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German Pages 1144 Year 1970
HANDBUCH DER M E S S T E C H N I K IN DER B E T R I E B S K O N T R O L L E HERAUSGEGEBEN PROF. DIPL.-ING. J O S E F
VON STANEK
BERLIN
BAND V
MESSVERFAHREN UNTER
ANWENDUNG
IONISIERENDER
STRAHLUNG
L E I P Z I G 1969 AKADEMISCHE
V E R L A G S G E S E L LS C H A F T
GEEST & PORTIG
K.-G.
MESSVERFAHREN UNTER ANWENDUNG IONISIERENDER
STRAHLUNG
HERAUSGEGEBEN
VON
PROF. DR.-lNG. HABIL. W E R N E R
HARTMANN
DRESDEN
UNTER
MITARBEIT
EINES
AUTORENKOLLEKTIVS
M I T 750 B I L D E R N U N D 147 T A B E L L E N
% LEIPZIG AKADEMISCHE
1969
VERLAGSGESELLSCHAFT
GEEST & PORTIG
K.-G.
MITARBEITER H A N S - K A R L B O T H E, L E I P Z I G • G E R H A R D B R U N N E R, L E I P Z I G • G Ü N T E R F R E Y E R , MAGDEBURG • HANS HART, M E R S E B U R G • R E I N H A R D H E I M A N N , DRESDEN • D I E T E R HERRMANN, BERLIN • WALTER HERRMANN, LEIPZIG JOACHIM HOLZHEY, FREIBERG - EBERHARD JOHANNES, DRESDEN-CHRIS T O P H K I R S T E N , D R E S D E N - S I E G F R I E D KOCH, P I R N A - L O T H A R K R A M E R , J E N A - W O L F G A N G L E O N H A R D T , D R E S D E N - H E L M U T L Ö F F L E R, D R E S D E N VOLKHARD NETZ, D R E S D E N - G E R A L D SAHNER, MAGDEBURG-HANS SCHEEL, B E R L I N - H E I N Z SCHNABEL, S O N D E R S H A U S E N -WOLFGANG SCHÖNBORN, D R E S D E N • BODO S C H Ö N E I C H , KARL-MARX-STADT - K A R L - H E I N Z WEBER, D R E S D E N - C H R I S T I A N W E I S S M A N T E L, K A R L - M A R X - S T A D T • M A N F R E D W Ü N S C H M A N N, K A R L - M A R X - S T A D T - H U B E R T Z E I D L E R , K A R L - M A R X - S T A D T
Alle Rechte, insbesondere die d e r Ü b e r s e t z u n g u n d des N a c h d r u c k s , v o r b e h a l t e n Copyright 1969 b y A k a d e m i s c h e Verlagsgesellschaft Geest & Portig K.-G., Leipzig P r i n t e d in t h e G e r m a n D e m o c r a t i c Republic V L N 276-105/18/68 • E S 20 M 1 G e s a m t h e r s t e l l u n g : Druckerei F o r t s c h r i t t E r f u r t
Geleitwort Im Vorwort zur 3. Auflage des seinerzeit von J . K R Ö N E R T herausgegebenen „Handbuches der technischen Betriebskontrolle", Band III (Leipzig 1959), war darauf hingewiesen worden, daß die ursprüngliche Konzeption für seinen Inhalt heute nicht mehr ausreicht und einer erheblichen Erweiterung bedarf. Die aus der Forschung und Entwicklung auf den Gebieten der Kernphysik und Kerntechnik ständig anfallenden neuen Erkenntnisse und Erfahrungen mußten in die Berichterstattung durch das „Handbuch" eingebaut werden, um seine fachliche Aktualität zu sichern. Diese Erkenntnisse und Erfahrungen erschlossen auch neue Wege für die Lösung meß technischer Aufgaben und für die Rationalisierung und Verfeinerung der Betriebskontrollverfahren. Aus diesem Grunde war es besonders notwendig, die Nutzung der ionisierenden Strahlung für diese Zwecke in das „Handbuch" aufzunehmen und im V. Band hierüber zu berichten. Es gehört zu den wesentlichsten Folgen der Entwicklung, die sich auf allen Gebieten der Naturwissenschaft und Technik vollzieht, daß sie zur Spezialisierung und zur Vertiefung der Erkenntnisse bei gleichzeitiger Einengung der durch den einzelnen übersehbaren fachlichen Gebiete zwingt. Das Wachstum an fachlichem Wissen, aus dem sich der technisch-ökonomische Stand der Produktion und ihrer Produkte bestimmt, erzwingt aus diesem Grunde in zunehmendem Maße die Kollektivarbeit. Aus ihr allein ist die Integration der Erfahrungen zu gewinnen, die zu einer modernen Ansprüchen genügenden Leistung führt. Es ist daher Herrn Prof. Dr.-Ing. habil. W. H A R T M A N N dafür zu danken, daß er sich der Aufgabe unterzog, das Autorenkollektiv aus seiner reichen fachlichen Erfahrung anzuleiten. Allen Mitarbeitern sowie dem Verlag muß für die große Sorgfalt und Mühe gedankt werden, die sie für die Gestaltung des Gesamtwerkes aufwendeten. Die Erweiterung der Konzeption für den Inhalt des „Handbuches" und seine immer mehr aus dem Wesen seiner Aufgabe in die Gebiete der Meßtechnik vordringende fachliche Orientierung läßt es ratsam erscheinen, seinen Titel dieser Entwicklung anzupassen und das Werk künftig als „Handbuch der Meßtechnik in der Betriebskontrolle" erscheinen zu lassen. Berlin-Karlshorst, im Frühjahr 1968
P R O F . D I P L . - I N G . J. S T A N E K
Das „Handbuch der Meßtechnik in der Betriebskontrolle" ist aus dem von herausgegebenen „Handbuch der technischen Betriebskontrolle" hervorgegangen und wurde entsprechend der modernen technischen Entwicklung neu konzipiert. Für die nächsten Jahre wird das Erscheinen folgender weiterer Bände vorbereitet:
J. KRÖNERT
Band I
Querschnittsprobleme der Betriebskontrolle
Band II
Mengen- und Strömungsmessung technischen Hilfsmitteln
Band III
Druck und Wärme
Band IV
Optische Meßverfahren
Band VI
Physikalisch-chemische Meßverfahren
mit mechanischen und
elektro-
Vorwort In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben die Erkenntnisse der Kernphysik ihren Niederschlag in einer Vielfalt technischer Verfahren gefunden. Alle Industriestaaten können über einen von J a h r zu J a h r steigenden ökonomischen Nutzen der Anwendung dieses neuen Wissens berichten. Neben dem weiter in vollem Fluß befindlichen Gebiet der Umwandlung der Kernenergie in thermische und elektrische Energie gilt die Aufmerksamkeit besonders der Anwendung der von radioaktiven Nukliden ausgesandten Kernstrahlung in der industriellen Produktion. Damit ist bereits das in dem vorliegenden Buch abgehandelte Gebiet gegenüber dem möglichen Umfang wesentlich eingeschränkt, wenn man allein an die vielfältigen diagnostischen Verfahren der Medizin sowie die Methoden der Grundlagenforschung vieler Fachrichtungen, die Kernstrahlung in irgendeiner Form einsetzen, denkt. Jedoch selbst bei Beschränkung auf den durch den Titel „Meßverfahren unter Anwendung ionisierender Strahlung" umrissenen engeren Bereich wird sofort beim Entwurf einer ersten Grobdisposition die große Vielfalt der heute in einigen Fällen schon wieder zu Spezialgebieten gewordenen technischen Realisierungen sichtbar. Daher dürfte kaum ein Autor allein in der Lage sein, ein solches Buch zu schreiben. Aus diesem Grund hat sich eine größere Anzahl erfahrener Fachleute zusammengefunden und den möglichen Stoff unter Anlegung strenger Maßstäbe auf das ihrer Meinung nach heute notwendige Minimum begrenzt. In gemeinsamen Beratungen wurde versucht, eine allen Gesichtspunkten weitgehend gerecht werdende Einteilung und Aufteilung zu finden. Sicher haben sich dabei nicht immer Wiederholungen vermeiden lassen, sie tragen vielmehr unserer Meinung nach eher zur Verständlichkeit einzelner Kapitel bei und erfordern somit vom Leser nicht in jedem Fall das durchgehende Studium des gesamten Buches, wenn er sich nur für engbegrenzte Anwendungen interessiert. Die Kapitel wurden nach Abschluß der vorbereitenden Besprechungen von den betreffenden Autoren unabhängig bearbeitet. Die weitere Tätigkeit des Herausgebers bestand darin, überall dort Änderungen vorzunehmen, wo die Verständlichkeit erhöht oder die Darstellung ähnlicher Teilgebiete in verschiedenen Kapiteln einander angepaßt werden mußte. Bei der großen Stoffülle war die richtige Auswahl und Darstellung keine einfache Aufgabe. Wir hoffen aber, daß es uns gelungen ist, den Erwartungen der Leser weitgehend gerecht zu werden und ihre Ansprüche zu erfüllen. Den vorliegenden Band V des „Handbuches der Meßtechnik in der Betriebskontrolle" kann man in fünf Teile gliedern: In den Kapiteln 1 und 2 wird eine Einführung in die Grundlagen der Verfahren zur Messung von Kernstrahlung sowie in das bedeutsame Gebiet der Dosimetrie und des Strahlenschutzes gegeben. Sie ermöglicht es den Autoren der folgenden Kapitel, sich ausschließlich mit den für ihr Thema spezifischen, somit nicht allgemeingültigen Methoden und Ausrüstungen zu beschäftigen, ohne an Aussagekraft zu verlieren. Das vielfältige Gebiet der Strukturanalyse findet seinen Niederschlag in dem Kapitel 3 „Feinstrukturanalyse mit Röntgenstrahlen", dem Kapitel 4 „Spektralanalyse mit Röntgenstrahlen", dem Kapitel 5 „Grobstruktur-Materialprüfung mit Röntgenstrahlen" sowie dem Kapitel 6 „Gammadefektoskopie". Der folgende Teil der Kapitel 7 bis 12 behandelt eine Reihe spezieller Probleme, die auch eine große Bedeutung in der Betriebsmeßtechnik haben.
8
Vorwort
„Markierung durch radioaktive Nuklide" (Kap. 13) und „Autoradiographie" (Kap. 14) sind vielleicht nicht als Routinemeßverfahren anzusehen, sie haben sich jedoch einen festen Platz in der industriellen Praxis erworben. Die in den Kapiteln 15 bis 18 diskutierten Anwendungen der Kernstrahlung zur technischen Betriebskontrolle stellen zur Zeit den ökonomisch weitaus wirksamsten Anteil dar. Der Einsatz solcher Geräte in der Industrie der D D R wird durch eine vierstellige Zahl gekennzeichnet. Herausgeber und Autoren hoffen, daß der angesprochene Leserkreis, nämlich Fachleute für den Einsatz der Betriebsmeß-, Steuer- und Regelungstechnik, durch das Studium dieses zusammenfassenden Werkes neue Anregungen erhält, die noch bei weitem nicht ausgeschöpften Möglichkeiten der friedlichen Anwendung des Atomkerns einzusetzen und zu erweitern. Dem Verlag gebührt besonderer Dank für sein verständnisvolles Eingehen auf die Anliegen von Herausgeber und Autoren, durch das ein wesentlicher Beitrag zur weitgehenden Annäherung an das gemeinsam erstrebte Ziel geleistet wurde. Dresden, im Frühjahr 1968
PROF. DR.-ING. HABIL. W. HARTMANN
Inhalt (Spezielle Inhaltsangaben befinden sich bei den einzelnen Kapiteln)
1. Physikalisch-technische Grundlagen der Strahlungsanwendung Von Dr. K A R L - H E I N Z W E B E R , Dresden 2. Strahlenschutz und Dosimetrie Von Dr. D I E T E R H E R R M A N N , Berlin, und Dr.
11 — 172
173 — 186 H A N S SCHEEL,
Berlin
3. Feinstrukturanalyse mit Röntgenstrahlen. Von Dr. C H R I S T O P H K I R S T E N , Dresden
187 — 236
4. Spektralanalyse mit Röntgenstrahlen Von Dipl.-Phys. L O T H A R K R A M E R , Jena
237—330
5. Grobstruktur-Materialprüfung mit Röntgenstrahlen Von Prof. Dr. habil. G Ü N T E R F R E Y E R , Magdeburg
331 — 394
6. Gammadefektoskopie Von Prof. Dr. habil. G Ü N T E R
395 — 456 FREYER,
Magdeburg
7. Verfahren zur Untersuchung von Stoffzusammensetzungen durch Messung von Streuung und Absorption von Kernstrahlung und Anregung von Sekundärstrahlung 457—540 Von Dr. G E R H A R D B R U N N E R , Leipzig 8. Radiometrische Verfahren zur Bestimmung des Aschegehaltes und des Heizwertes von Kohle 541 — 564 Von Dr. S I E G F R I E D K O C H , Pirna 9. Messung der Feuchte und der Wasserstoffkonzentration mittels Neutronen. . 565—620 Von Dipl.-Ing. E B E R H A R D J O H A N N E S , Dresden, und Dipl.-Ing. V O L K H A R D N E T Z , Dresden 10. Ionisationsgasanalyse Von Dr. H A N S - K A R L B O T H E , Leipzig
621 — 648
11. Aktivierungsanalyse Von Dr. W O L F G A N G
649 — 736 LEONHAHDT,
Dresden
12. K 2 0-Bestimmung Von Dr. H E I N Z S C H N A B E L , Sondershausen
737-756
13. Markierung durch radioaktive Nuklide 757—838 Von Prof. Dr. C H R I S T I A N W E I S S M A N T E L , Dipl.-Phys. B O D O S C H Ö N E I C H , Dr. M A N F R E D W Ü N S C H M A N N , Dipl.-Ing. H U B E R T Z E I D L E R , alle Karl-Marx-Stadt, und Dr.-Ing. J O A C H I M H O L Z H E Y , Freiberg
10
Inhalt
14. Autoradiographic Yon Prof. Dr.
839 — 858
WALTER HERBMANN,
Leipzig
15. Dickenmessung Von Phys. und Ing.
859—928
REINHARD
WOLFGANG
Dresden,
HEIMANN, SCHÖNBORN,
Dresden
16. Dichtemessung
929-1028
Von Prof. Dr. habil.
HANS
HART,
Merseburg 1029 — 1060
17. Strömungsmessung Von Dr.-Ing.
HELMUT LÖFFLER,
Dresden
18. Niveaukontrolle und Standmessung Von Prof. Dr.-Ing. und Phys.
GERALD SAHNER,
REINHARD
HEIMANN,
1061 — 1115 Magdeburg,
Dresden
Namenregister
1116
Sachregister . .
1121
KAPITEL
1
Physikalisch-technische Grundlagen der Strahlungsanwendung Von Dr.
KARL-HEINZ WEBER,
Dresden
Inhalt1) 1.1. Entstehung der ionisierenden Strahlung
13
1.1.1. Allgemeine Eigenschaften einer Quelle ionisierender Strahlung 1.1.1.1. 1.1.1.2. 1.1.1.3. 1.1.1.4. 1.1.1.5.
Art der Quelle Art der Strahlung Energie und Energieverteilung der Strahlung Richtungsverteilung der Strahlung Stärke der Quelle
1.1.2. Radioaktive Nuklide und radioaktive Umwandlungen 1.1.2.1. Natürliche und künstliche radioaktive Nuklide 1.1.2.2. Zerfallsarten 1.1.2.3. Zerfallsschema 1.1.2.4. Gesetzmäßigkeiten des radioaktiven Zerfalls 1.1.2.4.1. Das radioaktive Zerfallsgesetz 1.1.2.4.2. Wahrscheinlichkeitsverteilungen 1.1.3. Erzeugung von Neutronen 1.1.3.1. 1.1.3.2. 1.1.3.3. 1.1.3.4. 1.1.3.5.
13 13 14 16 18 19 20 20 21 24 25 25 27 29
Kernreaktionen 29 Radioaktive Neutronenquellen unter Verwendung von (a,n)-Prozessen. . . . 30 Radioaktive Neutronenquellen unter Verwendung von (y,n)-Prozessen . . . 31 Erzeugung von Neutronen mittels künstlich beschleunigter Teilchen 32 Kernreaktoren als intensive Neutronenquellen 32
1.1.4. Entstehung von Röntgenstrahlung 1.1.4.1. Röntgenbremsstrahlung 1.1.4.2. Charakteristische Röntgenstrahlung 1.1.4.3. Erzeugung monochromatischer Röntgenstrahlung
33 34 36 39
1.1.5. Technische Ausführungsformen radioaktiver Strahlungsquellen 1.1.5.1. Alphastrahlungsquellen 1.1.5.2. Betastrahlungsquellen 1.1.5.3. Gammastrahlungsquellen 1.1.5.4. Radioaktive Bremsstrahlungsquellen 1.1.5.5. Radioaktive Neutronenquellen
40 41 42 43 44 46
1.1.6. Röntgengeräte und Anlagen zur Beschleunigung geladener Teilchen 1.1.6.1. Konventionelle Röntgenanlagen 1.1.6.2. Van-de-Graaff-Generatoren 1.1.6.3. Elektronen-Induktionsbeschleuniger (Betatrons) 1.1.6.4. Linearbeschleuniger 1.1.6.5. Neutronengeneratoren
46 47 55 56 58 60
1)
Der Verfasser d a n k t Herrn Dr. H. Disposition.
ROTHE,
DAMW Berlin, für seine Vorschläge zur
12
1.1. Entstehung der ionisierenden Strahlung
1.2. Wechselwirkung zwischen ionisierender Strahlung und Materie
61
1.2.1. Übersicht über Wechselwirkungsprozesse 1.2.1.1. Primäre Wechselwirkungsprozesse 1.2.1.2. Wirkungsquerschnitt und Schwächungsgesetz
61 62 62
1.2.2. Durchgang geladener Teilchen durch Materie 1.2.2.1. Wechselwirkung geladener Teilchen mit Materie, Bremsvermögen 1.2.2.2. Schwächung und Reichweite geladener Teilchen 1.2.2.2.1. Schwere geladene Teilchen 1.2.2.2.2. Monoenergetische Elektronen und Betastrahlung 1.2.2.3. Streuung von Elektronen und Betastrahlung
64 64 66 66 68 71
1.2.3. Durchgang von Röntgen- und Gammastrahlung durch Materie 1.2.3.1. Wechselwirkungen von Quanten mit Elektronen und Atomen 1.2.3.2. Comptonstreuung 1.2.3.3. Fotoeffekt 1.2.3.4. Paarbildungseffekt 1.2.3.5. Gesamtschwächungskoeffizienten 1.2.3.6. Schwächung breiter Gammastrahlenbündel durch dicke Schichten
74 74 77 78 82 83 84
1.2.4. Durchgang von Neutronen durch Materie 1.2.4.1. Wechselwirkungsprozesse von Neutronen mit Materie 1.2.4.2. Gesamtwirkungsquerschnitte 1.2.4.3. Bremsung und Diffusion von Neutronen beim Durchgang durch Materie . . 1.2.4.3.1. Zusammenhang zwischen Wirkungsquerschnitt, mittlerer freier Weglänge und Stoßzahl 1.2.4.3.2. Diffusion thermischer Neutronen 1.2.4.3.3. Energieverluste und Abbremsung schneller Neutronen durch elastische Stöße 1.2.4.3.4. Räumliche Verteilung der Bremsneutronen
85 85 88 90
1.3. Nachweis der ionisierenden Strahlung 1.3.1. Übersicht über die Prinzipien des Nachweises ionisierender Strahlung
91 92 93 95 97 97
1.3.2. Allgemeine Eigenschaften von Strahlungsdetektoren als Meßwertwandler
100
1.3.3. Ionisationskammern 1.3.3.1. Aufbau und Wirkungsweise 1.3.3.2. Messung von Ionisationsströmen und Ladungsmengen 1.3.3.3. Nulleffekt 1.3.3.4. Ausführungsformen für verschiedene Anwendungen
101 102 104 105 106
1.3.4. Proportionalzählrohre
109
1.3.5. Auslösezählrohre 1.3.5.1. Aufbau und Wirkungsweise 1.3.5.2. Zählrohrcharakteristik 1.3.5.3. Nulleffekt 1.3.5.4. Spezielle Ausführungen 1.3.5.5. Effektivität und Empfindlichkeit
114 114 116 118 118 120
1.3.6. Szintillationsdetektoren 1.3.6.1. Aufbau und Wirkungsweise 1.3.6.2. Szintillatoren 1.3.6.3. Zähleigenschaften, Nulleffekt und Impulsform
121 121 124 127
1.1.1. Allgemeine Eigenschaften einer Quelle ionisierender Strahlung 1.3.6.4. Spektrometrische Eigenschaften 1.3.6.5. Ausführungsformen 1.3.6.6. Effektivität, Empfindlichkeit und kleinste meßbare Aktivität 1.4. Elektronische Nachweisgeräte 1.4.1. Detektorsignale und ihre Messung
13 131 134 137 138 139
1.4.2. Verarbeitung von Detektorimpulsen 1.4.2.1. Eingangsschaltungen für Zählrohre und Szintillationszähler 1.4.2.2. Impulsverstärker 1.4.2.3. Erzeugung von Rechteckimpulsen mit Multivibratoren 1.4.2.4. Amplitudendiskriminatoren und Analysatoren 1.4.2.5. Impulsdichtemesser 1.4.2.6. Strahlungsmeßgeräte
140 140 142 147 149 151 152
1.4.3. Messung kleiner Gleichströme 1.4.3.1. Röhrenelektrometer 1.4.3.2. Schwingkondensatorelektrometer
153 155 157
1.5. Genauigkeit von Strahlungsmessungen
158
1.5.1. Statistischer Fehler bei Impulszahlmessungen
158
1.5.2. Statistischer Fehler bei Impulsdichtemessungen
159
1.5.3. Statistischer Fehler unter Berücksichtigung des Nulleffektes
160
1.5.4. Zählverluste durch begrenztes zeitliches Auflösungsvermögen
161
1.5.5. Ermittlung der Zählverluste
163
Tabellen
164
Literatur zu Kap. 1
170
1.1. Entstehung der ionisierenden Strahlung 1.1.1. Allgemeine Eigenschaften einer Quelle ionisierender Strahlung Unter ionisierender Strahlung soll im Rahmen dieser Darstellung jede Art von Korpuskularstrahlung oder energiereicher elektromagnetischer Wellenstrahlung mit Wellenlängen < 1 0 - 7 cm verstanden werden, die bei der Wechselwirkung mit Materie direkt oder indirekt Ionen zu bilden vermag. Zur Charakterisierung der Eigenschaften einer Quelle ionisierender Strahlung gehören die Beschreibung der Art der Quelle, d. h. der Art und Weise der Erzeugung der Strahlung, die Kennzeichnung der Art der Strahlung und ihrer Energie bzw. Energieverteilung sowie ihrer Richtungsverteilung, Angaben über die Stärke der Quelle und ihre zeitliche Änderung und schließlich Daten über die konstruktiv-technische Ausführung der Strahlungsquelle.
1.1.1.1. Art der Quelle Für die Entstehung ionisierender Strahlung kommen prinzipiell folgende Ursachen in Frage:
14
1.1. Entstehung der ionisierenden Strahlung
a) Bei der Abbremsung energiereicher elektrisch geladener Teilchen, insbesondere von Elektronen, entsteht beim Auftreffen auf Materie eine elektromagnetische Wellenstrahlung, die Bremsstrahlung. b) Durch Energiezufuhr können Elektronen aus der Atomhülle abgetrennt (Ionisierung) oder innerhalb der Atomhülle auf Niveaus höherer Energie gehoben werden (Anregung). In beiden Fällen entsteht ein angeregter Zustand, wobei die Rückkehr in den Grundzustand entweder durch Emission von (Auger-)Elektronen oder durch Emission der charakteristischen Röntgenstrahlung erfolgt. Die zur Anregung erforderliche Energie kann der Atomhülle von außen oder vom Atomkern aus zugeführt werden, indem der Atomkern z. B . aus der innersten (Zi-)Schale der Atomhülle ein Elektron einfängt oder indem ein vom Kern emittiertes Gammaquant ein Elektron aus einer der inneren Schalen herausschlägt. Die Bindungsenergien, d. h. die zur Ablösung bzw. Anregung eines Elektrons notwendigen Energien, liegen bei den Elektronen der inneren Schalen im Bereich von einigen Elektronenvolt bis 100 keV. c) Ähnlich wie in der Atomhülle existieren auch im Atomkern mehrere Energieniveaus. Der Übergang von Zuständen höherer Energie zum energiearmeren Grundzustand des gleichen Atomkerns kann durch Emission von Gamma-Strahlung erfolgen, oder es kann durch Emission von Teilchen, z. B. von Alpha-, Betateilchen, Protonen, Deuteronen oder Neutronen, ein angeregter oder der Grundzustand eines anderen Kerns erreicht werden. Die Bindungsenergien der Protonen und Neutronen im Atomkern liegen bei einigen Megaelektronenvolt. Vom technischen Standpunkt lassen sich zwei Arten von Quellen ionisierender Strahlung unterscheiden, und zwar radioaktive Quellen in Form natürlicher oder künstlich hergestellter radioaktiver Nuklide, deren Atomkerne instabil sind und die durch radioaktiven Zerfall unter Emission von Strahlung in stabilere Kerne übergehen, und Beschleunigungsanlagen in Form konventioneller Röntgenanlagen und verschiedener Arten von Teilchenbeschleunigern, in denen Elektronen oder Ionen beschleunigt werden, welche beim Auftreffen auf eine Substanz entweder der Atomhülle oder den Atomkernen die zur Emission ionisierender Strahlung erforderliche Anregungsenergie zuführen. 1.1.1.2. Art der Strahlung Die für technische Anwendungen interessierenden Strahlungsarten und ihre wichtigsten Eigenschaften, wie Ladung und Masse der Teilchen sowie Ionisierungsvermögen, sind in Tab. 1.1 (s. S. 164) zusammengestellt. Die spezifische Ionisierung ist die Anzahl der längs einer bestimmten Wegstrecke von 1 [tm in Materie gebildeten Ionenpaare. In Tab. 1.1 sind Anhaltswerte angegeben, die sich auf Teilchen mit einer Energie von 1 MeV in leichtatomigen Substanzen mit der Dichte 1 beziehen. Man kann folgende Strahlungsarten unterscheiden: Leichte elektrisch geladene Teilchen: Hierzu gehören die beim radioaktiven Zerfall entstehenden Betateilchen in Form negativ geladener ^"-Teilchen und positiv geladener Positronen (ß+) sowie Elektronen (e~) in Form von Auger-, Konversionsoder künstlich beschleunigten Elektronen. Die Ruhemasse dieser Teilchen beträgt m 0 = 9,107 -10~ 2 8 g, ihre Ladung ist gleich der elektrischen Elementarladung e — 1 , 6 0 2 - 1 0 - 1 9 As, ihr spezifisches Ionisierungsvermögen ist relativ niedrig.
1.1.1. Allgemeine Eigenschaften einer Quelle ionisierender Strahlung
15
Positronen sind nur für sehr kurze Zeit existenzfähig. Nachdem ein Positron durch Abbremsung seine kinetische Energie verloren hat, vereinigt es sich mit einem Elektron, wobei dieses Paar verschwindet und seine Ruheenergie (2 m0c2) in Form zweier Quanten, die mit der Energie moc 2 = 0,511 MeV in entgegengesetzten Richtungen emittiert werden, abgibt. Dieser Vorgang wird als Vernichtungsstrahlung bezeichnet, (c = 2,998 -10 1 0 cm s - 1 bedeutet die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum.) Schwere elektrisch geladene Teilchen: Alphateilchen ( 10 MeV). Elektromagnetische Wellen- oder Quantenstrahlung in Form von Gamma- oder Röntgenstrahlung. Beide Strahlungsarten unterscheiden sich lediglich durch die Art ihrer Entstehung bzw. Erzeugung. Während Gammastrahlung von angeregten Atomkernen emittiert wird, hat die charakteristische Röntgenstrahlung ihren Ursprung in der Atomhülle; Röntgenbremsstrahlung entsteht beim Auftreffen energiereicher Elektronen auf Materie. In vielen Fällen emittiert eine Strahlungsquelle mehrere Strahlungsarten, wobei insbesondere Gamma- oder Röntgenstrahlung häufig als zusätzliche Begleitstrahlung auftritt. In Tab. 1.1 (s. S. 164) wurde die sogenannte Ruhemasse mo angegeben, welche die Teilchen haben, wenn ihre Geschwindigkeit v = 0 ist. Auf Grund der Relativitätstheorie nimmt die Masse eines Teilchens mit wachsender Geschwindigkeit gemäß (i
™ ß 2W2
t1"1)
16
1.1. Entstehung der ionisierenden Strahlung
zu, wobei ß = v/c das Verhältnis der Fortpflanzungsgeschwindigkeit v zur Lichtgeschwindigkeit c bedeutet. Dieser relativistische Massenzuwachs macht sich besonders bei energiereichen Elektronen bemerkbar. 1.1.1.3. Energie und Energieverteilung der Strahlung Die in der Kernphysik übliche Energieeinheit ist das Elektronenvolt (eV). 1 eV ist diejenige Energie, die ein Elektron oder ein anderes einfach geladenes Teilchen nach Durchlaufen einer Potentialdifferenz von 1 V als kinetische Energie gewinnt. Es gelten folgende Umrechnungsbeziehungen zu anderen Energieeinheiten: 1 MeV = 10 3 keV = 10 6 eV = 1,602 • KT 6 erg = 1,602 • 10~ 13 Joule = 3,828-10~ 14 cal = 1,074 TME.
(1.2)
Unter der Energieeinheit TME (Tausendstel Masseneinheit) ist folgendes zu verstehen: Auf Grund der Einsteinschen Energie-Masse-Aquivalenzbeziehung E=mc2
(1.3)
ist jede Masse m, gemessen in Gramm, einer bestimmten Energie E (in erg) äquivalent, und umgekehrt kann jede Energie auch durch eine ihr äquivalente Masse m = E/c2 ausgedrückt werden. Eine Masseneinheit ME ist definiert als die Masse eines Atoms von der relativen Atommasse 1 in der physikalischen Skala der relativen Atommassen, und zwar gilt 1 ME = 1,65 9 7 - 1 0 - 24 g. Der gemäß (1.3) zu berechnende äquivalente Energiebetrag entspricht nach (1.2) ungefähr einer Energie von 10 3 MeV. Beim Vergleich der in Tab. 1.1 (s. S. 164) verzeichneten Teilchenmassen fällt auf, daß z. B. die Masse eines Alphateilchens geringer ist als die Summe der Massen von 2 Protonen und 2 Neutronen. Die Massendifferenz von etwa 54 m 0 = 29,6TME = 27,6 MeV ist die Bindungsenergie des Alphateilchens, d. h. diejenige Energie, die zur vollständigen Zerlegung des Alphateilchens in seine Nukleonen erforderlich ist. Die Bindungsenergie pro Nukleon beträgt daher etwa 7 MeV. Dieser Sachverhalt gilt ganz allgemein, indem jeder Atomkern leichter ist als die Summe der Massen seiner Kernbestandteile; die Bindungsenergie pro Nukleon liegt bei den einzelnen Atomkernen zwischen 1 und 9 MeV. Die entsprechend (1.3) der Ruhemasse eines Elektrons äquivalente Ruhe- oder Restenergie ergibt sich aus (1.2) zu 0,511 MeV. Bei einer Partikelstrahlung hat man zu unterscheiden zwischen der kinetischen Energie der Teilchen und ihrer totalen Energie, die gleich der Summe von Restenergie und kinetischer Energie ist. Im folgenden werden wir unter der Energie eines bewegten Teilchens mit der Ruhemasse mo stets seine kinetische Energie E verstehen; diese steht mit der Geschwindigkeit v der Teilchen in folgendem Zusammenhang :
£=moc2(yrbH' woraus für nichtrelativistische Geschwindigkeiten v Mechanik bekannte Beziehung E= mov2/2 folgt.
(L4) die aus der klassischen
1.1.1. Allgemeine Eigenschaften einer Quelle ionisierender Strahlung
17
Nach D E B R O G L I E kann die Ausbreitung eines Partikels andererseits auch durch eine Materiewelle beschrieben werden, welche die Wellenlänge A = hJÜEE mov
(i.5)
bzw. für
und die Frequenz
X=-=L= pm0E
(1.6)
M besitzt und die sich mit der (Phasen-) Geschwindigkeit u = c 2 /v ausbreitet. Dabei ist h = 6,625 • 1 0 " 2 7 erg s das Plancksche Wirkungsquantum. Daß bewegte Massenpunkte sich wie Wellen verhalten können, zeigen die in K a p . 3 behandelten Beugungs- und Interferenzerscheinungen von Elektronen und Neutronen. Dieser für die Quantentheorie charakteristische Dualismus von Welle und Teilchen gilt auch für elektromagnetische Wellen, z. B . für Röntgen- und Gammastrahlung. Im „Wellenbild" wird eine Gammastrahlung durch ihre Wellenlänge A und ihre Frequenz v beschrieben; die Welle breitet sich mit der Phasengeschwindigkeit c= vi (1.8) aus. (Die Phasengeschwindigkeit von Röntgen- und Gammastrahlung ist praktisch unabhängig vom Material und stimmt — abgesehen von äußerst geringfügigen Abweichungen — mit der Vakuum-Lichtgeschwindigkeit c überein, d. h., der Brechungsindex weicht nur sehr geringfügig von 1 ab.) Demzufolge zeigt Röntgenund Gammastrahlung unter geeigneten Bedingungen alle für eine Welle charakteristischen Merkmale, z. B . die in K a p . 3 beschriebenen Beugungs- und Interferenzerscheinungen. Andererseits gibt es eine Reihe von Experimenten und Beobachtungen, zu denen insbesondere der Foto- und der Comptoneffekt gehören (vgl. Abschn. 1.2), für deren quantitatives Verständnis eine Beschreibung der Gammastrahlung im „Teilchen-Bild" notwendig ist: Die Ausbreitung einer elektro-magnetischen Welle kann durch Quanten oder Photonen beschrieben werden, die eine Quantenenergie Ey= hv— hc/X (1.9) besitzen und die sich mit der Lichtgeschwindigkeit c bewegen. In den Beziehungen (1.3) bis (1.9) sind alle Größen im absoluten Maßsystem zu messen, d. h. E bzw. Ey in erg, c in cm s _ 1 , v in s - 1 u n d X in cm. Aus (1.2) folgt mit (1.9): oder
1 c m - 1 = 1,240-10" 4 eV 1 ( n m ) - ! = 1,240 keV,
(1.10)
wobei 1 nm = 10~ 9 m ist. Die in der Praxis am häufigsten benutzten Energiebereiche für die verschiedenen Strahlungsarten sind in Tab. 1.1 (s. S. 164) als Richtwerte mit aufgeführt; die in der modernen Kernphysik üblichen Teilchen- und Quantenenergien übertreffen diese Werte um viele Größenordnungen. 2 H a n d b u c h der Meßtechnik in der Betriebskontrolle, B d . V
18
1.1. Entstehung der ionisierenden Strahlung
Die Tabelle enthält ferner Angaben über die Energieverteilung: Strahlung mit einer bestimmten einheitlichen Energie der Teilchen oder Quanten wird als monochromatisch oder monoenergetisch bezeichnet. Dabei existiert allerdings sowohl auf Grund natürlicher Ursachen als auch infolge des begrenzten Auflösungsvermögens der Spektrometeranordnungen eine endliche Energie- oder Linienbreite, die jedoch bei einer monoenergetischen Strahlung klein ist im Vergleich zur Teilchen* oder Quantenenergie. Weitaus häufiger werden mehrere Energien emittiert, d. h., es existiert ein Energiespektrum. Ein Linienspektrum besteht aus mehreren diskreten Energien, die im Spektrogramm als mehr oder weniger scharfe Linien erscheinen. Diese Art
f/fmo* Bild 1.1. Typische /?~-Spektren. Kurve 1 : Betastrahler hoher Ordnungszahl (Z = 80) und kleiner Maximalenergie ( E m a x = 0,2 MeV); Kurve 2 : Betastrahler niedriger Ordnungszahl (Z = 4) und großer Maximalenergie ( £ m a x = 2 MeV)
der Energieverteilung tritt häufig bei Alpha- und Gammastrahlung auf, ferner existiert auch bei der charakteristischen Röntgenstrahlung und bei den durch innere Konversion aus der Atomhülle herausgeschlagenen e~-Elektronen ein Linienspektrum (e~-Linien). In einem kontinuierlichen Spektrum sind sämtliche Energien zwischen 0 und einer Maximalenergie Emax vorhanden. Betastrahlung wird stets in Form eines kontinuierlichen Spektrums emittiert, ebenso weisen einige technisch wichtige Neutronenquellen ein kontinuierliches Spektrum auf. In Bild 1.1 sind zwei typische Spektren für jö_-Strahlung dargestellt. Auf der Ordinate ist die Zahl der Betateilchen pro Energieintervall in relativen Einheiten und auf der Abszisse die Betaenergie in Einheiten der Maximalenergie £ m a x des Spektrums aufgetragen. Die Kurve 1 ist charakteristisch für Nuklide hoher Ordnungszahl und für kleine Maximalenergien, während die Spektralform 2 für Nuklide kleiner Ordnungszahl und für große Maximalenergien typisch ist. In vielen Fällen ist einem kontinuierlichen Spektrum ein Linienspektrum überlagert. Bei der Wechselwirkung von Strahlung mit Materie entsteht durch Energieverluste und Streuung aus einer monoenergetischen Strahlung ein kontinuierliches Spektrum. 1.1.1.4. Richtungsverteilung der Strahlung Für die von einer Quelle emittierte Strahlung sind prinzipiell alle Winkelverteilungen möglich, die zwischen folgenden Grenzfällen liegen:
1.1.1. Allgemeine Eigenschaften einer Quelle ionisierender Strahlung
19
Bei einer isotrop oder kugelsymmetrisch strahlenden Quelle sind alle Richtungen gleich wahrscheinlich. Isotrope Richtungsverteilung besitzen radioaktive Gamma-, Beta- und Neutronenquellen, wenn das radioaktive Nuklid homogen über das Volumen oder die Oberfläche einer Kugel verteilt ist und wenn die Kapsel der Quelle kugelsymmetrisch aufgebaut ist. Ein homogenes paralleles Strahlenbündel kann näherungsweise bei künstlich beschleunigten Teilchen durch geeignete Fokussierung des Ionenstrahls oder bei radioaktiven Quellen durch Kollimatoren erreicht werden. Praktisch besitzen jedoch derartige Strahlenbündel stets eine endliche Divergenz, und die Intensität nimmt kontinuierlich nach dem Rande zu ab. 1.1.1.5. Stärke der Quelle Die Kennzeichnung der Stärke einer Quelle erfolgt je nach der Art der Quelle bzw. der Strahlung in verschiedener Weise. Die Stärke einer radioaktiven Alpha-, Beta -oder Gammaquelle kann durch die Aktivität des in ihr enthaltenen radioaktiven Nuklids charakterisiert werden. Die Aktivität A einer bestimmten Menge eines radioaktiven Nuklids ist definiert durch A=AN/At,
(1.11)
wobei A N die Anzahl der Kernumwandlungen oder Zerfälle bedeutet, die sich in der Zeit At in dieser Menge ereignen. Die Einheit der Aktivität ist das Curie (Ci), und zwar gilt 1 Ci = 3,70 • 10 10 Zerfälle/s. (1.12) Die Aktivität liefert nur einen groben Anhaltswert für die Zahl der pro Zeiteinheit von der Quelle emittierten Teilchen oder Quanten, da die Zahl der pro Zerfall emittierten Teilchen sehr unterschiedlich sein kann. Beispielsweise werden pro Zerfall von einer 60Co-Quelle zwei, von einer 137 Cs-Quelle 0,82, von einer 170 Tm-Quelle nur 0,03 Quanten (der Energie 84 keV), von einer 90 Sr-Quelle (im Gleichgewicht mit 9 0 Y) zwei Betateilchen und von einer 226 Ra-Quelle im Gleichgewicht mit den Zerfallsprodukten fünf Alphateilchen und etwa 2,2 Gammaquanten emittiert. Die Ergiebigkeit von Neutronenquellen wird häufig durch die QueUstärke gekennzeichnet, das ist die Zahl der pro Sekunde von der Quelle emittierten Neutronen. Schließlich kann die Stärke einer Quelle durch eine außerhalb der Quelle meßbare, das Strahlungsfeld in ihrer Umgebung kennzeichnende Größe, z. B. durch die Teilchen- oder Quantenflußdichte, die Intensität oder durch die Dosisleistung in einer bestimmten Entfernung von der Quelle, charakterisiert werden. Die Flußdichte 0 ist definiert als die Zahl der Teilchen oder Quanten, die pro Sekunde in eine Kugel mit der Querschnittsfläche 1 cm 2 eintreten (Dimension: c m - 2 s _ 1 ). Unter der Intensität I versteht man die gesamte kinetische Energie, die pro Sekunde in eine Kugel mit der Querschnittsfläche 1 cm 2 eintritt (Dimension: erg/cm2 s oder MeV/cm -2 s). Für eine monoenergetische Strahlung der Energie E gilt I — 0E. Die Ionendosisleistung gibt die elektrische Ladung d(? der Ionen eines Vorzeichens an, die mittelbar oder unmittelbar in einem mit Luft gefüllten Volumenelement der Masse dm pro Sekunde erzeugt wird. Die Einheit der Ionendosisleistung ist lR/s = 2,58 - 1 0 - 7 A/g. 2
20
1.1. Entstehung der ionisierenden Strahlung
Für eine punktförmige radioaktive Gammaquelle besteht zwischen der im Abstand l erzeugten Ionendosisleistung J' und der Aktivität A der Quelle folgender Zusammenhang: J'=TA/r-, (1.13) wobei r die für das betreffende Radionuklid charakteristische spezifische Gammastrahlungskonstante bedeutet (Einheit z. B. cm 2 mCi - 1 R/h). Der Wert von 7 1 hängt von der Quantenenergie und von der Zahl der pro Zerfall emittierten Gammaquanten ab [1]. Die Beziehung (1.13) gilt nur unter der Voraussetzung vernachlässigbarer Absorption und Selbstabsorption der Strahlung in der Quelle, lediglich bei Radium bezieht man die spezifische Gammastrahlungskonstante auf eine Filterung von 0,5 mm Platin. Eine analoge Beziehung gilt auch für radioaktive Betaquellen [2], wobei jedoch die entsprechende spezifische Betastrahlungskonstante selbst noch eine Funktion des Abstandes ist.
1.1.2. Radioaktive Nuklide und radioaktive Umwandlungen 1.1.2.1. Natürliche und künstliche radioaktive Nuklide Radioaktive Nuklide sind instabile Atomkerne, die sich spontan unter Emission ionisierender Strahlung in stabile Atomkerne umwandeln; dieser Vorgang heißt radioaktiver Zerfall. Eine radioaktive Umwandlung kann entweder direkt oder über eine Zerfallsreihe, d. h. über einen oder mehrere Atomkerne, die ihrerseits wieder instabil sind, zu einem stabilen Kern führen.
(RaC')
(RaB)
(KaA)
(RaB)
(Rai)
(RaF)
(RaC)
Bild 1.2. Zerfallsreihe des Radiums in vereinfachter Darstellung mit den am häufigsten auftretenden Alphaenergien bzw. Betamaximalenergien in MeV und Halbwertszeiten (a Jahre, d Tage, min Minuten, s Sekunden)
Alle in der Natur vorkommenden Atomkerne mit Ordnungszahlen Z > 83 sind radioaktiv. Es gibt drei natürliche radioaktive Familien; jede Familie hat eine Muttersubstanz, aus der durch fortgesetzten radioaktiven Zerfall unter Emission von Alpha-, Beta- und Gammastrahlung eine Kette radioaktiver Tochtersubstanzen entsteht, die schließlich bei einem stabilen Blei-Isotop endet: Thorium-Familie:
2
Actinium-Familie:
2
Uran-Familie:
2
3gTh -
22
gTh
2
g|Pb ^Pb ^Pb
||U
2
^Ac->
2
||U
2
||Ra-^
2
Die Zerfallsreihe des gegenwärtig auch in der Technik immer noch häufig verwendeten Radiums ist in Bild 1.2 in vereinfachter Form (unter Weglassung der in
1.1.2. Radioaktive Nuklide und radioaktive Umwandlungen
21
Wirklichkeit auftretenden Verzweigungen) dargestellt, wobei jeweils die am häufigsten auftretende Energie der Alphateilchen bzw. die Maximalenergie der Betateilchen sowie die Halbwertszeiten (vgl. 1.1.2.4) angegeben sind. Außerdem gibt es einige natürliche radioaktive Nuklide geringerer Ordnungszahl, z. B. die Isotope fíJK, 3'Rb, 'Hin, 175Re sowie einige Isotope der seltenen Erden. Die meisten der in der Technik und auf anderen Gebieten angewendeten radioaktiven Nuklide werden künstlich erzeugt. Die wichtigsten Herstellungsverfahren sind die chemische Abtrennung aus den durch Kernspaltung in Kernreaktoren entstehenden radioaktiven Spaltprodukten und die Bestrahlung stabiler Nuklide mit Neutronen im Kernreaktor oder mit energiereichen Teilchen oder Quanten in Beschleunigungsanlagen. Die künstlichen radioaktiven Nuklide sind Isotope, d. h. Elemente gleicher Ordnungszahl, aber verschiedener Neutronen- und Massenzahl eines entsprechenden stabilen Kerns. Der Ausdruck radioaktives Isotop sollte nur bei solchen Verfahren oder Anwendungen benutzt werden, bei denen die chemische Gleichartigkeit des radioaktiven und des entsprechenden stabilen Isotops von Bedeutung ist, wie z. B. in der Tracer-Technik.
1.1.2.2. Zerfallsarten Der Übergang von einem angeregten Zustand eines radioaktiven Atomkerns zu einem stabilen oder ebenfalls wieder angeregten Zustand des gleichen oder eines anderen Kerns kann durch «-, ß~-, ß+- und y-Zerfall, durch Ä-Einfang und — in sehr seltenen Fällen — durch Emission eines Neutrons erfolgen. Ein radioaktiver Kern hat eine endliche mittlere Lebensdauer, welche die Zerfallswahrscheinlichkeit bestimmt, die quantitativ durch die Zerfallskonstante oder durch die Halbwertszeit (vgl. 1.1.2.4) gekennzeichnet wird. In vielen Fällen existieren bei der gleichen Kernsorte, d. h. bei gleicher Zahl der Protonen und Neutronen, Atomkerne mit verschiedenen Anregungszuständen, die sich in der Zerfallsart oder bzw. und in der Zerfallswahrscheinlichkeit unterscheiden; solche Kerne werden als isomere Kerne bezeichnet. Dabei kann die eine Kernart stabil und die andere radioaktiv sein. So wird z. B. (vgl. Bild 1.3b) die Gammastrahlung des Nuklids 137 Cs von dem durch /9~-Zerfall des 137Cs entstehenden isomeren Kern 1§6iBa emittiert, der sich durch einen isomeren Übergang in den stabilen Kern J3gBa umwandelt. ot-Zerfall: Da das Alphateilchen ^He aus zwei Protonen und zwei Neutronen besteht, werden als Folge des Zerfalls die Ordnungszahl Z um zwei Einheiten und die Massenzahl A um vier Einheiten erniedrigt. Bedeutet M bzw. T das chemische Symbol des radioaktiven Mutterkerns bzw. des entstehenden Tochterkerns, so kann der Alphazerfall durch die Gleichung
beschrieben werden. In vielen Fällen werden Alphateilchen mit unterschiedlichen Energien emittiert, wobei jedoch die Alphateilchen einer Energiegruppe alle die gleiche Energie besitzen. Als Beispiel sei das Alpha-Linienspektrum des häufig verwendeten Plutonium-Isotops 239 Pu angeführt, welches sechs Energiegruppen emittiert; die drei häufigsten sind 5,150 MeV mit einer Häufigkeit von 72%, 5,134 MeV mit einer Häufigkeit von 1 7 % und 5,096 MeV mit einer Häufigkeit von 11%. Die Ursache ist darin zu suchen, daß durch den Alphazerfall des 2 3 9 Pu verschiedene Anregungszustände des Tochterkerns 2 3 5 i U erreicht werden können, wie das in Bild 1.3 a dargestellte Zerfallsschema zeigt.
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1.1. Entstehung der ionisierenden Strahlung
ß~-Zerfall: D a die Masse des E l e k t r o n s im Vergleich zur Masse des A t o m k e r n s sehr klein ist, ä n d e r t sich beim /9~-Zerfall die K e r n m a s s e n u r geringfügig, die Ordnungszahl wird u m eine E i n h e i t e r h ö h t :
U r s a c h e für einen /3~-ZerfalI ist ein N e u t r o n e n ü b e r s c h u ß des r a d i o a k t i v e n Isotops im Vergleich zur N e u t r o n e n z a h l des e n t s p r e c h e n d e n s t a b i l e n I s o t o p s .
instabile oder metastabile Niveaus; / / / / / / / / / / stabiles Grundniveau B e t a t e i l c h e n h a b e n s t e t s ein k o n t i n u i e r l i c h e s E n e r g i e s p e k t r u m . I m allgemeinen gilt die R e g e l , daß der A n t e i l niederenergetischer E l e k t r o n e n im S p e k t r u m mit
1.1.2. Radioaktive Nuklide und radioaktive Umwandlungen
23
wachsender Ordnungszahl Z des Strahlers und mit abnehmender Maximalenergie der Strahlung zunimmt (vgl. Bild 1.1). Für die mittlere Betaenergie E gilt näherungsweise
( £ m a x in MeV). In vielen Fällen emittiert die gleiche Kernart mehrere Betateilchen mit verschiedenen Maximalenergien. Als Beispiel sei wiederum das Nuklid 137 Cs genannt (vgl. Bild 1.3 b). Die Zahl der reinen /5~-Strahler, d. h. solcher Nuklide, die ausschließlich Betateilchen bzw. nur geringe Anteile anderer Strahlungsarten emittieren, ist relativ gering. Die am häufigsten benutzten reinen /3~-Strahler sind zusammen mit den Maximalenergien und Halbwertszeiten in Tab. 1.2 (s. S. 165) zusammengestellt. ß+ -Zerfall: Beim Positronenzerfall entsteht ein Tochterkern mit einer um eine Einheit niedrigeren Ordnungszahl:
¿ M - ^ T + r . Positronenzerfall existiert nur bei künstlich hergestellten Radio-Nukliden und ist nur dann möglich, wenn der radioaktive Kern im Vergleich zum Tochterkern einen Protonenüberschuß und einen Energieüberschuß von mindestens 1 MeV besitzt. Positronen werden ebenso wie /3~-Strahlung in Form eines kontinuierlichen Spektrums emittiert, wobei bevorzugt die in Bild 1.1 dargestellte Spektralform 2 auftritt. das Positronen Ein reiner Positronenstrahler ist z. B . das Kohlenstoff-Isotop mit einer Maximalenergie von 0,97 MeV emittiert und sich in das stabile BorIsotop 4|B umwandelt (vgl. Zerfallsschema Bild 1.3c). Wie bereits erwähnt, ist Positronenstrahlung stets von der Vernichtungsstrahlung begleitet, indem pro /S+-Zerfall zwei Gammaquanten mit einer Energie von 0,511 MeV entstehen. K-Einfang: Anstatt durch Emission eines Positrons kann ein vorhandener Protonenüberschuß auch dadurch beseitigt werden, daß der Kern aus der Ä-Schale der Elektronenhülle — in selteneren Fällen auch aus einer der höheren Schalen — ein Elektron einfängt. Der durch /f-Einfang entstehende Tochterkern hat wie im Falle der /9+-Emission eine um eine Einheit kleinere Ordnungszahl. Im Vergleich zu /^-Umwandlungen tritt /f-Einfang bevorzugt bei schwereren Atomkernen auf. Die in der Ä"-Schale entstandene Elektronenlücke wird durch Übergang von Elektronen aus den höheren Schalen wieder aufgefüllt, wobei die charakteristische Röntgenstrahlung des durch den /f-Einfang gebildeten Tochterelements oder Auger-Elektronen emittiert werden. Ein reiner /^-Einfang-Strahler ist das EisenIsotop l l E e , welches sich in ®!Mn umwandelt, wobei ausschließlich das charakteristische Röntgenspektrum des Mangangs emittiert wird (Zerfallsschema Bild 1.3 d). y-Zerfall: Mit Ausnahme der erwähnten isomeren Übergänge von einem angeregten isomeren Kern zu seinem Grundzustand, die ausschließlich durch Gammaemission erfolgen können, tritt Gammastrahlung in der Regel als Folge einer der besprochenen Zerfallsarten auf. Insbesondere wird bei Umwandlungen durch Betazerfall oder durch /f-Einfang sehr häufig nicht direkt der Grundzustand, sondern ein oder mehrere angeregte Zustände des Tochterkerns erreicht, deren Anregungsenergie in Form eines oder mehrerer Gammaquanten emittiert wird, wie die in den Bildern 1.3 a, b, e, g und i angeführten Zerfallsschemata zeigen.
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1.1. Entstehung der ionisierenden Strahlung
Ein Gammaquant kann aus der /f-Schale (weniger häufig auch aus einer der höheren Schalen) des eigenen oder eines anderen Atoms innerhalb der Quelle ein Elektron abtrennen. Diese Konversionselektronen besitzen im Gegensatz zu den Betaspektren eine einheitliche Energie, die gleich der Differenz aus Quantenenergie minus Bindungsenergie des Elektrons ist. Meist existieren mehrere als e _ -Linien bezeichnete Energiegruppen von Konversionselektronen, da in vielen Fällen mehrere Quantenenergien emittiert werden und da die Elektronen prinzipiell aus verschiedenen Schalen abgetrennt werden können. Tritt die Gammastrahlung als Folge eines Betazerfalls auf, so ist das kontinuierliche Betaspektrum von einem diskreten e~-Linienspektrum überlagert. Ähnlich wie beim .fi-Einfang wird in diesem Fall zusätzlich noch das charakteristische Röntgenspektrum emittiert. Die innere Konversion führt zu einer Verminderung der effektiv pro Zerfall emittierten Quantenzahl, eine besonders starke innere Konversion liegt z. B. bei dem bereits erwähnten Thulium-Isotop 1 7 0 Tm vor. 1.1.2.3. Zerfallsschema Das Zerfallsschema eines radioaktiven Nuklids gibt einen Überblick über die für seine Anwendung wichtigen Daten. Es enthält die emittierten Strahlungsarten, ihre Energien, die prozentualen Häufigkeiten für die einzelnen Strahlungsarten bzw. Energien sowie die Halbwertszeiten. Gemäß Bild 1.3, in dem einige einfache Beispiele für Zerfallsschemata dargestellt sind, werden die für die betreffenden radioaktiven Umwandlungen wichtigen Energieniveaus der beteiligten Atomkerne durch waagerechte Linien gekennzeichnet, deren senkrechter Abstand proportional der Zerfallsenergie (bei Betastrahlung der Maximalenergie) und deren waagerechte Verschiebung proportional zur Differenz der Ordnungszahlen der beteiligten Atomkerne gewählt wird.