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German Pages 719
Aus dem Programm
Kraftfahrzeugtechnik
Handbuch Verbrennungsmotor herausgegeben von R. van Basshuysen und F. Schäfer Lexikon Motorentechnik herausgegeben von R. van Basshuysen und F. Schäfer Ottomotor mit Direkteinspritzung herausgegeben von R. van Basshuysen Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik herausgegeben von H.-H. Braess und U. Seiffert Bremsenhandbuch herausgegeben von B. Breuer und K. H. Bill Wasserstoff in der Fahrzeugtechnik von H. Eichlseder und M. Klell Umweltschutz in der Automobilindustrie von D. Gruden Fahrwerkhandbuch herausgegeben von B. Heißing und M. Ersoy Aerodynamik des Automobils herausgegeben von W.-H. Hucho Verbrennungsmotoren von E. Köhler und R. Flierl Passive Sicherheit von Kraftfahrzeugen von F. Kramer Fahrzeugreifen und Fahrwerkentwicklung von G. Leister Automobilelektronik herausgegeben von K. Reif Virtuelle Produktentstehung für Fahrzeug und Antrieb im Kfz herausgegeben von U. Seiffert und G. Rainer Rennwagentechnik von M. Trzesniowski Handbuch Kraftfahrzeugelektronik herausgegeben von H. Wallentowitz und K. Reif Bussysteme in der Fahrzeugtechnik von W. Zimmermann und R. Schmidgall
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Hermann Winner | Stephan Hakuli | Gabriele Wolf (Hrsg.)
Handbuch Fahrerassistenzsysteme Grundlagen, Komponenten und Systeme für aktive Sicherheit und Komfort Mit 550 Abbildungen und 45 Tabellen PRAXIS | ATZ/MTZ-Fachbuch
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dieses Werk entstand mit freundlicher Unterstützung der Continental AG, Division Chassis & Safety.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © Vieweg +Teubner | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Ewald Schmitt | Gabriele McLemore Vieweg+Teubner ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.viewegteubner.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Klementz publishing services, Gundelfingen Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-8348-0287-3
Vorwort Fahrerassistenzsysteme haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt und sind fester Bestandteil in vielen heutigen Fahrzeugmodellen aller Fahrzeugklassen. Forschung und Entwicklung in Unternehmen und Universitäten beschäftigen sich mit der Optimierung der bestehenden Systeme und mit Weiterentwicklungen, die dem Fahrer ein noch höheres Maß an Assistenz und Unterstützung bieten sollen. Zeugnis dieser Arbeiten legen die vielen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Tagungsbeiträge ab, doch eine umfassende Darstellung des heutigen Stands der Technik sowie der Grundlagen für die Entwicklung solcher Systeme suchte man bisher im deutschsprachigen Raum vergeblich. Zwar existieren einige Fachbücher, die sich mit Fahrerassistenzsystemen beschäftigen, doch sind diese stark auf einzelne Aspekte wie z. B. die Regelung solcher Systeme fokussiert. Aufbauend auf den Inhalten der Vorlesung Fahrerassistenzsysteme, die ich seit 2002 am Fachgebiet Fahrzeugtechnik der Technischen Universität Darmstadt (FZD) halte (seit dem Sommersemester 2008 mit erweitertem Umfang unter dem Titel Mechatronik und Assistenzsysteme im Automobil), wurde die Gliederung des vorliegenden Handbuchs Fahrerassistenzsysteme entwickelt. Der Umfang der Thematik machte es erforderlich, die inhaltliche Arbeit auf viele Schultern zu verteilen, und so halten Sie nun ein Werk in Händen, dessen 44 Kapitel von insgesamt 95 Experten aus Industrie und Wissenschaft geschrieben wurden. Diese Autoren sind es, denen ich in erster Linie zu Dank verpflichtet bin, denn ohne ihre Bereitschaft, Zeit und Mühen in die Erstellung der Manuskripte zu investieren, hätte dieses Buch nicht entstehen können. An einem solchen Projekt sind jedoch noch mehr Menschen beteiligt, und ich möchte es nicht versäumen, allen in diesem Vorwort für ihren Beitrag zu danken. Ganz besonders zu Dank verpflichtet bin ich meinen beiden Mit-Herausgebern Herrn Stephan Hakuli und Frau Gabriele Wolf, in deren Händen die Organisation und alle operativen Aufgaben dieses Projekts von der Autorenbetreuung über die Zusammenarbeit mit dem Verlag bis zur Erstellung des Gesamtmanuskripts lagen. Für ihr ausgezeichnetes Projektmanagement und ihre Bereitschaft, diese zusätzlichen Aufgaben neben ihrer Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiter am Fachgebiet Fahrzeugtechnik auf sich zu nehmen, danke ich ihnen sehr herzlich. Frau Wolf danke ich darüber hinaus, dass sie den Anstoß dazu gab, dieses von mir in Gedanken schon länger gehegte Projekt in die Tat umzusetzen. Dem Verlag Vieweg+Teubner danke ich für die Bereitschaft, dieses Handbuch herauszugeben. Für die angenehme Zusammenarbeit und kompetente Betreuung sei Herrn Ewald Schmitt, Frau Elisabeth Lange und Frau Gabriele McLemore gedankt. Das Lektorat für dieses Buch wurde von Susanne und Katharina Mitteldorf durchgeführt. Ihre sorgfältige und aufmerksame Prüfung hat die hohe sprachliche Qualität der Texte ermöglicht, und dafür sowie die angenehme Zusammenarbeit bedanke ich mich sehr herzlich bei ihnen. Herrn Danijel Pusic danke ich für seine Mitarbeiter bei der Konzeption des Buches und der Erarbeitung der Gliederung. Unterstützt wurden die Arbeiten an diesem Handbuch in vielfältiger Weise durch die studentischen Hilfskräfte Herrn Johannes Götzelmann, Herrn Richard Hurst, Frau Hyuliya Rashidova und Herrn Philip Weick. Auch ihnen sei gedankt. Ich bedanke mich außerdem bei allen FZD-Mitarbeitern, die durch Korrekturlesen, fachliche Diskussionen oder sonstige hilfreiche Beiträge an der Entstehung dieses Buchs mitgewirkt haben. Darmstadt, im Mai 2009
Prof. Dr. rer. nat. Hermann Winner
V
Die Herausgeber Prof. Dr. rer. nat. Hermann Winner studierte Physik an der Westfälischen-Wilhelms-Universität (WWU) in Münster/Westfalen. Anschließend arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Angewandte Physik der WWU Münster, wo er 1987 für seine Arbeit über die „Dynamik der Domänenwände in metallischen Ferromagnetika“ promoviert wurde. Von 1987 bis 1994 arbeitete Hermann Winner bei der Robert Bosch GmbH in Karlsruhe, Ettlingen und Schwieberdingen in der Vorentwicklung von Mess- und Informationstechnik und war dabei u. a. verantwortlich für die Projekte PROMETHEUSDrive-by-Wire, die Elektrohydraulische Bremse und Adaptive Cruise Control. In seiner Funktion als Leiter der Serienentwicklung von Adaptive Cruise Control lag sein Schwerpunkt auf Systementwicklung und Applikation und er führte das System schließlich zur Serie. In den Jahren 1993 bis 2001 war Hermann Winner außerdem Experte bei der ISO/TC204/WG14 – Vehicle/ Roadway Warning and Control Systems – davon fünf Jahre als Leiter der deutschen Spiegelgruppe AK I.14 des FAKRA. Seit 2002 ist Hermann Winner Inhaber des Lehrstuhls für Fahrzeugtechnik an der Technischen Universität Darmstadt und Leiter des gleichnamigen Fachgebiets (FZD). Er baute dort die Forschung auf dem Gebiet der Fahrerassistenzsysteme aus, das heute eine der Kernkompetenzen von FZD darstellt. Dies zeigt sich anhand zahlreicher, erfolgreich durchgeführter Forschungsprojekte mit der Automobil- und Zulieferindustrie zu den Themen Umfeldsensorik, Funktionsbewertungen von Notbrems-, Notausweich- und Einbiege-/Kreuzen-Assistenz sowie Systemarchitektur von Fahrerassistenzsystemen. Stephan Hakuli studierte Physik an der TU Darmstadt und schloss 2005 als Diplomingenieur der Physik ab. In seiner Diplomarbeit konzipierte und realisierte er ein Verfahren zur gescannten Belichtung und Vermessung holographischer Headup-Displays. Seit Dezember 2005 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Fahrzeugtechnik und koordinierte zwei Jahre lang die Lehraktivitäten des Fachgebiets. Im Rahmen seiner Forschungstätigkeit beschäftigt er sich mit Conduct-by-Wire, einem integrierten Fahrerassistenzkonzept für manöverbasierte Fahrzeugführung. [Foto: Fischer, Weinheim] Gabriele Wolf studierte Wirtschaftsingenieurwesen Fachrichtung Maschinenbau an der TU Darmstadt und der TU Eindhoven. Sie ist seit Januar 2004 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Fahrzeugtechnik, wo sie sich zunächst im Rahmen eines interdisziplinären Projekts mit Innovationspotenzialen im Fahrwerk beschäftigte. Im Bereich der Fahrerassistenzsysteme befasst sie sich mit der Bewertung von Systemen zur Unfallvermeidung, wobei sowohl technische als auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte berücksichtigt werden. [Foto: Fischer, Weinheim]
VII
Autorenverzeichnis Abendroth, Bettina, Dr.-Ing.
Technische Universität Darmstadt
Auer, Richard, Dr. rer. nat.
Volkswagen AG
Bachmann, Alexander, MSc
Universität Karlsruhe (TH)
Bachmann, Jürgen, Dipl.-Ing. (FH)
BMW Motorrad
Bartels, Arne, Dr.-Ing.
Volkswagen AG
Bayer, Bernward, Dr.-Ing.
Continental AG
Bender, Eva, Dr.-Ing.
Continental AG
Bielefeld, Jürgen, Dr.
BMW Group
Bock, Thomas, Dr.-Ing.
Audi AG
Brenner, Peter, Dipl.-Ing. (FH)
ZF Lenksysteme GmbH
Breuer, Jörg, Dr.-Ing.
Daimler AG
Brosig, Stefan, Dr.-Ing.
Volkswagen AG
Bruder, Ralph, Prof. Dr.-Ing.
Technische Universität Darmstadt
Büring, Hendrik, Dipl.-Ing. (TH)
ZF Lenksysteme GmbH
Büse, Axel, Dipl.-Ing.
Continental AG
Buxbaum, Bernd, Dr.
PMD Technologies GmbH
Danner, Bernd, Dipl.-Ing.
Daimler AG
Darms, Michael, Dr.-Ing.
Continental AG
Didier, Muriel, Dr.
Technische Universität Darmstadt
Donges, Edmund, Dr.-Ing.
vormals BMW AG
Dörner, Karlheinz, Dipl.-Ing.
MAN Nutzfahrzeuge AG
Duchow, Christian, Dipl.-Ing.
Universität Karlsruhe (TH)
Eckert, Alfred, Dipl.-Ing.
Continental AG
Fechner, Thomas, Dipl.-Ing.
Continental AG
Flemisch, Frank, Dr.-Ing.
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Gasser, Tom Michael, Ass. jur.
Bundesanstalt für Straßenwesen
Gayko, Jens E., Dr.-Ing.
Honda R&D Europe (Deutschland) GmbH
Geduld, Georg
vormals Omron Electronics GmbH
Gelau, Christhard, Dr.
Bundesanstalt für Straßenwesen
Gruber, Steffen, Dipl.-Ing.
Continental AG
Hakuli, Stephan, Dipl.-Ing.
Technische Universität Darmstadt
Hecker, Falk, Dr.
Knorr-Bremse
Hellmann, Wladimir, Dipl.-Ing.
Continental AG
Hipp, Eberhard, Dipl.-Ing.
MAN Nutzfahrzeuge AG
Hoffmann, Jens, Dr.-Ing.
Continental AG
IX
Autorenverzeichnis
X
Hopstock, Matthias, Dipl.-Ing.
BMW Group
Huhn, Wolfgang, Dr.
Audi AG
Isermann, Rolf, Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c.
Technische Universität Darmstadt
Kammel, Sören, Dr.-Ing.
vormals Universität Karlsruhe (TH)
Katzwinkel, Reiner, Dipl.-Ing.
Volkswagen AG
Kersken, Ulrich, Dipl.-Ing.
Robert Bosch Car Multimedia GmbH
Khanh, Tran Quoc, Prof. Dr.-Ing.
Technische Universität Darmstadt
Klanner, Felix, Dr.-Ing.
BMW Group
Kleine-Besten, Thomas, Dr.-Ing.
Robert Bosch Car Multimedia GmbH
Knoll, Peter, Prof. Dr.-Ing.
Universität Karlsruhe (TH) IF+F Ingenieurbüro für Fahrerassistenz und Fahrerinformation
Köhn, Philip, Dr.-Ing.
BMW Group
König, Winfried, Dr.-Ing.
Robert Bosch GmbH
Kost, Friedrich, Dipl.-Ing.
Robert Bosch GmbH
Landau, Kurt, Prof. Dr.-Ing.
vormals Technische Universität Darmstadt
Lange, Robert, Dr.-Ing.
PMD Technologies GmbH
Löper, Christian, Dipl.-Ing.
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Mages, Mark, Dr.-Ing.
TRW Automotive
Maurer, Markus, Prof. Dr.-Ing.
Technische Universität Braunschweig
Mörbe, Matthias, Dipl.-Ing.
Robert Bosch GmbH
Noll, Martin, Dr.
Robert Bosch GmbH
Ocvirk, Norbert, Dipl.-Ing.
Continental AG
Piller, Bernd, Dipl.-Ing.
Continental AG
Pöchmüller, Werner, Dr.-Ing.
Robert Bosch Car Multimedia GmbH
Rapps, Peter, Dipl.-Phys.
Robert Bosch GmbH
Raste, Thomas, Dr.
Continental AG
Rausch, Herbert, Dr.-Ing.
Technische Universität München
Reichart, Günter, Dr.-Ing.
vormals BMW AG
Reimann, Gerd, Dipl.-Ing. (TH)
ZF Lenksysteme GmbH
Reissing, Jörg, Dr.-Ing.
BMW Motorrad
Remfrey, James, Dipl.-Ing.
Continental AG
Richter, Thorsten, Dipl.-Ing.
BMW Group
Rieth, Peter E., Dr.-Ing.
Continental AG
Ringbeck, Thorsten, Dr.-Ing.
PMD Technologies GmbH
Rohlfs, Michael, Dr.-Ing.
Volkswagen AG
Schepers, Heiner, Dipl.-Ing. (BA)
Robert Bosch Car Multimedia GmbH
Schiele, Bernt, Prof. Dr.
Technische Universität Darmstadt
Schmitt, Stefan, Dipl.-Ing.
Continental AG
Autorenverzeichnis
Schmittner, Bernhard, Dipl.-Ing.
Continental AG
Schöning, Volkmar, Dipl.-Ing.
Volkswagen AG
Schorn, Matthias, Dr.-Ing.
Continental AG
Schreiber, Michael, Dipl.-Wirtsch.-Ing.
Technische Universität Darmstadt
Schroven, Frank, Dipl.-Ing.
Volkswagen AG
Schwertberger, Walter, Dipl.-Ing. (FH)
MAN Nutzfahrzeuge AG
Schwitters, Frank, Dipl.-Ing.
Volkswagen AG
Seeck, Andre, Dipl.-Ing.
Bundesanstalt für Straßenwesen
Seiniger, Patrick, Dipl.-Ing.
Technische Universität Darmstadt
Spichalsky, Carsten, Dipl.-Ing.
Volkswagen AG
Stählin, Ulrich, Dr.-Ing.
Continental AG
Steinle, Joachim, Dr.-Ing.
BMW Group
Steinmeyer, Simon, Dipl.-Inf.
Volkswagen AG
Stiller, Christoph, Prof. Dr.-Ing.
Universität Karlsruhe (TH)
Thiel, Robert, Dipl.-Ing.
Continental AG
van Zanten, Anton, Dr.
vormals Robert Bosch GmbH
Völkel, Jürgen, Dipl.-Ing.
Continental AG
Walter, Michael, Dr.
vormals Continental AG
Winner, Hermann, Prof. Dr. rer. nat.
Technische Universität Darmstadt
Wojek, Christian, Dipl.-Inform.
Technische Universität Darmstadt
Wolf, Gabriele, Dipl.-Wirtsch.-Ing.
Technische Universität Darmstadt
Woyna, Lars, Dipl.-Ing.
Technische Universität Darmstadt
Wuttke, Ulrich, Dipl.-Ing.
Volkswagen AG
XI
Firmen- und Hochschulverzeichnis Firmen Audi AG
Dr.-Ing. Thomas Bock Dr. Wolfgang Huhn
BMW Group
Dr. Jürgen Bielefeld Dr.-Ing. Edmund Donges (vormals) Dipl.-Ing. Matthias Hopstock Dr.-Ing. Felix Klanner Dr.-Ing. Philip Köhn Dr.-Ing. Günter Reichart (vormals) Dipl.-Ing. Thorsten Richter Dr.-Ing. Joachim Steinle
BMW Motorrad
Dipl.-Ing. (FH) Jürgen Bachmann
Bundesanstalt für Straßenwesen
Ass. jur. Tom Michael Gasser
Dr.-Ing. Jörg Reissing Dr. Christhard Gelau Dipl.-Ing. Andre Seeck Continental AG
Dr.-Ing. Bernward Bayer Dr.-Ing. Eva Bender Dipl.-Ing. Axel Büse Dr.-Ing. Michael Darms Dipl.-Ing. Alfred Eckert Dipl.-Ing. Thomas Fechner Dipl.-Ing. Steffen Gruber Dipl.-Ing. Wladimir Hellmann Dr.-Ing. Jens Hoffmann Dipl.-Ing. Norbert Ocvirk Dipl.-Ing. Bernd Piller Dr. Thomas Raste Dipl.-Ing. James Remfrey Dr.-Ing. Peter E. Rieth Dipl.-Ing. Stefan Schmitt Dipl.-Ing. Bernhard Schmittner Dr.-Ing. Matthias Schorn Dr.-Ing. Ulrich Stählin Dipl.-Ing. Robert Thiel
XIII
Firmen- und Hochschulverzeichnis
Continental AG (Fortsetzung)
Dipl.-Ing. Jürgen Völkel Dr. Michael Walter (vormals)
Daimler AG
Dr.-Ing. Jörg Breuer Dipl.-Ing. Bernd Danner
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Dr.-Ing. Frank Flemisch Dipl.-Ing. Christian Löper
Honda R&D Europe (Deutschland) GmbH
Dr.-Ing. Jens E. Gayko
IF+F Ingenieurbüro für Fahrerassistenz und Fahrerinformation
Prof. Dr.-Ing. Peter Knoll
Knorr-Bremse
Dr. Falk Hecker
MAN Nutzfahrzeuge AG
Dipl.-Ing. Karlheinz Dörner Dipl.-Ing. Eberhard Hipp Dipl.-Ing. (FH) Walter Schwertberger
PMD Technologies GmbH
Dr. Bernd Buxbaum Dr.-Ing. Robert Lange Dr.-Ing. Thorsten Ringbeck
Omron Electronics GmbH Robert Bosch Car Multimedia GmbH
Georg Geduld (vormals) Dipl.-Ing. Ulrich Kersken Dr.-Ing. Thomas Kleine-Besten Dr.-Ing. Werner Pöchmüller Dipl.-Ing. (BA) Heiner Schepers
Robert Bosch GmbH
Dr.-Ing. Winfried König Dipl.-Ing. Friedrich Kost Dipl.-Ing. Matthias Mörbe Dr. Martin Noll Dipl.-Phys. Peter Rapps Dr. Anton van Zanten (vormals)
TRW Automotive
Dr.-Ing. Mark Mages
Volkswagen AG
Dr. rer. nat. Richard Auer Dr.-Ing. Arne Bartels Dr.-Ing. Stefan Brosig Dipl.-Ing. Reiner Katzwinkel Dr.-Ing. Michael Rohlfs Dipl.-Ing. Volkmar Schöning Dipl.-Ing. Frank Schroven Dipl.-Ing. Frank Schwitters Dipl.-Ing. Carsten Spichalsky Dipl.-Inf. Simon Steinmeyer Dipl.-Ing. Ulrich Wuttke
XIV
Firmen- und Hochschulverzeichnis
ZF Lenksysteme GmbH
Dipl.-Ing. (FH) Peter Brenner Dipl.-Ing. (TH) Hendrik Büring Dipl.-Ing. (TH) Gerd Reimann
Hochschulen Technische Universität Braunschweig Technische Universität Darmstadt
Prof. Dr.-Ing. Markus Maurer Dr.-Ing. Bettina Abendroth Prof. Dr.-Ing. Ralph Bruder Dr. Muriel Didier Dipl.-Ing. Stephan Hakuli Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Rolf Isermann Prof. Dr.-Ing. Tran Quoc Khanh Prof. Dr.-Ing. Kurt Landau (vormals) Prof. Dr. Bernt Schiele Dipl.-Wirtsch.-Ing. Michael Schreiber Dipl.-Ing. Patrick Seiniger Prof. Dr. rer. nat. Hermann Winner Dipl.-Inform. Christian Wojek Dipl.-Wirtsch.-Ing. Gabriele Wolf Dipl.-Ing. Lars Woyna
Technische Universität München Universität Karlsruhe (TH)
Dr.-Ing. Herbert Rausch MSc Alexander Bachmann Dipl.-Ing. Christian Duchow Dr.-Ing. Sören Kammel (vormals) Prof. Dr.-Ing. Peter Knoll Prof. Dr.-Ing. Christoph Stiller
XV
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
A Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
1
2
3
4
Die Leistungsfähigkeit des Menschen für die Fahrzeugführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Menschlicher Informationsverarbeitungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Informationsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Informationsverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Informationsabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Fahrercharakteristik und die Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . 1.3 Anforderungen an den Fahrzeugführer im System Fahrer-Fahrzeug-Umgebung . . . . . . 1.4 Bewertung der Anforderungen aus der Fahrzeugführungsaufgabe im Hinblick auf die menschliche Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fahrerverhaltensmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Drei-Ebenen-Modell für zielgerichtete Tätigkeiten des Menschen nach Rasmussen, 1983 2.2 Drei-Ebenen-Hierarchie der Fahraufgabe nach Donges, 1982 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Beispiel eines regelungstechnischen Modellansatzes für die Führungs- und Stabilisierungsebene der Fahraufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Zeitkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Neuer Ansatz zur Quantifizierung von fertigkeits-, regel- und wissensbasiertem Verhalten im Straßenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Folgerungen für Fahrerassistenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fahrerassistenz und Verkehrssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Erwartete Auswirkungen von Fahrerassistenzsystemen auf die Verkehrssicherheit . . . . 3.3 Bewertung von Fahrerassistenzsystemen vor dem Hintergrund von Ratings und gesetzlichen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Typzulassungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Anforderungen der Verbraucherorganisationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Herstellerinterne Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Beyond NCAP – Die zukünftige Euro NCAP-Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Rechtliche Grenzen autonom eingreifender Fahrerassistenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . Nutzergerechte Entwicklung der Mensch-Maschine-Interaktion von Fahrerassistenzsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Fragestellungen bei der Entwicklung der Mensch-Maschine-Interaktion (HMI) von FAS 4.2.1 Unterstützung durch FAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Leistungen und Grenzen der FAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Benötigte Kompetenzen und Fachbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Einflussfaktoren bei der Entwicklung von FAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Interaktionskanäle zwischen Fahrer, FAS und Fahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.6 Änderung der Beziehung Fahrer-Fahrzeug durch FAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.7 Situationsbewusstsein des Fahrers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.8 Inneres Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.9 Entlastung oder Belastung durch FIS und FAS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.10 Verantwortung des Fahrers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.11 Stärken von Mensch und Maschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 4 5 6 8 8 10 12 15 15 16 17 19 20 22 24 24 24 27 27 27 28 28 29 33 33 33 33 33 34 34 34 35 36 36 37 37 37
XVII
Inhaltsverzeichnis
4.3
Systematische Entwicklung des HMI von FAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Die Entwicklung des HMI im FAS-Entwicklungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Unterstützungsbedarf des Fahrers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Leitlinien zur Entwicklung von FIS und FAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Richtlinien für FIS – „European Statements of Principles on HMI“ (ESoP) . . . 4.3.5 Normen zur Gestaltung von FIS und FAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.6 Entwicklung von Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.7 ISO-Normen zu HMI im Kfz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung von FAS-Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 37 38 38 39 39 40 40 40 42
5
Entwurf und Test von Fahrerassistenzsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Begriffsklärung „Fahrerassistenzsysteme“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Motivation des Beitrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Fahrerassistenzsysteme aus Sicht des Fahrers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Systematischer Entwurf von Fahrerassistenzsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Systematischer Entwurf einer „Automatischen Notbremse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Nutzerorientierte Funktionsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2 Aspekte der Systemarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Funktionale Tests von Fahrerassistenzsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.4 Testfall „berechtigte Auslösung“ – Vehicle-in-the-Loop . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.5 Fehlerwahrscheinlichkeit für „unberechtigte Auslösung“ – trojanische Pferde 5.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43 43 44 44 45 47 47 50 51 51 52 52
6
Bewertungsverfahren von Fahrerassistenzsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Zielsetzung der nutzerorientierten Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Anforderungen an Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Eingesetzte Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Versuche an Fahrsimulatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Versuche auf Testgeländen (kontrolliertes Feld) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Versuche im realen Straßenverkehr (Feldversuche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Exemplarische Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Bewertung von Sicherheitssystemen am Fahrsimulator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Bewertung einer Sicherheitsfunktion in Versuchen auf einem Testgelände . . . 6.4.3 Bewertung von Assistenzfunktion in Versuchen im realen Straßenverkehr . . .
55 55 55 57 57 58 58 59 59 63 65
7
EVITA – Das Prüfverfahren zur Beurteilung von Antikollisionssystemen . . . . . . . . . . . . . 7.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Bisher bekannte Testverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Das Dummy Target EVITA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.4 Versuchsablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.5 Leistungsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Messkonzept im Versuchsfahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Gefährdungen von Versuchsteilnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Bewertungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.1 Wirksamkeit eines Antikollisionssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.2 Probandenversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.3 Beurteilungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.4 Vergleiche von Antikollisionssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69 69 69 70 70 70 71 71 72 72 72 73 73 73 73 74 75
4.4 4.5
XVIII
Inhaltsverzeichnis
8
Bewertung von Fahrerassistenzsystemen mittels der Vehicle in the Loop-Simulation . . . 8.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Vehicle in the Loop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Verkehrssimulation und Visualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Positionierung des Versuchsträgers in der Verkehrssimulation . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Einbindung des Fahrers mithilfe von Augmented Reality . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 Sensormodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Gesamtarchitektur des Vehicle in the Loop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Validierung des Vehicle in the Loop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76 76 76 79 80 80 80 81 81 82 83
9
Einflüsse von Fahrerassistenzsystemen auf die Systemarchitektur im Kraftfahrzeug . . . 9.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Systemarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Wichtige Einflüsse von Fahrerassistenzsystemen auf die Systemarchitektur . . . . . . . . . . 9.4 Ausstattungsvarianz und Vernetzungskomplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Partitionierung von FAS-Funktionen auf Steuergeräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6 Vernetzungstechnologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.7 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84 84 85 86 87 88 91 92
B Sensorik für Fahrerassistenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
10 Fahrdynamik-Sensoren für FAS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Allgemeine Auswahlkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Anforderungen Technikebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Kommerzielle Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Technische Sensorkenndaten für Fahrerassistenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.1 Sensoren und Einbauorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.2 Raddrehzahlsensor DF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.3 Lenkradwinkelsensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.4 Drehraten- und Beschleunigungssensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.5 Bremsdrucksensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94 94 94 95 97 98 98 99 101 104 106
11 Ultraschallsensorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Piezoelektrischer Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Piezoelektrische Keramiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Hysterese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.4 Piezoelektrische Konstanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.5 Depolarisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Ultraschallwandler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1 Ersatzschaltbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Ultraschallsensoren für das Kfz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.1 Sensorbaugruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Antennen und Strahlgestaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.1 Simulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6 Entfernungsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7 Halter- und Befestigungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.8 Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.9 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
110 110 110 110 111 112 112 113 113 114 115 115 117 117 119 120 120 121
XIX
Inhaltsverzeichnis
XX
12 Radarsensorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Ausbreitung und Reflektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Abstands- und Geschwindigkeitsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.1 Grundprinzip Modulation und Demodulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.2 Doppler-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.3 Mischen von Signalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.4 Pulsmodulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.5 Frequenzmodulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Winkelmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.1 Antennen-theoretische Vorbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.2 Scanning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.3 Monopuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.4 Mehrstrahler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.5 Dual-Sensor-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Hauptparameter der Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.1 Abstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.2 Relativgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.3 Azimutwinkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.4 Leistungsfähigkeit und Mehrzielfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.5 24 GHz vs. 77 GHz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Signalverarbeitung und Tracking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6 Einbau und Justage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7 Elektromagnetische Verträglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8 Ausführungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.1 Bosch LRR2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.2 Bosch LRR3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.3 Continental (A.D.C.) ARS200 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.4 Continental ARS 300 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.5 Delphi Forward Looking Radar (3. Generation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.6 Delphi Electronic Scanning Radar (4. Generation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.7 Hella 24 GHz-Mid Range Radar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.8 TRW AC20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.9 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123 123 126 126 127 127 129 131 140 140 141 142 143 144 145 145 145 146 146 147 148 150 151 152 152 153 157 159 162 162 166 168 169
13 Lidarsensorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1 Funktion, Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.1 Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.2 Messverfahren Distanzsensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.3 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.4 Transmissions- und Reflexionseigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.5 Trackingverfahren und Auswahl relevanter Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Applikation im Fahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Laserschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Integration für nach vorne gerichtete Sensoren (zum Beispiel für ACC) . . . . . 13.3 Zusatzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Aktuelle Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
172 172 172 172 174 177 179 181 181 181 182 183 185
14 3D-Imaging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1 Einordnung und Erläuterung des Grundkonzeptes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Vorteile und Applikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Grundsätzliche Lösungen zur 3D-Erfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.1 Formerfassung mit optisch inkohärenter Modulationslaufzeitmessung . . . . . . 14.3.2 Das PMD-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Module eines PMD-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
187 187 187 188 189 191 192
Inhaltsverzeichnis
14.4.1 PMD-Imager: 2D-Mischer und Integrator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.2 Beleuchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.3 Weiterverarbeitung (Merkmalsextraktion, Objekttracking) . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5 Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen des Gesamtsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192 194 194 196
15 Maschinelles Sehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1 Bildsensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.1 Hardwarekomponenten und Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.2 Projektive Abbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.3 Bildrepräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2 Bildverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.1 Bildvorverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.2 Merkmalsextraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3 3d-Rekonstruktion der Szenengeometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.1 Stereoskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.2 Motion-Stereo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.3 Trifokal-Tensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4 Zeitliche Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4.1 Bayes-Filter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4.2 Zeitliche Verfolgung mit dem Kalman-Filter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5 Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5.1 Fahrstreifenerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5.2 Objektdetektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.6 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
198 198 198 199 201 202 202 205 208 208 210 211 212 213 214 214 214 216 220
16 Kamerabasierte Fußgängerdetektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1 Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2 Mögliche Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3 Beschreibung des Funktionsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4 Beschreibungen der Anforderungen an Hardware und Software . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
223 223 224 225 233 234
17 Fusion umfelderfassender Sensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1 Definition Sensordatenfusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.1 Ziele der Datenfusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2 Hauptkomponenten der Sensordatenverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.1 Signalverarbeitung und Merkmalsextraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.2 Datenassoziation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.3 Datenfilterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.4 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.5 Situationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3 Architekturmuster zur Sensordatenfusion von Umfeldsensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.1 Dezentral – Zentral – Hybrid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.2 Rohdaten-Ebene – Merkmals-Ebene – Entscheidungs-Ebene . . . . . . . . . . . . . . 17.3.3 Synchronisiert – Unsynchronisiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.4 Neue Daten – Datenkonstellation – Externes Ereignis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.5 Originaldaten – Gefilterte Daten – Prädizierte Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.6 Parallel – Sequenziell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4 Abschließende Bemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
237 237 238 239 239 240 242 242 243 243 243 244 245 246 246 246 247
C Aktorik für Fahrerassistenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
249
18 Hydraulische Pkw-Bremssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1 Standardarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2 Architektur der Elektrohydraulischen Bremse EHB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.3 Architektur eines Regenerativen Bremssystems (RBS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250 250 259 267
XXI
Inhaltsverzeichnis
XXII
19 Elektromechanische Bremssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1 Elektromechanisches Bremssystem (EMB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.2 Systemarchitektur und Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.3 Betätigungseinrichtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.4 Zentralsteuergerät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.5 Radbremsen-Aktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.6 Sensorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.7 Regelkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.8 Energieversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.9 Kommunikationssystem (Bus-Struktur) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2 Hybrid-Bremssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2.2 Systemarchitektur und Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2.3 Regelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2.4 Hinterachs-Aktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.3 Elektrische Parkbremse (EPB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.3.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.3.2 Systemarchitektur und Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.3.3 Schnittstellen des elektronischen Steuergeräts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.3.4 Funktionen der EPB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
271 271 271 271 273 275 275 276 276 276 277 278 278 278 279 280 280 280 280 284 284
20 Lenkstellsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.1 Allgemeine Anforderungen an Lenksysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.2 Basislösungen der Lenkunterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.2.1 Die hydraulische Hilfskraftlenkung (HPS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.2.2 Die parametrierbare hydraulische Hilfskraftlenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.2.3 Die elektrohydraulische Hilfskraftlenkung (EHPS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.2.4 Die elektromechanische Hilfskraftlenkung (EPS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.2.5 Elektrische Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.3 Lösungen zur Überlagerung von Momenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.3.1 Zusatzaktor für hydraulische Lenksysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.3.2 Elektrische Lenksysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.4 Lösungen zur Überlagerung von Winkeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.4.2 Funktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.4.3 Stellervarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.4.4 Einsatzbeispiel BMW E60 – ZFLS-Aktor am Lenkgetriebe . . . . . . . . . . . . . . . 20.4.5 Einsatzbeispiel Audi A4 – ZFLS-Aktor in der Lenksäule. . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.4.6 Einsatzbeispiel Lexus – koaxialer Lenksäulenaktor lenkwellenfest . . . . . . . . . . 20.5 Steer-by-Wire-Lenksystem und Einzelradlenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.5.1 Systemkonzept und Bauteile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.5.2 Technik, Vorteile und Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287 287 287 287 288 289 290 294 295 296 297 299 299 300 300 302 304 307 309 310 311
D Mensch-Maschine-Schnittstelle für Fahrerassistenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . .
313
21 Gestaltung von Mensch-Maschine-Schnittstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.1 Ein Arbeitsmodell von Mensch-Maschine-Schnittstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2 Grundeinteilung der Schnittstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2.1 Bedienelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2.2 Anzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.3 Gestaltungsleitsätze und -prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.3.1 Gestaltungsleitsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.3.2 Gestaltungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
314 314 315 315 316 317 317 319
Inhaltsverzeichnis
21.4 21.5
Gestaltungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praxis und Gestaltungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
320 323
22 Bedienelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.1 Anforderungen an Bedienelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2 Bestimmung des Handlungsorgans, der Körperhaltung und der Greifart . . . . . . . . . . . . 22.3 Festlegung der Bedienteilart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.4 Vermeiden von unbefugtem und unbeabsichtigtem Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.5 Festlegung der räumlichen Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.6 Festlegung von Bedienrichtung, -weg und -widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.7 Festlegung von Form, Abmessungen, Material und Oberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.8 Kennzeichnung der Stellteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.9 Alternative Bedienkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
325 325 326 326 326 327 328 328 329 329
23 Anzeigen für Fahrerassistenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.1 Anforderungen an Displays im Kraftfahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.1.1 Interaktionskanäle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.1.2 „Code of Practice“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2 Heutige Displaykonzepte im Kraftfahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.1 Kommunikationsbereiche im Fahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.2 Displays für das Kombiinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.3 Head-up-Display (HUD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.4 Zentrale Anzeige- und Bedieneinheit in der Mittelkonsole . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.5 Displays für Nachtsichtsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.6 Zusatzdisplays . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.3 Anzeigen für das Kraftfahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.3.1 Elektromechanische Messwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.3.2 Aktive und passive Segmentdisplays . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.3.3 Graphikanzeigen für Kombiinstrument und Mittelkonsole . . . . . . . . . . . . . . . . 23.4 Zukünftige Displaykonzepte im Kraftfahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.4.1 Kontaktanaloges Head-up-Display . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.4.2 Laserprojektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
330 330 330 330 331 331 332 334 335 335 336 336 337 338 340 341 341 342
24 Fahrerwarnelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.2 Menschliche Informationsverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.3 Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.4 Anforderungen an Warnelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.5 Beispiele für Warnelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.5.1 Warnelemente für die Längsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.5.2 Warnelemente der Querführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.6 Voreinteilung von Warnelementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.7 Bewertungskriterien für warnende Frontalkollisionsgegenmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . 24.8 Ergebnisse für Frontalkollisionswarnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
343 343 343 344 345 345 346 347 348 350 352
E Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
355
25 Bremsenbasierte Assistenzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.2 Grundlagen der Fahrdynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.2.1 Stationäres und instationäres Reifen- und Fahrverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.2.2 Kenngrößen der Fahrdynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.3 ABS, ASR und MSR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.3.1 Regelkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
356 356 356 356 359 360 360
XXIII
Inhaltsverzeichnis
XXIV
25.4 ESP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.4.1 Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.4.2 Eingesetzte Sensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.4.3 Regelkonzept des ESP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.4.4 Sollwertbildung und Schätzung fahrdynamischer Größen . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.4.5 Sicherheitskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.5 Mehrwertfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.5.1 Special Stability Support . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.5.2 Special Torque Control . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.5.3 Brake & Boost Assist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.5.4 Standstill & Speed Control . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.5.5 Advanced Driver Assistance System Support . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.5.6 Monitoring & Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.6 Unterschiede zu EHB-basierten Bremsregelsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.7 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
363 363 364 366 374 379 381 381 385 386 390 392 393 393 394
26 Fahrerassistenz auf der Stabilisierungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.1 Fahrdynamikregelung mit Brems- und Lenkeingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.1.1 Systemkontext und Benutzeranforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.1.2 Konzept und Wirkprinzip der Brems- und Lenkregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.1.3 Funktionsmodule zum Lenkwinkeleingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.1.4 Funktionsmodule zur Fahrerlenkempfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.1.5 Zukünftige Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
395 395 396 396 398 399 401
27 Fahrdynamikregelsysteme für Motorräder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.1 Fahrstabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.2 Bremsstabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.3 Für Fahrdynamikregelungen relevantes Unfallgeschehen von Motorrädern . . . . . . . . . . 27.4 Stand der Technik der Bremsregelsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.4.1 Hydraulische ABS-Bremsanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.4.2 Elektrohydraulische Integralbremsanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.5 Stand der Technik der Antriebsschlupfregelungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.6 Zukünftige Fahrdynamikregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
404 404 407 410 410 411 412 415 417
28 Stabilisierungsassistenzfunktionen im Nutzfahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.2 Spezifika von ABS, ASR und MSR für Nutzfahrzeuge im Vergleich zum Pkw . . . . . . . 28.2.1 Nkw-spezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.2.2 Regelungsziele und -prioritäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.2.3 Systemaufbau, Steller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.2.4 Sonderfunktionen für Nkw . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.3 Spezifika der Fahrdynamikregelung für Nutzfahrzeuge im Vergleich zum Pkw . . . . . . 28.3.1 Nkw-spezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.3.2 Regelungsziele und -prioritäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.3.3 Systemarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.3.4 Sonderfunktionen für Nkw . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.4.1 Fahrdynamikregelung für Gliederzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.4.2 Nutzung weiterer Steller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
422 422 422 422 424 427 430 430 430 431 434 435 435 436 436
29 Lenkassistenzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.1 Lenkübersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.2 Lenkmomentunterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.3 Lenkwinkelunterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.3.1 Ergonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
438 438 438 441 442
Inhaltsverzeichnis
29.3.2 Lenkverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fahrerunabhängige Lenkeingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.4.1 Fahrverhalten und Fahrstabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.4.2 Assistenzfunktionen zur Bahnführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.5 Fahrerakzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.6 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
442 445 445 445 446 446
F Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene . . . . . . . . . . . . . . . . .
447
30 Sichtverbesserungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.1 Häufigkeit von Verkehrsunfällen bei Nacht oder ungünstigen Witterungsverhältnissen 30.2 Lichttechnische und fahrzeugtechnische Konsequenzen für Sichtverbesserungssysteme 30.3 Derzeitige und zukünftige Scheinwerfersysteme zur Sichtverbesserung . . . . . . . . . . . . . 30.3.1 Sichtverbesserungssysteme auf der Basis der Lichtquellenentwicklung . . . . . . 30.3.2 Sichtverbesserungssysteme auf Basis der adaptiven Lichtverteilung . . . . . . . . . 30.3.3 Sichtverbesserungssysteme auf Basis der assistierenden Lichtverteilung . . . . . 30.4 Nachtsichtsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4.1 Sensorik für Nachtsichtsysteme im Kraftfahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4.2 Anzeigen für Nachtsichtsysteme im Kraftfahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4.3 Bildverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4.4 Vergleich der Systemansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
448 448 452 455 455 456 462 465 465 468 469 469
31 Einparkassistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.1 Abstufungen der Einparkassistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.2 Anforderungen an Einparkassistenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.3 Technische Realisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.3.1 Informierende Einparkassistenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.3.2 Geführte Einparkassistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.3.3 Semiautomatisches Einparken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
471 471 471 472 472 473 475 476
32 Adaptive Cruise Control . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.2 Rückblick auf die Entwicklung von ACC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.3 Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.3.1 Funktionsanforderungen für Standard-ACC nach ISO 15622 . . . . . . . . . . . . . . 32.3.2 Zusätzliche Funktionsanforderungen für FSR-ACC nach ISO 22179 . . . . . . . . 32.4 Systemstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.4.1 Beispiel Mercedes-Benz Distronic . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.4.2 Beispiel BMW FSR-ACC-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.4.3 Funktionsabstufungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.5 ACC-Zustandsmanagement und Mensch-Maschine-Schnittstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.5.1 Systemzustände und Zustandsübergänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.5.2 Bedienelemente mit Ausführungsbeispielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.5.3 Anzeigeelemente mit Ausführungsbeispielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.6 Zielobjekterkennung für ACC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.6.1 Anforderungen an die Umfeldsensorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.6.2 Messbereiche und Messgenauigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.7 Zielauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.7.1 Bestimmung der Kurskrümmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.7.2 Kursprädiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.7.3 Fahrschlauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.7.4 Weitere Kriterien für die Zielauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.7.5 Grenzen der Zielauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
478 478 479 480 480 481 482 482 483 483 485 485 487 488 491 491 491 496 497 498 498 500 501
29.4
XXV
Inhaltsverzeichnis
XXVI
32.8 Folgeregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.8.1 Grundsätzliche Betrachtungen zur Folgeregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.8.2 Fuzzy-Folgeregler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.9 Zielverluststrategien und Kurvenregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.9.1 Annäherungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.9.2 Überholunterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.9.3 Reaktion auf stehende Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.9.4 Anhalteregelung, Spezifika der Low-Speed-Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.10 Längsregelung und Aktorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.10.1 Grundstruktur und Koordination Aktorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.10.2 Bremse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.10.3 Antrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.11 Nutzungs- und Sicherheitsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.11.1 Nachvollziehbarkeit der Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.11.2 Systemgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.12 Sicherheitskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.13 Nutzer- und Akzeptanzstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.13.1 Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.13.2 Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.13.3 Kompensationsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.13.4 Habituationseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.13.5 Übernahmesituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.13.6 Komfortbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.14 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.14.1 Aktuelle Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.14.2 Funktionserweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
502 502 506 506 509 509 510 510 510 510 511 513 515 515 515 516 517 517 517 518 519 519 520 520 520 520
33 Frontalkollisionsschutzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.2 Frontalunfallschutz durch präventive Assistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.3 Reaktionsunterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.4 Notmanöver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.5 Bremsassistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.5.1 Basisfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.5.2 Weiterentwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.6 Warn- und Eingriffszeitpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.6.1 Fahrdynamische Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.6.2 Frontalkollisionsgegenmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.6.3 Nutzenpotenzial für Kollisionsgegenmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.6.4 Anforderungen an die Umfelderfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.7 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
522 522 523 523 524 524 524 527 528 528 535 537 539 540
34 Lane Departure Warning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.1 Fahrstreifenerkennungssysteme und ihre Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.2 Ein Blick auf die Unfalldaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.3 Fahrstreifenerkennungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.3.1 Umwelteinflüsse und begrenzende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.3.2 Länderspezifische Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.4 Funktionsausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.4.1 Lane Departure Warning-System (LDW) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.4.2 Advanced Lane Departure Warning-System (ALDW) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.4.3 Lane Keeping Support (LKS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.4.4 Lane Departure Prevention (LDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34.5 Erwartung für den Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
543 543 543 545 546 547 548 548 549 550 551 551
Inhaltsverzeichnis
35 Lane Keeping Support . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35.1 Funktionsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35.2 Lösungsansätze und technische Realisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35.2.1 Fahrstreifenerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35.2.2 Regelstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35.2.3 Mensch-Maschine-Schnittstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35.2.4 Aktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35.3 Grenzen des Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
554 554 556 556 557 558 558 559 559
36 Fahrstreifenwechselassistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.2 Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.3 Klassifikation der Systemfunktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.3.1 Klassifikation nach Leistung der Umfelderfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.3.2 Systemzustandsdiagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.4 Lösungen und beispielhafte Umsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.4.1 „Blind Spot Information System“ (BLIS) von Volvo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.4.2 „Toter Winkel Detektor“ von Peugeot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.4.3 „Totwinkel-Assistent“ von Mercedes-Benz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.4.4 „Audi Side Assist“/„Side Assist“ von VW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.4.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.5 Erreichte Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36.6 Weiterentwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
562 562 562 563 564 564 565 566 566 566 568 569 570 571
37 Kreuzungsassistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37.1 Unfallgeschehen an Kreuzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37.2 Kreuzungsassistenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37.2.1 STOP-Schild-Assistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37.2.2 Ampelassistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37.2.3 Einbiege-/Kreuzenassistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37.2.4 Linksabbiegeassistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37.3 Situationsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37.4 Geeignete Warn- und Eingriffsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37.5 Herausforderungen bei der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
572 572 572 573 574 575 576 578 578 579
38 Bahnführungsassistenz für Nutzfahrzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38.1 Anforderungen an die Fahrer von Nutzfahrzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38.2 Wesentliche Unterschiede zwischen Lkw und Pkw . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38.3 Unfallszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38.4 Adaptive Cruise Control (ACC) für Nutzfahrzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38.5 Spurverlassenswarner für Nutzfahrzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38.6 Notbremssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38.7 Entwicklung für die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
582 582 584 586 588 592 595 596
39 Navigation und Telematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.1 Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.2 Navigation im Fahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.2.1 Ortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.2.2 Zieleingabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.2.3 Routensuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.2.4 Zielführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.2.5 Kartendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.2.6 Dynamisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.2.7 Korridor und Datenabstraktion (Datenträger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
599 599 600 601 604 605 606 607 608 608
XXVII
Inhaltsverzeichnis
39.3 39.4
Offboard-Navigation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hybrid-Navigation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.4.1 Kartendaten – aktuell und individuell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Assistenzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verkehrstelematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.6.1 Rundfunkbasierte Technologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.6.2 Mobilfunkbasierte Technologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.6.3 Telematik Basisdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.6.4 Car-to-Car-Kommunikation, Car-to-Infrastructure-Kommunikation . . . . . . . . 39.6.5 Mautsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.6.6 Moderne Verkehrssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.6.7 Zukünftige Entwicklung von Telematikdiensten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herausforderungen für Navigation und Telematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.7.1 Consumer-Elektronik (CE) versus Automobil-Elektronik (AE) . . . . . . . . . . . . . 39.7.2 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39.7.3 Entwicklungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
609 609 611 612 612 613 614 616 617 618 618 619 620 620 622 622
G Zukunft der Fahrerassistenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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40 Das mechatronische Fahrwerk der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40.1 Das vernetzte Chassis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40.2 Motivationen für Brake-by-Wire-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
626 626 629 629
41 Antikollisionssystem PRORETA – Integrierte Lösung für ein unfallvermeidendes Fahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.2 Ausstattung des Versuchsfahrzeugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.3 Umfelderkennung durch Sensordatenfusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.4 Eingriffsentscheidung für ein Notmanöver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.5 Algorithmen zur Fahrzeugregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.6 Zusammenspiel zwischen Fahrer und Fahrerassistenzsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.6.1 Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.6.2 Versuchskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.6.3 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.6.4 Fazit aus den Probandenversuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.7 Erprobung des Fahrerassistenzsystems in Fahrversuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.7.1 Umfelderfassung mit Laserscanner und Videosensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.7.2 Blockierte Spur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.7.3 Einscherendes Fahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.8 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
632 632 632 634 634 636 637 637 638 639 641 642 642 643 645 645
42 Kooperative Automation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42.1 Einleitung und Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42.2 Aspekte der kooperativen Automation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42.2.1 Parallel-simultane Assistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42.2.2 Parallel-sequenzielle Assistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42.2.3 Seriell-simultane Assistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42.3.4 Seriell-sequenzielle Assistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42.2.5 Weitere ergonomische Aspekte einer kooperativen Fahrzeugführung . . . . . . . 42.3 Umsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42.3.1 Conduct-by-Wire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42.3.2 H-Mode – die Umsetzung der Horse-Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42.4 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
647 647 648 648 649 649 649 650 651 651 653 655
39.5 39.6
39.7
XXVIII
Inhaltsverzeichnis
43 Autonomes Fahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43.1 Urban Challenge 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43.1.1 Systemaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43.1.2 Software-Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43.1.3 Informationsverarbeitungskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43.1.4 Erfassung der Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43.1.5 Dynamische Objekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43.1.6 Fahrstreifenerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43.1.7 Missions- und Manöverplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43.1.8 Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43.2 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
657 657 658 659 660 661 661 661 661 663 663
44 Quo vadis, FAS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44.1 Integrierte Bedienkonzepte für Fahrerassistenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44.2 Verbesserung der Umweltbilanz durch FAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44.3 Mobilitätsteigerung durch FAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44.4 Aktive Kollisionsvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44.5 Autonomes Fahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44.5.1 Problemfeld Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44.5.2 Ausweg aus dem Testdilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44.5.3 Möglicher Weg zu einer Metrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44.6 Evolution der Fahrerassistenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
664 664 664 665 666 667 668 669 671 672
H Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
674
Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
682
XXIX
Einleitung Das Thema Fahrerassistenzsysteme ist bei Automobilherstellern, Zulieferern und in der universitären Forschung seit geraumer Zeit aktuell und hat in den vergangenen Jahren auch das Interesse der Öffentlichkeit geweckt. Die Zahl der am Markt verfügbaren Systeme und ihr Funktionsumfang zur Unterstützung des Fahrers bei der Ausführung der Fahraufgabe nehmen stetig zu. Bedingt durch die jüngsten Entwicklungen wird der Begriff Fahrerassistenzsysteme (in unserer abgekürzten Welt kurz mit FAS bezeichnet) heute zumeist mit Systemen der Aktiven Sicherheit, d. h. Systemen, die das Eintreten eines Unfalls verhindern, in Verbindung gebracht. Tatsächlich kann dieser Begriff jedoch sehr viel breiter gefasst werden, denn schon mit der Erfindung des elektrischen Starters, der die manuelle Kurbel ablöste, war ein erstes Fahrerassistenzsystem geboren, das das Fahren erleichterte. Auch Dinge wie die automatische Blinkerhebelrückstellung oder das synchronisierte Handschaltgetriebe werden heute als Selbstverständlichkeiten angesehen, sind im eigentlichen Sinne jedoch als Fahrerassistenzsysteme zu verstehen. Eine Einteilung der Fahrerassistenzsysteme kann nach unterschiedlichen Kriterien erfolgen. In diesem Buch sind die Themen anhand des 3-EbenenModells von Donges aus dem Jahr 1982 kategorisiert (ausführlich erläutert wird dieses Modell in Kapitel 2). Bei dieser Einteilung wird unterschieden, auf welcher der drei Ebenen der Fahraufgabe – Stabilisierung, Bahnführung, Navigation – das Fahrerassistenzsystem agiert. ABS und ESP sind z. B. Systeme, die den Fahrer auf der Stabilisierungsebene unterstützen und ihm so helfen, die Gewalt über sein Fahrzeug zu behalten. ACC, präventive Kollisionsschutz-, aber auch Sichtverbesserungssysteme wirken auf der Bahnführungsebene, indem sie dem Fahrer bei der Trajektorienwahl und -haltung Hilfestellungen bieten. Die Aufgaben auf Navigationsebene schließlich werden heutzutage durch hochentwickelte Navigations- und Verkehrstelematiksysteme unterstützt, die ihre Wirkung nicht auf das einzelne Fahrzeug beschränken, sondern in ganzen Teilbereichen des Netzes die Verkehrsströme beeinflussen. Allen Fahrerassistenzsystemen ist gemein, dass ihr Assistenzziel in der Deckung eines Assistenzbedarfs beim Fahrer liegt. Dieser Assistenzbedarf kann darin bestehen, in gefährlichen Situationen unter-
stützt zu werden, oder darin, die Leistungsgrenzen der menschlichen Wahrnehmung zu überwinden, wie es z. B. bei den Sichtverbesserungssystemen der Fall ist. Die Erreichung dieses Assistenzziels erfolgt mittels einer Assistenzfunktion, deren Umsetzung eine entsprechende Sensorik und Aktorik erfordert. Dabei kann eine Assistenzfunktion je nach Konzept mit unterschiedlicher Sensorik und Aktorik realisiert werden; als Beispiel seien Kollisionswarnsysteme genannt, bei denen je nach Hersteller Lidar-, Radar- und/oder Videosensorik zum Einsatz kommt. Assistenzbedarf (der Fahrer hat nur eine begrenzte Reaktionsfähigkeit und ist u. U. unaufmerksam) und Assistenzziel (rechtzeitige Warnung vor einer drohenden Kollision) sowie Funktionsziel (Erkennung von Hindernissen, bei denen die Gefahr einer Kollision besteht) sind dabei gleich und unabhängig vom gewählten Sensorkonzept. Das vorliegende Handbuch Fahrerassistenzsysteme liefert eine umfassende Darstellung sowohl der Sensorik und Aktorik, die in heutigen Systemen verwendet werden, als auch der Funktionen, die mit diesen Systemen umgesetzt werden. Alle wesentlichen zum Zeitpunkt des Verfassens der Beiträge auf dem Markt erhältlichen Systeme sind in diesem Buch vertreten, ebenso wie einige Weiterentwicklungen, die sich noch im Forschungs- bzw. Entwicklungsstadium befinden. Sehr einfache Fahrerassistenzsysteme wie z. B. die automatische Scheibenwischersteuerung oder Lichtautomatik wurden aus Umfangsgründen nicht berücksichtigt, ebenso wie Komfortfunktionen, die keinen direkten Bezug zur Fahraufgabe haben, wie beispielsweise die automatische Klimaregelung. Ausgangspunkt und Zentrum der Betrachtungen ist der Fahrer, der durch die Assistenzsysteme unterstützt werden soll. In Teil A: Grundlagen der Fahrerassistenzsystem-Entwicklung wird daher die Leistungsfähigkeit des Menschen und sein Verhalten bei der Fahrzeugführung beschrieben und dargelegt, welche Auswirkungen auf die Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen sich daraus ergeben. Weitere Grundlagen, die im ersten Teil behandelt werden, sind Entwurf, Test und Bewertung der Systeme sowie ihre Einbindung in die Gesamtfahrzeugarchitektur. Teil B und C des Buches behandeln Sensorik und Aktorik für Fahrerassistenzsysteme. Teil B beinhaltet dabei auch die Fusion der Daten
1
Einleitung
umfelderfassender Sensoren und die Herausforderungen, die sich auf dem Gebiet des maschinellen Sehens stellen. Aufbauend auf Teil A beschäftigt sich Teil D: Mensch-Maschine-Schnittstelle für Fahrerassistenzsysteme mit den Anforderungen an eine nutzergerechte Gestaltung der Mensch-MaschineSchnittstelle sowie der Anzeigetechnologien, die dabei zum Einsatz kommen. Die Teile E und F: Fahrerassistenz auf Stabilisierungebene bzw. Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene enthalten detaillierte Darstellung von Systemen, wie sie derzeit im Pkw- und Lkw-Bereich sowie bei Motorrädern zum Einsatz kommen. Diese beiden Teile bilden damit das Kernstück des vorliegenden Handbuchs.
Der Teil G: Zukunft der Fahrerassistenzsysteme schildert aktuelle Herausforderungen, denen sich Forschung und Entwicklung im Bereich Fahrerassistenzsysteme stellen müssen und wagt mit einem abschließenden „Quo vadis, FAS?“ einen Blick auf die zukünftigen Entwicklungen. Wir wünschen allen Lesern viel Freude mit diesem Handbuch und hoffen, dass es sich für all jene als nützlich erweisen wird, die es als Nachschlagewerk nutzen oder sich mit seiner Hilfe in das spannende Thema der Fahrerassistenzsysteme einarbeiten wollen. Anregungen, Verbesserungsvorschläge und konstruktive Kritik im Allgemeinen zu dieser ersten Auflage sind uns sehr willkommen und erreichen uns unter der E-Mail-Adresse: [email protected]. Darmstadt, im Mai 2009 Prof. Dr. rer. nat. Hermann Winner Dipl.-Ing. Stephan Hakuli Dipl.-Wirtsch.-Ing. Gabriele Wolf
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A Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
1 Die Leistungsfähigkeit des Menschen für die Fahrzeugführung
4
2 Fahrerverhaltensmodelle
15
3 Fahrerassistenz und Verkehrssicherheit
24
4 Nutzergerechte Entwicklung der Mensch-Maschine-Interaktion von Fahrerassistenzsystemen
33
5 Entwurf und Test von Fahrerassistenzsystemen
43
6 Bewertungsverfahren von Fahrerassistenzsystemen
55
7 EVITA – Das Prüfverfahren zur Beurteilung von Antikollisionssystemen
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8 Bewertung von Fahrerassistenzsystemen mittels der Vehicle in the Loop-Simulation
76
9 Einflüsse von Fahrerassistenzsystemen auf die Systemarchitektur im Kraftfahrzeug
84
3
A 1 Die Leistungsfähigkeit des Menschen für die Bettina Abendroth, Ralph Bruder Fahrzeugführung Die Arbeitsaufgabe Kraftfahrzeugführen zählt zu den vorwiegend informatorischen Tätigkeiten mit dem Arbeitsinhalt, Informationen in Reaktionen umzusetzen. Der Fahrer führt hierbei in der Regel eine Steuerungstätigkeit mit kontinuierlicher Informationsverarbeitung aus. Dementsprechend sind für die Fahrzeugführung vor allem der Prozess der Informationsverarbeitung sowie mit diesem in Wechselwirkung stehende Faktoren der individuellen Charakteristik des Fahrers von Bedeutung. Zur Beschreibung der Zusammenhänge zwischen Fahrer, Fahrzeug und Umgebung dient das im Folgenden dargestellte einfache Systemmodell (vgl. [1]). Dieses besteht aus den Elementen Fahrer und Fahrzeug. Die Eingangsgröße Fahrzeugführungsaufgabe, die auch von den Umgebungsfaktoren beeinflusst wird, wirkt auf diese zwei Systemelemente. Darüber hinaus können Störgrößen wie z. B. Ablenkungen durch den Beifahrer auftreten. Die
Ausgangsgröße aus diesem System kann durch die Systemleistungen Mobilität, Sicherheit und Komfort beschrieben werden.
1.1 Menschlicher Informationsverarbeitungsprozess Zur Erklärung der menschlichen Informationsverarbeitung gibt es eine Vielzahl von Modellen, diese spezifizieren die allgemeine Annahme, dass das in einem Rezeptor eintreffende Signal (Stimulus) in eine kognitive Repräsentation und in eine Reaktion des Menschen (Response) umgesetzt wird. Zu den bekanntesten Modellen im Ingenieurbereich zählen die sequenziellen sowie die Ressourcenmodelle. Sequenzielle Modelle unterstellen, dass die Transformation von Stimulus in Response streng sequenziell abläuft, d. h. die nächste Stufe kann erst durch-
Bild 1-1: Systemmodell Fahrer-Fahrzeug-Umgebung (vgl. [1])
4
1 Die Leistungsfähigkeit des Menschen für die Fahrzeugführung
laufen werden, wenn die vorige abgeschlossen ist. Ressourcenmodelle stützen sich auf die Annahme, dass die Kapazität, die für verschiedene Aktivitäten zur Verfügung steht, beschränkt ist und zwischen allen gleichzeitig ausgeführten Aufgaben aufgeteilt werden muss. Die Theorie der multiplen Ressourcen erweitert diese Sichtweise; gemäß dieser hängt das Ausmaß an Interferenz zweier Aufgaben davon ab, ob diese die gleichen Ressourcen beanspruchen [2]. Frei von Interferenz wäre demnach die gleichzeitige Verarbeitung visueller, räumlicher Bildinformationen (z. B. Zielführungsanzeige) und auditiver, verbaler Informationen (Telefongespräch, Nachrichten im Radio), da diese unterschiedliche Sinneskanäle und unterschiedliche Bereiche im Arbeitsgedächtnis nutzen. Experimentelle Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass diese Freiheit von Interferenz nicht uneingeschränkt gilt. Die menschliche Informationsverarbeitung wird hier anhand eines kombinierten Stufen- und Ressourcenmodells erklärt (siehe Bild 1-1). Dieses basiert auf den Verarbeitungsstufen Informationsaufnahme (Perzeption), Informationsverarbeitung i. e. S. (Kognition) und Informationsabgabe (Motorik) [3]. Darüber hinaus wird berücksichtigt, dass die zur Verfügung stehende Ressourcenkapazität beschränkt ist. Die Effizienz der drei Verarbeitungsstufen des Informationsverarbeitungsprozesses wird durch die zur Verfügung stehenden Verarbeitungsressourcen beeinflusst und benötigt die Zuwendung von Aufmerksamkeit. Diese bewirkt die gezielte Selektion von Informationen, die zu Inhalten der bewussten Verarbeitung werden sollen. Denn das ständige Überangebot an Informationen übersteigt die menschliche Verarbeitungskapazität, sodass der Mensch bei Weitem nicht alles bewusst wahrnehmen kann, was ihn auf der Ebene der Sinnesrezeptoren erreicht. Der Mensch kann seine gesamte Aufmerksamkeit unterschiedlich auf die drei Stufen des Informationsverarbeitungsprozesses verteilen, um relevante Informationsquellen auszuwählen und diese Informationen weiterzuverarbeiten. Für jede Arbeitstätigkeit kann eine günstige Aufmerksamkeitsverteilung vom Menschen erlernt werden, im Extremfall kann eine schlechte Aufmerksamkeitsverteilung menschliche Fehlhandlungen verursachen. Auf theoretischer Ebene können verschiedene Formen der Aufmerksamkeit in den Dimensionen Selektivität und Intensität unterschieden werden. Mit der selektiven Aufmerksamkeitszuwendung wird die Tatsache beschrieben, dass der Mensch sich zwischen verschiedenen, miteinander konkurrierenden Informationsquellen entscheiden muss.
A
Im Rahmen der geteilten Aufmerksamkeit muss der Mensch verschiedene Reize simultan wahrnehmen, während er sich bei einem Aufmerksamkeitswechsel von einem Reiz abwendet, um sich anschließend einem anderen zuzuwenden. Die Intensität der Aufmerksamkeit betrifft das Aktivierungsniveau, hierbei sind die herabgesetzte Vigilanz (niedriger Anteil relevanter Stimuli) und die Daueraufmerksamkeit (hoher Anteil relevanter Stimuli) von Bedeutung.
1.1.1 Informationsaufnahme Der Informationsaufnahme werden alle Prozesse zugeordnet, die das Entdecken und Erkennen von Informationen betreffen. Dabei wird der Vorgang der internen Repräsentation der Umwelt als Wahrnehmung bezeichnet. Dieses innere Abbild der Umwelt wird beeinflusst von der aktuellen Situation, in der sich der Mensch befindet, und den Erfahrungen, über die dieser verfügt. Die Informationsaufnahme erfolgt über die Sinnesorgane. Der Mensch kann eine Vielzahl gleichzeitig übermittelter Informationen parallel über alle Sinneskanäle aufnehmen, allerdings kann die gleichzeitige Verarbeitung verschiedener Informationen die Leistung verschlechtern. Die spezifischen Leistungsbereiche der Sinnesorgane beeinflussen Quantität und Qualität der aufgenommenen Informationen und somit auch alle folgenden Informationsverarbeitungsschritte. Dem menschlichen Wahrnehmungssystem werden neun sensorische Modalitäten zugeordnet. Für die Fahrzeugführung sind jedoch vor allem visuelle, akustische, haptische und vestibuläre Wahrnehmungen von Bedeutung. Darüber hinaus verfügt der Mensch über Rezeptoren zur Wahrnehmung von Geruch, Geschmack, Temperatur und Schmerz. Zusätzlich wird der sensorische Speicher (auch Ultrakurzzeitgedächtnis genannt) dem Bereich der Informationsaufnahme zugeordnet. Im sensorischen Speicher werden ausschließlich physikalisch kodierte Informationen gespeichert. Visuelle Informationen werden im ikonischen, akustische im echoischen Speicher für einen Zeitraum zwischen 0,25 und 2 Sekunden abgelegt [3]. Bei der visuellen Informationsaufnahme hat das Auge folgende drei Grundaufgaben: Adaptation (Anpassung der Empfindlichkeit des Auges an die jeweils herrschende Leuchtdichte), Akkomodation (Einstellung unterschiedlicher Sehentfernungen) und Fixation (Ausrichtung der Augen auf den Sehgegenstand, sodass die beiden Sehachsen konvergent sind). Das Auge dient der Farb-, Objekt- und Bewegungswahrnehmung sowie der Wahrnehmung von räumlicher Tiefe und Größe.
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
Das Ohr erfüllt bei der Aufnahme auditiver Informationen drei Grundfunktionen: Adaptation (Anstieg der Hörschwelle, der zur Differenzierung des Hörvorgangs erforderlich ist), auditorische Mustererkennung (notwendig für Sprach- und Geräuschidentifizierung) und akustische Raumorientierung, die durch binaurales (beidohriges) Hören realisiert wird. Bei haptischer Informationsaufnahme werden der taktile und/oder der kinästhetische Wahrnehmungskanal genutzt. Über das taktile Wahrnehmungssystem werden Verformungen der Haut wahrgenommen. Rezeptoren (Vater-Pacinsche Lamellen und Meißnersche Tastkörperchen) vermitteln in und unter der Haut Druck-, Berührungsund Vibrationsempfinden. Das kinästhetische Wahrnehmungssystem nimmt die Dehnung von Muskeln und die Bewegung der Gelenke wahr. Verschiedene Arten von Rezeptoren, die sich an den Muskelspindeln, im Bereich der Gelenke und der Bänder befinden, ermöglichen die Empfindung von Körperbewegungen und von Stellungen der Körperteile zueinander. Die Orientierung im Raum wird dem Menschen über das vestibuläre Wahrnehmungssystem ermöglicht. Als Rezeptor wird der sich im Innenohr befindende Vestibularapparat genutzt. Dieser hat darüber hinaus die Aufgaben, Informationen zur Erhaltung des Gleichgewichts und die Auslösung der Stellreflexe zur Normalhaltung des Kopfes und der Augen zu geben. Beim Autofahren trägt der vestibuläre Sinneskanal zur Wahrnehmung von Geschwindigkeit und Beschleunigung des eigenen Fahrzeugs bei. Die meisten verkehrsrelevanten Informationen werden beim Autofahren visuell aufgenommen (ca. 80–90 %). Grundlage für richtige Handlungsentscheidungen des Fahrers ist eine möglichst vollständige interne Repräsentation des relevanten Verkehrsraums. Beim Fahren mit hoher Geschwindigkeit ist es außerordentlich wichtig, die Informationen zur Führung des Fahrzeugs schon aus großer Entfernung aufzunehmen, sodass ausreichend Zeit bleibt, um die Bewegungen des Fahrzeugs genau an diese Informationen anzupassen. Dies zeigt die Wichtigkeit des visuellen Systems des Fahrers bei der Fahrzeugführungsaufgabe, da das Auge das einzige weitreichende Rezeptorsystem des Menschen ist, welches gezielt ausrichtbar ist [4]. Bei Aufgaben, die menschliches Verhalten im Verkehr umfassen, wird die Informationsaufnahme durch die Grenzen der Augenbewegungen stark dominiert. Der Bereich, aus dem der Fahrer Informationen visuell aufnehmen kann, wird durch das Gesichts-, das Blick- und das Umblickfeld bestimmt.
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In Abhängigkeit vom Abbildungsort des Objekts auf der Netzhaut wird foveales Sehen und peripheres Sehen unterschieden: Beim fovealen Sehen wird das Objekt in der Netzhautgrube (Fovea) abgebildet, nur in diesem Bereich bis zu einem Öffnungswinkel von 2° können Objekte scharf gesehen werden. Je entfernter das Bild von der Fovea ist, desto unschärfer erscheint ein Gegenstand. Im peripheren Sehbereich können Bewegungen und Helligkeitsänderungen wahrgenommen werden. In der Literatur sind unterschiedliche Ansichten zur Rolle und zum Beitrag des fovealen und des peripheren Sehens zur Informationsaufnahme beim Kraftfahrzeugführen zu finden. [4] nehmen an, dass die foveale Informationsaufnahme beim Fahrzeugführen unter hohen Belastungen, d. h. bei hoher Informationsdichte und somit hohen Anforderungen an die Informationsverarbeitung, starkes Gewicht hat. Die Größe des nutzbaren Sehfeldes ist bei guten und schlechten Kraftfahrern unterschiedlich. Während gute Fahrer ein nutzbares Sehfeld von 9–10° besitzen, umfasst es bei schlechten Autofahrern nur 6–7° [5]. Unter dem nutzbaren Sehfeld wird eine variable räumliche Ausdehnung um die Netzhautgrube herum verstanden, die den Bereich beschreibt, innerhalb dessen eine Person die für eine bestimmte definierte Aufgabe erforderlichen Informationen entdecken kann. Die Güte der visuellen Informationsaufnahme des Menschen wird durch die Art des Signals und die Darbietungshäufigkeit beeinflusst. So unterscheidet [6] kritische, neutrale und nicht-kritische Signale sowie nichtkritische und kritische Zusatzsignale. Bezüglich der Häufigkeit der Informationsdarbietung haben die Untersuchungen mehrerer Autoren (eine Übersicht gibt [6]) ergeben, dass die Beobachtungsleistung um so besser ist, je mehr reaktionsfordernde Signale pro Zeiteinheit dargeboten werden. Diese Regel gilt bis zu einer optimalen Signalhäufigkeit von ca. 120 bis 300 Signalen pro Stunde. Bei einer wesentlichen Überschreitung dieser Signalhäufigkeit gerät der Beobachter in eine Überforderungssituation mit dem Ergebnis, dass immer mehr Signale unbeantwortet bleiben. [7] gehen mit ihrer „Theory of Pathway Inhibition“ davon aus, dass sich gleichartige Reize behindern und somit durch heterogene Reize eine bessere Aufmerksamkeitsleistung erreicht wird.
1.1.2 Informationsverarbeitung Signale aus der Umgebung (z. B. Charakteristik der Fahrstrecke, andere Verkehrsteilnehmer, Wetter- und Sichtbedingungen) sowie vom Fahrzeug
1 Die Leistungsfähigkeit des Menschen für die Fahrzeugführung
(z. B. Anzeigen, Stell- und Bedienelemente und die Fahrzeugdynamik) werden von den menschlichen Rezeptoren aufgenommen, aufbereitet und auf der Stufe der Informationsverarbeitung i. e. S. (Kognition) weiterverarbeitet. Hier wird entschieden, ob eine Information zu einer Handlung führt (aktiver Fall) oder erduldet wird (passiver Fall). Diese Entscheidung wird maßgeblich von der individuellen Charakteristik des Fahrers beeinflusst. Die Informationsverarbeitung i. e. S. umfasst die Stufen Wahrnehmung und Entscheidung/Handlungsauswahl. Diese Stufen können durch die drei aufeinander aufbauenden Verhaltensebenen, die gemäß [8] als fertigkeitsbasiert, regelbasiert und wissensbasiert bezeichnet werden, erklärt werden. Auf welcher Verhaltensebene die Informationsverarbeitung abläuft, ist von der Art der auszuführenden Aufgabe sowie der individuellen Charakteristik des Fahrers, insbesondere seinen Erfahrungen im Bereich der gegebenen Anforderungen, abhängig. Der fertigkeitsbasierten Ebene werden sensumotorische Handlungen, die ohne bewusste Regulation als automatisierte, gleichmäßige und hochintegrierte Verhaltensmuster auftreten, zugeordnet. Dies ermöglicht eine hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit und somit das rasche und flexible Reagieren auf situative Veränderungen. Hier handelt es sich um automatische Prozesse, die kaum Aufmerksamkeit beanspruchen. Das regelbasierte Verhalten läuft auf kognitiv anspruchsvolleren Ebenen ab und wird durch einfache Entscheidungsvorgänge auf Basis von gespeicherten Regeln bestimmt. Diese Regeln werden durch empirische Erfahrungen, kommunizierte oder gelesene Verhaltensanweisungen gesammelt. Es findet eine Assoziation von Merkmalen der gespeicherten Regeln mit den Umgebungsmerkmalen statt. In unbekannten, für den Menschen neuen Situationen, für die keine Regeln vorliegen, läuft das Verhalten auf der wissensbasierten Ebene ab. Hier wird das Ziel aufgrund einer Situationsanalyse und persönlicher Präferenzen festgelegt. Es werden Alternativpläne entwickelt und der im Hinblick auf das festgelegte Ziel effektivste Plan ausgewählt. Im Gegensatz zu den auf der fertigkeitsbasierten Ebene ablaufenden Prozessen werden die den regelbasierten und wissensbasierten Ebenen zugeordneten Prozesse als kontrolliert bezeichnet und erfordern mehr Aufmerksamkeit. Bei der kognitiven Verarbeitung von Informationen spielt das Gedächtnis eine zentrale Rolle. Mit dessen Hilfe werden die Sinneseindrücke mit erlernten und gespeicherten Strukturen des Denkens und Urteilens verglichen. Nach dem klassischen Drei-Speicher-Modell besteht das Gedächtnis aus sensorischem Speicher (Ultrakurzzeitspeicher),
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Kurzzeitspeicher und Langzeitspeicher. Im Kurzund Langzeitgedächtnis werden die Informationen aktiv bearbeitet. Während eines kontinuierlichen Prozesses werden die abgespeicherten Informationen aus Lang- und Kurzzeitgedächtnis abgerufen und mit den sensorisch aufgenommenen Merkmalsträgern verglichen. Die Unfallgefahr eines Autofahrers wird sowohl von der individuellen Akzeptanz als auch von Fehlwahrnehmungen bezüglich Risiken im Straßenverkehr beeinflusst. Ein wesentlicher Aspekt des Entscheidungsvorgangs innerhalb des Informationsverarbeitungsprozesses ist die Tatsache, dass die Handlung ausgewählt wird, die unter Variation der äußeren Umstände den größten Nutzen unter Beachtung des damit verbundenen Risikos verspricht. Der Begriff Risiko wird unterschiedlich definiert. Oftmals wird er als Wahrscheinlichkeit, dass ein nicht gewünschtes Ereignis eintritt, interpretiert. So definieren z. B. [9] Risiko als das Verhältnis zwischen Größen, die negative Konsequenzen von Ereignissen beschreiben, und Größen, die die Wahrscheinlichkeit eines Eintreffens der Bedingungen charakterisieren, unter denen diese Konsequenzen möglich sind. Diese Sichtweise schließt jedoch das Risikobewusstsein nicht mit ein. [10] sieht das Risiko deshalb als eine multidimensionale Charakterisierung einer negativen Erwartung an, die sich aus einem probabilistischen Entscheidungsprozess ergibt. Zur Erklärung der Risikowahrnehmung von Autofahrern wurden zahlreiche Modelle entwickelt. Zu den bekanntesten zählen das ,Zero Risk‘-Modell von [11] und das Modell der ‚Risikohomöostase‘ von [12]. Gemäß dem ,Zero Risk‘-Modell handeln Menschen so, dass ihr subjektives Risiko null beträgt; dieses Modell basiert auf der individuellen Motivation, die das Fahrerverhalten beeinflusst, und der Adaptation an das im Straßenverkehr wahrgenommene Risiko. Demgegenüber geht die Theorie der ‚Risikohomöostase‘ davon aus, dass der Mensch bei einer Reduzierung des objektiven Risikos (z. B. durch technische Maßnahmen) sein Verhalten soweit in Richtung „gefährlicher“ verändert, dass die subjektive Schätzung des Risikos wieder die gleiche Distanz zum persönlich akzeptierten Risiko erhält wie vor der Einführung der Maßnahme [12]. Das ‚Modell der subjektiven und objektiven Sicherheit‘ stellt der subjektiv erlebten Sicherheit solche Formen der Sicherheit gegenüber, die physikalisch messbar sind [13]. Das Gefahren-Vermeidungs-Modell (Threat-Avoidance Model) von [14] geht davon aus, dass die Handlungen eines Fahrers bei Wahrnehmung eines potenziell gefährlichen Ereignisses vorrangig durch Abwägung des Nut-
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
zens und der Kosten aller Alternativen ausgewählt werden. Als Hauptkomponenten bei der Risikowahrnehmung sehen [9] einerseits Informationen über potenzielle Gefahren in der Verkehrsumgebung und andererseits Informationen über die Fähigkeiten des Systems Fahrer-Fahrzeug an, die verhindern, dass das Gefahrenpotenzial zu einem Unfall führt.
1.1.3 Informationsabgabe In der dritten Stufe des Informationsverarbeitungsprozesses werden die auf der Stufe der Informationsverarbeitung i. e. S. getroffenen Entscheidungen in Handlungen umgesetzt. Diese Handlungen umfassen beim Fahrzeugführen motorische Bewegungen des Hand-Arm-Systems sowie des FußBein-Systems. Die physische Belastung im Sinne einer arbeitsphysiologisch zu leistenden Arbeit ist im Vergleich zu den sich aus der Informationsaufnahme und -verarbeitung ergebenden Belastungen gering und wird durch technische Unterstützungssysteme im Fahrzeug (z. B. Servolenkung) immer weiter reduziert.
1.2 Fahrercharakteristik und die Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit Die menschliche Leistung ist allgemein charakterisiert durch die Arbeitsergebnisse und die Beanspruchung des arbeitsausführenden Individuums. Sowohl die Arbeitsergebnisse als auch die Beanspruchungen unterliegen inter- und intraindividuellen Streuungen: Nicht alle Personen erfüllen dieselbe Aufgabe gleich gut, aber auch eine einzelne Person kann Leistungsvariabilitäten aufweisen, wenn die Leistungserfüllung derselben Aufgabe zu unterschiedlichen Zeitpunkten gemessen wird. Zurückzuführen sind diese Variabilitäten auf die individuelle Charakteristik des Menschen und somit auf die unterschiedlichen Leistungsvoraussetzungen. Im Folgenden werden für das Autofahren relevante menschliche Leistungsvoraussetzungen und ihre Auswirkungen auf die Fahrleistung und -sicherheit erläutert. Es erfolgt eine Systematisierung in Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Eigenschaften Als Eigenschaften werden intraindividuell weitgehend zeitunabhängige (oder sich nur innerhalb sehr großer Zeiträume ändernde) Einflussgrößen
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verstanden. Als wichtigste für das Autofahren relevante Eigenschaften werden häufig Geschlecht, Alter und Persönlichkeitsmerkmale genannt. Während in einigen Untersuchungen geschlechtsspezifische Unterschiede im Fahrerverhalten festgestellt wurden, konnten in anderen Untersuchungen keine Unterschiede im Hinblick auf das Risikoverhalten sowie das Geschwindigkeitsverhalten bestätigt werden. Außerdem sind Unterschiede in der Wahrnehmung des Unfallrisikos bei Männern und Frauen festzustellen: Männer schätzen ihr Fahrkönnen besser ein als Frauen, dabei neigen Frauen eher zu einer Unterschätzung ihrer Leistungsfähigkeit, während Männer eher zu einer Überschätzung tendieren. Außerdem beurteilten männliche Fahrer bestimmte Verhaltensweisen als weniger gefährlich und weniger unfallträchtig als weibliche. Die Fähigkeiten des Menschen, sich sensorisch zu orientieren, aufgenommene Informationen zu verarbeiten und motorische Handlungen auszuführen, wandeln sich im Zuge des Alterungsprozesses, innerhalb dessen die menschlichen Organe einer Veränderung unterliegen. Die sensumotorische Leistungsfähigkeit des Menschen hat starken Einfluss auf den Informationsverarbeitungsprozess des Fahrers und somit auf die Sicherheit des Systems Fahrer-Fahrzeug-Umgebung. Jedoch können aufgrund der bei älteren Fahrern in der Regel vorhandenen großen Fahrerfahrung die zunehmenden funktionalen Defizite zumindest teilweise kompensiert werden. Für die Definition des Begriffs „Ältere“ existieren verschiedene Ansätze. Oftmals orientiert man sich am kalendarischen bzw. chronologischen Alter; demnach werden Menschen ab dem 60. oder 65. Lebensjahr zu den Älteren gezählt, obwohl die mit dem Alterungsprozess verbundenen funktionalen Veränderungen mit erheblichen interindividuellen Varianzen behaftet sind. Auch verschiedene Persönlichkeitsmerkmale des Fahrers beeinflussen sein Verhalten. So wurden Zusammenhänge zwischen der Risikobereitschaft von Fahrern und der von ihnen gefahrenen Geschwindigkeit sowie der Kraftschlussnutzung festgestellt. Fahrer, die emotional instabil, impulsiv und nicht teamfähig sind, unterliegen einem höheren Unfallrisiko als Menschen, die anpassungsfähig und emotional stabil sind. Außerdem werden die selektive Aufmerksamkeit, der Wahrnehmungsstil und die Reaktionszeit als individuelle Merkmale genannt, die als Indikatoren für die Unfallbeteiligung gelten. Fähigkeiten Als Fähigkeiten werden die verfügbaren intraindividuell zeitabhängig kurz- bzw. langfristigen
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Die mit dem Alter fortschreitende Einschränkung des Gesichtsfeldes verschärft die Problematik des Bewegungssehens beim Autofahren, da die Bewegung relevanter Objekte zunächst im peripheren Gesichtsfeld beobachtbar ist. Altersveränderungen des Hörvermögens bestehen in einer Abnahme der Hörschwelle, vor allem im Bereich hoher Frequenzen. Schwierigkeiten bei der Frequenz- und auch der Intensitätsdiskrimination von Tönen sowie bei der Erkennung komplexer Geräusche wie z. B. Sprache unter schwierigen Wahrnehmungsbedingungen (z. B. Störgeräusche, Verzerrungen) und teilweise erschwertes Richtungshören sind weitere Altersveränderungen des Hörvermögens. Mit zunehmendem Alter nimmt auch die taktile Wahrnehmungsempfindlichkeit ab. Der Gleichgewichtssinn ist bei 20- bis 30-Jährigen am besten ausgebildet und nimmt ab dem 40. Lebensjahr stark ab, sodass sich dieser im Alter von 60 bis 70 Jahren auf die Hälfte reduziert hat. Mit zunehmendem Alter arbeitet der sensorische Speicher weniger effizient. Akustische Signale weisen im echoischen Speicher eine höhere Zerfallsgeschwindigkeit auf, während visuelle Signale länger im ikonischen Speicher verbleiben. Dies führt bei der Bereitstellung verkehrsrelevanter Informationen dazu, dass akustische Informationen nur in zeitlich verkürztem Umfang zur Bearbeitung zur Verfügung stehen und visuelle Reize wegen der Blockierung des ikonischen Speichers nur in beschränktem Umfang aufgenommen werden können.
Änderungen verstanden; sie betreffen physiologische Organ- oder so genannte Grundfunktionen des Menschen. Durch die als Intelligenz bezeichneten geistigen Fähigkeiten werden die Handlungen eines Fahrers insbesondere auf der wissensbasierten Ebene beeinflusst. Der Begriff Intelligenz ist in der Literatur umstritten und wird dementsprechend auch nicht einheitlich definiert. Nach einer weit gefassten Definition wird unter Intelligenz die hierarchisch strukturierte Gesamtheit jener allgemeinen geistigen Fähigkeiten verstanden, die das Niveau und die Qualität der Denkprozesse einer Persönlichkeit bestimmen. Mit Hilfe dieser Fähigkeiten können die für das Handeln wesentlichen Eigenschaften einer Problemsituation in ihren Zusammenhängen erkannt werden, so dass die Situation entsprechend bestimmter Zielvorstellungen verändert werden kann. Aber auch die kognitiven und sensumotorischen Fähigkeiten des Menschen sowie das Reaktionsvermögen beeinflussen das Autofahren indirekt über die Auswirkungen dieser Merkmale auf den Informationsverarbeitungsprozess. Mit zunehmendem Alter verschlechtern sich die Fähigkeiten der Rezeptoren, was insgesamt zu Einschränkungen im Bereich der Informationsaufnahme führt. So verändern sich die Augenbestandteile aufgrund eines Flüssigkeitsentzugs im Gewebe durch den Alterungsprozess. Die sich daraus ergebenden Wirkungen auf die visuellen Fähigkeiten sind in Tabelle 1-1 zusammengefasst.
Tabelle 1-1: Mit dem Alter eintretende Veränderungen des visuellen Systems (y Zunahme; } Abnahme) Wirkung
Ursache bzw. Einflussgrößen
}
Akkomodationsbreite
}
}
Statische Sehschärfe
}
Dynamische Sehschärfe
y
Blendungsempfindlichkeit
}
Kontrastsehen
y
Erforderliche Leuchtdichte
y
Einschränkung des Gesichtsfeldes
Flüssigkeit im Gewebe Beleuchtungsverhältnisse
}
Akkomodationsgeschwindigkeit
y
Trägheit der Sinneszellen
y
Funktionale Störungen der Netzhaut
y
Adaptationszeit
y
Eintrübung von Hornhaut, Linse und Glaskörper
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
In den einzelnen Bereichen der Aufmerksamkeit gibt es bei älteren Menschen Leistungsreduktionen, diese ergeben in ihrer additiven Wirkung eine insgesamt schlechtere Aufmerksamkeitsleistung. Dies führt dazu, dass Ältere ihre Handlungsentscheidung auf einer relativ kleineren Basis von Umgebungsinformationen treffen müssen als jüngere Verkehrsteilnehmer, da sie nicht über alle potenziell wichtigen Informationen verfügen. Insgesamt zeigt sich, dass für ältere Fahrer vor allem in komplexen und neuartigen Situationen, die schnelles Handeln erfordern, Schwierigkeiten auftreten können. Zusätzlich erschwerend wirken die Einschränkungen bei der Informationsaufnahme, die zu einer teilweise verzögerten sensorischen Bereitstellung relevanter Informationen führen, womit für ältere Fahrer eine geringere Zeit für die Verarbeitung verkehrsrelevanter Informationen und entsprechender Handlungen bleibt. Fertigkeiten Unter Fertigkeiten werden Arbeitsfunktionen des Menschen verstanden, die sowohl durch menschliche Grundfunktionen als auch durch den konkreten Gestaltungszustand der Arbeitsaufgabe und der Arbeitsumgebung bedingt sind. In Zusammenhang mit dem Autofahren haben die Fahrerfahrung und der Fahrstil (Klassifizierung anhand der vom Fahrer gewählten Fahrzeuggrößen) bzw. Fahrertyp (Klassifizierung anhand der beobachteten Verhaltensweisen des Fahrers) eine große Bedeutung. Die Fahrerfahrung kann unterschiedliche Auswirkungen auf das Unfallrisiko haben. Mit wachsender Fahrerfahrung verbessern sich die Fahrfertigkeiten und das Erkennen sowie die Einschätzung von Risiken. Eine Verbesserung der Fahrfertigkeit ist darauf zurückzuführen, dass mit zunehmender Kilometerzahl die Anzahl erlebter unterschiedlicher Fahrsituationen wächst und dadurch die Ausbildung von Handlungsroutinen ermöglicht wird. Feldversuche haben gezeigt, dass sich unerfahrene Fahrer im Hinblick auf Antizipation, visuelles Suchverhalten und Sicherheitsgrenzen nicht von den erfahrenen Fahrern unterscheiden. Während die Kontrolle über das Fahrzeug mit zunehmender Fahrerfahrung besser wird, führt die Erfahrung in anderen Bereichen zur Ausbildung von Fehlern und schlechten Gewohnheiten, wie z. B. dem Nichtbeachten der Spiegel, spätem Bremsen und dichtem Auffahren. Bei Fertigkeiten, die die Kontrolle über das Fahrzeug widerspiegeln, haben sich Anfänger als schlechter erwiesen als erfahrene Fahrer. Dies zeigt sich durch spätes Beschleunigen, schlechte und inkonsistente Lenkbewegungen und langsame Gangwechsel bei Anfängern. Auch haben die Lenk-
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bewegungen unerfahrener Fahrer eine höhere Frequenz als die erfahrener Fahrer. Das Blickverhalten unerfahrenerer Fahrer wird häufig als ineffizienter bezeichnet, da sie zu häufig Punkte im Nahbereich fixieren. So werden entfernte Unfallgefahren von jungen, unerfahrenen Fahrern im Vergleich zu erfahrenen Fahrern relativ schlecht erkannt, bei der Erkennung naher Gefahren bestehen jedoch keine Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen. Mit zunehmender Erfahrung lernen Fahrer, gefährliche Objekte und Ereignisse anhand bestimmter Teile des Verkehrssystems zu erkennen. Dies entspricht auch der Tatsache, dass sich die visuellen Fixations- und Suchmuster von unerfahrenen und erfahrenen Fahrern unterscheiden. Unterschiedliches Geschwindigkeitsverhalten ergibt sich bei Kurvenfahrten in Abhängigkeit von der Fahrerfahrung. Erfahrene Fahrer fahren schneller in Kurven ein und verzögern in der Kurve stärker als unerfahrene. Der Fahrstil wird sowohl durch die Fahrerfahrung als auch durch die Persönlichkeit des Fahrers geprägt und kann somit auch den Eigenschaften eines Fahrers zugeordnet werden. Die in der Literatur beschriebenen Fahrstile und Fahrertypen weisen große Übereinstimmungen auf. Unterschiedliche Formen des Fahrstils wurden festgestellt. So kann dieser bei Führern von Nutzfahrzeugen als „lahm-lasch“, „eckig-abrupt“ oder „zügig-flott“ bezeichnet werden. Bei PKW-Fahrern wurden anhand von Kenngrößen für Geschwindigkeit, Längsbeschleunigung, Abstand zum Vorausfahrenden die Fahrstile „eher langsam und komfortbewusst“, „durchschnittlich mit hohem Sicherheitsbewusstsein“ und „schnell und sportlich“ identifiziert. Auf Basis von Verhaltensbeobachtungen wurden ähnliche Fahrertypen gefunden, die als „unauffällige Durchschnittsfahrer“, „wenig routinierte-unentschlossene Fahrer“, „sportlich-ambitionierte Fahrer“ und „risikofreudig-aggressive Fahrer“ bezeichnet wurden.
1.3 Anforderungen an den Fahrzeugführer im System Fahrer-Fahrzeug-Umgebung Die Anforderungen an den Fahrer ergeben sich aus der Fahrzeugführungsaufgabe, die von Faktoren aus der Umgebung mitbestimmt werden. Hier steht die Komplexität der vom Fahrer zu bewältigenden Situation im Vordergrund. Diese ergibt sich aus der Charakteristik der Fahrstrecke und dem dynamischen Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer. Wie der Fahrer diese Anforderungen bewältigt, ist
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einerseits von seiner individuellen Charakteristik und andererseits von der durch das Fahrzeug angebotenen Fahrerunterstützung (Assistenzsysteme) abhängig. In Abhängigkeit von Belastungshöhe und -dauer treten Engpässe im Informationsverarbeitungsprozess des Fahrers auf, die entsprechend des Kontinuums des Verkehrsverhaltens nach [13] zu einer Abweichung vom so genannten „Normalverhalten“ bis hin zu kritischen Verkehrssituationen und auch zu Unfällen führen können. Um diese Engpässe zu identifizieren, werden im Folgenden die Teilaufgaben der Fahrzeugführung und die sich aus diesen ergebenden Anforderungen zusammengestellt. Teilaufgaben der Fahrzeugführung Ansätze zur Beschreibung der Fahrzeugführungsaufgabe durch Teilaufgaben existieren auf unterschiedlicher Detaillierungsebene, zum Teil wurden sie für spezielle Erklärungszwecke oder einzelne Aspekte der Fahrzeugführungsaufgabe abgeleitet. Im Folgenden werden nur zwei häufig genannte Klassifizierungen aufgeführt. Eine Einteilung der Fahreraufgaben nach ihrer Bedeutung für die Erfüllung des Fahrtzwecks wird von [15] vorgeschlagen. Primäre Tätigkeiten umfassen für die Durchführung der Fahrt unbedingt notwendige Tätigkeiten wie z. B. Lenken und Gas Geben und wird maßgeblich durch den Straßenverlauf, andere Verkehrsteilnehmer und die Umgebungsbedingungen bestimmt. Sekundäre Tätigkeiten sind durch die Informationsabgabe an die Umgebung – hierzu gehören beispielsweise Blinken oder Hupen – sowie durch eine Reaktion auf die aktuelle Situation, wie z. B. Einschalten des Scheibenwischers oder Einschalten des Fernlichts, charakterisiert. Tertiäre Handlungen stehen nicht in direktem Zusammenhang mit der eigentlichen Fahrzeugführung, sie dienen eher dem Fahrkomfort und umfassen z. B. die Regelung der Lüftung sowie der Klimaanlage oder die Bedienung des Radios. Das 3-Ebenen-Modell von [16] beschreibt eine Hierarchie der primären Fahraufgaben auf oberster Ebene mit den Tätigkeiten Navigieren (Auswahl der Fahrtroute), Bahnführen (Festlegung von Sollspur und Sollgeschwindigkeit) und Stabilisieren (Anpassung der Fahrzeugbewegung an die festgelegten Führungsgrößen). Diese Hierarchie spiegelt auch den zeitlichen Spielraum, der zur Erledigung der jeweiligen Aufgaben zur Verfügung steht, sowie die Fehlertoleranz wider. Während eine verspätete Entscheidung oder ein Fehler auf der Navigationsebene in der Regel zu keiner kritischen Situation führt, können auf der
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Stabilisierungsebene durchaus kritische Fahrsituationen oder sogar Unfälle entstehen. Anforderungen aus der Fahrzeugführungsaufgabe Generell ergeben sich für den Menschen die Anforderungen einer Tätigkeit aus den Arbeitsaufgaben. Unter Berücksichtigung der aufgabenunspezifischen, situativen Arbeitsbedingungen entstehen objektiv beschreibbare Belastungen. Zu diesen situativen Faktoren zählen Dauer und zeitliche Zusammensetzung der Anforderungen einerseits sowie Einflüsse aus der Arbeitsumgebung andererseits. Um Anforderungen aus der Arbeitsaufgabe zu ermitteln, wurden verschiedene Tätigkeitsanalyseverfahren entwickelt. Zur Analyse der Anforderungen aus der Fahrzeugführungsaufgabe wurde von [17] für den Straßenverkehr eine modifizierte Version des Fragebogens zur Arbeitsanalyse (FAA, [18]) erstellt. Diese modifizierte Version berücksichtigt die Bereiche Informationsverarbeitung und Fahrzeugbedienung, ersterer wird weiter unterteilt in Quellen der Information, Sinnes- und Wahrnehmungsprozesse, Beurteilungsleistungen sowie Denk- und Entscheidungsprozesse. Insgesamt werden 32 Arbeitselemente für den Bereich Informationsverarbeitung und 7 Arbeitselemente für den Bereich der Fahrzeugbedienung angegeben. Auf Grundlage des von [17] modifizierten FAA sowie anhand des Teils erforderliche kognitive Leistungen des Tätigkeitsbewertungssystem (TBS, [19]) werden die sich aus der Fahrzeugführungsaufgabe ergebenden Anforderungen abgeleitet. Bei der im Folgenden aufgeführten Liste von Anforderungen umfasst der Bereich Informationsquellen, Sinnes- und Wahrnehmungsprozesse die Orientierungsleistungen im Umgebungsbereich. Dazu werden wahrgenommene Sachverhalte als Signale erfasst und aufbereitet sowie Hypothesen gebildet und geprüft. Signale sind Reize, die unterschieden und identifiziert werden, bei einer bestimmten Ausprägung eine bestimmte Bedeutung für die Arbeitstätigkeit haben und ein spezifisches Handeln als notwendig anzeigen. Die Beurteilungsleistungen werden durch das Ableiten von Diagnosen über Zustände erbracht, um geeignete Maßnahmen zu finden. Dazu werden Reize ausgesondert, verglichen und Signalausprägungen kombiniert. Die Entscheidungs- und Denkanforderungen können einerseits aus diagnostischen Leistungen, die die Ermittlung möglicher Varianten umfassen, und andererseits aus prognostischen Leistungen, die zur Auswahl zweckmäßiger Varianten dienen, bestehen. Die Fahrzeugbedienung geschieht im Rahmen von Verarbeitungsleistungen.
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
I Informationsquellen, Sinnes- und Wahrnehmungsprozesse Optische Anzeigen im Fahrzeug z. B. Instrumente (z. B. Geschwindigkeitsanzeige), Stellung von Bedienelementen (z. B. heizbare Heckscheibe), Informationen des Bordcomputers (z. B. Außentemperatur) Akustische Informationen z. B. Sprachausgabe des Navigationssystems, Martinshorn von Einsatz- und Rettungsfahrzeugen Akustische Nebeninformationen z. B. Radio, Gespräche mit Beifahrer oder über Telefon Andere Verkehrsteilnehmer z. B. Fahrzeuge, Fußgänger Charakteristik der Fahrstrecke (Streckensituation) z. B. Quer- und Längsverlauf der Strecke, Knotenpunkte, Fahrbahnbreite, Anzahl der Fahrstreifen Verkehrsschilder z. B. Geschwindigkeitsbeschränkungen, Vorfahrtsregelungen, Wegweiser Beschaffenheit der Fahrbahnoberfläche, Wetter und Sichtbedingungen z. B. Nässe, Verschmutzung, Schnee, Glatteis; Gegenlicht, Regen- bzw. Schneefall, Nebel B Beurteilungsleistungen Längsabstände zu oder zwischen anderen Verkehrsteilnehmern bzw. Objekten z. B. zum vorausfahrenden Fahrzeug, zwischen zwei auf der benachbarten Spur fahrenden Fahrzeugen, zu Fußgängern, Radfahrern und Hindernissen auf der Fahrspur Querabstände zu oder zwischen anderen Verkehrsteilnehmern bzw. Objekten z. B. zu Fahrzeugen auf „gleicher Höhe“, zu Fahrzeugen am Fahrbahnrand Geschwindigkeit des eigenen Fahrzeugs und anderer Fahrzeuge bzw. Verkehrsteilnehmer Antizipation kritischer Verkehrssituationen Knappes Einscheren eines Fahrzeugs, Missachtung der Vorfahrtsregelungen durch andere, Kind läuft auf die Straße E Entscheidungs- und Denkprozesse Auswahl geeigneter Handlungen zur Navigation des Fahrzeugs z. B. Entscheidung, welche Fahrtroute gewählt wird, Richtungsentscheidung an Knotenpunkten Auswahl geeigneter Handlungen zur Bahnführung des Fahrzeugs z. B. Entscheidung über zu fahrende Geschwin-
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digkeit und einzuhaltenden Längsabstand, Überholmanöver, Wahl des Fahrstreifens und der Querposition auf diesem F Fahrzeugbedienung Regelung der Fahrzeug-Längsbewegung zur Stabilisierung des Fahrzeugs z. B. Gas Geben, Bremsen, Schalten Regelung der Fahrzeug-Querbewegung zur Stabilisierung des Fahrzeugs z. B. Lenken Bedienelemente für weitere Funktionen z. B. für Licht, Scheibenwischer, Radio
1.4 Bewertung der Anforderungen aus der Fahrzeugführungsaufgabe im Hinblick auf die menschliche Leistungsfähigkeit Abschließend werden die oben aufgeführten Anforderungsbereiche im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des Menschen mit dem Ziel bewertet, sinnvolle Bereiche für eine technische Unterstützung des Fahrers aufzuzeigen. Informationsquellen, Sinnes- und Wahrnehmungsprozesse Die Wahrnehmung der für die Erfüllung der Fahrzeugführungsaufgabe relevanten Informationsquellen ist für den Fahrer von großer Wichtigkeit: Er erstellt anhand dieser Informationen ein internes Bild des aktuellen Zustands der Umgebung sowie seines Fahrzeugs, das Grundlage für seine Entscheidungen und Handlungen ist. Daraus ergibt sich die Anforderung, dass die situationsabhängig relevanten Informationen im Fahrzeug sowie in der Umgebung auch vom Fahrer wahrnehmbar sein müssen. Dies betrifft zum einen die durch den Einsatz von Fahrerunterstützungssystemen neu hinzukommenden Informationen für den Fahrer und zum anderen den Bedarf für Systeme, die versuchen, Informationsdefizite des Fahrers aus der Umgebung zu kompensieren. Menschliche Wahrnehmungsprozesse werden durch Wahrnehmungsschwellen sowie die notwendige Zuwendung von Aufmerksamkeit begrenzt. Wahrnehmungsschwellen sind zum einen individuell unterschiedlich, so ist z. B. das Alter auch ein maßgeblicher Einflussfaktor, zum anderen sind sie von der Umgebung abhängig. Da Autofahren in sehr unterschiedlichen Umgebungen erfolgt, ist darauf zu achten, dass im Fahrzeug dargebotene Informationen oberhalb der Wahrnehmungsschwel-
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len liegen bzw. relevante Informationen aus der Umgebung, falls diese unter bestimmten Umständen nicht wahrgenommen werden können, technisch unterstützt werden (z. B. Night Vision mit Markierung relevanter Informationen wie Fußgänger). Insbesondere die visuellen, akustischen und haptischen Informationen spielen bei der Fahrzeugführung eine große Rolle und sind ihrer Umgebung entsprechend zu gestalten. Die Lichtverhältnisse am Tag und in der Nacht können von großer Helligkeit, starker Blendung bis hin zu starker Dunkelheit variieren, ebenso groß können die Unterschiede in der akustischen Umgebung sein: So gibt es Situationen im Fahrzeug ohne Nebengeräusche über Außengeräusche, die in das Fahrzeug dringen, bis hin zu Unterhaltungen oder lauter Musik im Fahrzeug. Auch haptische Informationen im Fahrzeug sind an mögliche Vibrationen, die vom Fahrzeug oder der Fahrbahn übertragen werden können, anzupassen. Insbesondere bei der Gestaltung von visuellen Informationen im Fahrzeug ist zu beachten, dass der Mensch Objekte nur bei Abbildung in der Netzhautgrube (Fovea) bis zu einem Öffnungswinkel von 2° scharf sehen kann. Somit muss er für die Aufnahme komplexer Informationen im Fahrzeug, die über sehr einfach kodierte Signale hinausgehen, den Blick von der äußeren Fahrzeugumgebung weg bewegen, was mit einer visuellen Ablenkung des Fahrers von der eigentlichen Fahrzeugführungsaufgabe einhergeht. Ob relevante Informationen vom Fahrer wahrgenommen werden oder nicht, hängt auch maßgeblich davon ab, ob er diesen Informationen Aufmerksamkeit schenkt. Diese Zuwendung von Aufmerksamkeit wird stark von der Gesamtsituation FahrerFahrzeug-Umgebung geprägt. Hier spielen z. B. die Anzahl und Art der miteinander konkurrierenden Informationen im Fahrzeug und in der Umgebung, die mentale und/oder emotionale Beschäftigung des Fahrers mit nicht fahrtrelevanten Belangen sowie persönliche Erfahrungen des Fahrers eine Rolle. Generell hat sich gezeigt, dass Fahrer eine bessere Aufmerksamkeitsleistung in Bezug auf nähere Objekte zeigen und dass Wechsel in der Aufmerksamkeitszuwendung sich rascher und effizienter in „von fern nach nah“ als umgekehrt vollziehen. Beurteilungsleistungen Beurteilungsleistungen werden vom Fahrer zur Einschätzung von Abständen, Geschwindigkeiten sowie potenziell kritischer Situationen gefordert. Da die Beurteilung absoluter Abstände für den Menschen schwierig ist, nutzt der Fahrer unterschiedliche Informationen als Beurteilungsgröße für Längsabstände. Die Blickwinkelgeschwindig-
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keit, die sich aus der Größe des vorausfahrenden Fahrzeugs, der Geschwindigkeitsdifferenz zu diesem Fahrzeug sowie dem absoluten Abstand zu diesem berechnet, liefert dem Fahrer eine Aussage darüber, wie sich der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug verändert. In den letzten Jahren wurde die Zeit bis zum Auftreten einer Kollision, Time to Collision (TTC), in die der absolute Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug sowie die Geschwindigkeitsdifferenz eingeht, häufig als für den Fahrer relevante Beurteilungsgröße genannt. Es wird davon ausgegangen, dass die TTC die Aktionen des Fahrers bestimmt [20]. Für die Blickwinkelgeschwindigkeit wird die menschliche Wahrnehmungsschwelle für Bewegungen beim Fahren unter idealen Sichtbedingungen zwischen 3 und 10 · 10 –4 rad/s angegeben. Aber auch die Beobachtungsdauer hat einen Einfluss auf die Wahrnehmungsschwelle von Abständen sowie Geschwindigkeitsdifferenzen bei Folgefahrten. Mit abnehmender Geschwindigkeitsdifferenz und abnehmender Beobachtungsdauer sinkt die Distanz, ab der eine Geschwindigkeitsdifferenz erkannt wird. Generell zeigt sich, dass Fahrer bei geringeren Geschwindigkeiten tendenziell einen größeren als den notwendigen Sicherheitsabstand lassen, bei höheren Geschwindigkeiten diesen allerdings unterschreiten. Auch akustische Informationen können zur Beurteilung der Entfernung anderer Fahrzeuge beitragen; allerdings kann es hier zu subjektiven Fehleinschätzungen kommen, wenn beispielsweise die Entfernung eines sehr leisen LKWs überschätzt, oder die eines sehr lauten PKWs unterschätzt wird. Die Antizipation kritischer Situationen wird durch die Erfahrungen des Fahrers mit den jeweiligen potenziell kritischen Situationen geprägt. Je nachdem welche Situationen der Fahrer bereits erlebt und zum Inhalt seines Langzeitgedächtnisses hinzugefügt hat, wird er eine kritische Situation auch anhand für diese Situation relevanter Merkmale als kritisch einstufen und entsprechend reagieren. Entscheidungs- und Denkprozesse Bei der Erfüllung der Navigations- sowie der Bahnführungsaufgabe muss der Fahrer auf Basis von Entscheidungs- und Denkprozessen die für die jeweilige Situation geeignete Handlung auswählen. Unter der Voraussetzung, dass dem Menschen ausreichend Zeit für eine aufgrund der äußeren Verkehrssituation notwendigen Entscheidung gegeben ist, gelingt ihm diese besser als einem technischen System. Dies liegt daran, dass dem Fahrer eine vollständigere, wenn auch in einzelnen Aspekten
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unpräzisere Repräsentation der Fahrumgebung zugänglich ist und er mit zunehmender Fahrleistung auf immer mehr Erfahrungen mit solchen und ähnlichen Situationen zurückgreifen kann. Fahrer-Reaktionszeiten liegen zwischen 0,7 s bei erwarteten Situationen wie z. B. einer Annäherungsfahrt, 1,25 s bei unerwarteten, aber gewöhnlichen Situationen (z. B. Bremsen des Vorausfahrenden) und bis zu 1,5 s bei überraschenden Situationen. Je kritischer die Situation, desto schneller erfolgt die Fahrerreaktion. Trägheit und Reaktionsdauer des Menschen variieren in Abhängigkeit von Fahrsituation und Aufmerksamkeit. Der Fahrer reagiert bei Kolonnenfahrt schneller und wählt kleinerer Abstände. Fahrzeugbedienung Die Bedienung des Fahrzeugs zur Erfüllung der primären und sekundären Fahraufgaben stellt für den Fahrer gewöhnlich kein Problem dar. Die Regelung der Längs- und Querbewegung läuft für den Fahrer auf der fertigkeitsbasierten Ebene ab, d. h. es handelt sich um automatische Prozesse, die kaum Aufmerksamkeit beanspruchen. Somit kann der Fahrer rasch und flexibel auf situative Veränderungen reagieren. Ebenso verhält es sich mit den sekundären Tätigkeiten, sofern diese häufig vorkommen und vom Fahrer entsprechend gut geübt sind. Allerdings kann möglicherweise eine Überforderung des Fahrers im Bereich der tertiären Fahraufgaben auftreten, insbesondere dann, wenn Funktionen nur selten genutzt werden, komplexe Menüstrukturen für die Bedienung durchlaufen werden müssen oder der Fahrer mit selten auftretenden Warnhinweisen konfrontiert wird.
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A 2 Fahrerverhaltensmodelle Die aktive Teilnahme am Straßenverkehr als Fahrer eines Kraftfahrzeugs ist eine komplexe Überwachungs- und Regelungsaufgabe, für deren Gelingen der Fahrer bei heutiger Rechtslage und heutigem Stand der Technik voll verantwortlich ist. Um ihm für diese Aufgabenstellung die bestmöglichen Arbeitsbedingungen zu verschaffen, muss die Auslegung der technisch gestaltbaren Komponenten des Straßenverkehrssystems die Anpassung an die besondere Leistungsfähigkeit des Menschen, aber auch an seine inhärenten Leistungsgrenzen zum Ziel haben. Dies gilt in vollem Umfang auch für Fahrerassistenzsysteme. Um für eine derartige Anpassung geeignete Grundlagen zu schaffen, begann man in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts [13] damit, Erkenntnisse über das Verhalten von Fahrern während der Fahraufgabe in Form von Fahrermodellen zusammenzufassen. Wegbereiter entsprechender Forschungen im deutschsprachigen Raum war Fiala [8]. Fundierte Übersichten über derartige Ansätze sind beispielsweise in [12] und [11] zu finden. Im Folgenden werden zwei Ansätze aus unterschied-
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lichen Disziplinen beschrieben, die in den letzten drei Jahrzehnten Beachtung gefunden und eine Reihe von Folgeentwicklungen angestoßen haben.
2.1 Drei-Ebenen-Modell für zielgerichtete Tätigkeiten des Menschen nach Rasmussen, 1983 Zunächst soll an dieser Stelle ein aus der Ingenieurpsychologie stammendes qualitatives, sehr allgemein auf menschliche Arbeit anwendbares Modell für zielgerichtete Tätigkeiten behandelt werden. Es wurde 1983 von Rasmussen vorgestellt [17]. Das Modell unterscheidet drei Kategorien unterschiedlich starker kognitiver Inanspruchnahme des Menschen im Arbeitsprozess, deren Spannweite sich von alltäglichen Routinesituationen über unerwartete Herausforderungen bis hin zu seltenen kritischen Störfällen erstreckt. Diese Drei-Ebenen-Struktur ist in Bild 2-1 links dargestellt. Zunächst für erfahrenes Personal im ausgelernten Zustand konzipiert,
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Bild 2-1: Drei-Ebenen-Modell für zielgerichtete Tätigkeiten des Menschen nach Rasmussen und Drei-EbenenHierarchie der Fahraufgabe nach Donges
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erwies es sich in der Folge auch als für die Beschreibung unterschiedlicher Phasen des menschlichen Lernverhaltens geeignet. Die Führung von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr gehört – im wahrsten Sinne des Wortes – zu den zielgerichteten sensumotorischen Tätigkeiten des Menschen: Es gilt, das Fahrzeug mit seinen Passagieren oder seinem Transportgut unter Nutzung der verfügbaren sensorischen Informationen mit Hilfe motorischer Eingriffe über die Betätigungseinrichtungen des Fahrzeugs von einem Ausgangsort zu einem Zielort zu bringen. Komplexe Anforderungssituationen, die den Menschen unvorbereitet treffen und ihm bisher untrainierte Handlungsweisen abverlangen, führen den Menschen auf eine Ebene des „wissensbasierten Verhaltens“ (knowledge-based behaviour). Diese Verhaltensform ist im Kern dadurch gekennzeichnet, dass auf der Basis bereits vorhandenen oder noch zu erwerbenden Wissens in einem mentalen Prozess verschiedene Handlungsalternativen durchgespielt und auf ihre Brauchbarkeit für das angestrebte Ziel geprüft werden, bevor die besteingeschätzte Alternative eventuell als Regel für zukünftige Fälle gespeichert und über motorische Reaktionen umgesetzt wird. Die nächste Ebene des „regelbasierten Verhaltens“ (rule-based behaviour) unterscheidet sich dadurch von der zuvor beschriebenen, dass die zugehörigen situativen Gegebenheiten bei früheren Gelegenheiten schon häufiger aufgetreten sind und der betreffende Mensch bereits über ein Repertoire von gespeicherten Verhaltensmustern (Regeln) verfügt, dessen nach subjektiver Erfahrung effektivste Variante abgerufen wird. Die dritte Ebene wird als „fertigkeitsbasiertes Verhalten“ (skill-based behaviour) bezeichnet. Sie ist durch reflexartige Reiz-Reaktions-Mechanismen charakterisiert, die in einem mehr oder weniger lang dauernden Lernprozess eintrainiert werden und dann in einem selbsttätigen, nicht mehr bewusste Kontrolle erfordernden stetigen Fluss ablaufen. Derartige eingespielte Fertigkeiten sind die zeitlich effektivsten Formen menschlichen Verhaltens. Sie sind typisch für routinemäßig wiederkehrende Handlungsabläufe, und sie lassen im Allgemeinen sogar einen gewissen Spielraum für nicht unbedingt aufgabenbezogene Nebenbeschäftigungen.
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2.2 Drei-Ebenen-Hierarchie der Fahraufgabe nach Donges, 1982 In Abbildung 2-1 ist dieses aus einer psychologischen Herangehensweise entstandene allgemeine Klassifikationsschema für die Arbeitsprozesse des Menschen einer aus Ingenieurssicht abgeleiteten Drei-Ebenen-Hierarchie der Fahraufgabe gegenübergestellt [6], Bild 2-1 rechts. Die Navigationsaufgabe umfasst die Auswahl einer geeigneten Fahrtroute aus dem zur Verfügung stehenden Straßennetz sowie eine Abschätzung des voraussichtlichen Zeitbedarfs. Wenn Informationen über aktuelle Störeinflüsse wie z. B. Unfälle, Baustellen oder Verkehrsstauungen vorliegen, kann eine veränderte Routenplanung erforderlich werden. In einem bisher unbekannten Verkehrsraum verlangt die Navigationsaufgabe einen Prozess der bewussten Planung und ist deshalb der Ebene des wissensbasierten Verhaltens zuzuordnen. In einem vertrauten Verkehrsraum hingegen kann die Navigationsaufgabe als bereits erfüllt angesehen werden. Typisch für die Navigationsebene ist die örtlich punktuelle bzw. zeitlich diskrete Aufgabenerfüllung durch den Fahrer, der die Einhaltung der Fahrtroute anhand markanter Streckenmerkmale überwacht. Der eigentliche dynamische Prozess des Fahrens spielt sich auf den Aufgabenebenen Führung und Stabilisierung ab. Die Eigenbewegung sowie bewegte fremde Objekte im Fahrraum verursachen eine kontinuierliche Veränderung der Konstellation von sensorischen, insbesondere optischen Eingangsinformationen für den Fahrer. In dieser visuellen Szenerie und ihrer kontinuierlichen Veränderung sind sowohl die Führungsgrößen als auch die Istgrößen der Fahrzeugbewegung enthalten. Die Führungsaufgabe besteht im Wesentlichen darin, aus der vorausliegenden Verkehrssituation sowie aufgrund des geplanten Fahrtablaufs die als sinnvoll erachteten Führungsgrößen wie Sollspur und Sollgeschwindigkeit abzuleiten und antizipatorisch im Sinn einer Steuerung (open loop control) einzugreifen, um günstige Vorbedingungen für möglichst geringe Abweichungen zwischen Führungsund Istgrößen zu schaffen. Auf der Stabilisierungsebene hat der Fahrer durch entsprechende korrigierende Stelleingriffe dafür zu sorgen, dass im geschlossenen Regelkreis (closed loop control) die Regelabweichungen stabilisiert und auf ein für den Fahrer annehmbares Maß kompensiert werden. Für diese beiden Ebenen der Fahraufgabe hat sich die Abbildung in Form kontinuierlicher quantitativer Modelle auf regelungstechnischer bzw.
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systemtheoretischer Basis bewährt. Ein Beispiel hierfür folgt im nächsten Abschnitt. Inwieweit sich die Teilaufgaben Führung und Stabilisierung in den unterschiedlichen Verhaltenskategorien aus [17] abspielen, hängt entscheidend von der individuellen Erfahrung des betreffenden Fahrers und von der bereits erlebten Häufigkeit der jeweiligen Verkehrssituation ab. Ein Fahrerneuling wird seine Fahraktivität anfänglich sehr stark auf der Ebene des wissensbasierten Verhaltens ausüben und erst nach und nach mit wachsender Routine ein Repertoire für Verhaltensregeln und die Fähigkeit unbewusst ablaufender Fertigkeiten entwickeln. Sobald sich die entsprechende Erfahrung herausgebildet hat, wird die Teilnahme am Straßenverkehr zur alltäglichen Routine, die sich praktisch vollständig auf der Ebene des fertigkeitsbasierten Verhaltens abwickeln lässt. Ein Eindruck über die Dauer dieses Lernvorgangs lässt sich aus der Unfallbeteiligung von Fahranfängern ableiten: Demnach vergehen etwa 7 Jahre bzw. 100 000 km Fahrleistung [1], [21], bis ein Fahrer den ausgelernten Zustand erreicht hat. Erst das unerwartete Eintreten kritischer Bedingungen zwingt den Fahrer aus dem störungsfreien, subkortikal abarbeitbaren Verkehrsgeschehen heraus in die anspruchsvolleren Ebenen des regeloder sogar wissensbasierten Verhaltens hinein. Die Ebene des wissensbasierten Verhaltens ist im Straßenverkehr immer dann als kritisch und unfallträchtig einzustufen, wenn die Fahrgeschwindigkeit und der Abstand zur Gefahrenstelle für das mentale Durchspielen von Handlungsalternativen nicht mehr genügend Zeit lassen. Entsprechend wird in [9] gefordert: „Im Straßenverkehr ist der Bedarf für bewusstes Handeln zu minimieren!“ Wie die vorangehenden Überlegungen zeigen, kommt der Führungsebene der Fahraufgabe im Hinblick auf die Sicherheit des Fahrtablaufs eine enorme Bedeutung zu, weil sich in ihr entscheidet, ob die vom Fahrer ausgewählten Führungsgrößen im objektiv sicheren oder unsicheren Bereich liegen, und ob der Fahrer aus den sensorischen Eingangsinformationen rechtzeitig die notwendigen Schlüsse ableiten kann. Für diese Ebene der Aufgabenhierarchie bringt der Mensch die hervorragende Fähigkeit der vorausschauenden (antizipatorischen) Wahrnehmung des Verkehrsraums mit, die ihn – wie in [4] experimentell nachgewiesen wurde – in die Lage versetzt, auch antizipatorisch zu handeln und damit systemimmanente Verzögerungszeiten zu kompensieren. In der Stabilisierungsebene bilden der Fahrer als Regler und das Fahrzeug als Regelstrecke das bekannte, eng miteinander gekoppelte dynamische
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System, dessen Stabilisierungsfunktion vom erfahrenen Fahrer auf der Ebene des fertigkeitsbasierten Verhaltens abgearbeitet wird. In Bild 2-1 sind die vorangehenden Überlegungen andeutungsweise durch die Dicke der grau unterlegten Verbindungspfeile zwischen den drei Ebenen der beiden Modellansätze dargestellt.
2.3 Beispiel eines regelungstechnischen Modellansatzes für die Führungs- und Stabilisierungsebene der Fahraufgabe Zur Nachbildung des Fahrerverhaltens im dynamischen Kernprozess der Fahrzeugführung werden vor allem regelungstechnische Modelle entwickelt, z. B. [13], [8], [20], [15]. Das besondere Leistungsvermögen dieses Ansatzes ermöglicht, ohne Kenntnis der inneren Struktur der menschlichen Informationsaufnahme, -verarbeitung und -ausgabe kausale Zusammenhänge zwischen den Eingangs- und Ausgangsgrößen des Menschen zu identifizieren. Eine derart vereinfachende Beschreibung ist von vornherein mit der Einschränkung verbunden, dass sie nur die mit diesen Größen beobachtbaren Phänomene erfassen kann und somit zwangsläufig unvollständig ist. Sie hat dennoch wichtige, vor allem quantitative Erkenntnisse hervorgebracht, die das menschliche Übertragungsverhalten in den Dimensionen von Amplitude und Zeit beschreiben und klare Hinweise auf die Adaptationsfähigkeit des Menschen, aber auch seine Leistungsgrenzen liefern. Der früheste Ansatz eines Fahrermodells stammt aus Japan [13] (zitiert nach [12]) und beschreibt das Lenkverhalten bei Seitenwindstörungen. Er beinhaltet bereits ein Prinzip zur Nachbildung der menschlichen Fähigkeit zur vorausschauenden Wahrnehmung des Fahrraums in Form einer Vorausschaulänge (preview distance). In Höhe dieser Vorausschaulänge versucht der Fahrer die Querabweichung zwischen Sollkurs und Fahrzeuglängsachse zu kompensieren. Im deutschsprachigen Raum wurde später für diesen Ansatz der Begriff „Deichselmodell“ gebräuchlich. Im Unterschied dazu separiert das Fahrermodell in [4] (Kurzfassung in [5]) die beiden Ebenen Führung und Stabilisierung der Fahraufgabe in zwei Teilmodelle: Die Führungsebene wird in Form einer „Antizipatorischen Steuerung“ (open loop control) und die Stabilisierungsebene als „Kompensatorische Regelung“ (closed loop control) abgebildet, Bild 2-2. Daneben gibt es einen Beitrag
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Bild 2-2: Blockschaltbild des Zwei-Ebenen-Modells für das Fahrerlenkverhalten
„Restgröße“, der die von den beiden Teilmodellen nicht reproduzierten Anteile der Fahrerreaktion beinhaltet. Dieses Fahrermodell beschreibt zunächst nur den querdynamischen Anteil der Fahraufgabe, ist jedoch in seiner Grundstruktur auch für die Nachbildung der Längsdynamik geeignet. Die experimentelle Datenbasis für dieses Modell stammt aus Simulatorversuchen auf einem kurvenreichen Rundkurs ohne sonstigen Verkehr. Es umgeht die Ableitung einer Solltrajektorie und einer Sollgeschwindigkeit, indem es die Testfahrer in der Versuchsanweisung auffordert, genau der Straßenmittellinie und einem vorgegebenen Geschwindigkeitsprofil zu folgen. Erst spätere Arbeiten wie z. B. [16] schufen die Grundlagen für die Modellierung von Solltrajektorie und Sollgeschwindigkeit mithilfe von Optimierungskriterien, die die Zielvorstellungen des Fahrers für den jeweiligen Fahrtzweck gewichten und das Verlassen des einzuhaltenden Fahrstreifens durch entsprechende Grenzkriterien (constraints) vermeiden.
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Eingangsgröße für das Teilmodell „Antizipatorische Steuerung“ ist die um eine Antizipationszeit vorgezogene Sollkrümmung der Sollspur (Straßenmittellinie), die über einen Verstärkungsfaktor und ein glättendes Verzögerungsglied den entsprechenden antizipatorischen Anteil der Lenkreaktion produziert. Im Teilmodell „Kompensatorische Regelung“ werden parallel drei an der Fahrerposition gemessene Zustandsgrößen Krümmungsdifferenz (Differenz der Krümmungen von Soll- und Istspur), Gierwinkelfehler (Winkel zwischen Tangente an die Sollspur und Fahrzeuglängsachse) und Querabweichung zur Sollspur jeweils über einen zugehörigen Verstärkungsfaktor und verzögert um dieselbe Fahrertotzeit (Reaktionszeit im geschlossenen Regelkreis) zurückgeführt. Die genannten Eingangsgrößen für beide Teilmodelle können vom Fahrer aus statischen und bewegten Mustern in der perspektivischen Außensicht des vorausliegenden Fahrraums wahrgenommen werden [4].
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Die aus den Messergebnissen ermittelten Modellparameter zeigen folgende Eigenschaften [5]: Im Teilmodell „Antizipatorische Steuerung“ entspricht der Verstärkungsfaktor praktisch dem Kehrwert der Fahrzeugverstärkung (auch als Lenkempfindlichkeit des Fahrzeugs bezeichnet), weil Soll- und Istkrümmung der Fahrspur im stationären Zustand nah beieinander liegen müssen. Die Antizipationszeiten der Lenkreaktion liegen weitgehend unabhängig von den Versuchsbedingungen in der Größenordnung von 1 s. Das bedeutet bezogen auf den oben erwähnten frühesten Fahrermodellansatz [13] eine proportional mit der Fahrgeschwindigkeit wachsende Vorausschaulänge. Die Zeitkonstante des Verzögerungsglieds sinkt signifikant mit wachsender Fahrgeschwindigkeit, d. h. der Anstieg der antizipatorischen Lenkreaktion erfolgt umso schneller, je höher die Fahrgeschwindigkeit ist. Im Teilmodell „Kompensatorische Regelung“ trägt der Gierwinkelfehler mit Abstand am stärksten zur kompensatorischen Lenkreaktion bei, d. h. von den drei rückgekoppelten Zustandsgrößen kann der Gierwinkelfehler als Hauptregelgröße, die Krümmungsdifferenz als D-Anteil und die Querabweichung als I-Anteil eines PID-Reglers interpretiert werden. Beim Verstärkungsfaktor der Krümmungsdifferenz zeigt sich ein signifikanter Anstieg mit der Fahrgeschwindigkeit, d. h. entsprechend wächst der vorhaltende Beitrag im kompensatorischen Lenkwinkel. Gleichzeitig verkürzt
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sich die Fahrertotzeit ebenfalls signifikant. Höhere Fahrgeschwindigkeiten verlangen also schnellere Reaktionszeiten vom Fahrer. Das lässt sich auch mithilfe des Schnittfrequenzmodells [14] erklären: Die Stabilitätsreserven der Fahrzeugquerdynamik nehmen mit wachsender Fahrgeschwindigkeit ab und müssen im geschlossenen Regelkreis durch verkürzte Fahrertotzeiten kompensiert werden, um eine ausreichende Stabilitätsreserve des Gesamtsystems Fahrer-Fahrzeug aufrechtzuerhalten.
2.4 Zeitkriterien Die gerade beschriebenen Korrelationen zwischen dem Zeitverhalten des Fahrers und der Fahrgeschwindigkeit sind ein Beispiel für die Adaptationsfähigkeit des Menschen an die jeweiligen Randbedingungen. Die identifizierten Mittelwerte der Antizipationszeit von 1 s und der Totzeit des Fahrers von 0,5 s sind Anhaltspunkte für die folgenden Betrachtungen zum Zeitverhalten. Bild 2-3 vermittelt einen Überblick über die Zeithorizonte, die die drei Ebenen der Fahraufgabe charakterisieren. Der typische Zeithorizont der Navigationsebene erstreckt sich von der möglichen Gesamtdauer einer Fahrt im Bereich einiger Stunden bis in die Region der Ankündigung bevorstehender Streckenände-
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Bild 2-3: Typische Zeithorizonte der Navigations-, Führungs- und Stabilisierungsaufgabe
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rungen im Minutenbereich, z. B. durch Beschilderung. Auch heutige Navigationssysteme beginnen entsprechend früh mit ersten Vorankündigungen, die dann während der Annäherung an den entscheidenden Ort wiederholt und konkretisiert werden. Dann setzt als wesentlicher Teil der Führungsaufgabe unter günstigen Sichtverhältnissen bereits die optische Wahrnehmung der Straßengeometrie und der Verkehrssituation mit der Ableitung der Führungsgrößen und der antizipatorischen Einleitung von Stelleingriffen ein. Geschwindigkeitskorrekturen durch Lastwechsel oder Bremsbetätigung haben üblicherweise einen größeren Vorlauf als Lenkaktionen. Wenn typische Antizipationszeiten für Stelleingriffe am Lenkrad im Bereich von 1 s liegen, muss die Wahrnehmung der entsprechenden Gegebenheiten bereits deutlich früher beginnen, insbesondere bei unerwarteten Ereignissen. D. h.: Informationssysteme oder Warnsysteme, die eine kognitive Verarbeitung erfordern, sollten eine Antizipationszeit von 2 bis 3 s möglichst überschreiten. Einer Arbeit neueren Datums entsprechend müssen beispielsweise Warnsignale für Spurwechselentscheidungen spätestens 2 Sekunden zuvor gegeben werden [18]. Wenn dies nicht realisierbar ist (z. B. aufgrund der begrenzten Reichweite von Umfeldsensoren), kann nur eine spontan angeregte Reaktion durch eine intuitiv wirkende Handlungsempfehlung, beispielsweise in Form einer haptischen Anzeige wie beim Aktiven Fahrpedal oder Lenkrad, helfen. Typische Stelleingriffe zur Kompensation von Regelabweichungen auf der Stabilisierungsebene erfolgen wie beschrieben mit einer Nacheilung von einigen 100 ms, wobei Fahrertotzeiten im
geschlossenen Regelkreis als Kennzahl für fertigkeitsbasiertes Handeln eher eine Untergrenze darstellen. Taktzeiten im ms-Bereich (schwarze Zone in Bild 2-3) können deshalb nur durch technische Regelsysteme dargestellt werden, wie dies z. B. im ABS, ASR und ESP realisiert ist. Reaktionszeiten auf unerwartete Ereignisse liegen im Bereich von etwa 2 bis 3 s, je nach Komplexität der Situation möglicherweise deutlich darüber. Wie wichtig frühzeitige Aktionen/Reaktionen des Fahrers für die Unfallvermeidung sind, schätzt Enke ab [7]: Etwa die Hälfte aller Kollisionsunfälle könnte durch Vorverlegung der Fahrerreaktion um eine halbe Sekunde vermieden werden. Eine Beschleunigung der Fahrerreaktion um einen Zeitvorhalt in dieser Größenordnung scheint nur durch eine Stärkung von antizipatorischen Reaktionen erreichbar, also auf der Führungsebene der Fahraufgabe.
2.5 Neuer Ansatz zur Quantifizierung von fertigkeits-, regel- und wissensbasiertem Verhalten im Straßenverkehr Die Drei-Ebenen-Hierarchie des menschlichen Reaktionsverhaltens von Rasmussen, wie in Abschnitt 2.1 beschrieben, ist zunächst ein qualitatives Modell. In [2] wird ein neuer, zugegebenermaßen gewagter Ansatz zur Annäherung an eine Quantifizierung der Begriffe fertigkeits-, regel- und wissensbasiertes Verhalten im Straßenverkehr eingeführt. Angeregt wurde dieser Vorschlag durch die messtechnische
Bild 2-4 g-g-Diagramm des Fahrertyps „normal“ aus [19]
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Bild 2-5 Fahrverhaltenskollektive und Kraftschlussgrenze (unterschiedliche Fahrertypen, veränderte Kraftschlussgrenzen)
Erfassung von Fahrverhaltenskollektiven, die bisher in der deutschsprachigen Fachliteratur eher selten dokumentiert worden sind [3], [10], [19]. Zur Erläuterung dieses Ansatzes soll als Beispiel Bild 2-4 aus [19] dienen. Dieses Diagramm zeigt den Bereich von Querund Längsbeschleunigungen, die zwölf Fahrer vom Fahrertyp „normal“ während jeweils ca. zweieinhalbstündiger Fahrten im öffentlichen Verkehr auf einer Versuchsstrecke mit kurvigen Landstraßen und Autobahnen genutzt haben. Die einhüllende Linie stellt dabei eine 85-Perzentil-Linie dar, d. h. alle Fahrer bleiben in 85 % der Fahrzeit unterhalb dieser Hüllkurve. Die Hüllkurve selbst weist eine etwas ausgerundete Kreuzform auf. Dies besagt, dass das untersuchte Fahrerkollektiv nur bedingt in der Lage ist, kombinierte Lenk-Brems- oder Lenk-Beschleunigungsmanöver auszuführen, sondern bevorzugt entweder lenkt oder bremst oder beschleunigt. Diese Beobachtung wird durch andere Messergebnisse von Fahrverhaltenskollektiven erhärtet. Man stelle sich nun vor, dass in analoger Weise die Häufigkeitsverteilung und die Hüllkurve des Verhaltenskollektivs für einen individuellen Fahrer registriert werden, und zwar nicht nur für Längs- und Querbeschleunigung, sondern auch für andere relevante, das Fahrerverhalten charakterisierende Messgrößen, wie z. B. inverser Abstand und Differenzgeschwindigkeit gegenüber einem vorausfahrenden Fahrzeug. Auf diese Weise lässt sich ein mehr oder
weniger umfangreiches Abbild des personalisierten Erfahrungshorizonts und somit der Verkehrskompetenz des betreffenden Fahrers ermitteln. Dieses Bild soll dazu dienen, in einem pragmatischen Ansatz zu definieren: Der fertigkeitsbasierte Bereich umfasst die 80Perzentil-Einhüllende des Längs- und Querbeschleunigungskollektivs eines individuellen Fahrers, der regelbasierte Bereich reicht bis zum 95. Perzentil, und die darüber hinausgehenden Fahrzustände als seltene Ereignisse sind vor allem dem wissensbasierten Bereich zuzuordnen. (Die Zahlenwerte 80. und 95. Perzentil, die nicht im Bild gezeigt werden, sind als willkürlich gewählte Anhaltswerte zu verstehen, die gegebenenfalls experimentell genauer abzusichern sind.) Für unterschiedliche Fahrertypen wird der jeweils individuelle Erfahrungshorizont vom eher kleinen Umfang beim zurückhaltenden, vorsichtigen Fahrer bis zum sehr ausgedehnten Fahrverhaltensrepertoire beim sportlich ambitionierten, dynamischen Fahrer reichen, Bild 2-5. Auch intraindividuell kann der Fahrstil des Fahrers je nach Gemütslage in einer Spannweite von defensiv (innerhalb der 80Perzentil-Einhüllenden) über offensiv (innerhalb der 95-Perzentil-Einhüllenden) bis hin zu aggressiv (die 95-Perzentil-Einhüllende überschreitend) variieren.
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Die bisher bekannten Messungen zeigen durchgängig, dass auf trockener Fahrbahn die entsprechenden Fahrverhaltenskollektive im Verkehr auf öffentlichen Straßen deutlich unterhalb der Kraftschlussgrenze (Kammscher Kreis) bleiben. Wenn allerdings Witterungsverhältnisse wie Fahrbahnnässe, Schnee oder Eis das Kraftschlusspotenzial erheblich vermindern, kann es dazu kommen, dass selbst das schmale Fahrverhaltenskollektiv des vorsichtigen Fahrers die Grenze des Kammschen Kreises überschreitet und das Unfallrisiko unter diesen Umständen erheblich ansteigen kann, Bild 2-5. Anhand dieses Bildes soll Folgendes hervorgehoben werden: Neben der physikalischen Grenze des Kraftschlusspotenzials charakterisiert durch den Kammschen Kreis gibt es eine zweite wesentliche Einflussgröße auf die Verkehrssicherheit, die bisher wenig Beachtung gefunden hat: die Grenze der Verkehrskompetenz des individuellen Fahrers, die durch die Einhüllende des Fahrerverhaltenskollektivs und seiner Perzentile als jeweiliger Erfahrungshorizont quantifiziert und für Fahrerassistenzsysteme genutzt werden kann. Derartigen Grenzen des Erfahrungshorizonts könnte aus statistischer Sicht bezüglich der Unfallrelevanz sogar eine stärkere Bedeutung zukommen als der Kraftschlussgrenze, weil ihre Überschreitung ganzjährig in Gefahr ist.
2.6 Folgerungen für Fahrerassistenzsysteme Die Anwendung des Drei-Ebenen-Modells von Rasmussen und der oben beschriebene Versuch seiner Quantifizierung fördern zwei wesentliche Erkenntnisse zutage: Fahrerassistenzsysteme sollten mithelfen, eine Sicherheitsreserve einerseits gegenüber der Kraftschlussgrenze, andererseits aber insbesondere gegenüber dem Erfahrungshorizont der Fahrer aufrechtzuerhalten. In kritischen dynamischen Situationen spannt sich zwischen dem individuellen Erfahrungshorizont des Fahrers und der Kraftschlussgrenze ein potenzieller Eingriffsbereich für Fahrerassistenzsysteme auf. Dort kann die überwiegend einkanalige Reaktionsweise des Fahrers (Lenken oder Bremsen bzw. Lenken oder Beschleunigen) vor allem durch kombinierte Lenk-Brems- oder Lenk-Beschleunigungsmanöver ergänzt werden.
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Das Drei-Ebenen-Modell der Fahraufgabe mit den quantitativen Ergebnissen der entsprechenden Fahrermodelle weist vor allem die Führungsebene als vielversprechendes Feld für zukünftige Fahrerassistenzsysteme aus. Auch hier treten zwei Auslegungskriterien hervor: Für Fahrerassistenzsysteme mit informierender, warnender oder handlungsempfehlender Funktion sollte bei unerwarteten Ereignissen eine Antizipationszeit von mindestens zwei Sekunden eingehalten werden. Reaktionsanforderungen, die im Zeitraum von weniger als ein bis zwei Zehntelsekunden beantwortet werden müssen, können nur durch automatisch eingreifende Technologien erfüllt werden, wie z. B. heute bereits durch ABS, ASR und ESP.
Quellenverzeichnis [1] Anon.: Unfalldisposition und Fahrpraxis. Automobiltechnische Zeitschrift 78 (1976), S. 129 [2] Braess, H.-H.; Donges, E.: Technologien zur aktiven Sicherheit von Personenkraftwagen – „Konsumierbare“ oder echte Verbesserungen? 2. Tagung „Aktive Sicherheit durch Fahrerassistenz“, TU München, Garching bei München, 4.–5. April 2006 [3] Burckhardt, M.: Fahrer, Fahrzeug, Verkehrsfluß und Verkehrssicherheit – Folgerungen aus den Bewegungsgesetzen für Fahrzeug, Straße und Fahrer. In: Interfakultative Zusammenarbeit bei der Aufklärung von Verkehrsunfällen. Band XXX der AFO, Köln, 1977 [4] Donges, E.: Experimentelle Untersuchung und regelungstechnische Modellierung des Lenkverhaltens von Kraftfahrern bei simulierter Straßenfahrt. Diss. TH Darmstadt 1977 [5] Donges, E.: Ein regelungstechnisches Zwei-Ebenen-Modell des menschlichen Lenkverhaltens im Kraftfahrzeug. Zeitschrift für Verkehrssicherheit 24 (1978), S. 98–112 [6] Donges, E.: Aspekte der Aktiven Sicherheit bei der Führung von Personenkraftwagen. AutomobilIndustrie 27 (1982), S. 183–190 [7] Enke, K.: Possibilities for improving safety within the driver-vehicle-environment control loop. ESVKonferenz 1979, Berichtsband, S. 789–802 [8] Fiala, E.: Lenken von Kraftfahrzeugen als kybernetische Aufgabe. Automobiltechnische Zeitschrift 68 (1966), S. 156–162 [9] Förster, H. J.: Menschliches Verhalten, eine vergessene Ingenieur-Wissenschaft? Abschiedsvorlesung U. Karlsruhe, Januar 1987 [10] Hackenberg, U.; Heißing, B.: Die fahrdynamischen Leistungen des Fahrer-Fahrzeug-Systems im Straßenverkehr. Automobiltechnische Zeitschrift 84 (1982), S. 341–345
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A 3 Fahrerassistenz und Verkehrssicherheit 3.1 Einleitung Einer weit verbreiteten Auffassung zufolge sind ca. 95 % aller Unfälle im Straßenverkehr zumindest anteilig auf die Ursache „Human Error“ zurückzuführen. Weiterhin soll menschlichem Fehlverhalten bei ca. 75 % der Straßenverkehrsunfälle der Status einer „Alleinursache“ zukommen [1] [7]. Zitiert wird in diesem Zusammenhang häufig eine frühe Studie von Treat und Mitarbeitern [5], die aufgrund einer Detailanalyse von 2.258 Unfallprotokollen zu dem Ergebnis kam, dass menschliches Fehlverhalten als Ursachenfaktor in 93 % der Fälle (gegenüber 34 % Umweltfaktoren und 13 % Fahrzeugfaktoren) beteiligt waren. Ungeachtet der erkenntnistheoretischen Probleme, die ein allzu leichtfertiger Umgang mit dem Ursachenbegriff in diesem Falle mit sich bringt, dürfen die Entstehungsbedingungen „menschlichen Versagens“ [6] natürlich nicht unreflektiert bleiben, wenn es um die Entwicklung zielführender Ansätze und Maßnahmen zur Einschränkung des Unfallgeschehens geht. Eine im Zusammenhang mit „menschlichem Versagen“ häufig thematisierte Unfallursachenkategorie ist beispielsweise die des „Looked-but-Failed-to-See“. Gemeint sind damit Unfälle, bei denen sich das kritische Hindernis oder Fahrzeug durchaus im Sehfeld der den Unfall verursachenden Fahrer befand, ohne dass es von ihnen erkannt wurde, um auf dieser Grundlage dann die erforderlichen, den Unfall möglicherweise vermeidenden Fahrhandlungen auszuführen. Aus psychologischer Sicht wird dieses Phänomen zumeist mit Kapazitätsbegrenzungen der visuellen Aufmerksamkeit, der Selektivität des Prozesses des visuellen Abtastens oder der fehlerhaften Integration relevanter Merkmale der Szenerie erklärt [1]. Aus theoretischer Sicht wird die Entstehung eines Unfalls immer wahrscheinlicher, wenn die Anforderungen der Verkehrssituation die Leistungsmöglichkeiten des Fahrers übersteigen, d. h. die Aufgabenschwierigkeit ein für ihn bewältigbares Maß übersteigt [3]. Akzeptiert man nun im System „Fahrer-Fahrzeug-Umwelt“ die Verkehrsumgebung als eine nur sehr schwer modifizierbare Konstante und unterstellt weiterhin, dass die überwiegende Mehrzahl der Fahrten mit Fahrzeugen durchgeführt wird, die entsprechend den geltenden Vorschriften verkehrssicher sind, erscheint die sicherlich kritisierbare Schätzung des erwähnten Ursachenanteils von „Human Error“ am Unfallgeschehen im
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Christhard Gelau, Tom Michael Gasser, Andre Seeck
Straßenverkehr aber nicht unplausibel. Moderne Fahrerassistenzsysteme (FAS, oder auch ADAS = Advanced Driver Assistance Systems) werden daher mit dem Ziel entwickelt und implementiert, diese Diskrepanzen zwischen den Anforderungen der Verkehrssituation und dem Leistungsvermögen des Fahrers zu beseitigen, indem ihm beispielsweise durch Warnhinweise zusätzliche zeitliche Spielräume für die Planung und Durchführung sicherer Fahrhandlungen eingeräumt werden oder aber auch durch Eingriffe in die Fahrdynamik bereits verlorengegangene Kontrolle zurückgegeben wird. Im vorliegenden Kapitel werden daher zunächst die aufgrund von Unfalldatenanalysen zu erwartenden Auswirkungen von FAS auf die Verkehrssicherheit diskutiert. Befürchtungen möglicher negativer Auswirkungen, die unter dem Stichwort Verhaltensanpassung („Behavioural Adaptation“) zuweilen in der Literatur geäußert wurden, werden dabei berücksichtigt. Dieser stark an psychologischen Kriterien orientierten Darstellung folgt eine Bewertung von FAS aus Sicht von Ratings und kraftfahrzeugtechnischen Vorschriften. Das Kapitel schließt sodann mit einer juristischen Bewertung autonom eingreifender FAS unter Berücksichtigung des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr aus dem Jahre 1968.
3.2 Erwartete Auswirkungen von Fahrerassistenzsystemen auf die Verkehrssicherheit Bei der Abschätzung der zu erwartenden positiven Auswirkungen von FAS auf die Verkehrssicherheit sind mehrere Herangehensweisen denkbar. Eine naheliegende Möglichkeit setzt beim Unfall direkt an und fragt entsprechend der eingangs formulierten Zielsetzung der Entwicklung und Implementierung von FAS nach den vorausgegangenen Fehlhandlungen und deren Ursachen auf Seiten des Fahrers. Erforderlich ist hierfür die Verfügbarkeit einer möglichst großen (und wenn möglich repräsentativen) Stichprobe möglichst detaillierter Unfallprotokolle. Sofern es gelingt, mit dieser Information die den Unfällen vorausgegangenen Fehlhandlungen möglichst eindeutig zu identifizieren, werden auf dieser Grundlage Assistenz-
3 Fahrerassistenz und Verkehrssicherheit
funktionen beschrieben, die geeignet sein sollten, durch Information, Warnung oder Eingriff in die Fahrzeugführung den Fehler zu korrigieren oder auch die Schwere der Konsequenzen zu mindern. Die Schätzung des Unfallvermeidungspotenzials der jeweiligen Assistenzfunktion erfolgt sodann über die Anteile der Unfälle in der jeweils zugrunde liegenden Stichprobe, aus der sie zuvor aufgrund gemeinsamer Ursachen bei bestimmten Unfallhäufungen abgeleitet worden war. Einen derartigen Ansatz verfolgten beispielsweise Vollrath et al. [10] in einem von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) beauftragten Projekt. Grundlage für die hier vorgenommene Abschätzung des Unfallvermeidungspotenzials von FAS stellte die In-Depth-Analyse von 2.813 Unfallprotokollen aus dem Raum Braunschweig dar. Bei allen Unfällen war der polizeilich registrierte Unfallverursacher ein PKW und der Fahrer 18 Jahre oder älter. Ohne an dieser Stelle auf alle Details im mehrstufigen Verfahren der Ziehung dieser Stichprobe eingehen zu können, soll hinsichtlich der Ergebnisse festgehalten werden, dass die Autoren einen ersten Schwerpunkt in Sachen Unterstützungsbedarf bei Einbiegen/Kreuzen-Unfällen erkannten und schlussfolgerten, dass durch eine entsprechende Warnfunktion („Kreuzungsassistent“, vgl. Kapitel 37) 26,2 % der analysierten schweren Unfälle hätten vermieden werden können. Mit Blick auf die Gesamtheit der von ihnen analysierten Unfälle stellen sie ein Unfallvermeidungspotenzial von FAS im Bereich von 70 % fest. Es darf nicht übersehen werden, dass der hier skizzierte und anhand der Studie von Vollrath et al. [10] exemplarisch belegte „a posteriori-Ansatz“ zur Abschätzung der Auswirkungen von FAS auf die Verkehrssicherheit nicht die einzige denkbare Option darstellt und darüber hinaus auch einige methodisch bedingte Einschränkungen birgt [9]. Zunächst muss man sich die stillschweigende Annahme vergegenwärtigen, dass bei den zur Disposition stehenden Unfällen die Aktivierung der jeweiligen Assistenzfunktion tatsächlich zur Vermeidung des Unfalls geführt hätte. Dies setzt aber wiederum voraus, dass die vom System an die Fahrer übermittelte Information ihrerseits überhaupt wahrgenommen, angemessen interpretiert und in eine situationsangepasste Fahrhandlung übersetzt wurde. Dieser Umstand weist sicherlich auf die herausragende Bedeutung einer nutzergerechten Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle hin, macht darüber hinaus jedoch auch deutlich, auf welchen Vorannahmen ein solcher Ansatz zur Abschätzung der Auswirkungen von FAS beruht. Nicht übersehen werden sollten aus methodischer Sicht daher auch die Möglichkeiten quasi-experimentell
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angelegter Feldstudien bzw. deren metaanalytischer Evaluation, die sich bereits für andere Maßnahmenansätze zur Steigerung der Verkehrssicherheit bewährt haben [2]. Das wesentliche Problem dieses Ansatzes liegt jedoch in der Notwendigkeit, über mehr oder minder marktreife Systeme für den Einsatz in Evaluationsstudien verfügen zu können. Eine methodische Erweiterung des hier dargestellten „a posteriori-Ansatzes“ zur Abschätzung der Auswirkungen von FAS auf die Verkehrssicherheit stellen die um eine psychologische Unfallanalyse ergänzten Erhebungen am Unfallort dar, wie sie von der AARU (Audi Accident Research Unit), einer interdisziplinären Forschungsgemeinschaft, und dem Klinikum der Universität Regensburg seit Juli 2002 praktiziert werden [25]. Gegenstand dieser Analyse sind die subjektiven Schilderungen der Ereignisse im Vorfeld des Unfalls durch die beteiligten Fahrer, die sodann einer Klassifikation hinsichtlich der im Interview benannten Handlungsfehler unterzogen werden. Bild 3-1 (nach [26]) zeigt exemplarisch die Ergebnisse einer entsprechenden Analyse, bei der Auftretenshäufigkeiten unterschiedlicher Fehlerkategorien einem Altersgruppenvergleich unterzogen wurden. Dem zugrunde lag eine Stichprobe von 244 Interviews, die im Anschluss an einen Unfall mit dem jeweils polizeilich ermittelten Hauptverursacher durchgeführt wurden. Auffällig ist hier das deutliche Überwiegen der so genannten „Informationsfehler“, d. h. der Nichtverfügbarkeit der für die Fahrhandlung zur Vermeidung des Unfalls erforderlichen Information in den befragten Altersgruppen. Die Frage, ob und in welchem Umfang Befragungsartefakte bei der Erklärung dieses Ergebnisses mit berücksichtigt werden müssen, kann an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Ein letzter Aspekt, der bei der Abschätzung der Auswirkungen von FAS auf die Verkehrssicherheit aber keinesfalls übersehen werden sollte, ist schließlich das Phänomen der Verhaltensadaptation (behavioural adaptation) auf Seiten der Fahrer an die ihnen verfügbar gemachten Möglichkeiten. In einem einschlägigen Bericht der OECD [4] wird dieses Phänomen wie folgt definiert: „Behavioural adaptations are those behaviours which may occur following the introduction of changes to the roadvehicle-user system and which were not intended by the initiator of this change.“ Es wird in diesem Bericht weiter ausgeführt: „Behavioural adaptations occur as road users respond to changes in the road transport system such that their personal needs are achieved as a result, they create a continuum of effects ranging from a positive increase in safety to a decrease in safety.“
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Bild 3-1: Häufigkeit von Fehlertypen in Abhängigkeit von der Altersgruppe [nach 26]
Inspiriert wurde die Elaboration dieses Konzepts sicherlich maßgeblich durch die von Gerald J. S. Wilde [11] entwickelte und vertretene Theorie der Risikohomöostase (Risk Homeostasis Theory = RHT). Dies führte dazu, dass Begriffe wie Verhaltensadaptation (behavioural adaptation), Risikohomöostase oder auch Risikokompensation (risk compensation) häufig synonym verwendet werden. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle zumindest verdeutlicht werden, dass Verhaltensadaptation keineswegs die Annahme einer homöostatischen Regelung des wahrgenommenen (statistischen!) Risikos an eine individuelle Risikozielgröße impliziert, wie es von der RHT [11] angenommen wird. Verhaltensadaptation trägt als Konzept ohne Annahmen über die zugrunde liegenden Wirkmechanismen dem Umstand Rechnung, dass Fahrer die ihnen z. B. durch ein FAS zur Verfügung gestellten zusätz-
lichen Möglichkeiten wahrnehmen und bei deren Nutzung ihre Motive und Werthaltungen einfließen lassen – was dazu führen kann, dass die vom Entwickler intendierten Effekte nicht in vollem Umfang erzielt werden können [8]. Zur Frage, welche FAS nun konkret die größten Beiträge zur Steigerung der Verkehrssicherheit und zur Erreichung der von der Europäischen Kommission formulierten Ziele der Verkehrssicherheitsarbeit (Reduzierung der Zahl der Getöteten um 50 % bis zum Jahre 2010 gegenüber 2001) implementiert, d. h. mit besonderem Nachdruck am Markt verbreitet werden sollten, wurde von der Europäischen Kommission im Rahmen ihrer eSafety-Initiative eine Expertengruppe (eSafety Working Group Implementation Road Map) eingesetzt und mit der Ausarbeitung einer „Prioritätenliste“ beauftragt [27]. Das Ergebnis der Aktivitäten dieser Arbeitsgruppe ist in
Tabelle 3-1: Prioritätenliste für eine effiziente Reduzierung der Zahl der Verkehrstoten Fahrzeugautonome Systeme ESP (Electronic Stability Program)
eCall (automatisches Notrufsystem)
Blind spot monitoring
Extended environmental information (Extended FCD)
Adaptives Abblendlicht (Adaptive head lights) Hindernis- & Kollisionswarnung (Obstacle & collision warning) Lane departure warning
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Infrastrukturgestützte Systeme
RTTI (Real-time Travel and Traffic Information) Dynamic traffic management Lokale Gefahrenwarnung (Local danger warning) Speed Alert
3 Fahrerassistenz und Verkehrssicherheit
Tabelle 3-1 zusammengefasst. Die hier dargestellte Auflistung beruht auf Experteneinschätzungen, die auf der Grundlage von Forschungsergebnissen (insbesondere Unfalldatenanalysen) vorgenommen wurden und unter Zugrundelegung vornehmlich von Kosten-Nutzen-Kriterien die Systeme benennt, deren rasche Implementierung die effizienteste Reduzierung der Zahl der Verkehrstoten bis zum Jahr 2010 bzw. 2020 erwarten lässt.
3.3 Bewertung von Fahrerassistenzsystemen vor dem Hintergrund von Ratings und gesetzlichen Vorschriften Die Anforderungen an die Sicherheit von Fahrzeugen, die sich in den Lastenheften für die Entwicklung neuer Fahrzeuge widerspiegeln, lassen sich in folgende drei Kategorien einteilen: Anforderungen aufgrund von Typzulassungsbestimmungen, Anforderungen der Verbraucherorganisationen und herstellerinterne Anforderungen. Diese werden im vorliegenden Abschnitt knapp skizziert, der mit einem Ausblick auf denkbare Weiterentwicklungen in der Zukunft abschließt.
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nicht in den von den Typzulassungsbestimmungen geregelten Bereich fallen. Damit elektronisch gesteuerte Assistenzsysteme zugelassen werden können, die in sicherheitsrelevante und durch die Typzulassungsbestimmungen geregelte Fahrzeugkomponenten und -funktionen eingreifen, wurde bei den Vorschriften zur Fahrzeugbremse und zur Lenkanlage ein neuer Weg eingeschlagen. In Anhang 8 der UN-ECE-Regelung 13H (Bremse) und in Anhang 6 der UN-ECERegelung 79 (Lenkanlage) wurden eher generische Anforderungen anstelle reiner „PerformanceAnforderungen“ zu Sicherheitsaspekten definiert, die von komplexen elektronischen Fahrzeugsteuerungssystemen im Rahmen der Typzulassung einzuhalten sind. Hierdurch wird beispielsweise ermöglicht, das Fahrzeugbremssystem für Funktionen der Fahrerassistenzsysteme ESP, ACC oder Brems- und Notbremsassistent zu nutzen. Das Vorschreiben von neuen sicherheitsfördernden Fahrzeugsystemen und Ausstattungsmerkmalen auf dem Weg der Typzulassung ist häufig aufgrund der notwendigen nationalen und internationalen Abstimmungsprozesse, insbesondere im Vergleich zur schnell voranschreitenden technischen Entwicklung neuer FAS, langwierig. Nach der Einführung entsprechender Vorschriften kann aber über die Typzulassungsbestimmungen das Sicherheitsniveau nahezu aller neuen Fahrzeuge beeinflusst werden.
3.3.1 Typzulassungsbestimmungen
3.3.2 Anforderungen der Verbraucherorganisationen
Die Genehmigung von Fahrzeugtypen und -bauteilen erfolgt heute nahezu ausschließlich auf internationaler Ebene über EU-Richtlinien, entworfen von der Europäischen Kommission in Brüssel [12], oder über UN-ECE-Regelungen, erstellt von der UNWirtschaftskommission für Europa (UN-ECE) in Genf [13]. Welche Rolle die Typzulassungsbestimmungen bei der Einführung von neuen Fahrerassistenzsystemen (FAS) spielen, hängt davon ab, ob die Funktionen eines FAS in einen von der Typzulassung geregelten Bereich fallen oder nicht. Beispielsweise gibt es im Bereich der Lichttechnik eine Vielzahl von Anforderungen, die bei der Typzulassung einzuhalten sind, sodass innovative Lichtsysteme meist erst dann (ohne Ausnahmegenehmigung) zugelassen werden können, wenn die entsprechenden zulassungsrechtlichen Randbedingungen entsprechend angepasst worden sind. Andere FAS können ohne weiteres eingeführt werden, weil deren Funktionen
Der Gesetzgeber definiert mit den Anforderungen der Typzulassung lediglich Mindeststandards, die erfüllt werden müssen, um mit einem neuen Fahrzeugmodell den Zugang zum Markt zu erhalten. Entsprechend müssen alle in den Markt gebrachten Neufahrzeuge die gesetzlichen Anforderungen erfüllen. Diese Zulassungstests sagen jedoch zunächst nichts über die Unterschiede der Sicherheitsniveaus verschiedener zugelassener Fahrzeugmodelle aus, die den Zugang zum Markt durch Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen erlangt haben. An diesem Punkt setzt die Aufgabe der Verbraucherorganisationen an. Durch eigene (Crash-)Tests soll das unterschiedliche Sicherheitsniveau der zugelassenen Fahrzeugmodelle herausgefunden und als Verbraucherinformation differenziert veröffentlicht werden. Anhand dieser Zielsetzung der Verbraucherorganisationen wird deutlich, dass es wenig Sinn machen würde, wenn bei einem Verbraucherschutztest lediglich die Typ-
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zulassungstests mit ihren Anforderungen wiederholt würden. Das wenig differenzierende Ergebnis eines solchen Ansatzes für die zugelassenen Testfahrzeuge wäre die Bewertung „Test bestanden“. Eine brauchbare Differenzierung der zugelassenen Produkte hinsichtlich ihrer Sicherheit wird hingegen häufig dadurch ermöglicht, dass sowohl die Testbedingungen als auch die Bewertungskriterien verglichen mit dem Zulassungstest verschärft werden. Ferner muss ein Verbrauchertest eine graduelle Differenzierung der Produkte ermöglichen, während der Zulassungstest lediglich eine binäre Differenzierung in „bestanden“ oder „nicht bestanden“ erlaubt. Beim European New Car Assessment Programme (Euro NCAP) [14] wird die graduelle Differenzierung der Testergebnisse dadurch erreicht, dass eine obere und untere „Performance-Grenze“ vorliegt und die Bewertung zwischen diesen Grenzen mittels einer linearen Interpolation („sliding scale“) auf der Basis des Testergebnisses errechnet wird.
heit beziehen. Innovationen im Bereich der Aktiven Sicherheit und der FAS, wie beispielsweise ESP, das nachweislich einen sehr großen Sicherheitsgewinn im realen Unfallgeschehen darstellt, sind aufgrund der Kreativität und Leistungsfähigkeit der Automobil- und Zulieferindustrie entstanden – wenn auch in diesem Beispiel die Verbraucherinformation zu einer sehr schnellen Verbreitung des ESP-Systems in fast allen Fahrzeugklassen geführt hat. Zukünftig werden jedoch viele bedeutsame Innovationen zur Steigerung der Sicherheit im Straßenverkehr in den Bereichen der Aktiven und Integrierten Sicherheit und im Bereich der FAS entwickelt werden, die häufig nur sehr eingeschränkt gesetzlich geregelt sind und die in Verbraucherschutztests bisher auch nur rudimentär und teilweise nur subjektiv getestet und bewertet werden können. Diese Erkenntnis stellt sowohl den Gesetzgeber als auch die Verbraucherschutzorganisationen vor eine neue Herausforderung.
3.3.4 Beyond NCAP – Die zukünftige Euro NCAP-Bewertung 3.3.3 Herstellerinterne Anforderungen Herstellerinterne Anforderungen an die Sicherheit eines Fahrzeugs beinhalten immer die Anforderungen der Typzulassung der entsprechenden Region, in der das Fahrzeug verkauft werden soll, und häufig auch ausgewählte Anforderungen, die aus dem Bereich der Verbrauchertests bekannt sind. Darüber hinaus verfügen aber viele Automobilhersteller auch über eigene hausinterne Sicherheitsstandards, die über die Anforderungen der Typzulassung und der Verbrauchertests hinausgehen und zum Teil auch weitergehende oder andere Aspekte der Fahrzeugsicherheit betreffen. Diese zusätzlichen herstellerinternen Anforderungen beruhen u. a. auf der eigenen Einschätzung hinsichtlich der Produkthaftung, den vermuteten Kundenwünschen und somit der Marktstrategie oder auch der Erkenntnisse aus der eigenen Unfallforschung. Die Anforderungen an die Sicherheit von Fahrzeugen, die vom Gesetzgeber und von Verbraucherorganisationen aufgestellt werden, waren und sind eine treibende Kraft für viele Innovationen in der Fahrzeugtechnik. Beispielsweise sind in jüngster Vergangenheit viele technische Innovationen zum Fußgängerschutz auf die entsprechenden neuen Anforderungen in der europäischen Gesetzgebung zurückzuführen. Dieses Beispiel zeigt jedoch auch, dass sich die Anforderungen des Gesetzgebers und der Verbraucherorganisationen traditionell maßgeblich auf den Bereich der Passiven Fahrzeugsicher-
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Viele maßgebliche Innovationen im Bereich der Passiven Sicherheit sind deshalb in den Markt gekommen, weil entsprechende Prüfverfahren und Bewertungskriterien, die als Basis für gesetzliche Vorschriften oder für die Bewertung in Verbraucherschutztests dienen, die Entwicklung begünstigt oder sogar vorangetrieben haben. Im Gegensatz dazu werden viele Sicherheitssysteme im Bereich der Aktiven und Integrierten Sicherheit und im Bereich der FAS allein durch die Kreativität der Ingenieure in der Automobil- und Zulieferindustrie – auch mit der Hoffnung, diese vermarkten zu können – entwickelt. Viele Experten schätzen, dass gerade in diesen Bereichen die größten Potenziale zur weiteren Hebung der Verkehrssicherheit liegen, und dass sich dieser Bereich sehr dynamisch entwickeln wird. Vor diesem Hintergrund, und weil Euro NCAP auch zukünftig eine maßgebliche Kraft bei der Bewertung von sicherheitsrelevanten Fahrzeugsystemen sein möchte, hat Euro NCAP die Entwicklung einer völlig neuen Herangehensweise bei der Erstellung neuer Testverfahren und Bewertungskriterien für Systeme eingeleitet, die im Bereich der Aktiven und Integrierten Sicherheit und im Bereich der FAS anzusiedeln sind [15]. Diese Aktivität wird bei Euro NCAP mit dem Begriff „Beyond NCAP“ umschrieben. Ein mögliches Bewertungsverfahren im Sinne des Beyond NCAP-Gedankens könnte die bekannten Crashtest-Bewertungsverfahren ergän-
3 Fahrerassistenz und Verkehrssicherheit
zen und somit zusätzlich genutzt werden. Ziel der Entwicklung einer Beyond NCAP-Bewertungsmethode ist es, ein flexibles, transparentes und berechenbares Verfahren zu definieren, das in der Lage ist, Innovationen der Fahrzeugsicherheit möglichst schon kurz nach der Markteinführung mit einer Sicherheitsbeurteilung auszuzeichnen. Beim bisherigen Vorgehen zur Erstellung neuer Bewertungsbereiche hat Euro NCAP sowohl das Bewertungsverfahren spezifiziert als auch die Bewertung selbst durchgeführt (siehe Bild 3-2, links). Der Fahrzeughersteller hat „lediglich“ eine technische Lösung angeboten, die dann – wenn sie bei Euro NCAP positiv bewertet wurde und das Bewertungsverfahren korrekt entwickelt war – auch einen Nutzen im realen Unfallgeschehen gezeigt hat. Dem Beyond NCAP-Gedanken nach soll nun der Fahrzeughersteller nicht nur ein neues Sicherheitssystem entwickeln und auf den Markt bringen. Der Hersteller soll vielmehr auch wissenschaftlich abgesicherte Daten liefern, mit denen er den zu erwartenden Nutzen im realen Unfallgeschehen aufzeigt sowie ein Testverfahren vorschlagen, mit dem das neue Sicherheitssystem geprüft und bewertet werden kann. Euro NCAP übernimmt in diesem Fall lediglich die Rolle, alle gelieferten Informationen zu verifizieren (siehe Bild 3-2, rechts) und auf dieser Basis ein Rating durchzuführen. Durch eine robuste Beyond NCAP-Bewertungsmethode, die das existierende Euro NCAP-Bewertungsverfahren ergänzt, könnten neue Sicherheitssysteme schneller bewertet und durch ein unabhängiges Qualitätssiegel besser vermarktet werden. Für eine funktionierende Beyond NCAP-Methode ist jedoch vertrauensvoller und partnerschaftlicher Umgang von Euro NCAP und Industrie die grundlegende Voraussetzung.
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3.4 Rechtliche Grenzen autonom eingreifender Fahrerassistenzsysteme Bei Erteilung der EG-Typgenehmigung werden Fahrzeuge hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit fahrzeugtechnischen Vorschriften überprüft. In den ECE-Regelungen sind dabei für Fahrerassistenzsysteme keine Bauvorschriften enthalten. Zur Anwendung auf Fahrerassistenzsysteme kommen die fahrzeugtechnischen Vorschriften dennoch: Einzelne Gesichtspunkte – wie die elektromagnetische Verträglichkeit – sind nämlich unmittelbar auf Fahrerassistenzsysteme als Bauteile des Fahrzeugs anwendbar. Darüber hinaus ist die Zulässigkeit von teilautomatisch wirkenden Fahrerassistenzsystemen auch Gegenstand einzelner fahrzeugtechnischer Regelungen. Als Beispiel für eine Regelung von Fahrerassistenzsystemen in fahrzeugtechnischen Vorschriften lässt sich die ECE-R 79 anführen, worin „einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Fahrzeuge hinsichtlich der Lenkanlage“ geregelt sind. Es wird darin die Variante einer „Fahrerassistenz-Lenkanlage“, deren Merkmal u. a. jederzeitige Übersteuerbarkeit ist, unter bestimmten technischen Voraussetzungen als zulässig eingestuft. Insgesamt ist aber festzustellen, dass die fahrzeugtechnischen Vorschriften Fahrerassistenzsysteme nur teilweise abdecken. Dagegen ist der Straßenverkehr ein insgesamt durch verschiedene Rechtsnormen umfassend geregelter Bereich menschlichen Handelns [17]. Fahrerassistenzsysteme weisen einen Bezug zur Fahraufgabe auf, sodass sich Anforderungen auch aus den (verhaltensrechtlichen) Anforderungen der Straßenverkehrsordnung (StVO) und sonstiger Regelungen des Straßenverkehrsrechts ergeben. So muss
Bild 3-2: Vergleich der heutigen und der zukünftigen NCAP-Bewertungsmethode
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
sichergestellt sein, dass Assistenzfunktionen nicht in Widerspruch zu diesen Vorgaben stehen und dem Fahrer ermöglichen, seinen verhaltensrechtlichen Pflichten nachzukommen [22]. Entscheidende Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang das Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr von 1968 (WÜ-StV) [24]. Dieser völkerrechtliche Vertrag ist Ausgangspunkt zahlreicher nationaler Vorschriften im Bereich des Straßenverkehrsrechts [19]. Unterzeichnet wurde das Übereinkommen von den meisten europäischen Mitgliedstaaten, aber auch von anderen Staaten weltweit. Es verpflichtet die Vertragsstaaten, nationale Vorschriften im Bereich des Straßenverkehrs im Einklang mit den völkerrechtlichen Vorgaben auszugestalten [20]. Die Einhaltung des Übereinkommens ist im Interesse der Zulassung zum internationalen, grenzüberschreitenden Verkehr durch Art. 3 Abs. 3 WÜ-StV geboten [23], [17], [18], [16]. Mit Blick auf Fahrerassistenzsysteme sind folgende – auszugsweise zitierte – Vorschriften des Übereinkommens von Bedeutung [17]: Artikel 1 lit. v) WÜ-StV: ‘„Führer“ ist jede Person, die ein Kraftfahrzeug oder ein anderes Fahrzeug (Fahrräder eingeschlossen) lenkt […].‘ Artikel 8 Abs. 1 WÜ-StV: ‘Jedes Fahrzeug und miteinander verbundene Fahrzeuge müssen, wenn sie in Bewegung sind, einen Führer haben.‘ Artikel 8 Abs. 5 WÜ-StV: ‘Jeder Führer muss dauernd sein Fahrzeug beherrschen oder seine Tiere führen können.‘ Artikel 13 Abs. 1 WÜ-StV: ‘Jeder Fahrzeugführer muss unter allen Umständen sein Fahrzeug beherrschen, um den Sorgfaltspflichten genügen zu können und um ständig in der Lage zu sein, alle ihm obliegenden Fahrbewegungen auszuführen. […]‘ Es wird vereinzelt vertreten, dass Art. 8 u. 13 WÜStV keine Regelung der zulassungsrechtlichen Frage treffen [16], [23]. Diese Argumentation beruht darauf, dass die Art. 8 u. 13 WÜ-StV im zweiten Kapitel des Übereinkommens stehen, das sich mit „Verkehrsregeln“, also verhaltensrechtlichen Normen, die sich an den Fahrer im Straßenverkehr richten, befasst. Dagegen sind Vorschriften über die Bauart von Fahrzeugen im dritten Kapitel des Übereinkommens niedergelegt. Dieses enthält unbestritten keine Vorschriften, die einen Bezug zu Fahrerassistenzsystemen aufweisen, auch wird nicht auf die verhaltensrechtlichen Vorschriften des zweiten Kapitels verwiesen. Die Vertreter die-
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ser Rechtsansicht unterscheiden daher strikt zwischen Verhaltens- und Zulassungsvorschriften, was formaljuristisch und aus logischen Gründen geboten sei: „Die Art des Umgangs, hier die Verhaltenspflicht im Umgang mit dem Fahrzeug, hängt von dessen technischer Ausstattung ab. Dies muss so sein, da nur dann etwas benutzbar ist, wenn es bereits existiert. Art. 8, 13 WÜ-StV sind daher nicht für die Anforderungen an die Bauart eines Kraftfahrzeuges einschlägig [16].“ Demgegenüber wird hervorgehoben, dass ein Wertungsunterschied zwischen Zulassungs- und Verhaltensrecht zu dem absurden Ergebnis führen würde, dass Fahrzeuge mit Fahrerassistenzsystemen zugelassen werden könnten, mit denen die Fahrer ihren verhaltensrechtlichen Pflichten nicht nachkommen können [18]. Auch sei ein besonderer Verweis auf die verhaltensrechtlichen Anforderungen im dritten Kapitel des Übereinkommens entbehrlich, da selbstverständlich davon ausgegangen wurde, dass ein (menschlicher) Fahrer das Fahrzeug beherrschen kann. Ist dies nicht der Fall, würde nämlich gleichwohl gegen das Wiener Übereinkommen verstoßen (wenngleich nicht gegen Bauvorschriften, sondern bei der Benutzung gegen Verhaltensrecht). Die verhaltensrechtlichen Vorschriften losgelöst von den im Übereinkommen geregelten (Mindest-)Bauvorschriften des dritten Kapitels zu betrachten, ist daher nicht zielführend: Der Vertragszweck, die Gewährleistung eines ungehinderten internationalen Verkehrs zwischen den Vertragsstaaten, wird im Fall eines Verstoßes gefährdet, da ein anderer Vertragsstaat entsprechend ausgestattete Fahrzeuge – trotz Zulassung im Heimatstaat – vom internationalen Verkehr ausschließen könnte [17]. Der Wortlaut ist weiterhin so zu verstehen, dass Fahrerassistenzsysteme, die eine umfassende und jederzeitige Beherrschbarkeit durch den Fahrer nicht gewährleisten, dazu führen, dass entgegen Art. 8 Abs. 1 WÜ-StV zwei Fahrzeugführer mit Einfluss auf die Fahrbewegung vorhanden wären: neben dem Fahrer einer oder mehrere andere Systemgestalter oder Systembetreiber [21]. Nimmt das Assistenzsystem darüber hinaus eine Geschwindigkeitsbeeinflussung vor, ist zudem die umfassende Beherrschung der Fahrgeschwindigkeit und damit Art. 13 Abs. 1 WÜ-StV beeinträchtigt. Festzuhalten bleibt daher, dass – was sich auch aus Art. 1 lit. v) WÜ-StV ergibt – ein Fahrer die Fahrzeugbewegung bestimmen muss, nicht ein System [17]. Es kann auch nicht argumentiert werden, dass der historische Wille der Vertragsparteien überhaupt keine Fahrerassistenzsysteme zum Gegenstand gehabt haben kann, weil Fahrerassistenzsysteme
3 Fahrerassistenz und Verkehrssicherheit
zurzeit des Vertragsschlusses gänzlich unbekannt waren. Entscheidend ist nämlich die so und nicht anders getroffene Regelung, dass ein Mensch das Fahrzeug beherrschen soll und für alles verantwortlich ist, was mit dem Fahrzeug geschieht. Da diese Regelung weiterhin Bestand hat, kann hiervon ohne Änderung nicht abgewichen werden. Entscheidendes Kriterium ist deshalb, dass der Fahrer sein Fahrzeug stets „beherrscht“. Völkerrechtlich verbindlich ist dabei aber nicht die deutsche Übersetzung des Übereinkommens, dies sind nur die (gleichermaßen) verbindlichen Vertragssprachen (Französisch, Englisch, Russisch, Chinesisch, Spanisch). Wird eine entsprechende Wortlautauslegung des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr vorgenommen, zeigt sich, dass die deutsche Übersetzung des Vertragstextes mit „beherrschen“ jedenfalls den Wortlaut der drei erstgenannten Sprachen zutreffend wiedergibt und daher zum Maßstab gemacht werden kann [22]. „Beherrschen“ bedeutet ein eigenbestimmtes Verfügen über eine Sache oder einen Geschehensablauf [18]. Dies führt dazu, dass jedes System, das in die Fahrzeugbewegung eingreift, ohne jederzeit übersteuerbar zu sein, mit einer vollständigen Beherrschung des Fahrzeugs durch den Fahrer nicht vereinbar ist. Die Übersteuerbarkeit fehlt jedoch auch bei (zulässigen) Systemen, die in Situationen eingreifen, die der Fahrer nicht zeitgerecht beherrschen kann. Die Regelung stimmt hier aber mit dem Fahrerwillen überein. Als Beispiel lässt sich das elektronische Stabilitätsprogramm anführen: Eine Übersteuerung ist aus tatsächlichen Gründen beim Eingriff nicht mehr möglich. Zulässig ist das System aber deshalb, weil der Eingriff dem Fahrerwillen, vorgegeben durch den eingeschlagenen Lenkwinkel, insoweit physikalisch möglich umsetzt, wenn es in der zeitkritischen Situation eingreift [18]. Tatsächlich hat man es hier also nicht mit einer Ausnahme zu tun, sondern mit einer besonderen technischen Ausgestaltung, die sicherstellt, dass die vorgenommene Regelung stets mit dem Fahrerwillen übereinstimmt. Dies verlangt das Wiener Übereinkommen: Ein „eigenbestimmtes Verfügen“, also Beherrschung durch den Fahrer. Mitunter wird ausgeführt, dass beim Antiblockiersystem („ABS“) der Fahrer bereits nicht mehr auf alles Einfluss habe. Tatsächlich handelt es sich bei diesem System jedoch um eine bloße Funktionsoptimierung; der Fahrerwille wird hier besonders effektiv umgesetzt [17]. Die volle Fahrzeugbeherrschung wird dadurch nicht in Frage gestellt, sodass es einer Würdigung der Zulässigkeit nach den Grundsätzen des Wiener Übereinkommens erst gar
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nicht bedarf. Ähnlich liegt der Fall bei Systemen, die einer gewöhnlichen Fahrzeugeigenschaft entsprechen, wie dies beim Geschwindigkeitsbegrenzer der Fall ist: Zwar ist die eingestellte Geschwindigkeit nicht übersteuerbar, doch entspricht das Verhalten einer normalen Fahrzeugeigenschaft, auf die sich der Fahrer genauso einstellen kann wie auf die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit, also eine normale Leistungsgrenze des Fahrzeugs. Ein Eingriff in die Fahrerautonomie liegt damit nicht vor [18]. Zusammenfassend bleibt daher festzuhalten, dass jeder nicht übersteuerbare Eingriff in fahrzeugführungsrelevante Funktionen des Fahrzeugs die Fahrzeugbeherrschung auszuschließen geeignet ist – auch wenn dies nur für kurze zeitliche Abschnitte erfolgt. Dem Wortlaut des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr von 1968 zufolge sind solche Eingriffe unzulässig [17], [18], [21]. Die volle und jederzeitige Übersteuerbarkeit gehört deshalb zu den rechtlichen Rahmenbedingungen, die bei der Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen zu prüfen und – um Fehlinvestitionen zu vermeiden [17] – unbedingt einzuhalten sind.
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A 4 Nutzergerechte Entwicklung der Mensch-MaschineWinfried König Interaktion von Fahrerassistenzsystemen 4.1 Übersicht Durch langjährige Forschungen bei Kfz-Herstellern, Zulieferfirmen und an Hochschulen sind umfangreiche, aber dennoch lückenhafte Erkenntnisse über das Zusammenspiel zwischen FAS und Nutzer gewonnen worden. In deutschen und internationalen Projekten wie z. B. PROMETHEUS, DRIVE, MOTIV, INVENT, RESPONSE und AKTIV haben sich Kfz-Hersteller, Zulieferfirmen, Hochschulen und weitere staatliche und private Forschungseinrichtungen zusammengefunden, um die vorwettbewerbliche Forschung für derartige Systeme voranzutreiben. Im folgenden Kapitel sollen einige der gewonnenen Kenntnisse dargelegt werden, um die Entwicklung des HMI von FAS zu erleichtern. Im ersten Abschnitt soll das Zusammenspiel Mensch-Fahrzeug-Umwelt prinzipiell erläutert und die Bereiche erwähnt werden, bei denen eine Unterstützung des Fahrers sinnvoll erscheint. Im zweiten Abschnitt wird auf einige Probleme eingegangen, die in unterschiedlicher Form und Intensität bei allen FAS auftreten und die deshalb gemeinsam betrachtet werden können. Ein bewährter Weg in der Entwicklung von FAS und die Einbettung der HMI-Fragen werden im dritten Abschnitt dargestellt. Im letzten Abschnitt wird auf die Bewertung der HMI von bereits realisierten und geplanten FAS eingegangen.
4.2 Fragestellungen bei der Entwicklung der MenschMaschine-Interaktion (HMI) von FAS Der Fahrer, das Fahrzeug mit Fahrerassistenzsystemen und die Umgebung des Fahrzeugs wirken in Raum und Zeit eng zusammen. Deshalb können diese Systeme nicht allein aus technischer Sicht gestaltet werden, vielmehr sind die Gewohnheiten, die Fähigkeiten, aber auch die Defizite der Fahrer neben anderen Faktoren zu betrachten. Nur dann sind eine Verbesserung der Sicherheit, des Komforts und letztendlich die Bereitschaft zum Kauf dieser Systeme zu erreichen.
4.2.1 Unterstützung durch FAS Fahrerassistenzsysteme können auf allen Ebenen der Fahrzeugführung – Stabilisierung, Bahnführung, Navigation und Nebentätigkeiten – unterstützen und unterschiedliche Teilaufgaben des Nutzers übernehmen. Ihr Beitrag kann vom einfachen Informieren, der Analyse einer Situation, ihrer Bewertung, über die Auswahl einer Aktion bis hin zur selbsttätigen Durchführung dieser Aktion reichen. Dabei muss sichergestellt werden, dass der Fahrer immer Herr der Situation bleiben kann. Im Detail ist ebenfalls zu klären, bei wem die Verantwortung im Einzelfall liegt. Als Basis derartiger Überlegungen ist, wie im folgenden Kapitel erläutert, die „Vienna Convention on Road Traffic“ [1] zu beachten. Um den Bedarf und die Möglichkeiten einer Unterstützung des Fahrers zu erforschen, sind fundierte Kenntnisse über das Verhalten von Fahrern im Straßenverkehr in unterschiedlichsten Fahrsituationen notwendig. Dies betrifft den Extremfall des Unfalls, aber auch das „normale“ Fahren, bei dem die Fahrer sich bedingt auch außerhalb der Straßenverkehrsordnung bewegen, sich umfangreichen Nebentätigkeiten zuwenden und schwierige Verkehrsituationen dennoch meist erfolgreich meistern. Der Ablauf und das Fahrerverhalten bei Unfällen wird in Deutschland in der Datenbank GIDAS (German in-depth accident study) [2] erfasst, in der Datensätze von mehr als 6000 Unfällen abgelegt sind. Über das „normale Fahren“ gibt es noch geringere Kenntnisse; erste Projekte zum Sammeln derartiger Daten sind in den USA abgeschlossen und werden in Europa vorbereitet.
4.2.2 Leistungen und Grenzen der FAS Bei der Gestaltung eines FAS müssen die relevanten Parameter von Fahrer, Fahrzeug und Umfeld für die jeweiligen Funktionen des FAS identifiziert, quantifiziert und beschrieben werden. Es muss klar festgehalten werden, welche Leistungen das FAS in welcher Situation erbringen kann und wo seine Grenzen liegen. Das Kennen und Verinnerlichen dieser Grenzen ist wesentlicher Bestandteil des Vorgangs, bei dem der Fahrer das FAS „erlernt“.
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Bild 4-1: Zusammenwirken von Fahrer, Fahrzeug mit FAS und Umfeld
4.2.3 Benötigte Kompetenzen und Fachbereiche Bei der kompetenten und verantwortungsbewussten Entwicklung des HMI eines FAS müssen neben dem Fachwissen und den Methoden des Ingenieurs auch sozialwissenschaftliche Methoden und Erkenntnisse eingesetzt werden, um die Bedürfnisse und das Verhalten des Fahrers angemessen einbeziehen zu können. Deshalb hat es sich bewährt, die Entwicklung in einem interdisziplinären Team („Human Engineering Team“) durchzuführen, in dem neben Ingenieuren zumindest Psychologen permanent vertreten sein sollten. Weitere spezielle Fachkompetenz muss fallweise eingebunden werden.
4.2.4 Einflussfaktoren bei der Entwicklung von FAS Neben den einzelnen Funktionen eines FAS, die systematisch und umfassend beschrieben sein müssen, sind weitere Einflussfaktoren zu betrachten: Eine bestimmte Funktion ist unterschiedlich zu gestalten, je nachdem, ob ihre Nutzung durch den Fahrer ausschließlich im Stand oder auch während der Fahrt vorgesehen ist. Die Gefahren einer Abwendung der Aufmerksamkeit und die Forderung nach Unterbrechbarkeit des Dialogs zwischen Fahrer und FAS seien hier erwähnt. Auch das breite Spektrum der Fähigkeiten unterschiedlicher Nutzergruppen ist von Belang. Physiologische und kognitive Defi-
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zite älterer Fahrer, geringe Antizipation von Risikosituationen und erhöhte Risikobereitschaft jüngerer Fahrer können als Beispiele dienen. Nationale und internationale Vorschriften, Richtlinien und Normen müssen berücksichtigt werden, da sie z. B. Mindestforderungen an die Gebrauchstauglichkeit stellen. Auch ein Mindestmaß an Harmonisierung ist notwendig, sodass Fahrer grundlegende Funktionen ohne hohen Lernaufwand nutzen können. Dagegen abzuwägen ist der Wunsch des Wettbewerbers, sich auf dem Markt durch eine markante, „innovative“ Gestaltung zu platzieren.
4.2.5 Interaktionskanäle zwischen Fahrer, FAS und Fahrzeug Der Mensch erkennt seine Umwelt überwiegend mit Hilfe des Sehsinns. Andere Verkehrsteilnehmer, ihre Position, ihr vermutetes Verhalten, die Fahrspur und der Fahrstreifen, aber auch Objekte im Straßenraum werden mit dem Sehapparat und der dahinter liegenden höchst leistungsfähigen Bildverarbeitung des Menschen entdeckt, ausgewählt und von weiteren Strukturen im Gehirn hinsichtlich ihrer Relevanz und Weiterentwicklung bewertet. Auch die Infrastruktur im Straßenverkehr ist für den Sehsinn ausgelegt: Verkehrsschilder vermitteln Regeln, Markierungen grenzen Fahrstreifen voneinander ab, Blinker zeigen eine Fahrtrichtungsänderung an, Bremslichter warnen vor verzögernden Fahrzeugen. Somit ist der visuelle Kanal auch bei FAS
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Bild 4-2: Einflussfaktoren bei der Entwicklung von FAS
von großer Bedeutung. Im sichtbaren Bereich des Spektrums, aber auch im nahen und fernen Infrarot- sowie im UV-Bereich gewinnen FAS mittels Kameras und Bildverarbeitung Information. Für die Kommunikation mit anderen Verkehrsteilnehmern, insbesondere für das Anzeigen und Signalisieren von Gefahr, wird vom Menschen und von FAS der akustische Kanal genutzt. Dazu gehört die Eingabe von Kommandos über Spracheingabesysteme sowie die Ausgabe von Warnhinweisen und Information vom FAS an den Fahrer mittels Sprachausgabe. Der haptische Kanal dient zur Eingabe von Komman-
dos über Hand und Fuß, in umgekehrter Richtung nutzen FAS diesen Kanal zur Rückmeldung durch Gegenkräfte an Pedalen, Lenkrad und „haptischen Stellern“.
4.2.6 Änderung der Beziehung Fahrer-Fahrzeug durch FAS Benutzt ein Fahrer ein Assistenzsystem, welches direkt in das Fahrgeschehen eingreift (z. B. ACC mit Teilübernahme der Längsführungsaufgabe oder
Bild 4-3: Interaktionskanäle zwischen Fahrer und FAS
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eine Stop&Go-Funktion), so bedeutet dies eine fundamentale Veränderung seiner Aufgabe der Fahrzeugführung. Teile der bisherigen Fahraufgabe können an das Assistenzsystem delegiert werden; hierauf beruht der Entlastungseffekt dieser Systeme mit positiven Auswirkungen auch auf die Verkehrssicherheit. Die verbleibende Aufgabe enthält nunmehr weniger regelnde und mehr überwachende Anteile. Als schwierig kann sich für den Fahrer erweisen, dass er in unterschiedlichen Situationen, wenn das FAS an seine Funktionsgrenzen gerät, auf angemessene Weise die Funktion wieder übernehmen muss. Es besteht die Gefahr, dass der Fahrer, wenn er lange Zeit aus dem Regelkreis genommen ist, die Fertigkeit für diese Funktion verliert. Es könnte auch sein, dass sich sein Bewusstsein für die Fahrsituation verschlechtert, wenn er nicht permanent die für die Funktion wichtigen Details der Fahrsituation verfolgt. Das Assistenzsystem zeigt ein eigenständiges Fahrverhalten, welches möglicherweise vom eigenen Fahrverhalten des Fahrers abweicht. Abhängig vom Automatisierungsgrad kann sich der Fahrer dadurch zeitweise mehr oder weniger in eine Art Beifahrersituation versetzt fühlen. Die Qualität dieses Zusammenwirkens zwischen Fahrer und Assistenzsystem bestimmt weitestgehend die Akzeptanz der Systeme.
4.2.7 Situationsbewusstsein des Fahrers Zur Erfassung der Verkehrssituation besitzt das System Sensoren, deren Erfassungsbereiche normalerweise nicht mit denen der menschlichen Sinnesorgane übereinstimmen. Die Grenzen der Sensoren und der Signalverarbeitung sind wesentlich für die Funktionalität eines FAS. Sind diese Grenzen für den Fahrer nicht verständlich, wird es für ihn schwierig, das System wie vom Hersteller vorgesehen zu nutzen. Auch das beabsichtigte Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer ist wichtig, um eine angemessene Strategie für das eigene Fahrverhalten in einer bestimmten Verkehrsituation zu entwickeln. Dazu gehört die Erwartung, dass sich andere Verkehrsteilnehmer meist an Regeln halten; erfahrene Fahrer sind aber auch in der Lage, nicht regelkonformes Verhalten anderer voraus zu ahnen, bevor sich hieraus eine Konfliktsituation entwickelt hat. Diese Fähigkeit kann als „Situationsbewusstsein des Fahrers“ (Situation Awareness) bezeichnet werden. Sie ist beim Autofahren insbesondere hinsichtlich der Durchführung von Nebentätigkeiten
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von Bedeutung. „Situationsbewusste“ Fahrer wenden sich derartigen Tätigkeiten nur zu, wenn ihre Einschätzung der Verkehrssituation dies erlaubt; sie kontrollieren deren Entwicklung durch kurze Blicke und brechen sie ab, wenn die Schwierigkeit der Situation dies verlangt. Problematisch ist es, bei der Einschätzung der Situation die richtigen Hinweise wahrzunehmen. Es hat sich gezeigt, dass durch die Kontrollblicke des Fahrers während einer Nebentätigkeit vor allem die Entwicklung dieser vorab als wichtig eingeschätzten Hinweise weiter verfolgt wird; andere werden oft ausgeblendet. Ein derartiges Situationsbewusstsein kann von technischen Systemen bisher nur sehr begrenzt entwickelt werden und entfällt deshalb bei der Planung einer angemessenen Aktion des Systems.
4.2.8 Inneres Modell Mit zunehmender Funktionalität der Assistenzsysteme und damit zunehmender Entlastungswirkung steigt auch die Komplexität der Systeme mit der Gefahr, vom Fahrer nicht mehr verstanden zu werden. Es ist möglich, dass ein Fahrer beispielsweise die Funktionen eines Geschwindigkeitsregelungssystems verstanden hat oder diese zumindest problemlos nutzen kann. Die zusätzlichen Funktionen eines ACC-Systems und insbesondere dessen Funktionsgrenzen muss er jedoch neu erlernen. Dies gilt in gleicher Weise für die Weiterentwicklung des Systems hin zu einem ACC mit Stop&GoFunktion und zusätzlicher Querführungsunterstützung. Es muss in jedem Fall durch Produktinformation oder andere Mittel, z. B. durch einen „Demonstrationsmode“, sichergestellt werden, dass der Fahrer ein angemessenes „inneres Modell“ der Systeme aufbauen kann. Dieses Modell muss keinesfalls ein physikalisch korrektes Abbild der Funktionsweise darstellen; es kann durchaus aus Bildern und Metaphern aus der Erfahrung des Nutzers bestehen. Entscheidend ist, dass das Modell die für ihn wichtigen Funktionen, die Meldungen und Warnungen und die Funktionsgrenzen enthält. Insbesondere bei Funktionen, die selten verwendet werden, oder Meldungen und Warnungen, die sehr selten auftreten, muss dem Fahrer Hilfestellung gegeben werden, um diese kennen zu lernen und sie in sein inneres Modell des Systems einzubauen. Insbesondere das Verhalten in Gefahrensituationen kann real nicht erlernt werden; hier sollte über den Einsatz von Simulatoren im Lernprozess nachgedacht werden.
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4.2.9 Entlastung oder Belastung durch FIS und FAS? Eine Grundregel bei der Gestaltung von MenschMaschine-Systemen ist es, sowohl eine Überforderung als auch eine Unterforderung des Menschen zu vermeiden. Es ist zu bedenken, dass die Interaktion des Fahrers mit dem FIS/FAS ein gewisses Maß seiner geistigen Kapazität bindet. Dies stellt prinzipiell eine Zusatzbelastung dar, die durch die entlastende Wirkung des FAS übertroffen werden soll. In mehreren Projekten (z. B. SANTOS [3], COMUNICAR [4]) wurde versucht, die Interaktion so zu gestalten, dass die Gesamtbelastung aus der Fahraufgabe und möglichen Nebentätigkeiten des Fahrers ein bestimmtes Maß nicht überschreitet. Dazu wurden Schätzungen der Belastung durch die Verkehrskomplexität, durch Nebentätigkeiten wie z. B. Gespräche mit Beifahrern zusammengeführt mit einer Schätzung der momentanen Leistungsfähigkeit des Fahrers. Auch die Anpassung des Verhaltens eines FAS an die individuelle Leistungsfähigkeit und Präferenzen eines bestimmten Fahrers (Personalisierung) ist Gegenstand mehrerer Projekte. Geht die Entlastung des Fahrers durch die genutzten Funktionen der FAS zu weit, besteht die Gefahr, dass dieser ermüdet. Es ist auch der Frage nachzugehen, ob er die Entlastung für irrelevante Tätigkeiten nutzt und seine Aufmerksamkeit vom Verkehrsgeschehen abzieht. Auch eine Kompensation der Entlastung durch riskanteres Fahren ist in Betracht zu ziehen und sollte im Entwicklungsprozess sorgfältig untersucht werden.
4.2.10 Verantwortung des Fahrers Nach heutigem Stand der Diskussion in Fachkreisen ist es unumgänglich, dass der Fahrer die Verantwortung für die Fahrzeugführung auch bei Einsatz von FAS behalten muss. Diese Forderung ist bereits in der „Vienna Convention on Road Traffic“ vom 8.11.1968 enthalten [1]. Dort heißt es in Chapter II, Article 5: „Every driver shall at all times be able to control his vehicle or to guide his animals“ sowie in Article 13: „Every driver of a vehicle shall in all circumstances have his vehicle under control so as to be able to exercise due and proper care and to be at all times in a position to perform all manoeuvres required of him”. Die Konsequenzen dieser Forderung für die Auslegung von eingreifenden FAS sind in der Fachwelt in der Diskussion. Es existiert z. B. die Meinung,
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dass Systeme, die vom Fahrer nicht übersteuert werden können, grundsätzlich nicht zulässig seien. Dies betrifft sowohl Notbremssysteme als auch geschwindigkeitsbegrenzende Systeme. Andere Fachleute meinen, dass die „Vienna Convention on Road Traffic“ ausreichend Spielraum biete und z. B. Notbremssysteme bei richtiger Auslegung durchaus zulassungsfähig seien. Eine Änderung der „Vienna Convention on Road Traffic“ würde aufgrund ihrer weltweiten Geltung erhebliche Anstrengungen erfordern und – zumindest teilweise – eine Verlagerung der Verantwortung vom Fahrer zum Hersteller oder Zulieferer bedeuten. Vor diesem Hintergrund sollten FAS derart gestaltet werden, dass ihre Aktionen vom Fahrer jederzeit übersteuert werden können. Dies wiederum verlangt eine Gestaltung, die dem Fahrer den momentanen Zustand eines FAS transparent macht, so dass er ein angemessenes „inneres Modell“ des Systemverhaltens aufbauen und pflegen kann.
4.2.11 Stärken von Mensch und Maschine Weiterhin wird die Auffassung vertreten, dass es sinnvoll ist, einem FAS die Aufgaben zu übertragen, für die der Mensch aufgrund seiner Fähigkeiten weniger geeignet ist. Dies sind Routineaufgaben, „einfache“, aber zeitkritische Aufgaben, Sehen bei Nacht und schlechter Witterung, Schätzen von Entfernungen und Geschwindigkeitsdifferenzen und permanentes Abstandhalten. Es entsteht bei dieser Aufgabenteilung aber das grundsätzliche Problem, dass ein FAS mit zunehmender „Perfektion“ in immer mehr Situationen eine bestimmte Aufgabe lösen kann, sodass der Fahrer zunehmend seltener zum Eingreifen veranlasst wird – dies aber in den verbleibenden, schwierigsten Situationen tun muss.
4.3 Systematische Entwicklung des HMI von FAS 4.3.1 Die Entwicklung des HMI im FAS-Entwicklungsprozess Um die Bedürfnisse, Möglichkeiten und Grenzen der Nutzer in angemessener Weise zu berücksichtigen, müssen in jeder Phase der Entwicklung von FAS neben Fachleuten für die Technik HMI-Experten mit geeigneten Verfahren einbezogen werden. Bereits zu Beginn, in der Phase der Ideenfindung, stehen die Bedürfnisse der Nutzer im Mittelpunkt
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der Überlegungen. Es folgt eine präzise, strukturierte Beschreibung der Leistungen des Systems und der Umstände, unter denen diese erbracht werden können. Zur Untersuchung möglicher Auswirkungen beim Einsatz derartiger Systeme werden Fragenkataloge benutzt, wie sie z. B. in dem EU-Projekt RESPONSE [5] entwickelt wurden. Es folgen Tests mit repräsentativen Nutzern in der sicheren Umgebung des Labors und im Simulator. In diesem Stadium steht oft noch kein reales HMI des FAS, sondern eine Simulation oder ein virtueller Prototyp zu Verfügung. Mit zunehmender Reife eines Systems und wachsender Erfahrung seiner Auswirkungen auf die Nutzer sind Fahrversuche im Testgelände und später im realen Verkehr möglich. Zunächst beginnt man aus Gründen der Sicherheit und Wirtschaftlichkeit mit erfahrenen Experten, später werden ausgewählte Nutzergruppen eingesetzt. Sobald ein Produkt im Markt eingeführt wird, entstehen weitere Erfahrungswerte, die von HMI-Experten erfasst und ausgewertet werden. All diese Prozessschritte enthalten Iterationen, falls Modifikationen und Verbesserungen eines Systems erforderlich werden.
4.3.2 Unterstützungsbedarf des Fahrers Ideen für sinnvolle und hoffentlich am Markt erfolgreiche FAS können aus der Information verschiedener Quellen systematisch entwickelt werden. Dazu gehören explizite Kundenwünsche, wie sie Fahrzeughersteller über ihre Verkaufsorganisationen sammeln und auswerten. Auch die Analyse von Unfalldaten, die z. B. aus der GIDAS-Datenbank [2] entnommen werden, direkte Feldbeobachtungen oder die Befragungen von Nutzergruppen sind übliche Zugangswege. Um die Vielfalt von Benutzergruppen und möglichen Situationen zu reduzieren, hat es sich als sinnvoll erwiesen, bestimmte Nutzertypen und Fahrsituationen zu definieren und auszuwählen. Ein Nutzertyp kann beispielsweise eine „Mutter mit Kind“ sein, die entsprechende Fahrsituation die „Einfahrt in eine Tiefgarage“ im „Familienvan“. Auch die Untersuchung einer Abfolge von Situationen, wie sie z. B. bei einer „Urlaubsfahrt mit Familie in ein Hotel in Spanien“ auftreten, kann Hinweise auf einen bisher nicht identifizierten Bedarf an Unterstützung durch FAS geben.
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4.3.3 Leitlinien zur Entwicklung von FIS und FAS Leitlinie für FAS – RESPONSE Code of Practice (CoP) In dem europäischen Projekt RESPONSE wurde durch eine Gruppe aus Kfz-Herstellern, Zulieferern, Behörden, Forschungsinstituten und Anwaltskanzleien die Verantwortung von Herstellern, Nutzern und des Gesetzgebers bei der Entwicklung und Nutzung von FAS untersucht. Die Ergebnisse mündeten in einer Leitlinie, die inzwischen bei vielen Herstellern innerhalb ihres Entwicklungsprozesses angewandt wird oder bereits vorhandene firmeninterne Prozeduren ergänzt. Wesentliche Punkte sind die Kontrollierbarkeit und Übersteuerbarkeit einer Systemaktion durch den Fahrer. Unterscheidung der Systeme In RESPONSE wurde unterschieden zwischen Informations- und Warnsystemen, eingreifenden Systemen, die der Fahrer jederzeit überstimmen kann, und Systemen, die der Fahrer aufgrund ihrer Auslegung oder seiner psychomotorischen Grenzen nicht überstimmen kann. In dem Projekt liegt der Fokus vor allem auf eingreifenden Systemen (Advanced Driver Assistance Systems, ADAS genannt), die eine intensive und sicherheitskritische Interaktion zwischen Fahrer, System und Fahrzeugumfeld aufweisen. Bei diesen Systemen müssen im Entwicklungsprozess nicht nur mögliche Fehler bei der Spezifikation, der Herstellung und Integration betrachtet werden, sondern auch vorhersehbare Fehler beim Gebrauch oder Missbrauch der Systeme durch den Nutzer. Kontrollierbarkeit bei eingreifenden Systemen In RESPONSE wurde erkannt, dass ein FAS aus Sicht des Gesetzgebers und des Nutzers nur dann zu handhaben ist, wenn es vom Nutzer jederzeit kontrolliert oder von ihm überstimmt werden kann. Bei diesen Systemen muss die Zuweisung der Verantwortung im Einzelfall genau untersucht und festgelegt werden. Wichtig sind dabei die Funktionsgrenzen des Systems, die Wahrnehmung des Fahrers von Warnungen und Grenzen sowie das möglicherweise zu erwartende Verhalten des Fahrers. Auch Fehlfunktionen des FAS können zu einer Haftung des Herstellers führen. Die Beurteilung der Risiken durch falschen Gebrauch oder Missbrauch des FAS durch den Nutzer ist anspruchsvoll. Man muss die Erwartungen der Nutzer an das System kennen, ebenso wie seine Möglichkeiten, das System zu missbrauchen. Wird der Fahrer beispielsweise einem Lenkeingriff eines FAS entgegenarbeiten,
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um einem Hindernis auszuweichen? Umgekehrt kann es schwierig sein zu erkennen, ob ein Fahrer ein FAS überstimmen möchte, weil er in einer kritischen Situation eine andere Aktion als die des FAS möglicherweise für erfolgversprechender hält, oder ob seine Aktion unbewusst im Schreck geschieht. Ein vorhersehbarer Missbrauch könnte z. B. darin liegen, dass er seine Entlastung bei der Querführung des Fahrzeugs durch ein Spurführungssystem verwendet, um sich in nicht akzeptablem Umfang Nebentätigkeiten zuzuwenden. Fehler bei informierenden Systemen Bei Informations- und Warnsystemen verbleibt die Führung des Fahrzeugs vollständig in der Hand und Verantwortung des Fahrers. Es ist aber möglich, dass die Information oder Warnung des Systems fehlerhaft oder ungenau ist. In diesem Fall ist auch die Verantwortung des Herstellers oder Informationsanbieters in Betracht zu ziehen. Fragenkataloge des Code of Practice Im Projekt wurde auch ein detaillierter Fragenkatalog zur Spezifikation des FAS entwickelt (Checklist A). Darin finden sich Fragen zur Aufgabe, welche das FAS lösen soll, zur Nutzergruppe, zum Fahrzeugtyp und zum Markt, in denen das FAS eingesetzt werden soll. Auch die Sensoren, die Fahrsituation, mögliche Risiken im Gebrauch, die geplante Information des Nutzers über das System sowie Themen wie Instandhaltung und Reparatur werden mit Hilfe präziser Fragen spezifiziert. Eine zweiter Fragenkatalog (Checklist B) befasst sich mit den Auswirkungen des FAS auf den Fahrer und den Straßenverkehr.
4.3.4 Richtlinien für FIS – „European Statements of Principles on HMI“ (ESoP) Die zunehmende Ausstattung von Fahrzeugen mit Fahrerinformations- und Telematiksystemen hat in der EU die Frage nach dem Bedarf nach einer Regelung für die Gestaltung von FIS aufgeworfen. In einer Expertenkommission wurden die Richtlinien “European Statements of Principles on Human Machine Interface” erarbeitet und am 22.12.2006 veröffentlicht [6]. Sie gelten für alle Partner in der Wertschöpfungskette dieser Systeme, vom Hersteller der Hardware, der Software, über die Datenlieferanten und die Kfz-Hersteller bis hin zu den Endkunden. Bei nachrüstbaren Systemen wurden auch die Importeure und Händler mit ihrer individuellen Verantwortung mit einbezogen. Es ist die Absicht der EU, dass diese Richtlinien in Form einer frei-
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willigen Selbstverpflichtung der betroffenen Partner in den jeweiligen Staaten vereinbart werden. Die Richtlinien wurden zunächst auf FIS beschränkt; es sei aber angemerkt, dass viele dieser Prinzipien sinngemäß auch auf FAS angewendet werden können. Das übergeordnete Ziel ist es, dass der Fahrer durch FIS nicht abgelenkt, überbeansprucht oder gestört werden soll. Die Richtlinien sollen zukünftige Technologien nicht blockieren; aus diesem Grund sind sie unabhängig von speziellen Technologien formuliert. Die enthaltenen Grundsätze und Empfehlungen werden jeweils durch eine Erklärung sowie durch positive und negative Beispiele erläutert. In den Richtlinien sind allgemeine Entwicklungsziele vorangestellt, so z. B.: Das System ist so zu gestalten, dass es den Fahrer unterstützt und nicht zu einem potenziell gefährdenden Verhalten des Fahrers oder anderer Verkehrsteilnehmer Anlass gibt. Die Aufteilung der Aufmerksamkeit des Fahrers während der Interaktion mit Anzeigen und Bedienteilen des Systems bleibt mit dem in der jeweiligen Verkehrssituation gegebenen Aufmerksamkeitsbedarf vereinbar. Das System lenkt nicht ab und dient nicht zur visuellen Unterhaltung des Fahrers. Das System zeigt dem Fahrer keine Information an, die ein möglicherweise gefährliches Verhalten des Fahrers oder anderer Verkehrsteilnehmer zur Folge haben könnte. Schnittstellen der Systeme und Schnittstellen mit anderen Systemen, die zur gleichzeitigen Nutzung durch den Fahrer während der Fahrt vorgesehen sind, müssen einheitlich und kompatibel gestaltet sein. Fünf weitere Grundsätze fordern eine sichere Installation, bei der alle optischen Anzeigen gut ablesbar sind, und bei der keine Behinderung der Sicht oder des Greifraums des Fahrers erfolgt. Auch für die Interaktion mit Anzeigen und Bedienteilen, für das Systemverhalten und die Informationen für den Nutzer über das System sowie die sichere Nutzung werden Hinweise gegeben. Sie richten sich an Verkäufer, Mietwagenfirmen, an den Arbeitgeber professioneller Fahrer sowie an den Fahrer selbst.
4.3.5 Normen zur Gestaltung von FIS und FAS CoP und ESoP enthalten Forderungen und Methoden; konkrete Zahlenwerte und Messverfahren sind hingegen nicht enthalten. Sie verweisen deshalb
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auf bestehende oder in der Entwicklung befindliche Normen, die sich mit einzelnen FAS oder mit übergreifenden Konzepten wie der Gestaltung von Anzeigen, Warnungen oder Dialogen befassen. Normen setzen Mindestforderungen; jeder Hersteller, der ein überlegenes Produkt anbieten möchte, wird die Forderungen einer Norm übertreffen wollen. Normen sind keine Gesetze, jedoch für den Hersteller weitgehend verbindliche Richtlinien. Kommt es zu Rechtsstreitigkeiten, werden Normen als Stand der Technik herangezogen. Normen sollen den technischen Fortschritt nicht behindern. Sie definieren deshalb meist nicht, wie ein bestimmtes System gestaltet sein muss („Design Standard“) sondern legen fest, welche Leistungen ein bestimmtes System erbringen soll („Performance Standard“). Auch eine markenspezifische Gestaltung soll nicht verhindert werden, solange dem Benutzer daraus, z. B. beim Wechsel von Fahrzeug zu Fahrzeug, kein Sicherheitsrisiko erwächst.
4.3.6 Entwicklung von Normen Internationale Normen werden in der ISO („International Standardisation Organisation“) entwickelt, nationale deutsche Normen im DIN. Zusätzlich zu den ISO-Normen werden in den USA für den US-Markt SAE-Standards und in Japan JAMAStandards für den japanischen Markt entwickelt. In der Regel wird versucht, diese nationalen Standards den ISO-Normen anzugleichen.
4.3.7 ISO-Normen zu HMI im Kfz In der ISO Arbeitsgruppe TC22/SC13/WG8 werden Normen erarbeitet, die für die Interaktion zwischen Fahrer und Fahrerinformationssystemen (FIS) im Fahrzeug von Bedeutung sind. Sie betreffen z. B. die Gestaltung des Dialogs zwischen Fahrer und System, die Gestaltung auditiver Information, von Bedienteilen und visueller Information. Diese Normen betreffen nicht nur einzelne FIS, sondern sollen auf alle unterschiedlichen Systeme innerhalb eines Fahrzeugs angewandt werden. Sinngemäß können sie auch auf die Interaktion eines Fahrers mit einem FAS Anwendung finden. Zum Beispiel enthält die Norm ISO15008 [7] Forderungen über die Darstellung von Information im Fahrzeug mittels optischer Anzeigen. Dies betrifft z. B. den Beobachtungsbereich und die Lichtverhältnisse, unter denen der Fahrer die Anzeige ablesen können muss. Die Mindestkontraste, welche notwendig für eine gute Ablesbarkeit sind, werden
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festgelegt, ebenso die Mindestgröße von alphanumerischen Zeichen. Auch die Forderung nach Vermeidung von Reflexionen oder Spiegelungen sind enthalten. Für diese Forderungen werden, soweit sinnvoll, auch Messmethoden festgelegt. Weitere Dokumente, die bereits gültig oder noch in Entwicklung sind, betreffen das Management von Dialogen des Fahrers mit dem System (ISO15005) [8], die Gestaltung akustischer Signale im Fahrzeug (ISO15006) [9] und die Messung des Blickverhaltens des Fahrers (ISO15007) [10].
4.4 Bewertung von FAS-Gestaltungen Bewertungsverfahren In den verschiedenen Stadien der Entwicklung eines FAS muss die Einhaltung der Grundsätze systematisch überprüft werden. Mit zunehmender Reife eines FAS und der damit zur Verfügung stehenden Realisierung des HMI können unterschiedliche Bewertungsverfahren eingesetzt werden. Bereits bei der Ermittlung des Unterstützungsbedarfs können Ideen für ein FAS aufbereitet und Nutzergruppen beispielsweise in einer Gruppendiskussion vorgelegt werden. Das Grundproblem dabei ist, diese Aufbereitung verständlich zu gestalten und die Leistungen und Grenzen des FAS klar zu vermitteln. Auch wenn dies anschaulich geschieht, können die Äußerungen dieser potenziellen Nutzer nur als Hinweis gewertet werden, insbesondere wenn der Umgang mit dem System „intuitiv“ erfolgen wird. Es ist auch für HMI-Experten unmöglich, beispielsweise ein ACC-System vollständig zu beurteilen, solange sie keine „Erfahrung“ damit gesammelt haben. Instrumente zur Beurteilung des Fahrerverhaltens Sobald eine Simulation oder ein Prototyp eines FAS vorliegt, können im Labor, im Fahrsimulator und später im Fahrversuch der Umgang des Nutzers mit dem System und eventuelle Auswirkungen auf das Fahr- und Fahrerverhalten untersucht werden. Dazu gehört die Ermittlung und Bewertung aussagekräftiger fahrdynamischer Größen, die beispielsweise die Längs- und Querdynamik abbilden. Diese sind im Fahrsimulator einfach zu erhalten, im Feld ist z. B. die Messung der Spurlage des Fahrzeugs aufwändiger. Auch die Messung des motorischen Verhaltens des Nutzers und der Blickbewegungen ist im Feld schwieriger. Speziell das Blickverhalten ist von großem Interesse, da Abweichungen vom
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Bild 4-4: Instrumente zur Beobachtung des Fahrerverhaltens
gewohnten „Scannen“ des Fahrraums und überlange Blicke auf ein Display im Fahrzeug Hinweise auf visuelle Überbeanspruchungen, z. B. durch die Interaktion mit einem FAS, geben. Aus physiologischen Parametern lassen sich Hinweise auf geistige oder körperliche Beanspruchungen des Fahrers ableiten, durch Fragebögen und Interviewverfahren können subjektive Einstellungen und „Erfahrungen“ erfasst werden. Bewertungsumgebung Untersuchungen mit Nutzern von FAS können nicht ausschließlich im Labor erfolgen. Grund ist die zwangsweise extreme Vereinfachung und Abstraktion, von der auch der HMI-Experte nur teilweise absehen kann. Der Dialog eines Eingabevorgangs bei einem Navigationssystem kann möglicherweise noch ausreichend auf einem Display am Schreibtisch überprüft werden. Einer ACC-Modellierung auf dem Bildschirm allein fehlen aber die wesentlichen fahrdynamischen Einflüsse. Auch wenn der Einfluss der Nutzung eines Informationssystems auf die primäre Fahraufgabe untersucht werden soll, muss ein geeigneter Fahrsimulator eingesetzt werden. Die Anforderungen an diesen Simulator ergeben sich
aus dem Untersuchungsgegenstand. So kann es sein, dass an die Bilddarstellung besondere Ansprüche zu stellen sind, z. B. für die Untersuchung eines visuell unterstützenden FAS. Auch die Realitätsnähe der Bewegungssimulation kann besonders wichtig sein, beispielsweise bei FAS, die in die Längs- und Querführung des Fahrzeugs eingreifen. Trotz der Vorteile eines Simulators wie Sicherheit und Reproduzierbarkeit sind Fahrversuche im Feld unverzichtbar. Nur sie können die Komplexität des realen Verkehrs bieten. Auch für die prinzipielle Überprüfung der Eignung und der Übertragbarkeit eines Simulatorversuchs für eine bestimmte Fragestellung muss ein „Kalibrieren“ mittels eines Feldversuchs erfolgen. Bei Fahrversuchen auf einer Teststrecke und insbesondere im realen Verkehr muss die Sicherheit des Nutzers und anderer Verkehrsteilnehmer gewährleistet werden. Dies kann z. B. bei Fahrten auf öffentlichen Straßen durch einen mitfahrenden Fahrlehrer geschehen, der mit Hilfe einer zweiten Pedalerie in kritischen Situationen eingreifen kann. Fahrversuche, insbesondere Langzeitversuche, wie sie beispielsweise für die Ermittlung von Lernkurven und Verhaltensänderungen des Fahrers nötig sind, stellen einen aufwändigeren, aber unverzicht-
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baren Bestandteil einer verantwortungsbewussten Produktentwicklung dar. Anwendung der Verfahren und Fehlermöglichkeiten Die Anwendung dieses Bewertungsinstrumentariums erfordert umfassende Kenntnisse und Erfahrung, wie sie durch ein entsprechendes Studium und langjährige experimentelle Arbeit aufgebaut wird. Dies beginnt mit der Auswahl eines geeigneten Untersuchungsdesigns, erstreckt sich über die Auswahl der Probanden und die Durchführung der Versuche bis hin zur Auswertung und Interpretation der Ergebnisse. Neben den bekannten Fehlermöglichkeiten beim Messen in den Naturwissenschaften, die hier ebenfalls beispielsweise bei der Verwendung von fahrdynamischen und physiologischen Sensoren auftreten können, gibt es bei der Messung mentaler Vorgänge der Nutzer eine Fülle weiterer Fallen: Bereits das Wissen um die Teilnahme an einem Experiment kann eine Ursache für verändertes Probandenverhalten sein. Auch die Anwesenheit eines Versuchsleiters während der Beobachtung und dessen Verhalten, wie z. B. Suggestivfragen und Hilfestellungen, wirken auf den Probanden ein. Bei physiologischen Messungen zeigen sich Reaktionen oft nur mit Verzögerung gegenüber dem auslösenden Reiz. Die angewandte Sensorik kann den Probanden behindern oder einschüchtern. Aufgrund der geringen Leistung der erfassten Signale sind in störreicher Umgebung wie im Kfz-Innenraum Störungen leicht möglich. Bei physiologischen Signalen ist mit erheblichen Variationen der Parameter unterschiedlicher Versuchspersonen, aber sogar bei ein und derselben Person in unterschiedlichen Situationen zu rechnen. Bei der Gestaltung und der Verwendung von Fragebögen und Interviews existieren weitere Fehlermöglichkeiten: Suggestivfragen sind unbrauchbar. Es kann sein, dass die Antworten zur sozialen Erwünschtheit tendieren oder dass Probanden glauben, sich rechtfertigen zu müssen. Auch mit Erinnerungslücken von Probanden ist zu rechnen; hier kann durch Konfrontation mit Videoaufzeichnungen des Versuchs unterstützend eingewirkt werden.
4.5 Zusammenfassung Ein FAS muss ein transparentes Systemverhalten, zu den Erwartungen des Nutzers konforme Systemeigenschaften, eine einfache Bedien- und Erlernbarkeit und dem Nutzer vermittelbare Systemgrenzen aufweisen. Die Entwicklung eines FAS erfordert das Zusammenwirken von Experten aus Ingenieur-
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und Geisteswissenschaften. Im Entwicklungsprozess eines FAS sind geeignete Messverfahren einzusetzen; ihre Anwendung erfordert Expertenwissen und Erfahrung. Mit zunehmendem Eingreifen durch FAS in den Fahrprozess gewinnt die Frage der Sicherheit des Gebrauchs neben Komfort und Akzeptanz eine große Bedeutung. Viele grundlegende Anforderungen aus HMI-Sicht an FAS sind bekannt; sie sind aber noch nicht ausreichend spezifiziert und durch Messverfahren abgesichert. Weitere Fragen werden in weltweiten Entwicklungsprojekten untersucht; ihre Ergebnisse sowie Erfahrungen aus dem Einsatz von FAS im Feld müssen in Richtlinien und Normen einfließen. Quellenverzeichnis [1] Convention on Road Traffic, Vienna, 8.11.1968, BGBL. II 1977, S. 809–892 [2] GIDAS, German in-depth Accident Study, www.gidas.org [3] König, W.; Weiß, K. E.; Mayser, Ch.: S.A.N.T.O.S – A Concept for Integrated Driver Assistance, Electronic Systems for Vehicles, Baden Baden, 2003 sowie www.santos.web.de. [4] COMUNICAR, Communication Multimedia Unit inside Car; www.cordis.europa.eu/data/PROJ_FP5 [5] RESPONSE 3, Code of Practice for the Design and Evaluation of ADAS, V3.0, 31.10.2006; http://prevent-ip.org/en/prevent_subprojects/horizontal_activities/response_3 [6] Commission Recommendation of 22 December 2006 on safe and efficient in-vehicle in-formation and communication systems: update of the European Statements of Principles on human machine interface, Official Journal of the European Union, 6.2.2007, L 32/200 [7] ISO15008, Road vehicles — Ergonomic aspects of transport information and control systems — Specifications and compliance procedures for in-vehicle visual presentation, ISO TC 22/SC 13/WG8, ISO Central Secretariat, 1211 Geneva 20, Switzerland [8] ISO15005— Ergonomic aspects of transport information and control systems — Dialogue management principles and compliance procedures, ISO TC 22/ SC 13/WG8, ISO Central Secretariat, 1211 Geneva 20, Switzerland [9] ISO15006, Road vehicles — Ergonomic aspects of transport information and control systems — Ergonomic aspects of in vehicle auditory presentation for transport information and control systems, Specifications and Compliance procedures, ISO TC 22/SC 13/WG8, ISO Central Secretariat, 1211 Geneva 20, Switzerland [10] ISO15007, Road vehicles — Ergonomic aspects of transport information and control systems — ISO TC 22/SC 13/WG8, ISO Central Secretariat, 1211 Geneva 20, Switzerland
A 5 Entwurf und Test von Fahrerassistenzsystemen 5.1 Begriffsklärung „Fahrerassistenzsysteme“ Der Begriff „Fahrerassistenzsysteme“ ist in seiner allgemein sprachlichen Bedeutung zunächst weitreichend: Ein „Fahrer“, also „jemand, der ein Kraftfahrzeug fährt“, erhält „Beistand, Mithilfe“ [6] von einem technischen System. Dabei bezeichnet das „System“ die „Gesamtheit von Objekten, die sich in einem ganzheitlichen Zusammenhang befinden und durch die Wechselbeziehung untereinander gegenüber ihrer Umwelt abzugrenzen sind“ [6]. Im Sinne dieser Definition sind auch Hilfsmittel, die bereits 1983 in einem VW Bus (VW T3) anzutreffen waren, Fahrerassistenzsysteme: Eine automatische Blinkerrückstellung, ein Tachometer, ein elektrischer Starter und ein synchronisiertes Handschaltgetriebe sind technische Systeme, die den Fahrer bei der Ausübung seiner Fahraufgabe unterstützen [34]. Diese Systeme erklären das aktuelle Interesse in Forschung, Entwicklung und Öffentlichkeit an der Fahrerassistenz allerdings nicht. Spezifischer ist hierbei eine Begriffsklärung, die von den Formen der Arbeitsteilung ausgeht. Kraiss [18] unterscheidet drei verschiedene Formen der Arbeitsteilung zwischen Mensch und Automatik. Bei der seriellen Form der Arbeitsteilung werden verschiedene Aufgaben abwechselnd nacheinander vom Menschen und der Automatik ausgeführt. Bei der parallelen Form der Arbeitsteilung werden hingegen verschiedene Aufgaben parallel von Mensch und Maschine ausgeführt. In der auch „Assistenzfunktion“ genannten Form der Arbeitsteilung werden die gleichen Aufgaben redundant-parallel von Mensch und Maschine ausgeführt. Dies führt bei Assistenzsystemen im Kraftfahrzeug zu einer Parallelstruktur von Mensch und Maschine [15]: Fahrer und Assistenzsystem erfassen die relevanten Informationen in der Umgebung durch Sinnesorgane oder Sensoren. Auf Basis der Situationserfassung wirken sie in geeigneter Form auf das Fahrzeug ein. Fahrer und Assistenzsystem kommunizieren über eine Mensch-MaschineSchnittstelle. Im Weiteren soll die Unterscheidung von „konventionellen Fahrerassistenzsystemen“ und „Fahrerassistenzsystemen mit maschineller Wahrnehmung“ helfen, den Begriff der „Fahrerassistenzsysteme im Kraftfahrzeug“ spezifischer zu fassen. Konven-
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tionelle Fahrerassistenzsysteme unterstützen den Fahrer in Situationen, die einfach zu messen oder zu schätzen sind. Antiblockiersysteme greifen ein, wenn ein Rad zu blockieren droht, was sich über konventionelle Raddrehzahlsensoren bestimmen lässt. Ein elektronisches Stabilitätsprogramm bremst einzelne Räder ab, wenn der geschätzte Schwimmwinkel einen applizierten Schwellwert zu übersteigen droht. Dabei stellt das elektronische Stabilitätsprogramm bereits einen Grenzfall der Klassifikation dar, da die notwendige Reibwertschätzung bereits eine Aufgabe der maschinellen Wahrnehmung ist. Eine ähnliche Unterscheidung ist in den Codeof-Practice für so genannte „fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme“ (Advanced Driver Assistance Systems, ADAS) eingegangen: „Im Gegensatz zu konventionellen Fahrerassistenzsystemen besitzen ADAS Sensoren zur Erfassung und Auswertung der Fahrzeugumgebung und je nach zu unterstützender Fahraufgabe eine komplexe Signalverarbeitung“ [5]. Als „Fahrerassistenzsysteme mit maschineller Wahrnehmung“ werden Systeme bezeichnet, die Unterstützung in Situationen anbieten, die als „wahr“ angenommen werden müssen. Im Abstandsregeltempomat (Adaptive Cruise Control, ACC, s. Kapitel 32) werden Radarreflexe als Fahrzeuge interpretiert. Beim Spurverlassenswarner (Lane Departure Warning, LDW, s. Kapitel 34) repräsentieren Hell-Dunkel-Übergänge im Videobild, die eine spezifische Gestaltannahme erfüllen, den Fahrstreifen mit ihren Begrenzungslinien. Das Besondere an der maschinellen Wahrnehmung besteht also in der maschinellen Interpretationsleistung. Diese führt nach dem aktuellen Stand der Technik in der maschinellen Wahrnehmung zu bislang ungewohnten Möglichkeiten der Interpretation, aber auch der Fehlinterpretation. Die entstandene neue Qualität legt es nahe, die „Fahrerassistenzsysteme mit maschineller Wahrnehmung“ als eigene Systemklasse zu diskutieren. Entsprechend konzentrieren sich die Beiträge auf Fachkonferenzen zum Thema „Fahrerassistenz“ auf „Fahrerassistenzsysteme mit maschineller Wahrnehmung“ (z. B. [12] und [9]). In diesem Beitrag wird der Begriff „Fahrerassistenzsysteme“ verstanden als redundant-paralleles System im Sinne der Definition von Kraiss (s. oben), in dem Mensch und Maschine gewisse Aufgaben
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parallel erledigen. Bei diesen Unterstützungsaufgaben bedienen sich die technischen Systeme Fähigkeiten der maschinellen Wahrnehmung.
5.2 Motivation des Beitrags Dieser Artikel wurde auf der Basis achtjähriger Erfahrung in der Entwicklung und Vorentwicklung von Fahrerassistenzsystemen bei Audi geschrieben. Er soll das Bewusstsein schärfen, dass Fahrerassistenzsysteme besondere Sorgfalt bei den Entwicklungsprozessen und bei der Gestaltung der Testverfahren erfordern. Der Autor kennt zum heutigen Zeitpunkt keine Entwicklungsprozesse und Testverfahren, die auch zukünftig alle Anforderungen erfüllen werden, welche bei der Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen auftreten. Die aufgezeigten Methoden und Prozesse sind erste Insellösungen, die – im richtigen Verbund von Entwicklungs- und Testwerkzeugen eingesetzt – hilfreich sein können. Dieser Beitrag soll auch dazu anregen, die Ausgestaltung von Entwicklungsprozessen, Entwicklungswerkzeugen und Testmethoden nicht allein den Serienentwicklungsabteilungen der Automobilhersteller und der Systempartner zu überlassen, sondern sie als Herausforderung für die Forschungsgruppen zu betrachten. Was ist eine „Machbarkeitsstudie“ wert, die nicht zeigt, wie ein System getestet werden kann oder ob der Fahrer überhaupt in der Lage ist, das System an seinen Grenzen zu beherrschen? Die Machbarkeit kann erst als geklärt angenommen werden, wenn diese zentralen Fragen beantwortet wurden.
5.3 Fahrerassistenzsysteme aus Sicht des Fahrers Die mit Fahrerassistenzsystemen verbundene Komplexität und die Einführung der maschinellen Wahrnehmung bergen für die Automobilhersteller und ihre Systempartner hohe Risiken. Die Entwicklung der Komponenten und ihrer Systeme erfordert hohe Anschub- und jahrelange Vorfinanzierungen. Der komplexe Steuergeräteverbund kann die Zuverlässigkeit des Produkts herabsetzen. Die Beherrschbarkeit an den Systemgrenzen oder bei Systemausfall ist schwer nachzuweisen und kann im Nachhinein von Gerichten anders bewertet werden, auch wenn die Entwicklerteams sorgfältig gemäß dem Stand von Wissenschaft und Technik gearbeitet haben.
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Die Einführung von Fahrerassistenzsystemen muss also einen veritablen Nutzen für den Fahrer, den Fahrzeughersteller und die Systempartner erbringen, damit die Aufnahme der genannten Risiken verhältnismäßig erscheint. Richtig ausgelegt bieten Fahrerassistenzsysteme dieses Potenzial. Die gefeierte Einführung des „Auto-mobils“ hat lange vergessen lassen, dass dieses selbst angetriebene Fortbewegungsmittel gegenüber der von Pferden gezogenen Kutsche auch zu einer Reduzierung des Grades an Autonomie führte. Gewohnte Funktionen wie „Homing“, die so manchen Kutscher sicher nach Hause gebracht hatten, oder automatisches Spurhalten, die die Fahraufgabe über längere Strecken in eine Beobachtungsaufgabe verwandelt hatten, standen über hundert Jahre in der „auto-mobilen“ Welt nicht mehr zur Verfügung. Fahrerassistenzsysteme bieten das Potenzial, das „Auto-mobil“ auch mit autonomen Fähigkeiten auszurüsten. Persönlich halte ich zwei Entwicklungspfade für besonders verfolgenswert [30]: Der Weg zum „Autopiloten“ führt über viele kundenwerte Funktionen wie ACC und Spurhalteunterstützung (Heading Control, HC oder Lane Keeping Support, LKS, s. Kapitel 35) zum bislang nur im Forschungsbereich gezeigten autonomen Fahren (z. B. [27], [22], [31], [32], [26]). Die Rolle des Fahrers wandelt sich dabei vom aktiven Chauffeur über den entlasteten Fahrer hin zum Chauffierten. Im Gegensatz dazu bleibt der Fahrer bei Systemen auf dem Entwicklungspfad zum technischen „Kopiloten“ immer aktiver Fahrer und wird nur im Bedarfsfall von technischen Systemen unterstützt. Zu dieser Kategorie gehören Systeme wie LDW oder Kollisionswarnsysteme (z. B. Audi Braking Guard; Mercedes-Benz: Bremsassistent Plus). Im Forschungsprojekt „Autonomes Fahren“ hat Volkswagen eine weit entwickelte Form eines technischen Kopiloten vorgestellt [2], der einen Fahrroboter überwacht hat. Langfristig scheint mir ein drittes Paradigma großes Potenzial zu haben, welches das Fahrzeug als Werkzeug betrachtet: Hierbei wird das Gesamtsystem Fahrer-Fahrzeug optimiert. Fortschritte in der LED-Technik werden in Zukunft sehr flexible Lichtverteilungen für das Frontlicht erlauben. Damit werden neue Assistenzfunktionen möglich, wie ein Fernlicht, bei dem nur die Bereiche ausgespart werden, in denen Verkehrsteilnehmer geblendet werden könnten, oder ein Markierungslicht, das die Aufmerksamkeit des Fahrers auf relevante Objekte lenkt [1]. Denkbar wären in dieser Gruppe auch weitergehende Systeme, die helfen, die individuellen Fah-
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rerdefizite wirkungsvoll zu kompensieren. Je größer die Defizite des Fahrers gegenüber dem gesunden Menschen ausfallen, desto höher werden die Anforderungen an das Werkzeug „Fahrzeug“. In einer alternden Gesellschaft eröffnen sich dadurch attraktive Absatzmärkte [19], [20].
5.4 Systematischer Entwurf von Fahrerassistenzsystemen Viele Entwicklungen und viele Entwicklungswerkzeuge haben ihren Ursprung im militärischen Bereich. Auf die Entwicklung von komplexen technischen Systemen hat das so genannte V-Modell, das ursprünglich für Verteidigungssysteme entwickelt wurde, großen Einfluss. Das V-Modell unterstützt verschiedene Grundsätze, die helfen, komplexe Systeme strukturiert zu entwickeln. Zunächst unterstützt es ein Top-Down-Design von den groben Anforderungen auf Systemebene stufenweise hin zu Detailanforderungen auf Komponentenebene. Besonders wichtig ist im V-Modell, dass zu jeder Anforderung auch geeignete Testfälle spezifiziert werden müssen. Entsprechend zur TopDown-Struktur der Anforderungen ergibt sich eine Bottom-Up-Struktur der Testfälle, Bild 5-1.
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Die Einführung des V-Modells als Paradigma in der Entwicklung von elektronischen Fahrzeugsystemen hat zu einer deutlich strukturierten Entwicklungsform bei Fahrzeugherstellern und Systempartnern geführt (z. B. [4]). Je detaillierter die Anforderungen spezifiziert werden, desto deutlicher wird aber auch, dass sich komplexe Assistenzsysteme nicht vollständig testen lassen. Kritisch wird in der Literatur der Einsatz des V-Modells diskutiert, „wenn zu Beginn des Entwicklungsvorhabens die Informationsbasis noch nicht vollständig ist und folglich das System nicht ‚von oben nach unten‘ entwickelt werden kann“ [28]. „Die Realität ist daher eher durch inkrementelle und iterative Verhaltensweisen gekennzeichnet, bei der Schritte des V-Modells oder das gesamte V-Modell mehrmals durchlaufen werden“ [29]. Diesen Bedarf nach iterativen Entwicklungsschleifen berücksichtigt ein einfaches Entwurfsmodell, das im Rahmen des Forschungsprojekts „Automatische Notbremse“ bei Audi entwickelt wurde [24]. Das Verfahren wurde bewusst einfach visualisiert: Bild 5-2 zeigt einen Vollkreis, der eine komplette Iterationsschleife umfasst. Nach weniger als der Hälfte des Kreises ist ein „Abkürzungspfad“ definiert, der wieder zum Ausgangspunkt des Entwicklungsprozesses führt. Eine technischere Form
Bild 5-1: Grundstruktur des V-Modells
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Bild 5-2: Systematischer Entwurf von Fahrerassistenzsystemen [24]
der Notation haben wir 2006 vorgestellt, bislang aber nicht weiterverfolgt [10]. Durch die beschriebene Struktur ergeben sich zwei Iterationsschleifen: Die erste, zeitlich kürzere und deutlich Ressourcen sparende Schleife erfordert Expertenwissen aus unterschiedlichen Bereichen. Die Arbeiten werden theoretisch ohne den Bau von Prototypen durchgeführt. Der Ansatz ist dann besonders wirkungsvoll, wenn die im Unternehmen verfügbaren Experten, bei Bedarf verstärkt durch externe Wissensträger, in dieser Iterationsschleife möglichst die zentralen Auslegungskonflikte identifizieren und eine fundierte Auswahl treffen zwischen den realisierbaren und den wünschenswerten, aber noch nicht realisierbaren Assistenzfunktionen. Prototypische Systeme werden erst aufgebaut, wenn die Experten als Zwischenergebnis eine Funktionsdefinition gefunden haben, bei der alle in der theoretischen Diskussion gefundenen Auslegungskonflikte aufgelöst werden konnten oder offene Fragen auftreten, die eine experimentelle Untersuchung erfordern. Ausgangspunkt des Entwicklungsprozesses ist immer der Fahrer und sein Unterstützungsbedarf. Das mag trivial klingen. Dem am Automobil interessierten Leser werden jedoch sofort viele Beispiele einfallen, bei denen am (Unterstützungs-)
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Bedarf des Fahrers vorbei entwickelt wurde. Eine sehr pointiert formulierte persönliche Meinung hat Bloch [3] veröffentlicht. Für die Kaufentscheidung des Fahrers und damit den Markterfolg des Systems scheint der subjektiv empfundene Bedarf, nicht der objektiv zu erwartende Nutzen ausschlaggebend zu sein. Ein großer japanischer Hersteller brachte zur Einführung seiner aktuellen Oberklasselimousine öffentlichkeitswirksam Antriebs- und Fahrerassistenzsysteme auf den Markt, die sein Markenimage und seine Verkaufszahlen fördern, deren Nutzen für viele Fahrer allerdings aus Expertensicht fraglich ist. Aus dem identifizierten Unterstützungsbedarf heraus werden Ideen für Funktionsausprägungen entwickelt, die den Fahrer in technisch beschreibbaren Szenarien unterstützen sollen. In der Expertenrunde werden diese Funktionsausprägungen darauf getestet, ob sie nach aktuellem Wissensstand mit der verfügbaren Technik realisierbar sind: Können die zu erwartenden Funktionslücken und Systemausfälle von jedem untrainierten Nutzer in jeder Situation beherrscht werden? Erscheint eine nutzertransparente Auslegung der Funktion und ihrer Grenzen möglich? Sind sinnvolle MenschMaschine-Schnittstellen denkbar (s. Kapitel 4)? Ist die Funktion für die Kunden finanzierbar? Passt sie zum Markenimage des Herstellers? Die Vertie-
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fung der einzelnen Schritte und die Ausgestaltung der vollen Iterationsschleife werden im folgenden Abschnitt anhand eines praktischen Beispiels diskutiert. In methodischer Hinsicht entspricht der hier beschriebene Ansatz einer Weiterentwicklung von Verfahren, wie sie in der integrierten Produktentwicklung beschrieben werden (z. B. [7]). Im Forschungs- und Entwicklungsprozess eines Systems sollte dieses Verfahren in jeder Phase berücksichtigt werden. Bereits in der universitären Forschung sollte nicht am Bedarf des Nutzers vorbeigeforscht und das öffentlich verfügbare Wissen über eine ganzheitliche Produktentwicklung genutzt werden. In der Phase der industriellen Forschung und Vorentwicklung werden die beschriebenen Verfahren dann kommerziell bedeutender für den jeweiligen Hersteller. Die Feinjustierung erfolgt beim Einsatz innovativer Technologien gerade im Bereich der maschinellen Wahrnehmung erst in der Serienentwicklung, da oft erst mit kurz vor Markteinführung verfügbaren Musterständen der Sensoren verlässlich feststeht, inwieweit die anfangs aufgestellte Spezifikation von den realen Sensoren wirklich erfüllt wird und welche Funktionsausprägungen damit möglich sind.
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Selbstverständlich sollten auch freiere Forschungs- und Vorentwicklungsvorhaben durchgeführt werden, die nicht unmittelbar auf einen bestimmten Kundennutzen zielen. Wichtig ist nur, dass diese Vorhaben auch entsprechend deklariert werden und nicht spezifischen Kundennutzen suggerieren.
5.5 Systematischer Entwurf einer „Automatischen Notbremse“ 5.5.1 Nutzerorientierte Funktionsdefinition Dank der Bemühungen von Gesetzgeber, Fahrzeugherstellern, Systempartnern und Rettungswesen sinkt die Anzahl der jährlichen Unfalltoten in Deutschland seit vielen Jahren. Dennoch stellt die absolute Zahl der Getöteten im Straßenverkehr mit über 5000 im Jahr allein in Deutschland eine Motivation dar, die Sicherheit im Straßenverkehr weiter zu erhöhen. Es herrscht Konsens unter den Automobilherstellern, dass durch Maßnahmen der passiven Sicherheit deutliche Verbesserungen nur bei hoher
Bild 5-3: Theoretisches Potenzial einer automatischen Notbremse [17]
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Gewichts- und Verbrauchszunahme der Personenkraftwagen zu erreichen wäre. Hohes Potenzial zur Erhöhung der Insassensicherheit wird Systemen der aktiven Sicherheit zugeschrieben. Fahrerassistenzsysteme sollen auf Basis ihrer Situationserfassung die Unfallschwere mindern oder Unfälle ganz vermeiden. Analysen der Unfallforschung zeigen, dass viele Fahrer das Verzögerungspotenzial ihrer Fahrzeuge nicht ausschöpfen. Im Bild 5-3 ist die statistische Auswertung einer Unfalldatenbank gezeigt: Für jede Verletzungsklasse MAIS wird ausgewiesen, welcher prozentuale Anteil an Fahrern eine Komfortbremsung mit einer Verzögerung von maximal 3 m/s2 getätigt hat, obwohl eine stärkere Verzögerung zumindest unfallschweremindernd gewirkt hätte ([35], Kopischke [17] zitiert nach [24]). Aufgrund dieses identifizierten Unterstützungsbedarfs wird eine erste Funktionsdefinition für den Start einer Konzeptentwicklungsphase festgelegt: „Eine Notbremsung, d. h. Bremseingriff mit max. Verzögerung, wird dann veranlasst, wenn ein Unfall fahrphysikalisch nicht mehr zu verhindern ist. Damit wird dem Fahrer weiterhin jede Freiheit gelassen und nur dann ausgelöst, wenn er auch bei noch so guten Fahrfähigkeiten die Kollision nicht mehr verhindern könnte (...)“[16]. Diese Funktionsdefinition zeigt auch, dass bereits zu Beginn der Konzeptentwicklungsphase erhebliches Vorwissen vorhanden war: Man beschränkt sich von Beginn an auf ein System der Unfallschwereminderung, um Produkthaftungsansprüche von Fahrern oder ihren Angehörigen zu vermeiden, die nach Auslösen einer Notbremse argumentieren, diese sei zu früh erfolgt und habe den Unfall sogar verursacht. Die Sichtung der verfügbaren Radar-, Lidar- und Videosensorik ergibt, dass die Funktion prinzipiell einfach darstellbar ist, solange die Szenarien einfach gestaltet werden und die Witterungsverhältnisse die jeweiligen Sensorprinzipien nicht an ihre Grenzen führen. Im diskutierten Fall soll untersucht werden, ob die Funktion nicht durch einen Radarsensor eines konventionellen ACC-Systems dargestellt werden kann. Spätestens bei einer ersten Risikoanalyse wird jedoch deutlich, dass es viele mögliche Situationen im Straßenverkehr geben kann, die jedes mögliche Sensorprinzip überfordern. Nichtauslösungen einer automatischen Notbremse werden als weniger kritisch angesehen, da das ausgerüstete Fahrzeug nicht unsicherer als ein konventionelles Fahrzeug sein wird. Kritisch wird der Fall betrachtet, wenn eine Notbremse ohne Vorliegen der oben beschriebenen
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Auslösungssituation automatisch gestartet wird. Da die Funktionsprinzipien der Einzelsensoriken bekannt sind, ist für die Experten offensichtlich, dass Fehlauslösungen zwar selten sein können, aber zumindest nach dem aktuellen Stand der Technik nicht völlig auszuschließen sind. Radarexperten ist die bei modernen Systemen selten auftretende Situation der „fahrenden Gasse“ bekannt, bei der sich zwei Fahrzeuge mit sehr ähnlicher Geschwindigkeit bewegen, die von der Signalverarbeitung als ein in der Gasse liegendes virtuelles Objekt interpretiert werden kann. Ein solches „Geisterobjekt“ könnte eine unberechtigte automatische Notbremse verursachen. Folgenschwer wird auch der Einwand der Produktsicherheitsexperten sein, dass Gerichte im Schadenfall nach Analogien suchen. Hier wird als Analogie erwartet, dass Redundanz in der Wahrnehmung der entscheidenden Parameter gefordert werden könnte, da etwa bei einem ESP-System wesentliche Parameter ebenfalls redundant erfasst werden. Bereits in dieser frühen Phase weisen die Experten darauf hin, dass die zu erwartenden Funktionsgrenzen auch kommunizierbar sein müssen und dass der Hersteller dafür verantwortlich ist, dass die richtige Kundenerwartung erzeugt wird. Dieses Expertenwissen ist dank der Response-Projekte in verschiedene Hilfsmittel eingeflossen ([14], [5]). Ebenfalls wird gefordert, dass das System an seinen Grenzen zumindest in der Lage sein muss, seine Degradation selbst festzustellen und den Fahrer entsprechend zu warnen. Für den Nachweis, dass ein System fehlerfrei funktioniert hat, werden ein Datenrekorder oder zumindest entsprechende Eintragungen in den Entwicklungsspeicher als sinnvoll erachtet. Zentral wird daher die Frage, ob diese unbegründete automatische Auslösung für einen Fahrer und den folgenden Verkehr sicher zu beherrschen wäre. Die Untersuchung dieser Fragestellung erfordert erstmalig den Aufbau von Prototypen und damit das erste vollständige Durchlaufen der äußeren Iterationsschleife. Die Ergebnisse sind eindeutig: Mehr als ein Drittel der Fahrerreaktionen werden als „angstvoll, panisch“ kategorisiert. Ebenfalls mehr als ein weiteres Drittel reagiert „erschrocken, [mit] Tunnelblick“. Ein Zusammenhang der „überraschten“ oder „neugierigen“ Reaktionen damit, dass die im Versuch gestellten Fehlreaktionen auf dem Testgelände gestellt wurden, kann nicht ausgeschlossen werden (s. Bild 5-4, [8]). Diese Untersuchungen zeigen, dass mögliche Fehlauslösungen einer „automatischen Notbremse“
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angstvoll, panisch
Bild 5-4: Emotionen (aufgrund von Augen- und Gesichtsausdruck) nach einer Fehlauslösung einer Automatischen Notbremse (n = 33) [8]
für den Fahrer, den nachfolgenden Verkehr, den Fahrzeughersteller und den Systempartner ein nicht zu unterschätzendes Risiko darstellen. Neben den technischen, ergonomischen und juristischen Fraktionen sollte bereits in Konzeptphasen das Produktmarketing einbezogen werden. Was helfen aufwendige, technische Innovationen, wenn sie nicht ins Markenleitbild passen und deshalb auch nicht ausgelobt werden? Bei den Assistenzfunktionen kommt erschwerend hinzu, dass die bereits erwähnten zu erwartenden Funktionslücken dazu führen, dass Produkte nicht allzu offensiv beworben werden können. Der Hersteller trägt die Verantwortung für die Kundenerwartung (siehe oben). Nach der ersten Iterationsschleife ergibt sich folgende Bilanz: Es wurde eine Funktionsausprägung mit großem Wirkungsfeld identifiziert. Die im Entwicklungsauftrag gewünschte Sensorik beschränkt den Nutzen auf den Längsverkehr. Dafür wäre die Realisierung mit der bekannten ACC-Sensorik kostengünstig. Vergleiche mit anderen Sicherheitssystemen zeigen aber, dass dort redundante Erfassung der funktionsbestimmenden Zustandsgrößen gefordert wird. Die ergonomischen Untersuchungen, die bereits im Frühstadium praktisch durchgeführt werden mussten, zeigen, dass Fehlauslösungen einer automatischen Notbremse dieser Funktionsausprägung nicht akzeptabel sind. Da in diesem Fall kein konsistentes Zwischenergebnis gefunden wird, muss die weitere Entwicklung grundlegend modifiziert werden. Eine langfristige Entwicklungsrichtung kann durch möglichst komplementäre Wahrnehmungsprinzipien versuchen, die Fehlauslösewahrscheinlichkeit sehr zu verringern.
Kurzfristig soll eine konsistente Funktionsdefinition dadurch erreicht werden, dass die Funktionsdefinition variiert wird. Die Fehlauslösungen haben sich im Versuch als sehr eindrucksvoll erwiesen (siehe oben). Könnte nicht ein schwacher Bremsruck, bei dem der Fahrer durch einen haptischen Ruck gewarnt wird, den Fahrer auf eine Gefahr hinweisen, ohne dass der rückwärtige Verkehr im Falle einer Fehlauslösung durch ein plötzliches, unerwartetes Abbauen der Geschwindigkeit gefährdet wird? Experimentelle Untersuchungen bestätigen beide Erwartungen. Der Warnruck stellt ein wirksames Warnmedium dar, bei dem mit einem geeigneten Bremssystem kaum Verzögerung aufgebaut wird. Daher wird in einer zweiten Iteration zunächst ein Warnsystem entwickelt, das den Fahrer wie beschrieben auf Gefahren hinweist. Da dieser Eingriff auch dann unkritisch ist, wenn er ungerechtfertigt erfolgt, wird als Fehlauslöserate eine Fehlauslösung auf 10 000 km festgelegt. Diesmal ist das Zwischenergebnis vielversprechend: Die Warnung über den haptischen Sinneskanal ist sehr direkt und wirksam. Daher wird hoher Kundennutzen prognostiziert. Bei einer Nutzung der ACC-Sensorik beschränkt sich der Nutzen wiederum auf den Längsverkehr. Dafür kann die Funktion kostengünstig ohne weitere Sensorhardware dargestellt werden. Die Fehlauslösungen erweisen sich als beherrschbar und akzeptabel. Eine so definierte Funktion kann nun kurzfristig in Serienfahrzeugen angeboten werden (Produktname: Audi: „Audi Braking Guard“; VW: „Front Scan“, Markteinführung: 2006). Die Weiterentwicklung der ursprünglichen Funktionsidee einer automatischen Notbremse wird
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Bild 5-5: Einfluss der Totzeit auf die relative Energiereduktion einer Automatischen Notbremse [17]
technisch aufwendigere Lösungen erfordern. Für die aus der ersten Entwicklungsschleife bekannte Funktionsdefinition können nun quantitative Prognosen für den Nutzen angegeben werden. Wichtig ist auch die Analyse, welche Parameter für den Nutzen entscheidend sind. So zeigt Bild 5-5, wie die relative Energiereduktion und damit der Nutzen von der Systemtotzeit abhängen. Diese Darstellung kann hilfreich sein, um im Unternehmen den Nutzen eines schnelleren Bremssystems quantitativ zu belegen; sie kann auch bei der Auswahl der Sensorik hilfreich sein ([17] zitiert nach [24]; s. auch Kapitel 33). Durch die Kombination geeigneter Sensorprinzipien kann die Robustheit der maschinellen Wahrnehmung deutlich erhöht werden. Übliche Sensorkonfigurationen bestehen aus einem Fernbereichssensor (77 GHz Radar oder Lidar), der für ACC benötigt wird, und einem Sensor mit größerem Öffnungswinkel und geringerer Reichweite, bei dem Prinzipien wie Stereosehen, monokulares Sehen, Laser, Radar oder Photonic Mixing Device (PMD) zum Einsatz kommen. Die Forderung nach Redundanz würde auch durch ein Doppelradarverfahren mit zwei Fernbereichsverfahren erfüllt [21]. Bei
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allen skizzierten Lösungsansätzen bleibt der Nutzen des Systems auf den Längsverkehr beschränkt. Die Wahrscheinlichkeit für Fehlauslösungen wird herabgesetzt; diese bleiben aber kritisch. Am Beispiel dieser dritten Iteration sollen die prototypische Darstellung der Funktion, Aspekte der Systemarchitektur und der Funktionstests detaillierter erläutert werden. Vielfach unterschätzt wird die Einbindung der Sensoren in das Designkonzept des Fahrzeugs. Erfolgt diese nicht frühzeitig, so kann das die Integration der Sensoren gefährden, gerade dann, wenn sie nicht für die vitalen Grundfunktionen des Fahrzeugs sondern „nur“ für die Assistenz erforderlich sind.
5.5.2 Aspekte der Systemarchitektur Multimodale Umgebungssensoren und darauf basierende vernetzte Assistenzfunktionen erhöhen die Komplexität des Rechnerverbunds und der damit verbundenen Software im Fahrzeug signifikant. Die Beherrschung der Systemkomplexität wird damit zur Schlüsselkompetenz für die Automobil-
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hersteller und ihre Partner. Neben den bereits im Titel des Beitrags genannten Aspekten „Entwurf“ und „Test“ kommt der Systemarchitektur und ihrer sorgfältigen Planung eine Schlüsselrolle bei der Beherrschung dieser Komplexität zu. Es empfiehlt sich, die Umgebungssensoren bereits in der Planungsphase der Topologie der Fahrzeugnetze zu berücksichtigen. Datenströme, wie sie bei der Fusion von Sensordaten in der Umgebungswahrnehmung auftreten können, können topologiebestimmend für Fahrzeugnetzwerke werden (siehe Kapitel 9). Unter dem Begriff „Systemarchitektur“ seien hier fünf Aspekte subsumiert. Die funktionale Systemarchitektur dekomponiert das Gesamtsystem aus Sicht der Gesamtfunktion und ihrer funktionalen Bausteine. Sie bedient sich Darstellungsweisen aus dem Bereich der „Systemdynamik“ und „Regelungstechnik“. Die explizite Wissensrepräsentation kann elegant mit Methoden der objektorientierten Softwareentwicklung modelliert werden. Zunächst unabhängig von ihrer technischen Realisierung sollten die Eigenschaften des Fahrzeugs aus Kundensicht beschrieben werden (z. B. [13]). Alle drei Aspekte werden im Idealfall unabhängig von der Hardware diskutiert und bleiben bei der Migration auf andere Hardwareplattformen stabil. Die Hardware selbst und Aspekte der hardwarenahen Programmierung gehören zu den Hardwareabhängigen Aspekten der Systemarchitektur. Die fünf verschiedenen Aspekte der Systemarchitektur werden bei den Automobilherstellern und ihren Partnern unterschiedlich stark betrachtet. In allen Entwicklungsabteilungen wird die Topologie der Vernetzung der Steuergeräte intensiv vorbereitet und geplant. Die Anforderungen und aktuelle Beispiele für Vernetzungsarchitekturen für Kraftfahrzeuge mit Fahrerassistenz finden sich in Kapitel 9. Auch die hardwarenahe Software wird zunehmend steuergeräteübergreifend standardisiert und vorbereitet. Ein wichtiger Schritt zu einer stärker hardwareunabhängigen Systemauslegung ist in den Häusern gelungen, die bereits vor der eigentlichen Entwicklungsphase des Fahrzeugs dessen Eigenschaften aus Kundensicht intensiv diskutieren und festlegen (siehe oben, [13]). Weiteres Potenzial für die strukturierte Systemauslegung besteht bei einzelnen Herstellern durch die konsequente Nutzung der erwähnten Aspekte der funktionalen Systemarchitekturen und einer zentralen Planung der expliziten Repräsentation im Fahrzeug (z. B. [23]).
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5.5.3 Funktionale Tests von Fahrerassistenzsystemen Der Begriff des „Testens“ wird heute in der Praxis der Automobilentwicklung häufig unspezifisch gebraucht. Er beschreibt so unterschiedliche Testkategorien wie funktionale Tests, Bediensicherheit für den Nutzer, Tests zur Nutzertransparenz, Tests zur Kundenakzeptanz, Tests zur elektromagnetischen Verträglichkeit, Klimatests, Tests zur Fahrzeugakustik, Tests zur aktiven und passiven Sicherheit des Fahrzeugs, elektrische und elektronische Tests, die auch Hardware-in-the-Loop mit einschließen, Tests zur Integrität der Software einschließlich Softwarein-the-Loop. Die Liste ließe sich noch weiter fortführen. Jedes Thema für sich ist im Bereich „Fahrerassistenz“ anspruchsvoll sowie komplex und verdiente die Würdigung in einem eigenen Kapitel. Alle technischen Entwicklungs- und Qualitätssicherungsbereiche des Unternehmens sind betroffen und leisten ihren Beitrag. Aufgrund meines persönlichen Erfahrungshintergrunds beschränke ich mich hier auf funktionale Testaspekte, die wieder am Beispiel der Entwicklung einer automatischen Notbremse diskutiert werden sollen. Zwei Fehlfunktionen verdienen spezielle Beachtung, da sie besonderen Einfluss darauf haben, wie das System vom Fahrer und der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Es wurde bereits erwähnt, dass die Reaktion des Nutzers auf eine unberechtigte Auslösung deutlich ausfiel, was zu der Forderung führte, diese zu vermeiden. Aus Sicht der experimentellen Durchführung sind der Test der berechtigten Auslösung und die Untersuchung der Nutzerreaktion aufwendiger, da es hier aufgrund der Funktionsdefinition zu einer Kollision kommt. Entscheidend für die Akzeptanz einer automatischen Notbremse der genannten Funktionsausprägung ist die Fehlerwahrscheinlichkeit für unberechtigte Auslösungen, die erfolgen, ohne dass sie ein menschlicher Beobachter für angemessen hält. Dabei wird die Frage, welche Fehlerwahrscheinlichkeit gesellschaftlich akzeptabel sein wird, in diesem Artikel unbeantwortet bleiben. Analogien aus dem Bereich der Luftfahrt oder der Medizin könnten hier den Weg weisen [11].
5.5.4 Testfall „berechtigte Auslösung“ – Vehicle-in-the-Loop Im Testfall der berechtigten Auslösung für eine automatische Notbremse bestehen folgende Anfor-
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derungen an den Test: Es wird eine automatische Notbremsung ausgeführt; dabei wird es zum Aufprall kommen. Der Fahrer und das Fahrzeug sollen dabei nicht gefährdet werden. Die Situation soll für den Fahrer realistisch erscheinen. Der Test soll möglichst reproduzierbar ausgeführt werden. Einfache Testaufbauten oder Untersuchungen im Fahrsimulator erfüllen nicht alle Kriterien: Bei Untersuchungen im Fahrsimulator wären das Bedrohungsszenario und die Dynamik der Fahrzeugreaktion nicht realistisch genug wahrzunehmen. Bei realen Kollisionen mit Schaumstoffwürfeln, Fahrzeugauslegern und kleinen mobilen Hindernissen wirkte das Bedrohungsszenario ebenfalls nicht realistisch genug. Auch wären diese Versuche nicht hinreichend reproduzierbar durchzuführen. Die Anforderungen an funktionale Auslösetests wurden von einer Neuentwicklung erfüllt – dem so genannten Vehicle-in-the-Loop-Verfahren (Vehicle-in-the-Loop, VIL), das in Kapitel 8 ausführlich beschrieben wird.
5.5.5 Fehlerwahrscheinlichkeit für „unberechtigte Auslösung“ – trojanische Pferde Ebenso anspruchsvoll wie der beschriebene Test der berechtigten Auslösung ist die experimentelle Absicherung, dass die Fehlerwahrscheinlichkeit pro Zeit maximal 10 –9 pro Stunde betragen dürfe. Nimmt man an, dass die mittlere Kilometerleistung eines Fahrzeugs bei nur 30 Kilometern in der Stunde liegt, ergibt sich damit der Bedarf, 30 Milliarden Testkilometer zu fahren, ohne dass eine Fehlauslösung auftritt. Dieser Bedarf kann wirtschaftlich im Rahmen einer Fahrzeugentwicklung nicht durchgeführt werden. Daher sind alternative Absicherungsmethoden gefragt. Der Vorschlag eines trojanischen Pferdes [33] sieht vor, neue Funktionen im Kundenfahrzeug zu erproben. Der Kunde würde eine Komfortfunktion erwerben, die mit der gleichen Sensorkonfiguration umgesetzt wird. Das könnte beispielsweise eine Funktionsausprägung von ACC Stop&Go sein. Die realisierte Software enthielte zusätzlich alle Funktionen einer automatischen Notbremse, der aber der Zugriff auf die Bremsaktorik verweigert werden würde. Die Notbremsfunktion bewirkt einen Eintrag in einen Entwicklungsspeicher. Wird im Kundendienst ein Entwicklungsspeichereintrag entdeckt, resultiert dieser entweder aus einem Unfall, der dann bekannt sein müsste, oder er wurde durch eine Fehlauslösung verursacht. Prinzipiell lägen damit alle Informationen vor, um die gesuchte Feh-
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lerwahrscheinlichkeit einer Auslösung zu ermitteln. Dem Autor ist derzeit keine aktive Diskussion unter den Fahrzeugherstellern darüber bekannt, ob dieses Verfahren in Zukunft zur Absicherung eingesetzt werden kann. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass Hersteller oder Systempartner diese Methode bereits nutzen, ohne dies zu kommunizieren. Die Diskussion, ob bei der Systemauslegung die IEC Norm 61508 zur Anwendung kommen sollte oder ob durch den aktuellen Arbeitsentwurf CD 26262 neue Entwurfsrichtlinien entstehen, wird hier bewusst ausgeklammert.
5.6 Zusammenfassung Durch die technologischen Fortschritte in der Mikroelektronik sind Fahrerassistenzsysteme mit maschineller Wahrnehmung heute möglich geworden. Die in der maschinellen Wahrnehmung interpretierten Daten von Umgebungssensoren ermöglichen Fahrerassistenzsystemen die Möglichkeit, die Objekte in der Umgebung und ihre Bedeutung für den menschlichen Fahrer und sein Fahrzeug zu erfassen. Diese Interpretationsleistung hat heute noch nicht die Zuverlässigkeit von konventionellen Sensoren im Automobil oder die eines aufmerksamen Fahrers. Daher sind neue Entwurfs- und Testprozesse erforderlich. Die maschinelle Wahrnehmung erhöht die Komplexität der Software und der Hardware im Kraftfahrzeug signifikant. Es muss nachhaltiger Kundennutzen zu erwarten sein, wenn sich der Aufwand für die Kunden, den Hersteller und seine Partner langfristig lohnen soll. Der hier vorgestellte systematische Entwurfsprozess für Fahrerassistenzsysteme geht konsequent vom Kundenutzen aus und berücksichtigt bereits in der Entwurfsphase neben technischen Fragestellungen auch rechtliche, ergonomische und ökonomische. In allen Phasen des Forschungs- und Entwicklungsprozesses werden iterative Entwicklungsschleifen empfohlen. Nur wenn Kompromisse für vorab absehbare Auslegungskonflikte erreichbar erscheinen, lohnt sich die Investition in Prototypen und die Entwicklung von Testaufbauten.
5 Entwurf und Test von Fahrerassistenzsystemen
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53
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung [33] Winner, H.: Patent DE 101 02 771 A1: Einrichtung zum Bereitstellen von Signalen in einem Kraftfahrzeug. Deutsches Patent- und Markenamt, Anmeldetag: 23.01.2001, Offenlegungstag: 25.07.2002 [34] Winner, H.: Fahrerassistenzsysteme. Skript zur Vorlesung, 1. Aufl., Darmstadt, 2003 [35] Zobel, R.: Persönliche Kommunikation, Ingolstadt, 1999
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A 6 Bewertungsverfahren von Fahrerassistenzsystemen
Jörg Breuer
6.1 Zielsetzung der nutzerorientierten Bewertung
unter Aspekten der Produkthaftung – die berechtigte Kundenerwartung.
Abgeleitet vom lateinischen „assistere“ (jemandem beistehen, behilflich sein, jemandem nach dessen Anweisungen zur Hand gehen) ist die Bezeichnung „Assistenzsystem“ durchaus bewusst gewählt und beschreibt Anspruch und Grenzen dieser technischen Systeme treffend. Sie sollen den Fahrer auf dessen Wunsch hin bei bestimmten Teilen der Fahrzeugführungsaufgabe durch Informationen unterstützen (Informationssysteme) bzw. von bestimmten Teilaufgaben entlasten (Komfortsysteme). Bestimmte Assistenzsysteme können dem Fahrer auch in kritischen Situationen durch einen Eingriff dabei helfen, seinen Wunsch nach sicherer Bewältigung umzusetzen. Somit können diese technischen Systeme sowohl zur Erhöhung des Komforts als auch der Sicherheit beitragen. Assistenzsysteme sollen und können den Fahrer jedoch nicht ersetzen und können ihn auch nicht aus der Verantwortung für das sichere Führen eines Fahrzeugs entlassen. Für wirksame Systeme mit hoher Akzeptanz sind folgende Gestaltungsprinzipien zugrunde zu legen und in geeigneten Versuchen zu bewerten [1], vgl. [2]:
Einfaches „Bedienen“, klares Anzeigekonzept Der Fahrer muss das System schnell aktivieren und deaktivieren können und jederzeit klar über den aktuellen Status informiert sein. Soweit das Systemverhalten konfigurierbar ist, muss dies – entsprechend der Häufigkeit von vorzunehmenden Veränderungen – ebenfalls einfach und eindeutig möglich sein.
Schnelle Eingewöhnung So wie es bei einer Führungskraft und einem Assistenten erst nach einer Eingewöhnungsphase zu einem optimalen Zusammenwirken kommt, benötigt der Fahrer eine gewisse Zeit, um mit einem neuen technischen Assistenten vertraut zu werden und ihn optimal nutzen zu können. Ein korrektes mentales Modell der Technik ist Grundlage für deren richtige Nutzung. Diese nicht vermeidbare Phase möglichst kurz zu halten, ist Aufgabe des Fahrzeugherstellers. Systeme, die nur in bestimmten, kritischen Situationen eingreifen, bedürfen verständlicherweise keiner solchen Eingewöhnungsphase. Erwartungskonformes und konsistentes Systemverhalten Das Assistenzsystem muss einem tatsächlich vorhandenen Unterstützungsbedarf bzw. Wunsch des Fahrers wirksam gerecht werden und in erwarteter Weise funktionieren. In aus Fahrersicht ähnlichen Situationen muss sich das System auch weitgehend ähnlich verhalten. Maßgeblich ist hier – nicht nur
Eingriffe nur bei sicher erkannter Unfallgefahr In kritischen Situationen eingreifende Systeme werden nur ausgelöst, wenn eine gewisse Unfallwahrscheinlichkeit sicher erkannt worden ist. Die Rate fehlender Auslösungen ist zu minimieren, womit ein hoher Anspruch an Sensorik und Signalverarbeitung zur zuverlässigen Situationsbewertung verbunden ist. Da Falschauslösungen größere Nachteile mit sich bringen können als fehlende Auslösungen, sollte das System jedoch im Zweifelsfall nicht eingreifen. Wirksamkeit im realen Straßenverkehr Assistenzsysteme müssen Komfort und Sicherheit unter Praxisbedingungen nachweislich verbessern. Dazu müssen – auch schon in frühen Entwicklungsphasen – Nutzungsverhalten und Systemleistung in allen relevanten Situationen in Probandenversuchen objektiv bewertet und menschbezogen optimiert werden. Es wird deutlich, dass es sich hierbei um eine Zieldimension handelt, die nur in einer Gesamtfahrzeug-Umgebung bewertet werden kann – es muss immer das Gesamtsystem aus Fahrer, Fahrzeug und Umgebung betrachtet werden.
6.2 Anforderungen an Bewertungsverfahren Grundsätzlich müssen Messungen, d. h. Abbildungen von Realitäten auf abstrakten Bezugssystemen, zur Sicherstellung der Übertragbarkeit die Hauptgütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität erfüllen [3]: Objektivität: Die Messung muss so weit wie möglich unabhängig von in der Person des Mes-
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A
Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
senden liegenden Einflüssen erfolgen, sodass verschiedene, unabhängig voneinander messende Personen zu gleichen Ergebnissen kommen. Reliabilität: Die Messung muss unter gleich bleibenden Bedingungen reproduzierbar sein, was nicht nur den methodenbezogenen Aspekt der Datenerhebung sondern auch zeitliche Veränderungen am zu Messenden, z. B. bei Probanden (Merkmalsfluktuation, intraindividuelle Streuung), betrifft. Validität: Die Messung muss in einem möglichst hohen Grad dasjenige Merkmal erfassen, über das Aussagen gewünscht werden. Nach [4] ergeben sich darüber hinaus insbesondere in der Feldforschung Anforderungen an Messmethoden aus den folgenden Nebengütekriterien: Zumutbarkeit: An Datenerhebungen beteiligte Probanden sollten nicht in (subjektiv) unzumutbare Situationen gebracht werden. Ökonomie: Die Messmethoden müssen ein vernünftiges Verhältnis zwischen zeitlichem und finanziellem Aufwand und erhobenem Datenwert erzielen. Rückwirkungsarmut: Die Messmethoden selbst dürfen nur äußerst geringe Auswirkungen auf das zu Messende ausüben. Außerdem und nicht zuletzt müssen folgende Kriterien berücksichtigt werden: Sicherheit: Die Sicherheit, d. h. die Unversehrtheit aller betroffenen Personen sowie des eingesetzten Materials (Versuchsfahrzeuge, Messtechnik) darf durch die Messungen nicht beeinträchtigt werden. Datenschutzrecht: Alle Daten dürfen nur mit dem ausdrücklichen Einverständnis der betroffenen Personen erhoben werden. Erhobene Daten dürfen in Publikationen nicht namentlich zugeordnet werden. Kollektive Neben den im Entwicklungsablauf regelmäßig stattfindenden Versuchen mit Experten als Fahrern sind Versuche mit „Normalfahrern“ erforderlich, um Daten über Wirksamkeit und Akzeptanz von Funktionen und Systemgestaltungen bei der Grundgesamtheit (Nutzerpopulation aus Kunden und anderen Fahrern) zu gewinnen. Größe und Zusammensetzung der Stichproben entscheiden dabei über die Aussagekraft der Versuchsergebnisse und deren Übertragbarkeit auf die Zielgruppe. Stichproben sollten bezüglich der für die Versuchsfragestellung relevanten individuellen Merkmale repräsentativ sein, d. h. die Häufigkeit der Eigenschaften,
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Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bedürfnisse sollte im untersuchten Kollektiv die gleiche Verteilung wie in der Zielgruppe aufweisen. Akzeptanz hängt stark von der Erfüllung der produktbezogenen Erwartungen und Bedürfnisse ab und muss für die Zielgruppe der Käufer bewertet werden. Dazu sind möglichst genau die relevanten Merkmale der Kunden in geeigneter Ausprägungsbreite im Kollektiv abzubilden. Bei vielen sicherheitsbezogenen Fragestellungen geht es dagegen eher um die Anpassung der Technik an Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen als Autofahrer. Die Zusammenstellung der Kollektive orientiert sich hier also eher an diesen Dimensionen der individuellen Leistungsvoraussetzungen. Wenn die relevanten Merkmale noch nicht hinreichend bekannt sind, könnte man ausreichend große Zufallsstichproben aus der Nutzerpopulation ziehen. Angesichts der finanziellen und zeitlichen Rahmenbedingungen wird man jedoch in der Regel mit kleineren Kollektiven arbeiten, die zudem aus einem Milieu zusammengestellt werden (z. B. Werksangehörige oder Studierende). Dabei müssen die vermutlich relevanten individuellen Merkmale zumindest mit gleicher Häufigkeit in allen möglichen Kombinationen vertreten sein (siehe Gl. 6.1) [5]: k
n
ni
(6.1)
i 1
Rechnet man also z. B. mit Einflüssen aus den drei Eigenschaften Alter (n1 = 3 Ausprägungen jung, mittel, alt), Körpergröße (n2 = 3 Ausprägungen klein, mittel, groß) und Fahrerfahrung mit einem speziellen Produkt (n3 = 2 Ausprägungen ja, nein), so ergibt sich eine Mindestzahl von 3 · 3 · 2 = 18 Probanden. Um statistisch belastbare Aussagen ableiten zu können, ist jede Kombination mit drei bis zehn Probanden abzudecken. Wesentliche Eingangsgrößen zur Festlegung des Stichprobenumfangs sind die Qualität der erhobenen Daten (Skalenniveau), die geforderte Genauigkeit der Ergebnisse sowie die zugelassene Irrtumswahrscheinlichkeit (Formeln und Beispiele bei [5]). Grundsätzlich unterscheidet man dabei zwischen abhängigen Stichproben (auch verbundene Stichproben oder „within subject design“) und unabhängigen Stichproben (unverbunden bzw. „between subject design“). Steht der Vergleich verschiedener Ausprägungen einer Systemauslegung im Vordergrund, so wird man abhängige Stichproben einsetzen. Will man dagegen die Eignung einer Auslegung für bestimmte Teile der Nutzerpopulation ermitteln, so wählt man unabhängige Stichproben.
6 Bewertungsverfahren von Fahrerassistenzsystemen
Zum Erreichen statistisch signifikanter Ergebnisse sind bei unabhängigen Stichproben grundsätzlich mehr Probanden nötig als bei abhängigen, da hier neben der intraindividuellen auch die interindividuelle Streuung zum Tragen kommt. Das unvorbereitete Verhalten in kritischen Situationen lässt sich bei Probanden grundsätzlich nur einmal im Versuch bewerten, danach ergeben sich durch Antizipation weiterer, ähnlich fordernder Situationen Verhaltensanpassungen aus erhöhter Wachsamkeit und/oder einem Trainingseffekt, die bei der Auswertung kaum zu isolieren sind. Dieser Tatsache ist durch Wahl eines Designs der unabhängigen Stichproben oder notfalls durch Permutation der Varianten-Reihenfolge Rechnung zu tragen. Repräsentative Kollektive – also die Grundgesamtheit in allen relevanten Merkmalen abbildende Stichproben – sind auch angesichts der bestehenden zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingungen bei der Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen nur schwer zu erreichen. Man wird beim Vergleich verschiedener Systemausprägungen in der Regel mit sorgfältig aus 30 bis 50 Probanden zusammengesetzten Kollektiven auskommen. Die Absicherung eines Systems erfordert dagegen deutlich größere Stichproben mit zwischen 100 und 500 Teilnehmern.
6.3 Eingesetzte Verfahren Jede Versuchsumgebung zeichnet sich durch spezifische Vor- und Nachteile aus, es ist die jeweils auf die gemessen an Fragestellungen und Entwicklungsfortschritt am besten geeignete Umgebung zu wählen. Eine effiziente Optimierung und Absicherung von Innovationen wird immer aus einer Mischung von Versuchen an Simulatoren, auf Testgeländen und im realen Straßenverkehr bestehen.
6.3.1 Versuche an Fahrsimulatoren Vorteile: genaue Einstellbarkeit und hohe Reproduzierbarkeit zu bewertender Szenarien bereits in frühen Entwicklungsphasen einsetzbar große Variationsbreite von Umgebungsbedingungen (Fahrsituationen) und Systemparametern effektiv gefahrlose Darstellung kritischer Situationen
A
Nachteile: Simulatorspezifische Artefakte wie z. B. Veränderungen des Fahrerverhaltens durch eingeschränktes Gefährdungsbewusstsein und wahrnehmungsphysiologische Einschränkungen der Fahrsimulation (Bild- und Bewegungssystem) Aufwand durch Betrieb von Hard- und Software, Szenariengestaltung und Abbildung von Fahrzeugen und Systemen (in frühen Entwicklungsphasen sind meist nur generische Modelle verfügbar) Ausfall von Probanden aufgrund von Kinetose („Simulatorkrankheit“ oder „motion sickness“, zur Analyse und Prophylaxe siehe [6]) geographische Lage des Simulators kann die Kollektivzusammensetzung beeinflussen Beispiel für einen dynamischen Fahrsimulator Der Daimler-Fahrsimulator [7] wurde 1985 in Berlin in Betrieb genommen. Die erste Ausführung verfügte über ein Bewegungssystem mit einem hydraulischen Hexapod (6 Freiheitsgrade), das speziell für diesen Simulator konzipiert worden war und seinerzeit den weltweit größten Bewegungsraum ermöglichte. Der sphärische Dom enthielt sechs CRT-Projektoren, die ein 180° mal 30° großes Sichtfeld vor einer realen Fahrzeugkabine produzierten. Zur besseren Darstellung der Querdynamik wurde in einer Modernisierung 1993 das Bewegungssystem erweitert: Das Sechsbein wurde auf einem Querschlitten befestigt, der von einem Hydraulikzylinder um 2,8 m verfahren werden kann (Bild 6-1). Eine weitere Überarbeitung erfolgte 2004 mit dem Austausch der Hexapod-Aktoren gegen neue, reibungsarme, hydrostatisch gelagerte. Zusammen mit der neuen digitalen Regelung wurde so eine deutlich bessere Bewegungsdarstellung in erweitertem Frequenzbereich möglich. Die Echtzeitsimulation besteht aus einem Intel-basierten Mehrprozessoren-Computer und dem EchtzeitBetriebssystem RedHawk Linux. Die Ansteuerung der ganzen Simulationsumgebung einschließlich aller Software-Module erfolgt über eine graphische Nutzerschnittstelle (GUI) im überarbeiteten Kontrollraum (Bild 6-1). Das ursprüngliche Bildsystem wurde durch ein PC-Cluster und kommerzielle CRT-Projektoren ersetzt und das Sichtfeld auf 230° mal 45° nach vorne und 58° mal 28° nach hinten vergrößert. Zusammen mit einem kleinen LCDDisplay im rechten Außenspiegel ergibt sich eine sehr realitätsnahe Situationsdarstellung in einer erhöhten Auflösung von 1600 mal 1200 Pixeln. Zur effizienten Vorbereitung neuer Versuche auch bei laufenden Untersuchungen im dynamischen
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
Bild 6-1 Der Daimler-Fahrsimulator in Berlin
Simulator wird ein Vorbereitungssimulator genutzt. Er basiert auf identischer Hard- und Software, verfügt jedoch über kein Bewegungssystem, und das Umgebungsbild wird lediglich einkanalig auf einen flachen Bildschirm vor die Fahrzeugkabine projiziert. Szenarien können hier optimiert und in einen geeigneten Ablauf gebracht werden. Er ist auch für Untersuchungen geeignet, bei denen die Bewegungsdarstellung nur eine geringe Bedeutung hat, z. B. in bestimmten Bewertungen von Bedien- und Anzeigekonzepten.
6.3.2 Versuche auf Testgeländen (kontrolliertes Feld) Vorteile: realitätsnahe Umgebung: Probanden fahren ein echtes Fahrzeug ohne Einschränkungen bei Sicht und Fahrzeugdynamik, nur geringe Einschränkungen des Gefährdungsbewusstseins große geographische Flexibilität: Versuche können an unterschiedlichen Orten stattfinden (z. B. in Zielmärkten)
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Nachteile: bzgl. der Verkehrssituation nur einfache Szenarien realisierbar eingeschränkter Geschwindigkeitsbereich (abhängig u. a. von der Flächengeometrie) hoher Aufwand zur Darstellung von effektiv gefahrlosen, aber für den Fahrer subjektiv kritischen Situationen 6.3.3 Versuche im realen Straßenverkehr (Feldversuche) Vorteile: Tests unter Praxisbedingungen möglich: – realistische Umgebung – freies Fahren ohne zusätzliche Fahraufgaben bzw. Einschränkungen möglich, damit kann das Nutzungsverhalten einzelner Assistenzfunktionen analysiert werden größte geographische Flexibilität: Versuche können an allen Orten stattfinden Absicherungsdaten mit höchster Validität: Fahrzeug und Assistenzsysteme können im Serienstand unter realen Bedingungen erprobt werden
6 Bewertungsverfahren von Fahrerassistenzsystemen
Nachteile: systematische Variation von Faktoren sehr aufwendig keine reproduzierbare Vorgabe einzelner Szenarien möglich erst spät im Entwicklungsprozess einsetzbar ggf. Zusatzaufwand für spezielle Sicherheitsvorrichtungen bei Einsatz von Vorserienfahrzeugen Während die intendierten Wirkungen von Sicherheitssystemen zunächst in Fahrsimulatorstudien und ggf. später anhand von realen Unfalldaten bewertet werden können, müssen Tests auf mögliche Nebenwirkungen unter möglichst praxisnahen Bedingungen im Feld stattfinden. So kann z. B. nur mit geeigneten Daten aus Feldversuchen die Minimierung der Falschalarm-Rate von eingreifenden Systemen erfolgen. Realversuche erlauben außerdem eine genaue Analyse des Nutzungsverhaltens sowie der Akzeptanz neuer Systeme.
6.4 Exemplarische Anwendungen Im Folgenden werden einige Beispiele für Versuche zur Bewertung von Assistenzfunktionen in einem Fahrsimulator, auf einem Testgelände und im realen Straßenverkehr gegeben.
6.4.1 Bewertung von Sicherheitssystemen am Fahrsimulator Viele Auffahrunfälle und Kollisionen mit schwächeren Verkehrsteilnehmern könnten durch eine Ausnutzung des technisch-physikalischen Verzö-
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gerungspotenzials verhindert bzw. in ihrer Schwere gemindert werden. Aus der Unfallursachenforschung ist bekannt, dass viele dieser Auffahrunfälle auf folgende menschliche Faktoren zurückgeführt werden können: der Fahrer reagiert in einer kritischen Situation zwar schnell aber zu zaghaft der Fahrer schätzt die Verkehrssituation falsch ein (z. B. die Verzögerung des Vorausfahrers) und reagiert zu spät der Fahrer reagiert z. B. aufgrund von Ablenkung gar nicht. Da sich zur reproduzierbaren Darstellung von Notsituationen der Fahrsimulator am besten eignet, wurden dort 1992 umfangreiche Probandenversuche zum Fahrerverhalten in kritischen Situationen durchgeführt. Ein Ergebnis war, dass die Mehrzahl der Versuchspersonen zwar schnell, aber oft nicht kraftvoll genug aufs Bremspedal tritt. Die typische Reaktion zeigt Bild 6-2: Da das Anfordern der maximalen Verzögerung für die meisten Autofahrer ungewohnt ist, wird mit zügiger Betätigung des Bremspedals zunächst eine hohe aber für kritische Situationen nicht ausreichende Verzögerung bewirkt. Wenn sich diese eingestellt und als unzureichend erwiesen hat, treten die Fahrer nach – oft ist das aber schon zu spät für eine Vermeidung des Unfalls. Diese Erkenntnis führte zur Erfindung und Entwicklung des Bremsassistenten [8], der aus der Geschwindigkeit, mit der das Bremspedal betätigt wird, auf das Vorliegen einer Notsituation schließt und innerhalb von Sekundenbruchteilen die maximale Bremskraftverstärkung aufbaut. In umfangreichen nachfolgenden Studien wurden die Grenzen der „normalen“ Bremspedalbetätigungsge-
Bild 6-2 Bremsverhalten in kritischen Situationen
59
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
schwindigkeit ermittelt, um Auslöseschwellen für diese Assistenzfunktion festzulegen, die bei hoher Wirksamkeit in tatsächlich kritischen Fahrsituationen auch bei sportlicher Fahrweise keine falschen Auslösungen ergeben. Die Wirksamkeit dieser Technik ist inzwischen auch durch Auswertungen repräsentativer Unfalldaten bestätigt worden: Eine vom Statistischen Bundesamt zur Verfügung gestellte, anonymisierte und repräsentative 50 %-Stichprobe aller Unfälle mit Personen- und schwerem Sachschaden wurde ausgewertet, um Effekte der Einführung des Bremsassistenten (BAS) zu ermitteln. Es zeigt sich, dass die auf die Anzahl der zugelassenen Fahrzeuge bezogene Unfallquote für Auffahrunfälle seit der serienmäßigen Einführung des BAS um 8 % zurückging (Bild 6-3). Dieses 1996 eingeführte System kann jedoch nicht nur Auffahrunfälle verhindern, sondern auch einen wirksamen Beitrag zum Fußgängerschutz leisten. Das zeigte eine weitere Untersuchung mit unabhängigen Stichproben im Fahrsimulator. Die untersuchten Szenarien wurden aus dem realen Unfallgeschehen abgeleitet: Eine Auswertung von GIDAS-Daten zeigte, dass 74 % aller Kollisionen mit Fußgängern bei Geschwindigkeiten bis zu 50 km/h stattfinden [9]. In 89 % aller Fälle ereignen sich die Unfälle bei Geradeausfahrt. So wurde zum Nachweis der unfallvermeidenden Wirkung des BAS
ein typisches Szenario im Simulator dargestellt: 55 Autofahrerinnen und Autofahrer fuhren mit Tempo 50 durch eine Ortschaft, als plötzlich – aufgrund von Gegenverkehr schwierig wahrzunehmen – ein Kind auf die Fahrbahn lief. Dabei wurde die Möglichkeit zum Ausweichen bewusst eingeschränkt, um vorrangig Aussagen zum Bremsverhalten zu erhalten. Gefahren wurde mit einer C-Klasse (BR 203), variiert wurde die Verfügbarkeit des BAS. Die hinsichtlich der Versuchsziele nicht informierten Probanden lösten zu 65 % den Bremsassistenten aus, was zu dem zentralen Testergebnis führte: Die Unfallquote lag bei verfügbarem Bremsassistenten mit 26 % um 32 Prozentpunkte niedriger als ohne BAS (58 %). Bei Auslösung des BAS konnte der Unfall immer verhindert werden. Auch dieser im Fahrsimulator gefundene Effekt wurde durch Daten des realen Unfallgeschehens bestätigt: Nach Einführung des BAS als Teil der Serienausstattung für PKWs von Mercedes-Benz ging der Anteil der schweren Unfälle an allen Fußgängerunfällen mit 13 % deutlich zurück (Bild 6-4). Zu weiteren Bewertungen der Effekte anhand von Unfalldaten siehe [10] und [11]. Radarbasierte Bremsassistenz Im Jahr 2005 wurde bei Mercedes-Benz als Ergänzung zum BAS der sog. BAS PLUS eingeführt, ein erweiterter Bremsassistent, der mithilfe von radar-
Bild 6-3: Verursachte Auffahrunfälle je 10 000 neu zugelassener Fahrzeuge
60
6 Bewertungsverfahren von Fahrerassistenzsystemen
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Bild 6-4: Anteil der Unfälle mit Getöteten und Schwerverletzten an allen Unfällen beim Überschreiten der Fahrbahn
basierten Abstandsinformationen die Fahrerbremsung situationsgerecht verstärkt. Ist der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug zu gering, leuchtet ein rotes Warnsymbol auf. Droht ein Auffahrunfall, so ertönt außerdem ein akustisches Signal des Abstandswarnsystems, das damit den Autofahrer zunächst bei der Einschätzung der Gefahrensituation unterstützt. Zusätzlich steht die zur Vermeidung einer Kollision berechnete Bremskraftunterstützung auch dann unmittelbar zur Verfügung, wenn der Autofahrer nicht kräftig genug auf das Bremspedal tritt und eine Kollisionsgefahr besteht. Der Bremsdruck wird dabei fortlaufend, je nach Geschwindigkeit und Abstand, den Erfordernissen der Situation entsprechend eingeregelt, man spricht hierbei von einer Zielbremsung auf das erkannte
Objekt. Dabei wird aus Rücksicht auf den folgenden Verkehr nicht mehr Bremskraft zur Verfügung gestellt als in der jeweiligen Situation nötig. Nur falls erforderlich, erhöht das System die Bremskraft bis zur Vollbremsung. Zur Analyse der Wirksamkeit eignet sich auch hier der Fahrsimulator am besten, da die Bewältigung von drei im realen Verkehrsgeschehen besonders häufigen Unfallsituationen reproduzierbar jeweils mit und ohne BAS PLUS untersucht werden sollte (der konventionelle BAS stand allen 110 Probanden jederzeit zur Verfügung): In zwei Situationen verschärfte sich die Verzögerung des Vorausfahrenden, sodass sich aus einer zunächst harmlosen Verzögerung eine Vollbremsung entwickelte (Tabelle 6-1). In einer weiteren Situation wechselte
Tabelle 6-1: Szenarien zur Bewertung eines radarbasierten Bremsassistenten Nr. Straßentyp
Geschwindigkeit
Ausgangsabstand Szenario zum Vorfahrer
1
Autobahn
130 km/h
1,45 – 1,55 s
Fahrt auf der linken Fahrbahn, ein Fahrzeug schert von der rechten Fahrspur direkt vor das Fahrzeug des Probanden
2
Autobahn
130 km/h
1,45 – 1,55 s
Folgefahrt: Vorausfahrer bremst 0,7 s lang mit 1 m/s2 und erhöht die Verzögerung dann auf 8,5 m/s2
3
Landstraße
80 km/h
1,45 – 1,55 s
Folgefahrt: Vorausfahrer bremst 1,0 s lang mit 1 m/s2 und erhöht dann die Verzögerung auf 9,0 m/s2
61
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung Tabelle 6-2: Situationsbewältigung in Abhängigkeit von der Brems-Unterstützung (110 Versuchspersonen) Situation
Unfallquote
Mit BAS
Mit BAS PLUS
1
20 %
4%
30 km/h
19 km/h
2
55 %
19 %
60 km/h
45 km/h
3
44 %
6%
46 km/h
26 km/h
Mit BAS
Aufprallgeschwindigkeit Mit BAS PLUS
ein Fahrzeug plötzlich von der Nebenspur direkt vor das Fahrzeug der Probanden. In allen Situationen zeigte sich die größere unfallvermeidende Wirkung des vorausschauenden BAS PLUS: Situation 1 mit dem sehr plötzlich (bei einer auf das Störfahrzeug bezogenen Time to collision = 2 s) auftretenden Hindernis (Einscherer) führt bei den meisten Probanden zum Auslösen des konventionellen Bremsassistenten und damit bei 80 % zum unfallfreien Bewältigen der Situation. Mit BAS PLUS bleiben 96 % unfallfrei. Die beiden anderen Situationen mit der für den Fahrer schwieriger wahrzunehmenden Entwicklung einer Notbremssituation zeigen noch größere Verbesserungen durch den radarbasierten Bremsassistenten: Hier sinken die Unfallquoten von 55 bzw. 44 % auf nur noch 19 bzw. 6 %. Über alle betrachteten Situationen ergibt sich eine Verringerung der Unfall-
quote im Vergleich zwischen BAS (44 %) und BAS PLUS (11 %) um 75 %. Daneben wird auch der die Unfallschwere mildernde Effekt deutlich: Auch wenn sich mit BAS PLUS eine Kollision nicht vermeiden ließ (zu späte Bremsreaktion des Fahrers), so ist doch die Aufprallschwere deutlich niedriger (Tabelle 6-2). Da aus der Praxis bekannt ist, dass Autofahrer in kritischen Momenten nicht immer reagieren, beispielsweise weil sie abgelenkt sind, wurde als nächste Assistenzfunktion eine autonome Teilbremsung eingeführt. Die zeitliche Analyse einer typischen Auffahrsituation zeigt, wie die Assistenzsysteme eine unfallträchtige Situation erkennen, den Autofahrer warnen, ihn unterstützen oder bei akuter Gefahr selbst eingreifen (Bild 6-5). Die autonome Teilbremsung (PRE-SAFE®-Bremse) ist im Geschwindigkeitsbereich von 30 bis 200 km/h aktiv
Bild 6-5: Zeitlicher Ablauf der Unterstützung in einer Situation mit Auffahrunfall-Gefahr
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6 Bewertungsverfahren von Fahrerassistenzsystemen
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Bild 6-6 Ablenkungs-Szenario auf einer Landstraße
und kann ebenso wie BAS PLUS im Geschwindigkeitsbereich bis ca. 70 km/h auch bei Annäherung an als relevant erkannte, stehende Objekte mit einer Bremsunterstützung bzw. -aktivierung reagieren. Die autonome Teilbremsung kann auf zweierlei Weise Wirkung entfalten: Abgelenkte Autofahrer können wieder aufmerksam und zum sofortigen Reagieren veranlasst werden, um den Unfall zu verhindern. Dabei unterstützen auch Bremsassistent PLUS (baut sofort den für die Fahrsituationen berechneten Bremsdruck auf) und ESP® (stabilisiert das Fahrzeug beim schnellen Ausweichen). Ist der Zusammenstoß unvermeidbar, kann die autonome Teilbremsung dazu beitragen, die Kollisionsgeschwindigkeit und damit die Unfallfolgen zu verringern. Die Wirksamkeit der autonomen Teilbremsung wurde in einem Versuch mit 70 Autofahrerinnen und Autofahrern am Fahrsimulator von Daimler bewertet. Die besondere Herausforderung für dieses Versuchskonzept bestand darin, mit der Teilbremsung die letzte Stufe in einer Kette von Assistenzfunktionen – nach Warnung und konventionellem bzw. radarbasiertem BAS PLUS – zur Geltung bringen zu können. Dazu mussten die Probanden so stark abgelenkt werden, dass eine Nichtbeachtung der Warnungen wahrscheinlich wurde. Realisiert wurde nach mehreren wenig erfolgreichen Versuchen mit anderen Ablenkungen wie z. B. der zeitgesteuerten Auslösung einer Nebenaufgabe (Wechseln einer CD) oder einer kognitiven Nebenaufgabe (Rechenaufgabe) ein einfaches Unfallszenario auf der Gegenfahrspur einer Landstraße (Bild 6-6). Am linken Fahrbahnrand stehende Fahrzeuge, die dort verunglückt waren, sorgten zusammen mit Fußgängern auf der Straße und einem Polizeifahrzeug sehr wirksam für eine kurze Ablenkung. Genau in diesem Moment bremste das vorausfahrende Auto – zuerst nur leicht, dann plötzlich mit einer Vollbremsung.
Die Mehrzahl der Testteilnehmer (53 %) reagierte so schnell auf die optischen und akustischen Warnungen, dass der Unfall mit Unterstützung des Bremsassistenten PLUS verhindert werden konnte. 17 % der Testteilnehmer reagierten erst aufgrund der autonomen Teilbremsung und traten selbst so schnell aufs Bremspedal, dass der Unfall mithilfe von PRE-SAFE®-Bremse und Bremsassistent PLUS verhindert wurde. 30 % der Autofahrer waren durch die Szene auf der Gegenfahrbahn so stark abgelenkt, dass nicht rechtzeitig gebremst wurde. In diesen Fällen bewirkte die autonome Teilbremsung eine deutliche Verringerung der Aufprallgeschwindigkeit und damit der Unfallschwere: Die Aufprallgeschwindigkeit verringerte sich durch die autonome Teilbremsung von durchschnittlich 45 auf 35 km/h. Das bedeutet eine um 40 % reduzierte Crash-Energie und damit ein deutlich vermindertes Verletzungsrisiko für Fahrer und Beifahrer. Zur Abschätzung der unfallmildernden Wirkung dieses Systems im realen Verkehrsgeschehen hat der ADAC in eigenen Tests die Geschwindigkeitsreduktion durch die autonome Teilbremsung in Versuchen auf dem Testgelände gemessen und die Auswirkungen auf den Insassenschutz in Schlittenversuchen bewertet. Bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h führte die autonome Fahrzeugreaktion auf ein stehendes Hindernis im Durchschnitt zu einer Verringerung der Kollisionsgeschwindigkeit auf 37,5 km/h. Die Auswirkungen auf den Insassenschutz sind in [12] und [13] beschrieben.
6.4.2 Bewertung einer Sicherheitsfunktion in Versuchen auf einem Testgelände Wie bereits erwähnt besteht eine Ursache für Auffahrunfälle im verspäteten menschlichen Erkennen einer Vollbremsung des Vorausfahrenden. Zur bes-
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
seren Erkennung von Notbremsungen und damit zur Verkürzung der Reaktionszeit des Fahrers kann auch das rückwärtige Signalbild genutzt werden. Als Alternativen bieten sich das Zuschalten des Warnblinkers und das schnelle Blinken der Bremsleuchten an. Zur vergleichenden Bewertung der Wirkung dieser neuen Ansätze unter so realitätsnahen Bedingungen wie versuchstechnisch möglich wurden Versuche auf einem Testgelände durchgeführt [14]. Die Aufgabe der 40 Probanden bestand darin, einem vorausfahrenden Fahrzeug in einem Abstand von 50 m zu folgen. Die Abstandshaltung wurde in einer Eingewöhnungsphase ausreichend geübt. Nach mehreren unkritischen Fahrmanövern löste der Experte im vorausfahrenden Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h eine BASBremsung aus. Die Reaktionszeit des Probanden (Zeit zwischen der Ansteuerung der Bremsleuchten beim Vorfahrer und dem Betätigen des Bremspedals beim Probanden) wurde durch telemetrische Datenübertragung bestimmt. Untersucht wurden neben dem konventionellen Bremslicht auch zwei neue Signalbilder: die Auslösung des Warnblinkers sowie die Auslösung schnell blinkender Bremsleuchten. Zur Normierung der im Versuch erhobenen Reaktionszeiten wurde für jeden Probanden nach dem Versuch das individuelle Reaktionsvermögen bewertet. Im stehenden Fahrzeug mussten die Probanden das Bremspedal betätigen, sobald
die Bremsleuchten eines im Abstand von 40 m stehenden Fahrzeugs aufleuchteten. Aus fünf Wiederholungen wurde eine individuelle Reaktionszeit gemittelt, die zwischen 0,3 s und 0,75 s lag; der häufigste Wert betrug 0,4 s. Ausgewertet wurden die normierten Reaktionszeiten (Reaktionszeit im Versuch – mittlere Reaktionszeit im Stand). Bild 6-7 zeigt die Mittelwerte mit Standardabweichung im Vergleich. Blinkende Bremsleuchten führten zu signifikant schnelleren Reaktionen als konventionelle Bremsleuchten und Warnblinker. Der Vorteil einer um 0,2 s früheren Reaktion wird deutlich in einer Betrachtung des Anhaltewegs: Aus der Testgeschwindigkeit von 80 km/h verkürzt er sich dank blinkender Bremsleuchten beim Vorfahrer um 4,40 m. Basierend auf diesen Ergebnissen wurde das sog. Adaptive Bremslicht bei Mercedes-Benz eingeführt, das bei Notbremsungen blinkende Bremsleuchten und zusätzlich bei Notbremsungen bis in den Stillstand die automatische Auslösung der Warnblinker umfasst. Die Kriterien für Notbremsungen wurden aus Feldversuchen abgeleitet (Bild 6-8). Unterhalb von 150 km/h müssen zur Aktivierung 7,5 m/s2 erreicht werden. Bei höheren Geschwindigkeiten wurde eine linear fallende Aktivierungsschwelle realisiert, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Autofahrer mit zunehmender Fahrgeschwindigkeit schwächer verzögern.
Bild 6-7: Reaktionszeiten auf verschiedene Signalbilder bei einer Vollbremsung des vorausfahrenden Fahrzeugs auf einem Testgelände (Mittelwerte und Standardabweichung), die Unterschiede zwischen den beiden Ausprägungen des blinkenden Bremslichts und dem konventionellen Signalbild sind statistisch signifikant.
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6 Bewertungsverfahren von Fahrerassistenzsystemen
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Bild 6-8: Bereiche der Verzögerung in Abhängigkeit von der Fahrgeschwindigkeit (Daten aus Feldversuchen mit 48 Probanden über 94 000 km in Deutschland und 96 Probanden über 89 000 km in den USA, beide mit Fahrzeugen der Mercedes-Benz Baureihe 220), dargestellt sind jeweils Minimum, 25. Perzentil, Median, 75. Perzentil und Maximum, Ausreißer/Extremwerte werden hier nicht dargestellt, die Linie stellt die Auslöseschwelle für das Adaptive Bremslicht dar.
6.4.3 Bewertung von Assistenzfunktion in Versuchen im realen Straßenverkehr Mit ACC wurden 1999 erstmalig selbsttätig bremsende und beschleunigende Assistenzsysteme eingeführt. Damit ergaben sich einerseits neue Potenziale für den Entlastungskomfort, andererseits ist die erstmalige und weltweite Einführung einer solchen Innovation auch mit Produkthaftungsrisiken verbunden. Zur Bewertung des Nutzungsverhaltens und der Auswirkungen des Abstandsregeltempomaten von Mercedes-Benz (DISTRONIC) auf die Fahr- und Konditionssicherheit wurden 1998–1999 bei Daimler umfangreiche Feldversuche in Deutschland und in den USA durchgeführt. 140 interne Probanden (sämtlich Nicht-Entwickler) nutzten jeweils ein Fahrzeug für eine Dauer von 3 bis 7 Tagen. Mit einer Flotte von insgesamt 15 speziell ausgerüsteten Fahrzeugen wurden knapp 200 000 Kilometer mess-
technisch dokumentiert. Die mittlere Fahrleistung der Probanden betrug in Deutschland 1960 km, in den USA 927 km. Dabei wurden fahrdynamische und systembezogene Größen kontinuierlich aufgezeichnet. Zusätzlich wurden ereignisgesteuerte Videoaufnahmen zur genaueren Situationsanalyse herangezogen. Für viele Betrachtungen wurden die Phasen der Nutzung von DISTRONIC verglichen mit den Phasen, die ohne System gefahren wurden. Dabei wurden die unmittelbar auf das Ende einer DISTRONIC-Phase folgenden 12 Sekunden noch zur Nutzungsphase gerechnet, um eventuell durch die Systemnutzung induzierte Situationsveränderungen dem System anzurechnen. Das System wurde bezogen auf die gefahrene Strecke in den USA noch stärker genutzt als in Deutschland (42 vs. 32 %). Es konnte anhand der Versuchsdaten nachgewiesen werden, dass die Nutzung des ACC nicht mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit potenziell kritischer Fahrsituati-
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
Bild 6-9: Bereiche der maximalen Beschleunigung und Verzögerung in Abhängigkeit von der Fahrgeschwindigkeit und der Nutzung eines ACC (Daten aus Feldversuchen mit 140 Probanden in Deutschland und in den USA)
onen einhergeht. Vielmehr zeigen sich bei eingeschalteter DISTRONIC niedrigere Maximalwerte für Beschleunigung und Verzögerung und somit Voraussetzungen für eine gleichmäßigere Fahrweise als ohne das System (Bild 6-9). Zudem vergrößerte sich bei den deutschen Probanden der Abstand zwischen 70 und 110 km/h im Durchschnitt um 29 % bei Fahrt mit aktivierter DISTRONIC. In den USA bewirkte das Assistenzsystem, dass sich der Abstand im Mittel um 13 bis 25 % vergrößerte. Mit der Einführung der zusätzlichen Nahbereichs-Radarsensoren konnte der Funktionsumfang von ACC deutlich erweitert werden. Seitdem kann das System zwischen 0 und 200 km/h den Fahrer unterstützen und dabei auch „Stop&Go“Situationen abdecken. In einer vergleichbaren Versuchsreihe wurde das Mercedes-Benz-System „DISTRONIC PLUS“ wieder in Feldversuchen in Deutschland und den USA bewertet. Mit über 200 Probanden wurden über 450 000 Testkilometer messtechnisch dokumentiert. Die im Vergleich zum bisherigen System deutlich stärkere Nutzung spiegelt die Weiterentwicklung wider: In Deutschland wurden jetzt 51 %, in den USA 42 % der Fahrstrecke mit aktiviertem System gefahren (Bild 6-10). Auch bezüglich der Sicherheit ergeben sich bei der Nutzung dieses Komfortsystems vorteilhafte
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Effekte: Der mittlere minimale Abstand liegt bei aktivem System in allen Geschwindigkeitsbereichen z. T. deutlich über den Werten bei Fahrt ohne aktiviertes System (Bild 6-11).
Quellenverzeichnis [1] Breuer, J.: Fahrerassistenzsysteme: Vom Tempomat bis zum Notbremsassistenten. In: Technischer Kongress 2007 Verband der Deutschen Automobilindustrie VDA. Frankfurt: VDA 2007 [2] Eckstein, L.: Souveräne Interaktion mit Fahrerassistenzsystemen. In: Technischer Kongress 2008 Verband der Deutschen Automobilindustrie VDA. Frankfurt: VDA 2008 [3] Bortz, J.: Lehrbuch der Statistik für Human- und Sozialwissenschaftler. Berlin u. a.: Springer 2005 [4] Laurig, W.; Luttmann, A.: Planung und Durchführung von Feldstudien. In: Rohmert, W.; Rutenfranz, J. (Hrsg.): Die Bedeutung von Feldstudien für die Arbeitsphysiologie. Festkolloquium aus Anlaß des 75. Geburtstags von Herbert Scholz, Dortmund 10. Juni 1987. Dokumentation Arbeitswissenschaft Bd. 17, Köln: Dr. Otto Schmidt 1988 [5] Bubb, H.: Wie viele Probanden braucht man für allgemeine Erkenntnisse aus Fahrversuchen? In: Landau, K.; Winner, H.: Fahrversuche mit Probanden – Nutzwert und Risiko. Fortschr.-Ber. VDI Reihe 12 Nr. 557. Düsseldorf: VDI 2003
6 Bewertungsverfahren von Fahrerassistenzsystemen
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Bild 6-10: Vergleich der auf die Fahrstrecke bezogenen Nutzung verschiedener ACC-Systeme (Daten aus Feldversuchen mit 140 Probanden für DISTRONIC und 200 Probanden für DISTRONIC PLUS)
Bild 6-11: Minimaler Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug in Abhängigkeit von der Fahrgeschwindigkeit und der Nutzung eines ACC (Daten aus Feldversuchen mit 60 Probanden über 124 000 km in Deutschland) [6] Schlender, D.: Simulatorkrankheit in Fahrsimulatoren. Zeitschrift für Verkehrssicherheit 54 (2) 2008, S. 74–80 [7] Breuer, J.; Käding, W.: Contributions of Driving Simulators to Enhance Real World Safety. In: Proceedings Driving Simulation Conference – Asia/Pacific 2006. Tsukuba: National Institute of Advanced Industrial Science and Technology 2006 [8] Kiesewetter, W.; Klinkner, W.; Reichelt, W.; Steiner, M.: The New Brake Assist of Mercedes-Benz. Active Support in Emergency Braking Situations. In: Pauwelussen, J. P. (Hrsg.): Vehicle Performance. Tayler & Francis 1999
[9] Unselt, T.; Breuer, J.; Eckstein, L.: Fußgängerschutz durch Bremsassistenz. (Pedestrian Protection via Brake Assistance). In: Proceedings of „Tagung Aktive Sicherheit durch Fahrerassistenzsysteme“, Technische Universität München, 11.–12.03.2004 [10] Page, Y.; Foret-Bruno, J.-Y.; Cuny, S.: Are expected and observed effectiveness of emergency brake assist in preventing road injury consistent? ESV Paper Number 05-0268 [11] Kassaagi, M.; Bouslimi, W.; Val, C.; Bersac, J-M.; Moessinger, M.; Page, Y.: Effectiveness of emergency brake assist in rear-end accident scenarios FISITA F2006D062
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung [12] ADAC: Der Crashbeweis: Die denkende Bremse hilft. motorwelt 12 2006, S. 42–43 [13] Schöneburg, R.: Potenzialbewertung von präventiven Insassenschutzsystemen. In: Technischer Kongress 2007 Verband der Deutschen Automobilindustrie VDA. Frankfurt: VDA 2007 [14] Unselt, T.; Beier, G.: Safety Benefits of Advanced Brake Light Design. In: Gesellschaft für Arbeitswissenschaft (GfA), International Society for Occupational Ergonomics and Safety (ISOES), Federation of European Ergonomics Societies (FEES): International Ergonomics Conference. Munich, May 7th – 9th, 2003
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A 7 EVITA – Das Prüfverfahren zur Beurteilung von Jens Hoffmann, Hermann Winner Antikollisionssystemen 7.1 Einleitung Bei der Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen (FAS) für die Vermeidung von Unfällen sind geeignete Testmethoden für das Erzeugen von Bewertungen erforderlich. Für eine größtmögliche Übertragbarkeit der Versuche sind realitätsnahe und repräsentative Szenarien darzustellen. Dabei gilt bisher, dass eine Vergrößerung der Realitätsnähe mit einer enormen Vergrößerung des Aufwands einhergeht. Die Test methoden mit Probanden für in kritischen Situationen unterstützende FAS müssen vor allem sicher für die beteiligten Versuchspersonen, aber auch reproduzierbar sein. Da bisher geeignete Verfahren fehlen, stellt dieser Test von Antikollisionssystemen in kritischen Situationen eine große Herausforderung dar. Bei der Entwicklung von Systemen zur Kollisionsvermeidung oder Kollisionsminderung sind sowohl die Wirksamkeit als auch die Akzeptanz durch den Nutzer zu bewerten. Die Forderung nach einer hohen Wirksamkeit leitet sich ab aus dem Bestreben, die Zahl der Verletzten und Getöteten zu reduzieren. Die Akzeptanz und somit auch die Entscheidung zum Kauf von Antikollisionssystemen sind vom Nutzer abhängig. Aufgrund der Gefahren bei der Erzeugung von realen Auffahrunfällen werden Untersuchungen bisher hauptsächlich im Fahrsimulator durchgeführt. Mit EVITA (Experimental Vehicle for Unexpected Target Approach) wird ein Mess- und Bewertungsverfahren für Antikollisionssysteme im realen Fahrversuch mit Probanden vorgestellt. Damit liegt eine Methode vor, mit der die Güte von Antikollisionssystemen beurteilt wird.
7.2 Bisher bekannte Testverfahren Im Folgenden werden bekannte Testmethoden für das Testen von Antikollisionssystemen während Realfahrten dargestellt. Die in diesem Kapitel beschriebenen Methoden vereint, dass fahrzeugbezogene Daten zur Wirkung und Funktion von Frontalkollisionsgegenmaßnahmen unter Einbeziehung von Probanden ermittelt werden können. Dazu werden kritisch erscheinende Situationen dargestellt, ohne jedoch die Versuchsbeteiligten wirklich zu gefährden.
Kassaagi et al. [1] beschreiben ein Verfahren zum Testen von Bremsassistenten (BAS) mit Probanden: Hinter einem Zugfahrzeug befindet sich ein leichter, flacher Anhänger, ähnlich einem offenem Einachser mit Pritsche. Während der Folgefahrt wird der Anhänger – überraschend für den Probanden im Folgefahrzeug – abgebremst. Durch die Reaktion des Probanden im Folgefahrzeug wird eine Kollision vermieden. Die wichtigste Bewertungsgröße ist die Kraft, mit der der Proband das Bremspedal betätigt. DaimlerChrysler [2] verwendet ein Testverfahren für Radarsysteme, bei dem an einem vorausfahrenden Fahrzeug ein seitlicher Ausleger montiert ist. Das Folgefahrzeug fährt auf dem Fahrstreifen hinter dem Ausleger. Entsteht durch das Bremsen des vorausfahrenden Fahrzeugs eine Kollisionsgefahr, schwenkt der Ausleger kurz vor einem Aufprall nach oben, um das Fahrzeug passieren zu lassen. Beim APIA-Demonstrator (Active Passive Integration Approach) von Continental-Teves [3] kommt das gleiche Verfahren zur Anwendung: An einem Rahmen ist ein Fahrzeugheck als Ausleger befestigt. Diese Vorrichtung klappt per Federvorspannung, ausgelöst durch einen Bediener, bei einem drohenden Aufprall nach oben. Von Bock et al. [4] wird das Augmented Reality (AR)-Testverfahren „Vehicle in the loop“ beschrieben. Auf dem Testgelände werden dem Fahrer die Kollisionspartner per Head-MountedDisplay (HMD) eingespielt. Das Testgelände ist zur genauen Positionsbestimmung des Fahrzeugs mit GPS-Sendern ausgestattet. Über ein System zur Bestimmung der Kopfposition im Fahrzeug und weiteren Verarbeitungseinheiten wird dem Fahrer ein künstlich erzeugtes Bild zur Überlagerung der realen Szenerie dargeboten. Das künstlich erzeugte Bild enthält die Kollisionspartner. Jansson [5] beschreibt ein Verfahren zum Darstellen von Kollisionsmanövern mit vorausfahrenden Fahrzeugen. Dazu wird das Heck des vorausfahrenden Fahrzeugs durch einen aufblasbaren Ballon dargestellt. Bei einer Untersuchung von Schmitt et al. [6] wird eine Folgefahrsituation mit zwei Fahrzeugen und einem plötzlichen Bremsmanöver erzeugt. Der vorausfahrende herkömmliche PKW wird von einem hochtrainierten Fahrer bewegt. Shutko [7] beschreibt ein Verfahren zum Ermitteln der Reaktionszeiten bei LKW-Fahrern. Bei der
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Bild 7-1: EVITA (bestehend aus Zugfahrzeug und Dummy Target)
Vorbeifahrt an einer engen Stelle wird hinter einer Wand ein Gegenstand (Fass) auf die Straße vor den LKW gerollt. Bestimmt wird die Anzahl der Kollisionen mit der Tonne. Im Kooperationsprojekt PRORETA (s. Kapitel 41) von drei Instituten der TU Darmstadt und Continental kamen ein seitlich gezogenes schaumstoffgefülltes Fahrzeugheck sowie ein aus einer feststehenden Tonne seitlich herausschnellender Luftschlauch zur Anwendung [8]. Dargestellt wurden plötzliche Einschermanöver vorausfahrender Fahrzeuge und Varianten eines autonomen Lenkeingriffs im Versuchsfahrzeug zum Vermeiden einer Kollision. Einen weiteren Überblick über Testverfahren geben die Kapitel 5 und 8 sowie [9].
7.3 Das Dummy Target EVITA Für in kritischen Situationen agierende FAS ist kein universell einsetzbares, einfaches Testverfahren für Realfahrten bekannt, bei dem Probanden ohne Einschränkungen eingesetzt werden können. In zwei Forschungsprojekten in Kooperation mit Honda R&D Deutschland und der Forschungsinitiative „Aktiv“ wurden verschiedene Ausprägungen von Antikollisionssystemen entwickelt und bewertet. Für die Durchführung des Entwicklungsprozesses ist eine eigene Bewertungsmethode mit einem top-down-Ansatz abgeleitet worden.
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7.3.1 Ziele Das Ziel der Entwicklung war eine Methode und ein Werkzeug für die Bewertung von Antikollisionssystemen im Längsverkehr. Die Anforderungsliste sah vor, die Bewegungsgrößen eines vorausfahrenden Fahrzeugs aus der stationären Kolonnenfahrt mit einem unerwarteten Bremsmanöver darstellen zu können. Das Risiko für die Probanden durfte bei dem zu entwickelnden Testverfahren nicht höher ausfallen als bei anderen üblichen Fahrversuchsverfahren. Weiteres Ziel bei der Entwicklung von EVITA war es, die minimale Beeinflussung der Probanden durch das Werkzeug zu erreichen, weshalb Wert auf eine größtmögliche Übereinstimmung der Heckansicht mit einem herkömmlichen Personenkraftwagen gelegt wurde. Die Forderung nach der größtmöglichen Übereinstimmung der Heckansicht mit einem bekannten Fahrzeug öffnet neben der Durchführung von Probandenversuchen auch die Nutzung für die Entwicklung und Bewertung von Sensorkonzepten für Antikollisionssysteme.
7.3.2 Konzept Das realisierte Konzept besteht aus der Kombination eines Zugfahrzeugs, einem Anhänger und einem auffahrenden Fahrzeug. Während einer stationären Folgefahrt bremst der Anhänger (Dummy Target genannt) für den im Versuchsfahrzeug sitzenden
7 EVITA – Das Prüfverfahren zur Beurteilung von Antikollisionssystemen
Probanden überraschend ab. Unabhängig davon, ob der Proband auf das Manöver rechtzeitig reagiert oder nicht, wird der Anhänger aktiv aus dem Kollisionsbereich gezogen. Bild 7-1 zeigt das Gespann.
7.3.3 Aufbau Im Heck des Zugfahrzeugs befindet sich eine Seilwinde mit einer reibkraftschlüssigen Windenbremse und einem Elektromotor. Der Anhänger ist mit dem Zugfahrzeug nur über das Seil der Winde verbunden. Das andere Ende des Seils ist an der Achsschenkellenkung der Vorderachse des Anhängers befestigt. Die Scheibenbremsen des Anhängers werden hydraulisch via Handbremshebel von einem Elektromotor betätigt. Im hinteren Bereich des Anhängers befindet sich das originale Heck der Mercedes A-Klasse. An diesem Heck ist ein Radarsensor befestigt. Im Zugfahrzeug und im Anhänger befinden sich Rechner, die durch Funkmodems miteinander verbunden sind. Als Grundgerüst für das Dummy Target dient eine Gitterrohrrahmenkonstruktion mit vier Einzelradaufhängungen eines
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Quads. Der große Nachlauf der Vorderachse sorgt für einen ruhigen Geradeauslauf. In einem feuchtigkeitsgeschützten Gehäuse befindet sich der lüfterlose Rechner zusammen mit dem Funkmodem, der Energieversorgung und der Bremsensteuerung. Die Bremsleuchten der Heckansicht sind funktionstüchtig. Die Gesamtmasse des Dummy Target beträgt 200 kg. Bild 7-2 zeigt eine Übersicht über die Komponenten des Dummy Target.
7.3.4 Versuchsablauf Im Ausgangszustand ist der Anhänger hinter dem Zugfahrzeug kurzgekoppelt. Wird vom am Anhängerheck montierten, rückwärtig messenden Radar ein Fahrzeug (target object) in passendem Versuchsabstand detektiert, kann das Gesamtsystem für eine Versuchsdurchführung aktiviert werden. Ein Befehl des Bedieners im Zugfahrzeug öffnet die Bremse der Seilwinde und betätigt die Bremsen des Anhängers. Das Zugfahrzeug fährt während dieses Vorgangs mit konstanter Geschwindigkeit weiter. Durch das Bremsen des Dummy Target wickelt
Bild 7-2: Komponenten des Dummy Target
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sich das Seil der Winde ab. Während der Anhänger verzögert, berechnet die Verarbeitungseinheit des Abstandssensors permanent die Time-To-Collision (TTC). Die TTC ist ein aus Abstand und Relativgeschwindigkeit gebildetes Kriterium: TTC
d [TTC] = s vrel
(7.1)
Dabei gibt d den Abstand in [m] zum vorausfahrenden Objekt und v die Relativgeschwindigkeit in [m/s] an. Unterschreitet die TTC einen festgelegten Wert, schließt die Seilwindenbremse im Zugfahrzeug, und der Anhänger beschleunigt auf das mit konstanter Ausgangsgeschwindigkeit fahrende Zugfahrzeug. Die Beschleunigung des Anhängers dauert bei maximaler Differenzgeschwindigkeit ca. 1 s. Nach Beendigung des Versuchs bremst das gesamte Gespann bis zum Stillstand ab.
7.3.5 Leistungsdaten Die Leistungsdaten von EVITA zeigt Tabelle 7-1. Tabelle 7-1: Leistungsdaten EVITA Maximale Differenzgeschwindigkeit zwischen auffahrendem Fahrzeug und EVITA
50 km/h
Maximale Bremsverzögerung von EVITA
9 m/s2
Kleinste TTC vor einem Versuchende
0,8 s
Übliche Testgeschwindigkeiten (Ausgangsgeschwindigkeit)
50–80 km/h
7.4 Messkonzept im Versuchsfahrzeug Mit der ausgewählten Methodik erfolgt die Messung zur Güte von Frontalkollisionsgegenmaßnahmen unabhängig vom Werkzeug EVITA. Das Messkonzept zur Bestimmung der definierten Bewertungskriterien ist vollständig im Versuchsfahrzeug umgesetzt, welches mit einem Antikollisionssystem ausgestattet ist. Eine Umfeldsensorik klassifiziert die vorausfahrende EVITA als relevantes Zielobjekt. Objektgrößen wie beispielsweise Abstand, Relativgeschwindigkeit und Relativbeschleunigung werden zur Bestimmung der TTC. Über eine Bedi-
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enschnittstelle werden von einem Versuchsbegleiter Einstellungen zur Steuerung von Frontalkollisionsgegenmaßnahmen vorgenommen. Das Fahrzeug verfügt über ein Messtechniksystem zur kombinierten Erfassung von CAN- und Kameradaten. Drei Kameras beobachten den Fahrer. Die erste Kamera ist auf das Vorfeld des Fahrzeugs gerichtet. Sie ermöglicht im Zusammenhang mit den Radar-Daten eine zuverlässige Interpretation der Situation. Die zweite Kamera ist vom Kombiinstrument aus auf das Gesicht des Fahrers gerichtet. Dadurch ist u. a. eine Zuordnung der Blickrichtung des Fahrers möglich. Die dritte Kamera ist auf die Pedalerie des Fahrzeugs fokussiert. Dies ermöglicht die Analyse der Fußbewegungen des Fahrers und die Bestimmung von Aktionszeiten, wie beispielsweise die Umsetzzeit vom Gaspedal auf das Bremspedal. Die Wiederholungsrate für jedes der drei Einzelbilder liegt bei 20 m/s. Dasselbe Messsystem zeichnet die CANDaten auf, sodass eine zeitliche Zuordnung von Bildern und Signalen gegeben ist. Als CAN-Daten stehen die üblichen Fahrzeugdaten wie Geschwindigkeit, Quer- und Längsbeschleunigung, Daten des vorausfahrenden Objekts sowie Daten aus der Benutzung des Fahrzeugführers wie Lenkradwinkel, Bremspedalbetätigung und weitere zur Verfügung.
7.5 Gefährdungen von Versuchsteilnehmern Zur Bestimmung potentieller Systemfehlfunktionen wurde eine System-FMEA durchgeführt und daraus Maßnahmen für den sicheren Betrieb abgeleitet. Während jeder Versuchsdurchführung laufen automatisierte Sicherheitsprüfroutinen ab. Wird ein Fehler erkannt, wird das System in einen sicheren und stabilen Zustand überführt. Das Sicherheitsniveau wird durch das automatisierte Auslösen einer Notbremsung im folgenden Versuchsfahrzeug beim Erreichen einer TTC von 0,7 s zusätzlich erhöht. Die für die Durchführung der Versuche eingestellte, minimal erreichbare TTC durch eine kollisionsvermeidende Aktion von EVITA liegt bei 0,8 s (siehe Tabelle 7-1). Wird eine TTC kleiner als 0,8 s erreicht, so muss von einer Fehlfunktion von EVITA ausgegangen werden. Sollte eine Kollision trotz aller Vorkehrungen unvermeidbar sein, wird aufgrund der geringen Masse des Dummy Target kein Schaden für Versuchspersonen erwartet.
7 EVITA – Das Prüfverfahren zur Beurteilung von Antikollisionssystemen
7.6 Bewertungsmethode Mit EVITA liegt das Werkzeug zum Erzeugen von kritischen Unfallsituationen vor. Im Folgenden wird eine der Hauptbewertungsgrößen zur Beurteilung der Güte von Antikollisionssystemen beschrieben.
7.6.1 Wirksamkeit eines Antikollisionssystems Als objektive Beurteilungsgröße für die Wirksamkeit eines Antikollisionssystems (speziell von Frontalkollisionsgegenmaßnahmen) wird die Verringerung der Geschwindigkeit des Ego-Fahrzeugs vor dem Aufprall herangezogen. Dieses Kriterium stimmt mit dem generellen Ziel von Antikollisionssystemen überein, entweder die Aufprallgeschwindigkeit zu reduzieren, oder die vollständige Vermeidung des Aufpralls zu erreichen. Je höher die Verringerung der Geschwindigkeit, desto wirksamer ist das Antikollisionssystem. Neben der objektiven Wirksamkeit wird die von den Probanden beurteilte subjektive Wirksamkeit definiert. Diese per Fragebogen ermittelte Größe wird als Vergleich zwischen verschiedenen Ausprägungen von Frontalkollisionsgegenmaßnahmen durch das Bilden einer Rangfolge definiert.
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7.6.2 Probandenversuch Eine Erkenntnis aus in-depth studies ist, dass viele Fahrzeugführer vor einem Auffahr unfall abgelenkt sind [10]. Daher werden die Probanden des auffahrenden Versuchsfahrzeugs kurz vor einer Abbremsung von EVITA mit einer Nebenaufgabe zu einer länger als 2 s dauernden Blickabwendung verleitet. Durch den im Versuchsfahrzeug sitzenden Bediener wird während der Blickabwendung des Probanden die Auslösung der kritischen Auffahrsituation ausgelöst. Der Proband wird anschließend beim Erreichen einer vordefinierten TTC-Schwelle beispielsweise von den Warnelementen des Antikollisionssystems alarmiert. Bild 7-3 zeigt idealisiert den Geschwindigkeitsverlauf des Versuchsfahrzeugs über der Zeit. Erkennbar sind die Ablenkung des Probanden und die Bremsung des Dummy Target. Beim Erreichen der kritischen Schwelle wird beispielsweise eine Alarmierung des Fahrers oder ein sonstiger Eingriff ausgegeben. Typischerweise folgen dann eine Blickzuwendung durch den Probanden auf die Situation vor dem Ego-Fahrzeug und der Bremsbeginn.
7.6.3 Beurteilungszeitraum Für die Standardisierung der Methode wird dem Probanden über eine zusätzliche Anzeige im Kom-
Bild 7-3: Idealisierter Versuchsablauf als Geschwindigkeitsverlauf über der Zeit des Versuchsfahrzeugs
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
biinstrument ein zulässiger Abstand zur vorausfahrenden EVITA vorgegeben. Ist der Abstand zu groß oder zu gering, wird dem Fahrer eine rote Ampel angezeigt. Liegt der Abstand im Bereich von 20 bis 25 m, so leuchtet die Ampel grün. Nur in diesem Fall wird ein Versuch durch die Abbremsung von EVITA ausgelöst. Für die Beurteilung der Wirksamkeit wird ein Beurteilungszeitraum festgesetzt. Der Zeitraum beginnt mit dem Zeitpunkt des Auslösens einer Warnung oder eines Fahrzeugeingriffs. Er endet zum Zeitpunkt eines gedachten, ungebremsten Aufpralls des Versuchsfahrzeugs auf das vorausfahrende, ununterbrochen bremsende Dummy Target. Dieser Aufprall ist „gedacht“, da von EVITA automatisch eine Kollision vermieden wird. Der Endzeitpunkt wird in Abhängigkeit des TTC-Algorithmus und der Auslöseschwelle in einem ungebremsten Eichversuch ohne Proband bestimmt. Für eine typische Warnung mit dem TTC-Algorithmus beträgt der Betrachtungszeitraum 2 s. Die Warnschwelle wurde unter Kenntnis von Warnzeitpunkten bekannter Frontalkollisionsgegenmaßnahmen definiert. So können Warnelemente sowohl miteinander als auch mit autonomen Bremseingriffen verglichen werden. Zur Bestimmung der Wirksamkeit wird die Geschwindigkeit des Probandenfahrzeugs zu Beginn
und am Ende des Beurteilungszeitraums gemessen und die Geschwindigkeitsdifferenz v gebildet. Bild 7-4 zeigt den Beurteilungszeitraum.
7.6.4 Vergleiche von Antikollisionssystemen Das einheitliche Bewertungsverfahren ist Grundlage für den Vergleich verschiedener Ausprägungen von Frontalkollisionsgegenmaßnahmen. Für die Bewertung werden mit einem entsprechend geteilten Kollektiv von Probanden Testfahrten unter Berücksichtigung verschiedener Ausprägungen durchgeführt. Der Vergleich der über alle Probanden gemittelten Geschwindigkeitsreduktionen im Beurteilungszeitraum gibt die Wirksamkeit der Varianten wieder. Eine Beurteilung der absoluten Wirksamkeit eines Antikollisionssystems ist durch die Verwendung einer so genannten Baseline zu erreichen. Dabei wird ein Teil des Probandenkollektivs ohne einen Eingriff des Antikollisionssystems mit der kritischen Situation konfrontiert und beispielsweise die Geschwindigkeitsdifferenz bestimmt. Für die Bewertung der Wirksamkeit des Antikollisionssystems ist nur der erste Versuch des Probanden eine unbeeinflusste Basis. Bei allen weiteren Versuchen hat der Proband trotz einer
Bild 7-4: Idealisierter Versuchsablauf als Geschwindigkeitsverlauf über der Zeit des Versuchsfahrzeugs mit Beurteilungszeitraum und Geschwindigkeitsdifferenz
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7 EVITA – Das Prüfverfahren zur Beurteilung von Antikollisionssystemen
lückenhaften Vorinformation über den eigentlichen Zweck der Versuche den Versuchsgegenstand einer überraschenden Notsituation verstanden, er gilt als voreingenommen. Der Bewertung der Akzeptanz durch den Fahrer kommt bei der Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen mittlerweile eine große Beachtung zu [11]. Die weiteren Versuche nach der ersten Notsituation eignen sich zum Erzeugen weiterer Erkenntnisse, wie etwa dem Umgang mit Fehlwarnungen oder den vergleichenden Probandeneinschätzungen zu Varianten von Antikollisionssystemen. Die Einschätzung von Probanden zur erlebten Situation und zur Bewertung von Fahrerwarnelementen wird mit Fragebögen erhoben. Der Auswertung dieser Fragebögen werden Hinweise zur Gestaltung von Fahrerwarnelementen entnommen.
7.7 Ergebnisse Es wurden umfangreiche Versuche mit einer Anzahl von rund 250 Probanden durchgeführt. Für die Übertragung der Erkenntnisse auf die Realität kommt der Evaluierung des Versuchsaufbaus eine große Bedeutung zu. Die Auswertung der Versuche zeigt, dass sich bei gewöhnlicher Folgefahrt keine Auffälligkeiten im Fahrverhalten der Probanden erkennen lassen, die auf den Versuchsaufbau zurück zu führen sind. Bestätigt wird diese Erkenntnis durch die per Fragebögen erhobene Einschätzung der Probanden. Somit ist das Ziel, keine negative Beeinflussung der Probanden durch den Versuchsaufbau zu erhalten, erreicht. Ein Teil der Ergebnisse zu den untersuchten Fahrerwarnelementen finden sich in Kapitel 24. Es zeigt sich im Versuch, dass eine Warnung mit einem Reifenquietschen aus dem Kombiinstrument und ein Bremsruck signifikant besser sind als keine Warnung (Baseline). Eine autonome Teilverzögerung ist hochsignifikant wirksamer, als die Baseline. Ergebnisse aus der Anwendung der Methode finden sich in [12], [13], [14], [15], [16], [17].
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[3] ATZ System Partners 2003, Continental Teves, S. 30 [4] Bock, Th.; Maurer, M.; van Meel, F.; Müller, T.: Vehicle in the Loop. Ein innovativer Ansatz zur Kopplung virtueller mit realer Erprobung, ATZ 01/2008, S. 10ff. [5] Jansson, J.: Collision avoidance theory with applications to automotive collision mitigation, Dissertation Nr. 950, Linköping University, Sweden, 2005 [6] Schmitt, J.; Breu, A.; Maurer, M.; Färber, B.: Simulation des Bremsverhaltens in Gefahrensituationen mittels experimentell validiertem Fahrermodell, VDI-Berichte Nr. 2015, 2007, S. 78 [7] Shutko, J.: An Investigation of Collision Avoidance Warnings on Brake Response Times of Commercial Motor Vehicle Drivers, Master’s thesis, VirginiaTech, Blacksburg, 1999 [8] Bender, E.; Darms. M.; Schorn, M.; Stählin, U.; Isermann, R.; Winner, H.: Antikollisionssystem PRORETA – Auf dem Weg zum unfallvermeidenden Fahrzeug, ATZ 04/2007 [9] Winner, H.; Hoffmann, J.; Regh, F.: Aktive Sicherheit – Funktionstestverfahren für FKGM, Safety Update, Aschaffenburg, April 2008 [10] NHTSA Report 2001 [11] Bubb, H.: Fahrversuche mit Probanden – Nutzwert und Risiko, Darmstädter Kolloquium Mensch & Fahrzeug, Darmstadt, 2003 [12] Hoffmann, J.; Winner, H.: EVITA – Die Prüfmethode für Antikollisionssysteme, 5. Workshop Fahrerassistenzsysteme, Walting, April 2008 [13] Hoffmann, J.; Winner, H.: EVITA – Das Untersuchungswerkzeug für Gefahrensituationen, 3. Tagung aktive Sicherheit durch Fahrerassistenz, Garching, April 2008 [14] Winner, H.; Fecher, N.; Hoffmann, J.; Regh, F.: Bewertung von Frontalkollisionsgegenmaßnahmen – Status Quo, Integrated Safety, Hanau, Juli 2008. [15] Fecher, N.; Fuchs, K.; Hoffmann, J.; Abendroth, B.; Bruder, R.; Winner, H.: Fahrerverhalten bei aktiver Gefahrenbremsung, Automobiltechnische Zeitschrift, 11/2008 [16] Hoffmann, J.; Winner, H.: EVITA – The testing method for collision warning and collision avoidance systems, FISITA 2008, F2008-12-019 [17] Fecher, N.; Fuchs, K.; Hoffmann, J.; Bruder, R.; Winner, H.: Analysis of the driver behavior in autonomous emergency hazard braking situations, FISITA 2008, F2008-02-030
Quellenverzeichnis [1] Kassaagi, M.; Bouslimi, W.; Val, C.; Bersac, J.-M.; Moessinger, M.; Page, Y.: Laboratory of Accidentology, Biomechanics and studies of human behavior, PSA: Effectiveness of Emergency Brake Assist in Rear-End Accident Scenarios, FISITA 2006 (F2006D062), S. 3, 5 [2] Hightechreport, DaimlerChrysler, 1/2005, S. 56f.
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A 8 Bewertung von Fahrerassistenzsystemen mittels der Thomas Bock Vehicle in the Loop-Simulation Mit der Vehicle in the Loop-Simulation hat Audi eine Test- und Simulationsumgebung für Fahrerassistenzsysteme entwickelt, welche die Vorzüge eines realen Versuchsfahrzeugs mit der Sicherheit und Reproduzierbarkeit von Fahrsimulatoren kombiniert. Virtueller Fremdverkehr, Straßenbegrenzungen oder sonstige simulierte Gegenstände werden durch ein „Optical see through Head Mounted Display“ während der Fahrt realitätsnah und kontaktanalog für den Fahrer eingeblendet. Besonders bei der Erprobung aktiver Fahrerassistenzsysteme eröffnen sich durch das Konzept des virtuellen Fremdverkehrs im realen Versuchsfahrzeug neue Möglichkeiten.
8.1 Motivation Die starke Zunahme der Fahrzeugkomplexität, getrieben durch den zunehmenden Einzug der Regelsysteme und deren Vernetzung ins Fahrzeug, die gestiegene Variantenvielfalt und den höheren Individualisierungsgrad, wäre ohne Simulationsunterstützung nicht mehr in der gewünschten Qualität umsetzbar. Die Verfügbarkeit und Qualität von Simulationsmethoden und deren Prozessintegration wird damit zu einer „conditio sine qua non“ und außerdem zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor [1].
Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die virtuelle Entwicklung die Hardware nicht komplett ersetzen kann, sondern komplementär und unterstützend zu dieser eingesetzt wird. Die sinnvolle Ergänzung von virtuellen sowie physischen Modellen und Methoden, integriert im Produktprozess, ist demnach die Herausforderung an die Eigenschaftsentwicklung im heutigen Gesamtfahrzeug. „Das Beste aus zwei Welten“ ist damit ein wesentlicher Erfolgsfaktor für einen effizienten, transparenten und qualitativ guten Produktprozess (vgl. Bild 8-2) [2]. Bild 8-3 zeigt einen Auszug der eigenschaftsprägenden Regelfunktionen im Fahrwerk, die bereits in die heutigen Produkte Einzug gehalten haben. Viele davon sind adaptiv, d. h. Kennlinien und Einstellungen verändern sich mit den Fahrzuständen. Die daraus entstehende Vielfalt an Einstellungsmöglichkeiten und deren Rückwirkungen auf das Fahr- und Funktionsverhalten ist ohne Simulationsunterstützung nicht mehr erprobbar.
8.2 Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen Systeme zur Verbesserung der Fahrsicherheit stellen ein wichtiges Entscheidungskriterium beim Neuwagenkauf dar und werden zu einem immer wichtigeren Umsatz- und Ertragsträger für den Automo-
Bild 8-1: Augmented Reality (AR)-Darstellung im Vehicle in the Loop
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8 Bewertung von Fahrerassistenzsystemen mittels der Vehicle in the Loop-Simulation
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Bild 8-2: Verknüpfung von virtueller und physischer Erprobung als Erfolgsfaktor [2]
Bild 8-3: Geregelte Fahrwerks- und Fahrerassistenzsysteme
bilsektor [3]. Während im klassischen Bereich der passiven Fahrsicherheit nur noch kleine Fortschritte mit verhältnismäßig hohem Aufwand erzielt werden können, lassen sich mit Systemen zur aktiven Sicherheit deutlich mehr Potenziale ausschöpfen. Ein aktuelles Forschungs- und Entwicklungsthema stellen autonom intervenierende Assistenz-
systeme dar, welche Unfälle vermeiden (Collision Avoidance) oder Unfallfolgen mindern (Collision Mitigation) sollen. Da derartige Systeme teilweise auch ohne explizite Handlung des Fahrers in die Fahrdynamik eines Fahrzeugs eingreifen, sind die Anforderungen an die Funktionssicherheit und Zuverlässigkeit der Einzelsysteme sowie deren
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
Bild 8-4: Entwicklungstrend ACC – Audi braking guard – Automatische Notbremse
Bild 8-5: Vehicle in the Loop – Kopplung von Simulator und Realfahrzeug
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8 Bewertung von Fahrerassistenzsystemen mittels der Vehicle in the Loop-Simulation
Interaktion mit bereits bestehenden Fahrzeugsystemen besonders hoch. Mit der gestiegenen Komplexität dieser Systeme ändern sich auch die Anforderungen an die bis zur Entwicklung der Serienreife benötigten Test- und Simulationswerkzeuge. Aktuelle und künftige Assistenzsysteme können mit etablierten Methoden oft nur eingeschränkt oder überhaupt nicht erprobt werden. Der derzeit vertretbare Auslösezeitpunkt einer automatischen Notbremsung liegt beispielsweise in einem sehr kurzen Zeitfenster unmittelbar vor einer Kollision [4]. Deshalb erweist sich der reproduzierbare und vor allem sichere Test für den Versuchsfahrer derartiger Sicherheitssysteme bisher als sehr schwierig (vgl. Bild 8-4). Fahrerassistenzsysteme, die in kritischen Verkehrssituationen unterstützen, erfordern eine Erprobung und Absicherung unter nahezu realen Verkehrsbedingungen. Zum aktuellen Stand der Technik gehören Fahrsimulatoren, Verkehrsflusssimulationen und Erprobungsfahrzeuge, die mit Ersatzobjekten wie z. B. Schaumstoffwürfeln kollidieren. Die derzeit verfügbaren Testwerkzeuge (einen Überblick gibt Bild 8-5) erfüllen die Forderungen nach einer realistischen, reproduzierbaren, sicheren und zugleich Ressourcen schonenden Testumgebung allerdings nur eingeschränkt.
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8.3 Vehicle in the Loop Anhand der bekannten Testmethoden zur Absicherung von Collision Mitigation- und AvoidanceSystemen wird die Notwendigkeit einer alternativen Testmöglichkeit offensichtlich. Diese muss analog zu Fahrsimulatoren eine sichere, reproduzierbare und Ressourcen schonende Testumgebung darstellen. Allerdings können selbst komplexe Bewegungssysteme die reale Fahrzeugdynamik nur begrenzt abbilden [5]. Der Ansatz des Vehicle in the Loop-Prüfaufbaus beruht daher auf der Kopplung des realen Testfahrzeugs mit einer virtuellen Verkehrsumgebung, um die Vorteile beider Verfahren zu vereinen. Der virtuelle Fremdverkehr wird dem Fahrer durch ein „Optical see through Head Mounted Display“ während der Fahrt realitätsnah und kontaktanalog auf einer realen Straße eingeblendet. Durch die Anwendung der Augmented Reality-Technologie bleibt die reale Umwelt (z.B. Fahrbahn, Straßenbebauung) für den Fahrer weiterhin voll sichtbar. Der Vehicle in the Loop-Prüfaufbau ermöglicht somit eine Funktionserprobung von Fahrerassistenzsystemen direkt in einem Fahrzeug, welches sich allerdings nicht im realen Verkehr bewegt, sondern auf Freiflächen oder abgesperrten Straßen wie z.B. auf einem Prüfgelände.
Bild 8-6: Systemarchitektur Vehicle in the Loop
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
Mithilfe von Sensormodellen ist es möglich, dass Fahrerassistenzfunktionen auf den virtuellen Fremdverkehr reagieren und somit die Funktion realistisch aber ungefährlich für Mensch und Maschine erprobt werden kann. Besondere Vorteile ergeben sich bei der Entwicklung von Assistenzsystemen wie etwa einer Notbremsfunktion, da auch fehlende Auslösungen des Systems aufgrund eines virtuell vorausfahrenden Fahrzeugs sicher und reproduzierbar untersucht werden können.
8.3.1 Verkehrssimulation und Visualisierung In Bild 8-6 wird der Systemaufbau des Vehicle in the Loop-Prüfaufbaus gezeigt [6]. Die Verkehrssimulation ist so konzipiert, dass mithilfe unterschiedlicher Trigger reproduzierbare Spurwechsel-, Brems- und Beschleunigungsmanöver des simulierten Fremdverkehrs hervorgerufen werden können. Die Auslösetrigger für diese Manöver können entweder relativ zu anderen Verkehrsteilnehmern (somit auch zum eigenen Versuchsfahrzeug) oder durch Überfahren einer absoluten Ortsposition ausgelöst werden. Der Fremdverkehr kann sich auch autonom fortbewegen, wobei hier
die Längs- und Querdynamik eines Normalfahrers nachempfunden wird.
8.3.2 Positionierung des Versuchsträgers in der Verkehrssimulation Zur Darstellung des richtigen Streckenausschnitts in der Verkehrssimulation muss die Position des Versuchsfahrzeugs auf der Prüfstrecke genau bestimmt werden. Dies erfolgt mithilfe einer Inertialsensorplattform mit DGPS-Anbindung. Falls die Anzahl der sichtbaren Satelliten oder das Funksignal zum Versuchsfahrzeug für die DGPS-Korrekturdaten abreißt, wird die Position des Versuchsfahrzeugs durch die Inertialsensorplattform weitergeführt. Alle Signale zur Fahrzeugposition und den Fahrzuständen werden auf einen eigenen CAN-Bus geschrieben und stehen somit der Simulation zur Verfügung.
8.3.3 Einbindung des Fahrers mithilfe von Augmented Reality Der Fahrer kann nicht gleichzeitig das gesamte Fahrzeugumfeld, so wie es in der Simulation vor-
Bild 8-7: Head Mounted Display und Headtracker im Vehicle in the Loop
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8 Bewertung von Fahrerassistenzsystemen mittels der Vehicle in the Loop-Simulation
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Bild 8-8: Augmented Reality-Darstellung des Vehicle in the Loop-Prüfaufbaus
handen ist, wahrnehmen; er ist auf sein persönliches Sichtfeld beschränkt. Dementsprechend muss sich die Visualisierung auf dieses natürliche Sichtfeld beschränken. Das Sichtfeld ändert sich laufend mit der Kopfposition des Fahrers. Nur der jeweils der Kopfposition des Fahrers entsprechende Ausschnitt aus der Verkehrssimulation darf im Head Mounted Display gezeigt werden. Die Qualität des Vehicle in the Loop-Prüfaufbaus hängt entscheidend von der exakten Übereinstimmung dieses realen Sichtfelds mit dem eingeblendeten, simulierten Verkehr ab. Die hierfür notwendige Positions- und Richtungsbestimmung des Fahrerkopfes erfolgt durch einen Headtracker, welcher seitlich über der Beifahrertür montiert ist. Die Simulation errechnet aus den eingehenden Daten für die Kopf- und Fahrzeugposition bzw. -lage (aus Headtracker und Inertialsensorblock) eine Visualisierung der Verkehrsszene aus der Fahrerperspektive. Damit der Fahrer des Versuchsfahrzeugs die visualisierte Verkehrsszene räumlich interpretieren kann, wurde die Bildebene/-abstand (Virtual Image Distance) des Head Mounted Displays auf 10 m festgelegt, da ab diesem Abstand überwiegend die monokularen Tiefenhinweise dominieren. Durch diese Tiefenhinweise können auch größere Distanzen zum Fremdverkehr glaubwürdig vermittelt werden. In Bild 8-8 ist eine Augmented Reality-Darstellung des Vehicle in the Loop zu sehen, in der das Versuchsfahrzeug des Vehicle in the Loop-Prüfaufbaus einem virtuellen Fahrzeug auf der Dynamikfläche (links) bzw. auf dem Handlingkurs (rechts) des Prüfgeländes folgt. Um dieses Bild zu erhalten, wurde eine Videokamera ins Head Mounted Display integriert, welche die Szene während der Fahrt mitfilmt. Neben dem virtuellen Fremdverkehr sind auf der Dynamikfläche zusätzlich virtuelle Fahrspuren eingeblendet, da auf der Dynamikfläche kein vorgegebener Fahrbahnverlauf vorhanden ist.
Auf dem Handlingkurs wird auf die Darstellung der virtuellen Fahrspuren verzichtet, da sich der Fahrer an den realen Fahrspuren orientieren kann.
8.3.4 Sensormodelle Der Vehicle in the Loop-Prüfaufbau wird für die Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen eingesetzt, welche auf Umfeldsensorik basieren. Naturgemäß können reale Umfeldsensoren keine Objekte eines virtuellen Verkehrsumfelds erfassen. Daher sind entsprechende Sensormodelle zur Abbildung der Sensorfunktion erforderlich. In einem ersten Schritt wurde hierzu ein Radar- und Videosensormodell entwickelt. Es wird dazu das Verhalten der realen Sensorik unter Nachbildung der physikalischen Zusammenhänge in einem Softwaremodell abgebildet. Die Kommunikation erfolgt nach einem definierten Protokoll, in welchem u. a. Positions- und Zustandsdaten des simulierten Fremdverkehrs vom Simulationsrechner übertragen werden. Da das Sensormodell auf Basis idealer Fremdverkehrpositionsdaten aus der Verkehrssimulation arbeitet, mussten zusätzlich die typischen Störgrößen und Messunsicherheiten realer Sensoren statistisch ausgewertet und entsprechend in das Sensormodell eingebunden werden. Insbesondere wurden der Erfassungsbereich, die x/y-Abweichung und das Trennfähigkeitsvermögen für unterschiedliche Verkehrsteilnehmer (PKW, LKW, Motorrad) erfasst und durch mathematische Fehlergleichungen modelliert.
8.4 Gesamtarchitektur des Vehicle in the Loop Im Bild 8-9 wird zusammenfassend die Gesamtarchitektur des Vehicle in the Loop-Prüfaufbaus vor-
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
Bild 8-9: Funktionale Architektur des Vehicle in the Loop-Prüfaufbaus
gestellt. Die Positions- und Lagedaten des Versuchsfahrzeugs und des Fahrerkopfes werden während des Betriebs an eine Verkehrssimulationssoftware übergeben. Zusätzlich muss im Vorfeld der exakte Streckenverlauf der zu befahrenden Straße in einer Streckenbibliothek hinterlegt und ebenfalls an die Verkehrssimulationssoftware übergeben werden. Die Verkehrssimulation berechnet aus den Eingangsdaten die Position und Ausrichtung des Versuchsfahrzeugs auf der befahrenen Straße und die Positionsdaten des virtuellen Fremdverkehrs. Die Verkehrssituation wird mithilfe eines „optical see through Head Mounted Displays“ in Abhängigkeit der Kopfposition und -orientierung für den Fahrer visualisiert. Mithilfe von Sensormodellen, welche als Eingangsdaten die Positions- und Lagedaten des Fremdverkehrs und des eigenen Versuchsfahrzeugs von der Verkehrssimulation erhalten, werden Eingangsdaten für das Fahrerassistenzsystem geschaffen. Wird beispielsweise eine Automatische Notbremse auf ein simuliertes Fahrzeug ausgelöst, hat dies einen Eingriff in den Fahrer-FahrzeugUmwelt-Regelkreis zur Folge. Durch das Einlesen neuer Fahrzeug- und Fahrerkopfpositions- und
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Lagedaten wird der Vehicle in the Loop-Regelkreis geschlossen.
8.5 Validierung des Vehicle in the Loop Mithilfe einer Studie mit 36 Probanden wurde überprüft, inwieweit der Vehicle in the Loop-Aufbau als Tool für Entwicklungsingenieure dienen kann. Eine entscheidende Rolle spielt dabei, neben technischen Messdaten, die subjektive Wahrnehmung des Fremdverkehrs durch den Fahrer. Hieraus leitet sich direkt die Anforderung an den Vehicle in the Loop ab, dass der Fahrer den Verkehr möglichst realistisch wahrnehmen muss. Somit stand im Fokus der Studie zu prüfen, ob das Fahrverhalten der Probanden bei den Versuchen mit virtuellem Vorderfahrzeug dem Verhalten bei einem realen Vorderfahrzeug gleicht. Die Überprüfung dieser Anforderung erfolgte auf Basis zweier Datenquellen. Zum einen konnte ein Fragebogen Aufschluss über die subjektive
8 Bewertung von Fahrerassistenzsystemen mittels der Vehicle in the Loop-Simulation
Wahrnehmung des simulierten Verkehrs und das Zusammenspiel der Simulation mit den kinematischen Fahreigenschaften geben. Zum anderen ließen sich bei definierten Fahrmanövern Erkenntnisse aus dem Vergleich der Fahrerreaktionen auf simulierten und realen Verkehr gewinnen. Hierzu wurden objektive Daten der beiden Fahrten (realer/ simulierter Verkehr) aufgezeichnet und miteinander verglichen. Die Studie hat gezeigt, dass der Vehicle in the Loop-Prüfaufbau als zukünftiges Entwicklungstool geeignet ist. Die Simulation des virtuellen Fremdverkehrs durch den Vehicle in the Loop und dementsprechend auch das Fahrgefühl bei den Versuchen ist sehr realitätsnah. Die Versuchspersonen zeigten bei den Fahrten mit virtuellem Vorderfahrzeug vergleichbares Fahrverhalten wie im realen Versuch. Sie konnten sich vorstellen, mit dem Vehicle in the Loop als Entwicklungswerkzeug zu arbeiten und waren von der Möglichkeit, kritische Fahrmanöver realitätsnah darstellen zu können, überzeugt. Eine kurze Trainingsphase von ca. 15 Minuten war ausreichend, um mit dem System Vehicle in the Loop vertraut zu werden. Bei häufiger Benutzung dieses Systems gewöhnt sich der Benutzer schnell an die verbaute Messtechnik und an das Tragen des Head Mounted Displays. Das aus herkömmlichen Fahrsimulatoren bekannte Problem der Simulatorkrankheit, auch Motion Sickness genannt, wird durch das Vehicle in the Loop-System im Augmented Reality-Modus vermieden [7].
8.6 Ausblick Der Einsatz virtueller Entwicklungstechniken stellt heute einen wesentlichen Erfolgsfaktor in der Produktentwicklung dar. Dadurch können frühzeitig Fahrzeugeigenschaften ermittelt werden, die noch vor Aufbau der ersten Prototypen zu einem höheren Reifegrad der Fahrzeuge führen. Neben der Reduktion der Entwicklungszeit und -schleifen werden virtuelle Entwicklungsmethoden als Absicherungswerkzeuge für die immer weiter steigende Komplexität und Variantenvielfalt intensiv genutzt. Zukünftig wird es im Entwicklungsprozess der Automobilindustrie auch wichtig sein, bei der Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen eine durchgängige und abgestimmte Toolkette aus Software in the Loop (SIL), Hardware in the Loop (HIL), Vehicle in the Loop (VIL) und dem Realtest zu definieren, deren Einzelkomponenten perfekt aufeinander abgestimmt, deren Einsatzspektren aber auch klar von einander abgegrenzt sind. Durch
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diese durchgängige Toolkette werden Schnittstellenanpassungen verringert, wodurch ein Potenzial für Entwicklungszeit- und Aufwandsreduktion entsteht. Die virtuelle Entwicklung wird die konventionelle Entwicklung nie vollständig verdrängen. Andererseits stößt die konventionelle Entwicklung bereits an die Grenzen ihrer Machbarkeit. Es gilt deshalb, eine sinnvolle und unternehmerisch wirtschaftliche Ergänzung beider Methoden zu suchen.
Quellenverzeichnis [1] Bock, T.; Maurer, M.; van Meel, F.; Müller, T.: Vehicle in the Loop – Ein innovativer Ansatz zur Kopplung virtueller mit realer Erprobung, Automobiltechnische Zeitschrift (ATZ), Ausgabe 01/2008, GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 [2] Dick, M.: Einsatz virtueller Techniken in der Audi Produktentwicklung, 11. Automobiltechnische Konferenz – Virtual Vehicle Creation, Stuttgart 2007 [3] Oertel, K.: Zukunftsmarkt Assistenzsysteme, Automotive Electronics+Systems, Carl Hanser Verlag, Vol. 11/12 – 2004 [4] Kopischke, S.: Entwicklung einer Notbremsfunktion mit Rapid Prototyping Methoden, Dissertation, Technische Universität Carolo Wilhelmina zu Braunschweig 2000 [5] Bock, T.; Siedersberger, K.-H.; Zavrel, M.; Breu, A.; Maurer, M.: Simulations- und Testumgebung für Fahrerassistenzsysteme – Vehicle in the Loop, Erprobung und Simulation in der Fahrzeugentwicklung – Mess- und Versuchstechnik, VDI-Berichte 1900, 2005 [6] Bock, T.; Maurer, M.; Färber G.: Vehicle in the Loop (VIL) – A new simulator set-up for testing Advanced Driving Assistance Systems. Driving Simulation Conference, Iowa City, USA 2007 [7] Bock, T.: Vehicle in the Loop – Test- und Simulationsumgebung für Fahrerassistenzsysteme. AUDI Dissertationsreihe, Band 10, Cuvillier Verlag, Göttingen 2008
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A 9 Einflüsse von Fahrerassistenzsystemen auf die Systemarchitektur im Kraftfahrzeug Günter Reichart, Jürgen Bielefeld 9.1 Einleitung Die Komplexität der Systeme bei modernen, hoch ausgestatteten Fahrzeugen hat ein hohes Niveau erreicht. Auch in Zukunft werden Innovationen im Kraftfahrzeug vermehrt nur über hochvernetzte und komplexe Systeme zu realisieren sein. Dies gilt in besonderem Maße für das Gebiet der Fahrerassistenz. Aufgrund der Nutzung von sensorisch erfasster Information über die Fahrumgebung, fahrzeuglokaler Daten und der Nutzung der bereits im Fahrzeug verbauten Aktorik sind Fahrerassistenzsysteme geradezu ein Synonym für verteilte hochvernetzte Funktionen. Umfang und Qualität der sensorisch erfassbaren Information und ihre Interpretation bestimmen den Funktionsumfang und die Komplexität der jeweiligen Assistenzfunktion wesentlich. Die technische Sensorik, z. B. Radar oder Kamerasysteme, nutzt gleiche oder ähnliche Information wie der Fahrer. Es wird allerdings auch auf längere Sicht keine Sensorik geben, die die Gesamtheit der Wahrnehmungsleistungen des Menschen und seine Fähigkeit der Interpretation dieser Daten in unterschiedlichen Kontexten erreicht. In einzelnen Aspekten sind technische Sensoren aber durchaus der menschlichen Wahrnehmung überlegen, wie beispielsweise bezüglich Daueraufmerksamkeit, Geschwindigkeitsbestimmung bewegter Objekte oder aufgrund von Empfindlichkeit in anderen Wellenlängenbereichen als der des menschlichen Auges. Insbesondere die Verknüpfung der Sensorinformationen, die so genannte Sensorfusion, bietet ein hohes Potenzial, den Fahrer zu entlasten und die Fahrsicherheit zu erhöhen bzw. kritischen Fahrsituationen vorzubeugen. Durch die Sensorfusion wird die Qualität der Interpretation von mit technischer Sensorik erfassten Daten deutlich erhöht. Hierzu sind Entscheidungen über die Fusionsebene wie Rohdaten, aufbereitete oder interpretierte Daten zu treffen sowie geeignete Fusionsarchitekturen im Fahrzeug vorzusehen (siehe Kapitel 17). In einigen Situationen kann ein auf Sensordaten beruhender Eingriff technischer Systeme der Einschätzung und Reaktion des Fahrers überlegen sein. In diesen Fällen ist eine autonome Reaktion eines Fahrerassistenzsystems und damit eine Automatisierung der Fahrzeugführung oder -stabilisierung möglich. Generell muss aber sehr sorgfältig abgewogen werden, wann ein autonomer Eingriff eines
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technischen Systems erfolgen sollte und wie weit die Automatisierung von Fahraufgaben getrieben werden kann. Dementsprechend reicht das Spektrum von Fahrerassistenzsystemen von informierenden über warnende und aktiv unterstützende, aber übersteuerbare Systeme bis hin zu eingreifenden, nicht übersteuerbaren Systemen. Fahrerassistenzsysteme führen entweder Regelungsvorgänge zum Beschleunigen, Verzögern oder Lenken des Fahrzeugs aktiv aus, oder aber sie liefern Informationen und Warnhinweise, die der Fahrer selbst in die Anpassung der von ihm gewählten Führungsgrößen umsetzt. Mit zunehmender Vielfalt der Funktionen wird ein geeignetes Systemmanagement, das die konkurrierenden Eingriffe von Funktionen situationsgerecht priorisiert, immer dringlicher. Der Schlüssel zur Beherrschung der dadurch weiter steigenden Systemkomplexität liegt in der Systemarchitektur des Fahrzeugs. Sie entscheidet letztlich darüber, inwieweit Maßnahmen der Komplexitätsbeherrschung wie Hierarchisierung, Modularisierung oder Standardisierung zum Tragen kommen können. In modernen Fahrzeugen wie etwa im Siebeneroder Fünfer-BMW sind in der Vollausstattung über 60 elektronische Steuergeräte unterschiedlicher Zulieferer an der Bereitstellung der Gesamtfunktionalität beteiligt, siehe Abbildung 9-1. Die Integration der Hard- und Softwarekomponenten zu einem verlässlichen Gesamtsystem stellt heute eine sehr hohe Herausforderung mit einem erheblichen Aufwand dar, der die lineare Fortsetzung des Hinzufügens von neuen Funktionen mit weiteren Steuergeräten in den bestehenden Systemarchitekturen, allein aus Gründen des Packages, kaum mehr zulässt. Eine Funktionsintegration auf wenige hochleistungsfähige Steuergeräte wird hier oft als Ausweg angesehen. Die Realisierung von neuen Funktionen durch Verteilung auf das bestehende Steuergerätenetzwerk ist zwar durchaus ein sinnvoller Weg, löst das Komplexitätsdilemma allein aber nicht. Die Komplexität der Datenvernetzung wird hierdurch zwar entlastet, jedoch führt die Integration zur weiteren, keineswegs leichter zu beherrschenden Steigerung der Komplexität auf der Komponentenseite. Die Probleme werden hier neben hoher Komplexität der Software insbesondere in die Beherrschung des Wärmehaushalts, Stromverbrauchs, der Aufbautechniken und des Packages verlagert. Die damit einhergehenden Fragen zur
9 Einflüsse von Fahrerassistenzsystemen auf die Systemarchitektur im Kraftfahrzeug
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Bild 9-1: Systemarchitektur im derzeitigen BMW Siebener
Sicherstellung der Funktionsverfügbarkeit führen zu stark steigenden Anforderungen an die Zuverlässigkeit solcher hoch integrierten Steuergeräte und der angesteuerten Aktoren. Auch unterschiedliche Anforderungen an die Funktionssicherheit, die Vielzahl der Varianten zwischen Basis- und Vollausstattung und die schlechte Kostenmodularität setzen der Hochintegration dabei Grenzen. Hier müssen andere geeignete Ansätze zur Beherrschung des Komplexitätsanstiegs gefunden werden.
9.2 Systemarchitektur Eine Systemarchitektur im Kraftfahrzeug beschreibt die Struktur eines Systems hinsichtlich der Abbildung der funktionalen Vernetzung der Einzelfunktionen in ihrer Abbildung auf Systemelemente, des Zusammenwirkens und der Vernetzung der Systemelemente, der Systemschnittstellen, der Umgebung, der Datenflüsse im System, der Daten-, Software- und Hardwarearchitektur.
Zu unterscheiden sind die funktionale, die logische und die technische Architektur, welche die Funktionen, ihre Eingangs- und Ausgangsgrößen sowie ihre Vernetzung beschreibt. Sie entsteht durch Abbildung dieser Funktionen auf technische Systemkomponenten, meist Steuergeräte. Den Prozess der Zuordnung von Funktionen zu technischen Komponenten und der Signale zu den Signalträgern wie Busse oder Einzelleitung wird Partitionierung genannt. Die Hardware-Systemelemente einer Elektrik-/ Elektronik-Systemarchitektur sind: Sensoren, Aktoren, elektronische Steuergeräte, der Kabelbaum als Verbund von Leitungen/ Kabeln für Datentransport, für diskrete Signale und Energieversorgung, der Generator, Energiespeicher, Spannungswandler, Sicherungen und elektrische Antriebe. Die Elemente der Hardware werden zusammenfassend auch Bordnetz genannt. Es sei in diesem
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
Zusammenhang aber darauf hingewiesen, dass die E/E-Systemarchitektur wesentlich mehr als das Bordnetz beinhaltet. Dieses Mehr ist nötig, da eine Integration der reinen HW-Komponenten ohne ein umfassendes Verständnis aller dazugehörigen Architekturelemente nicht möglich ist. Der Entwurf einer Systemarchitektur muss unter vielfältigen Blickwinkeln erfolgen, die über die Erfüllung der reinen funktionalen Anforderungen deutlich hinausgehen. So müssen vielfältige Anforderungen hinsichtlich der Qualität und Sicherheit, Versionierung/Konfiguration, Logistik, Montage, Wartung/Service etc. erfüllt werden. Hier sind vielfältige Zielkonflikte neben Baukasten- oder Gleichteilstrategien, der Verfügbarkeit der Bauteile und Technologien über Produktlaufzeit und Gesichtspunkten der Kostenoptimierung aufgelöst und zum bestmöglichen Kompromiss zu führen. Die wesentlichen Anforderungen an zukünftige Systemarchitekturen sind: Skalierbarkeit innerhalb und über Produktlinien, Erweiterbarkeit, Funktionssicherheit, Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit, Datensicherheit, Software-Update und -Upgrade über die Produktlebenszeit, Serviceanforderungen, Fahrzeugzustandsmanagement, Robustes und effektives Energiemanagement, Gute Testbarkeit und vereinfachte Integration, … Wesentliche Entscheidungselemente einer Systemarchitektur sind die Entscheidungen bezüglich der Partitionierung der Funktionen auf die Steuergeräte, die Wahl der Gateways, die Vernetzung der Steuergeräte mit geeigneten Bustechnologien und deren Topologie. Die Kunst einer guten Architektur steckt in der Berücksichtigung der vielfältigen Wechselwirkungen getroffener Entscheidungen und in der Erreichung eines Gesamtoptimums. Eine vorausschauende Auslegung der Architektur in Bezug auf die Abdeckung der Produktpalette und die Fähigkeit, die Funktionserweiterungen zur Erhaltung der Produktattraktivität, Erfüllung von neuen Gesetzesanforderungen etc. über die Produktlaufzeit auch ohne Konzeptbrüche aufzunehmen, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Sie führt erhebliche Auswirkungen auf die elementaren Kenngrößen des unternehmerischen Handelns, wie Entwicklungsaufwand, Produktkosten, Produktqualität und Wirtschaftlichkeit mit sich.
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9.3 Wichtige Einflüsse von Fahrerassistenzsystemen auf die Systemarchitektur Durch eine geschickte, effiziente Nutzung und Verknüpfung der Informationen aus einigen wenigen Sensoren können vielfältige Funktionen der Fahrerassistenz dargestellt werden. So kann mit einer Kamera bei geeigneter Auslegung als Sensor eine Spurhalteunterstützung ebenso realisiert werden wie ein Fernlichtassistent oder eine Verkehrszeichenerkennung. Sensordatenfusion sollte nur dann zum Einsatz kommen, wenn damit eine aus Kundensicht hochwertige Funktion realisiert werden kann, wie etwa ein Abstandsregelsystem, das auch auf stehende Hindernisse reagiert, oder die Funktionssicherheit anders nicht ausreichend gewährleistet werden kann. In Tabelle 9-1 sind verschiedene Sensortechnologien und die aus den verschiedenen Sensoren zu gewinnende Information nach Art und Qualität in einer Matrix eingetragen. Daraus kann für die Fusion der Daten abgeleitet werden, welche Informationen grundsätzlich sinnvoll miteinander fusioniert werden können. Darüber hinaus lässt sich erkennen, welche Technologien zur Gewinnung aussagekräftiger Informationen – mit allen Vor- und Nachteilen einer spezifischen Technologie – geeignet sind. Damit wird der Handlungsspielraum für den Architekten, der ein FAS-System in eine Architektur zu integrieren hat, stark eingeschränkt. Beispielsweise ist heute nur mit bildgebenden Verfahren eine Verkehrszeichenerkennung möglich, außer man stattet die Verkehrszeichen nachträglich mit Sendern oder Transpondern aus. Die Methoden der Mustererkennung aus Bilddaten – inklusive Bilddaten aus Videostreams – ermöglichen in aller Regel keine 100%ige Detektions- oder Klassifikationssicherheit. Somit ist es wünschenswert, eine zusätzliche, andere Sensortechnologie einzusetzen, um durch ergänzende Daten Fehlerkennungen der Verkehrszeichen substanziell zu minimieren oder gar auszuschließen. Allerdings zeigt Tabelle 1, dass hierbei die Auswahl stark eingeschränkt ist. Somit stellt sich schon in diesem Fall die Frage, ob eine Sensorfusion zielführend ist und eine Kostenmehrung rechtfertigt oder ein anderer technischer Weg eingeschlagen werden muss, um die Erkennung zu plausibilisieren. Die Plausibilisierung anhand von Daten aus der Kartenbasis der Navigation erweist sich in diesem Fall als der zielführende Weg. Für den erzielbaren Kundennutzen der Fahrassistenzfunktionen ist allerdings auch die Gestaltung der Bedien- und Anzeigekonzepte von FAS-Funktionen von elementarer Bedeutung. Die Anzeigen
9 Einflüsse von Fahrerassistenzsystemen auf die Systemarchitektur im Kraftfahrzeug
A
Ɣ
vorn fern
Ɣ
Querposition
+
–
Ɣ
Ɣ
–
Ɣ
Ɣ
Ɣ
+
–
+
+
–
–
–
–
Ɣ
+
+
+
Ɣ
+
+
Ort
+
Art
–
Sonst. Ext. Com.
Navi-Datenbasis
Video: Verkehrsz.
Video: Spur
Video: Objekte
+ Ɣ
Größe
–
–
–
– –
Absicht
Ɣ
Verkehrszeichen
Ɣ
+
Fahrspur
+
–
Markierungen
Ɣ
–
Typ
–
+
Straße
Ɣ
Parklücke
Fahrer
Objekte
–
+ Ɣ
seitlich Geschwindigkeit
Ɣ
Ɣ
vorn nah hinten
Ɣ
Ultraschall
Ɣ
Laser-Scanner
Bewegung
Mehrstrahl-Laser
Ɣ
Radar nah
Zustand Ego
Informationen
Fzg.-Sensoren
Sensoren
Radar fern
Tabelle 9-1: Aussagequalität verschiedener Sensorsysteme und Informationsquellen +: hochwertig, Ɣ: ausreichend, –: gering [nach [1])
Zustand
–
Absicht
–
+
Kreuzung
der verschiedenen Funktionen umfassen Bilddarstellungen auf Displays, statische oder dynamisierte Symbole in Kombi, Display oder Head-up-Display, haptisch taktile und auditive Informationen vielfach auch in Kombination, (siehe auch Kapitel 21 und 23). Hinzu kommt die Bedienung der Funktionen. Die Darstellung von Realbildern erfordert eine Übertragung zum Anzeigeort mit sehr hoher Übertragungsbandbreite. Videokompressionstechniken kommen wegen des damit verbundenen Zeitverzugs nur begrenzt infrage. Die im Bereich des Infotainments üblichen Bedien- und Anzeigekonzepte reichen angesichts der Anforderungen bei weitem nicht aus. Deshalb müssen für Fahrerassistenz spe-
Ɣ
zifische Bedien- und Anzeigekonzepte in die jeweiligen Bordsysteme des Infotainments mit integriert werden.
9.4 Ausstattungsvarianz und Vernetzungskomplexität Fahrerassistenzsysteme werden heute zumeist in fast freier Kombinierbarkeit als Sonderausstattungen angeboten. Dies erscheint zunächst logisch, da die Marktpenetration bei Innovationen zunächst gering ist. Sonderausstattungen unterliegen zudem
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Grundlagen der Fahrerassistenzsystementwicklung
einer deutlich höheren Preisflexibilität beim Kunden als Serienausstattungen, somit können die zwangsläufig anfallenden Einführungskosten besser abgefangen werden. Aus der Darstellung im vorangegangenen Abschnitt wird aber offensichtlich, dass FAS-Funktionen nur über eine dezidierte Vernetzung von Funktionalitäten aus unterschiedlichen Bereichen verwirklicht werden können. Damit ist aber auch eine Infrastruktur vorzuhalten, die sich im Basisfahrzeug in Aufwänden niederschlägt. Beispielsweise müssen Leitungen von Kameras im Außenbereich der Karosserie zu den bildverarbeitenden Steuergeräten vorgesehen werden. Diese Leitungen sind im Kabelbaum vorzuhalten, um die Leitungsdurchbrüche in der Karosserie – etwa Stirnwand – zu dimensionieren. Ferner sind beim Systemdesign die EMV-Auswirkungen dieser Leitungen zu ermitteln. Durch Störgrößen auf anderen Leitungen können nämlich die Videodaten der Kameras korrumpiert werden; ein gutes Systemdesign berücksichtigt dies von vornherein. Andernfalls drohen Maßnahmen, die dann nur noch die Wirkungen im Gesamtsystem minimieren können, aber nicht die Ursache beseitigen. FAS-Systeme stellen ihrerseits Anforderungen an die Infrastruktur. Radar, Bild- und Videodaten benötigen eine entsprechende Bandbreite, leistungsfähige Algorithmen verbunden mit dem entsprechenden Datenvolumen erfordern Hochleistungsrecheneinheiten für die Echtzeitverarbeitung in der E/E-Architektur. Sofern die FAS-Funktionen in eine bestehende Infrastruktur teilweise oder ganz integriert werden, stellen diese zusätzlichen Anforderungen häufig eine erhebliche Hürde dar. Im schlimmsten Fall sind bestimmte Infrastrukturelemente wie Busse und Steuergeräte neu auszulegen, was zu Kostenmehrungen einzelner Komponenten führen kann. Ein anderer Hinderungsgrund für die vollständige Integration von FAS-Funktionen in die E/EArchitektur kann die damit einhergehende Komplexitätserhöhung darstellen. Die Abbildung einer vollständigen Kommunikationsmatrix über mehrere Busse und Subbusse zur Realisierung einer FASFunktion resultiert häufig in unnötigen Abhängigkeiten zu anderen Systemen. Beispielsweise werden Bedienelemente für die FAS-Funktionen häufig über eine Bedieneinheit zusammengefasst, die über einen LIN-Bus an einem ansonsten an der Funktion völlig unbeteiligten Steuergerät – in der Regel ein Seriensteuergerät mit mehreren LIN-Bussen – angeschlossen wird. Somit ist nicht nur die Kommunikation auf einen Systembus zu realisieren, sondern es sind auch die LIN-Nachrichten sowie der
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LIN-Schedule und die LIN-Gateway-Tabelle des Seriensteuergeräts zu definieren. Bei der Integration entstehen also an den verschiedensten Stellen Fehlerquellen, die nur der Vernetzung geschuldet sind. Diese Integrationsleistung geht dann leider zu Lasten der in der Regel notwendigen Feinabstimmung der FAS-Funktion. Mithin ist sorgfältig zu prüfen, ob es im Einzelfall nicht günstiger ist – auch wenn es lokal zu Kostenmehrungen kommen kann – auf Vernetzung zu verzichten und Sensorik sowie Aktorik direkt an die zentrale Steuereinheit für das FAS anzuschließen. Die Integrationskosten steigen nämlich bei höherer Vernetzung überproportional an, um die gleiche Absicherungstiefe der Funktion zu erzielen. Die Einbindung der unterschiedlichen Fahrerassistenzfunktionen in eine Systemarchitektur muss einerseits Flexibilität in Bezug auf die Ausstattungsumfänge bieten, da die Kunden vielfach nur einzelne FAS-Systeme wählen und deren individuelle Kombination in der Architektur abbildbar sein muss. Andererseits muss die Architektur eine hohe Kostenmodularität unterstützen, da andernfalls bereits die Basisumfänge und nur gering ausgestatteten Varianten mit dem Ballast der Gesamtfunktionalität belastet werden.
9.5 Partitionierung von FASFunktionen auf Steuergeräte Wie auch andere Funktionen werden die FASFunktionen in die Steuergeräte als zentrale Rechenund Steuereinheiten der E/E-Systemarchitektur, in denen alle wesentlichen Aufgaben im Bordnetz abgearbeitet werden, integriert. Die wesentlichen Aufgaben bei Fahrerassistenzsystemen sind hierbei: Sensordatenfilterung und -auswertung, Einlesen von Schaltern und Bedienelementen, Berechnung von Warnkriterien, Steuerungs- und Regelungsalgorithmen, Berechnung der Sensordatenfusion, Diagnose und Kalibrierung, Codierung länderspezifischer Ausprägungen, Ansteuerung von Aktoren oder Anzeigen. In der Kombinatorik dieser Grundaufgaben werden die vielfältigen Funktionen im Kraftfahrzeug abgearbeitet, wie etwa Ansteuerung der Bremse, der Motorleistung oder Lichtfunktionen wie Kurvenlicht. Die Steuergeräte als wesentliche Architekturelemente übernehmen in heutigen Kraftfahrzeugen
9 Einflüsse von Fahrerassistenzsystemen auf die Systemarchitektur im Kraftfahrzeug
Hunderte von Einzelfunktionen. Im Kern eines nahezu jeden Steuergeräts befinden sich ein oder bei komplexen Funktionen auch mehrere Mikrocontroller. Dieser ist im Gegensatz zu den Mikroprozessoren mit separaten Speichern, Controllern etc. in den Personal Computern als eingebetteter Controller (engl. Embedded Microcontroller) ausgeführt. Eingebettet heißt, dass sich neben dem Mikroprozessor (heute hauptsächlich 16 Bit und 32 Bit-Prozessoren) auch die Speicher (RAM und ROM) und die Controller für die Buskommunikation, für die Ansteuerung der peripheren Funktionen, A/D- und D/A-Wandler, PWM usw. auf dem gleichen Siliziumchip befinden. Der Programmspeicher (ROM) ist hierbei in der Regel als Flashspeicher ausgeführt. Damit kann der Speicherinhalt gelöscht und wiederbeschrieben werden. Diese Funktionalität erlaubt es, während der Entwicklung wie auch während der Nutzungsdauer des Fahrzeugs die Funktionen in der Software zu ändern, zu aktualisieren oder ganz auszutauschen. Steuergeräte waren in den Anfängen der Elektronik im Kraftfahrzeug gar nicht oder nur sehr gering untereinander vernetzt. Heute besitzen nahezu alle Steuergeräte einen oder mehrere Busanschlüsse.
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Hierbei lassen sich grob folgende drei Grundtypen von Steuergeräten unterscheiden: Eingebettete Steuergeräte ECU (engl. embedded electronic control unit), Semi-eingebettete Steuergeräte, Rechnerknoten. Eingebettete Steuergeräte zeichnen sich dadurch aus, dass die Hauptaufgaben eines Steuergeräts – Sensorauswertung, Algorithmenberechnung, Ansteuerung von Aktoren und Diagnose – sich in einem Steuergerät befinden und die Funktionen dort vorwiegend autonom ablaufen. In Verbindung mit der Buskommunikation deckt diese Konfiguration die meisten Anforderungen und Funktionalität im Fahrzeug gut ab. Es zeigt sich jedoch, dass das Nebeneinander von rechenzeitintensiven Aufgaben sowie dem Schalten/Treiben von hoher elektrischer Leistung in einem Steuergerät nicht immer unkritisch bezüglich Verfügbarkeits- und Sicherheitsaspekten zu bewerten ist. In solchen Fällen werden die Lastschaltelemente mit den dazugehörigen Treibern in separaten Modulen mit oder ohne eigene Intelligenz ausgelagert. Bei hoher Komplexität der Funktionen oder bei Bedarf redundanter Funktio-
Bild 9-2: Technische Steuergeräte-Architektur einer Embedded ECU am Beispiel EDC-K (Elektronische Dämpfer Control – Kontinuierlich)
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Bild 9-3: Technische Architektur des Steuergeräts Adaptive Cruise Control ACC (Typ semi-embedded ECU).
nalität für Sicherheitsfunktionen in einem Steuergerät werden mehrere Prozessoren in einem Steuergerät eingesetzt. Ein typischer Vertreter eines eingebetteten Steuergeräts ist im Bild 9-2 dargestellt. In dem Steuergerät befindet sich ein eingebetteter Controller mit dem Prozessorkern, einem SRAM und einem Flashspeicher. An das Steuergerät angeschlossen sind drei analoge Sensoren und vier analoge Ventile, die den Druck in den Dämpfern je nach Straßenlage und fahrdynamischem Zustand oder vom Fahrer vorgewählten Grundeinstellungen ändern. Zusätzlich besitzt es noch einen High-Speed-CAN-Anschluss (500 kBd). Derartige Steuergeräte eignen sich gut für relativ einfache Anwendungen der Fahrerassistenz, wie die bekannte PDC-Funktion (Park Distance Control), die heute schon nahezu vollständig in Form eines ASICs in solche Steuergeräte mit integriert wird.
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In semi-embedded Steuergeräten sind nahezu keine Treiberbausteine vorhanden. Die Sensoren und Aktoren werden meist als mechatronische Einheiten realisiert, die über Subbusse mit dem Steuergerät vernetzt sind. Die mechatronischen Elemente beheimaten i. d. R. auch die Signalvorverarbeitung sowie teilweise oder ganz die Ansteuerung der Aktorik und entlasten das dazugehörige Steuergerät von diesen Aufgaben. Damit steht im Steuergerät eine hohe Rechenleistung, basierend auf 32 BitControllern verbunden mit hohem Speicherbedarf, siehe Bild 9-3, für komplexe FAS-Funktionen zur Verfügung. So sind im ACC-Steuergerät nur noch solche Treiber enthalten, die unmittelbar mit der realisierten Funktion zu tun haben. Das sind in diesem Fall der Radarsensor, der für die adaptive Geschwindigkeitsregelung nötig ist, und die Linsenheizung für das Radar. Die Systemvernetzung mit anderen
9 Einflüsse von Fahrerassistenzsystemen auf die Systemarchitektur im Kraftfahrzeug
Komponenten erfolgt quasi ausschließlich über Busse. Eine typische Funktion, die häufig als Rechnerknoten im Fahrzeug realisiert wird, sind komplexe Gateways. Eine ähnliche Herausforderung stellt auch die Sensordatenfusion mit einer kamerabasierten Fahrerassistenzfunktion dar, da hierbei z. B. das Radar und die Linsenheizung in einem anderen Steuergerät integriert werden. Dies führt dann zur Realisierung von Rechnerknoten. Zur Umsetzung von höheren Fahrerassistenzsystemen oder X-by-Wire-Systemen werden die Rechnerknoten in Zukunft häufiger anzutreffen sein. Dies begründet sich damit, dass sich viele neue Funktionen nur noch im Vernetzungszusammenhang von mehreren Steuergeräten realisieren lassen und zudem erhöhte Verfügbarkeits- und Sicherheitsanforderungen dazu zwingen, gezielt Redundanzen steuergeräteintern oder -extern aufzubauen. Das gezeigte Aktivlenkungssystem setzt dies schon heute um, s. Bild 9-4. Die Aktivlenkung basiert auf dem Prinzip der Überlagerungslenkung, bei dem die Lenkübersetzung gezielt über einen Elektromotor mit Getriebe in der Lenksäule verändert werden kann (s. Kap. 20 und 29). Das Steuergerät AFS (Active Front Steering) tauscht dabei intensiv Daten mit den Steuergeräten DSC (Dynamische Stabilitäts Control) und DME (Digitale Motor Elektronik) über den Systembus Pt-CAN (500 kBd) aus. Ferner benötigt es die doppelte Sensorik: zwei Sensorcluster, die Gierratensensor und Beschleunigungssensor integrieren, und zwei Lenkwinkelsensoren. Da diese Sensoren auch vom DSC benötigt werden, sind diese Sensoren an dem Subbus F-CAN (500 kBd) angeschlossen. Das AFS-Steuergerät ist im Grunde nur noch ein Rechnerknoten mit einer Doppelprozessorarchitektur, wobei der eine Prozessor die wichtigsten Berechnungsergebnisse des Hauptprozessors überwacht. Sind die Ergebnisse nicht identisch, so fällt das Aktivlenkungssystem in den
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sicheren Zustand zurück: Die Lenkung verhält sich so wie eine konventionelle Lenkung mit fester Lenkungsübersetzung. Ein weiterer Vorteil beim Einsatz von zentralen Rechnerknoten ist, dass dort hinreichend hohe Rechnerleistung auch für sehr komplexe Fusion der Sensordaten zur Verfügung gestellt werden kann.
9.6 Vernetzungstechnologien Ein weiteres zentrales Schlüsselelement einer Systemarchitektur sind die Vernetzungstechnologien, das heißt Busse und ihre entsprechenden Übertragungsprotokolle. Man unterscheidet die Busse primär hinsichtlich ihrer zugrunde liegenden Buszugriffsverfahren nach deterministischen (FlexRay, byteflight, TTP) und arbitrierenden Buszugriffsverfahren (CAN, LIN, MOST). Weiterhin können einige Bussysteme mehrere logische Datenkanäle öffnen, um synchron große Datenmengen für Audio oder Video zu übertragen (MOST). Die zentralen Busse, die heute in Kraftfahrzeugen eingesetzt werden, sind der CAN-Bus für die Domänen Antrieb, Fahrwerk und Karosserie, der MOST-Bus für die Domäne Multimedia und neuerdings der FlexRay-Bus für Anwendungen im Fahrwerks- und Antriebsbereich. Daneben gibt es noch eine Reihe von Subbussen, die für die lokale Anbindung von einfacheren Steuergeräten zur Anwendung kommen. Hier hat vor allem der LINBus an Bedeutung gewonnen. Die wesentlichen Anforderungen an Busse im Kraftfahrzeug sind nachfolgend zusammenfassend dargestellt. Wichtige Anforderungen an Bussysteme aus Sicht von Fahrerassistenzanwendungen sind: Bandbreite (Datenübertragungsrate): Insbesondere für die Übertragung von Videosignalen der Kameras werden hohe Übertragungsbandbreiten erforderlich.
Bild 9-4 Vereinfachte technische Architektur des Aktivlenkungssystems mit AFS-Steuergerät
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Latenzzeiten: Bei Systemen mit aktivem Eingriff in die Fahrdynamik, wie etwa bei der Automatisierung von Einparkvorgängen oder bei Kollisionsvermeidungssystemen, muss eine sorgfältige Betrachtung der möglichen Latenzzeiten erfolgen; ggf. sind deterministische Busprotokolle und Abschätzungen der worst case execution time der Steuergeräte in Betracht zu ziehen. Jitter: Eine Reihe von Anwendungen, etwa in der Sensordatenfusion, benötigen zur Einhaltung der Funktionssynchronität sehr genaue Erneuerungszyklen des Datenaustauschs. Übertragungssicherheit: auch in der rauen Umgebung im Fahrzeug mit den vielen eingestrahlten und eingekoppelten Störungen hinreichende Robustheit der Datenübertragung auch ohne aufwendige Abschirmmaßnahmen. Leitungslänge: Mit der steigenden Übertragungsrate der Busse steigen die Anforderungen an die physikalischen Eigenschaften der Busverbindungen und Bustreiber, wie Impedanz, Dämpfung, Übersprechen etc. zum Teil erheblich. Die gewählte Topologie der Busverbindungen muss deshalb stets sorgfältig dimensioniert und durch Simulation und Messungen abgesichert werden.
9.7 Zusammenfassung und Ausblick Das Potenzial, die Sicherheit und den Kundennutzen im Fahrzeug durch Funktionen der Fahrerassistenz zu erhöhen, ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Die Weiterentwicklung der Sensortechnologien und ausgeklügelte Gestaltung der Systemarchitektur werden der weiteren Perfektionierung und Erweiterung der FAS-Funktionen helfen. Diese werden nach der Lernkurve rasch den Einzug auch in Fahrzeuge in unteren Marktsegmenten finden. Durch diese Fortschritte werden die heutigen Systemgrenzen zwischen den Domänen „Aktive und Passive Sicherheit“ und „Fahrerassistenz“ in den Hintergrund treten und weitere Synergien erschlossen werden. Bei der Vielzahl von Funktionen und der zunehmenden Realisierung von sehr komplexen Funktionen mit Sicherheitsrelevanz werden in Zukunft verstärkt Rechnerknoten zum Einsatz kommen, die die relativ komplexe Sensorfusion beheimaten. Diese können mittelfristig dann auch die zentralen Instanzen eines Systemmanagements der diversen
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FAS-Systeme sowie die redundanten Pfade bei sicherheitskritischer Funktion aufnehmen. Dies wird deshalb zunehmende Bedeutung gewinnen, da immer mehr Funktionen auf die gleichen Aktoren zugreifen. Hier wird in Zukunft eine Koordinationsinstanz dafür sorgen müssen, dass die Anforderungen an die Aktorik situationsgerecht priorisiert werden. Für derartige leistungsfähige Rechnerknoten werden verstärkt neue Multicore-Prozessorarchitekturen mit den Vorteilen hoher Rechnerleistungen ohne die Nachteile bezüglich Zuverlässigkeit und Verlustleistung zum Einsatz kommen. Das derzeitige OSEK-Betriebssystem, wie es sich für heutige Steuergeräte im Einsatz befindet, ist allerdings für Multicore-Steuergeräte nicht geeignet. Hier sind neue Betriebssystemkonzepte ebenso erfoderlich wie auch neue Methoden des Softwaredesigns, um mit dem prinzipiellen Vorteil der Parallelisierbarkeit von Tasks zweckmäßig umzugehen. Entsprechende Entwicklungsarbeiten sind firmenübergreifend angestoßen und werden in naher Zukunft geeignete Lösungen liefern.
Quellenverzeichnis [1] Naab, K.: Intelligente Sensorik künftiger Fahrerassistenzsysteme. GMM-Fachtagung „Technologien in automobilen Anwendungen“, VDE-Kongress 2004
B Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
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11 Ultraschallsensorik
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12 Radarsensorik
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13 Lidarsensorik
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14 3D-Imaging
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15 Maschinelles Sehen
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16 Kamerabasierte Fußgängerdetektion
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17 Fusion umfelderfassender Sensoren
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B 10 Fahrdynamik-Sensoren für FAS 10.1 Einleitung Die Auswahl einer Sensorkomponente für ein Fahrerassistenzsystem ist in vielen Bereichen unabhängig von dessen Funktion. Die Bedingungen richten sich nach den Standards, die in der Kfz-Industrie nach VDA oder ISO weltweit eingeführt sind, und den Regeln, die die Systemlieferanten und Fahrzeughersteller für sich selbst hieraus abgeleitet haben. Diese Standards werden als wesentliche Basis für die heute erreichte Qualität angesehen. Die Qualität der Sensoren hat neben der Bedeutung für die Verfügbarkeit der Systeme und des Fahrzeugs im eigentlichen Sinne in vielen Fällen auch eine fundamentale Bedeutung für die Sicherheit des Gesamtsystems. Der Aufwand und die Wirksamkeit von Überwachungen der Sensorsignale sind hiervon abhängig. Sensoren im Kraftfahrzeug sind kein Selbstzweck; sie liefern die für die Fahrerassistenzsysteme notwendigen Informationen. Da die Kosten für diese Systeme ein entscheidender Faktor für ihre Marktakzeptanz sind, müssen sowohl die Kosten für die Sensoren als auch deren Anzahl bis auf das Notwendigste reduziert werden. Die Auswahl eines Sensors für ein System gliedert sich in zwei Hauptaspekte: allgemeine Auswahlkriterien, die für jeden Sensor gelten technische Daten für die gesuchte Funktion. Die Zusammenstellung in diesem Kapitel soll erklären, was bei dieser Auswahl beachtet werden muss. Eine Vertiefung der Themen bleibt Spezialliteratur
Matthias Mörbe
und den firmeninternen Dokumentationen vorbehalten. Die angegebenen Daten für die Sensoren sind den aktuellen Unterlagen für Fahrzeughersteller entnommen worden. Ein besonderer Dank gilt allen Kollegen für die Unterstützung zu diesem Beitrag.
10.2 Allgemeine Auswahlkriterien Für den Auswahlprozess empfiehlt es sich, die verschiedenen Anforderungen an Sensoren in einer Matrix systematisch zusammen zu stellen, und zwar für jeden Anbieter in der gleichen Art und Weise. Hierdurch wird die Vergleichbarkeit von Angeboten wesentlich vereinfacht. Ein Modell für diese Auswahlmatrix mit einer Technikebene und einer kommerziellen Ebene ist im Bild 10-1 dargestellt. Die Inhalte können beliebig ergänzt werden. Auf eine Gewichtung der einzelnen Faktoren sollte in einer ersten Auswahlrunde bewusst verzichtet werden. Damit wird sicher gestellt, dass jedes Kriterium mit gleicher Sorgfalt betrachtet wird. Sind in der finalen Auswahl zwei Angebote sehr ähnlich, kann eine Gewichtung für mehr Transparenz sorgen. Neben den einfach messbaren Faktoren liegen natürlich eine Vielzahl so genannter weicher Faktoren vor. Dazu zählen Verlässlichkeit in mündlichen Absprachen, Vertrauen in die Absicherung der Geheimhaltungsvereinbarung, kurze Reaktionszeiten bei Qualitätsthemen und – wenn erforderlich – die Bereitschaft zur langfristigen Kooperation.
Bild 10-1 Auswahlmatrix Sensorkomponenten für Fahrerassistenzsysteme
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10 Fahrdynamik-Sensoren für FAS
10.2.1 Anforderungen Technikebene Die Anforderungen an einen Sensor im Kraftfahrzeug gliedern sich in vier Hauptgebiete: Systemanforderungen Einbauanforderungen/Geometrie Umweltanforderungen Gesetzliche Anforderungen und Normen. Die Anforderungen werden von den Fahrzeug- oder Systemherstellern in Lastenheften dokumentiert und unterliegen einem Änderungsdienst. Die stetig eingehenden Änderungen sind das Ergebnis der fortschreitenden Entwicklung und müssen vor jeder Komponentenauswahl erneut auf ihre Erfüllbarkeit hin geprüft werden. Die langjährige Beobachtung dieses Prozesses hat eindeutig gezeigt, dass die Nichtbeachtung der Änderungen eine wesentliche Ursache für nachfolgende Beanstandungen ist. Nun liegt aber die Wahrheit nicht allein in der Erfüllung einer Änderung, sondern in der Analyse und Bewertung dieser Änderung, auch in Bezug auf die Wechselwirkung von Funktionen und weiteren Anforderungen in anderen Bereichen oder Systemen. Eine gut geeignete Methode zur systematischen Unterscheidung dieser Wechselwirkung ist die von Toyota entwickelte DRBFM-Methode (Design Review Based on Failure Mode). 10.2.1.1 Systemanforderungen Systemanforderungen teilen sich auf in die physikalischen Größen, die sich aus der Wandlung der Messgröße ergeben, den elektrischen Schnittstellen und der funktionellen Beschreibung im Systemzusammenhang. Für die Signalwandlung lassen sich in der Regel eindeutig messbare Parameter festlegen. Jeder Parameter wird zusätzlich mit Toleranzen, Auflösungen und Genauigkeiten im Kontext mit den anderen Anforderungen dargestellt. Die Bedeutung der eindeutigen Messbarkeit muss hervorgehoben werden, denn sie bestimmt wesentlich den Aufwand der Prüfungen in der Fertigung als Bestandteil der Lieferbedingungen. Die Angabe von Größen, die erst durch die Weiterverarbeitung des Signals im System beschreibbar werden, muss eine Ausnahme von der Regel bleiben. Für die elektrischen Schnittstellen wurden für viele Anwendungen bereits Standards gebildet. Diese sollen gewährleisten, dass ein Sensor eines Anbieters auch von einem anderen Anbieter beliefert werden kann. Die Reduzierung auf diese Standards lässt diesen einfachen Austausch jedoch nur in wenigen Fällen zu. Der Grund hierfür liegt in den zusätzlichen Bedingungen, die sich aus der Systemfunktion ergeben und sich nicht ausschließlich auf
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elektrische oder mechanische Größenordnungen reduzieren lassen. Für Sicherheitssysteme ist auch der Entwicklungsprozess zu bewerten. Aus der Methodik, der Tiefe von durchgeführten Simulationen und den Herstellprozessentwicklungen leiten sich wichtige Bewertungsgrundlagen für die FMEA (Failure Mode Effect Analysis) und eine FTA (Fault Tree Analysis) ab. Zur Komplexität dieses Themas trägt weiterhin die Unterscheidung zwischen statischen und dynamischen Wechselwirkungen bei. Diese Komplexität reicht soweit, dass auch bei der Grundlagenentwicklung von Systemen unbewusst Sensoreigenschaften berücksichtigt worden sein können, die nicht im Lastenheft beschrieben sind. Ändert sich im Laufe der Systemevolution der Sensor, z. B. in der verwendeten Technologie, so können daraus erst sehr spät im Entwicklungsablauf Komplikationen mit erheblichen Auswirkungen auftreten. Diese Tatsache führt dazu, dass die Lastenhefte immer aufwendiger und der Anspruch an das Expertenwissen immer höher werden. Das Expertenwissen muss dazu dienen, die Bedeutung der Parameter und ihre Toleranzen mit der Systemfunktion in Zusammenhang zu stellen. Eine Hilfestellung dazu leistet die Simulation, die jedoch auch auf ihre Grenzen stößt. Dynamische Vorgänge im Fahrzeug sowie sein Bordnetz können bisher nur in sehr begrenztem Umfang im gesamten Systemverbund simuliert werden. Solange die Sensor- und Bordnetzmodelle nicht entsprechend verfeinert sind, wird eine Prüfung auf Erfüllung der Systemanforderungen mit realer Hard- und Software nicht zu umgehen sein. 10.2.1.2 Einbauanforderungen Mit dem wachsenden Ausrüstungsgrad von Systemen zur Fahrdynamikregelung im weitesten Sinne etablieren sich immer mehr Anforderungen für den Einbau von Sensoren in den Konstruktionsvorgaben des Kraftfahrzeugs. Mit der Vielfalt der Fahrzeugformen gestaltet sich auch die Vielfalt der Einbaubedingungen dazu passender Sensoren. Ein einheitlicher Trend lässt sich mit Blick auf die Baugröße erkennen: Je kleiner, also angepasster, ein Sensor gestaltet werden kann, um so günstiger für den Fahrzeugkonstrukteur. Die Grenzen werden durch die Handhabung in der Fahrzeugfertigung und im Service gesetzt. Dies gilt insbesondere für die Befestigung mittels Schrauben und die Zugänglichkeit von elektrischen Steckverbindungen. Die entscheidende Wechselwirkung zwischen Sensor und Fahrzeug ergibt sich jedoch aus dem Einbauort selbst. Der größte Fehler in der Bewer-
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Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
tung der Tauglichkeit eines Sensors kann entstehen, wenn der Einbauort als statisch stabile Größe betrachtet wird. Die auftretenden Schwingungen sind sowohl im Frequenzspektrum als auch in den Amplituden und Resonanzüberhöhungen abhängig von der Dynamik der Fahrbedingung. Aber auch die Handhabung des Fahrzeugs selbst spiegelt sich in diesem Profil wider. Eine nicht vollständige Liste ohne Priorität in der Bedeutung soll verdeutlichen, worauf geachtet werden muss. Störungen am Sensoreinbauort: Luftspalt ändert Raddrehzahlsensor durch Achslast und Lagerspiel in der Kreisfahrt Stöße durch Türenschlagen Vibrationen durch Betätigung der Handbremse Stöße durch Sitzverstellungen Impulse durch Wasserdurchfahrt bei hohen Geschwindigkeiten Überfahren von Fahrbahnbegrenzungen auf Rennstrecken Impulse durch Steinschlag auf Schotterpisten Schwallwasser im Motorraum bei Wasserdurchfahrten Stöße und Schläge durch Werkzeuge in der Fahrzeugmontage Fahrbahnunebenheiten bei verschiedenen Fahrmanövern Fahrbahnoberflächen und Reifeneigenschaften, Stöße/Schläge durch unbefestigte Gegenstände im Fußraum Rechts-/Linkslenkerausführungen Zusätzlich eingebaute Audioanlagen hoher Leistung Ablage von Mobiltelefonen an nicht dafür vorgesehenen Orten Die Liste lässt sich für jeden Sensor beliebig ergänzen, und jede einzelne Situation repräsentiert die Erfahrungen des Sensorherstellers, die er in seiner Konstruktion berücksichtigt hat. Synthetische Untersuchungen lassen sich nur begrenzt durchführen, weil sich die Anregungsenergie nicht in jedem Fall erzeugen und einkoppeln lässt. Zusätzlich kommen die Veränderungen durch Alterung des Fahrzeugs hinzu, deren Verlauf für den einzelnen Störfaktor teilweise nicht herausgefiltert werden kann. Neben der genannten Vielfältigkeit an Randbedingungen des Einbauortes ist die Änderung des Fahrzeugs in seinem Entwicklungsablauf zu nennen. Zum Zeitpunkt der System- und damit Sensorentscheidung existiert in der Regel nur ein getarnter Prototyp des Fahrzeugs auf der Basis eines Vorgängermodells. Für den sicheren Betrieb eines Sen-
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sors sind aber insbesondere die Karosserie- oder Achseneigenschaften der Serienausführung von Bedeutung. Eine Auflistung der Einflussfaktoren soll zeigen, worauf in der Einbauortbewertung zu achten ist. Faktoren zur Bewertung des Einbauortes: Blechstärken Sickern, Vertiefung, Spannungszonen von Stanz-/Biegeteilen Massen von weiteren Befestigungs- oder Anbauteilen, z. B. Sitzen Durchbrüche Teppiche und Dämmmaterial Achsabstände und Ausbauvarianten Zweitürer/Viertürer/Kombiausführungen Automatik-/Schaltgetriebeausführungen Rechts-/Linkslenkerausführungen Radlagerauswahl Achsaufhängungen Feder-/Dämpferabstimmung des Fahrwerks Motorvarianten Besondere Beachtung ist auch den Anwendungen von Sensoren zu schenken, bei denen der Fahrzeughersteller ein Gleichteilekonzept für mehrere Plattformen verwirklicht. Die Verantwortung für die Tauglichkeit an nicht bewerteten Einbauorten muss in diesem Fall beim Anwender des Sensors liegen. Aus den mehrdimensionalen Faktoren des Einbauortes ergibt sich ein erheblicher Aufwand in der Applikation von Sensoren im Kraftfahrzeug. Die Kosten dafür sind in der Auswahlmatrix mit zu berücksichtigen. 10.2.1.3 Gesetzliche Anforderungen und Normen Diese Anforderungen auf der Technikebene teilen sich auf in die Forderungen, die sich aus dem System auf die Funktion ableiten, und die Anforderungen für die verwendeten Materialen. Die Systeme werden in Zukunft nach einer Sicherheitsnorm aus der ISO 61508 eingestuft. Daraus ergeben sich für die Sensoren in den Wirkketten ebenfalls Anforderungen, die sowohl die Technik als auch den Entwicklungsprozess betreffen. Diese Norm wird als ISO 26262 für Kraftfahrzeuge spezifisch angepasst. Durch die Mehrfachnutzung der Sensorsignale von verschiedenen Systemen, können sich auch Verschiebungen in Sicherheitsforderungen ergeben. Wird z. B. ein Lenkradwinkelsensor oder ein Drehratensensor nicht nur vom ESP-System genutzt, sondern von einer Überlagerungslenkung oder einer Hinterachslenkung, steigt der Sicher-
10 Fahrdynamik-Sensoren für FAS
heitsanspruch an die Signale dieser Sensoren. Dies kann dazu führen, dass die gesamte Signalverarbeitung im Sensor redundant erfolgen muss. Wenn diese Lenksysteme nicht in einer 100 %-Ausstattung vorgesehen werden, ist eine vereinfachte kostengünstigere Variante ohne Redundanz für die Baureihe des Fahrzeugs erforderlich. Unter dem Oberbegriff „umweltgerechtes Design“ werden die Stoffe mit Risikopotenzial in der Anwendung der Kraftfahrzeugtechnik zunehmend eingeschränkt oder ganz verboten. Der Hersteller von Komponenten und seine Lieferanten müssen in Materialdatenblättern gewährleisten, welche Stoffe und welche Mengen in der Komponente enthalten sind. Auch Hilfsstoffe bei der Verarbeitung fallen unter diese Regel, sofern die darin enthaltenen Stoffe später auch in dem gelieferten Produkt enthalten sind. Dabei ist es unerheblich, ob die nicht mehr zugelassenen Stoffe sich so verteilen bzw. verdünnen, dass sie im gelieferten Produkt unter die Nachweisgrenze fallen. Da die Normen einer jährlichen Änderung unterliegen, muss vor dem in Verkehr Bringen der Produkte überprüft werden, ob die neuen Gesetze dies noch zulassen. Die Nachweispflicht über Schadstofffreiheit liegt beim Lieferanten. Es gibt besondere Regelungen z. B. hinsichtlich Ersatzteilen für ältere Fahrzeuge. Für die Prüfung, ob die Anforderungen aus gesetzlichen Regelungen und Normen erfüllt werden, ist sowohl systemübergreifende Kenntnis des Gesamtfahrzeugs als auch tiefgehendes Wissen über die Herstellprozesse der verwendeten Bauelemente und Baugruppen erforderlich. Das Materialdatenblatt muss ein fester Bestandteil eines jeden Angebots einer Sensorkomponente sein. Die Ermittlung der Daten erfolgt mit aufwendigen Verfahren und bestimmt eine Zuliefererauswahl mit.
vertretbar und auch technisch nicht sinnvoll. Der Entwickler muss jeden Parameter in realen Bezug zum Betrieb des Fahrzeugs stellen. Dabei gelten alle Wechselwirkungen des Einbauortes mit seinen Umweltbedingungen. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Für einen Raddrehzahlsensor gilt eine maximale Temperatur. Dieser Wert wird durch extreme Bremsentemperaturen erzeugt und steigt sogar im Stillstand, in der Nachheizphase, noch an. Ein Temperaturschock kann entstehen, wenn danach eine Durchfahrt durch Schmutzwasser erfolgt, wobei dieses Schmutzwasser zudem noch mit Auftausalzen versetzt sein kann. Wurde diese Bedingung in einem Labortest nicht nachgestellt, sind etliche Randbedingungen nicht vollständig abgedeckt. Der Sensorkopf ist in einem Achsträger eingebaut und damit vor der Strahlungswärme der Bremsscheibe geschützt. Die große Masse des Achsträgers erlaubt nur eine langsame Änderung der Temperatur durch seine Wärmekapazität. Dies gilt in beiden Richtungen. Ob eine Benetzung des Sensorkopfes mit Schmutzwasser bei der Durchfahrt überhaupt erfolgt, hängt davon ab, wie der Sensor an der Achse platziert ist. Es bleibt zum Schluss noch die Frage der Häufigkeit dieses Manövers: Wie viele Fahrzeuge werden unter diesen Bedingungen betrieben, und wie häufig erfolgt eine solche Extrembremsung? Auf eine zahlenmäßige Detaillierung wurde in diesem Beispiel bewusst verzichtet, weil nur die Komplexität der Zusammenhänge angedeutet werden sollte. Sonderfälle sind fehlende Abdeckungen, Schäden an Kabeln und Steckerverbindungen, Anzugsmoment von Schrauben nicht nach Vorgabe, Ersatzteile mit anderen Spezifikationen und der Einsatz im Motorsport.
10.2.1.4 Umweltanforderungen Unter diesem Begriff werden alle klimatischen und dynamischen Anforderungen verstanden, die sich aus dem Betrieb im Kraftfahrzeug ergeben. Die ISO-Norm 16750 und die Fahrzeughersteller beschreiben in ihren Lastenheften, welche Belastungen für den Sensor am Einbauort gelten. Das Ziel ist es, für die gesamte Betriebs- und Lebenszeit der Systeme einen fehlerfreien Betrieb zu gewährleisten. In der Prüfung dieser Lastenhefte und der Konvertierung in eine elektronische Schaltung, einer Bauelementeauswahl und elektromechanischen Konstruktion liegt der höchste Anspruch an den Entwickler. Die Erfüllung jedes Parameters unter allen Bedingungen ist wirtschaftlich nicht
In den Liefervereinbarungen wird auf Basis einer technischen Dokumentation und eines Zeichnungssatzes von der Erfüllung aller Anforderungen an die Funktion auf der Technikebene ausgegangen. Abweichungen sind in Abweichlisten zu dokumentieren. Die Abweichungen werden üblicherweise für eine Baureihe, eine Menge oder einen Zeitraum vereinbart.
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10.2.2 Kommerzielle Ebene
Die Hauptthemen auf dieser Ebene sind: Qualität Liefermengen internationale Lieferungen Nachlieferung Verpackung Änderungswesen.
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Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Die Konstruktion und die ausgewählten Technologien bestimmen die auf dieser Ebene abgeschlossenen Vertragsinhalte wesentlich. Der Entwickler muss mit dem Einkauf des Kunden die besonderen Randbedingungen identifizieren und Vereinbarungen festschreiben.
10.3 Technische Sensorkenndaten für Fahrerassistenzsysteme
rerwunsches die Messgröße, auf die alle Fahrdynamikmesswerte bezogen und plausibilisiert werden. Es wird nicht der Lenkwinkel am Rad gemessen. 10.3.1.3 Drehratensignal Die Drehbewegungen in allen drei Raumachsen werden gemessen, um die Dynamik des Fahrzeugkörpers zu bestimmen. Für ESP-Systeme wird die Bewegung um die z-Achse gemessen, für Überschlagerkennung die Rollbewegung um die x-Achse und für Fahrwerkregelung die Nickbewegung um die y-Achse.
10.3.1 Sensoren und Einbauorte Hauptfunktionen der Signale in den Systemen: Die Kennzeichnung der Hauptachsen in Fahrtrichtung als x, Querrichtung als y und Hochachse als z ist international einheitlich definiert. Damit wird erreicht, dass die Beschriftungen der Sensoren und die Definition der Parameter nicht zu unterschiedlichen Bewertungen führt. 10.3.1.1 Raddrehzahl Für alle Fahrdynamiksysteme ist die Radbewegung die Größe, mit der Radgeschwindigkeit, Radbeschleunigung und Radrichtung bestimmt werden. Hieraus wird der Reibwert oder Radschlupf bestimmt und auch die Fahrzeuggeschwindigkeit errechnet. Die Dynamik der Radbewegung ist die wichtigste Größe zur Regelung der Fahrzeugverzögerung und der Fahrstabilität auf allen ordentlichen Fahrbahnen. 10.3.1.2 Lenkradwinkel Für die Regelung der Fahrzeugstabilität ist der Lenkradwinkel als Eingangsinformation des Fah-
10.3.1.4 Beschleunigungssensoren Zur Erfassung der Beschleunigung und Verzögerung dient der x-Sensor. Damit können auch statische Hangabtriebskräfte erfasst werden. Der Beschleunigungssensor in der y-Achse misst die tangentiale Beschleunigung in der Kreisfahrt und dient statisch zur Messung von Fahrbahnneigungen. Beschleunigungssensoren in der z-Achse werden zur Erfassung der Fahrzeugaufbaubewegung in Fahrwerkregelsystemen verwendet. 10.3.1.5 Bremsdrucksensoren Zur Erfassung des vom Fahrer eingesteuerten Bremskraftwunsches wird der Druck im Hauptbremszylinder gemessen. In Fahrdynamikregelsystemen mit hohem Komfort werden auch die einzelnen Bremskreise oder sogar der Druck an jedem Radbremszylinder gemessen. Für Abstandsregelsysteme muss in jedem Fall der Druck nach dem Speicher oder der Pumpe gemessen werden.
Bild 10-2 Übersichtsbild Fahrzeug mit Sensoren und Darstellung der Maßachsen
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10 Fahrdynamik-Sensoren für FAS
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Bild 10-3 Raddrehzahlsensoren
10.3.2 Raddrehzahlsensor DF 10.3.2.1 Funktions- und Aufbaudarstellung Raddrehzahlsensoren waren seit der ersten ABSAnwendung 1978 mehrheitlich induktive Sensoren. Mit der Forderung, auch quasi bis null die Radgeschwindigkeit messen zu können, musste der passive durch einen aktiven Sensor ersetzt werden. Von 1995 an haben diese Sensoren mit Messelementen nach dem Hall- oder AMR-Prinzip die passiven fast vollständig verdrängt. Im Nutzfahrzeug jedoch werden auch heute noch überwiegend induktive Sensoren verwendet, weil die Achskonstruktionen noch nicht angepasst wurden. Im Bild 10-3 sind die Funktion und der Aufbau der Sensoren im Prinzip dargestellt. Die technischen Daten der Drehzahlfühler beziehen sich auf folgende Teile:
Drehzahlfühlerkopf Elektrische Leitung einschließlich Tüllen, Befestigungselementen und einem Stecker Der Drehzahlfühlerkopf wird zusätzlich noch in folgende Zonen aufgeteilt: Sensorzone Kabelzone Die genaue Lage der einzelnen Zonen ist in der Angebotszeichnung festgelegt. Die Achsenkonstruktionen fordern unterschiedliche Bauformen der Sensoren, siehe Bild 10-5. Die entscheidende Größe ist die Lage der Sensorelemente zum Impulsrad, auch Encoder genannt. Mit aktiven Sensoren ist es auch möglich, die Drehrichtung des Rades zu erfassen. Deshalb kann auch eine linke und rechte Einbaulage definiert werden.
Bild 10-4: Prinzipskizze zur Festlegung von Temperatur von Raddrehzahlsensoren
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Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bild 10-5 Einbaupositionen Raddrehzahlsensor
10.3.2.2 Technische Daten Raddrehzahlsensor
Umgebungstemperatur Kriterium
Lagerzeit Kriterium Ab Fertigungsdatum Lagertemperatur
Wert 10 Jahre –40 °C … +50 °C
Mindest-Lebenserwartung Kriterium
100
Wert
Unter Berücksichtigung der Temperaturgrenzen
15 Jahre
Betriebsdauer
12 000 h
Wert
für Sensorzone
–40 °C … +150 °C
für Kabelzone
–40 °C … +115 °C
Die Versorgungsspannung muss dabei im Bereich von 4,5 V bis 20 V liegen. Ausgangssignal Alle Raddrehzahlsensoren arbeiten mit zwei geschalteten Strompegeln an einem Kabel mit zwei Leitungen. Der untere Strompegel setzt sich aus der Eigenstromaufnahme des Sensorelements und einer geregelten Korrekturgröße zusammen.
10 Fahrdynamik-Sensoren für FAS
Der obere Strompegel wird durch eine zusätzlich geschaltete, temperaturkompensierte Stromquelle als additive Größe dargestellt. Kriterium
Wert
Signalfrequenz
1 … 2500 Hz
Untere Signalhöhe IL
5,9 … 8,4 mA
Obere Signalhöhe IH
11,8 … 16,8 mA
Signalverhältnis Signalanstieg, -abfall mit EMVKondensator und definierter Mess-Schaltung Tastverhältnis
t 1,9 8 … 26 mA/µs
0,3 d t / T d 0,7
Prüfungen Die aufgeführten Prüfungen sind charakteristisch für den Einbauort am Rad im Außenbereich des Fahrzeugs; sie sind Einzelprüfungen und werden jeweils an Neuteilen durchgeführt. Prüfbedingungen Soweit nicht anders spezifiziert, gilt für alle nachfolgend aufgeführten Prüfungen: Prüfbedingung Prüfbedingungen gemäß
Wert IEC 68-1
Umgebungstemperatur
23 °C ± 5 °C
Relative Luftfeuchtigkeit
50 % ± 15 %
Spannungsversorgung Uv (DC)
12 V ± 0,1 V
Eingangskapazität Steuergerät (inkl. Leitung)
d 10 nF
Nach Abschluss der jeweiligen Prüfungen müssen die Kenndaten gelten.
B
Isolationswiderstandsmessung Der DF wird in eine 5 %-ige NaCl-Lösung getaucht. Zwischen einer Elektrode in der Lösung und den kurzgeschlossenen Steckerpins wird die Prüfspannung für die Zeit der Prüfdauer angelegt. Der Steckerbereich befindet sich außerhalb der Sole. Prüfbedingung
Wert
Prüfspannung
400 V DC
Prüfdauer
2s t 100 M:
Prüfkriterium im Neuzustand (RIsol)
t 5 M:
Prüfkriterium über die Lebensdauer (RIsol)
Breitbandrauschprüfung Prüfbedingung
Wert
Prüfbedingungen gemäß
IEC 68-2-34
Festlegung der Hauptachsen
Kundendefinition
Prüfaufnahme
Kundendefinition
Die Leitung wird im Abstand von 50 … 120 mm vom DF-Kopf mit dem ersten Befestigungspunkt (Tülle, Blech) am mitschwingenden Teil der Prüfaufnahme befestigt.
10.3.3 Lenkradwinkelsensoren Eine weitverbreitete Bauform eines Lenkradwinkelsensors ist im Bild 10-6 dargestellt. Ein Messprinzip, das kontaktlos ist und eine Absolutmessung gewährleistet, wird in der modernsten Bauform – GMR-Effekt (Giant Magneto Resistive) – eingesetzt.
Bild 10-6 Mögliche Einbauposition des Lenkradwinkelsensors
101
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bild 10-7: Grundprinzip des Noniusprinzips im Lenkradwinkelsensor
Die Erfassung des absoluten Winkels wird mittels zweier Messzahnräder erreicht, die ein um zwei Zähne unterschiedliches Übersetzungsverhältnis zur Nabe an der Lenksäule haben. Die Messzahnräder tragen Magnete, die in den gegenüberliegenden angeordneten GMR-Elementen eine dem Winkel proportionale Widerstandsänderung bewirken. Die Analogspannungen werden digitalisiert, und der phasenverschobene Spannungsverlauf erlaubt über das Noniusprinzip eine eindeutige Zuordnung der Neubauposition innerhalb von z. B. drei Umdrehungen nach links oder rechts. Die Zählweise geht von der Mittelposition, also der Geradeausfahrt aus. Als Systemschnittstelle wird aus Systemsicherheitsbetrachtungen eine CAN-Schnittstelle verwendet. Über diese Schnittstelle kann auch die errechnete Lenkwinkelgeschwindigkeit übertragen werden. Durch eine mathematische Operation kann ein Korrekturfaktor berechnet werden, im Bild 10-7 als das gelbe und blaue Feld dargestellt. Die unterschiedlichen Einbaupositionen erfordern eine individuelle Gestaltung der Mechanik. Innerhalb von Plattformen eines Herstellers definieren sich aber auch Gleichteilekonzepte. 10.3.3.1 Technische Daten Lenkradwinkelsensor Die CAN-Schnittstellenspezifikation ist vergleichbar mit allen anderen Applikationen dieser Art im Kraftfahrzeug und wird deshalb nicht extra dargestellt.
102
Von besonderer Bedeutung für die Systemfunktionen sind die Umsetzungen der mechanischen Größen mit ihren Toleranzen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Lenkradwinkelsensor als Eingangsgröße des Fahrerwunsches in den Systemen mit anderen Signalen zu plausibilisieren ist. Wird sogar eine Hinterradlenkung damit gesteuert, sind erhöhte Anforderungen an Hysterese und Linearität darzustellen. Diese Anwendungen fordern außerdem eine redundante Signalverarbeitung. Funktionale charakteristische Kennwerte Die angegebenen Werte sind nur dann gültig, wenn der Sensor an der Lenksäule zeichnungsgerecht montiert ist. Nominaler Messbereich Funktion Winkelbereich
Wert –780° … +779,9°
Lenkwinkelgeschwindigkeit
0 … 1016°/s
Empfindlichkeit und Auflösung Funktion
Wert
Winkel: 1 Bit entspricht (über Messbereich)
0,1°
Geschwindigkeit: 1 Bit entspricht (über Messbereich)
4°/s
10 Fahrdynamik-Sensoren für FAS
B
Bild 10-8 Definition der Parameter zur Funktion Empfindlichkeit
Bild 10-9 Definition der Parameter zur Funktion Nichtlinearität
Bild 10-10 Definition der Parameter zur Funktion Hysterese
Hysterese
Nichtlinearität Funktion Winkel (über Messbereich)
Wert –2,0° … +2,0°
Funktion Winkel (über Messbereich)
Wert 0° … 4°
103
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Nullabgleich Die Offset-Kalibrierung des Nullpunkts erfolgt über das CAN Interface, während das Lenkrad und Fahrzeugrad in eine Richtung bewegt wird. Die Initialisierungsprozedur steht im Service Manual der System-Applikation. Nullpunkt Abweichung Funktion
Wert
Maximale NullpunktToleranz zwischen mechanischer und messtechnischer Sensorschnittstelle
–5° … +5°
Nullpunkt Wiederholgenauigkeit Funktion
Wert
Einschaltwiederholgenauigkeit
–0,5° … +0,5°
Lenkwinkelgeschwindigkeit Funktion Maximale Geschwindigkeit (< 5 s)
Wert –2500 °/s … +2500 °/s
Signalverzögerung Funktion
Wert d 200 ms
Verzögerungszeit zwischen Zündung Ein und einem gültigen Ausgangssignal ohne Lenkbewegung
Drehmoment Für alle Komponenten in Lenksystemen ist das zu addierende Drehmoment von großer Bedeutung. Werden hohe Momente erzeugt, ist das Rückstellmoment in die Geradeausfahrt über die Lenkgeometrie nicht ausreichend. Nullpunkt Wiederholgenauigkeit Funktion Drehmoment (Durchschnitt über Messbereich) Temperatur Drehgeschwindigkeit
104
Wert d 6 Ncm +23 °C 50 °/s ± 10 °/s
10.3.4 Drehraten- und Beschleunigungssensoren 10.3.4.1 Technische Daten Drehraten- und Beschleunigungssensoren
Messprinzip Der Zweck dieser Sensoren ist, die Drehung eines Fahrzeugs um seine Achsen sowie Quer-, Längsund Vertikalbeschleunigungen zu messen. Damit wird eine eindeutige Bestimmung des dynamischen Zustands im Raum möglich. Das Sensorelement für die Drehraten ist in vielen Anwendungen in Oberflächenmikromechanik hergestellt und mit einer Steuerung für den Antrieb und der Auswerteschaltung verbunden. Das Prinzip beruht auf dem gyroskopischen Effekt. Ein elektrostatischer Kammantrieb versetzt eine seismische Masse in eine oszillierende Schwingung. Eine Drehung des Fahrzeugs, z. B. um die z-Achse (Hochachse), bewirkt eine Corioliskraft auf einen Beschleunigungssensor, dessen kapazitive Änderung gemessen werden kann. Eine synchrone Demodulation der gemessenen Corioliskraft, welche die Geschwindigkeit der seismischen Masse nutzt, generiert ein Signal, das proportional zur Drehrate ist. Die Sensorelemente für Beschleunigungen bestehen ebenfalls aus Messelementen in Oberflächenmikromechanik. Zur Reduzierung der Chipfläche für die Auswerteschaltung werden die Signale auf kurzem Weg von einer analogen in eine digitale Signalverarbeitung umgesetzt. Die Kommunikation zwischen den Messelementen und dem internen Mikrocontroller des Sensors wird mit einem „Serial Peripheral Interface (SPI)“ dargestellt. Die Kommunikation zwischen dem Sensor und dem Steuergerät wird mit einer CAN-Schnittstelle nach Kundenspezifikation ausgeführt. Damit ist eine mehrfache Nutzung von verschiedenen Systemen möglich, und die Signalübertragung selbst ist störungssicherer. Einbauort Der Einbauort des Sensorclusters sollte so ausgewählt werden, dass an dieser Stelle nur die dynamischen Bewegungen des Fahrzeugs auftreten. Hierzu eignet sich insbesondere der Mitteltunnel oder der Bereich des Querträgers an der A-Säule. Die Montage am Fahrzeugboden unter den Sitzen muss mit besonderer Sorgfalt untersucht werden. Auf Grund des Messprinzips des Sensors, welches auf Beschleunigung basiert, müssen sekundäre, störende Beschleunigungen mit hohen Amplituden
10 Fahrdynamik-Sensoren für FAS
B
Bild 10-11: Blockschaltbild für einen ESP-Sensor mit CAN-Schnittstelle
und kritischen Frequenzbereichen, die nicht ursächlich auf der Fahrzeugbewegung beruhen, an dieser Einbaustelle begrenzt werden. Verbindungspunkte der Fahrzeugschweller und Querträger haben sich als effektiv bewährt. Eine Befestigung an dünnen Verkleidungen sollte vermieden werden. Bezüglich der Lebensdauer ist eine spektrale Beschleunigungsprüfung zweckmäßig, um sicher zu stellen, dass die möglicherweise auftretenden Vibrationen im Fahrzeug den Sensor nicht stören.
Diese Prüfung ist um ein Vielfaches schwieriger, als üblicherweise in einem Fahrzeug erwartet wird. Sie soll einen Langzeiteffekt (Fahrzeug-Lebensdauer) auf den Sensor in einer kurzen Zeit simulieren. Eine generelle Beschleunigungsprüfung zur Überprüfung der Funktion kann nicht definiert werden. Die in einem Fahrzeug tatsächlich auftretenden Beschleunigungen sind nicht konstant und variieren bezüglich Zeit, Frequenz, Temperatur und Amplitude.
Bild 10-12 Drehratenmesselement in Mikromechanik Blockschaltbild Signalauswertung
105
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Funktionsdaten Drehrate Funktion
Maximal
Einheit
Nominaler Messbereich
Minimal –100
+100
°/s
Messbereichsgrenze
–1000
+1000
Nominale Empfindlichkeit
Typisch
12,5 –5
±2,5
Nicht-Linearität
–1
±0,5
Differenzielle Nicht-Linearität (in Schritten von 5°/s)
–4
Empfindlichkeitsfehler (bei
operation
über t life)
Offset, absolut (über t life, gemessen bei
op)
Offset Drift, Betrieb zu Betrieb (über t life, gemessen bei operation)
–3,5
±1,5
–2,0
Auflösung, absolut (Quantisierung) Zeit bis Verfügbarkeit Querempfindlichkeit
–5
Abschaltfrequenz (–3dB)
+5
%
+1
°/s
+4
%
+3,5
°/s
+2,0
°/s
0,1
°/s
0,75
1
s
±2,0
+5
%
0,2
°/srms
+0,25
°/s/g
Maximal
Einheit
+1,8
g
15
Ausgangsrauschen
0,05
Beschleunigungsempfindlichkeit
°/s LSB/°/s
–0,25
Hz
Beschleunigungssignal (Längs- und Querbeschleunigung) Funktion
Minimal
Nominaler Messbereich
–1,8
Messbereichgrenze
–10
Nominale Empfindlichkeit
Typisch
+10 490,5
–5
±2,5
5
%
Nicht-Linearität
–0,072
±0,036
+0,072
g
Offset (neuer Sensor, gemessen bei
–0,030
+0,030
g
Empfindlichkeitsfehler (bei
operation
über t life) room)
+0,1
g
Offset Drift, Betrieb zu Betrieb (über t life, gemessen bei operation)
–0,07
+0,07
g
Änderungsrate Offset
–0,03
+0,03
g/min
0,01
g
Offset (über tlife, gemessen bei
operation)
–0,1
±0,05
Auflösung, absolut (Quantisierung) Zeit bis Verfügbarkeit Querempfindlichkeit Abschaltfrequenz (–3dB) Ausgangsrauschen
–5
0,150
0,250
s
±2,5
+5
%
0,01
grms
15 0,004
Hz
10.3.5 Bremsdrucksensoren Für alle Fahrdynamiksysteme, die über die hydraulische Bremsanlage eingreifen, ist es erforderlich, den im System aufgebauten Druck zu messen. Ein einfaches ABS-System kommt auch mit einem Druckschätzmodell aus. Die maximale Ausbauform der Drucksensierung für ein ESP stellt die elektro-
106
g LSB/g
hydraulische Bremsanlage EHB dar. In diesem System werden Hauptbremszylinderdruck Speicherdruck vier Radbremskreisdrücke gemessen.
10 Fahrdynamik-Sensoren für FAS
B
Bild 10-13: Drucksensor für elektrohydraulische Bremssysteme EHB
Für ein einfaches ESP-System ist die Messung des Hauptbremszylinderdrucks ausreichend. Das entscheidende Merkmal aller Drucksensoren in den Bremskreisen ist die Betriebssicherheit der Dichtheit. Diese Dichtheit muss mit einer mehrfachen Überlastsicherheit des Berstschutzes gewährleistet sein. Auch minimale Leckagen, die durch das Bremsflüssigkeitsreservoir ausgeglichen werden, müssen unbedingt vermieden werden. Die austretende Bremsflüssigkeit kann durch korrosive Wirkung auf die Umgebung, z. B. eine angebaute Elektronik, zu schwerwiegenden Fehlern führen. Deshalb sind Abdichtungen des Messelementes durch Schweißverbindungen vorzuziehen. Für Messzellen ist eine Driftüberwachung in den Fällen vorzusehen, bei denen dem Absolutwert des Drucks eine Sicherheitsfunktion zugeordnet ist. Wird über die Bremsanlage eine automatische Abstandsregelung gesteuert, ist der Systemdruck ein Maß für die zu erreichende Verzögerung. Zur Kompensation der Temperaturabhängigkeit von Hydraulikpumpen wird auch eine Temperaturmessung integriert. Es muss dabei bedacht werden, dass diese Temperaturmessung nur den Wert am Montageort des Drucksensors repräsentiert und nicht im gesamten System. Als Messmittel für den Bremspedalweg ist der Drucksensor nicht zwangsläufig geeignet. Bevor tatsächlich Druck aufgebaut wird, hat das
Bremspedal bereits einen Weg zurückgelegt. Dieser Weg ist notwendig, um Bohrungen zum Bremsflüssigkeitsspeicher freizugeben. Für die Nutzung als Signal zur Ansteuerung der Bremsleuchten und zur Deaktivierung der Geschwindigkeitsregelung reicht die Genauigkeit im Nullpunkt nicht in jedem Fall aus, bzw. es wird erwartet, dass die Funktion schon aktiviert ist, bevor ein Bremsdruck aufgebaut wird. In allen bekannten Drucksensorkonstruktionen wird der hydraulische Anschluss entweder über eine Schraubverbindung, siehe Bild 10-14, oder über eine Einpressverbindung, siehe Bild 10-15, sichergestellt. Spezifisch ist, dass das Luftvolumen im Sensor minimal ausgelegt ist, sodass keine besondere Entlüftung notwendig ist. Die Bremsflüssigkeit ist in der Erstbefüllung entgast und somit in der Lage, dieses kleine Luftvolumen zu absorbieren. Die Verstärker-IC sind auf diesen Anwendungsfall spezifisch entwickelt und verfügen über Abgleichstrukturen zur Anpassung von Empfindlichkeit, Offset und Temperaturgang. Dieser Abgleich wird in der Fertigung vorgenommen und über Druck (Luft) und Temperatur ausgeführt. In der Abdichtung gegenüber äußeren Einflüssen wird in der Konstruktion unterschieden, ob sich der Sensor im Hydraulikaggregat oder außerhalb im Motorraum befindet.
107
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bild 10-14: Typischer Aufbau eines Drucksensors im Bremsregelsystem (Schraubversion)
Bild 10-15: Typischer Aufbau von Drucksensoren im Bremsregelsystem mit Einpresstechnik
10.3.5.1 Technische Daten Drucksensor
Elektrische Kennwerte Falls keine andere Temperatur angegeben ist, wird eine Umgebungstemperatur von –40 °C bis +120 °C angenommen. Funktion
Minimal
Typisch
Maximal
4,75
5,0
5,25
V
10,0
ms
–5,25
16,0
V
Stromaufnahme (normaler Betrieb)
9,0
20,0
mA
Unterspannungserkennung (Versorgungsspannung, Ausgangssignal auf Alarm geschaltet)
3,7
4,2
V
Überspannungserkennung (Versorgungsspannung, Ausgangssignal auf Alarm geschaltet)
6,0
7,5
V
Unterbrechungserkennung, Kabelbruch der Signal-, Masse- oder Versorgungsleitung (bezogen auf Versorgungsspannung)
96 %
100 %
V
Kurzschlusserkennung, Signal-/ Versorgungsleitung (bezogen auf Versorgungsspannung)
96 %
100 %
V
Kurzschlusserkennung, Signalleitung/Masse (bezogen auf Versorgungsspannung)
0%
4%
V
Versorgungsspannung (normaler Betrieb) Einschaltverzögerung (Ausgangssignal während dieser Zeit nicht spezifiziert) Versorgungsspannungsbereich ohne Zerstörung
108
Einheit
Kurzschlusserkennung, Versorgungsleitung/Masse (Sensor mit Steuergerät verbunden, bezogen auf Versorgungsspannung)
34 %
V
Kurzschlusserkennung, Versorgungsleitung/Masse (Sensor verbunden mit Lastwiderstand, bezogen auf Versorgungsspannung)
100 %
V
10 Fahrdynamik-Sensoren für FAS
B
Funktionskennwerte Funktion Druckbereich, nominal
Minimal
Typisch
0
Maximaler Druck Druck bei Zerstörung
500
Maximaler Unterdruck
–1,0
Nominalfrequenz Phasenfehler (bei Nominalfrequenz)
bar
350
bar bar
0,05
Resonanzfrequenz der Membrane Obere Abschaltfrequenz (–3 dB); festgelegt durch feste Filterkoeffizienten
Einheit
250
bar
Volumenanstieg Untere Abschaltfrequenz
Maximal
200 0
0
cm3 kHz
0
150
Hz Hz
100
Hz 35
°
109
B 11 Ultraschallsensorik Ultraschallsensoren werden in unterschiedlichsten Anwendungsbereichen eingesetzt. Beispielhaft seien hier die Werkstoffprüftechnik, medizinische Diagnostik, Unterwassersonar sowie industrielle Näherungsschalter erwähnt. Die physikalischen Grundlagen und zahlreiche Anwendungsbeispiele werden in der Literatur vielfältig beschrieben; [1], [2], [3], [4]. Die Verwendung im Automobil hat dagegen erst vergleichsweise spät mit der Einführung von ultraschallbasierten Einparkhilfesystemen Anfang der neunziger Jahre eingesetzt und seitdem eine weite Verbreitung gefunden. Dieses Kapitel dient daher einer detaillierten Betrachtung der spezifischen Anforderungen und Auslegung von Ultraschallsensorkomponenten für den Einsatz im Bereich der Einparkassistenzsysteme. Einen breiteren Raum nehmen dabei zu Beginn die piezokeramischen Ultraschallwandler ein, die vor allem aufgrund ihrer robusten Umwelteigenschaften für die Anwendung im Automobil besonders geeignet sind und sich breitflächig durchgesetzt haben.
11.1 Piezoelektrischer Effekt Der 1880 von Jacques und Pierre Curie entdeckte piezoelektrische Effekt besteht aus einer linearen elektromechanischen Wechselwirkung zwischen den mechanischen und den elektrischen Zuständen in einem Kristall. Eine mechanische Deformation des Kristalls erzeugt eine zu dieser Deformation proportionale elektrische Ladung, die als elektrische Spannung abgegriffen werden kann (direkter piezoelektrischer Effekt). Umgekehrt kann durch Anlegen einer elektrischen Spannung an den Kristall in diesem eine mechanische Deformation erzeugt werden (reziproker oder inverser piezoelektrischer Effekt). Damit eignen sich piezoelektrische Materialien prinzipiell zum Erzeugen mechanischer Schwingungen bzw. zum Erzeugen von Deformationen durch Anlegen elektrischer Felder und umgekehrt als Sensoren für mechanische Schwingungen bzw. Deformationen. Da der direkte und der inverse piezoelektrische Effekt immer zusammen auftreten, können Piezowandler sowohl zum Aussenden als auch zum Empfangen von Schall eingesetzt werden.
Martin Noll, Peter Rapps
11.2 Piezoelektrische Keramiken 11.2.1 Materialien In der heutigen Praxis zählen ferroelektrische Keramiken zu den weit verbreitetsten Werkstoffen mit piezoelektrischem Effekt. Es gibt auch organische Materialien, die den piezoelektrischen Effekt aufweisen. Doch spielt ihr Einsatz wegen ihrer geringeren Robustheit im Kraftfahrzeug bis heute keine Rolle. Die derzeit wichtigsten piezoelektrischen keramischen Werkstoffe basieren auf dem oxidischen Mischkristallsystem Bleizirkonat und Bleititanat, das als Bleizirkonattitanat (PZT) bezeichnet wird. Die spezifischen Eigenschaften dieser Keramiken wie die hohe Dielektrizitätszahl hängen vom molaren Verhältnis von Bleizirkonat zu Bleititanat sowie von der Substitution und Dotierung mit zusätzlichen Elementen ab. Daraus ergeben sich vielfältige Modifikationsmöglichkeiten für Werkstoffe mit unterschiedlichsten Eigenschaften. Unterhalb der so genannten Curietemperatur stellt sich innerhalb des Gitters einer Zelle eine Asymmetrie der Verteilung von positiver und negativer elektrischer Ladung ein. Daraus resultiert ein permanentes elektrisches Dipolmoment der einzelnen Zelle (Bild 11-1). Die Ferroelektrizität ergibt
Bild 11-1: Kristallgitter
110
11 Ultraschallsensorik
B
Bild 11-2 Herstellprozess von PZT-Keramiken
sich durch die Herausbildung von Domänen mit einheitlicher elektrischer Polarisation, die durch die Polung, d. h. das kurzzeitige Anlegen eines starken elektrischen Gleichfeldes, ausgerichtet werden. Diese Polung ist mit einer Längenänderung der Keramik verbunden. Im Zuge der Bestrebungen, im Kraftfahrzeug auf Blei möglichst zu verzichten, wird auf dem Gebiet bleifreier piezoelektrischer Keramiken intensiv gearbeitet. Jedoch sind auf Grundlage dieser Forschungen kurzfristig noch keine Alternativen zu den heutigen Keramiken zu erwarten.
11.2.2 Herstellung Ausgangspunkt der Herstellung piezoelektrischer Keramiken vom Typ PZT sind Oxide der Metalle Blei, Titan und Zirkonium, die nach dem Mischen
kalziniert werden. Bei diesem thermischen Vorgang entsteht durch die chemische Verbindung der Stoffe das Mischkristallsystem. Das beim Kalzinieren entstandene Material wird gemahlen und mit Zusatzstoffen aufbereitet, woraus die so genannte grüne Keramik entsteht. In diesem Zustand ist das keramische Material noch weich und kann leicht in die gewünschte Form gebracht werden. Die beiden gebräuchlichsten Formgebungen sind das Pressund das Foliengießverfahren, wie es im Bild 11-2 dargestellt ist. Der Grünling erhält durch das Sintern seine eigentlichen keramischen Eigenschaften und insbesondere seine mechanische Härte. In diesem Zustand ist eine Formgebung wesentlich aufwendiger. Ob nach dem Sintern eine mechanische Nachbearbeitung der Keramik erforderlich ist, hängt davon ab, inwieweit die beim Sintern entstehende Schrumpfung des Materials von bis zu 20 % im
111
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Volumen mit ihren Toleranzen beherrscht wird und bei der Formgebung im grünen Zustand vorgehalten werden kann. Nach der Herstellung der gewünschten Form erfolgt das Aufbringen der Elektroden durch eine geeignete Metallisierung der Keramikoberfläche. Gebräuchliche Verfahren sind elektrochemisches Abscheiden von Metallen, Bedampfen, Sputtern oder die Dickschichttechnik. Bei letztgenanntem Verfahren wird eine Paste aus Metallpartikeln, organischen und anorganischen Bindemitteln aufgesprüht oder aufgedruckt und anschließend eingebrannt. Es muss dabei beachtet werden, dass die anorganischen Bestandteile des Binders zu einem gewissen Anteil in die Keramik hineinwandern und die piezoelektrischen Eigenschaften verändern. Die Formgebung der Elektroden erfolgt entweder durch Siebdruck oder im Falle des Aufsprühens durch nachträgliche Laserbearbeitung. Beim Polarisieren wird eine elektrische Gleichspannung an die Elektroden angelegt. Die Höhe der Spannung wird nach oben durch die Durchbruchspannung in der Keramik begrenzt, nach unten durch die spätere Betriebsspannung, wobei die Polarisationsspannung immer über derselben liegen muss.
11.2.3 Hysterese Analog zum Ferromagnetismus zeigen ferroelektrische Materialien einen Zusammenhang zwischen
angelegtem elektrischen Feld E und Polarisation Pf in Form einer Hysterese, wie in Bild 11-3 schematisch dargestellt. Beim Polarisieren wird die Neukurve durchfahren, und nach dem Abschalten des elektrischen Feldes verbleibt die remanente Polarisation Pr .
11.2.4 Piezoelektrische Konstanten Aufgrund der anisotropen Natur der gepolten Piezokeramiken sind die physikalischen Konstanten wie Elastizität und Permittivität Tensoren, wobei die Polungsrichtung in der Regel der z-Achse und dem Index 3 zugeordnet wird. Die x- bzw. y-Achse mit den Indizes 1 und 2 bezeichnen dazu senkrecht stehende Achsen. Die Dielektrizitätskonstante X33/X0 liegt typischerweise im Bereich zwischen 1500 und 3000. Eine weitere wichtige Kenngröße ist der Koppelfaktor, der das Verhältnis von umgewandelter Energie zu aufgewendeter Energie beschreibt. Im Falle von Ultraschallwandlern mit dünnen piezokeramischen Scheiben ist der planare Koppelfaktor kp, der die Kopplung zwischen dem elektrischen Feld in z-Richtung und den mechanischen Effekten in xbzw. y-Richtung beschreibt, von besonderer Bedeutung. Der Koppelfaktor beim Ultraschallwandler ist sowohl vom keramischen Material als auch von der Konstruktion des Ultraschallwandlers abhängig. Angaben zum Koppelfaktor in Keramikdatenblät-
Bild 11-3 Ferroelektrische Hystereseschleife
112
11 Ultraschallsensorik
tern beziehen sich auf eine Standardscheibe und liegen typisch im Bereich 0,6 bis 0,7.
11.2.5 Depolarisation Für den Einsatz von Piezokeramiken sind ihre besonderen Alterungseffekte zu beachten, die zur Veränderung der Materialeigenschaften im Laufe der Nutzungsdauer (im Fahrzeug bis zu 20 Jahre) führen können. Der hauptsächliche Alterungseffekt ist dabei die allmähliche Depolarisation des Materials, die bereits unmittelbar nach dem Polarisieren einsetzt und sich logarithmisch über der Zeit fortsetzt. Zur Stabilisierung des Materials kann eine Voralterung durch Lagerung unter erhöhter Temperatur zum Einsatz kommen. Weitere depolarisierende Mechanismen sind thermischer, elektrischer und mechanischer Natur. Durch Erwärmen baut sich die piezoelektrische Eigenschaft beschleunigt ab. Oberhalb der Curietemperatur, die bei den gebräuchlichen Materialien im Kfz-Bereich über 300 °C liegt, verschwindet der Piezoeffekt vollständig und entsteht auch nach dem Abkühlen erst wieder nach erneuter Polarisation. In der Praxis gilt die Faustformel, dass die Gebrauchstemperatur maximal die halbe CurieTemperatur in °C betragen darf. Auch durch Anlegen eines elektrischen Gleichfeldes entgegengesetzt zur Polarisationsrichtung entsteht eine Depolarisation. Gleichermaßen wirkt eine mechanische Kraft, die entgegengesetzt zur mechanischen Deformation, die während des Polarisierens eingetreten ist, anliegt. Durch die mechanische Konstruktion des Ultraschallwandlers und durch seine elektrische Beschaltung muss sicher gestellt werden, dass diese depolarisierenden Wirkungen über seiner Lebensdauer vernachlässigbar klein bleiben.
B
11.3 Ultraschallwandler Ultraschallwandler, die den Schall in Luft abstrahlen bzw. aus der Luft wieder empfangen sollen, sind – im Unterschied zu Anwendungen in Flüssigkeiten und Festkörpern – auf relativ große Amplituden angewiesen, um ausreichend Energie in die Luft auszukoppeln bzw. aus ihr wieder einzukoppeln. Die mechanische Deformation der Piezokeramik selbst reicht dafür nicht aus, weswegen eine mechanische Verstärkung des Effekts erforderlich ist. Dies geschieht bei gebräuchlichen Kfz-Ultraschallabstandssensoren, indem ein piezokeramisches Plättchen flächig auf eine metallische Membran geklebt wird. Wird zwischen die Elektroden eine Wechselspannung angelegt, so verändert es seinen Durchmesser und seine Dicke (Bild 11-4). Da das Plättchen auf eine metallische Membran geklebt ist, übertragen sich diese Änderungen in eine Biegeschwingung der Membran, die – wenn sie mit Resonanzfrequenz betrieben wird – wesentlich größere Schwingungsamplituden erzeugt. In umgekehrter Weise führt eine auftreffende Schallwelle zu einer Biegeschwingung der Membran und damit zu einer Durchmesseränderung des piezokeramischen Plättchens. Dadurch entsteht zwischen den Elektroden eine elektrische Wechselspannung, die verstärkt und elektrisch weiterverarbeitet wird. Meistens werden Ultraschallwandler sowohl zum Senden als auch zum Empfangen von Ultraschall eingesetzt. Die schwingende Membran muss an ihrem Rand fixiert werden. In der Praxis geschieht dies dadurch, dass man die piezokeramische Scheibe auf den Boden eines Aluminium-Töpfchens klebt. Der Boden wirkt als Membran, die stabilen Seitenwände des Töpfchens fixieren die Membran außen. Die Schwingung konzentriert sich überwiegend auf
Bild 11-4 Planare Schwingung einer piezokeramischen Scheibe
113
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bild 11-5 FEM-Simulation der schwingenden Membran (in Resonanz angeregter Topfboden)
die Membran, jedoch nehmen die Seitenwände in geringem Maße ebenfalls an der Bewegung teil. Das ist insofern von Bedeutung, weil damit die Einspannung des Topfes auf die Membranbewegung Einfluss nimmt. Die Membran wird üblicherweise auf der Grundschwingung angeregt (siehe Bild 11-5). Höhere Moden sind im Prin zip auch nutzbar, führen jedoch zu starker Nebenkeulenbildung, die sich negativ auf die räumlichen Detektionseigenschaften auswirkt. Um den Wandler robuster und leichter beherrschbar zu machen, muss die Innenseite der Membran gezielt akustisch bedämpft werden, z. B. durch Einbringen eines Silikonschaums, dessen Material und Zellstruktur an die Arbeitsfrequenz angepasst sind. Zwar wird dadurch der Wirkungsgrad des Wandlers reduziert, doch die Vorteile sind: Die schädliche Schallabstrahlung ins Sensorinnere wird sofort absorbiert; Robustheit gegenüber externen Belägen auf der Membran (z. B. durch Schmutz oder Feuchtigkeit) und frequenzverändernden Temperatur-/ Alterungseinflüssen wird erhöht. Für ultraschallbasierte Einparkassistenzsysteme hat sich eine Arbeitsfrequenz im Bereich um 40 bis 50 kHz als der beste Kompromiss zwischen den konkurrierenden Forderungen nach guter Systemperformance (Empfindlichkeit, Reichweite etc.) einerseits und hoher Robustheit gegenüber Fremdschallgeräuschen andererseits erwiesen. Höhere Frequenzen führen zu geringeren Echoamplituden durch stärkere Luftschalldämpfung, während für tiefere Frequenzen der Anteil von Störschallquellen in der Fahrzeugumgebung immer mehr zunimmt.
114
11.3.1 Ersatzschaltbild Ein piezokeramischer Ultraschallwandler kann in der Nähe seiner Resonanz durch ein elektrisches Ersatzschaltbild (Bild 11-6) dargestellt werden, das aus einem seriellen Schwingkreis mit Parallelkapazität C0 besteht. Dabei entsprechen den elektrischen Größen Cs und Ls die mechanischen Größen der Federsteifigkeit der Membran und ihrer schwingenden Masse. Rs bringt die Verluste durch Reibung, ferroelektrische Hysterese und Schallabstrahlung zum Ausdruck. Die serielle Resonanzfrequenz ergibt sich zu fs
2
1 Ls Cs
C0 ist die Plattenkapazität der Piezokeramik. Der Wert für C0 ist im eingeklebten Zustand der Keramik deutlich kleiner als vor dem Verkleben, wenn sich die mechanische Deformation ungehindert ausbilden kann. Zur Erhöhung der Bandbreite des Systems wird der Wandler parallel oder seriell abgestimmt. Bild 11-6 zeigt eine Parallelabstimmung: Der elektrische Parallelkreis muss auf dieselbe Resonanzfrequenz abgestimmt sein wie der mechanische Serien kreis. Da die Kapazität C0 der Piezokeramik eine ausgeprägte positive Temperaturabhängigkeit aufweist, ist es zweckmäßig, diesen Effekt durch eine parallele Kapazität mit negativer Temperaturabhängigkeit zu kompensieren. Damit kann die Resonanzfrequenz des elektrischen Kreises temperaturstabil gehalten werden. Wird ein Ultraschallwandler im Sende- und Empfangsbetrieb eingesetzt, so ist es für die Abstands-
11 Ultraschallsensorik
B
Bild 11-6 Ersatzschaltbild eines Ultraschallwandlers mit Parallelabstimmung
messung zu nahe gelegenen Objekten notwendig, dass die Membranschwingung nach dem aktiven Sendesignal in möglichst kurzer Zeit zur Ruhe kommt, um das System möglichst rasch wieder empfangsfähig werden zu lassen. Schnelles Ausschwing- bzw. Abklingverhalten ist daher insbesondere bei Einparkhilfeanwendungen ein wesentliches Qualitäts- und Funktionsmerk mal der dafür eingesetzten Ultraschallsensoren. Umgekehrt ist es im Sendebetrieb von Vorteil, wenn die mechanische Schwingung der Membran nach Anlegen der elektrischen Wechselspannung möglichst rasch aufklingt. Damit sind kürzere Ultraschallimpulse möglich. Praktische Werte für die effektive Sendedauer liegen typisch bei ca. 300 Ps, während für das anschließende Ausklingverhalten nochmals ca. 700 Ps vergehen.
11.4 Ultraschallsensoren für das Kfz Die Grundfunktion eines Ultraschall-Einparkhilfesystems, die wichtigsten Merkmale der zugehörigen Komponenten und deren Zusammenwirken sind in [5] beispielhaft beschrieben. Im Folgenden wird auf die Eigenschaften der Sensoren nochmals detaillierter eingegangen, da sie den Kern eines jeden Systems darstellen sowie Funktion und Qualität des Gesamtsystems grundlegend beeinflussen.
11.4.1 Sensorbaugruppen Die Hauptkomponenten des Sensors bestehen aus dem akustischen Wandlerelement (analog einer
Kombination aus Lautsprecher und Mikrofon), der Elektronik und dem Gehäuse mit Steckverbindung. Ein exemplarischer Aufbau ist in Bild 11-7 dargestellt. 11.4.1.1 Akustisches Wandlerelement Der akustische Teil des Ultraschallsensors wird im Wesentlichen aus einem topfförmigen Aluminiumkörper gebildet, auf dessen Innenboden die Piezokeramikscheibe aufgeklebt ist. Beim Verbau im Fahrzeug schließt dieser so genannte Membrantopf mehr oder weniger bündig mit der Außenhaut des Stoßfängers ab und ist in der Regel an die Farbe der Einbauumgebung angepasst. Entscheidend bei der Konstruktion und dem Aufbau des akustischen „Frontend“ ist die vollständige Entkopplung der Membranschwingung von dem Sensorgehäuse und dem Einbauhalter im Fahrzeug. Deshalb wird der Membrantopf in einen Entkopplungsring aus weichem Silikon eingebettet, dessen akustische Eigenschaften über dem gesamten Einsatztemperaturbereich – insbesondere bei tiefen Temperaturen – nahezu unverändert bleiben. Das Design des Membrantopfes ist zudem so optimiert, dass die Randschwingungen im Bereich der äußeren Einspannung möglichst kleine Amplituden aufweisen. Auch die elektrische Kontaktierung der Piezokeramik ist durch die Verwendung dünner Litzen oder Drähte so zu gestalten, dass darüber keine akustische Kopplung auf die Leiter platte erfolgt. 11.4.1.2 Elektronik Alle im Kfz eingesetzten Ultraschallabstandsensoren enthalten Elektronikkomponenten, deren Umfang abhängig von der Systemauslegung (Par-
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Bild 11-7 Schnittbild Sensormodul 1 Piezokeramik, 2 Membrantopf, 3 Entkopplungsring, 4 Kontaktträger, 5 Leiterplatte, 6 Übertrager, 7 ASIC-Baustein, 8 Gehäuse mit Steckverbindung
titionierung Sensor und Auswertesteuergerät) stark variieren kann. Eine grobe Klassifikation kann in folgende drei Typen vorgenommen werden: Sensoren mit rein analoger Schnittstelle Sensoren mit rein digitaler Schnittstelle Sensoren mit zeitanaloger Datenschnittstelle Sensoren mit rein analoger Schnittstelle werden beim Senden mit einer Wechselspannung angesteuert und liefern das rohe oder (vor-)verstärkte analoge Echosignal an das übergeordnete Steuergerät zu rück. Der Elektronikumfang besteht dabei aus einigen wenigen passiven und diskreten aktiven
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Komponenten. Bei Sensoren mit rein digitaler Schnittstelle wird dagegen direkt im Sensor aus der Laufzeit des Ultraschallimpulses ein Abstand errechnet und als Datum ans Steuergerät gemeldet. Am gebräuchlichsten sind Sensoren mit zeitanaloger Datenschnittstelle, die typischerweise durch einen Puls zum Senden angesteuert werden, dessen Länge die Sendedauer vorgibt. Auf der gleichen – bidirektionalen – Signalleitung liefert die Elektronik zum Zeitpunkt des Empfangs eines Echos einen Schaltimpuls an das Steuergerät zurück. Die Abstandsinformation ist in der zeitlichen Differenz zwischen den zwei Schaltflanken von Sende- und
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Bild 11-8 Blockschaltbild Ultraschallsensor mit zeitanaloger Datenschnittstelle
Echoimpuls enthalten. Die Empfindlichkeit der Echodetektion kann dabei eine programmierbare Zeit- bzw. Abstandsabhängigkeit enthalten, um den unterschiedlichen Einbaurandbedingungen im Fahrzeugstoßfänger (Höhe, Winkel, lateraler Einbauabstand, vorstehende Anbauteile wie Anhängekupplung, Kennzeichenträger etc.) möglichst universell gerecht zu werden. Das Blockschaltbild mit den Hauptfunktionen Sendesignalerzeugung, Echosignalaufbereitung und Zeitablaufsteuerung eines solchen Sensors ist in Bild 11-8 dargestellt. 11.4.1.3 Gehäuse Das Sensorgehäuse hat neben dem Schutz des Wandlers und der Elektronik vor Umwelteinflüssen die Aufgabe, die Steckverbindung zum Kabelbaum und das Verklipsen im Sensorhalter zu ermöglichen. In der Regel wird wegen des Verbaus im Spritzwasserbereich des Fahrzeugs das Gehäuse mit einem Vergussmaterial ausgefüllt, welches die Elektronik wasserdicht umschließt und gleichzeitig verhindert, dass undefinierte Hohlräume das akustische Verhalten negativ beeinträchtigen. Das Vergussmaterial ist so zu wählen, dass es unter Temperaturwechseln zu keinen Bauteil- oder Lotschäden der Elektronik kommt.
11.5 Antennen und Strahlgestaltung Die Richtcharakteristik oder das Antennendiagramm eines Ultraschall-Einparkhilfesensors ist eines der entscheidenden Merkmale für die Qualität der resultierenden Objektdetektion und der darauf
aufbauenden Umfelderfassungsfunktion. Sie sollte räumlich homogen verlaufen, d. h. keine nennenswerten Interferenzeffekte oder Nebenkeulen aufweisen, um die Winkelabhängigkeit der Sensorperformance so gering wie möglich zu halten. Zur lückenlosen Überdeckung der Fahrzeugbreite mit einer geringstmöglichen Zahl von Sensoren sollte außerdem die horizontale Schallverteilung einen großen effektiven Öffnungswinkel aufweisen (ca. 120o bis 140o für die Erkennung eines Referenzobjekts im Nahbereich bis ca. 50 cm). Gleichzeitig muss jedoch der vertikale Öffnungswinkel so gering ausgelegt sein, dass Reflektionen von der Fahrbahn – insbesondere bei schlechter Wegstrecke, z. B. geschottertem/gepflastertem Untergrund – keine Signale hervorrufen, die zu einer PseudoHindernisanzeige führen. In der Praxis hat sich für den Einbau der Sensoren im Stoßfänger ein effektiver vertikaler Öffnungswinkel bewährt, der mit ca. 60o bis 70o nur ungefähr halb so groß ist wie horizontal.
11.5.1 Simulation Kurze Entwicklungszeiten und unterschiedlichste Einbaurandbedingungen der Sensoren im Stoßfänger erfordern bereits in einem sehr frühen Projektstadium eine effiziente und genaue Vorhersage der zu erwartenden akustischen Sensorperformance in Abhängigkeit vom Einbauort, Einbauwinkel und vor allem der jeweiligen Einbauumgebung. Ausgereifte Simulationsmethoden, -modelle und -werkzeuge sind hier das ideale Hilfsmittel, um verlässliche Aussagen bereits in der Designphase zu treffen, ohne auf kostspielige und zeitaufwendige
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Anfertigung von prototypischen Teilen und darauf aufbauenden Versuchen angewiesen zu sein. Für die Schallabstrahlung hat sich in den letzten Jahren die Randelementmethode (englisch: Boundary Element Method, BEM) als am besten geeignet bewährt. Hierbei wird im Gegensatz zur Finite-Elemente-Methode (FEM) bei dreidimensionalen Problemstellungen nur die schallabstrahlende Oberfläche diskretisiert, nicht aber zusätzlich das umgebende Volumen. Der notwendige Rechenaufwand wird dabei wegen der deutlich geringeren Anzahl von Stützstellen signifikant reduziert. Die Abstrahlungseigenschaften eines im Fahrzeugstoßfänger verbauten Ultraschallwandlers unterliegen mehreren Einflussgrößen. Zum einen hängen sie wesentlich von der Schwingschnelleverteilung auf der durch die Piezokeramik angeregten Membran ab. Diese kann sowohl experimentell als auch ebenfalls durch Simulation bestimmt werden (siehe Bild 11-5). Zusätzlich sind die klimatischen Randbedingungen und dabei vor allem die Temperatur zu beachten, da diese über die Schallgeschwindigkeit Einfluss auf die Wellenlänge in Abhängigkeit der angeregten Frequenz nimmt. Letztendlich fließt noch die Geometrie in der unmittelbaren Umgebung des Wandlers ein. Insbesondere diese Geometrie ist es, die je nach Stoßfängerdesign, Einbaukriterien, Halter- und Befestigungskonzept sehr starke Auswirkung auf die resultierende Schall-
abstrahlung und in gleicher Weise auch auf die räumlichen Empfangseigenschaften haben kann. Als Beispiel zeigt Bild 11-9 den Unterschied eines planaren Sensoreinbaus (links) gegenüber einem leicht vertieften Einbau (rechts), der in einer starken Einschnürung der Schallkeule resultiert und somit eine sehr inhomogene Detektionsleistung nach sich ziehen würde. Mithilfe der Simulation können solche unerwünschten Interferenzeffekte zwar nicht vollständig vermieden, jedoch weitestgehend minimiert werden, indem die beeinflussende Geometrie gezielt auf eine möglichst homogene Abstrahlverteilung optimiert wird. Auf Basis der berechneten Abstrahlung kann dann unter Berücksichtigung der Luftschalldämpfung und der Schallreflexion an definierten Hindernissen zusätzlich auch das Sichtfeld in Abhängigkeit von der Hindernisgeometrie bestimmt werden. Sowohl für die Schalldämpfung als Funktion vom Medium (hier: Luft), Temperatur und Feuchte (Wasserdampfgehalt der Luft) als auch für die Reflexion an Objekten können Modelle der einschlägigen Literatur entnommen werden. Da die Simulation, einschließlich Modellbildung, bestimmten Grenzen und Bedingungen unterworfen ist, sind regelmäßige Abgleiche der Simulationsergebnisse mit realen Messungen zur Validierung und Weiterentwicklung der Methoden unerlässlich.
Bild 11-9 3D-Simulation von Schalldruckverteilung bei planarem Sensoreinbau (homogener Winkelverlauf) und vertieftem Einbau, bedingt durch Neigung von Stoßfängerfläche zu Membranoberfläche (starke Einschnürung aufgrund Interferenz-/Nebenkeulenbildung an vorstehender Einbauumgebung)
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11 Ultraschallsensorik
11.6 Entfernungsmessung Die Entfernungsmessung mittels Ultraschall nach dem Puls/Laufzeitprinzip gestaltet sich wegen der vergleichsweise geringen Schallgeschwindigkeit technisch sehr einfach. Auf Basis der elektronischen Zeitmessung zwischen dem Start eines Sendeimpulses und dem Eintreffen des zurückkehrenden Echosignals kann über die zugrunde liegende Luftschallgeschwindigkeit direkt die Entfernung zum reflektierenden Hindernis berechnet werden. Die absolute Genauigkeit der Messung wird dabei von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Auf der einen Seite sind dies die physikalischen Abhängigkeiten der Schallgeschwindigkeit von den Eigenschaften der Luft als Ausbreitungsmedium. Hier ist vor allem die Lufttemperatur die entscheidende Einflussgröße, der gegenüber andere Parameter (z. B. Dichte) nahezu vernachlässigt werden können. Daneben spielt die Echostärke eine Rolle, da insbesondere bei kleinen Signalen eine Verzögerung in der Laufzeit des detektierten Signals in Kauf genommen werden muss. Diese entsteht durch das zeitliche Aufklingen des Echosignals aufgrund der begrenzten Bandbreite des piezokeramischen Ultraschallwandlers. Wegen der vergleichsweise geringen Anforderungen an die zentimetergenaue Entfernungsbestimmung für Einparkhilfeanwendungen sind all diese Abhängigkeiten jedoch ohne weiteres tolerierbar.
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Kritischer sind die geometrischen Messungenauigkeiten in Bezug auf die Begrenzungen des Fahrzeugs, welche hauptsächlich durch Position, Ausdehnung, Geometrie und Orientierung der zu detektierenden Hindernisse relativ zum Sensor bestimmt werden. Dadurch hervorgerufene Messfehler können leicht bis zu 20 cm und mehr betragen. Entscheidend für die Reduzierung dieser geometrisch bedingten Messfehler sind einerseits die Verwendung mehrerer Sensoren über die gesamte Fahrzeugbreite (typisch 4 oder 6) und andererseits die Anwendung des so genannten Trilaterationsprinzips. Hierbei wird zu jedem Sendeimpuls eines Sensors sowohl das selbst empfangene Echosignal (Direktecho) als auch das von dem jeweiligen linken und/oder rechten Nachbarsensor empfangene Echosignal (Kreuzecho) für die Berechnung des Hindernisabstands herangezogen. Dadurch lässt sich näherungsweise die Position des nächstgelegenen Hindernisses innerhalb der Sensorebene bestimmen und in Folge die tatsächliche Entfernung zum Fahrzeug als Projektion auf den Stoßfänger berechnen. Bild 11-10 zeigt ein beispielhaftes Signaldiagramm bestehend aus dem Sende-/Empfangssignal eines aktiv betriebenen Senders (obere Bildhälfte) und dem Empfangssignal eines benachbarten passiv betriebenen Empfängers (untere Bildhälfte). Für beide Sensoren sind sowohl die digitalen Signale auf der bidirektionalen Leitung zwischen Sen-
Bild 11-10 Beispiel für Signaldiagramm zweier benachbarter Sensoren oben: Sender/Empfänger, unten: Empfänger
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Bild 11-11 Typische Montagebeispiele für das Sensormodul
sor und Steuergerät als auch die zugehörigen sensorinternen 50 kHz-Ultraschallsignale aufgezeichnet. Ein Gesamtsystem bestehend aus maximal bis zu 12 Sensoren im Front- und Heckstoßfänger muss auf eine sorgfältig abgestimmte Zeitablaufsteuerung ausgelegt sein, die einerseits schnelle Wiederholraten für jeden einzelnen Sensor zulässt (notwendig zur Erreichung kurzer Gesamtmessdauern), andererseits aber wechselseitige Störungen durch falsche Zuordnung von Signalen unterschiedlicher Sensoren sicher vermeidet.
11.7 Halter- und Befestigungskonzepte Die konstruktive Gestaltung des Sensors und seine Montage im Stoßfänger unterliegen vielfältigen Anforderungen. An erster Stelle ist das Design zu nennen, das eine möglichst unauffällige und von außen kaum sichtbare Integrationsmöglichkeit der Sensoren unterstützen sollte. Damit einher geht die Forderung, dass der sichtbare Teil des Sensors (die schwingende Membran) in allen Stoßfängerfarben lackierbar sein muss, ohne die Funktion zu beeinträchtigen. Schwingungs-, Temperatur-, Witterungs- und Feuchtigkeitsbeständigkeit des fertig montierten Sensormoduls sowie die zuverlässige akustische Entkopplung der Membran von ihrer Einbauum-
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gebung spielen darüber hinaus eine zentrale Rolle für die korrekte Funktion unter realen Betriebsbedingungen über der gesamten Lebensdauer des Fahrzeugs. Die Montage im Stoßfänger mittels geeigneter Halter und Befestigungstechniken ist im Bild 11-11 in zwei unterschiedlichen Ausprägungen gezeigt. Im oberen Beispiel wird der Halter auf der Innenseite flächig mit dem Stoßfänger verklebt oder verschweißt (die Ultraschallschweißtechnologie stellt die heute am häufigsten in Serie eingesetzte Befestigungsmethode dar). Im unteren Beispiel kann der Halter mithilfe geeignet angebrachter Laschen direkt mit dem Stoßfänger verklippst werden. Das Sensormodul wird anschließend mit dem vormontierten Entkopplungsring von hinten eingeschoben und im Halter verrastet. Die separate Ausführung des aus akustischen Gründen notwendigen Entkopplungsrings ist erforderlich, damit die vorstehende Sensormembran vor dem Verbau des Moduls rundum in der jeweiligen Stoßfängerfarbe lackiert werden kann.
11.8 Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit Die Erfolgsgeschichte der Ultraschallsensoren im Bereich der Einparkassistenzsysteme beruht auf einer Reihe von Merkmalen, in denen diese Tech-
11 Ultraschallsensorik
nologie anderen konkurrierenden Messverfahren (z. B. Radar, Infrarot, kapazitive oder induktive Messtechnik) überlegen ist. Neben der kostengünstigen Herstellung spielen die meisten Witterungsabhängigkeiten eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Außerdem ist die Erkennungsqualität in weiten Bereichen unabhängig von der Art der zu detektierenden Hindernisse. Relevante Materialen wie Metall, Kunststoff, Holz, Mauerwerk oder Glas sind an ihrer Oberfläche „schallhart“ und liefern daher bei gleicher Geometrie annähernd gleich starke Reflektionssignale. Einschränkungen ergeben sich lediglich bei teilweise schallabsorbierenden Materialien, die jedoch in der Praxis kaum eine Rolle spielen (z. B. Schaumstoff). Eine Besonderheit besteht hinsichtlich der Erkennung von Personen, bei der je nach Kleidung mit einer geringfügig reduzierten Messreichweite gerechnet werden muss. Die Leistungsfähigkeit eines Sensors oder eines Sensorsystems lässt sich am besten mithilfe einer Field-of-View (FoV) oder Detektionsfeldvermessung aufzeigen und vergleichend bewerten. Dazu wird typischerweise ein Rohr mit 7,5 cm Durchmesser als Referenzobjekt verwendet, das in der so genannten MALSO-Norm für die Auslegung von Pkw-Einparkhilfesystemen [6] als Standardtestkörper definiert wurde. Ein Beispiel einer solchen FoV-Messung zeigt Bild 11-12 für ein 4-Kanalsystem, bei dem die Detektionsbereiche für die Direktechos der vier Sensoren jeweils durch eine separate Umrandung sichtbar gemacht wurden. Die Messreichweite in diesem Beispiel ist für die beiden mittleren Sensoren auf 150 cm und für die
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äußeren auf 80 cm eingestellt und entspricht damit einem typischen Anwendungsfall. Die zuverlässige Verfügbarkeit der Sensoren kann in der Praxis durch zwei Faktoren eingeschränkt sein. Einerseits können starke akustische Fremdstrahler im Bereich der Ultraschallarbeitsfrequenz in unmittelbarer Fahrzeugnähe das Signal-/Rauschverhältnis so weit absenken, dass keine Messung mehr möglich ist. Praktische Relevanz haben hier vor allem Pressluftgeräusche (z. B. LkwDruckluftbremsen) und metallische Reibgeräusche (z. B. von Schienenfahrzeugen). Andererseits können eventuell vorhandene Schmutz-, Schnee- oder Eisschichten auf der Sensormembran eine Schallbrücke zum Stoßfänger bilden, die das Abklingverhalten der Sendeanregung undefiniert verlängert. In beiden Fällen reagiert das System in der Regel mit einer Störungsanzeige für den Fahrer, oder es wird ein Pseudohindernis mit einer kürzeren Entfernung als potenzielle reale Hindernisse angezeigt. Kritische Situationen, in denen der Fahrer über Kollisionsrisiken entweder gar nicht oder zu spät informiert wird, können somit weitgehend vermieden werden.
11.9 Zusammenfassung und Ausblick Piezokeramische Ultraschallsensoren für Einparkhilfesysteme wurden seit dem ersten Serieneinsatz im Jahr 1992 hinsichtlich ihrer mechanischen, akus-
Bild 11-12 FoV-Beispielmessung für ein 4-Kanalsystem
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tischen und elektronischen Eigenschaften kontinuierlich weiterentwickelt. Heutige Seriensensoren besitzen einen kompakten und robusten Aufbau, lassen sich sehr unauffällig in lackierte oder unlackierte Fahrzeugstoßfänger integrieren, sind speziell in Bezug auf die optimale Winkelcharakteristik ihres akustischen Sende-/Empfangsverhaltens abgestimmt und können auf elektronischem Weg individuell an Kundenwünsche und unterschiedliche Einbaubedingungen im Fahrzeug angepasst werden. Zukünftig mögliche Weiterentwicklungen im Hinblick auf eine verbesserte und erweiterte Funktionalität sind z. B. bessere Eigendiagnosefähigkeit, Verkürzung der Mindestmessentfernung sowie optimierte Filtermechanismen zur Erhöhung des Signal-/Rauschverhältnisses. Parallel zur Weiterentwicklung der Ultraschallsensorik sind in jüngster Zeit neue Fahrzeuganwendungen und Mehrfachnutzungen für erweiterten Funktionsumfang der „normalen“ Einparkhilfe in den Blickpunkt des Interesses der Fahrzeughersteller geraten. Basis dafür ist das sehr gute Preis-/ Leistungsverhältnis der in hoher Stückzahl gefertigten Ultraschallsensoren. An erster Stelle ist hier die genaue Parklückenvermessung von seitlichen Längsparklücken zu nennen, auf deren Basis entschieden werden kann, ob ausreichend Platz zum Einparken zur Verfügung steht. Dazu werden vorne in den seitlichen Stoßfängerecken angebrachte Sensoren zum Abtasten des linken und rechten Fahrbahnrandes verwendet. Diese erkennen parkende Fahrzeuge sowie deren seitliche Begrenzungen und Eckenpositionen, vermessen die Parklücke in der Tiefe auf mögliche Versperrung und liefern Informationen über den Abstand zum Bordstein. Darauf aufbauend sind bereits erste Serienanwendungen für das automatisch gelenkte Einparkmanöver in Längsparklücken am Markt verfügbar. In den nächsten Jahren wird mit einer ähnlich großen Marktdurchdringung gerechnet, wie dies ab ca. 1998 bei den Standard-Einparkhilfesystemen der Fall war. Ebenso angedacht ist eine Erweiterung der Funktion für Unterstützung zum Einparken in Querparklücken. Eine komplett neue Anwendung zeichnet sich im Bereich Side-View-Assist (SVA) ab, die ebenfalls mithilfe von Ultraschallsensoren den „Toten-Winkel“ in einem Bereich von bis zu ca. 3 m unmittelbar neben und seitlich hinter dem Fahrzeug absichert. Mitschwimmende oder langsam überholende Fahrzeuge können so bis zu einer Eigengeschwindigkeit von ca. 140 km/h erkannt und dem Fahrer beim Einleiten eines Überholmanövers angezeigt werden. Die notwendige Ausblendung von Gegenverkehr und/oder stationären Hindernissen, z. B. Leitplan-
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ken, kann dabei durch geeignete Anbringung von je einem Sensor in der vorderen und hinteren Stoßfängerecke erreicht werden. Dazu werden die Echosignale beider Sensoren in Bezug auf ihr zeitliches Auftreten analysiert und plausibilisiert. Eine andere interessante Anwendung ergibt sich aus einer Weiterentwicklung der Ultraschallwandler vom reinen Abstandssensor zum zusätzlichen Winkelgeber. Basierend auf dem Laufzeitunterschied einer reflektierten Wellenfront zwischen zwei unmittelbar benachbarten Wandlerelementen (Dualsensor, bestehend aus Sender/Empfänger und reinem Empfänger) kann direkt auf die Richtung des reflektierenden Objekts geschlossen werden [7]. Diese Information lässt sich mit dem Lenkradeinschlag verknüpfen, um so den Fahrer während des Einparkens auf Kollisionsgefahr abhängig vom Lenkwinkel – insbesondere im Bereich der Fahrzeugecken – hinzuweisen. Abschließend sei noch erwähnt, dass Nutzen und Akzeptanz aller zuvor beschriebenen Funktionen neben zuverlässigen und robusten Ultraschallsensoren ebenso eine sehr aufwändige algorithmische Signalverarbeitung sowie eine durchdachte Anzeigestrategie voraussetzen. Alle drei Faktoren bilden optimal aufeinander abgestimmt die Grundlage für eine weiter ansteigende Marktdurchdringung und erfolgreiche Einführung von innovativen Zusatzfunktionen ultraschallbasierter Fahrerassistenzsysteme.
Quellenverzeichnis [1] Bergmann, L.: Der Ultraschall und seine Anwendung in Wissenschaft und Technik, Hirzel-Verlag, Stuttgart 1954 [2] Lehfeldt, W.: Ultraschall kurz und bündig, VogelVerlag, Würzburg 1973 [3] Kutruff, H.: Physik und Technik des Ultraschalls, Hirzel- Verlag, Stuttgart 1988 4] Waanders, J. W.: Piezoelectric Ceramics, Properties and Applications, Philips Components Marketing Communications, Eindhoven 1991 [5] Robert Bosch GmbH: Sicherheits- und Komfortsysteme, Vieweg Verlag, Wiesbaden 2004 [6] ISO 17386:2004(E), Manoeuvring Aids for Low Speed Operation (MALSO) [7] Ide, H.; Yamauchi, H.; Nakagawa, Y.; Yamauchi, K.; Mori, T.; Nakazono, M.: Development of SteeringGuided Park Assist System, 11th World Congress on ITS, Nagoya 2004
B 12 Radarsensorik Radar (Radio Detection and Ranging) hat seine Ursprünge in der Militärtechnik des Zweiten Weltkriegs und blieb auch lange an militärische Anwendungen gebunden. Der erste Einsatz im Verkehrsbereich für ein Geschwindigkeitsüberwachungssystem hatte für viele Autofahrer zu eher negativen Erlebnissen geführt. Aber auch für den Fahrer als nützlich empfundene Anwendungen wurden schon früh angedacht, so wie ein Zeitschriftenartikel [1] aus dem Jahre 1955 belegt. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts fand ein großes Forschungsprojekt statt, dessen Ziel die Entwicklung von serientauglichen Radarsensoren für den Auffahrschutz war. Zwar hat dieses vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt die Radar-Entwicklung vorangebracht, für einen Serieneinsatz aber war die Zeit noch nicht reif. Erst zwanzig Jahre später waren die technischen Voraussetzungen gegeben, um Radar für die Fahrerassistenz einzusetzen. Im Jahre 1998 war erstmals ein Fahrzeug mit Radar erhältlich. Die Schlüsselfunktion war allerdings nicht die Auffahrwarnung, sondern die Adaptive Geschwindigkeitsregelung ACC (s. Kapitel 32), auch wenn die Auffahrwarnung bei diesem System als Funktionsteil mit integriert war. In kurzen Abständen folgten weitere radarbasierte ACC-Systeme. Für die Anwendung im Straßenverkehr stehen zurzeit vier Bänder (24,0–24,25 GHz, 76–77 GHz und 77–81 GHz sowie ein nur für den Nahbereich geeignetes UWB-Band (s. Abschnitt 12.4.2) von 21,65–26,65 GHz) zur Verfügung. Bis auf das 77–81 GHz-Band werden auch alle genutzt. Derzeit dominiert der 76,5 GHz-Bereich, der explizit für das Automotive-Radar geregelt wurde und weltweit zur Verfügung steht. Die Entwicklung der ersten Radar-Generation für das Auto war wie in vergleichbaren Innovationsfällen mit viel Lehrgeld verbunden. Aber trotz mancher Enttäuschung im Kampf um niedrige Kosten im Laufe der Entwicklung wurde doch Bemerkenswertes erreicht. Anstatt im fünfstelligen Euro-Bereich lagen die Kosten im dreistelligen. Trotzdem wurden große Anstrengungen unternommen, die Kosten in den Folgegenerationen zu senken. Das Erscheinen dieses Buches fällt in die Zeit der Umstellung von der zweiten auf die dritte Generation. Erste Tendenzen zur Technikkonvergenz sind zu erkennen. Trotzdem bleiben noch große Unterschiede bei den einzelnen Lösungsfeldern, sodass in diesem Kapitel
Hermann Winner
auf diese Breite eingegangen werden muss. Dabei kann auch nicht auf Berechnungen verzichtet werden, da Radar ohne nachrichtentechnische Grundlagen nicht verstanden werden kann. Trotzdem wird hier versucht, mit minimalen Vorkenntnissen die theoretischen Überlegungen nachvollziehbar darzustellen. Dadurch kann bei einem/r nachrichtentechnisch gut vorgebildeten Leser/in Verwunderung darüber aufkommen, dass die komprimiertere Fachsprache und Formeldarstellung nicht verwendet wird. Für die hier verwendeten Radar-Grundlagen und Definitionen wurde auf Standardwerke [2], [3] zurückgegriffen, in denen sich viel weitgehendere Betrachtungen zum Radar allgemein finden lassen. Durch die bisherige Domäne des Radars in der militärischen wie zivilen Luft- und Schifffahrt wurde der Themenbereich „Automotive Radar“ bisher kaum adressiert, so dass mit diesem Kapitel erstmalig ein Überblick über die spezifische automobile Radartechnik gegeben wird, die aufgrund ihrer sich stark unterscheidenden Anforderungen (kleinere Abstände, kleinere Dopplerfrequenzen, hohe Mehrzielfähigkeit, geringe Baugröße, erheblich geringere Kosten) mit deutlich unterschiedlichen Lösungen aufwartet.
12.1 Ausbreitung und Reflektion Wenn Radarstrahlen den Sensor verlassen, geschieht dies nicht als Kugelwelle mit in allen Raumrichtungen gleicher Intensität, sondern in einer gebündelten Weise. Dafür sorgt die Antenne (s. a. Abschnitt 12.3). Der so genannte direktive Antennengewinn GD beschreibt das Verhältnis zwischen der Intensität P(IKª -) max im Raumwinkel der stärksten Abstrahlung und dem Wert Ptotal /4S eines homogenen Kugelstrahlers gleicher Gesamtleistung Ptotal P(I ,- ) dI d- . Dabei sind I der Azimutwinkel in der horizontalen Ebene und - der Elevationswinkel in der vertikalen. Der Antennengewinn ist umso größer, je stärker die Strahlen gebündelt werden. Der tatsächliche Antennengewinn G berücksichtigt auch die Antennenverluste, die zumeist Leitungsverluste sind. Die sich aus dem Produkt der Gesamtsendeleistung und des Antennengewinns ergebende Equivalent Isotropically Radiated Power (EIRP) ist für zwei Kriterien die entscheidende Größe: zum einen für die Funkzulassung, bei der es auf die Leistung im Raumwinkelbereich des Maxi-
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Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
mums ankommt (angegeben in dBm (EIRP), wobei sich dBm auf die Basis 1 mW bezieht), und zum anderen für die maximale Reichweite. Für Letzteres sind aber noch weitere Faktoren zu berücksichtigen. Ganz offensichtlich gehört das Reflektionsvermögen des Radarziels dazu. Dieses wird als so genannter Radarquerschnitt (Radar Cross Section RCS) ¥ angegeben. Im Produkt mit dem Quadrat der Wellenlänge, also ¥ªoµ , wird der in einen Raumwinkel reflektierte Anteil von der auf das Ziel homogen verteilt eingehenden Leistung beschrieben. Die Einheit von ¥ ist eine Fläche. Diese Fläche entspricht genau der mittigen Querschnittsfläche Sa2 eines Kugelreflektors mit dem Radius a. Die für automobile Anwendung relevanten Ziele weisen Werte von ¥ = 1…10 000 m 2 auf. Die Streubreite hängt zum einen von der Art des Ziels ab, aber noch stärker von der Geometrie und der Orientierung. Eine zur Sende- und Empfangsrichtung senkrecht orientierte Metallplatte weist bei großen Abständen einen Rückstreuquerschnitt von
V plate
4
A2
O2
(12.1)
auf. Bei A = 1 m 2 und 76,5 GHz (o | 4 mm) ergibt sich ein RCS von ¥ | 0,8 · 106 m 2. Somit kann ein Kastenwagen mit planem Heck von 4 m 2 zu einer starken Rückstreuung mit einem RCS von 12,5 · 106 m 2 (im Fernbereich) führen, aber bei Drehung um ein Grad bei einer Entfernung von etwa 60 m völlig einbrechen, vgl. Bild 12-1a und 12-1b. Die verbleibende Rückstreuung stammt dann nur noch von den Kanten oder den Achsteilen. Ein idealer Retroreflektor wird durch drei rechtwinklige Dreiecksflächen, die zu einander senkrecht stehen, gebildet, ein so genannter Corner (Cube) Reflector. Bei einem perfekt orientierten Corner Reflector wird jede eintreffende Strahlung, deren Wellenlänge deutlich kleiner als die Abmessungen ist, in die Richtung zurückreflektiert, aus der die Strahlung gesendet wurde, so wie es im Bild 12-1c für den zweidimensionalen Fall dargestellt ist. Für einen dreidimensionalen Corner-Reflektor, der aus drei senkrecht zueinander liegenden gleichschenkligen, rechtwinkligen Dreiecken der Kantenlänge a und
2 a gemäß Bild 12-2 der Diagonalabmessung L besteht, errechnet sich nach [48] ein RCS von
V CR
L4 3O
2
L
4 3V
O2 CR
(12.2)
Mit einer solchen Geometrie kann schon mit kleinen Abmessungen (L = 35 cm) eine sehr starke Reflektion von VCR | 1000 m 2 entsprechend einem stark reflektierenden Lkw simuliert werden. Für einen Pkw gelten 100 m 2 (L | 20 cm), für ein Motorrad 10 m 2 (L | 11 cm) und für einen Menschen 1 m 2 (L | 6,2 cm) als typische Radarquerschnitte. In den ISO-Normen für ACC [5] und FSRA [6] wird ein Radarquerschnitt von 10 ± 3 m 2 für die Detektionsfeldmessungen vorgeschrieben, wobei darauf hingewiesen wird, dass damit 95 % der Fahrzeuge abgedeckt sind. Geringe Radarquerschnitte treten vor allem bei Fahrzeugen mit wegreflektierenden planen oder konkaven Flächen auf. Große Werte sind vor allem auf Winkelreflektoren zurückzuführen. So zeigen die Stützpfosten von Leitplanken mit ihrem U-Profil recht hohe Radarquerschnitte, was dazu führt, dass in der Objektliste sehr viele dieser Ziele auftauchen. Auch die Einstiegstreppen zu den Lkw-Fahrerkabinen sind als Tripelspiegel so stark reflektierend, dass sie auch außerhalb des Radarhauptstrahls noch genügend Signalleistung zum Empfänger bringen. Die hohe Dynamik des Radarquerschnitts über vier bis fünf Größenordnungen führt zum einen dazu, dass eine Objektklassifikation über den Radarquerschnitt ohne Erfolg bleiben muss. Andererseits erhöht die Dynamik des Radarquerschnitts die Dynamikanforderung an den Empfangszweig, der daher nicht unter 70 dB liegen sollte und selbst dann nicht vor Übersteuerung sicher ist. Neben der Dynamik des Radarquerschnitts beeinflusst der radiale Abstand r (range) die Signalstärke am Empfänger. Wie schon betrachtet, bleibt die Leistung in einem Raumwinkelelement konstant, zumindest wenn Absorptionsverluste nicht berücksichtigt werden. Die Fläche dieses Winkelsegments vergrößert sich mit dem Abstand zum Quadrat, gleiches gilt für den reflektierten Strahl, so dass bei Zielen außerhalb des Nahbereichs von einem r–4 -
Bild 12-1 Beispiele gerichteter Reflektion a) 90°-Reflektion an einer Platte, b) z90°-Reflektion an einer Platte, c) 90°-Doppelspiegel
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12 Radarsensorik
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Bild 12-2 Geometrie eines Corner Cube Reflector
Abfall ausgegangen werden kann. Die Absorption k in [dB/km] ist nur in wenigen Fällen so hoch, dass sie mit zu berücksichtigen ist. Bei 76,5 GHz liegt die atmosphärische Dämpfung unter 1 dB/km, damit nur 0,3 dB für den Hin- und Rückweg zu einem 150 m entfernten Ziel. Allerdings liegt bei 60 GHz ein Dämpfungsmaximum mit etwa 15 dB/km vor, vgl. Kapitel 13. Obwohl diese Dämpfung zu einer leichten Abnahme der Empfangsleistung führt, hat sie den Vorteil, dass Überreichweiten weitaus weniger zu befürchten sind als bei 76,5 GHz und damit die Radarstrahlen weniger „herumvagabundieren“ würden. Da aber die Bänder um 60 GHz in weiten Teilen der Welt für militärische Zwecke genutzt werden, stand diese Option nicht zur Verfügung. Durch starken Regen insbesondere mit großen Tropfen, welche die Größenordnung der Wellenlänge erreichen, erfolgt eine durchaus starke Dämpfung, die zu einer erheblichen Reichweiteneinbuße führt, wobei die erreichbare Sichtweite oft die für den Fahrer verbleibende überschreitet. Neben der Dämpfungswirkung führt starker Regen zu einem erhöhten Störpegel (Clutter). Zumeist wirkt er wie ein erhöhter Rauschpegel und senkt auf diese Weise das Signal/Rausch-Verhältnis (SNR) und damit die Reichweite. Es können aber auch Scheinziele generiert werden, wenn z. B. Schwallwasser eines nebendran fahrenden Lkws die Radarstrahlen reflektiert. Ein weiterer Störeffekt einer „Wasserumgebung“ tritt durch die Belegung der Verdeckung (Radom) des Strahlaustrittsbereichs auf. Wegen der hohen Dielektrizitätszahl hat Wasser eine hohe Brechwirkung auf mm-Wellen, sodass eine ungleichmäßige Wasserbelegung zu ungewollten „Linseneffekten“ führt, wodurch insbesondere die Bestimmung des Azimutwinkels stark verfälscht werden kann. Der hier letztgenannte Einflussfaktor auf die Empfangsleistung ist die Mehrwegeausbreitung. Zum einen betrifft dies die vertikale Mehrwegeausbreitung über die Reflektion an der Fahrbahnoberfläche, die insbesondere bei Nässe stark ausfallen kann. Dadurch nehmen die Radarstrahlen unterschiedlich lange Strecken und kommen so mit unterschiedlichen Phasen beim Empfänger an. Unterscheiden diese sich um ungerade ganzzahlige Vielfache von 180°, so
handelt es sich um eine destruktive Interferenz, bei Vielfachen von 360° um eine konstruktive Interferenz. Je nach Höhe des Radars und des Reflektionsschwerpunkts über der Fahrbahn tritt die destruktive Interferenz in bestimmten Abständen auf, wodurch die Detektionsleistung des Radars merkliche Einbußen zeigt. Dies ist zumeist nicht problematisch, da schon Ein- und Ausfedern des Zielfahrzeugs oder des eigenen Fahrzeugs das Interferenzloch beseitigt und bei endlicher Relativgeschwindigkeit die damit verbundene Interferenz-Abstandsbedingung zerstört. Der vertikale Mehrwegeempfang äußert sich somit als Signalleistungs“schüttler“ mit dem 2 , 0 Vmp 2, so dass bei der Detektion Faktor Vmp grundsätzlich mit einer stochastisch beschreibbaren Detektionsverlust- oder Drop-out-Rate zu rechnen ist. Bei horizontaler Mehrwegeausbreitung erfolgt eine Spiegelung an vertikalen, etwa parallel zur Fahrtrichtung liegenden Flächen. Neben Wänden können vor allem Leitplanken die horizontale Mehrwegeausbreitung ermöglichen. Die Signalauslöschung bei negativer Interferenz ist dabei weniger störend als die Verfälschung der azimutalen Richtungsinformation. Scanner-Antennen (s. Abschnitt 12.3.2) mit schmalen Radarkeulen reagieren darauf weniger empfindlich als zwei- oder mehrstrahlige Antennen. Fasst man die in diesem Abschnitt beschriebenen Einflussfaktoren zusammen, so lässt sich daraus die maximale Reichweite für eine Detektion herleiten. Die Leistung Pr des empfangenen Signals berechnet sich zu PR
10
2 kr
2 V O 2 G 2 Vmp
Ptotal 4 r4
(12.3)
Dabei wurde vorausgesetzt, dass dieselbe Antenne für Senden und Empfang verwendet wird, so dass der Antennengewinn quadratisch eingeht. Damit eine Detektion erfolgen kann, muss das empfangene Signal mit hinreichendem Abstand über dem Rauschen liegen. Je nach sonstiger Signalauswertung zur Falschzielunterdrückung liegt die Schwelle um einen Faktor SNRthreshold von etwa 6 bis 10 dB über dem Rauschen (Leistung P N).
125
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Die erreichbare Reichweite r max wird bestimmt, indem die Empfangsleistung von Gl. (12.3) der Detektionsschwelle P N · SNRthreshold gleichgesetzt wird. Unter Vernachlässigung der Dämpfung, also k = 0, lässt sie sich analytisch berechnen: rmax
4
2 Ptotal V O 2 G 2 Vmp 4 P SNRthreshold
(12.4)
Bei endlicher Dämpfung muss die Reichweite numerisch bestimmt werden. Trotzdem kann der Einfluss der Dämpfung einfach abgeschätzt werden. Kann von einer dämpfungsfreien Reichweite von 200 m ausgegangen werden, so reduziert sie sich bei 21 dB/km auf 140 m ((200/140) 4 | 6 dB mal 1 km/(2 · 140 m) | 3,5), bei 60 dB/km auf 100 m und bei 240 dB/km. Grundsätzlich sind somit alle Faktoren, die die theoretische Reichweite des Radars bestimmen, bekannt. Bei der praktischen Anwendung sind aber weitere Grenzen durch die Signalverarbeitung gesetzt, wie im folgenden Abschnitt beschrieben wird.
12.2 Abstands- und Geschwindigkeitsmessung Zum Verständnis der Funktionsweise von Radar ist ein Exkurs in die nachrichtentechnische Mathematik nicht vermeidbar. Die in den folgenden Abschnitten abgeleiteten mathematischen Zusammenhänge sind aus Sicht des Autors auf das Minimum beschränkt und in einer eher populären Schreibweise dargestellt. Für eine noch tiefer gehende Betrachtung der
Radartechnik sei auf Standardwerke zu Radar, wie z. B. das Buch von Skolnik [2] oder Ludloff [3], verwiesen.
12.2.1 Grundprinzip Modulation und Demodulation Die Abstrahlung von elektromagnetischen Wellen und deren Empfang ist nur notwendige Voraussetzung für die Funktion von Radar. Damit ist aber nicht mehr als ein Träger für die Information geschaffen. Die Information selbst, die für eine Messung eines Abstands benötigt wird, muss diesem Träger sendeseitig aufmoduliert und empfangsseitig wieder demoduliert werden. Vereinfacht gesagt muss dem abgestrahlten Wellenzug eine Kennzeichnung für die Wiedererkennung und ein Zeitbezug zur Messung der Laufzeit mitgegeben werden. Diese Aufgabe wird als Modulation bezeichnet. Die Wiedererkennung und die Ermittlung von zeitlichen Zusammenhängen benötigt die Demodulation. In einer allgemeinen Form lässt sich die ausgesandte Strahlung als harmonische Wellenfunktion beschreiben: ut (t )
At cos(2 f 0 t M0 )
(12.5)
Somit lassen sich mit den drei Variablen Amplitude A, Frequenz f0 und Phase M Modulationen durchführen. Die für Radaranwendungen im Automobil verwendeten Amplitudenmodulation (meist als Pulsmodulation) und Frequenzmodulation sind im Bild 12-3 in idealisierter Form zur Veranschauung dargestellt.
Bild 12-3: Idealisierte Modulationsbeispiele; links: aufmodulierter Puls, rechts: aufmoduliertes Sinussignal; oben: Amplitudenmodulation, unten: Frequenzmodulation
126
12 Radarsensorik
12.2.2 Doppler-Effekt Der Österreicher Christian Doppler sagte schon 1842 voraus, dass eine elektromagnetische Welle eine Frequenzverschiebung erfährt, wenn sich Beobachter und Sender relativ zueinander bewegen. Das gleiche passiert auch, wenn der Radarstrahl von einem relativ zum Radar bewegten Objekt reflektiert wird. So legt ein Radarstrahl zu einer beliebigen Entfernung r und wieder zurück zum Empfänger eine reelle Zahl z o von insgesamt z = 2r / oª Wellenlängen zurück. Damit stellt sich eine Phasenverzögerung von M = –2 z ein. Ändert sich nun r mit r , so erfährt auch die Phase eine 2 z 4 r / O . Damit kann Änderung von M Gl. (12.5) für das empfangene Signal ur (t) wie folgt umgeschrieben werden: ur (t )
Ar cos 2 ( f 0 2r / O )t Mr
(12.6)
Der Doppler-Effekt drückt sich als die Frequenzänderung fDoppler aus, die proportional zur Relativgeschwindigkeit und zum Kehrwert der Wellenlänge o = f0 / c (Lichtgeschwindigkeit c) ist, wobei die Frequenzverschiebung bei Annäherung (r 0) positiv ist und bei Entfernen negativ f Doppler
2r / O
2r f 0 / c
(12.7)
Anmerkung: Neben der durch die Laufzeit bedingten Phasenverschiebung erfolgt eine Phasendrehung bei der Reflektion. Bei idealer Totalreflektion, wie sie für Metalle angenommen werden kann, beträgt diese S, wie bei einer Invertierung. Da aber bei keiner Auswertung die absolute Phase herangezogen wird, sondern nur Differenzen, spielt dieses Detail praktisch keine Rolle. Bei einer Trägerfrequenz von 76,5 GHz erhält man durch die Relativgeschwindigkeit r in SI-Einheiten (also in [m/s]) eine Doppler-Verschiebung 510 Hz r bzw. bei der anderen von f Doppler für Fahrerassistenz-Anwendungen gebräuchlichen Frequenz von 24 GHz etwa ein Drittel davon, 161 Hz r . Für die Berechnung nämlich f Doppler mit [km/h] sind die Werte durch 3,6 zu teilen. Mit einer angenommenen Relativgeschwindigkeit von –70 m/s (–252 km/h) bei Annäherung betragen die maximalen Dopplerfrequenzen 35,7 kHz, so dass für eine Messung gemäß dem Nyquist-Theorem eine Abtastrate von mindestens 71,4 kHz zur eindeutigen Bestimmung benötigt wird. Grundsätzlich lässt sich die Relativgeschwindigkeitsinformation schon mit einer kontinuierlichen
B
Welle konstanter Frequenz ermitteln. Allerdings ist die Trägerfrequenz zu hoch für eine direkte Messung der Verschiebung im Trägerband, die selbst bei maximaler Relativgeschwindigkeit gerade ein Millionstel der Trägerfrequenz beträgt. Tatsächlich wird mit dem im folgenden Abschnitt beschriebenen Mischen eine Messung bei viel niedrigeren Frequenzen möglich.
12.2.3 Mischen von Signalen Mit dem Mischen wird in der Hochfrequenztechnik der Vorgang einer Signalmultiplikation bezeichnet. Das Produkt zweier harmonischer, analog zu Gl. (12.5) mit der Cosinus-Funktion beschriebenen Signale u1(t) und u2 (t) der Frequenzen f1 und f 2 und Phasen M1 und M2 lässt sich per Additionstheorem von harmonischen Funktionen gemäß Gl. (12.8) auch als Summe zweier harmonischer Funktionen mit jeweils der Differenz- und der Summe der ursprünglichen Argumente beschreiben: cos x cos y
1 cos( x 2
y ) cos( x
y)
(12.8)
So wird aus dem Produkt des gesendeten Signals (Gl. (12.5)) und des empfangenen (Gl. (12.6)) das Mischprodukt ut,r (t) : u t,r (t )
1 At Ar cos 2 2 cos 2
2r t M0 M r O 2 f0
2r t M0 M r O (12.9)
Da das Summensignal (der zweite Term) sehr hochfrequent ist, wird dieser Anteil allein schon durch die nicht für diese Frequenz ausgelegte Elektronik (Leitungen, Verstärker) weggedämpft. So bleibt das niederfrequente Differenzsignal u lt,r (t )
1 Ar At cos 2 2
2r t M0 M r O
(12.10)
übrig. Die Information über die Frequenzverschiebung findet sich im Argument des Cosinus. Allerdings wird nicht das Argument gemessen, sondern die Cosinus-Funktion, die keine eindeutige InversFunktion besitzt. So ist insbesondere das Vorzeichen nicht zugänglich, da eine Cosinus-Funktion mit einer positiven Frequenz identisch zu der mit negativer Frequenz ist. Hier hilft die Mischung
127
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
mit einem zum Sendesignal um 90° verschobenen Signal, also eine Multiplikation anstatt mit der ursprünglichen Cosinus-Funktion nun mit der zum Sendesignal zugehörigen Sinus-Funktion. sin x cos y
1 sin( x 2
y ) sin( x
y)
(12.11)
Somit steht nach Unterdrückung des Summensignals ein auf Sinus-Basis beschriebenes Mischsignal u Qt,r (t )
1 Ar At sin 2 2
2r t M0 Mr (12.12) O
zur Verfügung. Zwar ist die Sinusfunktion eine ungerade Funktion, dies reicht aber ebenso wenig wie das Cosinus-Mischsignal (Gl. (12.10)) aus, um zu unterscheiden, ob eine negative oder positive Dopplerverschiebung die Ursache für die Differenz-Frequenz ist. Werden allerdings beide Signale erzeugt, so lässt sich im Vergleich zueinander die Eindeutigkeit finden: bei positiver Dopplerfrequenz, entsprechend einer Annäherung, weist das direkt abgeleitete Signal (Index I: In-phase = Realteil) gegenüber dem aus dem um 90°-Phase verschobenen zweiten Signal (Index Q: Quadrature = Imaginärteil) ebenfalls die 90°-Phase auf, bei einer negativen Dopplerfrequenz hingegen um –90°. 2
2r t Mr O
arctan
uQt,r (t ) ult,r (t )
(12.13)
Selbst bei verschwindender Dopplerfrequenz ist es mit Gl. (12.13) möglich, eine Differenzphase zu bestimmen. Das setzt allerdings voraus, dass keine sonstigen Gleichanteile in den Signalen uQt,r (t ), ult,r (t ) enthalten sind. So wie bis hierhin beschrieben, ist das Mischen eine einfache und überschaubare mathematische Aktion. Für die technische Realisierung scheidet eine digitale Multiplikation aus, da bezahlbare Analog/Digital-Wandler für die im Automobil eingesetzten Radar-Frequenzen zu langsam sind. Auch die Multiplikation mithilfe von Analogmultiplizierern ist bei diesen Frequenzen nur beschränkt möglich (s. u.). Allerdings erlauben schnelle nichtlineare Bauteile wie Shottky-Dioden (Metall/HalbleiterÜbergang) eine so genannte Summenmischung. Dazu werden die zwei zu mischenden Signale wie im Bild 12-4 dargestellt zunächst additiv überlagert. Die Spannungssumme u1 + u2 führt zu einem Strom, der über den Widerstand als Spannungsabfall u12 gemessen werden kann.
128
Bild 12-4: Prinzipdarstellung eines Zwei-DiodenSummenmischers
Die Kennlinie der beiden Dioden lässt sich einzeln wie auch in Summe als Taylorreihe entwickeln. Bei der hier vorgestellten Doppeldioden-Anordnung verschwinden im Idealfall die ungeraden Terme, so dass folgende Terme übrig bleiben: u12
A2 (u1 u2 )2
A4 (u1 u2 )4 !;
n
An
u12
n! u n
(12.14)
D(u )
A2 (u12
2u1 u2 u22 )
A4 (u12
4u13 u2
6u12 u22
(12.15)
4u1 u23 u24 )4 !; Das gewünschte Produkt u1 · u2 findet sich im ausmultiplizierten quadratischen Anteil. Nahezu alle anderen Mischprodukte führen zu hochfrequenten Signalen (genauso wie die ungeraden, falls die Symmetrie nicht gegeben wäre). Allein die Produktterme mit gleichem Exponenten (z. B. u12 u22 ) liefern Beiträge zu einem niederfrequenten Signal und können als Oberwellen zu Verfälschungen, insbesondere falschen Detektionen (False Positive Fehler) führen. Daher sind die geraden Anteile der Taylorentwicklung mit höheren Potenzen als zwei möglichst gering zu gestalten. Aktive Mischer mit so genannter Gilbert-Zelle kommen dem idealen Multiplizierer schon recht nahe. Bei hinreichend schnellen Feldeffekttransistoren können die beiden Eingangssignale miteinander multipliziert werden, weil die Oszillatorspannung als Steuerspannung für die Verstärkung des anderen Empfangssignals eingesetzt wird. Für den Frequenzbereich 76–77 GHz reicht die
12 Radarsensorik
Silizium-Technologie nicht mehr aus. Stattdessen ist die Gallium-Arsenid- (GaAs) oder seit kurzem die kostengünstigere Silizium-Germanium-Technologie (SiGe) zu verwenden. Gegenüber passiven Mischern sind die beim Mischen entstehenden Umwandlungsverluste geringer, so dass ein höheres Signal-Rausch-Verhältnis erreicht wird.
B
Zwar verliert ein so geformter Puls 5/8 der Leistung gegenüber einer Rechteckeinhüllenden mit gleicher Maximalamplitude, die verbleibende konzentriert sich aber fast vollständig im Arbeitsband zwischen f0 W P 1
f
f 0 W P 1;
f
2W P 1
(12.18)
Die benötigte Bandbreite 2W P eines Pulses entspricht damit dem doppelten Kehrwert der effektiven Pulslänge. Ein weiterer Vorteil der Bandbegrenzung neben dem Einhalten von Grenzwerten liegt in der Möglichkeit einer Bandpassfilterung auf der Empfangsseite, die zur Rauschreduktion nützlich ist. Denn die Empfängerbandbreite sollte mindestens so groß wie die Abstrahlbandbreite sein, damit kein empfangsbedingter Laufzeitauflösungsverlust auftritt. Wie kurz, oder besser, wie scharf begrenzt sollte ein Radar-Puls für die Anwendung bei Fahrerassistenzsystemen sein? Für ein Long-Range-Radar (LRR) sollten mindestens zwei Fahrzeuge in typischen Abständen getrennt erscheinen. Damit sollte der Puls eine Länge XP von höchstens 10 m besitzen oder eine entsprechende Maximaldauer von WP = XP/c | 33 ns. Bei Einsatz des Radar als Short-Range-Radar (SRR) mit der Fähigkeit der Einparkunterstützung ist eine Ortsauflösung von 15 cm gefragt, weshalb der Puls nicht länger als das Doppelte, also XP | 30 cm, und folglich die Pulsdauer entsprechend nicht länger als WP | 1 ns sein sollte. Folglich liegen die Bandbreitenanforderungen bei mindestens 60 MHz für LRR und 2 GHz für SRR. Diese Abschätzungen sind best-case-Überlegungen und für die Praxis um etwa den Faktor 2 zu erhöhen, um eine Bandverletzung auszuschließen. Ein Nachteil der Pulsmodulation ist das ungünstige Verhältnis von Spitzenleistung zur mittlerer Leistung. Zur Verbesserung des Signal/RauschAbstands und damit zur Erhöhung der Empfindlichkeit werden Pulsfolgen „abgefeuert“, über die dann gemittelt wird. Zwar lassen sich über sogenannte Pseudo-Random-Folgen die Pulse auch in kürzerem zeitlichen Abstand aussenden, dies aber erfordert eine sehr aufwendige Eingangselektronik. Einfacher ist es so lange zu warten, bis ausgeschlossen werden kann, dass ein Puls aus einer früheren Sendung noch empfangen werden kann. Dazu ist ein Mehrfaches der maximalen Nutzlaufzeit heranzuziehen (für LRR kann diese bei 150 m Entfernungsbereich mit 1 μs angegeben werden, für SRR etwa 0,1 bis 0,2 μs). Damit ergibt sich eine Pulsfolgefrequenz für SRR von ca. 1 MHz und für LRR von ca. 250 kHz. 1
12.2.4 Pulsmodulation 12.2.4.1 Anforderungen an Pulsdauer und Bandbreite Am einfachsten lässt sich die Pulsmodulation vorstellen, vgl. Bild 12-3 links oben. Dabei wird ein kurzer Wellenzug der Pulslänge WP gebildet. Technisch wird dies durch einen schnellen elektronischen Schalter realisiert, der von einem kontinuierlich betriebenen Oszillator gespeist wird. Ein derartiger idealer Puls benötigt eine zur Pulslänge reziproke Bandbreite, auch wenn die Schwingung innerhalb des Pulses genau der Gl. (12.5) entspricht. Tatsächlich ergibt sich das Signal aus einer Multiplikation einer ebenen Welle gemäß Gl. (12.5) und einer Fensterfunktion, die für einen ideal schnell an- und abschaltenden Puls
FRect (t ) 1 für t t0
W P , 0 sonst
(12.16)
als Rechteckfenster um die Pulsmitte t0 beschrieben wird. Dies führt im Frequenzbereich zur Faltung der diskreten Frequenzlinie f0 mit der als Spaltfunktion sinc(2Sf0 · WP) = sin(2Sf0 · WP) / 2Sf0 · WP bekannten Fouriertransformierten der Fensterfunktion. Da die Spaltfunktion nur schwach (Amplitude mit f –1) abfällt, fällt ein großer Teil der Pulsleistung in Frequenzbänder, die für andere Anwendungen gedacht sind. Zwar lässt sich das Verhältnis In-Band- zu Außer-Band-Leistung durch eine Verlängerung des Pulses verbessern, allerdings senkt diese Maßnahme nicht die in die anderen Bänder gestreute Energie pro Puls, sofern der Pulsanstieg bzw. -abfall nicht abgesenkt ist. Andererseits ermöglicht gerade die Steilheit bei Beginn und Ende die Laufzeitunterscheidung. Die gesamte Leistung zwischen Anstieg und Abfall ist weitgehend nutzlos für eine Entfernungsmessung. Ein guter Kompromiss ist eine Form der Pulseinhüllenden gemäß einer Cosinus-Glocke, die in der digitalen Signalverarbeitung auch als von-Hann- oder Hanning-Fenster bekannt ist. Fu (t )
2 1 1 cos 2 WP
für t t0
W P , 0 sonst (12.17)
129
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
12.2.4.2 Nicht-kohärente Demodulation Eine einfache Demodulation könnte analog zu der bei Ultraschallsensoren oder Lidar verwendeten nicht-kohärent durchgeführt werden. Das empfangene Signal wird wie im Bild 12-5 dargestellt verstärkt, durch einen der Pulsbandbreite entsprechenden Bandpass um die Trägerfrequenz f0 gefiltert, dann eine Gleichrichtung vorgenommen, damit aus der Wechselspannung ein der Amplitude entsprechender Gleichanteil entsteht, der im nachfolgenden Tiefpass als Ausgangssignal zur Verfügung steht. Dieses Signal wird dann abgetastet und im Mikroprozessor verglichen oder gleich mit vorgegebenen Schwellwerten im Komparator, wie im Bild 12-5 (Block 7) gezeigt. Diese Demodulationstechnik ist leicht durch Fremdpulse zu stören und kann ausschließlich Laufzeitmesssungen durchführen, ohne aber den für die weitere Signalverarbeitung sehr bedeutsamen Doppler-Effekt nutzen zu können. Bild 12-6: Zwischenfrequenz-Signale (Realteil I und Imaginärteil Q) zweier aufeinander folgender Pulse (oben, unten) eines sich nähernden Einzelreflektors (idealisiert)
Bild 12-5: Prinzipschaltbild eines nicht-kohärenten Radars; 1 Oszillator, 2 Pulssteuerung, 3 Pulsmodulator, 4 Verstärker und Bandpassfilter, 5 Gleichrichter, 6 Tiefpassfilter, 7 Komparator, 8 Mikroprozessor
12.2.4.3 Kohärente Puls-Demodulation Bei der kohärenten Puls-Demodulation (auch PulsDoppler-Verfahren genannt) wird das Prinzip des Mischers verwendet. Dabei wird allerdings nicht direkt auf das so genannte Basisband (also um Frequenz 0) herunter gemischt, sondern eine Zwischenfrequenz erzeugt. Dieses lässt sich entweder durch einen lokalen Oszillator erreichen, der zum Sendesignal eine feste Frequenzdifferenz aufweist, oder durch denselben Oszillator, wenn dessen Frequenz nach Aussenden des Pulses um eine bestimmte Frequenzdifferenz umgeschaltet wird. Die Zwischenfrequenz liegt etwa bei 100–200 MHz. In diesem Bereich sind Verstärker, Filter und ADC mit vertretbarem Aufwand zu realisieren. Ferner ist die Pulsform noch abbildbar. Die Zwischenfrequenz kann mit einem AD-Wandler direkt abgetastet werden. Von der Zwischenfrequenz werden, wie oben beschrieben, jeweils der Real- und der Imaginärteil gebildet. Wird das im Bild 12-6 dargestellte SignalPaar mit 10 ns Zykluszeit abgetastet, so bekommt man für jeden Abtastzeitpunkt ein Wertepaar, das
130
Bild 12-7: Durch Dopplerverschiebung bewirkte Drehung des Zeigers in der komplexen Q/I-Ebene
als die Koordinaten eines Vektors in einer komplexen Ebene interpretiert werden kann. Bei einer späteren Messung (ti) werden diese Vektoren gemäß Gl. (12.13) um einen Winkel 2 ti (2r / O ) weiter gedreht (s. Bild 12-7). Der Betrag der Vektoren repräsentiert die Pulsstärke zu der mit dem Abtastzeitpunkt tS gegebenen Laufzeit tof = tPC – tS, bezogen auf den Zeitpunkt tPC der Pulsmitte. Dieser Laufzeit entspricht der Abstand r
1 c tof , c: Lichtgeschwindigkeit 2
(12.19)
sodass den einzelnen Abtastzeitpunkten die Bedeutung von so genannten Range-Gates zukommt. Entsteht das Signal wie im Beispiel des Bildes 12-7 durch Reflektion desselben Objekts, ist die Drehge-
12 Radarsensorik
schwindigkeit der Vektoren gleich, da alle die gleiche Dopplerverschiebung zeigen. Die Range-Gates (und damit der Abtastzyklus) sollten angemessen zur Pulsbreite so nahe liegen, dass über mehrere Gates eine Schwerpunktbildung und somit eine Abstandsinterpolation ermöglicht werden kann, die zu Abstandsauflösungen von deutlich weniger als ein Zehntel der Pulslänge führen kann. Um dies zu erreichen, sollten die Range-Gates höchstens um die Hälfte der Pulslänge auseinanderliegen. Wesentlich kürzere Range-Gates werden aus Kostengründen vermieden, da die damit verbundene höhere Abtastfrequenz den ADC verteuert, ohne dass wirklich eine höhere Informationsqualität erreicht wird. Die Wiederholung der Pulse ist aus zwei Gründen erforderlich. Zum einen enthält ein Einzelpuls nur eine geringe Energie, so dass zur Erhöhung des Signal-Rausch-Verhältnisses eine Wiederholung sowohl kostengünstiger als auch hinsichtlich der Frequenzzulassung unkritischer ist als eine Erhöhung der Pulsleistung. Zum anderen soll die Dopplerfrequenz eindeutig abgetastet werden, woraus sich nach Abschnitt 12.2.2 mindestens eine Pulswiederholung von 71,4 kHz ergibt. Die Gesamtlänge T M der Pulsfolgen führt zur Auflösung der Dopplerfrequenz von f Doppler
1 , TM
(12.20)
B
Abschluss des Sendepulses auf Empfang geschaltet werden. Somit ist für Objektabstände bis zur halben Pulslänge nicht der volle Puls beobachtbar. Da aber noch Teile des Pulses detektiert werden, kann zumindest die Objektpräsenz innerhalb dieser Zone erkannt werden, allerdings ohne die Möglichkeit der Abstandsbestimmung, wohl aber der Relativgeschwindigkeit, da diese in allen Bereichen des Pulses ermittelbar ist. Die Stärken der kohärenten Puls-Demodulation sind eine unabhängige Abstands- und Relativgeschwindigkeitsmessung, die mit einer im Vergleich zu anderen Verfahren geringen mittleren Sendeleistung auskommt. Dagegen spricht die benötigte hohe Empfangsbandbreite, wodurch dieses Prinzip leichter störbar ist als die nachfolgend beschriebenen Verfahren, sowie der beträchtliche Aufwand bei den Schaltelementen.
12.2.5 Frequenzmodulation Bei der Frequenzmodulation wird die Frequenz f0 als Funktion der Zeit variiert, wobei klar zu stellen ist, dass es sich nicht um eine absolute und somit konstante Frequenz handelt, sondern um eine Momentanfrequenz f0 (t) = Z0 (t)/2S. In diesem Kapitel wird Frequenzmodulation auf alle Verfahren bezogen, bei denen die Information über die Laufzeit durch Frequenzvariation erreicht wird.
und damit zur Relativgeschwindigkeitsauflösung von r
c . 2 f0TM
(12.21)
So ist bei 76,5 GHz für r 1 m/s eine Messzeit von etwa 2 ms erforderlich. Bei einer exakt periodischen Pulswiederholung können sowohl Scheinziele durch Überreichweiten entstehen als auch Störeinstrahlungen durch andere Radarsensoren. Abhilfe kann hier eine pseudozufällige Variation der Pulswiederholzeiten schaffen (vgl. [7]), d. h. der Folgepuls variiert gegenüber der mittleren Zykluszeit um mindestens eine Range-Gate-Dauer, damit bei wiederholtem Puls die Störung oder die Überreichweite in ein anderes Range-Gate fällt. Grundsätzlich lassen sich mit einer kohärenten Puls-Demodulation auch kleine Abstände unterhalb der Pulslänge messen, wenn der Empfangszweig auch simultan zur Pulsaussendung bereit steht. Werden, anders als im Bild 12-5 dargestellt, dieselbe Antenne und derselbe Oszillator für Sende- und Empfangszweig gewählt, so kann erst nach
Bild 12-8: Blockschaltbild eines Radars mit Frequenzmodulation. Oben: in einer bistatischen Ausführung mit getrennten Antennenzuführungen für Sende- und Empfangsstrahl; unten: in monostatischer Ausführung mit Zirkulator-Kopplung.
131
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Der grundsätzliche Aufbau von FM-Radar ist im Bild 12-8 dargestellt. Für die Funktionsweise zwingend ist die Variation der Frequenz mittels eines spannungsgesteuerten Oszillators, der direkt oder über eine Regelschleife (z. B. Phase-Locked-Loop, PLL) die gewünschte Modulation ermöglicht. Das empfangene Signal wird mit dem aktuell ausgesendeten Signal gemischt, gefiltert, abgetastet und gewandelt. Für die Signaltrennung von Sendezweig und Empfangszweig können wahlweise räumlich getrennte Zuleitungen (Bild 12-8 oben) oder spezielle nicht-reziproke Koppler (Bild 12-8 unten) verwendet werden, die richtungsselektiv koppeln.
gezeigt, würde hier Abhilfe leisten, allerdings auch die Kosten für die Demodulationshardware erheblich erhöhen. Alternativ kann mit weiteren Frequenzsprüngen analog zu Bild 12-9 eine erste Aussage zum Abstand getroffen werden. Damit der Cosinus-Bogen als solcher erkannt werden kann, müssen die n Stufen zusammen eine Phasenänderung von mindestens 45° (S/4) bewirken. Somit bestimmt sich der Gesamthub der Frequenzstufen n · 'f aus der minimalen messbaren Entfernung r min zu
Mr,n
Mr,1
2rmin n Z c
12.2.5.1 Frequenzumtastung, Frequency-Shift-Keying (FSK) Bei der Frequenzumtastung wird die Momentanfrequenz des Signals in Stufen variiert. In einfachster Variante werden nacheinander zwei Wellenzüge der Länge 't mit den Momentankreisfrequenzen Z1 und Z2 ausgesendet und simultan dazu das empfangene Signal mit einem dem Sendesignal abgeleiteten Signal gemischt. Dieses ergibt gemäß Gl. (12.10) die folgenden Basisband-Mischprodukte
ult,r,i (t )
Z 1 M0 Mr,i , i 1, 2 Ar At cos i 2rt c 2 (12.22)
In dieser Gleichung wurde 2SO durch Zi /c substituiert, damit die durch die Frequenzänderung bewirkten Effekte deutlich werden. Zur Vereinfachung wird zunächst angenommen, dass kein Dopplereffekt vorliegt, also das detektierte Objekt keine Relativgeschwindigkeit r aufweist. Dann ergibt sich in Abhängigkeit des Abstands eine Phasenänderung von
Mr,i
M0 Mr,i
tof Zi
2r Zi , i 1, 2 (12.23) c
Mr,1 tof
Z
2r Z, c
Z Z2 Z1 (12.24)
Der Phasenunterschied ist also umso größer, je größer der Abstand r und je höher die Differenzkreisfrequenz ist. Nun gilt aber auch hier, dass eine Phase nicht eindeutig bestimmbar ist. Man misst zunächst nur die mit der Amplitude multiplizierten Cosinus-Werte, in diesem Falle zwei Werte. Eine I/Q-Mischung, wie in Abschnitt 12.2.3 und 12.2.4.3
132
n f
c 16rmin (12.25)
Bild 12-9: Prinzip der Frequenzumtastung (Frequency-Shift-Keying, FSK) mit mehreren Stufen
Dies führt zu einem Hub n · 'f von 625 kHz @ 30 m bzw. 18,75 MHz @ 1 m. Diese Werte können als Anhaltspunkt für die minimal benötigte Bandbreite zur Abstandsmessung dienen. Die Zahl der Stufen ergibt sich aus dem Eindeutigkeitskriterium bei maximal anzunehmendem Objektabstand r max. So darf die Phasenänderung zwischen zwei Stufen nicht größer als 180° (S) sein.
Mr,i+1
Mr,i
tof
Z
2rmax Z c
und damit in der Differenzbetrachtung
Mr,2
tof n Z
f
c 4rmax (12.26)
Damit ergeben sich Stufenhöhen 'f von maximal 188 kHz @ 400 m. Dieser Abstandswert liegt zwar außerhalb der betrachteten Abstandszielbereiche. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass gut reflektierende Objekte auch aus diesem Entfernungsbereich erfasst werden. Die minimale Anzahl der Stufen nmin ergibt sich aus dem Verhältnis r max / r min von maximalem zu minimalem Abstand. nmin
rmax 4rmin
(12.27)
12 Radarsensorik
Erweitert man die obige Betrachtung auf relativ zum FSK-Radar bewegende Objekte, so bleiben alle Aussagen weiter erhalten. Allerdings ist das Signal der einzelnen Stufe kein Gleichsignal, sondern variiert gemäß Gl. (12.22) mit der Dopplerfrequenz f Doppler,i
fi 2r . c
Zwar unterscheidet sich die Dopplerfrequenz jeder Stufe wegen der unterschiedlichen Grundfrequenz fi, die Änderungen sind aber so gering (< 10 –5), dass bei einer Fourieranalyse die Dopplerfrequenzen in dieselbe Frequenzzelle fallen. Dennoch können sich durch die Unterschiede Phasenverschiebungen aufsummieren, die aber vorherbestimmbar sind und damit auch kompensiert werden können. Im Prinzip können die Objekte allein anhand der Dopplerfrequenz detektiert werden, allerdings ist das Vorzeichen der Dopplerverschiebung nicht bekannt. Dieses lässt sich aus der Phasendifferenz zwischen den Stufen bei den gefundenen Dopplersignalen ableiten. Vergrößert sich die Phase bei Erhöhung der Sendefrequenz, dann liegt eine positive Dopplerfrequenz vor, also ein sich näherndes Objekt. Verringert sich dagegen die Phase, bleibt als sinnvolle Erklärung nur eine negative Dopplerfrequenz, da ein negativer Abstand ausgeschlossen werden kann. Die Auflösung der Relativgeschwindigkeit ist nur abhängig von der Messzeit, die für eine Stufe zur Verfügung steht. Werden die Stufen wie oben beschrieben nacheinander durchgeführt, so steht bei einer Gesamtmesszeit T pro Stufe nur eine Messdauer von T M = T / n zur Verfügung. Bei vielen Stufen führt dies zu einer erheblichen Verschlechterung der Relativgeschwindigkeitsauflösung. Bei wenigen Stufen bietet sich an, die Tatsache auszunutzen, dass die notwendige Abtastrate für den Dopplereffekt so gering ist, dass in den Messpausen zwischen zwei Abtastzeitpunkten Messungen mit anderen Sendefrequenzen durchgeführt werden. Im Abschnitt 12.2.2 wurde eine minimale Abtastrate von 71,4 kHz ermittelt, die Pause beträgt somit fast 14 μs. Die Laufzeit für ein 300 m entferntes Objekt beträgt dagegen nur 2 μs. Theoretisch lassen sich noch sechs weitere Messungen einschieben, praktisch noch vier, wie in einem Praxisbeispiel siehe Bild 12-10 gezeigt ist. Die Signale entsprechen einer Treppenfunktion, wobei für die Auswertung die Werte zu der gleichen Stufenhöhe zu einem Analysedatensatz zusammengefasst werden. Somit ist es auch nicht nötig, die Messzeit auf die verschiedenen Stufen zu verteilen, sondern bei allen Stufen wird ein T-langer Datensatz ausgewertet und somit
B
resultiert gemäß Gl. (12.21) eine Relativgeschwindigkeitsauflösung von r c / 2 f0T entsprechend r (1 m/s) / (510 Hz T ) bei 76,5 GHz. Mit einer Messdauer von 40 ms kann eine Geschwindigkeitszelle von etwa 1/20 m/s erreicht werden. Damit können Objekte unterschieden werden, die drei Zellen Differenz zeigen, also Geschwindigkeitsunterschiede von nur 3/20 m/s oder etwa 0,5 km/h. Diese hohe Trennfähigkeit ist allerdings bei einem derartigen Verfahren notwendig, da wegen des geringen Frequenzhubs keine Trennfähigkeit bezüglich des Abstands gegeben ist. Besitzen also mehrere Objekte die gleiche Relativgeschwindigkeit, sodass sie in dieselbe Relativgeschwindigkeitszelle eingeordnet werden, so ist nicht mehr erkennbar, dass es sich um mehrere Objekte handelt. Der in einem solchen Fall ermittelte Abstandswert ist sehr unzuverlässig, wobei der betragsmäßig stärkste Reflektor die anderen dominiert. Bei sich bewegenden Objekten ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass mehrere Objekte gemeinsam in dieselbe Zelle fallen. Bei stehenden Objekten hingegen ist dies immer der Fall, sodass ein solches Verfahren für die Detektion von stehenden Hindernissen ungeeignet ist.
Bild 12-10: FSK mit fünf ineinander geschachtelten Frequenzstufen [Quelle: TRW]
Das Zusammenfassen mehrerer Frequenzstufen erlaubt noch weitere Signalverbesserungsmaßnahmen. So kann der Abtastzeitpunkt für das empfangene Signal mit einem definierten Verzug zum Beginn der Stufe gelegt werden, sodass Überreichweiten von Objekten mit größeren Laufzeiten als dieser Verzugszeit ausgeschlossen werden können. Eine weitere Verbesserung kann erreicht werden, wenn gemäß dem Patent [8] schon im Zeitbereich eine Differenzbildung zwischen zwei Stufen erfolgt. Dies ermöglicht eine Kompensation des Niederfrequenzrauschens, da dieses die Spannungswerte aller benachbarten Stufen in gleicher Weise verfälscht. Gleichzeitig erfolgt dadurch eine abstandsabhängige Dynamikreduktion, da die wegen der geringeren
133
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Abschwächung stärkeren Signale naher Objekte wegen ihres geringeren Phasenunterschieds auf geringere Differenzwerte abgeschwächt werden. Mit der Signaldarstellung von Gl. (12.22) berechnet sich die Differenz zu Li j ult,r,i (t t ) ult,r,j (t ) Ar At sin 2
Zi Z j Z 2 i r t rt c c
2M0
Mr,i Mr,j Zij Z 2 i r t rt c c
sin 2
Mr,ij (12.28)
Die ersten im zweiten Sinus-Term enthaltenen Größen haben bei Objekten mit geringer Relativgeschwindigkeit, wie es für die relevanten Objekte im Nahbereich zutrifft, nur kleine Werte
Zij Zij 2 rt rmax,SRTM 0, 3 , c c Z Z 2 i r t 2 i rmax,SR t 1, 5 c c
Zwar scheint der Eindeutigkeitsbereich gegenüber Gl.(12.24) verringert zu sein, da die effektive Stufenhöhe 2'Z0 beträgt. Dies wird aber dadurch kompensiert, dass sich mit Vorzeichenbetrachtungen der volle Kreiswinkelbereich bestimmen lässt. Eine wie im Bild 12-10 dargestellte Stufenhöhe von 160 kHz erlaubt einen Eindeutigkeitsbereich von c/(4 · 160 kHz) | 470 m. Durch Messung noch bei Ende der Stufe wird sichergestellt, dass reflektierte Signale von Objekten mit einer Laufzeit > 2,4 μs entsprechend 360 m nicht mehr zu einer Verfälschung der Phase beitragen können. 12.2.5.2 FMSK Eine ebenfalls auf Frequenztreppen basierende Modulation nennt sich Linear Frequency Modulation Shift Keying (LFMCW/FSK) [9]. Diese ist im Bild 12-11 dargestellt. Einer Frequenztreppe A mit nS Stufen folgt zeit- und frequenzversetzt eine Frequenztreppe B. Für Treppe A ergibt sich analog zu Gl. (12.22) und Gl. (12.23) ein Mischsignal
2
bei rmax,SR der Faktor sin
ult,r,i,A (ti,A )
5 m/s und 'Zij = 2S · 320 kHz, so dass
M r,ij
sin
ti,A
2r Z ji c
i 1,
übrig bleibt, womit es faktisch zu einer abstandsproportionalen Verstärkung kommt. Ein weiterer Vorteil dieses Kunstgriffs ist die Verzweifachung der Dopplerfrequenz (erster Term im ersten Sinus-Argument), womit die Relativgeschwindigkeitszelle bei gleicher Messzeit halbiert wird. Allerdings reicht eine Differenzmessreihe für die Bestimmung des Abstands nicht aus. Dazu verwendet man eine zweite Differenzreihe, z. B. in der Ordnung ult,r,3 (t 2 t ) ult,r,1 (t ) und ult,r,4 (t 3 t ) ult,r,2 (t t ), wobei, wie im Bild 12-10 eine äquidistante Kreisfrequenzänderung Z = Z0 + i'Z0 vorausgesetzt wird. Eine solche Differenzbildung zeichnet sich durch denselben gemeinsamen zweiten Sinus-Term aus. Somit kann der Abstand aus der Phasendifferenz der komplexen Amplituden ermittelt werden:
M4
2,3 1
M4
2
M3
Z0,A iA t0
2i t0 ;
Z
2r Zi,A , c (12.30)
Z0,A ii,A m , (12.31)
, nS ,
mit den Abtastzeitpunkten ti,A und der Treppensteigung der Kreisfrequenz mZ = 'Z / (ti+1 – ti). Wieder in Gl. (12.30) eingesetzt, 1 2Zi 2m ult,r,i,A (ti,A ) At Ar cos r r ti,A c c 2 2r Z0,A , i 1, , n . c (12.32)
1
Z4,3 2 r 2 t c 4r Z0 c
134
wobei Zi,A
1 2Zi i,A At Ar cos rt c 2 i 1, , n .
Mr ,3 Mr ,1
M r ,4 M r ,2
(12.29)
Bild 12-11: Frequenz-Zeitverlauf für Linear Frequency Modulation Shift Keying (LFMCW/FSK) nach [9]
12 Radarsensorik
Für die zweite Treppe ergibt sich analog das gleiche Ergebnis, wobei die Indizes A durch B zu ersetzen sind. Dabei ist zu beachten, dass die Abtastzeitpunkte ti,B = t0 + 't0 +2i't0 zu ti,A um 't0 versetzt sind und die Startkreisfrequenz Z0,B um 'ZBA zu Z0,A verschieden ist. Für beide Fälle erhält man eine zeitdiskrete Datenreihe, die nach der Fouriertransformation bei derselben Kreisfrequenz
Z obj
2 m r Z 0 r , c
(12.33)
eine (komplexe) Amplitude liefert. Die zur Vereinfachung durchgeführte Näherung des Vorfaktors für die Dopplerfrequenz, der Trägerfrequenz Zi, mit der Startfrequenz Z0, führt bei Modulationshüben von 100 MHz und der Trägerfrequenz 76,5 GHz nur zu Fehlern (Zi – Z0) / Zi im Promillebereich. In beiden Treppen findet sich bei Zobj eine Amplitude gleichen Betrags, aber mit unterschiedlicher Phase
M BA
2 c
Z BA r Z 0 t0 r ,
(12.34)
von einem geschwindigkeitsabhängigen Teil wegen des Zeitversatzes und zusätzlich von einem abstandsabhängigen Teil wegen des Frequenzversatzes. Beide Informationen, die Frequenz des Signals (Gl. (12.33)) und die Phasendifferenz zwischen den komplexen Amplituden der beiden Treppen (Gl. (12.34)) sind eine Linearkombination von Relativgeschwindigkeit und Abstand und lassen sich entsprechend in einem r r -Diagramm jeweils als Geraden darstellen (siehe auch Bild 12-12).
r
c Z obj 2 Z0
r
c M BA 2 Z 0 t0
m r, Z0
B
(12.35)
Z BA r. Z 0 t0
(12.36)
Sofern die zweite Treppe nicht exakt in der Mitte der ersten liegt, also mZ 't0 z 'ZBA, gibt es einen Schnittpunkt beider Geraden, wodurch eine eindeutige Bestimmung sowohl des Abstands als auch der Relativgeschwindigkeit möglich wird: r
c t0 Z obj t0 2 m
M BA , Z BA
r
M BA c m m t0 2Z 0
(12.37)
Z BA Zobj , Z BA
(12.38)
Da die Dauer der Treppen die Messzeit T M = 2n't0 bestimmt, lässt sich gemäß Gl. (12.21) eine Relativgeschwindigkeitszelle von r
c 4 f 0 nS t0
(12.39)
angeben. Die Abstandsauflösung hängt ebenfalls von der Messdauer ab, da auch die Abstandsauflösung über die Frequenzauflösung gemäß Gl. (12.33) bestimmt wird. Die Messzeit kürzt sich aber wieder heraus, wenn stattdessen der Gesamtfrequenzhub fsweep = mZ T M / 2S r
c Z obj 2 m
c 2 / TM 2 m
c , 2 fsweep
(12.40)
verwendet wird. Dieser Ausdruck gilt uneingeschränkt auch für andere Verfahren und entspricht der Heisenbergschen Unschärferelation, bei der das Produkt aus Zeitauflösung und Frequenzauflösung mindestens den Wert 1 ergeben muss. Für eine bestimmte Zeitauflösung (hier Laufzeit) ist also eine bestimmte Mindestbandbreite nötig. Die Treppenstufenhöhe 2mZ · 't0 bestimmt zum größten Teil den maximal messbaren Abstand gemäß Nyquist-Theorem und 't0 = T M / 2nS zu
rmax
c 2
Zobj, max m c
4m Bild 12-12: Bestimmung des Abstands und der Relativgeschwindigkeit beim Verfahren Linear Frequency Modulation Shift Keying (LFMCW/FSK) nach [9]
2 Z0 r c
t0
Z0 r , m
2 nS 2 Z0 r c 2TM c m 2 (12.41)
die Zahl der Treppenstufen nS bestimmt das Verhältnis r max /'r zwischen maximalem Messabstand und der Abstandsauflösung. Eine Dopplerverschie-
135
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
bung führt entsprechend Gl. (12.33) zu einer Ausdehnung oder Verkürzung des maximalen Messabstands, entsprechend dem zweiten Term von Gl. (12.41). Bei der Anwendung dieser Gleichungen (12.37) und (12.38) ist darauf zu achten, dass die Kreisfrequenz Zobj vorzeichenbehaftet ist. Ohne Einsatz eines I/Q-Mischers ist das Vorzeichen der Frequenz aber nicht bekannt, sodass über Annahmen das Vorzeichen zu bestimmen ist. Dabei können positive Abstände vorausgesetzt werden, sodass die Objektfrequenzen bei positiver Steigung positiv sind. Dies gilt zumindest solange (m r Z 0 r) 0 ist. Bei positiver Treppensteigung folgt daraus, dass für Objekte unterhalb einer ttc,min
( r / r )min
m . Z0
(12.42)
diese Bedingung nicht mehr gegeben ist. ttc steht für Time-to-Collision, die übliche Bezeichnung des Quotienten von Abstand und negativer Relativgeschwindigkeit. Für ein Beispiel mit einer ttc,min = 1 s und 76,5 GHz Trägerfrequenz ist eine Steilheit von mZ = 2S · 76,5 GHz/s erforderlich entsprechend einer Frequenzrampe von 76,5 MHz in 1 ms. Grundsätzlich tritt dieser Effekt des Vorzeichenwechsels auch bei einer negativen Rampensteigung auf mit einer entsprechenden „Fluchtzeit“, wobei keine Anwendung im Bereich der Fahrerassistenzsysteme bekannt ist, die so schnell „fliehende“ Objekte erkennen muss. Daher kann eine negative Treppe mit einer betragsmäßig erheblich geringeren Rampensteigung betrieben werden. Als letzten Parameter ist 'ZBA zu wählen. Als Mindestforderung gilt, einen nullwertigen Nenner in den Gl. (12.37) und (12.38) zu vermeiden, also 'ZBA z mZ 't0 zu wählen. Weiterhin ist zu beachten, dass nach Gl. (12.34) die Phasendifferenz eindeutig im Bereich von 0 ... 2S bleibt, so dass dieser Bereich mindestens für Abstände bis r max bei (r 0) reichen muss, wenn die Mehrdeutigkeiten nicht durch andere Plausibilisierungsverfahren aufgelöst werden sollen. Hieraus ergibt sich die Bedingung für
Z BA
c rmax
4m
t0
Z BA,opt
m
t0 ,
(12.44)
d. h. die zweite Treppe beginnt um eine halbe Stufe nach unten versetzt (vgl. [9]). Da wie in Abschnitt 12.2.5.1 beschrieben, die für die maximale Dopplerfrequenz notwendige Abtastfrequenz noch genügend Zeitraum für Zwischenmessungen erlaubt, können noch weitere Treppen ineinander geschachtelt werden. So lässt sich die Anordnung von Bild 12-10 mit einer „Makrotreppe“ verbinden, wobei entsprechend der vorherigen Überlegung der Versatz (die kleine Treppe) entgegen der Richtung der großen Treppe gewählt wird, s. Bild 12-13. Dadurch kann zum einen gegenüber dem Doppeltreppen-FMSK der Winkelversatz 'MBA nun über vier Differenzen statt einer deutlich besser ermittelt werden und zum anderen gegenüber dem FSK wegen des mit der Makrotreppe verbundenen höheren Frequenzhubs auch eine Mehrzielfähigkeit im Abstand erreicht werden, womit das Verfahren auch für stehende Ziele tauglich wird. Natürlich lassen sich die beim FSK beschriebenen „Kunstgriffe“ der Differenzsignale auch hier anwenden, um eine Signaldynamikkompression, eine halbierte Relativgeschwindigkeitszelle und Rauschabsenkung zu erreichen.
(12.43)
Mit etwas Reserve für die Änderung durch den Dopplereffekt ZDoppler,max · 't0 ergibt sich die Auslegung von Z BA 106 s , also etwa 160 kHz Frequenzsprung, wobei bei einer positiven Treppensteigung ein negatives 'ZBA zu einem höheren Steigungsunterschied führt als ein positives. Da Abstand und Relativgeschwindigkeit gemäß Bild
136
12-12 als Schnittpunkt zweier Geraden bestimmt werden, ist eine Orthogonalität bzgl. der Fehlerrobustheit optimal, d. h. die Steigung der einen Geraden sollte gleich dem negativen Kehrwert der anderen Steigung sein, wobei beide Größen auf die Auflösungszelle ('r nach Gl. (12.40) und r nach Gl. (12.39)) normiert werden. Mit den Gl. (12.35) und (12.36) erfolgt dann die Festlegung eines optimalen
Bild 12-13: Frequenz-Zeitverlauf einer Kombination von FSK und LFMCW/FSK, gestrichelt: die zu einem Datensatz zusammengefassten Messpunkte
12 Radarsensorik
B
12.2.5.3 Dauerstrich-Frequenzmdulation (Frequency Modulated Continuous Wave, FMCW) Eine vielfach verwendete Modulationsform ist die lineare Dauerstrich-Frequenzmodulation. Dabei wird die Momentanfrequenz kontinuierlich und rampenförmig verändert
Z (t ) Z 0 m (t t0 ) .
(12.45)
Damit erhält man nach Mischung von Empfangsund Sendesignal ult,r,i (t )
1 At Ar cos 2
2Z0 r c 2r Z0 c
2m r t c 2r c
2
m
. (12.46)
einen zu Gl. (12.32) ähnlichen Ausdruck, wobei eine konstante Phasenverschiebung von +(2r / c) 2 mZ durch die stetig ansteigende Sendefrequenz hinzukommt, die aber ohne weitere Bedeutung bleibt. Obwohl nun die Frequenz im Gegensatz zu den im vorherigen Abschnitt vorgestellten FMSK-Treppen kontinuierlich verändert wird, liefert ein zu diskreten Zeitpunkten abgetastetes Signal dieselbe Differenzfrequenz wie bei der Treppenform, so dass Gl. (12.33) gültig bleibt und eine Linearkombination von Abstand und Relativgeschwindigkeit beschreibt. Ohne Vergleich mit der Phase einer anderen Rampe ist die Phaseninformation hingegen nicht nutzbar. Da nur die Frequenzinformationen auswertbar sind, lässt sich das Verfahren anschaulich gemäß Bild 12-14 verdeutlichen. Die Differenzfrequenz ist bei einer positiven Rampensteigung umso größer, je größer der Abstand ist und je mehr sich ein Objekt entfernt. Die Mehrdeutigkeit der Linearkombination lässt sich auflösen, wenn eine weitere Rampe mit einer anderen Steigung mZ vorliegt. Bei einer negativen Rampe, s. Bild 12-15, ist die Differenzfrequenz ebenfalls umso so größer, je größer der Abstand ist. Allerdings vergrößert sich die Differenz nicht mit sich entfernenden Objekten, sondern mit sich annähernden. Dies drückt sich in einer Linearkombination, die in einem r r -Diagramm zu einer negativen Steigung führt, aus. Wie im Bild 12-15, unten dargestellt, schneiden sich die Geraden bei r
c Z obj,1 Z obj,2 , 2 m ,1 m ,2
(12.47)
Bild 12-14: FMCW mit einer positiven Rampe bei einem sich nähernden Objekt. Links oben: Gesendetes und empfangenes Signal; rechts oben: Spektraldarstellung der Differenzfrequenz; unten: zu einer Frequenz zugehörige Abstands- und Relativgeschwindigkeitswerte
Bild 12-15: FMCW mit einer negativen Rampe bei einem sich nähernden Objekt. Links oben: Gesendetes und empfangenes Signal; rechts oben: Spektraldarstellung der Differenzfrequenz; unten: zu der detektierten Frequenz zugehörige Abstands- und Relativgeschwindigkeitswerte für beide Rampen
r
c m ,1Z obj,2 m m ,1 m 2Z 0
,2 Z obj,1
.
(12.48)
,2
137
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bei der Anwendung dieser Gleichungen ist wie vorherig darauf zu achten, dass die Kreisfrequenzen vorzeichenbehaftet sind. In identischer Weise gilt hier die Einschränkung gemäß Gl. (12.42). Das Mehr-Rampen-FMCW-Verfahren ist sehr einfach, solange nur ein Objekt detektiert wird. Dann sind die Zobj,i eindeutig zuzuordnen. Dies gelingt ohne Weiteres nicht mehr, wenn mehrere Objekte detektiert werden. Wie im Bild 12-16 dargestellt, sind Fehldeutungen möglich. Das erste Rampenpaar (durchgezogene Linien) erzeugt von zwei Objekten vier Schnittpunkte, von denen nur zwei korrekt sind. Durch eine oder mehrere zusätzliche Rampen mit unterschiedlichen Steigungen lässt sich die Mehrdeutigkeit auflösen, zumindest für eine kleine Anzahl von Objekten, in dem man nur die Detektionen gelten lässt, die einen Schnittpunkt aller Rampen zeigen. Im Beispiel Bild 12-16 mit zwei zusätzlichen Rampen der halben Steigung finden sich im r r -Diagramm vier weitere Geraden. Aber nur zu den korrekten Objekten schneiden sich alle Geraden der vier Rampen. Bei Szenen mit einer Vielzahl gewünschter und ungewünschter Ziele wie die Leitplankenpfosten kann es trotzdem vorkommen, dass Mehrfachschnittpunkte festgestellt werden, die nicht real korrespondieren. Als weiteres Kriterium für die Unterdrückung von
Falschzuordnungen kann die Gleichheit der Amplituden herangezogen werden, wobei hier vorausgesetzt werden muss, dass die Rückstreuamplitude in den folgenden Rampen auch wirklich nahezu gleich ist. Zwar kann diese Annahme in Einzelfällen nicht zutreffen, die Folgen sind aber gering, da einzelne Ausfälle (Drop-outs) vom nachfolgenden Tracking aufgefangen werden. Trotz dieser Maßnahmen bleibt die Zuordnungsmehrdeutigkeit die Achillesferse dieses Verfahrens. Eine weitere Schwäche ist die fehlende Kohärenz über die verschiedenen Rampen hinweg. Für die Qualität der Relativgeschwindigkeit ist die Messdauer T R der einzelnen Rampen relevant, nicht die gesamte Messdauer. Die kleinste Geschwindigkeitszelle wird gemäß Gl. (12.21) über die Dauer T R,max der längsten Rampe bestimmt. Wie im Ausführungsbeispiel des Long Range-Radars LRR2 von Bosch Bild 12-31 dargestellt, kann mit einer langen Rampe die hohe Geschwindigkeitsauflösung erreicht werden. Wenn diese Rampe eine negative Steigung aufweist, besteht kein Problem mit dem Frequenzvorzeichenwechsel bei sich nähernden Zielen. Somit werden wie im Beispiel etwa 70 % der Messzeit für die Dopplerfrequenzbestimmung bereit gestellt.
Bild 12-16: Mehrdeutigkeit der Zuordnung bei FMCW für zwei Ziele. Durchgezogene Kreise: korrekte Zuordnung; gestrichelte: falsche Zuordnung und deren Auflösung durch zwei zusätzliche Rampen; gestrichelte Geraden: Linearkombination für die zweite Doppelrampe
138
12 Radarsensorik
12.2.5.4 Chirp Sequence Modulation (Multi-Chirp, Pulskompression) Die im Folgenden beschriebene Modulation hat mehrere Bezeichnungen. Hier wird sie als Chirp Sequence Modulation bezeichnet, weil sie aus einer Sequenz gleicher linearer Frequenzrampen besteht, s. Bild 12-17. Dieses Verfahren kombiniert die Vorteile aller bisher beschriebenen Verfahren. In kurzen Abständen werden nR gleiche lineare Frequenzrampen wiederholt, die, wenn sie wie im Bild 12-17 dargestellt, frequenzsteigernd (Up-Chirp) sind, im akustischen Bereich als Zirpen (Chirp) hören würden. Der Hub der Rampen beträgt typisch fchirp = 30 ... 300 MHz. Die Wiederholrate richtet sich nach der Dopplerfrequenz und sollte etwa 80 kHz betragen, wenn Mehrdeutigkeiten vermieden werden sollen, die aber wie vorher mehrfach erwähnt, auch durch Plausibilitätsbetrachtung im Tracking behoben werden können, so dass durchaus niedrigere Wiederholraten möglich sind. Obwohl für die einzelnen Rampen Gl. (12.33) gilt, gibt es trotzdem eine eindeutige Zuordnung vom Abstand zur Frequenzzelle
Zobj
2 m r, c
(12.49)
weil die Rampen so kurz sind, dass eine Dopplerverschiebung innerhalb der Rampendauer nicht relevant wird und somit eine strenge Korrespondenz zwischen Zobj und r herrscht. Diese Beziehung gilt für alle folgenden Rampen, solange das Ziel in der Gesamtmesszeit innerhalb der Abstandszellenausdehnung bleibt. Diese Bedingung kann durchaus bei einer hohen Relativgeschwindigkeit und einer langen Gesamtmessdauer T M verletzt werden, wenn nämlich r
r TM
c 2TM fchirp
(12.50)
ist. Bei einer hohen Abstandsauflösung von 1 m (entsprechend fchirp = 150 MHz) und einer Messdauer von 20 ms tritt dies oberhalb r 50 m/s auf. Trotz solcher Grenzen kann davon gesprochen werden, dass die Frequenzzellen Abstandszellen entsprechen, die in zur kohärenten Pulsdemodulation (Puls-Doppler) ähnlicher Weise als RangeGates aufgefasst werden. Zu jeder Zelle existiert nach der Fouriertransformation wie bei der PulsDoppler-Auswertung in Abschnitt 12.2.4.3 eine komplexe Amplitude. Diese Amplitude beschreibt in den folgenden Rampen in gleicher Weise wie die Pulsfolgen in der komplexen Ebene einen Kreis mit der der Dopplerfrequenz zugehörigen Kreisgeschwindigkeit ZDoppler. Eine Fouriertransformation der komplexen Amplituden der Rampenfolge mit derselben Abstandszelle liefert daher direkt die Dopplerfrequenz und zwar sowohl für mehrere Ziele in derselben Abstandszelle und unterschiedlicher Relativgeschwindigkeit als auch mit Vorzeichen, da nun ein komplexer Datensatz transformiert wird. Die Analogie zur Puls-Doppler-Auswertung führt daher auch zur Bezeichnung Pulskompression, weil nun die gesamte Energie der Rampe auf ein RangeGate konzentriert wurde und somit gegenüber einer ca. tausendfach kleineren Pulsdauer ein erheblich besseres Signal-Rausch-Verhältnis erreicht wird, ohne die Spitzenleistung dafür anzuheben. Der beschriebene Ansatz mit zwei aufeinander folgenden Fouriertransformationen ist nichts anderes als eine zwei-dimensionale Fouriertransformation des Datenfelds, bei dem Messdaten einzelner Chirps die Spalten bilden und die Folgechirps die Zeilen. Das Ergebnis liegt in einem zwei-dimensionalen Spektrum vor, dessen Elementarzelle durch 'r = c / 2fchirp und r c / 2 f0 TM beschrieben wird. Die Ausdehnung des Feldes wird durch die Abtastfrequenz fs und die Chirpfolgefrequenz ng / T M bestimmt. rmax
Bild 12-17: Frequenz-Zeitverlauf für die Chirp Sequence Modulation (Puls-Kompression)
B
c fs ; r max 4m
nR r 2
nR c TM 4 f 0
(12.51)
Die Chirp Sequence Modulation erreicht eine bestmögliche Ausnutzung der Signalleistung, der Bandbreite und der Messzeit. Die Qualität der Messung wird neben dem Rauschen des Empfangszweigs nur durch die Qualität der Frequenzerzeugung bestimmt, denn Nichtlinearität, hohes Phasenrauschen und Ungenauigkeiten bei der Rampenwiederholung (Zeit- und Frequenzfehler) führen zum „Auslaufen“ der Detektion-Peaks und verschlechtern die Detektionsfähigkeit, vor allem am Rande des Detektionsfelds, also bei großen Abständen und Relativgeschwindigkeiten.
139
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
12.3 Winkelmessung
12.3.1 Antennen-theoretische Vorbetrachtungen Vor der Beschreibung der Winkelbestimmung werden benötigte Grundlagen zur Strahlform von Radarsensoren eingeführt. Die Strahlcharakteristik der elektrischen Feldstärke E(I, -) im Fernfeld, d. h. bei Abständen, die viel größer als die Wellenlänge sind, ergibt sich (vgl. [2]) als inverse Fouriertransformierte der Antennenbelegungsfunktion A(x, y), wobei der Azimutwinkel I zur Belegung in x-Richtung und der Elevationswinkel - zur y-Richtung korrespondiert. Der nach links positive Azimutwinkel I liegt in der Sensor-Horizontalebene des in ZS-Richtung orientierten Sensors und der Elevationswinkel - beschreibt den Winkel zur ZS-XSEbene (nach oben positiv). Für eine ebene Antenne parallel zur XS-YS-Ebene ergibt sich gemäß [1] E (I ,- )
j
A( x, y )e
2 x cos - sin I y sin O
dx dy (12.52)
Diese Gleichung beschreibt zunächst die Feldstärkeverteilung im Fernfeld für eine mit der Belegungsfunktion A(x, y) abgestrahlten Welle, gilt aber in gleicher Weise für den Empfang. Somit gilt für die Winkelabhängigkeit eines Sensors die Multiplikation der Sende- mit der Empfangscharakteristik. So lange die Sendeantenne nicht weit von der Empfangsantenne entfernt ist, kann die ZweiwegeCharakteristik als das (i. A. komplexe) Produkt der Einwege-Charakteristik beschrieben werden. Bei Verwendung eines monostatischen EinstrahlKonzepts, also wenn der Sendestrahl durch dieselbe Antenneneinheit läuft wie das Empfangssignal, ergibt sich das (bei nicht um Antennenmitte spiegelsymmetrischer Belegungsfunktion komplexe) Quadrat E2 (I, -) . Für drei einfache, symmetrische eindimensionale Fälle von Belegungsfunktionen ist die sich daraus ergebende Antennencharakteristik im Bild 12-18 dargestellt. Die Abszisse verwendet die normierte Größe ) = (lA / O)sinI und ist somit durch das Verhältnis von Aperturweite lA (Antennenöffnungsweite) und Wellenlänge skaliert. An diesen Beispielen lässt sich bereits der Konflikt zwischen möglichst starker Bündelung der Hauptkeule und möglichst geringer Höhe der Nebenkeulen ablesen. Wie in einer Tabelle bei [2]
140
Bild 12-18: Berechnete eindimensionale Antennencharakteristik für eine Rechteckbelegungsfunktion und eine einfache sowie eine quadrierte CosinusHalbglocke, normiert auf die Gesamtleistung. Die Abszissenvariable ) = (lA / O)sinI ist der auf das Verhältnis lA / O der Aperturweite zur Wellenlänge normierte Sinus des Abstrahlwinkels.
aufgeführt ist, kann je nach Belegungsfunktion ein zum Winkelauswertungskonzept passender Kompromiss gewählt werden, vgl. Bild 12-19. Eine für die Unterdrückung der ersten Nebenkeule optimale Charakteristik weist das Hamming-Fenster auf, bei dem am Rand noch 8 % der in der Mitte herrschenden Amplitude verbleibt. Trotz solcher Optimierungsstrategie müssen die Antennen etwa achtzigfach größer als die Wellenlänge mal dem Kehrwert der Hauptkeulenbreite pro Grad sein, ein Grad Hauptkeulenbreite verlangt eine etwa lA = 80 O große Aperturweite, entsprechend 32 cm bei 1° und 77 GHz.
Bild 12-19: Nebenkeulenunterdrückung vs. Breite der Hauptkeule (bei –3 dB, Einweg) nach [2]
12 Radarsensorik
Als weitere unerwünschte Nebenwirkung einer hohen Nebenkeulenunterdrückung kommt eine Absenkung des Antennengewinns hinzu (s. a. Bild 12-18), denn die Unterdrückung wird immer durch eine zum Rand der Antenne hin sinkende Belegungsfunktion erwirkt. Entsprechend sinkt die effektive Antennenfläche, die Hauptkeule wird breiter und somit die Leistung auf einen breiteren Bereich verteilt, was wiederum zu einer Abnahme der Intensität in der Mitte des Strahls führt. Für Long Range Radar-Anwendungen wie ACC (s. Kapitel 32) ist für die Gesamtabdeckung ein Winkelbereich 'Imax von etwa 10°... 20° Azimut und 3° Elevation gefordert. Eine Trennfähigkeit hinsichtlich der Elevation wäre zwar zur Unterscheidung einer Brücke von einem stehenden Fahrzeug (Höhenunterschied etwa 2 m) wünschenswert, aber dafür wäre eine Trennfähigkeit von 1° (= 2 m/116 m) und folglich eine Antenne von mindestens 30 cm erforderlich, was hinsichtlich des verfügbaren Bauraums indiskutabel ist. Somit beschränkt sich die Winkelauswertung auf den Azimut.
12.3.2 Scanning Das vom Verständnis einfachste Verfahren zur Winkelbestimmung ist das mechanische Scanning. Dazu wird eine Strahlablenkeinheit oder eine Planarantenne mechanisch so schnell geschwenkt, dass innerhalb eines Mess- und Auswertezyklus (50 … 200 ms) der gesamte azimutale Erfassungsbereich überstrichen wird. Bild 12-20 zeigt das Prinzip. Die Radarkeule hat wegen der oben beschriebenen Abhängigkeit zur Aperturweite mindestens 2° Hauptkeulenbreite, wenn die Aperturweite nicht größer als 15 cm werden soll. Die Keule wird in etwa 1°-Schritten über den Messbereich „geschoben“. Statt einer wirklich diskreten Schrittsteuerung erfolgt eine kontinuierliche Scanbewegung, um geräuscherzeugende Beschleunigungen zu vermeiden und mit geringeren Stellleistungen auszukommen. Die Messwerte werden dann trotzdem einer diskreten Winkelposition zugeordnet, nämlich der Mitte der Scanpositionen innerhalb eines Messfensters, die zu diesem Winkelsegment zugeordnet ist. Zwar erhöht sich die Unschärfe, die sich durch die Keulenbreite ergibt, um eine „Bewegungsunschärfe“. Da aber zur Vermeidung von Leckage-Effekten die Messdaten gefenstert werden, d. h. am Anfang und am Ende des Messintervalls stark reduziert werden, ist die effektive Bewegungsunschärfe auf etwa 30 % vermindert. Weiterhin kommt zugute, dass sich die Unschärfen näherungsweise (bzw. exakt bei einer Gauß-Charakteristik von Antenne
B
und Fensterfunktion) geometrisch addieren, sodass der Verlust an Schärfe nur etwa 10 % beträgt. Natürlich kann eine noch kleinere Schrittweite gewählt werden und somit die Bewegungsunschärfe verkleinert werden. Dagegen spricht aber, dass die Aufteilung der Messzeit in viele, den Winkelsegmenten zugeordnete Intervalle die Trennschärfe für die Dopplerauswertung verschlechtert. Damit wird auch klar, dass ein mechanischer Scanner hinsichtlich der Relativgeschwindigkeitsmessung prinzipbedingt schlechter sein wird als eine die gleiche Messzeit messende Mehrstrahlanordnung. Weiterhin ist zu bemerken, dass der azimutale Auswertebereich kleiner als der Scanbereich ist, denn für eine Schwerpunktbestimmung muss zumindest am Rande ein Abfall erkennbar werden. Daher ist der tatsächliche Winkelbereich zu beiden Rändern hin um etwa eine halbe Strahlbreite geringer als der Scanbereich. Der große Vorteil des Scanningverfahrens ist neben der hohen Genauigkeit, aufgrund des im Vergleich zu anderen Konzepten schmaleren Strahls, auch die Fähigkeit, Objekte hinsichtlich des Winkels zu trennen. Eine Bestimmung der lateralen Objektausdehnung ist nur bei kleineren Abständen sinnvoll möglich, da auch ein schmaler Strahl von 2° Breite in 50 m etwa 1,8 m ausgedehnt ist und somit schon so breit ist wie ein Pkw.
Bild 12-20: Scanner-Prinzip zur Winkelbestimmung. Oben: enger gebündelter Strahl überstreicht den Gesamterfassungsbereich und detektiert das Punktziel; Mitte: die azimutale Winkelcharakteristik des gebündelten Strahls; unten: Ergebnis für ein Punktziel
141
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
12.3.3 Monopuls
unterschieds gewichteter Betrag gemessen wird:
Das Monopuls-Verfahren basiert auf einer Doppelantennen-Anordnung, siehe Bild 12-21, wobei diese zumeist nur für den Empfang eingesetzt wird, während der Sendestrahl mittels einer einzelnen separaten Antenne emittiert wird.
A
2 A sin M ; A
2 A cos M
(12.54)
Somit lässt sich aus dem Verhältnis Differenz- zu Summensignal der Azimutwinkel bestimmen, ohne dass dafür eine phasenempfindliche Messung erforderlich ist:
I
A 1 arcsin arctan 2 * A
(12.55)
Allerdings ist wegen der Eindeutigkeit die Beschränkung auf Winkel 'M = 2S* sinI < S/2 erforderlich. Daraus folgt die Dimensionierungsvorschrift von * sinImax < 1. Bei einem Maximalazimut von Imax = 30° wären die Antennen genau um 0,5 O entfernt, bei 6° etwa 2,5 O. Eine weitere Möglichkeit des Monopulsverfahrens besteht im Amplitudenvergleich bei unterschiedlicher Strahlcharakteristik. In üblicherweise zur Mitte symmetrischer Anordnung besitzen die Strahlen außerhalb des Nullwinkels die Maxima, haben aber beim Nullwinkel wegen der Symmetrie eine gleiche Amplitude. Der Quotient der Amplitudenbeträge
Bild 12-21: Monopuls-Prinzip zur Winkelbestimmung. Oben: Bildung der Summen- und Differenzsignale; Mitte: die azimutale Winkelcharakteristik der so gebildeten Strahlen; unten: typische Kennlinie Azimutwinkels vs. Quotient der Amplitudenbeträge von Differenz- und Summensignal bei kleineren Winkeln
Die (Empfangs-)Antennen können sich durch die Strahlcharakteristika unterscheiden oder einfach nur aufgrund der Position, die bei azimutaler Winkelmessung horizontal um * · O verschoben ist. Für zwei benachbarte, sonst gleiche Antennenfelder findet man einen Phasenunterschied von
M
2 * sin I
(12.53)
in Abhängigkeit des Azimutwinkels. Für die Amplituden des Differenzsignals bedeutet dies, dass statt der Originalamplituden A1 und A2 mit A1 A2 A für Differenz- und Summensignal ein mit dem Sinus bzw. dem Cosinus des Phasen-
142
A1
A2
A1
A2
kann wieder zunächst als etwa lineares Maß des Azimutwinkels herangezogen werden. Kann von einer konstanten Rückstreuung zwischen zwei aufeinanderfolgenden Messungen ausgegangen werden, so reicht die wechselweise sequentielle Auswertung. Dieses Verfahren wird daher auch Sequential Lobing genannt. Wird wie im Bild 12-21 zuvor dargestellt, das Differenz- und Summensignal direkt gebildet, dann überlagern sich Phasenunterschied und Amplitudenunterschied, wodurch sich eine noch steilere Kennung zwischen Azimutwinkel und Quotient |A'| / |A6| ergibt. Das hier beschriebene Messverfahren ist für einzelne Punktziele akkurat. Allerdings können schon zwei Ziele auf eine in demselben Messzyklus nicht erkennbaren Weise unsinnige Werte erzeugen. Daher ist bei Verwendung dieses Verfahrens darauf zu achten, dass durch eine gute Abstands- und/oder Relativgeschwindigkeitstrennung die Wahrscheinlichkeit sehr gering wird, dass der Azimut von zwei oder mehr Zielen stammt. Werden das Differenz- und das Summensignal simultan gemessen und ist eine komplexe Amplitudenbestimmung möglich, dann besteht grundsätz-
12 Radarsensorik
B
lich doch die Möglichkeit einer Signalplausibilisierung über die Differenzphase zwischen A' und A6. Dazu bedient man sich der Trennung der Einflüsse (Amplitudencharakteristik und Phasenunterschied). Da unterschiedliche Amplitudencharakteristika auch zumeist mit Phasenunterschieden verbunden sind, ist eine Speicherung der Gesamtcharakteristik (Amplitudenverhältnis, Phasenunterschied) in Abhängigkeit vom Azimutwinkel sinnvoll. Ein weiterer Vorteil ist die Verdopplung des Eindeutigkeitsbereichs der Phasenauswertung auf ±S, da bei arctan-Berechnung auch die Vorzeichen der komplexen Amplituden genutzt werden können.
12.3.4 Mehrstrahler Die Verwendung von Mehrstrahlern ermöglicht die Verbesserung des Monopulsverfahrens. Zum einen wird bei gegebener Einzelstrahlbreite der Messbereich ausgedehnt. Zum anderen kann in den meisten Fällen eine wie oben beschriebene Mehrzielverfälschung erkannt werden. Das Grundprinzip ist im Bild 12-22 dargestellt. Die Winkelauswertung erfolgt durch den Vergleich mit der sensorspezifischen normierten Antennencharakteristik, die in einem nicht-flüchtigen Speicher abgelegt ist. Beispiele realer Winkelcharakteristika sind in den Bildern 12-23 und 12-24 dargestellt.
Bild 12-23: Zwei-Wege-Antennendiagramm eines Dreistrahl-Puls-Doppler-Radars, Beispiel Continental ARS200 [7]
Bild 12-24: Zwei-Wege-Antennendiagramm eines Vierstrahl-FMCW-Radars, Beispiel Bosch-LRR2 [10]
Nur der mittige Strahl von Bild 12-23 zeigt eine starke Nebenkeulenunterdrückung. Die Nachbarkeulen zeigen jeweils zur Gegenseite ihrer Hauptorientierung deutlich erhöhte Nebenzipfel auf, welche damit auf eine asymmetrische Belegungsfunktion hinweist, die von der außermittigen Bestrahlung herrührt, vgl. auch Abschnitt 12.8.3. Beim Vierstrahler im Bild 12-24 sind alle Strahlen asymmetrisch, die äußeren in besonderem Maße. Zur Ermittlung der Charakteristik werden am Ende der Sensor-Produktion automatisiert Kennfelder mittels Zielsimulatoren bestimmt. Die gemessenen Signalleistungen |Ai|2 des i-ten Strahls (i = 1 ... n) werden auf die Summe der Leistungen aller Strahlen normiert Bild 12-22: Mehrstrahl-Prinzip zur Winkelbestimmung. Oben: überlappende Keulen; Mitte: die azimutale Winkelcharakteristik der einzelnen Strahlen; unten: von einem Punktreflektor resultierende Leistung in den einzelnen Strahlen
ai
Ai
2
n
Aj
2
j 1
143
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
so dass bei einem Punktziel, das sich im Azimutwinkel I0 befindet, die Kreuzkorrelation K (I )
n
ai anorm,i (I )
(12.56)
i 1
mit dem entsprechend normierten Winkeldiagramm anorm,i bei einer Verschiebung IW = I0 maximal und einen Wert von nahe 1 annimmt. Ist der Maximalwert deutlich kleiner als 1, dann kann davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzung eines Einzelreflektors nicht gegeben ist und somit dem ermittelten Winkel nicht vertraut werden darf. Allerdings kann eine Auswertung gemäß Gl. (12.56) auch bei K(I0) | 1 zu Verfälschungen führen, wenn praktisch nur eine Keule eine hohe relative Empfangsleistung aufweist. Daher kann alternativ das sogenannte Antennenmatching auf dB bezogen logarithmisch ausgeführt werden und dann daraus der Korrelationskoeffizient bewertet werden. Dies verlangt jedoch einen hinreichenden Signal-Rausch-Abstand aller Werte. Auch bei Mehrstrahlkonzepten kann man von den Phasenunterschieden gemäß Gl. (12.53) profitieren, wenn das reflektierte Signal simultan auf mehreren Kanälen empfangen wird. So erhält man bei einem n-Strahler n–1 zusätzliche Informationen. Eine Möglichkeit, diese auszuwerten, besteht darin, dass einem Strahl k, z. B. dem Mittenstrahl oder bei gerader Strahlanzahl einem der beiden mittleren, die Referenzphase zugeordnet wird. Dann lassen sich aus der Differenzphase 'M zu jedem der anderen Strahlen jeweils Real- und Imaginärteile AQ,i = |Ai| cos 'M und AI,i = |Ai| sin 'M bestimmen. Selbstverständlich wird der Imaginärteil des Referenzstrahls zu AI,k = 0 gesetzt. So stehen bei simultanem Empfang eines n-Strahlers insgesamt 2n–1 Informationen für die Winkelbestimmung zur Verfügung, die in der zuvor beschriebenen Weise (Gl. (12.56)) ausgewertet werden können. Simultaner Empfang bei Mehrstrahlern heißt, dass zunächst nur die Empfängerseite mehrstrahlig ist, während der Sendestrahl entweder aus einem separaten Sendezweig kommt oder sich wie im Beispiel aus Abschnitt 12.8.1 aus der Überlagerung von mehreren Sendezweigen ergibt. Grundsätzlich lassen sich auch die Sendezweige verändern, z. B. durch Schalter, allerdings werden damit zumeist auch die Mischer der entsprechenden Zweige lahmgelegt, die für die Auswertung der empfangenen Signale benötigt werden. Außerdem muss für eine solche sendeseitige Veränderung analog zum Scanning-Verfahren Messzeit zur Verfügung gestellt werden, wodurch entweder länger gemessen oder die Messzeit auf verschiedenen Strahlkonfiguratio-
144
nen aufgeteilt wird, wobei dies zu einer Verschlechterung der Relativgeschwindigkeitsmessung führt. Der simultane Betrieb von Mehrstrahlern mit Phasenauswertung kann auch als eine (einfache) Form des digitalen Beamforming bezeichnet werden, da die sequentielle Suche nach der höchsten Korrelation abläuft, wie wenn nacheinander die Antenne mit ihrer Phasen- und Amplitudenkennung virtuell in die Suchrichtung gelenkt wird. Allerdings bleibt die Sendecharakteristik unverändert, solange nicht auch die Sendezweige verändert werden. Dies kann neben dem Schalten der Sendezweige auch durch gezielte Phasenverschiebungen zwischen den Einzelantennen der Sendezweige geschehen. Solche meist als planare Phased-Arrays ausgeführte Antennen ermöglichen eine Vielzahl an Auswertemethoden, auf die hier nicht weiter eingegangen wird.
12.3.5 Dual-Sensor-Konzept Ein in einer Veröffentlichung [11] vorgestelltes Konzept bündelt zwei Radarsensoren zu einem integralen Dual-Sensor-Konzept. Dabei kommen zwei fast spiegelbildlich asymmetrische Antennencharakteristika zum Einsatz, bei denen die für eine breite Nahbereichsausleuchtung zuständigen Nebenkeulen nach fahrzeugaußen gerichtet sind, während die leistungsstärkeren zentralen Keulen weitgehend parallel nach vorn ausgerichtet sind, vgl. Bild 12-25. Es ergeben sich vor allem drei Vorteile: eine breite Abdeckung von Beginn an (d. h. nach der ersten Abstandszelle), etwa ± 20° Sicht im Nahbereich und eine Überlappung im Hauptbereich, vgl. Bild 12-26. Die Überlappung kann sowohl zur Fehlererkennung als auch zur Verbesserung der Signalverarbeitung, vorrangig der Azimutwinkelbestimmung, eingesetzt werden. Dass für eine solche Anordnung nun zwei Einbauplätze gefunden werden müssen, kann sowohl negativ als auch posi-
Bild 12-25: Doppel-Radar-Anordnung mit asymmetrischen Vierstrahl-Radarsensoren [11]
12 Radarsensorik
B
Bild 12-26 Detektionsabdeckung der Doppel-Radar-Anordnung mit asymmetrischen Vierstrahl-Radarsensoren [11]
tiv bewertet werden, insbesondere positiv, wenn bei sichtbarem Einbau die „Radar-Augen-Symmetrie“ erreicht werden soll. Nachteilig sind die doppelten Kosten gegenüber einem Einzelsensor, wobei der Verzicht auf zusätzliche Nahbereichssensorik die Bilanz aufbessern kann.
12.4 Hauptparameter der Leistungsfähigkeit Auch wenn sich aus dem Funktionsverständnis, insbesondere der Modulation und der Winkelauswertung, die wichtigsten Größen der Leistungsfähigkeit ergeben, so sind sie hier in einer kurzen Übersicht zusammengefasst.
12.4.1 Abstand Die Leistungsfähigkeit der Abstandsmessung ist hauptsächlich durch die Frequenzbandbreite fBw der Modulation gegeben, vgl. z. B. Gl. (12.18) und (12.40) und bestimmt die Abstandszellengröße r
c 2 f Bw
durch die Abtastrate (vgl. Gl. (12.51) bestimmt, während sie bei Puls-Doppler-Radar durch die Länge des abgetasteten Empfangssignals gegeben ist. Die maximale Entfernung bezogen auf ein Standardziel hängt neben den Modulationsparametern auch von der Sendeleistung, der Antennengüte (Verstärkung 0°) und dem Signal/Rausch-Abstand der Empfängerelektronik ab, vgl. Gl. (12.4), Abschnitt 12.1. Dabei ist zu bedenken, dass in der Praxis die Reflektivität der Objekte um mehrere Zehnerpotenzen schwankt und zudem Mehrwege-Interferenzen diese Grenze alles andere als scharf wirken lassen. Der minimale Abstand kann nur dann kleiner als das Trennfähigkeitsintervall sein, wenn auf die Mehrzielfähigkeit im Abstand verzichtet wird. „Umklapp-Effekte“, wie in Abschnitt 12.2.5.2 (Gl. (12.42)) und 12.2.5.3 beschrieben, können zu einer von der Relativgeschwindigkeit abhängigen Vergrößerung des Minimalabstands führen. Bei PulsRadar-Systemen, die für Senden und Empfangen dieselben Antennenzweige verwenden, kann erst nach Abklingen des Sendepulses gemessen werden, woraus ein etwa der Pulslänge entsprechender Bereich resultiert, in dem der Abstand nicht korrekt bestimmt werden kann, wohl aber ab ca. 25 % der Pulslänge ein Ziel detektiert wird.
(12.57) 12.4.2 Relativgeschwindigkeit
und damit die Trennfähigkeit. Die Messgrenze für den maximalen Abstand wird bei Radar mit Frequenzmodulation im Wesentlichen
Für die Zellengröße r und damit für die Trennfähigkeit wie auch für die Genauigkeit der Relativge-
145
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
schwindigkeit ist die ununterbrochene Messzeit T M entscheidend, vgl. z. B. Gl. (12.21) und (12.39). Für die maximale und minimale Relativgeschwindigkeit ist die Abtastung des Dopplereffekts maßgeblich. Allerdings ist eine Mehrdeutigkeit durch eine zu niedrige Abtastfrequenz durchaus kompensierbar, wenn über die Abstandsdifferentiation eine Zuordnung zu den Mehrdeutigkeitsbereichen gelingt.
12.4.3 Azimutwinkel Für die Leistungsfähigkeit der Azimutwinkelbestimmung ist keine einfache Relation anzugeben. Ideal wäre zwar ein azimutal schmaler Strahl, der elektronisch oder mechanisch einen möglichst breiten azimutalen Sektor abtastet. Bei Monopuls- und Mehrstrahlkonzepten ist eine breite Ausleuchtung nur durch ebenfalls breite Einzelstrahlen möglich. Als Qualitätsmerkmal wird hier der Gesamtmessbereich
Imax
Imax Imin
(12.58)
möglichst geringes „Zellvolumen“ angestrebt, womit das Produkt der Zellengrößen der drei Dimensionen gemeint ist, auch wenn diese unterschiedliche Einheiten besitzen. Etablierte, für eine Volumenbetrachtung benötigte Umrechnungs- und damit Gewichtungsfaktoren sind nicht bekannt und vermutlich nicht immer sinnvoll. Dies gilt vor allem bei weit auseinander liegenden Fällen, wenn z. B. ein Sensor, der gleichmäßig kleine Zellengrößen hat, mit einem Sensor, der nur eine Dimension auflöst, aber dies sehr genau kann, verglichen werden soll. Im Folgenden werden Anhaltswerte für die benötigte Zellengröße eines Long Range Radar angegeben, die für sich allein eine ausreichende Mehrzielfähigkeit ergeben. Hier wird von der Längsausdehnung eines kleinen Pkws ausgegangen, der sich in 100 m Abstand vom Sensor aufhält. Ferner wird für eine Trennung angenommen, dass ein Abstand von drei Zellen benötigt wird. Theoretisch wäre zwar auch der Abstand von zwei Zellen ausreichend, aber die Fensterung und die Strahlunschärfe lassen dies kaum zu. r 1, 5 m ,
und die für die Trennfähigkeit relevante Azimutzellengröße
Imin
Imax N azimut 1
(12.59)
definiert über die Zahl der unabhängigen Informationen Nazimut, herangezogen. Für einen Scanner ergibt sich 'Imin durch die Strahlbreite des Einzelstrahls, für ein sequentielles n-Strahlkonzept 'Imin = 'Imax / (n – 1), für ein simultanes Konzept mit Phasenauswertung 'Imin = 'Imax / (2n – 2). Für ein Sequential Lobing und Monopuls ist 'Imin = 'Imax, da keine Mehrzielinformation vorliegt, es sei denn, dass simultan bei Monopuls beide Signale gemessen werden und eine Trennung von Phasenunterschied und Amplitudenunterschied genutzt wird (dann ist Nazimut = 3). 12.4.4 Leistungsfähigkeit und Mehrzielfähigkeit Ein Radar für den automobilen Einsatz als Umfeldsensor kann auf eine Mehrzielfähigkeit nicht verzichten. Dazu ist eine geeignete Trennfähigkeit in mindestens einer der Dimensionen Abstand, Relativgeschwindigkeit und Azimutwinkel notwendig. Je nach Konzept wird die Trennfähigkeit mal beim Abstand und mal bei der Relativgeschwindigkeit besonders priorisiert. Im übertragenen Sinne wird für eine in der Praxis hohe Mehrzielfähigkeit ein
146
r
0,1 m/s ,
I
0, 7 .
(12.60)
Hier zeigt sich, dass eine Mehrzielfähigkeit allein auf Winkelbasis nicht mit einbaukompatiblen Antennen (Aperturweite müsste > 45 cm sein) möglich ist. Die Trennfähigkeit auf Basis des Abstands allein kommt an Grenzen, wenn sich mehrere Objekte in nahezu gleichem Abstand aufhalten; die Trennfähigkeit nach der Relativgeschwindigkeit versagt bei stehenden Objekten. Daher wird eine Trennung nach Abstand und nach Relativgeschwindigkeit angestrebt. Im Bild 12-27 ist schematisch der Bereichsquader {rmin ! rmax , rmin ! rmax , Imin !Imax }, der sich aus den Minimal- und Maximalwerten ergibt, dargestellt und aus den einzelnen Zellvolumina { r , r, I } besteht. Daraus lässt sich die qualitative Aussage ableiten, dass die Leistungsfähigkeit umso höher ist, je größer das Bereichsvolumen und je kleiner das Zellvolumen ist. Allerdings ist zu beachten, dass neben den prinzipbedingten Grenzen weitere Verschlechterungsgründe existieren. Insbesondere kann die Frequenzerzeugung und -modulation zur Verschlechterung beitragen. Sowohl eine nichtkonstante Amplitude über die ununterbrochene Messzeit als auch Phasenrauschen oder Nichtlinearitäten führen zur Verbreiterung der Frequenzpeaks und reduzieren die Trennfähigkeit. Neben der Trennfähigkeit spielt die Auflösung für die Qualität eine große Rolle. Hierzu werden benachbarte Zellen zu einer Peak-Schwerpunktbestimmung herangezogen, wodurch Auflösungen von etwa 1/10 der Zellenbreite möglich werden.
12 Radarsensorik
B
Bild 12-27 Visualisierung der Trennfähigkeit als Zellvolumen in den Dimensionen Abstand, Relativgeschwindigkeit und Azimutwinkel
Allerdings gilt dies wiederum nur für Punktziele. Reale Ziele verursachen dagegen erheblich über diesem Wert liegende Streuungen. Wechselnde Reflektionsschwerpunkte führen sowohl longitudinal als auch lateral zu Sprüngen von mehreren Metern, aber auch in der Relativgeschwindigkeit entstehen Streuungen, wenn Relativbewegungen detektiert werden wie bewegliche Teile oder Transportgut mit einem relativen Freiheitgrad, z. B. Autos auf Autoanhängern. Diese Streuungen können so stark sein, dass ein Objekt in mehreren Zellen detektiert wird. Durch zumeist heuristische Ansätze müssen dann diese Zellen wieder zu einem gemeinsamen Objekt gebündelt werden.
12.4.5 24 GHz vs. 77 GHz Das Frequenzband von 24,0–24,25 GHz erlaubt neben dem 76–77 GHz-Band ebenfalls eine Radarnutzung im Straßenverkehr. Vorteile dieses Bandes sind die verlustärmere Leitungsführung und die kostengünstigeren Komponenten, auch wenn
der Abstand mit zunehmendem Einsatz von SiGeKomponenten bei 77 GHz zurückgehen wird. Nachteilig ist die Zunahme der Relativgeschwindigkeitszelle anzusehen, weil die Dopplerfrequenz proportional mit der Trägerfrequenz skaliert. Der größte Unterschied aus der niedrigeren Frequenz resultiert aus der höheren Wellenlänge (O | 12 mm), die wiederum zu einer Verbreiterung der Strahlcharakteristik führt, wenn die Antennengröße beibehalten werden soll. Der Antennengewinn ist kleiner und die Winkelauflösung verschlechtert sich. Daher ist der Einsatz von 24 GHz für den Mid-Range bis 100 m prädestiniert. Auch für den Nahbereich ist es gut geeignet, wenn eine breite Strahlcharakteristik gewünscht ist. Allerdings ist durch die Bandbegrenzung unterhalb von 0,5 m die Detektion kaum möglich, so dass ein im Band bleibendes 24 GHzRadar die Einparkhilfesensoren nicht überflüssig machen kann. Einen nur temporär geduldeten Ausweg bietet die Ultra-Wide-Band-(UWB) Technik. Bei dieser Technik wird zwar auch mit einer Trägerfrequenz von 24,15 GHz gearbeitet. Allerdings werden sehr
147
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
kurze energiearme Pulse ausgesendet. Die nur etwa 0,5 ns langen Pulse führen zu einer effektiven Nutzbandbreite von 5 GHz ( UWB Band 21,65–26,65 GHz). Zwar bleiben sie mit der auf diese Gesamtbreite verteilten Energie unterhalb der Zulassungsschwellen der benachbarten Bänder, allerdings findet dies noch keine Akzeptanz. So ist in der Nähe von Radioastronomiestationen UWBRadar abzustellen, woraus sich eine Zwangskopplung mit einem Ortungssystem ergibt. Ferner ist eine Obergrenze für den nationalen Zulassungsanteil von 7 % vorgegeben, d. h. nur maximal 7 % der nationalen Zulassung darf auf Fahrzeuge entfallen, die mit UWB-Radar ausgerüstet sind. Als letzte Grenze ist der 30.06.2013 genannt. Nur bis zu diesem Tag ist das Indienststellen eines 24 GHz-UWBRadars erlaubt. Spätestens dann ist auf 77–81 GHz auszuweichen, wodurch eine Kostensteigerung unvermeidbar sein wird. Allerdings ist dieses neue Band auch bezüglich der anderen Grenzwerte so großzügig bedacht, dass auch andere Modulationsverfahren als UWB möglich sind. Die Grenzwerte im Vergleich finden sich z. B. in der Schnittstellenbeschreibung [12] der Bundesnetzagentur.
12.5 Signalverarbeitung und Tracking Die Signalverarbeitung erfolgt auch für verschiedene Modulations- und Antennenkonzepte weitgehend in gleicher Abfolge, die in Tabelle 12-1 aufgeführt sind.
Am Beginn steht die Signalformung. In allen Konzepten fällt darunter die Signalmodulation, z. B. die Treppengenerierung gemäß Bild 12-9, Bild 12-10, Bild 12-11 und Bild 12-13 oder die Rampengenerierung gemäß Bild 12-14 bis Bild 12-17. Wird auch die Antennencharakteristik dynamisch verändert (z. B. durch Scanning gemäß Bild 12-20), so ist auch dies zur Signalformung zu rechnen. Der erste Verarbeitungsschritt mit empfangenen Signalen besteht in der Vorverarbeitung und digitalen Datenerfassung. Dieser Schritt kombiniert die Demodulation und die digitale Datenerfassung und enthält oftmals Anpassungsfilter, um z. B. die mit dem Abstand verbundene Empfangsleistungsabsenkung zu kompensieren. Die analogen Signale werden nach Demodulation und Verstärkung abgetastet und in digitale Werte gewandelt. Dabei können sowohl klassische Parallelwandler als auch 6-'-Wandler Verwendung finden. Letztere sind 1-Bit-Wandler mit Oversampling und nachgelagertem Digitalfilter. Diese sind allerdings nicht geeignet, wenn während der Messung der Eingangskanal umgeschaltet wird (Multiplexbetrieb). Die Datenmenge entspricht der Zellenzahl gemäß Bild 12-27, also ein Messwert pro Zelle. Sie kann je nach Konzept zwischen tausend und einer Million Werten liegen. In allen modernen ACC-RADAR-Sensoren spielt die per Fouriertransformation durchgeführte Spektralanalyse eine wichtige Rolle bei der Vorverarbeitung der Signale. Vereinfacht betrachtet ist die Fouriertransformation eine rechenintensive Umwandlung vom Zeitbereich in den Frequenzbereich und umgekehrt. Aus einer in Zeitschritten
Tabelle 12-1: Generalisierte Arbeitsschritte der Radar-Signalverarbeitung
148
Verarbeitungsschritt
Erläuterung
Signalformung
Modulation (Frequenztreppen oder Rampen, Pulsgenerierung), Strahlumschaltung oder -formung
Vorverarbeitung und digitale Datenerfassung
Demodulation, Verstärkung, digitale Datenerfassung
Spektralanalyse
Zumeist ein- oder zweidimensionale (Fast-) Fouriertransformation der digitalen Daten, dabei enthalten die Frequenzlage und die komplexen Amplituden die Information über Abstand, Geschwindigkeit und Azimutwinkel.
Detektion
Erkennen von Peaks im Spektrum, zumeist mittels Vergleich mit einer adaptiven Schwelle.
Matching
Zuordnung von detektierten Peaks zu einem Objekt
Azimutwinkelbestimmung
Ermittlung des Azimutwinkels über den Vergleich der Amplituden verschiedener Empfangszweige mit Antennencharakteristik
Bündelung (Clustering)
Zusammenfassung von Detektionen, die vermutlich zu einem Objekt gehören.
Tracking
Aktuelle Objektdaten zu vorher bekannten Objekten zuordnen (= Assoziation), um eine zeitliche Datenspur (Track) zu erhalten, die gefiltert und aus denen die Objektdaten für die nächste Zuordnung prädiziert werden
12 Radarsensorik
definierten Folge von Messwerten wird eine in Frequenzschritten definierte Folge von ‚Messwerten‘, die das Frequenzspektrum bestimmt. Moderne Signalprozessoren sind leistungsfähig genug, um diese Transformation auch mit vielen Messpunkten (Größenordnung 1000) in wenigen Millisekunden durchzuführen. Allerdings wird diese hohe Transformationsgeschwindigkeit nur erreicht, wenn die Anzahl bestimmte Werte annimmt. Beim klassischen Fast-Fourier-Transformation-Algorithmus (FFT) muss sie eine Potenz von 2 sein (z. B. 512, 1024, 2048). Üblich ist eine Fensterung in Verbindung mit der Spektralanalyse, um zu vermeiden, dass durch Begrenzung des Messfensters Artefakte entstehen (so genannte Leckage-Fehler). Auch wenn dazu unterschiedliche Fensterfunktionen verwendet werden können, die auf unterschiedlichen Kriterien optimiert sind, so führt dies zu einer effektiven, in jeder Dimension etwa 1,5-fachen Zellenvergrößerung mit entsprechend verschlechterter Genauigkeit und Trennfähigkeit. Die Detektion ist die Suche nach besonderen Merkmalen in den gemessenen Datenreihen. Oft sind es Peaks in einem Spektrum, sei es ein Frequenz- oder ein Laufzeitspektrum. Hier gilt es, die Reflektionssignale einzelner Objekte zu erkennen und von denen anderer Objekte zu unterscheiden. Wegen der stark unterschiedlichen Signalstärken der verschiedenen Objekte, aber auch desselben Objekts zu verschiedenen Zeiten muss ein Schwellenalgorithmus gefunden werden, der einerseits möglichst alle Peaks, die von realen Objekten stammen, findet, aber unempfindlich gegen Peaks ist, die durch Rauschen oder Störsignale entstanden sind. Daher werden zumeist adaptive Schwellen eingesetzt, wie das Beispielspektrum aus Bild 12-28 zeigt. Entstehen systematische Peaks, die nicht auf äußere Reflektionen zurückzuführen sind, sind diese ebenso zu maskieren wie eventuelle Bodenreflektionen. Leider erschweren auch starke Reflektionen eines realen Objekts die Detektion. Zum einen können sie schwächer reflektierende Objekte in benachbarten Frequenzbereichen verdecken, wenn nämlich die Sendefrequenz nicht ideal dem Modulationsverlauf folgt. Ursachen dafür sind das Phasenrauschen des Oszillators und Linearitätsfehler bei FM-Verfahren. Außerdem führen Abweichungen von der Mischerkennlinie, s. Abschnitt 12.2.3, zu Harmonischen, wie dies auch im Bild 12-28 sichtbar wird. Zwar haben die „harmonischen Ziele“ größere Abstände, aber auch entsprechend vervielfachte Relativgeschwindigkeiten, wodurch aus solchen artifiziellen Objektdaten durchaus größere Objektverzögerungen für die
B
Bild 12-28: Beispielspektrum einer FMCW-Messung. Neben dem eigentlichen Ziel bei der etwa 95. Frequenzlinie finden sich ein Nahbereichs-Echo (bei den ersten Linien) vom Horn des Zielsimulators und die Oberwelle des Ziels (bei Linie 190) wieder [Quelle: Bosch]
Annäherung berechnet werden können als für das Originalobjekt. Unter Matching versteht man die Zuordnung von detektierten Peaks zu einem Objekt, wobei sowohl die Zuordnung verschiedener Spektren (von z. B. verschiedenen Messrampen eines FMCW-RADAR) eines Strahls als auch die Zuordnung von Peaks verschiedener Strahlen gemeint sein kann. Dabei können auch Objektdaten vergangener Messreihen hinzugezogen werden, um bei der Zuordnung durch Plausibilitätsbetrachtungen bei möglicher Mehrdeutigkeit selektiver werden zu können. Dies trifft im besonderen Maße auf das Matching von FMCW zu. Die Azimutwinkelbestimmung erfolgt über die (komplexen) Amplituden der Peaks, die in verschiedenen Strahlen von einem Objekt gemessen wurden. Bei Kenntnis der Winkelcharakteristik und der Strahlrichtung kann die Winkellage des Objekts bestimmt werden. Bei einem Scanner-Konzept mit kontinuierlicher Winkelgeschwindigkeit kann der Winkel allerdings auch schon bei der Detektion ermittelt werden. Gerade bei hoch auflösenden Radarsensoren entsteht „zu viel“ Information. So werden bei kleiner Abstandszelle von einem Lkw schnell einmal 5 bis 10 Reflektionen detektiert oder bei hoher Geschwindigkeitsauflösung Relativbewegungen eines zusammenhängenden Objekts (Zugmaschine, Anhänger, Ladung oder Gliedmaßen von Fußgängern). Daher wird versucht mittels einer heuristischen Bündelung (Clustering) die Detektionen desselben Objekts zu verbinden und als nur ein Objekt in der Messliste zu führen.
149
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Unter Tracking versteht man die Bildung des zeitlichen Zusammenhangs einzelner Messereignisse zu quasikontinuierlichen „Spuren“ einzelner Objekte. Die Detektion und die nachfolgende Bündelung führen zunächst zu einzelnen Objekthypothesen, die vorläufig nur für diesen einen Zyklus gelten. Im Tracking wird als nächstes die Zuordnung zu Hypothesen vorheriger Zyklen versucht (Assoziation). Üblicherweise sind diese Objekthypothesen in Listen organisiert und haben Object Identifier als „individuelles“ Kennzeichen. Für die Assoziation werden die Zustandsgrößen der bisher bekannten Objekte (z. B. Abstand oder laterale Lage) auf den Zeitpunkt der aktuellen Messung prädiziert. Dann erfolgt die Zuordnung der aktuellen Objekthypothesen zu den bisherigen, wobei ein Suchfenster um die prädizierten Werte gelegt wird, da sowohl Mess- als auch Prädiktionsfehler anzunehmen sind. Lässt sich zu einem bisherigen Objekt in diesem Suchfenster ein aktuell erkanntes Objekt zuordnen, so wird die Spur fortgesetzt. Gleichzeitig wird die Objektqualität erhöht oder bleibt auf hohem Niveau. Bleiben Objekte der aktuellen Messung übrig, so werden neue Objekte in der Objektliste generiert und mit den Messdaten der aktuellen Messung initialisiert. Allerdings beginnt dieses Objekt seine Spur mit einer niedrigen Objektqualität, die i. A. so gering ist, dass eine oder mehrere Übereinstimmungen in nachfolgenden Messungen benötigt werden, bevor dieses Objekt für eine Anwendung (z. B. ACC) als Zielobjekt infrage kommt. Kann für ein bestehendes Objekt keine Hypothese aus der aktuellen Messung zugeordnet werden, so sinkt die Objektqualität. Nach mehrmaligem Ausfall fällt die Qualität unter einen definierten Schwellwert, woraufhin dieses Objekt aus der Objektliste entfernt wird. Neben diesen grundsätzlichen Fällen müssen mögliche Mehrdeutigkeiten berücksichtigt werden wie beispielsweise dass ein aktuelles Objekt in das Suchfenster anderer Objekte fällt oder dass mehrere Einzelobjekte der Liste zu einem einzigen realen Objekt gehören. Neben der Assoziation erfolgt mit dem Tracking eine zumeist sehr anwendungsspezifische Zustandsdatenfilterung, oftmals mit der Assoziation verbindbar als Kalman-Filter, der den für die Assoziation notwendigen Schritt der Prädiktion schon implizit enthält. Die Zustandsgrößen von mit aktiven Sensoren erfassten Objekten enthalten immer den Abstand in x- und y-Richtung, die Relativgeschwindigkeit, die Beschleunigung in Längsrichtung und manchmal die Quergeschwindigkeit. Werden die Zustandsgrößen des Egofahrzeugs hinzugezogen, so lassen sich auch die absoluten Objektgrößen für Geschwindigkeiten und Beschleunigungen bilden
150
und in der Objektliste mitführen. Damit lässt sich auch die Unterscheidung zwischen (mit)fahrendem, stehendem oder entgegenkommendem Objekt durchführen. Da durch das Tracking den Objekten eine Historie zugrunde liegt, kann diese auch zur Unterscheidung von stehenden und „angehaltenen“ Objekten erfolgen. Diese genannten Unterscheidungen stellen die Hauptklassen einer, wenn auch einfachen, Klassifikation dar. Die Nichtreaktion herkömmlicher ACC-Systeme auf stehende Objekte beruht gerade auf dieser Klassifizierung und nicht auf der oftmals genannten, aber dennoch falschen Behauptung, dass mit Radar keine stehenden Objekte detektiert werden könnten. Im Anschluss an die genannten Signalverarbeitungsschritte beginnt die Situationsinterpretation, die in einfachster Weise die Selektion eines Radarziels aus der Objektliste übernimmt. Die Zielauswahl wie auch eine weitergehende Situationsinterpretation hängen stark von der Anwendung ab und sind als Teil dieser zu beschreiben. Die Zielauswahl für ACC ist entsprechend in Kapitel 32 unter Abschnitt 32.7 zu finden.
12.6 Einbau und Justage Für den Einbau des Radarsensors kommen grundsätzlich zwei Konzepte infrage: mit oder ohne optische Abdeckung der Antenne. Eine optische Abdeckung ist sicherlich designfreundlicher als eine direkte Sichtbarkeit des Radarsensors, auch wenn argumentiert werden kann, dass nur so das „Statussymbol Radarsensor“ zur Geltung kommen kann. Wichtig ist für die Abdeckung, auch Radom genannt, dass die Radarstrahlen nur wenig abgeschwächt werden und dass die Winkelcharakteristik zu keiner unerwarteten Änderung führt. Kunststoffe als Abdeckung sind eher problemlos, es sei denn dass die Dicke ein Vielfaches der Wellenlängenhälfte O / 2; O O / Pr H r ; bei 77 GHz O / 2 | 2 mm, für Kunststoff ist Pr = 1; Hr | 2 … 2,5) beträgt. Unter dieser Resonanzbedingung verstärken sich sowohl die Absorption als auch die Veränderungen der Winkelcharakteristik. Nichtmetallischer Lack ist unproblematisch, Metallic-Lack kann dagegen zu erheblichen Problemen führen. Dabei ist die Nachlackierspezifikation, die dreimaliges Lackieren erlaubt, besonders problematisch. Natürlich ist eine metallische Verdeckung völlig ungeeignet, solange die Eindringtiefe kleiner als die Materialdicke ist. Sehr dünne Schichten (< 1 μm) können aber wieder transparent für mm-Wellen sein, ohne ihre metallisch spiegelnde Eigenschaft für optische Wellen
12 Radarsensorik
zu verlieren. Dies wird ausgenutzt, um metallische Strukturen (Kühlergrill, Markenlogo) auf Kunststoffflächen nachzubilden. Somit kann eine optisch nur noch schwer erkennbare Radar-Abdeckung konstruiert werden. Üblicherweise sind die Radarsensoren an drei Punkten befestigt, gut sichtbar am Beispiel von Bild 12-32. Ein Halter fungiert dabei als Kopplungselement zur Karosserie oder dem Fahrwerk. Über die Verschraubung mit dem Halter lässt sich der Sensor sowohl in Azimut I als auch in Elevation - drehen, womit am Ende des Fahrzeugproduktionsprozesses oder in der Werkstatt die Ausrichtung erfolgen kann. Insgesamt sind drei Fehlerquellen für Azimut Ierr und Elevation -err zu betrachten: Fehler in der sensorinternen Ausrichtung (Ierr,intern, -err,intern)
Beim Azimutwinkel ist eine Offsetermittlung im Betrieb unerlässlich, da sich der statische Schwimmwinkel („Dackellauf“) erst bei der Fahrt zeigt, wenn er nicht vorher über einen Rollenprüfstand ermittelt wurde. Darüber hinaus verbleibt immer noch Unsicherheit bei den anderen Winkelfehlern. Wegen der hohen Empfindlichkeit der Zielauswahl auf Azimutfehler sind Azimutoffsetschätzverfahren notwendig. Basisinformationen dieser Schätzer sind die gemittelten Gradienten der gemessenen Querablage in Abhängigkeit vom longitudinalen Abstand, korrigiert um die durch die Drehung \ des ACC-Fahrzeugs um den Kreismittelpunkt M verursachte Scheinbewegung des Objekts.
Fehler bei der Ausrichtung des Sensors am Fahrzeug (Ierr,Montage, -err,Montage)
XMS ist der Abstand vom Sensor zum auf die X-Achse projizierten Momentanpol der Drehung und berücksichtigt den Schwimmwinkel. Bei schräglauffreier Fahrt ist XMS gleich dem negativen Abstand von Hinterachse zum Sensor. Ansonsten ist XMS aus fahrdynamischen Modellbetrachtungen zu ermitteln. Alternative Ansätze, den azimutalen Sensoroffset zu bestimmen, z. B. mithilfe der Annahme, dass die Zielobjekte im Mittel ohne lateralen Querversatz zum ACC-Fahrzeug fahren, können hinzugenommen werden. Sie leiden aber unter der starken Vereinfachung dieser Annahmen. Besitzt der Radarsensor eine breite Azimutabdeckung, so kann eventuell auf eine Feinjustage ab Werk oder Werkstatt verzichtet werden. Die mitlaufende Azimutoffsetschätzung müsste dann aber schnell und sicher konvergieren. Eine Online-Elevationsoffsetschätzung ist vom Continental ARS 300 bekannt, Abschnitt 12.8.4. Dabei wird gezielt die gemessene Entfernung des Bodenechos ausgenutzt. Eine verstellbare Elevationsschwenkvorrichtung kippt kurzzeitig die Radarstrahlen 7° gen Boden und misst die Entfernung der Bodenechos. Bei bekannter Einbauhöhe lässt sich daraus die Elevation ermitteln und somit korrigieren. Allerdings wird auch hier angegeben, dass nur ein Elevationsfehlwinkel von 0,5° toleriert wird.
Ausrichtungsfehler des Sensorträgers = Egofahrzeug durch einen von der Konstruktionslage abweichenden Nickwinkel -err,veh bzw. einen auch bei Geradeausfahrt auftretenden Schwimmwinkel Ierr,veh („Dackellauf“) Die Fehlausrichtungen in der Elevation führen bei den heute eingesetzten Radar-Sensoren „nur“ zur Reduktion des Erfassungsbereichs oder einer verringerten Genauigkeit der Azimutwinkel, nicht aber zu systematischen Messfehlern. Damit ist auch keine permanente Überprüfung der Ausrichtung erforderlich. Somit reicht die Ausrichtung am Ende der Produktion oder in der Werkstatt auf „Horizontalität“ der Sensorachse. Mit einem sensorgehäuseseitigen Spiegel oder einer auf dem Sensor montierten Libelle lässt sich -err,Montage kompensieren. Mit einer Referenzmessung mit einem Metallspiegel, bei der die Spiegelebene in drei Stellungen gewechselt wird, kann sogar der Summenfehler -err,Montage + -err,intern kompensiert werden. Auch für den Azimutwinkel ist eine Voreinstellung im Werk oder in der Werkstatt zu leisten. Dazu wird eine Referenz für die Xv-Richtung des Fahrzeugs über in der Fahrwerksvermessung übliche Verfahren hergestellt. Über Spiegelung mit gehäuseseitigen Reflektoren (vgl. Bild 12-32) lässt sich Ierr,Montage ausgleichen, sofern vom Zulieferer sichergestellt wurde, dass die Sensorachse passend auf die Gehäuseachse ausgerichtet wurde. Bei der direkten Methode der Messung des Azimutnullwinkels durch den Sensor bei Verwendung eines in die Yv-Zv–Ebene gestellten Spiegels lässt sich der Summenfehler Ierr,Montage + Ierr,intern kompensieren.
Ierr
YS r
\ (r X MS ) Q
B
(12.61)
12.7 Elektromagnetische Verträglichkeit Grundsätzlich gelten für einen Radarsensor die Anforderungen, die für Steuergeräte im Kfz gelten. Neben der Konformität zur Frequenzregulierung ist
151
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
auf eine Unempfindlichkeit gegenüber Störungen durch andere Radarsensoren zu achten. Die Störung durch andere Sensoren kann die Eingangsstufe übersteuern. Daher sind diese so auszulegen, dass diese Störung sich nicht auswirkt oder zumindest erkannt wird und ggf. als Störungsanzeige dem Fahrer angezeigt wird. Eine Falschmessung mit der Folge von Geisterzielen ist kaum zu befürchten, da kein Ziel als relevante Ausgangsgröße gewählt wird, das nur einmal detektiert wurde (s. Abschnitt 12.5 über Tracking). Die Wahrscheinlichkeit, synchron von einem anderen Radarsensor gestört zu werden, ist äußerst gering und wird mit dem nächsten Beispiel belegt. Bei im zeitlichen Abstand von ca. 100 ms wiederholten Messungen müssten die Relativgeschwindigkeit und der Abstand sich für eine erfolgreiche Assoziation nur wenig von den prädizierten Werten unterscheiden (max. 5 m bzw. 2 m/s). Dafür wäre eine Reproduktionsgenauigkeit der Störung von etwa 20 ns in der Zeit und 1 kHz der Frequenz nötig. Schon normale Quarz-Zeitbasen können die dafür notwendige hohe relative Genauigkeit ('t / t = 2 · 10 –7, 'f/ f = 1,2 · 10 –8) kaum leisten. Wenn dann noch die Zykluszeit durch gewollte Streuung oder durch asynchrone Zyklen schwankt, dann sinkt die Wahrscheinlichkeit für wiederholte Fehler auf so niedrige Werte, dass solche Störungen in der Praxis nicht zu „Geisterzielen“ führen. Allerdings können andere Radarsensoren mit ihrer Strahlung rauschähnlich interferieren und somit zu einem Verlust der Empfindlichkeit beitragen.
Bild 12-29: Blockschaltbild des Bosch LRR2 [10]
152
12.8 Ausführungsbeispiele 12.8.1 Bosch LRR2 Seit 2004 ist die zweite Generation LRR2 des Long-Range-Radar-Sensors im Einsatz. Es handelt sich um einen 76,5 GHz-Radar. Ein besonderes Merkmal dieses Sensors ist die hohe Integration der benötigten Komponenten in ein sehr kleines Gehäuse. Alle im Bild 12-29 dargestellten Funktionsmodule konnten in einem nur etwa 1/4 l großen Gehäuse Platz finden, obwohl die Frequenzerzeugung durch einen Gunn-Oszillator eher groß baut. In einer Explosionsdarstellung (Bild 12-30) wird das Integrationskonzept deutlich. Ein AluminiumDruckguss-Zwischenträger nimmt im oberen Teil die Niederfrequenzelektronik auf, die neben dem Steckeranschluss weitgehend drei hochintegrierte ICs enthält. Der eine ist ein ASIC für Analog-Digital-Wandlung, der auf der Basis eines übertaktenden Sigma/Delta-Wandlers und eines Dezimations-Filters die Signale für die Spektralanalyse vorbereitet. Die Fouriertransformation selbst geschieht in einem Signalprozessorkern-gestützten μC aus der TI Centaurus-Familie, der ansonsten die üblichen Funktionen eines automobilen Mikrocontrollers mitbringt. Ein Multifunktions-ASIC übernimmt Überwachungs-, Diagnose- und Spannungsversorgungsfunktionen. Unterhalb des Zwischenträgers befindet sich die Hochfrequenzeinheit, der Transceiver. Auf dieser Platine befinden die HF-Erzeugung und Frequenz-Regelung mit den einzelnen Modulen VCO (Gunn-Diode in mechanischem Resonator), einem Referenzoszillator (DRO, 18,9 GHz) mit harmoni-
12 Radarsensorik
Bild 12-30: 3D-Explosionsdarstellung des Bosch LRR2 [10]
schem Mischer, der Regelelektronik (PLL BoschASIC) zur Frequenzstabilisierung und -modulation, einer Sende- und Empfangs-Schaltung, einem Leistungsteiler zur Aufteilung der HF und vier so genannte „Durchblase“-Mischer zur Mischung des Empfangssignals ins Basisband. Vor der AnalogDigital-Wandlung erfahren die vier gemischten Empfangssignale eine Aufbereitung mittels einer umschaltbaren Verstärkung, einer Verstärkungsanhebung für hohe Frequenzen zum Ausgleich der entfernungsbedingten Signalabschwächung und eine Tiefpass-Antialiasing-Filterung. Auf der HF-Platine selbst befinden sich die Antennenelemente von vier Sende = EmpfangsPatches sowie vier Polyrods (Kunststoffkegel) zur Vorfokussierung, damit die im Bild 12-30 oben zu sehende Kunststofflinse eine passende Strahlbe-
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legung erhält, d. h. einen möglichst guten Kompromiss zwischen schmalem Strahl bei möglichst geringer Nebenkeulenhöhe. Allerdings reicht die Belegungsfunktion allein nicht, sondern für die Fokussierung ist eine gekrümmte Linse notwendig. Die resultierende Antennencharakteristik wurde schon im Bild 12-24 vorgestellt. Die durch die doch beträchtlich nichtmonotonen Verläufe zu befürchtende Winkelmehrdeutigkeit wird durch die Phasendifferenz-Auswertung verhindert. Die Linse ist selbst Teil des Gehäuses und kann auch zum Abtauen von Schnee und Eis beheizt werden, wozu senkrecht zur 45°-Polarisationsachse Heizdrahtwindungen in den Kunststoff mit eingegossen werden. Als letztes Bauteil ist der Kunststoffboden mit mechanischer Steckerbefestigung zu nennen. Das Funktionsprinzip entspricht der im Abschnitt 12.2.5.3 betrachteten Frequenzmodulation, s. Bild 12-31. Insgesamt wird ein moderates Konzept verwendet, das sowohl eine gute Trennfähigkeit in Abstand und Relativgeschwindigkeit ermöglicht und darüber hinaus eine Winkelmehrdeutigkeit erkennen kann, da simultan alle vier Strahlen ausgewertet werden. Prinzipbedingter Nachteil ist die Mehrdeutigkeit des Frequenzmatching, s. Abschnitt 12.5, die bei einer hohen Zahl von Zielen, wie z. B. durch Leitplankenpfosten, die Zuordnung der Frequenzen der drei Rampen zum richtigen Objekt erschwert.
12.8.2 Bosch LRR3 Die dritte Generation des Long-Range-Radars bleibt sowohl dem Gehäuse- und auch dem Funktionsprinzip der zweiten Generation treu. Daher sind die Abmessungen als auch die Kontur in etwa gleich geblieben, s. Bild 12-32. Die Sensorhardwarearchitektur, Bild 12-33, weist zwar noch Grundzüge der zweiten Generation auf, hat aber
Bild 12-31 Frequenzrampen des Bosch LRR2-Sensors mit zwei kurzen und einer langen Abwärtsrampe zur Verbesserung der Relativgeschwindigkeitsauflösung [10]
153
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme Tabelle 12-2: Technische Daten der LRR-Sensoren der zweiten und dritten Generation von Bosch Bosch
LRR2
LRR3
74 x 70 x 58 mm3
74 x 77 x 58 mm3
< 300 g
285 g
Allgemeine Eigenschaften Abmessungen (B x H x T) Masse Zyklusdauer
< 125 ms
Hochfrequenzmodul Frequenzerzeugung
Abgestrahlte Leistung (peak, average)
Gunn 18,9 GHz-Referenzoszillator, PLL
MMIC /SiGe, 18,9 GHz-Referenzoszillator, PLL
d 40 dBm (EIRP)
33 dBm (EIRP)
Signaleigenschaften Frequenzbereich
76–77 GHz
Modulationsverfahren Rampenhöhe Rampendauer/Wiederholrate
FMCW 180 MHz
500 MHz
3 (2 x 1 ms; 1 x 7 ms)
4 (6,5 / 1 / 7 /11,5 ms) typisch
Anzahl Messbereiche Art der Winkelmessung
1 monostatisches 4-Strahl-Konzept, simultan mit Phasenauswertung
Detektionseigenschaften 2 … 200 m
0,5 … 250m
0,8 m
0,3 m
–60 … +20 m/s
–80 … +30 m/s
0,3 m/s
0,1 m/s
Messbereich Azimut 'Imax
16°
12° Long range 20° Mid range 30° Short range
Keulenbreite Ilobe
4°
5° (innere Keulen) 8° (äußere Keulen)
2,7°
2°
Entfernungsbereich r min ... r max Entfernungszelle 'r Relativgeschwindigkeitsbereich rmin ! rmax Relativgeschwindigkeitszelle r
Winkelzelle 'I (hier über 'Imax / (2n – 2) definiert Genauigkeit Punktziel
0,1°
Besonderheiten Radom-Heizung ermöglicht bei direktem Einbau Abtauen von Schnee- und Eisbelag Verstärkungsanhebung bei höheren Frequenzen zum Ausgleich der entfernungsbedingten Abschwächung
154
12 Radarsensorik
B
Bild 12-32 BOSCH Long-Range-Radar Sensor der 3. Generation (LRR3) mit Befestigungsschrauben und Justagespiegel (oben rechts)
Bild 12-33 Sensorhardwarearchitektur Bosch LRR3[12]
155
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bild 12-34 Radar-Transceiver-Modul des Bosch LRR3 mit SiGe-MMICs (oben) und Radar-ASIC auf der Rückseite (unten) [12]
Bild 12-35 Antennencharakteristik des Bosch LRR3 für die Anwendung als alleiniger Sensor [12]
die Frequenzerzeugung grundlegend verändert. Sie erfolgt nun monolithisch integriert auf der Basis von SiGe (Silizium-Germanium). Zwar verwendeten andere Hersteller schon früher monolithische mm-Wellen-ICs, allerdings bisher auf Basis des teuren GaAs (Gallium-Arsenid). SiGe verspricht wegen der angedachten Nutzung auch für PCs und Spielekonsolen eine breitere Anwendungsbasis und damit kostengünstigere Fertigungsbedingungen als GaAs. Die HF-MMICs bieten mehr Möglichkeiten für den Transceiver. Insbesondere wurde dies beim LRR3 für die Empfangselektronik genutzt. Nun kommen Gilbert-Zellen-Mischer zum Einsatz, die zum einen die Konvertierungsverluste verringern
156
und somit eine geringere Peak-Leistung erlauben. Zum anderen ermöglichen sie auf einfache Weise, die Mischerverstärkung der einzelnen Empfangszweige zu modifizieren und somit eine angepasste Antennencharakteristik einzustellen. Falls er als alleiniger Sensor genutzt werden soll, wird eine symmetrische Charakteristik angestrebt mit jeweils gleichhohen inneren und äußeren Keulen, Bild 12-35. Für eine Radar-Sensor-Doppelanordnung nach Bild 12-25 werden stattdessen beide Keulen einer Seite aufgedreht und die beiden anderen in ihrer Stärke reduziert. Durch weitere Verbesserung der Winkelbestimmungsalgorithmen sowie der gezielten Veränderung der Winkelcharakteristik
12 Radarsensorik
im Vergleich zur 2. Generation konnte der Winkelbereich ausgedehnt werden. Im mittleren Entfernungsbereich (30–100 m) sind insgesamt 20°, im Nahbereich unterhalb 30 m sogar 30° messbar, ohne dass das Antennenkonzept geändert werden musste. Eine Probe der Leistungsfähigkeit zeigen Bild 12-36 hinsichtlich der Winkelgenauigkeit und Bild 12-37 hinsichtlich der Trennfähigkeit im „FreieGassen-Szenario“. Hieraus lässt sich eine Trennfähigkeit von arcsin(6 m/ 80 m) | 4° ablesen. Die verwendete Frequenzerzeugungs- und Modulationselektronik unterstützt weitere Flexibilität. So kann bis 1 GHz Hub ausgesteuert werden und somit die Entfernungszelle auf 15 cm verkleinert werden oder die Reichweite über die spezifizierten 250 m hinaus unterstützt werden. Als weitere Hardware-
B
Neuerung ist ein FlexRay-Transceiver zu nennen, womit nun neben CAN eine weitere Busschnittstelle vorhanden ist.
12.8.3 Continental (A.D.C.) ARS200 Die zweite Generation des Continental-Radar-Sensors baut auf der ersten auf, von der das Modulations- und Winkelbestimmungsprinzip übernommen wurde. Anders als in der ersten Generation wurden nun die Signalauswertung und der Transceiver in einem Gehäuse vereint. Weiterhin kam ein neues Antennenkonzept zum Zuge. Die Ausmaße des ARS200 sind hinsichtlich Länge und Breite eher als groß zu bezeichnen, wobei aber die Tiefe mit 49 mm
Bild 12-36 Detektions- und Winkelabweichungsdiagramm des Bosch LRR3 für ein Punktziel mit 10 m2 RCS [12]
Bild 12-37 Winkeltrennfähigkeit des Bosch LRR3 bei Zufahrt im Freie-Gassen-Szenario mit zwei seitlich (± 3 m) in gleicher Entfernung stehenden Fahrzeugen [12]
157
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
sehr gering ist und damit eine Montage hinter dem Kühlergrill leichter möglich wird, s. Bild 12-38. Eine Besonderheit im Vergleich zum Wettbewerb ist die Verwendung des Puls-Doppler-Prinzips, vgl. Abschnitt 12.2.4.3. Durch mehrere Kunstgriffe konnte der grundsätzlich höhere Aufwand von PulsDoppler-Radar gegenüber FM-Radar kostengünstig realisiert werden. Im Bild 12-39 sind die wesentlichen Funktionskomponenten dargestellt. Der steuerbare Oszillator erzeugt eine Trägerfrequenz f TX um 76,5 GHz, die über die Schalter TX für 25 ns auf eine der drei Antennenfeeds gegeben wird, im Bild das mittlere. Direkt im Anschluss werden die Schalter TX wieder geöffnet und die Schalter RX geschlossen. Zugleich wird die Oszillatorfrequenz um 200 MHz gesenkt (oder erhöht). Das empfangene
Signal wird nun mit dieser Frequenz f TX – 200 MHz gemischt, wodurch sich aus dem Differenzfrequenzanteil ein Zwischenfrequenzsignal um 200 MHz ergibt und zwar etwas höher, wenn das empfangene Signal eine Dopplererhöhung erfahren hat, oder etwas niedriger bei negativer Dopplerfrequenz. Das gemischte Zwischenfrequenzsignal wird laufzeitabhängig verstärkt, um der entfernungsbedingten Abschwächung entgegenzuwirken, und dann auf ein so genanntes Matched Filter gegeben. Dieses Filter kombiniert sowohl eine Bandpassfilterung als auch eine I/Q-Demodulation. Die beiden Ausgangssignale des Matched Filter werden dann mit einem ADC im 25 ns-Zyklus abgetastet. Insgesamt werden so 40 Range-Gates gebildet bis 150 m Abstand bzw. 1 μs Laufzeit erreicht sind. Somit liegt für jedes
Bild 12-38 Radarsensor ARS 200 von Continental [7]
Bild 12-39: Funktionsprinzip des Radarsensors ARS 200 von Continental [7]
158
12 Radarsensorik
B
Bild 12-40: Antennenkonzept des Radarsensors ARS 200 von Continental [7]. Links oben: Antennenkomponenten RF-Modul mit den drei Feeds in der Mitte und dem Twistreflektor auf der Vorderseite; links unten: Transreflektor mit Polarisiergitter; rechts: Prinzipdarstellung der „gefalteten Optik“
Tor mit jedem Puls ein Wertepaar vor, das einen Zeiger in der komplexen Ebene repräsentiert und dessen Drehgeschwindigkeit die Dopplerkomponente liefert. Die Betragsinformation benachbarter Range-Gates ermöglicht eine Interpolation, sodass eine Entfernungsauflösung deutlich unterhalb der Range-Gate-Abstände von 3,75 m erreicht wird. Für die Winkelbestimmung wird auf ein sequentielles Dreistrahlkonzept gesetzt, mit der ein azimutaler Sichtbereich von 10° erreicht wird, vgl. Abschnitt 12.3.4. Das Antennenkonzept des ARS 200 verwendet eine „gefaltete Optik“, s. Bild 12-40, und erreicht deshalb die geringe Bautiefe trotz der breiten Antenne, die ihrerseits zu einem hohen Antennengewinn und zu den im Bild 12-23 sichtbaren schmalen Keulen führt. Die breit aus den Feeds austretenden Radarstrahlen sind unter 90° linear polarisiert. Sie treffen auf die Radomfläche (Transreflektor), die wegen eines in gleicher Richtung liegenden Streifengitters die Strahlen vollständig reflektiert. Dann treten die Strahlen auf einen „gemusterten“ Twistreflektor. Der Twistreflektor besitzt auf der Oberseite eine um 45° gegenüber den Strahlen wirkende Analysatorfunktion, d. h. die 90°-Strahlen werden zerlegt in eine 45°- und eine +135°-Komponente. Die 45°-Komponente wird direkt zurückgeworfen, die 135°-Komponente durchläuft zunächst das Substrat des Twistreflektors, wird aber dann an der vollmetallisch beschichteten Rückseite wieder zurückgeworfen und tritt wieder an der Vorderseite aus. Die Schichtdicke wird so gewählt, dass die resultierende Phasenän-
derung 180° (oder ungeradzahlige Vielfache davon) beträgt, also nun mit 315° = –45° austritt. Dies wird erreicht durch eine nO‘/4-dicke Schicht (n ungerade natürliche Zahl). Der nun um 180° verschobene Anteil addiert sich mit dem sofort reflektierten Teil, so dass sich dadurch eine Gesamtpolarisation von 0° ergibt. Für diese so polarisierte Strahlung ist das Streifengitter des Transreflektors kein Hindernis. Der Twistreflektor hat noch die weitere Funktion einer Strahlbündelung entsprechend einem Parabolspiegel. Dazu sind anstelle von Streifengittermustern rechteckige Dipolflächen auf dem Twistreflektor aufgebracht, die durch ihre Form und die Abstände zueinander so berechnet wurden, dass die schräg einfallenden Einzelstrahlen zu einer ebenen Gesamtwellenfront verbunden werden und somit planparallel zueinander abstrahlen.
12.8.4 Continental ARS 300 Beim ARS 300 (Bild 12-41) handelt es sich um ein völlig neues Radar-Konzept. Eine grundsätzliche Änderung findet bei der Winkelbestimmung statt: Anstelle des Mehrstrahler-Ansatzes wird ein mechanisches Scanning-Prinzip eingesetzt. Allerdings wird das Prinzip der Trans- und Twistreflektoren beibehalten. Dieses wird, wie Bild 12-42 zeigt, auch zur Bündelung wie eine Offsetparabolantenne verwendet. Der Twistreflektor ist beweglich und kann somit auch in Elevationsrichtung schwenken, was zur Elevationsoffsetidentifikation und
159
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Sensorik für Fahrerassistenzsysteme Tabelle 12-3: Technische Daten der Radar-Sensoren der zweiten und dritten Generation von Continental Continental
ARS 200
ARS 300
148 x 138 x 55 mm3
141 x 96 x 47 mm3 / 126 x 96 x 47 mm3
Allgemeine Eigenschaften Abmessungen (B x H x T) (mit/ohne Befestigung und Buchse) Masse
700 g
< 500 g
Zyklusdauer
50 ms
66 ms
Messdauer im Zyklus
7,7 ms
35 ms für FRS 16 ms für NRS
GaAs-MMIC 38 GHz Grundfrequenz, Verdoppler + Verstärker
GaAs-MMIC frei laufender VCO
10 mW peak < 0,1 mW average
3 mW average
Hochfrequenzmodul Frequenzerzeugung
Abgestrahlte Leistung (peak, average) Signaleigenschaften Frequenzbereich Modulationsverfahren Pulsdauer/Rampenhöhe und -dauer
Puls-/Rampenwiederholrate Anzahl Messbereiche
76–77 GHz Puls-Doppler
Chirp Sequence
25 ns
187 MHz (750 MHz at low speed), 16 Ps
400 kHz
50 kHz
1
3 (1 x FRS, 2 x NRS)
monostatisches 3-StrahlKonzept, sequentiell
Scanning
(1 … 7 m Detektion), 7 … 150 m Messung
1 … 200 m FRS 1 … 60 m NRS (0,25 … 50 m at low speed)
3,75 m
1m (0,25 m at low speed)
–75 … +25 m/s
–74 … +25 ms
0,77 m/s
0,77 m/s FRS 1,53 m/s NRS
Messbereich Azimut 'Imax
10°
17° FRS 56° NRS
Keulenbreite Azimut Ilobe (3 dB-Einweg)
3,4°
2,5° FRS 8° NRS
Winkelzelle 'I
3,4°
1° FRS 3,125° NRS
Keulenbreite Elevation -lobe
2,8°
4,3°
Genauigkeit Punktziel
0,2°
0,1°
Art der Winkelmessung Detektionseigenschaften Entfernungsbereich r min ... r max
Entfernungszelle 'r Relativgeschwindigkeitseindeutigkeitsbereich rmin ! rmax Relativgeschwindigkeitszelle r
Besonderheiten AR S300: Fähigkeit zur Selbstjustage in Azimut und Elevation Abkürzungen: FRS: Far Range Scan; NRS: Near Range Scan
160
12 Radarsensorik
-korrektur genutzt wird. Diese Reflektoranordnung wird nicht von einzelnen Feeds gespeist, sondern von einem dielektrischen Leck-Wellenleiter. Dieser Wellenleiter führt die Mikrowellen ohne Austritt, sofern sie nicht an der Unterseite durch die Rillen der Walze eine Streuung erfahren. Die Streuamplituden aller Rillen, die den Wellenleiter verlassen, bilden zusammen eine ebene Wellenfront, die durch den Rillenabstand ausgerichtet wird. Ist der Abstand der Rillen kleiner als die Wellenlänge im Wellenleiter, dann wird die ausgeleitete Welle bei einer Speisung von der linken Seite nach links weisen, bei größeren Abständen dreht sich die Abstrahlung nach rechts. Daher variieren die Rillenabstände in Umfangsrichtung. Diese Art des Scanning erfordert keine Rückdrehung wie beim Schwenken einer Antennenfläche und erzeugt vernachlässigbar geringe Massenkräfte. Neben dem Scanning für den zentralen Sichtbereich (17°) werden die seitlichen Bereiche ebenfalls per Scanning erfasst. Dazu sind auf der Trommel (s. Bild 12-42 unten) asymmetrisch weitere Rillenbereiche hineingefräst. Der Versatz auf der Trommel berücksichtigt den Versatz, der bei seitlicher Ausleuchtung für einen in etwa mittigen Strahlengang nötig ist, d. h. der Bereich ist zur Gegenseite des Ausleuchtbereichs verschoben. Die Strahlbreite beträgt im Azimut 2,5° (im Nahbereichsscan 8°), in der Elevation 4,3°. Durch den schwenkbaren Twistreflektor kann der ARS 300 bezüglich der Elevation optimal ausgerichtet werden und stationäre Nickwinkel oder Dejustagen ausgleichen. Die Modulation ist im Gegensatz zum ARS 200 eine Chirp-Sequence-Modulation, die auch als Pulskompression bezeichnet wird, vgl. Abschnitt 12.2.5.4. Dieser Ansatz nutzt optimal die Messzeit aus, auch wenn dafür die Kosten für einen ADC mit hoher Abtastrate (| 40 MHz) getragen werden müssen, wobei dieser für den ARS 200 auch schon benötigt wurde. Wie in Tabelle 12-1 angegeben, wird zwischen einem Near range scan (bis 60 m) und einem Far Range Scan (bis 200 m) unterschieden. Dabei wird beim Near Range Scan nur bis zu 60 m ausgewertet, wodurch die Abtastrate nur noch ein Drittel betragen muss. Der zentrale Bereich wird von beiden Scans überfahren, wodurch eine Zuordnung der beiden Messreihen erleichtert wird. Die Geschwindigkeitszelle ist beim zentralen Sichtbereich, also im Far range, kleiner, da eine längere Messzeit für diese Messung zur Verfügung steht. Prinzipbedingt muss für die Winkelbestimmung mit Scanning die Messzeit auf die einzelnen Winkelsegmente, hier auf 17 Winkelschritte, aufgeteilt werden. Daher ergibt sich eine Messzeit von 35 ms/17 | 2 ms pro Segment. Allerdings ist
B
Bild 12-41: Außenansicht und Aufbau des Radarsensors ARS 300 von Continental [Quelle: Continental]
Bild 12-42: Antennenkonzept des Radarsensors ARS 300 von Continental, oben: Seitenansicht (Elevation), unten Walzenanordnung für azimutales Scanning [Quelle: Continental]
die Radarkeule breiter, so dass für die Relativgeschwindigkeit eine größere Messzeit zur Verfügung steht. Daher ist die angegebene Zellengröße von 0,8 m/s (entsprechend 2,56 ms) auch kleiner. Im Nahbereich erfolgt eine gröbere Segmentierung von 3,125°, sodass trotz der geringeren Gesamtmessdauer von 16 ms eine Geschwindigkeitszelle von 1,5 m/s gehalten werden kann.
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B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bei niedrigen Geschwindigkeiten wird eine Reichweite von weniger als 50 m benötigt. Folgerichtig kann eine Fokussierung auf den Nahbereich erfolgen und durch Erhöhung des Modulationshubs (hier Vervierfachung) eine bessere Abstandsauflösung und -trennfähigkeit erreicht werden. Mit dem ARS 300 wird ein leistungsfähiges Radar angeboten, das durch eine sehr breite Ausleuchtung zusätzliche Nahbereichssensoren für Stop&Go oder Notbrems-Funktionen überflüssig macht. Durch das Scannen wird eine gute laterale Auflösung erreicht und eine sogar bis 80…100 m reichende laterale Objekttrennfähigkeit möglich. Natürlich kann diese Leistung nicht ohne den Preis einer breiteren Apertur und folglich breiterem Gehäuse (s. Bild 12-41) erreicht werden, wobei andererseits die Kompaktheit angesichts der Funktion als hoch anzusehen ist.
12.8.5 Delphi Forward Looking Radar (3. Generation) Das Forward Looking Radar der dritten Generation, Bild 12-43, von Delphi ist ein elektromechanisch scannendes Radar mit einer Strahlbreite von 2,3°. Bei einem Scan-Bereich von 15° kann ein 12°-Sichtbereich mit Winkelauflösung erreicht werden. In etwa 1°-Schritten werden die einzelnen Messungen unterteilt, wobei der Scan weiterläuft. Aber bei einer Strahlbreite von 2,3° ist eine Änderung von 1° innerhalb eines Messschritts nahezu ohne Informationsverlust bzw. -verfälschung. Es wird bei gleich starken Signalen (= best case) eine Winkeltrennfähigkeit von 2,5° erreicht. Wie in Abschnitt 12.3.2 schon erwähnt, ist dafür der Preis eines breiten Gehäuses zu zahlen (hier 138 mm ohne, 184 mm mit Befestigungsteilen) und die Gesamtzykluszeit (hier 100 ms) muss durch die Anzahl der Messschritte geteilt werden, so dass hier nur im Idealfall 100 ms /32 | 3 ms verbleiben. Tatsächlich wird dies noch weiter verkleinert, wenn wie bei diesem Radar ein oszillierendes Scanning-Prinzip eingesetzt wird, da hier die Beschleunigungsphasen berücksichtigt werden. Wenn dies mit einem üblichen FMCW-Mehrrampenverfahren kombiniert wird, so stehen nur Geschwindigkeitszellen von 1…2 m/s zur Verfügung. Die Scan-Richtung wechselt sich von Zyklus zu Zyklus ab. Das Scanning-Element ist eine hinter der Abdeckung liegende planare Antenne, die durch einen elektromotorischen Exzenterantrieb bewegt wird. Für die Anwendung ACC wird neben der Sensoreinheit, die auch einen Gierratensensor enthält, noch ein zusätzliches Steuergerät, Adaptive Cruise Module genannt, eingesetzt, über das die ACC-
162
Bild 12-43: Forward Looking Radar (3. Generation) von Delphi [Quelle: Delphi]
Funktion inkl. der Ansteuerung der Stellsubsysteme abgewickelt wird.
12.8.6 Delphi Electronic Scanning Radar (4. Generation) Bei der vierten Generation setzt Delphi auf ein elektronisch scannendes Radar mit einer sehr geringen Tiefe von 39 mm, s. Bild 12-44. Zwei Sichtbereiche (Long Range und Medium Range) werden durch Umschalten in Millisekundenbereich quasi-simultan abgedeckt. Gesendet wird über TransmitterPatch-Arrays. Die vom Objekt zurückreflektierten Signale werden dann von mehreren Receiver-PatchArrays (s. Bild 12-45) empfangen und im Zeitmultiplexverfahren vom rauscharmen Verstärker verstärkt bzw. am Mixer in Real- (I) und Imaginärteil (Q) demoduliert. Das so resultierende komplexe Signal wird mit einem Bandpassfilter (Tiefpass) gefiltert. Nach der AD-Wandlung wird es zur weiteren Signalverarbeitung via Digitalschnittstelle zum Digitalsignalprozessor übertragen (s. a. Bild 12-46). In dem Digitalsignalprozessor wird das komplexe Zeitsignal hochpassgefiltert und für die weitere Verarbeitung mittels FFT in ein Frequenzspektrum transformiert. Aus den gefilterten komplexen Spektren der Subarrays wird eine Detektionsschwelle berechnet und eine Detektionsliste erstellt. Für diese Detektionsliste wird mittels Anwendung des so genannten „Digitalbeamformingsverfahrens“ das Scannen von Objektpositionen erreicht. Die detektierten Objekte werden dann als relevante Ziele identifiziert und nach ihrer Zielstabilität vom Tracker verfolgt.
12 Radarsensorik
B
Tabelle 12-4: Technische Daten der Radar-Sensoren der dritten und vierten Generation von Delphi Delphi
FLR (3. Gen)
ESR (4. Gen)
138 x 73 x 96 mm3 (184 x 73 x 96 mm3)
130 x 90 x 39 mm3
900 g
< 550 g
Allgemeine Eigenschaften Abmessungen (B x H x T) (mit Halterbefestigung) Masse Zyklusdauer
100 ms
50 ms
Messdauer im Zyklus
2,66 ms
16 ms für LR 16 ms für MR
GaAs-MMIC
GaAs-MMIC FLL (Linearizer)
33 dBm
29 dBm
Hochfrequenzmodul Frequenzerzeugung Abgestrahlte Leistung (EIRP) Signaleigenschaften Frequenzbereich Modulationsverfahren
76–77 GHz FMCW
Chirp Sequence
100 MHz
100 MHz LR 200 MHz MR
1
2 (1 x LR, 1 x MR)
mechanisches Scanning
Receive Digital Beam Forming
1 … 155 m,
1 … 200 m LR 1 … 60 m MR
2m
1,5 m LR 0,75 m MR
–64 … +32 m/s
–100 … +28 m/s
2 m/s
0,125 m/s
Messbereich Azimut 'Imax
15°
20° LR 90° MR
Keulenbreite Azimut Ilobe (3 dB-Einweg)
2,3°
3,5° LR 12° MR
Winkelzelle 'I
1,25°
n.a.
Rampenhöhe Anzahl Messbereiche Art der Winkelmessung Detektionseigenschaften Entfernungsbereich r min ... r max Entfernungszelle 'r Relativgeschwindigkeitsmessbereich rmin ! rmax Relativgeschwindigkeitszelle r
Keulenbreite Elevation -lobe Genauigkeit Punktziel
4,4°
4,5°
± 0,5°
± 0,5° LR ± 1° MR
Besonderheiten Die Antennenkonfiguration und die Signalverarbeitung sind auch geeignet, um einen zusätzlichen Nachbereich (Short Range Mode) bis 6 m und ± 80° abzudecken.
163
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bild 12-44: Electronic Scanning Radar (4. Generation) von Delphi [Quelle: Delphi]
Bild 12-45: Blockschaltbild des Electronic Scanning Radar (3. Generation) von Delphi [Quelle: Delphi]
Bild 12-46: Signalverarbeitungskette des Electronic Scanning Radar (4. Generation) von Delphi [Quelle: Delphi]
Das als „Simultaneous Transmit And Receive Pulse Doppler“ (STARPD) bezeichnete Modulationsverfahren entspricht dem in diesem Kapitel Chirp-Sequence-Modulation genannten Verfahren (s. Abschnitt 12.2.5.4). Es basiert auf einer DownChirp-Sequenz (Bild 12-47), aus der der Abstand und die Relativgeschwindigkeit eines detektierten Objekts nach der im Bild 12-46 beschriebenen Weise gewonnen werden. Bild 12-48 und Bild 12-49 zeigen das nach diesem Verfahren gewonnene Detektionsspektrum in der Abstandsrelativgeschwindigkeitsebene bzw. Winkelebene. Das gezeigte Spektrum gehört zu einer 16 ms langen Messung mit insgesamt 128 Chirps (bzw. periodischen Rampen), die mit einer Abtastrate von ca. 4,6 MHz abgetastet wurden. Diese erlaubt eine Maximalentfernung von bis zu 200 m und eine eindeutige Relativgeschwindigkeit von ca. 16 m/s. Der Sensor ist schichtweise aufgebaut, s. Bild 12-50. Im Basisgehäuse, verbunden mit dem Stecker, befindet sich die Hauptplatine mit der Radarsteuereinheit (engl.: Radar Control Module RCM). Die Hochfrequenzeinheit (engl. Transceiver Control Module or XCM) in der nächsten Schicht besitzt auf
Bild 12-47 STARPD (Simultaneous Transmit And Receive Pulse Doppler) genanntes ChirpSequence-Modulationsverfahren [Quelle: Delphi]
164
12 Radarsensorik
B
Bild 12-48 r r -Spektrum einer Beispielszene, aufgenommen vom Electronic Scanning Radar (4. Generation) von Delphi [Quelle: Delphi]
Bild 12-49 Winkel-Charakteristik nach dem Digital Beamforming des Electronic Scanning Radar (4. Generation) von Delphi [Quelle: Delphi]
Bild 12-50 Explosionsdarstellung des Electronic Scanning Radar (4. Generation) von Delphi, unten seitenverkehrt [Quelle: Delphi]
165
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
der zum Radom weisenden Seite eine Patch-ArrayAntenne. Das Radom verschließt das Gehäuse und hat sehr geringen Einfluss auf die Radarsignalabstrahlungscharakteristik. Mit dem ESR steht ein leistungsfähiges Radar zur Verfügung, das durch einen sehr breiten MediumRange-Bereich von ± 45° und einer sehr geringen Gehäusetiefe von 39 mm heraussticht.
12.8.7 Hella 24 GHz-Mid Range Radar Von Hella wurde in Zusammenarbeit mit den Firmen InnoSenT und s.m.s. eine 24 GHz-Plattform entwickelt (s. Bild 12-51), die sowohl für den Long Range als auch den Mid Range geeignet ist, wobei nur letzterer für die Fahrstreifenwechselassistenz (im Bild 12-51 durch die Abkürzung SWA für Spurwechselassistent gekennzeichnet) zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung in den Markt eingeführt war. Als Modulationskonzept wird die in Abschnitt 12.2.5.2 dargestellten Linear Frequency Modulation Shift Keying (LFMCW/FSK) verwendet, vgl. auch [9]. Für eine weltweite Kompatibilität wird der Modulationshub auf 100 MHz begrenzt. Zur Winkelbestimmung wird auf das simultane MonopulsVerfahren gesetzt. Als Beispiel für das Gehäusekonzept dient das ACC-Radar (Bild 12-52). Das Radom deckt nicht nur ab, sondern fokussiert die zwei Empfangsantennen. Diese und die ebenfalls planare Sendeantenne sind auf der Oberseite der Radar-Front-End-Platine (RFE) angebracht und im Bild 12-51 teilweise zu sehen. An der Unterseite befindet sich der Rest der HF-Elektronik. Die RFE-Schirmung sorgt dafür,
Bild 12-51: Hella-Radarsensoren: 24 GHZ-ACC-Radar (oben) und 24 GHz-SWA-Radar (unten) [Quelle: Hella]
Bild 12-52 Explosionsdarstellung des Hella-ACC-Radars, [Quelle: Hella]
166
12 Radarsensorik
B
Tabelle 12-5: Kenndaten der 24 GHz-Radar-Plattform von Hella Hella
ACC-Radar
SWA-Radar
80 x 80 x 35 mm3
105 x 88 x 27 mm3
Allgemeine Eigenschaften Abmessungen (B x H x T) Masse
400 g
280 g
Zyklusdauer
60 ms
36 ms
Messdauer im Zyklus
60 ms
36 ms
24 GHz-Oszillator diskret FET + Varaktordiode
24 GHz-Oszillator diskret FET + Varaktordiode
d20 dBm (EIRP) peak
d20 dBm (EIRP) peak
Hochfrequenzmodul Frequenzerzeugung Abgestrahlte Leistung (peak, average) Signaleigenschaften Frequenzbereich
24,0–24,25 GHz
Modulationsverfahren
FMSK
FMSK
Hub und -dauer
§80 MHz, 30 ms
§95 MHz, 18 ms
Rampenwiederholrate
1 x up, 1 x down 2 x konstant f
1 x up, 1 x down 2 x konstant f
bistatisches, simultanes Mono-Puls-Konzept
bistatisches, simultanes Mono-Puls-Konzept
1 … 200 m
0,75 … 55 m
1,8 m
1,5 m
–140 … +70 m/s
–140 … +140 ms
0,2 m/s
0,3 m/s
20° (> 15 m) 40 (< 15 m)
20°–120° s. Bild
Keulenbreite Ilobe
14°
14°
Spezifizierte Elevation -spec
10°
13°
Genauigkeit Punktziel
0,5°
1° bis 2°
Art der Winkelmessung Detektionseigenschaften Entfernungsbereich r min ... r max Entfernungszelle 'r Relativgeschwindigkeitsmessbereich rmin ! rmax Relativgeschwindigkeitszelle r Messbereich Azimut 'Imax
dass nur zur Radom-Seite die HF-Strahlung emittiert wird. Darunter ist die Auswerteeinheit mit Steckerleiste angebracht. Der Gehäuseträger (im Bild unten) ist mit der Halterung über die Justageschrauben verbunden. Für die Anwendung der Fahrstreifenwechselassistenz ist der Sensor im Stoßfänger-Eckbereich montiert und um 20° bis 25° zur Fahrzeuglängsachse geneigt. So wird mit zwei Sensoren der seitliche Rückraum überwacht. Durch die Nebenkeulen
wird auch der Tote-Winkel-Bereich erreicht, Bild 12-53. Allerdings geraten die Winkel- und die Abstandsauflösung an ihre Grenzen, so dass daher auch ein UWB-ähnlicher Puls-Doppler-Modus als Ergänzung angedacht ist, wenn auch nicht voller Bandbreite gemäß der SARA Grenze, um die in Abschnitt 12.4.2 diskutierten Probleme der Zulassungsfähigkeit in Europa über das Jahr 2013 hinaus zu umgehen, falls eine Lockerung (wie aktuell diskutiert) eintreten würde.
167
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bild 12-53: Ausleuchtung des Hella-SWA-Radars (Kastengröße 5 m) bei einer Schrägstellung von ca. 8° [Quelle: Hella]
12.8.8 TRW AC20 Der Radarsensor der zweiten Generation von TRW, AC20 (Bild 12-54), arbeitet, wie in der Darstellung Bild 12-55 deutlich wird, nach dem in Abschnitt 12.2.5.2 beschriebenen FSK-Prinzip und nutzt zur Winkelbestimmung das in Abschnitt 12.3.3 vorgestellte Mono-Puls-Verfahren. Dieses Konzept unterscheidet sich von denen anderer Hersteller durch die extrem hohe Trennfähigkeit nach der Relativgeschwindigkeit, während hinsichtlich der anderen Messgrößen Abstand und Azimutwinkel keine Trennung möglich ist. Die hohe Relativgeschwindigkeitsauflösung ist besonders vorteilhaft für die Adaptive Geschwindigkeitsregelung, da sowohl für die Regelgröße v rel als auch für die Relativbeschleunigung sehr gute Messwerte zur Verfügung stehen. Diesem Vorteil steht der prinzipbedingte Nachteil der fehlenden Standzieltrennfähigkeit gegenüber, wodurch der Einsatz für Stop&Go-Anwendungen verwehrt bleibt. Allerdings erlaubt sowohl die Hochfrequenzeinheit als auch die Auswertetechnik eine für die Abstandstrennfähigkeit geeignete Modulation, z. B. die im Bild 12-13 beschriebene „Makrotreppe“. Wie in der Explosionsdarstellung von Bild 12-56 zu sehen ist, wird eine Kunststofflinse zur Strahlbündelung verwendet. Sie wird gespeist von einem Radar-TRM, womit das Transmitter-ReceiverModul gemeint ist. Damit ein hinreichend breiter Strahl die Linse erreicht, hält ein mit einem RadarAdsorber angekoppelter Hohlraum den Abstand.
168
Bild 12-54: Radarsensor AC 20 von TRW [Quelle: TRW]
Der bis auf die Antennenöffnung hermetisch verschlossene TRM ist mit der rückseitigen Leiterplatte (PCB) verbunden, die die Auswerteeinheit und den Stecker enthält. Der TRM besitzt eine Frequenzerzeugung auf der Basis von GaAs-MMICs und ist damit sehr hoch integriert.
12 Radarsensorik
B
Bild 12-55: Blockschaltbild der Signalverarbeitung des TRW AC20 [Quelle: TRW]
Bild 12-56: 3D-Explosionsdarstellung des TRW AC20 [Quelle: TRW]
12.9 Zusammenfassung und Ausblick Die Radar-Technologie hat die Entwicklung der Fahrerassistenzsysteme weit nach vorn gebracht. Aber auch die Radar-Technologie selbst wurde durch die Anwendung im Automobil beeinflusst. Heute liegen Erfahrungen für eine Volumenproduktion von komplexen Radargeräten vor, die mit den Felderfahrungen die aktuelle Entwicklung begleiten. Waren die Radarsensoren der ersten Generation verschiedener Zulieferer von hoher Diversität geprägt, so sind erste Konvergenzen hinsichtlich der Modulation und der Frequenzerzeugung zu sehen. Trotzdem wird es
noch lange dauern, bis ein Zustand ähnlich dem von ABS erreicht ist, bei dem die Geräte verschiedener Hersteller kaum noch zu unterscheiden sind. Die stete „Bedrohung“ der Radar-Technologie im Automobil, die Lidar-Technologie (s. Kapitel 13), hat in den letzten Jahren ebenfalls große Fortschritte gemacht. Trotzdem bleiben komplementäre Leistungsunterschiede weiter bestehen. Radar profitiert in besonderem Maße von der Fähigkeit, den Dopplereffekt messen zu können, und von der höheren Wetterrobustheit. Demgegenüber ermöglicht Radar nur eine geringe Raumauflösung bei akzeptabler Antennengröße. Eine Verbesserung dieser Situation verspricht die Terahertz-Technik, die aber tech-
169
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme Tabelle 12-6: Technische Daten des Radar-Sensors der zweiten Generation von TRW TRW
AC20
Allgemeine Eigenschaften 98 x 98 x 63 mm3
Abmessungen (B x H x T) Masse
550 g
Zyklusdauer
40 ms
Messdauer im Zyklus
40 ms
Hochfrequenzmodul Frequenzerzeugung
GaAs-MMIC, 19,125 GHz-Referenzoszillator
Abgestrahlte Leistung (peak, average)
10 mW average
Signaleigenschaften Frequenzbereich Modulationsverfahren
76–77 GHz Frequency-Shift-Keying (s. Bild 12-10)
Hub und -dauer
0,64 MHz
Treppenwiederholrate
83,3 kHz (1/12 µs)
Anzahl Messbereiche
1
Art der Winkelmessung
monostatisches, simultanes Mono-Puls-Konzept
Detektionseigenschaften Entfernungsbereich r min ... r max Entfernungszelle 'r Relativgeschwindigkeitsbereich rmin ! rmax Relativgeschwindigkeitszelle r Messbereich Azimut 'Imax
nologisch noch in den Kinderschuhen steckt. Mit halber Wellenlänge könnten Keulenbreiten von 1° erreicht werden, womit sich die Objektbegrenzungen in durchaus befriedigender Qualität bestimmen ließen. Vielleicht geht die Technik auch einen anderen Weg, wenn man vom Ein-Sensor-Konzept weggeht und sich der diversitären Multi-Sensorik mit Sensordatenfusion nähert. Hier könnte die Kombination Radar plus Kamera ein „Dreamteam“ werden, das kaum noch Wünsche offen lässt, die z. B. von einem Lidar erfüllt werden könnten. In einer Kombinationslösung können sich die Anforderungen an das Radar ändern und eventuell zu einer „Abrüs-
170
1 … 200 m 470 m –50 … +50 m/s 0,025 m/s 11°
tung“ des Radars bei einer Kostengesamtoptimierung führen. Danksagung: Der Autor dankt den Herren Bernhard Lucas von Bosch, Dr. Markus Wintermantel von Continental, Dr. Jens Haun von Delphi, Dr. Tilmann Seubert von Hella und Wolfgang Kampfmann von TRW für die fachliche Unterstützung und die Bereitstellung der technischen Abbildungen.
12 Radarsensorik
B
Quellenverzeichnis [1] Fonck, K.-H.: Radar bremst bei Gefahr, Auto, Motor & Sport, Heft 22, 1955, S. 30 [2] Skolnik, Merrill: Radar Handbook. Introduction to radar systems, Third Edition, McGraw-Hill Verlag, New York City, 2008 [3] Ludloff, A.: Praxiswissen Radar und Radarsignalverarbeitung, 3. Auflage, Vieweg-Verlag, 2002 [4] Wolff, Ch.: Radargrundlagen – Winkelreflektor, http://www.radartutorial.eu/17.bauteile/bt47.de.html, Zugriff August 2008 [5] TC208/WG14, ISO. ISO 15622 (Transport information and control systems – Adaptive Cruise Control systems – Performance requirements and test procedures. 2002. [6] TC204/WG14, ISO. ISO 22179 Intelligent transport systems – Full speed range adaptive cruise control (FSRA) systems – Performance requirements and test procedures. 2008 [7] Kühnke, L.: 2nd Generation Radar Based ACC – A System Overview, Workshop on Environmental Sensor Systems for Automotive Applications, European Microwave Week, Munich, October 2003 [8] Menzel, W.; Pilz, D.: Mikrowellen-Reflektorantenne, Patent WO 99/43049, 1999 [9] Meinecke, M.-M.; Rohling, H.: Combination of LFMCW and FSK Modulation Principles for automotive radar systems. German Radar Symposium GRS2000, Berlin, 2000 [10] Kühnle, G.; Mayer, H.; Olbrich, H.; Swoboda, H.-C.: Low-Cost Long-Range-Radar für zukünftige Fahrerassistenzsysteme. Aachener Kolloquium Fahrzeugund Motorentechnik 2002, S.561 [11] Lucas, B.; Held, R.; Duba, G.-P.; Maurer, M.; Klar, M.; Freundt, D.: Frontsensorsystem mit Doppel Long Range Radar, 5. Workshop Fahrerassistenzsysteme, Walting, 2008 [12] Bundesnetzagentur: SSB LA 144 – Schnittstellenbeschreibung für Kraftfahrzeug-Kurzstreckenradare (Short Range Radar, SRR), Juli 2005, http://www. bundesnetzagentur.de /media /archive /5450.pdf, Zugriff August 2008 [13] Freundt, D.; Lucas, B.: Long Range Radar sensor for high-volume driver assistance systems market, SAE paper 2008-01-0921 [14] Weber, R.; Kost, N.: 24-GHz-Radarsensoren für Fahrerassistenzsysteme, ATZ Elektronik 02/2006, S. 2 [15] Artis, J.-P.; Cornic, P.: Radar for the Detection of Obstacles, especially for Automobile Vehicles, USPatent 5,923,284
171
B 13 Lidarsensorik 13.1 Funktion, Prinzip 13.1.1 Begrifflichkeit LIDAR: Light Detection And Ranging ist ein optisches Messverfahren zur Ortung und Messung der Entfernung von Objekten im Raum. Prinzipiell ähnelt das System dem Radar-Verfahren, wobei allerdings anstelle von Mikrowellen beim LIDAR Ultraviolett-, Infrarot- oder Strahlen aus dem Bereich des sichtbaren Lichts (daher LIDAR) verwendet werden (vgl. Bild 13-1).
Georg Geduld
Bei der „Time of Flight-Messung” werden ein oder mehrere Lichtpulse ausgesendet und an einem eventuell vorhandenen Objekt reflektiert. Die Zeit bis zum Empfang des reflektierten Signals ist dann proportional der Entfernung. Bei einer Geschwindigkeit des Lichts von ca. 300 000 Kilometern pro Sekunde (in Luft) beträgt die zu messende Laufzeit bei einem Abstand von 50 Metern (entspricht bei 100 Kilometern pro Stunde = Tacho-Halbe) etwas über 3 x 10 –7 Sekunden oder 333 Nanosekunden (vgl. Bild 13-2). c0 t 2 d = Abstand [m] c0 = Lichtgeschwindigkeit (300 000 m/s) t = Zeit [s] d
13.1.2 Messverfahren Distanzsensor Es gibt verschiedene Messverfahren beim Einsatz von Infrarotsensoriken. Die im Fahrzeug meist benutzte Methode ist die „Time of Flight-Messung”. Die Zeitdauer von der Aussendung des Licht(Laser)impulses bis zum Empfang der rückgestreuten Strahlen ist dabei proportional der Entfernung zwischen Messsystem und detektiertem Objekt.
Bild 13-1: Frequenzspektrum
172
(13.1)
Die zu erwartende Pulsantwort eines festen Objekts (z. B. Fahrzeug) hat die Form einer Gaußkurve. Da der ausgesandte Lichtimplus die Entfernung zwischen Sender und Empfänger zweimal durch-
13 Lidarsensorik
B
Bild 13-2 Laufzeitmessung
Bild 13-3 Pulsantwort eines Objekts
Bild 13-4 Pulsantwort zweier Objekte
laufen muss, repräsentiert die Zeit W die doppelte Entfernung zum Objekt (vgl. Bild 13-2 und Bild 13-3). Befinden sich mehrere Objekte in einem Messkanal, so können bei entsprechendem Auswerteverfahren auch mehrere Objekte erfasst werden. Man spricht dann von Mehrzielfähigkeit des Systems (vgl. Bild 13-4). Besteht eine erhöhte Dämpfung der Atmosphäre z. B. bedingt durch Nebel, so werden einzelne
Pulse an den Wassertröpfchen in der Luft reflektiert (vgl. Bild 13-5). Je nach optischer Auslegung des Systems kann dies zu Sättigungsverhalten im Empfänger führen. Ein Messen ist dann nicht mehr möglich. Heutige Sensoren jedoch haben eine dynamische Anpassung der Empfindlichkeit, und zusammen mit der Mehrzielfähigkeit im Messkanal können dann „weiche” atmosphärische Störungen mit dahinter liegenden Objektantworten vermessen werden.
173
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bild 13-5 „Weiches“ Objekt (Nebel)
Bild 13-6 Signalantwort „weiches” Objekt (Nebel)
Dabei hilft die Tatsache, dass bei einem weichen Objekt wie Nebel die Entfernungsechos aus verschiedenen „Tiefen” des Nebels empfangen werden. Die Verschmelzung der einzelnen Pulsantworten über eine längere Messdistanz (Zeitfenster) führt zu einem flachen, ausgedehnten Empfangsecho (vgl. Bild 13-6). So lässt sich beispielsweise das Signal von Nebel oder Gischt von dem eines Fahrzeugs unterscheiden. Die Form des Signals gibt ebenfalls Auskunft über den Absorbtionsgrad der atmosphärischen Störung. Die „Signallänge” x im Bild 13-6 ist ein Maß für die herrschende Sichtweite. Die Reichweitenperformance wird maßgeblich von der Intensität des ausgesendeten Lichtpulses und der Empfindlichkeit des Empfängers beeinflusst. Dabei ist die Pulsleistung durch die Augensicherheitsanforderungen beschränkt. Weitere Parameter wie beispielsweise die Transmission der Atmosphäre, die Größe oder Reflektanz des Objekts sind hingegen nicht beeinflussbar. Die empfangene Lichtintensität kann für den Fall, dass die Strahlauftrittsfläche kleiner als das Objekt ist, wie folgt beschrieben werden (siehe Gleichung 13.2): Pr
174
KK At H T 2 Pt 2
R3 Qv / 4
) /2
2
(13.2)
Im Fall, dass das Ziel (bei größerer Entfernung) kleiner als die Strahlauftrittsfläche ist, gilt folgender Zusammenhang: Pr
KK At H T 2 Pt 2
R 4 Qv Qh / 4
) /2
2
(13.3)
mit: Pr: Intensität des empfangen Signals (W) KK: Reflektanz des gemessenen Objekts ): Winkel der Objektreflexion (rad) H: Objektbreite (m) Ar: Zielgröße (m 2) T: Transmission der Atmosphäre Qv: Vertikale Strahldivergenz (rad) Q h: Horizontale Strahldivergenz (rad) At: Empfangslinsenfläche (m 2) Pt: Laser-Leistung (W)
13.1.3 Aufbau Prinzipiell sind heutige LIDAR-Abstandsmessgeräte nach dem gleichen Schema aufgebaut. Unterschiede gibt es in der Art der Erzeugung von mehreren Messkanälen (Strahlen) bzw. der Umsetzung einer Strahlablenkung bei „sweependen” (in Abhängigkeit z. B. des Kurvenradius nachgeführt) und scannenden Verfahren.
13 Lidarsensorik
13.1.3.1 Sendezweig Beim LIDAR wird für die aktive Distanzmessung eine Laserquelle, die typischerweise im Bereich zwischen 850 nm bis ca. 1 μm emittiert, eingesetzt. Um eine möglichst optimale Zieltrennung von mehreren Echos zu gewährleisten, sollte der Messimpuls so kurz wie möglich gehalten werden. Bei diesen Überlegungen spielt auch die zu gewährleistende Augensicherheit eine wesentliche Rolle, da das Integral des Pulses die emittierte Energie darstellt. Die Strahlungsleistung der verwendeten Hochleistungsdioden kann durchaus 70 W [6] und mehr erreichen. Die Pulslänge liegt typischerweise um die 30 ns. Bei einer aktiven Fläche am Halbleiterlaser von ca. 200 x 10 μm 2 entspricht dies einer Flächenleistung am Laser von ca. 35 GW/m 2. Um diese gewaltigen Leistungen elektronisch und störsicher zu bewerkstelligen, wird die Treiberstufe des Lasers so nah wie möglich und somit direkt im Gehäuse des Halbleiterlasers verbaut (vgl. Bild 13-7). Weitere Herausforderungen sind die Temperaturentwicklung an den Grenzschichten zum Gehäusekunststoff und die Stromzufuhr (Betriebsspannung 12 V) zum Bauteil. 13.1.3.2 Empfangszweig Die Empfindlichkeit des Empfängers entscheidet maßgeblich über die erreichbare Performance des zu definierenden Sensors. Grundsätzlich ist die Empfindlichkeit eines Sensorbauteils über die Empfängerfläche zu erreichen. Limitation hierfür ist die Apertur bzw. die Güte der Optik. Um die geforderten Genauigkeiten im Zentimeterbereich zu erzielen, wird eine hohe Messgeschwindigkeit gefordert. Bei einem Messbereich von ca. 10 cm bis ca. 150 m beträgt die Lichtlaufzeit zwischen 0,1 ns bis zu 1,0 μs. Eine weitere Herausforderung ist die „Blendung“ durch das Umgebungslicht. Bei Tag verursacht das von der Sonne verbreitete Lichtspektrum, das ebenfalls einen erheblichen Anteil im
B
Infrarotbereich beinhaltet, mehrere Größenordnungen mehr an Lichtleistung als ein Abstandssensor. Durch geeignete Filtermaßnahmen wird der Gleichlichtanteil (verursacht durch die Sonneneinstrahlung) unterdrückt. Diese Maßnahmen werden vornehmlich hardwareseitig ausgeführt. Als Empfangsdioden werden PIN-Dioden (englisch positive intrinsic negative diode) oder Avalanchedioden (englisch avalanche photodiode, daher oft APD genannt) eingesetzt. Avalanchedioden werden als Photodioden-Halbleiterdetektoren zum Zählen einzelner Photonen eingesetzt. Hierzu werden sie beispielsweise mit einem großen Vorwiderstand in Sperrrichtung betrieben. Durch die hohe Feldstärke reicht ein einzelnes Photon, um ein Elektron freizusetzen, das, beschleunigt vom Feld in der Sperrschicht, einen Lawineneffekt auslöst (sog. Durchbruch). Der Widerstand verhindert, dass die Diode durchbrochen bleibt (passive Quenching). Die Diode geht dadurch wieder in den gesperrten Zustand über. Der Vorgang wiederholt sich selbsttätig. Er wird periodisch wiederholt. Dadurch sind Messfrequenzen bis zu 100 MHz möglich. Die pin-Diode wird in der Optoelektronik hauptsächlich für die optische Nachrichtentechnik für Lichtwellenleiter als Fotodioden verwendet. Pin-Dioden sind hierbei aufgrund der dicken i-Schicht (schwach dotiert, leitend – intrinsische Leitfähigkeit) temperaturstabiler und kostengünstiger, aber weniger empfindlich, da in dieser mehr Ladungsträger gespeichert werden können. Spitzenwerte für die Empfindlichkeit liegen zwischen −40 dBm und −55 dBm bei 850 nm Wellenlänge. Um die örtliche Auflösung von wenigen Zentimetern zu erreichen, wird nach der Verstärkung des Signals u. a. das so genannte „Parallel-Gating“ Verfahren angewandt. Hierbei wird, über einen zeitlich gesteuerten Multiplexer, das empfangene Signal digitalisiert und in einzelne „Speicherzel-
Bild 13-7: OSRAM SPL LL90 – Treiberstufe im Gehäuse des Halbleiterlasers [6]
175
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Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bild 13-8: Digitalisieren mittels Parallel-Gating
Bild 13-10: Prinzipielle Softwarefunktionen
len“ (Range Gates) abgelegt (vgl. Bild 13-8). Jede Speicherzelle entspricht einem „Range Gate” bzw. einem „Entfernungsschritt” von z. B. 1,5 m. Durch die Addition von mehreren Sendepulsen ergibt sich eine gaußsche Verteilung der Range Gates um den tatsächlichen Messpunkt. Um die Genauigkeit der Zeitmessung zu erhöhen, wird in der Prozessoreinheit des Sensors der zu erwartende Empfangspuls rekonstruiert und dessen Scheitelpunkt ermittelt. So kann aus einer relativ groben Zeit- (Entfernungs-) und Amplitudenauflösung eine Entfernungsauflösung im Zentimeterbereich erreicht werden. Über die Anzahl der Sendepulse pro Messung kann die Empfindlichkeit des Sensorsystems gesteigert bzw. gesteuert werden. Mit dem beschriebenen Verfahren kann eine Messdynamik von über
50 dB erreicht werden. Dies ist notwendig, um auch schlecht reflektierende Objekte in der angestrebten Entfernung zu detektieren. Bild 13-9 zeigt den prinzipiellen Aufbau heutiger Abstandssensoren. In Abhängigkeit von den geforderten Stückzahlen werden einzelne Teile bereits heute in Form von spezifischen ASICs verbaut. Neben dem Hardwareaufbau eines Abstandssensors werden einzelne Funktionen in Software abgebildet. Wie oben erwähnt erfolgt ein großer Teil der Signalauswertung wie beispielsweise die Abstandsermittlung und die Relativgeschwindigkeitsermittlung per Software. Ebenfalls im Block „Signalauswertung” werden Informationen über die Sichtweite und Systemgrenzen erzeugt (vgl. Bild 13-10). Die Laseransteuerung sorgt für das Timing von Mess- und Empfangskanal.
Bild 13-9 Prinzipieller Aufbau eines LIDAR-Abstandssensors
176
13 Lidarsensorik
13.1.4 Transmissions- und Reflexionseigenschaften Wie bei allen aktiven und passiven Messverfahren spielt die Transmission bzw. die Dämpfung der Atmosphäre eine wichtige Rolle bei der Systemauslegung und der dadurch erzielbaren Leistung der Sensoren. Während bei passiven Verfahren, wie beispielsweise Kameras, die Strecke vom Objekt zum Sensor nur einmal zurückgelegt werden muss, ist bei aktiven Verfahren die Strecke Sensor – Objekt – Sensor zweimal zurückzulegen. Die Transmissionseigenschaften der Atmosphäre werden durch deren Bestandteile und deren Aggregatszustände maßgeblich beeinflusst (vgl. Bild 13-1). Nachfolgendes Bild stellt eine Vereinfachung der Messstrecke in der Atmosphäre dar. Es ist dabei zu beachten, dass die Strecke l der einfachen Entfernung vom Abstandsensor zum Objekt entspricht. Das Licht muss nach der Reflexion am Objekt (vgl. Bild 13-12) die Strecke l erneut in umgekehrter Richtung zurücklegen (vgl. Bild 13-11). Der Sender strahlt dabei die Lichtleistung )0 ab. Durch die Atmosphäre (enthaltene Wassertröpfchen, Staubpartikel etc.) werden Teile des Lichts diffus reflektiert ()r). Weiterhin wird ein Teil absorbiert ()a) (in Wärme umgewandelt), bis schließlich am Ende der Strecke nur noch die Lichtleistung )t zur Verfügung steht.
)0 = )r + )a + )t
(13.4)
Reflexionsgrad
Ur = )r /)0
(13.5)
Absorptionsgrad
Ua = )a )0
(13.6)
Transmissionsgrad W = )t /)0
(13.7)
Mit )0 )r )a )t l
B
Ausgesandte Lichtleistung Reflektierte Lichtleistung Absorbierte Lichtleistung Empfangene Lichtleistung Wegstrecke durch die Atmosphäre
Der Anteil der durchgelassenen Strahlung wird als Transmissionsgrad (W) (vgl. Gleichung 13.7) bezeichnet. Die Abschwächung setzt sich im Allgemeinen zusammen aus Absorption, Streuung, Beugung und Reflexion und ist wellenlängenabhängig (vgl. Gl. 13.4). Eine große Herausforderung bei der Lasermesstechnik besteht darin, die stark limitierte Energie (Augensicherheit) nach der Reflexion an einem Objekt wieder zu empfangen (detektieren). Dabei ist zu beachten, dass für gewöhnlich das Objekt (Fahrzeug) ähnlich einem Lambert-Reflektor seine Energie diffus in den halben Raumwinkel (180°) abstrahlt (vgl. Bild 13-11). Beim Lambert-Reflektor ist die Rückstreuung der Energie nicht gerichtet, sondern wird im Raumwinkel (innerhalb einer „Kugel”) mehr oder weniger homogen verteilt. Genutzt werden kann nur der Teil der zurückgestreuten Energie, welche direkt in den Empfänger des Sensors zurückgestrahlt wird. Dies sind in der Praxis oft weit weniger als 20 % der am Objekt reflektierten Energie. Mögliche Maßnahmen zur Leistungssteigerung des Sensor-Systems sind zum einen eine höhere Sendeleistung oder ein stärker gebündelter Strahl (Erhöhung der Energiedichte) bzw. die Erhöhung der Empfindlichkeit am Empfänger. Da, wie erwähnt, die mittlere Sendeleistung beschränkt ist, kann man als Abhilfemaßnahme
Bild 13-11 Absorption, Reflexion, Transmission
177
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bild 13-12 Lambert-Reflektor
den Strahl stärker bündeln, um die Energiedichte zu erhöhen, oder einen höher verstärkenden Empfänger einsetzen. Die Bündelung hat den Nachteil, dass bei zu kleinen Raumwinkeln der Strahl auf eine homogene Fläche am Fahrzeug treffen kann (z. B. nur die Stoßstange) und somit durch Totalreflexion der gesamte Strahl wegreflektiert wird. Totalreflexion (vgl. Bild 13-12) tritt dann auf, wenn schmale Strahlen (siehe auch „Lambert-Reflektor”, Bild 13-11) eingesetzt werden, die auf eine schräge Fläche treffen. Abhilfe kann durch aufgeweitete oder mehrere Strahlen geschaffen werden. Optimal dabei ist es, im Erfassungsbereich Kanten oder senkrecht zum Sender gerichtete Teile zu beleuchten. Leider sind diese Maßnahmen entweder kontraproduktiv (vergleiche Energiedichte-Problematik) oder verursachen Mehrkosten (Einsatz von mehreren Empfangsstrahlen).
Geschwindigkeitsermittlung Prinzipiell ist auch beim LIDAR der Dopplereffekt zur Geschwindigkeitsermittlung nutzbar. Doch verhindern die erhöhten Anforderungen und die dadurch verbundenen Kosten beim Messen der Dopplerfrequenz im Lichtspektrum die Umsetzung. Aus diesem Grund bedient man sich der einfachen Differentiation von zwei oder mehreren aufeinander folgenden Abstandsmessungen (vgl. Gleichungen 13-8 und 13-9). vrel
dR dt
vrel
R2 R1 t2 t1
lim t
0
R t
(13.9)
v rel: Relativgeschwindigkeit R: Abstand t: Zeit
Bild 13-13 Totalreflexion
178
(13.8)
13 Lidarsensorik
Möglich wird dieses Verfahren nur, da eine sehr exakte Abstandsmessung zugrundeliegt. Genauigkeitssteigerungen lassen sich durch geeignete Filter wie beispielsweise Zustandsbeobachter oder Kalmanfilter erreichen. Leitet man die Geschwindigkeit ein weiteres Mal ab, so kann die Relativbeschleunigung ermittelt werden (siehe Gleichung 13-10). arel
d2 R dt 2
(13.10)
arel: Relativbeschleunigung Bedingt durch einen eventuellen Abstandsfehler wird der Fehler beim Beschleunigungssignal durch die erneute Differentiation verstärkt. Für eine eventuelle Regelaufgabe muss das Signal entsprechend gefiltert werden.
13.1.5 Trackingverfahren und Auswahl relevanter Ziele Der Begriff Tracking (dt. Nachführung) umfasst alle Bearbeitungsschritte, die der Verfolgung von Objekten dienen. Ziel dieser Verfolgung ist zum einen die Extraktion von Informationen über den
B
Verlauf der Bewegung und die Lage eines Objekts, zum anderen die Verminderung von negativen Einflüssen, herrührend von zumeist zufälligen Messfehlern (Messrauschen). Die Genauigkeit der bestimmten Lage- und Bewegungsinformation hängt neben dem verwendeten Tracking-Algorithmus auch von der Genauigkeit der Messungen bzw. dem Messfehler und der Abtastrate der zyklischen Messungen ab. Generell kann die Zielauswahl auf zwei verschiedene Arten durchgeführt werden. Entweder erfasst man den gesamten Bereich und wählt dann mittels Fahrstreifenzuordnung und/oder weiterer Selektionsmerkmale ein relevantes Ziel aus (siehe Kapitel 32), oder man beschränkt sich beim Erfassen von Objekten von Beginn an auf den relevanten Bereich der zu erwartenden Fahrtrajektorie. Beide Verfahren haben Vor- als auch Nachteile, wie die Gegenüberstellung im Folgenden zeigt (vgl. Tabelle 13-1). Die Leistungsfähigkeit eines ACC-Sensors wird neben der Messempfindlichkeit vor allem durch die Güte der Ermittlung des relevanten Objekts bestimmt. Dies setzt eine leistungsfähige Fahrtrajektorienbestimmung voraus (siehe Kapitel 32). Das Tracking lässt sich grundsätzlich in folgende Verarbeitungsschritte unterteilen:
Tabelle 13-1: „Tracking”-Verfahren
Variante 1: Erfassung von Objekten im gesamten Erfassungsbereich Diskriminierung der Ziele anhand des ermittelten Fahrschlauchs
Variante 2: Ermittlung der relevanten Blickrichtung Aktivierung der Messung nur im relevanten Bereich
Vorteil: Erfassung aller Objekte
Vorteil: Geringe Rechenleistung
Nachteil: Rechen- und Speicheraufwand auch für nicht relevante Objekte
Nachteil: Erfassung abhängig von der Güte der Blickwinkelermittlung
179
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
13.1.5.1 Prädiktion (Extrapolation/Schätzung) In diesem Verarbeitungsschritt erfolgt die (rechnerische) Vorhersage der Lage- und Bewegungsinformationen anhand der bekannten Vergangenheit in Abhängigkeit physikalischer Eigenschaften des Objekts (Fahrdynamik des vorausfahrenden Fahrzeugs). 13.1.5.2 Assoziation (Verknüpfung von Objekten) Insbesondere wenn sich mehrere Objekte im beobachteten Raum befinden (Multi-Target-Tracking) und diese sich nicht eindeutig über verschiedene Messzyklen differenzieren lassen, übernimmt diese Komponente die Zuordnung eines in früheren Messzyklen beobachteten Objekts zu einem aktuell gemessenen Objekt. Fehler in diesem Bearbeitungsschritt können sich besonders schwerwiegend auf die Ergebnisse auswirken (v rel, arel, etc.). 13.1.5.3 Innovation (Verknüpfung von Realmessung und Prädiktion) Die Bestimmung der aktuellen Lage und anderer bewegungsrelevanter Informationen erfolgt einerseits durch die Prädiktion und andererseits durch aktuelle Messungen. Der Innovationsschritt führt beide Ergebnisse gewichtet zusammen. Die Gewichtung kann sowohl dynamisch als auch statisch erfolgen. Eine Verschiebung der Anteile hin zur Prädiktion glättet die Ergebnisse stärker, eine größere Gewichtung der Messung führt zu Ergebnissen, die sich schneller auf Veränderungen der
Bild 13-14: Kalman-Filter-Prinzip
180
Messwerte einstellen. Je nach Funktion bzw. Situation (Sicherheitssystem/Notbremsen oder Komfortsystem/ACC) werden dann die Filter angepasst. Die Qualität der Modelle bzw. der Grad der Annäherung an die Realität bestimmt entscheidend das Ergebnis des Trackings. Üblicherweise wird bei LIDAR-Abstandssensoren ein Kalman-Filter eingesetzt. 13.1.5.4 Das Kalman-Filter – Funktionsprinzip Das Kalman-Filter [8] wird dafür verwendet, Zustände oder Parameter des Systems aufgrund von teils redundanten Abstands- und Relativgeschwindigkeitsmessungen, die von Rauschen überlagert sind, zu schätzen. Das Filter besitzt eine sog. „Prädiktor-KorrektorStruktur“, d. h. zunächst wird auf Basis der Systemeingangsdaten die wahrscheinlichste neue Positon und Geschwindigkeit prädiziert und diese dann mit den tatsächlichen Messdaten verglichen. Die Differenz der beiden Werte wird gewichtet und dient der Korrektur des aktuellen Zustands.
Vereinfacht lässt sich das Abstandsmesssystem linear beschreiben, und basiert auf einem Zustandsraummodell mit Zustandsgleichung [1] x(k) = Ax(k −1) + Bu(k) + Gv(k −1)
(13.11)
Prädiktion Beobachtungsgleichung [7] z(k) = Hx(k) + w(k).
(13.12)
13 Lidarsensorik
Bei konstanter Geschwindigkeit (areal = 0) kann die Längsbewegung mit folgendem Zustandsvektor x
d vrel arel
und der Systemmatrix
A
1 Tk 0 1 0 0
0 0 0
beschrieben werden. Werden mehrere Objekte gleichzeitig verfolgt, müssen die Objekte eines Messschritts der richtigen Objektbahn zugeordnet werden. Hierzu wird das Kalman-Filter um einen Assoziationsschritt erweitert. Eine anschauliche Lösung ist die Methode der nächsten Nachbarn. Unter Berücksichtigung der unsicherheitsbehafteten Messung und Abweichungen von der Annahme konstanter Geschwindigkeit ergibt sich ein Suchbereich des Objekts in der neuen Messung. Durch Schätzung des neuen Messwerts mit dem Kalman-Filter lässt sich das Messfenster präzisieren. Einem Track zugeordnet wird jeweils das Objekt mit der geringsten Differenz zwischen Prädiktion und Messung. Die Messdaten werden anschließend für den Innovationsschritt des Kalman-Filters verwendet. Messwerte außerhalb des Messbereichs werden direkt verworfen, ebenfalls werden nur einmal gefundene Objekte als Fehlmessung vom Tracking ausgenommen. Kann dem erstmals detektierten Objekt dagegen im nächsten Messschritt ein Messwert zugeordnet werden, wird ein neuer Pfad initialisiert. Wird einem bestehenden Track kein Objekt zugeordnet, erfolgt die Prädizierung über weitere Messschritte. Der Track wird beendet, falls sich zukünftig keine weiteren Messungen mehr zuweisen lassen. Mehrere eng benachbarte Objekte mit ähnlicher Relativgeschwindigkeit können zusammengefasst werden (Clustering). Eine Fehlinterpretation lässt sich allerdings erst rückwirkend ausschließen, weshalb die zwei Messwerte zunächst getrennt gehalten werden.
13.2 Applikation im Fahrzeug 13.2.1 Laserschutz Grundsätzlich werden im Fahrzeug nur LIDARSensoren, zertifiziert nach Laserschutzklasse 1, verbaut. Maßgeblich für die Ermittlung der Laser-
B
schutzklassen ist die ICE 60 825-1, Amendment 2:2001. Die Erläuterung von Details dieses Standards führen in dieser Abhandlung sicherlich zu weit. Wesentliche Grundlage ist die emittierte Energie des Sensors und somit die Energiebilanz auf der Netzhaut des menschlichen Auges. Da das verwendete Frequenzspektrum nahe dem für den Menschen sichtbaren Bereich liegt, wirkt das Auge mit seiner Linse wie ein fokussierendes Brennglas. Weil der Laser jedoch für den Menschen nicht sichtbar ist, funktionieren die natürlichen Schutzmechanismen des Auges (Schließen der Pupillen) nicht. Die vom Laser des LIDARs ins Auge eingebrachte Energie führt zur Erwärmung der Netzhaut und im schlimmsten Fall zur Verbrennung der Sehzellen (thermischer Netzhautschaden). Die Berechnung der maximal zulässigen Abstrahlenergie berücksichtigt die Fähigkeit, die Energie im Gewebe weiterzuleiten (Wärmeableitung). Somit gibt es Kriterien, welche die durchschnittliche Erwärmung ebenso wie die kurzfristige, durch einzelne Pulse verursachte Erwärmung berücksichtigen. Folgende technische Randbedingungen sind Kriterien, welche die Augensicherheit beeinflussen: Wellenlänge (typisch für den automobilen Einsatz sind 850 nm bis ca. 1 μm), Ausgangspulsspitzenleistung (typisch zwischen 10 W und 70 W), Ausgangsdurchschnittsleistung (typisch zwischen 2 mW und 5 mW), Dutycycle (Puls/Pausen-Verhältnis), refokussierbare Austrittsfläche (typisch bei Verwendung von Lichtleitern sind Bruchteile von mm 2, beim Laser selbst sind dies nur einige μm 2). Details hängen stark von der jeweiligen Auslegung des Sensors ab. Insbesondere sind die Dutycycles, Ausgangspulsleistungen und die refokussierbare Austrittsfläche bei den einzelnen etablierten Produkten sehr unterschiedlich.
13.2.2 Integration für nach vorne gerichtete Sensoren (zum Beispiel für ACC) Generell stellt die Integration ins Fahrzeug bezüglich der Position keine nennenswerten Schwierigkeiten dar. Grundsätzlich kann ein LIDAR überall in der Front platziert werden. Bevorzugt sind jedoch Positionen in der Horizontalen zwischen den Scheinwerfern und in der Vertikalen zwischen der oberen Dachkante bis zur Stoßstange (vergleiche Bild 13-15).
181
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bild 13-15: Beispiele Strahlsensorik: (a) Multibeam starr, (b) Multibeam SWEEP, (c) Multibeam verteilt, (d) Singlebeam SCAN
Dabei spielt es keine Rolle, ob der Sensor im Außenbereich oder hinter der Windschutzscheibe platziert ist. Bedingt durch die Erkennung von Verschmutzung können ggf. der Fahrer informiert oder aber direkt Reinigungsmaßnahmen eingeleitet werden. Im Gegensatz zu einer Kamera wird jedoch „nur” Energie übertragen und kein Wert auf ein „klares” Bild gelegt. Dies verringert die Anforderungen an eine saubere Sensoroberfläche erheblich. Je nach Einbauort bzw. der Integration unter aerodynamischen Gesichtspunkten ist unter normalem Einsatz eines Fahrzeugs von keiner beeinträchtigenden Verschmutzung auszugehen.
13.3 Zusatzfunktionen Mit dem LIDAR ist es möglich, weitere, sehr nützliche Sensorfunktionen zu realisieren. Sichtweitenmessung So ist die oben erwähnte „Weichziel”-Erkennung relativ einfach dazu zu verwenden, in Abhängigkeit der Absorption eine der Sichtweite analogen Geschwindigkeitsempfehlung zu berechnen. Bedingt durch die Wellenlänge, die nahe
182
dem für den Menschen sichtbaren Licht liegt, ist die gemessene Reflexion und Absorption in der Atmosphäre der menschlichen Sichtbehinderung vergleichbar. Tag/Nacht-Erkennung Die im Empfänger messbare Hintergrundbeleuchtung unterscheidet sich signifikant zwischen Tag und Nacht, nachdem die Sonne um mehrere Größenordnungen höhere Infrarotstrahlung aussendet als die vom LIDAR aktiv emittierte. Dieses Signal, geeignet aufbereitet, ist als Zusatznutzen zur Steuerung von Fahrlicht einsetzbar. (Vergleiche Tag/Nacht bzw. Tunnel abhängiges Steuern des Fahrlichts) Verschmutzungserkennung Zu den Grundfunktionen der Selbstdiagnose eines Abstandssensors gehört die Erkennung des Verschmutzungsgrades des Sensors an dessen Sender und Empfänger. Führt dieses Signal in den meisten aller Fälle zwar nicht zu einer Aufforderung, den Sensor zu reinigen, kann das Signal jedoch einfach zu einer automatischen Triggerung der Reinigung der Scheinwerfer oder der Windschutzscheibe genutzt werden.
13 Lidarsensorik
Geschwindigkeitsermittlung Heutige LIDAR-Sensoren haben ein ausgeklügeltes Tracking und verfolgen bis zu 20 und mehr Objekte auf und neben der Fahrbahn. Die Vermessung von Abstand und Relativgeschwindigkeit von Objekten neben der Fahrbahn wie beispielsweise Begrenzungspfosten lassen die Ermittlung der Eigengeschwindigkeit des Fahrzeugs mittels Abstandssensor zu.
B
Fahrerverhalten/-zustand Wird das LIDAR im aktuellen Fahrzustand nicht als aktives Regelsystem genutzt, kann über das Abstandsverhalten, kombiniert mit dem Lenkverhalten auf den Fahrerzustand rückgeschlossen werden und dem Fahrer geeignet mitgeteilt werden (Müdigkeit, Unaufmerksamkeit etc.).
13.4 Aktuelle Beispiele Modell Wellenlänge Augensicherheit abgestrahlte Leistung: Erfassungsbereich
Auto Alignment
AIS200 – Continental 905 nm Klasse 1 (IEC825) 40 W (Peak) 3,5 mW (Average) ±15° (Azimuth/hor.) 6,5° (Elevation/vert.) SCAN vertikal
Anzahl Strahlen Min. Kurvenradius Entfernungsbereich
15 ... 30 100 m 1 ... 180 m
Geschwindigkeitsgenauigkeit
1 km/h
Modell Wellenlänge Augensicherheit abgestrahlte Leistung: Erfassungsbereich
gen2 - OMRON 905 nm Klasse 1 (IEC825) 12 W (Peak) 5 mW (Average) ±11° (Azimuth/hor.) 3° (Elevation/vert.) SWEEP 5 300 m 1 ... 180 m
3
Anzahl Strahlen Min. Kurvenradius Entfernungsbereich
Bild 13-16: AIS200 – Continental
3
Geschwindigkeitsgenauigkeit
1 km/h
Bild 13-17: gen2 - OMRON
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Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Modell Wellenlänge Augensicherheit abgestrahlte Leistung: Erfassungsbereich
Anzahl Strahlen Min. Kurvenradius Entfernungsbereich
gen3 – OMRON 905 nm Klasse 1 (IEC825) 12 W (Peak) 5 mW (Average) ±15° (Azimuth/hor.) 10° (Elevation/vert.) 3D SCAN 1 100 m 1 ... 150 m 3
Geschwindigkeitsgenauigkeit Auto-Alignment
1 km/h
Modell Wellenlänge Augensicherheit Direkte Windschutzscheiben-Montage (wie Regensensor) Erfassungsbereich
SiemensVDO 905 nm Klasse 1 (IEC825)
Bild 13-18: gen3 – OMRON
Microscanning: Min. Kurvenradius Entfernungsbereich
30° (15° ± 7,5° sweep) 5° (Elevation/vert.) SWEEP 0,5° mit 2 Hz 100 m 1 ... 200 m 3
Bild 13-19: SiemensVDO
Geschwindigkeitsgenauigkeit Auto-Alignment
± 0,1 km/h
Modell Wellenlänge
IDIS® - Hella 905 ... 920 nm
Augensicherheit abgestrahlte Leistung: Erfassungsbereich
Klasse 1 (IEC825) 50 W (Peak) x mW (Average) 16° (Azimuth/hor.) 3° (Elevation/vert.) mehrstrahlig 16 1 ... 150 (200) m
Anzahl Strahlen Entfernungsbereich
3
Geschwindigkeitsgenauigkeit
Bild 13-20: IDIS®- Hella
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1 km/h
13 Lidarsensorik
B
Bild 13-21 Hella IDIS® - 12 Kanal Laser
Die zuvor gezeigten Sensoren erfüllen alle die geforderten Ansprüche für moderne ACC-, FSRAoder sogar pre-crash-Systeme. Die Realisierung beispielsweise der optischen Eigenschaften ist jedoch grundsätzlich verschieden. Hella setzt auf ein Mehrstrahlprinzip. Dies wird durch mehrere unabhängige Sende- und Empfangskanäle dargestellt. Dabei werden ein Array von Laserdioden im Mulitplexverfahren angesteuert. Über die Empfangsoptik werden die Informationen über ein PIN-Dioden-Array erfasst. Die Winkelauflösung entspricht dabei mehr oder weniger der Strahlbreite der einzelnen Sende-/Empfangskanäle. Bis zu 16 dieser Paarungen werden dabei eingesetzt, um den entsprechenden lateralen Öffnungswinkel zu generieren (vgl. Bild 13-21) [3]. Ein weiteres in der Praxis eingesetztes Verfahren ist das „Sweepen“ von „Strahlbündeln“, wie es von OMRON in der zweiten Generation realisiert wurde. Dabei werden 5 unabhängige Sende-/Empfangskanäle über eine bewegliche Optik lateral in Abhängigkeit zum Straßenverlauf geschwenkt. Die 5 Sende-/Empfangskanäle werden mittels Lichtleiter modelliert. Dabei können je nach Kanal unterschiedliche Öffnungswinkel in lateraler und horizontaler Lage erzeugt werden. Die „Blickrichtung“ des Strahlenbündels wird aufgrund des geschätzten Straßenverlaufs/Kurvenradius lateral nachgeführt. Der Vorteil liegt auf der Hand: wenige Laserdioden, wenig bewegte Teile. Nachteil: Die Detektion ist von der Güte der Fahrtrajektorienschätzung abhängig. OMRONs dritte Generation versucht die Nachteile der zweiten zu eliminieren. Der Erfassungsbereich wird auf 30 x 10 Grad erweitert. Das „Sweepen“ wird zum Scannen. Dabei wird immer der gesamte laterale Erfassungsbereich detektiert und somit auch vermeintlich nicht interessante Bildausschnitte erfasst. Einzigartig ist ebenfalls die Möglichkeit, zwei weitere Ebenen in horizontaler Richtung zu detektieren. Dies ermöglicht den
Einsatz des Sensors auch in Mittel- und Kompaktklassefahrzeugen, welche nicht über eine Niveauregulierung verfügen. Der Mechanismus ist so robust wie einfach. Ähnlich des schwingenden Scherkopfs eines Rasierapparats werden dabei ausschließlich die Optiken der Sende- und Empfangskanäle stimuliert [5]. CONTINENTALs jüngste Laserentwicklung, eingebracht durch die Übernahme der Fa. SiemensVDO, verwendet ebenfalls das bereits erwähnte „Sweepen“ (siehe OMRON zweite Generation) der gesamten Strahlenkombination (5 Strahlen). Einzigartig ist jedoch der dem „Sweep“-Bereich überlagerte „Mikroscan“, der eine exakte Bestimmung der Fahrzeugkanten möglich macht. Einscherende Fahrzeuge können so früher „relevant“ für das ACC-System berücksichtigt werden – dies ist nur einer der Vorteile. Eine Spiegeloptik ermöglicht die flache Bauweise des Sensors, welcher direkt, wie ein Regensensor, an die Windschutzscheibe angebracht wird. Es entstehen keine ungenutzten optischen Freiräume wie z. B. Sichttrichter vor dem Sendeund Empfangsbereich, er kann so platzsparend im Rückspiegelbereich integriert werden. Dieser Einbauort liegt im Wischbereich der Scheibenwischer und wird daher stets vor Verschmutzung geschützt. Im Gegensatz dazu müssen Laser-Sensoren im Außeneinbau im Winter durch die starke Versalzung oder im Regen durch die Wassertröpfchen eine erhebliche Dämpfung verkraften. Unterschiedliche Reichweiten, je nach Witterung, sind die Folge. Das ACC-System funktioniert unter Umständen spürbar unterschiedlich [2].
13.5 Ausblick Generell sind derzeit zwei Entwicklungsrichtungen erkennbar. Zum einen wird immer mehr Leistung bei reduziertem Bauraum und Kosten verlangt.
185
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Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Dies vor allem in der Oberklasse. Zum anderen werden bedingt durch anstehende Regulierungen wie NCAP und EUR-NCAP kostenoptimierte Sensoren entwickelt, welche auf diese Anforderungen optimiert bzw. reduziert sind. Waren in der Vergangenheit Fahrerassistenzsysteme wie ACC, pre-crash usw. den Oberklassefahrzeugen vorbehalten, ist nun eine deutliche Tendenz auch bei der Ausrüstung in der Mittel- und Kompaktklasse spürbar – nicht zuletzt begleitet durch ein erhöhtes Medieninteresse in den einschlägigen Fachzeitschriften. Diese Tendenz fordert um so mehr kostenoptimierte Sensoren zur Realisierung von Komfort- und Sicherheitsfunktionen. Dabei kommen vermehrt LIDAR-Sensoren zum Einsatz.
Quellenverzeichnis [1] Berges, A.; Cathala, T.; Mametsa, H. J.; Rouas, F.; Lamiscarre, B.: Apport de la simulation aux études de radar pour applications en vision renforcée. Revue de l’électricité et de l’électronique: REE; revue de la Société des Électriciens et des Électroniciens, Nr. 4, S. 35–38, 2002 [2] Mehr, Wilfried (Continental – Segment Advanced Driver Assistance Systems), 2. August 2008 [3] Höver, N.; Lichte, B.; Lietaert, S.: Mulit-beam Lidar Sensor for Active Safety Applications, SAE 06AE138 [4] Tischler, K.: Charakterisierung und Verarbeitung von Radardaten für die Informationsfusion. In: XVIII. Messtechnisches Symposium der Hochschullehrer für Messtechnik e.V., Freiburg, S. 3 – 12, 2004 [5] Satoru, A.; Goff, D.; Miyazaki, H.; Ishio, W.: Wide FOV and high-resolution Lidar for Advanced Driver Assistance Systems, SAE 07AE-238 [6] OSRAM SPL LL90 – Treiberstufe im Gehäuse des Halbleiterlasers – Internet-Recherche/Produktinformation Fa. OSRAM „APN_Operating_SPL_ LLxx_041104.pdf“ http://catalog.osram-os.com [7] Luo, R. C.; Kay, M. G.: Multisensor Integration and Fusion in Intelligent Systems. IEEE Transactions on Systems, Man, and Cybernetics, Bd. 19, S. 901–931, 1998 [8] Wikipedia – die freie Enzyklopädie – InternetRecherche: Kalmanfilter, http://de.wikipedia.org
186
B 14 3D-Imaging 14.1 Einordnung und Erläuterung des Grundkonzeptes Trotz steigender Verkehrsdichte ist die Zahl der Verkehrsunfälle mit Personenschäden in den letzten Jahren gesunken. Um zukünftige Fahrzeuge sowohl für die Insassen als auch für andere Verkehrsteilnehmer noch sicherer zu machen, wird eine zunehmend dreidimensionale Umfelderfassung durch das Fahrzeug notwendig. Eine entsprechende 3D-Sensorik ist in der Lage, gefährliche Situationen vorausschauend zu erkennen, den Fahrer bestmöglich zu unterstützen und somit Unfälle zu vermeiden. Aber auch im Falle eines nicht mehr zu vermeidenden Unfalls lässt sich das Verletzungsrisiko für alle Beteiligten minimieren. Bislang wurden die vielfältigen Applikationen jeweils durch eine applikationsspezifische Sensoreinheit abgedeckt. So findet man heute beispielsweise reine Entfernungsmesssysteme (wie Long-Range und/oder Short-Range Radar-, Lidar- oder Ultraschallsensoren) oder reine opto-elektronische (2D-) Kamerasysteme (Hochdynamik-Bildaufnehmer) in verschiedenen Automobilreihen. Zunehmend wird die Fusion der unterschiedlichen Sensordaten über entsprechend optimierte Algorithmik angestrebt – ein Ansatz, der die Unzulänglichkeiten der einzelnen Sensorinformationen zu umgehen versucht. Dieser Lösungsansatz ist verständlich, da es bislang nicht möglich war, mit nur einem System gleichzeitig Bilder aufzunehmen (2D) und Entfernungen zu messen (2D + 1D = 3D), da bei der konventionellen 2D-Projektion die Tiefeninformation der realen 3D-Szene verlorengeht. Was bisher fehlte, war eine universelle Sensorik, welche ohne bewegte Teile und mit nur einer einzelnen Aufnahme Bild- und Abstandsinformation erfassen und dabei hochgenau, kompakt und gleichzeitig preiswert sein kann. Eine solche echte dreidimensionale Detektion liefert im Gegensatz zu herkömmlicher 2D-Kamera-Bildsensorik oder 1D-Abstandssensorik (z. B. Radar) die absoluten Geometriemaße der Objekte, die unabhängig vom Oberflächenzustand, von der Entfernung, Drehung und Beleuchtung sind, d. h. sie sind rotations-, verschiebungs- und beleuchtungsinvariant. Einer der ersten Versuche zur Realisierung einer 3D-Kamera war der Ansatz des elektronischen Stereo-Sehens, der einem Teil der menschlichen 3D-Wahrnehmung nachempfunden ist. Allerdings
Bernd Buxbaum, Robert Lange, Thorsten Ringbeck
ist der algorithmische Aufwand bei diesem Ansatz enorm. Der menschliche Beobachter interpretiert 2D-Bilder scheinbar mühelos dreidimensional, tatsächlich aber nur sehr begrenzt gemäß seines a priori-Wissens. Für die reale 3D-Prüfung stehen ihm jedoch – meist unbewusst – die triangulativen Hilfen der Augenwinkelstellung und der Autofokus-Adaption zur Verfügung. Neuartige 3D-Ansätze, so genannte PMD-Verfahren, werden seit etwa einem Jahrzehnt intensiv untersucht. Die Abkürzung PMD steht dabei für den Begriff Photomischdetektor (engl. Photonic Mixer Device) und beschreibt die Fähigkeit des neuen Empfängers, bereits im Pixel eines Bildsensors zu korrelieren, d. h. einen elektrooptischen Misch- und den anschließenden Integrationsprozess (Mischung + Integration = Korrelation) durchzuführen. Diese Eigenschaft erlaubt die pixelweise Korrelation eines modulierten optischen Signals mit einer elektronischen Referenz und damit eine 3D-Entfernungsmessung nach dem Lichtlaufzeitverfahren (engl. Time-of-Flight, TOF) in jedem Video Frame. Heute befinden sich bereits verschiedene Produkte der TOF-Technologie für unterschiedliche Märkte in Massenproduktion. Diese neuen PMD-Abstandssensoren liefern zusätzlich zu konventionellen Helligkeitsinformationen ein Amplitudenbild der aktiven IR-Beleuchtung und die Abstandsinformation zum betrachteten Objekt in jedem Pixel. Dabei ist insbesondere die inhärente Unterdrückung von unkorrelierten Lichtsignalen (vor allem von Sonnenlicht, aber auch von eventuellen Störsendern) ein Alleinstellungsmerkmal, welches die PMD-Technologie von anderen TOF-Ansätzen deutlich unterscheidet.
14.2 Vorteile und Applikationen PMD-Systeme gewinnen die Entfernungswerte direkt in jedem Pixel, d. h. sie benötigen keine hohe Rechenleistung in der Nachbearbeitung. Dies und der monokulare Aufbau des Systems machen PMD-Systeme kostengünstiger und kompakter in der Baugröße als herkömmliche Technologien. Die mittels einer 3D-PMD-Kamera sofort und ohne massiven Rechenaufwand detektierbaren mehrdimensionalen Szenenparameter ermöglichen eine zuverlässige Plausibilisierung von Objekten und ihren relativen Bewegungsvektoren. Da die
187
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Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Position von Objekten und die zugehörigen möglichen Trajektorien frühzeitig erkannt werden, steigt die Zuverlässigkeit der Situationsinterpretation. Der Fahrer kann bestmöglich unterstützt werden, und im Falle einer unvermeidlichen Kollision kann das Verletzungsrisiko durch aktive Sicherheitsmaßnahmen entscheidend minimiert wird. Bereits heute arbeiten verschiedene Automobilhersteller mit PMD-Sensorik an den unterschiedlichsten Applikationen: Fahrerassistenzsystem Fußgängerschutz PreCrash ACC Stop&Go Automatische Notbremse Gestikbedienung HMI Occupant Crash Protection (FMVSS 208, OOP), Smart Airbag Während Robustheit, Kompaktheit und ein günstiger Preis typische Anforderungen sind, kommt insbesondere in der Fahrzeugsicherheit der Erfassung von dynamischen Verkehrsszenen eine große Bedeutung zu. Dabei ist eine hohe Bildwiederholfrequenz essentiell für den Einsatz im automotiven Umfeld. PMD-Kameraeinheiten erzeugen einen permanenten Datenstrom mit derzeit bis zu 100 3D-Bildern pro Sekunde und ermöglichen somit eine schnelle und sichere Interpretation auch bei hohen Eigengeschwindigkeiten und dynamischen Szenen. Systemanforderungen wie Reichweite und Öffnungswinkel beispielsweise sind stark applikationsabhängig und daher individuell anzupassen.
14.3 Grundsätzliche Lösungen zur 3D-Erfassung Die notwendige Weiterentwicklung automobiler Sicherheits- und Komfortsensoren zur Erhaltung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit erfordert zunehmend die schnelle, präzise und berührungslose Vermessung der dimensionellen Szenenparameter in Echtzeit. Bild 14-1 zeigt die drei wichtigsten berührungslosen 3D-Entfernungsmessverfahren. Mikrowellensensoren eignen sich insbesondere für die Vermessung relativ weit entfernter Objekte in Szenen mit einer vergleichsweise geringen Ortsfrequenz. Für eine hoch aufgelöste dreidimensionale Objektdetektion reicht im Allgemeinen die beugungsbegrenzte Winkelauflösung nicht aus. Eine runde Antenne mit dem Durchmesser D erzeugt bei gleichmäßiger Anregung eine Strahlungskeule („Airy Pattern“) mit dem Öffnungswinkel 2D wobei gilt: sin D = 1,22 O/D. Selbst bei extrem kurzer Wellenlänge O = 3 mm ( f = 100 GHz) und relativ großer Strahlungsapertur z. B. D = 12,2 cm beträgt mit D = 30 mrad der minimale Strahldurchmesser schon in einem Meter Abstand 60 mm. Er ist damit für eine lateral hoch aufgelöste Objektdetektion schon in Entfernungen von einigen wenigen Metern ungeeignet [6]. Gleiches gilt grundsätzlich für die Strahlungskeule eines Ultraschallsenders; hier kommt zusätzlich die Druck- und Temperaturempfindlichkeit der Schallgeschwindigkeit und die hohe Reflektivität bzw. Spiegelung technischer Oberflächen erschwerend hinzu.
Bild 14-1 Messprinzip zur berührungslosen 3D-Erfassung
188
14 3D-Imaging
Durch die sehr viel kleinere Wellenlänge der Lichtwellen, selbst bis in den fernen Infrarotbereich hinein, besitzen optische 3D-Messsysteme eine hohe Lateral- bzw. Winkelauflösung. Die Gewinnung der Tiefeninformation beruht hier im Wesentlichen auf dem Triangulations- oder Laufzeitprinzip. Die in Sonderfällen auswertbare quadratische Abnahme der Strahlungsintensität und andere radiometrische Verfahren werden im Folgenden außer Acht gelassen [6]. Wie in Bild 14-1 dargestellt, werden in der optischen Formerfassung vor allem drei Prinzipien unterschieden: Triangulation: Der Abstand eines rückstreuenden Oberflächenpunktes wird mittels der anliegenden Winkel einer bekannten optischen Basis über die geometrischen Zusammenhänge bestimmt. CW- und Puls-Laufzeitmessung: Die Gruppenlaufzeit der Einhüllenden des modulierten optischen Signals, also die Modulationslaufzeit des Echos zwischen Messsystem und rückstreuendem Oberflächenpunkt, wird bestimmt. Dabei sollten die optischen Trägerwellen vorzugsweise inkohärent sein. Interferometrie: Die Tiefeninformation wird prinzipiell ebenfalls über die Laufzeit, hier primär über die Phasenlaufzeit, und zwar durch zeitlich kohärente Mischung und Korrelation der reflektierten 3D-Objektwelle mit einer Referenzwelle ermittelt. Sobald periodische Strukturen – zeitlich oder räumlich – zur 3D-Bilderfassung eingesetzt werden, entstehen bei allen drei Verfahren Interferogramme, die mathematisch mit den gleichen Algorithmen (z. B. Phase-Shift-Algorithmus) ausgewertet werden können: Beim Triangulationsansatz interferieren beispielsweise beim Streifenprojektionsverfahren die Ortsfrequenzen der projizierten Streifen räumlich mit den Ortsfrequenzen des CCD-Arrays. Bei der CW-Laufzeitmessung interferiert die Hochfrequenz-Modulation zeitlich mit dem HFMischsignal des Detektors. Beim so genannten Homodynempfang einer 3D-Szene mit 2D-Mischer ergibt dieser Korrelationsprozess ein HF-Modulationsinterferogramm. In der Interferometrie entsteht dieser Mischund Korrelationsprozess von Objekt- und Referenzwelle durch zeitlich kohärente Überlagerung und Quadrierung der Objekt- und Referenzfeldstärke, weil die Lichtenergie für den quantenelektronisch erzeugten Fotostrom verantwortlich ist. Mischung und Korrelation finden je nach Detektorart in den CCD-Pixeln, in einem Film oder in der Retina des Auges statt.
B
Bild 14-2: Relative Auflösung (Tiefenauflösung im Verhältnis zum Messbereich) von Verfahren der optischen Formerfassung
14.3.1 Formerfassung mit optisch inkohärenter Modulationslaufzeitmessung Der Abstand oder die Tiefe Rz (R = Range) kann über die Echolaufzeit tof eines vom Sensor gerichtet abgestrahlten und empfangenen Lichtsignals mit R = c tof / 2 ermittelt werden. Dieser Zusammenhang gilt gleichermaßen für die so genannte Laufzeitmessung als auch für die klassische Interferometrie. Im ersten Fall wird die Laufzeit des Modulationssignals, d. h. die Gruppenlaufzeit der Lichtwelle, gemessen, was im Allgemeinen durch die Korrelation mit einem geeigneten Referenzsignal geschieht. Daher unterscheidet die Aufgliederung im Bild 14-3 nach den entsprechenden Modulationssignalen die Pulsmodulation (1), die CW (continuous wave)-Modulation (2) und die Pseudo-Rausch-Modulation (3). Das Hauptproblem liegt hier in der extrem hohen Lichtgeschwindigkeit von 300 m/μs bzw. 300 mm/ ns, die entsprechend hohe Zeitauflösungen der Empfangsmesstechnik erfordert. (1): Bei der Pulsmodulation findet die Zeitmessung z. B. durch Korrelation von Start- und StoppSignal mit einem parallel laufenden Zähltakt statt. Sie vermag vorteilhafterweise Mehrfachziele zu unterscheiden. Nachteilig sind das Einschwingverhalten von Pulslaserdioden und die hohen Bandbreite- und Dynamikanforderungen an den Empfangsverstärker. Die Pulsmodulation wird zum Beispiel in Lidarsystemen eingesetzt.
189
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bild 14-3 Hierarchie der wichtigsten Messprinzipien auf der Basis der optischen HF-Modulations-Interferometrie
Bild 14-4 Prinzip der optisch inkohärenten Modulationslaufzeitmessung (HF-Modulations-Interferometrie).
190
14 3D-Imaging
(2): Die Modulationslaufzeit der Sinusschwingung kann über heterodyne oder homodyne Mischung ermittelt werden. Aufgrund der Vielfalt der Modulationsarten wird im Folgenden nur die homodyne Sinus-Modulation weiter beschrieben. Ein 1D-Gerät (s. Bild 14-3, 2.1) benötigt für die 3D-Formerfassung zusätzlich einen 2D-Spiegelscanner. Bei einer modulierten Lichtebene (s. Bild 14-3, 2.2) genügt ein 1D-Scanner. Durch 3D-Beleuchtung (s. Bild 14-3, 2.3) mit einem modulierten Lichtvolumen, das einen 2D-Empfangsmischer voraussetzt, wird kein Scanner mehr benötigt. Ein solches Verfahren erzeugt ein HF-Modulations-Interferogramm, das die 3D-Tiefeninformation enthält. (3): Die Pseudo-Rausch (PN)-Modulation vereinigt den Vorteil eines quasi-stationären CWBetriebs mit der Mehrfachzielauflösung der Pulsmodulation durch die Pulskompressionseigenschaft der Autokorrelationsfunktion des PN-Signals. Die inkohärente Modulationslaufzeitmessung (Bild 14-4) weist neben dem optischen einen großen elektronischen Laufzeitanteil im Hochfrequenzteil vor der Korrelation auf. Insbesondere der Empfangsverstärker und der Mischer haben typischerweise so hohe Zeitfehler, dass sie fortlaufend z. B. durch mechanische Kalibrierung oder durch einen zweiten, nicht dargestellten Referenzkanal kompensiert werden müssen.
B
In zwingender Konsequenz bedeutet dies für Laufzeitmesssysteme, den hochfrequenten Mischprozess entweder in den optischen Bereich oder zumindest direkt in den optischen Detektor zu legen, um so die gravierenden Fehler und Kosten, die durch den Breitbandverstärker, den elektronischen Mischer und durch das Senderübersprechen verursacht werden, zu vermeiden.
14.3.2 Das PMD-Prinzip Bild 14-5 zeigt den Empfangsteil einer 3D-Kamera mit einem optischen 2D-Mischer, z. B. einer Pockels-Zelle, der in der Empfangsapertur ein phasenabhängiges quasistationäres Intensitäts-Interferogramm erzeugt. Die Mischung des reflektierten Messsignals mit dem Referenzsignal findet hier durch die Transmissionsmodulation der PockelsZelle bereits im optischen Bereich statt. Das Mischergebnis wird von der nachfolgenden CCD-Matrix pixelweise aufintegriert, wodurch letztlich die Korrelation zwischen dem Mess- und dem Referenzsignal entsteht. Die Intensitätsdetektion und die Mischung bzw. die Korrelation können auch parallel durch Modifikation eines CCD-Chips oder vorzugsweise einer Aktiv-Pixel-Matrix in CMOS-Technik auf dem
Bild 14-5 3D-Bildaufnahme mit optischem 2D-Mischprozess (EOM=ElektroOptischer Modulator) in der Empfangsapertur
Bild 14-6 1D-Laufzeitmessung mit dem Photomischdetektor (PMD): Die Korrelationsoperation erfolgt direkt im optischen Empfangselement.
191
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
gleichen Chip durchgeführt werden, wie mit dem PMD-Einzelelement im Bild 14-6 angedeutet. Eine entsprechende PMD-Matrix mit x×y-Pixeln liefert so neben der xy-Grauwertinformation pixelweise zusätzlich die z-Information. Eine nähere Erläuterung des Funktionsprinzips folgt in Kapitel 14.4.1. Diese vergleichsweise junge 3D-Technologie ermöglicht daher eine neue Generation leistungsfähiger optischer 3D-Sensoren und flexibler, preisgünstiger, robuster und extrem schneller 3D-Laufzeitkameras.
14.4 Module eines PMD-Systems Ein PMD-Sensorsystem besteht aus einer PMDEmpfangseinheit (PMD-Chip mit der dazugehörigen Peripherie-Elektronik, Empfangsoptik, Auswerteeinheit und Netzteil) und einer aktiven Beleuchtungseinheit. Mit jedem dieser Komponenten können die Sensorparameter wie der Messbereich, das Sichtfeld (field-of-view), die Bildwiederholrate, die Lateral- und die Tiefenauflösung applikationsspezifisch angepasst werden. Eine Kamera für vorausschauende Sicherheitsapplikationen erfordert beispielsweise eine höhere Reichweite und aufgrund hoher Geschwindigkeiten ebenfalls eine hohe Bildwiederholrate. Im Folgenden werden die einzelnen Komponenten eines Laufzeitsystems im Detail beschrieben.
14.4.1 PMD-Imager: 2D-Mischer und Integrator Der PMD-Chip ist das Herzstück des Systems, welches die 3D-Bildaufnahme ermöglicht. Die Anzahl der Pixel definiert wie bei konventionellen 2D-Bildsensoren die spatiale Auflösung des Systems. Zusätzlich zur Helligkeitsinformation in Form des Grauwertes wird pro Pixel ebenfalls die Distanz zum korrespondierenden Objektpunkt durch eine elektrooptische Laufzeitmessung detektiert. Das Funktionsprinzip des PMD wird anhand eines vereinfachten Modells des CMOS-Sensors erläutert. Der Sensor integriert den Mischprozess von optischem und elektrischem Signal inhärent in einem Pixel und kann damit den so genannten „Smart Pixeln“, also CMOS-Pixeln mit integrierter Funktionalität (bzw. Intelligenz) zugerechnet werden. Bild 14-7a zeigt eine vereinfachte schematische Darstellung eines PMD-Elements. Die lichtdurch-
192
lässigen aber elektrisch leitenden Photogates in der Mitte der Darstellung (gelb) sind vom HalbleiterSubstrat über ein dünnes Gateoxid isoliert. Links und rechts von den Photogates befinden sich die Auslesedioden, die mit der Ausleseelektronik verbunden sind. Die Bewegungsrichtung der photogenerierten Ladungsträger im Substrat kann über eine Gegentakt-Modulationsspannung beeinflusst werden, die an den oben beschriebenen Photogates bzw. Modulationsgates angelegt wird. Diese Spannung generiert im Substrat eine dynamische Potenzialverteilung, die zu einem Zeitpunkt nach rechts, zu einem anderen Zeitpunkt nach links zeigt und damit die photogenerierten Ladungsträger einmal zur rechten und einmal zur linken Auslesediode leitet. Wenn das durch die Photogates in das Substrat einfallende Licht selbst keine Modulation aufweist, wie dies im Allgemeinen bei Umgebungslicht der Fall ist, dann werden die photogenerierten Ladungsträger im Takt der Modulationsspannung gleichmäßig auf die rechte und linke Auslesediode verteilt. Am Ende des Modulationsprozesses sind die Ladungsmengen bzw. die Ausgangsspannungen an beiden Auslesedioden wie in Bild 14-7b dargestellt gleich groß. Betrachtet man die Differenz des links und rechts aufintegrierten Signals, so wird diese folglich zu null. Moduliert man hingegen aktiv eine Lichtquelle (die zugehörige Beleuchtungseinheit der TOF-Kamera) mit der gleichen Frequenz wie das Gegentakt-Modulationssignal, dann ändern sich die Ausgangsspannungen (Ua und U b) unterschiedlich, und zwar abhängig vom Phasenversatz zwischen dem modulierten Lichtsignal und dem Gegentakt-Modulationssignal an den PMD-Gates (Bild 14-7c). Betrachtet man nun für diesen Fall die Differenz der links und rechts aufintegrierten Signale, so hängt diese direkt von der Phasenlage des empfangenen optischen Signals ab. Die Entfernung vom Sensor zum Objekt kann über diese Phaseninformation berechnet werden. Die Leistungsfähigkeit bzw. die physikalischen Grenzen dieser Entfernungsmessung werden in Kapitel 14.5 eingehend betrachtet. Der Standard-CMOS-Prozess, in dem die heutigen PMD-Chips gefertigt werden, bietet neben der hochgenauen Zeit- bzw. Phasenmessung von optischen Signalen zudem die Möglichkeit, zusätzliche Funktionen im Chip oder sogar pro Pixel zu realisieren. Ein Beispiel ist die Unterdrückung von Stör- bzw. Fremdlicht, die so genannte SBI-Schaltung (Suppression of Background Illumination), die 3D-Messungen auch unter härtesten Sonnenlichtbedingungen bis zu 150 klux ermöglicht.
14 3D-Imaging
Bild 14-7: Vereinfachter Querschnitt und Funktionsprinzip des PMD
Vor allem das bei Außenraumanwendungen vorhandene Sonnenlicht stellt an Systeme mit aktiver Beleuchtung hohe technische Anforderungen, denn dieses kann in vielen Fällen ein sehr viel höheres Signal als die aktive Beleuchtung im Sensor generieren und so durch eine Verringerung der Dynamik für das aktive Licht zu einer Verschlechterung der Sensorperformance und im schlimmsten Fall zur Sättigung führen.
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Durch das integrierte SBI-Verfahren ist es in einem PMD möglich, die aktive modulierte Beleuchtung vom übrigen Umgebungslicht zu unterscheiden. Abbildung 14-8 veranschaulicht das Prinzip dieses Verfahrens. In Bild 14-8a sind die Speicherbereiche im Pixel fast völlig durch Fremdlicht generierte Ladungsträger gefüllt. Der für die Entfernungsmessung relevante Signalanteil ist folglich sehr klein. Durch diesen geringen Signalhub werden die Messergebnisse ungenauer bzw. das Entfernungsrauschen größer. Da das Fremdlicht im Gegensatz zum aktiven Signal jedoch unkorreliert ist, werden durch die PMD-spezifische Korrelationseigenschaft an beiden Auslesedioden annähernd gleiche Fremdlichtanteile an Ladungsträgern generiert, d. h. es entsteht ein Gleichanteil, der auf beiden Ausgangskanälen identisch ist. Die SBI-Schaltung erkennt diesen Gleichanteil des Ausgangssignals und entfernt ihn, was eine deutliche Erhöhung der Sensordynamik zur Folge hat (Bild 14-8b). Da auch hohe Temperaturen in erster Linie nur den Dunkelstrom bei CMOS-Bildsensoren anheben, erlaubt die SBI-Funktionalität gleichzeitig den Einsatz der PMD-Sensorik unter erschwerten Temperaturbedingungen. Der Dunkelstrom erzeugt nämlich, genau wie Fremdlicht, nur Signalanteile, die unkorreliert sind und daher von der SBI-Schaltung eliminiert werden. Zusammen mit weiteren Maßnahmen wie einer spektralen optischen Filterung des aktiven Signals aus dem Umgebungslicht, einer Burst-Überhöhung der Lichtquelle und einer Integrationszeitsteuerung ist eine PMD-Kamera unempfindlich auch gegen extreme Fremdlichtverhältnisse, wie z. B. Sonnenlicht.
Bild 14-8: Komponenten eines modularen PMD-Kamerasystems. Die gelben Blöcke symbolisieren den von Fremdlicht generierten Ladungsanteil, die roten Blöcke den Signalanteil des aktiven Lichts. Die SBI-Schaltung eliminiert einen Großteil der Fremdlicht-Ladungspakete (b).
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Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
14.4.2 Beleuchtung Neben der eigentlichen PMD-Empfangseinheit benötigt jedes optische Time-of-Flight-Verfahren eine aktive Beleuchtung. Hier kommt es darauf an, dass diese mit hinreichender Bandbreite moduliert werden kann (typischerweise mehr als 10 MHz). Infrage kommen neben Licht emittierenden Dioden (LEDs) auch Laserdioden. Hier gewinnen neben den Kanten-emittierenden Lasern, die beispielsweise im roten Wellenlängenbereich bei Distanzmessgeräten bekannt sind, auch vertikal emittierende Laserdioden bzw. Diodenarrays für die PMD-Timeof-Flight-Messung zunehmend an Bedeutung. Als Beispiel einer Fahrzeugintegration wurde eine IR-Lichtquelle im Kühlergrill eines Versuchsträgers verbaut. Die Ansteuerung dieser so genannten Lichtleiste erfolgt über eine störungsresistente LVDS-Verbindung (LVDS = Low Voltage Differential Signal), bei der ein differenzielles Triggersignal die Phaseninformation zur Beleuchtung übermittelt. Neben dem Modulationssignal werden ferner auch Diagnosedaten der Beleuchtungseinheit über einen LIN-Bus an die Kamera zurückgeliefert. Die Lichtquellen bestehen aus LED-Modulen hoher Leistung mit aufgesetzten Optiken, die zusammen eine optische Leistung von ca. 20–40 W erreichen können. Die gesamte Lichtleiste ist mit einer im Infrarotbereich transparenten Abdeckung versehen. Damit lässt sich dem Designanspruch der Fahrzeughersteller Rechnung tragen. PMD-spezifische IR-Lichtquellen können auch direkt mit anderen Beleuchtungseinrichtungen des Fahrzeugs integriert oder sogar kombiniert werden. Hier kommen z. B. das Tagfahrlicht oder die Hauptscheinwerfer infrage. Da LED-basierte Hauptscheinwerfer mittelfristig die heute üblichen Beleuchtungstechnologien (Xenon-Licht oder herkömmliche Halogen-Glühlampen) ablösen werden, gewinnt dieser Ansatz eine immer größere Attraktivität.
14.4.3 Weiterverarbeitung (Merkmalsextraktion, Objekttracking) Objektbildung und Szeneninterpretation Die Kamera errechnet nach der Rohdatenverarbeitung ein eindeutiges Entfernungsbild ihres Sichtbereichs, das durch die Optik und die aktive Beleuchtung bestimmt ist. Die Auslegung dieses Sichtfeldes wird maßgeblich von den Anforderungen der Fahrzeugfunktion bedingt. Die einzelnen Verarbeitungsschritte und Prozesse werden in Bild 14-10 verdeutlicht. Die Vorverarbeitung der Rohdaten des Bildaufnehmers ist sehr einfach und stellt keine großen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der ausführenden Recheneinheit. Es werden lediglich Amplituden und Abstandswerte berechnet. Ebenfalls erfolgt in diesem Schritt die Verifikation und Selektion der Abstandswerte, die Plausibilisierung der Messdaten und die Belichtungssteuerung. Auf dem eindeutigen Entfernungsbild setzt eine 3D-Bildverarbeitung zur Objektbildung auf, die je nach Funktion entsprechend den Anforderungen ausgelegt werden kann. Als Resultat dieser Weiterverarbeitung entsteht eine Objektliste, welche die dynamischen Objekte mit einer Verfolgung (Tracking) direkt an ein entsprechendes Steuergerät übertragen kann. Hier findet die Auswertung der Fahrszene statt, und es werden – ggf. zusammen mit anderen fusionierten Sensordaten – die Aktoren entsprechend angesteuert. In den folgenden Abbildungen unterschiedlicher Verkehrsszenen sind die Rohdaten und die Objektbildung des oben beschriebenen Systems dargestellt. Man erkennt die Position der detektierten Objekte im 3D-Raum und kann aus den Änderungen die Bewegungsvektoren im Raum eindeutig extrahieren. Im Bild 14-11 wird der Schritt vom Entfernungsbild zur Interpretation des relevan-
Bild 14-9 Aktuelle PMDBeleuchtung für Außenraumanwendungen
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14 3D-Imaging
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Bild 14-10 Bildverarbeitung auf Kameraebene
ten Objekts dargestellt, indem drei Fußgänger als Objekte erkannt und deren Position bestimmt wird. Aufgrund der beim PMD inhärent vorhandenen 3D-Information sind die oben dargestellten Bildverarbeitungsschritte mit sehr einfachen Algorithmen darstellbar, wodurch auch mit wenig Rechenleistung ein sehr schnelles Objekttracking möglich ist. Die folgenden Abbildungen zeigen einen Roll-
schuhläufer als relevantes Objekt, das über einen Entfernungsbereich von 3 m getrackt wird (Bild 14-13). Die Entscheidung, ob es sich um ein relevantes Objekt handelt oder nicht, wird direkt nach Eintritt des Objekts in das Sichtfeld des Sensors getroffen (Bild 14-12). Dies belegt die Schnelligkeit der Bildverarbeitung. Das gleiche Tracking funktioniert auch bei höheren Relativgeschwindigkeiten, z. B. bei einer Auto-
Bild 14-11 Links: Entfernungsrohdaten und die daraus resultierende Objektbildung einer PMDKamera in einer virtuellen 3D-Darstellung. Rechts: Das konventionelle Videobild mit zeitsynchron betrachteter Szene.
Bild 14-12 Erfassung eines Rollschuhläufers (umrandet) als Objekt ab seinem Eintritt in den Erfassungsbereich der Kamera. Im rechten, konventionellen Videobild wird das im 3D-Bild erfasste Objekt ebenfalls markiert (siehe gelbe Markierung) und getrackt.
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Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bild 14-13 Verfolgung der Position des Rollschuhfahrers (umrandet, Entfernung von 30 m). Wie im Bild 14-12 werden die im 3D-Raum erfassten Objekte auch im 2D-Kamerabild markiert.
Bild 14-14 Entfernungsrohdaten und Objekt-Training einer PMD-Frontkamera bei einer Autobahnfahrt
bahnfahrt (Bild 14-14). Bemerkenswert ist hierbei, dass das Tracking auch noch funktioniert, obwohl die Objekte in 50 m Entfernung nur noch mit wenigen Pixeln erfasst werden, wie im Videobild zu erkennen ist. Möglich wird diese Genauigkeit dadurch, dass jedes Pixel neben der Helligkeitsinformation auch einen Entfernungwert mitliefert, der für die Objekterkennung genutzt werden kann.
14.5 Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen des Gesamtsystems Bei jedem Entfernungs-Messsystem, das nach dem Lichtlaufzeit-Verfahren funktioniert, wird die erzielbare Messgenauigkeit (Reproduzierbarkeit) maßgeblich durch die Menge des empfangenen Lichts beeinflusst. Folglich sind bei der Systemauslegung die nachfolgend aufgelisteten Parameter für die Leistungsfähigkeit entscheidend: Empfindlichkeit des Empfängers (Quanteneffizienz und Fläche), Lichtstärke der Empfangsoptik, effiziente, lichtstarke aktive Beleuchtung (entscheidend ist vor allem die optische Leistung der verwendeten Beleuchtung. Damit sind kleine Blick-/Öffnungswinkel vorteilhaft für eine höhere Reproduzierbarkeit).
196
Zwangsläufig lässt sich in der Regel auch eine deutlich bessere Reproduzierbarkeit für Ziele hoher Reflektivität erzielen. Da die Reichweite (nicht zu verwechseln mit dem 2Y- Eindeutigkeitsbereich der Phasenmessung) durch ein festzulegendes Reproduzierbarkeitslimit definiert wird, hängt sie ebenfalls maßgeblich mit den beschriebenen Einflussgrößen zusammen. So kann beispielsweise ein und dasselbe System mit einem Retroreflektor 10- bis 100-mal höhere Reichweiten erzielen als auf diffus reflektierende Ziele. Da in einem PMD-System mit jeder Messung neben der Distanz gleichzeitig auch die Modulationsamplitude der aktiven Beleuchtung und der Grauwert (Maß für Umgebungslicht und aktives Licht auf dem Ziel) eines jeden Pixels geliefert werden, ist zu jedem ermittelten Entfernungswert auch das zugrunde liegende Signal- zu Rausch-Verhältnis (SNR) bekannt. Da ein fester Zusammenhang zwischen SNR und der statistischen Messunsicherheit dR besteht, liefert jeder Entfernungswert quasi gleichzeitig eine Art Konfidenzinformation mit. Dies ist ein großer Vorteil, vor allem für die Entscheidungsfindung einer nachfolgenden Algorithmik. Wie in in [3] und [4] näher beschrieben, lässt sich die Messunsicherheit dR eines PMD-Laufzeitsystems mit folgender Gleichung berechnen: dR
1 1 S N phase k tot N
Omod 8
(14.1)
14 3D-Imaging
Darin ist k tot der gesamte Mischkontrast nach der Demodulation. k tot entsteht aus dem Produkt des (De)modulationskontrastes des PMD-Empfängers mit dem Modulationskontrast der aktiven Beleuchtung. S ist die Anzahl der Signalelektronen des aktiven Lichts, und N repräsentiert die Anzahl der Rauschelektronen. N beinhaltet neben dem Schrotrauschen aller im PMD empfangenen, optisch und thermisch generierten Ladungsträger auch eine äquivalente Rauschelektronenzahl der übrigen Rauschquellen des Systems (u. a. Reset-, Verstärker- und Quantisierungsrauschen). Für sehr viele Applikationen, vor allem auch im Automotivebereich, ist aber das Schrotrauschen der Sonnenstrahlung die dominante Rauschquelle. Die anderen Rauschgrößen können daher sehr oft vernachlässigt werden. Nphase zeigt die Anzahl der Rohwert-Messungen bei sequentiellem Phasenshift an, und Omod ist die Wellenlänge der Modulationsfrequenz. Bei der Auslegung bildgebender 3D-ToF-Kameras gilt es stets, einen Kompromiss zwischen erzielbarer Tiefengenauigkeit und lateraler Auflösug zu finden. Die Realisierung immer kleinerer Pixel ermöglicht zwar höhere Lateralauflösungen, reduziert aber gleichzeitig die Empfindlichkeit der Pixel und somit auch die Tiefen-Reproduzierbarkeit. Typische Pixelgrößen liegen heute, anders als bei 2D-Imagern, bei Kantenlängen zwischen 40 μm und 500 μm. Damit lassen sich ToF-Bildempfänger von einigen wenigen 1000 Bildpunkten bis zu wenigen 100 000 Bildpunkten realisieren. Diese verhältnismäßig großen Pixel eröffnen umgekehrt ungewöhnliche Freiheitsgrade im Design der Empfangsoptik. Hier ist es oftmals möglich, sehr lichtstarke Optiken großer Apertur zu realisieren, da die Abbildungsqualität eine untergeordnete Rolle spielt. Neben dem Leistungsbudget, das oben qualitativ und in [4] quantitativ beschrieben ist, spielt bei der CW-Laufzeitmessung mit Phaseshift-Verfahren vor allem die Modulationsfrequenz fmod eine entscheidende Rolle für die Messauflösung. Sie ist sozusagen der Übersetzungsfaktor, mit dem eine – durch die empfangene Leistung und die Systemempfindlichkeit bestimmte – Phasengenauigkeit in eine Entfernungsgenauigkeit transformiert wird. Dieser Sachverhalt drückt sich in Gleichung (5.2) im Parameter Omod aus. Es gilt:
Omod
c f mod
(14.2)
Bei der bislang beschriebenen Betrachtung wurde jeweils nur auf die erzielbare Genauigkeit eines einzelnen Pixels eingegangen. Diese Betrachtungsweise ist sicherlich dann angemessen, wenn eine genaue Profilvermessung gefragt ist. Sehr
B
oft geht es aber nicht darum, die exakte Form von Objekten zu vermessen, sondern um die räumliche Wahrnehmung und Situationseinschätzung, also das, was man unter 3D-Sehen (im Gegensatz zum 3D-Messen) versteht. Die Betrachtungsweise des 3D-Sehens ist auch bei vielen FahrerassistenzSystemen angemessen. Hier kommt es darauf an, frühzeitig und zuverlässig Objekte zu erkennen und diese zu klassifizieren. Da es sich bei einer PMD-Kamera um ein instantan paralleles Video-Messsytem mit beispielsweise einigen 10 000 3D-Punkten handelt, ist schnell einzusehen, dass eine ausschließliche Betrachtung nur der Genauigkeit eines einzelnen Pixels der Leistungsfähigkeit und Charakteristik des Gesamtsystems nicht gerecht wird. Die hohe Framerate, der bildgebende 3D-Aspekt und das zusätzlich gelieferte Grauwertbild haben maßgeblichen Anteil an der Erkennungssicherheit des Messsystems. Mithilfe von Algorithmen kann beispielsweise über mehrere 3D-Punkte des Zielobjekts gemittelt werden. Dadurch wird die Genauigkeit der Positionsbestimmung des Objekts erhöht. Darüber hinaus steigt diese Genauigkeit weiter, wenn ein Objekt einmal über mehrere Frames getrackt wurde. Mit aktuellen PMD-Sytemen im Kfz werden Reichweiten von etwa 50–70 m bei 100 Hz Framerate erreicht. Bei geringeren Reichweiten lassen sich Genauigkeiten bis in den Millimeter-Bereich erzielen. Mit immer empfindlicheren PMD-Sensoren, zunehmender Effizienz von LED- und Laserquellen sowie stetiger Weiterentwicklung der Detektionsalgorithmik sind weitere Steigerungen der Leistungsfähigkeit von PMD-Kamerasystemen in naher Zukunft sicher.
Quellenverzeichnis [1] BMBF-Projekt „3D-Sensorik für vorausschauende Sicherheitssysteme im Automobil“: http://www.mstonline.de/foerderung/projektliste/ detail_html?vb_nr=V2106 [2] „Sichere Objekterkennung mittels PMD-Sensorik“, Hanser Automotive 10/2007, Hanser Verlag, München 2007 [3] Lange, R.: 3D Time-of-flight distance measurement with custom solid-state image sensors in CMOS/ CCD technology. Diss. Universität Siegen, 2000 [4] Möller, T.; Kraft, H.; Frey, J.; Albrecht, M.; Lange, R.: Robust 3D Measurement with PMD Sensors. Range Imaging Day, Zürich 2005 [5] Homepage der Fa. PMDTechnologies GmbH: www.PMDTec.com
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B 15 Maschinelles Sehen
Christoph Stiller, Alexander Bachmann, Christian Duchow
Ein Bildsensor bildet Lichtmuster auf mehrdimensionale Messsignale ab. Aus diesen primären Messungen werden anschließend mittels Bildauswerteverfahren sekundäre Messgrößen extrahiert, wie beispielsweise die Positionen, die Geschwindigkeiten oder die Art interessierender Objekte. Begünstigt durch den anhaltenden Preisverfall von Kamera und Auswertehardware werden Bildsensoren in einer beständig wachsenden Vielzahl von Anwendungen eingesetzt. Insbesondere in der Robotik, der Automobiltechnik, der Produktionsund Fertigungstechnik sowie in der Sicherheitstechnik sind Bildsensoren heute bereits nicht mehr wegzudenken. Während höhere Lebewesen auch zuvor unbekannte Umgebungen nahezu ausnahmslos und mit verblüffender Leichtigkeit visuell wahrnehmen sowie diese Wahrnehmung erfolgreich zur Navigation nutzen, ist das Wahrnehmungsvermögen maschineller Bildsensoren bislang auf eng begrenzte Domänen beschränkt. Selbst mit dem dadurch formulierbaren Vorwissen ist maschinelles Sehen der menschlichen Leistungsfähigkeit derzeit noch weit unterlegen. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über den technologischen Aufbau, die grundlegenden Algorithmen und das Potenzial sowie die Grenzen von Bildsensoren. Die theoretischen Grundlagen werden dabei durch zahlreiche Praxisbeispiele illustriert.
Bild 15-1: Hardwarearchitektur eines Bildsensors
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15.1 Bildsensor 15.1.1 Hardwarekomponenten und Technologie Bild 15-1 zeigt eine mögliche Hardwarearchitektur eines Bildsensors. Darin erfolgt zunächst in der links dargestellten Kamera die Aufnahme eines Bildes. Anschließend wird dieses Bild durch das rechts dargestellte Steuergerät ausgewertet. In der Kamera bündelt zunächst eine Optik die von Punkten der realen Welt emittierten oder reflektierten divergenten Lichtbündel in konvergente Bündel, sodass Gegenstände mit hinreichender Schärfe auf die Fläche des Strahlungsaufnehmers abgebildet werden. Die Blende bestimmt die Lichtintensität auf dem Strahlungsaufnehmer und die Brennweite der Optik den Abbildungsmaßstab bzw. den Erfassungswinkel der Bildaufnahme. Preiswerte Kunststofflinsen sind für einfache Anwendungen vielfach ausreichend. Wegen ihrer geringeren Temperaturempfindlichkeit werden dagegen insbesondere für anspruchsvolle stereoskopische Anwendungen im Automotive-Bereich in der Regel Glaslinsensysteme eingesetzt. Anschließend wandelt ein Strahlungsaufnehmer (Imager) das fokussierte Licht in elektrische Größen um, welche durch einen Analog/Digitalwandler abgetastet und quantisiert sowie anschließend an einen Speicher übergeben werden.
15 Maschinelles Sehen
Ein Kameracontroller steuert den Aufnahme- und Ausleseablauf. Im Spektralbereich des sichtbaren Lichts und des nahen Infrarots werden meist zweidimensional strukturierte Halbleiterdetektoren als Strahlungsaufnehmer eingesetzt. Dabei wird der innere Photoeffekt genutzt, bei dem ein einfallendes Photon die Anhebung eines Elektrons aus dem Valenzband in das Leitungsband bewirkt. In CCD-Sensoren (charge-coupled device) werden die so erzeugten freien Ladungsträger in Potenzialmulden gesammelt und anschließend nach einem Eimerkettenprinzip zeilenweise ausgelesen. Dadurch entsteht ein zur Lichtleistung proportionales Bildsignal. Obgleich die CCD-Technologie hinsichtlich ihrer hohen Lichtempfindlichkeit noch überlegen ist, werden Strahlungsaufnehmer zunehmend in CMOS-Technologie (complementary metal oxide semiconductor) realisiert. Die CMOS-Technologie stellt heutzutage die Standardtechnologie für integrierte Logikschaltkreise dar, die einen deutlich geringeren Stromverbrauch aufweist und entsprechend weniger Kühlung gegen thermisches Rauschen erfordert. Innerhalb dieser Technologie sind daher Kameras oder sogar ganze Bildsensoren mit nur einem einzigen integrierten Schaltkreis (System-on-a-Chip) vorstellbar. CMOS-Sensoren erlauben wahlfreies Auslesen der Pixel. So können beispielsweise für hochdynamische Anwendungen Regionen mit interessierendem Bildinhalt mit sehr hoher Ausleserate bis in den MHz-Bereich hinein ausgelesen werden. Nicht zuletzt erlauben CMOSSchaltkreise eine vergleichsweise einfache Reali-
B
sierung einer nicht-linearen Kennlinie zwischen der einfallenden Lichtleistung E und dem resultierenden Bildsignal U. Ähnlich zum menschlichen Auge, das Lichtreize gemäß dem Weber-Fechnerschen Gesetz logarithmisch empfindet, U
c ln
E , E0
(15.1)
wobei c und E0 Konstanten bezeichnen, lassen sich beispielsweise auch logarithmierende Strahlungsaufnehmer realisieren, die dadurch mehrere Zehnerpotenzen von Helligkeitsunterschieden im selben Bild mit konstanter Kontrastauflösung 'E/ E differenzieren können. Kombinierte linear-logarithmische Bildaufnehmer bieten gerade in Bildbereichen geringer Helligkeit zusätzliche Vorteile [12], [19]. Aufgrund der hohen Datenrate von Bildsensoren werden im Steuergerät zur Bildauswertung neben freiprogrammierbaren Prozessoren spezielle Bausteine wie digitale Logikbausteine oder DSPs (digitale Signalprozessoren) eingesetzt. Bereits heutige Steuergeräte für Bildsensoren stellen typischerweise die höchste Rechenleistung im gesamten Fahrzeug dar.
15.1.2 Projektive Abbildung Eine charakterisierende Eigenschaft der Bildaufnahme entsteht durch die Abbildung der dreidimensionalen (3d) Welt auf einen zweidimensionalen (2d) Aufnehmer. Der mit dieser Projektion verbun-
Bild 15-2: Lochkameramodell der projektiven Abbildung
199
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Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
dene Informationsverlust um eine Dimension ist ursächlich für einen Großteil der Herausforderungen, die nachfolgend durch geeignete Bildanalyseverfahren zu bewältigen sind. Die Projektion wird durch das im Bild 15-2 dargestellte Modell einer Lochkamera beschrieben, deren Blendenöffnung so klein sei, dass in der Ebene des Strahlungsaufnehmers ein scharfes Bild entsteht. In der Praxis wird diese Blende durch eine Optik ersetzt, die ein lichtstärkeres Bild erzeugt. Ein 3d-Objektpunkt wird durch die Lochblende auf einen einzigen Bildpunkt der Bildebene abgebildet. Wählt man zur Beschreibung der 3d-Koordinaten X = (X, Y,Z)T ein sog. Kamerakoordinatensystem mit dem als optisches Zentrum bezeichneten Ursprung in der Blendenöffnung, bei dem die Z-Achse – im Weiteren auch als optische Achse bezeichnet – senkrecht zur Bildebene orientiert und T die 2d-Bildkoordinaten x' x ', y ' jeweils antiparallel zur X- bzw. Y-Achse ausgerichtet ist, so ergibt sich aus dem Strahlensatz die Projektionsgleichung x' f
X y' ; Z f X Y Z
x' O' y' f
x, y
T
mit O
Z.
(15.3)
Nach Einführung homogener Koordinaten T x y 1 reduziert sich die Projektionsgleix chung zu fast schon täuschender Einfachheit x
X,
(15.4)
wobei Gleichheit „ ” in homogenen Koordinaten bedeutet, dass eine von Null verschiedene reelle Zahl O existiert, sodass O x X gilt. Das resultierende zu Bild 15-2 äquivalente geometrische Kameramodell ist im Bild 15-3 dargestellt.
(15.2) mit O ' Z.
1 x' f
definierte virtuelle Bild als das Bild einer kalibrierten Kamera mit der Projektionsgleichung
200
X Y Z
Y bzw. Z
Diese und nachfolgende Gleichungen werden – wie in der Systemtheorie üblich – als von physikalischen Einheiten befreite Zahlenwertgleichungen aufgefasst. Aus dieser Gleichung ersieht man, dass eine Kamera nur Verhältnisse (d. h. Winkel) zwischen 3d-Koordinaten bestimmen kann. Absolute Entfernungsangaben lassen sich hingegen aus Kamerabildern nur dann bestimmen, wenn zusätzlich eine beliebige Länge in der realen Welt bekannt ist. Man bezeichnet Kameras deshalb als maßstabsblind. Im Umfeld des Automobils sind zur Maßstabsrekonstruktion häufig die Einbauhöhe der Kamera oder der Abstand in einer Stereoanordnung bekannt. Anstelle der Bildkoordinaten in der Ebene des Strahlungsaufnehmers wählt man mathematisch eleganter eine dazu parallele Bildebene im Abstand 1 vor der Lochblende. Die Wahl dieses Koordinatensystems ist überdies anschaulicher, weil das Bild nicht mehr um 180° gedreht erscheint. Man bezeichnet dieses in den Bildkoordinaten x
x O y 1
Bild 15-3: Geometrisches Kameramodell mit projektiver Abbildung
In der Bildverarbeitung werden üblicherweise Rechnerkoordinaten x R = (xR, yR)T verwendet, deren Koordinatenursprung in der linken oberen Bildecke liegt und die so skaliert werden, dass der Abstand benachbarter Bildpunkte 1 beträgt, damit alle Bildpunkte ganzzahlige Rechnerkoordinaten aufweisen (B). Bezeichnet man den Pixelabstand in horizontaler bzw. vertikaler Richtung auf dem Aufnehmer mit 'x, 'y, so sind die Rechnerkoordinaten im Vergleich zu den Bildkoordinaten um die bezogenen Brennweiten fx
f ; fy x
f ; y
(15.5)
skaliert und um den Bildhauptpunkt (x0, y0)T verschoben. Eine solche Abbildung wird in homogenen T xR , yR ,1 gilt Koordinaten linear, d. h. mit x R x R
Cx mit C
fx 0 0
0 fy 0
x0 y0 1
(15.6)
15 Maschinelles Sehen
B
15.1.3 Bildrepräsentation
Bild 15-4: Intrinsische Parameter einer Kamera
wobei die intrinsische Kalibriermatrix C die intrinsischen Kameraparameter, dies sind der Bildhauptpunkt und die Brennweiten, beinhaltet. Schließlich mag das Weltkoordinatensystem nicht an der Kamera orientiert sein, sondern anwendungsorientiert um die Rotationsmatrix R gedreht und um den Translationsvektor t verschoben sein, X = R XW + t . In homogenen Koordinaten X
T X , Y , Z ,1 , X W
X W , YW , Z W ,1
T
wird auch diese Gleichung linear X
W mit M MX
R t 0 1
(15.7)
die sechs wobei die extrinsische Kalibriermatrix M Freiheitsgrade einer starren Bewegung im 3d-Raum beinhaltet. Zusammengefasst ergibt sich die Abbildung eines Punktes in 3d-Weltkoordinaten XW auf 2d-Rechnerkoordinaten x R als, in homogenen Koordinaten, lineare Abbildung x R
W mit P PX
CM,
(15.8)
wobei X = (R t) die ersten drei Zeilen der extrin umfasst. P stellt somit sischen Kalibriermatrix M eine 3 x 4-Matrix dar, die als Projektionsmatrix bezeichnet wird [15]. An der ungleichen Dimension der Matrix in Zeilen- bzw. Spaltenrichtung wird der Informationsverlust der projektiven Abbildung deutlich.
Während die im vorigen Abschnitt beschriebene Projektion ein in Ort, Zeit und Amplitude kontinuierliches Signal erzeugt, werden Bilder durch Abtastung und Quantisierung digitalisiert. Dabei erfolgt die Ortsdiskretisierung bereits durch das Pixelraster auf dem Bildaufnehmer. Da natürliche Bilder an scharfen Kanten unbegrenzt hohe Ortsfrequenzen beinhalten, wird dabei streng genommen das Abtasttheorem verletzt. Jedoch wirken die sensitiven Flächen der einzelnen Pixel, die Optik und häufig der A/D-Wandler als Tiefpass, sodass Aliasingeffekte weitestgehend unterdrückt werden. In zeitlicher Richtung wird das Bildsignal zwar sequenziell in den Speicher eingelesen, die meisten Kameras nehmen das Bildsignal jedoch aus Aufwandgründen der nachfolgenden Bildverarbeitung zeitsynchron auf. Nach der Digitalisierung werden Bilder in Rechnerkoordinaten g(x R,t) verarbeitet, worin einer einfachen Adressierung in Digitalrechnern halber die Koordinaten von Bildpunkten sowie die Zeit t ganzzahlige Werte annehmen. Herleitungen von Algorithmen erfolgen hingegen häufig, der einfacheren Notation halber, in kalibrierten Bildkoordinaten. Grauwerte werden im Allgemeinen mit 8 bit linear quantisiert; jedoch sind im Fahrzeugumfeld höhere Dynamiken wünschenswert, weshalb es neben den eingangs beschriebenen nicht-linearen Kennlinien auch bereits lineare 12 bit-Darstellungen von Grauwerten gibt. Der Wert eines Bildpunktes kann neben dem Grauwert auch andere Information, wie Farbe, repräsentieren. Allerdings haben sich derartige Kameras im Automotive-Bereich noch nicht durchgesetzt. Das Moore’sche Gesetz, dem gemäß sich die Rechenleistung von Steuergeräten bei gleichbleibender Komplexität etwa alle zwei Jahre verdoppelt, scheint analog auch für Bildaufnehmer zu gelten. Entsprechend würde die Kostenrelation zwischen Kamera und Steuergerät etwa konstant bleiben. In jedem Fall erzeugen Kameras bereits in heutigen Automobilen den höchsten Datenstrom. So verursacht ein monochromes VGA-Bildsignal mit 640 × 480 Pixeln, einer Bildrate von 25 Hertz und 8 bit pro Pixel Grauwertquantisierung bereits eine Datenrate von über 60 Mbit/sec. Die Tendenz geht sogar deutlich in Richtung von Megapixel-Kameras. Es gibt aus heutiger Sicht keine physikalische Grenze, die dem langfristigen Gleichziehen mit den rund 120 Megarezeptoren auf der menschlichen Retina im Wege stünde. Zur Verarbeitung dieser wachsenden Datenmengen werden neben programmierbaren Prozessoren digitale Logikbausteine mit hohem Parallelisierungsgrad an Bedeutung gewinnen.
201
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
15.2 Bildverarbeitung Unter dem Begriff Bildverarbeitung versteht man die Aufbereitung, Analyse und Interpretation von visuellen Informationen. Da die Komplexität höherer Bildverarbeitungsprozesse, wie zum Beispiel Fahrstreifen- oder Objekterkennungsalgorithmen, jedoch überproportional mit der Menge eingehender Daten steigt, werden diesen höheren Prozessen eine meist großflächige Bildvorverarbeitung und eine Merkmalsextraktion vorgeschaltet. Die Bildvorverarbeitung, auf die in Abschnitt 15.2.1 näher eingegangen wird, reduziert die bei der Bildaufnahme unvermeidlichen Fehler und bereitet anschließend die Bildsignale anwendungsspezifisch auf. Die Bildsignale können dabei durch unterschiedlichste Filteroperationen oder mithilfe von Transformationen gezielt manipuliert werden. Irrelevante oder sogar störende Information soll dabei weitestgehend eliminiert werden. Nach einer erfolgreichen Vorverarbeitung der Bilddaten können dann relevante Merkmale extrahiert und dem jeweiligen höheren Auswerteprozess zugeführt werden. In Abschnitt 15.2.2 wird eine Auswahl der in heutigen Fahrerassistenzsystemen angewendeten Bildmerkmale vorgestellt.
15.2.1 Bildvorverarbeitung Die Bildvorverarbeitung ordnet sich zwischen der Bildaufnahme und der eigentlichen Bildverarbeitung ein. Im ersten Schritt geht es um die Eliminierung von Effekten wie zum Beispiel Rauschen und Linsenverzerrungen. Im zweiten Schritt wird dann die für eine Weiterverarbeitung essentielle Information hervorgehoben und irrelevante oder gar störende Information entfernt. 15.2.1.1 Bildrauschen Als Bildrauschen bezeichnet man dem eigentlichen Bildsignal überlagerte Störungen, die keine Eigenschaften der betrachteten Szene repräsentieren. Die Fülle verschiedener Rauscharten und deren Ursachen würden den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Im Folgenden wird eine kurze Übersicht der wichtigsten Rauscharten, deren Ursachen und Möglichkeiten zur Kompensation gegeben. Photonenrauschen: Es tritt durch das nicht gleichmäßige Auftreffen von Photonen auf den lichtempfindlichen Bildsensor auf. Die unregelmäßigen Schwankungen des Photonensignals sind zufallsverteilt. Der Einfluss auf das Nutzsignal verstärkt sich, je weniger Licht vorhanden ist.
202
Quantisierungsrauschen: Bei der Digitalisierung des Bildes wird das kontinuierliche Signal in ein diskretes Signal umgewandelt, d. h. die Signalamplitude kann nur noch bestimmte, der Quantisierungsstufe entsprechende Werte annehmen. Die Amplitudenwerte des analogen Signals werden dabei zur nächstliegenden Quantisierungsstufe aufoder abgerundet. Durch das Runden entsteht ein Quantisierungsfehler, der maximal halb so groß ist wie eine Quantisierungsstufe. Dieser Fehler wird als Quantisierungsrauschen bezeichnet. Dunkelstromrauschen: Dieser temperaturabhängige Störeinfluss wird auch als thermisches Rauschen bezeichnet. Je wärmer der Bildsensor ist, desto stärker ist das Rauschen. Dabei werden Elektronen durch thermische Energie, also unabhängig vom Auftreffen des Lichts auf den Bildsensor, ins Leitungsband angehoben. Diese Ladungsträger sind den durch auftreffende Photonen generierten freien Ladungsträgern überlagert. Am deutlichsten ist dieser Effekt in dunklen Bildbereichen zu sehen. Meist ist das Dunkelstromrauschen aber nicht gleichmäßig über den Bildsensor verteilt, sondern variiert örtlich über der Sensorfläche. Fixed Pattern-Rauschen: Die Auswirkungen des Fixed Pattern-Rauschens haben einen starken Einfluss auf das Bildsignal und können mit verhältnismäßig geringem Aufwand kompensiert werden. Betrachtet man ein unkorrigiertes Bild eines CMOS/CCD-Bildsensors, so stellt man bei einheitlicher Ausleuchtung des Sensorbereichs fest, dass die Ausgabewerte nicht homogen sind. Fertigungstoleranzen bei den verwendeten MOS-Transistoren sowie der komplexe Aufbau der zweidimensionalen Matrix sind die Ursachen für das örtliche Rauschen. Insbesondere bilden die örtlichen Variationen der Dotierung und unterschiedliche geometrische Ausmaße der Transistoren Rauschquellen. Durch Rauschsubtraktion können solche Effekte kompensiert werden, d. h. von jedem Bild wird ein Korrekturbild abgezogen, welches zuvor in einem Kalibrierschritt bestimmt und gespeichert wurde. In der Regel erfolgt dieser Schritt bereits durch die Kamerasteuerung. 15.2.1.2 Kompensation von Linsenfehlern Das in Abschnitt 15.1.2 vorgestellte idealisierte Kameramodell der projektiven Abbildung beschreibt den tatsächlichen Abbildungsprozess einer Kamera nur näherungsweise. Reale Objektive erzeugen zusätzliche, deutlich sichtbare Abbildungsfehler. Diese wachsen in der Regel mit zunehmendem Erfassungswinkel des Bildsensors an. Tabelle 15-1 gibt eine Übersicht der wichtigsten Effekte und deren Ursachen.
15 Maschinelles Sehen Tabelle 15-1: Ausgewählte Abbildungsfehler einer Kameraoptik Abbildungsfehler
Ursache
Astigmatismus (Punktlosigkeit)
Richtungsabhängige Linsenkrümmung oder Brechungsindizes
Koma (Asymmetriefehler)
schräger Lichteinfall
Chromatische Abberation (Farblängsfehler)
Zerlegung des Lichts in seine Spektralanteile am Linsenrand
Vignettierung
Abdunklung der Bildes zum Linsenrand hin durch inhomogene Lichtstärke des Objektivs
Verzeichnung (Öffnungsfehler)
mit zunehmendem Abstand von der optischen Achse wachsende Modellverletzung achsparalleler Strahlen
Für die Mehrzahl der Anwendungen, die einzelne Bilder mit moderatem Erfassungswinkel auswerten und keine 3d-Rekonstruktion zum Ziel haben, können die genannten Abbildungsfehler vernachlässigt werden. Um das ideale Lochkameramodell auch für Anwendungen nutzen zu können, welche die 3d-Geometrie aus Korrespondenzen in verschiedenen Bildern rekonstruieren, müssen zuvor vor allem die Effekte der Linsenverzeichnung ausgeglichen werden. Die dominanten geometrischen Verzeichnungseffekte können in radial-symmetrische, radial-asymmetrische und tangential-asymmetrische Anteile zerlegt werden. Es wird angenommen, dass zwischen den realen Bildkoordinaten x real R und den idealen Bildkoordinaten des Lochkameramodells x R folgender Zusammenhang besteht x real R
x R G r (x R ) G t (x R ),
B
r x 2 y 2 den Abstand vom Bildhauptpunkt bezeichnen. Eine radiale Verzeichnung nach außen löst einen Nadelkisseneffekt aus (s. Bild 15-5 links), eine Verzeichnung nach innen bewirkt einen Tonneneffekt (s. Bild 15-5 rechts). Die Parameter N1, N2 geben den Grad der Verzerrung an. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei geringer Brennweite vor allem der erste radiale Verzerrungskoeffizient zu berücksichtigen ist [31]. Die radial-asymmetrische und tangentiale Verzeichnung wird durch Fertigungstoleranzen bei der Montage von Kamerachip und Linsenoptik hervorgerufen. Für praktische Anwendungen kann dieser Effekt meist mit zwei Parametern W1, W2 hinreichend gut beschrieben werden
G t (x R )
2 W1 x y
W 2 r 2 2 x2
W1 r 2 2 y 2
2 W2 x y
. (15.11)
In Bild 15-5 rechts ist der Effekt der Tangentialverzeichnung exemplarisch dargestellt. Das in Gleichung (15.9) vorgestellte Modell zur Entzerrung von Bildern ist in der Praxis meist hinreichend genau. Durch die Kompensation der Linsenfehler kann in den nachfolgenden Verarbeitungsschritten mit dem idealen Lochkameramodell weitergearbeitet werden, wodurch sich die Algorithmen zumeist sehr stark vereinfachen lassen. Weitere Kameramodelle für die hauptsächlichen Verzerrungsformen wie der
(15.9)
worin der erste Summand die Rechnerkoordinaten, der zweite die radial-symmetrische und der dritte die übrigen Verzeichniskomponenten beschreibt. Ein einfaches und effektives Modell für die radialsymmetrische Verzeichnungskomponente Gr (x R), welche durch Brechungsänderungen der Linse verursacht wird, ist gegeben durch
G r (x R )
x N1 r 2 N 2 r 4 ... , y
(15.10)
worin x, y die nach Gleichung (15.6) bestimmten Bildkoordinaten einer kalibrierten Kamera und
Bild 15-5: Infolge der Linsenverzeichnung werden Objekte nicht maßstabsgetreu abgebildet. Das Bild zeigt die Verzeichnungseffekte für die radiale (A) und tangentiale (B) Verzeichnung eines Rechtecks mit ideal parallelen Kanten.
203
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
radialen Linsenverzeichnung, der dezentrierenden Verzeichnung und Verzeichnung des dünnen Prismas sind in [40] aufgeführt. 15.2.1.3 Bildverbesserung Durch die Bildverbesserung werden aus dem aufgenommenen Bildsignal mithilfe verschiedenster Operationen relevante Informationen aufgewertet oder extrahiert und dem nachfolgenden Bildverarbeitungsprozess weitergeleitet. Die Operationen in der Bildverarbeitung lassen sich in drei Klassen einteilen: Punktoperatoren, lokale Operatoren und globale Operatoren. Die Gliederung richtet sich nach der Anzahl der Bildpunkte, die eine Operation beeinflussen. Punktoperatoren beziehen sich bei der Verarbeitung des Grau- oder Farbwerts eines Bildes ausschließlich auf einen Bildpunkt. Beispiele hierfür sind z. B. Histogrammspreizung, Egalisierung oder verschiedene Schwellwertverfahren. Die räumlichen Beziehungen der Grauwerte in der näheren Umgebung werden hier jedoch nicht erfasst. Lokale Operatoren berechnen einen neuen Farboder Grauwert eines Bildpunktes auf Basis einer örtlich begrenzten Region um den betrachteten Bildpunkt. Sie werden auch Nachbarschaftsoperatoren oder Filter genannt und arbeiten direkt auf dem Bildsignal. Beispiele für lokale Operatoren sind z. B. morphologische Filter, Glättungsfilter oder Gradientenfilter zur Hervorhebung von Grauwerttexturen. Ein wichtiger lokaler Bildoperator ist
die Faltung mit einem Glättungsfilter. Dafür werden meistens Gauß- oder Binomialfilter verwendet. Das einfachste Binomialfilter in einer Dimension ist gegeben durch die Faltungsmaske 2 –1[1 1]. Durch die wiederholte Anwendung dieser Faltungsmaske ergeben sich Binomialfilter höherer Ordnung. So ist das Binomialfilter siebter Ordnung in einer Dimension gegeben durch 128 –1[1 7 1 5 35 21 7 1]. Für höhere Ordnungen approximieren Binomialfilter mit guter Näherung Gauß-förmige Filter. Die für die Anwendung auf Bilder notwendigen zweidimensionalen Faltungsmasken werden nicht explizit berechnet, da die Filter linear separierbar sind. Die zweidimensionale Glättung eines Bildes mit einem Binomialfilter wird stattdessen durch die aufeinanderfolgende Anwendung eines horizontalen und vertikalen Binomialfilters implementiert. Eine detailliertere Diskussion zur Glättung mit Gaußund Binomialfiltern findet sich in [21]. Globale Operatoren betrachten für die Transformation eines Pixels das gesamte Bild, wie beispielsweise bei der Fouriertransformation oder der Houghtransformation. Eine eigene Klasse von Operatoren bilden die geometrischen Operatoren. Sie sind verantwortlich für die geometrische Manipulation eines Bildes. Beispiele sind Drehung, Skalierung oder Spiegelung. Dabei bleiben die Intensitätswerte des Bildes erhalten. Die Bildpunkte werden lediglich versetzt.
Bild 15-6: Einige Beispiele für Bildoperatoren. Links: Originalbild; rechts: A) Binarisierungsoperator (Punktoperator); B) Binomialfilter (lokaler Operator); C) Fouriertransformation (globaler Operator); D) Rotation (geometrischer Operator)
204
15 Maschinelles Sehen
15.2.2 Merkmalsextraktion Nach der Korrektur und Aufbereitung des Bildsignals durch die Vorverarbeitung lassen sich aus dem Signal Merkmale gewinnen. Merkmale sind lokal beschränkte, aussagekräftige Teile eines Bildes, die eine symbolische oder empirische Beschreibung von Eigenschaften des Bildes oder eines im Bild enthaltenen Objekts liefern. Merkmale können auf verschiedensten Bildprimitiven bestimmt werden. Beispielsweise bildet der Gradientenbetrag des Bildsignals ein Merkmal für Objektkonturen. Objekttypische Verteilungsmuster einer messbaren Größe liefern einen Hinweis auf Bildregionen, die das entsprechende Objekt abbilden. Das Ziel einer Merkmalsextraktion ist es somit, die für die jeweilige Anwendung wichtigen strukturellen Eigenschaften aus der umfangreichen Bildinformation in einem kompakten Merkmalsvektor hervorzuheben, während die für die Anwendung irrelevante Information aus dem Bild herausgefiltert wird. Dieser Vorgang führt zu einer enormen Datenreduktion und findet seine Analogie in der menschlichen visuellen Wahrnehmung. Dort werden bereits durch netzhautnahe Schichten spezifische Rezeptorenfelder gebildet, die etwa Kanten, Bewegung oder lokale Maxima detektieren. Merkmale lassen sich grob in die beiden Gruppen der Einzelbildmerkmale und Korrespondenzmerkmale einteilen: Einzelbildmerkmale sind unmittelbar aus dem Grauwertmuster eines einzelnen Bildes bestimmbar, während Korrespondenzmerkmale die Bildpositionen der Projektion desselben Raumpunktes auf verschiedenen Bildern zueinander in Beziehung setzen. 15.2.2.1 Einzelbildmerkmale Die wichtigsten aus einem Einzelbild extrahierbaren Merkmale bilden Kanten und Ecken. Beide Merkmale sind durch eine deutliche Änderung des Bildsignals über den Bildkoordinaten charakterisiert. Die Änderung des Bildsignals ist mathematisch durch den Gradienten beschrieben. Die am häufigsten verwendeten Algorithmen zur Merkmalsextraktion verarbeiten entsprechend Gradienten. Im Folgenden wird zunächst die Bildung des Gradienten als lokaler Operator diskutiert. Danach wird ein verbreiteter Algorithmus zur Kantendetektion und ein verbreiteter Algorithmus zur Eckendetektion vorgestellt. Kanten und Ecken beinhalten die wesentliche Bildinformation. So können Menschen Bildinhalte bereits hervorragend aus Strichzeichnungen erkennen, die ausschließlich Bildkanten darstellen.
B
Der Gradient eines Bildes g(x, y) ist definiert durch
g ( x, y )
g x ( x, y ) g y ( x, y )
g ( x, y ) x g ( x, y ) y
(15.12)
Da das Bild nur in ortsdiskreter Form vorliegt, werden die partiellen Ableitungen durch FIR-Filter mit meist wenigen Filterkoeffizienten approximiert. Eine übliche Approximation ist g ( x, y ) g ( x 1, y ) g ( x 1, y ) . x 2 Das Bild wird dabei mit dem Filter 2–1[1 0 –1] gefaltet. Der so genannte Sobeloperator verwendet diese Approximation, um Ableitungen zu berechnen, und glättet mit einem Filter 4 –1[1 2 1]T gleichzeitig in der senkrecht zur Ableitung stehenden Richtung. Insgesamt approximiert der Sobeloperator damit die Ableitung des Bildsignals durch die zweidimensionale Faltung mit einer 3 x 3-Filtermaske g ( x, y ) x
1 0 1 g ( x, y ) ** 2 0 8 1 0
1 2 1
(15.13)
Aus dem Gradientenbild werden durch Kantendetektoren zusammenhängende Linienstrukturen extrahiert, die lokal maximalen Gradientenbetrag aufweisen. Als prominenter Vertreter wird nachfolgend der Canny-Kantendetektor vorgestellt. Zuerst wird hierfür eine Glättung des Eingabebildes vorgenommen. Dieser Schritt dient der Unterdrückung von sporadischen rauschinduzierten hohen Gradienten, die zu falsch positiv detektierten Kanten führen könnten. Dazu wird das Bild z. B. mit der oben beschriebenen Binomialmaske gefaltet. Im nächsten Schritt wird der Gradient des geglätteten Bildes berechnet. Aus dem Gradienten wird die lokale Orientierung D als potenzielle Kantenrichtung einer potenziell vorhandenen Kante in jedem Pixel berechnet
D
arctan
g y (x, y) g x (x, y)
(15.14)
und auf Vielfache von 45° quantisiert. Ferner wird ein Maß für die Kantenstärke berechnet. Dieses Maß kann z. B. der Betrag des Gradienten sein. Als Zwischenschritt wird nun eine Suche nach lokalen Maxima durchgeführt. Pixel, von denen ein nicht in Kantenrichtung liegendes Nachbarpixel eine höhere Kantenstärke besitzt, bekommen die Kantenstärke Null zugewiesen. Damit ist sichergestellt,
205
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
dass bei der folgenden Verarbeitung nur Kanten gefunden werden, die nicht breiter als ein Pixel und somit präzise lokalisiert sind. Die berechnete Kantenstärke der übrigen Bildpunkte wird dann mit zwei gegebenen Schwellwerten verglichen. Liegt die Kantenstärke höher als der höhere Schwellwert, so wird der entsprechende Bildpunkt als Kante markiert. Liegt die Kantenstärke niedriger als der niedrigere Schwellwert, so wird er als Kante abgelehnt. Liegt die Kantenstärke zwischen den beiden Schwellwerten, dann wird der Bildpunkt als Kante detektiert, wenn es in Kantenrichtung mit einem zuvor als Kantenpixel klassifizierten Pixel benachbart ist. Auf diese Weise wird eine Hysterese bei der Kantendetektion realisiert, die zu einer stabileren Detektion kontinuierlicher Kantenzüge führt. Die gefundenen Kanten können in einem nächsten Schritt z. B. auf bestimmte Formen untersucht werden. Die Originalliteratur zum Canny-Kantendetektor ist in [6] zu finden. Weitere wichtige primitive Bildmerkmale sind Ecken, deren Lokalisierung exemplarisch anhand des Harris-Eckendetektors aufgezeigt wird. Zunächst wird der Gradient des Eingabebildes bestimmt. Es folgt die Berechnung des Strukturtensors (siehe unten, Gl. (15.15)), wobei w(u, v) eine um (0, 0) zentrierte Gewichtungsfunktion darstellt. Der zum größeren Eigenwert des Strukturtensors gehörende Eigenvektor zeigt in Richtung der lokalen Orientierung, und der Eigenwert stellt ein Maß für die Ausprägung dieser Orientierung dar. Der zum kleineren Eigenwert gehörende Eigenvektor zeigt entsprechend in die dazu senkrechte Richtung der minimalen Orientierung. Auch hier stellt der Eigenwert ein Maß für die Ausprägung der Orientierung in dieser Richtung dar. Mithilfe des Strukturtensors können entsprechend die Bildpunkte als Ecken detektiert werden, deren Strukturtensor zwei gro-
S( x, y )
w(u , v) u
v
g x ( x u , y v)
2
g x ( x u , y v) g y ( x u , y v)
ße Eigenwerte aufweist. Zur Berechnung wird die Eckenstärke E(x, y) = det(S(x, y)) – N · (spur(S(x, y))) 2 mit N [0,04; 0,15] gebildet. Pixel mit einer hohen Eckenstärke werden als Ecken erkannt. Alternativ zur Berechnung der Eckenstärke können auch direkt die Eigenwerte von S(x, y) untersucht werden. Eine Ecke liegt dann vor, wenn beide Eigenwerte hinreichend groß sind. Die gefundenen Ecken können in einem weiteren Verarbeitungsschritt z. B. zur Korrespondenzsuche zwischen Bildern verwendet werden. Eine detailliertere Diskussion zur Kantendetektion und zum Strukturtensor ist in [18] und [21] zu finden. 15.2.2.2 Korrespondenzmerkmale Die Kenntnis der Projektion eines realen Punktes in verschiedenen Bildern einer Bildfolge oder mehrerer Kameras lässt Rückschlüsse auf dessen Position im 3d-Raum zu. Entsprechend bildet die Suche nach Korrespondenzen in mehreren Bildern die Grundlage zur Rekonstruktion der durch die Projektion verloren gegangenen 3d-Information. Die Bestimmung von Korrespondenzmerkmalen kann als eine Suchaufgabe aufgefasst werden, bei der zu einem Element der einen Ansicht das dazu korrespondierende Element der anderen Ansicht gesucht wird [35], [38]. Die Suchverfahren können grob in zwei Klassen eingeteilt werden: Verfahren mit kontinuierlichem und Verfahren mit diskretem Suchraum. Bei ortskontinuierlichen Verfahren lässt sich im Allgemeinen die Intensität der Grauwerte im Bild als orts-zeitabhängige Funktion g(x, y, t) der Bildkoordinaten (x, y) und der Zeit t schreiben. In [21] wird ein gradientenbasiertes Verfahren vorgestellt, das auf einer Taylorapproximation des Intensitätsbildes im Sinne der sog. Kontinuitätsgleichung des optischen Flusses beruht. Dabei wird angenommen,
g x ( x u , y v) g y ( x u , y v) g y ( x u , y v)
2
(15.15)
Bild 15-7: Links: Originalbild; rechts: Ergebnisbild des A) Canny-Kantendekektors; B) Harris-Eckendetektors
206
B
15 Maschinelles Sehen
dass die Intensität eines auf die Bildebene projizierten Raumpunktes über die Zeit konstant bleibt. Damit lässt sich die Kontinuitätsgleichung des optischen Flusses formulieren g T v gt
(15.16)
0
worin (u , v)T
v
dx d y , dt dt
T
den optischen Fluss, g
(
g g T , ) x y
den Ortsgradienten und gt
dg dt
die partielle Ableitung der Intensität in zeitlicher Richtung bezeichnen. Diese Gleichung sagt aus, dass der Bildgradient entlang der Bewegungstrajektorie verschwindet. Gleichung (15.16) stellt nur eine skalare Bedingungsgleichung für die beiden gesuchten Parameter des optischen Flusses dar. Für eine schnelle und subpixelgenaue Berechnung von Korrespondenzen mithilfe von Gleichung (15.16) werden deshalb zusätzliche Annahmen benötigt. Diese bestehen meist in einfachen Modellen für die Bewegung in einer Bildregion. Im einfachsten Fall wird angenommen, dass der optische Flussvektor v in einem Bildblock konstant ist. Diese Annahme und die nachfolgende Least Square-Schätzung des optischen Flusses führt zum bekannten KLT-Tracker [33], der bei hohen Bildraten und kleinen Bewegungen sehr gute Ergebnisse liefert. Der schnellen und subpixelgenauen Korrespondenzbestimmung derartiger Verfahren steht der Nachteil gegenüber, dass Gleichung (15.16) nur für (infinitesimal) kleine Verschiebungen gilt. Gradientenbasierte Verfahren werden daher meist bei der Bewegungsbestimmung von Punkten zeitlich sequenzieller Bildfolgen eingesetzt, in denen ein geringer optischer Fluss angenommen werden kann. Bei ortsdiskreten Verfahren werden Korrespondenzen nur innerhalb der durch das Bildraster vorgegebenen Bildpositionen gesucht. Um die Korrespondenz zu einem Bildpunkt zu finden, wird eine kleine umliegende Region aus dem ersten Bild mit entsprechenden um mögliche Korrespondenzkandidaten platzierten Regionen im zweiten Bild verglichen. Die Korrespondenz ergibt sich dann durch
die im Sinne eines bestimmten Maßes ähnlichste Region. Da das Korrespondenzproblem innerhalb homogen oder periodisch texturierter Bildregionen nicht eindeutig gelöst werden kann, ist es sinnvoll, den Suchraum auf markante Bildstrukturen einzuschränken. Bei diesen so genannten merkmalsbasierten Verfahren beschränkt man den Suchraum auf eine Untermenge von Merkmalen im Bild. Merkmale können unter anderem Ecken- oder Liniensegmente sein. Mit dem oben vorgestellten Harris-Eckendetektor wurde ein hier häufig verwendeter Merkmalsdetektor bereits vorgestellt. Als Region wird oft ein symmetrisches Fenster, beispielsweise ein rechteckiger Block, verwendet, dessen Bildpunkte im Referenzbild durch die Menge B = {x R1, ... , x Rn} bezeichnet seien. Entsprechende Verfahren werden daher oftmals Block-Matching genannt. Bezeichnet man das Referenzbild und das zweite Bild mit g1(x) und g 2 (x), und beschreibt man die Korrespondenz durch die Verschiebung d = (d1, d2)T, so bewertet beispielsweise das SADAbstandsmaß (engl. : sum-of-absolute-difference) den absoluten Fehler zweier Bildblöcke SAD(d)
| g1 (x R ) g 2 (x R
d) |
(15.17)
xR B
Das SAD-Abstandsmaß bildet somit die L1-Norm der Grauwertdifferenzen. Andere Normen sind ebenfalls als Abstandsmaß gebräuchlich. Der Korrelationskoeffizient zwischen den Grauwerten beider Bildblöcke kann als einfaches Ähnlichkeitsmaß verwendet werden: ( g1 (x R ) b1 )( g 2 (x R
U (d)
d) b2 )
xR B
( g1 (x R ) b1 )2 xR B
( g 2 (x R
d) b2 )2
xR B
(15.18) Dabei bezeichnet bi den mittleren Grauwert im betrachteten Bildblock. Der Korrelationskoeffizient bildet somit ein gegen Skalierung mit einem konstanten Faktor und Summation eines konstanten Offsets invariantes Ähnlichkeitsmaß zwischen Bildregionen. Durch Maximierung dieses Ähnlichkeitsmaßes gewonnene Korrespondenzen sind gegen Beleuchtungsänderungen weitgehend unempfindlich. Umfassendere, aber auch aufwendigere Möglichkeiten zur Charakterisierung einer Bildregion wurden durch verteilungsbasierte Beschreibungen eingeführt. Dabei wird ein Merkmalsvektor einer Region durch die räumliche Verteilung von Grauwertverläufen, Gradienten oder Kantenpunk-
207
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Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
ten konstruiert. Als wichtiger Vertreter der verteilungsbasierten Ansätze sind der SIFT- [24] und der SURF- [4] Deskriptor zu nennen, welche weitgehend invariant gegenüber Beleuchtungsänderungen, geringem Rauschen auf den Bilddaten sowie Rotationen und Skalierungen der entsprechenden Bildregion sind.
15.3 3d-Rekonstruktion der Szenengeometrie Beim Einsatz von Kameras in Fahrerassistenzsystemen geht es im Rahmen der technischen Grenzen um die Nachbildung der menschlichen, visuellen Wahrnehmung. Bei Monokameras ist dies jedoch nur begrenzt möglich, da es sich bei der Projektion eines 3d-Szenenpunktes auf die 2d-Bildebene um eine nicht bijektive Abbildung handelt, d. h. es existiert keine eindeutige inverse Abbildung der Bildinformation in die zugrunde liegende Szenengeometrie. Im Gegensatz dazu liefert ein Stereokamerasystem unmittelbar die Tiefeninformation zu fast allen Bildpunkten und kombiniert somit Informationen über Geometrie und Textur einer Szene in einem Sensor. Zur Beschreibung eines Stereokamerasystems wird das in Abschnitt 15.1.2 eingeführte mathematische Modell einer monokularen Lochkamera um eine zweite Kamera erweitert. Dabei wird angenommen, dass Abweichungen vom idealen Lochkameramodell durch Berücksichtigung der Linsenverzeichnung, wie in Abschnitt 15.2.1 vorgestellt, erfasst und korrigiert wurden. In Abschnitt 15.3.1 werden die Grundlagen zur Stereoskopie für geometrisch versetzte Kameraanordnungen vermittelt. Im Falle statischer Szenen kann die Stereoauswertung auch aus zwei zeitlich nacheinander aufgenommenen Bildern einer bewegten Kamera erfolgen. Die Erweiterung der Stereoauswertung für allgemeine zeitlich nacheinander aufgenommene Bilder wird in Abschnitt 15.3.2 vorgestellt. Eine Verallgemeinerung auf drei Kameras, bei der Korrespondenztripel untersucht werden, führt zum Trifokal-Tensor in Abschnitt15.3.3.
15.3.1 Stereoskopie Die Stereoskopie gehört zu den passiven Verfahren der 3d-Szenenrekonstruktion. Hierbei werden zwei oder mehr Bilder der gleichen Szene von verschiedenen Kamerapositionen aus aufgenommen. Aus der Lage eines bestimmten Szenenpunktes in zwei Bildern lässt sich seine räumliche Position
208
mithilfe der intrinsischen und extrinsischen Kalibrierungsparameter der Kameras bestimmen. Für die Korrespondenzanalyse selbst wurden im letzten Abschnitt bereits einige Verfahren erläutert. In diesem Abschnitt soll gezeigt werden, dass mit Informationen über die Kalibrierung und bekannter Lage der Kameras zueinander weitere Korrespondenzbedingungen formuliert werden können, die eine effiziente Stereoauswertung erlauben. Ein Stereosystem besteht aus zwei Kameras mit optischen Zentren C? und Cr , die in ihrem Erfassungsbereich denselben Szenenpunkt XW abbilden. Die Indizes ? für links und r für rechts werden zur Unterscheidung der beiden Kameras in der Stereoanordnung verwendet. Aus praktischen Gründen wird das Weltkoordinatensystem oft so gewählt, dass es mit einem der beiden Kamerakoordinatensysteme zusammenfällt. Im weiteren Verlauf soll angenommen werden, dass das Weltkoordinatensystem mit dem Kamerakoordinatensystem der rechten Kamera übereinstimmt, d. h. die extrinsischen Parameter der rechten Kamera ergeben sich zu R r = I, tr = 0 und die der linken Kamera zu R? = R, t? = t. Die jeweiligen Projektionsmatrizen lauten somit Pr P?
Cr [I, 0] C? [ R , t ] C ? M
(15.19)
Die Positions- und Orientierungsänderung der linken Kamera, relativ zur weltfesten, rechten Kamera, kann somit durch eine starre Transformation ausgedrückt werden. Die Transformation beschreibt eine Überführung des Raumpunktes XW hinsichtlich des Kamerakoordinatensystems des rechten Kamerakoordinatensystems in das linke Kamerakoordinatensystem ? X
r mit X r MX
W X
( X W , YW , Z W ,1)T (15.20)
Die Abbildung eines Punktes in 3d-Weltkoordinaten XW auf 2d-Rechnerkoordinaten der linken bzw. rechten Kamera xR,? , xR,r wird in homogenen Koordinaten als lineare Abbildung beschrieben: x R,r x R,?
W Pr X W P? X
(15.21)
Für den dreidimensionalen Verschiebungsvektor t der Kameras gilt t = C? – Cr , er wird oft auch als Basis mit der Basisbreite b = | t | bezeichnet und drückt den Abstand zwischen den optischen Zentren der beiden Kameras aus. Bei der Wahl von b muss ein Kompromiss gefunden werden zwischen einer möglichst hohen Tiefenauflösung bei großen
15 Maschinelles Sehen
Basisbreiten und einer damit zunehmend schwieriger werdenden Korrespondenzsuche, da durch die anwachsende Basisbreite Verdeckungen häufiger auftreten und Verzerrungseffekte bei der Abbildung stärker ins Gewicht fallen. Die Schnittpunkte von t mit den beiden Bildebenen werden als Epipole e? und er bezeichnet. Die optischen Zentren C? und Cr spannen somit mit XW eine Ebene auf, die als Epiploarebene bezeichnet wird und in der beide Bildpunkte x? und xr liegen. Durch diese geometrische Anordnung kann die so genannte Epipolarbedingung formuliert werden, die den Suchaufwand für Stereokorrespondenzen von der gesamten Bildebene auf eine (Halb-)Gerade reduziert. Sind x? und xr Abbildungen desselben Raumpunktes XW, dann liegt x? auf der Halbgeraden, welche durch die von xr bestimmten Epipolarlinie durch den Epipol im gleichen Bild gegeben ist. Mathematisch lautet die Epipolarbedingung x T? E x r
0 mit E
T
R
(15.22)
worin der Operator Tx die Abbildung des Vektors t auf eine asymmetrische Matrix darstellt.
T
tx ty tz
0 tz ty
tz 0 tx
ty tx 0
(15.23)
Die Matrix E wird Essentielle Matrix genannt und ist bei kalibrierten Kameras vollständig durch die Position und Orientierung der beiden Kameras bestimmt. Die Essentielle Matrix wurde erstmals
B
von Longuet-Higgins [23] vorgestellt. Sie beschreibt die geometrische Beziehung zweier korrespondierender Punkte in den beiden Ansichten des Stereokamerasystems in Bildkoordinaten. Für Rechnerkoordinaten ergibt sich die Epipolarbedingung in ähnlicher Form mithilfe der Fundamentalmatrix F x TR,? F x R,r
0 mit F
C? T T
RCr 1 (15.24)
F enthält die intrinsischen und extrinsischen Parameter der euklidischen Transformationen beider Kameras. Zur Bestimmung von F und E aus gegebenen Korrespondenzpaaren gibt es in der Fachliteratur eine Fülle linearer und nichtlinearer Ansätze. Zu den linearen Verfahren gehört der 8-Punkt-Algorithmus, der für hinreichend genaue Punktkorrespondenzen zufriedenstellende Ergebnisse liefert. Es zeigt sich jedoch in der Literatur, dass durch Verwendung von klassischen nichtlinearen Verfahren aus der numerischen Mathematik bessere Ergebnisse zu erzielen sind. Zur nichtlinearen Schätzung können etwa das Gauß-Newton-Verfahren oder die Levenberg-Marquardt-Optimierung genannt werden [31]. Gleichung (15.22) bzw. (15.24) stellen eine Bedingungsgleichung für korrespondierende Bildpunktpaare dar, welche den Suchraum auf eine Dimension entlang der Epipolarlinie reduziert. Jedoch stellen die im Allgemeinen schräg verlaufenden Epipolarlinien in der Bildebene eine für die Suche ungünstige Struktur dar. Durch eine Transformation, Rektifikation genannt, in der die zueinander verdrehten Stereobildebenen und Kamerakoordinatensysteme virtuell komplanar ausgerichtet werden, kann
Bild 15-8: Epipolargeometrie einer Stereokamera
209
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
erreicht werden, dass korrespondierende Epipolarlinien horizontal und auf gleicher Höhe verlaufen. Nach der Rektifikation erhält man also die Bilder, die eine Stereoanordnung mit R r = I, tr = 0, R ? = I, t ? = (b, 0, 0)T aufgenommen hätte. Man spricht dann von einer achsparallelen Stereogeometrie bzw. von einem rektifizierten Stereosystem. Eine detaillierte Beschreibung gängiger Rektifizierungsverfahren ist in [38] beschrieben. Da Korrespondenzen bei einem achsparallelen Stereosystem in derselben Bildzeile liegen, führt die unterschiedliche Perspektive der Kameras hinsichtlich des Szenenpunktes zu einer rein horizontalen Verschiebung in der Abbildung. Dies kann durch folgende Umformung von Gleichung (15.2) für den Raumpunkt X = (X, Y, Z)T in den jeweiligen Bildkoordinaten unmittelbar erkannt werden: x' y'
?
x'
f Xr b Yr Zr
f X? Z ? Y?
y'
r
f Xr Z r Yr (15.25)
Da die vertikale Koordinate y in beiden Abbildungen identisch ist, ergibt sich folgende Beziehung für die Verschiebung der Abbildung: x '?
fX r Zr
xr'
fb Zr
fX r Zr
fb Zr
(15.26)
Die Verschiebung ' wird als Disparität bezeichnet und im Allgemeinen in der Einheit Pixel angegeben. Die 3d-Rekonstruktion entsteht durch Umstellen der Gleichungen (15.25) und (15.26) Z f
b
Z
bf
Damit stellt die Disparität ein Maß für die Raumtiefe des Punktes X dar und verhält sich umgekehrt proportional zu ihr. Für Punkte im Unendlichen verschwindet insbesondere die Disparität. Charakteristisch für das oben vorgestellte Stereoverfahren ist die Verwendung von zwei nebeneinander angeordneten Kameras. Alternativ dazu kann die 3d-Rekonstrukion einer Szene auch mit einer einzelnen Kamera durchgeführt werden. Bei diesem Ansatz, der im folgenden Abschnitt näher beschrieben wird, wird die 3d-Position eines Raumpunktes aus zeitlich nacheinander aufgenommenen Bildern derselben Kamera bestimmt.
15.3.2 Motion-Stereo Im Unterschied zur klassischen Stereogeometrie, bei der zwei Kameras lateral zueinander verschoben sind, wird beim so genannten Motion-Stereo Verfahren eine einzelne, bewegte Kamera verwendet. Für unbewegte Umgebungen lässt sich die 3d-Position der entsprechenden Raumpunkte eindeutig aus Korrespondenzen bestimmen. Ist die Voraussetzung unbewegter Umgebungen jedoch nicht erfüllt, so verbleibt beim Motion-Stereo Verfahren in der 3d-Rekonstruktion von Position und Bewegung zumindest eine Mehrdeutigkeit in einem Freiheitsgrad. Wir gehen im Folgenden von einem objektfesten Koordinatensystem aus. Durch die Eigenbewegung der Kamera verändert ein als statisch anzunehmender Raumpunkt seine Position X(t) über der Zeit t. Vom Zeitpunkt t zum Zeitpunkt t + 1 verschiebe sich der Raumpunkt um
(15.27) D(t 1)
X(t 1) X(t )
(15.28)
Bild 15-9 Rektifiziertes Stereosystem
210
15 Maschinelles Sehen
Die durch die Kamerabewegung entstehende 2d-Verschiebung des entsprechenden Bildpunktes auf der Bildebene ist gegeben durch d(t 1)
x(t 1) x(t ) 3 X(t 1) 3( X t )))
(15.29) d bezeichnet den Verschiebungsvektor an der Stelle x im Bild, verursacht durch die Bewegung der Kamera relativ zu Raumpunkt X. Die Projektion eines Raumpunktes auf die Bildebene, wie in Gleichung (15.8) beschrieben, wird hier abgekürzt ausgedrückt mit 3(·). Bei einem Kamerasystem, dessen Bewegung im Raum durch die Rotationsmatrix R und den Translationsvektor t beschrieben wird, ist die Trajektorie des Raumpunktes X(t) gegeben durch X(t 1)
R (t 1) X(t ) t (t 1)
(15.30)
Die Epipolarbedingung (15.22) beschränkt mögliche 2d-Verschiebungsvektoren eines starren Objekts auf eine Dimension. Bild 15-10 zeigt den für Automotive-Anwendungen typischen Sonderfall, bei dem die Rotationsbewegung vernachlässigt wird, womit die orthonormale Rotationsmatrix zur Identitätsmatrix wird: R(t + 1) = I. Weiterhin wird angenommen, dass sich die Kamera nur entlang der optischen Achse bewegt. Für starre Objekte mit unbekannter Bewegung kann die Epipolarbedingung erst nach Schätzung der Epipolarmatrix zur Einschränkung des Suchraums wirksam genutzt werden. Dies hat zur Folge, dass korrespondierende Punkte zunächst im gesamten Bildraum gesucht werden müssen, was mit kostenaufwendigen Operationen verbunden
B
ist. Darüber hinaus ist an vielen Bildpunkten kein eindeutiger Verschiebungsvektor d bestimmbar, da durch den Apertureffekt entstehende Mehrdeutigkeiten bei der projektiven Abbildung auf der Bildebene nicht aufgelöst werden können. Ein entscheidender Vorteil von Motion-Stereo im Vergleich zur Standard-Stereoskopie ist die mit zunehmender Zeit wachsende Basislänge. Die Basislänge von Stereoanordnungen ist aus baulichen Gründen beschränkt. Beim Motion-Stereo akkumuliert sich die Basislänge aus der Relativbewegung der Kamera über der Zeit. Dies steigert die Genauigkeit und Reichweite des Sensorsystems mit zunehmender Zeit. Besonders attraktiv für Anwendungen im Fahrerassistenzbereich ist die gleichzeitige Auswertung von stereoskopischer Disparität und Motion-Stereo. Während stereoskopisch instantan eine 3d-Rekonstruktion im Nahbereich möglich ist, akkumuliert das Motion-Stereo Verfahren mit zunehmender Zeit Verschiebungsinformation und erreicht so eine hohe Reichweite [11].
15.3.3 Trifokal-Tensor Die Erfüllung der Epipolarbedingung (15.22) bzw. (15.24) zwischen Korrespondenzen in beliebigen Bildpaaren stellt eine notwendige Bedingung dafür dar, dass die Korrespondenzen von einem Punkt der realen Welt stammen können. Sie ist jedoch nicht hinreichend, d. h. es sind Korrespondenztupel über mehrere Bilder möglich, die sämtliche Epipolarbedingungen zwischen beliebigen Bildpaaren erfüllen, aber dennoch nicht von einem Punkt der realen Welt stammen können.
Bild 15-10: Motion-Stereo-Anordnung für rein translatorische Kamerabewegung t = (tx = 0, ty = 0, tz z 0)T entlang der optischen Achse
211
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Bild 15-11 Trilineare Bedingungen
Eine hinreichende Bedingung wird erst mit den Trifokaltensor erreicht, der die Anordnung von drei Kameras beschreibt. Anschaulich betrachtet beinhaltet die durch den Trifokaltensor aufgestellte trilineare Bedingung folgende Teilbedingungen: die Einhaltung der Epipolarbedingungen zwischen dem ersten und zweiten Bild nach Rotation R12 und Translation t12 der Kamera; die Einhaltung der Epipolarbedingungen zwischen dem zweiten und dritten Bild nach erneuter Rotation R 23 und Translation t23 der Kamera; die identische Rekonstruktion der Entfernung aller Punkte X von der zweiten Kamera, unabhängig davon, ob die Entfernung aus den ersten oder letzten beiden Bildern rekonstruiert wurde. Formal werden diese Bedingungen symmetrisch ausgedrückt, wodurch sich ein System redundanter Forderungen an die Korrespondenzen in drei Bildern x1, x 2, x3 ergibt: f (T, x1, x 2 , x3 )
0
(15.31)
Der Trifokaltensor T umfasst 27 Elemente, von denen jedoch nur 18 unabhängig sind. In der Praxis zeigen sich die trilinearen Bedingungen der bloßen bildpaarweisen Auswertung gemäß der Epipolarbedingung deutlich überlegen. Ihre inhärente Redundanz verbunden mit der Beschränkung auf die gleichzeitige Einschränkung der Auswertung auf Bildtripel lassen darauf basierende Verfahren aber in der Regel trotz der formalen Vollständigkeit hinter Bündelausgleichsverfahren zurückstehen [9].
212
15.4 Zeitliche Verfolgung Der mit der projektiven Abbildung einhergehende Informationsverlust kann durch zeitliche Verfolgung von Bildmerkmalen in 2d oder 3d zum Teil kompensiert werden. Ausgehend vom Bayes-Filter, welches das allgemeingültigste Verfolgungsverfahren darstellt, werden in diesem Kapitel als praktikable Approximationen das Partikelfilter und das Kalman-Filter beschrieben. Die Aufgabe der zeitlichen Verfolgung besteht darin, aus Beobachtungen Yk die interessierenden Größen X k zu schätzen. Dabei sind sowohl die Beobachtungen als auch die zu schätzenden Größen im Allgemeinen vektorwertig. Beobachtungen und zu schätzende Größen sind zeitlich veränderlich und werden zu diskreten Zeitschritten k = 0, 1, 2, ... erfasst. Der Zusammenhang der zu schätzenden Größen X k mit den gegebenen Beobachtungen Yk wird im Zustandsraum modelliert. Die Dynamik des Zustands X k wird durch eine allgemeine Systemgleichung Xk
fk ( Xk 1, s k )
(15.32)
beschrieben. Dabei ist sk die Realisation des stochastischen Systemrauschens S. Das System erzeugt die Beobachtungen entsprechend der Beobachtungsgleichung Yk
g k (Xk , v k )
(15.33)
15 Maschinelles Sehen
kommt dabei weitere Unsicherheit des Systemrauschens hinzu. Im nachfolgenden Innovationsschritt wird die Prädiktion durch die aktuelle Beobachtung Yk verbessert, wobei die Likelihood vor dem Integral in Gleichung (15.37) ausgewertet wird. Die sequenzielle Auswertung der Beobachtungen ermöglicht elegante und effiziente Implementierungen. Im Allgemeinen ist die Wahrscheinlichkeitsdichte p(X k | Y0 , ... , Yk) nicht analytisch geschlossen darstellbar. Für den allgemeinen Fall approximieren die so genannten Partikelfilter die Wahrscheinlichkeitsdichte. Nimmt man weiter gaußverteilte Wahrscheinlichkeitsdichten und eine lineare Zustandsraumbeschreibung an, so wird eine besonders effiziente Verarbeitung durch das Kalman-Filter möglich. Weiterführende Literatur zu der diskutierten Thematik findet sich in [3], [7], [26], [39].
Darin ist vk die Realisation des stochastischen Beobachtungsrauschens V. Die Aufgabe besteht in der schritthaltenden Schätzung der Wahrscheinlichkeitsdichte p(X k | Y0 , ... , Yk) für den aktuellen Zustand unter Berücksichtigung aller bisheriger Beobachtungen bis zum aktuellen Zeitpunkt k. Aus dieser Wahrscheinlichkeitsdichte wird dann eine ausgezeichnete Realisation (z. B. das Maximum oder der Mittelwert) als optimale Schätzung X k gewählt. 15.4.1 Bayes-Filter Schreibt man zunächst aufgrund der Definition der bedingten Wahrscheinlichkeit (Satz von Bayes) formal
p( X k | Y0 , , Yk ) p(Yk | X k , Y0 , , Yk 1 ) p( X k | Y0 , p(Yk | Y0 , , Yk 1 )
, Yk 1 ) (15.34)
Partikelfilter Dieser Abschnitt gibt eine Einführung in das Partikelfilter. Zur Auswertung von Gleichung (15.37) approximieren Partikelfilter die Wahrscheinlichkeitsdichte p(X k | Y0 , ... , Yk) durch eine endliche Summe von Diracstößen mit Gewichten wki :
so erhält man unter der Annahme, dass die aktuelle Beobachtung Yk bei gegebenem Zustand X k von früheren Beobachtungen unabhängig ist, p( X k | Y0 , , Yk ) c p(Yk | X k ) p( X k | Y0 ,
(15.35)
, Yk 1 )
B
p( X k | Y0 ,
wki G ( X k
, Yk )
Xik ) .
i
i Die Paare Xik , wki aus Gewicht wk und zugeordi netem Zustand X k werden Partikel genannt. Im Innovationsschritt sind dann die Gewichte unter Berücksichtigung der neuesten Beobachtung zu aktualisieren,
Dabei ist die Normalisierungskonstante c eine vom Zustand X k unabhängige reelle Zahl. Den letzten Faktor kann man zunächst wieder formal umschreiben, p( X k | Y0 , p( Xk , Xk
, Yk 1 ) 1 | Y0 ,
p( X k | X k 1, Y0 ,
, Yk 1 ) dX k
1
, Yk 1 ) p( X k
1 | Y0 ,
wki , Yk 1 ) dX k
p(Yk | Xik ) p( Xik | Xik 1 ) q( Xik | Xik 1, Yk )
1
wki
1
wki
mit
(15.38)
(15.36) Unter der Annahme, dass der Zustand einem Markow-Prozess entspringt und die Beobachtungen bei gegebenem Zustand unabhängig von vorherigen Beobachtungen sind, erhält man die rekursive Gleichung des Bayes-Filters
1
i
q( Xik
| Xik 1, Yk )
Die Importancedichte muss beim Entwurf des Partikelfilters gewählt werden. Eine übliche Wahl ist q( Xik | Xik 1, Yk )
p( Xik | Xik 1 ) ,
wodurch Gleichung (15.38) zu p( X k | Y0 ,
, Yk )
c p(Yk | X k )
p( X k | X k 1 ) p( X k 1 | Y0 ,
, Yk 1 ) dX k
wki
p(Yk | Xik ) wki
1
wki
mit
1
i
1
(15.37) Das Bayes-Filter stellt damit einen sequenziellen Zustandsschätzer dar, der in jedem Zeitschritt die folgenden beiden Schritte umfasst. Im Prädikti onsschritt wird die Schätzung X k 1 des vorherigen Zeitschritts auf den aktuellen Zeitpunkt k projiziert. Dazu wird das Integral in Gleichung (15.37) ausgewertet. Zur Unsicherheit der vorherigen Schätzung
wird. Der Zustand bzw. die Unsicherheit der Schätzung lassen sich dann wie folgt ermitteln: k X wi Xi k
k
i
und
(15.39)
213
B
Sensorik für Fahrerassistenzsysteme
Weiterführende Themen zum Partikelfilter sind die Degeneration der Samples, das dadurch erforderliche Resampling und das Sample-Impoverishment. 15.4.2 Zeitliche Verfolgung mit dem Kalman-Filter Für den Fall, dass die Systemdynamik sowie die Beobachtungsgleichung linear sind und ferner das Beobachtungsrauschen, das Systemrauschen und die Unsicherheit des Zustands als normalverteilt betrachtet werden können, lässt sich Gleichung (15.37) einfach und effizient im so genannten Kalman-Filter implementieren. Zu jedem Zeitpunkt k wird die Normalverteilung vollständig durch k und die Kovarianzmatrix ihren Mittelwert X beschrieben. Im Prädiktionsschritt des Kalman-Filters wird k−1 , die Schätzung des vorherigen Zeitschritts X anhand des linearen Systemmodells auf den aktuellen Zeitschritt projiziert
X k
FX k
1
und P k
FP k 1F T
PS
(15.40)
mit der Dynamikmatrix F und der Kovarianzmatrix des Systemrauschens PS. Im nachfolgenden Innovationsschritt wird schließlich die neueste Beobachtung Yk berücksichtigt. X k
X k
P k
P k
P k G T (PV G T (P P k V
G T ) 1 (Y GP k k G T ) 1 GP GP k k
GFX k 1 ) (15.41) (15.42)
mit der Beobachtungsmatrix G und Kovarianzmatrix des Beobachtungsrauschens PV.
Tabelle 15-2: Verwendete Koordinatensysteme Bezeichnung Name
Beschreibung
(x, y)
Bildkoordinatensystem einer kalibrierten Kamera
Bildkoordinatensystem, x geht nach rechts und y nach unten. Der Ursprung liegt im Bildmittelpunkt.
(XK , YK , ZK )
Sensorfestes WeltkoordinatensyWeltkoordina- stem mit Ursprung tensystem im optischen Zentrum der Kamera.
(XW, YW, ZW )
Fahrstreifenmittiges Weltkoordinatensystem
Weltkoordinatensystem, das in der Mitte des Fahrstreifens auf der Fahrbahnoberfläche parallel zur Fahrstreifentangente gerichtet ist. Das Koordinatensystem bewegt sich mit der Kamera entlang des Fahrstreifens.
Einbauhöhe der Kamera, und a ist die Ablage der Kamera von der Fahrstreifenmitte. Zusätzlich zu den Koordinatensystemen ist eine Straße mit zwei Fahrstreifen dargestellt, von denen der rechte durch das eigene Fahrzeug befahren wird. Anschließend wird ein geometrisches parametrisiertes Modell zur Darstellung des 3d-Fahrstreifenverlaufs in der Welt gewählt. Dieses Modell nähert die im Straßenbau oft verwendete Klothoide durch eine Parabel in der ebenen Fahrbahnfläche an. Komplexere Modelle wie Polygone höherer
15.5 Anwendungsbeispiele 15.5.1 Fahrstreifenerkennung Dieser Abschnitt beschreibt die videobasierte Fahrstreifenerkennung als Anwendungsbeispiel einer kantenbasierten Bildfolgenverarbeitung mit zeitlicher Verfolgung. Die Fahrstreifengeometrie wird durch ein parametrisiertes geometrisches Modell beschrieben, siehe z. B. [14], [16]. Die Geometrieparameter werden unter Verwendung des BayesFilters über der Zeit verfolgt, beispielsweise in Realisierung als Partikelfilter oder Kalman-Filter. Zunächst werden Koordinatensysteme entsprechend Tabelle 15-2 und wie im Bild 15-12: Verwendete Koordinatensysteme dargestellt definiert. h bezeichnet darin die als bekannt angenommene
214
Bild 15-12: Verwendete Koordinatensysteme
15 Maschinelles Sehen
Ordnung oder vertikal gekrümmte Modelle sind ebenfalls einsetzbar. Die Fahrstreifengeometrie ist im konkreten Fall im Weltkoordinatensystem beschrieben durch 1 2 c Zm i b cos D 2 0
XW YW ZW
(15.43)
Z m i b sin D
wobei Zm die ZW-Koordinate der Fahrstreifenmitte ist und als Laufkoordinate dient; ferner ist D = arctan (c · Zm) der Winkel zwischen der Tangente an die Spurmittellinie und der ZW-Achse in der Entfernung. Zm · b bezeichnet die halbe Streifenbreite und c bezeichnet die Krümmung der Parabel. Der Krümmungsparameter der Parabel entspricht dabei nicht der in DIN 70000 beschriebenen Krümmung N. Die rechte Markierung ergibt sich für i = 1, während die linke Markierung durch i = –1 entsteht. Die Transformation der Koordinaten eines Punktes vom (XW, YW, ZW)-System in das (XK, YK, ZK)-System ist gegeben durch XK YK ZK
XW a R(I ,< ) YW h ZW
(15.44)
mit einer Rotationsmatrix R(I, S1, d. h. ob der Fahrer heftig lenkt, wobei S1 eine definierte Schwelle ist. Wenn der Fahrer heftig lenkt, wird nicht weiter auf Pendelschwingungen untersucht, und der Pendel-Indikator P bleibt Null. Ansonsten wird geprüft, ob das Fahrzeug schnell genug fährt, v > S4, da bei kleinen Fahrgeschwindigkeiten Pendelschwingungen ausgeschlossen werden können. Wenn auch die Intensitäten der Giergeschwindigkeitsschwingung und der Querbeschleunigungsschwingung groß genug sind, I\ > S3 bzw. Ia > S2, wird auf Pendelschwingung erkannt, und der Pendel-Indikator wird auf Eins gesetzt. Daraufhin wird das Motormoment zurückgenommen, und es werden eventuell auch alle Räder des Fahrzeugs mit demselben Bremsdruck aktiv gebremst. Die Schwellen S1, ..., S4 sind Parameter, die bei der Applikation der Funktion festgelegt werden. Die Eingriffe in das Motormoment und in die Bremse erfolgen so lange, bis eine der Intensitäten der Giergeschwindigkeitsschwingung oder Querbeschleunigungsschwingung unterhalb einer definierten Ausschaltschwelle gefallen ist (S3* bzw. S2*), bzw. bis die Fahrzeuggeschwindigkeit weit genug abgesunken ist (unterhalb S4*). Der Bremsdruck in den Radbremszylindern wird zunächst so eingestellt, dass das Fahrzeug mit einer Beschleunigung von –0,3 g verzögert. Nimmt die Pendelschwingung während dieser Verzögerung stark zu, so wird der Bremsdruck weiter erhöht, bis das Fahrzeug mit einer Beschleunigung von –0,5 g verzögert wird. Eine weitere Verbesserung der Dämpfung von Schlingerbewegungen wird durch eine seitenweise Modulation der Radbremsdrücke erreicht, die genau gegenphasig zum Giermoment läuft, welches vom Anhänger auf das Zugfahrzeug ausgeübt wird. Wichtig ist dabei, dass die Bremsdrücke in den Radbremszylindern nicht auf Null reduziert werden, da sonst Totzeiten in der Modulation entstehen, wodurch die Schlingerbewegung sogar aufgeschau-
E
kelt werden kann. Diese Totzeiten entstehen, wenn der Radbremsdruck Null beträgt, der Bremsbelag von der Bremsscheibe zurückgezogen wird. Beim erneuten Druckaufbau verschiebt sich der Bremsbelag zuerst zur Bremsscheibe hin, was die Totzeit verursacht. Erst wenn der Bremsbelag anliegt, kann der Bremsdruck erhöht werden.
25.5.2 Special Torque Control Diese Kategorie der Mehrwertfunktionen dient der Unterstützung bei der Stabilisierung, Lenkfähigkeit, Traktion und der Verbesserung der Agilität des Fahrzeugs. 25.5.2.1 Dynamic Center Coupling Control, DCT Allradfahrzeuge mit einer regelbaren elektronischen Lamellenkupplung als Mittensperre bieten eine Alternative zum Bremseneingriff. Anstatt die beiden Räder der durchdrehenden Achse abzubremsen, kann die Mittensperre geschlossen werden, was auch energetisch von Vorteil ist. Weitere Merkmale der geregelten Mittensperre sind: Sie ist geeigneter als die Bremsensperre bei Geradeausfahrt, auf μ-Split-Fahrbahn und im Gelände. Die Sperre muss geöffnet werden bei aktiven ESP-Eingriffen (sonst beeinflussen die Bremseingriffe auch den Schlupf anderer Räder), beim Bremsen (die Sperre beeinflusst die elektronische Bremskraftverteilung EBV) und während der Anpassungsphasen für die Geschwindigkeitsberechnung. Das Restmoment bei Viskosperren darf nicht größer als 100 Nm sein (auf das Rad umgerechnet), um die Geschwindigkeitsberechnung nicht zu stören. Bei zugeschalteter Vorderachse muss das Sperrmoment reduziert werden, wenn das Fahrzeug untersteuert, und erhöht werden, wenn das Fahrzeug übersteuert. Bei zugeschalteter Hinterachse muss das Sperrmoment erhöht werden, wenn das Fahrzeug untersteuert, und reduziert werden, wenn das Fahrzeug übersteuert. Aus Komfortgründen werden Sperrmomentrampen vorgegeben. Die Eingriffe sind komfortabler als die Bremseingriffe. Deshalb kann die Regelung der Fahrdynamik mittels Mittensperrenregelung empfindlicher eingestellt werden als mittels Bremssperrenregelung. Damit werden die Bremseingriffe zur Fahrzeugstabilisierung auch weniger häufig notwendig sein.
385
E
Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
25.5.2.2 Off Road Detection and Measures, ORD Auf losem Untergrund, wie es oft bei Geländefahrten der Fall ist, werden die größten Brems- und Antriebskräfte bei großen Schlupfwerten erreicht. Es besteht daher der Wunsch, den Sollschlupf bei losem Untergrund gegenüber dem auf festem Untergrund zu erhöhen, um kürzere Bremswege zu erzielen [7]. Auf losem Untergrund wird geschlossen, wenn auf Gelände erkannt wird. Dafür wurde eine so genannte Geländeerkennung eingeführt. Bei der Geländeerkennung werden die Radgeschwindigkeitsschwingungen ausgewertet. Ist die Amplitude dieser Schwingungen groß genug, so wird ein Geländezähler mit der Zeit hochgezählt. Andernfalls wird der Geländezähler mit der Zeit abwärts gezählt. Erreicht der Geländezähler einen festgelegten Wert, so wird auf Gelände erkannt und der Sollschlupf für die Vorderräder erhöht. Um nicht bei einer vereisten Fahrbahn fälschlicherweise auf Gelände zu erkennen, wird die Bremsverzögerung noch mit dem Schlupf korreliert. Ist die Bremsverzögerung klein, der Bremsschlupf aber groß, wird auf „Eis” erkannt, und der Sollschlupf wird nicht erhöht. Wenn eine eindeutige Korrelation nicht möglich ist, so wird der Sollschlupf an nur einem Vorderrad erhöht. Aus Sicherheitsgründen wird die Funktion nur unterhalb einer festgelegten Geschwindigkeitsschwelle aktiviert (z. B. unterhalb 50 km/h). Sobald der Fahrer lenkt, wird die Sollschlupferhöhung wieder zurückgenommen. Darüber hinaus wird der Sollschlupf an der Hinterachse nicht angehoben.
Bild 25-36 zeigt eine beschleunigte Fahrt auf losem Schotter mit leichtem Gefälle mit einer anschließenden Vollbremsung. Bei der Beschleunigung treten heftige Schwingungen in den Radgeschwindigkeiten auf – ein Hinweis auf Gelände. Während der beschleunigten Fahrt werden die Schwingungen ausgewertet und der Geländeerkennung zugeführt. Nach ca. einer Sekunde erreicht der Geländezähler einen festgelegten Schwellenwert, und es wird auf Gelände erkannt. In diesem Beispiel aber war die Korrelation zwischen Schlupf und Fahrzeugverzögerung nicht eindeutig, sodass nicht klar auf „Eis“ oder „Gelände“ erkannt werden konnte. Die Folge war, dass nur am rechten Vorderrad der Sollschlupf erhöht wurde, nicht am linken Vorderrad. Die Sollschlupferhöhung relativ zum Sollschlupf auf fester Fahrbahn ist im obigen Bild zu sehen.
25.5.3 Brake & Boost Assist In dieser Kategorie der Assistenzfunktionen werden die Bremsdrücke und Bremskraftverstärkerfunktionen an die Fahr- und Systemsituationen angepasst, wie z. B. beim Bremsassistenten. 25.5.3.1 HBA, Hydraulic Brake Assist Untersuchungen am Fahrsimulator von MercedesBenz haben ergeben, dass Normalfahrer in Schrecksituationen nur zögernd bremsen (Bild 25-37). Die volle Betätigung der Bremse durch den Fahrer geschieht zeitversetzt. Da ein Verlust an Bremswirkung vor allem am Anfang einer Bremsung, wo
Bild 25-36 Vollbremsung im Gelände mit Geländeerkennung und Sollschlupferhöhung am Rad vorne rechts. Messbereiche: Zeit: 0 – 5 s, Rad-/Fahrzeuggeschwindigkeit: 0 – 10 m/s, Bremsdrücke: 0 – 500 bar, Geländezähler: 0 – 100, Schlupf: –150 % – 50 %.
386
25 Bremsenbasierte Assistenzfunktionen
Bild 25-37: Unterstützung des Fahrers in der Anbremsphase durch den Bremsassistenten (HBA)
die Geschwindigkeit am höchsten ist, den größten Einfluss auf den Bremsweg hat, ist die anfänglich zögerliche Bremsbetätigung besonders gravierend. Abhilfe schafft der Bremsassistent, der durch Erkennung einer Gefahrensituation den Bremsdruck sofort, eventuell bis zur Schlupfregelung, über das vom Fahrer vorgegebene Maß erhöht. Die wichtigsten funktionalen Anforderungen an den BA sind folgende [3], [4]: Unterstützung des Fahrers in Not-Bremssituationen, Verkürzung des Bremswegs auf solche Werte, wie sie sonst nur von gut trainierten Fahrern erreicht werden können. Abschaltung der Vollbremsung, sobald der Fahrer die Fußkraft deutlich reduziert. Beibehaltung der konventionellen Bremskraftverstärkerfunktion. Pedalgefühl und Komfort sollen bei Normalbremsungen dem bisher gewohnten Standard entsprechen. Aktivierung des Systems nur in wirklichen Notsituationen, sodass sich beim Fahrer kein Gewöhnungseffekt einstellt. Keine Beeinträchtigung der konventionellen Bremse bei BA-Ausfall.
E
Kernaufgabe ist die Bildung eines Auslösekriteriums auf Basis der Fahreraktionen. Der hydraulische Bremsassistent (HBA) nutzt das vorhandene ESP-Hydroaggregat, um den Bremsdruck aktiv zu erhöhen. Mit dem eingebauten Drucksensor wird die Bremspedalbetätigung durch den Fahrer zur Situationserkennung analysiert. Die Erkennung der Notbremssituation geschieht durch die Auswertung des Drucksensorsignals bzw. dessen Gradienten (Tabelle 25-1). Durch applizierbare Schwellen für Druck und Druckgradient lässt sich der HBA an die jeweiligen Gegebenheiten des Fahrzeugs und der Bremsanlage leicht anpassen. Dabei passen sich die Schwellen dynamisch der momentanen Situation unter Berücksichtigung von Fahrzeuggeschwindigkeit, Hauptbremszylinderdruck, Zustandsgrößen der Raddruckregelung und einer Bremsverlaufsanalyse an. Das Überschreiten einer Mindestgeschwindigkeit gehört ebenso zur Auslösebedingung. Sobald die Auslösungsbedingung erfüllt ist, wird der Bremsassistent aktiv (Nummer 1 in Phase 1, Bild 25-38). Nun erhöht der Bremsassistent den Druck über das vom Fahrer vorgegebene Niveau an allen vier Rädern bis zur Blockiergrenze. Die aktive Bremsdruckerhöhung und die Bremsdruckregelung geschieht in gleicher Weise wie bei Bremseingriffen der Fahrdynamikregelung ESP. Überschreitet der Bremsdruck die Blockiergrenze, so übernimmt der unterlagerte Bremsschlupfregler die Aufgabe, den Radschlupf zu regeln und die Bremskraft optimal auszunutzen. Ist durch Entlastung des Bremspedals der gemessene Druck kleiner als ein bestimmter Wert (Nummer 2), so erkennt das System den Fahrerwunsch und kann damit die Bremskraft reduzieren (Bild 25-38, Phase 2). Zu diesem Zeitpunkt ändert sich die Regelstrategie. Ziel ist nun, dem Signal des gemessenen Drucks zu folgen und dem Fahrer einen
Tabelle 25-1 Situation
Erkennungslogik
Phase 1 (Bild 25-37) Notsituation Panikbremsung
Bremspedal betätigt und HZ- Druckgradient über Einschaltschwelle und HZ- Druck über Einschaltschwelle und Fahrgeschwindigkeit über Einschaltschwelle
Phase 2 (Bild 25-38) Reduzierte Bremsanforderung
Pedalkraft (aus HZ- Druck abgeleitet) unter Umschaltschwelle
Wiederauslösung
HZ- Druckgradient über Einschaltschwelle
Standard-Bremsung
Bremspedal nicht betätigt oder HZ- Druck unter Ausschaltschwelle oder Fahrgeschwindigkeit unter Ausschaltschwelle oder Pedalkraft genügend hoch
387
E
Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Bild 25-38: Konzept des hydraulischen Bremsassistenten
komfortablen Übergang in die Standardbremsung zu ermöglichen. Der Bremsassistent wird abgeschaltet, sobald der erhöhte Bremsdruck den vorgegebenen Wert erreicht oder das Drucksignal einen vorgegebenen Wert (Nummer 3) unterschreitet. Der Fahrer kann nun ohne zusätzliche Unterstützung weiterbremsen. 25.5.3.2 Brake Disc Wiping, BDW Der Reibwert zwischen Bremsbelag und Bremsscheibe ist bei nassen Bremsen niedriger als bei trockenen Bremsen. Sind die Bremsen nass, so wird für kurze Zeit (ca. 3 s) ein sehr geringer Bremsdruck (ca. 1,5 bar) an allen Rädern aktiv aufgebaut. Durch das Anlegen der Bremsbeläge an die Bremsscheiben wird der Wasserfilm entfernt und dadurch die Bremswirkung verbessert. Der Vorgang wird bei Regen regelmäßig wiederholt (ca. alle 3 min). Eine Fahrzeugverzögerung ist dabei nicht spürbar. Ein Indiz dafür, dass es regnet, wird vom Regensensor geliefert. Ein weiteres Indiz sind betätigte Scheibenwischer. Die Funktion wird abgebrochen, wenn der Fahrer die Bremse betätigt. Für diese Funktion muss das ESP-Aggregat entsprechend ausgerüstet sein, z. B. mit genauen Regelventilen. 25.5.3.3 Electronic Brake Prefill, EBP Werden die Bremsen durch den Fahrer oder auch aktiv durch das ESP betätigt, so werden zunächst
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die Kolben der Radbremsen vorgeschoben, bis die Bremsbeläge an den Bremsscheiben anliegen. Während dieser Zeit wirkt kein Bremsmoment an den Rädern, und die Bremskraft an den Rädern wird relativ zur Bremspedalbetätigung oder zum Anfang der aktiven Bremsung verzögert aufgebaut (siehe auch TSM). Der Bremsweg wird dadurch länger – was bei einer Vollbremsung kritisch sein kann – bzw. der aktive Bremseneingriff kann dadurch zu spät erfolgen, wodurch das Fahrzeug evtl. nicht mehr stabilisiert werden kann. Eine Verbesserung kann erreicht werden, wenn die Bremsbeläge bereits an den Bremsscheiben anliegen, bevor der Fahrer bremst bzw. bevor der aktive Bremseneingriff benötigt wird. Ein Indiz dafür, dass der Fahrer demnächst bremst, ist der Lastwechsel. Reduziert der Fahrer den Gaspedalweg sehr schnell, dann ist dies ein Hinweis dafür, dass demnächst eine Vollbremsung erfolgen könnte. Im letzten Fall wird während des Lastwechsels aktiv ein kleiner Bremsdruck von ca. 3 bar aufgebaut, um die Bremsbeläge bereits an die Bremsscheibe anzulegen, bevor der Fahrer bremst. Ein Beispiel für diese Funktion bei aktiven ESPEingriffen ist folgende Situation: Der Fahrer lenkt schnell nach links, z. B. um einem Hindernis auszuweichen. Während des schnellen Lenkens nach links wird am linken (kurveninneren) Vorderrad ein kleiner aktiver Bremseingriff von ca. 3 bar ein-
25 Bremsenbasierte Assistenzfunktionen
geleitet, um den Bremsbelag bereits in dieser Situation an die Bremsscheibe anzulegen. Lenkt der Fahrer im nächsten Augenblick schnell nach rechts, so kann das Fahrzeug instabil werden, und es muss ein Übersteuereingriff am linken Vorderrad erfolgen, der sehr schnell sein muss, um das Fahrzeug noch stabilisieren zu können. Da der Bremsbelag bereits an der Bremsscheibe anliegt, kann der Eingriff unmittelbar erfolgen. Falls der Fahrer nicht im nächsten Augenblick nach rechts lenkt, ist der Bremseingriff am linken Vorderrad nicht notwendig. Aus diesem Grund muss gesichert werden, dass der Bremsdruck einerseits so groß ist, dass die Bremsbeläge an der Bremsscheibe anliegen, und andererseits so klein ist, dass die Bremsung vom Fahrer nicht als störend wahrgenommen wird. Für diese Funktion muss das ESP-Gerät entsprechend ausgerüstet sein, z. B. mit genauen Regelventilen. 25.5.3.4 Hydraulic Brake Boost, HBB Die meisten Bremsungen finden im Bereich bis 30 bar statt. Bis zu diesem Bremsdruck reicht ein kleiner Bremskraftverstärker aus, um den Fahrer bei der Bremsung ausreichend zu unterstützen. Der Bremskraftverstärker muss jedoch so ausgelegt sein, dass er den Fahrer auch bei hohen Bremsdrücken genügend unterstützen kann. Ein größerer Bremskraftverstärker braucht aber einen größeren Einbauraum im Motorraum, der mit Zunahme der Anzahl von Aggregaten immer knapper wird. Um mit kleinerem Bremskraftverstärker den Fahrer auch bei hohen Bremsdrücken ausreichend unterstützen zu können, wird mittels des ESP-Aggregats die Verstärkerfunktion noch aufrechterhalten, auch wenn der Bremskraftverstärker seinen Aussteuerpunkt erreicht hat. Die Funktion ist ähnlich wie bei der HBA bzw. bei den ESP-Eingriffen bei der Teilbremsung. Je stärker der Fahrer bremst, desto länger wird die Pumpe im ESP-Aggregat angesteuert und desto mehr Bremsflüssigkeit wird in den Radbremszylindern gefördert bzw. desto höher steigt der Bremsdruck in den Radbremszylindern. Bei den meisten Bremsungen (Bremsdruck unter 30 bar) aber ist diese Funktion nicht aktiv, da der kleine Bremskraftverstärker den Fahrer ausreichend unterstützen kann. Ein weiterer Nutzen von HBB ist, dass fehlende Verstärkerfunktion z. B. durch vorübergehenden Mangel an Unterdruck oder Ausfall des Bremskraftverstärkers vom ESP-Aggregat kompensiert wird. 25.5.3.5 Hydraulic Boost Failure Compensation, HBC Fällt der Bremskraftverstärker aus, kann ähnlich wie bei der HBB die Pumpe des ESP-Aggregats bei
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der Bremsung durch den Fahrer aktiv Bremsflüssigkeit in den Radbremszylinder fördern und dadurch den Fahrer bei der Bremsung unterstützen. 25.5.3.6 Hydraulic Fading Compensation, HFC Steigt während der Bremsung durch den Fahrer die Bremsentemperatur auf hohe Werte, so kann die Bremswirkung nachlassen, und die Fahrzeugverzögerung entspricht nicht mehr der bei kalten Bremsen. Um die gleiche Fahrzeugverzögerung auch bei heißgefahrenen Bremsen beizubehalten, muss der Radbremsdruck relativ zum Hauptbremszylinderdruck erhöht werden. Dazu wird die Pumpe des ESP-Aggregats verwendet. Die HFC unterstützt den Fahrer, wenn bei einer sehr kräftigen Bremspedalbetätigung, die normalerweise zur ABS-Regelung führen würde, die volle Fahrzeugverzögerung nicht erreicht wird. Die Pumpe fördert so lange Bremsflüssigkeit in die Radbremszylinder, bis die volle Fahrzeugverzögerung erreicht wird, d. h. bis sich alle Räder in ABS-Regelung befinden. Wird der Hauptbremszylinderdruck wieder unter einen bestimmten Wert abgesenkt, wird die Funktion beendet. 25.5.3.7 Hydraulic Rear Wheel Boost, HRB Bei Notbremsungen neigen Normalfahrer dazu, die Kraft auf das Bremspedal nicht weiter zu erhöhen, wenn sie spüren, dass die ABS-Regelung beginnt. Aufgrund der stabilen Auslegung der Bremskraftverteilung beginnt die ABS-Regelung an den Vorderrädern bei deutlich geringeren Verzögerungen als an den Hinterrädern. Dies gilt bei Geradeausbremsung auf homogenem Reibwert bei Verzögerungen unterhalb eines kritischen Werts (siehe EBV). So wird häufig das Kraftschlusspotenzial der Hinterachse nicht vollständig genutzt, obwohl es die Fahrsituation erfordern würde. Eine bessere Ausnutzung der Hinterradbremsen kann erzielt werden, wenn der Bremsdruck an der Hinterachse höher ist als der an der Vorderachse. Am Besten ist die Ausnutzung, wenn die Bremskraftverteilung der idealen Kurve folgt. Dazu müssen die Bremsdrücke an der Hinterachse über die der Vorderachse erhöht werden. Dies ist möglich unter Verwendung der Pumpe des ESP-Aggregats. Regeln die Räder der Vorderachse ABS, die der Hinterachse hingegen nicht, wird die Pumpe gestartet, und es wird der Druck in den Hinterradbremszylindern erhöht, bis an den Hinterrädern ebenfalls die ABS-Regelung beginnt. Die aktive Druckerhöhung wird beendet, wenn die Vorderräder nicht mehr in ABS-Regelung sind oder der Hauptbremszylinderdruck eine bestimmte Abschaltschwelle unterschreitet.
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
25.5.3.8 Soft Stop, SST Bei sehr kleinen Fahrgeschwindigkeiten ist der Reibwert zwischen den Bremsbelägen und den Bremsscheiben größer als bei höheren Fahrgeschwindigkeiten. Deshalb erfolgt ein Bremsruck, kurz bevor das Fahrzeug durch die Bremsung zum Stillstand kommt. Dieser kann vermieden werden, indem der Fahrer den Bremsdruck kurz vor Fahrzeugstillstand zurücknimmt. Mit den Regelventilen des ESPAggregats ist dieser Vorgang auch ohne Zutun des Fahrers möglich. Kurz vor Fahrzeugstillstand wird der Bremsdruck in den Radbremszylindern mittels der Regelventile gegenüber dem vom Fahrer vorgegebenen Druck im Hauptbremszylinder reduziert.
25.5.4 Standstill & Speed Control Diese Kategorie der Mehrwertfunktionen unterstützt den Fahrer bei Fahrbahngefälle und beim Anfahren, z. B. Anfahrassistent (Hill Hold Control) und ACC Stop&Go. Sie ermöglichen dem Fahrer ein komfortables Fahren. 25.5.4.1 Hill Descent Control, HDC Geländefahrzeuge mit zugeschaltetem Untersetzungsgetriebe können mit dem Motorschleppmoment steile Hänge ohne Betätigung der Betriebsbremse herunterfahren, ohne dass das Fahrzeug zu schnell wird. Bei Fahrzeugen ohne dieses Getriebe wird die Wirkung durch eine automatische Bremsung der Räder erreicht [7]. Dazu wird das Prinzip der CDD-B verwendet. HDC lässt sich am Armaturenbrett über eine Taste aktivieren und deaktivieren. Bei aktivierter HDC ist die Regelung erst betriebsbereit, wenn die Fahrgeschwindigkeit nicht zu groß ist (< 35 km/h), wenn wenig Gas gegeben wird (Gaspedalstellung < 20 %), und wenn Gefälle erkannt wird. Der geschätzte Offsetwert in Gleichung (25.17) wird als Fahrbahnsteigung verwendet. Geregelt wird auf einen konstanten Geschwindigkeitssollwert von 8 km/h. Betätigt der Fahrer das Gaspedal, so kann die Geschwindigkeit auf einen höheren Wert bis maximal 35 km/h geregelt werden. Betätigt der Fahrer hingegen das Bremspedal, so kann die Geschwindigkeit auf 6 km/h herunter geregelt werden. Auch bei der HDC werden wie bei der CDD-B die Bremsleuchten im Regelbetrieb angesteuert. Überschreitet bei aktivierter Funktion die Geschwindigkeit die Schwelle 35 km/h, so wird die Regelung abgebrochen und erst dann wieder aufgenommen, wenn die Geschwindigkeit die Schwelle wieder unterschreitet. Die Funktion wird automatisch deaktiviert, wenn die Geschwindigkeit 60 km/h überschreitet.
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Hohe Temperaturen an der Radbremse schränken den HDC-Betrieb ein. Sind die Temperaturen beider Räder einer Achse höher als 600 °C, so wird die Bremswirkung langsam zurückgenommen. Ist die Temperatur unterhalb 500 °C gesunken, wird die Bremsregelung wieder zugeschaltet. Anhand eines Modells der Bremse wird die Temperatur geschätzt. In dieses Modell gehen nicht nur die Aufheizzeiten sondern auch die Abkühlphasen ein. Die eingehende thermische Energie wird direkt aus dem geschätzten Bremsmoment abgeleitet. Vor allem bei unebenem Gelände kann durch Abheben der Räder durch die HDC-Bremsung eine Bremsschlupfregelung häufig notwendig werden. Durch die asymmetrischen Bremskräfte können dabei, wie bei einer μ-Split-Bremsung, Giermomente auf das Fahrzeug ausgeübt werden, die der Fahrer über die Lenkung ausregeln muss. Um die Geschwindigkeit des Fahrzeugs beizubehalten, müssen dann die anderen Räder stärker abgebremst werden, was dort auch zu einer Schlupfregelung führen kann. Hierdurch ist der Fahrer bei der Führung seines Fahrzeugs belastet. Er kann sich aber voll auf seine Lenkungsaufgabe konzentrieren, da die Bremsaufgabe von der HDC übernommen wird. 25.5.4.2 Automatic Vehicle Hold with Acceleration Sensor, AVH-S
Diese Fahrer-Assistenzfunktion dient dazu, das Fahrzeug im Stand mit einem Haltedruck zu bremsen, damit es stehen bleibt und nicht wegrollt. Dazu wird mithilfe des ESP-Aggregats eine aktive Bremsdruckerhöhung bis zum Haltedruck an den Rädern durchgeführt. Im Gegensatz zur Funktion HHC-S, die nur ca. 2 s wirkt, kann das Fahrzeug mehrere Minuten ohne Bremsenbetätigung durch den Fahrer gehalten werden. Nach einer gewissen Zeit wird die Haltefunktion von der automatischen Feststellbremse übernommen. Zur Druckerzeugung wird sowohl die Pumpe als auch das Umschaltventil zwischen Hauptzylinder und Bremskreis angesteuert [4]. Bei einer elektrischen Teilbestromung wirkt das Umschaltventil wie eine Drossel. Durch die Pumpenförderung entsteht über das Ventil ein Staudruck, wodurch die Radbremszylinder mit Bremsdruck beaufschlagt werden. Da der Strom variiert werden kann, ist eine Druckmodulation der Radbremsen möglich. Damit lässt sich ein minimaler Bremsdruck an den Rädern einstellen, der sich an das Längsbeschleunigungssignal variabel anpasst und das ESP-Aggregat minimal belastet. Wenn der erforderliche Haltedruck erreicht ist, wird das Umschaltventil voll bestromt, sodass es schließt, und die Pumpe abgeschaltet werden kann.
25 Bremsenbasierte Assistenzfunktionen
Die AVH-S-Funktion muss vom Fahrer über einen Schalter oder über eine Taste aktiviert werden. Wenn nach einer Bremsung bis zum Stillstand wieder angefahren werden soll, muss die Bremse gelöst werden. Wird der Bremsdruck in den Radbremszylindern vom ESP-Aggregat gehalten, so muss über die Ansteuerung der Umschaltventile der Druck geregelt zurückgenommen werden. Sobald der Fahrer das Gaspedal betätigt, wird der Druck in den Radbremszylindern reduziert, wobei die Bremsdruckreduzierung vom aktuellen Motormoment und dem eingelegten Gang abhängig ist. 25.5.4.3 Automatic Vehicle Release, AVR Diese Funktion ermöglicht die geregelte Rücknahme des Haltedrucks im Stillstand. Sie ist in der Funktion AVH-S enthalten und dort beschrieben. 25.5.4.4 Cruise Control Basic, CCB Bei der adaptiven Fahrgeschwindigkeitsregelung mit Umfeldsensor (Adaptive Cruise Control, ACC) wird die Fahrgeschwindigkeit zunächst über eine Rücknahme des Motormoments reduziert. Reicht der Motoreingriff nicht aus, so wird mit dem ESPAggregat ein aktiver Bremseneingriff eingeleitet, um die von der ACC vorgeschriebene Fahrzeugverzögerung zu erreichen, siehe Funktion CDD-B. Für diese Grundfunktion des ACC sind Bremsdrücke bis zu 40 bar erforderlich. Da die Bremsfunktion hohe Anforderungen an den Komfort erfüllen muss, sind genaue und kontinuierlich regelbare Umschaltventile erforderlich. 25.5.4.5 Cruise Control Touch Activated, CCT Auch diese Funktion nutzt das ESP-Aggregat, um das Fahrzeug komfortabel zu verzögern. Im Unterschied zu CCB bietet CCT dem Fahrer die Möglichkeit, über Bedienelemente am Lenkrad beliebige Beschleunigungen und Verzögerungen vorzugeben. Dabei kann bis zum Fahrzeugstillstand verzögert werden und z. B. durch AVH-S im Stillstand gehalten werden. Diese Funktion stellt hohe Anforderungen an die Belastbarkeit und eine geringe Geräuschentwicklung des ESP-Aggregats. 25.5.4.6 Controlled Deceleration for DAS Basic, CDD-B Viele Funktionen beruhen auf der Vorgabe einer Fahrzeugverzögerung, wie z. B. TSM, HDC, ACC und die automatische Teilbremsung bei Gefahr eines Auffahrunfalls. CDD-B ist ausgelegt für Cruise Control-Systeme und setzt Fahrzeugverzögerungen bis 2,5 m/s2 bei Geschwindigkeiten oberhalb von 30 km/h um. Eingangsgröße der CDD-B ist eine Soll-Fahrzeugverzögerung, Ausgangsgröße ist die
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Ist-Fahrzeugverzögerung, die durch aktives Bremsen an allen Rädern eingeregelt wird. Dabei wird die Pumpe des ESP-Aggregats angesteuert und die Verbindung zwischen Bremskreis und Hauptbremszylinder mit einem stromgeregelten proportionalen Ventil, dem Umschaltventil, geschlossen (siehe auch AVH-S). Die Einlassventile der Räder werden nicht beeinflusst. Die Umschaltventile wirken wie variable Drosseln, wobei die Drosselwirkung über den elektrischen Strom gesteuert wird. Durch die stetige Förderung der Pumpe durch die variable Drossel wird ein variabler Staudruck generiert, welcher die Radbremszylinder mit Druck beaufschlagt. Durch die hohen Komfortanforderungen an Geräusch und Fahrzeugverzögerung, z.B. bei ACC, sind hochwertige Umschaltventile erforderlich [4]. 25.5.4.7 Controlled Deceleration for DAS, Stop&Go, CDD-S Im unteren Geschwindigkeitsbereich (0–30 km/h) wird relativ häufig gefahren, und zwar in ca. 32 % der Gesamtbetriebszeit des Fahrzeugs. Der Stauassistent hilft dem Fahrer im Verkehrsstau, bei Fahrgeschwindigkeiten unterhalb von 30 km/h, Auffahrunfälle zu vermeiden. Dafür ist ein Sensor (z. B. ein Radarsensor) für den Nahbereich und für niedrige Geschwindigkeiten erforderlich, um Hindernisse vor dem Fahrzeug zu erkennen. Zudem ist ein Hochleistungs-Bremssystem nötig, um das Fahrzeug bei niedrigen Fahrgeschwindigkeiten komfortabel bis zum Stillstand zu verzögern. Wenn erforderlich, wird das Fahrzeug durch den Stauassistent aktiv und bis zum Stillstand verzögert. Genau wie CDD-B dient CDD-S diesen Cruise Control-Systemen als Steller, um die geforderte Fahrzeugverzögerung einzustellen. Dies ist mit CDD-S aber in jedem Geschwindigkeitsbereich bis zum Stillstand möglich, einschließlich Stop&Go-Betrieb. CDD-S kann höhere Verzögerungen bis zu 6 m/s2 einstellen. Das Fahrzeug kann hydraulisch oder mittels einer mechanischen Feststellbremse im Stillstand gehalten werden. Wegen der hohen Einsatzhäufigkeit werden hierbei besonders hochwertige ESPAggregate verwendet. Wenn das vorausfahrende Fahrzeug anhält, kann der Fahrer sowohl visuell, akustisch als auch haptisch gewarnt werden, z. B. mittels AWB, um ihn zur Bremsung zu animieren. Wenn der Fahrer nicht rechtzeitig bremst, verzögert das System das Fahrzeug bis zum Stillstand. 25.5.4.8 Controlled Deceleration for Parking Brake, CDP CDP findet in Fahrzeugen mit elektromechanischen Feststellbremsen Verwendung. Diese Bremsen ersetzen die konventionellen Handbremshebel:
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Die Seile der Feststellbremse werden durch einen Elektromotor betätigt. Bei laufendem Motor übernimmt zunächst die ESP-Hydraulik die Aufgaben der Feststellbremse bis zum Fahrzeugstillstand und auch kurze Zeit danach, bis die mechanische Feststellbremse diese übernommen hat. CDP bildet das Interface zum Steuergerät der elektromechanischen Feststellbremse und bremst das Fahrzeug durch aktive Druckerhöhung an den Rädern. Während des Abbremsvorgangs bleiben alle ESP-Funktionen voll verfügbar. 25.5.4.9 Hill Hold Control with Acceleration Sensor, HHC-S Wenn ein Fahrzeug an einer Steigung anfahren soll, ist ein komplizierter Vorgang mit Koordination von Bremspedal Loslassen, Einkuppeln, Handbremse Lösen und Gas Geben notwendig, damit das Fahrzeug beim Bremsenlösen nicht zurückrollt. Dieser Vorgang kann mithilfe des ESP-Aggregats zu einem normalen Anfahrvorgang vereinfacht werden. Dabei wird der vom Fahrer aufgebrachte Bremsdruck für bis zu 2 s beibehalten. Es findet kein aktiver Druckaufbau statt. Dadurch hat der Fahrer genügend Zeit, um vom Bremspedal zum Gaspedal zu wechseln. Der Bremsdruck wird abgebaut, sobald das System den Anfahrvorgang erkennt. Um den richtigen Zeitpunkt für den Druckabbau zu bestimmen, ist es notwendig, das Kräftegleichgewicht am Fahrzeug zu kennen. Dieses kann aus dem Motormoment und der Hangabtriebskraft berechnet werden. Die Hangabtriebskraft wird mittels eines Längsbeschleunigungssensors abgeschätzt. Die HHC-Funktion wird automatisch aktiviert. Um zu vermeiden, dass der Fahrer das Fahrzeug verlässt, während HHC aktiv ist, werden zur Sicherheit zusätzliche Signale (z. B. Kupplungssignal) überprüft.
25.5.5 Advanced Driver Assistance System Support Bei dieser Kategorie von Mehrwertfunktionen werden die ESP-Eingriffe auf der Grundlage von Sensorsignalen aus den Bereichen der aktiven und passiven Sicherheit angepasst. So z. B. die Automatic Warning Brake, die helfen soll, die Aufmerksamkeit des Fahrers zu erhöhen. 25.5.5.1 Adaptive Brake Assist, ABA Je früher eine Vollbremsung einsetzt, desto kürzer ist der Bremsweg. Im Hinblick auf den Bremsassistenten HBA wurde bereits erklärt, dass nach Erkennung einer Gefahrensituation eine automatische Vollbremsung bis in den ABS-Bereich erfolgt.
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Für die Erkennung wird aber Zeit benötigt. Zudem wird Zeit gebraucht, bis die Bremsbeläge anliegen und Bremsmoment entsteht. Wird aufgrund der Umfeldsensorik eine Gefahrensituation erkannt, so wird die Auslöseschwelle des HBA herabgesetzt. Dies kann in mehreren Stufen erfolgen. Mithilfe der ABP-Funktion werden die Bremsbeläge automatisch an die Bremsscheiben angelegt, noch bevor der Fahrer die Bremsung einleitet. Betätigt der Fahrer dann die Bremse, so wird der Bremsassistent schneller aktiviert, die Bremswirkung startet sofort, und der Bremsweg ist kürzer. Diese Funktion wird auch „Predictive Brake Assist“ (PBA) genannt. Bei der EHB (Elektrohydraulische Bremse) wird zusätzlich die Bremskraftverstärkung erhöht. Auch wenn der Auffahrunfall nicht vermieden werden kann, wird die Unfallschwere durch die geringere Geschwindigkeit beim Aufprall geringer sein. In einer weiteren Ausbaustufe wird auf Grundlage der Information aus der Umfeldsensorik zusätzlich ein erforderlicher Bremsdruck ausgerechnet, mit dem der Auffahrunfall noch vermieden werden kann. Leitet der Fahrer die Bremsung ein, so wird dieser Bremsdruck automatisch und sofort eingestellt. 25.5.5.2 Automatic Brake Prefill, ABP Wird aus der Information der Umfeldsensorik eine Gefahrensituation festgestellt, die zu einem Auffahrunfall führen kann, werden die Bremsbeläge an die Bremsscheibe angelegt, um bei einer anschließenden Bremsung eine sofortige Bremswirkung zu erzielen. Dafür wird die Funktion EBP (Electronic Brake Prefill) verwendet. Anwendung findet diese Funktion z. B. bei der ABA. 25.5.5.3 Automatic Emergency Brake, AEB Diese Funktion leitet eine automatische Notbremsung bis zum ABS-Betrieb ein, auch wenn der Fahrer nicht rechtzeitig reagiert. Hierfür ist eine sichere Erkennung der Gefahrensituation erforderlich. Neben der Sensorik für den Fernbereich, wie sie bei ACC verwendet wird, ist zusätzlich eine Sensorik für die Erkennung des Nahfeldbereichs erforderlich (z. B. Videosensorik). Wie bei der CDD-B wird eine aktive Bremsung eingeleitet, die wie bei der CDD-S bis zum Stillstand des Fahrzeugs fortgeführt wird. Der Druck in den Radbremszylindern wird aber nicht auf eine vorgegebene Fahrzeugverzögerung eingestellt, sondern ähnlich wie bei der HBA so schnell wie möglich bis zur ABS-Druckmodulation erhöht. 25.5.5.4 Automatic Warning Brake, AWB Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Aufmerksamkeit des Fahrers bezüglich der Gefahrensituation
25 Bremsenbasierte Assistenzfunktionen
25.5.6 Monitoring & Information
ein Reifen Druck verliert. Es besteht aber die Möglichkeit, auch eine Warnung auszugeben, wenn alle vier Reifen oder zwei Reifen auf einer Achse gleichmäßig Luftdruck verlieren. Die Funktion beruht auf der Tatsache, dass wenn ein Reifen Luft verliert, der Reifenradius etwas kleiner bzw. die Raddrehung etwas schneller wird. Der Unterschied ist jedoch gering, vor allem bei Reifen mit niedrigem Querschnitt, und es muss auf ca. 0,25 % Geschwindigkeitsunterschiede geprüft werden. Dies setzt eine sehr langsame Filterung und Mittelwertbildung der Radgeschwindigkeit voraus. Nach einem Reifenwechsel muss die Funktion zurückgesetzt werden, z. B. durch Betätigung einer „Reset“-Taste, und alle Reifen müssen auf Solldruck eingestellt werden. Neben der Auswertung der Abrollumfänge wird neuerdings auch das Frequenzspektrum der Radsignale ausgewertet.
Zu dieser Kategorie der Mehrwertfunktionen zählen Funktionen, die basierend auf ESP den Fahrer mit wichtigen Informationen versehen, wie z. B. die Reifen-Luftdrucküberwachung.
25.6 Unterschiede zu EHB-basierten Bremsregelsystemen
25.5.6.1 Tire Inflation Monitoring System, TIMS Wenn der Luftdruck in den Reifen niedriger als vorgeschrieben ist, nimmt der Reifenverschleiß zu. Bei schneller Fahrt werden Reifen mit niedrigem Luftdruck wegen dem erhöhten Rollwiderstand und Verformungsarbeit heiß und können platzen, vor allem beim beladenen Fahrzeug und an einem heißen Tag. Der Fahrer ist deshalb angehalten, den Luftdruck regelmäßig zu prüfen. Es kommt jedoch häufig vor, dass der Fahrer die Prüfung nicht durchführt. Bei einer Untersuchung in den USA stellte sich heraus, dass über die Hälfte der Fahrzeuge mit falschem Reifenluftdruck unterwegs waren. Der Vorteil des TIMS besteht darin, den Luftdruck in den Reifen während der Fahrt ständig zu überwachen und eine Meldung abzugeben, falls der Druck zu gering ist. Ausgelöst durch schwere Unfälle in den USA, die auf Reifendruckverlust zurück zu führen waren, wird seit 2008 eine automatische Reifendrucküberwachung für Neufahrzeuge (Pkws und leichte Nutzfahrzeuge) gefordert, die den Fahrer warnt, wenn der Druckverlust in einem Reifen größer als 25 % ist. Bei der Funktion TIMS wird der Druck nicht direkt gemessen (wie bei der so genannten direkten Methode) sondern aus den Radgeschwindigkeiten abgeleitet (die indirekte Methode). Dazu werden die vier Radgeschwindigkeiten bei Geradeausfahrt und konstanter Fahrgeschwindigkeit miteinander verglichen. Die Methode funktioniert gut, wenn nur
EHB-basierte Bremsregelsysteme zeichnen sich durch ein exzellentes Bremspedalgefühl, flexible Bremskraftverteilung und eine schnelle, genaue, geräuschlose und komfortable Bremsregelung ohne störende Pedalrückwirkung aus. Da diese Systeme prinzipbedingt aktive Systeme sind, lassen sich aktive Bremseingriffe sowohl bei ASR und ESP als auch bei Fahrerassistenzsystemen ähnlich hervorragend umsetzen. ESP musste aber sowohl in der Funktion als auch in der Sicherheit an die EHB angepasst werden, da es für ein konventionelles System optimiert wurde. Hard- und Software werden immer als Gesamtsystem optimiert. Im Bremsschlupfregler von ESP wird ein Solldruck für jede Radbremse berechnet. Für die Einstellung des Solldrucks werden unter Verwendung eines aufwändigen Hydraulikmodells die Ventilansteuerzeiten und die aktuellen Drücke in den Radbremszylindern geschätzt. Bei der EHB hingegen wird der Druck in jedem Radbremszylinder vom Anbausteuergerät direkt auf den Sollwert geregelt. Deshalb wurde das Hydraulikmodell entfernt und der Solldruck direkt dem Anbausteuergerät zugeführt. Die Drucksensorinformationen der EHB werden im ESP verwendet. Die Regelung muss jedoch die Totzeiten in der CAN-Koppelung zwischen Wegbausteuergerät mit der ESP-Software und Anbausteuergerät mit der Druckregelungssoftware berücksichtigen. Dies zeigt, dass die besten Funktionsergebnisse dann erreicht werden, wenn der Regelalgorithmus und die Hardware (funktio-
zu erhöhen. So können akustische und optische Signale abgegeben werden, wenn aus der Information der Umfeldsensorik auf eine potenzielle Gefahrensituation erkannt wird. Effektiv sind haptische Signale, die der Fahrer spürt, wie z. B. ein Fahrzeug-Ruck, d. h. eine Änderung in der Fahrzeugbeschleunigung. Bei der AWB wird dieser Ruck durch einen kleinen aktiven Bremsimpuls von ca. 10 bar ausgelöst. Dazu wird, wie bei der CDD-B, die Pumpe des ESPAggregats angesteuert. Die Umschaltventile werden so angesteuert, dass der Schließdruck ca. 10 bar beträgt. Ist der Schließdruck in den Radbremszylindern erreicht, wird nach ca. 250 ms der Vorgang abgebrochen, wodurch die Umschaltventile geöffnet werden und die Pumpe abgeschaltet wird.
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
nale und dynamische Eigenschaften) genau aufeinander abgestimmt sind. Die Sicherheitssoftware des konventionellen ESP baut darauf auf, dass für den aktiven ESP-Eingriff Zeit benötigt wird: Die Pumpe muss bei einer kleinen Druckdifferenz Flüssigkeit durch enge Rohre und Ventile aus dem Bremsflüssigkeitsbehälter ansaugen, und die Förderleistung ist begrenzt. Weiterhin wird Zeit benötigt, bis die Bremsbeläge an der Bremsscheibe anliegen; erst danach wird das Bremsmoment entstehen. Aus diesem Grund wird der Motor- und Bremseneingriff sofort eingeleitet, wenn ein sicherheitskritischer Fahrzustand analysiert wird. Der ESP-Eingriff darf aber erst dann wirksam werden, wenn die Überwachung den Regler freigegeben hat. Der Eingriff muss sofort abgebrochen werden, wenn die Überwachung einen Fehler in einer Komponente entdeckt. Zur sicheren Überwachung der Komponenten wird eine Fehlererkennungszeit (ca. 250 ms) benötigt. D. h., dass der ESP-Eingriff erst nach dieser Fehlererkennungszeit nach Auftreten eines sicherheitskritischen Fahrzustands wirksam sein darf. Die ESP-Pumpe braucht ca. 250 ms, um einen Druck von 10 bar und 400-500 ms, um einen Druck von ca. 50 bar im Radbremszylinder aufzubauen. Bei den meisten Sensorausfällen kann deshalb die Regelung abgebrochen werden, noch bevor zuviel Bremsdruck im Radbremszylinder aufgebaut ist. Bei der EHB ist die Situation anders. Hier reichen 100 ms, um einen Bremsdruck von 100 bar in den Radbremszylindern aufzubauen. Am Ende der Fehlererkennungszeit, d. h. noch bevor der Sensorausfall erkannt ist, sind die Eingriffe schon voll wirksam. Für die EHB musste deshalb das Sicherheitskonzept überarbeitet werden. Dafür wurde das Konzept „Fehlerverdacht“ eingeführt. Die Zwischenstufe „Fehlerverdacht“ dient dazu, die Fehlererkennungszeit, d. h. die Zeit, die benötigt wird, um einen Sensorsignalfehler sicher zu erkennen, zu verlängern. Ein Fehlerverdacht liegt vor, wenn das Sensorsignal über eine gewisse Zeit, die kürzer als die Fehlererkennungszeit ist, außerhalb eines Bandes um das Referenzsignal liegt. Liegt nur ein Fehlerverdacht vor, so wird der ESP-Eingriff in seiner Wirkung reduziert, z. B. durch Begrenzung des Druckgradienten im Radbremszylinder. Das Fahrzeug reagiert dann langsamer, und die Modelle sind länger gültig. Nach Ablauf der Fehlererkennungszeit kann der Eingriff abgeschaltet werden. Nur bei Fehlerverdacht wird die Druckdynamik bei EHB reduziert, sonst behält EHB die volle Druckdynamik.
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25.7 Ausblick Kurz nach Markteinführung des ESP erschien das wichtige Fahrerassistenzsystem „Bremsassistent“ auf dem Markt. Seitdem ist die Zahl der Fahrerassistenzsysteme sprunghaft angestiegen. Anfänglich stand aber die Integration von ESP mit weiteren aktiven Systemen wie dem aktiven Lenksystem, der Fahrwerkregelung oder der aktiven Antriebsmomentenverteilung im Vordergrund [6]. Diese Entwicklung ist im Jahr 2008 in vollem Gang, aber auch die Koppelung von ESP als aktives Sicherheitssystem mit Systemen, die auf Umfeldsensorik aufbauen, und mit Systemen der passiven Sicherheit steht im Zentrum der Entwicklung. Dabei steht die sichere Erkennung von Gefahrensituationen und die Sicherheit bei der Integration aktiver Systeme im Vordergrund. Die Sicherheit ist der zeitbestimmende Faktor für den Fortschritt auf diesem Gebiet. Deshalb wird es noch einige Jahre dauern, bis diese Vernetzungen und Kopplungen in vollem Umfang umgesetzt sind. Eine Besonderheit dabei ist die Vernetzung von Komponenten und Systemen unterschiedlicher Hersteller, vor allem wenn diese Hersteller Wettbewerber sind. Der Austausch von Spezifikationen und sicherheitsrelevanten Daten zwischen den Wettbewerbern, die für das Gesamtkonzept unabdingbar sind (z. B. Informationen über Ausfallraten und Risikoprioritätszahlen), ist dabei eine große Herausforderung.
Quellenverzeichnis [1] Burkhardt, M.: Radschlupf-Regelsysteme. Würzburg: Vogel Buchverlag, 1993 [2] Schindler, E.: Fahrdynamik. Renningen: Expert Verlag, 2007 [3] Robert Bosch GmbH (Hrsg.): Fahrsicherheitssysteme. Wiesbaden: Vieweg Verlag, 2004 [4] Breuer, B.; Bill, K.-H. (Hrsg.): Bremsenhandbuch. Wiesbaden: Vieweg Verlag, 2006 [5] van Zanten, A.; Erhardt, R.; Pfaff, G.: FDR – Die Fahrdynamikregelung von Bosch. In: ATZ (1994) 11, S. 674–689 [6] Isermann, R. (Hrsg.): Fahrdynamik-Regelung. Wiesbaden: Vieweg Verlag, 2006 [7] Fischer, G.; Müller, R.: Das elektronische Bremsenmanagement des BMW X5. In: ATZ 102 (2000) 9, S. 764–773
E 26 Fahrerassistenz auf der Stabilisierungsebene 26.1 Fahrdynamikregelung mit Brems- und Lenkeingriff Der Nutzen moderner Bremsensysteme bis hin zur elektronischen Stabilitätsregelung (engl. Electronic Stability Control, ESC) liegt darin, das Verhalten des Autos für den Fahrer berechenbarer, in einem weiten Bereich stabil und im Grenzbereich gut beherrschbar zu machen. Stabil bedeutet hierbei für den Fahrer, dass die Reaktion des Autos auf Bedienvorgaben seinen Erwartungen entspricht. Ein Fahrzustand heißt stabil, wenn er bei konstanten Fahrervorgaben unverändert bleibt und sich bei kleinen Änderungen der Vorgaben nur wenig ändert. Stabile Fahrzustände sind der Normalfahrbereich, in dem vor allem komfortrelevante und fahrspaßrelevante Abstimmungen des Fahrwerks vom Fahrer wahrgenommen werden. Führt ein geringfügiger Eingriff des Fahrers dagegen zu großen Änderungen des Fahrzustands – z. B. eine geringe Lenkkorrektur zum Schleudern – so heißt der Fahrzustand instabil; das Fahrzeug bewegt sich im sicherheitsrelevanten Grenzbereich. Fahrer und Fahrzeug bilden den im Bild 26-1 skizzierten Regelkreis. Der Fahrer lenkt, gibt Gas oder bremst. Seine Befehle werden in zunehmendem Maße nicht direkt umgesetzt, sondern durch aktive Systeme „gefiltert“, um ein optimales und sicheres Fahrverhalten zu erzielen.
Thomas Raste
Aktive Lenksysteme lassen sich wie folgt unterscheiden: Systeme zur Momentenüberlagerung erlauben unabhängig vom Fahrer die Einflussnahme auf das Lenkmoment. Hiermit kann dem Fahrer eine haptische Rückmeldung als Lenkempfehlung in einer kritischen Fahrsituation gegeben werden. Systeme zur Winkelüberlagerung erlauben, einen vom Fahrer vorgegebenen Lenkeinschlag der Vorderräder zu verändern oder den von der Kinematik bestimmten Lenkeinschlag der Hinterräder zu modifizieren. Systeme zur Momenten- und Winkelüberlagerung vereinen die Vorzüge der beiden vorgenannten Systeme. Die Aktoren sind hierbei entweder örtlich konzentriert und damit sehr platzsparend in einem gemeinsamen Gehäuse untergebracht oder als separate Stellglieder an verschiedenen Stellen im Lenkstrang platziert. Steer-by-Wire-Systeme ebnen den Weg für völlig neuartige Mensch-Maschine-Schnittstellen, wie z. B. eine Side-Stick-Steuerung anstatt der konventionellen Winkelvorgabe mittels Lenkrad. Aktive Lenksysteme bieten nicht nur ein großes Vernetzungspotenzial für die Fahrdynamikregelung auf der Stabilisierungsebene, sondern auch für Fahrerassistenzfunktionen auf der Bahnführungsebene. Bild 26-2 zeigt einige bereits heute oder in naher Zukunft in Serie befindliche Funktionen.
Bild 26-1: Regelkreis Fahrer-Fahrzeug-Umwelt mit ESC und aktivem Lenksystem
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Bild 26-2: Funktionen aktiver Lenksysteme
26.1.1 Systemkontext und Benutzeranforderungen Der Systemkontext im Bild 26-3 definiert die Funktionseinheiten der Fahrdynamikregelung mit Lenkeingriff und beschreibt die Schnittstellen für das Zusammenwirken mit den anderen Fahrzeugsystemen. Dem Fahrzeughersteller obliegt die Aufgabe zu entscheiden, welche Hardware eingesetzt und welchen Steuergeräten die Software zugeordnet wird. Eine gängige Variante ist die Realisierung der Stabilisierungsfunktionen im ESC-Steuergerät. Ein entsprechend erweitertes ESC mit integrierter Querdynamikregelung nutzt das Lenksystem als Aktor für stabilisierende Regeleingriffe. Dabei bestehen aus Sicht der Benutzer folgende Anforderungen an die Fahrdynamikregelung mit kombinierten Brems- und Lenkeingriffen: Verbesserte Spur- und Richtungstreue in allen Betriebszuständen wie Lastwechsel, Voll- und Teilbremsung in Kurven, Slalom. Erweiterte Fahrstabilität im Grenzbereich bei extremen Lenkmanövern (z. B. Notlenksituation, Panik-Spurwechsel) und damit Reduzierung der Schleudergefahr. Verringerter Lenkaufwand und verbesserte Nutzung des Kraftschlusspotenzials beim Bremsen und Antreiben, insbesondere auf inhomogenen Fahrbahnen, und dadurch Bremsweg- und Traktionsgewinne bei gleicher oder besserer Stabilität.
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Der elektronischen Stabilitätsregelung ESC erschließen sich mit aktiven Lenksystemen völlig neue Möglichkeiten der Fahrzeugstabilisierung. Ein kombinierter Brems- und Lenkeingriff kann ungewünschten Gierreaktionen schnell und komfortabel entgegenwirken. Die Stabilisierungsfunktionen kommen bevorzugt in den folgenden Fahrsituationen zum Einsatz: Bremsen auf μ-split Beschleunigen auf μ-split Übersteuern Untersteuern Überroll-Gefahr Anhängerinstabilität
26.1.2 Konzept und Wirkprinzip der Brems- und Lenkregelung Das Konzept der kombinierten Brems- und Lenkregelung basiert auf einem abgestuften, kaskadierten Regelungskonzept, Bild 26-4. Mittels Sensoren an Bremse, Lenkung und Gaspedal werden die FahrerSollvorgaben erfasst und mit der durch Inertial- und Geschwindigkeitssensoren ermittelten FahrzeugIstbewegung verglichen. Abweichungen korrigiert der Fahrdynamikregler durch Vorgaben von Sollgrößen, die eine Änderung der Fahrzeugbewegung bewirken. Die Reifenkräfte an der Kontaktstelle Reifen – Straße sind zuständig für die Bewegungsänderung und werden über Fahrdynamik-Aktoren
26 Fahrerassistenz auf der Stabilisierungsebene
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Bild 26-3: Systemkontext und Schnittstellen der Fahrdynamikregelung mit Lenkeingriff
Bild 26-4: Hierarchisches Regelungskonzept (Reifenkräfte sind straßenseitig dargestellt)
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Bild 26-5 Reifenkräfte, Radgeschwindigkeiten und Giermomentanteil des Rades
neu eingestellt. Hierbei bildet der vom Reibwert μ und der Aufstandskraft Fz abhängige Kammsche Reibungskreis die Grenze für die maximal einstellbaren horizontalen Reifenkräfte am jeweiligen Rad. Bild 26-5 zeigt, wie ein einzelnes Rad zum Giermoment des Fahrzeugs beiträgt. Die Horizontalkräfte sind abhängig von den Schlupfgrößen, die aus der Gleitgeschwindigkeit vG und der absoluten Geschwindigkeit vR des Rades abgeleitet werden können. Die Resultierende F R der Horizontalkräfte und die Gleitgeschwindigkeit vG befinden sich entgegengesetzt auf der gleichen Wirkungslinie. Der Anteil des Giermoments, das jedes Rad erzeugt, erreicht sein Maximum, wenn das Skalarprodukt aus dem Ortsvektor rcg vom Fahrzeugschwerpunkt zum Radzentrum und dem Vektor FR der resultierenden Reifenkraft maximal ist. Über den Lenkwinkel GR am Rad wird versucht, Kraftund Ortsvektor möglichst orthogonal einzustellen und gleichzeitig über Bremse oder Antrieb den
Betrag der Kraft zu vergrößern. Bild 26-6 zeigt, über welches Potenzial zur Erzeugung von Giermomenten das ESC mit der Bremse, die AFS (Active Front Steering) mit Winkelüberlagerung an der Vorderachse und die ARK (Active Rear Axle Kinematics) mit Winkelüberlagerung an der Hinterachse verfügen. Im Grenzbereich hat das ESC das größte Potenzial, ein übersteuerndes Fahrzeug zu stabilisieren. Mit den Lenksystemen kann man im Grenzbereich sehr effektiv Seitenkräfte abbauen, was beim AFS zu einem hohen ausdrehenden und bei der ARK zu einem noch höheren eindrehenden Giermoment führt.
26.1.3 Funktionsmodule zum Lenkwinkeleingriff Die typischen Funktionsmodule für einen Lenkwinkeleingriff sind im Bild 26-7 dargestellt. Der Radlenkwinkel GR ergibt sich aus dem Fahrerwunsch-
Bild 26-6 Potenzial von Brems- und Lenksystemen für Zusatzgiermomente zum Ausdrehen aus bzw. Eindrehen in Kurven jeweils im Normalfahr- und Grenzbereich (Der Grenzbereich ist hier dadurch gekennzeichnet, dass die Querbeschleunigung maximal ist)
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26 Fahrerassistenz auf der Stabilisierungsebene
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Bild 26-7: Lenkwinkeleingriff mit Giermomentregler und -kompensation
Lenkwinkel GFW und den Überlagerungswinkeln GFB aus dem Giermomentregler und GFF aus der Giermomentkompensation. Von den Fahrervorgaben wird der Lenkradwinkel GH und der Fahrerbremsdruck pF benutzt. Am Fahrzeug wird die Gierrate \ und die Querbeschleunigung ay gemessen und der Regelung zugeführt. Nicht dargestellt ist die Verwendung der Fahrzeuggeschwindigkeit, die aus den gemessenen Raddrehzahlen bestimmt wird. Die Referenzgierrate berücksichtigt das stationäre und dynamische Fahrzeugverhalten und muss auf ein physikalisch sinnvolles, durch den maximalen Reibwert bestimmtes Maß limitiert werden. Der Giermomentregler enthält Anteile zur Folgeregelung der Gierrate, um den Fahrer zu unterstützen, und zur Begrenzung des Schwimmwinkels bzw. der Schwimmwinkelgeschwindigkeit, um die Stabilität des Fahrzeugs zu verbessern. Die Giermomentkompensation ist eine Störgrößenaufschaltung, die die negativen Auswirkungen von Störgrößen z auf das Fahrverhalten beim Bremsen oder Beschleunigen kompensiert. Das für die Giermomentkompensation erforderliche Störgiermoment Mz wird aus den Bremsdrücken bzw. den einzelnen Bremskräften abgeschätzt. Die Funktion wird erheblich verbessert, wenn die Bremsdrücke pi an den Rädern gemessen werden. Das Sicherheitsplus zeigt sich vor allem beim Bremsen auf ungleich griffiger Fahrbahn (μ-split), Bild 26-8. Weil die Reifen auf griffigem Untergrund mehr Bremskraft übertragen können als auf
glattem Untergrund, will sich das Auto in Richtung der griffigen Seite drehen. Das um den Lenkwinkeleingriff erweiterte ESC steuert diesem Drang durch automatisches, dosiertes Lenken in die andere Richtung entgegen und befreit den Fahrer von der Aufgabe, dies zur Stabilisierung des Autos selbst zu tun. Gleichzeitig kann ESC an jedem Rad genau den höchst möglichen Bremsdruck einstellen, sodass der Bremsweg bei spürbar verbesserter Fahrstabilität erheblich schrumpft. Der Fahrer muss in dieser Stress-Situation lediglich dorthin lenken, wohin er fahren möchte. Die Giermomentenregelung verbessert das Handling des Autos durch gezielte Lenkeingriffe in Kurven. Hierzu werden die Vorderräder kurzzeitig etwas stärker und schneller eingelenkt, als es aufgrund der Lenkradbewegungen der Fall wäre. In Notsituationen sorgt die Regelung für ein schnelles Ansprechverhalten des Fahrzeugs, bessere Stabilität und geringeren Lenkaufwand, Bild 26-9. Das stabilisierende Gegenlenken erfolgt automatisch und kann sehr früh erfolgen, da es vom Fahrer unbemerkt bleibt. Mit zunehmendem Schwimmwinkel werden die Bremseneingriffe stärker hinzugezogen.
26.1.4 Funktionsmodule zur Fahrerlenkempfehlung Ist die Lenkung als System zur Momentenüberlagerung ausgeführt, erfolgt der Lenkeingriff als Fah-
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Bild 26-8: Bremsung auf μ-Split mit Lenkwinkeleingriff zur Giermomentkompensation und kombiniertem Bremseingriff an der Hinterachse im Vergleich zum ESC ohne Lenkeingriff
Bild 26-9: VDA-Fahrspurwechsel mit kombiniertem Lenkwinkel- und Bremseingriff zur Giermomentregelung
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26 Fahrerassistenz auf der Stabilisierungsebene
rerlenkempfehlung (engl. Driver Steering Recommendation, DSR). Droht das Auto vom Wunschkurs des Fahrers abzukommen, ist im Lenkrad ein eindeutiger Impuls spürbar, in welche Richtung gelenkt werden muss, um das Fahrzeug zu stabilisieren. Die Funktionsmodule sind die gleichen wie für die Winkelüberlagerung im Bild 26-7, lediglich ein Modul zur Umsetzung des Soll-Lenkwinkels in das Überlagerungsmoment MDSR muss hinzugefügt werden. Der Fahrer ist jetzt „closed-loop“ in die Regelung einbezogen. Am Beispiel der elektrischen Servolenkung wird die Wirkungskette erläutert (Bild 26-10): Auf den Lenkstrang wirken der Fahrer mit dem Lenkmoment MF, die Räder mit dem Rückstellmoment MR und die Servolenkung mit dem Unterstützungsmoment MA ein. Die Reaktion im Lenkstrang wird mittels Torsionsstab als Handmoment MH gemessen und zusammen mit dem Überlagerungsmoment in der Servolenkung verstärkt. Dies führt zu der haptischen Rückmeldung des Lenksystems, die dem Fahrer hilft, in kritischen Situationen schnell und richtig zu reagieren. In Übersteuer- und μ-split-Situationen sorgt die Momentenüberlagerung für ein stabilisierendes Gegenlenken durch den Fahrer. In UntersteuerSituationen, in denen das Auto bei Kurvenfahrt über die Vorderachse nach außen schiebt, soll der
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Fahrer die maximale Seitenkraft nicht so schnell überlenken. Die meisten Fahrer reagieren auf diese Situation automatisch, indem sie die Lenkung weiter zuziehen. Die Fahrerlenkempfehlung motiviert den Fahrer dazu, die Lenkung nicht noch weiter zuzuziehen, sondern wieder zu öffnen. Hierzu wird beim Überschreiten eines berechneten Lenkwinkel-Limits GR,lim ein Überlagerungsmoment MDSR aufgeschaltet und erst dann zurückgenommen, wenn der Fahrer den Radlenkwinkel GR eingestellt hat, der bei dem gegebenen Fahrbahnreibwert die maximale Seitenführung an der Vorderachse bietet, Bild 26-11.
26.1.5 Zukünftige Entwicklungen Fahrzeughersteller und Zulieferer sind sich einig, dass die Vernetzung von Fahrdynamiksystemen weiter zunehmen wird. Konzepte wie Global Chassis Control (GCC) eröffnen neue Dimensionen in den Bereichen Fahrdynamik, Stabilität und Fahrkomfort durch die funktionale Integration aktiver Fahrdynamiksysteme, Bild 26-12. Ziel ist es, die Potenziale der Einzelsysteme zu optimieren und in ein intelligentes Gesamtsystem zu integrieren. Die funktionale Integration wird durch AUTOSARkonforme Hard- und Software unterstützt.
Bild 26-10: Fahrerlenkempfehlung mit Momentenüberlagerung
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Bild 26-11: Untersteuersituation mit Fahrerlenkempfehlung und Reifenseitenkraft auf unterschiedlichen Fahrbahnreibwerten bei höheren Fahrzeuggeschwindigkeiten
Die Vernetzung der Fahrdynamiksysteme wird kontinuierlich vorangetrieben, aktuell wird intensiv an folgenden Herausforderungen gearbeitet: Darstellung der Bereiche, in denen die Charakteristik eines Fahrzeugs per Regelung bestimmt und gestaltet werden kann bzw. werden sollte; Zusammenstellung des bestmöglichen Systemportfolios für ein bestimmtes Fahrzeug oder eine Fahrzeugfamilie; Abbildung der Regelungsfunktionen auf eine bestimmte Elektronik-Architektur mit der Notwendigkeit zur Komplexitätsbeherrschung. Der Weg zu einem durchgängigen, herstellerübergreifenden Koordinationskonzept für Fahrdynamikregelungen ist noch weit. Über die Zielsetzung herrscht indes Einigkeit: Im Normalfahrbe-
reich sorgt der Regler für ein Maximum an Komfort und Fahrspaß. Dabei hat der Fahrzeughersteller alle Freiheitsgrade für die individuelle Einstellung des Fahrzeugcharakters. Im sicherheitsrelevanten Grenzbereich werden alle verfügbaren Aktoren in die Regelung einbezogen: Das aktive Fahrwerk unterstützt den Fahrer optimal bei der Unfallvermeidung.
Bild 26-12: Potenziale von Fahrdynamiksystemen und Steigerung durch Vernetzung
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Quellenverzeichnis [1] Ammon, D.: Künftige Fahrdynamik- und Assistenzsysteme – eine Vielzahl von Möglichkeiten und regelungstechnischen Herausforderungen. AUTOREG 2004, VDI-Berichte Nr. 1828, VDI-Verlag, Düsseldorf, 2004, S. 1–23 [2] Köhn, P.; Richter, T.; Smakman, H.; Vieler, H.: Integrated Chassis Management – ein Weg zur Integrierten Fahrdynamikregelung. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik, 2006, S. 775–791 [3] Raste, T.; Semmler, S. J.; Rieth, P. E.: Global Chassis Control mit Schwerpunkt auf Hinterradlenkung. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik, 2006, S. 759–774 [4] Salfeld, M.; Stabrey, S.; Trächtler, A.: Analysis of the vehicle dynamics and yaw moment maximization in skid maneuvers. TÜV-Congress Chassis Tech, München, 1 – 2 March, 2007 [5] Schiebahn, M.; Zegelaar, P. W. A.; Hofmann, O.: Yaw Torque Control for Vehicle Dynamics Systems. Theoretical Generation of Additional Yaw Torque. VDI-Tagung Reifen-Fahrwerk-Fahrbahn, VDIBerichte Nr. 2014, 2007, S. 101–119 [6] Schröder, W.; Knoop, M.; Liebemann, E.; Deiss, H.; Krimmel, H.: Zusammenwirken aktiver Fahrwerk- und Triebstrangsysteme zur Verbesserung der Fahrdynamik. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik, 2006, S. 1671–1682 [7] Schwarz, R.; Dick, W.: Die neue Audi Dynamiklenkung. VDI-Tagung Reifen-Fahrwerk-Fahrbahn, VDI-Berichte Nr. 2014, 2007, S. 65–80
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E 27 Fahrdynamikregelsysteme für Patrick Seiniger, Jürgen Bachmann, Alfred Eckert, Jörg Reissing Motorräder Das Risiko, bei einem Motorradunfall getötet zu werden, ist pro Fahrstrecke ungleich höher in Vergleich zu einem sonstigen Verkehrsunfall. Dennoch wurden als Fahrdynamikregelsysteme für Motorräder bisher lediglich Brems- und Antriebsschlupfregelsysteme für Geradeausfahrt entwickelt. Das erste ABS für Motorräder wurde 1988 auf den Markt gebracht [1], die erste Antriebsschlupfregelung 1992 [2]. Die Marktdurchdringung ist dennoch gering im Vergleich zu Personenkraftwagen, wenngleich sie innerhalb der letzten fünf Jahre stark gestiegen sein dürfte. Antiblockiersysteme sind mittlerweile (2008) in der vierten, Traktionsregelungen in der zweiten Generation auf dem Markt. Die Grundkonzeption und vor allem die technischen Grenzen in Kurvenfahrt haben sich verschoben, aber nicht prinzipiell geändert. Über diese beiden Längsregelsysteme hinaus sind keine weiteren Fahrdynamikregelungen bekannt. Dieses Kapitel will die Gründe für die vergleichsweise begrenzten Möglichkeiten der Fahrdynamikregelungen für Motorräder nahebringen, einen Überblick über die Funktionsweise der vorhandenen Systeme geben und einen Ausblick auf in Zukunft zu erwartende Fahrdynamikregelsysteme wagen.
des Fahrzeugs die Radaufstandslinie schneidet. Es entsteht kein Rollmoment um die Radaufstandslinie, das Fahrzeug fährt ähnlich einem umgekehrten Pendel im so genannten labilen Gleichgewicht. Das Kräftegleichgewicht der stationären Kurvenfahrt ist in Gleichung (27.1) gezeigt. Der sich einstellende theoretische Rollwinkel Oth ist
Oth
arctan
FF G
arctan
y g
arctan arctan
m y m g
v2 R g
mit der Gewichtskraft des Fahrzeugs G, der Fliehkraft F F, der Masse m, der fahrbahnbezogenen Querbeschleunigung y, der Fahrgeschwindigkeit v und dem Kurvenradius R. Der Rollwinkel ist damit nur von der Querbeschleunigung abhängig. Mit dem maximalen Querreibwert der Reifen
27.1 Fahrstabilität Augenscheinlichster Unterschied zwischen Motorrädern (im Folgenden wird auf den technisch exakten Terminus Einspurfahrzeuge verzichtet) und Personenkraftwagen (Zweispurfahrzeuge) ist sicherlich die Stabilität des Fahrzeugs, insbesondere im Stand. Ein Motorrad ist ein instabiles System; ohne Stabilisierung kippt es. Stabilisiert wird es durch verschiedene dynamische Mechanismen. Aber gerade die Instabilität erlaubt eine Art des Fahrens, die das Motorradfahren zu einer faszinierenden Fortbewegungsart macht: Kurven werden in Schräglage durchfahren; von einzelnen Autoren wird Motorradfahren mit einem „Fliegen, ohne den Boden zu verlassen“ verglichen. Im Gegensatz zu Zweispurfahrzeugen fahren Motorräder geneigt durch Kurven. Der Neigungswinkel des Fahrzeugs wird Rollwinkel O genannt und ist bei stationärer Kreisfahrt genau so groß, dass die Resultierende aus Fliehkraft und Gewichtskraft
404
(27.1)
Bild 27-1: Kräftegleichgewicht in Kurvenfahrt
27 Fahrdynamikregelsysteme für Motorräder
Pquer,max
y g
(27.2)
wird der maximale Rollwinkel zu
Oth
arctan Pquer
arctan Pquer,max
Oth,max (27.3)
Querreibwerte von modernen Motorradreifen erreichen auf trockener, griffiger Fahrbahn Werte im Bereich von 1,2. Damit sind physikalische Rollwinkel von bis zu 50° fahrbar. Ein labiles Gleichgewicht hat die Eigenschaft, bei kleinsten Auslenkungen nicht mehr zur Gleichgewichtslage zurückzukehren. Diese Eigenschaft wird instabil genannt. Stabilisiert werden Motorräder durch zwei Mechanismen: Bei kleinen Geschwindigkeiten unter etwa 30 km/h stabilisiert der Fahrer das Motorrad durch Lenkeinschläge, ähnlich wie bei Fahrrädern, bei größeren Geschwindigkeiten über etwa 30 km/h stabilisiert die Kreiselwirkung der rotierenden Massen das Motorrad (im Wesentlichen trägt das rotierende Vorderrad zur Kreiselstabilisierung bei). Der Übergang zwischen diesen beiden Mechanismen verläuft fließend.
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Im Bild 27-2 ist das System Motorrad mit Radaufstandspunkten und Projektion des Schwerpunkts dargestellt. Erkennbar ist, dass durch eine Bewegung des Lenkers der waagrechte Abstand zwischen Schwerpunkt und Radaufstandslinie (in erster Näherung ist dies die Rollachse) gesteuert werden kann. Der Fahrer kann mit Lenkbewegungen also den Hebelarm zwischen Schwerpunkt und Rollachse steuern und damit die Rollbewegung stabilisieren. Ab Geschwindigkeiten von etwa 30 km/h erreicht der Drall der Räder so große Werte, dass die Kippbewegung des Fahrzeugs durch deren Kreiselwirkung stabilisiert wird. Der Mechanismus der Stabilisierung ist im Bild 27-3 dargestellt. Ein Kreisel, der senkrecht zu seiner Drehachse gestört wird, antwortet mit einem Reaktionsmoment senkrecht zu Dreh- und Störachse. Dieser Mechanismus koppelt die Bewegungsgleichung des Motorrads um die Rollachse mit der Bewegungsgleichung des Lenksystems. Ein Kippen des Fahrzeugs (beispielsweise nach rechts) bewirkt ein Eindrehen des Lenksystems in die gleiche Richtung. Die durch den entstandenen Lenkwinkel erzeugte Seitenkraft am Vorderrad bewirkt eine gleich große Fliehkraft am Schwerpunkt, die das Fahrzeug auf-
Bild 27-2 Stabilisierung durch Lenkeinschläge
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Bild 27-3 Stabilisierung durch Kreiselwirkung am Vorderrad
richtet. Da das Kreiselmoment eine Funktion der Rollgeschwindigkeit ist, handelt es sich bei der Stabilisierung um eine reine Dämpfung des Kippvorgangs. Ab etwa 30 km/h ist für übliche Motorräder eine weitgehende Dämpfung der Kippbewegung erreicht; das Motorrad fährt ohne sichtbare Ausschläge des Rollwinkels. Mit steigender Geschwindigkeit nimmt die Kreiselwirkung der Laufräder zu. Ab Geschwindigkeiten von etwa 130 km/h kann das System je nach Stabilitätseigenschaften erneut instabil werden. Die dann aufklingende so genannte Pendeleigenform des Motorrads ist eine gekoppelte Gier-, Roll- und Lenkschwingung des gesamten Fahrzeugs, die im Extremfall zum Sturz durch Überschreiten der Kraftschlussgrenzen an Vorder- und/oder Hinterrad führen kann. Pendelfrequenzen liegen je nach Fahrzeug zwischen 2 und 4 Hertz. Wirkungsvollste Abhilfe bei beginnendem Pendeln ist eine Verringerung der Fahrgeschwindigkeit. Wesentliche Einflüsse auf das Entstehen von Pendelschwingungen sind die Torsionssteifigkeit zwischen Vorder- und Hinterrad und Trägheitseigenschaften des Fahrzeugs. Minimierung von Pendelerscheinungen ist Teil der Entwicklung moderner Motorräder. Pendeln tritt daher heute nur noch in Ausnahmefällen auf. Eine ebenfalls technisch relevante Eigenform (die gleichfalls bereits während der Entwicklung eines neuen Fahrzeugs minimiert wird) ist das so genann-
406
te Flattern, eine Rotationsschwingung des Lenksystems. Übliche Frequenzen der Flatterschwingung liegen im Bereich um 10 Hertz. Diese Frequenz entspricht der Drehfrequenz üblicher Vorderräder bei etwa 60 bis 80 km/h, die Flatterschwingung wird dabei durch Unwuchten und Ungleichförmigkeiten des Rades angeregt. Als Abhilfe reicht es in der Regel, den Lenker fester zu umgreifen, um das Massenträgheitsmoment des Lenksystems zu erhöhen und damit die Eigenfrequenz zu senken. Eine Schwingung mit sehr komplexen Einflussgrößen ist das so genannte Lenkerschlagen. Es ist keine Eigenform, sondern eine parametrisch erregte Schwingung des Lenksystems. Voraussetzung für das Eintreten von Lenkerschlagen ist eine Radlastschwankung – beispielsweise durch eine Bodenwelle – am Vorderrad bei vorhandenem Lenkmoment. Bei rasch sinkender Radlast dreht das anliegende Lenkmoment das Lenksystem ein. Der Schräglauf des Vorderrads vergrößert sich. Bei anschließend steigender Radlast liegt ein zu großer Schräglauf und damit eine zu große Seitenkraft am Vorderrad vor, die den Lenker zurück in Richtung Nulllage dreht. Bei entsprechender Anregung können diese Lenkerbewegungen den gesamten Bereich zwischen beiden Lenkausschlägen überdecken. Übliche Abhilfemaßnahme gegen Lenkerschlagen ist der Einsatz von hydraulischen Lenkungsdämpfern.
27 Fahrdynamikregelsysteme für Motorräder
Während die Eigenformen Pendeln und Flattern für Fahrerassistenzsysteme nicht relevant sind, gibt es bereits Fahrzeuge mit aktiver Dämpfung im Lenksystem zur Beeinflussung von Lenkerschlagen.
27.2 Bremsstabilität Die Bezeichnung „theoretischer Rollwinkel“ deutet darauf hin, dass dieser errechnete Wert nur theoretischer Natur ist. Die Rollwinkelgleichung (27.1) gilt nämlich nur für ideal schmale Reifen. Mit realen Reifen ist zur Aufrechthaltung des Gleichgewichts ein zusätzlicher Neigungswinkel erforderlich, weil der Radaufstandspunkt nun nicht mehr in der Symmetrieebene des Fahrzeugs liegt, siehe Bild 27-4. Der so genannte „reifenbreitenbedingte Zusatzrollwinkel“ O‘ beträgt etwa 10 % von Oth, je nach Reifenbreite (größer) und Schwerpunkthöhe (kleiner).
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Weitere Zusatzrollwinkel (O‘‘, O‘‘‘) liegen eine bzw. zwei weitere Größenordnungen unter diesem ersten, reifenbreitenbedingten Zusatzrollwinkel und sind für das Verständnis der Besonderheiten der Fahrdynamik von Motorrädern nicht wichtig – in der Praxis werden sie vernachlässigt. Weitere Informationen finden sich in [3]. Der Gesamtrollwinkel für übliche Reifenbreiten und Schwerpunkthöhen von modernen Motorrädern ist
Oges
Oth O ' 1,1 Oth
(27.4)
Bei typischen Motorrädern können damit unter optimalen Bedingungen geometrische Rollwinkel bis zu 55° auftreten. Im Regelfall ist der Rollwinkel eines Motorrads durch Anbauteile wie Auspuff und Fußrasten auf Werte um 50° begrenzt. Bei Kurvenbremsungen wirkt sich der Zusatzrollwinkel jedoch stark aus: Die Lenkachse eines
Bild 27-4 Reifenbreitenbedingter Zusatzrollwinkel und Entstehung des Bremslenkmoments
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Motorrads befindet sich üblicherweise in der Symmetrieebene. Bremskräfte, die im Radaufstandspunkt angreifen, erhalten daher in Kurvenfahrt einen Hebelarm zur Lenkachse. Sie bewirken ein eindrehendes Moment im Lenksystem, das Bremslenkmoment. Es ist Aufgabe des Fahrers, dieses Moment auszugleichen und den Kurs zu halten. Gelingt es ihm nicht, dreht das Lenksystem nach kurveninnen, der Schräglauf am Vorderrad und die Querbeschleunigung nehmen zu und richten das Fahrzeug auf. In Extremfällen erreicht das Bremslenkmoment Beträge von ca. 90 Nm, die nahezu ohne Zeitverzug zum Bremsdruckaufbau aufgebaut werden. Dieser Effekt wird – physikalisch nicht ganz korrekt – als Aufstellmoment bezeichnet. Pulsiert die Bremskraft zusätzlich, etwa durch ein am Vorderrad regelndes ABS, wird es für den Fahrer fast unmöglich, den Kurs beizubehalten. Das Verhalten von Motorrädern bei Radblockaden unterscheidet sich ebenfalls wesentlich von Zweispurfahrzeugen. Von letzteren ist bekannt, dass eine Blockade beider Vorderräder die Rich-
tungsstabilität nicht beeinträchtigt, ganz im Gegensatz zu einer Blockade der Hinterräder. Bei Motorrädern hingegen ist bei einer Vorderradblockade ein Sturz nahezu unvermeidlich. Gründe hierfür sind einerseits die dann wegfallende Kreiselstabilisierung, noch entscheidender ist jedoch eine kinematische Instabilität des Fahrzeugs. Für ein Zweispurfahrzeug ist eine Vorderachsblockade bis zu einem bestimmten Grenzschwimmwinkel stabil – für übliche Personenkraftwagen liegt dieser Winkel bei etwa 45°. Bei Motorrädern reichen bereits minimale Auslenkungen von Schwimmwinkel oder Rollwinkel für eine Selbstverstärkung von Gierund Rollbewegung aus, siehe Bild 27-5. Ein blockiertes Vorderrad (Schlupf s = 1) überträgt nur noch eine durch die Höhe von µGleit und Radlast bestimmte Kraft entgegen seiner Bewegungsrichtung, aber keine Seitenführungskraft mehr. Hat diese Kraft einen Hebelarm um den Schwerpunkt, kommt es zu einer Schwimm- oder Gierdrehung. Vergrößert die Drehung den Hebelarm, handelt es sich um eine instabile Bewegung.
Bild 27-5: Kinematische Instabilität der Gier- und Rollbewegung (Erklärung nach [4])
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27 Fahrdynamikregelsysteme für Motorräder
Da das Motorrad ein instabiles Fahrzeug ist und ständig durch Kreiselwirkung beziehungsweise Lenkbewegungen stabilisiert wird, existiert immer eine in den Radaufstandspunkten angreifende Querkraft. Eine am Vorderrad angreifende Bremskraft entgegen der Bewegungsrichtung (wie sie bei blockiertem Vorderrad angreift) bewirkt immer eine selbstverstärkende Gierbewegung – die Radaufstandslinie dreht sich unter dem Schwerpunkt weg. Gemessene Zeiten zwischen Blockade des Vorderrads und Sturz liegen zwischen etwa 0,2 und 0,7 Sekunden. Befindet sich das Fahrzeug bereits in einer Kurvenfahrt, liegen die Zeiten deutlich darunter [4]. Die ideale Verteilung der Bremskraft auf Vorderund Hinterrad unterscheidet sich zwischen Motorrädern und Pkws deutlich. Das Verhältnis zwischen Schwerpunkthöhe und Radstand ist bei Motorrädern sehr viel größer als bei Pkws; daher ist die Radlastverlagerung bei Verzögerung auch größer. In Verbindung mit den heutigen sehr griffigen Reifen können moderne Motorräder den Bremsüberschlagspunkt erreichen. Die maximale Verzögerung wird oftmals begrenzt durch die Schwerpunktlage und den Radstand, also durch Geometriedaten des Fahrzeugs und nicht mehr durch Bremssystem oder Reifen.
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Im Bild 27-6 dargestellt sind die idealen Bremskraftverteilungen eines typischen Pkw (Opel Astra H) und eines typischen Motorrads (BMW R1150RT) unter Vernachlässigung nickbedingter Fahrwerksgeometrieänderungen. Es ist zu erkennen, dass die ideale Bremskraftverteilung des Motorrads bei einer Verzögerung von etwa 11 m/s2 die x-Achse schneidet. Größere Verzögerungen wären nur noch mit abhebendem Hinterrad und dann nicht mehr stabil fahrbar. Die dargestellten Bremskraftverteilungskurven gelten nur für querbeschleunigungsfreie Fahrt. Während einer Kurvenbremsung stützen sich Rollmomente an den Radaufstandspunkten ab, die die Radlasten und damit auch die übertragbare Bremskraft ändern. Diese Abstützung ändert die Radlastverteilung zwischen Vorderrad und Hinterrad [3]. Weiterhin gelten die gezeigten Kurven nur für stationäre Verzögerungen. Der Nickvorgang verzögert die Radlastverschiebung deutlich. Einsteuern von Bremskraft am Vorderrad ist im Gegensatz dazu nahezu ohne Zeitverzug möglich. Besonders bei Motorrädern mit negativem kinematischem Bremsnickausgleich (z. B. bei Telegabelfahrzeugen) mit deswegen großen Nickbewegungen besteht die Gefahr einer Vorderradblockade schon bei geringen, vom Fahrer nicht als kritisch wahrgenommenen
Bild 27-6: Ideale Bremskraftverteilungen für Pkw Opel Astra und Motorrad BMW R1150RT (mit Messtechnik ausgerüstet und damit deutlich später abhebendem Vorderrad), berechnet auf Basis eigener Messungen der Schwerpunktlagen
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Bremsdrücken, mit der Folge, dass ein Sturz nahezu unvermeidlich ist. Dieses Phänomen ist bekannt als dynamische Vorderradüberbremsung [3].
fälle als potenziell vermeidbar durch zukünftige Fahrdynamikregelungen bewertet und ihr Gesamtanteil auf etwa 8 % geschätzt.
27.3 Für Fahrdynamikregelungen relevantes Unfallgeschehen von Motorrädern
27.4 Stand der Technik der Bremsregelsysteme
Die Unfallzahlen von Motorrädern in Deutschland liegen seit Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts auf einem Niveau von etwa 800 bis 1000 jährlich getöteten und 35 000 schwerverletzten Motorradfahrern und stagnieren im Gegensatz zur sinkenden Gesamtzahl der im Straßenverkehr Getöteten auf diesem Niveau. Die beschriebene Problematik der Vorderradblockade bei Motorrädern in Verbindung mit der Gefahr einer dynamischen Vorderradüberbremsung lässt einen hohen Anteil von bremsbedingten Unfällen am Unfallgeschehen vermuten. Das Datenmaterial des Statistischen Bundesamtes ist nicht ausreichend detailliert, um diese Vermutung zu belegen. Die deutschen Versicherungen unterhalten aber Datenbanken mit detaillierten Beschreibungen einer Vielzahl von Motorradunfällen, die nach verschiedenen Kriterien repräsentativ für das Unfallgeschehen in der Bundesrepublik Deutschland sind. In der Datenbank des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherer (GDV) wurden im Rahmen einer Studie [5] 610 Kollisionen zwischen Motorrad und Pkw ausgewertet. Bei 239 dieser Unfälle ließ sich eine Bremsung nachweisen, in 45 Fällen kam es zum Sturz, bevor die Kollision erfolgte. In etwa 7 % der ausgewerteten Unfälle trug also eine Radblockade wesentlich zum Unfallverlauf bei. Auch bei der Auswertung von Alleinunfällen war bei etwa 40 % der Unfälle ein Sturz das primäre Unfallereignis. Zusammengenommen sind offensichtlich mindestens 20 % der Motorradunfälle durch ABS beeinflussbar. Bei der Analyse der Datenbank der Allianz Versicherung [6] erwiesen sich ebenfalls zwischen 8 % und 17 % der untersuchten Unfälle als vermeidbar durch ABS. Übertragen auf das gesamte Unfallgeschehen ergäbe sich eine Vermeidbarkeit von etwa 80 Toten durch flächendeckenden Motorrad-ABSEinsatz. Die sichere Ermittlung des Potenzials für zukünftige Fahrdynamikregelsysteme ist wegen der unscharfen Datenbestände schwierig. In einer Studie hierzu [7] wurden ungebremste Kurvenun-
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Die Zusammenstellung hydraulischer MotorradBremsanlagen beginnt mit einer 2-kreisigen Bremsanlage, bei der der Fahrer durch Betätigung eines Handbremshebels einen hydraulischen Druck erzeugt, der über Hydraulikleitungen an die Vorderradbremse weitergeleitet wird, wo der Druck in eine Spannkraft an der Radbremse umgewandelt wird. Gleiches gilt für die Betätigung des Fußbremshebels (resp. zweiter Handbremshebel). Als Radbremsen werden heutzutage hauptsächlich Scheibenbremsen eingesetzt. Solche Bremsanlagen sind technisch ausgereift, vielfältig verwendet, werden ohne zusätzliche Maßnahmen jedoch nicht den Anforderungen einer modernen Bremsanlage für Motorräder in Bezug auf die Vermeidung von Blockaden an den Rädern gerecht. Der Fahrer muss zum Erreichen eines kurzen Bremswegs den Druck in dem Bremssystem selbsttätig modulieren, d. h. entsprechend der idealen Bremskraftverteilung den Bremsdruck am Vorderrad möglichst schnell aufbauen, ohne das Rad in die Blockade zu bringen und am Hinterrad ebenfalls möglichst schnell aufbauen, dann aber wegen der dynamischen Radlastverschiebung während der Bremsung wieder reduzieren, siehe Bild 27-7. Nur ein solches Verhalten garantiert einen kurzen Bremsweg bei gleichzeitiger Erhaltung der Stabilität des Motorrads. Im Allgemeinen ist ein Motorradfahrer jedoch mit einer solchen Regelungsaufgabe, insbesondere in Notsituationen, vollkommen überfordert. Dies führt entweder dazu, dass das Fahrzeug nicht optimal verzögert wird (der Bremsdruckaufbau entweder zu schwach, zu spät oder mit zu geringem Gradienten erfolgt) oder die Räder überbremst werden, d. h. blockieren, womit zwangsläufig die Stabilität des Fahrzeugs gefährdet ist und dies normalerweise zu einem Sturz führt. Um näher an eine ideale Bremskraftverteilung an Vorder- und Hinterrad zu gelangen, sind Motorräder mit so genannten CBS-Systemen (Combined Brake Systems) auf dem Markt erhältlich. Diese gibt es in zwei Ausführungsformen: Single-CBS, bei dem die Handbetätigung auf das Vorderrad, die Fußbetätigung (oder die zweite Handbetätigung) auf Vorder- und Hinterrad wir-
27 Fahrdynamikregelsysteme für Motorräder
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Bild 27-7: Wirkprinzipien hydraulischer Motorradbremsanlagen
ken. Damit lassen sich auch durch Betätigung nur eines Bedienelements relativ hohe Verzögerungen erreichen. Dual-CBS, bei dem sowohl durch die Betätigung des Hand- als auch des Fußbremshebels beide Räder verzögert werden. Solche Systeme sind hydraulisch relativ aufwendig. Besonders bei Dual-CBS ist ein schwimmend gelagerter Vorderradsattel mit zusätzlich angeschlossenem Betätigungszylinder (ein so genannter Sekundärzylinder) notwendig. Dieser sorgt für den Druckaufbau auf dem Hinterrad, was jedoch zusätzlich eine hydraulische Verbindung vom Vorderradsattel zum hydraulisch geteilten Hinterradsattel bedeutet. Bei beiden Systemen ist der Vorderradsattel hydraulisch geteilt (z. B. fünf Kolben verbunden mit der Handbetätigung, ein Kolben verbunden mit der Fußbetätigung), was ebenfalls einen entscheidenden Einfluss auf die Kosten des Gesamtsystems hat. Mit einer Ergänzung dieser Bremssysteme durch Druckbegrenzer oder Bremskraftsteuerventile wird für die Druckbegrenzung an Vorder- und Hinterrad entsprechend einer gewünschten Bremskraftverteilung gesorgt.
27.4.1 Hydraulische ABS-Bremsanlagen Die Verhinderung einer Blockade der Räder und damit die Beibehaltung der Stabilität kann jedoch
nur mit einem System gewährleistet werden, das den Bremsdruck kraftschlusssensierend moduliert, damit bei einer drohenden Blockade des abgebremsten Rades dieses wieder beschleunigen kann und damit die Seitenführungskraft beibehalten wird. Solche Antiblockiersysteme (ABS) sind für Pkws schon seit der Einführung im Jahr 1978 erhältlich. Das erste Motorrad-ABS-System wurde 1988 bei der BMW K100 eingeführt und erlebt seitdem auch im Motorradbereich zunehmende Anerkennung. Bei einem zweikreisigen Bremssystem wird das ABS zwischen Betätigung und Radbremse geschaltet. Es erkennt die Bewegung der Räder in jedem Hydraulikkreis über Raddrehzahlsensoren in jedem Hydraulikkreis die Bewegung der Räder. Sollte bei einem Rad während einer Bremsung die Umdrehungsgeschwindigkeit überproportional stark abfallen, wird dies erkannt und über die Bremsdruckregelung der Bremsdruck wieder reduziert. Hat das Rad die Referenzgeschwindigkeit des Fahrzeugs wieder nahezu erreicht, so wird der Bremsdruck wieder erhöht, um das Fahrzeug weiter abzubremsen. Zweikanalsysteme unter Verwendung von Ventilen sind heute noch in den unteren Fahrzeugklassen weit verbreitet. Sie sind leichter und kostengünstiger als Integralbremsanlagen. Für eine Single-CBS-ABS-Anlage sieht das Prinzip ähnlich aus, nur dass durch die Verbindung der Hinterradbetätigung an das Vorderrad ein weiterer Modulatorkreis vorhanden ist. Solche
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Bild 27-8: Wirkprinzipien hydraulischer Motorrad-ABS-Bremsanlagen
Anlagen benötigen insgesamt drei Regelkanäle, die unabhängig voneinander geregelt werden können. Das Dual-CBS-ABS zeichnet sich dadurch aus, dass die bereits erwähnte Dual-CBS-Bremsanlage durch ABS-Modulatoren ergänzt wird. Dabei müssen insgesamt vier Regelkanäle verwendet werden, da jeweils einer für die Bremsdruckregelung von der Handbetätigung zum Vorderrad, von der Fußbetätigung zum Vorder- und Hinterrad und vom Sekundärzylinder des Vorderrads an das Hinterrad benötigt wird. Bei den aufgeführten ABS-Systemen werden als Bremsdrucksteller Pumpe/Ventilkonfigurationen, vereinzelt auch Plunger-Systeme verwendet.
27.4.2 Elektrohydraulische Integralbremsanlagen Reine ABS-Anlagen sind passiv, da sie keinen Bremsdruck autonom aufbauen können. Aus dem Pkw-Bereich sind jedoch Aggregate bekannt, die in der Lage sind, zusätzlich zur ABS-Funktionalität an einzelnen Rädern aktiv, d. h. autonom Druck aufzubauen. Angelehnt an diese Technologie wurden im Motorradbereich elektronische Integralbremsanlagen entwickelt. Diese können analog zu einer CBS-Anlage bei einer Betätigung eines Bremskreises aktiv Bremsdruck in dem anderen Bremskreis erzeugen, ohne zusätzliche hydraulische Verbindungen oder Sondermaßnahmen im Sattel. Teilinte-
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gralanlagen beschränken sich mit der aktiven Wirkung auf einen Bremskreis, Vollintegralanlagen können auf beide Bremskreise aktiv einwirken. 27.4.2.1 Integralbremsanlagen ohne Verstärkerfunktion Stand der Technik ist hier die Verwendung von aus Automobilen bekannter Ventiltechnologie. Eine spezielle Ausführungsform ist die Teilintegralbremsanlage, bei der ausschließlich hinten der Bremsdruck aktiv aufgebaut wird; d. h., dass mit einem solchen System eine Integralfunktion vom Handbremshebel zum Hinterrad realisiert wird. Das Teilintegral-Bremssystem von Continental besteht aus insgesamt sechs hydraulischen Ventilen, zwei für den Vorderradkreis, vier für den Hinterradkreis, drei Drucksensoren, jeweils einem Niederdruckspeicher und einer hydraulischen Pumpe pro Radkreis und einer ECU (Electronic Control Unit). Die beiden Pumpen jedes Radkreises werden von einem Elektromotor gemeinsam angetrieben. Betätigt der Fahrer den Handbremshebel, so wird der Druck hydraulisch an die Vorderradbremse weitergeleitet. Gleichzeitig misst der Drucksensor den Druckanstieg und leitet die Information an die ECU weiter. Gemäß vorgegebener Kennlinien, Betriebszustände oder anderer Kenngrößen wird der Motor der Pumpe angesteuert. Zum aktiven Druckaufbau auf dem Hinterrad wird das Trennventil (TV-HR) geschlossen und das Elektrische Umschaltventil (EUV-HR) geöffnet. Dadurch kann die Pumpe die
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Bild 27-9: Wirkprinzipien elektronischer Integralbremsanlagen
Bremsflüssigkeit aus dem Vorratsbehälter in den hinteren Bremssattel pumpen und Druck aufbauen. Betätigt der Fahrer dabei zusätzlich den Fußbremshebel, so wird bei Erreichen des Radbremsdrucks das EUV-HR wieder geschlossen und das
TV-HR wieder geöffnet, sodass der Fahrer wieder den direkten Durchgriff vom Fußpedal zur Hinterradbremse hat. Der Vorderradkreis ist bezüglich der Ventilbestückung als ABS-Kreis ausgelegt.
Bild 27-10: Motorrad-Integralbremssystem MIB, Teilintegralfunktion
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Weiterhin gibt es Systeme auf dem Markt, die zu der Integralfunktion eine Verstärkungsfunktion integriert haben. Die von FTE hergestellte CORA und CORA BB stellen solche Anlagen dar. Die Betätigungskräfte werden durch die integrierte Verstärkerfunktion reduziert, um den Komfort beim Bremsen zu erhöhen. Die Hydraulik der Bedienelemente wird dabei je nach Evolutionsstufe von den Radbremsen weitestgehend getrennt, die Betätigung erfolgt bei intakter Anlage in einem Simulator oder Steuerraum. Eine Hydraulikpumpe wird bei jeder Betätigung – auch Teilbremsungen – aktiviert, sodass der Druck im Radbremszylinder aufgebaut werden kann, mindestens nach einem über hydraulische Übersetzungen vorgegebenen Verstärkungsfaktor. Bei Systemstörungen wirken die Hand- und Fußbremszylinder weiter direkt auf die Radbremszylinder. Die ABS-Funktion arbeitet nach dem PlungerPrinzip, wobei sich ein Steuerkolben im Steuerraum mittels eines Elektromagneten proportionalisiert gegen den Betätigungsdruck verschieben lässt und damit die Modulation in der Radbremse realisiert. Die Integralfunktion wird über einen zusätzlichen hydraulischen Eingang, vom Betätigungselement des jeweils anderen Bremskreises kommend, abgebildet. Dieser Druck wirkt über einen Trennkolben auf den Steuerkolben, und über die Geometrie wird der Mindest-Integralbremsdruck wie bei einer Normalbetätigung an der jeweiligen Radbremse eingestellt. Darüber hinaus kann nun elektronisch über die Drucksensorik mit der Pumpe zusätzlicher Bremsdruck generiert werden.
27.4.2.2 Zusatzfunktionen Bei einer schnell ausgeführten Panikbremsung und damit auch hohen Momentendynamik um die Querachse besteht die große Gefahr eines Überschlags. Diese Gefahr wird durch Rear-wheel-Lift-off-Protection (RLP) in starkem Maß reduziert. RLP vergleicht die Raddrehzahlsignale und abgeleitete Signale beider Räder während des Bremsvorgangs. Zusätzlich können noch die Druckinformationen der einzelnen Regelkreise zu einer Lift-OffTendenz verarbeitet oder fahrsituationsabhängig die Verzögerung beschränkt werden. Eine direkte Sensierung des Abstands von Rad zu Fahrbahn erfolgt nicht. Der Druckregelalgorithmus des Vorderrads verringert den Bremsdruck unterhalb des ABS derart, dass mit möglichst hoher Zuverlässigkeit eine Mindestradaufstandskraft des Hinterrads sichergestellt wird. Die Aktive Bremsdruckverteilung (ABD, active brake pressure distribution) ist für die Verteilung des Fahrerbremswunsches auf die beiden Räder verantwortlich. Dies geschieht in Interaktion mit dem vom Fahrer über die beiden Bedienelemente direkt hydraulisch eingespeisten Bremsdruck, wobei die einzelnen Verteilungen, vom Handhebel zum Hinterrad und vom Fußhebel zum Vorderrad, per Software umgesetzt werden. Die Grundkennlinie kann sich an der idealen Bremskraftverteilung orientieren und dann situativ verändert werden. Hierbei kommen Eingangsgrößen wie die Fahrzeuggeschwindigkeit ebenso zum Einsatz wie auch Fahrerbremsprofil beschreibende Signale. So kann z. B. die Wirkung der Hin-
Bild 27-11: Radabheben bei Vollbremsung ohne aktiviertes RLP
Bild 27-12: Vollbremsung mit aktiviertem RLP
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terradbremse bei sehr kleinen Geschwindigkeiten reduziert werden, um ein optimales Handling zu erreichen. Die ABD erfordert allerdings ein aktives Bremssystem wie MIB oder CORA BB. Vielfältige Assistenzfunktionen werden in Zukunft wie beim Automobil den Fahrer zunehmend entlasten und die Fahrsicherheit steigern.
27.5 Stand der Technik der Antriebsschlupfregelungssysteme Als Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit ist im Hinblick auf die seit Jahren gestiegene Leistungsdichte eine Antriebsschlupf-Regelung (Automatic Stability Control – ASC) für Motorräder eine sinnvolle Ergänzung zu den mittlerweile etablierten Bremsregelsystemen [6]. Einziges zur Zeit auf dem Markt befindliches System ist das von BMW Motorrad 2006 eingeführte Automatic Stability Control (ASC). Dieses System unterstützt den Fahrer speziell auf Straßen mit wechselnden und reduzierten Reibwerten beim Beschleunigen. Die Systemkompo-
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nenten sind im Bild 27-13 dargestellt. Es begrenzt abhängig von der Straßenbeschaffenheit innerhalb physikalischer Grenzen das übertragene Antriebsmoment des Motors, sodass ein unkontrolliertes Durchdrehen des Hinterrads weitestgehend verhindert wird. Allerdings ist auch mit ASC eine bedachte Fahrweise notwendig. Eine an die Verhältnisse angepasste Beschleunigung in Schräglage ist trotz Antriebsschlupf-Regelung erforderlich. Das ASC ist bei Serienmotorrädern für den Betrieb auf öffentlichen Straßen ausgelegt. Es ist nicht konzipiert, maximal mögliche Beschleunigungen zu erzielen oder aus sehr großer Schräglage maximal zu beschleunigen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass ein Assistenzsystem den Fahrer unterstützen soll und nicht in der Lage ist, die physikalischen Grenzen eines Einspurfahrzeugs zu erweitern. Systeme aus Rennsportanwendungen sind oftmals auf hohe Reibwerte, wie sie bei Rennreifen vorliegen, und einen relativ engen Anwendungsbereich abgestimmt. Zudem wird die ASC-Regelung durch die Erfassung der Schräglage unterstützt. Dadurch ist es möglich, die Anforderungen an hohe Regelgüte und keinerlei Beeinträchtigung des Beschleunigungsvermögens in Schräglage miteinander zu verbinden. Für Serien-
Bild 27-13: Systemübersicht ASC am Beispiel der BMW R1200R
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
anwendungen ist die Erfassung der Schräglage zum heutigen Zeitpunkt noch nicht hinreichend kostengünstig darzustellen. Bei der Festlegung der Regelschwellen ist ein Kompromiss zwischen einer sportlichen und einer sicheren Regelung erforderlich. Aus diesem Grund sind geschwindigkeitsabhängige Regelschwellen notwendig, die für alle Schräglagen, die das Motorrad im Fahrbetrieb einnehmen kann, zuverlässig funktionieren. Die Konsequenz daraus ist, dass bei großen Schräglagen (O > 40°) das Beschleunigungsvermögen spürbar abnehmen kann. Falls der Fahrer dennoch sportlicher bzw. extremer fahren möchte, hat er die Möglichkeit, das System per ASC-Taster abzuschalten. Das ASC-Steuergerät erhält die Signale der ABS-Radsensoren und wertet diese aus. Daraus wird über die Drehzahldifferenz von Vorder- und Hinterrad der aktuelle Antriebsschlupf ermittelt. Damit die Fahrstabilität gewährleistet werden kann, wird der Schlupf auf ein vertretbares Maß begrenzt. Dies geschieht, indem im Motormanagement die Zündung auf spätere Zündzeitpunkte verstellt wird. Ein aktiver Bremseneingriff zur Momentenreduktion am Hinterrad erfolgt bei diesem System nicht. Das System ist abschaltbar und verfügt über eine Eigendiagnose mit Fahrerinformation. Zur Eigendiagnose vergleicht das ASC diese Signale mit den über den CAN-Bus gesendeten Raddrehzahlen und meldet eine Störung, falls diese nicht übereinstimmen. In der Software der Motorsteuerung sind die fahrzeugspezifischen Daten abgelegt und werden für alle Regelvorgänge als Berechnungsgrundlage herangezogen. Die Radgeschwindigkeiten werden aus den Radsensorimpulsen und einem reifenspezifischen Abrollradius berechnet. Die Reifenradien
unterscheiden sich geringfügig zwischen den Reifenherstellern, unterliegen Toleranzen in der Fertigung und verändern sich mit zunehmendem Verschleiß. Aus diesem Grund werden Abweichungen durch einen Vergleich zwischen Vorder- und Hinterradgeschwindigkeit in definierten Fahrzuständen adaptiert. In den fahrzeugspezifischen Parametern sind die für das jeweilige Fahrzeug freigegebenen Rad-Reifen-Paarungen abgelegt. Im Bild 27-14 sind die grundsätzlichen Regelstrategien zur Reduzierung des Motormoments und somit zum reduzierten Beschleunigungsvermögen am Hinterrad dargestellt. Ausgehend von einem für den Lastpunkt optimalen Zündzeitpunkt erfolgt je nach Antriebsschlupf am Hinterrad die Reduktion. Im ersten Schritt wird der Zündwinkel in Richtung spät verstellt und das Motordrehmoment um bis zu 25 % reduziert. Durch den späten Zündwinkel erhöhen sich zwangsläufig die Abgastemperaturen. Die Spätverstellung des Zündwinkels wird durch die Brenngrenze des Motors begrenzt. Bei einer weiteren Spätverstellung wird der Kraftstoff nicht mehr vollständig verbrannt. Deshalb ist im Steuergerät für jeden Betriebspunkt ein maximaler Wert dieser Zündzeitpunktverstellung abgelegt. Sollte trotz maximaler Zündwinkelverstellung bis an die Brenngrenze der Antriebsschlupf am Hinterrad noch zu hoch sein, erfolgt eine Ausblendung der Kraftstoffeinspritzung. Dies wird zylinderselektiv nach speziellen Ausblendmustern in unterschiedlichen Reduktionsstufen durchgeführt. Innerhalb der Reduktionsstufen ist durch Variation des Zündzeitpunkts zu späteren Zündzeitpunkten eine weitere Reduktion des Motordreh-
Bild 27-14 Schematische Darstellung der Drehmomentreduktion
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27 Fahrdynamikregelsysteme für Motorräder
moments möglich. Wird erneut die Brenngrenze erreicht, wechselt die Motorsteuerung in die nächste Reduktionsstufe. Dies bedeutet, dass weitere Einspritzungen je Arbeitsspiel unterdrückt werden (2. und 3. Reduktionsstufe). In der letzten Reduktionsstufe wird die Einspritzung wie bei einer Schubabschaltungsfunktion gänzlich unterbunden. Der Motor läuft nur noch im Schleppbetrieb. Der Drehmomenteingriff durch die Software wird je nach Motorkonzept unterhalb einer Motordrehzahl von ca. n = 1200–1800 min –1 unterdrückt. Dadurch wird vermieden, dass der Motor stehen bleibt und somit das Hinterrad blockieren kann. Die Bedingung, den Motor lauffähig zu halten, wird in diesem Drehzahlbereich (Geschwindigkeit je nach Gang ca. 5–15 km/h) höher priorisiert, als die Fahrzeugstabilität aufrecht zu erhalten. In diesem Geschwindigkeitsbereich ignoriert bzw. begrenzt der Motormomentmanager die Anforderung einer weiteren Drehmomentreduktion. Entsprechend wird keine ASC-Regelung im I-Kombi angezeigt. Die Übergänge in den Reduktionsstufen zur Antriebsschlupfreduzierung sind an die Fahr- und Schlupfsituationen angepasst. Die Rückstellung hingegen erfolgt so zügig wie möglich, um das Beschleunigungsvermögen nicht unnötig einzuschränken. Zusätzliche Features des ASC-Systems sind die Erkennung und Vermeidung von Beschleunigungsüberschlägen (sog. „Wheelies“) und die Anpassung des Systems an Geländefahrzeuge. Erzeugt der Fahrer beim starken Beschleunigen einen „Wheely“, wird zwangsläufig das Vorderrad im Vergleich zum Hinterrad langsamer. Die ASCRegelung erkennt dies als Hinterradschlupf und reduziert über Motorlasteingriff das Antriebsmoment am Hinterrad. Für Geländeeinsätze sind die straßenspezifischen Schlupfschwellen oftmals nicht geeignet. Besonders bei Fahrten auf losen Untergründen sind größere Schlupfschwellen erforderlich. Deshalb sind zusätzlich für die Enduromodelle von BMW Motorrad eigene Geländeabstimmungen entwickelt worden. Diese Abstim mung ist auf die besondere Schlupfcharakteristik von losem Untergrund wie Sand und Geröll angepasst. Mit dem ASC-Taster kann zwischen Straßen- und Geländesetup gewechselt werden. Für den Straßenbetrieb ist das Geländesetup allerdings ungeeignet.
27.6 Zukünftige Fahrdynamikregelungen Eine Top-Down-Abschätzung geeigneter Fahrdynamikregelungen erfordert eine Systematik zur Ein-
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teilung möglicher Fahrsituationen von Motorrädern. Als geeignete Systematik hat sich die Einteilung der Fahrdynamik nach der Wirkrichtung der zwischen Fahrzeug und Umgebung übertragenen Kräfte in Längsdynamik, Querdynamik und Kombinationen hiervon erwiesen. Der Bereich der Längsdynamik wird bereits durch ABS und ASC abgedeckt. Als nächste Evolutionsstufe ist – ähnlich der Entwicklung im Pkw-Bereich – die Optimierung von Brems- und ASR-Systemen für die Kurvenfahrt zu erwarten (Kombination von Querdynamik und Längsdynamik). Kein bisher auf dem Markt verfügbares Bremssystem für Motorräder verfügt über Sensorik zur Kurvenerkennung. Damit ist keine Anpassung der Bremsstrategie an die Besonderheiten der Kurvenbremsung möglich. Bild 27-15 zeigt den zeitlichen Verlauf und die Folgen einer drohenden Radblockade bei einer Kurvenbremsung eines aktuellen Serienmotorrads (BMW R1150RT mit BMW IntegralABS). Das Vorderrad zeigt bei t = 0 s, einem Rollwinkel von etwa 20° und einer Fahrgeschwindigkeit von 65 km/h einen deutlichen Drehzahlabfall. Das Vorderrad erhöht aufgrund der Überbeanspruchung des Kraftschlusses den Schräglaufwinkel; die Gierrate des Fahrzeugs und die Krümmung des Kurses sinken. Zu Beginn der einsetzenden Radblockade und der anschließenden Regelung sinkt die Bremskraft; das vom Fahrer aufgebrachte, nach außen wirkende Lenkmoment dreht den Lenker nach außen (in Richtung gegensinnige Lenkwinkel). Nach Beenden der Regelung liegt wieder die maximale Bremskraft am Vorderrad und damit auch wieder ein starkes nach innen (gleichsinniger Lenkwinkel) drehendes Lenkmoment an, das bei nun vom Fahrer offensichtlich zurückgenommenem Moment den Lenker erneut nach innen dreht. Kurzzeitig beginnt der Lenker zu schwingen, bei ausreichender Amplitude dieser Schwingung ist ein schnelles Sinken des Rollwinkels (und damit verbunden große Rollraten) zu beobachten. Es folgt eine über den gesamten weiteren Bremsverlauf erkennbare Gier- und Rollschwingung des Fahrzeugs. Im realen Straßenverkehr wäre unter Umständen ein Verlassen der vorgesehenen Fahrspur die Folge gewesen. Ursächlich für die Lenk- und Rollschwingungen ist offensichtlich der bereits in Abschnitt 27.2 beschriebene Effekt des Bremslenkmoments in Kombination mit der Regelung des Kurses durch den Fahrer. Eine bekannte Möglichkeit [3] zur Verbesserung der Kurvenbremsung ist das deutliche Überbremsen des Hinterrads. Eine Regelung der Bremskraft wäre auf das Hinterrad beschränkt (konstante
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Bild 27-15: Ablauf einer ABS-Regelung bei Kurvenbremsung
Reibwertverhältnisse vorausgesetzt), und das maßgeblich von der Vorderradbremskraft bestimmte Bremslenkmoment wäre minimiert. Diese Maßnahme verschlechtert die Verzögerung, verbessert aber die Bremsstabilität. Voraussetzung für eine Umsetzung dieser Bremsstrategie ist die sensorische Erfassung des aktuellen Rollwinkels in ausreichender Dynamik und Genauigkeit sowie die freie Variationsmöglichkeit der Bremskraftverteilung. Mit aus Pkw-Fahrdynamikregelsystemen bekannten Sensoren wird diese Erfassung in naher Zukunft in Seriensystemen möglich sein [9]. Mit aktuellen Bremssystemen ist eine variable Bremskraftverteilung schon heute darstellbar. Die Entwicklung von Kurvenbremssystemen ist daher nur noch eine Frage der Zeit. Auch Antriebsschlupfregelungen profitieren von der Kenntnis des aktuellen Rollwinkels, sodass auch hier in naher Zukunft kurventaugliche Systeme zu erwarten sind. Zur Abschätzung der Realisierbarkeit darüber hinaus gehender Fahrdynamikregelungen stellt sich
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zunächst die Frage nach relevanten Unfallklassen. Aus einer detaillierten Analyse der Unfalldatenbank des GDV sowie aus Expertenbefragungen gingen ungebremste Kurvenunfälle als größte Gruppe potenziell beeinflussbarer Unfälle hervor [8]. Diese Unfälle ereignen sich durch plötzliches Sinken des Fahrbahnreibwerts (beispielsweise Laub, rutschiger Asphalt, Eis) oder bei Überschreiten der maximal möglichen Querbeschleunigung. In beiden Fällen „passt“ die Querbeschleunigung nicht mehr zum Rollwinkel. Für die Stabilität des Motorrads ist aber eine dem aktuellen Rollwinkel angepasste Querbeschleunigung erforderlich. Das Rollgleichgewicht ist nicht mehr erfüllt, ein Sturz ist die unausweichliche Folge. Um die beiden Unfallklassen mit einem technischen System zu beeinflussen, müssen sie durch eine Sensorik erkennbar sein und durch technische Möglichkeiten beeinflussbar sein. In Experimenten und Simulationen zeigt sich die Schwimmgeschwindigkeit des Fahrzeugs
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Bild 27-16: Fahrversuche zum Nachstellen ungebremster Kurvenunfälle
(Geschwindigkeit der Schwimmwinkeländerung) als robustes Kriterium zur Erkennung kritischer Fahrsituationen. Die Schrägläufe der Reifen sind bei Motorrädern in unkritischen Fahrsituationen üblicherweise gering. Auch der Schwimmwinkel nimmt nur kleine Werte an. Der Schwimmgeschwindigkeit sind daher Grenzen gesetzt. In kritischen Fahrsituationen – wenn beide Räder gleiten – ist die Schwimmbewegung des Fahrzeugs jedoch instabil. Zum Nachweis der Eignung der Schwimmgeschwindigkeit als Kriterium wurden ungebremste Kurvenunfälle auf einer Niedrigreibwertfläche mit einem speziell ausgerüsteten Motorrad nachgestellt, siehe Bild 27-16. Die Schwimmgeschwindigkeit eines Fahrzeugs ist
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y x
(27.5)
mit den fahrbahnbezogenen Größen Giergeschwindigkeit \ und Querbeschleunigung y . Die Erfassung fahrbahnbezogener Größen ist bei einem Motorrad aus zwei Gründen nicht möglich: Am Fahrzeug angebrachte Sensorik neigt sich mit in die Kurve, durch Rollgeschwindigkeit und -beschleunigung wirken zusätzliche Trägheitskräfte im Sensor, eine Korrektur ist erforderlich. Zur Bestimmung der Schwimmgeschwindigkeit im Motorrad sind fahrzeugfeste Sensoren für Gierrate, Rollrate, Querbeschleunigung, Vertikalbeschleunigung und Rollwinkel erforderlich.
Im Bild 27-17 ist der Verlauf der Schwimmgeschwindigkeit während einer typischen Fahrt der Unfallklasse „Reibwertsprung“ dargestellt. Zum Zeitpunkt t = 0 s befährt das Motorrad mit dem Vorderrad die Gleitfläche. Es kommt zu einer kleinen Auslenkung der Schwimmgeschwindigkeit, die offensichtlich aber korrigiert wird – wegen des nicht gleitenden Hinterrads ist das Fahrzeug zunächst noch stabil. Zum Zeitpunkt t = 0,2 s befindet sich auch das Hinterrad auf der Gleitfläche, das Fahrzeug baut eine deutlich erkennbare Schwimmgeschwindigkeit auf. Die Unfallklasse „Reibwertsprung“ verläuft also offensichtlich in zwei Phasen. Jede Phase ist durch beginnendes Gleiten eines Rades gekennzeichnet. Bei der Unfallklasse „Überschreiten der maximalen Querbeschleunigung“ beginnen beide Räder annähernd gleichzeitig zu gleiten. Die erwarteten maximalen Beträge des Schwimmwinkels des Fahrzeugs liegen für große Rollwinkel im Bereich von 2°, die erwartete maximale Schwimmgeschwindigkeit des Motorrads für stabile Fahrsituationen liegt im Bereich von 0,15 rad/s. Bei jedem ausgewerteten Fahrversuch wurde während der Sturzphase der Grenzwert für die Schwimmgeschwindigkeit überschritten. Der Grenzwert wurde in keinem Fall während unkritischer Fahrsituationen überschritten. Kritische Fahrsituationen sind also anhand der Schwimmgeschwindigkeit erkennbar. Für die Zukunft sind dem Pkw-ESP ähnliche Kalman-Ansätze zur direkten Bestimmung des Schwimmwinkels und verbesserten Erkennung kritischer Fahrsituationen denkbar.
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Bild 27-17 Verlauf der Schwimmgeschwindigkeit während eines Reibwertsprungs. Befahren der Gleitfläche zum Zeitpunkt t=0s
Ziel einer Fahrdynamikregelung ist aber nicht nur die Erkennung, sondern auch die Stabilisierung der kritischen Fahrsituation. Die Rollinstabilität führt offensichtlich innerhalb kurzer Zeit zum Sturz des Fahrzeugs. Im Gegensatz zu einer Gierbewegung, die bei ausreichender zur Verfügung stehender Fläche die Dauer der kritischen Fahrsituation nicht einschränkt, begrenzt die Rollbewegung die zur Verfügung stehende Zeit zur Stabilisierung des Fahrzeugs. Wichtigstes Ziel einer Fahrdynamikregelung muss also die Stabilisierung des Rollwinkels sein. Der Giervorgang ist für den betrachteten Fall zunächst wie gewünscht – ein in die Kurve eindrehendes, schon auf der Fahrbahn rutschendes Fahrzeug dreht sich vom rutschenden Fahrer weg. Ein kurvenausdrehendes, auf der Fahrbahn rutschendes Fahrzeug würde den Fahrer vor sich herschieben. Aufgrund des deutlich geringeren Reibwerts des rutschenden Fahrzeugs gegenüber üblicher Bekleidung des Fahrers würden so die Rutschweite und damit auch das Verletzungsrisiko für den Fahrer erhöht. Für den Fall irreversibler Destabilisierung ist also kurveneindrehende Schwimmgeschwindigkeit erwünscht (übersteuern). Kritisch ist die Gierinstabilität dann, wenn das noch gleitende Fahrzeug mit einem oder beiden Rädern wieder eine Fläche hohen Reibwerts erreicht. Die Räder treffen dann unter deutlich gestiegenem Schräglaufwinkel auf eine griffige Fläche und stellen dabei eine deutlich zu große Seitenkraft zur Verfügung, die üblicherweise zu einem
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Umkippen des Fahrzeugs auf die kurvenäußere Seite führt. Dieses Umkippen geschieht oftmals so schnell, dass es dem Fahrer nicht möglich ist, das Fahrzeug zu stabilisieren. Für den Übergang des Vorderrads von Niedrigreibwert auf Hochreibwert werden kurvenausdrehende Momente im dreistelligen Nm-Bereich um das Lenksystem erwartet. Diese Momente können je nach Fahrerankopplung und Elastizitäten im Lenksystem zu Lenkerschlagen führen. Kurvenausdrehen des Lenkers kann weiterhin zu einer Verringerung der Seitenkraft durch negativen Schräglauf führen. Für negative Schräglaufwerte ist die Seitenkraft geringer als die zum Ausgleich des Kippmoments erforderliche Seitenkraft. Ziel einer Fahrdynamikregelung muss sein, den Schräglauf am Vorderrad in der Phase des Übergangs von Niedrig- auf Hochreibwert auf Werte um 0 Grad zu begrenzen und Lenkerschlagen zu vermeiden. Zu große Seitenkraft am Hinterrad kann nicht durch Lenkbewegungen abgebaut werden und führt zu so genannten „high sider“-Unfällen, also dem Kippen des Fahrzeugs nach kurvenaußen. Hoher Schräglauf am Hinterrad muss daher beim Übergang von Niedrigreibwert zu Hochreibwert vermieden werden. Zur Beeinflussung der Fahrdynamik steht die Variation der Reifenkräfte zur Verfügung. Bei Gleiten beider Reifen sind ein Aufbau von zusätzlicher Seitenkraft und damit eine Rollstabilisierung nicht möglich. Es bleibt aber die Möglichkeit, die Differenz der Seitenkräfte und damit die Gierdrehung
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des Fahrzeugs zu beeinflussen. Damit ist eine Regelung zum Vermeiden von high sider-Unfällen bei Reibwertänderungen hoch-niedrig-hoch denkbar. Eine dem ESP entsprechende Fahrdynamikregelung für Motorräder wird aufgrund der systembedingten Rollinstabilität allein durch Beeinflussung der Horizontalkraft auch in Zukunft nicht realisierbar sein. Ein denkbares Mittel wäre lediglich eine Steigerung der Vertikalkraft an den Rädern mit hoher Dynamik, beispielsweise durch aktive Fahrwerke. Bisher ist als Konzept für ein aktives Fahrwerk mit vermutlich ausreichender Dynamik lediglich das BOSE-Fahrwerk bekannt [10].
Quellenverzeichnis [1] Stoffregen, J.: Motorradtechnik. Wiesbaden: Vieweg Verlag, 2006 [2] Holzwerth, U.: Gebrauchtberatung Honda Pan European. In: Motorrad 2004 (2004) Nr. 6, S. 86–89 [3] Weidele, A.: Untersuchungen zum Bremsverhalten von Motorrädern unter besonderer Berücksichtigung der ABS-geregelten Kurvenbremsung. Düsseldorf: Als Ms. gedr. Aufl. VDI-Verl, 1994 [4] Funke, J.: Belastung und Beanspruchung von Motorradfahrern bei der Bremsung mit verschiedenen Bremssystemen. Düsseldorf: Als Ms. gedr. Aufl. VDI-Verl, 2007 [5] Sporner, A.; Kramlich, T.: Zusammenspiel von aktiver und passiver Sicherheit bei Motorradkollisionen. 3. Int. Mot.-Konferenz, München: 2000 [6] Reissing, J.; Wagner, H.-A.; Jahreiß, H.-J.; Bachmann, J.; Müller, P.: Integral ABS und ASC – die neuen Fahrdynamikregelsysteme von BMW Motorrad, Tagung Brake.tech 2006, München: 2006 [7] Gwehenberger, J.; Schwaben, I.; Sporner, A.; Kubitzki, J.: Schwerstunfälle mit Motorrädern. In: VKU Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik 2006 (2006) Nr. 1, S. 11–18 [8] Seiniger, P.; Winner, H.; Gail, J.: Future Vehicle Stability Control Systems for Motorcycles with Focus on Accident Prevention. In: Proceedings of the 9th Biennial ASME Conference on Engineering Systems Design and Analysis. July 7–9, 2008, Haifa, Israel [9] Seiniger, P.; Winner, H.; Schröter, K.; Kolb, F.; Eckert, A.; Hoffmann, O.: Entwicklung einer Rollwinkelsensorik für zukünftige Bremssysteme. 6. Internationale Motorradkonferenz, Köln: 2006 [10] Bose Corporation: Bose Suspension System. www.bose.com, 2004
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E 28 Stabilisierungsassistenzfunktionen im Nutzfahrzeug 28.1 Einleitung Das folgende Kapitel beschreibt bremsbasierte Assistenzfunktionen zur Fahrzeugstabilisierung von Nutzfahrzeugen. Die Abgrenzung zu den PkwKapiteln erfolgt im Wesentlichen über das zugrunde liegende Bremssystem. So werden hier alle straßengebundenen Nutzfahrzeuge mit pneumatisch betriebenen Betriebsbremsen (Fremdkraftbremsen) behandelt, wie sie überwiegend in mittleren und schweren Nutzfahrzeugen zum Einsatz kommen (> 6 Tonnen). Im ersten Abschnitt werden Radschlupf-basierte Stabilisierungsfunktionen diskutiert, deren Regelschleife über die Raddrehzahlinformation geschlossen wird. Der zweite Abschnitt behandelt die Fahrdynamikregelung, bei der aus dem Vergleich der aktuellen Fahrzeugbewegung mit der vom Fahrer gewünschten Fahrzeugbewegung ein Stabilisierungseingriff abgeleitet wird. Zum Abschluss wird ein kurzer Ausblick auf weitere Entwicklungen gegeben.
28.2 Spezifika von ABS, ASR und MSR für Nutzfahrzeuge im Vergleich zum Pkw
28.2.1 Nkw-spezifische Besonderheiten Im Zusammenhang mit den raddrehzahlbasierten Stabilisierungsfunktionen ABS (Anti-Blockiersystem), ASR (Antriebsschlupfregelung) und MSR (Motor-Schleppmomentregelung) ergeben sich die folgenden wesentlichen Unterschiede im Vergleich zum Pkw (vgl. auch [1]): Fahrwerk: Das typische Lkw-Fahrwerk basiert auf einer Leiterrahmenkonstruktion mit Starrachsen. Als Achsaufhängung wird an der Vorderachse aus Kostengründen häufig eine Blattfederkonstruktion verwendet. Diese übernimmt sowohl die Federung als auch die Achsführung in Längs- und Querrichtung. Nachteilig für Radregelfunktionen erweist sich dabei das so genannte Aufziehen der Blattfeder, d. h. das S-förmige Verbiegen aufgrund des eingeleiteten Bremsmoments.
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Falk Hecker
An den Hinterachsen kommt üblicherweise eine Luftfederung in Verbindung mit Achslenkern zum Einsatz (verbesserter Federungskomfort, Niveauausgleich bei Beladungsänderung etc.). Hier hängt der Einfluss auf die Radregelfunktionen im Wesentlichen von der Aufhängungskinematik und -elastokinematik ab. Ungünstige Lenkeranordnungen (z. B. gezogene Achsen) können über das Abstützmoment beim Bremsen beispielsweise zum „Springen“ der Achse führen. Neben der Standard-Fahrwerksausführung (Blattfederung an der Vorderachse und Luftfederung an den Hinterachsen) gibt es für bestimmte Anwendungsbereiche weitere Varianten. Dazu gehören für den harten Baustelleneinsatz Fahrzeuge mit Blattfederung an allen Achsen ebenso wie spezielle Off-Road-Fahrzeuge mit Schraubenfederung oder Fahrzeuge mit Luftfederung an allen Achsen (z. B. Busse). Lenkung: Nutzfahrzeuge sind meist mit Kugelumlauflenkungen ausgerüstet, die das vom Fahrer aufgebrachte Lenkmoment über eine Lenkspindel hydraulisch verstärkt auf den Lenkstockhebel übertragen. Aufgrund des normalerweise positiven Lenkrollradius ergibt sich eine spürbare Rückmeldung über die Lenkung an den Fahrer bei seitenweise unterschiedlichen Bremskräften (z. B. während einer ABS-Bremsung), was einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Abstimmung des ABS-Systems hat. Variantenvielfalt: Lkw-Konstruktionen bilden einen Baukasten, aus dem sich extrem viele verschiedene Varianten auf Bestellung kombinieren lassen. Neben den auch bei Pkws üblichen Ausstattungsvarianten (Getriebe, Motor etc.) bezieht sich dies auch auf Anzahl und Art der Achsen (von 2 bis 5 Achsen, wahlweise angetrieben und/ oder gelenkt), Achsaufhängung, Länge des Radstands (oft im 10 cm-Raster wählbar), Stärke des Leiterrahmens, Art des Lenkgetriebes usw. Darüber hinaus liefert der Hersteller den Lkw oft an einen Aufbauhersteller, der dann den Lkw für den eigentlichen Einsatz ausrüstet (z. B. Kipper oder Pritschenaufbau, Ladekran, Betonmischer etc.) und durch diese Modifikationen und Anbauten am Rahmen die fahrphysikalischen Eigenschaften weiter verändert. In bestimmten Märkten (beispielsweise Nordamerika) ist die mögliche Variantenvielfalt noch
28 Stabilisierungsassistenzfunktionen im Nutzfahrzeug
größer, da die Hersteller dort meist nur Kabine und Rahmen selbst entwickeln und der Kunde den Rest des Lkws, d. h. die wesentlichen technischen Bestandteile wie Motor, Getriebe und Achsen mehr oder weniger frei vom Zulieferer wählen kann. Für große Flotten hat dies den Vorteil, dass sie Lkws von verschiedenen Herstellern mit identischer Technik (Motor, Achsen und Getriebe) fahren können, was die Reparatur und Wartung vereinfacht. Für Radregelfunktionen wie ABS oder ASR bedeutet die Variantenvielfalt erhebliche Anforderungen an die Robustheit, da während der Entwicklungs- und Applikationsphase der Systeme nur eine sehr beschränkte Auswahl an Fahrzeugvarianten untersucht werden kann. Alle anderen möglichen Kombinationen müssen über eine robuste Systemauslegung abgedeckt werden. Rad- bzw. Achslasten: Typische Rad- bzw. Achslasten liegen deutlich über denen des Pkws (bis etwa Faktor 15). Das führt zu einer erheblich höheren Flächenpressung an der Reifenoberfläche (zum Vergleich: Reifenluftdrücke liegen im Nkw bei 6 … 8 bar gegenüber 1,5 … 3 bar im Pkw). Zusammen mit einer verschleißoptimierten Reifenauslegung führt dieser Effekt zu niedrigeren maximalen Reibwerten und somit auch geringeren möglichen Bremsverzögerungen (maximal erzielbare Verzögerung im Nkw ca. 7 … 8 m/s2). Fahrzeugmasse: Nutzfahrzeuge sind zum Transport von Personen oder Gütern in größeren Mengen ausgelegt und benötigen dadurch eine möglichst hohe Zuladung. Daraus ergibt sich ein deutlich größeres beladen/leer-Verhältnis k Load als im Pkw. kLoad :
mfull mempty
(28.1)
Für einen Mittelklasse-Pkw mit Leermassen von 1000 … 1500 kg ergeben sich für k Load Werte von ca. 1,2 … 1,4. Für beladungsabhängige Funktionen bedeutet das eine Variation der Masse von maximal ±16 %. Bei Lkws mit Leermassen von 6500 … 9000 kg und Zuladungen von 11 500 … 17 000 kg liegen die Werte dagegen bei k Load = 2,7 … 2,9. Das bedeutet eine Variation der Masse von bis zu ±50 %. Mit dem üblichen Anhängerbetrieb oder bei Schwertransporten erhöhen sich die Werte noch weiter (bis zu k Load = 15). Die hohe Masse bei Nutzfahrzeugen führt außerdem zu einer größeren Trägheit und damit zu einer geringeren Fahrzeugdynamik. Ähnliches gilt für die Räder, die erheblich größere Träg-
E
heitsmomente aufweisen als im Pkw. Somit sind auch die für ein Radschlupfregelsystem notwendigen Stellgeschwindigkeiten niedriger als beim Pkw. Anhängerbetrieb: Insbesondere schwere Nutzfahrzeuge > 11 Tonnen führen häufig ein oder mehrere Anhänger mit. Dabei unterscheidet man nach der Art des Anhängers zwischen – eingliedrigen Anhängefahrzeugen (z. B. Sattelauflieger, Zentralachsanhänger) und – mehrgliedrigen Anhängefahrzeugen (z. B. Drehschemelanhänger). Zudem gibt es unterschiedliche Arten der Ankopplung: – Ankopplung über eine Anhängekupplung (= Kugelgelenk), die nur Kräfte, aber keine Momente übertragen kann, und – Ankopplung über eine Sattelkupplung, die in gewissem Umfang auch Wankmomente überträgt. Aus diesen Merkmalen ergeben sich die Anzahl der zusätzlichen Freiheitsgrade, die einen wesentlichen Einfluss auf das fahrphysikalische Verhalten haben. Aus Sicht der Radregelsysteme werden die Teilfahrzeuge autonom betrachtet, d. h. jedes Teilfahrzeug ist mit einem eigenen, unabhängigen ABS ausgerüstet. Nur in dem Fall, dass sowohl Zugfahrzeug als auch Anhänger mit EBS ausgerüstet sind, gibt es eine Kommunikationsverbindung zwischen den Fahrzeugen (CAN-Bus nach ISO 11992), über die jedoch nur sehr eingeschränkt verwendbare Informationen ausgetauscht werden. Im Zuge der gesetzlich geforderten Einführung von ABS (seit 1991 vorgeschrieben) gab es viele Untersuchungen bezüglich des Verhaltens von unterschiedlichen Kombinationen (Zugfahrzeug mit/ohne ABS und Anhänger mit/ohne ABS). Die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigen, dass ABS grundsätzlich das Fahrverhalten verbessert, auch wenn nicht alle Teilfahrzeuge damit ausgerüstet sind. Betriebsbremse: Hauptmerkmal ist die pneumatisch angetriebene Zuspannung der Betriebsbremse. Dabei wird die zum Zuspannen notwendige Energie in Form von Druckluft vorgehalten und über einen Bremszylinder mittels entsprechender Hebelmechanik in eine Zuspannkraft an den Bremsbelägen der Scheiben- bzw. Trommelbremse umgesetzt. Die Steuerung des Bremsdrucks erfolgt dabei entweder rein pneumatisch (konventionelle Bremsanlage) oder elektronisch (EBS, vgl. Kapitel 18). Dauerbremsen: Nutzfahrzeuge haben neben der Betriebsbremse und der Feststellbremse ein oder mehrere so genannte Dauerbremsen (Retarder),
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
die verschleißfrei arbeiten. Dazu gehört zunächst die bei nahezu allen Nutzfahrzeugen vorhandene Motorbremse, bei der das Schleppmoment des Motors durch technische Maßnahmen vergrößert wird (z. B. Auspuffklappe, spezielle Ventilsteuerungen etc.). Optional gibt es darüber hinaus elektrodynamisch oder hydraulisch betriebene Retarder. Allen Dauerbremsen gemeinsam ist die Einleitung der Bremskraft über den Antriebsstrang und die Antriebsräder, wobei man grundsätzlich Primärretarder, die motorseitig (vor der Kupplung) installiert sind, und Sekundärretarder (nach der Kupplung, i. d. R. direkt an der Gelenkwelle) unterscheidet. Bei niedrigen Achslasten (Leerfahrzeug) führt die Aktivierung des Retarders auf geringen Reibwerten zu sehr großen Radschlupfwerten und damit zu Instabilitäten an den Antriebsrädern, was im ABS entsprechend berücksichtigt werden muss. Komponentenanforderungen: Üblicherweise werden Nkws auf eine Lebensdauer von bis zu 1 500 000 km oder 30 000 Betriebsstunden ausgelegt. Dies liegt um den Faktor 3–5 über der Lebensdauer eines Pkws. Zusammen mit den deutlich raueren Einsatzbedingungen ergeben sich insgesamt erheblich höhere Anforderungen an Nkw-Komponenten. Fahrzeug-Kommunikationsarchitektur: In den meisten Nutzfahrzeugen gibt es einen nach SAE
J1939 genormten CAN-Datenbus (vgl. [1]). Dort sind die wesentlichen Triebstrangsteuergeräte angeschlossen, wie z. B. für Motor, Getriebe, Retarder oder Bremse, die über definierte Botschaften miteinander kommunizieren. Hierdurch wird die Integration von elektronischen Systemen deutlich erleichtert.
28.2.2 Regelungsziele und -prioritäten 28.2.2.1 Anti-Blockiersystem ABS
Radschlupfregelung Das ABS regelt den mittleren Schlupf der einzelnen Räder beim Bremsen. Der Radschlupf Ow wird wie folgt definiert:
Ow
vw vcog MAX(vcog , vw )
(28.2)
mit v w als Radgeschwindigkeit [m/s] und vcog als Fahrzeuggeschwindigkeit im Schwerpunkt (center of gravity cog) [m/s]. Die Radgeschwindigkeiten werden als gemessene Istgrößen dem Regler zugeführt, dort mit der Sollgröße (Fahrzeugreferenzgeschwindigkeit) verglichen und Abweichungen durch Bremsdruckänderungen korrigiert. Der Zielschlupf wird während einer
Bild 28-1 Diagramm Kraftschluss über Radschlupf mit den Arbeitsbereichen der verschiedenen Stabilisierungsfunktionen
424
28 Stabilisierungsassistenzfunktionen im Nutzfahrzeug
ABS-Bremsung automatisch adaptiert, mit dem Ziel, einen möglichst guten Kompromiss zwischen Lenkbarkeit, Stabilität und Verzögerung einzustellen. Aufgrund der Reifencharakteristik nimmt die übertragbare Seitenführungskraft mit zunehmendem Längsschlupf stark ab (vereinfacht im Kammschen Kreis ausgedrückt oder im Kraftschluß-Schlupfdiagramm im Bild 28-1). Sinnvolle Kompromisse liegen im Bereich von Ow | 8 ... 20 %. Als Basis-Regler kommen beim Nkw-ABS neben klassischen PID-Reglern auch Matrixregler zum Einsatz, die sich automatisch an unterschiedliche Reibwertkurven anpassen. Ein typischer ABSRegelzyklus ist im Bild 28-2 dargestellt: 1 Bremsstart: Druckaufbau 2 Rad „kippt“ ab: Druck halten 3 Weitere Blockiertendenz (Rad instabil): Druckabbau 4 Rad stabilisiert sich: Druck halten 5 Rad beschleunigt: Druck halten 6 Rad stabil: Druck aufbauen (gepulst) 7 Rad „kippt“ erneut ab: Druck abbauen 8 Rad stabilisiert sich: Druck halten 9 Rad stabil: Druck aufbauen (gepulst)
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Zusätzlich zu den Eingriffen in die Betriebsbremse werden mit Anlaufen des ABS an der Antriebsachse die vorhandenen Retarder abgeschaltet. Die zur Regelung erforderliche Fahrzeugreferenzgeschwindigkeit wird aus den einzelnen Radgeschwindigkeiten ermittelt. Spezielle Auswahlalgorithmen und Plausibilitätsprüfungen müssen unter allen Umständen sicherstellen, dass die Fahrzeugreferenzgeschwindigkeit gut mit der wahren Fahrzeuggeschwindigkeit übereinstimmt. Kritische Fälle sind z. B. das „Absacken“ der Fahrzeugreferenzgeschwindigkeit, wenn alle Räder gleichzeitig einen größeren Schlupf erreichen. Die Folge wäre ein Überbremsen der Räder, womit die Lenkfähigkeit verloren ginge. Als Gegenmaßnahme unterbremst der ABS-Algorithmus zu bestimmten Zeitpunkten einzelne Räder, die dann auf die Fahrzeuggeschwindigkeit beschleunigen und somit die Referenzgeschwindigkeit stützen. Diese Phasen sind so kurz, dass die Auswirkung auf den Bremsweg vernachlässigbar ist; das Hochlaufen der Fahrzeugreferenzgeschwindigkeit, wenn ein Raddrehzahlsignal z. B. durch schlechte Impulsräder oder elektromagnetische
Bild 28-2 Typischer Ablauf einer ABS-Regelung
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Einstrahlung gestört ist und damit eine höhere Drehzahl vorgaukelt. In der Konsequenz führt die zu hohe Referenzgeschwindigkeit zu einem unterbremsten Fahrzeug. Um dies zu vermeiden, plausibilisiert der ABS-Algorithmus die Referenzgeschwindigkeit anhand aller Radgeschwindigkeiten. Strategien zur Fahrzeugstabilisierung Da im ABS keine Messgrößen für die tatsächliche Fahrzeugbewegung zur Verfügung stehen, enthält es ausgefeilte Strategien zur Sicherstellung der Fahrzeugstabilität (z. B. beim Bremsen auf einseitig glatter Fahrbahn, μ-split genannt). Der Grad der Stabilisierung hängt jedoch aufgrund der feh lenden Rückmeldung von der jeweiligen Abstimmung des ABS ab, die wiederum an die Fahrzeuggeometrie angepasst werden muss. Besonders empfindlich beim Bremsen auf μ-split reagieren Fahrzeuge mit kurzem Radstand und geringer Hinterachslast (z. B. leere Sattelzugmaschinen). Dies wird im Folgenden anhand einer vereinfachten Betrachtung (Hinterachse ungebremst) verdeutlicht. Die Bremskraftdifferenz an der Vorderachse induziert das Giermoment b M zB pfa kFB fa (28.3) 2 mit 'pfa als Differenz-Bremsdruck an der Vorderachse [bar], k FB als Bremsfaktor [N/bar] und bfa als wirksame Spurweite der Vorderachse [m]. Dem entgegengerichtet wirkt das aus den einzelnen Rädern an der Hinterachse über Schräglaufwinkel erzeugte Giermoment M zra
Fyrl
Fyrr lraC
(28.4)
mit Fyrl,r als Seitenkraft (am linken bzw. rechten Hinterrad) [N], die vom Schräglaufwinkel und der Schräglaufsteifigkeit abhängt: Fyrl,r D l,r Cl,r und lraC als Distanz zwischen Hinterachse und Schwerpunkt [m]. Da beide Momente im Gleichgewicht stehen müssen (Mzra = MzB), damit sich das Fahrzeug nicht dreht, ergibt sich folgende Beziehung zwischen den Kräften und den geometrischen Daten Fyrl Fyrr pfa kFB
bfa 2 lraC
(28.5)
Nimmt man weiterhin die Seitenkräfte und die Spurweite als konstant an – die Seitenkräfte sind weitgehend durch den zulässigen Lenkeinschlag
426
begrenzt – so erkennt man, dass der zulässige Differenz-Bremsdruck proportional zum Abstand zwischen Schwerpunkt und Hinterachse und damit zum Radstand ist. Vereinfacht ausgedrückt: Je kürzer der Radstand, umso kleiner ist der zulässige Differenz-Bremsdruck. In der Praxis ist die Abhängigkeit aufgrund der hier vernachlässigten Effekte nichtlinear und wird insbesondere durch die mit kürzerem Radstand zunehmende dynamische Achslastverlagerung (bei konstanter Schwerpunkthöhe) weiter verstärkt. 28.2.2.2 Antriebs-Schlupfregelung ASR Die ASR wirkt im Antriebsfall (Beschleunigung) und hat zwei grundsätzliche Ziele: zum einen die Erhöhung der Fahrstabilität, zum anderen die Verbesserung des Vortriebs durch Ausnutzung des maximal möglichen Reibwerts an allen Antriebsrädern. Zur Erhöhung der Fahrstabilität dient der so genannte ASR-Motorregler, der das Motormoment so begrenzt, dass ein vorgegebener Zielschlupf an den Antriebsrädern nicht überschritten wird. Der Zielschlupf wird – ähnlich wie beim ABS – als möglichst guter Kompromiss zwischen Traktion und Stabilität gewählt, wobei im Nkw der Schwerpunkt stärker auf Traktion liegt. Bei einigen Systemen wird der Zielschlupf abhängig von der Gaspedalstellung oder bei Kurvenfahrt dynamisch angepasst. Somit erzielt man bei Geradeausfahrt mit höherem Schlupf eine optimierte Traktion und gleichzeitig maximale Stabilität bei Kurvenfahrt durch einen verringerten Schlupf. Insbesondere auf unterschiedlichen Reibwerten kommt es im Antriebsfall zum einseitigen Durchdrehen der Antriebsräder, da das Differenzialgetriebe das Antriebsmoment zu je 50 % auf beide Seiten verteilt (Prinzip Momentenwaage) und somit die Seite mit dem niedrigeren Reibwert das maximal übertragbare Antriebsmoment begrenzt. Hier greift der so genannte ASR-Bremsregler, indem er den Radschlupf am durchdrehenden Rad durch aktives Abbremsen regelt. Das so erzeugte Bremsmoment wird über das Differenzialgetriebe auf die andere Seite gespiegelt und steht dort als Antriebsmoment zur Verfügung. Damit wird im Idealfall die gleiche Vortriebskraft generiert wie mit einer mechanischen Differenzialsperre, weshalb man auch den Begriff elektronische Differenzialsperre verwendet. Allerdings wird dabei ein Teil der Antriebsleistung in der Bremse „verheizt“. Bei Nutzfahrzeugen mit zwei angetriebenen Hinterachsen (z. B. Dreiachser mit der Radformel 6 x 4) verteilt ein Zwischenachsdifferenzial die Antriebsmomente auf die beiden Antriebsachsen. Hier wirkt der ASR-Bremsregler auf insgesamt vier
28 Stabilisierungsassistenzfunktionen im Nutzfahrzeug
Antriebsräder und regelt so den Antriebsschlupf aller Antriebsräder mit dem Ziel der maximalen Reibwertausnutzung. Im Gegensatz zum ABS ist bei der ASR die Bildung der Referenzgeschwindigkeit relativ einfach, da die nicht angetriebenen Vorderräder keinen Schlupf haben und deren Mittelwert somit die Fahrzeuggeschwindigkeit gut repräsentiert. Eine ASR für Fahrzeuge mit angetriebenen Vorderrädern benötigt weitergehende Sensoren, wie z. B. einen Längsbeschleunigungssensor zur Stützung der Referenzgeschwindigkeit. 28.2.2.3 Motor-Schleppmomentenregelung MSR Insbesondere leere Nutzfahrzeuge mit geringer Hinterachslast können auf glattem Untergrund nur sehr geringe Kräfte an den Antriebsrädern übertragen. Deshalb kommt es im Schubbetrieb durch das relativ hohe Schleppmoment des Antriebsmotors zu einem großen Radschlupf, der die Stabilität des Fahrzeugs erheblich herabsetzt. Verstärkt tritt dieser Effekt beim Runterschalten auf, da sich dann das Schleppmoment durch die plötzlich geänderte Übersetzung schlagartig erhöht. Hohe Reibungskräfte im Antriebsstrang, z. B. bei sehr tiefen Temperaturen, vergrößern den Effekt weiter. Die MSR erkennt den aufgrund des Schleppmoments vergrößerten Radschlupf an den Antriebsrä-
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dern und erhöht aktiv das Motormoment mit dem Ziel, den Radschlupf zu verringern und somit das Fahrzeug zu stabilisieren. Prinzipiell kommt hier derselbe Schlupfregelkreis wie bei der ASR zum Einsatz, nur dass der Zielschlupf diesmal negativ ist.
28.2.3 Systemaufbau, Steller 28.2.3.1 Konventionelle pneumatische Betriebsbremse Bild 28-3 zeigt eine konventionelle pneumatische Betriebsbremsanlage mit einem ABS/ASR-System (vgl. [6]).
Elektronisches Steuergerät (ECU) Der ABS- und ASR-Algorithmus läuft in einem Mikrocontroller, der zusammen mit den Endstufen zur Ansteuerung der ABS-Ventile, der Spannungsversorgung und weiteren Peripheriebausteinen im elektronischen Steuergerät integriert ist. Das Blockschaltbild im Bild 28-4a verdeutlicht den inneren Aufbau des in konventioneller SMD-Leiterplattentechnik aufgebauten Steuergeräts. Als Mikrocontroller kommen üblicherweise 16-Bit-Controller mit Taktfrequenzen von 20 … 40 MHz zum Einsatz, die durch einen Überwachungsrechner ergänzt werden. Der Speicherbedarf liegt bei 128 … 512 kB ROM
Bild 28-3: Systemaufbau einer konventionellen pneumatischen Betriebsbremsanlage mit ABS und ASR (1 Drehzahlsensor, 2 ABS-Ventil, 3 Wechselventil, 4 ASR-Ventil, 5 Steuergerät, 6 Anhängersteuerventil)
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Bild 28-4a: Blockschaltbild ABS-Steuergerät
Bild 28-4b: ABS-Steuergerät im geöffneten Zustand (Quelle: Knorr-Bremse)
(meist Flash-Speicher) und 4 … 12 kB RAM. Ein meist im Rechner integriertes EEPROM dient der Parametrierung des Systems und zur Abspeicherung von Lernwerten und Fehlern (vgl. [2]). Zur Ansteuerung externer Systeme (Motor, Retarder) ist das Steuergerät mit dem Fahrzeug-Datennetzwerk verbunden (meist CAN-Bus nach SAE J1939). Über diesen Bus erfolgt z. B. die Reduzierung des Motormoments oder das Ausschalten des Retarders. Umgekehrt liefert der Datenbus wichtige Informationen wie aktuelles Motormoment, Motordrehzahl, Gaspedalstellung etc.
Die im Pkw-Sektor gebräuchlichen aktiven Drehzahlfühler konnten sich bisher bei Nutzfahrzeugen nicht durchsetzen. Das liegt an der großen Variantenvielfalt bei Nutzfahrzeugachsen in Verbindung mit deutlich längeren und nicht synchronisierten Entwicklungszyklen zusammen mit den nur geringen technischen und kommerziellen Vorteilen der aktiven Sensoren.
Raddrehzahlsensoren Als Sensoren finden im schweren Nutzfahrzeug nahezu ausschließlich passive induktive Drehzahlfühler Verwendung. Durch die Drehung des magnetisierten Impulsrades (60 … 120 Zähne) wird im Sensor eine Wechselspannung induziert, deren Frequenz proportional zur Drehzahl ist und vom ABS-Steuergerät ausgewertet wird. Die Sensoren werden mithilfe einer Federhülse in eine Halterung gesteckt (kraftschlüssige Befestigung). Dadurch ist sichergestellt, dass die Sensoren nicht durch ein ungleichförmiges Impulsrad „abgefräst“ werden: Der Luftspalt stellt sich automatisch ein. Diese an sich robuste Konstruktion kann allerdings bei starken Schwingungen oder Verschmutzung dazu führen, dass sich der Luftspalt stark vergrößert und die Drehzahlinformation nicht mehr ausreichend ist: Die so genannte Grenzspaltgeschwindigkeit, d. h. die Geschwindigkeit, ab der eine für das Steuergerät auswertbare Wechselspannung induziert wird, vergrößert sich. Durch einfaches „Hineinschieben“ des Sensors in die Halterung wird das Problem beseitigt.
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Steller Beim Nkw-ABS kommen als Steller so genannte Drucksteuerventile (ABS-Ventile) zum Einsatz. Diese sind funktionell als 3/3-Wegeventile mit zwei Magneten ausgeführt und haben die Aufgabe, im Falle eines erhöhten Radschlupfes den Bremsdruck entweder zu halten (d. h. einen weiteren Druckaufbau zu verhindern) oder den Bremsdruck zu verringern. Im Bild 28-5 ist der innere Aufbau des ABSVentils dargestellt. Da eine direkte Steuerung von großen Ventilquerschnitten aufgrund der großen Kräfte sehr große Magnetventile erfordert, wird die eigentliche Ventilfunktion durch zwei Elastomer-Membranen dargestellt, die durch relativ kompakte Magnetventile vorgesteuert werden. Dies ist im Bild 28-6 für verschiedene Betriebszustände (ungebremst, gebremst und während ABS-Regelung) dargestellt. Mithilfe der ABS-Ventile kann somit der Bremsdruck abgesenkt oder begrenzt werden. Beim ASR-Bremsregler muss jedoch aktiv Bremsdruck aufgebaut werden, um ohne Zutun des Fahrers einzelne Räder abzubremsen. Dies erfolgt mittels eines ASR-Ventils (3/2-Wegeventil) in Kombination mit einem Wechselventil, die den Vorratsdruck direkt vor die ABS-Ventile schalten. Die eigentliche Druckmodulation erfolgt – wie beim ABS – über die ABS-Ventile (vgl. Bild 28-6).
28 Stabilisierungsassistenzfunktionen im Nutzfahrzeug
E
Bild 28-5: ABS-Drucksteuerventil (Anschlüsse: 1 Betriebs-Bremsventil, 2 Bremszylinder, 3 Entlüftung)
Betriebszustand Bremsung ohne ABSEingriff Der am Anschluss 1 Die Anschlüsse 1 und 2 anstehende Bremsdruck sind drucklos. Einlassöffnet die Einlassmembund Auslassmembrane rane. Über den oberen sind geschlossen. Die beiden Magneten (I, II) Ventilsitz von II gelangt werden nicht angesteuert. Bremsdruck in den Raum (b). Der Auslass bleibt dadurch geschlossen, und der Anschluss 2 wird belüftet. Ungebremst
I
II
I
II
ABS-Eingriff: Bremsdruck halten Durch Ansteuern des Magneten I schließt der untere Ventilsitz, gleichzeitig öffnet der obere. Dadurch wird der Raum (a) belüftet und die Einlassmembrane schließt. Der Auslass bleibt durch den Druck im Raum (b) ebenfalls geschlossen. Dadurch bleibt der Druck am Anschluss 2 konstant.
I
II
ABS-Eingriff: Bremsdruck absenken Der Magnet II schließt den oberen Ventilsitz und öffnet gleichzeitig den unteren. Der Raum (b) wird entlüftet. Durch den Bremszylinderdruck öffnet die Auslassmembrane wodurch der Bremsdruck über die Entlüftung 3 verringert wird.
I
II
Bild 28-6: Funktion des Drucksteuerventils
28.2.3.2 Elektronisch gesteuerte Betriebsbremse (EBS) Die elektronisch gesteuerte Betriebsbremse ist in Kapitel 18 ausführlich beschrieben. Aufgrund des Grundprinzips, bei dem der Bremsdruck rad-
individuell in Elektro-Pneumatischen Modulatoren (EPM) elektronisch geregelt wird, sind bereits alle technischen Voraussetzungen zur autonomen Bremsdruckmodulierung vorhanden. Der ABSAlgorithmus ist im EBS-Zentralsteuergerät imple-
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
mentiert und sendet den errechneten Soll-Bremsdruck über den Bremsen CAN-Bus an die EPM. Die Raddrehzahlsensoren sind identisch mit den unter Abschnitt 28.2.3.1 beschriebenen.
28.2.4 Sonderfunktionen für Nkw 28.2.4.1 Zugfahrzeugsysteme Über die reinen Stabilisierungsfunktionen ABS und ASR hinausgehend können eine Reihe von Zusatzfunktionen (Value Added Functions) dargestellt werden, die auf der Infrastruktur des ABS/ASRoder EBS-Systems aufsetzen. Dazu gehören u.a.: Elektronische Bremskraftverteilung (Electronic Brake-force Distribution EBD): Der Bremsdruck an der Hinterachse wird mit Hilfe der ABS-Ventile radschlupfabhängig verringert, um so die Bremskraft an der Hinterachse der Achslast und damit der Beladung anzupassen. Damit wird funktional das sonst notwendige ALB-Ventil (Automatisch Lastabhängiger Bremskraftregler) ersetzt. Bremsendiagnose: Anhand eines langfristigen Vergleichs der einzelnen Radschlupfwerte beim Bremsen untereinander erkennt das System Fehlfunktionen einzelner Bremsen oder stark unterschiedliches Bremsverhalten. Differenzialsperrenmanagement: Die Funktion unterstützt den Fahrer beim Einlegen der Differenzialsperren zum Schutz der Mechanik. Dies geschieht durch aktives Synchronisieren der Raddrehzahlen mithilfe der Bremsen und somit elektronisch gesteuertes Einlegen der Sperren. Haltestellenbremse (Door-Brake): Automatische Aktivierung der Betriebsbremse bei Bussen mit Hilfe des ASR-Ventils, wenn die Bustüren geöffnet werden, und entsprechend automatische Deaktivierung beim Schließen der Türen und Anfahren. Damit wird dem Busfahrer an einer Haltestelle das Einlegen der Feststellbremse abgenommen. Lenkbremse: Insbesondere Fahrzeuge mit der Achsformel 6 x 4 (3-Achser mit 2 angetriebenen Hinterachsen) neigen auf rutschigem Untergrund (z. B. Baustellenbetrieb) bei engen Kurven zum starken Untersteuern. Die Funktion Lenkbremse bremst in diesem Fall abhängig vom Lenkradwinkel einseitig die Hinterräder, um mit dem dadurch entstehenden zusätzlichen Giermoment die Lenkwilligkeit zu unterstützen und den Wendekreis deutlich zu verringern. Off-Road ABS: Speziell für Militärfahrzeuge und andere überwiegend auf nichtbefestigten Untergründen betriebene Fahrzeuge existieren
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modifizierte ABS-Algorithmen, die insbesondere bei niedrigen Geschwindigkeiten den Radschlupf deutlich erhöhen. Damit wird auf lockeren Untergründen (z. B. Schotter, loser Schnee) der Bremsweg über den sich bildenden Bremskeil verkürzt. 28.2.4.2 Anhängersysteme Auch im Anhängerbereich gibt es eine Reihe von Zusatzfunktionen, die sich die Infrastruktur des Anhänger-EBS (oder ABS) zu Nutze machen. Dazu gehören u. a. Funktionen, die geschwindigkeitsoder lastabhängig bestimmte Schaltfunktionen ausführen (z. B. Rücksetzen der Niveauregelung in die Fahrstellung, Steuerung einer Liftachse etc.).
28.3 Spezifika der Fahrdynamikregelung für Nutzfahrzeuge im Vergleich zum Pkw 28.3.1 Nkw-spezifische Besonderheiten Grundsätzlich baut die Fahrdynamikregelung modular auf den ABS/ASR- oder EBS-Systemen auf und nutzt die dort bereits vorhandene Infrastruktur sowohl bezüglich der Komponenten als auch bezüglich der Funktionen. Fahrdynamisch betrachtet gelten zunächst die gleichen Merkmale und Besonderheiten wie in Abschnitt 28.2.1 beschrieben. Aus Sicht einer Fahrdynamikregelung kommen jedoch weitere Besonderheiten zum Tragen: Schwerpunkthöhe: Nutzfahrzeuge haben eine Gesamthöhe von bis zu 4 m (in einigen Ländern bis zu 4,5 m), die in Kombination mit der Beladung zu Schwerpunkthöhen von 1,2 … 2,5 m führt. Somit neigen schwere Nutzfahrzeuge viel früher zum Umkippen als Pkws – meistens schon bei quasi-stationären Manövern. Typische Querbeschleunigungswerte, die zum Kippen führen, liegen im Bereich zwischen 4 … 6 m/s². Verwindungsweiche Fahrzeugrahmen: Nutzfahrzeugrahmen sind auf Grund ihrer Bauweise (offene U-Profile) sehr verwindungsweich. Das Verhalten bei Kurvenfahrt ist dadurch sehr komplex und nicht mit einem Starrkörper modellierbar. So speichert der Rahmen durch die Verwindung bei Kurvenfahrt einen Teil der Wankenergie und gibt diesen z. B. bei Wechselkurven wieder ab, mit der Folge, dass die Kippneigung weiter verstärkt wird. Durch entsprechende Aufbauten verändert sich dieses Verhalten (z. B. Flüssigkeitstank).
28 Stabilisierungsassistenzfunktionen im Nutzfahrzeug
Fahrzeugfreiheitsgrade: Wie bereits in Abschnitt 28.2.1 beschrieben erhöht sich die Anzahl der Freiheitsgrade durch den Anhängerbetrieb. Insbesondere bei einer Fahrdynamikregelung hat dies einen entscheidenden Einfluss auf die auszuwählende Regelstrategie. Unsicherheiten im Lenksystem: Wie auch im Pkw sitzt der für die Fahrdynamikregelung benötigte Lenkwinkelsensor in der Lenksäule. Auf Grund des großen Verstellbereichs einer NkwLenksäule, der über Kardangelenke realisiert wird, ergeben sich jedoch relativ große Ungleichförmigkeiten im gemessenen Lenkradwinkelsignal, die durch eine robuste Systemauslegung kompensiert werden müssen.
28.3.2 Regelungsziele und -prioritäten Schwere Nutzfahrzeuge können über das im Pkw bekannte Schleudern (z. B. Über- oder Untersteuern) hinaus weitere instabile Zustände einnehmen. Dazu gehören: Einknicken bei mehrgliedrigen Fahrzeugkombinationen, beispielsweise verursacht durch Aufschieben des Anhängers, und Umkippen aufgrund zu hoher Querbeschleunigung. Daher muss eine Fahrdynamikregelung für Nutzfahrzeuge neben den im Pkw bekannten Stabilisierungsfunktionen auch das Einknicken und Umkippen adressieren. Die heute verfügbaren Fahrdynamikregelungen für Nutzfahrzeuge sind für den Einsatz in Fahrzeugen und Fahrzeugkombinationen mit maximal einem Knickgelenk vorgesehen (Einzelfahrzeuge und Sattelkraftfahrzeuge). 28.3.2.1 Spurstabilisierung Grundlage der Spurstabilisierung ist ein Gierratenregler, der die gemessene Fahrzeug-Gierrate mit der vom Fahrer gewünschten Gierrate (Referenzgierrate) in der Ebene vergleicht und Abweichungen mittels Brems- und Motormomenteingriffen ausregelt. Referenzgierrate bestimmt das System mithilfe eines vereinfachten physikalischen Modells, das aus den ebenen Bewegungsgleichungen für eine Fahrzeugkombination mit einem Knickgelenk hergeleitet wurde (Einspurmodell, vgl. [4]):
\ Z
vcog Gh 2 iL l EG vcog
mit \ Z als Referenzgierrate [rad/s], Gh als Lenkradwinkel [rad],
(28.6)
iL vcog l EG
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als wirksame Lenkübersetzung [–], als Fahrzeuggeschwindigkeit [m/s], als effektiver Radstand [m] und als Eigenlenkgradient [s2 /m], der das Eigenlenkverhalten der Fahrzeugkombination beschreibt.
Die in diesen Modellen vorkommenden Parameter werden entweder am Band-Ende parametriert (z. B. Radstand) oder online durch spezielle Adaptionsalgorith men (Parameterschätzer) an das jeweilige Verhalten des Fahrzeugs angepasst (z. B. Eigenlenkgradient). Obwohl das Modell für eine Fahrzeugkombination mit einem Knickgelenk hergeleitet wurde, entspricht es in seiner Struktur dem Einspurmodell für ein Einzelfahrzeug (vgl. [3]). Die Einflüsse des angekoppelten Anhängers werden über den Eigenlenkgradienten ausgedrückt. Die Modellstruktur bleibt auch bei Fahrzeugen mit mehr als zwei Achsen erhalten. Hier erfolgt die Anpassung über den effektiven Radstand, der die Effekte z. B. eines Doppel-Achsaggregats beinhaltet (vgl. [5]). Eine deutliche Abweichung zwischen der Referenzgierrate und der gemessenen Gierrate führt zu einem Regelfehler, der vom eigentlichen Regler unter Berücksichtigung der physikalischen Grenzen in ein korrigierendes Soll-Giermoment umgewandelt wird. Die physikalischen Grenzen limitieren die unter den aktuellen Reibwertbedingungen mögliche Gierrate und werden über eine Reibwertschätzung ermittelt. Da immer nur der ausgenutzte Reibwert geschätzt werden kann und somit ein gewisser Sicherheitsaufschlag notwendig ist, führt dies in der Konsequenz zu einer Begrenzung der Schwimmwinkelgeschwindigkeit auf ein vom Fahrer beherrschbares Maß. Außer vom Regelfehler hängt die Höhe des SollGiermoments auch von der aktuellen Fahrzeugkonfiguration (Radstand, Anzahl der Achsen, Betrieb mit oder ohne Anhänger usw.) und dem Beladungszustand (Masse, Schwerpunktlage in Längsrichtung, Trägheitsmoment um die Hochachse usw.) ab. Da diese Parameter variabel sind, müssen sie von der FDR ständig ermittelt werden. Das erfolgt beispielsweise beim Beladungszustand durch einen Schätzalgorithmus, der aus Signalen der Motorsteuerung (Motordrehzahl und -moment) und der Fahrzeuglängsbewegung (Raddrehzahlen) permanent die aktuelle Fahrzeug masse identifiziert. Um das Soll-Giermoment in einen Stabilisierungseingriff umzuwandeln, nimmt die FDR eine grobe Klassifizierung der Fahrsituation in „Übersteuern“ und „Untersteuern“ vor: Übersteuern beschreibt Situationen, in denen das Heck des Fahrzeugs seitlich nach außen drückt,
431
E
Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
d. h. das Fahrzeug dreht schneller als für den gewünschten Kurvenradius erforderlich. Diese Situation kann bei Sattelkraftfahrzeugen zum Ein knicken führen und ist durch den Fahrer nur schwer beherrschbar. Im Falle des Untersteuerns schiebt das Fahrzeug über die Vorderräder nach außen zum Kurvenrand (vergleichbar einem frontgetriebenen Pkw auf glattem Untergrund), was insbesondere bei Fahrzeugen mit zwei Hinterachsen (Doppelachsaggregat) vorkommt. Zusätzlich bezieht das System den geschätzten Knickwinkel in die Bewertung der Fahrsituation mit ein. Abhängig von der bewerteten Fahrsituation und dem berechneten Soll-Giermoment werden die Bremseingriffe an ausgewählten Rädern in geeigneter Weise umgesetzt. Bevorzugt werden dabei solche Räder, bei denen der Bremskraftaufbau und
der dadurch bedingte Seitenkraftverlust ein gleichgerichtetes Giermoment erzeugen (siehe Bild 28-7). Unterstützt wird der Stabilisierungseffekt durch gezieltes Verändern der ABS-Zielschlupfwerte, was insbesondere im gebremsten Fahrzustand zum Tragen kommt. Zusätzlich zu den radindividuellen Bremseingriffen am Motorwagen wird in bestimmten Situationen auch der Anhänger gebremst. Hier sind jedoch technisch bedingt keine radindividuellen Bremseingriffe möglich, d. h. der Anhänger wird nur als Ganzes gebremst. Beispielhaft sind im Bild 28-7 die Stabilisierungseingriffe für eindeutiges Über- bzw. Untersteuern dargestellt. Neben diesen eindeutigen Situationen gibt es noch weitere kritische Fahrzustände, in denen je nach Soll-Giermoment auch andere Räder bzw. Kombinationen von Rädern gebremst werden.
Bild 28-7 Auswirkung eines Bremseingriffs an einem Rad auf das Giermoment (oben) und Eingriffsstrategie der Fahrdynamikregelung (links)
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28 Stabilisierungsassistenzfunktionen im Nutzfahrzeug
28.3.2.2 Kippstabilisierung Aufgrund der meist hohen Schwerpunktlage eines Nutzfahrzeugs erfolgt das Schleudern und Einknicken überwiegend auf niedrigen und mittleren Reibwerten. Auf hohen Reibwerten ist dagegen die Kippneigung ausgeprägter. Die Kippgrenze hängt dabei nicht nur von der Höhe des Schwerpunkts ab, sondern auch vom Fahrwerk (Achsaufhängung, Stabilisatoren, Federbasis, Wankzentrum usw.) und der Art der Beladung (feste oder bewegte Beladung). Eine näherungsweise Berechnung der Kippgrenze ist in [2] dargestellt. Betrachtet man den eigentlichen Kippvorgang bei quasi-stationärer Kreisfahrt, so ist die grundsätzliche Ursache für das Kippen eine zu hohe Querbeschleunigung, die bei gegebenem Kurvenradius durch eine zu große Fahrzeuggeschwindigkeit verursacht wird. Die FDR nutzt diese physikalischen Zusammenhänge, um die Kippgefahr zu mindern: Sobald sich das Fahrzeug der Kippgrenze annähert, wird es durch ein Reduzieren des Motormoments und ggf. zusätzliches Abbremsen verzögert (vgl. Bild 28-8). Die Kippgrenze wird in der FDR abhängig von der Beladung des Fahrzeugs und der Lastverteilung ermittelt, wobei der Beladungszustand des Fahrzeugs ständig identifiziert wird. Dynamische Lenkmanöver führen zu oft zu stärkeren Wankbewegungen und verstärken somit die Kippneigung. Beispiele sind das Überschwin-
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gen beim Lenkwinkelsprung oder das Übertragen von Wankenergie in Wechselkurven (Kreisverkehr, Ausweichmanöver). Daher wird die ermittelte Kippgrenze abhängig von der jeweiligen Fahrsituation modifiziert. So erfolgt z. B. in schnellen dynamischen Fahrsituationen (Ausweich manöver usw.) eine Reduzierung der Kippgrenze mit dem Ziel eines frühzeitigeren Eingreifens. Im Gegenzug dazu ist die Kippneigung bei sehr langsamen Fahr manövern (z. B. enge Serpentinenkehren bergauf) geringer, weshalb das System die Kippgrenze dort zur Vermeidung von unnötigen bzw. störenden Bremseingriffen anhebt. Basis für die ermittelte Kippgrenze sind bestimmte Annahmen bezüglich der Höhe des Schwerpunkts und des Fahrverhaltens der Fahrzeugkombination bei bekannter Achslastverteilung. Damit deckt die Fahrdynamikregelung den größten Teil der üblichen Fahrzeugkombinationen ab. Um jedoch auch bei starken Abweichungen von diesen Annahmen noch eine Stabilisierung zu gewährleisten (z. B. extrem hohe Schwerpunktlagen), detektiert das System zusätzlich das Abheben kurveninnerer Räder. Dabei werden diese auf nicht plausibles Drehzahlverhalten hin über wacht. Gegebenenfalls wird dann die gesamte Fahrzeugkombination durch geeignete Bremseingriffe stark verzögert. Das Abheben kurveninnerer Räder am Anhänger wird mithilfe des Anhänger-EBS detektiert. Dazu erfolgt bei einer bestimmten Querbeschleunigung
Bild 28-8 Ausweichmanöver bei 60 km/h ohne/mit FDR auf hohem Reibwert mit voll beladenem Sattekraftfahrzeug [Quelle: Knorr-Bremse]
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
eine leichte Testbremsung am Anhänger, die in Verbindung mit einem stark entlasteten Rad zum Blockieren und somit zum Anlaufen des Anhänger-ABS führt. Dies wird dem Zugfahrzeug über die CAN-Kommunikationsleitung (SAE J 11992) mitgeteilt. Für Kombinationen mit konventionell gebremstem Anhänger (nur mit ABS ausgerüstet), beschränkt sich die Erkennung des Rad-Abhebens auf kurveninnere Räder des Motorwagens.
28.3.3 Systemarchitektur 28.3.3.1 Konventionelle pneumatische Betriebsbremse Bei einem konventionellen pneumatischen Bremssystem wird zunächst auf der ABS/ASR-Systemarchitektur aufgesetzt (vgl. Abschnitt 28.2.3.1). Damit besteht zumindest an der Hinterachse die Möglichkeit, unabhängig vom Fahrer einzelne Räder zu bremsen. Die Fahrdynamikregelung erfordert zusätzlich autonome Bremseingriffe an der Vorderachse und am Anhänger. Der Systemaufbau einer auf einer konventionellen pneumatischen Bremsanlage basierenden Fahrdynamikregelung ist im Bild 28-9 dargestellt.
Sensoren Ähnlich wie bei der Pkw-Fahrdynamikregelung werden auch im Nutzfahrzeug neben dem Lenkradwinkelsensor Sensoren für die Gierrate und die Querbeschleunigung eingesetzt (Position 7 im Bild 28-9). Der Lenkradwinkel wird in der Regel unmittelbar unter dem Lenkrad in der Lenksäule gemessen. Hier kommen einerseits multiturnfähige Magnetfeldsensoren zum Einsatz, die mithilfe eines mechanischen Getriebes mehrere Umdrehungen eineindeutig sensieren können. Andererseits werden optische Sensoren eingesetzt, die nur eine Umdrehung messen können und daher die Messung mehrerer Umdrehungen über Software Funktionen darstellen. Die Sensoren beinhalten üblicherweise einen Mikrocontroller und kommunizieren mit dem zentralen Steuergerät über einen CAN-Bus. Das ist entweder der allgemeine Fahrzeug-CAN (z. B. nach SAE J1939) oder ein separater Sensor-CAN-Bus. Zur Messung der Fahrzeugbewegung (Gierrate und Querbeschleunigung) werden aus dem Pkw-Bereich abgeleitete Fahrdynamiksensoren eingesetzt. Die Montage erfolgt in der Nähe des Schwerpunkts am Fahrzeugrahmen. Somit müssen die Sensoren speziell an die harten Umgebungsbe-
Bild 28-9: Systemaufbau einer konventionellen pneumatischen Betriebsbremsanlage mit Fahrdynamikregelung (1 Drehzahlsensor, 2 ABS-Ventil, 3 Wechselventil, 4 ASR-Ventil, 5 Steuergerät, 6 Anhängersteuerventil, 7 FDR-Sensoren, 8 Drucksensoren, 9 Anhängeransteuerung)
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dingungen im Nkw (Umwelteinflüsse, Vibrationen etc.) angepasst sein. Neben den eigentlichen Fahrdynamiksensoren werden zusätzlich Drucksensoren zur Sensierung des Fahrerbremsdrucks benötigt, da dieser im Falle eines Stabilisierungseingriffs von den Bremszylindern abgekoppelt ist und deshalb mittels des Fahrdynamiksystems elektronisch eingesteuert werden muss (Position 8 im Bild 28-9). Steller Um die erweiterten Eingriffsmöglichkeiten der Fahrdynamikregelung an der Vorderachse und für den Anhänger darzustellen, wird zunächst ein zusätzliches ASR-Ventil für den Vorderachsbremskreis eingesetzt (Position 4 im Bild 28-9). Aus diesem Bremskreis wird dann mittels eines weiteren ABS-Ventils der Anhänger angesteuert (Position 9 im Bild 28-9). 28.3.3.2 Elektronisch gesteuerte Betriebsbremse (EBS) Da die in Kapitel 18 beschriebene EBS bereits alle technischen Voraussetzungen zum autonomen Bremsen einzelner Räder mitbringt, benötigt die Fahrdynamikregelung nur die im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen Fahrdynamiksensoren. Diese kommunizieren ebenfalls über einen CANDatenbus mit dem EBS-Zentralsteuergerät, in dem auch der Algorithmus der Fahrdynamikregelung implementiert ist. Der errechnete Soll-Bremsdruck wird über den Bremsen CAN-Bus an die EPM bzw. über den Anhänger CAN-Bus an den Anhänger gesendet.
28.3.4 Sonderfunktionen für Nkw 28.3.4.1 Einfache Systeme zur Kippstabilisierung Außer der Fahrdynamikregelung existieren einfachere Systeme, die nur das Umkippen des Fahrzeugs adressieren. Diese bauen auf ABS/ASR-Systemarchitekturen auf und nutzen einen integrierten Querbeschleunigungssensor zur Ermittlung der Kipptendenz. Neigt das Fahrzeug zum Umkippen, wird mithilfe des ASR-Ventils und den ABS-Ventilen – wie beim ASR-Bremsregler – an der Hinterachse aktiv gebremst und somit die Fahrzeuggeschwindigkeit verringert. Über ein weiteres ASRVentil, das im Bremskreis zum Anhänger installiert ist, kann auch der Anhänger gebremst werden. Da das ASR-Ventil ein reines Schaltventil ist, erfolgt die Ansteuerung der Anhängerbremsen getaktet, so dass der wirksame Bremsdruck im Anhänger auf-
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grund der Trägheit des Bremssystems beschränkt bleibt. Da keine weiteren Sensoren zur Ermittlung der Spurstabilität vorhanden sind und außerdem nur die Hinterachse und der Anhänger aktiv gebremst werden, ist die erreichbare Systemperformanz im Vergleich zur vollständigen FDR bereits grundsätzlich eingeschränkt. Darüber hinaus müssen die Bremseingriffe zur Vermeidung von systeminduzierten Instabilitäten entsprechend vorsichtig erfolgen. Weitere Ausbaustufen dieses Systems verwenden zusätzlich einen Lenkradwinkelsensor, um so insbesondere bei dynamischen Manövern die Stabilisierungseingriffe effizienter zu gestalten. Die hier beschriebenen einfachen Systeme kommen bisher vorwiegend außerhalb Europas zum Einsatz. 28.3.4.2 Anhängersysteme zur Kippstabilisierung Neben der im Zugfahrzeug installierten Fahrdynamikregelung, die den gesamten Zug vom Zugfahrzeug aus stabilisiert, existiert für Anhänger ein ebenfalls autonom agierendes Stabilisierungssystem zur Vermeidung des Umkippens. Dieses TRSP (Trailer Roll-Stability Program) genannte System bremst den Anhänger bei Kippgefahr autonom ab. Prinzipiell funktioniert das TRSP ähnlich wie in Abschnitt 28.3.2.2 beschrieben, allerdings stehen als Messgrößen neben den Raddrehzahlen nur eine Lastinformation und die Querbeschleunigung zur Verfügung. Aufgrund der auf den Anhänger beschränkten Bremseingriffe und der limitierten Sensorinformationen (nur Querbeschleunigung) ist die Performanz gegenüber der FDR eingeschränkt, was jedoch über die lokal verfügbaren Raddrehzahlen und damit verbundenen erweiterten Möglichkeiten zur Detektierung des Kippens zum Teil kompensiert wird.
28.4 Ausblick Die heute am Markt befindlichen Fahrdynamikregelungen für Nutzfahrzeuge sind für folgende Fahrzeugkonfigurationen verfügbar: Einzelfahrzeuge (Lkws und Busse) in den Radformeln 4 x2, 6 x 2, 6 x 4 und 8 x 4, Sattelkraftfahrzeuge in den Radformeln 4 x 2, 6 x 2 und 6 x 4 sowie Fahrzeugtransporter in der Radformel 4 x 2 mit Zentralachsanhänger. Die Stabilisierungseingriffe beinhalten Motoreingriffe sowie aktives Bremsen einzelner Räder am Motorwagen und Bremsen des Anhängers.
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Die Fahrdynamikregelung wird in Europa für Nutzfahrzeuge mit maximal 3 Achsen voraussichtlich ab 2011 gesetzlich vorgeschrieben (stufenweise, beginnend mit Sattelkraftfahrzeugen). Zurzeit laufen daher intensive Weiterentwicklungen mit dem Ziel, die Fahrdynamikregelung auch für weitere Fahrzeugtypen zu applizieren. Eine wesentliche Fahrzeugkombination stellen in diesem Zusammenhang Gliederzüge dar. Darüber hinaus werden zukünftig weitere Steller mit in die Regelung einbezogen (z. B. aktive Lenkungen ähnlich wie im Pkw), soweit diese im Nutzfahrzeug verfügbar sind.
leitet, aber gleichzeitig vorsichtiger durchgeführt werden. Hintergrund hierzu ist die Gefahr, dass ein zu kräftiger Stabilisierungseingriff die Fahrzeugkombination destabilisieren könnte, was unbedingt vermieden werden muss. Um die Fahrsituationen richtig zu bewerten, müssen erweiterte Referenzmodelle auch die zusätzlichen Freiheitsgrade berücksichtigen. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass Anzahl und Art der Anhänger dem System nur selten bekannt sind. Das gleiche gilt für das aktuelle Verhalten der angekoppelten Teilfahrzeuge: Dort sind keinerlei zusätzliche Sensoren verfügbar. Es wird somit eine robuste Lösung angestrebt, die alle möglichen Kombinationen hinreichend berücksichtigt.
28.4.1 Fahrdynamikregelung für Gliederzüge Der Begriff Gliederzug steht hier stellvertretend für alle Fahrzeugkombinationen, die gegenüber einem Sattelkraftfahrzeug zusätzliche Gelenke aufweisen. Dazu gehören u. a. die folgenden Kombinationen: Klassischer Gliederzug: Lkw mit Drehschemelanhänger, wobei der Drehschemelanhänger üblicherweise zwei oder drei Achsen hat, in nordischen Ländern auch 4 oder 5 Achsen. Eurokombi: Lkw mit Dolly (sehr kurzes meist 2-achsiges Anhängefahrzeug mit Sattelplatte, über eine Deichsel am Lkw angekoppelt) und Sattelauflieger, Eurokombi: Sattelzugmaschine mit Sattelauflieger und zusätzlich angekoppeltem Zentralachsanhänger. A-Double-Kombination: Sattelzugmaschine mit Sattelauflieger und daran angekoppeltem Drehschemelanhänger (alternativ statt Drehschemelanhänger auch Dolly und Sattelauflieger). B-Double-Kombination: Sattelzugmaschine mit zwei Sattelaufliegern (der erste ist als so genannter Dolly-Link mit Sattelplatte zur Aufnahme des zweiten Sattelaufliegers ausgeführt). Die erstgenannte Kombination wird hauptsächlich in Mittel- und Nordeuropa eingesetzt, während die anderen Kombinationen z. B. in Skandinavien, Australien und Nordamerika zugelassen sind. Darüber hinaus existieren in Australien und einigen anderen Staaten so genannte Road-Trains, d. h. Fahrzeugkombinationen mit mehr als zwei Anhängern (teilweise bis 50 m Zuglänge und 150 t Zuggewicht). Bedingt durch die zusätzlichen Gelenke erhält man weitere Freiheitsgrade, die zu einem deutlich komplexeren Fahrverhalten führen. Dem trägt die Fahrdynamikregelung dadurch Rechnung, dass Stabilisierungseingriffe zum einen früher einge-
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28.4.2 Nutzung weiterer Steller Im Gegensatz zum Pkw existieren im Nutzfahrzeug bisher aufgrund der sehr hohen Lenkkräfte keine elektrischen Servolenkungen an der Vorderachse. Auch sind die Markttreiber für Überlagerungslenkungen bisher nicht stark genug, um die relativ hohen Kosten zu rechtfertigen. Teilweise gibt es jedoch elektronisch gesteuerte Lenkungen an Zusatzachsen (Vorlauf- oder Nachlaufachse). Dabei wird der aktuelle Lenkwinkel der Vorderachse gemessen und in einen Soll-Lenkwinkel für die Zusatzachse umgerechnet. Mithilfe eines servohydraulischen Lenkaktors wird dieser Lenkwinkel dann eingeregelt. Zukünftige Fahrdynamikregelsysteme im Nutzfahrzeug werden die Möglichkeiten der zusätzlichen Steller in die Regelstrategie mit einbeziehen, um eine möglichst optimale Stabilisierungsfunktion darzustellen. Ziel ist dabei, die Nachteile der Bremseingriffe – die nicht kontinuierlich eingesetzt werden können und in bestimmten Situationen zu einem Traktionsverlust führen – mithilfe eines kontinuierlichen Stellers zu optimieren. Die Lenkeingriffe werden daher den Bremseingriffen vorgeschaltet.
Quellenverzeichnis [1] Hoepke, E.; Breuer, S. (Hrsg.): Nutzfahrzeugtechnik. Grundlagen, Systeme, Komponenten. Wiesbaden: Vieweg+Teubner Verlag, 2008 [2] Robert Bosch GmbH: Kraftfahrtechnisches Taschenbuch. Vieweg, 2007 [3] Zomotor, A.: Fahrwerktechnik: Fahrverhalten. Vogel Buchverlag, 1991
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[4] Hecker, F.; Hummel, S.; Jundt, O.; Leimbach, K.-D.; Faye, I.; Schramm, H.: Vehicle Dynamics Control for Commerial Vehicles. SAE-Paper 973284, 1997 [5] Winkler, C. B.: Simplified Analysis of the Steady State Turning of Complex Vehicles. International Journal of Vehicle Mechanics and Mobility, 1996 [6] Breuer, B.; Bill, K. H. (Hrsg.): Bremsenhandbuch. Grundlagen, Komponenten, Systeme, Fahrdynamik. Wiesbaden: Vieweg Verlag, 2006
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E 29 Lenkassistenzfunktionen 29.1 Lenkübersetzung In heutigen Pkws ist das Lenkrad das zentrale Bedienelement zur Querführung des Fahrzeugs. Die fahrdynamischen Anforderungen an die Auslegung des Lenksystems reichen dabei vom Parkieren über zielgenaue Bahnführung bis zur Stabilisierung des Fahrzeugs im Grenzbereich. Abhängig von der Fahrgeschwindigkeit und der Lenkaufgabe variieren die erforderlichen Spurwinkel der Vorderräder und die resultierenden Radlenkmomente jedoch erheblich. Auslegungskriterium der Lenkgesamtübersetzung ist es, die Reaktion des Fahrzeugs auf eine Lenkeingabe des Fahrers sowie die resultierenden Handmomente für die jeweiligen Fahraufgaben sicher und komfortabel zu gestalten. Während der Lenkkranzdurchmesser als Hebelarm zwischen Hand und Lenkspindel aufgrund von Bauraum und Ergonomie engen Grenzen unterworfen ist, bietet die Lenkgesamtübersetzung von Lenkradwinkel zu Spurwinkel der Vorderräder je nach Bauform unterschiedliche Möglichkeiten der Variation. Bei Kugelumlauflenkungen wird der Lenkradwinkel über ein Kugelumlaufgetriebe auf ein Lenkviereck übertragen und damit die jeweiligen Spurwinkel der Vorderräder eingestellt. Das Gesamtübersetzungsniveau wird durch das Übersetzungsverhältnis des Kugelumlaufgetriebes eingestellt, unterschiedliche Geometrien des Lenkvierecks ermöglichen eine Variation um das Grundniveau der Lenkgesamtübersetzung über Lenkeinschlag [1]. Zahnstangenlenkungen übertragen den Drehwinkel der Lenkspindel über ein Zahnstangengetriebe auf Lenkdreiecke, welche die Spurwinkel der Vorderräder vorgeben. Das Zahnstangengetriebe stellt hierbei als Hauptübersetzungsstufe nicht nur das Grundniveau ein, sondern kann, in Ergänzung zur geometrischen Auslegung der Lenkdreiecke, auch eine mechanische Variation der Lenkgesamtübersetzung über Lenkeinschlag realisieren. Bei niedriger Fahrgeschwindigkeit, wie z. B. bei Abbiegevorgängen und Stadtfahrt, sind die auftretenden Radlenkmomente und damit die Spurstangenkräfte sehr hoch. Aufgrund der Gewichtsrückstellung gängiger Vorderachskinematiken vergrößern sich die ohnehin hohen Momente und Kräfte in der Nähe der maximalen Lenkeinschläge beim Parkieren zusätzlich. Eine Auslegung der Lenk-
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Thorsten Richter, Philip Köhn
gesamtübersetzung im Sinne eines komfortablen Handmoments steht hierbei in direktem Zielkonflikt zu einer erheblichen Zunahme des Lenkwinkelbedarfs in allen Fahrsituationen. Die über dem Lenkeinschlag variablen Anteile der Lenkgesamtübersetzung können mit dem Ziel ausgelegt werden, die auftretenden Handmomente beim Parkieren in Grenzen zu halten. Im Bereich mittlerer Lenkradwinkel wird dabei die Lenkgesamtübersetzung im Hinblick auf das Lenkansprechverhalten zur Bahnführung ausgelegt, bei großen Lenkeinschlägen verringert eine indirektere Lenkgesamtübersetzung die auftretenden Handmomente. Bei Kugelumlauflenkungen kann dies durch eine geänderte Geometrie des Lenkvierecks, bei Zahnstangenlenkungen durch über Hub variable Zahnstangengeometrien realisiert werden. Sowohl konstruktiv als auch fahrdynamisch sind dieser Auslegung jedoch schnell Grenzen gesetzt: Zum einen sind Handmomente bei Parkierbetrieb und Abbiegemanövern zu realisieren, die zwar verringert, nicht jedoch auf einem komfortablen Niveau sind. Zum anderen wird die Zunahme der integralen Lenkradwinkel bei Stadtfahrt und Abbiegevorgängen aufgrund der sich überschneidenden Lenkwinkelbereiche mit dem Parkierbetrieb dem Anspruch eines sportlich-handlichen Lenkverhaltens moderner Fahrzeuge nicht mehr gerecht. Es wird deutlich, dass sich die Grundauslegung der Lenkgesamtübersetzung sinnvoll an Ergonomie und Fahrzeugreaktion auf Lenkeingabe des Fahrers orientiert, das resultierende Handmoment jedoch durch geeignete Lenkmomentunterstützung angepasst werden sollte.
29.2 Lenkmomentunterstützung Die Verwendung einer Lenkmomentunterstützung hat zum Ziel, auftretende Lenkmomente durch Energieeinsatz zu verringern und auf ein komfortables Maß zu senken. Aufgrund hoher Leistungsdichte und Wirkungsgrade eignen sich hydraulische Lenkmomentunterstützungssysteme für den Einsatz in Fahrzeugen. Die hohe Leistungsdichte ermöglicht hohe Arbeitskräfte bei beschränktem Bauraum, die erforderliche Energie kann direkt am Riementrieb des Verbrennungsmotors mit gutem Wirkungsgrad abgenommen werden. Es existieren mehrere Varianten hydraulischer Hilfskraft-
29 Lenkassistenzfunktionen
lenkungen für unterschiedliche Anwendungen im Personenkraft- und Nutzfahrzeugbereich. Einen für Personenkraftfahrzeuge wichtigen Bereich bilden die offenen Systeme, bei denen der Ölvolumenstrom auch ohne anliegendes Lenkmoment ständig umgewälzt und zur Lenkmomentunterstützung durch Aufteilung des Volumenstroms eine hydraulische Kraft erzeugt wird. Diese Systeme sensieren das anliegende Lenkmoment in der Regel durch die Verdrehung eines hydraulischen Ventils und bringen ein Unterstützungsmoment in Abhängigkeit des anliegenden Drehmoments auf. Nachteile dieser Systeme sind die aufwendige Abstimmung des hydraulischen Systems hinsichtlich Temperaturhaushalt und Akustik sowie die permanente Leistungsaufnahme auch ohne Lenkmomentunterstützung. Derartige Systeme können die resultierenden Handmomente für den Fahrer nahezu beliebig verringern, so dass die Lenkgesamtübersetzung nun ausschließlich im Hinblick auf Ergonomie und Lenkübertragungsverhalten ausgelegt werden kann. Der Lenkgesamtübersetzung als Regelverstärkung der Fahrereingabe kommt dabei eine zentrale Bedeutung für eine zielgenaue und sichere Bahnführung zu. Das Lenkübertragungsverhalten ist geprägt von einem stark nicht-linearen Eigenlenkverhalten des Fahrzeugs über der Fahrgeschwindigkeit. Während bei niedriger Fahrgeschwindigkeit große Lenkeingaben notwendig sind, um einer Ideallinie mit geringer Querbeschleunigung zu folgen, führt dieselbe Lenkeingabe im mittleren Fahrgeschwindigkeitsbereich bereits in den fahrdynamischen Grenzbereich. Bei hoher Fahrgeschwindigkeit ist zudem ein genügend großer Lenkwinkelbereich zur sicheren Bahnführung notwendig. Ordnet man den Fahrgeschwindigkeiten relevante Lenkwinkelbereiche für den stabilen Fahrbetrieb zu, ergeben sich Auslegungskriterien für die jeweilige Lenkgesamtübersetzung. Der mittlere Lenkwinkelbereich muss bis zur hohen Fahrgeschwindigkeit eine sichere Fahrzeugreaktion auf Lenkeingabe gewährleisten. In diesem Bereich ist die indirekteste Lenkübersetzung notwendig, da aufgrund des Eigenverhaltens des Fahrzeugs bei dieser Fahrgeschwindigkeit bereits geringe Spurwinkel der Vorderräder zu einer starken Fahrzeugreaktion führen. Im Gegensatz zu Lenksystemen ohne Lenkmomentunterstützung kann nun bei großen Lenkwinkeln die Lenkübersetzung für niedrige Fahrgeschwindigkeiten zunehmend direkter ausgelegt werden; die integralen Lenkwinkel beim Parkieren werden entsprechend reduziert, die resultierenden, hohen Handmomente durch die Lenkmomentunterstützung jedoch verringert.
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Für eine sichere und zielgenaue Bahnführung ist zusätzlich zur geeigneten Regelverstärkung ein entsprechendes Lenkmoment als Gegenkraft zu Fahrereingabe notwendig. Die genannten Systeme liefern ein Unterstützungsmoment proportional zum anliegenden Lenkmoment. Wichtiges Auslegungskriterium ist daher, ein passendes Lenkmoment für eine sichere und zielgenaue Bahnführung bei hoher Fahrgeschwindigkeit zu gewährleisten. Je nach Achsauslegung sind jedoch die kinematisch generierten Lenkmomente bei hoher Fahrgeschwindigkeit bereits für eine entsprechende Auslegung notwendig, sodass bei Lenkmomenten, die bei normalem Fahrbetrieb in dieser Fahrsituation auftreten, kein oder nur ein sehr geringes Unterstützungsmoment toleriert werden kann. Die Kennlinie der Unterstützung über Lenkmoment kann aufgrund hydraulischer Restriktionen nur begrenzte Gradienten realisieren. Dies führt dazu, dass bei höheren Lenkmomenten im fahrdynamisch relevanten, mittleren Fahrgeschwindigkeitsbereich und beim Parkieren höhere Lenkmomente in Kauf genommen werden müssen, als bei einer Auslegung des Systems auf diese Situationen eigentlich gewünscht wären. Der starke Einfluss der Fahrgeschwindigkeit auf das Eigenlenkverhalten führt demnach dazu, dass sowohl bei der Auslegung der Lenkgesamtübersetzung, als auch bei der Lenkmomentunterstützung Zielkonflikte bezüglich der Auslegung des Lenkverhaltens für unterschiedliche Fahrgeschwindigkeitsbereiche die Abstimmung der beteiligten Systeme stark einschränken. Die Einführung der fahrgeschwindigkeitsabhängigen Lenkmomentunterstützung stellt in der Folge den Beginn der elektronischen Komponenten in Lenksystemen dar. Das hydraulische Lenkventil, welches über seine proportionale Verdrehung die Lenkmomentunterstützung aktiviert, erhält durch eine hydraulische Verschaltung eine variable Drehsteifigkeit, die über die Ansteuerung eines elektrischen Ventils verändert werden kann. Abhängig von der Fahrgeschwindigkeit kann nun die Drehsteifigkeit verändert und damit der Gradient der Lenkmomentunterstützung über Lenkmoment skaliert werden. Neben der charakteristischen Form, die weiterhin alle Fahrgeschwindigkeitsbereiche abdecken muss, kann damit nun das Grundniveau der Lenkmomentunterstützung kontinuierlich verändert werden. Ausgehend von einer starken Unterstützung und damit komfortablem Lenkmoment beim Parkieren über eine sportliche oder komfortable Auslegung im mittleren Fahrgeschwindigkeitsbereich, bis hin zu einer geringen Unterstützung für ein sicheres Lenkansprechen im Hoch-
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
Bild 29-1: Lenkventilkennlinien
geschwindigkeitsbereich ist damit eine wesentlich differenziertere Abstimmung möglich. Einen großen Nachteil stellt aus energetischer Sicht jedoch nach wie vor die permanente Leistungsaufnahme der offenen Systeme auch in Fahrsituationen ohne Lenkmomentunterstützung dar. Aus statistischen Erhebungen wird deutlich, dass die Geradeausfahrt den bei weitem größten Zeitanteil der Betriebmodi einnimmt. Einige hydraulische Lenksysteme verwenden daher infolgedessen elektrisch volumenregelbare Hydraulikpumpen, die bei geringen Arbeitskräften den umlaufenden Volumenstrom und damit die Leistungsaufnahme reduzieren. Bei geringen Vorderachslasten und damit geringen maximalen Arbeitsdrücken der Lenkmomentunterstützung bauen elektrisch angetriebene Hydraulikpumpen den notwendigen Volumenstrom nur dann auf, wenn eine Lenkmomentunterstützung benötigt wird. Kompakte Bauformen drehmomentstarker Elektromotoren ermöglichen zunächst in Fahrzeugen mit geringer Vorderachslast die Ablösung der hydraulischen Lenkmomentunterstützung durch vollständig elektrische Systeme. Neben einer Verringerung der Anzahl der erforderlichen Bauteile entfällt auch die aufwendige Abstimmung hydraulischer Komponenten. Analog zum Lenkventil hydraulischer Systeme nimmt nun ein Drehmomentsensor in der Lenksäule das anliegende Lenkmoment auf, eine elektronische Steuerung berechnet basierend auf der jeweiligen Fahrsituation das jeweilige Unterstützungsmoment, welches durch einen Elektromotor aufgebracht wird. Aus energe-
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tischer Sicht ideal nehmen elektrische Lenksysteme nur im Unterstützungsfall signifikant Leistung auf. Im Gegensatz zu einer lediglich lenkmomentabhängigen Unterstützung können elektrische Lenksysteme ein Lenkmoment mit beliebigen Vorzeichen zum anliegenden Lenkmoment überlagern (4-Quadranten-Betrieb). In Abhängigkeit des anliegenden Lenkmoments, der Fahrgeschwindigkeit und des Lenkwinkels kann damit die Abstimmung des Lenkmoments der Lenkgesamtübersetzung und der jeweiligen Fahrsituation angepasst werden. Die Möglichkeit der freien Überlagerung eines zusätzlichen Lenkmoments ermöglicht zudem die Entwicklung weiterer lenkmomentbasierter Funktionen. Zum Teil werden diese im Hinblick auf ein verbessertes Lenkverhalten im Normalfahrbereich entwickelt, beispielhaft sei hier das aktive Zurückstellen des Lenkrads in die Mittenstellung nach einer Lenkeingabe angeführt. Andere Funktionen wie die Vorgabe eines Lenkmoments während einer Bremsung auf unterschiedlich griffigen Fahrbahnreibwerten bilden bereits den Übergang zu fahrdynamischen Regelungen. Neben erheblichen Anforderungen an die energetische Leistungsfähigkeit der Bordnetze setzen elektrische Lenksysteme mit einem derartigen Funktionsumfang leistungsfähige Steuergeräte und ein umfangreiches Sicherheitskonzept aufgrund der erweiterten Freiheitsgrade voraus.
29 Lenkassistenzfunktionen
29.3 Lenkwinkelunterstützung Die Abstimmung einer konventionellen Lenkung mit kinematisch vorgegebener Lenkgesamtübersetzung befindet sich stets im Zielkonflikt zwischen Komfort und Agilität bei mittlerem und zielgenauem Lenkübertragungsverhalten bei hoher Fahrgeschwindigkeit. Die kinematische Entkopplung der Lenkeingabe von den Spurwinkeln der Vorderräder ermöglicht mit diesem neuen Freiheitsgrad die kontinuierliche und situationsabhängige Lenkwinkelunterstützung durch Variation der Lenkübersetzung und damit die Anpassung des Übertragungsverhaltens zwischen Lenkeingabe und Fahrzeugreaktion an die jeweilige Fahrsituation. Die fahrerunabhängige Lenkmoment- und -winkeleingabe ermöglicht darüber hinaus eine Vielzahl von Funktionen in den Bereichen Fahrstabilisierung und Fahrerassistenz. Technisch existieren zwei grundsätzliche Möglichkeiten, unabhängig vom Fahrer einen zusätzlichen Spurwinkel an den Vorderrädern mit beliebigem Vorzeichen zu realisieren. Bei Steer-by-WireSystemen existiert keine mechanische Verbindung des Lenkrads zu den Vorderrädern. Die Lenkeingabe des Fahrers wird elektronisch sensiert, abhängig von der Fahrsituation werden die gewünschten Spurwinkel der Vorderräder berechnet und von fahrwerkseitigen Aktoren gestellt. Ein elektrisch erzeugtes Gegenmoment zur Lenkeingabe generiert dabei die haptische Rückmeldung für den Fahrer. Ein wesentliches Problem dieser Systeme ist, dass zumindest die grundlegende Lenkfunktion bei Systemfehlern erhalten bleiben muss. Für diesen fehlertoleranten Betrieb müssen viele Komponenten zumindest redundant ausgeführt werden, was sowohl bauraum- als auch kostenseitig die Vorteile dieser Systeme in der Großserie infrage stellt.
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Im Gegensatz zu Steer-by-Wire-Systemen wird bei Überlagerungslenkungen ein Getriebe in die Lenksäule konventioneller Lenksysteme integriert, über welches ein Elektromotor einen freien Zusatzwinkel zur Fahrereingabe stellen kann. Unabhängig von der Funktion des aktiven Lenkeingriffs bleibt bei diesem Systemaufbau der mechanische Durchgriff vom Lenkrad auf die gelenkten Vorderräder als Rückfallebene stets erhalten. Der sichere Betriebszustand im Fall eines Systemfehlers wird allein durch die Abschaltung des Stellmotors erreicht. Ein weiterer Vorteil ist die authentische Rückmeldung im Lenkmoment, welches der Fahrer weiterhin in Folge der jeweils anliegenden Radseitenkraft als Handmoment wahrnimmt, da die mechanische Verbindung vom Lenkrad zu den Vorderrädern erhalten bleibt. Konzeptionell sind aktive Lenksysteme nicht auf die Vorgabe von fahrerunabhängigen Spurwinkeln der Vorderräder beschränkt. Noch mehr fahrdynamisches Potenzial bietet die zeitgleiche Ansteuerung gelenkter Hinterräder, wobei die erforderlichen Spurwinkel deutlich geringer sind als an den Vorderrädern. Der Systemaufbau entspricht Steerby-Wire-Systemen, mit dem Unterschied, dass keine fehlertolerante Systemauslegung notwendig ist. Analog zu Überlagerungslenkungen stellt allein die Abschaltung des Aktors eine sichere Rückfallebene dar; die Lenkfunktion bleibt durch die Vorderräder erhalten. Im Gegensatz zu Fahrstabilisierungssystemen, die der Fahrer naturgemäß erst im fahrdynamischen Grenzbereich erlebt, prägen aktive Lenksysteme entscheidend das Fahrverhalten in allen Fahrsituationen. Analog zu konventionellen Lenksystemen weisen die Funktionen aktiver Lenksysteme einen hohen Vernetzungsgrad mit allen anderen
Bild 29-2 Zahnstangenlenkung mit Überlagerungsgetriebe und Stellmotor [2]
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
mechanischen und aktiven Fahrwerkskomponenten auf und stellen wettbewerbsdifferenzierend hinsichtlich Fahrdynamik hohe Ansprüche an den Applikationsprozess. Aufbauend auf den Beurteilungsgrößen konventioneller Lenksysteme müssen fahrdynamische Auslegungskriterien der neuen Freiheitsgrade die Abstimmziele vorgeben. Ziel ist dabei ein Lenksystem, welches dem Fahrer in jeder Fahrsituation die bestmögliche Kontrolle über das Fahrzeug bietet und dadurch ermöglicht, das hohe fahrdynamische Potenzial von Fahrzeugen mit aktiven Fahrwerkkomponenten auszunutzen.
29.3.1 Ergonomie Unter ergonomischen Gesichtpunkten ergeben sich durch das Lenkrad-Arm-System Winkelbereiche, welche der Fahrer bei korrekter Lenkradhaltung ohne Umgreifen am Lenkrad effektiv abdecken kann. In einem ergonomisch optimalen Bereich 1 um die Lenkungs-Mittellage wird der Lenkmomentverlauf bei Kurvenfahrt und damit die anliegende Radseitenkraft feinfühlig am Lenkrad wahrgenommen. Dieser Bereich sollte im Idealfall im mittleren bis hohen Fahrgeschwindigkeitsbereich für die Kursregelung bis in den mittleren Querbeschleunigungsbereich zur Verfügung stehen. Aufgrund des überwiegenden Anteils am Fahrbetrieb ist dieser Bereich prägend für die Fahrzeugreaktion auf eine Lenkeingabe des Fahrers [2]. Bei richtiger Sitzposition und Lenkradhaltung kann ein Bereich 2 sehr schnell und mit korrekter Lenktechnik überstrichen werden. Dieser Bereich sollte ab mittleren Fahrgeschwindigkeiten die Kursregelung bis in den fahrdynamischen Grenz-
Bild 29-3: Lenkwinkelbereiche
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bereich abdecken und dem Fahrer anspruchsvolle Fahraufgaben ohne geübte Lenktechnik ermöglichen. Statt bei schnellen Kursänderungen auf einen erheblichen Lenkwinkelbedarf zu reagieren, kann der Fahrer in schnellen Wechselkurven, der Radseitenkraft folgend, aktiv den Kursverlauf vorgeben [3]. Ausweichmanöver und Gegenlenken in Übersteuer-Situationen können in diesem Bereich mit maximaler Lenkgeschwindigkeit ausgeführt werden. Die Fahrzeugreaktionen auf Lenkeingaben sollten den „gewohnten“ Bereich 1 harmonisch fortführen und auch bei Schreckreaktionen sicher beherrschbar sein; dieser Bereich stellt einen zentralen Aspekt der aktiven Fahrsicherheit dar. Im Stadtverkehr schließlich sollten alle Kurvenradien und Abbiege-Vorgänge ohne Umgreifen möglich sein. Der Bereich 3 wird demnach durch den Bewegungsraum des Lenkrad-Arm-Systems begrenzt. Die Auslegung sollte idealerweise so gewählt werden, dass oberhalb des Rangierbereichs für alle Fahrsituationen deutlich weniger als 180° Lenkradwinkel notwendig sind. Der Fahrer muss beim Abbiegen und im Stadtverkehr am Lenkrad nicht mehr um- oder vorgreifen. Selbst beim Einparken sind weniger als zwei Lenkradumdrehungen von Anschlag zu Anschlag zu realisieren, was auch bei Wendemanövern einen erheblichen Komfortgewinn darstellt.
29.3.2 Lenkverhalten 29.3.2.1 Stationäres Übertragungsverhalten Die freie Vorgabe der Lenkgesamtübersetzung für jede Fahrgeschwindigkeit ermöglicht die Auflösung des ursprünglichen Zielkonflikts der Abstimmung konventioneller Lenksysteme. Beim Wenden oder Parkieren nimmt der Fahrer aufgrund der fehlenden Fahrzeugreaktion im Stillstand nicht die wirkende Lenkübersetzung, sondern den integralen Lenkradwinkel wahr. Bei Abbiegemanövern hingegen steht ein gleichmäßiger Gierratenaufbau für eine genaue und gut dosierbare Kursvorgabe entlang eines Fahrstreifens im Vordergrund. Voraussetzung hierfür ist ein Lenkgesamtübersetzungsniveau, welches auch bei sehr schnellen Lenkeingaben bei Wendemanövern zu einer vorhersehbaren Fahrzeugreaktion führt. Bei langsamer Fahrgeschwindigkeit liegt der Momentanpol der Drehbewegung um die Fahrzeughochachse näherungsweise in Verlängerung der nicht gelenkten Hinterräder. Je nach Fahrzeugkonzept und Radstand sitzt der Fahrer deutlich entfernt von der x-Koordinate des Momentanpols auf der Fahrzeuglängsachse, was die Lenkgesamtübersetzung
29 Lenkassistenzfunktionen
E
Bild 29-4: Prinzip der Überlagerungslenkung [2]
im Sinne einer genauen Kursvorgabe begrenzt. Da aus einer Änderung der Lenkgesamtübersetzung naturgemäß auch eine Änderung des maximalen integralen Lenkradwinkels folgt, gibt das hier verwendete Übersetzungsniveau im Sinne eines harmonischen Übergangs in den Rollbereich daher zusammen mit dem Verlauf der Lenkgesamtübersetzung über Lenkeinschlag auch die maximalen Lenkradwinkel beim Wenden und Parkieren vor. Bei Verwendung einer Allradlenkung kann durch geeignete Spurwinkel der Hinterräder entgegengesetzt zum jeweiligen Vorderradeinschlag
die Lage des Momentanpols vorgegeben werden. Bei Fahrzeugen mit langem Radstand kann damit die x-Koordinate des Momentanpols näher an den Fahrzeugschwerpunkt, respektive an die Sitzposition des Fahrers gelegt werden. Diese virtuelle Radstandsverkürzung ermöglicht eine einfachere und genauere Kursvorgabe und damit eine direkter ausgelegte Fahrzeugreaktion auf Lenkeingabe im niedrigen Fahrgeschwindigkeitsbereich. Neben den ergonomischen Vorteilen bei der Bahnführung stellt dies auch einen erheblichen Beitrag zur aktiven Fahrsicherheit dar. Die Lenk-
Bild 29-5: Vergleich der Abstimmbereiche eines konventionellen Lenksystems mit variabler Zahnstangengeometrie und einer Überlagerungslenkung über Lenkradwinkel und im Mittenbereich über Fahrgeschwindigkeit
443
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
eingabe eines Fahrers in einer Schrecksituation nutzt auf Hochreibwert das Seitenkraftpotenzial der VA bereits ohne Umgreifen am Lenkrad weitgehend aus. Auch ein Fahrer ohne geübte Lenktechnik ist somit in der Lage, ein Ausweichmanöver mit maximaler Seitenkraftausnutzung zu fahren und zu beherrschen. In Übersteuersituationen ermöglicht die hohe realisierbare Radlenkwinkelgeschwindigkeit effektives und sicheres Gegenlenken. 29.3.2.2 Dynamisches Übertragungsverhalten Beschreibungen des Lenkverhaltens konventioneller Systeme gehen von einer sowohl über dem Lenkeinschlag als auch über der Fahrgeschwindigkeit konstanten Lenkgesamtübersetzung aus. Für eine grundlegende Betrachtung werden daher Bewertungskriterien verwendet, die den stationären Zusammenhang von Lenkeingabe und einer stationäreren Fahrsituation bei unterschiedlichen Fahrgeschwindigkeiten beschreiben. Im Falle einer Kurs- oder Stabilisierungsregelung ist jedoch das querdynamische Übertragungsverhalten im Bereich annähernd konstanter Fahrgeschwindigkeit maßgeblich. Die stationären Auslegungskriterien bilden mithin die Grundlage der Lenkungsabstimmung; die jeweilige Lenkgesamtübersetzung bestimmt aber als Regelverstärkung der Fahrereingabe in hohem Maße das Lenkübertragungsverhalten. Bereits mit einer lediglich von der Fahrgeschwindigkeit abhängigen variablen Lenkübersetzung lässt sich daher der feste Zusammenhang zwischen Eigenverhalten des Grundfahrzeugs und Lenkübertragungsverhalten auflösen und gezielt beeinflussen. Die Lenkgesamtübersetzung ist als konstruktive Zwischengröße nicht hinreichend für eine Beschreibung des Lenkverhaltens. Für eine weiterführende Lenkungsauslegung im Hinblick auf Gesamtfahrzeugverhalten ist es notwendig, sich von den Kriterien Lenkwinkelbereich, Lenkgesamtübersetzung und stationärem Übertragungsverhalten zu lösen und stattdessen das Fahrverhalten des Gesamtfahrzeugs zu bewerten. Die Lenkempfindlichkeit beschreibt dabei als objektive, fahrdynamische Zielvorgabe den Verlauf der Bewegungsgrößen als Reaktion auf eine Lenkeingabe des Fahrers. Modellgestützte Auslegungsverfahren für aktive Lenksysteme berücksichtigen einzelne Beiträge von Fahrwerkskomponenten zum Seitenkraftaufbau und den Verlauf der relevanten Bewegungsgrößen und ermöglichen damit die Abstimmung von stationären und dynamischen Überlagerungslenkwinkeln. Ein harmonischer Verlauf der Lenkempfindlichkeit und die damit einhergehende, verbesserte Ziel-
444
genauigkeit ermöglicht dem Fahrer eine leichtere und genauere Kursregelung. Die gleich bleibende Lenkempfindlichkeit im Anlenk- und Nachlenkbereich verbessert zusammen mit einer geeigneten Grundübersetzung die Zielgenauigkeit sowohl bei der Ausregelung von Störgrößen wie Seitenwind und Spurrinnen als auch beim Nachlenken und in Wechselkurven erheblich. Entsprechend den Möglichkeiten der Lenkmomentunterstützung kann der Verlauf des aus dem Seitenkraftaufbau resultierenden Handmoments dabei genau auf die jeweilige Lenkempfindlichkeit abgestimmt werden. Erst dieses vorhersehbare Lenkverhalten mit passendem Lenkmoment als Gegenkraft zur Lenkeingabe des Fahrers ermöglicht eine sinnvolle Maximierung der Lenkempfindlichkeit im Hinblick auf ein sportlich-agiles Fahrverhalten ohne permanenten, hohen Konzentrationsaufwand des Fahrers. Aktive Fahrwerkskomponenten wie Dämpfungsregelungen und Wankstabilisierung regeln in modernen Fahrzeugen nicht nur ihren jeweiligen primären Freiheitsgrad. Die Wechselwirkungen auf die Dynamik anderer Bewegungsgrößen wird gezielt eingesetzt, um das Eigenlenkverhalten zu optimieren. Bewertet man die Lenkempfindlichkeit als Zielgröße zur Auslegung des Lenkübertragungsverhaltens, werden diese Einflüsse im Gesamtfahrzeugverhalten abgebildet und können im Rahmen einer modellgestützten Auslegung oder integrierten subjektiven Abstimmung aller beteiligten Regelsysteme berücksichtigt werden. Neben Niveau und Verlauf der Lenkempfindlichkeit ist der zeitliche Aufbau der Bewegungsgrößen zueinander entscheidend für die subjektive Beurteilung des Lenkübertragungsverhaltens. Bei konventionellen Lenksystemen ist die elasto-kinematische Fahrwerkauslegung entscheidend für den Seitenkraftaufbau der Hinterachse und damit für den Verlauf der Querbeschleunigung als Reaktion auf eine Gierbewegung des Fahrzeugs. Aktive Lenksysteme harmonisieren durch passende Regelverstärkung und lineare Lenkempfindlichkeit den Gierratenaufbau und bewirken damit auch einen gleichmäßigen Aufbau der Querbeschleunigung, die zeitliche Zuordnung ist jedoch nach wie vor durch die Fahrwerkauslegung vorgegeben. Neue Möglichkeiten eröffnet der Einsatz von Allradlenksystemen, die durch entsprechend koordinierte Spurwinkel an Vorder- und Hinterachse die Phasenlagen von Gierrate und Querbeschleunigung in Ergänzung der Elasto-Kinematik aktiv vorgeben können. Neben der Anpassung der stationären Gierverstärkung an die jeweilige Fahrgeschwindigkeit kann damit auch die Amplitudenüberhöhung im Bereich der Gierei-
29 Lenkassistenzfunktionen
genfrequenz begrenzt und damit die dynamische Stabilität deutlich erhöht werden [4].
29.4 Fahrerunabhängige Lenkeingriffe 29.4.1 Fahrverhalten und Fahrstabilität Mittels fahrerunabhängiger Lenkeingriffe kann das Fahrverhalten hinsichtlich Fahrstabilität und Übertragungsverhalten verändert werden. Die Fahrzeugreaktion auf einen Lenkeingriff ist dabei schneller als ein radselektiver Bremseingriff und für den Fahrer aufgrund der fehlenden Fahrzeugverzögerung deutlich weniger wahrnehmbar. Bezüglich der Stabilisierungsleistung zur Unfallvermeidung ist der aktive, radselektive Bremseingriff besonders auf niedrigen Fahrbahnreibwerten deutlich überlegen. Aktive Lenkeingriffe werden daher im Wesentlichen für eine gezielte Beeinflussung des Fahrverhaltens vor Erreichen der Kraftschlussgrenze einer Achse verwendet. Im Gegensatz zu einer fahrgeschwindigkeitsabhängigen Anpassung der Regelstrecke wird bei Fahrdynamikregelungen aus den Steuereingaben des Fahrers ein Sollverhalten der Bewegungsgrößen für einen stabilen Fahrzustand bestimmt. Ein Vergleich mit den entsprechenden gemessenen Bewegungsgrößen liefert die Regeldifferenz für aktive Lenkeingriffe. Die Verwendung einer modellgestützten Auslegung des Lenkübertragungsverhaltens ermöglicht gemeinsame Abstimmkriterien und fahrdynamische Ziele für den Bereich annähernd linearer Kraftübertragung und den Funktionen zur Fahrstabilisierung im Grenzbereich im Sinne eines harmonischen Übergangsverhaltens. 29.4.1.1 P-split Funktionen im Hinblick auf eine aktive Unterstützung des Fahrers bei Bremsmanövern auf Fahrbahnen mit einseitig niedrigem Reibwert werden unter dem Oberbegriff μ-split beschrieben. Das Fahrzeug kann auf der Hochreibwertseite der Achse höhere Bremskräfte absetzen und baut dementsprechend eine Gierbewegung in diese Richtung auf; die Abstimmung der Regelsysteme steht in dieser Fahrsituation im Zielkonflikt Bremsweg gegen Fahrstabilität. Aktive Lenkeingriffe können in dieser Fahrsituation einen Teil der notwendigen Korrekturlenkwinkel übernehmen und damit die Fahrstabilität trotz hoher Differenz der Bremskräfte der rechten und linken Fahrzeugseite gewährleisten. Aufgrund unterschiedlicher Zielkonflikte in der Abstimmung
E
stehen Funktionen mit aktivem Lenkeingriff in dieser Fahrsituation in starker Wechselwirkung mit der Abstimmung des Bremsregelsystems. 29.4.1.2 Seitenwind Durch die zunehmenden Möglichkeiten aktiver Lenksysteme gibt es Fahrsituationen, in denen die Abstimmung des Lenkübertragungsverhaltens und fahrdynamische Regelungen sich ergänzen können. Äußere Kräfte wie Seitenwindanregungen führen z. B. zu Fahrzeugbewegungen, die vom Fahrer im normalen Fahrbetrieb ausregelt werden müssen. Ein Auslegungsziel aktiver Lenksysteme ist es, dies durch zielgenaues und leicht dosierbares Lenkübertragungsverhalten zu erleichtern. Führt die Störanregung durch einen Soll-Ist-Vergleich relevanter Bewegungsgrößen zu einer Regeldifferenz, können zudem aktive Stellanteile aufgebracht werden. Je nach Freiheitsgrad der Systeme kann ein Lenkmoment aktiv überlagert werden, welches dem Fahrer die korrigierende Lenkeingabe erleichtert, oder direkt ein anteiliger Korrekturwinkel an den Rädern unabhängig vom Fahrer gestellt werden. Aufgrund der relativ kleinen Abweichungen des Fahrzeugs vom vorgegebenen Sollkurs stellen diese Funktionen erhebliche Anforderungen an die Signalgüte der gemessenen Bewegungsgrößen. Offset- und Linearitätsfehler der Sensoren müssen mit entsprechender Genauigkeit abgeglichen und veränderliche Umgebungsbedingungen wie Fahrbahnneigung oder konstanter Seitenwind bei der Erkennung der Fahrsituation berücksichtigt werden. Geringe Ungenauigkeiten bei der Stellsignalgenerierung führen aufgrund dieser Effekte schnell zu einer Abweichung in der Größenordnung des Korrektureingriffs, wodurch die Ausprägung derartiger Funktionen im Normalfahrbereich begrenzt wird.
29.4.2 Assistenzfunktionen zur Bahnführung 29.4.2.1 Spurhalteassistent Die Freiheitsgrade aktiver Lenksysteme ermöglichen neben einer Optimierung des Lenk- und Fahrverhaltens auch die Realisierung weiterer Funktionen, welche die Sicherheit und den Fahrkomfort erhöhen. Mit entsprechend erweiterter Sensorik lässt sich z. B. erkennen, wenn und wie schnell sich ein Fahrzeug einer Fahrstreifenbegrenzung nähert. Je nach Philosophie des Fahrzeugherstellers kann der Fahrer entweder durch Imitation einer radseitigen Lenkmomentanregung auf die Situation
445
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Fahrerassistenz auf Stabilisierungsebene
aufmerksam gemacht oder durch ein überlagertes Lenkmoment veranlasst werden, den Kurs zu korrigieren. 29.4.2.2 Einparkassistent Fahrzeuge mit entsprechender Umfeldsensorik können dem Fahrer den Abstand zu Objekten vor und hinter dem Fahrzeug anzeigen sowie Wende- und Parkiermanöver erleichtern. Darauf aufbauend können Parklücken bei langsamer Vorbeifahrt vermessen werden und z. B. Lenkempfehlungen zum Einparken angezeigt werden. Einparkassistenten gehen einen Schritt weiter und realisieren selbstständiges Einparken, nachdem der Fahrer das Fahrzeug passend positioniert und die Funktion freigegeben hat. Bei Lenksystemen mit elektrischer Lenkmomentunterstützung muss der Fahrer das Lenkrad dabei loslassen, da die aktive Lenkeingabe allein durch die Vorgabe eines Lenkmoments erfolgt. Bei Überlagerungslenkungen hingegen muss der Fahrer das resultierende Gegenmoment am Lenkrad abstützen. Bei beiden Varianten gibt er zudem selbst die Fahrgeschwindigkeit vor und muss den Parkiervorgang verantwortlich überwachen.
29.5 Fahrerakzeptanz Die Regeltätigkeit des Fahrers ist eng mit der Erwartungshaltung an die Fahrzeugreaktion verbunden; sie bestimmt in allen Fahrsituationen maßgeblich die Lenkstrategie. Das geänderte Lenkübertragungsverhalten bei unterschiedlichen Fahrgeschwindigkeiten ist dabei, sowohl bei konventionellen als auch bei aktiven Lenksystemen, deutlich auflösbar. Als adaptiver Regler bezieht der Fahrer diesen variablen Anteil des Lenkübertragungsverhaltens in seine Steuer- und Regelstrategie mit ein. Dementsprechend wird eine Eingewöhnungszeit beschrieben, die vergleichbar mit einem Wechsel des Fahrzeugs zwischen unterschiedlichen Fahrzeugklassen ist. Der in unterschiedlichen Fahrsituationen notwendige Lenkradwinkel wird entsprechend dem einsehbaren Bereich der Kurve geschätzt, ist bei Rundstrecken oder Standard-Fahrmanövern aus Erfahrung bekannt oder ergibt sich bei einem plötzlichen Ausweichmanöver aufgrund der Ergonomie. Dieser gesteuerte Lenkwinkelanteil wird mit hoher Lenkgeschwindigkeit vorgegeben; erst der anschließende Kurvenverlauf wird aufgrund der Seitenkraftrückmeldung oder der Fahrzeugreaktion geregelt durchfahren. Je nach Fahrmanöver, Lenksystem und Abstim-
446
mungsphilosophie unterscheiden sich Lenkaufwand und Fahrstabilität von Fahrzeugen mit konventionellen und aktiven Fahrwerkskomponenten deutlich, so dass der Gewöhnungseffekt bei der Fahrbeurteilung insbesondere bei Standard-Fahrmanövern eine erhebliche Rolle spielt.
29.6 Ausblick Die Intention aktiver Lenksysteme ist es, Zielkonflikte einer konventionellen Lenkungsauslegung aufzulösen und fahrsituationsbezogen optimale Abstimmungen zu realisieren. Das elasto-kinematische Verhalten konventioneller Fahrwerkskomponenten wird dabei genauso berücksichtigt, wie Wechselwirkungen mit anderen aktiven Fahrwerkskomponenten. Der Fokus von Regelungsfunktionen liegt nicht mehr nur auf der Fahrstabilisierung im fahrdynamischen Grenzbereich: Zahlreiche Funktionen ergänzen die permanent aktiven Stellanteile der Lenkungsabstimmung, verändern das Fahrverhalten im Normalfahrbereich und sind wichtiger Bestandteil der fahrdynamischen Abstimmung. Je nach verbauter Aktorik sind unterschiedliche fahrdynamische Ziele erreichbar, der Applikationsaufwand steigt allerdings erheblich mit der möglichen Permutation der Systeme. Vor dem Hintergrund sinkender Entwicklungszeiten stellen sowohl die fahrdynamische Zielerreichung als auch die notwendige, effiziente Applikation eine steigende Herausforderung dar.
Quellenverzeichnis [1] Stoll, H.: Fahrwerktechnik: Lenkanlagen und Hilfskraftlenkungen, Vogel-Fachbuch, Würzburg, 1992 [2] Köhn, P.; Pauly, A.; Fleck, R.; Pischinger, M.; Richter, T.; Schnabel, M.; Bartz, R.; Wachinger, M.; Schott, S.: Die Aktivlenkung, atz extra: Der neue BMW 5er, 2003 [3] Schuster, M.; Grupp; Richter, T.; Pischinger, M.: Die Aktivlenkung des BMW 3er, atz extra: Der neue BMW 3er, 2005 [4] Zomotor, A.: Fahrwerktechnik: Fahrverhalten, VogelFachbuch, Würzburg, 1991
F Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
30 Sichtverbesserungssysteme
448
31 Einparkassistenz
471
32 Adaptive Cruise Control
478
33 Frontalkollisionsschutzsysteme
522
34 Lane Departure Warning
543
35 Lane Keeping Support
554
36 Fahrstreifenwechselassistenz
562
37 Kreuzungsassistenz
572
38 Bahnführungsassistenz für Nutzfahrzeuge
582
39 Navigation und Telematik
599
447
F 30 Sichtverbesserungssysteme 30.1 Häufigkeit von Verkehrsunfällen bei Nacht oder ungünstigen Witterungsverhältnissen Die Verkehrsunfälle bei Nacht haben schwere volkswirtschaftliche Folgen. Nach K. Rumar [1] betrugen die geschätzten Kosten der Straßenverkehrsunfälle im Jahr 1999 mehr als 160 Milliarden Euro, etwa doppelt soviel wie der Etat der EU-Länder in dem betrachteten Zeitraum. Die hier ausgeführten Auswertungen der nächtlichen Verkehrsunfälle basieren auf den Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen im Jahr 2005 [2], die die Einzeldaten der amtlichen Straßenverkehrsunfallstatistik der Jahre 1991 bis 2002 bewertete. Demnach wurde ein Rückgang der Nachtunfälle mit Personenschaden im Zeitraum von 1991 bis 2002 um 18 % registriert (s. Bild 30-1), wohingegen die Anzahl der Unfälle mit Personenschaden am Tag nahezu gleich blieb. Betrachtet man den relativen auf das Jahr 1991 bezogenen Rückgang der Nachtunfälle (s. Bild
Tran Quoc Khanh, Wolfgang Huhn
30-2), stellt man fest, dass sowohl für verschiedene Unfallschweregrade als auch für verschiedene Verletzungsarten deutlich unterschiedliche Entwicklungstendenzen zu verzeichnen sind. Während sich die prozentualen Anteile bei den Leichtverletzten kaum veränderten, nahmen diese Anteile bei den Schwerverletzen um etwa 39 % und bei den Getöteten sogar um ca. 48 % deutlich ab. Wird hingegen der Nachtanteil, d. h. der Anteil der Unfälle bei Nacht bezogen auf die gesamte Anzahl aller Verkehrsunfälle (tagsüber und nachts), analysiert und auf die drei Kategorien Getötete, Schwerverletzte sowie Leichtverletzte aufgeteilt (s. Tabelle 30-1), so wird deutlich, dass der Anteil und das Ausmaß der Nachtunfälle mit Getöteten (mehr als 41 %) und mit Schwerverletzten (mehr als 32 %) schwerwiegend sind. Es gibt viele Aspekte, mit denen die Ursache für Verkehrsunfälle untersucht und charakterisiert werden kann. Einige davon sind: Verteilung nach Bundesländern und nach Ortslagen (innerorts, Bundesstraßen, Autobahnen),
Bild 30-1: Absolute Entwicklung der Nachtunfälle in den Jahren 1991–2002 [2]
448
30 Sichtverbesserungssysteme
F
Bild 30-2: Rückgang der Nachtunfälle im Zeitraum 1991–2002 [2]
zeitliche Verteilungen der Verkehrsunfälle, Unfalltyp und Unfallart sowie Unfallumstände, Unfallbeteiligte (Alter, Geschlecht) und Hauptverursacher der Unfälle nach Art des Verkehrsteilnehmers (Fußgänger, Pkw, Fahrrad, Moped/Mofa…).
Aus lichttechnischer Sicht interessant ist die Analyse der Unfallereignisse nach der zeitlichen Verteilung. Im Bild 30-3 werden die prozentualen Anteile der Nachtunfälle über die Monate im Jahresverlauf von 1991 bis 2002 dargestellt. Diese Verteilung der Unfälle nach Monaten zeigt ein Maximum in den Wintermonaten von Oktober bis Februar und ein Minimum in den Sommermonaten von Mai bis Juli.
Quantitativ beträgt der Anteil der Nachtunfälle in den Monaten von November bis Januar das Dreifache der Werte in den Monaten Mai bis Juli. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Sie können einerseits bei der Verschlechterung der Sichtbedingungen während der Dunkelstunden gefunden werden, die in den Wintermonaten naturgemäß einen größeren Anteil eines Kalendertages als in den Sommermonaten ausmachen. Zum anderen wirken die allgemein schwierigeren Witterungsbedingungen und Fahrbahneigenschaften im Winter ursächlich. Betrachtet man die Nachtunfälle unter dem Aspekt des Unfalltyps, der die zum Unfall führende Konfliktsituation und die Art der Konfliktauslösung vor dem eigentlichen Unfall näher beschreibt
Tabelle 30-1: Anteil der Nachtunfälle (in %) an allen Unfällen (nach Kategorie) [2] Jahr Kategorie
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
mit Getöteten
49,0
50,2
49,3
48,1
46,0
46,0
44,5
42,7
43,0
43,2
41,5
41,8
mit Schwerverletzten
36,8
37,6
37,1
36,6
35,2
35,3
33,4
33,7
32,9
33,6
32,7
32,2
mit Leichtverletzten
29,0
29,3
29,1
28,7
27,6
28,2
26,2
26,9
26,6
27,1
26,7
26,1
449
F
Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Bild 30-4: Nachtunfälle gegliedert nach Unfallstelle in den Jahren 1991, 2001 und 2002 [2]
450
30 Sichtverbesserungssysteme
(s. Bild 30-4), werden folgende Problemstellungen sichtbar: Der Anteil der Unfälle bezogen auf die Gesamtanzahl aller Unfälle (Summe der Tag- und Nachtunfälle) ist insbesondere an Kreuzungen, Einmündungen und Kurven mit Werten zwischen 15 % und 20 % relativ hoch. Der Anteil der Nachtunfälle an der Gesamtanzahl aller Unfälle für eine konkrete Unfallstelle ist in Kurven am höchsten (35 %). Aber auch an Steigungen und Gefällestrecken sowie an Kreuzungen und Einmündungen ist dieser Anteil mit weit über 20 % ebenfalls sehr hoch. Dies ist dadurch begründet, dass in den Dunkelstunden je nach Typ (z. B. Halogen- bzw. XenonLichtquelle), Lichtverteilung und korrekter Einstellung der Frontscheinwerfer eines Fahrzeugs die Erkennbarkeit von Hindernissen links und rechts neben der Fahrbahn nicht ausreichend ist. Dies kann insbesondere an Konfliktzonen wie Kreuzungen und Einmündungen gravierende Folgen haben. An Steigungen und Gefällestrecken ist neben der besonderen Fahrbahntopologie, die an sich schon ein erhöhtes Gefahrenpotenzial bietet, die stark reduzierte Sichtbarkeitsweite des Abblendlichts vor dem Fahrzeug die Hauptursache für die Sichteinschränkungen. Denn trotz Abblendlicht ist es in Kurven oft schwierig, Objekte im weiteren Verlauf der Kurvenführung rechtzeitig und sicher zu erkennen.
F
Analysiert man die allgemeinen Ursachen für Nachtunfälle im Jahr 2002 genauer (s. Bild 30-5), so fallen folgende Aspekte besonders auf: Der Anteil der Nachtunfälle bei Schnee, Eis und Regen an der gesamten Unfallanzahl ist mit mehr als 27 % relativ hoch. Der Nachtanteil der jeweiligen Unfallursache ist bemerkenswert hoch. Dieser Anteil beträgt bei Schnee und Eis sowie bei Nebel und Wild auf der Fahrbahn mehr als 55 %. Auch der hohe Nachtanteil der anderen allgemeinen Unfallursachen wie „anderes Tier auf der Fahrbahn“ oder „sonstiges Hindernis auf der Fahrbahn“ deutet auf ein sehr spätes Erkennen von Objekten auf der Fahrbahn in den dunklen Nachtstunden hin. Neben den Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen können für eine tiefgreifende Unfallforschung die Daten des Instituts für Fahrzeugsicherheit in München hinzugezogen werden [3]. Ihnen zufolge zeigen Unfälle mit Fußgängerbeteiligung je nach Ortslage unterschiedliche Schwerpunkte. Ein Drittel der 43 789 Unfälle mit verletzten Fußgängern im Jahr 1995 fand in der Dunkelheit und Dämmerung statt. Etwa 60 % aller 1336 Unfälle mit getöteten Fußgängern im Jahr 1995 ereigneten sich in der Dunkelheit. Für Innerortsunfälle waren 84 % der beteiligten Fußgänger zum Zeitpunkt des Unfalls dunkel gekleidet. Nach [3] war bei 70 % der untersuchten Unfälle die Straßenbeleuchtung in Betrieb und wurde subjektiv als gut beurteilt.
Bild 30-5: Nachtunfälle gegliedert nach allgemeinen Unfallursachen im Jahr 2002 [2]
451
F
Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
30.2 Lichttechnische und fahrzeugtechnische Konsequenzen für Sichtverbesserungssysteme Es ist seit langem bekannt, dass mehr als 90 % der Informationen von der Umwelt über das visuelle System aufgenommen werden. Während das visuelle Informationsangebot am Tag so groß ist, dass es weder erfasst noch verarbeitet werden kann, gibt es allgemein ein Unterangebot an visuellen Informationen bei Nacht, wodurch das Unfallrisiko erhöht wird. Der Leuchtdichtebereich im nächtlichen Straßenverkehr liegt in der Regel zwischen 0,01 cd/m 2 und 10 cd/m 2 und wird demzufolge dem mesopischen Sehen zugeordnet. Nach [4] besteht ein visueller Prozess aus drei Schritten: dem Sehen, dem Wahrnehmen und dem Erkennen. Das ins Auge einfallende Licht durchdringt die Hornhaut, die Augenlinse mit der Pupille und trifft schließlich auf die Netzhaut mit ihrem strukturierten Aufbau und den signalverarbeitenden Nervenzellen. Alle Faktoren auf diesem Weg bis dahin beeinflussen das visuelle Vermögen sehr stark. Nachdem die optische Information auf der sensorischen Ebene detektiert und zum Gehirn weitergeleitet worden ist (z. B. Sehen eines Objekts auf der Fahrbahn), ermöglicht das Auffassungs- und Verarbeitungsvermögen auf der kognitiven Ebene das Erkennen des Objekts. Erst dieser Prozess ermöglicht den Übergang zu einer Aktion (z. B. Einleiten eines Bremsvorgangs). Aus lichttechnischer Sicht wird der visuelle Prozess im Straßenverkehr bei Tag und besonders in der Nacht durch zwei Hauptgruppen von Faktoren beeinflusst, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. Diese zwei Gruppen sind: die Aspekte auf der Reiz- bzw. Objektseite (Seite des „Gesehenwerdens“) und die Aspekte auf der Beobachter- bzw. Fahrerseite. Die Aspekte auf der Seite des „Gesehenwerdens“ werden durch folgende Komponenten beschrieben: die optischen Eigenschaften eines Objekts: – Form, Größe, Farbe, – Reflexionsgrad sowie – Objektdarbietungszeit und relative Lage im Gesichtsfeld; die Eigenschaften des Objektumfelds: – Kontrast zwischen Objekt und der unmittelbaren Umgebung, – die Beleuchtung durch Straßenleuchten und Autoscheinwerfer und – Sehstörungen wie Blendlichtquellen und Werbeleuchten in der Stadt bei Nacht.
452
Die Beobachterseite wird augenphysiologisch durch folgende Prozesse und Aspekte beschrieben: den Hell- bzw. Dunkeladaptationsvorgang: Beim Übergang von einer hellen zu einer dunklen Umgebung oder umgekehrt muss sich das Auge durch verschiedene Prozesse der jeweiligen Helligkeit anpassen. Dieser Vorgang findet u. a. bei der Einfahrt in einen Tunnel oder bei der Ausfahrt aus dem Tunnel statt; den Alterungsvorgang: Mit zunehmendem Alter gehen die Sehleistungen wie Sehschärfe, Kontrastwahrnehmung und Reaktionsvermögen zurück; die Blendung: Sie wird durch eine hohe Leuchtdichte oder eine inhomogene Leuchtdichteverteilung im Gesichtsfeld verursacht. Ein zuvor erkennbarer Kontrast kann dadurch nicht mehr erkannt werden. Die Ursache ist das durch die Blendlichtquellen (z. B. Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos) im Auge verursachte Streulicht. Dieses entsteht beim Durchgang des Lichts durch das Augenmedium (Augenlinse, Hornhaut, Augenglaskörper) und durch Reflexionen von der Netzhaut zurück in den inneren Aufbau des Auges. Dieses Streulicht überlagert sich dem Bild des eigentlich zu erkennenden Objekts und führt zur Blendungserscheinung. In der Lichttechnik wird der Kontrast C wie folgt definiert (s. Bild 30-6): C
L
LU LU
L LU
(30.1)
mit: L’: Leuchtdichte des Testzeichens (Objekt) in cd/m 2 LU: Leuchtdichte der Umgebung (Umfeld) des Testzeichens in cd/m 2
Bild 30-6: Zur Definition des Kontrasts nach [5]
30 Sichtverbesserungssysteme
Der Kehrwert des Kontrasts ist die Unterschiedsempfindlichkeit UE: UE
1 C
LU L
(30.2)
Zwischen der Unterschiedsempfindlichkeit und der Adaptationsleuchtdichte, die zugleich die mittlere Leuchtdichte der Fahrbahn ist, besteht ein fester Zusammenhang, der in Bild 30-7 dargestellt wird: Dieser Zusammenhang besagt, dass sich die Unterschiedsempfindlichkeit mit der zunehmenden Adaptationsleuchtdichte auf der Fahrbahn erhöht. Das bedeutet, dass dabei auch der minimale, gerade noch erkennbare Kontrast zwischen dem Testzeichen (z. B. Objekte auf der Fahrbahn, ein Tier neben der Fahrbahn, Leitpfosten, …) und dessen unmittelbarer Umgebung sinkt. Für eine ausreichende Objekterkennung muss folglich ein Mindestmaß an Leuchtdichte auf der Fahrbahn und ihrer Umgebung vorhanden sein. Bild 30-8 zeigt den Zusammenhang zwischen der Blendbeleuchtungsstärke am Auge und der minimalen, gerade noch erkennbaren Leuchtdichtedifferenz eines Testzeichens für verschiedene Abstände zwischen Blendlichtquelle und Beobachter. Wird ein Autofahrer durch die Scheinwerfer des Gegenverkehrs geblendet, so erhöht sich die mess-
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bare Beleuchtungsstärke an seinem Auge. Je nach Abstand des blendenden Fahrzeugs zum geblendeten Autofahrer ist die Beleuchtungsstärke an dessen Auge unterschiedlich hoch. Damit verändert sich die minimale, gerade noch erkennbare Leuchtdichtedifferenz zwischen der Leuchtdichte eines Testzeichens (Objekt) und der Umgebung dieses Zeichens (Umfeld). Bild 30-8 besagt, dass sich die minimale, gerade noch erkennbare Leuchtdichtedifferenz zwischen der Leuchtdichte des Testzeichens und der Zeichenumgebung stark verringert, wenn die Blendbeleuchtungsstärke auf dem Auge reduziert bzw. eliminiert wird. Aus den oben dargestellten Aspekten ergeben sich zur Sichtverbesserung der Autofahrer folgende lichttechnische und fahrzeugtechnische Anforderungen: Anforderung 1: Realisierung einer guten, homogenen Lichtverteilung durch die Scheinwerfer, um die maximal mögliche Erkennbarkeitsentfernung zu gewährleisten. Das bedeutet einerseits eine breite seitliche Beleuchtung der Fahrbahn und Fahrbahnumgebung, um Verkehrsschilder, Leitpfosten und andere Objekte neben der Fahrbahn erkennen zu können. Dies erhöht zudem das allgemeine Sicherheitsgefühl der Autofahrer. Anderseits soll entlang der Fahrbahnachse viel
hс>hͬȴ> ϰϬ ϮϬ ϭϬ ϱ͕Ϭ
Ϯ͕Ϭ ϭϬ ϭ͕Ϭ
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ϭϬ
Bild 30-7: Zusammenhang zwischen der Unterschiedsempfindlichkeit und der Adaptationsleuchtdichte [5]
453
F
Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
6FKZHOOHQOHXFKWGLFKWHGLIIHUHQ]LQFGPð
\ [ 5ð
\ [ 5ð
\ [ 5ð
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Bild 30-8: Zusammenhang zwischen der Blendbeleuchtungsstärke und minimaler, gerade noch erkennbarer Leuchtdichtedifferenz nach [6]
Licht auf möglichst große Abstände abgebildet werden, um dort den Kontrast zu verbessern und demzufolge eine große Erkennbarkeitsentfernung zu erreichen. Das setzt die Verwendung von Lichtquellen mit hohen Lichtströmen, aber auch die Optimierung der Scheinwerferoptiken voraus. Anforderung 2: Minimierung bzw. Eliminierung von Blendung für den Gegenverkehr und den vorausfahrenden Verkehr. Die Lichtstärkeverteilung der Scheinwerfer sowie das gesamte Betriebssystem der Scheinwerfer, z. B. die dynamische Leuchtweitenregelung sollen so ausgelegt werden, dass die Beleuchtungsstärke am Auge des Gegenverkehrs und des vorausfahrenden Verkehrs unter keinen Umständen den in den amtlichen Regulationen maximal zulässigen Wert überschreitet. Zu Beginn der Automobilzeit wurde das Fernlicht permanent verwendet, wobei die Lichtstärke zu dieser Zeit nicht sehr hoch war. Aus den beiden oben genannten lichttechnischen Anforderungen wurde später das Abblendlicht entwickelt, das im Laufe der lichttechnisch-optischen Entwicklung ständig verbessert wurde. Je nach Konfiguration
454
kann heute mit dem Abblendlicht eine Sichtbarkeitsweite zwischen 50 m und etwa 85 m erzielt werden. Etwa seit Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wird kontinuierlich und zielstrebig an neuen lichttechnischen und mechatronischen Systemen gearbeitet, die eine größere Sichtbarkeitsweite und dennoch eine Blendungsreduzierung ermöglichen. Diese Systeme werden in Abschnitt 30.3 näher beschrieben. Die überwiegende Mehrheit der Verkehrsteilnehmer und Objekte im nächtlichen Straßenverkehr weisen einen geringen Reflexionsgrad in dem für den Menschen sichtbaren Bereich des Spektrums zwischen 380 nm und 780 nm auf. Da zudem das Abblendlicht durch die Vorgabe der Blendungsbegrenzung nur eine begrenzte Sichtbarkeitsweite ermöglicht, ist das visuelle Objekterkennungsvermögen der Verkehrsteilnehmer bei Nacht allgemein stark eingeschränkt. Aus diesem Grund wird seit einigen Jahren an Prinzipien der Objektdetektion und -hervorhebung auf der Basis von Infrarotstrahlung gearbeitet. Die Grundgedanken dabei sind: Die meisten Objekte, die einen geringen Reflexionsgrad im sichtbaren Bereich aufweisen, besitzen im Infrarotbereich einen relativ hohen optischen Reflexionsgrad. Somit wird ein hoher
30 Sichtverbesserungssysteme
infraroter Kontrast sowie eine sichere Auswertung der Signale durch im Infrarotbereich empfindliche Kameras ermöglicht. Fahrzeuge können zur Objektbeleuchtung einen Schweinwerfer mit Infrarotstrahlung im Fernlichtbetrieb verwenden. Da die Augen der Autofahrer im Infrarotbereich nicht lichtempfindlich sind, werden sie durch die Infrarotstrahlung nicht geblendet. Verkehrsteilnehmer und Objekte im Verkehrsraum haben i. d. R. eine Körpertemperatur und sind somit selbst ein thermischer Strahler, der Infrarotstrahlung emittiert. Auf diesen Grundgedanken basiert die Entwicklung der Nachtsichtsysteme, die den Gegenstand des Abschnitts 30.4 bilden.
30.3 Derzeitige und zukünftige Scheinwerfersysteme zur Sichtverbesserung Die Entwicklung derzeitiger und zukünftiger Scheinwerfersysteme zur Sichtverbesserung wird durch die drei folgenden technologischen Entwicklungen charakterisiert und ermöglicht: die Weiterentwicklung der Lichtquellentechnologie, die Entwicklung der adaptiven Lichtverteilung und die Entwicklung der assistierenden Lichtverteilung.
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30.3.1 Sichtverbesserungssysteme auf der Basis der Lichtquellenentwicklung Heutige Scheinwerfersysteme verwenden als Lichtquellen entweder Halogenglühlampen oder Xenonentladungslampen – seit kurzem auch Lichtemittierende Dioden (LED). Weltweit betrachtet haben Scheinwerfer auf Basis von Halogenglühlampen einen Marktanteil von etwa 90 %. Weniger als 10 % aller Fahrzeuge nutzen Xenonlampen. Seit dem Jahr 2007 sind auch Frontscheinwerfer mit LEDs am Markt verfügbar. Ihr Marktanteil ist aber noch verschwindend gering. Tabelle 30-2 zeigt die wichtigsten Eigenschaften der drei Lichtquellen für KfzFrontscheinwerfer im Überblick [5]. Die Nutzung von Xenonentladungslampen für Frontscheinwerfer zu Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wird aus heutiger Sicht als wichtiger Meilenstein betrachtet. Seit diesem Zeitpunkt werden die Vor- und Nachteile der „Xenonscheinwerfer“ gegenüber den „Halogenscheinwerfern“ intensiv untersucht. Die wesentlichen Vorteile der Scheinwerfer mit Xenonentladungslampen sind die aufgrund des höheren Lichtstroms (vgl. Tabelle 30-2) größere Sichtbarkeitsweite entlang der Fahrbahn (fovealer Blickwinkel unter 0°) sowie unter einem Blickwinkel von 20° seitlich zur Fahrbahn, die breitere seitliche Lichtverteilung und die höhere Fahrbahnleuchtdichte. Als ein möglicher Nachteil gegenüber den Scheinwerfern mit Halogenglühlampen wird die Blendungsgefahr analysiert. In Tabelle 30-3 werden Ergebnisse unterschiedlicher Forschungsarbeiten diesbezüglich dargestellt.
Tabelle 30-2: Lichttechnische Eigenschaften aktueller Frontscheinwerfer-Lichtquellen [5] Lampentyp Halogenglühlampe (H7) Xenonlampe (D2S) LED (kaltweiß)*
Lichtstrom
Max. Leuchtdichte
Lichtausbeute
Farbtemperatur
~ 1100 lm
~ 30 Mcd/m2
25 lm/W
3200 K
~ 3200 lm
~ 90
Mcd/m2
90 lm/W
4300 K
~ 20
Mcd/m2
50 lm/W
4300 bis 6000 K
~ 600 lm
* für 4-5 Chips (Multichip), Stand 2008
Tabelle 30-3: Ermittelte Sichtbarkeitsweite in Forschungsarbeiten nach [7] und [8] Abblendlicht mit
Sichtbarkeitsweite nach [7]
Sichtbarkeitsweite unter 0° nach [8]
Sichtbarkeitsweite unter 20° nach [8]
Halogenglühlampe H7
70 m
63 m
18,3 m
Xenonlampe D2S
85 m
80 m
25,8 m
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Obwohl die Testbedingungen in den zwei Forschungsarbeiten ([7] im Jahr 2003 und [8] im Jahr 2007) unterschiedlich und die Ergebnisse deshalb nicht unbedingt vergleichbar sind, wird doch Folgendes deutlich: Die Sichtbarkeitsweite der Xenonscheinwerfer ist sowohl entlang der Fahrbahn als auch unter 20° seitlich zur Fahrbahn zwischen 21 % und 40 % besser als die Sichtbarkeitsweite der Halogenscheinwerfer. Ergebnisse aus Testfahrten unter Bedingungen des alltäglichen Verkehrs zeigten auch, dass die Testpersonen den Verkehrsraum während der Fahrt in Autos mit Xenonscheinwerfern besser erfassen. Darüber hinaus ist das allgemein empfundene Sicherheitsgefühl der Testpersonen während der Fahrt größer, als dies in baugleichen Fahrzeugen mit Halogenscheinwerfern zu beobachten war (vgl. [8]). Jüngste detaillierte Untersuchungen können die Hypothese nicht bestätigen, dass von Xenonscheinwerfern generell eine größere psychologische Blendwirkung ausgeht, als dies für Halogenscheinwerfer der Fall ist [9]. Die psychologische Blendung ist demnach keine Funktion der Lampenspektren und -farben, sondern hängt von der konkreten Konfigurierung der jeweiligen Scheinwerferoptik ab. Die Einführung der LED-Technologie in die Scheinwerfertechnik hat dazu geführt, dass vor wenigen Jahren auch erste systematische Untersuchungen mit dem Ziel begannen, die Potenziale der LED-Scheinwerfertechnik zur Sichtverbesserung im Vergleich zu den bisher etablierten Halogenglüh- und Xenonlampenscheinwerfern zu ermitteln. Reale Testfahrten mit Autos unterschiedlicher Scheinwerfertechnologien in [10] und [11] zeigten im Vergleich folgende Ergebnisse: Die Sichtbarkeitsweite der ersten Autos mit LEDScheinwerfern übertrifft bereits die Sichtbarkeitsweite der Autos mit Halogenscheinwerfern und erreicht nahezu die Werte der Xenonscheinwerfer (s. Tabelle 30-4). Während der Testfahrten beurteilten die Fahrer die LED-Scheinwerfer in den Aspekten Helligkeit auf der Fahrbahn, Sichtbarkeitsweite, Breite der Lichtverteilung und Sicherheitsgefühl besser als die Halogenscheinwerfer.
Da eine weiterhin rasante Entwicklung der LEDTechnologie in den nächsten Jahren absehbar ist, kann man davon ausgehen, dass zukünftige LEDScheinwerfer die Leistung derzeitiger Xenonscheinwerfer erreichen und sogar übertreffen werden.
30.3.2 Sichtverbesserungssysteme auf Basis der adaptiven Lichtverteilung In Abschnitt 30.3.1 wird die Sichtbarkeitsweite derzeitiger Abblendlichtsysteme dargestellt, deren maximaler Wert bis zu 85 m betragen kann. Generell besteht der visuelle Vorgang zur Einleitung eines Bremsvorgangs bei Erkennen von Gefahren auf der Fahrbahn aus folgenden Schritten: aus einem Sehprozess und einem nachfolgenden Fixationsvorgang, um das Objekt in den fovealen Bereich (Bereich des schärfsten Sehens) bringen zu können; aus einer Basisreaktionszeit, in der die Objektsituation evaluiert wird und die Entscheidung getroffen werden muss, wie die Reaktion aussehen soll; aus einem Bremsvorgang mit mehreren Stufen. Der Fuß muss zunächst zum Pedal geführt werden, und anschließend wird das Bremspedal nach unten geführt, bis die Bremse greift. Erst danach beginnt die Verlangsamung des Fahrzeugs mit einer durchschnittlichen Rate von –5,8 m/s2. In den Berechnungen über diesen Seh- und Bremsprozess in [7] wurde der Zusammenhang zwischen dem benötigten Bremsweg und der Fahrgeschwindigkeit bei der Objekterkennung ermittelt, der im Bild 30-9 dargestellt wird. Demnach erlaubt eine maximale Sichtbarkeitsweite von 85 m mit Xenonscheinwerfern eine maximale Fahrgeschwindigkeit von etwa 90 km/h in der Nacht. Moderne Halogenscheinwerfer mit einer Sichtbarkeitsweite um 65 m erlauben eine Fahrgeschwindigkeit von etwa 75 km/h. Daran kann man erkennen, dass eine Sichtverbesserung allein auf der Basis der Lichtquellen die komplexen Probleme der allgemeinen Fahraufga-
Tabelle 30-4: Sichtbarkeitsweiten von Autos mit unterschiedlichen Scheinwerfertechnologien nach [10] und [11] Sichtbarkeitsweite Scheinwerfertyp
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Testreihe 1
Testreihe 2
Testreihe 3
mit Halogenglühlampe
43 m
63,3 m
Nicht im Test
mit Xenonlampe
60 m
80 m
76,4 m
mit LED
56 m
60,2 m
78,3 m
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Bild 30-9: Zusammenhang zwischen Bremsweg und Fahrgeschwindigkeit nach [7]
be in der Nacht nicht lösen kann. Die Betrachtung dieser komplexen Probleme sowie die Analyse der Unfallursachen in Abschnitt 30.1 führen zu folgendem Ergebnis: Moderne intelligente Scheinwerfersysteme sollten adaptiv zur Fahrbahntopologie (wie Steigung und Gefälle) eine maximale Sichtbarkeitsweite weit über die Dimension der Sichtbarkeitsweite heutiger Abblendlichtfunktionen ermöglichen; eine Lichtverteilung adaptiv zur Verkehrssituation (Fahrgeschwindigkeit, relativen Lage zum Gegenverkehr/vorausfahrenden Verkehr, Witterungsbedingungen wie Nebel und Regen) bereitstellen. Diese Lichtverteilung sollte eine bestmögliche Sichtbedingung entlang der Fahrbahn und seitlich von ihr mit maximaler Sichtbarkeitsweite und minimaler Sehbelastung anbieten; adaptiv zum Verkehrsraum im Fahrzeugvorfeld (Kurven, Einmündungen, Abbiegestellen, Stadtraum) eine unterschiedlich breite Lichtverteilung liefern. Seit Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts beschäftigen sich Forschungsarbeiten mit der Konzeption und der Realisierung von adaptiven Systemen der Frontbeleuchtung für Kraftfahrzeuge. Im Februar 2007 führten diese Bemühungen zur ECE-Regelung 123 [12]. Die so genannten AFS-Scheinwerfer (Advanced Frontlighting System) beinhalten allgemein die Lichtfunktionen wie
Stadtlicht, Landstraßenlicht, Schlechtwetterlicht, Autobahnlicht, Fernlicht und Kurvenlicht, das wiederum in das dynamische und das statische Kurvenlicht unterteilt wird. Solche adaptiven Lichtfunktionen werden in den folgenden Abschnitten lichttechnisch detaillierter dargestellt. Bild 30-10 zeigt eine Auswahl an vier verschiedenen Lichtverteilungen. Abblendlicht/Landstraßenlicht Das Landstraßenlicht basiert auf dem heutigen Abblendlicht. Die Lichtverteilung ist asymmetrisch und beleuchtet bei Überlandfahrten insbesondere die eigene Fahrbahn. Bild 30-11 zeigt die Lichtverteilung eines Landstraßenlichts mit HochleistungsLEDs auf dem 25 m-ECE-Messschirm [14], Bild 30-12 aus der Vogelperspektive. Zu erkennen sind eine mit über 40° relativ breite horizontale Lichtverteilung, eine definierte vertikale Hell-DunkelKante, ebenso wie eine konzentrierte spotartige Lichtverteilung unterhalb des Schnittpunkts von horizontaler und vertikaler Achse (H-V-Punkt). Stadtlicht Die Verteilung vom Stadtlicht (s. Bild 30-10) ist zur Seite breit und symmetrisch und erleichtert bei einer Geschwindigkeit unterhalb von 50 km/h die Objekterkennung im seitlichen Bereich der Fahrbahn und an Kreuzungen, wobei die Sichtbarkeitsweite längs der Fahrbahn verkürzt wird.
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Bild 30-10: Prinzipielle Lichtverteilungsfunktionen auf der Fahrbahn aus der Vogelperspektive [13], [Quelle: Hella KGaA Hueck&Co.]
Bild 30-11: Verteilung eines Landstraßenlichts auf einer Leinwand in 25 m vom Scheinwerfer [14], [Quelle: Automotive Lighting]
Bild 30-12: Verteilung eines Landstraßenlichts auf der Fahrbahn aus der Vogelperspektive [14] [Quelle: Automotive Lighting]
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Bild 30-13: Lichtverteilung eines Schlechtwetterlicht-Prototyps nach [14], [Quelle: Automotive Lighting]
Schlechtwetterlicht Diese AFS-Lichtfunktion wird bis heute noch nicht realisiert. Gemäß ECE-Regelung 123 beinhaltet die Ausführung des Schlechtwetterlichts: die Reduzierung der Lichtleistung im unmittelbaren Vorfeldbereich des Fahrzeugs und die Erhöhung der Sichtbarkeitsweite nach vorn und zum Seitenbereich zur besseren visuellen Orientierung bei Schlechtwettersituationen.
Die Drehungsführung der Scheinwerfer wird durch die Informationen über den Kurvenverlauf gesteuert. Für die Informationsverarbeitung stehen drei grundsätzliche Möglichkeiten der Signalgewinnung zur Verfügung: ein Navigationssystem, der Lenkradsensor und/oder eine kamerabasierte Detektion des Kurvenverlaufs.
Bild 30-13 stellt die Lichtverteilung eines Prototyps für diese Lichtfunktion auf Basis der LED-Technologie nach [14] mit einer im Vergleich zu Bild 30-12 breiten Lichtverteilung dar.
Während die beiden ersten Signalquellen den heutigen Stand der Technik darstellen, ermöglicht die letzte Technologie eine frühzeitige Kurvenund Kurvenverlaufserkennung. Jüngste Tests mit
Kurvenlicht Die Entwicklung des Kurvenlichts im Jahr 2003 wird nach Einführung der Xenonlampen für Frontscheinwerfer als zweiter wichtiger Meilenstein in der modernen Kfz-Lichttechnik bezeichnet. Es hat die Aufgabe, die Sichtbarkeitsweite für Autofahrer in Kurven zu erhöhen. Die Realisierung des dynamischen Kurvenlichts wird in den meisten Fällen durch die Drehung des ganzen Scheinwerfermoduls um eine vertikale Achse, meistens bis ±18° realisiert (s. Bild 30-14). Der Algorithmus, der diese Drehung steuert, beeinflusst das dynamische Verhalten des Scheinwerfers maßgeblich. Generell gibt es bei den bisherigen technischen Realisierungen nach [15] zwei prinzipielle Ansätze: eine parallele Drehung beider Scheinwerfer nach demselben Schema, Nutzung des D /2-Algorithmus: Der Scheinwerfer auf der äußeren Kurvenseite wird nur halb soviel wie der auf der inneren Kurvenseite gedreht.
Bild 30-14: Kurvenlicht-Projektor auf Xenonlampenbasis [Quelle: Valeo/Frankreich]
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verschiedenen Kurvenlichtfunktionen (statisch und dynamisch) sowie mit verschiedenen Lichtquellen in [15] haben ergeben, dass die statischen Ausführungen des Kurvenlichts mit Xenon- und Halogenglühlampen nicht in der Lage sind, den Autofahrern eine Sichtbarkeitsweite in den Kurven zu ermöglichen, die größer als der benötigte Bremsweg ist. Nur die dynamischen Kurvenlichtscheinwerfer mit Xenonlampen erfüllen diese Bedingung.
Mit Nutzung der LED-Technologie ist eine Drehung des ganzen Scheinwerfers nicht mehr erforderlich. Es gibt dazu grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Wenn das Abblendlicht aus verschiedenen Baugruppen besteht, muss nur die LED-Baugruppe gedreht werden, die für die konzentrierte spotartige Lichtverteilung unterhalb des H-V-Punkts verantwortlich ist (s. Bild 30-11). Diese Variante wurde mit Hochleistungs-LEDs in [14] erprobt.
Bild 30-15 Sequenzielle Zuschaltung von drei LED-Baugruppen in der Kurve [15] [Quelle: Valeo/Frankreich]
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Bild 30-16: Lichtverteilung eines Autobahnlichts auf Basis der LED-Technologie [14] [Quelle: Automotive Lighting]
Das Kurvenlicht besteht aus einem Abblendlicht auf der Basis bisheriger Lichtquellen (Halogenglühlampe, Xenonlampe oder LED). In der Kurve wird in Sequenz eine virtuelle Lichtbewegung dadurch realisiert, dass zusätzliche LED-Einheiten in Abhängigkeit vom Winkelbereich eingeschaltet werden. Dieses Prinzip nach [15] wird in Bild 30-15 verdeutlicht. Autobahnlicht Mit dem Autobahnlicht kann die Sichtbarkeitsweite auf der Autobahn von bisher etwa 85 m mit dem konventionellen Abblendlicht auf etwa 120 m bis 150 m erhöht werden. Generell gibt es drei Möglichkeiten [14]: Anheben der Hell-Dunkel-Kante in vertikaler Richtung von derzeit E = –0,57° auf E = –0,23°. Bei LED-Abblendlicht kann die Stromstärke der für die spotartige Lichtverteilung unterhalb
des H-V-Punkts verantwortlichen LED-Gruppe erhöht werden. Der Aufwand für die elektronische Schaltung sowie für das thermische Management für LEDs ist dabei aber relativ hoch. Zuschaltung einer zusätzlichen spotartigen Lichteinheit. Im Bild 30-16 wird die Lichtverteilung eines Autobahnlichts auf der Basis der LED-Technologie nach [14] dargestellt. Die oben dargestellten AFS-Funktionen auf Basis der LED-Technologie werden bisher nur in Studienmodellen untersucht und erprobt. LEDScheinwerfer mit AFS-Funktionen werden nicht vor den Jahren 2009/2010 erwartet. Auf der Basis von Halogenglühlampen und Xenonentladungslampen werden AFS-Scheinwerfer bereits seit 2006 im Markt vertrieben. Im Bild 30-17 wird die technische Realisierung verdeutlicht [13].
Bild 30-17: Der VarioX-Scheinwerfer mit AFS-Funktion [Quelle: Hella KGaA Hueck&Co]
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Bild 30-18: Struktur der AFS-Steuersysteme nach [16]
30.3.3 Sichtverbesserungssysteme auf Basis der assistierenden Lichtverteilung
nem Charakter wie Kurvenfahrt, Stadtfahrt oder Autobahnfahrt ausgelegt. Für konkrete Fahrtsituationen, die sich zeitlich schnell ändern, werden Scheinwerfersysteme benötigt, die in diesen Situationen stets optimale Beleuchtungsbedingungen ermöglichen. Für diesen Zweck müssen zwei Voraussetzungen geschaffen und erfüllt werden: Realisierung eines Netzwerks aus Sensoren, das – den Verkehrsraum mit ausreichender zeitlicher und räumlicher Auflösung erfasst, – die Objekte im Verkehrsraum schnell detektiert und klassifiziert, – die Winkelpositionen der Objekte in horizontaler und vertikaler Richtung und letztendlich die Abstände der Objekte zum eigenen Fahrzeug ermittelt. Dabei spielt die Objektklassifizierung eine große Rolle, um Straßenleuchten von Leitpfosten, Autoscheinwerfer von Verkehrsschildern oder Ampeln unterscheiden zu können. Die Signale der verschiedenen Sensoren werden fusioniert und je nach Verkehrssituation gewichtet, um in kurzer Zeit die wirklichen und substanziellen Gefahrenquellen zu erkennen. Realisierung neuartiger Scheinwerfersysteme, die von dynamisch ansteuerbar sind, um zeitlich und örtlich adaptierbare Lichtverteilungen verwirklichen zu können.
Alle in Abschnitt 30.3.2 dargestellten AFS-Funktionen sind Ergebnisse langjähriger Forschungs- und Entwicklungsarbeit und stellen gegenüber dem heutigen Abblendlicht große Fortschritte dar. Dennoch sind sie nur für Verkehrssituationen mit allgemei-
Sind diese zwei Voraussetzungen geschaffen, können mit Scheinwerfern Lichtverteilungen realisiert werden, die die Aufmerksamkeit der Autofahrer auf mittelbare und unmittelbare Gefahrenquellen (z. B. ein
Die Lichtquelle (Halogenglühlampe oder Xenonlampe) befindet sich im Fokuspunkt eines Ellipsoid-Spiegelreflektors, sodass das Lampenbild in den 2. Fokuspunkt des Reflektors abgebildet wird. In der Nähe dieses 2. Fokuspunkts befindet sich ein mithilfe eines hochauflösenden mechatronischen Aktors (z. B. Schrittmotorsystem) rotierbarer Freiform-Zylinder, auf dessen Mantel verschiedene Kurvenformen zur Realisierung der verschiedenen AFS-Lichtverteilungen realisiert sind. Je nach Verkehrssituation wird die entsprechende Kurvenform in den optischen Strahlengang eingedreht. Generell basiert die Steuerung der AFS-Systeme auf der Auswertung der Signale, die verschiedene Sensorsysteme (LIDAR, RADAR, Nachtsichtsysteme) vom Verkehrsraum kontinuierlich aufnehmen. Hinzu kommen weitere Signale wie Navigationsdaten, Lenkradsensorsignale usw. Nach der Signalauswertung werden Steuerbefehle für die AFS-Steuereinheit generiert, die wiederum die entsprechende Scheinwerfer-Lichtfunktion aktiviert. Die Struktur der AFS-Systeme wird im Bild 30-18 nach [16] dargestellt.
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30 Sichtverbesserungssysteme
Tier auf der Fahrbahn) lenken. Dies ist das Prinzip des Markierungslichts; je nach Abstand des eigenen Fahrzeugs zum vorausfahrenden und entgegenkommenden Verkehr die Hell-Dunkel-Kante variabel verändern. So kann stets maximale Sichtbarkeitsweite für den eigenen Fahrzeugführer und minimale Blendung für andere Verkehrsteilnehmer erreicht werden. Dieser Gedanke bildet die Grundlage des technischen Prinzips „Variable Leuchtweitenregelung“; im Prinzip das Fernlicht sind, in dessen Lichtkegel ortsgenau an denjenigen Stellen Lichtstärke ausgeschaltet oder weitgehend reduziert wird, sodass die dort fahrenden Fahrzeuge nicht geblendet werden. Auf diese Weise funktioniert das Prinzip des „Blendungsfreien Fernlichts“. Im Folgenden werden diese drei Prinzipien genauer erläutert. Markierungslicht Das Markierungslicht besteht aus einem Kamerasystem, das die optischen Informationen über das Objekt und die winkelabhängigen Positionen des Objekts erfasst und diese Informationen zum Steuerungssystem weiterleitet. Als Folge wird ein zusätzlicher Spotlicht-Scheinwerfer eingeschaltet und zum Objekt hin ausgerichtet. Die Aufmerksamkeit des Fahrzeugführers wird auf diese Weise zum Objekt gelenkt, um entsprechende Maßnahmen wie z. B. ein Ausweichmanöver schnell und sicher einleiten zu können (s. Bild 30-19). Variable Leuchtweitenregelung Das Ziel der Realisierung dieses technischen Prinzips ist die Erzielung der bei der konkreten Verkehrssituation maximal möglichen Sichtbarkeitsweite. Je nach Abstand des eigenen Fahrzeugs zum
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umgebenden Verkehr wird die Hell-Dunkel-Kante vertikal variiert, sodass keine Blendung verursacht werden kann. Dieses Prinzip wird im Bild 30-20 auf den Gegenverkehr nach [13] angewandt. Ist kein Gegenverkehr auf der Fahrbahn durch das Kamerasystem detektiert worden, wird das Fernlicht eingestellt, um die maximal mögliche Sichtbarkeitsweite zu erreichen. Sobald Gegenverkehr im Verkehrsraum erfasst wird, wird die Hell-Dunkel-Kante dementsprechend abgesenkt. Kommt der Gegenverkehr sehr nah an das eigene Fahrzeug, erreicht die HellDunkel-Kante den Zustand des Abblendlichts [16]. Das blendungsfreie Fernlicht Das Scheinwerfersystem befindet sich im Fernlichtmodus. Das Kamerasystem des eigenen Fahrzeugs erfasst in Echtzeit den Verkehrsraum und berechnet die Winkelpositionen als auch die Abstände aller dort befindlichen Autos. Ortsgenau wird dann die Lichtstärke reduziert oder vollständig ausgeschaltet. Der Vorteil gegenüber dem Prinzip der Variablen Hell-Dunkel-Kante ist, dass selbst im Fall des Vorhandenseins anderer Verkehrsteilnehmer im Verkehrsraum sehr häufig die absolut maximale Sichtbarkeitsweite erreicht werden kann. Das Prinzip wird im Bild 30-21 für den Fall des Gegenverkehrs veranschaulicht. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Sichtverbesserungssysteme heute und in Zukunft auf der Grundlage der Lichtquellenentwicklung, der mechatronischen Ausführung der Scheinwerfersysteme, der schnell und sicheren Informationsverarbeitung am Board sowie der intelligenten Nutzbarmachung und Fusion der verfügbaren Fahrzeug-Sensorsysteme basieren.
Bild 30-19 Das Prinzip des Markierungslichts [Quelle: Hella KGaA Hueck&Co], nach [17])
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Bild 30-20: Variation der Lichtverteilung auf der Fahrbahn für den Gegenverkehr durch das Prinzip der variablen Hell-Dunkel-Kante nach [13], [Quelle: Hella KGaA Hueck&Co.]
Bild 30-21: Das Prinzip des blendungsfreien Fernlichts für den Gegenverkehr nach [13], [Quelle: Hella KGaA Hueck&Co.]
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Die letztgenannten Systeme werden in Abschnitt 30.4. beschrieben.
30.4 Nachtsichtsysteme Nachtsichtsysteme sind kamerabasierte Sichtverbesserungssysteme, die bei Dunkelheit mehr Informationen erfassen können als das menschliche Auge. Sie sind bereits lange Zeit in militärischen Anwendungen im Einsatz und halten seit dem Jahr 2000 mit der Einführung des Cadillac DeVille als erstes Personenkraftfahrzeug mit Nachtsichtsystem weiter Einzug in die Automobilindustrie. Dieser Abschnitt gibt einen Überblick über verschiedene Sensoren, Anzeigen und Bildverarbeitungsmethoden für Nachtsichtsysteme. Die Sensorik von Nachtsichtsystemen erfasst eine bildhafte Information, die dem menschlichen Auge bei Dunkelheit verborgen bleibt und leitet sie an eine Bildverarbeitungseinheit weiter. Diese wertet das Bild in einfachen Systemen optisch durch Reduzierung des Rauschens, Anhebung des Kontrasts und Schärfung der Kanten auf. Komplexere Systeme erkennen Objekte im Bild und führen eine teilweise Situationsanalyse durch. Der Bildschirm transformiert das verarbeitete Signal in ein für den Nutzer sichtbares und interpretierbares Bild. Obwohl nur der Bildschirm die direkte Schnittstelle zum Nutzer darstellt, sind alle Komponenten für die Mensch-Maschine-Schnittstelle gleichermaßen wichtig, da die Sensorik die Art und die Bildverarbeitungseinheit die Komplexität der dargestellten Information bestimmt [18].
30.4.1 Sensorik für Nachtsichtsysteme im Kraftfahrzeug Aufgabe der Sensorik ist es, Informationen aus dem Vorfeld des Fahrzeugs zu erfassen, die der Fahrer bei der Ausleuchtung der Straße mit dem Abblendlicht nicht aufnehmen kann. Dabei muss die Sensorik den Regelungen der StraßenverkehrsZulassungsordnung (StVZO) entsprechen und darf insbesondere keine anderen Verkehrsteilnehmer blenden, kein rotes Licht nach vorne abstrahlen oder einen Verkehrsteilnehmer gefährden. Restlichtverstärker Restlichtverstärker dienen dem Militär zur Umfelderkundung bei Dunkelheit. Ein Photodetektor im Restlichtverstärker wandelt geringe Lichtintensitäten in einen Elektronenstrom um, der in einem
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Ladungsmultiplizierer um den Faktor F = 105 verstärkt wird und dem Nutzer auf einem Phosphorschirm ein grünliches Bild ausgibt [19]. Restlichtverstärker sind jedoch für den Einsatz als Nachtsichtsystem im Kraftfahrzeug nicht sinnvoll, da helle Lichtquellen wie Straßenlaternen und Scheinwerfer entgegenkommender Fahrzeuge das Bild überstrahlen und die Bildinformation zerstören. Nahinfrarotsysteme Nahinfrarotsysteme senden Infrarotstrahlung im Wellenlängenbereich zwischen 800 und 1100 nm aus. Dazu werden heute konventionelle Halogenlampen wie z. B. H7 eingesetzt. Strahlungsanteile unter 800 nm werden mit einem Interferenzfilter blockiert. Aufgrund der Nähe der Strahlung zum sichtbaren Licht, wird diese Strahlung auch als Nahe-Infrarotstrahlung (NIR) bezeichnet. NIRSysteme leuchten das Vorfeld des Fahrzeugs fernlichtartig aus, ohne andere Verkehrsteilnehmer zu blenden. Dazu nutzen heutige Systeme den hohen NIR-Strahlungsanteil in Halogenscheinwerfern und filtern den sichtbaren Teil der Strahlung mithilfe eines Interferenzfilters aus [20]. Zukünftige Systeme werden Infrarot-LEDs (IREDs) oder sogar Laser nutzen, die direkt im NIR-Bereich Strahlung aussenden, sodass kein Filter mehr notwendig ist. Die ausgesandte Infrarotstrahlung wird an den Objekten im Vorfeld des Fahrzeugs reflektiert und von einer infrarotempfindlichen Kamera aufgezeichnet. Das Bild ähnelt zwar stark einem SchwarzWeiß-Abbild des Fahrzeugvorfelds, jedoch gibt die Bildinformation nicht die Lumineszenz der Objekte wieder, sondern deren Reflektivität im nahen Infrarot. So können selbst dunkle Objekte im Bild hell erscheinen, wenn sie im nahen Infrarot stark reflektieren. Auf diese Weise entsteht ein sehr detailreiches Bild, das der menschlichen Wahrnehmung sehr ähnlich ist (Bild 30-22). Dadurch fallen die Orientierung im Bild und die Zuordnung der im Bild sichtbaren Objekte zur Realität relativ leicht [18]. Zur Aufzeichnung der zurückreflektierten Strahlung eignen sich CMOS- und CCD-Kameras, deren Empfindlichkeit sich über den sichtbaren Bereich bis in das nahe Infrarot erstreckt. Während CCD-Kameras sehr empfindlich sind und dadurch selbst aus schlecht ausgeleuchteten Bereichen Informationen erfassen können, haben sie nur eine relativ geringe Dynamik von etwa 60 dB. Dadurch versagen CCDKameras in Situationen mit hoher Dynamik, wenn beispielsweise die Scheinwerfer entgegenkommender Fahrzeuge eine hohe Lichtintensität erzeugen und Fußgänger sich in dunklen Bereichen der Szene befinden: entweder überstrahlen die Scheinwer-
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Bild 30-22 Ausgegebenes Bild eines Nahinfrarotsystems [18]
Bild 30-23 Überstrahlung einer CCD-Kamera durch einen Scheinwerfer [18]
fer das Bild (Bild 30-23) oder die Fußgänger sind kaum sichtbar. CMOS-Kameras hingegen können durch auf dem Sensor integrierte Schaltungen eine sehr hohe Dynamik annehmen, sind jedoch weniger empfindlich als CCD-Kameras [19]. Als Einbauort der Kameras dient vorzugsweise der Bereich des Spiegelfußes hinter der Frontscheibe: Hier ist die Kamera vor Regen, Schnee, Schmutz und Steinschlag geschützt, und das Sichtfeld der Kamera wird durch den Scheibenwischer gesäubert. Um eine ausreichende Signalstärke zu erhalten, sollte das Fahrzeug sowohl bei CCD- als auch bei CMOS-Kameras anstatt der üblichen wärmedämmenden Frontscheibe eine Klarglasscheibe
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ohne Wärmedämmung im Bereich der Kamera haben, um keine zusätzliche Dämpfung der NIRStrahlung zu erzeugen. Da NIR-Systeme aktiv Strahlung aussenden, werden sie häufig auch als aktive Nachtsichtsysteme bezeichnet. Nachteil der aktiven Strahlaussendung ist, dass sich entgegenkommende Fahrzeuge mit NIR-System gegenseitig blenden, da sich die Fahrzeuge direkt in den Erfassungsbereich der Kamera strahlen. Die Dynamik heutiger Kameras reicht noch nicht aus, um eine Überstrahlung des Bildes zu vermeiden. Abhilfe können hierbei die bereits genannten Laser- bzw. IRED-Beleuchtungen schaffen, indem die Systeme die NIR-Strah-
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lung nicht kontinuierlich, wie heute bei HalogenNIR-Scheinwerfern nur möglich, sondern gepulst aussenden. Eine geschickte Pulsung reduziert die Blendung durch entgegenkommende Fahrzeuge [21]. Voraussetzung ist jedoch, dass die Kamera zur Beleuchtung synchronisiert ist und nur dann ein Bild aufzeichnet, wenn die Beleuchtung gerade einen Puls aussendet. Für solche Anwendungen sind Kameras mit einem Global Shutter notwendig, die im Gegenschatz zu Rolling-Shutter-Kameras den Sensor nicht zeilenweise, sondern die ganze Sensorfläche belichten. In beiden Fällen ist bei NIR-Beleuchtung die Augensicherheit zu beachten, da NIR-Strahlung für das menschliche Auge zwar kaum sichtbar, aber dennoch schädigend sein kann. Während sich das Auge vor zu hohen Lichtintensitäten durch den Lidschlussreflex bei Blendung schützt, setzt dieser Mechanismus bei NIR-Strahlung aus, da die Rezeptoren im Auge für Infrarotstrahlung nicht empfindlich sind. Die Strahlungsenergie, die in das Auge gelangt, kann dennoch schädigende Wirkung haben. Aus diesem Grund werden die NIR-Beleuchtungen heutiger NIR-Systeme bei geringer Fahrzeuggeschwindigkeit abgeschaltet, um lange Blickzeiten und kurze Betrachtungsabstände zu vermeiden. NIR-Systeme ermöglichen eine Sichtweite von etwa 100 bis 120 m. Häufig werden höhere Reichweiten angegeben, wobei hier zwischen Erkennungsabstand und messbarer oder sichtbarer Ausleuchtung unterschieden werden muss. Ferninfrarot-Systeme Ferninfrarotsysteme nutzen die Plancksche Strahlung, die praktisch von jedem Objekt ausgeht. Wärmebildkameras zeichnen die Wärmeverteilung der Szene bildgebend auf und erfassen dabei
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die Plancksche Strahlung der Objekte zwischen 8 und 12 μm [22]. Da die Wärmestrahlung sich ferner von der sichtbaren Strahlung befindet, wird sie auch als Ferninfrarotstrahlung (FIR) bezeichnet. FIRSysteme benötigen keine zusätzliche Beleuchtung, da praktisch alle Objekte FIR-Strahlung aussenden und die Kamera diese nur empfangen muss. Diese Eigenschaft gibt ihnen auch den Namen passive Nachtsichtgeräte. Die Herstellung von Wärmebildkameras ist sehr aufwendig und entsprechend teuer. Sowohl für die Sensoren selbst als auch für die Optik kommen nur teure Materialien infrage. Gleichstromdetektoren nutzen als Sensormaterial Vanadiumoxid (VOx) oder amorphes Silizium (DSi). Wechselstromkameras nutzen Barium-Strontium-Titanat (BST) oder ferro-elektrische Dünnfilmschichten (TFFE). Die Optiken der Kameras bestehen aus Germanium oder Germanium-Gemischen, da Wärmestrahlung Kunststoffe und Glas nicht durchdringen kann [22]. Aus diesem Grund kann die Kamera nicht wie bei NIR-Systemen hinter der Frontscheibe verbaut werden. Die Kamera muss auf Einbauorte ausweichen, in denen sie vor Schmutz, Witterung oder Steinschlägen nicht geschützt ist. Das Schwarz-Weiß-Bild der Wärmebildkamera stellt warme Objekte hell dar, während kalte Objekte eher dunkel erscheinen. Auf diese Weise sind warme Objekte im Bild besonders gegenüber dem Hintergrund hervorgehoben, sodass Menschen und Tiere, aber auch Auspuffanlagen von anderen Fahrzeugen, Fahrzeugreifen, Motorhauben, aufgeheizte Steine und metallische Gegenstände besonders im Bild auffallen (Bild 30-24). Da die Darstellung jedoch nur von der Temperaturausstrahlung der Objekte abhängt, sind beispielsweise Beschriftungen auf Straßenschildern praktisch nicht ablesbar
Bild 30-24 Schwarz-Weiß-Bild einer Wärmebildkamera [18]
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
und Straßenmarkierungen nur unter guten Bedingungen sichtbar. Insgesamt wirkt das FIR-Bild verfremdet und schwer interpretierbar. Die Kamera bietet jedoch eine Sichtweite von etwa 300 m und übertrifft damit sowohl die Reichweite von NIR-Systemen als auch des Fernlichts.
30.4.2 Anzeigen für Nachtsichtsysteme im Kraftfahrzeug Die Gemeinsamkeit aller in Abschnitt 30.1 vorgestellten Sensoren ist ihre Eigenschaft, ein Bild des Fahrzeugvorfelds aufzuzeichnen. Deshalb liegt es nahe, dem Fahrer diese Bildinformation anzuzeigen. Hierfür bieten sich bereits heute im Fahrzeug vorhandene Anzeigen an. Mit Nachtsichtsystemen sind jedoch auch eine Menge anderer neuartiger Anzeigen verbunden. Da die Kameras nur zweidimensionale Bildinhalte liefern und der Erfassungsbereich der Kameras geringer ist als das Sehfeld des Menschen, kann der Fahrer nicht nach dem Nachtsichtbild allein fahren und muss seinen Blick zwischen Anzeige und realem Fahrzeugvorfeld wechseln. Untersuchungen haben ergeben, dass die Blickabwendungszeit von der Straße kaum mehr als 2 Sekunden beträgt [23]. Vor der Blickabwendung zeigt der Fahrer eine hohe Informationsaufnahme, wobei während der Blickabwendung die aufgenommene Information veraltet, bis der Drang des Fahrers, neue Information aufzunehmen so groß wird, dass er den Blick wieder zurück auf das Verkehrsgeschehen richtet. Die Blickabwendung auf einen Bildschirm setzt sich zusammen aus der Bewegung des Kopfes in Richtung der Anzeige, der Augenbewegung auf die Anzeige, der Adaption auf die Bildschirmhelligkeit, der Akkommodation auf die Entfernung des Bildschirms, der eigentlichen Informationsaufnahme, der Bewegung des Kopfes in die ursprüngliche Lage, die Bewegung der Augen auf das Verkehrsgeschehen, die Adaption und die Akkommodation auf das Fahrzeugvorfeld. Aufgabe der Anzeige ist es, eine geringe Blickabwendungszeit zu unterstützen. Infotainment-Anzeige Die meisten Oberklassefahrzeuge besitzen bereits heute eine Infotainment-Anzeige, die dem Fahrer verschiedene Informationen wie die Senderliste des Radios, Navigationsinhalte oder im Stillstand des Fahrzeugs sogar das Fernsehprogramm anzeigen. Diese Bildschirme sind in den meisten Fällen über der Mittelkonsole des Fahrzeugs auf der Höhe der Instrumententafel positioniert. Sie sind größtenteils
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bereits Video-fähig und damit im Stande, das Videobild der Nachtsichtsysteme anzuzeigen, haben eine ausreichende Größe und eine gute Bildqualität. Da die Anzeigen jedoch abseits der Blickrichtung des Fahrers liegen, sind diese weniger für die Darstellung des Nachtsichtbildes geeignet: Zusätzlich zur langen Blickabwendungszeit durch Kopf und Augenbewegung erschwert die Transformation der Bildinformation in die Sichtachse des Fahrers die Bildinterpretation. Kombiinstrument-Anzeige Einige Fahrzeuge haben bereits ausreichend große und Video-fähige Bildschirme im Kombiinstrument. Vorteil dieser Anzeige ist die Position in der Sichtachse des Fahrers, sodass die Blickabwendung zumindest um die Kopfbewegung verkürzt ist. Nachteilig kann sich jedoch die Verdeckung des Bildes durch das Lenkrad auswirken. Head-Up-Display Head-Up-Displays (HUDs) reflektieren das Bild eines in der Instrumententafel verbauten Bildschirms an der Frontscheibe in das Sichtfeld des Fahrers. Dadurch erscheint ein virtuelles Bild in etwa 2,5 m vor dem Fahrzeug [24]. Das Bild ist transparent und scheint über der Motorhaube des Fahrzeugs zu schweben. Vorteil dieser Anzeige ist die Verkürzung der Blickabwendung durch den Entfall der Bewegung des Kopfes, durch eine starke Reduzierung der Augenbewegung, der Adaption und der Akkommodation. Durch die Transparenz des Bildes und die Ausleuchtung der Straße mit dem Abblendlicht entsteht jedoch ein geringer Umgebungskontrast zwischen dem schwarz-weißen Nachtsichtbild und der hell ausgeleuchteten Straße, sodass die Bildinhalte schwieriger zu erkennen sind und die eigentliche Informationsaufnahme die Blickabwendungszeit wieder verlängert. Die Anzeige von Informationen über das HUD wird als besonders vorteilhaft angesehen, da die Information direkt in das Sichtfeld des Fahrers reflektiert wird und dieser sich nicht vom Verkehrsgeschehen abwenden muss. Diese Annahme ist für kurzzeitig dargestellte, quasi-statische oder einfach interpretierbare Informationen sicherlich gültig. Die Anzeige eines Nachtsichtbildes in einem HUD bedeutet jedoch eine vollflächige und dauerhafte Überlagerung von dem unteren Teil des Fahrersichtfelds mit komplexen, sich kontinuierlich ändernden Informationen. Dies stellt eine zusätzliche Belastung für den Fahrer dar, der er nur entkommen kann, indem er das Nachtsichtsystem abschaltet, während er Anzeigen außerhalb des direkten Sichtfelds ignorieren kann [18].
30 Sichtverbesserungssysteme
Kontaktanaloges Head-Up-Display Ein kontaktanaloges HUD erzeugt nicht nur ein virtuelles Bild in einer bestimmten Entfernung, sondern kann die Bildinhalte positionsrichtig der Umwelt überlagern. Dies entspricht einer Augmented-Reality-Darstellung. Zwar gibt es prototypische HUDs, die Symbole und Warnhinweise positionsrichtig der Straße überlagern können, es sind aber noch keine Systeme umgesetzt, die ein Videobild kontaktanalog darstellen können. Hierzu wäre zu jedem Bildpunkt eine Entfernungsinformation notwendig, was bei normalen Kameras nicht der Fall ist. Combiner Combiner sind Anzeigen, die aus einem aus der Instrumentenoberhaut über dem Kombiinstrument ausklappenden Spiegel und einem Bildschirm hinter dem Kombiinstrument bestehen. Der Spiegel reflektiert den Anzeigeinhalt des Bildschirms in das Sichtfeld des Fahrers und erzeugt ähnlich wie das HUD ein virtuelles Bild. Der Abstand des virtuellen Bildes beträgt jedoch lediglich 1 bis 1,1 m, sodass es die Adaption und Akkommodation nur unwesentlich reduziert. Das Bild ist nicht transparent und daher kontrastreicher als ein HUD-Bild. Doch auch hier kann die Anzeige einer bewegten Bildinformation im peripheren Sichtfeld des Fahrers stören. Die Größe von Combinern ist gesetzlichen Vorschriften unterworfen und darf nicht zu weit ins Fahrersichtfeld ragen. Frontscheibendisplay Frontscheibendisplays sind Anzeigen, die die gesamte Fläche der Frontscheibe als Anzeige nutzen. Dabei sind elektrolumineszente Stoffe in die Scheibe eingebettet, die bei Anregung, beispielsweise durch einen Laser, Licht aussenden. Damit ist es möglich, die gesamte Scheibenfläche zu nutzen und der Realität überlagerte Inhalte anzuzeigen. Für die Darstellung eines Nachtsichtbildes ist diese Anzeigeform nicht sinnvoll, da die Scheibe stark zum Fahrer geneigt ist und dieser dadurch nur einen schmalen Bereich des Bildes auf der Scheibe scharf sehen kann. Weiterhin erfordert ein derart überlagertes Bild ein System, das die Blickrichtung des Fahrers erkennt, um die Bildinformation der Blickrichtung des Fahrers nachführen kann. 30.4.3 Bildverarbeitung Die Nutzung des Nachtsichtsystems erfordert, dass der Fahrer zwei visuelle Quellen mit hohem Informationsgehalt auswertet: die Realität und das Nachtsichtbild. Dies führt zu einer deutlichen Mehrbelastung des Fahrers was sich in Testfahrten
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durch reduzierte Fahrtgeschwindigkeiten, Übersehen von Schildern und Verletzen der Abblendpflicht bei Anwesenheit von anderen Verkehrsteilnehmern niederschlägt [18]. Daher liegt die Forderung nahe, Gefahren aus dem Nachtsichtbild automatisch zu erkennen und den Fahrer nur im Falle einer erkannten Gefahr darauf hinzuweisen. Die Bildverarbeitungseinheit kann nicht pauschal alle Gefahren erkennen. Erkennen bedeutet in der Bildverarbeitung die Detektion eines Objekts aufgrund von bekannten Eigenschaften eines gesuchten Objekts. Im zweiten Schritt erfolgt die Klassifizierung des detektierten Objekts zu einer dem System bekannten Klasse. Sind dem System die Eigenschaften des gesuchten Objekts oder die Klasse nicht bekannt, kann es das Objekt weder detektieren noch erkennen, sodass dem System mitgeteilt werden muss, welche Objekte unter welchen Bedingungen, wie beispielsweise Größe, Aufenthaltsort, Bewegungsrichtung, Geschwindigkeit etc., eine Gefahr darstellen können. Die Detektion von Menschen und Tieren ist in FIR-Bildern deutlich einfacher als in NIR-Bildern, da Menschen und Tiere, bei Umgebungstemperaturen unter 30° C, sich deutlich vom Hintergrund abheben. Bei FIR-Bildern ist bereits die Helligkeit der Objekte eine wichtige Eigenschaft zur Detektion. Im NIR-Bild muss die Bildverarbeitung auf andere Eigenschaften wie die Größe und die Form der Objekte ausweichen. Diese Eigenschaften nutzen Erkennungsmethoden für FIR-Systeme natürlich zusätzlich und sind dadurch robuster. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, mithilfe einer Stereokamera oder durch die Auswertung des optischen Flusses im Bild Objekte zu detektieren, die sich im Fahrschlauch des Fahrzeugs befinden oder sich nicht dem optischen Fluss entsprechend bewegen. Um mit diesen Methoden weit entfernte Objekte detektieren und erkennen zu können, müssen die genutzten Kameras eine relativ hohe Auflösung haben, mit der jedoch auch die Rechenintensität zur Detektion der Objekte ansteigt. Sind bestimmte Objekte erkannt, kann das System sich automatisch in die Anzeige schalten, dem Fahrer einen optischen, akustischen oder haptischen Hinweis geben oder sogar das erkannte Objekt mithilfe eines Frontscheibendisplays in der Frontscheibe markieren oder mithilfe eines „Suchscheinwerfers“ anleuchten. 30.4.4 Vergleich der Systemansätze Fahrversuche mit potenziellen Nutzern von Nachtsichtsystemen haben gezeigt, dass zwar jeder Proband für sich einen Favoriten aus NIR- und
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
FIR-Systemen ermitteln kann, die Gesamtheit der Probanden jedoch weder NIR- noch FIR-Systeme bevorzugen. So bleibt es eine Philosophiefrage, welchen Sensoransatz Fahrzeughersteller in ihren Fahrzeugen anbieten wollen [18]. Fahrversuche zu verschiedenen Bildschirmen haben gezeigt, dass die Probanden Anzeigen außerhalb ihres direkten Sichtbereichs bevorzugen und ihnen die Erkennbarkeit der Bildinhalte wichtiger ist als die Reduzierung der Akkommodation durch eine große Entfernung des Bildschirms. Die Fahrversuche zeigten aber auch deutlich, dass die heute verfügbaren Nachtsichtsysteme kaum Potenzial haben, Unfälle bei Nacht zu vermeiden: die Mehrbelastung durch eine zusätzliche visuelle Quelle während der eigentlichen Fahraufgabe bietet dem Fahrer kaum eine Chance, die durch die Sensoren gewonnene Sichtverbesserung tatsächlich zu nutzen [18]. Erst die Erkennung von Objekten im Straßenraum, insbesondere von Fußgängern, Radfahrern und ggf. Wildtieren – verbunden mit einer automatischen Warnung des Fahrers – geben dem System das Potenzial, Unfälle zu vermeiden
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F 31 Einparkassistenz
Reiner Katzwinkel, Richard Auer, Stefan Brosig, Michael Rohlfs, Volkmar Schöning, Frank Schroven, Frank Schwitters, Ulrich Wuttke
Einparken ist für viele Fahrer eine langweilige oder gar anstrengende Aufgabe: Es ist zunächst erforderlich, eine für das Fahrzeug passende Parklücke zu finden, um unnötige Fehlversuche zu vermeiden. Anschließend muss das Fahrzeug – teils unter Beobachtung – in mitunter unbekannter Umgebung bei minimaler Beeinflussung des restlichen Verkehrs zügig positioniert werden. Einparkassistenzsysteme können dabei helfen, schneller einen passenden Parkplatz zu finden und das Fahrzeug sicher und stringent hineinzuführen [6].
31.1 Abstufungen der Einparkassistenz Zur Unterstützung des Fahrers beim Einparken sind viele verschiedene Ausprägungen möglich und teilweise bereits in Serienfahrzeugen verfügbar. Eine Schwierigkeit beim Einparken ist das Abschätzen der Fahrzeuggeometrie im Front- und Heckbereich. Aerodynamische Anforderungen sowie designbedingte Gestaltungen, insbesondere von Säulen und Fensterflächen, können die Übersichtlichkeit einschränken. Um dies zu kompensieren, bestanden erste Einparkhilfen aus Peilstäben, die bei Limousinen jeweils links und rechts an den hinteren Fahrzeugecken bei Einlegen des Rückwärtsgangs automatisch ausgefahren wurden. Alle nachfolgend entwickelten Assistenzsysteme zum Einparken beruhen auf Daten von Umfeldsensoren. Diese Systeme lassen sich in folgende Kategorien einteilen: Informierende Einparkassistenzsysteme: Hierzu gehören Systeme, die den Abstand zu Objekten in Längsrichtung mitteilen, sowie solche zur reinen Parklückenvermessung mit Ausgabe eines Kompatibilitätsgrades (siehe Abschnitt 31.3.1). Geführte Einparkassistenz: Hierbei werden die Umfeldinformationen bewertet und konkrete Handlungsempfehlungen gegeben. Dazu zählen Rückfahrkameras mit eingeblendeten Hilfslinien oder Einparkassistenten, die Lenkmanöver vorschlagen (Abschnitt 31.3.2). Semiautomatisches Einparken: Durch diese Systeme wird dem Fahrzeugführer eine Fahrzeugführungskomponente, üblicherweise die Querführung, abgenommen und er steuert lediglich
die Längsführung mittels Gas- und Bremspedal (Abschnitt 31.3.3). Vollautomatische Einparksysteme: Hierbei wird die gesamte Fahrzeugführung vom Assistenzsystem übernommen. Diese Systeme befinden sich zurzeit noch im Forschungsstadium.
31.2 Anforderungen an Einparkassistenzsysteme Abhängig von der Systemausprägung und dem Grad der Unterstützung entstehen unterschiedliche Anforderungen an Sensorik sowie Algorithmik der Einparkassistenten [3], [9]. In erster Linie muss das System benutzbar, d. h. alltagstauglich sein. Dies bedeutet, es muss eine verständliche Schnittstelle zum Benutzer bieten und zudem in realen Situationen (z. B. versetzt geparkte Fahrzeuge, Parken zwischen Mülltonnen) funktionieren. Bei Systemen, die Parklücken vermessen, sollte die maximale Vorbeifahrgeschwindigkeit nicht zu niedrig sein [2]. Hinsichtlich der Umfeldsensorik lassen sich allgemein folgende Anforderungen formulieren: hohe Robustheit gegenüber Umwelteinflüssen (Niederschlag, Verschmutzung) hohe Auflösung und Genauigkeit der Abstandsbzw. Parklückenvermessung (hohe Erkennungsrate von möglichen Parklücken) keine Ausgabe von Scheinlücken (z. B. Straßenkreuzungen oder Einfahrten) geringer Signalverzug geringe Gesamtkosten (z. B. durch Aufbau auf vorhandener Sensorik) geringer Bauraumbedarf Bei geführtem und semiautomatischem Einparken sind insbesondere folgende Aspekte zu berücksichtigen: Die vom Parksystem vorgeschlagene bzw. abgefahrene Trajektorie sollte der eines menschlichen Fahrers ähneln, um die Akzeptanz des Systems zu erhöhen. Die Einparktrajektorie muss kollisionsfrei sein. Der Fahrer ist bei manueller Längsführung vor Objekten zu warnen. adäquate Parkposition (Winkellage und Abstand bezüglich Bordstein, Abstand zu Objekten im direkten Umfeld)
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
kurze Einparkdauer einfache Bedienung, verständliche MenschMaschine-Schnittstelle
31.3 Technische Realisierungen Im Folgenden werden die in Abschnitt 31.1 genannten Abstufungen der Einparkassistenz mit ihren Varianten erläutert. Dabei wird insbesondere auf die Unterschiede und Besonderheiten der einzelnen Ausprägungen eingegangen.
31.3.1 Informierende Einparkassistenzsysteme Das am weitesten verbreitete Einparkassistenzsystem ist die ultraschallbasierte Einparkhilfe. Diese ermittelt mit jeweils bis zu sechs Ultraschallsensoren (siehe Kapitel 11) an Fahrzeugfront und -heck den Abstand zu umgebenden Objekten. Der Abstand wird hierbei meist akustisch durch einen Intervallton mitgeteilt. Dabei sinkt der zeitliche Abstand zwischen den Tönen mit kleiner werdendem Abstand. Die Frequenzen für die Tonausgabe können zur leichteren Unterscheidung vorn und hinten unterschiedlich gewählt werden. Darüber hinaus kann die akustische Ausgabe richtungsselektiv erfolgen, sodass der Fahrer sofort zuordnen kann, für welchen Bereich des Fahrzeugs die Abstandsinformation gültig ist. Die akustische Ausgabe der Abstandsinformation kann um eine optische Ausgabe erweitert werden. Dabei sind dezentrale Darstellungen (z. B. an den A-Säulen und im hinteren Bereich des Dachhimmels) oder zentrale Anzeigen
(z. B. im Display des Navigationsgeräts) möglich (Bild 31-1). Ultraschallsensoren sind für die beschriebene Funktion gut geeignet und sorgen für geringe Systemkosten. Ihre Empfindlichkeit gegenüber Wind spielt eine untergeordnete Rolle, da ihr Einsatz hierbei auf geringe Geschwindigkeiten begrenzt bleibt [5]. Alternativ werden in einigen Fahrzeugen anstelle der Ultraschallsensoren Short-Range-Radarsensoren (siehe Kapitel 12) eingesetzt. Diese bringen den Vorteil mit sich, dass sie völlig designneutral eingesetzt werden können. Sie lassen sich unsichtbar hinter Stoßfängerverkleidungen oder Leuchten einbauen [17]. Allerdings sind diese Sensoren wesentlich teurer als Ultraschallsensoren und werden daher meist in Verbindung mit weiteren Funktionen (z. B. ACC Stop & Go) verwendet. Die Ultra-Wide-BandRadarsensoren (UWB) verwenden dabei ein breites Frequenzband, das für eine hohe Entfernungsauflösung sorgt. Dieses Frequenzband ist jedoch inzwischen zulassungsbeschränkt (Zulassungsgrenze 30. Juni 2013) und mit einer Penetrationsrate von maximal 7 % pro europäisches Land versehen [17]. Ebenfalls zu den informierenden Einparkassistenzsystemen gehören solche, die Längsparklükken während der Vorbeifahrt vermessen und dem Fahrer die Eignung als Parkplatz anzeigen. Dabei sind binäre Ausgaben („Parklücke ausreichend groß“, „Parklücke zu klein“) oder auch Schwierigkeitsgrade des Parkiervorgangs (z. B. „leicht“, „normal“, „schwierig“) möglich. Ein wichtiger Akzeptanzfaktor bei solchen Systemen ist die Genauigkeit der Vermessung sowie die maximale Vorbeifahrgeschwindigkeit. Diese nimmt üblicherweise Werte zwischen 15 und 30 km/h an. Darüber hinaus soll-
Bild 31-1 Beispiel einer Einparkhilfe mit 2D-Sicht auf Fahrzeug und Hindernisse
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31 Einparkassistenz
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Bild 31-2: Bild einer Rückfahrkamera, verzerrt (links) und entzerrt (rechts)
ten Lücken, die keinen Parkraum darstellen (Einfahrten, Einmündungen), nicht bewertet werden.
31.3.2 Geführte Einparkassistenz Zwar geben auch die beschriebenen informierenden Systeme implizite Handlungsanweisungen („weiter zurücksetzen“ bzw. „vorwärts fahren“, „Einparkversuch sinnvoll“), allerdings beschränken sich diese auf die Grenzen des Einparkmanövers und lassen den zentralen Teil, die Einfahrt in die Parklücke, unberücksichtigt. Darüber hinausgehende Informationen geben Rückfahrkamerasysteme (siehe auch Kapitel 15), die neben dem Bild der Umgebung Hilfslinien einblenden. Hierfür ist es notwendig, einen möglichst breiten Bereich hinter dem Fahrzeug erfassen zu können. Dies erfordert Weitwinkelobjektive, die jedoch stark verzerrte Bilder liefern. Deshalb sollte eine nachgelagerte Bildverarbeitung die Bilder
entzerren und der menschlichen Wahrnehmung anpassen. Bild 31-2 zeigt ein Kamerarohbild sowie dessen entzerrte Variante. Mit Systemen, die Hilfslinien einblenden, kann sowohl das Parken in Längs- als auch Querparklücken erleichtert werden. Ohne Bildverarbeitung, die im Kamerabild Parklücken erkennt, ist es sinnvoll, den Fahrer wählen zu lassen, welche Art von Parklücken gerade vorliegt. Im Fall von Querparklücken können die verlängerte und leicht verbreiterte Fahrzeugkontur sowie ein prädizierter Fahrschlauch angezeigt werden (Bild 31-3). Für Längsparklücken können der Platzbedarf in Form von markierten Feldern sowie Hilfslinien, mit denen der Umlenkpunkt ermittelt werden kann, eingeblendet werden (Bild 31-4). Durch Betätigung des Blinkers zu einer Seite werden die Einblendungen auf der entsprechend anderen Seite deaktiviert. Beim Einfahren in die Parklücke ist der Umlenkpunkt erreicht, sobald sich die Hilfslinie an den Bordstein oder eine andere seitliche Parklückenbegrenzung anschmiegt.
Bild 31-3 Statische und dynamische Hilfslinien (Fahrschlauchprädiktion) zum Einparken in Querparklücken (ohne Overlay des Kamerabildes)
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Bild 31-4 Darstellung von Parkraumbedarf sowie Hilfslinien zur Bestimmung des Umlenkpunkts bei Parallelparklücken (ohne Overlay des Kamerabildes)
Der Einbauort der Rückfahrkamera muss derart gewählt werden, dass sie das Design des Fahrzeugs nicht beeinflusst. Bild 31-5 zeigt eine mögliche Realisierung. Dabei wird die Kamera neben der Griffmulde zum Öffnen der Heckklappe montiert. Dieser Einbauort hat den Vorteil, dass beim Anhängerbetrieb die Kamera den Kugelkopf der Kupplung im Bild hat und das System so zum Ankuppeln eines parkenden Anhängers verwendet werden kann. Die Hilfslinien werden beim Anhängerbetrieb aufgrund unbekannter Geometrie und Kinematik des Gespanns sowie bei geöffneter Heckklappe ausgeblendet. Rückfahrkamerasysteme bieten dem Nutzer einen intuitiven Zugang, haben jedoch bei Darstellung auf einem Display (z. B. dem des Navigationssystems) den Nachteil, dass für den Blick des Fahrers ein weiterer Fokus geschaffen
wird, da es weiterhin erforderlich ist, das Umfeld wie gewohnt zu beobachten (gleicher Sinneskanal). Darüber hinaus entsteht eine Kopplung von Sonderausstattungsmerkmalen, da die Rückfahrkamera ohne Anzeigemöglichkeit nicht eingesetzt werden kann. Einen noch höheren Grad der Assistenz erreicht man, wenn man dem Fahrer konkrete Handlungsabweisungen für die Fahrzeugführung gibt. Dazu sind folgende Schritte notwendig: Vermessung von Parklücken Trajektorienplanung fortlaufende Positionsbestimmung Fahrerhandlungen anzeigen Bei der Trajektorienplanung ist eine Trennung zwischen Längs- und Querführung sinnvoll, damit
Bild 31-5: Beispielhafter Einbauort einer Rückfahrkamera
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31 Einparkassistenz
dem Fahrer noch Ressourcen zur Umfeldüberwachung bleiben. Das bedeutet, dass sich die zu planende Trajektorie aus Geraden und Kreisbögen zusammensetzen sollte. Diese können durch Fahrt mit konstantem Lenkradwinkel und durch Lenken im Stand realisiert werden [9]. Dabei ist es insbesondere bei Systemen mit einmaliger Trajektorienplanung (ohne Aktualisierung während des Einparkvorgangs) wichtig, Fahrerreaktionszeiten zu berücksichtigen. Beispiele zur Trajektorienplanung finden sich bei [8], [10]. Für die Anzeige von adäquaten Fahrerhandlungen ist es notwendig, die Position des eigenen Fahrzeugs relativ zur Parklücke und auf der geplanten Bahn möglichst exakt bestimmen zu können. Dabei ist es grundsätzlich möglich, sich anhand von künstlichen oder natürlichen Referenzpunkten in der Umgebung (externe Methode) oder mittels fahrzeuginterner Größen (interne Methode) zu lokalisieren. Aufgrund der dynamischen und teils unstrukturierten Umgebung sind externe Methoden weniger geeignet [8]. Die so genannte Odometrie (auch: Hodometrie) stützt sich auf die Beobachtung der Räder. Dabei wird normalerweise die nichtangetriebene Achse herangezogen, da hier nur minimaler Antriebsschlupf auftritt. Für die Odometrie ist neben der Fahrzeugbewegungsrichtung der reale Reifenabrollumfang von fundamentaler Bedeutung, da mit ihm die pro Radumdrehung zurückgelegte Wegstrecke berechnet wird. Insbesondere Unterschiede an der zur Odometrie genutzten Achse sind von Nachteil. Folgende Aspekte können zu Schwankungen des Reifenabrollumfangs führen und müssen durch geeignete Maßnahmen kompensiert werden [14]: Fertigungstoleranz der Reifen Reifenabnutzung Unterschied zwischen Sommer-/Winterreifen Streubreite der freigegebenen Reifengrößen Nachgerüstete Reifen (andere Größen) Für eine bessere Qualität der Lokalisierung werden selten rein odometrische Verfahren verwendet. An weiteren internen Fahrzeuggrößen stehen beispielsweise der Lenkradwinkel und die Gierrate sowie gemessene Beschleunigungen zur Verfügung. Diese Größen können zusammen mit den Raddrehzahlen bzw. -impulsen mittels erweitertem Kalmanfilter fusioniert werden (siehe Kapitel 17). Durch die geringe Fahrgeschwindigkeit beim Parken kann das Fahrzeugverhalten näherungsweise durch ein Einspurmodell abgebildet werden [9]. Folgende Informationen sollten dem Fahrer bei einem geführten Einparksystem gemeldet werden [6]:
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Solllenkwinkel bzw. Lenkwinkeldifferenz Fahrtrichtung Stopp-Punkte Ende des Einparkvorgangs
Im Gegensatz zu Rückfahrkamerasystemen werden dadurch nur geringe Anforderungen an die darstellenden Einrichtungen gestellt. Die oben genannten Größen können auch auf einem monochromen Display angezeigt werden [6]. Gleichermaßen ist eine hochwertigere Anzeige in Anlehnung an Bild 31-1 möglich (siehe auch Kapitel 23). Zur Einstellung des Solllenkwinkels gibt es verschiedene Möglichkeiten der Anzeige. Werden dem Fahrer sowohl Ist- als auch Solllenkwinkel angezeigt, so muss er den Regelfehler selbst bilden und es ergibt sich die Aufgabe einer Folgeregelung. Wird lediglich die Abweichung angezeigt, handelt es sich um eine Kompensationsregelung [12]. Bei der Folgeregelung erzielen Fahrer üblicherweise bessere Ergebnisse [9].
31.3.3 Semiautomatisches Einparken Bei semiautomatischen Einparksystemen wird der Fahrer von einer Fahrzeugführungsrichtung, üblicherweise der Querregelung, entbunden. Anstatt dem Fahrer anzuzeigen, wie er eine Parklücke auf einer berechneten Bahn erreichen kann, wird das Fahrzeug bei manueller Längsregelung automatisch auf dieser geführt. Über die Möglichkeit zur Vermessung von Parklücken, Trajektorienplanung und Anzeige von Fahrerhandlungen ist es dann erforderlich, Einfluss auf die Lenkung nehmen zu können. Dies ist durch eine elektromechanische Servolenkung (siehe Kapitel 20) oder aber eine um einen Elektromotor erweiterte konventionelle Lenkung möglich, wobei letztgenannte Lösung zu erhöhten Systemkosten führt. Für solche Eingriffe in die Lenkanlage macht die ECE-Regelung 79 genaue Vorgaben [4, S. 20]: „Sie [Anm.: Fahrerassistenz-Lenkanlagen] müssen außerdem so konstruiert sein, dass der Fahrzeugführer die Funktion jederzeit durch einen bewussten Eingriff übersteuern kann. Sobald die automatische Lenkfunktion einsatzbereit ist, muss dies dem Fahrzeugführer angezeigt werden, und die Steuerung muss automatisch ausgeschaltet werden, wenn die Fahrzeuggeschwindigkeit den eingestellten Grenzwert von 10 km/h um mehr als 20 % überschreitet oder die auszuwertenden Signale nicht mehr empfangen werden. Bei Beendigung der Steuerung muss der Fahrzeugführer jedes Mal durch ein kurzes, aber charakteristisches optisches
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Signal und entweder ein akustisches oder ein fühlbares Signal an der Betätigungseinrichtung der Lenkanlage gewarnt werden.“ Im Vergleich zu Systemen zum geführten Einparken müssen keine Hinweise bezüglich des Solllenkwinkels gegeben werden. Hinzu kommen jedoch Statusmeldungen über Lenkeingriffe. Insgesamt ergeben sich damit keine stark abweichenden Anforderungen an eine Mensch-Maschine-Schnittstelle. Bild 31-6 zeigt eine Möglichkeit der Gestaltung, die der ECE-Regelung entspricht. Die automatische Querregelung des Fahrzeugs erlaubt es dem Fahrer, sich auf die Überwachung des Umfelds zu konzentrieren, da die Bedienung von Gas- und Bremspedal keiner besonderen Beobachtung bedarf. Durch die automatische Querführung ergeben sich weitere Freiheiten bezüglich der geplanten Einparktrajektorie, da diese nicht länger auf Geraden und Kreisbögen beschränkt bleiben muss (vgl. Abschnitt 31.3.2). Die meisten semiautomatischen Einparksysteme basieren auf Daten von Kamera- oder Ultraschallsensoren. Optische Systeme zeigen dabei wechselnde Leistungsfähigkeit, die vor allem von der Beleuchtungs- und Witterungssituation abhängt. Im Vergleich zu ultraschallbasierten Systemen ist mit einer höheren Empfindlichkeit gegenüber Verschmutzung und stark eingeschränkter Verfügbarkeit bei Dunkelheit zu rechnen [1], [5], wenn von Systemen mit Zusatzbeleuchtung (z. B. Infrarot) abgesehen wird. Parkraumerkennungen aufgrund von Markierungen bei Schnee sind nur bedingt möglich [15]. Semiautomatische Einparksysteme erfordern intensive Kommunikation vieler beteiligter Komponenten. Diese wird normalerweise über einen CANBus realisiert. Die relevanten Bauteile sind beispielhaft für die in [14] beschriebene Realisierung:
Steuergerät des Einparksystems (Implementierung der Funktion) Taster zum Aktivieren des Systems Drehzahlsensoren für alle Räder (Positionsbestimmung) Lenkwinkelsensor (Positionsbestimmung) Längs- und Querbeschleunigungssensoren (Positionsbestimmung) Ultraschallsensoren, seitlich (Parklückenvermessung) Ultraschallsensoren vorne/hinten (Abstandsmessung zu Objekten) Blinklichtschalter (Auswahl der Parklückenseite) Steuergerät für Anhängererkennung Warnsummer der Einparkhilfe Elektromechanische Lenkung (Querregelung) Steuergerät der Bremse (Geschwindigkeitsinformation) Die ersten semiautomatischen Einparksysteme befinden sich bereits im Serieneinsatz [11], [14]. Diese erfordern zurzeit noch, dass Längsparklücken einzügig erreicht werden können. Dadurch ergibt sich eine recht große Mindestparklückengröße, vereinfacht wird jedoch die Bedienung des Systems. Als Zwischenschritt zum mehrzügigen Einparken ist es denkbar, das Fahrzeug mit dem ersten Zug günstig zu positionieren, d. h. schräg in die Lücke zu stellen, und dem Fahrer so eine optimale Ausgangsposition zu verschaffen [5].
31.4 Ausblick Bereits im Jahr 1990 wurde ein automatisch einparkendes Fahrzeug präsentiert [16], und die Infra-
Bild 31-6: Beispiel einer Mensch-Maschine-Schnittstelle für ein semiautomatisches Einparksystem, Bedeutung (von links): keine Parklücke, Parklücke erkannt, Rückwärtsgang einlegen, Fahrzeug lenkt selbstständig
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31 Einparkassistenz
struktur in heutigen Fahrzeugen (elektronisch beeinflussbarer Motor, Bremse und Lenkung) ermöglicht eine umfangreiche Ansteuerung. Trotzdem gibt es bis heute keine vollautomatischen Einparkassistenzsysteme im Serieneinsatz sondern lediglich als Forschungsprojekte [13]. Abgesehen von einer Kopplung an ein Automatikgetriebe erschweren Bedenken bezüglich der Produkthaftung einen Serieneinsatz vollautomatischer Einparksysteme, da der Fahrer völlig von der Fahrzeugführung entbunden ist und das Fahrzeug allein auf alle auch unvorhergesehenen Situationen adäquat und vor allem sicher reagieren muss. So wäre beim Rückwärtseinparken in Längsparklücken eine Beobachtung des Gegenverkehrs notwendig, da das Fahrzeug beim Einparken ausschwenkt. Heutige Sensorik ist der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit in solchen Situationen jedoch deutlich unterlegen [5]. Denkbar sind Systeme, bei denen der Fahrer den Einparkvorgang aktiv überwachen muss. Dies könnte mit einer Sicherheitsschaltung realisiert werden, die es erfordert, dass der Fahrer den Einparkvorgang mit einem Knopfdruck (z. B. an der Fernbedienung der Zentralverriegelung oder im Fahrzeug) aktiviert und den Knopf gedrückt halten muss, da der Vorgang andernfalls abgebrochen wird und das Fahrzeug stehen bleibt (Totmannschaltung). Neben vollautomatischen Systemen bieten auch die bereits verfügbaren Semiautomaten vielversprechendes Potenzial. Um den Nutzen der Systeme zu erhöhen, werden zukünftige Weiterentwicklungen mehrzügiges Einparken in Längs- und Querlücken sowie das assistierte Ausparken beherrschen. Als einen ersten Eingriff in die Längsführung sind automatische Abbremsungen vor Hindernissen beim Einparken denkbar [7]. Quellenverzeichnis [1] Bloch, A.: Parkautomat. In: Auto, Motor und Sport, 10: S. 50–52, 2006 [2] Blumenstock, K. U.: Platz da? Vergleich von fünf Einpark-Assistenten. In: Auto, Motor und Sport, 13, 2007 [3] Brandenburger, S.: Semiautomatische Parkassistenten – Einparken in allen Lebenslagen. In: Tagungsband zum 8. Braunschweiger Symposium Automatisierungs-, Assistenz- und eingebettete Systeme für Transportmittel, S. 154–159, GZVB: Braunschweig, 2007 [4] ECE-Regelung 79 Rev. 2, 20. Januar 2006. Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Fahrzeuge hinsichtlich der Lenkanlage [5] Pruckner, A.; Gensler, F.; Meitinger, K.-H.; Gräf, H.; Spannheimer, H.; Gresser, K.: Der Parkassistent. In: Fortschritt-Berichte VDI Reihe 12, 525, VDI Verlag: Düsseldorf, 2003
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[6] Keßler, M.; Mangin, B.: Nutzerorientierte Auslegung von teilautomatisierten Einparkassistenzsystemen. In: Tagungsband zur 4. VDI-Tagung Fahrer im 21. Jahrhundert, Braunschweig, 2007 [7] Knoll, P.: Prädiktive Fahrerassistenz – Vom Komfortsystem zur aktiven Unfallvermeidung. In: Automobiltechnische Zeitung, 107: S. 230–237, 2005 [8] Kochem, M.: Parkassistent. In: Isermann, R. (Hrsg.): Fahrdynamik-Regelung – Modellbildung, Fahrerassistenzsysteme, Mechatronik, Vieweg & Sohn: Wiesbaden, 2006 [9] Lee, W.; Uhler, W.; Bertram, T.: Analyse des Parkverhaltens und Auslegung eines semiautonomen Parkassistenzsystems. In: Tagungsband zur 21. Internationale VDI/VW-Gemeinschaftstagung Integrierte Sicherheit und Fahrerassistenzsysteme, Wolfsburg, 2004 [10] Müller, B.; Deutscher, J.; Grodde, S.; Giesen, S.; Roppenecker, G.: Universelle Bahnplanung für das automatische Einparken. In: Automobiltechnische Zeitung, 109: S. 66–71, 2001 [11] Nunn, P.: Toyota Prius mit Einpark-Automatik. In: Auto, Motor und Sport, 21, 2003 [12] Sander, M. S.; McCormick, E.: Human Factors in Engineering and Design, 6. Auflage, McGraw-Hill: New York, 1987 [13] Schanz, A.: Fahrerassistenz zum automatischen Einparken, Fortschritt-Berichte VDI Reihe 12, 607, VDI-Verlag: Düsseldorf, 2005 [14] Schöning, V.; Katzwinkel, R.; Wuttke, U.; Schwitters, F.; Rohlfs, M.; Schuler, T.: Der Parklenkassistent „Park Assist“ von Volkswagen. In: Tagungsband zur 22. Internationalen VDI/VW-Gemeinschaftstagung Integrierte Sicherheit und Fahrerassistenzsysteme, Wolfsburg, 2006 [15] Schulze, K.; Sachse, M.; Wehner, U.: Automatisierte Parkraumerkennung mit einer Rückfahrkamera. In: Tagungsband zur Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, 2007 [16] Walzer, P.; Grove, H.-W.: IRVW Futura – The Volkswagen Research Car. SAE Technical Paper Series, 901751, 1990 [17] Weber, R.; Kost, N.: 24-GHz-Radarsensoren für Fahrerassistenzsysteme. In: Automobiltechnische Zeitung elektronik, 2: S. 16–22, 2006
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F 32 Adaptive Cruise Control 32.1 Einleitung Mit Adaptive Cruise Control, abgekürzt ACC, wird eine Fahrgeschwindigkeitsregelung bezeichnet, die sich an die Verkehrssituation anpasst. Synonyme Bezeichnungen sind Aktive Geschwindigkeitsregelung, Automatische Distanzregelung oder Abstandsregeltempomat. Im englischen Sprachraum finden sich die weiteren Bezeichnungen Active Cruise Control, Automatic Cruise Control oder Autonomous Intelligent Cruise Control. Als markengeschützte Bezeichnungen sind Distronic und Automatische Distanz-Regelung (ADR) eingetragen. Als internationale Referenz stehen die Normen ISO 15622 (Transport information and control systems – Adaptive Cruise Control systems – Performance requirements and test procedures) [1] und ISO 22179 (Intelligent transport systems – Full speed range adaptive cruise control (FSRA) systems – Performance requirements and test procedures) [2] zur Verfügung, wobei die erste die zuerst eingeführte, oft als Standard-ACC bezeichnete Funktionalität definiert, während die zweite eine Erweiterung der Funktionalität für den niedrigen Geschwindigkeitsbereich beschreibt, die als FullSpeed-Range-ACC bezeichnet wird.
Hermann Winner, Bernd Danner, Joachim Steinle
In ISO 15622 [1] wird die ACC-Funktion wie folgt beschrieben: “An enhancement to conventional cruise control systems, which allows the subject vehicle to follow a forward vehicle at an appropriate distance by controlling the engine and/or power train and potentially the brake.” ACC leitet sich von der schon lange bekannten und in Nordamerika und Japan sehr weit verbreiteten Fahrgeschwindigkeitsregelung ab, die im englischen Sprachraum als Cruise Control (abgekürzt CC) oder im deutschen Sprachraum verbreitet als Tempomat bezeichnet wird. Deren Funktionalität des Regelns auf eine vom Fahrer gesetzte Wunschgeschwindigkeit vSet ist als Teilfunktion der ACC enthalten (Bild 32-1 oben). Die Haupterweiterung bezieht sich auf die Anpassung der Fahrgeschwindigkeit auf die Geschwindigkeit des unmittelbar vorausfahrenden Fahrzeugs, hier im Weiteren mit v to (to: target object, von ACC als Zielobjekt für die Regelung ermitteltes Objekt) bezeichnet (Bild 32-1 Mitte). Obwohl in der Norm ISO 15622 noch offen gelassen ist, ob die Bremse zur Regelung eingesetzt wird, hat sich mittlerweile der Einsatz der Bremse zur Erhöhung der Verzögerungsfähigkeit als faktischer
Bild 32-1: Situationsangepasster Wechsel von Freifahrt zu Folgefahrt und zurück [Quelle: BOSCH]
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32 Adaptive Cruise Control
Standard etabliert. Der angemessene Folgeabstand, der in dieser Norm erwähnt ist, wird im Weiteren über die Zeitlücke W, die oft umgangssprachlich Sekundenabstand genannt wird, definiert: Time gap W: “Time interval for travelling a distance, which is the clearance d between consecutive vehicles. Time gap is related to vehicle speed v and clearance d by: W = d/v.” Die Verwendung des zeitlichen anstelle des räumlichen Bezugs folgt der Grundüberlegung, dass für ein Folgen der sich aus der Reaktionsdauer ergebende Relativweg ausreicht, um eine Kollision mit dem vorausfahrenden Fahrzeug zu vermeiden, wobei eine zum vorausfahrenden Fahrzeug mindestens gleichwertige Verzögerungsfähigkeit vorausgesetzt wird. Somit lässt sich bei Vorhandensein eines vorausfahrenden, langsamer als mit der eigenen Wunschgeschwindigkeit fahrenden Fahrzeugs die Regelaufgabe von ACC auf die Anpassung der eigenen Geschwindigkeit an die des vorausfahrenden ergänzt um die Einhaltung eines Abstands, der eine konstante Reaktionszeit gewährleistet, definieren. Sobald das Zielobjekt den unmittelbaren Fahrkorridor verlässt und kein anderes als Zielobjekt bestimmt wird, nimmt ACC ohne weitere Aktion des Fahrers die Regelung der Sollgeschwindigkeit wieder auf (Bild 32-1 unten).
32.2 Rückblick auf die Entwicklung von ACC Eine prototypische Darstellung dieser Funktion wurde erstmals 1981 in [3] dokumentiert. Sie war Folge eines in den siebziger Jahren durchgeführten Forschungsprojekts, bei dem mehrere Firmen sowohl in Zusammenarbeit als auch im Wettbewerb Radar-Sensoren im damals technisch gerade möglichen Frequenzbereich von 35 GHz entwickelten. Doch waren weder die technische Leistungsfähigkeit noch die Baugröße oder die Herstellkosten geeignet für eine Serienanwendung. Nach einer bis zum Ende der achtziger Jahre reichenden Pause wurde durch das von 1986 bis 1994 laufende europäische Projekt PROMETHEUS (= PROgramMe for a European Traffic with Highest Efficiency and Unprecedented Safety) die Entwicklung sowohl der Systemfunktionalität als auch der Sensorik stark stimuliert. Diesem Programm entstammt auch die Bezeichnung AICC (Autonomous Intelligent Cruise Control), welche auch Titel eines so genannten Common European Demonstrator Projekts war (CED5).
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Zwei weitere Entwicklungen waren für die Markteinführung von ACC sehr förderlich: der durch die Emissionsgesetzgebung mit der Stufe EURO III notwendig gewordene E-Gas-Einbau und die Markteinführung von ESP, die ihrerseits durch den missglückten Elch-Test der MercedesBenz A-Klasse stark forciert wurde. Mit ESP stand insbesondere der Gierratensensor für die Kurvenerkennung zur Verfügung (s. Abschnitt 32.7.1), und durch den aktiven Bremsdruckaufbau konnte zusammen mit E-Gas oder dem Pendant der Dieselmotoren, der elektronischen Dieselregelung, die Geschwindigkeitsregelung fast ohne Mehrkosten realisiert werden. Trotz dieses Anschubs durch PROMETHEUS oder die vorgenannten Faktoren wurden die ersten Systeme außerhalb Europas eingeführt. Schon 1995 präsentierte Mitsubishi ACC im Modell Diamante [4] und etwa ein Jahr später folgte Toyota. Beiden gemeinsam war der Verzicht auf einen Bremseingriff und die Verwendung von Laserscanner-basierten Lidar-Sensoren. Während das bei Mitsubishi eingesetzte System noch eher Vormusterstatus hatte, war das mit einem Denso-Lidar [5] ausgestattete Toyota-System ein echtes Seriensystem, das auch in größeren Stückzahlen verkauft wurde. In Europa musste man noch bis 1999 warten, bis auch hier ACC zu kaufen war. Diese Systeme waren deutlich aufwendiger, um den europäischen Kunden befriedigen zu können. Dazu gehörte zwingend ein Bremseingriff, um den größeren Geschwindigkeitsunterschieden auf den deutschen Autobahnen Rechnung zu tragen, eine höhere Maximalsetzgeschwindigkeit vSet,max und ein auch bei ungünstiger Witterung noch hoch verfügbarer mm-WellenRadar-Sensor. Auf die Mercedes-Benz S-Klasse mit einem A.D.C.-Radar folgten Jaguar mit dem XKR (Radarsensor von DELPHI) und ein Jahr später BMW mit einer BOSCH-Sensor&Control-Unit im 7er-Modell. Radar-Sensor-basierte ACC-Systeme dominieren seitdem den europäischen Markt, während in Japan zumeist Lidar-Sensoren eingesetzt werden. Große Stückzahlen liefert Omron an Nissan, während sich Lidar-Pionier Toyota dem mmWellen-Radar zugewendet hat. Weitere Details zur Geschichte der ACC-Entwicklung bis 2003 finden sich im Tagungsbeitrag [6]. Der Wettbewerb zwischen dem kostengünstigeren Lidar und dem witterungsrobusteren Radar wird seit fast zwanzig Jahren geführt, ohne dass ein Sieger zu prognostizieren ist. Wie die aktuellen Vertreter im Markt zeigen, sind für ACC beide Prinzipien grundsätzlich geeignet, auch wenn Unterschiede in Teilbereichen deutlich werden.
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Bild 32-2: Übersicht der in den Markt eingeführten Fahrzeugmodelle mit ACC [Quelle: VDA Arbeitskreis ACC AK3.11]
Der Markterfolg von ACC ist im Allgemeinen hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Neben dem immer noch geringen Angebot und den möglichen Kostenhindernissen wurden die geringe Fähigkeit oder eventuell sogar geringe Neigung des Endkundenvertriebs, ACC dem Kunden zu vermitteln, identifiziert. Aber auch der Wunsch nach einer Funktion im Stau wurde immer genannt. Auf diesen haben Mercedes-Benz 2005 (S-Klasse, Distronic Plus), Audi 2006 (Q7, ACC Plus), BMW 2007 (5er, ACC mit Stop&Go) und Volkswagen 2008 (Passat, Follow-to-stop) reagiert und bieten seitdem eine Full-Speed-Range-ACC-Funktionalität an. Eine umfangreiche, trotzdem keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebende Zusammenstellung der in den Markt eingeführten Modelle mit ACC, unterschieden nach Sensortechnik und Funktionalität, findet sich im Bild 32-2.
32.3 Anforderungen 32.3.1 Funktionsanforderungen für Standard-ACC nach ISO 15622 Aus der in Abschnitt 32.1 beschriebenen Funktionsdefinition ergeben sich folgende funktionale Anforderungen:
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Bei Freifahrt: – Konstantgeschwindigkeitsregelung mit hohem Regelkomfort, d. h. mit geringem Längsruck und ohne Schwingungen bei gleichzeitig hoher Regelgüte (ohne erkennbare Abweichungen von der Setzgeschwindigkeit) – Geschwindigkeitsregelung mit Bremseingriff bei heruntergesetzter Wunschgeschwindigkeit und bei Gefällefahrt Bei Folgefahrt: – Folgeregelung mit schwingungsdämpfender Übernahme der Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeugs, damit dessen Geschwindigkeitsunruhe nicht mit kopiert wird – Zeitlücke auf die gesetzte Sollzeitlücke WSet einhalten – Regelung mit der vom Fahrer erwarteten Dynamik – Ruhiges, an dem Standardverhalten von Fahrern orientiertes „Zurückfallen“ bei durch Einscheren verursachter großer Abstandsverkürzung – Kolonnenstabilität der Regelung für den Fall des Folgens anderer ACC-Fahrzeuge – Hinreichende Beschleunigungsfähigkeit für ein zügiges Mitschwimmen und Aufschließen – Verzögerungsfähigkeit für den Großteil der Folgefahrten (ca. 90 %) in fließendem Verkehr
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– Automatische Zielobjekterkennung bei Annäherung oder Ein- und Ausscheren vorausfahrender Fahrzeuge innerhalb eines definierten Abstandsbereichs, d. h. auch Festlegen eines Zielsuchkorridors Bei Annäherung: – Bei langsamer Annäherung zügig zum Sollabstand regeln – Bei schneller Annäherung vorhersehbarer Verzögerungsverlauf, der eine Einschätzung durch den Fahrer erleichtert, ob wegen unzureichender ACC-Verzögerung selbst eingegriffen werden muss – Bei „Eintauchen“, also bei Unterschreiten des Sollabstands, ein an dem Standardverhalten von Fahrern orientiertes „Zurückfallen“ Funktionsgrenzen: – Keine Regelung bei sehr niedrigen Geschwindigkeiten, d. h. geeignete Übergabe an den Fahrer unterhalb einer Mindestgeschwindigkeit (ISO 15622: unterhalb von vlow d 5 m/s keine positive Beschleunigung) – Minimale Sollgeschwindigkeit vset,min oberhalb 7 m/s (Ö 30 km/h Tachogeschwindigkeit) – Die Zeitlücke darf im eingeschwungenen Zustand Wmin = 1 s nicht unterschreiten. – Priorität des Fahrereingriffs, d. h. Deaktivierung bei Bremspedalbetätigung und Übersteuern bei Betätigung des Fahrpedals – Vorgabe der Setzgeschwindigkeit vset und Setzzeitlücke Wset durch den Fahrer
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– Geeignete Übergabe bei Systemausfall, insbesondere wenn dieser während eines Verzögerungsvorgangs geschieht. – Beschleunigung innerhalb der Grenzen von amin = –3,5 m/s2 (ursprünglich 3,0 m/s2, der größere Wert wird in einer überarbeiteten Version der ISO15622 erscheinen) bis amax = 2,5 m/s2.
32.3.2 Zusätzliche Funktionsanforderungen für FSR-ACC nach ISO 22179 Ergänzend zu den Anforderungen für die StandardACC-Funktion ergeben sich für FullSpeed RangeACC folgende weitere Anforderungen: Bei Folgefahrt: – Regelung im gesamten Geschwindigkeitsbereich bis 0 km/h, insbesondere im Kriechbereich (erhöhte Anforderungen an Koordination Antrieb/Bremse) Beim Anhalten: – Einregeln eines sinnvollen Anhalteabstands (typ.: 2–5 m) – Eine höhere Verzögerungsfähigkeit bei kleinen Geschwindigkeiten (vgl. Bild 32-3) – Sicheres Halten im Stand mit geeigneter Betriebsbremse bei aktivem System – Bei Systemabschaltung ohne Fahrereingriff im Stillstand ist ein Übergang in einen sicheren Haltezustand ohne Hilfsenergie notwendig
Bild 32-3: Funktionsgrenzen FSR-ACC nach ISO22179
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Funktionsgrenzen – Oberhalb von vhigh,min = 20 m/s ist eine Beschleunigung innerhalb der Grenzen von amin (vhigh) = – D max (vhigh) = –3,5 m/s2 bis amax(vhigh) = 2,0 m/s2 zulässig, – unterhalb vlow,max = 5 m/s Beschleunigung innerhalb der Grenzen von amin (vlow) = – Dmax(vlow) = –5,0 m/s2 bis amax(vlow) = 4,0 m/s2. – Zwischen vlow,max (5 m/s) und vhigh,min (20 m/s) darf die Beschleunigung innerhalb der geschwindigkeitsabhängigen Grenzen von amin (v) = – D max(v) = –5,5 m/s2 + (v/10 s) bis amax(v) = 4,67 m/s2 – (2v/15 s) variieren. – Die Aufbaurate der Verzögerung J darf bis 5 m/s die Ruckgrenze von Jmax (vlow) = 5 m/s3 und ab 20 m/s von Jmax (vhigh) = 2,5 m/s3 nicht überschreiten. Dazwischen ist die Grenze geschwindigkeitsabhängig: Jmax(v) = 5,83 m/s3 – (1v/6 s).
32.4 Systemstruktur Die Vielzahl der Aufgaben einer ACC lassen sich mit der im Bild 32-4 dargestellten Struktur Modulen zuordnen. Die Module selbst können ihrerseits noch unterteilt und verschiedenen Hardware-Einheiten zugeordnet werden, s. a. später beschriebene Beispiele. Auch die Informationsschnittstellen zwischen den Modulen können erheblich variieren.
Bild 32-4: Funktionsmodule des ACC-Systems
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Dies betrifft sowohl den physikalischen Inhalt als auch die Datenrate und Bitrepräsentation. Die vier Schichten und ihre Module werden in den folgenden Abschnitten 32.5 bis 32.10 beschrieben, sofern sie als Komponente nicht auch schon in anderen Kapiteln dieses Handbuchs ausführlich abgehandelt sind. In diesen Fällen werden die ACC-spezifischen Anforderungen an diese Komponente aufgeführt.
32.4.1 Beispiel Mercedes-Benz Distronic Während die erste Generation der Distronic für den Fernbereichsradarsensor und für die Verarbeitung der Sensorsignale, der Berechnung der Geschwindigkeits- und Abstandsregelung sowie der Berechnung der Ansteuersignale für die Ansteuerung der Stellglieder wie im Bild 32-5 dargestellt noch separate Baueinheiten verwendete, so sind beide Funktionseinheiten nun in einem Gehäuse integriert und bilden eine von einem anderen Hersteller so genannte Sensor&Control Unit (SCU). Eine besonders wichtige Rolle in der Struktur dieses Systembeispiels kommt dem ESP-Steuergerät zu. Es liefert nicht nur, wie bei den meisten bekannten Systemen, die Fahrdynamik-Messgrößen für die Kursprädiktion (s. Abschnitte 32.7.1 und 32.7.2), sondern übernimmt neben der ebenfalls oft beim ESP angesiedelten Aufgabe der Bremsregelung auch die Überwachung des ACC-Systems und fungiert als
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Bild 32-5: Funktionsmodule des Distronic-Steuergeräts
Kommunikations- und Koordinationszentrale für die Antriebssteuerung.
32.4.2 Beispiel BMW FSR-ACC-System In den ersten Implementierungen von ACC in Fahrzeugen der Marke BMW (vgl. [7]) wurde von dem von Beginn an als SCU ausgeführten Sensor- und Reglersteuergerät die Motorsteuerung direkt per CAN-Signale angesprochen, während das ESP eine Verzögerungsanforderung für die Bremsregelung von der ACC-SCU erhielt. In der später verwendeten und im Bild 32-6 gezeigten Struktur, s. a. [8], kommt als wesentliches Element eine zusätzliche Hierarchieebene hinzu: das Längsdynamikmanagement (LDM), das wie im Bild in einem eigenen Steuergerät oder auch in einem anderen, aus Bordnetzsicht geeigneten Steuergerät untergebracht werden kann. LDM entkoppelt die Sensorebene von der Stellerebene und übernimmt alle zentralen Aufgaben des FSRA, von der Sensordatenfusion über Zustandsmanagement und Reglerfunktionen bis zur Ausgabe der Antriebs- und Bremssollwerte. Dies hat folgende Vorteile: Einfache Realisierung eines Sensor-CAN bei hohem Sensordatenaufkommen und damit Reduktion der Buslast auf dem Power-TrainCAN.
Bei Fehler im Sensor-CAN (z. B. durch Wassereintritt) werden Fahrzeugbasisfunktionen nicht beeinflusst. Die Funktionsentwicklung kann weitgehend unabhängig von Entwicklungsschleifen der Partner-Steuergeräte erfolgen. Die Verwendung von Sensoren unterschiedlicher Lieferanten wird möglich bzw. die Anpassung an oder Erweiterung durch neue Sensorik wird vereinfacht, da lediglich die Verarbeitung der Sensorrohdaten im Sensor selbst durchgeführt wird, vgl. [9].
32.4.3 Funktionsabstufungen Mit ACC wurde erstmals ein die Fahrzeugdynamik beeinflussendes System eingeführt, das als verteiltes System bei Ausfall eines peripheren Systemteils die Kernfunktionalität verliert. Die Restfunktionalität einer Fahrgeschwindigkeitsregelung (Cruise Control CC) ohne Abstandsregelfähigkeit kann noch offeriert werden, wenn alle für eine Geschwindigkeitsregelung notwendigen Systeme wie Antrieb, Bremse, Anzeige- und Bedienelemente verfügbar sind. Während die Vielzahl der angebotenen Systeme die Umschaltung auf die Restfunktionalität nicht anbietet, kann der Fahrer beim BMW-FSRA (ab Modelljahr 2007) im Normalbetrieb sowohl
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Bild 32-6: Funktionsmodule BMW FSR-ACC-System mit Längsdynamikmanagement (LDM)
im Aktiv- als auch im Standby-Zustand zwischen FSRA und CC umschalten, wobei jeweils sichergestellt ist, dass zum Zeitpunkt des Umschaltens keine unerwünschten Beschleunigungen stattfinden und der Systemzustand immer eindeutig angezeigt wird. Sind mehrere umfelderfassende Sensoren für ACC im Einsatz, so lassen sich weitere Degradierungsstufen wählen. Wenn z. B. NahbereichRadare nicht verfügbar sein sollten, wohl aber der Fernbereichsradarsensor, z. B. bei starkem Schneefall, weil er anders als die Nahbereichssensoren mit einer Linsenheizung ausgestattet ist oder weil die Nahbereichssensoren in der Nähe von Radioastronomiestationen abgeschaltet werden müssen, wird bei Nichtverfügbarkeit der Nahbereichssensoren oberhalb der Mindestsetzgeschwindigkeit auf Standard-ACC umgeschaltet. Lediglich bei Unter-
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schreiten der unteren Geschwindigkeitsschwelle wird das System verbunden mit einer Fahrerwarnung abgeschaltet. Damit hat das FSRA-System in diesem Geschwindigkeitsbereich keine Verfügbarkeitseinbußen gegenüber dem Standard-ACCSystem. Bei Degradierung der Systeme ist stets darauf zu achten, dass die daraus resultierenden Änderungen der Systemeigenschaften dem Fahrer jederzeit plausibel erscheinen und er sein mentales Modell und damit die vorhersehbaren Systemreaktionen auf die veränderte Situation anpassen kann. Entsprechende Darstellungsmöglichkeiten sind vorzusehen. Sollte eine eindeutige Differenzierung aufgrund des Bedien- und Anzeigekonzepts nicht zweifelsfrei darstellbar sein, ist abzuwägen, ob die erhöhte Verfügbarkeit oder eindeutige Systemfunktionalität priorisiert wird.
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32.5 ACC-Zustandsmanagement und Mensch-MaschineSchnittstelle
32.5.1 Systemzustände und Zustandsübergänge Die Systemzustände, die ein Standard-ACC annehmen kann, illustriert Bild 32-7. Der Einschaltzustand ist der ACC off-Zustand, der automatisch nach erfolgreichem Selbsttest verlassen werden kann oder explizit vom Fahrer über einen oft Hauptschalter (Main Switch) genannten Schalter in den ACC stand-by-Zustand überführt werden. Dieser Wartezustand ermöglicht, sofern die für die Aktivierung definierten Kriterien (s. Tabelle 32-1) erfüllt sind, die Aktivierung in den ACC active-Zustand. Wurde ACC erfolgreich aktiviert, dann treten in diesem Systemzustand zwei wesentliche Regelzustände auf: Speed control in Freifahrtsituationen und ACC time gap control bei Folgefahrt hinter einem vorausfahrenden Fahrzeug, das mit einer geringeren Geschwindigkeit als der Setzgeschwindigkeit vSet fährt. Ist dies nicht der Fall, dann wird auf die Wunschgeschwindigkeit vSet geregelt. Der Übergang zwischen diesen Regelzuständen erfolgt ohne Zutun des Fahrers automatisch allein aus der Ermittlung eines Zielobjekts und dessen Abstand und Geschwindigkeit durch den vorausschauenden ACC-Sensor, wie dies im Bild 32-1 illustriert ist.
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Eine Deaktivierung, also der Übergang von ACC active zu ACC stand-by, werden zumeist durch eine Bremspedalbetätigung oder die willentliche Abschaltung per Bedienschalter ausgelöst. In den verschiedenen im Markt befindlichen Systemvarianten finden sich noch weitere Deaktivierungskriterien, die in der rechten Spalte der Tabelle 32-1 aufgeführt sind. Der Übergang in den ACC off-Zustand wird durch erkannte Funktionsstörungen bewirkt und, wenn vorhanden, durch den Hauptschalter. Weitere Bedienoptionen und Anzeigefunktionen werden im Abschnitt 32.5 beschrieben. Für die Ausführung des ACC als Full-SpeedRange-ACC kommen im Wesentlichen ein weiterer Zustand, FSRA-Hold genannt, und dessen Übergänge hinzu. Dies wird im Bild 32-8 beschrieben. Der Zustand FSRA-Hold kennzeichnet das Halten des Fahrzeugs im Stand durch das FSRA-System. Einen Übergang aus dem Zustand „Speed Control“ nach „Hold“ gäbe es nur, wenn eine Wunschgeschwindigkeit von 0 km/h zugelassen würde. Sinnvollerweise wird die minimale Wunschgeschwindigkeit vset,min aber auf einen Wert > 0 begrenzt, z. B. 30 km/h. Im Zustand „Hold“ sind einige Besonderheiten zu beachten. Auch wenn eine Übergabe der Haltefunktion an den Fahrer mit entsprechend signalisierten Hinweisen möglich ist, hat es sich bewährt, das Fahrzeug weiter zu halten, auch bei einfacher Betätigung des Bremspedals das System nicht abzuschalten, sondern das Fahrzeug weiterhin sicher zu halten, um ein unbeabsichtigtes Losrollen zu ver-
Bild 32-7: Zustände und Übergänge nach ISO15622
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene Tabelle 32-1: Aktivierungs- und Deaktivierungsbedingungen (für die Aktivierung müssen alle Bedingungen erfüllt sein, für die Deaktivierung genügt eine) Aktivierung nur wenn zugleich
Deaktivierung bei Deaktivierung per Bedienschalter Fahrer bremst bei v > 0
v t vset,min
v < vmin (nur bei Standard-ACC relevant)
Motordrehzahl nicht deutlich unter Leerlaufdrehzahl
Motor deutlich unter Leerlaufdrehzahl
Vorwärtsgang eingelegt
Gang ungültig (bei Automatik auch Wählhebel in N-Stellung) bei Schaltgetriebe: längere Zeit ( > 8 s) ausgekuppelt oder eingekuppelt ohne eingelegten Gang
ESP/DSC voll funktionstüchtig
ESP/DSC passiv
Schlupfregelung nicht aktiv
Schlupfregelung länger als eine spezifizierte Zeit aktiv (kann je nach Art unterschiedlich sein, z. B. 300 ms bei Gierratenregelung, ca. 600–1000 ms bei Antriebsschlupfregelung)
Feststellbremse gelöst
Feststellbremse aktiviert
Kein ACC-Systemfehler oder Sensorblindheit
ACC-Systemfehler oder Sensorblindheit
Zusätzlich für FSRA: Fahrertür geschlossen Fahrer angegurtet (Sitzbelegungserkennung Fahrer positiv) Bremse getreten UND v = 0 UND Zielobjekt erkannt
v = 0 UND mindestens 2 von 3 Signalen aktiv: Tür offen, kein Gurt, Fahrersitz leer
Bemerkung: Bei (v = 0 UND Fahrer bremst) allein keine Abschaltung
Zielobjekt erkannt UND 0 < v < vset,min
Bild 32-8: Zustände und Übergänge für FSR-ACC nach ISO22179
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meiden und damit kritischeren Systemzuständen vorzubeugen. Soll bewusst im Stand abgeschaltet werden, so muss dies üblicherweise durch eine Doppelbetätigung erfolgen, z. B. durch Betätigen des ACC-AUS-Schalters bei getretener Bremse. Der Übergang aus dem Zustand „Hold“ in einen der beiden Fahrzustände soll aus Sicherheitsgründen – außer bei sehr kurzen Stopps – nur nach Fahrerbestätigung erfolgen, da beim aktuellen Stand der Sensorik nicht zuverlässig alle Eventualitäten, die im Stand stattfinden können, erfasst werden können. Ebenso wird die Anwesenheit des Fahrers überwacht, da dieser im Stillstand jederzeit das Fahrzeug verlassen kann. Bei Erkennen einer Ausstiegsabsicht (z. B. über Tür-, Gurt- oder Sitzbelegungserkennung) erfolgt eine geeignete Systemabschaltung mit einem – auch bei Energieausfall – sicheren Haltezustand, z. B. durch Aktivieren einer elektromechanischen Feststellbremse. Ist dies nicht möglich, so ist der Fahrer vor dem Aussteigen so zu warnen bzw. das System so frühzeitig abzuschalten, dass der Fahrer sich noch im Fahrzeug befindet und es selbst gegen Wegrollen sichern wird. Nach erkanntem Stillstand wird die Verantwortung für sicheres Halten im Stand an das ESP-System übertragen. Dabei hat es kurzzeitig über eine Anhebung des Bremsdrucks für einen sicheren Halt und über die Ansteuerung einer elektrischen Parkbremse (EPB) für einen dauerhaften Halt ohne Leistungsaufnahme zu sorgen. Einen Sonderfall stellen FSRA-Systeme dar, die zwar bis zum Stillstand bremsen, das Fahrzeug aber nicht im Stand halten, sondern nach kurzer Zeit ( < 3 s) die Bremse wieder (langsam) lösen und so dem Fahrer die Übernahme abverlangen (so genannte ACC-Stop-Systeme). Da der Fahrer in dieser kurzen Zeit nicht aussteigen kann und in jedem Fall im Stand übernehmen muss, sind hier technische Maßnahmen zum sicheren Halten im Stand nicht notwendig, allerdings vermindert diese Lösung den Nutzwert des Systems.
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– Taster, der einmalig je Zündungslauf die Bedienelemente freigibt. Bedienelement zum Aktivieren des ACC-Systems. Dieses Bedienelement wird häufig auch bei aktiver Regelung zur Erhöhung der aktuellen Setzgeschwindigkeit verwendet. Bedienelement zur Reduzierung der aktuellen Setzgeschwindigkeit. Bedienelement zur Aktivierung des ACCSystems unter Verwendung der letzten Setzgeschwindigkeit (Wiederaufnahme oder Resume). Bedienelement zur Einstellung der gewünschten Sollzeitlücke. Auch hier finden sich zwei grundsätzlich unterschiedliche Einschaltzustände: – ein immer gleicher Anfangszustand mit einer so genannten default-Einstellung, die meist einer Zeitlücke von 1,5 bis 2 s entspricht; – der zuletzt gewählte Zustand, z. B. bei einer mechanischen Arretierung.
Häufig sind die Bedienelemente in einer Gruppe angeordnet oder in abgesetzten Bedienhebeln integriert, wie folgende Beispiele illustrieren. Das im Bild 32-9 dargestellte Bediencluster im Tempomatbedienhebel leistet sieben Funktionen für Distronic Plus von Mercedes-Benz-Fahrzeugen. Mit den Bewegungen 1 (nach oben) und 5 (nach unten) wird aktiviert und dabei zunächst die aktuelle Geschwindigkeit als Sollgeschwindigkeit übernommen. Mit weiteren Bewegungen nach oben wird die Sollgeschwindigkeit bei kleinen Bewegungshüben in 1 km/h-Schritten, bei großen in 10 km/h-Schritten erhöht. Mit entsprechenden Bewegungen nach unten wird in gleicher Weise die Sollgeschwindigkeit reduziert. Mit der Bewegung 4 (zum Fahrer hin) wird ebenfalls aktiviert, dabei aber auf die früher verwendete Sollgeschwindigkeit zurückgegriffen (so genannte Resume- oder Wiederaufnahme-Funktion). Beim erstmaligen Akti-
32.5.2 Bedienelemente mit Ausführungsbeispielen Die Bedienelemente für ACC sorgen für die Zustandsübergänge und stellen die Vorgaben für die Regelung ein, nämlich die Wunschgeschwindigkeit und die Wunschzeitlücke. Bedienelement um vom ACC-off- in den ACCStand-by-Zustand zu wechseln. Hierbei findet man 2 Ausprägungen: – Schalter, der nur einmalig betätigt werden muss und anschließend dauerhaft auf „Ein“ steht.
Bild 32-9: Bedienelement für Distronic Plus (MercedesBenz W221) mit sieben Funktionen
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
vieren wird ebenfalls die aktuelle Geschwindigkeit übernommen. Über diese Funktion wird auch die Wiederanfahrt aus dem Stillstand gestartet. Mit der Bewegungsrichtung 7 (nach vorn) wird deaktiviert, während die Tastenfunktion 6 zwischen Tempomat und Speed-Limiter-Funktion wechselt. Die Bedienung der Speed-Limiter-Funktion erfolgt analog zur Bedienung von Tempomat/Distronic Plus. Diese Aktivierung führt zum Erleuchten der LED im Tempomatbedienhebel. Bedienelement 2 wird verdreht und stellt die Wunschzeitlücke ein. Die zuletzt eingestellte Drehposition ist somit auch bei einem neuen Fahrzyklus verfügbar, womit auf die alte Einstellung zurückgegriffen werden kann. Obwohl die Bedienphilosophie und der Funktionsumfang von BMW beim FSRA ähnlich sind, so unterscheiden sich die Bedienelemente, wie im Bild 32-10 deutlich wird. Die Aktivier- und Geschwindigkeitssetzfunktionen werden mit Bewegungen nach vorn und zum Fahrer hin durchgeführt, während eine Vertikalbewegung zum Abschalten führt. Die Resume-Funktion ist als seitlicher Taster ausgeführt, während der Schiebeschalter zu einer Zeitlückenänderung dient, wobei eine Bewegung nach oben zu kürzeren, eine nach unten zu längeren Zeitlücken führt. Eine Bedienung am Lenkrad findet sich beim Volkswagen Phaeton (s. Bild 32-11), die als weitere Besonderheit die Aktivierung von der Sollgeschwindigkeitswahl trennt.
32.5.3 Anzeigeelemente mit Ausführungsbeispielen Auch wenn die meisten ACC-Zustände aus dem aktuellen Regelverhalten ermittelt werden können, so ist die klare Rückmeldung der Zustände insbesondere beim Zustandsübergang wichtig für eine Überwachung des Systems. Aber auch die Rückmeldung der eingestellten Wunschgeschwindigkeit und der Wunschzeitlücke sind unerlässlich für eine nutzergerechte Bedienung. Im Folgenden wird dabei zwischen permanenten und situativen Anzeigen unterschieden. Letztere werden nur beim Eintreten eines bestimmten Ereignisses oder bei Fahrerbedienung für eine bestimmte Zeit angezeigt. Eine nur situativ aktive Anzeige hat zum einen den Vorteil, dass sich diese den Anzeigenplatz mit anderen situativen Anzeigefunktionen teilen kann, zum anderen aber auch, dass die Aufmerksamkeit besser fokussiert werden kann. Eine weitere Unterscheidung betrifft die Wichtigkeit (W) der Anzeige, wobei zwischen den Stufen essentiell, wichtig und hilfreich unterschieden wird.
488
Bild 32-11: Lenkradbedienung ACC im VW Phaeton [Quelle: Volkswagen AG]
Entsprechend dieser Stufung finden sich essentielle Anzeigen in allen Systemen, wichtige in den meisten. Auch wenn sich die hilfsreichen Anzeigen zumeist nur bei einigen Anbietern wiederfinden, so verbessern sie die Erlernbarkeit der Systemfunktionen und erlauben dem Fahrer eine detaillierte Vorhersage bzw. ein besseres Verständnis der Systemreaktionen. Mithilfe der Anzeige von Abstand und Relativgeschwindigkeit des soeben erfassten Objekts kann der Fahrer auch etwaige Falschdetektionen sehr gut erkennen und die Systemreaktionen dann plausibel zuordnen. Wie auch oftmals bei den Bedienfunktionen werden Aktivierungszustand und Sollgeschwindigkeit auch für die Anzeige miteinander kombiniert. Die Tabelle 32-2 zeigt die bekanntesten Anzeigefunktionen und die sinnvoll für die Anzeige zu verwendende Technik (T), wobei hier zunächst nur opti-
32 Adaptive Cruise Control
F
Tabelle 32-2: Anzeigefunktionen für ACC (Abkürzungen siehe Text) Zustände
Art
W
T
Aktivierungszustand
p
e
o
Relevantes Zielobjekt erkannt
p
w
o
Übersteuerung durch den Fahrer
s
h
o
Losfahrhinweis (nur FSRA)
s
h
o
Übergang autom. Anfahren fahrergetriggertes Anfahren (nur FSRA)
s
h
o
p
e
o
p,s
w
o
Systemeinstellungen Wunschgeschwindigkeit Wunschabstand Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeugs
p
h
o
Istabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug oder Soll-Ist-Abweichung
p
h
o
p
e
o
Übernahmeaufforderung bei Erreichen der Systemgrenze
s
w
a+o
Systemabschaltung
s
e
a+o
Unterschreiten eines kritischen Abstands
s
w
a (+ o)
Zustandsübergänge ACC off ACC stand-by, wenn vorhanden
sche (o) oder akustische Elemente (a) unterschieden werden, also keine haptischen Elemente betrachtet werden, da außer der inhärenten kinästhetischen Rückwirkung der Fahrdynamik keine haptischen Anzeigefunktion für ACC eingesetzt werden. Passend zu den in Abschnitt 32.5.2 vorgestellten Bedienbeispielen werden die zugehörigen Anzeigekonzepte vorgestellt. Die im Bild 32-12 dargestellte Anzeige der Mercedes-Benz Distronic enthält die Angaben über den Aktivierungszustand mit der Darstellung des Egofahrzeugs (2), die Sollge-
schwindigkeit (Markierung im Tachokranz), den Sollabstand (Balken „unter der Straße“), Zielerkennung (Fahrzeug 4), dessen Position den Istabstand signalisiert, und dem Geschwindigkeitsband, das nach unten durch die Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeugs begrenzt ist und nach oben durch die eingestellte Wunschgeschwindigkeit. Nicht im Bild aufgeführt sind die Symbole für die Übernahmeaufforderung und die Anzeige, wenn der Fahrer das System übersteuert (Distronic passiv).
Bild 32-12 Anzeige Distronic Plus (Mercedes-Benz W221)
489
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Bild 32-13 Anzeige für BMW-FSRA (ACC mit Stop&Go im E60)
Bild 32-14 ACC-Symbole im Head-Up-Display (BMW E60)
Das BMW-Anzeigekonzept (Bild 32-13) verzichtet auf eine Abstands- und Relativgeschwindigkeitsanzeige, besitzt aber in analoger Weise eine Wunschgeschwindigkeitsmarkierung am Tachokranz, die bei Änderung der Wunschgeschwindigkeit durch eine kurzzeitige Digitalanzeige ergänzt wird. Die Wunschzeitlücke wird über die perspektivischen Querbalken signalisiert, wobei ein Balken die kürzeste und vier die längste Wunschzeitlücke repräsentieren. Die Balken und die Fahrstreifensymbole werden nur bei aktiviertem ACCZustand angezeigt, dann aber permanent. Das Fahrzeugsymbol leuchtet nur auf, wenn ein Zielobjekt erkannt wurde. Weitere situative Anzeigen wie Übernahmeaufforderung oder Schaltaufforderung bei Schaltgetriebefahrzeugen sind nicht im Bild enthalten. Bei einem als Option erhältlichen Head-up-Display (Bild 32-14) werden die Istgeschwindigkeit, die Wunschgeschwindigkeit und die kombinierte Aktivierung/Zeitlücke/Zielobjekt-Anzeige präsentiert.
490
Im Volkswagen Phaeton wird ebenfalls eine Rückansicht-Symbolik verwendet, wobei hier die Istzeitlücke im direkten Vergleich zur Sollzeitlücke angezeigt wird (Bild 32-15).
Bild 32-15: Anzeige VW Phaeton mit Rückansichtsymbolik zur Darstellung der Ist-Zeitlücke [Quelle: Volkswagen AG]
32 Adaptive Cruise Control
32.6 Zielobjekterkennung für ACC 32.6.1 Anforderungen an die Umfeldsensorik Die ACC-Funktionalität steht oder fällt mit der Erkennung des relevanten Zielfahrzeugs, woran sich die Regelung orientieren kann. Als erste Voraussetzung ist eine Umfeldsensorik erforderlich, die die Fahrzeuge in der relevanten Umgebung detektiert und anschließend eine Zuordnung, ob ein und dann welches der erkannten Objekte als Zielobjekt auszuwählen ist. Als Umfeldsensortechnologien sind Radar und Lidar mit Erfolg im Einsatz. Für sie gelten in gleicher Weise die unten aufgeführten Anforderungen. Die Technikbeschreibung der Sensoren findet sich in den Kapiteln 12 und 13.
32.6.2 Messbereiche und Messgenauigkeit 32.6.2.1 Abstand In Analogie zu der in der ISO15622 [1] vorgenommenen Unterteilung wird für die Standard-ACCFunktion gefordert, dass ab dem minimalen Detektionsabstand dmin0 = MAX(2 m, (0,25 s · vlow)) Objekte erkannt werden und darüber hinaus ab dmin1 = Wmin (vlow) · vlow der Abstand bestimmt werden muss (Bild 32-16). Dabei ist Wmin (vlow) die kleinste Zeitlücke bei der kleinsten erlaubten ACC-
F
Betriebsgeschwindigkeit. Da die Zeitlücke zu niedrigen Geschwindigkeiten hin angehoben wird, liegt dmin1 bei etwa 10 m. Dass unterhalb dieses Werts keine Abstandsmessung erfolgen muss, ist damit begründet, dass die ACC-Regelung in dieser Situation auf jeden Fall verzögern wird oder den Fahrer bei Unterschreitung von vlow zur Übernahme auffordert. Hinsichtlich der Unterschreitung der Schwelle dmin0 kann davon ausgegangen werden, dass ein Regelvorgang vor Erreichen eines solch geringen Abstands vom Fahrer unterbrochen wird. Gleiches gilt auch für den Fall so knapp einscherender Fahrzeuge, bei denen sich kein Fahrer auf die Regelung durch ACC verlassen wird und selbst die Situation durch eigenen Bremseingriff lösen wird. Die maximale geforderte Reichweite dmax muss natürlich eine Regelung mit dem größten Sollabstand ermöglichen, also dem Abstand in der Einstellung für die größte Zeitlücke bei maximaler Setzgeschwindigkeit vset,max. Sinnvollerweise wird noch eine Regelreserve hinzugefügt, damit die Regelung komfortabel bleibt. Da mindestens eine Sollzeitlücke t 1,5 s verlangt wird, kann die Anforderung durch Absenkung der maximalen Zeitlücke nur bis zu dieser Grenze erfolgen. Die in Tabelle 32-3 genannten Anforderungen sind Minimalforderungen und nur auf die stationäre Folgefahrt ausgelegt. Für eine Annäherung ist insbesondere bei höherer Differenzgeschwindigkeit eine höhere Reichweite wünschenswert. Wie in Abschnitt 32.7 gezeigt, wird mit großem Abstand
Bild 32-16 Anforderungen an den Abstandsbereich gemäß ISO15622 zzgl. Erfordernisse in Abhängigkeit der Fahrgeschwindigkeit
491
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene Tabelle 32-3: Abstandsanforderungen für typische Auslegungswerte
Wset,min (v low) = 2 s Wset,max = 2 s
v low = 5 m/s ( = 18 km/h) vset,max = 50 m/s ( = 180 km/h)
die Zielauswahl immer schwieriger, sodass eine Verzögerungsreaktion in einem größeren Abstand als 120 m in vielen Fällen negativ erlebt wird, selbst wenn die Zielauswahl prinzipiell fehlerfrei funktioniert. Dies tritt vor allem dann auf, wenn das an sich korrekte Ziel überholt werden soll, dieser Überholvorgang aber durch die ACC-Verzögerungsreaktion noch vor dem Fahrstreifenwechsel behindert wird. In der Praxis (s. a. [10]) hat sich eine Beschränkung der Reaktionsreichweite, also der Bereich innerhalb dessen auf relevante Ziele reagiert wird, bewährt. Insbesondere im unteren und mittleren Geschwindigkeitsbereich ist es wenig sinnvoll, den gesamten Erfassungsbereich des Sensors zu nutzen, da Objekte in größerer Entfernung keinen Einfluss auf das eigene Fahrzeug haben. Eine beispielhafte Grenzkurve dto,max ist im Bild 32-16 gezeigt. Alternativ ist dto,max = v · 3,6 s, also genauso viele Meter wie km/h, als Richtwert für eine solche Grenze geeignet. An die Genauigkeit der Abstandsmessung werden keine hohen Anforderungen gestellt, da die Regelung, wie unten gezeigt wird, nur schwach auf Abstandsabweichungen reagiert. Mit der unten angegebenen Regelkreisverstärkung pflanzen sich Abstandsfehler derr von 1 m (Effektivwert im Band von 0,1–2,0 Hz) zu Beschleunigungsamplituden von maximal aset,err = 0,1 m/s² fort und bleiben damit unterhalb des Merkschwellwerts von 0,15 m/s² [11] bei Folgevorgängen. Verstärkungsfehler des Abstands Hd können somit bis zu 5 % ohne für den Fahrer merkliche Auswirkungen toleriert werden. Allerdings sollte die minimale Setzzeitlücke mit entsprechender Reserve gewählt werden, damit die für den stationären Folgevorgang definierte Mindestzeitlücke Wmin = 1 s wegen des mit dem relativen Fehler verbundenen Verstärkungsfehlers nicht unterschritten wird. 32.6.2.2 Relativgeschwindigkeit Weitaus höhere Anforderungen als beim Abstand werden an die Genauigkeit der Relativgeschwindigkeit gestellt. Jede Abweichung der Relativgeschwindigkeit führt zu einer Veränderung der Beschleunigung (s. Abschnitt 32.8). Ein statischer Offset führt zu einer stationären Abweichung des Abstands, wobei ein Offset von 1 m/s zu einer etwa
492
dmin0 = 2 m dmin1 = 10 m dmax = 100 m
5 m großen Abstandsabweichung führt. Schwankungen der Geschwindigkeit von v rel,err = 0,25 m/s (Effektivwert im Bandbereich von 0,1–2 Hz) können noch akzeptiert werden, da die daraus folgenden Beschleunigungsschwankungen unterhalb der Merkbarkeitsschwelle bleiben. Allerdings darf die Geschwindigkeitsfilterung zur Reduktion der Schwankungen nicht zu einer zu hohen zeitlichen Verzögerung führen, da ansonsten die Regelqualität nachteilig beeinflusst wird. Hier können als Richtwerte Verzugszeiten von maximal 0,25 s herangezogen werden, womit für eine stabile Regelung mit der kleinsten Zeitlücke von Wmin = 1 s noch 0,75 s für die Regelzeitkonstante und die Stellerverzögerung verbleiben. Relative Fehler Hvrel der Relativgeschwindigkeit bis 5 % sind für die Folgeregelung weitgehend unproblematisch, da die nachfolgende Beschleunigungsregelung mit den Stellsystemen für Bremse und Antrieb vergleichbar große Abweichungen erzeugt und somit die durch die relativen Fehler bedingten Verfälschungen der Regelsollwerte kaum wahrnehmbar sind. Eher höhere Anforderungen an die Genauigkeit der Relativgeschwindigkeit stellt die Klassifizierung der Objekte, ob sie sich in gleiche Richtung bewegen, stehen oder entgegen kommen. Für diese Klassifizierung sind Toleranzen kleiner als 2 m/s und 3 % · v rel zu fordern. Die relativen Fehler lassen sich aber auch mit den stehenden Objekten abgleichen, weil diese sehr viel häufiger gemessen werden und somit in einer statistischen Erfassung als Häufung zu sehen sind. Damit lassen sich auch die Fehler der Fahrgeschwindigkeitsbestimmung korrigieren, die durch den zumeist nur auf 2 % Genauigkeit bekannten Abrollumfang entstehen. 32.6.2.3 Lateraler Erfassungsbereich für Standard-ACC-Funktion Die Anforderungen an den lateralen Erfassungsbereich leiten sich aus folgenden Ausgangsannahmen ab: Wmax, die maximale Zeitlücke für die Folgeregelung, aymax, die für die Kurvenfahrt anzunehmende maximale Querbeschleunigung,
32 Adaptive Cruise Control
Rmin, dem kleinsten für die ACC-Funktion spezifizierten Kurvenradius. Bei gegebenem Kurvenradius R t Rmin lässt sich aus der maximalen Querbeschleunigung eine maximale Kurvengeschwindigkeit berechnen. Wird diese mit der ZeitlückeWmax multipliziert, so erhält man die notwendige maximale Reichweite dmax (R). Der Versatz der Kurvenlinie y max bei dmax (Bild 32-17) ist hingegen unabhängig vom Kurvenradius und der Geschwindigkeit: ymax
2 W max ay max 2
(32.1)
Der maximale Azimutwinkel Imax kann über den Quotienten des maximalen Versatzes y max und der maximalen Reichweite dmax bei R = Rmin bestimmt werden:
d R min
Imax
d max ( Rmin ) W max ay max Rmin
arcsin
ymax d max ( Rmin )
ymax d max ( Rmin )
F
(32.2)
(32.3)
Aufgrund des beobachteten Fahrerverhaltens (s. z. B. [12]) ist die zugrunde zu legende Querbeschleunigung von der Fahrgeschwindigkeit abhängig. Implizit ergibt sich damit auch eine Abhängigkeit vom Kurvenradius, da engere Kurven mit niedrigen Geschwindigkeiten durchfahren werden. Dies wird durch die unterschiedlichen Werte für die in der Norm 15622 definierten Kurvenklassen berücksichtigt. So werden ay,max = 2,0 m/s2 für Rmin = 500 m und ay,max = 2,3 m/s2 für Rmin = 250 bzw. Rmin = 125 m angenommen. Im Bild 32-18 ist für eine maximale Zeitlücke von Wmax = 2 s der notwendige (einseitige) Öffnungswinkel Imax für
Bild 32-17 Notwendiger Sichtbereich (Azimutwinkel) in Abhängigkeit des Kurvenradius bei konstanter Querbeschleunigung und Zeitlücke
493
F
Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Bild 32-18 Erforderlicher Azimut-Winkelbereich in Abhängigkeit der vorausgesetzten Querbeschleunigung und Zeitlücke. Linien: Theoretischer Verlauf; Punkte: Versuchsergebnisse für zwei Sichtbereiche
drei verschiedene Querbeschleunigungsannahmen dargestellt. Trotz dieser die reale Kurvenfahrt stark idealisierenden Betrachtung zeigen Messungen aus der Praxis [13], [14], dass mit obiger Formel und den genannten Annahmen die Anforderungen an den Öffnungswinkel für eine vorgegebene Kurvenfähigkeit bestimmt werden können. Die beiden empirischen Werte beziehen sich auf den Kurvenradius, bei dem die Hälfte der Folgefahrten ohne Zielverlust blieb. Als weiteres Ergebnis der Untersuchungen [13] [14] zeigte sich, dass mit einem Öffnungswinkel von Imax = 16° (± 8°) sowohl subjektiv als auch objektiv die Standard-ACC-Funktion in hinreichendem Maße abgedeckt wird und eine weitere Vergrößerung des Azimutwinkelbereichs nur noch geringeres Verbesserungspotenzial für die Standard-ACC-Funktion besitzt, solange die Erkennung von einscherenden Fahrzeugen durch die Dynamik der Zielauswahl vorgegeben wird (s. a. Abschnitt 32.7). Wie in der späteren Betrachtung der Gesamtfehler deutlich wird, kann schon ein kleiner azimutaler Ausrich-
494
tungsfehler zu einer merklichen Funktionsbeeinträchtigung führen. Da die Toleranzgrenze von vielen einzelnen Faktoren abhängt, insbesondere auch von der Rückstreueigenschaft der Objekte, lässt sich kein scharfer Wert angeben. Statische Fehler über 0,25° sollten jedoch vermieden werden, dynamische rauschähnliche Fehler werden über Filter geglättet und können durchaus 0,5° betragen, ohne dass sich die Systemfunktion merklich verschlechtert. 32.6.2.4 Lateraler Erfassungsbereich für FSRA Für FSRA wird eine 100%ige Abdeckung des Bereichs direkt vor dem Fahrzeug angestrebt, um automatisches Anfahren zu ermöglichen. Da dies in der Praxis schwer zu realisieren ist, liegen die Mindestanforderungen in der entstehenden FSRA-ISONorm 22179 deutlich niedriger und können bereits mit einem mittig platzierten Sensor mit einem Öffnungswinkel Imax = 16° (±8°) erfüllt werden. Ein so ausgerüstetes FSRA stellt die ACC Plus im Audi Q7 dar. Das Anfahren aus dem Stand erfolgt bei
32 Adaptive Cruise Control
solchen Systemen daher nur nach entsprechender Fahrerfreigabe. Eine über ±8° hinausgehende breite Erfassung des Bereichs direkt vor dem Fahrzeug bis ca. 10–20 m ist für dichtes, versetztes Folgefahren bei niedrigen Geschwindigkeiten erforderlich. Dies tritt insbesondere in Stausituationen auf, wenn nicht direkt hinter dem vorausfahrenden Fahrzeug gefahren wird, sondern versetzt, um eine bessere Sicht zu erreichen. Auch bei langsamen Fahrstreifenwechseln des Zielobjekts wird die Überdeckung zunehmend geringer, ohne dass der benötigte eigene Fahrkorridor frei ist. Eine Sensorik mit zu schmalem Öffnungswinkel verliert hier das Zielobjekt bereits, obwohl es noch nicht kollisionsfrei passiert werden kann, weshalb in diesen Fällen der Fahrer eingreifen muss. Der gewünschte Erfassungsbereich für eine vollständige Abdeckung zeigt Bild 32-19. Ab einem Mindestabstand, ab dem typischerweise mit Einscherern zu rechnen ist, also ca. ab 2–4 m bei sehr niedrigen Geschwindigkeiten, ist außerdem eine Erfassung der Nachbarfahrstreifen sinnvoll (mindestens bis zur halben Breite), um ein
F
frühzeitiges Erfassen von einscherenden Fahrzeugen sicherzustellen. Dabei ist vor allem auf eine zuverlässige Winkelerfassung zu achten, da erst über die Berechnung der Lateralbewegung aus den Winkelwerten vorausschauend auf Einscherer reagiert werden kann. Bei den heute realisierten FSRA-Systemen von Mercedes und BMW werden dafür zwei nach vorn gerichtete 24 GHz-UWBRadarsensoren (UWB Ultra Wide Band, siehe Kapitel 12) eingesetzt, die einen guten Kompromiss aus Reichweite (ca. 20 m), azimutalem Öffnungswinkel (ca. 80°) und der durch das Sensorprinzip gegebenen Winkelauflösung bieten. Durch den großen Öffnungswinkel wird eine großflächige Überlappung der Erfassungsbereiche erzielt, was zu einer stabilen Objektdetektion führt. Größere Reichweiten sind nicht erforderlich, da die eingesetzten Fernbereichs-Radarsensoren in diesen Entfernungen die Nachbarfahrstreifen zumindest partiell abdecken. 32.6.2.5 Vertikaler Erfassungsbereich Für den vertikalen Erfassungsbereich wird die Detektion aller für ACC relevanten Objekte (Lkws,
Bild 32-19 Gewünschter Erfassungsbereich für vollständige Nahbereichsabdeckung
495
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Pkws, Motorräder) gefordert. Da die Objekte weder sehr hoch vom Boden abgesetzt noch niedriger sind als die üblichen Sensoreinbauhöhen, sind nur die Einflussgrößen Steigungsänderungen sowie statisches und dynamisches Nicken innerhalb der von ACC ausgenutzten Dynamik zu betrachten. Hier haben sich in der Praxis Anforderungen von -max = 3° (± 1,5°) ergeben. Die Elevationsfehlwinkel haben zumeist nur eine geringe negative Auswirkung, da nur in seltenen Fällen die Elevation als Messgröße bestimmt wird, wie es beispielsweise beim 2D-Scanning-Lidar geschieht, der die Umgebung in mehreren übereinander liegenden horizontalen Zeilen abtastet. Allerdings ist bei Radarsensoren eine Veränderung der Antennencharakteristik mit größeren von 0 abweichenden Elevationswinkeln zu erwarten. Weiterhin ist zu verhindern, dass der verfügbare Elevationsbereich nicht durch eine Fehlausrichtung soweit reduziert wird, dass die oben genannte Anforderung nicht mehr gewährleistet ist. 32.6.2.6 Mehrzielfähigkeit Da im Sensorbereich mehrere Objekte vorhanden sein können, ist eine Mehrzielfähigkeit sehr wichtig. Das bedeutet im Besonderen die Trennfähigkeit zwischen relevanten Objekten auf dem eigenen Fahrkorridor und irrelevanten Objekten, z. B. auf dem benachbarten Fahrstreifen. Diese Trennfä-
higkeit kann durch eine hohe Trennfähigkeit von mindestens einer Messgröße (Abstand, Relativgeschwindigkeit oder Azimutwinkel) erreicht werden. Allerdings darf die Forderung nach hoher Trennfähigkeit nicht zu Lasten von Zuordnungsproblemen gehen, bei der die Objekte wiederholt als neue Objekte identifiziert werden. Diesem kann, wie in Kapitel 12 beschrieben, durch Assoziationsfenster im Tracking begegnet werden, die auf die Dynamik der Objekte und des sensortragenden Egofahrzeugs angepasst sind.
32.7 Zielauswahl Der Zielauswahl kommt eine sehr hohe Bedeutung für die Qualität der ACC zu, da sowohl relevante Objekte „übersehen” als auch falsche Ziele ausgewählt werden können. In beiden Fällen wird die Erwartung des Nutzers an dieses System nicht erfüllt. Die folgende Fehlerbetrachtung richtet sich nach den für die Zielauswahl notwendigen, im Bild 32-20 links gezeigten Schritten. Die Messung der lateralen Lage YU,i des Objekts i erfolgt durch den ACC-Sensor mit einer Unsicherheit von HY | HI · r, die sich aus der Ungenauigkeit HI der Winkelbestimmung ergibt.
Bild 32-20: Links: Schritte für die Zielauswahl; rechts: Definition der in diesem Abschnitt verwendeten Größen
496
32 Adaptive Cruise Control
32.7.1 Bestimmung der Kurskrümmung Die Krümmung N beschreibt die Richtungsänderung eines Fahrzeugs in Abhängigkeit vom zurückgelegten Weg. Im konstanten Teil von Kurven ist die Krümmung reziprok zum Kurvenradius R = 1/ N. Die Krümmung der Fahrzeugtrajektorie lässt sich über verschiedene fahrzeugseitige Sensoren bestimmen, wobei bei allen Berechnungen vorausgesetzt wird, dass sie außerhalb fahrdynamischer Grenzbereiche verwendet werden. Sie sind also nicht gültig für Schleudersituationen oder bei Auftreten größeren Radschlupfes. Krümmung berechnet aus dem Lenkradwinkel Für die Berechnung der Krümmung Ns aus dem Lenkradwinkel GH werden drei Fahrzeugparameter benötigt, die Lenkgetriebeübersetzung isg, der Radstand ? und die charakteristische Geschwindigkeit vchar, die das Eigenlenkverhalten im linearen Fahrdynamikbereich, also bei geringen Querbeschleunigungen charakterisiert. In unter ACC typischen Bedingungen sehr guter Näherung bestimmt sich Ns gemäß:
GH
Ns
isg ? 1
vx2
(32.4)
2 vchar
Krümmung berechnet aus der Gierrate Für die Berechnung der Krümmung N\ aus der Gierrate wird die Fahrgeschwindigkeit v benötigt sowie die Schwimmwinkelgeschwindigkeit vernachlässigt:
N
\ vx
(32.5)
F
Krümmung berechnet aus der Querbeschleunigung Auch für die Berechnung der Krümmung Nay aus der Querbeschleunigung ay wird die Fahrgeschwindigkeit v x benötigt:
N ay
ay
(32-6)
vx2
Krümmung berechnet aus den Radgeschwindigkeiten Für die Krümmung Nv aus den Radgeschwindigkeiten wird die relative Differenz der Radgeschwindigkeiten 'v/v x und die Spurweite b benötigt. Um Antriebseinflüsse gering zu halten, wird die Differenz v = (vl – v r) und auch die Fahrgeschwindigkeit an der nichtangetriebenen Achse v x = (vl + v r)/2 ermittelt.
Nv
v vx b
(32.7)
Obwohl alle genannten Verfahren zur Krümmungsbestimmung herangezogen werden können, so besitzen sie unterschiedliche Eignung bei verschiedenen Betriebsbedingungen. Sie unterscheiden sich vor allem bei Seitenwind, Straßenquerneigung, Radradius-Toleranzen und hinsichtlich der Messempfindlichkeit in verschiedenen Geschwindigkeitsbereichen. Wie Tabelle 32-4 zeigt, ist die Krümmung aus der Gierrate am besten geeignet. Allerdings kann eine weitere Verbesserung der Signalqualität erreicht werden, wenn mehrere oder alle Signale zum gegenseitigen Abgleich verwendet werden. Dies ist insbesondere möglich, da das ACC-Fahrzeug mit ESP ausgerüstet ist und somit alle oben genannten Sensoren Bestandteile des Systems sind. Im Stillstand bietet sich der Offsetabgleich der Gier-
Tabelle 32-4: Vergleich der verschiedenen Verfahren zur Krümmungsbestimmung
Ns
N\
Nay
Nv
Robustheit gegen Seitenwind
−−
+
+
+
Robustheit gegen Straßenquerneigung
−−
+
−−
+
o
+
+
−
++
o
−−
−
Messempfindlichkeit bei hohen Geschwindigkeiten
−
o
++
−
Offsetdrift
+
−−
−−
+
Robustheit gegen Radradius-Toleranzen Messempfindlichkeit bei niedrigen Geschwindigkeiten
497
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
rate an, was allerdings Stillstandsphasen benötigt, die bei Autobahnfahrt ohne Stau nicht auftreten. Hier können dann statistische Mittelungsverfahren herangezogen werden, da über lange Strecken der Mittelwert des Gierratensensors den Offset liefert.
32.7.2 Kursprädiktion Für die Vorhersage des zukünftigen Kurses sind der (zukünftige) Verlauf der Fahrbahn und die zukünftige Fahrstreifenwahl des ACC-Fahrzeugs und eigentlich auch die der potenziellen Zielfahrzeuge notwendig. Da diese Informationen ohne eine Bildverarbeitung oder eine Fahrzeug-FahrzeugKommunikation nicht zugänglich sind, wird auf Arbeitshypothesen zurückgegriffen, die vereinfachende Annahmen verwenden. Eine einfache Hypothese ist die Annahme, dass die aktuelle Krümmung beibehalten wird. Diese Basishypothese wird immer dann verwendet, wenn keine weiteren Informationen zur Verfügung stehen. Damit werden Kurvenein- und -ausfahrten, der eigene Fahrstreifenwechsel und auch die Lenkfehler des Fahrers vernachlässigt. Liegen aus der Vergangenheit schon Fahrstreifenzuordnungen vor, so kann die Hypothese, dass die Objekte und das ACC-Fahrzeug auf ihrem Fahrstreifen bleiben, herangezogen werden. Diese ist wiederum ungültig bei ein- oder ausscherenden Objekten und dem eigenem Fahrstreifenwechsel. Zudem hilft sie nicht bei der Erstzuordnung. Dazwischen liegt der Ansatz, die Objektdaten um die Hälfte der Zeitlücke zu verzögern und sie auf Basis der dann aktuellen Kurskrümmung zuzuordnen. Sie ist sehr robust bei Kurvenein- und -ausfahrten, was sich daraus erklärt, dass durch die Verzögerung die Krümmung des Kurses auf der Mitte zwischen den Objekten und dem ACC-Fahrzeug herangezogen wird und somit auch bei wechselnden Krümmungen eine gute Zuordnung ermöglicht wird. Diese Methode ist aber kein Ersatz für die erste bei der Erstzuordnung. Weitere Möglichkeiten zur Kursprädiktion bieten sich durch die GPS-basierte Navigation mit Rückgriff auf die Digitale Karte und den dort abgelegten Krümmungsinformationen an. Leider wird keine Aktualität der Karten garantiert und ferner sind Baustellen nicht vermerkt. Auch die Methode, Standziele am Straßenrand zur Krümmungsbestimmung heranzuziehen, ist bei Abwesenheit dieser nur eine partielle Unterstützung und ist vermutlich trotzdem in den meisten ACC-Kursprädiktionsalgorithmen enthalten. Auch die Querbewegung von vorausfahrenden Fahrzeugen kann für eine Ver-
498
besserung der Kursprädiktion herangezogen werden, da diese in den meisten Fällen frühzeitig eine Änderung der zukünftigen Krümmung andeutet. Offensichtlich vielversprechend ist die Nutzung von Fahrstreifeninformation aus der Verarbeitung von Kamerabildern. Allerdings ist mit der heute erreichten Qualität kaum eine Verbesserung im Entfernungsbereich oberhalb von 100 m zu erwarten, da bei üblichen Kameraauslegungen ein Pixel etwa 0,05° entspricht; ein Wert, der bei etwa 120 m einer Breite von 10 cm entspricht und somit kaum noch die Fahrstreifenmarkierungsdetektion leisten kann. Darüber hinaus versagt die bildbasierte Kursprädiktion bei Dunkelheit außerhalb des Lichtkegels, vor allem, wenn zur Dunkelheit noch Nässe der Fahrbahn hinzukommt. In sicherlich von Hersteller zu Hersteller unterschiedlicher Weise und Gewichtung werden die vorgenannten Algorithmen eingesetzt und liefern als Ausgangswert eine prädizierte Bahnkrümmung Npred. Daraus lässt sich die Bahnkurve in Abhängigkeit vom Abstand entwickeln. Statt der Kreisfunktion reicht bei den üblichen Öffnungswinkeln eine parabolische Näherung: yc,U
N pred 2 d 2
(32.8)
Auf diese Bahnkurve lassen sich nun die vom ACC-Sensor ermittelten Querablagewerte yi,U des Objekts beziehen und ergeben dann den relativen Versatz: yi,c
yi,U
yc,U
(32.9)
Fehler der prädizierten Krümmung pflanzen sich also quadratisch mit dem Objektabstand d fort. Bei hohen Geschwindigkeiten (v x t 150 km/h) ist ein Krümmungsfehler Nerr. von weniger als 10 –4 m erreichbar, womit sich bei 100 m Abstand ein Fehler 'yi,c,err (100 m, 150 km/h) | 0,5 m ergibt. Bei 140 m ist dieser wegen der quadratischen Fortpflanzung schon doppelt so groß. Bei niedrigen Geschwindigkeiten (| 50 km/h) liegt der Fehler der Krümmung gemäß Gl. (32.5) etwa dreimal höher. Entsprechend liegt die Entfernung für 'yi,c,err (57 m, 50 km/h) | 0,5 m nur noch bei 57 m, woraus sich eine Verkleinerung des maximalen Zielauswahlabstands bei niedrigen Geschwindigkeiten ableitet.
32.7.3 Fahrschlauch Der Fahrschlauch ist ein in Expertenkreisen häufig verwendeter Begriff für den Korridor, der für die
32 Adaptive Cruise Control
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Bild 32-21: Beispiel für eine unterschiedliche Zuordnung trotz gleicher Relativdaten
ACC-Zielauswahl herangezogen wird. In einfachster Form wird er durch eine abstandsunabhängige Breite bcorr mit dem prädizierten Kurs als Mittenlinie (Gl. 1.8) festgelegt. Zunächst wäre es nahe liegend, die Fahrschlauchbreite mit der Fahrstreifenbreite blane gleichzusetzen. Doch hat sich gezeigt, dass diese Annahme nicht geeignet ist. Das Beispiel im Bild 32-21 zeigt, dass es einen Bereich gibt, in dem eine eindeutige Zuordnung allein auf Basis der gemessenen Querposition unmöglich ist. Da aber nicht vorausgesetzt werden kann, dass die gemessene laterale Position des Objekts der Objektmitte entspricht, muss sowohl die rechte als auch die linke Objektkante erwogen werden. Eine
weitere Unsicherheit der Zuordnung entsteht bei der außermittigen Fahrt, und zwar sowohl vom ACCFahrzeug als auch vom potenziellen Zielfahrzeug. Daher ist die Zuordnung zum eigenen Fahrstreifen nur sicher, wenn die (ohne Fehler) gemessene laterale Position in Bezug auf die (ohne Fehler) prädizierte Kursmitte innerhalb von ± 1,2 m liegt. Die Zuordnung des Objekts zum Nachbarfahrstreifen gelingt sicher auch erst, wenn die Position mindestens 2,3 m von der Kursmitte beträgt. Die Werte beziehen sich auf eine Fahrstreifenbreite von 3,5 m. Wie aus der im Bild 32-22 dargestellten, mit einem Radar-Sensor aufgezeichneten Statistik hervorgeht, ist bei einer Fahrstreifenbreite von 3,5 m tatsächlich mit einigen Falscherkennungen zu rech-
Bild 32-22 Zeitliche Häufung der Zielobjektablage zur Fahrschlauchmitte bei einem 8 m breiten Fahrschlauch (auf Breitenintervall bezogen) [14]
499
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
nen, andererseits aber auch, dass bei einem schmaleren Fahrschlauch Zielverluste zu erwarten sind. Drei Maßnahmen werden zur Verbesserung der Zielauswahl eingesetzt: eine variable, von der Art der Straße abhängige Fahrschlauchbreite, eine unscharfe Fahrschlauchkontur sowie eine örtliche und eine zeitliche Hysteresefunktion für die Zielauswahl. Für eine variable Fahrschlauchbreite sind zwei Informationen wichtig: Sind zur linken oder zur rechten Seite überhaupt Nebenfahrstreifen vorhanden? Wenn nicht, dann kann auf der jeweiligen Seite der Fahrschlauch sehr breit gewählt werden (z. B. etwa 2 m zu der jeweiligen Seite, also 4 m, wenn zu beiden Seiten kein Fahrstreifen für die gleiche Fahrtrichtung vorhanden ist). Die Information über die Existenz der Nachbarfahrstreifen kann aus der Beobachtung von Standzielen am Fahrbahnrand und von entgegenkommenden Fahrzeugen gewonnen werden, wobei Änderungen, z. B. die Aufweitung auf zwei Richtungsfahrstreifen, nur mit Zeitverzug erkannt werden können. Wird ein benachbarter Fahrstreifen entdeckt, z. B. über die Beobachtung von Fahrzeugen in der gleichen Richtung mit einer Querlage außerhalb des eigenen Fahrstreifens, so kann über eine statistische Betrachtung der Querablagen die Fahrschlauchbreite angepasst werden, sodass durch Baustellen mit einem schmaleren Fahrschlauch gefahren werden kann. Eine weitere Maßnahme ist die örtliche Hysterese, womit gemeint ist, dass für ein als Regelobjekt markiertes Objekt ein breiterer Fahrschlauch gilt als für alle anderen Objekte. Typische Unterschiede liegen bei etwa 1 m, also zu beiden Seiten etwa 50 cm. Damit wird verhindert, dass Falscherkennungen von Objekten auf dem Nachbarfahrstreifen insbesondere bei sich ändernden Verhältnissen (Kurvenein- und -ausgang, unruhige Lenkbewe-
gung) auftreten, andererseits aber das Zielobjekt in solchen Situationen stabil gehalten werden kann. Ferner findet eine zeitliche Hysterese Anwendung, wie Bild 32-23 zeigt. Gewichtet mit der Zuordnungssicherheit (Spurwahrscheinlichkeit SPW) steigt bei positivem SPW die Zielplausibilität (PLA) an. Oberhalb einer oberen Schwelle (hier 0,4) wird das Objekt zum Zielobjekt, sofern andere Kriterien nicht dagegen sprechen. Die Zielplausibilität kann bis zu einem maximalen Wert (hier 1) wachsen und verringert sich aufgrund von zwei Möglichkeiten: bei fehlender Detektion (kein Signal) und bei Zuordnung zum benachbarten Fahrstreifen (negatives SPW). Erst unterhalb der unteren Schwelle (hier 0,2) verliert das Objekt die Eigenschaft, als Zielobjekt gewählt werden zu können. Das Zuordnungsmaß SPW kann unscharf abgebildet werden, wie im Bild 32-24 dargestellt ist. Je weiter das Objekt entfernt ist, umso unschärfer ist der Übergang zwischen den Fahrstreifenzuordnungen. Damit wird den mit dem Abstand steigenden Fehlern der Lagebestimmung und Kursprädiktion Rechnung getragen. Zusätzlich können andere abgeschätzte Unsicherheiten dynamisch zum Einschnüren des Kernbereichs führen wie eine festgestellte große Kurskrümmung.
32.7.4 Weitere Kriterien für die Zielauswahl Neben der Zuordnung zum Fahrschlauch können andere Kriterien sinnvoll eingesetzt werden. Das bedeutendste Kriterium für die Zielauswahl ist die Objektgeschwindigkeit. Entgegenkommende Fahrzeuge werden komplett für die Regelung ignoriert. Stehende Objekte sind ebenfalls keine Zielobjekte, mit Ausnahme derer, die schon als in der Fahrtrich-
Bild 32-23 Bildung einer Zielplausibilität (Darstellung entnommen aus [14])
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Bild 32-24: Unscharfe Fahrschlauchkontur zur Vermeidung von Zuordnungsfehlern
tung bewegte Objekte erkannt wurden (so genannte „angehaltene Objekte“). Diese sind insbesondere für die FullSpeedRange-ACC-Funktion in gleicher Weise relevant wie die in die gleiche Richtung fahrenden Objekte. „Immer stehende“ Objekte werden oftmals für andere Funktionen genutzt (s. a. Abschnitt 32.9.3), und dafür separaten Filtern unterworfen. Für die ACC-Grundfunktionalität spielen sie aber nur eine untergeordnete Rolle. Eine weitere einfache, aber auch sehr effektive Vorgehensweise ist die Begrenzung des Abstands in Funktion der Fahrgeschwindigkeit (vgl. Bild 32-16). So ist bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h eine Reaktion auf Ziele, die mehr als 80 m entfernt sind, weder notwendig noch sinnvoll, da die Gefahr der falschen Zuordnung mit der Entfernung deutlich steigt. Erfahrungswerte ergeben einen Abstandswert dto,0 = 50 m und einen Anstieg von Wto = 2 s. d to, max
d to,0 v W to
(32.10)
Erfüllen mehrere Objekte die Kriterien für ein Zielobjekt, so kommen folgende Entscheidungskriterien einzeln oder in Kombinationen in Betracht: der geringste Längsabstand, der geringste Abstand zur Kursmitte (minimales | yc|), die geringste Sollbeschleunigung. Das letzte Kriterium setzt aber eine Kopplung zur ACC-Regelung oder eine Multi-Zielobjektschnittstelle voraus, verbessert dann aber den Übergang bei ausscherenden Zielobjekten.
32.7.5 Grenzen der Zielauswahl Die in den letzten Abschnitten dargestellten Lösungsansätze sind sehr leistungsfähig und haben ein hohes Qualitätsniveau erreicht. Aber es verbleiben situationsbedingte Grenzen, wie an zwei
Beispielen erläutert werden soll. Die Fahrzeuge im Bild 32-25 bewegen sich im dargestellten Moment identisch, die Zuordnung als „richtiges“ Objekt erfolgt hingegen wegen des unterschiedlichen Straßenverlaufs anders. Ein anderes Beispiel ist das „Überholdilemma“ bei Annäherung mit hoher Geschwindigkeit. Für eine komfortable Abbremsung zum Folgen hinter einem deutlich langsamer fahrenden Fahrzeug sollte schon bei einem großen Abstand mit der Verzögerung begonnen werden. Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit, dass das vorausfahrende Fahrzeug überholt werden soll, bei einer großen Differenzgeschwindigkeit besonders hoch. Eine frühe Verzögerung würde aber den Überholvorgang erheblich stören. Da sich der Überholvorgang nur selten früher als sechs Sekunden vor Erreichen des zu überholenden Fahrzeugs andeutet [10], kommt es zum Dilemma zwischen zu früher Reaktion für ein ungestörtes Überholen und zu später Reaktion für eine komfortable bzw. überhaupt ausreichende Annäherung. Eine andere Grenze ist die späte Erkennung einscherender Fahrzeuge. Zum einen führen die zeitliche und örtliche Hysterese bei der Fahrschlauchzuordnung zu einer um etwa zwei Sekunden verspäteten Reaktion bezogen auf den Moment der Überquerung der Fahrstreifenmarkierung durch das einscherende Fahrzeug. Da die Fahrer durch die Situation und das Anzeigen des Fahrstreifenwechsels durch den Fahrtrichtungsanzeiger das Einscheren noch vor dem Überqueren der Markierung erahnen, ist die späte Reaktion immer wieder Kritikpunkt der Nutzer. Bei der Erkennung des Ausscherens tritt das gleiche Phänomen auf, obwohl die Zielfreigabe objektiv korrekt mit dem vollständigen Erreichen des benachbarten Fahrstreifens stattfindet. Eine signifikante Verbesserung des Ein- und Ausscherverhaltens von ACC ist nur durch eine Situationsklassifikation zu erreichen, wobei offen ist, inwieweit die Transparenz der ACC-Funktionalität unter solch „intelligenten“ Funktionen leidet.
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Bild 32-25: Situationsbeispiel für mehrdeutige Zielzuordnung (Fahrzeugpositionen und -bewegungen sind in beiden Bildern identisch)
Eine Verbesserung der Zielauswahl bei Fahrstreifenwechseln des ACC-Fahrzeugs kann über die Interpretation des Fahrtrichtungsanzeigers mit der Konsequenz einer Verschiebung des Fahrschlauchs zur angezeigten Richtung realisiert werden. Auch die Digitale Karte in Verbindung mit einer Ortung ermöglicht eine adaptive Fahrschlauchfunktion. Alles in allem erreichen moderne ACC-Systeme eine mittlere Dauer von etwa einer Stunde zwischen zwei merklichen Falschzuordnungen; ein Wert, der angesichts der vielen Fehlermöglichkeiten überraschend gut ist und nur schwer zu verbessern ist, wie in [15] ausführlich dargelegt wird.
32.8 Folgeregelung 32.8.1 Grundsätzliche Betrachtungen zur Folgeregelung Obwohl die Folgeregelung des ACC oft als Abstandsregelung bezeichnet wird, ist sie alles andere als eine abstandsdifferenzgeführte Regelung. Als Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen wird angenommen, dass der Reglerausgang direkt und ohne zeitliche Verzögerung die Fahrzeugbeschleunigung ist und ferner, dass das ACC-Fahrzeug mit der Sollzeitlücke Wset dem Zielfahrzeug folgt.
502
Unter Vernachlässigung der Fahrzeuglängen lässt sich daraus ableiten, dass das ACC-Fahrzeug nach einer Zeitdauer von Wset die Position des Zielfahrzeugs erreicht. Kopiert das ACC-Fahrzeug nun die Position des Zielfahrzeugs um die Zeitlücke verschoben, so wird die Zeitlücke unabhängig von der Geschwindigkeit eingehalten. In gleicher Weise werden die Geschwindigkeit und die Beschleunigung des vorausfahrenden Fahrzeugs zeitverschoben kopiert. Somit ist für den eingeschwungenen Fall ein einfaches Regelgesetz ableitbar, dass sogar Rückkopplungen vermeidet: xi 1 (t )
xi (t W set )
(32.11)
Der Index i + 1 steht für das ACC-Fahrzeug in einer Fahrzeugkolonne mit Laufindex i. Die Notation wird im Hinblick auf die Betrachtung der Kolonnenstabilität eingeführt, als deren Maß der Quotient VK xi 1 (Z ) / xi (Z ) der (komplexen) Beschleunigungsamplituden ist. Die Kolonne ist genau dann stabil, wenn die Bedingung VK
xi 1 (Z ) / xi (Z )
1, für Z
0
(32.12)
erfüllt ist. Andernfalls werden die Frequenzanteile der Frequenzen, für die diese Bedingung nicht erfüllt ist, aus einer noch so kleinen Störung mit jeder nachfolgenden Kolonnenposition größer. Für das in Gl. (32.11) aufgestellte idealisierte Regelgesetz gilt offensichtlich die Kolonnenstabilität, da
32 Adaptive Cruise Control
VK
e
j
set
1
(32.13)
ist, wenn auch grenzstabil ohne Dämpfung. Dieser Ansatz ist nicht praxistauglich, aber er zeigt die Grundtendenz zu einer Reglerauslegung an. Nachteile dieses Ansatzes sind die numerisch ungünstige Ermittlung der Beschleunigung des vorausfahrenden Fahrzeugs (Differentiation der Relativgeschwindigkeit und der eigenen Fahrgeschwindigkeit, die dazu notwendige Filterung führt zu Phasenverzug) und die fehlende Korrekturmöglichkeit bei nicht passender Geschwindigkeit und bei Abweichungen im Abstand. Dazu wird im Folgenden ein auf Basis der Relativgeschwindigkeit ausgelegter Regler gebildet: xi 1 (t )
xi (t ) xi (t ) Wv
vrel Wv
(32.14)
oder im Frequenzbereich xi 1 ( s )
xi ( s ) 1 jZW v
(32.15)
Mit wenigen Schritten lässt sich dieser Ansatz in einen beschleunigungsgeführten Ansatz wie Gl. (32.11) überführen, wobei der Beschleunigungswert des vorausfahrenden Fahrzeugs nicht um eine feste Zeit verzögert wird, sondern in einem PT1-Glied gefiltert und dadurch implizit um Wv verzögert wird. Der Ansatz (32.14 bzw. 32.15) ist offensichtlich kolonnenstabil, allerdings nur bei Gleichheit von Wv und Wset auch dem Regelwunsch nach konstanter Zeitlücke konform. Ferner ist dieser Regelansatz nicht geeignet, einmal vorhandene Abstandsabweichungen zu reduzieren. Dazu wird der Regler um einen additiven Korrekturteil zur Relativgeschwindigkeit erweitert, der proportional zur Differenz zwischen Soll- und Istabstand ist: xi 1 (t )
vrel
dset d Wd
Wv
(32.16)
oder im Frequenzbereich xi 1 ( s )
xi ( s )
1 jZW d 1 jZ (W d W set ) Z 2W dW v
(32.17)
Die Stabilitätsbedingung |VK| d 1 wird nun nur noch erfüllt, wenn Wv hinreichend klein gewählt ist:
W v W set 1
W set 2W d
(32.18)
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Offen bleibt bisher die Wahl der Abstandsregelzeitkonstanten Wd. Dazu kann ein Referenzszenario herangezogen werden, nämlich das Zurückfallen in einer Einschersituation. Dabei wird angenommen, dass das einscherende Fahrzeug ohne Geschwindigkeitsdifferenz in einem Abstand einschert, der 20 m kleiner ist als der Sollabstand. Eine angemessene Reaktion wäre eine Verzögerung von etwa 1 m/s2 entsprechend einem „Gaswegnehmen“ oder einer sehr leichten Bremsung. Damit eine derartige Reaktion gemäß Gl. (32.16) erfolgt, muss das Produkt Wv · Wd = 20 s2 betragen. Dieser Wert wird bei den nun nachfolgenden Betrachtungen zugrunde gelegt. Aus Gleichung (32.16) folgt, dass die durch W v 1 definierte Schleifenverstärkung für die Relativgeschwindigkeit umso höher sein muss, je kleiner die Folgezeitlücke ist. Allerdings bedeutet eine hohe Schleifenverstärkung auch eine geringe Dämpfung von Geschwindigkeitsschwankungen des Zielfahrzeugs, wie Bild 32-26 für Frequenzen oberhalb von 0,05 Hz zeigt. Wie die Messungen von Witte in [16] belegen, treten diese Schwankungen bei „fahrergeregelten“ Fahrgeschwindigkeiten in durchaus merklicher Weise auf, was dadurch verursacht wird, dass die Fahrer erst bei bemerkter Abweichung vom Wunsch eine dann zunächst konstante Fahrpedalstellung zur Korrektur anwenden, die dann erst wieder auf einen anderen Wert geändert wird, wenn wiederum eine Abweichung bemerkt wird. Das führt zu den im Bild 32-27 deutlich sichtbaren charakteristischen „Zacken“, die als Phasen konstanter Beschleunigung beschrieben werden können. Bewertet man die Fortpflanzung dieser Schwankungen auf das nachfahrende Fahrzeug und nimmt man als Maß des Diskomforts die Varianz der zeitlichen Änderung der Beschleunigung, also des Rucks xv, so lässt sich als Funktion der Schleifen1 verstärkung durch W v und der Kolonnenposition die Dämpfungswirkung bemessen. Wie im Bild 32-28 deutlich wird, nimmt die Ruckvarianz für die ersten Kolonnenpositionen sowohl mit der Kolonnenposition als auch mit steigender Regelzeitkonstante Wv ab. Das Absinken in Abhängigkeit von der Kolonnenposition gilt für die in dieser Auswahl einzige stabile Variante mit Wv = 1,5 s auch asymptotisch für eine beliebige Position. Bei den anderen, nicht kolonnenstabilen Varianten kehrt sich der Verlauf nach einer mit steigender Zeitkonstante umso niedrigeren Position um. Die höherfrequenten Ruckanteile sind stark gedämpft, die niederfrequenten werden aber wegen |VK| ! 1 von Position zu Position verstärkt. Damit ergibt sich ein Dilemma zwischen Komfort und Kolonnenstabilität.
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Bild 32-26 Kolonnenverstärkung für unterschiedliche Schleifenverstärkungen
Bild 32-27 Geschwindigkeitsprofil eines fahrergeregelten Fahrzeugs nach [16]
Bild 32-28 Veränderung der Ruckvarianz in Abhängigkeit der Kolonnenposition für verschiedene Geschwindigkeitsschleifenverstärkungen (bei Wset = 1,5 s)
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Was bedeutet aber fehlende Kolonnenstabilität für eine reale Situation? Dies illustriert Bild 32-29 für den Fall einer 4 s anhaltenden Verzögerungsstufe mit 2 m/s2 Amplitude. Dieser Fall entspricht einer Anpassungsbremsung, z. B. als typische Reaktion auf langsamere Fahrzeuge oder auf Änderungen der Geschwindigkeitsbegrenzung. Zeigt das erste nachfahrende Fahrzeug (Position 2) noch eine gut gedämpfte Reaktion mit nur geringem Überschwingen, so facht sich dieses Überschwingen bei den höheren Kolonnenpositionen immer weiter an. Im unteren Bild wird deutlich, dass dieses Schwingen beim 15. Fahrzeug sogar dazu führt, dass der Abstand bedrohlich gering wird. Deutlich ist auch eine Periodizität von 0,025 Hz entsprechend 40 s
Bild 32-29: Aufschaukeln durch Kolonneninstabilität am Beispiel einer 4 s anhaltenden Verzögerungsstufe mit 2 m/s2 Amplitude (oben: Beschleunigung, Mitte: Geschwindigkeit, unten: Abstand, Parameter: W0 = 1,5 s, Wd = 5 s, Wv = 4 s)
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Periodendauer zu sehen, die zum Maximum der Verstärkungsfunktion im Bild 32-26 korrespondiert. Eine implizite Fallunterscheidung bietet sich als Ausweg aus der Dilemma-Situation an. Die hohe Empfindlichkeit des Fahrers auf Schwankungen tritt vor allem dann auf, wenn in einer ruhigen, durch geringe Geschwindigkeitsunterschiede geprägten Folgesituation gefahren wird. Die mit der fehlenden Kolonnenstabilität verbundenen Probleme äußern sich erst bei großen Abweichungen zum stationären Zustand. Daher liegt es nahe, die Regelkreisschleifenverstärkung selektiv auf diesen Unterschied auszulegen. In einer einfachsten Form kann dies über eine Kennlinie mit zwei Knicken bei ± 'v12 realisiert werden (Bild 32-30), wobei auch ein abgerundeter Übergang denkbar ist. Mit diesem Ansatz lassen sich innerhalb der Regeldifferenzen von 'v12 | 1 m/s die im Bild 32-27 sichtbaren Schwankungen mit großer Regelzeitkonstante dämpfen, wenn aber größere Dynamik gefordert ist, wie bei dem Beispiel der Verzögerungsstufe, lässt sich auf Großsignalebene Stabilität erreichen, wie Bild 32-31 zeigt. Das Überschwingen bleibt weitgehend im durch ± 'v12 vorgegebenen Band. Bei der tatsächlichen Reglerumsetzung wird nur das grundsätzliche Prinzip übernommen, da noch weitere Einflussgrößen eine Modifikation verlangen. Diese kann über Kennfelder oder komplexere mathematische Funktionen ausgedrückt werden. Des Weiteren werden in obiger Betrachtung alle sonstigen Systemtotzeiten vernachlässigt, was weder für die Umfeldsensorik noch für den unterlagerten Beschleunigungsregelkreis gerechtfertigt ist. Als Richtwert kann hier gelten, dass die Regelkreiszeitkonstanten um die Totzeiten reduziert werden müssen, um die Stabilitätsbedingungen erfüllen zu können.
Bild 32-30: Regelschleifenverstärkungskennlinie von einem nichtlinearen Abstands- und Relativgeschwindigkeitsregler
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nigungswerte umgerechnet wird. Der Abgleich zwischen Soll- und Istbeschleunigung erfolgt anschließend über einen begrenzten PI-Regler. Je nach eingestelltem Sollabstand ergeben sich unterschiedliche Reaktionen auf Änderungen von Abstand und Relativgeschwindigkeit. Dem kann durch unterschiedlich parametrierte Regelbasen Rechnung getragen werden. Bei Distronic wurden bis zu 3 verschiedene Regelbasen verwendet. Zwischenwerte wurden jeweils interpoliert. Die Kennfelder werden offline berechnet und als Regelbasen im Steuergerät abgelegt. Vorteile dieser Vorgehensweise: nur ein geschlossener Regler, keine Sonderfälle notwendig beliebig nichtlineares Verhalten darstellbar kein Umschalten oder Übergänge anschauliche Abstimmung und Parametrierung erfahrungsbasierter Ansatz Grenzen: nur für Geschwindigkeitsbereiche anwendbar, in denen der Abstandsfehler gering gewichtet wird.
32.9 Zielverluststrategien und Kurvenregelung
Bild 32-31: Gedämpftes Aufschaukeln des nichtlinearen Folgereglers gemäß Bild 32-30 (Parameter: W0 = 1,5 s, Wd = 5 s, Wv1 = 4 s, Wv2 = 1,33 s, 'v12 = 1 m/s (3,6 km/h)) am selben Beispiel wie Bild 32-29 (oben: Beschleunigung, Mitte: Geschwindigkeit, unten: Abstand)
32.8.2 Fuzzy-Folgeregler Für die Abstandsregelung bei der Distronic wurde eine spezielle Reglerstruktur verwendet, die die beiden Eingangsgrößen Zeitlücke und Relativgeschwindigkeit zunächst in linguistische Variablen überführt. Die zugehörigen Funktionen sind im Bild 32-32 dargestellt. Mit den so ermittelten linguistischen Variablen wird dann über eine Matrix (Regelbasis, siehe Bild 32-33) der Wert der gewünschten Fahrzeugreaktion ermittelt, die über die Zugehörigkeitsfunktion der Sollbeschleunigung in entsprechende Beschleu-
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Bei Kurvenfahrt ist ein Zielverlust nicht auszuschließen, der dadurch entsteht, dass der maximale Azimutwinkel des ACC-Sensors nicht ausreicht (s. Abschnitt 32.6.2.3), um das Zielobjekt zu detektieren. Auch bei Geradeausfahrt ist ein kurzzeitiger Zielverlust nicht auszuschließen, wenn z. B. eine geringe Reflektivität vorhanden ist (Beispiel Motorrad) oder die Objekttrennung nicht gelingt. In diesen Fällen wäre eine sofortige Beschleunigung auf die Setzgeschwindigkeit, wie sie nach dem Ausscheren eines Zielfahrzeugs gewollt wäre, unangemessen. Diese beiden Szenarien lassen sich oftmals dadurch unterscheiden, dass bei Ausscheren die Zielplausibilität (s. Abschnitt 32.7.3) durch ein negatives Zuordnungsmaß (SPW < 0) zum Fahrschlauch abgebaut wird und das Objekt bei diesem „Zielverlust“ immer noch detektiert wird. Hingegen ist bei Fahrt in engen Kurven oder bei den sonstigen Zielverlusten, auf die nicht mit einer raschen Beschleunigung reagiert werden soll, der Zielverlust mit dem Fehlen von Objektdetektionen und einer bei der letzten bekannten Messung positiven Zuordnung (SPW>0) zum Fahrschlauch verbunden. Mit diesem Unterscheidungskriterium lässt sich die Reaktion unterschiedlich gestalten: Im ersten Fall wird nach Ziel-
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Bild 32-32: Zugehörigkeitsfunktionen des Distronic-Abstandsreglers
Bild 32-33: Regelbasis des Distronic-Abstandsreglers
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verlust zügig beschleunigt, sofern nicht ein neues Zielobjekt die Beschleunigung begrenzt, im zweiten wird eine Beschleunigung zunächst unterdrückt. Doch wie lange wird dies fortgesetzt und mit welcher Strategie wird daran angeschlossen? Für die Zeitdauer der Beschleunigungsunterdrückung lässt sich die Zeitlücke heranziehen, die bei Zielverlust vorlag. Sollte das Zielobjekt wegen der Einfahrt in eine Kurve aus dem Messbereich entschwunden sein, dann kann dieses vom ACC-Fahrzeug nach der der Zeitlücke entsprechenden Fahrstrecke überprüft werden, weil dann die Krümmung sich von der zum Zeitpunkt des Zielverlustes unterscheiden müsste. Wird dieses Kurvenkriterium erfüllt, kann die Beschleunigungsunterdrückungsstrategie von einer Kurvenregelung abgelöst werden. Im anderen Fall wird davon ausgegangen, dass das Zielobjekt sich nicht mehr im Fahrschlauch befindet und die Geschwindigkeit dann der neuen Situation angepasst wird. Bei der Kurvenregelung sind zwei Aspekte von Bedeutung: die Querbeschleunigung und die effektive Reichweite dmax,eff des ACC-Sensors. Diese ist durch die Kurvenkrümmung N und den maximalen Azimutwinkel Imax gegeben und beträgt in guter Näherung: d max,eff
2Imax N
(32.19)
Hieraus lässt sich eine Geschwindigkeit vc,p = dmax,eff /Wpreview über die mindestens für eine Annäherung zur Verfügung stehende Zeitlücke Wpreview ableiten:
vc,p (N , Imax ,W preview )
2Imax N W preview
(32.20)
Mittels dieser Geschwindigkeit lässt sich entscheiden, ob noch weiter beschleunigt wird. Diese Strategie führt gerade bei sehr engen Kurven wie bei Autobahnkleeblättern zu einer angemessenen Fahrstrategie. Das zweite vermutlich in allen ACC-Systemen eingesetzte Kriterium ist die Querbeschleunigung. Wie schon bei der Ableitung der Kurvenklassifikation (Abschnitt 32.6.2.3) wird von einer den Komfortbereich beschreibenden Grenzquerbeschleunigung aymax ausgegangen, die zwischen 2 m/s2 (bei höheren Geschwindigkeiten) und 3 m/s2 (bei niedrigen Geschwindigkeiten) liegt. Daraus lässt sich wiederum eine Kurvengrenzgeschwindigkeit vc,ay ableiten: vc,ay (N , ay max )
ay max N
(32.21)
Beide Grenzgeschwindigkeiten sind jeweils für zwei typische Werte in Bild 32-34 dargestellt. Liegt die aktuelle Fahrgeschwindigkeit über den genannten Geschwindigkeiten, so wird eine positive Beschleunigung zumindest reduziert oder sogar eine negative veranlasst, ohne aber in den Bereich der deutlichen Verzögerungen oberhalb von 1 m/s² zu geraten. In Verbindung mit der oben beschriebenen Zielverlustbeschleunigungsunterdrückung gelingt ein erstaunlich guter „Blindflug“ mit einer in einer Testreihe [14] nachgewiesenen Qualität von 80 %,
Bild 32-34 Kurvengrenzgeschwindigkeiten für eine „Blindflugregelung“ in Abhängigkeit von der Kurvenkrümmung N (vc,ay aus der Grenzquerbeschleunigung, ay max resultierende Grenzgeschwindigkeit, vc,p aus maximalem Azimutwinkel Imax und der Vorschauweite Wpreview abgeleitet)
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gemessen daran, ob der Fahrer bei Zielverlust ohne einzugreifen die Fahrt fortgesetzt hat. Eine Verbesserung der Reaktion auf kurvenbedingte Zielverluste lässt sich durch die Information einer Digitalen Karte erreichen, am besten mit einer heute noch nicht in Serienfahrzeugen dargestellten fahrstreifengenauen Ortung. Damit lässt sich die Kurvenkrümmung im Vorhinein erkennen und auch die Regelstrategie an Autobahnausfahrten anpassen. Eine weitere Herausforderung für die ACC-Entwickler stellt das Abbiegen des Zielfahrzeugs dar. Durch die Richtungsänderung des Geschwindigkeitsvektors des vorausfahrenden Fahrzeugs ergibt sich eine deutliche scheinbare Verzögerung für das nachfolgende Fahrzeug. Da nur diese vom Sensor gemessen wird, erfolgt daraus eine überproportionale Verzögerung des ACC-Fahrzeugs, die durch geeignete Maßnahmen reduziert werden sollte.
32.9.1 Annäherungsstrategien Das Annäherungsvermögen ist definiert als maximale negative Relativgeschwindigkeit –v rel,appr, die mittels ACC zu einem mit konstanter Geschwindigkeit fahrenden Fahrzeug noch ausgeregelt werden kann, bevor eine kritischen Distanz dappr,min unterschritten wird. Es hängt vom Abstand dappr,0 bei Verzögerungsbeginn, vom konstant angenommenen xv,min J max maximalen Anstieg der Verzögerung und von der maximalen Verzögerung = minimale xv,min Dmax ab. Beschleunigung
vrel,appr
2 Dmax
d appr,0 d appr ,min
3 Dmax 2 6J max
2 Dma x 2 J max
dappr,0
dappr ,min
(32.22)
3 Dmax 2 6J max
vrel ,appr
2 Dmax 2 J max
2
2Dmax (32.23)
Der für eine unkritische Annäherung notwendige Abstand wächst etwa quadratisch mit der Differenzgeschwindigkeit und etwa reziprok zur Maximalverzögerung. Mit 100 m Abstand lassen sich bei D max = 2,5 m/s2 etwa 20 m/s (72 km/h) Differenzgeschwindigkeit ausgleichen, für eine Annäherungsfähigkeit von v rel,appr = 100 km/h sind dappr,0 | 120 m und D max | 3,5 m/s2 nötig.
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Die Rampe beim Aufbau der Verzögerung führt zwar zu einer Verringerung der Annäherungsfähigkeit, erhöht aber die Transparenz für den Fahrer, vgl. auch Abschnitt 32.3.2. Natürlich kann bei dynamischen Annäherungen nicht vermieden werden, dass der stationäre Sollabstand bzw. die Sollzeitlücke unterschritten wird. Daher kann als Reserve dappr,min für eine gelungene Annäherung auch ein deutlich kleinerer Abstandswert als der Sollabstand eingesetzt werden. Doch ist zu beachten, dass die Unterschreitung, also das „Eintauchen“ nur über eine gefahrene Strecke von 250 bis 300 m zulässig ist.
32.9.2 Überholunterstützung Folgen und Überholen stehen im Widerspruch zueinander. Somit muss für eine Unterstützung des Überholens die Folgeregelung temporär modifiziert werden. Ließe sich die Überholaktion exakt vorhersehen, so könnte das aktuell vorausfahrende Fahrzeug ignoriert und so Fahrt aufgenommen werden, als ob kein Fahrzeug vorausfahren würde. Allerdings ist der Fahrtrichtungsanzeiger kein eindeutiger Indikator, weder für die tatsächliche Überholabsicht noch für den gewünschten oder möglichen Manöverbeginn. Der erste Fall tritt auf, wenn mit dem Fahrtrichtungsanzeiger ein Linksabbiegen angezeigt werden soll. Da diese Situation bei hohen Geschwindigkeiten selten der Fall ist, andererseits das Überholen eher mit einer hohen Geschwindigkeit verbunden ist, lässt sich eine Kompromisslösung finden, bei der die Überholunterstützung erst bei Geschwindigkeiten oberhalb von 70 km/h eingesetzt wird. Ein einfaches Ausblenden des aktuellen Ziels scheidet aus, da das „Linksblinken“ oftmals auch als Aufforderung an den vorausfahrenden Fahrer, den Überholstreifen freizugeben, eingesetzt wird. Da aber nicht vorherzusehen ist, ob und wann diesem Wunsch Folge geleistet wird, verbleibt nur eine vorsichtige Unterschreitung des bisherigen Sollabstands zum „Schwungholen“. Innerhalb dieser Phase sollte dann der Überholvorgang mit einer erkennbaren Richtungsänderung initiiert sein. Das notwendige schnelle „Loslassen“ des bisherigen Ziels kann durch einen nach links verschobenen Fahrschlauch unterstützt werden. Kann der Überholvorgang nicht wie gewünscht durchgeführt werden, so kehrt ACC nach einer wenige Sekunden dauernden Aufrückphase wieder in den normalen Folgemodus zurück. Diese Funktion ist allerdings nur geeignet für den Einsatz in Ländern mit hoher Relativdynamik, also z. B. in Deutschland. In den USA dagegen sind die
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Geschwindigkeitsunterschiede auf verschiedenen Fahrstreifen oft nur gering, sodass die Funktion hier in deutlich anderer Ausprägung angeboten werden muss oder sogar weggelassen wird. Alternativ können bei entsprechender Sensorperformance (vor allem azimutaler Abdeckungsbereich und Grad der Mehrzielfähigkeit) die Geschwindigkeiten der Fahrzeuge auf dem Zielfahrstreifen analysiert und die Überholunterstützung davon abhängig gemacht werden.
32.9.3 Reaktion auf stehende Ziele Stehende, im zukünftigen Korridor liegende Objekte können durchaus relevante Hindernisse sein. Aber vielfach sind es irrelevante Ziele wie Kanaldeckel, Brücken oder Schilder. Schon bei Geschwindigkeiten von 70 km/h müsste eine rechtzeitige Verzögerung mit etwa 2,5 m/s² schon etwa 100 m vor dem Objekt begonnen werden. Da aber die Fehlerwahrscheinlichkeit bei der Zielauswahl dabei noch sehr hoch ist, ist eine Reaktion auf stehende Ziele nur in Ausnahmefällen sinnvoll. Die wichtigste Ausnahme betrifft die Historie von stehenden Objekten. Sind diese zuvor mit einer von Null unterscheidbaren Absolutgeschwindigkeit gemessen worden, so werden diese als „angehaltene“ Objekte klassifiziert und können auch als potenzielle Zielobjekte behandelt werden. Ansonsten werden die Bedingungen für eine Reaktion auf stehende Ziele nur im Nahbereich bis ca. 50 m eingeschränkt. Die Reaktion kann eine „Beschleunigungsunterdrückung“ sein, bei der die Erhöhung der Geschwindigkeit unterbunden wird, solange das stehende Objekt im Fahrschlauch geortet wird, oder eine Auffahrwarnung.
32.9.4 Anhalteregelung, Spezifika der Low-Speed-Regelung Für die Low-Speed-Regelung ist prinzipiell kein anderer Regleransatz erforderlich, allerdings müssen die Abstands- und Geschwindigkeitsabweichungen von den Sollwerten stärker gewichtet werden. Beispielsweise können bei einer Zustandsreglerstruktur dazu die entsprechenden Reglerverstärkungen über einen Fuzzy-Ansatz situationsgerecht angepasst werden. Damit wird ein höheres Maß an Komfort und ein fahrerähnliches Verhalten erreicht. Da bei niedrigen Geschwindigkeiten der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug klein ist, müssen Situationen wie z. B. „naher Einscherer“, „Objekt zu nahe“ oder „Anhalten“ in diesem Geschwindigkeitsbereich besonders betrachtet wer-
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den. Durch die stärkere Gewichtung der Abstandsund Geschwindigkeitsabweichungen beim Erkennen dieser Situationen wird die Reglerreaktion schneller und damit eine für die gegebene Situation angemessene Dynamik sichergestellt. Im Vergleich zum „normalen“ ACC-Betrieb werden bei der Low-Speed-Regelung höhere Verzögerungen (bis zu 5 m/s2) erlaubt. Damit werden auch dynamische Anhaltevorgänge ermöglicht. Noch höhere Verzögerungen sind allerdings nicht sinnvoll, weil diese dem Fahrer suggerieren würden, dass das System jede Situation selbstständig beherrschen könnte und er die Funktionsgrenzen nicht mehr erlebt. Ein zusätzliches Feature der Low-SpeedRegelung ist die Stauerkennung. Wenn auf Basis von Sensordaten ein Stau erkannt wird (z. B. durch wiederholtes Losfahren des Vordermanns mit niedriger Dynamik, geringe Maximalgeschwindigkeit, Stillstand bereits wieder kurz nach dem Anfahren), so werden die Abstands- und Geschwindigkeitsabweichungen wiederum niedriger gewichtet, um ein sanftes Reglerverhalten zu erreichen. Damit kann z. B. bei Autobahn-Stau und Ampel-Verkehr in der Stadt ein unterschiedliches Verhalten mit einer der Situation angemessenen Dynamik gewährleistet werden.
32.10 Längsregelung und Aktorik 32.10.1 Grundstruktur und Koordination Aktorik Die Längsregelung setzt die Anforderung der Adaptiven Geschwindigkeitsregelung, nämlich die letztendlich von verschiedenen Einzelreglern zusammengefasste Sollbeschleunigung, in eine Istbeschleunigung um. Dazu werden in jeweils eigenständigen unterlagerten Regelkreisen der Stellsysteme Antrieb und Bremse die Summenkräfte (oder Summenmomente) so eingestellt, dass die gewünschte Beschleunigung realisiert werden kann. Auch wenn eine gleichzeitige Ansteuerung eines Antriebsmoments und eines Bremsmoments denkbar ist, wird im Allgemeinen darauf verzichtet und die jeweiligen Stellzweige exklusiv/oder angesteuert. Zur Gestaltung harmonischer Übergänge zwischen Antrieb und Bremse ist es sinnvoll, eine physikalische Größe zu wählen, mit der beide Aktorsubsysteme gleichermaßen gesteuert werden können. Hierfür bieten sich die Radmomente (aber auch die Radkräfte) an. Dabei ist eine Summen-
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betrachtung ausreichend, also die Summe der auf alle 4 Räder wirkenden Radmomente, da ACC keine Momente an einzelnen Rädern stellt. Auf diese Art und Weise kann die Koordination auf Basis des gleichen physikalischen Signals möglichst aktornah bewerkstelligt werden, wie in den nachfolgenden Abschnitten gezeigt wird. Als Rückmeldeinformationen wird von ACC das umgesetzte Ist-Summenradmonent (bzw. -kraft) benötigt, das für die korrekte Berechnung der fahrdynamischen Gleichung und damit u. a. zur Steigungsschätzung im ACC erforderlich ist. Vom Antrieb muss zusätzlich der aktuell einstellbare Maximal- und Minimalwert als Summenradmoment zur Verfügung gestellt werden. Dabei ist speziell das minimal mögliche Moment, also das im aktuellen Gang im Schubbetrieb erreichbare Moment wichtig, da die Bremse erst dann aktiviert werden soll, wenn über den Antrieb nicht mehr weiter verzögert werden kann. Wie in den nachfolgenden Kapiteln noch ausführlicher dargelegt wird, stellt die ACC-Regelung keine allzu großen Anforderungen an die absolute Genauigkeit der Stellglieder, da Abweichungen vom geforderten Sollwert meist über den geschlossenen Regelkreis gut kompensiert werden können. Lediglich zu Beginn der Regelung sowie bei Übergängen zwischen den verschiedenen Stellgliedern vereinfacht eine gute absolute Genauigkeit die Regelung. Im Wesentlichen ist jedoch eine gute relative Genauigkeit für den gewünschten Regelkomfort notwendig.
32.10.2 Bremse Die anfänglich vor allem von japanischen Automobilherstellern angebotenen ACC-Systeme ohne Bremseingriff fanden – wegen der allein durch das Motorschleppmoment in Verbindung mit Getrieberückschaltungen bedingten geringen Verzögerung – in Europa nur geringe Akzeptanz, weil die Fahrer zu häufig selbst bremsen mussten. Die seit 1995 voranschreitende Ausrüstung von Fahrzeugen der Oberklasse mit ESP-Systemen sowie die den Fahrer bei Notbremsungen unterstützenden Bremsassistenten haben die Realisierung eines für ACC-Systeme geeigneten Bremseingriff deutlich vereinfacht, sodass kaum noch eine ACC ohne Bremseingriff zu finden ist. Da für die Systeme ASR und ESP als Schnittstelle zum Motor bereits die Anforderung eines Sollmoments über eine Motor-Momentenschnittstelle eingeführt wurde, war es nahe liegend, als Anforderung an die Bremse ebenfalls ein gewünschtes
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Bremsmoment zu schicken. Dies hat den Vorteil, dass die Aufteilung zwischen den verschiedenen Stellgliedern im ACC-Regler sehr einfach erfolgen kann und die Spezifika der einzelnen Stellorgane keinen oder nur einen geringen Einfluss auf die Reglerauslegung haben, was die Übertragbarkeit in verschiedene Fahrzeuge und Modelle erheblich erleichtert. Betrachtet man die Übertragungsfunktion der Bremse, erkennt man, dass sich Druckänderungen mit dem Faktor 0,1 in der Verzögerung auswirken, d. h. Drucksprünge von 1 bar liegen nur knapp unter dem Merkschwellwert von 0,15 m/s². Entsprechend hoch sind die Anforderungen an die Dosierbarkeit der Bremsenansteuerung. Für den Zusammenhang zwischen Verzögerung D (= negative Beschleunigung) und Bremsdruck pBR gilt: D
pBr
AK PBr RBr mv Rdyn
(32.24)
Zeichenerklärung: 'DF Änderung der Fahrzeugverzögerung 'pF Änderung des Bremsdrucks AK Gesamtfläche der Bremskolben μBr Gleitreibung zwischen Bremsbelag und Bremsscheibe RBr Wirksamer Radius an den Bremsscheiben (Mittelwert) mv Fahrzeugmasse Rdyn Dynamischer Radius der Räder Als Näherungswerte können AK · μBr · RBr = 70 Nm/bar und mv = 2100 kg sowie Rdyn = 0,34 m dienen. Je nach Fahrzeugkonfiguration können sich so Übersetzungswerte von 0,07…0,14 m/s2bar ergeben. 32.10.2.1 Stellbereiche Wenn bei Standard-ACC eine Verzögerung von 2 m / s2 angefordert wird, so sind bei ebener Fahrbahn 20–25 % des für gute Fahrbahnverhältnisse für eine Vollbremsung notwendigen Maximaldrucks von 80 bar hinreichend. Berücksichtigt man jedoch die maximale Zuladung, ungebremste Anhängelasten sowie Bergabfahrt, ergeben sich deutlich größere Werte bis hin zu 50 % des Maximaldrucks. Um für verschiedene Reibverhältnisse an der Bremsscheibe sowie Fading ausreichend Reserven zu haben, muss der zulässige Stellbereich noch nach oben aufgeweitet werden, sodass im Extremfall der gesamte zur Verfügung stehende Stellbereich genutzt werden muss. Die Sicherheitsüberwachung des Bremseneingriffs kann somit nicht über den Betrag des angeforderten Bremsmoments, sondern
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nur über die eingestellte Verzögerung erfolgen (siehe Abschnitt 32.10.2.4). 32.10.2.2 Stelldynamik Für Komfortfunktionen wie ACC werden typischerweise Verzögerungsänderungen bis zu 5 m/s3 zugelassen (siehe Abschnitt 32.3.2). Daraus würde eine geforderte Druckänderungsdynamik von 30–40 bar/s resultieren. Um jedoch den vorgegebenen Momenten- bzw. Druckverläufen mit ausreichender Dynamik folgen zu können, muss die Bremsanlage in der Lage sein, Veränderungen mit bis zu 150 bar/s zu folgen. Notwendig ist ein dynamisches Folgen der Sollwertvorgabe mit ausreichend schnellem Druckaufbau zu Bremsbeginn und möglichst verzugsfreiem Folgen bei Druckmodulationen. Die maximalen Verzugszeiten sollten dabei < 300 ms bleiben. Voraussetzungen dafür sind neben einer entsprechend dimensionierten Pumpe vor allem die Entdrosselung des Hydrauliksystems im Ansaugbereich der Pumpe, um die benötigten Volumina weitgehend temperaturunabhängig bereitstellen zu können. Das Einregeln des Sollwerts muss unbedingt überschwingungsfrei erfolgen, da dies sonst vom Fahrer als sehr unangenehm empfunden wird. Neben schnellem Folgen bei dynamischen Sollvorgaben ist insbesondere auch ein gutes und möglichst stufenloses Folgeverhalten bei kleinen oder sich langsam verändernden Sollvorgaben unbedingt erforderlich, da gerade dieses Ausregeln von kleinen Regeldifferenzen typisch für den ACC-Betrieb ist. Stationäre Abweichungen sind ebenfalls zu vermeiden, da sich dies zu Geschwindigkeits- und Abstandsfehlern aufintegriert und zu Grenzzyklusschwingungen führen kann. 32.10.2.3 Regelkomfort Wie bereits in der Einleitung ausgeführt, reagiert das Fahrzeug sehr sensibel auf Druckänderungen. Damit ein sensibler Fahrer den Druckaufbau als stufenlos empfindet, muss die Bremsanlage fähig sein, Druckstufen kleiner 0,5 bar zu stellen. Der Bremsdruckauf- und -abbau soll möglichst geräuschfrei, harmonisch und kontinuierlich verlaufen, unbeabsichtigte Drucksprünge über 1 bar Druckänderung sind zu vermeiden. Für eine gleichmäßige Druckerzeugung ist eine erhöhte Anzahl an Pumpenelementen günstig, für den Druckabbau sind kontinuierlich regelnde Ventile vorteilhaft. Bezüglich Akustik ist auf eine niedrige Pumpendrehzahl zu achten sowie auf eine entsprechende Lagerung der Hydraulikeinheit und auf geeignete Verlegung der Bremsleitungen, um die Einkopplung von Schwingungen über die Karosserie zu verhindern. Erschwerend
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kommt hinzu, dass bei einem Bremseingriff eine der wesentlichen Geräuschemittenten im Fahrzeug, der Motor, auf sein akustisches Minimum, den Schleppbereich, zurückgefahren ist. 32.10.2.4 Sonstige Anforderungen Das Bremslicht muss unabhängig von der Fahrerbremsbetätigung angesteuert werden können. Bei Bremsstellsystemen mit einem aktiven Booster kann dies ohne Änderung über den Bremslichtschalter am Pedal realisiert werden, während bei Bremsstellsystemen mit Hydraulikpumpen das Bremslicht vom Steuergerät in Abhängigkeit von Bremsdruck und Verzögerung gesteuert wird. Dabei ist das Bremslichtflackern über Mindestansteuerzeiten bzw. mittels Schalthysterese zu vermeiden. Die Bremsdruckverteilung Vorder-/Hinterachse ist identisch zur Normalbremsbetätigung zu halten, um eine Überlastung der Bremsen einer Achse bzw. instabiles Fahrzeugverhalten zu verhindern. Hierbei haben sich zusätzliche Bremskreisdrucksensoren bewährt. Bei längeren Bremsungen kann darüber auch die Leckage in einem Kreis erkannt und kompensiert werden. Beim Einbremsen des Fahrers in eine ACCBremsung sollen die Pedalrückmeldungen so gering wie möglich gehalten werden. Insbesondere Vibrationen oder gar Schläge am Pedal sind zu vermeiden, der Übergang in die normale Bremsdruckkennlinie ist harmonisch zu gestalten. Wichtig ist hier ein frühzeitiges Auslösen des Bremslichtschalters – noch bevor signifikant Druck aufgebaut wird – um vor allem die Pumpe frühzeitig abschalten zu können. Beim Auftreten von Fahrzeuginstabilitäten hat die Fahrzeugregelung (ABS, ASC, ESP) Vorrang, die Übergänge in die Schlupfregelung sind dazu geeignet auszulegen. Sicherheitsüberwachungen: Bei Fehlern im ESPSystem ist der Bremsdruck sofort abzubauen, bei Fehlern in Partnersteuergeräten ist je nach Schwere eine Bremsung zu beenden bzw. rampenförmig Druck abzubauen. Ebenso ist sicherzustellen, dass alle Abschaltsignale (zusätzlich zum Bremslichtschalter), wie etwa Bedienelemente, Handbremsbetätigung, ungültiger Gang etc. sicher verarbeitet werden. 32.10.2.5 Rückmeldeinformation Das Bremssubsystem ist der wichtigste Lieferant für fahrzeuginterne Zustandsgrößen; die wichtigsten hierunter sind: Fahrzeuggeschwindigkeit, Gierrate, Lenkwinkel, Bremslichtschalter, Schlupfregelinformationen. Außerdem wird das aktuell umgesetz-
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te Ist-Bremsmoment rückgemeldet, um in der ACC eine Steigungsschätzung durchführen zu können. Für eine angemessene Reaktion auf Regelzustände von ESP werden binäre Zustandsinformationen (Flags) bereitgestellt (z. B. ABS-aktiv, ASR-aktiv, ESP-aktiv). 32.10.2.6 Zusatzanforderungen für FSRA Für Bremsungen im Niedriggeschwindigkeitsbereich bestehen vor allem wegen fehlender Fahrund Motorgeräusche erhöhte Anforderungen an die Akustik der Bremsregelung. Ebenso sind Bremsengeräusche wie Quietschen oder Rubbeln zu minimieren. Aufgrund der höheren Verzögerungen ergibt sich ein verändertes Einbremsverhalten, das Pedal darf nicht übermäßig verhärten. Stillstandsmanagement: Nach erkanntem Stillstand übergibt FSRA die Verantwortung für sicheres Halten im Stand an das ESP, hierbei ergeben sich folgende Aufgaben: – Anhebung (nach starken Verzögerungen ggf. auch Absenkung) des Bremsdrucks für sicheres Halten im Stand, eine Neigungserkennung ist hierfür vorteilhaft – Permanente Rollüberwachung und bei Bedarf Bremsmomentenerhöhung – Rutscherkennung bei sehr niedrigen Reibwerten, ggf. Lösen der Bremse, um Lenkbarkeit zu erhalten – Sicherer Übergang in energieloses Halten (Ansteuerung der elektrischen Parkbremse EPB) bei Erkennung einer Fahrerausstiegsabsicht – Temperaturüberwachung des Hydrauliksystems wegen der stärkeren Erwärmung durch die permanente Ventilbestromung, ggf. Abschaltung mit Fahrerwarnung – Bei Motor-Start-Stopp-Systemen ist darauf zu achten, dass während des Spannungseinbruchs beim Motorstart alle notwendigen Funktionen aktiv bleiben, insbesondere ist das korrekte Schließen derjenigen HydraulikVentile zu berücksichtigen, die für das Halten des notwendigen Bremsdrucks verantwortlich sind.
32.10.3 Antrieb Im Folgenden wird die Kombination aus Verbrennungsmotor und Automatikgetriebe betrachtet, die Kombination mit Handschaltgetriebe wird als Son-
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derfall betrachtet. Kombinationen mit Hybridantrieben sind ebenfalls denkbar. Prinzipiell ist hierzu zu sagen, dass Übergänge zwischen Elektromotor und Verbrenner für ACC genauso unmerklich ablaufen müssen wie für den Fahrer; der Antrieb ist für ACC weiterhin lediglich ein Momentensteller, da für die Systemfunktion unerheblich ist, wie diese Momente erzeugt werden. Hinsichtlich des rekuperativen Bremsens mit einer Elektromaschine ist auf entsprechende Koordination mit dem Bremssystem zu achten, das die Überblendung zur Reibungsbremse zu übernehmen hat. Es hat sich bewährt, Motor und Getriebe aus Sicht von ACC als Einheit zu betrachten sowie direkt Summen-Rad-Sollmomente vorzugeben und dem Antriebssubsystem zu überlassen, wie diese Momente geeignet gestellt werden, entweder durch Veränderung des Motormoments oder durch Verändern der Getriebeübersetzung. So ergibt sich für eine Änderung der Beschleunigung 'a analog zur Betrachtung bei der Bremse ein proportionaler Zusammenhang mit der SummenRadkraftänderung bzw. der Summen-Radmomentenänderung: a
FR mv
MR mv Rdyn
(32.25)
Zeichenerklärung: 'aF Änderung der Fahrzeugbeschleunigung mv Fahrzeugmasse Rdyn Radius der Räder 'F R6 Summenradkraftänderung 'MR6 Summenradmomentänderung Eine direkte Ansteuerung des Motors über Motormoment-Sollwerte ist zwar möglich, benötigt aber spezielle Maßnahmen zur Getriebebeeinflussung, um eine ausreichende Dynamik zu erhalten und trotzdem unerwünschte Schaltungen zu vermeiden. Ein lediglich stark schaltberuhigtes Kennfeld wie im CC-Betrieb reicht nicht aus, da ACC im Folgeregler deutlich dynamischer ausgelegt sein muss als ein rein auf Konstantfahrt ausgelegter Fahrgeschwindigkeitsregler. Ebenso ist eine direkte Umrechnung der Motormoment-Sollwerte in virtuelle Fahrpedalwinkel zur Ansteuerung der Getriebelogik nicht geeignet, da die ACC-Regelung versucht, eine vorgegebe Beschleunigung exakt einzuregeln und – anders als beim Fahrer – Abweichungen sich direkt in Sollmomentänderungen widerspiegeln, die in bestimmten Betriebspunkten zu Pendelschaltungen führen können.
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32.10.3.1 Motorsteuerung (Stellbereiche, Stelldynamik, Stufigkeit/Genauigkeit Rückmeldeinformation (Verlustmoment Nebenaggregate)) Für den notwendigen Stellbereich gilt – analog zur Bremse – dass für ACC der gesamte mögliche Momentenbereich zur Verfügung stehen muss, um alle relevanten Fahrsituationen abzudecken. Die erforderliche Stelldynamik entspricht der für den Fahrer notwendigen Dynamik – was bei den meisten modernen Systemen kein Problem darstellen sollte, da die Fahrersollwerte ebenfalls elektronisch übertragen werden, Fahrer- und ACC-Vorgaben also prinzipiell über den gleichen Pfad eingespeist werden. Der Antrieb setzt das angeforderte Summenradmoment der ACC-Funktion (ähnlich Fahrpedal) auf den jeweiligen Betriebspunkt bezogen optimal um. Es werden Motor, Getriebe und Nebenaggregate zur Umsetzung des Sollwerts herangezogen. Die Koordination geschieht möglichst im Antriebssystem autonom. Sollte dies nicht unterstützt werden, so hat die Umrechnung auf das Motormoment vom ACC-Steuergerät oder einem Längsdynamikmodul zu erfolgen, wobei die aktuelle Getriebeübersetzung bekannt sein muss. Die ACC-Funktion unterscheidet aus Komfortgründen unterschiedliche Betriebsarten, die in die Koordination der unterschiedlichen Stellmöglichkeiten, die der Antrieb hat, eingehen (z. B. Schubabschaltung, Getriebeschaltungen, Zuschaltung von Nebenaggregaten). So können kleine Unstetigkeiten in der Momentenumsetzung, wie sie z. B. durch Aktivierung der Schubabschaltung im Ottomotor entstehen, vermieden bzw. erlaubt werden. Des Weiteren können größere Unstetigkeiten in der Momentenumsetzung, wie sie z. B. durch zusätzliche Getrieberückschaltungen in automatisierten Stufengetrieben auftreten, vermieden bzw. erlaubt werden.
Beispiele: Auslösung der Schubabschaltung, jedoch keine zusätzlichen Getrieberückschaltungen (nur Ausrollschaltungen) bei einer Annäherung an ein langsamer fahrendes Zielobjekt oder bei Reduktion der Wunschgeschwindigkeit. Auslösung der Schubabschaltung und zusätzliche Getrieberückschaltungen bei statischer Bergabfahrt zur Unterstützung der Bremsanlage im Bergabbetrieb. Aufhebung der Schubabschaltung bei statischer Bergabfahrt zur Auflösung von zuvor getätigten Getrieberückschaltungen. Somit wird ein „Schubabschaltungstoggeln“ verhindert und dem Getriebe die Auflösung der Rückschaltung bei
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einer Gefälleänderung während statischer Bergabfahrt ermöglicht. Besonderheiten bei der Kombination mit Handschaltgetriebe: Die Motorsteuerung ermittelt das Übersetzungsverhältnis Radmoment/Kurbelwellenmoment über die Drehzahlübersetzung der Getriebestufen und berechnet damit aus der Antriebsanforderung der ACC-Funktion ein Motormoment und setzt dieses bestmöglich um. Von der Motorsteuerung wird während des Schaltvorgangs, d. h. nach Kupplungsbetätigung durch den Fahrer, eine Regelung der Kurbelwellendrehzahl zur Synchronisierung Kurbelwellen-/ Getriebeeingangsdrehzahl im Zielgang durchgeführt. Die Bestimmung des Kurbelwellendrehzahlsollwerts erfolgt in Abhängigkeit des im Motorsteuergerät prädizierten Zielgangs. Die Motorsteuerung bewertet die Kurbelwellendrehzahl und weist den Fahrer unter Einbeziehung der Situation darauf hin, einen niedrigeren Gang zu wählen. Die Aufforderung, einen höheren Gang zu wählen, ist nicht erforderlich. Um ein Abwürgen des Motors zu verhindern, muss der Motor die Möglichkeit haben, die ACCFunktion abzuschalten, wenn der Fahrer dem Rückschalthinweis nicht nachkommt. ACC wird ebenfalls abgeschaltet, wenn der Kupplungsvorgang ein Zeitlimit (z. B. < 8 s) überschreitet oder kein passender Gang eingelegt wird. 32.10.3.2 Getriebesteuerung Die ACC-Zustandssteuerung benötigt als eine der Aktivierungsbedingungen vom Getriebe im Wesentlichen die Information, dass ein gültiger (Vorwärts-)Gang eingelegt ist. Falls Motormomente vorgegeben werden sollen, so benötigt ACC vom Getriebe die aktuelle Strangverstärkung VS; dies ist das Verhältnis von Kraft F R6 an der Antriebsachse zum Motormoment MM und durch das Produkt von Wandlerverstärkung μW, der Übersetzung iG des aktuellen Gangs, der Achsgetriebeübersetzung iA geteilt durch den dynamischen Radradius Rdyn gegeben:
VS
FR MM
P W iG iA Rdyn
(32.26)
Dabei ist die Wandlerverstärkung zumeist als Kennlinie hinterlegt, die ggf. noch temperaturkompensiert werden muss. Für FSRA können elektronisch schaltbare Getriebe darüber hinaus als zusätzliche Absicherung für das Stillstandsmanagement herangezogen werden.
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Dabei wird bei Erkennen der Ausstiegsabsicht die Parksperre eingelegt. In Verbindung mit einer mehrstufigen, frühzeitigen Fahrerwarnung, die den Fahrer auf seine Verantwortung zur Stillstandabsicherung hinweist, ist dies ausreichend. Als einzige Absicherung für ein vollautomatisches Stillstandmanagement (ohne Fahrerzutun) reicht dies jedoch nicht, da die Parksperre nur die Antriebsachse blockiert, die Räder sich bei entsprechenden μ-split-Bedingungen über das Differenzial jedoch entgegengesetzt drehen können und das Fahrzeug losrollen könnte. Ebenso ist bei verspäteter Anforderung oder im Fehlerfall, wenn das Fahrzeug bereits rollt, ein sicheres Einlegen der Parksperre oberhalb von ca. 3 km/h nicht mehr möglich, wohingegen eine EPB prinzipiell bei jeder Geschwindigkeit wirksam werden kann.
32.11 Nutzungs- und Sicherheitsphilosophie 32.11.1 Nachvollziehbarkeit der Funktion Für die Akzeptanz des ACC-Systems ist eine gute Nachvollziehbarkeit der Systemreaktionen unerlässlich. Nur wenn der Benutzer in kurzer Zeit in der Lage ist, die Systemreaktionen vorherzusehen, wird er das System auch sinnvoll einsetzen. Dies stellt die Entwickler vor das Problem, die Regelung so einfach wie möglich auszuführen und dabei teilweise Features, die ein erfahrener Benutzer und natürlich die Entwickler selbst schätzen würden, wegzulassen. Dadurch, dass der Fahrer bei aktiver ACC-Funktion einen Teil der Fahrzeugführungsaufgabe an das System abgibt und diese nur noch zu überwachen hat, kommt der Nachvollziehbarkeit des Systems eine bedeutende Rolle zu. Weil aktuelle ACC-Systeme nur einen Teil der Längsregelung übernehmen, ist es sinnvoll und notwendig, die Systemgrenzen bei bestimmungsgemäßer Benutzung des Systems so zu wählen, dass sie mit einer gewissen Regelmäßigkeit erreicht bzw. überschritten werden. Damit wird erreicht, dass die Systemgrenzen dem Fahrer jederzeit bewusst sind und er geübt ist, die Regelung vom System zu übernehmen. Die Adaptive Cruise Control ist keine Sicherheitsfunktion, sondern dient in erster Linie der Fahrkomforterhöhung. Selbstverständlich darf auch von einem Komfortsystem keine Gefahr ausgehen, sodass das ACC-System eine dieser Forderung entsprechende Sicherheit zu gewährleisten hat. Fehlerbaumanalysen haben gezeigt, dass nur dann gefähr-
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liche Situationen auftreten können, wenn der Fahrer seine Eingriffsmöglichkeiten nicht nutzt. Daraus leiten sich zwei Konsequenzen ab: 1. Der Fahrer darf mit der Übernahme nicht überfordert werden. Insbesondere heißt dies, dass er die Notwendigkeit der Übernahme erkennt und die daran anschließende Reaktion rechtzeitig genug und mit der richtigen Handlungsweise wählt. 2. Die Fahrerübernahmemöglichkeit muss fehlertolerant ausgelegt sein, sodass diese Möglichkeiten, wie Abschalten der Regelung, stärkeres Verzögern oder stärkeres Beschleunigen, in nur höchst unwahrscheinlicher Weise blockiert sein dürfen. Eine rechtzeitige Erkennung der Übernahmenotwendigkeit leitet sich aus dem mentalen Modell des Fahrers über die Funktion ab, das sich durch die vergangene Erfahrung gebildet hat. Insbesondere wäre ein zu hohes Vertrauen auf die Technik durch bisher erlebte Fehlerfreiheit problematisch, weil dadurch der Fahrer unvorbereitet sowohl hinsichtlich des Auftretens als auch der Reaktionshandlung wäre. Bei ACC tritt diese Schwierigkeit nicht auf, da eine Perfektion der Funktion, wie oben aufgeführt, nicht zu erreichen ist. Dieser an sich negative Aspekt hat aber den Vorteil, dass die Ausfallsituation permanent trainiert wird. Damit verbleibt für den Fahrer das Bewusstsein, dass er bei ungewünschtem Verhalten eingreifen muss, und er hat geübt, in welcher Weise übernommen werden kann bzw. muss.
32.11.2 Systemgrenzen Strahlsensoren wie Radar- oder Lidarsensoren bieten auf der einen Seite eine präzise Erfassung von Abstand und Relativgeschwindigkeit, und zumindest die Radarsensoren sind weitgehend unempfindlich gegenüber Witterungseinflüssen. Auf der anderen Seite ergeben sich aufgrund des begrenzten Öffnungswinkels und der schwierigen Fahrstreifenzuordnung der detektierten Objekte speziell in Kurvensituationen Einschränkungen, die teilweise zu unerwarteten oder unverständlichen Systemreaktionen führen und den Anwendern durch geeignete Medien erläutert werden sollten. Aufgrund des schmalen Erfassungsbereichs der ACC-Sensoren werden Einscherer direkt vor dem eigenen Fahrzeug erst sehr spät erkannt (Bild 32-35 links). Problematisch bleibt die Zuordnung der detektierten Objekte in Kurveneingangssituationen, vor allem, wenn aufgrund der fahrzeugimmanenten Signale (Lenkradwinkel, Giergeschwindigkeit) noch keine Kurvenfahrt erkannt werden kann (Bild 32-35 rechts).
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Bild 32-35: Beispielhafte Problemsituationen; links: späte Reaktion auf Einscherer; rechts: schwierige Objektzuordnung in Kurveneingangssituationen
Bild 32-36: Beispielhafte Problemsituationen: Mehrdeutigkeit bei stark versetzten Automobilen und Motorrädern
Abhilfe kann hier erwartet werden durch die Verwendung von Kameras, die in der Lage sind, Fahrstreifenverläufe zu erkennen, und durch die Einbeziehung von Informationen über den zu erwartenden Straßenverlauf aus modernen Navigationssystemen. Auch eine stark versetzte Fahrweise kann zu Ausfällen in der Erkennung führen. Dies führt insbesondere bei Motorrädern aufgrund deren schmaler Silhouette zu Problemen bei der Erfassung (Bild 32-36). Einige der zuvor genannten Schwachpunkte beziehen sich auf ACC-Systeme der ersten Generation und wurden durch den erweiterten Sichtbereich der Sensoren aus den Folgegenerationen oder durch Einsatz von Zusatzsensoren mit geringer Reichweite und großem seitlichen Erfassungsbereich, wie sie zunehmend in FSRA-Systemen Verwendung finden, zumindest teilweise kompensiert.
32.12 Sicherheitskonzept Die Fehlertoleranz der Übernahmemöglichkeit wird durch die Verteilung des Systems erleichtert. Als Beispiel für eine umgesetzte Möglichkeit dient das Einlesen des Bremspedalschalters sowohl von der Motorsteuerung als auch des ESP. Bei Erkennen
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des getretenen Bremspedals werden die Momentenanforderungen der ACC-Längsregelung von der Motorsteuerung ignoriert. Ebenso werden Verzögerungsanforderungen an die Bremsregelung unterbunden, wenn das Fahrpedal getreten ist. Sowohl die Betätigung des Bremspedals als auch des Fahrpedals werden ihrerseits redundant erfasst, sodass sowohl die Betätigung als auch folgende Reaktionszustände für Einfachfehler gesichert sind, selbst wenn der Steuerrechner für ACC oder das Datennetzwerk unterbrochen sind. Da die Partionierung der Aufgaben sehr unterschiedlich sein kann, wie die genannten Beispiele zeigen, lassen sich keine allgemeinen Musterlösungen angeben. Stattdessen ist die gesicherte Eingriffsmöglichkeit des Fahrers über eine Fehlerbaumanalyse nachzuweisen. Neben der permanenten Verfügbarkeit der Fahrereingriffsmöglichkeiten ist eine Eigensicherheit des ACC-Systems unerlässlich. Auch hier erweist sich die Dislozierung des Systems als Vorteil. So kann z. B. das ESP-System als nachweislich eigensicheres System die Überwachung der ACC-Regelung übernehmen. Wählt man als zu überwachende Größe die resultierende Fahrzeugbeschleunigung, sind alle theoretisch möglichen Fehlerquellen enthalten. Da ACC der ersten Generation über sehr eng gesteckte Grenzen verfügt, meist +1 m/s2 bzw. –2 m/s2, ist
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eine solche Beschleunigungsüberwachung sehr gut realisierbar. Nachteilig ist lediglich, dass bei dieser Art der Überwachung die Beschleunigung bzw. Verzögerung für kurze Zeit auf das Fahrzeug wirkt, bevor sie vom ESP unterbunden wird. Jedoch können die Grenzen so gewählt werden, dass über 95 % der Normalfahrer damit zurechtkommen.
32.13 Nutzer- und Akzeptanzstudien Die Entwicklung von Adaptive Cruise Control (ACC) wurde von Beginn an von Probandenuntersuchungen begleitet. Die erste größere Untersuchung wurde Anfang der neunziger Jahre vom TÜV Rheinland [17] durchgeführt. Sie nahm sich der allgemeinen Fragen zu Umgang und Akzeptanz der noch in den Kinderschuhen steckenden Funktion an. Anschließend wurden mehrere Grundvarianten mit unterschiedlicher Verzögerungsfähigkeit und verschiedenen Zeitlücken analysiert [18], [19]. Etwas später wurde vom UMTRI ein sehr aufwendiger Feldtest durchgeführt [20], der erstmals auch Langzeitaussagen erlaubte, wenn auch die verwendete technische Basis bei Weitem nicht dem heutigen Serienstand entspricht. Seriennahe Systeme wurden bei [21], [22] ,[23] untersucht. Darüber hinaus sind in der Industrie weitere Probandenfahrversuche mit ACC durchgeführt worden, die aber nicht veröffentlicht wurden. Insgesamt wurde eine Fülle an Ergebnissen (s. a. [24]) zusammengetragen, aus der hier für einige ausgewählte Kategorien einzelne Ergebnisse vorgestellt werden.
32.13.1 Akzeptanz Eindeutig fallen die Urteile der Versuchspersonen in allen bislang durchgeführten Studien bezüglich der Akzeptanz aus. Becker und Sonntag [17] beschreiben in der Pilotstudie, dass die Probanden die Fahrt mit ACC subjektiv als sicherer, entspannender und weniger belastend einschätzen als das manuelle Fahren. Zu dieser Überzeugung kamen sie trotz des Prototypenstatus der Versuchsträger, die zum Teil erhebliche Sensorschwächen aufwiesen. Dennoch konnten die Erwartungen der Versuchsteilnehmer an das System voll erfüllt und zum Teil sogar übertroffen werden. Es wird somit deutlich, dass die Probandenurteile hinsichtlich Akzeptanz und Komfort gegenüber dem Reifezustand von ACC weitgehend robust sind.
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Selbst mit ACC-Systemen ohne Bremseneingriff äußern die Probanden in der UMTRI-Studie hohe Zufriedenheit, die Fancher et al. [20] auf die Reduktion des „Throttle-Stress“ zurückführt. Nirschl und Kopf [18] stellen durch Untersuchung der Bearbeitungsqualität von Nebenaufgaben eine geringere mentale Belastung der Fahrer bei Nutzung von ACC fest. Diese geben in Subjektiväußerungen eine hohe Akzeptanz zu Protokoll und merken an, dass sie ACC eher als Komfort- denn als Sicherheitssystem sehen. Neben der globalen Zufriedenheit und Akzeptanz der Fahrer analysiert Weinberger [23] den zeitlichen Verlauf in Langzeitfahrten. Sämtliche Aspekte wie „Spaß am System“, „Selbstverständlichkeit der Nutzung“, „Vertrautheit der Bedienung“, „Wohlfühlen“ und „Angestrengtheit“ werden prinzipiell als gut bis sehr gut eingestuft. Über der Versuchsdauer stellt sich nach anfänglicher Euphorie eine Phase relativer Ernüchterung ein, die schließlich zu Versuchsende durchgehend zu besseren oder deutlich besseren Bewertungen als zu Beginn führt.
32.13.2 Nutzung Gegenstand etlicher Untersuchungen ist das Zeitlückenverhalten von Fahrern im Vergleich zwischen manueller Fahrt und der Fahrt mit ACC. Bei reinen Folgefahrten finden sich bei Abendroth [21] sowohl bei manueller Fahrt als auch mit ACC Mittelwerte der minimalen Zeitlücken von 1,1 s. Im Gegensatz hierzu kommen Becker und Sonntag [17] zu dem Ergebnis, dass die Fahrer manuell – allerdings mit großem Streuband – eine Häufung von Zeitlücken um 1,7 s realisieren. Als mögliche Erklärung hierfür wird auf die kurvigere Versuchsstreckenführung hingewiesen. Im ACC-Betrieb findet sich eine Zeitlücke von durchschnittlich 1,5 s, die in der Pilotstudie als Grundeinstellung des Systems vorgegeben war. Filzek [22] findet bei Wahlfreiheit der Probanden hinsichtlich der einstellbaren Stufen von 1,1, 1,5 und 1,9 s durchschnittliche ACC-Zeitlücken von 1,4 s. Eine deutlich kürzere mittlere Zeitlücke von 0,8 s bei manueller Fahrt wird von [20] berichtet. Dieser scheinbare Widerspruch gibt einen Hinweis auf die schwierige Übertragbarkeit zwischen Studien, die in unterschiedlichen Verkehrsnetzen, hier USA und Deutschland, durchgeführt wurden. Deutlich wird in allen Untersuchungen, dass bezüglich der eingestellten ACC-Zeitlücke eine Polarisierung stattfindet. Während die Probanden zu Beginn mit den Stufen „spielen“, nimmt die Verstellhäufigkeit mit zunehmender Versuchsdauer ab.
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Jeweils etwa zur Hälfte wählen die Versuchspersonen dann entweder eher kleinere oder eher größere Stufen. Angesichts der häufig gewählten kurzen Zeitlücken erscheint eine Begrenzung auf mindestens 1,0 s aus Sicherheitsgründen sinnvoll. Tiefer im Detail untersucht wurde das Zeitlückenwahlverhalten von Fancher et al. [20], der feststellt, dass die einstellbaren Stufen von 1,1, 1,5 und 2,1 s analog zum Alter der Versuchspersonen gewählt werden, d. h. ältere Fahrer wählen entsprechend größere ACC-Zeitlücken. Sowohl in [22] als auch in [20] wird beschrieben, dass sehr kleine Zeitlücken im Bereich von unter 0,6 s mit ACC deutlich seltener gefahren werden (Fancher [20]: 6 Mal bei 108 Versuchspersonen). Von der Mercedes-Benz-Marktforschung wurden Kunden in den USA zum Einsatz von Distronic befragt, s. Bild 32-37. Die Angaben beziehen sich auf die S-Klasse (W220, 1998 bis 2005) und den SL (R230, seit 2001). Die Nutzungsrate ist wie zu erwarten bei mehrstreifigen Fernstraßen erheblich höher
als bei den anderen Straßenkategorien. Erstaunlich gering sind die Abweichungen zwischen Sportwagen und Limousine hinsichtlich der Nutzungsrate. Etwas größer werden die Unterschiede bei der Art der Nutzung. Da bei dem Distronic-Bedienkonzept die Zeitlücke rein mechanisch auf dem alten Wert bleibt, ist ein Wechsel der Zeitlücke nur erforderlich, wenn ein Grund für eine Änderung vorliegt. Von dieser Möglichkeit wird eher gar nicht oder nur selten Gebrauch gemacht. Die Abstandseinstellung wird mehrheitlich als Mittel angegeben.
32.13.3 Kompensationsverhalten Becker et al. [25] untersuchten das Kompensationsverhalten von Fahrern durch Auswertung der Zeitlücken, wenn parallel komplexe Nebenaufgaben zu bearbeiten waren. Während die Probanden beim manuellen Fahren automatisch größere Zeitlücken einhalten, ändern sie die Wunschzeitlücke im ACC-
Bild 32-37 Angaben zur Nutzung eines ACCSystems in den USA am Beispiel der Distronic [Quelle: Marktforschung Mercedes-Benz 2005]
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Betrieb nicht. Eine Analyse der Blickabwendungen zeigt zudem deutlich längere Abwendungszeiten bei ACC-Fahrt, wobei maximal bis zu acht Sekunden genannt werden. Bemerkenswert ist, dass die Fahrer hierbei subjektiv ein geringeres Sicherheitsrisiko empfinden als ohne ACC. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass wegen dieses risikoreicheren Fahrerverhaltens ein Sicherheitsgewinn durch automatische Abstandsregelung erst dann zu erwarten sei, wenn das technische System sicherheitskritische Situationen besser behandeln kann als der durchschnittliche Fahrer.
32.13.4 Habituationseffekte Untersuchungen von Weinberger et al. [26] mit Vielfahrern (> 1000 km/Woche) zeigen, dass frühestens nach zwei Wochen ACC-Nutzung ein stabiles Verhalten angenommen werden darf. Die für die Bestimmung der Lerndauer herangezogenen Merkmale waren die subjektive Beurteilung von Bedieneinfachheit und der Transparenz von Übernahmesituationen sowie die Messung des Zeitpunkts (bezogen auf die Time-to-Collision, TTC) des Fahrereingriffs in Übernahmesituationen per Datenrekorder. Hier wird deutlich, dass Fahrer unterschiedlichen Fahrstils auch unterschiedliche Lernstrategien offenbaren. Fahrer, die sich selbst als eher sportlich bezeichneten, neigten dazu, zu Beginn der Versuche später, d. h. bei kleinerer TTC, einzugreifen als gegen Ende, um die Grenzen des Systems festzustellen, wohingegen Fahrer, die sich als eher komfortbetont einstuften, ausgehend von einem frühen „misstrauischen“ Eingriff zu Beginn, im Verlauf der Lernphase eher später eingriffen. Zusammenfassend heißt dies, dass die oben genannten Merkmale erst nach dieser Lernphase für den eingeschwungenen Zustand repräsentativ sind. Aussagen einer Bewertung nach kürzerer Dauer können zumindest für die obigen Merkmale nur mit erheblichen Einschränkungen auf den Hauptteil der Benutzungsdauer übertragen werden. Ebenso bestätigen Nirschl und Kopf [18] ein Absinken der mentalen Beanspruchung des Fahrers, das mit dem sich über der Nutzungsdauer verfeinernden mentalen Modell einhergeht.
32.13.5 Übernahmesituationen Der prinzipiellen Einfachheit des mentalen Modells von ACC beim Fahrer ist laut Becker [25] auch zuzuschreiben, dass eine richtige Reaktion in Übernahmesituationen an Systemgrenzen bereits nach
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sehr kurzer Nutzung möglich ist. Fancher et al. [20] beschreiben, dass die Probanden sich subjektiv zu 60 % bereits nach einem Tag in der Lage sahen, Übernahmesituationen rechtzeitig und richtig zu erkennen. Nach einer Woche stimmten bereits 95 % der Probanden dieser Aussage zu. Auch Nirschl et al. [19] berichten, dass die meisten Testpersonen bereits nach kurzer Zeit einschätzen konnten, bei welchen ACC-Situationen ein Eingriff notwendig war. Allerdings führte die mittlere der drei untersuchten ACC-Varianten, bei der eine eher geringe Bremsverzögerung von 1 m/s² vorlag, zu einer größeren Unsicherheit bei der Einschätzung als die Varianten mit einem stärkeren Bremseingriff bzw. ohne Bremseingriff. Weinberger [23] beschreibt, dass die Einschätzung von Übernahmesituationen von den Probanden subjektiv als unkritisch eingestuft wird, wobei diese den Fahrern mit zunehmender Nutzungsdauer eher leichter fällt. Ebenso äußern die Probanden, dass insbesondere solche Situationen leicht zu entscheiden sind, die von ACC prinzipiell nicht geleistet werden können (z. B. Einbremsen auf ein stehendes Fahrzeug). Es wurde nachgewiesen, dass die mittlere Verzögerung des Fahrzeugs nach der Fahrerübernahme zu knapp 80 % im Bereich bis 2 m/s2 liegt. Dieser Bereich wird auch von ACC abgedeckt, woraus geschlossen werden darf, dass auch objektiv keine kritische Situation vorgelegen hat. Die ersten ACC-Fahrversuche mit Probanden zeigen bis auf wenige Ausnahmen eine einheitliche Tendenz, obwohl es genügend Gründe gäbe, die Ergebnisunterschiede gerechtfertigt hätten: Die Technik der untersuchten Systeme unterschied sich erheblich sowohl im Funktionsumfang als auch in der Reife. Die Verkehrsverhältnisse in den USA sind nur bedingt mit denen in Europa vergleichbar. Es wurden einerseits Kurzzeitversuche und andererseits Langzeitversuche durchgeführt, wobei in den Langzeitversuchen eindeutige Lerneffekte festgestellt werden konnten, die die Aussagekraft mancher Ergebnisse der Kurzzeitversuche abwerten. Offensichtlich scheint ACC zumindest in seinem Grundumfang robust gegenüber den genannten Unterschieden in der Versuchsdurchführung zu sein. Die Kernfunktion wurde von den Fahrern von Beginn an verstanden, und zwar unabhängig von den Einschränkungen der vorläufigen Systeme. Hinsichtlich der Übernahmesituation von FSRA wurde von Neukum et al. [27] eine Kreuzungsproblemsituation analysiert. Ein schon länger stehendes Fahrzeug an der Kreuzung wird vom Zielfahrzeug
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zunächst verdeckt und kurz vor der Annäherung seitlich passiert, sodass es plötzlich im Fahrkorridor des FSRA-Fahrzeugs liegt. Als stehendes Fahrzeug, das sich im Sichtbereich des Radars noch nicht bewegt hat, wird dieses von FSRA nicht als Regelobjekt akzeptiert, d. h. der Fahrer muss bremsend eingreifen, um eine Kollision zu vermeiden. Alle Probanden konnten dies auch tun, ohne dass der für „Abfangmaßnahmen“ bereitstehende Beifahrer eingreifen musste. Trotzdem wurde diese Situation, wenn sie das erste Mal auftritt, für viele Fahrer als bedrohlich eingestuft.
Zulassungspolitik gegenüber 24 GHz-UWB-Radarsensorik ist der Verbreitung eher hinderlich. Im Zuge weiterer Kostenreduktion werden auch Untersuchungen mit einfacher aufgebauter Sensorik (z. B. 24 GHz-Mittelbereichssensorik) durchgeführt. Den reduzierten Systemkosten stehen jedoch Funktionseinschränkungen gegenüber, die im Vergleich zum aktuellen Standard-ACC bisher so gravierend waren, dass ein Serieneinsatz bisher nicht infrage kam. Weiterhin wird an Konzepten gearbeitet, die wie in Kapitel 42, aber auch in [29] dargestellt, den Fahrer direkter in die Gesamtfunktionalität Längsführung integrieren.
32.13.6 Komfortbeurteilung Der Schwerpunkt der in [28] dokumentierten Untersuchungen lag auf der Untersuchung des Komforts. Dazu wurden zwei Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller mit unterschiedlichen ACC-Systemen von insgesamt 36 Versuchspersonen gefahren. Die per Fragebogen ermittelten Subjektivurteile hinsichtlich ausgewählter Komfortkriterien wurden verglichen. Obwohl in beiden Fahrzeugen Seriensysteme vergleichbarer Funktionalität eingesetzt wurden, gelang es, schon geringe Unterschiede beider Systeme hinsichtlich des Komforts zu ermitteln. Die parallel dazu durchgeführte Analyse der objektiven, messtechnisch zugänglichen Kennwerte „Häufigkeit der Übersteuerung durch Fahrpedalbetätigung“ und „Unterbrechung der Regelung durch einen Fahrerbremseingriff“ konnten hingegen in keinen eindeutigen Zusammenhang zur Komfortbewertung gebracht werden.
32.14 Ausblick
32.14.2 Funktionserweiterungen In Zukunft wird vor allem die Kopplung von aktiver (Radar-/Lidar-)Sensorik mit kamerabasierter Sensorik interessant werden. Kameras zur Erfassung der Fahrzeug-Umfeld-Situation haben vielfältige Anwendung: von automatischer Lichtsteuerung über Verkehrszeichenerkennung und Fahrstreifenund Spurlageerkennung bis hin zur Objekterkennung und -klassifizierung. Durch die Fusion mit den Daten zusätzlicher Sensorik entsteht so ein zuverlässiges Situationswissen, das eine weitere Funktionssteigerung erlaubt, z. B. Folgefahren im Stau mit automatischer Längs- und Querführung. Auch für Collision-Warning bzw. -Mitigation-Systeme wird sich eine erweiterte Funktionsqualität ergeben, vgl. [30]. Mit den zuvor erwähnten 24 GHz-UWB-Radarsensoren lassen sich noch vielfältige Applikationen darstellen: von Einparkhilfen über Parkführungssysteme, Überwachung des toten Winkels bis hin zum radartechnischen „Rundumschutz“.
32.14.1 Aktuelle Entwicklungen Mit der Serien-Einführung von FSRA werden vom Funktionsumfang die meisten Situationen im Alltagsverkehr abgedeckt. Der Trend geht dahin, die vorhandenen Systeme nach der (üblicherweise TopDown-)Einführung auch in kleineren und preisgünstigeren Modellen anzubieten. Hier kommen ggf. auch Alternativen zum bisher vorherrschenden Radar-Sensorprinzip zum Einsatz, z. B. Lidar-Systeme. Die aktuellen Entwicklungen bei der UmfeldSensorik zeigen auch noch Potenziale beim Radar, sodass sich ein Trend „weg vom Radar“ bisher nicht beobachten lässt. Da das angestrebte Fahrzeugsegment sehr preissensitiv ist, bleiben Multi-SensorLösungen (z. B. für FSRA) derzeit noch Fahrzeugen der Oberklasse vorbehalten. Auch die restriktive
520
Quellenverzeichnis [1] TC204/WG14, ISO. ISO 15622 Transport information and control systems – Adaptive Cruise Control systems – Performance requirements and test procedures. 2002 [2] TC204/WG14, ISO. ISO 22179 Intelligent transport systems – Full speed range adaptive cruise control (FSRA) systems – Performance requirements and test procedures. 2008 [3] Ackermann, F.: Abstandsregelung mit Radar. In: Spektrum der Wissenschaft. Juni 1980, S. 24–34 [4] Watanabe, T.; Kishimoto, N.; Hayafune, K.; Yamada, K.; Maede, N.: Development of an Intelligent Cruise Control System. In: Proceedings 2nd ITS World Congress in Yokohama. 1995, S. 1229–1235
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F 33 Frontalkollisionsschutzsysteme 33.1 Problemstellung Unfälle im Längsverkehr zählen zur größten Gruppe der Unfallarten und zur zweitgrößten der Unfälle mit Getöteten und Schwerverletzten. Daher besitzen Systeme zum Schutz gegen diese Unfallart ein sehr hohes Potenzial (s. Kap. 3). Auf welche Weise Gegenmaßnahmen abgeleitet werden, zeigt Bild 33-1. Zunächst besteht zwischen dem Unfallereignis kein unmittelbarer und sofortiger Zusammenhang zu einer aufgetretenen Störung. Ausgehend von einem vorher eingegangenen latenten Gefahrenniveau erhöht die Störung dieses Niveau, wobei aber zunächst noch eine beträchtliche Reserve zum tatsächlichen Unfallgeschehen besteht. Erst mit zunehmender Zeit ohne Reaktion oder mit falscher Reaktion führt diese Störung zum Unfall. Ein rechtzeitiges, richtiges Eingreifen durch den Fahrer kann dagegen diese Situation entschärfen, sodass die kritische Situation nur zu einem Beinaheunfall führt. Aus dieser Strukturierung des Ablaufs lassen sich nun drei Strategien zum Unfallschutz ableiten, die im Folgenden kurz skizziert werden und im Weiteren auf die Umsetzung für den Frontalkollisionsschutz ausführlich erläutert werden.
Hermann Winner
1. Präventive Assistenz: Präventive Unfallvermeidung durch Herabsetzen der latenten Gefahr und damit Reduktion der Wahrscheinlichkeit, in eine kritische Situation zu geraten oder zumindest bei einer Störung einen effektiv größeren Handlungsspielraum zu haben. 2. Reaktionsunterstützung: Unfallvermeidung durch Assistenz in kritischen Situationen, damit der Fahrer rechtzeitig und richtig reagiert. Für die Unfallvermeidung im Längsverkehr kommen praktisch nur zwei Strategien infrage: Verzögern oder Ausweichen. Hier haben die Assistenzsysteme auf der Stabilierungsebene wie ABS und ESP als erste Voraussetzung die „Gutmütigkeit“ des Fahrzeugs auf diese Aktionen geschaffen, weil fahrdynamisch kritische Folgesituationen wie insbesondere das Schleudern schon im Ansatz vermieden werden und die Fahrer von Beginn an die Grenzen der Fahrphysik gehen können. Trotzdem zeigen die Unfallanalysen (s. Kap. 3) [2] und Probandenversuche [3] (s. a. Kap. 41), dass von dieser Möglichkeit nur unzureichend oder gar nicht Gebrauch gemacht wird. 3. Notmanöver: „Harte Eingriffe“ im Bereich der letzten Sekunde vor dem Unfall, die den Unfall
Bild 33-1: Ablauf einer kritischen Verkehrssituation zur Ableitung von Assistenzstrategien und Handlungsabläufe bei einer kritischen Fahrsituation (nach [1]), Ziffern: Einsatzbereiche von Fahrerassistenzsystemen (s. Text)
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33 Frontalkollisionsschutzsysteme
per Notmanöver vermeiden, wenn die rechtzeitige, richtige Fahrerreaktion ausgeblieben ist oder zur Unfallschadensverminderung (Collision Mitigation) beitragen. Wegen der aktuellen Interpretation der rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere des für Deutschland gültigen Wiener Übereinkommens (s. Kap. 3), herrscht noch große, rechtlich begründete Zurückhaltung bei der Markteinführung von unfallvermeidenden Systemen für die letzte Sekunde, wenn sie nicht mehr durch den Fahrer überstimmbar sind. Erfolgt der Einsatz eines aktiven Bremseingriffs erst „zu einer Zeit, zu der ein Ausweichen objektiv unmöglich ist“ (s. [4]), dann werden keine rechtlichen Vorbehalte gesehen. Nicht adressiert wird in dieser Darstellung der bei geringen Differenzgeschwindigkeiten auftretende Fall, bei dem ein Unfall durch einen Bremseingriff verhindert werden kann, aber nicht mehr mit Ausweichen. Entspricht dann ein unfallverhindernder Bremseingriff dem Fahrerwillen? Wenn dem nicht entsprochen wird, so darf das System erst dann eingreifen, wenn der Unfall auch durch Bremsen nicht mehr verhindert werden kann.
33.2 Frontalunfallschutz durch präventive Assistenz Zur Verringerung der latenten Gefahr lassen sich zwei Hauptrichtungen angeben: die Erhöhung des fahrdynamisch nutzbaren Handlungsspielraums sowie die Erhöhung der Fahrerfähigkeit, eine Störungssituation zu bewältigen. Letztere ist im Wesentlichen durch die Fahrerkonstitution und die Fahrfertigkeiten gegeben. Wiederum Letzteres kann mit Fahrerassistenzsystemen kaum verbessert werden, sondern durch Training, z. B. auf dem Verkehrsübungsplatz. Die Konstitution des Fahrers kann hingegen dadurch verbessert werden, dass er von beanspruchenden Fahraufgaben entlastet wird, z. B. durch die Übernahme des Folgefahrens durch ACC. Sowohl über physiologische (weniger Anstrengung für die Augen) als auch psychologische Wirkungszweige (entspanntere Verkehrswahrnehmung) [5] kann zur Verbesserung der Konstitution beigetragen werden. Natürlich ist ACC auch ein sehr geeignetes Mittel zur Erhöhung des objektiv zur Verfügung stehenden Handlungsspielraums. In den bekannten Untersuchungen (s. Kap. 32) wählen ACC-Nutzer höhere Zeitlücken, als wenn sie selbst den Abstand einregeln. Unklar ist hingegen, ob ein Verlassen auf ACC zu einem späteren Fahrereingriff führt oder aber
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durch eine schon früh einsetzende Fahrzeugverzögerung die Reaktionszeit verkürzt wird. Waren die ersten ACC-Ausführungen noch wenig geeignet, im Stadtverkehr eingesetzt zu werden, so erlauben die FullSpeedRange-ACC-Systeme auch diesen Einsatz, wobei noch keine Studien zur Nutzung und zum möglichen Sicherheitspotenzial bekannt sind. Eine ähnlich wie ACC geeignete Lösung zur Abstandshaltung kann mit einem Aktiven Fahrpedal (auch als Force-Feedback-Pedal bezeichnet) dargestellt werden. Hier bleibt der Fahrer in der direkten Regelschleife. Hält er eine weitgehend konstante Pedalkraft aufrecht, verändert sich der Fahrpedalwinkel in der Art, dass die Zeitlücke konstant bleibt und somit eine Abstandshaltung wie mit ACC ermöglicht wird, allerdings ohne aktiven Bremseingriff.
33.3 Reaktionsunterstützung Die Reaktionsunterstützung umfasst die Schritte Aufmerksamkeitserregung, Situationsklärung und Eingriffsunterstützung (s. a. Kap. 24). Da einer kritischen Situation im Längsverkehr zumeist eine Unaufmerksamkeit vorausgeht [6], ist die Änderung dieses Zustands notwendige Voraussetzung für eine in der Folge korrekten Aktion. Die Aufmerksamkeitserregung erfolgt üblicherweise explizit durch Warnelemente, kann jedoch auch implizit durch nicht erwartete Regelreaktionen bei ACC erfolgen. Wie bereits in Kap. 24 erläutert, unterscheiden sich die Warnstrategien hinsichtlich ihres Informationsgrades. Eine einfache auditive Warnung erreicht eine hohe Aufmerksamkeit, allerdings ist damit noch kein Hinweis auf die Situation oder die nun notwendige Reaktion verbunden. Dies kann durch eine ergänzende visuelle Information oder ein auditives Icon erreicht werden. Da sich eine ausführliche Beschreibung der Warnmöglichkeiten einschließlich der Bewertung der Verzeihlichkeit bei Fehlwarnung in Kap. 24 findet, wird hier nicht weiter auf die unterschiedlichen Möglichkeiten eingegangen. Bei einer kritischen Situation im Längsverkehr kommen grundsätzlich zwei Unfallvermeidungsstrategien infrage: dem Hindernis Ausweichen oder vor dem Hindernis Anhalten. In Abschnitt 33.6 werden anhand bestimmter Ausgangsparameter die für eine erfolgreiche Unfallabwendung notwendigen Eingriffszeitpunkte berechnet. In allen praktischen Situationen findet sich eine Geschwindigkeit, oberhalb derer Ausweichen als letztmögliches Manöver berechnet wird, während unterhalb dieser
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Geschwindigkeit Bremsen nach dem letztmöglichen Ausweichabstand noch erfolgreich den Unfall vermeiden kann. Aber in beiden Fällen wird ein optimales Manöver betrachtet. Während bisher nur in einer Fahrzeugreihe (Lexus LS, seit 2006) eine Ausweichassistenz angeboten wird, ist der Bremsassistent seit 1997 auf dem Markt und in der einfachen, bremspedalgesteuerten Basisvariante in nahezu allen Neuwagen zu finden. Diese Grundfunktion und zusätzliche Funktionserweiterungen werden in Abschnitt 33.5 beschrieben. Allen gemeinsam ist, dass der Bremsassistent erst dann Wirkung erzielen kann, wenn auch wirklich das Bremspedal getreten wird. Da aber in etwa einem Drittel der untersuchten Fälle in [2] und [3] und sogar der Hälfte bei [7] keine Bremsaktion unternommen wurde, kann in diesen Fällen der Bremsassistent allein keine Wirkung entfalten. Wie in den Probandenuntersuchungen [3] und [8] belegt wurde, führt ein autonomer Bremseingriff zu einer Bremsreaktion des Fahrers. Somit kann ein autonomer Bremseingriff zur Stimulation der Fahrerentscheidung eingesetzt werden. Dafür kommt ein kurzzeitiger Bremsruck oder eine permanente Teilbremsung infrage. Wenn daraufhin der Fahrer mit einer Bremspedalaktion die Freigabe für den Bremsassistenten gibt, erfolgt eine Bremsung mit maximaler Verzögerung oder als „Zielbremsung“, wenn die Umfeldsensorik eine solche Funktion erlaubt (s. Abschnitt 33.5.2).
33.4 Notmanöver Sollten alle vorher genannten Warnstufen noch nicht zu Ausweich- oder Bremsaktionen des Fahrers geführt haben, können autonome Notmanöver mit „harten“ Eingriffen in der letzten Sekunde vor einem vorhergesagten Aufprall den Schaden abwenden oder verringern. Autonome Ausweichmanöver sind bei hohen Differenzgeschwindigkeiten als unfallvermeidende Manöver wirksamer als Bremsmanöver (zumindest dann, wenn durch das Ausweichen nicht ein schlimmerer Folgeunfall auftritt). Wie Ausweichmanöver realisiert werden können, wurde im Projekt PRORETA (s. Kap. 41) gezeigt, nämlich mit einem autonomen Lenkimpuls, der zum aktuellen Lenkwinkel addiert wird und so bemessen ist, dass das Hindernis umfahren werden kann. Diese Form des Ausweichmanövers kann nach den in der Studie gewonnenen Erkenntnissen als akzeptabel angesehen werden, allerdings reichen die Fähigkeiten heutiger Umfelderfassungssysteme für die Auslösung eines autonomen Notausweichens bei weitem nicht aus.
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Die autonome Notbremsung ist hingegen schon eine im Markt eingeführte Technik. Diese wird aber u. a. wegen der zuvor genannten rechtlichen Randbedingungen erst dann aktiv, wenn ein Ausweichen nicht mehr erwartet werden kann. In allen bekannten Umsetzungen ist die Einleitung der automatischen Notbremsung der letzte Schritt einer Aktionskette und wird erst ausgelöst, wenn die vorherigen Warnstufen ohne Brems- oder Lenkreaktion blieben oder bei der maschinellen Erkennung der Notsituation für Fahreraktionen keine ausreichende Zeitdauer gegeben ist. Die Wirksamkeit der verschiedenen Auslegungen einer automatischen Notbremsung wird in Abschnitt 33.6.3 sowohl theoretisch abgeleitet als auch experimentell belegt.
33.5 Bremsassistenz 33.5.1 Basisfunktion Im Bild 33-3 sind die verschiedenen Phasen eines Notbremsvorgangs dargestellt. Wie Unfallanalysen [2] und Probandenversuche im Fahrsimulator [9] oder auf dem Testgelände [10] zeigen, sind viele Bremsungen in Notsituationen nicht für einen kurzen Bremsweg optimal. Nach einer steilen Druckanstiegsphase setzt sich der Druckaufbau oft nur zögerlich fort, wie auch die Beispielmessungen Bild 33-2 belegen. Daraus leitet sich die Funktion des Bremsassistenten ab: Der Bremsassistent (BAS) soll, sobald die Notbremsabsicht eindeutig erkannt ist, schnellstmöglich die maximale Verzögerung aufbauen und so lange halten, bis eine Rücknahme des Notbremswunsches erkannt wird. Eine Erläuterung der Funktion des Bremsassistenten anhand der verschiedenen Phasen eines Notbremsvorgangs kann Bild 33-3 entnommen werden. Das damit erreichbare Potenzial beziffert Weiße [10] für eine Notbremsung aus 100 km/h mit einer mittleren Bremswegverkürzung von 8 m, also etwa 20 %. Noch höher wird der relative Anteil bei niedrigen Geschwindigkeiten, womit auch verständlich wird, dass der Nutzen besonders ungeschützten Verkehrsteilnehmern zugute kommt [11]. Die anfängliche Bremspedalgeschwindigkeit oder der folglich ausgelöste Anstieg des Bremsdrucks eignen sich als Basiskriterien für das Vorliegen einer Notbremsung. Die Unterscheidung zwischen normaler Bremssituation und einer Notbremsung geschieht auf Basis von empirisch ermittelten Werten. Die Schaltschwellen beziehen sich auf die
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Bild 33-2 Exemplarische Bremsdruckverläufe in auf einem Testgelände gestellten Notbremssituationen [10]
Pedalgeschwindigkeit und werden direkt über den Membranweg des Bremskraftverstärkers oder indirekt über Drucksensoren am Hauptbremszylinder gemessen. Sie variieren in Abhängigkeit der Fahrgeschwindigkeit und des Hauptzylinderdrucks bzw. des Bremspedalwegs, wie dies im Bild 33-4 für einen pneumatischen Bremsassistenten dargestellt ist. Obwohl ein Entscheidungsfehler nicht ausgeschlossen werden kann, so ist dieses Kriterium allen anderen Kriterien, die aus der Fußbewegung
abgeleitet werden können, weit überlegen [10]. Die im realen Straßenverkehr gemessenen Standardbremsungen reichten nicht an die Pedalgeschwindigkeiten (s. Bild 33-5) heran, die eine Notbremsung kennzeichneten. Allerdings können etwa gleiche Pedalgeschwindigkeiten bei den von Weiße [10] so genannten Schreckbremsungen erreicht werden, ohne dass für diese Situation eine Vollbremsung notwendig war. Diese „Nebenwirkungen“ können durch das Zurückziehen des Bremspedals ohne grö-
Bild 33-3: Erläuterung der Funktion des Bremsassistenten anhand der verschiedenen Phasen eines Notbremsvorgangs [10]
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Bild 33-4 Schaltschwelle für einen pneumatischen Bremsassistenten [9]
Bild 33-5 Boxplot-Darstellung der Bremspedalgeschwindigkeiten bei Standard-, Not- und Schreckbremsungen [10]
ßere Probleme und Auswirkungen für den nachfolgenden Verkehr beherrscht werden und ähneln den Reaktionen, die bei Wechsel von einem Fahrzeug mit höherer Bremsbetätigungsenergie auf ein anderes Fahrzeug mit einem „knackigen“ Bremspedal zu beobachten sind.
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Die für die Bremsassistenzfunktion notwendigen Stellsysteme sind Teil moderner Bremssysteme und bedienen sich pneumatischer oder elektrischer Hilfsenergie, um die für die maximale Verzögerung notwendige Spannkraft der Bremssättel bereitzustellen. Kapitel 18 und 19 erläutern die für
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den Kraftaufbau notwendigen und heute eingesetzten Techniken. Funktional ist es von geringer Bedeutung, auf welche Weise die Zusatzspannkraft erreicht wird. Es verbleiben Unterschiede in der Aufbaudynamik. Hierbei ist die Elektrohydraulische Bremse (EHB) mit dem vorgeladenen Hochdruckspeicher im Vor- und der so genannte Hydraulische Bremsassistent (HBA) im Nachteil, da die Hilfsenergie (elektrische Hydraulikpumpe) erst mit dem Erkennen zugeschaltet wird. Der pneumatische Bremsassistent (PBA) mit dem aktiven Bremskraftverstärker liegt zwischen den beiden Techniken. Ein weiterer, wenn auch nicht annähernd so bedeutsamer Unterschied wie im Falle der Dynamik besteht in der Bremspedalcharakteristik. Während bei einer Fremdkraftbremse, wie z. B. der EHB oder auch der im Nkw-Bereich eingesetzten Elektropneumatischen Bremse (EPB), die Pedalkraft-Pedalweg-Kennlinie konstant bleibt und ausschließlich der Radbremsdruck durch die Bremsassistenzfunktion modifiziert wird, ist diese sowohl beim HBA als auch beim PBA verändert. Beim PBA wird während der Unterstützung die Pedalkraft bei gleicher Pedalstellung gegenüber den normalen Bremsen um die vom Pneumatikventil bewirkte Stellkraft vermindert. Beim HBA wird das für die Vollbremsung benötigte Bremsflüssigkeitsvolumen von der Pumpe aufgebaut. Die Fahrerkraft am Pedal dient nur als Vorladung dieser Pumpe und wird zur Sollwertermittlung über den am Hauptzylinder anliegenden Druck genutzt. Beim PBA misst ein Membranwegsensor den Pedalweg. Bei der EHB stehen sowohl die Pedalkraft als auch der Pedalweg für die Bildung des Sollwerts zur Verfügung und sind wegen der nicht vorhandenen Beeinflussung gleichwertig.
33.5.2 Weiterentwicklungen In der hier schon häufig zitierten Arbeit von Weiße [10] finden sich auch weitere Ansätze zur Bremsassistenzauslösung, insbesondere um eine frühere Auslösung zu erreichen. Allerdings wurde kein Kriterium gefunden, dass nur annähernd die gleiche Entscheidungsqualität wie die Bremspedalgeschwindigkeit bot. Mit einer Kombination von Kriterien im Sinne einer ODER-Verknüpfung ließe sich das Potenzial von 8 auf 11 m steigern. Das Gleiche ließe sich auch durch eine abgestufte Funktion, die mit drei Stufen – der Vorkonditionierung, der Vorbremsung (mit 3 m/s2) und der Vollbremsung – arbeitet, erreichen. Allerdings muss
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für die Vorbremsung die Fußbewegung in Fahrzeuglängsrichtung gemessen werden, was nicht leicht zu realisieren ist. Allein die Abstufung von Vorkonditionierung bei Überschreitung einer Fahrpedalgeschwindigkeitsschwelle und von Bremspedalgeschwindigkeit getriggerter Vollbremsung bringt den vergleichsweise geringen Gewinn von 0,6 m auf insgesamt 8,6 m. Für eine weitere Verbesserung der Bremsassistenzfunktion ist eine zeitliche Vorverlagerung des Bremsbeginns erforderlich. Dafür bieten sich zwei Strategien an: Verkürzung der Umsetzzeit von Fahrpedal auf Bremspedal. In vielen Untersuchungen [12], [10], [2], [13] hat sich gleichlautend eine Umsetzzeit von ca. 0,2 s ergeben. Diese Umsetzzeit ließ sich nur durch ein alternatives Betätigungskonzept erheblich verkürzen, was im Falle eines in Längsrichtung isometrischen Sidesticks von [14] auch nachgewiesen wurde. Absenkung der Schwellen bei Erkennung einer Notbremssituation auf Basis umfelderfassender Sensorik. Liegt aber eine Situationserkennung schon vor, dann ist es auch nahe liegend, den Unterstützungsgrad abhängig von dem noch zur Verfügung stehenden Abstand auszulegen, also nur so viel zusätzliche Verzögerung zu erzeugen, wie zum rechtzeitigen Geschwindigkeitsabbau benötigt 2 wird. Die benötigte Verzögerung Dreq vdiff / 2d in Abhängigkeit der Time-to-Collision ttc = d/vdiff, die wiederum aus dem Abstand d und der Differenzgeschwindigkeit vdiff zwischen Egofahrzeug und Hindernis gebildet wird, ist im Bild 33-6 für verschiedene Ausgangsdifferenzgeschwindigkeiten dargestellt. Natürlich führt die Absenkung der Verzögerung nicht zur Verkürzung des Bremswegs, allerdings kann diese Unterstützung im Vorfeld einer kritischen Situation nützlich werden, wenn der Fahrer die Situation unkritischer einschätzt, als sie tatsächlich ist, sowie unangemessen gering bremst und somit wiederum die Reserve für den rechtzeitigen Geschwindigkeitsabbau verkleinert. So wird in dem im Bild 33-6 dargestellten Beispiel angenommen, dass bei einer Ausgangsdifferenzgeschwindigkeit von 70 km/h und einer ttc von knapp 2 s vom Fahrer nur eine Verzögerung von 3 m/s2 eingeleitet wurde. Die Verzögerung wird durch den adaptiven Bremsassistenten nun auf mindestens 5 m/s2 erhöht, damit bei dieser Verzögerung der noch verfügbare Abstand für eine gleichmäßige Verzögerung genutzt werden kann.
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Bild 33-6 Benötigte mittlere Verzögerung in Abhängigkeit von der Timeto-Collision für verschiedene Ausgangsdifferenzgeschwindigkeiten
33.6 Warn- und Eingriffszeitpunkte In den folgenden Unterabschnitten werden fahrdynamisch und fahrerverhaltensbasierte Warn- und Eingriffszeitpunkte abgeleitet, die für unterschiedliche Frontalkollisionsgegenmaßnahmen geeignet sind. Grundsätzlich sind für die Auslösung einer Gegenmaßnahme zwei Betrachtungsweisen möglich: Zeitkriterien (Time-to-Collision, Time-ThresholdEvasion, Time-to-Stop, Time-Threshold-Brake; für Kollisionsvermeidung benötigte zeitliche Reserve) Beschleunigungskriterien (für Kollisionsvermeidung benötigte Längsverzögerung bzw. Querbeschleunigung) Für die Zeitkriterien werden aktuelle Abstands-, Geschwindigkeits- und Beschleunigungswerte herangezogen und dann mit Zeit-Schwellwerten verglichen, die sich aus Annahmen über die maximal möglichen Verzögerungen und Querbeschleunigungen ableiten und sich bei Warnungen additiv um die angenommene Reaktionszeit vergrößern. Die Beschleunigungskriterien sind bezüglich der fahrdynamischen Betrachtungen recht einfach, da es ausreicht, diese mit den angenommenen Maximalwerten für die Beschleunigung zu vergleichen. Der Vorteil verschwindet, wenn eine Reaktionszeit, wie bei Warnstrategien benötigt, oder eine
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Systemtotzeit mit in die Berechnung eingeht. Da beide „Kriterienwelten“ Vor- und Nachteile in der Darstellung haben, werden die relevanten Gleichungen und Schwellwerte im Folgenden für beide Betrachtungen vorgestellt, auch wenn letztlich beide Betrachtungen ineinander überführt werden können. Bei Berechnungen zum Ausweichen führt die Zeitbetrachtung zu einfacheren Termen, zum Bremsen sind die Beschleunigungskriterien einfacher darzustellen. Am Ende dieses Abschnitts werden die Ergebnisse zu den einzelnen Kriterien in einer gemeinsamen Übersicht referenziert.
33.6.1 Fahrdynamische Betrachtungen Bei den fahrdynamischen Betrachtungen werden drei Fälle unterschieden. Der einfachste geht von einem mit konstanter Geschwindigkeit bewegten, unbeschleunigten Hindernis (inkl. Spezialfall des stehenden Hindernisses) aus. Danach erfolgt die Herleitung der Kriterien für ein Fahrzeug, das sich mit konstanter Relativbeschleunigung zum Egofahrzeug bewegt. Im dritten Spezialfall führt die Verzögerung des Hindernisfahrzeugs zum Stillstand, noch bevor das Egofahrzeug das Hindernis erreicht. In einer weiteren Betrachtung wird die Ausweichmöglichkeit bei gemischt längs- und querbeschleunigter Bewegung des Egofahrzeugs betrachtet.
33 Frontalkollisionsschutzsysteme
33.6.1.1 Berechnungen für ein unbeschleunigtes Hindernis
und die Gleichungen (33.1) und (33.2) vereinfachen sich zu
Verzögerungsmanöver Wenn sich das Hindernis mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, so lassen sich trotzdem alle Berechnungen auf ein Relativsystem zu diesem Objekt beziehen. Somit entsprechen alle Ergebnisse dem Fall eines ruhenden Hindernisses, wobei die negative Relativgeschwindigkeit –v rel als Differenzgeschwindigkeit vdiff die Absolutgeschwindigkeit v x,v ersetzt und der Abstand d den Absolutweg s. So lässt sich aus dem Bremsweg in den Stand sB (v xv,0) aus der Ausgangsgeschwindigkeit v xv,0 mit dem Bremsabstand dB (vdiff ) gleichsetzen, der für einen Ausgleich der gleich großen Differenzgeschwindigkeit vdiff benötigt wird. Die später eingeführte Time-toStop bezieht sich entsprechend auf die Zeit, die zum Geschwindigkeitsausgleich benötigt wird. Der Bremsabstand berechnet sich in für heutige Bremsanlagen guter Näherung zu 2 vdiff . 2Dmax
vdiff,0 W B
d B (vdiff,0 )
(33.1)
Die Bremsenverlustzeit WB berücksichtigt den effektiven Zeitverlust beim Verzögerungsaufbau. Bei angenommenem linearem Anstieg der Verzögerung innerhalb einer Schwellzeit Ws bis zur mittleren Vollverzögerung D max kann die Verlustzeit durch die Hälfte der Schwellzeit (also Ws /2) angenähert werden, ohne dass der Fehler bei der Bremswegberechnung über einstellige Zentimeterwerte hinausgeht. Die im Bereich von 50 ms liegende Bremsenansprechzeit wird der deutlich höher liegenden Fahrerreaktionszeit WR zugeschlagen, die ihrerseits aus Blickzuwendungszeit, Reaktionsgrundzeit und Umsetzzeit besteht und zwischen 0,5 und 1,5 s anzusetzen ist. Für die Berechnungsbeispiele wird dieser Wert auf WR = 1 s gesetzt, wobei dies in für den Fahrer klaren Situationen ein deutlich zu hoher Wert ist, vgl. [2] und [13]. Der Warnabstand dwarn für eine rechtzeitige Notbremsung fügt zur Bremsverlustzeit in Gl. (33-1) additiv die Reaktionszeit des Fahrers WR hinzu, d warn (vdiff )
vdiff (W B W R )
2 vdiff . 2Dmax
ttc
vdiff
; d , vdiff
0,
ttB (vdiff,0 ) W B
(33.3)
tts (vdiff , Dmax ) , 2
(33.4)
mit der Time-Threshold-Brake ttB sowie der TimeTo-Stop tts (v, Dmax )
vdiff , Dmax
(33.5)
und entsprechend ttc,warn (vdiff ) W R
ttc,B (vdiff ) .
(33.6)
Die Zeitdauer für den Vollbremsvorgang tts ist doppelt so groß wie die TTC bei Beginn des Bremsens. Dieser Grundsatz gilt auch für die nachfolgenden Betrachtungen, solange eine konstante und positive Relativverzögerung vorausgesetzt werden kann. Neben der Betrachtung von Zeit- und Ortsabständen kann auch die aktuell notwendige Verzögerung D req bestimmt und als Schwelle herangezogen werden. Für den einfachen Fall des mit konstanter Geschwindigkeit bewegten Hindernisses ermittelt diese sich wie folgt: Dreq
2 vdiff 2d
(33.7)
Ausweichmanöver Der Ausweichabstand deva berechnet sich aus dem Produkt der Differenzgeschwindigkeit und der für das Ausweichen benötigten Zeitdauer teva, die ihrerseits in guter Näherung aus dem für das Ausweichen notwendigen Versatz yeva, der mittleren maximalen Querbeschleunigung ay,max und der Lenkverlustzeit WS, die wie die Bremsenverlustzeit in der Größenordnung von 0,1 s liegt, angegeben werden kann. teva
2 yeva ay,max
deva
vdiff teva
(33.2)
Bezieht man die aktuellen Abstände d auf die Differenzgeschwindigkeit vdiff, so erhält man die Größe Time-to-Collision (TTC) d
F
WS
(33.8)
(33.9)
Die maximale Querbeschleunigung ay,max beträgt je nach Reifentyp zwischen 80 und 100 % der maximalen Verzögerung D max, die ihrerseits bei trockenen Fahrbahnen etwa 10 m/s2 beträgt (im Weiteren
529
F
Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
wird ein Verhältnis von ay,max /D max = 90 % angenommen). Für den Ausweichversatz kann man bei schmalen Hindernissen 1 m annehmen, bei größeren wie Lkws 1,8 m. Damit erhält man Werte von 0,55 bis 0,7 s für teva. Im Folgenden wird ein die Fahrdynamiküberlegungen repräsentierender Wert teva,phys = 0,6 s angenommen. Dieser ist natürlich zu hoch, wenn ein deutlich verringerter Ausweichversatz benötigt wird, z. B. weil das Hindernis seitlich zur Fahrtrichtung versetzt ist. In Analogie zur benötigten Verzögerung lässt sich eine benötigte Querbeschleunigung ay,req berechnen, wobei nun neben Abstand und Differenzgeschwindigkeit der Ausweichversatz dieses Kriterium mitbestimmt: 2 2 yeva vdiff
2 yeva ttc2
ay,req
(33.10)
d2
d warn (vdiff , arel )
(vdiff
Verzögerungsmanöver Für ein Hindernis, das sich mit einer konstanten Beschleunigung aobs (bzw. Verzögerung –Dobs) bewegt, ist die TTC abhängig von der Relativverzögerung D rel = Dobs – Dego zum nachfahrenden Fahrzeug. ttc ( Drel ) 2 vdiff
2 vdiff
2 Drel d
vdiff
Drel
;
(33.11)
2 Drel d
ttc (D rel) wird auch als Enhanced Time-to-Collision (ETTC) bezeichnet. Bei verschwindender Relativbeschleunigung geht Gl. (33.11) in einer Grenzwertbetrachtung in Gl. (33.3) über. Die für das rechtzeitige Bremsen hinter einem ebenfalls verzögernden Hindernis (Dobs > 0) notwendige ETTC errechnet sich aus der maximalen Relativverzögerung Dmax,rel
Dmax
Dobs
ttB (vdiff , Drel ) W B
(33.12)
tts (vdiff
Drel W B , Dmax,rel ) 2 (33.13)
twarn (vdiff , Drel ) W R
t tB (vdiff , Drel )
d B (vdiff , arel )
W Drel B 2
vdiff
(vdiff Drel W B )2 2 Dmax ,rel
530
WB
(33.14) (33.15)
Drel
WB WR 2
(W B W R )
Drel (W B W R ))2 2Dmax ,rel (33.16)
Die Verzögerung des Hindernisses wirkt sich für den Bremsweg praktisch als Reduktion der maximalen Verzögerung des Egofahrzeugs aus. Für die Warnschwelle kann sich die Relativgeschwindigkeit innerhalb der Reaktionszeit noch um D rel · WR deutlich erhöhen. In das Kriterium der benötigten Verzögerung geht nicht die Relativverzögerung ein, sondern zusätzlich zu Gl. (33.7) nur die absolute Hindernisverzögerung Dobs: Dreq
33.6.1.2 Berechnungen für ein konstant beschleunigtes Hindernis
vdiff
Dobs
2 vdiff 2d
(33.17)
Im Vergleich zu dem vorherigen einfachen Fall mit vobs = const. muss der Bremseingriff früher, d. h. bei größeren Abständen erfolgen, wenn das Hindernisfahrzeug verzögert, da um diese Verzögerung die Relativverzögerungsfähigkeit reduziert wird, vgl. Gl. (33.12). Ausweichmanöver Die für das Ausweichen notwendige Zeit teva ändert sich auch bei einer Relativbeschleunigung nicht, wohl aber der notwendige Abstand, der bei einem stärker als das Egofahrzeug verzögernden 2 Hindernisobjekt nun um ( Drel teva / 2) größer ausfallen muss. deva (vdiff , arel )
vdiff teva
Drel
2 teva 2
(33.18)
Ebenso erhöht sich die benötigte Querbeschleunigung gegenüber dem nicht beschleunigten Fall. Allerdings ist zur Berechnung der benötigten Querbeschleunigung der Umweg über die Variable ttc (D rel) nötig, welche die für eine Querbewegung verfügbare Zeitdauer beschreibt. ay,req
2 2 yeva Drel
2 yeva ttc2 ( Drel ) 2 vdiff
2
2 Drel d
vdiff (33.19)
33.6.1.3 Berechnungen für ein in den Stand bremsendes Hindernis Der hier betrachtete Fall liegt zwischen den beiden vorherigen Szenarien. Entsprechend liegen die Resultate auch zwischen deren Ergebnissen.
33 Frontalkollisionsschutzsysteme
Verzögerungsmanöver Kommt das Hindernisobjekt (Absolutgeschwindigkeit vobs) vor dem Erreichen zum Stillstand, wenn also (vobs /Dobs) < tB (vdiff, arel) bzw. (vobs /Dobs) < twarn (vdiff, arel) ist, so erhöht sich die TTC, und die für das Anhalten und Ausweichen notwendigen Abstände verkleinern sich gegenüber den Gl. (33.11) bis (33.18): 2 2 2 Dsub d vobs vsub
vsub ttc (vobs , Dobs )
Dsub
2 2 2 Dsub d vobs vsub
Dsub Dobs
0
Dsub Dobs
,
(33.20)
Somit ist ein Bremsabstand notwendig, der sich aus dem Bremsweg des Egofahrzeugs minus den des Hindernisfahrzeugs zuzüglich des durch die Bremsverlustzeit bedingten Wegs ergibt: d B (vobs , Dobs )
2 vobs 2 Dobs
2 vsub 2 Dmax
vsub W B
d warn (vobs , Dobs )
2 vsub 2 Dmax
vdiff
2 vobs 2 Dobs
Drel
WR 2
2 vsub
2 d
2 vobs 2 Dobs
.
2 vsub
MIN 2 d
vsub W B
2 vobs 2 Dobs
2 vsub . 2d
; Dobs
(33.24)
Ausweichmanöver Auch für diesen Fall des in den Stand bremsenden Hindernisses bleibt die benötigte Ausweichzeit unverändert gemäß Gl. (33.8), allerdings ist für die Berechnung des benötigten Ausweichwegs diese Zeit mit der mittleren Egogeschwindigkeit (vdiff – Dsub · teva /2) zu multiplizieren. Zur Verfügung steht der aktuelle Abstand d und der Verzögerungsweg 2 vobs / 2 Dobs des Hindernisobjekts. deva (vobs , Dobs )
vdiff
Dsub
W eva 2
W eva (33.25)
2 vobs 2 Dobs
Die benötigte Querbeschleunigung ay,req
2 yeva ttc2 (vobs , Dobs ) 2 2 yeva Dsub
vsub
2 2 vsub 2 Dsub d vobs
Dsub Dobs
2
(33.26)
WR
(33.22)
Die benötigte Verzögerung D req (vobs,Dobs) errechnet sich aus der Summe des aktuellen 2 Abstands d und des Bremswegs vobs / 2 Dobs des vorausfahrenden Fahrzeugs Dreq (vobs , Dobs )
Dreq (vobs , Dobs )
(33.21)
Ein Zeitkriterium ttB für diesen Fall vereinfacht die Darstellung von Gl. (33.21) nicht, wie auch schon an Gl. (33.20) zu sehen ist. Für den Warnabstand ist Gl. (33.21) um die Reaktionszeit multipliziert mit der mittleren Differenzgeschwindigkeit während des Reaktionsintervalls zu erweitern:
F
(33.23)
Das Ergebnis liegt nahe den Werten für ein unbeschleunigtes Hindernis (Gl. (33.7)), wenn vobs /Dobs klein ist, und nahe an einem dauerhaft verzögernden Hindernis (Gl. (33.17)), wenn vobs /Dobs groß ist. In einer allgemeinen Form für alle drei Fälle (unbeschleunigtes, gleichmäßig beschleunigtes oder in Stand bremsendes Hindernis) bestimmt sich
liegt wie die benötigte Verzögerung zwischen den Werten für ein unbeschleunigtes Hindernis (Gl. (33.10)) und denen für ein konstant verzögerndes (Gl. (33.19)). Die Wurzel bleibt nur dann real, wenn auch wirklich die Kollision bei Fortsetzung der Bewegung stattfinden würde. Ansonsten bleibt das Egofahrzeug noch mit endlichem Abstand vor dem Hindernis stehen und bricht auf diese Weise den Ausweichvorgang ab, sodass keine sinnvolle Lösung zur benötigten Querbeschleunigung errechnet werden kann. Berechnungen für gleichzeitiges Bremsen und Lenken Wenn der Reifen mit Längskräften beansprucht wird, so kann er nicht mehr die maximalen Querkräfte bereitstellen. Diese Abhängigkeit beschreibt – vereinfachend – der Kammsche Kreis, s. Bild 33-7, der gemäß der Gleichung
531
F
Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Bild 33-7: Aufteilung der Längs- und Querkräfte beim Reifen (Kammscher Kreis)
ay,max (ax )
ay,max 1
D2 2 Dmax
; 0
D
Dmax (33.27)
auch für eine Ellipse mit unterschiedlichen Maximalreibwerten für Längs- und Querrichtung angesetzt werden kann. Bei einem kombinierten Bremsund Lenkmanöver wird die Ausweichzeit teva verlängert, da nun in Gl. (33.8) die reduzierte maximale Querbeschleunigung ay,max (ax) einzusetzen ist. Anderseits verlängert sich die Zeitdauer bis zum Erreichen des Hindernisses durch die mit dem Bremsen erreichte positive Relativbeschleunigung gemäß Gl. (33.11). Dieser Effekt dominiert bei kleinen Verhältnissen von D/D max. In einer [15] nachempfundenen Darstellung lässt sich die Wirkung der kombinierten Brems- und Lenkeingriffe über die Bewegung
einer mit der Zeit größer werdenden Ellipse verdeutlichen, deren Mittelpunkt sich mit der Ausgangsgeschwindigkeit bewegt (s. Bild 33-8). Diese Darstellung zeigt, dass Bremsen bis zu einem von der Ausgangsbedingung abhängigen Maß eine größere ortsbezogene Ausweichfähigkeit nach sich zieht. Auf den Abstandspunkt des Ausweichbeginns bezogen beträgt der Gewinn durch ein optimales Brems-/Lenkmanöver gegenüber dem reinen Lenkmanöver zumeist nur wenige Zentimeter [15] und liegt somit im Bereich der sonstigen Ungenauigkeiten. Damit können die Gleichungen hinsichtlich der Ausweichkriterien, insbesondere die Basisgleichung für das Zeitkriterium, Gl. (33.8), weiter verwendet werden. Allerdings ist bei einem verzögernden Hindernisobjekt (Dobs > 0) 2 noch der Abstand d Dobs teva / 2 , bei in den Stand bremsendem Hindernisobjekt der Abstand 2 d vobs / 2 Dobs hinzuzuaddieren. Bezogen auf die TTC bei unbeschleunigten Ausgangsbedingungen erhöht sich somit der Zeitbedarf um 'd / vsub, wobei der kleinere der oben genannten 'd-Werte einzusetzen ist. Mit dem zuvor angegebenen repräsentativen Wert teva,phys = 0,6 s für Hochreibwert und mittleren Ausweichversatz ist ein zusätzlicher Abstand von 1,8 m zu berücksichtigen, was in Folge zu einer Anhebung der Zeitgrenze um maximal 0,3 s, typisch eher um 0,15 s führt. 33.6.1.4 Ausweichverhalten von Fahrern Im vorherigen Abschnitt sind allein fahrphysikalische Betrachtungen ausgeführt worden. Allerdings werden nur besonders geübte Fahrer bis an die Fahrphysikgrenzen herangehen. In einer Untersuchung von Honda [16] (Bild 33-9) wurden Ausweichmanöver in drei Gefährlichkeitsstufen bewertet. Die untere Grenze der mittleren Bewertung („feel somewhat dangerous“) lässt sich sehr gut im Bereich von TTC > 1,6 s identifizieren. Die untere Grenze der als ungefährlich eingestuften Ausweichmanöver
Bild 33-8 Mögliche Aufenthaltsbereiche bei kombinierter Längs- und Querbeschleunigung. Die Ellipsen bewegen sich mit der Ausgangsgeschwindigkeit v0 und werden mit dem Quadrat der Zeit größer. Die durchgezogene Linie entspricht dem jeweils optimalen Seitenabstand, die gestrichelte der Trajektorie bei ausschließlicher Querbeschleunigung. Darstellung nach [15]
532
33 Frontalkollisionsschutzsysteme
F
Bild 33-9 Subjektive Bewertung von Ausweichmanövern [Quelle: Honda [15]]
kann mit einer TTC von 2,5 s angegeben werden. Aus diesen beiden Werten kann geschlossen werden, dass ein Ausweichmanöver innerhalb von einer Sekunde TTC zwar fahrphysikalisch möglich ist, aber wegen der Einstufung selbst unter großer Risikobereitschaft nicht beabsichtigt durchgeführt wird. Diese Schwelle wird im Folgenden Driver’s Limit genannt. Aber bereits früher, bei einer TTC von etwa 1,6 s, wird der Ungefährlichkeitsbereich verlassen, sodass auch hier nicht mehr von einer normalen Ausweichsituation ausgegangen werden kann und eine Frontalkollisionsgegenmaßnahme berechtigt erscheint. Dieser Schwellwert wird im Folgenden Comfort Limit genannt. Zusammen mit der fahrphysikalischen Grenze ergeben sich nun drei repräsentative Schwellwerte für Frontalkollisionsgegenmaßnahmen: Bei teva (ca. 0,6 s) ist ein Ausweichen physikalisch nicht mehr möglich. Bei tdriver (ca. 1 s) wird ein Ausweichen vom Fahrer praktisch nicht mehr geleistet. Bei tcomfort (ca. 1,6 s) wird ein Ausweichen als gefährlich angesehen. Allerdings kommen selbst bei der früheren Schwelle tcomfort Warnungen mit der Aufforderung zum Bremsen nicht mehr rechtzeitig. Wenn von einer Reaktionszeit von 1 s (zzgl. Verlustzeit der Bremse von 0,1 s) ausgegangen wird, so lässt sich eine Differenzgeschwindigkeit von nur 2D max · 0,6 s | 12 m/s ausgleichen. Eine besonders wirksame Warnung mit einer Reaktionszeit von 0,5 s käme immerhin schon auf Werte von
22 m/s. In diesen Beispielen wird allerdings eine Vollbremsung unter guten Fahrbahnzustandsbedingungen angenommen. Eine Warnung, die etwa eine Sekunde früher erfolgt, lässt dem Fahrer den Spielraum für eine moderatere Reaktion und kann bei Einsatz einer Vollbremsung sogar Differenzgeschwindigkeiten von 30 bis 40 m/s ausgleichen, womit die weitaus meisten Einsatzfälle abgedeckt sind. Gemäß diesen Überlegungen wird eine weitere Schwelle, die Warnschwelle twarn mit Werten zwischen 2,5 und 3 s, eingeführt. Für diese den normalen Fahreinsatz beschreibenden Einsatzschwellen können noch weitere Kriterien zu einer Veränderung der Werte führen. Eine Strategie ist die Beobachtung des Fahrers hinsichtlich der Aufmerksamkeit. In einem im Markt eingeführten Beispiel (Lexus LS, APCS-Paket) bestimmt ein auf der Lenkkonsole montierter Driver Monitor, ob der Fahrer zur Seite schaut. Wird eine längere Blickabwendungszeit ermittelt, erfolgen eine frühere Warnung und ein früherer Eingriff. Weitere Kriterien für die Änderung der Schwellwerte können der Reibwert µ und die Sichtweite sein. Ein verminderter Reibwert erhöht die fahrphysikalisch abgeleiteten Grenzwerte, und zwar die Ausweichzeiten um 1/ P und die Bremszeiten um 1/µ. Bei der Verwendung von Beschleunigungsschwellen für die Auslösung lässt sich der Reibwert, falls in irgendeiner Weise ermittelt, direkt für den Vergleich zwischen benötigter Verzögerung/Querbeschleunigung verwenden, da die maximal mögliche
533
F
Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene Tabelle 33-1: Auslöseschwellen mit Verweisen auf die Berechnungen des Abschnitts 33.6 Warnungs- und Eingriffsauslöseschwellen Fahrdynamische Szenarien mit Drel relativ verzögertes Hindernis
unbeschleunigtes Hindernis
Gl. (33.8) 0,55 … 0,7 s
Ausweichzeit (Time-Threshold-Evasion teva) Ausweichabstand deva
in den Stand bremsendes Hindernis
Gl. (33.18)
Gl. (33.9)
vdiff teva
vdiff teva Benötigte Querbeschleunigung
Gl. (33.10)
ay,req
2 2 yeva vdiff
Drel
2 teva 2
Gl. (33.25)
Gl. (33.19)
Gl. (33.26)
Gl. (33.13)
–
Gl. (33.15)
Gl. (33.21)
Gl. (33.14)
–
d2 Anhaltezeit (Time-Threshold-Brake ttB) Bremsabstand d B
Gl. (33.4, 33.5)
vdiff 2 Dmax
WB
Gl. (33.1)
vdiff W B Warnzeit ttw
2 vdiff . 2Dmax
Gl. (33.6)
W R ttc,B
Warnabstand d Warn
Gl. (33.2)
Gl. (33-16)
Gl. (33.22)
Benötigte Verzögerung D req
Gl. (33.7)
Gl. (33.17)
Gl. (33.23)
2 vdiff 2d
Dobs
2 vdiff 2d
Fahrerverhalten Fahrergrenze
Komfortgrenze
1s
1,6 s
Ausweichzeit
Verzögerung/Querbeschleunigung über µ · g abgeschätzt werden kann. Allerdings sind zurzeit keine Verfahren bekannt, die schon im Vorfeld den Reibwert ermitteln können, um entsprechende Schwellwertmodifikationen zu erlauben. Für die Sichtweite gibt es optische Verfahren über die Messung der Rückstreuung mit Lidar oder Lidar-ähnlichen Sensoren oder mit Kameras. Als weiterer Indikator sowohl für geringe Sichtweite als auch verminderten Reibwert kann ein mit hoher Geschwindigkeit betriebener Scheibenwischer sein. Auch ein angeschalteter Nebelrückscheinwerfer kann als Modifikationsgrund herangezogen werden, insbesondere bei Warnungen mit einem größeren Abstand zum Hindernis.
534
33.6.1.5 Zusammenfassung In einer vereinfachten Darstellung sind in Bild 33-10 alle in den vorherigen Abschnitten abgeleiteten Eingriffe in ein Diagramm gezeichnet. Als fahrphysikalische Grenze findet sich der repräsentative Wert teva (ca. 0,6 s) wieder, für die Grenze, die von Fahrern gemieden wird, steht der Wert tdriver (ca. 1 s), während die Warnschwelle wegen des mit der Geschwindigkeit quadratisch wachsenden Bremswegs linear abhängig von der Relativgeschwindigkeit ist. Eine Vollbremsung, die noch vor der gestrichelten Grenze eingeleitet wird, kann die Kollision vermeiden. Eine Kollisionsvermeidung per Ausweichmanöver ist bei den hier getroffenen Annahmen bei Differenzgeschwindigkeiten ober-
33 Frontalkollisionsschutzsysteme
F
Bild 33-10: Darstellung von Warn- und Eingriffszeitpunkten im Fall der nicht beschleunigten Bewegung von Hindernis und Egofahrzeug (TTC = Abstand/Relativgeschwindigkeit)
halb von 10 m/s (36 km/h) immer später möglich als durch Verzögern. Die im Bild 33-10 gewählte Darstellung ermöglicht eine einfache und korrekte Betrachtung für den Fall mit konstant angenommenen Geschwindigkeiten für Hindernis und Egofahrzeug. Verzögert hingegen das Egofahrzeug (relativ zum Objekt), so ist die TTC-Achse nicht mit einer Zeitachse identisch. So dauert im Falle einer Vollbremsung mit Eingriffsbeginn entlang der gestrichelten Linie näherungsweise doppelt so lang wie der angegebene TTC-Wert, weil die (zeitlich) mittlere Relativgeschwindigkeit durch die Verzögerung nur etwa halb so groß ist wie die Ausgangsgeschwindigkeit. Die hier gewählte Darstellung repräsentiert einen eher günstigen Fall. Bei niedrigeren Reibwerten oder verzögernden Hindernisobjekten verschieben sich die Schwellen zu höheren TTC-Werten, die Ausweichwerte verschieben sich weitgehend unabhängig von der Relativgeschwindigkeit zu höheren TTC-Werten, während die Bremsgrenze und damit auch die Warngrenze stärker geneigt ist, also proportional zur Relativgeschwindigkeit zu größeren TTC-Werten verschoben. Allein im Falle der Kurvenfahrt könnte bei Ausweichen zur kurvenäußeren Seite ein noch später eingeleitetes Ausweichmanöver erfolgreich möglich sein (wobei sich der Erfolg auf das auszuweichende Hindernis bezieht
und nicht berücksichtigt, ob der Ausweichkorridor gefahrlos ist).
33.6.2 Frontalkollisionsgegenmaßnahmen Neben der Reaktionsassistenz können informierende und autonom eingreifende Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Sind die informierenden Maßnahmen darauf ausgerichtet, den Unfall zu vermeiden, so sind dagegen die eingreifenden zusätzlich darauf ausgelegt, die Unfallschwere zu lindern. Die im Folgenden diskutierten Maßnahmen können als gesamtes Bündel oder im Teilumfang umgesetzt sein, wobei eine Maßnahme, die in einer späteren Phase ausgelöst wird, prinzipiell auf einen stärkeren Bremseingriff hinweisen sollte. Die Maßnahmen werden voraussichtlich in einer zukünftigen Norm geregelt und ergänzen die seit 2002 gültige Norm ISO 15623 „Road vehicles – Forward Vehicle Collision Warning System – Performance requirements and tests procedures“, die die Mindestanforderungen an Warnsysteme zur Frontalkollisionsvermeidung beschreiben. Die Norm, die auch eingreifende Systeme behandelt, wird vermutlich unter der Bezeichnung ISO-22839 „Intelligent Transport System – Forward Vehicle Collision Mitigation Systems – Operation, Perfor-
535
F
Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
mance, and Verification Requirements“ nicht vor 2010 erscheinen. Einige Bezeichnungen finden hier schon Eingang, auch wenn diese nur als vorläufig anzusehen sind. 33.6.2.1 Warnungen (Collision Warning) Da in Kapitel 24 die Warnelemente ausführlich beschrieben sind, wird hier nur erwähnt, welche Warnelemente heute im Einsatz sind. Besonders weit verbreitet ist die auditive Warnung mit zumeist kurzen Warntönen, die von einer dazu auch meist blinkenden optischen Anzeige mit einem Warnsymbol ergänzt wird. Bei Fahrzeugen mit einem reversiblen Gurtstraffer bietet sich an, diesen auch zur Warnung heranzuziehen. Beispiele hierfür sind in Fahrzeugen der Marken Honda (Legend), Lexus (LS) und Mercedes-Benz (S-Klasse W221, CLKlasse W216) zu finden. Ein aktives Fahrpedal, wie von Continental entwickelt, kann ebenfalls eine haptische Warnung auslösen, indem der verschiebbare Federfußpunkt ruckartig zum Fahrerfuß hin bewegt wird. Allerdings ist die für eine Wahrnehmung notwendige Voraussetzung, dass das Fahrpedal auch getreten wird, nicht in allen kritischen Situationen gegeben. Der Einsatzbereich der Warnung liegt zwischen den beiden frühesten Werten twarn und tcomfort. Abwägungen zwischen Wirksamkeit und Verzeihlichkeit können dazu führen, dass verzeihlichere Warnungen früher eingesetzt werden können, während weniger verzeihliche, aber sehr wirksame später, also bei kleineren TTC eingesetzt werden (vgl. Kapitel 24). In der Norm ISO 15623 „Road vehicles – Forward Vehicle Collision Warning System – Performance requirements and tests procedures“ werden die Einsatzzeitpunkte nicht spezifiziert, wohl aber die Anforderungen an die Sensorik. Die dabei angesetzten Annahmen zur Reaktionszeit (1,5 s) und Verzögerungsfähigkeit (amin = –3,6 m/s2) lassen sich nach der Erfahrung des Autors praktisch nicht ohne eine zu hohe Zahl von Fehlwarnungen umsetzen. Dabei ist die Ursache der Fehlwarnung weniger durch die Reichweite der Umfelderfassung gegeben, sondern in der Vorhersage des Kurses zu suchen, da bei den genannten Werten Ausweichmanöver noch leicht möglich sind. 33.6.2.2 Konditionierung auf ein Notmanöver Gleichzeitig mit der Warnung oder etwas später können Maßnahmen ergriffen werden, die ein vom Fahrer durchgeführtes Notmanöver unterstützen. Schon fast standardmäßig wird das Pre-Fill der Bremse ausgelöst. Gemeint ist damit die Beaufschlagung der Bremse mit einer kleinen Spann-
536
kraft (bei hydraulischen Bremsen mit etwa 1–5 bar Bremsdruck). Die damit verursachte Verzögerung ist nicht merklich, führt aber dazu, dass die Bremse nun schneller anspricht. Eine weitere in den Frontkollisionsschutzpaketen beinhaltete Maßnahme ist die Absenkung der Bremsassistent-Auslöseschwelle bei drohender Frontalkollision. Eine Änderung der Fahrwerkeinstellung, wenn im Fahrzeug überhaupt möglich, kann sowohl das Notbremsen als auch das Notausweichen fördern. Somit kann mit einer kurzzeitigen, zu Lasten des Komforts gehenden Verstellung das Handling verbessert werden. Sind eine Überlagerungslenkung und/oder eine elektrische Lenkunterstützung vorhanden, so lassen sich auch die Notausweichmanöver durch veränderte Charakteristika vorkonditionieren. Als Beispiele für eine umfangreiche Vorkonditionierung können PRE-SAFE von Mercedes-Benz (allerdings ohne Ausweich-Konditionierung) und das Advanced Pre-Crash Safety (A-PCS)-System von Lexus genannt werden. 33.6.2.3 Schwacher Bremseingriff Bei der Komfortschwelle zwischen 1,5 und 2,0 s kann eine autonome, schon fahrdynamisch wirksame Gegenmaßnahme eingesetzt werden. Es bieten sich zwei Möglichkeiten an:
1. Bremsruck (Warning Braking) Die Hauptwirkung des Bremsrucks besteht in der haptischen Alarmwirkung mit einer klaren Bremsaufforderung an den Fahrer. Ein beispielhafter Bremsruck mit einer typischen Verzögerungsamplitude 4 m/s2, Auf- und Abbauflankendauern von 0,2 s und einer Dauer von typisch 0,3 s bewirkt einen Geschwindigkeitsabbau von etwa 2 m/s und damit bei 20 m/s Differenzgeschwindigkeit eine Reduktion der kinetischen Energie bzw. des Bremsabstands von 20 %, führt aber noch zu keiner als kritisch zu betrachtenden Änderung des Fahrzustands, sofern man von einem schon begonnenen Überholvorgang absieht. 2. Schwacher Bremseingriff (Speed Reduction Braking, SRB) Mit einer Teilbremsung von 30–40 % der maximalen Verzögerung lässt sich eine hohe Warnwirkung mit einer deutlichen Reduktion der kinetischen Energie verbinden. So kann bei einem solchen bei einer TTC von 1,5 s beginnenden und 4 m/s2 starken Verzögerungseingriff die Differenzgeschwindigkeit auf ein nicht verzögerndes Hindernis die Fahrgeschwindigkeit um etwa 12 m/s abgebaut werden. Allerdings ist bei einer solch frühzeitigen Auslösung dafür Sorge zu tragen, dass dieser durch den Fahrer übersteuert werden kann. Insbe-
33 Frontalkollisionsschutzsysteme
sondere wenn ein Ausweichen erkennbar ist, ist der Bremseingriff wieder zu lösen. Ebenso, wenn die Fahrpedalbetätigung einen anderen Fahrerwunsch deutlich macht. Allerdings ist vorher auszuschließen, dass die Fahrpedalbewegung nicht durch den Bremsruck selbst bedingt ist, wie dies bei Vollbremsungen dokumentiert ist [3]. Eine weitere Maßnahme zur Verminderung potenziellen Schadens eines solchen fälschlichen Eingriffs besteht in der Begrenzung der Eingriffsdauer auf das Doppelte der Eingriffs-TTC: Denn nach Auslegung dieser Grenze hätte diese Dauer entweder schon ausgereicht, um die Kollision zu vermeiden, oder sie hätte in dieser Zeitdauer schon stattfinden müssen. Ein Grund für eine weitere Verkürzung ist das aus Untersuchungen [13] im kontrollierten Fahrversuch beobachtete Fahrerverhalten, dass eine autonome Bremsung die Reaktion des Fahrers zum Bremsen beschleunigte und so nach spätestens 1,3 s angenommen werden kann, dass der Fahrer reagiert, sofern eine Gefahrensituation vorliegt. 33.6.2.4 Starker Bremseingriff (Mitigation Braking)
Ein starker Bremseingriff (hier definiert mit mindestens 50 % des maximalen Verzögerungsvermögens) kann dann erfolgen, wenn das Ausweichen ausgeschlossen werden kann. Allerdings sind für diese Entscheidung einige nicht mit hinreichender Genauigkeit zu ermittelnde Parameter wie z. B. der anzunehmende Ausweichversatz heranzuziehen. In der bisherigen Praxis für Pkw-Anwendungen wird ab 1 s TTC ein starker Bremseingriff mit einer Verzögerung von etwa 6 m/s2 ausgeführt. Diese reicht dann bei ideal schneller Bremse für einen Abbau zwischen 6 und 12 m/s. Auch hierzu ist bekannt, dass maximal mit der doppelten Zeit, also 2 s, gebremst wird, sodass auch bei Falschauslösung maximal um 12 m/s verzögert würde. Grundsätzlich würde ein noch stärkerer Bremseingriff mehr Nutzen versprechen. Allerdings zeigen Untersuchungen mit Probanden [13], dass dieser Nutzen nur dann erreicht werden kann, wenn der Anstieg sehr schnell ist. Ist die Verzögerungsaufbaurate eher gering (ca. 10…20 m/s3), dann ist bereits ein Bremseingriff mit 6 m/s2 Stärke wegen der darauffolgenden Bremsbetätigungen durch den Fahrer genauso wirkungsvoll wie eine autonome Vollbremsung. Darüber hinaus kann eine starke Kollisionslinderungsbremse kontraproduktiv wirken, wenn durch die mit dem Bremsruck verbundene Körper- und Kopfvorverlagerung den Insassen außerhalb des für ihn günstigen Positionsbereichs
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für den Einsatz von Rückhalteelementen (Airbag, Gurtstraffung) führt. Eine vor oder gleichzeitig mit dem starken Bremseingriff einsetzende Rückhaltung durch reversible Gurtstraffer kann diese Nebenwirkung erheblich reduzieren.
33.6.3 Nutzenpotenzial für Kollisionsgegenmaßnahmen Der Nutzen der Frontalkollisionsgegenmaßnahmen besteht in der Vermeidung von Frontalkollisionen und der Verringerung der Kollisionsschäden, wenn eine Kollision nicht mehr verhindert werden kann. Wie die bisherigen Rechnungen bereits gezeigt haben, hängt es stark von der Ausgangssituation ab, ob eine Kollision vermieden werden kann, und wenn nicht, wie stark die Reduktion der Schäden war. Um für einen Nutzenkennwert eine weitgehende Unabhängigkeit von den Ausgangsbedingungen zu erreichen, kann die durch die Gegenmaßnahme effektiv verringerte Geschwindigkeit bestimmt werden. Allerdings ist auch diese – selbst bei einem idealisierten System – noch abhängig von der Ausgangsrelativgeschwindigkeit, wie das folgende Beispiel deutlich machen soll, dem der einfachste Fall – der des stehenden Hindernisses – zugrunde liegt. Es wird eine idealisierte Notbremsung angenommen, die bei einer Zeit ttB ausgelöst und dann sofort mit D 0 verzögert wird. Bei einer Ausgangsrelativgeschwindigkeit von v0 = 2ttB · D 0 kann gerade noch die Kollision vermieden und somit eine Geschwindigkeit von 'v = v0 = 2ttB · D 0 abgebaut werden. Sei hingegen die Ausgangsgeschwindigkeit sehr groß (v1 2ttB · D 0), so wird nur halb so viel abgebaut. Um einen übertragbaren Kennwert zu erhalten, wird daher nur die Differenz zur Ausgangsgeschwindigkeit betrachtet, die innerhalb der Dauer liegt, welche der bei der Auslösung zum Zeitpunkt ti vorliegenden TTC entspricht, also 'vCM = vsub (ti) – vsub (ti+ ttB). Diese Definition der Wirksamkeit erlaubt sowohl eine einfache Abschätzung idealisierter Kollisionsgegenmaßnahmen als auch eine lösungsunabhängige objektive Bewertung von Maßnahmen. Dabei ist sogar die vergleichende Bewertung von autonom eingreifenden Systemen und fahrermitwirkenden Systemen (z. B. über Warnung oder Bremsruck) möglich, wie in Kapitel 5 dokumentiert wird. Bild 33-11 zeigt den Verlauf von drei Strategien mit der gemeinsamen Wirksamkeit von 'vCM = 5 m/s. Alle drei könnten bei einer Ausgangsgeschwindigkeit v0 d 2'vCM = 10 m/s = 36 km/h die Kollision noch vermeiden. Sie reduzieren bei 40 km/h den Schaden auf den von „Parkremplern“ und verringern
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Bild 33-11: Drei Eingriffsstrategien mit gleicher Wirksamkeit ('vCM = 5 m/s) für drei verschiedene Ausgangsrelativgeschwindigkeiten (40, 50, 70 km/h)
die kinetische Energie proportional zur Ausgangsgeschwindigkeit um m · vsub (ti) · 'vCM, wobei die Geschwindigkeitsreduktion bei hohen Geschwindigkeiten auf 'vCM = 5 m/s = 18 km/h abfällt. Eine Wirksamkeit von 'v CM = 5 m/s ist repräsentativ für Einzeleingriffe, wie sie beispielsweise bei Honda CMBS durch einen Bremseingriff mit 6 m/s2 Stärke zu finden sind, ausgelöst bei TTC = 1 s und mit ca. WB = 0,2 s Verlustzeit oder alternativ mit einer schwachen, aber frühen Teilbremsung bei 1,6 s mit 3,3 m/s2 und WB = 0,1 s. Die erst bei sicherem Ausschluss einer Ausweichmöglichkeit, also bei TTC = 0,6 s aktivierbare Notvollbremsung kann eine solche Wirksamkeit mit der Maximalverzögerung (10 m/s2) und sehr schneller Bremsaufbaudynamik (WB = 0,1 s) erreichen. Durch ein mehrstufiges Vorgehen lässt sich aber ein noch größeres Potenzial erreichen. Als Beispiel wird die Auslösung einer schwachen Bremsung (Speed Reduction Braking) nach Erreichen der Komfortschwelle für das Ausweichen (TTC = 1,6 s) und eine etwa eine TTC-Sekunde später folgende Vollbremsung herangezogen. Daraus ergibt sich eine Wirksamkeit von 'vCM = 9 m/s. Da aber die Verzögerung nicht konstant und sinnvollerweise zunächst schwächer ist, wird anders als bei den einstufigen Verfahren weniger als der doppelte Geschwindigkeitsabbau erreicht (s. Bild 33-12). Trotzdem ist mit einer solchen Auslegung ein Geschwindigkeitsabbau von etwa 60 km/h möglich. Damit wird sogar der mit der höchsten Geschwindigkeit von 64 km/h
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durchgeführte Crashtest zu einem „Parkrempler“ heruntergestuft, wobei allerdings nicht vergessen werden darf, dass die Betrachtungen einem günstigen Fall entsprechen und sich die Schutzwirkung längst nicht in jeder Kollisionssituation erreichen lässt. Dennoch zeigt das Beispiel, was erreichbar ist. Tatsächlich finden sich schon Ansätze dieser Art im Markt (Stand 2008): Top Safety Package im Mercedes-Benz Actros (Nutzfahrzeug) (zwei Stufen autonom) Pre-Safe-Bremse in der Luxusklasse von Mercedes-Benz (Teilbremsung, zweite Stufe durch Adaptiven Bremsassistenten, oder autonomen Vollbremseingriff (W 212)) Advanced Pre-Crash Safety System im Lexus LS (schwache Teilbremsung, starke Teilbremsung) Collision Mitigation Brake System in Honda Oberklasse-Fahrzeugen (Bremsruck, starke Teilbremsung) Fortschritte in der Qualität der Umfeldwahrnehmung lassen einen moderaten Ausbau der Wirksamkeit erwarten. Allerdings sind diese zumeist mit Verteuerungen der Sensorik verbunden, sodass die Technik nicht zu einer hohen Marktdurchdringung führen wird. Wohl aus diesem Grunde propagiert Volvo den alternativen Weg des City-Safety-Konzepts, bei dem mit einem besonders kostengünstigen LidarSensor nur bei geringen Abständen ein autonomer Eingriff erfolgt. Auf diese Weise, mit einem sehr
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Bild 33-12: Zweistufige Eingriffsstrategie (TTC1 = 1,6 s, D1 = 4 m/s2, TTC2 = 0,6 s, D2 = 10 m/s2, Verlustzeit jeweils 0,1 s) mit einer Wirksamkeit von 'vCM = 9 m/s (= 1 s · 4 m/s2 + 0,5 s · 10 m/s2)) für drei verschiedene Ausgangsrelativgeschwindigkeiten (60, 70, 90 km/h)
kostengünstigen Konzept, wenn auch geringerer Wirksamkeit, in die Breite zu gehen, lässt sich zumindest volkswirtschaftlich gut rechtfertigen. Die bis zur Manuskriptabgabe vorliegenden Informationen lassen auf eine Wirksamkeit von 'vCM | 2 m/s schließen. Damit lassen sich wirksam nur Kollisionen mit niedrigen Geschwindigkeiten deutlich beeinflussen. Dies passt jedoch zum Konzept, das einen Einsatz nur bei niedrigen Geschwindigkeiten (unter 50 km/h) vorsieht.
33.6.4 Anforderungen an die Umfelderfassung Die Anforderungen an die Umfelderfassung richten sich nach den ausgelösten Fahrzeugreaktionen. So sind an Warnungen auslösende Hindernisdetektionen geringere Anforderungen hinsichtlich der Fehlalarmrate gestellt als an solche, die starke Bremseingriffe auslösen. Allerdings unterscheidet sich auch der Schwierigkeitsgrad entsprechend, d. h. die Warndetektionen finden bei höheren Abständen statt. Mit den Warnschwellen twarn von 2,5…3,0 s ergeben sich bei unbeschleunigten Hindernissen Abstände von vdiff · twarn | 50 m bei Differenzgeschwindigkeiten von 60…70 km/h. Die in der Norm ISO 15623 [17] für Forward Vehicle Collision Warning Systems (FVCWS) angegebene 2 Forderung für d max vmax W max vmax / 2Dmax mit
v max als obere Geschwindigkeitsgrenze des Systems, Wmax = 1,5 s und D max = 3,6 m/s2 lässt sich auf in Deutschland übliche Autobahngeschwindigkeiten keinesfalls übertragen; aber auch schon auf der Landstraße lässt sich die Anforderung nicht umsetzen, denn bei 108 km/h (30 m/s) beträgt die Reaktionsreichweite bereits 170 m. In dieser Entfernung ist mit heute bekannter Technik keine Hinderniserkennung ohne eine Vielzahl von Falscherkennungen realisierbar. Die in der Norm ISO 15623 formulierten Anforderungen hinsichtlich der Genauigkeit der Abstandsmessung mit MAX(± 1 m, ±5 %·d) sind hingegen mit Punktzieltestreflektoren ohne Schwierigkeiten zu erreichen. Der azimutale (laterale) Erfassungsbereich ist abhängig von der Kurvenfähigkeitsklassifikation. Zu erfüllen ist die Detektion eines Punktziels, das sich in der Verlängerung der Fahrzeugseitenlinie in einem als d2 definierten Abstand vom Fahrzeug befindet. Bei einem 1,80 m breiten Fahrzeug ist bei einem in der Mitte montierten Einzelsensor mindestens ein Azimutwinkelbereich von ± 9° (Curve Capability Class I, d2 = 10 m) bis ± 18° (Class III, d2 = 5 m) vorzuhalten. Der Elevationswinkelbereich (vertikaler Sichtbereich) muss hingegen groß genug sein, um bei d2 ein in der Mitte platziertes Punktziel in 0,2 und in 1,1 m Höhe zu detektieren. Bei geeigneter Ausrichtung folgt, dass der Elevationsbereich genau halb so groß sein muss wie die Anforderung für den Azimut.
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Für die in der Arbeit befindliche ISO 22839 ist zu erwarten, dass die Anforderungen hinsichtlich des lateralen und vertikalen Sichtbereichs übernommen werden, während die maximale Entfernung dmax sich nach den dort definierten Einsatzschwellen richten wird und diese wiederum nach minimaler und maximaler Einsatzgeschwindigkeit (vermutlich von d 15 km/h bis t 100 km/h). Für die oben schon diskutierte Verzögerungsschwelle von 6,5 m/s2 für Pkws ergibt sich somit eine Detektionsfähigkeit bis mindestens 60 m, für eine Speed Reduction Braking schon fast 130 m. Letzteres ist wieder ein Wert, der mit heutiger Technik nicht zuverlässig erreichbar ist, aber auch, wie bereits zuvor diskutiert, deutlich über den Werten eines noch komfortablen Ausweichmanövers liegt. Für die Warnung wird eine Schwelle von Dreq = 1,5 m/s2 diskutiert, die noch größere Einsatzabstände nach sich ziehen würde. Aus der Praxis werden für die hier diskutierten Funktionen Reichweiten von 60 bis 80 m gefordert [18]. Damit lässt sich gegenüber stehenden Hindernissen noch bei 100 km/h eine TTC von über 2 s realisieren, womit ein Wert erreicht wird, der ein ungefährliches Ausweichen oder bei schneller Reaktion noch eine erfolgreiche Kollisionsverhinderung durch ein Bremsmanöver noch ermöglichen würde. Gerade die für eine Kollisionslinderung erforderlichen starken Bremsungen werden erst bei TTC von etwa 1 s ausgelöst, woraus sich bei Kollisionen mit Differenzgeschwindigkeiten bis 50 km/h ein Reaktionsabstand von weniger als 15 m gefordert ist. Geht man von einer Signalplausibilisierungszeit von 0,3 s aus, vergrößert sich der erforderliche Abstand auf etwa 20 m. Die größte Herausforderung ist nicht die Detektion von relevanten Objekten, sondern die Selektion der tatsächlich bedrohlichen. Weder Schilderbrücken noch Gullydeckel oder „verschmolzene“ Objekte dürfen zu einer Auslösung führen. Das Ausfiltern solcher Falschobjekte gelingt über die längere Beobachtung [19] der Reflektionsstärke und der Konstanz der Winkelwerte in Abhängigkeit vom Abstand. Nur Objekte mit diesbezüglich plausiblem Verhalten werden für eine Auswertung hinsichtlich von Kollisionsgegenmaßnahmen herangezogen. Um die Anforderung an die Robustheit abzuleiten, kann man die Zahl der Nutzfälle betrachten. Dazu werden für Deutschland die Unfälle mit Personenschaden (über 300 000) auf die Kilometerleistung der Pkws (6 · 1011 km) bezogen. Die Unfallrate liegt somit bei etwa einem Unfall mit Personenschaden pro 2 Mio. km. Nur ein Teil der Unfälle ist Frontalkollisionen zuzuordnen, sodass von einer immer noch als optimistisch anzusehenden Nutzra-
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te etwa 1 pro 5 Mio. km ausgegangen wird. Da nicht jede Fehlauslösung zu einem schweren Unfall führen muss, ist eine Fehlauslösungsrate in der gleichen Größenordnung auch für einen starken Eingriff als akzeptabel einzuschätzen. Das heißt aber auch, dass zwischen zwei Fehlauslösungen eine mittlere Kilometerleistung von 5 Mio. km liegen sollte, oder anders betrachtet, nur eine innerhalb von insgesamt 25 Fahrzeuggesamtnutzungsdauern. Für die Genauigkeit der Objektdaten ist die Bestimmung der TTC und der benötigten Verzögerung heranzuziehen. Eine Ungenauigkeit von 10 % TTC und 0,5 m/s2 D req sollte nicht überschritten werden, wobei die Filterlaufzeiten zu insgesamt nicht mehr als 200 ms Zeitverzug führen dürfen. Die oben diskutierte Einschränkung auf niedrige Geschwindigkeiten und damit die Eingrenzung auf den innerstädtischen Bereich reduziert die Anforderung erheblich. Bei geeigneter Sensorplatzierung z. B. hinter der Windschutzscheibe und insgesamt nur geringem Entfernungsbereich von etwa 10 m lassen sich Bodenreflektionen oder andere Fehlmessungen verursachende Konstellationen ausschließen. Somit ist ein in diesem Bereich detektiertes Objekt grundsätzlich als relevantes Hindernis zu bewerten, und folglich können geschwindigkeitsreduzierende Bremsungen ausgelöst werden, sofern eine Kollision droht. Der Hauptvorteil dieses Ansatzes ist die einfache und kostengünstige Realisierung der dafür notwendigen Sensorik, die daher eine breite Einführung in der Standardausrüstung sogar der ganzen Modellpalette erlaubt, während die anderen bisher bekannten, durchaus leistungsfähigeren Systeme nur als Option in einigen, zumeist teureren Modellreihen erhältlich sind.
33.7 Ausblick Obwohl schon seit über 50 Jahren an Frontalkollisionsschutzsystemen gearbeitet wird, haben erst die Fortschritte der Umfeldsensorentwicklung, die durch Komfortfunktionen wie ACC bzw. FSRA stimuliert wurden, zu serientauglichen Umsetzungen geführt. Wurde mit vorsichtigen Ansätzen (Warnfunktionen ohne fahrdynamisch wirksamen Eingriff, adaptiver Bremsassistent) begonnen, trauen sich die Hersteller nun auch in breiter Front fahrdynamisch wirksame autonome Eingriffe zu implementieren. Einen Überblick über die derzeit verfügbaren Collision Mitigation-Systeme und deren dazu eingesetzte Sensorik zeigt das Bild 33-13. Mit solchen Systemen ausgerüstete Fahrzeuge stellen für die Insassen einen beträchtlichen
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Bild 33-13: Übersicht der in den Markt eingeführten Fahrzeugmodelle mit Collision Mitigation-Systemen [Quelle: VDA Arbeitskreis ACC AK3.11]
Sicherheitsgewinn dar. Bisher dominiert eine TopDown-Entwicklung, die aus für Luxusfahrzeuge abgeleiteter Technik die Sicherheitsfunktionen mit den Komfortfunktionen verbindet. Natürlich kann auch ein Bottom-Up-Konzept wie CitySafety von Volvo erfolgreich sein, bei dem zunächst mit einfachen, kostengünstigen Mitteln die am preiswertesten erreichbaren Sicherheitsgewinne durch breiten Einsatz erzielt werden sollen. Diesem Start folgend kann erwartet werden, dass der Funktionsumfang stetig steigen wird. Natürlich wird auch dann wieder versucht, mit einer solchen Technik Fahrkomfort zu steigern, sodass sich beide Ansätze irgendwann einmal treffen könnten. Unabhängig vom Weg werden die Frontalkollisionsschutzsysteme der Zukunft einen wesentlichen Anteil am Sicherheitsgewinn erreichen, der zu einer abermaligen deutlichen Senkung der Unfallopferzahl führen wird.
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F 34 Lane Departure Warning 34.1 Fahrstreifenerkennungssysteme und ihre Anwendung Jährlich kommt es weltweit im Straßenverkehr zu rund 1,2 Millionen tödlichen Unfällen. Allein in Europa ereignen sich 1,3 Millionen Unfälle, hierbei werden mehr als 40 000 Menschen getötet. Die Kosten dieser Verkehrsunfälle werden mit 160 Milliarden Euro beziffert. Dies entspricht rund 2 % des Bruttosozialprodukts der Europäischen Union. Mehr als ein Drittel aller tödlichen Unfälle wird durch einen Spurwechsel oder ein unbeabsichtigtes Verlassen des Fahrstreifens ausgelöst. Daraus lässt sich ableiten, dass durch ein Spurhalte-Assistenzsystem, insbesondere einer Warnung vor ungewolltem Verlassen des Fahrstreifens, eine Reihe von Unfällen verhindert oder zumindest in ihrer Schwere gemindert werden könnten. Spurhalte-Assistenzsysteme, wie sie in diesem Kapitel beschrieben werden, sind Fahrerassistenzsysteme, welche die Fahrzeugposition relativ zur Fahrstreifenmitte bestimmen und den Fahrer, sollte er unbeabsichtigt den Fahrstreifen verlassen, warnen oder das Fahrzeug durch einen automatischen Lenkeingriff wieder in den Fahrstreifen zurückbewegen können.
34.2 Ein Blick auf die Unfalldaten “Fifty-five percent of all fatal crashes in the U.S. involve the vehicle leaving the road, so keeping a car in its lane is a good start at eliminating some of those crashes”. Robert Yakushi, Director of Product Safety for Nissan North America, Inc. [9]
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In den letzten 30 Jahren ergab sich allein in Deutschland eine Verdoppelung der zugelassenen Pkws. Die Folgen der steigenden Verkehrsdichte sind eine zunehmende Verstopfung der Straßen sowie eine erhöhte Belastung des Fahrers. Trotz dieses gestiegenen Mobilitätsdrangs zeigen die Unfallzahlen und Todesopfer in den vergangenen Jahren eine rückläufige Tendenz (siehe Bild 34-2). Dies ist zum einen auf eine Verbesserung der Infrastruktur durch die Beseitigung von Gefahrenstellen, zum anderen auf eine Verbesserung der aktiven und passiven Sicherheit der Fahrzeuge durch Technologieinnovationen wie ABS (Antiblockiersysteme), ESP (Elektronische Schlupfregelung), Front- und Seitenairbag und nicht zuletzt stabilere Fahrgastzellen zurück zu führen. Leider werden jedes Jahr weltweit noch immer 10 Millionen Menschen bei Verkehrsunfällen verletzt. Dabei erleiden rund 20–30 % der Unfallopfer zum Teil schwere und rund 1,2 Millionen sogar tödliche Verletzungen. Allein in Europa ereignen sich jährlich 1,3 Millionen Unfälle mit Personenschaden, bei denen rund 40 000 Menschen Ihr Leben verlieren, womit Verkehrsunfälle bei Personen unter 45 Jahren zu den Haupttodesursachen zählen [1]. Diese Unfälle sind weder auf den Straßenzustand noch auf die Sichtbedingungen zurück zu führen, sondern hauptsächlich auf Fahrfehler. Ursächlich hierbei sind meist überhöhte Geschwindigkeit, Übermüdung, Unachtsamkeit, eine Fehleinschätzung der Lage oder Alkoholkonsum. Etwa zwei Drittel aller Unfälle in Deutschland erfolgen durch einen Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug oder Objekten auf der Fahrbahn. 8 % aller Unfälle werden durch einen Zusammen-
Bild 34-1: Typisches Einsatzszenario eines kamerabasierten Spurhalte-Assistenzsystems
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Bild 34-2: Unfälle und Verunglückte von 1970 bis 2006 [Quelle: Statistisches Bundesamt]
Bild 34-3: Getötete inner- und außerorts nach Unfallarten [Quelle: Statistisches Bundesamt]
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34 Lane Departure Warning
stoß mit Fußgängern und 15 % durch ein Abkommen vom Fahrstreifen verursacht. Dabei erfolgen 21 % aller tödlichen Unfälle durch einen Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Fahrzeug und 34 % dieser Unfälle durch das Verlassen der Fahrbahn (siehe Bild 34-3). Um den Unfallursachen entgegenzuwirken, startete u. a. die Europäische Union in Zusammenarbeit mit der Automobilindustrie, den Straßenbetreibern und Telekommunikationsunternehmen im Jahr 2003 mit eSafety [10] (electronic Safety) eine Initiative, um die Straßenverkehrssicherheit durch Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) zu erhöhen. Ausgangspunkt der Initiative ist die Meinung, dass die heute üblichen Sicherheitsmaßnahmen (ABS, ESP, Airbag etc.) im Wesentlichen ausgeschöpft sind und neue Technologien entwickelt werden müssten. Mit der Initiative will die Kommission alle Beteiligten zusammenführen und die Einführung derartiger Sicherheitssysteme möglichst umfassend unterstützen. Insbesondere wurden Maßnahmen zur Unterstützung der Automobilindustrie beschlossen. Aus einem Abschlussbericht der Arbeitsgruppe eSafety geht hervor, dass das Potenzial der Anwendung von IKT bei intelligenten Fahrzeugsicherheitssystemen am größten ist. Damit äußert die EU-Kommission ihre Absicht, die Entwicklung und eine möglichst umfassende Einführung dieser Systeme zu unterstützen. Hauptaugenmerk liegt vor allem auf der Weiterentwicklung von Fahrerassistenzsystemen wie Spurwechselassistenten, Spurhalteassistenten und Geschwindigkeitsregelanlagen, von Geräten zur Kollisionswarnung, zur Verbesserung der Sichtverhältnisse und der Fahrerüberwachung sowie von automatischen Notrufsystemen. Als konkretes Ziel wurde vorgesehen, die Anzahl der Verkehrstoten von etwa 40 000 im Jahr 2003 bis zum Jahr 2010 zu halbieren und gleichzeitig 20 % der neu zugelassenen Fahrzeuge mit Fahrerassistenzsystemen auszustatten. Vergleichbare Initiativen ergriffen Japan (Reduktion der Straßentodesfälle um 50 % bis 2013), Australien (Reduktion der Straßentodesfälle um 40 % bis 2010), Großbritannien (Reduktion der Straßentodesfälle um 40 % bis 2010) und die USA (Reduktion der Unfallrate um 1/3 bis 2008).
34.3 Fahrstreifenerkennungssysteme Im Gegensatz zu vielen Anwendungen der industriellen Bildverarbeitung sind die Umweltbedingungen im Straßenverkehr nicht kontrollierbar. Man
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trifft auf sehr komplexe Szenarien, die nicht zuletzt aufgrund der beschränkten Sensorik nur teilweise erfasst und nur zu einem gewissen Teil durch statistische Modelle beschrieben werden können. Ziel ist es, die bei der Modellierung auftretenden Fehler zu minimieren und die Systeme so auszulegen, dass sie bei einem Fehler für den Fahrer jederzeit beherrschbar bleiben. Fahrstreifenerkennungssysteme werden nie perfekt sein und wie ein Mensch Fehler machen, haben aber den Vorteil, nicht zu ermüden oder abgelenkt zu werden. Fahrstreifenerkennungssysteme bestehen im Wesentlichen aus den folgenden Komponenten: einem umgebungserfassenden Sensor, z. B. einer hinter dem Innenspiegel des Fahrzeugs angebrachten Kamera, Algorithmen zur Erkennung der Fahrbahnmarkierungen, einer Entscheidungseinheit, die eine Warnung oder einen Eingriff auf den aktuellen Fahrzustand des Fahrzeugs steuert, sowie einem Aktor zur Erzeugung der Warnung oder Durchführung eines Lenkeingriffs. Ein typischer Ablauf eines Fahrstreifenerkennungssystems kann wie folgt aussehen: Ausgehend von einem mit einer Kamera aufgenommenen Bild wird mittels eines Fahrstreifenerkennungsalgorithmus die Lage des Fahrzeugs innerhalb des Fahrstreifens und der Fahrstreifenverlauf vor dem Fahrzeug bestimmt. Entscheidend hierbei ist die Erkennung der Fahrbahnmarkierungen. Fahrstreifenerkennungssysteme extrahieren Straßenmerkmale unter Verwendung eines geometrischen Modells des Fahrstreifenverlaufs und eines fahrdynamischen Modells der Fahrzeugbewegung [20], [8], [11], [5], [19]. Meist verfügen diese Systeme über einen Detektions- und Trackingmode. Im Detektionsmode werden initiale Spurdaten (z. B. Fahrstreifenbreite, Ablage, Gierwinkel und Fahrstreifenkrümmung, siehe Bild 34-4) generiert und Messfenster unter Berücksichtigung der Kameraeinbaulage an den erwarteten Markierungen im Bild positioniert. Diese werden nach typischen dunkel – hell/hell – dunkel (Straße – Markierung/Markierung – Straße)Übergängen durchsucht. Die potenziellen Markierungen werden auf Plausibilität geprüft (z. B. Kontrast, Breite und Abstand) und zur Bestimmung einer initialen Ablage und Fahrstreifenbreite verwendet. Wird über mehrere Zyklen eine annähernd identische Fahrstreifenbreite und Ablage berechnet, wechselt das System in den Trackingmode. Im Trackingmode werden die Differenzen zwischen den prädizierten Markierungspositionen und den gemessenen Positionen mittels eines Filters (z. B. Kalmanfilter [17]) zur Aktualisierung der Spurdaten verwendet. Die geschätzten Spurdaten werden
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Bild 34-4 Der Fahrstreifen und die relevanten Parameter (Fahrstreifenbreite b, Ablage xoff, Gierwinkel \ und Fahrstreifenkrümmung c0, c1) in der geometrischen Betrachtung
auf Plausibilität geprüft. Beim Auftreten nicht plausibler Situationen wird ggf. wieder in den Detektionsmode zurückgewechselt.
34.3.1 Umwelteinflüsse und begrenzende Faktoren “All of these things are the classic test cases for how well your algorithms work, if the systems don’t filter out false lane markers there will be too many nuisance alerts, prompting drivers to turn the system off.” William Shogren, Manager for Advanced Vehicle Safety Systems at Delphi [16] Aktuelle Fahrstreifenerkennungssysteme können nur funktionieren, wenn die Markierungen zu sehen sind, d. h., wenn sie nicht zu stark verwittert, von Gras oder Büschen überwachsen oder von Laub oder Schnee verdeckt sind. Probleme können sich aber auch durch physikalische Effekte oder die verwendete Sensorik ergeben. So können Markierungen durch ihre glatte Oberfläche bei Gegenlicht und tief stehender Sonne bzw. nachts auf nassen, spiegelnden Straßen im Bild dunkler erscheinen als die sie umgebende, diffus reflektierende Straße. Bitumenfugen, die zur Reparatur von Rissen auf der Fahrbahn (die in der Regel an den Nahtstellen der linken und rechten Fahrbahn auftreten und damit genau in Straßenmitte, wo die eigentlichen Markierungen zu erwarten sind) verwendet werden, können
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je nach Sonnenstand genauso hell wie die eigentlichen Markierungen erscheinen und einer Fahrstreifenmarkierung oftmals in Breite und Form gleichen (siehe Bild 34-5). Oft ist auch die eingeschränkte Dynamik vieler Imager den extremen Änderungen der Lichtverhältnisse, z. B. bei tief stehender Sonne oder bei Tunnelein- und -ausfahrten, nicht gewachsen. Auch häufige Wechsel von Licht und Schatten, wie sie im Sommer beim Durchfahren von Alleen zu beobachten sind, können die zuverlässige Erkennung von Markierungen erschweren. Um Markierungen mit geringem Kontrast bei Dunkelheit oder Gegenlicht noch erkennen zu können, müssen die Kontrastschwellen reduziert und gegebenenfalls die geometrischen und periodischen Strukturen der Markierungen berücksichtigt werden. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass das System auf Spurrillen oder auf Reifenspuren auf nassen oder verschneiten Fahrbahnen, die in Breite, Form, Position und Orientierung oft denen einer durchgezogenen Markierung entsprechen, aufsetzt. Dieses Problem lässt sich zum Teil durch globale Analysen auf Mehrdeutigkeiten und strengere Plausibilisierungskriterien umgehen. Dies kann aber im Gegenzug, z. B. im Winter durch Schnee oder Salzränder, die an Markierungen angrenzen und deren Erscheinungsbild verändern, zu Problemen führen. Abhilfe können hier Single-Line-Tracker schaffen, die zumindest eine einseitige Fahrstreifenfindung ermöglichen (siehe Bild 34-5). Grasnaben oder schneebedeckte Fahrbahnränder können Strukturen aufweisen, die denen einer Fahrbahnmarkierung
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Bild 34-5: Beispiel einer Szene mit hell reflektierenden Bitumenfugen und dunkel erscheinender Markierung (links); Beispiel einer partiell mit Schnee verdeckten Szene (rechts)
ähnlich sind. Dieser Umstand kann zu Fehlinterpretationen der Situation und somit zu fehlerhaften Eingriffen führen. Grasnaben oder Schneeränder besitzen im Unterschied zu den Fahrbahnmarkierungen aber meist eine geringere Homogenität und weisen in der Regel unregelmäßige, zufällig verteilte Strukturen auf, während im Gegensatz dazu Fahrbahnmarkierungen eine definierte geometrische Gestalt besitzen und zum Teil durch globale Analysen erkannt werden können. Solche Methoden benötigen jedoch einen deutlich erhöhten Rechenaufwand. Leistungsfähigere Prozessoren führen jedoch zu einer Verteuerung der Systeme. Effiziente Algorithmen sind daher zur Einhaltung von Echtzeitanforderungen unerlässlich. Mitunter ist aber auch eine reduzierte Verfügbarkeit in Kauf zu nehmen, um Fehlreaktionen in darauf aufbauenden Funktionen zu vermeiden. Weitere Kompromisse ergeben sich durch die Nutzung für verschiedene Applikationen, wie z. B. die gemeinsame Nutzung einer Kamera zur Fahrstreifen- und Verkehrszeichenerkennung. So fordert ein Fahrstreifenerkennungssystem bei Nacht eine möglichst lange Belichtungszeit, um auch bei widrigen Witterungsbedingungen Markierungen mit geringem Kontrast erkennen zu können, während eine Verkehrszeichenerkennung eine möglichst kurze Belichtungszeit bevorzugt, um Bewegungsunschärfen der aufgenommenen Bilder zu minimieren. Die reduzierte Belichtungszeit fällt wegen der retroreflektierenden Eigenschaften der Schilder für die Verkehrszeichenerkennung nicht ins Gewicht, wohl aber bei der Extraktion der Markierungen. Ähnlich verhält es sich z. B. mit dem Field of View (FoV). Eine Verkehrszeichenerkennung muss auch Zeichen auf Schilderbrücken erkennen, ein Spurhalte-Assistenzsystem jedoch nur die Markierungen unmittelbar vor dem Fahrzeug. Das von Citroën eingeführte System AFIL unterscheidet sich von kamerabasierten Systemen insofern, als es Infrarotsensoren einsetzt und Fahr-
streifenmarkierungen durch eine Veränderung der Reflektanz auf der Straßenoberfläche detektiert. Das AFIL besteht aus einem Steuergerät, sechs Infrarotsensoren unter der vorderen und hinteren Stoßstange und zwei elektrischen Vibratoren im Fahrersitz. Die Sensoren suchen die Straße nach Linien ab, welche durch eine Änderung der Intensität des reflektierten Infrarotlichts erkannt werden. Allerdings erkennt das System die Markierungen erst kurz vor dem Überfahren, wodurch es in Baustellen zu Problemen kommt, da es Mehrdeutigkeiten, wenn überhaupt, erst sehr spät auflösen kann. Dafür weist es bei Regen und Gegenlicht durch die senkrechte Montage zur Fahrbahn kaum Probleme auf, ist aber durch die Einbauposition einer stärkeren Verschmutzung ausgesetzt. Der Vorteil bei der Verwendung von Kamerasystemen liegt in der höheren Auflösung, der daraus resultierenden Genauigkeit und der Vorausschau, die es ermöglicht, Lane Keeping-Systeme zu realisieren, Mehrdeutigkeiten wie z. B. Baustellen frühzeitig zu erkennen und weitere Funktionen wie beispielsweise eine Fernlichtautomatik, Objekterkennung oder Verkehrszeichenerkennung implementieren zu können.
34.3.2 Länderspezifische Unterschiede “Roads in the United States may not be ideal for such (LDW) systems. Maintenance is better on lane markings in Japan and the marking there is more consistent in length and width – here they vary from state to state and even county to county and may not have been repainted in the last five years…“ Chuck Schifsky, American Honda Motor Spokesman [16] Länderspezifische Unterschiede zeigen sich nicht nur in der Markierungsqualität, sondern auch in ihrer Ausführung. So werden in Europa Ausfahr-
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
ten in der Regel durch gestrichelte Linien von der eigentlichen Fahrbahn abgegrenzt, nicht aber in allen Bundesstaaten der USA: In einigen wird auf eine Abgrenzung der Ausfahrt verzichtet, oder sie wird nur am Ende einer Ausfahrt angebracht. Damit stellen sie kamerabasierte Systeme aufgrund deren geringen Vorausschau von rund 50 Metern vor das Problem entscheiden zu müssen, ob es sich um eine Ausfahrt oder eine Rechtskurve handelt. Ein möglicher Lösungsansatz ist es, mehrere Fahrstreifenhypothesen zu verfolgen und auf einer höheren Ebene die wahrscheinlichere Hypothese auszuwählen. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Art der Fahrstreifenmarkierungen. So werden in Kalifornien sehr häufig so genannte Bot Dots zur Fahrstreifenbegrenzung verwendet. Bot Dots sind in die Straßen eingelassene Reflektoren. Nachts eignen sie sich hervorragend zur Abgrenzung der Fahrstreifen, tagsüber reflektieren sie je nach Sonnenstand hell oder erzeugen aufgrund ihrer räumlichen Struktur nur einen dunklen Schatten. Des Weiteren gibt es in einigen Ländern farbige Fahrbahnmarkierungen. Die meisten Fahrstreifenerkennungssysteme mit einem monochromen Imager erkennen Markierungen anhand eines dunkel – hell/ hell – dunkel-Übergangs zwischen der Straße und der Markierung. Dies funktioniert jedoch nur für helle Markierungen auf einem dunklen Untergrund, aber nicht notwendigerweise bei farbigen Markierungen, die im Graubild dunkler erscheinen als die sie umgebende Straße. Beispielsweise finden sich in den USA Streckenabschnitte mit dunkelgelben Markierungen auf hellem Untergrund, in Deutschland Baustellen mit gelben Markierungen oder in Österreich dunkelrote Markierungen bzw. Reflektoren auf hellem Untergrund, in Japan wiederum blaue Markierungen, die zur Abgrenzung von Fahrradwegen verwendet werden. Diese Markierungen sind für das menschliche Auge zwar gut zu erkennen, nicht aber für ein Fahrstreifenerkennungssystem mit einem monochromen Imager. Selbst wenn ein Farbimager [4] verwendet wird, kann sich noch immer die Frage der Interpretation stellen. Handelt es sich um eine Baustelle oder z. B. eine Carpool Lane, die in den Vereinigten Staaten meist durch mehrere gelbe Linien von den eigentlichen Fahrstreifen abgetrennt ist? Dies kann gelöst werden, indem man z. B. eine geringere Verfügbarkeit in Kauf nimmt oder durch Sensorfusion, beispielsweise mit einem Navigationsgerät, den Kontext berücksichtigt. “European roads are more likely to have wellpainted lines…” William Shogren, Manager for Advanced Vehicle Safety Systems at Delphi [16]
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34.4 Funktionsausprägungen Spurhalte-Assistenzsysteme sind Fahrerassistenzsysteme, die verhindern sollen, dass ein Fahrzeug unbeabsichtigt vom Fahrstreifen abkommt [15]. Sie unterscheiden sich durch das Ausmaß der Unterstützung. Auf der untersten Ebene stehen Applikationen, die den Fahrer lediglich warnen, wenn er den Fahrstreifen zu verlassen droht (Lane Departure Warning). Darauf aufbauend sind Systeme, die aktiv in die Fahrzeugführung eingreifen können und kurz vor oder kurz nach dem Verlassen des Fahrstreifens eine Kurskorrektur durch z. B. einen Lenkeingriff oder einen einseitigen Bremseingriff vornehmen (Lane Keeping-Systeme, Lane Departure Prevention). Die Systeme der aktiven Sicherheit haben darüber hinaus höhere Anforderungen an die Umgebungserfassung in Bezug auf Verfügbarkeit, Sicherheit der Erkennung und Redundanz. Es gibt keine harte Trennlinie zwischen den Funktionsausprägungen, vielmehr ist der Übergang fließend. Wo ein System letztendlich zugeordnet wird, ist auch eine Frage des Marketings.
34.4.1 Lane Departure Warning-System (LDW) Lane Departure Warning-Syteme warnen einen Fahrer vor einem unbeabsichtigten Verlassen des Fahrstreifens. Droht das Fahrzeug aus dem Fahrstreifen zu fahren, kann das System den Fahrer bei Unterschreitung eines DLC (Distance to Line Crossing) oder eines TLC (Time to Line Crossing)-Kriteriums warnen. Das DLC-Kriterium beruht dabei rein auf dem lateralen Versatz des Fahrzeugs und betrachtet nur den Abstand des Rades zum Fahrstreifen, ohne in die Zukunft zu prädizieren. Das TLC-Kriterium (Gleichung 1) berechnet die Zeit bis zum Überfahren der Markierung und warnt den Fahrer beim Unterschreiten einer vordefinierten zeitlichen Schwelle. Hierzu wird neben der Fahrstreifenbreite b die Geschwindigkeit v, der Abstand zur Fahrstreifenmitte xoff, die Fahrzeugbreite bfzg und die Orientierung des Fahrzeugs innerhalb des Fahrstreifens \ benötigt. Dies ermöglicht es dem Fahrer, früher zu reagieren, erhöht jedoch die Anforderungen an die Fahrstreifenerkennung, da die Bewegungsrichtung des Fahrzeugs vorhergesagt werden muss. Die Warnungen können in verschiedenen Ausprägungen erfolgen, z. B. visuell, akustisch oder haptisch. Ziel ist es, dem Fahrer zu ermöglichen, schnell auf eine Warnung zu reagieren.
34 Lane Departure Warning
TLC
b 2 bfzg 2 xoff v sin(\ )
(34.1)
Gleichung (34.1): Vereinfachtes TLC Kriterium, ohne Berücksichtigung der Fahrstreifenkrümmung, für die rechte bzw. linke Fahrstreifenmarkierung 34.4.1.1 Visuelle Warnungen “To me, a blinking light on the bottom of the instrument panel is too easy to ignore.” Robert Yakushi, Director of Product Safety for Nissan North America, Inc. [7]
Eine visuelle Warnung kann durch ein leuchtendes Symbol im Kombiinstrument oder eine Einblendung in einem Head-up-Display (HUD) angezeigt werden. Dies allein reicht aber unter Umständen nicht aus, um die Aufmerksamkeit des Fahrers zu gewinnen, da davon ausgegangen werden muss, dass sich der Fahrer in einer Situation befindet, in der er unaufmerksam oder gar eingeschlafen ist. 34.4.1.2 Akustische Warnungen “A fairly quiet beep, especially if the radio or the conversation is loud, is too easy to miss.” Robert Yakushi, Director of Product Safety for Nissan North America, Inc. [7]
Bei einer akustischen Warnung kann ein Signalton, z. B. ein „Nagelbandrattern“-Geräusch, wie es der Fahrer beim Überfahren von Markierungspunkten an Baustellen kennt, über einen Lautsprecher ausgegeben werden. Die Vorteile einer akustischen Warnung liegen in einer relativ einfachen und kostengünstigen Umsetzung und der Möglichkeit der Klassifizierung der Situation. So lässt sich die Warnung aus dem linken oder rechten Lautsprecher ausgeben, je nachdem, auf welcher Seite das Fahrzeug den Fahrstreifen zu verlassen droht. Die Nachteile ergeben sich daraus, dass akustische Warnungen von allen Insassen wahrgenommen werden können und es so zu einer vermeintlichen Bloßstellung des Fahrers bezüglich seines Fahrverhaltens führen kann. Dies könnte zu einer reduzierten Akzeptanz des Systems führen. Auch werden akustische Warnungen bereits für die verschiedensten Zwecke genutzt (z. B. Kollisionswarnung, ACC-Übernahmeaufforderung oder Meldung bei Ausfall von Systemen). Es ist deshalb für einen Fahrer unter Umständen nicht leicht, schnell und gezielt auf die Situation zu reagieren, da er erst die Ursache für die Warnung identifizieren muss. Zu aufdringliche Geräusche können außerdem schnell zu einem negativen Kundenfeedback führen. Beim Mercedes Actros wurde die Entscheidung für das
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Nagelbandrattern gefällt. Vorausgegangen war eine Reihe von Untersuchungen mit Berufskraftfahrern im Fahrsimulator und auf öffentlichen Straßen, bei denen sich diese Art der Warnung als effektiv bezüglich Akzeptanz und Reaktion der Fahrer bei Ablenkung und Müdigkeit herausgestellt hatte. 34.4.1.3 Haptische Warnungen Haptische Warnungen können über ein Lenkradmoment (z. B. Lexus), ein vibrierendes Lenkrad (z. B. Audi, BMW) oder einen bzw. zwei Vibratorelemente im Fahrersitz (z. B. Citroën) erfolgen. Die Vibration im Lenkrad ist intuitiv und begünstigt die richtige Reaktion des Fahrers, da er dadurch – im Gegensatz zu einem Warnton oder einer optischen Warnung auf einem Display – intuitiv weiß, dass er etwas an der Lenkung korrigieren muss. Vibratoren im Fahrersitz haben den Vorteil, dass dem Fahrer auf verständliche Weise eine Rückmeldung gegeben werden kann, auf welcher Seite der Fahrstreifen verlassen wird. Dies geschieht, indem nur die linke bzw. rechte Seite der Sitzfläche vibriert, und ermöglicht eine angemessene Reaktion. Haptische Warnungen können nicht von Mitfahren wahrgenommen werden, was die Akzeptanz für diese Systeme deutlich steigert. Zu den Nachteilen gehören Zusatzkosten und Aufwand. Es ist zusätzliche Hardware für die Vibration nötig, und es sollte eine Anpassung der Vibration an den Straßenbelag und die aktuelle Fahrzeuggeschwindigkeit erfolgen, da sie sich sonst nicht stark genug von den üblichen Vibrationen im Fahrzeug unterscheidet. Außerdem ist es bei einer Vibration im Lenkrad nur schwer möglich, dem Fahrer mitzuteilen, auf welcher Seite der Fahrstreifen verlassen wird. Natürlich kann die Warnung nur dann vom Fahrer wahrgenommen werden, wenn dieser wenigstens eine Hand am Lenkrad hat. Geht es darum, eine Empfehlung zu geben, kann eine haptische Warnung als beste Lösung angesehen werden, da diese zum einen nur vom Fahrer wahrgenommen wird und der Fahrer zum anderen, je nach Ausprägung, ein intuitives Feedback an der Stelle bekommt, an der er eingreifen muss.
34.4.2 Advanced Lane Departure WarningSystem (ALDW) Hauptziel eines LDW-Systems ist es, den Fahrer beim unbeabsichtigten Verlassen des eigenen Fahrstreifens zu warnen. Hierbei treffen widersprüchliche Forderungen aufeinander: Zum einen soll das System möglichst transparent arbeiten und nur genau dann warnen, wenn eine Fahrstreifenmar-
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kierung überfahren wird, ohne den Fahrer dabei zu bevormunden (z. B. ihm vorzuschreiben den Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen) und zum anderen durch falsche oder zu häufige Warnungen zu irritieren oder gar übermäßig zu strapazieren. Ein transparentes System könnte wie folgt aussehen: Überfährt das Fahrzeug die Fahrstreifenmarkierung ohne gesetzten Fahrtrichtungsanzeiger, wird eine Warnung ausgegeben. Auf einer kurvigen Landstraße wird jedoch ein Fahrer hin und wieder die Fahrstreifenmarkierung überfahren, obwohl er weder abgelenkt noch unaufmerksam ist. Es wird Situationen geben, in denen Kurven geschnitten werden oder ein Rad auf schmalen Straßen die Fahrstreifenmarkierung berührt, ohne dass der Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wurde. Bei Überholmanövern oder Spurwechseln wird oftmals der Fahrtrichtungsanzeiger nicht gesetzt, bzw. nur kurz angetippt, bevor ein Spurwechsel vollzogen wird. In all diesen Situationen würde ein transparentes System den Fahrer, je nach Ausprägung der Warnung, unnötig belasten oder gar irritieren und möglicherweise dazu veranlassen, das System auszuschalten. Diese Warnungen sind jedoch meist überflüssig und können mittels einer Fahrerabsichtserkennung durch die Auswertung von Umgebungs- und Kontextinformationen unterdrückt werden. So kann in vielen Fällen das Schneiden einer Kurve oder das Ausscheren zum Überholen durch eine Auswertung der Fahrzeugbeschleunigung, der Fahrstreifenkrümmung, des Lenkradwinkels und der Gaspedalstellung erkannt werden [23], [3], [18]. Warnungen auf engen Straßen können durch eine Verschiebung des Warnzeitpunkts unterdrückt oder verzögert werden. Da Warnungen jedoch meist subjektiv empfunden werden, ist es nur in den seltensten Fällen möglich, klare Regeln aufzustellen. Eine Fahrerabsichtserkennung sollte jedoch mindestens die Fahrzeuglängs- und Quergeschwindigkeit, die Beschleunigung, die Fahrstreifenkrümmung, den Gierwinkel zur Fahrstreifenmarkierung, die Fahrstreifenbreite, die Markierungstypen links und rechts, die Position im Fahrstreifen, die Gaspedal- und Bremsstellung sowie den Zustand des Fahrtrichtungsanzeigers auswerten, um dem Fahrer ein erwartungskonformes Systemverhalten zu bieten. Zudem gibt es Situationen, in denen es sinnvoll ist, eine Warnung etwas früher auszugeben. Es ist vorteilhaft, auf der Kurvenaußenseite früher zu warnen als auf der Kurveninnenseite oder bei Querbewegungen auf breiten Straßen früher zu warnen, um dem Fahrer mehr Zeit zum Reagieren zu geben. Die Betätigung ablenkender Bedienelemente wie Radio, verstellbare Seitenspiegel, Navigationsgerät etc. können dazu verwendet werden, eine Warnung
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früher auszugeben bzw. die Fahrerabsichtserkennung außer Kraft zu setzen. Zudem können Daten aus einer Aufmerksamkeitskontrolle [13], [21], [2] benutzt werden, um bei einsetzender Müdigkeit das System automatisch in einen Zustand der „erhöhten Alarmbereitschaft“ zu versetzen. So könnte beispielsweise die TLC-Schwelle erhöht und der Fahrer bereits zu einem früheren Zeitpunkt gewarnt werden, oder die Warnung könnte je nach Grad der Müdigkeit stärker bzw. deutlicher (z. B. die Vibration) ausfallen. Gleichzeitig ist es sinnvoll, dem Fahrer eine Warnbereitschaftsanzeige zur Verfügung zu stellen, die ihm Informationen über den aktuellen Systemzustand gibt (das System ist eingeschaltet, die Fahrstreifenmarkierungen wurden erkannt und der Fahrer kann im Falle eines Fahrstreifenverlassens eine Warnung erwarten, oder die Warnungen werden aufgrund einer Fahreraktivität unterdrückt), um die Transparenz des Systems zu erhöhen und das Vertrauen in das System zu stärken. Nicht zuletzt, da jeder Fahrer subjektiv andere Kriterien für eine gute Erkennbarkeit des Fahrstreifenverlaufs hat als die, die für ein technisches System relevant sind. Eine Straße, die er subjektiv als gut erkennbar empfindet, kann für ein Fahrstreifenerkennungssystem z. B. durch starke Licht-Schatten-Kontraste nicht erkennbar sein. Dadurch kann der Fahrer eine falsche Erwartungshaltung besitzen und vertraut möglicherweise auf das Funktionieren des SpurhalteAssistenzsystems, obwohl dieses in der speziellen Situation gar nicht funktionieren kann.
34.4.3 Lane Keeping Support (LKS) Werden Probanden nach Ihren Erfahrungen mit einem LDW-System befragt, erfährt man, dass die Systeme zwar sehr häufig eingeschaltet sind, ihnen aber eine geringere Wertigkeit zugeschrieben wird als z. B. einem ACC-System (Adaptive Cruise Control), das in Anwesenheit eines vorausfahrenden Fahrzeugs die Geschwindigkeit selbstständig reguliert. Höher geschätzt werden Lane Keeping Support-Systeme, die einen aktiven Lenkeingriff zeigen [22]. Lane Keeping Support-Systeme stellen eine funktionale Erweiterung eines Lane Departure Warning-Systems dar. Ebenso wie bei einem LDWSystem misst ein LKS-System die Fahrzeugposition relativ zur Fahrstreifenmitte, unterstützt den Fahrer jedoch aktiv bei der Spurhaltung. Verlässt das Fahrzeug den Fahrstreifen, so korrigiert das System kurz vor dem Verlassen des Fahrstreifens die Position z. B. durch einen gezielten Lenkein-
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griff. Dabei behält der Fahrer jederzeit die Kontrolle, d. h., er kann das System jederzeit überstimmen, um z. B. in einer Notsituation absichtlich den Fahrstreifen verlassen zu können und damit schlimmere Unfallfolgen zu vermeiden. Durch Kenntnis der Fahrstreifenkrümmung, Ablage, Fahrstreifenbreite und Gierwinkel ist es auch möglich, bereits vor dem Verlassen der Fahrbahn gezielt einzugreifen. Ein Lenkeingriff kann z. B. durch einen Momentensteller oder durch eine Überlagerungslenkung erfolgen. Die Verantwortung bleibt trotzdem beim Fahrer, denn nur wenn dieser selbst mitlenkt, fährt das Fahrzeug richtig. Ein autonomes Fahren ist nicht die Zielsetzung eines solchen Systems. Da ein Viertel aller Unfälle durch Abkommen vom Fahrstreifen verursacht wird, haben Lane Departure Warning-Systeme durch eine rechtzeitige Warnung des Fahrers bei Unachtsamkeit oder einer Fehleinschätzung der Lage ein hohes Potenzial zur Unfallprävention. Bei Übermüdung oder dem klassischen Sekundenschlaf, wodurch der Fahrer die Warnung nicht oder nur verspätet bemerkt, ist ein LDW-System nicht immer ausreichend. Im Zusammenhang mit Müdigkeit ist auch folgendes Problem bekannt: Beim klassischen Sekundenschlaf entsteht der Unfall sehr oft erst nachdem der Fahrer – entweder von allein oder durch die Reifengeräusche beim Verlassen der Fahrbahn – aufwacht und vor Schreck das Lenkrad verreißt [12]. In solchen Situationen wäre ein System sinnvoll, das das Fahrzeug selbstständig im Fahrstreifen hält und ein Verreißen des Lenkrads erschwert. LKS-Systeme können jedoch dazu verleiten, verstärkt Nebentätigkeiten nachzugehen, wie zu telefonieren, sich mit dem Beifahrer zu unterhalten, Termine nachzuschlagen oder mehr Zeit mit dem Navigationssystem oder dem Suchen von CDs zu verwenden [22]. Um diesen Missbrauchsszenarien entgegenzuwirken, sind die Systeme sehr sorgfältig auszulegen, z. B. durch die Länge und Stärke des Eingriffs oder einer Hands-On-Kontrolle.
34.4.4 Lane Departure Prevention (LDP) Ein Lane Departure Prevention-System stellt eine Erweiterung eines ALDW-Systems dar. Es handelt sich dabei weniger um ein Komfortsystem, sondern in erster Linie um ein Sicherheitssystem. Kommt ein Fahrer vom Fahrstreifen ab, wird der Fahrer wie bei einem ALDW erst gewarnt und, falls daraufhin keine Aktivität des Fahrers festgestellt wird, das Fahrzeug nach dem Verlassen des Fahrstreifens aktiv zurückgelenkt. Wie bei LKS kann dieser Eingriff durch unterschiedliche Aktorik erfolgen.
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Besonders bietet sich hier der Bremseingriff mittels eines ESP-Systems an, dass es ermöglicht, jedes Rad einzeln abzubremsen. Damit ist es möglich, das Fahrzeug durch einen einseitigen Bremseingriff zurück in den Fahrstreifen zu bewegen, mit dem positiven Nebeneffekt, dass gleichzeitig die Geschwindigkeit reduziert wird. Um Fehleingriffe so weit wie möglich zu unterbinden, wird erst eingegriffen, wenn das System, ähnlich wie bei einem ALDW-System, keine Fahreraktivität feststellt. Sobald eine Fahreraktivität festgestellt wird, wird der Eingriff unterbunden. So bleibt der Fahrer jederzeit in der Lage, das System zu übersteuern. In der Fahrerabsichtserkennung liegt aber auch eine wesentliche Herausforderung für die Algorithmenentwicklung. So ist z. B. ein langsames Wiedereinscheren nach einem Überholvorgang bei nicht gesetztem Fahrtrichtungsanzeiger auf einem langen geraden Teilstück ohne Kontextwissen nur sehr schwer zu erkennen. Oftmals wird auch nach einem Überholmanöver vergessen, den Fahrtrichtungsanzeiger wieder auszuschalten, und bei einem langsamen Verlassen der Fahrbahn ist zu entscheiden, ob es sich um ein beabsichtigtes oder unbeabsichtigtes Verlassen handelt. Um die Gefahr eines Fehleingriffs zu reduzieren, ist die Kombination mit einer Müdigkeitserkennung denkbar [13], [21], [2]. Ein LDP-Eingriff könnte nur dann erlaubt werden, wenn die Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass der Fahrer müde oder abgelenkt ist. Um die Gefahr eines Fehleingriffs durch Fehler in der Fahrstreifenerkennung auszuschließen, ist es auch sinnvoll, ein redundantes System zu schaffen, bei dem nicht die Verfügbarkeit im Vordergrund steht, sondern eine möglichst geringe Zahl von Fehleingriffen. Auch ist eine Fusion mit einer Objekterkennung [14] oder einem Radar denkbar, z. B. um beim Abkommen vom Fahrstreifen und fehlender Fahreraktivität sicherzustellen, dass der Fahrer unbeabsichtigt den Fahrstreifen verlässt und es sich nicht um einen beabsichtigten Ausweichvorgang handelt, um z. B. auf einer schmalen Landstraße eine Kollision mit einem entgegenkommenden Fahrzeug oder stehenden Hindernis zu vermeiden.
34.5 Erwartung für den Markt Autonomes Fahren ist zum heutigen Zeitpunkt keine Zukunftsvision mehr, dies zeigen aktuelle Forschungsprojekte wie z. B. die DARPA Urban Challenge [6]. Diese Forschungsergebnisse lassen sich jedoch noch nicht direkt auf serienreife Massenmarktprodukte übertragen. Zum einen finden
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
diese Versuche zum Teil noch immer in einem kontrollierten Umfeld statt, zum anderen ist momentan der dazu nötige technische Aufwand noch nicht für Serienprodukte bezahlbar. Darüber hinaus sind noch viele infrastrukturelle Probleme (z. B. Car to Car-Kommunikation oder Verkehrsleitsysteme) sowie eine Vielzahl rechtlicher Fragen ungeklärt. Dennoch lässt sich mit Fahrerassistenzsystemen bereits jetzt ein signifikanter Gewinn an Komfort und Sicherheit für den Fahrer realisieren, und Spurhalte-Assistenzsysteme werden bereits von einer Vielzahl namhafter Automobilhersteller als Sonderausstattung angeboten. Die ersten kommerziellen LDW-Systeme wurden bereits Ende der 90er Jahre für Nutzfahrzeuge entwickelt und gehen zurück auf die Forschungsergebnisse des von der EU geförderten PROMETHEUSProjekts. Im Jahr 2000 brachte die US-Firma Iteris das erste kamerabasierte LDW-System auf den Markt, das im Mercedes Actros sein Debüt hatte. 2002 folgte Iteris mit dem Freightliner auf dem nordamerikanischen Markt und weitere namhafte Hersteller wie z. B. MAN, Volvo etc. auf dem europäischen sowie Mitsubishi Fuso auf dem japanischen Markt. Die ersten für Pkws verfügbaren Systeme wurden zur selben Zeit in Japan u. a. für Subaru, Honda und Toyota entwickelt. Im selben Zeitraum wurde in Nord amerika ein Lane Departure Warning-System gemeinsam von Valeo und Iteris für Nissan Motors entwickelt und 2005 für die Modelle Infiniti FX und Infiniti M angeboten. In Europa wurde von Citroën im Jahr 2005 mit AFIL (Alerte de Franchissement Involontaire de Ligne, sinngemäß: Alarm bei Fahrspurwechsel durch Infrarot-Linienerkennung) erstmals ein infrarotbasiertes LDW-System für die C4-, C5- und neuerdings auch C6-Modelle angeboten. 2006 führte Lexus ein Lane Keeping Assist-System ein, das neben einer Warnung auch einen korrigierenden Lenkeingriff beim Verlassen des Fahrstreifens generiert. 2007 führte General Motors ein Lane Departure-System für seine 2008-Modelle Cadillac STS, DTS und Buick Lucerne ein. Gleichzeitig starteten BMW und Volvo mit einem kamerabasierten LDW-System von SiemensVDO und Volkswagen mit seiner Tochter Audi mit einem System der Firma Continental. Bis 2009 wurden von allen namhaften Automobilherstellern Fahrstreifenerkennungssysteme angekündigt. Insgesamt sind die Stückzahlen aktuell eher gering und zumeist auf das Premiumsegment beschränkt. Sollten allerdings in Zukunft vom Gesetzgeber Vorgaben für LDW-Systeme gemacht werden, ist davon auszugehen, dass der Markt stark wachsen wird. Erste Anreize werden in den USA
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bereits von einigen Versicherungen geschaffen, die bei Einsatz von LDW-Systemen eine Reduktion der Versicherungsprämie anbieten. Ein besonderer Kaufanreiz könnte die Vergabe eines Bewertungsbonus in Sicherheitstests sein. Ein weiterer Trend, der den LDW-Markt positiv beeinflussen wird, ist die Tatsache, dass immer mehr ältere Menschen noch bis ins hohe Alter ein Fahrzeug führen wollen. Dabei können elektronische Hilfen wie LDW oder Lane Keeping-Systeme zu mehr Sicherheit beitragen. Gegenüber den aktuellen Systemen muss allerdings die Verfügbarkeit in kritischen Situationen wie z. B. Baustellen noch deutlich verbessert werden. Die Entwicklung der zugrunde liegenden Basistechnologien wie Kamerasensoren profitiert vom Massenmarkt in anderen Produktbereichen wie Mobiltelefonen und wird mit dem damit verbundenen Preisverfall die Markterweiterung in Richtung Mittelklasse-Segment vorantreiben. Bestand der Markt anfangs noch aus Stückzahlen von wenigen hundert bis tausend Einheiten pro Jahr, so ist bereits 2009 von einem Marktvolumen in der Größenordnung von einigen hunderttausend Einheiten auszugehen. Bis 2012 sollte sich der Markt für LDW auf mehrere Millionen Einheiten entwickelt haben [24].
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34 Lane Departure Warning
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F 35 Lane Keeping Support Während längerer Fahrten auf autobahnähnlichen Straßen wird die Fahraufgabe des Spurhaltens von vielen Fahrern als lästig empfunden. Andererseits stellt das unbeabsichtigte Verlassen des Fahrstreifens eine häufige Unfallursache dar, wie bereits in Kapitel 34 beschrieben. Im Gegensatz zu der im vorigen Kapitel dargelegten Funktion des Lane Departure Warning (LDW) greift die hier beschriebene Spurhalteassistenz bzw. Lane Keeping Support (LKS) aktiv in das Lenksystem ein. Dadurch wird der Fahrer bei der Fahraufgabe des Spurhaltens unterstützt. Ziel dieser Funktion ist, je nach Auslegung, eine Erhöhung der Sicherheit, eine Erhöhung des Fahrkomforts oder eine Kombination beider Ziele. Ein wichtiges Merkmal der hier beschriebenen Systeme ist die Art der Assistenz, die über Warnungen hinausgeht, jedoch keine den Fahrer ersetzende Assistenz darstellt. Die motorische Ausführung der Lenkung des Fahrzeugs erfolgt somit durch den Fahrer und das LKS-System zugleich. Das Einsatzgebiet der heute verfügbaren Systeme erstreckt sich über autobahnähnliche Straßen in mittleren bis hohen Geschwindigkeiten und sichtbaren Markierungen der Fahrstreifen. Die Komponenten eines typischen LKS-Systems bestehen aus einer Kamera und zugehöriger Bildverarbeitung zum Erfassen der Markierungen des Fahrstreifens, einem LKS-Regler zum Berechnen des Lenkeingriffs, einem Stellglied zur Beeinflussung des Lenksystems und der Schnittstelle zum Fahrer (Bild 35-1). Je nach Realisierung wird entweder ein separater Steller oder das vorhandene Lenksystem mitsamt Lenkregler verwendet. Dem LKS-Regler stehen neben den Ergebnissen der Bildverarbeitung relevante Parameter des Fahrzustands zur Verfügung. Dies kann z. B. über den CAN-Bus erfolgen.
Jens Gayko
Wie in Kapitel 20 beschrieben, besteht bei Lenksystemen sowohl die Möglichkeit der Überlagerung von Momenten als auch von Lenkwinkeln. Um dem Fahrer eine direkt wahrnehmbare Rückmeldung über die Unterstützung zu geben, beeinflussen heutige Systeme zur Spurhalteassistenz das Lenkmoment. Erstmalig wurden Spurhalteassistenzsysteme im Jahr 2002 im japanischen Markt fast gleichzeitig von den Firmen Honda und Nissan vorgestellt. Die erste Einführung in Europa, genauer gesagt in Großbritannien, erfolgte 2006 durch die Firma Honda im Model Accord und kurze Zeit später im Model Legend unter der Bezeichnung „Lane Keep Assist System“ (LKAS). Inzwischen sind weitere Modelle mit dieser Funktion auch für den deutschen Markt vorgestellt bzw. angekündigt worden, wie z. B. der Lexus LS 460 mit „Lane Keeping Assist“ (LKA) als Teilfunktion des Advanced Pre-Crash SafetySystems, der Honda Accord und der Volkswagen Passat. In den USA hat Nissan ein Lane Departure Prevention genanntes System angekündigt [1].
35.1 Funktionsübersicht Das Einsatzgebiet der heute verfügbaren Systeme erstreckt sich auf autobahnähnliche Straßen mit sichtbaren Fahrstreifenmarkierungen und geraden Abschnitten bzw. lang gezogenen Kurven. Die Aktivierung erfolgt durch den Fahrer mittels Bedienelementen zumeist am oder in Nähe des Lenkrads. Sobald der Fahrzustand und die Straßenbeschaffenheit im zulässigen Wertebereich liegen (Tabelle 35-1 in Abschnitt 35.3) und die Fahrstreifenmarkierungen vom System erkannt werden, erfolgt die
Bild 35-1 Systemkomponenten eines Spurhalteassistenten
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35 Lane Keeping Support
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Bild 35-2: Exemplarische Verläufe des Betrags des Hilfsmoments in Abhängigkeit von der Querablage (schematische Darstellung)
Unterstützung des Fahrers. Betätigt der Fahrer den Fahrtrichtungsanzeiger (Blinker), so wird dies als Zeichen eines geplanten Fahrstreifenwechsels interpretiert, und das LKS-System wird vorübergehend deaktiviert. Droht das Fahrzeug ohne aktivierten Fahrtrichtungsanzeiger den Fahrstreifen zu verlassen, so erfolgt zusätzlich zum haptischen Hinweis eine optische und akustische Warnung. Die Charakteristik eines Spurhalteassistenzsystems lässt sich vereinfacht anhand des Hilfsmoments in Abhängigkeit von der Querablage bzw. Abweichung von der Fahrstreifenmitte bei angenommener Geradeausfahrt beschreiben. Ein Verlauf, wie im Bild 35-2a dargestellt, unterstützt den Fahrer nur für den Fall, dass ein Verlassen des Fahrstreifens droht. Bei einer derartigen Auslegung steht der Sicherheitsaspekt im Vordergrund: Das System unterstützt den Fahrer, das unbeabsichtigte Verlassen des Fahrstreifens zu vermeiden. Das Lenkmoment dieser Kennlinie kann als haptische Warnung einer Lane Departure Warning-Funktion aufgefasst werden (siehe Kapitel 24). Wird bereits bei geringen Abweichungen des Fahrzeugs von der Fahrstreifenmitte ein wahrnehmbares Moment auf die Lenkung beaufschlagt, so kann dies als enge Führung bezeichnet werden (Bild 35-2b). Einen Mittelweg beider Verläufe stellt der von Honda realisierte und im Bild 35-2c schematisch dargestellte Verlauf dar. Bei geringen Abweichungen von der Mitte des Fahrstreifens wird der Fahrer sanft unterstützt, das Fahrzeug in der Fahrstreifenmitte zu halten. Geringe Abweichungen von der Fahrstreifenmitte sind jedoch ohne Komforteinbußen möglich. Erst bei Annäherung an den Rand des Fahrstreifens erfolgt ein deutlich wahrnehmbarer Eingriff. Bei Lexus besteht eine Kopplung zwischen der LKS-Funktion und der ACC-Funktion (siehe Kapi-
tel 32). Bei deaktiviertem ACC wird eine Unterstützung gemäß Bild. 35-2a gegeben, während bei aktivierter ACC-Funktion die Charakteristik des Hilfsmoments dem im Bild 35-2b gezeigten Verlauf entspricht. Als Folge dieser Kopplung von LKA und ACC bei Lexus ändert die LKA-Funktion ihren Zustand bei einem Bremseingriff des Fahrers, d. h. sie wechselt in den LDW-Modus [2]. Bei den europäischen Varianten des Honda LKAS gibt es diese Kopplung nicht. Die LKAS-Funktion lässt sich unabhängig von der ACC-Funktion aktivieren und deaktivieren. Bei einem Bremseingriff des Fahrers wird die LKAS-Funktion nur kurzzeitig deaktiviert, nach Lösen der Bremse jedoch wieder automatisch aktiviert. Ziel bei der Auslegung eines LKS ist es, den Fahrer von der (lästigen) Handlungsausführung des Spurhaltens zu entlasten, ihm jedoch gleichzeitig die fahrrelevanten Informationen anzubieten und somit ein sicheres Fahrverhalten zu ermöglichen. Um zu überprüfen, ob dieses Ziel erreicht wurde, sind die Auswirkungen der Assistenz auf das Fahrverhalten zu überprüfen. Dabei lassen sich mehrere Bereiche finden: das beobachtbare Verhalten der Fahrer, die Beanspruchung des Fahrers und die Art und Weise, wie der Fahrer ein Systemverständnis über das FAS entwickelt [3]. Die aktive Unterstützung des Fahrers trägt zu einer sowohl subjektiv wahrgenommenen als auch objektiv messbaren Reduzierung der Beanspruchung des Fahrers bei gleichzeitig guten Fahrleistungen bei, wie in zahlreichen Untersuchungen gezeigt wurde [4], [5], [6]. Bild 35-3 zeigt das Konzept des Fahrens mit LKS. Durch die haptischen Rückmeldungen in Form von Lenkmomenten wird vermieden, dass sich der Fahrer aus der Stabilisierungsaufgabe zurückzieht, dabei die Rolle eines Beobachters einnimmt
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Bild 35-3: Konzept des Fahrens mit LKS
und dadurch vorzeitig ermüdet [4], [7]. Im unteren Bereich der Abbildung ist der Regelkreis bei manuellem Fahren dargestellt. Das LKS-System erfasst einen Teil der Fahrumgebung mithilfe seiner Sensoren. Durch die haptische Unterstützung in Form von Lenkmomenten wird der Fahrer sowohl bei der mechanischen Ausführung als auch bei der Wahrnehmung der Situation unterstützt [3]. Die Beobachtung der Lenkkräfte des Fahrers dient zur Erkennung von freihändigem Fahren, die zu einer Deaktivierung der Funktion führt. Weiterhin ermöglicht sie die vollständige Übernahme der Kontrolle durch den Fahrer zu jedem Zeitpunkt. Dies stellt ebenfalls einen wichtigen Aspekt bei der Funktionsauslegung eines LKS-Systems dar. Die Notwendigkeit zur Übernahme der Kontrolle kann sich entweder durch ein vom Fahrer initiiertes Manöver oder im Falle einer unerwarteten Systemreaktion ergeben. Unerwartete Systemreaktionen stellen z. B. a) ein Deaktivieren durch eine vom System erkannte Fehlfunktion oder Systemgrenze dar oder b) ein unerwartetes Lenkmoment in Folge einer fehlerhaften Erkennung der Fahrbahnmarkierung. In diesem Zusammenhang sind Kurvenfahrten als besonders kritisch anzusehen. Zeitverläufe der Momente in Rampenform geben dem Fahrer besser, d. h. mit geringeren Spurabweichungen, die Möglichkeit zur Übernahme der Fahraufgabe als sprungförmige Momente [8].
35.2 Lösungsansätze und technische Realisierung Die Beschreibung der verschiedenen Lösungsansätze und technischen Realisierungen orientiert sich
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anhand der verschiedenen Funktionseinheiten. Die Aufteilung dieser Funktionseinheiten auf Komponenten (Steuergeräte) kann auf verschiedene Arten erfolgen, die auch durch nicht-technische Aspekte wie z. B. Zulieferumfänge bestimmt werden.
35.2.1 Fahrstreifenerkennung Bisher am Markt verfügbare LKS-Systeme basieren auf einer videobasierten Erkennung von Fahrbahnmarkierungen zur Bestimmung der Fahrstreifen. Im Vergleich zu der in Kapitel 34 beschriebenen Lane Departure Warning stellt die Spurhalteassistenz höhere Anforderungen an die Vorausschau der Fahrstreifenerkennung. Während für eine LDWFunktion im einfachsten Fall die Erkennung des Überfahrens einer Fahrstreifenmarkierung in eine bestimmte Richtung genügt, benötigt die Spurhalteassistenz weitere Informationen. Dazu zählen z. B. die Querablage zur Fahrstreifenmitte und die Orientierung des Fahrzeugs innerhalb des Fahrstreifens sowie Informationen zur Geometrie des vorausliegenden Streckenabschnitts. Weiterhin ist es erforderlich, dass sowohl die rechte als auch die linke Fahrstreifenbegrenzung erkannt wird, da ansonsten keine Regelung bezüglich der Mitte des Fahrstreifens erfolgen kann, wie im Bild 35-2b/c dargestellt. Da die heutigen LKS-Systeme den Fahrer auf autobahnähnlichen Straßen unterstützen, bestehen bei der Erkennung enger Kurvenradien geringere Anforderungen an die Fahrstreifenerkennung als bei LDW-Systemen. Ein bei Pkws üblicher Ort für die Befestigung der Kameras zur Fahrstreifenerkennung ist der Bereich in der Nähe des Innen-Rückspiegels. Dort ist die Kamera vor Beschädigungen durch Steinschlag und
35 Lane Keeping Support
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nenten zur Bildverarbeitung und des LKS-Reglers integriert werden. Die Algorithmen zur Fahrstreifenerkennung können auf verschiedene Weisen implementiert werden. Eine Implementierung ist vollständig in Form von Software, die auf frei programmierbaren Mikroprozessoren läuft, möglich oder durch eine Mischung aus anwendungsspezifischer Hardware wie z. B. ASICs oder FPGAs und einer teilweisen Realisierung durch Software.
35.2.2 Regelstrategie
Bild 35-4: Kameraeinheit mit integrierter Auswerteelektronik zur Bildverarbeitung [Fa. Bosch]
leichte Unfälle geschützt und kann im Wischbereich der Scheibenwischer platziert werden, wodurch Verschmutzungen von außen gut entfernt werden können. Um Sichtbehinderungen der Kameraeinheit im Fahrzeuginnenraum durch Beschlagen und Eisbildung zu vermeiden, sollte eine ausreichende Belüftung und bei Bedarf eine Heizung vorgesehen werden. Als Bildaufnehmer werden zumeist CMOSSensoren verwendet, wobei sowohl Bildaufnehmer mit linearer Kennlinie oder solche mit erweitertem Dynamikumfang wie bei der im Bild 35-4 dargestellten Kameraeinheit zum Einsatz kommen (siehe Kapitel 15). Bei dieser Einheit können die Kompo-
Die Berechnung des Moments für die Lenkunterstützung gliedert sich in mehrere Blöcke. Eine mögliche Aufteilung ist im Bild 35-5 dargestellt. Die Berechnung des LKAS-Hilfsmoments erfolgt auf Basis der von der Fahrstreifenerkennung gelieferten Informationen und einiger fahrdynamischer Kenngrößen, wie z. B. der Geschwindigkeit. Aus den Eingangsgrößen der Orientierung innerhalb des Fahrstreifens und Abweichung von der Fahrstreifenmitte (Querablage) berechnet ein Regler das nötige Lenkmoment, um Abweichungen von der idealen Fahrspur zu korrigieren. Der Kurvenradius des vorausliegenden Streckenabschnitts wird als Eingangsgröße einer Steuerung verwendet. Dabei liegt ein Modell der Geometrie des Fahrzeugs zur Berechnung der notwendigen Lenkmomente zugrunde. Bei der Abstimmung des Reglers ist zu beachten, dass die beaufschlagten Momente sowohl auf
Bild 35-5: Blockschaltbild der Regelstrategie des Honda LKAS zur Spurhalteassistenz
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
das Fahrzeug als auch auf den Fahrer wirken. Da das System den Fahrer unterstützen soll, ohne ihn aus dem Regelkreis der Querregelung zu nehmen, wird lediglich ein Teil des benötigten Hilfsmoments auf die Lenkung beaufschlagt. In [9] wird vorgeschlagen, 80 % des berechneten Lenkmoments zur Unterstützung des Fahrers beizusteuern, der verbleibende Teil muss vom Fahrer aufgebracht werden. Weiterhin erfolgt eine Begrenzung auf einen Maximalwert, um sicherzustellen, dass der Fahrer bei fehlerhafter Erkennung der Fahrstreifen die Kontrolle über das Fahrzeug behält. Damit der Fahrer das LKS-System zu jedem Zeitpunkt übersteuern kann, wird das Lenkmoment des Fahrers gemessen. Übersteigt das Lenkmoment des Fahrers einen bestimmten Schwellwert, so wird der Einfluss des Spurhaltehilfsmoments reduziert, und das Fahrzeug verhält sich wie ein Fahrzeug mit einer konventionellen Lenkhilfe. Dies ist im unteren Teil von Bild 35-5 dargestellt. Weitere Funktionsblöcke des im Bild 35-5 dargestellten Reglers stellen die Entscheidungseinheiten zum Erkennen eines Verlassens des Fahrstreifens (LDW-Funktion, siehe Kapitel 34) und von freihändigem Fahren (Hands-off) dar.
Die Anzeigen erfolgen im Bereich der Anzeigeninstrumente, z. B. im Bereich des Tachometers. Die dargestellten Symbole dienen dazu, dem Fahrer jederzeit die Möglichkeit zu geben, den Systemzustand zu erkennen. Dazu zählen die Bereitschaft des Systems und die Information, ob die Regelung aktiv ist. Weiterhin wird der Fahrer auf drohendes Verlassen des Fahrstreifens hingewiesen. Da die heutigen LKS-Systeme den Fahrer unterstützen, jedoch nicht ersetzen, wird freihändiges Fahren ausgeschlossen. Zu diesem Zweck werden die vom Fahrer ausgeübten Lenkkräfte gemessen und bewertet (Hands-off-Erkennung). Die Bewertung kann durch einen Vergleich des mithilfe eines Fahrzeugmodells berechneten notwendigen Lenkmoments mit dem gemessenen Moment erfolgen [6]. Um eine sichere Entscheidung treffen zu können, ist eine Zeit von 5 bis 15 Sekunden notwendig. Sollte der Fahrer das Lenkrad loslassen, deaktiviert sich die automatische Lenkkorrektur, und es wird ein entsprechender Hinweis im Instrumentendisplay angezeigt. Die Anzeigen zur Warnung wie die Fahrstreifenverlassenswarnung und Abschaltung bei Hands-offSituationen werden zumeist durch akustische Hinweise bzw. blinkende Anzeigen hervorgehoben.
35.2.3 Mensch-Maschine-Schnittstelle Die Mensch-Maschine-Schnittstelle besteht neben den Elementen zur Bedienung des Systems und zur Anzeige des Systemzustands auch aus der Lenkradmomentenschnittstelle. Die Bedienung, genauer gesagt die Aktivierung, erfolgt bei den Systemen von Honda und Lexus durch einen Drucktaster am Lenkrad. Wie bereits in Abschnitt 35.1 beschrieben, besteht bei einigen Systemen eine funktionale Kopplung mit der adaptiven Geschwindigkeitsregelung ACC.
35.2.4 Aktoren Als Aktor oder Stellglied dient zumeist das Lenksystem des Fahrzeugs. Dabei kommen die in Kapitel 20 beschriebenen Lösungen zur Überlagerung von Momenten in Frage. Die Firmen Honda und Lexus verwenden als Aktoren Elektrische Lenkhilfen (EPS) mit der Möglichkeit zur Überlagerung von Momenten. Im Gegensatz dazu ist es denkbar, eine hydraulische Lenkunterstützung mit elektrischem Zusatzaktor zu verwenden, was jedoch die
Bild 35-6: Anzeigen des Honda LKAS bei gleichzeitig aktiviertem ACC mit einer Wunschgeschwindigkeit von 100 km/h (Fa. Honda)
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35 Lane Keeping Support
Systemkosten erhöhen würde. Elektrische Lenkhilfen wurden aufgrund des notwendigen Leistungsbedarfs zunächst in kleineren Fahrzeugklassen eingeführt und finden erst nach und nach in größeren Fahrzeugklassen Verwendung. Dies führte dazu, dass die LKS-Funktion bei einigen Herstellern zunächst in deren Mittelklassemodellen eingeführt wurde (z. B. Honda Accord, VW Passat) und nicht, wie sonst üblich, in oberen Fahrzeugsegmenten. Zukünftige Steer-by-Wire-Konzepte werden dem Entwickler von LKS-Systemen größere Freiheitsgrade bei der Abstimmung geben, da sich hierbei die Momente am Lenkrad und an den gelenkten Rädern unabhängig voneinander beeinflussen lassen. Lenkeingriffe beeinflussen die Gierrate eines Fahrzeugs. Eine weitere Möglichkeit der Beeinflussung ist der gezielte Zugriff auf einzelne Radbremsen. Ein derartiger Bremszugriff ist bei modernen Fahrzeugen durch das ESP-System zur Stabilisierung des Fahrzeugs im fahrdynamischen Grenzbereich realisiert (Kapitel 25). Sollen die Bremsen als Stellglied einer Spurhalteassistenz eingesetzt werden, so wird dies aus Gründen des Verschleißes und Kraftstoffverbrauchs nur bei einer Systemausprägung gemäß Bild 35-2a) erfolgen. Abhängig von der Geometrie des Fahrwerks und hierbei speziell der Wahl des Lenkrollradius, wird sich ein Lenkmoment in Richtung oder entgegen der Gierbewegung des Fahrzeugs ergeben [10].
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vermeiden, kann man die Mindestbreite zulässiger Spurbreiten auf z. B. 3 m festlegen. Der unterstützte Wertebereich einiger Kenngrößen ist in Tabelle 35-1 aufgeführt [2], [9]. Tabelle 35-1: Wertebereich einiger Kenngrößen verfügbarer LKS-Systeme Kenngröße
Typische Werte
Untere Geschwindigkeitsgrenze
65–70 km/h
Obere Geschwindigkeitsgrenze
170–180 km/h
Maximales korrigierendes Lenkmoment
2–3 Nm
Unterstützte Spurbreite
3–4 m
Minimaler Kurvenradius
230 m
Maximale Querbeschleunigung
0,2 G
Starke Reflektionen, wie sie z. B. nachts bei Regen oder bei tief stehender Sonne auftreten, können zu Fehldetektionen führen. Starke Helligkeitsunterschiede im Bild können je nach verwendeter Kamera ebenfalls Probleme bei der Spurerkennung bewirken. Eine mögliche Lösung besteht darin, derartige Situationen zu erkennen und die Systemfunktion kurzzeitig zu deaktivieren, um in diesen Fällen fehlerhafte Lenkmomente bzw. Warnungen zu vermeiden.
35.3 Grenzen des Systems Die heute verfügbaren Systeme zur Spurhalteassistenz unterstützen den Fahrer bei der Spurhaltung auf autobahnähnlichen Straßen. Dies impliziert zumeist, dass Unterstützung nur bei relativ großen Kurvenradien und geringen Querbeschleunigungen erfolgt. Der unterstützte Geschwindigkeitsbereich ist so gewählt, dass eine Aktivierung in der Stadt und auf kurvigen Landstraßen nicht möglich ist. Die obere Geschwindigkeitsgrenze ergibt sich aus der Kopplung der LKA-Funktion mit der ACCFunktion bzw. aus der begrenzten Reichweite der Fahrstreifenerkennung. Weiterhin ist zu beachten, dass die Fahrstreifenerkennung aktueller Systeme auf der Erkennung von eindeutigen Fahrbahnmarkierungen basiert. Eine weitergehende Interpretation der beobachteten Szene findet nicht statt. Aus diesem Grund sind heutige Systeme nicht in der Lage, komplexe Situationen wie z. B. Baustellen sicher zu erkennen. Um fehlerhafte Systemreaktionen in Baustellen zu
35.4 Ausblick Wenngleich die ersten Systeme zur Spurhalteassistenz auf dem Markt verfügbar sind, ist dieses Thema nach wie vor Gegenstand intensiver Forschung. Dabei besteht sowohl das Ziel der Optimierung einzelner Komponenten unter Beibehaltung des vorgestellten Systemkonzepts als auch der Erweiterung des Systemkonzepts. Verbesserungspotenzial im Rahmen der vorgestellten Systemkonzepte besteht bei allen vorgestellten Komponenten. Um größere Ausrüstungsraten der optional angebotenen LKSSysteme zu erzielen, ist darüber hinaus eine deutliche Reduzierung der Kosten des Gesamtsystems erforderlich. Bei der Fahrstreifenerkennung wird vor allem eine Erhöhung der Robustheit angestrebt. Dies kann bis zu einem gewissen Grad durch verbesserte Verfahren der Bildverarbeitung erzielt werden. In [11] wird ein auf der Analyse des optischen Flusses (siehe Kapitel 15) basierendes Verfahren zur
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
sicheren Erkennung der Fahrbahn bei bestimmten Wetter- und Beleuchtungsverhältnissen beschrieben. Um die kamerabasierte Erkennung des Fahrbahnverlaufs auf Landstraßen zu verbessern, ist es denkbar, spezielle Verfahren zur Erkennung von Seitenpfosten zu verwenden [12]. Die Interpretation der Fahrstreifenmarkierungen im Bereich von Baustellen ermöglicht es, den Fahrer auch in solchen Abschnitten zu unterstützen. Als weitere Maßnahme zur Verbesserung der Fahrstreifenerkennung kommt der Einsatz von Farbkameras mit entsprechender Bildverarbeitung sowie der Stereoskopie in Betracht (siehe Kapitel 15). Eine Erweiterung des Systemkonzepts kann durch Hinzunahme weiterer Komponenten erfolgen. So können mithilfe von weiteren Umfeldsensoren wie z. B. Radar und Lidar Informationen über den Straßenrand [13], [14] und andere Verkehrsteilnehmer erfasst werden. Diese Informationen können zu einer größeren Robustheit der Fahrbahnerkennung beitragen. Ein weiterer Ansatz zur Verbesserung der Umfeldwahrnehmung besteht in der Nutzung von Geometriedaten einer digitalen Karte. Denkbar sind u. a. Informationen über den Kurvenradius, Straßentyp oder die Anzahl der Fahrstreifen. Diese Daten können von einem eingebauten Navigationsgerät zur Verfügung gestellt werden und helfen, die notwendigen Suchbereiche für die kamerabasierte Fahrstreifenerkennung zu begrenzen. Dies wirkt sich positiv auf die Robustheit der Erkennung aus [15], [16]. Weiterhin kann die Information über den Typ der Straße genutzt werden, um das System auf Abschnitten zu deaktivieren, für die das System nicht ausgelegt ist. Das Erkennen der Intention des Fahrers stellt eine Möglichkeit dar, ungewollte Systemreaktionen zu vermeiden. So können durch Erkennen gewollter Wechsel des Fahrstreifens (ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers) als störend empfundene Warnungen vermieden werden [17], [18]. Die bisher beschriebenen Erweiterungen sind unter Beibehaltung der heutigen Funktionsausprägung der Unterstützung des Fahrers bei der Fahraufgabe des Spurhaltens denkbar. Eine Erweiterung der Funktionsausprägung kann z. B. durch Assistieren des Fahrers bei Ausweichmanövern erfolgen. Volvo hat ein System vorgeschlagen, bei dem die Lenkunterstützung abhängig von der Gefahr eines Frontal-Zusammenstoßes gestaltet ist [19], [20]. Zu diesem Zweck erkennt das System ein entgegenkommendes Fahrzeug und die Gefahr eines Verlassens des Fahrstreifens. Aus diesen beiden Größen wird das korrigierende Lenkmoment berechnet.
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Im Rahmen des von der Europäischen Kommission geförderten Projekts PReVENT [21] wird die Kombination von LKS mit einer Beobachtung des rückwärtigen Fahrraums (Kapitel 36) vorgeschlagen. Eine Unterstützung des Fahrers bei Ausweichmanövern, die durch Hindernisse auf der vorausliegenden Fahrbahn bedingt sind, stellt eine weitere Ergänzung des LKS-Konzepts dar [22].
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35 Lane Keeping Support
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[12] Smuda von Trzebiatowski, M.; Gern, A.; Franke, U.; Kaeppeler, U.; Levi, P.: Detecting Refection Posts – Lane Recognition on Country Roads. Proceedings of the 2004 IEEE Intelligent Vehicles Symposium, Parma, Italy, 2004 [13] Weiss, T.; Schiele, B.; Dietmayer, K.: Robust driving path detection in Urban and Highway Scenarios Using a Laser Scanner and Online Occupancy Grids. Proceedings of the 2007 IEEE Intelligent Vehicles Symposium, Istanbul, Turkey, 2007 [14] Meis, U.; Schneider, R.: Radar image acquisition and interpretation for automotive applications. Proceedings of the 2003 IEEE Intelligent Vehicles Symposium, Columbus, Ohio, USA, 2003 [15] Gern, A; Gern, T.; Franke, U.; Breuel, G.: Robust lane recognition using vision and DGPS road course information. Proceedings of the 2001 IEEE Intelligent Vehicles Symposium, Tokyo, Japan, 2001 [16] Cramer, H.: Modelle zur multisensoriellen Erfassung des Fahrzeugumfeldes mit Hilfe von Schätzverfahren. Dissertation, Shaker-Verlag, 2006 [17] McCall, J.; Wipf, D.; Trivedi, M.; Rao, B.: Lane Change Intend Analysis Using Robust Operators and Sparse Bayesian Learning. IEEE Trans on ITS, Vol. 8, No. 3, September 2007 [18] John, D.; Möhler, N.; Zipser, S.: Das SAFELANE Decision System – ein Situations- und Entscheidungsmodell für einen Spurhalteassistenten. VDI/ VW Gemeinschaftstagung Integrierte Sicherheit und Fahrerassistenzsysteme, Wolfsburg, 2006 [19] Eidehall, A.; Gustafsson, F.: A new approach to lane guidance systems. Proceedings of the IEEE conference on ITS, Wien, 2005 [20] IVsource.net: Volvo to Introduce Auto-Steering for Collision Avoidance, www.ivsource.net, November 2007 [21] www.prevent-ip.org [22] Brandt, T.; Sattel, T.; Böhm, M.: Combining haptic human-machine interaction with predictive path planning for lane-keeping and collision avoidance system. Proceedings of the 2007 IEEE Intelligent Vehicles Symposium, Istanbul, Turkey, 2007
561
F 36 Fahrstreifenwechselassistenz Arne Bartels, Simon Steinmeyer, Stefan Brosig, Carsten Spichalsky
36.1 Motivation Fahrerassistenzsysteme dienen dazu, für den Fahrer einen Zugewinn an Komfort und Sicherheit zu erzielen, indem sie ihn bei seiner Fahraufgabe unterstützen. Der zu erwartende Kundennutzen eines Fahrerassistenzsystems ist dann besonders hoch, wenn die Fahraufgabe, bei welcher der Fahrer unterstützt werden soll, mit einem hohen Fehlerpotenzial behaftet ist. Zu diesen Fahraufgaben mit hohem Fehlerpotenzial gehört u. a. der Fahrstreifenwechsel. Dies wird ersichtlich aus einer statistischen Analyse von Unfällen mit Personenschäden, welche in einer Datenbank der Volkswagen Unfallforschung und der GIDAS (German In-Depth Accident Study) gesammelt wurden. Bild 36-1 zeigt für die Jahre 1985 bis 1999 den Anteil der Fahrstreifenwechselunfälle mit Pkw als Hauptverursacher für die Straßenarten Stadt, Land und Bundesautobahn (BAB). Deutlich wird, dass durchschnittlich mehr als 5 % aller Unfälle bei einem Fahrstreifenwechsel erfolgen. Ebenfalls deutlich wird, dass sich ein Großteil dieser Unfälle auf Landstraßen oder Bundesautobahnen ereignen. Diese Unfallstatistik legt daher nahe, dem Fahrer ein System zur Verfügung zu stellen, welches ihn
bei einem Fahrstreifenwechsel insbesondere auf der Landstraße und auf der Autobahn unterstützt.
36.2 Anforderungen Bei einem Fahrstreifenwechsel muss der Fahrer eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen können. Seine Sorgfaltspflicht gebietet es ihm, vor dem Fahrstreifenwechsel den hinteren und seitlichen Fahrzeugbereich zu kontrollieren, wobei sowohl eine Überwachung der Außen- und Innenspiegel als auch ein Schulterblick zwingend erforderlich sind. Wird der Schulterblick unterlassen, sind die Außenspiegel falsch eingestellt oder ist der Fahrer schlicht unaufmerksam, so können andere Verkehrsteilnehmer im Toten Winkel übersehen werden. Wird nun ein Fahrstreifenwechsel initiiert, so kann dies zu einer Kollision mit dem Fahrzeug auf dem Nachbarfahrstreifen führen. Eine weitere Unfallursache bei einem Fahrstreifenwechsel ist die Fehleinschätzung der Geschwindigkeit überholender Fahrzeuge. Insbesondere die Annäherungsgeschwindigkeit schneller, weit entfernter Fahrzeuge wird auf Autobahnen und Schnellstraßen häufig unterschätzt. In dieser Situation kann ein Fahrstreifenwechsel sowohl zur
Bild 36-1: Anteil Fahrstreifenwechselunfälle mit Hauptursache Pkw an allen Unfällen nach Straßenart und Unfalljahr [1]
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36 Fahrstreifenwechselassistenz
Kollision mit dem überholenden Fahrzeug führen, falls dieses nicht mehr ausreichend verzögern kann, als auch zu Auffahrunfällen mit anderen Verkehrsteilnehmern, wenn diese auf die starke Verzögerung des überholenden Fahrzeugs nicht rechtzeitig reagieren. Auch bei einem Fahrstreifenwechsel auf der Beifahrerseite benötigt der Fahrer Unterstützung. Dieser wird in Deutschland durch das Rechtsfahrgebot erzwungen. Nach einem Überholvorgang muss der Fahrer wieder auf den rechten Fahrstreifen wechseln, sobald es die Verkehrssituation zulässt. In vielen europäischen Ländern wird das Überholen auf der Beifahrerseite praktiziert. In den USA ist es zudem alltäglich, dass auf beiden Nachbarfahrstreifen andere Verkehrsteilnehmer mit nahezu gleicher Geschwindigkeit im Toten Winkel des eigenen Fahrzeugs fahren. Aus der obigen Analyse ergeben sich für einen Fahrstreifenwechselassistenten folgende funktionelle Anforderungen: Der Fahrstreifenwechselassistent soll den Fahrer über Gefahrensituationen informieren, welche aus einer unzureichenden Überwachung des Umfelds durch den Fahrer resultieren. Zu diesem Zweck ist er potenziell in der Lage, sowohl sich schnell von hinten annähernde Verkehrsteilnehmer als auch andere Verkehrsteilnehmer im Toten Winkel des eigenen Fahrzeugs wahrzunehmen. Dies gilt für den Nachbarfahrstreifen sowohl auf der Fahrer- als auch auf der Beifahrerseite. Idealerweise stellt er diese Funktionalität bei allen Straßen-, Witterungs- und Verkehrsbedingungen zur Verfügung. Eine besondere Bedeutung kommt der MenschMaschine-Schnittstelle (HMI) zwischen Fahrer und Fahrstreifenwechselassistenten zu. Erscheint der Fahrstreifenwechsel aufgrund des vom System wahrgenommenen Umfelds als nicht sicher, so wird der Fahrer hierüber geeignet informiert. Dies kann prinzipiell optisch, akustisch oder haptisch erfolgen. Bei der Auslegung des HMI sollte jedoch darauf geachtet werden, dass der Spiegelblick des Fahrers, zu dem er nach wie vor verpflichtet ist, unterstützt wird. Hierfür bietet sich die Positionierung von Lampen in bzw. in der Nähe der Außenspiegel an. Die Helligkeit dieser Lampen sollte hierbei so gestaltet sein, dass diese einerseits bei allen Umgebungsbedingungen für den Fahrer gut wahrnehmbar sind. Andererseits dürfen die Lampen den Fahrer z. B. in der Nacht nicht blenden. Bei der Auslegung des HMI ist ebenfalls zu entscheiden, ob die Fahrerinformation einstufig oder
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zweistufig erfolgen soll. Bei einer zweistufigen Fahrerinformation wird von der Informationsstufe 1 zur Informationsstufe 2 eskaliert, sobald die Intention des Fahrers für einen Fahrstreifenwechsel erkannt wird. Bei einer einstufigen Fahrerinformation unterbleibt diese Eskalation. In der Informationsstufe 1 wird jedes bei einem Fahrstreifenwechsel potenziell gefährliche Fahrzeug dem Fahrer zur Anzeige gebracht, auch dann, wenn der Fahrer keinen Fahrstreifenwechsel beabsichtigt. Die Anzeige in der Informationsstufe 1 sollte für den Fahrer zwar wahrnehmbar, jedoch auch bei häufiger Aktivierung nicht störend oder ablenkend sein. Bei einer Anzeige über Lampen in bzw. in der Nähe der Außenspiegel kann dies z. B. über eine geeignete Helligkeit der Lampen erzielt werden. In der Informationsstufe 2 wird zusätzlich die Intention des Fahrers für einen Fahrstreifenwechsel erkannt, z. B. über die Betätigung des Blinkerhebels. Beabsichtigt der Fahrer einen Fahrstreifenwechsel und wird dieser Fahrstreifenwechsel aufgrund des vom System wahrgenommenen Umfelds als nicht sicher bewertet, dann sollte eine intensivere Information an den Fahrer erfolgen. Bei einer Fahrerinformation über Lampen in bzw. in der Nähe der Außenspiegel kann dies z. B. über ein sehr helles, kurzes Aufblinken der Lampen erzielt werden. Ebenfalls wichtig für den Fahrstreifenwechselassistenten ist eine intelligente Informationsstrategie. Um eine ausreichende Kundenakzeptanz zu gewährleisten, muss der Fahrstreifenwechselassistent einerseits wahrgenommene Situationen mit Fehlerpotenzial zuverlässig zur Anzeige bringen. Andererseits müssen unnötige Fahrerinformationen vermieden werden. Unnötig ist z. B. die Information über ein Fahrzeug auf dem Nachbarfahrstreifen, welches von den Umfeldsensoren zwar erfasst wird, jedoch so langsam und noch so weit entfernt ist, dass ein Fahrstreifenwechsel gefahrlos möglich ist. Ebenfalls unnötig ist die Information über ein geradeaus fahrendes Fahrzeug auf dem übernächsten benachbarten Fahrstreifen. Die Informationsstrategie muss somit die Messdaten der Umfeldsensoren auswerten und anhand dieser entscheiden, ob eine Fahrerinformation erfolgen soll oder nicht.
36.3 Klassifikation der Systemfunktionalität In der ISO-Norm 17387 „Lane Change Decision Aid System“ werden verschiedene Ausprägungen des Fahrstreifenwechselassistenten spezifiziert und
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene Tabelle 36-2: Klassifikation nach maximaler Relativgeschwindigkeit des sich von hinten annähernden Fahrzeugs und nach dem minimalen Kurvenradius [2]
in diverse Subtypen klassifiziert. Weiterhin wird ein Systemstatusdiagramm mit Systemstati und Übergangsbedingungen spezifiziert. Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt.
Typ
36.3.1 Klassifikation nach Leistung der Umfelderfassung Die ISO-Norm 17387 klassifiziert drei Systemtypen. Diese differenzieren sich über die von den Umfeldsensoren überwachten Zonen. Eine Übersicht zeigt Tabelle 36-1. Typ I-Systeme informieren über Fahrzeuge im Toten Winkel auf der linken und rechten Seite. Sie informieren nicht über Fahrzeuge, welche sich auf der linken oder rechten Seite von hinten annähern. Typ II-Systeme informieren über Fahrzeuge, welche sich von hinten auf der linken und rechten Seite annähern. Sie informieren nicht über Fahrzeuge im Toten Winkel auf der linken oder rechten Seite. Typ III-Systeme informieren sowohl über Fahrzeuge im Toten Winkel als auch über sich von hinten annähernde Fahrzeuge, beides sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite. Die Systeme vom Typ II und III werden weiterhin in drei Unterklassen aufgeteilt. Diese unterscheiden sich durch die maximal zulässige Relativgeschwindigkeit des sich von hinten annähernden Zielfahrzeugs v max sowie durch die minimal zulässigen Kurvenradien Rmin. Eine Übersicht zeigt Tabelle 36-2. Die maximale Relativgeschwindigkeit des sich von hinten annähernden Fahrzeugs hat bei gegebener Rechenzeit des Systems und bei einer vorgegebenen minimalen Reaktionszeit des Fahrers einen direkten Einfluss auf die benötigte Sensorreichweite. Bei v max = 20 m/s, einer Rechenzeit des Systems von 300 ms und einer geforderten minimalen Reaktionszeit von 1,2 s beträgt die minimale Sensorreichweite 20 m/s u (1,2 s + 0,3 s) = 30 m. Soll
Maximale Relativgeschwin- Minimaler digkeit des sich von hinten Kurvenraannähernden Fahrzeugs dius
A
10 m/s
125 m
B
15 m/s
250 m
C
20 m/s
500 m
auch bei größeren Annäherungsgeschwindigkeiten noch rechtzeitig informiert werden, so muss die Sensorreichweite erhöht werden. Bei v max = 30 m/s ergibt sich z. B. eine minimale Sensorreichweite von 45 m. Die Klassifizierung hinsichtlich des minimalen Kurvenradius erfolgt aus zwei Gründen. Einerseits kann die frühzeitige Detektion des Zielfahrzeugs durch den eingeschränkten Erfassungsbereich der verwendeten Umfeldsensorik erschwert werden. Bei kegelförmigem Erfassungsbereich ist beispielsweise der Öffnungswinkel des Sensors maßgeblich für eine gute Abdeckung der relevanten Fahrstreifen innerhalb von Kurven. Andererseits ist die maximale Relativgeschwindigkeit des sich von hinten annähernden Zielfahrzeugs bei gegebenem Kurvenradius und typischen Geschwindigkeiten des eigenen Fahrzeugs durch die Fahrdynamikeigenschaften des Zielfahrzeugs begrenzt.
36.3.2 Systemzustandsdiagramm In der ISO-Norm 17387 wird für den Fahrstreifenwechselassistenten ein Systemzustandsdiagramm mit Systemstati und Übergangsbedingungen spezifiziert. Dieses wird im Bild 36-2 gezeigt.
Tabelle 36-1: Klassifikation nach Zonenabdeckung [2] Typ
I
Überwachung Toter Winkel linke Seite X
Überwachung Toter Winkel rechte Seite
564
X
Überwachung rechte Annäherungszone
X
Funktion
Warnung vor Fahrzeugen im Toten Winkel
X
II
III
Überwachung linke Annäherungszone
X
X
Warnung vor Fahrzeugen, welche sich von hinten annähern
X
X
Warnung vor Fahrstreifenwechsel
36 Fahrstreifenwechselassistenz
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Bild 36-2 Systemzustandsdiagramm für einen Fahrstreifenwechselassistenten nach ISO 17387 [2]
Ist das System inaktiv, so wird keine Information an den Fahrer ausgegeben. Zur Aktivierung des Systems müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein. Beispielsweise kann das System über die Betätigung eines Tasters aktiviert werden, wenn das eigene Fahrzeug schneller fährt als eine vorgegebene, minimale Aktivierungsgeschwindigkeit. Das System wird deaktiviert, wenn z. B. der Fahrer die Aus-Taste betätigt oder die minimale Aktivierungsgeschwindigkeit unterschritten wird. Ist das System aktiv, so werden nur dann Informationen an den Fahrer ausgegeben, wenn wiederum bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, z. B. wird ein Fahrzeug im Toten Winkel erkannt oder es nähert sich ein Fahrzeug von hinten mit hoher Geschwindigkeit an. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so erfolgt keine Fahrerinformation. Die Fahrerinformation kann in mehreren Stufen erfolgen. In der Informationsstufe 1 erfolgt eine „dezente“ Information an den Fahrer, welche weniger dringlich ist als die Fahrerinformation der Stufe 2. Sie hat eher informativen Charakter. Die Fahrerinformation der Stufe 2 erfolgt dann, wenn bestimmte Auswahlkriterien erfüllt sind, welche die Intention des Fahrers für einen Fahrstreifenwechsel anzeigen. Diese Auswahlkriterien können z. B. sein a) die Betätigung des Blinkerhebels oder b) eine Auswertung von Lenkwinkel oder Lenkmoment oder c) die Position des eigenen Fahrzeugs innerhalb des Fahrstreifens oder d) der laterale Abstand zu einem Fahrzeug in der Nachbarfahrspur.
Im Fall c) können z. B. Synergieeffekte mit einem eventuell vorhandenen System zur Erkennung der Fahrstreifenmarkierung (siehe Kapitel 3) genutzt werden. In der ISO-Norm 17387 sind weiterhin Testfälle für eine Aktivierung der Fahrerinformation detailliert und quantitativ beschrieben. Diese hier wiederzugeben würde jedoch den Rahmen dieses Absatzes sprengen.
36.4 Lösungen und beispielhafte Umsetzungen Fahrerassistenzsysteme, welche den Fahrer bei einem Fahrstreifenwechsel unterstützen, sind mittlerweile seit einigen Jahren bei mehreren Fahrzeugherstellern zu kaufen. Diese setzten zunächst in den Oberklassefahrzeugen ein; bei Audi im A8 und Q7, bei VW im Phaeton und Touareg, bei Mercedes in der S-Klasse. Mittlerweile ist jedoch eine Demokratisierung dieses Fahrerassistenzsystems zu beobachten, d. h. auch in Fahrzeugen der Mittelklasse wird ein System zur Fahrstreifenwechsel-Assistenz angeboten, z. B. im Audi A4 oder Volvo S40. Die Systeme der einzelnen Fahrzeughersteller unterscheiden sich in ihrer Ausprägung teilweise deutlich voneinander, wobei sie sich größtenteils in die unterschiedlichen Kategorien der ISO 17387 einordnen lassen, so wie sie in Abschnitt 36.3 beschrieben werden. Die Unterschiede ergeben sich hauptsächlich durch die unterschiedlichen Sensoren, welche zur Umfeldwahrnehmung eingesetzt
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F
Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
werden, sowie durch die Art und Weise, wie der Fahrer informiert wird. Um sich von ihren Wettbewerbern zu differenzieren, sicherlich aber auch um die herstellerspezifische Systemfunktionalität zu verdeutlichen, wurden bei den unterschiedlichen Fahrzeugherstellern jeweils unterschiedliche Produktnamen gewählt. So wird der Fahrstreifenwechselassistent bei Volvo „Blind Spot Information System“ (BLIS) genannt. Bei Audi heißt er „Audi Side Assist“, und das nahezu baugleiche System heißt bei VW „Side Assist“. Bei Mercedes-Benz trägt es den Namen „Totwinkel-Assistent“ und bei Peugeot wird es „Toter Winkel Detektor“ genannt. Im Folgenden sollen die Systeme der einzelnen Fahrzeughersteller kurz vorgestellt werden. Hierbei werden die Unterschiede in Funktionalität und HMI herausgearbeitet.
36.4.1 „Blind Spot Information System“ (BLIS) von Volvo Das BLIS von Volvo informiert den Fahrer über Fahrzeuge, welche sich im Toten Winkel seines Fahrzeugs aufhalten. Insbesondere im dichten Verkehr sollen so Verkehrsunfälle bei Fahrstreifenwechseln vermieden werden. Mithilfe nach hinten gerichteter Digitalkameras in den Außenspiegeln überwacht das System den Verkehr auf beiden Seiten des Fahrzeugs (siehe Bild 36-3a). Wenn ein Fahrzeug in den Toten Winkel eintritt, dann leuchtet eine Lampe in der rechten oder linken A-Säule dezent auf, um den Fahrer hierüber zu informieren (siehe Bild 36-3a). BLIS erfasst dabei alle Objekte, welche sich bis zu 70 km/h schneller bzw. 20 km/h langsamer als das eigene Fahrzeug bewegen. Vorteilhaft ist die geringe Aktivierungsgeschwindigkeit des Systems, welche bereits bei aktuell 10 km/h eine wirksame Überwachung des Toten Winkels bietet und eine Nutzung des Systems auch im innerstädtischen Bereich ermöglicht. Der Überwachungsbereich der Kameras beschränkt sich auf einen 3 m breiten und 9,5 m langen Korridor links und rechts neben dem eigenen Fahrzeug (siehe Bild 36-3b). Sich schnell von hinten annähernde Fahrzeuge werden somit nicht rechtzeitig erkannt. Insbesondere auf Autobahnen resultiert hieraus eine Einschränkung des Kundennutzens. Eine Eskalation der Fahrerinformation z. B. bei Betätigung des Blinkerhebels erfolgt nicht. Erstmals wurde dieses System von Volvo im Modelljahr 2005 angeboten. Der Mehrpreis für die Zusatzausstattung beträgt aktuell 620,– € inklusive Mehrwertsteuer und steht in nahezu allen Volvo
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Pkws als Option zur Verfügung (C30, S40, V50, S60, S80, V70, XC70, XC90).
36.4.2 „Toter Winkel Detektor“ von Peugeot Der „Tote Winkel Detektor“ von Peugeot besitzt eine ähnliche Funktionsweise wie das BLIS von Volvo. Auch er überwacht den Toten Winkel neben dem eigenen Fahrzeug und informiert den Fahrer über eine Lampe in der A-Säule, sobald ein Fahrzeug in den Toten Winkel eintritt. Wie beim BLIS erfolgt die Überwachung mithilfe einer im Außenspiegel integrierten Kamera. Anders als beim BLIS wird jedoch nur die Fahrerseite überwacht. Für Fahrstreifenwechsel auf der Beifahrerseite bietet Peugeot keine Unterstützung an. Der „Tote Winkel Detektor“ ist daher nicht konform mit den Systemtypen, welche in der ISO-Norm 17387 klassifiziert werden. Bild 36-4a zeigt die Integration der Kamera in den Außenspiegel. Bild 36-4b zeigt weitere Systemkomponenten des „Toter Winkel Detektors“ wie z. B. Steuergerät und Kabel. Das System wurde erstmals Anfang 2002 im Peugeot Boxer für einen Aufpreis von 300,– € ohne Mehrwertsteuer verkauft. Zur gleichen Zeit wurde es auch im Fiat Ducato und im Citroën Jumper angeboten.
36.4.3 „Totwinkel-Assistent“ von Mercedes-Benz Auch der „Totwinkel-Assistent“ von Mercedes-Benz überwacht den Toten Winkel des eigenen Fahrzeugs auf der Fahrer- und Beifahrerseite. Während bei Volvo und Peugeot Kameras zur Umfelderfassung eingesetzt werden, nutzt der „Totwinkel-Assistent“ von Mercedes-Benz Nahbereichs-Radarsensoren. Diese senden breitbandig bei einer Frequenz von 24 GHz und sind von außen unsichtbar im Frontund Heckstoßfänger des Fahrzeugs integriert. Sobald ein Fahrzeug im überwachten Bereich erkannt wird, erfolgt eine Information an den Fahrer durch eine der in den Außenspiegeln integrierten Lampen, indem diese dauerhaft rot aufleuchtet. Wird ein Fahrzeug im Totwinkel-Überwachungsbereich erkannt und der Fahrer schaltet den Blinker ein, so erfolgt ein Kollisionshinweis. Hierzu ertönt einmalig ein Doppelton, und die rote Leuchte blinkt. Bleibt der Blinker eingeschaltet, werden erkannte Fahrzeuge durch Blinken der roten Leuchte dauerhaft angezeigt. Es erfolgt keine weitere akustische Fahrerinformation.
36 Fahrstreifenwechselassistenz
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a)
Bild 36-3 Blind Spot Information System (BLIS) von Volvo [3]: a) Im Außenspiegel integrierte Kamera und Lampe in der A-Säule, b) Überwachungsbereich
b)
a)
b)
Bild 36-4: „Toter Winkel Detektor“ von Peugeot [4]: a) Integration der Kamera in den Außenspiegel, b) weitere Systemkomponenten des „Toter Winkel Detektors“
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
a)
b)
Bild 36-5: „Totwinkel-Assistent“ von Mercedes-Benz [5]: a) Integration der Leuchte im Außenspiegel, b) Erfassungsbereich
Den Erfassungsbereich des Systems zeigt Bild 36-5b. Die Fläche dieses Erfassungsbereichs beträgt auf der Fahrer- und Beifahrerseite jeweils ca. 3 m x 3 m, gemessen in einem Abstand von der Fahrzeugseite von ca. 50 cm und gemessen etwa ab der Schulterhöhe des Fahrers. Ähnlich wie beim BLIS von Volvo können sich schnell von hinten annähernde Fahrzeuge nicht rechtzeitig erfasst werden. Hieraus resultiert wiederum insbesondere auf Autobahnen ein eingeschränkter Kundennutzen. Vorteilhaft ist wiederum die Aktivierungsgeschwindigkeit des Systems. Diese liegt zwar mit 30 km/h etwas höher als beim BLIS von Volvo, erlaubt aber auch hier den Einsatz des Systems im innerstädtischen Bereich. Die Lampen sind nahezu unsichtbar hinter dem Spiegelglas des Außenspiegels verbaut. Diese werden auch zur Systemstatusanzeige genutzt. Ist das System eingeschaltet und aktiv, so wird der Fahrer hierüber durch das gelbe Leuchten der Lampen informiert. In bestimmten Ländern und in der Nähe von radioastronomischen Anlagen müssen die Radarsensoren des „Totwinkel-Assistenten“ ausgeschaltet werden. Dies ergibt sich aus der eingeschränkten Funkzulassung breitbandig sendender 24 GHzRadare für Automotive Anwendungen. Erstmalig wurde der „Totwinkel-Assistent“ 2007 in der S-Klasse von Mercedes-Benz angeboten. Aktuell wird dieser als Mehrausstattung im Paket zusammen mit anderen radarbasierten Fahrerassistenzsystemen in der CL-Klasse für einen Aufpreis von 2.594,20 € und in der S-Klasse für einen Aufpreis von 3.391,50 € jeweils inklusive Mehrwertsteuer angeboten.
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36.4.4 „Audi Side Assist“/„Side Assist“ von VW Der „Audi Side Assist“ informiert den Fahrer sowohl über Fahrzeuge im Toten Winkel als auch über Fahrzeuge, welche sich von hinten schnell annähern. Diese Information erfolgt sowohl für die Fahrer- als auch für die Beifahrerseite. Der „Audi Side Assist“ basiert auf zwei schmalbandig sendenden 24 Ghz-Radarsensoren, welche von außen unsichtbar hinter der linken und rechten Ecke des Heckstoßfängers verbaut sind. Nach hinten schauend besitzen diese Radarsensoren in der neuesten Generation eine Reichweite von ca. 70 bis 100 m; bei Radarsensoren der ersten Generation lag die Reichweite noch bei 50 m. Hierdurch kann der Fahrer auch über Fahrzeuge rechtzeitig informiert werden, welche sich schnell von hinten annähern. Der linke und rechte Seitenbereich des Fahrzeugs wird jeweils durch eine Nebenkeule der Radarsensoren erfasst. Hierdurch kann über Fahrzeuge im Toten Winkel informiert werden. Weitere Unterlagen zum „Audi Side Assist“ finden sich unter [7]. Die Fahrerinformation erfolgt durch Lampen, welche in das Gehäuse des linken und rechten Außenspiegels integriert sind. Erscheint der Fahrstreifenwechsel aufgrund des vom System wahrgenommenen Umfelds auf einer Seite als nicht sicher, leuchtet die jeweilige Lampe auf (Bild 36-6a/b). Diese Informationssstufe 1 ist unterschwellig ausgelegt, d. h. sie wird vom Fahrer nur bei direktem Blick auf den Spiegel wahrgenommen. Hierdurch ist für den Fahrer die Funktion des Systems auch außerhalb einer Gefahrensituation ständig erlebbar, ohne dass er hierbei durch die Lampe gestört oder abgelenkt wird. Setzt der Fahrer den Blinker, so wird die Informationsstufe 2 aktiviert. Hierbei wird der Fahrer über eine Gefährdung bei einem Fahr-
36 Fahrstreifenwechselassistenz
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Bild 36-6: „Audi Side Assist“, „Side Assist“ von VW [6]: a) und c) Erfassungsbereich; b) und d) Integration der Leuchte im Gehäuse des Außenspiegels; a) und b) Dauerleuchten der gelben Anzeige, wenn Fahrstreifenwechsel kritisch; c) und d) kurzzeitiges, helles Blinken der gelben Anzeige, wenn Blinker gesetzt und Fahrstreifenwechsel kritisch
streifenwechsel durch mehrmaliges, helles Blinken der Lampe informiert (Bild 36-6c/d). Bleibt der Blinker dauerhaft gesetzt, so werden erkannte Fahrzeuge durch ein dauerhaftes Leuchten der Lampe angezeigt. Ein dauerhaftes Blinken erfolgt nicht. Weitere Unterlagen zum HMI des „Audi Side Assist“ finden sich unter [8]. Die Radarsensoren des „Audi Side Assist“ senden schmalbandig im ISM -Band zwischen 24 GHz und 24,25 GHz. Sie unterliegen nicht den Restriktionen der breitbandig sendenden 24 GHz-Radare und müssen in der Nähe von radioastronomischen Anlagen nicht abgeschaltet werden. Systeme der neuesten Generation haben eine Aktivierungsgeschwindigkeit von 30 km/h; bei Systemen der ersten Generation lag diese noch bei 60 km/h. Somit kann der „Audi Side Assist“ sowohl auf Autobahnen und Schnellstraßen als auch im innerstädtischen Bereich genutzt werden. Ein mit dem „Audi Side Assist“ nahezu baugleiches System wird bei VW unter dem Namen „Side Assist“ verkauft. Die Hardware der Radarsensoren bei VW und Audi ist praktisch identisch. Auch bei der Positionierung der Lampen im Gehäuse der Außenspiegel gibt es zwischen VW und Audi keine Unterschiede. Lediglich die Position der Taster zur Aktivierung des Systems und die Systemstatusanzeigen differieren voneinander. Der „Audi Side Assist“ wurde erstmalig 2005 im Audi Q7 angeboten. Der Mehrpreis für das als Zusatzausstattung angebotene System beträgt aktuell 550,– € im Audi A4, A5 und A6 bzw. 600,– € im Audi Q7 und A8, jeweils inklusive Mehrwertsteuer. Bei VW wurde der „Side Assist“ erstmalig 2006 im Touareg verbaut. Der Mehrpreis für das als Zusatz-
ausstattung angebotene System beträgt im Touareg und Phaeton aktuell jeweils 570,– € inklusive Mehrwertsteuer.
36.4.5 Zusammenfassung Tabelle 36-3 zeigt eine Zusammenfassung der in Abschnitt 36.4 aufgezeigten FahrstreifenwechselAssistenzsysteme der verschiedenen Fahrzeughersteller. Deutlich wird, dass alle Fahrzeughersteller eine optische Fahrerinformation mit einer Lampe in der Nähe des Außenspiegels favorisieren. Der Einbauort der Lampen variiert hierbei zwischen A-Säule, Spiegelglas des Außenspiegels und Spiegelgehäuse des Außenspiegels. Als Umfeldsensoren werden entweder Kameras benutzt, welche in den Außenspiegeln integriert sind, oder 24 GHz-Radarsensoren, welche unsichtbar in den Stoßfängern verbaut sind. Bis auf das System von Peugeot überwachen alle Systeme sowohl die Fahrer- als auch die Beifahrerseite. Alle Systeme können aufgrund einer niedrigen Aktivierungsgeschwindigkeit auch in innerstädtischen Bereichen genutzt werden. Nur das System von Audi/VW bietet neben einer Toten-WinkelÜberwachung auch eine rechtzeitige Fahrerinformation über sich von hinten annähernde Fahrzeuge an, was insbesondere auf Autobahnen von Vorteil ist. Der Preis für ein System, welches sowohl die Fahrer- als auch die Beifahrerseite überwacht, liegt aktuell zwischen 550,– € und 620,– €. Der ADAC hat Anfang 2008 mit den Systemen von Volvo, Mercedes-Benz, Audi und VW einen
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene Tabelle 36-3: Vergleich der Fahrstreifenwechsel-Assistenzsysteme der verschiedenen Fahrzeughersteller Fahrzeug- Verkaufshersteller name des Systems
Funktion
Volvo
Blind Spot Information System (BLIS)
Tote-WinkelÜberwachung
Peugeot
Toter Winkel Tote-WinkelDetektor Überwachung
Fahrerund Beifahrerseite Ja
Aktivierungsgeschwindigkeit
Sensorik
Information
Zweistufige Fahrerinformation
MindestAufpreis mit/ohne* MWS
10 km/h
2 x Kamera, integriert in den beiden Außenspiegeln
Optisch: Lampen in den ASäulen
nein
620,– €
1 x Kamera, integriert im Außenspiegel auf der Fahrerseite
Optisch: Lampe in der A-Säule
nein
300,– €
Nein
Mercedes- TotwinkelBenz Assistent
Tote-WinkelÜberwachung
Ja
30 km/h
6 x 24 GhzRadar, breitbandig, integriert im Front- und Heckstoßfänger
Optisch & Akustisch: Lampen integriert im Spiegelglas der Außenspiegel
ja
2.594,20 € im Paket mit anderen FAS
Audi
Tote-WinkelÜberwachung und Information über sich von hinten annähernde Fahrzeuge
Ja
30 km/h (neue Generation)
2 x 24 GhzRadar, schmalbandig, integriert im Heckstoßfänger
Optisch: Lampen integriert im Gehäuse der Außenspiegel
ja
550,– €
VW
Audi Side Assist Side Assist
Vergleichstest durchgeführt [9]. Testsieger wurde der „Audi Side Assist“, welcher wie der „Side Assist“ von VW mit einem „Gut“ benotet wurde.
36.5 Erreichte Leistungsfähigkeit Die Leistungsfähigkeit der zuvor beschriebenen Fahrstreifenwechselassistenten ist bereits beachtlich. All diese Systeme haben aber ihre Grenzen, auf welche der Fahrer von den Fahrzeugherstellern u. a. in der Bedienungsanleitung aufmerksam gemacht wird. Unisono weisen nahezu alle Fahrzeughersteller darauf hin, dass ihr System nur ein Hilfsmittel ist, möglicherweise nicht alle Fahrzeuge erkennt und die Aufmerksamkeit des Fahrers nicht ersetzen kann. Weiterhin weisen alle Fahrzeughersteller darauf hin, dass bei verschmutzten Sensoren oder widrigen Witterungsbedingungen wie z. B. Regen, Schnee oder starker Gischt Fahrzeuge unzureichend oder unter Umständen gar nicht erkannt werden.
570
570,– €
Weiterhin kann es zu Fehlern bei der Fahrstreifenzuordnung kommen, da die Breite der benachbarten Fahrstreifen nicht gemessen sondern geschätzt wird. So wird darauf hingewiesen, dass bei sehr breiten Fahrstreifen in Kombination mit einer Fahrweise, bei der die Fahrzeuge jeweils am äußeren Rand ihres Fahrstreifens fahren, die Information über Fahrzeuge auf dem Nachbarstreifen möglicherweise unterbleibt. Bei engen Fahrstreifen in Kombination mit einer Fahrweise, bei der die Fahrzeuge jeweils am inneren Rand ihres Fahrstreifens fahren, kann es möglicherweise zu unnötigen Fahrerinformationen über Fahrzeuge auf dem übernächsten Fahrstreifen kommen. Bei Fahrzeugen mit im Heckstoßfänger verbauten 24 GHz-Radaren sind die Systeme nicht nutzbar, wenn der Sichtbereich der Sensoren durch z. B. Fahrradträger, Anhänger oder Aufkleber verdeckt wird. Beim „Audi Side Assist“ und beim „Side Assist“ von VW wird darauf hingewiesen, dass der Fahrer über Fahrzeuge mit sehr hoher Annäherungsge-
36 Fahrstreifenwechselassistenz
schwindigkeit nicht rechtzeitig informiert werden kann. In engen Kurven mit Radien unterhalb von 200 m erfolgt keine Fahrerinformation. Somit können die zuvor beschriebenen Fahrstreifenwechsel-Assistenzsysteme weiterhin verbessert werden. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Test, welcher vom ADAC durchgeführt wurde [9].
36.6 Weiterentwicklungen Eine Verbesserung der Systemfunktionalität von Fahrstreifenwechselassistenten kann durch eine Leistungssteigerung der Umfeldsensoren erzielt werden, indem z. B. Sensorreichweiten erhöht und der Geschwindigkeitsbereich, in welchem die Sensoren zuverlässig betrieben werden können, erweitert wird. Weiterhin kann die Systemfunktionalität durch die Nutzung weiterer Sensoren optimiert werden. Wie in Abschnitt 36.5 geschildert, kann es aufgrund der Schätzung der Fahrstreifenbreite zu überflüssigen oder ausbleibenden Fahrerinformationen kommen. Die Zuverlässigkeit des Fahrstreifenwechselassistenten kann gesteigert werden, wenn das System neben der Position des Zielfahrzeugs auch die Position der Nachbarfahrstreifen erkennt. Je nach Sensorplattform des Fahrzeugs können hierzu verschiedene Methoden herangezogen werden: Wird der rückwärtige Fahrstreifen direkt durch rückwärts blickende Sensoren mit entsprechender Reichweite detektiert, so kann diese Information direkt bzw. gefiltert verwendet werden. Ist die Reichweite der Sensoren nach hinten eingeschränkt, oder werden die Fahrstreifen durch nach vorne blickende Sensoren detektiert, so können sie für eine bestimmte Zeit auch außerhalb des Sensorsichtbereichs über eine Odometrieschätzung weiterverfolgt werden. Diese lässt sich z. B. aus den Daten von Gierraten- und Raddrehzahlsensoren ermitteln, welche die Grundlage für das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) bilden. Bei der Positionsschätzung von Egofahrzeug, Zielobjekt und Nachbarfahrstreifen ist eine gewisse relative Genauigkeit erforderlich, da alle Fehlervarianzen Einfluss auf die Präzision der Fahrstreifenzuordnung haben. Diese indirekte Schätzung ist besonders dann attraktiv, wenn auf die Umfeldsensoren anderer Fahrerassistenzsysteme zurückgegriffen werden kann. Für Applikationen wie Lane Departure Warning oder Lane Keeping Support (siehe Kapitel 34 und 35) wird z. B. häufig eine nach vorne gerichtete Kamera im Egofahrzeug verbaut.
F
Momentan helfen Fahrstreifenwechselassistenten dem Fahrer nur bei der Entscheidung, ob ein Fahrstreifenwechsel möglich ist oder nicht; der Fahrstreifenwechsel selbst muss vom Fahrer allein durchgeführt werden. Mithilfe von Fahrstreifen erkennender Sensorik in Kombination mit einer elektronisch ansteuerbaren Lenkaktorik könnte auch dieser Schritt assistiert werden; durch geeignete Lenkmomente könnte die Querführung während eines Ein- oder Ausschermanövers unterstützt oder sogar automatisiert werden.
Quellenverzeichnis [1] Unfalldatenbank der Volkswagen Unfallforschung und der GIDAS (German In-Depth Accident Study) [2] ISO-Norm 17387, „Lane Change Decision Aid System“ [3] Artikel im Internet Magazin Gizmag, Volvo Launches Blind Spot Information System (BLIS), http:// www.gizmag.com/go/2937/, Zugriff am 11.7.2008 [4] Homepage der Firma FICOSA, http://www.ficosa. com/home.php, Zugriff am 26.2.2002 [5] Artikel bei Heise Online, Mercedes: Neuer Totwinkel-Assistent, http://www.heise.de/autos/S-und-CLKlasse-Neuer-Totwinkel-Assistent-fuer-mehr-Sicherheit-beim-Spurwechsel--/artikel/s/4517, Zugriff am 11.7.2008 [6] Bedienungsanleitung des Audi Q7 und VW Touareg [7] Popken, M.: Audi Side Assist. In: Hanser Automotive electronics + systems, S. 54–56, 7–8, 2006 [8] Vukotich, A.; Popken, M.; Rosenow, A.; Lübcke, M.: Fahrerassistenzsysteme. Sonderausgabe von ATZ und MTZ, S. 170–173, 2, 2008 [9] ADAC Homepage: Test Spurwechsel-Assistenten, ht t p://w w w.adac.de /Auto_ Motor rad /Tech nik _ Zubehoer/fahrerassistenzsysteme/spurwechselassistenten_test/default.asp?ComponentID =204696& SourcePageID =134828#, Zugriff am 11.7.2008
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F 37 Kreuzungsassistenz 37.1 Unfallgeschehen an Kreuzungen Eine der Hauptunfallursachen insbesondere im innerstädtischen Straßenverkehr ist das Fehlverhalten von Verkehrsteilnehmern im Bereich von Kreuzungen und Einmündungen. So ereigneten sich im Jahr 2006 etwa 43 % aller Unfälle mit schwerem Sachschaden, 36 % aller Unfälle mit Personenschaden und 18 % aller Unfälle mit Todesfolge bei den kreuzungsrelevanten Unfalltypen Abbiegen (Unfalltyp 2 gemäß [12]) bzw. Einbiegen/Kreuzen (Unfalltyp 3) [20]. Daher steht die Kreuzung derzeit aus verkehrs- und sicherheitstechnischer Sicht im Fokus der Forschung. Auf Basis detaillierter Unfalldatenbanken wie beispielsweise der GIDAS-Datenbank lassen sich über gezielte Fallanalysen wesentliche Ursachen für Unfälle im Kreuzungsbereich finden. Die hauptsächlichen Fehler sind hierbei [8], [13]: Fehlinterpretation, d. h. die Situation an sich wurde wahrgenommen, jedoch falsch interpretiert. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Fehleinschätzung der Geschwindigkeiten vorfahrtsberechtigter Fahrzeuge bzw. der Verkehrsregelung. Unaufmerksamkeit, d. h. Ablenkung von der eigentlichen Fahraufgabe, die zu stark verlänger-
Mark Mages, Matthias Hopstock, Felix Klanner
ten Reaktionszeiten führt. Ein typisches Beispiel ist die Bedienung des Autoradios. Mangelnde Berücksichtigung möglicher Sichtbehinderungen an einer Kreuzung. Fahrzeugbezogen wirkt häufig die A-Säule behindernd, hinter der insbesondere Zweiräder leicht verdeckt werden, während äußere Sichthindernisse typischerweise parkende Fahrzeuge oder an die Kreuzung heranreichende Bauwerke oder Bepflanzung (dauerhaft), aber auch entgegenkommende Linksabbieger (temporär) sein können. Innerhalb der Kreuzungsunfälle gibt es unterschiedliche Verteilungen hinsichtlich der Unfallhäufigkeit bei bestimmten Verkehrsregelungen und der resultierenden Unfallschwere, wie im Bild 37-1 dargestellt.
37.2 Kreuzungsassistenzsysteme Bei der Annäherung an eine Kreuzung wirken viele Informationen auf den Fahrer ein. Auf Grundlage dieser Informationen fällt der Fahrer die Entscheidung einer Kreuzungsdurchfahrt. Zu einer kritischen Situation, d. h. einer Situation mit hoher Kollisionsgefahr, kommt es, wenn der Fahrer nicht
Bild 37-1: Unfallhäufigkeit und -risiko in Abhängigkeit der Verkehrsregelung an Kreuzungen [6]
572
37 Kreuzungsassistenz
F
Bild 37-2 Übersicht der Kreuzungsassistenzsysteme: STOP-Schild-Assistenz, Ampelassistenz, Einbiege-/Kreuzenassistenz und Linksabbiegeassistenz
mehr in der Lage ist, diese Informationen richtig aufzunehmen und auszuwerten. Um dies zu vermeiden, ist es erforderlich, den Fahrer durch vorausschauende Assistenzsysteme sowohl bei der Situationsinterpretation als auch bei der Vermeidung potenzieller Kollisionen zu unterstützen. Eine Herausforderung für die Kreuzungsassistenz besteht in der großen Anzahl von möglichen kritischen Situationen, die zu Unfällen führen können. Diese lassen sich wie im Bild 37-1 dargestellt nach der vorliegenden Verkehrsregelung unterteilen. Entsprechend adressieren die im Folgenden vorgestellten Assistenzsysteme diese Verkehrsregelungen. Die unterschiedlichen Systeme und zugehörige, potenzielle Assistenzstrategien veranschaulicht Bild 37-2 (vgl. auch Abschnitt 37.4).
37.2.1 STOP-Schild-Assistenz Als STOP-Schild-Assistenz wird im Folgenden die Unterstützung des Fahrers bei der Annäherung an eine Kreuzung zur Vermeidung des versehentlichen Überfahrens eines STOP-Schilds (Zeichen 206 StVO – Halt! Vorfahrt gewähren!) verstanden. Nach dem vorschriftsmäßigen Anhalten an der Haltebzw. Sichtlinie begangene Vorfahrtsmissachtungen sind keine spezifischen STOP-Schild-Situationen, sondern sind den Verkehrssituationen beim Einbiegen/Kreuzen zuzuordnen. Auf diese wird daher im Rahmen der Einbiegen-/Kreuzen-Systeme (vgl. Abschnitt 37.2.3) eingegangen. Allerdings ist eine nachträgliche Unterscheidung z. B. zum Zweck der Erfassung in Unfalldatenbanken nicht immer eindeutig, weshalb diese Zuordnung in Unfallstatistiken nur teilweise (beispielsweise aufgrund von Unfallrekonstruktion) möglich ist.
Ein isoliertes System zur STOP-Schild-Assistenz erfordert keine Berücksichtigung anderer Verkehrsteilnehmer, da das Haltegebot gemäß StVO ungeachtet eventueller vorfahrtsberechtigter Fahrzeuge immer Bestand hat. Im Gegensatz zu Lichtsignalanlagen unterliegt dieses Gebot zudem keiner zyklischen Änderung. Zusätzlich wird im Gegensatz beispielsweise zum Linksabbiegen die Halteposition des Fahrzeugs durch eine obligatorische Haltelinie vorgegeben. Verglichen mit den von anderen betrachteten Assistenzansätzen adressierten Verkehrssituationen weist dieses Kreuzungsszenario daher die geringste Komplexität auf. In [17] wird die Kombination aus Information und Warnung als Eingriffsstrategie eines STOPSchild-Assistenten vorgeschlagen, da sie einen geeigneten Kompromiss zwischen zu erwartender Wirksamkeit und erforderlicher Erkennungssicherheit darstellt und darüber hinaus für den aufmerksamen und angemessen agierenden Fahrer keine unnötigen Systemausgaben generiert. Für die Mensch-Maschine-Schnittstelle bietet sich hier u. a. die Nutzung des Head-up-Displays (HUD) an, da dadurch der Fahrer mit minimaler Akkomodationsleistung sowohl die relevante Umgebung als auch die Assistenz wahrnehmen kann. Wie bei allen warnenden Systemen ergibt sich auch für einen warnenden STOP-Schild-Assistenten die Notwendigkeit, dass der als Warndilemma bezeichnete Zielkonflikt zwischen spätestmöglichem Warnzeitpunkt und Quote der zu erwartenden Fehlwarnungen beherrschbar ist. Wesentliche Herausforderung in der sensorunabhängigen Umsetzung eines STOP-Schild-Assistenten ist demnach die rechtzeitige Erkennung, dass der Fahrer nicht die Absicht hat, vor Einfahren in die Kreuzung an der Haltelinie anzuhalten.
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F
Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Eine zusätzliche Herausforderung ergibt sich aus dem im realen Straßenverkehr häufig anzutreffenden Fahrverhalten an STOP-Schildern. Während gemäß StVO immer ein vollständiger Fahrzeugstillstand vorgeschrieben ist, wird dieses Gebot erfahrungsgemäß von einem Teil der Fahrer in der Praxis großzügig ausgelegt. Die Geschwindigkeit wird, wenn es der Verkehr auf der vorfahrtsberechtigten Straße zulässt, nur reduziert, und auf den Fahrzeugstillstand wird bewusst verzichtet. Dies würde zu einer Vielzahl verkehrsrechtlich richtiger, aber sicherheitstechnisch zunächst nicht erforderlicher Warnungen führen. Die Vermeidung dieser unnötigen und störenden Warnungen bedingt daher zusätzlich eine Unterscheidung zwischen versehentlicher und vorsätzlicher STOP-Schild-Überfahrt.
37.2.2 Ampelassistenz Als Ampelassistenz wird im Folgenden die Unterstützung des Fahrers bei der Annäherung bzw. beim Warten an einer Kreuzung mit Lichtsignalanlage verstanden. Aus den Daten der Unfallforschung lässt sich ableiten, dass rund die Hälfte aller Kollisionen an ampelgeregelten Kreuzungen durch einen Zusammenstoß mit einem Fahrzeug, „das einbiegt oder kreuzt“ (amtliche Unfallart 5), und bis zu einem weiteren Viertel aller Unfälle durch einen Zusammenstoß mit einem Fahrzeug, „das vorausfährt oder wartet“ (amtliche Unfallart 2), geschieht [6]. Während erstere Kollisionen (Querverkehrsunfall) hauptsächlich durch eine Rotlichtmissachtung verursacht werden, geschehen letztere (Auffahrunfall) überwiegend durch unterschiedliche Einschätzung der Fahrtmöglichkeiten bei Phasenwechseln (insbesondere von grün auf gelb). Es ist ein bekanntes Ziel, mittels verschiedener Maßnahmen Rotlichtmissachtungen und damit Unfälle zu vermeiden, jedoch hat sich teilweise gezeigt, dass durch Rotlichtblitzer eine Verringerung der Querverkehrsunfälle mit einer Erhöhung der Auffahrunfälle erkauft wurde [5]. Sowohl aus Gründen der Verkehrssicherheit als auch des Verkehrsflusses bieten Lichtsignalanlagen Potenzial für verschiedene unterstützende Maßnahmen. Assistenz ohne Infrastrukturmaßnahmen: Um die Kritikalität des plötzlichen Phasenwechsels von grün auf gelb zu entschärfen, wird praktisch eine zusätzliche kurze Phase in den Zyklus eingefügt. In der DDR gab es beispielsweise eine grün-gelbe, in Österreich gibt es eine grün blinkende Zwischenphase. Dem Fahrer wird dadurch mehr Zeit für das Fällen der richtigen Entschei-
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dung (Anhalten oder Durchfahren) gegeben, was jedoch die Durchlassfähigkeit der Kreuzung verringert. Damit kann die Problematik der Auffahrunfälle adressiert werden, die der Rotlichtüberfahrt jedoch weniger. Assistenz über externe Infrastrukturmaßnahmen: Ebenfalls mit dem Ziel, die Kritikalität bei der Entscheidung Anhalten oder Durchfahren zu verringern, existiert beispielsweise in den USA der Ansatz, farbliche Markierungen mit definiertem Abstand zur Haltelinie der Lichtsignalanlage (LSA) auf die Fahrbahn aufzubringen [22]. Passiert der Fahrer mit Auslegungsgeschwindigkeit diesen Entscheidungsbereich, bevor die Ampelphase auf gelb wechselt, kann er sie noch bei gelb überfahren, andernfalls nicht. Diese statische Methode erfordert geringen infrastrukturellen Aufwand, die Zuverlässigkeit sinkt allerdings bei deutlicher Abweichung von der Auslegungsgeschwindigkeit. Weiterhin wird die Länge der Gelbphase fixiert. Ein weiterer Ansatz ist der Einsatz von Sekundenanzeigen für die Restzeit einer Phase (z. B. USA oder Taiwan). Damit ist es dem Fahrer frühzeitig möglich, sich auf einen bevorstehenden Phasenwechsel vorzubereiten. Nachteilig ist, dass der Fahrer in einem ohnehin komplexen Umfeld eine zusätzliche Information verarbeiten muss. Das Hauptproblem der Abschätzung von Fahrtmöglichkeiten bleibt damit bestehen, und kritische Manöver (Überqueren bei rot/ unnötige Verzögerungen bei gelb) werden dadurch nicht vermieden. Assistenz mittels interner Infrastrukturmaßnahmen: Für ein Assistenzsystem, das Rotlichtmissachtungen vermeiden und den Fahrer während der Annäherung unterstützen soll, ergeben sich zusätzliche Anforderungen. Zwar sind ähnlich dem STOP-Schild-Assistenten zunächst keine Informationen über andere Verkehrsteilnehmer erforderlich. Dafür ergibt sich ein zusätzlicher Informationsbedarf über Daten aus der Lichtsignalanlage. Darunter fallen neben statischen Parametern wie der Position der Haltelinie, der Kenntnis des Betriebszustands und der aktuellen Phase auch Informationen über anstehende Phasenwechsel, die z. B. durch Verwendung von Infrastruktur-Fahrzeug-Kommunikation übermittelt werden können [10], [15]. Liegen diese vor, so ist das Vorgehen zur Vermeidung von Rotlichtüberfahrten aus der Annäherung weitestgehend vergleichbar mit der Vermeidung von ungebremsten STOP-SchildDurchfahrten. Zusätzlich ist eine Einfahrt in die Kreuzung durch den Ampelassistenten für die
37 Kreuzungsassistenz
gesamte Dauer der Rotphase zu unterbinden. Dies umfasst demnach auch die Warnung des Fahrers zur Vermeidung von Rotlichtüberfahrten durch Anfahren aus dem Stillstand, beispielsweise zur Vermeidung des sog. Mitzieheffekts an Kreuzungen, an denen gleichgerichtete Fahrstreifen unterschiedlich signalisiert werden. Ähnlich wie bei der Diskussion des STOP-Schildassistenzsystems muss ein Ampelassistenzsystem ggf. die vorsätzliche Rotlichteinfahrt ohne unangebrachte Warnungen ermöglichen. Dies ist z. B. der Fall, wenn Platz für ein Einsatzfahrzeug mit Sondersignal geschaffen werden muss. Der Fahrer ist in einer solchen Situation bereits über Gebühr gestresst und sollte demnach nicht durch zusätzliche Systemausgaben belastet werden. Neben den genannten Warnfunktionen zur Vermeidung von Rotlichtüberfahrten lassen sich durch einen Ampelassistenten auch informierende Funktionen mit sowohl Sicherheits- als auch Komfortaspekten realisieren. So ist es bereits in einer frühen Phase der Annäherung an die Kreuzung möglich, eine Aussage über die zu erwartende Signalstellung beim Erreichen zu treffen und mittels Geschwindigkeitsempfehlungen (innerhalb der zulässigen Höchstgeschwindigkeit) bzw. Anhalteinformationen den Annäherungsvorgang hinsichtlich Sicherheit und Effizienz zu optimieren. Es ist bekannt, dass bei der ungestörten Annäherung (d. h. ohne Vorderfahrzeuge) an eine grün zeigende Ampel je etwa ein Drittel aller Fahrer – die Geschwindigkeit erhöht, um die Ampel noch bei grün zu passieren, – die Geschwindigkeit reduziert, um im Falle des Umschaltens „mehr Zeit (Weg) zum Entscheiden zu haben“, – mit konstanter Geschwindigkeit weiterfährt [13]. Ersteres ist unter sicherheitstechnischen Aspekten und aus Sicht des Kraftstoffverbrauchs kritisch, während die Reduktion der Geschwindigkeit (Fall 2) im Hinblick auf die allerorts bereits erreichte Kapazitätsgrenze des Verkehrsraums ungünstig erscheint. Der Einsatz von Assistenzfunktionen auf Basis interner Infrastrukturmaßnahmen ermöglicht es somit, neben Sicherheits- und Komfortaspekten auch aktuelle Probleme des Verkehrsflusses und die Energieverbrauchs- und Emissionsproblematik positiv zu beeinflussen.
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37.2.3 Einbiege-/Kreuzenassistenz Als Einbiege-/Kreuzenassistenz wird im Folgenden die Unterstützung des wartepflichtigen Fahrers beim Einbiegen in und beim Queren einer Vorfahrtsstraße verstanden. Adressiert werden Unfälle an Kreuzungen mit Vorfahrt achten (Zeichen 205 StVO – Vorfahrt gewähren!) und Rechts-vor-LinksRegelung. Wie bei anderen Systemen unterteilen sich die Unfälle beim Einbiegen und Kreuzen in Unfälle mit und ohne Fahrzeugstillstand an der Haltelinie bzw. Sichtlinie. Ein grundlegender Unterschied zur Ampel- oder STOP-Schild-Assistenz besteht darin, dass das wartepflichtige Fahrzeug nur dann anhalten muss, wenn vorfahrtsberechtigter Querverkehr vorhanden ist. Andernfalls kann die Kreuzung ohne Stopp passiert werden. Daher werden als Grundlage für die Einbiege-/Kreuzenassistenz neben Positions- und Bewegungsdaten des wartepflichtigen Fahrzeugs Informationen über eventuell vorfahrtsberechtigten Querverkehr benötigt. Möglichkeiten der Realisierung sind: 1. Assistenz mit Intelligenz in der Infrastruktur: Um eine Unterstützung des wartepflichtigen Fahrers beim sicheren Einbiegen/Kreuzen aus dem Stillstand zu ermöglichen, wird beispielsweise der Rural Intersection Decision Support [4] eingesetzt. Grundlage dieses Systems sind Radarsensoren, die Position und Geschwindigkeit der Fahrzeuge auf der Hauptstraße erfassen. Hieraus werden die Zeitabstände zwischen den Fahrzeugen auf der Hauptstraße bestimmt. Außerdem erfolgt eine Vorhersage, wann diese Fahrzeuge den Kreuzungsbereich erreichen werden. Wartepflichtige Fahrzeuge an der Haltelinie werden über ein Kamerasystem erfasst und kategorisiert. Auf Basis dieser Informationen wird entschieden, ob sicheres Einbiegen/Kreuzen möglich ist. Falls erforderlich, wird eine Warnung für das wartepflichtige Fahrzeug eingeleitet. Als mögliches Schnittstellen-Konzept wird ein herkömmliches STOP-Schild um eine Risikowarnung ergänzt. 2. Assistenz mit Intelligenz im Fahrzeug: Zur Unterstützung des wartepflichtigen Fahrers beim Einbiegen/Kreuzen bereits während der Kreuzungsannäherung sowie beim Anfahren aus dem Stillstand existieren mehrere aktuelle Forschungsansätze (vergleiche beispielsweise [9], [14], [16]), die sich u. a. hinsichtlich der verwendeten Technologien zur Informationsgewinnung unterscheiden. Bei einigen Systemen basiert die Umfelderfassung auf fahrzeugautonomer OnBoard-Sensorik. So wird in [13] eine Kombina-
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
tion aus Laserscanner, Videosystem und einer hochgenauen digitalen Karte verwendet. Andere Ansätze stützen sich bezüglich der erforderlichen Informationen über andere Verkehrsteilnehmer auf Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation [14]. Grundlage hierzu ist neben einer geeigneten Kommunikationslösung ein System zur Generierung von Positions- und Fahrdynamikdaten in jedem Fahrzeug, wobei zur Positionsbestimmung meist auf globale Navigationssatellitensysteme (GNSS) zurückgegriffen wird. Unabhängig von der verwendeten Sensor- oder Kommunikationstechnologie erfordert ein System zur aktiven Unfallvermeidung die frühzeitige Identifikation und Bewertung potenziell bevorstehender Kollisionen. Der Entscheidungsprozess, ob ein Systemeingriff auszuführen ist, wird für den Fall des Einbiegens/Kreuzens in zwei Teilaufgaben unterteilt [16]: a) Die Entscheidung, ob bei Einfahrt oder Durchquerung der Kreuzung eine Kollision mit dem Querverkehr droht, falls keine intervenierenden Maßnahmen eingeleitet werden und b) die Erkennung ausbleibender Präventionsmaßnahmen zu einem Zeitpunkt während der Annäherung an die Kreuzung, zu dem der Eintritt des eigenen Fahrzeugs in die Konfliktzone noch vermieden werden kann. Einige Ansätze zur Situationsbewertung sind in Abschnitt 7.8.3 genauer beschrieben. Sind unfallvermeidende Maßnahmen zur Unterstützung des Fahrers in der vorliegenden Gefahrensituation erforderlich, erlauben situationsadaptiv unterschiedliche Informations- und Warnstufen oder Volleingriffe die Unfallvermeidung. Besonders bei höheren Geschwindigkeiten können potenzielle Gefahrensituationen bereits in einer frühen Phase der Annäherung an die Kreuzung erkannt werden. Somit steht vergleichsweise viel Zeit für eine Fahrerreaktion zur Verfügung. In dieser Situation reicht meist ein visueller Hinweis im HUD als informierende Vor-Warnung auf die bevorstehende Situation. Bleibt eine Reaktion des Fahrers auf die Vorwarnung aus oder wird die Gefahrensituation beispielsweise bei geringeren Fahrgeschwindigkeiten oder aufgrund veränderter Rahmenbedingungen erst später erkannt, so bietet eine Akutwarnung zusätzliches Unfallvermeidungspotenzial. Diese kann beispielsweise aus einem visuellen Hinweis im HUD sowie einer akustischen Warnung bestehen, eventuell ergänzt um eine aktive Anbremsung. Der Teileingriff in Form einer autonomen Anbremsung wird verwendet, um die dem Fahrer für eine Reaktion zur
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Verfügung stehende Zeitspanne zu vergrößern [16]. Dadurch kann die Akutwarnung nach hinten verschoben werden, sodass selbst sportliche Fahrer nicht unnötig gewarnt werden. Fährt das direkt an der Kreuzung stehende Fahrzeug aus dem Stillstand an, so kann ein Einfahren in die Kreuzung durch eine Warnung nicht vermieden werden, da keine Zeit für eine Fahrerreaktion zur Verfügung steht. Für diesen Fall ist eine Kollision durch Unterbinden des Anfahrens bei Fahrpedalbetätigung vermeidbar. Um die Quote der zu erwartenden Fehlwarnungen möglichst gering zu halten, sind die jeweiligen Warnkriterien an das übliche Fahrerverhalten anzupassen (vgl. Abschnitt 37.4). Als zusätzliche Herausforderung ergibt sich die Unterscheidung von Einbiegen oder Kreuzen während der Annäherung an die Kreuzung, da die Fahrzeuge eventuell nicht denselben Kreuzungsbereich durchfahren (beispielsweise wenn sich das vorfahrtsberechtigte Fahrzeug von rechts annähert und das wartepflichtige Fahrzeug nach rechts abbiegt). 3. Assistenz mit Intelligenz im Fahrzeug und Sensoren in der Infrastruktur: Es existieren weitere Ansätze, die zum Teil eine Kombination bereits vorgestellter Ideen beinhalten. So bietet sich nach [21] eine kommunikationsbasierte Kombination aus infrastrukturgebundener Umfelderfassung und fahrzeuggebundenem Assistenzsystem für besonders unfallträchtige Kreuzungen an. An diesen Kreuzungen werden Sensoren zur Erfassung des Verkehrsbildes eingesetzt, deren Informationen dann über ein Kommunikationssystem an beteiligte Verkehrsteilnehmer verbreitet werden. Bedingung für die Nutzung dieser Umfeldinformationen im Fahrzeug ist, dass dieses über eine geeignete Kommunikationstechnologie verfügt. Ein großer Vorteil des Ansatzes, verglichen mit einem reinkommunikationsbasierten Kreuzungsassistenten, besteht darin, dass auch Informationen von nicht mit Funkeinheiten ausgestatteten Fahrzeugen erfasst und verbreitet werden. Hierdurch kann bereits bei einer geringen Ausstattungsrate der Fahrzeuge ein Sicherheitsgewinn erzielt werden, dafür jedoch nur für entsprechend ausgerüstete Kreuzungen.
37.2.4 Linksabbiegeassistenz Als Linksabbiegeassistenz wird im Folgenden die Unterstützung des Fahrers bei der Durchführung eines Abbiegemanövers, d. h. bei der Konfliktsi-
37 Kreuzungsassistenz
tuation mit entgegenkommenden Verkehrsteilnehmern, verstanden. Der amtliche Unfalltyp Abbiegeunfall umfasst eine Vielzahl solcher Situationen, wohingegen der Fokus in diesem Kontext auf der Vermeidung des Zusammenstoßes eines nach links abbiegenden Fahrzeugs mit einem Fahrzeug im Gegenverkehr liegt. Als Hauptursachen von Abbiegeunfällen werden in unterschiedlichen Untersuchungen (beispielsweise [8], [19]) die Fehleinschätzung von Abstand und Geschwindigkeit des Gegenverkehrs, das Übersehen von Fahrzeugen (insbesondere fallen Zweiräder vor größeren Pkws/Lkws kaum auf) sowie Sichtbehinderung durch ebenfalls abbiegenden Gegenverkehr genannt. Das Abbiegen stellt aufgrund der Komplexität des Fahrmanövers eine Herausforderung für den Fahrer dar. Für ein Assistenzsystem kommt erschwerend der Umstand hinzu, dass im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Systemen kein eindeutig definierter Abbiegepunkt existiert, was zu einer Vielzahl möglicher Trajektorien führt. Demzufolge ist der Analyse des Fahrerverhaltens und der Prädiktion des Abbiegewunsches große Bedeutung beizumessen. Insbesondere das geringe Raumbudget erschwert eine sinnvolle Assistenzstrategie, da unbedingt zu vermeiden ist, dass das Fahrzeug zu weit in den gegnerischen Fahrstreifen als potenzielle Konfliktzone hineinragt. Je flacher nun die Abbiegetrajektorie verläuft und je später demzufolge die Abbiegeabsicht sicher detektiert werden kann, desto näher ist das Fahrzeug schon an der (gedachten) Mittellinie und desto geringer sind die Hilfsmöglichkeiten eines Assistenzsystems [18]. Wie bereits für den STOP-Schild-Assistenten ist auch für das Links-Abbiegen eine Unterscheidung zwischen Unfällen, die sich durch Anfahren nach einem Fahrzeugstillstand ereigneten und solchen ohne vorigen Fahrzeugstillstand retrospektiv nicht immer möglich. Entsprechende Untersuchungen der Unfallzahlen [3], [18] zeigen, dass beide Szenarien einen relevanten Anteil am Unfallgeschehen im Kreuzungsbereich haben. Aus Sicht eines Linksabbiegeassistenzsystems stellen sich diese Situationen wie folgt dar: Der Fahrer hält sein Fahrzeug in der Kreuzungsmitte an, wo er einen ausreichenden Blick für eventuelle, ausreichend große Lücken im Gegenverkehr hat. Der Vorteil dieser Situation ist aus Sicht eines Assistenzsystems, dass der Abbiegewunsch nun mit nahezu 100 %iger Sicherheit erkennbar ist [1], [18]. Beim Warten auf eine Abbiegemöglichkeit wird der Fahrer rein visuell über potenziell gefährlichen Gegenverkehr
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informiert und bei der Wahl einer ausreichend bemessenen Lücke unterstützt. Zur Übermittlung dieser Informationen eignet sich erneut ein HUD, da der Fahrer dadurch sowohl externe als auch interne Informationen nahezu gleichzeitig erfassen kann. Nachteilig an dieser Situation ist, dass sich das Fahrzeug bereits sehr nah an der Konfliktzone befindet und dem Fahrer somit kein ausreichendes Zeitbudget für die Reaktion auf eine Warnung zur Verfügung steht, sollte der Fahrer trotz Gegenverkehr anfahren. In diesem Fall wird in einem autonomen Eingriff in der Form eines – vom Fahrer übersteuerbaren – Festhaltens des Fahrzeugs Potenzial zur Unfallvermeidung gesehen. Der Fahrer nähert sich einer Kreuzung, an der er links abbiegen möchte, und erkennt eine Lücke im Gegenverkehr, um ohne anzuhalten abbiegen zu können. Das entscheidende Problem aus Assistenz-Sicht ist, dass für ein System das eigentliche Abbiegen erst zu erkennen ist, wenn Lenkradwinkel und -geschwindigkeit bestimmte Schwellenwerte überschreiten [18]. Hieraus wird deutlich, dass für eine Information über den Gegenverkehr, wie sie für das Abbiegen aus dem Stillstand eingesetzt wird, aufgrund der Notwendigkeit eines unmittelbaren Eingriffs keine Zeitreserve mehr besteht. Auch eine Warnung ist hier häufig nicht mehr zielführend. In diesem Anwendungsfall erscheint eine – vom Fahrer übersteuerbare – Abbremsung des Fahrzeugs zur Unfallvermeidung geeignet, was aufgrund der möglichen Auswirkungen von False-Positives eine hohe Zuverlässigkeit der zur Verfügung stehenden Informationen voraussetzt. Für beide Situationen ist bei der Bewertung der Lücken im Gegenverkehr die übliche Beurteilung dieser Lücken durch den Fahrer zu berücksichtigen. Ein Vergleich verschiedener Studien zu diesem Punkt ergibt nach [1], [18], dass die Bewertung der Zeitlücken im Gegenverkehr durch den Fahrer von einer Vielzahl teils kreuzungsabhängiger Faktoren beeinflusst wird und dass die Größe akzeptierter Lücken daher einer großen Streuung (zwischen 4 s und 14 s) unterliegt. Die erforderlichen Eingangsgrößen eines Linksabbiegeassistenten umfassen insbesondere die Fahrzustandsgrößen des Gegenverkehrs. Wird für die Prädiktion des Abbiegens ein Fahrermodell eingesetzt, das, wie in [18] beschrieben, den Einfluss der Kreuzung auf das Fahrerverhalten berücksichtigt, kommen weitere kreuzungsspezifische Informationsanforderungen hinzu.
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
37.3 Situationsbewertung Für jedes der dargestellten Kreuzungsassistenzsysteme ergibt sich die Fragestellung, ob der Fahrer die Absicht hat, einen charakteristischen Punkt (Haltelinie bzw. Einfahren in Kreuzung oder Gegenverkehr) zu überfahren, oder ob er das Fahrzeug selbstständig an oder vor diesem Punkt zum Stillstand bringen wird. Diese Fragestellung kann für eine STOP-Schild-Assistenz aufgrund der fest vorgegebenen Haltelinie und des immer bestehenden Haltegebots durch eine Verknüpfung unterschiedlicher Indikatoren in einer vergleichsweise frühen Phase der Annäherung an die Kreuzung beantwortet werden [17]. Ähnliches ist für einen Ampel-Assistenten zu erwarten [15]. Für Einbiege-Kreuzen-Assistenz wird diese Fragestellung dadurch erschwert, dass der Fahrer die Entscheidung, ob er anhalten wird, erst in einer vergleichsweise späten Phase der Annäherung an die Kreuzung trifft, da ihm eine Beurteilung des Querverkehrs (beispielsweise aufgrund von Sichtbehinderungen) zuvor meist nicht möglich ist. Dementsprechend ist von einem Querverkehrsassistenten auch die Möglichkeit einer Umentscheidung des Fahrers zu berücksichtigen. Eine einmal getroffene Aussage über den Haltewunsch des Fahrers muss unter Umständen zu einer späteren Phase der Annäherung korrigiert werden. Um dieser Unkenntnis des Fahrers während der Annäherung Rechnung zu tragen, ist die Notwendigkeit einer Warnung für einen Einbiege-Kreuzen-Assistenten daher kontinuierlich zu prüfen [16]. Ähnliches gilt auch für die Erkennung des Fahrerwunschs beim Abbiegen, wobei hier der zusätzliche Freiheitsgrad der unbekannten Halteposition zu berücksichtigen ist. Die Systeme zur Abbiege- und Einbiegen-/Kreuzenassistenz erfordern zusätzlich eine Bewertung der Verkehrssituation in Bezug auf andere Verkehrsteilnehmer. Ziel dieser Bewertung ist eine Aussage über die Gefahr einer Kollision mit anderen Fahrzeugen. Neben einer Prädiktion des künftigen Fahrerverhaltens sowohl für das eigene Fahrzeug als auch für andere beteiligte Verkehrsteilnehmer
erfordert dies eine Abstraktion der Problematik, um die Gefahr einer Kollision zu quantifizieren. Zwei mögliche Ansätze werden im Folgenden kurz vorgestellt. Eine Möglichkeit, Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern zu erkennen, ist die Darstellung der Situation mithilfe von 3D-Trajektorien. Dieser Ansatz findet in einem prototypischen Linksabbiegeassistenten Verwendung [18]. In einem kreuzungsfesten Koordinatensystem wird neben zwei räumlichen Größen x und y als dritte Dimension die Zeit dargestellt, die ein Fahrzeug bis zum Erreichen des durch die zugehörigen x/y-Werte definierten Punkts benötigt. Somit ergeben sich für jedes beteiligte Fahrzeug dreidimensionale Wolken. Eine Kollision ist möglich, wenn es zu einem Schnittbereich der Wolke des eigenen und der eines fremden Fahrzeugs kommt. Eine alternative Darstellung des gleichen Zusammenhangs ermöglicht die 't-Karte, wie sie im Einbiege-Kreuzen-Assistenten aus [16] eingesetzt wird. In der dritten Dimension des Koordinatensystems wird anstelle der Brutto-Zeiten für einzelne Fahrzeuge nur noch die Zeitdifferenz 't zwischen eigenem Fahrzeug und einem möglichen Kollisionspartner dargestellt. Unterschreitet |'t| eine vom Fahrer gerade noch akzeptierte Zeitdifferenz (beispielsweise zwischen Ego-Fahrzeug und Querverkehr), so ist eine Warnung auszugeben.
37.4 Geeignete Warn- und Eingriffsstrategien Ordnet man die beschriebenen Systeme der Reihe nach hinsichtlich des verfügbaren Zeit- und Raumbudgets vor der sicheren Bestimmung einer kritischen Situation an, so sinkt in gleichem Maße die Möglichkeit, mittels reiner Informationen die Situation zu entschärfen (ausgenommen Anfahren aus dem Fahrzeugstillstand, hier ist das Raum/Zeitbudget für alle Systeme gleichermaßen klein). Dieser Zusammenhang ist im Bild 37-3 dargestellt.
Bild 37-3: HMI-Lösungen für Kreuzungsassistenzsysteme im HUD [10]
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37 Kreuzungsassistenz
Explizite Warnungen werden notwendig bzw. das Potenzial für autonome Eingriffe steigt. In den vorangegangenen Kapiteln wurde im Zusammenhang mit Fahrer-Warnungen bereits das so genannte Warndilemma erwähnt. Als Warndilemma wird im Bereich der Fahrerassistenz allgemein der Zielkonflikt zwischen der Wirksamkeit einer Warnung und den zu erwartenden Fehlwarnungen bezeichnet. Dieser ergibt sich aus der Problematik, dass eine effektive Warnung aufgrund der zu erwartenden Reaktionszeit des Fahrers bereits zu einem Zeitpunkt erfolgen muss, zu dem noch eine selbstständige Fahrerreaktion auf die bevorstehende Gefahrensituation möglich ist. Eine Möglichkeit zur Warnung ohne das Risiko, den Fahrer durch häufige Fehlwarnungen (so genannte False Positives) zu stören, besteht demnach nur, wenn sich bei der überwiegenden Zahl der Fahrer bereits vor dem spätestmöglichen Warnzeitpunkt Indizien auf eine selbstständige Reaktion finden lassen. Demnach ist für die Umsetzung eines Warnsystems im Fahrzeug zunächst eine Untersuchung des „typischen“ Fahrerverhaltens erforderlich, um sicherzustellen, dass das Warndilemma für das vorliegende Szenario beherrschbar ist. Häufig ist dies nur für einen Teil der betrachteten Verkehrssituationen der Fall. So ergibt sich für einen EinbiegeKreuzen-Assistenten, dass eine Aussage, ob der Fahrer nicht mehr selbstständig anhalten wird, nur oberhalb einer gewissen Mindestgeschwindigkeit möglich ist [16]. Unterhalb dieser Geschwindigkeit nimmt die Zuverlässigkeit einer entsprechenden Aussage rapide ab, wodurch die Anzahl der zu erwartenden False-Positives auf nicht mehr akzeptable Werte ansteigen würde. Derartige Grenzen lassen sich teilweise durch die Wahl der Warnstrategie beeinflussen. Eine Möglichkeit ist, die Warnung um eine aktive Teilbremsung zu ergänzen [16]. Durch die Teilbremsung wird bereits während der Reaktionszeit des Fahrers Geschwindigkeit abgebaut. Dies vergrößert die dem Fahrer effektiv zur Verfügung stehende Reaktionszeit, wodurch die Warnschwelle „sportlicher“ ausgelegt werden kann. Zu den Situationen, in denen selbst durch einen Teileingriff keine wirksame Unfallvermeidung möglich ist, gehört unabhängig von der vorherrschenden Vorfahrtsregelung das Anfahren aus dem Stillstand. So steht beim Einbiegen/Kreuzen an Kreuzungen, an denen der Fahrer aufgrund von Sichtbehinderung direkt an der Sichtlinie anhält, meist kein Weg mehr für eine Reaktion des Fahrers auf eine eventuelle Warnung zur Verfügung. Für den Fall des Abbiegens gilt dies häufig sogar für das
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fahrende Fahrzeug (vgl. Abschnitt 37.2.4). Für diese Szenarien lässt sich ein Eintreten des Fahrzeugs in die Konfliktzone nur noch durch einen autonomen Eingriff vermeiden. Geeignet erscheint hierzu das Unterbinden des Anfahrens bei gleichzeitiger Warnung des Fahrers. Um Systemmissbrauch vorzubeugen, ist es zweckmäßig, das Fahrpedal erst nach vollständigem Lösen wieder freizugeben. Eine weitere Möglichkeit, die sich aus dem Fahrerverhalten ergebenden Grenzen zu verschieben, besteht darin, für besonders kritische Situationen eine Toleranzzone vorzusehen. Ein prototypisch umgesetzter Linksabbiegeassistent beispielsweise vermeidet das Eindringen in den Fahrstreifen des Gegenverkehrs selbst unter Verwendung einer autonomen Notbremsung nur in etwa 80 % der Fälle, jedoch kommt das Ego-Fahrzeug für 95 % der Versuchsfahrten so zum Stehen, dass die Eindringtiefe in den Gegenverkehr kleiner gleich 20 cm ist, sodass auch hier von einer Vermeidbarkeit des Unfalls ausgegangen wird [18]. Für alle genannten Teil- und Volleingriffe gilt, dass der Fahrer in der Lage sein muss, sie zu übersteuern. Eine Möglichkeit hierzu ist die Verwendung der Kick-Down-Stellung des Fahrpedals. So kann der Fahrer beispielsweise das Festhalten des Fahrzeugs ohne die Betätigung zusätzlicher Bedienelemente übersteuern.
37.5 Herausforderungen bei der Umsetzung Die Unfalldatenanalyse verdeutlicht, dass im Kreuzungsbereich ein vergleichsweise hohes Potenzial zur Erhöhung der Verkehrssicherheit besteht, insbesondere, da derzeit kein Seriensystem zur Kreuzungsassistenz verfügbar ist. Ein möglicher Grund hierfür ist die vergleichsweise komplexe Verkehrssituation im Kreuzungsbereich, die hohe Anforderungen an die benötigte Umfeldsensorik stellt. Abhängig von der umzusetzenden Assistenzfunktion ergeben sich Informationsanforderungen, die sich mit aktuellen Seriensensoren nicht oder nur teilweise erfüllen lassen. Entsprechend leiten sich Einschränkungen an die realisierbaren Assistenzfunktionen ab. Während für die Umsetzung des beschriebenen STOP-Schild-Assistenten die Kenntnis über die vorliegende Verkehrsregelung und über den Abstand zur Haltelinie ausreichen, erfordern die beschriebenen Systeme zur Abbiege- oder Einbiege-KreuzenAssistenten zusätzliche Informationen über Position und Fahrzustandsgrößen anderer Fahrzeuge im
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
vorfahrtsberechtigten Verkehr sowie grundlegende Daten über die Geometrie der vorliegenden Kreuzung. Geometrie, Position und Vorfahrtsregelung der Kreuzung ließen sich beispielsweise in einer digitalen Karte vermerken (mit den bekannten Problemen hinsichtlich der Aktualität des Kartenmaterials). Die Herausforderung aus Sicht der Sensorik liegt in der Bestimmung der Position des eigenen Fahrzeugs und in der Erkennung des Fremdverkehrs. Letzteres erweist sich unter Verzicht auf Kommunikation insbesondere im Fall von Sichtbehinderung als große Einschränkung für Systeme zur Einbiegen-/Kreuzen- und Abbiegeassistenz. Dann nämlich ist der Nutzen autarker Umfeldsensoren (Radar, Lidar oder Video) begrenzt, da durch Objekte wie parkende Fahrzeuge je nach Unfallszenario auch der Erfassungsbereich der Sensoren eingeschränkt wird. Hier werden die Vorzüge von Kommunikationslösungen deutlich, die den Informationsaustausch zwischen Fahrzeugen ungeachtet von parkenden Fahrzeugen etc. ermöglichen. Ein spürbarer Sicherheitsgewinn ist in diesem Fall jedoch erst zu erwarten, wenn ein relevanter Anteil der Fahrzeuge oder Kreuzungen mit entsprechenden Kommunikationssystemen ausgerüstet ist. Stehen alle erforderlichen Informationen zur Verfügung, so ergeben sich aus der Genauigkeit dieser Daten zusätzliche Einschränkungen für die vermeidbaren Unfalltypen. Am Beispiel der Haltewunscherkennung des vorgestellten EinbiegeKreuzen-Assistenten ist dieser Zusammenhang im Bild 37-4 qualitativ dargestellt [16]. Abgebildet sind das Anhalteverhalten eines eher sportlichen Fahrers, der geschwindigkeitsabhängige Brems-
weg des Fahrzeugs bei als konstant angenommener Verzögerung (ax = 8 m/s2) und der Anhalteweg des Fahrzeugs. Dieser Anhalteweg entspricht dem spätestmöglichen Warnpunkt bei Einsatz einer Teilbremsung und setzt sich vereinfacht aus dem während der Reaktionszeit des Fahrers teilverzögert zurückgelegten Weg (T R = 1 s; ax = 2 m/s2) und dem Bremsweg zusammen. Die Abbildung zeigt, dass sich das Anhalteverhalten des eher sportlichen Fahrers mit abnehmendem Abstand zur Kreuzung näher an die Kurve des spätestmöglichen Warnpunktes anschmiegt und diese sogar schneidet. Dementsprechend ist das Warndilemma für diesen Fahrertyp nur oberhalb der durch diesen Schnittpunkt gegebenen Mindestgeschwindigkeit beherrschbar. Ergeben sich nun Ungenauigkeiten in der Bestimmung von Abstand und Geschwindigkeit (in der Abbildung durch Rechtecke dargestellt), so ist dies bei der Auswahl eines geeigneten Warnkriteriums zu berücksichtigen. Für den im Bild 37-4 dargestellten Fall bedeutet dies, dass die Mindestgeschwindigkeit, unterhalb derer keine rechtzeitige Aussage über die Notwendigkeit einer Warnung möglich ist, mit zunehmender Ungenauigkeit der genannten Eingangsgrößen ansteigt. Ein ähnlicher Zusammenhang ergibt sich bei der Berücksichtigung anderer Verkehrsteilnehmer. Auch hier ergeben sich mit abnehmender Fahrzeuggeschwindigkeit höhere Sensoranforderungen [16]. Zusätzliche Bedingung für eine Verringerung der Unfallzahlen an Kreuzungen ist, dass der Fahrer tatsächlich bereit ist, Systeme zur Kreuzungsassistenz zu nutzen. Daher ist bereits in einer frühen Entwicklungsphase sicherzustellen, dass der Fahrer
Bild 37-4 Auswirkung von Sensorungenauigkeiten auf die Warnschwellen eines Einbiege-/Kreuzenassistenten
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die beschriebenen Systemfunktionen annimmt und akzeptiert. Für die vorgestellten Funktionen erfolgte dies beispielsweise in Probandenversuchen im dynamischen Fahrsimulator der BMW Group. Um die Systemauslegungen hinsichtlich Wirksamkeit und Mensch-Maschine-Interaktion zu evaluieren, eignen sich verkehrspsychologisch fundierte Nutzeruntersuchungen. Ein generelles und sinnvolles Vorgehen besteht aus einer Kombination aus Fahraufgabe und anschließender Befragung, wie es für Kreuzungsassistenzsysteme in [7] durchgeführt wurde. Die im Rahmen dieser Versuche gewonnenen Daten lassen erste Abschätzungen hinsichtlich Sicherheitserhöhung, Entlastungspotenzial für den Fahrer, aber auch hinsichtlich möglicher Risikokompensation zu. Im Rahmen aktueller Forschungsprojekte existieren zudem prototypisch umgesetzte Kreuzungsassistenzsysteme im Fahrzeug. Die aufgeführten Funktionalitäten adressieren jeweils nur einen Teil des Unfallgeschehens im Kreuzungsbereich. Ausblickend erscheint die Integration unterschiedlicher kreuzungsspezifischer Assistenzfunktionen in einem Kreuzungsassistenzsystem sinnvoll. Einerseits ergeben sich Synergieeffekte hinsichtlich der erforderlichen Technologien, andererseits ist die Unterstützung des Fahrers durch ein einheitliches Human-Machine-Interface (HMI) möglich. Als Ergebnis des Projekts PReVENT sind erste Schritte in diese Richtung erkennbar [10].
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F 38 Bahnführungsassistenz Karlheinz Dörner, Eberhard Hipp, Walter Schwertberger für Nutzfahrzeuge Ergänzend zu den vorangegangenen Kapiteln der Bahnführungsassistenz wird in diesem Abschnitt auf die speziellen Merkmale der Bahnführungsassistenz für Nutzfahrzeuge eingegangen. Mit Nutzfahrzeugen sind hier insbesondere schwere Lastkraftwagen, z. B. Sattelzugmaschinen, und Busse zur Personenbeförderung gemeint. Statistisch betrachtet zählen Reisebusse mit zu den sichersten Verkehrsmitteln im Straßenverkehr. Kommt es jedoch zu einem Unfall, so besteht im Vergleich zum durchschnittlich mit 1,2 Personen besetzten Personenkraftwagen ein erheblich höheres Unfallschadenspotenzial aufgrund der deutlich höheren Anzahl an Passagieren. Hinsichtlich der bewegten Massen besteht bei schweren Nutzfahrzeugen aufgrund der kinetischen Energie bei einem Unfall ebenfalls ein höheres Unfallschadenspotenzial im Vergleich zu Personenkraftwagen. Dies gilt insbesondere beim Transport von Gefahrgütern. Passive Sicherheitsmaßnahmen erreichen bei schweren Nutzfahrzeugen schnell ihre physikalischen Grenzen. Im Gegensatz dazu können aktive Sicherheitssysteme speziell für Nutzfahrzeuge wesentlich zur weiteren Steigerung der Verkehrssicherheit und der Minimierung von Unfallfolgen beitragen. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die am Markt verfügbaren Bahnführungsassistenzsysteme und deren nutzfahrzeugspezifische Merkmale. Fahrerassistenzsysteme leisten einen wertvollen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. Zu diesem Resultat kommt z. B. die wissenschaftliche Analyse von Unfällen mit Beteiligung schwerer Nutzfahrzeuge, die gemeinsam von Allianz Zentrum für Technik und MAN Nutzfahrzeuge im Rahmen des Projekts „Safe Truck“ durchgeführt wurde [1]. In diesem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt wurden Technologien für aktive, vorausschauende Sicherheitssysteme entwickelt. Künftig in Nutzfahrzeugen eingesetzt, sollen sie Unfälle vermeiden bzw. deren Folgen mindern.
38.1 Anforderungen an die Fahrer von Nutzfahrzeugen Die Fahrer der hier angesprochenen Nutzfahrzeuge sind, im Gegensatz zu Fahrern von Personenkraft-
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wagen, Berufskraftfahrer. Das bedeutet zum einen, dass diese Fahrer am Steuer der Nutzfahrzeuge ihren Arbeitsplatz haben; daher ist auch der Begriff Fahrerarbeitsplatz geläufig. Die Fahrer gehen in der Regel pro Arbeitstag ca. neun Stunden ihrer Fahraufgabe nach. Dies verdeutlicht, wie wichtig eine ergonomische Gestaltung des Fahrerarbeitsplatzes ist und beispielsweise eine Klimaanlage in einem Lkw nicht als Luxus für den Fahrer angesehen werden kann, sondern zur Erhaltung der täglichen Fahrerkondition und somit auch zur Fahrsicherheit beiträgt. Zum anderen ist für viele Berufsfahrer der Lkw gleichzeitig auch Wohn- und Schlafraum. Dies ist ein wesentliches Merkmal beim Wohnraumdesign von Lkws, die im Fernverkehr eingesetzt werden. Denn nur ein gut ausgeruhter Fahrer kann seine tägliche Fahraufgabe souverän und sicher bewältigen. So ist neben einem qualitativ hochwertigen Bett auch eine gute Geräuschdämmung ein wesentlicher Faktor. Häufig sind Rastplätze so angeordnet, dass die Fahrer ihren Lkw stirnseitig mit dem Fahrerhaus zur Autobahn hin abstellen müssen. Für den Fahrer ist die Kombination aus Wohn- und Arbeitsplatz entscheidend, da die Lenk- und Ruhezeiten exakt vorgegeben sind (vgl. Tabelle 38-1). Die Lenk- und Ruhezeiten von Fahrern sowie die Fahrgeschwindigkeiten werden in digitalen Fahrtenschreibern (EG-Kontrollgerät) registriert. Mithilfe dieser EG-Kontrollgeräte kann die Fahrtätigkeit der Fahrer überwacht werden (vgl. Bild 38-1). Aufgrund enger Terminpläne, moderner Just-in-SequenceKonzepte und stetig wachsendem Güterverkehrsaufkommen sind die Fahrer heute erheblichem Druck ausgesetzt. Da die Park- und Rastplätze für Lkws in der Vergangenheit nicht entsprechend dem gestiegenen Verkehrsaufkommen erweitert wurden, ist es für Lkw-Fahrer nicht einfach, zu einem geeigneten Zeitpunkt einen freien Parkplatz zu finden. Hinzu kommt bei gleichbleibend konstanter Fahrgeschwindigkeit die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit nach stundenlanger Fahrt nachlässt. Kritische Situationen entstehen, wenn ermüdete Fahrer einen Parkplatz suchen und mangels Parkmöglichkeiten gezwungen sind weiterzufahren – oder von der Polizei aus dem Schlaf geweckt und zur Weiterfahrt aufgefordert werden, weil sie in der Not ihr Fahrzeug außerhalb zulässiger Parkbereiche abgestellt haben. Beim Gütertransport kommt den Fahrern eine hohe Verantwortung zu. Dabei ist nicht nur die ter-
38 Bahnführungsassistenz für Nutzfahrzeuge
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Tabelle 38-1: Zusammenfassung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 über Lenk- und Ruhezeiten (es sei darauf hingewiesen, dass es sich hier lediglich um eine informative Zusammenstellung für dieses Handbuch handelt und dass Fahrer die kompletten Bestimmungen der jeweils gültigen Verordnung zu beachten haben) tägliche Lenkzeit
– maximal 9 Stunden – Erhöhung auf 10 Stunden zweimal pro Woche zulässig
wöchentliche Lenkzeiten
– maximal 56 Stunden pro Woche – maximal 90 Stunden in zwei aufeinander folgenden Wochen
Lenkzeitunterbrechung
– mindestens 45 Minuten nach 4,5 Stunden Lenkzeit – Aufteilung in 1 Abschnitt von 15 Minuten gefolgt von 1 Abschnitt von 30 Minuten zulässig
tägliche Ruhezeit
– mindestens 11 Stunden – Verkürzung auf 9 Stunden zulässig (dreimal zwischen 2 wöchentlichen Ruhezeiten) – Aufteilung in 2 Abschnitte möglich, dann sind aber mindestens 12 Stunden tägliche Ruhezeit einzuhalten; zuerst sind 3, dann 9 Stunden Ruhezeit zu nehmen – bei Mehrfahrerbetrieb mindestens 9 Stunden innerhalb eines Zeitraums von 30 Stunden
wöchentliche Ruhezeit
– mindestens 45 Stunden einschließlich einer Tagesruhezeit – Verkürzung auf 24 Stunden möglich, aber innerhalb von 2 Wochen muss mindestens Folgendes eingehalten werden: a) zwei Ruhezeiten von 45 Stunden oder b) eine Ruhezeit von 45 Stunden zuzüglich einer Ruhezeit von mindestens 24 Stunden (Ausgleich innerhalb von drei Wochen erforderlich) – wöchentliche Ruhezeit ist nach sechs 24-Stunden-Zeiträumen einzulegen
mingerechte Abholung und Anlieferung relevant (mit sehr kurzen Ladezeiten und wenigen Ruhepausen), sondern auch die ausreichende Ladungssicherung und der sichere Transport zum Zielort. Die Fahrer müssen Lkws bzw. Sattelzüge mit bis zu 40 t Gesamtgewicht bei Geschwindigkeiten bis zu 80 km/h sicher im Straßenverkehr bewegen. Es sind spezielle Kenntnisse erforderlich und anzuwenden, um die hohen Lasten auf den Ladeflächen sicher zu verzurren. Fehler können zu gefährlichen Situationen führen. Voll beladene Lkws in Strecken mit Steigungen und Gefälle fahren zu können, erfordert vom Fahrer sowohl Erfahrung als auch technisches Fahrkönnen. Vorausschauendes Schalten ist genauso
notwendig, wie der richtige Einsatz von Dauer- und Betriebsbremsen. In modernen Nutzfahrzeugen wird der Fahrer durch automatisierte Schaltgetriebe und Bremsomat-Funktionen unterstützt. Neben dem technischen Fahrkönnen fordern Fuhrunternehmer einen wirtschaftlichen Fahrstil und setzen spezielle Analysetools ein. Mit deren Hilfe wird die Wirtschaftlichkeit der Fahrweise von Fahrern bewertet. Die Ergebnisse werden teilweise verwendet, um den Fahrern einen gehaltlichen Anreiz zum wirtschaftlichen Fahren zu geben. Hierdurch stehen die Fahrer oft in direktem Konkurrenzdruck zu ihren Kollegen. Im Vergleich zu Pkw-Fahrern sind Lkw-Fahrer weiteren Randbedingungen ausgesetzt: Eine Viel-
Bild 38-1: EG-Kontrollgeräte (links digital, rechts analog)
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Bild 38-2: Lkw-Unfall wegen Nichtbeachtung der Durchfahrtshöhe (Quelle: Feuerwehr Karlsfeld)
zahl von Verkehrszeichen ist nur für Nutzfahrzeuge relevant und nicht für Pkws. Dies hängt im Wesentlichen mit den größeren Abmessungen, höheren Massen, größeren Wendekreisen, Arten des Transportguts und im Vergleich zu Pkws geringeren spezifischen Leistungen zusammen. Unter spezifischer Leistung versteht man hierbei Motorleistung bezogen auf das Fahrzeug-Gesamtgewicht. All diese Verkehrszeichen muss der Lkw-Fahrer bewusst wahrnehmen. Tut er dies nicht, können hohe Sachschäden wie im Fall von Brückendurchfahrten entstehen (vgl. Bild 38-2). Enge Fahrbahnsituationen und innerörtliche Bereiche erfordern ebenfalls höchste Aufmerksamkeit des Fahrers. Dabei muss er berücksichtigen, dass andere Verkehrsteilnehmer ggf. nicht mit dem Fahrverhalten von Lkws vertraut sind. Fährt der Fahrer z. B. durch eine enge Rechtskurve mit mehreren Fahrstreifen, muss er die links neben ihm fahrenden Fahrzeuge beobachten. Ein Abbiegen nach rechts ist erst möglich, wenn der Fahrer auf den linken Fahrstreifen herüberziehen kann, um in die Kurve einzufahren. Auch die Sichtverhältnisse im Nahbereich eines Lkws, insbesondere auf der
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rechten Fahrerhausseite, weisen deutlich größere, nicht direkt einsehbare Bereiche als beim Pkw auf (vgl. Abschnitt 38.2). Aus diesem Grund sind für Lkws mehrere Spiegel vorgeschrieben. Hinzu kommen etliche Lkw-spezifische Bedienelemente, die es im Pkw nicht gibt, auf die hier aber nicht weiter eingegangen wird.
38.2 Wesentliche Unterschiede zwischen Lkw und Pkw Personenkraftwagen und Lastkraftwagen unterscheiden sich sowohl in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung als auch in der Fahrzeugtechnik. Letzteres gilt insbesondere für Antriebs- und Bremstechnik, Abmessungen und Massen, aber auch für die Ausstattung mit Sicherheits- und Assistenzsystemen. Aus wirtschaftlicher Sicht stellt die Anschaffung eines Lkws im Vergleich zum Pkw immer ein Investitionsgut dar. Der Lkw muss dem Fuhrunternehmer einen betriebswirtschaftlichen Gewinn „einfah-
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ren“. Deshalb sind die Life-Cycle-Costs eines Lkws entscheidend. Neben geringen Anschaffungskosten stellen niedrige Betriebskosten, hohe Laufleistung, hohe Verfügbarkeit, große Wartungsintervalle, schneller Service, Langlebigkeit und hohe Wiederverkaufswerte die entscheidenden Größen dar. Viele Lkws wechseln nach zwei bis vier Betriebsjahren erstmals den Besitzer. Bis dahin hat ein Fahrzeug rund eine Million Kilometer im Fernverkehr zurückgelegt. Das entspricht einer Laufleistung von 200 000 bis 250000 km pro Jahr. Der nachfolgende Eigentümer nutzt den Lkw weitere zwei Millionen Kilometer. Der Vergleich der Betriebsstunden zwischen Pkws und Lkws verdeutlicht die höhere Belastung, der ein Nutzfahrzeug standhalten muss: Läuft ein Lkw in zehn Jahren 30 000 Betriebsstunden, sind es bei einem Pkw im gleichen Zeitraum 3 000 Betriebsstunden. Hinzu kommt die deutlich längere Lebensdauer des Trailers von 20 bis 30 Jahren. Dieser Aspekt wirkt sich aufgrund der Schnittstellen zwischen Sattelzug und Auflieger zuweilen innovationshemmend aus, beispielsweise zur Ausrüstung von Sattelzügen inklusive Aufliegern mit ESP oder modernen Bremssystemen. Ebenso wie die technische Langlebigkeit müssen sich auch die Investitionen in Assistenz- und Sicherheitssysteme für den Fuhrunternehmer rechnen und zu einem betriebswirtschaftlichen Gewinn beitragen. Dies ist gegenüber Pkws der entscheidende Unterschied für die erfolgreiche Markteinführung von Fahrerassistenzsystemen in Nutzfahrzeugen. Zurück zur Technik: Grundlegend ist der deutliche Unterschied zwischen den Fahrzeugabmessungen und Fahrzeugmassen von Lkws und Pkws. Die maximal zulässigen Abmessungen für Zugmaschinen, Sattelauflieger und Gliederzüge sind genau vorgeschrieben und dürfen nur mit Sondergenehmigungen überschritten werden. Beispielsweise darf ein Euro-Lastzug als Gliederzug 18,75 m lang, bis zu 4,0 m hoch und ohne Außenspiegel 2,55 m breit sein. Mit dem Lkw sind 80 km/h auf der Autobahn und 60 km/h auf der Bundesstraße erlaubt. Leistungsstarke Pkw-Motoren werden erst bei 250 km/h vom Hersteller abgeregelt. Neben der maximalen Masse von 40 t ist eine minimale Motorisierung von 6 PS pro Tonne gesetzlich festgelegt. Dies ist in der heutigen Praxis ein sehr geringer Wert, der in der Regel deutlich überschritten wird, um ein zügiges Vorwärtskommen bei Steigungen zu gewährleisten. Dennoch ist die Längsdynamik bei Lkws deutlich geringer als bei Pkws: Ein 40 t schweres und mit einem 480 PSMotor ausgestattetes Nutzfahrzeug verfügt über 12 PS pro Tonne. Zum Vergleich: Ein mit 12 PS pro
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Tonne motorisierter 1,5 t schwerer MittelklassePkw hätte eine Motorleistung von nur 18 PS. Lkws weisen gegenüber Pkws aufgrund der Vielfalt zu transportierender Güter eine Fülle an Aufbauten auf, wie Koffer- oder Kühlaufbauten. Die unterschiedlichen Beladungen eines Lkws beeinflussen dessen Masse und Schwerpunkthöhe und damit die fahrdynamischen Eigenschaften. Aus diesem Grund wurden von verschiedenen Herstellern diverse Verfahren entwickelt, um die jeweiligen Beladungen bzw. Fahrzeug-Gesamtmassen zu bestimmen. Diese Daten werden in fahrzeuginternen Regelsystemen verwendet (z. B. Elektronisches Stabilitätsprogramm, Tempomat, Adaptive Cruise Control), aber auch dem Fahrer direkt angezeigt. So kann er Überladungen erkennen und vermeiden sowie sich in seiner Fahrweise auch auf die Beladung einstellen. Bislang ist die Berechnung der Schwerpunkthöhe noch nicht endgültig gelöst, die fahrdynamisch jedoch von großer Bedeutung ist. Denn von der vertikalen Lage des Schwerpunkts hängt der Kipppunkt ab. Diese Größe ist entscheidend, um die maximale Geschwindigkeit zu bestimmen, mit der das Fahrzeug eine Kurve durchfahren kann. Zudem fließt sie in die Algorithmen ein, die während des Fahrens die notwendigen Rückstellkräfte für die Federung des elektronischen Dämpfungssystems entsprechend ausgestatteter Lkws berechnen. Das elektronisch geregelte Dämpfungssystem passt im Lkw die Dämpfungshärte automatisch innerhalb von Millisekunden an den jeweiligen Beladungszustand, die Fahrsituation und die Straßenbeschaffenheit an – und bewirkt eine effiziente aktive Wankstabilisierung. Um Lkws ausreichend und sicher abbremsen zu können, stehen mehrere Bremssysteme zur Verfügung. Die Betriebsbremsen von Lkws sind heute in der Regel elektronisch gesteuerte ZweikreisLuftdruckbremsanlagen. Bei Ausfall des Elektroniksystems wird die Pneumatik der Bremsanlage direkt mit dem Bremspedal gesteuert. Zusätzlich sind Lkws mit verschiedenen Dauerbremssystemen ausgestattet. Im Gegensatz zu Betriebsbremsen arbeiten Dauerbremsen verschleißfrei. Als Dauerbremsen existieren verschiedene Varianten von Motorbremsen und Retardern. An Retardern bietet der Markt sowohl motorseitige als auch getriebeeingangsseitige und getriebeausgangsseitige Lösungen. Bei der Auslegung von Längsregelsystemen ist zu beachten, dass die verschiedenen Arten der Dauerbremsen ein sehr unterschiedliches Bremsund Regelverhalten aufweisen (z. B. hinsichtlich Unstetigkeiten, Verzögerungszeiten, der Abhängigkeit von Getriebegang und Fahrgeschwindigkeit).
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Getriebe für Lkws verfügen in der Regel über bis zu 16 Gänge beim Handschaltgetriebe und bis zu 12 Gänge beim automatisierten Schaltgetriebe. Im Gegensatz zu den Drehmomentwandlern, die bei Automatikgetrieben in Pkws üblich sind, haben Lkws mit automatisierten Getrieben keinen Drehmomentwandler, sondern eine eingangsseitige Kupplung, die elektronisch gesteuert wird. Die elektronische Steuerung nimmt dem Fahrer die Schalt- und Kupplungsarbeit ab. Aus den betriebswirtschaftlichen Randbedingungen, den fahrdynamischen Eigenschaften und den technischen Daten wird deutlich, dass Sicherheit beim Lkw unter ganz anderen Rahmenbedingungen steht als beim Pkw. Für Fahrer bedeuten diese Faktoren sowohl eine hohe Belastung durch die kontinuierliche Fahrleistung im Fernverkehr als auch eine höhere Beanspruchung beim Manövrieren von bis zu 40 t schweren und 2,55 m breiten Fahrzeugen. Zur Entlastung der Fahrer stehen heute für Lastkraftwagen und Kraftomnibusse eine Reihe von elektronischen Sicherheits- und Assistenzsystemen zur Verfügung, wie das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP), der abstandsgeregelte Tempomat ACC (Adaptive Cruise Control) oder das Warnsystem beim Verlassen des Fahrstreifens (LDW, Lane Departure Warning). Eine weitere Belastung für Lkw-Fahrer sind die eingeschränkten Sichtverhältnisse. Zwar schreibt die Straßenverkehrsordnung für Güterkraftfahrzeuge > 7,5 t zwei große Hauptaußenrückspiegel auf beiden Fahrzeugseiten, jeweils einen Weitwinkel- und einen Anfahr-Außenspiegel sowie einen Frontspiegel vor, dennoch ist die Sicht nach hinten wie auch auf die seitlichen Flanken eingeschränkt. Um Einblick in die toten Winkel – am Sattelzug treten je nach Ausstattung mit Spiegeln und Sensoren bis zu neun tote Winkel auf – zu geben, sollen künftig unterschiedliche technische Lösungen zur Verfügung stehen: Videokameras am Heck, deren Bilder auf einen Monitor im Fahrerhaus übertragen werden, geben einen Überblick über den Raum hinter dem Auflieger. Sensoren überwachen Abstand und Relativgeschwindigkeit von Objekten seitlich des Fahrzeugs (vgl. Abschnitt 38.7). Das sichere Manövrieren des eigenen Fahrzeugs müssen Lkw-Fahrer in den nächsten Jahren bei weiter zunehmendem Verkehrsaufkommen bewerkstelligen. Bis zum Jahr 2025 prognostiziert das Berliner Institut für Mobilitätsforschung einen Anstieg der Güterverkehrsleistung in Europa um 80 % [3]. Allein für Deutschland wird bis zum Jahr 2025 eine Verdoppelung des Transitaufkommens auf der Ost-West-Achse vorhergesagt. Da die Verkehrsinfrastruktur nicht in dieser Geschwindigkeit
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mitwachsen kann, steigen weiterhin die Anforderungen an die Fahrzeugtechnik und die Fahrer. Soll das aktuell erreichte Sicherheitsniveau beibehalten bzw. noch erhöht werden, sind Anstrengungen im Bereich der Sicherheit auf allen Ebenen – von der Infrastruktur über das Fahrzeug bis hin zum einzelnen Verkehrsteilnehmer – unerlässlich.
38.3 Unfallszenarien Der Entwicklung von Assistenzsystemen geht in der Regel eine umfangreiche Analyse der Unfallstatistiken voraus. Hierbei werden Anzahl und Verteilung der Unfälle auf die jeweilige Unfallart sowie die Anzahl der Unfälle während der letzten 15 bis 20 Jahre geprüft. Soweit möglich, erfolgt eine detaillierte Analyse der Unfallabläufe. In der Statistik wird über den Vergleich der Unfallzahlen mit der Verkehrsleistung im Güterverkehr das Verkehrsaufkommen berücksichtigt (vgl. Bild 38-3). Die Transportleistung des Straßengüterverkehrs ist in den Jahren 1992 bis 2006 von 252,3 auf 434,1 Milliarden Tonnenkilometer um 58 % gestiegen [4]. Trotz steigender Fahrleistung sind im gleichen Zeitraum die Unfälle mit Beteiligung von Nutzfahrzeugen, die zu schweren Personenschäden mit getöteten oder schwerverletzten Verkehrsteilnehmern führten, deutlich zurückgegangen: Wurden im Jahr 1992 genau 1883 Unfalltote erfasst, waren es im Jahr 2006 noch 1197. Dies entspricht einem Rückgang um 36 %. Mit 13 345 Unfallopfern im Jahr 1992 und 8808 im Jahr 2006 weisen die Zahlen zu schwerverletzten Verkehrsteilnehmern eine Verringerung um 34 % auf. Um die Unfälle mit getöteten oder schwerverletzten Verkehrsteilnehmern, an denen Nutzfahrzeuge beteiligt sind, zu differenzieren, unterscheidet das Statistische Bundesamt anhand von neun Kategorien (vgl. Bild 38-4). Häufigste Unfallart war im Jahr 2005 mit 26,5 % der Auffahrunfall auf ein vorausfahrendes Fahrzeug. Weitere 18,9 % aller Unfälle gehen auf eine Kollision mit dem Gegenverkehr zurück. Darauf folgt mit 16,6 % der Kreuzungsunfall. In 12,1 % aller Unfälle sind die Fahrzeuge rechts oder links von der Fahrbahn abgekommen. Weniger häufig (8,7 %) sind Kollisionen von Fahrzeugen, die seitlich voneinander fahren. Auch Unfälle mit einem stehenden Fahrzeug (6,7 %), mit einem Fußgänger oder Radfahrer (4,0 %) oder einem sonstigen Hindernis auf der Fahrbahn (1,0 %) sind deutlich seltener. Bei der Analyse der Daten ist zwischen Unfallarten und den eigentlichen Unfallursachen zu unter-
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Bild 38-3: Verkehrsleistung von Güterkraftfahrzeugen im Vergleich zu Unfalltoten und schwerverletzten Verkehrsteilnehmern [4]
Bild 38-4: Verteilung der Unfallarten mit getöteten oder schwerverletzten Verkehrsteilnehmern im Jahr 2005. Dargestellt sind nur Kollisionen, an denen Sattelschlepper und Lkws größer 12 Tonnen zulässige Gesamtmasse beteiligt waren [4]
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scheiden. Auffahrunfälle gehen in der Regel auf einen zu geringen Sicherheitsabstand und eine nicht angepasste Geschwindigkeit zurück. Mit 17,6 % (Abstand) und 15,6 % (nicht angepasste Geschwindigkeit) sind dies die beiden häufigsten Gründe für Unfälle von Güterfahrzeugen [4]. Die hohe kinetische Energie von Lkws führt meist zu schweren Unfallfolgen: Fährt ein 40 t schwerer und 90 km/h schneller Lkw ungebremst auf ein stehendes Hindernis, so wirkt eine Energie von ca. 3500 Wh. Bei einem 2 t schweren Pkw wären es bei 100 km/h gerade einmal ca. 400 Wh. Beim Abkommen von der Fahrbahn kann im Wesentlichen zwischen zwei Szenarien unterschieden werden: fahrdynamisch bedingtes Abkommen oder langsames Abdriften. Fahrdynamisch bedingtes Abkommen von der Fahrbahn ist eine typische Folge zu schneller Kurvenfahrt, plötzlicher Ausweichmanöver oder einer rutschigen Fahrbahn. Sie beruhen oft auf einer Fehleinschätzung der Fahrsituation durch den Fahrer. Hingegen geht das langsame Abdriften von der Fahrbahn meist auf Unaufmerksamkeit oder Ermüdung des Fahrers zurück, beispielsweise infolge von Ablenkung oder langer eintöniger Fahrt auf monotonen Strecken. Zu den häufigsten Fehlern an Kreuzungen gehören, gemäß den Auswertungen des Statistischen Bundesamtes über das Fehlverhalten der Fahrer von Güterkraftfahrzeugen, die Missachtung der Vorfahrt (11,8 %) und Fehler beim Abbiegen (7,8 %) [5]. Unfälle mit stehenden Fahrzeugen wie auch mit Fußgängern und Radfahrern gehen meist auf die eingeschränkten Sichtverhältnisse vor dem Fahrerhaus und seitlich davon zurück. In einer gemeinsamen Studie der DEKRA Automobil GmbH und der Bundesanstalt für Straßenwesen wurden etwa 120 Unfälle analysiert, die sich innerhalb von Ortschaften mit rechtsabbiegenden Lkws (> 3,5 t) und Fußgängern bzw. Radfahrern ereigneten [6]: Der erste Kontakt bei Unfällen zwischen Nutzfahrzeug und Fußgängern bzw. Radfahrern verläuft in 88 % der Fälle seitlich oder unmittelbar vor dem Fahrerhaus. In weiteren 7 % aller Unfälle fand der Erstkontakt zwischen Fahrerhaus und Hinterrad der Zugmaschine statt. Fahrdynamische Regelsysteme wie das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) sowie Fahrerassistenzsysteme mit Umgebungssensorik wie der abstandsgeregelte Tempomat ACC (Adaptive Cruise Control) oder der Spurverlassenswarner (LDW, Lane Departure Warning) können schwere LkwUnfälle deutlich reduzieren. In einer Studie, die der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft zusammen mit der Knorr-Bremse Systeme
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für Nutzfahrzeuge GmbH und der TU München durchführte, wurde das Wirkungspotenzial von ESP anhand von 850 schweren NutzfahrzeugUnfällen geprüft [2]. Mit dem Einsatz von ESP ließen sich 9 % dieser Unfälle vermeiden. Bezogen auf fahrdynamisch bedingte Alleinunfälle von Lkws würden ca. 44 % mit ESP vermieden werden. Zu deutlichen Resultaten kommt auch eine gemeinsame Untersuchung der MAN Nutzfahrzeuge AG und der Allianz Zentrum für Technik GmbH [1], die das Wirkungspotenzial von LDW und ACC analysiert: Wäre die deutsche Lkw-Flotte mit einem heute verfügbaren abstandsgeregelten ACC ausgestattet, ließen sich 71 % der schweren Lkw-Auffahrunfälle auf Autobahnen und rund 30 % der schweren LkwAuffahrunfälle auf allen bundesdeutschen Straßen vermeiden (vgl. Abschnitt 38.4). Würden alle Lkws ihren Fahrer mit einem Spurverlassenswarner vor dem ungewollten Abkommen vom Fahrstreifen warnen und die Fahrer korrigierend durch Gegenlenken eingreifen, könnten 49 % der Unfälle vermieden werden, bei denen Fahrzeuge rechts oder links von der Fahrbahn abkommen (vgl. Abschnitt 38.5).
38.4 Adaptive Cruise Control (ACC) für Nutzfahrzeuge Adaptive Cruise Control (ACC) ist ein Assistenzsystem, das automatisch die Fahrgeschwindigkeit an vorausfahrende Fahrzeuge anpasst und einen vom Fahrer einstellbaren Abstand einregelt. Bei freier Fahrt arbeitet das System wie ein normaler Tempomat. Adaptive Cruise Control setzt in Lkws auf den beiden Systemen Tempomat und Bremsomat auf. Der Tempomat regelt automatisch die Geschwindigkeit des Fahrzeugs über die Kraftstoffzufuhr im Motor. So kann das Fahrzeug eine vom Fahrer vorgegebene Geschwindigkeit einhalten. Bergab kann es jedoch ggf. auch ohne Kraftstoffzufuhr durch den Hangabtrieb über die Wunschgeschwindigkeit hinaus beschleunigen. Ist dies nicht gewünscht oder nur bis zu einem gewissen Maß, besteht die Möglichkeit für den Lkw-Fahrer, eine Bremsomat-Funktion zu aktivieren. Diese steuert bei Überschreitung der Wunschgeschwindigkeit oder eines einstellbaren Offsets oberhalb der Wunschgeschwindigkeit den Retarder oder die Motorbremse automatisch an, sodass eine vorgewählte Geschwindigkeit auch im Gefälle eingehalten wird. Zur Einstellung der Wunschgeschwindigkeit bergab gibt es komfortable Lösungen, die z. B. einen Sollwert aus der aktu-
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ellen Geschwindigkeit bilden, wenn der Fahrer im Gefälle nach einer Anpassbremsung von der Bremse geht. Der abstandsgeregelte Tempomat erweitert die vorgenannte Tempomat- und Bremsomat-Funktion, indem Abstand und Relativgeschwindigkeit vorausfahrender Fahrzeuge gemessen werden. Dadurch ist es möglich, automatisch die eigene Geschwindigkeit an die des Vorausfahrenden anzupassen und einen einstellbaren Wunschabstand einzuregeln. Die einstellbaren Wunschabstände sind geschwindigkeitsabhängig. Sie entsprechen also einer einstellbaren Zeitlücke, die ggf. noch durch konstante Mindestabstände ergänzt wird. Sensorische Basis des ACC ist ein HochfrequenzRadar. Das Radarsystem ist in der Regel im unteren Teil der Bugschürze eingebaut und erfasst vorausfahrende Fahrzeuge. Hierbei kommen in Lkws die gleichen Radarsensoriken zum Einsatz, wie sie in Pkws verwendet werden (vgl. Abschnitt 38.4). Hinsichtlich des Trackings und spezieller Lkw-Randbedingungen sind jedoch Anpassungen der Sensorik erforderlich, z. B. bezüglich Nickverhalten des Lkws, fahrdynamischer Parameter, Kolonnenfahrt hinter Trailern mit flatternden Rückwandplanen, Lkw-typischer Vibrationen, 24-V-Spannungsversorgung usw. Zur Abstands- und Geschwindigkeitsregelung greift der ACC-Regler in die Motorsteuerung und die Bremssysteme ein. Für Fahrzeugverzögerungen sind in Lkws im Gegensatz zu ACC-Systemen in
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Pkws verschiedene Bremssysteme anzusteuern. Zunächst werden immer die verschleißfreien Dauerbremsen wie Motorbremse und Retarder angesteuert. Dabei ist deren Übertragungsverhalten zu beachten, das teilweise ein stufiges Ansprechverhalten und große Ansprechverzögerungen zeigt. Zur Kompensation dieser unerwünschten Effekte gibt es Lösungen, die eine zwischenzeitliche kurzweilige, schnelle Ansteuerung der Betriebsbremsen vorsehen, so dass sich ein stetig verlaufendes Bremsmoment mit schneller Ansprechzeit ergibt. Reicht die Bremsleistung der Dauerbremsen nicht aus, um das Fahrzeug gemäß der Reglervorgabe zu verzögern, werden zusätzlich die Betriebsbremsen angesteuert. Diese Ansteuerung muss jedoch hinsichtlich der in Wärme umgesetzten Bremsenergie begrenzt werden, um eine Überhitzung der Betriebsbremsen zu verhindern. Insofern werden die Betriebsbremsen nur für Anpassbremsungen angesteuert, wenn also die Geschwindigkeit des Fahrzeugs schnell reduziert werden muss. Dabei liegt die mit heutigen ACC-Systemen maximal angesteuerte Fahrzeugverzögerung bei ca. –3 m/s2. Muss ein Fahrzeug bei Bergabfahrt längere Zeit gebremst werden, so darf dies nur durch die Dauerbremsen erfolgen und nicht mit den Betriebsbremsen, um deren Überhitzung zu verhindern. Dazu muss das Fahrzeug ggf. mit den Betriebsbremsen auf eine kleinere Geschwindigkeit verzögert und in kleinere Gänge geschaltet werden, damit anschließend die Dauerbremsleistung ausreicht.
Bild 38-5: Einbausituation eines ACC-Sensors am Lkw
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Je nach Voreinstellung – entweder durch den Fahrer oder den Systemhersteller – funktionieren ACC-Systeme mit oder ohne Fahrerübernahmeaufforderung. Diese kann dem Fahrer signalisieren, dass die ACC-Regelung die maximale Verzögerung von z. B. –3 m/s2 ansteuert, sie in der aktuellen Fahrsituation aber nicht ausreicht. Der Fahrer wird also aufgefordert, selbst stärker zu bremsen, als es das ACC-System kann. Zusätzlich gibt es ACCSysteme mit Auffahrwarnungen, die teilweise auch bei ausgeschaltetem ACC aktiv sind. Diese sollen dem Fahrer die akute Gefahr eines Auffahrunfalls signalisieren und ihn zum Bremsen veranlassen. ACC-Systeme werden durch Betätigung eines Bedienelements (z. B. Taste oder Bedienhebel) oder durch Auslenkung des Bremspedals deaktiviert. Hingegen erfolgt durch Auslenkung des Fahrpedals eine Übersteuerung der ACC-Systeme. Dies kann der Fahrer nutzen, um z. B. eine ACC-Bremsung hinter einem Lkw zu vermeiden, der am Beginn einer Steigung langsamer wird. Da heutige ACC-Systeme noch keine Streckenvorausschau leisten, kann nur der Fahrer solche Situationen erkennen, in denen eine Bremsung auf ein vorausfahrendes Fahrzeug z. B. wegen einer beginnenden Steigung unzweckmäßig ist. Die Übersteuerung dient darüber hinaus zur Abstandsverringerung vor einem Überholmanöver oder zum schnelleren Beschleunigen. Relevant für die ACC-Regelung sind vor allem folgende Punkte: Auf Autobahnen gilt in Deutschland für Lkws bei einer Geschwindigkeit ab 50 km/h ein gesetzlicher Mindestabstand von 50 m. Dieser muss von mindestens einer wählbaren Abstandsstufe eingehalten werden. Wird der Wunschabstand unterschritten, z. B. aufgrund eines einscherenden Fahrzeugs, so sind üblicherweise Differenzgeschwindigkeiten von 2 … 4 km/h vorgesehen, um den Abstand wieder zu vergrößern. Bei überholenden Fahrzeugen ist diese Differenzgeschwindigkeit von vornherein gegeben, so dass der Lkw mit ACC konstant weiterfahren kann. Ein „Durchreichen nach hinten“, wie es gelegentlich von Laien befürchtet wird, findet also nicht statt. Wenn die Differenzgeschwindigkeit einscherender Fahrzeuge größer ist als der vorgenannte Wert zum Aufbau des Wunschabstands, kann es bei geregelter Folgefahrt zu einem unerwünschten „Mitzieheffekt“ kommen. Der Lkw beschleunigt also hinter dem Einscherer. Da das einscherende Fahrzeug wegen des langsameren Vorausfahrenden jedoch bald seine Geschwindigkeit verringern oder den Fahrstreifen wieder verlassen muss (so genannte Durchscherer, z. B. bei
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Autobahn-Ein/Ausfahrten), können solche Situationen im ACC-System entsprechend berechnet und berücksichtigt werden, um ein „Mitziehen“ zu vermeiden. Neben Abstand und Geschwindigkeit des Vorausfahrenden ist dessen Beschleunigung bei der ACC-Regelung von Bedeutung. Die Beschleunigung kann aus der Geschwindigkeit abgeleitet werden, wobei Schaltvorgänge jedoch kurzzeitige, deutliche Beschleunigungsänderungen verursachen können. Wesentlich ist die Berücksichtigung der Beschleunigung beispielsweise, wenn bei einer Autobahneinfahrt ein langsamerer Pkw vor dem Lkw einschert. Ohne Beschleunigung des Einscherers müsste der Lkw abbremsen. Bei ausreichender Beschleunigung wird die Differenzgeschwindigkeit jedoch positiv, bevor der Abstand kritisch wird. Der Lkw kann in diesem Fall also konstant weiterfahren. In die Strategie der Abstandsregelung können zusätzlich zum direkten Vorausfahrenden auch Fahrzeuge einbezogen werden, die vor dem Vorausfahrenden oder in den Nachbarfahrstreifen daneben fahren. Das Verhalten der Abstandsregelung stellt einen Kompromiss dar zwischen Einhaltung des Wunschabstands und ökonomischer Fahrweise. Eine genaue Einhaltung des Wunschabstands würde bedeuten, dass ggf. mit Einsatz der Bremssysteme unmittelbar auf Verzögerungen des Vorausfahrenden reagiert werden müsste. Dies widerspricht einer ökonomischen Fahrweise, die einen möglichst geringen Einsatz der Bremsen anstrebt. Heutige ACC-Systeme für Nutzfahrzeuge sind für Fahrten auf Autobahnen und gut ausgebauten Bundesstraßen ausgelegt. Auf weniger ausgebauten Bundesstraßen, auf Landstraßen und im Stadtverkehr muss der Fahrer das System deaktivieren. Die Regelung von Abstand und Fahrgeschwindigkeit durch Adaptive Cruise Control erfolgt ab einer herstellerseitig vorgegebenen Mindestgeschwindigkeit. Ein typischer Wert hierfür sind 25 km/h. Wird diese Mindestgeschwindigkeit unterschritten, muss der Fahrer wieder die Längsführung übernehmen. Teilweise sind ACC-Systeme verfügbar, die bis zum Stillstand bremsen, aber erst ab der Mindestgeschwindigkeit wieder aktivierbar sind. Auf stehende Objekte – auch Fahrzeuge an einem stehenden Stauende – reagieren heutige ACC-Systeme nicht. Auch Fahrzeuge, die sehr langsam fahren, werden als stehende Objekte interpretiert und nicht als vorausfahrende Fahrzeuge erkannt. Dies sind typische Situationen, in denen der Fahrer eingreifen muss.
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Adaptive Cruise Control muss in Lastkraftwagen und Reisebussen unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden. Der Lkw bewegt sich häufig in längeren Kolonnenfahrten mit einer gleich bleibenden Geschwindigkeit von 80 km/h. Für den Lkw-Fahrer ist ACC primär eine Komfortfunktion, die ihn vor allem bei weitgehend konstantem Kolonnenverkehr entlastet. Während der meist langen Fahrzeiten bleibt die Leistungsfähigkeit des Fahrers länger erhalten. Die automatische Abstandsregelung erhöht die Verkehrssicherheit, und plötzliche Notbremssituationen aufgrund zu geringen Abstands oder Unaufmerksamkeit des Fahrers werden vermieden. Darum werden speziell Lkws für Gefahrguttransporte heute bevorzugt von den Spediteuren mit ACC geordert, nicht zuletzt aufgrund entsprechender Forderungen von Befrachtern. Hingegen fährt ein Reisebus mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 100 km/h, überholt Lkws folglich problemlos, ist aber meist langsamer als Pkws. Im Vergleich zum Lkw fährt der Reisebus meist nicht in geregelter Folgefahrt. Nähert sich der Bus jedoch einem langsameren Fahrzeug, veranlasst das ACC die Drosselung der Geschwindigkeit, sodass ein sicherer Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug eingehalten wird. Für den Reisebus steht daher eher der Sicherheitsaspekt im Vordergrund. Diese Grenzen der heutigen Systeme gehen im Wesentlichen auf die Erfassungsleistung der Sensorik und auf die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Bremsfunktion zurück. Um das System effizient auf Autobahnen und Schnellstraßen einzusetzen, müssen die Radarsensoren Objekte erfassen, die sich bis zu 150 m vor dem Fahrzeug befinden. Diese Reichweite erlaubt nur geringe Erfassungswinkel, die heute im Bereich von 12 bis 16 Grad liegen. Objekte, die sich außerhalb dieses Erfassungswinkels befinden, werden nicht erkannt. Dies ist bei geringen Kurvenradien der Fall oder bei Fahrzeugen, die dicht vor dem Lkw von der Seite einscheren oder weit außerhalb der Fahrstreifenmitte fahren. Die Wirksamkeit von ACC-Systemen zur Unfallvermeidung wurde von der Allianz Zentrum für Technik GmbH im Rahmen des vom BMBF geförderten Projekts „Safe Truck“ untersucht [1]. Von 583 analysierten Unfällen waren 127 relevant für ACC, also Auffahrunfälle im eigenen Fahrstreifen. Darin enthalten sind auch Unfälle im Stadtverkehr und auf Landstraßen sowie Unfälle mit stehenden Hindernissen. Das Wirkungspotenzial wurde darum für fünf Szenarien analysiert, die verschiedene Entwicklungsstufen von ACC-Systemen repräsentieren. Darüber hinaus wurden die Szenarien dahingehend unterschieden, ob der Fahrer eingreift
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oder nicht. In allen Szenarien wurde von einer Fahrzeugverzögerung durch ACC von maximal –2 m/s2 ausgegangen: ACC-System, das nur oberhalb einer Mindestgeschwindigkeit regelt – ohne Fahrereingriff (Szenario 0) – mit Fahrereingriff mit maximaler Verzögerung (6 m/s2) nach zwei Sekunden (Szenario 1) ACC-System, das bis zum Stillstand regelt und auch für Innerortsverkehr geeignet ist – ohne Fahrereingriff (Szenario 2) – mit Fahrereingriff mit maximaler Verzögerung (6 m/s2) nach zwei Sekunden (Szenario 4) ACC-System, das bis zum Stillstand regelt und für Innerortsverkehr geeignet ist und auch stehende Fahrzeuge erkennt (Szenario 5) Basis der Studie bildeten 127 ACC-relevante Unfälle von Nutzfahrzeugen. Anhand von Rekonstruktionen der gut dokumentierten Unfälle wurde die Vermeidbarkeit der Unfälle in den einzelnen Szenarien analysiert und auf die einzelnen Kategorien hochgerechnet (vgl. Bild 38-6 – Wirkungspotenzial ACC): Wären alle Lkws mit heute verfügbaren ACCSystemen ausgerüstet, könnten rund 6 % aller schweren Nutzfahrzeugunfälle vermieden werden, ohne dass ein Bremseingriff durch den Fahrer notwendig ist. Führt der Fahrer einen Bremseingriff innerhalb von zwei Sekunden nach dem ACC-Eingriff mit maximal möglicher Verzögerung durch, so könnten 7 % vermieden werden. Wären alle Lkws mit ACC-Systemen ausgerüstet, die bis zum Stillstand regeln und auch innerorts geeignet sind, könnten 8 % aller schweren Nutfahrzeugunfälle vermieden werden, ohne dass der Fahrer bremst. Greift hier zusätzlich innerhalb von zwei Sekunden nach dem ACC-Eingriff der Fahrer mit einer Vollbremsung ein, erhöht sich die Vermeidbarkeit auf 17 %. Wären alle Lkws mit ACC-Systemen ausgerüstet, die mit zusätzlicher Sensorik auch auf stehende Fahrzeuge reagieren, könnten 21 % aller schweren Lkw-Unfälle vermieden werden. Da heutige ACC-Systeme nur für den Einsatz auf Autobahnen und gut ausgebauten Bundesstraßen konzipiert sind, wurde das Unfallvermeidungspotenzial für dieses Umfeld gesondert betrachtet. In Bezug auf Auffahrunfälle von Nutzfahrzeugen auf Autobahnen ergibt sich, dass mit heute verfügbaren ACC-Systemen 71 % dieser Unfälle vermieden werden könnten, wenn alle Lkws mit ACC ausgerüstet wären. Angenommen, dass der Fahrer einen ACC-Bremseingriff als haptische Warnung erkennt und dann selbst nach 2 Sekunden eine Vollbrem-
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Bild 38-6: Vermeidbarkeit von Kollisionen durch den Einsatz von Adaptive Cruise Control [1]
sung einleitet, würden sogar 86 % aller Lkw-Auffahrunfälle auf Autobahnen vermieden werden.
38.5 Spurverlassenswarner für Nutzfahrzeuge Ein Spurverlassenswarner (LDW, Lane Departure Warning) eines Nutzfahrzeugs überwacht dessen Einhaltung des Fahrstreifens und warnt den Fahrer, wenn er unbeabsichtigt seinen markierten Fahrstreifen verlässt. Das System unterstützt den Fahrer insbesondere auf langen und monotonen Strecken, wenn dessen Aufmerksamkeit nachlässt oder wenn er abgelenkt ist. Ein unbeabsichtigter Fahrstreifenwechsel kann durch Warnung des Fahrers vermieden werden, sodass Alleinunfälle durch Abdriften von der Fahrbahn oder Kollisionen mit Fahrzeugen auf den Nachbarfahrstreifen bzw. einem Standstreifen verhindert werden. Spurverlassenswarner werden seit dem Jahr 2001 für Nutzfahrzeuge angeboten und sind für den Einsatz auf Autobahnen und gut ausgebauten Bundesstraßen ausgelegt. Voraussetzung für eine einwandfreie Assistenzfunktion ist ein beidseitig markierter Fahrstreifen. Die heute für Lkws verfügbaren Systeme erfassen diese Fahrstreifenmarkierungen mittels einer
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Kamera, die im Fahrerhaus innen möglichst mittig an der Frontscheibe angebracht ist. Außermittige Anbauorte sind denkbar, sofern eine entsprechende Parametrierung der Auswerte-Algorithmik erfolgt. Die Kamera sollte im Wischbereich des Scheibenwischers liegen. Im Lkw hat eine solche Kamera wegen der erhöhten Anbauposition einen günstigeren Blickwinkel auf die Straßenoberfläche als im Pkw. Andererseits ist bei der Auswertung des erfassten Bildes das Wanken und Nicken des Fahrerhauses erschwerend zu berücksichtigen. Eine der gängigsten Methoden zur Erkennung von Fahrstreifenmarkierungen ist die Suche nach Hell-Dunkel-Übergängen auf der Straßenoberfläche. Die verwendeten Kameras sind daher SchwarzWeiß-Kameras. Die Sensorik kann die Fahrstreifenmarkierungen nur bei ausreichenden Kontrasten exakt erfassen, wenn die Markierungen also deutlich zu erkennen und möglichst geradlinig sind. Für die Erkennung der Fahrstreifenmarkierungen bei Dunkelheit reicht das Ausleuchten mit den Scheinwerfern des Fahrzeugs. Zwar erfasst die Kamera permanent den Verlauf der Fahrstreifen, doch die analysierenden Algorithmen überprüfen nicht das gesamte Bild. Um Rechenleistung zu sparen, werden nur die äußeren Bereiche der Straße mithilfe von Suchfenstern ausgewertet.
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Bild 38-7: Detektion der Fahrstreifenmarkierung durch Spurverlassenswarner [Quelle: MAN Nutzfahrzeuge AG]
Erkennt das System, dass sich das Fahrzeug der Fahrbahnmarkierung nähert oder sie sogar überfährt, ohne dass der Blinker betätigt wurde, erfolgt eine Warnung. Die Warnung kann z. B. haptisch in Form einer Lenkradvibration erfolgen oder durch seitenbezogene akustische Signale (z. B. in Form eines simulierten Nagelbandratterns). In Reisebussen kommen nur Warnungen in Frage, die ausschließlich vom Fahrer wahrgenommen werden und nicht von den Fahrgästen. Für Reisebusse sind daher Systeme verfügbar, die den Fahrer mittels seitenbezogener Vibrationen im Fahrersitz warnen. Eine Verunsicherung der Fahrgäste wird so vermieden. Die Bedingungen zur Auslösung einer Warnung können herstellerabhängig variieren. Beispielsweise kann eine Warnung in Abhängigkeit von der Fahrgeschwindigkeit beim Überfahren der Innenseite oder beim Überfahren der Außenseite der Fahrstreifenmarkierung ausgelöst werden. Auch kann die Quergeschwindigkeit berücksichtigt werden, mit der der Fahrstreifen verlassen wird. Unterhalb einer Mindestgeschwindigkeit des Fahrzeugs, z. B. 60 km/h, werden in der Regel bei heutigen Systemen keine Warnungen ausgegeben. Systeme, wie sie zur Zeit auf dem Markt verfügbar sind, greifen
nicht aktiv in die Lenkung ein, sondern warnen den Fahrer ausschließlich. Um Fehlwarnungen zu vermeiden, unterliegt die Sensorik zur Erfassung der Fahrbahnmarkierungen engen Grenzen. In folgenden Situationen wird in der Regel nicht gewarnt: bei einer stark verschmutzten Windschutzscheibe im Bereich des Sensors, einer verschneiten, verschmutzten oder ausgebesserten Fahrbahn, bei mehreren Markierungen neben- und hintereinander – wie sie vor allem an Ein- und Ausfahrten von Baustellen auftreten – und bei einer nassen Fahrbahn. Insbesondere wenn sich mit Regenwasser gefüllte Spurrillen auf der Fahrbahn befinden oder Schnee die Straße säumt, besteht die Gefahr, dass diese Strukturen als Fahrbahnmarkierung erkannt werden. Durch die starken Kontraste zwischen hellem Schnee oder reflektierender Wasseroberfläche und dunklem Asphalt lassen sich die Schwarz-Weiß Bilder der Videokamera nicht exakt auswerten. Die Forschung arbeitet derzeit an einer verbesserten Sensorik. Zur Überprüfung der Wirksamkeit von Spurverlassenswarnern hat die Allianz Zentrum für Technik GmbH 583 Lkw-Unfälle aus ihrer Datenbank ausgewertet. Davon waren 44 relevant hinsichtlich
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Bild 38-8: Einbausituation einer Kamera im Lkw zur Erkennung von Fahrstreifenmarkierungen [Quelle: MAN Nutzfahrzeuge AG]
Bild 38-9: Unfallvermeidungspotenzial durch Spurverlassenswarner in Lkw [1]
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unbeabsichtigtem Verlassen von Fahrstreifen. Bei der Analyse, die im Rahmen des BMBF-Projekts „Safe Truck“ erfolgte, wurden zwei Systemausprägungen mit unterschiedlichem Funktionsumfang betrachtet [1]: Heute verfügbare Spurverlassenswarner mit einer Fahrerwarnung ab einer Fahrgeschwindigkeit von 60 km/h und einem angenommenen Lenkeingriff des Fahrers nach 1 Sekunde Reaktionszeit. Erweitertes System, das ebenfalls für Geschwindigkeiten ab 60 km/h ausgelegt ist, aber zusätzlich eine automatische Rückführung beim Verlassen der Fahrstreifen vornimmt. Das Ergebnis der Studie zeigt, dass 49 % aller Nutzfahrzeugunfälle durch Abkommen vom Fahrstreifen vermieden werden könnten, wenn alle Nutzfahrzeuge mit Spurverlassenswarnern ausgestattet wären. Erfolgt zukünftig auch eine automatische Rückführung in den Fahrstreifen, könnten sogar 72 % dieser Unfälle vermieden werden.
38.6 Notbremssysteme Assistenzsysteme, die automatisch eine Vollbremsung einleiten, sind die jüngste Entwicklung unter den Bahnführungsassistenten, die heute im Einsatz sind. Solche Systeme warnen den Fahrer eindringlich bei akuter Gefahr eines Auffahrunfalls und leiten ggf. automatisch eine Vollbremsung ein, wenn der Auffahrunfall unvermeidlich ist. Das System soll Auffahrunfälle verhindern oder die Schwere des Unfalls erheblich verringern, wenn eine Kollision unvermeidbar erscheint. Dafür muss der Notbremsassistent für alle Verkehrssituationen ausgelegt sein; d. h. er darf in keiner Verkehrssituation eine unnötige Vollbremsung auslösen – schließlich kann nicht vom Fahrer erwartet werden, das System z. B. rechtzeitig vor innerstädtischem Verkehr abzuschalten, wenn es dafür nicht ausgelegt wäre und dort Fehlbremsungen einleiten würde. Basis heutiger Notbremssysteme sind Hochfrequenz-Radarsensoren, wie sie auch bei ACCSystemen eingesetzt werden. Sie erfassen die vorausliegende Verkehrssituation. Die Bewertung der Verkehrssituation erfolgt mit speziellen Algorithmen, die je nach Verkehrssituation einstufige oder mehrstufige Systemreaktionen generieren. Die Herausforderung ist dabei sicherzustellen, dass keine Fehlbremsungen eingeleitet werden und dass kritische Verkehrssituationen korrekt erkannt werden.
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Erfasst der Sensor ein Hindernis und erkennt zugleich, dass sich der Abstand verringert und der Fahrer die Geschwindigkeit nicht reduziert, greift das Notbremssystem in das Fahrgeschehen ein. Zunächst wird der Fahrer optisch über ein Signal im Zentraldisplay und akustisch über einen Warnton auf die Gefahr aufmerksam gemacht. Verzeichnet das Assistenzsystem noch immer keine Reaktion vom Fahrer – etwa einen Bremseingriff oder ein Lenkmanöver – erfolgt eine Teilbremsung mit einer Fahrzeugverzögerung von ca. –2 m/s2. Verschärft sich dennoch die Kollisionsgefahr, leitet das System eine Vollbremsung mit einer Fahrzeugverzögerung von ca. –6 m/s2 ein. Kommt es zu einer Bremsung, werden die Bremslichter angesteuert, um den nachfolgenden Verkehr zu warnen und Folgeunfälle zu vermeiden. Ziel dieser Funktion ist insbesondere, das ungebremste Auffahren auf langsamere Fahrzeuge und das späte Bremsen durch den Fahrer zu vermeiden. Aufgrund der Einkanaligkeit der derzeit verwendeten Abstandssensorik unterliegt der Funktionsbereich von Notbremsassistenten relativ engen Grenzen. Heutige Notbremssysteme für Nutzfahrzeuge können nur Hindernisse erkennen, die sich bewegen. Bei stehenden Hindernissen erfolgt keine Systemreaktion. Ein ungebremstes Auffahren auf ein stehendes Stauende kann also noch nicht automatisch verhindert werden. Da ein aktives Notbremssystem im Gegensatz zu einem Notbremswarner direkt in die Fahrzeugführung eingreift, muss das System und der Entwicklungsprozess erhöhten Sicherheitsanforderungen entsprechen. Alternativ zu autonom eingreifenden Systemen wird auch die Entwicklung von Notbremswarnern vorangetrieben. Für diese Systeme gilt im Wesentlichen das bereits zu aktiv eingreifenden Systemen Gesagte. Lediglich die Auslösung des Bremseingriffs wird an die Fahrerentscheidung gekoppelt. Bei dieser Strategie behält der Fahrer die Entscheidung über den Bremsvorgang seines Fahrzeugs. Die Sicherheitsanforderungen sind hier deutlich geringer als bei aktiv eingreifenden Notbremssystemen. Aus Gründen der Akzeptanz dürfen aber auch Notbremswarner keine unnötigen Warnungen ausgeben. Die Interpretation der Daten des Statistischen Bundesamtes über Unfälle von Güterfahrzeugen im Straßenverkehr für das Jahr 2006 [5] verdeutlicht, welches Wirkungspotenzial Notbremssysteme haben: Mit 17,6 % aller Unfälle, die von Güterfahrzeugen verursacht wurden, war der Abstandsfehler zum vorausfahrenden Fahrzeug die häufigste Unfallursache. Auch bei Kraftomnibussen führt der Abstandsfehler mit 13,6 % die Reihenfolge der
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Unfallursachen an [5]. Zudem führt die hohe kinetische Energie bei Auffahrunfällen von Nutzfahrzeugen meist zu schweren Unfallfolgen. Aktive und warnende Notbremssysteme sind in der Lage, diese kritischen Situationen zu entschärfen.
38.7 Entwicklung für die Zukunft Heutige Fahrerassistenzsysteme unterstützen Fahrer in genau definierten Verkehrssituationen. Ein Spurverlassenswarner überwacht die Fahrzeugposition im Fahrstreifen, während Adaptive Cruise Control die Geschwindigkeit und den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug regelt. Jeder Assistent arbeitet eigenständig als einzelnes System. Künftige Sicherheitsassistenten werden hingegen kooperativ agieren und zu ganzheitlichen Systemen verschmelzen. Im Rahmen des europäischen Verkehrssicherheitsprojekts AIDE (Adaptive Integrated Driver-Vehicle Interface) arbeiten 30 Partner aus Fahrzeugindustrie und Forschung an einer gemeinsamen Architektur und einheitlichen Schnittstellen für Sicherheitssysteme. Zur Beschleunigung der Entwicklung und Markteinführung von intelligenten Systemen wurde von der Europäischen Kommission und der Industrie im Jahr 2002 die eSafety-Initiative gestartet. Mit dem Ziel, die Verkehrssicherheit zu erhöhen und die Unfallzahlen im europäischen Straßenverkehr zu reduzieren, wurden hierin die wesentlichen Forschungsschwerpunkte auf dem
Gebiet der Fahrerassistenzsysteme formuliert. Die Arbeitsgruppe Heavy-Duty-Vehicles befasste sich mit den Sicherheitsaspekten schwerer Nutzfahrzeuge. Europäische Nutzfahrzeughersteller haben gemeinsam verschiedene Maßnahmen hinsichtlich Sicherheitsgewinn, Systemkosten sowie Entwicklungsaufwand und -risiko diskutiert und bewertet. Die bedeutendsten aus Sicht der Bahnführungsassistenz sind die Erhöhung der Bremsfähigkeit, die Förderung der Entwicklung von Notbremssystemen sowie von Assistenzsystemen zum Schutz von Fußgängern und Radfahrern. Zudem ist eine Weiterentwicklung von Spurverlassenswarnern anzustreben, ebenso wie für Adaptive Cruise Control. Das künftige Adaptive Cruise Control wird zusätzlich über eine „Stop&Go“-Funktionalität verfügen. Die Verzögerung wird dann bis zum Stillstand geregelt und auf überlasteten Straßen zu deutlicher Fahrerentlastung bei stockendem Verkehr führen. Das System wird gleichzeitig Geschwindigkeit und Abstand im Stau auf der Autobahn regeln und den Fahrer auf kurvenreichen Bundesstraßen unterstützen. Dafür wird in zukünftigen Systemen der 77 GHz-Fernfeldradar durch einen 24 GHzNahfeldradar ergänzt (vgl. Bild 38-10). Letzterer weist zwar nur eine Sichtweite von 60 m auf, aber dafür einen Öffnungswinkel von 60 Grad. Hindernisse, die sich nur wenige Meter vor dem Fahrzeug befinden, und einscherende Fahrzeuge lassen sich damit zuverlässiger und früher erfassen. Ebenfalls werden Spurverlassenswarner zu vielseitigen Querführungssystemen weiterentwickelt. Diese können in die Querführung eingreifen, falls
Bild 38-10: Öffnungswinkel und Sichtweite der Kombination aus 77 GHz-Long Range Radar und 24 GHz-Short Range Radar [Quelle: MAN Nutzfahrzeuge AG]
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der Fahrer nach der Spurverlassens-Warnung nicht reagiert. Solche aktiven Eingriffe sind z. B. mit Systemen zur Momentenüberlagerung in der Lenkung oder in Form von gezielten Einzelradbremsungen denkbar. Die Möglichkeiten von Fahrtrichtungskorrekturen durch gezielte Einzelradbremsungen wurden bereits 2005 in dem vom BMBF geförderten Projekt „Safe Truck“ untersucht. Aufbauend auf einem System zur Erkennung der Fahrstreifenmarkierungen werden dabei kurzzeitig einzelne Radbremsen angesteuert, um den Lkw beim Verlassen des Fahrstreifens wieder in diesen zurückzulenken. Hintergrund der Untersuchungen war, bereits in Serie vorhandene Aktorik hinsichtlich der Einsatzmöglichkeit zur Korrektur der Bewegungsrichtung zu untersuchen – mit dem Ziel, eine Richtungskorrektur ohne zusätzliche, kostenintensive Aktorik zu realisieren. Die Machbarkeit einer gezielten Rückführung in den Fahrstreifen durch Einzelradbremsungen wurde in Simulationen und in Prototypen erfolgreich dargestellt. Eine Serienanwendung gibt es noch nicht. Diese erfordert u. a. noch weitere Untersuchungen hinsichtlich wechselnder Fahrbahn-Reibwerte. Zukünftige Spurwechsel-Assistenten signalisieren dem Fahrer, ob ein Überhol- oder ein Ausweichmanöver gefahrlos möglich ist: Betätigt der Fahrer den Blinker und das System erfasst von hinten herannahende Fahrzeuge, wird er z. B. über ein rotes Signal im Außenspiegel und eine entsprechende Anzeige im Zentraldisplay gewarnt. In Verbindung mit einer Kamera zur Erkennung von Fahrstreifen kann das System auch warnen, wenn der Fahrer ohne Blinkerbetätigung den Fahrstreifen wechselt. In diesem Fall kann zusätzlich eine Spurverlassenswarnung abhängig von der seitlichen Kollisionsgefahr erfolgen oder auch eine automatische Korrektur der Querführung durchgeführt werden. Künftige Notbremssysteme sollen auch stehende Hindernisse erkennen können. Sie werden den Bremsvorgang zeitlich vorverlegen und die Intensität der Bremsung an das Aufmerksamkeitsniveau des Fahrers als auch an die aktuelle Verkehrssituation anpassen. Voraussetzung dafür ist eine zuverlässige Umfelderfassung. Derzeit arbeiten Nutzfahrzeug- und Pkw-Hersteller an der Entwicklung redundanter Umfelderfassungen auf Basis von Radar-, Lidar- und Videosensorik: Vorstellbar sind verschiedene Sensorkombinationen, die den Frontbereich kontrollieren. Ziel ist es, durch Datenfusion diverser Sensoren eine zuverlässigere Erfassung im überlappenden Sichtbereich zu erhalten. Zusätzlich bietet die Datenfusion auch die Möglichkeit, den Sichtbereich zu erweitern und die Anzahl erkennbarer Objektmerkmale zu erhöhen. Diese höhere
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Informationsdichte ermöglicht eine verbesserte Situationsinterpretation und damit auch eine präzisere Ableitung der gewünschten Systemreaktion. Um Fußgänger und Radfahrer im Nahbereich – unmittelbar vor und seitlich neben dem Lkw – zu schützen, befinden sich Abbiegeassistenten in der Entwicklung. So verwendet z. B. ein System von MAN bis zu 12 Ultraschallsensoren, die an der Fahrzeugfront und am rechten Seitenbereich des Lkws angebracht sind. Die Sensoren erfassen das Umfeld um das Fahrerhaus im Bereich von ca. 2 m. Der Fahrer kann so gewarnt werden, wenn sich Radfahrer oder Fußgänger in diesen Bereich hineinbewegen. Neben der sensorischen Erfassung von Verkehrsszenen arbeiten mehrere Forschungsgruppen auch an Systemen zur Ermittlung der Aufmerksamkeit des Fahrers. Umfangreiche Arbeiten zur Aufmerksamkeitsanalyse laufen – neben weiteren Projekten zur aktiven Sicherheit und dem Verkehrsmanagement – im Rahmen der deutschen Forschungsinitiative AKTIV (www.aktiv-online.org). Mit einer Kamera wird die Blickrichtung des Fahrers und die Häufigkeit des Lidschlusses erfasst. Parallel dazu wird die Fahrzeugbedienung analysiert, z. B. Fahrpedal- und Bremspedalbetätigungen, Lenkbewegungen und die Nutzung weiterer Bedienelemente. Die Ergebnisse der Aufmerksamkeitsanalyse werden in mehrstufige Warn- und Handlungskonzepte eingebunden – beim Notbremsassistenten etwa ein akustisches Signal, dann eine Warnbremsung und schließlich die Notbremsung. Der Zeitpunkt der einzelnen Schritte wird an das Aufmerksamkeitsniveau und den Fahrstil des Fahrers angepasst. Ziel ist, dass der Assistent genau im richtigen Moment eingreift. An einer kooperativen Form der Bahnführung wird noch bis Ende 2009 im vom BMWi geförderten Projekt KONVOI gearbeitet. Universitäten, Speditionen und Forschungsabteilungen von Unternehmen aus der Nutzfahrzeugindustrie evaluieren das Verkehrssystem „Lkw-Konvois“ auf Autobahnen im realen Verkehr unter alltäglichen Bedingungen. Technologisch baut das Projekt auf Sensorik, Aktorik, Kommunikationstechnik und Algorithmen zur Längs- und Querführung auf, die in nationalen und europäischen Vorgängerprojekten wie Prometheus, INVENT und Chauffeur erarbeitet wurden. Mithilfe von Fahrerassistenzsystemen werden Lkws elektronisch aneinander gekoppelt. Längs- und Querführungssysteme regeln den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug sowie die Fahrzeugposition im Fahrstreifen. Ein Organisationsassistent vernetzt potenzielle Konvoiteilnehmer und hilft den Fahrern bei der Bildung von Konvois. In dem Projekt
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
soll neben einer Optimierung des Verkehrsablaufs und einer besseren Auslastung der bestehenden Infrastruktur gezeigt werden, dass gleichzeitig eine Kraftstoffersparnis und ein Sicherheitsgewinn erzielt werden kann. Weitere Möglichkeiten zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und des Verkehrsflusses eröffnen sich mit zukünftiger Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation und Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation. Diese Entwicklungen, aufgrund der zu erwartenden Stückzahlen zunächst vorwiegend von der Pkw-Industrie getrieben, werden auch in Nutzfahrzeugen zur Anwendung kommen. So wird ein vorausschauendes Fahren weit über den Sichthorizont des Fahrers hinaus möglich werden. Hierzu wird auch die Nutzung vorausliegender Streckendaten beitragen, die zukünftig von Navigationssystemen bereitgestellt werden können.
Quellenverzeichnis [1] Daschner, D.; Gwehenberger, J.: Wirkungspotenzial von Adaptive Cruise Control und Land Guard System bei schweren Nutzfahrzeugen. Allianz Zentrum für Technik GmbH, Bericht Nr. F05-912, im Auftrag von MAN für das BMBF-Projekt Safe Truck, München, 2005 [2] Gwehenberger, J.; Langwieder, K.; Heißling, B.; Gebhart, C.; Schramm, H.: Unfallvermeidungspotenzial durch ESP bei Lastkraftwagen. In: ATZ Automobiltechnische Zeitschrift, 2003 [3] ifmo (Institut für Mobilitätsforschung, Hrsg.): Zukunft der Mobilität – Szenarien für das Jahr 2025. Erste Fortschreibung. ifmo – Institut für Mobilitätsforschung. Eigenverlag, Berlin, 2005 [4] StBA, Statistisches Bundesamt: Verkehr. Unfälle von Güterkraftfahrzeugen im Straßenverkehr. Wiesbaden, 2006 [5] StBA, Statistisches Bundesamt: Verkehr. Unfälle von Güterkraftfahrzeugen im Straßenverkehr. Wiesbaden, 2007 [6] Niewöhner, W.; Berg, A.; Nicklisch, F.: Innerortsunfälle mit rechtsabbiegenden Lastkraftwagen und ungeschützten Verkehrsteilnehmern. DEKRA/VDI Symposium Sicherheit von Nutzfahrzeugen, Neumünster, 2004
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F 39 Navigation und Telematik Thomas Kleine-Besten, Ulrich Kersken, Werner Pöchmüller, Heiner Schepers
39.1 Historie Die Entwicklung von modernen Radionavigationsund Telematikgeräten begann mit der Einführung von Radiogeräten in das Kfz zu Beginn der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Diese ersten Radiogeräte für das Kfz basierten auf der Röhrentechnologie und nahmen ein Volumen von mehr als 10 Litern ein. Erst die Erfindung der Halbleitertechnologie und die damit verbundene Miniaturisierung der Bauteile ermöglichte eine kompakte Bauform dieser Radionavigations- und Telematikgeräte und damit den massenhaften Einsatz im Kfz. Navigations- und Telematiktechnologien für den Einsatz im Kfz wurden durch die zunehmende Motorisierung seit den 60er Jahren vorangetrieben. Die Zahl der Kraftfahrzeuge in den alten Ländern der Bundesrepublik hatte sich seit den 50er Jahren bis 1976 mehr als verzehnfacht und war auf 21,3 Mio. angestiegen. Die jährliche Fahrleistung betrug 1974 ca. 270 Mrd. km. Der Güterverkehr hatte sich zunehmend von der Schiene auf die Straße verlagert, sodass 1975 43 % der Transportleistung vom Güterstraßenverkehr erbracht wurden. Damit wurden Staus insbesondere auf Autobahnen zum Problem. Selbst der weitere Ausbau des Straßennetzes konnte nicht mehr mit dem Anstieg der Nachfrage nach Verkehrsraum Schritt halten. Weiterhin entwickelte sich, mitbeeinflusst durch die erste Energiekrise, ein zunehmendes Bewusstsein für die Auswirkungen des Rohstoff- und Energieverbrauchs auf die Umwelt. Im Zusammenhang mit dem zunehmenden Straßenverkehr stieg die Anzahl der Verkehrsunfälle und damit die Zahl der Verletzten und Toten signifikant an. Im Rahmen von Forschungsprojekten entstanden an Autobahnen die ersten Verkehrsbeeinflussungsanlagen (Warnanlage Aichelberg, Linienbeeinflussungsanlage A3 im Bereich BAB Dreiecke Dernbach – Heumar, Alternativroutensteuerung Rhein/ Main) zur Erfassung von Verkehrsdaten und zur Beeinflussung der Verkehrsströme über Geschwindigkeitsbegrenzungen, Überholverbote und Ausweisung von Alternativrouten. Erste Verkehrsmeldungen im Radio wurden seit den frühen 60er Jahren gesendet. Zunächst waren dies wöchentliche Berichte und Vorhersagen, später dann tägliche Informationen zur Verkehrslage. Mit der Einführung des Autofahrer-Rundfunk-
Informationssystems (ARI) am 01.06.1974 für die Abgabe von Verkehrsnachrichten im Rundfunk wird eine erste Stufe für die Automatisierung im Verkehrsnachrichtenwesen geschaffen. Für Verkehrsnachrichten werden mit diesem System Bereichskennungen innerhalb der alten Länder der Bundesrepublik festgelegt. Diese Bereichskennungen werden über Hinweisschilder an den Autobahnen angezeigt und können über einen Bedienschalter am entsprechend ausgestatteten Radiogerät ausgewählt werden. Verkehrsnachrichten werden nun halbstündlich ausgestrahlt, und für dringende Nachrichten kann das laufende Programm unterbrochen werden (z. B. Warnmeldung vor Falschfahrer). Die Weiterentwicklung dieser Technik zur Handhabung einer großen Anzahl sowie langer Verkehrsmeldungen führt zum Telematikdienst RDS-TMC (siehe Abschnitt 39.6). Die ersten Ideen zur elektronischen Zielführung (Electronic Route Guidance Systems) von Kraftfahrzeugen wurden 1968 in den USA von G. Salas veröffentlicht [1]. 1969 griff Dr. W. Kumm diese Idee am Institut für Nachrichtengeräte und Datenverarbeitung der TH Aachen auf. Als Übertragungsweg von Zielführungsdaten wird eine induktive Übertragungsstrecke vorgeschlagen. Zum Datenaustausch sollen die bereits zur Verkehrsdatenerfassung üblichen Induktionsschleifen verwendet und die Funktion Datenerfassung und Zielführung in einem System zusammengefasst werden. Damit war die Grundidee für das Autofahrer-Leit- und Informationssystem (ALI) geboren. ALI stellt ein individuelles, infrastrukturgestütztes Zielführungssystem für Autofahrer auf Bundesautobahnen und Fernstraßen dar. Es dient sowohl zur Erfassung von Verkehrsdaten als auch zur Übermittlung von individuellen Fahrempfehlungen. Bei gestörtem Verkehr führt es über eine weniger belastete Route zum Ziel und bewirkt dadurch die Senkung der Kfz-Betriebskosten, die Verminderung der Fahrzeitkosten und die Reduzierung der Unfallgefahr. Ein ALI-Feldversuch wurde 1980/1981 im östlichen Ruhrgebiet durchgeführt. Eine Kosten/Nutzen-Analyse kam gesamtwirtschaftlich zu einem ungünstigen Ergebnis: Für die öffentliche Hand musste mit jährlichen Investitionen von 8,3 Mio. DM gerechnet werden. In der Folge wurde mit dem Projekt EVA (Elektronischer Verkehrslotse für Autofahrer) eine Idee
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
aus dem Jahr 1978 weiterverfolgt, das als fahrzeugautonomes Zielführungssystem eine Verkehrsnavigation ermöglichte. Wesentliche Elemente waren dabei fahrzeugseitig installiert und resultierten somit in einem günstigen Kosten/Nutzen-Verhältnis, das 1983 in einem Feldversuch nachgewiesen wurde. Die Weiterentwicklung dieses Systems führte 1989 zum ersten europäischen Seriennavigationsgerät im Kraftfahrzeug.
39.2 Navigation im Fahrzeug Die Hauptaufgabe eines Navigationssystem besteht darin, den Nutzer zu einem geographischen Ziel zu führen. Als Eingangsgrößen stehen hierfür die Sensorik zur Positionsbestimmung und digitalisierte Straßendaten auf Datenträgern zur Verfügung. Die Straßendaten stellen eine digitale Abbildung des real vorhandenen Straßennetzwerks dar. Aus diesen Eingangsdaten werden dem Fahrer nach entsprechenden Nutzer-Eingaben optische und akustische
Bild 39-1: Umgebung der Navigation
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Hinweise gegeben, mit denen er das Fahrzeug zum Ziel führen kann. Die Prozessorbaugruppe der Navigation besteht aus dem Hauptprozessor und angebundenen Speichern sowie der Grafik-Hardware. Wesentliche Funktionalität der Navigation wird durch Softwaremodule realisiert, die auf der Prozessorbaugruppe ablaufen (siehe Bild 39-2). Der Fahrer wird über eine Sprachausgabe über den zu wählenden Weg informiert und erhält über Anzeigeinstrumente im Navigationsgerät (Kartendarstellung und/oder Symboldarstellung) oder im Kombi-Instrument (meist Symboldarstellungen) optische Zusatzhinweise. Auf der Prozessorbaugruppe befinden sich folgende Software-Module: Ortung zur Ortsbestimmung mit den aus der Sensorik zur Verfügung stehenden Daten, Zieleingabe zur Beschreibung des Ziels durch den Nutzer, Routenberechnung zur Bestimmung des Wegs vom aktuellen Standort zum eingegebenen Ziel (Route),
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Bild 39-2: Software-Module der Navigation
Zielführung zur Führung des Fahrers entlang der Route durch optische und akustische Hinweise, Kartendarstellung zur Anzeige der geographischen Karte mit aktuellem Ort, Route und Zusatzinformationen, Dynamisierung zur Einbeziehung und Berücksichtigung von Umweltereignissen (z. B. Nebel, Eisglätte) und Verkehrsinformationen (z. B. Stau, Straßensperrung) in der aktuellen Route, Korridor zur Voreinlagerung von Daten aus dem Navigationsdatenträger in den Hauptspeicher der Prozessorbaugruppe. Der Korridor wird insbesondere bei CD/DVD-basierten Navigationssystemen genutzt, um ein Navigieren ohne eingelegten Datenträger zu ermöglichen und somit das Laufwerk zur gleichzeitigen Wiedergabe von Audio-CDs zur Verfügung zu haben.
39.2.1 Ortung Die Aufgabe der Ortung liegt darin, aus der aktuell zur Verfügung stehenden Sensorinformation und deren Historie die aktuelle Position sicher zu bestimmen. Dabei muss zwischen zwei Positionsangaben unterschieden werden:
a) Der absoluten Position des Fahrzeugs im Raum, z. B. angegeben durch WGS 84-Koordinaten plus Bewegungsvektor und b) der relativen Position des Fahrzeugs bezogen auf das Straßennetz, repräsentiert durch die digitale Karte (Position nach so genanntem „Map-Matching“). Die weitaus meisten Funktionen nutzen derzeit die Position bezogen auf das Straßennetz. Die Anforderungen an die Ortung sind dabei vielfältig. Durch neue Funktionen, insbesondere die Nutzung der Navigation für Fahrerassistenzfunktionen, steigen die Anforderungen (Ortungsgenauigkeit, Integritätsangaben, Fehlerschätzungen, Fahrbahnerkennung, Ermittlung der Position innerhalb der Fahrbahn). Für die Navigation, die den Fahrer zu einem gewählten Ziel führen soll, ergeben sich folgende querschnittliche Anforderungen: Die von der Ortung ermittelte absolute Position muss einer Position in der Karte zugeordnet werden. Dabei entscheidet die Ortung, ob sich das Fahrzeug auf der Straße (on-road) oder neben der Straße (offroad) befindet. Der Ortungsalgorithmus ermittelt eine präzise absolute Position und geht gleichzeitig tolerant mit Ungenauigkeiten in der digitalisierten Karte um.
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Für eine Zielführung hat der Positionsfehler im Straßennetz jederzeit so klein zu sein, dass Fahrempfehlungen rechtzeitig vor jeder Kreuzung ausgegeben werden können, auch bei kurz hintereinander folgenden Fahrmanövern. Alle Fahr- und Wendemanöver dürfen nicht zu einem Ortungsverlust führen. Das Verlassen der Straße – Fahrt vom onroad ins off-road (z. B. bei Einfahrt auf einen Parkplatz) – muss erkannt werden. Nach Verlassen des Parkplatzes an einer beliebigen Stelle und Befahren der nächsten Straße – Fahrt vom off-road zum onroad – muss die Ortung automatisch auf die richtige Netzposition aufsetzen. Nach einer beliebig langen Fahrt außerhalb des Straßennetzes ist unmittelbar nach Eintritt in das digitalisierte Gebiet die richtige Position im Netz zu finden. Insbesondere für asiatische und nordamerikanische Straßennetze ist die Erkennung einer Höhenänderung für die Fahrbahnebene bei mehrgeschossigen Brücken und Fahrwegen wichtig. Zukünftig wird eine Ortung in Gebäuden erwartet, beispielsweise in Parkhäusern oder für die Fußgängernavigation. Eine Bewegung des Navigationsgeräts in ausgeschaltetem Zustand muss nach dem Wiedereinschalten zuverlässig und schnell erkannt und die aktuelle Position in der Karte bestimmt werden können. Für mobile Navigationssysteme (Personal Navigation Device – PND) oder Mobiltelefone mit Ortung ist dies eine Normalsituation. Bei in das Fahrzeug integrierten Systemen tritt dieser Fall bei ausgestellter Zündung z. B. bei der Nutzung von Fähren oder Autoreisezügen ein. Eine Forderung, die der Genauigkeit und dem Komfort gilt, ist die automatische Kalibrierung des Systems, welche die Reifenabnutzung berücksichtigt sowie insbesondere einen Reifenwechsel erkennt und daraufhin eine Neukalibrierung startet. Die Ortung funktioniert dabei zweistufig: Zunächst wird mittels Koppel-Ortung (engl. deadreckoning) eine Position bestimmt, die dann im Folgenden per Map-Matching auf die digital vorliegende Straßengeometrie abgebildet wird. Bei der Koppel-Ortung handelt es sich um ein Verfahren, in dem ausgehend von einer aktuellen Position mittels Wegdifferenz, Winkeländerung und vergangener Zeit eine neue absolute Position bestimmt wird. Ausgehend von einer bekannten Ausgangsposition und bekanntem Ausgangswinkel kann man durch Weg- und Winkelmessung sowie Addition der Wegvektoren die erreichte Position bestimmen. Die Addition der Wegvektoren nennt man „koppeln“. Die Ortung sammelt und synchronisiert die Signale, welche teilweise mit unter-
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schiedlicher Frequenz vorliegen (siehe Tabelle 39-1), und führt sie auf eine Zeitbasis zurück, um dann die Koppel-Position zu bestimmen. In mobilen Navigationssystemen (PND) ist es üblich, nur mittels GPS zu orten. GPS (Global Positioning System) ist ein System zur Positionsbestimmung mittels Satellitenortung. Vom USVerteidigungsministerium wurden 31 Satelliten in die Erdumlaufbahn gebracht, die die Erde zweimal täglich in etwa 20 000 km Höhe umkreisen. Diese Satelliten strahlen Funksignale auf 1575,42 MHz und 1227,60 MHz unter Angabe ihrer Position und Uhrzeit aus. Beim Empfang von mindestens 4 Satelliten kann ein Empfänger aufgrund der Laufzeit der Signale, die aus der Uhrzeitdifferenz zwischen Sender und Empfänger gewonnen wird, sowie der Positionsangabe der Satelliten die eigene Position bestimmen. Das Verfahren entspricht einer Gleichung mit 4 Unbekannten (Zeit und 3 Positionen) mit Schnittpunktbildung von 3 Kugeln, deren Radien sich aus der Signallaufzeit ergeben. Im Jahr 2000 wurde die zuvor beaufschlagte künstliche Ungenauigkeit der Signale abgeschaltet, um eine verbesserte zivile Nutzung des GPS zu erlauben, sodass mittels GPS eine Positionsbestimmung mit 10 m bis 20 m Genauigkeit bei ungestörtem Empfang und günstiger Satellitenkonstellation möglich ist. Kfz-Systeme verfügen in der Regel über Zusatzsensorik bzw. eine Anbindung an die im Fahrzeug vorhandene Sensorik, um auch ohne GPS-Empfang eine zuverlässige Position zu liefern. Da alle Signale in bestimmten Situationen fehlerbehaftet sind, muss die Ortung die Signale gegeneinander abgleichen und kalibrieren. Ein gängiges Verfahren stellt die Kalman-Filterung [2] dar, bei der auf Basis eines Systemmodells zunächst der Ausgangswert abgeschätzt und dann mit dem durch die Sensorik gemessenen Wert verglichen wird. Die Differenz zwischen Abschätzung und Messung dient daraufhin der Verbesserung des aktuellen Systemzustands. Somit ist es möglich, fehlerbehaftete Daten entsprechend weniger gewichtet in die KoppelOrtung einzubeziehen. Ist die Position mittels Koppel-Ortung bestimmt, muss ein Abgleich (Matching) mit den digitalen Kartendaten (Map) auf dem Datenträger erfolgen, das so genannte Map-Matching. Der Abgleich ist nötig, da neben der Koppel-Ortungsposition auch die digitalen Straßendaten fehlerbehaftet sind. Dies ist einerseits auf ungenaue/fehlerbehaftete Datenerhebung bei der Digitalisierung des Straßennetzes zurück zu führen, andererseits werden den digitalen Daten bei der Datenaufbereitung für die Datenträger Informationen entzogen (Generalisierung), damit die Datenmenge reduziert wird und so
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Tabelle 39-1: Sensorik in Navigationssystemen Sensor
Üblicher Verbau
Gyro (Kreiselkompass)
Direkter Verbau eines mikro- Winkeldifferenz mechanischen Gyros oder Übertragung der Gyro-Werte von vorhandenem Gyro (z. B. ABS-Gyro) über CAN
Rauschen Temperaturgang Einbauwinkel
Odometer via Draht
Rechteck-Impuls
Wegdifferenz
Reifenausdehnung
Wegdifferenz
Reifenausdehnung Empfangsstörungen wie Empfangslücken, Mehrwegeempfang
Odometer via CAN
Gewonnenes Signal
Fehlerquelle
GPS-Empfänger
GPS-Empfänger direkt verbaut
Absolute Position Wegdifferenz Winkeldifferenz
Beschleunigungssensor (ggf. mehrachsig)
Direkter Verbau
Abhängig von der Anzahl Temperaturgang der Achsen: Beschleuni- Einbauwinkel gungsänderung
Radimpulse
Via CAN von ABS-Sensoren Weg und Winkeldifferenz Reifenausdehnung
Lenkwinkelgeber
Via CAN
auf den Datenträger passen kann. Das verwendete Verfahren ist üblicherweise eine Trajektorienbildung aus den Sensordaten und dem Abgleich dieser Trajektorie mit den Kartendaten. Daraus erfolgt die Bestimmung der wahrscheinlichsten Position in der Karte. Auch hier ist trotz der Anforderung, die Position möglichst genau zu bestimmen, eine Fehlertoleranz wichtig, damit es im Falle einer geringfügigen Abweichung vom digitalisierten Straßennetz nicht zu Fehlverhalten der Navigation kommt. So darf eine Baustelle auf einer Autobahn mit Umleitung auf die Gegenfahrbahn nicht dazu führen, dass das Map-Matching die Fahrzeugposition auf die Gegenfahrbahn abgleicht und dem Fahrer eine Wendeempfehlung gegeben wird. Hierzu werden vom Map-Matching entsprechende in den Kartendaten hinterlegte Attribute wie Fahrtrichtungen ausgewertet. Die Erfahrung zeigt, dass es einem SinglepathMap-Matching trotz Einsatz ausgeklügelter Algorithmen an Zuverlässigkeit mangelt, da bei Betrachtung nur eines Pfades das Erreichen der geforderten hohen Map-Matching-Qualität an Sensortoleranzen, kleinen Digitalisierungsungenauigkeiten und Umwelteinflüssen scheitert. Abhilfe schafft die gleichzeitige Betrachtung mehrerer Pfade (Multipath-Map-Matching). Durch die gleichzeitige Verfolgung mehrerer Pfade erhält die Ortung die Fähigkeit, Fehler bei der Entscheidung über das „wahrscheinlichste Straßensegment“ rückgängig
Winkeldifferenz
Reifenausdehnung
zu machen, dem System wird quasi ein Gedächtnis aufgeprägt. Durch eine Bewertung der parallel betrachteten Pfade erhält man den Hauptpfad als denjenigen mit der höchsten Bewertung. Die Position auf dem Hauptpfad wird zur Steuerung der Fahrempfehlungen und zur Anzeige der Fahrzeugposition in der Karte verwendet. Sind die Bewertungen von Hauptpfad und einem der Parallelpfade annähernd gleich, so wird als zusätzliches Kriterium die berechnete Route zur endgültigen Bestimmung des Hauptpfads herangezogen. In diesem Sinne erfüllen die Parallelpfade eine Sicherheitsfunktion, auf die dann zurückgegriffen werden kann, wenn eine Plausibilitätsbetrachtung für einen der Parallelpfade eine größere Wahrscheinlichkeit für die Fahrzeugposition ergibt als der bisherige Hauptpfad. Neben der Generierung von Parallelpfaden ist ein Prozess zur Reduzierung der Anzahl an Parallelpfaden erforderlich, da sonst im engmaschigen Straßennetz binnen kurzer Zeit unbeherrschbar viele Pfade zu betrachten wären. Ein Parallelpfad wird gelöscht, wenn seine Bewertung einen festgesetzten Grenzwert unterschreitet [3], [4]. Die vom Map-Matching errechnete und auf die Straße abgebildete Position des Hauptpfads wird den anderen Navigationsmodulen geeignet bereitgestellt. Insbesondere für die genaue und ruckfreie Kartendarstellung wird ein hochfrequentes Positionssignal (> 15 Hz) benötigt, sodass die Ortung die Position ggf. extra- oder interpolieren muss.
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
39.2.2 Zieleingabe Mittels der Zieleingabe (auch Index genannt) kann der Nutzer über verschiedene Eingabemöglichkeiten Ziele eingeben. Dazu sind die Straßenbezeichnungen und ortsbeschreibenden Daten üblicherweise stark komprimiert in einer Baumstruktur auf einem Datenträger abgelegt (siehe Bild 39-3). Die politisch-hierarchische Adress-Eingabe in Europa erfolgt üblicherweise über die Eingabe von Land, Ort oder Postleitzahl, Straße und Hausnummer in eben dieser Reihenfolge. In Nordamerika werden Bundesstaat, Straße und Ort eingegeben. Dabei erfolgt eine Ausdünnung der dem Nutzer angebotenen Daten derart, dass beispielsweise in Europa nur die jeweils im Ort oder Postleitzahlbereich vorhandenen Straßen bzw. in Nordamerika nur die Orte, in denen die bereits eingegebene Straße vorkommt, zur Auswahl angeboten werden. Weitere Unterstützungsfunktionen sind die automatische Buchstabenausdünnung (automatic spelling function, ASF), bei der die nicht mehr möglichen Buchstabenkombinationen im Nutzermenü ausgegraut, oder die Ähnlichkeitssuche, bei der ähnlich geschriebene Orte/Straßen zur Auswahl angeboten werden. Zudem muss im Falle von Mehrdeutigkeiten (der Ort Frankfurt existiert mehrfach in Deutschland) dem Nutzer eine Aus-
Bild 39-3: Zieleingabe-Baumstruktur
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wahl zur Verfügung gestellt werden (Mehrdeutigkeitsauflösung). Neben der direkten Adress-Eingabe können häufig auch besonders interessante Punkte (points of interest, POI) zur Adressauswahl verwendet werden, wie beispielsweise Tankstellen, Autowerkstätten, Sehenswürdigkeiten oder Restaurants. Bei diesen Zielen ist es häufig möglich, einen Reiseführer anzuwählen, der neben dem Ort noch Zusatzinformationen zum Reiseziel (Art des Restaurants, Öffnungszeiten) liefert. Insbesondere bei POI ist die Funktion einer Umgebungssuche wichtig, um beispielsweise einen bestimmten Parkplatz an der Zielposition zu suchen bzw. eine Tankstelle oder ein Restaurant an der aktuellen Position bzw. entlang der aktuellen Fahrtstrecke zu finden. Bei der Zieleingabe ist die Antwortzeit im Nutzerinterface kurz zu halten, um dem Nutzer ein zügiges Eingeben des Ziels zu ermöglichen. Ist auf Festspeichern (Festplatte, SD-Card, Flash) der Zugriff performant möglich, muss auf rotierenden Medien (CD, DVD) aufgrund der bautechnisch bedingten großen Zugriffszeiten (Seek-Time) ein zugriffsoptimierter Algorithmus angewendet werden, der trotz aller oben genannten Komfortfunktionen (z. B. Ausdünnung) mit einer geringst möglichen Anzahl an Zugriffen auskommt.
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39.2.3 Routensuche Die Routensuche ist dafür verantwortlich, im Straßennetzwerk den bestmöglichen Weg entsprechend der eingestellten Optionen und Kriterien von der aktuellen Position zum Ziel zu finden. Dazu werden die Daten der digitalen Straßenkarten in Knoten und Kanten abgelegt, die den Kreuzungen und den die Kreuzungen verbindenden Straßen entsprechen. Diese werden mit entsprechenden Attributen belegt, welche den Widerstand, d. h. die Durchfahrtsgeschwindigkeit für den Routensuchalgorithmus, repräsentieren. Wesentliche Attribute sind Straßenklasse, Länge, Fahrtrichtung oder FahrBeschränkungen (beispielsweise Mautpflicht). Die Straßenklasse gibt dabei an, ob es sich um Autobahnen, Bundesstraßen, Landstraßen oder Wohngebietsstraßen handelt. Mittels Algorithmen aus der Graphentheorie (beispielsweise A-Stern, Dijkstra [5]), wird durch dieses Widerstands-Netzwerk dann der Weg mit dem entsprechend geringsten Widerstand gemäß der eingestellten Optionen und Kriterien gesucht. Übliche Routenoptionen und Kriterien sind: Schnelle Route: optimierte Route hinsichtlich möglichst kurzer Fahrzeit Kurze Route: optimierte Route hinsichtlich möglichst kurzer Strecke Optimale Route: Route mit Kompromiss zwischen kurzer Strecke und Fahrzeit Dynamisierung: Route mit Berücksichtigung von Verkehrsnachrichten und entsprechend berechneten Umleitungen
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Meide-Kriterien, mit denen bestimmte Abschnitte gemieden werden können: Autobahn, Maut, Fähren, Tunnel. Die Routensuche in beweglichen Fahrzeugen ist dabei zumeist kein einmaliger Vorgang. Beim Abweichen von der berechneten Route oder beim Empfang von Verkehrsmeldungen muss eine neue Route berechnet werden. Eine Routen-Neuberechnung soll möglichst schnell erfolgen. Dazu werden folgende Techniken angewendet: Zwischenspeichern (cachen) von Daten in schnelleren Speichern bei langsamen Datenträgern (CD, DVD), Verwendung von Datenhierarchien (siehe Bild 39-4): Hochklassifizierte, lange Straßen (z. B. Autobahnen, Bundesstraßen) werden in einem separaten Datennetz gehalten. Die Routensuche berechnet nur an Start und Ziel auf niedriger Hierarchiestufe (d. h. in Wohn/Stadt/Landstraßen) und berechnet größere Distanzen auf höheren Stufen (d. h. auf Autobahnen und Bundesstraßen), um die Anzahl der Berechnungsschritte zu reduzieren. Die Datenhierarchien sind an Knoten und/oder Kanten über entsprechende Querverweise in den digitalen Kartendaten miteinander verbunden. Verwendung von vorberechneten Routen oder Stützpunkten: Es werden vorberechnete Teilstücke hinzugezogen, die im Bedarfsfall nicht neu berechnet werden müssen. Die Routensuche stellt die berechnete Route anderen Navigationsmodulen zur Verfügung: der
Bild 39-4 Routenberechnung mithilfe von Datenhierarchien
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Zielführung zur Erstellung von Hinweisen für den Fahrer, der Kartendarstellung zur Anzeige und dem Nutzerinterface zur Erzeugung der Routenliste (d. h. der Abfolge des zu befahrenen Weges).
39.2.4 Zielführung Aufgabe der Zielführung ist es, den Fahrer rechtzeitig, jedoch möglichst eindeutig und wenig redundant mit Informationen über die bevorstehenden Fahrmanöver zu informieren. Dazu erhält sie von der Ortung die aktuelle Position und von der Routensuche die zu befahrene Strecke und generiert daraus Fahrempfehlungen wie „rechts abbiegen“ oder „dem Straßenverlauf folgen“. Die Fahrempfehlungen werden abhängig von der Straßensituation und der aktuellen Geschwindigkeit ausgegeben. So ist es wichtig, auf Autobahnfahrten mit hoher Geschwindigkeit ein Rechtsabbiegen rechtzeitig vorher anzukündigen (vorankündigende Fahrempfehlung, z. B. „Demnächst rechts abbiegen“) und dann in einem Abstand vom Abbiegepunkt bzw. Entscheidungspunkt zu wiederholen, der ein Reagieren des Fahrers entsprechend der aktuellen Geschwindigkeit zulässt (Beispiele: „In 300 m rechts abbiegen“, „Jetzt rechts abbiegen“). Auf Wohnstraßen, die mit kleinen Geschwindigkeiten
Bild 39-5: Zielführungssituation
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befahren werden, fallen diese Abstände deutlich kürzer aus. Zusätzlich werden Folgefahrempfehlungen bzw. verkettete Fahrempfehlungen (Beispiel: „Jetzt rechts abbiegen, danach links abbiegen“) generiert, die dem Fahrer das richtige Einordnen in die Fahrspuren ermöglichen. Die Ansagen müssen möglichst eindeutig sein, damit auch ein Navigieren nur mit akustischen Ausgaben möglich ist, ohne die Aufmerksamkeit des Fahrers von der Fahrbahn abzulenken. So sollte eine Fahrempfehlung nicht gegeben bzw. verzögert werden, wenn die Straßensituation nicht klar erkennen lässt, auf welche Straße sich eine Empfehlung bezieht. Sowohl die Fahrempfehlungen, die Grammatik als auch das Regelwerk und die Parameter, welche die zeitliche Abfolge der Fahrempfehlungen festlegen, sind herstellerspezifisch (Applikations-KnowHow, welches über mehrjährige Erfahrung gewonnen wird). Die Empfehlungen werden akustisch, d. h. durch Sprachausgaben und optisch durch Fahrsymbole (Pfeile) und ggf. eine Kartendarstellung (siehe Abschnitt 39.2.5) gegeben. Die Fahrsymbole werden dabei durch eine optische Entfernungsangabe (Bargraph) unterstützt. Fahrempfehlungen können durch zahlreiche Zusatzinformationen ergänzt werden, z. B. durch Empfehlungen oder Anzeige der zu verwenden-
39 Navigation und Telematik
den Fahrbahnen, der Name der Straße, in die eingebogen werden soll (Turn-To-Info) oder optische Anzeige von Aus- und Einfahrten (Highway-Entry/ Exit Empfehlungen).
39.2.5 Kartendarstellung Neben der Zielführung dient auch die Kartendarstellung der Orientierung des Fahrers. Das Kartenmodul erhält zur Darstellung von den anderen Modulen folgende Daten: Vom Datenträger (oder im Cache gespeichert vom Korridor) die darzustellenden Vektor- und Bitmapdaten. Vektordaten beschreiben geometrische Formen wie Straßenzüge, Bebauungsflächen, Gewässer. Diese werden auf dem Datenträger angereichert um Straßenklassen (z. B. unterschiedliche Farbe/Breite zur Unterscheidung von Autobahn, Landstraße) und weitere Attribute (zum Beispiel erlaubte Höchstgeschwindigkeit). Bei der 3D-Darstellung werden diese ergänzt von 3D-Gebäudemodellen für einzelne wichtige Gebäude (POI als 3D-Landmarks) oder 3D-Modellen ganzer Regionen (derzeit einzelne Städte). Bitmap-Daten werden in Form von Satellitenkarten oder Texturen für Gebäudemodelle verwendet. Häufig wandelt die Kartenkomponente diese Daten in eine interne Repräsentation um, die sich dazu eignet, möglichst schnell dargestellt zu werden (rendering optimiert). Von der Ortung die Information über die Position und die Bewegung des Fahrzeugs, um an der aktuellen Position einen Positionsmarker darzu-
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stellen, der möglichst flüssig der Bewegung des Fahrzeugs folgt. Von der Routensuche die Information über die aktuelle Route, um diese in der Karte hervorgehoben darzustellen. Von der Zielführung die Informationen über die nächsten Fahrmanöver, um die Manöver in die Karte einzublenden oder dem Fahrer in speziellen Ansichten übersichtlich die aktuelle Situation vor Augen zu führen, wie Kreuzungszoom (die nächste Kreuzung und das entsprechende Manöver wird vergrößert dargestellt) oder Highway Entry/Exit Guidance (die Ein-/Ausfahrt wird dargestellt). Von der Dynamisierung die Information über Verkehrsmeldungen, um diese in die Karte einzublenden. Von der Zieleingabe die Informationen über POI, die in die Karte eingeblendet werden (beispielsweise Tankstellen, Parkplätze, Werkstätten, Restaurants). Vom Benutzerinterface die Information über die eingestellte Ansicht, d. h. der Ausschnitt der Kartendarstellung (Positionskarte, Zielkarte, Übersichtskarte), Kartenmaßstab (meist von 25 m Detailansicht bis 500 km Übersicht) und Art der Karte (2D, gekippte Karte samt Kippwinkel, 3D).
Einen Überblick über die Arten der Kartendarstellung gibt Bild 39-6. Eine performante Kartendarstellung hängt wesentlich von der Leistungsfähigkeit der verwendeten Hardware ab, d. h. der Leistungsfähigkeit
Bild 39-6 Beispielhafte Kartendarstellungen
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
von Hauptprozessor und Grafik-Beschleuniger. Zur flüssigen Darstellung von 2D- und gekippten, perspektivischen 2D-Karten mit mehr als 10 Bildern pro Sekunde (frames per second, fps) werden Prozessoren größer 200 MIPS (million instructions per second) und 2D-Grafik-Beschleuniger eingesetzt, die Polygone selbstständig darstellen können. Für performante 3D-Kartengrafik sind 3D-GrafikBeschleuniger notwendig, die selbstständig texturierte Flächen darstellen können und Z-Buffer (Tiefeninformation) zur perspektivischen Verdeckungsberechnung besitzen. Zur Beschleunigung der Software wird auch in der Kartendarstellung mit verschiedenen Datenhierarchien gerechnet, die beim Herauszoomen ein Ausdünnen des dargestellten Straßennetzes zur Reduzierung der darzustellenden Polygone ermöglicht. Die Darstellung einer perspektivischen Karte erfolgt unter Nutzung verschiedener „Level of Details“ (LOD), weiter entfernt liegende Objekte werden nicht so detailgetreu gezeichnet wie nah liegende Objekte. Zudem sind für eine gute Anmutung der Kartendarstellung eine hohe Auflösung und Anti-Aliasing zur Vermeidung von Treppeneffekten bei der Liniendarstellung wichtig, was jedoch wiederum höhere Anforderungen an die Rechenleistung des Systems stellt.
39.2.6 Dynamisierung Die Dynamisierung hat die Aufgabe, Umwelteinflüsse in die Navigation einzubeziehen. Typischerweise sind dies Verkehrsmeldungen im TMC-Format, die über Rundfunksysteme (FM-RDS, DAB) oder Mobilfunksysteme (GSM, GPRS) empfangen werden. Neben frei empfangbaren, meist von öffentlichen Anstalten bereitgestellten TMC-Nachrichten gibt es kostenpflichtige Dienste (Pay-TMC), wie beispielsweise TMC-pro. TMC ist mit einer 37 bitKodierung auf schmalbandige Übertragungswege (Ursprung war FM-RDS mit Datenraten von 60 Bit/ Sek) optimiert. In einer TMC-Meldung sind das Ereignis (beispielsweise Stau, Unfall, Sperrung, Falschfahrer) und die Ortsangabe (ca. 65 500 Orte, auch Locations genannt, jeweils über international standardisierte Tabellen länderspezifisch festgelegt) enthalten. Durch die im Ereignis mitgeteilten Informationen (Längenangabe, Geschwindigkeitsangabe) kann die Dynamisierung die Berechnung einer Route beeinflussen, indem nach dem Abbilden der in der Nachricht enthaltenen Location auf das digitale Straßennetz beispielsweise die Widerstände einzelner Knoten/Kanten entsprechend der Störung erhöht werden. So ergibt sich bei der Berechnung eine entsprechende Umleitungsroute. Eine solche
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erneute Routenberechnung wird entweder automatisch angestoßen (Routenoption „dynamische Route“), oder der Nutzer wird über die geänderte Verkehrslage benachrichtigt und kann eine Routenneuberechnung auslösen (benutzerbestätigte Dynamisierung). Neben der Berücksichtigung bei der Routenberechnung ist die Dynamisierung dafür zuständig, die codierten Verkehrsnachrichten zur Darstellung in lesbare Form aufzubereiten und die Ereignisse abgebildet auf das Straßennetz der Kartendarstellung zur Verfügung zu stellen. So können sich Fahrer oder Beifahrer auch optisch einen Eindruck von der Verkehrssituation verschaffen. Neben der visuellen Darstellung kann auch die Zielführung beauftragt werden, beim Erreichen der Verkehrsstörung den Fahrer akustisch zu warnen („Achtung 2 km Stau“). Für breitbandigere Übertragungswege (z. B. DAB, WLAN) sind neue Standards (TPEG) in Planung, die es erlauben, sowohl Ereignis wie auch Ortsangabe noch genauer zu spezifizieren.
39.2.7 Korridor und Datenabstraktion (Datenträger) Die digitalisierten Straßendaten stehen der Navigation als Massendaten auf Datenträgern zur Verfügung. Für ein Land der Größe Deutschlands sind dabei mehrere 100 MB notwendig. Neben den klassischen Datenträgern CD, meist mit der Abdeckung eines einzelnen Landes, und DVD mit kontinentaler Abdeckung, beispielsweise Europa, kommen heute vermehrt elektronische Massenspeicher (Flash, SDCard, Harddisk) zum Einsatz. Die Eigenschaften des Datenmediums beeinflussen den Funktionsumfang und die Leistungsfähigkeit einer Navigation. Wesentliche Faktoren sind: die Datenmenge, die neben der regionalen Abdeckung (einzelne Länder vs. Europa/Nordamerika) auch den Funktionsumfang beschränkt. Für bestimmte Funktionen wie Geschwindigkeitshinweise sind Datenattribute aufzunehmen, die Speicherplatz belegen; die Zugriffszeit, die wesentlichen Einfluss auf die Performance hat, insbesondere wenn über das Speichermedium verteilte Daten benötigt werden, wie bei der Berechnung von Fernrouten über weite Gebiete/Entfernungen, bei der Zieleingabe (Bewegen im Indexbaum) oder beim Systemstart (viele unterschiedliche Daten sind zu lesen); die Datentransferrate, wenn größere Datenmengen gelesen werden, wie bei der Kartendarstellung;
39 Navigation und Telematik
weitere Faktoren wie Abnutzung/Verschmutzung im Falle von rotierenden, optischen Medien wie CD/DVD. Um den Zugriff auf diese zum Teil langsamen Datenträger ganz oder teilweise zu umgehen, verwenden viele Navigationsgeräte einen Korridor. Er lagert benötigte Daten strategisch vorab in elektronischen Speichern ein, um diese dann zwischengespeichert (gecached) weitergeben zu können. Dies sind insbesondere die Daten um die aktuelle Position, entlang der Route oder im Zielgebiet.
39.3 Offboard-Navigation Wenn alle Teilaufgaben der Navigation (z. B. Ortung, Routenberechnung) im Fahrzeug erbracht werden, spricht man von einer autarken oder OnboardNavigation. Bei der Offboard-Navigation (OBN) werden Teilaufgaben, z. B. die Route, auf einem externen stationären Server berechnet. Die berechneten Daten und Informationen werden vom Server über eine Luftschnittstelle (siehe Abschnitt 39.6) in das Fahrzeuggerät übertragen. Der Verlagerung sind bei entsprechender Auslegung der Luftschnittstelle (Bandbreite) sowie einer ausreichenden Serverrechnerleistung keine Grenzen gesetzt. Im Extremfall verbleiben im Fahrzeug nur die Sensoren für die Ortung und die für die Ein- und Ausgabe notwendigen Komponenten. Die gängige Konstellation ist
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jedoch, dass die Zieleingabe, die Routensuche und die Dynamisierung durch den Server bereitgestellt werden, während die Prozesse mit höherer zeitlicher Dynamik wie die Ortung, Zielführung und auch die Kartendarstellung im Fahrzeug verbleiben (siehe Bild 39-7). Der Vorteil einer OBN gegenüber einer OnboardNavigation liegt in der Aktualität der Daten, die auf einem Server besser administriert werden können. Bezüglich der Materialkosten ergeben sich keine Vorteile. Bei der OBN wird der Datenträger und das Laufwerk zum Einlesen der Daten durch die Kommunikationseinheit (z. B. GSM-Modul) ersetzt, ansonsten werden die gleichen Komponenten wie bei der Onboard-Navigation benötigt. OBN hat sich als Standardapplikation im Mobilfunkbereich für Handys mit GPS-Unterstützung etabliert.
39.4 Hybrid-Navigation Zukünftige Anforderungen an eine Navigation sind dynamische Aktualisierung von sog. „points of interest (POI)“, Zugriff auf Daten oder Routen gegen Bezahlung, innerstädtische Dynamisierung, serverbasierte Navigation (Offboard-Navigation) und Kartendarstellung mittels virtueller Realität und Satellitenbildern (siehe Bild 39-8). Ein Großteil dieser Ziele erfordert die sog. Hybrid-Navigation. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass bei den Navigations-Funktionen auf eine Vielzahl von Datenquellen zurückgegriffen werden muss.
Bild 39-7 Systemvergleich Onboard- vs. OffboardNavigation
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Die Datenquellen können weitestgehend beliebig auf Fahrzeug und Infrastruktur verteilt sein. Dabei kommt aus Kostengründen der effizienten Übertragung von Daten über Mobil- und Rundfunk eine große Bedeutung zu. Wichtig ist weiterhin, Verfahren zu entwickeln, welche die Abbildung (Georeferenzierung) von Daten aus verschiedenen Quellen aufeinander und insbesondere auf die im Fahrzeug vorhandene digitale Karte ermöglichen. Lediglich die Übertragung der Koordinaten reicht dabei nicht
aus, da das richtige Element aus der Vielzahl der Möglichkeiten herauszufinden ist. Auf spezielle Anwendungen zugeschnittene Referenzierungsverfahren existieren bereits, doch erfüllen sie bisher nicht die Forderungen nach Flexibilität und Unabhängigkeit von den verwendeten Karten (bzgl. der Genauigkeit und der Herstellerunabhängigkeit). Ein neues Verfahren bekannt unter dem Namen AGORA, wurde im gleichnamigen EU-Projekt [6], [7] entwickelt und durch die ISO standardisiert.
Bild 39-8: Hybrid Navigation – durch Nutzung fahrzeugexterner Datenquellen
Bild 39-9: Verdeutlichung des Georeferenzierungsverfahrens AGORA an einem Beispiel
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39 Navigation und Telematik
Hierbei können mittels Korrelationsverfahren Elemente einer detaillierten Karte in eine einfachere Karte eingefügt werden. Die Standardisierung dieses Verfahrens ist abgeschlossen.
39.4.1 Kartendaten – aktuell und individuell Jede einmal erworbene digitale Karte büßt im Laufe der Zeit an Aktualität ein. Das Altern der Karte macht sich in Abweichungen von der Realität bemerkbar – neue oder umgebaute Straßen fehlen, Beschilderungen wurden geändert. Betrachtet man die Karte als Sensor, dann liefert dieser unsystematisch, aber wiederholbar fehlerhafte Daten. Bislang entscheidet der Nutzer, wann die Fehler nicht mehr tolerierbar sind und durch einen Neukauf der Kartendaten ein „Update“ durchgeführt wird. Je mehr Funktionen im Fahrzeug von den Kartendaten abhängen und insbesondere je sicherheitsrelevanter diese Funktionen sind, desto mehr wird die Entscheidung über eine notwendige Aktualisierung der Kartendaten vom Nutzer unabhängig sein müssen. In der Entwicklung befinden sich deshalb derzeit verschiedene Verfahren, die eine automatische Aktualisierung der Kartendaten ermöglichen sollen. Ein kontrollierter, einheitlicher und damit qualifizierbarer Austausch von Datenteilen wird in der „Physical Storage Initiative“ vorbereitet, die neben der OEM-übergreifenden Vereinheitlichung des Datenspeicherformats Mechanismen für den inkrementellen Datenaustausch festlegt. Der Vorteil an diesem Verfahren ist, dass die Daten vorher qualifiziert, versioniert, freigegeben und auf einem Server
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zentral bereitgestellt werden können. Die Datenstände in den Fahrzeugen entsprechen definierten Versionen, die eine Fehlersuche und -behebung ermöglichen. Andere Verfahren sollen die Navigation selbst dazu befähigen, Fehler in der Datenbasis zu erkennen und zu beheben. In den EU-Förderprojekten ActMAP [8], [9] und FEEDMAP [10] wurden z. B. Möglichkeiten und Techniken untersucht, um die Karte aktuell zu halten. Diese fahrzeugautonomen Verfahren stehen zum Teil in Konkurrenz zu den serverbasierten Verfahren, teilweise sind sie als Ergänzung anzusehen. Die Bandbreite der bereits heute angedachten möglichen Applikationen ist so vielfältig, dass es einen immensen Aufwand bedeuten würde, stets alle Informationen in einem Datenpool verfügbar zu halten. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass eine Basiskarte applikationsspezifisch mit Zusatzinformationen aus anderen Quellen angereichert wird. Auch das Fahrzeug selbst wird Informationen erheben und als ortsbezogene Daten in der digitalen Karte ablegen, sodass sie bei nachfolgenden Fahrten genutzt werden können (siehe Bild 39-10). Dies ist insbesondere sinnvoll für häufig befahrene Strecken (wie z. B. den Weg zur Arbeit), bei denen sich durch eine ökonomische, verbrauchsoptimierte Fahrweise signifikante Kraftstoffeinsparungen erzielen lassen. Obwohl die Karte in ihrer Gesamtheit nur wenig lokal ergänzt wurde, werden teilweise 80 % der individuellen Fahrstrecke abgedeckt. Eine optimale Assistenz kann nur durch Adaption an den Fahrer und seine Präferenzen geleistet werden. Dafür ist es notwendig, dass Attribute in der Karte verändert und auch neue „individuell“ ergänzt werden können. Die Mechanismen der fahr-
Bild 39-10 Konfigurierbare lernfähige digitale Karte
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
zeugautonomen Verfahren können dazu genutzt werden, die Karte, die als Standardkarte ohne individuelle Merkmale ausgeliefert wird, durch fahrer- oder fahrzeugspezifische Merkmale zu ergänzen. Der Nachteil liegt darin, dass ein „Unikat“ entsteht, dessen Qualität über die Gesamtheit des Netzes stark variiert und die Nachvollziehbarkeit von Fehlern sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich macht. Ein anderer Anwendungsfall der lernenden Karte besteht in deren Personalisierung für bestimmte Fahrergruppen, beispielsweise für einen älteren Fahrer. So werden Routineaufgaben auch im Alter noch gut bewältigt. Die Fehlerzahl beim Lösen unbekannter Aufgaben nimmt dagegen stark zu [11], [12]. Die Schlussfolgerung daraus ist, dass unbekannte und komplizierte Situationen zu vermeiden sind. In der digitalen Karte können bereits gefahrene Strecken und Kreuzungen gekennzeichnet und individuell bewertet werden, abhängig davon, ob sie der Fahrer als „Problemkreuzung“, „stressige Strecke“ oder als „einfach zu fahren“ empfindet. Die Bewertung muss dabei aus dem Fahrverhalten und unter Kenntnis der Verkehrssituation abgeleitet werden. Da jeder Fahrer die Schwierigkeiten und Belastungen individuell anders empfindet, wird zwangsläufig eine persönliche Karte entstehen. Die Routenwahl erfolgt dann vorzugsweise auf bekannten „stressreduzierten“ Strecken und natürlich unter Vermeidung unfallträchtiger Fahrsituationen, wie sie auch von K. Krüger et al. [12] aufgezeigt werden. Eine Herausforderung besteht darin, dass jederzeit eine verlässliche Karte verfügbar sein muss und dass bei einem Fahrzeugneukauf mit anderem Navigationssystem das einmal Gelernte nicht verworfen werden soll.
39.5 Assistenzfunktionen Der Begriff Assistenzfunktionen ist weit gefasst und wird nicht einheitlich verwendet. Er reicht von Funktionen mit informativem Charakter – z. T. wird schon die Navigation an sich als Assistenzfunktion angesehen – bis zu sicherheitsrelevanten Funktionen mit Eingriff in die Fahrzeugführung. In den nachfolgenden Ausführungen wird zwischen navigationsgestützten und navigationsunterstützten Assistenzfunktionen differenziert. Navigationsgestützte Assistenzfunktionen werden von der Navigation selbst erzeugt und bereitgestellt. Beispiele für solche Assistenzfunktionen sind:
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die „Stau voraus“-Warnung, die es dem Fahrer ermöglicht, die nächste Abfahrt zu nehmen und den Stau zu umfahren oder sich zumindest dem Stauende mit einer angepassten Geschwindigkeit zu nähern; der Kurvenwarner, der den Fahrer bei einer für die vorausliegende Kurve zu hohen Geschwindigkeit warnt; der Gefahrenpunktwarner, der den Fahrer vor Gefahrenpunkten (z. B. Unfallschwerpunkten, Kindergärten/Schulen) warnt. Bei den navigationsunterstützten Assistenzfunktionen fungiert die Navigation als Sensor für andere Assistenzfunktionen, die typischerweise auf anderen Steuergeräten umgesetzt sind. Die Navigation stellt die Situation an der aktuellen Position, die Route bei aktiver Zielführung und das vorausliegende Straßennetz (auch ADAS-Horizont oder elektronischer Horizont genannt) über eine standardisierte Schnittstelle (ADASIS) [13] bereit. Über den so genannten AHP (ADAS Horizon Provider) werden die Daten auf der Senderseite in Datentelegramme zerlegt und auf dem Fahrzeugbus bereitgestellt. Auf der Empfängerseite setzt der AHR (ADAS Horizon Reconstructor) aus den Datentelegrammen den ADAS-Horizont wieder zusammen. Durch die Standardisierung sind die Assistenzfunktionen unabhängig von der eingesetzten Navigation. Beispiele für navigationsunterstützte Assistenzfunktionen sind: adaptive Lichtsteuerung für bessere Ausleuchtung von Kurven und Kreuzungen, kraftstoffsparende Fahrweise durch eine vorausschauende Gangwahl des Automatikgetriebes entsprechend des Streckenprofils, weiterführende Beispiele siehe z. B. [14]. Durch neue Assistenzfunktionen etabliert sich neue Sensorik wie Videokameras und Radar im Fahrzeug, von der die Navigation profitiert. Die fahrspurgenaue Positionsbestimmung wird z. B. durch die Auswertung des Kamerabilds möglich. Aktuelle Informationen wie beispielsweise Verkehrszeichenerkennung oder Auflösung von Sondersituationen wie einer Baustelle kann die Navigation zukünftig für verbesserte Fahrempfehlungen oder Warnungen nutzen.
39.6 Verkehrstelematik Bei dem Wort Telematik handelt es sich um ein Kunstwort, das sich aus den Begriffen „Telekommunikation“ und „Informatik“ zusammensetzt.
39 Navigation und Telematik
Der Begriff wird in verschiedenen Fachgebieten verwendet (z. B. Medizintelematik oder Gebäudetelematik) und ist daher nicht eindeutig definiert. Telematiksysteme in der Verkehrstelematik umfassen in der Regel folgenden Elemente: einen stationären Dienste-Server mit einer Telekommunikations- oder Broadcast-Einrichtung zur Verarbeitung und Übertragung von Daten, ein (mobiles) Endgerät mit TelekommunikationsEinrichtung zum Empfang von Daten, einen lokalen Rechner im Endgerät, welcher auf Basis der Daten des stationären Dienste-Servers dem Nutzer Funktionen anbietet oder Daten an den stationären Server überträgt, damit dieser Dienste anbieten kann. Der stationäre Dienste-Server kann entfallen, wenn Daten direkt zwischen den mobilen Endgeräten ausgetauscht und weiterverarbeitet werden (siehe Abschnitt 39.6.4). Die Übertragung der Daten auf der Luftschnittstelle, also dem Übertragungsweg mittels elektromagnetischer Wellen, lässt sich grob in zwei Kategorien aufteilen: a) Rundfunk (Broadcast)-basierte Technologien: Diese Technologien ermöglichen die Übertragung von Informationen an eine Vielzahl von Empfängern. Dabei erfolgt die Kommunikation unidirektional, nicht individuell über große Verbreitungsgebiete;
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b) Mobilfunk-basierte Technologien: Diese Technologien ermöglichen die gezielte Übertragung von Informationen an einen einzelnen oder wenige Empfänger. Die Kommunikation kann dabei bidirektional erfolgen, ist individuell und geschieht in der Regel über ein begrenztes Verbreitungsgebiet. Neben dieser Einteilung in Kategorien und der damit verbundenen Eignung für bestimmte Telematikdienste, unterscheiden sich die Technologien weiterhin in der Übertragungsrate in Abhängigkeit der Geschwindigkeit. Telematikdienste für das Kfz benötigen geschwindigkeitsrobuste (> 150 km/h) Übertragungstechnologien (siehe Bild 39-11).
39.6.1 Rundfunkbasierte Technologien Rundfunkbasierte Technologien lassen sich in analoge und digitale Übertragungsverfahren einteilen. Analoge Übertragungsverfahren (z. B. FM) ermöglichen neben der Übertragung des Radioprogramms und damit der Übertragung von gesprochenen (Verkehrs-)Informationen, die Übertragung von Daten in einem sehr schmalbandigen Kanal. Diese Daten enthalten z. B. Radiotext zur Anzeige im HMI des Radionavigationssystems oder RDSTMC-Daten für die dynamische Navigation (siehe Abschnitt 39.2.6). Obwohl die analoge Empfangs-
Bild 39-11: Technologien zur Datenübertragung für Telematikdienste
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
technologie auch bei hohen Geschwindigkeiten genutzt werden kann, ist sie störanfällig: Es kann zu Mehrwegausbreitungen durch Reflektion an Gebäuden und Bergen kommen. Abschattungen in der Ausbreitungsrichtung können den Empfang stören. Der Doppler-Effekt verringert die Signalqualität. Um die Empfangssituation zu verbessern, werden Mehrfachtuner-Konzepte oder digitale Tuner-Konzepte (nicht zu verwechseln mit digitalen Übertragungsverfahren) eingesetzt. Letztere verfolgen als Strategie eine möglichst frühe Digitalisierung des analogen Empfangssignals (z. B. Digitalisieren des Signals nach Heruntermischen auf die Zwischenfrequenz). Mittels moderner mathematischer Verfahren der digitalen Signalverarbeitung kann so eine Richtantennencharakteristik über zwei Antennen ausgebildet werden. Digitale Übertragungsverfahren (z. B. DAB – Digital Audio Broadcasting) wurden entwickelt, um die Störungen des Empfangs durch Umwelteinflüsse (Mehrwegeausbreitungen etc.) zu minimieren bei gleichzeitiger Erhöhung der Datenrate. Die Übertragung kann über stationäre terrestrische Sender (z. B. DAB) oder über Satelliten erfolgen (z. B. SDARS – Satellite Digital Audio Radio System). Die signifikante Erhöhung der Datenrate auf bis zu 1,5 Mbit/s bei DAB ermöglicht damit die Übertragung und Anzeige von komplexen Daten und Bildern in einem Telematiksystem. In Tabelle 39-2 ist eine Übersicht über analoge Rundfunkübertragungsverfahren und die weiterentwickelten digitalen Übertragungsverfahren dargelegt. Die Verteilung von Informationen über Broadcast-Technologien ist im Vergleich zum Mobilfunk eine günstige Methode, um Informationen, die für viele Personen interessant sind, zu verteilen. Neue Dienste, über digitale Übertragungsverfahren
bereitgestellt, werden daher die Bedeutung im Kfz weiter steigern, neben der steigenden Bedeutung des Mobilfunks. Diese Dienste werden Daten übertragen, die für viele Kunden von Interesse sind, wie z. B. Wetterdienste und Verkehrslagedienste. Digitaler Rundfunk kann jedoch nicht kundenindividuell und fahrzeugindividuell sein, dazu bedarf es der mobilfunkbasierten Dienste.
39.6.2 Mobilfunkbasierte Technologien In Europa ist Mobilfunk nach dem GSM-Standard (Global System for Mobile Communications) verbreitet. GSM weist eine zelluläre Netzstruktur mit terrestrischen Basisstationen auf, die je nach Umgebungssituationen einen unterschiedlichen Zellradius aufweisen. Der maximale Zellradius kann dabei 35 km betragen. Auf dem Physical Layer wird für GSM eine FDMA/TDMA-Kombination verwendet. Zwei Frequenzbänder mit 45 MHz Bandabstand sind für den GSM-Betrieb reserviert: 890 MHz – 915 MHz als Uplink und 935 MHz – 960 MHz als Downlink. Jedes dieser Bänder von 25 MHz Breite ist in 124 einzelne Kanäle mit 200 kHz Abstand unterteilt. Die Frequenzkanäle sind eindeutig nummeriert, und jeweils ein Paar gleicher Nummern aus dem Up- und Downlink bildet einen Duplexkanal mit 45 MHz Duplexabstand. Jeder dieser Kanäle (200 kHz) wird in 8 TDMA-Kanäle (8 Zeitschlitze) eingeteilt. Die Uplink-Kanäle werden mit drei Zeitschlitzen Verzögerung gegenüber dem Downlink gesendet. Eine Mobilstation verwendet im Uplink und im Downlink jeweils den Zeitschlitz mit der gleichen Nummer, sodass nicht gleichzeitig gesendet und empfangen werden muss. Weil somit keine
Tabelle 39-2: Analoge und digitale Rundfunkübertragungstechnologien Analog
USA
Korea/China
UKW (87 – 108 MHz)
DAB
HD-Radio
DMB
MW (530 – 1710 kHz)
DRM (Digital Radio Mondial)
HD-Radio
DRM
LW (148 – 284 kHz)
DRM
DRM
KW (3 – 30 MHz)
DRM
DRM
TV terrestrisch Satellit
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Digital Europa
DVB-T SDARS
39 Navigation und Telematik
Duplex-Einheiten notwendig sind, können kostengünstige Endgeräte angeboten werden. Im Folgenden sind einige Technologien zur mobilfunkbasierten Datenübertragung erläutert. Circuit Switched Data (CSD) bezeichnet das Übertragungsverfahren, bei dem eine Datenverbindung vom mobilen Endgerät zu einer Gegenstelle (z. B. Server) aufgebaut wird. Die Verbindung ist technisch vergleichbar mit einer Sprachverbindung. Die Übertragung von Nutzdaten kann mit 9,6 kbit/s erfolgen. High Speed Circuit Switched Data (HSCSD) ist eine Erweiterung von CSD. Zur Bereitstellung einer höheren Bandbreite werden mehrere Zeitschlitze zusammengefasst, was zu einer Nutzdatenrate von 38,6 kbit/s führt. Sowohl bei CSD als auch bei HSCSD sind die genutzten Zeitschlitze permanent für Sprachdaten nicht nutzbar. Alternativ erfolgt die Übertragung der Daten per SMS (Short Message Service). Innerhalb des GSM-Standards sind mehrere logische Kanäle zur Übertragung von (Sprach-)Daten und von Signalisierungsdaten definiert. SMS werden dabei über den Signalisierungskanal übertragen und ermöglichen somit die gleichzeitige Übertragung von Sprachdaten und SMS. Dies ist für einige Telematikdienste von Bedeutung, da gleichzeitig ein Gespräch aufgebaut und Daten übertragen werden können (z. B. bei einem Notruf bei gleichzeitiger Übertragung von Positionsdaten über SMS). Eine SMS besteht dabei aus einem Header und dem Inhalt der Nachricht. Dieser ist auf 1120 Bit begrenzt (160 Zeichen bei Textnachrichten). Eine Verknüpfung von bis zu 255 Kurzmitteilungen ist möglich. Die SMS wird nicht direkt von einem Endgerät zum anderen Endgerät gesandt. Die Übertragung erfolgt an ein SMS-Service-Center, sodass die Nachricht auch zwischengespeichert werden kann. SMS ermöglichen Push-Dienste für Telematikanwendungen. Damit können aktiv von außen Informationen exklusiv ohne Anforderung in ein Endgerät übertragen werden, wenn die Rufnummer bekannt ist (z. B. Werbung). General Packet Radio Service (GPRS) ermöglicht eine paketorientierte Datenübertragung. Die Datenpakete werden vom Sender in einzelne Pakete zusammengefasst, übertragen und beim Empfänger wieder zusammengesetzt. Die GPRS-Technik ermöglicht in der Praxis eine Datenrate von bis zu 53,6 kBit/s. Ein Vorteil liegt darin, dass eine virtuelle Verbindung aufgebaut wird, die nur bei einer Datenübertragung belegt ist. Die Abrechnung der Daten erfolgt damit volumenabhängig und nicht zeitabhängig wie beispielsweise bei CSD.
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Das Wireless Application Protocol (WAP) ist ein Protokoll, um Internetinhalte für langsame Übertragungsraten und längere Antwortzeiten im Mobilfunk verfügbar zu machen. Die Kommunikation verwendet dabei das Internet-HTTP-Protokoll. Die in Abschnitt 39.3 vorgestellte Offboard-Navigation bedient sich zur Übertragung der Navigationsdaten des WAP-Protokolls. Mit WAP sind Push-Dienste möglich. Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) bezeichnet einen Mobilfunkstandard der dritten Generation. Mit UMTS werden Datenraten von 384 kBit/s (außerorts bei 500 km/h) bis zu 2 MBit/s (innerorts bei 10 km/h) erreicht. Mit UMTS werden Telematikdienste ermöglicht, die eine hohe Datenrate benötigen (z. B. Übertragung von Videodaten). Bluetooth (BT) ist ein Industrie-Standard zur drahtlosen Übertragung von Daten und Sprache. Die Übertragung erfolgt im 2,4 GHz ISM-Band und verfügt über eine Reichweite von 10 m bis zu maximal 100 m. Bluetooth ist für den quasi stationären Betrieb geeignet. Die Datenrate beträgt 723 kbit/s. BT-Module haben eine kleine Bauform, sind im Vergleich zu anderen Mobilfunkmodulen kostengünstig und weisen einen niedrigen Stromverbrauch auf. BT bietet eine Reihe von Profilen an, von denen einige gut in der Kfz-Umgebung genutzt werden können. Beispiele sind das Handsfree Profile (HFP) zur Nutzung einer im Radionavigationsgerät verbauten Freisprecheinrichtung über ein externes Mobiltelefon. Damit kann ein kostengünstiges BT-Modul im Navigationsgerät verwendet werden, um das kostenintensivere GSM-Modul im Mobiltelefon zu nutzen. Ein weiteres Beispiel stellt das Phonebook Access Profile (PBAP) dar, zum Austausch von Telefonbüchern zwischen dem Radionavigationsgerät und dem Mobiltelefon. BT bietet die Chance, CE-Geräte in das Kfz einzubringen (siehe auch Abschnitt 39.7). Eine weitere Möglichkeit im quasi-stationären Betrieb Daten auszutauschen, ist über das Wireless Local Area Network (WLAN) gegeben. Ähnlich BT erfolgt die Übertragung je nach verwendetem Standard bei 2,4 GHz oder 5,4 GHz. Bei den etablierten Standards beträgt die Übertragungsrate 54 Mbit/s. Die Reichweite ist ähnlich wie bei BT auf 100 m bis maximal 300 m begrenzt. Damit kann WLAN zum Datenaustausch an dedizierten Zugangspunkten genutzt werden (z. B. Download von Daten). Dienste dieser Art werden im C2I (Car to Infrastructure) Kontext genutzt (siehe Abschnitt 39.6.4).
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
39.6.3 Telematik Basisdienste Neben der Einteilung von Telematikdiensten in die Art der verwendeten Kommunikationstechnik kann eine Einteilung in die Art der Nutzung vorgenommen werden. Eine Unterscheidung zwischen personenbezogenen Diensten und fahrzeugbezogenen Diensten ist dabei sinnvoll. Im Folgenden werden Beispiele für Basistelematikdienste gegeben: Kommunikation: Über einen Voice Call, eine SMS oder über E-Mail werden Informationen mit einem Call Center oder einem Server automatisiert ausgetauscht. Diese Informationen können kundenindividuell gestaltet werden. Sicherheit: Ein Notruf (Emergency Call, eCall) kann manuell oder automatisch nach Auslösen z. B. der Airbags aufgesetzt werden. Dieser Notruf kann an ein Service Center oder direkt an eine Rettungsleitstelle erfolgen. Typischerweise werden zeitgleich zum Notruf die Standortdaten (ermittelt über GPS) beispielsweise mittels SMS übersandt, um Hilfsmaßnahmen einzuleiten. Im Rahmen einer europäischen Initiative zur Senkung der Anzahl an Verletzten und Toten im Straßenverkehr wird der Aufbau eines europaweiten eCall-Systems geplant. Dazu müssen entsprechende Kommunikationseinrichtungen in allen Fahrzeugen vorgehalten, Standardisierungen eingeführt (z. B. eine in Europa einheitliche Notrufnummer) und eine Dienste-Infrastruktur (Rettungssystem) aufgebaut werden. Ein Pannenruf (Breakdown Call) kann nach manueller Auslösung durch den Fahrer abgesetzt werden. Dabei können zusätzlich zu einer Sprachverbindung die Standort- und Diagnosedaten des
Kfzs übermittelt werden. Die Diagnosedaten sind automatisch oder vom Benutzer veranlasst über das Fahrzeugnetzwerk abzufragen. Im Service Center kann mit diesen Daten eine Entscheidung getroffen werden, ob eine Reparatur des Fahrzeugs möglich ist, oder ob das Fahrzeug abgeschleppt werden muss. Weiterhin kann auf Basis dieser Daten bereits eine Warenbestellung von Ersatzteilen und eine Arbeitsplanung erfolgen. Im Unterschied zum Pannenruf wird eine Ferndiagnose (Offboard Diagnosis) unabhängig von einem Fehlerfall vom Benutzer oder vom Service Center ausgelöst. In prädiktiven Systemen kann ermittelt werden, welche Laufleistung bestimmte Bauteile aufweisen und ob ggf. Reparaturmaßnahmen einzuleiten sind. Zielführung: Die entsprechenden Dienste Offboard-Navigation und Hybride Navigation sind in den Abschnitten 39.3 und 39.4 beschrieben. Komfortfunktionen: Diese Dienste ermöglichen die Fernsteuerung (zum Beispiel Tür öffnen, Standheizung einschalten) von im Fahrzeug befindlichen Komponenten. Sie sind zum Teil sicherheitsrelevant und werden daher nur mit Einschränkungen von OEM-Herstellern angeboten. Weitere Möglichkeiten für Komfortfunktionen sind die Führung eines Fahrtenbuchs über einen externen Server. Dabei meldet der Nutzer den Beginn und das Ende einer Fahrt am Server an. Zusätzlich werden weitere Daten wie z. B. der Kraftstoffverbrauch dokumentiert. Verkehrsinformationen werden in der Regel rundfunkbasiert (Broadcast) übertragen und sind für viele Nutzer zugänglich. Über diese Informati-
Bild 39-12 Kategorisierung von Telematikdiensten
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onen kann eine Dynamisierung von Navigation und Zielführung erfolgen (siehe Abschnitt 39.2.6). Verkehrsinformationen können auch individuell (per Anfrage) versandt werden. Dies kann beispielsweise in einer Ausprägung der Offboard-Navigation realisiert werden. Hier erfolgt in regelmäßigen Abständen eine Abfrage an den externen Navigationsserver, um zu ermitteln, ob auf der aktuellen Zielführung eine Verkehrsbehinderung vorhanden ist. Dabei wird ein Fingerprint der Route an den Server zum Abgleich versandt, um die zu übertragenden Datenmengen möglichst gering zu halten. Allgemeine Informationen können über das Internet abgerufen werden. Dabei ist auch der Download von Entertainment-Inhalten möglich (z. B. Musikdateien). Softwaredownload von Steuergeräte-SW wird trotz vorhandener Techniken heutzutage in der Regel nicht im OEM-Geschäft angeboten, da insbesondere bei sicherheitsrelevanten Bauteilen die Risiken schwerer wiegen als die möglichen Vorteile.
39.6.4 Car-to-Car-Kommunikation, Car-to-InfrastructureKommunikation Neben der Kommunikation des Fahrzeugs über rundfunk- oder mobilfunkbasierte Technologien ist ein steigender Bedarf an bidirektionaler Kommunikation mit anderen Fahrzeugen zu verzeichnen. Dabei wird unterschieden zwischen der Kommunikation unter Fahrzeugen – Car to Car (C2C) – und der Kommunikation des Fahrzeugs mit Infrastruktur-Komponenten – Car to Infrastructure (C2I). Diese Szenarien ermöglichen weitere Telematikdienste [15]. So können für beide Kommunikationsszenarien sowohl Unterhaltungsdienste als auch sicherheitsrelevante Dienste beispielhaft genannt werden: Unterhaltunsszenarien für C2C sind z. B. Telefonieren, Chat, Versenden von Kurzmitteilungen bidirektional zwischen Fahrzeugen. Sicherheitsrelevante Szenarien für C2C sind z. B. Warnung vor Staus (bei Annäherung an das Stauende) mit Hinweisen zur Verkehrsleitung und potenziellen Gefahrenquellen. Dabei kann die Gefahrenquelle auch von der Fahrzeugsensorik erkannt werden (glatte Fahrbahn wird erkannt von ABS oder ESP und an nachfolgende Verkehrsteilnehmer kommuniziert). Unterhaltungsszenarien für C2I sind z. B. der Datendownload (Musik) oder andere Location Based Services, über die Informationen für den Nutzer bereitgestellt werden.
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Sicherheitsrelevante Szenarien für C2I sind z. B. die Kommunikation des Fahrzeugs mit Elementen der Verkehrsinfrastruktur (Ampeln, Verkehrsschilder). So können an Ampeln Informationen über den Start der Grünphase übertragen werden, was eine Geschwindigkeitsanpassung des Fahrzeugs ermöglicht. Weiterhin können Diagnoseinformationen aus einem Fahrzeug gesendet werden. Bei allen Szenarien ist eine Mischung bzw. Ergänzung von C2C und C2I möglich. An besonderen Gefahrenpunkten können lokale Daten an einzelne Fahrzeuge übertragen werden (C2I), die dann über eine Kette von Fahrzeugen (C2C) weiterkommuniziert werden. Um Dienste für C2C und C2I für den automotiven Massenmarkt zur Verfügung stellen zu können, müssen verschiedene Herausforderungen gelöst werden. Ein verlässliches Kommunikationssystem, welches möglichst kostenlos verfügbar sein sollte, ist gefordert. Dazu müssen die Anforderungen auf die einzelnen Schichten des OSI-Schichtenmodells heruntergebrochen werden: Für die Kommunikation vom Fahrzeug nach hinten und vorne soll die Reichweite ca. 1000 m betragen. Die Reichweite zu den jeweiligen Seiten wird mit ca. 250 m veranschlagt. Die Anzahl der beteiligten Teilnehmer im Netz unterliegt erheblichen Schwankungen (z. B. im Vergleich Landstraße/innerstädtischer Verkehr). Um Kollisionen auf einzelnen Übertragungskanälen bei maximaler Sendeleistung zu vermeiden, muss die Sendeleistung je nach Situation skaliert werden können. Fahrzeuge können sich mit hohen Eigengeschwindigkeiten und damit mit hohen Relativgeschwindigkeiten zueinander bewegen. Der damit verbundene Dopplereffekt muss ausgeglichen werden. Insbesondere im innerstädtischen Verkehr sind Effekte wie Abschattung und Reflexion bzw. Mehrwegeausbreitung bedingt durch Gebäude zu beachten. Für sicherheitsrelevante Anwendungen muss sichergestellt werden, dass die Verbindung unterbrechungsfrei und störsicher ist. Weiterhin müssen sicherheitsrelevante Daten mit minimaler Verzögerungszeit (Priorisierung) gesendet werden können, sodass diese in jedem Fall Vorrang vor Daten aus Entertainmentanwendungen erhalten. Es müssen geeignete Routing- und Forwardstrategien implementiert werden, um Informationen zielgerichtet an die Empfänger weiterleiten zu können. Eine Stauinformation kann z. B. nur für Fahrzeuge auf einer Autobahn relevant sein, wäh-
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rend für Fahrzeuge auf der daneben verlaufenden Bundesstraße diese Information unwichtig ist. Ein Standard muss etabliert werden, der es erlaubt, dass Fahrzeuge verschiedener Hersteller und verschiedener Produkt- und Fahrzeuggenerationen miteinander kommunizieren können. Ein möglicher Standard für die Fahrzeugkommunikation ist der Standard IEEE 802.11p/IEEE 1609, welcher sich zur Zeit in der Entwicklung befindet. Dieser Substandard ist eine Weiterentwicklung des WLAN-Standards IEEE 802.11. Um den Herausforderungen der C2C und C2I gerecht zu werden, arbeitet dieser in einem dedizierten Frequenzbereich und ist für die Datenkommunikation mit Geschwindigkeiten bis zu 200 km/h konzipiert.
39.6.5 Mautsysteme Bei der Realisierung von einfachen Mautsystemen werden die Maut-Gebühren entweder an Zahlstellen im mautpflichtigen Bereich erhoben oder über eine Vignette abgerechnet, die eine Nutzung eines begrenzten Gebiets (in der Regel beschränkt auf ein oder mehrere Länder) für einen beschränkten Zeitraum erlaubt. Diese Umsetzungen ermöglichen keine individuelle zeit- und ortsgenaue Abrechnung. Weitere Nachteile dieser Umsetzungen sind – in Abhängigkeit von der konkreten Lösung – die Unterbrechung des Verkehrsflusses und die aufwendige flächendeckende Überwachung. Ein komplexes Mautsystem wurde mit dem ETC– System (Electronic Toll Collection) in Deutschland eingeführt. Bei diesem System wird die Höhe der Maut nach dem Verursacherprinzip auf Autobahnen für Lastkraftwagen ohne Unterbrechung des Verkehrsflusses erhoben. Die wesentlichen Teile dieses Systems sind das duale Mauterhebungssystem, das Kontrollsystem und die Zentrale zur Steuerung der Prozessabläufe. Das duale Mauterhebungssystem bietet dem Autobahnnutzer die Möglichkeit, am automatischen Erhebungssystem oder am manuellen Einbuchungssystem teilzunehmen. Bei der automatischen Erhebung wird der Mautbetrag durch einen bordautonomen Computer (On Board Unit – OBU mit DSRC-Modul und Kombiantenne GSM/GPS) in Verbindung mit GPS ermittelt und an die zentrale Abrechnungsstelle mittels Mobilfunk weitergeleitet. Dazu werden an der OBU vom Fahrer fahrzeugspezifische Angaben erfasst (Achsen, Gewicht, …), um das Fahrzeug für das automatische System zu aktivieren. Die OBU erkennt mittels des GPS und des hinterlegten Auto-
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bahnnetzes selbstständig, welche mautpflichtigen Streckenabschnitte auf einer Autobahn zurückgelegt werden. Über diese Streckendaten sowie die vorprogrammierten Tarif- und Fahrzeugdaten wird der Betrag der zu zahlenden Maut gespeichert und über das integrierte GSM-Modul an die zentrale Mauterhebungsstelle gesendet. Das manuelle Erhebungssystem ist für gelegentliche Autobahnnutzer gedacht. Diese haben die Möglichkeit, eine Einbuchung über das Internet oder an stationären Zahlstellen an Rastplätzen und Tankstellen vorzunehmen. Um Nicht- oder Falschzahler zu erfassen, erfolgt eine Kontrolle der entrichteten Mautgebühren. Diese kann über eine automatische Kontrolle durch Kontrollbrücken, durch stationäre Kontrolle beispielsweise an Autobahnparklätzen oder durch mobile Kontrollfahrzeuge im Vorbeifahren erfolgen. Die automatisierten Kontrollbrücken überspannen die gesamte Fahrbahn und sind mit Erkennungstechnik für jede Fahrbahn ausgestattet. Die Annäherung von Fahrzeugen wird von den Brücken mit Laserabstandssensoren erfasst, so dass die Fahrzeuge einzelnen Fahrbahnen zugeordnet werden können. Anschließend erfassen Vermessungssensoren mit 3D-Laserabstandsscannern das Fahrzeug zur Klassifikation und ermitteln, ob eine Mautpflicht vorliegt. CCD-Kameras mit LED-Blitz erstellen ein Übersichtsbild vom Fahrzeug und erfassen das Fahrzeugkennzeichen, welches automatisch erkannt und ausgewertet wird. Die ermittelten Daten werden mit ISDN/GSM-Technik an die zentrale Datenbank kommuniziert. Dort erfolgt ein Abgleich der zuvor über die OBU oder die stationären Mautterminals übertragenen Daten [16].
39.6.6 Moderne Verkehrssteuerung Moderne Verkehrsleitsysteme erfassen Verkehrsdaten flächendeckend und aktuell, um daraus für die Verkehrsteilnehmer Hinweise zu erzeugen und weiterhin Prognosen über die Entwicklung der Verkehrslage abzuleiten. Mit diesen Prognosen können Verkehrsströme gezielt beeinflusst werden. Ein Beispiel für die gelungene Einführung einer modernen Verkehrssteuerung ist das System VICS (Vehicle Information and Communication System) in Japan. VICS wurde seit 1996 ausgehend von den Großräumen Tokio und Osaka von der öffentliche Hand bis 2003 flächendeckend in ganz Japan eingeführt [17]. Die Erfassung der Daten erfolgt über die Polizei und die Straßenverwaltung. Über das „Japan Road Traffic Information Center“ werden diese Daten an
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das VICS-Center weitergegeben, welches den Fahrer in Echtzeit über die aktuelle Verkehrssituation in textueller und graphischer Form informiert, sofern ein entsprechendes Navigationsgerät im Fahrzeug installiert ist. Die Aufbereitung in graphischer Form erfolgt derart, dass in Übersichts- und Detailkarten im Navigationsgerät der Verkehrsfluss auf den einzelnen Straßen farbig klassifiziert wird (rot, gelb, grün) und somit dem Fahrer eine Einschätzung der Verkehrssituation erlaubt. Es werden Informationen zu Verkehrsbehinderungen, zur voraussichtlichen Fahrzeit, über Unfälle und Baustellen, über Geschwindigkeitsbeschränkungen und gesperrte Fahrbahnen sowie über die Verfügbarkeit von Parkplätzen gesendet. Zur Verteilung der Information werden drei Kommunikationswege genutzt: Ausstrahlung über FM-Rundfunk flächendeckend bis zu einer Reichweite von 50 km bzgl. aller oben erwähnten Informationen auf überregionaler Ebene (Verkehrsgeschehen im Umgebungsradius von 100 km). Die Sendung übernehmen dabei die lokalen Radiosender. Nutzung von Infrarot-Baken an Hauptstraßen. Die Infrarot-Baken haben eine typische Reichweite von 3,5 m und senden Informationen über das Verkehrsgeschehen im Umgebungsradius von ca. 30 km. Mikrowellen-Baken sind an autobahnähnlichen Straßen installiert mit einer Reichweite von ca. 70 m. Diese verteilen Informationen über die Verkehrssituation auf den autobahnähnlichen Straßen vorausschauend bis zu 200 km.
39.6.7 Zukünftige Entwicklung von Telematikdiensten Telematikdienste im Kfz zeichnen sich meist durch eine lange Wertschöpfungskette (Content Provider, Service Provider, Network Provider, Endgerätehersteller) aus, die beherrscht werden muss, um qualitativ hochwertige Dienste anbieten zu können. Weiterhin birgt die lange „Wertschöpfungskette“ mit vielen Teilnehmern, die „mitverdienen wollen“, die Gefahr zu hoher Endkundenpreise. Die Teilnehmer der Wertschöpfungskette kommen aus der Automotive- und der CE-Welt mit unterschiedlichen Interessen und Geschäftsmodellen, die allesamt integriert werden müssen. Daher ist in der Regel ein großes Engagement des Kfz-Herstellers nötig, um ein qualitativ hochwertiges „Kfz-Diensteportal“ aufzubauen und anzubieten.
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Im Gegensatz dazu zeigt der Nutzer nur eine beschränkte Ausgabebereitschaft für Dienstleistungen im Kfz. Eine wesentliche Funktion, für die Ausgabebereitschaft besteht, ist die mobile Kommunikation (Telefonieren mit Freisprechanlage) – diese Funktion reicht in der Regel nicht zur Kostendeckung eines Telematik-Moduls. Auch für Zusatzdienste mit unmittelbarem Kundennutzen wie „Notruf“, „Offboard-Navigation“ besteht nur geringe Ausgabebereitschaft. Dienste wie „Ferndiagnose“ schaffen keinen unmittelbaren Kundennutzen, sondern indirekten Nutzen oder bieten Chancen zum „Customer Relationship Management“. Auch technische Einschränkungen führen zur Dämpfung der Einführungsgeschwindigkeit telematikbasierter Geräte und Funktionen im Kfz. Geringe Datenübertragungsgeschwindigkeit und die langen Kommunikationsaufbauzeiten bei GSM begrenzen die Gerätereaktionsgeschwindigkeit. Funkeinbrüche und Störungen in der Flächendeckung können zu Funktionseinschränkungen führen und damit zur Unzufriedenheit des Endkunden. „Fernsteuerfunktionen (Remote Control)“ sind im vernetzten Kfz-Umfeld sicherheitskritisch und bis heute nicht befriedigend gelöst. Die Technologien der „CE-Welt“ werden sich nicht auf die Bedürfnisse der Kfz-Technologie optimieren lassen. Damit werden sich Kfz-Hersteller weiterhin schwer tun, CE-Technologien im Kfz voll nutzbar zu machen (siehe Abschnitt 39.7.1). Standardisierte Schnittstellen werden helfen, Telematik-Funktionen in das Kfz zu integrieren, werfen aber wiederum andere Probleme auf (z. B. leichten/unkontrollierten Zugang für Wettbewerberprodukte). Dabei werden Telematik-Funktionen nicht die heutigen „Onboard-Funktionen“ ersetzen, sondern diese ergänzen. Ein wesentliches Element für den OEM in Verbindung mit der Telematik wird das Customer Relationship Management sein. Neue Technologien (UMTS, JAVA,…) werden die Umsetzung von Telematik-Funktionen erleichtern. Dienste mit hohem Kundennutzen unter Berücksichtigung von Komfort, Sicherheit und Kosten sind für den Geschäftserfolg erforderlich. Die Telematik wird sich dabei vermutlich nicht als vom Kunden bezahlter Mehrwertdienst durchsetzen, sondern durch den weiteren Ausbau von vorhandenen Verbreitungsmedien (z. B. SDARS) und erweiterter Navigationstechnik (Hybride Navigation). Für die Durchdringung neuer Techniken und Telematikdienste müssen realistische Zeitstrecken zugrunde gelegt werden.
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39.7 Herausforderungen für Navigation und Telematik
39.7.1 Consumer-Elektronik (CE) versus Automobil-Elektronik (AE)
Gegenüber anderen elektronischen Steuergeräten im Kfz unterliegen Radionavigations- und Telematiksysteme ganz besonderen Randbedingungen. Diese üben maßgeblichen Einfluss auf deren Entwicklung aus. Die Randbedingungen sind folgende: Die Funktion eines Radionavigationssystems wird dem Endkunden unmittelbar präsent. Anders als bei einem Bremsensteuergerät oder einem Motorsteuergerät, die ihre ebenfalls komplexe Funktionalität weitgehend unbemerkt vom Fahrer entfalten, besitzt ein Radionavigations- oder ein Telematiksystem eine komplexe Schnittstelle zum Fahrer. Über diese Schnittstelle nimmt der Fahrer die Funktionalität wahr und erlebt unmittelbar viele Geräteeigenschaften. So fällt ein träges Start-UpVerhalten oder ein träges HMI mit auch nur leicht verzögerten Rückmeldungen auf Bedienaktionen sofort negativ auf. Hinzu kommt, dass ein Radionavigationssystem durch seine präsente Darstellung im Mittelkonsolenbereich und seine Bedienelemente ein Designrelevantes Bauteil darstellt. Nicht selten stehen die Anforderungen an das Design und an eine einfache und sichere Bedienung im Widerspruch zueinander (Beispiel: Designanforderung verchromtes, glattes, glänzendes Bedienteil, aber Funktionsanforderung griffige, sicher zu bedienende Oberfläche). Nicht zuletzt übt die Entwicklung der Consumer-Elektronik (CE) einen großen Einfluss aus. Einerseits werden Funktionen aus Consumer-Elektronik-Geräten auch im Fahrzeug in einem Radionavigationssystem erwartet. Dies führt dazu, dass Komponenten aus der Consumer-Elektronik in das Fahrzeug übernommen werden müssen. Da Consumer-Elektronik-Geräte oft in deutlich höherer Stückzahl gefertigt werden als im Fahrzeug verbaute Geräte, führt dies zu dem Druck, CE-Komponenten aus Kostengründen ohne oder mit nur geringer Modifikation zu übernehmen, obwohl diese nicht vollständig den Anforderungen im Fahrzeugumfeld genügen. Andererseits treten Consumer-Elektronik-Geräte in direkte Konkurrenz zu im Fahrzeug verbauten Geräten. Ein aktuelles Beispiel hierfür stellen portable Navigationssysteme dar. Da die Consumer-Elektronik kürzere Entwicklungszyklen und andere Vertriebswege aufweist, entsteht ein hoher Innovationszwang und somit Neuigkeitsgrad von Gerätegeneration zu Gerätegeneration sowie ein sehr starker Kostendruck. Eine Preisreduktion von im Mittel über 10 % per annum bei steigendem Funktionsumfang ist eine übliche Anforderung.
Insbesondere der Einsatz von Komponenten, die üblicherweise aus der Consumer-Elektronik bekannt sind, führt zu vielfältigen Herausforderungen an die Entwicklung und automobilgerechte Zertifizierung von Navigationssystemen. Der Zwang zum Einsatz solcher Komponenten rührt einerseits daher, dass Consumer-Elektronikgeräte Funktionen bieten, die der Fahrer auch im Fahrzeug erwartet. Als Beispiel sei das Abspielen von Tonoder Datenträgern genannt, die im Heimbereich benutzt werden (Musik von CD, MP3-Dateien von CD oder SD-Karte). Andererseits stellt die Consumer-Elektronik aufgrund der dort gefertigten, riesigen Stückzahlen Komponenten in einer Preisklasse zur Verfügung, wie sie bei einer Spezialanfertigung nur für den Fahrzeugbedarf nicht erreichbar wäre (Beispiele: CD-Laufwerke für portable Geräte, Heimgeräte und PCs oder Festplatten für PCs und Videorekorder). Die Anforderungen und daraus erwachsenden Herausforderungen sollen im Folgenden am Beispiel eines DVD-Laufwerks veranschaulicht werden. Für Navigationsgeräte werden DVD-Laufwerke aufgrund ihrer Speicherkapazität von ca. 7 GByte als Massendatenspeicher für die digitale Karte eingesetzt. Zusätzlich wird das Laufwerk in High-End-Geräten auch zum Abspielen von VideoDVDs eingesetzt. Die Tabelle 39-3 zeigt anhand dieser Beispielkomponente sowohl die Anforderungen der Consumer-Elektronik (= Heimbereich und PC; CE-Anforderung) als auch die Anforderungen der Fahrzeugwelt (AE-Anforderung). Als weiteres Beispiel für die hohen Anforderungen im Fahrzeugbereich soll die „Erprobung unter feuchter Wärme“ genannt werden. Dabei wird ein Gerät klimatischem Stress unter hoher Umgebungsfeuchte und schwankender Umgebungstemperatur ausgesetzt. Tests dieser Art kommen ursprünglich aus dem Bereich der Mechanik, um z. B. unzulässiges Quellverhalten von Kunststoffen im Fahrzeug aufzudecken und mechanisches Klemmen von Tasten unter Verschmutzungseinfluss im Feld zu vermeiden. Diese Tests werden kontinuierlich verschärft und mittlerweile auch auf elektronische Komponenten im aktiven Betrieb angewendet. Die Motivation besteht darin, einen Feldbetriebsverlauf von 10–15 Jahren im Labor innerhalb weniger Wochen vorab zu simulieren. Ein üblicher Testverlauf läuft folgendermaßen ab: Ein Gerät wird einer mehrstündigen „Druckbestaubung“ unterzogen (Gerät wird in einer Staubkammer unter Einfluss von Luftströmungen mit
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Tabelle 39-3: Anforderungen aus dem CE- und AE-Umfeld an eine Komponente (exemplarisch am Beispiel eines DVD-Laufwerks) Parameter
CE-Anforderung
AE-Anforderung
Praktische Kompromisslösung
Umgebungstemperatur
0 °C – 60 °C
–40 °C bis +95 °C Betriebstemperatur –20 °C bis +80 °C; Funktionseinschränkung außerhalb (Laufwerksabschaltung); Herausforderungen: Schmierung Laufwerk, Schwingungsdämpfungselemente, Verzug in der Kunststofflinse – diese Elemente werden für das Fahrzeug ggf. angepasst
Medientemperatur (CD, DVD)
55 °C*
95 °C
Keine, da Medienwahl Endkunde nicht vorgegeben werden kann; ggf. Warnhinweis in Bedienungsanleitung; ungeeigneter Datenträger kann im Extremfall im Gerät zerstört werden
Einbauwinkel
um die 0°
–30° bis 90°
Durch geänderte Laufwerksaufhängung und Schwingungsraum kann ein Einsatzbereich von –15° bis +45° erreicht werden; für weiteren Bereich müssen mechanisch unterschiedliche Laufwerksvarianten verbaut werden (= unterschiedliche Gerätevarianten in Fahrzeugen)
CD/DVD-Ladezeit
keine Vorgaben; in der Regel unkritisch
max. 3–6 s bis Verfügbarkeit Funktion (= Audio-Signal hörbar nach Einlegen CD)
heute nicht lösbar; übliche Zeiten sind eine Funktionsverfügbarkeit von 7–15 s nach Einlegen des Datenträgers
Full stroke seek (Zeit, die Lesekopf benötigt, um Datenträger komplett zu überfahren)
unkritisch, da Leso klein wie mögsekopf in der Regel lich (möglichst wenig positioniert < 150 ms) wird, da große Datenblöcke linear hintereinander abgelegt sind; üblich: 800ms
zweidimensionale Navigationskartendaten benötigen vielfache Kopfpositioniervorgänge, um Navigationsdaten zu laden. Daten werden mit hohem Aufwand möglichst optimal auf linearer Datenspirale auf Datenträger abgelegt, damit Kopfpositionierungsvorgänge möglichst minimiert werden
Streaming-Geschwindigkeit
hoch, um große gering, da ProDatenmengen schnell zessorleistung zu laden geringer als bei PCs
für Navigationssysteme ist Kopfpositionierzeit wichtiger als Streaming-Geschwindigkeit
Nachlieferzeitraum 2–3 Jahre
15 Jahre
Nachentwicklung von Geräten nach Produktionsbeginn, damit neue Laufwerksvarianten verbaut werden können
Lesekopf-Positionsregelung
langsam
sehr schnell
Herausforderung: Ausregelung Lesekopf bei starken Erschütterungen im Fahrzeug
Verschmutzung
keine besonderen Anforderungen
Betrieb unter feuchter Wärme und nach Druckbestaubung
Herausforderung: Simulation der Konvektionswärmeströmung im Gerät, um Verschmutzungsverhalten vorherzusehen; ggf. Kapselung des Laufwerks
* Temperaturvorgabe eines namhaften Markenherstellers zum Einsatzbereich seiner „brennbaren“ Datenträgerrohlinge
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene
Bild 39-13: Einfluss feuchter Wärme bei Verschmutzung
genormtem Staub bestaubt). Die Geräte werden danach für mehrere Tage oder Wochen in Klimakammern gelagert. Dort werden die Geräte ständigen Temperaturschwankungen bei sehr hoher relativer Luftfeuchte von über 90 % unterworfen. Aufgrund der hohen Temperaturschwankungen kommt es zu Kondensationseffekten sowohl auf der Geräteoberfläche als auch im Geräteinneren. Während der Druckbestaubung eingedrungener Schmutz verbindet sich dabei mit der Feuchtigkeit. Gleichzeitig wird das Gerät dauerhaft bestromt und über den CAN-Bus hoch- und wieder heruntergefahren. Die Stromaufnahme des Geräts wird im Versuchsverlauf dauerhaft beobachtet. Das Gerät sollte möglichst deterministisches Verhalten zeigen (einzelne nichtdeterministische Einschaltvorgänge aufgrund von Kondensationseffekten werden heute noch akzeptiert), muss nach Abschluss der Dauererprobung unter feuchter Wärme und Abtrocknen jedoch 100 % funktionsfähig sein und darf nur minimale Ruhestromerhöhungen aufweisen. Das Bild 39-13 zeigt Ausschnitte einer Geräteplatine nach Druckbestaubung und Einfluss von feuchter Wärme. Man sieht den Einfluss von Schmutz, Feuchtigkeit und Elektromigrationseffekten bei gleichzeitiger Bestromung (elektrolyseartige Vorgänge, die leitfähige, kristalline Strukturen auf Bauteilen und Platine verursachen). Heute übliche Maßnahmen sind die Vermeidung offener, dauerhaft bestromter Bauteile/Platinenflächen, soweit möglich, sowie geometrisch großflächige Gestaltung gefährdeter Flächen (damit Verschmutzung/Elektromigration nicht zu Fehlfunktionen führt). Eine neuere Bestrebung ist die teilweise Versiegelung von Oberflächen mit Lacken, die jedoch Herausforderungen bezüglich Fertigbarkeit, Reparaturfreundlichkeit und Entwärmungsverhalten mit sich bringt. Die Tabelle 39-3 und das Bild eines Platinenausschnitts nach Einfluss feuchter Wärme zeigen, dass man teilweise Verbesserungen für CE-Komponenten vornehmen muss, um eine akzeptable Qualität im Fahrzeugumfeld zu erreichen. Dabei setzt die
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Forderung der wirtschaftlichen Darstellung (Komponentenstoffkosten, Entwicklungskosten) dem Umfang möglicher Verbesserungen Grenzen. Diese Problematik wird sich weiter verschärfen, da schnell wachsende CE-Funktionalität durch die Einbindung von neuen Technologien wie USB, WLAN, Video-Decodierung und UMTS den Anteil von CE-Komponenten in Navigationssystemen in Form von Hardware-Komponenten und SoftwareModulen weiter forcieren wird.
39.7.2 Aufbau Für den Aufbau eines Navigations- oder Telematiksystems ist der geplante Verbau entscheidend. So existieren Systeme, die als Funktionskomponente ohne eigene Bedienoberfläche, sozusagen als Komponente eines größeren Systemverbunds eingesetzt werden. Hierbei handelt es sich um eine so genannte „Silver-Box“ mit Vernetzungsschnittstelle (z. B. elektrisches CAN-Interface oder optisches MOST-Interface). Diese Bauform ist für reine Telematikgeräte ohne Zusatzfunktionalität üblich. Eine grundsätzlich andere Bauart ist diejenige mit eigener Bedienoberfläche („Silver-Box“ mit Kunststoffkappe). Letztere Bauform wird üblicherweise für Radionavigations-Geräte oder Head-Units eingesetzt, die mehrere Funktionen umfassen (Radio, Navigation, Musikwiedergabe von Ton-/Datenträgern). Ein typisches Radio-Navigationssystem im Einstiegssegment für den Fahrzeugverbau besteht aus ca. 1500 Bauelementen (mechanische und elektronische Bauelemente).
39.7.3 Entwicklungsprozess Der Entwicklungsprozess von Navigations- oder Telematikgeräten ist von hoher Komplexität und vielfachen Anforderungen geprägt. Reine Navigations- oder Telematiksysteme in Form von Telematik- oder Navigationsmodulen, die zur Steuerung an
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eine Head-Unit angeschlossen werden, sind selten. Die Großzahl der Navigationssysteme im Markt sind Infotainmentsysteme, die auch einen RadioTuner beinhalten und Medienfunktionen wie das Abspielen von Audio-/MP3-CDs oder mittlerweile auch SD-Karten anbieten. Durch den Einfluss der sich schnell ändernden CE-Welt sind selbst Radio-Navigationssysteme (= RNS) im Einstiegsbereich einem hohen Neuigkeitsgrad von Gerätegeneration zu Gerätegeneration unterworfen. So verschwinden derzeit so genannte Turn-by-Turn-Geräte (Geräte ohne grafische Navigationskartendarstellung sondern ausschließlich mit Pfeilsymbolik zur grafischen Anzeige der Fahrempfehlung) mit monochromem Display vom Markt. Selbst Einstiegsgeräte weisen mittlerweile TFT-Farbgrafikdisplays mit wenigstens ca. 400x240 Farbpixeln auf und erwarten die Unterstützung dieser Display-Ressourcen durch Grafikprozessoren. Bewegte Grafikanimationen, die vor wenigen Jahren nicht einmal High-End-Systeme besaßen, finden schon im Einstiegsbereich Anwendung. Kartengrafiken, die ein Kartenbild in mehreren Sekunden erstellten, müssen nun möglichst flüssig mit 10-15 Bildern/Sekunde aufgebaut werden – auch bei Dreh-Bewegungen oder beim Karten-Zoom. CDund DVD-Laufwerke werden durch Festplatten und SD-Karten ergänzt und in absehbarer Zeit teilweise ersetzt werden. Die umfangreichen Datenspeichermöglichkeiten stimulieren den Bedarf an breitbandigen Schnittstellen zum schnellen Zuführen von Daten (USB, WLAN). Bluetooth-Handys fordern den Einsatz der Bluetooth-Technologie, zumindest als Option selbst im Einstiegsbereich. Neue Empfangsverfahren wie Phasen-Antennendiversity und Hintergrund-TMC-Tuner zum ständigen Empfang von RDS-TMC-Botschaften unabhängig vom „Vordergrund-Tuner“ für den „Hör-Empfang“ fordern Zwei- und Drei-Tunersysteme (erstere bereits im Einstiegsgerätebereich). Der hohe Neuigkeitsgrad zu jeder Gerätegeneration macht die Wiederverwendung bereits entwickelter Hardware- und Software-Komponenten nur eingeschränkt möglich. Hinzu kommen vielfältige Funktionsanforderungen. Zu Entwicklungsbeginn werden in der Regel bis zu mehrere hundert Dokumente zur Last gelegt, hinter denen sich Tausende von Detailanforderungen verbergen. Eine Funktionsliste für ein Radio-Navigationssystem umfasst üblicherweise 500–2000 Elemente, wobei sich hinter jeder Einzelfunktion mehrere bis viele Detailfunktionen bzw. unterschiedliche Detailanforderungen verbergen. Die grafische Oberfläche umfasst 200-400 unterschiedliche Masken, deren Gestaltung vom Fahr-
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zeughersteller vorgegeben wird. Die hohe Menge an Detailanforderungen, die eine konsistente, widerspruchsfreie Lastenvorgabe schwierig macht, sowie die Änderung von Funktionsvorgaben während der Entwicklung führen zu einem hohen Änderungsumfang im Entwicklungsprozess. Der angewendete Entwicklungsprozess muss daher folgenden Anforderungen genügen: 1. Verwaltung und Konfigurierung einer großen, sich ständig ändernden Dokumentenmenge (Lasten) 2. Identifikation von und Umgang mit widersprüchlichen Lasten 3. Handhabung eines hohen Änderungsumfangs während der Entwicklungsphase 4. Hoher Neuigkeitsgrad der Anforderungen (nur teilweise Verfügbarkeit von Erfahrungswerten) 5. Flexibilität zur Berücksichtigung von Entwicklungsprozessvorgaben der Auftraggeber (die OEM verfolgen verschiedene Entwicklungsmodelle und machen sehr unterschiedliche Entwicklungsvorgaben) Diese Randbedingungen führen zu großen Herausforderungen bei der Projektplanung und Aufwandsabschätzung, insbesondere zu Projektbeginn, da das detaillierte Bearbeiten und Klären der Gerätelasten selbst einen mehrmonatigen Arbeitsprozess nach sich zieht. Zur Handhabung werden im Entwicklungsprozess zunehmend Datenbanksysteme zur Verwaltung von Kundenanforderungen eingesetzt, die den Prozess von der Lastenbewertung über die Entwicklung bis hin zum Test unterstützen. Nur so kann eine vollständige Berücksichtigung über den gesamten Entwicklungsprozess garantiert werden. Weiterhin wurden Ansätze zur Hardware- und Software-Strukturierung und Normierung in der Automobil-Industrie gestartet, die bei konsequenter Umsetzung die Wiederverwendbarkeit und Austauschbarkeit von Komponenten erleichtern sollen (Beispiel AUTOSAR [17], [18]). Diese üben aber noch sehr geringen Einfluss auf die heutige Geräteentwicklung aus.
Quellenverzeichnis [1] Salas, G.: Highway Coding for Route Destination and Position Coding. Highway Research Board, Publ. Nr. 1642, 1968 [2] Kalman, R. E.: A New Approach to Linear Filtering and Prediction Problems, Transactions of the ASME – Journal of Basic Engineering, 82 (Series D), S. 35–45, 1960
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Fahrerassistenz auf Bahnführungs- und Navigationsebene [3] Neukirchner, E.-P.: Fahrerinformations- und Navigationssystem. Informatik-Spektrum, Band 14 (1991) Heft 2, S. 65–68 [4] Pilsak, O.: Routensuche, digitale Karte und Zielführung. In: Talk held at seminar: Kfz-Navigation Überblick über Entwicklung und Funktion, 1999 [5] Dijkstra, E. W.: A note on two problems in connexion with graphs. In: Numerische Mathematik. 1 (1959), S. 269–271 [6] Hendriks, T.; Wevers, K.; Pfeiffer, H.; Hessling, M.: AGORA-C Specification (2005) [7] Weblink zum AGORA Projekt: http://www.ertico. com/en/activities/activities/agora.htm [8] Weblink zum ACTMAP Projekt: http://www.ertico. com/en/news_and_events/ertico_newsroom/actmap_releases_final_report.htm [9] Otto, H.-U.: The ActMAP approach – specifications of incremental map updates for advanced in-vehicle applications, Tagungsband „ITS in Europe Congress” in Hannover (D), 2005 [10] Weblink zum FEEDMAP Projekt: http://www.ertico.com/feedmap/ [11] Förster, H. J.: Das Automobil, ein Lebenselixier für alte Menschen. VDI-Bericht 1613, Tagung Berlin, Mai 2001, VDI-Verlag [12] Krüger, K. et al.: Optimierung der Kompetenz älterer Fahrerinnen und Fahrer durch frühzeitige Navigationshinweise und Knotenpunktsinformationen. VDIBericht 1613, Tagung Berlin, Mai 2001, VDI-Verlag [13] Weblink zum ADASIS Forum: http://www.ertico. com/en/subprojects/adasis_forum/ [14] Nöcker, G.; Dr. Mezger, K.; Prof. Dr. Kerner, B.: Vorausschauende Fahrerassistenzsysteme, FAS 2005, 3. Workshop Fahrerassistenzsysteme, Waltling, DE, S. 151–163, 6.–8. Apr, 2005 [15] Eberhardt, R.: „Car to Car Communication Consortium“, EuCar SGA, 23.10.2003 [16] Systembeschreibung ETC Deutschland, Daimler Chrysler, 2003 [17] www.vics.or.jp [18] Zimmermann, W.; Schmidgall, R.: Bussysteme in der Fahrzeugtechnik – Protokolle und Standards. Wiesbaden: Vieweg+Teubner, 2008 [19] Weblink von Autosar: http://www.autosar.org
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G Zukunft der Fahrerassistenzsysteme
40 Das mechatronische Fahrwerk der Zukunft
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41 Antikollisionssystem PRORETA – Integrierte Lösung für ein unfallvermeidendes Fahrzeug
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42 Kooperative Automation
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43 Autonomes Fahren
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44 Quo vadis, FAS?
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G 40 Das mechatronische Fahrwerk der Zukunft 40.1 Das vernetzte Chassis Technologiesprünge gab es immer wieder in der Geschichte der Automobiltechnologie, so auch in der Kraftfahrzeugbremse, die seit ihren Anfängen eine stete Weiterentwicklung erfahren hat (Bild 40-1). So erlangten schon mechanische Bremsen durchaus ein hohes Niveau, ehe die Hydraulik Mitte der zwanziger Jahre für Komfort und Sicherheit vollkommen neue Perspektiven eröffnete, welche durch Einführung der Hilfskraft(servo)bremsanlagen Mitte des letzten Jahrhunderts noch erweitert wurden. Den wichtigsten Technologiesprung, den der Kunde als Fortschritt erkennt und dementsprechend honoriert, ermöglichte die Elektronik Mitte der siebziger Jahre. ABS, ASR, EBV und nicht zuletzt ESC wären ohne sie nicht vorstellbar. Der nächste, konsequente Entwicklungssprung ist nur durch Vernetzung realisierbar: Je mehr elektronische Systeme in modernen Autos eingesetzt werden, desto sinnvoller wird deren Vernetzung untereinander. Dies hat sowohl wirtschaftliche (etwa Kostensenkung durch Einsparung von Hardware) als auch funktionale Gründe.
So können Einzelsysteme (z.B. das elektronische Bremssystem) zu höherer Leistungsfähigkeit geführt werden, wenn sie im Regelverbund (Global Chassis Control) mit anderen Einzelsystemen (z.B. der elektronischen Servolenkung) betrieben werden. Eindrucksvolles Beispiel ist die sog. μ-split Bremsung, also die Bremsung auf einer Fahrbahn mit rechts zu links stark unterschiedlichem Reibwert, bei der durch den kombinierten, gleichzeitigen Eingriff in die Radbremse und die elektronische Servolenkung eine Reduzierung des heute üblichen Bremsweges (nur Bremseingriff) um mehr als 10 % erreicht werden kann, wenn ihnen Daten zur Verfügung stehen, die primär für ein anderes System verwendet werden. Auch das Gebot, ökonomisch mit Energieressourcen umzugehen, verstärkt die Notwendigkeit zur Elektronifizierung möglichst aller geeigneter Fahrzeugkomponenten, denn Elektronik ist der Schlüssel zu „Power on Demand“, Leistung bei Bedarf also. Power on Demand senkt den Kraftstoffverbrauch kommender Fahrzeuggenerationen, deren Gewicht wegen steigender Komfort- und Sicherheitsbedürfnisse tendenziell eher zu- als abnehmen wird.
Bild 40-1: Technologiewandel als Sprungbrett funktionaler Weiterentwicklung (Beispiel Bremse)
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Peter Rieth
40 Das mechatronische Fahrwerk der Zukunft
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Bild 40-2: Global Chassis Control (GCC) – Motivation
Power on Demand bedeutet, dass z. B. Nebenaggregate zur Umwälzung von Kühlwasser und Öl oder zum Betrieb von Lenkung und Klimaanlage nicht mehr mechanisch und unflexibel bspw. über Riemen vom Fahrzeugmotor angetrieben werden, sondern entsprechend dem aktuellen Bedarf betrieben werden. Dazu müssen diese Nebenaggregate elektrifiziert werden, so dass sie entsprechend den jeweiligen Erfordernissen mit frei variabler Drehzahl arbeiten oder sogar abgeschaltet werden können. Elektrisch betriebene Lenkungen etwa sparen gegenüber konventionellen Systemen circa 0,2 – 0,3 Liter Kraftstoff je 100 Kilometer. Dieses und andere Potenziale müssen künftig konsequent genutzt werden; mit Elektronik gelingt dies erheblich besser und z. T. auch einfacher als mit Hydraulik. Mechatronik anstelle von ElektroHydraulik ist daher ein Schlüssel zu einem weiteren Technologiesprung, der einhergeht mit der Vernetzung von Fahrerassistenzsystemen, welche den Menschen bei der Bewältigung der Fahrzeugführungsaufgabe unterstützen. Um das Potenzial heute schon verbreiteter und kommender Technologien im Chassisbereich in vollem Umfang ausnutzen zu können, ist daher eine ganzheitlich und dennoch modular darstellbare Chassisregelung im Sinne eines Global Chassis Control (GCC) erforderlich, wie sie Bild 40-2 zeigt. Werden eigenständige und auf isolierte Wirksamkeit konzeptionierte Chassissysteme als Sys-
temkombinationen verbaut, dient ein Großteil der Rechnerressourcen dazu, eventuelle Risiken, d. h. unsichere Fahrzustände, auszuschließen. Im Vergleich hierzu erscheint die Zielsetzung nach synergetischer Funktionserweiterung (etwa über Sensorund/oder Aktor-Fusion) oder Kostensenkung (etwa durch Entfall von Sensoren oder elektronischen Regeleinheiten) eher sekundär. Verschiedene Beispiele zeigen jedoch, dass die Gesamt-Performance des Chassis durch Vernetzung einzelner Komponenten erheblich gewinnt. Besonders eindrucksvoll zeigt sich der Effekt einer aufeinander abgestimmten Entwicklung von Chassissystemen und deren Vernetzung beim Projekt „Verkürzter Anhalteweg“. Im Rahmen des Teilprojekts aus dem Jahr 2001 mit dem plakativen Titel „30-Meter-Auto“ entwickelte Continental auf Basis eines Großserienfahrzeugs der Kompaktklasse einen Technologieträger, der dank der Vernetzung von By-wire-Bremse, Luftfederfahrwerk und die Reifenkräfte messenden Reifen aus 100 km/h Fahrgeschwindigkeit Bremswege von 30 Meter erreichte. Das unter identischen Umständen gemessene Serienfahrzeug benötigte gut 38 Meter, um aus 100 km/h zum Stillstand zu kommen. Mit ESC II (Vernetzung Motor/Bremse/Lenkung) stellt sich erstmalig das Global Chassis Control mit einem Netzwerk zentraler und lokaler Intelligenz (d. h. lokaler elektronischer Regeleinheiten), wie schematisch im Bild 40-3 gezeigt, als modular
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Zukunft der Fahrerassistenzsysteme
Bild 40-3: Global Chassis Control (GCC) – Wirkkette
aufgebautes Fahrwerkssystem dar (siehe auch Kapitel 26). Das elektronische Luftfedersystem EAS (Electronic Air Suspension), das in immer mehr Fahrzeugen der Luxusklasse verbaut wird, nutzt die Möglichkeiten der elektronischen Regelung des Fahrwerks auf technologisch andere Weise noch konsequenter. EAS passt Dämpferkennlinie (stufig oder kontinuierlich), Federkennlinie und Karosserieniveau aufgrund von Sensorinformationen automatisch an die wechselnden Fahrzustände sowie an den Beladungszustand des Fahrzeugs an und bewirkt damit folgende Verbesserungen des Fahrverhaltens: Reduzierung von Wank- und Nickbewegungen, Reduzierung sonstiger Aufbaubewegungen, Reduzierung der Radlastschwankungen, Verbesserung der Straßenhaftung. Darüber hinaus erlaubt es durch adaptive Steuerung von Luftfeder und Dämpfung bei fahrdynamisch wenig anspruchsvollem Betrieb ein Höchstmaß an Federungskomfort, um innerhalb von Millisekunden eine auf sicheres, sportliches Handling ausgerichtete Abstimmung von Federn und Dämpfern zu realisieren, sobald die Fahrzeugsensoren einen entsprechenden Bedarf signalisieren. Durch die Niveauregulierungs-Funktion der Luftfederung ist zudem gewährleistet, dass auch bei wechselnder Zuladung der gesamte Federweg genutzt und das
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Höhenniveau an verschiedene Einsatzbedingungen (Gelände, Autobahn etc.) angepasst werden kann. Fortschritte in der Balgentwicklung lassen mittlerweile Wandstärken von < 2 mm zu, sodass die eingesetzte Luftfeder in puncto Ansprechverhalten und Hysterese (harshness) auch höchste Ansprüche an den Federungskomfort erfüllt. Bild 40-4 zeigt ein entsprechendes Luftfeder-/Dämpfermodul. Seine optimale Effizienz erhält EAS durch die Verknüpfung mit dem elektronischen Stabilitätsprogramm ESC. So können etwa für Verbesserungen des querdynamischen Fahrverhaltens durch einen gezielten Regelverbund von radindividuellem Bremseneingriff und Radlastvariation stabilisierende kurvenein- und kurvenausdrehende Giermomente erzeugt werden. Dem Fahrzeugkäufer bringt Global Chassis Control folgende Vorteile: breiterer und leichter beherrschbarer Grenzbereich, erweiterte ESC-Funktionalität, kürzeste Brems- und Anhaltewege, minimierte Aufbaubewegungen, sprich: situationsoptimierter Fahrkomfort, agiles Fahrverhalten und dadurch Fahrfreude, minimierter Bedienaufwand beim Bremsen und Spurhalten (Lenken), verbesserte Fahrzeugverfügbarkeit, Kundenmehrwertfunktionen.
40 Das mechatronische Fahrwerk der Zukunft
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Bild 40-4: Intelligentes Luftfeder-/Dämpfermodul (links), Systemlayout im Fahrzeug (rechts)
Die Vorteile für den Fahrzeughersteller sind: modularer Baugruppencharakter (plug ’n’ play), Montagevorteile, standardisierte Schnittstellen, Austauschbarkeit, sichere und zuverlässige E/E-Architektur, dadurch reduzierte Garantie- und Kulanzkosten, markenspezifische Differenzierung durch Einbringung eigener Funktionssoftware, größere Freiräume und bessere Wirtschaftlichkeit bei der Fahrwerksabstimmung, geringere Fahrzeugherstellungskosten.
40.2 Motivationen für Brake-by-Wire-Systeme Es zeigt sich, dass der bisher beschrittene Weg – das Erweitern bestehender bzw. das Hinzufügen neuer Teilekomponenten zu den klassischen Baugruppen der Bremsanlage, also der Betätigungseinrichtung – der Übertragungseinrichtung und der Radbremsen einen Komplexitätsgrad erreicht hat, der nur noch schwer in den immer enger werdenden Einbauräumen zu handhaben ist. Diese Add-on-Vorgehensweise führt darüber hinaus zu einer immer ungünstiger werdenden Kosten/Nutzen-Relation. Einen Ausweg aus der vorgenannten Problematik versprechen Fremdkraftbremsanlagen mit rein elektronischer Bremspedalankopplung, so genannte Brake-by-Wire-Anlagen. Bild 40-5 zeigt die Basiskonzepte von zwei By-Wire-Fremdkraftbremsanlagen für den PkwEinsatz, die Elektro-Hydraulische Bremse (EHB)
und die Elektro-Mechanische Bremse (EMB). Bei beiden Anlagen wird der Fahrer von der Aktorik der Bremsen muskulär-energetisch entkoppelt. Hierdurch wird ermöglicht, das Bedienverhalten – sprich: das Pedalgefühl – optimal auf die menschlichen Fähigkeiten einzustellen. Im Pkw-Bereich ist der Einsatz von Fremdkraftbremsanlagen neu, im Nutzfahrzeug-Bereich werden sie dagegen als Luftdruck-Bremsanlagen seit langem verwendet und haben sich dort bewährt. Die gesetzlichen Vorschriften für die Zulassung von Fremdkraftbremsanlagen sind in der ECE R13 festgelegt. Es werden zwei vollständig unabhängige Energiespeicher mit jeweils eigener Übertragungseinrichtung gefordert. Jeder Energiespeicher muss mit einem Warnsystem ausgerüstet sein, das dem Fahrer das Unterschreiten einer festgelegten Restenergiemenge signalisiert.
40.3 Ausblick Mit Global Chassis Control GCC hat man sich das Ziel gesetzt, das mechatronische Fahrwerk der Zukunft aktiv mitzugestalten. Hierzu stellt die Elektro-Mechanische Bremse mit ihren intelligenten Modulen einen wichtigen Beitrag dar. Das Drive-by-Wire-Fahrwerk ist in einzelne Cornermodule strukturiert, die sich in intelligente Submodule für Lenken, Bremsen, Feder/Dämpfer weiter aufgliedern (Bild 40-6). Lenkung und Bremse sind als mechatronische (elektro-mechanische) Module ausgeführt. Diese
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Zukunft der Fahrerassistenzsysteme
Bild 40-5: Brake-by-Wire-Fremdkraftbremsanlagen – Basiskonzepte der Elektro-Hydraulischen (EHB) und der Elektro-Mechanischen (EMB) Bremse
Bild 40-6: Layout des intelligenten (mechatronischen) Fahrwerks
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intelligenten Module sind untereinander und mit dem Bedienmodul vernetzt. In letzterem ist der elektronische Chassisregler (Chassis & Safety Controller CSC) lokalisiert. Die sicherheitsrelevanten Systeme Lenkung und Bremse sind konsequent zweikreisig (redundant) ausgelegt. Als Energiequelle werden zwei so genannte smarte Batterien, die ihren Lade- und „Gesundheits“zustand kennen und kritische Zustände melden, als Energiespeicher für Spitzenlasten und als Energiepuffer bei Ausfall der Energiequelle eingesetzt. Die Entwicklung des Fahrwerks der Zukunft ist getragen von dem Anspruch, Produkte auf höchstem technologischen Niveau zu schaffen, die das Autofahren noch sicherer und dabei zugleich bequemer machen.
Quellenverzeichnis [1] Beller, H. A.; Rieth, P.: Mit Total Chassis Management auf dem Weg zum intelligenten Fahrwerk. Vortrag auf dem XX. μ-Symposium Bad Neuenahr, 2000 [2] Rieth, P.; Drumm, S.; Harnischfeger, M.: Elektronisches Stabilitätsprogramm: die Bremse, die lenkt. Landsberg/Lech: Verlag Moderne Industrie, 2001 [3] Rieth, P.: ESP II – Die nächste Generation elektronischer Stabilitätsregelung mit zusätzlichem Lenkeingriff. Vortrag VDA Technischer Kongress 2004, Rüsselsheim, März 2004 [4] Rieth, P.; Semmler, S.: GCC – Das vernetzte Fahrwerk. Vortrag 13. Aachener Kolloquium, Aachen, Oktober 2004 [5] Kelling, E., Remfrey, J., Rieth, P., Semmler, S.: Integrationstrends in der Fahrzeugelektronik am Beispiel Global Chassis Control. Vortrag 7. Symposium AAET 2006, Braunschweig, 21. – 23. Februar 2006 [6] Breuer, B.; Bill, K. H.: Brake Technology Handbook, SAE International, 2008
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G 41 Antikollisionssystem PRORETA – Integrierte Lösung für ein unfallvermeidendes Fahrzeug Rolf Isermann, Eva Bender, Ralph Bruder, Michael Darms, Matthias Schorn, Ulrich Stählin, Hermann Winner
Dank einer zunehmenden Verbreitung von aktiven und passiven Sicherheitssystemen in Kraftfahrzeugen konnte die Zahl der Verkehrstoten in den letzten Jahren stetig gesenkt werden. Bei der Bearbeitung des Projekts PRORETA wurde mit der Entwicklung eines elektronischen Fahrerassistenzsystems zur Unfallvermeidung das Ziel verfolgt, durch Notbremsen und Notausweichen Unfälle zu vermeiden. Das System wurde an der TU Darmstadt in Kooperation mit der Continental AG entwickelt. Im Folgenden werden die Grundlagen des Systems, Fahrversuche und Ergebnisse einer ergonomischen Studie dargestellt.
41.1 Einleitung Die Fahrzeugsicherheit hat bei der Entwicklung neuer Fahrzeuge eine hohe Priorität. Dies folgt auch aus dem Ziel der Europäischen Union, im Rahmen der eSafety-Kampagne bis 2010 die Anzahl der Verkehrstoten in Deutschland im Vergleich zum Jahr 2000 zu halbieren. Rein passive Sicherheitssysteme allein reichen hierzu nicht mehr aus. Daher werden verstärkt aktive Sicherheitssysteme entwickelt und eingesetzt. Ihr Ziel ist es, nicht erst beim Auftreten eines Unfalls dessen Auswirkungen zu lindern, sondern den Unfall bereits im Vorfeld zu verhindern. Das elektronische Fahrerassistenzsystem PRORETA für ein unfallvermeidendes Fahrzeug wurde von drei Instituten an der Technischen Universität Darmstadt in Zusammenarbeit mit der Continental AG entwickelt. Erfasst das System mit seinen Umfeldsensoren eine gefährliche Situation und reagiert der Fahrer nicht rechtzeitig angemessen, führt das System ein Notbrems-, ein Notausweichmanöver oder beides durch. Typische Situationen, die einen Eingriff notwendig machen, sind z. B. plötzlich einscherende Fahrzeuge oder blockierte Spuren (Auffahrunfälle). Der Name PRORETA stammt aus der Antike: Er bezeichnete zu Zeiten römischer Galeeren den Oberbootsmann, der im Bug des Schiffes stand und vor Untiefen warnte. Dementsprechend überwacht das Fahrerassistenzsystem PRORETA das Umfeld des Fahrzeugs und greift in Notsituationen ein, um einen Unfall zu verhindern. Bild 41-1
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gibt einen Überblick über das System. Aufbauend auf Umfelderfassung und Informationen über das eigene Fahrzeug werden Prädiktionen für die zu erwartenden Trajektorien des eigenen Fahrzeugs und der Objekte erstellt. Mit diesen Vorhersagen wird eine Entscheidung über die Notwendigkeit eines Eingriffs getroffen und eine Vorgabe für den Eingriff erstellt. Der Eingriff wird anschließend vollautomatisch durchgeführt. Die Entwicklung der Systemfunktionen wurde von einer ergonomischen Studie begleitet. Hierbei wurde untersucht, wie sich die Fahrer in kritischen Situationen verhalten und wie sie auf die in PRORETA entwickelten Systemeingriffe reagieren.
41.2 Ausstattung des Versuchsfahrzeugs Als Versuchsträger diente ein VW Golf IV, der um Sensoren und Aktoren erweitert wurde, die für die entwickelten Funktionen notwendig sind. Die Anzahl und Konfiguration der Sensoren wurde dabei so praxisnah wie möglich gehalten. Als Aktorik verfügt das Fahrzeug über eine elektrische Überlagerungslenkung und eine elektrohydraulische Bremsanlage, die Sensorik für den Fahrzustand umfasst die ESP-Sensorik (Lenkwinkel, Längs- und Querbeschleunigung, Raddrehzahlen) sowie die Sensorik der Überlagerungslenkung und Bremsanlage. Als Umfeldsensoren wurden ein Laserscanner und ein Videosensor eingesetzt, Bild 41-2. Die gewählte Anordnung ermöglicht es dabei, den für die Eingriffe relevanten Bereich vor dem Fahrzeug zu erfassen. Der Laserscanner erfasst in der verwendeten Konfiguration im 90 ms Zyklus einen Bereich von 22,5° bei einer Auflösung von 1,5° vor dem Fahrzeug, die Entfernung zu Objekten wird dabei per Laufzeitmessung von Lichtimpulsen ermittelt. Typischer Einsatzbereich dieser Sensoren ist die Adaptive Cruise Control (ACC). Der Videosensor basiert auf einem monochromen CMOS-Bildsensor, der alle 40 ms Daten liefert. Der Erfassungsbereich beträgt 44°, wobei die Diskretisierung mit ca. 0,07° deutlich feiner als beim Laserscanner ausfällt. Mithilfe von Bildverarbeitungsalgorithmen lassen sich Fahrzeugheckansichten und
41 Antikollisionssystem PRORETA – Integrierte Lösung für ein unfallvermeidendes Fahrzeug
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Bild 41-1: Systemüberblick PRORETA
Bild 41-2: Ausstattung des Versuchsträgers mit Umfeldsensoren
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Zukunft der Fahrerassistenzsysteme
Fahrbahnmarkierungen im Bild detektieren, eine direkte Entfernungsmessung ist jedoch nicht möglich. Typischer Einsatzbereich des Sensors ist Lane Departure Warning (LDW).
41.3 Umfelderkennung durch Sensordatenfusion Beide oben beschriebenen Arten der Umfeldsensoren und die entsprechenden Anwendungen (ACC, LDW) sind in heutigen Serienfahrzeugen vorzufinden. Hierbei gibt es Fahrzeuge, in denen sowohl die ACC-Funktion als auch die LDW-Funktion vorhanden ist. Die Informationen beider Sensorarten werden dabei noch getrennt für die jeweiligen Anwendungen verwendet. Durch die Kombination der Daten können verschiedene Vorteile erzielt werden (siehe auch [1], [5]): Ein Hauptvorteil liegt in der Nutzung komplementärer Information, die sonst nur mit einem teureren Einzelsensor erlangt werden kann. Die Komplementarität gilt dabei sowohl räumlich, z. B. im Hinblick auf die Erweiterung des Erfassungsbereichs, als auch bezogen auf den Informationsgehalt. Über den hier verwendeten Laserscanner lässt sich die Entfernung eines beobachteten Fahrzeugs direkt und präzise messen, die laterale Ablage jedoch nur relativ grob. Über den Videosensor kann die Entfernung hingegen nicht direkt gemessen werden. Die laterale Ablage zusammen mit der Entfernungsinformation des Laserscanners erlaubt jedoch eine präzisere Schätzung als mit dem Laserscanner allein. Im Rahmen des Projekts PRORETA wurde eine allgemeine Systemarchitektur zur Fusion von Umfeldsensordaten entwickelt (siehe [2], [3] und Kapitel 17). Die Architektur ist in drei Ebenen unterteilt: Sensorebene, Fusionsebene und Anwendungsebene. Auf der Fusionsebene finden alle nicht-sensorspezifischen Operationen im Rahmen der Fusion statt. Die wichtigsten sind die Schätzung der Zustandsvariablen beobachteter Objekte (Datenfilterung) und die Zuordnung der beobachteten Objekte zu einer definierten Objekt-Klasse (Klassifikation). Für die Datenfilterung sind dabei mehrere parallele Filter vorgesehen, die für verschiedene Anwendungsgruppen die Daten geeignet aufbereiten, da unterschiedliche Anwendungen unterschiedliche Anforderungen an die Genauigkeit und Dynamik der Schätzung haben können. Die Klassifikation wird auf Basis der in der Sensorebene generierten sensorautarken Information sowie der auf Fusionsebene vorhandenen Informationen durchgeführt. Die geschätzten Daten (Zustän-
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de und Wahrscheinlichkeit der Klassenzugehörigkeit) werden an die Sensorebene zurück übertragen. Hier sind die sensorspezifischen Funktionen gekapselt. Dazu gehören u. a. die Signalverarbeitung, welche mit den zurückgeführten Daten vorkonditioniert werden kann, und die Assoziation der vom Sensor gemessenen Daten zu den bereits bekannten Objekten. Auf diese Weise ist es möglich, sensorspezifische Information in die Assoziation einfließen zu lassen und so den für das Tracking wichtigen Prozess der Datenzuordnung zu verbessern. Durch die Kapselung der Algorithmen in den verschiedenen Ebenen der Architektur lassen sich Hardware- und Softwaremodule leicht tauschen. Auch die Erweiterung um neue Anwendungen und Sensoren lässt sich ohne Änderungen in bestehenden und validierten Teilen der Hard- und Software durchführen. Die praktische Umsetzung der Architektur mit den beschriebenen Sensoren wird in Kapitel 17 beschrieben. Dabei wird angenommen, dass durch zusätzliche Sensorik festgestellt wird, dass der seitliche und hintere Fahrbahnbereich die Not-Fahrmanöver zulässt.
41.4 Eingriffsentscheidung für ein Notmanöver Auf Basis der Umfelddaten wird entschieden, ob eine Kollision droht und wenn ja, welcher Eingriff durchzuführen ist, um die Kollision zu vermeiden. Das Strategieziel ist, erst im physikalisch letztmöglichen Moment die Kollision durch einen Eingriff zu vermeiden, um dem Fahrer möglichst lange die Möglichkeit zu bieten, durch eigene Aktionen die kritische Situation zu entschärfen. Zur Bestimmung einer drohenden Kollision werden zuerst Prädiktionen für den eigenen Fahrschlauch und die Bewegung der Objekte im Umfeld erstellt. Mit diesen Prädiktionen kann dann vorhergesagt werden, ob es zu einer Kollision kommen wird. Ist dies der Fall, so wird in einem nächsten Schritt geplant, wann und welcher Eingriff zu erfolgen hat. Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten, um eine Kollision zu vermeiden: Bremsen, Lenken, Kombination aus Bremsen und Lenken. Für die Eingriffsentscheidung wird nun berechnet, bei welcher Distanz zum Kollisionsort der jeweilige Eingriff zu erfolgen hat, damit die Kollision gerade noch verhindert werden kann. Für einen
41 Antikollisionssystem PRORETA – Integrierte Lösung für ein unfallvermeidendes Fahrzeug
Bremseingriff wird dazu der Bremsweg berechnet. Bei Lenkeingriffen ist es notwendig, die geplante Ausweichbahn zu kennen, um berechnen zu können, wie lange vorher diese begonnen werden muss, um nicht mit dem Objekt zu kollidieren. Als Ausweichbahn wird eine Sigmoide der Form y ( x)
yM 1 e
a x c
(41.1)
mit der Manöverbreite yM verwendet. Diese Manöverbreite ergibt sich aus den Umfelddaten und der gewählten Ausweichstrategie. Die Parameter a und c können über die Beschränkung der maximalen Querbeschleunigung und die Beschränkung des maximal erlaubten Querrucks sowie der Aktordynamik berechnet werden, siehe [4], [20]. Im Bild 41-3 sind die notwendigen Größen zur Berechnung des Ausweichwegs sLenk dargestellt. Über die Fahrzeugbreite bV und die Hindernisbreite yH wird zusammen mit einem Sicherheitsabstand yS die notwendige Ausweichbreite yA ermittelt. Da die Ausweichbreite schon vor dem Ende des Manövers erreicht sein kann, ergibt sich schließlich eine zugehörige Manöverbreite yM. Der Ausweichweg sLenk ist somit der Weg zum Erreichen der Ausweichbreite yA. Die Manöverbreite yM wird je nach verwendeter Strategie gewählt. Wird die Manöverbreite gleich der Ausweichbreite gewählt, so ergibt sich ein maximaler Ausweichweg sLenk bei gegebener maximaler Querbeschleunigung und maximalem Querruck. Die maximale Querbeschleunigung und der maximale Querruck bestimmen die optimale Manöverbreite yM, die zum kleinstmöglichen Ausweichweg sLenk führt und die gesetzten Grenzen ideal ausnutzt, jedoch deutlich mehr seitlichen Versatz yM bei gleicher Ausweichbreite yA benötigt.
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Betrachtet man nun den notwendigen Bremsweg bzw. den notwendigen Ausweichweg bei verschiedenen Geschwindigkeiten, verschiedenen notwendigen Ausweichbreiten und möglichst spätem Eingreifen, so stellt sich heraus, dass bei hohen Geschwindigkeiten das Lenken von Vorteil ist. Bild 41-4 zeigt, welcher Eingriff später begonnen werden kann, um die Kollision zu verhindern, [20]. Ist ein Eingriff notwendig, so wird die Art des Eingriffs (Bremsen/Lenken) an die Regelung übermittelt. Soll ein Bremseingriff erfolgen, so wird hierzu die maximal mögliche Verzögerung verwendet. Bei einem Lenkeingriff wird die Bahn als Folge von Koordinaten-Punkten als Soll-Trajektorie übergeben. Hierzu werden die Position und die Ausrichtung zu einigen zukünftigen Zeitpunkten übermittelt (Abstand jeweils 100 ms) sowie die Position und die Ausrichtung zu einem Zeitpunkt T, der deutlich weiter in der Zukunft liegt. Damit wird gewährleistet, dass der Regler die Bahn zu Beginn sehr genau vorgegeben bekommt. Mit dem Zielpunkt wird der Endverlauf der Soll-Trajektorie vorgegeben, siehe [7], [8], [19], [23]. Anstelle des voll geregelten Eingriffs, bei dem das Fahrzeug zu 100 % die Regelung für die Dauer des Ausweichvorgangs übernimmt, kann es sinnvoll sein, dem Fahrer einen unmissverständlichen Hinweis zu geben. Eine Möglichkeit hierfür ist, das Fahrzeug in die richtige Richtung zu lenken und anschließend dem Fahrer die Aufgabe zu überlassen, das Fahrzeug wieder in die ursprüngliche Fahrtrichtung zu bewegen. Dies erfolgt in Form eines Lenkimpulses, d. h. einer kurzzeitigen Aufschaltung eines Zusatzlenkwinkels. Dieser Lenkimpuls führt zu einer Querbeschleunigung des Fahrzeugs und lenkt damit die Aufmerksamkeit des Fahrers auf das erforderliche Manöver. Fahrversu-
Bild 41-3: Größen für die Berechnung des Ausweichwegs (Details siehe Text)
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7
Ausweichbreite ym [m]
6
ym
5 4
Bremseingriff
3
Lenkeingriff
2 1 0 20
40
60
80 100 120 140 Geschwindigkeit [km/h]
che haben bestätigt, dass die Fahrer nach Ende des Lenkimpulses in der Lage sind, das Fahrzeug wieder in die gewünschte Fahrtrichtung zu lenken.
41.5 Algorithmen zur Fahrzeugregelung Ist eine Kollision mit einem Hindernis durch eine Reaktion des Fahrers nicht mehr vermeidbar, so wählt das Fahrerassistenzsystem situationsabhängig eine der oben beschriebenen Eingriffsvarianten aus. Für die Umsetzung des ausgewählten Eingriffs werden je nach Manöver die Überlagerungslenkung und/oder die elektrohydraulische Bremsanlage verwendet. Soll ein Bremsmanöver durchgeführt werden, wird das Fahrzeug unter Ausnutzung des maximal zur Verfügung stehenden Kraftschlusses verzögert [6, 20]. Das Antiblockiersystem (ABS) unterstützt hierbei. Kann eine Kollision nur durch ein Ausweichmanöver oder ein kombiniertes Ausweich- und Bremsmanöver verhindert werden, erhält die Regelung gemäß der im Bild 41-1 dargestellten Systemstruktur eine Vorgabe für die nachzufahrende Sollbahn von der Eingriffsvorgabe, sodass das Fahrzeug vollautomatisch am Hindernis vorbei geführt wird. Unterschiedliche Regelungen wurden entwickelt, ihre Einsatzmöglichkeiten wurden miteinander verglichen. Beispielhaft können für Ausweichmanöver ein geschwindigkeitsabhängiger lokal linearer Regler mit Vorsteuerung [7], ein nichtlinearer asymptotisch stabiler Folgeregler [8], ein Zustands-
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160
180
Bild 41-4 Eingriffsgrenzen. Es ist dargestellt, welcher Eingriff später erfolgen kann, um den Unfall noch zu vermeiden. Die Manöverbreite y M ist hierbei um 20 % größer als die Ausweichbreite yA .
regler nach dem Entwurfsprinzip der nichtlinearen Systementkopplung und Regelung (basierend auf [9]), ein flachheitsbasierter Regler [8] sowie ein Regelungsansatz nach dem Entwurfsprinzip Internal Model Control angeführt werden, siehe auch [19], [23]. Der jeweilige Querführungsregler übergibt einen Zusatzlenkwinkel an die Winkelschnittstelle der Überlagerungslenkung. Fahrzeuggrößen, die mit der im Fahrzeug verbauten Sensorik nicht gemessen werden können (z. B. Schwimmwinkel), werden von der Systemkomponente Zustandsschätzung Fahrzeug geschätzt, siehe Bild 41-1 und [11], [19]. Auch für die Regelung kombinierter Ausweich- und Bremsmanöver wurden unterschiedliche Regler entwickelt und miteinander verglichen, [19], [20]. Exemplarisch wird im Folgenden der geschwindigkeitsabhängige lokal lineare Regler mit Vorsteuerung beschrieben. Bild 41-5 zeigt die Struktur des Regelkreises. Auf Basis des Eigenlenkgradienten EG wird mit der Krümmung N, dem Radstand l und der Fahrzeuggeschwindigkeit v ein Radeinschlagwinkel GFF für die Vorsteuerung berechnet:
G FF
l EG v 2 N
(41.2)
Beim Entwurf der Steuerung nicht modellierter dynamischer Effekte sowie Störgrößen können aufgrund der bei einer Steuerung fehlenden Rückführung nicht ausgeregelt werden. Aus diesem Grund wird ein Regler zur Kompensation von Störungen und Abweichungen ergänzt. Der hierfür verwendete PD-Regler ist mit nur zwei Parametern unkompliziert parametrierbar und stellt durch den diffe-
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Bild 41-5: Struktur der lokal linearen Querführungs-Regelung mit Vorsteuerung
renziellen Anteil die erforderliche Dynamik bereit. Als Regelabweichung e = 'y wird die Bahnabweichung unter Verwendung der Fahrzeugorientierung \ vom ortsfesten in ein fahrzeugfestes Koordinatensystem transformiert. Hierfür ist die Rückführung der Fahrzeuglängsposition erforderlich. Die Aktorik wird mit der Summe der von Vorsteuerung und Regelung berechneten Winkel GFF und GFB angesteuert. Zur Implementierung des Reglers im Versuchsfahrzeug wurde die für die Berechnung des differenziellen Anteils erforderliche zeitliche Ableitung durch ein Filter ersetzt. Das dynamische Verhalten eines Fahrzeugs hängt von zahlreichen Einflussgrößen ab, [11]. Hierbei spielt die Geschwindigkeit eine große Rolle, da sie sich während eines Fahrzyklus ständig und entscheidend verändert. Aus diesem Grund wurden für eine geschwindigkeitsangepasste Kompensationsregelung für unterschiedliche Arbeitspunkte (Geschwindigkeiten) Regler entworfen, deren Ausgänge mit einem auf Lokal Linearen Modellen (LLM) basierenden Ansatz gewichtet überlagert werden [7], [10], [19]. Der Ausgang des Gesamtreglers wird aus der Summe der gewichteten Ausgänge der Einzelregler berechnet, siehe Bild 41-6. In Abhängigkeit von der Geschwindigkeit wird der Wert des zum jeweiligen Regler zugehörigen Gewichts ermittelt und mit dem Reglerausgang multipliziert.
41.6 Zusammenspiel zwischen Fahrer und Fahrerassistenzsystem
Bild 41-6: Gewichtete Überlagerung von M Einzelreglern in Anlehnung an eine LOLIMOT-Netzmodellstruktur
mentiert und in Probandenversuchen untersucht. Die Auslösung der Fahrmanöver erfolgte während dieser Versuche über eine Lichtschranke. Aus den Versuchsfahrten wurden Erkenntnisse über Reaktionen der Fahrer auf automatische Eingriffe sowie deren Akzeptanz gewonnen. Hieraus abgeleitete Gestaltungsempfehlungen flossen schließlich in die Realisierung des Gesamtsystems ein.
41.6.1 Ziel der Untersuchung Eine Ergonomiestudie begleitete die technische Entwicklung des Fahrerassistenzsystems PRORETA. Im Versuchträger wurden verschiedene Varianten automatischer Brems- und Lenkeingriffe imple-
Bei der Entwicklung des Fahrerassistenzsystems PRORETA wurde der Ansatz verfolgt, den Fahrer gezielt in Situationen zu unterstützen, in denen er
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an seine psycho-mentalen und motorischen Grenzen stößt. Bei einer drohenden Kollision soll PRORETA kurzzeitig die Längs- und/oder die Querführung des Fahrzeugs übernehmen, wenn der Fahrer nicht rechtzeitig reagiert. Bedingung für einen Sicherheitsgewinn und die Akzeptanz des Fahrers ist, dass das Assistenzsystem mit ihm erfolgreich „zusammenarbeitet“. Hieraus folgt: 1. Dem Fahrer ist bewusst, dass es zwei Fahrmodi gibt, in denen er sich befinden kann – Assistenzmodus und Fahrermodus. 2. Der Fahrer kann – nach erfolgtem Eingriff des Fahrerassistenzsystems – ohne Probleme wieder die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen. 3. Die Aktionen des Assistenzsystems führen nicht zu ungünstigen Gegenreaktionen des Fahrers. Um dieses Zusammenspiel mit dem Fahrer zu untersuchen, wurden mit „Normalfahrern“, also Fahrern ohne Versuchserfahrung, Fahrversuche mit plötzlich erscheinenden Hindernissen und automatischen Brems- und Ausweichmanövern durchgeführt. Dabei standen zwei Fragestellungen im Vordergrund: Wie reagiert der Fahrer auf automatische Lenkund Bremseingriffe? Akzeptiert der Fahrer solche Eingriffe?
41.6.2 Versuchskonzept Die Fahrversuche fanden auf dem August-EulerFlugplatz, dem Versuchsgelände der Technischen
Universität Darmstadt, statt und wurden mit einem plötzlich erscheinenden Hindernis durchgeführt. Dieses Hindernis wurde speziell zur Durchführung der ergonomischen Studie konstruiert und war in einem von mehreren Streckenbegrenzungselementen auf der rechten Fahrbahnseite versteckt. Es besteht aus einer druckluftgefüllten Gummistruktur, die sich innerhalb von ca. 0,6 Sekunden entfaltet, sodass der halbe Fahrstreifen verdeckt wird, Bild 41-7. Ausgelöst wird das Hindernis durch eine Lichtschranke. Im Straßenverkehr kann eine solche Situation beispielsweise entstehen, wenn ein Kind hinter einem parkenden Fahrzeug plötzlich auf die Fahrbahn rennt oder ein Radfahrer absteigt und auf die Fahrbahn fällt. Die Fahrer hatten den Auftrag, im PRORETA-Versuchsträger mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h einen Parcours zu durchfahren, der zur Ablenkung einen Slalom und einen Spurwechsel beinhaltete. In Abhängigkeit von der jeweiligen Versuchsreihe wurde entweder die Reaktion der Fahrer auf das plötzlich erscheinende Hindernis untersucht oder aber die Reaktion auf unterschiedliche automatische Brems- und Lenkeingriffe bei Erscheinen des Hindernisses. Hierbei war der Zeitpunkt des Erscheinens des Hindernisses so gewählt, dass nur sehr gute und aufmerksame Fahrer noch vor dem System reagieren können. Die Tabelle 41-1 zeigt eine Übersicht über die drei durchgeführten Hauptversuchsreihen. Während der Versuchsfahrten wurden FahrzeugMessdaten, Blickbewegungsdaten sowie Videodaten von Fahrer, Fahrzeuginnenraum und Umgebung
Bild 41-7: Versuchsfahrzeug mit plötzlich erscheinendem Hindernis
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Tabelle 41-1: Die drei Versuchsreihen der Ergonomiestudie 1 Plötzlich erscheinendes Hindernis
2 Automatisches Notbremsen
3 Automatisches Ausweichen
Probanden
22 Männer 20 Frauen 22–65 Jahre
15 Männer 13 Frauen 20–35 Jahre und > 50 Jahre
19 Männer 14 Frauen 20–35 Jahre und > 50 Jahre
Unabhängige Variable
Zeitpunkt (Plötzlichkeit) der Hinderniserscheinung
Verzögerung bei automatischem Bremseingriff Zeitpunkte von Hinderniserscheinung und automatischem Bremseingriff
Verlauf des überlagerten Lenkwinkels Übersteuerungsmöglichkeit des Fahrers
Untersuchungsgegenstand
Fahrerverhalten
Fahrerverhalten Akzeptanz
Fahrerverhalten Akzeptanz
Versuchsreihe
aufgezeichnet. Vor, während und nach den Versuchen wurden Befragungen durchgeführt, [12], [13], [22].
41.6.3 Ergebnisse Die Auswertung erfolgte u. a. in Bezug auf Reaktionszeiten, Pedal- und Lenkradbetätigungen, Kollisionen mit dem Hindernis, Blickverhalten, Mimikreaktionen und Akzeptanz (zur ergonomischen Versuchs- und Messmethodik siehe im Einzelnen [12], [22]). Im Folgenden werden Ergebnisse aus den drei Versuchsreihen vorgestellt. Reaktion der Fahrer auf plötzlich erscheinende Hindernisse Bei der Versuchsreihe 1 (plötzlich erscheinendes Hindernis, kein automatischer Systemeingriff) zeigten über 1/3 der Versuchspersonen weder eine Lenk- noch eine Bremsreaktion. Über 90 % kollidierten mit dem Hindernis [13]. Mit einer Reaktionszeit von 0,5 Sekunden wäre bei idealer Reaktion des Fahrers eine Kollision vermeidbar gewesen. Auch eine Studie des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft zum Bremsverhalten bei Unfällen ergab, dass bei 49 % der Kollisionen überhaupt nicht gebremst wurde [14]. In diesem Bereich könnte ein automatisches Brems-/Ausweichsystem zur Verringerung der Unfallzahlen oder zumindest der Unfallschwere beitragen. Reaktion der Fahrer auf automatische Bremseingriffe Die Versuchsreihe 2 sollte untersuchen, wie der Fahrer reagiert, wenn das Fahrzeug in einer kritischen Situation plötzlich eingreift und ein auto-
matisches Manöver fährt. Bei der automatischen Notbremsung war auffällig, dass die Probanden bei den meisten Fahrten mit einer Betätigung des Gaspedals reagierten. Betrachtet man die VideoAufzeichnungen, so erkennt man deutlich, dass die Fahrer bzw. die Beine durch die Trägheitswirkung bei der Verzögerung nach vorne „fallen“, d. h. sie stützen sich unbewusst am Gaspedal ab, Bild 41-8. Bei automatischen Abstandsregelsystemen, deren maximale Verzögerungen deutlich kleiner sind, wird eine Gaspedalbetätigung des Fahrers als beabsichtigte Übersteuerung gewertet und entsprechend vom System übernommen. Im Falle einer automatischen Notbremsung darf jedoch eine Gaspedalbetätigung nicht als Übersteuerungswunsch interpretiert werden (siehe auch [15]). Unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus den Fahrversuchen ist also bei kritischen Bremssituationen eine Abkopplung des Gaspedals erforderlich. Reaktion auf automatische Lenkeingriffe Zur Untersuchung der Reaktion von Probanden auf automatische Lenkeingriffe wurden unterschiedliche Lenkeingriffe miteinander verglichen. Eine Variante war ein „Lenkwinkelsprung“, bei dem der Fahrer durch eine relativ schnelle, rampenförmige Hinzugabe eines Lenkwinkels mithilfe der Überlagerungslenkung in der ersten Phase des Ausweichvorgangs unterstützt wird. Der überlagerte Winkel wurde so gewählt, dass er bei der für das Durchfahren des Parcours vorgegebenen Geschwindigkeit gerade ausreichend ist, um ohne weitere Lenkraddrehung am Hindernis vorbeizufahren. Bei weiteren Varianten wurde ebenfalls mithilfe der Überlagerungslenkung ein Zusatzlenkwinkelverlauf vorgegeben, mit dem das Fahrzeug bei Parcoursaus-
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Zukunft der Fahrerassistenzsysteme
Bild 41-8: Unbeabsichtigte Gaspedalbetätigung bei automatischer Notbremsung
legungsgeschwindigkeit und gerade gehaltenem Lenkrad auf einer vollständigen Ausweichbahn am Hindernis vorbeigeführt wurde. Dies konnte wahlweise mit oder ohne Übersteuerungsmöglichkeit für den Fahrer durchgeführt werden. Nach jeder Versuchsfahrt wurde nach der subjektiven Einschätzung der Probanden gefragt, ob das Fahrzeug ihren eigenen Lenkbewegungen gefolgt
ist. Bei der Eingriffsvariante mit automatischem Ausweichmanöver und Regelung, bei der also der Fahrerwunsch durch das Assistenzsystem übersteuert wurde, antworteten mehr als die Hälfte der Probanden auf diese Frage mit „ja“ oder „teilweise“, Bild 41-9. Dies bedeutet, dass automatische Eingriffe als solche nicht bewusst wahrgenommen wurden
Bild 41-9: Einschätzung der Probanden, ob das Fahrzeug bei einer Fahrt mit geregeltem automatischem Lenkeingriff ihren eigenen Lenkbewegungen folgte
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41 Antikollisionssystem PRORETA – Integrierte Lösung für ein unfallvermeidendes Fahrzeug
Akzeptanz Vor den Versuchen, nach jeder Einzelfahrt und nach den Versuchen wurde anhand von Fragebögen eine Befragung der Probanden zur Akzeptanz durchgeführt. Eine betriebswirtschaftlich orientierte Definition des Begriffs „Akzeptanz“ nach [16] unterscheidet zwischen Wertschätzung (Einstellungsebene) und aktiver Handlungsbereitschaft (Verhaltensebene). Als Beispiel für die aktive Handlungsbereitschaft soll hier die Bereitschaft der Probanden dargestellt werden, einen Aufpreis für ein solches System zu zahlen, Bild 41-10. In beiden Versuchsreihen mit automatischem Eingriff stieg diese Bereitschaft nach den Fahrten. Somit zeigte sich während der Versuche eine hohe Akzeptanz der Fahrer für ein automatisches Notbremssystem. Für das automatische Ausweichen war die Akzeptanz geringer. Am häufigsten wurden Bedenken in Bezug auf ein mögliches unkontrolliertes Abkommen auf die Gegenfahrbahn bei Gegenverkehr geäußert.
41.6.4 Fazit aus den Probandenversuchen Bei den Versuchen mit plötzlich und unerwartet aus einem Streckenelement heraus erscheinendem Hindernis zeigten über 1/3 der Versuchspersonen weder eine Lenk- noch eine Bremsreaktion. Hier zeigt sich also ein Unfallvermeidungspotenzial durch automatische Eingriffe. Allgemein sind auf dem Gebiet der Unfallvermeidung verschiedene Unterstützungsgrade der Fahrer
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möglich. Ihre Bandbreite reicht von einer Warnung über ein Signal, das auf die richtige Handlungsweise hinweist, bis hin zu vollautomatischen Eingriffen (siehe hierzu z. B. [17]). Die Untersuchungen zeigten, dass der Fahrer so lange wie möglich die Kontrolle über das Fahrzeug behalten sollte. So ist in Abhängigkeit von der zur Vermeidung einer Kollision verbleibenden Zeit ein stufenweise ansteigendes Assistenz-Niveau zu empfehlen. Demnach sollte ein automatischer Eingriff erst im fahrdynamisch letztmöglichen Moment erfolgen. In fast 90 % der insgesamt 89 Fahrten mit automatischer Notbremsung betätigten die Fahrer das Gaspedal. Diese Reaktion ist nicht auf eine bewusste Handlung zurück zu führen, sondern eine Folge der durch die Fahrzeugverzögerung entstehenden Trägheitskräfte. Eine Gaspedalbetätigung darf in dieser Notsituation also nicht als Übersteuerungswunsch des Fahrers interpretiert werden. Insgesamt ergab sich eine hohe Akzeptanz für eine automatische Notbremsung. Im Falle der automatischen Lenkeingriffe ohne Übersteuerungsmöglichkeit für den Fahrer gaben über 50 % der Versuchspersonen an, ganz oder teilweise die Kontrolle über das Fahrzeug gehabt zu haben. Sie merkten also nicht, dass das Fahrzeug kurzzeitig das Fahrmanöver übernommen hatte. In Bezug auf automatische Lenkeingriffe war die Akzeptanz geringer als bei der Notbremsung. Hier wurden häufig Bedenken geäußert, das Fahrzeug könnte trotz Gegenverkehr unkontrolliert auf die Gegenfahrbahn geraten.
Bild 41-10 Bereitschaft zur Aufpreiszahlung: Ergebnisse aus den Versuchsreihen 2 und 3
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41.7 Erprobung des Fahrerassistenzsystems in Fahrversuchen Die entwickelten Komponenten Umfelderkennung, Eingriffsentscheidung und Regelung wurden unter Berücksichtigung der Ergebnisse der ergonomischen Studie als Gesamtsystem in ein Versuchsfahrzeug implementiert und anhand zahlreicher Versuche erprobt. Dies geschah in Verbindung mit einem Hindernis, das die Rückansicht eines Pkws darstellt und sich quer über die Fahrbahn bewegen lässt, siehe Bild 41-11. In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten Ergebnisse aus diesen Versuchen dargestellt. Dabei wird jeweils vorausgesetzt, dass der seitliche und hintere Fahrbahnbereich durch zusätzliche Sensorik überwacht wird und die Fahrmanöver zulässig sind. 41.7.1 Umfelderfassung mit Laserscanner und Videosensor Bei den im Bild 41-12 dargestellten Szenarien erfolgt die Eingriffsentscheidung auf Basis von Informationen aus dem vorderen Umfeld des Fahrzeugs. Dieses wird mit einem Laserscanner und einem Videosensor erfasst, deren Daten durch eine Sensordatenfusion zusammengeführt werden, siehe Abschnitt 41.3. Durch die Hinzunahme der Infor-
mationen des Videosensors lassen sich zwei wichtige Vorteile im Vergleich zur Erfassung mit dem Laserscanner allein erreichen (siehe auch [3]): eine deutlich robustere Unterscheidung von Fahrzeugen und Nicht-Fahrzeugen, wodurch die Gefahr von Fehlauslösungen minimiert werden kann; eine präzisere Erfassung der Quer-Position und -bewegung des Hindernisses, wodurch eine exaktere Berechnung der Eingriffszeitpunkte und eine genauere Bestimmung der Ausweichtrajektorie möglich sind. Bild 41-13 zeigt die Ergebnisse von zwei Experimenten, die mit stehendem Versuchsträger und einer in unterschiedlichen Abständen senkrecht zur Fahrzeugmittelachse bewegten Fahrzeugattrappe durchgeführt wurden. Zum einen wurde die Quergeschwindigkeit der Attrappe mit den Daten des Laserscanners, zum anderen mit den fusionierten Daten aus Laserscanner und Video-Sensor mit einem Kalman-Filter geschätzt (v y,est). Als Kontrolle diente ein Correvit-Sensor, mit dem die Quergeschwindigkeit (v y,meas) direkt gemessen werden kann. Der Wert von V2 gibt die mittlere quadratische Abweichung der Messung von der Schätzung an:
V2
1 T
T 0
(vy,est
Bild 41-11: Versuchshindernis in Form einer rückwärtigen Ansicht eines PKWs
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vy,meas )2 dt
(41.3)
41 Antikollisionssystem PRORETA – Integrierte Lösung für ein unfallvermeidendes Fahrzeug
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Bild 41-12: Szenarien zur Erprobung des Systems
Man erkennt den Einfluss der gröberen Diskretisierung des Laserscanners auf die Qualität der Schätzung der Quergeschwindigkeit und der lateralen Position sowie die deutliche Verbesserung durch die Hinzunahme der Informationen aus der Videosensorik. Mit steigendem Abstand macht sich der Effekt der im Vergleich zum Videosensor gröberen Diskretisierung des Laserscanners noch deutlicher bemerkbar. Die Positionsschätzung weist im dynamischen Fall zwar nur geringe Unterschiede zur Schätzung per Videosensorik auf, wird hier aber
nur durch die Interpolation über den eingeschwungenen Kalman-Filter erzielt. Zu erkennen ist dies an den periodischen Schwankungen der Fehler in der Geschwindigkeitsschätzung, in denen sich die Auflösung des Laserscanners widerspiegelt.
41.7.2 Blockierte Spur Im Szenario „Plötzlich erscheinendes Hindernis/ blockierte Spur“ aus Bild 41-12a wird eine für den
Bild 41-13: Schätzung der Position yest und Quergeschwindigkeit vy,est eines sich senkrecht zur Fahrzeugmittelachse in die Fahrspur hineinbewegenden Fahrzeugs mit und ohne Sensor-Fusion
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Bild 41-14: Ausweichweg sLenk und Abstand xO zum Hindernis auf der eigenen Spur
Fahrer unerwartet blockierte Spur nachgestellt. Ein Beispiel hierfür wäre ein Stauende nach einer Kurve. Als Eingriff wird das Notausweichen untersucht. Über die Umfeldsensoren wird die Position des verwendeten Hindernisses ermittelt. Die notwendige Ausweichtrajektorie kann auf Basis der Informationen über das Fahrzeugumfeld berechnet werden, wie in den Abschnitten 41.4 und 41.5 beschrieben. Sobald der erforderliche Ausweichweg sLenk dem Objektabstand xO gleicht, wird das Ausweichmanöver eingeleitet und die für die aktuelle Geschwindigkeit und den Abstand zur Objektkante passenden Parameter der Ausweichbahn ermittelt, siehe Bild 41-14. Nachdem auf Basis der Informationen über das Fahrzeugumfeld die Entscheidung für ein Ausweichmanöver getroffen und eine Ausweichbahn geplant wurde (siehe [4], [20]), wird das Fahrzeug
Bild 41-15: Ergebnisse der Fahrzeugquerführung bei Versuchsfahrten mit zwei unterschiedlichen Querführungsregelungen
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41 Antikollisionssystem PRORETA – Integrierte Lösung für ein unfallvermeidendes Fahrzeug
durch die Querführungsregelung ohne das Zutun des Fahrers auf der vorgegebenen Ausweichbahn am Hindernis vorbei geführt. Bild 41-15a zeigt das mit dem in Abschnitt 41.5 beschriebenen lokal linearen Regler mit Vorsteuerung bei einer Versuchsfahrt erzielte Ergebnis. Die Ausweichbreite yM beträgt 3 m. Soll- und Ist-Position stimmen abgesehen von einem geringen Überschwingen gut überein. Anhand des Lenkradwinkels ist zu erkennen, dass der Fahrer das Lenkrad in Geradeausstellung hielt. Die Differenz zwischen Summen- und Lenkradwinkel wird vom Regler vorgegeben. Bild 41-15b zeigt zum Vergleich ein nach dem Entwurfsprinzip der nichtlinearen Systementkopplung und Regelung erzieltes Ergebnis. Die Übereinstimmung zwischen Soll- und Istbahn ist besser, allerdings sind die Lenkeingriffe sehr groß und der Implementierungs- und Parametrierungsaufwand des Zustandsreglers deutlich höher.
41.7.3 Einscherendes Fahrzeug Als zweites Szenario wird ein plötzlich einscherendes Fahrzeug nachgestellt, Bild 41-12b. Hierbei fährt der Fahrer auf dem linken Fahrstreifen. Kurz vor dem eigenen Fahrzeug bewegt sich die Fahrzeugattrappe jedoch vom rechten auf den linken Fahrstreifen. Ausweichen ist in diesem Szenario nicht möglich, da zusätzlich zum bewegten Hindernis noch weitere Hindernisse den rechten Streifen versperren. Das benötigte Manöver ist daher ein Notbremsmanöver. Über die Umfeldsensoren wird erkannt, dass die Fahrbahn auf beiden Fahrstreifen versperrt ist, und es wird berechnet, zu welchem letztmöglichen Zeitpunkt mit dem Notbremsmanöver begonnen werden muss, um kurz vor dem Hindernis zum Stehen zu kommen. Der Zeitpunkt des Einscherens der Attrappe ist so gewählt, dass sehr aufmerksame Fahrer noch rechtzeitig reagieren können. Um reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten, erfolgt die Auslösung der seitlichen Bewegung der Attrappe unabhängig von der Geschwindigkeit des Fahrzeugs bei einem vordefinierten Abstand zwischen Hindernis und Fahrzeug mittels einer Doppellichtschranke. Unter der Annahme einer maximalen Bremsbeschleunigung, die in Abhängigkeit des Fahrbahnzustands (trocken-nass) angepasst wird, wird in Abhängigkeit der aktuellen Geschwindigkeit der erforderliche Bremsweg des Fahrzeugs berechnet. Das Fahrerassistenzsystem löst erst dann einen Bremseingriff aus, wenn diese Bremsdistanz erreicht ist, um dem Fahrer so lange wie möglich die Chance zu geben, selbst die Kollision zu verhindern.
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Sobald der Bremseingriff ausgelöst wird, verzögert die elektrohydraulische Bremsanlage das Fahrzeug maximal. Das Antiblockiersystem ABS unterstützt hierbei. In allen Fällen kam das Fahrzeug in einem Abstand kleiner als 0,5 m vor dem Hindernis zum Stehen, [19, 20].
41.8 Schlussbemerkung Das dargestellte System zur Unfallvermeidung, das im Rahmen des Projekts PRORETA entwickelt wurde, ist am 11.05.2006 einem von Continental AG und TU Darmstadt ausgewählten Kreis präsentiert worden. Hierbei hatten die anwesenden Gäste die Möglichkeit, das System im Rahmen von Fahrversuchen selbst zu erleben. Jeder Gast fuhr dabei die im Bild 41-12 dargestellten Szenarien. Zusätzlich wurde die Möglichkeit geboten, die im Abschnitt 41.6 beschriebene Eingriffsvariante „Lenkimpuls“ zu testen. Hierbei wird der Fahrer lediglich während der Einleitung des Ausweichvorgangs unterstützt, sodass er in die Ausführung des Not-Manövers eingebunden bleibt. Das System funktionierte bei allen Gästen robust und einwandfrei. Bis ein solches System allerdings am Markt erhältlich sein wird, sind noch einige Aufgaben zu bewältigen. Eine wichtige Voraussetzung ist die Betrachtung des Gegenverkehrs, welche in einem Folgeprojekt von PRORETA untersucht wird. Das Projekt PRORETA wurde von der Firma Continental Teves AG & Co. oHG Frankfurt finanziert und in enger Zusammenarbeit durchgeführt. Hierfür bedanken sich die drei Institute der TU Darmstadt sehr. Dieses Kapitel ist eine überarbeitete Version des Zeitschriftenartikels [18].
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[20] Stählin, U.: Eingriffsentscheidung für ein Fahrerassistenzsystem zur Unfallvermeidung. Dissertation. Fortschr.-Ber. VDI, Reihe 12, Nr. 683. VDI, Düsseldorf, 2008 [21] Darms, M.: Eine Basis-Systemarchitektur zur Sensordatenfusion von Umfeldsensoren für Fahrerassistenzsysteme. Dissertation TU Darmstadt. Fortschr.Ber. VDI, Reihe 12, Nr. 653. VDI, Düsseldorf, 2007 [22] Bender, E.: Handlungen und Subjektivurteile von Kraftfahrzeugführern bei automatischen Bremsund Lenkeingriffen eines Unterstützungssystems zur Kollisionsvermeidung. Dissertation, TU Darmstadt. Stuttgart: Ergonomia 2008 [23] Isermann, R.; Schorn, M.; Stählin, U.: Anticollision system PRORETA with automatic braking and steering. 20th Symposium on the International Association for Vehicle System Dynamics (IAVSD), University of California Berkeley, 13–17 August 2007, and Journal Vehicle System Dynamics, Taylor & Francis, 2008
G 42 Kooperative Automation
Stephan Hakuli, Ralph Bruder, Frank O. Flemisch, Christian Löper, Herbert Rausch, Michael Schreiber, Hermann Winner
42.1 Einleitung und Motivation Das Aufgabenspektrum moderner Assistenzsysteme erstreckt sich von der Steigerung des Fahrkomforts bis hin zur Übernahme aktiver Sicherheitsfunktionen. Selbst komplexe Systeme wie die adaptive Fahrgeschwindigkeitsregelung ACC (Adaptive Cruise Control, vgl. Kap. 32), die wie viele weitere Innovationen in der Fahrzeugindustrie einst der automobilen Oberklasse vorbehalten war, dringen derzeit über die Mittelklasse in den Massenmarkt vor und beginnen, die Öffentlichkeit für die mit hoher Automatisierung einhergehenden Veränderungen und Herausforderungen zu sensibilisieren. Denn so beeindruckend die Leistungsfähigkeit moderner Fahrerassistenzsysteme auch ist, so verursacht sie doch ein Dilemma: Mit der Übernahme von primären Fahraufgaben durch Fahrerassistenzsysteme werden vom Fahrer neue und erweiterte Bedienfähigkeiten erwartet. Zum einen muss er ein mentales Modell eines jeden vorhandenen Assistenzsystems mit dessen spezifischer Mensch-Maschine-Schnittstelle aufbauen und dessen funktionale Grenzen verinnerlichen. Zum anderen muss er, nachdem er einen Teil seiner Fahraufgabe an ein Assistenzsystem übertragen hat, die (teil-)automatisierte Funktion überwachen, die Handlungen des Systems antizipieren und eine permanente Bereitschaft zur Rückübernahme der durch die Assistenzfunktion ausgeführten Fahraufgabe aufweisen. Die Rückübernahme geschieht entweder willentlich, wenn die Unterstützung nicht nach des Fahrers Vorstellung verläuft, oder sie ist obligatorisch, wenn die Assistenzfunktion an ihre funktionalen Grenzen stößt und explizit zur Übernahme auffordert. Für eine erfolgreiche Rückübernahme muss gewährleistet sein, dass dem Fahrer jederzeit bewusst ist, in welcher Situation er sich befindet (Situation Awareness) [5] und in welchem Modus seine Assistenzsysteme arbeiten (Mode Awareness) [1]. Erschwert wird die erfolgreiche Rückübernahme dadurch, dass derzeitige Assistenzsysteme als Einzelfunktionen entweder aktiviert, übersteuert oder deaktiviert sind, aber kein fließender, kontinuierlicher Übergang zwischen verschiedenen Unterstützungsgraden existiert, der diesem Problem des harten Übergangs begegnet. Zusammenfassend gibt es also mehrere Faktoren, die das Überdenken der Architektur derzei-
tiger Fahrerassistenzsysteme erfordern: Wie aus dem Bereich der Luftfahrt bekannt ist, kann eine Erhöhung des Automationsgrades zu Defiziten in Situation und Mode Awareness führen, wenn die Mensch-Maschine-Interaktion nicht an die neuen Anforderungen angepasst wird. Dies kann sowohl den Nutzen von Assistenzsystemen mindern [15] als auch zu kritischen Fahrsituationen führen. Weiterhin kommunizieren derzeitige Assistenzsysteme in der Regel jeweils über eine eigene Mensch-Maschine-Schnittstelle mit dem Fahrer. Da die Optimierung der bisherigen Einzelansätze keinen Ausweg verspricht, stellt sich die Frage, wie ein integriertes Gesamtkonzept aussehen kann, das dem Fahrer entsprechend der rechtlichen Rahmenbedingungen maximale Unterstützung anbietet, ihn aber gleichzeitig im Informationsfluss belässt. Als Weg aus diesem Dilemma bietet sich eine Richtung an, die sich als kooperative Fahrzeugführung beschreiben lässt. Die Kooperation bezieht sich auf die intensive, kooperative Interaktion zwischen Fahrer und automatischem System. Exemplarisch werden zwei Umsetzungen skizziert, die sich zwar aus unterschiedlichen Richtungen einer Lösung annähern, aber auch eine hohe Überdeckung zeigen. In gemeinsamen Diskussionen der nachfolgend genannten Arbeitsgruppen wurde der Begriff der kooperativen Automation als gemeinsamer Kern der beiden Ansätze identifiziert. In der Konzeptausprägung Conduct-by-Wire arbeitet eine Arbeitsgruppe der TU Darmstadt (Fachgebiet Fahrzeugtechnik und Institut für Arbeitswissenschaft) an einem manöverbasierten Fahrzeugführungs- und Assistenzkonzept, das dem im Weiteren beschriebenen Paradigma der Seriellen Assistenz folgt [11], [12]. Unter dem Titel H-Mode widmen sich das DLR (Institut für Verkehrssystemtechnik) und die TU München (Lehrstuhl für Ergonomie) basierend auf der H(orse)-Metapher der Gestaltung des kooperativen Zusammenwirkens von Fahrer und Automation für hochautomatisierte Fahrzeuge [16]. Für diese Gestaltung wird im Rahmen der H-Metapher die Interaktion zwischen Reiter und Pferd/Pferdekutsche als Vorbild genommen und als haptisch-multimodale Interaktionssprache auf die hochautomatisierte Fahrzeugführung angewandt. Die Forschungsprojekte Conduct-by-Wire und H-Mode werden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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Zukunft der Fahrerassistenzsysteme
42.2 Aspekte der kooperativen Automation Die Zusammenarbeit von Mensch und Automation in der unterstützten Fahrzeugführung erfolgt derzeit abhängig vom System und vom Bedienkonzept entweder in Form einer Delegation einer Teilfahraufgabe oder in Form einer Unterstützung während der Ausführung. Im Folgenden dienen zwei Kriterien zur Klassifizierung des Unterstützungskonzepts, zum einen die Anordnung von Fahrer und Assistenzsystem und zum anderen deren zeitliche Wirkreihenfolge: Anordnung: Haben sowohl der Fahrer als auch das Assistenzsystem die Möglichkeit, direkt auf das Fahrzeug zu wirken, sind sie parallel angeordnet. Kann der Fahrer nur durch das Assistenzsystem auf das Fahrzeug wirken, liegt eine serielle Anordnung vor. Daraus leiten sich folgende kennzeichnende Merkmale ab: Parallele Assistenz: Der Fahrer wirkt in Ausübung seiner Fahraufgabe direkt auf das Fahrzeug, das Assistenzsystem liegt parallel zu diesem Wirkungspfad und kann entweder abwechselnd mit dem Fahrer die (Teil-)Fahraufgabe übernehmen oder ihn simultan unterstützen. Serielle Assistenz: Der Fahrer wirkt durch ein Assistenzsystem auf das Fahrzeug, das seine Eingaben simultan, also ohne Zeitverzug, oder sequenziell umsetzt. Ein direkter Zugriff auf das Fahrzeug unter Umgehung der Assistenz ist nicht möglich. Zeitliche Wirkreihenfolge: Wirken Fahrer und Assistenzsystem zeitgleich auf das Fahrzeug oder wird die Fahrereingabe vom Assistenzsystem ohne Zeitverzug in eine Aktion umgesetzt, so wird die Wirkung als simultan bezeichnet. Das Gegenstück, nämlich der sequenzielle Fall, ist gekennzeichnet durch abwechselndes Wirken von Fahrer und Assistenzsystem bzw. einer ereignisdiskreten Umset-
Bild 42-1: Parallel-simultane Assistenz
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zung des Fahrerauftrags (ggf. mit Zeitverzug). In Form einer Definition bedeutet dies: Simultane Assistenz: Fahrer und Assistenzsystem wirken zeitgleich auf das Fahrzeug oder kontinuierliche Fahrereingaben werden ohne Zeitverzug vom Assistenzsystem umgesetzt. Sequenzielle Assistenz: Fahrer und Assistenzsystem wirken abwechselnd auf das Fahrzeug oder Fahrereingaben erfolgen nicht kontinuierlich, sondern ereignisdiskret. Die vier möglichen Kombinationen aus Anordnung und zeitlicher Wirkreihenfolge sollen im Folgenden am Beispiel existierender Assistenzsysteme genauer diskutiert werden.
42.2.1 Parallel-simultane Assistenz Als erste Kombination wird die parallele Anordnung von Fahrer und Assistenzsystem bei simultaner Wirkung auf das Fahrzeug beleuchtet. Bild 42-1 zeigt die zugehörige Wirkungskette: Die Fahrereingabe wird von der Mensch-MaschineSchnittstelle (MMS) entgegengenommen und sowohl dem Fahrzeug als auch dem Fahrerassistenzsystem (FAS) mitgeteilt. Dieses kann mittels Fahrzustandsinformationen eine Eingriffsentscheidung treffen und die Fahrereingabe ergänzen. Nach dieser Klassifikation sind die so genannten Spurhalteassistenzsysteme (Lane Keeping Support LKS, vgl. Kap. 35) parallel-simultan arbeitende Systeme. Der Fahrer beaufschlagt das Lenkrad mit einem Lenkmoment, dem das Assistenzsystem abhängig vom Fahrzustand und von der Position im Fahrstreifen ein Zusatzmoment überlagern kann. Gleiches gilt für Überlagerungslenkungen, bei denen der Fahrerlenkwinkeleingabe ein Zusatzlenkwinkel überlagert wird. In beiden Fällen sind Fahrer und Assistenzsystem parallel angeordnet und arbeiten zeitgleich.
42 Kooperative Automation
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Bild 42-2: Parallel-sequenzielle Assistenz
42.2.2 Parallel-sequenzielle Assistenz Die parallel-sequenzielle Assistenz unterscheidet sich von der im letzten Abschnitt diskutierten parallel-simultanen Assistenz dadurch, dass entweder der Fahrer oder das Assistenzsystem bei der Ausführung einer Teilfahraufgabe auf das Fahrzeug wirkt. Ein gleichzeitiges, also simultanes Wirken ist nicht möglich. Im Bild 42-2 ist der Summationspunkt aus Bild 42-1, in dem sich die Eingaben von Fahrer und Assistenzsystem überlagern, durch einen logischen Schalter ersetzt worden. Hier ist zu unterscheiden zwischen Assistenz auf Bahnführungsebene und auf Stabilisierungsebene (zur wichtigen Begriffsdefinition von Stabilisierungs- und Bahnführungsebene, die im Folgenden noch öfter verwendet werden, sei auf Kap. 2 hingewiesen): Ein ACC-System, das dem Fahrer in geeigneter Umgebung die Längsführungsaufgabe abnehmen kann, wird beauftragt und anschließend überwacht. Im aktivierten Zustand ist dem Fahrer die Möglichkeit genommen, selbst Längsführungseingaben zu tätigen. Betätigt er jedoch das Fahrpedal, so wird das Assistenzsystem kurzzeitig zugunsten der Fahrereingabe degradiert. Betätigt er das Bremspedal, wird das System sogar deaktiviert, bis die Reaktivierung vom Fahrer erfolgt. Diese impliziten Umschaltbefehle ergänzen die explizite Ein- und Ausschaltbarkeit und verdeutlichen, dass eine Entweder-Oder-Anordnung von Fahrer und Assistenzsystem vorliegt. Aus diesem Grund trifft auch der Begriff alternierend als Beschreibung der Wirkungsweise von parallelsequenzieller Assistenz zu. Parallel-sequenzielle Systeme gibt es auch auf der Stabilisierungsebene. Fahrdynamik regelsysteme (vgl. Kap. 25) sind parallel zum Fahrer angeordnet und wirken wechselweise mit ihm auf das Fahrzeug ein. Beim Überschreiten einer zulässigen Abweichung zwischen Ist- und Soll-Zustand bauen sie beispielsweise gezielt Bremsdruck an den einzel-
nen Radbremsen auf oder ab und übersteuern damit die Bremsdruckvorgabe des Fahrers bzw. bremsen selbsttätig. Im Vergleich zur parallel-sequenziellen Assistenz auf Bahnführungsebene erfolgt hier der Eingriff nicht als Resultat einer Beauftragung, die Umschaltung erfolgt also nicht durch den Fahrer, sondern durch das FAS.
42.2.3 Seriell-simultane Assistenz War es bei parallelen Systemen dem Fahrer möglich, über die Mensch-Maschine-Schnittstelle direkt auf das Fahrzeug zu wirken, kommuniziert er bei seriellen Systemen ausschließlich durch ein oder mehrere Assistenzsysteme mit dem Fahrzeug. Im Vergleich zu den vorangegangenen Abbildungen fehlt in Bild 42-3 die direkte Verbindung zwischen dem Ausgang des MMS-Blocks mit dem Fahrzeug. Schließt man mechanische Rückfallebenen aus, können Steer-by-Wire-Systeme mit geschwindigkeits- bzw. fahrzustandsabhängiger Lenkübersetzungskennlinie als seriell-simultane Assistenzsysteme bezeichnet werden. Die vom Fahrer durch die MenschMaschine-Schnittstelle getätigte Eingabe wird vom Assistenzsystem entgegengenommen, interpretiert und ohne Zeitverzug in Form von Stellbefehlen an das Fahrzeug weitergegeben. Entsprechend hohe Anforderungen gelten für die Ausfallsicherheit solcher Systeme, da Störungen des Assistenzsystems wegen der fehlenden direkten Wirkmöglichkeit des Fahrers auf das Fahrzeug schneller kritisch werden können.
42.3.4 Seriell-sequenzielle Assistenz Wie bei seriell-simultanen Systemen kommuniziert der Fahrer auch bei seriell-sequenziellen Systemen durch ein Assistenzsystem mit dem Fahrzeug. Die
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Zukunft der Fahrerassistenzsysteme
Bild 42-3: Seriell-simultane und seriell-sequenzielle Assistenz
Anordnung ist die gleiche wie im Bild 42-3. Während seriell-simultane Systeme jedoch eine quasikontinuierliche Kommunikationsmöglichkeit mit dem Fahrzeug bereitstellen und deshalb auch auf der Stabilisierungsebene eingesetzt werden können, arbeiten seriell-sequenzielle Systeme ereignisdiskret, d. h. mit Zeitkonstanten, die eine kontinuierliche Fahrzeugsteuerung ausschließen. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden mit Conduct-by-Wire und einer Betriebsart des H-Mode zwei Ansätze vorgestellt, die eine ereignisdiskrete Fahrzeugführung auf Bahnführungsebene mittels Manöverkommandos ermöglichen. Der Fahrer beauftragt das Assistenzsystem beispielsweise mit einem Fahrstreifenwechselmanöver, das nachfolgend vom Assistenzsystem geplant und mittels geeigneter Stellbefehle durchgeführt wird, sobald die notwendigen Bedingungen zur Ausführung gegeben sind.
42.2.5 Weitere ergonomische Aspekte einer kooperativen Fahrzeugführung Neben parallelen und seriellen bzw. simultanen und sequenziellen Aspekten von Assistenz und Automation gibt es eine Reihe weiterer Aspekte, die eine kooperative Automation prägen werden. Bei der bisherigen Betrachtung wurde bereits deutlich, dass Assistenz und Automation der Fahrzeugführung zusammenhängende Entwicklungen sind, die sich zwar durch den Grad der Einbezogenheit des Fahrers in die Fahrzeugführungsaufgabe unterscheiden, aber ähnliche Technik nutzen und deshalb als Teile einer gemeinsamen Entwicklung begriffen werden können. Ansätze wie Endsley [17], Parasuraman et al. [2] beschreiben bereits unterschiedliche Automationsstufen zwischen Mensch und Automation,
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aufgeteilt auf die vier Stufen der Informationsverarbeitung, nämlich Informationsaufnahme, Analyse, Entscheidungsauswahl und Aktionsausführung. Vereinfacht man diesen Ansatz weiter, so kann ein kontinuierliches Spektrum zwischen 100 % manueller und 100 % automatischer Fahrzeugführung Strukturierungshilfe bieten, auf dem der Automationsgrad eines Assistenzsystems die Einbezogenheit des Fahrers in die Fahrzeugführungsaufgabe bestimmt. Auf diesem Spektrum können einzelne Bereiche wie z. B. manuelles, assistiertes, semiautomatisiertes, hoch-automatisiertes und vollautomatisiertes Fahren unterschieden werden [3]. So kann das Fahren mit ACC (Adaptive Cruise Control) oder einem LKS (Lane Keeping Support) im Bereich semi-automatisiert angesiedelt werden. Eine Kombination von ACC und LKS reicht bereits in den Bereich des hochautomatisierten Fahrens, bei dem Automation in der Längs- und Querführungsaufgabe auf Stabilisierungsebene eingesetzt werden, der Fahrer jedoch im Gegensatz zur Vollautomation noch sinnvoll, z. B. für die Trajektorienplanung in die Fahrzeugführungsaufgabe eingebunden ist. Dynamisch wechselnde Automationsgrade (s. Bild 42-4) können durch den Fahrer und/oder von der Automation initiiert werden. Dabei sind die Übergänge (Transitionen) zwischen den einzelnen Automationsgraden von besonderer Bedeutung [4]. Dies trifft auch auf die im Weiteren beschriebenen Konzepte Conduct-by-Wire und H-Mode zu, die bis in den hochautomatisierten Bereich reichen, aber auch niedriger automatisierte und manuelle Betriebsarten erlauben. Des Weiteren ist die Verteilung der Autorität und Verantwortung zwischen Fahrer und Automation bedeutungsvoll. So verändert sich die Rolle des Menschen in der Fahrzeugführung, vom assistierten Fahrer zu einem Operateur und Supervisor
42 Kooperative Automation
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Bild 42-4: Automationsgrade in der Mensch-Maschine-Interaktion
komplexer Automation, im Extremfall zum Passagier. Grundsätzlich sollte der Mensch mit seiner Entscheidung dominieren, wobei er klar informiert werden sollte, wie und warum das Assistenzsystem handelt. Dies erhöht die Akzeptanz und das Systemverständnis. Bei stabilisierenden Regelungseingriffen hilft eine Information über den erfolgten Eingriff zwar nicht mehr bei der Bewältigung der aktuellen Situation, gibt dem Fahrer aber die Rückmeldung, dass in der Situation ein Eingriff erforderlich war. Bereits heute gibt es auch Systeme (z. B. ABS, ESP), die ohne explizite Beauftragung handeln. Mit ABS kann der Fahrer, auch wenn er wollte, die Räder nicht blockieren. Die Automation könnte in Zukunft weitere Bereiche ohne Rücksicht auf den Fahrerwillen in Situationen übernehmen, bei denen der Fahrer regelmäßig überfordert erscheint und die Automation eine deutlich bessere Leistung erreicht. Über technische und ergonomische Aspekte hinaus wirft dies auch rechtliche und sicherheitstechnische Fragen auf. Die erhöhte Komplexität des Mensch-MaschineSystems, die der Fahrer im Sinne eines Automationsbewusstseins [1] als Teil seines Situationsbewusstseins [5] begreifen muss, erfordert eine genügend große Passung bzw. Kompatibilität zwischen Mensch und Automation. Das Konzept von Bubb [6], das zwischen innerer und äußerer Kompatibilität unterscheidet, berücksichtigt mit der äußeren Kompatibilität die Sinnfälligkeit der Informationen an der Mensch-Maschine-Schnittstelle, also die Gestaltung von Anzeigen und Stellteilen, und mit der inneren Kompatibilität die Sinnfälligkeit innerer Vorstellungen des Menschen mit der Peripherie, speziell mit der Automation, die sich z. B. durch vergleichbare Handlungsvorstellungen, kompatible Wertesysteme und Automationsmetaphern erhöhen lässt [3]. Eine ausreichende Kooperationsfähigkeit
zwischen Mensch und Automation wird nur mit einem Mindestmaß an äußerer und innerer Kompatibilität möglich sein.
42.3 Umsetzungen Nach der Diskussion der Aspekte von kooperativer Automation sollen im Folgenden zwei Varianten der Umsetzung vorgestellt werden. Beide erweitern die Kommunikation zwischen Fahrer und Fahrzeug auf die Bahnführungsebene (d. h. auf die Ebene der Trajektorienplanung) und schaffen die Grundlage für eine manöverbasierte Fahrzeugführung, allerdings mit unterschiedlicher Vorgehensweise.
42.3.1 Conduct-by-Wire Ausgehend von der Vielfalt an existierenden und seitens der Industrie geplanten Funktionen zur Fahrerunterstützung auf Bahnführungsebene stellt sich Conduct-by-Wire (CbW) als Umsetzung der seriellen Assistenz im Automobil der Aufgabe, die Komplexität der Bedienung und die Aufgabenfülle für den Fahrer wieder zu reduzieren. Der Begriff (to) conduct bedeutet übersetzt leiten, führen, dirigieren und wurde deshalb gewählt, weil mit Conductby-Wire die herkömmliche Art des Autofahrens durch eine manöverbasierte Art der Fahrzeugführung ersetzt wird. Während konventionelles Autofahren auf der kontinuierlichen Kommunikation zwischen Fahrer und Fahrzeug auf Stabilierungsebene basiert (vgl. Kap. 2), wird mit Conduct-by-Wire ein Kommunikationskanal auf Bahnführungsebene geschaffen. Dadurch erhält der Fahrer die Möglichkeit, Manö-
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Zukunft der Fahrerassistenzsysteme
verwünsche wie „Fahrstreifen wechseln“, „dem Fahrstreifen folgen“ oder „überholen“ direkt dem Fahrzeug zu übergeben, anstatt sie selbst ausführen zu müssen. Für den Manöverkatalog gilt die Anforderung, dass jede Verkehrssituation mit den Bestandteilen des Manöverkatalogs bewältigbar ist bzw. in Situationen, in denen Manövereingaben nicht sinnvoll möglich sind, ein Rückfall auf die kontinuierliche Steuerung mittels Stabilisierungsbefehlen möglich bleibt. Für die CbW-Fahrzeugführung wird ein Manöverkatalog entwickelt, der sich zum Teil an die Arbeiten von Nagel et al. [13] anlehnt. Bild 42-5 zeigt den Ablauf einer Manöverbeauftragung. Der Fahrer übergibt seinen Manöverauftrag dem Assistenzsystem durch eine so genannte Manöverschnittstelle. Der abstrakte Begriff Manöverschnittstelle umfasst sowohl das Interaktionskonzept als auch ein oder mehrere geeignete Bedienteile mit Rückkopplungsmöglichkeit und Anzeigen. Bei ihrer Entwicklung wird darauf geachtet, dass sie die Eingabe des Wunsches genauso intuitiv erlaubt wie die Rückmeldung des aktuellen Fahrzustands an den Fahrer, damit sie im Vergleich mit heutigen Fahrzeugen eine mindestens ebenso leistungsfähige Fahrzeugführung erlaubt. Die beauftragten Manöver werden durch das Assistenzsystem geplant und mittels geeigneter Stellbefehle umgesetzt. Gleichzeitig erhält der Fahrer eine kontinuierliche Rückmeldung über den Ausführungszustand. Während der Manöverausführung besteht weiterhin die permanente Möglichkeit, die Manöverausführung zugunsten eines anderen Manövers abzubrechen oder die Ausführung des Manövers anzupassen, d. h. nachzuparametrieren. Conduct-by-Wire ist auf Bahnführungsebene gemäß der am Anfang dieses Kapitels durchgeführten Klassifikation ein seriellsequenzielles System. Für die serielle Beauftragung von Assistenzfunktion auf der Bahnführungsebene fehlten die
Konzepte bislang vollständig. Es gibt zwar Ansätze für eine ACC-ähnliche Längsführung mittels eines aktiven Gaspedals [14] oder einer Spurhaltungsunterstützung (Lane Keeping Support, vgl. Kap. 35), die den Fahrer in der Schleife belassen. Diese Ansätze ergänzen jedoch nur herkömmliche Bedienelemente der Stabilisierungsebene mit neuen Funktionen der Bahnführungsebene. Damit binden sie sich an die bereits vorhandenen Betätigungselemente, deren Form und Gestalt sich zwar in etwa hundert Jahren bewährt haben, die aber zunächst für die Bewältigung hoher Stellkräfte entwickelt wurden. Die Manöverschnittstelle von Conduct-byWire wird diese Einzelansätze durch ein Gesamtkonzept ablösen, das Top-Down für die Fahrzeugführung auf Bahnführungsebene entwickelt wird. Das Unterstützungsniveau und die Systemgrenzen hängen bei Conduct-by-Wire vom Fahrerwunsch und von der Umgebung und den Grenzen der Umgebungswahrnehmung ab. Auf autobahnähnlichen Straßen beispielsweise sind die Rahmenbedingungen für einen hohen Unterstützungsgrad und einen bahnführungsorientierten Befehlssatz gegeben, z. B. den Befehl zum Fahrstreifenwechsel, zum Überholen oder zum geregelten Fahren im gebundenen Verkehr. Unstrukturierte Umgebungen wie beispielsweise Freiflächen ohne Markierungen repräsentieren hingegen die untere Grenze. In solchen Umgebungen ähnelt die Fahrzeugführung der heute bekannten, der in diesen Situationen zur Verfügung stehende Befehlssatz reduziert sich im Wesentlichen auf Stabilisierungskommandos. Doch auch auf der Stabilisierungsebene erfolgt die Fahrzeugführung mittels der Conduct-by-WireManöverschnittstelle, die nun allerdings nicht mehr seriell-sequenziell, sondern seriell-simultan funktioniert, d. h. die Fahrereingabe wie bei Steer-byWire-Systemen kontinuierlich entgegennimmt und ohne Zeitverzug in Stellbefehle für die zugehörigen Aktoren umsetzt.
Bild 42-5: Conduct-by-Wire als eine Umsetzungsmöglichkeit der seriellen Assistenz
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Die Obergrenze der Unterstützung liegt unterhalb der Ebene zur eigenständigen Bahnwahl und schließt somit das vollautonome Fahren noch aus. Dennoch kann Conduct-by-Wire zum Wegbereiter für autonome Fahrzeugführungskonzepte werden, denn die Fähigkeit, ein Fahrmanöver mit vom Fahrer bestimmten Parametern selbstständig durchzuführen, stellt einen Schritt in Richtung des autonomen Fahrens dar.
42.3.2 H-Mode – die Umsetzung der Horse-Metapher Gerade bei komplexerer Assistenz und Automation kann der Einsatz einer Design-Metapher, wie der Desktop-Metapher bei PCs, dem Nutzer, aber auch dem Design- und Entwicklungsteam erleichtern, eine Vorstellung, ein mentales Modell des MenschMaschine Systems aufzubauen und zu pflegen. Die H-Metapher ist eine Designmetapher für das kooperative Zusammenwirken von Fahrer und Automation für hochautomatisierte Fahrzeuge. Vorbild für ein hochautomatisiertes Fortbewegungsmittel ist hier das Reit- oder Kutschpferd (Horse), das über eigene Sensorik und Intelligenz zur Fortbewegung verfügt, selbstständig einen vorgegebenen Weg verfolgen kann und Hindernisse vermeidet, aber auch direkt vom Menschen über eine haptisch-multimodale Interaktion kontrolliert werden kann [7]. Während die H-Metapher eine eher übergeordnete, generische Beschreibung darstellt, ist H-Mode eine konkrete Umsetzung der Metapher als haptisch-multimodale Interaktionssprache für hochautomatisierte Fahrzeuge. Ein Teilaspekt von H-Metapher und H-Mode ist die Beschreibung unterschiedlicher Automationsgrade und die Verteilung der Autorität zwischen Fahrer und Automation. Das im Bild 42-6 gezeigte Automationsspektrum deckt den gesamten Bereich
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von manuellem Fahren bis zu vollautomatischem Fahren ab. Im Rahmen der H-Metapher wird ein niedrig automatisierter bzw. assistierter Bereich auf der linken Seite des Spektrums als Tight Rein (kurzer Zügel) bezeichnet. Hier hat der Fahrer analog zu einem Reiter die Zügel fester in der Hand und so mehr Einfluss auf die Fahrzeugführung als die Automation. Ein höher automatisierter Bereich auf der rechten Seite des Spektrums wird als Loose Rein (langer Zügel) bezeichnet. Hier hat die Automation mehr Einfluss auf die Fahrzeugführung als der Fahrer, der aber weiterhin involviert bleibt. Tight Rein und Loose Rein können je nach Ausprägungsform diskrete Modi oder Begrenzungspunkte eines kontinuierlichen Spektrums sein. H-Mode arbeitet sowohl parallel-simultan, wenn „am kurzen Zügel“/assistiert einzelne Bewegungen des Fortbewegungsmittels sehr genau vorgegeben werden, als auch seriell-sequenziell, wenn „am langen Zügel“/hochautomatisiert durch diskrete Signale einzelne Bewegungssequenzen oder Manöver aktiviert werden, z. B. durch einen einzelnen oder doppelten, kurzen Ruck am Stellteil, oder durch Betätigen des Fahrtrichtungsanzeigers zum Überholen aufgefordert wird. Dabei können sich Fahrer und Automation durch paralleles Eingreifen gegenseitig ergänzen und korrigieren. Erst bei zuverlässig genug arbeitenden Funktionen kann die Automation seriell beauftragt werden, sodass die optimale Gesamtzuverlässigkeit des Systems erreicht wird. Bei H-Mode werden die unterschiedlichen Automationsgrade durch eine unterschiedliche Gewichtung der Signale von Fahrer und Fahrerassistenzsystem in einem für Transitionen sensitiven Summenpunkt vor dem Fahrzeug realisiert. Bild 42-7 und Bild 42-8 zeigen die H-ModeAutomation für den Tight Rein und Loose Rein. Ausgehend von der Wahrnehmung der Situation, also der Straße, der Verkehrssituation und des
Bild 42-6: Automationsspektrum von Tight Rein und Loose Rein
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Zukunft der Fahrerassistenzsysteme
Bild 42-7: H-Mode im Modus Tight Rein
Eigenfahrzeugs bauen sowohl Fahrer als auch Automation Handlungsabsichten auf allen Ebenen, von der Navigation über die Bahnführung bis zur Stabilisierungsebene, auf und gleichen diese über Interaktion ab (vgl. Kap. 2). Um die Absichten des Fahrers und der Automation zu überlagern, werden diese in einem Summationspunkt, z. B. nach einem haptischen Interface, addiert und an das Fahrzeug weitergegeben. Durch die verschiedenen Stricharten bei Tight Rein und Loose Rein wird die Gewichtung dieser Informationen gekennzeichnet, die in den beiden Modi auf Seiten der Automation und des Fahrers übertragen werden. Im Tight Rein wirkt vor allem die Handlung des Fahrers, die kontinuierlich durch die Automation unterstützt wird. Im Loose Rein übt die Automation den Großteil der Kontrolle aus, daher werden hier auf Automationsseite die Informationen am Summationspunkt stärker gewichtet als die des Fahrers. Es wirkt vor allem die Handlung der Automation, modifiziert durch Handlungen des Fahrers. Im Extremfall liefert der Fahrer überhaupt keine Information mehr direkt an das Fahrzeug, sondern nur noch indirekt als diskrete Signale an die Automation. Damit wäre der serielle Fall ent-
Bild 42-8: H-Mode im Modus Loose Rein
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sprechend dem Conduct-by-Wire-Prinzip erreicht. Der Übergang kann beim H-Mode stufenlos durch eine Gewichtungsfunktion am Summenpunkt technisch erreicht werden. Er kann entweder vom Fahrer oder der Automation initiiert werden. Auch hier bietet die H-Metapher eine Grundlage zur intuitiven Gestaltung der Übergänge, z. B. kann ein festeres Greifen mit der Hand signalisieren, dass der Fahrer seinen Willen stärker durchsetzen will. Vom Tight Rein bis zum Loose Rein findet eine kontinuierliche (überwiegend auf der Stabilisierungsebene) und eine diskrete Kommunikation (überwiegend auf der Bahnführungsebene) zwischen Fahrer und Automation statt, die nach dem Vorbild der Interaktion zwischen Reiter und Pferd gestaltet ist. Bei unterschiedlichen Handlungsvorstellungen zwischen Mensch und Automation wird die Strategie der Arbitrierung (Zuteilung) angewandt, um die Bildung der gemeinsamen Handlungsabsicht zu gewährleisten. Unter Arbitrierung wird eine zeitkritische, strukturierte Verhandlung zwischen dem Menschen und der Automation verstanden, mit dem Ziel, rechtzeitig eine eindeutige, nach Möglichkeit für das Gesamtsystem optimale gemeinsame Wil-
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lensbildung zu erreichen [8]. Will der Fahrer z. B. wegen eines Staus eine andere Strecke als die Automation nutzen, kann er dies durch ein diskretes Zeichen – etwa ein längeres Drücken in die gewünschte Richtung – durchsetzen. Der „Widerstand“ der Automation wird u. a. durch die Dauer und die Größe der nötigen Druckkraft angezeigt. Die Stärke des Widerstands signalisiert die Situationseinschätzung des Systems, das z. B. eine Kollision mit einem überholenden Fahrzeug mehr oder weniger dominant verhindern will. Die Arbitrierung kann weiterhin durch visuelle und akustische Interaktion unterstützt werden. Das Design mittels der H-Metapher ermöglicht eine dezidierte Gestaltung der Hierarchie zwischen Fahrer und Fahrzeug. Analog zur Beziehung von Pferd und Reiter hat zwar das Pferd eine hohe Autorität auf der Stabilisierungsebene, der Fahrer ist aber in einer höheren Hierarchieebene angesiedelt als die Automation. Diese leicht asymmetrische Hierarchie wurde auch in Erwartungsbefragungen von potenziellen Nutzern bestätigt und kann im H-Mode gezielt parametrisiert werden. Die kontinuierliche und diskrete haptische Kommunikation der Automationsabsicht und der Fahrerabsicht werden durch den Einsatz eines aktiven Stellteils, z. B. durch ein aktives Gaspedal/aktives Lenkrad oder aktive Sidesticks realisiert. Auf solch einem aktiven Stellteil werden beispielsweise kontinuierliche Kraft-Weg-Rückmeldungen, diskrete Kraftimpulse oder Vibrationen eingespielt, um die Handlungsabsichten der Automation zu kommunizieren. Verbunden mit der haptischen Kommunikation kommt auch die visuelle und akustische Modalität zum Einsatz [9]. Vergleichbar mit einem Pferd, das durch die Ausrichtung seines Kopfes die zukünftige Richtung anzeigt, bieten visuelle Anzeigen eine gute Möglichkeit, dem Fahrer zukünftige Handlungsoptionen darzustellen und Begründungen für Aktionen der Automation zu liefern. Zusammenfassend bietet die H-Metapher einen Anhalt für die Gestaltung von hochautomatisiertem und assistiertem Fahren mit einer kooperativen Automation. In ihrer Umsetzung ermöglicht der H-Mode eine intuitive Bedienbarkeit der Automation für den Fahrer, inspiriert von der Kooperation eines Pferdes mit einem Reiter oder Kutschfahrer. Die H-Metapher wird von verschiedenen Designteams bei NASA, DLR und TU München erfolgreich eingesetzt. Die Metapher konnte auch von nicht-technischen Nutzern leicht verstanden werden. Die mit H-Mode aufgebauten und bisher in der Simulation getesteten Prototypen wurden als leicht erlern- und bedienbar akzeptiert [4], [10], [18].
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Detailaspekte von H-Metapher und H-Mode können auch metaphernfrei auf Assistenz und Automation in Fahrzeugen übertragen werden.
42.4 Fazit und Ausblick Bei kooperativer Kontrolle üben Automation und Fahrer gleichzeitig Kontrolle über das Fahrzeug aus. Wie in den Ansätzen Conduct-by-Wire und H-Mode aufgezeigt, lassen sich verschiedene parallele und serielle Abläufe feststellen, sowohl in der Anordnung als auch in der zeitlichen Aufteilung der Fahrzeugführungsaufgabe zwischen Fahrer und Automation. Entscheidend ist dabei eine verbundene Kooperation auf allen Ebenen der Fahrzeugführung: Auf der Navigationsebene findet die Planung der zu fahrenden Route statt, basierend auf dem Wissen des Fahrers und dem Vorschlag der Automation. Das gemeinsame Resultat wird an die Bahnführungsebene weitergegeben und ist die Grundlage für die Verhandlung der Fahrzeugführungsaufgabe auf Manöverbasis. Zum einen kann der Fahrer Manöver beauftragen, zum anderen kann die Automation situationsabhängige Manövervorschläge einbringen. Die eine gemeinsame Handlungsabsicht repräsentierende Trajektorie wird auf der Stabilisierungsebene entweder vom Fahrer, der Automation oder in beliebig gewichteter Zusammenarbeit durchfahren. Beispielsweise kann der Fahrer die Trajektorie durch Betätigung seines Bedienteils modifizieren. Die Umsetzung seiner Geschwindigkeits-, Beschleunigungs-, Kursvorgaben usw. wird von der Automation in aktorverständliche Befehle wie Bremsdruck, Radlenkwinkel usw. übersetzt. Um eine Migration von herkömmlichen Architekturen mit z. B. einer mechanisch durchgängigen Lenksäule zu modernen By-Wire-Architekturen zu ermöglichen, ist auch eine mechanische Rückfallebene denkbar. Conduct-by-Wire und H-Mode starteten ursprünglich unabhängig voneinander, adressieren aber aus unterschiedlichen Perspektiven kommend die gleiche Frage: Wie kann ein zukunftsfähiges Assistenz- und Automationkonzept aussehen, das flexible Fahrerunterstützung ermöglicht, die die Funktionalität existierender und zukünftiger Assistenz- und Automationsysteme in ein einheitliches Konzept und einer einheitlichen MenschMaschine-Schnittstelle abbildet, den Fahrer trotz leistungsfähiger Automation „in the loop“ hält und mit ihm intuitiv verständlich kooperiert? Kooperation als der zentrale Aspekt zukünftiger Assistenz und Automation könnte als mögliches gemeinsa-
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Zukunft der Fahrerassistenzsysteme
mes Dach nicht nur diesen beiden Forschergruppen dienen, um die Aktivitäten zu bündeln und in einheitliche, für den Nutzer möglichst gute und für die Hersteller und Zulieferer realisierbare Lösungen zu überführen. Dieses gemeinsame Dach wird derzeit durch regelmäßigen Austausch zwischen den Gruppen konkretisiert und weiter ausgebaut.
Quellenverzeichnis [1] Sarter, N. B.; Woods, D. D.: How in the World did we ever get into that mode? Mode Error and Awareness in Supervisory Control. In: Human Factors, 37(1), 1995, pp. 5–19 [2] Parasuraman, R.; Sheridan, T. B.; Wickens, C. D.: A Model for Types and Levels of Human Interaction with Automation. In: IEEE Transactions on Systems, Man and Cybernetics – Part A: Systems and Humans, Jg. 30, H. 3, 2000, S. 286 – 297 [3] Flemisch, F. O.; Kelsch, J.; Löper, C.; Schieben, A.; Schindler, J.: Automation spectrum, inner/outer compatibility and other potentially useful human factors concepts for assistance and automation. In: de Ward, D.; Flemisch, F. O.; Lorenz, B.; Brookhuis, K. A. (Hrsg.): Human Factors for assistance and automation. Maastricht, the Netherlands: Shaker Publishing, 2008, S. 257–272 [4] Schieben, A.; Damböck, D.; Kelsch, J.; Rausch, H.; Flemisch, F.: Haptisches Feedback im Spektrum von Fahrerassistenz und Automation; 3. Tagung „Aktive Sicherheit durch Fahrerassistenz“, 7.–8. April 2008, Garching, Germany [5] Endsley, M. R.: Toward a Theory of Situation Awareness in Dynamic Systems. In: Human Factors, Jg. 37, H. 1, 1995, S. 32–64 [6] Bubb, H.: Systemergonomie. In: Schmidtke, Heinz (Hrsg.): Ergonomie. München, Hanser Verlag, 1993 [7] Flemisch, F. O.; Adams, C. A.; Conway S. R.; Goodrich K. H.; Palmer M. T. ; Schutte P. C.: The H-Metaphor as a guideline for vehicle automation and interaction; NASA/TM–2003-212672; NASA Langley Research Center, Hampton, Va, USA, 2003 [8] Kelsch, J.; Flemisch, F. O.; Löper, C.; Schieben, A.; Schindler, J.: Links oder rechts, schneller oder langsamer? Grundlegende Fragestellungen beim Cognitive Systems Engineering von hochautomatisierter Fahrzeugführung. In: Grandt, M.; Bauch, A. (Hrsg.): Cognitive Systems Engineering in der Fahrzeug- und Prozessführung. 48. Fachausschusssitzung Anthropotechnik. DGLR-Bericht, 2006, S. 227–240 [9] Lange, C.: Wirkung von Fahrerassistenz auf der Führungsebene in Abhängigkeit der Modalität des Automatisierungsgrades. Dissertation TU-München, 2008 [10] Goodrich, K.; Flemisch, F.; Schutte, P.; Williams, R.: A Design and Interaction Concept for Aircraft with Variable Autonomy: Application of the H-Mode; Digital Avionics Systems Conference; USA; 2006
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G 43 Autonomes Fahren Die Fähigkeit, die Umgebung eines Fahrzeugs wahrzunehmen, das Fahrzeug dabei stabil auf der Straße zu halten und zugleich der aktuellen Verkehrssituation angemessene Fahrmanöver auszuführen, ist nach wie vor ein herausragendes Leistungsmerkmal menschlicher Fahrer. Aus Gründen des Fahrkomforts, der Effizienz und der Verkehrssicherheit arbeiten jedoch Forschungsgruppen weltweit an autonomen technischen Systemen, welche diese Fähigkeiten nachbilden (siehe z. B. [1], [3], [6], [7], [2]).
Sören Kammel
43.1 Urban Challenge 2007 Die DARPA Urban Challenge 2007 war ein Wettbewerb, der eingeführt wurde, um den Fortschritt und die Leistungsfähigkeit autonomer Fahrzeuge öffentlich zu machen. Das Finale dieses Wettbewerbs fand am 3. November 2007 in Victorville (Kalifornien) statt. Ebenso wie bei ihren Vorgängerveranstaltungen, der Grand Challenge 2004 und 2005, mussten die teilnehmenden Fahrzeuge vollständig autonom
Bild 43-1: Gebiet, auf dem das Finale der Urban Challenge 2007 stattfand
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und unbemannt vorgegebene Missionen ausführen, ohne dass die Teams eine Möglichkeit zum Eingreifen gehabt hätten. Im Unterschied zu den früheren Veranstaltungen war bei der Urban Challenge jedoch das Fahren in vorstadtähnlichen Verkehrsszenarien gefordert, wobei der Verkehr durch die anderen teilnehmenden autonomen Fahrzeuge sowie Fahrzeuge des Veranstalters erzeugt wurde. Die große Herausforderung bei diesem Wettbewerb bestand darin, kollisionsfrei und in Einklang mit den kalifornischen Verkehrsregeln (z. B. Vorfahrt an Kreuzungen) zu fahren und dabei kurz vor dem Start bekanntgegebene Missionen zu erfüllen, die Fahrmanöver wie Überholen, 3-Punkt-Wende, Einfädeln in den fließenden Verkehr und Einparken beinhalten konnten. Zudem mussten Notfallstrategien für Situationen demonstriert werden, die nicht vollständig durch die Verkehrsregeln abgedeckt sind, wie beispielsweise verstopfte Kreuzungen Befahren oder gesperrte Straßen Umgehen. Bild
43-1 zeigt die Strecke des Finales in Victorville. Der Wettbewerb hat sowohl die Forschung auf dem Gebiet des autonomen Fahrens erheblich beschleunigt als auch das öffentliche Interesse an diesem Thema geweckt. Im Folgenden sollen die Komponenten und die Funktionsweise eines autonomen Fahrzeugs am Beispiel des Autos von Team AnnieWAY, einem der 11 Finalisten, erläutert werden.
43.1.1 Systemaufbau Bild 43-2 zeigt schematisch den Aufbau des autonomen Fahrzeugs von Team AnnieWAY. Abgesehen von der Regelung wird die komplette Verarbeitung, d. h. Sensordatenerfassung, Situationsbewertung und Trajektorienerzeugung auf dem Hauptcomputer, einem Standard-4-Kern-Rechner, durchgeführt. Dem Hauptcomputer steht eine
Bild 43-2: Hardware-Architektur des Fahrzeugs von Team AnnieWAY
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43 Autonomes Fahren
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Bild 43-3: Sensor-Prototypen, wie sie bei der Urban Challenge zum Einsatz kamen. Rotierender Laserscanner mit 64 Einzelstrahlen (links) und Stereokamera-Plattform, bei der beide Kameras individuell schwenkbar sind (rechts)
Electronic Control Unit (ECU) zur Seite, welche die Regelung übernimmt und über den CAN-Bus (CAN = Controller Area Network) direkt mit dem Drive-by-Wire-System des Autos kommuniziert. Hauptrechner und ECU sind über einen EthernetAnschluss miteinander und mit dem Koppelnavigationssystem verbunden. Zu den Sensoren zählten u. a. zwei Prototypen, die im Bild 43-3 dargestellt sind: ein mit 10 Hz rotierender Laserscanner (Lidar), der mit 64 vertikal angeordneten Laserdioden einen Bereich von 26,5° abdeckt und horizontal 360° bei einer Winkelauflösung von 0,09° erfasst. Die Tiefenauflösung
beträgt ca. 5 cm bei einem Messbereich von bis zu 100 m. Der zweite Sensorprototyp ist ein Stereokamerasystem, dessen Kameras einzeln schwenkbar sind, um den Sichtbereich bei Bedarf zur Seite hin zu erweitern.
43.1.2 Software-Architektur Im Bild 43-4 ist ein Blockdiagramm mit der Software-Architektur des vorgestellten autonomen Fahrzeugs dargestellt. Sämtlicher Datenaustausch
Bild 43-4: Software-Architektur des Fahrzeugs von Team AnnieWAY
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zwischen den einzelnen Prozessen erfolgt über eine zentrale Echtzeitdatenbank [4]. Innerhalb der Datenbank werden alle Daten als zeitgestempelte Objekte betrachtet. Die zentralistische Architektur ermöglicht ein einfaches Aufzeichnen und Wiedergeben aller oder ausgewählter Daten sowie die Überwachung der Datenströme mit einem Watchdog, der einzelne Komponenten ggf. neu starten kann. Aus Geschwindigkeitsgründen ist die Datenbank vollständig als Shared-Memory-Block implementiert.
43.1.3 Informationsverarbeitungskette Die zentralen Komponenten des autonomen Fahrzeugs sind die Umfeldwahrnehmung, die Situationsbewertung mit anschließender Verhaltensgenerierung sowie die Pfadplanung mit Schnittstelle zur Fahrzeugregelung. Bild 43-5 zeigt ein Blockdiagramm mit dem Informationsfluss im vorgestellten Fahrzeug: Die eingehenden Sensordaten werden zunächst fusioniert und zu einem Modell der Umwelt abstrahiert. Räumliche Informationen werden zu einer statischen 2D-Karte der Umgebung zusammengefasst.
Bewegte Objekte werden dabei gesondert behandelt. Zu diesen dynamischen Objekten gehören auch Verkehrsteilnehmer, die zwar prinzipiell die Fähigkeit besitzen, sich zu bewegen, zum betrachteten Zeitpunkt aber stillstehen. Um auch diese Objekte zu erfassen, wird die einfache Schlussfolgerung verwendet, dass sich alles, was sich auf der Straße befindet und in etwa die Größe eines Autos besitzt, prinzipiell bewegen kann. Eine Erweiterung auf Fußgänger ist einfach möglich, wobei eine Verfolgung über der Zeit aufgrund der nahezu holonomen Bewegungsmöglichkeiten erschwert wird. Beim Einsatz im Rahmen der Urban Challenge trat diese Problematik jedoch nicht auf, da dort nur Fahrzeuge zugelassen waren. Fahrstreifenmarkierungen geben ebenfalls wichtige Hinweise für die Lokalisation und für die Navigation im Straßenverkehr. Für das Urban Challenge wurden damit Ungenauigkeiten in der zur Verfügung gestellten digitalen Straßenkarte (RNDF = Road Network Definition File) kompensiert. Die Situationsbewertung und die Verhaltensgenerierung werden von einem Zustandsautomaten durchgeführt, welcher eine mit Zusatzinformationen (wie z. B. Geschwindigkeit) annotierte Trajektorie erzeugt und an die Fahrzeugregelung übergibt.
Bild 43-5 Informationsfluss im hier vorgestellten autonomen Fahrzeug
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43 Autonomes Fahren
43.1.4 Erfassung der Umgebung Eine präzise und robuste Detektion von Hindernissen bei einem genügend hohen Abstand ist essentielle Voraussetzung, um diesen Hindernissen sowohl auf der Straße als auch in unstrukturierten Umgebungen, wie z. B. auf Parkplätzen, rechtzeitig ausweichen zu können. Zu diesem Zweck verwendet AnnieWAY eine zweidimensionale diskrete Karte (Belegungsgitter, s. [8], [9]), bei der jede Zelle Informationen über die an der entsprechenden Stelle vorherrschende Elevation enthält. Die Karte wird asynchron im Takt der jeweiligen Sensoren aktualisiert, der Hauptlaserscanner beispielsweise aktualisiert das Belegungsgitter in diesem Fall mit 10 Hz. Die Elevation der Zellen ergibt sich aus der Höhendifferenz der über der Zelle auftreffenden Laserstrahlen. Bild 43-6 zeigt ein Beispiel für das Ergebnis des Mapping-Algorithmus. Auf der linken Seite ist das zweidimensionale Belegungsgitter dargestellt, auf der rechten Seite die zugehörige Luftaufnahme. Das Detailbild des Randsteins verdeutlicht die erreichbare Sicherheit der Kartierung auch flacher Objekte.
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zusammen. Anschließend werden die einzelnen Cluster mit einem Mehrhypothesenansatz über der Zeit verfolgt. Jedes Cluster, das nicht mit einem bereits bekannten Objekt assoziiert werden kann, initialisiert ein neues Objekt. Für das Prädizieren neuer Objektpositionen und das Messen der Objektgeschwindigkeiten und -beschleunigungen wird ein einfaches lineares Kalman-Filter verwendet.
43.1.6 Fahrstreifenerkennung Digitale Straßenkarten sind oft nicht vollständig auf dem neuesten Stand oder geben die wahre Straßengeometrie nur näherungsweise wieder. Aus diesem Grund tritt häufig eine lokale Verschiebung zwischen Karte und der realen Welt auf. Wenn es gelingt, Fahrstreifen aus den Sensordaten zu extrahieren, kann diese Verschiebung damit kompensiert werden. Eine präzise und kontinuierliche Erfassung von Fahrstreifenmarkierungen ermöglicht darüber hinaus das automatisierte Erstellen von Straßenkarten von bisher unkartographierten Regionen. Fahrstreifenmarkierungen können anhand der Reflexionsdaten des Lidars bestimmt werden.
43.1.5 Dynamische Objekte Das Fahren in einer städtischen Umgebung erfordert es, die Bewegungen anderer Verkehrsteilnehmer in Echtzeit zu erfassen, um rechtzeitig darauf reagieren zu können. In dem hier betrachteten Auto werden die räumlichen Messungen der Laserscanner zunächst mit einem Ballungsverfahren zusammengefasst. Dafür kommt ein einfaches Connected-Component-Labeling zum Einsatz, das aus Geschwindigkeitsgründen auf das 2D-Belegungsgitter angewendet wird. Es fasst örtlich benachbarte (d. h. verbundene) Gitterzellen zu Clustern
43.1.7 Missions- und Manöverplanung Als erster Vorverarbeitungsschritt vor der eigentlichen Missionsplanung werden zunächst alle Elemente der digitalen Straßenkarte (RNDF), wie z. B. Fahrstreifen, Checkpunkte, Stopppunkte usw., in eine graphbasierte Repräsentation überführt. RNDF-Wegpunkte bilden die Knoten des Graphs, Fahrstreifen und Übergänge (z. B. Kreuzungen) entsprechen den Graphkanten. Zusätzliche Informationen über die Fahrbahnberandungen oder Geschwindigkeitsbeschränkungen werden als
Bild 43-6: Beispiel für ein statisches Belegungsgitter (links), das an Hand von Laserdaten gewonnen wurde. Auf der rechten Seite sind eine Luftaufnahme desselben Parkplatzes und ein Detailfoto der dort auftretenden Randsteine dargestellt.
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Zukunft der Fahrerassistenzsysteme
Annotationen der Kanten gespeichert. Die Annotationen können dynamisch verändert werden, um beispielsweise Straßensperren zu erfassen. Der so erzeugte Graph ist die Eingabe für die Missionsplanung, welche die optimale Route von einem Checkpunkt zum nächsten mithilfe einer A*-Suche auf dem Graph ermittelt [5]. Die Suche wird dann für jedes aufeinander folgende Paar von Checkpunkten der Mission wiederholt. Das Ergebnis wird schließlich zusammen mit allen relevanten Annotationen in die zentrale Echtzeitdatenbank eingetragen. Neben der eigentlichen Routenplanung werden dadurch andere Module wie z. B. die Fahrstreifenerkennung unterstützt, die von A-priori-Informationen profitieren, wie in diesem Fall von der Annotation der erwarteten Markierung. Zusätzlich zu den aus dem RNDF stammenden Daten wurden in den Graph virtuelle Abbiege-
spuren an den Übergängen zwischen einzelnen Fahrstreifen eingefügt. Dafür wurde zunächst eine Standardgeometrie für diese Verbindungsstücke angenommen, die dann, sobald eine Abweichung zur realen Straße festgestellt werden konnte, entsprechend modifiziert wurde. Dadurch erhöhte sich die Sicherheit und Geschwindigkeit, falls dieselbe Stelle ein weiteres Mal passiert wurde. Die Entscheidung, welches Fahrmanöver abhängig von der aktuellen Position, Mission und Verkehrssituation ausgeführt werden soll, wurde von einem nebenläufigen, hierarchischen Zustandsautomaten getroffen. Die kalifornischen Verkehrsregeln wurden ebenfalls in die einzelnen Zustände integriert. Bild 43-7 zeigt die Hauptebene des verwendeten Zustandsautomaten. Die hierarchische Struktur vereinfachte den Entwurf und die Fehlersuche dabei erheblich.
Bild 43-7: Ausschnitt aus dem nebenläufigen hierarchischen Zustandsautomaten, der zur Modellierung von Verkehrssituationen und Fahrmanövern verwendet wurde
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43 Autonomes Fahren
43.1.8 Regelung Der letzte Schritt in der Verarbeitungskette zwischen Wahrnehmung und Fahrzeugbewegung ist die Regelung, welche in Längs- und Querregelung unterteilt werden kann. Für die Querregelung wurde ein Software-Zustandsraum-Regler verwendet. Dieser Regler minimiert sowohl den Abstands- als auch den Orientierungsfehler bezüglich der geplanten Trajektorie. Ein Feed-Forward-Term, der die Krümmung der geplanten Kurve berücksichtigt, erhöht dabei die Reglergenauigkeit erheblich. Da die Längsdynamik eines Fahrzeugs nicht linear ist, wurde für den Entwurf des Längsreglers ein Kompensationsalgorithmus gewählt, der gewünschte Beschleunigungswerte direkt in Bremsdruck und Gaspedal-Stellung umwandelt. Die Nichtlinearität wurde mit einem inversen Modell der statischen Charakteristik (Motor und Bremssystem) kompensiert. Geschwindigkeitsabhängige Störungen, wie z. B. der Luftwiderstand oder die Abrollreibung der Räder, wurden gemessen und in Form von Kennlinien in die Regelstruktur integriert. Zur Berücksichtigung unvorhergesehener Störgrößen, wie z. B. Windböen, wurde zusätzlich ein Integrator zugefügt. Eine übergeordnete Kontrollstrategie garantiert den stoßfreien Übergang zwischen Fahren auf freier Straße, Anhalten und Folgefahren, wobei der Ausgang der jeweiligen Teilregler die gewünschte Beschleunigung ist.
43.2 Zusammenfassung Von ursprünglich 89 angetretenen Teams erreichten nur 11 das Finale des Urban Challenge. Hierbei stellt sich die Frage, ob sich der Erfolg dieser 11 Teams auf besondere Schlüsseltechnologien zurückführen lässt. Eine Gemeinsamkeit war sicherlich, dass kein einziges Team, das sich allein auf Kameras als Sensor verlassen hat, das Finale erreichte. Alle Finalisten verwendeten vorwiegend Laserscanner als Sensoren, sieben davon den hier vorgestellten Prototyp. Die Verwendung eines Zustandsautomaten sowie eine A*-basierte Routenplanung zählten ebenfalls zu den Standardalgorithmen, waren aber kein Garant für Erfolg. Sowohl die Rechenleistung als auch die finanzielle Unterstützung variierten unter den Finalisten um mindestens eine Größenordnung, wobei letztere zumindest bei den Teams auf den ersten drei Plätzen als überdurchschnittlich bezeichnet werden kann. Letztendlich haben Dauertests, Erfahrung und vielleicht auch ein bisschen Glück eine nicht zu vernachlässigende Rolle gespielt.
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G 44 Quo vadis, FAS? Erste Assistenzfunktionen entstanden bereits in der Frühzeit der Automobilentwicklung, doch in der aktuell zu beobachtenden Häufung und Qualität sind sie eine noch junge Erscheinung. Systeme, die heute üblicherweise mit dem Begriff Fahrerassistenzsysteme in Verbindung gebracht werden, gibt es seit etwa 20 Jahren, und neue Innovationen kommen in immer kürzeren Abständen auf den Markt. Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Handbuchs ist bereits eine ganze Reihe von Assistenzsystemen, die auf Basis des aktuellen Stands der Technik umsetzbar sind, in den Markt eingeführt worden und somit nicht mehr dem Forschungsstadium zuzuordnen. Der Markterfolg, insbesondere der Assistenzsysteme mit Umfelderfassung, ist bislang aber eher mäßig, und die Hersteller sehen sich der zweifachen Herausforderung einer kontinuierlichen Verbesserung und gleichzeitiger Kostensenkung gegenüber. Ein verbesserter Markterfolg ist jedoch nicht nur aus Sicht der Hersteller wünschenswert, sondern auch für die Verbesserung der aktiven Sicherheit von größter Bedeutung. Gesetzliche Initiativen, wie von der EU beabsichtigt [1], [2], können zu einem erheblichen Stückzahlwachstum und damit auch zur Kostensenkung der Systeme beitragen. Sie unterstützen darüber hinaus durch die mit der Gesetzgebung verbundene öffentliche Wirkung die Wahrnehmung und Bekanntheit dieser Systeme. Weitere Herausforderungen, die bisher nur im Rahmen von Forschungsvorhaben behandelt werden, sind: integrierte Bedienkonzepte für Fahrerassistenzsysteme, Verbesserung der Umweltbilanz durch Fahrerassistenzsysteme, Mobilitätssteigerung durch Fahrerassistenzsysteme, aktive Kollisionsvermeidung, autonomes Fahren. Die Bedeutung dieser Themen für die Zukunft der Fahrerassistenzsysteme wird im Folgenden erläutert.
44.1 Integrierte Bedienkonzepte für Fahrerassistenzsysteme Die Bedienung heutiger Fahrerassistenzsysteme, insbesondere derjenigen Systeme, die dem Fahrer Teile der Fahraufgabe abnehmen können, ist spe-
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Hermann Winner, Gabriele Wolf
ziell auf die jeweilige Funktion ausgelegt. Für sich allein betrachtet mögen die Bedienkonzepte geeignet sein, aber schon ein Wechsel auf ein Fahrzeug eines anderen Herstellers kann selbst einen an das System gewöhnten Nutzer in Schwierigkeiten bringen. Wenn nun mehrere Assistenzsysteme in einem Fahrzeug vorhanden sind, z. B. ACC, LKS und aktive Parklenkassistenz, wird dem Fahrer bereits bei Nutzung eines einzigen Fahrzeugs die Adaption an verschiedene Bedienphilosophien abverlangt. Die gleiche Kombination von Assistenzsystemen in einem Fahrzeug eines anderen Herstellers wird sich dem Fahrer sicherlich nicht sofort intuitiv erschließen. Hier sind neue Ansätze gefordert, die mit einem neuen Bedien-Paradigma einen herstellerunabhängigen, intuitiven Zugang zu allen verfügbaren Funktionen ermöglichen. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Nutzung von Fahrerassistenzsystemen entscheidend vereinfacht, wodurch sich der Umgang mit diesen Systemen verändern und ihre Nutzung zu einer Selbstverständlichkeit werden wird. Ein Umstieg auf ein fahrerassistenzloses Fahrzeug wird zwar auch in Zukunft noch nicht schwer fallen, die Komforteinschränkungen werden aber im Gegensatz zu heute als sehr deutlich empfunden werden. Noch stärker wird sich die Art und Weise des Fahrens von der heutigen unterscheiden, wenn in einer folgenden Entwicklungsstufe integrierte Fahrzeugführungskonzepte auf der Bahnführungsebene nahezu alle Verkehrssituationen unterstützen können, wie es in Kapitel 42 beschrieben wird.
44.2 Verbesserung der Umweltbilanz durch FAS Fahrerassistenzsysteme erfordern zwangsläufig den Einbau zusätzlicher Komponenten in das Fahrzeug, wodurch sich die Umweltbilanz des Fahrzeugs zunächst verschlechtert, da eine höhere Masse und zusätzlicher Bedarf an elektrischer Energie den Kraftstoffverbrauch steigern und neue Komponenten neuen Abfall verursachen. Nimmt man eine zusätzliche Masse von 25 kg und einen Leistungsbedarf von 250 W für eine Vollausstattung mit Fahrerassistenzsystemen an, so ist mit einem Mehrverbrauch von etwa 0,2 l/100 km zu rechnen. Auch ist anzunehmen, dass die mit den Systemen einher-
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gehende Komfortsteigerung dazu führt, dass die zurückgelegten Strecken zunehmen werden. Unter diesen Umständen erscheint eine Verbesserung der Umweltbilanz mit Fahrerassistenzsystemen auf den ersten Blick sehr unwahrscheinlich. Im Hinblick auf die Erhöhung der Fahrzeugmasse wird von Befürwortern der Fahrerassistenzsysteme gerne das Argument herangezogen, dass mit einem höheren Niveau an aktiver Sicherheit die Maßnahmen der passiven Sicherheit reduziert und folglich so manche gewichtssteigernde Karosserieverstärkung wieder zurückgenommen werden kann. Bisherige Erfahrungen der Sicherheitsentwicklung stützen diese These jedoch nicht, da ein einmal erreichtes Sicherheitsniveau, insbesondere wenn es wie bei der passiven Sicherheit über CrashTests klar messbar ist, nicht wieder aufgegeben wird. Darüber hinaus werden die Mehrgewicht verursachenden Karosseriemaßnahmen durch die Zunahme der aktiven Sicherheit nicht überflüssig, sondern bleiben weiterhin sehr wichtig, um den Überlebensraum Fahrgastzelle zu sichern. Fahrerassistenzsysteme haben dennoch eine positive Wirkung auf die Umweltbilanz. Sie entfalten sie quasi als Nebenwirkung, da sie, wie z. B. die Adaptive Geschwindigkeitsregelung (vgl. Kapitel 32), zu einer Abnahme der Beschleunigungs- und Bremsspitzenwerte führen. Diese Spitzen, die bei manueller Längsregelung gewöhnlich auftreten, steigern den Kraftstoffverbrauch. Kann durch eine adaptive Geschwindigkeitsregelung dafür gesorgt werden, dass der Motor beim Beschleunigen in günstigeren Betriebspunkten betrieben wird, so hat dies eine Verbrauchsreduktion zur Folge. Gleiches gilt für den Fall des Bremsens, wobei durch eine frühere Geschwindigkeitsanpassung die streckenbezogene mittlere Geschwindigkeit niedriger ist. Bei der assistierten Längsführung (ACC o. ä.) wird zudem häufig auf höhere Fahrgeschwindigkeiten verzichtet, um den Assistenzkomfort möglichst hoch zu halten, was zu einer deutlichen Absenkung des Kraftstoffverbrauchs führen kann. Ebenso ist die Optimierung des Antriebsstrangs an die Straßenrandbedingungen zu nennen, wie in Forschungsarbeiten bereits gezeigt wurde [4]. Hierbei wird die Übersetzungsstrategie der Getriebeautomatik oder die Schub- bzw. Zylinderabschaltung des Verbrennungsmotors an die Höhenprofile der Straße oder auch an Geschwindigkeitsvorgaben durch Kurvengrenzgeschwindigkeiten bzw. Geschwindigkeitslimits angepasst. Diese Anpassungen sind bei Vorhandensein einer automatisierten Längsführung noch wirksamer. Elektrische Antriebskomponenten bieten weitere Möglichkeiten für Verbesserungen, z. B. durch Optimierung der Leistungsaufteilung
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eines Hybridantriebs oder die prädiktive Festlegung des elektrischen Energieverbrauchs, wodurch die Geschwindigkeitswahl assistiert oder automatisch erfolgt. Eine weitere Verbesserung der Umweltbilanz kann über die Verbesserung des Verkehrsflusses, d. h. die Stauvermeidung, erreicht werden. Dies ist Thema des nächsten Abschnitts. Unter Berücksichtigung aller genannten Aspekte und ohne Eingehen auf weitere Einzelheiten erscheint eine Senkung des Kraftstoffverbrauchs durch Fahrerassistenzsysteme in einer Größenordnung von 10–20 % realistisch. Damit lässt sich die Energie- und CO2-Bilanz zwar nicht entscheidend verbessern. Jedoch ist dieses Potenzial zu groß, um es nicht zu nutzen, denn die Umsetzung der angestrebten Verbrauchs- und Emissionsziele kann nur durch eine Vielzahl von kleinen Schritten erreicht werden.
44.3 Mobilitätsteigerung durch FAS Fahrerassistenzsysteme heutiger Ausprägung können kaum zur Mobilitätssteigerung beitragen. Zwar führen schon wenige ACC-Fahrzeuge im gebundenen Verkehr zu einer Beruhigung [5] und die dynamische Navigation zu einer frühzeitigen Umleitung bei Stau; die Leistungsfähigkeit der Streckenabschnitte selbst wird aber nur wenig gesteigert. Seit den Anfängen des PROMETHEUS-Projekts (1987– 1994) werden daher Ansätze verfolgt, auf Sonderstreifen der Autobahn Fahrzeugkolonnen mit sehr geringem Abstand zu ermöglichen. Im Rahmen von PROMETHEUS wurde das Convoy-System nur als Idee vorgestellt [6]. Etwa 10 Jahre später wurde ein solches System dann aber auf der DEMO1997 in San Diego als „Platoon“ demonstriert [7]. An einer Umsetzung für Lkws wird derzeit im deutschen Verbundforschungsprojekt KONVOI [8] gearbeitet. Allen untersuchten Systemausprägungen ist die Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation gemein, ohne die Kolonnen nicht stabil geregelt werden können. Ein leistungsfähiges und zuverlässiges Kommunikationsnetz ist daher die Voraussetzung für eine Kolonnenregelung und auch für die Optimierung des Straßennetzes über Knotenpunkte. Hierzu werden derzeit aussichtsreiche Vorarbeiten im Feldversuch SIM-TD (Sichere Intelligente Mobilität – Testfeld Deutschland) [9] und der Forschungsinitiative aktiv CoCar (Adaptive und kooperative Technologien für den intelligenten Verkehr, Teilprojekt Cooperative Cars) [10] durchgeführt.
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Bild 44-1 Fahrzeug-Fahrzeug- und Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation mit Ad-hoc-Netzwerken [Quelle: BMW]
Noch ist nicht absehbar, wie schnell sich ein Datennetzwerk, das den Anforderungen einer verkehrsflusssteigernden Verkehrssteuerung gewachsen ist, durchsetzen wird, wie im Bild 44-1 illustriert. Doch auch dann wäre noch offen, welche Funktionen damit umgesetzt würden. Ganz sicher wird der Traum einer Knotenpunktregelung ohne Wartezeit, also das Kreuzen wie von Geisterhand, nicht am Anfang stehen. Für den Start einer solchen Verkehrstelematik, die massiv in das Geschehen eingreift, bieten sich permanente Verkehrsengpässe an, wie z. B. Fernstraßen, staubelastete Tunnel- und Brückenstrecken, aber auch Dauerbaustellen. Die größte Schwachstelle all dieser Ideen ist jedoch die Migrationsstrategie. Dies gilt sowohl in technischer als auch in politischer Hinsicht, da nur mit einem umfassenden Ausbau der heute vorhandenen Infrastruktur ein ausreichend großes Potenzial erreicht werden kann. Die Bereitschaft für entsprechende Vorleistungen ist, trotz der Förderung der oben genannten Projekte, in Deutschland eher gering einzuschätzen, wenn man z. B. Japan zum Vergleich heranzieht: Dort scheint u. a. die Erhebung von Nutzungsgebühren für Fernstraßen ein Startvorteil zu sein, da mit den kostenpflichtigen Diensten bereits eine Anwendung vorhanden ist, mit der die Infrastrukturkosten refinanziert werden können.
44.4 Aktive Kollisionsvermeidung Die heute in Serie befindlichen Systeme erhöhen auf mannigfaltige Weise die aktive Sicherheit, doch nur der Bremsassistent und mit deutlichem Abstand ESP konnten bisher eine große bzw. nennenswerte Marktdurchdringung erreichen. Die-
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se beiden Systeme sind es jedoch, die zu einem wesentlichen Teil dazu beitragen, dass das Ziel der europäischen eSafety-Initiative, die Halbierung der Zahl der Verkehrstoten von 2000 bis 2010, weitgehend erreicht werden wird. Würden sich die heute bereits entwickelten Systeme zur Längs- und Querführung im Markt bis zur Kompaktklasse durchsetzen, könnte die nächste Halbierung der Verkehrsopferzahl gelingen. Da diese Systeme derzeit aber noch zu beträchtlichen Mehrkosten bei der Fahrzeuganschaffung führen, ist ohne begleitende Maßnahmen von verschiedenen Seiten nicht mit einer breiten Marktdurchdringung zu rechnen. Das von der EU beabsichtigte Vorhaben, LkwNeufahrzeuge ab 2012 nur noch mit Notbrems- und Spurhalteassistenzsystemen zuzulassen, ist ein bedeutender Schritt, der sicherlich auch Auswirkungen auf den Pkw-Bereich haben wird. Weitere Anreize für die Ausrüstung sowohl von Lkws als auch von Pkws können von Versicherungen kommen oder durch Ratings, in denen der „Sicherheitsindex“ eines Fahrzeugs durch Maßnahmen der aktiven Sicherheit erhöht werden kann. Außerdem sollten Verkaufshemmnisse beseitigt werden, die heute von Journalisten der Motorpresse oder von Verkaufspersonal in den Autohäusern, das mit der Erklärung der Funktionen sowie der ihnen zugrunde liegenden Technik überfordert ist, verursacht werden. Mit etwas Optimismus lässt sich dann eine hohe Ausrüstungsrate der heute bekannten Systeme der aktiven Sicherheit erwarten, mit der schon eine große Anzahl an Unfällen vermieden oder in ihren Folgen abgemildert werden kann. Allerdings trifft dies eher auf die Standardunfälle wie Auffahren oder Fahrbahnverlassen zu, denn andere Standardunfallarten sind mit heutigen Systemen noch nicht abgedeckt. Dies ist z. B. bei Unfällen mit dem
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Gegenverkehr beim Überholen der Fall, die jedoch mit einem „Gegenverkehrsassistenten“ vermieden werden könnten [11]. Komplexe Unfallszenarien, insbesondere an Kreuzungen, sind zu anspruchsvoll für heutige Systemausprägungen und stehen derzeit im Vordergrund der Forschung. Die maschinelle Umfelderfassung und die Situationsinterpretation sind dabei die Hauptherausforderungen. Da diese Szenarien wesentlich komplexer sind, wird es immer schwieriger, Falsch-Positiv-Reaktionen zu verhindern, da sich keine klare Wenn-Dann-Reaktionslogik aufbauen lässt. Somit lassen sich die Systeme, die tatsächlich auch in komplexen Szenarien unfallverhindernd agieren, nur noch schwer überprüfen. Hier wird von den maschinellen Systemen eine Leistungsfähigkeit gefordert, die denjenigen Systemen entspricht, welche auch das autonome Fahren ermöglichen.
44.5 Autonomes Fahren Unter autonomem Fahren wird die Übergabe der Fahrzeugführung an die Maschine, also an einen Fahrroboter verstanden. Die Übertragung der Führungsfunktion kann örtlich oder zeitlich begrenzt sein und eventuell durch den Fahrer unterbrochen
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werden. Grundsätzlich ist das autonome Fahrzeug in der Lage, ohne Mitwirken eines Menschen die Entscheidung über den Weg, die Bahn und die Fahrdynamikeingriffe zu fällen. An eine solche Funktion werden sowohl technisch als auch gesellschaftlich bestimmte Anforderungen gestellt. Nach den heute und voraussichtlich auch in Zukunft gültigen Rechtsgrundsätzen darf von einem autonomen Fahrzeug keine größere Gefahr ausgehen als von einem von Menschen gesteuerten Fahrzeug. Dies gilt für alle am Straßenverkehr beteiligten Gruppen und für alle Einsatzbereiche des autonomen Fahrens. Die Fortschritte bei der Umfelderfassung und den Fahrzeugführungsalgorithmen in den letzten 20 Jahren haben die Öffentlichkeit beeindruckt. Insbesondere die DARPA Urban Challenge im Jahre 2007 (s. Bild 44-2) hat vielen Entwicklern autonomer Fahrzeuge großen Auftrieb beschert. Es ist tatsächlich sehr beeindruckend, was die Teams im Rahmen dieses Wettbewerbs geleistet haben und wie die Leistungsfähigkeit der Fahrroboter seit der ersten, noch wenig erfolgreichen DARPA Grand Challenge im Jahre 2004 erhöht werden konnte. Der Öffentlichkeit wurde damit der Eindruck vermittelt, dass die Markteinführung autonomer Fahrzeuge nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen würde. Dies wird durch Ankündigungen einzelner Fahrzeughersteller, bis 2020 würden autonome Fahrzeuge serienreif sein,
Bild 44-2: Siegerfahrzeug der Urban Challenge 2007 [Quelle: Tartan Racing Team]
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gestützt. Tatsächlich erscheint dies auch plausibel, wenn man die Entwicklungsgeschwindigkeit der letzten Jahre heranzieht.
44.5.1 Problemfeld Zulassung Bei diesem Optimismus wird aber übersehen, dass der kritische Pfad der Markteinführung die Zulassung zum Straßenverkehr ist. Dabei ist nicht einmal die Einschränkung durch das Wiener Übereinkommen (vgl. Kapitel 3) das Problem, zumal längst nicht alle Länder es unterzeichnet haben. Eine Novellierung als Anpassung an die heutigen technischen Möglichkeiten wird hier zur Vereinfachung der Betrachtung optimistischerweise angenommen. Weiterhin wird angenommen, dass eine Begrenzung der Hersteller- und Betreiberhaftung analog zum Warschauer oder Montrealer Übereinkommen für die Luftfahrt geregelt werden kann, womit überhaupt erst die Basis für eine Vermarktung erreicht wird. Allerdings werden die potenziellen neuen Regelungen für die Zulassung nicht die heute gültigen Rechtsgrundsätze der westlichen Welt verletzen. Demnach darf gemäß [12] das erwartete Risiko der betroffenen Verkehrsteilnehmer durch autonome Fahrzeuge nicht höher sein als das Vergleichsrisiko des jeweiligen Istzustands. Als betroffene Verkehrsteilnehmer gelten nicht nur die Fahrzeuginsassen des autonomen Fahrzeugs, sondern auch alle sich in der Nähe des Fahrzeugs befindlichen Personen, also Insassen entgegenkommender, vorausfahrender, hinterherfahrender, überholter oder überholender Fahrzeuge. Auf Landstraßen und in Städten kommen Rad- und Mofafahrer oder Fußgänger hinzu, und selbst selten auftretende Verkehrsteilnehmer, wie z. B. landwirtschaftliche Fahrzeuge oder Viehtreiber mit ihren Kuh- oder Schafherden, sind als betroffene Gruppe zu berücksichtigen. Für keine der genannten Gruppen darf das Risiko durch den Einsatz der autonomen Fahrzeuge steigen, oder anders ausgedrückt: Vor einer Zulassung muss mit anerkannten Methoden abgesichert sein, dass das Risiko nicht größer ist als das zum Zeitpunkt der Einführung bekannte Risikoniveau. Diese Tatsache stellt die wahre Herausforderung für einen Einsatz autonomer Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr dar. Dies mag zunächst überraschen, da dieser Grundsatz auch für die heutigen Fahrerassistenzsysteme in gleicher Weise gilt, denn für ein automatisch agierendes Assistenzsystem wie ACC oder LKS muss ebenfalls abgesichert werden, dass der Fahrer es jederzeit überstimmen kann. Ist dies der Fall, wird davon ausgegangen, dass sich die Fahrfertigkeit im Vergleich zum nichtassistierten Fah-
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ren nicht verschlechtert, sondern sich durch die Entlastungs- und Warneffekte deutlich verbessert. Bei intervenierenden Systemen, wie aktiven Frontalkollisionsgegenmaßnahmen (vgl. Kapitel 33), wird der Eingriff auf vom Fahrer übersteuerbare Eingriffe beschränkt oder es wird nur in solchen Fällen eingegriffen, die nur noch eine einzige Reaktion zulassen, wenn nämlich die Kollision nicht zu vermeiden ist. Heutige FAS-Systemansätze verlassen sich demnach auf den Fahrer als Entscheidungsinstanz und umgehen so die Diskussion, ob das System „besser“ fährt als ein menschlicher Fahrer. Allein bei Eingriffen von Collision Mitigation Systemen kann das „Sicherheitsnetz Fahrer“ nicht mehr herangezogen werden. Dieser Einsatzbereich ist allerdings auf ein äußerst seltenes und genau definiertes Ausnahmeszenario zugeschnitten, die Vorkollisionsphase. Die robuste Umfelderfassung und -interpretation ist für das heutige Technikniveau anspruchsvoll, ebenso wie der Anspruch, in jeder Situation wenig riskante Entscheidungen zu treffen. Im Vergleich dazu ist die Erkennung der Vorkollisionsphase äußerst einfach, da nur der Bereich innerhalb von ca. einer Sekunde TTC relevant für die Entscheidung ist und der Nutzfall nur in der Größenordnung von einmal pro einer Million Fahrkilometer auftritt. Collision Mitigation Systeme sind damit komplementär zu den Fahrerfähigkeiten entwickelt, greifen also erst ein, wenn der Fahrer in einer seltenen Situation nicht angemessen reagiert. Beim autonomen Fahren kann der Fahrer als Rückfall- und Überwachungsebene als praktisch nicht realisierbar angesehen werden. Es ist ja gerade der angestrebte Funktionsnutzen des autonomen Fahrens, sich anderen Beschäftigungen widmen zu können und das System nicht mehr überwachen zu müssen. Der Sicherheitsnachweis für das autonome Fahren kann also nicht auf Basis der bisher üblichen Strategien erfolgen. Auch das Dauerlauftesten bietet keinen Ausweg, wie die folgenden Überlegungen zeigen werden: Der Einfachheit halber wird ein auf die Autobahnfahrt beschränktes autonomes Fahrzeug angenommen, wie es sicherlich in der Entwicklungsevolution als erste marktfähige Variante des autonomen Fahrens vorgesehen ist, weil die Funktionsanforderungen im Gegensatz zu Stadt- und Landstraßenszenarien vergleichsweise einfach zu definieren sind. Für einen Sicherheitsnachweis ist mindestens zu belegen, dass mit dem autonomen Fahrzeug die Anzahl schwerer Unfälle geringer ist als in der besten relevanten Vergleichsgruppe. Doch selbst wenn man zunächst von einer Unterteilung in unterschiedliche Risikogruppen absieht, wird deutlich, dass ein herkömmlicher Dauerlauftest wirtschaftlich nicht mehr vertretbar
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ist, denn auf einer deutschen Autobahn geschieht nur etwa alle 5 Millionen Fahrkilometer ein schwerer Unfall. Geht man nun von einem System aus, das im Vergleich zu einem menschlichen Fahrer mit einem nur um die Hälfte reduzierten Unfallrisiko behaftet ist – erstrebenswert ist eine weit größere Risikoreduktion – so lässt sich unter Verwendung der Poisson-Verteilung eine erforderliche Testlänge vom Zehnfachen dieser Strecke ableiten, wenn auf einem Signifikanzniveau von 5 % nachgewiesen werden soll, dass das System risikoärmer fährt. Die erforderliche Testlänge betrüge damit 50 Millionen Fahrkilometer, und in ähnlicher Größenordnung bewegen sich auch die Kosten für einen solchen Test, also ca. 50 Millionen Euro. Mag dieser Aufwand für ein erstes System unter Umständen noch vertretbar und bezahlbar sein, so ist doch zu bedenken, dass dieser Test nach jeder Systemmodifikation erneut durchlaufen werden müsste, was offensichtlich ökonomisch nicht vertretbar ist. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Referenzwerte für das Unfallrisiko durch die Fortschritte der aktiven Sicherheit, die in den nächsten Jahrzehnten wirksam werden, sich weiter verringern werden, wodurch sich die Testkosten wiederum weiter erhöhen. Diese Argumente lassen den Schluss zu, dass mit den bekannten Testverfahren zur Risikomessung keine ökonomisch vertretbare Entwicklung bzw. Zulassung von autonomen Fahrzeugen möglich ist. Dieser Aspekt hat durchaus das Potenzial für einen „Showstopper“.
44.5.2 Ausweg aus dem Testdilemma Dieses Testdilemma kann nur überwunden werden, indem eine drastische Kürzung der erforderlichen Strecke erreicht wird. Bei Komponentenhaltbarkeitstests ist es üblich, zum einen aus dem Betriebsbelastungskollektiv diejenigen Teile zu selektieren, die die Komponente relevant beanspruchen, und durch das Weglassen der irrelevanten Anteile eine erhebliche Verkürzung zu ermöglichen. Zum anderen wird auf Beschleunigungsmethoden zurückgegriffen, d. h. höhere Lasten oder stärker beanspruchende Umgebungsbedingungen zur Belastung des Bauteils angewendet. Eine Adaption dieser Strategien auf den Sicherheitsnachweis für das autonome Fahren scheint allerdings nicht möglich, da die Ausfallmechanismen nicht auf einem Ausfall der Funktion beruhen, sondern auf falschen Entscheidungen, die zu Unfällen führen. Natürlich ist eine Systemsimulation, sei es als Software-inthe-Loop (SIL) oder als Hardware-in-the-Loop
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(HIL) zur Absicherung der Funktion denkbar und für die Entwicklung unverzichtbar. Es wird jedoch nicht annähernd möglich sein, die Vielfalt der im Straßenverkehr möglichen Varianten darzustellen, die einer Fahrstrecke von mehreren Millionen Kilometern entspricht und für alle Nutzergruppen repräsentativ ist. Diese letzte Überlegung zum Testdilemma ist es aber, die zum Ausweg führt: Selbst wenn man alle relevanten Zustände für ein Testprogramm darstellen könnte, so wäre in manchen Situationen nicht mehr entscheidbar, welche Systemreaktion richtig oder falsch ist, da diese Frage nicht vom Ego-System allein beantwortet werden kann. Insbesondere wenn die Aktionen und Reaktionen anderer Verkehrsteilnehmer antizipiert werden sollen, kann eine hundertprozentig richtige Annahme nicht erwartet werden, da über die Reaktionsmodelle der einzelnen Verkehrspartner keine individuelle und momentane Korrektheit erreicht werden kann. Die Systemreaktionen nehmen somit probabilistischen Charakter an, und die Bewertung, in welchem Maße die aktuelle Entscheidung korrekt sein mag, ist zeitabhängig und wird vermutlich nur in einfachen Situationen bestimmbar sein. Alle anderen in dieser bestimmten Situation möglichen Aktionen und Reaktionen werden sich in dieser Weise nirgendwo und niemals wiederholen, und selbst die Schlussfolgerung, ob die Reaktion richtig war, lässt sich nicht aus dem Ergebnis der Situation ableiten. Selbst wenn im Anschluss an eine Reaktion ein Unfall passiert, so kann die Reaktion dennoch im Sinne einer Schadensminderung richtig gewesen sein. Genauso ist es möglich, dass eine falsche Entscheidung als solche nicht negativ auffällt und nicht zum Unfall führt, da die Umgebungskonstellationen günstig sind. Damit stellt sich jedoch die Frage, was dem bisherigen Denken und „richtig oder falsch“ entgegengesetzt werden kann. Die Antwort ist so einfach im Prinzip, wie sie schwierig in der Umsetzung ist: Der Fahrroboter muss die Fahraufgabe „richtiger“ ausführen als die menschliche Vergleichsgruppe, beispielsweise erfahrene und sich auf der Höhe ihrer Gesundheit befindliche Vielfahrer. Dazu muss die Perzeptions-, Kognitions- und Aktionsleistung des Fahrroboters mindestens so hoch sein wie die der Vergleichsgruppe. Kann man diese Leistungsfähigkeit messen, so lässt sich der Fahrroboter freigeben. Auch auf andere Felder der Robotik kann diese Aussage übertragen werden, wie z. B. humanoide Haushaltsroboter. Eine allgemeine Metrik zum Ausdrücken der Perzeptions-, Kognitions- und Aktionsleistungsfähigkeit von Robotern und Menschen ist bisher nicht bekannt. Ein als Analogie dienendes Beispiel findet man jedoch beim Schach- und Go-Spiel, einem
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Bereich, in dem der Computer die Leistungsfähigkeit des Menschen erreicht und zum Teil schon übertroffen hat. Zwar ist das Schachspiel grundsätzlich nicht probabilistisch, aber durch die schiere Zahl der möglichen Zugkombinationen nicht in endlicher Zeit berechenbar, wodurch der Schachcomputer nach heuristischen Algorithmen Entscheidungen treffen muss, die zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht als richtig oder falsch bewertet werden können. Wenn er etwas „richtiger“ entscheidet, kann aber erwartet werden, dass er mehr Partien gewinnen wird als ein menschlicher Spieler. Auch wenn Schachcomputer anders „ticken“ als menschliche Schachspieler, so werden beide Arten des Denkens auf der so genannten ELO-Skala geführt. Diese Skala ist Teil eines objektiven Wertungssystems für die Spielstärke eines Go- oder Schachspielers, das von Arpad Elo entwickelt wurde. Für einen kleinen Bereich sind damit zwei der Voraussetzungen erfüllt, die an eine Metrik zur Freigabe von Roboterfunktionen gestellt werden: Zum einen ermöglicht die ELO-Skala eine Vergleichbarkeit der menschlichen Leistungsfähigkeit mit der des Roboters, zum anderen ist mit dieser Metrik eine absolute Klassifizierung möglich, da mit der ELO-Zahl beispielsweise zugeordnet werden kann, ob jemand Amateur oder Großmeister ist. Gäbe es eine solche Metrik auch für Fahrroboter, so könnte in Übereinstimmung mit der ISO 26262 für bestimmte Automatisierungsgrade eine definierte Fähigkeitsklasse festgelegt werden. Allerdings kann dieser Ansatz aus dem Schachbereich nicht direkt auf den Fahrroboter übertragen werden, da der ELO-Wert über den direkten Vergleich, sprich über die Gewinn-/Verlustbilanz von Gegnern einer gegebenen Stärke, ermittelt wird. Weiterhin wird nur die kognitive Leistung gemes-
sen; die der Perzeption erfolgt idealisiert, denn dem Schachcomputer wird die Stellung der Schachfiguren korrekt und vollständig übermittelt, während im Straßenverkehr weder dem Fahrer noch dem Fahrroboter alle Informationen in dieser Weise zur Verfügung stehen werden. Eine solche Fülle an Informationen, wenn sie denn vorläge, wäre darüber hinaus in der Praxis nicht mehr zu filtern und zu verarbeiten. Für ein technisches System wie einen Fahrroboter wäre daher die Gesamtaufgabe in drei Domänen aufzuteilen und mit jeweils einer gesonderten Metrik zu belegen, vgl. Bild 44-3. Wie die Kapitel über die Aktorsysteme zeigen, reichen die maschinell möglichen Ausführungsfähigkeiten schon sehr nahe an die menschlichen Fähigkeiten heran. In Teilbereichen gehen sie bereits darüber hinaus, wie z. B. die Einzelradregelungen oder die Hinterachsverstellung. Wie in Bild 44-3 illustriert, hat auch die maschinelle Perzeption schon eine bemerkenswerte Leistungsfähigkeit erreicht, wobei die Wahrnehmung sehr komplexer Situationen, z. B. dem Verkehr um den Triumphbogen in Paris, noch nicht gelingt. Fahrer, die nicht in Paris heimisch sind, fühlen sich in dieser Situation möglicherweise überfordert und an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Gleichwohl zeigt die verhältnismäßig geringe Anzahl an Unfällen, die geschehen – harmlose Blechschäden ausgenommen – dass der Mensch auch solchen Situationen gewachsen ist. Vergleichsweise gering ist momentan noch die maschinelle Kognitionsleistung, insbesondere was die Entscheidungsflexibilität angeht. Vor allem erscheint es noch sehr schwierig, den Lernprozess des Menschen nachzubilden. Diesen Lernprozess erlebt jeder Autofahrer nach seiner Fahrausbildung, und ohne diese Erweiterung der Fahrfertigkeiten
Bild 44-3: Verarbeitungsprozess in drei Domänen mit qualitativer Bewertung der heutigen maschinellen Fahrfertigkeiten
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wären wir sicherlich einem höheren Straßenverkehrsrisiko ausgesetzt. Die Aufteilung in die drei oben gezeigten Domänen hat den Vorteil einer Entkopplung der Bewertung: Eine Änderung im Sensorbereich kann allein auf der Perzeptionsmetrik zertifiziert werden, ohne dass es erforderlich wäre, die anderen zwingend mit zu zertifizieren. Aus gleichem Grunde kommt es zu einer entsprechenden Modularisierung bei der Entwicklung der autonomen Fahrzeuge in der Urban Challenge [13], [14]. Zurückkehrend zu den obigen Überlegungen, dass nur dem Menschen im Betriebsbereich überlegene Fahrroboter eine Chance auf Zulassung besitzen, sind zwei Schlussfolgerungen zu ziehen: Die Fahrroboter haben noch ein großes Stück der Entwicklung vor sich, doch unter der Voraussetzung einer anerkannten Metrik für die Fahrleistungsfähigkeit können sie dem Menschen überlegen werden. Diese Metrik, die durchaus sehr spezifisch für bestimmte Einsatzbereiche sein kann, ist unabdingbare Voraussetzung für eine zielgerichtete Entwicklung der autonomen Funktionen, und ihre Entwicklung stellt aus Sicht der Autoren den kritischen Pfad der Entwicklung des autonomen Fahrzeugs dar: Solange keine Metrik in allgemein akzeptierter Form existiert, wird kein autonomes Fahrzeug für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassen. 44.5.3 Möglicher Weg zu einer Metrik Die Anforderungen an eine solche Metrik lauten: Die Metrik ist valide für den jeweiligen Einsatzbereich Diese Anforderung lässt sich im Grunde nicht erreichen, denn erst mit dem Einsatz der Metrik werden die benötigten Fähigkeiten vollständig klar. Allerdings trifft dies auf heutige Entwicklungen ebenso zu. Hier hilft man sich mit Übertragungen aus ähnlichen Bereichen, doch dieser Lösungsweg bedeutet gleichzeitig, dass viele Zwischenstufen auf dem Weg zum autonomen Fahren eingeführt werden müssen. Nur wenn genügend Erfahrungen mit ähnlichen Systemen vorliegen, lässt sich die Metrik eichen und mit vertretbarem Restrisiko auf die nächste Erweiterung übertragen. Die Validierungsstrategie bestimmt daher die Migrationsstrategie und nicht die Entwicklung der technisch möglichen Funktionen. Die Metrik erlaubt einen Vergleich der Fahrfähigkeiten Mensch/Roboter Dies ist vielleicht die am schwierigsten umzusetzende Anforderung, denn sie setzt voraus, dass
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menschliche Fähigkeiten gemessen und in einer der Fahraufgabe angemessenen Weise gewichtet werden. Eine Aufteilung auf die drei Domänen wird zwar in arbeitswissenschaftlichen Modellen durchgeführt, allerdings lässt sich die Perzeptionsleistung nicht von der Kognitionsleistung trennen. Bei der Ausführungsleistung ist es dagegen möglich, auch wenn durch Rückwirkungen eine Überkopplung auftreten kann. Aus diesen Gründen bleibt zumindest bis zur Etablierung der Metriken nichts anderes übrig, als die kombinierte Leistung von Perzeption und Kognition von Mensch und Maschine zu vergleichen. Sind die relevanten Niveaus für eine Einstufung erst einmal etabliert, so lässt sich die Aufteilung von Perzeptions- und Kognitionsleistung bei Maschinen separat betrachten. Die Metrik lässt eindeutige Klassenstufen zu Diese Anforderung wird für eine Zertifizierung benötigt, damit analog zu Safety Integrity Levels eine Einstufung erfolgen kann. Hierfür sind geeignete Grenzwerte und Gewichtungen einzelner Merkmale zu erarbeiten. Die Metrik verwendet ökonomisch durchführbare Testverfahren zur Einstufung Gerade die Unbezahlbarkeit war, wie oben geschildert, der Grund für die Abkehr von der etablierten Freigabemethodik. Das neue Verfahren muss daher deutlich kostengünstiger sein. Testparcours mit hohem Schwierigkeitsgrad mögen hier einen Ausweg bieten, wobei die Schwierigkeiten repräsentativ für den Einsatzbereich sein müssen. Die Metrik darf selbst keine Handlungsmuster favorisieren, sondern gerade die Fähigkeit ermitteln, in unbekannten Zuständen angemessen zu agieren Hiermit ist gemeint, dass kein Training auf die Testmuster erfolgen darf, weil dies zu einer Minderung der Handlungsflexibilität führen würde. Dies ist auf jeden Fall zu verhindern, da gerade diese Flexibilität überhaupt die Extrapolation von einem Testparcours auf den gesamten Einsatzbereich erlaubt. Alle genannten Anforderungen sind sehr anspruchsvoll. Da aus Sicht der Autoren aber nur mit einer solchen Metrik die Einführung von autonomen Fahrzeugen in den öffentlichen Straßenverkehr möglich ist, wird ihre Entwicklung Zeitpunkt und Strategie der Einführung bestimmen. Die noch zu leistenden Vorarbeiten haben durchaus die Größenordnung des Genom-Projekts und werden viele hundert Personenjahre an Forschung beanspruchen. Die Autoren halten eine Neuausrichtung der Computer-Intelligenz-Forschung für erforderlich, da die
671
G
Zukunft der Fahrerassistenzsysteme
aktuellen Forschungsaktivitäten diese Thematik weitgehend ignorieren.
44.6 Evolution der Fahrerassistenzsysteme Nachdem in den vorherigen Abschnitten die Notwendigkeit und die Anforderungen an eine Metrik für Fahrfähigkeit motiviert wurden, wird zum Abschluss eine Evolutionsroadmap für die weiteren Entwicklungsschritte abgeleitet, in die auch diese Überlegungen eingehen. Auf der Ordinate ist eine Evolution wie auf einem Zeitstrahl aufgetragen, allerdings hat die Abszisse bestenfalls ordinalen Charakter und ist ungeeignet, Jahreszahlen für die Einführung der Systeme abzuschätzen.
Es handelt sich im Einzelnen um: ACC/FSRA (Adaptive Cruise Control/Full Speed Range Adaptive Cruise Control), erlaubt die geregelte und vom Fahrer überwachte Fahrt im gebundenen Verkehr; vgl. Kapitel 32. LCDA (Lane Change Decision Aid), sichert den seitlichen und rückwärtigen Bereich ab und ermittelt damit einen Teil des Manöverraums; vgl. Kapitel 36. LKS (Lane Keeping Support), erlaubt die Übergabe der Querregelung für die Spurhaltung
innerhalb des Fahrstreifens, Überwachung durch Hands-on-Zwang; vgl. Kapitel 35. ANB/CMS (Automatische Notbremsung, Collision Mitigation System), ermittelt die Kollisionsgefahr und verringert den Schaden, erste Robustheitsaussagen hinsichtlich false positives; vgl. Kapitel 33. ILQ (Integrierte Längs- und Querführung), gibt eigenständige, aber übersteuerbare Vorgaben auf der Bahnführungsebene, die aber noch überwacht werden müssen und die Hands-on-Zwang unterliegen. Stauassistent, erste autonome Fahrfunktion mit Bremsen in den Stand als Fail-Safe- und Übergabekonzept. Kooperative Automation, d. h. Automatisierung durch serielle Fahrereinbindung, vgl. Kapitel 42. Schutzengel bei überraschender Fahruntüchtigkeit, teilautonome Funktion zum Anhalten am Seitenrand, größeres Reaktionsspektrum als ANB, aber deutlich geringerer Anforderung an Reaktionsflexibilität als vollautonomes Fahren, entspricht dem Fail-Safe-State des autonomen Fahrzeugs. Autobahnautomat, erste für längere Phasen vollautonome Funktion, kann auf Sonderreaktionen mit geringer Flexibilität reagieren. Überholassistent, unterstützt den Fahrer bei der Vermeidung unsicherer Überholmanöver.
Bild 44-4 Evolution der Fahrerassistenzsysteme bis zum autonomen, vollautomatischen Fahren auf allen öffentlichen für Kraftfahrzeuge zugelassenen Verkehrswegen
672
44 Quo vadis, FAS?
Ausweichassistent, reagiert in kritischen Situationen mit Ausweichmanövern durch die Kenntnis des Manöverspielraums, wird aber erst bei akuter Gefahr aktiv. Kreuzungsassistent, warnt vor möglichen Kollisionen im Kreuzungsbereich; vgl. Kapitel 37. Überlandautomat, verbindet die Fähigkeiten des Autobahnautomaten mit präventiven Unfallverhütungsfunktionen und reagiert auf alle im Weg befindlichen Hindernisse. Vollverkehrsautomat, d. h. autonomes Fahren ohne Einschränkung.
G
[12] Homann, K.: Wirtschaft und gesellschaftliche Akzeptanz: Fahrerassistenzsysteme auf dem Prüfstand. In: Maurer, M.; Stiller, C. (Hrsg.): Fahrerassistenzsysteme mit maschineller Wahrnehmung, Springer, 2005, S. 239–244 [13] Langer, D.; Switkes, J. P.; Stoschek, A.; Hunhnke, B.: Enviroment Perception in the 2007 Urban Challenge: Utility for Future Driver Assistance Systems, 5. Workshop Fahrerassistenzsysteme, Walting, 2008 [14] Darms, M.; Baker, C., Rybksi, P., Urmson, C.: Vehicle Detection and Tracking for the Urban Challenge, 5. Workshop Fahrerassistenzsysteme, Walting, 2008
Quellenverzeichnis [1] Europäische Charta für Verkehrssicherheit, http:// www.erscharter.eu/ [2] White Paper – European transport policy for 2010: time to decide, http://ec.europa.eu/transport/white_ paper/documents/index_en.htm [3] eSafety Initiative, http://ec.europa.eu/information_ society/activities/esafety/index_en.htm [4] Grein, F. G.; Wiedemann, J.: Perspektiven der Vorausschau in der Fahrerassistenz. In: Bargende, M.; Wiedemann, J. (Hrsg.): 5. Internationales Stuttgarter Symposium Kraftfahrwesen und Verbrennungsmotoren, 18.–20. Februar 2003, S. 628–642 [5] Witte, S.: Simulationsuntersuchungen zum Einfluss von Fahrerverhalten und technischen Abstandsregelungen auf den Kolonnenverkehr. Dissertation, Technische Hochschule Karlsruhe, 1996 [6] Zhang, X.: Intelligent driving – Prometheus approaches to longitudinal traffic flow control. In: Proceedings of IEEE Vehicle Navigation and Information Systems Conference, 20.–23. Oktober 1991 [7] Özgüner, Ü.; Baertlein, B.; Cavallo, C.; Farkas, D.; Hatipoglu, C.; Lytle, S.; Martin, J.; Paynter, F.; Redmill, K.; Schneider, S.; Walton, E.; Young, J.: The OSU Demo ’97 Vehicle. In: Proceedings of the IEEE International Conference on Intelligent Transportation Systems, 1997 [8] Deutschle, S.: Das KONVOI Projekt – Entwicklung und Untersuchung des Einsatzes von elektronisch gekoppelten Lkw-Konvois auf Autobahnen. 15. Aachener Fahrzeug- und Motorenkolloqium, 09.–11. Oktober 2006 [9] Leohold, J.: SIM-TD – Ein Feldversuch als Vorbereitung einer Kommunikationsplattform für das Automobil. VDA Technischer Kongress, 28.–29. März 2007 [10] aktiv – Adaptive und kooperative Technologien für den intelligenten Verkehr, Teilprojekt Cooperative Cars (CoCar): http://www.aktiv-online.org/deutsch/ aktiv-cocar.html [11] Mannale, R.; Hohm, A.; Schmitt, K.; Isermann, R.; Winner H.: Ansatzpunkte für ein System zur Fahrerassistenz in Überholsituationen. TÜV-Tagung Aktive Sicherheit durch Fahrerassistenz, 7.–8. April 2008
673
H Glossar
674
Begriff
Synonyme
Erklärung
ABS
ABV (Automatische Blockier verhinderung)
Anti-Blockier-System, verhindert durch radindividuellen Bremskraftabbau zu hohen Bremsschlupf und ermöglicht höhere Fahrstabilität und Lenkbarkeit beim Bremsen.
Adaptive Cruise Control (ACC)
Distronic, Automatische Distanzregelung (ADR), Abstandsregeltempomat (ART), Active Cruise Control (ACC)
In der Norm ISO 15622 von der ISO/TC204/WG14 definierte Erweiterung der Cruise Control durch automatisches Anpassen an die Geschwindigkeit eines von einem oder mehreren Sensoren erkannten voraus fahrenden Fahrzeugs durch Eingriffe in Motorsteuerung und Bremse.
ADAS
Advanced Driver Assistance Systems („Fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme“); Fahrerassistenzsysteme mit Umfelderfassung und eigenständiger Informationsverarbeitung, die zu Empfehlungen, Warnung und/oder Eingriffen führt.
ADAS Horizon
Künstlicher Horizont für ADAS-Anwendungen; basierend auf einer digitalen Karte und einem Ortungssystem wird der Verlauf der Fahrbahn mit Attributen zu Beschilderung oder Topologie und Verzweigungen für die nähere Zukunft vorhergesagt.
ADR
Automatische Distanzregelung: alternative, von Volkswagen verwendete Bezeichnung von Adaptive Cruise Control
ANB
Automatische Notbremse
ART
Abstandsregeltempomat: alternative Bezeichnung der Adaptive Cruise Control
ASR
TCS (Traction Control System)
Antriebsschlupfregelung: Verhindert durch radselektiven Bremseingriff und Motoreingriff zu hohen Antriebsschlupf. Ermöglicht höhere Fahrstabilität und Lenkbarkeit beim (forcierten) Gas geben und eignet sich als Traktionshilfe, die in dieser Funktion als elektronisches Sperrdifferenzial (ESD) bezeichnet wird.
Automatische Notbremse
ANB, Collision Mitigation System (CMS), Emergency Brake
Löst eine Vollbremsung aus, wenn aus den Daten der Umfeldsensorik ein Ausweichen ausgeschlossen wird. Kann meistens die Kollision nicht mehr verhindern, aber den Kollisionsschaden lindern.
Autonomes Einparken
Vollständig autonome Ausführung einer Einparkaufgabe
AUTOSAR
Abkürzung für „AUTomotive Open System Architecture“; internationaler Verbund mit dem Ziel, einen offenen Standard für Elektrik-/Elektronikarchitekturen im Kraftfahrzeug zu etablieren.
BAS
Bremsassistent
BLIS
Blind Spot Information System: Volvo-Bezeichnung eines Systems zur Fahrstreifenwechselentscheidungsunterstützung, geht in Funktionalität etwas über eine reine Totwinkelerkennung hinaus.
Glossar Begriff
Synonyme
Erklärung
Bluetooth
Standard für kurzreichweitige, drahtlose Kommunikation zwischen Endgeräten im Frequenzbereich von 2,4 GHz
Brake-by-Wire
Fremdkraftbremse ohne energetische Kopplung zwischen Bremspedal und Radbremsen
Bremsassistent
Brake Assist, BAS
Hebt bei Panikbremsungen automatisch das BremsdruckNiveau an, bis die ABS-Regelung einsetzt. Auslösung bei Überschreiten einer Pedalgeschwindigkeitsschwelle.
CAN
Controller Area Network (serieller Datenbus für den digitalen Datenaustausch zwischen Steuergeräten im Fahrzeug bis ca. 500 kBit/s)
CCD
Charge Coupled Devices: Bildsensoren, basierend auf Ladungsverschiebungselementen ähnlich einer Eimerkettenleitung; bisher dominierende elektronische Bildsensortechnik.
CMOS
Complementary Metal Oxid Semiconductor: heute dominierende Halbleitertechnik. Kann auch für Bildsensoren verwendet werden.
CMS
Automatische Notbremse
Collision Avoidance
Vermeidet durch Notbremsung und/oder Ausweichen eine Kollision, bisher Fernziel für ein unfallvermeidendes Fahrzeug.
Convoy
Platooning
Cruise Control
FahrgeschwindigRegelt die Fahrgeschwindigkeit über Eingriff in die Motorkeitsregler (FGR), steuerung auf den vom Fahrer gesetzten Wert. Tempomat, Tempostat, Geschwindigkeitsregelanlage (GRA)
Digitale Karte
engl.: digital map
Disc Thickness Variation (DTV) Drehratensensor
Dicht aufeinander folgende Fahrzeugkolonnen auf einem dafür vorgesehenen Fahrstreifen
Maßgebundenes und strukturiertes Modell räumlicher Bezüge. Die digitale Karte ist ein digitales Modell der Realität. Digitale Karten für die Fahrzeugnavigation beinhalten Informationen für Ortung, Routensuche und Zielführung sowie Verweise zum Zugriff auf die Daten. Auswaschungen und Dickenschwankungen an Bremsscheiben
Gyro
Sensor zur Erfassung der Drehrate (gemessen in Winkel/ Zeit) im Automobil zur Messung der Drehung um die Hochachse und die Wankachse.
Distronic
Alternative, von Mercedes verwendete Bezeichnung von Adaptive Cruise Control
Dopplereffekt
Veränderung der Frequenz durch Relativgeschwindigkeit zwischen Objekt und Beobachter. Bekannt auch als Tonhöhenverschiebung bei Vorbeifahrt eines Fahrzeugs.
Dynamic Stability Control (DSC)
ESP
Dynamische Zielführung EBS
H
engl.: dynamic route guidance
Zielführung auf Basis aktueller Verkehrslageinformationen Elektronisches Bremssystem, elektropneumatisches Brake-by-Wire im Nutzfahrzeugbereich
675
H
Glossar Begriff
Synonyme
E-Gas EHB
Elektronisches Gas-Pedal: besitzt keine mechanische Verbindung zwischen Gaspedal und Drosselklappe. SBC, nasses Brakeby-Wire
Elektrohydraulische Bremse, elektrohydraulisches Brake-by-Wire mit hydraulischem Notlaufkonzept, vorübergehend als Sensotronic Brake Control in Mercedes SL und E-Klasse verbaut, jetzt noch in Hybridfahrzeugen (z.B. Toyota Prius, Ford Escape) und Lexus LS verbaut
Eindeutigkeitsbereich
Entfernungsbereich, in dem gemessene Distanzen einer eindeutigen Entfernung zugeordnet werden können. Siehe auch Modulationsfrequenz.
Electronic Stability Control (ESC)
ESP
EMB
trockenes Brake-by-Wire
EPB
ESP
Elektromechanische Bremse, rein elektromechanisches Brake-by-Wire mit je einem elektromotorischen Steller am Rad. Benötigt fehlertolerante Steuerung und Energieversorgung. Schon für mittelschwere Fahrzeuge ist zudem ein 42-V-Bordnetz erforderlich. Elektrische Parkbremse
EPH
676
Erklärung
Einparkhilfe FDR (Fahrdynamikregelung), VDC (Vehicle Dynamic Control), DSC (Dynamic Stability Control)
Vereinigung von ABS, ASR und einer Giermomentenregelung. Versucht innerhalb der physikalischen Grenzen durch radindividuelle Bremseingriffe das Fahrzeug in die Richtung zu „zwingen“, die der Fahrer mit dem Lenkrad vorgibt. Greift dazu auch in den Antrieb ein.
FAS
Kurzform für Fahrerassistenzsystem
Fahrdynamikregelung (FDR)
ESP
Fahrstreifenverlassens- Lane Departure warnung Warning; umgangsspr.: Spurverlassenswarnung
Warnt vor unbeabsichtigtem Überqueren von Fahrstreifenmarkierungen mit akustischen oder haptischen Mitteln.
Fahrstreifen
umgangsspr.: „Spur“
Fachterminus für die Aufteilung der Fahrbahn, durch Fahrstreifenmarkierungen angezeigt.
Fahrstreifenwechselentscheidungsunterstützung
Lane Change Decision Aid, umgangsspr.: Spurwechselunterstützung
Informationssystem zur Unterstützung eines Fahrstreifenwechsels durch Beobachtung eines seitlichen Korridors durch Sensoren und Anzeige in der Blickrichtung zum Seitenspiegel. Zwei Funktionsstufen werden unterschieden: Totwinkelerkennung, die „nur“ den direkten Seitenbereich des Fahrzeugs beinhaltet und eine Erkennung von sich schnell annähernden Fahrzeuge im weiteren Rückraum.
FIR
Fernes Infrarot (ca. 10 μm Wellenlänge), Bereich der Wärmestrahlung bei Raumtemperatur
FlexRay
Flexible Ray; deterministisches BUS-System für sicherheitskritische Fahrzeuganwendungen mit hoher möglicher Datenrate
Frequenzmodulation
Kennzeichnungs-, (Kodierungs-) und Auswerteverfahren zur Messung von Abständen und Relativgeschwindigkeiten, bei denen die Momentanfrequenz des Sendesignals zeitlich variiert wird.
Glossar Begriff
Synonyme
Erklärung
Frontalkollisionswarnung
Forward (Vehicle) Collision Warning
Warnt vor drohender Frontalkollision mit akustischen, haptischen oder kinästhetischen Mitteln.
Full Speed Range Adaptive Cruise Control (FSRA)
Füllfaktor
In der Norm ISO 22179 von der ISO/TC204/WG14 definierte, über den ganzen Geschwindigkeitsbereich mögliche ACC-Funktion, die auch eine einfache Stop&Go-Funktion ermöglicht. Berücksichtigt i.a. nur Standziele, die vorher als Fahrzeuge klassifiziert wurden. FF
Verhältnis der lichtempfindlichen aktiven Fläche zur gesamten aktiven Fläche
Galileo
Von der EU geplantes GNSS
GDF
Geographic Data Files: standardisiertes internationales Austauschformat der digitalen Karte
GLONASS
Global Navigation Satellite System, von Russland betriebenes GNSS
GNSS
Global Navigation Satellite System, allgemeiner Begriff für GPS, GLONASS, Galileo
GPS
Global Positioning System, oft auch als Navstar GPS bezeichnet; von den USA betriebenes GNSS
Hintergrundlichtunterdrückung
H
SBI
Suppression of Background Illumination, d.h. aktive oder passive Unterdrückung der Gleichanteile des empfangenen Lichtsignals, eingesetzt bei Time-of-Flight Cameras
HBA
Hydraulischer Bremsassistent, Druckerhöhung erfolgt mit der Pumpe des ESP- oder ASR-Hydroaggregats.
HMI
Human Machine Interface, Mensch-Maschine-Schnittstelle
Integrationszeit
Belichtungszeit einer Phasenmessung
ISO
International Standardisation Organisation
Kartenstützung
Map-Matching, Karteneinpassung
Unterstützung der Ortung durch Vergleich von möglichen Aufenthaltsorten (z.B. Straßen auf einer digitalen Karte) und der aktuell aufgrund der Koppelortung ermittelten Position. Dadurch wird die Korrektur von Offsetfehlern möglich.
Koppelortung
Koppelnavigation engl.: dead reckoning
Stückweise Integration von aufeinander folgenden Wegabschnitten gekennzeichnet durch die Länge und den absoluten Kurswinkel (beim Kfz meistens Gierwinkel). Benötigt Odometer und Winkelsensor, beim heutigen Kfz werden dafür Raddrehzahlsensoren und ein die Gierrate messender Drehratensensor verwendet.
Kreuzecho
Verfahren, bei denen die Laufzeit gemessen wird, die zwischen dem Senden eines Signals von einem Sensor und dem Empfang an einem anderen Sensor vergeht. Ermöglicht zusammen mit den Laufzeiten der Einzelsensoren eine zuverlässigere Triangulation, insbesondere bei breiten Hindernissen.
Lane Departure Warning (LDW)
Fahrstreifenverlassenswarnung
677
H
Glossar Begriff
Synonyme
Lane Keeping Support Heading Control (LKS)
Unterstützung beim Halten des Fahrzeugs innerhalb des Fahrstreifens durch Lenkmomentenüberlagerung bei Annäherung an die Fahrstreifenmarkierung.
Lane Change Decision LCDA Aid
englisch für Fahrstreifenwechselentscheidungsunterstützung
Laufzeitverfahren
Time-of-Flight-Verfahren
ToF
LDW
Fahrstreifenverlassenswarnung
Low Speed Following (LSF)
(Japanischer) Ansatz einer einfachen Staufahrunterstützung; folgt nur vom Fahrer ausgewählten Zielfahrzeugen im Nahbereich.
Mikrowellen
Funkwellen mit Wellenlängen von etwa 1 cm bis 10 cm (= 3 bis 30 GHz)
mm-Wellen
Funkwellen mit Wellenlängen von etwa 1 mm bis 10 mm (= 30 bis 300 GHz)
Modulationsfrequenz
Frequenz, mit der Strahlung (inkl. Licht) moduliert wird, um eine Laufzeitmessung über die Phasenauswertung zu ermöglichen. Wird bei Time-of-Flight-Cameras verwendet.
monokular
einäugig(es Kamerasystem)
Nachtsichtsysteme
NightVision
Informationssystem, das dem Fahrer auf einem Display (inkl. Headup-Display) die Infrarot-Spektral-Ansicht ermöglicht. Der Infrarotanteil wird entweder mit einem Infrarot-Fernlicht erzeugt (NIR) oder resultiert aus der Wärmestrahlung (FIR).
Navigation
Ursprünglich: Schiff führen (lat.: navigare), die Gesamtheit der Funktionen Ortung, Routensuche und Zielführung
NIR
Nahes Infrarot (ca. 700–1000 nm Wellenlänge)
Odometer
Hodometer
Optischer Fluss
Ortung
Wegmesser (griech.: hodos = Weg) Verfahren der Bildverarbeitung, das die Verschiebung von zu einander korrespondierenden Bildpunkten in einer Bildfolge auswertet.
engl.: Positioning
Bestimmung der momentanen Position, Teilfunktion der Navigation
Parkpilot
EPH
Parktronic
EPH
PBA
Pneumatischer Bremsassistent, Druckerhöhung durch pneumatikventilgesteuerten Bremskraftverstärker
PDC
EPH
Photonic Mixer Device
678
Erklärung
PMD
PhotoMischDetektor, alternative Bezeichnung von Time-of-Flight Cameras
Platooning
Convoy
PROMETHEUS
Programme for European Traffic with Highest Efficiency and Unprecedented Safety: von 1987 bis 1994 betriebenes vorwettbewerbliches europäisches Forschungsprogramm zur Erforschung von Verkehrstelematiktechniken
Glossar Begriff
Synonyme
Erklärung
Protector
Forschungssystem der Daimler AG mit elektronischer Knautschzone ähnlich einer Automatischen Notbremse
Pulsmodulation
Kennzeichnungs-(Kodierungs-) und Auswerteverfahren, wird bei aktiven umfelderfassenden Sensoren zur Messung von Abständen verwendet. Dazu wird ein kurzer Puls ausgesendet.
Radar
Radio Detection and Ranging, auf Funkwellen (Mikrowellen undmm-Wellen) basierendes Messprinzip zur Ermittlung von Objekten und deren Position und Relativgeschwindigkeit
RDS-TMC
Abkürzung für Radio Data System – Traffic Message Channel, von Radiosendern unterstützter Dienst für digitale Verkehrslageinformation
Reflektivität
Verhältnis von reflektierter Leistung eines Körpers zur bestrahlten Leistung
Routensuche
Ein Routensuchsystem bestimmt aus der IST-Position und der Ziel-Position den günstigsten Weg zum Ziel durch Zugriff auf eine digitale Karte. Dieser günstigste Weg wird durch eine Folge von Straßen oder Straßenstücken beschrieben. Ergebnis der Routensuche ist also eine Optimalroute (im Sinne eines Optimierungskriteriums).
SD-Karte
SD Memory Card
Semi-Autonomes Einparken
Spur
Kurzform für „Secure Digital Memory Card“ (digitales Speichermedium, das nach dem Prinzip der Flash-Speicherung arbeitet) Einparktrajektorie wird durch umfelderfassendes System vorgegeben. Die Umsetzung wird durch Information und ggf. durch Eingriffe in Lenkung oder Bremse unterstützt. Fahrer behält die Verantwortung über die Ausführung der Einparkaufgabe.
engl.: Track
1: Abstand der Radaufstandspunkte einer Achse (Fahrwerk), auch Spurbreite genannt, 2: Abdruck der Räder (z.B. Spurrinne, Spurrille) 3: Fährte, Trajektorie, Kurs, Bewegungsbahn von bewegten Objekten nicht aber: Fahrstreifen
State of Charge (SoC)
Batterie-Ladezustand
State of Function (SoF)
Batterie-Funktionszustand (SoC + SoH = SoF)
State of Health (SoH) Steer-by-Wire
H
Batterie-Alterungszustand SbW
Elektromechanische oder elektrohydraulische Ausführung der Lenkung ohne energetische Kopplung von Lenkbetätigung (Lenkrad) und Radverstellung. Benötigt für schwerere Fahrzeuge mindestens 42 V Spannung. Besitzt die höchsten Sicherheitsanforderungen und erfordert daher ein hohes Maß an Redundanz für eine fehlertolerante Auslegung.
Stereo
Empfang mit zwei Sensoren und Auswertung der Verschiebung (Disparität) von korrespondierenden Mustern
Stop&Go
Sammelbegriff für verschiedene Formen der Staufahrtunterstützung Low Speed Following, Full Speed Range Adaptive Cruise Control.
679
H
Glossar Begriff
Synonyme
TFT-Display
680
Erklärung Thin Film Transistor-Display (spezielle Technologie für Flüssigkristall-Displays; die Technologie erlaubt hohe Bildwiederholraten im Gegensatz zur STN- oder DSTNTechnologie)
Time-of-Flight
ToF
Laufzeit (zwischen Aussendezeitpunkt und Empfang); wird bei Umfeldsensoren zur Abstandsbestimmung verwendet.
Time-of-Flight Camera
Photonic Mixing Device
Mischung von digitaler (Video-)Kamera und Lidar: Reflektiertes Licht von einem modulierten Sendestrahl (aktive Beleuchtung) wird mit speziellen Fotodioden nicht nur empfangen, sondern auch schon gleich gemischt, wodurch eine direkte Laufzeitbestimmung (Time-of-Flight) und somit Abstandsmessung möglich ist.
Totwinkelerkennung (TWE)
Blind Spot Detection, Tote-Winkel-Detektion (TWD)
Einfachste Form der Fahrstreifenwechselentscheidungsunterstützung. Detektiert Fahrzeuge im Totwinkelbereich neben dem Egofahrzeug.
Triangulation
Verfahren zur Bestimmung der Lage eines Objekts unter Verwendung entweder zweier Abstände (Schnittpunkt von zwei Kreisen) oder zweier Winkel (Schnittpunkt der Winkelgeraden)
TTC
Time-to-Collision: Zeit bis zum Aufprall; bei unbeschleunigter Bewegung = Abstand/Relativgeschwindigkeit
TLC
TTLC
Time-to-Lane-Crossing: Zeitdauer bis zum Überfahren der Fahrstreifenmarkierung = seitlicher Abstand / Quergeschwindigkeit relativ zur Fahrstreifenmarkierung
TWE
Blind Spot Detection, BLIS
Totwinkelerkennung
Überlagerungslenkung Active Front Steering, Aktivlenkung
Überlagert zum vom Fahrer eingestellten Lenkwinkel einen elektronisch steuerbaren Lenkwinkel. Auf diese Weise kann eine variable Lenkübersetzung erreicht und eine fahrdynamische Korrektur eingestellt werden.
Ultraschall
Schallwellen oberhalb des vom Menschen hörbaren Spektrums (also > 20 kHz)
UMTS
Universal Mobile Telecommunication System (Mobilfunkstandard der 3. Generation; erlaubt Bruttodatenrate bis 2 Mbit/s)
USB
Universal Serial Bus (serieller Datenbus mit Bruttodatenraten von bis zu 480 Mbit/s; im Fahrzeug werden heute üblicherweise Bruttodatenraten bis 12 Mbit/s umgesetzt)
Vehicle Dynamic Control (VDC)
ESP
WiFi
Wireless Fidelity; wird quasi als Markenname für WLANProdukte verwendet; die eingesetzte Technologie ist identisch wie bei WLAN.
WLAN
Wireless Local Area Network; drahtloser Verbindungsstandard mit standardisierten Bruttodatenraten bis 54 Mbit/s; wird zur drahtlosen Vernetzung von PCs eingesetzt.
X-by-Wire
Fremdkraftsysteme mit energetischer Entkopplung der Betätigung (Bedienung) und der Ausführung. Beispiele: EHB, EMB, SbW, E-Gas
Glossar Begriff
Synonyme
Erklärung
Zielführung
Route guidance
Kursvorgabe für das Erreichen des Ziels gemäß der durch die Routensuche bestimmten Weges bei der durch die Ortung ermittelten Position.
H
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Sachwortverzeichnis 1-Prozessorkonzept 304 24 Ghz-Radarsensor 568 2D-Mischer 191 30-Meter-Auto 627 3D-Bildverarbeitung 194 3D-Kamera 191 3D-Sensorik 187 3D-ToF-Kamera 197 3D-Wahrnehmung 187 A Abberation, chromatische 203 Abbiegemanöver 442 Abblendlicht 454 f., 457, 460 ff. Abdeckungsrate 348 Ablage 545 ABS (Anti-Blockiersystem) 250, 271, 275, 285, 356, 360 ff., 410, 424 ABS, Off-Road 430 ABS-Ventil 428 Abstand 491 Abstandsmessung 126, 145 Abstandsregelung 590 Abstandssensor 176 Abstimmungsraum, probabilistischer 229 Abstrahlenergie 181 ACC (Adaptive Cruise Control) 35, 43, 90, 478 ff., 588 ACC mit Stop&Go 480 ACC Plus 480 ACC-Information 323 ACC-System 323, 550 Achse, optische 200 Active Front Steering (AFS) 91, 398 Active Rear Axle Kinematics (ARK) 398 AdaBoost-Maschine 224 Adaptationsleuchtdichte 453 Adaption 468 adaptive Geschwindigkeitsregelung (ACC) 276 ADASIS 612 A-Double-Kombination 436 Advanced Driver Assistance Systems (ADAS) 38 Advanced Lane Departure Warning-System (ALDW) 549, 551 AFIL 547 AFS-Funktion 461 AFS-Lichtverteilung 462 AFS-Scheinwerfer 457 Akkommodation 468 Akquisitionsgeschwindigkeit 238
682
AKTIV 597 Aktivlenkung 91, 299 Aktor 558 Aktorregelung 303 Akzeptanz 55, 517, 637, 641 ALI 599 Allradlenkung 443 Alter 8 Ampelassistenz 574 Anfahrhilfsfunktionen 271 Anforderungen, gesetzliche 95 –, klimatische und dynamische 97 Anhalteregelung 510 Anhängerbetrieb 423 Anhängersystem 430 Annäherungsstrategien 509 AnnieWAY 658 Anordnung, räumliche 319 Anpassbarkeit 319 Ansatz, merkmalspunkt- und körperteilbasierter 224 –, modellbasierter 218 –, systemorientierter 224 Antikollisionssysteme 73 Antizipationszeit 18 Antriebs-Schlupfregelung (ASR) 356, 360 ff., 415, 426 Anzeigen 316 –, Auswahl von 323 Application Specific Integrated Circuits (ASIC) 234 Applikationsprozess 442 Arbeitsmodell 314 Arbitrierung 654 Architektur 86, 239, 634 –, dezentrale 243 –, hybride 244 –, zentrale 244 Architekturmuster 237, 243 Assoziation 180 Astigmatismus 203 Audi Side Assist 568 Auditory Icon 352 Aufbau 622 Aufgabenangemessenheit 318 Auflösung 223 –, absolut 106 Aufmerksamkeit 5 Aufmerksamkeitskontrolle 550 Aufmerksamkeitsressource 344
Sachwortverzeichnis
Aufmerksamkeitssteuerung 234 –, stereobasierte 232 Augenbewegung, 468 Augmented Reality (AR) 76, 80 Augmented-Reality-Darstellung 469 Ausführen, korrektes 307 Ausführung, lenkwellenfeste 307 Auslassventil (stromlos geschlossen, SG-Ventil) 257 Ausparken 477 Auswahlmatrix 94 Ausweichbahn 635 Ausweichmanöver 560, 636, 644 Ausweichverhalten 523 Autobahnlicht, 457 Automatic Stability Control (ASC) 415 Automation, kooperative 647 Automatisierung 84 Automobil-Elektronik (AE) 620 Avalanchedioden 175 Azimutwinkel 508 Azimutwinkelbestimmung 146, 149 B Bahnführung 33, 439 Bahnführungsassistenz 582 ff. Baseline 352 Basis 208 Baustelle 559 Bayes-Filter 212 B-Double-Kombination 436 Bedien- und Anzeigekonzept 86 Bedienaufgabe 325 Bedienelement 315, 325 ff. –, Auswahl 322 Bediengenauigkeit 326 Bediengeschwindigkeit 326 Bedienhäufigkeit 327 Bedienkomfort 327 Bedienkonzept 664 Bedien-Paradigma 664 Bedienteilart 326 Bedienungsanleitung 570 Bedienweg 328 Bedienwichtigkeit 327 Bedienwiderstand 328 Behälterwarneinrichtung 254 Beherrschbarkeit 30 Beherrschung 31 beladen/leer-Verhältnis 423 Belagverschleiß 254 Belegungsgitter 661 Beleuchtungsstärke 453 f. Berstschutz 107 Berufskraftfahrer 582
Beschleunigungsprüfung 105 Beschleunigungssensor 98 Beschleunigungssignal 106 Beschleunigungsüberschlag 417 Betriebs- und Feststellbremse 256 Betriebsbremsen 585 Betriebsdauer 100 Beurteilungsleistungen 12 Beurteilungszeitraum 351 –, Bewertungskriterien 351 Bewegungsstereotypen 328 Bewegungstrajektorie 207 Bewertungsverfahren 69, 74 Beyond NCAP 28 Biegeschwingung 113 Bildverarbeitung 469, 545, 559 Bildvorverarbeitung 202 Bildsensor 198 Binomialfilter 204 Bitumenfuge 546 Blattfederung 422 Blendbeleuchtungsstärke 453 Blend-by-Wire 312 Blendlichtquelle 452 f. Blendung 452, 454, 463 –, psychologische 456 Blickabwendungszeit 468 Blickwinkelinvarianz 224 Blind Spot Information System (BLIS) 566 Blinkerhebel 565 Block-Matching 207 Bootstrapping 228 Bordnetz 85 Bot Dots 548 Brake Blending 268 Brake-by-Wire 271, 629 Breitbandrauschprüfung 101 Bremsassistent 59, 524 Bremseingriff 635 –, radselektiver 445 –, schwacher 536 –, starker 537 Bremsendiagnose 430 Bremskraft-Modulator 250 Bremskraftverstärker, aktiver 252 Bremskraftverteilung 409 Bremslenkmoment 408 Bremsmanöver 636 Bremsnickausgleich 409 Bremsomat 588 Bremsruck 352 Bremssystem, elektromechanisches (EMB) 271 Bremsverhalten 639 Brenngrenze 417 Bündelung (Clustering) 149
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Sachwortverzeichnis
Bus 91 Bustechnologie 86 byteflight 91 C CAN 91 CAN, High-Speed- 284 CAN-Bus 277 CAN-Schnittstelle 102 CAN-Signal 483 Canny-Kantendetektor 205 Car-to-Car-Kommunikation 617 Car-to-Infrastructure-Kommunikation 617 CCD-Kamera 465 CCD-Matrix 191 CCD-Sensor 199 Chamfermatching 230, 233 Chassisregler 631 Chirp Sequence Modulation 139 Circularspline 304 CMOS-Kamera 465 CMOS-Sensor 192 CMOS-Technologie 199 Code of Practice 330 Codierungsaufwand 329 Collision Warning 536 Combined Brake Sytems (CBS) 410 Combiner 469 COMUNICAR 37 Conduct-by-Wire (CbW) 647, 651 Consumer-Elektronik (CE) 620 Cornermodul 629 Curietemperatur 110 Customer Relationship Management 619 CW-Laufzeitmessung 197 CW-Modulation (Continuous Wave) 189 D Dampfblasenbildung 254 DARPA Urban Challenge 2007 657 Data fusion 237 Daten, gefilterte 246 –, Original- 246 –, prädizierte 246 Datenassoziation 240 Datenfilterung 242 Datenfusion 237 Datenhierarchie 605 Datenträger 607 Dauerbremsen 423, 585 Dauerstrich-Frequenzmodulation 137 Demokratisierung 565 Demonstrationsmode 36 Depolarisation 113 Deskriptor 229
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Detektion 149, 238, 469 –, umrissbasierte 232 Detektionsfenster 226 Detektionsmode 545 Dienste-Server 613 Differenzialsperre, elektronische 426 Differenzialsperrenmanagement 430 Digitale Motor Elektronik (DME) 91 Digitalinstrumente 331 Disc Thickness Variation (DTV) 276 Display 332 –, aktives 338 –, passives 340 Distance to Line Crossing (DLC) 548 Distanzmessung 175 Distronic Plus 480 diversitär 304 Dolly 436 Doppler-Effekt 127, 178 DRBFM-Methode (Design Review Based on Failure Mode) 95 Drehbewegung 98 Drehmagnetquotientenmesswerk 337 Drehmoment 104 Drehmomentsensor 294 Drehrate 106 Drehschemelanhänger 423 Drehzahlfühler 99 –, induktiver 428 Drehzahlfühlerkopf 99 Drei-Ebenen-Hierarchie der Fahraufgabe 16 Drei-Ebenen-Modell 15 Drei-Ebenen-Sicherheitskonzept 307 Driftüberwachung 107 Driver Steering Recommendation (DSR) 401 Druckbereich, nominal 109 Drucksensierung 106 Drucksensor 108 Drucksteuerventile 428 Dualsensor 122 Dunkelstromrauschen 202 Dunkelstunden 449 DuoServo-Bremse 281 DuoServo-Feststellbremse 280 ff. Dynamische Stabilitäts Control (DSC) 91 Dynamisierung 608 E E/E-Architektur 88 E/E-Systemarchitektur 88 Ebene, fertigkeitsbasierte 7 –, wissensbasierte 7 EBS 285 eCall 616 ECB II 267
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ECE-Messschirm 457 ECE-Regelung 29, 457, 459, 475 Effekt, piezoelektrischer 110 EG-Kontrollgeräte 582 EG-Typgenehmigung 29 Einbauanforderungen 95 Einbiege-/Kreuzenassistenz 575 Einbiegen/Kreuzen 25 Eingabemodalität 316 Eingewöhnungszeit 446 Einknicken 431 Einlassventil (stromlos offen, SO-Ventil) 257 Einparkassistenz 471 ff. Einparkassistenzsystem 110 Einparken, semiautomatisches 471, 475 –, vollautomatisches 471 Einscherer 590 Einspurfahrzeuge 404 Einspurmodell 357, 359, 374 ff., 380, 382, 431 Einzelbildmerkmal 205 Einzelradbremsung 597 Einzelradlenkung 312 Electronic Brake-force Distribution (EBD) 430 Electronic Stability Control (ESC) 275, 285, 395 f. Electronic Toll Collection (ETC) 618 Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) 88, 151 Elektronische Bremskraftverteilung (EBD) 430 Elektronisches Steuergerät (ECU) 89, 427 ELO-Skala 670 Emergency Call 616 Empfangszweig 175 Empfindlichkeit 102 Empfindlichkeitsfehler 106 Encoder 99 Entfernungsmessung 119 Entkopplung des Fahrers 260 Entscheidungs- und Denkprozesse 12 Entwicklungsprozess 44, 46, 622 Entwicklungswerkzeug 44 f. EPB-Taster 275 Epipol 209 Epipolarbedingung 209, 211 Erfahrungshorizont 21 Erfassungsbereich 564 Ergonomiestudie 637, 639 Erkennbarkeitsentfernung 453 Erkennen 452 Erlernbarkeit 319 Erwartungskonformität 318 Erweiterbarkeit 239 eSafety-Initiative 26, 666 ESP 356, 359 ff., 588 ESP-Teilsollwinkel 306 ESP-Vorladung 252
Eurokombi 436 European New Car Assessment Programme (Euro NCAP) 28 EVA 599 event-triggered 277 EVITA 69, 352 F Fahraufgabe (FA) 325 Fahrbahnmarkierung 545, 556 Fahrdynamik 528 Fahrdynamikregelung 395 f., 417, 430 Fahrdynamiksensor 434 Fahrdynamiksystem 401 –, Vernetzung 402 Fahrempfehlung 606 Fahren, autonomes 551, 657 ff. Fahrerabsichtserkennung 550 Fahreraktivität 551 Fahrerassistenzsystem 43, 545 –, Entwicklung 76 –, Test- und Simulationsumgebung 76 Fahrerassistenzsysteme mit maschineller Wahrnehmung 43 Fahrerfahrung 10 Fahrerlenkempfehlung 401 Fahrerlenkwunsch 309 Fahrer-Reaktionszeit 14 Fahrertotzeit 18 Fahrertyp 10 Fahrerübernahmeaufforderung 590 Fahrerverhalten/-zustand 183 Fahrerwarnelement 343 ff. Fahrgeschwindigkeit 457 Fahrroboter 667, 669, 671 Fahrschlauch 473, 498 Fahrsicherheit, aktive 443 Fahrsimulator 40 Fahrsituation, kritische 420 Fahrstabilität 404, 445 Fahrstil 10 Fahrstreifen, Warnung vor Verlassen 347 Fahrstreifenbreite 545 Fahrstreifenerkennung 214, 661 Fahrstreifenerkennungssystem 543 ff. Fahrstreifenkrümmung 545 Fahrstreifenmarkierung 554 Fahrstreifenverlauf 545 Fahrstreifenwechsel 555 Fahrstreifenwechselassistenz 347, 562 ff. Fahrstreifenzuordnung 179 Fahrtenschreiber 582 Fahrverhaltenskollektiv 21 Fahrversuche 642 Fahrzeug, autonomes 671
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Fahrzeugbedienung 12 Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation 665 fahrzeugfest 301 Fahrzeugfreiheitsgrad 431 Fahrzeugführung, Teilaufgaben 11 Fahrzeugführungsaufgabe, Anforderungen 11 Fahrzeugreferenzgeschwindigkeit 425 Fahrzeugsicherheit 28 Fahrzeugstabilisierung 299 Fail-Operational-Modus 310 Fail-Silent-Modus 310 Falschalarm-Rate 59 Farbimager 548 Farbtemperatur 455 Fehlauslösung 49 Fehlerrobustheit 319 Fehlverhalten 24 Ferninfrarotsystem 467 Fernlicht 454, 457, 463 –, blendungsfreies 463 Ferroelektrizität 110 Feststellbremse, elektrische 278 Field of View (FoV) 121 Field Programmable Gate Arrays (FPGA) 233 FIR-Bild 469 Fixed Pattern-Rauschen 202 Flattern 406 FlexRay 91, 277, 284 –, zeitgetriggerter 277 Flexspline 304 Flüssigkristallanzeige (Liquid Crystal Display, LCD) 340 Fluss, optischer 207 FMSK 134 Folgeregelung 475, 502 Follow-to-Stop 480 Force-Feedback-Pedal 523 Formcodierung 329 Fremdkraftbremsanlage 629 Fremdkraftbremsen 422 Fremdkraftbremssystem 265 Frequency Modulated Continuous Wave (FMCW) 137 Frequency-Shift-Keying (FSK) 132 Frequenzmodulation 131 Frequenzspektrum 181 Frequenzumtastung 132 Frontalkollision, Warnung 346 Frontalkollisionsgegenmaßnahmen 72, 350, 535 Frontalkollisionsschutzsystem 522 ff. Frontalunfallschutz 523 Frontscheibendisplay 469 Frontscheinwerfer 455, 459 Führung 16 Funktionsdefinition 47
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Funktionsintegration 84 Fusion 237 –, parallele 246 –, sequenzielle 246 – auf Entscheidungsebene 245 – auf Merkmalsebene 245 – auf Rohdatenebene 244 Fusionsarchitektur 245 Fußgänger 451 Fuzzy-Folgeregler 506 G Gedächtnis 7 Gefahrensituation, Fahrerverhaltens 351 Generator-Bremse 268 Generatorbremsmoment 269 Georeferenzierung 610 Gesamtsystem 320 Geschlecht 8 Geschwindigkeitsermittlung 178, 183 Geschwindigkeitsmessung 126 Geschwindigkeitsregelung, adaptive 279 Gestaltungsleitsätze 317 Gestaltungsprinzipien 319 Gestaltungsprozess, benutzerorientierter 321 Getriebesteuerung 514 Gewöhnungseffekt 446 GIDAS 33 GIDAS-Daten 60 Giereigenfrequenz 444 Gierinstabilität 420 Giermomentkompensation 399 Giermomentregler 399 Gierratenregler 431 Gierwinkel 545 Gleichteilekonzept 96 Gleitgeschwindigkeit 398 Gliederzug 436, 585 Global Chassis Control (GCC) 267, 271, 401, 627 GMR-Effekt (Giant Magneto Resistive) 101 GPS 602 Graphikbildschirm 333 Greifraum 327 Grenzspaltgeschwindigkeit 428 Grob-nach-Fein-Verfahren 234 H Haar-ähnliches Merkmal 226 Haar-Merkmal 225 Halogenglühlampe 455 f., 460, 462 Halogenscheinwerfer 456 Haltestellenbremse (Door-Brake) 430 Handlungsfehler 25 Hardware-Architektur 658 Harris-Eckendetektor 206
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Häufigkeit, kumulierte 352 Hauptachsen 98 Hauptbremszylinder 98 Heading Control (HC) 44 Head-up-Display (HUD) 334, 468 Hell-Dunkel-Kante 457, 461, 463 Hierarchisierung 84 Hilfskraftbremsanlagen 626 Hilfskraftlenkung 438 –, elektrohydraulische (EHPS) 289 –, elektromechanische (EPS) 290 –, hydraulische (HPS) 287 Hinderniss 451 Histogramm über Gradientenorientierung (HOG) 226 H-Mode 647, 653 Hochdruckversorgung 262 Hochleistungsbordnetz 311 Hodometrie 475 Hohlwelle 304 Horizontalkräfte 398 Human Error 24 H-V-Punkt 457 Hybrid-Antrieb 268 Hybrid-Bremssystem 278 hygroskopisch 254 Hypothesenauswahl 241 Hypothesenevaluierung 241 Hypothesengenerierung 216, 241 Hypothesenverifikation 216, 218 Hysterese 103, 112 I Icon, auditives 523 Implicit Shape Model (ISM) 229 Impulsrad 99 Inferenz 219 Information, auditive 6 –, haptische 6, 311 –, visuelle 5 Informationsabgabe 8 Informationsaufnahme 5, 468 Informationsfluss 660 Informationsgehalt 348 Informationsquellen 12 Informationsrate 345 Informationsstrategie 563 Informationsverarbeitung 6 –, menschliche 343 Informationsverarbeitungsprozess, menschlicher 4 Infrarotbereich 188 Infrarotsensor 547 Infrarotstrahlung 454 Infrastrukturmaßnahme 574 Initialisierungsphase 307
Innovation 180 Innovationsschritt 213 f. Instrumententafel 331 Integralbremsanlagen 412 Intelligenz 9 Interaktion 314 Interferometrie 189 International Standardisation Organisation (ISO) 40 Interpretation 84 IR-Beleuchtung 187 Isolationswiderstandsmessung 101 ISO-Norm 17387 563 ISO-Norm 26262 670 J JAMA 40 Joy of Use 320 K Kabelbaum 88 Kalibriermatrix, extrinsische 201 –, intrinsische 201 Kalmann-Filter 179 f., 214, 545 Kamera 545, 556, 566 –, kalibrierte 200 Kameraeinheit 557 Kammscher Reibungskreis 398 Kanal, auditiver 330 –, haptischer 335, 330 –, kinästhetischer 330 –, visueller 330 Karosserie- oder Achseneigenschaften 96 Karte, lernende 612 Kartendarstellung 607 Kartendaten 611 Kinetose 57 Kippstabilisierung 433, 435 Klassifikation 242 Klassifizierung 238, 469 Klassifizierungsansatz 315 KLT-Tracker 207 Kognition 669 Kollisionsminderung 69 Kollisionsvermeidung 69 Kollisionswarnung, Zeitpunkt 350 Koma 203 Kombibremssattel 280 f. Kombiinstrument 331 Kombinationsbedienelement 327 Kommunikationsbereich 331 Kommunikationslösung 580 Kompatibilität 319, 325 Kompensation der Entlastung 37 Kompensationsregelung 475
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Komplementarität 238 Komplexität 44, 50, 84 Komponentenanforderung 424 Konsistenz 319 Kontinuitätsgleichung des optischen Flusses 207 Kontrast 337, 452, 454 f. KONVOI 597 Koppelfaktor 112 Koppel-Ortung 602 Korrelationskoeffizient 207 Korrespondenzmerkmal 206 Korridor 608 Kosten 238 Kosten/Nutzen-Relation 629 Kraftfahrzeuginstrumentierung 331 Kraftschlussgrenze 22 Kraftstoffverbrauch 664 f. Kreiselwirkung 405 Kreuzungsassistenz 572 ff. kritischer Pfad 307 Krümmung 497 Kugelumlauflenkung 422, 438 Kundenakzeptanz 563 Kursprädiktion 498 Kursregelung 444 Kurvenbremsung 417 Kurvenlicht 457, 459 Kurvenradius 564 Kurvenregelung 506 Kurzschlusserkennung 108 L Lageregelung 306 Lagertemperatur 100 Lambert-Reflektor 177 Landstraßenlicht 457 Lane Change Decision Aid System 563 Lane Departure Prevention (LDP) 551, 548 Lane Departure Warning (LDW) 43, 548 ff., 592 Lane Keeping Support (LKS) 44, 548, 550, 554 Längsdynamikmanagement (LDM) 483 Längsregelung 510 Laserdioden 194 Laserprojektion 342 Laserschutz 181 Laufzeitmessung 173, 189 LED (Leuchtdiode) 194, 339, 455 ff., 460 LED, organische (OLED) 340 LED-Abblendlicht 461 LED-Scheinwerfer 456 Leistungsfähigkeit 318 –, menschliche 12 Leiterrahmenkonstruktion 422 Lenk- und Ruhezeiten 582
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Lenkassistenzfunktion 300 Lenkbefehle 309 Lenkbremse 430 Lenkeingriff 299, 543, 635 –, aktiver 445 –, automatischer 639 Lenkempfindlichkeit 444 Lenkerschlagen 406 Lenkgefühl 301 Lenkgesamtübersetzung 438 Lenkmoment 555, 571 Lenkmomentunterstützung 438 Lenkrad-Arm-System 442 Lenkradhaltung 442 Lenkradmotor 310 Lenkradwinkel 98 Lenkrollradius, negativer 256 Lenksäule 304 Lenkstrategie 446 Lenksystem 558 –, aktives 395 f. –, elektrisches 440 –, hydraulisches 440 Lenkübersetzung, variable 300 Lenkübertragungsverhalten 444 Lenkung 475 Lenkungsabstimmung 444 Lenkungsparameter 312 Lenkventil 439 Lenkwiderstand 312 Lenkwinkelbedarf 442 Lenkwinkelgeschwindigkeit 102 Lenkwinkelunterstützung 441 Leuchtdichte 452 f., 455 Leuchtweitenregelung, variable 463 Lichtausbeute 455 Lichtsignalanlage 574 Lichtstärke 454 Lichtstrom 455 Lichtverteilung 451, 455 ff., 459 f., 462 –, adaptive 455 LIDAR (Light Detection and Ranging) 172, 462 Lidarsensorik 172 Liefervereinbarung 97 LIN 91 LIN-Bus 88 Linear Frequency Modulation Shift Keying 134 Linksabbiegeassistenz 576 Linsenverzerrung 202 Lochkamera 200 Long-Range-Radar (LRR) 129 Looked-but-Failed-to-See 24 Luftfedersystem, elektronisches (EAS) 628 Luftfederung 422
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M Manöverbreite 635 Map-Matching 601 f. Mapping 661 Markierungslicht 463 Markt, europäischer 346 Marktakzeptanz 94 Marktdurchdringung 666 Markteinführung 668 Matching 149 Materialdatenblätter 97 Mautsystem 618 Maximum Deskription Length (MDL) 230 Medientrennung 262 Mehrdeutigkeitsauflösung 604 Mehrlenkerachse 312 Mehrstrahlprinzip 185 Mehrzielfähigkeit 146, 173, 496 Mensch-Maschine-Schnittstelle (HMI) 314 ff., 465, 476, 558, 563 Merkmaldiagramm 353 Merkmalsextraktion 205, 239 Messwerk 337 Metallfaltenbalgspeicher 262 Methoden, informationsbasierte 217 Migration 239 Mikrocontroller 89 Mikroprozessor 89 Mikrowellensensor 188 Missions- und Manöverplanung 661 Mitigation Braking 537 Mittelkonsole 331 Mobilfunk 614 Mobilitätssteigerung 664 Mode Awareness Modell, inneres 36 Modularisierung 84 Modularität 239 Modulationslaufzeitmessung 189, 191 Momentanpol 442 f. Momentensteller 551 Momentenüberlagerung 395 MOST 91 Motion-Stereo 210 Motormoment 416 Motor-Pumpen-Speicher-Aggregat (MPSA) 259 Motorrad-Bremsanlage 410 Motor-Schleppmomentenregelung (MSR) 427 Motorsteuerung 514 Multibeam 182 Multiplexverfahren 185 Munkres-Algorithmus 241 μ-split 426, 445
N Nachheizphase 97 Nächster-Nachbar-Verfahren 241 Nachtsichtbild 469 Nachtsichtsystem 335, 462, 465, 468, 470 Nachtunfälle 448 Nadelkisseneffekt 203 Nagelbandrattern 549 Nahbereichs-Radarsensor 566 Nahinfrarotsystem 465 Navigation 16, 33, 599 ff. –, Hybrid- 609 –, Offboard- 609 –, Onboard- 609 Navigation im Fahrzeug 600 NCAP 28 Nebentätigkeit 33 Nichtlinearität 103 Niederdruckspeicher 257 Niedriggeschwindigkeitsbereich 323 NIR-Bild 469 Niveauregulierung 628 Normalfahrbereich 446 Normen 345 Notausweichen 644 Notausweichmanöver 632 Notbremse, automatische 47, 47 Notbremsmanöver 632, 645 Notbremssystem 595 Notbremsung, automatische 639 Notmanöver 524 Notsituation 343 Nullabgleich 104 Nullpunkt Wiederholgenauigkeit 104 Nutzfahrzeuge 582 O Oberflächenmikromechanik 104 Objekt 452 Objektdetektion 216 Objekt-Diskriminierung 237 Objektivität 55 Objektumfeld 452 Odometrie 475, 571 Ölsäule, hydrostatische 310 Ontologie 219 Operatoren, geometrische 204 –, globale 204 –, lokale 204 –, Punkt- 204 Ortung 601 Ortungsalgorithmus 601 OSEK-Betriebssystem 92
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P Parallelisierung 233 f. Parkbremse 278 –, elektrische (EPB) 275, 280 ff. Parklückenvermessung 122 Partikelfilter 213 Pedalbock 251 Pedalcharakteristiksimulator 260 Pedalgefühl 260 Pedalgefühlsimulator 271, 273 Pedalintrusion 266 Pedalkennlinie 261 Pendeleigenform 406 Personenschaden 448 Persönlichkeitsmerkmal 8 Perzentil 21 Perzeption 669 Phasenwechsel 574 Photodetektor 465 Photomischdetektor (Photonic Mixer Device) 187 Photonenrauschen 202 physiologische und kognitive Defizite älterer Fahrer 34 Piezokeramik 112 pin-Diode 175 Pkw-Bremssystem 250 Plancksche Strahlung 467 Planetengetriebe 302 PMD 187, 195 f. PMD-Empfangseinheit 194 PMD-Kamera 197 PMD-Sensorsystem 192 PND 602 POI 607 Portfolio-Diagramm 349 Posenschätzung 224 Power on Demand 626 Prädiktion 180 Prädiktionsschritt 213 f. Precision 228 Produktentwicklungsprozess 345 Projektion 199 Projektionsgleichung 200 Projektionsmatrix 201 PRORETA 70, 632 ff. PROTECTOR 225 Pseudo-Rausch-Modulation 189 Pulsantwort 172 Pulsationsdämpfer 257 Pulslänge 129, 175 Pulsmodulation 129, 189 Push-Dienste 615 Q Quantisierungsrauschen 202
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Querablage 556 Querbeschleunigungen 559 Querempfindlichkeit 106 Querführung 571 Querführungsregelung 645 Querführungssystem 596 Querregelung 558 R Radaktor 310 RADAR 462 Radarsensor 472 Radarsensorik 123 Radbewegung 98 Raddrehzahlsensor 428 Radschlupfregelung 424 Radstandsverkürzung, virtuelle 443 RDS-TMC 599 Reaktion 638 Reaktionszeit 64, 351, 579 Recall 228 Rechnerkoordinaten 200 Redundanz 238 Referenzgierrate 431 Reflexionseigenschaft 177 Regelung 663 –, kompensatorische (closed loop control) 17 Regelventil, analogisiertes 263 Reibwertsprung 420 Reiz 344 Rektifikation 209 rekuperativ 268 Relativbeschleunigung 179 Relativgeschwindigkeit 145, 492, 564 Relativgeschwindigkeitsermittlung 176 Reliabilität 56 repräsentativ 56 RESPONSE 38 Restbremsmomente 276 Restgröße 18 Restlichtverstärker 465 Retarder 423, 585 Richtcharakteristik 117 Richtlinien 345 Risikoanalyse 48 Risikohomöostas (Risk Homeostasis Theory) 26 Risikokompensation 26 Risikowahrnehmung 7 Road-Train 436 Rollwinkel 404 Rotlichtmissachtung 574 Routensuche 605 Ruckverhinderer 279 Rückfahrkamera 471, 473 Rückfallebene 260
Sachwortverzeichnis
–, hydraulische 266 Rückrollverhinderung 271 S SAD-Abstandsmaß 207 SAE 40 Safe Truck 591, 595, 597 SANTOS 37 Satellitenortung 602 Sattelauflieger 423 SBI-Verfahren 193 Scannen 185 Scheinwerfer 453 Schlechtwetterlicht 457, 459 Schlupf 356 ff., 362, 366, 378, 386 Schlupfregelung 390 Schlupfregler 371 Schlupfzielwert 372 Schneckengetriebe, selbsthemmendes 301 Schnittfrequenzmodell 19 Schnittstelle, elektrische 95 Schräglage 404 Schrittmotor 337 Schwerpunkthöhe 585 Schwimmgeschwindigkeit 418 Sehen 452 –, mesopisches 452 Sehschärfe 452 Seitenwindanregung 445 Selbsterklärungsfähigkeit 318 Sendezweig 175 Sensor 603 –, synchronisierter 245 –, unsynchronisierter 246 Sensor&Control Unit (SCU) 482 Sensorcluster 104 Sensordatenfusion 86, 91, 237, 634, 642 Sensoreinbauort 96 Sensorfusion 84, 92 Sensorik 580 Sensormodell 81 Sensortechniken 237 Sensortechnologie 86 Sensotronic Brake Control (SBC) 267 Serial Peripheral Interface (SPI) 104 Shape Context 226 Shapelets 226 Short-Range-Radar (SRR) 129 Sicherheitsfunktion 303 Sicherheitskonzept 516 Sicherheitsnachweis 669 Sicherheitsnorm 96 Sichtbarkeitsweite 451, 454 ff., 459 ff., 463 Sichtbedingung 449 Sichtfeld, peripheres 469
Sichtraum 327 Sichtverbesserung 455, 470 Sichtweitenmessung 182 Side Assist (VW) 568 Side-View-Assist (SVA) 122 SIFT 208 Signal-zu-Rausch-Verhältnis (SNR) 196 Signalformung 148 Signalfrequenz 101 Signalplausibilisierung 307 Signalverarbeitung 148, 239 Simulation 95 Simulator 36 Singlebeam 182 Single-Line-Tracker 546 Sinnes- und Wahrnehmungsprozess 12 Sinneskanal 5, 344 –, visueller 328 Sinnesorgan 344 Situation Awareness 647 Situationsanalyse 243, 465 Situationsbewertung 578 Sitzvibration 352 Sliding-Window 224 Sobeloperator 205 Soft-Stop 279 Software-Architektur 659 Softwarestruktur, modulare 264 Speicherladestrategie 265 Speichermedium 608 Spektralanalyse 148 Sperre, elektromagnetische 302 Spiralkabel 308 Spracherkennung/-steuerung 329 Spurhalteassistenz 543, 545, 554 Spurrillen 546 Spurstabilisierung 431 Spurverlassenswarner 592 Spurwechsel 550 Spurwechselassistenz 545, 597 Stabilisierung 16 Stabilitätsregelung, elektronische 395 f. Stadtlicht 457 Standardisierung 84 State of Charge (SoC) 276 State of Function (SoF) 276 State of Health (SoH) 276 Stecker, magnetischer 257 Steer-by-Wire 309, 395, 441 Stellglied 558 Stereokamera 208, 469 Stereoskopie 208 Steuerbarkeit 318 Steuergerät (ECU) 302 Steuergerät 86, 88 f.
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Sachwortverzeichnis
Steuerung, antizipatorische (open loop control) 17 Stichprobe, abhängige 56 –, unabhängige 56 Stillstandsmanagement 279 f., 285 STOP-Schild-Assistenz 573 Störanregung 445 Strahlungskeule 188 Strahlungsleistung 175 Strahlungswärme 97 Straßenbeleuchtung 451 Straßenverkehr 454 Straßenverkehrsordnung 29 Streulicht 452 Streuung, interindividuelle 57 –, intraindividuelle 57 Strukturtensor 206 Support-Vektor-Maschine (SVM) 224 SURF 208 Sweepen 185 Symbolsystematik 329 System, visuelles 452 Systemanforderung 95 Systemarchitektur 51, 84 ff., 88, 92 Systemfunktionalität, Degradierung 307 Systemmodell Fahrer-Fahrzeug-Umgebung 4 Systemstruktur, redundante 310 Systemvernetzung 90 Systemzustand 558 Systemzustandsdiagramm 564 T Tag/Nacht-Erkennung 182 Tandem-Bremskraftverstärker 251 Tandem-Hauptzylinder (THz) 253 TC22/SC13/WG8 40 Teileingriff 579 Teilintegralbremsanlage 412 Telematik 599 ff., 612 Telematikanwendung 615 Telematikdienste 616 Temperaturausstrahlung 467 Test 52 Testen 51 Testmethode 44 Time of Flight (ToF) 187 – Messung 172 – Verfahren 194 Time to Collision (TTC) 62, 72 ff., 528 Time to Line Crossing (TLC) 548 Time to Stop 528 Time-Threshold-Evasion 528 time-triggered 277 TMC-Format 608 TOF-Kamera 192 Tonneneffekt 203
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Topologie 86 Totalreflexion 178 Toter Winkel 586 Toter Winkel Detektor (Peugeot) 566 Totwinkel-Assistent (Mercedes-Benz) 566 Touchscreen 328 Tracking 148, 150, 179, 194 f., 237 Trackingmode 545 Track-Schätzung 237 Trajektorienplanung 474 Transmissioneigenschaft 177 Transmissionsgrad 177 Transportleistung 586 Trenn- und Balanceventil 263 Trennkolben 262 Trennkupplung 311 Trennventil 259 Triangulation 189 Trojanisches Pferd 52 TTP 91 Typzulassungsbestimmung 27 U Überforderung 320 Überholmanöver 550 Überholunterstützung 509 Überlagerungsgetriebe 302 Überlagerungslenkung 96, 299, 441, 551 Überlagerungsmoment 401 Überschlag 414 Übersteuerbarkeit 31 Übersteuern 431 Übersteuerung 31 Übertragungsprotokoll 91 Übertragungsverhalten, querdynamisches 444 Ultraschall 188 Ultraschallsensor 110, 115, 472 Ultraschallwandler 113 Umfelderfassung 187 Umfelderkennung 634 Umgebungserfassung 548 Umgebungstemperatur 101 Umkippen 431 Umlenkpunkt 474 Umweltanforderungen 95 Umweltbilanz 664 UN-ECE-Regelungen 27 Unfall 24 Unfallanalyse 25 Unfallart 449 Unfallbeteiligte 449 Unfalldatenanalyse 24 Unfallforschung 451, 562 Unfallgeschehen 572 Unfallrisiko 452, 669
Sachwortverzeichnis
Unfallstatistik 562 Unfalltyp 449 Unfallvermeidung 641 Unfallvermeidungspotenzial 25 Unterbrechbarkeit des Dialogs 34 Unterforderung 320 Unterschiedsempfindlichkeit 453 Untersteuern 431 Unterstützung, haptische 556 Unterstützungsgrad 641 V Vakuum-Booster 251 Vakuumfluoreszenzanzeige (VFD) 340 Vakuumpumpe 251 Validität 56 Value Added Functions 430 Variantenvielfalt 422 Vehicle in the Loop 52, 69, 76, 79, 81 Verbraucherschutztest 28 Verdeckung; teilweise 224 Verfahren, bewegungsbasierte 217 –, erscheinungsbasiertes 218 –, infrarotkamerabasiertes 223 –, merkmalsbasiertes 207 –, ortsdiskretes 207 –, stereobasiertes 217 –, videobildbasierte 223 Verhalten, fertigkeitsbasiertes (skill-based behaviour) 16 –, regelbasiertes (rule-based behaviour) 7, 16 –, wissensbasiertes (knowledge-based behaviour) 16 Verhaltensadaptation (behavioural adaptation) 25 Verhaltensanpassung (behavioural adaptation) 24 Verkehrskompetenz 21 Verkehrsleitsystem 618 Verkehrsregelung 573 Verkehrssicherheit 24 ff. Verkehrssimulation 80 Verkehrstelematik 666 Verkehrsunfall 448, 543 Verkehrszeichenerkennung 86, 547 Vernetzung 88, 401, 626 Vernetzungstechnologien 91 Verschmutzungserkennung 182 Verstärker, hydraulischer 252 Verstärkungsfaktor 18 Vertikalkraft 421 Verträglichkeitsmatrix 350 Verzeichnung 203 Verzeihlichkeit 348 Vibration 549 VICS 618 V-Modell 45
Vorausschaulänge (preview distance) 17 Vorderradblockade 408 W Wahrnehmen 239, 452 Wahrnehmung 5 –, vestibuläre 6 Wahrnehmungsform 317 Wahrnehmungsschwelle 12 Wahrnehmungsverzugszeit 345 Warn- und Eingriffsstrategien 578 Warnbereitschaftsanzeige 550 Warndilemma 579 Warnelemente 345 Warnton 549 Warnung 543, 579 –, akustische 549 –, haptische 549 –, visuelle 549 Weber-Fechnersches Gesetz 199 Weckfunktion 261 Wellen-Generator 304 Wellgetriebe 301 Wertschöpfungskette 619 Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr (Vienna Convention on Road Traffic) 30, 33, 668 Winkelbereich 102 Winkelmessung 140 Winkelüberlagerung 395 Wirksamkeit 351 Witterungsbedingung 449, 570 Wörterbuch, visuelles 229 Wunschabstand 590 X Xenonentladungslampe 455 f. Xenonlampe 459 ff. Xenonscheinwerfer 456 Z Zahnstangen-Hydrolenkung 302 Zahnstangenlenkung 438 Zentralachsanhänger 423 Zentrum, optisches 200 Zero-drag 276 Zielauswahl 179, 500 Zieleingabe 604 Zielführung 606 Zonenabdeckung 564 Zuordnungshypothese 241 Zuordnungsmatrize 241 Zuordnungsverfahren 241 Zusatzrollwinkel 407 Zustandsautomat 662
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Sachwortverzeichnis
Zustandsbeobachter 179 Zustandsraum 212 Zustandsraummodell 180 Zweispurmodell 377
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