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German Pages 242 Year 2020
Dr. Ulbrich & Kaminski Rechtsanwälte I Notar (Hrsg.)
Heim-Management in der Coronakrise Der Rechtsratgeber
Autorinnen und Autoren Ralf Kaminski Jan Pakirnus Eileen Kemnitz Svenja Foss Steffen Ebert Dr. Stefan Ulbrich Alexandra von Hobe
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Dr. Ulbrich & Kaminski Rechtsanwälte I Notar (Hrsg.)
Heim-Management in der Coronakrise Der Rechtsratgeber
Inhalt Vorwort
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
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Kapitel II • Verwaltungsrecht A. Einschränkungen von Grundrechten und ihre Rechtfertigung durch das Infektionsschutzgesetz B. Rechte und Pflichten der Betreiber von Pflegeeinrichtungen C. Beeinträchtigungen der Leistungserbringung durch das Coronavirus SARS-CoV-2 und Sicherstellung der Versorgung von Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen
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Kapitel III • Arbeitsrecht 71 A. Was geschieht mit dem Vergütungsanspruch der Arbeitnehmer? 72 B. Umgang mit Arbeitnehmern, die aus Risikogebieten zurückkehren 85 C. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besteht kein Anspruch auf Arbeit im Homeoffice 87 D. Reaktionsmöglichkeiten der Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen bei erhöhtem Arbeitsbedarf 88 E. Reaktionsmöglichkeiten der Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen auf verringerten Beschäftigungsbedarf 93 F. Beantragung von Kurzarbeitergeld aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 98 G. Kündigungen als Folge der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Krise 110 H. Welche Präventionsmaßnahmen müssen Arbeitgeber mit Blick auf das Coronavirus SARS-CoV-2 beachten? 122
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Kapitel IV • Sozialrecht/Medizinrecht/Zivilrecht
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Kapitel V • Gewerberecht, Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht157 A. Der Gewerbemietvertrag in Zeiten des Coronavirus SARS-CoV-2157 B. Die Pflicht des Geschäftsführers zur Geschäftsleitung 169 C. Der Geschäftsführer der GmbH in der Krise: Insolvenzantragspflicht 178 Kapitel VI • Gesellschaftsrecht
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Kapitel VII • Zivilrecht/Wirtschaftsrecht A. Pacta Sunt Servanda (lat.; deutsch: Verträge sind einzuhalten) B. Reaktionen des Gesetzgebers auf das Coronavirus SARS-CoV-2 C. Wirtschaftliche Entlastungshilfen
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Vorwort Die Corona-Covid-19-Pandemie hat die ganze Welt und die Trägerinnen und Träger von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen im Griff. Was früher normal war, ist heute undenkbar. Was früher undenkbar war, gehört heute zur Normalität. Die Bürger und Unternehmen akzeptieren mit überwältigender Resonanz die Maßnahmen der Bundes– und Landesregierung. Sowohl in den Medien, in den sozialen Netzwerken als auch auf deutschen Balkonen überbietet sich die Bevölkerung mit Sympathie und Solidaritätsbekundungen für die Pflegekräfte und die Pflegeeinrichtungen. Leider hilft eine derartige Unterstützung nicht in den Zeiten der Corona-Covid-19-Pandemie. Viele Akteure und Fachverbände in der Pflegebranche helfen den Unternehmerinnen und Unternehmern mit großer Tatkraft und Fantasie. Von dort aus werden die Pfeiler unseres Gesundheitssystems gestärkt und beschützt. Das vorliegende Buch versteht sich als Ratgeber für die Trägerinnen und Träger der ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen und möchte einen roten Faden aufzeigen, der sich durch alle denkbaren Rechtsbereiche zieht. Erörtert werden sämtliche Rechtsthematiken, die jetzt eine wichtige Rolle für die Leistungserbringer spielen. Es gibt wichtige Tipps und Ratschläge und weist auf besondere Gefahren und Risiken hin. Bochum, 07. 04. 2020
Die Autoren Rechtsanwalt und Notar Dr. Stefan Chr. Ulbrich, M. A. Rechtsanwalt Ralf Kaminski, LL.M. Rechtsanwältin Alexandra von Hobe Rechtsanwalt Jan Pakirnus Rechtsanwalt Steffen Ebert Rechtsanwältin Eileen Kemnitz Svenja Lea Foss (Assessor jur.)
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Vorwort Die Corona-Covid-19-Pandemie hat die ganze Welt und die Trägerinnen und Träger von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen im Griff. Was früher normal war, ist heute undenkbar. Was früher undenkbar war, gehört heute zur Normalität. Die Bürger und Unternehmen akzeptieren mit überwältigender Resonanz die Maßnahmen der Bundes– und Landesregierung. Sowohl in den Medien, in den sozialen Netzwerken als auch auf deutschen Balkonen überbietet sich die Bevölkerung mit Sympathie und Solidaritätsbekundungen für die Pflegekräfte und die Pflegeeinrichtungen. Leider hilft eine derartige Unterstützung nicht in den Zeiten der Corona-Covid-19-Pandemie. Viele Akteure und Fachverbände in der Pflegebranche helfen den Unternehmerinnen und Unternehmern mit großer Tatkraft und Fantasie. Von dort aus werden die Pfeiler unseres Gesundheitssystems gestärkt und beschützt. Das vorliegende Buch versteht sich als Ratgeber für die Trägerinnen und Träger der ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen und möchte einen roten Faden aufzeigen, der sich durch alle denkbaren Rechtsbereiche zieht. Erörtert werden sämtliche Rechtsthematiken, die jetzt eine wichtige Rolle für die Leistungserbringer spielen. Es gibt wichtige Tipps und Ratschläge und weist auf besondere Gefahren und Risiken hin. Bochum, 07. 04. 2020
Die Autoren Rechtsanwalt und Notar Dr. Stefan Chr. Ulbrich, M. A. Rechtsanwalt Ralf Kaminski, LL.M. Rechtsanwältin Alexandra von Hobe Rechtsanwalt Jan Pakirnus Rechtsanwalt Steffen Ebert Rechtsanwältin Eileen Kemnitz Svenja Lea Foss (Assessor jur.)
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Die Reaktion des Gesetzgebers: Das Pandemiegesetz zur Sicherung der Leistungsträger Ralf Kaminski
I. Einleitung 1. Das Coronavirus SARS-CoV-2 Die ganze Welt dreht sich aufgrund kleiner nicht sichtbarer Moleküle, die mit einer Eiweißhülle umgeben sind, um einiges langsamer. Vom fernen China in die Welt hat das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 nicht nur die deutsche Wirtschaft im Griff. Insbesondere durchlebt unser Gesundheitssystem seit einigen Wochen einen echten Stresstest. Die Solidarität der Bevölkerung zu Zeiten der Ausgangssperren untereinander und mit den Pflegekräften sind beispiellos. Aber was ist mit der Solidarität der Politik mit den Trägerinnen und Trägern von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen? Das Coronavirus SARS-CoV-2 verbreitet sich dynamisch. Das bedeutet, dass die Zahl der positiv auf das Virus getesteten Patienten und somit auch die der krankenhausbehandlungsbedürftigen Personen ansteigt. Zur Sicherstellung der stationären Versorgung ist eine Erhöhung von Bettenkapazitäten für die Behandlung von COVID-19-Erkrankten erforderlich, etwa durch Verschiebung oder Aussetzung planbarer Aufnahmen, Eingriffe oder Operationen oder durch Schaffung zusätzlicher intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten. Ziel ist es, Erlösausfälle sowie Defizite der Krankenhäuser zu vermeiden und die Liquidität der Krankenhäuser kurzfristig sicherzustellen (Entwurf eines Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), Seite 1).
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
Kapitel I • Leistungsträgerrecht
2. Auswirkungen auf die Wirtschaft Die wirtschaftlichen Auswirkungen können dazu führen, dass Menschen vorübergehend erhebliche Einkommenseinbußen erfahren. Dies kann alle Erwerbstätigen betreffen, ist aber insbesondere für Kleinunternehmer und sogenannte Solo-Selbstständige risikobehaftet. Dieser Personenkreis verfügt in aller Regel über begrenzte finanzielle Rücklagen und hat auch keinen Zugang zu anderen Absicherungen wie Arbeitslosen-, Kurzarbeiter- oder Insolvenzgeld. Infolgedessen kann kurzfristig eine existenzbedrohende Situation eintreten. Erhebliche Einkommenseinbußen können aber auch ältere und zeitlich befristet oder dauerhaft voll erwerbsgeminderte Menschen treffen. Dies gilt insbesondere im Falle einer gemischten Bedarfsgemeinschaft, wenn das Einkommen beim Hauptverdienenden wegfällt. Darüber hinaus kann auch bei nicht erwerbsfähigen Menschen durch die COVID-19-Pandemie Einkommen wegfallen. Auch können Berechtigte im Sozialen Entschädigungsrecht betroffen sein (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 1). Praxistipp: Informieren Sie sich frühzeitig über die Ihnen zustehenden Unterstützungsleistungen und Förderleistungen des Bundes und der Länder über das Internet oder bei Ihrem Fachverband.
II. Maßnahmen der Bundesregierung 1. Maßnahmenpaket der Bundesregierung vom 27. 03. 2020 Daher hat die Bundesregierung am 27. 03. 2020 ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen, um möglichst die wirtschaftlichen Folgen abzumildern. Unternehmen erhalten finanzielle Hilfe in un-
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
2. Überblick über die neuen Regelungen Zudem werden die Regelungen zum Kurzarbeitergeld reformiert. Die Änderungen zum Kurzarbeitergeld finden sich im Entwurf eines Gesetzes zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld (Drucksache 19/17893). Hierfür wird es erleichterte Zugangsvoraussetzungen geben. Insbesondere wird das Quorum bezüglich der vom Arbeitsausfall betroffenen Beschäftigten im Betrieb auf bis zu 10% abgesenkt. Ein weiteres Problem ist der ansonsten zwingend erforderliche Abbau von Überstunden. Hierauf verzichtet der Gesetzgeber, da durch diverse Krankmeldungen rein faktisch kaum Überstunden abgebaut werden könnten. Kurzarbeitergeld wird es darüber hinaus künftig auch für Leiharbeitnehmer geben. Zudem werden sogar die Beiträge zur Sozialversicherung erstattet. Träger der Erstattung ist die Bundesagentur für Arbeit. Die für die Pflegebranche einschlägigen Gesetze und Verordnungen sind: • Gesetz zur Verlängerung und Verbesserung der Regelungen über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn • Gesetz zur Errichtung eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds (Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetz) • Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht • Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket) • Gesetz zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz)
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
begrenzter Höhe. Die maßgeblichen Hilfen können über die Seiten der jeweiligen Wirtschaftsministerien der Bundesländer abgerufen werden. Daneben haben die Unternehmen die Möglichkeit, steuerliche Vorteile zu beantragen, wie zum Beispiel die Stundung einer Steuerlast oder die Herabsenkung einer Einkommenssteuervorauszahlung.
• Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite • Verordnung über Erleichterungen der Kurzarbeit (Kurzarbeitergeldverordnung – KugV) • Erste Verordnung zur Änderung der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung. Praxistipp: Bitte bedenken Sie, dass diese Gesetze die Pandemie nur kurzfristig und befristet bekämpfen sollen. Daher hat der Gesetzgeber auch eine kurze Geltungsdauer vorgesehen, die gegebenenfalls verlängert werden kann. Bitte seien Sie daher vorsichtig. Es kann sein, dass in ein paar Monaten die hier dargelegten Regelungen schon nicht mehr greifen, da sie außer Kraft getreten sind.
Bereits kurz nach Ausbrechen der Pandemie hat die Bundesregierung ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen, um möglichst die wirtschaftlichen Folgen abzumildern. Insbesondere bedroht die durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 verursachte Pandemie in besonderem Maße die Gesundheit der Pflegebedürftigen in Deutschland, die aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen in der Regel ein deutlich erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der Krankheit haben. Aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pflegeund Betreuungseinrichtungen sowie der Medizinischen Dienste sind durch das Virus gefährdet. Persönliche Kontakte der Prüferinnen und Prüfer, der Gutachterinnen und Gutachter sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pflegekassen mit Pflegebedürftigen sollen daher während der Pandemie soweit wie möglich vermieden werden. Auch für die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung stellt die durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 verursachte Pandemie eine große Herausforderung dar. Aufgrund von Erkrankungen, Quarantäne sowie der Schließung von Schulen und Kitas ist nicht auszuschließen, dass Pflegeeinrichtungen mit der Situation konfrontiert werden, die vertraglich vereinbarten Personalstandards und Quali-
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
III. COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz 1. Grundlagen zum COVID 19-Krankenhausentlastungsgesetz Diverse bundes- und landesweite Gesetze und Verordnungen regeln den Kampf gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Auf der Ebene des Bundes ist insbesondere das Gesetz zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz) maßgeblich. Das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes schafft für die Pflegedienste, Tagespflegen und vollstationäre Einrichtungen ein Schutzschirm. Dieser soll den wirtschaftlichen Bestand der Pflegeeinrichtungen absichern. Die Erfahrungen der Wirtschaftskrise 2008 haben die politischen Akteure direkt handeln lassen, was sehr zu begrüßen ist. Derzeit laufen Verhandlungen der Verbände der Leitungserbringer mit dem GKV-Spitzenverband wie im Rahmen eines Kostenerstattungsverfahrens außerordentliche Aufwendungen sowie Mindereinnahmen der Pflegeeinrichtungen und -dienste erstattet werden sollen. Auch für die Tagespflegen wird es eine finanzielle Kompensation ge-
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
fikationsanforderungen nicht einhalten und Pflegebedürftige nicht ausreichend versorgen zu können. Aus diesem Grund sollen alle verfügbaren Pflege- und Betreuungskräfte der Einrichtungen daran mitarbeiten, die pflegerische Versorgung aufrecht zu erhalten. Während der Pandemie sollen daher keine Personalkapazitäten für Maßnahmen der externen Qualitätssicherung eingesetzt werden. Zudem stellt die Pandemie Pflegeeinrichtungen durch Mehrausgaben und Einnahmeausfälle vor finanzielle Herausforderungen (Entwurf eines Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), Seite 3)
ben. Fest steht bereits jetzt, dass es ein Antragsverfahren geben wird, das angemessene Antragsfristen enthält. Ferner sollen sogar Anträge rückwirkend beschieden werden. Hier gilt der Dank der Branche den Verhandlungspartnern aufseiten der Leitungserbringer.
2. Änderungen des SGB XI durch das COVID19-Krankenhausentlastungsgesetz Das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz hat darüber hinaus einige Änderungen des SGB XI zum Inhalt. Der Gesetzgeber hat diverse Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der pflegerischen Versorgung während der durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Pandemie ergriffen. Insbesondere werden folgende Regelungen des SGB XI neu gefasst: • § 147 SGB XI: Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach § 18 SGB XI • § 148 SGB XI: Beratungsbesuche nach § 37 SGB XI • § 149 SGB XI: Einrichtungen zur Inanspruchnahme von Kurzzeitpflege • § 150 SGB XI: Sicherstellung der pflegerischen Versorgung, Kostenerstattung für Pflegeeinrichtungen und Pflegebedürftige • § 151 SGB XI: Qualitätsprüfungen nach § 114 SGB XI • § 152 SGB XI: Verordnungsermächtigung.
3. Aussetzung von Qualitätsprüfungen Das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz setzt in § 151 SGB XI für ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen die Qualitätsprüfungen gemäß §§ 114b, 114c, 151 SGB XI und § 275b Absatz 4 SGB V die Regelprüfungen befristet bis zum 30. 09. 2020 aus. Anlassprüfungen bleiben davon unberücksichtigt. Gerade erst im Oktober 2019 ist bei den vollstationären Pflegeeinrichtungen das neue Qualitätssystem eingeführt worden, was zu einer neuen Qualitätsprüfung geführt hat. Gerade in der laufenden Einführungsphase hat der Gesetzgeber den damit einhergehenden
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
4. Begutachtungen durch den MDK Ferner gibt es Änderungen bei der Durchführung von Begutachtungen gemäß § 147 SGB XI. Um die Pflegebedürftigen vor Infektionen zu schützen, werden bis zum 30. September 2020 Gutachten für die Begutachtung von Pflegebedürftigkeit auf Basis der Aktenlage durchgeführt. Ebenfalls müssen die Gutachterinnen und Gutachter zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit und Einstufung in einen Pflegegrad strukturierte Interviews führen. Diese sollen nicht persönlich, sondern telefonisch oder digital durchgeführt werden. Befragt werden die Bevollmächtigte, rechtliche Betreuer und Angehörige der Antragsteller. Ebenfalls sollen sonstige zur Auskunft fähige Personen, wie Ärzte des Antragstellers, Mitarbeitende des bisherigen Pflegedienstes oder Nachbarn, interviewt werden. Die Durchführung von Wiederholungsbegutachtungen wird gemäß § 147 Absatz 2 SGB XI bis einschließlich 30. September 2020 ausgesetzt. Die gegenwärtig für alle antragstellenden Personen geltende Regelung, dass der Bescheid der Pflegekasse innerhalb von 25 Arbeitstagen erteilt werden muss, wird auf diejenigen Fälle konzentriert, bei denen ein besonders dringlicher Entscheidungsbedarf besteht. Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen wird beauftragt, für die Klärung eines besonders dringlichen Entscheidungsbedarfs unter
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
Mehraufwand gestoppt. Derzeit werden daher die mit der Erhebung und Übermittlung der indikatorenbasierten Qualitätsdaten verbunden Fristen in § 114b Absatz 1 und 2 SGB XI um jeweils sechs Monate verschoben. Dieser Schritt stellt eine wirkliche Erleichterung für die Pflegeeinrichtungen dar. Die Einführungsphase endet daher erst mal am 31. Dezember 2020. Die gesetzlich vorgeschriebene Datenerhebung soll bis dahin an die Datenauswertungsstelle übermittelt werden. Somit erfolgt die Veröffentlichung der Qualitätsdaten gemäß Qualitätsdarstellungsvereinbarung erst ab dem 1. Januar 2021. Der zweijährige Prüfrhythmus beginnt daher auch nach § 114c Absatz 1 Satz 1 SGB XI ab dem 1. Juli 2021.
Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen bundeseinheitliche Kriterien und Anwendungshinweise festzulegen.
5. Pflegegeld Gemäß § 148 SGB XI darf die Pflegekasse oder die private Pflegeversicherung das Pflegegeld abweichend von § 37 Absatz 6 SGB XI nicht kürzen oder entziehen, wenn der Pflegebedürftige in dem Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis einschließlich 30. September 2020 keine Pflegeberatung nach § 37 Absatz 3 Satz 1 SGB XI abruft. Die Pflegekassen und die privaten Pflegeversicherungen haben diese Ausnahmeregelung den Pflegegeldempfängern kurzfristig in geeigneter Form zur Kenntnis zu bringen. Der Grund hierfür ist natürlich die Vermeidung von Ansteckungsgefahren. Diese Regelung hat einen finanziellen positiven Effekt auf Pflegeeinrichtungen. Denn sie erhalten durch diese Regelung die Sicherheit, dass pandemiebedingte finanzielle Mehrausgaben oder Mindereinnahmen von der Pflegeversicherung erstattet werden.
6. Sicherstellung der pflegerischen Versorgung und Kostenerstattung gemäß § 150 SGB XI Die wichtigste Regelung für Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen ist die Neufassung des § 150 SGB XI. Diese Regelung soll die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung, Kostenerstattung für Pflegeeinrichtungen und Pflegebedürftige garantieren.
a) Anzeigepflicht wesentlicher Beeinträchtigungen Nach § 150 Absatz 1 SGB XI ist im Fall einer wesentlichen Beeinträchtigung der Leistungserbringung infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 der Träger einer mit einem Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI zugelassenen Pflegeeinrichtung verpflichtet, diese umgehend den Pflegekassen gegenüber anzuzeigen. Es genügt die
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
aa) Personaleinsatz Dabei sind zum flexiblen Einsatz des Personals in anderen Versorgungsbereichen alle bestehenden Instrumente und Mittel einschließlich des Vertragsrechts zu nutzen, bei denen zulassungsrechtliche Voraussetzungen zweckgerichtet und unbürokratisch angewandt werden können. Dies gilt auch für den Einsatz von Beschäftigten für die Leistungen der zusätzlichen Betreuung nach § 43b in anderen Bereichen.
bb) Wesentliche Beeinträchtigungen Nach dem Willen des Gesetzgerbers hat danach die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung der Pflegebedürftigen oberste Priorität. Deshalb werden alle durch einen Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI zugelassenen ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen verpflichtet, bei einer wesentlichen Beeinträchtigung ihrer Leistungserbringung infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 diese umgehend gegenüber den Pflegekassen anzuzeigen. Hierbei genügt die Anzeige gegenüber einer als Partei des Versorgungsvertrages ausgewiesenen Pflegekasse, beispielsweise der federführenden Pflegekasse bei der Zulassung. Wesentliche Beeinträchtigungen der Leistungserbringung können sein: z. B. nicht kompensierbare krankheits- oder quarantänebedingte Ausfälle des Personals der Pflegeeinrichtung, ein höherer Aufwand bei der Versorgung von durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 erkrankten Pflegebedürftigen, pandemiebedingte Mindereinnahmen im Rahmen ihrer Leistungserbringung oder auch
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
Anzeige an eine als Partei des Versorgungsvertrages beteiligte Pflegekasse. In Abstimmung mit den weiteren hierbei zuständigen Stellen, insbesondere den nach Landesrecht bestimmten heimrechtlichen Aufsichtsbehörden, haben die Pflegekassen zusammen mit der Pflegeeinrichtung zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung die erforderlichen Maßnahmen und Anpassungen vorzunehmen, wobei auch von der vereinbarten Personalausstattung einschließlich deren gesetzlichen Bestimmungen nach diesem Buch abgewichen werden kann.
erhöhte Anforderungen durch eine behördlich angeordnete Isolation bzw. Quarantäne. (Entwurf eines Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19- Krankenhausentlastungsgesetz), Seite 40).
cc) Einzelfallprüfungen durch die Pflegekassen Ziel der unmittelbaren Information an die Pflegekassen ist, dass diese als Vertragspartei der Zulassung zusammen mit den betreffenden Pflegeeinrichtungen für den Einzelfall in der aktuellen Situation prüfen müssen, ob die pflegerische Versorgung der den Pflegeeinrichtungen anvertrauten Pflegebedürftigen sichergestellt ist oder welche individuellen Maßnahmen und Lösungen vor Ort erforderlich sind. Dieses hat in Abstimmung mit den weiteren zuständigen Stellen wie den heimrechtlichen Aufsichtsbehörden und den Gesundheitsämtern zu erfolgen. Dabei kann insbesondere von den gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben und Rahmenbedingungen zur Personalausstattung für die Aufrechterhaltung der weiteren Versorgung der Pflegebedürftigen abgewichen werde (Entwurf eines Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), Seite 40).
b) Kostenerstattungsanspruch gemäß § 150 Absatz 2 SGB XI Nach § 150 Absatz 2 SGB XI werden den mit einem Versorgungsvertrag gemäß § 72 SGB XI zugelassenen Pflegeeinrichtungen die ihnen infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 anfallenden, außerordentlichen Aufwendungen sowie Mindereinnahmen im Rahmen ihrer Leistungserbringung, die nicht anderweitig finanziert werden, erstattet.
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Der Anspruch auf Erstattung kann gegenüber einer Pflegekasse regelmäßig zum Monatsende geltend gemacht werden. Die Auszahlung des gesamten Erstattungsbetrages hat innerhalb von 14 Kalendertagen über eine Pflegekasse zu erfolgen. Die Auszahlung kann vorläufig erfolgen. Für zugelassene Pflegeeinrichtungen, die eine vertragliche Regelung der Pflegevergütung nach den §§ 85 und 89 SGB XI abgeschlossen haben, findet § 85 Absatz 7 SGB XI insoweit keine Anwendung. Dabei sind bei Unterschreitungen der vereinbarten Personalausstattung keine Vergütungskürzungsverfahren nach § 115 Absatz 3 Satz 1 SGB XI durchzuführen.
bb) Kostenerstattungsverfahren Der Gesetzgeber hat daher ein gesondertes Kostenerstattungsverfahren in das SBG XI aufgenommen, damit die finanziellen Einbußen schnell und unkompliziert abgemildert und kompensiert werden können. Von der durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Pandemie betroffene Pflegeeinrichtungen erhalten einen Anspruch auf Kostenerstattung gegenüber der Pflegeversicherung für ihre außerordentlichen Aufwendungen und Mindereinnahmen, die im Rahmen ihrer Leistungserbringung einschließlich Leistungen für Unterkunft und Verpflegung entstehen. Ausgenommen sind Positionen, die anderweitig (z. B. über Kurzarbeitergeld, Entschädigung über Infektionsschutzgesetz) finanziert werden. Eine Doppelfinanzierung ist hierbei auszuschließen. Dieser Anspruch besteht unabhängig von einer Anzeige nach § 150 Absatz 1 SGB XI. Dabei ist es für den Anspruch zudem unerheblich, ob die zugelassene Pflegeeinrichtung eine Vergütungsvereinbarung mit den Pflegekassen abgeschlossen oder darauf verzichtet hat. (Entwurf eines Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), Seite 41 f.).
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aa) Anspruch der Pflegeeinrichtungen
cc) Inhalt der Kostenerstattung Zu den außerordentlichen Aufwendungen im Rahmen der Leistungserbringung gehören insbesondere solche im Zusammenhang mit den infektionshygienischen Schutzvorkehrungen der Mitarbeitenden (Einmalmaterial, Desinfektionsmittel) oder zusätzliche Personalaufwendungen für Ersatzpersonal oder Mehrarbeitsstunden, wenn Ausfälle von krankheits- oder quarantänebedingt abwesendem Personal kompensiert werden müssen. Ebenso können Einrichtungen von pandemiebedingten Mindereinnahmen betroffen sein, wenn z. B. Tagespflege- oder Kurzzeitpflegegäste ihre geplanten Aufenthalte in Einrichtungen dauerhaft absagen oder Kunden ambulanter Pflege- und Betreuungsdienste ihre Leistungsinanspruchnahme zum Zwecke der sozialen Distanzierung reduzieren. Hieraus können für die Pflegeeinrichtungen wirtschaftlich schwierige Situationen entstehen bis hin zur Gefahr einer Insolvenz, die es hinsichtlich der Sicherstellung der pflegerischen Versorgung zu vermeiden gilt (Entwurf eines Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), Seite 41 f.).
dd) Geltendmachung zum Monatsende Für das Erstattungsverfahren ist vorgesehen, dass die Pflegeeinrichtungen zum Monatsende ihren Anspruch bei einer Pflegekasse geltend machen können, die Partei des Versorgungsvertrages ist. Für die Auszahlung der Erstattung ist vorgegeben, dass diese insgesamt über eine Pflegekasse an die Einrichtung innerhalb von 14 Kalendertagen zu erfolgen hat, damit eine Vorfinanzierung der Pflegeeinrichtung zeitlich auf maximal sechs Wochen begrenzt wird. Davon unabhängig können Pflegeeinrichtungen mehrere Monate in ihrem Antrag zusammenfassen. (Entwurf eines Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), Seite 41 f.).
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Prüfen Sie Ihre Erstattungsmöglichkeiten und stellen Sie entsprechende Anträge. Hierbei können Sie sich von Ihrem Fachverband oder durch spezialisierte Rechtsanwälte beraten lassen.
ee) Neuverhandlungen der Pflegevergütung gemäß §§ 85 und 89 SGB XI Für zugelassene Pflegeeinrichtungen, die eine vertragliche Regelung der Pflegevergütung nach den §§ 85 und 89 SGB XI abgeschlossen haben, wird ausdrücklich im Gesetz die Möglichkeit zur Neuverhandlung vor Ablauf der Laufzeit der geltenden Pflegesatz- bzw. Vergütungsvereinbarung wegen der durch das neuartige Coronavirus SARSCoV-2 bedingten Veränderungen ausgeschlossen, da mit dem in § 150 Absatz 2 Satz 1 SGB XI vorgesehenen Erstattungsantrag die Pflegeversicherung die entstehenden Kosten vollständig übernimmt. Insofern werden Pflegebedürftige und die zuständigen Sozialhilfeträger mit diesen Kosten nicht belastet (Entwurf eines Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), Seite 41 f.). Praxistipp: Prüfen Sie, ob aufgrund der Coronakrise die Vergütung neu verhandelt werden muss. Die Bekämpfung gegen das Virus kostet Geld, das Ihnen die Kostenträger zur Verfügung stellen wollen.
7. Kein Vergütungskürzungsverfahren nach § 115 Absatz 3 Satz 1 SGB XI Angesichts der hohen Priorität der Versorgungssicherstellung wird während der durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 beding-
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Praxistipp:
ten Lage ausdrücklich angeordnet, dass die Pflegekassen bei Unterschreitungen der in den Pflegeeinrichtungen nach § 84 Absatz 5 Satz 2 Nummer 2 SGB XI vereinbarten Personalausstattung kein Vergütungskürzungsverfahren nach § 115 Absatz 3 Satz 1 SGB XI durchzuführen haben (Entwurf eines Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), Seite 41 f.).
8. Ausgestaltung des Kostenerstattungsverfahrens Gemäß § 150 Absatz 3 SGB XI legt der Spitzenverband Bund der Pflegekassen im Benehmen mit den Bundesvereinigungen der Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen unverzüglich das Nähere für das Erstattungsverfahren und die erforderlichen Nachweise für seine Mitglieder fest. Dabei sind gemessen an der besonderen Herausforderung von allen Beteiligten pragmatische Lösungen in der Umsetzung vorzusehen. Die Festlegungen bedürfen der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit. Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit regelmäßig über die Ausgabenentwicklung. Mit dieser Regelung bezweckt der Gesetzgeber die Beauftragung des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen, um unverzüglich, möglichst zum Inkrafttreten der Regelung das Erstattungsverfahren in den einzelnen Bundesländern einschließlich der Fragen zu erforderlichen Nachweisen möglichst einheitlich und praktikabel zu regeln. Um das gesetzgeberische Ziel einer schnellen finanziellen Entlastung von betroffenen Pflegeeinrichtungen wirksam umzusetzen, sind hierbei einfache Belege für die zur Erstattung beantragten Aufwendungen und Mindereinnahmen vorzusehen. Die getroffenen Festlegungen des Spitzenverband Bund der Pflegekassen erfordern die Zustimmung durch das Bundesministerium für Gesundheit (Entwurf eines Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), Seite 42).
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
Besonderheiten gelten beim Kostenerstattungsverfahren hinsichtlich der ambulanten Pflegedienste, da diese in der Regel neben der Zulassung nach § 72 SGB XI auch eine Zulassung nach § 132 ff. SGB V besitzen, um häusliche Krankenpflege zu erbringen. Nach § 150 Absatz 4 SGB XI tragen bei ambulanten Pflegeeinrichtungen die gesetzlichen Krankenkassen und die soziale Pflegeversicherung die nach § 150 Absatz 2 SGB XI entstehenden Erstattungen entsprechend des Verhältnisses der Ausgaben im vorangegangenen Kalenderjahr der Krankenkassen für die häusliche Krankenpflege zu den Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung für Pflegesachleistungen. Die privaten Versicherungsunternehmen, die die private Pflege-Pflichtversicherung durchführen, beteiligen sich mit einem Anteil von 7 Prozent an den Kosten, die sich gemäß § 150 Absatz 2 SGB XI ergeben. Letztlich hat der Gesetzgeber in § 150 Absatz 5 SGB XI geregelt, dass die Pflegekassen nach ihrem Ermessen zur Vermeidung von durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 im Einzelfall im häuslichen Bereich verursachten pflegerischen Versorgungsengpässen, Kostenerstattung in Höhe der ambulanten Sachleistungsbeträge nach § 36 SGB XI nach vorheriger Antragstellung gewähren, wenn die Maßnahmen nach § 150 Absatz 1 Satz 3 SGB XI nicht ausreichend sind; dabei haben sie vorrangig Leistungserbringer zu berücksichtigen, die von Pflegefachkräften geleitet werden. Entsprechende Kostenerstattungszusagen sind jeweils auf bis zu drei Monate zu begrenzen. Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen legt Einzelheiten dazu in Empfehlungen fest. Die Pflegekassen können bei Bedarf bereits vor dem Vorliegen der Empfehlungen Kostenerstattungen zusagen. Die Pflegekassen können aus wichtigen Gründen die Kostenerstattungszusage jederzeit widerrufen. Somit räumt der Gesetzgeber den Pflegekassen einen weiteren Gestaltungsspielraum zur Vermeidung von pflegerischen Versorgungslücken in der häuslichen Versorgung ein. Sie sollen diesen abgestuft nutzen können: Je größer die Versorgungsprobleme werden, desto
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
9. Besonderheiten für ambulante Pflegedienste
unbürokratischer soll die Versorgung möglich sein. Vorrangig ist auf Leistungserbringer, die von Pflegefachkräften geleitet werden, zurück zu greifen insbesondere Tagespflegeeinrichtungen, die wegen des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 geschlossen werden mussten. Sodann ist auf andere Leistungserbringer, wie Betreuungsdienste, andere medizinische Leistungserbringer und zuletzt auf Nachbarinnen und Nachbarn zurück zu greifen. Für die häusliche Versorgung durch Angehörige und vergleichbar Nahestehende sieht das Recht der Pflegeversicherung die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Pflegegeldleistung vor. Dies soll nicht geändert werden (Entwurf eines Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), Seite 42). Praxistipp Beachten Sie die Besonderheiten für ambulante Pflegeeinrichtungen. Spezielle Beratungsangebote bietet der Fachverband oder spezialisierte Rechtsanwälte an.
10. Ermessen der Pflegekassen Die Frage, welche Vergütungssätze im Rahmen der Kostenerstattung berücksichtigungsfähig sind, steht im Ermessen der Pflegekassen und sollte auch Gegenstand der Empfehlungen des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen sein. Die Vergütungssätze sollten entsprechend der jeweils in Anspruch genommenen Leistung abgestuft sein (z. B. für eine Tagespflegeeinrichtung oder für ambulante Pflegedienste jeweils in Anlehnung an mit den Kassen vereinbarte Vergütungssätze). (Entwurf eines Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), Seite 42).
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Die Widerrufsmöglichkeit besteht insbesondere für den Fall, dass die Versorgung der Pflegebedürftigen nicht angemessen erfolgt. Die Empfehlungen sollen insbesondere auch mögliche Auflagen und Bedingungen, die in Kostenübernahmezusagen enthalten sein können, und Aussagen zur Vergütungshöhe sowie zur Qualitätssicherung enthalten. Dazu können regelmäßige telefonische Kontakte mit den Pflegebedürftigen, Angehörigen oder Betreuern gehören (Entwurf eines Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), Seite 42).
IV. D as Sozialschutz-Paket 1. Sozialschutz-Paket Neben dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz ist auch das Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket) maßgeblich für Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen.
2. Sicherstellung der pflegerischen Versorgung Gerade die sozialen Dienstleister in Deutschland sollen sich aktiv in die Bewältigung der Auswirkungen der Coronavirus-Krise einbringen. Sie werden im Rahmen ihrer Aufgaben von den jeweils zuständigen Leistungsträgern aufgefordert, mit ihnen abgestimmte konkrete Beiträge zur Bewältigung der Auswirkungen der Coronavirus SARSCoV-2 Krise zu identifizieren und, soweit sie geeignet, zumutbar und rechtlich zulässig sind, auch umzusetzen. Die Leistungsträger sollen dafür ab sofort den Bestand der sozialen Dienstleister sicherstellen. Voraussetzung hierfür ist, dass die sozialen Dienstleister erklären, alle ihnen nach den Umständen zumutbaren und rechtlich zulässigen Möglichkeiten auszuschöpfen, um zur Bewältigung der Auswir-
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11. Widerrufsmöglichkeit
kungen der Pandemie beizutragen. Hierzu stellen sie Arbeitskräfte, Räumlichkeiten und Sachmittel zur Verfügung, die hierfür geeignet und einsetzbar sind, insbesondere in der Pflege, und in sonstigen gesellschaftlichen und sozialen Bereichen (z. B. die Unterstützung bei Einkäufen, Begleitung bei Arztbesuchen, telefonische Beratung in Alltagsangelegenheiten). Erfordert die Coronavirus SARS-CoV-2 Krise auch den Einsatz in anderen Bereichen (z. B. Logistik für die Lebensmittelversorgung oder Erntehelfer), kann die Erklärung im Rahmen der rechtlich zulässigen Möglichkeiten und der Zumutbarkeit auch auf diese Bereiche ausgedehnt werden. Durch den Sicherstellungsauftrag wird eine Rechtsgrundlage geschaffen, durch welche die Leistungsträger weiterhin an die sozialen Dienstleister zahlen können und zwar unabhängig davon, ob diese ihre bisherige Leistung tatsächlich ausführen oder nicht. Der Sicherstellungsauftrag soll durch sachlich subsidiäre und zeitlich begrenzte monatliche Zuschüsse der Leistungsträger an die sozialen Dienstleister erfolgen. Der Sicherstellungsauftrag umfasst alle sozialen Dienstleister, die mit den Leistungsträgern im maßgeblichen Zeitpunkt des Inkrafttretens von Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz in Leistungsbeziehungen stehen. (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 3). Die sozialen Dienstleister sollen unter Ausschöpfung aller nach den Umständen zumutbaren Möglichkeiten sowie unter Berücksichtigung rechtlicher Rahmenbedingungen (z. B. arbeitsrechtliche Bestimmungen) Arbeitskräfte, Räumlichkeiten und Sachmittel in Bereichen zur Verfügung stellen, die für die Bewältigung von Folgen der Pandemie einsetzbar sind, insbesondere in der Pflege, und in sonstigen gesellschaftlichen und sozialen Bereichen. Zugleich sollen sie vor den Auswirkungen der Corona-Krise geschützt werden, damit sie nicht dauerhaft in ihrem Bestand gefährdet sind und ihre Dienstleistungen nach Aufhebung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen wiederaufnehmen können. (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung
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V. D as Sozialdienstleister-Einsatzgesetz 1. Sozialdienstleister-Einsatzgesetz – SodEG Aus diesem Grund hat das Sozialschutz-Paket einen Artikel 10, der ein eigenes Gesetz über den Einsatz der Einrichtungen und sozialen Dienste zur Bekämpfung der Coronavirus SARS-CoV-2 Krise in Verbindung mit einem Sicherstellungsauftrag enthält. Dieses Gesetz heißt abgekürzt (Sozialdienstleister-Einsatzgesetz – SodEG).
2. Gewährung von Zuschüssen an Einrichtungen und soziale Dienste außerhalb des SGB V und SGB XI Das SodEG regelt die Voraussetzungen für die Gewährung von Zuschüssen an Einrichtungen und soziale Dienste zur Bekämpfung der Coronavirus SARS-CoV-2 Krise. In Abstimmung mit den für sie zuständigen Leistungsträgern sollen die Einrichtungen und sozialen Dienste konkrete Beiträge zur Bewältigung von Auswirkungen der Pandemie identifizieren und - soweit sie geeignet, zumutbar und rechtlich zulässig sind - auch umsetzen. Hiermit wird der besonderen Stellung der sozialen Dienstleister für den Sozialraum Rechnung getragen: Einerseits ist die Erbringung fürsorgerischer und sozialer Dienste aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen beeinträchtigt, andererseits sind die von sozialen Dienstleistern vorgehaltenen Kapazitäten unbedingt erforderlich, um vor Ort die notwendigen Hilfeleistungen sicherstellen zu können. Im Gegenzug muss gesetzlich sichergestellt werden, dass der Bestand der sozialen Dienste und Einrichtungen in diesem Zeitraum nicht gefährdet ist (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 34).
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sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 17).
Aufgrund der bundesweit ergriffenen Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz ist der Bestand dieses Netzwerks an sozialen Dienstleistern (Sozialraum) gefährdet. Im Falle des Verlustes sozialer Dienstleister könnten die gesetzlich vorgesehenen von den Leistungsträgern bewilligten sozialen und fürsorgerischen Leistungen künftig nicht mehr erbracht werden. (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 34). Praxistipp Bitte beachten Sie, dass nicht nur ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen nach dem SGB XI oder SGB V geförderte werden. Der Kreis der privilegierten Unternehmen ist wesentlich größer und reicht von Einrichtungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX bis zum Fachseminar für Altenpflege.
3. Sicherstellungsauftrag der Leistungsträger für die sozialen Dienstleister Mit dem SodEG regelt der Gesetzgeber einen besonderen Sicherstellungsauftrag der Leistungsträger für die sozialen Dienstleister, die Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern und anderen Gesetzen erbringen. Dieser besondere Sicherstellungsauftrag gilt nur, soweit die sozialen Dienste und Einrichtungen nicht mit vorrangigen verfügbaren Mitteln ihren Bestand absichern können, und nicht für die Leistungsträger nach dem SGB V und SGB XI (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 34). Der besondere Sicherstellungsauftrag verursacht für die Leistungsträger grundsätzlich keine Mehrkosten gegenüber den bisher erwarteten Ausgaben. Die Wirkung der Regelung ist, dass das
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4. Ausnahme von Leistungserbringen nach dem SGB V und SGB XI Die Leistungsträger der Gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) und der Sozialen Pflegeversicherung (SGB XI) sind von Artikel 10 ausgenommen. Regelungen zur Sicherstellung der stationären Versorgung, der vertragsärztlichen Versorgung sowie der pflegerischen Versorgung im Rahmen der durch die Coronavirus SARS- CoV-2 Krise besonderen Situation werden im Gesetz zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen auf die besonderen Belange zugeschnitten geregelt. Im Sinne der Sicherstellung der Versorgung sowie dem Erhalt der Strukturen wird zeitnah geprüft, ob darüber hinausgehende Maßnahmen für weitere Leistungserbringer erforderlich sind und zeitnah im Rahmen eines weiteren Gesetzgebungsverfahrens aufgenommen oder über die neu geschaffenen Regelungen des Infektionsschutzgesetzes umgesetzt werden sollen. (Entwurf eines Gesetzes für
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Haushaltsmittel nicht für die Erbringung von Leistungen, sondern für die Sicherstellung der Existenz der Dienstleister erbracht wird. Der besondere Sicherstellungsauftrag für soziale Dienstleister greift im Übrigen nur subsidiär gegenüber vorrangigen Möglichkeiten der Bestandssicherung (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 34). Er greift erst für soziale Dienstleister, wenn diese in ihrem Bestand gefährdet sind; soweit ein Dienstleister seine originären Aufgaben auch in der Coronavirus SARS-CoV-2 Krise weiter erfüllt und dafür Vergütungen erhält, ist die Inanspruchnahme des Sicherstellungsauftrages und damit die Abgabe der Erklärung zur Bereitstellung seiner Kapazitäten zur Krisenfolgenbewältigung nicht erforderlich. (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 34).
den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 34 f.).
5. Sachliche Zuständigkeit Das SodEG greift daher insbesondere für Werkstätten für behinderte Menschen, Inklusionsbetriebe, Leistungserbringer der Eingliederungshilfe, Dienste für Kinder und Jugendliche, Frauen, Familien, Seniorinnen und Senioren, Rehabilitationsdienste und -einrichtungen und Träger von arbeitsmarktpolitischen Leistungen und von Integrations- und Sprachkursen. Der Sicherstellungsauftrag wird in Form von nicht rückzahlbaren Zuschusszahlungen ausgestaltet. Die Zuschüsse sind Leistungen besonderer Art, die nicht dem Vertrags- oder Zuwendungsrecht unterfallen. Die Höhe der Zuschüsse ergibt sich aus einer Durchschnittsbetrachtung, die sich im Regelfall über ein Jahr oder auch über kürzere Zeiträume erstreckt.
6. Zuständigkeit und Geltungsdauer Das SodEG regelt unter § 5 die Zuständigkeit und Geltungsdauer. Die Bundesländer bestimmen die zuständigen Behörden für die Aufgabenwahrnehmung nach diesem Gesetz, soweit sich auch die Zuständigkeit der Leistungsträger für die Aufgabenausführung im Sozialgesetzbuch nach Landesrecht richtet; dabei können die Länder auch eine gegenüber § 3 Satz 5 nach oben abweichende Höchstgrenze für die Zuschusshöhe bestimmen. In NRW hat z. B. die Landesregierung das Gesetz zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19-Pandemie in Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung des Landesrechts im Hinblick auf die Auswirkungen einer Pandemie entworfen, welches die Zuständigkeiten regelt. Der Entwurf stammt vom 28. 03. 2020 und soll im April im Landtag kurzfristig verabschiedet werden. Der besondere Sicherstellungsauftrag der übrigen Leitungsträger, die nach dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz nicht gefördert werden, endet zum 30. September 2020. Die Bundesregierung
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7. Einsatz sozialer Dienstleister zur Krisenbewältigung § 1 des SodEG regelt den Einsatz sozialer Dienstleister zur Krisenbewältigung. Die Gewährung von Zuschüssen nach diesem SodEG ist davon abhängig, dass der soziale Dienstleister mit der Antragstellung erklärt, alle ihm nach den Umständen zumutbaren und rechtlich zulässigen Möglichkeiten auszuschöpfen, um Arbeitskräfte, Räumlichkeiten und Sachmittel in Bereichen zur Verfügung zu stellen, die für die Bewältigung von Auswirkungen der Coronavirus SARS-CoV-2 Krise geeignet sind. In dieser Erklärung hat der soziale Dienstleister Art und Umfang dieser zumutbaren und rechtlich zulässigen Unterstützungsmöglichkeiten anzuzeigen und seine tatsächliche Einsatzfähigkeit glaubhaft zu machen. Der Gesetzgeber begründet diese Vorgaben damit, dass Zuschüsse nach dem SodEG nur dann zu gewähren sind, wenn die sozialen Dienstleister mit dem Antrag die Erklärung abgeben, dass sie unter Ausschöpfung aller nach den Umständen zumutbaren Möglichkeiten unter Berücksichtigung rechtlicher Rahmenbedingungen (z. B. arbeitsrechtliche Bestimmungen) Arbeitskräfte, Räumlichkeiten und Sachmittel in Bereichen zur Verfügung stellen, die für die Bewältigung von Auswirkungen der Pandemie einsetzbar sind, insbesondere in der Pflege, und in sonstigen gesellschaftlichen und sozialen Bereichen (z. B. die Unterstützung bei Einkäufen, Begleitung bei Arztbesuchen, telefonische Beratung in Alltagsangelegenheiten).
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wird ermächtigt, die Dauer längstens bis zum 31. Dezember 2020 zu verlängern (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 36).
8. Ausdehnungsmöglichkeit der Hilfen zur Krisenbewältigung Erfordert die Coronavirus SARS-CoV-2 Krise auch Hilfen in anderen Bereichen (z. B. Logistik für die Lebensmittelversorgung oder Erntehelfer), kann die Erklärung auch auf diese Bereiche ausgedehnt werden. In der Erklärung hat der soziale Dienstleister Art und Umfang dieser ihm zumutbaren Möglichkeiten unter Berücksichtigung rechtlicher Rahmenbedingungen anzuzeigen und seine tatsächliche Einsatzfähigkeit und Einsatzbereitschaft glaubhaft zu machen. Soweit sich aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Spielräume für Unterstützungsmöglichkeiten ergeben (z. B. aufgrund von Betretungsverboten, in der Person der Beschäftigten liegenden Einschränkungen wie z. B. Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe oder wegen der vorrangigen Weiternutzung durch regulären Betrieb der Einrichtungen wie z. B. Frauenhäuser und Einrichtungen / besondere Wohnformen für Menschen mit Behinderungen sowie Einrichtungen / sonstige betreute Wohnformen / Erziehungsstellen im Bereich der Hilfen zur Erziehung und des Kinderschutzes für einen Teil der Einrichtung), ist dies für die Anwendung der Regelungen dieses Gesetzes im Übrigen unschädlich. Soweit ein sozialer Dienstleister weiterhin seine eigenen Aufgaben erfüllt (etwa eine Schuldnerberatung durch Einsatz von Homeoffice oder Frauenhäuser weiter betrieben werden), fließen vorrangig Zahlungen der Leistungsträger, die nach den weiteren Regelungen ohnehin Berücksichtigung finden. Diese Umstände wirken sich einschränkend auf die Erklärungspflicht nach § 1 aus (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 35).
9. Besonderer Sicherstellungsauftrag der Leistungsträger Wichtig ist der § 2 SodEG, der den Sicherstellungsauftrag der Leistungsträger regelt. Soziale Dienstleister in diesem Sinne sind alle natürlichen und juristischen Personen und Personengesellschaften, die
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zum Zeitpunkt des Inkrafttretens von Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten nach dem Fünften Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes in einem Rechtsverhältnis zu einem Leistungsträger nach Satz 1 zur Erfüllung von Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch oder dem Aufenthaltsgesetz stehen. Maßnahmen nach Satz 2 sind hoheitliche Entscheidungen, die im örtlichen Tätigkeitsbereich von sozialen Dienstleistern unmittelbar oder mittelbar den Betrieb, die Ausübung, die Nutzung oder die Erreichbarkeit von Angeboten der sozialen Dienstleister beeinträchtigen. Daher überträgt § 2 SodEG den Leistungsträgern, mit Ausnahme der Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Sozialen Pflegeversicherung, einen besonderen Sicherstellungsauftrag. Der besondere Sicherstellungsauftrag schützt alle sozialen Dienstleister, die auf der Grundlage des Sozialgesetzbuchs und des Aufenthaltsgesetzes im Aufgabenbereich der Leistungsträger soziale Leistungen erbringen. Der Anwendungsbereich ist eröffnet, wenn aufgrund von Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz die Zusammenarbeit zwischen den Leistungsträgern und den sozialen Dienstleistern gestört ist. Zu den Rechtsverhältnissen nach § 2 gehören insbesondere vertragliche Auftragsverhältnisse zur Erbringung von sozialen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch oder dem Aufenthaltsgesetz, Zuwendungsverhältnisse im Aufgabenbereich des Sozialgesetzbuchs nach den Vorgaben der Bundeshaushaltsordnung oder nach den Haushaltsordnungen der Länder, Rechtsbeziehungen im Rahmen eines sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses nach dem Leistungsrecht des Sozialgesetzbuchs oder eines Dreiecksverhältnisses nach dem Aufenthaltsgesetz und Antrags- und Bewilligungsverfahren nach § 16d SGB XII (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 35).
10. Umsetzung des Sicherstellungsauftrages Die Umsetzung des Sicherstellungsauftrages geschieht nach § 3 SodEG. Die Leistungsträger erfüllen danach den besonderen Sicherstellungsauftrag nach § 2 SodEG durch Auszahlung von monatlichen Zuschüssen an die einzelnen sozialen Dienstleister ab dem maßgeblichen Zeitpunkt nach § 2 Satz 2. Für die Berechnung der Zuschusshöhe wird ein Zwölftel der im zurückliegenden Jahreszeitraum geleisteten Zahlungen in den in § 2 SodEG genannten Rechtsverhältnissen ermittelt (Monatsdurchschnitt). War der Zeitraum eines Rechtsverhältnisses zu dem nach § 2 maßgeblichen Zeitpunkt kürzer als zwölf Monate, richtet sich die Höhe des Monatsdurchschnitts nach dem Durchschnittsbetrag dieses Zeitraums. Sind berechnungserhebliche Zeiträume kürzer als ein Monat, sind entsprechende Anteile zu bilden. Der monatliche Zuschuss beträgt höchstens 75 Prozent des Monatsdurchschnitts. Die Zuschüsse werden auf Antrag durch Verwaltungsakt oder auf Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gewährt (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 35).
11. Nicht rückzahlbare Zuschusszahlungen Der Gesetzgeber sichert daher den besonderen Sicherstellungsauftrag in Form von nicht rückzahlbaren Zuschusszahlungen ab. Die Zuschüsse sind Leistungen besonderer Art, die nicht dem Vertragsoder Zuwendungsrecht unterfallen. Die Höhe der Zuschüsse ergibt sich aus einer Durchschnittsbetrachtung, die sich im Regelfall über ein Jahr oder auch über kürzere Zeiträume erstreckt. Die maßgebliche Bezugsgröße für die Berechnung der Zuschüsse ist der Monatsdurchschnitt (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 35). Die Höhe des Zuschusses beträgt höchstens 75 Prozent des Monatsdurchschnitts. Dabei wird davon ausgegangen, dass durch Kurz-
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12. Erstattungsanspruch Der Erstattungsanspruch ist in § 4 SodEG geregelt. Danach haben die Leistungsträger einen nachträglichen Erstattungsanspruch gegenüber sozialen Dienstleistern, soweit den sozialen Dienstleistern im Zeitraum der Zuschussgewährung vorrangige Mittel aus • Rechtsverhältnissen nach § 2 Satz 2, die vorbehaltlich der hoheitlichen Entscheidungen im Sinne von § 2 Satz 3 weiterhin möglich sind, • Entschädigungen nach dem Infektionsschutzgesetz,
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arbeitergeldzahlungen die Fixkosten der betroffenen sozialen Dienstleister bereits erheblich niedriger als vor der Corona-Krise sind. Auch variable Kosten, wie sie z. B. durch den Einkauf von Materialien anfallen, werden bei wegbleibenden Klienten/Kursteilnehmern deutlich geringer ausfallen. Im Übrigen können die Länder und übrigen Leistungsträger nach § 5 eine abweichende Zuschusshöhe festlegen, wenn sie dies für erforderlich halten. Die Zuschusshöhe soll im Rahmen einer summarischen Prüfung den tatsächlichen Zufluss anderer vorrangiger Mittel berücksichtigen. Damit werden Überzahlungen vermieden, die in der Folge nach § 4 zu Erstattungsforderungen führen würden. Damit wird sich die tatsächliche Zuschusshöhe im Regelfall in einem Bereich bewegen, der aufgrund von vorrangig zufließenden Mitteln im Bereich von 50 Prozent bis 75 Prozent des Monatsdurchschnitts liegt. Insbesondere Einrichtungen, die Leistungen der Behindertenhilfe im Zuständigkeitsbereich der Länder und Kommunen erbringen, werden in Absprache mit den örtlichen Leistungsträgern Möglichkeiten für eine krisenbedingt modifizierte Leistungserbringung nutzen können. Der Antrag und die Entscheidung können sich auch auf Zeiträume beziehen, die vor dem Zeitpunkt der Antragstellung liegen, damit alle Zeiträume nach Absatz 2 erfasst werden (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 35 f).
• Leistungen für den Verbleib in Beschäftigung nach dem Sechsten Abschnitt des Dritten Kapitels des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und • Zuschüssen des Bundes und der Länder an soziale Dienstleister auf Grundlage gesetzlicher Regelungen tatsächlich zugeflossen sind (bereite Mittel). Ansprüche und Forderungen, die nicht zu tatsächlichen monatlichen Geldzuflüssen führen, sind keine bereiten Mittel. Der Erstattungsanspruch entsteht erst dann, wenn die Leistungsträger vollständige Kenntnis von den Tatsachen erlangen und frühestens drei Monate nach der letzten Zuschusszahlung; er überschreitet nicht die Höhe der insgesamt geleisteten Zuschüsse.
13. Spezieller öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch Der Gesetzgeber möchte mit § 4 SodEG des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs in einem Spezialgesetz normieren. Die danach gewährten Zuschüsse sind dabei nicht zurückzuzahlen und sind deshalb mit verlorenen Zuschüssen vergleichbar. Dennoch soll eine ungerechtfertigte Bereicherung der Empfänger von Zuschüssen vermieden werden. Nach § 4 wird daher der tatsächliche Zufluss von vorrangigen Mitteln geprüft. Der tatsächliche Mittelzufluss aus vorrangigen Mitteln ist rein rechnerisch darstellbar und ohne großen Bewertungsaufwand festzustellen. Auf die Frage, ob tatsächlich nicht realisierte vorrangige Mittel hätten in Anspruch genommen werden müssen, kommt es bei der Prüfung nach § 4 nicht an. Der Erstattungsanspruch entsteht frühestens drei Monate nach dem Ende des besonderen Sicherstellungsauftrages. Nach § 4 ist der besondere Sicherstellungsauftrag in seiner Wirkung nachrangig gegenüber den allgemeinen Handlungsmöglichkeiten der Leistungsträger, den Bestand sozialer Dienstleister zu sichern. Die Leistungsträger sollen die sozialen Dienstleister dabei unterstützen, ihren Bestand nach eigenen Kräften im Rahmen der Möglichkeiten
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
VI. F olgeregelungen der Bundesländer 1. Maßnahmen der Bundesländer Im Nachgang des Erlasses der Regelungen der Bundesregierung haben die einzelnen Bundesländer eine Reihe von Regelungen geschaffen, die die Vorgaben des Bundes zum Teil ausfüllen und zum Teil sogar ergänzen, sofern die Bundesländer eine eigene Regelungskompetenz haben. Daher hat auf der Ebene der Bundesländer eine Vielzahl von Gesetzen und Versordnungen die Einsatzmöglichkeit von Pflegepersonal und die Handlungsfähigkeit der Aufsichtsbehörden erweitert. So hat zum Beispiel für den Bereich der ambulanten Pflege die Pflegegesellschaft Rheinland-Pfalz mit Schreiben vom 27. 03. 2020 mitgeteilt, dass Leistungsnachweise in ambulanten und teilstationären (Anwesenheit) Pflegeeinrichtungen grundsätzlich auch weiterhin vom Versicherten unterzeichnet werden müssen, wenn dies möglich ist. Sofern dies in der derzeitigen Situation (z. B. Kontakt nicht mehr möglich) nicht erfolgen kann, so kann eine Abzeichnung durch die Einrichtung erfolgen, wobei zusätzlich der Grund hierfür vermerkt werden muss. In Nordrhein-Westfalen haben ebenfalls die Pflegekassen Sofortmaßnahmen beschlossen, um die pflegerische Versorgung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zu sichern Sowohl die Primärals auch die Ersatzkassen haben wegen der Überlastung der Arztpraxen, Pflegedienste und Geschäftsstellen der Krankenkassen bis zum 30. 04. 2020 auf die Einrede hinsichtlich der vertraglich vereinbarten Fristen im Zusammenhang mit den Verordnungen/Genehmigungen von Leistungen der HKP verzichtet. Die Verordnungen können daher auch bis zum zehnten der Ausstellung folgenden Arbeitstag bei der
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
nach den Nummern 1 bis 4 zu sichern (Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket), Seite 36).
Krankenkasse eingereicht werden. Darüber hinaus wird für Folgeverordnungen eine rückwirkende Ausstellung von bis zu 14 Kalendertagen akzeptiert. Zudem haben die Kostenträger in NRW beschlossen, Beratungsbesuche nach § 37 Absatz 3 SGB XI in den Quartalen I und II/2020 auszusetzen. Interessant ist die Entscheidung bezüglich der Abgabe von Behandlungspflege nach § 17 der hiesigen Versorgungsverträge nach § 132a SGB V in Nordrhein-Westfalen. Neu ist, dass die Erbringung einfacher Behandlungspflegen im Rahmen der HKP (LG 1 und 2) in den Monaten März und April 2020 (Leistungserbringungsmonat) auch durch solche Personen möglich ist, die diese Leistungen aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen eigentlich nicht erbringen dürfen. Die Entscheidung darüber, wer diese Leistung erbringen kann, obliegt der verantwortlichen Fachkraft im Pflegedienst. Ferner hat als erstes Bundesland Nordrhein-Westfalen eine Rechtsverordnung zur Wieder- und Neuaufnahme in vollstationären Dauerund Kurzzeitpflegeeinrichtungen sowie besonderen Wohnformen für Menschen mit Behinderung einschließlich Kurzzeitwohneinrichtungen der Eingliederungshilfe erlassen, die am 7. April 2020 in Kraft tritt. Diese Rechtsverordnung regelt die Verteilung der dringend benötigten Schutzausrüstung. Ziel ist die Entlastung der Krankenhäuser und die Sicherung der Pflegeeinrichtungen, damit auch dort weiterhin pflegebedürftige Menschen aufgenommen werden können. Das zuständige Ministerium legt in der Rechtsverordnung Maßnahmen fest. Danach haben die Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe unverzüglich Isolations- sowie Quarantänebereiche in einer für die Bewohnerzahl angemessenen Größe vorzubereiten. Bereits infizierte Menschen sollen isoliert werden, damit neue Bewohner gefahrlos aufgenommen werden können. Die Quarantäne dauert wie üblich 14 Tage. Krankenhäuser müssen Bewohner, die entlassen werden, auf das Coronavirus SARS-CoV-2 testen.
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Kapitel I • Leistungsträgerrecht
Kapitel II • Verwaltungsrecht
Nachdem sich zu Beginn der Pandemie zunächst vorwiegend Reiserückkehrer jüngeren und mittleren Alters mit dem Coronavirus SARSCoV-2 infiziert haben, breitet sich das Virus trotz zahlreicher Maßnahmen zur Eindämmung vermehrt auch in Pflegeeinrichtungen aus. Da die Bewohner und Bewohnerinnen dieser Einrichtungen oftmals 65 Jahre und älter sind und/oder an diversen Vorerkrankungen leiden und damit zu der Gruppe der „Risikopatienten“ gehören, ist mit einer besonders hohen Anzahl an schweren Verläufen bzw. Todesfällen zu rechnen. Doch nicht nur die Bewohner und Bewohnerinnen, sondern auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, insbesondere das Pflegepersonal, sind von Infektionen betroffen. Auch bei Einhaltung der vom Robert-Koch-Institut empfohlenen Hygienemaßnahmen (Hinweise des Robert-Koch-Instituts zur Prävention und Management von COVID-19-Erkrankungen in der stationären und ambulanten Altenpflege, Stand 23. 03. 2020) sind Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 nicht immer vermeidbar. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass es vielerorts an geeigneter Schutzkleidung und Atemschutzmasken fehlt. Als logische Konsequenz dieser außergewöhnlichen Situation wird schnell der Ruf nach weiteren Maßnahmen zum Umgang mit der COVID-19-Pandemie in Pflegeeinrichtungen laut. Bewohner und Bewohnerinnen in Pflegeeinrichtungen sollen keinen oder nur eingeschränkten Besuch empfangen dürfen. Diskutiert wird auch eine Ausgangssperre. Bewohner und Bewohnerinnen sollen bestenfalls weder ihre Zimmer, geschweige denn die Einrichtung verlassen. Bei den zahlreichen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2
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Kapitel II • Verwaltungsrecht
Ordnungsrechtliche Maßnahmen und rechtliche Befugnisse von Behörden und Betreibern zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 und Gewährleistung der Weiterversorgung in Pflegeeinrichtungen Alexandra von Hobe
darf jedoch nicht vergessen werden, dass hierdurch wichtige grundrechtsrelevante Bereiche, insbesondere das Grundrecht auf Freiheit aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz, erheblich tangiert werden. Ist es vor diesem Hintergrund überhaupt möglich, Bewohner und Bewohnerinnen von einem Verlassen der Einrichtung abzuhalten? Und darf Angehörigen der Zugang zu einer Einrichtung aufgrund der aktuellen Situation verwehrt werden? Welche Befugnisse und Pflichten haben in diesem Zusammenhang die Betreiber von Pflegeeinrichtungen? Es drängt sich zudem die Frage auf, ob die zuständigen Ordnungsbehörden befugt sind, gegenüber betroffenen Pflegeeinrichtungen, in denen Infektionen aufgetreten sind, einen Aufnahmestopp auszusprechen, der die Aufnahme neuer Bewohner und Bewohnerinnen vorübergehend untersagt. Oder ob es sogar zu Schließungen betroffener Einrichtungen kommen kann. Entsprechende Anordnungen können für die Träger von Pflegeeinrichtungen mit hohen finanziellen Einbußen verbunden sein, was wiederum die Frage nach entsprechenden Entschädigungsmöglichkeiten aufwirft. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die Pflege und Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner ungeachtet der Situation weiterhin gewährleistet sein muss. Kommt es infolge des Auftretens von Infektionen mit Coronavirus SARS-CoV-2 auch zu einer Ansteckung des Pflegepersonals oder befinden sich Mitarbeiter in häuslicher Quarantäne, können schnell ein hoher Krankenstand und damit verbundene Versorgungsengpässe die Folge sein. Dieser Problematik muss in Ausnahmefällen mit einer Herabsetzung von Personaluntergrenzen und Qualifikationsanforderungen begegnet werden. Wichtige Regelungen im Zusammenhang mit der vorbeschriebenen Thematik enthalten die einschlägigen Vorschriften des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen, kurz: Infektionsschutzgesetz (IfSG).
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Kapitel II • Verwaltungsrecht
Die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 schränken uns in vielen Bereichen unseres Alltags ein und tangieren zahlreiche grundrechtsrelevante Bereiche, wie etwa die Fortbewegungsfreiheit aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz oder auch die Versammlungsfreiheit aus Artikel 8 Grundgesetz. In Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz heißt es: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“ Mit „Freiheit“ ist die körperliche Fortbewegungsfreiheit gemeint. Darüber hinaus haben nach Artikel 8 Grundgesetz alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Vorbenannte Grundrechte erlauben es uns, beispielsweise unsere Wohnung zu verlassen und jeden beliebigen Ort aufzusuchen oder zu verlassen sowie auch in der Öffentlichkeit Personen zu treffen und soziale Kontakte zu pflegen. Durch Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus SARSCoV-2, wie etwa das von der Bundesregierung ausgesprochene „Kontaktverbot“ oder die behördliche Anordnung, sich in (häusliche) Quarantäne zu begeben, werden diese Grundrechte erheblich eingeschränkt. Warum also darf der Staat solche Maßnahmen anordnen? Gemäß Artikel 2 Absatz 2 Satz 3 Grundgesetz darf in das Recht auf Freiheit nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Auch die Versammlungsfreiheit kann, sofern die Versammlung unter freiem Himmel stattfindet, durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Die einschlägigen Ermächtigungsgrundlagen finden sich insbesondere im Infektionsschutzgesetz (IfSG). Gemäß § 1 Absatz 1 IfSG ist Zweck dieses Gesetzes, übertragbare Krankheiten beim Menschen
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Kapitel II • Verwaltungsrecht
A. Einschränkungen von Grundrechten und ihre Rechtfertigung durch das Infektionsschutzgesetz
vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Das Gesetz ermächtigt die zuständigen Behörden zur Verhütung übertragbarer Krankheiten (§§ 16 ff. IfSG) und zu deren Bekämpfung (§§ 24 ff IfSG). Das Infektionsschutzgesetz ist am 01. 01. 2001 in Kraft getreten und hat anlässlich der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten COVID-19-Pandemie durch das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 27. 03. 2020 (BGBl. I S. 587) umfangreiche Änderungen erfahren.
I. Wesentliche Änderungen im Infektionsschutzgesetz 1. In § 4 IfSG sind die Aufgaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) neu formuliert und erweitert worden. Das RKI ist die nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen. Es arbeitet mit den jeweils zuständigen Bundesbehörden, den zuständigen Landesbehörden, den nationalen Referenzzentren, weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen und Fachgesellschaften zusammen.
2. § 5 IfSG regelt nunmehr die „Epidemische Lage von nationaler Tragweite“. Gemäß § 5 Absatz 1 IfSG stellt der Deutsche Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest und hebt die Feststellung wieder auf, sobald die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. § 5 Absatz 2 IfSG ermächtigt das Bundesministerium für Gesundheit zu zahlreichen Maßnahmen, die der Verhinderung einer Einschleppung und Ausbreitung bedrohlicher Krankheiten und der Versorgung der Bevölkerung mit Lebens- und Arzneimitteln dienen sollen.
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Kapitel II • Verwaltungsrecht
3.
• Altenpflegerinnen und Altenpflegern, • Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und Gesundheitsund Kinderkrankenpflegern, • Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und Gesundheits- und Krankenpflegern, • Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern und • Pflegefachfrauen und Pflegefachmännern.
4. Der ebenfalls geänderte § 28 IfSG befasst sich mit Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten. Neu eingefügt ist § 28 Absatz 1 Satz 1, 2. Halbsatz IfSG. Danach kann die zuständige Behörde insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
5. § 56 IfSG enthält eine Entschädigungsregelung für Personen, denen ein berufliches Tätigkeitsverbot im Sinne von § 31 Absatz 2 IfSG auferlegt wird. Neu eingefügt ist Absatz 1a, der eine Entschädigungsregelung für erwerbstätige Sorgeberechtigte enthält, die aufgrund geschlossener Betreuungseinrichtungen ihre Kinder zu Hause betreuen müssen und dadurch einen Verdienstausfall erleiden. Gemäß § 56 Absatz 2 Satz 4 IfSG wird die Entschädigung in Höhe von 67 Prozent des entstandenen Verdienstausfalls für einen Zeitraum von längstens sechs Wochen gewährt. Analog zur der Entschädigungsregelung sind die Regelungen zur Sozialversicherung und Arbeitsförderung (§ 57),
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Kapitel II • Verwaltungsrecht
Neu ist auch § 5a IfSG. Dieser regelt die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten bei Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Danach wird die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten unter bestimmten Voraussetzungen folgenden Personen gestattet:
Aufwendungserstattung (§ 58) und zur Zahlungsverpflichtung (§ 66) IfSG angepasst worden.
II. Grundrechtseinschränkungen durch Ermächtigungsgrundlagen im Infektionsschutzgesetz und hierauf basierender Rechtsverordnungen 1. Ermächtigungsgrundlagen im Infektionsschutzgesetz Das Infektionsschutzgesetz ermächtigt die zuständigen Behörden, zahlreiche Grundrechte durch notwendige Schutzmaßnahmen einzuschränken. Eine zentrale Rolle spielt dabei § 28 IfSG, der auszugsweise wie folgt lautet:
§ 28 Schutzmaßnahmen (1) Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des
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§ 30 IfSG regelt die Anordnung einer Quarantäne (1) Die zuständige Behörde hat anzuordnen, dass Personen, die an Lungenpest oder an von Mensch zu Mensch übertragbarem hämorrhagischem Fieber erkrankt oder dessen verdächtig sind, unverzüglich in einem Krankenhaus oder einer für diese Krankheiten geeigneten Einrichtung abgesondert werden. Bei sonstigen Kranken sowie Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern kann angeordnet werden, dass sie in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen, befolgen können oder befolgen würden und dadurch ihre Umgebung gefährden. (2) Kommt der Betroffene den seine Absonderung betreffenden Anordnungen nicht nach oder ist nach seinem bisherigen Verhalten anzunehmen, dass er solchen Anordnungen nicht ausreichend Folge leisten wird, so ist er zwangsweise durch Unterbringung in einem abgeschlossenen Krankenhaus oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses abzusondern. Ansteckungsverdächtige und Ausscheider können auch in einer anderen geeigneten abgeschlossenen Einrichtung abgesondert werden. Das Grundrecht der Freiheit der
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Kapitel II • Verwaltungsrecht
Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt. (…) Zuständige Behörden sind nach § 2 Nr. 14 IfSG die jeweiligen Gesundheitsämter. Die §§ 29–31 IfSG konkretisieren die Schutzmaßnahmen, welche von den Gesundheitsämtern getroffen werden können. Gemäß § 29 können Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider einer Beobachtung unterworfen werden. Die Betroffenen können zum Zwecke der Beobachtung in ihren Grundrechten eingeschränkt werden. Dies besagt § 28 Absatz 2 Satz 6 IfSG, nach dessen Wortlaut die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz), der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz) und die Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) eingeschränkt werden dürfen.
Person (Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz) kann insoweit eingeschränkt werden (…)“ Daraus geht hervor, dass betroffene Personen nicht unbedingt in Krankenhäusern, sondern auch in häuslicher Quarantäne abgesondert werden können. § 30 Absatz 2 IfSG macht dabei deutlich, dass die Anordnungen auch zwangsweise durchgesetzt werden dürfen. Anders, als beispielsweise bei der Anordnung einer geschlossenen Unterbringung pflegebedürftiger Menschen bedarf es hierfür keiner vorherigen richterlichen Anordnung. Das IfSG ermächtigt die zuständigen Behörden außerdem zu einem Verbot von Versammlungen und Veranstaltungen sowie zur Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen. § 31 IfSG enthält eine Ermächtigung zur Anordnung beruflicher Tätigkeitsverbote. Darüber hinaus ermächtigt § 32 IfSG die Landesregierungen, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. Auch hierdurch dürfen die Grundrechte der Freiheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 Grundgesetz) und das Brief- und Postgeheimnis (Artikel 10 Grundgesetz) eingeschränkt werden. Die Bundesländer haben von der Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht. So hat beispielsweise Nordrhein-Westfalen als bis dahin am stärksten von der Covid19-Pandemie betroffenes Bundesland die „Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2“ (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) vom 22. 03. 2020 erlassen. Anordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz können nicht nur zwangsweise durchgesetzt werden (z. B. durch Festsetzung von Zwangsgeldern oder auch unmittelbaren Zwang). Ein Verstoß gegen angeordnete Maßnahmen im Sinne von § 28 Absatz 1 Satz 1 IfSG stellt gemäß § 73 Absatz 1a Nr. 6 IfSG eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld von bis zu 25.000,00
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2. Schließungen von Pflegeeinrichtungen und Quarantäne a) Das Infektionsschutzgesetz sieht eine präventive Schließung von Einrichtungen zur Betreuung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen nicht vor. § 28 Absatz 1 IfSG ermächtigt zwar zur Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen. Hiermit sind allerdings nach § 33 IfSG Einrichtungen gemeint, in denen überwiegend Minderjährige betreut werden.
b) § 30 Absatz 1 IfSG ermächtigt die Behörde, auch ganze Pflegeeinrichtungen unter Quarantäne zu stellen. Die Vorschrift bestimmt, dass auch „Ansteckungsverdächtige“ unter Quarantäne gestellt werden können. Hierbei handelt es sich gemäß § 2 Nr. 7 IfSG um Personen, von denen anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen haben, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Sind in einer Pflegeeinrichtung Krankheitsfälle aufgetreten und ist anzunehmen, dass die erkrankte oder krankheitsverdächtige Person mit zahlreichen Bewohnern und Bewohnerinnen der Einrichtung Kontakt hatte, ist das Gesundheitsamt somit ermächtigt, die gesamte Einrichtung vorübergehend unter Quarantäne zu stellen. Vor dem Hintergrund des erheblichen Eingriffs in den Schutzbereich des Freiheitsgrundrechts ist jedoch Folgendes zu beachten: In das
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EURO geahndet werden kann. Wer die Handlung vorsätzlich begeht und dadurch eine in § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannte Krankheit oder einen in § 7 genannten Krankheitserreger verbreitet, kann gemäß § 74 IfSG mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden. Wer einer vollziehbaren Anordnung nach § 28 Absatz § 28 Absatz 1 Satz 2, § 30 Absatz 1 oder § 31, jeweils auch in Verbindung mit § 32 Satz 1 IfSG zuwiderhandelt, macht sich strafbar und kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft werden.
Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz darf zwar aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Juristisch spricht man von einer sogenannten Grundrechtsschranke. Zugleich unterliegt jedes staatliche Handeln auch dem „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“. Dies bedeutet, dass getroffene Anordnungen verhältnismäßig, also im Hinblick auf den verfolgten Zweck geeignet, erforderlich und angemessen sein müssen. An einer Verhältnismäßigkeit kann es beispielsweise fehlen, wenn sich die Einrichtung in bestimmte Gebäude oder in sich geschlossene Wohnbereiche untergliedert und nur ein Teil der Einrichtung betroffen ist.
B. R echte und Pflichten der Betreiber von Pflegeeinrichtungen Bei zahlreichen Betreibern von Pflegeeinrichtungen herrscht Unsicherheit dahingehend, welche Rechte und Pflichten sich im Hinblick auf Situationen ergeben, in denen Grundrechte von Bewohnern und/ oder Angehörigen tangiert werden. Dürfen Bewohner an einem Verlassen der Einrichtung gehindert und gleichzeitig Angehörigen oder sonstigen Personen der Zutritt verwehrt werden? Inwieweit dürfen datenschutzrelevante Informationen an das Gesundheitsamt herausgegeben werden?
I. Verlassen der Einrichtung durch die Bewohner: 1. Ist für die Einrichtung keine Quarantäne angeordnet, ist es den Bewohnern gestattet, die Einrichtung zu verlassen. Insbesondere gilt für ältere Menschen bislang keine Ausgangssperre. Einige Länderverordnungen erlegen den Bewohnerinnen und Bewohnern jedoch Verpflichtungen beim Verlassen der Einrichtung auf. So dürfen gemäß der CoronaSchVO NRW Bewohner und Bewohnerinnen stationärer
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Praxishinweis Bitte beachten Sie, dass ein aktives Abhalten der Bewohner an einem Verlassen der Einrichtung nicht erlaubt ist. Wirken Sie stattdessen darauf hin, dass Bewohner freiwillig in der Einrichtung bleiben und auf Kontakte mit Angehörigen verzichten. Weisen Sie die Bewohner deutlich auf die rechtlichen Konsequenzen der jeweiligen Landesverordnung in Ihrem Bundesland hin.
Die Einrichtungsleitung trifft keine 24-stündige Überwachungspflicht dahingehend, wer die Einrichtung verlässt. Eine solche Überwachungspflicht ergibt sich insbesondere nicht aufgrund von Obhutspflichten eines Heimträgers zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihm anvertrauten Heimbewohner. Die Obhutspflichten sind begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen personellen und finanziellen Aufwand realisierbar
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Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen diese zwar gemäß § 2 Absatz 2 a jederzeit verlassen. Dabei dürfen sie jedoch nur von anderen Bewohnern, Patienten oder Beschäftigten der Einrichtung begleitet werden und nur mit diesen Personen zielgerichtet Kontakt haben. Kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein zielgerichteter oder intensiver Kontakt auch mit anderen Personen außerhalb der Einrichtung bestand, müssen die Bewohner und Patienten anschließend für einen Zeitraum von 14 Tagen den nahen Kontakt mit anderen Bewohnern und Patienten in der Einrichtung unterlassen. In Baden-Württemberg wurde am 07. 04. 2020 eine „Verordnung des Sozialministeriums zur Untersagung des Verlassens bestimmter Einrichtungen zum Schutz besonders gefährdeter Personen vor Infektionen mit Sars-CoV-2“ erlassen. Darin wurden umfangreiche Ausgangsbeschränkungen für Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen beschlossen. Bewohnerinnen und Bewohner dürfen die Einrichtungen dort nur noch in begründeten Einzelfällen verlassen, beispielsweise für einen Arztbesuch. (https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/ aktuelle-infos-zu-corona/verordnung-heimbewohner/)
sind. Dabei müssen insbesondere die Würde und Selbstständigkeit der Heimbewohner gewahrt werden (BGH NJW 2005, 1937). Hieraus folgt, dass den Träger einer Pflegeeinrichtung keine permanente Überwachungspflicht seiner Heimbewohner trifft.
2. II. Zutritt durch Angehörige oder sonstige Personen Der Zutritt zu Pflegeeinrichtungen ist von den Bundesländern durch Rechtsverordnung reglementiert worden. Nahezu alle Bundesländer haben Besuche in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen untersagt. Besuche sind nur in begründeten Ausnahmefällen vorgesehen, etwa bei Palliativpatienten. So sind beispielsweise gemäß § 2 Absatz 2 CoronaSchVO NRW Besuche in stationären Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen untersagt, die nicht der medizinischen oder pflegerischen Versorgung dienen oder aus Rechtsgründen (insbesondere im Zusammenhang mit einer rechtlichen Betreuung) erforderlich sind. Die Einrichtungsleitung soll Ausnahmen unter Schutzmaßnahmen und nach Hygieneunterweisung zulassen, wenn es medizinisch oder ethisch-sozial geboten ist (z. B. auf Geburts- und Kinderstationen sowie bei Palliativpatienten). Auch die Bayerische „Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie“ vom 24. 03. 2020 (BayMBl 2020 Nr. 130) untersagt Bürgern gemäß § 1 Absatz 3 den Besuch von vollstationären Einrichtungen der Pflege gemäß § 71 Abs. 2 SGB XI, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB IX, in denen Leistungen der Eingliederungshilfe über Tag und Nacht erbracht werden, ambulant betreuten Wohngemeinschaften nach Art. 2 Abs. 3 Pflegewohnqualitätsgesetz (PfleWoqG) zum Zwecke der außerklinischen Intensivpflege, in denen ambulante Pflegedienste gemäß § 23 Abs. 6a IfSG Dienstleistungen erbringen sowie Altenheimen und Seniorenresidenzen. In Berlin dürfen Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen und besonderen Wohnformen im Sinne des Neunten Buchs Sozial-
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Praxishinweis Informieren Sie sich über die aktuellen Bestimmungen des jeweiligen Bundeslandes hinsichtlich Besuchsverboten und Ausnahmen. Kontaktieren Sie in Zweifelsfällen das zuständige Gesundheitsamt.
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gesetzbuch (SGB IX) einmal am Tag von einer Person für eine Stunde Besuch empfangen. Kinder unter 16 Jahren oder Menschen mit Atemwegsinfektionen dürfen nicht zu Besuch kommen. In Hessen dürfen Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen und ambulant versorgten Wohnformen höchstens einen Besucher für höchstens eine Stunde am Tag empfangen. In Rheinland-Pfalz sind Besuche von Ehegatten, Lebenspartnern, Verlobten und bestimmten Personengruppen erlaubt. Die aktuellen Verordnungen sind zeitlich befristet und können je nach Notwendigkeit weiterer Schutzmaßnahmen verlängert, angepasst oder außer Kraft gesetzt werden. Das RKI empfiehlt das Anbringen von Hinweisen, dass Personen die Pflegeeinrichtung nicht aufsuchen sollen, wenn diese an einer akuten Atemwegserkrankung leiden. Zudem sollen Besuchsregelungen gegebenenfalls mit den zuständigen Gesundheitsämtern abgestimmt werden (Hinweise des Robert-Koch-Instituts zur Prävention und Management von COVID-19-Erkrankungen in der stationären und ambulanten Altenpflege, Stand 23. 03. 2020) Gesetzliche Betreuer dürfen zum Zwecke der Aufgabenwahrnehmung nach den meisten Länderverordnungen die Einrichtung weiterhin betreten. Daneben ist in einigen Bundesländern der Zutritt durch bestimmte Personengruppen wie beispielsweise Seelsorger, Rechtsanwälte und Notare gestattet. Der Kontakt mit Dienstleistern (z. B. Handwerker), sofern diese ihre Dienstleistung überhaupt noch anbieten dürfen, sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Eine Ausnahme bilden unaufschiebbare Reparaturen, deren Nichtdurchführung ansonsten zu Schäden an der Einrichtung führen können.
Bringen Sie gut sichtbare Aushänge am Eingang der Einrichtung an, damit Angehörige und andere Besucher über die Zutrittsbeschränkungen informiert werden. Für die Bewohnerinnen und Bewohner und ihre Angehörigen ist dies natürlich keine einfache Situation. Nicht immer wird daher Besuchs- und Betretungsverboten Folge geleistet. Die Träger von Pflegeeinrichtungen sind berechtigt, die erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung der Länderverordnungen bzw. zur Verhinderung einer Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zu treffen. Dies ergibt sich aus den einzelnen Verordnungen, beispielsweise aus § 2 Absatz 1 CoronaSchVO NRW. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Träger der Pflegeeinrichtungen grundsätzlich das Hausrecht über ihre Einrichtungen ausüben und von diesem Gebrauch machen können. Das Hausrecht beruht auf dem Grundstückseigentum oder -besitz (§§ 858 ff., 903, 1004 BGB) und ermöglicht es seinem Inhaber, in der Regel frei darüber zu entscheiden, wem er den Zutritt gestattet und wem er ihn verwehrt (BGH, Urteil vom 20. 01. 2006 V ZR 134/05, Urteil vom 09. 03. 2012 - V ZR 115/11). Das Hausrecht kann auf die Einrichtungsleitung oder andere Mitarbeiter übertragen werden. Dem Hausrecht stehen Zutrittsrechte der Angehörigen sowie der Betreuer gegenüber. Zutrittsrechte können sich für Angehörige etwa aus § 1618a BGB (Pflicht zur Beistand und Rücksicht unter Kindern und Eltern) und Artikel 6 Grundgesetz ergeben. Die Verweigerung des Zutritts der Einrichtung bis hin zur Erteilung eines Hausverbotes kann gerechtfertigt sein, allerdings ist diesbezüglich eine umfassende Güter- und Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Das Hausverbot kommt insofern nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. 02. 1991, Az. 5 U 279/90, FamRZ 1991, Seite 1181, LG Münster, Beschluss vom 12. 12. 2013–5 T 610/13). In Situationen, in denen sich Angehörige Zutritt zu der Einrichtung verschaffen bzw. auf Besuchsrechte beharren, können Träger von Pflegeeinrichtungen unter Verweis auf ihr Hausrecht und die aktuell gel-
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Praxishinweis Weisen Sie uneinsichtige Angehörige auf die aktuellen Bestimmungen hin und machen Sie, falls nötig, von Ihrem Hausrecht Gebrauch.
III. W eitergabe von datenschutzrelevanten Informationen und Gewährung des Zutritts in Bewohnerzimmer Unsicherheit besteht oftmals hinsichtlich der Weitergabe von datenschutzrelevanten Informationen, insbesondere der Pflegedokumentation sowie der Gewährung des Zutritts in Bewohnerzimmer. Das Infektionsschutzgesetz enthält zahlreiche Untersuchungs-, Zutritts- und Einsichtnahmerechte zum Zwecke der Überwachung und Verhütung übertragbarer Krankheiten.
1. Den Gesundheitsämtern unterliegt zum Zwecke der Verhütung übertragbarer Krankheiten die Durchführung der infektionshygienischen und hygienischen Überwachung. Hiervon sind gemäß § 15 a Absatz 1 Nr. 1 und 2 IfSG auch ambulante Pflegedienste, die ambulante Intensivpflege in Einrichtungen, Wohngruppen oder sonstigen gemeinschaftlichen Wohnformen erbringen, sowie voll- oder teilstationäre Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen umfasst. Gemäß § 15 a Absatz 2 IfSG sind Personen, die über Tatsachen Auskunft geben können, die für die Überwachung von Bedeutung sind, verpflichtet, den mit der Überwachung beauftragten Personen auf Verlangen die erforderlichen Auskünfte insbesondere über den Betrieb und den Betriebsablauf einschließlich dessen Kontrolle zu
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tenden Verordnungen den Zutritt verweigern oder zu einem Verlassen der Einrichtung auffordern und notfalls ein Hausverbot erteilen.
erteilen und Unterlagen einschließlich dem tatsächlichen Stand entsprechende technische Pläne vorzulegen. § 15 a Absatz 3 IfSG räumt den Gesundheitsämtern außerdem folgende Befugnisse ein: • Betreten und Besichtigung von Betriebsgrundstücken, Betriebsund Geschäftsräumen, zum Betrieb gehörenden Anlagen und Einrichtungen sowie Verkehrsmittel zu Betriebs- und Geschäftszeiten, • Betreten und Besichtigung von sonstigen Grundstücken und Wohnräumen tagsüber an Werktagen, • Einsichtnahme in die Bücher oder sonstigen Unterlagen, Anfertigung von Abschriften, Ablichtungen oder Auszügen, • Untersuchung sonstiger Gegenstände, • Anforderung oder Entnahme von Proben. Der Inhaber der tatsächlichen Gewalt ist verpflichtet, den Beauftragten der zuständigen Behörde oder des Gesundheitsamtes die Grundstücke, Räume, Anlagen, Einrichtungen und Verkehrsmittel sowie sonstigen Gegenstände zugänglich zu machen. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Artikel 13 Absatz 1 Grundgesetz wird insoweit eingeschränkt.
2. Die Pflicht zur Weitergabe personenbezogener Daten kann sich darüber hinaus aus § 16 IfSG ergeben. Werden Tatsachen festgestellt, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können, oder ist anzunehmen, dass solche Tatsachen vorliegen, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit hierdurch drohenden Gefahren. Zu diesem Zwecke kann sie personenbezogene Daten erheben und verarbeiten. Die erhobenen personenbezogenen Daten dürfen nur für Zwecke des Infektionsschutzgesetzes verarbeitet werden. Die Behörden haben die gleichen Befugnisse, zu denen auch § 15 a IfSG ermächtigt.
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3. Steht eine Person unter angeordneter Beobachtung im Sinne von § 29 IfSG, so hat sie gemäß § 29 Absatz 2 Satz 3 dem Gesundheitsamt auf Verlangen über alle ihren Gesundheitszustand betreffenden Umstände Auskunft zu geben.
4. Die aufgrund der vorstehenden Ermächtigungsgrundlagen erforderliche Weitergabe der Pflegedokumentation und hierin befindlicher Gesundheitsdaten verstößt nicht gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen, insbesondere der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Artikel 9 DSGVO enthält abschließende Erlaubnistatbestände zur Weitergabe von Gesundheitsdaten. Rechtsgrundlage für die Verarbeitung
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Gemäß § 16 Absatz 2 Satz 3 IfSG sind Personen, die über die in Absatz 1 genannten Tatsachen Auskunft geben können verpflichtet, auf Verlangen die erforderlichen Auskünfte insbesondere über den Betrieb und den Betriebsablauf einschließlich dessen Kontrolle zu erteilen und Unterlagen einschließlich dem tatsächlichen Stand entsprechende technische Pläne vorzulegen. Soweit es die Aufklärung der epidemischen Lage erfordert, kann die zuständige Behörde gemäß § 16 Absatz 3 IfSG Anordnungen über die Übergabe von in Absatz 2 genannten Untersuchungsmaterialien zum Zwecke der Untersuchung und Verwahrung an Institute des öffentlichen Gesundheitsdienstes oder andere vom Land zu bestimmende Einrichtungen treffen. Das bedeutet, dass unter Umständen auch Pflegedokumentationen auszuhändigen sind. § 16 Absatz 5 IfSG enthält eine Regelung hinsichtlich geschäftsunfähiger oder beschränkt geschäftsfähiger Personen, die von der Datenweitergabe betroffen sind. Hier hat derjenige für die Erfüllung der Verpflichtungen nach § 16 Absätze 1 und 2 IfSG zu sorgen, dem die Sorge für die Person zusteht. Hierbei handelt es sich um Bevollmächtigte oder gesetzliche Betreuer, sofern die Erfüllung der Verpflichtung zu deren Aufgabenkreis gehört.
von Gesundheitsdaten ist danach Art. 9 II h) DSGVO in Verbindung mit § 22 I Nr. 1 b) Bundesdatenschutzgesetz (BDSG).
5. Bewohner, die in stationären Pflegeeinrichtungen oder in sonstigen besonderen Wohnformen leben, üben das Hausrecht über ihr jeweiliges Zimmer aus. Sie können sich dort frei bewegen und aufhalten, aber auch Dritten den Zutritt verwehren oder diese zum Verlassen der Räumlichkeiten auffordern. Dies ergibt sich aus dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Artikel 13 Absatz 1 Grundgesetz. Steht ein Bewohner als Kranker, Krankheitsverdächtiger, Ansteckungsverdächtiger oder Ausscheider unter Beobachtung im Sinne von § 29 IfSG, hat er die erforderlichen Untersuchungen durch die Beauftragten des Gesundheitsamtes zu dulden und den Anordnungen des Gesundheitsamtes Folge zu leisten. Er ist ferner verpflichtet, den Beauftragten des Gesundheitsamtes Zutritt zu seiner Wohnung bzw. dem Bewohnerzimmer zu gewähren. Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit aus Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz, und der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Artikel 13 Absatz 1 Grundgesetz werden insoweit eingeschränkt. Entsprechend der vorstehenden Ausführungen darf der Eintritt in die Bewohnerzimmer zu Untersuchungszwecken gewährt werden. Praxishinweis Die Befugnisse nach dem Infektionsschutzgesetz sind kein „Freifahrtschein“ für ein unbegrenztes Gebrauchmachen von Betretungs-, Auskunft- und Einsichtsrechten. Sie müssen dem in der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage genannten Zweck dienen. Wenden Sie sich in Zweifelsfällen an Ihren Datenschutzbeauftragen, Ihren Fachverband oder an spezialisierte Rechtsanwälte.
Bei Maßnahmen gegenüber einem beschränkt geschäftsfähigen oder geschäftsunfähigen Bewohner kontaktieren Sie dessen Bevollmächtigten bzw. gesetzlichen Betreuer und bitten Sie um dessen Mitwirkung.
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Durch die Folgen des Coronavirus SARS-CoV-2 ist in Pflegeeinrichtungen mit einem hohen Ausfall an Pflege- und Betreuungspersonal zu rechnen. Gleichwohl muss die Versorgung der pflegebedürftigen Menschen sichergestellt werden. Mit den hierdurch zu erwartenden (finanziellen) Belastungen befasst sich das Gesetz zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz) vom 27. 03. 2020 (BGBl. I S. 580).
I. A nzeigepflicht des Trägers Durch das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz wird unter anderem § 150 SGB XI geändert. Träger von nach § 72 SGB XI zugelassenen Pflegeeinrichtungen sind im Fall einer wesentlichen Beeinträchtigung der Leistungserbringung infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 nach § 150 Absatz 1 SGB XI verpflichtet, diese umgehend den Pflegekassen gegenüber anzuzeigen. Es genügt die Anzeige an eine als Partei des Versorgungsvertrages beteiligte Pflegekasse. In Abstimmung mit den weiteren hierbei zuständigen Stellen, insbesondere den nach Landesrecht bestimmten heimrechtlichen Aufsichtsbehörden, haben die Pflegekassen zusammen mit der Pflegeeinrichtung zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung die erforderlichen Maßnahmen und Anpassungen vorzunehmen, wobei auch von der vereinbarten Personalausstattung einschließlich deren gesetzlichen Bestimmungen nach diesem Buch abgewichen werden kann. Dabei sind zum flexiblen Einsatz des Personals in anderen Versorgungsbereichen alle bestehenden Instrumente und Mittel einschließlich des Vertragsrechts zu nutzen, bei denen zulassungsrechtliche Voraussetzungen
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C. Beeinträchtigungen der Leistungserbringung durch das Coronavirus SARS-CoV-2 und Sicherstellung der Versorgung von Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen
zweckgerichtet und unbürokratisch angewandt werden können. Dies gilt auch für den Einsatz von Beschäftigten für die Leistungen der zusätzlichen Betreuung nach § 43b in anderen Bereichen.
II. Die Anordnung von Aufnahmestopps 1. Die Länder können Aufnahmestopps für Pflegeeinrichtungen anordnen, wenn dies zum Schutz der Bewohner erforderlich ist. Niedersachsen hat als erstes Bundesland hiervon Gebrauch gemacht und die Aufnahme neuer Bewohner per Erlass untersagt (Erlass des Niedersächsischen Gesundheitsministeriums zum Aufnahmestopp vom 30. 03. 2020 – abrufbar unter https://www.niedersachsen.de/ Coronavirus/erlasse-und-allgemeinverfuegung/vorschriften-der-landesregierung-185856.html). Auch Bayern hat kurze Zeit später eine Allgemeinverfügung erlassen, die die Aufnahme von Bewohnern in vollstationäre Einrichtungen der Pflege nach § 71 Absatz 2 SGB XI ab dem 04. 04. 2020 untersagt (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 03. 04. 2020, Az. GZ6a-G8000–2020/122–183).
2. Aufnahmestopps können daneben auch weiterhin nach den einschlägigen Heimgesetzen der Länder ausgesprochen werden. Gründe hierfür können beispielsweise ein krankheitsbedingter Personalmangel oder erhebliche Hygienemängel sein. Im Falle einer wesentlichen Beeinträchtigung der Leistungserbringung durch den Träger haben die Pflegekassen nach § 150 SGB XI Absatz 1 Satz 3 SGB XI in Abstimmung mit den weiteren hierbei zuständigen Stellen, insbesondere den nach Landesrecht bestimmten heimrechtlichen Aufsichtsbehörden, zusammen mit der Pflegeeinrichtung die erforderlichen Maßnahmen und Anpassungen zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung vorzunehmen. Zwar ist nach dem Gesetzeswortlaut zunächst zu prüfen, inwieweit Personalanpassungen
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vorgenommen werden können. Dabei darf auch von der vereinbarten Personalausstattung abgewichen werden. Das bedeutet indes nicht, dass im Falle von Unterschreitungen der Personalausstattung die Anordnung eines Aufnahmestopps nach den jeweiligen Heimgesetzen der Länder ausgeschlossen ist. Ermächtigungsgrundlage für einen Aufnahmestopp ist beispielsweise § 15 Absatz 2 Wohn- und Teilhabegesetz (WTG NRW), der wie folgt lautet: „Werden festgestellte oder die Ursachen für drohende Mängel nicht abgestellt, sollen gegenüber den Leistungsanbieterinnen und Leistungsanbietern Anordnungen erlassen werden, die zur Beseitigung einer eingetretenen oder Abwendung einer drohenden Beeinträchtigung des Wohls der Nutzerinnen und Nutzer und zur Durchsetzung der den Leistungsanbieterinnen und Leistungsanbietern obliegenden Pflichten erforderlich sind. Kann aufgrund der festgestellten Mängel die Betreuung weiterer Nutzerinnen und Nutzer nicht sichergestellt werden, kann für einen bestimmten Zeitraum die Aufnahme weiterer Nutzerinnen und Nutzer untersagt werden. Wenn Anordnungen zur Beseitigung der Mängel nicht ausreichen, ist der Betrieb des Wohnund Betreuungsangebotes zu untersagen.“ Die Heimgesetze der anderen Bundesländer enthalten ähnliche Regelungen. Mängel im Sinne der Vorschrift können sich beispielsweise daraus ergeben, dass die Hygienevorschriften nicht eingehalten werden oder aufgrund eines hohen Krankenstandes die erforderliche Personal- bzw. Fachkraftquote nicht eingehalten werden kann. Der zuständigen Behörde kommt hinsichtlich der Anordnung eines Aufnahmestopps ein Ermessensspielraum zu. Sie hat hierbei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, d. h. die Anordnung eines Aufnahmestopps muss erforderlich, geeignet und angemessen sein. Es ist eine Güterabwägung zwischen den Interessen des Trägers der Pflegeeinrichtung und den schützenswerten Interessen der Bewohner vorgenommen werden. Aufnahmestopps müssen zeitlich befristet sein. In Anbetracht des neu geregelten § 150 SGB XI muss zudem abgewogen werden, ob ausnahmsweise eine Unterschreitung des mit den Pflegekassen vereinbarten Personalschlüssels zulässig ist.
In den Heimgesetzen der Länder ist in der Regel festgelegt, dass Klagen gegen Anordnungen der zuständigen Behörden keine aufschiebende Wirkung entfalten. Das bedeutet, dass Aufnahmestopps sofort vollziehbar sind. Bei rechtswidrigen Anordnungen sollte daher neben einer Klage auch ein gerichtliches Eilverfahren angestrengt werden.
3. Ist für eine Pflegeeinrichtung die Quarantäne angeordnet, wird sich die Frage nach der Aufnahme neuer Bewohner regelmäßig nicht stellen. Neue Bewohner können während der Quarantäne nicht aufgenommen werden.
III. Herabsetzung der Personal- und Qualifikationsanforderungen in der Pflege 1. Durchführungen von Heilbehandlungen Das Infektionsschutzgesetz enthält in § 5a IfSG eine Regelung zur Durchführung von Heilbehandlungen, die anlässlich der COVID-19-Pandemie durch das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 27. 03. 2020 (BGBl. I S. 587) eingefügt worden ist. Danach wird die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten unter bestimmten Voraussetzungen folgenden Personen gestattet: • Altenpflegerinnen und Altenpflegern, • Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und Gesundheitsund Kinderkrankenpflegern, • Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und Gesundheits- und Krankenpflegern, • Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern und • Pflegefachfrauen und Pflegefachmännern. Ausweislich des Gesetzesentwurfs zu § 5a IfSG sollen mit dieser Regelung Ärztinnen und Ärzte insbesondere von Behandlungen entlastet
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• die Person auf der Grundlage der in der jeweiligen Ausbildung erworbenen Kompetenzen und ihrer persönlichen Fähigkeiten in der Lage ist, die jeweils erforderliche Maßnahme eigenverantwortlich durchzuführen und • der Gesundheitszustand der Patientin oder des Patienten nach seiner Art und Schwere eine ärztliche Behandlung im Ausnahmefall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht zwingend erfordert, die jeweils erforderliche Maßnahme aber eine ärztliche Beteiligung voraussetzen würde, weil sie der Heilkunde zuzurechnen ist. Die durchgeführte Maßnahme ist in angemessener Weise zu dokumentieren. Sie soll unverzüglich der verantwortlichen Ärztin oder dem verantwortlichen Arzt oder einer sonstigen die Patientin oder den Patienten behandelnden Ärztin oder einem behandelnden Arzt mitgeteilt werden. Zu beachten ist, dass es sich bei § 5a IfSG um eine Ausnahmeregelung handelt. Die Durchführung von Heilbehandlungen durch die vorbenannten Personen ist ausschließlich im Falle einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite erlaubt. Die durch § 5a IfSG eingeräumte Befugnis endet, sobald die Bundesregierung die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 2 Satz 1 IfSG wieder aufhebt.
2. Fachkraft- und Personalquoten Die Fachkraftquote ist grundsätzlich weiterhin einzuhalten. Dies ist im Regelfall weiterhin möglich. Denn bei der Berechnung der Fachkraftquote werden auch solche Mitarbeiter berücksichtigt, die vorübergehend erkrankt oder aus anderen Gründen nicht im Dienst sind. Arbeitsunfähig erkrankte Mitarbeiter sind für die Dauer des sechs-
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werden, die ein ärztliches Tätigwerden im Ausnahmefall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht zwingend erfordern. Die Durchführung einer Heilbehandlung durch die benannten Personen setzt voraus, dass
wöchigen Entgeltfortzahlungsanspruchs gemäß § 3 Absatz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz bei der Berechnung der Fachkräftequote zu berücksichtigen (VG Lüneburg, Urteil vom 12. Dezember 2017–4 A 639/16; Dickmann, Heimrecht, Kommentar, 11. Auflage, 2014, Abschnitt G III, Rn. 21). Das kurzfristige Ausfallen von Mitarbeitern hat somit zunächst keinen Einfluss auf die Fachkraftquote. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass es in Pflegeeinrichtungen zu Situationen kommt, in denen die pflegerische Versorgung und die Einhaltung von Personalquoten durch einen vermehren Personalausfall beeinträchtigt werden. Gemäß § 150 Absatz 1 Satz 3 SGB XI haben die Pflegekassen zusammen mit der Pflegeeinrichtung in Abstimmung mit den weiteren hierbei zuständigen Stellen, insbesondere den nach Landesrecht bestimmten heimrechtlichen Aufsichtsbehörden, die erforderlichen Maßnahmen zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung und Anpassungen vorzunehmen. Dabei kann auch von der vereinbarten Personalausstattung einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen nach dem SGB XI abgewichen werden. Einige Bundesländer haben bereits reagiert und lassen Abweichungen von Fachkraftquote und der Personalausstattung zu. Sofern Einrichtungen der vollstationären Dauerpflege in Nordrhein-Westfalen durch vermehrte Erkrankungen bzw. eine Reduzierung des Personals durch angeordnete Quarantänemaßnahmen auch nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten die in § 21 WTG NRW bestimmten personellen Anforderungen nicht mehr sicherstellen können, sind für die Dauer dieser einrichtungsindividuell festzustellenden Notsituation die personellen Anforderungen des § 21 WTG durch die örtliche WTG-Behörde auszusetzen. Diese Aussetzung ist mit einem Aufnahmestopp für die betroffene Einrichtung verbunden, von dem nur in besonderen Einzelfällen in Abstimmung mit der WTG-Behörde und dem Gesundheitsamt abgewichen werden darf. Hinsichtlich der Fachkraftquote sind die WTG Behörden angewiesen, eine Quote von 40 Prozent zu tolerieren, wenn Einrichtungsträger Fachkräfte zur Linderung einer Notsituation in andere Einrichtungen abstellen (Erlass des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen
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Kapitel II • Verwaltungsrecht
Praxishinweis Informieren Sie sich über Abweichungsmöglichkeiten von Personalquoten in Ihrem jeweiligen Bundesland.
Für pflegesensitive Bereiche in Krankenhäusern im Sinne von § 137i SGB V ist am 01. 11. 2019 die Verordnung zur Festlegung von Pflegepersonaluntergrenzen (Personaluntergrenzen-Verordnung, kurz: PpUGV) in Kraft getreten. Anlässlich der COVID-19-Pandemie ist die Geltung dieser Verordnung allerdings durch die „Erste Verordnung zur Änderung der Personaluntergrenzen-Verordnung“ vom 25. 03. 2020 für die Zeitraum vom 01. 03. 2020 bis einschließlich 31. 03. 2020 ausgesetzt worden.
3. Handlungsempfehlungen des GKV-Spitzenverbandes und den Verbänden der Krankenkassen auf Bundesebene Der GKV-Spitzenverband hat in Abstimmung mit den Verbänden der Krankenkassen auf Bundesebene Empfehlungen zur Versorgung mit häuslicher Krankenpflege (HKP) während der Ausbreitung des Coronavirus-SARS-CoV-2 herausgegeben (Stand: 31. 03. 2020, abrufbar unter https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/ambulante_leistungen/haeusliche_krankenpfle-
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Kapitel II • Verwaltungsrecht
zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung vom 10. 03. 2020). In Niedersachsen haben die Pflegeeinrichtungen zunächst alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Anforderungen an die personelle Ausstattung zu erfüllen (z. B. Einsatz von Leiharbeitnehmern). Können die Anforderungen an die personelle Ausstattung trotzdem nicht eingehalten werden, kann mit Zustimmung der Heimaufsichtsbehörde von den Anforderungen vorübergehend abgewichen werden (Hinweise für Pflegeheime zur Sicherstellung der Versorgung des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vom 17. 03. 2020).
ge/2020_03_31_HKP_Corona_Empfehlungen.pdf). Ziel dieser Empfehlungen ist es, die Versorgung zu erleichtern und aufrechtzuerhalten. Die Empfehlungen sind zunächst bis zum 31. 05. 2020 befristet.
a) Leistungserbringer in ambulant betreuten Intensivpflege-Wohngruppen Sofern Leistungserbringer in ambulant betreuten Intensivpflege-Wohngruppen den vertragsschließenden Krankenkassen anzeigen, dass sie aufgrund der aktuellen COVID- 19 Pandemie den vertraglich vereinbarten Betreuungsschlüssel für Intensivpflege-Wohngruppen auch nach erfolgter Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Umstrukturierung innerhalb des Betriebs zur Sicherstellung der vertraglichen Anforderungen vorübergehend tatsächlich nicht mehr gewährleisten können, sollten unter Berücksichtigung des Einzelfalls befristete Abweichungen von den bestehenden Regelungen vereinbart werden. Dabei kann für einen befristeten Zeitraum vom vertraglich vereinbarten Betreuungsschlüssel abgewichen werden, sofern eine fachgerechte Versorgung durch den Pflegedienst weiterhin garantiert werden kann und die Versorgung gesichert ist.
b) Leistungserbringer der außerklinischen ambulanten Intensivpflege Für Pflegedienste, die im Rahmen der außerklinischen Intensivpflege die vertraglich vereinbarten Qualifikationsanforderungen aufgrund der COVID-19-Pandemie auch nach erfolgter Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Umstrukturierung innerhalb des Betriebs nicht einhalten können und dies gegenüber den vertragsschließenden Krankenkassen schriftlich oder elektronisch anzeigen und begründen, können im Einzelfall befristete Regelungen getroffen werden. Danach können auch Pflegefachkräfte im Rahmen der Leistungserbringung eingesetzt werden, die die vertraglich vereinbarte Zusatzqualifikation bereits begonnen, aber noch nicht abgeschlossen haben. Die Pflegefachkräfte müssen durch die verantwortliche Pflegefachkraft bzw. Fachbereichsleitung eng begleitet und strukturiert eingearbeitet
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Kapitel II • Verwaltungsrecht
c) P ersonalmindestvorhaltung für bestehende Pflegedienste Für den Fall, dass ambulante Pflegedienste die in den Verträgen nach § 132 Absatz 4 SGB V vereinbarten Mindestpersonalmengen vorübergehend nicht sicherstellen können, empfiehlt der GKV-Spitzenverband, vorübergehende abweichende Verständigungen zu treffen, die eine fachgerechte Versorgung mit häuslicher Krankenpflege unter fachlicher Verantwortung der Pflegedienstleitung weiterhin sicherstellen. Praxishinweis Sofern Sie aufgrund der COVID-19-Pandemie vertraglich vereinbarte Personalmengen oder Qualifikationsanforderungen nicht einhalten können, setzen Sie sich mit den Landeverbänden der Krankenkassen in Verbindung,
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Kapitel II • Verwaltungsrecht
werden. Eine fachgerechte Versorgung muss weiterhin gewährleistet sein. Die Verantwortung trägt der Pflegedienst. Wenn Pflegedienste die vertraglich vereinbarten Qualifikationsvereinbarungen zur Erbringung der „normalen“ somatischen häuslichen Krankenpflege aufgrund der Pandemie nicht einhalten können, kann die Leistungserbringung der sogenannten einfachsten Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege aufgrund einer befristeten Ausnahmeregelung auch durch Pflegehilfskräfte erfolgen. Der Pflegedienst muss den Sachverhalt darstellen und eine fachgerechte Leistungserbringung weiterhin sicherstellen. Hinsichtlich der Begriffsbestimmung der „einfachsten Maßnahmen“ verweist der GKV-Spitzenverband auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und die dort definierten Kriterien (vgl. BSG, Urteil vom 22. 04. 2015, Az.: B 3 KR 16/14 R). Dazu gehören Leistungen, die für Versicherte im eigenen Haushalt grundsätzlich von jedem erwachsenen Haushaltsangehörigen erbracht werden könnten. Hierzu zählen beispielsweise die Tablettengabe nach ärztlicher Anweisung, das Messen des Blutdrucks oder Blutzuckers, das An- und Ablegen von Kompressionsstrümpfen oder das Einreiben mit Salben.
um Ausnahmeregelungen zu erwirken. Hierbei können Sie sich auch von Ihrem Fachverband oder von spezialisierten Rechtsanwälten unterstützen lassen.
IV. Entschädigungsregelungen und Erstattungsansprüche 1. Hinsichtlich etwaiger finanzieller Einbußen infolge einer Beeinträchtigung der Leistungserbringung durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ist durch das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz eine Entschädigungsregelung in § 150 Absatz 2 SGB XI eingefügt worden. Den zugelassenen Pflegeeinrichtungen werden die ihnen infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 anfallenden, außerordentlichen Aufwendungen sowie Mindereinnahmen im Rahmen ihrer Leistungserbringung, die nicht anderweitig finanziert werden, erstattet. Der Anspruch auf Erstattung kann regelmäßig zum Monatsende bei einer Pflegekasse geltend gemacht werden, die Partei des Versorgungsvertrages ist. Die Auszahlung des gesamten Erstattungsbetrages hat innerhalb von 14 Kalendertagen über eine Pflegekasse zu erfolgen. Die Auszahlung kann vorläufig erfolgen. Für zugelassene Pflegeeinrichtungen, die eine vertragliche Regelung der Pflegevergütung nach den §§ 85 und 89 SGB XI abgeschlossen haben, findet § 85 Absatz 7 SGB XI insoweit keine Anwendung. Dabei sind bei Unterschreitungen der vereinbarten Personalausstattung keine Vergütungskürzungsverfahren nach § 115 Absatz 3 Satz 1 durchzuführen. Nach § 150 Absatz 3 SGB XI legt der Spitzenverband Bund der Pflegekassen im Benehmen mit den Bundesvereinigungen der Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen unverzüglich das Nähere für das Erstattungsverfahren und die erforderlichen Nachweise für seine Mitglieder fest. Dabei sind gemessen an der besonderen Herausforderung von allen Beteiligten pragmatische Lösungen in der Umsetzung vorzusehen. Die Festlegungen bedürfen der Zustimmung des Bundesministeriums
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Kapitel II • Verwaltungsrecht
2. Auch für die ambulanten Einrichtungen ist eine Entschädigungsregelung vorgesehen. Bei ambulanten Pflegeeinrichtungen tragen die gesetzlichen Krankenkassen und die Soziale Pflegeversicherung gemäß § 150 Absatz 4 SGB XI die nach Absatz 2 entstehenden Erstattungen entsprechend des Verhältnisses der Ausgaben im vorangegangenen Kalenderjahr der Krankenkassen für die häusliche Krankenpflege zu den Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung für Pflegesachleistungen; § 106b Absatz 2 Satz 2 und 3 SGB XI gilt entsprechend. Die privaten Versicherungsunternehmen, die die private Pflege-Pflichtversicherung durchführen, beteiligen sich mit einem Anteil von 7 Prozent an den Kosten, die sich gemäß Absatz 2 ergeben. Das Bundesamt für Soziale Sicherung stellt die Höhe des Finanzierungsanteils der privaten Versicherungsunternehmen auf Basis der vierteljährlichen Finanzstatistiken der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen fest. Die entsprechende Zahlung wird binnen vier Wochen fällig. Der jeweilige Finanzierungsanteil, der auf die privaten Versicherungsunternehmen entfällt, kann von dem Verband der privaten Krankenversicherung e. V. unmittelbar an das Bundesamt für Soziale Sicherung zugunsten des Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung nach § 65 geleistet werden.
3. Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen mit einem Versorgungsvertrag nach § 111 Absatz 2 erhalten gemäß § 111d Absatz 1 SGB V für Ausfälle ihrer Einnahmen, die ihnen seit dem 16. 03. 2020 dadurch entstehen, dass aufgrund der SARS-CoV-2 Pandemie Betten nicht wie geplant belegt werden können, Ausgleichszahlungen aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. Die Ausgleichszahlungen werden in Form einer tagesbezogenen Pauschale geleistet. Diese beträgt ge-
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Kapitel II • Verwaltungsrecht
für Gesundheit. Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit regelmäßig über die Ausgabenentwicklung.
mäß § 111 d Absatz 3 SGB V 60 Prozent des mit den Krankenkassen vereinbarten durchschnittlichen Vergütungssatzes. Einzelheiten zur genauen Ermittlung der Höhe der Ausgleichszahlungen und Meldung an die für die Krankenhausplanung zuständige Landesbehörde ergeben sich aus § 111d Absatz 2 SGB V.
4. Soziale Dienstleister oder Einrichtungen, denen infolge der COVID-19-Pandemie schwerwiegende finanzielle Einbußen drohen, können über das „Gesetz über den Einsatz von Einrichtungen und sozialen Diensten zur Bekämpfung der Coronavirus SARS-CoV-Krise (SodEG) finanziell entlastet werden. Der Gedanke dieses Gesetzes ist es, diese sozialen Dienstleister zur Krisenbewältigung einzusetzen. Im Gegenzug übernehmen die Leistungsträger (mit Ausnahme der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung) einen Sicherstellungsauftrag für die sozialen Dienstleister. Das bedeutet, dass die Leistungsträger im Falle bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen weiterhin Zahlungen an die sozialen Dienstleister erbringen. Die gesetzliche Regelung richtet sich an alle sozialen Dienstleister, die aufgrund der Coronavirus SARS-CoV-Krise in ihrer Existenz gefährdet sind und über das Sozialgesetzbuch und das Aufenthaltsgesetz Leistungen erbringen. Das Angebot richtet sich beispielsweise an Einrichtungen der Eingliederungshilfe. Leistungserbringer, die nach dem SGB V und dem SGB XI finanziert werden, sind vom Anwendungsbereich der gesetzlichen Regelung ausgenommen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales begründet die Ausnahme damit, dass die wirtschaftlichen Einbußen dieser Einrichtungen parallel zum SodEG durch das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz aufgefangen werden. Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, soweit sie nach dem SGB V finanziert werden, sind ebenfalls vom Anwendungsbereich ausgenommen. Für sie gilt § 111d SGB V in der Fassung des COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes (Bundesministerium für Gesundheit, FAQ zum SodEG, Stand: 30. 03. 2020, Seite 9).
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Kapitel II • Verwaltungsrecht
5. § 56 IfSG enthält Entschädigungsansprüche von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die aufgrund von Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz Verboten in der Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit unterworfen sind oder aufgrund geschlossener Betreuungseinrichtungen ihre Kinder zu Hause betreuen und infolgedessen ihre Erwerbstätigkeit nicht oder nur eingeschränkt ausüben können. Lesen Sie hierzu das Kapitel „Arbeitsrechtliche Auswirkungen des Coronavirus SARS-CoV-2 und Handlungsmöglichkeiten für Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen“.
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Kapitel II • Verwaltungsrecht
Soziale Dienstleister, für die der Anwendungsbereich des Gesetzes eröffnet ist, können einen Antrag auf Zuschüsse nach dem SodEG bei dem für sie zuständigen Leistungsträger stellen. Sie müssen nach § 1 SodEG im Zuge der Antragstellung erklären, dass sie unter Ausschöpfung aller nach den Umständen zumutbaren Möglichkeiten unter Berücksichtigung rechtlicher Rahmenbedingungen Arbeitskräfte, Räumlichkeiten und Sachmittel in Bereichen zur Verfügung stellen, die für die Bewältigung von Auswirkungen der Pandemie geeignet sind. Die Leistungsträger nach § 12 SGB I (mit Ausnahme der Leistungsträger nach SGB V und SGB XI) übernehmen gegenüber den sozialen Dienstleistern einen Sicherstellungsauftrag. Dieser wird gemäß § 3 SodEG durch die Auszahlung monatlicher Zuschüsse umgesetzt. § 4 SodEG regelt einen Erstattungsanspruch der Leistungsträger gegenüber sozialen Dienstleistern, sofern diesen im Zeitraum der Zuschussgewährung vorrangige Mittel tatsächlich zugeflossen sind. Vorrangig sind beispielsweise Entschädigungen nach dem Infektionsschutzgesetz.
Kapitel III • Arbeitsrecht
Das Coronavirus SARS-CoV-2 wirkt sich auch im Bereich des Personalmanagements gravierend aus. Im Umgang mit Erkrankungen, Quarantänemaßnahmen, betrieblichen Einschränkungen, aber auch mit der Kinder- und Angehörigenbetreuung durch die Arbeitnehmer entstehen viele Fragestellungen für die Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen. Im Folgenden geht es daher zunächst um den Ausfall von Arbeitskräften aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2. Können Arbeitnehmer eine Freistellung verlangen, obwohl sie keine Symptome aufweisen und nicht erkrankt sind? Was müssen die Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen als Arbeitgeber im Falle einer Erkrankung oder Quarantäne eines Arbeitnehmers bzw. einer Arbeitnehmerin beachten? Wann besteht ein Anspruch auf Freistellung zur Betreuung eines Kindes? Darüber hinaus wird erörtert, welche Vergütungsansprüche den Mitarbeitern in den einzelnen Fallgestaltungen zustehen. In diesem Zusammenhang stellt sich für die Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen zudem die Frage, ob und in welcher Höhe Entschädigungs- oder anderweitige Ausgleichsansprüche bestehen. Um den Kontakt zwischen den Mitarbeitern so gering wie möglich zu halten, kann es sinnvoll sein, Arbeitsformen wie das Homeoffice anzubieten. Dies ist bei Trägerinnen und Trägern von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen jedoch nur in sehr beschränktem Umfang möglich und wird wohl einzig die Verwaltungstätigkeiten erfassen, zumal hierauf auch kein Anspruch besteht.
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Kapitel III • Arbeitsrecht
Arbeitsrechtliche Auswirkungen des Coronavirus SARSCoV-2 und Handlungsmöglichkeiten für Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen Jan Pakirnus
Weiter wird in diesem Abschnitt darauf eingegangen, wie auf Auftragsrückgänge oder finanzielle Engpässe reagiert werden kann. Hierzu wird dargestellt, ab wann und unter welchen Voraussetzungen Kurzarbeitergeld beantragt werden kann. Zudem kommt für Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen, bei denen ein Betriebsrat gebildet wurde, die Möglichkeit von Betriebsferien in Betracht. Als letztes Mittel der Reaktion auf eine in Folge der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten, finanziellen Krise besteht unter bestimmten Voraussetzungen auch die Möglichkeit, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Außerdem wird in diesem Abschnitt auf die Schutz- und Fürsorgepflichten der Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen eingegangen. Die Arbeitgeber treffen umfangreiche Schutz- und Fürsorgepflichten für ihre Arbeitnehmer. Es werden die praktischen Maßnahmen dargestellt, die während der Coronakrise ggfs. zusätzlich zum Schutz der Arbeitnehmer ergriffen werden müssen.
A. Was geschieht mit dem Vergütungsanspruch der Arbeitnehmer? I. Freistellung ohne Krankheitssymptome Der Arbeitnehmer behält seinen Vergütungsanspruch, wenn der Arbeitgeber ihn von der Erbringung seiner Arbeitsleistung freistellt. Eine Freistellung kann bspw. erfolgen, wenn der Arbeitnehmer aus einem Risikogebiet zurückkommt, aber keinerlei Krankheitssymptome aufweist. Eine Freistellung kann unter bestimmten Voraussetzungen auch zum Abbau von Überstundenguthaben erfolgen (s. u. E. I. Reaktionsmöglichkeiten der Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen auf verringerten Beschäftigungsbedarf). Sofern ein Arbeitnehmer nach der erfolgten Freistellung arbeitsunfähig erkrankt, geht die Freistellung vor. Nach der ständigen Recht-
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Kapitel III • Arbeitsrecht
II. A rbeitnehmer will aus Furcht vor Ansteckung von sich aus zu Hause bleiben Der Arbeitnehmer hat keinen Vergütungsanspruch, wenn er aus Furcht vor einer Ansteckung zu Hause bleiben will. Er trägt grundsätzlich das sog. „Wegerisiko“ (z. B. wenn der Arbeitnehmer im Winter nicht den Betrieb erreicht). Zusätzlich liegt in diesem Fall ein unentschuldigtes Fehlen des Arbeitnehmers vor, da er auch bei drohenden Pandemien kein allgemeines Leistungsverweigerungsrecht hat. Das unentschuldigte Fehlen kann mit einer Abmahnung oder sogar einer Kündigung geahndet werden. Es wird allerdings im Einzelfall eine Abwägung durch die Arbeitsgerichte dahingehend erfolgen, ob der Pflichtverstoß eine Kündigung rechtfertigt. Die Wirksamkeit einer Kündigung liegt nahe, wenn keine greifbaren objektiven Anhaltspunkte für eine besonders gesteigerte Gefährdung des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz gegeben sind und der Arbeitnehmer hinreichend – ggf. durch Abmahnung – auf die Folge der Kündigung bei Arbeitsverweigerung hingewiesen wurde (für weiterführende Informationen zum Thema „Kündigung“ s. u. G. II „Verhaltensbedingte Kündigung“). Praxishinweis Vor Ausspruch einer Kündigung empfiehlt es sich, den entsprechenden Sachverhalt mit einem Fachanwalt abzuklären und sich beraten zu lassen.
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Kapitel III • Arbeitsrecht
sprechung des Bundesarbeitsgerichts macht eine nachträglich eintretende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im Freistellungszeitraum die Erfüllung des Ausgleichsanspruchs nicht hinfällig (BAG, Urteil vom 21. 08. 1991–5 AZR 91/91; BAG, Urteil vom 28. Januar 2004–5 AZR 58/03 - NJOZ 2005, 2340). Demnach trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer das Risiko, die durch Arbeitsbefreiung als Arbeitszeitausgleich gewonnene Freizeit auch tatsächlich nach seinen Vorstellungen nutzen zu können.
III. Vergütungspflicht des Arbeitgebers bei Auftrags- oder Rohstoffmangel Das sog. „Wirtschaftsrisiko“ trägt grundsätzlich der Arbeitgeber. Hiervon sind die Fälle betroffen, in denen Auftrags- oder Absatzmängel dazu führen, dass der Betrieb zwar weitergeführt werden kann, aber ein Arbeitsausfall eintritt. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt weiterzahlen. Kann er die vom Arbeitnehmer angebotene Arbeitsleistung nicht verwerten, weil er keine Aufträge hat, unterfällt dies seinem „Wirtschaftsrisiko“.
IV. Entgeltfortzahlungsanspruch bei COVID-19-Erkrankung Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die an Covid-19 erkrankt sind, haben gemäß § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) wie jeder Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Erkrankungen für die Dauer von sechs Wochen. Freie Mitarbeiter haben diesen Anspruch nicht, sie sind keine Arbeitnehmer. Etwas anderes gilt, wenn gegen den an COVID-19 erkrankten Arbeitnehmer zugleich nach § 31 Satz 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ein berufliches Tätigkeitsverbot angeordnet worden ist. Hier liegt eine Konkurrenz des Entgeltfortzahlungsanspruchs mit dem Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers infolge des Tätigkeitsverbotes nach § 56 Absatz 1 IfSG vor. Die Konkurrenz wird dergestalt aufgelöst, dass der infektionsschutzrechtliche Entschädigungsanspruch wegen der öffentlich-rechtlichen Zwangswirkung den Entgeltfortzahlungsanspruch wegen der Erkrankung des Arbeitnehmers verdrängt. Danach wird derjenige, der als Ausscheider einer Infektion, als Ansteckungsverdächtiger, als Krankheitsverdächtiger oder sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne des § 31 Satz 2 IfSG einem Verbot der Ausübung seiner Arbeitstätigkeit unterliegt, durch den Staat in Höhe seines Verdienstausfalls für die Dauer von sechs Wochen entschädigt. § 56 IfSG lautet auszugsweise:
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Kapitel III • Arbeitsrecht
(…) (2) Die Entschädigung bemisst sich nach dem Verdienstausfall. Für die ersten sechs Wochen wird sie in Höhe des Verdienstausfalls gewährt. Vom Beginn der siebenten Woche an wird sie in Höhe des Krankengeldes nach § 47 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch gewährt, soweit der Verdienstausfall die für die gesetzliche Krankenversicherungspflicht maßgebende Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht übersteigt. Im Fall des Absatzes 1a wird die Entschädigung abweichend von den Sätzen 2 und 3 in Höhe von 67 Prozent des dem erwerbstätigen Sorgeberechtigten entstandenen Verdienstausfalls für längstens sechs Wochen gewährt; für einen vollen Monat wird höchstens ein Betrag von 2 016 Euro gewährt. (3) Als Verdienstausfall gilt das Arbeitsentgelt (§ 14 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch), das dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechenden Aufwendungen zur sozialen Sicherung in angemessenem Umfang zusteht (Netto-Arbeitsentgelt). Der Betrag erhöht sich um das Kurzarbeitergeld und um das Zuschuss-Wintergeld, auf das der Arbeitnehmer Anspruch hätte, wenn er nicht aus den in Absatz 1 genannten Gründen an der Ar-
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Kapitel III • Arbeitsrecht
„(1) Wer aufgrund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in Geld. Das Gleiche gilt für Personen, die als Ausscheider oder Ansteckungsverdächtige abgesondert wurden oder werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen können. Eine Entschädigung nach den Sätzen 1 und 2 erhält nicht, wer durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung oder anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben ist oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen öffentlich empfohlen wurde, ein Verbot in der Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit oder eine Absonderung hätte vermeiden können.
beitsleistung verhindert wäre. Verbleibt dem Arbeitnehmer nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder bei Absonderung ein Teil des bisherigen Arbeitsentgelts, so gilt als Verdienstausfall der Unterschiedsbetrag zwischen dem in Satz 1 genannten Netto-Arbeitsentgelt und dem in dem auf die Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder der Absonderung folgenden Kalendermonat erzielten Netto-Arbeitsentgelt aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis. Die Sätze 1 und 3 gelten für die Berechnung des Verdienstausfalls bei den in Heimarbeit Beschäftigten und bei Selbstständigen entsprechend mit der Maßgabe, dass bei den in Heimarbeit Beschäftigten das im Durchschnitt des letzten Jahres vor Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder vor der Absonderung verdiente monatliche Arbeitsentgelt und bei Selbstständigen ein Zwölftel des Arbeitseinkommens (§ 15 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch) aus der entschädigungspflichtigen Tätigkeit zugrunde zu legen ist. (…) (5) Bei Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen. Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber auf Antrag von der zuständigen Behörde erstattet. Im Übrigen wird die Entschädigung von der zuständigen Behörde auf Antrag gewährt. (…) (7) Wird der Entschädigungsberechtigte arbeitsunfähig, so bleibt der Entschädigungsanspruch in Höhe des Betrages, der bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit an den Berechtigten auszuzahlen war, bestehen. Ansprüche, die Berechtigten nach Absatz 1 Satz 2 wegen des durch die Arbeitsunfähigkeit bedingten Verdienstausfalls aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften oder eines privaten Versicherungsverhältnisses zustehen, gehen insoweit auf das entschädigungspflichtige Land über. (8) Auf die Entschädigung sind anzurechnen 1. Zuschüsse des Arbeitgebers, soweit sie zusammen mit der Entschädigung den tatsächlichen Verdienstausfall übersteigen,
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Kapitel III • Arbeitsrecht
3. der Wert desjenigen, das der Entschädigungsberechtigte durch Ausübung einer anderen als der verbotenen Tätigkeit zu erwerben böswillig unterlässt, soweit es zusammen mit der Entschädigung den tatsächlichen Verdienstausfall übersteigt, 4. das Arbeitslosengeld in der Höhe, in der diese Leistung dem Entschädigungsberechtigten ohne Anwendung der Vorschriften über das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Sperrzeit nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch sowie des § 66 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch in der jeweils geltenden Fassung hätten gewährt werden müssen. Liegen die Voraussetzungen für eine Anrechnung sowohl nach Nummer 3 als auch nach Nummer 4 vor, so ist der höhere Betrag anzurechnen. (9) Der Anspruch auf Entschädigung geht insoweit, als dem Entschädigungsberechtigten Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld für die gleiche Zeit zu gewähren ist, auf die Bundesagentur für Arbeit über. (…)“ Deshalb zahlt zunächst der Arbeitgeber die Entschädigung gemäß § 56 Absatz 5 Satz 1 IfSG für die zuständige Behörde an den Arbeitnehmer aus. Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber gemäß § 56 Abs. 5 Satz 2 IfSG auf Antrag bei der zuständigen Behörde (in Nordrhein-Westfalen und den meisten anderen Bundesländern sind dies die Bezirksregierungen) erstattet. Ist der Arbeitgeber entgegen der gesetzlichen Pflicht nicht in Vorleistung getreten, kann auch der Arbeitnehmer diesen Antrag stellen, § 56 Absatz 5 Satz 3 IfSG. Wegen der öffentlich-rechtlichen Zwangswirkung geht das infektionsschutzrechtliche Beschäftigungsverbot der Erkrankung des Arbeitnehmers vor. Das gilt natürlich nur dann, wenn ein solches Beschäftigungsverbot in Bezug auf einen erkrankten Arbeitnehmer
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2. das Netto-Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen nach Absatz 3 aus einer Tätigkeit, die als Ersatz der verbotenen Tätigkeit ausgeübt wird, soweit es zusammen mit der Entschädigung den tatsächlichen Verdienstausfall übersteigt,
ausgesprochen worden ist. Dann soll es am Entgeltfortzahlungsanspruch fehlen, weil die Erkrankung nicht der Grund für den Ausfall der Arbeitsleistung war. Praxishinweis Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen sollten bei COVID-19-Erkrankungen prüfen, ob für die erkrankten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein behördliches Beschäftigungsverbot ausgesprochen wurde. In diesen Fällen besteht ein Entschädigungsanspruch in Höhe des Verdienstausfalls gemäß § 56 IfSG. Hierdurch kann die finanzielle Belastung durch „Entgeltfortzahlung“ reduziert werden. Die Entschädigungsleistung wird durch den Arbeitgeber erbracht. Er erhält die Zahlungen auf Antrag von der zuständigen Landesbehörde.
V. Entgeltfortzahlungsanspruch bei Verdacht auf eine Coronavirus SARS-CoV-2Ansteckung Besteht lediglich der Verdacht auf eine Ansteckung, besteht ein Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers gemäß § 56 Absatz 1 Satz 1 IfSG lediglich in den Fällen, in denen ein behördliches Beschäftigungsverbot nach § 31 IfSG angeordnet worden ist. Das Tätigkeitsverbot kann sich auf einzelne Arbeitnehmer oder behördlich definierte Gruppen beziehen. Ursächlich für die Arbeitsverhinderung ist dann nicht die nur vermutete Krankheit als solche, sondern das Beschäftigungsverbot. Damit besteht dann kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. In den meisten Fällen wird hier noch nicht einmal eine Krankheit vorliegen, da nur ein Verdachtsfall besteht. Die Fälle der Quarantäne gemäß § 30 IfSG sind gleich zu behandeln. Hier wird infolge der Quarantäne ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen werden. Dann besteht der Entschädigungsanspruch gemäß § 56 IfSG. Erkrankt ist der unter Quarantäne stehende Arbeitnehmer
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nicht, sodass deshalb kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bestehen kann.
Arbeitnehmer, bei denen lediglich ein Ansteckungsverdacht besteht, haben grundsätzlich keinen Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 3 EFZG. Sofern sie aufgrund des Coronavirus SARS-Cov-2 unter Beobachtung oder Quarantäne gestellt werden, besteht für sie nach dem Infektionsschutzgesetz ein Entschädigungsanspruch in Höhe des Verdienstausfalls. Diese Entschädigungsleistung wird durch den Arbeitgeber erbracht. Er erhält die Zahlungen auf Antrag von der zuständigen Landesbehörde.
VI. E ntgeltfortzahlungsanspruch bei behördlicher Betriebsschließung Wird der Betrieb geschlossen, weil in Bezug auf den gesamten Betrieb oder Gruppen von Arbeitnehmern ein Infektionsrisiko besteht, können die Grundsätze der bereits vom Reichsgericht im Jahre 1923 entwickelten Betriebsrisikolehre (s. aus neuerer Zeit BAG, Urteil vom 9. 7. 2008–5 AZR 810/07 – NZA 2008, 1407) angewendet werden. Betriebsrisikofälle kennt das deutsche Arbeitsrecht bei der Unterbrechung der Energieversorgung, der Einwirkung von Naturereignissen, dem Ausbleiben von Rohstoffen oder dem Auftreten von Maschinenschäden und der daraus folgenden Einstellung oder Einschränkung des Betriebes. Ein Verschulden des Arbeitgebers liegt nicht vor (BAG, Urteil vom 30. 05. 1963–5 AZR 282/62). Nach der Rechtsprechung trägt der Arbeitgeber dann das Betriebsrisiko infolge behördlicher Maßnahmen (hier der Betriebsschließung), wenn dieses Risiko der behördlichen Maßnahme im Betrieb durch dessen besondere Art angelegt gewesen war. Es kommt also auf die Eigenart des Betriebes an. Allgemeine Gefahrenlagen wie Kriege, Unruhen und Terroranschläge gehören dagegen nicht zum Betriebsrisiko.
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Praxishinweis
Überträgt man die Grundsätze auf die Coronavirus SARS-CoV-2-Fallgestaltungen, liegt bei Betrieben, bei denen notwendigerweise ein breiter Personenkontakt besteht, ohne Weiteres die besondere Eigenart vor, dass Kontakt zu Menschen mit infektiösen Erkrankungen besteht. Ebenso ist es unvermeidbar, dass eigene Mitarbeiter mit Menschen in Kontakt kommen, sich infizieren oder der Verdacht einer Infektion besteht und daher Betriebsschließungen ausgesprochen werden können. Das spricht dafür, dass die Eigenart dieser Betriebe als Betriebsrisiko des Arbeitgebers anzusehen ist, sodass der Arbeitgeber den Vergütungsanspruch der Arbeitnehmer weiter erfüllen muss. Diese Grundsätze gelten auch bei Trägerinnen und Trägern von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen, in Krankenhäusern, Arztpraxen usw. Praxishinweis Machen Sie in jedem Fall die Entschädigungsansprüche nach § 56 IfSG vonseiten der Arbeitgeber bzw. der Arbeitnehmer gegenüber der zuständigen öffentlichen Stelle (in NRW der Bezirksregierung) geltend, um das wirtschaftliche Risiko zu begrenzen. Diesbezügliche Anträge sollten gestellt werden. Hierbei sollten sich die Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen von spezialisierten Fachanwälten beraten lassen.
VII. Entgeltfortzahlungsanspruch bei Kinderbetreuung Wenn Kindergärten oder Schulen bedingt durch das Coronavirus SARS-CoV-2 vorübergehend schließen und Ihre Arbeitnehmer die Betreuung ihrer Kinder selbst organisieren müssen, ist es ihnen zeitweise unmöglich, ihre Pflicht zur Arbeitsleistung zu erfüllen. Dann gilt Folgendes:
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1. Bisherige Rechtslage
2. Neue Rechtslage Der Bundespräsident hat am 27. 03. 2020 das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite unterzeichnet. Es ist zum 28. 03. 2020 in Kraft getreten und gilt befristet bis zum 31. 12. 2020. In diesem Zuge wurde auch § 56 IfSG geändert und durch § 56 Absatz 1a IfSG ergänzt. Hierdurch wird ein Entschädigungsanspruch geschaffen, um Verdienstausfälle abzumildern, die erwerbstätige Eltern oder Sorgeberechtigte von Kindern bis zum 12. Lebensjahr dadurch erleiden, dass sie ihre Kinder selbst betreuen müssen und deshalb ihrer beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen können. Der neu gefasste § 56 Absatz 1a IfSG lautet:
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Kapitel III • Arbeitsrecht
In diesen Fällen ist der Arbeitgeber möglicherweise gemäß § 616 BGB zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. Aus § 2 Absatz 1 Pflegezeitgesetz schließt die herrschende Meinung, dass ein Zeitraum von bis zu zehn Tagen als eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ im Sinne des § 616 Satz 1 BGB anzusehen ist. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht nur, wenn der Arbeitnehmer vorübergehend verhindert ist. Wird z. B. die Schließung des Kindergartens sogleich für zwei Wochen erklärt, besteht überhaupt kein Anspruch nach § 616 BGB. Grund ist, dass die Schließung von vornherein zu einer nicht nur „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“ andauernden Verhinderung führt. Die Vorschrift ist zudem vertraglich abdingbar. Wenn im Arbeitsvertrag die Anwendung von § 616 BGB wirksam ausgeschlossen wurde, muss der Arbeitgeber eine Entgeltfortzahlung nach dieser Vorschrift nicht leisten. Besteht ein Anspruch gemäß § 616 BGB nicht, so können die betroffenen Arbeitnehmer weder auf „Pflegeunterstützungsgeld“ gemäß § 44a Absatz 3 SGB XI noch auf „Krankengeld wegen Erkrankung des Kindes“ gemäß § 45 SGB V hoffen – denn das Kind selbst ist ja weder krank noch pflegebedürftig, § 7 Absatz 4 PflegeZG in Verbindung mit §§ 14, 15 SGB XI.
„Werden Einrichtungen zur Betreuung von Kindern oder Schulen von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten aufgrund dieses Gesetzes vorübergehend geschlossen oder deren Betreten untersagt und müssen erwerbstätige Sorgeberechtigte von Kindern, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind, in diesem Zeitraum die Kinder selbst betreuen, weil sie keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellenkönnen, und erleiden sie dadurch einen Verdienstausfall, erhalten sie eine Entschädigung in Geld. Anspruchsberechtigte haben gegenüber der zuständigen Behörde, auf Verlangen des Arbeitgebers auch diesem gegenüber, darzulegen, dass sie in diesem Zeitraum keine zumutbare Betreuungsmöglichkeit für das Kind sicherstellen können. Ein Anspruch besteht nicht, soweit eine Schließung ohnehin wegen der Schulferien erfolgen würde. Im Fall, dass das Kind in Vollzeitpflege nach § 33 des Achten Buches Sozialgesetzbuch in den Haushalt aufgenommen wurde, steht der Anspruch auf Entschädigung anstelle der Sorgeberechtigten den Pflegeeltern zu.“ Der Entschädigungsanspruch setzt damit voraus, dass • keine andere zumutbare Betreuung, z. B. durch den anderen Elternteil, möglich ist und • keine weitere Möglichkeit besteht, der Arbeit fernzubleiben (z. B. durch den Abbau von Überstunden). Großeltern müssen nicht zur Betreuung der Kinder herangezogen werden. Die Regelung gilt nicht für Zeiten, in denen die Einrichtung wegen Schulferien ohnehin geschlossen wäre. Der Anspruch auf Kurzarbeitergeld geht dem Entschädigungsanspruch aus § 56 IfSG vor. Im Falle der Gewährung von Kurzarbeitergeld geht der Anspruch auf die Entschädigung auf die Bundesagentur für Arbeit über. Die Regelung kompensiert jedoch nicht den vollen Verdienstausfall. In Fällen des § 56 Absatz 1a IfSG wird gemäß § 56 Absatz 2 IfSG eine Entschädigung in Höhe von 67 Prozent des dem erwerbstätigen Sorgeberechtigten entstandenen Verdienstausfalls für längstens sechs
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Wochen gewährt; für einen vollen Monat wird höchstens ein Betrag von 2.016,00 Euro gewährt.
Auch an dieser Stelle sollten Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen bestehende Entschädigungsansprüche gegenüber der zuständigen öffentlichen Stelle (in NRW der Bezirksregierung) geltend machen. Hierdurch können sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Kinderbetreuung entgegenkommen.
VIII. 450-Euro-Minijobber Auch im Bereich der Minijobber gibt es für den Zeitraum vom 02. 03. 2020 bis zum 31. 10. 2020 besondere Regelungen, die insbesondere auch Auswirkungen im Bereich der Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen haben. Durch einen gesteigerten Arbeitsumfang – sei es durch den krankheitsbedingten Arbeitsausfall oder durch einen allgemein gesteigerten Arbeitsanfall – beschäftigen Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen aufgrund der Coronakrise ihre 450-Euro-Minijobber teilweise in größerem Umfang als ursprünglich vereinbart. Dies kann zum Überschreiten der monatlichen Verdienstgrenze von 450 Euro führen. Um den Arbeitgebern hierauf eine Reaktionsmöglichkeit zu geben, wurde der § 115 SGB IV durch das „Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket)“ vom 27. 03. 2020 wie folgt geändert: „Vom 1. März 2020 bis einschließlich 31. Oktober 2020 gilt § 8 Absatz 1 Nummer 2 SGB IV mit der Maßgabe, dass die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens fünf Monate oder 115 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich
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Kapitel III • Arbeitsrecht
Praxishinweis
begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 450 Euro im Monat übersteigt.“ Die Zeitgrenzen für die kurzfristige Beschäftigung wurden übergangsweise vom 1. März 2020 bis 31. Oktober 2020 von 3 Monaten oder 70 Arbeitstagen auf 5 Monate oder 115 Arbeitstage angehoben. Analog zu der vorübergehenden Erhöhung der Zeitgrenzen bei der kurzfristigen Beschäftigung kann ein gelegentliches Überschreiten der Verdienstgrenze bei 450-Euro-Minijobs für die Monate März bis Oktober 2020 bis zu fünfmal innerhalb eines Zeitjahres erfolgen. Das haben die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung in der Verlautbarung „Vorübergehende Erhöhung der Zeitgrenzen für kurzfristige Beschäftigungen vom 1. März 2020 bis 31. Oktober 2020“ vom 30. 03. 2020 geregelt. Verdient ein Minijobber in den Kalendermonaten März bis Oktober 2020 mehr als ursprünglich vorgesehen, ist zu prüfen, wie oft dies innerhalb des letzten Zeitjahres (12-Monats-Zeitraum) geschehen ist. Der 12-Monats-Zeitraum endet immer mit dem Ende des Kalendermonats, in dem ein unvorhersehbares Überschreiten vorliegt und beginnt 12 Monate vorher. Wurde die Verdienstgrenze innerhalb des 12-Monats-Zeitraum maximal in 5 Kalendermonaten nicht vorhersehbar überschritten, liegt ein gelegentliches Überschreiten vor. Praxisbeispiel (s. www.blog.minijob-zentrale.de; „Mehrarbeit wegen Corona 450 Euro-Grenze darf im Minijob überschritten werden“): Eine Raumpflegerin arbeitet seit dem 01. 01. 2019 gegen ein monatliches Arbeitsentgelt von 420 Euro. Im März 2020 bittet der Arbeitgeber sie vom 01. 04. 2020 bis zum 31. 05. 2020 mehr zu arbeiten, da aufgrund der Corona-Pandemie ein erhöhter Reinigungsbedarf besteht. Dadurch erhöht sich der Verdienst in den Monaten April und Mai 2020 auf monatlich 2.000,00 Euro. Die Raumpflegerin hatte bereits im Juni, September und Dezember 2019 Krankheitsvertretungen für Vollzeitkräfte übernommen und dadurch in diesen Monaten die monatliche Verdienstgrenze von 450Euro überschritten.
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Praxishinweis Sofern Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen, die bei ihnen beschäftigten 450-Euro-Minijober aufgrund der Coronakrise vermehrt einsetzen, bietet ihnen die befristete Gesetzesänderung neuen Spielraum. Es ist jedoch – auch mit Blick auf die Zeit nach dem 31. 10. 2020 – darauf zu achten, dass die Arbeitszeiten nicht ausufern. Für aktuelle Informationen und einen umfassenden ersten Überblick empfiehlt sich die von der Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See betriebene Internetseite www.minijob-zentrale.de. Für eine detaillierte und einzelfallbezogene Beratung kontaktieren Sie einen spezialisierten Fachanwalt.
B. Umgang mit Arbeitnehmern, die aus Risikogebieten zurückkehren Kehren Arbeitnehmer aus Risikogebieten in den Betrieb zurück, wird man Arbeitgeber trotz der besonderen datenschutzrechtlichen Pflichten bei der Preisgabe personenbezogener Daten der Arbeitnehmer für verpflichtet halten, die anderen Arbeitnehmer darüber zu infor-
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Ergebnis: Die Beschäftigung der Raumpflegerin bleibt auch für die Zeit vom 01. 04. 2020 bis zum 31. 05. 2020 ein 450-Euro-Minijob. Innerhalb des maßgebenden 12-Monats-Zeitraums wurde maximal in 5 Kalendermonaten die Verdienstgrenze nicht vorhersehbar überschritten. Der 12-Monats-Zeitraum endet immer mit dem Ende des Entgeltabrechnungsmonats, in dem ein unvorhersehbares Überschreiten vorliegt, und beginnt 12 Monate vorher. Somit verläuft die Frist für den Monat Mai 2020 vom 1. Juni 2019 bis 31. Mai 2020. Innerhalb dieses Zeitraums hat die Reinigungskraft in 5 Kalendermonaten unvorhersehbar mehr verdient ( Juni, September und Dezember 2019 sowie April und Mai 2020). Damit liegt ein gelegentliches Überschreiten der Verdienstgrenze vor und es handelt sich weiter um einen Minijob.
mieren. Gleiches gilt nach unserer Rechtsauffassung im Krankheitsoder Verdachtsfall. Eine Datenverarbeitung ist in diesem Fall für die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich und durch § 26 Absatz 1 Satz 1, Absatz 3 Satz 1 BDSG gedeckt. Hierbei müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber keine Positivangaben machen – also die Frage beantworten, wo sie bzw. er war –, sondern lediglich Negativerklärungen abgeben – also versichern, dass ein Aufenthalt in den vom Arbeitgeber abgefragten konkreten Risikogebieten nicht stattfand – (Fuhlrott, Arbeitsrechtliche Fragestellungen im Zusammenhang der Coronavirus-Epidemie, GWR 2020,107). Zu den aktuellen Risikogebieten gibt das Robert-Koch-Institut auf seiner Internetseite („www.rki.de“) umfassende Auskünfte und Informationen, die zu beachten sind. Grundsätzlich ist es sinnvoll, aus Risikogebieten zurückkehrende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für einige Tage von der Arbeit freizustellen. Auch eine ärztliche Untersuchung sollte wenn möglich durchgeführt werden, um eine Ansteckung auszuschließen. Da die Zeit bis zum Auftreten der Symptome 14 Tage betragen kann, genügt eine bloße Beobachtung in diesen besonderen Situationen nicht. Die Arbeitnehmer sind, solange keine behördlichen Quarantänemaßnahmen verhängt wurden, normal weiter zu beschäftigen. Wenn keine konkreten Krankheitszeichen festgestellt wurden, kann der Arbeitnehmer auch nicht verpflichtet werden, ein ärztliches Attest zu erbringen. In Zweifelsfällen ist daher zunächst zu prüfen, ob der Arbeitnehmer freigestellt werden soll. Die Fürsorgepflicht umfasst in jedem Fall die Bewertung der jeweiligen Situation, um mögliche Ansteckungen zu vermeiden.
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Für Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen spielt das „Homeoffice“ eine eher untergeordnete Rolle. Die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen ihre Arbeitsleistung zwingend in den stationären Pflegeeinrichtungen bzw. bei den Pflegebedürftigen erbringen. Ein Einsatz im Homeoffice kommt daher in der Regel nur für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der jeweiligen Verwaltung infrage. Dies kann im Einzelfall durchaus sinnvoll sein, um den Kontakt unter den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und damit auch die Ansteckungsgefahr auf ein Minimum zu reduzieren. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben keinen Anspruch auf Arbeit im Homeoffice. Sie haben kein einseitiges Recht, ihren Arbeitsort zu bestimmen. In diesem Fall läge, wenn der Arbeitnehmer zu Hause bliebe, eine Arbeitspflichtverletzung vor, die den Wegfall des Entgeltzahlungsanspruchs zur Folge hat. Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen können sich jedoch mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einvernehmlich darauf verständigen, dass diese vorerst von zu Hause arbeiten. Das setzt aber Einvernehmen voraus. Bei bereits bestehenden Homeoffice-Regelungen im Betrieb kann der Druck der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steigen, diese zumindest vorübergehend auszudehnen. Die Anforderungen an eine zulässige Vereinbarung eines Homeoffice sind im Hinblick auf die Qualität der Arbeitsmittel oder des Arbeitsplatzes und in Bezug auf datenschutzrechtliche Aspekte hoch. Auch der Arbeitgeber ist nicht einseitig zur Anordnung von Homeoffice berechtigt. Hinzu kommt, dass durch jeden Homeoffice-Platz ein externer Kontakt zur betrieblichen IT geschaffen wird, was dazu führen kann, dass die Integrität der IT-Systeme und der gespeicherten Daten erheblichen zusätzlichen Gefährdungen ausgesetzt ist.
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C. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besteht kein Anspruch auf Arbeit im Homeoffice
Die Rahmenbedingungen der Arbeit im Homeoffice sollten in jedem Fall schriftlich geregelt werden. Eine solche Regelung kann in Form einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag oder in Form einer gesonderten Homeoffice-Vereinbarung erfolgen. In der entsprechenden Vereinbarung sollten bspw. folgende Punkte geregelt werden: • die Ausstattung des Homeoffice-Arbeitsplatzes, • Details zu Kostenerstattung und Aufwandsentschädigungen, • die Dokumentationspflichten zur Arbeitszeit sowie Arbeitszeitfenster oder Bearbeitungsfristen für bestimmte Aufgaben, • der Datenschutz und die Datensicherheit im Homeoffice. Praxishinweis Sofern für einige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei den Trägerinnen und Trägern von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen eine Tätigkeit im Homeoffice in Betracht kommt, sollte diese Möglichkeit geprüft werden. Hierdurch können die persönlichen Kontakte und damit das Ansteckungsrisiko verringert werden. Bei dem Entwurf einer Homeoffice Vereinbarung sollten sich die Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen anwaltlich beraten lassen.
D. Reaktionsmöglichkeiten der Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen bei erhöhtem Arbeitsbedarf Gerade in der aktuellen Situation durch Coronavirus SARS-CoV-2 kann es für Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen schwierig werden, die Versorgung aufrecht zu erhalten und die Versorgungsverträge zu erfüllen. Die steigende Zahl an Erkrankungen, aber auch etwaige behördliche Quarantäneanordnungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können zu personel-
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len Engpässen führen, die es aufzufangen gilt. Neben den bekannten Mechanismen zur Anordnung von Überstunden – gegebenenfalls mit Zustimmung des Betriebsrats – wurde § 14 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) für den Zeitraum vom 28. 03. 2020 bis zum 31. 12. 2020 befristet geändert. Hierdurch soll eine flexiblere Gestaltung des Personaleinsatzes ermöglicht werden. Die zuständigen Aufsichtsbehörden können auf dieser Grundlage Ausnahmegenehmigungen gemäß § 15 Absatz 2 ArbZG erlassen. Mit der Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes wurde eine Verordnungsermächtigung in das Gesetz eingefügt, um durch Rechtsverordnung in außergewöhnlichen Notfällen mit bundesweiten Auswirkungen, insbesondere in epidemischen Lagen von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes, Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz erlassen zu können. Die Regelung soll dazu beitragen, im Notfall die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge sowie die Versorgung der Bevölkerung mit existenziellen Gütern sicherzustellen. Durch die von den Aufsichtsbehörden erlassenen Allgemeinverfügungen kann von dem Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit gemäß § 9 Absatz 1 ArbZG abgewichen werden. Außerdem ist abweichend zu § 3 ArbZG eine Anhebung der täglich maximal zulässigen Arbeitszeit von 8 auf bis zu 12 Stunden möglich. In Nordrhein-Westfalen haben die Bezirksregierungen Arnsberg, Detmold, Düsseldorf, Köln und Münster als zuständige Aufsichtsbehörden entsprechende Allgemeinverfügungen erlassen. Auch in anderen Bundesländern sind entsprechende Allgemeinverfügungen ergangen. So hat beispielsweise das Land Sachsen ebenfalls eine Allgemeinverfügung „Vollzug des Arbeitszeitgesetzes“ zur Abweichung der täglichen Arbeitszeit erlassen. Auch Niedersachsen hat am 20. 03. 2020 eine derartige Allgemeinverfügung erlassen. Diese sind zeitlich begrenzt. Zum aktuellen Zeitpunkt ist allerdings nicht absehbar, ob sie verlängert werden.
Praxishinweis In diesem Zusammenhang ist den Trägerinnen und Trägern von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen zu empfehlen, sich auf den Internetseiten der für sie zuständigen Aufsichtsbehörden über die aktuellen Allgemeinverfügungen zur Arbeitszeit zu informieren. Es kann an dieser Stelle hilfreich sein, sich von einer spezialisierten Anwaltskanzlei beraten zu lassen.
I. Sonn- und Feiertagsarbeit Die Änderungen des Arbeitszeitgesetzes sind insbesondere für Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen von Interesse, da sie pandemierelevante Dienstleistungen erbringen. So führt die Bezirksregierung Düsseldorf (Amtsblatt für den Regierungsbezirk Düsseldorf, 18. März 2020, Nr. 12a) beispielsweise aus, dass abweichend von § 9 Absatz 1 ArbZG an Sonn- und Feiertagen Personen mit folgenden Tätigkeiten beschäftigt werden dürfen: • (…) • Erbringer pandemierelevanter Dienstleistungen. Hierunter fallen auch die medizinische Behandlung und die pflegerische Versorgung, die zur optimalen Behandlung infizierter Personen dienen oder bei denen aufgrund des aktuellen Infektionsgeschehens Zusatzaufwände entstehen, einschließlich Assistenz- und Hilfstätigkeiten ebenso wie Labortätigkeiten. Abweichend von § 11 Absatz 3 Satz 1 ArbZG wird festgelegt, dass für die im Rahmen der Ausnahmebewilligung geleistete Sonn- und Feiertagsbeschäftigung ein Ersatzruhetag innerhalb von acht Wochen zu gewähren ist, statt in der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von 14 Tagen. Im Falle der Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen müssen weiterhin mindestens 15 Sonntage im Jahr beschäftigungsfrei bleiben,
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§ 11 Absatz 1 ArbZG. Darüber hinaus ist gemäß § 16 Absatz 2 ArbZG die Lage und Dauer der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit (Beginn und Ende) zu dokumentieren.
Prüfen Sie hierbei bitte vorab, ob die für Sie zuständige Aufsichtsbehörde eine Allgemeinverfügung zur Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen erlassen hat. Hierzu empfiehlt sich eine telefonische Nachfrage bei der Aufsichtsbehörde oder ein Blick auf die offizielle Internetseite. Sie können sich selbstverständlich auch durch einen spezialisierten Fachanwalt beraten lassen.
II. E rweiterung der täglich zulässigen Arbeitszeit auf 12 Stunden Abweichend von § 3 ArbZG dürfen bei den Erbringern von pandemierelevanten Dienstleistungen – soweit erforderlich – werktäglich über acht Stunden, nicht jedoch über 12 Stunden beschäftigt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass • die wöchentliche Arbeitszeit 60 Stunden nicht überschreitet, • die Arbeitszeit 48 Stunden wöchentlich im Durchschnitt von 6 Kalendermonaten oder 24 Wochen nicht überschritten wird, § 15 Absatz 4 ArbZG. Praxishinweis Auch hierbei liegt keine bundesweit einheitliche Regelung vor. Die Umsetzung erfolgt durch die zuständigen Aufsichtsbehörden in den Bundesländern. Trägerinnen und Trägern von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen sollten sich daher auf den Internetseiten der für sie zuständigen Aufsichtsbehörden über die aktuellen Allgemeinverfügungen zur Arbeitszeit informieren. Es kann an dieser Stelle hilfreich sein, sich von einer spezialisierten Anwaltskanzlei beraten zu lassen.
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Praxishinweis
III. Fälle, in denen keine gesonderte Bewilligung der zuständigen Aufsichtsbehörde erforderlich ist Die oben genannten Ausnahmeregelungen zur Sonn- und Feiertagsarbeit sowie zur Ausweitung der täglichen Arbeitszeit bis zu 12 Stunden dürfen ohne gesonderte Bewilligung der Aufsichtsbehörde in Anspruch genommen werden, • soweit aufgrund der COVID-19-Pandemie ein erheblicher Mehrbedarf an den genannten pandemierelevanten Gütern und Dienstleistungen, an den Medizinprodukten und Medikamenten oder an den notwendigen Waren des täglichen Gebrauchs besteht, dem ohne die Inanspruchnahme der Ausnahmen nicht optimal entsprochen werden kann, oder • wenn der allgemein bestehende Bedarf wegen aktueller Personalausfälle anders nicht hinreichend gedeckt werden könnte. Praxishinweis Auch hierbei liegt keine bundesweit einheitliche Regelung vor. Die Umsetzung erfolgt durch die zuständigen Aufsichtsbehörden in den Bundesländern. Trägerinnen und Trägern von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen sollten sich daher auf den Internetseiten der für sie zuständigen Aufsichtsbehörden über die aktuellen Allgemeinverfügungen zur Arbeitszeit informieren. Es kann an dieser Stelle hilfreich sein, sich von einer spezialisierten Anwaltskanzlei beraten zu lassen.
IV. Keine Anwendung der Regelungen auf minderjährige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Die Erweiterungen der Sonn- und Feiertagsarbeit sowie die Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf bis zu 12 Stunden gelten für Beschäftigte über 18 Jahre. Für minderjährige Beschäftigte bleibt es bei
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den Regelungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes. Für schwangere und stillende Frauen gelten die Regelungen des Mutterschutzgesetzes.
Die Bewilligung gilt auch für Betriebe von Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen. Sie beseitigt jedoch nicht die Mitbestimmungsrechte des Betriebs- bzw. des Personalrates nach den jeweiligen Betriebsverfassungs- bzw. Personalvertretungsgesetzen. Soweit in einem Betrieb daher ein Betriebs- oder Personalrat gebildet ist, bestehen die üblichen Mitbestimmungsregelungen zu Thema Lage der Arbeitszeit bzw. Dauer der Arbeitszeit (§ 87 Absatz 1 Nr. 2, 3 BetrVG bzw. § 75 Absatz 3 Nr. 1 BPersVG). Praxishinweis Bei personellem Bedarf sollten Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen prüfen, ob eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit für ihren Betrieb in Betracht kommt. Da die Regelungen im Wege einer Allgemeinverfügung durch die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde zeitlich befristet erlassen werden, empfiehlt es sich, sich in dieser Thematik durch den jeweiligen Fachverband oder einen spezialisierten Fachanwalt beraten zu lassen.
E. Reaktionsmöglichkeiten der Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen auf verringerten Beschäftigungsbedarf Sollten Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen in der Folge der durch Coronavirus SARS-CoV-2 aus-
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V. M itbestimmungsrechte des Betriebsbzw. Personalrats
gelösten Pandemie und den in diesem Zusammenhang ergriffenen Maßnahmen feststellen, dass sich der Beschäftigungsbedarf reduziert hat, gibt es mehrere Reaktionsmöglichkeiten. Als erstes sollten etwaige Überstunden von Arbeitszeitkonten abgebaut werden, um dem gesunkenen Beschäftigungsbedarf Rechnung zu tragen. Zudem gibt es die Möglichkeit, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Teile ihres Erholungsurlaubs nehmen und dadurch die Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen entlasten. Hierfür ist jedoch eine Einigung mit den jeweiligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erforderlich. Alternativ besteht in mitbestimmten Betrieben die Möglichkeit, Betriebsferien einzuführen. Diese Maßnahmen können, sofern sie in den Betrieben der Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen möglich sind, vor der Einführung von Kurzarbeit in Betracht gezogen werden.
I. Überstundenabbau Als geeignetes Mittel zur Reaktion auf einen reduzierten Beschäftigungsbedarf können Überstundenguthaben abgebaut werden.
1. Die Trägerinnen und Träger von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen können grundsätzlich den Abbau bestehender Überstundenkontingente anordnen. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Überstundenabbau grundsätzlich dem Weisungsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 GewO unterfällt. In seinem Urteil vom 19. Mai 2009 (Az. 9 AZR 433/08) entschied das Bundesarbeitsgericht wie folgt: „Die Bestimmung der Zeit mit Arbeitspflichten und der Zeit ohne Arbeitspflichten unterliegt dem Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 Satz 1 GewO. Der Arbeitgeber hat diese Bestimmung nach billigem Ermessen gemäß § 315 Absatz 3 BGB vorzunehmen. Er ist nicht gehindert, an zunächst für arbeitsfrei bestimmten Tagen erneut Arbeit anzuordnen.“
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2.
3. Sofern Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach der erfolgten Freistellung zum Überstundenabbau arbeitsunfähig erkranken, geht die Freistellung vor. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hebt eine nachträglich eintretende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht die Erfüllungswirkung der Freistellungserklärung auf (BAG, Urteil vom 11. September 2003–6 AZR 374/02). Demnach trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer das Risiko, die durch Arbeitsbefreiung als Arbeitszeitausgleich gewonnene Freizeit auch tatsächlich nach seinen Vorstellungen nutzen zu können.
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Bei dem Abbau von Überstunden sind die individualrechtliche Anordnungsbefugnis und/oder die Mitbestimmung des Betriebsrats zu beachten, soweit entsprechende Regelungen bestehen. Die Gewährung von Freizeitausgleich ist eine Frage der Verteilung der Arbeitszeit, sodass der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht hat (Peters, Das Weisungsrecht der Arbeitgeber, III. Zeit der Arbeitsleistung Rn. 422). Häufig wird dieses Recht auch im Rahmen der Schichtplangenehmigung oder dessen Änderung wahrgenommen, § 87 Absatz 1 Nr. 3 BetrVG. Demgegenüber besteht kein im Gesetz normiertes Mitbestimmungsrecht bei der Entscheidung der Arbeitgeberin, anstelle eines Freizeitausgleichs Überstunden auszuzahlen. Vertragliche Regelungen zwischen den Trägerinnen und Trägern von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verdrängen das Weisungsrecht aus § 106 GewO. Durch die vertragliche Regelung kann beispielsweise ein Überstundenabbau durch Freistellung geregelt sein. Auch ein Abbau durch finanzielle Abgeltung der bestehenden Überstunden kann auf diese Weise geregelt werden. Sofern keine Regelung getroffen wurde, besteht während des laufenden Arbeitsverhältnisses kein Anspruch auf finanzielle Abgeltung der bestehenden Überstunden.
Praxishinweis Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen sollten bei einem verringerten Arbeitsbedarf zunächst den Abbau von Überstunden bzw. Arbeitszeitkonten in Betracht ziehen. Dies ist auch mit Blick auf einen späteren Antrag auf Kurzarbeit erforderlich. Vor einem Antrag auf Kurzarbeit sind zunächst vorhandene Überstundenkontingente abzubauen. An dieser Stelle empfiehlt sich eine Beratung durch einen spezialisierten Fachanwalt.
II. Urlaubsgewährung Gemäß § 7 Absatz 1 BUrlG legt der Arbeitgeber den Urlaub fest. Er hat hierbei jedoch die Wünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Eine Erteilung von Zwangsurlaub als Ausformung des Weisungsrechts gemäß § 106 GewO, also die Verpflichtung, Urlaubstage zu nehmen, ist nur bei dringenden betrieblichen Belangen gerechtfertigt. Diese sind jedoch nicht bei jeder wirtschaftlichen Krise eines Unternehmens gegeben. Denn Auftragsmangel oder Störungen im Betriebsablauf legitimieren die Verpflichtung, Urlaub zu nehmen nicht, da grundsätzlich der Arbeitgeber das sogenannte Betriebsrisiko, also die unwirtschaftliche Bezahlung seiner Arbeitnehmer, trägt. Das Wirtschaftsrisiko kann er nicht auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer übertragen. Der Arbeitgeber kann damit insbesondere bei unvorhergesehenen betrieblichen Krisen, wie jetzt zu Zeiten der Coronakrise, Zwangsurlaub anordnen. Dies aber wohl auch erst dann, wenn er den Betrieb schließen muss und nicht, wenn er diesen freiwillig schließt. Die Dauer des dann angeordneten Urlaubs hängt von der Dauer der Krise ab, wobei dem Arbeitnehmer ein Teil seines Jahresurlaubs dennoch zur freien Verfügung bleiben muss (BAG, Beschluss vom 28. 07. 1981, 1 ABR 79/79). Dringende betriebliche Belange im Sinne von § 7 Absatz 1 BUrlG können in der aktuellen Coronavirus SARS-CoV-2-Pandemie darin begründet liegen, dass die Betriebe der Trägerinnen und Träger von
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ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen aufgrund einer behördlichen Anordnung schließen müssen.
Bevor Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anweisen Urlaub zu nehmen, sollten zunächst bestehende Überstunden bzw. Arbeitszeitguthaben abgebaut werden. Bei der Prüfung und Umsetzung einer derartigen Maßnahme empfiehlt sich eine vorherige Beratung durch einen spezialisierten Fachanwalt.
III. Betriebsferien Sofern bei den Trägerinnen und Trägern von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen ein Betriebsrat besteht, ist dieser bei der Einführung von „Zwangsurlaub“ zu beteiligen. Der Betriebsrat hat gemäß § 87 Absatz 1 Nr. 5 BetrVG, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, ein Mitbestimmungsrecht über die Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans sowie die Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs für den einzelnen Arbeitnehmer. Hierzu gehört auch die Frage, ob im Betrieb oder in einzelnen Betriebsabteilungen für eine bestimmte Zeit Betriebsferien gemacht werden sollen (BAG, Urteil vom 09. 05. 1984, 5 AZR 412/81). Praxishinweis An dieser Stelle empfiehlt sich eine frühzeitige Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat. Ohne diesen kommt keine Entscheidung über die Einführung von Betriebsferien zustande. Die Einführung und Ausgestaltung der Betriebsferien kann durch eine Betriebsvereinbarung geregelt werden. Hierbei empfiehlt sich eine vorherige Beratung durch einen spezialisierten Fachanwalt.
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Kapitel III • Arbeitsrecht
Praxishinweis
F. Beantragung von Kurzarbeitergeld aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 Kurzarbeit ist in Zeiten der Krise eine geeignete Reaktionsmöglichkeit für Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen. Aufgrund der aktuellen Krisensituation, die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöst wurde, haben sich die Voraussetzungen aber auch die Leistungen für einen zunächst begrenzten Zeitraum geändert. In der aktuellen Situation ist der Zugang zum Kurzarbeitergeld gemäß § 95 SGB III erleichtert. Die Bundesregierung hat hierzu am 25. März 2020 die Verordnung über die Erleichterung der Kurzarbeit (Kurzarbeitergeldverordnung - KugV) erlassen. Die in der Kurzarbeitergeldverordnung geregelten Erleichterungen gelten befristet mit Wirkung vom 1. 03. 2020 bis zum 31. 12. 2020. In dieser Zeit besteht ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld bereits, wenn mindestens 10 Prozent der Arbeitnehmer einen Arbeitsentgeltausfall von mehr als 10 Prozent haben. Zudem ist der Bezug von Kurzarbeitergeld für einen Zeitraum von bis zu 12 Monaten möglich. Die für ausgefallene Arbeitszeit anfallenden Sozialversicherungsbeiträge werden auf Antrag zu 100 Prozent von der Bundesagentur erstattet. In Betrieben, die Vereinbarungen zur Arbeitszeitschwankung nutzen, wird auf den Aufbau negativer Arbeitszeitkonten verzichtet. Darüber hinaus können auch Leiharbeitnehmer in Kurzarbeit gehen. Sie haben ebenfalls einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Gemäß § 3 der Kurzarbeitergeldverordnung wird der in § 11 Absatz 4 Satz 2 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) geregelte Vergütungsanspruch der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer bei Vereinbarung von Kurzarbeit für den Arbeitsausfall und für die Dauer aufgehoben, für die der Leiharbeitnehmerin oder dem Leiharbeitnehmer Kurzarbeitergeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch gezahlt wird. Eine solche Vereinbarung kann das Recht der Leiharbeitnehmerin oder des Leiharbeitnehmers auf Vergütung längstens bis zum 31. 12. 2020 ausschließen. Die weiteren Voraussetzungen zur Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld gelten fort.
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Praxishinweis
I. V oraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld Die Gewährung von Kurzarbeitergeld setzt voraus, dass die in den §§ 95 bis 99 SGB III geregelten Regelvoraussetzungen vorliegen. Hierbei sind auch die durch die Kurzarbeitergeldverordnung befristet eingeführten Änderungen zu berücksichtigen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen haben einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt, die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind, die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und der Arbeitsausfall angezeigt worden ist.
1. Erheblicher Arbeitsausfall Arbeitsausfall ist dann erheblich, wenn er auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht, vorübergehend ist, unvermeidbar ist und im jeweiligen Kalendermonat (Anspruchszeitraum) mindestens 10 Prozent der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 Prozent des monatlichen Bruttoentgelts betroffen sind. Zuvor musste 1/3 der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
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Nähere Informationen über die Anzeige von Kurzarbeit und die Beantragung von Kurzarbeitergeld finden Sie auf der Internetseite der Agentur für Arbeit („www.arbeitsagentur.de“). Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bietet auf seiner Internetseite („www.bmas.de“) aktuelle Informationen zu diesem Thema. Bei der Beantragung von Kurzarbeit bzw. Kurzarbeitergeld sollten Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen sich von einem spezialisierten Fachanwalt beraten lassen.
von einem Entgeltausfall betroffen sein. Diese Erleichterung für den Zugang zum Kurzarbeitergeld ist für den Zeitraum der Coronavirus SARS-CoV-2-Krise gedacht und zunächst auf den Zeitraum vom 01. 03. 2020 bis zum 31. 12. 2020 befristet.
a) Wirtschaftliche Gründe ergeben sich unmittelbar oder mittelbar aus dem wirtschaftlichen Ablauf (z. B. Rohstoffmangel, Auftragsmangel, fehlendes Material etc.). Ein Arbeitsausfall beruht auch auf wirtschaftlichen Gründen, wenn er durch eine Veränderung der betrieblichen Strukturen verursacht wird, die durch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung bedingt ist.
b) Ein unabwendbares Ereignis liegt beispielsweise dann vor, wenn der Arbeitsausfall durch Naturkatastrophen oder behördliche bzw. behördlich anerkannte Maßnahmen verursacht wurde, die der Arbeitgeber nicht zu vertreten hat. Hierunter können insbesondere behördliche Maßnahmen zur Eindämmung von Coronavirus SARS-CoV-2 fallen (Kontaktverbot, Quarantäne, behördliche Betriebsschließung).
c) Kurzarbeitergeld darf nur dann gewährt werden, wenn der Arbeitsausfall vorübergehend ist. Ein vorübergehender Arbeitsausfall liegt dann vor, wenn sich aus der Gesamtsituation des Einzelfalles ergibt, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit wieder mit dem Übergang in Vollarbeit zu rechnen ist. Diese Voraussetzung muss während der gesamten Dauer des Bezuges von Kurzarbeitergeld gegeben sein.
d) Weiter muss der Arbeitsausfall unvermeidbar sein. Das ist dann der Fall, wenn der Arbeitgeber vor der Anzeige des Arbeitsausfalls
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• überwiegend branchenüblich, betriebsüblich oder saisonbedingt ist oder ausschließlich auf betriebsorganisatorischen Gründen beruht, • durch den Abbau von Arbeitszeitguthaben im erforderlichen Rahmen, • durch die Gewährung von bezahltem Erholungsurlaub ganz oder teilweise verhindert werden kann, soweit vorrangige Urlaubswünsche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Urlaubsgewährung nicht entgegenstehen, oder • durch die Nutzung von im Betrieb zulässigen Arbeitszeitschwankungen ganz oder teilweise vermieden werden kann. Gemäß § 1 Nr. 2 der Kurzarbeitergeldverordnung können Arbeitgeber zur Vermeidung des Arbeitsausfalls grundsätzlich nicht auf den Aufbau negativer Arbeitszeitsalden („Minusstunden“) zurückgreifen. § 96 Absatz 4 Satz 2 Nr. 3 SGB III gilt insoweit nicht. Praxishinweis Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen können also nicht den Aufbau von Minusstunden auf Arbeitszeitkonten forcieren, die nach der Krise durch Mehrarbeit durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzubauen wären. Der Arbeitgeber muss sich auch während des Bezugs von Kurzarbeitergeld darum bemühen, den Arbeitsausfall zu verringern oder zu beenden.
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gegenüber der Bundesagentur für Arbeit vergeblich versucht hat, den Arbeitsausfall abzuwenden oder einzuschränken. Gemäß § 96 Absatz 4 Satz 2 SGB III gilt der Arbeitsausfall grundsätzlich als vermeidbar, der
2. Betriebliche Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld Die betrieblichen Voraussetzungen gemäß § 97 SGB III sind erfüllt, wenn in dem Betrieb mindestens eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer beschäftigt ist. Betrieb im Sinne der Vorschriften über das Kurzarbeitergeld ist auch eine Betriebsabteilung.
3. Persönliche Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld Die persönlichen Voraussetzungen (§ 98 SGB III) für die Gewährung von Kurzarbeitergeld liegen vor, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer • nach Beginn des Arbeitsausfalls eine versicherungspflichtige Beschäftigung – fortsetzt, – aus zwingenden Gründen aufnimmt oder – im Anschluss an die Beendigung eines Berufsausbildungsverhältnisses aufnimmt, • das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt oder durch Aufhebungsvertrag aufgelöst ist und die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer nicht vom Kurzarbeitergeldbezug ausgeschlossen ist. Voraussetzung für den Bezug von Kurzarbeitergeld ist also zunächst, dass eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt. Soweit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt werden, liegt üblicherweise ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 98 SGB III vor. Von diesem Grundsatz sind folgende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgenommen: • Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das für die Regelaltersrente im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung erforderliche Lebensjahr vollendet haben, und zwar ab Beginn des darauffolgenden Monats.
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• Arbeitnehmerinnen, die eine Rente wegen voller Erwerbsminderung oder denen eine vergleichbare Leistung eines ausländischen Leistungsträgers zuerkannt worden ist.
Neben den soeben genannten Gruppen haben auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld, die sich im Krankengeldbezug befinden. Es ist jedoch in jedem Fall zu beachten, dass arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben, wenn die Arbeitsunfähigkeit während des Bezuges von Kurzarbeitergeld eintritt. Der Anspruch besteht so lange, wie der Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall gemäß § 3 Absatz 1 EFZG besteht (6 Wochen bei einer Ersterkrankung). Auch befristet Beschäftigte können Kurzarbeitergeld erhalten. Gekündigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können ab Ausspruch der Kündigung kein Kurzarbeitergeld mehr erhalten. Praxishinweis Trägerinnen und Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen müssen daher genau prüfen, welche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben. Einen guten Überblick hierfür liefert die Internetseite der Agentur für Arbeit (www.arbeitsagentur.de). Für eine konkrete Beratung stehen spezialisierte Fachanwälte zur Verfügung.
4. Anzeige des Arbeitsausfalls Wichtig ist, dass Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen die Kurzarbeit anzeigen und auch entsprechende Anträge stellen. Ohne einen entsprechenden Antrag besteht kein Anspruch auf Zahlung von Kurzarbeitergeld. Der Antrag muss schriftlich bei der Agentur für Arbeit gestellt werden. Die Agentur für Arbeit bietet hierfür auf ihrer Internetseite („https://www.arbeits-
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Kapitel III • Arbeitsrecht
• Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in einer geringfügigen Beschäftigung im Sinne des § 8 SGB IV (sog. „Minijobber“) stehen.
agentur.de/datei/anzeige-kug101_ba013134.pdf “) einen Vordruck. Die Anzeige des Arbeitsausfalls gegenüber der Agentur für Arbeit kann ebenfalls elektronisch erfolgen. Die Agentur für Arbeit bietet auf ihrer Internetseite („www.arbeitsagentur.de“) dazu den speziellen Bereich „eServices“ für Unternehmen an. Im Rahmen des Bereichs „eService“ kann sowohl die Kurzarbeit angezeigt als auch das Kurzarbeitergeld beantragt werden. Nähere Informationen hierzu finden Sie auf den Seiten der Bundesagentur für Arbeit („www.arbeitsagentur.de“). Für Fragen zum elektronischen Antragssystem bietet die Agentur für Arbeit zwei gebührenfreie Servicenummern, unter denen Arbeitgeber telefonisch beraten werden: • 0800 4 5555 03 (Technischer Support) • 0800 4 5555 20 (Allgemeine Auskünfte) Arbeitsrechtlich setzt die Kurzarbeit voraus, dass entweder eine entsprechende Kurzarbeitsklausel im Arbeitsvertrag enthalten ist, Kurzarbeit durch Tarifvertrag ermöglicht wird oder – was praktisch der häufigste Fall sein wird – über Kurzarbeit eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat nach § 87 Absatz 1 Nr. 3 BetrVG abgeschlossen wird.
II. Höhe des Kurzarbeitergeldes und Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen Neben dem Kurzarbeitergeld kommt für die Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen als Arbeitgeber auch die Erstattung von Beiträgen zur Sozialversicherung in Betracht.
1. Höhe des Kurzarbeitergeldes Die Höhe des Kurzarbeitergeldes ist in § 105 SGB III geregelt. Sie richtet sich grundsätzlich nach dem pauschalierten Nettoentgeltausfall im Anspruchszeitraum (Kalendermonat). Das Kurzarbeitergeld wird in zwei verschieden hohe Leistungssätze unterteilt.
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a)
b) Die übrigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten den allgemeinen Leistungssatz. Dieser beträgt 60% der Nettoentgeltdifferenz. Die Nettoentgeltdifferenz entspricht der Differenz zwischen • dem pauschalierten Nettoentgelt aus dem Soll-Entgelt und • dem pauschalierten Nettoentgelt aus dem Ist-Entgelt. Soll-Entgelt ist das Bruttoarbeitsentgelt, das die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall in dem Anspruchszeitraum erzielt hätte. Etwaiges Entgelt für Mehrarbeit ist nicht hinzuzurechnen. Ist-Entgelt ist das Bruttoarbeitsentgelt, das die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer in dem Anspruchszeitraum tatsächlich erzielt hat, zuzüglich aller zustehenden Entgeltanteile. Arbeitsentgelt, das einmalig gezahlt wird, bleibt bei der Berechnung von Soll-Entgelt und Ist-Entgelt außer Betracht. Soll-Entgelt und Ist-Entgelt sind auf den nächsten durch 20 teilbaren Euro-Betrag zu runden. Eine Tabelle zur Bestimmung des Kurzarbeitergeldes hat die Agentur für Arbeit auf ihrer Internetseite zur Verfügung gestellt (https://www.arbeitsagentur. de/datei/kug050–2016_ba014803.pdf). Praxisbeispiel („Praxis-Beispiele: Kurzarbeitergeld“ Haufe Personal Office Plan, Joachim Kopp):
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Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mindestens ein Kind im Sinne von § 32 Absatz 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) haben, haben einen Anspruch auf den erhöhten Leistungssatz in Höhe von 67% der Nettoentgeltdifferenz. Darüber hinaus erhalten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Ehegatte oder Ehegattin mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Absatz 1, 4 und 5 EStG (leibliche Kinder, angenommene Kinder und Pflegekinder) hat, den erhöhten Leistungssatz, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommenssteuerpflichtig sind und nicht dauerhaft getrennt leben.
Ein Arbeitnehmer, Steuerklasse III, mit einem Kind (15 Jahre), erzielt im April 2020 infolge von Kurzarbeit ein Bruttoentgelt von 1.835,00 EUR. Ohne Kurzarbeit hätte er 2.455,00 EUR brutto verdient. Das Kurzarbeitergeld für den Arbeitnehmer mit mindestens einem Kind im Sinne des Steuerrechts beträgt 67% der Nettoentgeltdifferenz. Die Nettoentgeltdifferenz entspricht dem Unterschiedsbetrag zwischen dem pauschalierten Nettoentgelt aus dem gerundeten Sollbzw. Ist-Entgelt. Berechnung des Kurzarbeitergeldes: Soll-Entgelt (gerundet)
2.460,00 EUR
Pauschaliertes Nettoentgelt aus dem Soll-Entgelt
1.907,84 EUR
Ist-Entgelt (gerundet)
1.840,00 EUR
Pauschaliertes Nettoentgelt aus dem Ist-Entgelt
1.472,00 EUR
Nettoentgeltdifferenz (Soll-Entgelt / Ist-Entgelt)
435,84 EUR
Kurzarbeitergeld 04/2020 (435,84 EUR x 67%)
292,01 EUR
Das Kurzarbeitergeld ist grundsätzlich steuerfrei. Bei der Ermittlung des Steuersatzes ist das Kurzarbeitergeld als Einkommen jedoch zu berücksichtigen. Es unterliegt nämlich dem steuerlichen Progressionsvorbehalt.
c) Die Leistungen aus dem Kurzarbeitergeld bleiben hinter denen des Entschädigungsanspruches nach § 56 Absatz 2, 3 IfSG, der für die Dauer von sechs Wochen den Verdienstausfall und damit das volle Arbeitsentgelt gewährt, zurück. Die Arbeitnehmer ihrerseits erhalten lediglich 60% der Nettoentgeltdifferenz bzw. bei einem überhöhten Leistungssatz nach den Vorschriften über das Arbeitslosengeld 67%. Ein weitergehender Anspruch der Arbeitnehmer besteht nicht. Eine Aufstockung hängt von der Entscheidung des Arbeitgebers oder dem Verhandlungsergebnis mit dem Betriebsrat ab.
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2. Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen In § 2 Kurzarbeitergeldverordnung wurde darüber hinaus die Erstattung von Beiträgen zur Sozialversicherung novelliert. Gemäß § 2 Absatz 1 Kurzarbeitergeldverordnung werden dem Arbeitgeber für Arbeitsausfälle bis zum 31. Dezember 2020, die von ihm während des Bezugs von Kurzarbeitergeld nach §§ 95 ff. SGB III allein zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung auf Antrag von der Bundesagentur für Arbeit in pauschalierter Form erstattet. Als Pauschalierung wird die Sozialversicherungspauschale nach § 153 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III abzüglich des Betrags zur Arbeitsförderung zugrunde gelegt. Praxishinweis Sofern Kurzarbeitergeld beantragt wurde, sollten Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen dringend die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge, die sie für ihre kurzarbeitenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer allein tragen müssen, bei der Bundesagentur für Arbeit beantragen. Bei der Antragsstellung empfiehlt sich die Beratung durch einen spezialisierten Fachanwalt.
III. W ie wird Kurzarbeitergeld grundsätzlich beantragt? Anzeige und Beantragung von Kurzarbeitergeld erfolgen somit in einem zweistufigen Verfahren:
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Erhält der Arbeitnehmer wegen eines behördlichen Beschäftigungsverbotes Entschädigung nach § 56 IfSG, geht der Anspruch auf Entschädigung gegen den Staat bei Gewährung von Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld auf die Bundesagentur für Arbeit über. So regelt es § 56 Absatz 9 IfSG. Die Versichertengemeinschaft soll also gegenüber staatlichen Entschädigungsansprüchen entlastet werden.
• Der Arbeitsausfall wird vom Arbeitgeber oder von der Betriebsvertretung bei der zuständigen Agentur für Arbeit schriftlich angezeigt. Zuständig ist die Agentur für Arbeit, in deren Bezirk der Betrieb seinen Sitz hat. Die Agentur für Arbeit entscheidet unverzüglich, ob die Voraussetzungen für die Zahlung von Kurzarbeitergeld dem Grunde nach vorliegen. Der Arbeitgeber errechnet das Kurzarbeitergeld und zahlt es an die Beschäftigten aus. • Im Anschluss daran richtet der Arbeitgeber einen schriftlichen Antrag auf Erstattung des von ihm verauslagten Kurzarbeitergeldes an die Agentur für Arbeit, in deren Bezirk die für den Arbeitgeber zuständige Lohnabrechnungsstelle liegt. Der Antrag ist innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten einzureichen. Die Frist beginnt mit Ablauf des Kalendermonats (Anspruchszeitraums), in dem die Tage liegen, für die Kurzarbeitergeld beantragt wird. Arbeitgeber, die Kurzarbeitergeld beantragen wollen, sollten sich im besten Fall durch einen Rechtsanwalt beraten lassen. Eine erste Beratung bei der Beantragung kann auch durch die örtliche Agentur für Arbeit oder an den Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit ( Tel: 0800 4 5555 20) erfolgen. Auf der Website der Agentur für Arbeit („www.arbeitsagentur.de“) sind die notwendigen Formulare sowie eine Tabelle zur Berechnung des Kurzarbeitergeldes verfügbar
IV. Abrechnung Für die Abrechnung des Kurzarbeitergeldes müssen Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen die geleisteten Arbeits-, Ausfall- und Fehlzeiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Arbeitszeitnachweisen dokumentieren. Sie müssen eine monatliche Abrechnung durchführen. Diese muss für den jeweiligen Kalendermonat innerhalb von drei Monaten bei der zuständigen Agentur für Arbeit am Sitz der Lohnabrechnungsstelle sein. Die Frist beginnt mit Ablauf des beantragten Kalendermonats. Das Kurzarbeitergeld wird zunächst im Rahmen einer vorläufigen Entscheidung gemäß § 328 Absatz 1 Nr. 3 SGB III durch einen Leistungsbescheid
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bekannt gegeben und ausgezahlt. Nach Ende des Arbeitsausfalls erfolgt eine abschließende Prüfung.
• Erheblicher Arbeitsausfall – unabwendbares Ereignis (z. B. behördlich veranlasste Maßnahmen wegen Corona-Virus), oder – wirtschaftliche Ursachen (z. B. Auftragsmangel, fehlendes Material) – mehr als 10% Entgeltausfall für mindestens 10% der Beschäftigten (zuvor 1/3) im Betrieb bzw. in der Betriebsabteilung im jeweiligen Kalendermonat • Erfüllung der betrieblichen Voraussetzungen, d. h. im Betrieb wird mindestens eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer beschäftigt • Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen – Fortsetzung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung; auch befristete Beschäftigungen zählen dazu – Gekündigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können ab Ausspruch der Kündigung kein Kurzarbeitergeld erhalten • Anzeige des Arbeitsausfalls bei der Agentur für Arbeit • Vorliegen einer entsprechenden Kurzarbeitsklausel im Arbeitsvertrag, Zustimmung der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers zur Beantragung von Kurzarbeit, tarifvertragliche Regelung zur Kurzarbeit oder Abschluss einer Betriebsvereinbarung über Kurzarbeit mit dem Betriebsrat nach § 87 Absatz 1 Nr. 3 BetrVG • Kurzarbeitergeld kann für die Dauer von 12 Monaten bezogen werden – Unterbrechungen von mindestens einem Monat können die Bezugsfrist verlängern – Dauert die Unterbrechung länger als drei Monate muss ein neuer Antrag gestellt werden • Kurzarbeitergeld wird in Höhe von 60% des ausgefallenen Nettolohns gezahlt; Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die min-
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V. C heckliste Kurzarbeitergeld
destens ein Kind haben erhalten 67% des ausgefallenen Nettolohns • Arbeitgeber können die Erstattung der von ihnen allein zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge beantragen.
G. K ündigungen als Folge der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Krise Das Coronavirus SARS-CoV-2 und die damit für die gesamte Wirtschaft verbundenen, teils verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen können den Fortbestand von Arbeitsverhältnissen und deren Abwicklung nachhaltig beeinträchtigen. Sowohl für Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen als auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stellt sich u. a. die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen eine durch Coronavirus SARSCoV-2 bedingte Kündigung möglich ist. Mit Blick auf die Coronakrise stellen sich aktuelle Fragen zur krankheitsbedingten, verhaltensbedingten und betriebsbedingten Kündigung. Vor dem Ausspruch einer Kündigung sollten sich die Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen rechtlich beraten lassen. Insbesondere bei der Einordnung der durch Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 bedingten Abmahn- bzw. Kündigungssachverhalte erscheint eine anwaltliche Beratung sinnvoll.
I. Krankheitsbedingte Kündigung Sollten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an COVID-19 erkranken, kommt eine krankheitsbedingte Kündigung nicht in Betracht. Auch in der aktuellen Krise verbleibt es bei den zur krankheitsbedingten Kündigung entwickelten Grundsätzen.
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1. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen (Küttner/Eisemann, Personalhandbuch 2019 Kündigung, personenbedingte Rn. 8). Das wird vermutet, wenn häufige Kurzzeiterkrankungen oder eine lang anhaltende Dauererkrankung vorliegen.
a) Kurzzeiterkrankungen stellen für den Betrieb eine erhebliche Belastung dar. Eine hierauf gestützte Kündigung setzt immer eine Wiederholungsgefahr voraus. Es muss auch in Zukunft mit weiteren erheblichen krankheitsbedingten Ausfällen zu rechnen sein (BAG, Urteil vom 24. November 2005–2 AZR 514/04). Bei der erforderlichen Zukunftsprognose können häufige Kurzzeiterkrankungen in der Vergangenheit für einen entsprechenden Krankheitsverlauf in der Zukunft sprechen (Küttner/Eisemann, Personalhandbuch 2019 Kündigung, personenbedingte Rn. 20). Es gibt jedoch keine Garantie, dass häufige Erkrankungen in der Vergangenheit sich in Zukunft wiederholen werden. Es kommt darauf an, dass darüber hinaus objektive Tatsachen vorliegen, welche die Besorgnis weiterer Erkrankungen rechtfertigen (BAG, Urteil vom 10. November 2005–2 AZR 44/05).
b) Eine Kündigung wegen einer langandauernden Krankheit ist zulässig, wenn die Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers bei Kündigungszugang noch andauert, eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vor-
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Die krankheitsbedingte Kündigung wird in drei Stufen geprüft (BAG, Urteil vom 25. April 2018–2 AZR 6/18; BAG, Urteil vom 20.November 2014–2 AZR 664/13; BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015–2 AZR 550/14):
liegt, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (BAG, Urteil vom 20. November2014–2 AZR 664/13). Feste Maßstäbe dafür, welche Krankheitszeiten eine negative Prognose ermöglichen, lassen sich nicht angeben. Dies hängt u. a. auch von der Dauer des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der Kündigung ab (Küttner/Eisemann, Personalhandbuch 2019 Kündigung, personenbedingte Rn. 14). Die Rechtsprechung hat in der Frage der langandauernden Krankheit keine allgemeingültigen Daten ermittelt und entsprechende Grundsätze entwickelt. Eine Mindestgröße gibt das Entgeltfortzahlungsgesetz vor. Fehlzeiten von nicht mehr als sechs Wochen stellen in keinem Fall eine langandauernde Erkrankung dar.
2. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (Küttner/Eisemann, Personalhandbuch 2019 Kündigung, personenbedingte Rn. 8).
3. Bei der Interessenabwägung ist zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen des Arbeitgebers gleichwohl billigerweise hingenommen werden müssen.
4. Eine krankheitsbedingte Kündigung aufgrund einer COVID-19-Erkrankung ist aktuell arbeitsgerichtlich nicht erfolgversprechend. Es wird Trägerinnen und Trägern von stationären und ambulanten Pflegeein-
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5. Im Falle der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) ist es wichtig, die datenschutzrechtlichen Aspekte zu berücksichtigen. Im Rahmen eines BEM werden sensible Gesundheitsdaten (Artikel 9 Absatz 1 DSGVO in Verbindung mit § 26 Absatz 3 BDSG) des Mitarbeiters verarbeitet. Dies darf u. a. nur auf Grundlage einer wirksam erteilten Einwilligung des Mitarbeiters erfolgen. Es gilt zu beachten, dass der Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung u. a. auch von der wirksamen Durchführung eines BEM abhängig sein kann. Daher empfiehlt es sich, bei Beginn eines BEM eine wirksame Datenschutzvereinbarung mit der betroffenen Person zu schließen.
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richtungen nicht möglich sein, eine negative Gesundheitsprognose für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen. Sie müssten darlegen, dass es aufgrund der COVID-19-Erkrankung zu einem langfristigen Ausfall der erkrankten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommen wird. Dies ist schlicht nicht zu erwarten. Sofern Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer infolge von Coronavirus SARS-CoV-2 arbeitsunfähig erkrankt sind, geht dies mit der behördlichen Anordnung einer Quarantäne gemäß § 30 IfSG oder eines Beschäftigungsverbotes gemäß § 31 IfSG einher. In diesem Fall steht den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gemäß § 56 IfSG ein Entschädigungsanspruch gegen die Behörde zu. Wie bereits aufgezeigt, sind die Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen als Arbeitgeber zunächst vorleistungspflichtig. Sie können jedoch anschließend eine Erstattung des gezahlten Gehaltes von der Behörde fordern, sodass sie weitestgehend keine finanziellen Schäden erleiden. Eine finanzielle Beeinträchtigung des Betriebs liegt daher in den meisten Fällen nicht vor. Abschließend wird der Ausspruch der Kündigung auch unverhältnismäßig sein, da der Arbeitgeber verpflichtet ist, mildere Maßnahmen als den Ausspruch einer Kündigung einzuleiten. Es verbleibt dabei, dass der Ausspruch einer Kündigung die Ultima Ratio ist.
II. Verhaltensbedingte Kündigung Eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitnehmers ist gerechtfertigt, wenn das dem Arbeitnehmer vorgeworfene Verhalten eine Vertragspflicht verletzt, das Arbeitsverhältnis dadurch konkret beeinträchtigt wird, keine zumutbare Möglichkeit anderweitiger Beschäftigung besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses bei Abwägen der Interessen beider Parteien zu billigen und angemessen erscheint (Küttner/Eisemann, Personalhandbuch 2019 Kündigung, verhaltensbedingte Rn. 2). Entscheidend ist, ob das Fehlverhalten der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers im Einzelfall geeignet ist, einen ruhig und verständig urteilenden Arbeitgeber zur Kündigung zu bestimmen (BAG, Urteil vom 10. September 2009–2 AZR 257/08). In der aktuellen durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Krise kommen verhaltensbedingte Kündigungen wegen Leistungsstörungen und Verstößen gegen die betriebliche Ordnung in Betracht.
1. Als eine die verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigende Leistungsstörung kommt in der aktuellen Situation das unentschuldigte Fehlen in Betracht. Trotz der aktuellen Krise sind die bei Trägerinnen und Trägern von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung verpflichtet. Im Hinblick auf Coronavirus SARS-CoV-2 stellt sich dann die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer die Erbringung seiner Arbeitsleistung gemäß § 275 Absatz 3 BGB verweigern darf. Gemäß § 275 Absatz 3 BGB können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Erbringung ihrer Arbeitsleistung verweigern, soweit ihnen dies unzumutbar wäre. Hierbei müssen folgende Punkte beachtet werden. Sollten in einem Betrieb einer Trägerinnen oder eines Trägers einer stationären oder ambulanten Pflegeeinrichtung tatsächliche Anhaltspunkte einer erhöhten Infektionsgefahr bestehen, so wird es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Regel nicht zuzumuten sein, den Betrieb
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2. In Zeiten der Coronavirus SARS-CoV-2-Krise kommen verhaltensbedingte Kündigungen zudem aufgrund von Verstößen gegen Hygienevorschriften in Betracht. Hierbei sind einerseits die allgemeinen Hygienevorschriften in den Betrieben der Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen zu berücksichtigen. Zudem kommen aktuell verschärfte Hygienevorschriften hinzu, mit
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aufzusuchen. Diesbezüglich gilt es auch zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber gemäß §§ 618, 241 Absatz 2 BGB verpflichtet ist, hinreichende Schutzmaßnahmen zu treffen, um das Risiko einer gesundheitlichen Schädigung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu minimieren. Sind hinreichende Schutzmaßnahmen getroffen und besteht für die Mitarbeiterin bzw. den Mitarbeiter keine besondere persönliche Gefahrenlage, etwa durch eine risikoerhöhende Vorerkrankung, kann die Arbeitsleistung weiterhin zumutbar sein. Je nach Sachlage besteht die Verpflichtung, soweit wie möglich entweder Homeoffice für die Mitarbeiter einzurichten oder erforderlichenfalls Teile der Belegschaft freizustellen. In Fällen, in denen ohne besondere persönliche Gefahrenlage, etwa durch eine risikoerhöhende Vorerkrankung, lediglich die Befürchtung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besteht, sie könnten sich auf dem Weg zur Arbeit oder bei der Arbeit selbst infizieren, besteht kein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich ihrer Arbeitskraft. Diese abstrakte Befürchtung ist einerseits vom allgemeinen Lebensrisiko, andererseits vom Wegerisiko erfasst, welches die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tragen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die wegen dieser abstrakten Befürchtung nicht zur Arbeit erscheinen, können abgemahnt werden. Bei Wiederholung der Pflichtverletzung kann der Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung gerechtfertigt sein. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, dass öffentliche Bus- und Bahnverkehr partiell stillgelegt wurden. Sie tragen das alleinige Risiko, pünktlich bzw. überhaupt im Betrieb zu erscheinen.
denen auf die durch das Coronavirus SARS-Cov-2 ausgelösten Gefahrenlage reagiert wird. Praxishinweis Seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie kam es in der Praxis bereits zu erheblichen Verstößen gegen neue und alte Hygienevorschriften. Beispielhaft sind hier Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Hauswirtschaft zu nennen, die sich weigern, bei der Essenszubereitung einen Mundschutz zu tragen. Es kommen aber auch Hausmeister in Betracht, die sich weigern, einen Mundschutz zu tragen. Auch Fuhrparkmanager in ambulanten Pflegediensten, die Lenkräder bzw. den Innenraum von Fahrzeugen nicht desinfizieren, begehen, bei Vorliegen einer bestehenden Dienstanweisung, eine Pflichtverletzung. In diesen Fällen ist nach vorheriger Abmahnung eine verhaltensbedingte Kündigung möglich.
Neben den generell bei den Trägerinnen und Trägern von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen bestehenden Hygienevorschriften gibt es in der aktuellen Situation zusätzliche Hygienevorschriften, um eine Ansteckung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Pflegebedürftigen mit Coronavirus SARS-CoV-2 zu verhindern. Insgesamt ist es ein gesamtgesellschaftliches Ziel, die Ausbreitung von Coronavirus SARS-CoV-2 einzuschränken. Dies gilt umso mehr im Bereich der Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen. Diese stellen eine umfassende Versorgung der Pflegebedürftigen, die in der aktuellen Situation besonders gefährdet sind, sicher. Gerade unter diesem Gesichtspunkt stellen Verstöße gegen Hygienevorschriften einen besonders gewichtigen Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten dar. Derartige Verstöße gegen Hygienevorschriften (Nebenpflichten) sollten sofort schriftlich abgemahnt werden. Bei einem wiederholten Verstoß gegen die Hygienevorschriften kann eine verhaltensbedingte Kündigung – fristgerecht oder fristlos – ausgesprochen werden. Eine verhaltensbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers hat z. B. das Hessische Landesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 04. Novem-
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ber 2013 (Az. 17 Sa 591/13) bestätigt. Zur Begründung führte es wie folgt aus:
(…) Dauerhafte störungsfreie Vertragserfüllung ist für die Zukunft nicht zu erwarten. Dies zeigt der Umstand, dass der Kläger trotz einschlägiger vorangegangener Abmahnung am 27. April 2012 erneut gegen die Hygiene- und Bekleidungsanweisungen verstieß. Der Kläger wurde am 11. November 2011 berechtigt wegen eines einschlägigen Vor-falls vom 04. November 2011 abgemahnt. Dies wiederum steht aufgrund der insoweit nicht angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung fest.“ Praxishinweis Auch in der Coronakrise stellt das unentschuldigte Fehlen einen der Hauptgründe für eine verhaltensbedingte Kündigung dar. Hinzu kommen aktuell auch Verstöße gegen – allgemeine und spezielle – Hygienevorschriften. Eine verhaltensbedingte Kündigung sollte grundsätzlich erst bei einem erneuten Verstoß nach Ausspruch einer schriftlichen Abmahnung erfolgen. Bei kündigungsrelevanten Sachverhalten empfiehlt sich die Beratung durch einen spezialisierten Fachanwalt.
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„Es liegt eine erhebliche Pflichtverletzung vor. Die Hygiene- und Bekleidungsanweisungen der Beklagten dienen keinem Selbstzweck, sondern der Qualitätssicherung und der Verhinderung einer Kontamination der hergestellten Diagnostika mit substanzfremden Partikeln oder Keimen. Angesichts der von der Beklagten hergestellten Produkte ist es selbstverständlich, dass derartige Kontaminationen auszuschließen sind, ohne dass in diesem Zusammenhang ergänzend auf Überwachung und Kontrolle durch Aufsichtsbehörden abzustellen wäre.
III. Betriebsbedingte Kündigung Der Hauptgrund für Kündigungen „aufgrund“ der aktuellen Coronavirus SARS-CoV-2-Epidemie wird aller Voraussicht nach die betriebsbedingte Kündigung sein. Infolge der Infektionsgefahr kann es zur Beeinträchtigung der Lieferketten, einem Auftragsrückgang sowie zu Beeinträchtigungen durch behördliche Anordnungen, die die vorübergehende Schließung bestimmter Betriebsstätten vorsehen. Hierdurch können für die Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen erhebliche finanzielle Belastung entstehen. Diese tragen das wirtschaftliche Risiko der Verwertung der Arbeitsleistung ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In der Folge kann der Umsatz deutlich zurückgehen und unter Um-ständen gänzlich wegfallen. Zudem sind die Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen, auch wenn sie die Arbeitsleistung ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht verwerten können, gemäß § 615 Satz 3 BGB zur Fortzahlung der arbeitsvertraglich vereinbarten Vergütung verpflichtet. Um diese Belastung (u. a. in Form der Gehaltszahlungen) zu minimieren, besteht oftmals die Erwägung, Teile der Belegschaft betriebsbedingt zu kündigen. Ob derartige Kündigungen wiederum gerechtfertigt wären, ist umstritten.
1. Eine ordentliche Kündigung ist gemäß § 1 Absatz 2 KSchG u. a. sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, begründet ist. Im Hinblick auf die durch Art. 12 Absatz 1, 14 Absatz 1 GG garantierte unternehmerische Freiheit (BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 1998 1 BvL 15/87) muss dem Unternehmer die Freiheit verbleiben, Betriebsstrukturen zu verändern und Arbeitsplätze abzubauen. Die Voraussetzungen einer betriebsbedingten Kündigung lassen sich wie folgt zusammenfassen (BeckOK ArbR/Rolfs KSchG § 1 Rn. 341):
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• Der Arbeitgeber muss eine unternehmerische Entscheidung getroffen haben, die zum dauerhaften Wegfall des Arbeitsplatzes führt.
• Die Entscheidung darf nicht gegen höherrangiges Recht (Gesetz, Tarifvertrag etc.) verstoßen und nicht missbräuchlich sein. • Der Arbeitsplatz muss tatsächlich wegfallen. • Die unternehmerische Entscheidung muss für den Wegfall des Arbeitsplatzes kausal geworden sein. • Die Prognose muss ergeben, dass der Arbeitsplatz spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist wegfällt. • Mildere Mittel dürfen dem Arbeitgeber zur Umsetzung seines unternehmerischen Konzeptes nicht zur Verfügung gestanden haben. • Der Arbeitgeber muss bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt haben (§ 1 Absatz 3 Satz 1KSchG), wobei auch betriebliche Belange mit berücksichtigt werden dürfen (§ 1 Absatz 3 Satz 2 KSchG). Praxishinweis Es ist schwer vorstellbar, dass Arbeitsplätze aufgrund der Krise auf Dauer wegfallen. Die Bundesregierung sowie die Landesregierungen haben bereits finanzielle Maßnahmen ergriffen und Rettungsprogramme aufgelegt, um die Wirtschaft zu unterstützen und Arbeitsplätze zu sichern. Somit erscheint es vorerst möglich zu sein, die Arbeitsplätze zu erhalten, sofern der Beschäftigungsbedarf fortbesteht. Ein für die betriebsbedinge Kündigung erforderlicher dauerhafter Wegfall des Arbeitsplatzes dürfte folglich nicht gegeben sein.
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Kapitel III • Arbeitsrecht
• Die dieser unternehmerischen Entscheidung zugrunde gelegten Tatsachen müssen tatsächlich gegeben sein.
2. Als Begründung für betriebsbedingte Kündigung kommen in der durch Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Krise insbesondere wirtschaftliche Interessen und im schlimmsten Fall finanzielle Notlagen in Betracht. Mit seiner unternehmerischen Entscheidung, bestimmte wirtschaftliche, technische oder organisatorische Maßnahmen zu treffen, die das Beschäftigungsbedürfnis für einen oder mehrere Arbeitnehmer entfallen lassen, kann der Arbeitgeber sowohl auf einen Gewinnverfall (sog. „Unrentabilität“) reagieren als auch mit ihr das Ziel verfolgen, seine Rentabilität zu steigern (BeckOK ArbR/ Rolfs KSchG § 1 Rn. 427). Den Arbeitsgerichten steht es nicht an, dem Arbeitgeber vorzuschreiben, welche Umsatzrendite er höchstens erzielen darf. Das Rentabilitätsinteresse muss nicht in Abwägung mit den Bestandsschutzinteressen der Arbeitnehmer „anerkennenswert“ sein (BAG, Urteil vom 17. Juni 1999–2 AZR 522/98). In seinem Urteil vom 29. März 2007 hat das Bundesarbeitsgericht (Az. 2 AZR 31/06) ausdrücklich klargestellt: „Selbst wenn sich der Arbeitgeber insgesamt in einer Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs befinden sollte, ist er nicht verpflichtet, eine dauerhaft defizitäre Betriebsabteilung aufrechtzuerhalten. Das gesetzliche Kündigungsschutzrecht kann ihn nicht dazu verpflichten, betriebliche Organisationsstrukturen und -abläufe oder Standorte beizubehalten und geplante Organisationsänderungen nicht durchzuführen. Es ist nicht Sache der Arbeitsgerichte, dem Arbeitgeber eine bessere betriebliche oder unternehmerische Organisationsstruktur vorzuschreiben. Anderes gilt nur, wenn die unternehmerische Entscheidung als willkürlich anzusehen ist.“ Arbeitsmangel allein begründet eine betriebsbedingte Kündigung noch nicht. Er kann sowohl durch außerbetriebliche Ursachen (z. B. Auftragsrückgang) als auch durch innerbetriebliche Gründe (z. B. Rationalisierungsmaßnahmen) verursacht sein (BeckOK ArbR/Rolfs KSchG § 1 Rn. 406). Hinzu treten muss eine unternehmerische Entscheidung, entweder unter Beibehaltung der grundsätzlichen betrieblichen Organisation die Zahl und Art der beschäftigten Arbeitnehmer
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dem verbliebenen Arbeitsbedarf anzupassen oder aber zusätzlich die Betriebsorganisation zu ändern und in ihr nur so viele Arbeitnehmer bestimmter Qualifikationen zu beschäftigen, wie dies zur Erfüllung der einzelnen, bestimmten Arbeitsplätzen zugeordneten Arbeitsbedarfe erforderlich ist. Es muss hierbei eine Verknüpfung zwischen dem Arbeitsmangel und dem Arbeitsplatzabbau als Folge einer unternehmerischen Entscheidung existieren. Ist der Arbeitsmangel noch nicht eingetreten, sondern nur zu erwarten, bedarf es zudem einer besonders sorgfältigen Prognose (BeckOK ArbR/Rolfs KSchG § 1 Rn. 406) dahingehend, dass der Arbeitsbedarf für die gekündigte Person spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist entfallen sein wird. Danach könnte ein Arbeitgeber etwa die zweckmäßiger Weise zu dokumentierende Entscheidung treffen, einen Verlust bringenden Teilbereich vorbehaltlos und dauerhaft stillzulegen und den davon betroffenen Arbeitnehmern unter Beachtung der Sozialauswahl zu kündigen. Sollte die Tätigkeit in dem Teilbereich gleichwohl später aufgrund einer neuen Entscheidung wieder aufgenommen werden, kann ein Wiedereinstellungsanspruch der gekündigten Arbeitnehmer bestehen. Sofern der Arbeitsmangel voraussichtlich nur vorübergehend und nicht dauerhaft ist, scheitert die betriebsbedingte Kündigung daran, dass der Arbeitsplatz nicht auf Dauer wegfällt (BAG, Urteil vom 17. Juni 1999–2 AZR 142/99). Der Arbeitgeber muss dann ggf. Kurzarbeit einführen (s. o.). Ob gekündigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich auch darauf berufen können, ihre Kündigung habe durch Kurzarbeit vermieden werden können (sog „Vorrang der Kurzarbeit“), ist jetzt weitgehend geklärt (Küttner/Eisemann, Personalhandbuch 2019 Kündigung, betriebsbedingte Rn. 53). Dieser Vorgang entspricht der in § 2 Absatz 2 Satz 1 und 2 Nr. 2 SGB III enthaltenen Wertentscheidung (APS/Kiel KSchG § 1 Rn 535). Ein dringendes betriebliches Erfordernis zur betriebsbedingten Beendigung von Arbeitsverhältnissen besteht nach § 1 Absatz 2 KSchG nur, wenn außer- oder innerbetriebliche Umstände zu einer dauerhaften Reduzierung des Arbeitskräftebedarfs führen. Der Arbeitgeber muss daher Tatsachen darlegen, wonach in Zukunft auf Dauer mit einem reduzierten Arbeitsvolumen und Beschäftigungsbedarf zu rechnen ist (Küttner/Eisemann, Perso-
nalhandbuch 2019 Kündigung, betriebsbedingte Rn. 53). Es muss ausgeschlossen sein, dass es sich nur um vorübergehende Auftragsoder Produktionsschwankungen handelt (BAG, Urteil vom 23. März 2012–2 AZR 548/10). Der Arbeitsausfall ist nach den §§ 96 Absatz 1 Nr. 2, 104 Absatz 1 SGB III arbeitsförderungsrechtlich vorübergehend, wenn innerhalb der maximalen Bezugsfrist für Kurzarbeitergeld von 12 Monaten mit einem Übergang zur Vollzeitarbeit zu rechnen ist. Dies schlägt sich im Kündigungsschutz nieder. Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld vor, ist die betriebsbedingte Kündigung grundsätzlich unwirksam (Küttner/Eisemann, Personalhandbuch 2019 Kündigung, betriebsbedingte Rn. 53). Praxishinweis Im Vorfeld einer betriebsbedingten Kündigung müssen Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen darauf achten, dass die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Diese wurden durch die Rechtsprechung im Laufe der Zeit immer weiter ausgeformt. Daher sollten Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen sich bei der Vorbereitung und Durchführung einer betriebsbedingten Kündigung umfassend von einem spezialisierten Fachanwalt beraten lassen.
H. Welche Präventionsmaßnahmen müssen Arbeitgeber mit Blick auf das Coronavirus SARS-CoV-2 beachten? Gemäß § 618 Absatz 1 BGB, § 3 ArbSchG sind Trägerinnen und Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen als Arbeitgeber dazu verpflichtet, die nötigen Schutzmaßnahmen für ihre Mitarbeiter zu ergreifen. Auch im eigenen Interesse an einer möglichst langen Aufrechterhaltung des Pflegebetriebs werden sie an der Einhaltung und Durchsetzung der erforderlichen Schutzmaßnahmen interessiert sein.
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Der Schutz beginnt mit einer umfassenden Aufklärung über die Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus und die richtigen hygienischen Verhaltensweisen. Im schlimmsten Fall bleibt als einzige Möglichkeit des Arbeitsschutzes die Betriebsschließung, verbunden mit einer Aufforderung an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zu Hause zu bleiben, es sei denn, es geht im Homeoffice weiter. Allgemeine praktische Maßnahmen sind die Bereitstellung von Desinfektionsmitteln an geeigneten Standorten (Eingang, Toiletten), Hinweise zu deren Benutzung und verstärktes Hinwirken auf die Einhaltung der Hygienestandards. Hierbei empfiehlt sich die enge Zusammenarbeit mit einem Betriebsarzt (soweit vorhanden). Diese Handlungsmöglichkeiten treten neben die Hygienepflichten, welche die Trägerinnen und Träger beim Betrieb stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen grundsätzlich einzuhalten haben. Ob Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen auch selbst initiierte Präventivmaßnahmen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dulden müssen, hängt von den Umständen ab und bedarf einer Interessenabwägung. Besteht eine erhöhte Infektionsgefahr durch regelmäßigen Kontakt mit potenziell infizierten Personen, wie beispielsweise in der medizinischen Versorgung, wird der Arbeitgeber Schutzmaßnahmen wie z. B. Mundschutz dulden müssen. Hierbei ist für die Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen zu prüfen, ob grundsätzliche behördliche Schutzvorschriften (ggfs. auch zeitlich befristet) getroffen worden sind. Bedeutsam ist weiter, ob und wann Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei abstraktem oder konkretem Verdacht einer Infektion freistellen können. Bei der Freistellung durch den Arbeitgeber behält der Arbeitnehmer zwar den Vergütungsanspruch. Die Arbeitnehmer haben jedoch grundsätzlich einen Beschäftigungsanspruch, sodass sie möglicherweise ihre Tätigkeit weiterhin erbringen wollen. Aus sachlichen Gründen können Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer auch ohne vertragliche Vereinbarung im Rahmen der konkreten Gefährdung der Arbeitgeberinteressen zumindest kurzfristig freistellen. Es spricht einiges dafür, dass Arbeitgeber bei auf Tatsachen gestützten Verdachtsmomenten von einem sachlichen Grund ausgehen dürfen und freistellen können. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn einzelne Krankheitssymptome auftreten oder sich der Arbeitnehmer zuvor in einem Risikogebiet aufgehalten hat. Bei Kenntnis von einer Erkrankung müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Hause geschickt werden. Das gilt schon aufgrund der allgemeinen Fürsorgepflicht.
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Angesichts der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 werden Trägerinnen und Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen vor täglich neue Herausforderungen gestellt. Im Folgenden geht es zunächst um die Hygieneanforderungen, die angesichts der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 an Trägerinnen und Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen gestellt werden. Dabei werden auch die Konsequenzen nicht umgesetzter Hygienestandards erörtert. Darüber hinaus werden unter anderem die sich angesichts der aktuellen Situation ergebenden Schwierigkeiten für die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner aufgezeigt und die Notwendigkeit eines Pandemieplans sowie die Beschlagnahme von Medizinprodukten erörtert. Abschließend wird in diesem Abschnitt auf die Schließung von Tagespflegeeinrichtungen und die rechtlichen Konsequenzen eingegangen.
I. H ygieneansprüche in stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen In Deutschland leben ca. 3,4 Millionen Pflegebedürftige. Um die Sicherstellung von Pflege und Betreuung der meist hochbetagten und chronisch kranken Patienten kümmern sich ca. 14.500 Pflegeheime und 14.100 ambulante Dienste. (https://www.destatis.de/DE/Themen/ Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Pflege/_inhalt.html)
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Kapitel IV • Sozialrecht/Medizinrecht/Zivilrecht
Herausforderungen für Trägerinnen und Träger sowie Bewohnerinnen und Bewohner stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen angesichts der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 Eileen Kemnitz
Die Gruppe der Pflegebedürftigen zählt zu den gefährdeten Risikogruppen der Corona-Pandemie. Denn gerade ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen haben ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf in Folge einer Infektion. Daher gehört die „Schutzstrategie vulnerabler Gruppen“ – also Risikogruppen – auch zu den Maßnahmen, die das Robert-Koch-Institut nach der Eindämmungsstrategie zur Bekämpfung der Epidemie empfiehlt. Mehrere Bundesländer haben bereits reagiert und Besuche in Altenheimen untersagt oder zeitlich beschränkt. Dazu zählen etwa Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Einzelne Heime haben jedoch auch eigene Regulierungen. Menschen, die aus Risikogebieten zurückkehren, wird ein Besuch vielerorts untersagt. Aus diesem Grund ist auch von den Pflegekräften, die täglichen Umgang mit älteren Menschen pflegen, ein erhöhtes Maß an Hygiene gefordert. Die Desinfektion der öffentlichen Bereiche in Pflegeeinrichtungen soll deutlich häufiger erfolgen als üblich. Vorstandsmitglied Kerstin Stammel der Pflegekammer Niedersachsen rief die Pflegekräfte auf, nicht nur auf ihre eigene Hygiene zu achten, sondern auch Patienten und Angehörige über das richtige Verhalten zur Vermeidung einer Infektion aufzuklären. Das Robert Koch Institut empfiehlt folgende Maßnahmen, um Heimbewohner und Pflegepersonal bestmöglich zu schützen: • Bei der Versorgung vulnerabler Patientengruppen im Rahmen einer Pandemie ist das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes durch das medizinische Personal aus Aspekten des Patientenschutzes angezeigt. • Beim Auftreten von Atemwegserkrankungen oder fieberhaften Erkrankungen sollte eine Abklärung auf das Coronavirus SARSCoV-2 erwogen werden. • Hinweise für Besucher (z. B. Aushang) anbringen, dass sie das Altenheim nicht aufsuchen sollen, wenn sie eine akute Atemwegserkrankung haben. • Besuchsregelungen sollten ggf. mit den Gesundheitsbehörden abgestimmt werden.
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• Mitarbeiter mit akuten Atemwegserkrankungen sollten zu Hause bleiben.
• Erkrankte Bewohner mit Atemwegserkrankungen oder fieberhaften Erkrankungen sollten im Zimmer versorgt werden. • Generelle Informationen für Mitarbeiter, Bewohner und deren Besucher, welche Anstrengungen unternommen werden, um die Bewohner zu schützen. • Hände-Desinfektionsmittel und Einmaltaschentücher sollten in allen Bereichen, auch den Wohnbereichen der Bewohner, bereitgestellt werden. • In der Pflege von Erkrankten mit Fieber oder Atemwegserkrankungen sollte den Empfehlungen entsprechende Schutzausrüstung verwendet werden. • Schutzausrüstung und Hinweise zu deren Benutzung sollten unmittelbar vor den Wohnbereichen platziert werden. • Mülleimer zur Entsorgung von Einmalartikeln sollten im Innenbereich vor der Tür aufgestellt werden. • Bei Übernahme durch bzw. Transfer in eine andere Einrichtung sollte eine Vorab-Information bezüglich Atemwegserkrankung bzw. auf das Coronavirus SARS-CoV-2-verdächtige Erkrankung erfolgen. • Die Beobachtung des Gesundheitszustandes des Personals. (RKI: Hinweise zur Prävention und Management von Coronavirus SARS-CoV-2-Erkrankungen in der stationären und ambulanten Altenpflege, Stand 23. 03. 2020) Praxishinweis Den Trägerinnen und Trägern ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen wird empfohlen, einen Hygieneplan anzufertigen und allen Mit-
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• Bei neu aufgenommenen Bewohnern sollte der Gesundheitsstatus erhoben werden, Personen mit Atemwegserkrankungen oder fieberhaften Erkrankungen sollten dem betreuenden Arzt zur Entscheidung des weiteren Vorgehens vorgestellt werden.
arbeitern und Bewohnern bekannt zu geben. Denn Transparenz schafft Vertrauen und Verständnis.
1. Umsetzbarkeit der Hygieneanforderungen Doch wie sollen die Betreiber von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen die Hygieneanforderungen praktisch umsetzen? Schutzausrüstungen wie etwa Atemschutzmasken für Pflegepersonal sind vielerorts kaum zu bekommen. Der gemeinsame Krisenstab des Bundesinnenministeriums und des Bundesministeriums der Gesundheit hat am Dienstag, 3. März, beschlossen, medizinische Schutzausrüstung zentral für Arztpraxen, Krankenhäuser und Bundesbehörden zu beschaffen. Gleichzeitig hat das Bundeswirtschaftsministerium einen Exportstopp von medizinischer Schutzausrüstung ins Ausland angeordnet. NRW-Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat mitgeteilt, dass das Land eine Million Schutzmasken erworben hat. In Kürze sollen 20.000 der Atemmasken zur Verfügung stehen, die dann an Krankenhäuser und Praxen verteilt werden. (https://www.bundesgesundheitsministerium.de/weitere-beschluesse-krisenstab-bmi-bmg.html) Der Mangel an Schutzausrüstung in der Altenpflege macht sich immer stärker bemerkbar. Angesichts der steigenden Zahl von COVID-19 Erkrankungen in Alten- und Pflegeeinrichtungen fordern Patientenschützer, Pflegeheimbetreiber und Verbände von Pflegekräften daher unisono weitaus stärkere Anstrengungen der Politik, für eine angemessene Ausstattung in der Altenpflege zu sorgen. Neben dem Zugang zu Desinfektionsmittel stellt die fehlende Schutzausrüstung ein zentrales Problem dar.
2. Konsequenzen nicht umgesetzter Hygienestandards Was passiert, wenn die Betreiber ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen nicht genügend Schutzausrüstung vorrätig haben?
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a) Mitarbeiter Die Betreiber ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen stehen vor einem Dilemma. Durch den Mangel an Schutzausrüstung sind sowohl die Pflegerinnen und Pfleger als auch die betreuten Personen gefährdet. Als Arbeitgeber sind die Trägerinnen und Träger ambulanter und stationärer Altenpflegeeinrichtungen verpflichtet, Schutzmaßnahmen für ihre Mitarbeiter zu ergreifen. Im Rahmen der allgemeinen Fürsorgepflicht muss der Arbeitgeber bei Ausübung seiner Rechte das Wohl und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen, die Entstehung eines Schadens beim Arbeitnehmer verhindern, aber auch dessen Würde und Persönlichkeit achten. Das heißt, der Arbeitgeber ist grundsätzlich verpflichtet, ausreichend Schutzmaterial für das Pflegepersonal zur Verfügung zu stellen. In Zeiten der Coronapandemie sind dabei auch teilweise kreative Lösungen gefordert. Der Klinikkonzern Vivantes beispielsweise hat an seine Mitarbeiter Mundschutzmasken verteilt, die nach der Schicht zuhause ausgekocht werden müssen. Das ist zwar keine optimale Lösung, angesichts der Knappheit von Schutzmaterial aber sicherlich ein gangbarer Weg. Das Robert-Koch-Institut hat die Mehrfachverwendung von Schutzmasken angesichts der Lieferengpässe empfohlen. Diese Empfehlung
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Kapitel IV • Sozialrecht/Medizinrecht/Zivilrecht
Welche rechtlichen Konsequenzen drohen für den Fall, dass der Pflegebetrieb unter Missachtung der Hygienevorschriften aufrechterhalten wird? Ein absolutes Kontaktverbot oder Homeoffice-Regelungen sind in Pflegeeinrichtungen nicht zu realisieren. Den Bewohnern muss Essen angereicht werden, sie müssen gewaschen und gelagert werden. Durch das Coronavirus SARS-CoV-2 wird plötzlich jede Hilfestelle zum Risiko für alle Beteiligten. Für Betreiber ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen, die ihre Mitarbeiter ohne Atemschutzmasken arbeiten lassen, drohen Konsequenzen gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen kann der Betreiber die Schutzpflicht gegenüber den Mitarbeitern verletzten, zum anderen die Obhutspflichten gegenüber den Bewohnern.
hat jedoch auch für viel Kritik gesorgt. (https://www.tagesschau.de/ investigativ/swr/rki-atemschutzmasken-wiederverwendung-101.html) Praxishinweis Als Betreiber ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen sollten Sie Ihr Personal bestmöglich – im Rahmen des Möglichen – schützen. Fördern Sie dabei den Austausch mit den Beschäftigten und gehen auf Sorgen, Ängste und Anregungen ein. Dokumentieren Sie Ihre Bestellversuche von Atemschutzmasken und anderer Schutzkleidung. Für den Fall der Knappheit an Schutzausrüstung, weisen Sie Ihr Personal entsprechend an, wie bei einer Mehrfachverwendung vorzugehen ist. Dazu können Sie beispielsweise auf die Anleitung zur Mehrfachverwendung von Mundschützen und Ablegen von Schutzkleidung des Marburger Bundes zurückgreifen. (https://www. marburger-bund.de/sites/default/files/2020–03/Anleitung_Anlegen-Ablegen-Schutzkleidung_0.pdf) Wenn Sie sich unsicher sind, wie Sie mit bestimmten Situationen konkret umzugehen haben, kontaktieren Sie möglichst einen auf das Arbeitsrecht spezialisierten Rechtsanwalt.
b) Pflegebedürftige Maßstab für den Umfang der vertraglich übernommenen Schutzpflichten einer Pflegeeinrichtung ist das Ausmaß der Betreuungsbedürftigkeit der Bewohner. Konkretisierungen dieser Pflichten finden sich im SGB XI sowie in den jeweiligen Heimgesetzen. So haben die Pflegekassen und die Leistungserbringer gemäß § 28 Absatz 3 SGB XI sicherzustellen, dass die Leistungen nach § 28 Absatz 1 SGB XI nach allgemein anerkanntem Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse erbracht werden. In § 11 Absatz 1 SGB XI heißt es: (1) Die Pflegeeinrichtungen pflegen, versorgen und betreuen die Pflegebedürftigen, die ihre Leistungen in Anspruch nehmen, entsprechend dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse. Inhalt und Organisation der Leistungen haben eine hu-
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mane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde zu gewährleisten. Die Qualität der Pflege ist allerdings nicht nur von Erkenntnissen, sondern insbesondere auch von den zur Verfügung stehenden Ressourcen und deren sinnvoller und effektiver Nutzung abhängig. Soweit der Gesetzgeber entsprechend den Vorgaben des Absatzes 1 Satz 2 die Gewährleistung einer humanen und aktivierenden Pflege unter Achtung der Menschenwürde auch in der Pflegepraxis durchsetzen will, muss er dafür Sorge tragen, dass die dafür den Leistungserbringern zur Verfügung stehenden Ressourcen (bei zielstrebigem Einsatz) ausreichend bemessen sind. (BeckOK SozR/Pfitzner, 55. Ed. 1. 12. 2019, SGB XI § 11 Rn. 1a) Was heißt das konkret, wenn in Zeiten der Corona-Krise pflegebedürftige Personen versterben und man nachträglich nachweisen – oder zumindest nicht ausschließen kann – dass ihr Tod auf mangelnde Hygiene zurückzuführen ist? Beispielsweise wird ein Bewohner infiziert, weil die bereits infizierte Pflegekraft keine Atemschutzmaske trägt. Kann in diesem Fall der Pflegeheimbetreiber strafrechtlich belangt werden? Die Frage nach der Strafbarkeit ist im Ergebnis wohl grundsätzlich mit „Nein“ zu beantworten, wenn die Vorgaben des RKI bestmöglich beachtet und umgesetzt werden. Es kann nicht gewollt sein, Betreiber von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen, die trotz der angespannten Lage, die das Coronavirus SARS-CoV-2 derzeit dem Land beschert, weiter die Pflege aufrechterhalten, dafür strafrechtlich belangt werden. Denn an der Knappheit von Hygieneartikeln können die Betreiber von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen nichts ändern. Sie stehen vielmehr vor der Frage, ob sie trotz Mangel an Schutzmasken und Schutzausrüstung den Betrieb weiter aufrechterhalten, oder ob sie den Betrieb schließen. Die Schließung hätte letztlich zur Folge, dass den Bewohnern die Obdachlosigkeit droht. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa) sieht hier vor allem die Landesministerien und Gesundheitsämter in der Pflicht. Der Präsident des bpa, Bernd Meurer, erklärte: „Es darf nicht der Eindruck entstehen, Landesministerien und Gesundheits-
ämter hätten ihre Aufgabe erledigt, wenn sie die Pflegeeinrichtungen regelmäßig darüber informieren, welche insbesondere hygienischen Anforderungen zu beachten seien. Diesen Informationen fehlt meist jeder Hinweis darauf, was zu tun sei, wenn die theoretisch vorausgesetzte und zusätzliche Schutzausrüstung nur eingeschränkt zur Verfügung steht und nicht über bisherige Lieferwege zu beschaffen ist. Hier kann allzu leicht der Eindruck entstehen, zuständige Stellen würden sich absichern wollen, aber die Befassung mit den entscheidenden Fragen unterlassen.“ (https://www.bpa.de/Aktuelles.112.0.html?&no_cache=1&tx_ ttnews%5Btt_news%5D=5838&cHash=5e996f7cddce4ad98ed9904ba348865e) Es herrscht derzeit eine absolute Ausnahmesituation. Wer Hilfe leistet und sich für die Schwächsten in der Bevölkerung einsetzt, kann dafür eventuell zur Rechenschaft gezogen werden, wenn Bewohner zu Schaden kommen. Wenn der Tod eines Bewohners auf mangelnde oder schlechte Pflegeleistungen zurückzuführen ist, wird gegen die Betreiber teilweise ein Strafverfahren eingeleitet. In der Regel prüft die Staatsanwaltschaft drei Delikte: Unterlassene Hilfeleistung, Körperverletzung mit Todesfolge und Fahrlässige Tötung. Grundsätzlich wird die Pflege und Betreuung alter Menschen in Pflegeeinrichtungen ohne hinreichende Schutzausrüstung wohl zumindest den objektiven Tatbestand der Körperverletzung (mit Todesfolge) erfüllten, wenn ein Bewohner aufgrund der Infizierung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 an den Folgen verstirbt und nachgewiesen werden kann, dass er sich bei einer Pflegekraft infiziert hat. Die Betreiber dürften jedoch in aller Regel zumindest gerechtfertigt bzw. entschuldigt handeln, wenn sie kein Organisationsverschulden trifft. Im Rahmen der Organisation haben die Betreiber die Vorgaben des RKI mit den vorhandenen und beschaffbaren Mitteln bestmöglich umzusetzen. Im Folgenden werden die wesentlichen Straftatbestände näher erörtert:
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aa) Unterlassene Hilfeleistung
bb) Körperverletzung mit Todesfolge In § 227 StGB (Körperverletzung mit Todesfolge) heißt es: (1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. (2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. Eine Körperverletzung begeht, wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt. Dafür kann er mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden. Unter einer körperlichen Misshandlung ist jede unangemessene
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Eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung scheidet wohl aus, wenn die Pflege und Betreuung der Bewohner – trotz mangelnder Schutzausrüstung – weiterhin gewährleistet wird. In § 323c StGB (Unterlassene Hilfeleistung; Behinderung von hilfeleistenden Personen) heißt es: (1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will. Die Pflegekraft, die ohne ausreichende Desinfektion, ohne Atemschutzmaske, oder andere Schutzausrüstung pflegt, macht sich wohl nicht wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar. Denn sie unterlässt keine Hilfeleistung, die erforderlich, möglich und zumutbar war. Ist das Fehlen der Schutzausrüstung darauf zurückzuführen, dass es schlicht keine Schutzausrüstung auf dem Markt verfügbar gibt, dann ist das Tragen einer solchen weder möglich noch zumutbar. Für die Bewohner wird es in der Regel besser sein, ohne Atemschutzmaske gepflegt zu werden, als wenn die Pflege vollkommen eingestellt wird.
Behandlung, die zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung des körperlichen Wohlempfindens oder der körperlichen Unversehrtheit führt, zu verstehen. (BGHSt 14, 269 (271); 25, 277 (278); BGH NJW 1991, 2918 (2919); NStZ 1997, 123; StV 2001, 680; BeckRS 2010, 24058; Tag, 170 ff.). Eine Gesundheitsschädigung ist in jedem Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Menschen nachteilig abweichenden krankhaften Zustandes zu sehen, also in einem, wenn auch nur vorübergehenden Herbeiführen einer pathologischen Verfassung (BGHSt 36, 1 (6); 36, 262 (265); 43, 346 (354)). Das Pflegen einer Person ohne Einhaltung der vom RKI aufgestellten Hygienemaßnahmen erfüllt nach hiesiger Ansicht den objektiven Tatbestand der Körperverletzung. Denn beispielsweise das Verwenden einer Atemschutzmaske hilft, eine Tröpfcheninfektion zu vermeiden. Die Körperverletzung ist aber wohl zumindest mit Einwilligung der verletzten Person vorgenommen worden und daher gerechtfertigt, § 228 StGB. Zu beachten ist dabei, dass es Patienten gibt, die beispielsweise aufgrund einer Demenzerkrankung nicht mehr selbst einwilligungsfähig sind. Für diese Patienten muss die Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter oder Betreuer erfolgen. (siehe Thomas Fischer, StGB, § 288, Rn. 12a) In § 228 StGB (Einwilligung) heißt es: Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Für die Frage, ob eine Tat gegen die guten Sitten verstößt, ist entscheidend, ob die Körperverletzung wegen des besonderen Gewichts des jeweiligen tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs unter Berücksichtigung des Umfangs der eingetretenen Körperverletzung trotz Einwilligung des Rechtsgutsträgers nicht mehr von der Rechtsordnung als hinnehmbar erscheint. Das dürfte im vorliegenden Fall zu verneinen sein. Denn die Alternative zur Pflege ohne ausreichende Schutzausrüstung wäre die Schließung der Einrichtung mit der Folge, dass vielen Heimbewohnern die Obdachlosigkeit und Nichtversorgung droht.
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Kapitel IV • Sozialrecht/Medizinrecht/Zivilrecht
Praxishinweis
cc) Fahrlässige Tötung In § 222 StGB (Fahrlässige Tötung) heißt es: Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Vorschrift knüpft an einen Sorgfaltspflichtverstoß an. Wer wegen Verletzung einer Sorgfaltspflicht, beispielsweise dem Pflegen ohne Atemschutzmaske, den Tod eines anderen Menschen kausal verursacht, hat den Tatbestand an sich verwirklicht. Zu denken ist jedoch auch hier an eine Straflosigkeit wegen der rechtfertigenden Einwilligung des Opfers, in diesem Fall der zu pflegenden Person. Zwar sind lebensgefährliche Risiken in Anlehnung an § 228 StGB nur einwilligungsfähig, wenn das konkrete Risiko für ein im Verletzungsfall nicht disponibles Rechtsgut durch einen besonderen sachlichen Grund der Gefährdungshandlung kompensiert wird, dies ist vorliegend jedoch der Fall. Denn der mit der Pflege ohne ausreichende Schutzausrüstung verfolgte Zweck ist einleuchtend. Wäre die pflegebedürftige Person aufgrund des Mangels an Schutzausrüstung überhaupt nicht gepflegt worden, hätte sich ihr Gesundheitszustand ebenfalls verschlechtert.
dd) Straflosigkeit Wenn man nicht mit der Einwilligung nach § 228 StGB argumentiert, wird man zumindest von dem Vorliegen eines übergesetzlichen Not-
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Kapitel IV • Sozialrecht/Medizinrecht/Zivilrecht
Als Betreiber ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen sollten Sie die Bewohner und deren Betreuer rechtzeitig über den Mangel an Schutzausrüstung informieren und klarstellen, dass die Pflege und Betreuung unter den gegebenen Bedingungen aufrechterhalten wird. Denn dann weiß der Bewohner, dass seine Pflege ohne die empfohlene Schutzausrüstung stattfindet. Bleibt er trotz dieses Wissens in der Einrichtung, kann zumindest eine konkludente Einwilligung angenommen werden.
stands ausgehen können. Abzuwägen gilt die Situation, in der die Pflegeperson sich ohne jegliche Pflege befinden würde, gegen die Situation, die sie durch die Pflege ohne die erforderliche Schutzausrüstung erlebt. Wenn die Betreiber ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen in der Situation der Corona-Pandemie nicht ohne Schutz pflegen dürfen, müssten sie in der Konsequenz die Betriebe einstellen. Es ist zu bezweifeln, ob die zu pflegenden Personen dann besser dran wären. Die Pflege und Betreuung müsste durch die Angehörigen – soweit vorhanden – erfüllt werden. Den Bewohnern würde die Obdachlosigkeit und Nichtversorgung drohen. Vor diesem Hintergrund kann die Politik es nicht wollen, dass sich Betreiber ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen strafbar machen, die angesichts der derzeitigen Situation ihre Betriebe aufrechterhalten und die Pflege und Betreuung so gut es eben geht weiter gewährleisten. Auch ein Entzug der Zulassung, wenn ein Mensch durch mangelnde Hygiene zu Schaden kommt, kann nicht gewollt sein. Das muss zumindest für die Fälle gelten, in denen die mangelnde Hygiene nicht im Verantwortungsbereich des Betreibers ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen liegt, sondern in einem allgemeinen Lieferengpass. Ansonsten wäre den Einrichtungen nämlich zu empfehlen, den Betrieb einzustellen. Viele pflegebedürftige Personen würden dann in die Krankenhäuser aufgenommen werden müssen. Da die Betten in den Krankenhäusern jedoch für Corona-Patienten vorbehalten sind, kann diese Lösung nicht gewollt sein. Praxishinweis Den Trägerinnen und Trägern ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen wird dringend empfohlen, die zu pflegenden Personen und deren Betreuer über Engpässe und Mängel bei der Schutzausrüstung zu informieren. Denn nur, wenn die Pflegepersonen darüber Bescheid wissen, dass Pflegemaßnahmen ohne die vorgeschriebene Schutzausrüstung stattfinden, können sie einwilligen oder sich entscheiden, die Einrichtung zu verlassen. Darüber hinaus sollten Sie Ihre (gescheiterten) Bemühungen, Schutzausrüstung zu beschaffen, dokumentieren.
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c) zivilrechtliche Ansprüche
aa) Bewohner Bewohner, die eine COVID-19 Erkrankung überlebt haben, könnten einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch wegen Schlechtleistung gemäß §§ 280 Absatz 1, 241 Absatz 2 BGB gegenüber den Betreibern stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen geltend machen. In § 280 Absatz 1 BGB heißt es: (1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Die Vorschrift hat vier Voraussetzungen: • das Vorliegen eines Schuldverhältnisses, • die Begehung einer Pflichtverletzung, • das Vertretenmüssen • und die Entstehung eines Schadens. Ein Schuldverhältnis wird regelmäßig durch den Heimvertrag begründet sein. Die Pflichtverletzung liegt in dem Erbringen von Pflege- und Betreuungsleistungen unter Missachtung der empfohlenen Hygienevorschiften und/oder ohne Verwendung hinreichende Schutzausrüstung. Denn gemäß § 241 Absatz 2 BGB ist jeder Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet. Der Schadensersatzanspruch nach § 280 Absatz 1 BGB setzt zudem voraus, dass der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Nach der Beweislastregel des Absatz 1 Satz 2 wird das Vertretenmüssen allerdings vermutet; der Schuldner muss sich also entlasten. Was der Schuldner zu vertreten hat, ergibt sich aus §§ 276–278 BGB.
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Kapitel IV • Sozialrecht/Medizinrecht/Zivilrecht
Die Erbringung von Pflege- und Betreuungsleistungen ohne Beachtung und Einhaltung der vom RKI empfohlenen Hygieneanweisungen und ohne die erforderliche Schutzausrüstung, kann unter Umständen zivilrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Zu denken ist hier insbesondere an die zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche.
Den Maßstab für das Vertretenmüssen legt primär § 276 Absatz 1 Satz 1 fest: Der Schuldner hat regelmäßig Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. (BeckOK BGB/Lorenz, 53. Ed. 1. 2. 2020, BGB § 280 Rn. 31) Der Entlastungsbeweis wird dann gelingen, wenn der Betreiber nachweisen kann, dass die Schlechtleistung allein auf Lieferengpässe zurückzuführen ist und die Hygienevorschriften im Rahmen des Möglichen eingehalten wurden. Denn dann trifft den Betreiber für die durchgeführte Pflege weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit. Der Schadensersatzanspruch wird dann mangels Verschulden abgewiesen. Praxishinweis Beachten Sie den Grundsatz: Schadensersatz nur bei Verschulden! Aus diesem Grund sollten Sie alle Ihre Bemühungen, Schutzausrüstung zu beschaffen, dokumentieren. Dann wird Ihnen auch der Entlastungsbeweis gelingen. Bei Unsicherheiten wenden Sie sich an einen spezialisierten Rechtsanwalt.
bb) Krankenkassen Teilweise verlangen Krankenkassen die Kosten für Heilbehandlungen ihrer Versicherten von den Pflegeheimen zurück. Die Krankenkassen argumentieren dann damit, dass das Pflegeheim einen Pflegefehler begangen habe, welcher kausal zu dem Schaden geführt hat. Die Gefahr des Regressanspruchs droht grundsätzlich auch dann, wenn ein Heimbewohner ins Krankenhaus kommt, weil er sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert hat und die Infizierung darauf zurückzuführen ist, dass die Pflege und Betreuung unter Missachtung der entsprechenden Hygienevorschriften erfolgte. Um einem Regressanspruch der Krankenkassen zu entgehen, sollten Trägerinnen und Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen nachweisen, dass sie trotz intensiver Bemühungen nicht genügend Schutzausrüstung zur Verfügung hatten, um die Hygienevorschriften einhalten zu können.
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Praxishinweis: Beachten Sie, dass der Regress zu einer erheblichen finanziellen Belastung führen kann. Bei Unsicherheiten kontaktieren Sie Ihren Fachverband oder wenden Sie sich an einen spezialisierten Rechtsanwalt.
Der Pflege-Rettungsschirm soll Pflegeeinrichtungen schützen und die Pflege stabilisieren. Um die medizinische und pflegerische Versorgung im Land zu stabilisieren und um die Pflegekräfte zu unterstützen, greift die Pflegeversicherung den Pflegeheimen und Pflegediensten mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket unter die Arme. Grundlage dafür sind die mit dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz (§ 150 SGB XI) für die ambulanten, teilstationären und vollstationären Pflegeeinrichtungen beschlossenen Änderungen. Danach sollen die Pflegeversicherungen mit den gebildeten Rücklagen Mehrkosten stemmen, die etwa dadurch entstehen, dass zusätzliches Personal eingestellt oder Schutzausrüstung besorgt wird. (Pflege-Rettungsschirm stützt Pflegeeinrichtungen und stabilisiert die Pflege, Pressemitteilung des GKV-Spitzenverbands vom 30. 03. 2020) Dabei geht es insbesondere um die Finanzierung von zusätzlicher Schutzausrüstung, die Finanzierung zusätzlicher Personalkosten für die ambulante und stationäre Pflege und einen finanziellen Ausgleich von Mindereinnahmen für die ambulante und stationäre Pflege. Das Bundesministerium geht in dem Gesetzesentwurf von Sachmittelmehraufwendungen in Höhe von ca. 10,00 Euro im Monat pro Pflegebedürftigem aus. Daraus ergeben sich Kosten in Höhe von ca. 280 Millionen Euro in sieben Monaten allein für Schutzausrüstungen. (https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/pflegeversicherung/2020-03-30_Erlaeuterungen_Pflegerettungsschirm_150_ Abs.35_SGB_XI.pdf)
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II. P flegekassen bieten Unterstützung an
III. Schwierigkeiten für Heimbewohner Die aktuelle Situation stellt für die gesamte Bevölkerung eine Bewährungsprobe dar. Doch zumindest dürften die meisten Menschen verstehen, warum es derzeit erhebliche Beschränkungen im Alltag gibt. Für an Demenz erkrankte Heimbewohner sind die ergriffenen Maßnahmen jedoch nicht logisch zu erklären. Demente Menschen verstehen nicht, warum sie plötzlich die Mahlzeiten alleine zu sich nehmen müssen oder warum sie weniger Besuch bekommen. Dieses Unverständnis stellt Altenpflegerinnen und Altenpfleger in Deutschland während der Coronakrise vor Probleme im Umgang mit den entsprechenden Patienten.
1. Kontaktverbot Die überall im Land bestehenden Kontaktverbote umzusetzen, gestaltet sich oft als schwierig. Gerade an Demenz erkrankte Heimbewohner verstehen oft nicht, warum sie ihr Zimmer nicht mehr verlassen dürfen. Das stellt Pflegekräfte vor täglich neue Herausforderungen. Hier ist von den Pflegekräften neben der Verrichtung ihrer täglichen Arbeit zusätzlich viel Kreativität gefordert. Oberstes Ziel ist es, die Bewohner zu schützen. Einige Einrichtungen haben beispielsweise sogenannte Skype-Räume eingerichtet, damit Heimbewohner mit ihren Kindern und Enkelkindern in Kontakt bleiben können. Auch regelmäßige Telefonate können helfen, die fehlenden Besuche zu kompensieren. Ausnahmen des Kontaktverbots gelten bei einer schweren Erkrankung oder im Todesfall. Dann dürfen Verwandte zu ihren Angehörigen ins Altenheim kommen. Die Landesregierung NRW hat beispielsweise in § 2 Absatz 2 (Stationäre Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen) der Verordnung zur Änderung der Verordnung zum Schutz von Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 30. März 2020 folgende Regelung getroffen: (2) In den Einrichtungen nach Absatz 1 sind Besuche untersagt, die nicht der medizinischen oder pflegerischen Versorgung dienen oder aus Rechtsgründen (insbesondere im Zusammenhang
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mit einer rechtlichen Betreuung) erforderlich sind. Die Einrichtungsleitung soll Ausnahmen unter Schutzmaßnahmen und nach Hygieneunterweisung zulassen, wenn es medizinisch oder ethisch-sozial geboten ist (z. B. auf Geburts- und Kinderstationen sowie bei Palliativpatienten).
Eine Ausgangssperre für Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen gibt es derzeit noch nicht. Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, hat sich jüngst gegen eine strikte Ausgangssperre für Pflegeheimbewohner im Zuge der Corona-Krise ausgesprochen. Zu beachten sei, dass für Heimbewohner auch in Zeiten einer Pandemie dieselben Rechte gelten müssten wie für alle anderen Menschen. Alle seien aufgefordert, soziale Kontakte zu unterlassen, die nicht notwendig sind, und sich nicht mit mehr als zwei Personen draußen zu bewegen. Das müsse auch für Heimbewohner gelten. (https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/westerfellhaus-pflegebeduerftige-nicht-einfach-wegsperren-16704065-p2.html) Für das Land Nordrhein-Westfalen gilt § 2 Absatz 2a der Verordnung zur Änderung der Verordnung zum Schutz von Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 30. März 2020: (2a) Bewohner und Patienten der in Absatz 1 genannten Einrichtungen dürfen diese Einrichtungen jederzeit unter der Beachtung der Regelungen dieser Verordnung verlassen. Dabei dürfen sie jedoch nur von anderen Bewohnern, Patienten oder Beschäftigten der Einrichtung begleitet werden und nur mit diesen Personen zielgerichtet oder intensiv Kontakt haben. Wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein zielgerichteter oder intensiver Kontakt außerhalb der Einrichtung auch mit anderen Personen bestand, müssen die Bewohner und Patienten anschließend für einen Zeitraum von 14 Tagen den nahen Kontakt mit anderen Bewohnern und Patienten in der Einrichtung unterlassen. Die Einrichtungsleitung trifft die entsprechenden Vorkehrungen und kann dabei auch einseitig von bestehenden Verträgen zwischen der Einrichtung und den betroffenen Bewohnern und Patienten abweichen. Art. 104 Abs. 2 des Grundgesetzes bleibt
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2. Ausgangssperre
unberührt. Die Einrichtungsleitung kann Ausnahmen von den Beschränkungen dieses Absatzes zulassen, wenn dies medizinisch oder ethisch-sozial geboten ist. Praxishinweis Es gilt, die Fürsorgepflicht der Einrichtung gegen das Selbstbestimmungsrecht der Bewohner abzuwägen. Eine Abwägung sollte immer für den jeweiligen Einzelfall erfolgen. Ein aktives körperliches Zurückhalten oder Einschließen von Bewohnern ist nicht erlaubt. Fragen Sie bei Unsicherheiten am besten einen auf das Heimrecht spezialisierten Rechtsanwalt.
IV. Pandemieplan: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfahl ihren Mitgliedsstaaten schon 1999, Konzepte zur Vorbereitung auf eine Influenza-Pandemie zu erarbeiten. Ein Pandemieplan soll die Ausbreitung einer Krankheit eindämmen. Denn in der ersten Phase nach Ausbruch einer Influenza-Pandemie steht kein Impfstoff zur Verfügung. Daher ist es gerade in Betreuungseinrichtungen notwendig, einen Pandemieplan zu erarbeiten, um für den Ernstfall gewappnet zu sein und eine massenhafte Ausbreitung des Virus zu vermeiden. Im Pandemiefall sollen erkrankte Bewohner von stationären Pflegeeinrichtungen möglichst in der Einrichtung versorgt werden, sofern sie keine akute medizinische Betreuung benötigen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat zusammen mit dem Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg bereits im Dezember 2010 ein „Handbuch Betriebliche Pandemieplanung“ herausgebracht. Es wird empfohlen, folgende Maßnahmen zu ergreifen: • Bestimmen Sie eine(n) Verantwortliche(n) für die Planung und die Vorbereitungsmaßnahmen für eine Influenza-Pandemie. Bezie-
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hen Sie die notwendigen Beteiligten bzw. Betriebsbereiche ein. In größeren Betrieben sollte ein Führungskonzept für eine Influenza-Pandemie festgelegt werden. Deckt ein etwa vorhandenes Krisenmanagement auch das Szenario einer Influenza-Pandemie ab?
• Erstellen Sie allgemeine Verhaltensregeln, z. B. Regeln für das Verhalten bei Erkrankungen von Mitarbeitern und Personen in deren häuslichem Umfeld sowie Regeln zur persönlichen Hygiene. • Machen Sie die Beschäftigten mit diesen Regeln in geeigneter Form vertraut, z. B. durch Unterweisungen, per E-Mail, Intranet oder Aushängen. • Prüfen Sie, welche weiteren Vorsorgemaßnahmen Sie für Ihre Mitarbeiter ergreifen wollen, z. B. die Bevorratung von antiviralen Arzneimitteln, persönlicher Schutzausrüstung sowie deren Bereitstellung und Einsatzregeln. • Prüfen Sie organisatorische Maßnahmen: – Festlegen von Schlüsselpersonal und Sicherstellung seiner Verfügbarkeit, z. B. durch Vertretungsregelungen, Information und Motivation zur Arbeitsaufnahme, durch medizinische Betreuung sowie Verpflegung und Versorgung des Schlüsselpersonals im Betrieb und ggf. durch Betreuung von Angehörigen, – Maßnahmen zur Reduzierung der Ansteckungsgefahr, wie Vereinzelungen, Schichtregelung, Einrichten von Heimarbeitsplätzen, – Motivation und Kommunikation, – Beteiligung des Betriebsrates. • Beachten Sie die aktuellen Informationen der örtlichen Behörden.
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• Legen Sie Regeln der Information und Kommunikation fest, z. B. zur Information von Mitarbeitern, Kunden und Öffentlichkeit. Alle Informationen müssen zentral gesteuert werden (Notfallund Krisenplan).
• Nehmen Sie Kontakt zu Ihren Kammern, Verbänden oder Gewerbevereinen auf und erkundigen Sie sich über deren Informationsund Leistungsangebot. • Unterstützen Sie die saisonale Grippeschutzimpfung und fördern Sie die Impfbereitschaft Ihrer Beschäftigten durch Information und z. B. durch die Organisation von Impfterminen im Betrieb. (Handbuch Betriebliche Pandemieplanung, zweite erweiterte Auflage, Dezember 2010, S. 17) Gerade für Trägerinnen und Träger ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen ist die Erarbeitung eines Pandemieplans besonders wichtig. Denn die Pflegebedürftigen gehören zur Risikogruppe bei der Verbreitung eines Virus. Wichtig ist daher vor allem die Organisation der medizinischen/pflegerischen Versorgung und die Trennung erkrankter und gesunder Einrichtungsbewohner. Letzteres kann durch die Festlegung von Quarantänezimmern bzw. -stationen erfolgen. Angesichts der aktuellen Corona-Pandemie hat die Adolphi-Stiftung einen umfassenden Pandemieplan entwickelt, den sie auch anderen Trägern zur Verfügung stellt. Darauf verweist auch der Freistaat Thüringen in einer Empfehlung vom 09. 03. 2020. (Empfehlungen und Hinweise für Alten- und Pflegeeinrichtungen im Zusammenhang mit dem Auftreten von Corona-Infektionen (Coronavirus-SARS-CoV-2, COVID-19) vom 09. 03. 2020, Az.: 630.10–6464-Empehlung COVID-19/1) Stationären Einrichtungen wird zudem empfohlen, eine Kriseninterventionsgruppe zu organisieren. Diese soll jeweils die Sachlage vor Ort einschätzen und eine Gefährdungsbeurteilung vornehmen und das Personal entsprechend unterweisen. (Empfehlungen und Hinweise für Alten- und Pflegeeinrichtungen im Zusammenhang mit dem Auftreten von Corona-Infektionen (Coronavirus-SARS-CoV-2, COVID-19) vom 09. 03. 2020, Az.: 630.10–6464-Empehlung COVID-19/1) Die Heimaufsicht Thüringen empfiehlt zusätzlich präventive Schutzmaßnahmen: Zum Schutz der Bewohner sollte darauf geachtet
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Praxishinweis Trägerinnen und Träger ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen ist dringend zu empfehlen, einen Pandemieplan in der Einrichtung zu etablieren und diesen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekannt zu geben. Hierzu können Sie auf den oben erwähnten Pandemieplan der Adolphi-Stiftung zurückgreifen. Bei Rückfragen wenden Sie sich an einen spezialisierten Rechtsanwalt.
V. U mgang mit Personalknappheit Die stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen sind vor erhebliche Probleme gestellt. Schon vor der Corona-Pandemie herrschte in Deutschland ein Mangel an Pflegekräften. Nun fallen immer mehr Pflegekräfte aus, weil sie selbst erkrankt sind oder sich um ihre schulpflichtigen Kinder kümmern müssen, deren Betreuung nicht mehr sichergestellt ist. Das NRW-Gesundheitsministerium hat einen Erlass verschickt, der Handlungsempfehlungen für die zuständigen Aufsichtsbehörden im Bereich der stationären und ambulanten Pflege angesichts der Corona-Krise enthält. In bestimmten Fällen können Einrichtungen nun von den Vorgaben des Wohn- und Teilhabegesetzes abweichen. Dies soll insbesondere für die personalen Anforderungen des § 21 WTG gelten. Soweit die pflegerische Versorgung mit dem noch vorhandenen Personal nicht mehr aufrechterhalten werden kann, sind in Abstimmung mit den zuständigen Behörden auch Verlegungen von Pflegebedürftigen in Krankenhäuser oder andere Pflegeeinrichtungen durchzufüh-
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werden, sich häufig die Hände zu waschen und in die Ellenbeuge zu husten oder zu nießen. Zudem sollten Gruppenaktivitäten größeren Ausmaßes, vor allem mit Angehörigen, eingedämmt werden. Zum Schutz des Personals sollte Personal, das für die Versorgung erkrankter Bewohner eingesetzt wird, möglichst von der Versorgung anderer Bewohner freigestellt werden.
ren. Bei Einrichtungen, die Personal an andere Einrichtungen abstellen, um dort Notsituationen zu lindern, soll durch die WTG-Behörde eine Reduzierung der Fachkraftquote für die Dauer der Unterstützung auf bis zu 40% toleriert werden, sofern keine Gefährdung der pflegerischen Versorgung in der abgebenden Einrichtung auftritt. Praxistipp: Auch in anderen Bundesländern werden entsprechende Regelungen diskutiert oder sogar in der Praxis umgesetzt. Daher empfiehlt es sich, bei seinem jeweiligen Fachverband oder den einschlägigen Internetseite zu suchen, um die länderspezifischen Besonderheiten zu ermitteln. Oftmals reicht auch ein Anruf bei den Kostenträgern.
Angesichts der erheblichen Probleme, die es zu bewältigen gilt, helfen sich viele Pflegeeinrichtungen auch selbst. Manche Pflegedienste bieten beispielsweise eine eigene Betreuung für Kindergarten- und Grundschulkinder an. Darüber hinaus werden Erbringer häuslicher Krankenpflege derzeit entlastet. Grundsätzlich sind die Anforderungen an die Leistungserbringer in den Verträgen nach § 132a Absatz 4 SGB V geregelt. Angesichts der aktuellen Situation darf vom Betreuungsschlüssel in ambulanten Intensiv-Wohngruppen abgewichen werden und eine Unterschreitung der Qualitätsanforderungen im Rahmen der außerklinischen ambulanten Intensivpflege ist möglich. Ziel ist es, die Versorgung mit häuslicher Krankenpflege zu erleichtern und aufrechtzuerhalten. In den Empfehlungen des GKV-Spitzenverbandes sowie der Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene zur Versorgung mit häuslicher Krankenpflege während der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 31. 03. 2020, gültig bis zum 31. 05. 2020, sind folgende Punkte geregelt:
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1. Vertraglich vereinbarte Betreuungsschlüssel in ambulanten Intensiv-Wohngruppen
2. Qualifikationsanforderungen an Leistungserbringer im Rahmen der außerklinischen ambulanten Intensivpflege Hier sollten im Einzelfall befristete Regelungen getroffen werden, dass auch Pflegekräfte im Rahmen der Leistungserbringung eingesetzt werden können, die die vertraglich vereinbarte Zusatzqualifikation schon begonnen, aber noch nicht abgeschlossen haben. Voraussetzung ist, dass diese Pflegekräfte durch die verantwortliche Pflegefachkraft beziehungsweise Fachbereichsleitung eng begleitet und strukturiert eingearbeitet werden und eine fachgerechte Versorgung weiterhin gewährleistet wird.
3. Qualifikationsanforderungen an Leistungserbringer im Rahmen der häuslichen Krankenpflege „Sofern Pflegedienste die vertraglich vereinbarten Qualifikationsvereinbarungen zur Erbringung der „normalen“ somatischen häuslichen Krankenpflege aufgrund der Pandemie mit dem Coronavirus-SARS-CoV-2 nicht einhalten können, kann die Leistungserbringung der sog. einfachsten Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege
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„Sofern Leistungserbringer den vertragsschließenden Krankenkassen anzeigen, dass sie aufgrund der aktuellen Pandemie mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 den vertraglich vereinbarten Betreuungsschlüssel für die angegebenen Intensiv-Wohngruppen auch nach erfolgter Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Umstrukturierung innerhalb des Betriebs zur Sicherstellung der vertraglichen Anforderungen vorübergehend tatsächlich nicht mehr gewährleisten können, sollten unter Berücksichtigung des Einzelfalls befristete Abweichungen von den bestehenden Regelungen vereinbart werden. Dabei kann für einen befristeten Zeitraum vom vertraglich vereinbarten Betreuungsschlüssel abgewichen werden, sofern eine fachgerechte Versorgung durch den Pflegedienst weiterhin garantiert werden kann und die Versorgung gesichert ist.
im Rahmen einer befristeten Ausnahmeregelung auch durch Pflegehilfskräfte erfolgen.“
4. Personalmindestvorhaltung für bestehende Pflegedienste Für den Fall, dass angesichts der Coronavirus-SARS-CoV-2-Pandemie die Einhaltung der Personalmindestvorhaltung vorübergehend nicht sichergestellt werden kann, können auch hier abweichende Verständigungen getroffen werden. Voraussetzung ist jedoch, dass die fachgerechte Versorgung mit häuslicher Krankenpflege unter fachlicher Verantwortung der Pflegedienstleitung weiterhin sichergestellt werden kann.
5. Telefonische Leistungserbringung von psychiatrischer häuslicher Krankenpflege „Sofern zur Bewältigung einer akuten Krisensituation Leistungen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege notwendig werden und eine persönliche Leistungserbringung aufgrund der aktuellen Pandemie mit dem Coronavirus-SARS-CoV-2 nicht erfolgen kann, können diese im Einzelfall im Rahmen einer befristeten Ausnahmeregelung auch per Video oder Telefon erbracht werden. Der oder dem Versicherten dürfen keine Zusatzkosten entstehen.“ Praxishinweis Trägerinnen und Träger ambulanter Pflegeeinrichtungen sollten unbedingt beachten, dass viele Erleichterungen nur befristet während der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 gelten. In jedem Fall sind befristete Regelungen mit den vertragsschließenden Krankenkassen notwendig. Die Verantwortung trägt der Pflegedienst. Bei Unsicherheiten sollte deshalb ein auf das Pflegerecht spezialisierter Rechtsanwalt kontaktiert werden.
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VI. A ussetzung von Qualitätsprüfungen
VII. B eschlagnahme von Medizinprodukten Die rasante Ausbreitung des Coronavirus-SARS-CoV-2 führt zu einem gesteigerten Bedarf an medizinischer Schutzausrüstung wie Atemschutzmasken, Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln. Um dem Mangel Herr zu werden, erhält das Bundesgesundheitsministerium (BMG) äußerst weitgehende und grundrechtseinschränkende Maßnahmenkompetenzen, insbesondere im Hinblick auf die Arzneimittelund Medizinprodukteindustrie. Rechtsgrundlage für die behördlichen Zwangsmaßnahmen bilden die Normen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Da das Infektionsschutzgesetzt in seiner früheren Fassung keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Beschlagnahme von Medizinprodukten vorgesehen hat, hat der Bundestag am 25. März 2020 eine Änderung des IfSG beschlossen. Darin heißt es:
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Um das Personal in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen in der schwierigen Zeit der Corona-Pandemie zu entlasten, werden die regelmäßigen Qualitätsprüfungen in den stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen ausgesetzt. Damit soll gewährleistet werden, dass sich das Personal vollständig auf die Pflege und Betreuung der pflegebedürftigen Personen konzentrieren kann. Die Aussetzung gilt zunächst bis Ende September und gilt nicht für Anlassprüfungen. Gleichzeitig soll auf die persönliche Pflegebegutachtung der Pflegebedürftigen zur Einstufung in die Pflegegrade bis ebenfalls Ende September verzichtet werden. Bei dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) sind bundesweit etwa 3.500 Pflegekräfte beschäftigt. Im Gespräch steht, ob diese Pflegekräfte beispielsweise die Gesundheitsämter vor Ort bei der Nachverfolgung von Infektionsketten unterstützen oder punktuelle Entlastung für Pflegeeinrichtung und Krankenhäuser ermöglichen. (https://www.mds-ev.de/presse/pressemitteilungen/neueste-pressemitteilungen/2020-03-19.html)
„Das aktuelle Ausbruchsgeschehen der durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Krankheit COVID-19 zeigt, dass im seuchenrechtlichen Notfall das Funktionieren des Gemeinwesens erheblich gefährdet sein kann. In einer sich dynamisch entwickelnden Ausbruchssituation kann für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik durch eine sich grenzüberschreitend ausbreitende übertragbare Krankheit eine erhebliche Gefährdung eintreten, der nur begrenzt auf Landesebene begegnet werden kann. Der Deutsche Bundestag stellt daher eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest. Um einer Destabilisierung des gesamten Gesundheitssystems vorzubeugen, wird die Bundesregierung in die Lage versetzt, schnell mit schützenden Maßnahmen einzugreifen. In der Folge der Feststellung wird das Bundesministerium für Gesundheit u. a. ermächtigt, durch Anordnung oder Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Maßnahmen zur Grundversorgung mit Arzneimitteln, einschließlich Betäubungsmitteln, Medizinprodukten, Labordiagnostik, Hilfsmitteln, Gegenständen der persönlichen Schutzausrüstung und Produkten zur Desinfektion sowie zur Stärkung der personellen Ressourcen im Gesundheitswesen zu treffen.“ (BT-Drcks. 19/18111, A. Problem und Ziel) Die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite ermächtigt das Bundesministerium für Gesundheit Rechtsverordnungen über grundrechtsbeschränkende Maßnahmen zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung zu treffen. Dazu wurden dem Bundesministerium für Gesundheit eine Vielzahl von Befugnissen zugesprochen, die in § 5 Absatz 2 IfSG n. F. geregelt sind. So sieht § 5 Absatz 2 Nummer 4 Buchstabe a–g IfSG n. F. vor, dass das BMG z. B. Verkaufsverbote von bestimmten Produkten, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung, Umstellung, Eröffnung oder Schließung von Produktionsstätten, sowie Ausnahmen zur Preisbildung, Erstattung und Vergütung von Arzneimitteln anordnen kann. Der Geschäftsführer des Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) fordert, dass der Geltungsbeginn der EU-Medizinprodukte-Verordnung am 26. Mai 2020 um ein Jahr ausgesetzt wird. Medizinprodukte sollen auch nach dem 26. Mai 2020 für die Patientenversorgung zur Verfügung stehen. Auslaufende Altzertifikate, das Fehlen
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von benannten Stellen oder Ausfälle in der Antragsbearbeitung wegen der Corona-Krise dürfen nicht zu Engpässen in der Patientenversorgung führen.
Durch die sozialen Medien verbreitete sich in den letzten Tagen folgende Nachricht: Personen, die in der Corona-Krise behelfsmäßige Gesichtsbedeckungen (Masken) herstellen und abgeben, seien von einer Abmahnwelle betroffen. Was hat es damit auf sich? Unabhängig davon, ob man den Nachrichten Glauben schenken darf oder nicht, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, um überhaupt abgemahnt werden zu können. Der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hat folgende Voraussetzungen:
1. Anspruchsberechtigter Die Anspruchsberechtigten eines Unterlassungsanspruchs sind in § 8 Absatz 1 Nummer 1–4 UWG benannt. Dazu gehören insbesondere Mitbewerber und Verbände. Nur Anspruchsberechtigte können überhaupt einen Anspruch auf Unterlassen stellen.
2. Anspruchsgegner Anspruchsgegner ist derjenige, der gegen § 8 Absatz 1 UWG verstößt. Also der Zuwiderhandelnde, der eine unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt.
3. Wettbewerbsverstoß Das Nähen und Abgeben von Masken könnte einen Verstoß gegen das Medizinproduktegesetz (MPG) begründen. Der Schutzzweck des MPG besteht darin, sicherzustellen, dass Medizinprodukte bestimmte Anforderungen erfüllen. In § 1 MPG heißt es:
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Kapitel IV • Sozialrecht/Medizinrecht/Zivilrecht
VIII. V orsicht beim Selber-Nähen von Schutzmasken
Zweck dieses Gesetzes ist es, den Verkehr mit Medizinprodukten zu regeln und dadurch für die Sicherheit, Eignung und Leistung der Medizinprodukte sowie die Gesundheit und den erforderlichen Schutz der Patienten, Anwender und Dritter zu sorgen. Aktuell sind vor allem zwei Modelle von Schutzmasken in der öffentlichen Diskussion von Belang:
a) Mund-Nasen-Schutz Der Mund-Nasen-Schutz wird auch als OP-Maske bezeichnet. Er wird überwiegend in der medizinischen Erstversorgung, der ambulanten Behandlung und in der Krankenhausversorgung sowie in der Pflege verwendet. Es handelt sich um ein Medizinprodukt, das die Anforderungen der DIN EN 14683 Medizinische Gesichtsmasken-Anforderungen und Prüfverfahren erfüllen muss. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes schützt in erster Linie nicht den Träger, sondern die Menschen in seinem unmittelbaren Umfeld. Denn durch das Tragen wird verhindert, das Speichel-/ Schleimtröpfchen übertragen werden. (Merkblatt Atemschutz, Bayrisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Stand 25. 03. 2020)
b) Partikelfiltrierende Halbmaske (FFP) Partikelfiltrierende Halbmasken werden als Atemschutz gegen Aerosole aus festen oder flüssigen, nicht leicht flüchtigen Partikeln eingesetzt. Sie sind - als vollständiges Atemschutzgerät mit nicht auswechselbarem Filtermaterial - nach der europäischen Norm DIN EN 149 geprüft und erfüllen die Anforderungen dieser Norm. Die Norm unterscheidet je nach Rückhaltevermögen des Partikelfilters die Geräteklassen FFP1, FFP2 und FFP3. Partikelfiltrierende Halbmasken sind zu verwenden, wenn Patienten mit Verdacht auf eine Erkrankung versorgt oder behandelt werden. Entscheidend für die Wirksamkeit ist neben der Filtereigenschaft vor allem der Dichtsitz der Maske.
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Praxishinweis Um Abmahnungen zu entgehen, vermeiden Sie es unbedingt, selbst genähte Masken als Atemschutzmasken zu bezeichnen. Um ganz sicher zu gehen, verwenden Sie den – zugegeben etwas sperrigen – Begriff „Behelfs-Mund-Nasen-Masken aus handelsüblichen Stoffen“.
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(Merkblatt Atemschutz, Bayrisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Stand 25. 03. 2020) Also keine Angst. Rechtskonflikte mit dem MPG können leicht vermieden werden, indem man die selbst gebastelten Produkte klar als solche bezeichnet und unmissverständlich beschreibt. Es geht darum, dass nicht etwa so getan wird, als würden selbst genähte Masken die Anforderungen der Atemschutzmasken nach dem MPG erfüllen. Nur dann, wenn die selbst genähten Masken als „Atemschutzmaske“ bezeichnet werden, kann das ein Verstoß gegen das Medizinproduktegesetz darstellen. Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nennt selbst genähte Masken „Behelfs-Mund-Nasen-Masken aus handelsüblichen Stoffen“. Wer also den Begriff „Behelfs-Mund-Nasen-Masken aus handelsüblichen Stoffen“ verwendet, muss eine Abmahnung nicht befürchten. Zu dem Nutzen selbst genähter Stoffmasken gibt es bisher keine eindeutigen und einheitlichen wissenschaftlichen Aussagen. Der Berliner Virologe Christian Dorsten sieht in den Masken eine Möglichkeit, die Ausbreitung der Viren zu verlangsamen. Andere Experten warnen jedoch, dass sich Menschen mit der Maske sicherer fühlten und dann andere Hygienemaßnahmen wie das regelmäßige Händewaschen vernachlässigen würden. (https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/ atemschutzmasken-103.html)
IX. Schließung von Tagespflegeeinrichtungen und rechtliche Konsequenzen In allen Bundesländern haben die Landesregierungen inzwischen die Schließung von Tagespflegeeinrichtungen verfügt. Ziel ist eine größtmögliche Kontaktreduzierung. Die Tagespflegegäste sollen vor einer Infektion geschützt werden. Dadurch soll dem erhöhten Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs für ältere und kranke Menschen Rechnung getragen werden. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen hat mit Erlass vom 17. März 2020 geregelt: „Sämtliche Tages- und Nachtpflegeeinrichtungen im Sinne des SGB XI, haben ab Mittwoch, 18. März 2020, allen Nutzerinnen und Nutzern zunächst bis zum 19. April 2020 den Zutritt zu versagen.“ Die Untersagung erfolgt auf der Grundlage von § 28 IfSG. Es gelten jedoch zwei Ausnahmen: Zum einen für Nutzerinnen und Nutzer, die im häuslichen Umfeld untergebracht sind und deren Betreuungsoder Pflegeperson eine unverzichtbare „Schlüsselperson“ ist. Zum anderen für Nutzerinnen und Nutzer, deren häusliche Versorgung bei Wegfall der teilstationären Pflege und Betreuung glaubhaft gefährdet wäre. Für Tagespflegegäste, die nicht auf Angehörige zurückgreifen können, bieten die Länder verschiedene Lösungen. Mit § 56 Absatz 1a Infektionsschutzgesetz hat der Gesetzgeber schnell auf die Schließung von Schulen und Kindergärten reagiert: (1a) Werden Einrichtungen zur Betreuung von Kindern oder Schulen von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten aufgrund dieses Gesetzes vorübergehend geschlossen oder deren Betreten untersagt und müssen erwerbstätige Sorgeberechtigte von Kindern, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind, in diesem Zeitraum die Kinder selbst betreuen, weil sie keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellen können, und erleiden sie dadurch einen Verdienstausfall, erhalten sie eine Entschädigung in Geld. Anspruchsberechtigte haben gegenüber der zuständigen Behörde, auf Verlangen des Arbeitgebers auch
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diesem gegenüber, darzulegen, dass sie in diesem Zeitraum keine zumutbare Betreuungsmöglichkeit für das Kind sicherstellen können. Ein Anspruch besteht nicht, soweit eine Schließung ohnehin wegen der Schulferien erfolgen würde. Im Fall, dass das Kind in Vollzeitpflege nach § 33 des Achten Buches Sozialgesetzbuch in den Haushalt aufgenommen wurde, steht der Anspruch auf Entschädigung anstelle der Sorgeberechtigten den Pflegeeltern zu. Die Norm regelt Entschädigungsansprüche der sorgeberechtigten Eltern, die wegen der Schließung von Schulen und Kindergärten die Betreuung ihrer Kinder selber sicherstellen müssen und dadurch einen Verdienstausfall erleiden. Völlig ausgeklammert sind hingegen alte pflegebedürftige Menschen bzw. Arbeitnehmer, die ihre pflegebedürftigen Angehörigen selbst betreuen und sie tagsüber in Tagespflegeeinrichtungen bringen. Wegen des eindeutigen Wortlauts von § 56 Absatz 1a Infektionsschutzgesetz dürfte eine analoge Anwendung der Vorschrift für den Bereich der Pflege ausscheiden. Hier bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber ähnlich wie bei der Schließung von Schulen eine Lösungsmöglichkeit anbietet. Nach § 150 Absatz 3 SGB XI sollen Trägerinnen und Träger ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen die coronabedingten Mehrausgaben und Mindereinnahmen gegenüber den Pflegekassen geltend machen können. Im Gegenzug für den neuen Erstattungsanspruch werden betroffene Tagespflegeeinrichtungen verpflichtet, ihre frei werdenden personellen Ressourcen anderweitig einzubinden. Die Pflege- und Betreuungskräfte können beispielsweise im Pflegedienst desselben Trägers eingesetzt werden. (Arbeitshilfe für Tagespflegeeinrichtungen, bpa, Überarbeitete Fassung, Stand: 31. März 2020)
Kapitel V • Gewerberecht, Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht Gewerbemietrecht, Pflichten der Geschäftsführung in der Corona-Covid-19-Krise und das Insolvenzrecht Steffen Ebert
Die COVID-19-Pandemie stellt viele Unternehmen vor finanzielle Probleme. Insbesondere können seit Jahren gutlaufende Geschäftsbeziehungen stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Dies gilt insbesondere für Miet- und Pachtverträge. In den Medien wurde ausführlich berichtet, dass große Unternehmen wie etwa ADIDAS, H&M oder DEICHMANN von jetzt auf gleich ihre Mietzahlungen einstellen. Diese Unternehmen nehmen die rechtlichen Vorteile wahr, die die Bundesregierung im Zuge der umfangreichen gesetzlichen Neuregelungen im Mietrecht geschaffen haben. Dabei nehmen sie in Kauf, dass die Marke und das Image einen irreparablen Schaden nehmen. Die Pflegeunternehmen stehen vor dem gleichen Dilemma, da trotz der derzeitigen Wirtschaftslage die Kostenträger weiter die verhandelten Vergütungen gemäß §§ 82, 84 SGB XI zahlen. Besonders betroffen sind Tagespflegen, die in vielen Teilen Deutschlands schließen mussten. Beispielsweise hat das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen mit Erlass vom 17. März 2020 geregelt: „Sämtliche Tages- und Nachtpflegeeinrichtungen im Sinne des SGB XI haben ab Mittwoch, 18. März 2020, allen Nutzerinnen und Nutzern zunächst bis zum 19. April 2020 den Zutritt zu versagen.“ Ähnliche Verordnungen haben auch die anderen Bundesländer erlassen, die im Internet frei verfügbar sind.
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Kapitel V • Gewerberecht, Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht
A. Der Gewerbemietvertrag in Zeiten des Coronavirus SARS-CoV-2
I. Mietzahlung bei Umsatzrückgang Sofern die ambulanten oder stationäre Pflegeeinrichtung unter Umsatzeinbußen leidet, stellt sich die Frage, welche Handlungsoptionen sie hat. Regelmäßig mieten oder pachten ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen die betrieblichen Räumlichkeiten. Daher müssen sie sich mit den ihnen nun zustehenden Rechten auskennen. Darf man zum Beispiel durch die Covid-19-Pandemie die Mietzahlung reduzieren oder sogar ganz einstellen?
II. Mögliche Rechte des Mieters Die ambulante und stationäre Pflegeeinrichtung muss als Mieterin immer unterscheiden, welche Rechte ihr aufgrund des Mietvertrages zustehen und welche ihr durch das gesetzliche Mietrecht eingeräumt werden.
1. Vertragliche Regelung Der Grundsatz der Privatautonomie erlaubt es dem Vermieter und dem Mieter einen Mietvertrag individuell auszuhandeln. Die Vertragsparteien können deshalb für einen „Katastrophenfall“ eine vertragliche Regelung vereinbaren. In der Praxis geschieht dies – wenn vereinbart – in der Regel durch eine sogenannte „Force majeure“ Klausel. Die Klausel trifft eine Regelung für den Fall des Vorliegens höherer Gewalt. Sie ist üblicherweise so ausgestaltet, dass der Mietzins im Falle von höherer Gewalt reduziert wird oder die Zahlungsverpflichtung ganz entfällt. Höhere Gewalt liegt dann vor, wenn der Unfall auf einem betriebsfremden, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen Dritter herbeigeführten Ereignis beruht, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar war, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden konnte und auch nicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist (siehe BGH NJW 1990, 1167). In der Praxis wird eine solche „Force majeure“ nur in den seltensten Fällen vereinbart.
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Praxishinweis
2. Gesetzliche Regelung Ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen hatten im Mietrecht schon immer klare gesetzliche Ansprüche. Durch die Corona-Covid-19-Pandemie sind diese sogar noch durch den Gesetzgeber erweitert worden. Ein Grundsatz des deutschen Zivilrechts ist aber nicht aufgehoben worden. Denn weiterhin gilt „pacta sunt servanda“. Dieser Grundsatz besagt, dass geschlossene Verträge einzuhalten sind. Das Nichtzahlen der fälligen Miete befreit den Mieter von der Mietzahlungspflicht nicht. Auch nach den neuen Regelungen der Bundesregierung muss die Miete bis spätestens 30. 06. 2022 gezahlt werden. Allerdings kann der Mieter unter bestimmten Voraussetzungen entweder die Miete mindern, wenn Mietmängel gemäß § 536 BGB vorliegen. Ferner kann er den Mietvertrag ändern, ergänzen oder sogar kündigen, wenn die Voraussetzungen des sogenannten „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ gemäß § 313 BGB vorliegen sollte.
a) Der Mietmangel im Sinne des § 536 BGB Das Coronavirus SARS-CoV-2 stellt keine Mietmangel gemäß § 536 BGB dar. In § 536 Absatz 1 BGB heißt es: Hat die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt, oder entsteht während der Mietzeit ein solcher Mangel, so ist der Mieter für die Zeit, in der die Tauglichkeit aufgehoben ist, von der
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Schauen Sie sich Ihren Mietvertrag einmal genauer an und kontrollieren Sie, ob eine „Force majeure“ Klausel Vertragsbestandteil geworden ist. Zudem ist in diesem Zusammenhang zu empfehlen, bestehende Versicherungen zu durchleuchten, da in einigen wenigen Versicherungsverträgen eine Versicherungsleistung für den Fall von höherer Gewalt vorgesehen ist. Wenn Sie unsicher sind, lassen Sie Ihren Mietvertrag und Ihre Versicherungsverträge von einem spezialisierten Rechtsanwalt überprüfen.
Entrichtung der Miete befreit. Für die Zeit, während der die Tauglichkeit gemindert ist, hat er nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten. Eine unerhebliche Minderung der Tauglichkeit bleibt außer Betracht. Der Mieter hat grundsätzlich kein Recht die Miete zu mindern. Insbesondere Gebietsabriegelungen oder die Schließung von Einrichtungen durch die Behörden, welche grundsätzlich den Gebrauch der Mietsache beeinträchtigen, stellen keinen Mangel im Sinne des § 536 Absatz 1 BGB dar, welchen der Vermieter zu verantworten hat, da dieser Umstand außerhalb des Einflussbereichs des Vermieters liegt. Ein mietrechtlicher Mangel kann nur dann angenommen werden, wenn er die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache unmittelbar beeinflusst und bei Vertragsschluss nicht fernliegend war. Das trifft bei der Schließung von Einrichtungen infolge des Coronavirus SARS-CoV-2 regelmäßig nicht zu, da solche Schließungen ihren Ursprung in der Art des Geschäftsbetriebs des Mieters haben, aber nicht in der Art und Beschaffenheit der Mietsache. Diese Einordnung entspricht letztlich auch der üblichen mietvertraglichen Risikoverteilung. Während der Vermieter das Risiko der Gebrauchstauglichkeit der Mietsache trägt, trägt der Mieter ihr Verwendungsrisiko. Dies umfasst auch das Risiko, mit der Mietsache Gewinn zu erzielen (siehe BGH XII ZR 114/14). Etwas anderes gilt nur, wenn der Vermieter die Mietsache nicht zur Verfügung stellen kann. Das kann der Fall sein, wenn Personal, das zum Betrieb des Gebäudes aufseiten des Vermieters erforderlich ist, wie etwa ein Hausmeister oder Putzkräfte, quarantäne- oder krankheitsbedingt ausfällt. Sofern hierdurch die Nutzung der Mietsache nicht möglich ist, entfällt auch die Mietzahlungspflicht. Sollten personelle Engpässe beim Vermieter lediglich zur Beeinträchtigung der Nutzung führen, beispielsweise durch eingeschränkte Reinigungsoder Hausmeisterleistungen, steht dem Mieter das gesetzliche Mietminderungsrecht zu. Denkbar ist auch, dass die Nutzung der Mietsache durch Engpässe oder Ausfälle bei externen Versorgen beeinträchtigt wird. In einem Fall liegt eine Mangelhaftigkeit des Mietobjekts vor, wenn der Vermieter diese Leistungen vertraglich schuldet. Die Haftung des Vermieters
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bei Versorgungsausfällen wird in der Praxis jedoch regelmäßig vertraglich ausgeschlossen. Praxishinweis
b) Die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB Das Coronavirus SARS-CoV-2 dürfte auch zu keiner Vertragsanpassung aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage führen. Niemand hat die Covid-19-Pandemie mit ihren Auswirkungen vorhersehen können. In § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) heißt es: (1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. (2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen. (3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung. Bei Verträgen besteht gemäß § 313 Absatz 1 BGB die Möglichkeit, eine Vertragsanpassung zu verlangen oder den Vertrag sogar ganz zu kündigen, wenn sich nach Vertragsschluss Umstände schwerwie-
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Überprüfen Sie ihre Mietverträge auf einen Ausschluss der Haftung bei Versorgungsausfällen. Bei Rückfragen oder Unsicherheiten wenden Sie sich an einen spezialisierten Rechtsanwalt.
gend geändert haben. Bei einer behördlich angeordneten Schließung der Einrichtung oder des Unternehmens ist daher an das gesetzliche Institut der Störung der Geschäftsgrundlage zu denken. Bei einer angeordneten Schließung aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 findet das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage jedoch keine Anwendung. Das Verwendungsrisiko trägt wie im Mängelrecht alleine der Mieter. Im Einzelnen sei Folgendes ausgeführt:
aa) Keine vertragliche Regelung Zunächst ist zu ermitteln, ob die Parteien eine vertragliche Regelung getroffen haben, welche die Störung der Geschäftsgrundlage regelt. Dabei sei darauf hingewiesen, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage dann zu verneinen ist, wenn der Vertrag schon Regelungen für den Fall des Wegfalls, der Änderung oder des Fehlens bestimmter Umstände enthält (siehe dazu Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl., § 313 Rdnr. 10, vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 15. 09. 2015–6 U 136/14; Bub/Treier/Bub, II Rdnr. 2011 m. w. N., LG Arnsberg Urteil vom 22. 12. 2016–8 O 101/16). Fehlt es an einer ausdrücklichen vertraglichen Regelung, ist der Parteiwille gegebenenfalls durch ergänzende Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (siehe BGH (VIII ZR 128/05); BGH (VII ZR 176/88)). Der Mietvertrag muss daher im Ganzen betrachtet werden. Der Wille der Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist zu ermitteln. Praxishinweis Bei der Auslegung der Regelungen des Mietvertrags und des Parteiwillens empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen und spezialisierten Rechtsanwalt.
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bb) Schwerwiegende Veränderung der Umstände nach Vertragsschluss
cc) Risikoverteilung Bei dem gesetzlichen Institut der Störung der Geschäftsgrundlage ist stets die Risikoverteilung zwischen den Parteien zu beachten. Nach ständiger Rechtsprechung trägt im gewerblichen Mietrecht grundsätzlich der Vermieter das Entgeltrisiko und der Mieter die Verwendungsgefahr (siehe BGH XIII ZR 114/15; BGH XII ZR 66/03). Dies bedeutet im konkreten Fall, dass der Vermieter das Risiko der Vermietbarkeit und die gewöhnliche Geldentwertung der Mietsache zu tragen hat. Der Vermieter hat die gewöhnliche Inflation zu tragen. Der Mieter hingegen hat das Gewinn-Ertrags-Risiko und das Risiko der Geldbeschaffung zu tragen (siehe BGH XII ZR 66/03; BGH XII ZR 279/97). Er trägt daher auch das Risiko, dass sich mit dem Mietob-
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Die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Absatz 1 BGB setzt weiter voraus, dass sich Umstände nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben. Nach Ausbruch des Coronavirus SARS-CoV-2 hat die Bundesregierung zusammen mit den Bundesländern angeordnet, dass sämtliche Geschäfte und Einrichtungen, welche nicht die Belange des täglichen Bedarfs decken, zu schließen sind, um eine Ausbreitung des Virus einzudämmen. Mit einer solch drastischen Einschränkung war bis vor wenigen Wochen nicht zu rechnen. Bisher konnten Mieter davon ausgehen, ihre unternehmerische Tätigkeit ungestört weiter ausüben zu können. Durch den Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat diese Erwartung in kürzester Zeit ein Ende gefunden. Für den bei Vertragsschluss angedachten Zweck ist das Mietobjekt aufgrund einer schwerwiegenden Veränderung, nämlich der behördlichen Schließungsanordnung, nicht mehr nutzbar. Auf diese schwerwiegende Veränderung haben weder der Mieter noch der Vermieter Einfluss. Niemand konnte sich vorstellen, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 so verheerende und schlimme Folgen für die Menschen und die Wirtschaft hat.
jekt nicht die erwarteten Umsätze oder Gewinne erzielen lassen. Das Recht auf Vertragsanpassung wurde in der Vergangenheit von der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen stets abgelehnt. Auch bei der Umsetzung des Nichtraucherschutzgesetzes hat der BGH ein Recht auf Vertragsanpassung zugunsten des Gastwirtes abgelehnt (siehe BGH NJW 2011, 3151, S. 3152). Das Urteil befasste sich mit der Frage, ob das mit dem Nichtraucherschutzgesetz einhergehende Rauchverbot einen Mangel der Pachtsache darstellt, da die Umsetzung zu einem Fernbleiben der Gäste geführt hat. Die Angelegenheiten könnten vergleichbar sein, da sowohl im Falle des Nichtraucherschutzgesetztes als auch im Falle der COVID-19-Pandemie die Landesregierung durch ein behördliches Handeln Einfluss auf den Gewerbebetrieb nimmt. In dem Urteil hat der BGH ausgeführt, dass die mit dem gesetzlichen Rauchverbot zusammenhängende Gebrauchsbeschränkung nicht auf der konkreten Beschaffenheit der Pachtsache beruht, sondern an die betrieblichen Verhältnisse des Pächters anknüpft. Eine behördliche Anordnung, welche Einfluss auf den Betrieb nimmt, ist vom Mieter als Unternehmer zu tragen. Die Angelegenheiten sind insoweit vergleichbar, dass die zur Eindämmung des Coronavirus SARSCoV-2 erlassenen Maßnahmen auf die konkrete Beschaffenheit der Pachtsache keinen Einfluss nehmen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Gerichte auch im Falle des Coronavirus SARS-CoV-2 ihre bisherige Rechtsprechung aufrechterhalten. Ein Anspruch auf Vertragsanpassung scheidet aufgrund der Risikoverteilung zulasten des Mieters aus, denn auch in der Pandemiezeit wird aufgrund nicht vorhersehbarer belastender Verordnungen und Gesetze einer Landesregierung die Durchführung des Miet- oder Pachtvertrages erheblich gestört.
III. Maßnahmen der Bundesregierung zum Schutz des Mieters Zum Schutz der Mieter hat die Bundesregierung das Gesetz zur Abmilderung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beschlossen, welches am 1. April 2020 in Kraft getreten ist. Darin hat der Gesetz-
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geber bestimmte zeitlich befristete Regelungen geschaffen, die von den bisherigen Regelungen des BGB abweichen.
1. Das bisherige Kündigungsrecht des Vermieters
1. dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen wird, 2. der Mieter die Rechte des Vermieters dadurch in erheblichem Maße verletzt, dass er die Mietsache durch Vernachlässigung der
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Da die Coronakrise viele Menschen und Unternehmer vor große wirtschaftliche und existenzielle Herausforderungen stellt, hat die Politik schnell reagiert, um die Folgen durch das Coronavirus SARS-CoV-2 abzumildern. In diesem Zusammenhang hat die Politik auch die Probleme der Mieter und Vermieter berücksichtigt. Insbesondere die Tatsache, dass viele Mieter aufgrund der weggefallenen Umsätze ihre Miete nicht mehr zahlen können, erforderte ein schnelles Handeln. Denn gemäß § 543 Absatz 1, Absatz 2 Nummer 3 Lit. a), b) BGB kann der Vermieter das Mietverhältnis außerordentlich kündigen, wenn der Mieter mit zwei aufeinanderfolgenden Mieten oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Rückstand kommt. Dieses Recht steht dem Vermieter auch zu, wenn der Mieter in einem sich über mehr als zwei Termine erstreckenden Zeitraum mit der Miete in Höhe eines zwei Monatsmieten betragenden Betrags rückständig ist. Dort heißt es: (1) Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. (2) Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn
ihm obliegenden Sorgfalt erheblich gefährdet oder sie unbefugt einem Dritten überlässt oder 1. der Mieter a) für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder b) in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht. Im Falle des Satzes 1 Nr. 3 ist die Kündigung ausgeschlossen, wenn der Vermieter vorher befriedigt wird. Sie wird unwirksam, wenn sich der Mieter von seiner Schuld durch Aufrechnung befreien konnte und unverzüglich nach der Kündigung die Aufrechnung erklärt. Diese Regelung ist für viele Unternehmer in der COVID-19-Pandemie existenzbedrohend. Der Gesetzgeber hat deshalb reagiert und das Gesetz zur Abmilderung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beschlossen, welches am 1. April 2020 in Kraft getreten ist.
2. Gesetz zur Abmilderung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie Das Gesetz zur Abmilderung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beinhaltet neben dem Zahlungsaufschub bei Verbraucherdarlehnsverträgen und existenzsichernden Verträgen wie z. B. über Telefon, Strom und Gas erweiterte Vorschriften zum Kündigungsausschluss im Mietrecht. Die gesetzlichen Regelungen gelten vorerst bis zum 30. Juni 2020. Die Bundesregierung hält es sich jedoch bewusst offen, die Maßnahmen im Bedarfsfall zu verlängern. Ob dies erforderlich ist, bleibt abzuwarten. Die am 1. April 2020 in Kraft getretenen Regelungen sehen folgende vorübergehende Regelungen vor: 1. Mietern und Pächtern kann für den Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni 2020 nicht wegen ausgefallener Mietzahlungen aufgrund der COVID-19-Pandemie gekündigt werden. Die Miete bleibt für diesen Zeitraum weiterhin fällig; es können auch Verzugszinsen ent-
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(https://www.bmjv.de/DE/Themen/FokusThemen/Corona/Miete/Corona_Miete_node.html) Dies bedeutet für den Mieter, dass dieser vor einer Kündigung geschützt werden soll, wenn er durch die Folgen des Coronavirus SARSCoV-2 in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommt. Besonders zu beachten ist, dass die Kündigungsbeschränkung nicht nur für Wohn- und Gewerbemietverhältnisse gilt, sondern auch für die Pacht einschließlich der Grundstückspacht.
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stehen. Mietschulden aus dem Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni 2020 müssen bis zum 30. Juni 2022 beglichen werden, sonst kann den Mietern gekündigt werden. Mieter müssen im Streitfall glaubhaft machen, dass die Nichtleistung der Miete auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. 2. Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten ein zeitlich befristetes Leistungsverweigerungsrecht, faktisch also einen Zahlungsaufschub für existenzsichernde Verträge der Grundversorgung, die vor dem 8. März 2020 geschlossen wurden. Das Leistungsverweigerungsrecht hat zur Folge, dass sie trotz Nichtzahlung nicht in Verzug kommen. Für Kleinstgewerbetreibende gilt entsprechendes in Bezug auf andauernde Vertragsverhältnisse, die zur Eindeckung mit Leistungen dienen, die für die wirtschaftlichen Grundlagen des Erwerbsbetriebs wesentlich sind. Das Leistungsverweigerungsrecht ist zunächst bis zum 30. Juni 2020 befristet. 3. Für Verbraucherdarlehensverträge, die vor dem 15. März 2020 geschlossen wurden, werden Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlungs-, Zins- oder Tilgungsleistungen, die zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 fällig werden, gestundet. Voraussetzung für die Stundung ist, dass der Verbraucher gerade durch die COVID-19-Pandemie Einnahmeausfälle hat, die dazu führen, dass die weitere Erbringung von Rückzahlungs-, Zinsoder Tilgungsleistungen aus dem Darlehensvertrag den angemessenen Lebensunterhalt des Verbrauchers gefährden würde.
3. Vom Mieter ist bei der Geltendmachung der Aussetzung der Zahlung Folgendes zu beachten Der Mieter, der sich auf das Gesetz zur Abmilderung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruft, hat folgende Aspekte zu beachten:
a) Mieter muss Zusammenhang mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 glaubhaft machen Der Mieter muss den Zusammenhang zwischen seinen Zahlungsproblemen und den Auswirkungen des Coronavirus SARS-CoV-2 glaubhaft machen. Dies wird dem Gewerbemieter regelmäßig dann gelingen, wenn der Betrieb des Unternehmens im Rahmen der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 durch eine behördliche Verfügung oder eine Rechtsverordnung untersagt worden ist. Praxishinweis Darf Ihre Tagespflegeeinrichtung aufgrund einer behördlichen Verfügung nicht mehr öffnen, sollten Sie Ihrem Vermieter dies unverzüglich mitteilen. Der Geschäftsführer sollte zunächst versuchen mit dem Vermieter eine einvernehmliche Lösung zu finden, welche für beide Parteien wirtschaftlich tragbar ist. Bei Verhandlungen kann es ratsam sein, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen.
b) Nachzahlungspflicht des Mieters bis Juni 2022 Durch das Gesetz zur Abmilderung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie wird der Mieter nicht von seiner Pflicht zur Mietzahlung befreit. Die aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 angelaufenen Mietrückstände sind bis zum 30. Juni 2022 vom Mieter auszu-
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gleichen. Dies kann sowohl durch monatliche Zahlung als auch durch eine einmal Zahlung erfolgen. Praxishinweis
Zudem empfehlen wir Ihnen, frühzeitig das Gespräch mit Ihrem Vermieter zu suchen, die aktuelle Situation darzustellen und eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten. Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass die Vermieter oftmals auf Mietzahlungen angewiesen sind, da sie in der Regel eine Finanzierungslast in Form eines Darlehens für die Immobilie zu tragen haben. Ein vollständiger Zahlungsausfall kann dazu führen, dass der Vermieter gezwungen ist, die Immobile zu verkaufen. Dies führt in der Konsequenz zu einem Vermieterwechsel, welcher möglicherweise vom Mieter nicht gewollt ist. Bei der Erarbeitung einer für beide Parteien tragbaren Lösung kann es hilfreich sein, einen spezialisierten Rechtsanwalt um Hilfe zu bitten.
B. Die Pflicht des Geschäftsführers zur Geschäftsleitung Auch das Coronavirus SARS-CoV-2 entbindet den Geschäftsführer nicht von seiner gesetzlichen Pflicht, die Geschäfte im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben zu führen. Er sitzt weiter auf dem „driver seat“ und muss seine ambulante oder stationäre Pflegeeinrichtung durch die Corona-Krise lenken.
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Aufgrund der sich momentan schnell ändernden Lage ist es empfehlenswert, die aktuelle politische Entwicklung zu verfolgen, da nicht ausgeschlossen ist, dass die Bundesregierung die Maßnahmen verlängert oder auf Bundes- oder Landesebene weitere Hilfsmaßnahmen beschlossen werden.
I. Leitungspflicht des Geschäftsführers Ob im normalen Geschäftsbetrieb oder in der Krise obliegt dem Geschäftsführer einer Gesellschaft die Pflicht zur Leitung des Betriebs. Eine seiner Kernaufgaben ist es, dem Unternehmen eine zur Erreichung des Gesellschaftszwecks geeignete Organisation zu schaffen. Hierzu zählt insbesondere die Beschaffung aller notwendigen sachlichen und persönlichen Mittel um den Gesellschaftszweck zu erfüllen. Wie die Organisation zu erfolgen hat ist für jede Gesellschaft angepasst an ihren Geschäftsbetrieb individuell zu bestimmen. Es muss jedoch stets eine Überwachung des gesamten Geschäftsbetriebs sichergestellt sein. Diese Umfasst nicht nur die Überwachung des operativen Geschäfts, sondern auch die lückenlose Überwachung der wirtschaftlichen Situation eines Unternehmens (siehe Oppenländer/ Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, 2. Auflage 2011, § 18 Rn. 4).
1. Sorgfaltsmaßstab des Geschäftsführers gemäß § 43 Absatz 1 GmbHG Der Geschäftsführer einer GmbH hat bei der Erfüllung seiner Aufgaben den Sorgfaltsmaßstab des § 43 Absatz 1 GmbHG zu beachten. „Gemäß § 43 Absatz 1 GmbHG haben die Geschäftsführer in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden.“ Dieser Maßstab gilt auch in der Krise einer Gesellschaft unverändert fort. Alle Entscheidungen des Geschäftsführers sind daher an diesem Maßstab zu bemessen. Der Geschäftsführer hat einen weiten unternehmerischen Handlungsspielraum, wie er betriebswirtschaftlich das Unternehmen organisiert. Seine Handlungen müssen aber stets die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes im Sinne des § 43 Absatz 1 GmbHG erfüllen.
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2. Einhaltung der Organisation und der Unternehmenskontrolle
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Die Gesellschaft ist so zu organisieren, dass die Organisation für einen neutralen Betrachter plausibel erscheint und typische Risiken für die Gesellschaft vermeidet. Besonders zu beachten ist, dass der Geschäftsführer jederzeit Auskunft über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft geben können muss (siehe BGH WM 1995, 709). Erst recht in Krisenzeiten ist es dem Geschäftsführer einer GmbH zu empfehlen, stets die wirtschaftliche und finanzielle Situation im Blick zu behalten. Hierbei empfiehlt es sich, eng mit einem Steuerberater zusammen zu arbeiten. Diesem gelingt es in kürzester Zeit, die Kernzahlen einer Gesellschaft zusammenzutragen und Veränderungen in der Gesellschaft frühzeitig zu erkennen. Dies ermöglicht dem Geschäftsführer eine frühzeitige Reaktion auf Veränderungen. Zudem trifft den Geschäftsführer eine Pflicht zur Unternehmenskontrolle (siehe Scholz/Schneider § 37 Rdnr. 3, 11; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek § 37 Rdnr. 4; Oppenländer/Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, 2. Auflage 2011, § 18 Rn. 12). Dieser ist verpflichtet, die Einhaltung der Organisation und ihre Zuständigkeitsregeln zu kontrollieren. Dies beinhaltet die Überprüfung, ob die von ihm auferlegten Anordnungen eingehalten und verwirklicht werden. Eine bloße Verteilung von Aufgaben ist dagegen nicht ausreichend. Die Überwachung hat durch den Geschäftsführer selbst oder durch eine Vertrauensperson zu erfolgen. Die Pflicht umfasst es auch, gegenüber den Mitarbeitern die Stellung als Arbeitgeber wahrzunehmen (siehe Oppenländer/Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, 2. Auflage 2011, § 18 Rn. 12). Bei der Überwachung der Mitarbeiter sind die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten. Eine vollständige Überwachung von Mitarbeitern mittels Kameras oder Software darf nicht erfolgen, da dies einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellen würde. Die Wahrnehmung der Funktion des Arbeitgebers umfasst es auch, bei Bedarf Mitarbeitern zu kündigen oder Kurzarbeit anzumelden.
Gerade die Möglichkeit der Anmeldung von Kurzarbeit bietet dem Geschäftsführer eines Unternehmens die Möglichkeit, schnell Personalkosten zu reduzieren und gleichzeitig Arbeitsplätze zu erhalten. Aus diesem Grund hat die Politik in der aktuellen Coronavirus SARSCoV-2 Krise den Unternehmen die Möglichkeit eröffnet, ohne große bürokratische Hürden Kurzarbeit zu beantragen. Praxishinweis Die Kurzarbeit bietet Ihnen als Arbeitgeber die Möglichkeit, nach Ende COVID-19-Pandemie die Einrichtung mit Ihren alten und bewährten Mitarbeitern wieder zu eröffnen. Eine Kündigung sollte im Hinblick auf den Fachkräftemangel in der Pflege stets das letzte Mittel sein. Sollten Sie unsicher sein, was in Ihrer Situation die beste Vorgehensweise ist, lassen Sie sich durch einen spezialisierten Rechtsanwalt beraten.
3. Unternehmerisches Ermessen und die Anwendung der „Business Judgement Rule“ Die Handlungsfreiheit des Geschäftsführers ist in der Regel sehr weit gefasst. Sie kann durch Gesetze, die Satzung der GmbH oder aber auch durch Gesellschafterbeschlüsse begrenzt werden. Der Ermessensspielraum des Geschäftsführers findet jedoch dann seine Grenze, wenn Grundregeln der ordnungsgemäßen Buchführung gemäß § 43 Absatz 1 GmbHG missachtet und damit die Grenzen eines verantwortungsbewussten unternehmerischen Handelns deutlich überschritten werden (siehe BGHZ 135, 244, 243 „ARAG-Entscheidung“). Zu beachten ist zudem die in § 93 Absatz 1 Satz 2 AktG normierte „Business Judgement Rule“, welche auch bei der GmbH eine entsprechende Anwendung findet. Dort heißt es: Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.
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Die Funktion der Regelung ist es, dass unternehmerische Ermessen zu privilegieren. Die Vorschrift soll dem Geschäftsführer als Leitungsorgan der GmbH einen „sicheren Hafen“ für unternehmerische Einzelentscheidungen bieten. Dies bedeutet für den Geschäftsführer in der Konsequenz, dass später nicht mehr das Ergebnis seiner unternehmerischen Entscheidung überprüft wird, sondern das Zustandekommen seiner Entscheidung. Konkret heißt das, dass der Geschäftsführer in einem späteren gerichtlichen Verfahren nicht für das Ergebnis seiner Entscheidung haftbar gemacht werden kann, sondern nur für die Entscheidung, welche zu dem Ergebnis geführt hat. War aus damaliger Sicht die vom Geschäftsführer getroffene Entscheidung aus wirtschaftlicher Sicht richtig, so haftet er nicht für das daraus folgende Ergebnis (siehe BGH NJW 2008, 3361, 3362 f.; Oppenländer/Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, 2. Auflage 2011, § 18 Rn. 5). Diese Haftungsprivilegierung des GmbH Geschäftsführers bei Ausübung seines unternehmerischen Ermessens greift jedoch nur dann, wenn sein unternehmerisches Handeln auf einer sorgfältigen Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruht und der Geschäftsführer bei seiner unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Um dieses darlegen und beweisen zu können, ist dem Geschäftsführer zu empfehlen, seinen unternehmerischen Entscheidungsprozess detailliert zu dokumentieren (siehe Schneider GmbHR 2010, 57, 63). Die Entscheidung, welche der Geschäftsführer im Namen der Gesellschaft trifft, sollte stets auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage getroffen werden. Der Geschäftsführer hat hierbei alle ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zu nutzen (siehe OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. 05. 2009). Bei wesentlichen Entscheidungen für die Gesellschaft, kann sich für den Geschäftsführer auch die Pflicht ergeben, einen Rechtsbeistand oder Steuerberater mit der Prüfung des Sachverhaltes zu beauftragen. Kann die Entscheidung die Existenz der Gesellschaft beeinflussen, so ist der Geschäftsführer verpflichtet, eine Gesellschafterversammlung einzuberufen (siehe BGH NZG 2005, 562, 563; BGH NZG 2002, 195, 196).
Auf der so geschaffenen Entscheidungsgrundlage hat der Geschäftsführer die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen. Als Faustformel gilt, je riskanter die unternehmerische Entscheidung ist, desto höher ist die den Geschäftsführer treffende Begründungslast für ihre Durchführung. Dies hat nicht zur Folge, dass der Geschäftsführer generell pflichtwidrig handelt, wenn er ein Risikogeschäft tätigt. Der Rückgriff auf die „Business Judgement Rule“ ist erst dann ausgeschlossen, wenn die Bereitschaft des Geschäftsführers, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt wird (siehe Oppenländer/Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, 2. Auflage 2011, § 18 Rn. 5). Ein unverantwortliches Risiko wird von der Rechtsprechung dann angenommen, wenn für das Handeln des Geschäftsführers keine vernünftigen wirtschaftlichen Gründe sprechen. In Zeiten der aktuellen Coronavirus SARS-CoV-2 Krise gilt für den Geschäftsführer nichts anderes. Seine unternehmerischen Entscheidungen sind stets aufgrund einer umfangreichen Tatsachengrundlage zu treffen. Diese muss stets an die sich täglich ändernden Bedingungen angepasst werden. Praxishinweis Um angesichts der Coronakrise den Überblick nicht zu verlieren, kann es äußerst sinnvoll sein, bei zentralen Entscheidungen die Unterstützung eines Rechtsanwaltes und/oder Steuerberaters hinzuzuziehen. Der Geschäftsführer sollte darauf achten, den Entscheidungsprozess genauestens zu dokumentieren und die Gesellschafter stets zu informieren. Sind die Folgen für das Unternehmen nicht abzusehen, ist es dem Geschäftsführer zu empfehlen, unverzüglich eine Gesellschafterversammlung einzuberufen.
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4. Weitere Pflichten des Geschäftsführers a) Legalitätspflicht
Praxishinweis Als Geschäftsführer müssen Sie unbedingt sicherstellen, dass Sie die im Zuge der COVID-19-Pandemie neu geschaffenen Gesetze und Regelungen einhalten. Bei Unsicherheiten sollten Sie sich durch einen spezialisierten Rechtsanwalt beraten lassen.
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Auch in der Krise hat der Geschäftsführer seine Legalitätspflicht zu beachten. Dies bedeutet, dass die Gesetze weiterhin einzuhalten sind. Der Geschäftsführer hat im Rahmen seiner Organisationsfunktion dafür Sorge zu tragen, dass auch die Gesetze und Regelungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in der jeweiligen Einrichtung unverzüglich umgesetzt werden. Besonders ist dabei an die Hygienevorschriften und das Besuchsverbot zu denken. Auch ist darauf zu achten, dass die Bewohner keine zu großen Ansammlungen bilden. Die Mitarbeiter haben vom Geschäftsführer dahingehend verbindliche Anweisungen zu erhalten, da eine Missachtung zu erheblichen Ordnungsgeldern bis hin zur Schließung der Einrichtung führen kann. Um einen Ausbruch des Coronavirus SARS-CoV-2 in der Einrichtung zu vermeiden, sollte der Geschäftsführer ein wirksames Konzept aufstellen. Dies kann beispielsweise die Frage behandeln, wie mit Bewohnern umzugehen ist, welche aus einem Krankenhaus zurück in die Einrichtung kommen. Auch sollte bedacht werden, wie die Mitarbeiter bestmöglich geschützt werden. Eine Erkrankung der Mitarbeiter kann dazu führen, dass zu wenig Personal zur Verfügung steht, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Zudem kann die mangelhafte Einhaltung der Hygienevorschriften zu einer Erkrankung von Mitarbeitern oder Bewohnern mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 führen. Führt diese zum Tod der betroffenen Person, kann dies zu einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung führen.
b) Treuepflicht und Entlohnung Nach der Rechtsprechung des BGH können Geschäftsführer, auch wenn sie nicht Gesellschafter sind, verpflichtet sein, einer Anpassung ihres Gehalts an die wirtschaftliche Situation der GmbH zuzustimmen. Eine solche Verpflichtung wird analog aus der Treuepflicht zur Gesellschaft hergeleitet. Besonderheiten ergeben sich beim Gesellschaftergeschäftsführer. Verzichtet dieser auf seinen Lohn, kann dies zu einer verdeckten Einlage zugunsten der Gesellschaft führen. Praxishinweis Ein Lohnverzicht des Gesellschaftergeschäftsführers sollte erst nach rechtlicher Prüfung durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater erfolgen.
c) Prüfung der Forderungen und Verbindlichkeiten Durch die Auswirkungen des Coronavirus SARS-CoV-2 auf die Geschäftswelt sehen sich viele Unternehmer mit dem Problem konfrontiert, dass Zahlungen ausbleiben. Zugleich müssen jedoch Verbindlichkeiten bedient werden. Der Geschäftsführer hat daher die Aufgabe dafür Sorge zu tragen, dass Forderungen der Gesellschaft durchgesetzt werden, um die Liquidität des Unternehmens aufrecht zu erhalten. Auf der anderen Seite muss er prüfen, ob Forderungen gegen das Unternehmen wirklich bestehen. Eine funktionierende Buchhaltung ist daher unerlässlich. Praxishinweis Ihre Forderungen, welche von der Gegenseite nicht beglichen werden, können durch ein Mahnverfahren mithilfe mit Hilfe eines Rechtsanwalts geltend gemacht werden. Die Kosten für den Rechtsanwalt sind nach vorheriger erfolgloser Mahnung von dem Schuldner zu tragen.
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Kapitel V • Gewerberecht, Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht
5. Verletzung der Sorgfaltspflichten durch den Geschäftsführer
Praxishinweis Da der Geschäftsführer im Falle einer Sorgfaltspflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft für den entstandenen Schaden unbeschränkt haftet, empfiehlt es sich bei Unsicherheiten die Hilfe eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters in Anspruch zu nehmen. So können nicht nur Schäden für die Gesellschaft vermieden werden, sondern auch der Geschäftsführer vor einer Haftung bewahrt werden.
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Die Missachtung der Sorgfaltspflichten gemäß § 43 Absatz 1 GmbHG durch den Geschäftsführer, kann gemäß § 43 Absatz 2, Absatz 3 GmbH zu einer Haftung gegenüber der Gesellschaft führen. Entsprechende Ansprüche verjähren gemäß § 43 Absatz 4 GmbHG erst nach fünf Jahren. In § 43 GmbHG heißt es: (1) Die Geschäftsführer haben in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. (2) Geschäftsführer, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft solidarisch für den entstandenen Schaden. (3) Insbesondere sind sie zum Ersatze verpflichtet, wenn den Bestimmungen des § 30 zuwider Zahlungen aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen der Gesellschaft gemacht oder den Bestimmungen des § 33 zuwider eigene Geschäftsanteile der Gesellschaft erworben worden sind. Auf den Ersatzanspruch finden die Bestimmungen in § 9b Abs. 1 entsprechende Anwendung. Soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist, wird die Verpflichtung der Geschäftsführer dadurch nicht aufgehoben, dass dieselben in Befolgung eines Beschlusses der Gesellschafter gehandelt haben. (4) Die Ansprüche aufgrund der vorstehenden Bestimmungen verjähren in fünf Jahren.
C. Der Geschäftsführer der GmbH in der Krise: Insolvenzantragspflicht Die Corona-Krise belastet die deutschen Unternehmen, zu denen auch ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen zählen, derart stark, dass sogar Zahlungsstockungen und Insolvenzen drohen. Sofern die Liquiditätsprobleme nicht schnell behoben werden, droht die Insolvenz. Zumindest stellen die gesetzlichen Krankenkassen äußerst schnell einen Insolvenzantrag, wenn die Beiträge zu der gesetzlichen Sozialversicherung nicht geleistet werden. In diesen Fällen droht dann sogar die persönliche Haftung eines Geschäftsführers einer GmbH, die ja eigentlich in der Haftung beschränkt ist.
I. Die Insolvenzordnung vor dem Ausbruch des Coronavirus SARS-CoV-2 1. Allgemeines Die Insolvenz eines Schuldners ist gegeben, wenn sein Vermögen nicht mehr ausreicht, um alle Gläubiger zu befriedigen. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass die GmbH nicht mehr genug Vermögen hat, um alle Verbindlichkeiten zu erfüllen. Deshalb dient das Insolvenzverfahren nach § 1 Satz 1 InsO dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung, insbesondere zum Erhalt des Unternehmens, zu treffen. Dies verdeutlicht, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht gleichzusetzen ist mit dem Ende eines Unternehmens. Im Rahmen eines Insolvenzverfahrens wird stets durch eine Restrukturierung versucht das Unternehmen zu retten. Ist der Erhalt nicht möglich, soll das Insolvenzverfahren die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger des insolventen Unternehmens sicherstellen. Da die Befriedigung der Gläubiger durch Verwertung des Vermögens des Schuldners erfolgt, verfolgt eine Insolvenz auch stets das Ziel die noch übrige Vermögensmasse des Unternehmens zu erhal-
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ten. Durch das Insolvenzverfahren wird die GmbH in der Regel durch einen vom Gericht bestellten Insolvenzverwalter geführt. Im Folgenden soll dem Leser ein kurzer Überblick über die Eröffnungsgründe für ein Insolvenzverfahren gegeben werden, sowie den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung.
Ob ein solcher Eröffnungsgrund bei einem Unternehmen gegeben ist, ist im konkreten Einzelfall zu beurteilen. Bei der Bewertung empfiehlt sich eine enge Zusammenarbeit mit einem Rechtsanwalt oder Steuerberater.
2. Die Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO a) Zahlungsunfähigkeit Nach der Legaldefinition des § 17 Absatz 2 InsO ist der Schuldner bzw. die GmbH zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Hierbei kommt es allein auf die Zahlungsfähigkeit an. Die Zahlungswilligkeit des Schuldners wird nicht berücksichtigt (siehe BGH ZInsO 2016, 1661). Dies bedeutet, dass die GmbH nicht zahlungsunfähig im Sinne des § 17 InsO ist, wenn sie Rechnungen nicht bezahlt diese aber bezahlen könnte.
b) Feststellung der Zahlungsunfähigkeit Es muss festgestellt werden, dass der GmbH als Schuldnerin die nötigen Zahlungsmittel fehlen und sie deshalb andauernd und nicht nur vorübergehend nicht fähig ist, einen wesentlichen Teil ihrer fälligen und ernsthaft eingeforderten Geldverbindlichkeiten zu zahlen (siehe BGH ZInsO 2015, 2021). Nach der Rechtsprechung ist die Liquiditätslücke in der Regel erheblich, wenn mindestens 10% der fälligen Verbindlichkeiten nicht erfüllt werden können (siehe BGHZ 163, 134 142 ff.; BGH ZIP 2018, 283 Rn. 32). Fällig ist eine Verbindlichkeit, wenn der Gläubiger von der GmbH die Zahlung verlangen kann. Es darf in den nächsten drei Wochen auch keine Aussicht mehr darauf bestehen,
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Praxishinweis:
dass die Liquiditätslücke von 10% durch zufließende Liquidität geschlossen wird.
aa) Zahlungseinstellung Stellt der Geschäftsführer sämtliche Zahlungen ein, ist dies ein Indiz dafür, dass eine Zahlungsunfähigkeit vorliegt. In der aktuellen Coronavirus SARS-CoV-2 Situation sollte der Geschäftsführer daher nicht sämtliche Zahlungen einstellen, um die Liquidität im Unternehmen zu erhalten, da dies für Dritte ein Indiz für eine Zahlungsunfähigkeit ist. Es liegt dann gemäß § 17 Absatz 2 Satz 2 InsO an dem Geschäftsführer zu widerlegen, dass eine Zahlungsunfähigkeit besteht.
bb) Liquiditätsbilanz Stellt der Geschäftsführer die Zahlungen nicht ein, so ist die Zahlungsunfähigkeit mithilfe einer „Liquiditätsbilanz“ festzustellen. Die Liquiditätsbilanz ist eine „betriebswirtschaftliche Methode“, bei welcher die fälligen Verbindlichkeiten den kurzfristig verfügbaren Zahlungsmitteln gegenübergestellt werden (siehe BGHZ 173, 286 Rn. 30; BGHZIP 2016,2423 Rn. 17). Wichtig ist hierbei, dass zu den verfügbaren Zahlungsmitteln auch abrufbare Kredite zählen. Praxishinweis Sollten Sie als Geschäftsführer bei der Erstellung der Liquiditätsbilanz unsicher sein, kontaktieren Sie zur Sicherheit einen Steuerberater.
3. Drohende Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO § 18 InsO erlaubt es der GmbH als Schuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch wegen einer nur drohenden, noch nicht eingetretenen Zahlungsunfähigkeit zu beantragen. Nach § 18 Absatz 2 InsO droht die GmbH als Schuldnerin zahlungsunfähig zu
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Praxishinweis Ob und wann ein Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt werden soll, sollte unter Hinzuziehung eines Rechtsanwalts und eines Steuerberaters entschieden werden.
4. Die Überschuldung gemäß § 19 InsO a) Überschuldung Gemäß § 19 Absatz 2 Satz 1 InsO liegt eine Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt.
b) Auswahl des richtigen Insolvenzschuldners Gemäß § 19 Absatz 1 InsO kann bei juristischen Personen wie der GmbH ein Insolvenzverfahren wegen Überschuldung eingeleitet werden. Dies gilt auch für eine GmbH & Co. KG, bei der eine GmbH als juristische Person als Komplementärin haftet. Bei Personengesellschaften wie der KG oder bei einem Einzelunternehmen kann hingegen kein Insolvenzverfahren wegen Überschuldung eröffnet werden.
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werden, wenn diese voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungsverpflichtungen im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Dieses Instrument ermöglicht es der GmbH als Schuldnerin, die Vorteile der InsO deutlich früher zu nutzen (siehe Burger/ Buchhart, WPg. 1999, 155 ff.). Der Eröffnungsantrag kann jedoch nur auf die drohende Zahlungsunfähigkeit gestützt werden. Die Begründung, die Regelungen der InsO nutzen zu wollen ist kein Antragsgrund. Die Gläubiger sollen vor unnötigem Druck geschützt werden.
c) Feststellung der Überschuldung aa) Feststellung anhand der Überschuldungsbilanz Ob eine Überschuldung vorliegt, ist anhand einer „Überschuldungsbilanz“ zu ermitteln. Eine solche ist von einem Steuerberater aufzustellen und stellt die Aktiva und Passiva eines Unternehmens gegenüber (siehe BGH ZIP 2015, 638 Rn. 10 ff.). Auf eine Handelsbilanz kann nicht zurückgegriffen werden, weil in dieser die stillen Reserven nicht ausgewiesen werden. Auch werden die Vermögensgegenstände nicht mit ihren aktuellen Werten angegeben (siehe BGH ZInsO 2012, 732 Rn. 4 f.). Im Vergleich dazu werden die Vermögensgegenstände bei einer Überschuldungsbilanz zum Liquidationswert angegeben. Ergibt sich aus der Überschuldungsbilanz, dass das zu erzielende Vermögen nicht mehr ausreicht, um die Verbindlichkeiten zu bedienen, so ist eine Überschuldung gemäß § 19 InsO gegeben.
bb) Fortbestehensprognose Als nächster Schritt muss der Geschäftsführer zusammen mit einem fachkundigen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer eine „Fortbestehensprognose“ erstellen. In dieser ist zu ermitteln, ob eine Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist. Dafür ist zum einen der Fortführungswillen des Schuldners erforderlich, zum anderen wird die mittelfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens verlangt (siehe BGH ZIP 2004, 1049,1051; Reinhard Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 9. Auflage, Rn. 110). In der aktuellen Wirtschaftskrise, welche durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursacht wird, wird im Rahmen der Fortbestehensprognose zu berücksichtigen sein, dass mit Aufhebung der aktuellen Beschränkungen das Wirtschaftsleben wiederbeginnen wird. Dies wird zu einer Zunahme der Liquidität bei betroffenen Unternehmen führen, was im Rahmen einer Prognose zu berücksichtigen seien wird.
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Praxishinweis Lassen Sie sich bei der Aufstellung eine „Überschuldungsbilanz“ am besten von einem Steuerberater beraten. Der Steuerberater hilft Ihnen auch eine sogenannte „Fortbestehensprognose“ zu erstellen.
a) Insolvenzverschleppung Die Insolvenzverschleppung wird in § 15a InsO geregelt. Unter dem Begriff der Insolvenzverschleppung wird die Nichtantragstellung des Insolvenzverfahrens bei Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO oder Überschuldung gemäß § 19 InsO verstanden. Die Vorschrift ist eine der wichtigsten Bestimmungen des Unternehmensinsolvenzrechts, denn sie bestimmt den Zeitpunkt, ab dem Unternehmen nicht ohne insolvenzrechtlichen Gläubigerschutz fortgeführt werden dürfen.
b) Insolvenzantragspflicht Grundsätzlich trifft die Insolvenzantragspflicht den Geschäftsführer einer GmbH. Denn gemäß § 35 GmbHG hat der Geschäftsführer eine Reihe von Aufgaben und Pflichten zu erfüllen, darunter die Antragstellung. Die für den Geschäftsführer gegebenen Vorschriften gelten gemäß § 44 GmbHG auch für den stellvertretenden Geschäftsführer. Auch bei einer UG trifft die Antragspflicht den Geschäftsführer.
c) Zeitpunkt der Antragsstellung Wird eine GmbH zahlungsunfähig gemäß § 17 InsO oder ist sie überschuldet gemäß § 19 InsO, sieht der Gesetzgeber vor, dass der Geschäftsführer ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, den Eröffnungsantrag beim zuständigen Amtsgericht zu stellen hat.
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5. § 15a InsO und die Insolvenzverschleppung
d) Problem: Antrag wird zu spät gestellt In der Praxis hat der Geschäftsführer oftmals Probleme, den Zeitpunkt zu erkennen, an welchem die Krise beginnt. Stellt der Geschäftsführer den Antrag nicht oder nicht rechtzeitig hat das zur Konsequenz, dass sich der betroffene Geschäftsführer im Bereich des Straftatbestands der Insolvenzverschleppung gemäß § 15a InsO bewegt. In § 15a Absatz 4 InsO heißt es: (4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Absatz 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Satz 2 oder Absatz 2 oder Absatz 3, einen Eröffnungsantrag 1. nicht oder nicht rechtzeitig stellt oder 4. nicht richtig stellt. Wird der Antrag nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig gestellt, sieht der Gesetzgeber eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder eine den Umständen entsprechende angemessene Geldstrafe vor. Ebenso wird fahrlässiges Handeln mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe geahndet, § 15a Absatz 5 InsO. Probleme können insbesondere dann auftreten, wenn sich der Geschäftsführer in Sanierungsverhandlungen mit den Gläubigern befindet und deshalb nicht den Antrag auf Insolvenzeröffnung stellt. Das Verhandeln mit Gläubigern befreit den Geschäftsführer jedoch nicht von seiner Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen. Praxishinweis Sollten Sie als Geschäftsführer erkennen, dass eine Insolvenz droht, sollten Sie umgehend einen spezialisierten Rechtsanwalt hinzuziehen. Durch eine umfassende Rechtsberatung kann verhindert werden, dass Sie sich als Geschäftsführer gemäß § 15a Absatz 4 InsO strafbar machen. Zudem können zu einem frühen Zeitpunkt auch mögliche Schadensersatzforderungen abgewendet werden. Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft können sich im Falle einer Insolvenzverschleppung aus § 43 Absatz 2 und Absatz 3 GmbHG ergeben.
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II. V on Gesellschaftern zu beachten
Praxishinweis Holen Sie sich bei der Erstellung eines Sanierungskonzepts unbedingt fachkundigen Rat eines spezialisierten Rechtsanwalts und Steuerberaters ein.
III. D ie Änderungen in der Insolvenzordnung durch das Coronavirus SARS-CoV-2 1. Temporäre Änderungen Da viele Unternehmen ihre geschäftliche Tätigkeit derzeit nicht mehr ausüben können, droht ihnen Zahlungsunfähigkeit aufgrund ausbleibender Umsätze. Davon betroffen sind auch zahlreiche Tagespflegeeinrichtungen. Die Zahlungsunfähigkeit wird dadurch verstärkt, dass die Unternehmen ihre Zahlungspflichten weiter erfüllen müssen. Ein aufgebautes Liquiditätspolster ist da sehr schnell aufgebraucht. Abhilfe ist durch das am 25. März 2020 vom Bundestag und am 27. März
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Gesellschafter einer GmbH müssen bei einer drohenden Insolvenz darauf achten, dass sie nicht über die von ihnen geleistete Stammeinlage hinaus gemäß § 13 Absatz 2 GmbHG haften. Eine Haftung des Gesellschafters kann sich jedoch ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Durchgriff-Haftung ergeben (siehe Bitter ZinsO 2010, 1505 ff; Bauer ZinsO 2011, 1273 ff; Baumbach/ Hueck/ Fastrich 21. Aufl., § 13 Rdn. 43 ff m. w. N;). Diese ist insbesondere dann gegeben, wenn der Gesellschafter einen existenzvernichtenden Eingriff vornimmt. Ein Beispiel hierfür ist, dass der Gesellschafter die Verbindlichkeiten der A-GmbH auf die B-GmbH überträgt, um das wirtschaftliche Überleben der A-GmbH zu retten. Die B-GmbH wird hierbei durch deren Insolvenz „geopfert“. Ein solch existenzvernichtender Eingriff zu Lasten der B-GmbH führt zu einer Haftung des Gesellschafters gemäß § 826 BGB, welche nicht auf seine Stammeinlage begrenzt ist.
2020 durch den Bundesrat beschlossene COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) geschaffen worden. In dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) wurde beschlossen, die Insolvenzantragspflicht rückwirkend zum 1. März 2020 bis voraussichtlich zum 30. September 2020 auszusetzen. Gemäß § 4 COVInsAG soll die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 31. März 2021 verlängert werden können. Nach Aussage der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, Frau Christine Lambrecht, soll den in Bedrängnis geratenen Unternehmen die nötige Luft verschafft werden, um staatliche Hilfen zu beantragen und Sanierungsbemühungen voranzutreiben. Aus Sicht der Ministerin ist die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ein wichtiger Baustein, um die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus COVID-19-Pandemie abzufedern. In der Mitteilung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 30. März 2020 sind die folgenden 5 Maßnahmen im Bereich des Insolvenzrechts aufgeführt, welche durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafrecht erreicht werden sollen: 1. Die haftungsbewehrte und teilweise auch strafbewehrte dreiwöchige Insolvenzantragspflicht wird vorübergehend bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Dies gilt nur für Fälle, in denen die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht. Zudem soll erforderlich sein, dass Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen. Antragspflichtige Unternehmen sollen die Gelegenheit erhalten, ein Insolvenzverfahren durch Inanspruchnahme staatlicher Hilfen, gegebenenfalls aber auch im Zuge von Sanierungs- oder Finanzierungsvereinbarungen, abzuwenden. 5. Geschäftsleiter haften während der Aussetzung der Insolvenzantragspflichten nur eingeschränkt für Zahlungen, die sie nach Eintritt der Insolvenzreife des Unternehmens vornehmen. 2. Während der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht an von der COVID19-Pandemie betroffene Unternehmen gewährte neue
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Kredite sind nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung anzusehen. 6. Während der Aussetzung erfolgende Leistungen an Vertragspartner sind nur eingeschränkt anfechtbar. 3. Die Möglichkeit von Gläubigern, durch Insolvenzanträge Insolvenzverfahren zu erzwingen, werden für drei Monate eingeschränkt.
Praxishinweis Informieren Sie sich unbedingt rechtzeitig, ob die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht verlängert wird oder nicht.
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(https://www.bmjv.de/DE/Themen/FokusThemen/Corona/Insolvenzantrag/Corona_Insolvenzantrag_node.html) Durch die Maßnahmen soll den von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie betroffenen Unternehmen ausreichend Zeit für die Sanierung gegeben werden. Für Gesellschaften und deren Geschäftsführer bedeutet dies, dass sie deutlich mehr Zeit haben, die entstandene Liquiditätslücke wieder zu schließen. Diese Zeit sollte von den Unternehmen sinnvoll genutzt werden. Denn Geschäftsführer müssen damit rechnen, dass ab dem 1. Oktober 2020 wieder die Regelungen der InsO gelten. Ob von der Möglichkeit, die Frist bis zum 31. März 2021 zu verlängern, Gebrauch gemacht wird, kann aus heutiger Sicht nicht beurteilt werden. Sollte bis zum Ablauf der Frist die Liquiditätslücke nicht geschlossen sein, so wird vom Geschäftsführer der Insolvenzantrag zu stellen sein. Es sollte in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden, dass die Insolvenz von Geschäftspartnern auch zur Insolvenz des eigenen Unternehmens führen kann, wenn Forderungen in großem Umfang abgeschrieben werden müssen.
2. Voraussetzungen für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht Die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach dem COVInsAG sind: 1. Die Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens aufgrund der Folgen der COVID-19-Pandemie und 7. die begründete Aussicht auf eine Sanierung aufgrund der Beantragung öffentlicher Hilfen und ernsthafter Finanzierungsverhandlungen des Antragspflichtigen. Gemäß § 1 Satz 3 COVInsAG wird vermutet das die beiden Voraussetzungen erfüllt sind, wenn die Zahlungsunfähigkeit am 31. Dezember 2019 noch nicht vorgelegen hat. Dem Geschäftsführer ist jedoch zu raten, eine genaue Dokumentation über den Hergang zu führen, wie es zu der wirtschaftlichen Schieflage des Unternehmens gekommen ist. Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn es ihm nicht gelungen ist, nach Ablauf der Aussetzungsfrist das Unternehmen zu sanieren. Er ist dann verpflichtet einen Antrag auf Insolvenzeröffnung beim zuständigen Amtsgericht zu stellen. In diesem Fall ist es von Vorteil, wenn der Geschäftsführer nachweisen kann, dass die wirtschaftliche Schieflage auf das Coronavirus SARS-CoV-2 zurückzuführen ist. Eine genaue Dokumentation kann den Geschäftsführer vor Strafen, insbesondere im Hinblick auf § 15a InsO, schützen. Die dreiwöchige Frist des § 15a InsO gilt jedoch unabhängig von dem neuen Gesetz wie bisher, wenn 1. die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie beruht oder 8. wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Unbeachtlich ist, wenn sich das betroffene Unternehmen schon vor der COVID-19-Pandemie in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden hat, die Antragsreife jedoch noch nicht gegeben war. Die dreiwöchige Frist des § 15a InsO gilt nur, wenn der Geschäftsführer schon
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vor dem 31. 12. 2019 aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens den Insolvenzantrag hätte stellen müssen. Praxishinweis
Wichtig für die Gesellschaft ist zudem § 3 COVInsAG. Dort heißt es: Bei zwischen dem 28. März 2020 und dem 28. Juni 2020 gestellten Gläubigerinsolvenzanträgen setzt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus, dass der Eröffnungsgrund bereits am 1. März 2020 vorlag. Diese Regelung verhindert, dass der Gläubiger die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen kann.
3. Auswirkungen auf § 15a InsO und weitere Strafbarkeitsrisiken a) Auswirkungen des COVInsAG auf § 15a InsO und das StGB Das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz COVInsAG entlastet den Geschäftsführer dahingehend, dass für den Zeitraum der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht die Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Absatz 4 InsO ausgeschlossen ist. Es muss jedoch von dem Geschäftsführer beachtet werden, dass weitere Strafbarkeitsrisiken fortbestehen. Im Rahmen einer Insolvenzverschleppung werden oftmals sogenannte „Begleitdelikte“ verwirklicht, welche durch das COVInsAG nicht suspendiert werden. Die wesentlichen Insolvenzdelikte sind: • • • •
der Bankrott gemäß § 283 StGB die Verletzung der Buchführungspflicht gemäß § 283b StGB die Gläubigerbegünstigung gemäß § 283c StGB die Schuldnerbegünstigung gemäß 283d StGB
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Bei Unsicherheit hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht empfehlen wir Ihnen einen Rechtsanwalt hierzu zu konsultieren.
Im Rahmen der gewährten Staats- und Landeshilfen darf auch die Strafbarkeit wegen Kreditbetrugs gemäß § 265 StGB und wegen Subventionsbetrugs gemäß § 264 StGB nicht außer Acht bleiben.
b) Die Strafbarkeit gemäß § 266a StGB wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt Als weiterer wichtiger Straftatbestand ist § 266a StGB vom Geschäftsführer zu beachten. Im Falle einer Insolvenz droht immer die akute Gefahr der Strafbarkeit wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelten. Zu dieser Problematik kommt es, da auf dem Weg in die Insolvenz oft die Sozialabgaben von Mitarbeitern nicht mehr oder nicht mehr rechtzeitig abgeführt werden. Betroffenen Unternehmen haben angesichts der aktuellen Coronakrise die Möglichkeit, Sozialversicherungsbeiträge auf Antrag zu stunden. Die Stundung ist jedoch das letzte Mittel und gilt nur befristet bis Ende Mai 2020. Die Pflicht, Sozialversicherungsbeiträge abzuführen, gilt grundsätzlich weiter. Wenn ein Unternehmen nicht von dieser Möglichkeit der Stundung profitiert, besteht die Gefahr, dass der Geschäftsführer eine Straftat gemäß § 266a Absatz 1 StGB begeht, wenn er als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung vorenthält – und zwar unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird. Die Strafbarkeit des § 266a Absatz 1 StGB steht hierbei im Widerspruch zu der Masseerhaltungspflicht des Geschäftsführers. Verstößt er gegen die Masseerhaltungspflicht, haftet er nach § 64 GmbHG persönlich für alle Zahlungen, die aus dem Gesellschaftsvermögen geleistet worden sind. Der BGH hat in der Vergangenheit daher angenommen, dass das nicht Zahlen von Sozialbeiträgen gerechtfertigt ist, weil der Geschäftsführer sich andernfalls persönlich haftbar gemäß § 64 GmbHG machen würde. Ob der BGH seine Rechtsprechung aufgrund der Coronavirus COVID-19-Pandemie ändern wird, bleibt abzuwarten.
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Praxishinweis: Aufgrund der persönlichen Gefahr der Strafbarkeit, die dem Geschäftsführer droht, empfiehlt es sich, frühzeitig einen erfahrenen Rechtsanwalt in die Entscheidungsprozesse einzubinden.
Der Geschäftsführer muss in der Coronavirus SARS-CoV-2 Krise auch ein besonderes Augenmerk auf die Möglichkeit der Strafbarkeit wegen Betrugs gemäß § 263 StGB legen. Die zeitliche Aussetzung der Insolvenzantragspflicht verlängert den Zeitraum, in dem der Geschäftsführer von der Krise im eigenen Unternehmen weiß. Dieses Wissen ist dann problematisch, wenn der Geschäftsführer Verpflichtungen eingeht oder Geschäfte tätigt, welche sich in der Zukunft verwirklichen sollen. Grundsätzlich geht die Rechtsprechung nämlich davon aus, dass zumindest Verträge, bei denen eine entgeltliche Vorleistung in Anspruch genommen wird, unter der stillschweigenden Behauptung der eigenen Zahlungsfähigkeit und -willigkeit abgeschlossen werden (siehe BGH Beschluss vom 28. 07. 2009–4 StR 254/09; NJW 2002, 1059). Aus Sicht des Lieferanten würde dieser mit großer Wahrscheinlichkeit keine Ware auf Rechnung liefern, wenn er davon wüsste, dass das Unternehmen in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt. Dies gilt auch für bereits bestehende Verträge, sobald neue Bestellungen in Auftrag gegeben werden. Ein solches Verhalten kann die Strafbarkeit gemäß § 263 StGB zulasten des Geschäftsführers erfüllen. Praxishinweis: Um die Gefahr eines strafbaren Verhaltens zulasten des Geschäftsführers zu verhindern, sollten Sie sich frühzeitig von einem spezialisierten Rechtsanwalt beraten lassen. Dieser ist in die Entscheidungsprozesse einzubinden, um mögliche Fehler frühzeitig zu verhindern und etwaige Problematiken aufzudecken. Auch im Hinblick auf die von der Politik gewährten Darle-
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Kapitel V • Gewerberecht, Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht
c) D as Risiko des Eingehungsbetruges gemäß § 263 StGB
hen und Subventionen gilt es mit Augenmaß zu agieren, da andernfalls die Strafbarkeit wegen Kreditbetrugs gemäß § 265 StGB und wegen Subventionsbetrugs gemäß § 264 StGB drohen kann.
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Kapitel V • Gewerberecht, Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht
Kapitel VI • Gesellschaftsrecht Sicherung der Handlungsfähigkeit des Unternehmens, Pflichten der Geschäftsführung in der Krise und aktuelles Gesellschaftsrecht Dr. Stefan Christian Ulbrich, M. A
I. Einleitung
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Kapitel VI • Gesellschaftsrecht
Die aktuelle Krisensituation stellt die Betreiber von ambulanten Diensten und stationären Einrichtungen vordringlich vor die Aufgabe, die Handlungsfähigkeit in ihren Unternehmen sicherzustellen. In diesem Kapitel werden Möglichkeiten aufgezeigt, die Handlungsfähigkeit auch für den Fall zu ermöglichen, dass der Unternehmer zeitweise selbst handlungsunfähig sein sollte, sei es durch Krankheit, Unfall oder durch andere Umstände. Vorrangiges Mittel der Wahl ist dabei die Unternehmervorsorgevollmacht. Außerdem könnte daran gedacht werden, für das Unternehmen Prokura zu erteilen. Auch der längerfristig und strategisch zu planende Wechsel in die Rechtsform der GmbH ist in Erwägung zu ziehen. In der GmbH bestehen im Vergleich zum Einzelunternehmen erweiterte Möglichkeiten der Vertretung. Die dargestellten Möglichkeiten zur Sicherung der Handlungsfähigkeit des Unternehmens sind nicht in panischer Weise durch die aktuelle Krise bedingt. Im Gegenteil: Sie stellen sinnvolle und notwendige Maßnahmen dar, die jeder Betreiber ohnehin frühzeitig planen und ergreifen sollte. Sie wirken dann auch und gerade in der Krise. Sinnvoller Weise gibt die Krise den Impuls, diese Maßnahmen in Angriff zu nehmen, welche man ansonsten gerne „auf die lange Bank schiebt“. Gleiches gilt für die Pflichten der GmbH-Geschäftsführung in der Krise. Hier werden Pflichten zusammenfassend dargestellt, die in jeder Unternehmenskrise gelten. Deren Kenntnis ist für den Geschäftsführer sinnvoll und förderlich. Zum einen möchte sich der Geschäftsführer in der Krise „richtig“ verhalten. Zum anderen soll eine mögliche Haftung des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft vermieden werden.
Das Kapitel endet mit einer kurzen Übersicht über die aktuellen, durch die Bekämpfung der COVID-19-Pandemie motivierten Gesetzesänderungen, welche den Bereich des Gesellschaftsrechts betreffen.
II. Sicherung der Handlungsfähigkeit des Unternehmens Es ist das dringende Anliegen des Unternehmers, die Handlungsfähigkeit in seinem Unternehmen sicherzustellen. Dies gilt für alle Fälle, in denen der Unternehmer wegen Unfalls, Krankheit oder aus anderen Gründen daran gehindert ist, selbst zu handeln. Die Sicherung der Handlungsfähigkeit in der Krise ist von elementarer Bedeutung für das Unternehmen. Fällt der Unternehmer aus, so besteht ohne eine effiziente Vorsorgeregelung die Gefahr des Stillstandes des Unternehmens mit den damit zusammenhängenden negativen wirtschaftlichen Folgen. Im schlimmsten Fall droht die Handlungsunfähigkeit: So können beispielsweise mit dem Unternehmen zusammenhängende Rechtsgeschäfte nicht mehr getätigt werden. Die Vertretungsbefugnis gegenüber Banken, Versicherungsgesellschaften, Gerichten und Behörden einschließlich der Steuerverwaltung ist nicht mehr gewährleistet. Über die betrieblichen Konten kann nicht mehr verfügt werden. Personalmaßnahmen (z. B. Einstellung und Kündigung von Personal) können nicht mehr durchgeführt werden. Die Ausübung der Gesellschafterrechte ist unmöglich geworden. Eine effiziente Vorsorgeregelung ist für den Unternehmer daher unerlässlich; und dies auch unabhängig von der aktuellen COVID-19-Pandemie, welche dieses Problem jedoch noch einmal in den Fokus rückt. Eine einfach zu bewirkende und wirkungsvolle Maßnahme ist in diesem Zusammenhang die Errichtung einer (notariellen) Vorsorgevollmacht für den Unternehmer.
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1. Vorsorgevollmacht des Unternehmers a) Regelungsbedarf
Praxishinweis: Für jeden Betreiber eines ambulanten Pflegedienstes oder einer stationären Einrichtung ist die Errichtung einer Vorsorgevollmacht zu empfehlen. Dies gilt sowohl für Einzelunternehmer als auch für Inhaber und Geschäftsführer von GmbHs oder für andere Rechtsformen.
b) Unternehmervorsorgevollmacht und Handlungsanweisung Die Unternehmervorsorgevollmacht ist ein besonderer Fall der General- bzw. Vorsorgevollmacht, die von jedermann sinnvoller Weise errichtet werden kann, um für den Fall der Handlungsunfähigkeit vorzusorgen. Dabei soll durch die Bevollmächtigung einer Person, welcher der Vollmachtgeber vertraut, vermieden werden, dass für diesen ein Betreuer bestellt wird. In § 1896 Absatz 2 Satz 2 BGB ist dieser Vorrang
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Kapitel VI • Gesellschaftsrecht
Für die Betreiber von ambulanten Pflegediensten und stationären Einrichtungen besteht daher ein hoher Regelungsbedarf für die Errichtung einer speziell auf das Unternehmen bezogen Unternehmervorsorgevollmacht. Dies gilt unabhängig von der Rechtsform des Unternehmens, also sowohl für Einzelunternehmen als auch für Kapitalgesellschaften wie zum Beispiel GmbHs oder GmbH & Co. KGs. Die Unterschiede der Rechtsformen spiegeln sich in der konkreten Ausgestaltung der Vollmachten wieder. Allen Rechtsformen gemeinsam ist jedoch das grundsätzliche Erfordernis, überhaupt eine Vorsorgeregelung zu treffen. Besonderer Regelungsbedarf besteht immer dann, wenn das Unternehmen bei Ausfall des Unternehmers führungslos wird. Dies ist vor allem bei dem Einzelunternehmer und bei der Ein-Personen-GmbH mit Gesellschaftergeschäftsführer der Fall. In diesen Fällen sind Regelungen in der Unternehmervorsorgevollmacht unerlässlich.
der Bevollmächtigung vor der Betreuung geregelt. Die Vorsorgevollmacht ist typischer Weise als Generalvollmacht ausgestaltet. Die Generalvollmacht in der „normalen“ Vorsorgevollmacht umfasst auch den Unternehmensbereich. Dies reicht jedoch regelmäßig für den Unternehmer nicht aus. Der Unternehmer benötigt eine spezifische Vorsorgevollmacht für sein Unternehmen: die Unternehmervorsorgevollmacht. Praxishinweis: Der Unternehmer benötigt neben der allgemeinen Vorsorgevollmacht eine Vorsorgevollmacht, die spezifisch auf seine unternehmerischen Belange ausgerichtet ist. Diese Vorsorgevollmacht sollte im Außenverhältnis unbeschränkt sein. Im Innenverhältnis können dem Bevollmächtigten Handlungsanweisungen erteilt werden.
Unternehmervorsorgevollmachten unterscheiden sich von anderen Vorsorgeregelungen dadurch, dass der zeitliche Aufwand und die erforderlichen Kenntnisse, die einem potenziellen Bevollmächtigten abverlangt werden, wesentlich höher sein werden. Hat der Unternehmer weitere Mitgesellschafter, so kann der Bevollmächtigte seine Gesellschafterrechte wahrnehmen. Ist der Unternehmer als Einzelunternehmer tätig, so muss der Bevollmächtigte die Unternehmung selbst führen und alle Unternehmensentscheidungen treffen können. Sorgt der Unternehmer nicht vor, so wird bei Eintritt des Betreuungsfalls ein Betreuer bestellt. Dieser bedarf für zahlreiche Fälle der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes. Neben der problematischen Eignung des bestellten Betreuers führt das Genehmigungsbedürfnis zu erheblichen Reibungsverlusten, welche die Existenz des gesamten Unternehmens bedrohen können. Ein probates Mittel für die Gestaltung einer Unternehmervorsorgevollmacht ist die Erteilung einer Generalvollmacht mit einer Handlungsanweisung im Innenverhältnis. In dieser Handlungsanweisung sollte der Unternehmer zumindest in groben Zügen festhalten, was mit dem Unternehmen geschehen soll, wenn er selber ausfällt. In der
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c) Form der Vollmacht Für die Errichtung der Vollmacht ist die notarielle Beurkundung zu empfehlen. Zwar kann die Vollmacht grundsätzlich auch privatschriftlich errichtet werden. Gesetzlich erforderlich ist die notarielle Bevoll-
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Handlungsanweisung sollen Anweisungen zur Fortführung, zum Verkauf oder zur Liquidation des Unternehmens getroffen werden. Eine Handlungsanweisung für einen Einzelunternehmer könnte zum Beispiel dahin gehen, den Bevollmächtigten zu verpflichten, für die Fortführung des Unternehmens zu sorgen. Dies kann er selbst kraft der erteilten Vollmacht besorgen. Er kann sich selbst oder anderen Personen Prokura erteilen. Zudem sollte die Handlungsanweisung die Möglichkeit enthalten, dass der Bevollmächtigte dem Unternehmen eine haftungsbeschränkende Form geben kann, insbesondere das Einzelunternehmen in eine GmbH nach den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes umwandeln kann. Diese Ergänzung ist wichtig, da Umwandlungen regelmäßig nicht von der Generalvollmacht umfasst sind. Der Bevollmächtigte sollte auch die Option haben, eine Veräußerung oder Liquidation des Unternehmens durchzuführen. Dabei ist zunächst die Veräußerung anzustreben, ehe eine Liquidation erfolgt. Diese Handlungsanweisung ist auch für den Bevollmächtigten wichtig. Dem Bevollmächtigten sollte vom Unternehmer mitgeteilt werden, wie dieser die Verantwortung für die Unternehmensleitung wahrnehmen soll. Außerdem bietet die Einhaltung der Handlungsanweisung für den Bevollmächtigten auch eine Reduzierung der Gefahr, für sein Handeln eventuell später in Haftung genommen zu werden. Für die GmbH mit einem Geschäftsführer, der zugleich Alleingesellschafter ist, ist eine Handlungsanweisung für den Bevollmächtigten zu empfehlen, die zu dem vorherigen Regelungen zum Einzelunternehmen noch die Möglichkeit enthält, dass sich der Bevollmächtigte selbst oder einen Dritten zum Geschäftsführer bestellen kann, auch unter Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens gemäß § 181 BGB.
mächtigung, wenn auch Grundstücksgeschäfte getätigt werden sollen. Notarielle Beurkundung ist gleichwohl stets zu empfehlen, da nur die notarielle Vollmacht Akzeptanz bei Banken und Behörden genießt. Dies liegt vor allem daran, dass nur bei der notariellen Beurkundung eine Identitätsprüfung stattfindet. Gerade bei Unternehmervorsorgevollmachten sollten die Vorteile der notariellen Beurkundung genutzt werden. Praxishinweis: Die Unternehmervorsorgevollmacht sollte in notarieller Form errichtet werden, um in der Praxis Akzeptanz gegenüber Banken, Gerichten und Behörden zu gewährleisten.
d) Mögliche Bevollmächtigte Vorrangig kommen als Bevollmächtigte die Ehepartner in Betracht oder andere Familienangehörige wie zum Beispiel Kinder, die selbst schon Erfahrungen im Berufsleben gesammelt haben. Es ist auch an externe Bezugspersonen zu denken wie z. B. der Steuerberater oder der Rechtsanwalt des Unternehmens. Diese können dem Bevollmächtigten zur Seite gestellt werden oder sogar selbst zu Bevollmächtigten ernannt werden.
2. Weitere Instrumente der Vorsorgeregelung a) Erteilung von Prokura Um die Fortführung eines Einzelunternehmens zu ermöglichen, bietet sich auch die Möglichkeit an, einen Prokuristen zu bestellen. Prokura nach § 49 HGB ist eine besondere handelsrechtliche Vollmacht, welche den Prokuristen zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen ermächtigt, welche der Betrieb eines Handelsgeschäftes mit sich bringt. Die Unternehmervorsorgevollmacht ermächtigt den Bevollmächtigten zwar ebenfalls zu diesen Rechtshandlungen (und sogar darüber
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Praxishinweis: Als gesetzlich definierte handelsrechtliche Vollmacht bietet die Erteilung von Prokura sowohl Einzelunternehmen als auch GmbHs neben der ohnehin notwendigen Unternehmervorsorgevollmacht weitere Möglichkeiten der Vertretung, welche aufgrund der Eintragung im Handelsregister für jedermann erkennbar ist.
b) Wechsel der Rechtsform Strategisch und mit entsprechender Planung sollte im Rahmen einer Vorsorgeplanung auch die Möglichkeit eines Rechtsformwechsels in Betracht gezogen werden. Hier ist vor allem an eine Umwandlung in die Rechtsform der GmbH zu denken. Die GmbH bietet neben weiteren Vorteilen für den Betrieb eines Pflegeunternehmens anders als das Einzelunternehmen oder die Gesellschaft bürgerlichen Rechts die Möglichkeit der Fremdgeschäfts-
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hinausgehend), gleichwohl wäre die Bestellung des Bevollmächtigten als Prokuristen zu empfehlen. Prokura wird nämlich im Handelsregister eingetragen und ist für jedermann ersichtlich. Die Anmeldung der Prokura erfolgt durch den Inhaber des Einzelunternehmens. Voraussetzung ist jedoch, dass das Einzelunternehmen selbst als einzelkaufmännisches Unternehmen im Handelsregister eingetragen ist. Dies ist grundsätzlich auch für Betreiber von ambulanten Pflegediensten und von stationären Einrichtungen möglich. Wegen der Voraussetzungen, insbesondere zum Thema gewerbliche Tätigkeit, sollte aber vorher Rücksprache mit dem Steuerberater bzw. Rechtsanwalt gehalten werden. Bei der GmbH wird die Prokura vom Geschäftsführer erteilt und von diesem zum Handelsregister der Gesellschaft angemeldet. Die Möglichkeit der Bestellung eines Prokuristen für das Unternehmen sollte unbedingt auch in die Vorsorgevollmacht aufgenommen werden.
führung. Jede GmbH benötigt zur Vertretung der Gesellschaft nach außen zumindest einen Geschäftsführer. Es können aber auch mehrere Geschäftsführer bestellt werden. Wenn der Inhaber der GmbH sich selbst zum Geschäftsführer bestellt, spricht man vom Gesellschafter-Geschäftsführer. Wenn er hingegen einen Dritten, der nicht selbst Gesellschafter ist, zum Geschäftsführer bestellt, spricht man vom Fremdgeschäftsführer. Die Möglichkeit, einen (oder mehrere) Fremdgeschäftsführer zu bestellen, bietet in der GmbH den Vorteil, dass eine Vertretung des Unternehmens auch für den Fall sichergestellt werden kann, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer selbst ausfällt. Dies bietet dem Firmeninhaber den Vorteil: Er kann bei der GmbH bereits frühzeitig einen weiteren Geschäftsführer bestellen, der im Falle seiner Verhinderung die Gesellschaft vertreten kann. Weiterer Vorteil der Rechtsform der GmbH ist, dass sich das Betriebsvermögen der GmbH vom Privatvermögen des Unternehmers trennen lässt. In der Rechtsform der GmbH kann der Fremd-Geschäftsführer nur die Gesellschaft selbst und deren Vermögen verpflichten, nicht jedoch das Privatvermögen des Unternehmers. Zudem ist die Haftung regelmäßig auf das Haftkapital der GmbH beschränkt. Dies liegt anders im Falle der Bestellung eines Prokuristen für ein Einzelunternehmen: Hier kann der Prokurist zwar auch längerfristig für den Einzelunternehmer handeln, würde aber stets auch den Inhaber mit seinem Privatvermögen mitverpflichten, da es hier keine Beschränkung auf das Betriebsvermögen gibt. Ein solcher Rechtsformwechsel kann auch aus anderen Gründen für Einzelunternehmen oder Gesellschaften bürgerlichen Rechts in der Pflegewirtschaft sinnvoll sein: Das Unternehmen wird unabhängig von der Person des Unternehmers auf eine GmbH übertragen und auf diese Weise verstetigt. Wenn der Unternehmer andernfalls ausfallen würde, wäre der Bestand des gesamten Unternehmens gefährdet. Die GmbH bietet zudem den Vorteil der Haftungsbeschränkung und neben der Vorsorgeplanung auch Vorteile bei der Nachfolgeplanung. In der GmbH können weitere Gesellschafter aufgenommen werden (z. B. Familienmitglieder oder verdiente Mitarbeiter), und auf diese Weise kann die Nachfolge Schritt für Schritt gestaltet werden.
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Praxishinweis: Im Sinne einer strategischen Vorsorgeplanung ist der Wechsel in die Rechtsform der GmbH in Erwägung zu ziehen.
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Zudem ist es für Dritte häufig attraktiver, Geschäftsanteile an einer GmbH zu erwerben anstelle der Wirtschaftsgüter des Einzelunternehmens. Die GmbH als juristische Person bleibt ja im Falle der Veräußerung der Geschäftsanteile nach außen hin weiterhin bestehen, nur die Anteile werden auf einen Dritten übertragen. Die Vertragsbeziehungen, auch der Versorgungsvertrag und die Arbeitsverträge, bleiben von dem Inhaberwechsel unberührt. Schließlich bietet die GmbH häufig auch steuerliche Vorteile in der effektiven Besteuerung im Vergleich zu den Rechtsformen des Einzelunternehmens und der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Ein probates Mittel der Umwandlung eines Einzelunternehmens in eine GmbH ist die Ausgliederung des Einzelunternehmens auf eine GmbH nach den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes. Die Umwandlung sollte unbedingt nach den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes erfolgen, um rechtliche und steuerliche Gefahren abzuwenden. Der ehemalige Einzelunternehmer wird auf diese Weise zum Alleingesellschafter und zum Geschäftsführer der neu geschaffenen GmbH. Er kann dann weitere Fremdgeschäftsführer oder Prokuristen für die GmbH bestellen und sich selbst durch eine Unternehmervorsorgevollmacht durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Dies wäre sozusagen der „Königsweg“ der Vorsorgeplanung. Da es sich bei dem Rechtsformwechsel um einen komplexen Vorgang handelt, der neben juristischen insbesondere auch steuerliche Themen zum Gegenstand hat, ist es dringend zu empfehlen, einen solchen – sinnvollen – Schritt in enger Zusammenarbeit mit einem im Umwandlungsrecht und in der Pflegewirtschaft erfahrenen Rechtsanwalt und Steuerberater abzustimmen.
Die GmbH bietet neben dem Vorteil der Fremdgeschäftsführung auch die Beschränkung der Verpflichtung auf das Betriebsvermögen. Zudem bietet die GmbH als Rechtsform in der Pflegewirtschaft, ambulant und stationär, neben der Vorsorgeplanung noch weitere Vorteile. Die Gestaltung der Umwandlung sollte in enger Abstimmung mit einem Rechtsanwalt und Steuerberater erfolgen, die sowohl im Umwandlungsrecht als auch in der Pflegewirtschaft erfahren sind
c) Stimmrechtsvollmacht Schließlich gibt es auch den Fall, dass ein Unternehmer nicht Alleininhaber einer GmbH ist, sondern noch weitere Mitgesellschafter hat. Falls der Unternehmer Mitgesellschafter einer GmbH ist, ist an die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht zu denken. Diese Stimmrechtsvollmacht bedarf grundsätzlich nur der Schriftform, § 47 Absatz 3 GmbHG. Die Stimmrechtsvollmacht kann regelmäßig auch Bestandteil der Unternehmervorsorgevollmacht sein. Es ist dringend zu empfehlen, den Gesellschaftsvertrag diesbezüglich zu überprüfen, ob dort gegebenenfalls abweichende Regelungen zu Vertretungsmöglichkeiten und deren Formbedürftigkeit bestehen.
III. Die Aufgaben des Geschäftsführers in der Krise 1. Der Geschäftsführer als „Krisenmanager“ Die Bewältigung einer Unternehmenskrise ist eine der größten Herausforderungen des Geschäftsführers. Die COVID-19-Pandemie wird sicherlich häufig auch eine Unternehmenskrise darstellen. Daher ist es sinnvoll, die Aufgaben des Geschäftsführers in einer Unternehmenskrise zu vergegenwärtigen, die ihn ja ohnehin treffen. Der Geschäftsführer muss sich gegenüber den Gesellschaftern, den Arbeitnehmern oder Dritten positionieren. Es ist häufig ein „undankbarer Job“. Zum einen ist er kraft seines Amtes gezwungen, für das Unternehmen zu handeln. Zum anderen sieht er sich, wenn er
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handelt, einer Vielzahl von Haftungs- und sogar Strafrechtsnormen ausgesetzt. Selbstverständlich gibt es kein Patentrezept für die Bewältigung einer Krise, schon gar nicht, wenn es sich wie derzeit um eine Situation handelt, für die es keine Vorbilder und somit auch keinen Erfahrungsschatz gibt, auf welchen man zurückgreifen kann. Als Binsenweisheit ist festzuhalten: Gemäß § 43 Absatz 1 GmbHG haben Geschäftsführer in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden. Der Geschäftsführer schuldet danach die Sorgfalt, die ein ordentlicher Geschäftsmann in verantwortlich leitender Position bei selbstständiger Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen zu beachten hat. Im Falle der Krise gilt: Die Sicherung des Bestandes des Unternehmens hat oberste Priorität. Sämtliche Maßnahmen sollten zum Ziel haben, die Fortführungsfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen. Es gilt daher vorrangig, die Gefahr des Eintritts von Zahlungsunfähigkeit, drohender Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung und drohender Überschuldung abzuwenden oder zu beheben. Als Orientierungshilfe kann man in der Krise zum Beispiel die Anforderungen heranziehen, die sich aus dem sogenannten „IDW S 6“ ergeben. Darin ist geregelt, welchen Standards Sanierungskonzepte für Unternehmen genügen müssen. „IDW“ ist dabei die Abkürzung für „Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V.“ Unter der Bezeichnung IDW S 6 hat das IDW einen Standard formuliert, welcher über das Internet erworben werden kann. Dieser Standard bestimmt in Verbindung mit der BGH-Rechtsprechung die Anforderungen an Sanierungsgutachten und damit an die Beurteilung der Sanierungsfähigkeit von Krisenunternehmen. Weitere Orientierungshilfe kann als einschlägiger Buchtitel das „Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung“ sein (Oppenländer/ Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, 2. A., C. H. Beck Verlag, Frankfurt am Main 2011). Die folgende Darstellung nimmt auf dieses Handbuch Bezug. Gleichwohl ist dem GmbH-Geschäftsführer aufgrund der Vielzahl und der Komplexität der Pflichten gleich zu Beginn der Krise zu emp-
fehlen, sich von einem im Gesellschaftsrecht erfahrenen Rechtsanwalt und Steuerberater umfassend beraten zu lassen. Schließlich hat die Geschäftsführung eine herausragende Bedeutung in der Krisenbewältigung: Professionalität, Seriosität, verbindliches Verhalten und Transparenz sind zwingend erforderlich, um die Bereitschaft von Mitarbeitern und Kapitalgeber zu erhalten und den Weg aus der Krise mitzutragen.
2. Pflicht zum Ergreifen von Sanierungsmaßnahmen Die vorrangige Pflicht des Geschäftsführers in der Unternehmenskrise besteht darin, eine Bestandsgefährdung des Unternehmens durch die Einleitung geeigneter Maßnahmen zu vermeiden oder zu überwinden. Der Geschäftsführer hat bereits in einem frühen Stadium der Unternehmenskrise die Verpflichtung, rechtzeitig geeignete Maßnahmen einzuleiten. Die Verletzung der Pflicht zur Unternehmensleitung, welche sich in der Krise in eine Sanierungspflicht ummünzt, kann zu Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gemäß § 43 Absatz 2 GmbHG führen. Des Weiteren ist der Geschäftsführer verpflichtet, die Unternehmenskrise fortlaufend zu beobachten und sich einen Überblick über die Vermögensverhältnisse bzw. die Schuldendeckungsquote zu verschaffen.
3. Pflicht zur Einberufung einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung a) Einberufungsverpflichtung im Interesse der Gesellschaft Dem GmbH-Geschäftsführer ist dringend zu empfehlen, angesichts der COVID-19-Pandemie und der hierdurch möglicherweise ausgelösten Unternehmenskrise eine Gesellschafterversammlung einzuberufen. Gemäß § 49 Absatz 2 Variante 2 GmbHG ist eine Gesellschafterversammlung vom Geschäftsführer einzuberufen, wenn es im Interesse
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Praxishinweis: Dem Geschäftsführer einer GmbH ist dringend zu empfehlen, unverzüglich eine Gesellschafterversammlung der Gesellschaft einzuberufen, um die Gesellschafter zu informieren, Maßnahmen beschließen und sich ggf. Weisungen erteilen zu lassen.
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der Gesellschaft erforderlich erscheint. Der Geschäftsführer ist verpflichtet, die Gesellschafter über alle wesentlichen Angelegenheiten, insbesondere den Eintritt einer Unternehmenskrise, zu informieren. Der Grundsatz lautet hierbei: Außerordentliche Entwicklungen bzw. Risiken machen eine Information, einen Meinungsaustausch und eine Willensbildung der Gesellschafter erforderlich. Das gilt zwar nicht automatisch bei jedem wichtigen oder riskanten Geschäft; doch kann es die Sorgfaltspflicht der Geschäftsführer gebieten, dass sie in schwerwiegenden Angelegenheiten den Gesellschaftern die Möglichkeit schaffen, Weisungen zu erteilen, auch wenn sie an sich in eigener Geschäftsführungszuständigkeit entscheiden könnten, so vor allem, wenn sie Maßnahmen ergreifen wollen, mit denen die Gesellschaftermehrheit mutmaßlich nicht einverstanden ist (Roth/Altmeppen, GmbHG, 9.A., 2019, Rn. 14 ff.). Den Gesellschaftern soll rechtzeitig die Möglichkeit eingeräumt werden, Maßnahmen zur Sicherung des Unternehmens, z. B. durch Kapitalerhöhung oder Forderungsverzichte, zu ergreifen. Die COVID-19-Pandemie und die hierdurch ausgelöste Situation stellt sicherlich eine außerordentliche Entwicklung dar, welche einen Meinungsaustausch im Kreise der Gesellschafterversammlung erforderlich macht, um die aktuelle Lage zu besprechen und Maßnahmen zur Sicherung des Unternehmens zu beschließen. Außerdem kann sich der Geschäftsführer zu seiner eigenen Absicherung die Weisungen der Gesellschafter für das weitere Vorgehen einholen.
b) Einberufungsverpflichtung wegen des Verlusts der Hälfte des Stammkapitals Eine weitere Verpflichtung zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung kann sich aus § 49 Absatz 3 GmbHG ergeben. Dort ist geregelt, dass der Geschäftsführer unverzüglich die Gesellschafterversammlung einberufen muss, wenn sich aus der Jahresbilanz oder einer im Laufe des Geschäftsjahres aufgestellten Zwischenbilanz ergibt, dass das Stammkapital nur noch zur Hälfte gedeckt ist. Schutzzweck ist die Errichtung eines Frühwarnsystems, das die rechtzeitige Sanierung oder Liquidation vor Eintritt eines Insolvenzgrundes ermöglichen soll. Diese Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht so zu verstehen, dass die dort normierte Verpflichtung des Geschäftsführers erst dann einsetzt, wenn eine entsprechende Bilanz vorliegt. Der Geschäftsführer hat vielmehr die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu beobachten und sich bei Anzeichen einer krisenhaften Entwicklung durch Aufstellung einer Zwischenbilanz oder eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen. Nur auf dieser Grundlage kann er sowohl dem Gebot des § 49 Absatz 3 GmbHG als notfalls auch seiner Insolvenzantragspflicht nach § 64 Absatz 1 GmbHG nachkommen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, muss der Geschäftsführer für eine Organisation sorgen, die ihm die dafür erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht. Bei mangelnder Sachkunde muss sich der Geschäftsführer fachlichen Rat einholen. Vor diesem Hintergrund und wegen der umstrittenen Ansatz- und Bewertungswahlrechte ist die enge Abstimmung mit einem erfahrenen Steuerberater und Rechtsanwalt dringen zu empfehlen.
4. Pflicht zur Kapitalerhaltung Eine weitere wesentliche Geschäftsführerpflicht in der Krise ist die Pflicht zur Kapitalerhaltung.
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Praxishinweis: Der Geschäftsführer sollte im Falle Unterdeckung bei Auszahlungen an die Gesellschafter die Kapitalerhaltungsvorschriften beachten und sich diesbezüglich unbedingt fachlich beraten lassen.
5. Verpflichtung zur Abführung von Steuern und Sozialversicherungsabgaben a) Verpflichtung des Geschäftsführers Die Unternehmenskrise ist häufig auch eine Liquiditätskrise. Oftmals reichen die Mittel der Gesellschaft nicht mehr aus, die Sozialversiche-
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In § 30 GmbHG ist zum Zwecke der Kapitalerhaltung ein Auszahlungsverbot festgelegt. Es bezweckt die Sicherstellung des eingezahlten Stammkapitals. Der Geschäftsführer hat zu gewährleisten, dass das Stammkapital (Stammkapitalziffer) vorrangig im Interesse der Gesellschaft, mittelbar im Interesse der Gesellschaftsgläubiger erhalten bleibt. § 30 GmbHG ist zwingend und streng auszulegen; auch jede Umgehung fällt unter das Verbot. Es handelt sich um die zentrale Gläubigerschutzbestimmung zur Erhaltung des Stammkapitals. § 30 will jede Art von Schmälerung derjenigen Vermögensmasse (Aktiva) verhindern, die der Gesellschaft im Gläubigerinteresse garantiert wurde, von den Gesellschaftern aufzubringen und der GmbH zu erhalten ist. Vom Auszahlungsverbot erfasst sind dabei nur Vermögensminderungen durch Leistungen bzw. Maßnahmen seitens der GmbH zum Vorteil eines Gesellschafters. Es besteht ein grundsätzliches Auszahlungsverbot bei Unterdeckung. Der Geschäftsführer sollte in Zusammenhang mit den komplexen Regelungen zur Kapitalerhaltung und deren praktische Anwendung unbedingt den Rat eines versierten Steuerberaters oder Rechtsanwaltes einholen, um verbotene Verstöße gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften zu vermeiden, welche eine Haftung des Geschäftsführers gemäß § 43 Absatz 3 GmbHG zur Folge haben können.
rungsbeiträge der Arbeitnehmer sowie die Lohn- und Umsatzsteuer fristgerecht abzuführen. Die Nichtbezahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen ist für den Geschäftsführer jedoch in höchstem Maße risikoreich. Es drohen neben der persönlichen Haftung des Geschäftsführers sogar strafrechtliche Sanktionen (eine gute Übersicht bietet Oppenländer/ Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, 2. A., 2011, Rn. 139 ff.). Der Geschäftsführer ist daher im Falle nicht ausreichender Liquidität dringend gehalten, sich unverzüglich qualifizierten fachlichen Rat durch einen Rechtsanwalt und Steuerberater einzuholen, um seine gesetzlichen Pflichten zu erfüllen und eine Haftung zu vermeiden. Praxishinweis: Im Falle nicht ausreichender Liquidität zur Begleichung sämtlicher Forderungen der Gesellschaft sollte sich der Geschäftsführer sofort fachlich qualifiziert durch einen Rechtsanwalt und Steuerberater über den Umfang seiner gesetzlichen Pflichten beraten lassen. Es drohen im schlimmsten Fall die persönliche Haftung und strafrechtliche Sanktionen.
b) Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten Für Steuerschulden der Gesellschaft haften die Geschäftsführer nach § 69 AO persönlich, wenn sie die steuerlichen Pflichten im Sinne des § 34 AO vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt haben. Gemäß § 34 Absatz 1 Satz 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter von juristischen Personen, also die Geschäftsführer der GmbH, deren steuerlichen Pflichten zu erfüllen. Zu den Verletzungen von steuerrechtlichen Pflichten zählen: • die Nichtabgabe von Steuererklärungen, • die Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Nichtanmeldung der Lohnsteuer, • falsche oder unrichtige Angaben und • verspätete oder keine Zahlungen.
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c) P flicht zur Weiterleitung der Arbeitnehmeranteile an die Sozialversicherung Die GmbH hat die Sozialversicherungsbeiträge durch die Geschäftsführer an die Krankenkasse als Einzugstelle zu zahlen (§ 28 e Abs. 1 SGB IV). Die Pflicht des Geschäftsführers zur Weiterleitung der Arbeitnehmeranteile an die Sozialversicherung steht sogar unter strafrechtlichem Schutz (§ 266a Absatz 1 StGB, § 14 I Nr. 1 StGB). Bedingt vorsätzlich handelt der Geschäftsführer bereits dann, wenn er aufgrund der konkreten Verhältnisse (hier aufgrund der Krise der Gesellschaft) damit rechnen muss, dass die gebotene Abführung der Beiträge bei
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Selbst Unkenntnis befreit nicht von Schadensersatzansprüchen. Der Geschäftsführer ist verpflichtet, sich über die steuerlichen Pflichten einen Überblick zu verschaffen oder ein geeignetes Überwachungssystem einzurichten. Die Haftung endet erst mit der Niederlegung des Geschäftsführeramts. Unberührt davon bleiben die zuvor entstandenen Haftungsansprüche. Die Lohnsteuer ist vorrangig und möglichst in vollem Umfang zu entrichten. Reichen die Mittel zur Befriedigung aller Gläubiger und zur Zahlung der vollen Löhne, einschließlich des Steueranteils, nicht aus, darf der Geschäftsführer die Löhne nur gekürzt als Vorschuss oder als Teilbetrag auszahlen und muss aus den dann übrig bleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen. Auf keinen Fall darf die volle Lohnhöhe an die Arbeitnehmer ausbezahlt werden, wenn die auf ihr lastenden Steuern zum Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr beglichen werden können. Der Geschäftsführer hat nach § 34 AO auch die Pflicht zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und zur Abführung der Umsatzsteuer. Auch wenn die Mittel zur Begleichung aller Gläubiger nicht ausreichen, ist der Geschäftsführer gehalten, alle Gläubiger einschließlich dem Fiskus anteilsmäßig zu befriedigen, um einer möglichen Haftung nach § 69 AO zu entgehen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Lohnsteuer kraft der Verpflichtung zur treuhänderischen Weitergabe vorrangig zu befriedigen ist.
Fälligkeit unterbleiben könnte, und der Geschäftsleiter trotz solcher Anhaltspunkte nicht tätig wird, um die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sicherzustellen. Führt der Geschäftsführer Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht an die zuständige Einzugstelle ab, kann er neben der strafrechtlichen Verantwortung auch nach § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit § 266 a StGB für die nicht abgeführten Beiträge persönlich in die Haftung genommen werden. Um die Haftung nach § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit § 266 a StGB zu vermeiden, ist der Geschäftsführer bei beschränkter Liquidität gehalten, die Erfüllung anderer Forderungen einzuschränken, so weit hierdurch die Zahlung von Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträgen gefährdet wird. Bestehen Zweifel an der Zahlungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Fälligkeit, so hat der Geschäftsführer die Pflicht einen sogenannten Liquiditätsplan aufzustellen, um in feiner Abstimmung die Begleichung der Verbindlichkeiten vornehmen zu können. Hierbei ist den Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung in voller Höhe der Vorrang einzuräumen. Dies sollte unbedingt in Abstimmung mit dem Steuerberater und Rechtsanwalt der Gesellschaft erfolgen. Praxishinweis: Im Fall eingeschränkter Liquidität sollte der Geschäftsführer zusammen mit dem Steuerberater und Rechtsanwalt der Gesellschaft einen Liquiditätsplan aufstellen, um sicherzustellen, dass die Weiterleitung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung gewährleistet wird.
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IV. G esellschaftsrechtlich relevante Regelungen durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht 1. Neuregelungen mit gesellschaftsrechtlicher Relevanz
2. Regelungen für GmbHs: In § 2 findet sich folgende für GmbHs relevante Regelung: „Abweichend von § 48 Absatz 2 GmbHG können Beschlusse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden.“ In Zeiten der Krise ist es unter Umständen schwierig, Gesellschafterversammlungen unter Anwesenden durchzuführen. Eine Erleichterung bietet die gesetzliche Regelung des § 48 Absatz 2 GmbHG: „Der Abhaltung einer Versammlung bedarf es nicht, wenn sämtliche Gesellschafter in Textform mit der zu treffenden Bestimmung oder mit der schriftlichen Abgabe der Stimmen sich einverstanden erklären.“ § 48 Absatz 2 GmbHG sieht also die Möglichkeit vor, dass die Gesellschafter ihren Willen außerhalb einer Gesellschafterversammlung
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Am 27. März 2020 hat der Bundestag das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht beschlossen. In Artikel 2 dieses Gesetzes finden sich auch Regelungen, die sich auf das Gesellschaftsrecht auswirken. Diese Regelungen bilden das „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der CO-VID-19-Pandemie“. Soweit diese Regelungen für Betreiber von ambulanten Diensten und stationären Einrichtungen relevant werden können, werden sie hier kurz zusammengestellt. Für Geschäftsführer und Gesellschafter sind diese Neuregelungen von hoher praktischer Relevanz.
bilden können. Erster Fall ist das Einverständnis aller Gesellschafter mit dem zur Abstimmung gestellten Beschlussinhalt, zweiter Fall das Einverständnis aller Gesellschafter mit der Stimmabgabe in einem schriftlichen Verfahren, in welchem dann die gewöhnlichen Mehrheitserfordernisse gelten. Hinsichtlich der geforderten Form differenziert § 48 Absatz 2 GmbHG zwischen Textform (§ 126b BGB, hier reicht eine E-Mail aus) für den einstimmigen Beschluss und der strengen Schriftform (§§ 126, 126a BGB, eigenhändige Namensunterschrift ist erforderlich) für die Abstimmung im schriftlichen Verfahren. Die Neuregelung schafft insofern eine Erleichterung, als nunmehr nicht mehr das Einverständnis aller Gesellschafter für die Beschussfassung in Textform oder für die schriftliche Abgabe der Stimmen erforderlich ist. Dies ist für GmbHs relevant, in deren Gesellschaftsverträgen sich nicht ohnehin Erleichterungen für die Beschlussfassung finden und für die daher die gesetzlichen Regelungen gelten. Gemäß § 7 Absatz 2 ist diese Neuregelung nur auf Gesellschafterversammlungen und Beschlüsse anzuwenden, die im Jahr 2020 stattfinden. Praxishinweis: In der GmbH sind im Jahr 2020 Beschlussfassungen der Gesellschafter ohne Abhaltung einer Gesellschafterversammlung in erleichterter Weise möglich. Sowohl die Beschlussfassung in Textform als auch die schriftliche Stimmabgabe sind nunmehr auch ohne Einverständnis aller Gesellschafter möglich.
3. Regelungen für das Umwandlungsrecht In § 4 findet sich eine wichtige Neuregelung für das Umwandlungsrecht: „Abweichend von § 17 Absatz 2 Satz 4 des Umwandlungsgesetzes genügt es für die Zulässigkeit der Eintragung, wenn die Bilanz auf
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einen höchstens zwölf Monate vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt worden ist.“ In Fällen der Umwandlung eines Unternehmens wird die Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers benötigt. In unserem oben genannten Beispielsfall sollte ein Einzelunternehmen in eine GmbH umgewandelt werden. Dann wird die Schlussbilanz des Einzelunternehmens für die Durchführung der Umwandlung benötigt. Die Schlussbilanz wird der Anmeldung der Umwandlung zum Handelsregister als Anlage beigefügt. Gemäß § 17 Absatz 2 Satz 4 Umwandlungsgesetz darf diese Schlussbilanz nur auf einen Stichtag ausgestellt sein, der höchstens acht Monate vor der Anmeldung der Umwandlung liegt. In der Praxis wird für die Umwandlung regelmäßig die Schlussbilanz des Einzelunternehmens zum 31.12. verwendet, weil diese Bilanz ja ohnehin zu erstellen ist. Die Anmeldung der Umwandlung kann dann unter Verwendung dieser Schlussbilanz zum 31.12. bis spätestens zum 31.08. des Folgejahres erfolgen. Die Umwandlung wird dann im Innenverhältnis rückwirkend zum 01.01. wirksam mit sämtlichen steuerlichen Folgen. Aufgrund von möglichen Verzögerungen in der aktuellen Krisensituation bei der Erstellung der Schlussbilanz und bei der notariellen Beurkundung hat der Gesetzgeber diese 8-Monats-Frist nun auf 12 Monate verlängert. Konkret bedeutet dies: Die Umwandlung eines Unternehmens kann nunmehr unter Verwendung einer Schlussbilanz erfolgen, welche auf einen Stichtag ausgestellt ist, der höchstens zwölf Monate vor der Anmeldung liegt. Soll die Schlussbilanz zum 31. 12. 2019 verwendet werden, so ist eine rückwirkende Umwandlung auf den 01. 01. 2020 möglich, wenn diese Umwandlung innerhalb der nun geltenden 12-Monats-Frist bis zum 31. 12. 2020 angemeldet wird. Gemäß § 7 Absatz 4 ist die Verlängerung der 8-Monats-Frist auf eine 12-Monats-Frist nur auf Anmeldungen anzuwenden, die im Jahr 2020 vorgenommen werden.
Praxishinweis: Wer eine Umwandlung im Jahr 2020 plant, kann bei der Anmeldung der Umwandlung eine Schlussbilanz des Ausgangsrechtsträgers verwenden, die auf einen höchstens zwölf Monate vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt worden ist. Faktisch wird ein zusätzlicher Zeitraum von vier Monaten für die Anmeldung der Umwandlung gewonnen.
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Kapitel VII • Zivilrecht/ Wirtschaftsrecht Zivilrecht in der Zeit der Covid-19-Pandemie Svenja Foss
Bei dem Grundsatz pacta sunt servanda handelt es sich um den wichtigsten Grundsatz im öffentlichen und privaten Recht. Auch wenn man es nicht vermuten mag, stammt der Begriff nicht aus dem römischen Reich, sondern findet seinen Ursprung in der Zeit des Mittelalters. Diesen entwickelte die Kanostik, die Wissenschaft vom kanonischen, dem kirchlichen Recht. Durch den Grundsatz soll sichergestellt werden, dass sich Vertragsparteien nicht einseitig aus einem Vertragsverhältnis ohne Rücksicht auf die andere Partei lösen. Dieser Grundsatz gilt auch weiterhin und insbesondere ohne Ausnahmen trotz des Coronavirus SARS-CoV-2. Als Folge der enormen Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 wurden immer mehr Veranstaltungen und Messen abgesagt. Ob und wann diese stattfinden, kann zum derzeitigen Zeitpunkt niemand genau sagen. Während in den Anfängen der Ausbreitung des Coronavirus SARSCoV-2 zunächst nur Einschränkungen hinsichtlich der Personenanzahl und der Verhaltensweisen untereinander vorgenommen wurden, wurden diese letztlich gänzlich verboten. So hieß es noch in einem Beschluss der Bundeskanzlerin sowie den Regierungschefs und Regierungscheffinnen der Länder vom 12. 03. 2020: Während der Stärkung der Intensiv- und Beatmungskapazitäten in den Krankenhäusern und der Vorbereitung besonderer Schutzkonzepte
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Kapitel VII • Zivilrecht/ Wirtschaftsrecht
A. Pacta Sunt Servanda (lat.; deutsch: Verträge sind einzuhalten)
für die besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen gelten verstärkte Maßnahmen zur Verlangsamung der Ausbreitung des Corona-Virus in Deutschland. Dazu zählen die Absage von Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern sowie ein Verzicht auf alle nicht notwendigen Veranstaltungen unter 1.000 Teilnehmern. In Regionen und Bundesländern mit sich abzeichnendem dynamischen Ausbruchsgeschehen ist die Verschiebung des Semesterbeginns an den Universitäten sowie die vorübergehende Schließung von Kindergärten und Schulen, etwa durch ein verlängerndes Vorziehen der Osterferien, eine weitere Option. Die Entscheidung dazu obliegt jeweils den Ländern. Am 16. 03. 2020 verabschiedeten die Bundesregierung und die Regierungschefs und -chefinnen der Bundesländer weitere Leitlinien, in denen sie ausdrückliche uneingeschränkte Regelungen für den Publikumsverkehr wie beispielsweise Messen oder Ausstellungen getroffen haben. Die Aussagen in den Medien und insbesondere die Empfehlungen der Bundesregierung führten bei vielen Veranstaltern zu großer Verwirrung und Unsicherheit über das weitere Vorgehen und die mit einer möglichen Absage verbundenen Folgen. Bereits in den Stadien, in denen es noch keine offiziellen Anweisungen durch die Landesregierungen gab, haben sich viele Veranstalter dazu entschieden die Veranstaltungen abzusagen. Die Planung von Veranstaltungen und Messen erfordert meist Monate oder sogar Jahre. Damit ist nicht nur viel Arbeit, sondern oft ein enorm hoher finanzieller Aufwand verbunden. Infolge des Coronavirus SARS-CoV-2 wurde diese Planung innerhalb weniger Wochen zunichte gemacht. Daher ist das Interesse besonders groß, wissen zu wollen, wer infolge der Absagen wem gegenüber zu Zahlungen / Rückzahlungen verpflichtet ist. Dieses Kapitel soll die rechtlichen Folgen, die mit den Absagen von Veranstaltungen und Messen einhergehen, darstellen.
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Kapitel VII • Zivilrecht/Wirtschaftsrecht
I. V orgehensweise bei einer Anspruchsprüfung
1. Vertragliche Regelungen Im Rahmen einer vertraglichen Ausgestaltung kann es vorkommen, dass die Parteien in den AGB Klauseln erfasst haben, die eine Regulierung für den Fall von Epidemien, Pandemien o. ä. explizit enthalten. Solche „Force-Majeure-Klauseln“ stellen einen Haftungsausschluss für Fälle dar, in denen die Vertragsparteien an der Erbringung ihrer Leistung infolge unerwarteter, von ihnen nicht beeinflussbarer Ereignisse, gehindert sind. Derartige Ereignisse werden unter den Begriff der höheren Gewalt zusammengefasst. Der Begriff „Force majeure“ stammt aus dem Französischen und bedeutet „höhere Gewalt“.
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Kapitel VII • Zivilrecht/Wirtschaftsrecht
Grundsätzlich gilt: Vertrag vor Gesetz. Das heißt, dass vertragliche Regelungen gegenüber den gesetzlichen Regelungen Vorrang haben, weil sie in der Regel spezieller sind. Der Hintergrund dieser Vorgehensweise folgt aus der Privatautonomie. Durch die Privatautonomie wird dem Einzelnen die Möglichkeit eingeräumt, seine Lebensverhältnisse im Rahmen der Rechtsordnung durch Rechtsgeschäft eigenverantwortlich zu gestalten. Die Privatautonomie wird in ihrem Kern durch Art. 1 und 2 GG geschützt. Wenn sich die Vertragsparteien dazu entscheiden einen Vertrag abzuschließen, dann sollen beide auch darauf vertrauen können, dass sich eine Partei nicht einfach aus dem Vertrag lösen kann. Beiden Parteien sollen die Folgen des Vertragsschlusses daher bei Abschluss klar sein. Bevor man eventuelle Ansprüche aus einem Vertragsverhältnis eruieren kann, ist es ratsam, die individuellen Verträge zwischen den einzelnen Vertragsparteien zu überprüfen. So können dort in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) bereits Regelungen getroffen worden sein, die den Fall einer Veranstaltungsabsage abdecken. Finden sich keinerlei Regelungen, dann ist auf die gesetzlichen Regelungen zurückzugreifen.
Was unter höherer Gewalt zu verstehen ist, ist gesetzlich nicht explizit erfasst worden. Der Begriff tritt jedoch in einzelnen Rechtsgebieten des Zivilrechts vermehrt auf. Durch die Rechtsprechung deutscher Gerichte hat sich eine allgemeine Definition herausgebildet (BGH, Urteil vom 16. 05. 2017, Az. X Z 142/15). Danach wird unter höherer Gewalt ein von außen kommendes und keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes Ereignis verstanden, das nicht voraussehbar und auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden kann. Unter den Begriff der höheren Gewalt fielen in der Vergangenheit beispielsweise Naturkatastrophen, terroristische Angriffe aber auch Epidemien und Seuchen. Nun steht mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 ein weiteres Ereignis zur Debatte das es unter den Begriff der höheren Gewalt einzuordnen gilt. Eine „Force majeure Klausel“ kann zum Beispiel lauten: „Schwerwiegende Ereignisse, wie insbesondere höhere Gewalt, Arbeitskämpfe, Unruhen, kriegerische oder terroristische Auseinandersetzungen, die unvorhersehbare Folgen für die Leistungsdurchführung nach sich ziehen, befreien die Vertragsparteien für die Dauer der Störung und im Umfang ihrer Wirkung von ihren Leistungspflichten, selbst wenn sie sich in Verzug befinden sollten. Eine automatische Vertragsauflösung ist damit nicht verbunden. Die Vertragsparteien sind verpflichtet, sich von einem solchen Hindernis zu benachrichtigen und ihre Verpflichtungen den veränderten Verhältnissen nach Treu und Glauben anzupassen.“ Obwohl „Force majeure Klauseln“ auf den ersten Blick eine Lösung der Vertragsabwicklung bieten könnten, sind sie nicht immer wirksam. Die Klauseln müssen im Rahmen der AGB wirksam vereinbart worden sein. So ist nach Auffassung des Landgerichts München (Urteil vom 05. 08. 2010; Az. 12 O 3478/10) eine Klausel mit dem folgenden Inhalt unwirksam: „Wenn höhere Gewalt oder sonstige Umstände vorliegen, deren Beseitigung unmöglich ist, entfällt die Leistungspflicht".
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Nach Auffassung des Landgerichts verstoße diese Regelung gegen das Transparenzgebot, da die Regelung nicht klar und unmissverständlich ist. In solchen Fällen ist es daher ratsam nicht sofort auf die Leistungsaufforderung des Vertragspartners einzugehen, sondern vorerst die Klausel zu überprüfen. Denn die einzelnen Klauseln können unterschiedliche Folgen haben. So kann es zu einer vollständigen Auflösung des Vertrages kommen, oder die Leistungspflichten entfallen nur teilweise. Praxishinweis
2. Gesetzliche Regelungen Enthalten die geschlossenen Verträge keine vertraglichen Regelungen oder sind diese wie in dem obigen Fall unwirksam, so ist auf die gesetzlichen Regelungen des BGB zurückzugreifen. Dabei ist zunächst zwischen einer Absage aufgrund behördlichen Veranstaltungsverbotes und einer Absage aufgrund der eigenverantwortlichen Entscheidung durch den Veranstalter zu unterscheiden, da diese mit unterschiedlichen Folgen für die Vertragsabwicklung verbunden sind.
a. Absage aufgrund behördlichen Veranstaltungsverbotes Im Gegensatz zu dem Fall, in dem ein Veranstalter Veranstaltungen von sich aus absagt, bleibt ihm bei einem behördlichen Verbot keine andere Möglichkeit mehr. Er könnte daher selbst wenn er wollte, nicht mehr leisten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wann überhaupt ein behördliches Veranstaltungsverbot ergeht. Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) enthält in § 16 IfSG eine Ermächtigungs-
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Überprüfen Sie Ihre Verträge dahingehend, ob eine „Force-Majeure-Klausel“ aufgenommen wurde. Wenn Sie sich unsicher sind, ob die Klausel wirksam ist, ziehen Sie zur Sicherheit einen spezialisierten Rechtsanwalt zurate.
grundlage kraft derer die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit hierdurch drohenden Gefahren treffen kann. Die Vorschrift erfasst also Fälle, in denen die Verbreitung von Krankheiten verhindert werden soll, diese also noch nicht ausgebrochen sind. Davon zu unterscheiden ist der Fall, in dem es bereits zu einer Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 gekommen ist. Eine Regelung dazu findet sich in § 28 IfSG. Darin heißt es: Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder die in § 33 genannten Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Der Gesetzgeber hat dadurch eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen kraft derer er behördliche Verbote erlassen kann. In dem Fall, in dem der Veranstalter aufgrund eines behördlichen Verbotes an der Durchführung seiner Veranstaltung gehindert wird, kann er seine vertraglichen Leistungspflichten nicht erfüllen. Sie sind für ihn unmöglich geworden. Diese Konstellation wird durch das Rechtsinstitut der „Unmöglichkeit“ geregelt. Dazu folgendes Beispiel: Beispiel Veranstalter V hat für den 01. 04. 2020 in Köln eine Fachmesse für Fachpersonal der Pflegebranche geplant. Dafür haben interessierte Pflegeeinrichtungen bereits im Vorfeld Eintrittskarten gekauft und die entsprechen
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den Beträge überwiesen. Am 16. 03. 2020 erließen die Bundesregierung und die Regierungschefs- und Chefinnen der Bundesländer Leitlinien, nach denen Veranstaltungen und Messen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr durchgeführt werden dürfen. Davon betroffen ist auch die Veranstaltung des V. Die P hat im Vorfeld Tickets für 50,00 EUR gekauft und kann nun nicht mehr zu der Veranstaltung.
1. Naturgesetzliche Unmöglichkeit, d. h. die Leistung ist unmöglich, weil sie nach Naturgesetzen oder nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht erbracht werden kann,
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Bevor nun genauer auf die Unmöglichkeit und die daraus folgenden Ansprüche der einzelnen Vertragsparteien eingegangen wird, werden zum besseren Verständnis zunächst die grundlegenden Prinzipien des Schuldrechts beleuchtet. Im Rahmen einer vertraglichen Beziehung wird generell zwischen der Primärleistung und der Sekundarleistung unterschieden. Die Primärleistung ist die nach dem Vertrag geschuldete Leistung. Also in dem obigen Fall die Pflicht des Veranstalters zur Durchführung der Veranstaltung und die Pflicht des Teilnehmers zur Bezahlung des Eintrittspreises. Die Sekundärleistung betrifft die Leistung, die an die Stelle der nach dem Vertrag ursprünglich geschuldeten und unmöglich gewordenen Leistung getreten ist. Das kann beispielsweise ein Schadensersatzanspruch sein, den der Teilnehmer infolge des Veranstaltungsausfalls gegenüber dem Veranstalter hat. Gesetzlich geregelt ist die Unmöglichkeit in § 275 BGB. Bei der Unmöglichkeit wird zwischen verschiedenen Arten unterschieden. Zunächst gibt es die anfängliche Unmöglichkeit. Bei dieser ist die Leistung schon bei Vertragsschluss unmöglich. Ferner gibt es die nachträgliche Unmöglichkeit. Diese betrifft den Fall, in dem die Leistung erst nach Vertragsschluss unmöglich wird. In § 275 Absatz 1 BGB wird der Fall der echten Unmöglichkeit erfasst. Diese liegt vor, wenn das Leistungshindernis unüberwindlich ist. Dabei können folgenden Konstellationen möglich sein:
2. Unmöglichkeit durch Zeitablauf, weil ein absolutes Fixgeschäft vorliegt (die Einhaltung der Leistungszeit ist derart wesentlich, dass eine verspätete Leistung keine Erfüllung des Vertrages mehr darstellt), 3. Rechtliche Unmöglichkeit, weil die Leistung aus Rechtsgründen unmöglich ist, da dieser ein dauerndes Rechtshindernis entgegensteht, 4. Unmöglichkeit und Zweckstörungen, die Leistungshandlung ist noch möglich, der Leistungserfolg kann aber nicht mehr herbeigeführt werden. § 275 Absatz 2 BGB erfasst die Fälle, in denen die Leistungserbringung unmöglich ist, weil sie mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden wäre. § 275 Absatz 3 BGB betrifft die Unmöglichkeit bei persönlich zu erbringenden Leistungen, die der Schuldner verweigern darf, weil sie einen Aufwand erfordern, der im Missverhältnis zum Interesse des Gläubigers steht. In der Konstellation, in der ein behördliches Verbot ergeht, liegt ein rechtliches Hindernis vor, dass zu einer rechtlichen Unmöglichkeit führt. Das behördliche Verbot stellt ein Hindernis dar, dass die Durchführung der Veranstaltung unmöglich macht. Liegt eine Unmöglichkeit vor, dann führt dies nach § 275 Absatz 1 BGB dazu, dass der Anspruch auf die Primärleistung ausgeschlossen ist. Für das obige Beispiel bedeutet das, dass der V von seiner Pflicht zur Durchführung der Veranstaltung befreit wird, denn aufgrund des behördlichen Verbotes ist V ohne sein Verschulden an der Durchführung der Veranstaltung gehindert. Der Anspruch der B auf Durchführung der Veranstaltung ist nach § 275 Absatz 1 BGB ausgeschlossen. Auf der anderen Seite hat der Teilnehmer aber gegebenenfalls schon den Ticketpreis gezahlt. Da es dann zu Ungerechtigkeiten führen würde, wenn man den Veranstalter von seiner Leistungspflicht befreien, ihm aber weiterhin den Ticketpreis überlassen würde, hat der Teilnehmer einen Anspruch auf Rückzahlung des Geldes. Geregelt ist dies in § 326 BGB. Danach entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung
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(den Ticketpreis), wenn der Schuldner (der Veranstalter) nach § 275 Absatz 1 bis 3 BGB (wegen Unmöglichkeit) nicht zu leisten braucht. Nach § 326 Absatz 4 BGB kann deshalb dann bereits Geleistetes zurückgefordert werden. Für den obigen Fall hat das die Konsequenz, dass V die Veranstaltung nicht mehr durchführen muss, B aber den Ticketpreis, weil er bereits geleistet wurde, wieder zurückverlangen kann. Nun stellt sich die Frage, ob der Veranstalter, der die Veranstaltung aufgrund eines behördlichen Verbotes absagt, neben dem Ticketpreis für weitere Kosten aufkommen muss. So kann es sein, dass Teilnehmer bereits Unterkünfte gebucht haben oder schon angereist sind. Dafür haben sie Ausgaben getätigt, die aus ihrer Sicht keinen Sinn mehr ergeben. Bei diesen Ausgaben handelt es sich um Aufwendungen nach § 284 BGB. Aufwendungen werden definiert, als freiwillige Vermögensaufwendungen. Haben Teilnehmer im Vorfeld einer Veranstaltung beispielsweise Unterkünfte gebucht, dann haben sie dies freiwillig gemacht. Es handelt sich daher um Aufwendungen. Ein Ersatz der Aufwendungen kann nach § 284 BGB verlangt werden. Nach § 284 BGB kann der Gläubiger Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er im Vertrauen auf dem Erhalt der Leistung gemacht hat und billigerweise machen durfte, es sei denn, der Zweck zu dem diese getätigt wurden, wäre auch ohne die Pflichtverletzung des Schuldners eingetreten. Hat der Teilnehmer einer Veranstaltung also vorher ein Hotelzimmer gebucht, dann hat er dies im Vertrauen auf das Stattfinden der Veranstaltung getan. Problematisch ist allerdings, dass der Aufwendungsersatzanspruch nach § 284 BGB eine Pflichtverletzung des Schuldners voraussetzt. Unter einer Pflichtverletzung wird jede objektive Abweichung des Verhaltens einer Partei vom geschuldeten Pflichtenprogramm verstanden. Eine Pflichtverletzung kann nur dann vorliegen, wenn der Schuldner diese zu vertreten hat. Ist ein behördliches Verbot ergangen, dann trifft den Veranstalter kein Verschulden. Er konnte daher seiner vertraglich geschuldeten Pflicht zur Durchführung der Veranstaltung nicht nachkommen und hat die Nichtdurchführung daher auch nicht zu vertreten. Daraus folgt somit, dass er auch die Aufwendungen die
ein Teilnehmer im Vertrauen auf die Durch-führung der Veranstaltung getätigt hat, nicht ersetzen muss. Jetzt stellt sich als weiteres Problem die Frage, ob der Veranstalter die Veranstaltung auf einen anderen Zeitpunkt verschieben darf. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, dass der Veranstalter die Veranstaltung anderweitig plant. War die Veranstaltung von vornherein terminlich flexibel oder hat der Veranstalter bereits im Vorfeld mehrere Ausweichtermine zur Verfügung gestellt, dann haben Teilnehmer auch keinen Anspruch auf Rückerstattung ihres Geldes. Denn es stand von vornherein kein Zeitpunkt fest, an dem die Veranstaltung hätte stattfinden müssen und auf den die Teilnehmer einen Anspruch gehabt hätten. Anders sieht es aus, wenn die Veranstaltung terminlich fixiert war. Die ursprüngliche vertragliche Vereinbarung bezog sich allein auf den zunächst festgelegten Zeitpunkt. Schlägt der Veranstalter nunmehr einen Ersatztermin vor, dann handelt es sich dabei um ein neues vertragliches Angebot auf das der Teilnehmer eingehen kann, aber nicht muss. Das Gleiche gilt grundsätzlich auch für den Fall, in dem der Veranstalter die Ausstellung von Gutscheinen anbietet. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Bundesregierung derzeit Überlegungen dazu anstellt, ob eine Gutscheinlösung interessengerecht ist. Kritik wird hieran insbesondere aus Verbraucherschutzgründen geäußert. Denn sollten die Veranstalter letztlich in eine Insolvenz geraten, dann kann der Gutschein nicht mehr eingelöst werden und ist somit wertlos. Andererseits müssen auch die vielen Veranstalter, die mittlerweile kaum in der Lage sind die stornierten Tickets zu erstatten, Unterstützung erhalten. Auch Ihnen drohen massive finanzielle Einbußen bis hin zur enormen Verschuldung oder Insolvenzen.
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Praxishinweis Es empfiehlt sich an dieser Stelle das weitere Vorgehen der Bundesregierung zu beobachten um falls man zu dem betroffenen Kreis gehören sollte, gegebenenfalls eine Gutscheinlösung oder andere alternative Vorschläge in Betracht zu ziehen.
b. Absage aufgrund eigenverantwortlicher Entscheidung durch den Veranstalter
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Ein behördliches Veranstaltungsverbot nach § 28 IfSG ist absolut und nicht verhandelbar. Anders ist dies selbstverständlich, wenn der Veranstalter die Veranstaltung von sich aus absagt. Noch bevor offiziell behördliche Verbote ausgesprochen wurden, haben sich viele Unternehmer dazu entschieden geplante Veranstaltungen aus Sorge vor einer Epidemie oder Ansteckung abzusagen. Der Entschluss wurde allein von den Veranstaltern gefasst. Dabei handelt es sich jedoch gerade nicht um einen Fall der Unmöglichkeit. Die Veranstaltungen konnten grundsätzlich durchgeführt werden. Die Primärpflicht des Veranstalters zur Durchführung der Veranstaltung blieb bestehen. Verhindert der Veranstalter die Durchführung, ist er den Teilnehmern zum Schadensersatz verpflichtet. Dazu gehört zunächst die Erstattung von Ticketpreisen die als Gegenleistung erbracht wurde. Anders als in dem obigen Fall können aber auch grundsätzlich Fahrt- und Unterkunftskosten als Aufwendungen geltend gemacht werden. Denn bei einer freiwilligen Absage hat der Veranstalter seine Leistungspflicht verletzt und dies auch grundsätzlich zu vertreten. Eine Verallgemeinerung dieser Grundsätze ist jedoch dann problematisch, wenn der Veranstalter die Veranstaltung abgesagt hat, weil zum Beispiel in seinem Unternehmen Mitarbeiter an dem Coronavirus SARS-CoV-2 erkrankt sind. In diesem Fall wollte er Besucher oder seine eigenen Mitarbeiter vor der Gefahr einer Ansteckung schützen. Es kollidieren hierbei auf der einen Seite seine allgemeinen Verkehrs-
sicherungspflichten und seine Pflicht zur Erfüllung des Vertrages. Verkehrssicherungspflichten entstehen dadurch, dass jemand in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle für Dritte schafft und daher Vorkehrungen treffen muss, um die Schädigung Dritter möglichst zu verhindern. Würde der Veranstalter die Veranstaltung einfach durchführen und stellte sich im Nachhinein heraus, dass in seinem Unternehmen Fälle einer Ansteckung vorlagen und er auch Kenntnis davon hatte, dann bestünde wiederum bei der Durchführung der Veranstaltung die Gefahr, dass er seine Verkehrssicherungspflichten verletzt. Dadurch könnte er sich wiederum schadensersatzpflichtig machen. Derartige Fälle können nicht allgemein gelöst werden und sollten daher einer umfassenden rechtlichen Prüfung unterzogen werden. Praxishinweis Es kommt bei der Prüfung etwaiger Ansprüche in der Regel auf den Einzelfall an. Dies zeigen die zuletzt gemachten Ausführungen. Daher ist es ratsam, dass sie sich durch spezialisierte Rechtsanwälte beraten lassen.
B. R eaktionen des Gesetzgebers auf das Coronavirus SARS-CoV-2 Um die Leistungsfähigkeit der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland aufrechtzuerhalten hat der Bundestag u. a. ein Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht erlassen. Als Folge dieses Gesetzes werden grundlegende Prinzipien des BGB modifiziert und zeitweise außer Kraft gesetzt. Dieser Teil befasst sich mit einigen grundlegenden Neuerungen im Zivilrecht.
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I. L eistungsverweigerungsrecht bei Dauerschuldverhältnissen
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Das vorübergehend in Kraft getretene Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht beinhaltet in Artikel 240 § 1 EGBGB einige Neuerungen für die Erfüllung vertraglicher Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen. Auch Träger und Trägerinnen von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen unterliegen momentan den Auswirkungen des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2. Einnahmeverluste können sich unter anderem daraus ergeben, dass die Heimaufsicht wegen der Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 Belegungsstopps ausspricht und damit Heimplätze frei bleiben. Möglich ist auch im Bereich des ambulanten Pflegedienstes, dass pflegebedürftige Personen oder deren Angehörige die weitere Verpflegung aus Angst einer Infektion kurzfristig ablehnen. Im Bereich der Tageseinrichtungen ist aufgrund der Erlasse zur Schließung mit finanziellen Einbußen zu rechnen. Erkranken Mitarbeiter von Trägerinnen und Trägern stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen an dem Coronavirus SARS-CoV-2 oder müssen diese in Quarantäne, muss das verbleibende Personal die Arbeiten weiterführen oder es muss auf Leiharbeiter zurückgegriffen werden. So ist neben dem Entgeltfortzahlungsanspruch der erkrankten Mitarbeiter zusätzlich der Lohn für die Leiharbeiter zu zahlen. Vor den laufenden Kosten werden die Trägerinnen und Träger allerdings nicht bewahrt. Die regelmäßigen Zahlungen an Strom-, Gas-, und Wasseranbieter müssen geleistet werden. Ferner leasen Trägerinnen und Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen beispielsweise Fahrzeuge. Auch deren Leasingraten müssen beglichen werden. Geraten Trägerinnen und Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen jetzt aufgrund der Corona-Krise in finanzielle Engpässe dann sind dauerhafte finanzielle Bindungen dennoch weiter zu erfüllen. Insofern kann das durch den Gesetzgeber erlassene Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht durch Artikel 240 § 1 EGBGB gegebenenfalls auch bei diesen für Erleichterung sorgen.
Der persönliche Anwendungsbereich von Artikel 240 § 1 EGBGB bezieht sich auf Verbraucher und Kleinstunternehmer. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, den Verbrauchern und Kleinstunternehmern, deren Einkommen infolge der Covid-Pandemie gefährdet scheint, ein Leistungsverweigerungsrecht für vertragliche Verpflichtungen zu eröffnen um sie nicht der Gefahr einer Existenzgefährdung auszusetzen.
1. Verbraucher Gemäß Artikel 240 § 1 Absatz 1 EGBGB erhält der Verbraucher das Recht, Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs der im Zusammenhang mit einem Verbrauchervertrag steht, der ein Dauerschuldverhältnis ist und vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde, bis zum 30. Juni 2020 zu verweigern. Voraussetzung ist, dass dem Verbraucher infolge von Umständen, die auf die Ausbreitung der Infektionen die mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zurückzuführen sind, die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts oder des Lebensunterhaltes seiner Unterhaltsberechtigten nicht möglich wäre. Das Leistungsverweigerungsrecht der Verbraucher bezieht sich auf Dauerschuldverhältnisse. Dauerschuldverhältnisse sind Rechtsverhältnisse die sich auf wiederkehrende und über einen längeren Zeitraum erstreckende Leistungen und Gegenleistungen richten. Nach dem Wortlaut der Norm muss es sich um „wesentliche“ Dauerschuldverhältnisse handeln. Als „wesentlich“ werden Dauerschuldverhältnisse dann eingestuft, wenn sie aus Gründen der Daseinsvorsorge eingegangen werden. Dazu gehören beispielsweise Verträge mit Stromanbietern oder Telekommunikationsanbietern. Für Verbraucher muss es sich um ein Dauerschuldverhältnis handeln, dass als Verbrauchervertrag zu qualifizieren ist, also auf Verträge zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer. Damit sich der Verbraucher auf das Leistungsverweigerungsrecht berufen kann, ist erforderlich, dass sein oder der Lebensunterhalt unterhaltsberechtigter Angehöriger gefährdet ist.
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2. Kleinstunternehmen
oder 2. dem Unternehmen die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage seines Erwerbsbetriebs nicht möglich wäre. Auch bei Kleinstunternehmen bezieht sich das Leistungsverweigerungsrecht auf „wesentliche“ Dauerschuldverhältnisse. Sowohl für Verbraucher als auch für Kleinstunternehmen gilt das Leistungsverweigerungsrecht zeitlich begrenzt nur in Bezug auf Dauerschuldverhältnisse, die vor dem 8. März 2020 geschlossen wurden. Zu diesem Zeitpunkt war das Coronavirus SARS-CoV-2 noch nicht derart ausgebreitet. Daher kann davon ausgegangen werde, dass Verträge die nach dem 8. März 2020 geschlossen wurden, in Kenntnis der weitreichenden wirtschaftlichen Folgen geschlossen wurden. Wesentliche Voraussetzung um sich auf das Leistungsverweigerungsrecht berufen zu können, ist die einredeweise Geltendmachung.
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§ 1 Absatz 2 des Artikel 240 EGBGB befasst sich mit dem Leistungsverweigerungsrecht für Kleinstunternehmen. Welche Unternehmen man zu Kleinstunternehmen zählen kann, regelt die Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003. Danach sind Kleinstunternehmen Unternehmen mit bis zu 9 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis zu 2 Millionen EUR. Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen erfüllen regelmäßig diese Voraussetzungen. Der Gesetzgeber hat das Problem der dauerhaften finanziellen Belastung aufgrund der Eingehung von Dauerschuldverhältnissen auch bei Kleinstunternehmen erkannt. Diese sind ebenso schützenswert wie Verbraucher anzusehen. Die Voraussetzungen für ein Leistungsverweigerungsrecht von Kleinstunternehmen sind 1. dass das Unternehmen Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs der im Zusammenhang mit einem Vertrag steht, der ein Dauerschuldverhältnis und auf die Pandemie zurückzuführen ist, nicht erbringen kann
Einredeweise geltend gemacht wird das Leistungsverweigerungsrecht dadurch, dass sich der Schuldner ausdrücklich auf dieses beruft und darlegt, warum gerade er infolge der Pandemie nicht leisten kann. Um die Folgen des Leistungsverweigerungsrecht darzustellen, ist zwischen Primäransprüchen und Sekundäransprüchen zu unterscheiden. Die primäre Leistungspflicht bezieht sich auf die Zahlung der vereinbarten Leistung. Also beispielsweise bei einem Stromanbietervertrag auf die Bezahlung der monatlichen Beiträge. Davon zu unterscheiden sind Sekundäransprüche. Sekundäransprüche sind an die Nichterbringung der Leistung geknüpft. Dazu gehören Ansprüche aus Verzug (§ 286 BGB), Schadensersatz statt der Leistung (§ 281), oder Rücktritt (§ 323 BGB). Zahlt der Verbraucher seine monatlichen Beiträge nicht rechtzeitig, dann kann der Anbieter seinen Verzugsschäden gerichtlich geltend machen. Das Leistungsverweigerungsrecht nach § 1 Absatz 1 und 2 des Artikel 240 EGBGB hindert die Vollstreckbarkeit der vereinbarten Leistung und damit die Entstehung von Sekundäransprüchen. Der Primäranspruch des Anbieters bleibt hingegen bestehen und muss nach Ablauf des 30. Juni 2020 erfüllt werden. Nach Artikel 240 § 4 EGBGB kann diese Frist noch durch die Bundesregierung im Wege einer Rechtsverordnung verlängert werden und damit dem weiteren Verlauf der Pandemie angepasst werden. Das Leistungsverweigerungsrecht der Verbraucher und Kleinstunternehmen kann aber nicht uneingeschränkt gelten. Denn eine Existenzbedrohung droht nicht nur den Verbrauchern und Kleinstunternehmen sondern auch Ihren Vertragspartnern, die sich durch die Beitragszahlungen eine finanzielle Absicherung schaffen. Führt der Leistungsaufschub daher auch bei den Vertragspartnern zu unzumutbaren Ergebnissen, so regelt Artikel 240 § 1 Absatz 3 EGBGB, dass Verbraucher und Unternehmer nicht zur Leistungsverweigerung berechtigt sind. Um einen Ausweg aus dieser misslichen Lage zu erhalten, eröffnet der Gesetzgeber den Verbrauchern und Unternehmern in Artikel 240 § 1 Absatz 3 Satz 3 EGBGB ein Recht zur Kündigung. Die Abwicklung der Kündigung richtet sich dann wiederum nach den zivilrechtlichen Vorschriften bezogen auf das jeweilige Vertragsverhältnis.
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II. Verbraucherdarlehensverträge Mit Artikel 240 § 3 EGBGB hat der Gesetzgeber Sonderregelungen für den Bereich der Verbraucherdarlehensverträge geschaffen. Auch auf Trägerinnen und Träger von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen können diese Neuerungen Auswirkungen haben. Als Arbeitgeber kann man insbesondere durch die Gewährung von Arbeitgeberdarlehen mit diesen Neuerungen konfrontiert werden. Sind Arbeitnehmer aufgrund der Corona-Pandemie in finanzielle Engpässe geraten, dann besteht die Gefahr, dass sie die monatlichen Darlehensraten nicht rechtzeitig zahlen können. Wie in solchen Fällen vonseiten des Arbeitgebers reagiert werden kann, stellen die folgenden Ausführungen dar. Bislang bezieht sich die Neuregelung nur auf Verbraucherdarlehen. Der Gesetzgeber hat sich aber bereits dazu geäußert, dass auch für Unternehmen zukünftig Neuerungen realisiert werden könnten. Der wesentliche Regelungsinhalt des Artikel 240 § 3 EGBGB beschränkt sich darauf, den Vertragsparteien eines Verbraucherdarlehensvertrages Zeit zu verschaffen, damit sie das Darlehensverhältnis auch nach dem Ende der Pandemie fortführen können.
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Kapitel VII • Zivilrecht/Wirtschaftsrecht
Nicht zu dem Anwendungsbereich des Artikel 240 § 1 EGBGB gehören die gesonderten Rechtsbereiche des Miet- und Darlehensrechts. Für diese Rechtsgebiete sind gesonderte Vorschriften eingeführt worden (Artikel 240 § 2, 3 EGBGB). Ferner findet Artikel 240 § 1 EGBGB keine Anwendung im Bereich des Arbeitsrechts, da dieses bereits Regelungen enthält, um den Fall der Nichterbringbarkeit der Leistung durch den Arbeitnehmer zu lösen. Ferner stellt Artikel 240 § 1 Absatz 5 EGBGB sicher, dass von den Absätzen 1 und 2 nicht durch Individualvereinbarung oder allgemeine Geschäftsbedingungen abgewichen werden darf. (Quelle: Formulierungshilfe für einen Gesetzesentwurf zur Abmilderung der Folgen der CO-VID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, S. 39–41)
Der Sinn und Zweck der Regelung liegt darin, den bisher geltenden Bereich des Darlehensrechts weiter auszubauen, da er keinen ausreichenden Schutz vor den Folgen der Covid-Pandemie bietet. Grundsätzlich ist eine Kündigung des Darlehensnehmers nach § 498 Absatz 1 Nummer 1 bis 2 BGB möglich, wenn dieser mit a.) mindestens zwei aufeinander folgenden Teilzahlungen ganz oder teilweise in Verzug ist, b.) bei einer Vertragslaufzeit bis zu drei Jahren mit mindestens 10 Prozent oder bei einer Vertragslaufzeit von mehr als drei Jahren mit mindestens 5 Prozent des Nennbetrags des Darlehens in Verzug ist und der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer erfolglos eine zweiwöchige Frist zur Zahlung des rückständigen Betrags mit der Erklärung gesetzt hat, dass er bei Nichtzahlung innerhalb der Frist die gesamte Restschuld verlange. Berücksichtigt man die bisherige Dauer der Pandemie dann stellt der Zeitraum des § 498 BGB keinen ausreichenden Schutz für Verbraucher dar. Anwendung findet Artikel 240 § 3 EGBGB nur auf Verbraucherdarlehensverträge nach § 491 BGB. Nach § 491 Absatz 1 Satz 2 BGB sind Verbraucherdarlehensverträge Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge oder Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge. AllgemeinVerbraucherdarlehensverträge sind nach § 491 Absatz 2 Satz 1 BGB entgeltliche Darlehensverträge zwischen einem Unternehmer als Darlehensgeber und einem Verbraucher als Darlehensnehmer. Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge sind nach § 491 Absatz 3 Satz 1 BGB entgeltliche Darlehensverträge zwischen einem Unternehmer als Darlehensgeber und einem Verbraucher als Darlehensnehmer, die 1. durch ein Grundpfandrecht oder eine Reallast besichert sind oder 2. für den Erwerb oder die Einhaltung des Eigentumsrechts an Grundstücken, an bestehenden oder zu errichtenden Gebäuden oder für den Erwerb oder die Erhaltung von grundstücksgleichen Rechten bestimmt sind.
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Kapitel VII • Zivilrecht/Wirtschaftsrecht
Beispiel: Der Anspruch des Darlehensgebers auf Rückzahlung wird am 24. April 2020 fällig. Die Stundung hat zur Folge, dass die Fälligkeit des Anspruchs auf den 24. Juli 2020 verschoben wird. Die Stundung hat nur zur Folge, dass die Ansprüche des Darlehensgebers nicht fällig sind. Erfüllbar bleiben sie aber trotzdem. Dies wird durch Artikel 240 § 3 Absatz 1 Satz 4 EGBGB sichergestellt. Der Darlehensnehmer kann also die Raten weiterhin zahlen. Stellt er dann aber nach z. B. einem Monat fest, dass er aufgrund seiner Einnahmeausfälle nicht mehr in der Lage ist die Raten zu zahlen, dann bedeutet dies nicht, dass die Stundungswirkung entfällt. Dem Darlehensnehmer verbleibt vielmehr der restliche Zeitraum. Beispiel: Der Anspruch des Darlehensgebers auf Rückzahlung wird am 24. April 2020 fällig. Die Stundung hat zur Folge, dass die Fälligkeit des Anspruchs auf den 24. Juli 2020 verschoben wird. Entscheidet sich der Darlehensnehmer, trotz der beantragten Stundung die Monate April und Mai weiterhin zu zahlen, dann kann er den Monat Juni „aussetzen“ ohne dass plötzlich die Fälligkeit seines Anspruchs eintritt. Gestundet ist der Anspruch bis 24. Juli 2020. Erst ab diesem Tag ist der Anspruch wieder fällig.
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Kapitel VII • Zivilrecht/Wirtschaftsrecht
Nicht von § 3 erfasst werden Sachdarlehen, ferner Finanzierungshilfen und Teilzahlungsgeschäfte im Sinne des § 506 BGB. Auf diese findet Artikel 240 § 1 EGBGB Anwendung. Zeitlich erfasst werden nur Verbraucherdarlehensverträge die vor dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden und deren Zins- oder Tilgungsleistungen zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 fällig werden. Die Regelung bezieht sich nur auf Verbraucherdarlehensverträge die vor dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden, da zu diesem Zeitpunkt die Corona-Krise noch nicht vorhersehbar war. Der Anspruch des Darlehensgebers auf Rückzahlung der Darlehensraten wird kraft Gesetzes gestundet. Das heißt konkret, dass die Fälligkeit der Ansprüche um drei Monate hinausgeschoben wird.
Die Stundung hat zur Folge, dass der Darlehensgeber für drei Monate keine Darlehensraten erhalten kann. Aus diesem Grund darf eine Stundung nur dann vorgenommen werden, wenn der Darlehensnehmer infolge der durch die Ausbreitung der Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einnahmeausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar ist (Artikel 240 § 3 Absatz 1 Satz 1 EGBGB). Nicht zumutbar ist ihm die Erbringung der Leistung insbesondere dann, wenn sein angemessener Lebensunterhalt oder der angemessene Lebensunterhalt seiner Unterhaltsberechtigten gefährdet ist. Die Darlegungs- und Beweislast für diesen Umstand betrifft somit den Darlehensgeber. Eine Alternative zu der Stundungsregelung des Absatzes 1 wird den Parteien des Darlehensverhältnisses durch Artikel 240 § 3 Absatz 2 EGBGB eröffnet. Danach können die Parteien abweichend von Absatz 1 Vereinbarungen treffen, insbesondere über mögliche Teilleistungen, Zins- und Tilgungsanpassungen oder Umschulungen treffen. Diese Regelung soll Darlehensnehmer zu nichts verpflichten. Sie eröffnet ihnen aber die Möglichkeit bei Bedarf das Darlehen aus anderen Mitteln zurückzuzahlen. Ferner stellt Absatz 3 des Artikel 240 § 3 EGBGB sicher, dass Kündigungen des Darlehensvertrages durch den Darlehensgeber wegen Zahlungsverzuges, wegen wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse oder der Werthaltigkeit einer für das Darlehen gestellten Sicherheit ausgeschlossen sind. Eine Umgehung dieses Verbotes zulasten des Verbrauchers ist nicht möglich. Sinn und Zweck der Stundung und des Kündigungsschutzes ist es, den Vertragsparteien Zeit zu verschaffen, um sich über alternative Vorgehensweisen zu verständigen die eine Aufrechterhaltung der Vertragsbeziehung zu ermöglichen. Darauf verweist Artikel 240 § 3 Absatz 4 EGBGB. Was passiert aber nun, wenn die Stundungsfrist von 3 Monaten abläuft. Muss der Verbraucher dann sowohl die gestundeten Ansprüche zuzüglich der regulär fällig werdenden Ansprüche zahlen? Nein, denn dies würde eine unverhältnismäßige doppelte Belastung darstellen und wird durch Artikel 240 § 3 Absatz 5 EGBGB verhindert.
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Beispiel: Ein Darlehensvertrag hat zum Gegenstand, dass das Darlehen bis 20. 09. 2021 zurückzuzahlen ist. Die Fälligkeit wird wegen der Stundung nun auf den 20. 12. 2021 verschoben.
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Kapitel VII • Zivilrecht/Wirtschaftsrecht
Nach Artikel 240 § 3 Absatz 5 Satz 3 EGBGB hat der Darlehensnehmer über diese gesetzliche Anpassung oder etwaige individuelle Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien einen Anspruch auf eine neue Abschrift des Vertrages. In Artikel 240 § 3 Absatz 6 EGBGB ist geregelt, dass die Absätze 1 bis 5 dann keine Anwendung finden, wenn dem Darlehensgeber die Stundung oder der Ausschluss der Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls einschließlich der durch die COVID-19-Pandemie verursachten Veränderungen der allgemeinen Lebensumstände unzumutbar ist. Dieser Absatz dient allgemein dem Schutz des Darlehensgebers. Der Darlehensgeber soll dann nicht auf den Stundungszeitraum verwiesen werden, wenn ihm ein längeres Festhalten am Darlehensvertrag unzumutbar ist. Unzumutbar kann das Festhalten am Vertrag dann sein, wenn durch den Darlehensnehmer in der Vergangenheit gravierende oder schuldhafte Pflichtverletzungen vorlagen. Besondere Bedeutung kann die durch Artikel 240 § 3 Absatz 7 EGBGB geschaffene Regelung haben, nach der die Absätze 1 bis 6 entsprechende Anwendung für den Ausgleich und den Rückgriff unter Gesamtschuldnern nach § 426 BGB haben. Kommt bei einem Gesamtschuldner (Darlehensnehmer 1) aufgrund seiner Einnahmeminderung eine Stundung des Darlehens in Betracht, dann ist der Darlehensgeber als Gläubiger nicht berechtigt von den anderen Gesamtschuldnern (Darlehensnehmer 2, 3) zusätzlich zu deren Anteil den gestundeten Betrag zu verlangen. Andersherum soll ein Gesamtschuldner (z. B. Darlehensnehmer 3), wenn er den Darlehensgeber befriedigt, während des Stundungszeitraumes keinen Ausgleich von den anderen Gesamtschuldnern (Darlehens-
nehmer 1,2) verlangen können. Die Vorschrift des § 426 Absatz 2 BGB findet insoweit dann keine Anwendung. Bislang bezieht sich Artikel 240 § 3 EGBGB nur auf Verbraucher. Der Gesetzgeber hat allerdings die vergleichbare Problematik einer Betroffenheit mit der Pandemie bei Unternehmern erkannt und durch Absatz 8 eine Ermächtigung geschaffen. Danach wird die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und ohne Zustimmung des Bundesrates den personellen Anwendungsbereich der Absätze 1 bis 7 zu andern und insbesondere Kleinstunternehmen, im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 des Anhangs der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, in den Anwendungsbereich einzubeziehen. (Quelle: Formulierungshilfe für einen Gesetzesentwurf zur Abmilderung der Folgen der CO-VID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, S. 43–48)
C. Wirtschaftliche Entlastungshilfen I. Soforthilfepakete in den einzelnen Bundesländern Um den Schaden, der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursacht wird, möglichst gering zu halten, haben die einzelnen Bundesländer Soforthilfepakete geschaffen. Auf den folgenden Seiten befindet sich eine Auswahl der Seiten, auf denen die Soforthilfepakete abgerufen und Anträge eingereicht werden können. Auch Trägerinnen und Träger von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen können, sofern sie die Voraussetzungen für die jeweilige Antragstellung erfüllen, entsprechende Anträge stellen.
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Kapitel VII • Zivilrecht/Wirtschaftsrecht
https://www.wirtschaft.nrw/nrw-soforthilfe-2020
Bayern:
https://www.stmwi.bayern.de/soforthilfe-corona/
Berlin:
https://www.ibb.de/de/foerderprogramme/corona-zu-schuss.html
Hessen:
https://rp-kassel.hessen.de/corona-soforthilfe
BadenWürttemberg:
https://wm.baden-wuerttemberg.de/de/service/foerderprogramme-und-aufrufe/liste-foerderprogramme/soforthilfe-corona/
Niedersachsen:
https://www.mw.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/informationen-zu-den-auswirkungen-des-coronavirus-185950.html
Sachsen:
https://www.sab.sachsen.de/förderprogramme/sie-benötigen-hilfe-um-ihr-unternehmen-oder-infrastruktur-wieder-aufzubauen/soforthilfe-zuschuss-bund.jsp
Thüringen:
https://aufbaubank.de/Foerderprogramme/Soforthilfe-Corona-2020#foerderzweck
Brandenburg:
https://www.ilb.de/de/wirtschaft/zuschuesse/soforthilfe-corona-brandenburg/
Bremen:
https://www.bab-bremen.de/bab/corona-soforthilfe.html
Hamburg:
https://www.hk24.de/produktmarken/startseite-alt/coronavirus/finanzielle-soforthilfen-4737170
MecklenburgVorpommern:
https://www.hwk-schwerin.de/artikel/corona-hotline-und-hilfspaket-des-landes-19,0,610.html
Rheinland-Pfalz: https://www.isb.rlp.de/ Saarland:
https://corona.saarland.de/DE/wirtschaft/wirtschaft_node.html
Sachsen-Anhalt: https://www.magdeburg.ihk.de/starthilfe/finanzierungoeffentlichefoerderung/corona-soforthilfeprogramm-4745536 SchleswigHolstein:
https://www.ihk-schleswig-holstein.de/news/startseite-old/coronavirus/ finanzierungshilfen-4729362
Praxishinweis: Informieren sie sich über die in ihrem Bundesland geltenden Anforderungen an das Stellen der Soforthilfeanträge und kontaktieren Sie gegebenenfalls ihren Fachverband oder spezialisierte Rechtsanwälte
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Kapitel VII • Zivilrecht/Wirtschaftsrecht
NRW:
II. Strafbarkeit im Zusammenhang mit der Stellung von Anträgen Die Antragsstellung der Soforthilfen birgt allerdings die Gefahr der Begehung von Straftaten. In Anbetracht der derzeitigen Notwendigkeit der Soforthilfen sind viele Antragsformulare vereinfacht worden. Die folgenden Ausführungen sollen nicht abschreckend wirken, aber dennoch zu erhöhter Sorgfalt bei der Ausfüllung anregen. In den Soforthilfeanträgen der Länder (hier beispielhaft NRW und Baden-Württemberg) finden sich ausdrückliche Hinweise auf die möglichen Strafbarkeiten.
Bei der falschen Ausfüllung der Anträge kommt neben einer Strafbarkeit wegen Betruges (§ 263 StGB) oder falscher Versicherung an Eides Statt (§ 156 StGB) insbesondere eine Strafbarkeit wegen Subventionsbetruges nach § 264 StGB in Betracht. Dieser Straftatbestand soll im Folgenden genauer Betrachtet werden. Subventionsbetrug nach § 264 StGB: Wegen Subventionsbetrugs wird nach § 264 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer
1. einer für die Bewilligung einer Subvention zuständigen Behörde oder einer anderen in das Subventionsverfahren eingeschalteten Stelle oder Per-
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son (Subventionsgeber) über subventionserhebliche Tatsachen für sich oder einen anderen unrichtige oder unvollständige Angaben macht, die für ihn oder den anderen vorteilhaft sind,
2. einen Gegenstand oder eine Geldleistung, deren Verwendung durch Rechtsvorschriften oder durch den Subventionsgeber im Hinblick auf eine Subvention beschränkt ist, entgegen der Verwendungsbeschränkung verwendet,
den Subventionsgeber entgegen den Rechtsvorschriften über die Subventionsvergabe über subventionserhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
4. in einem Subventionsverfahren eine durch unrichtige oder unvollständige Angaben erlangte Bescheinigung über eine Subventionsberechtigung oder über subventionserhebliche Tatsachen gebraucht. Das Schutzgut des Subventionsstraftatbestandes sind Subventionen. Eine Subvention im Sinne des § 264 StGB ist eine Leistung aus öffentlichen Mitteln, d. h. eine geldwerte direkte Zuwendung an den Empfänger, die aus Mitteln der öffentlichen Hand erbracht wird. Die geplanten Zuschüsse der Landesregierungen fallen unter den Begriff der Subventionen. Als Tathandlung eines Subventionsbetruges kommt u. a. nach § 264 Absatz 1 Nummer 1 StGB die Angabe unrichtiger oder unvollständiger Angaben in Betracht. Dabei sind Angaben unrichtig, wenn sie nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Unvollständig sind sie, wenn sie neben falschen oder richtigen Angaben, subventionserhebliche
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Kapitel VII • Zivilrecht/Wirtschaftsrecht
3.
Umstände verschweigen und daher ein unvollständiges Gesamtbild vermitteln (Quelle: Fischer STGB Kommentar, § 264 Rn. 23). Anders als bei dem Betrug nach § 263 StGB ist der Straftatbestand des Subventionsbetruges im Fall der unrichtigen und unvollständigen Angabe nach § 264 Absatz 1 Nummer 1 bereits in dem Zeitpunkt erfüllt, in dem die falschen Angaben der Behörde übermittelt werden. Es bedarf daher überhaupt keiner Auszahlung. Die Antragsausfüllung bedarf insbesondere deshalb schon besonderer Aufmerksamkeit, weil bereits leichtfertig gemachte falsche Angaben gegenüber dem Subventionsgeber den Subventionsbetrug verwirklichen können. Leichtfertigkeit ist ein Begriff, der einen erhöhten Grad an Fahrlässigkeit bezeichnet und dem Begriff der groben Fahrlässigkeit im bürgerlichen Recht entspricht. Danach handelt grob fahrlässig, wer eine im Verkehr besonders ernst zu nehmende Pflicht in besonders schwerem Maße verletzt. In diesem Fall wird der Strafrahmen zwar im Vergleich zu einem vorsätzlichen Handeln herabgesetzt (Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahre oder Geldstrafe), allerdings dürfte auch dieser nicht erstrebenswert sein. Eine Strafbarkeit kann bei bereits abgesendeten Anträgen dadurch verhindert werden, dass die Subventionsgewährung freiwillig verhindert wird. In diesem Fall wird auf den Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue zurückgegriffen. Durch die Tätige Reue bringt der Täter zum Ausdruck, dass er von der Tat Abstand nehmen möchte. Und dieses Verhalten wird ihm zu Gute gehalten. Praxishinweis Im eigenen Interesse empfiehlt sich daher die sorgfältige Bearbeitung der Anträge und gegebenenfalls die Beiziehung rechtlichen Rates.
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