der stöhnende Wind durch die Nacht (Wie der stöhnende Wind –). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (September) Wieder will mein froher Mund begegnen (Liebe). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (Mai). Wie eine weiße Wolke (Elisabeth). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (September). Wie jede Blüte welkt und jede Jugend (Stufen). In: Kontext Deutsch 9. Braunschweig: Schroedel 2004. 320 S.; S. 79. Wie jede Blüte welkt und jede Jugend (Stufen). In: Wort und Sinn. Ein Lese- und literarisches Arbeitsbuch für die Jahrgangsstufe 9/10. Hrsg. u. bearbeitet von Peter Mettenleiter. Paderborn: Schöningh 2002. 424 S.; S. 21. Mit Photo u. e. Aquarell. Wie jede Blüte welkt und jede Jugend (Stufen). In: Die Lieblingsgedichte der Deutschen. Mit einem Nachwort von Lutz Hagestedt u. 20 Federzeichnungen v. Wolfgang Nickel. München, Zürich: Piper 2003. 174 S.; S. 9. Wie sind die Tage schwer (Wie sind die Tage …). In: Hesse-Kalender 2005 (Suhrkamp). (Juni). Wohin? Wohin? (Nachtgang). In: Die Nacht. Gedichte. Hrsg. v. Evelyne Polt-Heinzl u. Christine Schmidjell. Stuttgart: Reclam 2004 (RUB 18300). 101 S.; S. 35f. Wohin? Wohin? (Nachtgang). In: Sächsische Zeitung v. 20.11.2004.
AQUARELLE, ZEICHNUNGEN Hermann Hesse. Kalender 2005. Mit dreizehn Aquarellen sowie Gedichten und Gedanken über die Liebe. Zusammengestellt v. Volker Michels. (Die Texte befinden sich jeweils auf der Rückseite der Aquarelle.) 42 x 32 cm. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2004. Bei Carona. 14.7.1924. Aquarell. Ebd. September. Berghütte. 12.11.1924. Aquarell. Ebd. Juli. Bosco. 5.7.1927. Aquarell. Ebd. Mai. Cimo. Aquarell. Ebd. Februar. Häuser im Tessin. Um 1925. Aquarell. Ebd. Titelblatt. Haus am Hang. 20.8.1927. Aquarell. Ebd. Oktober. In Montagnola. Aquarell. Ebd. April. Roccolo mit Dorf. 4.5.1924. Aquarell. Ebd. August. Rotes Haus. Aquarell. Ebd. März. St. Moritz, Januar 1917. Aquarell. Ebd. Januar
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 Tessiner Dorf. 5.7.1923. Aquarell. Ebd. November. Wegbiegung. 25.5.1927. Aquarell. Ebd. Juni. Winter im Gebirge (St. Moritz). Januar 1917. Aquarell. Ebd. Dezember. *
Casa Camuzzi im Tessin. Aquarell. In: Blumen, Gärten, Landschaften. Bilder und Gedichte. Hrsg. v. Dietrich Bode. Stuttgart: Reclam 2004. 183 S.; S. 113. Hermann Hesse. Calendarium 2005. Tischkalender mit 13 farb. Aquarellen und Gedanken aus Hermann Hesses Schriften über Krieg und Frieden. Frankf./M. u. Leipzig: Insel 2004. 9,4 x 9 cm. Hermann Hesse – Aquarelle und Gedichtmanuskripte aus dem Tessin. Katalog 112. Düsseldorf: Galerie Ludorff, 2004. 140 S. Mit über 90 (meist farb.) Abb.
ÜBERSETZUNGEN Albanisch Lexime të çastit. Aforizma të një moralisti të madh. Ü: Agim Doksani. Tirana: Phoenix 1999. 165 S. (Esse; 7) – [Lektüre für Minuten]
Bulgarisch Denjat dogarja. Izbrana lirika. Ü: Ljubomir Iliev. Sofia: Atlantis 2002. 101 S. – [Gedichte. Auswahl] Sidcharta. Ü: Tereza Chofščeter u. Julija Ivanova. Sofia: IK Ogledalo 2004. 116 S.
Englisch Beneath the wheel. Ü: Michael Roloff. New York: Farrar, Straus and Giroux 2003. 187 S. (Picador) – [Unterm Rad] Gertrude. Ü: Hilda Rosner. London: Peter Owen; Chester Springs: Dufour Editions 2002. 208 S. (Peter Owen Modern Classics) Peter Camenzind. Ü: W. J. Strachan. London: P. Owen 2002. 174 S. (Peter Owen modern classics) Journey to the East. Delhi: Book Faith India 1998. 93 S. – [Die Morgenlandfahrt] Rosshalde. Ü:Ralph Manheim. New York: Picador 2003. 213 S. Siddhartha. Ü: Hilda Rosner. 5. Aufl. New Delhi: Harper Collins 2003. 121 S. (Modern Indian Library) The Glass Bead Game. Ü: Richard u. Clara Winston. London: Vintage 2000. 530 S. (Vintage Classics) – [Das Glasperlenspiel] The Prodigy. Ü: W.J. Strachan. London: Peter Owen. 2002. 188 S. (Peter Owen Modern Classics)
Estnisch Demian. Emil Sinclairi nooruse lugu. Ü: Krista Läänemets. Tallin: Kirjastus «Perioodika» 1994. 108 S. (Loomingu raamatugoku; 1994, 5–7)
Finnisch Siddhartha. Ü: Aarno Peromies. Helsinki: WSOY 2000. 169 S. (Laatukirjasto)
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Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 200
Französisch Eloge de la vieillesse. Ü: Alexandra Cade. Paris: Calmann-Lévy 2000. 158 S. (Le livre de poche; 3376) – [Mit der Reife wird man immer jünger] Feuillets d’album. Souvenirs sur des contemporains. Ü: Jacques Duvernet. Genf: Editions Métropolis 2003. 413 S. – [Gedenkblätter] L’art de l’oisiveté. Ü: Alexandra Cade. Paris: Calmann-Lévy 2002. 243 S. (Petite bibliothèque européenne du XXe siècle) – [Kleine Freuden]. L’homme qui voulait changer le monde. Nouvelles. Ü: Edmond Beaujon. Paris: CalmannLévy 2003. 243 S. (Petite bibliothèque européenne du XXe siècle) – [Erzählungen] Romans et nouvelles. Einf. v. Jean-Louis Bandet. Ü: Edmond Beaujon [et al.] Paris: Librairie générale française 2001. 1873 (Le livre de poche. Classiques modernes)
Griechisch Allelographia [1910–1955]. Hermann Hesse – Thomas Mann. Briefwechsel. Hrsg. v. Anni Carlsson u. Volker Michels. Ü: Giota Lagoudakou. Athen: Ekdoseis Kastaniote 2003. 218 S. (Diagonios. Ntokoumenta) – [Hermann Hesse – Thomas Mann. Briefwechsel] E philia. Ü: Panagiotes Skondras. Athen: Ekdoseis Astarte 1997. 94 S. – [Freunde] Erotikes istories. Ü: Maria u. Elene Paxiou. Athen: Ekdoseis Kastaniote 2002. 458 S. (Eikostos aionas) – [Liebesgeschichten] Klaïn kai Bnkner. Ü: Maria u. Elene Paxiou. Athen: Ekdoseis Kastaniote 1997. 165 S. (Eikostos aionas) – [Klein und Wagner] Neainoi erotes Ü: Panagiotes Skondras. Athen: Ekdoseis Astarte 1995. 93 S. – [Taedium vitae] O anthropos pou tha kalytereue ton kosmo. Ü: Panagiotes Skondras. Athen: Ekdoseis Astarte 1995. 94 S. – [Der Weltverbesserer; Emil Kolb] O brochopoio; O Exomologetes. Ü: Phontas Kondyles. Athen: Ekdoseis Kastaniote 1996. 1141 S. (Nompel logotechnias) – [Der Regenmacher; Der Beichtvater] O exomologetes. Ü: Giorgios Konstas. Athen: Ekdoseis Nephele 1996. 63 S. (Oi klasikoi tes Nepheles; 18) – [Der Beichtvater] Oi metamorphoseis tou Piktor. Ü: Kyriake Syntele. Athen: Kastaniote 1996. 108 S. – [Piktors Verwandlungen] Oligolepta anagnosmata. Ü: Theodoros Lupasakes. Athen: Smile 2000. 184 S. – [Die Märchen] Omorphe einai e niote. Ü: Panagiotes Skondras. Athen: Ekdoseis Astarte 1995. 91 S. – [Schön ist die Jugend] O Phrankiskos tes Asizes. Ü: Panagiotes Skondras. Athen: Ekdoseis Astarte 1995. 95 S. – [Franz von Assisi] Orimazontas ginomaste olo kai neoteroi. Mit Photographien v. Martin Hesse. Ü: Giota Lagoudakou. Athen: Kastaniote 2002. 234 S. – [Mit der Reife wird man immer jünger] Phantastikes istories. Ü: Maria Chatzegianne. Athen: Ekdotikos Oikos S.I. Zacharopoulos 1998. 285 S. (Klasike logotechnia; 209) – [Die Märchen] Skepseis. Ü: Nana Esaïa. Athen: Ekdoseis Nephele 1997. 69 S. (Oi klasikoi tes Nepheles; 26) – [(Fragmente aus «Betrachtungen», «Schriften zur Literatur] Sta lutra. Ü: Chryse Nerantze. Athen: Kastaniote 2002. 202 S. (Diagonios) – [Kurgast] Ta Paramythia. Ü: Theodoros Loupasakes. Athen: Smile 1997. 255 S. – [Die Märchen]
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 201
Italienisch Animo infantile e altri racconti. Ü: Francesco Puglioli. Mailand: Rizzoli 1995. 173 S. (Biblioteca universale Rizzoli. Superclassici; 114) – [Kinderseele; Klein und Wagner; Der Weltverbesserer] Carteggio. Hermann Hesse, Thomas Mann. Hrsg. v. Anni Carlsson u. Volker Michels. Ü: Raffaella Roncarati. Mailand: SE 2001. 327 S. (Testi e documenti del Novecento; 102) – [Hermann Hesse – Thomas Mann. Briefwechsel] Il canto degli alberi. Poesie, prose, racconti. Ü: Maria Grazia Galli [et al.] Parma: U. Guanda 2001. 96 S. (Le Finici tascabili; 45) – [Bäume] Knulp. Ü: Francesco Puglioli. Mailand: Rizzoli 2001. 104 S. (Biblioteca universale Rizzoli. Superclassici; 113) La felicità. Ausgew. v. Volker Michels. Ü: Nicoletta Salomon. Mailand: A. Mondadori 2002. 102 S. (Narrativa; 1799. Oscar scittori del Novecento) La maturità rende giovani. Ausgew. v. Volker Michels. Ü: Silvia Bini u. Roberto Carifi. Parma: U. Guanda 2001. 126 S. – [Mit der Reife wird man immer jünger] Lettura da un minuto. Ü: Maria Teresa Giannelli. 10. Aufl. Mailand: Rizzoli 1995. 201 S. (Biblioteca universale Rizzoli. Superclassici; 17) – [Lektüre für Minuten] Sotto la ruota. Ü: Lydia Magliano. 5. Aufl. Mailand: Rizzoli 1997. 196 S. (Biblioteca universale Rizzoli. Superclassici; 30)
Katalanisch Elogi de la vellesa. Ü: Montserrat Ollé. Barcelona: Editorial Empúries 2001. 138 S. (Narrativa; 171). – [Mit der Reife wird man immer jünger]. Narziss i Goldmund. Ü: Anna Soler Horta. Barcelona: Editorial Empúries 2000. 303 S. (Narrativa; 143) Nous contes d’amor. Ü: Carles Andreu u. Màrius Gomis. Barcelona: Edicions de la Magrana 2001. 268 S. (Les ales esteses; 122). Siddhartha. Ü: Franck Meyer. Vigo: Editorial Galaxia 1999. 155 S. (Costa oeste; 21) Sota la roda. Ü: Montserrat Ollé. Barcelona: Editorial Empúries 2003. 173 S. (Narrativa; 204). – [Unterm Rad]
Latein Siddhartha. Ü: Antonio Peral Torres. 1. Aufl. Oviedo: Ediciones Eureka 2001. 136 S.
Kroatisch Nocni leptir. Ü: Branca Grubic. Zagreb: Mozaik Knjiga 1998. 290 S. – [Das Nachtpfauenauge] Putovanje na istok. Ü: Boris Petric. Koprivnica: Šareni Ducan 2002. 142 S. (Biblioteca Za Andelu J.; 01.) – [Die Morgenlandfahrt]
Lettisch Demians. Stasts par Emila Sinklera jaunibu. Ü: Silvija Brice. Riga: Atena 2000. 164 S. Pasakas. Ü: Silvija Brice. Riga: Atena 2001. 365 S. – [Die Märchen]
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 202
Litauisch Narcizas ir Auksaburnis. Ü: Teodora Cetrauskas. Vilnius: Alma Littera 1995. 301 S. (XX amziaus aukso fondas) Po ratu. Ü: Laima Bareišiene. Vilnius: Alma Littera 2000. 158 S. – [Unterm Rad] Sidharta. Ü: Zigmantas Ardickas. Kaunas: Trigrama 2000. 182 S. Stiklo karoliuku zaidimas. Ü: Vytautas Petrauskas u. Dominykas Urbas. 2. Aufl. Vilnius: Alma Littera 2000. 495 S. (XX amziaus aukso fondas) – [Das Glasperlenspiel]
Niederländisch In de tuin. Ü: Tinke Davids u. Koen Stassijns. 2. Aufl. Amsterdam: Uitgeverij Atlas 2001. 223 S. – [Freude am Garten] Italië. Reisimpressies. Ü: Tineke van der Zel. Amsterdam: Uitgeverij Atlas 2001. 222 S. – [Italien]. Hermann Hesse – Thomas Mann. Briefwisseling. Ü: Will Hansen. Amsterdam: Atlas 2004 336 S.
Norwegisch Steppeulven. Ü: Peter Magnus. Oslo: Norske bokklubbene 2002. 170 S. + 1 Beilage (22 S., ill.) (Århundrets bibliotek) – [Der Steppenwolf]
Polnisch Im dojrzalsi, tym mlodsi. Mit Photographien von Martin Hesse. Ü: Anna Kryczynska u. Robert Reszke. Warschau: Wydawnictwo KR 2000. 161 S. – [Mit der Reife wird man immer jünger] · Kartki ze wspomnie´n. Ü: Lech Czyzewski. Warschau: Pa´nstwowy Instytut Wydawniczy 2003. 244 S. – [Gedenkblätter] Peter Camenzind. Ü: Edyta Sicinska. Warschau: Panstwowy Instytut Wydawniczy 2001. 157 S. Siddharta. Ü: Malgorzata Lukasiewicz Warschau: Panstwowy Instytut Wydawniczy 2002. 133 S. Try opowiesci z zynia Knulpa. Ü: Malgorzata Lukasiewicz. Warschau: Panstwowy Instytut Wydawniczy 1999. 93 S. – [Knulp] Wyzszy swiat. Ü: Edyta Sicinska. Wyd. 3. Warschau: Panstwowy Instytut Wydawniczy 2001. 189 S. [Unterm Rad]
Portugiesisch Hans. Ü: Paulo Rêgo. 2. Aufl. Algés: Difel 2001. 218 S. – [Unterm Rad] O ultimo verão de Klingsor. Ü: Patricia Lara. Lissabon: Guimarães 1999. 108 S.
Russisch Izbrannye. Ü: Salomon Apt, G. Notkina, R. Ejvadisa. Sankt-Petersburg: Izdatel’stvo «Azbuka-klassika» 2001. 1099 S. (Azbuka-klassika) Izbrannye proizvedennja. Ü: Salomon Apt. Moskau: Ripol Klassik 2002. 975 S., 1 Porträt. (Bessmertnaja bibliotheka) Kazanova ispravljaetsja: rassskazy. Ü: T.V. Kljueva, V. Sedel’inka, M. Charitonov. SanktPetersburg: Izdatel’stvo «Azbuka-klassika» 2001. 309 S. (Azbuka-klassika) – [Casanovas Bekehrung]
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 Klingzor. Moskau: Izdatel’stvo AST; Charkov: Izdatel’stvo Folio 2003. 477 S. (Kniga na vse vremena) – [Klingsors letzter Sommer] Kniga Rosskznej. Ü: Sergeja Romaško. Moskau: Tekst 2002. 217 S. – [Fabulierbuch] Knul’p; Kurortnik. Ü: Eleny Markovic u. Valenziny Kurelly. Sankt-Petersburg: Izdatel’stvo «Azbuka-klassika» 2004. 219 S. Narciss i Gol’dmund – Kurortnik. Ü: R.S. Ejvadisa u. V.N. Kurella. Sankt-Petersburg: Kristall 2001. 381 S. (Mastera prozy XX veka). – [Narziß und Goldmund – Kurgast] Poezija = Verse. Ü: S.D. Ramzajcevoj. Moskau: Fond imeni I:D: Sytina 2001. 116 S. Deutscher Text mit gegenüberliegender russ. Übersetzung Siddchartcha. Ü: R.S. Ejvadisa. Sankt-Petersburg: Kristall 2001. 157 S. (Novyj stil‘). Son o flejte. Skazki, Legendy, Pritci. Ü: Salomon Apt [et. al.]. Sankt-Petersburg: Izdatel’stvo «Azbuka-klassika» 2001. 249 S. (Azbuka-klassika). Stepnoj volk. Ü: Salomon Apt. Moskau: Izdatel’stvo AST 2003. 349 S. (Kniga na vse vremena) – [Der Steppenwolf] Stepnoj volk; Igra v biser; Rasskaz’i i ocerki. Moskau: Nf «Pušinskaja biblioteka. Izdatel’stvo AST 2003. 778 S. (Zolotoj fond mirovoj klassiki) – [Der Steppenwolf; Das Glasperlenspiel] Stepnoj volk; Igra v biser; Palomincestvo v stranu; Vostoka. Moskau: Olma-Press 2003. 603 S. (XX vek) – [Der Steppenwolf; Das Glasperlenspiel; ]
Serbisch Banjski gost. Ü: Vera Kolakovic. Belgrad: Narodna Knjiga – Alfa 2001. 118 S. (Antologija svetske knjizevnosti; knjiga br. 6) – [Kurgast] Gertruda. Ü: Milovan Jevtovic. Belgrad: Narodna Knjiga – Alfa 2001. 193 S. (Biblioteka Megahit; knjiga br. 266). Knulp. Ü: Branimir Zivojinovic. Belgrad: Narodna Knjiga – Alfa 2001. 101 S. (Biblioteka Megahit; knjiga br. 263. Moja vera. Ü: Jasmina Burojevic. Belgrad: Narodna Knjiga – Alfa 1999. 140 S. (Biblioteka Megahit; knjiga br. 203) – [Mein Glaube] Nirnberko putovanje. Ü: Jasmina Burojevi. Novi Sad: Svetovi 1998. 75 S. (Biblioteka BIS. Depna knjiga; kjn. 51) – [Die Nürnberger Reise] Srea. Ü: Jasmina Burojevi. Novi Sad: Svetovi 1998. 113 S. (Biblioteka Svetovi). – [Glück]
Serbo-kroatisch Moja vjera. Ü: Dalibor Joler. Zagreb: Zagrebacka Naklada 2001. 199 S. (Feniks) – [Mein Glaube] Umijece dokolice. Kratka proza iz ostavštine. Ü: Dalibor Joler. Zagreb: Zagrebacka Naklada 2002. (Feniks) – [Die Kunst des Müßiggangs]
Slowakisch Knulp. Ü: Ludmilla Rampáková. Bratislava: Slovensky spisovatel‘ 2001. 101 S. L’úbostné priheby. Ü: Daniela Humajová. Ill.: Mikuláš Galanda. Bratislava: Petrus 2003. 349 S. (Terra) – [Liebesgeschichten]
Spanisch Contes d’amor. Ü: Lourdes Bigorra. Barcelona: Ediciones de la Magrana 2000. 94 S. (Les ales esteses; 97) Elogio de la vejez. Ü: Claudio Gancho. Barcelona: Muchnik 2001. 142 S. (La medianoche; 23). – [Mit der Reife wird man immer jünger].
203
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 204
El juego de los abolarois. Ü: Mariano S. Luque. 2. Neuaufl. Madrid: Alianza Editorial 2001. 591 S. (El libro de bolsillo. Biblioteca de autor; 0524) (Biblioteca Hesse) – [Das Glasperlenspiel] El último verano de Klingsor. Ü: Daniel Najmias u. Macarena González. Barcelona: RB Libros 2003. 92 S. – [Klingsors letzter Sommer] El viaje a oriente. Ü: Victor Scholz. Barcelona: Ediciones Oniro 1997. 122 S. (El viaje interior; 1) – [Die Morgenlandfahrt] La leyenda del rey indio y otros relatos iniciátos. Ü: J.A. Bravo. Barcelona: Ediciones Oniro 2000. 207 S. (El viaje interior; 24) – [Legenden]. Nuevos cuentos de amor. Ü: Berta Barenberg Freire. Barcelona: RBA Libros 2001. 270 S. – [Liebesgeschichten] Rosshalde. Ü: Alberto Luis Bixio. Buenos Aires: Editorial Sudamericana 1999. 184 S.
Tschechisch Hodiny v zahrade; Chromy chlapec. Dve idyly. Ü: Evzen Turnovsky. Mit Ill. v. Gunter Böhmer. Prag: Volvox Globator 2000. 122 S. – [Stunden im Garten; Der lahme Knabe] Kouzelníkova detstvi. Autobiographická pohádka, vlastnorucne opsal. Geschrieben und illustriert v. Peter Weiss. Ü: Evzen Turnovsky. Prag: Volvox Globator 1999. 171 – [Kindheit des Zauberers] Napríc Itálií. Ü: Ludek Kubišta. Prag: Volvox-Globator 2000. 117 S. – [Mit Hesse durch Italien]
Türkisch Kaplicada bir konuk. Ü: Kâmuran Sipal. Galatasaray, Istanbul: Can Yayinlari 2002. 135 S. (Cagdas dünya yatarlari) Masallar. Ü: Iris Kantemir. 2. Aufl. Instanbul: Can Yayinlari 2001. 246 S. (Dünya klasikleri) – [Die Märchen]
Ungarisch Gertrud. Ü: Rita Hudáky u. Gábor Dohy. Budapest: Cartaphilus Kiadó 2001. 267 S. Kerék alatt. Ü: Rita Hudáky u. Gábor Dohy. Budapest: Cartaphilus Kiadó 2002. 224 S. – [Unterm Rad] Narziss és Goldmund. Ü: József Gáli. Budapest: Cartaphilus Kiadó 2002. 324 S.
Literatur über Hermann Hesse ARCHIVE, MUSEEN, GESELLSCHAFTEN Internationale Hermann-Hesse-Gesellschaft Nagel, Helmut / Rothfuss, Uli: Die Internationale Hermann-Hesse-Gesellschaft – Warum eine internationale Literaturgesellschaft? In: Hermann-Hesse-Jahrbuch 2004, S. XIf. Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 1. Hrsg. im Auftrag der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft. Tübingen: Max Niemeyer 2004. 202 S. Hölle, Hans-Jürgen: Das Jahrbuch bedeutet auch Verpflichtung. Internationale HermannHesse-Gesellschaft gibt den ersten Band heraus. In: Schwarzwälder Bote v. 20.11.2004.
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 205
Museo Hermann Hesse Montagnola Museo Hermann Hesse Montagnola [Programm] 2004. Faltblatt, 21x14,5 (72,5) cm. Lob, Gerhard: Hermann Hesse: Zeitlose Faszination. Das Museum Hermann Hesse in Montagnola zieht jährlich Tausende von Besuchern an. Der Literatur-Nobelpreisträger übt nach wie vor eine grosse Faszination aus. In: www.swissinfo.org.; 2 Bl.
DOKUMENTATIONEN Sareika, Rüdiger (Hrsg.): Von «Siddhartha» zum «Steppenwolf». Fremdheitserfahrung und Weltethos bei Hermann Hesse. Iserlohn: Institut für Kirche und Gesellschaft 2004. 146 S. Referate der Tagung der Evangelischen Akademie Iserlohn im Institut für Kirche und Gesellschaft der EkvW v. 28.–30.11.2003. Solbach, Andreas (Hrsg.): Hermann Hesse und die literarische Moderne. Kulturwissenschaftliche Facetten einer literarischen Konstante im 20. Jahrhundert. Aufsätze. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2004 (suhrkamp taschenbuch; st 3609). 453 S. Wolff, Jürgen (Hrsg.): Uraler Hermann Hesse-Tage 2002. Eine Dokumentation. Sonderdruck der Staatlichen Akademie für Lehrerfortbildung GmbH, Calw in Verbindung mit der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft. 2003. 124 S. * Das Buch dokumentiert alle Vorträge der Hermann Hesse-Tage 2002 in Jekaterinburg an der Pädagogischen Universität, an der Gorki Universität, an dem Colleg Krasnoufimsk sowie an den Jekaterinburger Schulen.
BIBLIOGRAPHIEN Horváth, Géza / Csósz, Róbert: Magyar Hermann Hesse-bibliográfia. Budapest: Gondolat kiadó 2004. 115 S. Ungarische Primär- u. Sekundärliteratur von 1906–2004. Limberg, Michael: Hermann-Hesse-Literatur. 10. Jahrgang, 2003. (40591) Düsseldorf (Dechenweg 1): M. Limberg. 60 S., Din A 5, (Typoskript xerokop.)
ZUR REZEPTION Freedman, Ralph: «Hesse-Welle» und akademische Skepsis in den USA 1960–1980. Ein Stück Rezeptionsgeschichte. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 1. Hrsg. im Auftrag der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft. Tübingen: Max Niemeyer 2004. S. 133–146. Freedman, Ralph: La moda-Hesse e lo scetticismo dell’accademia in USA 1960–1980. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann Hesse e l' «altro». Milano: B. Mondadori 2004. S. 115– 126. Mayer, Thomas: Wahlverwandt: «Als wär’s ein Stück von mir … « Hesse bleibt in: 20– Bände-Ausgabe & Nachdenken über den «Steppenwolf». In: Leipziger Volkszeitung v. 16.7.2004. (anonym): Frankfurter Buchmesse mit Schwerpunkt Orient. In: news.ch v. 7.9.2004. «Hermann Hesse ist der derzeit am meisten präsente deutsche Schriftsteller in der arabischen Welt, sagt der syrische Literaturwissenschafter Abdo Abboud im Gespräch mit der Nachrichtenagentur apa, er ist ein Renner.» Naggar, Mona: Von Allende bis Zweig. Westliche Literatur auf Arabisch. In: Neue Zürcher Zeitung v. 2./3.10.2004. u.a. über Hesses derzeitige Popularität bei arabischen Lesern. «Fast sein gesamtes Werk liegt auf Arabisch vor.»
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 206 Philippi, Klaus-Peter: Hesse e l'attuale germanistica tedesca. (Storicizzazione – DistanzaCritica). In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann Hesse e l' «altro». Milano: B. Mondadori 2004. S. 127–138.
Über Werke SÄMTLICHE WERKE (IN 20 BÄNDEN) Drews, Jörg: Spotten und Fluchen. Hermann Hesse als Literaturkritiker. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 186 v. 13.8.2004, S. 16. Über: Band 19: Die Welt im Buch IV. Suhrkamp 2003 FZ: «Ist nichts zu loben, so schweige ich» Ein Denkmal für alle Beteiligten: Band 13, 14 und 19 der Hermann-Hesse-Werkausgabe sind erschienen. In: Fuldaer Zeitung v. 24.1.2004. Pfister, Werner: «Bis zum Fanatismus apolitisch … « Hermann Hesses politische Schriften – neu zusammengestellt im 15. Band der «Sämtlichen Werke». In: Zürichsee-Zeitungen v. 4.10.2004, S. 23. Reinhardt, Stephan: Hermann Hesse: «Sämtliche Werke» Bd. 15: Politische Schriften. Südwestrundfunk. SWR2 Forum Buch, 28.8.2004. Typoskript, 2 Bl. Schmid, Manfred: Hermann Hesse. Die Welt im Buch. Leseerfahrungen III. In: Schwäbische Heimat 2004/4.
DEMIAN Herforth, Maria-Felicitas: Erläuterungen zu Hermann Hesse «Demian», «Siddhartha», «Der Steppenwolf». 2., erg. Aufl. Hollfeld: C. Bange 2003. 125 S. (Königs Erläuterungen und Materialien; Bd. 138) Michaelis, Angelika: Hermann Hesse, Demian. Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen zu Buch, Audio Book, CD-ROM. Berlin: Cornelsen 2003 (LiteraMedia). 48 S. Sprengel, Peter: Vorschau im Rückblick – Epochenbewußtsein um 1918, dargestellt an der verzögerten Rezeption von Heinrich Mann Der Untertan, Sternheim 1913, Hesses Demian und anderen Nachzüglern aus dem Kaiserreich in der Frühphase der Weimarer Republik. In: Literatur der Weimarer Republik. Kontinuität, Brüche. Hrsg. von Michael Klein. Innsbruck: Institut für Deutsche Sprache, Literatur und Literaturkritik 2002. 188 S. (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft: Germanistische Reihe; Bd. 64); S. 29–44; üb. Demian: S. 38–42.
GLASPERLENSPIEL Horváth, Géza: Die drei Lebensläufe und ihr Verhältnis zur Biographie des Magister Ludi, Josef Knecht. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 1. Hrsg. im Auftrag der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft. Tübingen: Max Niemeyer 2004. S. 146–158.
DER STEPPENWOLF (anonym): Hermann Hesse. Der Steppenwolf. [Der BuchTipp im Allgemeinen Anzeiger] In: Allgemeiner Anzeiger (Thüringen) v. 9.6.2004 Hofmann, Fritz L.: Hermann Hesse, Der Steppenwolf . Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen zu Buch, Audio Book, CD-ROM. Berlin: Cornelsen 2003 (LiteraMedia). 48 S.
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 207 Leiß, Ingo/Stadler, Hermann: Hermann Hesse. Der Steppenwolf. In: Dies.: Deutsche Literaturgeschichte. Bd. 9: Weimarer Republik. 1918–1933. München: Deutscher Taschenbuchverlag 2003. 415 S.; S. 192–209. Weitere Hesse-Erw.: S. 72, 74. Stadler, Arnold: Hesse, Der Steppenwolf und ich, wir drei. In: Volltext. Zeitung für Literatur. Nr. 6/2004, Dezember/Januar. S. 1, 21–24. * Abdruck des Vortrags von Arnold Stadler auf dem 12. Internationalen HermannHesse-Kolloquium 2004 in Calw. Zschirnt, Christiane: Bücher. Alles, was man lesen muss. Mit e. Vorwort von Dietrich Schwanitz. München: Heyne 2004. 330 S.; Über: Der Steppenwolf: S. 255–257.
DER WOLF Menzel, Wolfgang / Fröchling, Jürgen: Hermann Hesse, Der Wolf (1915). Ein Schreibgespräch. In: Menzel, Wolfgang / Fröchling, Jürgen (Hrsg.): 66 «unentbehrliche» literarische Texte. Ausgewählt, befragt, kommentiert und zum Lesen empfohlen von … Braunschweig: Westermann 2003. 384 S.; S. 160–161.
SIDDHARTHA Kauffeldt, Rudolf: Hermann Hesse, Siddhartha. Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen zu Buch, Audio Book, CD-ROM. Berlin: Cornelsen 2001 (LiteraMedia). 48 S.
UNTERM RAD Patzer, Georg: Hermann Hesse. Unterm Rad. Stuttgart: Reclam 2004. (RUB 15340). 96 S. Ruhlig, Andrea: Hermann Hesse Unterm Rad. Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen zu Buch, Audio Book, CD-ROM. Berlin: Cornelsen 2004 (LiteraMedia). 48 S.
Briefe / Briefwechsel HERMANN HESSE, EMMY BALL-HENNINGS, HUGO BALL. BRIEFWECHSEL 1921–1927. SUHRKAMP 2003 (anonym): Hesse-Ball Briefwechsel. In: Der neue Tag. Oberpfälzischer Kurier v. 18.10.2004. Braun, Michael: [Rezension]. In: Saarländischer Rundfunk. «BücherLese», 24.1.2004. Typoskript, 3 S. Braun, Michael: «Und mein blasphemischer Mund läuft über …» Zwischen Dadaismus und Mystik: der Dichter Hugo Ball in seinen Briefen. In: Basler Zeitung Nr. 49 v. 27.2.2004. Ebel, Martin: Freundschaftsversicherungen und Krankenberichte. In: Tagesanzeiger (Zürich) v. 6.1.2004. Ebel, Martin: Kirchenmaus an Kurgast. Notizen einer innigen Freundschaft: Hermann Hesses Briefwechsel mit Emmy Hennings und Hugo Ball. In: Die Welt v. 3.1.2004. Eichler, Anja: «Wie Vögel auf einem Zweig.» Hermann Hesse, Briefwechsel 1921–1927 mit Hugo Ball und Emmy Ball-Hennings. In: Das Archiv. Magazin für Kommunikationsgeschichte. Nr. 2/2004. Rathgeb, Eberhard: Zähneklappern im Tessin. Aus der Klosterzelle: Der Schriftsteller Hugo Ball in seinen Briefen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 195 v. 23.8.2004, S. 34. Ruf, Oliver: Die Sehnsucht, ein großer Künstler zu werden. Wie der Schriftsteller Hugo Ball vom Dadaisten zum Heiligenkundigen wurde. In: Literaturen. März 2004.
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 208 Schlaffer, Hannelore: Kurze Zeit des radikalen Angriffs. Den Erfinder des DADA wiederentdecken: Briefe von Hugo Ball, seiner Frau Emmy Hennings und ein Briefwechsel mit Hermann Hesse. In: Frankfurter Rundschau Nr. 29 v. 4.2.2004. Ulrich, Herbert: Steppenwolf mit Schutzengeln. In: Novalis, 5, 2004
HUGO BALL: BRIEFE 1904 BIS 1927. GÖTTINGEN: WALLSTEIN 2003 Bucheli, Roman: «Meine exorzistischen Interessen» Hugo Ball im Spiegel seiner Briefe. In: Neue Zürcher Zeitung v. 3./4.7.2004. Busche, Jürgen: Auf der Suche nach Sinn. Der Katholik, Dadaist und deutsche Denker Hugo Ball in seinen Briefen. In: Süddeutsche Zeitung v. 15.12.2003.
Über Sachverhalte ALTERITÄT Esselborn-Krumbiegel, Helga: Die Alterität des Ich. Bedrohung und Verheißung in der Begegnung mit dem Fremden. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 1. Hrsg. im Auftrag der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft. Tübingen: Max Niemeyer 2004. S. 63–72. Esselborn-Krumbiegel, Helga: L’alterità dell’io. Minaccia e promessa nell'incontro con l'estraneo. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann Hesse e l' «altro». Milano: B. Mondadori 2004. S. 57–64. Michels, Volker: Außenseiter wird man nicht freiwillig. Hermann Hesse als Beispiel für viele. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 1. Hrsg. im Auftrag der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft. Tübingen: Max Niemeyer 2004. S. 31–46. Michels, Volker: Non si diventa diversi volontariamente. Un esempio per molti: Hermann Hesse. L’esperienza dell’ «altro” e la via interiore. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann Hesse e l' «altro». Milano: B. Mondadori 2004. S. 28–42. Ponzi, Mauro: Hermann Hesses Umgang mit dem Fremden. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 1. Hrsg. im Auftrag der Internationalen HermannHesse-Gesellschaft. Tübingen: Max Niemeyer 2004. S. 1–18. Ponzi, Mauro: L’esperienza dell’ «altro” e la via interiore. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann Hesse e l' «altro». Milano: B. Mondadori 2004. S. 3–16. Solbach, Andreas: Alterität und Mobilität: Reisen am Rande der Gesellschaft bei Hermann Hesse. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 1. Hrsg. im Auftrag der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft. Tübingen: Max Niemeyer 2004. S. 47– 62. Solbach, Andreas: Alterità e mobilità: viaggio ai margini della società in Hermann Hesse. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann Hesse e l' «altro». Milano: B. Mondadori 2004. S. 43–56.
DICHTKUNST Nowakowska, Katarzyna: «Prawdzina sztuka czym samotnym.» In: Studia Niemcoznawcze – Studien zur Deutschkunde, Bd. XXV, Warszawa 2003 [«Echte Kunst macht einsam»], S. 659–672. Wildgen, Wolfgang: «Piktoriale» Repräsentationen und Texte: am Beispiel von Hermann Hesse. In: Welten in Zeichen. Sprache, Perspektivität, Interpretation. Hrsg. v. Hans Jörg Sandkühler. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang 2002. 194 S., ill. (Philosophie und Geschichte der Wissenschaften; 52); S. 119–142.
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 209
FRAUEN – FRAUENBILD Irgang, Margrit: «Ach, mich zu lieben bringt Zwiespalt und Bedrängnis!» Die Frauen in Leben und Werk von Hermann Hesse. SWR2, Feature am Sonntag. 25.1.2004, 18.30– 20.00 Uhr. Typoskript, n.pag. (37 S.). Mecocci, Micaela: Die Bedeutung der weiblichen Gestalten in Hermann Hesses Prosa. In Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 1. Hrsg. im Auftrag der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft. Tübingen: Max Niemeyer 2004. S. 73–80. Mecocci, Micaela: Il Femminile in Hermann Hesse: un’assenza surdeterminata? In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann Hesse e l' «altro». Milano: B. Mondadori 2004. S. 65–72.
KRANKHEIT Hertl, Michael und Renate: wie das Knarren eines geknickten Astes: Hermann Hesse in seinem letzten Lebensjahr. In: Hertl, M. u. R.: Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Nikos Kazantzakis. Lebens-Leidens-Jahre mit Leukämie. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004. 130 S.; S. 71–91. Mit 4 Abb.
KUNSTAUFFASSUNG Gröger, Heiko: Hermann Hesses Kunstauffassung auf der Grundlage seiner Rezeptionshaltung. Frankfurt/M: u.a.: Lang 2003. 340 S.
MALEREI Arzeni, Flavia: Hermann Hesse und die Farben der Seele. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 1. Hrsg. im Auftrag der Internationalen Hermann-HesseGesellschaft. Tübingen: Max Niemeyer 2004. S. 95–110. Arzeni, Flavia: Hermann Hesse e i colori dell'animo. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann Hesse e l' «altro». Milano: B. Mondadori 2004. S. 86–96.
MUSIK Günther, Georg: Hesse-Vertonungen. Verzeichnis der Drucke und Handschriften. Marbach: Deutsche Schillergesellschaft 2004. (Deutsches Literaturarchiv. Verzeichnisse, Berichte, Informationen; Band 31). 590 S. Fumagalli, Maddalena: Pablo contra Mozart? Das «magische Theater» der Musik. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 1. Hrsg. im Auftrag der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft. Tübingen: Max Niemeyer 2004. S. 111–120. Fumagalli, Maddalena: Pablo contra Mozart? Il ‘teatro magico’ della musica. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann Hesse e l'«altro». Milano: B. Mondadori 2004. S. 97–105.
ORIENT Cusatelli, Giorgio: Die schwierige Suche nach dem Exotischen. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 1. Hrsg. im Auftrag der Internationalen HermannHesse-Gesellschaft. Tübingen: Max Niemeyer 2004. S. 121–132. Cusatelli, Giorgio: Alla difficile ricerca dell’esotico. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann Hesse e l' «altro». Milano: B. Mondadori 2004. S. 106–114.
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 210 Hsia, Adrian: Hermann Hesse und (das nicht so ferne) Asien. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 1. Hrsg. im Auftrag der Internationalen HermannHesse-Gesellschaft. Tübingen: Max Niemeyer 2004. S. 19–30. Hsia, Adrian: Hermann Hesse e la (non così lontana) Asia. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann Hesse e l' «altro». Milano: B. Mondadori 2004. S. 17–27.
RELIGION Gellner, Christoph: Literatur und Weltreligionen. Östlich-Westliches bei Hesse, Brecht, Grass und Muschg. In: Religion – Literatur – Kunst III. Hrsg. v. Peter Tschuggnall. Anif/Salzburg: Müller-Speiser 2001. 558 S.; S. 344–356.
DIE RHEINLANDE (1900–1922) Brenner, Sabine: «Das Rheinland aus dem Dornröschenschlaf wecken!» Zum Profil der Kulturzeitschrift Die Rheinlande (1900–1922). Düsseldorf: Grupello 2004 (HeinrichHeine-Institut Düsseldorf. Archiv – Bibliothek – Museum; Bd. 10). – Zugl: Düsseldorf: Univ. Diss., 2003. 238 S.; S. 13, 14, 69, 71, 81, 85, 104f., 133f., 146ff., 152ff., 156f., 159– 168, 203.
PSYCHOLOGIE / PSYCHOANALYSE Kory, Beate Petra: Hermann Hesses Beziehung zur Tiefenpsychologie. Traumliterarische Projekte. Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2003. Zugl.: Bukarest, Univ. Diss. 2003. 307 S.
Über Personen FRANZ VON ASSISI Wagner, Fritz: Hermann Hesses biographisches Bekenntnis zu Franz von Assisi. In: Scripturus vitam. Lateinische Biographie von der Antike bis in die Gegenwart. Festgabe für Walter Berschin zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Dorothea Walz. Heidelberg: Mattes 2002. XVII, 1287 S., ill.; S. 567–578.
HUGO BALL Bucheli, Roman: Anarchist, Dadaist und Asket. Eine Ausstellung zu Hugo Ball im HesseMuseum Montagnola. In: Neue Zürcher Zeitung Nr. 142 v. 22.6.2004. Zimmermann, Eva / Bucher, Regina / Echte, Bernhard (Hrsg.): Hugo Ball. Dichter, Denker, Dadaist. [Begleitpublikation zur Ausstellung im Museo Hermann Hesse, Montagnola. 27.5.04–1.2.05]. Wädenswil: Nimbus 2004. 80 S. Zimmermann, Eva: «Das Ganze sehen» – Hugo Ball und Hermann Hesse. In: Zimmermann, Eva / Bucher, Regina / Echte, Bernhard (Hrsg.): Hugo Ball. Dichter, Denker, Dadaist. Wädenswil: Nimbus 2004, S. 62–77.
ALBERT FRAENKEL Weidmann, Bernd: Einfühlsamer Geist und verlässliche Existenz. Der Arzt Albert Fraenkel im Spiegel seiner Patienten Hermann Hesse und Karl Jaspers. In: Drings, P. [et al.] (Hrsg.): Albert Fraenkel. Ein Arztleben in Licht und Schatten. 1864–1938. Landsberg: ecomed 2004; S. 119–154 (bes. 119–137)
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 211
MARIA GEROE-TOBLER Studer-Geisser, Isabella: Hermann Hesse und Maria Geroe-Tobler. Eine Künstlerfreundschaft. In: Vernissage Schweiz. Herbst/Winter 2003/04, S. 46–50.
JULIE HELLMANN (LULU) Michels, Volker: Vom Überdauern einer abgewiesenen Liebe. Hermann Hesses «Lulu» in Kirchheim/Teck. Marbach: Deutsche Schillergesellschaft 2004 («Spuren»; Bd. 57,). 16 S., Abb. Mit einer vierfarbig gedruckten Beilage: Hermann Hesse beim Photographen Otto Hofmann in Kirchheim/Teck. Vollmann, Rolf: Die schöne Nichte des Kronenwirts. «Vom Überdauern einer abgewiesenen Liebe» von Volker Michels. In: Die Zeit Nr. 9 v. 19.2.2004, S. 54.
JOSEF BERNHARD LANG Feitknecht, Thomas: Doktor und Freund. Hesses Verhältnis zu seinem Psychiater Josef Bernhard Lang. In: Neue Zürcher Zeitung Nr. 254 v. 30./31.10.2004.
VOLKER MICHELS Feitknecht, Thomas: Die Erfolgsbücher aus der Familienbäckerei. Ein Besuch bei Volker Michels, dem langjährigen Herausgeber Hermann Hesses. In: Neue Zürcher Zeitung v. 8.8.2004
JOSEF MÜHLBERGER Rothfuss, Uli: Fremd sein in gewalttätiger Zeit. Josef Mühlberger und Hermann Hesse – eine Verwandtschaft im Geiste. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 1. Hrsg. im Auftrag der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft. Tübingen: Max Niemeyer 2004. S. 81–94. Rothfuss, Uli: Stranieri in un'epoca violenta. Joseph Mühlberger e Hermann Hesse: un'affinità spirituale. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann Hesse e l' «altro». Milano: B. Mondadori 2004. S. 73–85.
WILLY STORRER Lienhard, Ralf (Hrsg.): Der Kreis der «Individualität». Willy Storrer im Briefwechsel mit Oskar Schlemmer, Hermann Hesse, Robert Walser und anderen. Bern, Stuttgart, Wien: Haupt 2003. 342 S.; S. 9, 21, 25, 29ff., 45, 47, 107, 117f., 120, 128f., 138ff., 147–150, 168f., 173.175, 178, (315, 320).
PETER SUHRKAMP Schopf, Wolfgang: »So habe ich es also mit dem Buch einfach gewagt« Peter Suhrkamp und sein Jahrzehnt in Frankfurt am Main – Eine Ausstellung des Archivs der Peter Suhrkamp Stiftung an der Universität, StUB 16. Juni bis 25. August 2004. In: UniReport, 3. Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main. 19.5.2004, S. 15.
Hermann-Hesse-Bibliographie 2004 212
VERTONUNGEN Wetzel, Justus Hermann: [26] Lieder von Justus Hermann Wetzel. Gesine Nowakowski (Sopran) und Manfred Schmidt (Klavier). Peter Schöne (Bariton) und Arnaud Arbet (Klavier). Universität der Künste Berlin / Justus Hermann Wetzel Stiftung. Compact Disc. Enthält von Hesse die Titel Frühlingstag, Fiesole, Keine Rast, Für Ninon [hier u. d. Titel: Geist der Liebe].
TONTRÄGER / ELEKTRONISCHE MEDIEN Musik des Einsamen [Tonaufzeichnung]. Beltershausen: Verlag und Studio für Hörbuchproduktionen 2002. 1 Compact Disc (44 Min) (Reihe Lyrik – Gedichte – Balladen). Sprecher: Hans Eckhardt, Musik: Anton Drakl. (ISBN 3–89614–257–7). Tractat vom Steppenwolf. Auszug aus dem Roman »Der Steppenwolf«. Gelesen von Will Quadflieg. Deutsche Grammophon 2004. 1 Compact Disc. Eine ausführliche Hesse-Literatur so wie die Hesse-Jahresbibliographien von 1994–2004 sind im Internet auf der von Prof. Günther Gottschalk betriebenen Hesse-Homepage der University of California, Santa Barbara, zu finden: www.gss.ucsb.edu/projects/hesse/publications/limberg.html.
Siglen-Verzeichnis «AION» «Annali dell'Istituto Orientale di Napoli». GW
Hermann Hesse, Gesammelte Werke in zwölf Bänden, Werkausgabe Edition Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1970.
PMLA «Publications of the Modern Language Association» (USA). SW
Hermann Hesse, Sämtliche Werke (in 20 Bänden), hrsg. von Volker Michels, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2001f.
Die Autoren dieses Bandes Prof. Dr. Flavia Arzeni, Universität Rom ‹La Sapienza› – Fak. Scienze Umanistiche – Villa Mirafiori – via Carlo Fea, 2 – I 00161 Roma Dr. Annedoris Baumann, Università degli Studi di Udine c/o Centro lingistico e audiovisivi, via Zanon 6, I-33100 Udine Prof. Dr. Friedhelm Brusniak, Lehrstuhl für Musikpädagogik Universität Würzburg Wittelsbacherplatz 1 – D-97074 Würzburg Dr. Helga Esselborn-Krumbiegel, Schreibzentrum Kölner Studentenwerk – Universitätsstr. 16 – D 50937 Köln. Prof. Dr. Maddalena Fumagalli, Universität Rom ‹La Sapienza› – Fak. Scienze Umanistiche – Villa Mirafiori – via Carlo Fea, 2 – I 00161 Roma Em. Prof. Dr. Ralph Freedman, University of Princeton Dr. Géza Horváth, Universität Szeged – Germanistisches Institut – Szeged – Egyetem utca 2 – H 6722 Szeged Prof. Dr. Rudolf Koester, Knoxville, Tennessee 37922 USA Dr. Lisa Kreil, Albertina Museum, Albertinaplatz 1, A-1010 Wien – Österreich Michael Limberg, Dechenweg 1 – D 40591 Düsseldorf Dr. Micaela Mecocci, Universität Rom ‹La Sapienza› – Fak. Scienze Umanistiche – Villa Mirafiori – via Carlo Fea, 2 – I 00161 Roma Volker Michels, Hermann Hesse-Editionsarchiv – Friedrichstr. 16, – D 63065 Offenbach Prof. Dr. Klaus-Peter Philippi, Deutsches Seminar der Universität Tübingen, Wilhelmstr. 50, D-72074 Tübingen Prof. Dr. Mauro Ponzi, Universität Rom ‹La Sapienza› – Fak. Scienze Umanistiche – Villa Mirafiori – via Carlo Fea, 2 – I 00161 Roma Dr. Renate Scharffenberg, Herausgeberin der Internet-Zeitschrift www.marburgerforum.de Prof. Dr. Antonio Vitolo, Psychoanalytiker, Il Scuola di Psic. Clinica, Psicologia 1, Uni. Rom «La Sapienza» Prof. Dr. Volker Wehdeking, Hochschule der Medien Stuttgart – Fb3 – Nobelstr. 10 – D70569 Stuttgart