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German Pages 220 Year 2014
Philipp Kutzelmann Harte Männer
Band 6
Die Reihe Amerika: Kultur – Geschichte – Politik wird herausgegeben von Christof Mauch, Michael Hochgeschwender, Anke Ortlepp, Ursula Prutsch und Britta Waldschmidt-Nelson.
Philipp Kutzelmann lebt und arbeitet in München. Seine Themenschwerpunkte sind System- und Performancetheorien, Medien- und Körpergeschichte, (inter-)kultureller Dialog sowie die Geschichte der USA im 20. Jahrhundert.
Philipp Kutzelmann
Harte Männer Professional Wrestling in der Kultur Nordamerikas
Für meine Eltern Die vorliegende Studie wurde im Jahr 2013 als Dissertation an der LudwigMaximilians-Universität München angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
1. EINLEITUNG | 9 Eingrenzungen bei der Bearbeitung des Themas | 31
2. PROFESSIONAL WRESTLING – EINE GENUIN AMERIKANISCHE SHOWTRADITION | 39 Das performative System des Professional Wrestling und die strukturelle Genese der US-Wrestlingindustrie | 39
Professional Wrestling als Performance | 39 Eine kurze strukturelle Geschichte der amerikanischen Wrestlingindustrie | 51 Die 1950er und die Konsolidierung der Wrestlingindustrie durch die Medialisierung der Wrestlingperformances | 54 Die 1980er Jahre: Kabelfernsehen, Vince McMahon und die Geburt der World Wrestling Federation | 59 Der ›Monday Night War‹ und der erneute Wrestlingboom der späten 1990er Jahre | 70 Das performative System des Professional Wrestling und das Heel/Babyface-Schema | 77
Die performative Rückkopplung des Heel/Babyface-Schemas an historisch und kulturell anschlussfähige Diskurse | 78 Wrestlingcharaktere als Bedeutungsträger: Textuelle Bedeutungen und somatische Bedeutungen | 82 Maskulinität und die somatischen Assoziationen im Professional Wrestling | 84
Somatische Assoziationen im Professional Wrestling: Das Ideal des harten Männerkörpers | 89 Die Performances des Professional Wrestling als eine Inszenierung des ›harten Männerkörpers‹ | 104 Der Hardbody und die dramatische Inszenierung des Babyface-Wrestlers | 109 Zusammenfassung und Ausblick | 111
3. DIE STARS DES PROFESSIONAL WRESTLING: HISTORISCHE BEISPIELANALYSEN | 113 The Man in the pink sequined Robe: ›Gorgeous‹ George und der Wrestlingboom der Nachkriegszeit | 114
Die Nachkriegsjahre: Zwischen der ›Great Generation‹ und dem ›Age of Anxiety‹ | 119 »Silk Dynamite!« – Die Robe, das Ideal des harten Körpers und die Angst vor der potenziellen Feminisierung des amerikanischen Mannes in der Nachkriegszeit | 127 Blondinen bevorzugt? ›Gorgeous‹ George und die Feminisierung des Mannes durch den Massenkonsum | 132 »Hulkamania is running wild!«: ›The Immortal Hulk Hogan‹ und die goldene Ära des Professional Wrestling in den 1980er Jahren | 144
Der maskuline Backlash der 1980er Jahre und die ›Renaissance‹ des Hardbodies | 148 »Hulkamania has arrived!«: Die Wiedergeburt des Hardbodies aus dem Kampf gegen den ›Iron Sheik‹ | 153 ›Hulk Hogan‹: Ein Held der Reagan-Ära | 160 »›Austin 3:16‹ just whooped your a**!«: ›Stone Cold‹ Steve Austin und die Revitalisierung des Professional Wrestling in den späten 1990er Jahren | 168
»It’s Noon in America, again?«: Das Professional Wrestling und der harte Männerkörper nach dem Ende der Reagan-Ära | 169 ›Stone Cold‹ Steve Austin: Ein Anti-Held der Post-Reagan-Ära | 178
Wie Hart ist ›Hart‹?: ›Stone Cold‹ Steve Austin vs. Bret ›The Hitman‹ Hart | 185 »I appreciate the fact that you can kiss my ass!«: ›Stone Cold‹ Steve Austin und der ›Tod des Familienernährers‹ | 192
4. OUTRO: PROFESSIONAL WRESTLING IN DER KULTUR NORDAMERIKAS | 201 BIBLIOGRAFIE | 209
Danksagungen
Das Wohlwollen und Interesse, das mir von so vielen Menschen während der Arbeit an diesem Projekt entgegengebracht wurde, hat mich sehr berührt und mein Schreiben zu einer sehr bereichernden Erfahrung werden lassen. Es wären zu viele, als dass sie alle namentlich genannt werden könnten. Doch ich bin Ihnen / Euch zu großem Dank verpflichtet. Ein ganz besonders großes Dankeschön gilt dem Betreuer dieser Arbeit – Prof. Dr. Christof Mauch – für die große Unterstützung, mit der er dieses Projekt von Beginn an begleitet hat. Seine stets aufmunternden, präzisen, kenntnisreichen und pragmatischen Vorschläge waren mir beim Schreiben dieser Studie eine große Hilfe und haben mich das ein oder andere Mal davor bewahrt, mich in zu umständlichen Argumentationen zu verlieren. In gleicher Weise möchte ich mich auch auch bei Herrn Prof. Dr. Michael Hochgeschwender für seine freundliche Unterstützung bedanken und dafür, dass er sich bereit erklärt hat, für diese Arbeit als Zweitgutachter zu fungieren. Den Herausgeberinnen und Herausgebern der Reihe Amerika: Kultur – Geschichte – Politik möchte ich ganz herzlich für die Möglichkeit danken, meine Dissertation in gekürzter Form als Buch publizieren zu können. Last but not least geht ein riesiges Dankeschön an Sebastian Groll, M.A., der mein Schreiben durch seine geduldige Diskussionsbereitschaft und seine klugen und kritischen Fragen immens bereichert hat.
1. Einleitung
Die Showkämpfe des amerikanischen Professional Wrestling gehören, insbesondere von Europa aus betrachtet, zu einem nur sehr wenig verstandenen und oftmals marginalisierten und/oder übersehenen Bereich der amerikanischen Kulturgeschichte. Dies ist zunächst einmal überraschend, denn obwohl das Professional Wrestling auf unserer Seite des Atlantiks gerne mit Unverständnis und mitunter Belustigung gesehen oder kurzerhand als etwas ›typisch Amerikanisches‹ abgetan wird, handelt es sich bei den Shows der amerikanischen Wrestlingindustrie um eine gänzlich eigenständige Form des Entertainments, welche in den USA nun auf eine über fünfzigjährige Geschichte zurückblicken kann und deren historische Wurzeln sich bis zur Jahrhundertwende zurückverfolgen lassen. In den USA konnte Wrestling seit Mitte des 20.Jahrhunderts Millionen treue Anhänger für sich gewinnen. Trotz dieser Stellung des Professional Wrestling als genuin amerikanische Showtradition sind akademische Arbeiten über diesen Zweig der amerikanischen Populärkultur erstaunlicherweise (noch) eher Mangelware. Dies trifft insbesondere auf den Bereich der kulturhistorischen Untersuchungen zu. Während in den USA in verschiedenen Disziplinen wie etwa der Soziologie, der Ethnologie oder der Theaterwissenschaft schon erste Versuche unternommen wurden, der Bedeutung des Professional Wrestling für die amerikanische Kultur auf den Grund zu gehen, lassen ausführlichere kulturhistorische Untersuchungen über das Phänomen ›Professional Wrestling‹ noch auf sich warten. Die allgemeine Ausrichtung dieser Arbeit besteht deswegen darin, die charakteristischen Organisations- und Funktionsweisen der Wrestlingshows und der amerikanischen Wrestlingindustrie in ihren wichtigsten Grundstrukturen und ihrer historischen Genese heraus-
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zuarbeiten und dabei zu skizzieren, wie die Showkämpfe des Professional Wrestling sich im Mainstream der amerikanischen Kultur etablieren konnten und wie sie in ihren expliziten wie impliziten Darstellungsformen auf kulturspezifische und zeitgeschichtliche Inhalte rekurrieren, die als wesentlich für die Geschichte und die Kultur der USA angesehen werden können und Wrestling somit als uramerikanisches Entertainment kennzeichnen. Dieser Ausrichtung entsprechend ist die Arbeit in zwei Teile untergliedert: Die beiden Kapitel in Teil 1, Professional Wrestling – Eine genuin amerikanische Showtradition, erörtern die Grundprinzipien einer Wrestlingshow und deren historischen Werdegang sowie ihre Rolle für die strukturelle Genese des US-Wrestlings. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, inwiefern das Professional Wrestling in seinen Darstellungsformen auf Inhalte rekurriert, die durch kulturelle und zeitgeschichtliche Aktualität direkt auf das spezifische kulturelle Klima der USA im 20. Jahrhundert Bezug nehmen. Die drei Kapitel in Teil 2, Die Stars des Professional Wrestling: Historische Beispielanalysen, bauen dann auf diesen Ergebnissen auf, um anhand exemplarischer Analysen von drei der bekanntesten Figuren aus der Geschichte der amerikanischen Wrestlingindustrie – ›Gorgeous‹ George in der Nachkriegszeit, ›Hulk Hogan‹ in den 1980er Jahren und ›Stone Cold‹ Steve Austin in den späten 1990ern – zu zeigen, wie die im ersten Teil der Arbeit skizzierten Grundprinzipien in konkreten historischen Kontexten zusammenwirkten. Dieses zweigeteilte Vorgehen hängt mit der Eigentümlichkeit des Professional Wrestling zusammen. Als ich die Möglichkeit hatte, die ersten Skizzen und Entwürfe dieser Arbeit in einem größeren Rahmen zu diskutieren und vorzustellen, fiel mir auf, dass die meisten Fragen, die mir gestellt wurden, darauf abzielten, genauer zu erörtern, was das Professional Wrestling denn nun genau sei, wie die Kämpfe überhaupt funktionierten und welche Struktur die Wrestlingindustrie als eigenständigen Sektor der amerikanischen Populärkultur kennzeichnet. So schien z.B. allgemein bekannt zu sein, dass es sich bei den im Professional Wrestling ausgefochtenen Kämpfen nicht um einen echten sportlichen Wettkampf, sondern eher um eine Showdarbietung handelt. Wie diese Show aber im Detail abläuft und welche Implikationen sich daraus für eine Betrachtung des Gegenstandes ergeben, bedurfte in diesem Fall jedoch einiger Klärung. Da solche und ähnliche Fragestellungen im besonderen Fall des Professional Wrestling auch für eine
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gebührende kulturgeschichtliche Evaluation des Gegenstandes einen unentbehrlichen Hintergrund darstellen, war es mir wichtig, den Antworten auf diese Fragen in der Arbeit genügend Platz einzuräumen, um sie in hoffentlich befriedigender Art und Weise klären zu können. Aus diesem Grund habe ich die Betrachtungen über die spezifischen Funktions- und Organisationsweisen der US-Wrestlingindustrie und die Rekurse der Wrestlingshows auf für die USA spezifische Inhalte im ersten Teil der Arbeit voneinander getrennt betrachtet, um sie im zweiten Teil dann in Form von historischen Beispielanalysen wieder zusammenzuführen. Es versteht sich von selbst, dass diese verschiedenen Aspekte nur aus methodischen Gründen und zum Zwecke einer übersichtlicheren Darstellung voneinander getrennt wurden; in der historischen Genese der amerikanischen Wrestlingindustrie haben sie stets als ›organisches Ganzes‹ zusammengewirkt. Wegen der Eigenheiten des Gegenstandes macht ein solches Vorgehen es jedoch möglich, dem Leser einen ersten Überblick über die wichtigsten Merkmale der US-Wrestlingindustrie und die Stellung des Professional Wrestling in der Kultur Nordamerikas zu verschaffen, ohne die Komplexität, welche dieser Gegenstand mit sich bringt, künstlich beschneiden zu müssen. Die Untersuchung des Professional Wrestling als eigenständiges Showgenre ist noch sehr jung. In den ersten akademischen Arbeiten über das Thema, die in etwa ab den 1960ern publiziert wurden, ließ sich oftmals noch eine deutliche Tendenz erkennen, auf die strukturellen Analogien zwischen Professional Wrestling und verschiedenen Spielarten des Theaters oder auf bereits etablierte Erklärungsmuster aus der soziologischen Ritualforschung abzuheben, um so den Showcharakter der Wrestling-Kämpfe erklären zu können.1 Erst mit dem Erscheinen einiger ethnografischer Arbei-
1
Für Arbeiten, die zur Erklärung des Showcharakters des Professional Wrestling auf Konzepte und Analogien bereits etablierter Theatertraditionen zurückgreifen, siehe u.a: Gerald Craven und Richard Mosely, »Actors on the Canvas Stage: The Dramatic Conventions of Professional Wrestling«, Journal of Popular Culture 6:2 (1972): S. 327–336; Brendan Maguire und John F. Wozniak, »Racial and Ethnic Stereotypes in Wrestling«, The Social Science Journal 24:3 (1987): S. 261–273; Roland Barthes, »The World of Professional Wrestling«, Steelchair to the Head: The Pleasure and Pain of Professional Wrestling, herausgegeben von Nicholas Sammond (Durham/London: Duke University Press, 2005): S. 23–32; Henry Jenkins, »›Never Trust a Snake‹: WWF Wres-
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ten in den 1990er Jahren, die sich intensiver mit der Kultur der USWrestlingindustrie auseinandergesetzt hatten, wurde deutlich, dass ein solcher Ansatz fast zwangsläufig mit der Gefahr verbunden ist, die wesentlichen und eigentümlichen Merkmale der Wrestlingshows hinter der Grammatik einer bereits etablierten Theaterform verschwinden zu lassen. Insbesondere der Ethnologe Laurence DeGaris konnte mit seinen Untersuchungen über die performative Kultur des Professional Wrestling zeigen, dass sich die Kämpfe – im Gegensatz zu vielen der bis dato zum Vergleich herangezogenen Theatertraditionen – gerade dadurch auszeichnen, dass sie auf einem beständigen, wechselseitigen Interaktionsprozess zwischen allen an den Shows beteiligten Personengruppen aufbauen, die somit gemeinsam Einfluss auf den Aufbau und Ablauf der Wrestlingshow nehmen und deren Darbietung innerhalb eines zuvor abgesteckten Rahmens in und durch ihre Handlungen kreieren und modifizieren:2
tling as Masculine Melodrama«, Steelchair to the Head: The Pleasure and Pain of Professional Wrestling, herausgegeben von Nicholas Sammond (Durham/London: Duke University Press, 2005): S. 33–66; Jeffrey J. Mondak, »The Politics of Professional Wrestling«, The Journal of Popular Culture 23:2 (1989): S. 139– 149. Bezugnahmen auf zeitgenössische Konzepte aus der Mythos- und Ritualforschung finden sich unter anderem bei: Michael R. Ball, Wrestling as Ritual Drama in American Popular Culture (Lewiston: Edwin Mellen Press, 1990); Marc Leverette, Professional Wrestling: The Myth, the Mat, and American Popular Culture (Lewiston: Edwin Mellen Press, 2003); Liscomp, The Operational Aesthetic in the Performance of Professional Wrestling (University of Missisippi: PhD Dissertation, 2005); Ashley Souther, »Professional Wrestling as Conflict Transformation«, Peace Review: A Journal of Social Justice 19:2 (2007): S. 269–275. 2
Vgl. hierzu: Laurence DeGaris, »The ›Logic‹ of Professional Wrestling«, Steelchair to the Head: The Pleasure and Pain of Professional Wrestling, herausgegeben von Nicholas Sammond (Durham/London: Duke University Press, 2005): S. 192–212; Laurence DeGaris »Experiments in Professional Wrestling: Towards a Performative and Sensous Sports Ethnography«, Sociology of Sport Journal 16 (1999): S. 65–74.
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The performance of pro wrestling is more dialogic than dialectic, more cooperative than contested. Taking it further, pro wrestling is not a dialogue between spectator and performer, but a polyphony of cooperatively evolved voices. […] In pro wrestling, the performer and spectator coproduce the performance as well as its meaning.3
Ich habe mir DeGaris’ Erkenntnis über die interaktionale Natur der Wrestlingshows für diese Arbeit zum Ausgangspunkt genommen, um unter Rückgriff auf die Arbeiten der deutschen Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte eine Skizze dessen zu erarbeiten, was ich das performative System der Wrestlingshows nenne.4 Ich beschreibe die Showkämpfe des Professional Wrestling im Anschluss an diese theoretischen Modelle als eine eigenständige Form einer medialisierten Performance, die aus den rekursiven Interaktionen zwischen dem Publikum, den Wrestlern und den Organisatoren der Wrestlingshows be- und entsteht. Dabei gehe ich davon aus, dass alle im Rahmen einer Wrestlingshow möglichen Interaktionen innerhalb der Performance durch die Unterscheidung zwischen einem positiv assoziierten Wrestler – dem sogenannten Babyface – und einem negativ assoziierten Wrestler – dem sogenannten Heel – organisiert und begrenzt werden.5 Das Heel/Babyface-Schema sorgt im Professional Wrestling für die Entstehung dessen, was Erika Fischer-Lichte als autopoietisches Feedback der an der Performance beteiligten Akteure bezeichnet hat. Es stellt die Akteure in einen spezifischen Handlungsspielraum, der in der Performance mit den Handlungsspielräumen aller Co-Akteure interagiert und somit die Prozesse der Performance als Ganzes modifiziert. Durch den Rekurs auf Fischer-Lichtes Theorien der leiblichen KoPräsenz und der Medialisierung von Performances beschreibe ich das Professional Wrestling somit als besondere Form der Performance im Stile der von Fischer-Lichte in ihrem Buch Ästhetik des Performativen untersuchten Performancekunst. Die Adaption von Begriffen wie Performance und performativ für Wrestling-Shows habe ich bewusst etwas weiter und inklusiver gefasst. Es steht mir fern den Anspruch zu erheben, dass das Professional
3
DeGaris, »Experiments in Pro Wrestling«, S. 68.
4
Erika Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen (Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2004).
5
DeGaris, »The ›Logic‹ of Professional Wrestling«, S.205 ff.
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Wrestling als Showgenre in die Reihe der von Fischer-Lichte untersuchten Formen der Performancekunst eingereiht werden müsste. Vielmehr gehe ich davon aus, dass das Professional Wrestling wegen seiner interaktionellen Anlagen eine besonders große strukturelle Analogie zu den von FischerLichte untersuchten Phänomenen aufweist und ihre Arbeiten deshalb interessante theoretische Überlegungen bereithalten, die sich in einer kulturhistorischen Betrachtung des Professional Wrestling gewinnbringend einsetzen lassen. Wie auch bei Fischer-Lichte selbst unterscheidet meine Verwendung von Begriffen wie Performance und performativ deshalb auch nicht allzu stark zwischen Alltagshandeln und dem Handeln im Rahmen einer Showdarbietung, sondern hebt mehr auf jene rekursiven, faktizitätsbildenden Handlungskomplexe ab, in und durch welche Menschen im Allgemeinen gemeinsam Sinn oder ›Wirklichkeit‹ produzieren. ›Shows‹ oder ›Performances‹ explizieren damit lediglich Phänomene, die unserem Alltagshandeln bereits inhärent sind. Dies gelingt ihnen durch eine Rahmensetzung – wie durch das Heel/Babyface-Schema im Professional Wrestling –, welche die möglichen Interaktionen bündelt und organisiert.6 Um die Bedeutung des performativen Systems für das Professional Wrestling als eigenständige Form des Entertainments noch deutlicher herauszuarbeiten, folgt im Anschluss an die theoretischen Betrachtungen ein Blick auf die historische Entwicklung dieser Prinzipien und deren Bezug zur tatsächlichen Ausgestaltung der Wrestlingindustrie in den USA. Besonderes Augenmerk liegt hier auf der Verdeutlichung des Umstands, dass sich die Entstehung des performativen Grundschemas, die in der Nachkriegszeit hinzukommende Möglichkeit zur Medialisierung der Performances und die strukturelle Genese der US-Wrestlingindustrie gegenseitig bedingt haben. Fragen nach den ›inhaltlichen‹ Bezugnahmen des für die Performances so wichtigen Heel/Babyface-Schemas auf Kultur und Alltagsgeschichte der USA habe ich für das nächste Kapitel aufgespart. Bei der Bemühung, eine solche historische Skizze zu erarbeiten, wurde sehr schnell deutlich, dass der Versuch einer akademischen Historiografie der US-Wrestlingindustrie mit großen Problemen verbunden ist. Quellenmaterialien sind – zumindest für die Zeit vor 1980 – sehr rar gesät und allesamt mit der Schwierigkeit verbunden, dass man mit der Wrestlingindustrie
6
Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 31 ff.
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im Gegensatz zu den populären Massensportarten einen Zweig der USUnterhaltungsindustrie in den Blick nimmt, in dem sich die verschiedenen handelnden Personen lange Zeit absichtlich gegen das Erheben von »objektiven Fakten« gestellt haben und zudem gern selbst zu Produzenten vermeintlich objektiver Informationen und Daten wurden, die von ihnen dann vor allem zur gezielten Selbstdarstellung im Dienste des performativen Systems und zu kommerziell motivierten Werbezwecken genutzt wurden; ein Vorgehen, das selbstverständlich nur in den seltensten Fällen mit Gedanken an chronologische oder historiografische Akkuratesse verbunden gewesen ist. Einen verwendbaren Quellenkorpus im konventionellen und gebräuchlichen Sinne kulturhistorischer Forschung sucht man für das Gebiet des Professional Wrestling eher vergebens. Der Medienwissenschaftler William Liscomp bringt die Problematik wohl am besten auf den Punkt wenn er schreibt: »The history of professional wrestling in the US is sketchy, downright murky, because until the 1980s few records were kept and those that do remain are dubious.«7 Diese grundlegende Schwierigkeit spiegelt sich dann auch in den meisten akademischen Arbeiten wider, welche bis dato zum Thema Professional Wrestling publiziert wurden. Viele dieser Arbeiten sind in so verschiedenen Disziplinen wie Medienwissenschaft, Soziologe oder Ethnologie publiziert worden und meist so angelegt, dass sie einige theoretische oder methodische Überlegungen aus dem jeweiligen Fachbereich am Beispiel des Professional Wrestling erproben. Die historische Kontextualisierung des untersuchten Gegenstands bleibt dabei häufig bloße Pflichtübung, die in Abhängigkeit von den vorhandenen, oft mangelhaften Materialien lediglich skizzenhaft durchgeführt wird. Aus diesen Gründen kommt dem 2006 erschienen Buch Ringside: A History of Professional Wrestling in America des Historikers Scott Beekman im Hinblick auf das Professional Wrestling eine absolute Sonderstellung zu, da es bis dato den einzigen Versuch einer Geschichte des Professional Wrestling in den USA darstellt, welche den Ansprüchen an eine akademische Historiografie genügen kann.8 Dabei weist auch Beekman selbst auf
7
William P. Liscomp, »The Operational Aesthetic in the Performance of Profes-
8
Vgl. hierzu: Scott Beekman, Ringside: A History of Professional Wrestling in
sional Wrestling«, S. 31. America (Westport: Praeger Publishers, 2006).
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die immensen Probleme hin, die damit verbunden sind, die Geschichte des Professional Wrestling in den USA in einen historischen Narrativ zu fassen: If one thinks of history as those past events transcribed for posterity, wrestling, to a significant degree, has no history. Not only are the achievements of past wrestlers ignored by current fans, but those in control of the business willfully distort wrestling’s past in order to market current product. In wrestling, ballyhoo is king. Promoters market their current product as bigger, faster, and better than ever. […] In a world dominated by egos and personal grudges and bereft of statistics and quantifiers, wrestling promoters frequently rewrite history to their own ends. […] For those who control wrestling, history becomes nothing more than a marketing tool, twisted and distorted at will. The abominable condition of wrestling history made my task more difficult but also more important. I have sought to untangle the myths and legends of wrestling and present an accurate portrayal of the development of the entertainment form in this country.9
Um trotz der widrigen Umstände zu einem kohärenten Ergebnis zu kommen, greift Beekman in seiner Arbeit auf ein weites Spektrum verschiedener Dokumente zurück, zu denen neben den gängigen wissenschaftlichen Arbeiten auch zahlreiche Biographien und Insiderberichte aus den Reihen der Wrestlingindustrie selbst zählen. Darüber hinaus hatte Beekman Zugriff auf verschiedene private Archive sowie den Bestand des einzigen amerikanischen Wrestlingmuseums in Waterloo, Iowa, deren Auswertung in seine Darstellung mit eingeflossen ist. Beekman bemüht sich so, den langsamen und oft diskontinuierlichen Prozess aufzuarbeiten, im Zuge dessen sich das Professional Wrestling von einem sportlichen Wettkampf zu einem reinen Showevent gewandelt hat. Die große Leistung Beekmans besteht somit vor allem darin, eine schlüssige und objektive Chronologie der Wrestlinggeschichte geliefert zu haben. Wegen dieser zentralen Stellung von Beekmans Arbeit auf dem Feld der Wrestlinggeschichte habe ich mich für meinen eigenen historischen Abriss über die Genese der Wrestlingindustrie weitestgehend an seinen Ausführungen orientiert. Im Gegensatz zu Beekman habe ich mich jedoch darum bemüht, die strukturelle Entwicklung der Wrestlingindustrie mehr von den Wechselwir-
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Beekman, Ringside, S. viii.
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kungen zwischen dem performativen System der Wrestlingshows und den jeweiligen zeitgenössischen Formen der Medialisierung dieser Performances her zu begreifen. Die Frage nach der Medialisierung des Professional Wrestling spielt auch schon bei Beekman selber eine wichtige Rolle, doch dieser scheint die Medien und insbesondere das Fernsehen – ganz ähnlich wie der Soziologie Michael Ball10 – als einen zentralen Einflussfaktor zu charakterisieren, der einen schleichenden Verfall des Professional Wrestling vom Wettkampfsport hin zum Showevent nachhaltig begünstigt hat: The effects of television on wrestling are vast and dramatic. While sports historians continue to argue about the degree to which television alters sporting forms, there can be no doubt that it shaped pro wrestling. Television made wrestling livelier and more colorful. The demands of the medium forced wrestling promoters to develop elaborate story lines to hold viewers interest. For wrestlers, television compelled them to adopt elaborate characters and develop successful microphone skills. Further, television became a tool of domination for wrestling promoters. Thoese who produced slick or widely distributed television programs stood to expand their empires at the expanses of those who did not.11
Aus Sicht der oben bereits angesprochenen Erkenntnisse über die Eigenständigkeit des performativen Systems der Wrestlingshows unterschätzt Beekman an dieser Stelle jedoch, wie sehr diese – durchaus charakteristischen – strukturellen Entwicklungen innerhalb der Wrestlingindustrie von der spezifische Dynamik zwischen performativen Anlagen der Wrestlingshows und den Medialisierungseffekten des Fernsehen begünstigt und gefördert wurden. Um diesen wichtigen Punkt deutlicher herauszustellen, habe ich mich in meiner historischen Skizze der Wrestlingindustrie darauf konzentriert, die von Beekman erarbeitete Chronologie in Hinblick auf die spezifische Wechselwirkung von performativem System, Medialisierung und struktureller Entwicklung auszuarbeiten, um so jene wichtigen Strukturelemente und markanten Bruchstellen herauszufiltern, die erklären können, wie das Professional Wrestling seinen charakteristischen Stil entwik-
10 Ball, Wrestling as Ritual Drama in American Popular Culture, S. 82 f. Vgl. hierzu die Diskussion von Balls Position im ersten Kapitel dieser Arbeit. 11 Beekman, Ringside, S.ix.
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keln und sich so als eigenständiger Sektor innerhalb der amerikanischen Unterhaltungsindustrie etablieren konnte. Dieses Vorgehen schlägt sich dann auch in der Wahl des von mir betrachteten Zeitrahmens nieder.Während Beekman grundlegend bei der Bedeutung des Ringkampfes in der Antike anfängt, um schließlich den Verfall des zur Jahrhundertwende zum 20.Jahrhundert international an Interesse gewinnenden Ringkampfsports zu einem reinem Showspektakel nachzuzeichnen, hält sich meine Darstellung nur kurz mit den Vorläufern der USWrestlingindustrie auf. Der Fokus meiner Untersuchung liegt auf der Nachkriegszeit, den 1980ern und den späten 1990ern, auf Perioden, in denen sich die amerikanische Wrestlingindustrie qua Medialisierung der Wrestlingshows in der heute bekannten Form konstituiert und entscheidende Wachstumsphasen durchlaufen hat. Die ersten Vorläufer der Wrestlingindustrie zur Jahrhundertwende und in den 1930er Jahren habe ich – von kurzen und ergänzenden Skizzen abgesehen – deswegen ausgeblendet. Die so erarbeitete Skizze des performativen Systems der Wrestlingshows und der damit verbundenen strukturellen Genese der Wrestlingindustrie dient dann als Ausgangspunkt für eine ausführliche Analyse des für das performative System der Shows so wichtigen Heel/Babyface-Schemas. Da der reibungslose Ablauf einer Wrestlingperformance im Wesentlichen von der Interaktion zwischen allen an der Performance beteiligten Akteuren abhängt, nehmen die durch das Heel/Babyface-Schema vorgenommenen Klassifikationen der Wrestler im Professional Wrestling die zentrale Rolle ein. So orientieren sich die negativen Assoziationen des Heel-Wrestlers und die positiven Assoziationen des Babyface-Wrestlers an den zu erwartenden positiven bzw. negativen Reaktionen des Publikums, weshalb der Veranstalter einer Wrestlingshow die Charakterisierung beider Figuren auf größtmögliche Partizipation des Publikums hin anlegen wird. Die Wrestler wiederum erhalten dadurch einen Rahmen, innerhalb dessen sie durch ihr Verhalten das Publikum zu emotionalen Reaktionen provozieren. Anhand der Diskussion bisheriger Ansätze aus der Forschung über die Kultur des Professional Wrestling und mittels Analyse einiger konkreter Beispiele lässt sich zeigen, dass sich hier zwei miteinander in Wechselwirkung stehende Formen des Rekurses unterscheiden lassen, durch welche die Wrestler entlang der Heel/Babyface-Unterscheidung im Rahmen einer Performance klassifiziert werden: die textuellen Assoziationen und die somatischen Assoziationen.
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Unter textuellen Assoziationen verstehe ich in Anlehnung an Roland Barthes12 die Art und Weise, wie ein Wrestler in einer Performance durch Dinge wie seinen Namen, seine Kostümierung, seine verbalen wie nonverbalen Äußerungen und seine Darstellung in narrativen Elementen der Wrestlingshows in den Relationen zu Publikum und Gegner positioniert wird. Solche textuellen Assoziationen sind im Professional Wrestling immer an kulturelle und/oder zeitgeschichtliche Differenzdiskurse angelehnt, die einen möglichst starken Kontrast zwischen den im Ring aktiven Protagonisten zeichnen und das Publikum so zur lautstarken und aktiven Partizipation am Showkampf animieren sollen. Die Besonderheit des Heel/Babyface-Schemas im Professional Wrestling besteht dabei darin, dass diese textuellen Assoziationen stets in Wechselwirkung mit spezifischen somatischen Assoziationen der Wrestler treten, welche erstere präzisieren und/oder modifizieren. Wie ich, vor allem unter Rückgriff auf die Arbeiten von Sharon Mazer, Philipp Serrato, Danielle Soulliere und James Blair, zeigen werde, ist es in einer Wrestlingperformance nicht nur wichtig, was durch einen spezifischen Körper an textuellen Assoziationen transportiert wird; es ist ebenso von entscheidender Bedeutung, welcher Körper diese textuellen Kontraste im Rahmen der Performance zur Schau stellt.13 Professional Wrestling bezieht sich auf somatischer Ebene immer auf eine ganz spezifische Darstellung des weißen, muskulösen Männerkörpers, welche die Shows in der performativen Interaktion der Akteure und in Abhängigkeit zum jeweiligen kulturellen Klima ihrer Zeit beständig (re-)produzieren und die ich in Anlehnung an
12 Vgl. hierzu: Barthes, »The World of Wrestling«. 13 Vgl. hierzu: Sharon Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle (Jackson: University Press of Mississippi, 1989); Phillip Serrato, »Not Quiet Heroes: Race, Masculinity and Latino Professional Wrestlers«, Steelchair to the Head: The Pleasure and Pain of Professional Wrestling, herausgegeben von Nicholas Sammond (Durham/London: Duke University Press, 2005): S. 232–259; Danielle M. Soulliere und James A. Blair, »Muscle-Mania: The Male Body Ideal in Professional Wrestling«, International Journal of Men’s Health 5:3 (2006): S. 268–286.
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aktuelle Debatten der historischen Männlichkeitsforschung als HardbodyIdeal und/oder Ideal des harten Männerkörpers bezeichne.14 Die Frage nach der kulturellen Bedeutung von Darstellungen des muskulösen, weißen Männerkörpers in der US-Kultur des 20. Jahrhunderts hat sich in den letzten Jahren einer immer größer werdenden akademischen Aufmerksamkeit erfreut und ist insbesondere in verschiedenen historischen Studien in jüngerer Zeit mehrmals direkt wie indirekt thematisiert worden.15
14 Der von Ralph Poole, Florian Sedelmaier und Susanne Wegener herausgegebene Tagungsband Hard Bodies liefert einen guten Überblick über die Thematik und zeigt, dass das Motiv des harten Körpers – auch außerhalb der amerikanischen Kulturgeschichte – einen spannenden Ausgangspunkt für die verschiedensten Studien bietet. (Ralph J. Poole, Florian Seldelmeier und Susanne Wegener (Hrsg.), Hard Bodies. (Wien: Lit Verlag, 2011)). Vgl. im Hinblick auf die in dieser Arbeit untersuchte Thematik insbesondere den Beitrag von Jürgen Martschukat in diesem Band: Jürgen Martschukat, »Über die Modellierung des Körpers und die Arbeit am Selbst in den USA des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts«, Hard Bodies, herausgegeben von Ralph J. Poole, Florian Sedelmeier und Susane Wegener (Wien: Lit Verlag, 2011): S. 197–218. 15 Vgl. hierzu für die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert: John F. Kasson, Houdini, Tarzan, and the Perfect Man: The White Male Body and the Challenge of Modernity in America (New York: Hill and Wang, 2001). Für die Zeit der »Great Depression und des Zweiten Weltkriegs: Christina Jarvis, The Male Body at War: American Masculinity during World War II (DeKalb: Nothern Illinois University Press, 2004). Für die Nachkriegszeit und die frühe Periode des Katen Kriegs: K.A. Cuordileone, Manhood and American Political Culture in the Cold War (London/New York: Routledge, 2005). Für die Periode des Vietnamkriegs: Susan Jeffords, The Remasculinization of America: Gender and the Vietnam War (Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press, 1989). Und für die 1980er und den Übergang zu den 1990ern: Susan Jeffords, Hard Bodies: Hollywood Masculinity in the Reagan Era (New Jersey: Rutgers University Press, 1994). Diese Arbeiten stellen einen ersten, noch recht heterogenen Textkorpus dar, der eher durch ein allen Autoren gemeinsames Interesse zusammengehalten wird, zentrale Formen der Repräsentation von Maskulinität in den USA unter Rückgriff auf das Bild des muskulösen Männerkörpers zu erklären. Dabei lassen sich
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Als eine der für die Erforschung dieses Phänomens einflussreichsten Arbeiten kann dabei das 1994 erschienene Buch »Hard Bodies: Masculinity in the Reagan Era« der amerikanischen Historikerin Susan Jeffords gesehen werden, welches den Begriff des Hardbodies für die Beschreibung solcher Darstellungen im nordamerikanischen Kulturraum prägte und ihn damit für die akademische Diskussion fruchtbar machte.16 Jeffords untersucht dort, wie sich im Hollywoodkino der 1980er Jahre, in der politischen Rhetorik der Reagan-Regierung und sogar in der öffentlichen Darstellung von Ronald Reagan selbst immer wieder ein überdeutlicher Rekurs auf das Ideal eines harten Männerkörpers nachweisen lässt, der dort als kulturelles Emblem für die politische, militärische und ökonomische Kraft und Stabilität der Vereinigten Staaten fungiert. Anhand einer detaillierten Analyse der Rambo-Trilogie und ähnlicher Hollywood-Blockbuster der 1980er demonstriert Jeffords, wie die symbolische Abgrenzung des harten Männerkörpers von seinem weichen, geschlechtlich und rassisch markierten Pendant in dieser Zeit als kollektives Symbol für die Erneuerung des nationalen Selbstverständnisses der USA als globale Supermacht genutzt werden konnte, welches zuvor durch die militärische Niederlage in Vietnam und das von Korruption, ökonomischer Unsicherheit und sozialen Umbrüchen geprägte Klima der 1970er Jahre in Frage gestellt worden war. Obwohl Jeffords Buch eine sehr überzeugende Analyse hinsichtlich des häufigen Rückgriffs auf die Imagination des harten Männerkörpers während der 1980er Jahre abliefert, verstellt ihre ausschließliche Fokussierung auf die Amtszeit Ronald Reagens und die damit verbundene Frage nach der Fortführung der Hardbody-Rhetorik durch seine politischen Nachfolger ein wenig den Blick auf die Tatsache, dass eine solch emblematische Darstel-
jedoch auch erste strukturelle Gemeinsamkeiten erkennen, die diesen Männlichkeitsrepräsentationen – unabhängig vom jeweiligen historischen Kontext – offenbar allen inhärent sind. Die historische und theoretische Skizze des Hardbody-Phänomens in dieser Arbeit soll deshalb auch als Versuch verstanden werden, den harten Körper als eigenständiges Konzept für die Untersuchung von Maskulinität in der amerikanischen Kultur herauszuarbeiten. 16 Susan Jeffords, Hard Bodies: Hollywood Masculinity in the Reagan Era. (New Jersey: Rutgers University Press, 1994). Vgl. hierzu auch: Ralph J. Poole, »Preface«, Hard Bodies, herausgegeben von Ralph J. Poole, Florian Sedelmeier und Susanne Wegener (Wien: Lit Verlag, 2011): S. 6–20.
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lung des harten Körpers in der amerikanischen Kultur auf eine deutlich längere Geschichte zurückblicken kann.17 Letztlich geht sie bis auf die »Krise der Männlichkeit«18 zur Jahrhundertwende zurück und zieht sich
17 Dies ist eine Problematik, welche sich Jeffords’ Untersuchung mit den meisten der o.g. Arbeiten teilt. Stets wird der Rekurs auf den harten Körpers als Phänomen beschrieben, das aus Sicht der Autoren als charakteristisch für ein spezifisches Jahrzehnt des 20. Jahrhundert zu gelten hat. Dem Umstand, dass solchen Formen der Maskulinitätsrepräsentation seit der Jahrhundertwende eine zyklische, stets wiederkehrende Aktualität und nahezu eine virtuelle Omnipräsenz zukommen, wird dabei meist nur wenig gewürdigt. 18 Die Diagnose, dass sich das ›Mannsein‹ zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt in einer durch soziale und/oder ökonomische Umstände hervorgerufenen historischen ›Krisensituation‹ befunden habe, hat sich in der Gender-Forschung in den letzten Jahren als sehr hartnäckiger, kaum zu umgehender Ansatz herauskristallisiert. Wie Martschukat und Stieglitz gezeigt haben, gehört die Vorstellung von einer durch eine Krise erschütterten weißen Männlichkeit, insbesondere in der jüngeren amerikanischen Männlichkeitsgeschichtsforschung, zu einem der meistrezipierten Konzepte, das mittlerweile so häufig auftaucht, dass man es bisweilen von der historischen Selbstcharakterisierung weißer Maskulinitätskonzeptionen in den USA kaum unterscheiden kann. (Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz, Geschichte der Männlichkeiten (Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2008), S. 65). Dabei weisen die beiden Autoren insbesondere darauf hin, dass solche Krisendiagnosen sich »in aller Regel auf den Männlichkeitsentwurf beziehen, der eigentlich ›Hegemonie‹ versprechen sollte, dessen Dominanz aber offenbar in bestimmten Momenten in der Geschichte gefährdet war.« (Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz, »Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas: Eine Einleitung«, Väter, Soldaten, Liebhaber: Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas, herausgegeben von Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz (Bielefeld: transcript Verlag, 2007): S. 18). Der Rückgriff auf das Motiv des Krise als Beschreibung für den aktuellen Status Quo des Mannes in der amerikanischen Gesellschaft muss deshalb stets als Indikator dafür angesehen werden, dass die auf einen konkreten Typus des ›Mannseins‹ hin geordneten gesellschaftlichen Machtverhältnisse in den USA sich zur Zeit der Krisendiagnose in einem Umbruch befunden haben und somit neuerlich ausgehandelt werden mussten. (Martschukat und Stieglitz, Geschichte der Männlichkeiten, S. 69.)
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dann über den gesamten Verlauf des 20. Jahrhunderts hin, dem sie ihren Stempel aufgedrückt hat.19 Wie insbesondere John Kasson im Rahmen seiner Studie Houdini, Tarzan, and the Perfect Man: The White Male Body and the Challange of Modernity in America zeigt, war die Zeit der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert in den USA von einer ganzen Reihe sozialer, ökonomischer und kultureller Umbrüche geprägt gewesen, welche die Vormachtstellung weißer, mittelständischer Männer in der US-Gesellschaft in ihrer bisherigen Form in Zweifel gezogen hatten. Zur gleichen Zeit lässt sich in der damaligen Alltags- und Populärkultur der USA ein deutlicher diskursiver Trend ausmachen, der den muskulösen, rassisch markierten harten Männerkörper als Beleg für die weiterhin zentrale Machtposition weißer Männer in der amerikanischen Gesellschaft herangezogen und damit die scheinbare Selbstevidenz und Natürlichkeit der im harten Männerkörper kodifizierten Machtverhältnisse als starkes Gegenargument zum vermeintlichen Hegemonieverlust weißer Männer in den USA propagiert hatte.20
19 Wie George Mosse gezeigt hat, lassen sich die historischen Wurzeln solcher Repräsentationen von Maskulinität durch die Betonung des muskulösen Körpers – Mosse bezeichnet sie als das »maskuline Stereotyp« – in der abendländischen Welt noch deutlich weiter – bis zum 17. Jahrhundert – zurückverfolgen und haben insbesondere durch den großen Einfluss der verschiedenen Nationalismen in den meisten modernen westlichen Staaten ihre sichtbare Wirkung hinterlassen. (George Mosse, Das Bild des Mannes: Zur Konstruktion moderner Männlichkeit (Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1997), S. 9 ff.). Gleichzeitig ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass diese korporale Repräsentation von Maskulinität in den USA am Beginn des 20. Jahrhunderts zu besonderer Prominenz gelangt ist und dann – ausgehend von dieser Periode – während des weiteren Verlaufs des 20. Jahrhunderts ein für die Kultur der USA spezifisches, eigenes Profil gewonnen hat. 20 John F. Kasson, Houdini, Tarzan, and the Perfect Man: The White Male Body and the Challenge of Modernity in America. (New York: Hill and Wang, 2001). Eine hervorragende Übersicht über die historischen Hintergründe für die Reorganisation gängiger Maskulinitätskonzeptionen zur Jahrhundertwende findet sich auch in: Anthony E. Rotundo, American Manhood: Transformations in Masculinity from the Revolution to the Modern Era (New York: basic, 1993).
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In Anlehnung an die Arbeit von Kasson kann der Hardbody deshalb als ein ganz spezifischer Typus »hegemonialer Männlichkeit«21 beschrieben werden, der immer dann als kulturelles Emblem für die fortgesetzte Hegemonie weißer Männlichkeit in der amerikanischen Kultur fungiert, wenn diese gerade durch allgemeine historische und gesellschaftliche Transformationsprozesse in Frage gestellt wird. Diese emblematische Funktion des Ideals des harten Männerkörpers darf – im Gegensatz zu Kassons Annahme – nicht auf den Entstehungskontext des Hardbody-Ideals Anfang des 20. Jahrhunderts eingegrenzt werden. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Hegemonieanspruch weißer Maskulinität und die Erfahrung des vermeintlichen Hegemonieverlustes ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Maskulinitätskonstruktionen in der US-Kultur des 20. Jahrhunderts. Damit wird das Ideal des harten Männerkörpers zu einem äußerst interessanten und aufschlussreichen Konzept für die Untersuchung von Maskulinität in der jüngeren amerikanischen Geschichte. Wie ich im Anschluss an die historische Verortung des Hardbody-Ideals anhand eines theoretischen Exkurses – insbesondere in Anlehnung an die Ar-
21 Der Begriff der »hegemonic masculinity« geht auf die Arbeiten der australischen Soziologin R.W. Connell zurück, die damit ein theoretisches und methodisches Konzept für die Untersuchung von Maskulinitätskonstruktionen einer Gesellschaft vorlegt, welches sich insbesondere auf die Formen von Männlichkeit konzentriert, die als der zwar imaginäre aber dennoch extrem wirkungsmächtige Fluchtpunkt gesellschaftlicher Machtverhältnisse fungieren. (Vgl u.a.: R.W. Connell, »The big picture; Masculinities in recent world history«, Theory and Society 22 (1993): S. 597–599. Sowie: R.W. Connell und James W. Messerschmidt, »Hegemonic Maculinity: Rethinking the Concept«, Gender & Society 19:6 (2005): S. 829–859.) Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz verstehen das von Connell ausgearbeitete »Konzept von Hegemonie als eine Theorie männlicher Macht […]«, als eine Beschreibung »[…] historisch und kulturell veränderliche[er] Vorstellung[en], wie Männer sein und handeln sollten, und zwar sowohl in ihren Beziehungen zu Frauen wie auch zu anderen Männern. Dabei betont Connell, dass die Anforderungen ›hegemonialer Männlichkeit‹ keineswegs von allen (und noch nicht einmal von vielen) Männern erfüllt werden müssen, dass sie aber dennoch als soziales und kulturelles Ideal von großer Wirkungsmächtigkeit sind.« (Martschukat und Stieglitz, »Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas«, S. 17.)
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beiten von Donna Perbedy, Gabriele Winkler und Nina Degele – zeigen werde, folgt die Repräsentation des harten Körpers in der amerikanischen Kultur einer ganzen Reihe von distinktiven Darstellungskonventionen. Stets wird der Hardbody durch ein relationales Verhältnis eines harten, dominierenden Körpers zu einem weichen, dominierten Körper zum Ausdruck gebracht, welches sowohl als externe Relation zwischen verschiedenen Körpern als auch als interne Relation innerhalb der Grenzen eines exemplarischen Körpers anzutreffen ist. Die somatische Metaphorik der beiden Relata Hart und Weich kommt dabei in beiden Fällen stets so zum Einsatz, dass durch die wechselseitige Abgrenzung harter und weicher Körper auf symbolische Weise ein Machtgefälle reproduziert wird, welches die weiße Maskulinität als zentralen Hegemon in der amerikanischen Kultur bestätigen soll. Diesen kulturspezifischen Darstellungskonventionen des HardbodyPrinzips kommt im Rahmen der somatischen Assoziationen der Wrestler durch das Heel/Babyface-Schema eine essenzielle Bedeutug zu, denn sie dienen nicht nur der genaueren Charakterisierung und Positionierung der einzelnen Wrestler im Gesamtgefüge des performativen Systems; ihnen kommt auch für die Organisation der Showkampf-Dramaturgie eine Schlüsselrolle zu. Die somatische Assoziation der Wrestler mit dem Ideal des harten Männerkörpers – in seiner Funktion als Emblem für die Hegemonie weißer Maskulinität – und die textuellen Assoziationen mit besonders anschlussfähigen kulturellen und zeitgeschichtlichen Differenzdiskursen definieren und modifizieren sich gegenseitig und stecken damit den allgemeinen Rahmen jener Darstellungen ab, die mittels des Heel/Babyface-Schemas das performative Feedback der Wrestlingshows initiieren sollen. Die drei Kapitel im zweiten Teil dieser Arbeit greifen die Ergebnisse aus dem ersten Teil wieder auf, um anhand exemplarischer Analysen von drei Wrestlern, die zu den bekanntesten in der Geschichte der US– Wrestlingindustrie zählen (›Gorgeous‹ George in der Nachkriegszeit, ›Hulk Hogan‹ in den 1980ern und ›Stone Cold‹ Steve Austin in den späten 1990ern), zu zeigen, wie die verschiedenen in Teil 1 erörterten Aspekte des Professional Wrestling – das performatives System und dessen Medialisierung, die strukturelle Genese der Wrestlingindustrie und die Klassifizierung der Wrestler durch den Rekurs auf zeitgeschichtliche Differenzdiskurse und
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das Ideal des harten Männerkörpers – in konkreten historischen Kontexten als ›organisches Ganzes‹ zusammengewirkt haben.22 Die Beschränkung auf diese drei von mir ausgewählten Wrestler geht dabei nicht mit der Unterstellung einher, dass es sich bei diesen um die vermeintlich einzig wichtigen und betrachtenswerten Stars in der Geschichte des Professional Wrestling handelt.23 Vielmehr bietet die Fokussierung auf genau diese drei Wrestler den großen Vorteil, dass es sich bei Ihnen allen um beispielhafte, außerordentlich prägende Figuren handelte, die wegen ihrer zentralen Stellung in der Wrestlingindustrie ihrer Zeit auch einen sehr guten Einblick in den allgemeinen Stil liefern, der das Professional Wrestling im jeweiligen historischen Kontext bestimmt hat. Darüber hinaus waren alle drei nicht nur innerhalb der Wrestlingszene erfolgreich; sie avancierten auch zu Ikonen der zeitgenössischen Populärkultur, wurden als exemplarisch für den Erfolg der Wrestlingindustrie angesehen und bieten damit hervorragende Anknüpfungspunkte, um den Stellenwert des Professional Wrestling in der amerikanischen Kultur besser fassen und in seinem historischen Verlauf besser verfolgen zu können. Als Berufswrestler waren alle drei darüber hinaus von der spezifischen Textur der Wrestlingindustrie ihrer Zeit abhängig. Sie profitierten von der industrieinternen Nutzung der Medialisierung des Professional Wrestling durch die Fernsehtechnik, und ihre Karrieremöglichkeiten waren eng mit der sich daraus ergebenden Organisationsweise des Wrestlingmarktes verbunden. Gleichzeitig agierten sie als eigenständige Akteure innerhalb des für das performative System des Professional Wrestling so wichtigen interaktionalen Netzwerkes. Sie konnten nur deshalb Karriere machen, weil die textuellen Assoziationen ihrer Charaktere und die für ihre Figuren spezifischen Repräsentationen des Hardbody-Ideals beim Publikum einen beson-
22 Vom historischen Verlauf her orientiere ich mich dabei an der Periodisierung, die ich im ersten Kapitel bei der Darstellung der strukturellen Genese der Wrestlingindustrie verwende und konzentriere mich auf die hervorstechenden Wachstumsphasen des Professional Wrestling. 23 Tatsächlich steht die Anzahl der interessanten Charaktere, Ereignisse und Storylines, die einem das Professional Wrestling für die Analyse bietet, in keinerlei Verhältnis zu den engen Grenzen, die einer Arbeit wie dieser im Hinblick auf Umfang und unter Berücksichtigung einer möglichst schlüssigen Konzeption gesetzt sind.
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deren Nerv getroffen hatten und die Organisatoren der Wrestlingshows dazu bewegte, die in diesen Figuren angelegten Darstellungen für ihre Veranstaltungen als Erfolgskonzept zu übernehmen. Dies verweist dann auch auf den nächsten wichtigen Punkt, dem sich die Fokussierung auf gerade diese drei Wrestler verdankt: Die außergewöhnlichen Karrieren dieser drei Männer standen ausnahmslos in direktem Zusammenhang mit dem kommerziellen Erfolg ihrer Arbeitgeber und damit der Wrestlingindustrie im Ganzen. Eine Analyse dieser drei Figuren eröffnet daher auch einen direkten Blick auf die Anatomie der wichtigsten Wachstumsphasen des amerikanischen Professional Wrestling und zeigt das komplexe Zusammenwirken aller bisher genannten Einzelaspekte noch einmal besonders anschaulich.24
24 Betrachtungen oder Spekulationen über den Hintergrund dieser drei Boomperioden finden sich in der ein oder anderen Form in den meisten wissenschaftlichen Arbeiten, die bis dato zum Thema Professional Wrestling publiziert wurden. Die wohl bekannteste These und meist rezipierte Erklärung für diese Erfolgsphasen kommt dabei von dem Politikwissenschaftler Jeffrey Mondak. Mondak konstatiert in seinem Essay »The Politics of Professional Wrestling« eine auffällige Parallelität zwischen den Wachstumsphasen der Wrestlingindustrie und der Zuspitzung von gleichzeitig auftretenden außenpolitischen Krisenszenarien in der US-Politik und kommt deswegen zu dem Schluss, dass der Erfolg des Wrestlings in den USA direkt von der Fähigkeit der amerikanischen Wrestlingindustrie abhängt, aktuelle internationale Konflikte im Rahmen der Shows zu (Re-)inszenieren: »Each of wrestling’s peaks of popularity occured during a period in American history when political events had fostered widespread feelings of isolationism or nationalism among the American public. As was later the case in both the 1950s and the 1980s, the ethical system utilized by professional wrestling in the 1930s capitalized on those sentiments, employing an ethnic distinction of heroes and villains. [This suggests] the existence of a relationship between wrestling’s periods of popularity and the historical contexts of those peaks.« (Mondak, »The Politics of Professional Wrestling«, S. 145). Die These von Mondak stellt angesichts der offensichtlichen Heterogenität, der Vielschichtigkeit und der Vielfalt der in den Wrestlingshows präsentierten Darstellungen letztlich eine allzu einseitige Kausalkonstruktion dar, da sich die Repräsentationen im Wrestlingring nur schwer auf eine so einfache Formel bringen lassen. Außenpolitische Themen liefern zwar
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Dabei wird deutlich, dass neben den statischen Faktoren (Heel/Babyface-Schema, textuelle und somatische Bezüge auf aktuelle gesellschaftliche Diskurse, Abhängigkeit von den Medialisierungsmöglichkeiten der Performances etc.) auch dynamische Faktoren (z.B. Aufkommen neuer technischer Mittel, Strukturwandel innerhalb der Wrestlingindustrie und, vor allem, gesellschaftliche Aktualität der Frage nach der Stellung des weißen Mannes oder anders, des Hardbody-Ideals) ausschlaggebend sind für den kommerziellen Erfolg. Außergewöhnlich groß fällt dieser Erfolg nur dann aus, wenn statische und dynamische Faktoren gleichzeitig auftreten, wie in den Fällen von ›Gorgeous‹ George, ›Hulk Hogan‹ und ›Stone Cold‹ Steve Austin.
durchaus einen wichtigen Hintergrund für die textuellen Assoziationen einer Begegnung, stehen dabei aber immer in einem komplexen Wechselspiel mit den somatischen Assoziationen das Ideal des harten Männerkörpers betreffend und den darin angelegten Anspielungen auf den aktuellen Status Quo maskuliner Hegemonie in der US-Gesellschaft (vgl. hierzu die Untersuchung des von Mondak für seine Argumentation zentralen Kampfes von Hulk Hogan gegen den ›Iron Sheik‹ im Kapitel über Hulk Hogan in dieser Arbeit). Zusätzlich erscheint es fragwürdig, ob der Erfolg des Professional Wrestling tatsächlich – wie von Mondak vermutet – in Zyklen wiederkehrt, die mit der Aktualität von außenpolitischen Konflikten zusammenhängen. Wie die Analyse der strukturellen Entwicklung der Wrestlingindustrie im ersten Kapitel von Teil 1 zeigen wird, ist der Erfolg des Wrestlingindustrie in den USA nämlich weniger zyklisch als kumulativ zu begreifen, da jede Boomperiode – in Hinsicht auf die mediale Vermarktbarkeit und die Organisationsweise des Wrestlingmarktes – für die Schaffung von Strukturen verantwortlich war, die für den nächsten Wachstumsschub unentbehrlich waren und dazu beigetragen haben, dass das Professional Wrestling im Mainstream der US-Populärkultur verankert blieb. Wie die drei historischen Beispielanalysen in Teil 2 zeigen werden, hängt Mondaks Wahrnehmung von zyklischen Mustern eher mit dem Stellenwert des Ideals des harten Männerkörpers in den USA zusammen, welches als Emblem für die fortgesetzte Hegemonie weißer Männer in der amerikanischen Gesellschaft im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer dann an Prominenz gewann, wenn das prekäre Verhältnis von maskuliner Hegemonie und Hegemonieverlust wieder in den Fokus aktueller Diskurse über das ›Mannsein‹ rückte.
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Da die Hintergründe für die strukturelle Genese des Wrestlingmarktes im ersten Kapitel von Teil 1 bereits ausführlicher behandelt werden, habe ich sie im Rahmen der drei historischen Beispielanalysen nur noch als Hintergrund verwendet. Den Schwerpunkt meiner Analyse bilden der Zusammenhang von jeweiligem, zeitgeschichtlichem Kontext mit den textuellen Bezügen der Figur und deren Wechselwirkung mit der Repräsentation des Ideals des harten Männerkörpers. Daraus wird ersichtlich, dass die Wachstumsphasen der Wrestlingindustrie ohne ein zeitgeschichtliches Klima, in welchem die inhaltlichen Elemente der Wrestlingshows eine besonders intensive Partizipation an den Showperformances generieren konnten, nicht denkbar wären. Mein primäres Quellenmaterial für die Ausarbeitung der drei Beispielanalysen stellten dabei Aufzeichnungen von Kämpfen und Wrestlingshows dar.25 Durch die Konzentration auf diese Aufnahmen ließen sich viele der Problematiken auflösen, mit denen sich eine kulturhistorische Untersuchung des Professional Wrestling wegen der komplizierten Quellenlage sonst konfrontiert sehen würde. Betrachtet man nämlich Wrestlingshows, wie hier vorgeschlagen, in struktureller Analogie zu den von Erika FischerLichte untersuchten Formen der Aktionskunst, so fällt auf, dass Performances sich insbesondere durch ihren Ereignis- und Gegenwartscharakter auszeichnen. Performances verfügen »[…] nicht über ein fixier- und tradierbares materielles Artefakt, [sie] sind flüchtig und transitorisch, sie erschöpfen sich in ihrer Gegenwärtigkeit, d.h. ihrem dauernden Werden und Vergehen, in der Autopoiesis der feedback-Schleife [zwischen Performern und Publikum].«26 Filmaufnahmen von solchen Performances besitzen deshalb nicht den Status einer Reproduktion der Performance; sie müssen eher als mediale Artefakte aufgefasst werden, welche das Stattfinden einer Performance im historischen Raum lediglich dokumentieren.27 Für eine kulturhistorische Untersuchung eröffnen solche medialen Artefakte einen guten Blick auf relevante Unterschiede und analysierbare Muster, welche die Wrestlingperformances zu einem gegebenen Zeitpunkt ausgezeichnet haben, ohne dabei die für das Professional Wrestling typischen Probleme im
25 Vgl. hierzu die Bemerkung über die verwendeten Videomaterialien in der Bibliographie am Ende dieser Arbeit. 26 Fischer Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 127. 27 Fischer Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 127-128.
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Hinblick auf die Quellenlage mit sich zu bringen.28 Zur Analyse der einzelnen Figuren und ihrer jeweiligen Zeit wurden deshalb umfangreiche historische Aufnahmen gesichtet, um so die charakteristischen Merkmale, generische Gestiken und für die Charakterisierung der Figur besonders entscheidende Kämpfe herauszufiltern.29 Zur Ergänzung und um die Stichhaltigkeit dieser Auswahl zu überprüfen habe ich darüber hinaus noch einen umfangreichen Korpus an Fanliteratur ausgewertet.30 Diese meist von Sportjournalisten und/oder Wrestlingfans verfassten Bücher stellen wegen dem für das Professional Wrestling typischen allgemeinen Mangel an verlässlichen historischen Materialien zwar eine durchaus wichtige Informationsquelle dar, sind aus den oben bereits genannten Gründen aber mit Vorsicht zu genießen. Im Rahmen dieser Arbeit wurden sie hauptsächlich dazu verwendet, um einen grundsätzlichen Überblick über die Chronologie der Karrieren der von mir untersuchten Wrestler zu erhalten und Hinweise auf Besonderheiten der Figuren zu bekommen. Die Untersuchung von ›Gorgeous‹ George im ersten der drei Analysekapitel weicht dabei in der Gewichtung dieser Quellen etwas von den beiden anderen Kapiteln ab. Die Karrieren von ›Hulk Hogan‹ und ›Stone Cold‹ Steve Austin sind wegen des jeweiligen medialen Entwicklungsstandes, den die Wrestlingindustrie zu diesem Zeitpunkt hatte, um einiges besser dokumentiert und leichter erschließbar. Während für diese beiden Wrestler eine ganze Reihe an Bildmaterial erhältlich ist, war das einzig verwertbare Material, dass ich für die Analyse von ›Gorgeous‹ George ausfindig ma-
28 Durch dieses Vorgehen soll freilich nicht suggeriert werden, dass es nicht möglich wäre, zwischen dem Liveevent in der Halle, dessen medialer Aufbereitung am heimischen Bildschirm und dessen Dokumentation als mediales Artefakt in analytischer Hinsicht zu unterscheiden und damit relevante Unterschiede herauszuarbeiten. Im Rahmen der in dieser Arbeit angestrebten Fragestellung war es mir jedoch wichtig, die offensichtlichen Gemeinsamkeiten dieser drei als verschiedene Effekte eines performativen Geschehens herauszustellen, um so einen Blick auf die historische Dimension des Professional Wrestling in seiner kulturellen Wandelbarkeit gewinnen zu können. 29 Vgl. hierzu die Bemerkung über die verwendeten Videomaterialien in der Bibliographie am Ende dieser Arbeit. 30 Vgl. hierzu die Bemerkung über die verwendete Fanliteratur in der Bibliographie am Ende dieser Arbeit.
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chen konnte, ein nicht datierter Kampf auf der DVD-Sammlung The Glory Days of Wrestling: Buddy Rogers, Gorgeous George, Killer Kowalski.31 Da Performanz aber auch im Wrestling stark von Musterbildung und Iteration abhängig ist, stellte dieser Mangel an Materialien aber kein allzu großes Problem dar. Lediglich für die Chronologie und die Hintergründe von ›Gorgeous‹ Georges’ Karriere musste ich verstärkt auf die Beschreibungen aus der Fanliteratur zurückgreifen. Ein Umstand, der wegen John Capouyas ausgesprochen gelungener und sehr gut recherchierter Biografie Gorgeous George: The Outrageous Bad-Boy Wrestler who created American Pop Culture aber durchaus zu verschmerzen war.32 Der Schlussteil (Outro: Professional Wrestling in der Kultur Nordamerikas) fasst die wichtigsten Argumentationslinien der Arbeit noch einmal kurz zusammen und gibt einen kurzen Ausblick auf den Status Quo des Professional Wrestling in den USA.
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Zusammengenommen gibt diese Arbeit somit einen ersten Überblick über die Funktions- und Organisationsweise des Professional Wrestling in den USA. Sie zeigt, wie diese Funktionsweisen durch charakteristische Darstellungsformen an die Kultur der USA gekoppelt sind und skizziert anhand von einigen konkreten Beispielen, wie diese verschiedenen Elemente bei der Genese der Wrestlingindustrie und deren Etablierung im medialen Mainstream der amerikanischen Kultur zusammengewirkt haben. Dabei muss gewürdigt werden, dass es sich beim Professional Wrestling um eine immens komplexe Industrie und um ein sehr vielschichtiges kulturelles Phänomen handelt. Bei der hier skizzierten Zielsetzung dieser Arbeit tauchen deshalb automatisch auch eine ganze Reihe von blinden Flecken auf, die es sicher allesamt ihrerseits verdient hätten, in einem ausführlicheren Rahmen betrachtet zu werden. Auf ein paar der wichtigsten
31 The Glory Days of Wrestling: Buddy Rogers, Gorgeous George, Killer Kowalski. DVD. Timeless Media Group. Charleston: Matrix Media, 2005. 32 Vgl. hierzu: John Capouya, Gorgeous George: The Outrageous Bad-Boy Wrestler who created American Pop Culture (New York: Harper Collins Publisher, 2008).
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Themenfelder für eine weiterführende, vertiefte Auseinandersetzung mit dem Phönomen Professional Wrestling, die ich für die vorliegende Untersuchung weitestgehend ausblenden musste, möchte ich zum Ende dieser Einleitung hin noch gesondert eingehen. Ein erster Punkt, den ich bei meiner Untersuchung des Professional Wrestling bewusst ausgespart habe, ist die – auch in der wissenschaftlichen Literatur – oft (über-)strapazierte Frage, ob das Professional Wrestling nun ›echt‹ ist oder nicht.33 Hierbei handelt es sich im Prinzip im Rahmen der hier von mir angelegten Betrachtungsweise, die das Professional Wrestling als eine eigenständige Form der Performance betrachtet, um eine Scheindebatte. Die Frage nach Echtheit und/oder der ›Fakedness‹ kann nur dann Bestand haben, wenn das Professional Wrestling an den Maßstäben des populären Massensports gemessen wird und nicht als eigenständiges Performancegenre gesehen wird, dass sich den ›Gestus des Sports‹34 – neben anderen Elementen – zu eigen gemacht hat, um die Zuschauer zur aktiven Partizipation zu animieren. Ein weiterer Fragenkomplex betrifft die genauere Beschreibung von historischer Rolle und Funktion des regionalen Profils von Wrestlingshows im direkten Vergleich zu den national erfolgreichen Konkurrenten, das Verhältnis des US-Professional-Wrestling zu artverwandten Formen des Entertainments im nahen und fernen Ausland sowie die Untersuchung der spezifischen historischen Leistungen und Beiträge kommerziell weniger erfolgreicher Wrestlingligen und des oftmals semiprofessionellen Bereichs des Independent Wrestling. Dies sind allesamt Fragestellungen, die durch die von mir angestrebte Fokussierung auf die Etablierung der Wrestlingshows im kulturellen Mainstream der USA und deren Verortung im dazugehörigen kulturhistorischen Kontext notwendigerweise in ihrer Betrachtung zu kurz kommen. Ich hege hier jedoch die Hoffnug, dass die Ergebnisse der hier durchgeführten historischen Analysen und die Skizze der charakteristischen Merkmale des Professional Wrestling als eigenständiges
33 Vgl. hierzu auch Sharon Mazer, die sich auf eine sehr differenzierte und interessante Art und Weise mit diesem hartnäckigen Vorwurf auseinandersetzt: Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 149 ff. 34 Vgl. hierzu: Michael Atkinson, »Fifty Million Viewers Can’t Be Wrong: Professional Wrestling, Sports-Entertainment, and Mimesis«, Sociology of Sport Journal 19 (2002): S. 47–66, S. 50 ff.
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Showgenre auf diese Bereiche übertragbar und im besten Fall eine erste Orientierug für eine eigenständige Betrachtung dieser Phänomenesein könnten. Ein dritter, besonders komplexer Punkt betrifft die genauere Betrachtung der Wrestlingfans, denen durch ihre betont aktive Rolle im performativen System des Professional Wrestling in der Wrestlingindustrie eine interessante Stellung zukommt, die deutlich über die eines passiven Rezipienten hinausgeht. Aus einem kulturhistorischen Blickwinkel wäre in diesem Zusammenhang besonders die Frage von Interesse gewesen, wie das Wrestlingpublikum entlang klassischer Kategorien sozialer Ungleichheit – Rasse, Klasse, Geschlecht etc. – segmentiert ist und insbesondere, ob diese Segmentierung in ihrer historischen Entwicklung eine besondere Konstanz aufweist oder ob sich signifikante Wandlungen in der Zusammensetzung von Fangruppen erkennen lassen, die weitere Rückschlüsse auf die kulturhistorische Verortung des Professional Wrestling in den USA möglich machen würden. Leider existieren zu diesem Thema eine Menge von (vorgefassten) Klischees, Meinungen und Vorstellungen, aber kein mir bekannter Quellenkorpus, der es möglich machen würde, diesen Themenkomplex im Rahmen einer differenzierten kulturhistorischen Analyse zur Darstellung zu bringen. Aus meiner Sicht müssen hier berechtigte Zweifel angemeldet werden, ob eine umfassende Analyse der Binnendifferenzierung und auch der eigenständigen kulturellen Leistung der Wrestlingfans im Rahmen einer vergleichenden kulturhistorischen Untersuchung überhaupt zum Bereich des Durchführbaren gezählt werden kann.35 Im Gegensatz zu soziologi-
35 Eine Ausnahme bilden hier freilich punktuelle, kulturhistorische Untersuchungen, die sich einen engeren Rahmen gesteckt haben und sich lediglich auf die Analyse einer bestimmten Gruppierung in einem historisch konkreten Zeitraum beschränkt haben, ohne ihre Ergebnisse dabei zu anderen Vergleichmomenten in Beziehung zu setzen. Vgl. hierzu z.b. die sehr interessanten Untersuchungen der weiblichen Fankultur im Professional Wrestling von: Chad Dell, The Revenge of Hatpin Mary: Women Professional Wrestling and Fan Culture in the 1950s (New York: Peter Lang Publishing, 2006), S. 42. Und: Catherine Salmon und Susan Clerc. »›Ladies Love Wrestling, Too‹ – Female Wrestling Fans Online«. Steelchair to the Head: The Pleasure and Pain of Professional Wrestling, Herausgegeben von Nicholas Sammond (Durham / London: Duke University Press, 2005), S. 167-189.
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schen und ethnologischen Studien – die auf eine konkrete empirische Befunde rekurrieren können – treten die oben bereits angesprochenen Probleme hinsichtlich der historischen Quellenlage im Professional Wrestlin hier nämlich ganz besonders in den Mittelpunkt und lassen eine kulturhistorische Analyse des Wrestlingzuschauers zu einem Mammutprojekt anwachsen, dass einen vor nahezu unlösbare pragmatische und methodische Schwierigkeiten stellt. Ich habe mich der Frage nach den Wrestlingfans im Rahmen dieser Arbeit deshalb nur indirekt angenommen, indem ich ganz allgemein davon ausgegangen bin, dass die Shows des Professional Wrestling – gemäß ihrer zentralen Darstellungsformen – während ihrer fast hundertjährigen Geschichte primär an Personen adressiert waren, die sich mit der für die Wrestlingshows typischen Repräsentation maskuliner Hegemonie und den dieser zugehörigen Allusionen an kulturspezifische und zeitspezifische Differenzdiskurse so identifizieren konnten, dass sie dadurch zu einer – mehr oder weniger – aktiven Partizipation am performativen System des Professional Wrestling animiert wurden. Wie sich das Publikum innerhalb der konkreten historischen Situation nun aber genau zusammengesetzt hat, habe ich dabei weitestgehend im Dunkeln gelassen und nur indirekt durch die genauere Analyse des kulturhistorischen Kontextes – der den Erfolg einer spezifischen Darstellung überhaupt erst möglich gemacht hat – mit einfließen lassen, um so – zumindest implizit und mit Vorbehalten – ein Bild jener Persongruppen zu rekonstruieren, die sich zu einem konkreten Zeitpunkt mit den Darstellungen der Wrestlingshows identifizieren konnten. Diese indirekte Charakterisierung des Publikums geht dabei stets mit der impliziten Feststellung einher, dass es sich bei dem Wrestlingpublikum eben nicht um eine homogene oder homogenisierbare Masse handelt, sondern um ein durchaus heterogenes und oftmals auch widersprüchliches Kollektiv, bestehend aus verschiedenen Gruppierungen. Diese Gruppierungen können auch zueinander konträre Positionen einnehmen und ihre individuelle Beziehung zu den Elementen der aktiven, performativen Partizipation und zum Rekurs der Shows auf textuelle Phänomene und die charakteristische Repräsentation maskuliner
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Hegemonie möglicherweise auf eine jeweils sehr eigenständige Art und Weise rechtfertigen.36
36 Wie komplex die Frage nach der Binnendifferenzierung des Wrestlingpublikums ist, lässt sich besonders gut am sogenannten ›smartening‹ der Wrestlingfans exemplifizieren, dass insbesondere von der Sozilogin Marion Wrenn im Rahmen ihres Aufsatzes »Professional wrestling jargon and the making of ›smart fans‹« untersucht wurde. Ganz allgemein bezieht sich das Phänomen der ›smart fans‹ im Professional Wrestling auf einen langsamen Prozess, im Zuge dessen die amerikanische Wrestlingindustrie immer offener mit dem Showcharakter des Wrestling umgegangen ist. Im Zusammhang mit dieser Wandlung begann sich in den Reihen der Wrestlingfans nach und nach ein neuer Diskurs zu etablieren, in dem die soganannten ›smart fans‹ – die über ein großes Backgroundwissen von Interna und der Funktionsweise der Wrestlingindustire verfügen – immer deutlicher vom Rest der Wrestlingfans – den sogenannten ›marks‹, die sich durch einen vermeintlich unkritischen Umgang mit den Wrestlingshows und einen naiven Glauben an die ›Echtheit‹ des Wrestling auszeichnen – unterschieden wurden. (Marion Wrenn, »Professional wrestling jargon and the making of ›smart fans‹«, Practicing Culture, herausgegeben von Craig Calhoun und Richard Sennett (New York: Routledge, 2007): S. 149–171. Vgl. auch: Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 149 f.) Hier stellt sich jedoch die Frage, ob die Unterscheidung von ›smart fans‹ und ›marks‹ als objektive Analysekategorie für eine kulturhistorische Betrachtung des Wrestlingpublikums auch tatsächlich haltbar wäre, da es sich dabei ja um eine Klassifikation handelt, die aus der Sicht des Diskurses der ›smart fans‹ getroffen wurde. So weist Marion Wrenn beispielsweise darauf hin, dass sich das Wrestling-Publikum des Showcharakters auch vor dem ›smartening‹ durchaus bewusst war. (Wrenn, »Professional wrestling jargon and the making of ›smart fans‹«, S. 149–171. Vgl. hierzu auch die Studie von William Liscomp – auf die sich Wrenn unter anderem bezieht: Liscomp, »The Operational Aesthetic in the Performance of Professional Wrestling«, S. vi–vii.) Aus der Sicht des von mir für diese Arbeit gewählten Ansatzes, der ja die Charakterisierung und die historische Genese des dem Professional Wrestling eigenen performativen Systems in den Mittelpunkt setzt, brachte ›smartening‹ zumindest kein wesentlich neues Element in die Kultur des Professional Wrestling ein. Es kann vielmehr als eine weitere Bemühung der Wrestlingindustrie und der Fans verstanden werden, das Publikum durch die Schaffung neuer Interaktionsmöglichkeiten und die Erwei-
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Ein letzter Fragenkomplex, auf den ich in dierser Arbeit lediglich implizit eingegangen bin, betrifft die Repräsentation von Frauen, Latinos und Afroamerikanern im Professional Wrestling.37 Die Betrachtung dieser Darstellungen und ihrer historischen Variationen ist deswegen von besonderem Interesse, weil es sich dabei um Gruppen handelt, die in der amerikanischen Gesellschaft tendenziell qua »einschließende[r] Ausschließung«38 als Kontrastfolie zur Hegemonie weißer Maskulinität fungiert haben. Die genauere Analyse der Repräsentationen von Frauen, Afroamerikanern und Latinos wäre deshalb gut dafür geeignet gewesen, um auf einem indirekten Weg zu verdeutlichen, wie die Performances des US-Professional-Wrestling mittels des beständigen Rekurses auf die Imagination des harten Männerkörpers stets auf die Repräsentation von weißer Maskulinität als zentrales Prinzip hin organisiert sind.39 Ein früher Entwurf dieser Arbeit war deshalb darauf angelegt, die Analysen der drei von mir untersuchten Wrestler jeweils mit zeitgenössischen Darstellungen von Frauen, Afroamerikanern und Latinos
terung potenzieller textueller Inhalte noch stärker in die Performances zu integrieren und damit deren performative Grundlagen zu stärken, die dann ihrerseits zu einer Differenzierung innerhalb der Fankultur beigetragen hat, die neue Möglichkeiten gefördert hat, sich innerhalb des Regelwerks des performativen Systems zu positionieren. Ich habe mich deshalb dafür entschieden, auf die Frage nach dem ›smartening‹ nicht explizit einzugehen. 37 Dieser Fragekomplex hätte im Grunde auch noch auf die Untersuchung der Repräsentation alternativer Formen von Maskulinität oder anderer Spielformen maskuliner Hegemonie ausgeweitet werden können, die im Professional Wrestling stets im Rahmen eines Spannungsverhältnisses zwischen textueller und somatischer Assoziation zum Ausdruck zu kommen pflegen. Vgl. hierzu das Kapitel über ›Gorgeous‹ George in dieser Arbeit. 38 Giorgio Agamben, Homo Sacer: Die Souveränität der Macht und das nackte Leben (Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2002), S. 17. 39 Einen ersten guten Eindruck davon, wie stark die Darstellung von diesen Gruppen im US-Professional-Wrestling von der dominanten Repräsentation weißer Maskulinität abhängt, kann man in den Arbeiten von Sharon Mazer (Weiblichkeit), Philip Serrato (Latinos), sowie Brendan Maguire und John F. Wozniak (Rasse und Ethnie) gewinnen: Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 117 ff.; Serrato, »Not Quiet Heroes«. Brendan Maguire und John F. Wozniak, »Racial and Ethnic Stereotypes in Professional Wrestling«.
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zu kontrastieren. So sollte die zentrale Stellung, welche der Repräsentation weißer Maskulinität in den Wrestlingshows zukommt, noch deutlicher herausgearbeitet werden. Beim weiteren Ausarbeiten dieses Entwurfes zeichnete sich jedoch recht bald ab, dass die Betrachtung jedes einzelnen Wrestlers bei diesem Vorgehen letztlich zu einem eigenständigen Buchprojekt anwachsen würde, da die jeweils spezifischen Formen der Darstellung nicht nur in ihrer Abhängigkeit vom zentralen Ideal des harten Männerkörpers beschrieben werden müssten, sondern auch die Art und Weise, wie sie sich voneinander unterscheiden lassen und wie diese Unterscheidungen im Rahmen einer kulturhistorischen Entwicklung zu bewerten und zu verorten sind. Diese Vorgehensweise hätte jedoch zum zentralen Zweck der drei Beispielanalysen – anhand der punktuellen Betrachtung repräsentiver Charaktere in entscheidenden Momenten der Geschichte der Wrestlingindustrie einen Blick auf deren allgemeine Genese zu bekommen – im Widerspruch gestanden und der Gesamtkonzeption der Arbeit ein neues Gesicht gegeben, weshalb ich mich letztlich dazu entschossen habe, mich auf die genauere Charakteriserung der im Professional Wrestling zentralen Repräsentationen weißer Maskulinität zu konzentrieren. Meine Hoffnung war auch hier, einen ersten Anküpfungspunkt zu schaffen, der auch für die Analyse anderer, komplementärer Darstellungsformen im Wrestlingring einen bindenden Charakter hat. Vergleicht man das Professional Wrestling mit einem alten, über Jahrzehnte gewachsenen Gebäudekomplex, so stellt mein Vorgehen in dieser Arbeit einen ersten Versuch dar, jene Säulen und tragenden Elemente ausfindig zu machen, die für die interne Statik des Professional Wrestling als Ganzes unentbehrlich sind und nach deren Entfernen selbiges nicht länger als ein Gebäude zu identifizieren wäre. Im Idealfall hoffe ich zeigen zu können, dass es sich bei diesem oftmals marginalisierten Bereich der amerikansichen Kultur um ein durchaus vitales, innovatives und eigenständiges Segment handelt, das viele spannende und überraschende Perspektiven auf die Kultur Nordamerikass bereithält und es – trotz der oftmals widrigen Quellenlage – durchaus verdient hätte, auch in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.
2. Professional Wrestling – Eine genuin amerikanische Showtradition
D AS PERFORMATIVE S YSTEM DES P ROFESSIONAL W RESTLING UND DIE STRUKTURELLE G ENESE DER US-W RESTLINGINDUSTRIE Professional Wrestling als Performance Dass es sich bei den im Professional Wrestling dargebotenen Kämpfen nicht um einen sportlichen Wettbewerb sondern vielmehr um eine eigentümliche und spezielle Art von Showdarbietung handelt, welche sich den Gestus und die Dramatik des Sports zu eigen gemacht hat1, war lange Zeit ein offenes, aber systematisch geschütztes Geheimnis der amerikanischen Wrestlingindustrie gewesen.2 Die Feststellung, dass Professional Wrestling nur eine Show ist, hat deshalb zwar Allgemeinplatzcharakter, sie erklärt aber noch nicht, worin dieser Showcharakter nun genau besteht und welche
1
Vgl. hierzu: Atkinson. »Fifty Million Viewers Can’t Be Wrong«, S. 50 ff.
2
Wrenn, »Professional wrestling jargon and the making of ›smart fans‹«, S. 149–171.
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distinktiven und charakteristischen Eigenheiten das Professional Wrestling als Showdarbietung von anderen Formen der populären Unterhaltung abgrenzen.3
3
Die Frage nach der Klassifikation des Professional Wrestling als eigenständige Form der Showdarbietung ist eine Problematik, die sich sich – wie ich bereits erwähnt – wie ein roter Faden durch die gesamte, bisher zu diesem Thema publizierte Literatur zieht. Zu rein heuristischen Zwecken lassen sich insbesondere in den früheren Arbeiten zwei Ansätze unterscheiden: Der theatrale Ansatz und der mythisch/rituelle Ansatz. Im Zentrum des theatralen Ansatzes steht meist der Versuch, das Professional Wrestling entlang etablierter Begrifflichkeiten und/oder Inszenierungskonventionen aus der Tradition des Theaters oder deren Umfeld zu untersuchen. Der große Vorteil dieses Vorgehens liegt in der Verwendung bereits etablierter interpretativer Muster und Modelle aus der Theatertradition, welche sich gut als Analyseinstrument für die genauere Untersuchung der Darbietungen im Ring nutzen lassen und somit auch ein gutes Instrument für deren Interpretation bieten. Dabei besteht aber auch immer die Gefahr, dass die Eigenständigkeit des Professional Wrestling hinter jener etablierten Begrifflichkeit zu verschwinden droht, welche eigentlich zu deren Analyse zu Rate gezogen wurde; ein Umstand, der oft noch dadurch verschärft wird, dass die Autoren ihre vom Theater übernommen Deutungsmuster – scheinbar – nur in den seltensten Fällen an den tatsächlichen Abläufen einer Wrestlingshow überprüft haben. Dies ist besonders im Hinblick auf die Beziehung zwischen Publikum und Protagonisten problematisch. Der Interaktion zwischen Publikum und Protagonisten kommt in einer Wrestlingshow eine zentrale Stellung zu, welche jedoch durch den Rückgriff auf verschiedene Theatermetaphern stark unterbetont wird. Arbeiten mit einem rein theatralen Ansatz laufen deswegen häufig Gefahr, das Professional Wrestling wie eine Art von Aufführung zu beschreiben, die komplett vorab geplant ist und dann lediglich für den passiven Blick eines idealisierten Publikums dargeboten wird. (Vgl. hierzu: Gerald Craven und Richard Mosely, »Actors on the Canvas Stage: The Dramatic Conventions of Professional Wrestling«; Brendan Maguire und John F. Wozniak, »Racial and Ethnic Stereotypes in Professional Wrestling«; Roland Barthes, »The World of Professional Wrestling«; Jenkins, »›Never Trust a Snake‹: WWF Wrestling as Masculine Melodrama«; Jeffrey J. Mondak, »The Politics of Professional Wrestling«).
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Erst nach Durchführung einer Reihe von ethnografisch angelegten Studien über die Kultur des Professional Wrestling in den frühen 90er Jahren konnte klar und nachvollziehbar gezeigt werden, dass die Darbietungen einer Wrestlingshow einer eigenständigen und charakteristischen Logik folgen, deren herausragendes Merkmal in einem besonders hohen Maß an wechselseitiger Interaktion zwischen dem am Ring anwesenden Publikum und den im Ring aktiven Wrestlern besteht.4 Die interaktiven Grundlagen einer Wrestlingshow werden von dem Ethnologen Laurence DeGaris dabei wie folgt charakterisiert: The underlying structure […] is that matches must be constructed in a dialogue (or maybe colloquy) between or among the wrestlers and the crowd. Thus, the crowd has a say in constructing the story. The wrestlers are never in total control of the
Ein ähnliches Problem findet sich in den Arbeiten mit einem mythisch/rituellen Ansatz. Zwar wurde in diesen Arbeiten häufig der Versuch unternommen, die performativen Eigenheiten des Professional Wrestling mehr in den Blick zu nehmen, doch nur um diese dann entlang hinlänglich etablierter und kodifizierter Konzepte aus der Mythos- und Ritualforschung zu deuten. (Vgl. hierzu insbesondere: Michael R. Ball, Wrestling as Ritual Drama in American Popular Culture; Marc Leverette, Professional Wrestling: The Myth, the Mat, and American Popular Culture; Liscomp, »The Operational Aesthetic in the Performance of Professional Wrestling«; Ashley Souther, »Professional Wrestling as Conflict Transformation«). 4
Diese Arbeiten mit einem interaktionellen Ansatz können als eine direkte Antwort auf die Problematiken der oben skizzierten Ansätze verstanden werden. Der ethnographische Ansatz machte es möglich, die tatsächlichen Abläufe einer Wrestlingshow weitestgehend ohne Rückgriff auf Schemata aus der Theatertradition oder der Ritualforschung zu beschreiben und rückte somit die performativen Grundlagen des Professional Wrestling als eine eigenständige Form der Showdarbietung in den Mittelpunkt. Vgl. hierzu neben den bereits zitierten Arbeiten von Laurece DeGaris und Sharon Mazer auch die aktuelleren Studien von Taylor Smith, die ebenfalls auf ethnografischer Forschung aufbauen: Taylor Smith, »Passion Work: The Joint Production of Emotional Labor in Professional Wrestling«, Social Psychology Quarterly 71:2 (2008): S. 157–176; sowie: Taylor Smith, »Pain in the Act: The Meaning of Pain among Professional Wrestlers«, Qual Sociol 31 (2008): S. 129–148.
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crowd – though they are frequently the manipulators or at least the facilitators. In effect, the crowd tells the wrestlers the story it wants to hear. It is up to the wrestlers to listen and react.5
Der Umweg über ein kleines Gedankenexperiment erscheint mir an dieser Stelle hilfreich, um die hier von DeGaris skizzierten Interaktionsmuster einer Wrestlingshow besser begreifen zu können. Angenommen, zwei Fußballteams bekommen von offizieller Stelle mitgeteilt, dass die Ergebnisse eines anstehenden Spiels bereits im Vorhinein festgelegt wurden. Sie bekommen von den Verantwortlichen die Art und den Zeitpunkt der entscheidenden Torschüsse und Spielszenen mitgeteilt und erhalten darüber hinaus den Auftrag, das Spiel so zu gestalten, dass die Zuschauer es als einen tatsächlichen Wettkampf erleben können. Die Aufgabe der Fußballer würde nun darin bestehen, ihr Spiel so auf die Reaktionen des Publikums abzustimmen, dass die entscheidenden Wendungen der Partie mit der größtmöglichen Dramatik umgesetzt werden. Die Situation im Professional Wrestling ist ganz ähnlich. Die Protagonisten im Ring kennen die markanten und entscheidenden Momente der vom Wrestlingpromoter – so werden die Veranstalter der Wrestlingshows im Jargon der Industrie genannt – angesetzten Begegnung. Darüber hinaus wird ein narrativer Rahmen festgelegt, welcher klare Vorgaben für die Hintergrundgeschichte und die Dramaturgie des Kampfes liefert.6 Aufgabe der Wrestler ist es nun, diesen Spannungsbogen aufzunehmen und ihn in Abhängigkeit zu den Reaktionen des Publikums zu erhalten und zu intensivieren. Wrestlingmatches enthalten so zwar quasi-choreografierte Elemente, welche vorab im Training verinnerlicht werden, im Moment der Darbietung werden sie jedoch situativ vor den Augen der Zuschauer und in Abstimmung auf deren Reaktionen hin gestaltet.7
5
DeGaris, »The ›Logic‹ of Professional Wrestling«, S. 206.
6
Ein sehr anschaulicher, deskriptiv gehaltener Überblick über die gängigen Abläufe und das narrative ›Regelwerk‹ eines Wrestlingmatches findet sich bei Sharon Mazer: Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 14 ff.
7
Smith, »Passion Work«, S. 164 ff; Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 51 ff; DeGaris, »The ›Logic‹ of Professional Wrestling«, S. 199 ff.
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A wrestling event is conspicuously constructed around a set idea of what the wrestling audience wants and expects to see. To be a successful professional wrestler is to be able to manipulate your opponent and your audience at the same time. To be a successful promoter is to arouse spectators’ desires and expectations by creating a context – an angle or storyline – for which the witnessed confrontation becomes simultaneously the payoff – the climax we’ve all been waiting for – a setup for a new story line to be spun out in the coming months. […] At every point of contact with the audience, the audience is reminded of its primacy: the wrestlers always keep one eye on the crowd, competing for spectators’ passions and inviting them to play along.8
Eine Wrestlingshow besteht folglich im Wesentlichen aus den rekursiven Interaktionen dreier Gruppen: den Zuschauern, den Wrestlern und den Promotern. Die Aufgabe des Promoters ist es, einen Rahmen für die Interaktion zwischen den Wrestlern und ihrem Publikum zu schaffen. Sie sondieren gewissermaßen das zeitgeschichtliche und kulturelle Klima nach anschlussfähigen »stereotypischen Darstellungsformen«9, mit denen sie bei einem möglichst großen Publikum den Wunsch nach Partizipation wecken können. Dieser Rahmen ist aber keinesfalls starr, sondern kann in und durch Interaktionen zwischen den Wrestlern und ihrem Publikum modifiziert werden. Wegen der zentralen Stellung dieser interaktiven Rückkopplungsprozesse zwischen Promotern, Wrestlern und Publikum lassen sich Wrestlingshows deshalb am ehesten als eine Aufführung oder Performance im Stile der Performancekunst beschreiben.10 Für diese sehr subtile und enge Rückkopplung zwischen den Promotern, den Wrestlern und ihrem Publikum, die DeGaris im obigen Beispiel mit dem Begriff der Interaktion zu charakterisieren versucht, entwickelt Erika Fischer-Lichte in ihrer Arbeit Ästhetik des Performativen die Konzepte der
8
Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 37.
9
Die Frage nach der Art und Weise und der inhaltlichen Natur dieser für das Professional Wrestling charakteristischen ›stereotypischen Darstellungsformen‹ werden im nächsten Kapitel ausführlicher ausgearbeitet. An diese Stelle ist zunächst nur die Funktion entscheidend, die den inhaltlichen Bezügen einer Wrestlingshow im Rahmen des performativen Systems zukommt.
10 Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 42 ff.
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leiblichen Ko-Präsenz und der autopoietischen Feedbackschleife. Diese Konzepte gehen von der Annahme aus, dass es sich bei der von der westlichen Theatertradition nahegelegten Unterscheidung zwischen einem ›passiven‹, rein rezeptiven Zuschauer und einem ›aktiven‹, darstellenden Protagonisten letztlich um eine rein begriffliche Fiktion handelt. Vielmehr übt schon die bloße körperliche Präsenz verschiedener handelnder Personen im selben Raum fortwährend subtile Reize und Affekte aus, die dann fast automatisch ähnliche Reaktionen nach sich ziehen und somit ein beständiges ›somatisches‹ Feedback zwischen allen im Rahmen einer Darbietung versammelten Personen erzeugen, welche deren Form und Ablauf nachhaltig prägen und modifizieren. Während die Akteure handeln – sich durch den Raum bewegen, Gesten ausführen, das Gesicht verziehen, Objekte manipulieren, sprechen oder singen -, nehmen die Zuschauer ihre Handlungen wahr und reagieren auf sie. […] Derartige Reaktionen lassen sich sowohl von den Zuschauern als auch von den Schauspielern wahrnehmen – sie spüren, hören oder sehen sie. Und diese Wahrnehmungen resultieren wiederum in wahrnehmbaren Reaktionen der Schauspieler und der anderen Zuschauer. […] Was immer die Akteure tun, es hat Auswirkungen auf die Zuschauer, und was immer die Zuschauer tun, es hat Auswirkungen auf die Akteure und die anderen Zuschauer. In diesem Sinne lässt sich behaupten, daß die Aufführung von einer selbstbezüglichen und sich permanent verändernden feedback-Schleife hervorgebracht und gesteuert wird. Daher ist ihr Ablauf auch nicht vollständig planbar und vorhersagbar11
Für Fischer-Lichte zeichnen sich Aufführungen oder Performances deshalb – im Gegensatz etwa zum klassischen Theater – durch ein Setting aus, welches die Effekte der leiblichen Ko-Präsenz und des autopoietischen Feedbacks zwischen den handelnden Personen nutzt und diese bewusst in eine bestimmte Richtung lenkt bzw. bündelt.12 Die große strukturelle Analogie zwischen den Verfahrensweisen der Performancekunst und dem Ablauf einer Wrestlingshow wird deutlich,
11 Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 58 f. 12 Vgl. hierzu insbesondere Fischer-Lichtes Ausführungen über den Unterschied von klassischem Theater und moderner Performancekunst. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 42 ff.
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wenn man die Rolle betrachtet, welche der Unterscheidung zwischen einem ›guten‹, positiv konnotierten Wrestler – dem sogenannten Babyface – und einem ›bösen‹, negativ konnotierten Wrestler – dem sogenannten Heel – im performativen System einer Wrestlingshow zukommt. Wie sowohl Laurence DeGaris als auch Sharon Mazer gezeigt haben, fungiert dieses Heel/Babyface-Schema während eines Kampfes als dramaturgische und narrative Blaupause, welche letztlich alle Formen der Interaktion um und in einem Match ordnet und regelt.13 Das Heel/Babyface-Schema organisiert und bündelt damit alle aus der körperlichen Rückkopplung erfolgenden Handlungen der an einer Wrestlingshow beteiligten Parteien in einem verhältnismäßig starren und formgebenden Rahmen. Für die Wrestler ist durch die Zuordnung innerhalb dieses Schemas klar, wie sie sich untereinander und im Hinblick auf das Publikum verhalten müssen. So wird ein Heel-Wrestler stets darauf bedacht sein, mit dem Publikum und dem Babyface-Wrestler in einer Art und Weise umzugehen, die vom Publikum mit möglichst starker Abneigung quittiert wird, während ein Babyface-Wrestler die genau entgegengesetzte Strategie einschlagen wird. Die Intensität der Publikumsbeteiligung, wahrnehmbar durch die Heftigkeit der Zuneigungs- und/oder Abneigungsbekundungen, fungiert dabei wiederum als deutliches Signal an den Promoter, der so erkennen kann, ob die von ihm angesetzten Begegnungen auch tatsächlich das Potenzial besitzen, das Netzwerk an Rückkopplungsprozessen in Gang zu setzten, welche für den erfolgreichen und reibungslosen Ablauf einer Wrestlingshow notwendig sind. Das Heel/Babyface-Schema ist für die Wrestlingshows damit eine zentrale narrative und performative Blaupause, die den Raum für die eigenständige Dynamik der performativen Rückkopplungen eröffnet, den sie zeitgleich aber auch durch einen klaren, relativ rigiden Rahmen lenkt und begrenzt. Die Fragen nach der Klassifizierung des Professional Wrestling als eigenständiges Showgenre lässt sich folglich in einer einfachen (vorläufigen) Definition zusammenfassen: Professional Wrestling ist eine eigenständige Form von Performance, die auf der rekursiven Interaktion von Wrestlern,
13 DeGaris, »The ›Logic‹ of Professional Wrestling«, S. 206 ff. Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 27 ff. Für die emotionale Bedeutung der Unterscheidung zwischen dem Heel und dem Babyface vgl. auch: Smith, »Passion Work«.
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Promotern und Publikum entlang der narrativen Blaupause des Heel/Babyface-Schemas fußt. Um eine allgemeingültige Aussagekraft zu besitzen muss diese Definition jedoch noch um eine zusätzliche Dimension erweitert werden, welche die Auswirkungen technischer, audiovisueller Medien auf die Prinzipien der somatischen Feedbackschleife und der leiblichen Ko-Präsenz berücksichtigt. Wie Scott Beekman gezeigt hat, ist damit das Medium Fernsehen gemeint, welchem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine herausragende Bedeutung für die Geschichte der amerikanischen Wrestlingindustrie zukommt. Denn »[while] sport historians continue to argue about the degree to which television alters sporting forms, there can be no doubt that it shaped professional wrestling.«14 Die Frage nach den Auswirkungen der langjährigen Allianz zwischen dem Professional Wrestling und dem Fernsehen ist dabei insbesondere in den akademischen Studien zu diesem Thema höchst kontrovers diskutiert worden. So leitete die Nutzung technischer Übertragungsmittel nach Auffassung des amerikanischen Soziologen Michael Ball einen geradezu verfallsartigen Wandel in der Geschichte der amerikanischen Wrestlingindustrie ein, im Zuge dessen sich das Professional Wrestling von einem participatory ritual hin zu einem media-constructed ritual verändert hat. The participant ritual and the media-constructed ritual are quite different in their impact. The participatory ritual is one in which the actors play to the crowd, measuring audience reaction until certain that the point has been made. […] By, contrast the media-constructed ritual is one which is closely controlled by the producers in an attempt to elicit a common interpretation of the dramas staged in the ring.15
Balls Sichtweise würdigt somit zwar die zentrale Rolle, die dem somatischen Feedback zwischen den Teilnehmern in einer Wrestlingshow zukommt; er geht jedoch davon aus, dass die Möglichkeit einer solchen Interaktion seit der frühen Ringkampfzeit beständig abgenommen hat. Die Übertragung durch das Fernsehen unterbindet seiner Meinung nach die Mög-
14 Beekman, Ringside, S. ix. 15 Ball, Wrestling as Ritual Drama in American Popular Culture, S. 82 f.
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lichkeiten einer unmittelbaren Interaktion und macht aus den Zuschauern passive Rezipienten eines von Produzenten gezielt gestalteten Narrativs.16 Seine These steht jedoch in direktem Widerspruch zu den Ergebnissen einer 2001 von Barbara Ruth Burke durchgeführten ethnografischen Studie, die das Verhalten einiger Probandengruppen beim gemeinsamen Betrachten von Wrestlingshows genauer untersucht hat. Burke kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass Zuschauer an den Bildschirmen die interaktive Situation in der Halle vor dem Fernseher geradezu zu rekonstruieren scheinen: The groups of viewers often bacame physically – animated jumping up, re-enacting the wrestlers’ signature entrances, reciting their mottoes, or performing their winning moves on other members of the home audience. […] The groups’ behavior suggested that they viewed the specific environment they constructed during group television watching to be an extension of the show. It was seen as a place with its own reality and rules, within which a set of interactions that may be surprising to outsiders were acceptable and normal among those who understood the values of the special setting they had constructed.17
Die Wahrheit liegt – wie so oft – sicherlich in der Mitte. Denn genau die hier zwischen den Positionen Balls und Burkes offensichtlich werdende Spannung zwischen der Unterbrechung und der Erweiterung des performativen Feedbacks qua medialer Übertragung wird von Erika Fischer-Lichte als ein essenzieller Bestandteil einer jeden Performance beschrieben, der immer dort zutage tritt, wo die Ereignishaftigkeit von Performances in eine Wechselwirkung mit audiovisuellen Übertragungstechniken tritt.18 So besteht ein wesentliches Kennzeichen von Performances für Fischer-Lichte darin, dass diese sich niemals in derselben Form wiederholen lassen. Vielmehr hängt ihnen ein spezifischer Ereignischarakter an, den sie als die Liveness von Performances bezeichnet.19 Diese Liveness spielt auch im per-
16 Ball, Wrestling as Ritual Drama in American Popular Culture, S. 77–83. 17 Barbara Ruth Burke; »Wrestling Audiences: An Ethnographic Study of Television Viewers«, North Dakota Journal of Speech & Theatre 14 (2001): S. 9. 18 Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 114 ff. 19 Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 127 f. Fischer-Lichte arbeitet neben der Liveness noch drei weitere basale Kategorien heraus, mit welchen
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formativen System des Professional Wrestling eine tragende Rolle, denn da auch Wrestlingmatches »[…] nicht über ein fixier- und tradierbares materielles Artefakt [verfügen], sind [sie] flüchtig und transitorisch, sie erschöpfen sich in ihrer Gegenwärtigkeit, d.h. ihrem dauernden Werden und Vergehen, in der Autopoiesis der feedback-Schleife [zwischen Performern und Publikum].«20 Zwar kann eine Begegnung zwischen zwei Wrestlern beliebig oft angesetzt werden und einzelne Sequenzen eines Kampfes können im Rahmen eines anderen durchaus wiederholt werden; die spezifische Dramatik eines Kampfes und der dazugehörige Dialog zwischen den Wrestlern und ihrem Publikum lässt sich jedoch nicht reproduzieren. Der Veranstaltungsort, die Zusammensetzung und Stimmung des Publikums sowie die Tagesform der Performer sind nur ein paar der Variablen, welche dafür sorgen, dass auch eine Wrestlingperformance – selbst bei der gleichen nar-
sich die Rückkopplungsprozesse der leiblichen Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern genauer bestimmen lassen: Berührung, Gemeinschaft und Rollenwechsel. Kurz zusammengefasst handelt es sich dabei um das Faktum, dass alle Personen, die an einer Performance beteiligt sind, qua leiblicher Ko-Präsenz unwillkürlich von der unmittelbaren körperlichen Präsenz der anderen Performanceteilnehmer affektiert werden und diese durch ihre eigene Leiblichkeit affektieren (Berührung). Hinzu kommen die daraus resultierende Erfahrung aller an der Performance beteiligten Personen als eine gespürte kollektive Entität (Gemeinschaft) sowie die Prozesse einer beständigen wechselseitigen Objektivierung des Anderen durch Einnahme einer Subjektposition, welche zwischen den handelnden Personen die Effekte von Machtverhältnissen innerhalb der Performance erzeugt bzw. reproduziert (Rollenwechsel) (Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 63–126). Zu all diesen Aspekten ließen sich strukturelle Äquivalente in den Performances des Professional Wrestling finden. FischerLichtes Arbeit liefert damit auch einen sehr interessanten Anknüpfungspunkt für eine umfassendere Untersuchung der Wrestlingshows unter rein performativen Gesichtspunkten. 20 Fischer Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 127. Fischer-Lichte weist an dieser Stelle auch auf den Umstand hin, dass auch die Aufnahmen einer Performance nicht als ein solches »materielles Artefakt« aufgefasst werden können, da sie die Performance lediglich dokumentieren können, diese jedoch in keinster Weise reproduzieren.
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rativen Rahmensetzung – »[…] nach ihrem Ende unwiederbringlich verloren [ist]; sie lässt sich niemals wieder als dieselbe wiederholen.«21 Wie wir im historischen Abriss über die strukturelle Genese der USWrestlingindustrie im nächsten Abschnitt dieses Kapitels noch sehen werden, ließ die Nutzung der Fernsehtechnologie durch die Wrestlingpromoter den spezifischen Ereignischarakter der Showkämpfe in eine kreative Spannung zu den technischen Gegebenheiten der neuen Übertragungstechniken treten, welche durch die Bildlichkeit des Mediums darauf angelegt waren, die somatische Präsenz eines lebenden Körpers durch dessen zweidimensionale Repräsentation auf dem Bildschirm zu ersetzen. Wie Fischer-Lichte gezeigt hat, stehen diese beiden Prinzipien der somatischen Präsenz und der rein visuellen Vermittlung nur in einem scheinbaren Widerspruch zueinander, da die mediale Vermittlung einer Performance nicht zwangsläufig zum Verlust des somatischen Feedbacks zwischen Publikum und Performern führen muss. Sie verdeutlicht dies anhand einer ausführlichen Analyse einer Theateraufführung von »Der Idiot«, inszeniert vom deutschen Regisseur Frank Castorf, in welcher dieser die Wechselwirkung zwischen direkter somatischer Interaktion und medialer Vermittlung zum Mittelpunkt seiner Aufführung machte, indem er die leibliche Präsenz seiner Schauspieler nach und nach durch deren mediale Repräsentation auf Fernsehschirmen ersetzte. Wer sonst in eine Theateraufführung geht, setzt die leibliche Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern als selbstverständlich voraus, während er sie im Kino oder vor dem Fernseher nicht vermißt. Hier dagegen wurde in der Aufführung durch ihre eigene Medialisierung die leibliche Anwesenheit der Schauspieler ständig vom Verschwinden bedroht. In diesen Phasen war die feedback-Schleife unterbrochen oder schien zumindest unterbrochen: Die Zuschauer hatten die Videobilder vor Augen, auf die sie nur auf dem Umweg über die Schauspieler einfluß nehmen konnten. Ob diese ihre Reaktionen jedoch wahrzunehmen vermochten, […] ließ sich von den Zuschauern nicht erkennen- Für sie war die feedback-Schleife unterbrochen. Ihre Sehnsucht nach der leiblichen Rückkehr der Schauspieler galt zugleich dem gegenseitigen Wahrnehmen und Wahrgenommen-Werden, das die feedback-Schleife in Gang setzt und so die Aufführung erzeugt.22
21 Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 127. 22 Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 125.
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Das hier exemplifizierte Wechselspiel zwischen dem unmittelbaren somatischen Feedback und dessen kurzzeitiger Unterbrechung beschreibt FischerLichte als eine Dialektik von Präsenz und Präsenz-Effekt, die immer dort zum Tragen kommt, wo die somatische Unmittelbarkeit einer Performance mit der Dokumentation durch audiovisuelle Medien in Wechselwirkung tritt: Während in der Präsenz der menschliche Leib auch und gerade in seiner Materialität in Erscheinung tritt […], rufen die technischen und elektronischen Medien den Schein der Gegenwart des menschlichen Leibes hervor […] Je besser es ihnen gelingt, die Materialität menschlicher Körper, Dinge, Landschaften aufzulösen, zu irrealisieren, desto intensiver stellt sich der Schein ihrer Gegenwärtigkeit ein. Mit diesem Schein vermögen ihre Produkte durchaus […] den Zuschauer zu tränen zu rühren […] Gleichwohl läßt sie nicht den phänomenalen Leib des Darstellers als gegenwärtig in Erscheinung treten, bringt ihn nicht als embodied mind zur Erscheinung. Die Präsenz-Effekte, der Schein von Gegenwärtigkeit lösen das Glücksversprechen des Zivilisationsprozesses vielmehr dadurch ein, daß sie, der Logik dieses Prozesses folgend, die tatsächliche Leiblichkeit der Darsteller immaterialisieren, sie einleiblichen und ihre Gegenwärtigkeit ausschließlich als ästhetischen Schein erfahrbar machen, vollkommen losgelößt von ihrer realen, materiellen Leiblichkeit.23
Fischer-Lichtes Ausführungen machen deutlich, dass sowohl Balls als auch Burkes Beobachtungen über die Wirkung der Medialisierungseffekte im Professional Wrestling auf ihre eigene Weise zutreffend sind. Unsere bisherige Definition des Professional Wrestling muss deshalb um einen entscheidenden Punkt erweitert werden: Professional Wrestling ist eine eigenständige Form von medialisierter Performance, die auf der rekursiven Interaktion von Wrestlern, Promotern und Publikum entlang der narrativen Blaupause des Heel/Babyface-Schemas fußt. Um jedoch zu verstehen, wie es den Wrestlingpromotern gelungen ist, die »eigene Medialisierung zu inkorporieren, ohne daß dadurch, […] die ›Live‹-Aufführung in ihrer Medialisierung verschwunden wäre.«24, ist es notwendig, die in diesem Abschnitt dargestellten performativen Prinzipien in ihrer historischen Genese etwas genauer zu betrachten und zu zeigen, wie sie
23 Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 175. 24 Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 125.
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seit Mitte des 20. Jahrhunderts in einen beständigen Dialog mit den medialen Ansprüchen und Möglichkeiten des Fernsehens getreten sind. Eine kurze strukturelle Geschichte der amerikanischen Wrestlingindustrie Rein historisch betrachtet können die Wurzeln des modernen showbasierten Professional Wrestling in den USA bis auf die Zeit um das Ende des amerikanischen Bürgerkriegs herum zurückverfolgt werden. Wie Scott Beekman gezeigt hat, waren Ringkämpfe in den damaligen Kriegscamps eine beliebte Form des Trainings und der Freizeitbeschäftigung gewesen, und der enge Kontakt zwischen Soldaten aus den verschiedensten Regionen und mit den unterschiedlichsten ethnischen Hintergründen sorgte für eine Durchmischung diverser aus Europa importierter Kampfstile.25 Diese frühe Entwicklung legte dann den Grundstein für die Etablierung des Ringkampfs als Wettkampfsport im Nachkriegsamerika. Dabei sorgte insbesondere die enge Verbindung zur damaligen Carnivalkultur – in deren Rahmen die Ringkämpfe meist ausgetragen wurden – für eine rasche Verbreitung im gesamten Staatsgebiet der USA. Die Popularität des Ringkampfsports zu dieser Zeit war aber nicht nur auf die USA beschränkt, auch in Europa konnte man zu dieser Zeit ein beständiges Interesse an dieser Sportart beobachten. Bis zum Ersten Weltkrieg wurden sogar internationale Wettkämpfe zwischen einzelnen prominenten Ringern ausgefochten.26 Beekman zeigt aber, dass die weitere Geschichte des Ringkampfsports in den USA – anderes als etwa in Europa – von einer schleichenden Transformation weg vom sportlichen Wettkampf und hin zu einem reinen Showevent gekennzeichnet ist. Diese Transformationsprozesse waren vielschichtig und oft diskontinuierlich, so dass es fast unmöglich ist, ein genaues Datum oder eine eindeutige Genealogie für diesen Umschwung zu benennen. Ein erster signifikanter Umbruch kann jedoch ungefähr um das Ende des Ersten Weltkrieges herum datiert werden: Die internationale Begeisterung
25 Beekman, Ringside, S. 1 ff. 26 Beekman, Ringside, S. viii und S. 1–33. Zur internationalen Ringkampfbegeisterung vor dem Ersten Weltkrieg vgl. insbesondere: Matthew Lindaman, »Wrestling’s Hold on the Western World before the Great War«, The Historian 62:4 (2000): S. 779–797.
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für den Ringkampf flachte langsam ab und es begann sich in den USA ein genereller Umschwung in der Organisationsweise der Ringkämpfe abzuzeichnen, der als charakteristischer Vorbote für die später erfolgenden Verwandlungen des Ringkampfes in ein Showevent gewertet werden kann. Until World War I, individual wrestlers, particularly national or world champions, maintained a level of autonomy that gave them substantial power over both their careers and the sport. After World War I, wrestling promoters began to exert their control over the business. The most significant aspect of this control became the adaption of fake (or ›worked‹) matches at the expanse of legitimate contests. The promoters recognized that predetermined finishes kept fans interested in their product and left wrestlers at their mercy. From this point on, the real power in wrestling resided with the promoters. The battle between various promoters over wrestling profits propelled much of wrestling’s history.27
Der Machtwechsel von den Ringkampfsportlern hin zu den Promotern etablierte einige der grundlegenden strukturellen Elemente, die sich im späteren Verlauf der amerikanischen Wrestlinggeschichte als distinktive Merkmale der Wrestlingindustrie herauskristallisieren sollten und die bei der Etablierung des Professional Wrestling als eigenständigem Markt eine entscheidende Rolle spielten. So brachte die neue zentrale Rolle der Promoter beispielweise eine erste ›territoriale‹ Organisationsweise des Wrestlingmarkts mit sich. Um wettbewerbsfähig zu bleiben mussten die Promoter ihre Aktivitäten meist auf eine begrenzte geografische Region konzentrieren, die sie – ähnlich wie ein kleiner Wanderzirkus – turnusmäßig bereisten. So kam es nach und nach zur Herausbildung sogenannter ›Territories‹: geografisch begrenzte Gebiete, die von einem lokalen Wrestlingpromoter dominiert wurden und innerhalb derer er seine Vorherrschaft vor anderen Promotern behaupten konnte. Diese Organisationsweise begünstigte dann ihrerseits eine zunehmende Fokussierung auf Kämpfe, deren Ergebnisse im Vorhinein festgelegt worden waren, da solche Kämpfe an jedem Ort des Territories ausgetragen werden konnten, die Veranstaltungen für die Promoter so leichter planbar waren und auch eher an den Vorlieben des (zahlenden) Publikums ausgerichtet werden konnten.28
27 Beekman, Ringside, S. ix–x. 28 Beekman, Ringside, S. 35 ff. und S. 51 ff.
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Es sollte aber in etwa bis Mitte der 1930er Jahre dauern, bevor diese Elemente als distinktive Merkmale des Professional Wrestling zum Tragen kommen sollten. Die Gründe dafür lagen wohl hauptsächlich in der damaligen Wirtschaftskrise. Diese konfrontierte die lokalen Wrestlingpromoter mit stark rückläufigen Zuschauerzahlen und zwang sie so zu einer grundlegenden geschäftlichen Neuorientierung. Die Reaktion der Promoter auf die ausbleibenden Zuschauer bestand im Wesentlichen in der Bemühung, die im Ring dargestellten Kämpfe durch immer neue, sensationelle Showelemente für das Publikum interessanter zu gestalten. Besonders deutlich zeigte sich diese Entwicklung an einer starken Fokussierung auf die Charaktere der Wrestler, welche nun immer gezielter mit simplen publikumswirksamen Stereotypen in Verbindung gebracht wurden, um die potenziellen Kunden zum Besuch einer lokalen Show zu bewegen. Wegen der stärkeren und formelhafteren Unterscheidung zwischen den im Ring aktiven Wrestlern kam es somit in den 1930er Jahren zu einer ersten Konsolidierung des Heel/Babyface-Schemas und damit auch zur Etablierung jener performativen Grundstrukturen, die auch in der Zukunft das wesentlichen Merkmal der Wrestlingindustrie in den USA bildeten.29 Der allgemeine Umschwung zu einer durch die Veranstalter planbaren, interaktiven Showperformance zeigte sich auch an den anderen Neuerungen dieser Zeit, welche die Promoter vornahmen, um die Darbietungen in ihren Shows immer ereignis- und variantenreicher zu gestalten. Eines der besten Beispiele für diese Bemühungen war die Entwicklung des Tag Team Matches, in welchem zwei Teams von je zwei Wrestlern gegeneinander in den Kampf geschickt wurden. Das jeweils nicht aktive Teammitglied befand sich dabei in der Ringecke und konnte durch einen Handschlag seines Partners eingewechselt werden. Diese Kämpfe boten für die Promoter nicht nur die Möglichkeit, dem Publikum mehrere Wrestler gleichzeitig zu präsentieren, sie ermöglichten es auch, diese Begegnungen schneller und damit spannender zu gestalten. Die immer neuen Zusammenstellungen der Wrestler in Teams waren darüber hinaus ein gutes Mittel, beständig neue Attraktionen zu schaffen und so die Zuschauer zum Kauf von Eintrittskarten zu animieren.30
29 Beekman, Ringside, S. 74 ff. 30 Beekman, Ringside, S. 73–75.
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Diese Innovationen der 1930er Jahre sorgten somit für die Entstehung einer allgemeinen ›performativen Grammatik‹, die als charakteristisches Merkmal der Wrestlingshows in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren dazu beitragen sollte, Professional Wrestling als eigenständigen Zweig der amerikanischen Unterhaltungsindustrie zu etablieren. Die 1950er und die Konsolidierung der Wrestlingindustrie durch die Medialisierung der Wrestlingperformances Die späten 1940er Jahre und die darauf folgende Nachkriegszeit gelten heute als die erste goldene Erfolgsperiode des Professional Wrestling in den USA und können damit als die Zeit angesehen werden, in der die Showkämpfe den Sprung in den populärkulturellen Mainstream der USA schafften. Eine der wesentlichen Grundlagen für diesen plötzlichen Erfolgsschub lag in der gezielteren Strukturierung und professionelleren Organisation, welche den gesamten amerikanischen Wrestlingmarkt während dieser Zeit erfasste. Mitte der 1940er Jahre hatte sich die regionalisierte Geschäftspraxis der noch jungen Wrestlingindustrie bereits zu einem Muster verfestigt, nach welchem das Staatsgebiet der USA in über zwanzig Territories31 aufgeteilt war, die dann jeweils von einem lokalen Promoter und seiner Promotion dominiert wurden. The United States was divided into, at its height, more than twenty-five regional circuits. Each territory was known by its regional base and promoter. Eddie Graham ran Florida, the Funks ran Amarillo, Roy Shirs ran San Francisco, and so on. Typically, territories ran cards [Programm einer Wrestlingshow, P.K.] several times per week, with the wrestlers traveling by car to the next town.32
31 Zur Bezeichnung dieser territorialen Organisationsweise werde ich von nun an sowohl den deutschen Begriff des Territoriums als auch den in der amerikanischen Wrestlingkultur gängigen Begriff der Territories verwenden, um allzu häufige Redundanzen zu vermeiden. Die Begriffe Promoter und Promotion wurden ebenfalls aus dem Jargon der Wrestlingindustrie übernommen und beschreiben den Betreiber eines lokalen Territoriums bzw. dessen Unternehmen. 32 DeGaris, »The ›Logic‹ of Professional Wrestling«, S. 196 f.
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Die unausweichlichen Konkurrenzkämpfe zwischen den Territories wurden dabei durch einen internen Kodex in Zaum gehalten der besagte, dass ein Promoter keine Shows im Gebiet eines anderen Promoters veranstalten sollte und sich so im Gegenzug der Vormachtstellung auf seinem Gebiet gewiss sein konnte. Um diese Organisationsweise auch in Zukunft am Leben zu erhalten einigten sich einige der größten Wrestlingpromoter bei einem Treffen im Juli 1948 auf den Zusammenschluss ihrer Territories zu einem nationalen Bündnis: der National Wrestling Alliance (NWA). Die NWA zementierte den Status der einzelnen Promotions in ihren Territories und sorgte durch die Etablierung eines gemeinsamen NWA-Champions für einen größeren Wiedererkennungswert des Produktes Wrestling im Allgemeinen.33 Each promoter had access to top wrestlers. The promoters promised to send their stars to each other’s big shows, coming to the rescue if a competitor threatened any member of the group. They also agreed not to invade one another’s territories. In other words, Haft would not promote a card in St. Louis because it belonged to Muchnick. And everyone accepted Des Moines as Pinky George’s city. Furthermore, if any wrestler gave a particular promoter trouble, the entire group agreed not to book him. They would »blacklist« him from appearances until he changed his attitude.34
Das Konzept der NWA begünstigte somit zwar die Schaffung eines einheitlichen nationalen amerikanischen Wrestlingmarktes, rechtlich gesehen stellte das Geschäftsgebaren der NWA mit ihrem Netzwerk aus Kooperationen und Sanktionsmitteln jedoch einen Verstoß gegen das amerikanische Kartellgesetz dar und wurde deshalb im Jahr 1953 beim Department of Justice im Süden Kaliforniens zur Anzeige gebracht. Der Fall konnte jedoch außergerichtlich beigelegt werden und so blieb die NWA trotz Fortsetzung ihrer Praktiken von weiteren rechtlichen Schritten verschont. Dies lag nicht
33 Beekman, Ringside, S. 97–99. Für einen ausführlicheren Überblick über die Geschichte der National Wrestling Alliance vgl.: Tim Hornbaker, National Wrestling Alliance: The Untold Story oft he Monopoly that Strangled Pro wrestling (Toronto: ECW Press, 2007). 34 Keith Elliot Greenberg, Pro Wrestling: From Carnivals to Cable TV (Minneapolis: Lerner Publications, 2000), S. 37.
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zuletzt daran, dass das Professional Wrestling rechtlich gesehen zwar den Sportbehörden unterstellt war, wegen seines Status’ als Showevent bei diesen aber nur auf wenig nachhaltiges Interesse stieß.35 Der Umstand, dass die territoriale Struktur des amerikanischen Wrestlingmarktes in einem nationalen Verband zusammengefasst werden konnte, hing aber nur teilweise mit den Bemühungen der NWA-Gründer zusammen. Eine der wichtigsten und nachhaltigsten Neuerungen dieser Periode rührte nämlich nicht von der eigenen Innovationskraft der Wrestlingindustrie her, sondern wurde von außen in Gestalt eines neuartigen audiovisuellen Mediums an sie herangetragen, das auf die Gegebenheiten der Wrestlingshows geradezu zugeschnitten zu sein schien: das Fernsehen. Die Allianz mit dem Fernsehen bescherte dem Professional Wrestling während der Nachkriegszeit eine bis dato noch nie dagewesene nationale Aufmerksamkeit und sorgte dafür, dass es sich als eine feste Konstante in der amerikanischen Populärkultur etablieren konnte. Die Gründe hierfür waren vielgestaltig. So waren die Shows der Wrestlingpromoter beispielsweise nahezu perfekt für den noch jungen amerikanischen Fernsehmarkt geeignet. Da die beliebten zeitgenössischen Teamsportarten für die noch unausgereiften Sendetechniken des jungen Mediums oftmals eine zu große Herausforderung darstellten, fanden die Fernsehmacher – die zu diesem Zeitpunkt noch verstärkt auf günstig produzierbare Livesendungen angewiesen waren – im Wrestling einen idealen Kandidaten zur Füllung von Programmplätzen auf einem stetig expandierendem Fernsehmarkt. Zwar war KTLA Los Angeles 1945 noch der einzige Sender mit einem wöchentlichen Wrestlingprogramm, doch bereits 1949 zeigten alle vier großen amerikanischen Networksender Wrestlingshows auf ihren besten Sendeplätzen. Ein Trend, dem auch lokale Sendestationen willig nachfolgten.36 As for the Industry, production costs and fees were low for live wrestling broadcasts. The game fit quite neatly into a television studio with floor cameras focused on a stage or ring that allowed close-up shots which were ideal on the six-inch home television screens of the day. Performers in the Ring were recognizably human and not,
35 Beekman, Ringside, S. 97–99. 36 Beekman, Ringside, S. 82 f. Morton und O’Brien, From Wrestling to Rasslin’, S. 47.
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as in team sports, antlike figures cavorting on a miniscule black-and-white playing field or court.37
Den Promotern half die Anbindung an die lokalen Sendeanstalten fortan dabei, ihre Vormachtstellung in ihrem jeweiligen Territory und im Verbund der NWA zu stärken, während die Aufmerksamkeit des größer werdenden Publikums im Umkehrschluss dazu genutzt werden konnte, die NWA als nationale Marke zu etablieren und die einzelnen Promotions als Mitglieder der NWA in ihrer regionalen Dominanz zu legitimieren. Am meisten profitierte das Professional Wrestling zu dieser Zeit jedoch von seinen eigenen performativen Anlagen als Showevent, welche sich überraschenderweise als hervorragend dazu geeignet herausstellten, das performative Feedback zwischen Publikum und Wrestlern auf die Zuschauer an den Bildschirmen auszudehnen. Ähnlich wie beim Betrachten einer Live-Sportübertragung wurden die Zuschauer an den Bildschirmen durch die Anwesenheit des Studiopublikums an den interaktiven Charakter der Darbietung und damit an ihren eigenen Status als potenziell aktive Protagonisten erinnert. Weil das Fernsehen in der Nachkriegszeit außerdem gerne zu einem gemeinschaftlichen Erlebnis ausgebaut wurde, bildeten sich vor den Bildschirmen kleine Gruppen von Zuschauern, die in ihrer aktiven Beteiligung dem Publikum im Studio oft in nichts nachstanden. »Relativesand neigbours gathered for the communal experience of an evening of TV watching. They could chatter and socialize while following the action on the little screen.«38 Das neue Spiel von Präsenz und Präsenz-Effekt, das damit in die Kultur der Wrestlingindustrie eingebracht wurde, sorgte somit dafür, dass das performative Feedback zwischen Fernsehzuschauern und Wrestlern – trotz der großen räumlichen Distanz und der Zwischenschaltung des audiovisuellen Mediums – weitestgehend erhalten blieb und das interaktive Erlebnis einer Wrestlingshow im heimischen Wohnzimmer reproduziert werden konnte.39
37 Gerald W. Morton und George M. O’Brien, From Wrestling to Rasslin’: Ancient Sport to American Spectacle (Madison: University of Wiscounsin Press, 1985), S. 47. 38 Morton und O’Brien; From Wrestling to Rasslin’, S. 47. 39 Wie Chad Dell gezeigt hat war es deshalb keine Seltenheit, dass insbesondere weibliche Zuschauer an ihrem Bildschirm so stark an ihren Status als potenziel-
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Die günstige Allianz zwischen dem Fernsehen und dem Professional Wrestling sorgte in dieser Zeit dafür, dass viele Elemente der Wrestlingperformances zunehmend auf die medialen Bedingungen des Fernsehens abgestimmt wurden. So kam es beispielsweise zum vermehrten Einsatz von Play-by-Play-Kommentatoren, welche die Kämpfe für das Fernsehpublikum noch interessanter und dynamischer gestalten sollten und die durch ihre oft ironischen Kommentare eine Stellvertreterfunktion für das Publikum übernahmen, indem sie die vom Fernsehpublikum zu erwartenden Reaktionen auf das Ringgeschehen verbalisierten und dieses so noch mehr in das performative Feedback der Shows integrierten: Ringside announcers […] became an essential aspect of wrestling programs. They functioned as mediators, interpreters, and interviewers, ensuring the program flowed smoothly und understandably. Because they guided the proceedings every week, the announcers became familiar and comforting aspects of wrestling programs. The best offered not only continuity and simple play-by-play commentary but also heightened the excitement of matches and helped build interest in future encounters by skillfully directing interviews.40
Darüber hinaus ließ man nun auch die Wrestler selber vermehrt zu Wort kommen und gab ihnen die Möglichkeit, in spontanen Interviews – den sogenannten Promos – die wesentlichen Charakterzüge ihrer Ring-Persönlichkeit zu unterstreichen und ihre Haltung gegenüber ihrem Gegner für die am Ring Anwesenden und die Zuschauer an den Bildschirmen nochmals herauszustellen. »Television interviews between bouts gave wrestlers an opportunity to elaborate their ring personalities with histrionics and
le TeilnehmerInnen erinnert wurden, dass sie diesen auf ungewöhnliche Art und Weise einzufordern begannen. Er zitiert in diesem Zusammenhang ein unterhaltsames Beispiel aus einem Artikel der TV Guide von 1954: »In Waycross, Ga. Last summer a lady became so upset while watching [the Ape Man] throttle an opponent via her TV set that she jumped into her car, drove to the local sporting arena, and stroked him on the head a soft drink bottle. He finally restrained her with a half nelson.« TV Guide zitiert nach: Chad Dell, The Revenge of Hatpin Mary, S. 42. Auf die möglichen Hintergründe für eine solche Reaktion wird im Rahmen dieser Arbeit noch genauer einzugehen sein. 40 Beekman, Ringside, S. 82.
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costume.« 41 Für die Wrestler stellten die Promos damit eine gute Option dar, ihr Feedback mit dem Publikum zu intensivieren und sich von der Reihe ihrer Konkurrenten abzuheben. Die kurzen Segmente waren für sie meist nur mit rudimentären Anweisungen verbunden, die den Inhalt der Botschaft betrafen, den sie dem Publikum in einer vorgegebenen Zeit übermitteln sollten; wie dieser Inhalt das Publikum aber erreichte, war dem Können, der Fantasie und insbesondere dem Improvisationstalent der Wrestler überlassen, so dass die Beherrschung des sogenannten Mic-Work bald zu den grundlegendsten Fähigkeiten für eine erfolgreiche Wrestlingkarriere zählte. Zusammengefasst schufen die Legitimierung der territorialen Struktur des Wrestlingmarktes mittels der NWA zusammen mit der wechselseitig fruchtbaren Allianz mit dem Fernsehen ein distinktives Profil, welches das Professional Wrestling auf Jahre hinaus im Mainstream der amerikanischen Unterhaltungskultur verankerte und die Grundlage für die immensen Erfolge des Professional Wrestling in den 1980er und 1990er Jahren bildete. Die 1980er Jahre: Kabelfernsehen, Vince McMahon und die Geburt der World Wrestling Federation Der erste große Begeisterung für das Professional Wrestling während der Kindetage des Fernsehens konnte sich in etwa bis Ende der 1950er Jahre halten und wurde von einer Periode abgelöst, in der das nationale Interesse an den Wrestlingshows deutlich abnahm.42 Die Hintergründe für diese Entwicklung waren abermals vielschichtig. So verschwanden die wöchentlichen Wrestlingprogramme nach 1955 zunehmend aus den Prime-Time-Slots der großen Networksender und wanderten größtenteils in die Füllplätze des Regionalfernsehens ab, da das große Angebot an Wrestlingshows während der Nachkriegszeit – in Verbindung mit der allgemein anwachsenden quantitativen wie qualitativen Programmvielfalt auf dem Fernsehmarkt – beim Publikum erste Übersättigungseffekte hervorgerufen hatte.43 Gleichzeitig wuchs aber auch die direkte Konkurrenz durch vergleichbare Programme, da insbesondere die Ballsportarten nun durch die neue Sendetechnik gut vermarktbar wurden und so große Segmente der Zuschauerschaft abwanderten. Professional Wrestling
41 Morton und O’Brien, From Wrestling to Rasslin’, S. 47. 42 Beekman, Ringside, S. 95 ff. 43 Beekman, Ringside, S. 82.
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bildete zwar auch weiterhin eine etablierte Größe in der US-Unterhaltungsindustrie, doch der große Konkurrenzkampf auf dem Fernsehmarkt bedeutete auch ein deutliches Abklingen der ersten großen Wrestlingeuphorie; ein Umstand, der die Industrie zunehmend in eine Phase der geschäftlichen Umorientierung und neuerlichen Standortbestimmung drängte.44 Die Antwort der Wrestlingpromoter auf die neuen Bedingungen bestand insbesondere darin, ihr Hauptaugenmerk wieder mehr auf die Organisation lokaler Events, die sogenannten Stadiumshows, zu richten. Stadiumshows – im Jargon der Wrestlingindustrie auch oft Houseshows oder Moneyshows genannt – waren Veranstaltungen, die meist – wie in den frühen Zeiten der Wrestlingindustrie – im Zuge einer längeren Tournee in den großen lokalen Sportstadien und Veranstaltungshallen eines Territories abgehalten wurden. Sie hatten bereits während der Zeiten größerer Medienaufmerksamkeit einen wesentlichen Teil des Kerngeschäfts der Promoter ausgemacht, weil sie für die Promoter eine besonders gute Möglichkeit darstellten, Kämpfe an verschiedenen Orten zu wiederholen, ohne beim Publikum einen Ermüdungseffekt hervorzurufen. Mit dem Schwinden der großen Wrestlingeuphorie der Nachkriegszeit bildeten die Stadiumshows aber nun die essenzielle Grundlage für das weitere Überleben der Wrestlingindustrie. Dabei spielte die mediale Verbreitung der Shows und die Anbindung an das Fernsehen trotz des abgeflachten Interesses weiterhin eine zentrale Rolle für die Geschäfte der Wrestlingpromoter. Denn die Wrestlingsendungen stellten für die zahlreichen amerikanischen Regionalsender eine günstige Programmoption mit etablierter Zuschauerschaft dar und wurden so zu einem festen Bestandteil des Samstagmorgen- bzw. -abendprogramms; ein Forum, das die Wrestlingpromoter nur allzu gerne zu ihrem Vorteil nutzten. Die Fortschritte in der Aufnahme- und Sendetechnik hatten nämlich derweil dafür gesorgt, dass deren Shows nicht mehr zwingend live übertragen werden mussten. Promoter konnten sie so den neuen Anforderungen anpassen, indem sie die Kämpfe, die in der Show zu sehen sein sollten, aufzeichneten, um sie anschließend in der Nachbearbeitung für die entsprechenden Fernsehmärkte zu regionalisieren. Da die Wrestlingshows nun regelmäßig auf den Programmplätzen der lokalen Sendestationen zu finden waren, ergab sich für die Promoter darüber hinaus die lukrative Möglichkeit, die Kämpfe in einfache narrative Rahmensetzungen einzubetten, die nun weit über die
44 Beekman, Ringside, S. 92–95.
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bisherige, eher schemenhafte Nutzung des Heel/Babyface-Schemas hinausreichten. Kämpfe konnten somit um komplexe Hintergrundgeschichten erweitert werden, deren Zweck darin bestand, die basale Charakterisierung der Wrestler durch die offensichtlichen stereotypischen Assoziationen des Heel/Babyface-Schemas zu verstärken und das performative Feedback, von dem die Kämpfe lebten, noch zu intensivieren. Darüber hinaus verbannten sie Kämpfe zwischen den Stars der Industrie aus dem Fernsehen und zeigten stattdessen hauptsächlich Ansetzungen, in denen sie ihre Stars gegen (noch) unbekannte No-Names stellten. Diese Sendungen sollten lediglich als eine eindrucksvolle Demonstration für die Fähigkeiten und die Figur des Stars dienen, denn nach dem Kampf wurde meist eine Promo mit dem Starwrestler nachgereicht, in welcher dieser seinen Gegner bei der nächsten großen Houseshow adressieren und die Stimmung für das Event anheizen konnte. Das neue Sendeformat verwandelte die Wrestlingshows somit von Liveübertragungen eines regionalen Wrestlingevents in regelrechte Werbeveranstaltungen für eine große lokale Stadiumshow. Die größere Freiheit in Schnitt und Gestaltung der Sendungen schuf neben den aufgezeichneten Kämpfen außerdem Platz für verschiedenste Segmente, die als narrative Rahmensetzung dazu verwendet werden konnten, die Spannungsbögen für die Kämpfe bei den Houseshows aufzubauen.45 The advantage in this arrangement for the wrestling promoter is a blatant hour’s commercial. The television card is one long promotion of the matches the cardmaker has booked in the near future at an arena in the viewing area. The TV wrestling formula differs from that used at live matches. Stars are to display their mat prowess. So the franchise owner retains a stable of weekend warriors, journeyman loosers and young men learning the ropes to pit against class wrestlers on TV. The losers are clearly overmatched in these encounters. After a television match the winner, i.e., the star, is interviewed so that he can build up the »hype« for a coming bout he has against another hero or villain of star caliber on the next live area show. Very rarely do two name wresters meet on television. If they do, the confrontation ends as an inconclusive prelude to the »real« match on the coming arena card. Carefully orchestrated interference in a television bout or controlled mayhem during an interview are regularly added to stimulate maximum ticket sales for the showdown on the live
45 Vgl u.a.: Morton und O’Brien, From Wrestling to Rasslin’, S. 46 ff.; Beekman, Ringside, S. 95–97.
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card. An hour of televised wrestling often contains as much program time devoted to interviews and chatter about the big arena matches as it does actual wrestling action.46
Die neuen Sendekonzepte drehten das Spiel der Wrestlingperformances mit den durch die Fernsehtechnik entstehenden Medialisierungseffekten somit einfach um. Denn während die Sendungen in der Nachkriegszeit die Spannung zwischen Präsenz und Präsenz-Effekt noch dazu genutzt hatten, um die performative Rückkopplung mit dem Publikum durch den Livecharakter der Show auch auf die Zuschauer an den Bildschirmen auszudehnen, wurde das Ausbleiben und die Unterbrechung des direkten performativen Feedbacks nun dazu genutzt, die Zuschauer als potenzielle Akteure in den Performances auf den Besuch der lokalen Houseshow zu vertrösten. Die neu entstandenen TV-Formate dienten so primär als günstiges Mittel, um die Wrestler einer Promotion bei einem möglichst großen Publikum bekannt zu machen und in immer neue Rivalitäten zu verwickeln. Wer an der Auflösung eines solchen Konfliktes interessiert war und selber ein aktiver Teilnehmer bei der dramatischen Beilegung einer großen Fehde werden wollte war gezwungen, sich Karten für eine der lokalen Veranstaltungen zu kaufen. Denn die großen, publikumswirksamen Begegnungen zwischen den Stars der Industrie bekamen die Fernsehzuschauer so gut wie nie zu sehen. Unterstützt wurde die neue Taktik der Promoter dabei durch eine immer ausgefeiltere und tragfähigere Infrastruktur der lokalen Wrestlingmärkte, die insbesondere durch das Entstehen und den Vertrieb von professionellen Wrestlingmagazinen befördert wurde. Diese Hefte versorgten die geneigten Leser mit Informationen über ihre Stars und deren Auftritte, zudem spielten sie eine wichtige Rolle bei der Etablierung und Aufrechterhaltung dramatischer Spannungsbögen für die Houseshows, die somit auch außerhalb der Sendezeiten vorangetrieben werden konnten.47 Die neue Doppeltaktik von wöchentlicher TV-Show und lokalen Houseshows sicherte so für fast zwei Jahrzehnte den Fortbestand der amerikanischen Wrestlingindustrie und half insbesondere der NWA dabei, die
46 Morton und O’Brien, From Wrestling to Rasslin’, S. 49. 47 Für einen kurzen Überblick über das Verhältnis von Professional Wrestling und Printmedien und die Rolle der Wrestling-Magazine bis in die 1980er Jahre siehe: Morton und O’Brien, From Wrestling to Rasslin’, S. 56–61.
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von ihr angedachte Aufteilung der Territories und damit ihre Stellung als führender nationaler Dachverband des Professional Wrestling zu sichern. Dieser Prozess lief jedoch nicht ganz ohne Reibungen ab. Die starken regionalen Unterschiede zwischen den Promotions und die ungleichen Möglichkeiten von Vermarktung und TV-Anbindung in den Gebieten des Territorialsystems sorgten innerhalb des Verbandes immer wieder für Machtkämpfe und Streitereien zwischen den Promotions. Das fragile Gebilde der NWA konnte zwar durch die implizite und mit Sanktionen belegte Regelung, keine Veranstaltungen im Territory eines anderen Verbandsmitgliedes zu organisieren, in einem prekären Gleichgewicht gehalten werden. Doch mit der Einführung des Kabelfernsehens zu Beginn der 1980er Jahre entstand eine komplett neue Wettbewerbssituation, welche die Betreiber der einzelnen Promotions mit der verlockenden Möglichkeit konfrontierte, sich über das Reglement der NWA hinwegzusetzen und eigene Shows auf nationaler Ebene einem breiteren Publikum präsentieren zu können: Cable TV provided professional wrestling with national exposure for the first time since the 1950s. Fans with channels like WTBS and the USA Network could now watch wrestling from promotions outside of their market. In the past, promoters agreed to stay out of each other’s territory, and the only time a fan had access to more than one promotion was when an outlaw tried to set up shop. This all changed when TBS began airing Georgia Championship Wrestling. Anyone with access to the Superstation could now watch GCW in addition to their local programming. 48
Einigen wenigen wirtschaftlich und medial besser gestellten Promotions gelang es so, eine eigenständige Identität und ein eigenes Profil zu entwikkeln, welches ihre Stellung innerhalb der NWA stärkte bzw. ihnen größere Unabhängigkeit von der Einflussnahme der Alliance sicherte. Die seit jeher prekären internen Kräfteverhältnisse der NWA und die sich daraus ergebenden Machtkämpfe hatten immer wieder für ein großes Ungleichgewicht im Machtgefüge des Verbandes gesorgt und bereiteten letztlich die Bühne
48 Mike Rickard, Wrestling’s Greatest Moments (Toronto: ECW Press, 2008), S. 72; Beekman, Ringside, S. ix.
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für eine weitgehende Monopolisierung des Wrestlingmarkts Mitte der 1980er Jahre.49 Im Zentrum dieses Prozesses stand das Unternehmen Capitol Wrestling,50 eine Promotion mit Sitz in Washington D.C., deren Territory bisweilen fast den gesamten Nordosten umfasste und welche sich Anfang der 1980er Jahre aufmachte, das erste überregionale amerikanische Wrestlingunternehmen zu werden. Vincent J. McMahon, der Inhaber von Capitol Wrestling, hatte sein Unternehmen in den 1950ern zu einem der erfolgreichsten innerhalb der NWA aufbauen können, indem er sein Hausrecht im New Yorker Madison Square Garden nutzte, um dort riesige Wrestlingevents zu veranstalten, die sich über die Jahre eine treue lokale Anhängerschaft erschlossen hatten. McMahons Erfolg verschaffte ihm so viel Handlungsspielraum, dass er 1963, nach einem Streit über die Verwendung des NWA-Titels, sogar kurzzeitig aus der NWA ausstieg und sein Unternehmen unter dem Namen World Wide Wrestling Federation (WWWF) neu positionierte. Die WWWF kehrte zwar letztlich unter die Schirmherrschaft der NWA zurück, konnte sich aber durch ihre beständigen Erfolge immer ein großes Maß an Unabhängigkeit erhalten. Die alleinige Kontrolle über den Madison Square Garden und die treue Unterstützung des lokalen Stammpublikums erwiesen sich auch während der 1960er und 1970er als tragfähige Strategie und konnten dem Unternehmen auch in Zeiten, in denen andere Mitglieder der NWA um die Treue ihres Publikums kämpfen mussten, gute Einnahmen sichern.51
49 Beekman, Ringside, S. 100–118. Vgl. auch: Morton und O’Brien, From Wrestling to Rasslin’, S. 52–54 über die Auswirkungen der Kabeltechnologie. 50 Wie sich im Folgenden noch zeigen wird, hat dieses Unternehmen auf seinem Weg an die Spitze des medialen Mainstreams in den USA und damit auch der amerikanischen Wrestlingindustrie zahlreiche Namensänderungen durchlaufen. So wurde Capitol Wrestling 1963 in World Wide Wrestling Federation (WWWF) umbenannt. 1983 wurde der Name auf World Wrestling Federation (WWF) verkürzt, nur um dann 2002 wegen eines Rechtstreits mit dem World Wide Fund for Nature in World Wrestling Entertainment (WWE) geändert zu werden. Da die Untersuchungen in dieser Arbeit sich maßgeblich auf die Zeit vor 2002 beziehen wird, so weit nicht durch den Kontext anders gefordert, durchgängig der Name World Wrestling Federation (WWF) verwendet werden. 51 Beekman, Ringside, S. 103–105.
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Doch trotz diverser Unstimmigkeiten und Auseinandersetzungen mit der NWA hatte die WWWF letztlich immer innerhalb von deren ungeschriebenem Regelwerk operiert und sich nicht auf umliegende Territories ausgeweitet. Dies sollte sich durch die Übernahme des Unternehmens durch Vincent J.’s Sohn, Vincent Kennedy McMahon, im Jahr 1983 jedoch nachhaltig ändern. McMahons Sohn hatte schon während der 1970er immer größeren Einfluss auf das Produkt der Promotion genommen und überzeugte seinen Vater kurz vor der Übernahme davon, sich von der NWA abzuspalten. McMahon Jr. kürzte den Namen der Promotion auf World Wrestling Federation (WWF) und schaffte es innerhalb von knapp vier Jahren, das Unternehmen zur ersten überregionalen amerikanischen Wrestlingliga aufzubauen.52 Dabei nutzte er die internen Querelen der NWA zu seinem Vorteil aus, um sich mit einer Mischung aus fernsehtechnischer Überlegenheit, gezieltem und geschicktem Marketing und taktisch klugem bis skrupellosem Geschäftsgebaren an der Spitze der Wrestlingindustrie zu etablieren. Er ignorierte die ungeschriebenen Regeln des Territorialsystems und begann, vielversprechende Talente bei seinen Konkurrenten abzuwerben und damit den Kader der WWF aufzustocken. Doch nicht nur die verheißungsvollen Talente seiner Mitbewerber standen auf McMahons Einkaufszettel. Große Uneinigkeiten und Machtkämpfe innerhalb der NWA ausnutzend, kaufte er marode Wrestlingpromotions auf, die durch Misswirtschaft oder zu starke Konkurrenz regionaler Rivalen aus dem Geschäft gedrängt wurden. Sein Interesse galt dabei aber weniger den Ligen selbst als vielmehr deren Fernsehverträgen, denn McMahon hatte schon früh die Möglichkeiten des Kabelfernsehens für sich entdeckt und war darauf aus, sich durch die Übernahme der Promotions eine immer breitere TV-Anbindung für seine eigene Promotion zu sichern. McMahons geschäftliche Taktik löste letztlich eine Kettenreaktion aus, die nach und nach den gesamten amerikanischen Wrestlingmarkt umgestaltete. Denn den großen Bekanntheitsschub, den er durch die überregionale TV-Anbindung für sein Unternehmen und seine Wrestler bewirkt hatte, nutzte er wiederum, um erfolgreich Shows in den
52 Beekman, Ringside, S. 104–106 und S. 119.
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Gebieten anderer Promoter zu veranstalten und diese in der Folge in nachhaltige wirtschaftliche Schwierigkeiten zu bringen.53 Die Überlegenheit der WWF auf dem Wrestlingmarkt hatte aber nicht nur rein technische oder wirtschaftsstrategische Hintergründe. McMahon unterzog das gesamte Wrestlingprodukt einer Verjüngungskur und entwickelte immer neue Sendekonzepte, die sich durch ihren bunten, lauten und oftmals ironischen Stil deutlich von den Shows der Mitbewerber abhoben und damit perfekt auf den Kabelfernsehmarkt der frühen 80er Jahre zugeschnitten waren.54 Eines der besten Beispiele für diese neue Marschrichtung war die Show Tuseday Night Titans, die McMahon von ’84–’86 produzierte. Während die Wrestlingprogramme der 60er und 70er lediglich darauf ausgerichtet waren, werbeträchtige, narrative Rahmen für die lokalen Houseshows zu kreieren, schuf McMahon mit seiner Show eine Wrestlingsendung, die eher an ein Talkshowformat angelehnt war und neben den bekannten Inhalten einen bunten und comicartigen Kosmos um seine Wrestler herum entfaltete, der vor Anspielungen auf die allgemeine TV- und Populärkultur nur so strotzte. 55 While Tuseday Night Titans featured matches, the focus was an interview segment in the mode of The Tonight Show with former wrestler-turned-color commentator Lord Alfred Hayes playing Ed McMahon to Vince’s Johnny Carson. Wrestlers would arrive on the set to be interviewed showcasing the characters McMahon wanted them to play. […] The WWF, his programming said, was more than just wrestling. There were musical performances of the WWF personalities such as »Mean« Gene Okerlund and Hulk Hogan (who performed »Tutti Frutti«); George »The Animal« Steele underwent shock treatment; »Mr.USA« Tony Atlas gave a bodybuilding exhibition,; advice for the lovelorn came from »Classy« Freddie
53 Beekman, Ringside, S. 117–124. Für eine sehr ausführliche – leider eher im Stile eines Enthüllungsbuches gehaltene – Darstellung von Vince McMahons Einfluss auf den Wrestlingmarkt der 1980er siehe: Shaun Assael und Mike Mooneyham, Sex, Lies, and Headlocks: The real story of Vince McMahon and World Wrestling Entertainment (New York. Three Rivers Press, 2002). 54 Beekman, Ringside, S. 119 ff. 55 Beekman, Ringside, S. 121.
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Blassie; and Jesse »The Body« Ventura (who sang vocals on the heavy metal-tinged »Body Rules«) starred in a music video.56
Obwohl McMahon die Sendung nach nur zweijähriger Laufzeit einstellte, um seine Programme wieder mehr in Richtung traditioneller Wrestlingsendungen zu bewegen, exemplifizierte das Experiment Tuesday Night Titans alle wesentlichen formalen Elemente, welche die WWF während ihrer Hochphase zu Mitte und Ende der 1980er Jahre in ihren Programmen an den Tag legte: traditionelle Wrestlingshows im Gewand eines frischen, hybriden Medienproduktes, welches die Showkämpfe des Professional Wrestling in einem bis dato noch unbekannten Maß für eine breite Masse attraktiv machte. Dabei machte die allgemeine Verjüngungskur der WWF nicht bei der Nachbearbeitung oder den im Studio produzierten Segmenten der Shows halt; auch die House- und Liveshows wurden in ihrem Stil der neuen Ausrichtung angepasst. Hier baute McMahon im Wesentlichen auf die performativen Grundtugenden der Wrestlingmatches auf, denen er nun einen neuen, zeitgemäßeren und spektakuläreren Anstrich verpasste. So wurden seine Wrestler meistens in bunte und professionell geschneiderte Kostüme gepackt, die den Charakter der jeweiligen Figur unterstreichen und die im Heel/Babyface-Schema angelegte Unterscheidung zwischen den Wrestlern noch weiter in den Fokus rücken sollten. Dabei setzte er insbesondere auf die Wirkung der Ringeinläufe als eines der wichtigsten Mittel, um ein gutes performatives Feedback zwischen Publikum und Wrestlern zu erzeugen. Außerdem gestaltete er die Ringeinläufe durch den großzügigen Einsatz von Licht- und Pyrotechnik sowie durch die Verwendung von eigens für die Wrestler komponierten Themensongs deutlich dramatischer und mitreißender. Um die Atmosphäre noch weiter zu verdichten bemühte sich McMahon darüber hinaus, die Rolle der Besucher als aktive Teilnehmer der Performance noch deutlicher in den Vordergrund zu rücken. Während sich die Promoter der NWA bei den meisten Wrestlingshows an den Konventionen der verschiedenen Ringkampfsportarten orientiert hatten und die Beleuchtung in der Halle auf den Ring selber beschränkten – ein Arrangement, das die Besucher der Veranstaltung auf den Fernsehbildern meistens in der Dunkelheit verschwinden ließ – sorgte McMahon dafür, dass die Be-
56 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 74 ff.
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leuchtung in seinen Shows auf das Publikum ausgedehnt wurde. Die neue Sichtbarkeit stellte dem Publikum so ein Forum zur Verfügung, in welchem es seine Rolle als Teilnehmer an den Performances aktiver gestalten konnte, und so wurden die Shows der WWF bald von Fans gesäumt, die durch ihre Gestiken, Verkleidungen und selbst hergestellten Plakate ihren Kommentar zum Geschehen im Ring beisteuerten und diesem eine eigene Note aufdrückten.57 Der größte Wurf bei der Schaffung neuer Programmformate gelang McMahon jedoch durch die Verwendung der neuen Pay-Per-View-Technologien, die zwar zusammen mit dem Kabelfernsehen Einzug gehalten hatten, deren Potenzial jedoch von anderen Mitbewerbern zu diesem Zeitpunkt nur wenig wahrgenommen wurde. Diese Allianz hatte sich geradezu aufgedrängt, denn das Pay-Per-View machte es möglich, die großen Stadiumshows, welche wochenlang in den regelmäßigen Programmen beworben worden waren, gewinnbringend in die Wohnzimmer der Fernsehzuschauer zu übertragen und sie somit von einem regionalen Ereignis zu einem nationalen Ereignis auszubauen. Die Einnahmen, die durch so ein einmaliges Event generiert wurden, waren nun nicht mehr auf die Kapazität des Veranstaltungsorts beschränkt. Die Zuschauer konnten sich aus allen Staaten der USA live in das Flair der Liveveranstaltung einklinken. Die Verwendung der PPV-Technik war dabei im Prinzip eine Rückkehr zu alten Tugenden unter neuen Vorzeichen. Schon von Beginn der Allianz zwischen dem Professional Wrestling und dem Fernsehen an hatten die Promoter das Medium dazu genutzt, um ihren Zuschauerkreis durch den Livecharakter der Shows über die vom Veranstaltungsort vorgegebene Anzahl von Sitzen hinaus auf die privaten Wohnzimmer der Zuschauer auszuweiten. Doch während diese die Kämpfe noch kostenfrei im Fernsehen betrachten konnten, wurde der Eventcharakter der Pay-Per-View-Shows von McMahon nun dazu genutzt, die Zuschauer an den Bildschirmen in zahlendes Publikum zu verwandeln. Dabei war McMahon nicht der erste innerhalb der Wrestlingindustrie gewesen, der mit den neuen technischen Möglichkeiten experimentiert hatte. Auch einige Ableger der NWA hatten sich von den neuen Möglichkeiten eine größere Wettbewerbsfähigkeit erhofft.58 Doch während die Pay-Per-
57 Beekman, Ringside, 124 f. 58 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 39 ff.
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Views der NWA-Mitglieder eher darauf ausgerichtet waren, die lokalen Großveranstaltungen für ein breiteres Publikum zu öffnen, nutzte McMahon sein gutes Gespür im Umgang mit der Intertextualität der Fernseh- und Populärkultur und stilisierte seine Shows zu einem allgemeinen Medienereignis. Zu diesem Zweck baute er besonders auf die geschickte Cross-Promotion mit anderen Vertretern der neuen Fernsehkultur. So arbeitete er beispielsweise mit dem neuen Musiksender MTV zusammen und baute dessen junge Stars – u.a. Cindy Lauper – in die narrativen Segmente seiner Shows ein, nur um die so entstandenen Geschichten durch gezielte Auftritte seiner Wrestler in anderen Formaten wie Saturday Night Live weiter anzuheizen. McMahons Bemühungen gipfelten Mitte der 1980er Jahre schließlich im gigantischen WWFPay-Per-View-Event Wrestlemania – einer Art Superbowl des Professional Wrestling –, den er am 31. März 1985 im New Yorker Madison Square Garden veranstaltete. 59 Wrestlemania I, held in Madison Square Garden, validated McMahon’s vision beyond all expectations. The performance not only included wrestling matches but also a spate of celebrities as accoutrements. Muhammad Ali, Billy Martin, Mr. T, and Liberace, among others, appeared on the show. All of the preshow promotion led to an enormous audience, as the converted and curious alike paid $ 15 each to watch the production in theaters across the country. The main event featured Hogan and Mr. T defeating the team of Roddy Piper and Paul »Mr. Wonderful« Orndorff, but the actual wrestling seemed almost inconsequential to the overall spectacle. Those who watched, witnessed the culmination of a revolutionary cross-pollination of sports, music, and television, with the concoction held together by professional wrestling.60
59 Beekman, Ringside, S. 125 f. Ein Überblick über die ersten Experimente mit der Pay-Per-View-Technologie in der NWA findet sich bei: Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 39 60 Beekman, Ringside, S. 126. Rein technisch gesehen waren die ersten Ausgaben von Wrestlemania noch kein Pay-per-View-Event im heute geläufigen Sinne, sondern basierten noch auf dem sogenannten ›closed-circuit system‹. Hierbei wurden verschiedene Kinos oder vergleichbare Locations an das Livebild des Veranstaltungsortes angeschlossen, was die Sitzplätze in der Halle um eine beliebige Anzahl virtueller Sitzplätze erweiterte. Von seiner Grundidee her war es
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Mit Wrestlemania schuf Vince McMahon eine Blaupause für die Ausrichtung und Vermarktung von großen Pay-per-View-Events, die er in den folgenden Jahren noch weiter ausbaute und perfektionierte. Er kreierte in den folgenden Jahren noch weitere ähnliche Events, die er in einem festen Zyklus über das ganze Jahr verteilte, welcher immer mit einer neuen Ausgabe von Wrestlemania endete. Damit erreichte er nicht nur einen besonders hohen Wiedererkennungswert für sein Produkt, er schaffte es auch, die World Wrestling Federation in der Wahrnehmung seiner Zuschauer als die erste nationale Wrestlingpromotion zu etablieren. Professional Wrestling und die World Wrestling Federation waren in den 80ern somit zu regelrechten Synonymen geworden und es dauerte bis in die 1990er Jahre, bis die nationale Dominanz McMahons über den amerikanischen Wrestlingmarkt – kurzzeitig – gebrochen werden konnte. Der ›Monday Night War‹ und der erneute Wrestlingboom der späten 1990er Jahre Vince McMahon hatte es zur Mitte der 1980er geschafft, das Gesicht der amerikanischen Wrestlingindustrie für immer zu verändern und mit seiner World Wrestling Federation eine national aktive Promotion zu etablieren, die in Sachen Vermarktung, Verbreitung und Umsatz allen anderen Promotions weit überlegen war. Doch gegen Ende des Jahrzehnts kam das Wachstum seines Unternehmens vorübergehend ins Stocken. Schuld daran war unter anderem die Verwicklung McMahons und einiger seiner Mitarbeiter in einen großen Steroidskandal, der ihm und manch einem seiner bekanntesten Stars reichlich negative Publicity einbrachte, die in deutlichem Widerspruch zur massenkompatiblen Ausrichtung der WWF stand.61 Für die meisten Überbleibsel der NWA kam dieser kleine Einbruch aber zu spät. Die Alliance hatte zwar insbesondere in ihren Kerngebieten im Süden immer noch eine treue Anhängerschaft, doch der Aufstieg der WWF hatte den Wrestlingmarkt nachhaltig verändert und die NWA konnte nicht mehr mit der nötigen Infrastruktur aufwarten, um sich gegen einen – obgleich geschwächten – Gegner dieser Stärke behaupten zu können. Denn wer auf Augenhöhe mit der WWF konkurrieren wollte war gezwungen,
damit bereits dasselbe System, welches dann bald auf den weitaus gewinnbringenderen Markt des Bezahlfernsehens ausgeweitet wurde. 61 Assael und Mooneyham, Sex, Lies and Headlocks, S. 81–97.
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sich der Öffentlichkeit auf eine ähnlich medienwirksame, zeitgemäße und innovative Art und Weise zu präsentieren, wie es McMahon während der goldenen Jahre seines Unternehmens in den 80er Jahren vorgemacht hatte. Erst Anfang der 1990er machte sich ein weiterer Aussteiger aus der NWA auf, der WWF die Spitzenposition auf dem Wrestlingmarkt streitig zu machen. Die Liga World Championship Wrestling (WCW) hatte sich zuvor aus einer der stärksten Fraktionen innerhalb der maroden NWA entwickelt und war dank ihres Besitzers – Medienmilliardär Ted Turner – die einzige Promotion in den USA, welche über eine ähnlich gute Medienanbindung und ausreichenden finanziellen Rückhalt verfügte wie die WWF. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte eine desolate und von Machtkämpfen geprägte Firmenpolitik jedoch dafür gesorgt, dass die WCW aus ihrem Potenzial keinen wirklichen Profit schlagen konnte und selbst für eine angeschlagene McMahon-Promotion keine ernsthafte Konkurrenz darstellte. Turner hatte die Leitung des Unternehmens bis Ende der 80er entweder Veteranen aus früheren Tagen der Wrestlingindustrie übertragen, die sich dann meist auch stur an den klassischen Schemata der NWA-Shows orientierten, oder an professionelle Fernsehmacher, die keinerlei Beziehung zum Wrestling hatten und die mit der Betreuung der Wrestlingshows und den Eigenheiten des Wrestlingmarktes maßlos überfordert waren. Die Ergebnisse glichen sich in beiden Fällen: unzeitgemäß wirkende Wrestlingshows, die mit ihrem stark regionalen Touch, der meist auf den Süden der USA ausgerichtet war, keine echte Konkurrenz für die weitaus aufregenderen und massentauglicheren Programme der WWF waren.62 Die Stellung des Unternehmens änderte sich jedoch vollkommen, als Ted Turner 1992 den jungen Fernsehmacher Eric Bischoff mit der Leitung der WCW beauftragte. Bischoff hatte sowohl Erfahrung in der Wrestlingindustrie als auch im Fernsehbusiness gesammelt und begann in den folgenden Jahren damit, das Image der Liga konsequent umzugestalten. Um Kosten zu sparen und nicht wie seine Konkurrenten mit mehreren Tonnen Equipment und Veranstaltungstechnik durch die USA reisen zu müssen, produzierte Bischoff die wöchentlichen Shows der WCW kurzerhand in einem Fernsehstudio der MGM-Studios in Orlando, Florida. Die dadurch freigewordenen Ressourcen nutzte er dazu, die Zuschauer der WWF durch
62 Beekman, Ringside, S. 132 f. Vgl auch: R.D. Reynolds und Brian Alvarez, The Death of WCW (Toronto: ECW Press, 2004), S. 23–25.
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die spektakuläre Verpflichtung einiger bekannter Wrestler aus den WWFProgrammen auf die Turner-Promotion aufmerksam zu machen. Die Kursänderung zahlte sich aus und die WCW konnte bis Ende 1994 schon erste Erfolge verbuchen, war aber immer noch weit davon entfernt, zu einer direkten Konkurrenz für die WWF zu werden. 63 Die große Wende für die Promotion sollte Bischoff erst im Jahr 1995 gelingen, als er den Versuch startete, in direkte Konkurrenz mit McMahons Zugpferd unter seinen wöchentlichen TV-Shows zu treten: Monday Night RAW. Bischoff konnte Turner davon überzeugen, ihm einen Sendeplatz für eine neue Show – Monday Nitro – zu sichern, die parallel zu McMahons Sendung im montäglichen Prime-Time-Programm laufen sollte. Dieser Ansatz eines direkten Kräftemessens mit McMahons erfolgreichstem Sendekonzept mutete zunächst wie ein medialer Selbstmord an, doch Bischoffs neue Show verfügte über einen entscheidenden strategischen Vorteil. Während Monday Night RAW unter der Woche aufgezeichnet wurde, um dann am Montagabend ausgestrahlt zu werden, sendete Monday Nitro live. Welche Strategie hinter diesem Konzept stand wurde jenen Zuschauern klar, die am 4. September 1995 bei der Premiere der Show einschalteten. Bischoff hatte den Wrestler Lex Luger (Lawrence Pfohl), der zu Beginn der 90er einige relativ erfolgreiche Auftritte bei der WWF hatte, von der McMahon-Promotion abwerben können und ließ ihn ganz unvermittelt und in Straßenkleidung in der Show auftauchen. Weder die regelmäßigen Zuschauer der montäglichen Wrestlingshows, noch die Leitung der WWF wussten aber zu diesem Zeitpunkt von dem neuen Arrangement. Nun waren die Zuschauer es bereits gewohnt, dass sich ehemalige WWF-Wrestler von der WCW abwerben ließen, doch war die Tatsache, dass ein Wrestler der einen Promotion so unvermittelt im Programm der Konkurrenz auftauchen konnte, eine kleine Sensation.64 Die Neugierde des Publikums war geweckt und die Wrestlingzuschauer stellten sich die Frage, was wohl in den nächsten Wochen passieren würde. Sie wurden nicht enttäuscht. Nitro sendete in der folgenden Woche einige Minuten früher als RAW und begann mit einem Segment, in dem Eric Bischoff seinem Publikum kurzerhand erzählte, was sie in dieser Woche bei
63 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 170 f.; Greenberg, Pro Wrestling, S. 99 ff. 64 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 79–81.
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RAW – das ja bereits einige Tage zuvor aufgezeichnet worden war – zu sehen bekommen würden: »Bischoff’s statement not only broke with one of wrestling’s unwritten rules – not to ever acknowledge your competition on air – but also represented the opening salvo in wrestling’s most significant storyline of the 1990s, the ›Monday Night War‹.«65 Der öffentliche Angriff auf seinen Kontrahenten und die indirekte Kriegserklärung an die McMahon-Promotion wirkte auf das Publikum wie eine Revolution und machte die Turner-Promotion kurzerhand zu einem ernsthaften Konkurrenten der WWF. Fortan machte Bischoff den Wettbewerb zwischen den beiden Promotions zu einem festen Bestandteil seiner wöchentlichen Fernsehsendungen. Die Versuche der WCW und der WWF, sich gegenseitig aus dem Programm zu treiben, avancierten so zum Ende der 1990er hin zu einer Art narrativem Metarahmen beider Montagabendshows – dem sogenannten Monday Night War –, der von den Wrestlingfans nahezu euphorisch aufgenommen wurde.66 Bischoffs Strategie hatte einen der wesentlichen Schwachpunkte von McMahons erfolgsverwöhnten Sendeformaten erkannt: ihre große Ausrechenbarkeit. Umfragen unter den Zuschauern von Wrestlingprogrammen, die der Manager der WCW in Auftrag gegeben hatte, zeigten nämlich, dass die Möglichkeit von unvorhergesehenen Ereignissen einen der größten Anreize für die Fans bildete, um bei den Sendungen einzuschalten. Dementsprechend machte Bischoff das Eintreten des Unvorhergesehenen kurzerhand zum Motto von Monday Nitro: »If the audience wanted unpredictable, then that’s what they would get. WCW Nitro would be about keeping people on the edge of their seats, wondering. Nitro’s goal was far-reaching: what next; what about next week; next month?«67 Die Tatsache, dass McMahons Wrestlingsendungen für das Publikum so ausrechenbar geworden waren, hatte mehrere Hintergründe. So hatte die World Wrestling Federation den wöchentlichen Wrestlingshows und insbesondere den Pay-Per-Views in den 1980ern zwar einen frischeren Anstrich
65 Beekman, Ringside, S. 133. 66 Beekman, Ringside, S. 133 ff. Eine recht ausführliche wenn auch reichlich subjektive Darstellung der Geschehnisse um die Monday Night Wars findet sich in Eric Bischoffs Autobiographie: Eric Bischoff und Jeremy Roberts, Controversy Creates Cash (New York u.a.: Pocket Books, 2006). 67 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 79.
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verpasst, doch im Prinzip bauten die Programme auf Schemata auf, die sich schon in den 60er Jahren etabliert hatten. Zudem hatte sich die Medienlandschaft zwischen Mitte der 80er und Mitte der 90er abermals radikal gewandelt, wobei die größten Neuerungen von der Computertechnik herrührten. Insbesondere das Internet stellte die gewohnten Abläufe der Wrestlingindustrie vor gänzlich neue Herausforderungen: The internet made it impossible to keep secrets as long as a wrestling show was taped. In the early 1990s an online community of wrestling fans grew. They began sharing the results of wrestling events they’d attended (much as fans had done in the ’70s and ’80s by regular mail), and the information spread at a breakneck speed.68
Interna der Wrestlingindustrie konnten den geneigten Fan an seinem Bildschirm nun genau so schnell erreichen wie die Ergebnisse der letzten Aufzeichnungen für eine Fernsehshow. Dies hatte Bischoff bereits des Öfteren am eigenen Leib erfahren müssen, denn die Ergebnisse der ersten von ihm in den MGM-Studios produzierten Sendungen konnten oft schon wenige Stunden nach deren Aufzeichnung auf den einschlägigen Seiten im Netz für die Zuschauer eingesehen werden. Bishoff begann deshalb die Tücken des Internets für seine eigenen Zwecke zu nutzen, indem er in seinen Wrestlingshows auf die Unmittelbarkeit des Live-Fernsehens hin auslegte, um so die potenzielle ›Bedrohung‹ durch die Internetgemeinde zu umgehen.69 Der große Erfolg, den Bischoff mit seinem Monday Nitro erzielen konnte, lässt sich somit teilweise auf die geschickte strategische Nutzung des erweiterten performativen Feedbacks der Wrestlingshows durch das Live-Fernsehen zurückführen, welches er nun auf ähnlich bahnbrechende Weise verwendete, wie es McMahon zuvor in den 80ern mit dem Kabelfernsehen und der Pay-Per-View-Technologie getan hatte. Bischoff nutzte den Livecharakter seiner Show in den folgenden Wochen und Monaten nicht nur dazu, um die zeitgleich ausgestrahlten, aber zuvor aufgezeichneten Programme seines Mitbewerbers zu attackieren; er kreierte darüber hinaus eine Sendung, welche sich in Sachen Ereignisreichtum und Dramatik von den gängigen Wrestlingformaten unterschied und deren offensichtliches Ziel darin bestand, dem Publikum das zu liefern, was dieses bisher nur
68 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 79 f. 69 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 79–81.
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von den Pay-Per-View-Shows gewohnt gewesen war: unvorhergesehene Wendungen, Sensationen und Spektakel. Während beispielsweise Begegnungen zwischen den bekannten Namen der Industrie seit den 1970er Jahren bei den kostenlosen Fernsehshows eine absolute Seltenheit gewesen und für die großen Stadiumshows und PayPer-Views aufgespart worden waren, machte Bischoff sie nun zu einem festen Bestandteil von Monday Nitro. Er machte den Eventcharakter der großen Pay-Per-View-Shows kurzerhand zum Tagesgeschäft und sicherte sich damit anhaltend die Aufmerksamkeit und das Interesse eines Publikums, das es leid war, in den wöchentlichen Wrestlingsendungen hauptsächlich aufgezeichnete Kämpfe vorgesetzt zu bekommen, in denen die Stars der Industrie gegen ein paar chancenlose No-Names gestellt wurden und die ansonsten nur noch mit ein paar narrativen Segmenten angereichert wurden, welche den Spannungsbogen für das nächste turnusmäßige Pay-Per-ViewEvent vorbereiteten. Bischoffs Taktik sicherte der WCW gute zwei Jahre lang einen deutlichen Wettbewerbsvorteil vor der WWF, denn in etwa so lange schaffte er es, für immer neue unvorhersehbare Wendungen zu sorgen, die das Publikum von der WWF weglocken konnten. Länger sollte die Erfolgssträhne von World Championship Wrestling jedoch nicht halten. Um weiter konkurrenzfähig zu bleiben, unternahm Vince McMahon mit seiner Promotion eine radikale Kursänderung, im Zuge derer er die wesentlichen Erfolgsrezepte aus Bischoffs Programm übernahm und diese auf die Spitz trieb. Bald wurde auch RAW live gesendet, zeigte Begegnungen, die es im WWF-Programm zuvor nur bei Pay-Per-Views gegeben hatte und lockte seine Zuschauer mit Segmenten, die zuvor in den Shows der World Wrestling Federation undenkbar gewesen wären.70
70 Vgl. hierzu das Kapitel über ›Stone Cold‹ Steve Austin im zweiten Teil dieser Arbeit. Wie ich dort zeigen werde, hatte die neuerliche Wende zugunsten der McMahon-Promotion auch mit den radikalen inhaltlichen Umbrüchen in den Programmen der WWF zu tun, die im Wesentlichen als Reaktion auf ähnlich drastische Umbrüche im zeitgeschichtlichen Klima der USA während der 1990er gewertet werden können. Ohne eine ausführliche Betrachtung der inhaltlichen Bezüge einer Wrestlingshow – denen wir uns im nächsten Kapitel widmen werden – ist dies jedoch nur schwer verständlich, weshalb sie an dieser Stelle schon einmal in Kurzform skizziert werden.
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McMahons neue Taktik erwies sich abermals als Kassenschlager und verschaffte ihm einen großen Vorsprung vor der WCW. Und während McMahon seinen neuerlichen Popularitätsschub nutzen konnte, um die WWF von ihrem angestaubten Image zu befreien, verstrickte sich die WCW wieder zunehmend in einem Netz aus internen Machtkämpfen und begann so, trotz besagter Innovationen, erneut in den ewig gleichen und aus Sicht der Zuschauer überholten narrativen Strukturen und Showkonzepten der späten 80er Jahre zu versanden, was sich in der Folge auch auf die finanzielle Situation der Promotion auswirkte.71 [Then,] in early 2000 Turner, the largest single stockholder in Time Warner – which his cable companies belonged to – agreed to merger with America On-Line (AOL). The new media conglomerate not only pushed Turner out of the daily operations of his cable companies but also moved to unload the more unprofitable portions of the Time Warner empire. […] On March 23, 2001, AOL Time Warner then sold the WCW’s assets for less than $3 million to Vince McMahon.72
Durch das Aufkaufen seiner größten Konkurrenz erlangte Vince McMahon – gut zwanzig Jahre nachdem er das Unternehmen von seinem Vater übernommen hatte – letztlich das inoffizielle Quasimonopol über den gesamten amerikanischen Wrestlingmarkt; eine Vormachtstellung, die im Prinzip bis zum heutigen Tag anhält. So verfügt das Professional Wrestling in den USA zum jetzigen Zeitpunkt zwar über eine sehr aktive und kreative Independentszene, deren größere Ligen oftmals aus letzten Überresten der NWA bestehen und bisweilen sogar über eine eigene TV-Anbindung verfügen; diese Ligen fungieren aber eher als Karrieresprungbrett für junge Nachwuchsstars. Für den ganz großen Durchbruch ist ein Wrestler in den USA auf ein Engagement bei der McMahon-Promotion angewiesen, die unangefochtener Marktführer auf dem Gebiet es Professional Wrestling ist und die nun bereits seit 2002 unter dem neuen Namen World Wrestling Entertainment aktiv ist.73
71 Vgl. insbesondere: Reynolds und Alvarez, The Death of WCW , S. 169 ff. 72 Beekman, Ringside, S. 139. 73 Beekman, Ringside, S. 144.
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D AS PERFORMATIVE S YSTEM DES P ROFESSIONAL W RESTLING UND DAS H EEL /B ABYFACE -S CHEMA Wie der kurze historische Abriss über die strukturelle Geschichte des Professional Wrestling gezeigt hat, ist der Erfolg der Wrestlingshows in den USA aufs Engste mit der Fähigkeit der Promoter verknüpft, das performative Feedback der Wrestlingshows durch ihre Experimente mit verschiedenen zeitgenössischen Formen der Medialisierung zu intensivieren, um somit auch die somatischen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Teilnehmern der Performances über den engen Rahmen des Veranstaltungsortes hinaus erweitern zu können. Das Spannungsverhältnis zwischen einem sehr einfachen, sich stets gleichbleibenden, performativen Grundschema und dessen Medialisierung durch verschiedene Formen der Fernsehtechnologie hatte darüber hinaus auch einen großen Einfluss auf die Struktur der Wrestlingindustrie als Ganzes, indem es zunächst die für die Wrestlingindustrie charakteristische Konsolidierung regionaler Märkte im Territorialsystem der National Wrestling Alliance begünstigte, welche dann ihrerseits später den Rahmen für die Formierung einer ersten überregionalen und nationalen Wrestlingpromotion bildete: Vince McMahons World Wrestling Federation. Dabei fällt natürlich auf, dass die Trias von performativem System, Medialisierung und struktureller Organisation des Wrestlingmarktes zwar einen sehr guten ersten Eindruck von den Eigenheiten, dem Aufbau und der spezifischen Arbeitsweise der amerikanischen Wrestlingindustrie vermitteln kann. Sie reicht aber noch nicht dafür aus, den anhaltenden Erfolg des Professional Wrestling und insbesondere dessen kulturellen Stellenwert in den USA auf eine befriedigende Art und Weise zu erklären. Um diesen Punkt genauer zu ergründen möchte ich mich diesem Kapitel einer ausführlicheren Untersuchung jenes essenziellen Bestandteils des performativen Systems der Wrestlingshows widmen, der eine Antwort auf die Frage nach dem kulturspezifischen Inhalt der Wrestlingsshows verspricht: der Erzeugung eines performativen Feedbacks zwischen Promotern, Wrestlern und Zuschauern entlang der Unterscheidungen des Heel/Babyface-Schemas. Wie in der ausführlicheren Darstellung der performativen Funktion des Heel/Babyface-Schemas im vorangehenden Kapitel bereits deutlich wurde, baut eine Wrestlingshow im Grunde auf den Sympathien und Antipathien des Publikums auf, welche während der Shows bewusst durch die beiden
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Rollen eines negativ konnotierten Heel-Wrestlers und eines positiv konnotierten Babyface-Wrestlers provoziert werden und die dazu beitragen, dass sich die anwesenden Zuschauer aktiv an der Performance beteiligen und damit das für die Show so notwendige performative Feedback überhaupt erst in Gang gesetzt wird. Um den Platz des Professional Wrestling in der Kultur Nordamerikas besser verstehen zu können müssen wir somit zwangsläufig herausarbeiten, was es genau ist, worauf das Publikum hier mit Sympathie oder Antipathie reagiert. Bisher sind wir in diesem Zusammenhang lediglich darauf eingegangen, dass die Charakterisierung der Wrestler nach dem Heel/Babyface-Schema von den Promotern stets so gestaltet wird, dass die Darstellung im Ring eine so starke – positive wie negative – Reizwirkung ausübt, damit das Publikum auch tatsächlich den Drang verspürt, sich aktiv an den Darbietungen im Ring zu beteiligen. Die Aufgabe des folgenden Kapitels besteht deshalb zunächst darin, die zentrale Frage zu klären, was diese Reizwirkung ausmacht bzw. auf welche Form der Darstellung das Publikum einer Wrestlingshow reagiert, wenn es sich aktiv an deren performativen Prozessen beteiligt. Zudem werde ich herausarbeiten, inwiefern das Professional Wrestling in seinen Performances zu diesem Zweck auf Darstellungsformen zurückgreift, welche in einem expliziten Zusammenhang mit der Kultur und der Geschichte der USA stehen. Die performative Rückkopplung des Heel/Babyface-Schemas an historisch und kulturell anschlussfähige Diskurse Wie lässt sich also zunächst das grundlegende strukturierende Prinzip beschreiben, nach dem die Wrestlingperformances mittels Gegenüberstellung eines Heel-Wrestlers und eines Babyface-Wrestlers funktioniert? In Anlehnung an die Arbeiten des französischen Literaturwissenschaftlers Roland Barthes kann zunächst gesagt werden, dass die jeweiligen Rollen mit negativen bzw. positiven Assoziationen besetzt sein müssen, die wiederum an entsprechende kultur- und zeitspezifische Formen der Darstellung angelehnt sein müssen.74 Bedienen wir uns zur näheren Untersuchung dieses Zusammenhangs eines simplen fiktiven Beispiels und gehen davon aus, dass es sich bei dem Babyface-Wrestler um einen
74 Barthes, The World of Wrestling, S.24 ff.
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›Cowboy‹ und bei dem Heel-Wrestler um einen ›Indianer‹ handelt. Beides sind Formen der Darstellung, die in der amerikanischen Geschichte mit sehr deutlichen kulturellen Assoziationen und somit einer hohen Anschlussfähigkeit für ein Publikum verbunden sind. So wurde z.B. der ›Cowboy‹ in der amerikanischen Geschichte oft als Symbolfigur für den Werdegang der amerikanischen Nation angesehen – als die Verkörperung einer »Manifest Destiny« und des kulturbildenden Prinzips der »Frontier« – während die Figur des Indianers oftmals die spezifischen Widerstände symbolisierte, die diesem Werdegang entgegenstehen.75 Durch die Gegenüberstellung der beiden Figuren in einem Kampf ist also sofort eine ganze Reihe von kulturspezifischen, anschlussfähigen Differenzen mit angezeigt, die durch die Rollen des Heel-Wrestlers und des BabyfaceWrestlers zum Ausdruck gebracht werden und die das Publikum dazu einladen, die entsprechenden Assoziationen durch Beteiligung an der Performance zum Ausdruck zu bringen.76
75 Richard Slotkin, Gunfighter Nation: The Myth of the Froniter in TwentiethCentuy America (Norman: University of Oklahoma Press, 1998), S. 10 ff. 76 Diese Assoziation der Wrestler mit zeitgeschichtlich und kulturell besonders anschlussfähigen Differenzdiskursen weist eine große strukturelle Analogie zum Prinzip der Stereotypisierung auf, wie es von dem deutschen Historiker Hans Henning Hahn in seinem Entwurf einer »historischen Stereotypenforschung« skizziert worden ist. Hahn beschreibt Stereotypisierung dort als die komplementäre Gegenüberstellung eines Selbstbildes (Autostereotypen) und eines Fremdbildes (Heterostereotypen) innerhalb eines spezifischen kulturhistorischen Kontextes. Kulturräume besitzen für Hahn einen kollektiven, historisch wandelbaren Stereotypenhaushalt und Stereotypenkonsens, der eng mit der Konstruktion inter- und intranationaler Identitäten verbunden ist. Vgl. hierzu: Hans Henning Hahn, »12 Thesen zur Stereotypenforschung«, Nationale Wahrnehmung und ihre Stereotypisierung: Beiträge zur Historischen Stereotyenforschung, herausgegeben von Hans Henning Hahn und Elena Mannová (Pieterlen: Peter Lang Verlag, 2007): S. 15–24; Hans Henning Hahn und Eva Hahn, »Nationale Stereotypen: Plädoyer für eine historische Stereotypenforschung«, Stereotyp, Identität und Geschichte: Die Funktion von Stereotypen in gesellschaftlichen Diskursen, herausgegeben von Hans Henning Hahn und Stephan Scholz (Pieterlen: Peter Lang Verlag, 2002): S. 17–56.
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Dabei wird auch noch einmal deutlich, dass der Kontrast zwischen den beiden Wrestlern im Rahmen der Performance sehr von dem jeweiligen Kontext abhängig ist, in welchem eine spezifische Wrestlingperformance stattfindet. Es ist nämlich durchaus möglich, dass die Assoziationen durch zeitgeschichtliche Umstände anders besetzt sind als in unserem Beispiel impliziert. Dies führt dann zwangsläufig dazu, dass auch die Reaktionen des Publikums anders ausfallen. So könnte die Figur eines ›Indianers‹ in einer anderen fiktiven Darstellung eines Babyface-Wrestlers eine Variante des Motivs des ›edlen Wilden‹ sein, der die Widerstandfähigkeit und Ursprünglichkeit der amerikanischen Nation symbolisiert, während sein Gegenüber für all jene Aspekte der zeitgenössischen Kultur stehen könnte, die diese Ursprünglichkeit zu korrumpieren und auszubeuten versuchen.77 Ebenso besteht stets eine gewisse Form der Unsicherheit bzw. kreativer Offenheit, denn eine Ansetzung kann von einem bestimmten Publikum auch anders aufgefasst werden als vorgesehen, zum Beispiel dann, wenn sich historische und kulturelle Assoziationen, die einer Figur zugeordnet sind, gerade im Umbruch befinden. Die Reaktionen des Publikums nehmen in diesem Fall direkten Einfluss auf die Darstellungen im Ring, indem sie die Logik des Heel/Babyface-Schemas in gewissem Sinne ›umpolen‹ bzw. modifizieren.78 In allen drei hier skizzierten Fällen bleibt die Ausgangssituation jedoch dieselbe: Die Differenzen des Heel/Babyface-Schemas sind an kulturspezifische, zeitgenössische Diskurse gekoppelt, um so die aktive Partizipation des Publikums zu provozieren. Der bereits erwähnte Literatur- und Theaterwissenschaftler Roland Barthes hat wegen dieser zentralen Funktion, die den Assoziationen der Wrestlingcharaktere mit kulturell besonders anschlussfähigen Differenzdiskursen im Rahmen der Wrestlingshows zukommt, den Vorschlag gemacht, »dass
77 Eine der populärsten Figuren der World Wrestling Federation in den frühen 1990er Jahren – der Indianer Tatanka – wurde in genau einer solchen Weise dargestellt. Vgl. hierzu: Jenkins, »›Never Trust a Snake‹«, S. 44; sowie: Brian Shields und Kevin Sullivan, WWE Enceclopedia: The Definitive Guide to World Wrestling Entertainment (London, New York u.a.: DK Group, 2009), S. 298. 78 Vgl. hierzu insbesondere das Kapitel über ›Stone Cold‹ Steve Austin im zweiten Teil dieser Arbeit.
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man die physische Erscheinung eines Wrestlers als ein Art basales Zeichen auffassen [müsse], welches die Bedeutung des Kampfes bereits wie ein Samen in sich trägt.«79 Barthes’ betont semiotische Herangehensweise mag aus einer strikt theoretischen Perspektive heute zwar etwas obsolet anmuten, doch das Bild vom Körper des Wrestlers als ein basales Zeichen, das jeweils in Abhängigkeit zu dem kulturellen Kontext, in dem es steht, gedeutet werden muss, liefert eine sehr treffende erste Charakterisierung jener Funktion, welche den Wrestlern im Rahmen der Heel/Babyface-Unterscheidung letztlich zukommt. Barthes schließt daraus, dass dem bloßen körperlichen Kontrast der beiden Kontrahenten im Ring im Professional Wrestling eine derart zentrale Stellung zukommt, dass die Gegenüberstellung der ›zeichenhaften‹, mit Bedeutung ›aufgeladenen‹ Körper der Wrestler bereits das meiste von dem vorwegnimmt, was dann später im Rahmen des Kampfes in der Wechselwirkung mit dem Publikum ›ausbuchstabiert‹ wird. But this seed proliferates, for it is at every turn during the fight, in each new situation, that the body of the wrestler casts to the public the magical entertainment of a temperament which finds its natural expression in a gesture. The different strata of meaning throw light on each other, and form the most intelligible of spectacles. Wrestling is like a diacritic writing: above the fundamental meaning of his body, the wrestler arranges comments which are episodic but always opportune, and constantly help the reading of the fight by means of gestures, attitudes, and mimicry, which make the intention utterly obvious.80
Anders formuliert: Wer in einer Wrestlingperformance gegeneinander antritt ist oft wichtiger als wer den Kampf letztlich gewinnen wird. Denn da der zu erwartende Ausgang einer Begegnung im Professional Wrestling – im Gegensatz zu einem tatsächlichen sportlichen Wettkampf – durch das Heel/Babyface-Schema bereits impliziert oder zumindest präfiguriert ist, kommt der Ansetzung eines Kampfes und den damit suggerierten symbolischen Kontrasten zwischen den Wrestlern eine ebenso zentrale Stellung zu
79 Barthes, »The World of Wrestling«, S. 25 f. [meine Übersetzung, P.K.]. Im Orginal: »The physique of the wrestler therefore constitutes a basic sign, which like a seed contains the whole fight.« 80 Barthes, »The World of Wrestling«, S. 25 f.
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wie der Frage, wie dieser Kontrast dann im Laufe des Kampfes zum Tragen kommen wird. Wrestlingcharaktere als Bedeutungsträger: Textuelle Bedeutungen und somatische Bedeutungen An dieser Stelle wird deutlich, dass die Wrestlingcharaktere – die in der Wrestlingindustrie meist als »Gimmicks« bezeichnet werden – in ihrer Funktion und ihrer Darstellung um einiges komplexer angelegt sind, als es eine oberflächliche, erste Betrachtung annehmen lassen würde. Denn dadurch, dass Barthes hier auf die zentrale Rolle hinweist, die der tatsächlichen körperlichen Präsenz der Wrestler während der Performances zukommt, weist er implizit auch darauf hin, dass die nonverbalen Bedeutungen, die durch den Körper des Wrestlers für das Publikum transportiert werden, nicht auf eine rein oberflächliche Lesart dessen beschränkt sein dürfen, was z.B. durch die Kostümierung einer Figur oder ihren Namen zum Ausdruck gebracht wird.81 Um beim obigen Beispiel zu bleiben: Es genügt für einen Wrestlingcharakter nicht, dass er auf der textuellen Ebene – durch seinen Namen, seine Kostümierung oder im Rahmen eines narrativen Segments – als ›Cowboy‹ oder ›Indianer‹ klassifiziert wird. Eine solche Darstellung mag zwar einen entscheidenden Anstoß geben, um das Publikum zur Partizipation an der Performance zu ermutigen – sie reicht jedoch nicht aus, um die Funktion, welche die Wrestler im Rahmen des Heel/Babyface-Schemas einnehmen, gänzlich zu erklären. Es lohnt sich an dieser Stelle, etwas genauer zu differenzieren, denn es ist offenbar nicht nur wichtig, was der Körper eines Wrestlers dem Publikum an zeichenhafter Bedeutung übermittelt; von genauso zentraler Bedeutung ist auch, welcher Körper die kulturellen Assoziationen einer spezifi-
81 Barthes selber führt diesen Punkt – wahrscheinlich wegen seiner starken Fokussierung auf eine semiotische Lesart des Professional Wrestling – im Rahmen seines Essays nur indirekt aus. Die hier von mir im Folgdenden vorgenommene Unterscheidung zwischen den rein textuellen und den eher somatischen Konnotationen, welche den Wrestlern als Bedeutungsträger im Rahmen des Heel/Babyface-Schemas zukommt, soll deshalb als Bemühung verstanden werden, den von Roland Barthes (und auch Laurence DeGaris) implizit aufgezeigten Weg konsequent zu differenzieren und weiterzudenken.
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schen Figur gerade zum Ausdruck bringt. Dies ist ein Punkt, auf den auch Laurence DeGaris in seiner Untersuchung über die performative Logik der Wrestlingmatches (zumindest) indirekt hinweist, indem er anmerkt, dass an und durch den Körper eines Wrestlers immer mehr zum Ausdruck gebracht wird, als die Figur durch ihre oberflächliche Charakterisierung – wie etwa Namen, Kostüm oder daran orientierte narrative Logik – an zugewiesenem Sinn tragen würde. It takes more than putting on a costume and giving charismatic or entertaining interviews to make a gimmick effective. Any effective gimmick must be ›worked‹ in the match. That is, elements of the ›character‹ must be performed consistently and seamlessly.82
Die strategische Differenz zwischen den beiden Wrestlern im Rahmen der Heel/Babyface-Unterscheidung und die daraus resultierende Reizwirkung auf das Publikum muss also neben den textuellen Assoziationen der Figuren zusätzlich noch an eine Reihe weitere, ›tieferliegendere‹ somatische Assoziationen angelehnt sein, welche mit der textuellen Lesart der Figur in enger Verbindung stehen.83
82 DeGaris, »The ›Logic‹ of Professional Wrestling«, S. 207 f. 83 Ich sehe hier bei DeGaris eine wichtige Idee die deutlich über Barthes hinausgeht und die für ein tieferes kulturhistorisches Verstädnis des Phänomens Professional Wrestling von zentraler Bedeutung ist. Ich beziehe mich mit dieser Differenzierung zwischen textuellen und somatischen Assoziationen abermals auf Laurence DeGaris, der diesen Zusammenhang in seinem Essay »The ›Logic‹ of Professional Wrestling« aufzeigt, ihn jedoch nicht konsequent weiterführt: »Textual readings of wrestling characters or ›gimmicks‹ overlook the mechanics of the sport as performance, as well as the mechanics of the performance as sport.« (DeGaris, »The ›Logic‹ of Professional Wrestling«, S. 195.) Ein interessanter Anknüpfungspunkt für eine tiefere Betrachtung dieser Differenzierung wäre auch die für die Theaterwissenschaft so wichtige Frage nach der semiotischen Qualität eines Schauspielers und deren Beziehung zur somatischen Präsenz des Schauspielers als embodied mind. Vgl in diesem Zusammenhang Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 130 ff.
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Maskulinität und die somatischen Assoziationen im Professional Wrestling Wie lassen sich die somatischen Assoziationen, die ein Wrestlingcharakter immer gemeinsam mit seinen textuellen Assoziationen transportiert, genauer beschreiben? Da es der männliche Körper ist, der im Professional Wrestling als Träger textueller Bedeutungen fungiert, hat die Theaterwissenschaftlerin Sharon Mazer im Rahmen einer ethnologischen Untersuchung darauf hingewiesen, dass diese Funktion in der Kultur des Professional Wrestling hauptsächlich in der offensichtlichen Zurschaustellung kulturspezifischer Männlichkeitsideale zu suchen ist: From cute to brute, the types of man represented in the squared circle are, at first glance, extraordinarily diverse and by no means mutually exclusive or discrete. […] But for all that wrestling displays the antagonism of difference, it also and more importantly affirms what it is these men have in common – that is, that they are men. […] the will and spirit of a ›real‹ man as it underlies and transcends both character and circumstances, latent (if not immediately apparent) in all men. What is celebrated in the give-and-take of the match, in the appearance of loss and the retrieval of victory, is nothing more or less than manliness itself, the masculine idea(l).84
Was das Professional Wrestling seinem Publikum durch das Medium der im Ring interagierenden Körper also im Wesentlichen präsentiert, ist eine Affirmation und/oder Negation dominanter, kulturspezifischer Männlichkeitskonzeptionen, welche gemeinsam mit den textuellen Lesarten der Wrestlingcharaktere im Rahmen des Heel/Babyface-Schemas zum Ausdruck gebracht werden. Wenn Roland Barthes also anmerkt, dass es sich bei den Wrestlingshows nicht um Sport, sondern um ein »spectacle of excess«85 handelt – im Sinne der lateinischen Wortbedeutung des Begriffs, welche auf Visualität, Sichtbarkeit und Zurschaustellung anspielt86 –, so muss ergänzt werden, dass die Wrestlingshows gleichzeitig immer auch ein Spektakel der Maskulinität darstellen; eine dramatische Inszenierung jener Bedeutungen, welche dem männlichen Körper in der Kultur zugewiesen werden, in der die
84 Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 102 f. 85 Barthes, »The World of Wrestling«, S. 23. 86 Barthes, »The World of Wrestling«, S. 23.
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Performance stattfindet. Mit den Worten von Sharon Mazer: »Professional Wrestling is always a performance by men, for men, about men.«87 Doch Mazers Schlussfolgerung stellt uns – trotz ihrer Offensichtlichkeit – vor eine weitere zentrale Frage, die es zunächst noch zu beantworten gilt, wenn man die kulturelle Funktion der Heel/Babyface-Unterscheidung begreifen möchte und die Mazer im Rahmen ihrer Untersuchung leider fast gänzlich ausgeklammert hat: Die Frage nach der genauen Beschaffenheit des »masculine idea(l)«88, das Mazer im Zentrum der Wrestlingperformances vermutet. Dem Leser gibt sie in dieser Frage tatsächlich relativ wenige Anhaltspunkte an die Hand. So besteht die Darstellung von Männlichkeit für Mazer im Professional Wrestling offenbar stets darin, dass innerhalb der Performances »conventional signs of femininity and masculinity«89 so miteinander in Kontrast gesetzt werden, dass ein Spannungsverhältnis entsteht, welches dann in und durch die Performance zugunsten der konventionellen Zeichen von Maskulinität aufgelöst wird. Angefangen bei der Kostümierung der Wrestler, die einen deutlichen Kontrast zu ihrer meist hypermaskulinen Körperlichkeit bildet90, über den Kontrast zwischen den verschiedenen Wrestlern, welche sie als eine Art karnevaleske »exaggeration of the continuum of masculine identifications available to men in contemporary American culture«91 sieht, bis hin zur vermeintlich verweiblichten Position, in welche ein Wrestler durch das körperliche Dominiert-Sein durch sein Gegenüber im Laufe des Kampfes stets gebracht wird: immer spielt das Professional Wrestling für Mazer mit einer strategischen Gegenüberstellung des vermeintlich Maskulinen mit dem vermeintlich Femininen, die es dann am Schluss zugunsten einer Zurschaustellung des ›wahrhaft Männlichen‹ auflöst: What is at stake in each match is nothing less than a man’s identity as a man, his masculinity, and it is the underlying threat of emasculation that provides much of wrestling’s ongoing heat. No matter how evenly matched the men appear to be […]
87 Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 100. 88 Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 103. 89 Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 101. 90 Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 101. 91 Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 105.
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the test of manhood inevitably results in a loss for one of them. It is, then, the idea of the ›feminine‹ – the submission side of the play dominance and submission – that is resisted for real in the ring. […] In the exchange of position between the ›not-soreal‹ man and the ›real‹ man even if, and especially when, the ›not-so-real‹ man loses the match – it is imperative for each wrestler that his drag is dropped at some point to display and celebrate the essential man within.92
Mazer definiert jedoch nicht, was man sich unter dem »masculine idea(l)«93 vorzustellen hat oder wie die »conventional signs of femininity and masculinity«94 aussehen, die für sie im Mittelpunkt der Performances des Professional Wrestling stehen.95 Darüber hinaus wird von ihr nicht explizit klar gemacht, inwiefern diese konventionellen Zeichen von Maskulinität durch die bloße Körperlichkeit der Wrestler – auf der Ebene somatischer Assoziationen – zum Ausdruck gebracht werden, welche wir ja als primären Träger all jener distinktiven Merkmale ausgemacht haben, die nicht schon durch die rein textuelle Lesart eines Wrestlingcharakters gegeben sind. Eine aufschlussreichere Antwort auf diese Frage findet sich in der Arbeit der beiden amerikanischen Psychologen Danielle M. Soullier und James A. Blair, die sich im Rahmen einer Studie über die Wirkung von Fernsehbildern auf die Körperwahrnehmung von Heranwachsenden ausführli-
92 Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 116. 93 Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 102 f. 94 Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 101. 95 Mazers Untersuchungen über Männlichkeit im Professional Wrestling sind dabei in zweierlei Hinsicht problematisch. Zum einen streift Mazer mit ihrer Untersuchung zahlreiche prominente Konzepte aus der interdisziplinären Forschung über das Thema Männlichkeit, ohne dass sie die beiden Themenbereiche Professional Wrestling und Männlichkeit dabei in einen expliziten methodischen und theoretischen Zusammenhang bringen würde. Zum anderen verwendet Mazer in ihrer Arbeit einen nur schwach definierten und betont ahistorischen Männlichkeitsbegriff. So zitiert sie in ihrer Untersuchung zwar immer wieder exemplarische Beispiele aus der Geschichte der amerikanischen Wrestlingindustrie, versäumt es aber, die Idee der Männlichkeit selbst als ein historisches Konstrukt zu rekontextualisieren und zu zeigen, wie dieses historisch wandelbare Konzept in den Wrestlingshows seinen Ausdruck findet.
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cher mit den gängigen Konventionen der Darstellungen maskuliner Idealvorstellungen im Professional Wrestling auseinandergesetzt haben. Anhand der Auswertung einer empirischen Analyse populärer Wrestlingprogramme der 1990er Jahre kommen sie zu dem Schluss, dass die Darstellungen des ›Mann-Seins‹ im Professional Wrestling allesamt stark auf die körperliche Verfassung der Wrestler fokussiert sind, wobei Größe, Stärke und ausgebildete Muskulatur allgemein als ein Beleg für die Männlichkeit eines Wrestlers angesehen werden: Analyses revealed that, for the most part, the WWE programs presented the cultural ideal of the male body as big, muscular, and strong. The male body was effectively constructed through visual display as well as through the announcers’ commentaries. To be sure, the messages about men’s bodies in professional wrestling emphasized large size, lean muscularity, and strength, which were presented as interconnected features of the ideal male body. Additionally, such bodily characteristics were frequently construed as advantageous to, and desirable in, men and were subsequently constructed as key defining features of what a ›real‹ man should look like and aspire to be.96
Die Repräsentation großer und muskulöser Körper als Sinnbild für geglückte Männlichkeit existiert dabei natürlich nicht um ihrer selbst willen. Wie Michael Messner, Michele Dunbar und Darnell Hunt gezeigt haben, entspricht sie einem in der amerikanischen Medienlandschaft besonders gängigen kulturellen Code, den sie in ihrer »Televised Sports Manhood Formula« zusammengefasst haben: What is a Real Man? A Real Man is strong, tough, aggressive, and above all, a winner in what is still a Man’s World. To be a winner he has to do what needs to be done. He must be willing to compromise his own long-term health by showing guts in the face of danger, by fighting other men when necessary, and by »playing hurt« when he’s injured. He must avoid being soft; he must be the aggressor, both in the battle fields of sports and in his consumption choices. […] his aggressiveness will get him the ultimate prize: the adoring attention of conventionally beautiful women. He will know if and when he has arrived as a Real Man when the Voices of Authority – White Males – say he is a Real Man. But even when he has finally managed to
96 Soullier und Blair, »Muscle Mania«, S. 274.
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[be a Real Man], […] he will be reminded by these very same Voices of Authority just how fragile this Real Manhood really is. After all, he has to come out and prove himself all over again tomorrow. […]97
Die hier von Massner Dunbar und Hunt vorgeschlagene Charakterisierung der im amerikanischen Sport zur Schau gestellten Form von Maskulinität gibt uns einen guten Hinweis auf das Netzwerk kultureller Signifikationen, innerhalb derer das von Soullier und Blair beobachtete »›hyper-male‹ body ideal«98 gesehen werden muss. Unsere Frage nach den maskulinen Idealvorstellungen im Professional Wrestling lässt sich – als vorläufiges Zwischenergebnis – auf folgende, etwas überspitzte Formel bringen: Männlichkeit wird im Professional Wrestling durch die Zurschaustellung eines harten, resilienten, siegreichen, kraftvollen, dominanten, aggressiven, muskulösen und rassisch markierten Männerkörpers repräsentiert.
97 Michael A. Messner, Michele Dunbar und Darnell Hunt, »The Televised Sports Manhood Formula«, Journal of Sport and Social Issues 24 (2000): S. 390. Mit Philip Serrato müsste man ergänzen, dass das hypermaskuline Körperideal des Professional Wrestling nicht nur auf die Kraft, die Größe und die Muskulatur des männlichen Körpers abhebt, sondern diese somatischen Merkmale von Männlichkeit auch fast automatisch mit einer Idee der rassischen Überlegenheit weißer Männer in Übereinstimmung bringt, welche er in seiner Untersuchung über den Status von Latino-Wrestlern in den USA als »monolitic whiteness« bezeichnet: »[…] The meaning of an idealized masculinity in professional wrestling has come to be equated with the brute force and excessive violence of huge, white superstars. […] In this sense, monolithic whiteness refers both to an increased emphasis in size and power, and to the positioning of Latino masculinity as inherently inferior. A glance at the history of Latino wrestlers in the U.S. professional wrestling suggests that this trend is not only disempowering to individual wreslters, but a source of regressive racial formations in general.« Serrato, »Not Quiet Heroes«, S. 235. 98 Soullier und Blair, »Muscle Mania«, S. 268.
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Somatische Assoziationen im Professional Wrestling: Das Ideal des harten Männerkörpers Die Untersuchung der kulturellen Bedeutung solcher Darstellungen hegemonialer Maskulinität in den USA hat sich in den letzten zehn Jahren einer immer größer werdenden akademischen Aufmerksamkeit erfreut und ist insbesondere in verschiedenen historischen Studien bereits mehrmals thematisiert worden. Die Historikerin Susan Jeffords hat den Begriff des Hardbodies geprägt, um sich auf die somatische Repräsentation der Hegemonie weißer Maskulinität in den USA zu beziehen. Ich werde diesen Begriff – zusammen mit inhaltlichen Äquivalenten wie harter Männerkörper oder harter Körper, harte Männlichkeit etc. – für den weiteren Verlauf der Untersuchung übernehmen, da er den großen Vorteil bietet, sich explizit auf eine historisch gewachsene Repräsentation von Männlichkeit zu beziehen, die ihren Ursprung in der amerikanischen Kultur hat und somit für eine nähere Betrachtung des maskulinen Ideals im Professional Wrestling bestens geeignet ist.99 Doch bevor die Stellung und Funktion des Hardbody-Ideals im performativen System des Professional Wrestling genauer charakterisiert werden kann, müssen zunächst noch zwei grundsätzliche Punkte geklärt werden: Zum einen muss der historische Kontext skizziert werden, in welchem sich das Hardbody-Ideal formiert hat, zum anderen müssen die charakteristischen Merkmale des Hardbody herausgearbeitet werden, um sie besser zu dem in Beziehung setzen zu können, was uns bereits über das performative System des Professional Wrestling bekannt ist. Historischer Exkurs: Die Geburt des Hardbodies aus der »Krise der Männlichkeit« zur Jahrhundertwende Wie von John Kasson gezeigt wurde, avancierten Darstellungen und die Repräsentation des kraftvollen, trainierten, weißen und harten Männerkörpers zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert in den USA zu einem all-
99 Vgl. hierzu die ausführliche Diskussion des Hardbodies als ein Konzept für die Untersuchung von Maskulinitätskonstruktionen in der US-Kultur im 20. Jahrhundert in der Einleitung dieser Arbeit.
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gemeinen kulturellen Emblem für die Vorherrschaft weißer Maskulinität in der amerikanischen Kultur.100 Die USA durchlebten in dieser Zeit eine ganze Reihe von sozialen, ökonomischen und kulturellen Transformationsprozessen, welche die Lebenswelt der spätviktorianischen Kultur und mit ihr die bis zu diesem Zeitpunkt kulturtragenden Konstruktionen der vornehmlich mittelständischen, hegemonialen Männlichkeit in Frage stellten. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren hegemoniale Konzeptionen des ›Mann-Seins‹ in den USA hauptsächlich durch die Ideale der republikanischen Vaterschaft, von viktorianischen Ehr- und Moralvorstellungen und dem Ideal des ökonomischen self-made man geprägt worden. All diese Elemente waren im Modell der ›seperate spheres‹ kodifiziert worden, welche die männliche Erwerbstätigkeit im ›Außen‹ der weiblichen Familienfürsorge im ›Innen‹ gegenüberstellten. Doch bereits ab 1870 führten zyklisch wiederkehrende wirtschaftliche Depressionen und die zunehmende Transformation der Arbeitswelt dazu, dass immer weniger weiße Männer der Mittel- und Oberschicht dazu in der Lage waren, diesem männlichen Rollenmodell auch gerecht zu werden.101 Neben der wachsenden Lohnabhängigkeit der Mittelklassemänner sorgten nun auch Streiks, Arbeiterunruhen und der zunehmende politische Einfluss von Einwanderern und Frauen102, die nun beide vermehrt den Zugang zu vormals unzugänglichen gesellschaftlichen Ressourcen einforderten, für eine fortschreitende Aufweichung jener Machtverhältnisse, die das Modell der Sphärenteilung als »gemeinschaftlich betriebenes wirtschaftliches Unternehmen«103 vormals gestützt hatten. Die vermeintliche Brüchigkeit der konstitutiven Grenzen und Machtverhältnisse, die bis zu diesem Zeitpunkt die Stabilität der hegemonialen
100 Kasson, Houdini, Tarzan, and the Perfect Man. 101 Gail Bederman, Manliness & Civilization: A Cultural History of Gender and Race in the United States 1880–1917 (Chicago/London: The University of Chicago Press, 1995), S. 12. 102 Bederman, Manliness & Civilization, S. 13 ff. 103 Eva Boesenberg, »Was kostet der Mann? Der Bankrott des Familienernährers und die Wiedergeburt der Männlichkeit aus dem Geist Theodore Roosevelts«, Warum sich Mann und Frau so schlecht vertragen, herausgegeben von Edith Glaser, Friederike Heinzel, Martina Löw und Sylvia Koch (Halle: MartinLuther-Universität, 2001): S. 32 f.
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Männlichkeitskonstruktionen garantiert hatten, produzierte nun eine umfassende Stimmung einer »Krise der Männlichkeit«104, deren tiefgreifende Auswirkungen nicht bei der gesellschaftlichen Vormachtstellung weißer Männer der Mittel- und Oberschicht halt machten, sondern sich bis auf die Grundlagen ihrer physischen Konstitution auszuweiten schienen. So stand der männliche Körper im Verdacht, angesichts der kulturellen Transformation der spätviktorianischen Gesellschaft zunehmend zu verweichlichen und damit auch zu verweiblichen. »Schließlich mangelte es [den Männern in der modernen Arbeitswelt] an körperlichen Herausforderungen. Da der dominante sozialdarwinistische und wissenschaftlich rassistische Diskurs jedoch körperliche Stärke und Wettbewerbsfähigkeit predigte schien deren Verlust umso bedrohlicher.«105 Experten warnten davor, dass immer mehr Männer von den Folgen der erstmalig um sich greifenden Krankheit Neurasthenie betroffen waren, welche die signifikanten Symptome der krisenhaften Männlichkeit in einem besorgniserregenden Krankheitsbild zusammenfasste: Neurasthenische Körper waren vor allem städtische, schwache, verweich- und verweiblichte Körper. Und auch wenn Neurasthenie auf beiden Seiten des Atlantiks diagnostiziert wurde, schien diese moderne Krankheit nirgendwo so epidemische Ausmaße anzunehmen wie im Nordosten der USA, denn kein Ort schien moderner als das moderne Amerika. Nicht umsonst nannte man Neurasthenie auch »the American disease«.106
Um den alarmierenden Gefahren durch den zunehmenden charakterlichen und physischen Verfall des amerikanischen Mannes entgegenzuwirken, formierten sich zur Jahrhundertwende zahlreiche Bewegungen, die den amerikanischen Männern dabei helfen sollten, ihre Körper vor den Auswirkungen einer schleichenden Neurasthenisierung zu schützen. Angefangen bei der Gründung diverser Männerbünde und Sportclubs bis hin zur Entstehung einer neuen, umfassenden Körperkultur-Bewegung – allerorts schien die
104 Boesenberg, »Was kostet der Mann?«, S. 32. 105 Martschukat, »Über die Modellierung des Körpers und die Arbeit am Selbst in den USA des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts«, S. 207. 106 Martschukat, »Über die Modellierung des Körpers und die Arbeit am Selbst in den USA des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts«, S. 198 f.
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»regelrechte Körperobsession des spätviktorianischen Amerika«107 einen »Kult des harten und männlichen Körpers«108 zu propagieren, der das Projekt einer gelungenen Re-Maskulinisierung durch die »Modellierung des Körpers«109 in Aussicht stellte. »Men sought ways of replenishing corporeal substance and revitalizing male subjectivity«110, denn »der Körper wurde [nun] nicht mehr als eine Hülle gesehen, die die Männlichkeit darunter umkleidet. Der Körper war nun der Mann, und es war dies ein allzeit zum Kraftprotzen bereiter, auftrainierter, muskelbepackter, hypermaskuliner Mann. Galt vormals das Ideal des self-made men, so verschrieb man sich nun der Doktrin des self-made body.«111 Besonders deutlich zeichnete sich dieser Trend in der amerikanische Populärkultur ab, die zur Jahrhundertwende voll von exemplarischen Charakteren war, welche die innere Ordnung und die klaren Grenzen und Konturen des Hardbodies, seine Vitalität und Kraft sowie dessen offen zur Schau gestellte Resilienz als ein Bollwerk gegen die zersetzenden Kräfte der Moderne propagierten.112 Einer der bekanntesten seiner Zunft war der 1867 im preußischen Königsberg geborene ›Körperkünstler‹ Eugen Sandow, der heute gerne als der ›Vater‹ des modernen Bodybuildings angesehen wird. Sandow war durch
107 Martschukat, »Über die Modellierung des Körpers und die Arbeit am Selbst in den USA des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts«, S. 207. 108 Walter Erhart, »Das zweite Geschlecht: Männlichkeit, interdisziplinär. Ein Forschungsbericht«, Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 30 (2005): S. 220 f. 109 Martschukat, »Über die Modellierung des Körpers und die Arbeit am Selbst in den USA des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts«, S. 197. 110 Eva Boesenberg, Money & Gender in the American Novel, 1850–2000 (Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2010), S. 40 f. 111 Poole, »Männer im Pelz: Entblößung und Verhüllung des natürlichen Körpers um 1900«, Väter, Soldaten, Liebhaber: Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas, herausgegeben von Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz (Bielefeld: transcript Verlag, 2007), S. 172 [Hervorhebungen, P.K.]. 112 Die wohl beste bis dato publizierte Übersicht zu diesem Thema findet sich in John F. Kassons’ Houdini, Tarzan, and the Perfect Man. Vgl. auch: Martschukat, »Über die Modellierung des Körpers und die Arbeit am Selbst in den USA des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts«, S. 208 ff.
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seine Auftritte in Vaudeville-Shows zuerst einem Publikum aus der Mittelund Oberschicht bekannt geworden, doch seine Liebesaffäre mit dem jungen Medium Fotografie, welches er als probates Mittel für die Inszenierung seines Körpers entdeckt hatte, machte ihn rasch zu einer Ikone der amerikanischen Populärkultur.113 Wie John Kasson gezeigt hat, lag der große Erfolg von Sandows Selbstinszenierung dabei insbesondere in der Art und Weise, wie sie die beiden Motive einer verweichlichten, krisenhaften Körperlichkeit und des harten, muskulösen Männerkörpers gegenüberstellte, um so die potenzielle Fähigkeit des Mannes zu einer körperlichen Transformation hervorzuheben. In Interviews, Programmheften und selbstpublizierten Broschüren zum Thema Körperkultur präsentierte sich Sandow als ein Mann, der als Kind stets unter seiner schwächlichen und kränklichen Konstitution leiden musste, dem es jedoch durch jahrelanges und gezieltes Training gelungen war, seinen Körper in das vitale, fleischgewordene Abbild einer antiken Skulptur zu verwandeln: […] He shrewdly insisted his strength was not a gift of nature but an attainment strenuously earned. Indeed, the more he retold the story, the more his health as a youth declined. […] In this way Sandow struck chords about masculine strength and self-determination that have been played by many exemplars of American manhood from his time down to our own. Making his body became a sing of a man’s ability to make his way in the world against all adversaries, strictly on his own merits. A strong, muscular body was an emblem of strong character and command. The message could be used equally well to validate the achievements of men from obscure and privileged backgrounds.114
Die Muskeln des weißen Mannes avancierten in Sandows Auftritten zu einem Sinnbild für das dem Mann inhärente Potenzial einer umfassenden körperlichen Transformation, die den weichen neurasthenischen Körper in einen harten und muskulösen Körper verwandelt. Diese Möglichkeit der Transformation gewährleistete somit die Selbstidentität des Mannes als Mann zur Jahrhundertwende, trotz aller kulturellen, sozialen und ökonomi-
113 Kasson, Houdini, Tarzan, and the Perfect Man, S. 29. 114 Kasson, Houdini, Tarzan, and the Perfect Man, S. 31.
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schen Umbrüche der Moderne:115 »In the guise of entertaining, [he] reasserted the primacy of the white male body against a host of challenges that might weaken, confine, or tame it. [He] repeatedly dramatized the transformation from weakness to supreme strength, from vulnerability to triumph, from anonymity to heroism, from the confinement of modern life to the recovery of freedom.«116 Der Einfluss des zu dieser Zeit kodifizierten Hardbody-Ideals auf die Kultur der Vereinigten Staaten beschränkte sich aber nicht nur auf die Zeit seiner Kodifizierung um die Jahrhundertwende herum. Er dauert im Prinzip noch bis zum heutigen Tag an. Das mag wohl insbesondere damit zusammenhängen, dass sich in der dem Ideal der harten Maskulinität inhärenten Spannung zwischen Hegemonie und potenziellem Hegemonieverlust eine durchaus sensible Thematik zur Darstellung bringt, deren Aktualität für die amerikanischen Gesellschaft sich mitnichten auf den engen Zeitraum Anfang des 20. Jahrhunderts beschränkt, sondern sich vielmehr wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte des 20. Jahrhunderts zieht. Wie in den letzten Jahren von verschiedenen Autoren gezeigt, wurden in den USA während der letzten hundert Jahre immer wieder Stimmen laut, welche den vermeintlichen und/oder tatsächlichen Bedeutungsverlust weißer Maskulinität in der amerikanischen Gesellschaft beklagten; ein Phänomen, das sich insbesondere auch an der beständigen Hochkonjunktur der oft zitierten »Krise der Männlichkeit« zeigt, die sich spätestens seit der Jahrhundertwende als beliebte Zustandsbeschreibung für den Status Quo zeitgenössischer Männlichkeitsvorstellungen etabliert hat und die stets aufs Engste mit jener charakteristischen (Re-)Organisation gesellschaftlicher Machtverhältnisse verbunden war, die auch der Kodifizierung des Hardbody-Ideals zugrunde gelegen hatte.117 So schreiben die beiden Historiker Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz hinsichtlich der auffälligen Häufung von ›Männlichkeitskrisen‹ in der jüngeren amerikanischen Geschichte:
115 Dass die menschliche Muskulatur ein ideales Medium für die Darstellung einer solchen ›internalisierten‹ Stereotypisierung bietet ist besonders anschaulich von Richard Dyer in seiner Arbeit über das männliche Pin-Up herausgearbeitet worden. Vgl.: Richard Dyer, »Don’t look now! The Male Pin-Up«, Screen 23/3–4 (1982): S. 71 ff. 116 Kasson, Houdini, Tarzan, and the Perfect Man, S. 8–10. 117 Martschukat und Stieglitz, Geschichte der Männlichkeiten, S. 64 f.
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Eine »Krise« reiht sich an die andere, so dass die Lesenden gar nicht mehr wissen, ob die amerikanischen Männer sich irgendwann einmal nicht in einem Zustand der Krise befunden haben. Die 1830er, die 1870er, die 1890er, die 1930er, die 1950er, 1970er und 190er Jahre werden alle als Phasen gefährdeter Männlichkeit beschrieben. Wichtig ist, dass Krisendiagnosen sich in aller Regel auf den Männlichkeitsentwurf beziehe, der eigentlich »Hegemonie« versprechen sollte, dessen Dominanz aber offenbar an bestimmten Momenten in der Geschichte gefährdet war.118
Die virtuelle Omnipräsenz dieses nahezu universellen »Narratems«119 von der »Krise der Männlichkeit« während des 20. Jahrhunderts verdeutlicht, dass die Konstruktion maskuliner Hegemonie in den USA in dieser Zeit – und auch darüber hinaus – immer vor dem Horizont eines drohenden Hegemonieverlusts vollzogen wurde und macht dabei verständlich, warum die Imagination des harten Männerkörpers sich während der letzten hundert Jahre in Abhängigkeit zu ihren jeweiligen historischen Kontexten beständig neu erfinden konnte, ohne dabei die charakteristischen Merkmale als Emblem für die zentrale Machtposition weißer Maskulinität einzubüßen, die diese Imagination bereits zur Jahrhundertwende ausgemacht hatten.120 Theoretischer Exkurs: Die bipolare Logik des Hardbody-Ideals Diese kurze historische Skizze über die Genese des Hardbody-Ideals in den USA liefert einen guten Ausgangspunkt, um die zur Jahrhundertwende kodifizierte Imagination des harten Männerkörpers aus einer etwas theoretischeren Sichtweise in den Blick zu nehmen. So fällt zunächst auf, dass die Repräsentation des harten Körpers immer nur durch den impliziten und/oder expliziten Rekurs auf eine komple-
118 Martschukat und Stieglitz, »Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas«, S. 18. 119 Erhart, »Das zweite Geschlecht«, S. 222. 120 Vgl. hierzu: (Für die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert) Kasson, Houdini, Tarzan, and the Perfect Man; (für die Zeit der Great Depression und den Zweiten Weltkrieg) Jarvis, The Male Body at War; (für die frühe Periode des Kalten Krieges) Cuordileone, Manhood and American Political Culture in the Cold War; (für die Periode des Vietnamkriegs) Jeffords, The Remasculinization of America; (für die 1980er Jahre und den Übergang zu den 1990er Jahren) Jeffords, Hard Bodies: Hollywood Masculinity in the Reagan Era.
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mentäre weiche Körperlichkeit möglich wird, welche der zentralen Imagination des Hardbodies als eine konstitutive Negativfolie gegenübersteht. Im Hardbody-Konzept kommt also immer ein ganz bestimmter Typus hegemonialer Maskulinität zum Ausdruck, der sich durch das auszeichnet, was die Kulturwissenschaftlerin Donna Peberdy als die bipolare Verfassung von Männlichkeit bezeichnet hat: »Rather than existing in stark contradiction, hard and soft masculinities depend on the existence of the other for definition. Representations of masculinity are inherently bipolar, moving between hard and soft modes.«121 Der harte Körper steht beim HardbodyIdeal damit niemals für sich alleine, sondern er zeigt notwendigerweise immer ein relationales Verhältnis an, welches in einer dynamischen und wechselseitigen Abgrenzung eines harten Männerkörpers vom weichen Männerkörper als dessen konstitutives Gegenüber besteht.122 Die stark ver-
121 Donna Peberdy, »From Wimps to Wild Men: Bipolar Masculinity and the Paradoxical Performances of Tom Cruise«, Men and Masculinities 13:2 (2010): S. 237. 122 Die Figur einer solchen wechselseitigen Abgrenzung, wie sie hier von Pederby beschrieben wird, lässt sich heutzutage in den verschiedensten theoretischen Ansätzen als eine zentrale Idee ausmachen. Am besten ist dieses Prinzip wohl in dem Buch Laws of Form des englischen Mathematikers und Logikers George Spencer-Brown ergründet worden. Wegen seines hohen Abstraktionsgrades kann es zugleich auch als eine Art Metatheorie jeglicher Form von Theoriebildung angesehen werden. Ein Gruppe Münchner Philosophen unter der Leitung des Logikers Matthias Varga von Kíbed hat die bisher wohl klarste und konziseste Interpretation von Spencer-Browns Werk und dessen breite Anwendungsmöglichkeiten ausgearbeitet. Vgl. hierzu: Tatjana Schönwälder-Kuntze, Katrin Wille und Thomas Hölscher, George Spencer-Brown: Eine Einführung in die ›Laws of Form‹ (Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2009). Kurz zusammengefasst kann gesagt werden, dass Spencer-Brown seine Theorie im Rahmen einer Rekonstruktion „Boolscher Algebra« entwickelte, welche er aus dem einfachen Akt des Unterscheidens zu rekonstruieren versucht. Unterscheidungen werden in den Laws of Form als ein Prozess der Unterschiedsbildung verstanden, der sich laut Varga von Kíbed als aus fünf wechselseitig voneinander abhängigen Elementen bestehend beschreiben lässt: Zwei voneinander unterschiedene Zustände, die zueinander in einem asymmetrischen Verhältnis stehen; eine Grenze, welche diese Asymetrie stützt und gleichzeitig als eine Ver-
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gegenständlichende Natur unserer Sprache verdeckt in diesem Zusammenhang ein wenig die Tatsache, dass wir uns dann, wenn wir von dem Ideal des harten Männerkörpers reden, mit dem Hinweis auf diesen ›Körper‹ gleichzeitig immer auf eine Relation – oder besser: ein ganzes Netzwerk von Relationen – beziehen, die sich um und durch die beiden Relata Hart und Weich verdichtet. Im Anschluss an die Arbeit der beiden Soziologinnen Gabriele Winkler und Nina Degele bietet es sich deswegen eher an, den ›Körper‹ im Rahmen der Körperkonzeption des Hardbody-Ideals wie eine relationale Kategorie aufzufassen, die ein spezifisches Verhältnis gesellschaftlicher Differenzierung zum Ausdruck bringt.123 Darüber hinaus wird deutlich, dass die beiden Relata Hart und Weich nur indirekt auf eine tatsächliche körperliche Verfassung abheben, sondern eher als Symbol für die Organisation und Beschaffenheit von Machtbeziehungen fungieren, welche an der und durch die männliche Physis zum Ausdruck gebracht werden sollen. Die Attribution eines männlichen Körpers als hart oder weich trifft damit letztlich eine Aussage über seine Stellung im Machtgefüge einer Gesellschaft, wobei Härte eine dominante Machtposition anzeigen soll – ein Mehr an Macht –, die sich deutlich von einer dominierten weichen Positionierung abhebt. Denn wie wir oben bereits gesehen haben, bestand die Funktion des Hardbody-Ideals zur Jahrhundertwende ja gerade darin, die Umbrüche in der nach Klasse, Rasse und Geschlecht segmentierten amerikanischen Gesellschaft durch die in der Imagination des harten Männerkörpers angelegten krisenhaften Ab- und Ausgrenzung einer verweichlichten, krisenhaften Männlichkeit neuerlich so zu (re-)legitimieren, dass die im harten Körper zum Ausdruck kommende Hegemonie weißer Männer gewahrt werden konnte. Damit fungiert der Hardbody in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche gewissermaßen als ein Stellvertreter für das Prinzip der maskulinen Hegemonie und kann somit
bindung zwischen den beiden unterschiedenen Zuständen fungiert; ein Kontext, in dem die Grenzziehung und die Aufspaltung in zwei Zustände vollzogen wird; und ein Motiv, dass den Akt des Unterscheidens überhaupt erst in Gang setzt. Vgl. hierzu: George Spencer-Brown, Laws of Form – Gesetze der Form (Leipzig: Bohmeier Verlag, 2004). 123 Gabriele Winkler und Nina Degele, Intersektion: Zur Analyse sozialer Ungleichheit (Bielefeld: transcript Verlag, 2009), S. 49.
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sämtliche Machtverhältnisse zum Ausdruck bringen, die mit diesem im Zusammenhang stehen. Gehen wir auf diesen Sachverhalt noch etwas genauer ein: Wir hatten oben bereits gesehen, dass die Kodifizierung des Hardbody-Ideals zur Jahrhundertwende primär mit den ökonomischen Turbulenzen dieser Zeit zusammenhing, welche die hegemoniale Stellung weißer Männer aus der Mittel- und Oberschicht in Zweifel zu ziehen begannen. Die Macht und Dominanz weißer Männer in der amerikanischen Gesellschaft wurde dann im Ideal des harten Körpers von ihrer tatsächlichen sozioökonomischen Stellung und Lage abgekoppelt und in das körperliche ›Vermögen‹, andere zu dominieren, ›umgemünzt‹. Richard Dyer weist in Zusammenhang mit dem harten Körper und der sozioökonomischen Stellung auch darauf hin, dass ein definierter und muskulöser Körper in modernen Gesellschaften auch immer als Zeichen für ein deutliches Mehr an Freizeit und das Vorhandensein ökonomischer Mittel für die Selbstpflege fungiert, da es sich nur wenig Menschen leisten können, so viel Zeit in ihren Körper zu investieren: »The built body is a wealthy body. It is well fed and enormous amounts of leisure time have been devoted to it. […] Such muscles are a product an sign of affluence.«124 Doch egal ob als körperliches Substitut für wirtschaftliche Dominanz oder als Beleg einer höheren sozioökonomischen Stellung: in beiden Fällen ersetzte der »self-made body«125 den »self-made man« und sollte dabei helfen, althergebrachte Machtbeziehungen auf der Ebene des Körpers zu re-aktualisieren. Wie wir in dem historischen Abriss über die Genese des Hardbody-Ideals gesehen haben, erfüllte der harte Körper dieselbe Funktion natürlich auch in Hinblick auf die Strukturkategorie Geschlecht, indem er den weichen Körper als einen dominierten, weiblichen Körper definierte und die Abgrenzung des harten Körpers von Verweichlichung und Verweiblichung als primäres Merkmal maskuliner Selbstidentität präsentierte. Auch hier funktionierten die sichtbaren Attribute des trainierten, männlichen Körpers als ein vermeintlicher Beleg für die Stabilität und Selbstevidenz sozialer Ungleichheiten. Etwas komplexer, aber ebenso zentral, war während der Jahrhundertwende die rassische Klassifizierung des Hardbodies. So konnte Dyer bei-
124 Richard Dyer, White (London/New York: Routledge, 1997), S. 155. 125 Poole, »Männer im Pelz«, S. 172 [meine Hervorhebungen, P.K.].
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spielsweise zeigen, dass die Muskulatur weißer Männer als ein rassisches Differenzmerkmal stets auf die vermeintliche geistige und kulturelle Überlegenheit der ›weißen Rasse‹ verweisen sollte. Das bewusste Formen des Körpers zeigt demnach bei einem weißen Mann den Sieg von Geist über Körper – oder Kultur über Natur – an, während die Muskulatur von schwarzen Männern im Rahmen rassistischer Diskurse dagegen gerne als ein Beleg für deren vermeintliche Nähe zu einem animalischen ›Naturzustand‹ angesehen wird. Der trainierte, harte Körper weißer Männer ist somit für Dyer immer als Anspielung auf den kolonialen Hintergrund rassischer Dominanz zu begreifen, da er die wesentlichen Merkmale des Kolonialismus in sich wiederholt: [The] built body and the imperial enterprise are analogous. The built body sees the body as submitted to and glorified by the planning and ambition of the mind; colonial worlds are likewise represented as inchoate terrain needing the skill, sense and vision of the colonizer to be brought to order. The muscle hero has landscaped his body with muscles and he controls them superbly and sagely […] The built white male body and colonial enterprise act as mirrors of each other, and both, even as they display the white man’s magnificent corporeality, tell of the spirit within.126
Dyers Beispiel verdeutlicht noch einmal, dass die Attribute Hart und Weich im Rahmen des Hardbody-Ideals immer als symbolische Repräsentanten einer Machtbeziehung angesehen werden sollten, die nicht zwangsläufig an einem exemplarischen Körper zur Darstellung kommen müssen. Denn auch ein muskulöser schwarzer Körper würde in einem direkten Vergleich die weiche, dominierte Position zugewiesen bekommen, da die in den Attributen Hart und Weich konnotierte Assoziation relationaler Machtverhältnisse stets den Vorrang vor der jeweiligen körperlichen Verfassung erhält, an der sie zum Ausdruck kommt. Die Härte des harten Körpers besteht in diesem Fall darin, dass er noch härter ist als sein komplementäres Gegenüber und diesem die weiche Position qua eigener Dominanz regelrecht aufzwingt. Von einem theoretischen Standpunkt aus betrachtet zeigt der Hardbody immer die Intersektion der Kategorien Klasse, Geschlecht und Rasse an, da er ja letztlich nur als ein Repräsentant für die Stabilität maskuliner Hegemonie angesichts gesellschaftlicher Umbrüche fungiert. Selbst wenn der
126 Dyer, White, S. 165.
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harte Körper in seiner Darstellung gerade die Dominanz in nur einer spezifischen Machtbeziehung zum Ausdruck bringt, wird immer automatisch noch ein ganzes Netzwerk von Machtbeziehungen mit angezeigt. Die Trias von Rasse, Klasse und Geschlecht bildet dabei – wie so oft – den Kern der Hardbody-Imagination, doch jede beliebige Art von Differenzierung – Sexualität, Nation, Religion, Alter, Behinderung etc. – kann so in die Repräsentation des harten Körpers integriert werden, dass sie als ein Beleg für die Hegemonie weißer Männlichkeit gelten kann. Ein gutes Beispiel ist hier die zur Jahrhundertwende häufig auftretende Tendenz, die Neurasthenisierung des Mannes als Beleg für dessen potenzielle Homosexualität zu nehmen.127 Hier sind gleich eine ganze Reihe von Differenzmerkmalen – Geschlecht, Sexualität, Gesundheit – miteinander verschränkt. Abermals dient die Intersektion dieser Kategorisierung hier nur der zentralen Funktion, die Hegemonie weißer Maskulinität in und durch den harten Körper herauszustellen. Betrachtet man die verschiedenen Arbeiten, die sich mit der historischen Repräsentation des harten Körpers in den USA befassen, so wird deutlich, dass das sich wechselseitig abgrenzende Verhältnis der beiden Relata Hart und Weich im Rahmen der Hardbody-Konzeption insbesondere in zwei verschiedenen Formen auftreten kann:128
127 Poole, »Männer im Pelz«, S. 161. 128 Der oben bereits angeführte Rekurs auf die Spencer-Brownsche »Theorie der Unterschiedsbildung«, wie sie von Matthias Varga von Kíbed et al beschrieben wurde, ist an dieser Stelle hilfreich, um besser zu verstehen, warum diese Darstellungsformen so gängig sind, dass sie – quasi als ein Art logisches Grundschema – automatisch in jeder Untersuchung rekonstruiert werden können, in deren Analysen unterschiedliche Spielformen »harter Maskulinität« eine Rolle spielen. Demnach entspräche die Unterscheidung von hart und weich dem asymmetrischen Verhältnis, das für jede Unterscheidung notwendig ist. Der Begriff des Körpers würde als die Grenze zwischen den beiden Begriffen fungieren, welche gleichzeitig konstitutiv für die Unterschiedenheit und die Verbindung der beiden Zustände ist. Die Relation des Körpers zu anderen Formen der Körperlichkeit entspräche dem Kontext, in dem die Figur dieser »Identität-quaDifferenz« stehen würde, während die Idee der Hegemonie weißer Maskulinität in den USA gleichzeitig als das Motiv fungieren würde, das den so vollzogenen Unterscheidungsprozess in Gang setzt und aufrechterhält.
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Als kontrastierende Gegenüberstellung einer harten und einer weichen körperlichen Konstitution, d.h. als eine interne Relation innerhalb der Grenzen eines exemplarischen Körpers, der dann als das Modell einer geglückten ›Selbst-Genese‹ als Mann angesehen wird. Als Gegenüberstellung eines dominanten Hardbodies und eines unterlegenen Softbodies, d.h. als eine externe Relation zwischen zwei oder mehreren Körpern auf der Basis der distinktiven Marker anderer Differenzkategorien, welche dann – ebenfalls – die Hegemonie weißer Männer in der amerikanischen Gesellschaft verdeutlichen soll.
Diese Einteilung dient letztlich heuristischen Zwecken, da eine dieser beiden Formen – je nach Art des untersuchten Beispiels – zwar mehr in den Vordergrund treten mag, die andere Form implizit aber stets mit angezeigt wird (dies gilt im Übrigen auch für den Fall, dass nur ein Teil der Relation – der harte oder sein komplementärer weicher Körper – zur Darstellung kommt). Sie eignet sich aber sehr gut, um ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, wie verschiedene Formen der Darstellung innerhalb des Hardbody-Ideals miteinander verwoben sind. Den ersten Fall einer internen Abgrenzung des harten Körpers von seinem weichen Gegenstück haben wir im vorherigen Abschnitt bereits am Beispiel von Eugene Sandow kennengelernt. Bei Sandow stellte die interne Abgrenzung der weichen, kränklichen Verfassung seines Körpers als Kind von der harten Verfassung seines erwachsenen Körpers eine Art klimaktischen Prozess der Identitätsbildung dar, bei welchem die bipolare Struktur des Hardbodies sozusagen in die Zeit projiziert wurde, um eine negativ besetzte durch eine positiv besetzte Selbstbeschreibung zu ersetzen. Jürgen Martschukat hat angesichts dieser strukturellen Analogien zum Prozess der Identitätsbildung den interessanten Vorschlag gemacht, die Euphorie für die Modellierung des Körpers zur Jahrhundertwende im Umfeld des von Michel Foucault diagnostizierten biopolitischen Paradigmenwechsels anzusiedeln, der in der Moderne eine nachhaltige Auswirkung auf »Subjektivierungsprozesse in liberalen Gesellschaften«129 hatte. Im Zuge dieser Wandlung begannen sich Subjekte »einerseits frei [zu gestalten] und regierten sich selbst, doch zugleich taten sie dies entlang von Axiomen, die jenseits
129 Martschukat, »Über die Modellierung des Körpers und die Arbeit am Selbst in den USA des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts«, S. 198.
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ihrer Einfluss- und sogar ihrer Wahrnehmungsmöglichkeiten lagen.«130 Das Hardbody-Ideal kann demnach in Anlehnung an Jürgen Martschukat als eine solche Axiomatik angesehen werden, durch welche die (zumeist männlichen)131 Individuen im Selbst-Gouvernement angeleitet werden.132
130 Martschukat, »Über die Modellierung des Körpers und die Arbeit am Selbst in den USA des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts«, S. 198. Besonders aussichtsreich erscheint mir in diesem Zusammenhang auch der Hinweis des Kunsthistorikers Jörg Schellers auf das Homo-Sacer-Projekt des italienischen Philosophen Giorgio Agamben. Jörg Scheller, No Sports! Zur Ästhetik des Bodybuildings (Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2010), S. 84. 131 Obwohl die Logik des Hardbody-Ideals primär um die Hegemonie weißer Männer in den USA herum organisiert ist weist sie eine Grundstruktur auf, die durchaus auch in Teilen auf jene Gruppierungen übertragbar ist, die sonst durch die Mechanismen maskuliner Hegemonie benachteiligt werden. Dies hängt wohl letztlich damit zusammen, dass die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert im allgemeinen als der historische Horizont für die Entstehung moderner Individualisierungszwänge angesehen werden muss und der Hardbody damit auf eine Grammatik zurückgreift, die zu den essenziellen Grundlagen jeglicher Form der Individualisierng zählt. Vgl. hierzu: Thomas Kron und Martin Horacek, Individualisierung (Bielefeld: transcript Verlag, 2008). 132 Es fällt auf, dass Martschukats Beschreibung des harten Körpers als ein Modell für die Herstellung von Subjektivität durch den Prozess des »Selbst-Gouvernements« eine große strukturelle Ähnlichkeit zum Motiv der krisenhaften Männlichkeit aufweist, die von Martschukat – in Zusammenarbeit mit Olaf Stieglitz – an anderer Stelle als eine »Strategie männlicher Selbstviktimisierung« (Martschukat und Stieglitz, »Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas«, S. 19) charakterisiert wurde. Laut Martschukat und Stieglitz »[…] kann der wunde, kranke, geschwächte, der Heilung bedürfende Mann [demnach] beinahe als eine Standardinszenierung gelten, die eine potenzielle oder konkrete Schwächung hegemonialer Männlichkeit in der Geschichte begleitet. Das Reden über die Krise erscheint somit als ein performatives Ritual, das zur Überwindung empfundener Schwäche beiträgt.« (Martschukat und Stieglitz, Geschichte der Männlichkeiten, S. 70.) Vgl. hierzu auch: David Savran, »The Sadomasochist in the Closet: White Masculinity and the Culture of Victimization«, Differences: A Jounal of Feminist Cultural Studies 8:2 (1996): S. 130 ff. Vgl. auch: Erhart, »Das zweite Geschlecht«, S. 218 ff.
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In dieser identitätsformenden internen Relation ist die zweite Form – die Gegenüberstellung von weichem und hartem Körper als eine externe Relation zwischen Körpern – dann auch bereits mit angezeigt. Denn da keine Form von Identitätskonstruktion in modernen Gesellschaften ohne die konstitutive Differenz zu anderen Gruppierungen durch relationale Machtverhältnisse auskommt, ist die interne Differenzierung des harten Männerkörpers automatisch immer auch an eine externe Differenzierung zwischen Körpern angeschlossen, welche wiederum die hegemoniale Maskulinität, die im Ideal des harten Körpers zum Ausdruck kommen soll, als das Zentrum gesellschaftlicher Machtverhältnisse herausstellen soll. Wie wir im Rahmen der oben diskutierten Beispiele über den Hardbody als Ausdruck von Klasse, Rasse und Geschlecht bereits gesehen haben, wird die identitätsbildende Funktion des harten Körpers immer automatisch durch die Ausgrenzung anderer gesellschaftlicher Gruppen legitimiert und unterstützt, wobei diese Grenzziehung stets so verläuft, dass sie die in einer Gesellschaft existenten Machtverhältnisse zugunsten einer etablierten Form hegemonialer Maskulinität zementiert.133 Zum Abschluss dieses theoretischen Exkurses muss noch angemerkt werden, dass das Hardbody-Ideal nicht zwingend an die visuelle Repräsentation durch einen Körper gebunden ist um auch zur Darstellung zu kommen. So genügt letztlich schon der rein verbale Rekurs auf die Tugenden einer harten Männlichkeit, um das gesamte Netzwerk an Assoziationen zu aktivieren, die mit dem Hardbody-Ideal verbunden sind.134 Um das in diesem Abschnitt Erörterte also noch einmal zusammenzufassen kann gesagt
133 Eine für diesen Sachverhalt sehr erhellende Erklärung der gegenseitigen Abhängigkeit von individueller Identitätskonstruktion, kultureller Hegemonie und der wechselseitigen Zuschreibung symbolischer Qualitäten zwischen qua Machtgefälle verbundener Gruppen findet sich in Norbert Elias und John L. Scottsons Arbeit über Etablierte und Außenseiter. Vgl. insbesondere: Norbert Elias und John L. Scottson, Etablierte und Außenseiter (Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1993), S. 7 ff. 134 Einen guten Eindruck davon, wie die Logik des Hardybody zum tragen kommt, wenn sie gerade über primär über visuelle Repräsentierbarkeit verhandelt wird, findet sich in der Studie von Kyle Courdelione über Männlichkeit in der Ära des Kalten Krieges: Courderlione, Manhood and American Political Culture in the Cold War.
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werden, dass das Hardbody-Ideal immer dort auftritt, wo die beiden Relata Hart und Weich so verwendet werden, dass dadurch die (Re-)Legitimierung der Hegemonie weißer Männer in den USA unterstützt wird. Die Performances des Professional Wrestling als eine Inszenierung des ›harten Männerkörpers‹ Mit dem Exkurs über die historischen und theoretischen Hintergründe des Hardbody-Ideals in den USA hat sich nun auch das Bild komplettiert, das notwendig ist, um das Zusammenspiel zwischen den textuellen Assoziationen und den somatischen Assoziationen der Wrestlingcharaktere im Rahmen der Wrestlingperformances genauer einordnen zu können. Fügen wir die einzelnen Puzzleteile unserer bisherigen Betrachtung also zusammen, indem wir zunächst noch einmal zu dem kurzen Gedankenexperiment zurückkehren, welches uns zu Beginn des Kapitels als Ausgangspunkt gedient hat: Die fiktive Gegenüberstellung eines ›Cowboy‹-Babyface und eines ›Indianer‹-Heels. Die Basis unserer Untersuchung bildet die Feststellung, dass die Unterscheidungen des Heel/Babyface-Schemas an besonders anschlussfähige kulturelle Differenzdiskurse gekoppelt sein müssen, um das performative Feedback zwischen Promotern, Publikum und Wrestlern in Gang zu setzen. In Anlehnung an Roland Barthes haben wird deshalb festgestellt, dass die Wrestlingcharaktere ihrer Funktion nach als Zeichen betrachtet werden können, welche die Rückkopplung an historische und kulturelle Diskurse durch die textuellen Assoziationen der Wrestler – ihre Namen, Kostüme etc. – für das Publikum transportieren und somit im Kern bereits jene Erzählung zusammenfassen, die dann später im Verlauf des Kampfes entfaltet wird. Durch die bloße Gegenüberstellung eines ›Cowboy‹-Babyface’ und eines ›Indianer‹-Heels hätte der Promoter einer fiktiven Wrestlingshow also bereits ein ganzes Netzwerk an anschlussfähigen, kulturspezifischen Diskursen so kondensiert, dass sich das Publikum im weiteren Verlauf der Performance darauf beziehen könnte. Den Wrestlern hätte er damit zugleich einen einfachen Leitfaden an die Hand gegeben, nach welchem diese ihre Interaktionen mit dem Publikum gestalten könnten. Doch wie wir ebenfalls gesehen haben, kann eine solche rein textuelle Lesart der Wrestlingcharaktere letztlich nicht genügen, um deren Funktion im Rahmen des Heel/Babyface-Schemas befriedigend zu erklären. Wegen der zentralen Funktion, die der reinen körperlichen Präsenz der Wrestler als repräsentative Bedeutungsträger im Rahmen einer Performance zukommt, ist
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es nämlich nicht nur entscheidend, welche diskursiven Merkmale durch den Körper des Wrestlers zum Ausdruck kommen, sondern es ist genauso wichtig, durch welchen Körper diese für das Publikum transportiert werden. Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass diese somatischen Assoziationen, die die Wrestlingcharaktere neben der textuellen Ebene für das Publikum transportieren, im Rekurs auf das Ideal des harten Männerkörpers bzw. den Hardbody zu suchen ist; einer spezifischen Form maskuliner Idealvorstellungen, welche zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert kodifiziert wurde und welche als allgemeines Emblem für die (fortgesetzte) Hegemonie weißer Männlichkeit in der amerikanischen Gesellschaft fungieren sollte. Mit diesem erweiterten Hintergrund bekommt unser Gedankenexperiment mit dem ›Cowboy‹-Babyface und dem Heel-›Indianer‹ eine gänzlich neue Färbung: Denn wenn das Ideal des harten Körpers als der generelle Subtext des Heel/Babyface-Schemas angesehen wird, bekommen die verschiedenen Bedeutungen und Differenzdiskurse, die durch die textuelle Lesart der Figuren nahegelegt werden, eine noch klarere Kontur zugewiesen. Die Cowboy/Indianer-Imagination dient dann nämlich primär als Vehikel für die Inszenierung des harten Männerkörpers, wobei sich die textuellen Assoziationen der beiden Figuren und ihre Charakterisierung durch das Hardbody-Schema gegenseitig stützen und verstärken. Ganz allgemein kann deshalb festgehalten werden, dass die Performances des Professional Wrestling immer auch als performative Inszenierungen des harten Männerkörpers anzusehen sind. Das Hardbody-Ideal bildet im amerikanischen Professional Wrestling den zentralen Subtext, der alle Anspielungen auf der textuellen Ebene ordnet und präzisiert und damit die Differenzen innerhalb des Heel/Babyface-Schemas organisiert.135
135 Die zentrale Stellung des Hardbody-Ideals in den Performances des amerikanischen Professional Wrestling fällt zudem besonders deutlich ins Auge, wenn man untersucht, wie Wrestlingperformances in anderen Kulturkreisen adaptiert worden sind. Denn da es sich beim Professional Wrestling um eine genuin amerikanische Form des Entertainments handelt, muss das performative System der Shows in anderen Kulturkreisen zwangsläufig an die dort herrschenden spezifischen kulturellen Gegebenheiten angepasst werden, um so das für die Shows so essenzielle Feedback zwischen Wrestlern, Publikum und Promotern erzeugen zu können. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang das Beispiel Ja-
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Dabei muss festgehalten werden, dass die Beziehung zwischen textuellen und somatischen Assoziationen inerhalb einer Wrestlingperformance natürlich keine Einbahnstraße darstellt, sondern eher die Form einer komplexen Wechselbeziehung annimmt. Die im Hardbody-Ideal angezeigte Hegemonie weißer Männlichkeit bildet zwar den zentralen Dreh- und Angelpunkt einer jeden Wrestlingperformance, sie wird jedoch ihrerseits im Rahmen eines konkreten Kampfes durch die textuellen Assoziationen eines Charakters und deren Kontext immer auch spezifiziert und modifiziert.
pans, das eines der wenigen Länder ist, welches neben den USA über einen eigenständigen Wrestlingmarkt verfügt, der sich dort in einem engen kulturellen Austausch mit den USA entwickelt hat. So hat der Soziologe Lee Austin Thompson in seiner Studie Professional Wrestling in Japan – Media and Message zeigen können, dass die Formierung der Wrestlingindustrie in Japan ebenfalls auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg datiert werden kann. Wie in den USA war die Genese der Wrestlingindustrie in Japan dabei auch eng an die Verbreitung durch die sich langsam herausbildende Fernsehkultur und die damit verbundene Medialisierung der Performances gekoppelt. Inhaltlich waren die Shows aber eher eine Aufarbeitung der Kriegsniederlage im Zweiten Weltkrieg sowie der darauf folgenden Besatzung durch die Amerikaner und darüber hinaus an den Kampf um den Wiederaufbau einer unabhängigen kulturellen Identität angelehnt. Dabei baute der Erfolg des Professional Wrestling in Japan nicht nur darauf auf, dass die Promoter die Darstellungen ihrer populären Wrestler mit heimischen Traditionen wie dem Sumo Ringen oder dem Kampfsport verbanden; es verdankte seinen Erfolg insbesondere dem Umstand, dass amerikanische Wrestler – die in dieser Zeit regelmäßig in Japan auf Tour gingen – stets in der Rolle des Heel-Wrestlers auftraten: »In this way, a clear distinction was made between foreign and Japanese wrestlers, and the basic plot of Japanese professional wrestling – the ›good guy‹ Japanese wrestler versus des ›bad guy‹ foreigner – was established.« (Lee Austin Thompson, »Professional Wrestling in Japan – Media and Massage«, International Review for the Sociology of Sport 21 (1986): S. 75.) Das japanische Wrestling adaptierte damit die zentrale Rolle des Hardbody-Ideals im amerikanischen Professional Wrestling dahingehend, dass es dessen spezifische Logik einfach umdrehte, um die Überlegenheit des vermeintlich schwächeren Körpers der asiatischen Männer zum Ausdruck zu bringen.
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Dass dies so praktiziert werden kann hängt letztlich mit den spezifischen Eigenarten des Hardbody-Ideals zusammen. Wie ich oben im Rahmen des theoretischen Exkurses gezeigt habe, bestand die Funktion des Ideals des harten Körpers zur Jahrhundertwende primär darin, eine ganze Reihe von als instabil erlebten kulturellen Differenzdiskursen entlang der beiden symbolischen Relata Hart und Weich so zu reorganisieren, dass das Prinzip der Hegemonie weißer Männer in den USA – durch die Kontraste zwischen Körpern und die Kontraste innerhalb eines beispielhaften Körpers – (re-)legitimiert bzw. gefestigt werden konnte. Das Prinzip der Intersektion verschiedener relationaler Machtverhältnisse ist damit ein grundsätzlicher Bestandteil des Ideals des harten Körpers und nur der Kontext und die spezifische Form einer Hardbody-Darstellung legt fest, welche Differenzmerkmale – wie Rasse, Klasse, Geschlecht etc. – gerade mehr in den Vordergrund treten. Im Rahmen einer Wrestlingperformance zeigt sich dies, indem durch die jeweiligen textuellen Assoziationen einer Figur ein oder mehrere Aspekte aus der Intersektion relationaler Machtverhältnisse im Laufe einer Performance besonders hervorgehoben werden. In unserem Beispiel des ›Cowboy‹-Babyface’ und des ›Indianer‹-Heels würde das bedeuten, dass die textuellen Allusionen an die Geschichte der amerikanischen Westexpansion dazu beitragen, dass der Hardbody im Rahmen dieser fiktiven Ansetzung primär über das Strukturmerkmal der Rasse zur Darstellung kommt, während andere Strukturmerkmale wie etwa Klasse oder Geschlecht für den Moment eher in den Hintergrund treten. Während das Hardbody-Ideal also den ganz allgemeinen Subtext für die Klassifizierung der Wrestler im Rahmen des Heel/Babyface-Schemas auf der Ebene der somatischen Assoziationen liefert, bestimmen die textuellen Assoziationen, auf welche Art und Weise der Hardbody aktuell thematisiert und in Szene gesetzt wird. Textuelle und somatische Assoziationen spezifizieren und modifizieren sich somit stets gegenseitig. In der konkreten Praxis ist das performative System der Wrestlingshows dabei natürlich nicht zwangsläufig auf eine so eindimensionale und eindeutige Zuordnung angewiesen, wie es das hier angeführte Beispiel nahelegt. Innerhalb einer Ansetzung oder sogar einer einzigen Figur können durchaus die textuellen Bezugnahmen auf verschiedene Differenzdiskurse und Strukturmerkmale mitschwingen, was jedoch nichts an der Tatsache ändert, dass diese Anspielungen die Funktion haben, die Stellung des har-
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ten Körpers innerhalb der Logik des Heel/Babyface-Schemas zu extrapolieren. Die Kombinationsmöglichkeiten für textuelle Anspielungen auf verschiedene Differenzdiskurse und Strukturmerkmale, die den Promotern im Professional Wrestling zur Verfügung stehen, sind also fast unbegrenzt: Rasse, Klasse, Geschlecht, Sexualität, Behinderung, Nation, Religion, Region – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Auch die Kombinationsmöglichkeiten der Differenzmerkmale sind schließlich nur dadurch begrenzt, was in einem konkreten Kontext hilfreich ist, um das Hardbody-Ideal durch das Heel/Babyface-Schema inszenieren zu können. Daraus ergibt sich auch eine gewisse grundlegende Offenheit, die es Promotern und Wrestlern ermöglicht, mit verschiedenen Formen der Darstellung zu experimentieren, um so jene besonders anschlussfähigen Darstellungsformen zu finden, die eine besonders starke Partizipation beim Publikum provozieren können. Wie ein Bündel textueller Assoziationen wahrgenommen wird, zeigt sich nämlich letztlich erst in der Interaktion mit einem konkreten Publikum und im Rahmen einer konkreten Performance, denn hier sorgt die Reaktion des Publikums – die durchaus von der vom Promoter intendierten Reaktion abweichen kann und die Darstellungen im Ring somit in der Zukunft modifiziert – dafür, dass die Kombination aus textuellen und somatischen Assoziationen entlang der Logik des Heel/Babyface-Schemas geordnet werden und somit eine klare Kontur gewinnen kann. Für die Promoter ist es daher unter Umständen nicht wünschenswert, die im Hardbody zusammenlaufende Intersektion relationaler Machtverhältnisse vorab allzu deutlich einzugrenzen. Es genügt an dieser Stelle oft eine vage Idee, die dann später im Wechselspiel von Publikum und Wrestlern noch konkretere Gestalt annehmen kann.136 Bei allem potenziell möglichen Variantenreichtum bleibt ein Faktor jedoch immer konstant: In jedem nur erdenklichen Fall wird die textuelle Kontextualisierung einer Figur oder eine Begegnung so eingesetzt werden, das sie qua Repräsentation des harten Körpers ein kulturelles Machtverhältnis vermittelt, dass die zentrale Stellung weißer Maskulinität als zentrale Botschaft eines jeden Wrestlingmatches betont.
136 Vgl. hierzu die beiden Kapitel über ›Gorgeous‹ George und ›Stone Cold‹ Steve Austin in dieser Arbeit.
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Der Hardbody und die dramatische Inszenierung des Babyface-Wrestlers Bevor wir unsere Betrachtung über Wrestlingperformances als performative Inszenierungen des harten Körpers jedoch abschließen und im Rahmen konkreter historischer Beispielanalysen genauer ausführen können, muss noch ein letzter wichtiger Aspekt zur Sprache kommen, der für das Verständnis der Rolle des Hardbody-Ideals in den Wrestlingperformances von entscheidender Wichtigkeit ist: Der Umstand, dass die Klassifikation durch die Imagination des harten Körpers nicht nur die Beziehungen zwischen den Wrestlern im Rahmen des Heel/Babyface-Schemas bestimmt, sondern gleichzeitig auch die Dramaturgie eines Kampfes und insbesondere die Art und Weise, wie der Babyface-Wrestler in Szene gesetzt wird, organisiert. Wie oben bereits gezeigt wurde ist es ein wesentliches Merkmal von Hardbody-Repräsentationen, dass diese die vermeintliche Überlegenheit weißer Maskulinität nicht nur durch die Relation zwischen verschiedenen Körpern zum Ausdruck bringen sondern auch durch die klimaktische Gegenüberstellung des normativen Hardbodies mit einer ihm komplementären Form von Körperlichkeit innerhalb der Grenzen eines Körpers. Das Professional Wrestling zeigt seinem Publikum während der Kämpfe einen ähnlich strukturierten Widerstreit, indem es den Babyface-Wrestler vor den Augen des Publikums ständig in ein Wechselspiel des Dominierens und des Dominiert-Seins einbindet, das seine Auflösung dann entweder – den Hoffnungen des Publikums entsprechend – im Sieg des Babyface-Wrestlers oder – den Ängsten des Publikums entsprechend – im Triumph des HeelWrestlers findet. Wie bereits unter Bezug auf Sharon Mazer angemerkt wurde, präsentiert das Professional Wrestling seinem Publikum am und durch den Körper des Babyface-Wrestlers das Schauspiel einer dominierten weichen Position, die sich ständig mit einer dominierenden harten Position abwechselt, wobei die Dramaturgie dieses Wechselspiels prinzipiell darauf angelegt ist, dass der Babyface-Wrestler den Kampf gewinnt oder – im Fall eines Verlusts – die Möglichkeit bekommt, die dominante Position zurückzuerobern. What is at stake in each match is nothing less than a man’s identity as a man, his masculinity, and it is the underlying threat of emasculation that provides much of wrestling’s ongoing heat. No matter how evenly matched the men appear to be – as in the matchups between Luger and Perfect, and Michaels and Ramon – the test of
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manhood inevitably results in a loss for one of them. It is, then, the idea of the ›feminine‹ – the submission side of the play dominance and submission – that is resisted for real in the ring. […] But in the exchange of position between the ›not-so-real‹ man and the ›real‹ man even if, and especially when, the ›not-so-real‹ man loses the match - it is imperative for each wrestler that his drag is dropped at some point to display and celebrate the essential man within.137
Der Wechsel zwischen diesen beiden Positionen bestimmt den Rhythmus und die Dramaturgie eines Kampfes, indem sich die Spannungen zwischen den Zuständen des Dominierens und des Dominiert-Werdens – im Idealfall – so lange wiederholen und zuspitzen, bis sie sich zugunsten der Dominanz auflösen. Matches are pyramidic in structure. They begin slowly, almost daring the audience to grow restive, with opponents alternately circling and feinting at each other and shouting at the audience. The initial sequence of action can contain many pauses, extend holds and standoffs that are often deliberate although sometimes accidental in frustration the spectators’ desire for action, inciting cries of ›boring‹ or […] ›This ain’t no love affair. Let’s see some blood!‹. Gradually building to a climax with ever more frequent turnarounds between opponents, the action accelerates quickly from the last reversal to the final pin.138
Roland Barthes weist deshalb zu Recht auf die zentrale und dramaturgisch überhöhte Darstellung des Leidens, die »externalized image[s] of torture«139 eines exemplarischen Helden, hin, die die Wrestlingperformances während eines Kampfes transportieren. »What is displayed for the public is the great spectacle of Suffering, Defeat and Justice. Wrestling presents man’s suffering with all the amplified tragic masks.«140 Dies zeigt sich für Barthes insbesondere in der außerordentlich wichtigen Rolle von Halte- und Aufgabegriffen sowie optisch eindrucksvollen Würfen, welche dem Publikum während der Performances die Möglichkeit geben, einen fast kontemplativen Blick auf ein Spektakel des puren Leidens zu werfen:
137 Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 116. 138 Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 29. 139 Barthes, »The World of Wrestling«, S. 27. 140 Barthes, »The World of Wrestling«, S. 26 f.
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What wrestlers call a hold, that is, any figure which allows one to immobilize the adversary indefinitely and to have him at one’s mercy, has precisely the function of preparing in a conventional, therefore intelligible, fashion the spectacle of suffering, of methodically establishing the conditions for suffering. 141
Dieses Spektakel des Leidens dient aber immer als Bühne für die Darstellung des Überwindens dieses Leidens durch einen exemplarischen Helden. Durch die Zurschaustellung des leidenden Babyface-Wrestlers wird das Publikum dazu angehalten, ihn durch lautstarke Beteiligung zu unterstützen und ihm dabei zu helfen, über die missliche Lage zu triumphieren und seine geschundene Körperlichkeit in eine siegreiche Körperlichkeit zu transformieren. Wie die interne Spaltung eines Hardbodies besitzt somit auch der Körper des Babyface-Wrestlers zwei Körper: einen krisenhaften, weichen Körper und einen triumphierenden, harten Körper.
Z USAMMENFASSUNG
UND
A USBLICK
Zielsetzung dieses Kapitels war es, dem Zusammenhang zwischen dem für die Wrestlingshows so essenziellen performativen Feedback und der Charakterisierung der Wrestler durch das Heel/Babyface-Schema genauer auf den Grund zu gehen, um somit einen besseren Überblick über die spezifischen Darstellungsformen des Professional Wrestling zu gewinnen, welche dieses als ein Produkt der amerikanischen Kultur kennzeichnen. Es wurde gezeigt, dass die Unterscheidungen des Heel/Babyface-Schemas auf der Rückkopplung an besonders anschlussfähige kulturelle und historische Differenzdiskurse beruhen. Dabei konnten zwei Formen der Klassifizierung unterschieden werden, die durch ihrer wechselseitige Bezugnahme bestimmen, wie ein Wrestler während der Performance durch die Heel/Babyface-Unterscheidung in Szene gesetzt wird: textuelle Assoziationen und somatische Assoziationen. Textuelle Assoziationen kommen insbesondere durch die Namen, Kostümierungen, die sprachlichen Äußerungen und die Inszenierung der Figuren durch die narrativen Segmente der Wrestlingshows zum Ausdruck. Ergänzt und modifiziert werden diese textuellen Assoziationen durch somatische Assoziationen, die stets unter der Bezugnahme auf ein für
141 Barthes, »The World of Wrestling«, S. 27.
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die Kultur der USA spezifisches Ideal maskuliner Hegemonie – dem Ideal des harten Männerkörpers – erfolgen, welches im Rahmen der Performances für die Kontraste zwischen den Wrestlern und – als zentrales Merkmal für die Inszenierung des Babyface-Wrestlers – für die Organisation der Dramaturgie des Kampfes verantwortlich ist. Der Rest dieser Arbeit wird auf diese Ergebnisse aufbauen und sie mit unseren Erkenntnissen über die strukturelle Geschichte der Wrestlingindustrie aus dem ersten Kapitel dieses Abschnitts in Verbindung setzen, um anhand dreier Beispielanalysen von drei der größten Stars aus der Geschichte des amerikanischen Professional Wrestling zu zeigen, wie die verschiedenen bisher skizzierten Elemente im konkreten historischen Fall als komplexes Ganzes zusammenwirkten.
3. Die Stars des Professional Wrestling: Historische Beispielanalysen
Die Karrieren der drei Wrestler, die in diesem Kapitel näher betrachtet werden, sind hervorragend dazu geeignet, einen Überblick über den charakteristischen Stil zu gewinnen, der die Shows des Professional Wrestling während der jeweiligen Boomperioden und auch im historischen Verlauf zwischen den Boomperioden geprägt hat. Alle drei entwickelten sich im Verlauf ihrer Karriere zu zentralen Stars der Industrie, deren kommerziellen Erfolg sie nachhaltig begünstigten und auf die sie folglich auch eine prägende Wirkung ausübten. Ebenso avancierten alle drei Wrestler zu Ikonen der US-Populärkultur, deren Namen in der Öffentlichkeit nahezu als Synonyme für das Professional Wrestling im Ganzen verwendet wurden. Bisher haben wird uns bei der Betrachtung der Hintergründe einer Boomphase lediglich auf die strukturelle Entwicklung des Wrestlingmarktes konzentriert. Dabei stand bislang vor allem das Wechselspiel zwischen der Medialisierung des performativen Systems der Wrestlingshows und die territoriale Organisation der Wrestlingindustrie im Vordergrund. Die Fokussierung auf drei außergewöhnliche Wrestlingstars soll nun ein noch besseres Verständnis für die ›Anatomie einer Boomphase‹ in der USWrestlingindustrie ermöglichen. Wie ich zeigen möchte, stand der Erfolg dieser industrieinternen Entwicklungen in einer engen Verbindung mit der zeitgenössischen Aktualität jener Inhalte, die das Professional Wrestling in dieser Zeit durch die textuellen und somatischen Bezugnahmen des Heel/Babyface-Schemas innerhalb der Performances präsentierte. Auffällig ist, dass alle drei Wrestler – und mit ihnen die gesamte Wrestlingindustrie – von einem kulturellen Klima profitierten, in welchem das für das Hard-
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body-Ideal so wichtige Spannungsverhältnis von Hegemonie und vermeintlichem Hegemonieverlust in den öffentlichen Diskursen wieder an Brisanz gewonnen hatte. Das Wechselspiel von textuellen und somatischen Assoziationen war bei allen drei Wrestlern so auf die aktuellen Debatten um das Emblem des harten Männerkörpers abgestimmt, dass die von den dreien im Ring präsentierten Figuren ein nachhaltiges Interesse für die Performances des Professional Wrestling generieren konnten und ihren Arbeitgebern so die Möglichkeit boten, sich mit Hilfe der aktuellen medialen Gestaltungsspielräume eine Vormachtstellung auf dem Wrestlingmarkt zu erarbeiten.
T HE M AN IN THE PINK SEQUINED R OBE : ›G ORGEOUS ‹ G EORGE UND DER W RESTLINGBOOM DER N ACHKRIEGSZEIT In den späten 1940er und frühen 1950ern Jahre wurden die Grundlagen des Professional Wrestling in seiner heute populären Form geschaffen. Zum einen vergrößerte das Fernsehen den Wirkungskreis des für die Wrestlingshows so zentralen performativen Feedbacks über die natürlichen Grenzen des Veranstaltungsortes hinaus, zum anderen festigte der Kontakt der Promoter zu den lokalen Sendeanstalten die territoriale Organisationsweise des Wrestlingmarktes und trug damit wesentlich zur Gründung der National Wrestling Alliance als erstem nationalen Bündnis von Wrestlingpromotern in der Geschichte der USA bei. Um die Zuschauer zuhause nun auch vor ihre neuen Fernsehgeräte zu locken und um sie langfristig an ihre Shows zu binden, begannen viele Wrestlingpromoter damit, die textuellen Inhalte ihrer Shows an den Sorgen und Ängsten ihrer Zeit auszurichten und erweiterten die Unterscheidungen des Heel/Babyface-Schemas um jene Dichotomien, welche während der Kriegsjahre den Alltag ihres Publikums mitbestimmt hatten und sich in den geopolitischen Fronten des Kalten Krieges fortsetzten: American heroes battled against a plethora of Nazis, including Hans Schmidt, Hans Herman, Hans Schwarz und Ach Du Lieber Kurt von Poppenheim. The end of the war also had failed to deter the Japanese, as villainous representatives of that nation,
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representatives including the nefarious Oyama Kato continued to fight in America’s wrestling arenas.1
Angesichts der hier von Mondak geschilderten Omnipräsenz nationalistischer Stereotypen wäre zu erwarten, dass der bekannteste und erfolgreichste Wrestlingcharakter dieser Zeit dem archetypische Bild eines amerikanischen Nationalhelden in der Nachkriegszeit entsprochen hat: ein ehrlicher, charakterstarker, mutiger und patriotischer junger Mann, der aus Hingabe zu den Idealen seiner Nation den Kreis seiner Lieben verlässt, um seinen faschistischen und kommunistischen Widersachern im Ring das Fürchten zu lehren. Doch erstaunlicherweise kam die populärste Figur dieser Zeit weder aus den Reihen der durchaus zahlreich vorhandenen nationalistischen Heldenfiguren, noch aus den Reihen der mindestens ebenso zahlreichen Kommunisten, Japaner oder Nationalsozialisten. Vielmehr war es ein völlig neuartiger und in dieser Form bisher ungesehener Wrestlingheel aus den eigenen Reihen der es schaffte, die Gemüter des Publikums so zu erhitzen, dass er alle zeitgenössischen Wrestler an Popularität bei weitem überragen konnte: George Wagner in seiner Rolle als ›Gorgeous‹ George. Wagner, geboren am 24. März 1915 in Nebraska und nach dem Umzug seiner Eltern in Harrisburg, Texas, aufgewachsen, hegte bereits seit seiner frühen Jugend eine große Begeisterung für das Professional Wrestling und setzte schon früh alles daran, selbst einmal Karriere als Wrestler zu machen. Wegen seiner athletischen Statur, seines guten Aussehens und seines wrestlerischen Talents konnte der junge Wagner rasch die Sympathien des Publikums für sich gewinnen und bewegte die lokalen Promoter so dazu, ihn schon bald nach seinem Debut 1937 regelmäßig in der Rolle eines Babyface’ in ihren Shows auftreten zu lassen.2 Wagner arbeitete in den folgenden Jahren für zahlreiche Promoter innerhalb und außerhalb der USA und meisterte es so, seinen Lebensunterhalt allein durch Wrestling bestreiten zu können – ein Glück, das nicht jedem seiner Arbeitskollegen beschieden war. Der ganz große Erfolg blieb jedoch aus und so fing der junge Wagner bereits in den frühen 1940ern an, mit seiner Wirkung auf das Publikum zu experimentieren. Dabei kam er schnell zu der Erkenntnis, dass er in der Rolle eines Babyface’ zwar hoch in der Gunst
1
Mondak, »The Politics of Professional Wrestling«, S. 143 f.
2
Capouya, Gorgeous George, S. 13 ff. und 34 ff.
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des Publikums stand, er aber die nachhaltigeren und intensiveren Reaktionen in der Rolle eine Heels provozieren konnte. Gemeinsam mit seiner Frau Betty begann er zu untersuchen, welche Verhaltensweisen und Schlüsselreize eine besondere Wirkung auf das Publikum ausübten. Auf Basis ihrer Beobachtungen erarbeiteten die beiden eine Performance, die Zuschauer und Promoter gleichermaßen in Bann schlug und Wagner gegen Ende der 1940er zu einem der größten Stars der amerikanischen Wrestlingszene avancieren ließ.3 Wagner began wearing elaborate sequined robes and died his hair in a series of unusual colors. He eventually bleached his hair with peroxide and adopted the Name Gorgeous George, a move that made him not only the nation’s most famous wrestler but also a prominent figure in the larger popular culture.4
Wagner zelebrierte nun jede Sekunde seiner Ringeinläufe, um seinen ›Gorgeous‹-George-Charakter beim Publikum zu etablieren und um dessen Beteiligung an seinen Performances hochkochen zu lassen. Er stolzierte mit getragener Langsamkeit zum Ring, wo er bereits von einem Diener erwartet wurde. Auf dem Weg dorthin nahm er bei jedem Schritt die Belustigung, den Spott und den Hohn, aber auch die an Aggression grenzende Abneigung des Publikums in sich auf. Mit aristokratischem Pomp und ohne eine Miene zu verziehen stieg er gemächlich in den Ring, nur um dort eine gefühlte Ewigkeit darauf zu verwenden, sich in narzisstischer Versunkenheit und mit zeremonieller Feierlichkeit um die minutiöse Faltung seiner prachtvoll geschmückten Robe zu kümmern. »It wasn’t just the robe, […] it was the folding of it, the meticulous care shown to his snobbish finery, that had the fans screaming their leathery lungs out.«5 Um die Wirkung und die getragene Dramaturgie des Schauspiels noch weiter zu unterstreichen, wurden die Klänge von »Pomp and Circumstances« über die Hallenlautsprecher eingespielt. Sie schafften es aber meistens kaum, die lautstarken Publikumsreaktionen zu übertönen. So eine Darbietung war den Wrestlingbegeisterten noch nicht untergekommen: Sie liebten es, ›Gorgeous‹ George zu hassen.Wagners Auftritte waren dabei weit mehr als nur eine Innovation
3
Capouya, Gorgeous George, S. 59.
4
Beekman, Ringside, S. 86; vgl. auch: Capouya, Gorgeous George, S. 100 ff.
5
Capouya, Gorgeous George, 85.
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des klassischen Wrestlingheels, denn sie avancierten zu Beginn der 1950er Jahre zu einem neuen Industriestandard, der Promotern und Zuschauern in eindrucksvoller Manier aufzeigte, wie ein Wrestlingstar in der neuen Medienlandschaft zukünftig funktionieren würde. Bereits nach den ersten Fernsehauftritten des ›Gorgeous‹-George-Charakters 1947 wurde klar, dass sich das, was im kleinen Rahmen der lokalen Wrestlingshows so wunderbar funktioniert hatte, durch die Verwendung der Fernsehtechnologie in seiner Wirkung um eine Vielfaches potenzieren und in ein nationales Phänomen ausweiten lassen würde.6 Die Promoter und Wrestlinglegenden der alten Tage wie Lou Thesz zeigten sich erstaunt über die Tragweite dieses Phänomens: »When George was hot, I never saw anything like it. He could sell out anywhere with anyone.«7 Und Wagner selbst brachte es wohl in der gewohnt bescheidenen Art und Weise – die er nun bei jeder sich bietenden Gelegenheit gerne öffentlich zur Schau stellte – am besten auf den Punkt: »I don’t know if I was made for television or television was made for me«8 He became a national celebrity, and his was a new kind of outsize, feeds-on-itself fame. From the late 1940s to the mid-1950s his image was so pervasive, and his silliness so addictive, that virtually everyone in the country – English speaking or not; interested in sports or indifferent; television owning or lacking recognized Gorgeous George.9
Im Zuge seines Erfolges begann Wagner damit, jeden seiner öffentlichen Auftritte vollkommen mit der Figur des ›Gorgeous‹ George zu verschmelzen und schaffte es so, in den 1950er Jahren auch jenseits des Rings zu einer nationalen Berühmtheit zu werden, die als fester Bestandteil der amerikanischen Populärkultur angesehen wurde.
6
Diesen Standpunkt vertritt zumindest John Capouya, welcher ›Gorgeous‹ George Wagner in seiner Biografie als einen der ersten und einflussreichsten Charaktere der amerikanischen Populärkultur betrachtet. Vgl. hierzu: John Capouya, Gorgeous George.
7
Greenberg, Pro Wrestling, S. 27.
8
George Wagner zitiert nach: Capouya, Gorgeous George, S. 117.
9
Capouya, Gorgeous George, S. 173.
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George seeped into the nonwrestling public’s consciousness in a manner no previous wrestler achieved. He starred in his own movie, the wretched Alias the Champ, and became recognizable enough to be the punch line in Jokes by Red Skelton, Bob Hope, Milton Berle, and other comedians. Muhammad Ali would later acknowledge that he copied his brash style and glib tongue from George.10
Zwar hatte auch er wesentliche Grundzüge seines In-Ring-Charakters an bereits bekannte Darstellungen aus dem Wrestlinggeschäft angelehnt, doch die Art und Weise, wie er seine Figur interpretierte, war in dieser Form noch nicht dagewesen und traf derart präzise den Nerv seiner Zeit, dass sie Wagner nicht nur zum bekanntesten Wrestler seiner Generation machte, sondern ihn auch bei jenen Leuten zu einem Begriff werden ließ, die mit Wrestlingshows nichts anfangen konnten und ›Gorgeous‹ George nur als Ikone der zeitgenössischen Populärkultur kannten. Der große Erfolg der Figur hing dabei im Wesentlichen mit den Fähigkeiten Wagners zusammen, in den textuellen und somatischen Bezügen seiner Figur die Ängste und Unsicherheiten zu kanalisieren, welche in der Nachkriegszeit vermehrt mit der Frage nach der Konstruktion von Geschlecht im Allgemeinen und der vermeintlichen Instabilität maskuliner Hegemonie im Besonderen in Zusammenhang gebracht wurden. Die bunten Roben und das blondierte Haar der Figur des ›Gorgeous‹ George standen in scharfem Kontrast zur exzessiven Zurschaustellung des harten Männerkörpers und erzeugten so ein Bild der geschlechtlichen Instabilität, der Ambivalenz und Widersprüchlichkeit, die zur gleichen Zeit auch Einzug in die Diskurse über die gesellschaftliche Stellung des amerikanischen Mannes und der amerikanischen Nation in der Welt gehalten hatten.11
10 Beekman, Ringside, S. 87; Capouya, Gorgeous George, S. 177 ff. 11 Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Capouya im Resümee seiner Biografie: Capouya, Gorgeous George, S. 225 ff. Vgl. hierzu auch: Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 94. Sharon Mazer zieht jedoch aus der geschlechtlichen Ambivalenz der Figur den etwas schwierigen Schluss, dass die Dopplung des potenziell Femininen und des Hypermaskulinen als das wesentliche Merkmal eines jeden Wrestlers angesehen werden muss:. »The conventional signs of femininity and masculinity are both medium and message in the wrestlers’ closet, visibly encoded into everything from the wrestlers’ names and costumes to their bodies and signature moves. To some degree, a pro-
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Um den Zusammenhang zwischen den als ambivalent empfundenen Geschlechterkonstruktionen und dem Hardbody-Ideal sowie dessen zentrale Stellung für den Erfolg der Wrestlingindustrie in der Nachkriegszeit besser verstehen zu können, muss man den Status Quo der maskulinen Hegemonie in dieser Zeit jedoch zuerst in Verbindung mit den umfassenden Entwicklungen setzen, in die das Ideal der harten Männlichkeit während des Zweiten Weltkriegs und dem daran anschließenden Kalten Krieg eingebunden war. Die Nachkriegsjahre: Zwischen der ›Great Generation‹ und dem ›Age of Anxiety‹ Die amerikanische Nachkriegszeit muss als der vorläufige Kulminationspunkt verschiedenster historischer Trajektorien angesehen werden, welche die USA seit der Jahrhundertwende durchlaufen und die innere Statik der amerikanischen Gesellschaft sowie die Stellung der USA in der Welt nachhaltig verändert hatten. Binnen kürzester Zeit waren die USA durch zwei Weltkriege und die bis dato tiefgreifendste Wirtschaftskrise in der Geschichte der Nation gegangen. Nach diesen Umwälzungen waren die USA eine von nur zwei globalen Supermächten und konnten dem Weltgeschehen infolgedessen politisch, kulturell und wirtschaftlich ihren Stempel aufdrücken. Die Nachkriegszeit war deshalb in den USA mit dem starken Wunsch nach mehr Stabilität verbunden. Der Krieg hatte die marode Wirtschaft saniert und einen bis dato ungekannten materiellen Wohlstand mit sich ge-
fessional wrestler is always in drag, always enacting a parody of masculinity at the same time that he epitomizes it.« (Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 100). Sie versäumt es jedoch, ihre Aussagen in einen historischen Kontext zu stellen. Denn während sich ein solcher Doppelaspekt – schon wegen der relationalen Konstruktion von Maskulinität – sicherlich zu einem gewissen Grad in jeder Figur im Professional Wrestling ausmachen lässt bleibt dennoch offen, wie diese Dopplung im jeweiligen Kontext zum Tragen kommt und ob die Gegenüberstellung des Hypermaskulinen und des Hyperfemininen tatsächlich den Kern einer jeden Figur ausmacht.
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bracht, der nun die Basis für eine kollektive »Rückkehr zur Normalität«12 bilden sollte. Der Hegemonie weißer Maskulinität kam bei diesem Unterfangen – wie schon des Öfteren in der amerikanischen Geschichte – eine besonders zentrale Rolle zu. Politiker, Industrielle und Experten aus den neuen Trendwissenschaften Soziologie und Psychologie erhoben die nach dem Modell der Sphärenteilung organisierte suburbane Mittelklassefamilie zum ideologischen, ökonomischen und moralischen Zentrum der amerikanischen Nachkriegsordnung, welche fortan den Erhalt, die Regulierung und das Wachstum des neugewonnenen Wohlstandes sichern sollte. Den aus dem Krieg heimkehrenden Männern wurde in diesem Modell die Funktion zugedacht, fortan als väterlicher Vorstand der suburbanen Kleinfamilien zu fungieren. Staatliche Subventionen wie die GI-Bill sollten sicherstellen, dass sie über die dafür notwendige ökonomische Basis und die gesellschaftliche Mobilität verfügten. Als Väter und Familienernährer sollten die ehemaligen Soldaten in die neu angelegten Suburbs zurückkehren, um dort dem von den Experten angemahnten, kriegsbedingten Mangel an Vaterfiguren entgegenzuwirken und den ordnenden Einfluss, den sie zuvor in der Welt entfaltet hatten, auch auf die neue Infrastruktur der amerikanischen Gesellschaft übertragen. Das sich so formierende Ideal maskuliner Hegemonie in den USA zeichnete sich zwar durch allgemeine Versprechungen größerer Aufwärtsmobilität in Hinblick auf Variablen wie Ethnie und ökonomische Stellung aus, wies also im Gegensatz zum bisherigen Modell eine weitaus größere Inklusivität auf; dennoch konnte kein Zweifel daran aufkommen, dass es letztlich der weiße, mittelständische Mann sein sollte, der innerhalb der gesellschaftlichen Machtverhältnisse die vorherrschende Stellung einnahm.13 Soweit jedenfalls die hoffnungsvolle Theorie. Die Umsetzung dieses Modells ins alltägliche Leben gestaltete sich jedoch oft um einiges schwieriger als es den Kriegsheimkehrern durch ideologische Überhöhung des Er-
12 Vgl. hierzu: Anna G. Creadick, Perfectly Average: The Pursuit of Normality in Postwar America (Amherst/Boston: University of Massachusetts Press, 2010). 13 Vgl. hierzu u.a.: Michael Kimmel, Manhood in America: A Cultural History (New York u.a. The Free Press, 1997), S. 226 ff.; Creadick, Perfectly Average, S. 118 ff. Vgl. auch: Gary Cross, An All-Consuming Century: Why Consumerism Won in Modern America (New York: Columbia University Press, 2000), S. 111 ff.
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nährer-Ideals versprochen worden war. Denn während die zentrale ideologische Stellung der um den Vater herum organisierten suburbanen Kleinfamilie einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen einem klar geordneten Geschlechtersystem und dem Erhalt der sozioökonomischen Ordnung suggerierte, waren die Nachkriegsjahre in Wirklichkeit von einer ganzen Reihe tiefgreifender sozialer und kultureller Transformationsprozesse gekennzeichnet, die diese neue gesellschaftliche Infrastruktur und die mit ihr einhergehenden Machtverhältnisse in Frage zu stellen schienen. So hatte sich die Sphäre der Berufswelt während der Kriegsjahre zwangsläufig auch für viele Frauen geöffnet und die Frage nach der Fortsetzung weiblicher Erwerbstätigkeit im Nachkriegsamerika zu einem wichtigen Thema werden lassen. During the war thousands of women had entered new jobs, gained new skills, joined unions, and fought against discrimination. Although 95 percent of the new women employees had expected when they were first hired to quit work at the end of the war, by 1945 almost an equally overwhelming majority did not want to give up their independence, responsibility, and income, and expressed the desire to continue working.14
Obwohl viele Frauen nach dem Krieg dazu angehalten waren in die Rolle der Hausfrau und Mutter zurückzukehren, wollten viele ihre neugewonnene Unabhängigkeit nicht so einfach aufgeben; und selbst jenen Frauen, die dem gesellschaftlichen Druck nachgaben, mit dem sie vielerorts aus der Arbeitswelt gedrängt wurden, hatte die Erfahrung der Kriegsjahre deutlich vor Augen geführt, dass die Trennung der Sphären aufgeweicht worden war und ihr Überleben in Zukunft nicht zwangsläufig von ihrem Dasein als Hausfrauen und Mütter abhing.15 Doch selbst die zahlreichen Bemühungen um Ausgrenzung der Frauen aus der Arbeitswelt schienen nichts an dem Umstand ändern zu können, dass die sozioökonomische Stellung der amerikanischen Männer nicht mehr unangefochten war und in der Folge keine stabile Basis für die Konstruktion maskuliner Identitäten mehr bot. Soziologen und Psychologen wiesen in
14 Stephanie Coontz, The Way we never were: American Families and the Nostalgia Trap (New York: Basic Books, 2000), S. 31. 15 Coontz, The Way we never were, S. 31 ff.
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den 50ern vermehrt darauf hin, dass Männer in der modernen Arbeitswelt Gefahr liefen, zu willenlosen Konformisten zu werden. Die modernen Unternehmensstrukturen mit ihrer Betonung des von einer Expertenkultur dominierten wissenschaftlichen Managements und ihren zunehmend unübersichtlicher werdenden Hierarchien standen im Verdacht, die Männer in Drohnen – »depersonalized cogs in the corporate machine«16 – zu verwandeln, deren Tätigkeit und Motivation sich lediglich auf die unhinterfragte Ausführung oftmals undurchsichtiger Anweisungen beschränkte: Vulnerable to the whim of clients and supervisors, ever wary of competitors, the corporate employee, according to many popular accounts, was thus forced to manipulate his personality in order to manipulate others. […] The »organization man«, swathed in gray flannel and doubly burdened by family and work, appeared in popular discussions as a cog in the corporate machinery, disconnected from any real sense of production and forced to subdue his will to the team – a conforming, emasculated, small man.17
Die klaren relationalen Größen von ökonomischer Stellung und Geschlecht als Ankerpunkt für maskuline Hegemonie waren somit in der Nachkriegszeit zwar nicht gänzlich aufgebrochen worden, hatten jedoch einiges an Selbstverständlichkeit eingebüßt. Verschärft wurde dieser Umstand noch durch die zunehmende Infragestellung der Rassenbeziehungen in den USA. Viele farbige Soldaten hatten im Krieg ihr Leben für die USA gelassen, und mit dem Bekanntwerden und der Aufarbeitung der Gräueltaten des Holocausts wurde es immer schwieriger, eine moralisierende Version des ›Good War‹ zu vertreten, ohne den Rassismus vor der eigenen Haustür zu thematisieren. The haunting specter of racial genocide that the United States had, at least in part, rallied and fought against in World War II grossly paralleld America’s own violently policed racial cast system. Bolstered by the nations wartime rhetoric of inclusive democracy and employment advanced in wartime industries, the civil rights movement emerged from the war more assertive and vigilant than ever, which resulted in the integration of armed services in 1948; the bus boycotts in Montgomery, Ala-
16 Kimmel, Manhood in America, S. 240. 17 Fraterrigno, Playboy and the making of the good life in modern America, S. 51.
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bama; and the landmark 1954 Supreme Court decision in the case of Brown v. Topeka Board of Education, ordering the integration of public schools.18
Vormals unüberwindbare Rassengrenzen waren so in der Nachkriegszeit kurzzeitig in heftige Bewegung geraten und es kristallisierte sich heraus, dass sich die Konstruktion von Maskulinität durch rassische Imaginationen nicht länger auf die Grundlage vermeintlicher rechtlicher und/oder biologischer Selbstverständlichkeiten stützen konnte. »The civil rights movement challanged the exclusion of black people from full citizenship and, thus, the exclusion of black men from claiming their stake in American manhood.«19 Die Problematik einer vermeintlichen Instabilität maskuliner Hegemonie rückte somit – wie schon zuvor diverse Male in der Geschichte des 20. Jahrhunderts – erneut in den Fokus der US-Gesellschaft und ließ abermals Stimmen laut werden, die den Männern der Nachkriegszeit eine tiefgreifende ›Krise‹ diagnostizierten. Wie unter anderem von Micheal Kimmel und Robert Dean gezeigt wurde, schlug sich diese »Krise der Maskulinität« dabei zum wiederholten Male in der häufig geäußerten Befürchtung nieder, dass der amerikanische Mann verweiblichen könnte. Experten aus den Sozialwissenschaften und der Psychologie argumentierten, dass der kriegsbedingte Mangel an Vaterfiguren und die Überfürsorglichkeit und zunehmende Unabhängigkeit der Mütter die Stellung des Mannes in der amerikanischen Gesellschaft nachhaltig geschwächt hatte; ein Problem, dass sich nun nach dem Krieg durch die neue, konsumbasierte Wohlstandsgesellschaft, die vornehmlich Hausfrauen und Mütter als »[…] primary decisionmaker in domestic consumption patterns […]«20 adressierte, noch weiter verschärft hatte. Als Folge dieses »weiblichen Imperialismus«21 dia-
18 Cindy Hendershot, »The Invaded Body: Paranoia and Radiation Anxiety in ›Invaders from Mars‹, ›It Came from Outer Space‹, and ›Invasion of the Body Snatchers‹«, Extrapolation 39:1 (1998): S. 51. 19 Kimmel, Manhood in America, S. 262. 20 Nicholas Sammond, »Squarin the Family Circle: WWF Smackdown Assaults the Social Body«, Väter, Soldaten, Liebhaber: Steelchair to the Head: The Pleasure and Pain of Professional Wrestling, herausgegeben von Nicholas Sammond (Durham/London: Duke University Press, 2005): S. 139. 21 James Gilbert, »David Riesman und die ›Krise‹ der Männlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg«, Väter, Soldaten, Liebhaber: Männer und Männlichkeiten
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gnostizierten ›öffentliche Intellektuelle‹ wie der Soziologe Talcott Parsons einen weit um sich greifendem ›Momisms‹; eine Art weiblicher Überpräsenz in der amerikanischen Gesellschaft, welche die männliche Identität junger Männer an ihrer Entfaltung hinderte und so dazu beitrug, dass diese für die subversiven, zersetzenden Einflüsse der Nachkriegsgesellschaft empfänglich wurden. Dargestellt als machtvolle Matriachinnen, wurden Frauen für ein Arsenal an Bösartigkeiten verantwortlich gemacht, die über die amerikanischen Männer und die amerikanische Gesellschaft hereinbrachen: Unmündigkeit, Impotenz, Homosexualität, Untauglichkeit für den Militärdienst, Isolationismus, Materialismus, Konsumdenken und die Anfälligkeit für verschiedene Formen von Totalitarismus.22
Die Liste der vermeintlichen Bedrohungen für die hegemoniale Stellung des vom Gespenst der Feminisierung bedrohten Familienernährers in der Nachkriegszeit schien ebenso lang wie unübersichtlich zu sein. »The trappings of gender failure were all around us in the 1950s, […]«23, und wohin man seinen Blick auch richtete: Die unentbehrlichen relationalen Bezugsgrößen der maskulinen Hegemonie schienen allesamt in Bewegung geraten zu sein und sorgten dafür, dass die überbetonte Eindeutigkeit maskuliner Rollenerwartungen stets von einem Gefühl der Instabilität begleitet wurde und die für die Kriegsheimkehrer angedachte Rolle in der Gesellschaft als ein relativ wackliges Konstrukt erschien.24
in der Geschichte Nordamerikas, herausgegeben von Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz (Bielefeld: transcript Verlag: 2007): S. 286. 22 Robert D. Dean, »Politik und Sexualität: John F. Kennedy und die ›Krise‹ der Männlichkeit im Kalten Krieg«, Väter, Soldaten, Liebhaber: Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas, herausgegeben von Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz (Bielefeld: transcript Verlag, 2007): S. 338. 23 Kimmel, Manhood in America, S. 236 24 Die ambivalente Spannung zwischen klarer geschlechtlicher Stereotypisierung und der gleichzeitigen Infragestellung der die hegemonialen Ideale stützenden Strukturbedingungen in der Nachkriegszeit ist inzwischen ein gut untersuchtes Feld: Ein genereller Überblick findet sich in: Kimmel, Manhood in America. Ein sehr guter Überblick über die Rolle der mittelständischen, suburbanen Kleinfamilie findet sich in: Coontz, The Way we never were. Die inhärente
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Gleichzeitig standen diese Ängste dabei jedoch in krassem Wiederspruch zum betont hypermaskulinen Selbstverständnis der Nation, welches sich in den USA während der Kriegsjahre etabliert und auch in der Nachkriegszeit Bestand hatte. Wie Christina Jarvis gezeigt hat, hatte das Ideal des harten Körpers während der Kriegsjahre die Funktion einer zentralen ideologischen Imagination übernommen, die von Politik, Industrie und Gesellschaft zur Bewältigung der enormen Musterungsbemühungen instrumentalisiert worden war. Medizinische und psychologische Diskurse, die sich in dieser Zeit zu formieren begonnen hatten, zeichneten das Bild einer vitalen, harten Maskulinität, die sich durch die interne Abgrenzung von pathologischen, weichen und potenziell verweiblichten Anteilen konstituierte, und erhoben das Hardbody-Ideal damit – wie schon zur Jahrhundertwende – zu einem allgemeinen Gradmesser maskuliner Identitätsbildung und damit auch für die Gefechtstauglichkeit des Mannes25; ein Vorgehen, das abermals durch
Ambivalenz des für die Nachkriegszeit zentralen Konzepts einer ›Rückkehr zur Normalität‹ wurde besonders anschaulich untersucht in: Creadick, Perfectly Average. Eine erhellende Auseinandersetzung mit der häufigen Diagnose einer »Krise der Männlichkeit« in der Nachkriegszeit findet sich in: James Gilbert, Men in the Middle: Searching for Masculinity in the 1950s (Chicago/London: The University of Chicago Press, 2005). Ein guter Einblick in die Konstruktionen hegemonialer Maskulinitiät findet sich in: Steven Cohan, Masked Men: Masculinity and Movies in the Fifties (Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press, 1997). Für die Rolle der Konsumkultur vgl: Fraterrigno, Playboy and the making of the good life in modern America; sowie: Bill Osgerby, Playboys in Paradise: Masculinity, Youth and Leisure-Style in Modern America (Oxford: Berg, 2001). 25 Christina Jarvis weist in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Bemühungen des amerikanischen Militärs hin, Homosexuelle vom Wehrdienst auszuschließen. Dies ist eine schönes Beispiel für die Bemühungen, die charakterliche und physische Härte des Mannes in und durch den Körper von der als pathologisch eingestuften feminisierten Konstitution des Homosexuellen abzugrenzen: »By insisting that the ›true‹ homosexual possessed visible ›feminine‹ attributes, military officials were able to preserve the notion that the military was still largely a masculine domain, where a sculpted ›masculine‹ body signaled heterosexuality.« (Jarvis, The Male Body at War, S. 77.)
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Verweise auf die vermeintliche rassische Überlegenheit weißer Maskulinität gestützt und legitimiert wurde.26 »The end result, […] was that wartime imagery primarily constructed the United States as a powerful, virile county as it embraced the serviceman as a key image of both masculinity and national identity.«27 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sorgte dann die sich fast nahtlos anschließende Bedrohung durch die Sowjetunion dafür, dass der Maskulinitäts-Diskurs weiterhin aktuell blieb. Kyle Cuordileone zufolge war in diesem Zusammenhang insbesondere die zentrale diskursive Stellung des Kommunismus in den USA dafür verantwortlich, dass die Hypermaskulinität der harten Männlichkeit bald zu einer Art universellen Gegengewichts für die um sich greifenden Ängste vor der Instabilität maskuliner Hegemonie wurde. Den Hintergrund für diese Entwicklung sieht Courdileone in dem Umstand, dass sich die durchaus reale Bedrohung durch die Sowjetunion während der Nachkriegszeit zunehmend mit einer nahezu paranoid anmutenden Angst vor dem Kommunismus zu vermischen begann, der nun als eine Art Containerbegriff all jene Dinge in sich zusammenzufassen schien, die der Ordnung des Nachkriegsamerikas – und damit auch der zentralen Stellung weißer Maskulinität – entgegenstanden.
26 Zwar sorgte die Rekrutierung von Männern mit den verschiedensten ethnischen und rassischen Hintergründen für eine im Vergleich zu früheren Verhältnissen beispiellosen Reformation und Diversifizierung der Zusammensetzung des USMilitärs, doch die Einrichtung von segregierten Einheiten im Jim Crow Military und die Übertragung althergebrachter rassistischer Rhetorik auf die japanischen Kriegsgegner sorgten dafür, dass die Vorstellungen von der rassischen Hegemonie weißer Männer auch weiterhin essenzielles ideologisches Kennzeichen des harten Körpers blieb (Jarvis, The Male Body at War, S. 154 f.). Dabei nahm der Hardbody nach 1939 eine deutlich komplexere rassische Textur an, bedingt durch die Positionierung gegenüber den Kriegsgegnern auf der anderen Seite des Atlantiks, die in den USA mit dem Anspruch zusammentraf, sich gemäß des alten, kolonialen Mottos ›e pluribus unum‹ als eine Nation zu präsentieren, in der die rassische Dominanz weißer Maskulinität durchaus mit einer gewissen Inklusivität einherging. (Jarvis, The Male Body at War, S. 44 ff.). 27 Jarvis, The Male Body at War, S. 55.
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In the context of […] unsettling postwar social tension and transformations, it should not be entirely astonishing that anti-Communism – so emotionally provocative and politically volatile – became entangled with anxieties that ultimately had little to do with Communism.28 […] Whatever else anti-Communism most certainly was, once unleashed in the culture it served to redefine America against the wave of social change, operating in some cases as ideological buffer against discomforting developments and perceived social ills. Racial integration, secularism, affluence, materialism, apathy, youth rebellion, commercialism, conformity, Jewish upward mobility, internationalism, welfare statism, modernism in art, and sexual liberalism were all trends that could be imagined as subversive to American order and thus discouraged under the aegis of Anti-Communism.29
Das Hardbody-Ideal behauptete damit während der Nachkriegszeit abermals seinen Status als ein zentrales kulturelles Emblem für die Hegemonie weißer Maskulinität in den USA. Es sollte nicht nur den nationalen und internationalen Widersachern signalisieren, dass die USA in der Lage sein würden, sich gegen jegliche Bedrohung zur Wehr zu setzen, sondern auch die von der ›krisenhaften‹ Stimmung der Nachkriegszeit gebeutelten Männer daran erinnern, dass unter dem grauen Flanell des vermeintlich verweichlichten Familienernährers jederzeit der über jeden Zweifel erhabene harte Körper schlummerte. »Silk Dynamite!« – Die Robe, das Ideal des harten Körpers und die Angst vor der potenziellen Feminisierung des amerikanischen Mannes in der Nachkriegszeit Die großen Erfolge, die George Wagner während der Nachkriegszeit in seiner Rolle als ›Gorgeous‹ George feiern konnte, verdeutlichen, wie stark der kommerzielle Erfolg des Professional Wrestling in den USA von der Fähigkeit der Wrestler und Promoter abhängt, die zeitgenössischen Aushandlungsprozesse um das Ideal des harten Männerkörpers in ihre Performances zu integrieren, um sie dort – mehr oder weniger bewusst – dazu zu nutzen,
28 Cuordileone, Manhood amd American Political Culture in the Cold War, S. xviii. 29 Cuordileone, Manhood amd American Political Culture in the Cold War, S. xix.
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ein direktes performatives Feedback zwischen Publikum und den Protagonisten im Ring zu erzeugen. Wagners Performances im Ring griffen die aktuellen Spannungen zwischen der weiterhin dominanten Stellung des harten Körpers und den Ängsten vor der Instabilität der maskulinen Hegemonie auf. Kanalisiert in einer neuartigen Figur verkörperte er im wahrsten Sinne des Wortes all jene Widersprüche in sich, die den Konstruktionen hegemonialer Männlichkeit in der Nachkriegszeit im Allgemeinen anhafteten. Dies zeigte sich insbesondere am Eindruck eines stark feminisierten Mannes, mit dem Wagner bei seinen Auftritten zu spielen pflegte und den er seinem Publikum durch die textuellen Bezüge seiner schrillen und bunten Kostümierung regelrecht aufzwängte. Der große Erfolg des ›Gorgeous‹ George verdeutlicht dabei, wie verstörend diese Ängste vor der Verweiblichung des Mannes während der Nachkriegszeit offenbar erlebt wurden, denn Wagners rasanter Aufstieg zu einer nationalen Medienberühmtheit und zum Aushängeschild der jungen amerikanischen Wrestlingindustrie stand in direkter Proportion zu seinen Fähigkeiten, diese Ängste für seine Performances nutzbar zu machen. Deutlich sichtbar ist hier die Neigung des Professional Wrestling, mittels seiner performativen Anlage die Frage nach dem zeitgenössischen Stellenwert des HardbodyIdeals aufzunehmen und sie im Spiel von textuellen und somatischen Assoziationen des Heel/Babyface-Schemas und im Rahmen der wechselseitigen Interaktion zwischen Wrestlern, Publikum und Promotern auszuagieren. Denn die Figur des ›Gorgeous‹ George entsprang keinem singulären Geistesblitz oder kühler Kalkulation; vielmehr war sie das Produkt guter Beobachtung, von Experimenten und einer ganzen Reihe von verketteten Umständen, die sich durch die neue mediale Präsenz des Professional Wrestling und durch die straffere Organisation des Wrestlingmarktes zu einem nationalen Phänomen entwickeln konnte. Erst mit der Zeit nahm sie die Form an, die schließlich von der jungen Fernsehkultur so euphorisch aufgenommen wurde. Gemeinsam mit seiner Frau Betty hatte George Wagner begonnen, nach neuen Wegen zu suchen, um seinen Performances ein eigenes, unverwechselbares Profil zu geben und um die Promoter so dazu zu bewegen, ihn an prominenterer Stelle in ihren Programmen zum Einsatz zu bringen. Das erste in einer ganzen Reihe von Experimenten, die das Ehepaar zu diesem Zweck unternahm, bestand darin, die Rolle des Babyface-Schönlings zu-
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gunsten eines wilderen und weniger berechenbaren Images eines HeelWrestlers aufzugeben.30 He and Betty began distributing a new photo to the press. Instead of the poised beauty pose [of his earlier press-photos], this was an action shot, in which the former oiled matinee idol with bulging muscles had been replaced by an almost unrecognizable wild man, a snarling ruffian in black trunks. »Desperate George Wagner,« one caption called him. His straight black hair, once short and neat, now fell messily down over his eyes and onto the sides of his face as he crouched aggressively in a grappling stance, left arm outstretched to claw an imaginary enemy, right fist cocked. His lips curled back, baring his teeth in fierce grimace. Suddenly he looked most unhandsome, bound to displease.31
Die neue Rolle lag Wagner deutlich besser als die des heldenhaften Schönlings, denn wie sich herausstellen sollte besaß Wagner ein natürliches Talent dafür, das Publikum durch seine Gestik und durch gezielte Provokationen gegen sich aufzubringen. Die Heftigkeit der Reaktionen auf seine Auftritte als Heel-Wrestler waren weitaus größer als die auf seinen recht farblosen Babyface-Charakter; und da ›Heat‹ – so die industrieinterne Bezeichnung für die Intensität der Reaktionen, die ein Wrestler von seinem Publikum bekommt – sich in der Wrestlingindustrie direkt in der Besoldung eines Wrestlers niederschlägt, setzte das Paar seine Bemühungen fort, die ohnehin schon gute Chemie zwischen George und seinem Publikum noch weiter zu intensivieren. Mit mäßigem Erfolg probierten sie eine Reihe von Verhaltensweisen und Kostümierungen aus, welche die neue Figur besser in Szene setzen sollten, doch der Durchbruch gelang ihnen erst, als sie 1943 auf die Idee kamen, Wagner in betont femininem Outfit auflaufen zu lassen. Die Wagners hatten sich an einen gemeinsamen Hawaii-Urlaub erinnert, bei dem Betty durch ihre gewagte Satin-Kleidung eine Menge Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Was würde wohl passieren, wenn George in einem ähnlichen Aufzug zum Ring kommen würde? Wenn eine junge Frau schon eine solche Kontroverse auslöste, was würde dann erst passieren, wenn ein ›echter‹ Mann – ein waschechter Hardbody –, dessen Handwerk darin besteht, sich mit anderen Männern im Ring zu messen, in
30 Capouya, Gorgeous George, S. 79 ff. 31 Capouya, Gorgeous George, S. 80.
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feinstem Satin auftaucht? Um die Wirkung einer solchen Kostümierung auf das Wrestlingpublikum in der Praxis zu testen, nähte Betty gemeinsam mit ihrer Mutter ein Satincape, das George bei seinen nächsten Auftritten in den Shows eines Promoters aus Portland vor Publikum tragen sollte. In seiner Biographie über ›Gorgeous‹ George rekapituliert John Capouya dieses Ereignis wie folgt: Betty and Elsie, her seamstress mother bought yards of a shimmering deep blue satin fabric and fashioned a long cape like raiment with a wide, circular skirt as its lower half, festooned across the chest and the shoulders with silver sequins. [As Wagner told it later], the Portland promoter refused at first to let him wear this feminine frippery at the Labor Temple, a union hall that also hosted sporting event. »Wear that in the place of my business?« he roared. »Certainly not! You’re a wrestling dame!«32
Die Reaktionen des Publikums auf die neue Kostümierung fielen noch drastischer aus als die des Promoters: »Men in denim work short and rough corduroy pants stood up and yelled insults, ›Sissy!‹ and ›Momma’s Boy!‹ prominent among them. ›Who do you think you are?‹ they demanded.«33 Wie Wagner bald klar werden würde, hatte er aus Sicht eines HeelWrestlers mit diesen heftigen Reaktionen eine Goldmine freigelegt. Aus der Perspektive des performativen Systems war die Grundidee, auf welcher Wagners neue Heel-Figur basierte, denkbar einfach gewesen. Durch den Bezug auf die Sphäre des Weiblichen spielten die textuellen Assoziationen von Wagners neuem In-Ring-Charakter auf die sensiblen Diskurse der geschlechtlichen Identität in der Nachkriegszeit und die damit verbundene Angst vor der zunehmend ambivalenten, als ›krisenhaft‹ empfundenen Stellung des Mannes an. Gleichzeitig präsentierte Wagners Auftreten jedoch auf der Ebene der somatischen Assoziationen einen Körperbau, der vollkommen mit den Idealen des harten Männerkörpers und dessen diskursiver Stellung im Nachkriegsamerika konform ging, wo dieser als Emblem für die unhinterfragte Hegemonie weißer Maskulinität fungierte. Die Imaginationen von Hegemonie und drohendem Hegemonieverlust wurden somit in Wagners Selbstinszenierung geschickt kontrastiert und verwiesen so in der performativen Interaktion mit dem Publikum auf ein
32 Capouya, Gorgeous George, S. 84. 33 Capouya, Gorgeous George, S. 85.
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Themenfeld, das bei vielen seiner Zeitgenossen emotional stark aufgeladen war. Meist hätte deshalb wohl schon die bloße Präsenz der Robe an ›Gorgeous‹ Georges Körper genügt, um das performative Feedback eines Wrestlingmatches in Gang zu setzen und einen Höhepunkt in der Show eines Wrestlingpromoters darzustellen. Doch Wagner war auch dies nicht genug, und so entwickelte er im Laufe seiner Karriere noch eine ganze Reihe von Verhaltensweisen und Routinen, die dazu beitragen sollten, den Effekt des Kleidungsstücks auf sein Publikum zu steigern. Bald sorgten die Klänge von »Pomp and Circumstance«, die er nun bei seinem Einzug einspielen ließ, dafür, dass sein Auftritt von der Aura einer gewissen, oftmals deplatziert wirkenden Tragik angehaucht war. Ein eigens auf ihn gerichtetes Scheinwerferlicht setzte die Pailletten, mit denen seine Frau die Roben bestickt hatte, perfekt in Szene und stellte sicher, dass die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums schon bei seinen ersten Schritten in die Halle auf das feminisierte Hassobjekt gerichtet war. Um die vermeintliche Bedeutungsschwere des Moments noch weiter auszukosten lief Wagner mit betont langsamen, fast tänzerisch wirkenden Schritten zum Ring, kombiniert mit einer betont arroganten, ›hochnäsigen‹ Kopfhaltung und einer in selige Selbstverliebtheit versunkenen Mimik. Im Ring angekommen entledigte er sich dann mit getragener Langsamkeit seiner Robe. In späteren Jahren ließ er sich zu diesem Zweck sogar von einem ›Butler‹ zum Ring begleiten, der ihm beim Entkleiden half und der die Robe nach mehrmaligem peniblen Falten und wiederholten Ermahnungen durch den Ringrichter an sich nahm, um sie an einem sicheren Ort zu verwahren. Dass dieses ausgedehnte Ritual des Ringeinlaufes bisweilen fast doppelt so lange dauerte wie der eigentliche Kampf, verkam dabei zur Nebensache. Wagners Selbstdarstellung bot für das Publikum ein Forum, den Auftritt von ›Gorgeous‹ Georges zu kommentieren und die eigene Abneigung mit lautstarkem Gelächter, Schmährufen und Beleidigungen kund zu tun.34
34 Natürlich war nicht alles an dieser Routine neu. George Capouya weist darauf hin, dass Wagner zentrale Elemente seiner Performance bei einem befreundeten Wrestler aus Ohio, Wilbur Finran, entlehnt hatte. (Capouya, Gorgeous George, S. 101). Finrans Charakter war an die Figur eines britischen Aristokraten angelehnt, eine Darstellung, die seit den 1930er Jahren zu den bekanntesten Standardinszenierungen im Professional Wrestling gehörte. (Morton und O’Brien,
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Ohne es zu ahnen hatte das Ehepaar Wagner mit seinem Experiment, George in einer Satinrobe in den Ring zu schicken, ein Stückchen amerikanische Nachkriegsgeschichte geschrieben. Denn das Satincape wurde nicht nur der Anfang einer ganzen Kollektion von bunten Roben, die Wagner seinem Publikum in den folgenden Jahren präsentieren sollte; es bildete auch die Grundlage für einen gänzlich neuen Typus von Heel-Wrestler, der bald nicht nur die verschiedenen Promoter aus den Territories der NWA von dem Potenzial seiner Darbietung überzeugen sollte, sondern der als ›Gorgeous‹ George schließlich auch zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten der jungen amerikanischen TV-Kultur avancierte. »The robe was silk dynamite; it got heat from the fans and ink from the press beyond their imaginings.«35 Blondinen bevorzugt? ›Gorgeous‹ George und die Feminisierung des Mannes durch den Massenkonsum Die zentrale Funktion, die George Wagners Kostümierung bei der Erfindung des ›Gorgeous‹-George-Charakters spielte, verdeutlicht, dass die Ängste vor zunehmender Verweichlichung und Verweiblichung der amerikanischen Männer während der Nachkriegszeit indirekt auch immer mit der Frage nach der Stellung des Mannes in der neuen Konsum- und Massengesellschaft verbunden waren. Bis zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert wurde der Konsum von Gütern in den USA traditionell eher als passive Tätigkeit angesehen, die im Modell der Sphärenteilung tendenziell der Sphäre des Weiblichen zugeordnet war, während Männer – ganz in der Tradition des ›self-made-man‹ – in
Wrestling to Rasslin’, S. 130.) Der Rückgriff auf dieses etablierten Gimmick erleichterte es Wagner sicherlich, die vermeintliche Feminität seiner Kleidung zu unterstreichen, da die Gleichsetzung von britischer Aristokratie mit dem Verdacht der Verweiblichung in der amerikanischen Geschichte bereits auf eine lange Tradition zurückblicken konnte, die bis zu den traditionellen Animositäten des Unabhängigkeitskrieges zurückreichte. »[…] British manhood and, by extensions, aristocratic conceptions of manhood […] were tainted with a critique of aristocratic luxury as effeminate.« (Kimmel, Manhood in America, S. 119.). 35 Capouya, Gorgeous George, S. 86.
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der Rolle des aktiven Produzenten gesehen wurden, der nur indirekt, durch Schaffung der ökonomischen Rahmenbedingungen, mit der Welt des Konsums in Verbindung stand. Doch diese klare und geschlechterspezifische Einteilung verwässerte im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend, als sich der Konsum zu einem immer prägenderen Faktor der amerikanischen Kultur entwickelte.36 Mit dem Nachkriegswohlstand hatte diese Problematik einen zwischenzeitlichen Höhepunkt erreicht. Als Familienernährer waren die Kriegsheimkehrer zwar weiterhin in einer Rolle vorgesehen, in der sie als aktive Produzenten die ökonomische Grundlage für den gemeinsamen Familienkonsum sichern sollten, doch die zentrale Funktion als Instrument der Sicherung, Verwaltung und Vermehrung des Wohlstands, die dem Massenkonsum in der Nachkriegsordnung zukam und die daran angeschlossene, neue Selbstwahrnehmung der USA als »Consumers’ Republic«37 sorgten nun zunehmend dafür, dass auch Männer immer offener und offensiver in ihrer Funktion als potenzielle Konsumenten wahrgenommen und angesprochen wurden. Da das traditionelle Vorurteil vom Konsum als feminine Tätigkeit jedoch auch weiterhin Bestand hatte, stand die neue Massengesellschaft im Verdacht, Männer zu passiven Konsumenten degradieren zu wollen und somit den allgemeinen Trend der Feminisierung und Verweichlichung voranzutreiben: Die 1950er Jahre barsten vor sarkastischen Beschreibungen von Männern, die lernten zu konsumieren und sich in den unmännlichen Bereichen der Körperpflege, der Mode und der Ernährung zu bewegen – in anderen Worten, äußerlich etwas herzumachen und Oberflächlichkeiten zu kultivieren. Zahllose Journalisten mokierten in populären Zeitschriften, dass Männer nun Deodorants kauften, Diät hielten und Pastellfarben trugen, während sie in ihren Vorstadthäusern »loungten«. Diese neuartige männliche Neigung zum Konsum war zwar gut für das Geschäft, und ganze Industriezweige verlagerten entsprechend ihre Produktion, um der neuen Aufmerksamkeit für das männliche Selbst und dessen Wohlbefinden gerecht zu werden. Die Schreiberlinge dieser Tage warnten jedoch wieder und wieder vor den schädlichen moralischen und psychologischen Effekten dieser Transformation. […] der männliche Produzent, der sich durch seine Fähigkeit, etwas herzustellen, definiert hatte, war zu ei-
36 Vgl. hierzu: Osgerby, Playboys in Paradise, S. 17 ff. 37 Vgl.: Lizabeth Cohen, A Consumers’ Republic: The Politics of Mass Consumption in Postwar America (New York: Vintage Books, 2004).
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nem effeminierten Konsumenten mutiert, der von den Dingen abhängig war, mit denen er sich umgab.38
Die Performances des ›Gorgeous‹-George-Charakters spielten ganz bewusst mit diesen Ängsten vor den Folgen des Massenkonsums, um so die Verweiblichung der Figur besser in Szene zu setzen. So waren Wagners bunte, ständig wechselnde Roben mit ihrem Hang zum Ornament und ihrer Material- und Detailverliebtheit, ihrer Opulenz und der oftmals an die Dramaturgie einer Modeschau angelehnten Inszenierung sowie die Akribie, mit der sich Wagner um sein eigenes Auftreten und die Pflege seines Kostüms sorgte, allesamt Anspielungen auf das weibliche Faible für Mode und das eigene Aussehen. Für einen Mann in der Nachkriegszeit war dieses Verhalten eigentlich undenkbar und wurde bestenfalls mit Belustigung, häufiger aber mit Argwohn oder gar Misstrauen betrachtet. Neben dem omnipräsenten ›Mann im grauen Flanell‹ – dessen pragmatische und zweckbezogene Ästhetik bewusst an die Uniformierung des Mannes während des Zweiten Weltkriegs angelehnt war39 – wirkte Wagner in seinen Roben wie der ›Mann im Abendkleid‹; ein Eindruck, den er nur zu gerne durch die Bemühungen unterstützte, seinem Publikum bei jedem Auftritt neue Variationen seiner Roben zu präsentieren. Zudem wurde er niemals müde, in den die Kämpfe begleitenden Promo-Interviews zu betonen, wie umfassend, kostspielig und variantenreich sein Fundus an diesen Kleidungsstücken doch sei.40
38 James Gilbert, »David Riesman und die ›Krise‹ der Männlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg«, S. 288 f. 39 Creadick, Perfectly Average, S. 66 ff. 40 Capouya, Gorgeous George, S. 86. Chad Dell weist in diesem Zusammenhang auf die oftmals erstaunlich präzisen und ausladenden Beschreibungen von Georges Roben hin, mit denen die Play-by-Play-Kommentatoren der Nachkriegszeit sich bemühten, diesen Eindruck auch beim Fernsehpublikum zu verstärken. So zitiert er ein Beispiel aus einem Kommentar von Dick Lane: »The simulated pockets with the peplum design at the hip are flattering, wearing five buttons at the top of each pocket. There are forty-two of those buttons.« Lanes Beschreibungen in diesem Beispiel sind nicht nur erstaunlich präzise und detailverliebt, sie sind darüber hinaus in ihrer Verwendung von Fachterminologie bewusst an die Sprache von Modeschauen angelehnt und setzen die Performan-
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Am deutlichsten zeigte sich das Spiel mit dem Doppelmotiv der Verweiblichung und dem Massenkonsum aber an den blondierten Haaren, die neben der Robe das bekannteste und oft kontrovers diskutierte Merkmal von ›Gorgeous‹ George darstellten. Wagner entwickelte seine charakteristische Frisur parallel zur Performance mit den Roben. Zu Anfang versuchte er den femininen Charakter seiner Figur dadurch zu unterstreichen, dass er sein Haar wachsen ließ. Als er merkte, dass das Publikum auch auf diese Provokation einstieg, suchte er nach Wegen, sie fest in seine Performance zu integrieren. So begann Betty beispielsweise damit, Georges Haare vor dem Kampf zu Locken aufzudrehen, doch da dessen Haare von Natur aus sehr dunkel waren und man die Locken auf den hinteren Rängen des Saales nur schwer erkennen konnte, experimentierte sie mit verschiedenen bunten Haarsprays, die an die jeweilige Farbe der Robe angepasst waren, die ›Gorgeous‹ George an dem Abend trug. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass die bunten Haarsprays während des Kampfes wegen des Schweißes verliefen und damit George und seinen Gegner einfärbten. In der Folge gingen Wagner und seine Frau noch einen Schritt weiter und färbten Wagners Haare dauerhaft blond. Die Reaktionen des Publikums auf ›Gorgeous‹ Georges blonde Lockenpracht fielen noch extremer aus als zuvor auf die Roben. Im Publikum schien allgemeine Einigkeit zu herrschen: »Men weren’t bombshells in George’s era, they simply weren’t.«41 Tatsächlich hatte das Paar mit dem Bleichen des Männerhaares einen äußerst sensiblen Bereich berührt, in dem sich Ängste um das vermeintlich instabile Geschlechtersystem und die feminisierenden Folgen des Konsums besonders deutlich ausdrückten. Wie die Soziologin Lynne Luciano gezeigt hat, war die Nachkriegszeit – was den Variantenreichtum männlicher Haarpracht anbelangt – alles andere als experimentierfreudig gewesen. Attribute männlicher Attraktivität beschränkten sich in dieser Zeit fast ausschließlich
ce von Wagner damit in Kontext zu weiblich konnotierten Performancegenres. Im Vergleich zum grauen Flanellanzug – für den eine solche Modenschau wohl nur im Rahmen einer Fachmesse oder einer Satire denkbar gewesen wäre – wird aber auch die nonkonformistische Assoziation der Robe deutlich, die eine solch opulente Kleidung als klare Übertreibung und Bruch mit gültigen Konventionen männlichen Modebewusstseins deutet. (Dell, The Revenge of Hatpin Mary, S. 22.) 41 Capouya, Gorgeous George, S. 103.
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auf die gesellschaftliche Stellung des Mannes und die damit verbundenen charakterlichen Eigenschaften, die sich bestenfalls in besonders markanten Gesichtszügen wiederfanden. Haare spielten in dieser Vorstellung männlicher Attraktivität keine Rolle, was sich besonders deutlich an der dominanten Stellung des sogenannten ›crew cut‹ – der an den Militärdienst angelehnten Einheitsfrisur – zeigte, der gemeinhin als angemessene Frisur mittelständischer Männlichkeit galt. The definitive male hairstyle of the decade was the crew cut, which had strong masculine roots in the war. To eliminate lice, the army required soldiers to keep their hair trimmed to no more than an inch, and after the war men brought the style home and made it the American norm. Whether or not it could be considered attractive – one fashion arbiter dismissed it as suitable only for convicts – the crew cut, like the gray flannel suit, proclaimed wearers members in good standing of a respectable middle-class majority.42
Als friseurhandwerkliches Äquivalent zum grauen Flanell gehörte der ›crew cut‹ zu den essenziellen Erkennungsmerkmalen des Familienernährers und stellte diesen klar in die Tradition des heldenhaften Weltkriegssoldaten: die einheitliche und unauffällige Frisur diente als visueller Beleg für die charakterliche Integrität des Trägers. Männliche Haarpflege in den Barber Shops war eine der unentbehrlichen Exerzitien einer geglückten maskulinen Identitätspraxis. Barber Shops waren Rückzugsorte, an dem männliche Formen der Selbstpflege noch klar von der Sphäre des feminisierenden Konsums abgegrenzt waren. Die Tatsache, dass sich mit ›Gorgeous‹ George ein Mann öffentlich so deutlich von diesem Verhalten distanzierte, um sich geradezu euphorisch einer so femininen Inszenierung seiner Haare und seiner Selbst hinzugeben, wurde deshalb ein besonders großer Aufreger. Denn er führte dem Publikum überdeutlich vor Augen, dass der »Anschein von Substantialität«43, der diesem vermeintlich klaren Merkmal geschlecht-
42 Lynne Louciano, Looking Good: Male Body Image in Modern America (New York: Hill and Wang, 2001), S. 42 f. 43 Judith Butler, »Performative Akte und Geschlechterkonstruktion: Phänomenologie und feministische Theorie«, Performanz: Von der Sprachphilosophie zu de Kulturwissenschaften, herausgegeben von Uwe Wirth (Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2002): S. 302.
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licher Distinktion zugeschrieben wurde, seiner Natur nach nur eine »stilisierte Wiederholung von Akten darstellte«44, deren Stabilität bereits durch kleinste Abweichungen im Verhalten aus der Ordnung gebracht werden konnten. Die blondierten Locken entwickelten sich deshalb neben der Satinrobe zum zweiten zentralen Markenzeichen, mit dem die ›Gorgeous‹-GeorgeFigur auf der textuellen Ebene identifiziert wurde. Dies lag insbesondere daran, dass Wagner mit steigender Popularität seines Charakters dazu überging, die Aufregung über seine Frisur vermehrt dazu zu nutzen, sich auch außerhalb des engen Rahmens einer Wrestlingshow für die Medien zu inszenieren. Er machte es sich beispielsweise zur Angewohnheit, Interviews mit dem Radio und den Printmedien regelmäßig in Schönheitssalons abzuhalten, einer der Hochburgen weiblichen Konsums in der Nachkriegszeit, wobei er niemals müde wurde, seinen Gesprächspartner mit seinem umfangreichen Wissen über die Welt der Haarmoden zu beeindrucken: George was […] hitting his stride as a performing poseur, fleshing out his Gorgeous persona. His rhetoric took on a grandiloquent tone and greater dramatic sweep, while he gave reporters quotable soliloquies on his hair. »I have six different styles […] The Rococo, The Bird of Paradise, the Gorgeous George Swirl, the Gorgeous George Swagger, the Television Flair and the Frank and Joseph Special. My favorite, of course, is the Frank and Joseph Special. Unfortunately, it can’t be copied and I usually am forced to resort to one of the other five when I’m away from Hollywood.«45
Wem ›Gorgeous‹ Georges offene und euphorische Zurschaustellung von Stil- und Geschmackssicherheit in Hinblick auf die Möglichkeiten des Friseurhandwerks noch nicht als Beleg für die wechselseitige Bedingtheit von Haarpflege und feminisierten Charakterzügen genügte, für den legte Wagner gerne noch nach, indem er seine eigene Empfindsamkeit und Verletzlichkeit betonte und auf die seelischen Belastungen hinwies, welche ihm das Unverständnis und der versteckte Neid seiner Mit-Männer bereiteten.
44 Butler, »Performative Akte und Geschlechterkonstruktion«, S. 302. 45 Capouya, Gorgeous George, S. 105.
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George addressed the difficulties – the trauma – brought on by his newfound fabulousness. »Since I’ve gone blond,« he complained »the other wrestlers all call me light-headed and taunt me more than ever. They can’t help being jealous, but must they be so rude?«46
Um seiner Behauptung, andere Männer seien lediglich neidisch auf ihn, Nachdruck zu verleihen, machte Wagner diese bald zu einem festen Bestandteil seiner Performances. Zu diesem Zweck begann er schon während seiner Ringeinzüge damit, eigens für ihn angefertigte Haarklammern – die sogenannten ›Georgie Pins‹ – ins Publikum zu werfen, um die Männer zu ermutigen, sich ihm anzuschließen und es ihm gleichzutun. Am eigenen Leib demonstrierte er sodann ausführlich den fachgerechten Umgang mit den kleinen Schmuckstücken durch intensive Beschäftigung mit seiner Frisur. He […] held the long, curly locks in place with gold-colored pins, called »Georgie Pins«, before tossing the items into the crowd. To special friends, George gave 14karat versions of the hair claps. But before anyone could receive this gift, the person had to take an oath: »I do solemnly swear and promise to never confuse this gold Georgie Pin with a common, ordinary bobby pin, so help me, Gorgeous George.«47
Das performative Spiel mit der Unterstellung, dass die Männer im Publikum sich insgeheim nur zu gerne an ›Gorgeous‹ Georges Verhalten orientieren würden, verdeutlicht dabei sehr schön, wie vielschichtig, komplex und widersprüchlich die textuellen Anspielungen auf die vermeintlich instabilen Geschlechterkonstruktionen der Nachkriegszeit waren. So deuteten die femininen Züge der Figur natürlich auch auf die potenzielle Homosexualität des ›Gorgeous‹-George-Charakters hin. Vor dem Hintergrund, dass zeitgleich hochrangige Regierungsbeamte wegen ihrer Homosexualität als vermeintliche Kommunisten aus ihrem Amt gejagt wurden, konnte die scheinbare Ambivalenz der sexuellen Vorlieben von ›Gorgeous‹ George auch als implizite Behauptung aufgefasst werden, dass
46 Capouya, Gorgeous George, S. 107. 47 Greenberg, Pro Wrestling, S. 25 f.
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die Männer im Publikum durchaus selber potenzielle pinkies oder commies seien.48 Auf der anderen Seite weist John Capouya jedoch auch darauf hin, dass die Abneigung gegenüber ›Gorgeous‹ George tatsächlich immer auch von einer subtilen Bewunderung – einer Hassliebe – für die Figur durchsetzt war. Capouya führt dies auf die immer größer werdende Akzeptanz des Massenkonsums während der Nachkriegszeit zurück. Hierin zeichnete sich bereits die langsame Entstehung von Formen hegemonialer Maskulinität ab, die das Verständnis von Konsum als positiv besetzten Teil maskuliner Identitäten vorwegnahm, wie es sich dann in den 1960er Jahren durchsetzen sollte.49
48 Vgl. hierzu: Cuordileone, Mahood and American Political Culture in the Cold War, S. 67 ff. 49 Tatsächlich lassen sich während der 1960er Jahre einige Trends ausmachen, die Maskulinität und Konsum auf positive Art und Weise zueinander in Beziehung setzen. Während Konsum und Männlichkeit in den USA zur Jahrhundertwende zumeist noch als zwei vollkommen unvereinbare Dinge wahrgenommen worden waren, änderte sich diese Beziehung im Laufe des 20. Jahrhunderts grundlegend und führte sogar zur Etablierung neuer Formen der hegemonialen Maskulinität, die sich insbesondere durch die Fähigkeit und Freude des Mannes am Konsum auszeichneten. Wie unter anderem von Bill Osgerby und Elizabeth Fratterigno gezeigt wurde, war diese Entwicklung eng mit der Entstehung des – von Hugh Heffners Herrenmagazin inspiriertem – ›Playboy-Ethos‹ verknüpft. Kennzeichnend dafür ist die Assoziation von Mannhaftigkeit mit luxuriösen Konsumgütern, zu denen nun auch ausdrücklich Frauen zählten (vgl. hierzu insbesondere: Osgerby, Playboys in Paradise; sowie: Fratterigno, Playboy and the making of the Good Life in Modern America). Dieser Diskurs der ›PlayboyEthik‹ wurde seit der Nachkriegszeit zunehmend zu einem neuen Standard der weißen und männlichen Hegemonie erhoben, der dann folglich auch durch das Hardbody-Ideal verhandelt werden konnte. (Sexuelle) Attraktivität und die Fähigkeit, die eigene Maskulinität durch den Konsum zu inszenieren, wurden in diesem Zusammenhang als positiver Ausdruck weißer Männlichkeit interpretiert und gesellschaftliche Trends wie etwa das Bodybuilding trugen in diesem Zusammenhang dazu bei, dass das Hardbody-Ideal so diskursiviert werden konnte, dass es alle wünschenswerten Aspekte dieses neuen Maskulinitätsverständnisses in sich vereinen konnte (vgl. hierzu: Louciano, Looking Good, S.
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Gorgeous George certainly didn’t invent the pervasive culture of narcissism that followed him, but he may have been a catalyst, a powerful accelerant. He was an avatar of conspicuous consumption well before that term became cliché, spending and showing off wildly in a country just coming out of wartime rationing. Immodesty personified, he put on a visually dazzling display, then praised himself for it.50 […] On one level George tantalized with egotism, challenging viewers to stop pretending that they’d never thought as he did – never dreamed of standing out and acting out, never felt the impulse to put themselves first. More overtly he offered Americans the opportunity to condemn him for his unabashed selfishness, denying that emerging part of themselves.51
Es verwundert angesichts dieser zahlreichen Motive – Feminisierung, Verweichlichung, Konsum, Massengesellschaft, Homosexualität, Kommunismus –, die durch die betont feminin gehaltenen, textuellen Assoziationen der Figur transportiert wurden, nicht, dass ›Gorgeous‹ Georges blondierte Locken eine derart starke Reaktion provozieren konnten. Als Beobachter von Wagners Kämpfen konnte man(n) durchaus den Eindruck gewinnen, dass sich diese nach dem Läuten der Ringglocke fast nur noch um dessen Haare drehten. »Grab his hair!« war einer der gängigsten Befehle, die neben den Schmährufen für George und den Anfeuerungen für seinen Gegner aus dem Stimmengewirr des Publikums herauszuhören waren. »[…] What
149 ff.). Die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Kommodifizierung des Hardbody ist auch im Professional Wrestling nicht auf die Figur des ›Gorgeous‹ George beschränkt geblieben, sondern hat sich dort über die Jahre zu einer wichtigen Standarddarstellung entwickelt, die im jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext immer neu inszeniert werden konnte; eine Entwicklung, die sehr schön verdeutlicht, wie das perforamtive System des Professional Wrestling mit der Repräsentation alternativer Maskulinitätsdarstellungen oder anderen Formen maskuliner Hegemonie umgeht, indem es diese im Rahmen der textuellen Assoziationen aufgreift und sie somit automatisch in eine vergleichende Beziehung zum durch die somatischen Assozationen automatisch mit angezeigten Hardbody-Ideal stellt. 50 Capouya, Gorgeous George, S. 7. 51 Capouya, Gorgeous George, S. 136.
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the crowd most lusted for, it turned out, was to see George’s elaborate, pretentious hairstyle ruined. Defeated.«52 Für Wagner selbst hatte diese Gier nach Zerstörung der Lockenpracht natürlich den großen Vorteil, dass er das Feedback, dass er zuvor während seines Halleneinlaufes etabliert hatte, nun auch ohne die Hilfe der Robe oder anderer externer Mittel problemlos für die Dauer des Kampfes aufrecht erhalten konnte. Darüber hinaus gab es ihm und seinem Gegenüber ein einfaches Schema an die Hand, nach welchem sie die Dramaturgie des Kampfes gestalten konnten. Kämpfe von ›Gorgeous‹ George begannen meist mit einer längeren Phase, in der George, sich augenscheinlich dessen bewusst, dass es sein Gegenüber auf die Zerstörung seiner Frisur abgesehen hatte, darum bemühte, seinen Gegner auf Distanz zu halten und sich dem Kampf zu entziehen. Dieses Verhalten brachte das Publikum noch mehr gegen Wagner auf und bot den beiden Wrestlern die Möglichkeit, die Stimmung in der Halle noch weiter anzuheizen. Das Katz-und-Maus-Spiel ging dann in der Regel so lange, bis der Gegner von Georges vermeintlicher Feigheit genug hatte und ihn in einem Moment der Unachtsamkeit packte, um seine Haare durcheinander zu wühlen. Das Publikum quittierte diese Aktionen mit euphorischem Jubel, während George, der jetzt sichtlich aggressiver wurde, aufgebracht durch den Ring sprang, sich beim Ringrichter über die Attacke auf seine Haarpracht beschwerte und dann versuchte, seine Frisur wieder in ihren Urzustand zu versetzen. Dieses Spiel wiederholte sich noch ein ums andere Mal und das jubelnde Publikum beobachtete mit Genugtuung, wie Georges fein drapiertes Haar zunehmend derangierter wurde. Doch mit der vollständigen Zerstörung der Frisur hatte der Kampf seinen entscheidenden Wendepunkt erreicht. Wagner begann nun zunehmend von dem femininen Habitus abzuweichen, den er bei seinem Ringeinlauf zur Schau gestellt hatte, und begann nun damit, dem Publikum eine komplett andere Seite von ›Gorgeous‹ George zu offenbaren: die eines kraftvollen, gewalttätigen und technisch versierten Heel-Wrestlers, der seinem Gegner im Kampf absolut ebenbürtig war und dem jedes Mittel recht war, dass ihm dabei helfen konnte, den Kampf für sich zu entscheiden. »While Gorgeous George certainly display[ed] what a real man is not, un-
52 Capouya, Gorgeous George S. 106.
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der his feminine frippery, he always revealed himself to be a match for the brutes he opposed.«53 Die langsame Verwandlung vom vermeintlich verweiblichten Mann zu einem knallharten Schläger, die ›Gorgeous‹ George bei seinen Auftritten zeigte, macht dabei noch einmal die Kernthematik offensichtlich, welche die Figur während der Nachkriegszeit zu einem so großen Erfolg werden ließ: sie bot dem Publikum ein extrem ambivalentes Bild, welches sämtliche Kernfragen maskuliner Identitätsbildung in dieser Zeit in sich zusammenfasste. Auf rein textueller Ebene war die Figur des ›Gorgeous‹ George mit den diskursiven Aushandlungen über die vermeintliche Feminisierung des amerikanischen Mannes assoziiert, die ihrerseits als Ausdruck einer allgemeinen Angst vor der Instabilität maskuliner Hegemonie in den USA waren. Gleichzeitig transportierte die Figur auf der Ebene der somatischen Assoziationen genau jene Attribute, die gemeinhin mit dem Hardbody-Ideal als Emblem für die fortgesetzte Hegemonie weißer Maskulinität in der amerikanischen Gesellschaft in Verbindung gebracht wurden. Ein übergewichtiger, glatzköpfiger Mann mit einer blonden Perücke und einem ähnlichen Outfit hätte wohl kaum dieselben Reaktionen erzielt, da sein Körperbau die Assoziationen nur auf der textuellen Ebene gestützt hätte und Kämpfe gegen dem Hardbody-Ideal entsprechende BabyfaceWrestler wären notwendigerweise zur bloßen Inszenierung des Sieges eines harten Körpers über einen komplementären weichen Körper verkommen (eine durchaus klassische Standardinszenierung des harten Körpers im Professional Wrestling). Der größte Aufreger an George Wagners Auftritten war nicht die Tatsache, dass er dem Publikum all das präsentierte, was ein Mann nicht sein sollte oder durfte; es war die Tatsache, dass sich dieser Eindruck mit all dem überlagerte, was ein Mann sein sollte. Wagners Körper funktionierte in seinen Performances als ›Gorgeous‹ George wie eine Kippfigur, die immer zwei Bilder gleichzeitig darstellte, diese jedoch niemals miteinander in Übereinstimmung brachte. Das Spannungsverhältnis zwischen den textuellen und den somatischen Assoziationen war auch der Grund, warum ›Gorgeous‹ George während der Nachkriegszeit so gut als Heel-Wrestler funktionierte. Denn in gewisser Hinsicht lieferten die der Figur inhärenten Spannungen zwischen dem hypermaskulinen harten Körper und der vermeintlich verweiblichten Attitüde
53 Mazer, Professional Wrestling: Sport and Spectacle, S. 94.
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vielleicht ein akkurateres – wenn auch stark überzeichnetes – Bild von der Stellung des amerikanischen Mannes in der Nachkriegszeit, als es den Besuchern der Wrestlingshows wahrscheinlich lieb gewesen wäre. Und da die Aufgabe des Heel-Wrestlers im performativen System des Professional Wrestling ja stets darin besteht, auf der textuellen und somatischen Ebene als Komplement für die Inszenierung des harten Männerkörpers zu dienen, bot die Figur des ›Gorgeous‹ George dem Publikum ein Forum, um all die Ängste und Unsicherheiten in Bezug auf die ambivalente Verfassung der maskulinen Identitätskonstruktionen auf Distanz zu halten. Das besondere an der Figur war der Zweifel an der Eindeutigkeit von Männlichkeit, den sie bei den Zuschauern durch das Spannungsverhältnis zwischen Hypermaskulinität und augenscheinlicher Verweiblichung hervorrief. Doch dieser Zweifel wurde in den Performances mittels des Heel/Babyface-Schemas umgehend beruhigt. Denn selbst wenn ›Gorgeous‹ George seine Gegner an Bekanntheit und Ruhm meist bei weitem übertreffen konnte – durch seine Position als Heel-Wrestler, der im Ring stets auf Männer traf, die das Ideal des harten Körpers in unzweifelhafter Art und Weise verkörperten, schien automatisch klar zu sein, dass an deren Selbstidentität als Männer keinerlei Zweifel aufkommen konnte. Dasselbe traf natürlich im Umkehrschluss auch auf die Zuschauer im Publikum und an den Bildschirmen zu: »If the suburban breadwinner father didn’t exactly know who he was, he could at least figure out who he wasn’t.«54 Im Professional Wrestling – das sich nun, dank seiner neuen medialen Möglichkeiten und der organisierten Fraternisierung der bisher nur lose verbundenen Territorien einen festen Platz in der jungen US-Fernsehlandschaft gesichert hatte – fand der geneigte Zuschauer ein Forum, um seiner vermeintlichen Gewissheit in Bezug auf den Status geschlechtlicher Identität aktiven Ausdruck zu verleihen.
54 Kimmel, Manhood in America, S. 236.
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»H ULKAMANIA IS RUNNING WILD !«: ›T HE I MMORTAL H ULK H OGAN ‹ UND DIE GOLDENE Ä RA DES P ROFESSIONAL W RESTLING IN DEN 1980 ER J AHREN Wie der kurze Abriss über die Geschichte der amerikanischen Wrestlingindustrie zu Beginn dieser Arbeit gezeigt hat, war der neuerliche Wrestlingboom in den 1980er Jahren untrennbar mit dem Aufstieg von Vince McMahons World Wrestling Federation zur ersten überregionalen Wrestlingpromotion der USA verbunden. Vince McMahon hatte die interne Uneinigkeit der National Wrestling Alliance in dieser Zeit genutzt, um sich über deren ungeschriebenes Regelwerk hinwegzusetzen. Er dehnte zu diesem Zweck die Tätigkeit seiner WWF auch auf die Territories anderer Promoter aus und nutzte die erhöhte Aufmerksamkeit für sein Unternehmen dazu, hoffnungsvolle Talente seiner Mitbewerber für den eigenen Kader abzuwerben. Die unvermeidlichen ökonomischen Schwierigkeiten, in die er seine Konkurrenten damit brachte, ermöglichten es ihm anschließend, deren Promotions und damit auch deren Fernsehverträge aufzukaufen, was wiederum seinen Shows einen noch größeren Zuschauerkreis einbrachte. Zusätzlich verpasste er seinen Programmen einen zeitgemäßeren Anstrich, passte sie durch neue Sendekonzepte und Pay-per-View-Shows an die Medienwelt des Kabelfernsehens an und stellte durch gezielte Cross-Promotion mit anderen Segmenten der Populärkultur sicher, dass die Produktionen der World Wrestling Federation eine unverwechselbare Handschrift trugen, die sie deutlich von den eher traditionellen Programmen der NWA abhob. Doch der Erfolg der McMahon-Promotion gründete sich nicht allein auf die technische und marktstrategische Überlegenheit der WWF; mehr noch als während der ersten Boomperiode der Wrestlingindustrie in der Nachkriegszeit hing der Erfolg des Unternehmens auch von der Popularität eines zentralen Wrestlingcharakters ab, der während der 1980er zu einer Ikone der Populärkultur avancierte und dafür sorgte, dass die Shows der WWF auch über den festen Zuschauerkreis alteingesessener Wrestlingfans hinaus bekannt wurden: ›The Immortal Hulk Hogan‹. Der am 11. August 1953 in Augusta, Georgia, geborene und später in Tampa, Florida, aufgewachsene Terry Gene Bollea – so der bürgerliche Name des späteren ›Hulk Hogan‹ – hatte sich Mitte der 1970er entschlossen, eine Karriere im Professional Wrestling anzustreben. Wegen seines eindrucksvollen Körperbaus schaffte es der zwei Meter große und 150 Ki-
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logramm schwere Bollea bald, sich im Wrestlinggeschäft zu etablieren und unter wechselnden Namen in verschiedenen Promotions der NWA aufzutreten.55 Wie Mike Rickard berichtet, verhalf Bolleas auffällige Statur ihm zu dieser Zeit auch zu dem charakteristischen Spitznamen ›The Hulk‹ – eine Anspielung auf »The Incredible Hulk«, ein muskelbepacktes grünes Monster aus dem Universum der Marvel-Comics –, den er in seiner Anfangszeit als Wrestler gerne an seine aktuellen Wrestling-Pseudonyme anhängte und der sich im weiteren Verlauf seiner Karriere zu seinem Markenzeichen entwikkeln sollte. During a promotional appearance on a morning talk show, Hogan was introduced after Lou Ferrigno (a bodybuilder who played the title character on TV’s The Incredible Hulk). The show’s host was astounded at Hogan’s size and remarked that he was bigger than the Hulk. When Hogan replied »That’s because I’m the real Hulk,« his colleagues began calling him Hulk and the nickname stuck.56
Anfang 1979 wurde Bollea von Vincent McMahon sen. für den Kader seiner World Wide Wrestling Federation verpflichtet, wo er zuerst als ›Terry Hogan‹ und dann später als ›Hulk Hogan‹ einen Babyface-Wrestler mimte. Doch trotz ordentlichen Erfolgs beim Publikum endete sein Engagement in der WWWF bereits Anfang 1980 wieder, als ihm die Rolle des Wrestlers ›Thunderlips‹ in der dritten Auflage von Sylvester Stallones Rocky-Reihe angeboten wurde. Während Bollea in dem Gastauftritt eine Möglichkeit sah, seiner Karriere durch die erhöhte Medienaufmerksamkeit einen entscheidenden Schub zu geben, war McMahon sen. der Meinung, dass der Auftritt eines seiner Wrestler in einem Hollywoodfilm seinem Geschäft schaden könnte und verlangte von Bollea, sich zwischen einer Karriere als Wrestler und einer Karriere auf der Leinwand zu entscheiden. Bollea entschied sich – nicht das letzte Mal in seiner Laufbahn – für die Leinwand; eine Entscheidung, die sich im Nachhinein als die wohl richtige herausstellte, denn der Film entwickelte sich, wie seine beiden Vorgänger, zu einem Kassenschlager und die große Aufmerksamkeit, die der blonde Hüne durch
55 Greenberg, Pro Wrestling, S. 49. Beekman, Ringside, S.120 ff. 56 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 21.
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sein Gastspiel auf sich ziehen konnte, sorgte dafür, dass er über Nacht zu einem der bekanntesten Vertreter seiner Zunft wurde.57 After the movie was released, Hogan appeared on talk shows and charmed audiences with his quick, articulate answers and sense of humor. With his blond hair, Fu Manchu mustache, bronzed skin, and large, muscular body […] the Hulkster [wie Bollea zukünftig von seinen Fans genannt werden sollte] shined on television.58
Sein gestiegener Bekanntheitsgrad ermöglichte es Bollea derweil 1982 – unmittelbar nach Fertigstellung des Films – auch außerhalb der McMahonPromotion im Wrestlinggeschäft wieder Fuß zu fassen. Sein neuer Arbeitgeber war die American Wrestling Alliance (AWA), eine große Promotion mit Sitz in Minnesota, die sich – wie Vince McMahon sen.’s WWWF – während der 1970er Jahre zunehmend vom Einfluss der NWA gelöst hatte und sich ein großes Territory aufgebaut hatte, das weite Teile des Mittleren Westens umfasste. Verne Gagne, ein Wrestling-Urgestein und Besitzer der Promotion, wollte Bollea dort wegen seiner Statur zunächst als HeelWrestler einsetzen. Doch dessen Beliebtheit beim Publikum machte eine solche Rolle letztlich unmöglich und so entwickelte sich ›Hulk Hogan‹ bald zum beliebtesten Babyface-Charakter der AWA-Programme. Aber auch dieses Engagement sollte nicht von Dauer sein. Gagne hatte seine AWAShows darauf ausgerichtet, Professional Wrestling im Stile eines ›ernsthaften‹ Sports zu präsentieren und setzte deshalb für die großen Matches seiner Shows auf Wrestler, die über ein gewisses technisches Talent im Ring verfügten. Charismatisches Auftreten allein genügte nach Gagnes Dafürhalten nicht, denn dem Publikum sollte glaubhaft vermittelt werden, dass die Wrestler der AWA auch ohne Weiteres in einem ›echten‹ Kampf bestehen könnten. Da Bollea im Ring aber oftmals steif und unbeweglich wirkte und seine Performances als ›Hulk Hogan‹ eher von seiner beeindruckenden Präsenz und Ausstrahlung lebten, die enormes Feedback beim Publikum auslösten, waren Konflikte mit der Firmenpolitk der AWA vorprogrammiert. Gagnes starres Festhalten an seinen Grundsätzen machte es für Bollea unmöglich, die Promotion auch als Champion vertreten zu können. Nach einigen Auseinandersetzungen bat Bollea Gagne um eine Auszeit, um an einer
57 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 21 f. 58 Greenberg, Pro Wrestling, S. 49.
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Tournee amerikanischer Wrestler durch japanische Wrestlingligen teilnehmen zu können. Bollea sollte nie wieder in den Ring der American Wrestling Association zurückkehren.59 Stattdessen heuerte er nach seiner Heimkehr 1983 bei Vince McMahon jr. an, der inzwischen in die Fußstapfen seines Vater getreten war und sich anschickte, seine World Wrestling Federation als nationalen Marktführer der amerikanischen Wrestlingindustrie zu etablieren. Im Gegensatz zu Verne Gagne hatte McMahon nämlich erkannt, dass die Qualitäten des ZweiMeter-Hünen nicht so sehr in seinen athletischen Fähigkeiten lagen als vielmehr von der besonderen charismatischen Anziehungskraft herrührten, die seine imposante Erscheinung auf das Publikum ausübte. ›Hulk Hogans‹ Performances trafen offenbar den Nerv der Zeit und McMahon sah, dass der Mann aus Tampa genau das war, was seiner Liga für ihren Erfolg noch fehlte: ein zentraler, alles überragender Babyface-Charakter, der als Publikumsmagnet und Aushängeschild der World Wrestling Federation fungieren konnte.60 Natürlich drängt sich die Frage auf, was die große charismatische Anziehungskraft ausmachte, die Bollea in seinen Auftritten als ›Hulk Hogan‹ offenbar freisetzte. Denn auf den ersten Blick war die Figur des ›Hulksters‹ nichts anderes als ein weiterer x-beliebiger Aufguss eines klassischen, patriotisch angehauchten Babyface-Wrestlers. Doch wie schon bei ›Gorgeous‹ George vor ihm lag die besondere ›Magie‹ des ›Hulk Hogan‹-Charakters in der spezifischen Art und Weise, wie Bolleas Performances durch ihre textuellen und somatischen Assoziationen auf die Frage nach der zeitgenössischen Stellung des Ideals des harten Körpers rekurrierten. Während der Reagan-Ära erlebte dieses Ideal nämlich abermals eine Renaissance als Modell für die Selbstidentität maskuliner Hegemonie angesichts des drohenden Szenarios eines neuerlichen, umfassenden Hegemonieverlusts; eine Renaissance, die als Kulminationspunkt genau jener Problematiken und Spannungsverhältnisse angesehen werden muss, die im vorherigen Kapitel bereits als wesentliches Merkmal der amerikanischen Nachkriegskultur herausgearbeitet wurden.
59 Greenberg, Pro Wrestling, S. 50 ff. Vgl auch: Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 21 ff. Beekman, Ringside, S.120 ff. 60 Assael und Mooneyham, Sex, Lies and Headlocks, S. 16 ff.
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Der maskuline Backlash der 1980er Jahre und die ›Renaissance‹ des Hardbodies Wie die Nachkriegszeit müssen auch die 1980er als Kulminationspunkt verschiedener historischer Trajektorien angesehen werden, an dem sich die Frage nach der Hegemonie weißer Männer in den USA wieder immer dringlicher stellte. Dies hing zum einen damit zusammen, dass die verschiedenen sozialen Unruhen der Nachkriegszeit auch während der 60er und 70er Jahre andauerten. Gesellschaftliche Transformationsprozesse und Umbrüche in den hegemonialen Machtstrukturen bestimmten weiterhin das gesellschaftliche Klima. Insbesondere die zahlreichen sozialen Emanzipationsbewegungen der 60er Jahre – wie u.a. der Feminismus, die Homosexuellenbewegung, die Radikalisierung der Bürgerrechtsbewegung – und ihr wachsender politischer wie rechtlicher Einfluss auf den amerikanischen Mainstream in den 1970ern sorgten für ein anhaltendes Legitimationsproblem jener Machtverhältnisse, die in der Nachkriegszeit um die weiße Ernähreridentität herum organisiert gewesen waren: No longer could the marketplace and the political arena be the preserve of heterosexual white men. The very groups who had been so long excluded from American life were making their own claims for identity.61 Together [the social movments of the 1960s and 1970s] provided a frontal assault on the traditional way that men defined their manhood – against an other who was excluded from full humanity by being excluded from those places where men were real men. It was as if the screen against which American men had for generations projected their manhood had suddenly grown dark, and men were left to sort out the meaning of masculinity all by themselves.62
Gleichzeitig sorgte der Verlauf des Kalten Krieges dafür, dass die Infragestellung weißer Maskulinität noch deutlicher ins Zentrum der öffentlichen
61 Kimmel, Manhood in America, S. 271. 62 Kimmel, Manhood in America, S. 280. Vgl. auch: Philip Jenkins, Decade of Nightmares: The End of the Sixties and the Making of Eighties America (Oxford/New York: Oxford University Press, 2006), S. 28
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Aufmerksamkeit gerückt wurde. Wie im vorangehenden Kapitel bereits gezeigt, fungierte ›Kommunismus‹ als eine Art Containerbegriff, der alle jene Tendenzen in sich zusammenfasste, die als potenzielle Bedrohung galten. Gleichzeitig wurde dem Ethos einer harten Maskulinität in der Rhetorik des Kalten Krieges die zentrale Rolle einer ordnenden Kraft zugewiesen, welche die verweichlichenden, subversiven Bedrohungen durch den Kommunismus abwenden konnte. Ein Trend, der sich mit den Jahren noch verschärfen sollte und zu einem essenziellen Merkmal der Kultur des Kalten Krieges mutierte.63 Besonders symptomatisch war in diesem Zusammenhang die Wahl von John F. Kennedy zum 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten: Im Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 1960 präsentierte ein selbstbewusster John F. Kennedy einen Kandidaten von männlicher Härte und Entschlossenheit, der den äußeren Feinden selbstbewusst entgegentreten und den oft beklagten Verfall stoppen würde. Er klagte die Republikanische Regierung unter Dwight D. Eisenhower an, die Nation zu lähmen und zwar »[whith] the slow corrosion of luxury – and the slow erosion of courage.« Die Vereinigten Staaten, so Kennedy, seien verweichlicht, »gone soft – physically, mentally and spiritually soft.« Wiederholt beschwor er die Bedrohung durch eine expansive und aggressive Sowjetunion, indem er herausstellte, Eisenhowers Politik habe zu einem Verlust von amerikanischen Prestige, Einfluss und Macht in der internationalen Staatengemeinschaft geführt. […] Kennedy kämpfe letztlich mit Erfolg um die Präsidentschaft. Seine alarmierende Rhetorik, die einen Verfall amerikanischer Männlichkeit beklagte, war für viele Amerikanerinnen und Amerikaner nicht zuletzt deshalb überzeugend, weil in ihre dominante Diskurse aus den frühen Jahren des Kalten Krieges nachhallten.64
Wie Kyle Courdileone angemerkt hat, wurde Kennedys Auftreten während seines Wahlkampfes und später als Präsident von der impliziten Annahme gestützt, dass die USA die verschiedenen Problematiken der Nachkriegszeit im Prinzip schon überwunden hatten und dass die Verteidigung von Freiheit
63 Vgl. für die Hintergründe in der Nachkriegszeit und den 1960er Jahren: Courderlione, Manhood and American Political Culture in the Cold War. Einen guten Eindruck über den weiteren Verlauf dieser Trends findet man bei: Jeffords, The Remasculinization of America; und: Susan Faludi, Stiffed: The Betrayal of the American Man (New York: Harper Perennial, 1999). 64 Dean, »Politik und Sexualität«, S. 336.
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und Wohlstand an der »New Frontier« des Kalten Krieges die zentrale historische Prüfung darstellte, welche die Söhne der Weltkriegsgeneration zu bewältigen hatten. Im Angesicht des ideologischen Wettstreits mit dem kommunistischen Russland propagierten amerikanische Intellektuelle zu Beginn der 1960er zuhauf die These, dass der Konsumkapitalismus die Liberalisierung und Demokratisierung der amerikanischen Gesellschaft seit dem Ende des Zweiten Weiltkriegs weiter vorangetrieben hatte und die sozialen Spannungen und Angstszenarien der 1950er Jahre in der Zukunft gänzlich zum Verschwinden bringen würde. The general tenet of Daniel Bell’s »end of ideology« thesis became the accepted wisdom of the postwar intelligentsia: capitalism had successfully delivered the goods; the welfare state provided a safety net for the few Americans who couldn’t get the goods; a mixed economy and a pluralist political system ensured the greatest degree of economic opportunity and political freedom possible; and thus ideology was now finished as a consequence of the success of capitalist democracy. Of course, the problem of combating global Communist expansion remained the singular challenge of American foreign policy, but by and lagre the nation (and the West in general) seemed to have resolved its most pressing social and economic problems. So confident was the prominent political scientist Seymour Martin Lipset that he declared in 1960: »the fundamental political problems of the industrial revolution have been solved.«65
Die Grundzüge von Kennedys politischem Vermächtnis sollten den allzu frühen Tod des Präsidenten in den folgenden Jahren überleben und dafür sorgen, dass die neue (alte) »Politik der Männlichkeit«66 auch unter seinen Nachfolgern im Amt das zentrale Koordinatensystem im Wertekosmos des Kalten Krieges bildete. Doch mit dem weiteren Verlauf des Krieges wurde bald deutlich, dass die ideologischen Grundannahmen der »New Frontier«Politik nicht haltbar waren. Die militärischen Auseinandersetzungen, die aus der Blockadetaktik des Kalten Krieges hervorgingen, konnten nicht an das Ideal des ›Good War‹ anknüpfen. Während die Kriegshandlungen im Zweiten Weltkrieg noch mit einer Aura der moralischen Überlegenheit und des notwendigen Kampfes für eine gute Sache aufgeladen gewesen waren,
65 Cuordileone, Manhood and American Political Culture in the Cold War, S. 174. 66 Dean, »Politik und Sexualität«, S. 353.
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stellten die Kriege in Korea und insbesondere der darauffolgende Krieg in Vietnam den heroischen Charakter amerikanischer Militäraktionen nachhaltig in Frage. Die offensichtliche Grausamkeit der unpersönlichen und hochtechnisierten Militärindustrie mit ihrem beständigen Verschleiß an jungen Soldaten und dem oftmals deutlichen Mangel eines klar auszumachenden Zieles oder klaren Feindbildes ließen nun vermehrt Zweifel an den Visionen der politischen Entscheidungsträger und Institutionen aufkommen, welche den Kampf gegen den globalen Kommunismus als die schicksalhafte Aufgabe der amerikanischen Nation propagierten. Das Scheitern in Vietnam ließ die Kritik an der Hegemonie weißer Maskulinität noch schärfer werden. Während das hypermaskuline Ethos des Kalten Krieges infolge der Nachkriegszeit noch ein ausgleichendes Gegengewicht für die vermeintliche Instabilität maskuliner Hegemonie liefern konnte, sorgte der zunehmende Vertrauensverlust in das Ideal des heldenhaften Soldaten dafür, dass ein weiteres wichtiges Emblem für die Vorherrschaft weißer Männlichkeit zur Disposition stand: The empire was striking back. And one of the most reliable refuges for beleaguered masculinity, the soldier/protector, fell into such disrepute as the news about Vietnam filtered home that even today Vietnam veterans are seen by some as having acted out an excessive and false hypermasculinity. Once a paragon of manly virtue, the soldier was now also coming to be perceived as a failed man.67
Zusätzlich zu diesen Entwicklungen begann sich dann spätestens Ende der 60er Jahre abzuzeichnen, dass die Vision von der Beständigkeit und des Wachstums des wirtschaftlichen Wohlstandes auf lange Zeit hin kein realistisches Szenario darstellen würde. So kündigten beispielsweise die Einbrüche und Probleme in der Energiewirtschaft, die sich in der Ölkrise der frühen 1970er niederschlugen, sowie die zunehmende wirtschaftliche Konsolidierung der ehemaligen Kriegsgegner und der damit einhergehende verstärkte globale Wettbewerb eine düstere Zukunft für das Wachstum der amerikanischen Wirtschaft an. Das liebgewonnene Bild vom ›Hegemon Familienernährer‹ als Garant von Stabilität und Sicherheit stand auf weitaus wackligeren Füßen, als es der Bevölkerung lange Zeit durch den Mythos des Mannes im grauen Flanell signalisiert worden war. Diese Abhängigkeit
67 Kimmel, Manhood in America, S. 265.
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des ökonomischen Habitats des Familienernährers von billigen und oftmals unsicheren Energieressourcen und von einer ebenso unsicheren globalen Vormachtstellung wurde auf dem Arbeitsmarkt noch von einem immer größeren Auseinanderklaffen der Einkommen und einem beständigen Abfallen der Reallöhne begleitet. Zu Beginn der 1980er Jahre war nur mehr ein Bruchteil der amerikanischen Männer in der Lage, ihren Familien durch ihr Einkommen das zu bieten, was ihren Vätern in der Nachkriegszeit noch durch ein einziges Gehalt möglich gewesen war.68 Anfang der 80er erreichte die langsam voranschreitende Destabilisierung männlicher Hegemonie in den USA deshalb einen vorläufigen Höhepunkt und es ließen sich erste Anzeichen eines maskulinen »Backlash«69 ausmachen, der den Beweis antreten wollte, dass weiße Männer auch weiterhin das Zentrum von Rassen-, Klassen- und Geschlechterbeziehungen bildeten. Die Angst vor der vermeintlichen Instabilität maskuliner Hegemonie brachte dabei in dieser Zeit eine regelrechte Renaissance des Hardbody-Ideals mit sich. In der Populärkultur traten Ikonen wie Arnold Schwarzenegger das Erbe von Eugene Sandow an und sorgten so dafür, dass sich das Bodybuilding von einer marginalisierten Randsportart in einen gesamtgesellschaftlichen Trend verwandelte, wobei die Größe der Muskeln abermals in direkter Proportion zur Restauration der maskulinen Identität zu stehen schien.70 In den Kinosälen demonstrierten derweil Actionhelden wie Sylvester Stallone, Mel Gibson oder Bruce Willis, dass der harte Körper noch immer jeder Herausforderung gewachsen und über jeden Zweifel erhaben war.71 Mit Ronald Reagan wurde zudem ein Mann in das Amt des Präsidenten gewählt, der die Rückkehr an die Fronten des Kalten Krieges als das beste Heilmittel für die nationalen und internationalen
68 Vgl. hierzu: Eva Boesenberg, »Ökonomie der Männlichkeit im späten 20. Jahrhundert«, Väter, Soldaten, Liebhaber: Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas, herausgegeben von Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz (Bielefeld: transcript Verlag, 2007): S. 375. Sowie: Boesenberg, »Was kostet der Mann?«, S. 36. 69 Susan Faludi, Backlash: The Undeclared War Against American Women (New York: Three Rivers Press, 1991). 70 Luciano, Looking Good, S. 149. 71 Jeffords, Hard Bodies. Vgl. auch: Yvonne Tasker, Spectacular Bodies: Gender, Genre and the Action Cinema (London/New York: Routledge, 1993).
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Herausforderungen seiner Zeit propagierte und keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen wollte, dass der Aufbruch zu einem neuen »morning in america« nur über die Einsicht laufen konnte, dass die harte Maskulinität der Vietnamjahre nicht ein Teil des Problems, sondern die Lösung war.72 »Hulkamania has arrived!«: Die Wiedergeburt des Hardbodies aus dem Kampf gegen den ›Iron Sheik‹ Der große Erfolg von Terry Bolleas Performances als ›Hulk Hogan‹ wäre ohne die Renaissance des Hardbody-Ideals in den 1980er Jahren wohl kaum denkbar gewesen. Dies zeichnete sich zu keinem Zeitpunkt von Bolleas Karriere deutlicher ab als bei dessen großem Debutkampf für die neuerlich reorganisierte World Wrestling Federation, den er am 20.1.1984 vor knapp 30.000 Zuschauern im New Yorker Madison Square Garden bestritt. Das Event – das in Kooperation mit dem Musiksender MTV vermarktet wurde – war mit Sicherheit einer der entscheidenden Momente in Bolleas Wrestlingkarriere und auch einer der zentralen Schlüsselmomente des Wrestlingbooms der 1980er Jahre. ›Hulk Hogan‹ wurde nicht nur schlagartig einem enorm großen Publikum bekannt sondern er etablierte gleichzeitig auch ein eindeutiges Charakterprofil für seine Rolle als zentraler Babyface-Charakter der WWF, welches in den kommenden acht Jahren als Grundlage der ›Hulk Hogan‹-Euphorie fungieren sollte und von Vince McMahon unter dem Schlagwort ›Hulkamania‹ gewinnbringend vermarktet wurde.73 Um ›Hulk Hogan‹ zu einem würdigen Einstand in seiner World Wrestling Federation zu verhelfen setzte Vince McMahon Bollea deshalb direkt für einen großen Titelkampf an und stellte ihm einen der bekanntesten und meistgehassten Heel-Charaktere aus dem Kader seiner Promotion gegenüber – Hussein Khosrow Vaziri a.k.a. ›The Iron Sheik‹ –, den er extra für diesen Anlass in den Wochen vor dem Event als neuen WWF-Champion aufgebaut hatte.74 Wie der Name andeutet, spielte die Figur des ›Iron Sheik‹ auf textueller Ebene auf die zu dieser Zeit schwelenden Animositäten zwischen den USA
72 Jeffords, Hard Bodies, S. 12 ff. 73 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 21 ff. Beekman, Ringside, S. 123 ff. 74 Assael und Mooneyham, Sex, Lies and Headlocks, S. 32 ff.
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und dem Iran wegen des Überfalls auf die amerikanische Botschaft und die Geiselnahme in Teheran im November 1979 an.75 Der Iran war auf dem Höhepunkt der amerikanischen Wirtschafts- und Ölkrise zur Mitte der 1970er einer der wichtigsten Öl-Lieferanten der USA gewesen und war deshalb in den 70ern von den amerikanischen Medien oft als kleine Insel der Stabilität und Ordnung in einer unsicheren und feindlich gesinnten arabischen Welt präsentiert worden; »a massive gas station – pumping out valuable oil during an energy crisis.«76 Darüber hinaus war Mohammad Reza Pahlavi – der iranische Shah, der den Wüstenstaat zu dieser Zeit regierte – einer der größten Kunden der US-Militärindustrie und ein strategisch wichtiger Kontakt der amerikanischen Außenpolitik im Mittleren Osten gewesen. Nach revolutionären Unruhen kam es 1979 jedoch zum Sturz der Shah-Regierung und zur Machtergreifung durch die von der Idee einer islamischen Theokratie geprägten Regierung des aus dem Exil zurückgekehrten religiösen Führers Ayatollah Ruhallah Khomeini. Die von Beginn an gespannte Lage zwischen den USA und der neuen politischen
75 Vgl.: Sina Rahmani, »Wrestling with the Revolution: The Iron Sheik and the American Cultural Response to the 1979 Iranian Revolution«, Iranian studies 40:1 (2007): S. 87. Wie Morton und O’Brien gezeigt haben, gehört die Figur des ›evil foreigner‹, an welche die Figur des ›Iron Sheik‹ angelehnt war, zu einer der gängigsten Standardinszenierungen im Professional Wrestling, da das Aufgreifen von historischen oder zeitgenössischen Animositäten zwischen den USA und anderen Nationen eine geradezu universelle Anschlussfähigkeit besitzt, bei der die Wrestlingpromoter stets davon ausgehen können, dass sie das gesamte an der Performance beteiligte Publikum hinter dem – in diesen Kämpfen meist als besonders patriotisch agierender Amerikaner dargestelltem – Babyface-Charakter vereinigen können. »The release of this hostility by the fans well relieves the frustrations Americans have felt because of trying international situations. There is no need for guilt, for the villain deserves the hatred he receives. […] The appearance of the evil foreigner is not, however, dependent on an immediate international crisis; he is a constant in the wrestling script. Any fan who lost a loved one at Pearl Harbor, In Vietnam or Korea, who fought in World War II, can appreciate seeing a German Nazi, a Japanese Sneak, or a Russian Communist get the beating he deserves if not for his own sins the for those of his fathers.« (Morton und O’Brien, From Wrestling to Rasslin’, S. 130.) 76 Rahmani, »Wrestling with the Revolution«, S. 89.
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Führung des Irans verschärfte sich im Oktober 1979 drastisch, als der damalige Präsident Jimmy Carter dem nun im Exil lebenden Pahlavi erlaubte, sich in den USA einer medizinischen Behandlung zu unterziehen. Der Konflikt zwischen den beiden Parteien kulminierte letztlich am 4.11.1979 in der Geiselnahme von sechsundsechzig amerikanischen Staatsbürgern in der amerikanischen Botschaft in Teheran. Die Iranian Hostage Crisis zog sich über 444 Tage hin und bedeutete einen enormen Gesichtsverlust für die Regierung des durch die wirtschaftspolitischen Querelen ohnehin schon angezählten Präsidenten. In der öffentlichen Darstellung war der Iran der amerikanischen Außenpolitik wegen einer zu permissiven Haltung entglitten und die Fernsehbilder der Geiseln avancierten in den amerikanischen Medien zum Emblem für die Krisenhaftigkeit und Verwundbarkeit der amerikanischen Nation.77 Anfang der 1980er Jahre war die Geiselkrise im Iran zu einem der beliebtesten Beispiele der Reagan-Regierung geworden wenn es darum ging, die eigene revisionistische Haltung im Hinblick auf den Kalten Krieg zu rechtfertigen. Die Figur des ›Iron Sheik‹ machte sich diese starken Sentimente gegenüber dem Iran zunutze. Vaziri präsentierte sich im Ring als stark überzeichneter, revolutionstreuer Iraner, dessen glühende Hingabe an sein Heimatland nur von seiner extremen Abneigung gegen die demokratischen Werte der USA übertroffen wurde.78 This pro-iranian message was delivered in unmistakable fashion. The word »Iran« was printed in large letters on the Sheik’s wrestling trunks, and he would carry both an Iranian Flag and a picture of Ayatollah Khomeini into the ring before each match. Though the Sheik rarely was a participant in the extensive interviews […], he did frequently offer brief statements, such as »Iran: Number One! U.S.A.: hack ptui!« [Ein lautmalerisches und von einem angewiderten Gesichtsausdruck begleitenden Ausspucken, welches Vaziri in seinen Promos stets als ein Markernzeichen nutzte um der großen Abneigung des Sheiks gegenüber den USA einen deutlichen Ausdruck zu verleihen. P.K.].79
77 Rahmani, »Wrestling with the Revolution«, S. 91. 78 Rahmani, »Wrestling with the Revolution«, S. 95. 79 Mondak, »The Politics of Professional Wrestling«, S. 142. Vgl. auch: Rahmani, »Wrestling with the Revolution«, S. 94 f.
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Trotz der gewollt komischen Untertöne, die den ›Iron Sheik‹ eher wie eine Karikatur eines Arabers wirken ließen, war man in den Programmen der WWF darum bemüht, ihn im Ring stets als echte Bedrohung für seine Gegner darzustellen. So wurden die Kommentatoren der WWF-Programme niemals müde das Publikum daran zu erinnern, dass sich hinter der lustig wirkenden Fassade des ›Sheiks‹ eine gnadenlose Kampfmaschine verbarg, die bisher noch jeden Gegner durch den berühmt-berüchtigten ›CamelClutch‹ – ein Aufgabegriff und das Markenzeichen des ›Iron Sheik‹, aus dem sich nach Angaben der WWF-Programme noch nie ein Wrestler hatte befreien können – in die Knie gezwungen hatte. Unterstützt wurde dies durch die Betonung von Vaziris tatsächlicher Vergangenheit als olympischer Ringer, die von der WWF gerne als Beweis für die Zähigkeit und Kampfkraft des ›Sheik‹ herangezogen wurde. Auf der rein textuellen Ebene war ›Hulk Hogans‹ großer Debutkampf somit durch die Anspielungen auf die außenpolitischen Krisen der letzten Jahre und die aktuellen Bemühungen um Erneuerung des nationalen Selbstbewusstseins in einen besonders anschlussfähigen Kontext gestellt worden, der schließlich auch den von McMahon intendierten medialen Hype erzeugen konnte. Im Kampf selber trat dann die Klassifizierung der Wrestler durch ihre somatischen Assoziationen in den Vordergrund und der Kampf präsentierte seinem Publikum eine eindrucksvolle Inszenierung des Hardbody-Ideals durch das Motiv der rassischen Überlegenheit. Bollea – der vom Ringsprecher als ›The Incredible Hulk Hogan‹ angekündigt wurde – kam zur Musik von »Eye of the Tiger« unter dem frenetischen Jubel des Publikums in den Ring gestürmt. Im Gegensatz zu seinem Gegner – der dort bereits mit einer arabisch anmutenden Robe und einem Palästinensertuch bekleidet auf ihn wartete – zeichnete sich der ›Hulk Hogan‹-Charakter nur durch ein Muscle-Shirt mit dem Aufdruck »American Made« als amerikanischer Held aus. Charakteristischer für die ›Hulk Hogan‹-Figur waren dabei eher Bolleas beeindruckende Größe und sein überaus muskulöser Körperbau, der durch den wenig sparsamen Einsatz von Öl und durch das theatralische Zerreißen des Shirts mit anschließendem Posing gekonnt in Szene gesetzt wurde. Der somatische Kontrast zum vergleichsweise schmächtig wirkenden Körper seines stereotypisch gekleideten arabischen Widersachers war unübersehbar. Der Eindruck überlegener Kraft und körperlicher Härte, den ›Hulk Hogan‹ während des Ringeinlaufes durch seine Muskelspiele hervorgerufen
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hatte, wurde dann von der ersten Minute der Begegnung an bestätigt. Mit dem Läuten der Ringglocke begann sich die visuelle Überlegenheit von ›Hulk Hogans‹ Hardbody auch in körperliche Dominanz zu verwandeln. Hogan gab seinem Gegner nicht einmal die Möglichkeit sich seiner Kleidung zu entledigen und drängte ihn sofort in eine der Ringecken, wo er seinen überrascht wirkenden Gegner mit harten Schlägen und Tritten bearbeitete. Danach riss er ihm seine Kutte vom Leib, nur um ihn anschließend mit Haltegriffen und weiteren Tritten zu traktieren. Der ›Iron Sheik‹ hatte den Attacken und der schieren Kraft ›Hulk Hogans‹ in dieser Phase offenbar nichts entgegenzusetzen, und so präsentierte der Kampf seinem Publikum zunächst das Bild des kraftvollen und überlegenen harten Körpers, der den deutlich kleineren und im direkten Vergleich eher schwach und hilflos anmutenden Körper seines rassisch markierten Gegenspielers nach Belieben dominieren konnte. Den Höhepunkt dieser Anfangsphase bildete dann eine Szene, in welcher ›Hulk Hogan‹ seinen zunehmend hilflosen und überforderten Widersacher mit beiden Händen am Hals packte und ihn mit ausgestreckten Armen über seinen Kopf hob. Nach einer Ermahnung des Ringrichters, seinen Gegner nicht zu würgen, ließ er ihn einfach auf den Ringboden fallen. Danach gingen weitere Schläge und Tritte auf den am Boden liegenden Sheik nieder, der nun immer passiver und kraftloser wirkte und dann, zum großen Finale der Sequenz, sogar von Bollea angespuckt wurde. Eine Geste, die vom Publikum in der Halle mit lautstarkem Jubel quittiert wurde und, wegen ihrer hohen symbolischen Signifikanz, für die Zuschauer an den Bildschirmen noch einmal explizit durch den Play-by-Play-Kommentar der Wrestlinglegende ›Gorilla Monsoon‹ verbalisiert wurde: »Oh, he is actually spitting on the Sheik«. Nach einigen Minuten begann sich der Kampf dann jedoch in eine (un)vorhersehbare Richtung zu entwickeln als es dem in der Ringecke liegenden Sheik gelang, einem Ansturm von ›Hulk Hogan‹ auszuweichen, worauf Hogan ungebremst auf den gepolsterten Stahl des Ringpfostens prallte. Auf der Ebene der somatischen Assoziationen trug diese Szene natürlich auch dazu bei, die Überlegenheit von ›Hulk Hogans‹ Hardbody herauszustellen, denn sie suggerierte, dass dessen Dominanz so groß ist, dass sie erst in dem Moment gebrochen werden kann, in dem sich die unbändige Kraft von ›Hulk Hogan‹ gegen ihn selbst wendet. So bedeutete der verfehlte Angriff eine Wende im Kampf, denn nun verlor ›Hulk Hogan‹ die domi-
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nierende Position und war jetzt seinerseits den Angriffen des ›Iron Sheik‹ ausgesetzt, der nun unter Zuhilfenahme von ›verbotenen‹ Mitteln versuchte, Hogan unter seine Kontrolle zu bringen. Wie wir im vorherigen Kapitel bereits gesehen haben, sind solche ›Turnarounds‹ ein zentraler Bestandteil der Dramaturgie eines Wrestlingmatches und insbesondere für die Darstellung des Babyface-Wrestlers von großer Bedeutung. Die Aufmerksamkeit des Publikums wird in solchen Augenblicken im Hinblick auf den Babyface-Wrestler von der externen Relation zwischen den Körpern auf die Repräsentation des harten Körpers als interne identitätsbildende Relation innerhalb der Grenzen eines Körpers gelenkt. Das Spannungsverhältnis zwischen dominierender und dominierter Position erzeugt dann im Rahmen der Performance eine zeitweilige Aufspaltung in der Darstellung des Wrestlers, die aber lediglich die Bühne für die Inszenierung des Hardbodies durch Überwinden der dominierten Position und Wiedererlangen der dominierenden Position bereitet. Diese Wechselspiele nehmen eine wichtige Rolle bei der Interaktion zwischen Publikum und Wrestlern während der Kämpfe ein, denn das Publikum reagiert auf das Dominiert-Werden des Babyface-Wrestlers in aller Regel mit lautstarker Abneigung gegenüber dem Heel-Wrestler und wird so dazu eingeladen, den Babyface-Wrestler anzufeuern. Auf diese Weise ist das Publikum aktiv in die Inszenierung des Hardbodies eingebunden, da ihm stets das Gefühl vermittelt wird, den schlussendlichen Triumph das harten Körpers durch seine Beteiligung am Kampf mit ermöglicht zu haben. Die zeitweilige Dominanz des ›Iron Sheik‹ im Kampf gegen ›Hulk Hogan‹ war exakt nach diesem dramaturgischen Skript organisiert. Für einige Minuten präsentierte der Kampf dem Publikum das Bild eines dominierten ›Hulk Hogans‹, der immer wieder den Versuch startete, sich von seinem Gegner freizukämpfen. Unterdessen gelang es dem ›Sheik‹ immer wieder mit teilweise ›verbotenen‹ und vor den Augen des Ringrichters versteckten Schlägen und Tritten, sich in der dominierenden Position zu halten. Dieses Hin und Her dauerte gut zwei Minuten an und gipfelte in einer Szene, in welcher der ›Sheik‹ seine Stiefel manipuliert, um anschließend einen gezielten Tritt in ›Hulk Hogans‹ Nierengegend zu versenken. Den Fernsehzuschauern wurde in diesem Moment durch die Play-byPlay-Kommentatoren mitgeteilt, dass der ›Iron Sheik‹ offenbar einen harten Gegenstand in seinem Schuh versteckt haben musste, der nun durch die Manipulation zum Einsatz kommt; ein Verhalten, dass der ›Iron Sheik‹ –
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wie sie dem Publikum versicherten – schon in der Vergangenheit des Öfteren gezeigt hatte: »Oh, oh! Sheik is doing something to that boot. We don’t know what it is he has come up with so many things over the years!« Die schmerzverzerrte Mimik von ›Hulk Hogan‹ offenbarte dem Publikum derweil, dass die unerlaubte Aktion eine besonders heftige Wirkung gezeitigt hatte. Und dessen nicht genug bereitete diese ›schmutzige‹ Attacke den ›Camel Clutch‹ vor, den berüchtigten Aufgabegriff des ›Sheik‹, dessen Ansetzung im Publikum für lautes Raunen sorgte und von den TVKommentatoren mit Besorgnis zur Kenntnis genommen wurde: »He’s got it!! No one has been able to escape that move! Look at that machine pulling the chin of the Hulk!« Für ›Hulk Hogan‹ war damit der tiefste Punkt des Dominiert-Seins erreicht. Der dominante harte Körper aus den ersten Minuten des Kampfes hatte sich nun vollkommen in sein weiches Gegenstück verwandelt und war durch seine scheinbare Bewegungsunfähigkeit im Haltegriff seines Gegners für das Publikum überdeutlich sichtbar. ›Hulk Hogan‹ hatte inzwischen sogar damit aufgehört Widerstand zu leisten und sich offenbar seinem Schicksal ergeben, während Teile des Publikums sich erhoben hatten, um das Schauspiel besser verfolgen zu können. Alle Zeichen deuteten darauf hin, dass nun auch ›Hulk Hogan‹ dem ›Camel-Clutch‹ zum Opfer fallen würde. Jetzt war die Zeit für die Rückkehr des Hardbodies gekommen. Plötzlich schien wieder Leben in ›Hulk Hogans‹ Körper zurückzukehren, der seinem Publikum durch das Heben eines Zeigefingers signalisierte, dass er sich durch die Aktion des ›Sheik‹ nicht zermürben lassen würde. Dem Lebenszeichen von ›Hulk Hogan‹ folgte eine lautstarke Reaktion des Publikums im Madison Square Garden, welche von ›Hulk Hogan‹ dadurch beantwortet wurde, dass sein Körper langsam zu beben anfing und er es seinem Gegner so sichtlich schwerer machte, ihn im Aufgabegriff fixiert zu halten. Das Beben in ›Hulk Hogans‹ Körper und der immer lauter werdende Jubel des Publikums schienen sich nun gegenseitig zu verstärken; eine Dynamik, die auch von den Kommentatoren bemerkt wurde und mit großer Euphorie für die Fernsehzuschauer verbalisiert wurde; »He is starting to shake! He has to reach down inside to find something extra!« Mehr und mehr Kraft schöpfend erreichte Hogan schließlich den Punkt, an dem es ihm gelang, den ›Sheik‹ abzuschütteln und ihn seinerseits niederzustrecken. Versuche des ›Sheik‹, sich gegen ›Hulk Hogans‹ zurück-
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gewonnene Dominanz zur Wehr zu setzen, zeigten nun keinerlei Wirkung mehr. Der Hardbody war wieder vollkommen hergestellt und strahlte noch mehr Überlegenheit aus als zu Beginn des Kampfes. Die Niederlage des ›Iron Sheik‹ war nur noch eine Formsache. Mit ein paar gezielten Aktionen beendete ›Hulk Hogan‹ den Kampf, um seinen Sieg anschließend gemeinsam mit dem Publikum ausgiebig zu feiern, während sich ein orientierungslos wirkender ›Iron Sheik‹ halbbewusst auf dem Ringboden wälzte. Der Fernsehkommentator ›Gorilla Monsoon‹ versicherte den Zuschauern an den Bildschirmen zu Hause, dass sie gerade Zeugen vom Beginn einer neuen Ära in der World Wrestling Federation geworden waren: »Hulkamania has arrived!« ›Hulk Hogan‹: Ein Held der Reagan-Ära In knapp sieben Minuten hatte Vince McMahon ein Millionenpublikum durch den Kampf von ›Hulk Hogan‹ gegen den ›Iron Sheik‹ an der Wiedergeburt des Hardbodies teilhaben lassen und vor Augen geführt, dass der harte Körper selbst die schwierigsten Umstände meistern konnte. Dabei hatte er sich auf eine einfache Formel gestützt, welche die World Wrestling Federation während des gesamten Wrestlingbooms der 80er Jahre in der Erfolgsspur halten sollte. TV-Shows der WWF präsentierten auf der Ebene der textuellen Assoziationen stets neue Variationen von ebenso anspruchslosen wie anschlussfähigen Minidramen, die entweder auf geradezu archetypisch anmutende Konflikte – meist aus den Themenfeldern Klasse, Rasse und Geschlecht – oder auf die verschiedensten Reizthemen und Trends anspielten, die in der amerikanischen Gesellschaft gerade aktuell waren.80 Die nie enden wollenden Auseinandersetzungen zwischen den bunten, stereotypischen Charakteren wurden in den wöchentlichen TV-Shows der WWF langsam aufgebaut und kulminierten stets in einer der großen Pay-perView-Shows, die sich wiederum die Intertextualität des Fernsehens zunutze machten und neben den Kämpfen mit Gastauftritten von Stars und Sternchen aus Showbiz, Fernsehen und Musik aufwarteten. Gleichzeitig
80 Um einen guten Eindruck vom Kader und dem allgemeinen textuellen Stil der WWF-Programme in dieser Zeit zu gewinnen, siehe: Brian Shields. Main Event: WWE in the Raging 80s. (New York: World Wrestling Entertainment Book, 2006).
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führten die WWF-Programme ihrem Publikum auf der Ebene der somatischen Assoziationen in jedem dieser Kämpfe stets dieselbe Inszenierung des Hardbody-Ideals vor und vermittelten so den Eindruck, dass der harte Körper trotz der aktuellen Krisenstimmung über jeden Zweifel erhaben war und darüber hinaus auch jegliche Spannung auflösen konnte, die sich auf der Ebene der textuellen Dichotomien abzeichnete. Von der Grundidee her war dieses Schema natürlich nichts revolutionär Neues, denn es entsprach der Formel, die dem Professional Wrestling bereits in der Nachkriegszeit einen Platz in der Medienkultur der USA gesichert hatte. Doch die neuerliche Aktualität der im Professional Wrestling angebotenen Darstellungen sorgten nun mit den neuen, frischen Möglichkeiten der medialen Präsentation und der Präsenz eines neuen, zentralen Wrestlinghelden für jene umfassende Vitalisierung des Geschäfts, auf welche die Industrie seit den 1960er Jahren gewartet hatte. Keiner der Wrestler im Kader der McMahon-Promotion stand dabei mehr für diese einfache Erfolgsformel wie ›Hulk Hogan‹. Der ›Hulk Hogan‹-Charakter war nicht nur dafür verantwortlich, dass die Programme der WWF bei einem so breiten Publikum bekannt werden konnten; als ewiger Champion der Promotion fungierte er während des Wrestlinghypes der 80er auch als imaginäres Zentrum der eigentümlichen Parallelwelt, in welche die WWF ihre Zuschauer regelmäßig entführte. Er stellte eine Art universellen Signifikator dar, der alle relationalen Beziehungen im klar nach Rasse, Klasse und Geschlecht geordneten Kosmos der Federation organisierte und auf das simple Prinzip maskuliner Hegemonie zurückführte. Im Gegensatz zu den meisten anderen stereotypischen Charakteren in den WWF-Shows setzte sich ›Hulk Hogan‹ jedoch dadurch ab, dass es auf der textuellen Ebene relativ schwierig war zu bestimmen, wofür die Figur denn überhaupt stand. Abgesehen von der Tatsache, dass ›Hulk Hogan‹ offenbar eine Art übermenschlichen Superhelden darstellen sollte, wurde durch die textuellen Bezüge der Figur nämlich nicht wirklich klar, worin sein Heldentum nun genau wurzelte.81 Der Soziologe Brandan Maguire
81 Morton und O’Brien weisen in ihrer Untersuchung über die gängigsten Charaktere im Professional Wrestling darauf hin, dass Babyface-Wrestler sich im Gegensatz zu den Heel-Wrestlern – im Hinblick auf das, was ich in dieser Arbeit als die textuelle Ebene bezeichne – dadurch auszeichnen, dass sie eher undeutlich gezeichnet sind (Morton und O’Brien, From Wrestling to Rasslin’, S. 141 ff.). Dies
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bringt den Charakter der ›Hulk Hogan‹-Figur wahrscheinlich noch am besten auf den Punkt, wenn er schreibt: »[…] Hogan stood for God, country, and everything good.«82 Dass die Figur des ›Hulk Hogan‹ durch ihre textuellen Bezüge auf eine ebenso emotional wie abstrakt gehaltene und stark vereinfachte Idee des Guten anspielte, hatte aber auch zeitgeschichtliche Hintergründe. Dem Historiker Philip Jenkins zufolge wurde die starke Trendwende zum Konservatismus, welche die amerikanische Politik und Öffentlichkeit in den 1980ern ergriffen hatte, von der allgemeinen Tendenz begleitet, komplexe Zusammenhänge auf simple moralische Dichotomien zu reduzieren. Die Gründe dafür sieht er unter anderem in den sozialen Spannungen und Transformationsprozessen sowie der Weltmacht-Rolle der USA, die seit der Nachkriegszeit dazu geführt hatten, dass die alltägliche Wirklichkeit in den USA innen- wie außenpolitisch von hoher Komplexität geprägt war, die monokausale Erklärungen fast unmöglich machte. Gleichzeitig führten soziale wie ökonomische Radikalisierungstendenzen, das zunehmende Misstrauen in die eigene politische Führung und die Frage nach der eigenen Bestimmung als Nation dazu, dass sich in der amerikanischen Öffentlichkeit Kulturpessimismus und Verschwörungsphantasien breit machten, die dann in einer intensivierten Suche nach klar strukturierten, moralisierten Weltbildern zum Ausdruck kamen: Whether in matters of foreign policy or war, disorder or terrorism, poverty or urban crisis, crime or drug abuse, many Americans adopted a more pessimistic, more threatening interpretation of human behaviour, which harked back to much older themes in American culture. At home and abroad, the post-1975 public was less willing to see social dangers in terms of historical forces, instead preferring a strict moralistic division: problems were a matter of evil, not dysfunction. Ideas of relativism and complex casuation were replaced by simpler and more sinister visions of
kann wohl darauf zurückgeführt werden, dass die Charakterisierung eines negativen Werts implizit immer auf jenes ›Gut‹ verweist, welches diesem entgegengestellt ist. 82 Maguire, »American Professional Wrestling: Evolution, Content, Popular Appeal«, S. 158.
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enemies facing Americans and their nation. And the forces of evil arrayed against us were conceived in terms of conspiracy and clandestine manipulation.83
Wie schon beim Kommunismus-Diskurs, der im Nachkriegsamerika eine ähnliche Funktion eingenommen hatte und nun von der Reagan-Regierung in Form des Kampfes gegen das »Evil Empire« wiederbelebt wurde, war der Trend zur klaren moralischen Dichotomie in den 1980ern mit dem starken Bedürfnis verbunden, komplexe Bedrohungsszenarien zu personifizieren und ihnen damit ein Gesicht zu geben, um so jene ›bösen‹ Einflüsse besser identifizieren zu können, welche die Ordnung der amerikanischen Gesellschaft vermeintlich ›von außen‹ bedrohten. Once conflicts have been personified in terms of predatory outsiders, the range of available solutions narrows dramatically. If social problems arise from structural injustice or inequality, then solutions are complex, requiring social intervention. But if problems and threats can be blamed on specific outsiders, then these hostile groups or individuals can be tracked down, apprehended and killed or disabled. Personifying an evil allows the possibility of clear-cut victories: when an evil enemy is captured or killed, the problem ends.84
Vince McMahon und die WWF profitierten bei der Vermarktung des ›Hulk Hogan‹-Charakters enorm von der zentralen diskursiven Stellung solcher komplexitätsreduzierender, moralisierender Dichotomien, indem diese auf textueller Ebene genutzt wurden, Terry Bollea in seinen Performances als überlebensgroßen Superhelden zu präsentieren, der die Werte der amerikanischen Gesellschaft als das personifizierte Gute gegen Angriffe durch das personifizierte Böse verteidigte. Dies zeigte sich besonders schön am Themensong ›Hulk Hogans‹ mit dem unmissverständlichen Titel »I’m a Real American« – einem eingängigen Rocksong im Stile Bruce Springsteens –, der die Ringeinläufe von Terry Bollea stets begleitete und dem Publikum zugleich ein kurzes Profil sei-
83 Jenkins, Decade of Nightmares, S. 11. Vgl auch: Gil Troy, The Reagan Revolution: A Very Short Introduction (Oxford/New York: Oxford University Press, 2009), S. xvi. 84 Jenkins, Decade of Nightmares, S. 12.
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ner Figur lieferte, das nahezu perfekt auf das Bedürfnis nach eindeutigen moralischen Dichotomien zugeschnitten war: When it comes crashing down and it hurts inside, You gotta take a stand it don’t help to hide. If you hurt my friends then you hurt my pride, I gotta be a man, I can’t let it slide. (CHORUS) I am a real American Fight for the rights of every man. I’m a real American, Fight for what’s right, Fight for your life. I feel strong about right and wrong, And I don’t take trouble for very long, I got something deep inside of me, And courage is the thing that keeps us free85
›Hulk Hogan‹ wird in dem Song als patriotischer Held – »real american« – charakterisiert, der durch sein kämpferisches Auftreten für die Rechte und die Einheit der Gemeinschaft eintritt. Dabei fällt auf, dass die Werte, welche diese Gemeinschaft kennzeichnen, eher emotional (»hurts inside«,»deep inside of me« etc.) und moralisch (»right and wrong«) besetzt sowie betont abstrakt gehalten sind (»rights of every man«, »life«, »friends«, »pride«, »courage«, »free« etc). Am ehesten lässt sich das Wertesystem, für welches ›Hulk Hogan‹ stand, noch durch das vermeintliche Faktum charakterisieren, dass eben dieses Wertesystem offenbar in Gefahr ist (»when it comes chrashing down and it hurts inside«) und deshalb durch aktiven Wiederstand (»You gotta take a stand it don’t help to hide«) von einem echten Mann (»I gotta be a man«) verteidigt werden muss. Doch genau wie die narrativen Elemente der WWF-Shows diente auch diese textuelle Charakterisierung letztlich nur als allgemeiner Kontext oder
85 Für eine kurze Analyse des Songs vgl. auch: Leverette, Professional Wrestling: The Myth, the Mat, and American Popular Culture, S. 140 f.
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als vage Rahmensetzung. Den Dreh- und Angelpunkt von Terry Bolleas Performances bildete letztlich immer die Inszenierung des HardbodyIdeals, welches während der Ringeinläufe und Kämpfe in der Interaktion von Bollea mit dem Publikum und durch Bolleas Körper im Ring zum Leben erweckt wurde. Auftritte von Terry Bollea als ›Hulk Hogan‹ folgten dabei einem relativ festen Schema, das aus einer ganzen Reihe von ritualisierten Aktionen zwischen Bollea und seinem Publikum bestand. So kam Bollea meist sofort bei den ersten Klängen seiner Einlaufmusik in die Halle gestürmt und lief mit energischen und wild entschlossenen Schritten auf den Ring zu. Oft zeigte er dabei mit ausgestrecktem Finger auf seinen im Ring wartenden Gegner, um dem Publikum den Eindruck von Entschlossenheit oder Wut zu vermitteln. Getragen wurde dieser Eindruck aber vor allem durch Bolleas körperlichen Habitus: Seine Muskulatur schien zum Bersten angespannt zu sein, was sich in einem leichten, geradezu tranceartigen Schütteln des Kopfes äußerte. Sein Körper schien pure, angestaute Kraft zu sein, die nicht nur alle Glieder sondern sogar noch die geplusterten, schnaubenden Nasenlöcher und die fixierten, hellwachen und weit aufgerissenen Augen durchströmte. Bollea verstand es dabei meisterhaft, sich bei jedem seiner Schritte der Unterstützung des Publikums zu vergewissern und diese – wenn notwendig – durch weitere, teils subtile Gesten in seinen energischen Einmarsch mit einzubeziehen. Unterstützt wurde dieser Ablauf dabei oft durch große Videoleinwände, mittels derer McMahon dem Hallenpublikum zusätzlich die Fernsehbilder lieferte, welche selbst die kleinsten mimischen Regungen des ›Hulksters‹ einfingen und für die (virtuell wie körperlich) Anwesenden fassbar machten. Im Ring angekommen befreite sich Bollea dann von seinem charakteristischen Bodybuilder-Shirt, das er während des Einzugs in die Halle zu tragen pflegte, indem er es sich im wahrsten Sinne des Wortes vom Körper riss, um dem inzwischen meist frenetisch jubelnden Publikum seine schier berstende Muskulatur zu präsentieren. Zur Steigerung des theatralischen Effekts während des anschließenden Posings bediente sich Bollea einiger konventioneller Figuren, die er aus dem zeitgenössischen Bodybuilding entlehnt hatte. Diese Selbstinszenierung verlieh seinem eingeölten und gebräunten Körper den Anschein von größtmöglicher Härte und wurde vom Publikum stets mit überbordender Begeisterung quittiert. Bolleas MuskelSchauspiel schuf so bereits zum Beginn eines Kampfes eine aufgeladene
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Atmosphäre in der Arena, die der harte Körper im Ring kanalisierte und das Publikum dazu brachte, dem ersten Kontakt ›Hulk Hogans‹ mit seinem Gegner entgegen zu fiebern. Der Fokus auf Bolleas Körper, den der Ringeinlauf erzeugt hatte, bestimmte dann auch den weiteren Verlauf der Performance. So verliefen die Kämpfe meist so, dass sich die große Kraft von Bolleas Körper auf seinem Gegner entlud, der – wie der ›Iron Sheik‹ im vorherigen Beispiel – eher die Funktion hatte, die Inszenierung von ›Hulk Hogans‹ hartem Körper als externen Kontrast zwischen Körpern auf der textuellen und somatischen Ebene vorzubereiten. Den Schlägen und Tritten von ›Hulk Hogan‹ war der Gegner in den ersten Minuten des Kampfes in der Regel nicht gewachsen. Doch irgendwann im ersten Drittel des Kampfes schien die Übermacht des ›Hulksters‹ dann ihre Wirksamkeit zu verlieren. Ab diesem Zeitpunkt übernahm dann der Heel-Wrestler die Führung des Kampfes – oft durch den Einsatz von unlauteren Mitteln – und der Eindruck von unbändiger, geradezu übermenschlicher Kraft, den Bolleas Hardbody zu Beginn noch ausgestrahlt hatte, begann zu schwinden. Das Beben und die Lebendigkeit, die ihn bei seinem Einzug noch in jeder Faser durchdrungen hatten, schienen nach und nach aus seinem Körper zu entweichen. An ihre Stelle trat jetzt das Bild eines leidenden Mannes, der darum bemüht war, gegen die nun scheinbar übermächtige Kraft seines Gegners anzukämpfen. Bollea schaffte es jedoch auch in dieser Phase die Verbindung mit dem Publikum aufrecht zu erhalten, indem er es mit oftmals dramatischen Gesten an seinem Leiden teilhaben ließ. Beispielsweise hob er seine Hände nach einem abermaligen Versuch, gegen die Schläge seines Peinigers anzukämpfen, in einer schon fast religiös anmutenden Geste nach neuer Kraft ringend in Richtung Himmel, nur um anschließend mit seinen Bemühungen zu scheitern und erneut im Verlust seiner Kräfte zu versinken. Hier bestimmte nun die Darstellung des harten Körpers als eine interne Relation innerhalb eines Körpers das Schauspiel im Ring. Phasen, in denen ›Hulk Hogan‹ von seinem Gegner dominiert wurde, präsentierten dem Publikum einen geschwächten und krisenhaften Körper. Sie wechselten sich mit kurzen Zwischenspielen ab, in welchen der ›Hulkster‹ zu seiner ursprünglichen Kraft zurückzufinden schien, nur um sofort wieder von seinem Gegner übermannt zu werden. Rein objektiv betrachtet lieferte Bollea seinem Publikum damit eine Darbietung, welche der gewöhnlichen dramaturgischen Darstellung eines
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Babyface-Wrestlers innerhalb einer Wrestling-Performance entsprach. Doch im Falle von ›Hulk Hogan‹ nahmen die altbekannten Abläufe einen nahezu kosmischen Umfang an; ein Umstand, der sich besonders am generischen Finish eines üblichen ›Hulk Hogan‹-Kampfes zeigte. Das Wechselspiel zwischen Dominanz und Dominiert-Werden erreichte seinen absoluten Höhepunkt: Bollea wurde von seinem Gegner in einem Haltegriff fixiert oder in einer Art und Weise traktiert, die ein neuerliches Comback nahezu ausgeschlossen erscheinen ließ. Das Publikum wurde nun Zeuge, wie ›Hulk Hogan‹ jegliche Kraft zu verlassen und er nahe einer Ohnmacht zu sein schien. Damit war der tiefste Punkt des Dominiert-Werdens erreicht und der harte Körper hatte sich offenbar gänzlich in sein weiches Pendant verwandelt. Doch dieser Moment bedeutete stets den Wendepunkt des Kampfes. Von einem Moment zum anderen schien die Kraft wieder in Bolleas Körper zurückzuströmen, worauf das Publikum unmittelbar in frenetischen Jubel ausbrach. Das charakteristische Beben der Muskulatur, das Bollea bereits bei seinem Ringeinzug zur Schau gestellt hatte, begann nun wieder von ihm Besitz zu ergreifen. Zwar versuchte der Heel-Wrestler in dieser Phase, die wiedererwachende Kraft durch Schläge oder Haltegriffe in Zaum zu halten, doch Bollea schien keinen Schmerz mehr zu spüren. Sein Körper bebte synchron zur anschwellenden Lautstärke des Publikums immer intensiver. Am Höhepunkt dieser Auferstehung verpufften die Schläge des Heels, da Bollea mittlerweile einen augenscheinlich fast tranceartigen Zustand erreicht hatte, in welchem er aufgrund des seinen gesamten Körper erfassenden Zitterns und Bebens die Attacken gar nicht mehr wahrnahm. Erneut entlud sich nun – wie bereits zu Beginn des Kampfes – seine ganze Kraft in einigen gezielten Aktionen gegen den Gegner, was zur raschen Beendigung des Kampfes führte. Nachdem die Anspannung, die während des Kampfes geherrscht hatte, aufgelöst war, ging Bollea mit dem Ertönen seines Themensongs wieder zur Präsentation seines Körpers durch Posing über und reizte die Interaktion mit dem Publikum bis zur Grenze des Erträglichen aus. Er ging nach und nach zu jeder der vier Ringseiten, um das jeweilige Publikumssegment zu noch lauterem Jubel zu animieren. Zu diesem Zweck schwenkte er meist eine Hand in der Nähe eines Ohres, lehnte sich dann – die Hand ans Ohr haltend – weit in die Ringseile und forderte das Publikum so dazu auf, so laut wie nur möglich zu schreien. Den Einsatz des Publi-
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kums belohnte Bollea mit weiteren Zurschaustellungen jenes harten Körpers, den der gerade beendete Kampf als die Lösung für jegliche noch so aussichtslose Problematik präsentiert hatte. Die Kämpfe von ›Hulk Hogan‹ bildeten stets den Höhepunkt einer größeren WWF-Show und präsentierten dem Publikum eine besondere Art von Happy End, das die beruhigende Botschaft der an diesem Abend ausgetragenen Kämpfe noch einmal deutlich wahrnehmbar in der Form des im Ring posierenden ›Hulk Hogan‹ zusammenfasste: Der harte Körper beinhaltet die einfache Lösung für jegliche Thematik, ungeachtet ihrer vermeintlichen Komplexität. Auch die herrschende allgemeine Krisenstimmung wird also nur dazu führen, dass die Hegemonie weißer Maskulinität in den USA wieder zementiert werden kann.
»›A USTIN 3:16‹ JUST WHOOPED YOUR A **!«: ›S TONE C OLD ‹ S TEVE A USTIN UND DIE R EVITALISIERUNG DES P ROFESSIONAL W RESTLING IN DEN SPÄTEN 1990 ER J AHREN Der Wrestlingboom Mitte der 1990er Jahre baute in wesentlichen Punkten auf den Erfolgen von Vince McMahons World Wrestling Federation auf, die sich in den 1980ern im Mainstream der amerikanischen Medienlandschaft etabliert hatte. Gleichzeitig markierte die Wrestlingbegeisterung der 90er aber auch einen radikalen Bruch mit wesentlichen Aspekten jener Erfolgsformeln, die während der Reagan-Ära noch so gut funktioniert hatten. Wie wir im Rahmen des strukturellen Abrisses über die Geschichte der amerikanischen Wrestlingindustrie am Beginn dieser Arbeit bereits gesehen haben, baute der junge Fernsehmacher Eric Bischoff die ehemalige NWAPromotion World Championship Wrestling mit Hilfe seines Geldgebers Ted Turner zu einem ernsthaften Gegner von Vince McMahons World Wrestling Federation auf. Wie McMahon vor ihm nutzte er die Möglichkeiten des Live-Fernsehens geschickt, um das Spektakel der großen Pay-perView-Shows auch auf die wöchentlichen Wrestlingprogramme zu übertragen und versuchte auf diese Weise, seinen Mitbewerber aus dem Markt zu drängen. Die neue Konkurrenzsituation stellte das vormalige Quasi-Monopol der McMahon-Promotion zunehmend in Frage und der daraus resultierende Innovationszwang bewahrte den Wrestlingmarkt davor, auf längere
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Zeit in den alten Mustern zu verharren, die ihn in den Jahren zuvor im Mainstream verankert hatten. Parallel zu diesen strukturellen Umbrüchen zeichnete sich der Wrestlingmarkt der 1990er aber auch durch eine deutliche Änderung in der inhaltlichen Ausrichtung der Wrestlingprogramme aus. Die bunten, moralisierten Dichotomien der 80er machten langsam Platz für einen deutlich gewalttätigeren und finstereren Stil, der sich verstärkt um die Darstellung eines neuen Typus von Anti-Helden zentrierte. Die Fähigkeit der Promoter, diesen Umschwung in ihre Programme zu integrieren, stellte sich zur Mitte der 1990er Jahre – neben der medialen Präsentation ihres Produkts – als der entscheidende Faktor heraus, welcher über Erfolg oder Misserfolg auf dem umkämpften Wrestlingmarkt entscheiden sollte. »It’s Noon in America, again?«: Das Professional Wrestling und der harte Männerkörper nach dem Ende der Reagan-Ära Was war geschehen? Warum hatten die Wrestlingprogramme in so kurzer Zeit eine derart radikale Neuausrichtung erfahren? Die Antwort auf diese Frage liegt in der deutlichen Radikalisierung des ›maskulinen Backlash‹, der in den 80er Jahren ausschlaggebend für den Erfolg der Repräsentationen des Hardbody-Ideals durch das Professional Wrestling gewesen war und sich nun derart zuspitzte, dass die Wrestlingpromoter regelrecht dazu gezwungen waren, ihre Produkte an den neuen Zeitgeist anzupassen.86
86 Über die genaueren zeitgeschichtlichen Hintergründe für den inhaltlichen Umschwung des Professional Wrestling in den späten 1990er Jahren scheint eine allgemeine Unklarheit zu herrschen. Exemplarisch ist hier die Position des Soziologen Brendan Maguire, der den Grund für diesen Umschwung in der Kumulation verschiedener gesellschaftlicher Tendenzen in den USA sieht, welche zusammen dafür gesorgt haben, dass die Wrestlingshows zunehmend von der Darstellung von exitement, intrigue und political incorrectness geprägt waren. (Brendan Maguire, »American Professional Wrestling: Evolution, Content, and Popular Appeal«, Sociological Spectrum 25 (2005): S. 155–176.) Diese Position genügt aus einer kulturhistorischen Perspektive jedoch nicht, um die Radikalität und den spezifischen Stil dieses Umschwungs zu erklären, da viele der von Maguire aufgezählten Einflussfaktoren – wie etwa das Auseinanderdriften von Gemeinschaften, die Entzauberung des sozialen Lebens und der immer größere
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Eine zentrale Rolle kam in diesem Zusammenhang dem Zusammenbruch der Sowjetunion Ende der 80er Jahre zu. Ronald Reagan hatte in diesem Jahrzehnt noch zu einer Rückkehr an die Fronten des Kalten Kriegs aufgerufen und damit auch einen Typus der harten Männlichkeit wieder salonfähig machen wollen, der bereits in der Nachkriegszeit zur vermeintlichen Stabilisierung der abermals als instabil begriffenen maskulinen Hegemonie herangezogen worden war. Das definitive Ende des Kalten Krieges bedeutete somit auch das jähe Ende des geopolitischen und ideologischen Koordinatensystems, welches in den Jahren zuvor den Kommunismus-Diskurs organisiert hatte und sich während der Reagan-Jahre insbesondere in Form komplexitätsreduzierender, einfacher und moralisierter Dichotomien und Weltbilder niedergeschlagen hatte. Folglich rückte damit auch die Infragestellung maskuliner Hegemonie in der amerikanische Gesellschaft wieder deutlicher in den Fokus. Wie drastisch die Auswirkungen des plötzlichen Wegfallens des Kommunismus-Diskurses für die amerikanische Kultur der 1990er Jahre gewesen sein müssen, ist besonders anschaulich von dem Historiker Phillip E. Wegner in seinem Buch Life between Two Deaths, 1989–2001 herausgearbeitet worden. Von der Erkenntnis ausgehend, dass die historische Periodisierung eines Jahrzehnts sich nur selten an der bloßen Abfolge von zehn Jahren messen lässt, stellt Wegner die These auf, dass die Bedeutung des Endes des Kalten Krieges für die USA von Historikern erst in jenem Moment einschätzbar geworden ist, in dem Amerika auch tatsächlich in ein unverrückbares neues geopolitisches Kräfteverhältnis eingetreten ist, welches in der amerikanischen Gesellschaft wieder die Funktion eines umfassenden ideologischen Koordinatensystems besetzen konnte, wie es der Kommunismus-Diskurs in der Zeit nach 1945 getan hatte. Wegner schlägt deshalb vor, als historische Periode der 90er Jahre die Zeit zwischen dem Fall der Berliner Mauer 1989 und den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu begreifen. Denn während das erste Ereignis das sichere Ende
Druck zur political correctness – auch weit vor Mitte der 1990er einen prägenden Einfluss auf die US-Gesellschaft ausgeübt haben. Erst wenn sie in Beziehung zu den allgemeinen Umschwüngen in der historischen Darstellung von maskuliner Hegemonie gesetzt werden, wird deutlich, warum den soziologischen Faktoren aus Maguires Darstellung im Professional Wrestling der späten 1990er solch eine Prominenz zukommen konnte.
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des symbolischen Koordinatensystems des Kalten Krieges besiegelt hatte, markierte der 11. September und der daran anschließende ›Krieg gegen den Terror‹ die Errichtung eines neuen Koordinatensystems, in das die Vormachtstellung der USA neuerlich in ein vermeintlich eindeutiges geopolitisches Kräfteverhältnis eingeschrieben werden konnte. Die 1990er müssen nach Wegner deshalb als Periode des »Dazwischen« angesehen werden, als ein Moment der Latenz, in dem die alte Ordnung unwiederbringlich verloren, die neue Ordnung aber noch nicht absehbar war. Begleitet wurde diese Periode zusätzlich von jenen enormen Umbrüchen, die heute meist unter dem relativ wagen Schlagwort ›Globalisierung‹ zusammengefasst werden. So zeichnete sich im Zusammenspiel der zunehmenden ökonomischen und politischen Vernetzung der Welt mit den elektronischen Revolutionen wie dem World Wide Web zum ersten Mal in der Geschichte das Szenario eine postnationalen Welt ab, in der ungewiss ist, ob die amerikanische Nation auch weiterhin jene globale Stellung behaupten können würde, die ihr nach den beiden Weltkriegen zugekommen war. In Anlehnung an die strukturale Psychoanalyse von Jaques Lacan und Slavoij Zizek und deren philosophische Ausarbeitung durch Alain Badiou versteht Wegner diese »Periode des Dazwischen« deshalb als einen »Riss im symbolischen Universum der USA«: I argue that the 1990s are the strange space between an ending (of the Cold War) and a beginning (of our post-September 11 world), one of those transitional phases that, once again following the leads of Lacan and Zizek, I call the »place between two deaths.« This place, located as it is between the Real Event and its symbolic repetition, is strictly speaking »non-historical,« and such an »empty place« is experienced in its lived reality […], in a Janus-faced fashion. On the one hand, it feels like a moment of »terrifying monsters,« of hauntings by a living dead past. Yet it is also experienced as a momentum of »sublime beauty,« of openness and instability; of experimentation and opportunity, of conflict and insecurity – a place, in other words, wherein history might move in a number of very different directions.87
Wegners These von den 1990ern als ebenso unsichere wie offene Periode der Latenz zwischen dem Zusammenbruch der einen symbolischen Ord-
87 Philipp E. Wegner, Life between Two Deaths, 1989–2011 (Durham/London: Duke University Press), S. 9.
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nung und der Errichtung einer neuen liefert ein anschauliches Modell um zu verstehen, wie schwerwiegend sich das Ende des alten KommunismusDiskurses auf die Wahrnehmung maskuliner Hegemonie in den USA ausgewirkt haben muss. Monokausale Erklärungen und simple moralische Dichotomien unter Rückgriff auf all das, was ›Kommunismus‹ im gesamtgesellschaftlichen Kontext bedeutet hatte, verloren ihre Grundlage. Damit fiel nicht nur das unzweifelhaft identifizierbare ›Böse‹ als Gegner weg, es mangelte auch an einem klar identifizierbaren ›Außen‹, gegen das sich die amerikanische Gesellschaft zur Wehr setzen musste, um die Integrität als Nation zu bewahren. Folglich schienen auch die bisherigen Modi der harten Maskulinität obsolet zu werden, welche seit der Beteiligung der USA am Zweiten Weltkrieg aufs Engste mit der Idee eines heldenhaften Kampfes für ein überlegenes Ideal verbunden gewesen waren und nach dem Debakel von Vietnam während der Reagan-Jahre wenigstens kurzzeitig revitalisiert werden konnten. Die Infragestellung maskuliner Hegemonie, die zuvor unter Berufung auf diese etablierten Repräsentationen von harter Maskulinität wegdiskutiert werden sollte, trat also wieder deutlich schärfer in den Vordergrund. Doch mit der offenen Frage nach der zukünftigen Textur von Machtverhältnissen in einer globalisierten Welt wurde recht schnell ein neuer zentraler Unsicherheitsfaktor an die ohnehin schon lange Liste potenzieller Krisenszenarien angehängt. »All these developments indicate the degree to which the 1990s represent a unique moment of struggle, one enabled by the Event of the collapse of the Soviet bloc and waged over the significance of this Event. […] The passage á l’acte that was September 11, so effectively hegemonized by the U.S. neoconservatives, marked the closure of this space.«88 All diese Faktoren trugen zur Mitte der 90er Jahre zu einer deutlichen Radikalisierung jenes ›maskulinen Backlash‹ bei, der sich bereits in den 80ern abgezeichnet hatte.89 Knapp hundert Jahre nach der großen »Krise
88 Wegner, Life between Two Deaths, S. 9. 89 Wie Brendon J. Malins in Anlehnung an die Arbeiten von Susan Jeffords gezeigt hat, ging dieser Entwicklung zu Beginn der 1990er zunächst ein Versuch voraus, die harte Maskulinität und neue, weichere Formen der Männlichkeit zu vereinen. Siehe: Brandon J. Malin, American Masculinity und Clinton: popular media and the nineties ›crisis of masculinity‹ (New York u.a.: Peter Lang Publishing, 2005), S. 25 ff.
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der Maskulinität« zur Jahrhundertwende und fünfzig Jahre nach der vermeintlichen Stabilisierung maskuliner Hegemonie in der Nachkriegszeit schien man wieder am Ausgangspunkt angekommen zu sein. Bestsellerautoren wie der Poet Robert Bly ermutigten die weißen Männer dazu, den »Wild Man« in ihrem Inneren wieder freizulegen, indem sie sich deutlich von der Emotionalität und der feminin anmutenden Sensibilität des »Soft Male« distanzierten.90 Theologisch oder biologisch fundierte Theorien über die essenziellen Unterschiede von Männern und Frauen erlebten eine neue Hochkonjunktur und teilten sich mit ›Männerrechtlern‹ die Forderung, dass nur eine Rückkehr zum klassischen Modell der Sphärenteilung das ›natürliche‹ Gleichgewicht wieder herstellen könne.91 Eine ganze Reihe von »Angry White Men« aus mal mehr, mal weniger radikalisierten Lagern der amerikanischen Gesellschaft vertraten die Meinung, dass es nun die (weißen) Männer waren, die durch Feminismus und »Affirmative Action« an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden und somit die eigentliche Minderheit in der amerikanischen Gesellschaft darstellten92. Und auch in Sport und Populärkultur schien man allerorts darum bemüht zu sein zu demonstrieren, dass die altbekannten Hardbodies tatsächlich noch härter waren, als es einen die Renaissance des harten Körpers in den 1980er Jahren hatte glauben machen wollen.93 Der Versuch zu beweisen, wie hart der harte Körper tatsächlich war, zeigte sich dabei wohl in kaum einem Sektor der Unterhaltungsindustrie deutlicher als im Professional Wrestling, welches die Repräsentation des Hardbody-Ideals in den 90ern zunehmend vom bunten, an die Diskurse der Reagan-Ära angepassten Image ablöste und damit einen erneuten Auf-
90 Robert Bly, Iron John: A Book about Men (Cambridge: Da Capo Press, 2004), S. 6. Vgl. auch: Pederby, »From Wimps to Wild Men«, S. 234 ff. 91 Kimmel, Manhood in America, S. 301. Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch die Arbeit von Abby Ferber über die großen strukturellen Analogien zwischen den eher moderaten Stimmen der Männerbewegungen in den 1990er Jahren und ihren stark radikalisierten Gegenstücken: Abby L. Ferber, »Racial Warriors and Weekend Warriors: The Construction of Masculinity in Mythopoetic and White Supremacist Discourse«, Men and Masculinities 3:1 (2000): S. 30–56. 92 Kimmel, Manhood in America, S. 301 ff. 93 Boesenberg, »Was kostet der Mann?«, S. 46 ff.
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schwung erlebte, der die großen Erfolge der 1980er Jahre sogar noch überbieten konnte. Die ersten Vorzeichen einer solchen Trendwende in der amerikanischen Wrestlingindustrie zeichneten sich dabei in dem großen Erfolg der Promotion World Championship Wrestling ab. Wie ich im Rahmen des strukturellen Abrisses über die Industrie bereits gezeigt habe, lag der Erfolg der WCW in dieser Zeit unter anderem darin begründet, dass Eric Bishoff mit der TV-Show Monday Nitro ein neues Format geschaffen hatte, indem er die Erfolgsformel der großen Pay-Per-View-Shows auf eine reguläre Fernsehsendung übertrug. Darüber hinaus lief Nitro als Live-Show zeitgleich mit dem – im Vorhinein aufgezeichneten – TV-Flagschiff der McMahonPromotion Monday Night RAW und nutzte diesen Vorteil, um die Shows des Mitbewerbers öffentlich zu attackieren. In Kombination mit Bischoffs Coup, etablierte WWF-Stars abzuwerben und in seiner Sendung zu präsentieren – den Anfang machte der Wrestler ›Lex Luger‹ (Lawrence Pfohl), der, und dies war ein weiterer Geniestreich Bischoffs, in Straßenkleidung in die Sendung kam – brach Nitro die etablierten Strukturen auf. Was jedoch zunächst nur wie ein geschickter medialer Schachzug und gewagter Bruch mit den Konventionen der Wrestlingindustrie anmutete, stellte sich in den folgenden zwei Jahren als neue Erfolgsformel heraus, die Eric Bischoff und World Championship Wrestling – später dann der gesamten Wrestlingindustrie – dabei half, ihre Programme an die Anforderungen der 1990er Jahre anzupassen. Denn dadurch, dass Bischoff einen Wrestler in seiner Straßenkleidung und ›als ihn selbst‹ in seiner Show auftreten ließ, koppelte er die Figur auf der textuellen Ebene deutlich von der Rolle ab, in der ihn die Zuschauer zuvor in den Programmen der WWF kennengelernt hatten. Bishoff emanzipierte seine Wrestler damit von den alten Narrativen der WWF und verlieh ihnen auf der textuellen Ebene einen ›realistischeren‹ Anstrich, der sich gut in die in der amerikanischen Medienlandschaft der 1990er allerorts an Popularität gewinnenden Narrative des ›Reality TV‹ einfügte. Gleichzeitig blieb die Klassifikation der Wrestler durch das HardbodyIdeal jedoch erhalten und konnte so weiterhin die selbe zentrale Rolle einnehmen, die sie auch in den Wrestlingprogrammen der 1980er gespielt hatte. Wie diese neue Erfolgsformel zum Tragen kommen sollte, zeigte sich insbesondere an einer Gruppierung von Wrestlern, die Bischoff unter dem Namen ›The Outsiders‹ – und später als ›New World Order‹ – in seiner Show auftreten ließ und die im Wesentlichen für den großen Erfolg von
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Monday Nitro verantwortlich waren. Die ›Outsiders‹ waren – in ihrer ersten Besetzung – die Wrestler Scott Hall und Kevin Nash, die beide zuvor in der McMahon-Promotion zu den hoffnungsvollsten jungen Stars gezählt hatten, bevor sie zur WCW wechselten. Beide Wrestler hatten in der WWF Rollen verkörpert, die ganz im Stile der simplen moralisierenden Narrative gehalten waren, welche für die Programme der McMahon-Promotion schon seit den 1980ern bestimmend gewesen waren. Scott Hall war in der WWF als ›Razor Ramon‹ aufgetreten, ein stereotypischer, mit Goldkettchen behängter kubanischer Schläger, der stets auf einem Zahnstocher kaute und dem Publikum mit seinem kubanischen Akzent stets die enormen Ausmaße seines ›Machismos‹ vorbetete. Kevin Nash hingegen war als ›Diesel‹ aufgetreten, ein Babyface-Wrestler, der auf der textuellen Ebene eine Mischung aus Biker und Trucker verkörperte und der stets unter Begleitung von Bluesklängen in den Ring kam, die seinen Spitznamen ›Big Daddy Cool‹ unterstreichen sollten. In den Programmen der WCW war von diesen Rollen nicht mehr viel übrig geblieben. Hall und Nash traten unter ihren bürgerlichen Namen an und tauchten oft in Alltagskleidung in den Shows der WCW auf wo sie begannen, etablierte Wrestler aus den Reihen der Promotion zu attackieren. Beim Publikum sollte dabei der Eindruck erweckt werden, dass die beiden Männer weiterhin bei der WWF unter Vertrag standen, weshalb sie stets als die ›Outsider‹ bezeichnet wurden, die es sich offenbar zu Aufgabe gemacht hatten, die WCW von außen anzugreifen. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die ›Outsider‹-Storyline dabei am 7. Juli 1996, als die ›Outsiders‹ ihr ominöses drittes Mitglied präsentierten, dass niemand Geringeres war als ›Hulk Hogan‹, den Eric Bishoff einige Monate zuvor nach einem wenig erfolgreichen Ausflug in die Filmindustrie für seine Promotion hatte anwerben können. ›Hulk Hogan‹ wurde unter dem Namen ›Hollywood Hulk Hogan‹ – offensichtlich auch ein Bezug auf die reale Person Terry Bollea – zum Anführer der Gruppierung, die sich fortan als ›New World Order‹ (›nWo‹) bezeichnete und in den folgenden zwei Jahren noch mehr Wrestler für sich gewinnen und die größte Attraktion der WCW darstellen sollte.94 Die ›nWo‹ war zwar ursprünglich als HeelGruppe konzipiert worden, doch Eric Bischoff hatte einen ersten Schritt getan, um die Shows des Professional Wrestling auf der textuellen Ebene von den einfachen Heldengeschichten zu lösen, die seit der Reagan-Ära Stan-
94 Beekman, Ringside, S. 133 f. Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 16–20.
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dard und Erfolgsgarant gewesen waren. Gleichzeitig schuf er die Grundlage für neue textuelle Assoziationen, die den harten Körper der Wrestler in seiner zentralen Stellung bestätigen konnten.95 Eric Bishoff und WCW waren aber nicht die einzigen innovativen Kräfte in der Wrestlingindustrie der 1990er. In noch radikalerer Form zeigte sich die Trendwende zu einer dem Zeitgeist der 1990er entsprechenden Präsentation der Wrestlingshows in den Programmen von Extreme Championship Wrestling, einer kleinen unabhängigen Promotion mit Sitz in Philadelphia, die sich ebenfalls aus einem Ableger der NWA formiert hatte und die Wende zum ›Anti-Heldentum‹ jenseits der engen Grenzen des Mainstreams auszuloten begonnen hatte. Die ECW orientierte sich mit ihren Programmen am Geschmack einer kleinen und treuen Gruppe hartgesottener Wrestlingfans, die den Erhalt der Promotion sicherten, und verfügte damit über einen kreativen Spielraum, der im Mainstream des Professional Wrestling nicht vorhanden war. Sie hatte sich deswegen das Spiel mit dem Überschreiten der bis dato im Professional Wrestling geltenden Grenzen zum Markenzeichen gemacht und strahlte eine gewisse Untergrund- und Außenseitermentalität aus, die in der nach Innovationen hungernden Wrestlingszene großen Anklang fand.96 ECW fans sought and founded so-called ›real wrestling‹ – bloody matches, wounded performers, men hitting women, lesbian narratives, a mock crucifixion, lighter-fluidand-flaming-table matches. Bamboo rod canings and barbed-wire matches were commonplace at the Philadelphia-based federation. Fans reported attending matches
95 Die WCW verpasste jedoch in den folgenden Jahren die Gelegenheit, aus ihrer Innovationskraft einen langfristigen Nutzen zu ziehen, denn bald sorgten interne Machtkämpfe dafür, dass der neue und vielversprechende Weg, den man durch die ›nWO‹ entdeckt hatte, nicht in letzter Konsequenz durchgezogen wurde. Schon bald beschränkten sich die Shows der WCW darauf, in ihren Kernsegmenten die erfolgreiche ›nWo‹-Storyline in immer neuen Varianten zu reproduzieren, während der Rest der Programme zunehmend wie eine schlechte Kopie oder gar Parodie der 1980er-WWF anmutete. Vgl. hierzu: Reynolds & Alvarez, The Death of WCW, S. 169 ff. 96 Eine sehr ausführliche Darstellung über die kurze, aber intensive Geschichte der ECW findet sich in: John Lister, Turning the Tables: The Story of Extreme Championship Wrestling (Three Rivers u.a.: Lerner Publications, 2005).
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where they brought in weapons – everything from frying pans and BBQ tongs to hockey sticks – for wrestlers to use to beat each other.97
Dabei griffen die Programme der ECW vor allem den allgemeinen Trend zum Anti-Helden – der sich bei der WCW bereits abgezeichnet hatte – auf und machten ihn zum Mittelpunkt der Wrestler-Charakterisierung auf textueller Ebene. Wo die WCW mit der ›nWo‹ noch eine eher klassische HeelGruppierung präsentiert hatte, deren großer Erfolg sie langsam zu den Publikumslieblingen bei einem breiten Segement der WCW-Zuschauer avancieren ließ, präsentierte die ECW ihrem Publikum Charaktere, die auf der textuellen Ebene wie ein drastischer Gegenentwurf zu den Wrestlingnarrativen der 1980er anmuteten. Während man bei den Programmen der WWF in den 1980ern den Eindruck gewinnen konnte, dass die Figuren der Shows allesamt einem Comicbuch entsprungen sein mussten, hatte man bei der ECW den Eindruck, als kämen die Figuren allesamt aus einer RealityShow oder einem Hip-Hop-Video.98 Ein gutes Beispiel hierfür waren Charaktere wie der des ›Sandman‹99, der von James Fullington verkörpert wurde und der lange Zeit zu den beliebtesten Figuren der ECW zählte. Fullington verkörperte eine Art Zuhälter, der stets rauchend, Bier trinkend, mit einem Kendo-Stick bewaffnet und in Begleitung einer Prostituierten namens ›Woman‹ auftrat.100 Noch wichtiger als die Emanzipierung von den textuellen Bezügen der etablierten Wrestlingshows war in der ECW jedoch die Betonung des Hardbody-Ideals auf der Ebene der somatischen Assoziationen, was sich in den Shows der Promotion durch eine deutlich niedrigere Hemmschwelle im Hinblick auf die Inszenierung von Gewalt zeigte. So waren die Kämpfe der ECW dafür berühmt, dass die Wrestler neben vielen halsbrecherischen und akrobatischen Aktionen, die im Mainstream des Professional Wrestling verboten waren, allerlei Gegenstände im Ring als Waffen benutzen durften (Leitern, Stühle, Tische, Stacheldraht, Schlagwerkzeuge, selbst vom Publikum
97 Wrenn, »Professional Wrestling jargon and the making of ›smart fans‹«, S. 152. 98 Lister, Turning the Tables, S. 33–37. 99 Der etwas eigentümliche Name der Figur ging auf den Song »Enter Sandman« der Heavy-Metal-Band Metallica zurück, der stets bei Fullingtons Ringeinläufen gespielt wurde. 100 Lister, Turning the Tables, S. 33–37.
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mitgebrachte Haushaltsgegenstände) und das die Kämpfe deshalb dazu neigten, in einem regelrechten Blutbad zu enden. Letztlich dienten diese scheinbar eskalierten Darstellungsformen aber nur als dramaturgisches Mittel, durch welches das für die Wrestlingshows so wichtige, altbekannte Wechselspiel zwischen Dominanz und Dominiert-Werden noch wirksamer inszeniert werden konnte. Der erzielte Effekt war offensichtlich: Egal, ob im Kinoschlager Fight Club101 oder im Wrestlingring: die willentliche Verwundung des harten Körpers schien Ende der 1990er die letzte Möglichkeit zu sein, die Selbstidentität weißer Maskulinität unhinterfragt zur Schau stellen zu können.102 ›Stone Cold‹ Steve Austin: Ein Anti-Held der Post-Reagan-Ära Die Entwicklungen in den anderen Wrestlingpromotions zeigten Vince McMahon die Richtung an, die es einzuschlagen galt, um seine WWF wieder in die Erfolgsspur zu bringen, und so fanden verschiedene Bausteine aus den Programmen der WCW und der ECW Mitte der 1990er Jahre zu-
101 Vgl. in diesem Zusammenhang auch: Ines Kappert, Der Mann in der Krise – oder: Kapitalismuskritik in der Mainstreamkultur (Bielfeld: transcript Verlag, 2007), S. 99 ff. 102 Wie Susan Jeffords in ihrer Analyse der Rambo-Trilogie gezeigt hat, war das Motiv der Verwundung schon in den 1980er Jahren bei der Inszenierung des Hardbodies präsent gewesen (Jeffords, Hard Bodies, S. 50 ff.). Darüber hinaus konnte Christina Jarvis bei ihrer Untersuchung über den Zusammenhang zwischen heldenhafter Verwundung und der Repräsentation des harten Körpers während des Zweiten Weltkriegs zeigen, dass es sich bei solch einer heroischen Verwundung um ein Motiv handelt, welches sich bereits in den 1940er Jahren auf breiter Ebene etabliert haben muss (Jarvis, The Male Body at War, S. 86 ff.). Die auffällige Radikalisierung dieser Verwundungsdarstellung in den 1990ern beruft sich damit auf eine bereits etablierte Imagination, die – angesichts der Verschärfung des maskulinen Backlash – nun dazu verwendet werden konnte, die Selbstidentität des Hardbodies als interne Relation innerhalb der Grenzen eines Körpers auf besonders dramatische Art und Weise zu Geltung zu bringen.
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nehmend Eingang in die Shows der World Wrestling Federation.103 Doch wie bereits in den 1980er Jahren war es abermals der überraschende Erfolg eines einzigen Wrestlers, der ihm eine Blaupause an die Hand gab, um seine angeschlagene Promotion umgestalten und wieder zum Marktführer machen zu können. Der Name dieses Mannes war Steve Williams. Der 1964 in Austin, Texas, geborene Williams hatte 1989 mit dem Professional Wrestling begonnen und sich über regelmäßige Auftritte in kleineren regionalen Ligen 1991 eine feste Anstellung bei World Championship Wrestling erarbeiten können. Obwohl er sich dort unter dem Namen ›Stunning‹ Steve Austin eine respektable Position innerhalb des Unternehmens und eine gute Resonanz beim Publikum erarbeitet hatte, machte es ihm die Backstagepolitik der WCW – welche zu dieser Zeit bevorzugt ehemalige Stars aus der Boomzeit der WWF in ihre Mainevents stellte – unmöglich, langfristig erfolgreich zu sein. Als sich die Leitung der WCW Anfang 1995 wegen eines verletzungsbedingten Arbeitsausfalls auf wenig freundliche Art von Williams trennte, heuerte dieser kurzerhand in Philadelphia bei Extreme Championship Wrestling an, wo man sich Williams’ frühere nationale Fernsehpräsenz zunutze machen wollte. Zu diesem Zweck ließ man ihn eine Reihe von Interviewsegmenten drehen, in denen Williams seine Behandlung und Entlassung durch die WCW offen thematisierte und dabei seinen ehemaligen Chef Eric Bischoff verbal angriff. Williams’ charismatische Auftritte am Mikrofon hinterließen in der Wrestlingszene bleibenden Eindruck und zogen auch die Aufmerksamkeit von Vince McMahon auf sich, der ihn bereits gegen Ende 1995 zusammen mit einigen anderen jungen Talenten von der ECW abwerben konnte. Williams’ debütierte schließlich Ende 1995 unter dem Namen ›The Ringmaster‹ in der McMahon-Promotion, wo ihm das Publikum jedoch wegen seines recht farblosen Charakters, den sich die Kreativabteilung der WWF für ihn ausgedacht hatte, zunächst nur sehr wenig Aufmerksamkeit schenkte.104 Am 23. Juni 1996 nahm Williams Karriere in der WWF jedoch eine unvorhergesehene Wendung, als dieser sich mit einem einzigen Auftritt beim Pay-Per-View King of the Ring als der neue Star der amerikanischen Wrestlingindustrie etablierte und somit der World Wrestling Fede-
103 Beekman, Ringside, S. 136 f. 104 Greenberg, Pro Wrestling, S. 109 ff.; Beekman, Ringside, S. 135.
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ration – wie bereits ›Hulk Hogan‹ einige Jahre zuvor – den Weg für eine zeitgemäße Ausrichtung des Unternehmens wies. Das King-of-the-RingPay-Per-View wurde zu dieser Zeit jährlich von der WWF abgehalten und war nach dem Schema eines Ausscheidungsturniers konzipiert worden. McMahon nutzte dieses Turnier meist, um einen neuen Wrestler aufzubauen, den er als potenziellen neuen Star betrachtete, oder um der Karriere bereits etablierter Wrestler einen nachhaltigen Schub zu verleihen. Gemäß dieser Strategie hatte McMahon für die 96er-Ausgabe der Veranstaltung geplant, ›Hunter‹ Hearst Helmsley (Paul Levesque) – zu dieser Zeit einer der verheißungsvollsten jungen Heel-Wrestler der Promotion – als Sieger aus dem Turnier hervorgehen zu lassen, um dessen Karriere damit auf das nächste Level zu heben. Als Lavesque sich aber wenige Tage vor dem PayPer-View bei einer Houseshow im New Yorker Madison Square Garden vor Publikum von ein paar befreundeten Wrestlern verabschiedete, welche die WCW von der WWF abgeworben hatte – um dort als ›Outsiders‹ ihrerseits einen großen Beitrag zur textuellen Neuausrichtung des Professional Wrestling zu leisten –, und somit öffentlich von der Rolle abwich, die ihm das Protokoll der Veranstaltung zugedacht hatte, wollte McMahon ein Exempel statuieren und entschied sich kurzfristig dafür, Williams – der inzwischen unter dem Ringnamen ›Stone Cold‹ Steve Austin105 antrat – das Turnier gewinnen zu lassen und als neuen Heel-Wrestler beim Publikum zu etablieren.106 Zu diesem Zweck stellte man Steve Austin im Finale gegen Jake ›The Snake‹ Roberts (Aurelian Smith), einen ehemaligen WWF-Star aus den goldenen 1980ern, der 1996 nach langer Alkoholkrankheit und diversen Gastspielen bei kleineren Promotions ein überraschendes Comeback hatte feiern können. Da Roberts’ Probleme in weiten Kreisen der besser informierten Wrestlingfans bekannt waren und McMahon gerade darum bemüht war, seinen Programmen einen etwas härteren Anstrich im Stile der ECW zu verpassen, machte man kurzerhand die persönlichen Probleme von Smith zu einem Teil der textuellen Bezüge des Jake-›The Snake‹-Roberts-Charakters und ließ ihn in der Rolle eines wiedergeborenen Christen auftreten, dessen Glaube ihm dabei geholfen hatte, den Kampf gegen den Alkohol zu gewinnen. Roberts konnte diese Rolle natürlich glaubhaft verkörpern und
105 Im Folgenden aus formalen Gründen nur noch Steve Austin genannt. 106 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 11 f.
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wurde in der Folge wieder einer der beliebtesten Wrestler im Kader der WWF.107 Um Steve Austin nun als authentischen Heel zu etablieren, ließ man ihn im Finale des Turniers als den klar überlegenen Wrestler auftreten, der den um Jahre älteren und von seiner Alkoholsucht gezeichneten Roberts im Ring nach Belieben dominierte und demütigte. Die zu erwartende Wut des Publikums sollte Williams dann nach dem Kampf durch verbale Attacken gegen den geschlagenen Roberts während der anschließenden ›Krönungszeremonie‹ – in welcher dem Turniersieger der Titel des King of the Ring zugesprochen wurde – noch weiter anfachen, indem er Roberts wegen seines schwachen Auftritts im Ring verhöhnte. Aufgrund seiner großen Fähigkeiten am Mikrofon erledigte Williams diese Aufgabe natürlich mit Bravour. Doch anstatt die Zuschauer weiter gegen den Steve-Austin-Charakter aufzubringen, löste dessen aggressive Wutrede bei weiten Teilen des Publikums euphorischen Jubel aus. Williams’ Auftritt hatte offenbar den Nerv der Wrestlingfans getroffen, deren Geschmack sich durch die Angebote der WCW und ECW geändert hatte. Einfache Heldengeschichten wie zu Zeiten ›Hulk Hogans‹ während der Reagan-Ära waren ganz offensichtlich nicht mehr tragfähig. In Steve Austin hatte das Publikum einen neuen ›Anti Helden‹ entdeckt, der besser in das von der Ernüchterung über die ›Reagan-Revolution‹ geprägte Klima der 1990er Jahre passte: Stone Cold’s words were the equivalent of throwing gasoline onto fire. Austin’s seemed to take off overnight […] Although »Stone Cold« was a heel, the promo helped transform him into an anti-hero, and it soon spearheaded the WWF’s more adult-oriented marketing strategy, an approach that would become known as »WWF Attitude.« Within a year, he would win the WWF championship, and although nothing would change about Austin’s anti-authority character, he would go from one of the most hated men in wrestling to one of the most popular.108
Was den neuen (Anti-)Helden der World Wrestling Federation auf der textuellen Ebene ausmachte wird deutlich, wenn man sich den Inhalt des berühmten Promo-Interviews genauer betrachtet, welches in der amerikani-
107 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 12. 108 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 13.
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schen Wrestlingindustrie rückblickend gerne als die Geburtsstunde des ›Stone Cold‹-Steve-Austin-Charakters betrachtet wird, den Williams in der Zeit nach 1996 so erfolgreich verkörpern sollte:109 Steve Austin: The first thing I want to be done is to get that piece of crap out of my ring. Don’t just get him out of the ring; get him out of the WWF. Because I proved son, without a shadow of a doubt, that you ain’t got what it takes anymore. You sit there and you thumb your bible and you say your prayers and it didn’t get you anywhere. Talk about your Psalms, talk about John 3:16; – Austin 3:16 says ›I just whipped your ass!‹ All he has got to do is buy him a cheap bottle of thunderbird and dig back some of that courage that he had during his prime. […] Steve Austin’s time has come and when I’m getting a shot, you’re looking at the next WWF Champion. And that’s the bottom line … because Stone Cold said so!!
Die Kernaussage des Interviews wurde in dem »Austin-3:16-Zitat« zusammengefasst, welches vom Publikum – auf Plakaten und später T-Shirts – in den folgenden Wochen und Monaten zunehmend adaptiert wurde und sich somit zu einer Art Motto der Figur und später zu einer Marke im Stile der ›Hulkamania‹ aus den 1980er Jahren entwickelte. Das Zitat spielt auf einen Bibelvers aus dem Johannesevangelium an (Johannes 3:16). Der Vers handelt von der Rolle Jesus’ als Gottes Sohn, als dessen Stellvertreter in der Welt, und definiert seine Rolle als zentrale Figur des christlichen Heilsgeschehens indem er versichert, dass jeder, der an Jesus glaubt, durch ihn auch Erlösung erlangen wird. In den USA ist das Zitat insbesondere bei den wiedergeborenen Christen populär, da es wesentliche Kernaussagen ihres Glaubens in konziser Form zusammenfasst. Doch wenn man sich die Funktion genauer betrachtet, die dieser Anspielung auf den Bibelvers im Rahmen des kurzen Interviews zukommt, so wird deutlich, dass der Rekurs auf
109 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 10 ff. Es muss an dieser Stelle noch einmal daran erinnert werden, dass solche ›Promos‹ im Professional Wrestling (meistens) nicht nach einem vorher festgelegten Skript verlaufen, sondern – wie im hier dargestellten Fall – einen wesentlichen Bestandteil der performativen Gestaltungsmöglichkeit der Wrestler ausmachen. Williams’ Promo verdeutlicht damit einmal mehr die Fähigkeit des performativen Systems der Wrestlingshows, durch Interaktion aller Beteiligten auf zeitgenössische Differenzdiskurse und den Status maskuliner Hegemonie Bezug zu nehmen.
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den theologischen Inhalt des Zitates eher darin besteht, den Charakter des Steve Austin auf der textuellen Ebene klar von der Figur des Jake ›The Snake‹ Roberts abzugrenzen. Roberts wird in dem Interview durch seine Abhängigkeit von den Aussagen der Bibel – einem klar geordneten moralischen System – als Figur charakterisiert, die ganz und gar dem Schema entspricht, welches die narrativen Bezüge der WWF während der 1980er Jahre – insbesondere in der Figur des ›Hulk Hogan‹ – vorgegeben hatte. Roberts stellte einen krisengeschüttelten Mann dar, der sich jedoch durch die klaren moralischen Inhalte der biblischen Botschaft und deren Weltbild selbst rehabilitiert hatte und dadurch eine Art von Wiedergeburt erlebt hatte.110 Doch Austin machte deutlich, dass diese Herangehensweise – die letztlich den ideologischen Grundannahmen der ›Reagan-Revolution‹ entsprach – nun nicht länger zeitgemäß ist und deshalb aus der WWF entfernt werden muss. Der Glaube an die klaren moralischen Dichotomien hat Roberts nicht endgültig befreit, sondern hat in letztlich nur zu einem erneuten Scheitern geführt. Die Ersetzung von »John 3:16« durch »Austin 3:16« steht damit für eine klare Positionierung gegen die textuellen Inhalte, welche das Wrestling in den 1980ern propagiert hatte und damit auch für eine deutliche Emanzipation von den einfachen moralisierenden Heldengeschichten dieser Jahre. Steve Austin wurde durch seinen radikalen Auftritt nicht zum Bösewicht, sondern zum Anti-Helden, der dieselbe Dominanz zum Ausdruck bringen konnte wie die Babyface-Wrestler der 1980er Jahre, ohne dabei von den moralisierenden, komplexitätsreduzierenden Dichotomien der Reagan-Ära abhängig zu sein und ohne durch sein radikales Auftreten automatisch in die Kategorie eines Heel-Wrestlers zu fallen. Austin’s post match rant was an instant rage. Austin 3:16 T-shirts were everywhere. Stone Cold fans soon started dressing like their hero, making it impossible to walk through the mall without seeing a bald-headed, goatee-wearing fan in jeans and a
110 Der Umstand, dass es sich hierbei natürlich um eine betont eindimensionale Wahrnehmung von Religion und theologischen Inhalten handelt, macht dabei noch einmal überdeutlich, dass die Funktion des berühmten 3:16-Zitats weniger im tatsächlichen Bezug auf vermeintliche religiöse Inhalte lag, sondern vielmehr beispielhaft für ein (veraltetes) System von klaren moralischen Dichotomien steht.
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black T-shirt. Not ever since Hulkamania had WWE been taken over by such a phenomenon.111
Der aggressive Anti-Held, den Williams in seinen Performances als Steve Austin verkörperte, entwickelte sich zur Jahrtausendwende hin zu einem popkulturellen Phänomen, dass die Erfolge von ›Hulkamania‹ in den 80er Jahren sogar noch übertrumpfen konnte und das Professional Wrestling – nach der kurzen Schwächeperiode zu Beginn der 90er Jahre – wieder ins Zentrum des allgemeinen Interesses rückte; ein neuerlicher Boom, der sich bis zur Jahrtausendwende halten sollte. WWF ratings soared, and RAW became the most popular program on cable television – setting a record on May 10, 1999, with 6,156,000 viewers. A compact disc of entrance music played at WWF arenas became a best-seller. Wrestlers were regular guest stars on other TV shows. The WWF opened a theme restaurant and store in New York City’s Time Square.112
Die schockierenden Auftritte von Steve Austin lieferten Vince McMahon dabei – wie schon bei Hulk Hugan in den 80er Jahren – ein klares Muster an die Hand, wie dieser ein erfolgreiches Wrestlingprogramm zu gestalten hatte und das er in der Zeit zwischen 1997 und 2000 unter dem Namen WWF Attitude vermarktete. Zusammen mit der Anpassung seiner Programme an die medialen Taktiken seiner Mitbewerber sorgte diese erneute Umstrukturierung der WWF dafür, dass Vince McMahon letztlich als Sieger aus den Monday Night Wars hervorging.113 Dabei fasste die Wutrede
111 Shields & Sullivan, WWE Encyclopedia, S. 289. 112 Greenberg, Pro Wrestling, S. 112 f. 113 Da die neue Ausrichtung der bis dato stark auf ihre Mainstreamtauglichkeit bedachten Programme in der amerikanischen Öffentlichkeit bisweilen harsch kritisiert wurde, wandte sich McMahon am 15. Dezember 1996 sogar persönlich an das Livepublikum von Monday Night Raw, um ein glühendes Plädoyer für die neue Ausrichtung seiner Promotion zu liefern: »This is a conscious effort on our part to open the creative envelope, so to speak, to entertain you in a more contemporary manner. […] We in the WWF think that you, the audience, are quite frankly tired of the same old simplistic theory of good guys versus bad guys. Surely the era of the superhero that urged you to say your prayers and
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beim King of the Ring all die wesentlichen Punkte in sich zusammen, welche die Figur des Steve Austin – und ebenso die anderen Wrestlingstars der Attitude Era – in den nächsten Jahren auf der textuellen Ebene transportieren sollte: Echte Männer bedürfen keines übergeordneten und moralisch klar gegliederten, symbolischen Sinnsystems, um in ihrer Selbstidentität bestätigt zu werden; vielmehr ist der Umstand, dass sie über diese einfachen Dichotomien von Gut und Böse erhaben sind und bisweilen bewusst mit ihnen brechen, eines der deutlichsten Merkmale maskuliner Hegemonie. Nicht die zentrale Rolle als ordnende Heldenfigur innerhalb des symbolischen Kosmos’ eines solchen Sinnsystems bestimmt die Selbstidentität des Mannes als Mann, sondern eher dessen Unabhängigkeit und die Tatsache, dass er letztlich keine andere Autorität akzeptiert als sich selbst; eine Botschaft, die nahezu perfekt in das zeitgeschichtliche Klima der 90er Jahre passte, welches von den zahlreichen Enttäuschungen und der Desillusionierung hinsichtlich der Fortsetzung der ›Reagan-Revolution‹ geprägt war. Wie Hart ist ›Hart‹?: ›Stone Cold‹ Steve Austin vs. Bret ›The Hitman‹ Hart Dabei war die Wende zum Gestus eines über jedes Ordnungssystem erhabenen Anti-Helden mitnichten so revolutionär, wie es dem Wrestlingpublikum von den Machern der Industrie nahegelegt wurde. Die augenscheinliche Diskontinuität auf der textuellen Ebene wurde von einer umso größeren Kontinuität auf der Ebene der somatischen Assoziationen ausgeglichen. Denn während sich die grundlegende Botschaft im Professional Wrestling drastisch geändert zu haben schien, blieben die Programme der WWF ihrer seit den 80ern bekannten Ausrichtung dahingehend treu, dass die neuen Inhalte auf der textuellen Ebene auch weiterhin dieselbe Funktion erfüllten wie ihre 80er-Pendants: Sie bereiteten die Bühne für die Inszenierung des
take your vitamins is passé. Therefore we’ve embarked upon an innovative, contemporary campaign that is more invigorating and extemporaneous than before. Due to the live nature of Raw, however, we encourage some degree of parental discretion when it comes to the younger audience allowed to stay up late.« (Vincent McMahon zitiert nach: Assael & Mooneyham, Sex, Lies and Headlocks, S. 196.)
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harten Körpers als Zeichen für die fortgesetzte Hegemonie weißer Maskulinität in der Gesellschaft der Vereinigten Staaten. Im Falle Austins zeigte sich dies besonders an dessen Fehde mit Bret ›The Hitman‹ Hart114, die Vince McMahon bald nach dem überraschenden Erfolg von Austins Wutrede beim King of the Ring entwickeln ließ, um diesen auch offiziell als neuen und zentralen Star in seinen Wrestlingshows zu etablieren. Der plötzliche Erfolg des Steve-Austin-Charakters hatte Vince McMahon und die World Wrestling Federation zunächst einmal vor ein schwieriges Problem gestellt, da im ursprünglichen Plan des Promoters vorgesehen gewesen war, dass Williams als wichtiger Heel-Wrestler in den WWF-Programmen auftreten sollte. Die große und vor allem positive Resonanz, welche die Figur jedoch beim Publikum hervorgerufen hatte, machte es aber unmöglich, diesen Plan beizubehalten. Deshalb stellte er ihn gegen Bret Hart, welcher Anfang der 90er der zentrale Babyface-Charakter der WWF gewesen war und dessen Stern in etwa zur gleichen Zeit zu sinken begonnen hatte, als der von Steve Austin aufging.115 Bret Hart stammte aus einer bekannten kanadischen Wrestlerfamilie und war während der späten 1980er und frühen 1990er kontinuierlich in der Gunst des WWF-Publikums gestiegen. Als Terry Bollea die WWF zu Beginn der 1990er verlassen hatte, um sich abermals an einer Karriere als Schauspieler zu versuchen, setzte McMahon Bret Hart als neuen zentralen Babyface-Wrestler seiner Promotion ein. Auch wenn die Figur des ›Hitman‹ äußerlich einige Unterschiede zum übermächtigen und kaum ersetzbaren ›Hulk Hogan‹-Charakter aufwies, funktionierte die Figur trotzdem nach der alten Erfolgsformel. So verkörperte auch Bret Hart auf der textuellen Ebene einen ehrlichen Helden, der sich stets für das Gute einsetzte und dessen feste moralische und ethische Grundsätze auf der somatischen Ebene mittels seines harten Körpers zum Ausdruck gebracht wurden. Seit der allgemeinen Wende zum Anti-Helden, welche die Wrestlingindustrie ab Mitte der 1990er erfasste, hatte jedoch auch Harts Popularität zunehmend gelitten. Die nun als weniger zeitgemäß erlebte Darstellung eines sauberen Heldencharakters stieß bei weiten Teilen des Publikums nicht länger auf die Resonanz, welche sie noch zu Beginn der 90er Jahre erzeugt
114 Im Folgenden aus formalen Gründen nur noch Bret Hart genannt. 115 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 149 f.
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hatte. Auch Vince McMahon und der WWF-Leitung war dieser langsame, aber merkliche Umschwung in den Vorlieben des Publikums aufgefallen und so fanden sie in Bret Hart den perfekten Gegenspieler für Steve Austin, um diesen hochoffiziell als neuen Typ von Babyface-Wrestler zu etablieren, welcher die Programme der Promotion in Zukunft tragen sollte.116 Das Besondere an der Rivalität der beiden Wrestler war dabei, dass es sich im Wesentlichen um eine Fehde zwischen zwei Baybface-Wrestlern handelte, auch wenn Steve Austin zu diesem Zeitpunkt eher ein designiertes Babyface und Bret Hart einen designierten Heel verkörperte und die Fans, welche ihren jeweiligen Liebling in der Rolle des Baybfaces sahen, (noch) aus unterschiedlichen Lagern kamen. Begegnungen zwischen zwei Babyface-Wrestlern stellen in der amerikanischen Wrestlingindustrie eher eine Ausnahme dar, und wenn es zu solchen Rivalitäten kommt, liegt die Besonderheit und der Reiz stets darin, dass zweierlei im Professional Wrestling etablierte Typen der Inszenierung des harten Körpers in Konkurrenz zueinander gestellt werden, um so zu entscheiden, welche der beiden Verkörperungen als die dominantere angesehen werden muss. Auch die Begegnung zwischen Austin und Hart folgte diesem Schema. Hart betonte nun bei seinen Auftritten in den WWF-Programmen besonders den heldenhaften Gestus, den er in den letzten Jahren verkörpert hatte und kritisierte das Publikum dafür, dass es einem Charakter wie Steve Austin zujubelte, der all das verkörpere, gegen das er in den letzten Jahren gekämpft hatte. Um den Kontrast zwischen Bret Hart als Verkörperung eines klassischen Babyface-Charakters und Steve Austin als Prototyp eines neuen Babyface-Typus stärker in den Vordergrund treten zu lassen, wurde dabei auf der textuellen Ebene immer deutlicher auf Harts kanadische Herkunft abgestellt, die er als Anlass nahm, das für ihn unverständliche Verhalten der Amerikaner ›von außen‹ zu kritisieren: For years, Bret »Hit Man« Hart had been one of the WWF’s top babyfaces. But he began telling the American fans what he thought of their country. The native of Calgary, in Canada’s province of Alberta, described the United States as a country that »glorifies criminal conduct.« On one WWF broadcast, he stood in the center of the
116 Für eine kurze – wenn auch etwas einseitige – Zusammenfassung der Rivalität zwischen den beiden Wrestlern vgl.: Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 149 ff.
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ring and proclaimed; »Canada’s a country where we still take care of the sick and the old, where we still have health care. We got gun control. We don’t kill each other and shoot each other on every street corner. Canada isn’t riddled with racial prejudice and hatred.«117
McMahon baute die Rivalität der beiden über mehrere Monate hin auf und bereitete so das große Aufeinandertreffen bei Wrestlemania 13 am 23. März 1997 in Chicago vor. Um den Stellenwert des Kampfes noch besser hervorzuheben, wurde der Kampf als ›Submission Match‹ beworben, ein Kampf, bei dem alle Regeln außer Kraft gesetzt sind und der nur durch Aufgabe des Gegners gewonnen werden kann. Es handelt sich dabei um eine Form des Kampfes, die in der amerikanischen Wrestlingindustrie gerne zur Beilegung besonders tiefgreifender Rivalitäten zwischen zwei Kontrahenten verwendet wird. Dieser Kniff unterstrich die Bedeutung der Begegnung und sprach eine überdeutliche Sprache: Welcher Hardbody würde sich in einem Kampf ohne Regeln – der seinerseits durchaus als weiteres Symbol für den Status Quo der USA nach dem Ende des Kalten Krieges gesehen werden kann – durchsetzen: Der harte Körper der Reagan-Ära oder ein neuer, radikalisierter Typus des harten Körpers der Post-ReaganZeit? Wie durch die Rahmensetzung beabsichtigt wich der Verlauf des Kampfes stark von dem ab, was das Mainstreampublikum vom Professional Wrestling zu dieser Zeit gewohnt war und entwickelte sich eher zu einer wilden Schlägerei nach dem Vorbild der Kämpfe von Extreme Championship Wrestling. Hart und Austin prügelten sich die meiste Zeit außerhalb des Ringes, sogar mitten im Publikum, und nahmen dabei alles an Gegenständen zu Hilfe, was sie gerade zu fassen bekommen konnten: Stromkabel, Stühle, stählerne Ringtreppen etc. Der Kampf wurde ebenso erbittert wie gnadenlos geführt und verlief ziemlich ausgeglichen bis zu dem Punkt, an dem sich an Steve Austins Stirn eine klaffende und stark blutende Wunde auftat, die ihm Bret Hart scheinbar durch einen Schlag mit der stählernen Ringglocke zugefügt hatte. Diese Verletzung bereitete die Bühne für das berühmte Finish des Kampfes. Das Kräftegleichgewicht begann sich nun zunehmend in Richtung Bret Hart zu verschieben, dem es nun immer öfter gelang, Steve Austin mit seinen Aktionen zu dominieren, um ihn dann – in
117 Greenberg, Pro Wrestling, S. 107.
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einem Moment der Unaufmerksamkeit – im ›Sharpshooter‹, dem charakteristischen Aufgabegriff Harts, zu fixieren. Der Haltegriff bildete den dramaturgischen Höhepunkt des Kampfes. Minutenlang konnte das Publikum beobachten, wie Steve Austin sich unter größten Anstrengungen gegen seinen Gegner zur Wehr setzte und sich immer wieder aufbäumte, während das Blut aus seiner Stirn quoll und zunehmend den Ringboden bedeckte. Doch immer als es schien, dass Austin den Griff brechen könnte, bekam Hart wieder die Oberhand und fixierte seinen Gegner auf der Matte. Dieses Hin und Her steigerte sich so lange, bis Steve Austin das Bewusstsein zu verlieren schien, in sich zusammensackte und keine Reaktion mehr zeigte. Während die Fernsehkommentatoren noch mutmaßten, dass der starke Blutverlust wohl für die Ohnmacht verantwortlich sein musste, beendete der Ringrichter den Kampf wegen Kampfunfähigkeit und erklärte Bret Hart zum Sieger. Dies stellte aber nur das Ende der körperlichen Auseinandersetzung dar, die zentralen und denkwürdigen Szenen der Begegnung sollten erst noch folgen. Dem Publikum war nämlich nicht entgangen, dass Austin eigentlich nicht aufgegeben hatte. Eine Tatsache, die mit lautstarkem Jubel für den immer noch vermeintlich bewusstlos am Boden liegenden Wrestler quittiert wurde. Hart versuchte noch mehrmals den Haltegriff wieder anzusetzen und seinen Gegner zur Aufgabe zu zwingen. Nur das vehemente Auftreten des eigens für den Kampf eingesetzten ›Sonderschiedsrichters‹ Ken Shamrock – ein bekannter ›Mixed Martial Arts‹-Kämpfer – konnte die neuerlichen Attacken des ›Hitman‹ abwenden und dafür sorgen, dass dieser – unter aggressiven Buhrufen des Publikums – des Rings und der Halle verwiesen wurde. An Austin gingen diese Szenen jedoch vorbei, da er weiterhin bewusstlos auf der Matte lag und nach Harts Abgang von zum Ring geeilten Ringrichtern und Offiziellen mit besorgten Blicken betrachtet wurde. Unterdessen verlangten die Fernsehkommentatoren, stellvertretend für die Zuschauer zu Hause, nach ärztlicher Unterstützung. Nach etwa zwei Minuten kam Austin jedoch von selbst wieder zu Bewusstsein und versuchte, sich an den Ringseilen wieder aufzurichten. Als ihm einer der Ringrichter aufhelfen wollte reagierte er jedoch aggressiv und schlug ihn nieder, nur um sich anschließend aus eigener Kraft und unter Begleitung von frenetischen »Austin, Austin«-Rufen aus der Halle zu schleppen. Durch die Verhaltensweisen, welche die beiden Wrestler am Ende des Kampfes an den Tag gelegt hatten, wurde die anfängliche Spannung zwi-
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schen zwei Babyfaces in eine neue Situation aufgelöst: Die Rollenzuschreibungen wurden entlang der üblichen Klassifizierungen durch das Heel/Babyface-Schema umverteilt.118 Bret Hart hatte durch sein Verhalten in die Rolle eines Heel-Wrestlers gewechselt, während Steve Austin in seiner Rolle als potenzielles Babyface bestärkt und legitimiert worden war. Gemäß der performativen Logik des Professional Wrestling war diese Legitimierung als Babyface dabei primär über die Repräsentation des harten Körpers als interne Relation innerhalb eines Körpers zustande gekommen. Die ›Verwundung‹ von Steve Austin stand für die dominierte weiche Position und damit in starkem Kontrast zur harten Position, die in der Überwindung der Verwundung sichtbar wurde. Dabei machte es keinen Unterschied, dass Austin nach offizieller Sprachregelung der Verlierer der Begegnung war. Die Tatsache, dass er nach dem Kampf aus eigener Kraft, ohne jegliches Hilfsmittel, aus seiner Ohnmacht erwacht war, dramatisierte die identitätsbildende Logik des Hardbody-Ideals derart, dass sie das eigentliche Geschehen des Kampfes in den Hintergrund drängte und Steve Austin als waschechten Babyface-Charakter und Hardbody par exellence bestätigte. Die Darstellung von Steve Austin auf der Ebene der somatischen Assoziationen funktionierte damit analog zur klassischen Charakterisierung eines Babyface-Charakters, wie bereits im vorangegagnen Kapitel am Beispiel von ›Hulk Hogan‹ diskutiert wurde. Dabei zeichnet sich jedoch eine Radikalisierung in der Form der Darstellung ab, die mit den historischen Anforderungen an das Ideal des harten Körpers im Einklang steht. Denn während der ›Moment der Krise‹ im Fall von ›Hulk Hogan‹ die Bühne für das dramatische Überwinden der Krise durch die Wiederherstellung des harten Körpers bereitete, fungierte die Überwindung der Ohnmacht im Falle von Steve Austin als Bestätigung des harten Körpers, welcher als unzweifelhafte und unzerstörbare Realität dargestellt wird, die durch ihre offensichtliche Verwundung nur kurzzeitig in Zweifel gezogen, aber nicht zum Verschwinden gebracht werden kann.119 In beiden Fällen bildet die bi-
118 Tatsächlich sind solche Wechsel von Heel zu Babyface und von Babyface zu Heel im Professional Wrestling sehr häufig, auch wenn es eher selten vorkommt, dass beide Wrestler – wie in diesem Fall – ihre Rolle innerhalb eines Kampfes wechseln. Vgl.: Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 137 ff. 119 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Arbeit von Douglas Bettama und Philip Sewell. Die beiden Autoren kommen dort zu der ganz ähnlichen
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polare Spannung zwischen einem dominierten weichen Körper und einem dominierenden harten Körper jedoch die Grundlage für die Charakterisierung der jeweiligen Figur durch das Hardbody-Ideal auf der Ebene der somatischen Assoziationen, die die textuellen Assoziationen stützen und bestätigen soll. Die Botschaft, die der Steve-Austin-Charakter an sein Publikum sendete, war deutlich: Auch wenn sich die Problematiken der 1980er augenscheinlich zugespitzt hatten, konnten sie doch die (Re-)Legitimierung weißer Maskulinität durch das Hardbody-Ideal nicht in Zweifel ziehen. Dementsprechend wurden die Programme der World Wrestling Federation in den folgenden Jahren von Figuren dominiert, welche sich durch das Hinwegsetzen über die klaren, moralisierten Dichotomien, die den Charakteren in den 80ern angehaftet hatten, auszeichneten. Der Kampf bei Wrestlemania 13 signalisierte zudem, dass der harte Männerkörper weiterhin über jeden Zweifel erhaben war und auch in Zukunft die Lösung für jede Situation und jeden Konflikt auf textueller Ebene in sich barg. Wie unzweifelhaft diese Position des harten Körpers war, zeigte sich dabei insbesondere an vermehrten und expliziteren Gewaltdarstellungen, die dem WWF-Publikum der Attitude Era Woche für Woche aufs Neue vor Augen führten, dass Verwundungen den Hardbody letztlich nur in seiner Selbstidentität bestärken.
Schlussfolgerung, dass die Häufungen der Gewaltdarstellungen in der WWF der 1990er Jahre als ein Mittel angesehen werden müssen, den männlichen Körper als den letzten Anker von Realität in den Showkämpfen des Wrestling zu präsentieren: »The core of these reality claims are rooted in the body: even if everything else is fake, the bodies are real – or, more specifically, the male body is real. […] Thus, the indisputably genuine pain and suffering of male bodies becomes one of the primary claims to reality and truth within WWF texts.« (Dougals Bettama und Philipp Sewell, »Trading in Masculinity: Muscles, Money and Merket Discourse in the WWF«, Steelchair to the Head: The Pleasure and Pain of Professional Wrestling, herausgegeben von Nicholas Sammond (Durham/London: Duke University Press, 2005): S. 266).
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»I appreciate the fact that you can kiss my ass!«: ›Stone Cold‹ Steve Austin und der ›Tod des Familienernährers‹ Wegen des großen Erfolgs der Fehde zwischen Steve Austin und Bret Hart wurde die Rivalität der beiden Wrestler in den Programmen der WWF noch einige Monate über deren großen Kampf bei Wrestlemania 13 hinaus verlängert und dabei – nach und nach – immer deutlicher zugunsten von Steve Austin entschieden, der nun auch offiziell als neues zentrales Babyface der Promotion agieren konnte. Nachdem diese Storyline beendet war sollte der Steve-Austin-Charakter langsam zu einem Anwärter auf den Championsgürtel der Promotion aufgebaut werden und trat zu diesem Zweck mit verschiedenen anderen populären Wrestlern der WWF auf. Eine der wohl wichtigsten Rivalitäten in dieser Zeit war eine ausgiebige Auseinandersetzung mit Bret Harts jüngerem Bruder Owen Hart, der ebenfalls für die WWF tätig war. Owen Hart war gerade der Träger des sogenannten Intercontinental-Champion-Titels, ein Titel, der in den Programmen der WWF neben dem obligatorischen Championsgürtel ausgefochten und oft dazu verwendet wurde, einen Wrestler als legitimen Anwärter auf den WorldWrestling-Federation-Champion-Titel zu positionieren. Am 3. August 1997 sollte es dann in der Continental-Airlines-Arena in New Jersey beim jährlichen Summer Slam – neben Wrestlemania das größte Pay-per-View-Event im jährlichen Turnus der WWF – zu einem großen Titelkampf zwischen den beiden Kontrahenten kommen, aus dem Steve Austin als neuer Intercontinental Champion (IC) der Promotion hervorgehen sollte. Der Plan ging aber nur bedingt auf. Williams wurde zwar wie geplant IC-Champion der WWF, zog sich jedoch während des Kampfes nach einer misslungenen Aktion von Owen Hart eine schwere – reale – Gehirnerschütterung und Nackenverletzung zu, welche seinen Einsatz im Ring auf Monate hinaus unmöglich machen sollte.120 Was zunächst wie ein herber Rückschlag für die WWF aussah, welche zu diesem Zeitpunkt auf den Steve-Austin-Charakter angewiesen war, um sich im Quotenkrieg mit der WCW weitere Vorteile verschaffen zu können, sollte sich jedoch ironischerweise zu einem späteren Zeitpunkt als der zentrale Wendepunkt der sogenannten Monday Night Wars entpuppen, der die World Wrestling Federation schließlich wieder zum unangefochtenen
120 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 179.
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Marktführer in der US-Wrestlingindustrie machte. Da Williams vorerst nicht im Ring eingesetzt werden konnte entschied man sich nämlich dafür, seine Verletzung zum Teil einer Storyline zu machen, die erst einmal nicht von ihm verlangte, aktiv im Ring aufzutreten. Zu diesem Zweck bekam er einen höchst ungewöhnlichen Gegner: Vince McMahon selbst, der nun als ›Mr. McMahon‹ selbst zum aktiven Bestandteil seiner Wrestlingshows wurde.121 Die Grundlage für die neue Fehde von Steve Austin sollte im Livefernsehen am 22. September 1997 bei der ersten Ausgabe von Monday Night RAW in der offiziellen Heimat der McMahon-Promotion, dem New Yorker Madison Square Garden, gelegt werden:
121 McMahon war als Moderator, Kommentator oder Interviewpartner bereits seit den späten 1970er Jahren ein aktiver Teil der WWF-Programme gewesen. Kennern der Industrie war zwar stets bewusst gewesen, dass er auch der Inhaber der Promotion war, doch bis Mitte der 1990er Jahre wurde dieser Umstand in den Sendungen der WWF nie besonders thematisiert. Im Oktober 1996 kam es jedoch zu einem denkwürdigen Ereignis, welches die Position McMahons in seinen Fernsehshows nachhaltig ändern sollte. Hintergrund war der unsaubere Abgang Bret Harts, der in die WCW wechselte, weil er sich dort bessere Chancen versprach. McMahon hatte einen mündlichen Vertrag zwischen den beiden gebrochen und Hart in seiner Heimatstadt Montreal – wo Hart noch immer ein beliebtes Babyface war – seinen Titel verlieren lassen. Das Problem war, dass Hart von der Planänderung erst am Ende des Kampfes erfuhr, welcher plötzlich zugunsten seines Gegners gewertet wurde. Dies führte zu eine realen Konfrontation zwischen Hart und McMahon, welcher seinen Boss – vor den Augen des Live-Publikums – anspuckte, um wutentbrannt die Halle zu verlassen. McMahon nutzte den Zwischenfall für seine eigenen Zwecke und baute sich in den folgende Wochen als ›Mr. McMahon‹ zu einem festen Charakter von Monday Night RAW auf. Zunächst beschränkte sich McMahons Tätigkeit als Heel darauf, seine Mitarbeiter willentlich zu traktieren. Im weiteren Verlauf der Fehde mit Steve Austin wurde der Promoter sogar selbst im Ring aktiv; ein Unterfangen, dass durch McMahons jahrelange aktive Betätigung als Bodybuilder glaubhaft an das Publikum verkauft werden konnte. Vgl. hierzu: Greenberg, Pro Wrestling, S. 107 ff.; Assael & Mooneyham, Sex, Lies and Headlocks, S. 190 ff.
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September 22, 1997, was historic in more ways than one. Monday Night RAW was in Madison Square Garden for the first, with an enthusiastic crowd waiting to see the next chapter in the Austin story. Owen Hart was in the ring, congratulating himself for putting Austin out, when Stone Cold appeared and promptly threw him out. New York’s finest [d.h. die Polizei P.K.], cornering Austin and trying to keep the situation from getting out of control. At ringside, WWF owner Vince McMahon had be calling the action. He asked the police to give him a minute with Steve. McMahon kept asking Austin. »What’s the matter with you?« He acknowleged that he had every reason to be upset, after all, he’d been forced to forfeit the Intercontinental and the WWF tag team championships. Still, there was no need to break the law. As McMahon tried to reason with Austin, Stone Cold egged the police on, daring them to hit him. McMahon continued trying to talk sense: »Don’t you know you’re not physically ready to compete?« Austin’s doctors had told him he’d risk permanent paralysis if he wrestled in his current condition, something the WWF didn’t want on its conscience. McMahon said Austin’s fans didn’t want to see him in a wheelchair. Finally, McMahon told Austin that people cared about him – people in the WWF also cared about him, and Austin simply had to work with the system. After McMahon’s speech, Stone Cold reminded the boss that wrestling was what he did for a living and nobody did it like him. It was easy enough for McMahon to tell him to take his time, but he wasn’t the one stuck at home. Still, McMahon’s words seemed to strike a chord: »If that’s what it takes to make you and the WWF happy,« he said, then he would work within the system. Austin said he appreciated the fact, that people in the WWF cared – then he changed his tune. He told McMahon, »I appreciate the fact that you can kiss my ass!« Austin had had enough. He kicked McMahon in the gut. Everyone in the building knew what was coming – still few could believe it when he delivered a Stone Cold stunner [der »trademark-move« von Austin, bei dem er das Kinn des Gegners mit Schwung auf seine Schulter krachen ließ, während er sich selbst Richtung Ringmatte stürzte P.K.] to the owner of the WWF!
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New York’s finest wasted no time cuffing Austin. His work done, Austin did not resist. He did get one last shot at McMahon though. As the police hauled him away Stone Cold flipped the boss the bird.122
Die Rivalität zwischen dem rebellischen Steve Austin und seinem Boss entwickelte sich in den darauffolgenden Jahren zu einer der größten und bekanntesten Geschichten, die das Professional Wrestling bis dato hervorgebracht hatte. Dies lag zum einen daran, dass die Fehde zwischen den beiden Männern jene zentralen Grundzüge in den Vordergrund stellte, die schon zu Beginn von Steve Williams’ Karriere in der WWF den Erfolg des Steve-Austin-Charakters ausgemacht hatten. Austin wurde abermals auf der textuellen Ebene als Anti-Held dargestellt, der nur nach eigenen Regeln funktioniert und nicht bereit ist, sich in ›das System‹ einzufügen. Zum anderen wurde Austin gleichzeitig durch seine offensichtliche Gleichgültigkeit gegenüber seiner Verletzung auf der Ebene der somatischen Assoziationen abermals durch seinen harten Körper definiert, der sich bereits im Kampf gegen Bret Hart durch seine augenscheinliche Unzerstörbarkeit ausgezeichnet hatte. Doch durch die Wahl von Vince McMahon – dem millionenschweren Boss der WWF, der die ehemalige Promotion seines Vaters in den 1980ern zu einem milliardenschweren Unternehmen aufgebaut hatte – als Austins neuem Gegenspieler und die damit implizierte Thematisierung des harten Körpers im Kontext der ökonomischen Stellung der amerikanischen Männer wurde dieses Motiv in einen breiten und besonders anschlussfähigen Kontext gestellt, der die Funktion von Steve Austins Hardbody noch prominenter in den Mittelpunkt rückte.123 Wie Eva Boesenberg zeigen konnte hatte sich die Infragestellung maskuliner Hegemonie, die seit den 80ern in der amerikanischen Öffentlichkeit immer vehementer vorangetrieben worden war, während der 90er Jahre nicht nur durch das plötzliche Ende des Kalten Krieges und die damit einhergehenden Zweifel an der ›Reagan-Revolution‹ verschärft, sondern wurde zusätzlich durch die Frage nach der zukünftigen ökonomischen Stellung weißer Männer in den USA befeuert. Zwar sorgten ein zeitweiliger
122 Rickard, Wrestling’s Greatest Moments, S. 179 f. 123 Vgl. hierzu auch: Leverette, Professional Wrestling: The Myth, the Mat, and American Popular Culture, S. 135.
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Börsenboom und einige florierende Wirtschaftssektoren wie die New Economy für eine vorübergehende Stabilisierung der amerikanischen Wirtschaft, doch die ungleiche Verteilung von Wohlstand und der immer kompliziertere Arbeitsmarkt führten zeitgleich zu einem wahrnehmbaren »Schrumpfen der Mittelklasse«124, in der bekanntlich das für die Vorstellung von der Hegemonie weißer Männer in den USA so wichtige Ideal des Familienernährers wurzelt und das folglich zunehmend in Zweifel gezogen wurde. Insbesondere die Tatsache, dass sich immer mehr amerikanische Familien in »double-income«125-Haushalte verwandelten, signalisierte ein regelrechtes Scheitern des klassischen Modells der häuslichen Sphärenteilung und damit auch ein »Scheitern des Familienernährer-Modells«126, dass in der Nachkriegszeit noch als der Ankerpunkt maskuliner Hegemonie in den USA ausgerufen worden war. »Dabei spielt es keine Rolle, dass dieser Typus lediglich für einen Zeitraum von fünfzig Jahren für eine Mehrheit der US-amerikanischen Familien erschwinglich war, und dass selbst zur Blütezeit dieses Modells in den 1950er Jahren weniger als 60% aller Kinder in solchen Haushalten aufwuchsen«127, denn die große »emotionale Bindung der Männer an die Ernährerrolle«128 ließ den Abstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit bzw. Möglichkeit nur noch weiter auseinanderklaffen und war Mitte der 1990er Jahre dafür verantwortlich, dass »immer
124 Boesenberg, »Ökonomien der Männlichkeit«, S. 381. 125 »Die Rolle des Familienernährers galt auch in den 1980er und 1990er Jahren als zentrale männliche Aufgabe: nach Umfragen des Yankelovic MonitorInstituts sahen Männer wie Frauen diese Funktion vor Athletik, Führungs- und Verführungsqualitäten als konstitutiv für erfolgreiche Virilität an. Allerdings entspricht dieses Ideal immer weniger den veränderten ökonomischen Gegebenheiten. So stellen die Soziologinnen Rosalind C. Barnett und Caryl Rivers fest, dass Mitte der 1990er Jahre weniger als 3% aller US-amerikanischen Familien die traditionelle Struktur mit alleinverdienendem männlichen Haushaltsvorstand und einer Hausfrau ohne eigenes Einkommen aufwiesen, während Doppelverdienerehen über 60% aller verheirateten Paare stellten. Die Familienernährerrolle als Herzstück maskuliner Identität ist de facto überholt.« (Boesenberg, »Was kostet der Mann?«, S. 39 f.). 126 Boesenberg, »Was kostet der Mann?«, S. 36. 127 Boesenberg, »Ökonomien der Männlichkeit«, S. 375. 128 Boesenberg, »Ökonomien der Männlichkeit«, S. 375. Hervorhebung im Original.
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mehr weiße Männer mit ihrer Unfähigkeit [konfrontiert wurden], für das Auskommen ihrer Familie zu sorgen«129: So wurde zwischen 1995 und 1997 etwa acht Millionen Beschäftigten aufgrund von Firmenumstrukturierungen oder Betriebsschließungen gekündigt. Das mittlere Einkommen erreichte 1997 gerade einmal den Wert von 1989 und lag nur 1 260 $ höher als das mittlere Einkommen im Jahr 1973. Dabei arbeiteten nun zwei bis drei Familienmitglieder für dasselbe Geld, in der Regel bei Wochenarbeitszeiten, die jene eines Familienvaters der 1960er überstiegen. Im Gegensatz etwa zu den 1950er Jahren stellte daher, […] am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts patriarchale Macht, die auf der Rolle des Ernährers basierte, nur noch für reiche Männer eine Option dar.130
Diese Tendenzen steigerten sich durch den Umstand, dass die raumgreifenden Unsicherheiten dieses zentrale Standbein männlichen Selbstverständnisses betreffend »[…] mit einer beinahe allgegenwärtigen Repräsentation der 1990er Jahre als einer Dekade umfassender Prosperität zusammenviel, in der einige Gewinne des Börsenbooms angeblich sogar zu bisher marginalisierten Bevölkerungsgruppen durchsickerten«131, was dazu führte, dass viele weiße Männer ihre Identität – entgegen dem Trend – noch stärker an ihre ökonomische Stellung zu koppeln begannen und damit ihr Unvermögen, am vermeintlich leichten Reichtum zur partizipieren, als Beleg für ihr eigenes Unvermögen als Mann ansahen. Die verstärkte Abhängigkeit einer Familie vom zusätzlichen Einkommen der Frau interpretierten sie somit als Angriff auf ihre Stellung als Mann. Aufgrund des Stellenwerts, der ihr aber nach wie vor beigemessen wird, nehmen viele heterosexuelle Männer das Ende der finanziellen Dominanz gegenüber der Partnerin als Verlust von Männlichkeit insgesamt wahr. […] Kein Mensch kann alle Anforderungen erfüllen, die unsere Kultur an einen »wahren Mann« stellt. Geld als Indikator für erfolgreiche Maskulinität ist möglicherweise auch deshalb so attraktiv, weil es einen quantifizierbaren »Beweis« für einen begehrten prestigeträchtigen Persönlichkeitsaspekt erbringt, der eigentlich kaum messbar ist. Unabhängig von der Höhe des eigenen Einkommens oder Vermögens stellt dabei die monetäre Differenz
129 Boesenberg, »Ökonomien der Männlichkeit«, S. 381. 130 Boesenberg, »Was kostet der Mann?«, S. 36. 131 Boesenberg, »Ökonomien der Männlichkeit«. S. 377.
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gegenüber der Frau so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner von Männlichkeit dar.132
Die Fehde zwischen Steve Austin und ›Mr. McMahon‹ griff diese Thematik auf der Ebene der textuellen Assoziationen auf, indem sie einen ›einfachen Arbeiter‹ gegen einen übermächtigen Firmenboss stellte, der all das verkörperte, was am ›corporate america‹ in den 1990ern kritisiert werden konnte: Machtmissbrauch, Gier, narzisstische Selbstdarstellung. »[McMahon] became the embodiment of the mean-spirited, heartless boss WWF fans dealt with during their workdays. By allowing ›Stone Cold‹ to verbally and physically abuse him, McMahon helped convert Austin into the downtrodden hero of economic America’s white, grimy underbelly.«133 Doch anstatt das ökonomische Abhängigkeitsverhältnis zwischen Steve Austin und seinem Boss zur Unterminierung von Austins Stellung als Mann werden zu lassen, zeigte die Auseinandersetzung der beiden auf der Ebene der somatischen Assoziationen, dass der harte Körper selbst in Zeiten ökonomischer Unsicherheit als Refugium für die außerordentliche Stellung weißer Maskulinität in der amerikanischen Gesellschaft fungiert. Im Wochenrythmus wurden die Zuschauer von RAW nun Zeuge von immer neuen Konfrontationen zwischen den beiden Männern, bei denen Austin immer wieder unter Beweis stellte, dass seine körperliche Überlegenheit jede Bedrohung überwinden konnte, die McMahon ihm in den Weg stellte. Egal ob McMahon seine Stellung gerade dazu nutzte, um seinem Mitarbeiter das Leben durch spontane Regeländerungen zu erschweren, diesen mit immer neuen Wrestlern konfrontierte, die als brave Mitarbeiter der ›Corporation‹ – so der Name der Heel-Gruppierung, die ›Mr. McMahon‹ nun um sich scharte – auf Austin angesetzt wurden oder – zum Finale der Fehde – sogar selbst gegen Austin in den Ring stieg: In immer neuen Variationen der sich über gut zwei Jahre hinziehenden Fehde wurde die anscheinende Unzerstörbarkeit von Austins Körper als Beleg dafür herangezogen, dass die herausgehobene Stellung weißer Maskulinität in der amerikanischen Gesellschaft auch durch ökonomische Schieflagen nicht zu brechen sein würde. Knappe hun-
132 Eva Boesenberg, »Männlichkeit als Kapital: Geld und Geschlecht in der U.S.amerikanischen Kultur«, Geld und Geschlecht: Tabus, Paradoxien, Ideologien, herausgegeben von Britta Wrede (Opladen: Leske + Budrich, 2003): S. 40. 133 Beekman, Ringside, S. 135.
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dert Jahre nach Eugene Sandows Muskelspielen und der großen »Krise der Männlichkeit« zur Jahrhundertwende traten Steve Williams’ Muskelspiele als ›Stone Cold‹ Steve Austin den erneuten Beweis an, dass das ›körperliche Vermögen‹ des Hardbodies im Zweifelsfall jederzeit über ökonomisches Vermögen triumphieren konnte und so die hegemoniale Stellung weißer Maskulinität auch von Zeiten des vermeintlichen Hegemonieverlusts nicht gefährdet werden konnte.
4. Outro: Professional Wrestling in der Kultur Nordamerikas
Ziel dieser Studie war es, die grundlegenden Organisations- und Funktionsweisen der amerikanischen Wrestlingindustrie herauszuarbeiten und zu skizzieren, wie die Shows des Professional Wrestling in ihren expliziten wie impliziten Darstellungsformen auf spezifisch amerikanische Diskurse in Kultur und Gesellschaft rekurrieren und Wrestling somit als eine genuin amerikanische Form des Entertainments kennzeichnen. Wie wir im Verlauf dieser Arbeit gesehen haben, lassen sich dabei zwei grundlegende, miteinander verbundene Schemata identifizieren, die das Professional Wrestling seine gesamte Geschichte hindurch geprägt haben und trotz aller Veränderungen und Umbrüche als stabile Konstanten gelten können: Das auf dem Prinzip des somatischen Feedbacks basierende performative System der Wrestlingshows und die Klassifizierung der Wrestler durch das Heel/Babyface-Schema sowie die damit einhergehenden textuellen und somatischen Assoziationen. Professional Wrestling lässt sich am ehesten als Performance im Stile der Performancekunst beschreiben, die sich die somatischen Feedbackmechanismen zwischen den an der Performance beteiligten Akteuren zunutze macht, um ein dichtes, gemeinsames Netz aus Interaktionen zu weben, welches in und durch die Interaktionen aller Beteiligten erzeugt, stabilisiert und modifiziert wird. Dabei lassen sich stets drei Gruppen von Akteuren unterscheiden: Promoter, Wrestler und Publikum. Aufgabe der Promoter ist es, einen Rahmen für die Interaktion der Wrestler mit dem Publikum zu schaffen, während die spezifischen Interaktionen zwischen den Wrestlern und ihrem Publikum während der Perfor-
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mance wiederum die Rahmensetzung durch die Promoter bestätigen und/oder modifizieren. Das Professional Wrestling stellt somit als Performance stets ein situatives und damit auch transitives Spektakel dar, dessen Funktionieren immer davon abhängig ist, dass die für den erfolgreichen Verlauf der Performance notwendigen Feedbackeffekte zwischen den Akteuren auch in Gang gesetzt werden und eine hinlängliche Stabilität erreichen, die es jedem der an der Performance beteiligten Akteure ermöglicht, seine Rolle einzunehmen und beizubehalten. Dass dies so geschehen kann, wird durch das Heel/Babyface-Schema gewährleistet. Dieses basale Schema gründet auf der Charakterisierung der im Ring aktiven Wrestler durch textuelle Bezüge (auf kulturell und zeitgeschichtlich aktuelle Differenzdiskurse) und somatische Bezüge (auf das Ideal des harten Männerkörpers). Jedem der an der Performance beteiligten Akteure gibt das Heel/Babyface-Schema so etwas wie ein performatives Skript an die Hand, welches sich ordnend auf alle während einer Wrestlingperformance stattfindenden Handlungen auswirkt und damit die Erzeugung des performativen Rahmens gewährleistet. Kern des Heel/Babyface-Schemas sind dabei stets die Sympathien und Antipathien des Publikums, die den Wrestlern im Ring zeigen, wie sie sich in ihren Rollen zueinander und dem Publikum gegenüber verhalten sollen. Das Auftreten der Wrestler ist dabei so angelegt, dass sie sich vor dem Kampf so verhalten, dass das Publikum sich qua Sympathie und Antipathie überhaupt an der Performance beteiligen wird und damit eine gewisse Grundspannung entsteht, die während des Kampfes ausgeweitet und einem vorläufigen Höhepunkt zugeführt wird. Aufgabe der Promoter ist es, im Vorhinein die textuellen und somatischen Assoziationen, die im und durch das Heel/Babyface-Schema zur Erzeugung einer solchen Grundspannung zum Ausdruck kommen, so auf den jeweiligen kulturellen und zeitgeschichtlichen Kontext hin abzustimmen, dass die Spannung überhaupt erst entstehen und lange stabil gehalten werden kann. In ihren Grundlagen waren die beiden Schemata bereits zur Jahrhundertwende im Ringkampfsport als frühe Vorform des Professional Wrestling vorhanden. Da es sich bei diesen Events noch um einen ›legitimen‹ sportlichen Wettkampf gehandelt hatte, standen die Sportler hier zwar noch mehr im Vordergrund, doch auch sie waren von ihrer Fähigkeit abhängig, ein Feedback zwischen sich und ihrem Publikum aufzubauen, welches die Zuschauer dem Kampf entgegenfiebern ließ und dafür sorgte, dass diese
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den Kampf aktiv durch Zurufe etc. begleiteten. Ringkampfpromoter waren somit – wie später die Wrestlingpromoter – bereits dazu angehalten, einen Rahmen zu schaffen, in welchem die erforderlichen Grundbedingungen gewährleistet waren. Und wie ihre Erben in der späteren Wrestlingindustrie profitierten sie vom zeitgeschichtlichen Klima der Jahrhundertwende, das ihnen textuelle (durch den Rekurs auf Ethnie, Nationalität etc.) und insbesondere somatische Konnotationen (durch die zu dieser Zeit stattfindende Kodifizierung des Hardbody-Ideals) zur Verfügung stellte, die sie durch die Nutzung medialer Mittel (Zeitungen und das neue Medium Fotografie) verbreiten konnten, um sich und ihre Schützlinge so auf dem zeitgenössischen Ringkampfmarkt (der sich durch ihre Handlungen überhaupt erst formieren konnte) zu positionieren.1 Wie in dieser Arbeit gezeigt wurde, hat sich an diesen einfachen Grundprinzipien bis heute nichts geändert. Die weiteren Wachstumsphasen der Wrestlingindustrie setzten sie – insbesondere seit der Nachkriegszeit – lediglich mit weiteren Aspekten in Beziehung – Medialisierung der Performances, strukturelle Umbrüche des Wrestlingmarktes und zeitgenössische Aktualität von textuellen und somatischen Assoziationen –, welche die Komplexität des Professional Wrestling zwar anwachsen ließen, das zugrunde liegende Prinzip aber beibehielten. So fanden die Promoter in der Nachkriegszeit im neuen Medium Fernsehen die einmalige Möglichkeit, das performative Feedback ihrer Shows über die engen Grenzen des Veranstaltungsortes auszuweiten. Die daraus entstehenden Verbindungen mit den lokalen Sendestationen sorgten für eine weitere Konsolidierung der territorialen Organisationsweise, die sich dann letztlich in der Gründung der National Wrestling Alliance niederschlug. Gleichzeitig trafen diese neuen medialen Möglichkeiten im kriegsgeschüttelten Amerika auf einen zeitgeschichtlichen Kontext, in dem ein allgemeines Klima des gesellschaftlichen Wandels in krassem Widerspruch zu den rigiden Rollen- und Ordnungsvorstellungen der wirtschaftlich sanierten Nachkriegsgesellschaft stand und der damit sehr empfänglich für die textuellen Anspielungen auf den Zweiten Weltkrieg, den Kalten Krieg und die somatischen Repräsentationen des Ideals des harten Männerkörpers war.
1
Vgl. auch: Lindaman, »Wrestling’s Hold on the Western World before the Great War«, S. 780 ff.
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Dieselbe Wechselwirkung zwischen den neuen Möglichkeiten zur Medialisierung der Wrestlingshows sowie den damit einhergehenden Umbrüchen in der Organisationsweise der Wrestlingindustrie und einem zeitgeschichtlichen Klima, welches besonders empfänglich für die Bestätigung maskuliner Hegemonie durch die textuellen wie somatischen Inszenierungen des Hardbody-Ideals im Wrestlingring war, zeichnete dann auch die anderen beiden Boomperioden in den 1980ern und späten 1990ern aus, welche die US-Wrestlingindustrie seit der Nachkriegszeit durchlaufen hat. So konnte Vince McMahon die technischen Möglichkeiten des Kabelfernsehens und der Pay-per-View-Technologie in den 1980ern dazu nutzen, um seine Promotion über die geografischen Grenzen seines Territories hinaus auszuweiten und die World Wrestling Federation damit zur ersten amerikanischen Wrestlingpromotion mit einem nationalen – ja sogar internationalen – Anspruch aufzubauen. Gleichzeitig revolutionierte er die mediale Aufmachung seiner Programme und passte sie an die ideologische Grundausrichtung der ›Reagan-Revolution‹ an. Abermals wurde dieses Vorgehen von einem zeitgeschichtlichen Klima unterstützt, welches den vorläufigen Kulminationspunkt jener seit der Jahrhundertwende andauernden Infragestellung weißer, maskuliner Hegemonie in der US-Gesellschaft darstellte. Der Wrestlingboom der 1990er baute auf diesen Entwicklungen auf und profitierte dann insbesondere davon, dass er der Radikalisierung des maskulinen Backlash der 1980er eine Bühne bieten konnte und somit den vermeintlichen Beweis lieferte, dass der harte Körper auch nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Ausbleiben der durch die ›Reagan-Revolution‹ versprochenen Sanierung maskuliner Hegemonie noch immer als Garant für die Vormachtsstellung weißer Maskulinität in den USA herhalten konnte. Doch trotz der durchaus komplexen Textur, welche die Wrestlingindustrie während ihrer bisher größten Boomphasen in den 1980ern und späten 1990er bereits angenommen hatte, blieben die grundlegenden Mechanismen, auf welche sich das Professional Wrestling stützte, stets die gleichen: die Interaktion von Promotern, Wrestlern und Publikum entlang des Heel/Babyface-Schemas und den darin erfolgenden Anspielungen auf zeitgeschichtliche Differenzdiskurse und das Ideal des harten Männerkörpers. Ein regelrechter Wrestlingboom wie in den 1980ern oder 1990ern lässt sich zwar heute nicht mehr ausmachen, doch das Professional Wrestling erfreut sich weiterhin einer großen Beliebtheit und ist insbesondere wirtschaftlich weiterhin sehr erfolgreich. Das zeigt sich am deutlichsten am an-
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haltenden Erfolg von Vince McMahons Promotion World Wrestling Entertainment (WWE), die Ende der 90er Jahre als unangefochtener Markführer aus dem Quotenkrieg hervorgegangen ist und seit dem Aufkaufen ihrer größten Mitbewerber und dem Aufstieg zu einem börsennotierten Unternehmen zumindest im Mainstream der amerikanischen Medienlandschaft als das Synonym für Professional Wrestling angesehen werden muss. Diese Entwicklung ist wohl dahingehend zu deuten, dass die beiden großen Boomperioden in den 1980ern und späten 1990ern letztlich dazu geführt haben, dass sich das Professional Wrestling in der Form von World Wrestling Entertainment dauerhaft im Mainstream der amerikanischen Medienlandschaft verankert hat. Denn während der Wrestlingboom in der Nachkriegszeit eher dafür gesorgt hatte, dass Professional Wrestling als mediales Spartenprodukt überhaupt erst eine eigene Form annehmen und somit dauerhaft einen eigenen Markt ausbilden konnte, waren der Erfolg der World Wrestling Federation in den 1980ern und der anschließende Konkurrenzkampf mit World Championship Wrestling in den 1990ern dafür verantwortlich, dass sich Professional Wrestling zu einem etablierten Segment der Fernsehlandschaft entwickelt hat, das zudem noch – ganz ähnlich zu den großen Sportligen wie NBA, NFL etc. – an eine starke Marke mit hohem Wiedererkennungswert gekoppelt ist. Abgesehen von diesen strukturellen Gegebenheiten besitzen die zentralen Thematiken, für welche die Programme der WWF während der 1980er und 1990er gestanden hatten, auch heute noch große Anschlussfähigkeit. Die Frage nach der vermeintlichen Krisenhaftigkeit und dem damit einhergehenden Hegemonieverlust weißer Männer hat sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA zu einem derartigen diskursiven Dauerbrenner entwickelt, dass offenbar selbst Historiker oft »[…] gar nicht mehr wissen, ob amerikanische Männer sich irgendwann einmal nicht in einem Zustand der Krise befunden haben.«2 Die ökonomischen und sozialen Schieflagen, welche den maskulinen Backlash zur Jahrtausendwende begünstigt hatten, haben die amerikanischen Männer auch in das neue Jahrtausend begleitet und damit sichergestellt, dass sich auch weiterhin noch genügend Zuschauer finden werden, die den im Wrestlingring dargebotenen Inszenierungen des harten Männerkörpers etwas abgewinnen können.
2
Martschukat und Stieglitz, »Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas«, S. 18.
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Darüber hinaus hat sich in den USA seit den Anschlägen vom 11. September 2001 mit dem ›Krieg gegen den Terror‹ ein geopolitisches Weltbild herausgebildet, welches zumindest seiner Funktion nach an das geopolitische Feindbild des Kalten Krieges und der Reagan-Ära erinnert, von dem die Programme der World Wrestling Federation bereits in den 80ern profitiert hatten.3 Es braucht deshalb nicht zu verwundern, dass die Programme von WWE seit 2001 wieder etwas mehr den alten Heldennarrativen der 80er Jahre ähneln, auch wenn die neuen Helden im Wrestlingring immer wieder demonstrieren, dass sie ebenso die legitimen Nachfahren der 1990er-AntiHelden à la ›Stone Cold‹ Steve Austin sind. Eines der besten Beispiele für den aktuellen Stil von World Wrestling Entertainment ist wohl John Cena, der sich ab 2003 zu einem der beliebtesten Charaktere in den Programmen der Promotion entwickelt hat. Cena verkörperte zu dieser Zeit einen weißen Rapper im Stile von Eminen, der seine Gegner mit spontanen und recht humorigen Freestyle-Raps aus der Fassung brachte und im Ring durch seinen beachtlichen Körperbau und seine Körperkraft zu beeindrucken wusste. Nach und nach wurde Cena zum neuen Champion der Promotion aufgebaut und nach einem eigenen RapAlbum machte ihn die WWE sogar zum Hauptdarsteller des ersten von der Wrestlingpromotion produzierten Actionfilms The Marine, der 2006 mit beachtlichem Erfolg in die amerikanischen Kinos kam. Wie der Titel bereits vermuten lässt verkörperte Cena in dem Film einen ehemaligen Elitesoldaten namens John Triton, der ehrenhaft aus dem Militär entlassen wird, nachdem er im Irak zusammen mit seinen Kollegen eigenmächtig einen geheimen Stützpunkt von Al Qaida in Schutt und Asche gelegt hat. Zuhause nimmt Triton einen Job bei einer Sicherheitsfirma an und gerät dabei in die Fänge von Diamantenräubern, die seine junge Verlobte kidnappen. Wegen der offensichtlichen Unfähigkeit der Polizei nimmt Triton die Rettung seiner Verlobten in die eigenen Hände und nutzt dabei seine MarinesAusbildung, um das gesamte Verbrechernetzwerk zu zerschlagen. Nach dem Erfolg des Filmes fanden sich einige Aspekte der John-Triton-Figur in John Cenas In-Ring-Charakter, der nun oft militärisch angehauchte Sport-
3
Vgl. hierzu auch: Susan Faludi, The Terror Dream: Myth and Misogyny in an Insecure America. (New York: Picador, 2007).
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bekleidung trug und dem Publikum beim Einlauf in die Halle im Stile eines Soldaten salutierte. John Cena stellt damit auf der Ebene der textuellen Konnotationen einen interessanten, hybriden Charakter dar, der die Erfolgsformeln der 1980er und 1990er in einer Figur vereint. So ist Cenas Auftreten als weißer Rapper eine deutliche Anspielung auf die strategische Adaption afroamerikanischer Kultur durch jene weißen Männer, die der Autor Norman Mailer in seinem bekannten Essay The White Negro als ›Hipsters‹ bezeichnet hat. Wie Carsten Junker zeigt, hat sich der Hipster in den USA seit den 1960er Jahren zu einem etablierten maskulinen Stereotyp entwickelt, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er sich vom Mainstream der Gesellschaft abhebt, »[…] indem [er] für sich in Anspruch nimmt und auf sich überträgt, was die weiße Mehrheitsgesellschaft als ihr schwarzes Äußeres markiert, abwertet und ausgrenzt.«4 Die »weiße Aneignungspraxis von Schwarzsein«5 des Hipsters fungiert dabei als eine Art »Strategie männlicher Selbstviktimisierung«6, welche auf das Prinzip der rassischen Markierung abhebt, um den weißen Mann als den vermeintlichen Außenseiter in der amerikanischen Gesellschaft zu kennzeichnen. Der in der Figur des Hipsters inkludierte Hegemonieverlust wird somit in ein positives Merkmal umgedeutet und dann als Legitimation für ein Auftreten herangezogen, dass sich jenseits der Normen der Mehrheitsgesellschaft bewegt. In dieser Hinsicht weisen Cenas Auftritte als weißer Rapper eine starke strukturelle Analogie zu den 90er-Anti-Helden im Professional Wrestling auf, die sich ja gerade dadurch auszeichneten, dass sie sich selber als jenseits etablierter Normen stehend positionierten und ihre unabhängige Stellung in einem betont aggressiven Auftreten zum Ausdruck brachten. Gleichzeitig rekurriert John Cena durch die textuellen Anspielungen auf die Figur des John Triton aus The Marine – und natürlich auf den durch den Film implizierten Diskurs des ›Kriegs gegen den Terror‹ – aber auch auf ein spezifisches Ideal der mi-
4
Carsten Junker, »Der ›White Negro‹ als Erlöserfigur: ›Pretty Fly for a White Guy?‹«, Erlöser: Figurationen männlicher Hegemonie, herausgegeben von Sven Glawion, Elahe Haschemi Yekani und Jana Husmann-Kastein (Bielefeld: transcript verlag, 2007): S. 172.
5
Junker, »Der ›White Negro‹ als Erlöserfigur«, S. 170.
6
Martschukat und Stieglitz, »Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas«, S. 19.
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litärischen Maskulinität, das stark an die Darstellung junger Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg erinnert und somit ganz in der Tradition jener Heldenfiguren steht, welche die Wrestlingprogramme der 1980er gekennzeichnet haben. Diese Balance zwischen den Erfolgsformeln der 1980er und 1990er auf der Ebene der textuellen Konnotationen setzt sich auch bei der Inszenierung des Hardbody-Ideals durch die somatischen Konnotationen John Cenas fort. So ist Cena einerseits auffallend oft in besonders blutigen Kämpfen zu sehen, welche die vermeintliche Unzerstörbarkeit seines harten Körpers, ähnlich wie bei Austin, deutlich in den Mittelpunkt stellen. Andererseits zeichnet sich die Figur in ihrer Darstellung im Ring jedoch auch durch die bereits für den ›Hulk Hogan‹-Charakter typischen ›Überraschungscomebacks‹ aus, bei welchen der dominante harte Körper seinen weichen, dominierten Gegenpart von einem Moment auf den anderen abschüttelt und den Kampf dann für sich entscheidet. Die Figur des John Cena hätte – wie so viele andere – sicher noch weitere interessante Anknüpfungspunkte für fortführende Analysen bereitgestellt. An dieser Stelle soll es jedoch bei dieser kurzen Skizze bleiben, die deutlich macht, dass das in dieser Arbeit herausgearbeitete performative System des Professional Wrestling mit seiner Betonung der dem Heel/Babyface-Schema inhärenten textuellen und somatischen Bezüge auch nach über fünfzig Jahren nichts an Vitalität eingebüßt hat und Professional Wrestling damit zu einem Gegenstand macht, der auch in Zukunft noch interessante Ansätze für die Untersuchung von Vergangenheit und Gegenwart amerikanischer Kultur bereithält.
Bibliografie
1. Q UELLEN a) DVDs Hulk Hogan: Die Ultimative Anthologie. DVD. World Wrestling Entertainment. Middlesex: Silver Vision, 2006. (*) My Life: John Cena. DVD. World Wrestling Entertainment. Middlesex: Silver Vision, 2007. (*) Nature Boy Ric Flair: The Definitive Collection. DVD. World Wrestling Entertainment. Middlesx: Silver Vision, 2008. (*) Stone Cold Steve Austin: Unterm Strich – der Populärste Superstar Aller Zeiten. DVD. World Wrestling Entertainment. Middlesex, 2001. (*) Tagged Classics: Back in Black: nWo New World Order/Big Daddy Cool Diesel; »Oozing Machismo« Razor Ramon. DVD. World Wrestling Entertainment. Middlesex: Silver Vision, 2010. Tagged Classics: King of the Ring 1995 & 1996. DVD. World Wrestling Entertainment. Middlesex: Silver Vision, 2005. Tagged Classics: Wrestlemania 13 & 14. DVD. World Wrestling Entertainment. Middlesex: Silver Vision, 2006. The Glory Days of Wrestling: Buddy Rogers, Gorgeous George, Killer Kowalski. DVD. Timeless Media Group. Charleston: Matrix Media, 2005. The Legacy of Stone Cold Steve Austin. DVD. Word Wrestling Entertainment. Middlesex: Silver Vision, 2007. The Rise & Fall of ECW. DVD. World Wrestling Entertainment. WWE Home Video, 2004. (*)
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Wrestlemania III: Championship Edition. DVD. World Wrestling Entertainment. Middelsex: Silver Vision, 2007. Für die Analysen in dieser Arbeit wurden zunächst – in einem ersten Schritt – gut 350 Stunden an Bildmaterial aus den verschiedenen hier untersuchten Phasen aus der Geschichte der US-Wrestligindustrie und von verschiedenen, für die Entwicklung der Industrie besonders bedeutenden, Wrestlingpromotions gesichtet und ausgewertet. Da die 1980er und 1990er bis dato als die wohl erfolgreichste Periode in der Geschichte des Professional Wrestling in den USA angesehen werden können, ist aus dieser Zeit rein quantitativ natürlich am meisten Material vorhanden. Vince McMahon hat bei Aufkäufen von konkurrierenden Promotions jedoch auch immer die Videorechte an den üppigen Archiven dieser Ligen im Blick gehabt, welche von World Wrestling Entertainment in den letzten Jahren für ein breiteres Publikum aufgearbeitet worden sind. Auch wenn diese Aufarbeitung meist aus einer recht revisionistischen Perspektive geschehen ist, die meistens darauf abzielte, die WWE, ihre Angestellten und die mit ihr assoziierten Wrestler in einem besonders schillernden Licht erscheinen zu lassen, haben die Archivierungsbemühungen der McMahon-Promotion doch dazu beigetragen, dass durch DVD-Veröffentlichungen und insbesondere auch durch diverse Videoportale – z.B. WWE 24:7 oder WWE Classics – auf der hauseigenen Homepage www.wwe.com eine Menge an historischem Anschauungsmaterial aus der jüngeren Geschichte des Professional Wrestling für eine breite Öffentlichkeit zugänglich geworden ist. In einem zweiten Schritt wurden dann aus der Fülle des gesichteten Materials die hier angeführten DVD-Produktionen ausgewählt, um als Basis für die in dieser Arbeit durchgeführten Analysen zu dienen. Die mit (*) markierten Produktionen enthalten von der WWE konzipierte Dokumentationen, welche die Karriere eines bestimmten Wrestlers oder einer bestimmten Promotion genauer beleuchten sollen. Da sie zu diesem Zweck notwendigerweise narrative Mittel verwenden, durch welche World Wrestling Entertainment die eigene Geschichte und die Geschichte der USWrestligindustrie aus der Sicht eines fast konkurrenzlosen Marktführers reproduziert, stellen sie gewissermaßen auch ein eigenes Subgenre in der medialen Präsentation des Professional Wrestling und damit auch einen eigenständigen Untersuchungsgegenstand dar. Diese Dokumentationen wur-
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den deshalb ähnlich wie die Fanliteratur behandelt – die mit einer ähnlichen Problematik behaftet ist (s.u.) – und deshalb hauptsächlich zur Verifizierung einer folgerichtigen Chronologie der Karriere des jeweiligen Wrestlers und für die Bestimmung von entscheidenden Wendepunkten in dieser Karriere genutzt. b) Bücher Albano, Captain Lou, Bert Randolph Sugar und Michael Benson. The Complete Idiot’s Guide to Pro Wrestling. Indianapolis: Alpha Books, 2001. Assael, Shaun und Mike Mooneyham. Sex, Lies and Headlocks: The real story of Vince McMahon and World Wrestling Entertainment. New York: Three Rivers Press, 2002. Bischoff, Eric und Jeremy Roberts. Controversy Creates Cash. New York u.a.: Pocket Books, 2006. Capouya, John. Gorgeous George: The Outrageous Bad-Boy Wrestler who created American Pop Culture. New York: Harper Collins Publishers, 2008. Hornbaker, Tim. National Wrestling Alliance: The Untold Story of the Monopoly That Strangled Pro Wrestling. Toronto: ECW Press, 2007. Greenberg, Keith Elliot. Pro Wrestling: From Carnivals to Cable TV. Minneapolis: Lerner Publications, 2000. Lister, John. Turning the Tables: The Story of Extreme Championship Wrestling. Three Rivers u.a.: Exposure Publishing, 2005. Reynolds, R.D. und Brian Alvarez. The Death of WCW. Toronto: ECW Press, 2004. Rickard, Mike. Wrestling’s Greatest Moments. Toronto: ECW Press, 2008. Reynolds, R.D. und Randy Baer. Wrestlecrap: The very Worst of Pro Wrestling. Toronto, ECW Press, 2003. Shields, Brian. Main Event: WWE in the Raging 80s. New York: World Wrestling Entertainment Book, 2006. Shields, Brian und Kevin Sullivan. WWE Enceclopedia: The Definitive Guide to World Wrestling Entertainment. London, New York u.a.: DK Group, 2009.
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Wie im Rahmen der Einleitung bereits bei der kurzen Diskussion von Scott Beekmans Historiografie der US-Wrestlingindustrie besprochen wurde, gestaltet es sich sehr schwierig, verlässliche oder verbindliche historische Informationen über die Geschichte des Professional Wrestling und dessen individuelle Protagonisten zu finden. Die hier aufgelisteten, von Wrestlingfans und/oder Sportjournalisten verfassten Bücher wurden deshalb in erster Linie als ein zusätzliches korrektives Instrument verwendet, um die auf Basis der Sichtung des Videomaterials beobachteten charakteristischen Merkmale und/oder wichtigsten Kämpfe der drei in Teil 2 untersuchten Wrestler zu ermitteln und zu verifizieren, mittels derer sich diese ihren besonderen Platz in der Geschichte des US-Professional-Wrestling sichern konnten. Darüber hinaus wurden sie dazu verwendet, um die von Beekman erarbeitete Chronologie an den Stellen zu ergänzen, wo sich bei diesem nur wenige oder sehr lückenhafte Informationen finden.
2. S EKUNDÄRQUELLEN Agamben, Giorgio. Homo Sacer: Die Souveränität der Macht und das nackte Leben. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2002). Atkinson, Michael. »Fifty Million Viewers Can’t Be Wrong: Professional Wrestling, Sports-Entertainment, and Mimesis«, Sociology of Sport Journal 19 (2002). S. 47–66. Ball, Michael R. Wrestling as Ritual Drama in American Popular Culture. Lewiston: Edwin Mellen Press, 1990. Barthes, Roland. »The World of Wrestling«. Steelchair to the Head: The Pleasure and Pain of Professional Wrestling. Hrsg. von Nicholas Sammond. Durham/London: Duke University Press, 2005. S. 23–32. Battema, Douglas und Philip Sewell. »Trading in Masculinity: Muscles, Money and Market Discourse in the WWF«. Steelchair to the Head: The Pleasure and Pain of Professional Wrestling. Hrsg. von Nicholas Sammond. Durham/London: Duke University Press, 2005. S. 260–294. Bederman, Gail. Manliness & Civilization: A Cultural History of Gender and Race in the United States 1880–1917. Chicago/London: The University of Chicago Press, 1995. Beekman, Scott. Ringside: A History of Professional Wrestling in America. Westport: Praeger Publishers, 2006.
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Nadine Klopfer Die Balkone von New Orleans Städtischer Raum und lokale Identität um 1900 2012, 362 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2083-2
Charlotte A. Lerg Amerika als Argument Die deutsche Amerika-Forschung im Vormärz und ihre politische Deutung in der Revolution von 1848/49 2011, 392 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1670-5
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