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German Pages 142 [136] Year 1964
HAFEN HAMBURG
HAFEN HAMBURG Photographie: JÜRGEN WIECHMANN Text- und Gestaltung: CLAUS LAFRENZ
Zweite erweiterte Auflage 1964
CRAM, DE G R U Y T E R & C O • H A M B U R G
Umschlagbild: Hans Hartz, H a m b u r g K a r t e u n d Illustrationen a u f d e m V o r s a t z p a p i e r : A l b e r t Ott, Buchholz In d e r N o r d h e i d e D i e V o r l a g e n zu d e n Bildern Im Textteil stellte u n s d a s Bildarchiv d e s M u s e u m s f ü r H a m b u r g i s c h e Geschichte zur V e r f ü g u n g
C o p y r i g h t 1962 b y C r a m , de G r u y t e r & C o , H a m b u r g 13 K l i s c h e e s : A l e x a n d e r & W e l n e r t , H a m b u r g 26 Gesamtherstellung : C h r i s t i a n W o l f f , G r a p h i s c h e Betriebe G m b H , F l e n s b u r g
D i e H a n s e s t a d t H a m b u r g im Schutz des W a l l e s Z u B e g i n n d e s D r e i ß i g j ä h r i g e n K r i e g e s liefjen d i e d a m a l s etwa 50 000 H a m b u r g e r r i n g s um i h r e S l a d t e i n e neue B e f e s t i g u n g s a n l a g e a u f w e r f e n , d i e z u d e n stärksten E u r o p a s z ä h l t e . A u c h a m E l b u f e r b a u t e n sie W ä l l e und B a s t i o n e n , und d e r H a f e n l a g g l e i c h f a l l s in ihrem Schutz.
H A F E N H A M B U R G - seien wir ehrlich - dieser Begriff ist den Hanseaten von der Alster gar nicht recht geläufig. Im allgemeinen pflegt man hier »der Hamburger Hafen« zu sagen. Hafen Hamburg, das ist mehr die offizielle Bezeichnung. Jedoch - deshalb haben wir diesen Titel nicht gewählt. Wäre das »Offizielle« das Mafj der Dinge, dann hätte wohl manches Bild von weitbekannter Postkartenherrlichkeit nicht einfach fehlen dürfen, weder die obligate Luftaufnahme von der »Vielzahl der sich fächerförmig ausbreitenden Hafenbecken«, noch das Bild vom Elbtunnel, noch das Photo vom idyllischen Blankenese oder die fachgerechte Darstellung der unter Experten nachgerade weltberühmten »Hamburger Kai-Aufteilung«. Wobei wir zugeben müssen: den Michel haben wir durchaus im Bild; und der Uhrturm der St.-Pauli-Landungsbrücken ist auch zu sehen. A n einigen Berühmtheiten kommt man eben doch nicht vorbei, auch dann nicht, wenn man vorwiegend das Ziel verfolgt, vom Hafen mehr zu zeigen, als er bei einer Stippvisite offenbart, darzustellen, was er tatsächlich ist: der nach wie vor bedeutsamste Arbeitsplatz der 1,8-Millionen-Stadt und ein Hauptknotenpunkt der internationalen Schiffahrt. Gleichfalls zugegeben: eine Antwort auf die Frage, warum »Hafen Hamburg« und warum nicht umgekehrt, ist das keineswegs. Sie soll indes nicht verschwiegen werden. Wir meinen: »Hafen Hamburg« deshalb, weil der Hafen seit nunmehr fast achthundert Jahren gleichbedeutend ist mit dieser Stadt; weil deren Entwicklung, deren Geist, deren Gröfje und deren Stellung als selb-
ständiges Staatswesen nicht denkbar wären ohne das, was man schlicht den »Hafen« nennt. Das gilt für das Einst und um keinen Deut weniger für das Heute. M a g in jetziger Zeit auch noch so viel von der dreigeteilten hamburgischen Wirtschaft die Rede sein, von den drei Säulen Handel, Verkehr (sprich: Schiffahrt) und Industrie - Handel und Verkehr haben schon immer eine untrennbare Einheit gebildet; und was die Industrie, die besonders nach dem zweiten Weltkrieg einen großen Aufschwung genommen hat, betrifft: ohne die rohstoffbeladenen schweren Frachter und ohne die Umschlagplätze im Hafen wäre Hamburg nie und nimmer auch zur größten deutschen Industriestadt aufgestiegen. Allein der Hafen und sein Handel sind es, die diese Siadt zu einem Platz von infernationaler Bedeutung machen. Und es ist allenfalls eine ganz leichte Übertreibung, wenn man sagt, dafj keineswegs jeder Ausländer, der an die Alster kommt, auch das Bedürfnis hat, Bonn kennenzulernen; dafj es umgekehrt aber keinem Bonn-Besucher fremder Zunge einfällt, an Hamburg vorbeizufahren. Jedoch, mit dem Wort »Hafen« ist es bei uns so eine Sache. Es steht für sehr vieles. W o die Engländer von harbours, porfs und docks sprechen, d a kennen wir nur Häfen. Wir haben Stückguthäfen, Tankschiffhäfen, Binnenschiffhäfen, Wendehäfen, Werffhäfen, und alle haben sie ihren Namen, von Hansa bis Südwest, von Kuhwerder bis Kaiser Wilhelm. Einen Segelschiffhafen haben wir immer noch, der Kohlenschiffhafen fehlt nicht, der Reiherstieg und der Grenzkanal sind gleichfalls
V
Häfen, und lediglich in H a r b u r g , wo ein k n a p p e s dreiviertel Jahrhundert l a n g eine preußisch-spartanische O r d n u n g geherrscht hat, d a gibt es nur Nummern: Seehafen I, Seehafen II, Seehafen III, Seehafen IV . . . D a s G a n z e unter einen Huf gebracht heißt, d a ß der H a f e n H a m b u r g g e n a u die Summe dieser vielen S p e zialhäfen ist. W e s h a l b auch d i e Experten ihn einen Universalhafen von g e r a d e z u klassischer Vielfältigkeit nennen. Entsprechend sind seine Dimensionen. S a g t ein H a m b u r g e r , er fahre mal e b e n in den Hafen, und nennt er d a b e i keinen Namen, d a n n soll m a n ihn a n schließend lieber nicht suchen wollen. Denn in solchem F a l l ist d a s g a n z e große A r e a l zwischen Finkenwerder und den Elbbrücken, zwischen dem Nordufer der Norderelbe und dem Südufer der Süderelbe bei Harburg gemeint. Und d a s sind in der einen Richtung fünfzehn und in der anderen neun Kilometer. Das ist eine Fläche v o n rund 75 Quadratkilometern, ziemlich g e n a u ein Zehntel des hamburgischen Staatsgebietes und so viel, d a f j man darauf bequem eine mittlere Großstadt errichten könnte. W a s auf dieser Fläche versammelt ist, darf m a n mit einigem Recht imposant nennen: 36 Seeschiffhäfen und 23 Flußschiffhäfen; L i e g e p l ä t z e für rund 300 Fracht-
schiffe des Überseeverkehrs und der Küstenfahrt; 65 K a i schuppen mit einer Lagerfläche für Stückgüter v o n n a h e z u 600000 Quadratmetern; Speicher und H a l l e n für die W a r e n aus aller Welt mit 520000 Q u a d r a t metern; T a n k l a g e r für 2,9 Millionen Kubikmeter Mineralöl; Getreidesilos, die mehr als 500000 Tonnen fassen; Werften aller Größen, die zusammen 3 0 0 0 0 M a n n beschäftigen; F a b r i k e n und V e r a r b e i t u n g s betriebe aller Art, darunter drei bedeutende Erdölraffinerien. Allein im Freihafen, dem 16 Q u a d r a t k i l o meter großen (zollneutralen) Kerngebiet des Hafens, h a b e n rund 60000 ihren W e r k p l a t z oder Schreibtisch oder ihre Arbeit a n Bord und a m K a i ; doch ist es g a n z unmöglich, d i e Z a h l derer exakt zu nennen, die im H a f e n oder für den Hafen tätig sind - denn wie g e s a g t : der Hafen, d a s ist, g r o ß z ü g i g a u s g e l e g t , eigentlich g a n z Hamburg. Ein Spötter übrigens, der sich einmal über die G a t tung Hafen a u s g e l a s s e n hat, schloß seine Betrachtung a b mit d e n Worten: ». . . und d a n n gibt es noch d e n .schnellen Hafen H a m b u r g ' ! « W o z u es a n z u m e r k e n gilt: in der Hansestadt nimmt man diesen W e r b e s l o g a n äußerst ernst. W ü r d e man hier keine schnelle Arbeit leisten, würde man nicht jedes Schiff sofort anfassen,
Der Hafen um etwa 1600, als der grofye Befestigungsring noch nicht g e b a u t war In der Bildmitte (gekrümmt) der älteste H a f e n der Stadt, d a s h e u t i g e N i k o l a i - F l e e t ; links d a v o n der N i e d e r h a f e n , der mit P a l i s a d e n r e i h e n zum Strom hin a b g e g r e n z t w a r und nadits durch schwimmende Bäume geschlossen wurde.
VI
um seine pünktliche A b f a h r t zu garantieren -
ohne
einen ausgezeichneten Kundendienst w ä r e in diesem Hafen, den die nur 50 Kilometer entfernte Zonengrenze vom größten Teil seines einstigen Hinterlandes weitg e h e n d abschließt, schwerlich wieder ein Umschlag von alljährlich mehr als 30 M i l l i o n e n Tonnen Güter erreicht w o r d e n ; dieser Hafen w ä r e nicht der Heimathafen v o n mehr als der Hälfte der deutschen Handelsflotte, w ü r d e im Jahr nicht von 20000 Seeschiffen aus 50 Nationen a n g e l a u f e n , hätte nicht wieder Linienverbindungen zu 1100 Häfen in allen Kontinenten, wäre nicht den Kriegszersförungen und der Spaltung Deutschlands zum Trotz der Umschlagsmenge nach hinter Rotterdam und A n t werpen der drittgrößte Hafen auf dem Kontinent. H a m b u r g liegt nicht a n der See, sondern tief Binnenland, hundert
Kilometer tief. Und der
im
»Salz-
geschmack auf der Zunge« ist allenfalls Dichtung, Seemannsgarn. Für manchen, der zum ersten M a l e auf den St.-Pauli-Landungsbrücken steht, ist das trotz aller Einst a m
Imposanz der Schiffe, Kräne, Werften eine Enttäuschung. Jedoch: allein dort, w o derElbstrom den ersten Brückenschlag zwischen M i t t e l e u r o p a und dem Norden
Baumwall
» W e r f t a r b e i t « v o r e i n i g e n h u n d e r t J a h r e n : e i n Schilf w i r d ü b e r h o l t .
ge-
stattet, dort, w o d i e Elbe zugleich zur weit nach Zen-
Kontinente waren, d a blieb den hamburgischen Kauf-
t r a l e u r o p a hineinreichenden Binnenwasserstraße wird,
leuten nur eine Art Zwischenhandel mit den portugie-
konnte sich der W e l i h a f e n entwickeln. Und wenn auch
sischen, spanischen, britischen und
Pläne bestehen, draußen im 110 Kilometer entfernten
Kaufherren, denen mächtige Staaten ihre M o n o p o l e
Wattenmeer
vor Cuxhaven, bei der Insel
niederländischen
Neuwerk,
in Ubersee sicherten. Daß sie diesen Zwischenhandel
einen V o r h a f e n für Superschiffe zu bauen - man soll
sehr eifrig und g e w i n n b r i n g e n d betrieben h a b e n , daß
sich d a v o n doch nicht täuschen lassen. Ein solcher V o r -
sie damals in Deutschland die führenden
hafen w i r d allein ein Industriehafen werden, für Eisen-
von »Kolonialwaren« gewesen sind, nun, das versteht
hütten e t w a oder Erdölraffinerien. Das »Herzstück« des
sich a m Rande. Es stimmt auch nicht, daß d i e Ham-
Hafens w i r d bleiben, w o es ist. Denn die Güter aus
burger bereits seit den Tagen der Hanse Bürger einer
aller W e l t und die Güter, d i e in a l l e W e l t gehen, sie
freien Reichsstadt w a r e n ; sie sind es erst seit 1618 und
Importeure
können nicht gelöscht und g e l a d e n werden ohne die
konnten die letzte Bindung a n den Herzog v o n Hol-
unmittelbare Nähe jener, die sie importieren und ex-
stein, der zugleich dänischer König w a r , g a r erst 1768
portieren. Gemeint sind die Kaufleute. Und diese, als
lösen.
gute Rechner bekannt, werden sich hüten, ihren Hafen
Die Hanseaten w a r e n nicht einmal die berühmten
mit der Elbmündung zu vertauschen. Denn es g i b t kein
Seefahrer, für die sie überall gelten. Eher ist das G e -
Transportmittel, das preiswerter w ä r e als ein Schiff.
genteil der Fall. Zur Hansezeit zum Beispiel, als die
M a n w i r d es deshalb auch künftig so weit wie möglich
Lübecker ihre große Flotte hatten und die benachbar-
ins L a n d hineinfahren lassen.
ten Bremer nicht nur d e n Handel, sondern auch die
Mancher w i r d auch enttäuscht sein, wenn er hört,
Schiffahrt selbst in ziemlich großem U m f a n g betrieben,
daß das, was man den »Welthafen« H a m b u r g nennt,
besaßen die Hamburger nur relativ w e n i g e der dick-
eigentlich noch keine hundert Jahre alt ist. Es läßt sich
bauchigen und hochbordigen K o g g e n . Sie ließen ihre
jedoch nicht leugnen. Als man Lübeck die »Königin der
W a r e n v o r w i e g e n d von anderen befördern. Das blieb
Hanse« und Brügge den »Stapel der Christenheit« hieß,
so bis ins 19. Jahrhundert hinein - die britische F l a g g e
d a spielten die Hanseaten von der Alster nur eine
spielte im Hafen die dominierende Rolle. Und die große
zweite G e i g e im Orchester der großen Häfen. Und als
Zeit der hamburgischen G r ö n l a n d f a h r f (des W a l f a n g s
A n t w e r p e n , London, Lissabon, Amsterdam
Um-
im Nordmeer), die zweihundert Jahre lang eine unbe-
schlagplätze für die W a r e n aus den Kolonien der neuen
streitbar bedeutsame seemännische Leistung w a r , ist
die
VII
»Der Schiffe M a s t e n w a l d « a n den Vorsetzen In der Mitle des 1«. Jahrhunderts
Das Elbufer nach der winterlichen Orkanflut des 9. Januars 1839
VIII
nicht v o n den alteingesessenen Geschlechtern, sondern
n o t w e n d i g e finanzielle Rückhalt fehlt, mit dem unvor-
um die M i t t e des 17. Jahrhunderts von zugezogenen
hergesehene Verluste ausgeglichen werden können.
Niederländern in G a n g und zur Blüte gebracht worden.
Die Hamburger haben nie einen »erblichen Bürger-
Fragt man d i e heutigen Hamburger gar nach einem
adel«, ein Patriziat, gekannt. Zu den Führenden a u f -
Seehelden - d i e meisten werden keinen nennen kön-
steigen konnte jeder - er mußte nur ein tüchtiger und
nen. Die Seeräuber
Klaus Störtebeker und
Godeke
w o h l h a b e n d e r Kaufmann sein. Nach dem W o h e r fragte
Michels, d i e ihrem H a n d e l einst so großen
Abbruch
man nicht. So waren d i e B e e n , dieAmsinck, d i e R o o s e n ,
taten, sind viel mehr in ihr Bewußtsein e i n g e g a n g e n
d i e v a n der Smissen, die im 16. Jahrhundert d i e ersten
als deren
W a l f ä n g e r ins Nordmeer schickten, aus ihrer Heimat
Bezwinger. Allenfalls rühmen sie
»ihren«
Simon v o n Utrecht (der, wie schon der N a m e verrät,
vertriebene mennonitische Niederländer (von denen es
ein westtriesischer Niederländer in ihren Diensten g e -
zeitweise in der 40000-Seelen-Stadt nicht weniger als
wesen ist), und sie unterschlagen sicherlich, d a f j der
10000 g e g e b e n hat); so war Robert Miles Sloman, der
Kommandeur, der d i e b e i d e n Seeräuber 1401 und 1402
vor mehr als hundert Jahren d i e ersten hamburgischen
bei H e l g o l a n d zur Strecke brachte, Nikolaus Schoke
Dampfschiffe nach A m e r i k a fahren ließ, der Sohn eines
hieß und Ratsherr w a r in ihrer Stadt. Damit
Einwanderers aus E n g l a n d ; so hat der weltberühmte
Simon v o n Utrecht, dem
hamburgischen
jedoch
Seehelden,
Segelschiffsreeder
Ferdinand
Laeisz
als
Hutmacher
dem man im allgemeinen diese Tat zurechnet, kein
schwäbischer Herkunft b e g o n n e n ; so sind d i e G o d e f f r o y
Unrecht widerfahre, b l e i b e nicht unerwähnt, daß er
ebenso wie d i e d e C h a p e a u r o u g e französischen G e -
als junger M a n n schon bei H e l g o l a n d d a b e i g e w e s e n
blüts;
ist und daß er d i e Seeräuber schließlich in der Ems-
Reeders A d o l p h W o e r m a n n ein aus Bielefeld
m ü n d u n g e n d g ü l t i g aufs Haupt geschlagen hat, gut
zogener Leinenkaufmann; so w a r Johannes D a l m a n n ,
drei Jahrzehnte später. Sein Flaggschiff war »De bunte
der in der M i t t e des 19. Jahrhunderts d i e Idee hatte,
Koh vun Flandern«, a m Bug geschmückt mit
den neuen Hamburger Hafen als offenen Tidehafen zu
einer
mächtigen Hörnerzier.
so war
der
Vater
des
bedeutenden
Afrikazuge-
b a u e n und sie g e g e n den W i d e r s t a n d der vielen A n -
So erhebt sich d i e Frage, was denn um alles in der
hänger des Docksystems in l a n g w i e r i g e m Streit endlich
W e l t dieses H a m b u r g nun tatsächlich ist. M a n braucht
durchsetzte, gebürtiger Lübecker; so war A l b e r t Ballin,
den Kontrapunkt zu dem eben Gesagten nicht
un-
der d i e H a m b u r g - A m e r i k a - L i n i e in w e n i g e n Jahrzehn-
bedingt zu setzen. Er ist d a , seit acht Jahrhunderten:
ten zur damals größten Reedefei d e r W e l t machte und
motorische
entscheidenden A n t e i l hatte a m Aufstieg der Stadt zum
Hafenstadt von Rang. Ihre Bürger h a b e n es verstanden,
W e l t h a f e n , ein Bürger jüdischen Glaubens. Jude auch
mit der Zeit zu gehen und im entscheidenden A u g e n -
war Heinrich Heines O n k e l Solomon Heine, der im Jahre
ein
blühendes
Gemeinwesen,
eine
stets
blick d i e Gunst der L a g e zu nutzen; sie h a b e n in ihr
1842, als nach d e m großen Brand weite Teile Ham-
Tun nie zu viel investiert, aber auch nie zu w e n i g und
burgs in Schutt und Asche lagen, als a l l e verzagten,
sogar eine sehr große M e n g e , wenn es darauf a n k a m ;
als selbst d i e größten Handelshäuser g l a u b t e n , ihren
sie h a b e n fast immer das eine getan, ohne das a n d e r e
Verpflichtungen nicht mehr nachkommen zu
zu lassen; und sie h a b e n sich den Frieden lieber mit
einer ganzen Stadt wieder M u t machte, indem er mit
können,
dem W o r t erstritten als mit dem Schwert - wenn es
Entschiedenheit erklärte: »Ich d e n k e auch nicht einen
denn g a r nicht anders g i n g , h a b e n sie auch tief in den
Augenblick d a r a n , meine Z a h l u n g e n zu suspendieren.«
Beutel gegriffen und ihn erkauft. Denn sie w a r e n und
- Es ist offenbar das besondere Wesensmerkmal dieser
sie sind Kaufleute, Kaufleute, d i e a n fremden Küsten
Hafenstadt, daß sie d i e vielen Fremden, die ihr immer
H a n d e l und Produktion ankurbelten und d a b e i viel-
wieder zugeströmt sind, in kürzester Zeit assimiliert hat.
fältige Risiken eingingen. Das hat sie d a v o r bewahrt,
»Hamburger ist man ganz und gar oder
wie kühne Entdecker, Seefahrer oder Krieger übermütig
nicht«, hat der in der Fremde lebende
zu w e r d e n ; und das hat sie zum anderen gezwungen,
Joachim Maass einmal gesagt.
stets und ständig Neues zu unternehmen. Das hat sie ebenso zu den vielzitierten »Krämerseelen«
werden
überhaupt Schriftsteller
Es läßt sich in der Entwicklung v o n Hafen und Stadt v o n der ältesten Zeit her bis heute manche Parallele
lassen wie zu einer Gemeinschaft, d i e sich nie gesträubt
finden. So wie man jetzt, d a d i e Sowjetzone eine g e -
hat, frischen Kräften eine Chance zu geben. Denn der
wisse Grenze setzt, insbesondere den A u f b a u neuer
H a n d e l gedeiht nicht, wenn man sich auf seinen Lor-
Industrien fördert, so hafte man auch im Mittelalter zu-
beeren ausruht; und er ist nicht von Dauer, wenn der
sätzlich zum H a n d e l schon ein blühendes
Gewerbe. IX
V o r mehr als h u n d e r t Jahren schon f u h r e n R a d d a m p f e r n a d l Auch d a m a l s
waren
die
St.-Pauli-Landungsbrüdcen
»Das Brauhaus der Hanse« nannte man die Stadl der
der
TreHpunkf
der
Helgoland Vergnügungsreisenden
jedoch setzten sich links neben die führenden Lübecker
Kaufleute und 500 Bierbrauereien. Doch sollte man ihre
und hielten damit gleich den Kölnern einen (wenn auch
Stellung innerhalb des Städtebundes auch wiederum
etwas weniger wertvollen) zweiten Rang.
nicht unterschätzen. Immerhin w a r sie Lübecks Nordsee-
Bereits damals also w u r d e augenscheinlich die Ri-
halen für jene W a r e n , die für die gefahrvolle »Um-
v a l i t ä t zwischen denen v o n der Weser und denen v o n
fahrt« (um Skagen) zu wertvoll w a r e n und deshalb zwi-
der Alster begründet. Doch -
schen Elbe und Trave auf dem L a n d w e g
befördert
pense! Konkurrenz belebte den H a n d e l schon immer,
wurden. Und immerhin: den dritten Platz nahmen die
und im übrigen ist das Verhältnis der Hamburger zu
H a m b u r g e r auf den Hansetagen hinter Lübeck
und
den Bremern e t w a d e m j e n i g e n zu den (beneideten w i e
Köln trotz allem ein - allerdings nicht zuletzt deshalb,
bewunderten) britischen Vettern zu vergleichen; man
hony soit, qui mal y
Diplomaten waren. Das hat
hat sich stets auf freundschaftliche Weise um die Kun-
ihnen niemand nachhaltiger bescheinigt als der zor-
den gerauft. Geschäft ist Geschäft - das mufjte vor
weil sie h e r v o r r a g e n d e
nige dänische König Christian IV., der im Seekrieg
einem halben Jahrhundert selbst Kaiser W i l h e l m
zwar siegreich gewesen w a r , bei den V e r h a n d l u n g e n
erfahren, als er den alten Laeisz nach der Rentabilität
II.
des Jahres 1648 zum Westfälischen Frieden a b e r den-
seiner Grofjsegler b e f r a g t e und d i e
noch o f f e n b a r den kürzeren g e z o g e n hatte.
Anders
atische A n t w o r t erhielt: »Aber M a j e s t ä t , das kann ich
klassisch-hanse-
hätte er w o h l schwerlich f o l g e n d e n Satz niedergeschrie-
doch nicht sagen, w o die g a n z e Konkurrenz zuhört!«
b e n : » O b w o h l W i r eher des Himmels Einsturz vermutet
Kleine A n m e r k u n g zu dieser Rentabilität: die Laeisz'
hätten als den Triumph der hochmütigen Krämer, h a -
h a b e n den Hamburgern die Musikhalle gestiftet, nichts
ben diese g e w o n n e n
weniger.
durch einen mit
Teufelslisten,
übel anstehenden M a c h i n a t i o n e n und versteckter Her-
Es ist schon erwähnt w o r d e n , mit dem Krieg h a b e n
zenstücke erfochtenen Sieg.« Schon lange vorher, so
d i e H a m b u r g e r nie viel im Sinn g e h a b t . W o h l h a b e n
w i r d es jedenfalls überliefert, hatten die H a m b u r g e r
sie mit Lübeck sehr e n g zusammengewirkt, a b e r sie
ein anderes Meisterstück geliefert, im Streit mit Bremen
h a b e n doch vergleichsweise sehr w e n i g zu den kriege-
um den erwähnten dritten Platz auf den Hansetagen,
rischen Auseinandersetzungen der Hanse b e i g e t r a g e n .
indem sie statt der bis d a h i n gültigen einseitigen Tisch-
M a n hat stets nur das zur V e r t e i d i g u n g Notwendigste
o r d n u n g die zweiseitige vorschlugen: die Herren v o n
g e t a n und im Zweifelsfall lieber gezahlt. G e l d vor a l l e m
der Weser b e k a m e n wie gewünscht ihren dritten Platz
w a r ihre G a r a n t i e für eine tatsächliche Freiheit, die sie
neben den Kölnern, die A b g e s a n d t e n von der Alster
nominell bis 1648 oder g a r 1768 nicht besagen. O h n e
X
ihren guten Staatsschatz hätten sie die Streitigkeiten um die Zollhoheit auf der Elbe gegen die geldbedürftigen dänischen Könige schwerlich für sich entschieden; ohne klingende Münze hätten sie vielerlei Fürstenneid nicht eliminieren können; ohne eine Riesensumme wäre es ihnen kaum möglich gewesen, zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges die stärksten Fesfungswälle Europas aufzuschütten und in deren Schutz drei Jahrhunderte lang unbehelligt in Freiheit zu leben. Wenn es denn sein mußte, stürzten sie sich sogar in immense Schulden. Das taten sie vor allem 1768, als sie sich für vier Millionen (!) Taler - für etwa den vierfachen Wert ihres damaligen Jahres-Etats - vom Dänenkönig ihre endgültige, absolute Freiheit erkauften. Daß sie dabei zugleich einige-damals ziemlich wertlose Elbinseln einhandelten, das ehrt sie besonders. Denn genau diese schlechten, feuchten, nur halbwegs eingedeichten Wiesen-Eilande ermöglichten ihren Urenkeln hundert Jahre später den so schnellen und großzügigen Ausbau des Hafens. Es ist kein Zweifel, die geographische L a g e war und ist entscheidend für die Stellung Hamburgs als Handelsstadt. Sie überlebte die Hansezeit deshalb so blendend, weil sie nach der Entdeckung der neuen Welten zum atlantischen Umschlagplatz für einen nicht geringen Teil Deutschlands und Mitteleuropas werden konnte. Das Verdienst ihrer führenden Männer dabei ist es, daß sie neue Gelegenheiten meistens recht schnell erkannt haben. Das berühmteste Beispiel dafür
ist aus dem vorigen Jahrhundert überliefert, aus der Zeit um 1822, als die lateinamerikanischen Länder sich von der spanischen und portugiesischen Herrschaft befreiten, als auch die Engländer die Handelsbeschränkungen zu ihren Kolonien zu lockern begannen. Da tat Präses Haller auf der Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmannes in der Börse den eigentlich so unhanseatischen Ausruf: »Eine neue Zeit ist angebrochen! Alle seit Jahrzehnten uns verschlossenen, fast verborgenen Länder und Erdteile sind uns offen geworden!« Außerdem pflegten sie, wie schon betont, nüchternpraktischen Sinnes nie das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Mögen sie auch noch so viel in ihren Alsterkanal nach Lübeck investiert haben, so gaben sie trotzdem stets noch mehr für die Elbe aus, ihren Seeweg zur Nordsee. Seitdem sie am 7. Mai des Jahres 1189 in einem Freibrief des Kaisers Friedrich I. (Barbarossa) die Zollfreiheit auf der gesamten Elbe bis zur Nordsee garantiert bekommen hatten, haben sie mit allen Mitteln darüber gewacht, daß niemand ihnen ihre Stromhoheit streitig machte. G a n z gewiß sind sie nicht kleinlich verfahren; es ging ihnen - nach, wie man hinzusetzen muß, gutmittelalterlicher Art - nicht ums G e l d und schon gar nicht um das Heraufbeschwören langwieriger rechtlicher Streitereien, wenn es galt, eine lästige Konkurrenz an der Elbe auszuschalten. Weder die Rivalin Stade noch später das vom dänischen König geförderte Glückstadf haben sich auf die Dauer gegen die Hamburger durchsetzen können.
1833: Die Elbe bei Hamburg im Winter Die Schiffahrt ruht, der Bürger sucht sein Vergnügen auf dem Eis des Stromes.
XI
Schon um 1300 hatten sie auf der Insel Neuwerk in
Keineswegs nämlich ist die Elbe früher in so breitem
der Elbmündung den weithin bekannten Turm g e b a u t ,
Strom an ihrer Stadt vorbeigeflossen wie heute. Im
der heute -
ihr
G e g e n t e i l ! Ursprünglich w a r die Süderelbe der H a u p t -
ältestes G e b ä u d e ist. Seezeichen, Sichtmarke für die
arm, hatte H a r b u r g das meiste Wasser. Doch haben
Schiffer, sollte er erst in zweiter Linie sein. Vor allem
die Hamburger wie a n der Unterelbe, so auch hier
mit drei M e t e r
starken M a u e r n -
a n d e r e n w a r er ein Wehrturm, eine Festung mit einer
v/eder
ständigen
Krieg gescheut, um mit Hilfe von Deichbauten
Besatzung, sozusagen ein
Ausrufungszei-
G e l d , noch V e r h a n d l u n g e n , noch List, noch und
chen: »Hier herrschen wir!« Zum Leuchtturm, der er
Stromwerken so viel Wasser wie möglich a n ihre Ufer
heute ist, w u r d e dieser vierkantige Turm erst viel spä-
heranzuführen,
ter, zu einer Zeit, d a das Geschlecht der L a p p e v o n
schließlich den grofjen Elbehafen zu machen. W a s w i e -
der Elbmündung vertrieben, d a Ritzebüttel (das heu-
derum nicht ausschließt, d a f j ein rechter
tige Cuxhaven) längst hamburgisch g e w o r d e n war.
auch heute noch als ein mit Alsterwasser
Ganz ähnlich h a b e n sie es mit ihrem Hafen gehalten.
um
aus
dem
gilt und d a f j die Millionenstadt
kleinen
Alsterhafen Hamburger
zumindest
Getaufter für
»Geborenen« a n der Alster liegt und nicht a n
ihre der
Elbe. M a n hält hier eben auf Tradition und pflegt diese zuweilen sogar neu zu beleben: indem man nämlich in unserer Zeit dazu ü b e r g e g a n g e n ist, den 7. M a i , den Tag der Elbhoheit von 1189, alljährlich als Hafengeburtstag oder Oberseetag zu feiern. Dafj diese Tradition nicht aus ganz glasklarer Quelle gespeist wird, d a f j d a eine leichte Trübung ist - grofjzügigerweise w i r d es in jedem Jahr a m 7. M a i verschwiegen; und schon g a r nicht ist es zum besonderen Fest des Jahres 1964 laut g e w o r d e n , in dem man das Jubiläum »775 Jahre Hafen H a m b u r g « b e g i n g . Soll man es den Hamburgern verübeln? Kaum, ü b e r g e wisse Dinge, die der Konkurrenz Vorteile bieten könnten, zu schweigen, das war schon immer das Vorrecht der Kaufleute und Diplomaten in aller Welt. Die Hanseaten v o n der Alster jedenfalls (deren Quelle ein M o o r loch ist und die doch im Mittelalter jenes Wasser herg a b , dessentwegen das hamburgische Bier
landauf,
l a n d a b so begehrt war) h a b e n es schwarz auf weifj, d a f j Graf A d o l f III. von Schauenburg, damals Landesherr über Holstein, a m 7. M a i des Jahres 1189 den Kaiser Friedrich I., Barbarossa genannt, in N e u b u r g bei Regensburg aufsuchte und um Privilegien für die v o n ihm besonders geförderte Stadt bat. Sie h a b e n es zu Papier, das Recht auf ihre Elbe; denn in dem damals g e w ä h r t e n Freibrief heifjt es: »Wir, Friedrich v o n Gottes G n a d e n , Kaiser der Römer und allezeit Mehrer des Reiches, thun hiermit A l l e n , die jetzt oder künftig leben, kund und zu wissen: Dafj wir auf Bitten unseres lieben und getreuen Grafen A d o l f v o n Schauenburg seinen Bürgern, die in H a m b u r g wohnen, g e w ä h r e n und zugestehen, mit ihren Schiffen, W a a r e n und Leuten v o m M e e r bis a n besagte Stadt frei v o n allem Zoll und
Das Blockhaus »Neptunus« Mitten
in d e r
Einfahrt zum
Niederhafen
hatte
man
H i e r t a t d i e W a c h e , d i e nachts u n t e r a n d e r e m d e n d e n B a u m zu s c h l i e f e n h a t t e , i h r e n D i e n s t ; h i e r a u c h die Zollbeamten der
XII
Stadt.
es
gebaut.
schwimmenresidierten
aller U n g e l d f o r d e r u n g hin und zurück zu verkehren.« Dieses erste von elf Privilegien, die der Kaiser g e w ä h r t e , bedeutete praktisch die O b e r h o h e i t auf d e m
V o l l d a m p f v o r a u s : D i e neue Z e i t des Hafens hat Die Speicherstadt ist f e r t i g g e s t e l l t , d i e ersten H a l e r b e c k e n
begonnen
in ihrer N ä h e w a r e n a m Ende
19. J a h r h u n d e r t s l ä n g s t zu k l e i n g e w o r d e n ; z a h l r e i c h e w e i t e r e H ä f e n e n t s t a n d e n a u f d e m Ufer d e r
Strom bis a n die See, g a b das Recht, die Konkurrenz
des
linken
Norderelbe.
unantastbar machte: niemand durfte Roggen und a n -
niederzuhalten. Nur, und d a eben ist die Quelle g e -
deres Getreide, dazu M e h l , W e i n und Bier e l b a b w ä r t s
trübt, d i e Historiker können sich nicht für die Echtheit
a n H a m b u r g vorbeiführen; die W a r e n mufjten zunächst
verbürgen. Im O r i g i n a l existiert das vom Rotbart aus-
in der Stadt gestapelt und feilgeboten werden. Den
gestellte Dokument nicht mehr, sondern nur noch in
Vorteil d a v o n hatte nicht nur der Handel, sondern auch
der Abschritt, und es geht die böse M ä r , die H a m -
das gesamte Gemeinwesen, das aus den Zöllen (ür
burger hätten beim Abschreiben ein w e n i g »corriger
Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr den gröfjten Teil seiner
la fortune« gemacht, um vor allem eine
öffentlichen Einnahmen bestritt.
Handhabe
g e g e n Stade zu besitzen. Da jedoch auch dieses eine
Tatsache aber auch ist trotz der alljährlichen Geburts-
Geschichte ist, die erst noch bewiesen werden soll und
tagsfeier, d a f j der 7. M a i 1189 nicht mit der G r ü n d u n g
möglicherweise von den weniger glücklichen Stadern
des Ortes gleichzusetzen ist. Schon um e t w a 800, unter
in die W e l t gesetzt w u r d e , d a es zudem vor beinahe
Karl dem Großen (nach a n d e r e n Quellen 825, zur Zeit
acht Jahrhunderten geschah - wer will sich heute noch
Ludwigs des Frommen), w u r d e auf einer Geestzunge,
d a r a n stören?
die in die Alster-Niederung vorsprang und den Über-
Tatsache jedenfalls ist, d a f j H a m b u r g im dreizehnten Jahrhundert
schnell
aufblühte,
schon
hundert
Jahre
g a n g über den kleinen Flufj erlaubte, zum Schutze der ersten rechtselbischen Kirche ein Grenzkastell a n g e l e g t ,
nach der G r ü n d u n g 5000 Einwohner zählte, ein wich-
die H a m m a b u r g . Neben ihr entstand eine Siedlung,
tiger Umschlagplatz zwischen Flandern und dem Ost-
die, so h a b e n es g e r a d e die jüngsten A u s g r a b u n g e n
seeraum w u r d e , seinen Eigenhandel später bis nach
ergeben, größer gewesen ist, als man viele Jahrhun-
Böhmen und Schlesien ausdehnte und sich in der M i t t e
derte l a n g a n g e n o m m e n hatte. Schon sie besaß a n
ver-
einem Nebenlauf der Alster einen kleinen Hafen. W e n n
leihen lief}, das seine Stellung a n der Elbe rechtlich
auch W i k i n g e r und W e n d e n das junge Gemeinwesen
des 15. Jahrhunderts schließlich ein Stapelrecht
XIII
mehrfach heimsuchten, es blühte doch immer
schnell
wieder auf. Dennoch: mehr als militärischer Stützpunkt,
Bismarck-Zeit.
Die
Entwicklung
zum
Welthafen
war
eben erst möglich, als sich im 19. Jahrhundert die Häfen
Handwerkerort und M a r k t für die engere Umgegend ist
in Obersee allen schiffahrttreibenden Nationen öffne-
das U r - H a m b u r g nicht gewesen; der Fernhandel z w i -
ten, als die Dampfer mit ihrer genau vorauszuberech-
schen W e s t e u r o p a und dem Ostseeraum lag damals
nenden F a h r z e i t die Segler verdrängten, a l s man für
noch in den Händen der skandinavischen
ein schnelleres Löschen und Laden der Güter die K a i -
Waräger,
hatte sein Zentrum in Haithabu bei Schleswig.
mauer » e r f a n d « , a l s die deutsche Industrie einen un-
Bestehen
geahnten Aufschwung nahm, als man das Land mit
deshalb auch erst aus dem Jahre 1188. Damals grün-
einem Netz von Eisenbahnen überzog und als schließ-
Die Kaufmannsstadt Hamburg datiert ihr
schauen-
lich das Kaiserreich dem Hafen an der Mündung der
burgischen Grafen (die schon um 1050 gegenüber der
800 Kilometer langen Elbe ein riesiges zollschranken-
dete der schon genannte dritte A d o l f der
Hammaburg ihre landesherrliche » N e u e B u r g « gebaut
freies
hatten) auf dem Gelände der inzwischen
mufj bescheinigt werden, dafj sie selten eine Chance
Burganlage
die »Neustadt«
und
verfallenen
besiedelte
sie
vor
Hinterland
bescherte. Den Hamburgern
selbst
so genutzt haben wie diese. A l s die Entscheidung über
allem mit Kaufleuten. Er verlieh ihr das Lübsche Recht,
ihren neuen Freihafen gefallen war, da rissen sie einen
gab ihr Marktrecht und-dozu »Erbrecht bis in die Mitte
ganzen blühenden, 22 000 Einwohner beherbergenden
des Alsterflusses -
geeigneter
Stadtteil nieder, um ihre Speicherstadt z u bauen, da
Hafen geschaffen werde für die Menschen, welche von
baggerten sie ein Hafenbecken nach dem anderen aus,
damit dort ein guter
vielen Orten ringsum herbeiströmen«. Graf A d o l f
III.
da überzogen
die
Handelshäuser
auch
entlegenste
also ist, wie mit Fug und Recht gesagt werden darf,
Küsten mit einem Netz von Niederlassungen. U n d da
ein
wurden die hamburgischen Kaufleufe zum ersten M a l e
sehr
kluger
und
wahrlich
weitblickender
Mann
in ihrer Geschichte z u Schiffsreedern großen Stils. W a s
gewesen . . . Töricht wäre es natürlich z u behaupten, die
Tat-
kräftigen und Weitsichtigen hätten es in dieser Stadt immer
leicht gehabt
sich durchzusetzen.
stimmt nicht. Unendlich lange hat es -
Nein, unter
das
immer
neuen Auseinandersetzungen - gedauert, bis aus dem mittelalterlichen Hafen der Z ö l l e , der Stapelrechte und des Feilbietungszwangs der freie Hafen Hamburg ge-
die Amsinck, Godeffroy,
Woermann,
Laeisz,
Bolten,
Sloman um die Mitte des Jahrhunderts bereits begonnen hatten, das trieben sie wenige Jahrzehnte später zu
einer
prächtigen
Blüte.
Albert
Ballin
schließlich
machte sich sogar z u einem primus inter pares in der internationalen Schiffahrt. Dann kamen zwei W e l t k r i e g e . . .
worden ist. Einige Jahrzehnte hat man sich im vorigen
Es ist nicht z u leugnen, eine Z e i t , wie sie der Hafen
Jahrhundert darüber gestritten, wie man am besten den
zwischen 1890 und 1914 erlebte, hat es nicht wieder
neuen Welthafen bauen sollte, ob mit offenen Hafen-
gegeben. Dennoch zeigte sich gerade nach 1918 und
becken oder mit abgeschleusfen Docks. U n d einen nicht
nach 1945, welche Kraft
geringen W i d e r s t a n d haben die Hanseaten dem Reichs-
steckt. Nach dem ersten W e l t k r i e g waren so gut wie
in diesem Hafen
Hamburg
kanzler Bismarck entgegengesetzt, bevor er sie in das
alle Schiffe und alle Handelsverbindungen dahin, nach
Z o l l g e b i e t des Deutschen Reiches eingliedern und so-
dem zweiten kam ein noch viel Schlimmeres h i n z u : da
mit buchstäblich z u ihrem Glück zwingen konnte. Aber
war der Hafen selbst nichts als eine W ü s t e von T r ü m -
das eben, das konservative Element, ist auch nicht z u
mern. Der totale K r i e g hatte eine totale
unterschätzen.
Wurzel
hinterlassen, und Deutschland blieb noch jahrelang ab-
dessen, was man die Fähigkeit nennt, schlechte Zeiten
geschnitten von der W e l t , die laut B a l l i n das Feld der
z u überleben. U n d diese besitzt die Stadt in hohem
Hanseaten ist. Beide M a l e aber bewiesen die H a m -
Wahrscheinlich
liegt dort die
Zerstörung
M a ß e - wie ihre Geschichte beweist. Im übrigen aber
burger ihre Fähigkeit, hartnäckig zu sein. Beim zweiten-
gehören die Hamburger durchaus z u jenen, die bereif
mal jedoch war es erheblich schwieriger. Immerhin, wer
sind, ihr U r t e i l z u revidieren. M a n denke nur an den
heute im Hafen
einst so heftig befehdeten Bismarck! In der Tat, wo
suchen gehen. Die 30 M i l l i o n e n
findet man die zweite Stadt, die ihm ein so monumen-
2 0 0 0 0 Seeschiffe im Jahr bedeuten wieder: hinter Rot-
tales
terdam und Antwerpen drittgrößter
(und
kostspieliges)
Denkmal
gesetzt
hat
wie
Hamburg? Tatsächlich fiel der größte Sprung, den der Hafen und die Stadt jemals nach vorn getan haben, in die
XIV
noch Trümmer
sehen w i l l , muß Tonnen
sie
Güter
Hafen auf
und dem
Kontinent. U n d das ist erheblich'mehr, a l s man noch vor einem Jahrzehnt z u hoffen wagte. A l l e r d i n g s
ist
es entschieden weniger als das, was H a m b u r g heute
ohne die Zonengrenze wäre. Doch hat die Stadt schließ-
kann sich eigentlich rühmen, acht Jahrhunderte
lich schon schwierigere Zeiten g e h a b t und überstanden.
ununterbrochen zur ersten Garnitur gezählt zu haben?
Möglicherweise erlaubt der Blick in ihre Geschichte
Außer H a m b u r g nur London.
lang
sogar einen besonderen Schlufj. Den nämlich, daß sich
M e h r als 600 M i l l i o n e n harte Deutsche M a r k h a b e n
ihre bereits zitierte Fähigkeit »zu überleben«, g e r a d e
d i e Hamburger seit 1948 für den W i e d e r a u f b a u ihres
deshalb so stark a u s g e p r ä g t hat, weil sie mit Aus-
Hafens ausgegeben. Inzwischen sind sie bereits d a b e i ,
nahme der Jahre um 1900 nie einen
überragenden
ihn auszubauen, zu erweitern. Debatten d a r ü b e r , o b
Platz eingenommen, sondern stets nur neben a n d e r e n
das n o t w e n d i g w a r oder n o t w e n d i g ist, hat es niemals
a n bedeutender Stelle gestanden hat. G e r a d e diese
g e g e b e n . Zumindest die Führenden in dieser Stadt sind
Position z w a n g zu niemals erlahmender A k t i v i t ä t . So
sich, ganz gleich, woher sie kommen, welcher Partei
betrachtet, ist dieser Hafen sogar ein Phänomen. Denn:
sie a n g e h ö r e n , immer d a r ü b e r einig gewesen: H a m -
welche der großen spät-mittelalterlichen Handelsstädte
burg, das ist vor allem anderen der Hafen.
Eine neue Z e i l auch a u f d e r Elbe Eisbrecher
II b a h n t e i n e m
Segler
mit
Dampfmaschine
den
Weg
durch d i e Schollen d e r
1874 h a t t e H a m b u r g zum ersten M a l e i n e n Eisbrecher im
Einsatz.
Eibe.
1 : Am Niederbaum
2: K a f f e e a u s El S a l v a d o r
3: Hochbetrieb
4: Spofj mutt sin!
5: Kleine M ö w e
6: . . . fliegt nach H e l g o l a n d
7: A b e n d a m Strom
8: H a m b u r g e r
Wetter
HAMBURI
O
9:
Kehrwiederspifze
10: Barkassenderby 11 : Schlepper fassen an
12: Föfftein
13: Löschplatz der Kümos
O
14: A n der Winsch
15: Der W a l d der L a d e b ä u m e 16: Löschen am Kai und im Strom
C> O
O
17: Baumwolle aus den USA
18: Aufos nach Miltelost
20: Die Speicherstadt
21-24: Männer im Hafen
O
25: Der ScHauermann
26: A u c h d i e Alster ist noch »Hafen« [ >
< ¡ 27: N i k o l a i f l e e t : A l t - H a m b u r g
28: Alster-Fleet: Beton u n d Glas
31: A n e i n e m S o m m e r - S o n n e n f a g
32: Der H a f e n - B a l k o n
>
33: A l t e Kiefern
34: Jeden A b e n d I l l u m i n a t i o n
37-39: Aus aller Herren L ä n d e r n
...Äiiiä«;,^;« iii'iiniiiiiiHiii
40-42: Musikdampfer
® « « « W f f l « « « f i . » H í „ ' " „
1
- r II ¡i o I I B "
< ] 43: Passagiere g e h e n a n L a n d
44: N i m m mich mit, K a p i t ä n
45/46: Kräne
4 7 - 4 8 : G r o l j e r T a g auf der W e r f t : S f a p e l l a u f
57: Rotbarsch
58: Schulin, frische Schulln!
O
% Vi
- 'Staid
59: Der N e b e l steigt
67: Frühlingssonne
68: Es klart auf
69: Schutenschipper 70: S a u g r ü s s e l in allen L u k e n
71: Ein Tanker kommt auf 72: A u f F ä h r e V I I
73-74: Blöcke aus d e m U r w a l d
< ] 75: A m
Bananenschuppen
76: N a Hus, n a Hus!
77: Ankerplatz
78: Seine erste Pütz [>
79: G a l i o n s f i g u r
80: R a g e n d e R i g g e n [ >
83: D i e n s t ist D i e n s t
84: K a n o n e n - S c h a u k e l
i>
< 1 93: Hellingkräne
94: Werftarbeiter
95: Eine Sektion schwebt heran
96 : 88 000-Tonner ¡>
97: O e v e l g ö n n e
98: Bei Teufelsbrück
99-100: S o m m e r . . .
[>
101-102: . . . u n d W i n t e r
>
103: Ein Schiff m u f j f a h r e n
1 0 4 : A b e n d Im H a f e n
KLEINE
HAFENVERKLARUNG
Zu den Bildern: Skizzen, Fakten, Daten, Impressionen
1: A m Niederbaum Eigentlich ist es nicht ganz korrekt, » A m Niederbaum« zu sagen. Richtig müßte es »Niederbaumbrücke« heißen. Durch deren stählernes Tragwerk hindurch suchte der Photograph den Blick auf die Norderelbe. Einer der beiden mächtigen Schwergut-Schwimmkräne des Hafens ist, an den Pontons der öberseebrücke vertäut, im Bild; dahinter reckt sich das Helgengerüst der Stülcken-Werft auf. Trotzdem ist man auf dieser Brücke wenig geneigt, an Hermann Claudius' »Hamburger Hymne« zu denken: »Deiner Kräne Riesenarme betreun dir zu Füßen das Meer. Dein Atem geht vollgeruhig, sicher und arbeitsschwer. Dein Wort und Wille wandert unaufhaltsam wie Ebbe und Flut, nordischkarg ist dein Lachen und langsam dein Blut, Hamburg I« Solche Poesie pflegt der Hafen dem gewähnlichen Sterblichen nicht zu vermitteln. Desto mehr erinnert man sich gerade auf dieser Brücke des anderen Gedichtes von Hermann Claudius, des plattdeutschen: »Weddern Damper, Weddern Troß. Luder Lüd vun Blohm un Voß. Swor, swor, swatt int Gesich, stampt dal öwer de Lannungsbrüch. Wecke hebbt Jl und drängelt sik vor, de Kaffeetänk klötert achter jem her... Weck, de smökt ehr Piep Toback, makt mankdör en lütten Snack: Kuddl, Heini - Bi Tedje Smitt nehmt wi noch 'n Lüdden mitl ...« Diese Brücke ist schon eines Vergleiches mit dem Elbtunnel wert. A n ihrem Ende liegt das größte Zollamt des Hafens; daneben steht ein gelbes Gebäude: die Einteilungsstelle für die Hafenarbeiter. Eben jenseits, am Sandtorhöft, legen die grünweißen Fährschiffe ab, die die Verbindung mit den Kais der östlichen Hafengruppe halten; dort auch beginnt jeden M o r g e n das Derby der Stauereibarkassen, die die Schauerleute mit weißschäumender Heckwelle an ihren Arbeitsplatz bringen: an Bord der Schiffe. Auto auf Auto rollt in jeder Stunde des Tages über diese Doppelbrücke in den Hafen hinein, und bei Schichtwechsel schiebt sich ein lückenloser Strom von Arbeitern über sie hinweg. Die Niederbaumbrücke ist in der Tat eine Nahtstelle des Hafenverkehrs. Und sie ist eine Nahtstelle der Geschichte. Dort, wo sie das Wasser überbrückt, war jahrhundertelang die Grenze des Hafens. In dem Becken, in dem jetzt lediglich Barkassen und kleine Schlepper dicht an dicht liegen, über das sich in weitem Bogen das Gerüst der Hochbahn hinüberschwingt, sind einstmals, nachdem der erste Hafen der Stadt, das heutige Nikolaifleet, zu klein geworden war, die Schiffe der hansischen Kaufleute gelöscht und beladen worden. Damit die Fahrzeuge und ihre kostbare Fracht vor A n griff und Raub geschützt waren, hatte man den Hafen in die Befestigung der Stadt einbezogen. Die Einfahrt zwischen den Bastionen Steinhöft und Kehrwiederspitze war von Pfahlreihen gesichert, die einen nur schmalen Durchlaß frei ließen. Und diesen schlofj man abends mit einem schwimmenden Baum, eben dem. »Niederbaum«. Der Name der Brücke erinnert noch heute daran. 2: Kaffee aus El Salvador Allein der Zufall hat diese Überschrift gemacht. Weil die Kaffeesäcke in der Hieve, die der Kranführer just ganz sutje auf den Kai setzt, eben im mittelamerikanischen El Salvador geladen worden sind. Es könnte genau so gut heifjen: Kaffee aus Costa Rica, aus Honduras, Guatemala, Nicaragua, aus
Kuba und der Dominikanischen Republik, aus Kolumbien, Ecuador, Venezuela und natürlich aus Brasilien. Um den Kaffee kommt man in Hamburg nicht herum. Denn die Stadt ist d e r Kaffeehafen Deutschlands und einer der führenden Importplätze Europas. V o n jeweils drei Tassen, die in der Bundesrepublik getrunken werden, sind zwei aus Kaffee aufgebrüht, der in Hamburg gelöscht wurde. A n die 150000 Tonnen - das sind 2,5 Millionen Sack zu 60 Kilo oder drei Kilo pro Kopf der westdeutschen Bevölkerung - kommen jährlich via Hamburg herein. Schon als Rohware repräsentiert diese Kaffeemenge einen Wert von etwa einer halben Milliarde Mark. Diese Summe läßt deutlich werden, was der Kaffee-Import für den Handel der Hansestadt bedeutet. So hat er denn auch im Freihafen, am Sandforkai, seine eigene »Kaffeestadt«. Sie besteht aus 15 sechs- bis siebengeschossigen Speichern, die eine Lagerfläche von fast 80000 Quadratmetern haben. Umgerechnet: das ist das Areal eines kleinen Bauernhofes von acht Hektar. Hinzu kommen große Kontorhäuser für die rund 300 Firmen, die sich mit dem Kaffeeimport befassen. Und die Kaffee-Terminbörse, in der sich Makler, Agenten und Importeure per Telegramm, Telefon und Fernschreiber ständig über die Weltmarktpreise aller fernen Exportplätze auf dem laufenden halten, erhielt nach dem Krieg wieder ein eigenes Haus. Ein nicht geringer Teil der eingeführten Rohkaffeemengen wird in den Speichern auch veredelt; von Wasch-, Schälund Poliermaschinen über Sortiergeräte bis zu vollmechanischen Mischanlagen ist dort für das Herstellen der rechten Mischung alles vorhanden; schließlich noch gibt es in Hamburg rund 175 Röstereien (auf deren Listen mehr als hundert Kaffee-Provenienzen stehen) sowie an die 300 Kaffee-Versandhäuser. Wer danach noch wissen möchte, wie lange man in Hamburg bereits mit den Geheimnissen der kleinen duftenden braunen Bohne vertraut ist, der braucht nur den Namen der Vereinigung der Kaffee-Importeure zu studieren; er lautet: »Verein der am Caffeehandel betheiligten Firmen«. Mufj man da noch unbedingt berichten, daß Hamburg bereits im Jahre 1677 - vor Wienl - das erste deutsche Kaffeehaus besaß? 3: Hochbetrieb Große Häfen scheinen auf den ersten, den flüchtigen Blick alle einer Familie entsprossen zu sein. Das soll heißen: es gibt frappierende Ähnlichkeiten. Da schieben sich dieselben großen und kleinen Frachter stromauf; da ist überall das so schmutzig-graue wie ewig kabbelige Wasser, aufgewühlt von dem Heer der Barkassen, Schleppdampfer, Binnenschiffe, Schufen und Fähren; da öffnen sich dem Fremden bei einer Rundfahrt immer wieder neue Ausblicke auf Reihen von weißen, grauen, schwarzen, grünen, gelben und vielleicht sogar knallroten Schiffsrümpfen; da ist das Kreischen der so gierigen wie eleganten Möwen, das Knattern der Niethämmer und Zischen der Schweißgeräte auf den Werften, ist das Getöne der Schiffssirenen in allen Lautstärken und Frequenzen . . . Da sind die beinahe endlos erscheinenden Fronten der Speicher und Schuppen mit den peinlich ausgerichteten Kränen, deren Arme feinstem Filigran gleichen, die aber dennoch spielend tonnenschwere Lasten heben; da sind die Schlote 97
der Fabriken und die glitzernden Türme unserer Zeit, die Hydrieranlagen der Erdölratlinerien; d a ist überall auch bei schönstem Sonnenschein ein leichter Dunst aus Qualm und Dampi und Staub, d a sieht man Menschen aller Haulschaftierungen, und d a hat auch jeder Hafen sein Sankt Pauli. Da behaupten die tüchtigen Werbefachleute aller Häfen, daß nirgendwo so schnell und sorgsam gearbeitet werde wie gerade bei ihnen; d a ist das offene Meer - die See, wie man a n der Küste sagt - fast immer noch in weiter Ferne; und d a gibt's auf dieser Welt kaum einen großen Hafen, der nicht auch ein Wahrzeichen sein eigen nennt - was den Londonern die Tower Bridge und den New Yorkern die Freiheitsstatue, das ist den Hamburgern der Michel, der barocke Turm der großen Michaelis-Kirche. Eigentlich nur diese Wahrzeichen, so erscheint's dem flüchtigen A u g e , machen den Unterschied. Und doch ist jeder Hafen anders. Das nicht nur, weil jeder in einer anderen Landschaft liegt; das nicht nur deshalb, weil man in dem einen mehr Stückgüter, in dem anderen mehr Rohstoffe für die Industrie löscht, weil in dem einen die Kaffee- und in dem anderen die Baumwoll-Spezialisten sitzen, weil hier die Kaischuppen ein-, dort aber zweigeschossig sind, weil die einen abgeschleuste Hafenbecken, die anderen aber offene Tidehäfen besitzen, weil die Hamburger ihre vielgerühmte »Hamburger Kai-Aufteilung« haben und die anderen nicht. Das ist deshalb so, weil auch ein Welthafen sein besonderes Gesicht'erhält durch jene, die ihn erdachten, die ihn bauten, die durch ihr Wirken in Politik, Handel und Schiffahrt die Entwicklung vorwärtstrieben und nicht zuletzt auch durch jene Männer, die dort T a g für T a g eine schwere Arbeit tun - »rund üm d e Klock«, wie es in Hamburg üblich ist. Jedoch - wer's g e n a u erfahren will, der sollte sich a n Bord einer kleinen Barkasse oder eines grünweißen H a d a g - F ä h r schiffes begeben, zur Hafen-Rundfahrt, »He Lucht« wird ihm schon alles erzählen.
4: Spoß muH sinl Nein, heute kann die Geschichte, die d a vor knapp hundert Jahren passiert ist, sich wohl nicht wiederholen. Denn heute gibt es die Telegraphie und die UKW-Telephonie, heute wären bei solchem Vorkommnis gleich alle »Zuständigen« unterrichtet. Trotzdem sei sie erzählt - weil sie geradezu ein Schulbeispiel ist für das, was man den »guten Ton im Hafen« nennt. Der nämlich hat sich seit früheren Zeiten so gut wie nicht gewandelt. Es war, als der preußische König, der spätere Kaiser W i l helm I., Hamburg besuchte. D a erlitt das Sfaatsschiff, mif dem er eine Hafen- und Elberundfahrf unfernahm,, Maschinenschaden. Doch brauchten der König und sein Gefolge nicht l a n g e auf dem Wasser zu treiben. Ein Schlepper der Ewerführerei Maack war gerade in der Nähe, nahm die hohen Herrschaften a n Bord und dampfte mit ihnen zu den festlich geschmückten Landungsbrücken. Und d a eben passierte es. Der ahnungslose Brückenwärter versuchte mit Rufen und gestikulierenden Armen das Anlegemanöver zu verhindern, denn Schlepper hatten nicht nur a n diesem Festtag, sondern auch sonst (und haben auch heute) nichts a n den Landungsbrücken zu suchen. Der Schleppertührer natürlich blieb die Erklärung nicht schuldig. »Mann«, rief er hinüber, »wie hebbf doch den Keunig an Bordl« Die dröhnende Antwort, die er erhielt, ist in die Geschichte des Hafens e i n g e g a n g e n , sie ist hamburgischklassisch: »Och wat, Moors mit din Keunigl Du hörst an de Ossenbrüchl" Hafenarbeifer sind eine besondere Sorte Hamburger. Sie lieben die direkte, eine deftige Sprache, und sie machen 98
aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Sie auf jeden Fall widerlegen die These, der Hamburger sei s-teif und unzugänglich. Sie sind auch bei schwerster Arbeit und bei einem Sauwetter noch zu einem Scherz aufgelegt. Sie verstehen ihr Handwerk eben und haben sich deshalb ein gesundes Selbstbewußtsein erhalten. Und im übrigen ist man bei der christlichen Seefahrt j a noch nie zimperlich gewesen. So ist man im Hafen leicht bereif, einem Kontrahenten und nicht zuletzt einem Vorgesetzten den Gruß des Götz von Berlichingen zu entbieten, mit jenem Wort, d a s d e m weltbekannten »Hummel-Hummel I« zu folgen pflegt. Doch darf man das nicht tragisch nehmen. Sie sagen's schließlich auf plattdeutsch, und d a heißt es eigentlich nicht viel mehr als »take it easy« oder »sutje, sutje« und ist lediglich die Antwort auf allzu preußische Töne, die sie nicht mögen. W a s sie tun, hat H a n d und Fuß, ist ordentlich und solide. Und das ist nicht verwunderlich. Entweder kommen sie (wenn auch heute nicht mehr in so großer Z a h l wie früher) von der Seefahrt her, oder aber sie stammen noch vom Lande. Wenn nicht sie selbst, dann sind doch zumindest ihre Väter und Großväter aus den kleinen Städten und Dörfern der Nachbarschaft, aus Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg, nach Hamburg gekommen. Das wirkt auch jetzt noch nach. Und diese Mischung, bei der auch noch das Englische der Seeleute eine Rolle spielt, hat das spezifische Hamburger Hafenplatt ergeben, das g a n z anders - viel breiter - klingt als das ursprüngliche Platt der hanseatischen Kaufleute. Allerdings: »Regensaftig zwischen Luken und Kränen hummelt das sterbende Platt«, sagt Hans Leip. Und er hat recht leider. Selbst im Hafen scheint das Platt, das im übrigen Hamburg so gut wie nicht mehr zu hören ist, allmählich zu verschwinden. Es ist die gleiche Entwicklung, die man überall auch auf dem Lande beobachten kann. Und es sieht so aus, als ließe sich dieser Rückgang nicht aufhalten. Das ist sehr schade. Denn nicht zuletzt die plattdeutsche Sprache hat diese Stadt in den Jahrhunderten zuvor befähigt, die neuen Bürger, die ihr ständig zuströmten, in überraschend kurzer Zeit zu assimilieren, zu »waschechten« Hamburgern zu machen.
5: Kleine Möwe . . . »Kleine Möwe, flieg nach Helgoland . . . « - d a s singen die Fremden. »Die Möwen sehen alle aus, als o b sie Emma hießen. Sie tragen einen weißen Flaus und sind mit Schrof zu schießen. / Ich schieße keine Möwe tot, ich laß sie lieber leben - und füttre sie mit Roggenbrot und rötlichen Zibeben./ O Mensch, du wirst nie nebenbei der Möwe Flug erreichen. Wofern du Emma heißest, sei zufrieden, ihr zu gleichen.« Das hat Christian Morgenstern von den Möwen a n Alsfer und Elbe gesagt. Die Tatsache, daß man die eleganten Flieger hier g a n z schlicht »Emmas« nennt, zeigt, wie sehr sie einfach dazugehören, zum Wasser und zu den Schiffen. Sie beweist zugleich, daß man ihre Eleganz auch wiederum nicht überbewerfet. Sonst hätte man wohl einen anderen Namen für sie gefunden. Die Möwen sind Kosmonauten. Zumindest auf der nördlichen Hälfte des Globus trifft man sie an fast allen Küsten. Da sie nicht die Fähigkeit besitzen, tief zu tauchen, müssen sie sich mit dem begnügen, was an der Oberfläche schwimmt. So erg a b sich für sie der Z w a n g , ständig unterwegs und auf der Nahrungssuche zu sein; so wurden sie zu so ausdauernden wie geschickten Fliegern; so sind sie zu Allesfressern g e worden, so folgten sie den Schiffen nach und wurden für die Seeleute einst zu heiligen Tieren, von denen man glaubte, daß in ihnen die Seelen der ertrunkenen Seeleute wohnten. So wurden die Möwen schließlich auch zu Kulturfolgern, die sich nicht scheuen, den Menschen in der Großstadt fast aus
der Hand zu fressen, die in den Fischereihäfen die Fische tonnenweise fortschleppen und selbst überall auf den Schufthalden in großen Scharen als gefräßige Gäste anzutreffen sind. Und zuweilen beginnen die Hamburger schon, auf die »fliegenden Straßenkehrer« zu schimpfen. Weil sie nämlich allerhand ätzendes Zeugs hinterlassen - was einen pfiffigen Fabrikanten bereits inspiriert hat, »möwenkotfesten« Autolack herzustellen. Wer sie genau beobachtet, kommt nicht umhin, festzustellen, dal) sie nicht weniger gierig und neidisch als flugfüchtig sind. Und wer die Ornithologen fragf, muß hören, dal; sie in den Kolonien der Seevögel vor nichts halfmachen, nicht vor Eiern und nicht vor Jungvögeln. Und auch Schimmelpilz, Flügelpocken und Parafhyphus können von ihnen überfragen werden ... Das alles jedoch hat ihrer allgemeinen Beliebtheit bisher keinen Abbruch tun können. Die M a s s e der Hamburger möchte sie trotz allem nicht missen, kann sich den Hafen, die Elbe, die Alster nicht vorstellen ohne die weißen Schwingen der M ö w e n und ihr Gekreisch. Zumal man, objektiv betrachtet, feststellen muß, dal; die Silbermöwen, die als die ärgsten Räuber gelten, in der Hansestadt sehr in der Minderzahl sind. Das Gros stellen die vergleichsweise harmlosen Lachmöwen, die mit dem braunen Kopf. 6: . . . fliegt nach Helgoland Blendendweiß, wie das Gefieder der Möwen, leuchfet ihre Farbe in der Sonne. Und auch die Eleganz der M ö w e n ist ihnen eigen, den Seebäderschiffen, die mit hoher Fahrt - mit 19 oder 20 Knoten, das sind 35 bis 37 Kilometer in der Stunde - nach Helgoland fliegen. Die sie zum ersten M a l e sehen, sagen fast ausnahmslos: »Welch schöne Schiffe ...« Und sie haben wohl nicht unrecht. Auf den Britischen Inseln, und eben nur da konnte es aufkommen, ist das Wort »It does you g o o d fo look at a fine ship or anything eise that is beautiful« lebendig. Es ist keine Frage: auch an unseren Küsten »tut es gut, ein schönes Schiff (oder irgend etwas anderes, das schön ist) zu betrachten«. W o z u man anmerken muß, d a ß es noch niemals so viele dem A u g e wohlgefällige Schiffe gegeben hat wie gerade jetzt. Das gilt nicht nur für Passagierschiffe, sondern auch für Kohlenfrqchfer, Küstenschiffe und selbst die kleinen Schlepper. Und es wäre falsch, zu sagen, nun, das sei eben die modische Linie von heute. Es steckt eine bis zu einem gewissen Grade abgeschlossene Entwicklung dahinter. So, wie das Auto langsam aus der Pferdedroschke zu seinen allein ihm eigenen Formen g e staltet worden ist, so haben auch der Dampfer und das Motorschiff nur allmählich alles abgestreift, was noch a n das Segelschiff erinnert, aus dem sie entstanden sind. Und die nächste Revolution im Schiffbau wird es, was die äußere Form angeht, wohl erst geben, wenn wiederum etwas ganz Neues sich durchsetzt: etwa der Afomfrachter oder gar das atomenergiegetriebene Fracht-Unterseeboot, das einige schon schon heute als das am rationellsten fahrende Schiff der Zukunft ansehen. Doch bleiben wir beim Heute. Nicht zuletzt deshalb werden schöne Schiffe gebaut, weil Schönheit keine Mehrkosten mehr verursacht. Die Schweiß- und Preß- und Biegetechnik unserer Zeit gestattet es, die Formen und Konstruktionen viel mehr zu variieren als früher. Trotzdem ist es nicht so ganz einfach, jene Harmonie von Form und Farbe zu erzielen, die das Geheimnis ist für die Schönheit, die vielen gefällt. Denn ein Schiff soll nach wie vor in allererster Linie zweckmäßig sein. Bestimmte Forderungen werden an Tiefgang, Geschwindigkeit, Anordnung der Laderäume, an Länge und Breite gestellt; dann sind d a Sturm und
grobe See und also die Sicherheitsvorschriften zu berücksichtigen; alles an Bord muß haltbar und praktisch, nichts darf Fassade sein. So zwingt das Aufeinanderabstimmen vieler Funktionen stets zu vielen Kompromissen, und eigentlich ist der Spielraum, der dem Ingenieur für die Schönheit bleibt, nur gering. Es kommt ihm jedoch ein anderes entgegen: die sich immer wieder durchsetzende Erkenntnis, daß Menschenwerk vor allem dann als schön empfunden wird, wenn der Zweck eines Gegenstands in seiner Form ganz klar sichtbar gemacht wird. So bemüht der Ingenieur sich vor allem, die Aufbauten einfach zu formen und für das Ganze - auch mit Hilfe der Farbe - die Harmonie zu finden, dabei bedenkend, daß er sich vor drei Irrtümern zu hüfen hat: anzunehmen, daß es eine Schönheit gäbe, die ihre Grundlage nicht in der Zweckmäßigkeit hat; zu meinen, d a ß größte Zweckmäßigkeit auch eine optimale Schönheit sein müsse; zu hoffen schließlich, daß extravagante Formen die Erscheinung eines Schiffes machen könnten. Die Technik hat es zum Beispiel ermöglicht, die vielfach verstagten Masten von einst durch freistehende Ladepfosten zu ersetzen; die eleganten Brückenaufbauten zu schaffen; dem Schiff mit den schräg nach vorn geneigten Brückensfützen einen Anflug vom »Vorwärtsstürmen« zu geben . . . Doch ist die Schiffahrt auch noch immer fraditionsverbunden. Das erkennt man nicht zuletzt am Schornstein. Seine Form und sein Zweck stimmen durchweg nicht mehr überein. Zuweilen ist er nur noch Atrappe, haben Ladepfosten seine Aufgabe, die A b g a s e der Maschine abzuführen, bereits übernommen. So wird es, zumindest im Hinblick auf den Schornstein, mit den Schiffen der heutigen Art wohl so gehen wie einst mit den großen Seglern: ihre endgültige, die schornsteinlose Form wird erst allgemein werden, wenn man sich daran von den Atomschiffen her, die keinen ö l - oder Kohlenrauch mehr abzuleiten haben, gewöhnt hat. Um auf das Beispiel des Seglers zurückzukommen: die Fachleute sind sich darüber einig, daß er seine größte Schönheit erreicht hat, als die ragende Takelage, aus stählernen Masten und stählernen Rahen aufgerichtet, ihre optimale Einfachheit und Zweckmäßigkeif erhielt. Das geschah in den letzten Jahrzehnten des vorigen und in den ersten des jetzigen Jahrhunderts, in der Sterbesfunde der Windjammer. 7: A b e n d am Strom Dunst legt sich über den Strom. Bald wird die alte Laterne aufleuchten, werden die Greifer des Kohlenschiffhafens, die drüben nur noch schemenhaft erscheinen, ganz verschwunden sein, werden auch die beiden Buttjes wohl heimwärts streben. Denn: »Se sünd an Brood geweunf«, pflegt man dort zu sagen, wo sie sicherlich zu Hause sind - auf St. Pauli. Allerdings auf dem anderen St. Pauli, das der Fremde nicht kennt. Auf jenem St. Pauli, das sich um den Pinnasberg und den Köllischplatz noch eine - zugegeben: ziemlich ärmliche altertümliche Ursprünglichkeit bewahrt hat; in jenem Stadtteil, der beileibe nicht nur Lichtreklame, Nepp-Preise, käufliche Liebe, Tingeltangel aller Sorten und flüchtiges Vergnügen für Tausende von Fremden und auch einige Seeleute ist. St. Pauli nämlich hat zwei Gesichter. Das eine, das ist die Reeperbahn. Das kennen alle. Das andere, das ist ein Stadtteil von einigen zehntausend Einwohnern, von strebsamen und zumeist einfachen Leuten, von Handwerkern, Einzelhändlern, Gewerbetreibenden und vor allem von solchen, die im Hafen arbeiten. Stets ist St. Pauli, d a s früher ein vor den Wällen liegender Stadtteil war und »Hamburger Berg« hieß, eng mit der Schiffahrt verbunden gewesen. Der beste Beweis dafür ist die Reeperbahn; denn dort wurden einst die Taue für die Schiffe gedreht, geschlagen, wie es richtig heißt; schon 99
zur Zeit der »Grönland«-Fahrer im 17. Jahrhundert hatten die Reepschläger auf St. Pauli ihre langen Bahnen und fertigten für die Walfänger ganz besonders deffiges Tauwerk an, Taue, die bis zu 4000 Pfund schwer waren, weil sie im Nordmeer einiges auszuhallen hatten, wenn ein Schiff bei Spitzbergen bei Jan M a y e n oder beim Westeis einen Sturm abzuwettern hatte. Auch heute noch sind die Sankt-Paulianer »hafenorientiert«. Das wirklich nicht nur, weil ihr Stadtteil der »Ankerplatz der Freude« ist. Zum Hafen gehört St. Pauli vor allem deshalb, weil er so nah liegt und der größte Arbeitsplatz für diesen Stadtteil rings um die kleine St. Pauli-Kirche mit dem spitzen grünen Turm ist. Das, was die Bomben verschonten, sieht dort vielfach nicht sehr ansehnlich aus. Besuchern, die von »alter Sfadtromanfik« schwärmen, mag das etwas Besonderes sein; für jene, die dort wohnen, hat die Medaille Romantik durchaus ihre Kehrseite. Allerdings - man wohnt recht preiswert rund um den Köllischplatz, und darum sind selbst einige Sankt-Paulianer nicht damit einverstanden, dalj die Städfehygieniker allmählich eine Änderung herbeiführen wollen. Doch soll das sehr behutsam geschehen. Nicht nur die Reeperbahn wird erhalten bleiben, das andere, das eigentliche St. Pauli soll gleichfalls trotz allem sein Gesicht bewahren. 8: Hamburger Weller W a s eigentlich soll man viel vom Wetter in Hamburg schreiben? Schließlich reden die Hanseaten genug davon, und schließlich ist das »Hamburger Wetter« nicht weniger bekannt in der Welt als der »schnelle Hafen«. Hamburger W e i ler, das ist Nieseln, Schmuddeln, das ist auch deftiger Regen von stundenlanger Dauer, das ist eine nichts als grau in grau erscheinende Kulisse. Das ist nicht selten ein herzhafter Fluch von jenen, die der Regen zwingt, das Löschen oder Laden wasserempfindlicher Güter vorübergehend einzustellen. Womit nicht unbedingt die Hafenarbeiter gemeint sind, die dann Föfffein (Pause) machen, sondern vor allem jene, deren Zeit und Geld das kostet. Hamburger Wetter - das ist nicht zuletzt ein Zeichen dafür, wie nah die Hanseaten eigentlich doch dem Ozean sind, obwohl sie ihre Stadt tief im Binnenland gebaut haben. Denn deren Klima wird ganz eindeutig von der atlantischen Feuchte bestimmt. Spötter haben sie schon vor Zeiten die »Traufe Deutschlands« genannt, und wenn die nicht selten vertretene Ansicht, ein Hamburger komme bereits mit einer Regenhaut zur Welt, auch eine journalistische (Übertreibung ist - ohne Regenschirm geht hier doch mancher auch bei schönstem Sonnenschein lieber nicht vor die Haustür. Da Zahlen bei allem, was es im Hafen gibt und was dort vor sich geht eine dominierende Rolle spielen, da man dort alles zu messen pflegt, nach Metern, Fuß, Zoll, nach Minuten und Stunden, nach Kilo und Tonnen, nach BRT und fdw und nicht zuletzt nach Deutscher Mark, seien auch bei der Plauderei über das Hamburger Wetter einige konkrete A n g a b e n nicht verschwiegen. Also: es sind im Hafen jährlich 720 Millimeter Niederschlag zu erwarten; das sind 720 Liter Regen auf dem Quadratmeter und 120 Liter mehr, als die gesamte Bundesrepublik im Durchschnitt bekommt. Insofern ist Hamburg schon einigermaßen benachteiligt. Aber es kommt noch schlechter. Im besonderen nämlich findet das Hamburger Wetter im Sommer statt. Genau 400 von den 720 Litern fallen ausgerechnet in den sechs Monaten April bis September. »Leider«, sagen die vielen Gäste der Stadt. »Leider«, muß der Kundige noch hinzufügen, »halten die angeblich schönsten Monate des Jahres, nämlich der Juli und der August, sogar den Regenrekord - mit 85 bis 87 Liter im Schnitt.« Und auch der Juni (66) und der September (61) 100
liegen noch über dem monatlichen Mittelwert von 60 Litern. Nimmt man allerdings die Zahl der Regentage (das sind jene Tage, an denen mehr als 0,1 Millimeter Niederschlag fällt) als Maßstab, dann verfeilt sich das »Hamburger Wetter« eigentlich ziemlich gleichmäßig auf das ganze Jahr. Dann halfen der Dezember, der Januar und der Juli mit 18 Regentagen die Spitze, während der Mai, Juni, September und Februar mit durchschnittlich 14 oder 15 Regentagen a m unteren Ende stehen. Fazit der gesamten Regenmisere: im Sommer ist das Hamburger Wetter, gemessen an der Niederschlagsmenge, eben intensiver. Trotzdem gibt es gerade für den Hafen noch einen Trost. Es ist nur gut, daß dieser an der Elbe liegt. Befände er sich nämlich in der Nähe des Flughafens Fuhlsbüttel, dann hätte er jährlich noch mit 120 Millimeter Niederschlag mehr zu rechnen. Womit nichts gegen den trockenen Hafen der Luftfahrt gesagt, sondern allein auf die Tatsache hingewiesen sein soll, daß der Wetterkoch selbst auf engstem Raum viele Töpfe am Dampfen hat. 9: Kehrwiederspitze Der Schilderwald auf diesem Bild, das die Unterschrift »Kehrwiederspitze« hat, muß nicht noch erläutert werden. M a n sieht auf einen Blick, wie vielfältig das Leben und die Arbeit im Freihafen tatsächlich sind. Einer Verklarung jedoch bedarf der Turm, der im Hintergrund sichtbar ist. M a n kennt ihn als »die Kehrwiederspitze«, und er ist den Hamburgern wie den Seeleuten fast genau so ans Herz gewachsen wie der Michel. Er ist das zweite Wahrzeichen des Hafens geworden, obwohl man sich über die Schönheit seiner Architektur durchaus streiten mag. - Der Turm wurde 1875 gebaut. 1897 brannte er zum ersten M a l e aus, und im zweiten Weltkrieg machten Bomben und Feuer ihn erneut zur Ruine. Trotzdem soll er erhalfen bleiben - die Hanseaten haben es auch niemals anders erwartet. Denn er ist eine Besonderheit. Offiziell ist die »Spitze« der Turm des Kaiserspeichers. Bei den Hafenleuten gar hat dieser Speicher nur einen Buchstaben; er heißt Kaispeicher A. M a n baute ihn, als man die beiden ersten mit Kaimauern versehenen Hafenbecken fertiggestellt und damit den entscheidenden Schritt zum Direktumschlag und also zum Weifhafen getan hatte. Zwischen diesen Häfen, dem Sandtor- und dem Grasbrookhafen, steht der Speicher auf dem Kaiserhöft an seeschifftiefem Wasser, Er ist noch heute der größte des Hafens. Doch ist keineswegs dieser Superlativ sein hervorstechendes Merkmal. Das eben ist der Turm. Müßig, zu fragen, warum man ihn errichtete. M a g sein, weil das im Zuge der Zeit lag, weil damals auch jede kleine Villa ihren Pseudo-Bergfried erhielt. Möglich auch, daß er Ausdruck des neuen Strebens nach Weltgeltung sein sollte - wie die Hamburger schon einmal, von 1300 bis 1310, in der Elbmündung auf der Insel Neuwerk einen Turm errichteten, der nicht nur eine Feste, sondern ebenso auch ein weithin sichtbares Zeichen sein sollte: »Auf der Elbe herrschen wirl« Schließlich noch läßt sich denken, daß dieser Turm für Johannes Dalmann, der ihn entworfen hat, das Ausrufungszeichen hinter seinem Lebenswerk bedeutete; denn Dalmann war es, der die Konzeption für den Bau der neuen Häfen durchgesetzt halte. W a s diesen Turm so populär gemacht hat, sind sein Name »Kehrwiederspitze« und der Zeitball, den er einst auf seiner Plattform hatte (auf dem Bild erkennt man noch das G e stänge). Dieser Zeitball wurde täglich zehn Minuten vor zwölf und vor dreizehn Uhr hochgezogen, und punkt zwölf und dreizehn Uhr fiel er, von der Sternwarte in Bergedorf elektrisch ausgelöst, herunter. Auf den Kommandobrücken der im Hafen liegenden Schiffe stellte man danach die Uhren, die
für die Ortsbestimmung auf See so wichtigen Chronometer. A m 31. M a i 1934 allerdings ging der Zeiiball zum letzten M a l e nieder. Das über Funk kommende Zeitzeichen hatte ihn überflüssig gemacht. Trotzdem blieb der Turm ein Wahrzeichen des Hafens, weil er eben Kehrwiederspitze heifjf - wenn auch fälschlicherweise. Denn der Volksmund, der ihn so taufte, hat hier den Wunsch nach guter Heimkehr von langer Reise mit einem alten Namen aus der Topographie der Stadt verbunden. Die eigentliche Kehrwiederspitze nämlich ist ein Höft, das zwei Kaizungen weiter nördlich liegt. Sie entstand zu Beginn des 16. Jahrhunderts als Bastion im Brook-Stadtteil. Und ihren Namen erhielt sie deshalb, weil dort Stadt und Strafe endeten - weil man umkehren mußte. 10: Barkassenderby Barkassen sind die Tausendsassas im Hafen. Sie sind, wenn ein Vergleich mit dem Land gestattet sei, Omnibus für den Werkverkehr und Rundfahrtbus; sie sind Schnelltransporter und Taxi, Staatskarosse und auch Schlepper. Barkassen nehmen in der Speichersfadt die beim Schiffshändler bestellten Waren an Bord; Barkassen laden an den St.-Pauli-Landungsbrücken zur Hafenrundfahrt ein; Barkassen warten auf jedermann, der's eilig hat und nicht warten mag auf die zu festen Uhrzeiten verkehrenden Fähren; die Hatenärzte, die Waterclerks der Schiffsmakler, die Vertreter aller nur möglichen Firmen, Beamte - sie können ein Schiff, das an den Pfählen festgemacht hat, nur mit einer Barkasse erreichen; der Staat fährt seine hohen Gäste, Kaiser, Könige, Präsidenten, mit der komfortablen Senatsbarkasse durch den Hafen; Barkassen schleppen Schufen die kreuz und die quer; und vor allem sind Barkassen unentbehrlich für die Stauereibetriebe, die ihre Schauerleute pünktlich zu Schichtbeginn a n Bord der Frachter haben müssen. Es gibt Barkassen aller Größen. Solche, die nur 20 Personen befördern können, aber auch solche, in denen weit mehr als 100 Platz haben; solche, die mit 30 PS auskommen und andere, die 180 Pferde im Bauch haben. Im Typ aber sind sie sich alle gleich. Vorn haben sie eine Kajüte, achtern sind sie ein offenes Boot. Allenfalls schützt ein Dach aus einer Persenning vor W i n d und Weffer; das jedoch vornehmlich nur bei jenen, die eine Konzession für die Hafenrundfahrt haben 90 an der Zahl. Insgesamt zählt man im Hafen rund 440 Barkassen. Etliche davon sind sogar über den Hafenfunk telefonisch erreichbar. Und: so unscheinbar sie sich neben den •berseefrachtern ausnehmen, sie kosten doch eine ganz hübsche Stange Geld; etwa 70000 M a r k zahlt man für eine mittelgroße Barkasse, die an die 50 Personen befördern kann. Nicht gerade alle Jahre, aber doch von Zeit zu Zeit gönnen sich die Barkassenführer einen großen Tag. Dann fahren sie um die Wette. Dann schiert sie nicht W i n d und Wetter, dann drehen sie auf, was der Motor nur hergibt, lassen den Gischt stieben, die Flaggen knattern, die Musik spielen und die Buddel kreisen. Dann zeigen die größten, daß sie's, wenn es darauf ankommt, glatt mit jedem kleineren Frachter aufnehmen können. Denn sie laufen etwas mehr als 10 Knoten, fast 20 Kilometer in der Stunde ...
schiffen beim Wenden, bei der Einfahrt in die schmalen Hafenbecken, beim Anlegen und beim Ausfahren zu helfen. Doch muß der Ausdruck »unter Dampf« nicht allzu wörtlich genommen werden. Moderne Schlepper haben einen Motor, einige sogar einen Diesel-Elektro-Motor. Schlepper mißt man nicht nach Länge und Breite oder Brutto» Raum-Tonnen. Da gilt allein die Frage: »Wieviel Pferde?« Die meisten Assislenzschlepper in Hamburg haben etwa 800 PS. Die Maschine des größten, der 28 Meter lang ist, leistet sogar 1050 PS, und von einigen ganz modernen, die mit nur 600 Pferden aufwarten, soll man sich dennoch nicht täuschen lassen; ihr Propeller dreht sich in einer neuartigen Ruderdüse und ist deshalb soviel werf wie einer der älteren, der von 1000 PS getrieben wird. Die modernsten Schlepper haben keinen Schornstein; um so besser ist die Sicht für den Kapitän auf der turmartigen Kommandobrücke. Gute Sicht nämlich ist das A und O beim Bugsieren. Schließlich sind bei großen Schiffen Massen von einigen zehntausend Tonnen in Bewegung, und als Bremse hat man nichts als das »voll rückwärts« mit den Propellern. In Sekundenschnelle muß ein Schlepperkapitän reagieren; so nimmt er denn auf seiner rundherum offenen Brücke lieber Sturm und Wetter in Kaut. G e g e n allzu viel Regen hilft ein Handtuch als Schal, und im übrigen hat er dreifaches Zeug an Bord. Seine Uhr ist der Schiffsmeldedienst, der die aufkommenden Schiffe ankündigt. Die Order kommt vom Schleppbüro. W i e viel Schlepper ein Schiff nimmt, das bestimmt dessen Kapitän im Einvernehmen mit dem Hafenlofsen. Für große Frachter sind drei oder vier Schlepper die Norm. »Erster, zweiter, dritter Stich« - das ist die Reihenfolge, in der sie den dicken Pott anfassen. Einer geht nach vorn, die beiden anderen bleiben achtern. Im Strom übernehmen die Besatzungen die Trossen; der Frachter fährt ganz langsam, die Schlepper gehen längsseit, und von oben werden die Leinen hinunfergereicht. Vor der Einfahrt zum Hafenbecken wird das Schiff fast g e stoppt, und die Schlepper drehen es herum, um es darauf rückwärts zum Liegeplatz zu bugsieren. Verständigungsmittel dabei sind die »Flüstertüte« und das Pfeifensigna!, dieses vor allem. Die Grundsignale: ein, zwei und drei kurze Töne. Ein kurzer Ton: nach Steuerbordl (rechts); zwei kurz: nach Backbord! (links); drei kurz: rückwärts! Mit dem gleichen Signal quittieren die Schlepperführer jeweils die Order. Im übrigen heißt ein ganz kurzes Antippen mit der Pfeife »versfanden«, wenn Lotse oder Kapitän eine Anweisung durch das M e g a p h o n hinübergebrüllt haben. Und »lang, zwei kurz, lang« bedeutet: »Alles klar«. »Alles klar« geben die Schlepper, wenn sie im Strom die Leine übernommen haben. »Alles klar« tutet der Kapitän, wenn das Schiff fest ist, wenn die Schlepper es zum Schluß mit ihrem fendergeschützten Steven langsam - ganz sachte an den Kai herangedrückt haben. Das heißt dann zugleich: »Mit Dank entlassen!« Nur der Schlepperführer, der den letzten Stich hatte, muß trotzdem noch einen Augenblick warten. Er nämlich hat den Lotsen zu den Landungsbrücken zu bringen.
Wer will und wer Frühaufsteher ist, kann ein ähnlich eindrucksvolles Schauspiel sogar jeden Tag beobachten: morgens um sieben Uhr a m Sandtorhöft. Dann nämlich legen Dutzende von Stauereibarkassen gleichzeitig vom Ponfon a b und rauschen mit schäumender Heckwelle über die Norderelbe hinunter, den Schiffen zu, auf denen die Arbeit wartet.
Ein bis zwei Stunden dauert das Bugsieren eines Schiffes im allgemeinen. Im Winter jedoch, wenn die Schlepper mit ihren Schrauben auch noch das Treibeis forfmahlen müssen, das sich zwischen Kai und Bordwand des Frachters schiebt, können daraus leicht vier bis fünf Stunden werden. Ausgerechnet dann, wenn es auf der zugigen Brücke lausekalt ist ...
11: Schlepper fassen an
12: Föffteln
Rund ein halbes Hundert Schlepper liegen im Hafen ständig unter Dampf, um den einkommenden und ausgehenden See-
Für nur einen Moment ist er heraufgekommen. Unten, in seiner Maschine, läuft im Augenblick alles. Sie ist versorgt. 101
Da kann er sich mal eine kurze Pause gönnen. Er mufj sie haben, der Maschinist. Denn es isf schwere Arbeit; und heifj ist es unten. M a n sieht es seinem Gesicht an. Sein Interesse konzentriert sich allein aui die Tasse Katfee. Keinen Blick hat er für den schmucken Hamburg-Süd-Frachter, die weif;e »Cap Frio«, die Kurs Ostküste Südamerika hat und wohl fünfzigmal so viel PS besitzt wie seine kleine Schleppbarkasse. In der Nordsee und auf dem Atlantik wird sie ihre 17 Knoten machen. Vielleicht fuhr er früher - wie ja so viele im Hafen - auch mal auf solchem Schiff. Im Augenblick jedoch hat er offenbar keinen Sinn für derartige Erinnerungen. Er macht nach harten Stunden Föfftein. Föfftein, vielfach sagt man auch Föfftein, isf das wohl beliebteste Wort im Hafen. Wörtlich übersetzt heifjt es »fünfzehn«; in der Sprache der Seeleute bedeutet es: Pause, eine kurze Pause. Wahrscheinlich leitet es sich von der üblichen Viertelstunde ab, von fünfzehn Minuten. Doch kann der Chronist sich für diese Erläuterung nicht hundertprozentig verbürgen. W a s er d a g e g e n sicher weil;, das ist der Sinn der Redewendung - des Schnacks, wie man an der Wasserkante sagt - »Fief, tein, föfftein«. Das ist Götz von Berlichingen in Hafen-Höflichkeit. Es gibt zwar noch einen zweiten Teil (und das Ganze reimt sich sogar), aber er bleibt durchweg unausgesprochen. Just das ist die Höflichkeit dabei. Pause ist Pause und von Zeit zu Zeit notwendig, nicht zuletzt im Hafen. Die Übereifrigen, die das dennoch ignorieren möchten, sind's eben selber schuld, wenn man ihnen zur Antwort gibt: »Fief, fein, föfftein ...«
Ladung den größten Anteil. Sie befördern nicht nur Stückgüter aller Art, sondern auch Massengutpartien wie Kohlen, Düngemittel, Futtermittel, Holz, Zellulose, Eisen, Erze und Mineralölprodukfe; viele kleine skandinavische Häfen werden von Hamburg aus mit überseeischem Getreide versorgt; die Kümos übernehmen es direkt von den großen Frachtern, die hier Ladungen selbst von 30000 Tonnen löschen. Die Zeit, in der die Kümos im wesentlichen »an den Küsten entlangschipperten« und vorwiegend nur deutsche Häfen a n liefen, ist nach dem zweiten Weltkrieg vollends zu Ende g e gangen. M a n spricht heute bereits, d a Küstenschiffe bis zu den nördlichsten skandinavischen Häfen hinauflaufen und auch nach England und bis ins Mittelmeer fahren, vom »europäischen Seenahverkehr«. Entsprechend haben sich die Schiffe gewandelt. Die Neubauten sind hochmoderne, bis zu zwölf Knoten schnelle Frachter. Die meisten laden 350 bis 600 Tonnen. Es gibt aber bereits Kümos von 1000 Tonnen Tragfähigkeit. Als Kümos werden Schiffe dieser Gröfje wohl nur deshalb registriert, weil ihr Reeder dem Verband der Küstenschiffer angehört. In vielen Fällen ist es heute noch wie einst: der Kapitän ist zugleich der Eigner des Schiffes; zumindest besitzt er Parten (Wertanteile). Rund tausend Schiffe mit einer Tragfähigkeit von zusammen 380 000 Tonnen gehören zur deutschen Küstenflotte. 55 Prozent ihrer Tonnage isf in Hamburg beheimatet. Und 70 Prozent aller Eigner wohnen an der Elbe. Schon immer war die Unterelbe mit ihren vielen Nebenflüssen und kleinen Häfen und mit Hamburg als dem grofjen Obersee-Umschlagsplatz das Zentrum der deutschen Küstenschiffahrt.
13: Löschplatz der Kümos Auf den alten St.-Pauli-Fischmarkt geht der Blick. Er ist heute ein öffentlicher Löschplatz oder Freiladekai; das heifjt, er ist ein Anlegeplatz für die Kleinen der christlichen Seefahrt, für die Kümos. In der Nähe haben deren Makler ihr Kontor, liegen die Läden und Lager der Schiffshändler, steht auch das Haus der Küstenschiffer. Meistens ist an diesem Kai mehr Betrieb als auf dem Bild sichtbar wird. Dort liegen die Kümos, wenn sie kurz auf Ladung warten müssen, dort nehmen sie auch gelegentlich Güter über. Ihre eigentlichen Lösch- und Ladeplätze aber sind die Überseehäfen. Oberall sieht man sie an den Kais und vor allem längsseit großer Frachter. Kümos, mögen einige von ihnen auch nur gut hundert Tonnen tragen, sind nicht unwichtig für den Hafen. Sie machen ihn zum Umschlagsplatz für viele kleine deutsche Häfen und für Skandinavien. Die grofjen Frachter nämlich, die im Liniendienst zwischen den Kontinenten verkehren, fahren durchweg nicht in die Ostsee, weil das zu zeitraubend und zu teuer ist. Hamburg ist ihr Endhafen und also der Umladeplatz für die überseeischen Importe und Exporte vor allem Schwedens und Dänemarks. Die Kümos, die mit ihrem geringen Tiefgang auch die kleinsten Häfen anlaufen können, sind die Zubringer und Verteiler. Der Freihafen bietet zudem den Vorteil, dal; alle Güter des Seetransitverkehrs zollfrei umgeschlagen werden können. Noch bis zum ersten Weltkrieg waren die Küstenschiffe durchweg Segler, kleine, 50 bis 200 Tonnen ladende Gaffel- oder Rahschoner mit zwei, drei Masten oder plattbodige, rundliche, einmastige Tjalken. Zwischen den Weltkriegen liefjen die Küstenschiffer sich dann einen Motor einbauen, und ihre Schiffe hiefjen nun Motorsegler. Heute ist das Segel auch aus der Küstenfahrt verschwunden. Es gibt nur noch Küstenmotorschiffe. Und weil das ein so umständliches Wort ist, hat sich die Kurzfassung »Kümo« durchgesetzt. Im Jahre 1961 wurden in Hamburg für deutsche Küstenhäfen rund 1,64 Millionen Tonnen Güter umgeschlagen; im Seetransit - vornehmlich für die skandinavischen Länder - waren es sogar 2,18 Millionen Tonnen. Die Kümos haben an dieser 102
14: A n der Winsdi Der M a n n an der Winsch lädt sich Tag für Tag eine ganze Schicht lang oder noch länger eine gute Portion Verantwortung auf seinen Buckel. Er jongliert mit jenen Kräften, die tonnenschwere Lasten heben und senken und sie vom Schiff zum Kai, vom Kai zum Schiff schwenken. Das erfordert Erfahrung, Begabung und vor allem immer wieder Konzentration. Der M a n n a n der Winsch nimmt deshalb gleich dem Decksmann, der für ihn in den Laderaum hinunterblickt und sein Tun mit fast unmerklichen Handzeichen dirigiert, unter den Schauerleuten eine besondere Stellung ein. M a n n an der Winsch wird man nicht von heute auf morgen. Kein geringes Können ist nötig, wenn es heifjt, eine Hieve aus der äußersten Ecke eines Laderaumes herauszuziehen und sie gleich darauf ohne jede Pendelei nach oben zu holen. Auf die Ruhe kommt es an. G a n z ruhig muf] die Hieve durch die Luft schweben; und das gelingt nur, wenn der M a n n an der Winsch die Kräfte, die er mit ein paar Hebeln bewegt, virtuos beherrscht. Denn kein Sack darf aus dem Stropp rutschen, keine Kiste von der Palette fallen. Weniger des materiellen Schadens wegen, sondern weil's Gefahr brächte für die Kollegen unten im Raum oder auf dem Kai. Selbstredend, dafj eine tonnenschwere Hieve butterweich aufgesetzt werden mufj ... Ihre Meisterstücke liefern die Winschleufe jeweils beim Verladen von Schwergut. Gewichte von 20 bis 30 Tonnen sind im Hafen geradezu etwas Alltägliches. Es kommt aber auch vor, dafj Lokomotiven, Maschinen und Bauteile für Fabriken, die in fernen Ländern errichtet werden, hundert Tonnen und mehr wiegen. Z u m Beispiel hat man im Hafen schon eine 23 Meter lange und 123 Tonnen schwere, für die Sowjetunion bestimmte Lokomotive (von 4000 PS und 160 Kilometer G e schwindigkeit in der Stunde) verladen. Und den Rekord hält einstweilen ein Grof;stator, der kesseiförmige Teil eines für Los Angeles bestimmten Turbogenerators. 182 Tonnen w o g der Gigant. Eine solche Schwergutladung verlangt von den Stauern und
der Schiffsleitung zunächst einmal eine wahre Generalstabsarbeit. Häufig hat der Spediteur schon einige Mühe, den Koloß mit der Bahn oder auf einem Spezialtietlader über Land zu befördern. Dann muß genau ausgerechnet werden, wie sich die Last auf die sogenannte Stabilität des Schiffes auswirkt, das heißt, wie sie sein Verhalten im Seegang beeinflußt. Schließlich ist zu errechnen, o b und wie man die Verbände des Schiffes verstärken muß; meistens ist es nötig, dem dicken Brocken eigens ein Fundament zu bauen. Außerdem muß überlegt sein, wie man ihn am besten festzurrt, damit er sich auch bei stärkstem Seegang nicht rippt und nicht rührt. Der König bei solcher Verladung aber ist der M a n n an der Winsch oder im Führerhaus eines Schwergutkranes. Gerade mit solcher Last muß er Maßarbeit leisten. Nicht nur, daß sie lediglich zentimeterweise gesenkt werden darf und ohne den geringsten Aufprall abgesetzt werden muß - häufig auch ist ein solcher Brocken so lang oder breit, daß er nur um Zentimeter durch die Lukenöffnung geht. Es gibt jedoch Winschleufe, die nehmen, wenn ihre Hände fast unsichtbar mit den Hebeln »spielen«, nicht einmal die Zigarette aus dem Mund, die schaffen das in einer Viertelstunde. Im Hafen Hamburg engagiert man fürs Verladen dieser Schwergewichte meistens einen der Schwinrunkräne. Einer von ihnen hebt 150, der andere nimmt 200 Tonnen an den Haken. Sie haben den Vorteil, daß sie ihre Last bei sich an Bord absetzen und damit durch den Hafen direkt zum Schiff fahren können; denn sie sind, obwohl auf viereckigen Ponfonkästen montiert, mit Hilfe ihrer Voith-Schneider-Verstellpropeller sehr beweglich. Allerdings haben auch viele Frachter ihr eigenes Schwergutgeschirr für solcherart Arbeit. Sie müssen es haben, weil in fremden Häfen, in denen sie ihr gewichtiges Gut a n Land setzen, meistens Schwerlastkräne fehlen. Die Höchstleistung, die in dieser Hinsicht je ein Schiff vollbracht hat, wurde gleichfalls in Hamburg geboten - vom Motorschiff »Treuenfels« der D D G Hansa; zwei gekoppelte Schwertgutbäume dieses Frachters hoben 269 Tonnen und krängten ihn dabei um nur 13 G r a d über. Gebaut worden ist das Schiff auf der Stülcken-Werft in der Hansestadt; dort auch wurde das Ladegeschirr erdacht und konstruiert. I S : Der W a l d der Ladebfiume 16: Löschen am Kai und Im Strom Vor jedem backsteinroten Schuppen ist die Reihe der schlanken, ragenden Kräne aufgefahren. Sie besorgen das Laden und Löschen der Schiffe, die am Kai liegen; denn sie heben die Lasten schneller und sie reichen weiter als die Ladebäume der Frachter, ist deren Geschirr also überflüssig in Hamburg? Nein - keineswegs. Die Kräne nämlich bringen doppelten Vorteil. Während mit ihrer Hilfe der Kai-Umschlag geschafft wird, kann auf dem Schiff zur gleichen Zeit mit den Ladebäumen noch nach außenbords gearbeitet werden. Dort liegen die Schuten, die die Güter zu den Speichern bringen; dort machen Küstenschiffe fest, die Ladung für Skandinavien übernehmen; dort auch kommen die Barkassen längsseit, die Besatzung und Schiff mit allem Nötigen für die nächste Reise versorgen. Motto: schneller Hafen. Auf Bild 16 sieht man außerdem ein Schiff, das an den Pfählen festgemacht hat, mitten im Hafenbecken, ohne Landverbindung. »Es liegt im Strom«, sagt man in Hamburg. Das Wort stammt aus der alten Zeit, als alle Schiffe in gleicher Weise auf der Norderelbe festmachen mußten. In diesem Falle ist es ein - Tanker, der mit einer Ladung Getreide gekommen ist. Saugheber machen ihn leer. Für solche Schiffe, die ihre Fracht oder einen Teil d a v o n in Schuten, Kähne oder Küstenschiffe löschen oder ihre Ladung aus diesen Fahrzeugen übernehmen, ist der Strom-Umschlag günstig. Denn
die Liegeplätze an den Dalben sind nicht so teuer wie jene a m Kai. Hein Seemann läßt sich dann eben vom »Jollenführer« an Land fahren, und Telefonanschluß ist an den Pfählen auch zu haben. In den 36 Seeschiffhäfen Hamburgs können zur gleichen Zeit etwa 300 Seeschiffe und seegehende Küstenschiffe festmachen. Die Kaimauern haben eine Länge von 36 Kilometer, und die Dalben-Liegeplätze sind gut 20 Kilometer lang. Für Fluß- und Binnenschiffe stehen in 23 Hafenbecken Liegeplätze von 21 Kilometern an Kaimauern und von 26 Kilometern an Pfählen zur Verfügung. Die Uferstrecken des g e samten Hafengebiefes messen 290 Kilometer — 40 Kilometer mehr als die Entfernung Hamburg-Berlin in der Luftlinie. Der Staat und die Privatwirfschaft feilen sich die Arbeit im Hafen. Das hat sich im Laufe der Jahrhunderte so ergeben. Der Staat zum Beispiel baut die Häfen und Kaianlagen, die Schuppen, Kräne, Speicher und vieles mehr. Zuständig dafür ist das Amt für Strom- und Hafenbau. Betrieben werden die meisten Umschlagsanlagen, vor allem jene für die Stückgüter, von der Hamburger Hafen- und Lagerhaus-AG., kurz Hala genannt. Ihre Aktien sind in Staatsbesitz. Einen Teil der A n l a g e n jedoch vermietet die Gesellschaff, einige Schuppen zum Beispiel an Reedereien, die Speicherböden an die Lagerhalter. Die Arbeit auf den Schiffen und auch der Umschlag von Massengütern ist so gut wie ausschließlich in der H a n d von privaten Unternehmen. 17: Baumwolle aus den U S A 18: Aufoi nach Mittelost Es ist nicht möglich, die Unzahl der Güter aufzuzählen, die Tag für Tag via Hamburg aus aller Herren Ländern Ins Binnenland oder aus Mitteleuropa über den Hafen in alle Welt hinaus gehen. Ebenso ist es hier unmöglich, die Häfen zu nennen, mit denen die Stadt durch Llniendiensfe verbunden ist; es sind etwa 1100. Noch niemals zuvor war das Liniennetz so dicht wie heute. 1961 wurden im Liniendienst 8805 A b fahrten geboten, im Monatsdurchschnitt also 733. Nach festem Fahrplan verlassen den Hafen täglich: zwölf Schiffe zu europäischen, sechs zu amerikanischen, drei zu afrikanischen und vier zu asiatischen und australischen Häfen, Mit anderen Worten: Ladung in jede Himmelsrichtung findet in Hamburg sofort ein Schiff. Die Linienschiffahrt - Verkehr auf festen Routen, Abfahrt und Ankunft in allen Häfen zu vorbesfimmten Zeiten - ist geradezu der Gradmesser für die Bedeutung eines Hafens, der Handel mit aller Welt treibt. Denn die Linienfahrer sind die Schiffe der Kaufleute, der Importeure, die Güter aus allen Ländern einführen und der Exporteure, die ihre W a r e n m ö g lichst schnell in jeden Winkel der Welt befördern möchten. Etwa 250 Liniendiensfe, fünf Dutzend mehr als 1936, zählt man an der Elbe. Nicht weniger als 70 Prozent der Tonnage, die in diesen Diensten fährt, gehört ausländischen Reedern. Eine Übersicht über die Fahrtgebiete zeigt, wie sehr sich nach dem Krieg Handel und Verkehr in Hamburg verändert haben. Die Zahl der Fahrplan-Abfahrten, die heute zum Beispiel zu den Häfen der anderen Kontinente geboten werden, ist mehr als doppelt so groß wie 1938: unsere Wirtschaff ist bedeutend stärker auf den Warenaustausch mit Ubersee eingestellt als damals. In der Europafahrt d a g e g e n ist die frühere A b fahrtsdichte noch nicht wieder erreicht worden - nicht zuletzt auch deshalb, weil die Autarkiebestrebungen in den Ostblockländern ihre Wirkung tun. 19: Fastmoker Schlepper allein tun es nicht, wenn es gilt, ein großes Schiff an die Pfähle oder an den Kai zu bringen. Es müssen auch noch Männer d a sein, die die Verbindung mit dem Land 103
oder dem Duckdalben hersfeilen, die armdicke Manilafaue und unbändige Slahltrosssen zu bändigen wissen. Das sind die Festmacher. Fastmokers nennt man sie. Sie sind eine Gilde für sich. Ihre Boote, aus bester Eiche gebaut, zählen zu den kleinsten. Sie sind offen und kaum sechs Meter lang. W e n n ein dicker Schlepper mit voller Fahrt vorbeibraust, d a n n tun die Festmacher gut daran, den Motor schnell ein wenig zu drosseln und die steilen Heckwellen mit einem kurzen Ruderschlag geschickt auszudümpeln. Sonst ist ihnen eine Pütz Elbwasser sicher. Die Boote h a b e n so sinnige N a m e n wie » M o k fast«, »Hein Mück« oder »Criep to«, Etwas anderes als die plattdeutsche Sprache kennen die Festmacher nicht; die meisten kommen aus dem Seemannsberuf. Ihr Arbeitsgerät ist die Wurfleine. Eine gehörige Portion Kraft und Geschicklichkeit müssen sie außerdem besitzen. Damit es nicht vergessen wird: sie selbst bezeichnen sich nicht als Fastmoker; sie sind »die Bootleufe«. In dem Augenblick, in dem die Schlepper den dicken Frachter schon nahe a m Liegeplatz haben, knattern sie mit ihrem kleinen Boot heran. Zwei M a n n werden schnell a n einer eisernen Kaileiter abgesetzt und steigen nach oben, a n Land. Nur einer bleibt a n Bord. W e n n ihm v o n der Back des großen Frachters die schwere Trosse herunfergegeben wird, d a n n braucht er eigentlich vier Hände. D a s Tau fassen und flüchtig aufschieben, M o t o r und Ruderpinne bedienen und stets autpassen, dal; es keine Kollision gibt - das alles will zu gleicher Zeit getan sein. U n d schnell will es getan sein. In Windeseile knotet der M a n n im Boot die leichte Wurfleine an das dicke Tau und wirft sie auf den Kai. Die beiden Kollegen fangen sie auf, ziehen daran das zentnerschwere Tau nach und streifen sein A u g e über den nächsten Poller - die erste Trosse ist fest. U n d das Schiff kann, indem es sie langsam mit Maschinenkraft steifholt, mithelfen, sich g a n z a n den Kai heranzuziehen. Mit einer Trosse jedoch ist es nicht getan. Der vorderen folgt die achtere, und d a n n lassen die Janmaaten v o n Bord des Frachters noch etliche Wurfleinen in hohem B o g e n a n Land segeln. Mit zwei Tauen ist ein Schiff noch nicht fesf. Vier sind es meistens vorn, und ebenso viele sind es achtern. Dazu kommen die in entgegengesetzter Richtung haltenden beiden Springs und eventuell noch mehr - falls der Alte (sprich: Kapitän) es w e g e n W i n d und Wetter für notwendig hält. W e n n die Fastmokers ein Schiff a n die Pfähle bringen, d a n n bleiben sie zwar alle im Boot, aber auch dieser Job hat seine Tücken. Denn wie gesagt, die Leinen sind zentnerschwer, und ihr kleines Fahrzeug dümpelt bei der Arbeit in den Wellen auf und nieder. U n d erst im Winter, wenn die Kais vielleicht vereist, die dicken Trossen steifgefroren und die Finger klamm sind, wenn Treibeis die Boote kaum vorwärtskommen läfjt, wenn ablandiger Sturm den großen Kasten immer wieder forfzudrücken versucht, wenn die Ringe an den Pfählen bei Hochflut in eiskaltem Wasser verschwunden sind, wenn es Schnee v o n oben und Wasser v o n unten gibt, dann ist d a s Festmachen wahrlich kein Vergnügen. »Un g r o d in'n Winter komt de meisten Dampers ...« Dennoch schimpfen sie nicht auf ihren Beruf, die Festmacher. U n d Sorgen um den sogenannten Nachwuchs haben sie a u d i nicht, Sie sind eben eine Gilde für sich. Post scriptum: Ihr Privileg ist nicht nur das Festmachen. Sie sind auch beim Verholen und Auslaufen der Schiffe dabei, beim A b l e g e n also; das Loswerfen der Leinen geht gleichfalls nicht ohne sie vonstaffen. 20: Die Speicherstadt Sie erinnert mit ihren so gedrängt stehenden G e b ä u d e n ein wenig an eine mittelalterliche Stadt. Sie hat auch etwas 104
Festungsartiges, Bergendes a n sich. U n d sie verheimlicht wiederum nicht, weil eben der Türmchen-Zierrat nicht zu übersehen ist, w a n n sie gebaut wurde - a m Ende des vorigen Jahrhunderts nämlich. Es ist die Rede v o n der Speicherstadt. Im Hafen nennt man sie zuweilen auch »die Speisekammer Mitteleuropas«. U n d das ist nicht einmal übertrieben. Denn bis unters Dach ist sie vollgestopft mit den W a r e n der Welt. Diese Speisekammer liefert den Deutschen in der Tat einen wesentlichen Teil der Nahrungs- und Genußmiffel, die aus anderen Kontinenten kommen. A n wenigen Beispielen sei das demonstriert. V o n dem Tee und K a k a o , den die Bundesrepublik importiert, gehen 70 bis 80 Prozent über Hamburg; beim Kaffee, bei Gewürzen, Honig und Trockenfrüchfen aller Art sind es 60 bis 70 Prozent; und bei Gemüse- und Obstkonserven sowie Tabak kommt der Hafen auf einen Anteil v o n 50 bis 60 vom Hundert. D a s sind jedoch nur die bedeutenden Warengruppen. M a n findet auf den Böden der Speicher alles, was der G a u m e n und das Herz nur begehren - bis hin zu Bettfedern, Nähmaschinen, Schildkrötenleder und Riesenstapeln v o n wertvollen Orientteppichen. Diese Speicherstadt bietet dem Oberseekaufmann, dem Importeur, einen entscheidenden Vorteil. Weil sie im Freihafen liegt, kann er die eingeführten W a r e n dort zollfrei lagern. D a s bedeutet: er kann die W a r e n auf dem Weifmarkt d a n n in grofjen Partien kaufen, wenn die Preise a m günstigsten sind; er braucht nicht sofort Abnehmer dafür zu haben; denn der Zoll, den er für die Importe zu entrichten hat, wird stets erst fällig, wenn die W a r e den Freihafen verläßt - und d a s kann nach und nach in kleinen Partien geschehen. S o wird ihm die Importfinanzierung erleichtert, so können die Käufer die W a r e auf den Speicherböden besichtigen; und außerdem kann der Importeur sie zurück-exportieren, ohne d e m Staat einen Pfennig bezahlen zu müssen. Entstanden ist die Speicherstadt, weil - Bismarck es so wollte. Er hat viel M ü h e und alle seine Listen darauf verwandt, um die Hansestadt Hamburg nach der G r ü n d u n g des Deutschen Reiches auch voll in dessen Zollgebiet einzugliedern. Denn das hatten sich die Hanseaten 1871 ausbedungen: ihre Stadt und ihr Hafen sollten, so lange sie es wünschten, ein Bereich bleiben, in dem des Außenhandels wegen keine Zölle erhoben werden dürften. Bismarck und seine Experten jedoch, denen ein einheitliches und deshalb starkes deutsches Wirtschaftsgebiet vorschwebte, wollten es anders. U n d die Hamburger stimmten, halb g e zwungen, halb überzeugt, schließlich zu - zu ihrem grofjen Vorteil, wie sich dann schnell zeigen sollte. D a ß sie sich bei dem harten Ringen mit dem Kanzler einen begrenzten Freihafen und für dessen Bau noch einen ansehnlichen Reichszuschuß heraushandelten, das versteht sich a m Rande. Für diesen Freihafen nun waren nicht nur neue Hafenbecken zu bauen, sondern auch neue Speicher. Auf den Böden der Stadtspeicher nämlich konnten die W a r e n nicht mehr zollfrei gelagert werden, weil die Hansestadt selbst zum deutschen Zoll-Inland wurde. Mit dem Bau der Speicherstadt haben die Hanseaten sich beinahe selbst übertroffen. Als die Entscheidung gefallen war, gingen sie mit einem Elan ohnegleichen ans Werk. Die Speicher mußten direkt a m Hafen liegen und auch direkt a n der Stadt, das war die Forderung der Kaufleute. Dafür g a b es nur einen Platz: den Brook-Stadtteil im Kirchspiel Sankt Katharinen, der einst vornehmlich v o n Holländern grachfenähnlich bebaut worden war. 22000 Menschen wohnten dort. In wenigen Jahren siedelte man sie um, riß man ihre Häuser nieder, errichtete man in schlechtem Untergrund auf einem wahren W a l d von Pfählen die langen Reihen der Speicher. A n einer Seite werden sie stets v o n W a s s e r bespült, können
Schuten u n d a n d e r e kleine F a h r z e u g e direkt a n ihren M a u e r n a n l e g e n ; auf der a n d e r e n Seite, a n d e r Strafjenfront, fahren d i e L a s t w a g e n u n d s o g a r E i s e n b a h n w a g g o n s vor. D i e Speicherstadt w u r d e im K r i e g zu e t w a 70 Prozent zerstört. W e r g e n a u hinsieht, erkennt d a s A u s m a ß der V e r nichtung noch heute a n d e n v i e l e n n e u e n Aufjenmauern. Dort, w o v o n G r u n d auf n e u g e b a u t w e r d e n mußte, sind sie natürlich ihre Türmchen l o s g e w o r d e n . E i n m a l w i r d d i e so einheitlich g e g l i e d e r t e Backsfeinfront s o g a r v o n einer leicht g e s c h w u n g e n e n F a s s a d e mit blitzenden Fensterreihen unterbrochen, v o m K o n t o r h a u s d e s K a f f e e h a n d e l s . Heute steht d e n Importeuren in der c i t y - n a h e n Speichersfadt w i e d e r eine L a g e r f l ä c h e v o n fast 4 0 0 0 0 0 Q u a d r a t m e t e r n zur V e r f ü g u n g ; weitere 1 5 0 0 0 0 Q u a d r a t m e t e r k o m m e n in d e n stadtferneren L a g e r h ä u s e r n des H a f e n s noch hinzu. Selbstverständlich hat es b e i m W i e d e r a u f b a u m a n c h e N e u e r u n g g e g e b e n ; auf einig e n B ö d e n arbeiten s o g a r schon G a b e l s t a p l e r . D o c h hatte m a n nach d i e s e m letzten K r i e g nicht d e n g e r i n g s t e n G r u n d , d i e Speicher im Prinzip a n d e r s zu b a u e n als früher. S o gut h a b e n sich d i e e t w a 30 M e t e r tiefen G e b ä u d e mit d e n sechs o d e r s i e b e n B ö d e n über Keller u n d E r d g e s c h o ß bewährt.
21-24: Männer im Hafen M ä n n e r im H a f e n - allein d a r ü b e r k ö n n t e m a n ein Buch schreiben I S o vielfältig ist d i e A r b e i t zwischen N o r d e r e l b e u n d S ü d e r e l b e , so g r o ß ist d i e Z a h l der Berufe, d i e m a n dort trifft. D o c h sprechen wir hier, weil g e r a d e v o n der Speichersfadt d i e R e d e war, v o n nur e i n e m Beruf: v o n d e n Quartiersleuten. W a s ein S c h a u e r m a n n ist o d e r ein Kaiarbeiter, d a s wissen d u r c h w e g selbst die Q u i d d j e s , d i e sonst v o m H a f e n nicht viel u n d v o m Plattdeutschen g a r nichts verstehen. W a s ein Festmacher, ein Schiffsreiniger o d e r K o m u m s t e c h e r ist, d a s k a n n m a n sich noch a u s d e m N a m e n z u s a m m e n r e i m e n , u n d der T a l l e y m a n n ist zumindest d e s h a l b kein U n b e k a n n t e r , weil ein berühmter S c h l a g e r v o n ihm kündet ( o b w o h l er, d a s sei hier a n g e m e r k t , k e i n e s w e g s nur B a n a n e n b ü s c h e l zählt u n d kontrolliert). Jedoch: Quartiersleute? Zunächst sei festgestellt, d a ß d i e Einzahl, d a s W o r t » Q u a r tiersmann«, e i n e m H a m b u r g e r nicht s o recht über d i e Z u n g e will. Eigentlich gilt nur d i e M e h r z a h l : Leute. U n d d a s hat seinen historischen G r u n d . D i e Quartiersleute sind v o n alters her d i e L a g e r h a l t e r der Importeure, u n d früher w a r es Satz, dafj zu solcher Firma vier M a n n g e h ö r t e n . H e r v o r g e g a n g e n s i n d sie a u s d e m Beruf d e r H a u s k ü p e r in d e n H a n d e l s h ä u s e r n . Je vier K ü p e r taten sich zu e i n e m Q u a r t z u s a m m e n u n d machten sich s e l b s t ä n d i g , i n d e m sie ein Quartier mieteten, e i n e n e i g e n e n L a g e r r a u m . O h n e d e n Z u s a t z »& C o n s o r t e n « w a r ihre F i r m e n b e z e i c h n u n g nicht d e n k b a r . D o c h g a l t diese allein für d e n Schriftverkehr. Im H a f e n hatten d i e Q u a r t i e r s leute stets ihren S p i t z n a m e n . Jeder wußte auf A n h i e b , welche K o n s o r t e n gemeint w a r e n , w e n n v o n d e n Grootsnuten, d e n Buntbüxen, d e n Stohlbinners, Gröhlmöllers, T ü n b ü d e l s o d e r Pepermeiers die R e d e war. W e n n sie auch nicht mehr d i e alte Tracht fragen, d i e schwarze Jacke mit S i l b e r k n ö p f e n , d a s lederne Schurzfell u n d d e n Zylinder, so erkennt m a n sie trotzdem auf A n h i e b ; d e n n heute tun sie es nicht o h n e d i e b l a u e M ü t z e u n d d i e w e i ß e Schürze. D a s Bild a u s d e r Speicherstadl zeigt es. U n d g e b l i e b e n sind sie, w a s sie stets g e w e s e n sind, d i e T r e u h ä n d e r des Kaufmannes. D i e Quartiersleute-Firmen mieten im H a f e n S p e i c h e r b ö d e n u n d n e h m e n dort die G ü t e r der Importeure auf L a g e r , u m sie auf A n f o r d e r u n g a n d e n E m p f ä n g e r auszuliefern. Sie s o r g e n nicht nur dafür, d a ß d i e W a r e w ä h r e n d d e s L a g e r n s keinen S c h a d e n nimmt, sie b e a r b e i t e n sie auch, i n d e m sie sie reinigen, sortieren, trocknen, mischen . . . In d e n Speichern
h a b e n sie dafür vielfältige M a s c h i n e n installiert, u n d d i e meisten Firmen sind auf bestimmte G ü t e r spezialisiert, d i e e i n e n auf Kaffee, d i e a n d e r e n auf Tee, d i e dritten auf G e würze, diese auf Felle u n d Häute, jene auf Trockenfrüchte, u m nur e i n i g e s zu nennen. S c h o n a m Schiff h a b e n die Quartiersleute d a r a u f zu achten, o b d i e W a r e vielleicht b e s c h ä d i g t ist. S i e z i e h e n d i e P r o b e n , nach d e n e n der K a u f m a n n seine Importe verkauft. S i e b e urteilen d i e Q u a l i t ä t u n d ü b e r w a c h e n auf diese W e i s e , o b d e r Exporteur seinen Kaufkontrakt e i n g e h a l t e n hat. D a s M e s ser, mit d e m sie e i n e n S a c k aufschlitzen, u m d e n Inhalt zu prüfen, d i e dicke N a d e l , mit der sie ihn gleich w i e d e r dichtn ä h e n , h a b e n sie stets p a r a t . U n d b e s o n d e r s g r o ß e Stücke halten sie auf Katzen. M ä u s e darf es möglichst nicht g e b e n in d e n Speichern. Selbst d a n n , w e n n alle Türen dicht v e r schlossen sind, h a b e n die K a t z e n überall freie J a g d . Für sie ist a n jeder Tür e i g e n s ein Durchschlupf a u s g e s p a r t .
25: Der Schaueimann Im H a f e n ist m a n c h e s ein w e n i g kompliziert. Z u m Beispiel sollte m a n meinen, d a ß seine ersten offenen L a g e r s c h u p p e n früher a u c h S c h a u e r g e n a n n t w u r d e n , u n d m a n könnte d a r a u s d a n n auf d e n Arbeitsplatz der Schauerleute schließen. In H a m b u r g jedoch ist es umgekehrt. D i e Schauerleute a r b e i t e n a n Bord. A u f Hochdeutsch heißen sie Stauer, u n d a n etlichen ihrer B a r k a s s e n findet m a n ' s international: Stevedores. N a c h P a r a g r a p h 514 d e s H a n d e l s g e s e t z b u c h e s h a b e n sie » d i e g e h ö r i g e S t a u u n g nach S e e m a n n s b r a u c h « v o r z u n e h m e n . D a s allerdings ist leichter n i e d e r g e s c h r i e b e n als j e d e s m a l wieder n e u getan. Die G ü t e r im Schiffsraum so zu p a c k e n u n d zu stapeln ( u n d festzuzurren), d a ß sie a u c h d i e längste u n d stürmischste Reise o h n e S c h a d e n überstehen, d a s ist nur der eine Teil der Arbeit. Er erfordert e i n i g e s a n Kraft u n d Geschicklichkeit, d a s ist keine F r a g e . Der a n d e r e Teil d a g e g e n v e r l a n g t v o r a l l e m »Grütt i n ' n K o p p « , w i e m a n a n der Küste sagt. D i e s e n Teil hat der Sfauerviz z u s a m m e n mit d e m L a d u n g s o f f i z i e r d e s Schiffes zu erledigen. G e m e i n t ist d e r S t a u p l a n . Bis in die kleinste Einzelheit muß er v o r h e r a u s gearbeitet sein. Nicht nur gilt es, d i e G ü t e r so in d e n L a d e r ä u m e n zu stapeln, d a ß sie später o h n e Schwierigkeit in der R e i h e n f o l g e der A n l a u f h ä f e n gelöscht w e r d e n k ö n n e n es kommt zugleich auf die äußerst p e n i b l e Verteilung d e s Gewichts a n , auf die s o g e n a n n t e Stabilität d e s Schiffes. W e n n sie nicht g e w a h r t bleibt, d a n n g e r a t e n Schiff u n d M a n n s c h a f t b e i schwerem Wetter in G e f a h r . S c h a u e r m a n n s a r b e i t ist nicht zuletzt eine o r g a n i s a t o r i s c h e A u f g a b e . S o klingeln im Büro d e r Stauerei a b e n d s s p ä t noch u n d m o r g e n s v o r T a u u n d T a g schon w i e d e r die Telefone. Unaufhörlich. D a hat m a n die M a k l e r , d i e Spediteure, die B u n d e s b a h n , d e n Schiffsmeldedienst a n der Strippe; d a wird geklärt, o b d i e avisierte » S u r u g a M a r u « tatsächlich u m s i e b e n Uhr löschbereit ist, a n wieviel L u k e n die » T ü b i n g e n « Stückgut ü b e r n e h m e n wird, wieviel B a n a n e n s t a u d e n d i e » Q u a r tole« mitbringt, o b der 2 0 0 - T o n n e n - S c h w i m m k r a n u m elf Uhr zur » O l d e k e r k « k o m m e n k a n n , o b d i e W a g g o n s mit d e n A u t o s für d i e »Breitenstein« a u c h rechtzeitig bereitstehen . . . A n Arbeitskräften m a n g e l t es d e n 43 Stauereibetrieben in H a m b u r g z w a r nicht, d e n n sie selbst h a b e n rund 2700 feste Leute, u n d weitere 1800 Schauerleute stehen für sie bei der Gesamthafenbetriebsgesellschaft s o z u s a g e n in Reserve, auf A b r u f bereit. D a s Problem, d a s j e d e n T a g dreimal w i e d e r neu gelöst sein will, ist der Einsatz dieser Kräfte. Jede S t u n d e bringt neue Schiffe in d e n H a f e n , jedes Schiff hat e i n e n a n d e r e n Liegeplatz, hat a n d e r e L a d u n g zu löschen o d e r zu ü b e r n e h m e n . U n d es geht »rund u m d i e U h r « - m a n arbeitet in drei Schichten. U n d d i e A r b e i t soll stets sofort b e g i n n e n . U n d so schnell wie m ö g l i c h g e t a n sein. S o nämlich wünscht
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es der Reeder. Denn fime is money (Gr ihn. Ein Schiff verdien) nur dann Geld, wenn es unterwegs ist, wenn es Entfernungen Oberwindet, Seemeilen frifjt. Jeder im Hafen verwartete Tag kostet dem Eigner eines 10 OOO-Tonners zum Beispiel an die 10000 M a r k Liegegebühren, Betriebs- und Personalausgaben. So ist es kein Wunder, daß die im Laderaum eingesetzten G ä n g e der Schauerleufe - »Teams« würde man sie heute wohl nennen - bereits mit Gabelstaplern, Förderbändern und anderen mechanischen Umschlagsgeräfen arbeiten. Aber das ist doch nur in begrenztem Umfang möglich. Die meisten Säcke, Kisten, Ballen, Bündel von stinkenden Häuten oder was es sonst noch alles gibt müssen nach wie vor mit Muskelkraft bewegt werden. Bei solchem Tun gedeiht natürlich nicht der Ton des feinen Mannes. Schauerleute sagen stets, was sie denken. Sie sagen's allerdings auch zum Vizen und zum Baas, der noch höher steht als der Viz. Und übelgenommen wird bei ihnen nichts, denn es isf alles nur halb so wild gemeint. »Kiek ut, du Dämlack!« - das zum Beispiel ist die allerfreundlichste Aufforderung, sich nicht in der nächsten Sekunde von einer Hieve unbemerkt ins Jenseits befördern zu lassen. 26: A u d i die Alster ist noch »Hafen« 27: Nikolaifleet: AH-Hamburg 28: Alslerfleef: Beten und Glas Selbst geborenen Hamburgern kommt es zuweilen in den Sinn, auf die »schietigen« Kohlenschufen zu schimpfen, die von Ewerführern mit langen Peekhaken durch die Fleete gestakt werden und dann, bevor der Schlepper mif ihnen über die Außenalster davontuckert, dichtgedrängt an der Reesendammbrücke liegen, ausgerechnet an Hamburgs bestem Stück, dem Jungfernstieg. Es gilt eben allein das, was Friedrich von Hagedorn vor 200 Jahren geschrieben hat, es gilt das Gedicht: Befördrer vieler Lustbarkeiten, Du angenehmer Alsterfluß! Du mehrest Hamburgs Seltenheiten Und ihren fröhlichen Genuß! Der Elbe Schiffahrt macht uns reicher, Die Alster lehrt gesellig sein. Durch jene füllen sich die Speicher, Auf dieser schmeckt der fremde Wein. Die Alsfer geht den Hanseaten über alles. Auf der Alster haben allenfalls weiße Schwäne und weiße Segel ihren W e g zu ziehen, dort soll das Erwerbsleben nichts zu suchen haben, dort sind selbst die Schuten, die das Gaswerk im volkreichen Stadtteil Barmbek mit Kohle versorgen, nur höchst ungern geduldet. Mit einigem Stolz pflegen tranditionsbewußfe Hamburger zu sagen, daß sie an der Alster und nicht an der Elbe geboren sind. Sie haben recht damit. Dsnn ursprünglich hat ihre Stadt allein an diesem kleinen Nebenfluß der Elbe gelegen, rund zweitausend Mefer vom großen Strom, entfernt. Sie irren jedoch ein wenig, wenn sie ihre Alster lediglich als »Befördrer vieler Lustbarkeifen« ansehen. So hat denn auch der Altmeister ihrer Geschichte, Heinrich Reincke, mit einiger A b sicht wider diesen Sfachel gelockt, als er einem historischen Büchlein den Titel »Die Alster als Lebensader Hamburgs« gab. Natürlich ist es keine Frage, dafj allein die Elbe Hamburg zu einem Weifhafen gemacht hat. Dennoch sollte man den Anteil, den die Alster daran hatte, nicht unterschätzen! Auf den von der Alster umflossenen Resten einer gräflichen Burg entstand - gegenüber der auf einer Geestzunge liegenden bischöflichen Stadt - a b 1188 die »Neustadt« der hansischen 106
Fernkaufleufe. In der Alsterschleife, die als Nikolaifleet noch heute erhalten ist, löschten und beluden die Kaufleute ihre Schilfe. Dieses Fleet also, an dem die letzten der schmalbrüstigen Altstadfhäuser stehen, die in den unteren G e schossen Kontorräume und W o h n u n g bargen, während ihr oberer Teil als Speicher diente, war der erste Hafen von Hamburg. Allerdings trifft das nur zu für die Handelsstadt, die Graf Adolf III. von Schauenburg vor knapp acht Jahrhunderten gründete. Denn die jüngste Spatenforschung hat den Beweis erbracht, daß auch bereits das Ur-Hamburg, das sein Entstehen auf Ludwig den Frommen zurückführt (der 825 die Hammaburg als Grenzkastell gegen die Slawen a n legte) einen kleinen Hafen besessen hat. Er lag am 1877 zugeschütteten Reichenstrafjenfleet und war einstmals einer der vielen Wasserläufe im Marsch- und Sumpfgebiet der Elbe-Niederung, möglicherweise eine Verbindung zwischen der unteren Alsfer und der unteren Bille, Zu Beginn der Hansezeit also, das sei betont, machte auch die Alsfer-Schiffahrt die Hanseaten reicher. Mehr noch: die Alsfer ist sogar einmal Teil einer durchgehenden Wasserstraße zwischen Hamburg und Lübeck gewesen, indem man sie durch einen Kanal über die Beste mit der Trave verband. Rund ein Jahrhundert haben die Hamburger an diesem Wasserweg, der 26 Schleusen hatte und von etwa 20 Tonnen tragenden (23 Meter langen und fünf Meter breiten) Kähnen befahren werden konnte, geplant und gebauf. Aber nur efwa zwei Jahrzehnte, von 1529 bis 1549, hat die Herrlichkeit der durchgehenden Schiffahrt gedauert. Ein großer Böschungsrutsch machte die Kanalstrecke unpassierbar. Auf der oberen Alster aber hat es die Frachtschiffahrt mif den »Alsferböcken« bis ins vorige Jahrhundert hinein gegeben. V o m Werf der Alster für Hamburgs Wirtschaft ist noch einiges mehr zu melden. Der große See, der der Sfadt das Gesicht gibt, ist entstanden, weil die Bürger - leben mußten. V o n Brot nämlich. Sie brauchten eine Wassermühle, und deshalb bauten sie den Reesendamm, den heutigen Jungfernstieg, als Stauwehr. Binnen- und Außenalsfer sind also nichts anderes als ein Mühlenfeich, der sich in dem langgestreckten Wiesental bildete. Und die heute in Stein gefaßte Kleine Alsfer am Rathausmarkt ist der einstige Kolk unterhalb des Wehres. 1235 schüttete man den Reesendamm auf, aber auch vorher schon, seit 1188, hatte man eine Getreidemühle a n der Alster. Deren Wehr lag oberhalb des Nikolaifleet-Hafens beim Bursfah, und der erste Hamburger Mühlenteich bedeckte das Gelände, auf dem heute die berühmtesten Straßen der City stehen. Auch schöpften die Hamburger aus der Alsfer das Wasser für ihr damals weifberühmtes Bier, von dem das »Brauhaus der Hanse« zeitweise 400000 Hektoliter jährlich verkaufte. Gerade des Wassers wegen soll es so gut geschmeckt haben) Nichf zuletzt hatten die Fleete, von denen es einstmals viel mehr gegeben hat als heute, ihre Bedeutung für die Stadt. Sie erlaubten es, die Güter der Seeschifte mit Schuten bis zu den Handelshäusern zu bringen. Die meisten Fleete waren sicherlich als natürliche Wasserläufe vorhanden; doch haben die Bürger daraus ein wohldurchdachtes Netz von Stadtkanälen gemacht. Und die »Fleefenkieker«, die früher bei Ebbe durch den Mutt wateten und sich um allerhand Abfall rauften, die so oft die Zielscheibe des öffentlichen Spottes gewesen sind, waren ursprünglich Beauftragte des Rates; sie hatten dafür zu sorgen, daß Schiffer und Speicherleute ihren Ballast und Unrat nicht in die für den Handel so wichtigen Wasserläufe schütteten. Alsterfleef und Bleichenfleef, die, eingerahmt von den Mauern hoher Häuser, heute a m stärksten ins A u g e fallen, hatten außerdem noch eine andere Funktion: sie waren - nacheinander - die Fesfungsgräben der Stadf vor dem Alten Wall und dem Neuen Wall.
29: XXXIV Fuli Der Photograph war, als er dies Motiv entdeckte, sicherlich angetan v o n dessen strenger Graphik: v o n den schrägen Linien des Stevens und der G a n g w a y , der Senkrechten des Ankers, den klaren Grenzen zwischen Schwarz und G r a u ; vielleicht auch noch v o n dem Kontrast, den der so winzig wirkende Mensch, Janmaat auf der G a n g w a y , dazu bietet. Dem Hafen-Chronisten fiel beim Anblick dieses Bildes ein, daß er nicht umhin kommt, es »He Lucht« ein wenig gleichzufun und zu erläutern, was es nun eigentlich mit den Tonnen auf sich hat. D a s allerdings läßt sich hier nur in vereinfachter Form darstellen. Kompliziert g e n u g bleibt es trotzdem. D a s Mal) der Dinge setzen die Engländer. Sie rechnen in Fuß, und alle Welt ist also gezwungen, es auch zu tun. D a s heiljt, die Deutschen vermessen ihre Schifte zunächst in Kubikmetern, um erst danach der Internationalität G e n ü g e zu tun und umzurechnen. Sie haben dafür Tabellen, und deshalb auch ist es möglich, hier mitzuteilen, wie groß ein Fuß g e n a u ist: nämlich 0,30479 Meter. Bei den X X X I V Fufj, die auf der Tiefgangsskala a m Steven verzeichnet sind, macht das bis Unterkante Zahl 10,36301 Meter. Das F u ß - M a ß und die Engländer sind auch schuld daran, dal) es mit den Tonnen seine Tücken hat. Ein 10000-Tonner kann zum Beispiel durchaus auch ein 15000-Tonner sein. Es kommt g a n z darauf an, wie man ihn befrachtet, welche Tonnen man meint. Steht hinter der Tonnen-Zahl die Bezeichnung BRT, d a n n heil)t d a s Brutto-Register-Tonnen, dann ist das ein RaumMai)'. der Brutto-Inhalt eines Schiffes, und jede dieser Tonnen ist 2,83 Kubikmeter grol),weil eine BRT hundert Kubikfuß mifjt. Der M a n n , der dieses System erdachf hat, hiel) Mr. Moorsom. Er wollte die Sache vor mehr als hundert Jahren vereinfachen und g i n g deshalb zum Raum-Maf) über. Vorher hatte man über den Daumen gepeilt und die Ladefähigkeit eines Schiffes nach der Zahl der Weintonnen berechnet, die es verstauen konnte. Diese hatten etwa 40 Kubikfuf) und w o g e n zugleich rund eine Tonne. A b e r das war Mr. M o o r s o m nicht g e n a u genug, und so sind die Dinge denn etwas schwieriger g e worden. Um es zu wiederholen: der Brutto-Raum eines Schiffes ist sein umbauter Raum in BRT zu je 2,83 Kubikmeter - a b züglich einiger Kleinigkeiten allerdings; der Luftschacht über dem Maschinenraum, der Schornsfein-Inhalt, das Ruderhaus, der Raum für die Rudermaschine und seltsamerweise auch die Kombüse (Küche) sowie die Klos gelten bei der BruttoVermessung eines Schiffes als nicht vorhanden. Mit den BRT operieren vor allem die Werbeagenturen der großen Passagierschiffe. Entscheidend für den Reeder ist eine andere Tonne, die Netfo-Register-Tonne (NRT). Denn danach zahlt er in den Häfen und Kanälen die Gebühren. Sie bezeichnet sozusagen den verdienenden Raum des Schiffes gleichfalls im 2,83-Kubikmeter-Maf). Zum Netto-Raum zählen nicht: die Unterkünfte der Besatzung, die Navigationsräume auf der Brücke, die Vorratsräume, der Kettenkasten, die Wasserballasttanks und der Maschinenraum. S o könnte man meinen, die NRT-Zahl g ä b e im wesentlichen die Gröl)e der Laderäume und der Passagierräumlichkeiten wieder. A b e r auch das stimmt nur sehr bedingt. Denn beim Netto hatte Mr. M o o r s o m gleichfalls seine H a n d im Spiel. Er wollte, daf) die damals noch sehr jungen Dampfer, die für die Maschine und vor allem für die vielen Bunkerkohlen etliches v o n ihrem Laderaum hergeben mußten, gegenüber den Seglern nicht benachteiligt waren. Und so gilt noch heute, mehr als hundert Jahre später, seine Regel: ist der Raum, der v o n der Maschine und den Kesseln eingenommen wird, größer als 13 Prozent des Brutto-Raumes, d a n n dürfen bei der Berechnung des Netto-Raumes 32 Prozent als Maschinen- und Bunker-Raum abgerechnet werden. O b w o h l die Olbunker der
jetzigen Schiffe nur noch ein Minimum des Raumes einnehmen, den damals die Kohlenbunker benötigten, obwohl die Segler ausgestorben sind - Mister Moorsoms Regel steht. U n d die Reeder bestellen nach wie vor Schiffe mit der A n o r d n u n g : »Der Maschinenraum ist so zu bemessen, daf) er mindestens 13 Prozent der Brutto-Tonnage beträgt, damit der höchste A b z u g für die Netto-Tonnage erreicht wird«. Den Vorteil d a von haben aul)er den Eignern auch die Ingenieure. Sie danken es Mr. Moorsom, daf) sie so grof}e, übersichtliche Maschinenräume haben. V o n der Technik her gesehen, könnten sie meistens sehr wohl mit kleineren auskommen. Die Vermessungsvorschriffen jedoch sind d a g e g e n . Obrigens - auch mit dem Brutto-Raum stimmt es nicht immer. Es gibt d a zum Beispiel, wenn man gewisse Vorschriften beachtet, die Möglichkeit, den ganzen Inhalt des oberen Deckraumes zu unterschlagen. Dieser muf) nur bestimmte Öffnung e n haben, d a n n gilt er gleich als vollkommen offen und als nicht vorhanden. Ein solches Schiff ist ein »Schutzdedcer«. D a s Jonglieren mit offenen und geschlossenen Räumen kann nicht nur G e l d sparen, sondern auch Prestige bringen. So haben die Franzosen es vor dem zweiten Weltkrieg geschafft, ein paar Jahre länger, als man es eigentlich erwarten durfte, das größte Schiff der Welt zu besitzen. Ursprünglich war ihre »Normandie« mit 79280 BRT vermessen; d a n n kam die »Queen M a r y « der Engländer und stand mit 81 250 BRT zu Buch; d a sagten die französischen Schiffsvermesser A k a k a dabra, und schon haften sie die »Normandie« auf 82799 BRT, ohne dem Riesen auch nur das geringste Deckshaus aufgesetzt zu haben. Erst als die »Queen Elisabeth« mit ihren 83 673 BRT kam, mußten sie sich endgültig geschlagen geben. Soviel - in aller Kürze und Einfachheit - vom Rauminhalt der Schiffe. Das Thema ist damit noch nicht beendet. A m wichtigsten für den Reeder ist schließlich die Frage: »Wieviel kann mein Dampfer schleppen?« Auch hier is daf allns verschieden, wie man im Niederdeutschen sagt. Zwar handelt es sich, wenn man v o n der Tragfähigkeit spricht, stets um das Gewicht der Ladung, doch wird es mit mindestens zweierlei Maf) gemessen. Steht d a g a n z schlicht ein kleines »t« hinter der Zahl, d a n n ist es die metrische Tonne zu 1000 Kilo; liest man jedoch »fdw«, d a n n heif)t das tons deadweight, und d a n n ist die englische »long ton« zu 1016 Kilo gemeint - im allgemeinen jedenfalls; denn die Briten kennen auch noch die »short ton«, und die hat nur 907 Kilo. Ein kleines »dpi« hinter der Tonnenangabe schließlich bedeutet: Deplacement oder Wasserverdrängung in metrischen Tonnen. Zu gut deutsch: das Gewicht des ausgerüsteten Schiffes. Immerhin war es vor 2300 Jahren schon Archimedes kein Geheimnis, dal) ein schwimmender Körper g e n a u so viel wiegt wie die v o n ihm verdrängte Wassermenge. Allerdings muf) hier eingeschränkt werden: Salzwasser ist damit nicht gemeint, denn es trägt besser als Süßwasser. Nach Gewicht werden die Kriegsschiffe gemessen. Die Deplacements-Tonne ist, man staune, verbindlich für alle Kreuzer, Schlachtschiffe, U-Boote, Flugzeugträger, Zerstörer und sonstigen O r l o g Fahrzeuge der Welt. W o b e i es anzumerken gilt, daß man auch hier v o n einer maximalen und einer Standard-Verdräng u n g spricht und daß die amtlichen Flottenlisten zuweilen ein wenig untertreiben. Doch kehren wir zu unserem Bild zurückl Neben der G a n g w a y ist a n der Bordwand noch eine Zeichnung sichtbar. D a s ist die Freibordmarke. Sie zeigt an, wie tief ein Schiff beladen werden darf. » G L « heißt Germanischer Lloyd; das ist die deutsche Klassifikafions-Gesellschaft, sozusagen die B a u polizei für die Schiffahrt. »S« bedeutet: so weit darf ein Schiff im Sommer (wenn das Wetter im allgemeinen schöner ist) beladen werden; » W « bezeichnet die Grenzlinie für den Winter, die Schlechtwetterzeit; und » F W « heißt Frischwasser - ein 107
Schiff, d a s ¡n S ü ß w a s s e r , in der O s t s e e etwa o d e r auf d e n G r o d e n S e e n , bis z u dieser M a r k e b e l a d e n w o r d e n ist, hebt sich im besser t r a g e n d e n S a l z w a s s e r d e s Atlantiks d a n n v o n selbst bis zur S o m m e r - F r e i b o r d m a r k e heraus, ü b r i g e n s , der J a n m a a t , d e r d a w i e verloren auf der unteren Plattform der G a n g w a y steht, wartet auf d e n Jollenführer, auf die kleine Fähre, die d&n Dienst zwischen d e n L a n d u n g s brücken u n d d e n im Strom a n d e n Pfählen l i e g e n d e n Schiffen versieht; mit d e r b l a u - w e i ß - g e w ü r f e l f e n F l a g g e ruft m a n sie a m T a g e , mit e i n e m w e i s e n unter e i n e m roten Licht winkt m a n sie in der Nacht heran. D e n j u n g e n M a n n w e r d e n d i e BRT u n d NRT, d i e f d w u n d dpl-t u n d a u c h d i e Spitz- u n d Spierentonnen, d i e Leuchttonnen u n d W r a c k t o n n e n , d i e d a s F a h r w a s s e r markieren, im A u g e n b l i c k herzlich w e n i g interessieren. I h m ist in d e n nächsten S t u n d e n wahrscheinlich jene T o n n e die liebste, d i e ein kühles helles Bier enthält.
30: Der Uhrturm 31: A n einem Sommer-Sonnen-Tag 32: Der Hafen-Balkon A u f e i n e n N e n n e r gebracht, heißen diese drei Oberschriften: St.-Pauli-Landungsbrücken. S c h o n v o r mehr als hundert Jahren fuhr dort der D a m p f e r nach H e l g o l a n d a b , u n d w e n n a u c h die Schiffe a n d e r s a u s s e h e n , w e n n es a n L a n d jetzt A u t o s , S t r a ß e n b a h n e n u n d U - B a h n g i b t u n d in unmittelbarer N ä h e d e n Elbfunnel, im Prinzip hat sich d o c h nichts g e ä n d e r t . D e n n so beschrieb C a r l Reinhardt d a s Treiben dort schon im Jahre 1855: » D i e Brücke, d e r e n äufjerer Theil a u s drei flachen F a h r z e u g e n besieht, d i e sich mit der E b b e u n d Fluth h e b e n u n d senken, ist mit M e n s c h e n , Koffern, Kisten, K ö r b e n u n d K a r r e n vollgestopft . . . N a c h d e m der erste Blick jener G e g e n d z u gerichtet war, w o wir d a s M e e r vermuthen, fällt er unwillkürlich w i e d e r in d i e nächste l e b e n d i g e U m g e b u n g , auf d i e Brücke selbst mit ihrem alten malerischen Pfahlwerk, d e n d a r ü b e r h e r v o r r a g e n d e n b a u m r e i c h e n Stintfang, d e m der M i c h a e l s t h u r m w i e n e u g i e r i g über d i e Schulter sieht, rückwärts d e n H a f e n mit s e i n e m undurchdringlichen M a s t e n w a l d , a n d e m die F l a g g e n aller N a t i o n e n w e h e n . Z u unseren F ü ß e n schwimmen hunderte v o n Jollen u n d Ewern, welche d i e P r o ducfe aller Erdtheile v o n u n d nach d e n Schiffen führen, u n d auf d i e Brücke stürzt sich w i e d e r ein S c h w ä r m v o n P a s s a gieren, u m mit seinem G e p ä c k d i e V e r w i r r u n g auf d e n G i p f e l punkt zu treiben. Plötzlich ertönt d i e Schiffsglocke s o schrecklich in die O h r e n . . . « D a s könnte b e i n a h e a u c h heute noch g e s c h r i e b e n sein, u n d so sei nur vermerkt, d a ß d i e ersten S t . - P a u l i - L a n d u n g s b r ü c k e n bereits 1840 g e b a u t w u r d e n , d a ß m a n sie u m d i e Jahrhundertw e n d e v o n G r u n d auf erneuerte u n d d a ß sie ihre heutige F o r m nach d e m zweiten W e l t k r i e g erhielten. R u n d s i e b e n hundert M e t e r mißt die g e s a m t e s c h w i m m e n d e L a n d e a n l a g e für d i e Fährschiffe u n d d i e Seebäderschiffe, die B a r k a s s e n u n d Hafenrundfahrt-Schiffe. Fünf ihrer sechs a u s Stahlbeton g e b a u t e n Pontons sind 118 M e t e r l a n g , 18 M e t e r breit u n d g e h e n 2,15 M e t e r tief; sie s i n d durch Schotten in jeweils 44 Z e l l e n unterteilt u n d g e h e n d e s h a l b nach einer Kollision nicht unter. Jeder P o n t o n hat d a s beträchtliche Gewicht v o n etwa 4500 T o n n e n ; lediglich der sechste a m östlichen E n d e ist etwas kleiner. B e w e g l i c h e Brücken führen zu d e n Pontons hinunter. Die b e v o r z u g t e ist jene b e i m Uhrtürm. Pegelturm müßte er eigentlich heißen. D e n n für die Schiffahrt hat er der schwarzen u n d v o r a l l e m der roten Z a h l e n w e g e n , d i e hinter e i n e m g r o ß e n Fenster erscheinen, seine b e s o n d e r e B e d e u t u n g . Diese Z a h l e n k ü n d e n d e n W a s s e r s t a n d . S c h w a r z e Ziffern b e d e u t e n : H ö h e in Dezimetern über d e m mittleren T i d e - N i e d r i g w a s s e r ; w e n n rote Ziffern k o m m e n , heißt d a s : d e r W a s s e r s t a n d ist unter d a s mittlere N i e d r i g w a s s e r g e f a l l e n ; e i n e n solchen S t a n d gibt 108
es gelegentlich bei e i n e m a n h a l t e n d e n O s t w i n d , der mehr W a s s e r , als es g e w ö h n l i c h der Ebbstrom tut, a u s der Elbe hinausdrückt. M a n nennt d i e S t . - P a u l i - L a n d u n g s b r ü c k e n a u c h d e n H a f e n b a h n h o f . D e s h a l b w o h l , weil ihre P o n t o n s für U n g e z ä h l t e , d i e in d e n H a f e n fahren, d i e a u s d e m H a f e n , a u s d e n N o r d s e e b ä d e r n , v o n Finkenwerder, H a r b u r g o d e r W a l t e r s h o f k o m men, der B a h n s t e i g sind. Jedoch - w o g i b t ' s auf e i n e m B a h n hof eine P r o m e n a d e mit B a l k o n , v o r der in frischem W i n d die g a n z e weite W e l t vorbeizieht? D i e B a h n h ö f e d e r Stadt zu b e sichtigen, d a s k a n n m a n sich wahrlich e r s p a r e n . A b e r e i n H a m b u r g - B e s u c h e r , der nicht auf d e n S t . - P a u l i - L a n d u n g s brücken g e s t a n d e n hat, der ist einfach nicht in dieser Stadt g e w e s e n . D i e L a n d u n g s b r ü c k e n e i n B a h n h o f ? Allenfalls Q u i d d j e s k ö n n e n e i n e n solchen V e r g l e i c h e r f u n d e n h a b e n .
33: Alte Kiefern »Der Schiffe M a s t e n w a l d « , d a s w a r früher, zur Blütezeit der g r o ß e n S e g l e r d a s geflügelte W o r t in H a m b u r g . K a u m eine Postkarte v o m H a f e n , d i e es d a m a l s nicht h i n a u s p o s a u n t e l D a b e i w a r dieser W a l d v o n M a s t e n u n d R a h e n nur eine Kleinigkeit, g e m e s s e n a n d e m R i e s e n w a l d v o n B a u m s t ä m m e n , d e r im H a f e n v e r b a u t w o r d e n ist. M a n darf es wirklich so s a g e n ; d e n n d a s , w a s m a n sieht, d i e h ö l z e r n e n Pfähle u n d D ü c k d a l b e n , s i n d der geringste Teil d a v o n . S c h o n - heute rammt m a n , u m d i e K a i m a u e r n v o r d e m E r d druck z u schützen, S t a h l - u n d S t a h l b e t o n p f ä h l e tief in d e n B o d e n u n d legt eine Betonplafte d a r ü b e r ; a u c h b e s t e h e n d i e n e u e n D ü c k d a l b e n , jene P f a h l g r u p p e n , a n d e n e n die Schiffe »im Strom« (mitten in d e n H a f e n b e c k e n ) festmachen, a u s stählernen Röhren. Trotzdem: e i n g r o ß e r Teil d e s H a f e n s ist ein Pfahldorf. D e n n er ist in s u m p f i g e s W i e s e n g e l ä n d e hine i n g e b a g g e r t u n d h i n e l n g e b a u f w o r d e n . S o steht d i e g e s a m t e Speicherstadt auf einer U n m e n g e v o n H o l z p f ä h l e n , m a n hat diese nach d e m Krieg, als m a n d i e zerstörten G e b ä u d e w i e der aufbaute, nicht e i n m a l ersetzen müssen, so gut w a r e n sie erhalten. D i e H a u p t s a c h e nämlich ist, d a ß sie stets unter W a s s e r b l e i b e n ; d a n n sind sie so d a u e r h a f t w i e Stahl u n d faulen nicht. A u f Pfählen ruhen a u c h alle a n d e r e n schweren G e b ä u d e im. H a f e n , u n d auf Pfahlrosten b a u t e m a n früher d i e m a s s i v e n K a i m a u e r n . Es gibt alte Z i e g e l - K a i m a u e r n , d i e im unteren Teil z e h n bis elf M e t e r breit sindl A l l e i n durch ihr Gewicht halten sie d e m S c h u b d e r hinter ihnen l i e g e n d e n E r d m a s s e n u n d d e m Z u g der a n d e n Festmacheleinen z e r r e n d e n Schiffe stand. M a n nennt sie d e s h a l b a u c h Schwergewichtsmauern. Eine unendlich g r o ß e M e n g e v o n g e r a d e g e w a c h s e n e n u n d vielfach mehr a l s 20 M e t e r l a n g e n S t ä m m e n hat seit alten Zeiten a u ß e r d e m für die D ü c k d a l b e n g e s c h l a g e n w e r d e n müssen. A u s n e u n bis f ü n f u n d z w a n z i g (I) P f ä h l e n bestehen d i e meisten. N a c h M ö g l i c h k e i t n a h m m a n Kiefern dafür, d e n n kein Holz ist zugleich so fest u n d so elastisch w i e dieses. Für d e n e i g e n a r t i g e n N a m e n der P f a h l b ü n d e l hat m a n eine ebenso eigenartige Erklärung: der Herzog v o n A l b a (Duc d ' A l b a ) soll sie e r f u n d e n o d e r eingeführt h a b e n , u n d a u s d e m N i e d e r l ä n d i s c h e n sei der A u s d r u c k zu uns g e k o m m e n . A n d e r e jedoch meinen, d a ß er eher etwas mit d e m plattdeutschen d ü k e r n (tauchen) u n d D o l l e n (Pflock, Pfahl) zu tun hat u n d d a ß allenfalls d i e K l a n g ä h n l i c h k e i t der b e i d e n N a m e n zu der e i n s t m a l i g e n Schreibweise D u c D a l b e n g e führt h a b e n k a n n . Die Pfähle nun, d i e unser Bild zeigt, s i n d keine D ü c k d a l b e n . Sie stehen a n einer L a n d e a n l a g e für d i e H a f e n f ä h r e n . Z w i schen ihnen sind die Pontons verankert, d i e sich mit E b b e u n d Flut h e b e n u n d senken. D e n n in e i n e m o f f e n e n T i d e h a f e n muß alles b e w e g l i c h sein, muß alles schwimmen. U n d der Verfasser muß, er k a n n ' s nicht lassen, noch e i n m a l
auf die hamburgischen Pfahlbauten zurückkommen. Nicht nur im Hafen, das möchte er erwähnen, hat man so manches auf Pfählen errichtet. In einem nicht geringen Teil der Innenstadt ist es genauso. Auch dort stehen viele Gebäude, darunter das Rathaus, auf dicht an dicht gerammten Baumstämmen oder (neuerdings) Stahlbetonpfählen - weil eben ein Teil des Untergrundes einstmals tiefgelegene Marsch und stellenweise sogar vom Wasser der Alster überflutet war. Dal; man den Niveauunterschied gegen die Geestzunge, der, wie die G r a bungen der Archäologen beweisen, früher sehr deutlich sichtbar gewesen sein mufj, heute nicht mehr ohne weiteres erkennt, hat seinen Grund darin: die Hanseaten haben sich auf ihrem Abfall und Bauschutt im Laufe der Jahrhunderte langsam hochgebaut, um fünf, sechs, sieben Meter. Jene UrUr-Hamburger, die noch Ackerbürger waren, machten den Anfang nicht zuletzt mit dem Dung aus ihren Ställen. Wer d a nun sagen möchte, also sei Hamburg auf Mist gebaut, der darf es ruhig tun. Denn es ist die pure Wahrheit. Und im, übrigen befindet die Hansestadt sich in dieser Hinsicht in vielfältiger und guter Gesellschaft. Es ist nämlich in anderen Orten nicht anders gewesen. 34: Jeden Abend Illumination Weifje Topplaternen, rote und grüne Positionslichter, funkensprühendes kaltblaues Gleifjen der Schneidbrenner und Schweifjgeräte, durch die Luft geisternde Scheinwerfer der Kranausleger, breit fallende Helligkeit auf allen Kais und gebündelte Strahlen an Bord der Schiffe, vielleicht ein milchigdunstiger Mondschein und zitternde Reflexe auf dem ewigkabbeligen Wasser, a b und zu sogar, wenn einmal nicht Hamburger Wetter herrscht, das Gefunkel der Sferne - das ist der Hafen bei Nacht. In ein Licht ganz besonderer Art taucht er sich, wenn Nebel über dem Wasser hängt und um alle Konturen kriecht; dann scheint es, als o b die Helligkeit mit einer Riesensprühdose ausgebreitet wird, dann ist da Licht und Undurchdringlichkeit zugleich, ein Spectaculum scheinbarer Unwirklichkeif. Die Krone seines nächtlichen Glanzes jedoch entzündet der Hafen allabendlich an seiner Peripherie, dort, wo die Erdölraffinerien ihren stählernen Turmgebilden tausend weithin strahlende Kerzen aufstecken. Das ist ein Bild, das man gesehen haben mufj wie die Landungsbrücken, den Elbtunnel und die langen Reihen der löschenden Schiffe. Dafj man, irgendwo an der Elbchaussee auf dem hohen Ufer stehend, dann nicht den falschen Eindruck von sogenannter Romantik mit nach Hause nimmt, d a für isf trotz allem gesorgt. Denn der Lärm, der von unten heraufdringf, der Lärm aus dem grofjen Arbeitsplatz Hafen, der isf auch nachts stets gegenwärtig. 3S: Leuchtfeuer Wittenbergen Die gesamte Alster haben die Hamburger sich zu Beginn des 14. Jahrhunderts von den holsteinischen Grafen in drei Raten gekauft, wie Heinrich Reindce berichtet, für 1050 M a r k Lübisch oder den Gegenwert von 1050 Qualitätsschweinen. Sie erwarben damit zwar kein Staatseigentum im heutigen Sinne, aber praktisch doch das gleiche: die Oberhoheit über den Flui]. Allein die Hamburger hatten nun zu sagen, wie sein Wasser genutzt werden sollte, konnten Schleusen und Mühlenwehre bauen, halten über die Schiffahrt und den Fischfang zu bestimmen, besafjen dort Polizeigewalt und Gerichtsbarkeit. Das Eigentum an den Ufersfrecken und das Recht, den Flufj zu nutzen, das war nach mittelalterlicher Auffassung eben zweierlei. Auch heute noch gibt es solche Regelungen. Die Elbe zum Beispiel wurde 1921 zur Reichswasserstrafje und nach 1945 zur Bundeswasserstrafje erhoben; allein die
deutsche Regierung ist für sie zuständig, und es gibt nur eine Ausnahme: im Bereich des hamburgischen Hafens hat der Bund seine Oberhoheit auf das Bundesland Hamburg delegiert. A propos Elbel Für sie haben die Hamburger keinen Kaufpreis entrichtet. Denn am 7. M a i 1189 hat Kaiser Friedrich II. (Barbarossa) ihnen den berühmten Freibrief verliehen, in dem den Kaufleuten und Schiffern Zollfreiheit bis zur Nordsee zugesichert wurde. Die Hanseaten feiern diesen für die Entwicklung ihrer Handelsstadt entscheidenden Tag heule als G e burtstag ihres Hafens und als »Oberseetag«. Praktisch nämlich wurde ihnen mit der Zollfreiheit die Oberhoheit über die Unterelbe übertragen. Erst 1920 haben sie diese abgetreten. Die Hamburger haben sich die kostenlose Obereignung der Hoheit auf dem Elbstrom allerdings, wenn auch aus wohlverstandenem eigenen Interesse heraus, mehr als sieben Jahrhunderte lang hübsche Summen kosten lassen. Nicht nur waren die neidischen Fürsten in der Nachbarschaft immer wieder mit Geld zu beruhigen und zufriedenzustellen; nicht nur hatte man gegen die Seeräuber zu Felde zu ziehen; man mufjte auch auf andere Weise für die Sicherheit der Schiffahrt sorgen. Zwischen 1300 und 1310 entstand am Zufluchfshafen von Neuwerk der berühmte Wehrturm, der heute Leuchtturm ist; 1393 erwarb man in einer Fehde das Amt Ritzebüttel an der Elbmündung (Cuxhaven); um 1450 bereits wurden Fahrwassertonnen ausgelegt und Baken errichtet; 1575 bestallte Hamburg Lotsen auf der Insel Neuwerk; a b 1644 wurden auf Neuwerk, a b 1.673 auf Helgoland sogenannte Feuerblüsen, auf hohem Gestell brennende offene Kohlenfeuer, als Leuchtfeuer unterhalten; 1803 errichteten die Hanseaten den Leuchtturm von Cuxhaven; 1816 verankerten sie in der Aufjenelbe die »Nordstern« als erstes Feuerschiff; 1833 g a b e n sie den ersten Bagger in Auftrag; 1874 war der erste Eisbrecher im Einsatz. In den letzten hundert Jahren haben sie das Fahrwasser, das um 1850 nur etwa 3,50 Meter tief war und die Schiffahrt immer wieder aufhielt, mif Hilfe von Baggern und Stromleifwerken allmählich auf eine Tiefe von durchgehend zehn Meter bei Niedrigwasser gebracht; der Bund, der laut Staatsvertrag von 1921 heute für die Arbeiten auf der Unterelbe zuständig ist, vertiefte es von 1958 bis 1961 auf elf Meter. Es war sehr notwendig. Denn Hamburg mufj, wenn es ein universaler Welthafen bleiben will, dafür sorgen, dafj auch Schiffe, die mif einer Ladung von 40000 oder 50000 Tonnen kommen, die Elbe ohne Schwierigkeit befahren können. Eine Vielzahl von Seezeichen weist der Schiffahrt heute den W e g . Etwa 240 Tonnen liegen aus, 114 d a v o n - 51 rote auf der Nordseite, 63 schwarze auf der Südseife - bezeichnen das Hauptfahrwasser; 25 von ihnen sind Leuchffonnen. In der Auljenelbe sind drei Feuerschiffe stationiert. W i e diese besitzen auch die Leuchttürme von Neuwerk und Cuxhaven lichtstarke Seefeuer. Außerdem stehen an der Unterelbe 28 Leuchttürme als Ober- und Unterfeuer für 15 Richtfeuerlinien sowie weitere 14 Feuer als Leif- und Quermarkenfeuer. Sie dienen der Navigation auf dem Flufj, der Fahrt auf dem »Revier« (was abgeleitet ist vom englischen Wort river). Das Bild zeigt das Unterfeuer von Wittenbergen. Ein Schiff fährt auf der Strecke Finkenwerder-Falkenstein dann mitten im Fahrwasser, wenn das Lichtzeichen dieses Feuers und das seines Oberfeuers, das etwas zurück bei Tinsdahl auf dem hohen Ufer errichtet isf, senkrecht übereinander stehen; das Schiff mufj seinen Kurs ändern (dem Verlauf des Stromes anpassen), wenn voraus das nächste Leiffeuer das gleiche Bild ergibt; in diesem Fall: wenn das Ober- und Unterfeuer von Grünendeich an der M ü n d u n g der Lühe (gegenüber von Wedel) als senkrecht übereinandersfehende Lichtzeichen erscheinen, wenn jene Feuer »in Linie« sind.
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36: Früh Ob» sich ... Ein Segelkuller, d a s ist g e w i ß nicht d i e Schönheit der S e g e l e i in der Polenz. K l o b i g w i r k e n seine P l a n k e n , h o c h ragt er a u s d e m W a s s e r , w e n i g schnittig s i n d B u g u n d Heck, u n d d i e S e g e l - d u meine G ü f e l - , sie s e h e n a u s w i e selbstgestrickt u n d k ö n n e n b e i m besten W i l l e n nicht mit d e m w e i s e n Tuch a m s u p e r l a n g e n M a s t der Jachten konkurrieren. A b e r ein solcher Kutter, der, g e n a u g e n o m m e n , ein R u d e r r e t t u n g s b o o l unter S e g e l ist, hat manches, d e s s e n sich d i e f i p - t o p - g e w i e nerlen Jachten nicht r ü h m e n k ö n n e n . Er hat z u m Beispiel ziemlich viel Platz für eine g a r nicht so kleine j u n g e M a n n s c h a f t ; er hat d e n Vorteil, d a ß a n B o r d alles einlach ist, h a n d i g u n d leicht zu begreifen; er hat d e n noch g r ö ß e r e n V o r z u g , daf} er, b e v o r d i e S e g e l e i ü b e r h a u p t l o s g e h e n k a n n , erst e i n m a l aufgetakelt w e r d e n muß, da(5 seine M a s t e n einzusetzen u n d zu v e r s t a g e n u n d die F a l l e n u n d Schoten der S e g e l durch d i e Blöcke zu scheren sind; z u d e m muß m a n auf e i n e m Kutter nicht in jeder S e k u n d e befürchten, k o s t b a r e m Lack e i n e n Kratzer a n z u l u n - mit e i n e m W o r t : im Segelkuffer ist m a n der christlichen Seefahrt, ihrer Praxis u n d d e m W i n d u n d Wetter, mit d e m sich der S e e m a n n auch auf d e m modernsten u n d g r ö ß t e n Schiff zeit seines L e b e n s h e r u m z u s c h l a g e n hat, selbst auf d e r E l b e erstaunlich n a h e . U n d w e r e i n m a l im nächtlichen Gewiffersfurm in e i n e m Kutter d a h i n g e b r a u s t ist, je zwei M a n n a n d e n Schoten u n d alle M a n n so weit w i e m ö g l i c h in L u v n a c h a u ß e n b o r d s , der vergifjt eine solche Fahrt nicht nur nicht, d e r erfährt auch, w i e seetüchtig d i e s e h o c h b o r d i g e n F a h r z e u g e sind. D e s h a l b w i r d d i e Kuttersegelei nicht nur a u f d e n S e e m a n n s schulen gepflegt, in d e n e n d i e künftigen Schiffsjungen eine V o r a u s b i l d u n g v o n drei M o n a t e n erhalten, s o n d e r n a u c h in d e n h a m b u r g i s c h e n S e g l e r v e r e i n e n . Es hiefje W a s s e r in die E l b e schütten, wollte m a n d e s l a n g e n u n d breiten erzählen, dafj d i e S e g e l e i in H a m b u r g in g r o ß e m S c h w a n g e ist. Ein Blick auf Alsfer u n d Elbe g e n ü g t , b e s o n d e r s a m S o n n t a g . M e h r a l s 1300 S e g e l b o o t e u n d Jachten mit d e m H e i m a t h a l e n H a m b u r g kreuzen im S o m m e r allein auf der Elbe. D a s heißt, n e u e r d i n g s muß es H e i m a t h a f e n S c h u l a u heißen. D e n n jüngst ist dort, k n a p p a u ß e r h a l b der h a m b u r g i s c h e n L a n d e s g r e n z e n , der n e u e Jachthafen der Stadt entstanden. Der alte auf W a l tershof mußte e i n e m weiteren Tankschiffhafen weichen. Für d e n n e u e n S e g l e r h a f e n , der a n s c h w i m m e n d e n A n l a g e n v o n drei Kilometer L ä n g e Platz für rund 1250 F a h r z e u g e aller G r ö ß e n bietet, hat der S t a a t immerhin mehr als fünf M i l l i o n e n M a r k a u s g e g e b e n . W o r a n m a n erkennt, wieviel die H a n s e a t e n v o n d e r S e g e l e i halten.
37-39: Aus aller Herren Ländern Z w a n z i g l a u s e n d - in Ziffern: 2 0 0 0 0 - Seeschiffe k o m m e n im Jahr elbauf nach H a m b u r g . M i t ihnen k o m m e n , g a n z r u n d gerechnet, eine h a l b e M i l l i o n Seeleute. J a n m a a t e n a u s aller Herren L ä n d e r n g e h e n in H a m b o u r g , A m b u r g o , H a m b u r g o , H a m b u r s k i , H a m b u r k o d e r H a m p u r i s t a (wie die F r a n z o s e n , die Italiener, die S p a n i e r u n d Portugiesen, die Polen, d i e Tschechen, die F i n n e n d e n H a l e n a n der Elbe n e n n e n ) a n L a n d , u m sich d i e S e e b e i n e zu vertreten. D a m i t kein falscher Eindruck entsteht: etliche k o m m e n natürlich a u c h g a n z schlicht nach H a m b u r g . D a z u g e h ö r e n unter a n d e r e m die H o l l ä n d e r , die S c h w e d e n , d i e N o r w e g e r , d i e E n g l ä n d e r u n d die A r a b e r . N u r - d a ß die A r a b e r d a s » g « a m Ende besonders betonen u n d d a ß die Engländer und A m e r i k a n e r uns j e d e s m a l a n ihre h a m a n d e g g s erinnern; breiter als » H ä m b ö r d i « g e h t ' s nimmer. D o c h m a c h e n schließlich d i e D ä n e n , die früher mit d e n H a n s e a t e n , ihren nächsten N a c h b a r n , so viel zu b e r e d e n g e h a b t h a b e n ( w e g e n der so n a h e n A l t o n a e r Konkurrenz, w e g e n Glückstadl, w e g e n d e s Elbezolls u n d ähnlicher kleiner Streifereien u n d ü b e r h a u p t
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w e g e n d e s h a m b u r g i s c h e n G e l d e s ) , alles w i e d e r g u t ; d e n n sie s a g e n es so vertraut w i e A d d i M ü n s t e r : H a m b o r g - g e n a u w i e » H a m b o r g , hol di stiefl« Die Seeleute auf unseren drei Bildern s t a m m e n a u s J a p a n , a u s d e m j u n g e n afrikanischen L a n d N i g e r i a u n d a u s d e r Schiffahrtsnation der W e l t , a u s E n g l a n d . D o c h k o m m e n M a trosen a u s mehr als vier D u t z e n d N a t i o n e n . E n t s p r e c h e n d g r o ß ist d i e Z a h l der Schallplatten mit d e n N a t i o n a l h y m n e n , d i e m a n a m W i l l k o m m h ö f t bei W e d e l - S c h u l a u , dort, w o jedes Schiff über Laufsprecher u n d mit e i n e m F l a g g e n d i p p e n b e g r ü ß t u n d v e r a b s c h i e d e t wird, v o r r ä t i g hat. G u t vier D u t z e n d N a t i o n a l f l a g g e n , d a s bedeutet: Schiffe a u s praktisch allen seefahrttreibenden L ä n d e r n s i n d im H a f e n anzutreffen. A n der Spitze stehen die unter deutscher F l a g g e f a h r e n d e n ; berechnet n a c h d e r T o n n a g e ergibt sich für sie ein Anteil v o n 28 Prozent. Es f o l g e n (in K l a m m e r n d i e P r o z e n t zahlen): englische (13,5), norwegische (13,0), n i e d e r l ä n d i s c h e (12,0), schwedische (5,1), französische (5,0), d ä n i s c h e (4,1), liberianische (2,1), us-amerikanische (2,0), belgische (1,5), j a p a n i s c h e (1,5) Schiffe . . . Nichts zeigt besser als diese Z a h l e n , w i e sehr H a m b u r g ein internationaler H a f e n ist. U n d immer noch n e u e F l a g g e n k o m m e n hinzu, weil jene Staaten, d i e erst in jüngster Zeit s e l b s t ä n d i g g e w o r d e n sind, vielfach sehr b a l d b e g i n n e n , eine e i g e n e Handelsflotte a u f z u b a u e n . D a ß d i e Deutschen mit 2 8 Prozent der T o n n a g e klar v o r n liegen, ist nur natürlich. D e n n Deutschlands größter H a f e n ist zugleich der H e i m a t h a f e n für fast 60 Prozent unserer H a n d e l s flotte. Hier s i n d registriert: g u t 1000 Trockenfrachter mit 2,0 M i l l i o n e n BRT (Brutto-Register-Tonnen), 90 T a n k e r mit 6 5 0 0 0 0 BRT, 60 Kühlschilfe mit 1 6 5 0 0 0 BRT, ein O b e r s e e passagierschiff mit 3 0 0 0 0 BRT u n d zahlreiche sonstige F a h r z e u g e mit etwa 7 0 0 0 0 BRT. Legt m a n bei der s o g e n a n n t e n Flaggen-Statistik d i e Z a h l der Schiffe u n d nicht d e r e n T o n n a g e z u g r u n d e , d a n n v e r schiebt sich d a s Bild g a n z erheblich. D a n n stehen im H a f e n H a m b u r g r u n d 1 2 0 0 0 Schiffe mit d e n s c h w a r z - r o t - g o l d e n e n F a r b e n a m Heck g e g e n 8000 Schiffe a u s d e m A u s l a n d . D i e E r k l ä r u n g dafür ist einfach: a u s d e n fremden N a t i o n e n k o m men v o r w i e g e n d g r o ß e Oberseefrachter, d e r e n T o n n a g e g e waltig zu Buch schlägt; unter d e n deutschen Schiffen d a g e g e n b e f i n d e n sich a u c h d i e vielen Küstenfrachter, d i e d e n U m schlagsplatz a n der Elbe mit d e n zahlreichen kleinen H ä f e n a n d e n Küsten v o n N o r d - u n d Ostsee v e r b i n d e n .
40-42: Musikdampfer: Caronia, Bergensfjord, Gripshelm D i e ü b e r s e e b r ü c k e , schwimmender A n l e g e p l a t z für g r o ß e Passagierschiffe q u a s i mitten in der City, w a r bis z u m zweiten W e l t k r i e g eigentlich niemals o h n e Betrieb. D a m a l s , a l s m a n allein mit d e m Schiff nach S ü d a m e r i k a reisen konnte, w a r sie der S t a m m p l a t z der » M o n t e s « u n d der » C a p s « d e r H a m b u r g - S ü d a m e r i k a n i s c h e n Dampfschiffahrts-Gesellschaft E g g e r t & Amsinck, w i e die H a m b u r g - S ü d in voller L ä n g e heißt. N a c h g e r a d e berühmt ist d a s Bild, d a s d i e a n der Brücke l i e g e n d e n schwarzen Schilfe mit d e n w e i ß e n A u f b a u t e n u n d d e n w e i ß roten »Zigaretten«-Schornsfeinen zeigt. Heute lohnt es nicht mehr, a u s g e s p r o c h e n e Passagierschiffe für die S ü d a m e r i k a f a h r t zu b a u e n ; die schnelle F l u g z e u g K o n k u r r e n z hat s t o p p g e s a g t . Heute hat d i e O b e r s e e b r ü c k e d e s h a l b nur noch v o n Zeit zu Zeit Besuch. Kriegsschiffe fremder N a t i o n e n m a c h e n a n ihrem Ponton lest, w e n n d e n » L o r d s « nach e i n e m l a n g e n e i n t ö n i g e n S e e f ö r n mal ein p a a r kurzweilige T a g e g e g ö n n t w e r d e n sollen. A u ß e r d e m k o m m e n die M u s i k d a m p f e r , d i e sich auf Kreuzfahrt befinden. S o hat d e n n d i e Oberseebrücke ihre S a i s o n jetzt in d e n M o n a t e n Juli u n d A u g u s t , w e n n v o r allem die A m e r i k a n e r zu ihrem V e r g n ü g e n in Richtung N o r d k a p fahren.
Fast schon Stammgäste an der Oberseebrücke sind die drei Musikdampfer auf unserem Bild: die lichtgrüne britische »Caronia« (34000 BRT) mit dem rot-schwarzen Schornstein, die hellgraue »Bergensfjord« (19000 BRT) aus Norwegen und die vom Bug bis zum Heck blendendweiße »Gripsholm« (23 000 BRT) aus Schweden, deren einziger Farbtupfer der hellgelbe Schornstein mit den drei goldenen Kronen auf blauem Grund ist. übrigens: o b die großen Passagierschiffe von den Janmaaten vor vielen Jahrzehnten deshalb »Musikdampfer« getauft worden sind, weil sie mit schmetternden Weisen begrüßt und verabschiedet wurden (und werden) oder aber, weil sie eigens eine Kapelle an Bord hatten (und trotz aller Mechanisierung der Musik auch heute noch haben) - das weif) der Verfasser nicht zu sagen. Im Zweifelsfalle: beides. Fest steht auf jeden Fall, daß ein deutscher Musikdampfer nicht auf die Reise geht, ohne das schwäbische »Muß i denn, muß i denn ...«. Und sicher ist auch, daß die Vergnügungsreisen nach See, heute »Cruises« genannt, eine hamburgische Erfindung sind. Der Mann, der sie sich ausgedacht hat, um seine ziemlich aufwendigen Schiffe auch in flauen Zeiten gewinnbringend zu beschäftigen, heißt natürlich Albert Ballin. Er, der die Hamburg-Amerika-Linie um die Jahrhundertwende zur größten Reederei der Erde machte, ließ sich v o m allgemeinen Kopfschütteln seiner Mitbürger nicht irritieren und schickte seine »Auguste Victoria« (8500 BRT) im Januar 1891 mitten im Winter also - ins Mittelmeer auf die erste Vergnügungsreise aller Zeiten. Und Ballin behielt recht. Schon 1900 ließ er die »Prinzessin Victoria Luise« speziell nur für Erholungsreisen bauen. Sie war das erste Weltreiseschiff der Welt. 43: Passagiere gehen a n Land »Well«, sagte der Doktor, die hellgrüne Farbe halte in den Tropen besser kühl als das traditionelle Schwarz, das die anderen Schiffe der Reederei, auch die beiden größten, die »Queens«, tragen. »Und außerdem sind wir eben das cruise ship von Cunard. Jedermann in der Welt, der dieses Grün einmal gesehen hat, weiß Bescheid: aha, die ,Caronia'«. Cruises, Vergnügungsfahrten, meinte der Doktor - das G e spräch fand an Bord der britischen »Caronia« (34000 BRT) statt - , würden immer noch beliebter werden. Er mußte es wissen, denn er machte nicht seine erste Reise. »Vor allem bei den älteren Leuten«, sagte er. »Wir haben Passagiere, die sind schon zum dritten M a l e mit der ,Caronia' auf Nordlandreise. Zu 90 Prozent Amerikaner«, fügte er hinzu. Natürlich sprachen wir auch über den Preis, den man für eine solche Reise von 45 Tagen, die zu etwa zwei Dutzend Häfen in einem Dutzend Ländern führt, zu zahlen hat: »Zwischen 30 und 120 Dollar pro Tag. Aber das sind die Extreme. Im Durchschnitt 50 bis 60 Dollar (200 bis 250 Mark). W e n n Sie rechnen, daß Sie in einem Hotel in Florida auch 30 bis 50 Doller fürs nackte Zimmer, ohne Verpflegung, zahlen müssen ...« - »Gibt's auf solcher Reise denn auch Getränke inklusive?« - »Oh, sorry, denken Sie, die Reederei will pleite gehen?« Natürlich unterhielten wir uns über sein Schiff. Als dabei die Rede auf den »night club« kam, den Raum, in dem wir saßen, da fragte der Doktor ganz unvermittelt: »In Hamburg gibt's doch auch viele night clubs, nicht wahr? O n the Reeperbahn«, und er sprach den Namen aus, als werde er mit drei ä geschrieben. »Die ganze Mannschaft sprach nur noch von Hamburg in den letzten Tagen. Ich denke, das wird ein Erfolg. Große Städte - das wollen die Fahrgäste. Vor allem, um einkaufen zu können. Einige fliegen auch nach Berlin, andere fahren nach Lübeck . ..« Dann erkundigte er sich nach den Hamburger beer gardens.
»Ja, Bierlokale haben wir natürlich auch, und im übrigen können Sie in so gut wie jedem Lokal Bier bestellen.« »Wirklich?« fragte er zurück und ergänzte in bedauerndem Tonfall: »Wirklich? Aber im Alsterpavillon tranken doch alle Gäste Kaffee, und da habe ich denn einen Tee bestellt. Schade ...« Ich konnte ihn jedoch beruhigen: die »Caronia« werde wohl nicht zum letzten M a l e in Hamburg gewesen sein. Das meinte er denn auch und zeigte mir einen Werbe-Prospekt der Cunard Lines. Hamburg, »one of the most populär Cities«, stand da zu lesen. 44: Nimm midi mit, Kapitän . . . Diese Bildunterschrift ist falsch. Sollte nämlich jene junge Dame mit dem wippenden Röckchen tatsächlich bitten: »Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise, nimm mich mit in die weite, weite Welt!« - dann muß der »Herr Kapitän« der HafenDampfschiffahrt wahrheitsgemäß antworten: »Nee, minLütfen, geiht nich. W i fohrt bloots na Finkwarder«. So jedenfalls müßte er es eigentlich sagen. Wahrscheinlich jedoch wird er, um den feinen Faden, der da gerade g e sponnen wird, nicht schon im nächsten Augenblick wieder abreißen zu lassen, lieber ein kleines Garn abspulen. Und drum, darum ist die Unterschrift tatsächlich doch nicht falsch! 45-46: Kräne Zugegeben, Kräne sind in diesem Buch genug im Bild. W a s soll man jedoch machen? Wohin man im Hafen blidd, wohin man die Kamera richtet: Kräne, Kräne, Kräne ... G e n a u sind es - waren es jedenfalls Mitfe 1961: 952 Kaikräne, die neunzehn schwimmenden und die fünf landfesten Schwerlastkräne nicht gezählt. Just auf diese Kräne ist man in Hamburg besonders stolz. Weil ihre Zahl einen absoluten Hafenweltrekord darstellt. Und weil vor allem diese Unmenge von Kaikränen die These v o m »schnellen Hafen Hamburg« stützt. Denn mit Kränen werden die Schiffe schneller leer und wieder voll als mit dem Bordgeschirr. Die Generaibezeichnung für die moderen Kaikräne lautet: Vollportal-Dreh-Wippkran. Wippkran, weil der Ausleger beweglich ist und eine Reichweite bis zu 25 Meter hat; Vollportal, weil der Kran auf drei oder vier Beinen steht und weil deshalb Eisenbahnwaggons unter ihm hindurchrollen können. Diese Kräne heben bis zu drei Tonnen schwere Lasten; sie heben sie mit größerer Geschwindigkeit als die Ladebäume der Schiffe; das ist ihr erster Vorteil. Der zweite besteht darin, daß sie auf Schienen laufen; man vermag sie so dicht aneinanderzufahren, daß drei von ihnen auf eine Luke arbeiten können. Der drifte ist ihre große Reichweite und der vierte die gute Sicht, die sie dem Kranführer bieten. Das alles zusammen garantiert die schnelle Arbeit. Die Vollportalkräne, wie man sie in verschiedenen Typen sieht, sind gewissermaßen eine hamburgische Erfindung aus der Nachkriegszeit. Wer sich ein wenig auskennt in den Dingen, der wundert sich allerdings nicht darüber, daß gerade die Hamburger - Hafenbauer und deutsche Firmen in G e meinschaft - immer wieder Neuerungen zur Kranbautechnik beigesteuert haben. Schließlich hat am 7. Dezember 1891 der erste elektrisch angetriebene Kran der Welt a m Petersenkai in Hamburg Premiere gehabt. Er steht heute im Deutschen Museum in München. Auf der Kairampe setzen die Kräne ihre Lasten ab, und die Kaiarbeiter karren sie in den Schuppen. Das heißt, meistens bereits besorgen Gabelstapler, die gleich die im Schiffsraum vollgepackte Palette (das Stapelbrett) auf die Arme nehmen, diese Arbeit; Gabelstapler schleppen mehr, fahren schneller und können vor allem höher stapeln und also den Platz im Schuppen besser ausnutzen. Bei manchen Gütern jedoch ist 111
nach w i e v o r d i e g u t e alte Karre unerläßlich - z u m Beispiel d a n n , w e n n es »in d i e P a n s e n g e h t « (wenn stinkende R i n d e r häute a u s A r g e n t i n i e n o d e r Australien zu löschen sind). K a i s c h u p p e n sind keine L a g e r h ä u s e r , s o n d e r n d i e »Sortiertische« d e s Hafens. D e n n in kunterbunter F o l g e k o m m e n d i e G ü t e r a u s d e m Schiff heraus. Im S c h u p p e n w e r d e n sie - farb i g e M a r k i e r u n g e n helfen d a b e i - für d i e E m p f ä n g e r z u sammengestellt. D i e S c h u p p e n k ö n n e n d e s h a l b nicht g r o ß g e n u g sein. Es gibt einige, d i e sind 4 0 0 M e t e r l a n g u n d 50 M e t e r breit. D a s macht jeweils zwei Hektar unter Dach. Natürlich d i e n e n d i e S c h u p p e n a u c h d e r kurzfristigen L a g e r u n g jener Güter, d i e v e r l a d e n w e r d e n sollen. U n d so braucht k a u m betont zu w e r d e n , d a l j m a n im H a f e n erhebliche V e r k e h r s p r o b l e m e zu lösen hat. Ihretwegen k a m m a n nach d e m d e m K r i e g auf d i e I d e e der schon mehrfach e r w ä h n t e n » H a m b u r g e r K a i - A u f t e i l u n g « . D a s Prinzip: E i s e n b a h n - u n d Lastw a g e n v e r k e h r getrennt. Zwischen K a i u n d S c h u p p e n r a m p e l i e g e n a m W a s s e r zwei o d e r drei B a h n g e l e i s e , u n d auf der Landseite d e s S c h u p p e n s h a b e n d i e L a s f w a g e n f a h r e r ihr Reich. S o besitzt alles seine O r d n u n g . Trotzdem k a n n es bei Hochbetrieb natürlich mit d e m Platz m a l kneifen. Z u m i n d e s t eines jedoch ist d a n n sichergestellt: W a g g o n u n d Laster k o m m e n sich auf keinen Fall ins G e h e g e . A p r o p o s Hochbetrieb: der W e l t h a f e n , in d e m es gelegentlich nicht e i n e n E n g p a ß gibt, der muß erst noch g e b a u t w e r d e n .
47-48: Großer Tag auf der Werft: Slapellauf F l a g g e n knattern im W i n d . Eine M u s i k k a p e l l e spielt. G r ü n b e k r ä n z t u n d mit buntem Tuch drapiert ist d i e unter d e m B u g a u f g e z i m m e r f e Taufkanzel. D e n N a m e n verdeckt eine Pers e n n i n g . Einstweilen ist d a s Schiff noch eine N u m m e r , s a g e n wir N e u b a u 888. A n l a n g e r Leine b a u m e l t d i e Sektflasche herunter. I n g e n i e u r e prüfen z u m letzten M a l e d a s Preßluftgerät. Sonst a b e r ist nicht mehr viel Betrieb u m d a s Schiff herum. Frei v o n a l l e n Stützen steht d e r R u m p f auf der A b laufbahn. Durch d a s Werfttor d r ä n g t sich ein Strom v o n M e n s c h e n . Interessierte a l l e n Alters, aller Bevölkerungsschichten, viele Jugendliche darunter. W e n n ' s ein b e s o n d e r e s Schiff ist, w i e es seinerzeit d i e 4 5 0 0 0 - T o n n e r »Tina O n a s s i s « u n d » K ö n i g S a u d « w a r e n , d i e ersten S u p e r t a n k e r der Welt, w e n n ' s ein Schiff ist w i e der 8 8 0 0 0 - T o n n e r »Esso S p a i n « o d e r ein so prominentes w i e der H e l g o l a n d - F a h r e r » W a p p e n v o n H a m b u r g « , d a n n s i n d Z e h n t a u s e n d e auf d e n Beinen, s i n d a u c h d i e g e g e n ü b e r l i e g e n d e n K a i s g e d r ä n g t voll v o n M e n s c h e n . A b e r a u c h d a n n , w e n n »nur« ein n o r m a l e r Frachter abläuft u n d w e n n ' s B i n d f ä d e n regnet - ein Fest ist ein S t a p e l l a u f immer. U n d d e n I n g e n i e u r e n bringt er stets v o n n e u e m d e n a u f r e g e n d s t e n T a g , m ö g e n sie's a u c h nicht z e i g e n . V o r allem k o m m e n natürlich d i e Werftarbeiter. Sie k o m m e n mit K i n d u n d K e g e l . D e n n d e r Stapellauf gibt G e l e g e n h e i t , d e r Mutti u n d d e n J u n g s m a l w i e d e r zu v e r k l a r e n , w a s d a s eigentlich heißt, ein Schiff zu b a u e n . M ö g l i c h ist d a s , weil S o n n a b e n d ist. D a s (freie) W o c h e n e n d e ist z u m S t a p e l l a u f t a g g e w o r d e n . D r a u ß e n l i e g e n d i e Schlepper bereit. B o o t e der W a s s e r schutzpolizei s o r g e n für die A b s p e r r u n g . Pünktlich erscheint d i e Prominenz, steigt l a n g s a m d i e Stufen zur T a u f k a n z e l hinauf. Es ist jetzt noch eine Viertelstunde bis z u m Termin, bis z u m H o c h w a s s e r . Mitunter spricht ein S e n a t o r o d e r einer der b e i d e n Bürgermeister. H ä u f i g hält a u c h ein Pate eine R e d e . D a s k a n n z u m Beispiel d a s O b e r h a u p t der Stadt sein, auf d e r e n N a m e n d a s Schiff getauft w e r d e n soll. A u f j e d e n Fall spricht der Werftdirektor, d a n k t der R e e d e r e i für d e n A u f frag, d a n k t seinen Mitarbeitern. Z u w e i l e n s a g t er a u c h e i n i g e s mehr - w e n n es a n der Zeit ist, d a ß g e w i s s e D i n g e w i e d e r einmal g e s a g t w e r d e n sollten. U n d d i e Journalisten schreiben es eifrig mit.
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D a r a u f übernimmt eine F r a u d a s K o m m a n d o , d i e Taufpatin. In d i e Stille hinein schallt der o b l i g a t e S a t z : »Ich taufe dich auf d e n N a m e n , O z e a n ' u n d wünsche dir allzeit g u t e F a h r t l « M i t weit a u s h o l e n d e r B e w e g u n g g e w o r f e n , zersplittert d i e Flasche. S c h ä u m e n d e r Sekt fließt über d e n Stahl, o b e n fliegen d i e P e r s e n n i n g e v o m N a m e n s c h i l d . U n d es wird, falls d a s möglich ist, noch stiller in der Runde. Es s i n d d i e u n g e wöhnlichsten M i n u t e n , d i e es auf der sonst so lärmerfüllten Werft gibt. Plötzlich d u m p f e T ö n e - d a s ist d a s Poltern der S t o p p e r , jener Bremshebel, d i e d i e Ablaufschlitten, in d e n e n d a s Schiff liegt, bisher noch auf der g e n e i g t e n u n d schmierfettbestrichen e n G l e i t b a h n festgehalten h a b e n . Sie sind gelöst, es ist so weit. L a n g s a m , g a n z l a n g s a m , millimeterweise, entfernt sich der B u g v o n der Taufkanzel, u n d einer, der's zuerst bemerkt, sagt, ruft es fast immer: » H e l ö p p t l « - D a s heißt, z u w e i l e n läuft d a s Schiff nicht sofort, n a c h d e m die k l o b i g e n S t o p p e r in d i e G l e i t b a h n zurückgefallen sind. D a n n a b e r braucht ein I n g e n i e u r nur e i n e n H e b e l zu stellen, u n d mit Preßluftdruck wird ein w e n i g n a c h g e h o l f e n . . . Immer schneller gleitet d a s Schiff d a v o n . H o l z poltert unter d e m B o d e n , D a m p f quirlt auf. S c h o n schäumt a m E n d e der Helling d a s W a s s e r ; d a s Heck rauscht hinein. D a n n faucht auch der V o r d e r s t e v e n ein, ziemlich fiel. D a s Schiff v e r b e u g t sich s o z u s a g e n v o r der g r o ß e n Gesellschaft. A n k e r rasseln a n der B o r d w a n d runter in d e n G r u n d . L a n g s a m , v o n d e n A n k e r n u n d schon v o r h e r in d e n Strom g e b r a c h t e n A u f h a l f e v o r r i c h t u n g e n gesteuert, dreht der Rumpf sich, kommt zugleich a l l mählich z u m S t o p p e n . D i e Schlepper fahren heran. Der S t a p e l lauf ist geglückt. U b e r d e m H a f e n liegt d a s tiefe B r u m m e n der Schiffssirenen, d i e »Herzlichen G l ü c k w u n s c h « s a g e n . O b e r die Werft schallen drei Hurras. Hüte w e r d e n , h a n s e a t i s c h korrekt, gelüftet. U n d mit e i n e m Lächeln, N e l k e n in d e n w e i ß roten (hansischen) F a r b e n im A r m , verläßt d i e T a u f p a t i n d i e Kanzel. Die Schlepper b u g s i e r e n d e n N e u b a u , d e r nicht mehr ist als ein H a u s b e i m Richtfest, ein R o h b a u nämlich, z u m Ausrüsfungskai. Im W e r f t g e b ä u d e trifft m a n sich noch z u m Sektfrühstück. D i e Arbeiter schlendern d e r w e i l e n mit d e n A n g e h ö r i g e n ü b e r d i e H e l g e n u n d durch d i e weiten H a l l e n ihres Betriebes. N u r d i e P h o t o g r a p h e n u n d Journalisten h a b e n ' s eilig. A m s p ä t e n A b e n d schon soll's in der M o r g e n z e i t u n g zu lesen sein.
49-54: Probefahrt Einer Probefahrt ist fast immer schon eine a n d e r e Probefahrt v o r a u s g e g a n g e n . Die Werftprobefahrt nämlich. Z u dieser g e h t d a s neue Schiff o h n e F l a g g e n s c h m u c k in See, u n d keiner ist d a b e i , der nicht alle H ä n d e voll zu tun hat. D e n n auf der Werftprobefahrt wird d a s Schiff, wird alles, w a s sich a n B o r d dreht, läuft, b e w e g t , w a s sich öffnen u n d schließen soll, w a s leuchtet, tönt, mißt, anzeigt, auf Herz u n d N i e r e n geprüft. A u f der Werftprobefahrt läuft m a n die M e i l e a b (stoppt m a n auf bestimmter Strecke d i e Höchstgeschwindigkeit), k o m p e n siert (»berichtigt«) m a n d e n K o m p a ß , macht m a n d i e ersten B o o t s m a n ö v e r , prüft m a n d i e Erschütterungen im Schiffskörper bei voller Fahrt. W a s ihr e i n i g e T a g e später, n a c h d e m d i e bis d a t o e r k a n n t e n K i n d e r k r a n k h e i t e n b e h o b e n sind, folgt, ist, g e n a u g e n o m m e n , d i e O b e r g a b e f a h r t . D i e R e e d e r e i e n , d i e d a z u ihre F r e u n d e a u s Wirtschaft, B e h ö r d e n u n d p r i v a t e m Kreis e i n l a d e n , n e n n e n ' s d e n n korrekterweise a u c h so. Im V o l k s m u n d a b e r ist sie n a c h wie v o r »die Probefahrt«. Natürlich sind a u c h auf der D b e r g a b e f a h r t noch ü b e r a l l d i e Techniker u n d I n g e n i e u r e a m W e r k . N u r - d i e G ä s t e m e r k e n es kaum. Für sie ist diese Fahrt d a s reine V e r g n ü g e n . S o w a r ' s nicht zuletzt auf der » C a p S a n Lorenzo«, d e m 20 K n o t e n l a u f e n d e n schornsteinlosen Motorfrachter der H a m b u r g - S ü d , auf d e m unsere Bilder entstanden sind. Dieses Schiff bildet
mit seinen fünf Schwestern der »Cap-San«-Serie das Sexfetl der schnellsten deutschen Frachtschiffe. Im Dienst zu den Ostküstenhäfen von Südamerika sind sie eingesetzt. 160 Meter sind sie lang und gut 21 Meter breit. Fast 8,50 Meter gehen sie tief, und 10300 Tonnen können sie tragen. Aufsehen in der internationalen Schiffahrt erregten sie nicht nur wegen der hohen Geschwindigkeit, sondern auch wegen ihrer Form. Die Reederei verzichtete bei diesem Typ zum ersten M a l e auf einen Schornsfein. Das, was so ähnlich aussieht und den roten Rand (die Schornsfeinmarke der Reederei) hat, das ist tafsächlich der obere Teil der Kommandobrücke, das Peildeck. Die A b g a s e der Maschine werden durch zwei hinter der Brücke stehende elegant geformte Pfahlmasten abgeleitet, die zugleich Pfosten für Ladebäume sind. Die M a schine konnte so hinter der Brücke eingebaut werden; ihre Geräusche stören die Nautiker, die Besatzung und die Fahrgäste so gut wie nicht mehr. Nur zwölf Tage brauchen diese Schiffe vom letzten Hafen in Europa bis zum ersten in Brasilien. Dafür allerdings waren sie nicht billig: sie kosteten jeweils 15 Millionen Mark. Doch erzählen wir von der Probefahrt I »Scheun is wat anners«, brummte der Lotse. Unaufhörlich eilte er hin und her. V o m Radargerät auf die Brückennock, vom Schanzkleid zum Radar. Denn es war, mit Verlaub, alles andere denn Probefahrtswetter. Schon gar nicht war's ein Wetter für einen niegelnagelneuen Schnelläufer wie die » C a p San Lorenzo". Zeitweilig wurde es pottendick. Und die Herren von der Reederei mögen sich gedacht haben: »War doch gut, dal) wir gestern für alle Fälle noch einige Dutzend Skalspiele gekauft haben ...« Brav kroch die »Cap San Lorenzo« am Tonnenstrich des Fahrwassers entlang. In gehörigem Abstand passierten die G e g e n kommer den festlich geschmückten Neubau. Doch schlaff hing e n die Flaggen herab. Alles war grau in grau. Selbst das Weil) des Schiffes schien diese Farbe anzunehmen. Kapitän Heinz Schweitzer erklärte indes mit Hilfe aller zehn Finger sein Radargerät, das modernste, das es gibt. Er durfte es. Denn auf)er ihm war ja der Werftkapitän an Bord. Schließlich wurde dann der Nebel etwas handiger. Jedenfalls derjenige, der auf der Elbe lag. Dal) sich in den tiefergelegenen Decks derweilen einige Köpfe umwölkten, das soll die Herren aut der Brücke wenig gestört haben.
der Schornstein zu stehen pflegt. Dal) man sich nicht täusche: die beiden »Pfosten« am Ende des Brückenaufbaus, durch die die Maschinengase abgeleitet werden, auf dal) die Badenixen auf dem Sonnendeck von Rauch und Ruß ganz unbehelligt bleiben, haben immerhin einen Durchmesser von etwa zwei Metern. Die große Stunde der Photographen schlug natürlich, als Werftdirektor Dr. William Scholz seinem Neubau, der Baunummer 784, allzeit gute Fahrt wünschte und die Schiffspapiere an Dr. Kersten übergab, was - zumindest symbolisch - das Uberreichen eines Schecks von der anderen Seife voraussetzte. Dann pfiff Kapitän Schweitzer einmal durchdringend, und klar und scharf kam das erwartete Kommando: »Hol nieder Werftflagge, heiß ReedereiflaggeI« Darauf fand nichts anderes mehr statt als nur noch Probefahrt mit genügend Vorrat in allen Räumen. Und: »Scheun is wat annersl« hat auf diesem innen wie außen so schmucken Schiff wirklich allein der Lotse gesagt. W e g e n des Nebels. 55-56: Fischereihafen: Hochstapelei Kisten, Holzkisten in unendlich großer Zahl werden im Fischereihafen benötigt. Aus den Räumen der Trawler hievt man die Fische zwar in Körben heraus, dann aber kommen sie in Kisten. Fische müssen nämlich, wenn sie gekauft werden sollen, sichtbar sein. So wollen es die Händler und die Fabriken. Denn Fisch kauft man nicht nur nach Gewicht, sondern mindestens ebenso sehr nach Qualität. Und Fische werden verauktioniert. Angebot und Nachfrage machen den Preis. Frühmorgens beginnt in den langen Auktionshallen am Fischereimarkt Hamburg-Altona bereits das Treiben. Zu großen Feldern sind die Kisten zusammengestellt. Ober sie, über ihren blinkenden schuppigen Inhalt hinweg zieht der Schwärm der Käufer; sie sehen nicht hin, sie haben nur A u g e n für den Auktionator; sie treten dennoch niemals in eine Kiste hinein. Sie bleiben stets auf der Kante. Das macht die jahrelange •bung. So trainiert wie ihr Sinn für den Marsch über die Kistenrechtecke, so geübt auch ist ihr Ohr. Es geht jeweils um Viertelpfennige. Doch nur sie wissen, was da gespielt, welcher Preis geboten wird. Für den Fremden ist es hoffnungslos. Der versteht nur Rhabarber. Und denkt an das Rattern der Niethämmer auf der Werft.
Hochbetrieb herrschte in allen Kammern und Salons. Und dreimal spielte der Oberraum von Luke II die Rolle der Festhalte: zum Frühstück, zum Labskaus (mit Bier und Schnaps und den obligaten Reden) und zum Kaffee. Dutzende von langen Tischen und Bänken waren aufgestellt. Die Farben der Werft und der Reederei verhüllten das nackte Eisen und das rohe Holz. Schon am Tag darauf jedoch verstauten die Schauerleute hier Güter für Südamerika. Es g a b unter den Gästen auch hartleibige Naturfreunde. Die ließen sich selbst von den plus acht G r a d und den hundert Prozent Luttfeuchte nicht abhalten, am blauen Schwimmbassin im Liegestuhl zu träumen. Zwischendurch wärmten sie sich dann drinnen wieder auf, mit Hochprozentigem. Ganz Unentwegte kletterten im Maschinenraum sogar bis zum Wellentunnel hinab. So kamen denn auch die Herren Ingenieure in den Genuf), Seemannsgarn spinnen zu dürfen über die W u n derwirkung ihrer 11 650 PS, die für fast 20 Knoten (gleich 36 bis 37 Kilometer in der Stunde) sorgen können. »Macht gegenüber einem 16 Knoten laufenden Schiff beim Baupreis eine Million M a r k mehr«, konnte man hören. Womit sich wieder einmal bewahrheitete: die Spitzenwerfe sind's, die die Dinge teuer werden lassen.
Seit 1949 hat Hamburg viele Millionen M a r k in den Wiederaufbau und Ausbau des Fischereihafens investiert. Auktionshallen und der Ausrüstungskai mit den Gebäuden für die Reedereien sind entstanden; mehrere Packhallen wurden gebaut; ein Filetierschuppen, in dem modernste Verarbeitungsmaschinen arbeiten, wurde errichtet. Es ist alles vorhanden, was die Fischwirfschaff benötigt, auch Eiswerke, Kühlräume und Bahngeleise; nur 18 Stunden braucht der Frischfisch, um in Kühlwagen von Hamburg bis an die süddeutschen Landesgrenzen zu rollen. Die hamburgische Hochseefischereiflotte besteht aus knapp 20 Trawlern. Die meisten dieser 50 bis 60 Meter langen Schiffe, die zwölf bis vierzehn Seemeilen laufen und äußerst seetüchtig sind, fassen zwischen 5000 und 6000 Korb Fisch; das sind ebenso viele Zentner. Die neuesten Schiffe jedoch werden erheblich größer sein. M a n baut Fabrikschiffe. Die Hochseefischerei ist dabei, sich umzustellen. Sie muß es, weil der Heringsfang in der Nordsee nicht mehr recht einträglich gewesen ist und weil auch auf den bisherigen Frischfischgründen, bei Island etwa, nur wenig ins Netz geht; vor allem deshalb, weil die Isländer ihre Hoheitsgrenzen erheblich erweitert und damit den Fang in der Nähe ihrer Küsten verboten haben.
Als ein Dorado erwies sich die »Cap San Lorenzo« für die Photographen. Munter klickten sie in den Nebel hinein, vor allem vom Peildeck herunter, das sich dort befindet, wo sonst
So sind die Trawler-Kapitäne - Trawl heißt das Grundschleppnetz auf Englisch - gezwungen, sich bei Grönland und Labrador neue Fischgründe zu suchen. Das aber bedeutet: die 113
Fangreisen dauern länger, die herkömmliche Eiskühlung genügt nicht mehr. Das Fabrikschiff - Kostenpunkt: rund fünf Millionen Mark! - soll Wandel schaffen. A n Bord dieser modernen Hecktrawler wird ein Teil der Fische gleich verarbeitet oder aber gefroren und ist dann unbegrenzt haltbar. 57: Rotbarsch Die Hochseefischer, die von dem sprechen, was sie fangen, von den Fischen also, unterscheiden d a sehr deutlich. »Fisch«, das ist alles, was ihnen unter Island und bei Spitzbergen, in der Barentssee, bei Grönland, Neufundland oder gar bei Labrador ins Netz geht. Das ist der großmäulige Kabeljau, der dunkelhäutige Seelachs und der glotzäugige Rotbarsch, das sind Schellfische, Lengfische, Katfische, das ist der q u a dratische Rochen mit einer möglichen Länge und Brette von 1,50 Meter, der superhäßliche Seeteufel und der bis zu zweieinhalb Meter lange und vier Zentner schwere Heilbutt. Kein Fisch d a g e g e n ist für sie der Hering, ihn kennt man allein unter seinem Namen, und zuweilen sagen sie auch »König Hering«. Diese Auszeichnung jedoch verdient er nicht mehr. Denn der Hering hat sich rar gemacht. Die Fänge sind nur noch ein Drittel so hoch wie vor etwa zehn Jahren. Die Wissenschaftler versuchen mit allen Mitteln und auf internationaler Basis, dem Warum auf die Spur zu kommen. Hunderttausende von Heringen sind schon markiert worden, damit man erfährt, wie sie ziehen, wo sie bleiben. Vorerst ist man nur auf Vermutungen angewiesen. Vielleicht, daß die Erwärmung des Meerwassers, die man in den letzten Jahrzehnten beobachten konnte, ihre Lebensgewohnheifen verändert hat und sie a n dere W e g e ziehen ließ. Doch war der Hering immer ein rätselhafter Geselle; bereits zur Hansezeit blieb er, wie man weiß, ziemlich plötzlich seinen angestammten Gründen bei Schonen (in der Ostsee) fern und ließ einen blühenden Zweig der hansischen Wirtschaft verkümmern. Die Jagd auf den Hering beginnt stets im Juli, dann, wenn er seinen Laichgebieten auf den großen Bänken der Nordsee, dem Fladengrund und der Doggerbank, zustrebt. Etwa im Skagerrak überwintert der Nordseehering, zieht darauf nach Norden und Nordwesten, frißt sich unterwegs fett und wendet sich schließlich nach Süden. W e n n die großen Schwärme den 59. Breitengrad überschreiten, ist es soweit. Dann werfen die Fischdampfer die Leinen los, und die Kapitäne erhoffen sich bis zum Oktober und November hin kurze Reisen von nur acht Tagen, jedesmal ein volles Schiff und im Hafen einen guten Preis. Leider hat diese Hoffnung, wie gesagt, in den letzten Jahren immer wieder getrogen. Gewissermaßen umgekehrt ist es den Fischern mit dem Rotbarsch ergangen. Als begehrten Speisefisch kennt man ihn noch keine vier Jahrzehnte. M a n »entdeckte« ihn erst, als man in den zwanziger Jahren mit dem Grundschleppnetz auf größere Tiefen ging, auf mehr als 300 Meter, die bis dahin die Grenze waren. Heute steht dieser Fisch mit dem leuchtendrofen, dunkelmarmorierten Rücken und den etwas helleren Seiten- und Bauchpartien hinter dem Kabeljau neben Seelachs und Schellfisch an vorderster Stelle im Fischfang. 58: Sdiulln, frische Schulln! »Mattgood« nennen die Finkenwerder die wertvollsten Fische, die sie mit ihren Kuttern fangen. Dazu gehören vor allem Steinbutt und Seezungen. Der Name entstand, weil die Fischer diese Delikatessen einst unter Strohmatten auf Eis packten, damit sie ganz frisch blieben. Zuweilen kommen die Finkenwerder Kutter noch in Hamburg zum Markt. Wenn's dann gerade Sonntagmorgen ist, legen sie wohl unten beim Fischmarkt an und verkaufen gleich von 114
Bord, wie in den alten Zeiten. Meistens jedoch löschen die Finkwarder, wie sie sich nennen, ihre Fänge in Cuxhaven. So sparen sie den langen Elbeweg. Und nur einmal ist der kleine Hafen auf ihrer Insel gedrängt voll: zwischen Weihnachten und Neujahr. Rund 80 Hochseekutter sind auf der berühmten hamburgischen Elbinsel beheimatet. Noch immer steht a m Heck ihrer Kutter Finkenwärder mit »ä«, der amtlichen Schreibweise zum Trotz. Ihr Revier ist die Nordsee. Weil die Fische in der Deutschen Bucht nicht mehr so reichlich sind, gehen auch sie mit den nur etwa 30 Meter langen (jedoch sehr stark gebauten) Kuttern zeitweise weit draußen auf Heringsfang. Da jedoch ist es für sie nicht ganz leicht, mit den Fischdampfern zu konkurrieren; denn ihre Schiffe fassen allenfalls 1200 Zentner, müssen also häufiger zum Markt. Aber die Fischer tauschen nicht. Aus Tradition nicht und weil sie ihre eigenen Planken unter den Füßen haben. Zur Hauptsache sind sie nach wie vor »op Schulln und Tungen«, bringen sie vor allem Edelfische an: Schollen, Seezungen, Scharben, Steinbutt, Kleiß. M ö g e n deren M e n g e n nicht imponierend sein, der Preis, den die Fischer pro Pfund erhalten, übertrifft den der Fischdampferware um ein Mehrfaches. Einige auch pflegen Thunfische zu angeln, diese zweieinhalb Meter langen Burschen, die mit einer Geschwindigkeit von 60 bis 70 Kilometern pro Stunde in die Heringsschwärme einbrechen und pro Tag eine Mahlzeit brauchen, die ihrem Gewicht entspricht. Finkenwerder ist heute das wohl seltsamste, gegensätzlichste Stück Hamburg. Aus den 3500 Einwohnern um die Jahrhundertwende sind 18000 geworden, und es werden immer noch mehr. Wohl wohnen die Fischer noch hinter dem Deich, aber davor fließt nicht mehr die Elbe; dort dehnen sich auf aufgespültem Gelände Wohnsiedlungen, recken sich die Kräne der Deutschen Werft in die Luff. Der Strom ist weit entfernt. Doch sprechen die Alfeingesessenen weiterhin ihr Platt. Der Fischerberuf vererbt sich wie früher vielfach vom Vater auf den Sohn. Und jeder, der nicht dort geboren ist, bleibt für sie ein »Butenlanner«. In der höchsten Blüte stand ihre Fischerei in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. 1887 waren auf der Insel 187 Fischereifahrzeuge beheimatet. Dann aber kamen die Fischdampter auf und wurden zur harten Konkurrenz. Immer weiter mußten sich die Finkenwerder mit ihren Ewern, den kleinen Segelschiffen, in die Nordsee hinauswagen, wenn sie bestehen wollten. V o n 1835 bis jetzt sind 145 Fischereifahrzeuge der Insel auf See geblieben. In der sfurmreichen Zeit von 1900 bis 1910 kamen jährlich fünf oder sechs nicht zurück. Das war die Zeit, der Gorch Fock (Johann Kienau), Sohn eines Seefischers, mit seinem Roman »Seefahrt ist not« ein Denkmal gesetzt hat. 59: Der Hebel steigt... Eis treibt auf dem Strom. Die Schollen scheinen zu dampfen. Tatsächlich jedoch ist es umgekehrt. Sie halten mit der Kälte, die sie über sich verbreiten, die letzten Nebelfetzen fest, die die Sonne ohne sie längst in ein Nichts hätte zerfließen lassen. Nun aber hat sie es geschafft. Die Schiffahrt ist wieder in G a n g . In wenigen Minuten wird von dem dicken weißlichen Grau, das noch vor einer Stunde über dem Wasser lag, nichts mehr zu sehen sein. Es gibt einen strahlenden Wintertag. 60-45: Fischmarkt am Sonntagmorgen Der Fischmarkt beginnt im Sommer um sechs Uhr in der Frühe. Dennoch ist er nicht für Frühaufsteher geschaffen worden. Ober den Fischmarkt zu schlendern, ist das Vorrecht jener, die in der Nacht über die Reeperbahn gebummelt sind.
Das jedenfalls ist die landläufige Meinung. Sie geh) jedoch mit der Ansicht etlicher Hamburger keineswegs konform. Es gibt nicht wenige, die am Sonntag ziemlich früh aus den Federn fallen, das Fahrrad, das M o p e d oder auch nur Schusters Rappen satteln und Richtung Fischmarkt ziehen. Denn auf dem Fischmarkf kann man schnell nicht nur das einkaufen, was man am Sonnabend zu besorgen vergessen hat; dort ist auch sonst mancherlei feil, v o m Papagei bis zum Gänseküken, vom Dlschinken bis zur indischen Buddhafigur und zu sonstigen Raritäten aus aller Welt, vom gebrauchten Anzug bis zur Banane, die zu einem Spottpreis angeboten und zunächst einmal »für umsonst« durch die Luft unters Volk geworfen wird. Dieses Volk ist so gemischt, wie es in einer Hafenstadt von 1,8 Millionen Einwohnern nur sein kann. Wohlhabende und Arme, Einheimische und Fremde, Vornehme und Betrunkene, Cröhlende, Lallende — alle zieht der Fischmarkt in seinen Bann. W e r dort ein Geschäft abschließt, kann natürlich auch an den Unrechten geraten und »heifje« W a r e erstehen. Aber wo in aller Welt kann man das nicht, wenn man auf der Straße kauft? Die Skala der Händler jedenfalls reicht vom Original über den alten M a n n , der sich zu seiner kargen Rente ein paar Pfennige hinzuverdient bis hin zum soliden Kleinbürger. Manche der Frauen könnten Puvogel heißen und die Mutter von Klein-Erna sein. Frage jedoch: gehört der Fischmarkf eigentlich zum Hafen? V o n seinem Äußeren her betrachtet: nein. Das darf man sagen, ohbwohl die Norderelbe nur hundert Meter entfernt vorbeifließt. Fisch, dem er seinen Namen verdankt, gibt's dort kaum noch zu kaufen. Allenfalls macht unten a m Kai mal ein Kutter fest. Und doch ist der Fischmarkt nicht denkbar ohne den Hafen. Denn nicht jene, die dort Attraktion, Amüsement und Lärm suchen, haben ihn entstehen lassen. Sondern jene, die im Hafen und a m Hafen zu Haus sind. Die Fischverkäufer und die Fischfrauen haben ihm einst den Stempel ihrer Art aufgedrückt. Und die waren irgendwie alle Originale. W i e etwa die Alte, die beim Aalabziehen von einer aufgeregten Fremden mit den Worten »Aber Frau, das ist doch Tierquälereil« bedacht wurde und darauf seelenruhig antwortete: »Ooch, min Beste, dat hett nicks to seggn; dat mook ick nu all veertig Johr; dor hebbt de Aal sick so bi lütten an geweunf.« 66: Llplzzaner via Hamburg Dieses Bild, verschweigen wir es nicht, ist deshalb ins Buch gekommen, weil Photograph und Autor auch - Pferdenarren sind. Im übrigen zeigt es einmal mehr, wie universell der Hafen tatsächlich ist. V o n der weißen M a u s bis zum tonnenschweren Elefanten gibt es nichts, das seine Arbeiter und Geräte vor Probleme stellen könnte. Eine Quarantäne-Station ist natürlich auch vorhanden. Und zu bemerken ist, daß es an Bord der Schiffe im allgemeinen niemand so gut hat wie Tiere. Janmaat ist ein großer Freund der Kreatur. Erbfeindschaft besteht allein zwischen ihm und dem Hai. Aus Osterreich kam dieser Lipizzaner zusammen mit anderen seiner Rasse nach Hamburg, um hier die Reise über den Großen Teich anzutreten. Die Hansestadt a n der Elbe nämlich ist einer der wichtigsten Oberseehäfen für das Binnenland an Donau und Inn; sie rangiert hinter Triesf an zweiter Stelle. 67: FrShlingssonne Die St.-Pauli-Landungsbrücken sind nicht allein der HafenBalkon für die Hamburg-Besucher. Sie sind, wenn nur die Sonne ein wenig scheint, auch der schönste Platz für die Alten aus der christlichen Seefahrt. Nur wenige hundert Schritt entfernt haben sie, 95 an der Zahl, ihr Heim.
Manches Schiffsmodell und manches Buddelschipp (Flaschenschiff) pflegen sie dort noch auf ihre alten Tage zu basteln, manchen Skat zu dreschen. A m liebsten aber sitzen sie a m Wasser. V o n den Schiffen kommen sie nicht los. Ihr Heim mit den Ein- und Zweibettzimmern und den Gemeinschaftsräumen in jeder Etage, gelegen in der Karpfangerstraße, ist 1953 gebaut worden. Aber - was will das schon heißen I Tatsächlich steht ihr Haus - wenn es auch im Laufe der Zeit drei G e b ä u d e waren - gut vierhundert Jahre. Und wenn ein ganz besonderer Anlaß ist, dann lassen sie einen Pokal kreisen, der vor mehr als dreihundert Jahren nachweislich aus dem Silberschatz des Seeräubers Klaus Störtebecker geschmiedet worden ist, den die Hamburger 1401 gefangen und enthauptet haben. Im Jahre 1559 ist an der Schaartorbrücke das erste Haus für notleidende Seefahrer, calamitosos nautas, wie man damals sagte, gebaut worden. Der Rat der Stadt hat das Grundstück geschenkt, die Bauherren waren die Schiffergesellschaft und der Gemeine Kaufmann, die Vereinigung der Kaufleufe. »Trosthaus« nannte man das Heim. Entstanden ist es zu einer Zeit, in der besonders viele Seeleute Unbill erleiden mußten. Es waren die Jahrzehnte, in der kein Schiff vor den türkischen und maurischen Barbaresken sicher sein konnte, in der Ungezählte in die Sklaverei mußten und wohl fast immer als Kranke und Krüppel heimkehrten - wenn überhaupt. Die einzige Möglichkeit, die versklavten Seeleute freizubekommen, war das Loskaufen. Deshalb hat man 1624 eine Sklavenkasse gegründet, »zu welcher ein jeder der von der Stadt fahrenden Steuer- oder Bootsleute ein gewisses von seinen Reisen contribuiren« mußte. Außerdem kam bald darauf, allein für die Kapitäne und Steuerleute, die »Casse der Stücke von Achten« hinzu. Woher ihr seltsamer Name stammt? Im gesamten Mittelmeerraum war damals eine spanische Münze, der kastilianische »Peso de ocfo«, die g ä n g i g e Lösegeld-Währung. Wörtlich übersetzt: Stück von Acht. Das erste Seefahrer-Armenhaus hat mehr als 200 Jahre überdauert. Als es baufällig geworden war, brach man es a b und baute - 1774 - auf den alten Fundamenten ein neues stattliches Gebäude. Viele Hamburger kennen es noch und erinnern sich an die kupferne Tafel neben der Tür. Eine Bark in Seenot war darauf zu sehen, und darunter stand: »Gebt den Seefahrer-Armen um Golfes Willen!« Dieses Haus, in dem die Alten in hölzernen Zimmer-Galerien wohnten, in das sie sich für 60 M a r k einkaufen konnten, ist 1943 zerstört worden. Zehn Jahre später stand, wenn auch auf anderem Grundstück, das neue Heim. Bauherr war die Seemannsmission, und viele Hamburger haben geholfen. 68: Es klart auf Stundenlang hat das Dröhnen der Schiffssirenen den Elbanwohnern in den Ohren gelegen. Nun klart es auf. Die Sonne ist durchgekommen. W e n n sie auch gelblich-verschwommen im Dunst erscheint - das genügt schon. Es ist sichtig genug. Fast in Kiellinie werden nun die Frachter aufkommen, die bisher nur mit ganz langsamer Fahrt vorwärtsschlichen oder sich einen Ankerplatz gesucht haften. Für die Lotsen, die Festmacher, die Schlepperleute beginnen ein paar harte Stunden. Und im Hafen wird man zusätzliche Arbeitskräfte gebrauchen. Mit Sicherheit wird am A b e n d über das Radio die Reserve aufgeboten werden, wird man die »Unständigen« aufrufen. Es gibt sie trotz der Vollbeschäftigung; denn in einer Stadt von fast zwei Millionen fehlen nun einmal jene nicht, die die Ungebundenheit der festen Arbeitszeit und dem garantierten Lohn, die das ungeregelte dem geregelten Leben vorziehen. Nebel ist nach wie vor etwas, das der Seemann gar nicht liebt. Trotz des Radargeräts. Denn auch das modernste 115
Radar ist nur ein Hilfsmittel, sich durch die graue Finsternis hindurchzulavieren, an fahrenden und an ankernden Schiffen vorbei. Schließlich ist das Fahrwasser der Unterelbe in der Nähe Hamburgs nur gut zweihundert Meter breit, nicht so sehr viel, wenn man bedenkt, daß ein großer Tanker von Bordwand zu Bordwand rund dreißig Meter mißt. Erst allmählich weifet es sich in Richtung Nordsee zu dreihundert, vierhundert Meter, um bei Cuxhaven eine Breite von etwa siebenhundert Meter zu erreichen. Das Radar entbindet Kapitän und Lotsen nicht von der Verpflichtung, sich bei der Nebelfahrt auch akustisch bemerkbar zu machen. Alle zwei Minuten ein langer Ton bedeutet: wir machen Fahrt durchs Wasser; alle zwei Minuten zwei lange Töne: treiben mit gestoppter Maschine; alle zwei Minuten ein lang, zwei kurz: wir sind ein Schleppzug oder ein begrenzt manövrierfähiges Fahrzeug; und alle Minute ein fünf Sekunden langes Läuten mit der Schiffsglocke sagt: hier liegt ein Fahrzeug vor Anker. Nebel fritt auf der Unferelbe vornehmlich in den Wintermonafen auf. A m nebelreichsten sind der Dezember, der Januar und der März. A n jeweils sechs bis acht Tagen dieser Monate ist mit sehr schlechter Sicht zu rechnen. Die Ursache liegt auf der Hand. Im Winter ist die Luff feucht, und nachts kühlt sie stark ab, so daß sie dann übersättigt wird. Etwas günstiger ist die L a g e im November und Februar. Im November ist die nächtliche Abkühlung noch nicht so stark wie einige Wochen später, d a das vom Sommer her noch ziemlich warme Wasser für einen Ausgleich sorgt; und im Februar ist die Luft bei anhaltendem Frostwetter häufiger als in den anderen Winfermonafen recht trocken. An 50 bis 60 Tagen im Jahr ist Nebel zu erwarten. Natürlich muß das nicht heißen, daß es dann überall, von Hamburg bis zum Feuerschiff Elbe I, gleich dick ist. Nebel triff vielfach nur schwadenweise auf und wird vom Wind langsam weitergetrieben. Im Durchschnitt dauert er bei Hamburg knapp fünf Stunden. Vorwiegend bildet er sich in den frühen Morgenstunden, und meistens hat die Sonne, die die Luff erwärmt und sie befähigt, mehr Feuchtigkeit aufzunehmen, ihn zu Mittag aufgesogen. Es kann aber auch - g a n z selten zwar und keinesfalls alle Jahre - vorkommen, daß volle vier Tage lang Nebel über der Unterelbe liegt. Im übrigen: Nebel herrscht laut den Bestimmungen des Wetterdienstes dann, wenn Sichfmarken - Gebäude, Bojen, Fahrzeuge in tausend Meter Entfernung nicht mehr deutlich als solche erkannt werden können. Die Wirkung, die der Nebel einst auf die Schiffahrt ausübte, hat er heule nicht mehr. Er kann nicht mehr den ganzen Betrieb auf der Unferelbe und damit einen Teil der Arbeit im Hafen lahmlegen. Denn die kurzwelligen elektromagnetischen Radarsfrahlen (von einer Antenne ausgesandt, von den Gegenständen, auf die sie treffen, reflektiert, von derselben rotierenden Antenne wieder aufgefangen) machen auf einem Bildschirm als Lichtpunkte deutlich, wo die Fahrwassertonnen stehen, wo die Küste beginnt, was im Fahrwasser schwimmt. Die Bordradargeräte sind immer noch vervollkommnet worden, und außerdem wurde an der Elbe und im Hafen die Radarleitsfraße errichtet. In bestimmten Abständen drehen sich am Ufer auf hohen Giftermasten die Antennen; sie senden ihre Bilder zu drei Leitstationen. Dort sitzen geschulte Männer vor den Bildschirmen, neben sich ein Funksprechgerät. Ihr Gesprächspartner ist jeweils der Lotse auf der Brücke eines Schiffes, der gleichfalls ein (tragbares) Funkgerät bei sich hat. Vom Radarberaler an Land wird der Lotse über alles informiert, was auf der Elbe im Nebel geschieht, und er wird sozusagen von Leifstation zu Leitstation weitergereicht. Diese Methode besitzt einen großen Vorteil: Der Beobachter am 116
Landradargerät hat einen festen Standpunkt, er bewegt sich nicht, er kennt seinen Streckenabschnitt vom Elbe-Revier inund auswendig; er also weiß jeden neu auftretenden und jeden sich verändernden Lichtpunkt auf der dunklen Scheibe seines Geräts sofort zu deuten. Vor allem aber gibt er zusätzliche Informationen, weil j a zugleich an Bord auch das Radargerät des Schiffes besetzt ist. Schon immer hat bei der Seefahrt dieser Grundsatz gegolten, in der Nebelfahrt wird er noch zwingender: vier Augen sehen mehr als zwei. 69: Schutenschipper Richtig heißen die Männer, die im Hafen auf den Schufen arbeiten, »Ewerführer«. Sie haben ein Stück der alten Zeit in unsere Tage hinübergerettet. Wenn sie zum Beispiel die mit Kohlen beladenen Schufen vom Bleichenfleet, dem »Schwarzen Meer«, wie sie sagen, zum Alsterfleet bringen, wenn sie den mehr als engen Verbindungskanal am Neuen Wall passieren und sich darauf zur Kleinen Alster durchschleusen lassen, wenn sie ihre schweren Kähne, am langen Peekhaken stemmend oder ziehend, mit Muskelkraft vorwärtsbewegen und um die kniffligsten Ecken zwingen, dann zeigt das: so kamen einst alle Güter von den Schiffen in die an den Fleefen liegenden Speicher, so wurden einst auch die Schiffe, die im Strom festgemacht hatten, beladen. Doch irrt, wer d a meinf, die Ewerführer und ihre Schuten seien ein Anachronismus in einem modernen Hafen, ein Überbleibsel, c n dem nur noch einige aus Tradition festhalfen. So ist es nicht. Die rund 2700 offenen oder gedeckten Schufen, die zusammen eine Tragfähigkeit von beinahe 400000 Tonnen haben, befördern auch heute noch - von Schleppern oder Barkassen bugsiert - den größten Teil der Güter zwischen den Schiffen und den Speichern. Im Zwischenverkehr zu den Küstenschiffen und zu den Getreidesilos werden sie gleichfalls eingesetzt. Sie sind ein wesentliches Element des »schnellen« Hafens. G a n z früher allerdings versahen sogenannte Jollen - große, offene Boote, die gerudert wurden - den Warenfransport zwischen den an den Pfählen liegenden Seglern und dem Land. Da waren die Ewer, von denen die Ewerführer ihren Namen haben, flachgehende Segelschiffe, die als Kiel-Ersatz an beiden Bordwänden Stabilisierungsflossen hatten - sogenannte Schwerter, die in seichfem Wasser, wenn man vom Segeln zum Staken übergehen mußte, hochgezogen wurden. Diese Ewer dienten vor allem dem Güterverkehr auf der Unferelbe. Später dann arbeitefen die kleinen Jollen nicht mehr rationell und schnell genug: d a übernahmen die plaffbodigen Ewer deren Funktion und wurden zu Schuten. Diese Entwicklung setzte ein zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. In den vierziger Jahren wurden im Hafen damals die ersten Ewerführereien gegründet. 70: Saugrüssel in allen Luken »He Lücht« pflegt seinen Gästen, die mit ihm durch den Hafen fahren, angesichts der qualmenden, schwarzen Ungetüme, die hier und d a zu vierf, fünft oder sogar im halben Dutzend ein Schiff flankieren, zu sagen, indem er auf deren Rohre und Saugrüssel hinweist: »Das, meine Herrschaften, sind die Groß-Sfaubsauger des Hafens - reinigen jedes Schiff in kurzer Z e i l . . . « Nun, das ist Garn. Gleichwohl aber: Sauger sind sie, mögen sie auch Heber heißen. Nur mit ihrer Hilfe ist es möglich, einige zehntausend Tonnen Getreide oder Ölfrüchte (wie Sojabohnen für die Margarine-Industrie) in wenigen Tagen zu löschen. Siebzehn dieser schwimmenden Getreideheber, die pneumatisch arbeiten und deshalb mit Unterdrück erzeugenden Luftpumpen ausgerüstet sind, stehen im Hafen bereit. Bis zu 330 Tonnen schafft ein solcher Heber in der Stunde,
doch ist seine Leistung von den Arbeitsbedingungen a b hängig: ob die Ladung in kleine Schuten, ob sie in Kähne, in Küstenschiffe oder gar in ein Seeschiff umgeschlagen wird, darauf kommt es an. Eine Schute zum Beispiel ist schon in zehn Minuten voll und mufj dann verholt w e r d e n . . . Hamburg ist einer der bedeutendsten Getreideeinfuhrhäfen Europas. Rund zwei Millionen Tonnen Getreide und eine Million Tonnen Ölfrüchte werden hier jährlich umgeschlagen. Die Ölfrucht- und Olsaaf-Importe bleiben fast ausschließlich am Ort; denn die Stadt beherbergt 40 Prozent der deutschen Olmühlenindustrie. Beim Getreide ist es anders: ein nicht geringer Teil geht mit der Bahn oder dem Elbkahn ins Binnenland, bis in die Tschechoslowakei; ein noch größerer Teil aber wird in Küstenschiffe umgeschlagen und von diesen zu den kleinen deutschen Häfen oder nach Skandinavien befördert. Hamburg ist wieder, man darf es sagen, der Haupfgetreidehafen von Dänemark und Schweden. Außerdem können rund 500000 Tonnen Getreide in Silos eingelagert werden; die meisten liegen an tiefem Wasser und erhalten das Lagergut - 47 stationäre Heber stehen dafür an ihren Kais - direkt aus dem Seeschiff. A propos SeeschiffI Sollte »He Lücht« einmal berichten: »Und dort, meine Herrschaften, sehen Sie, wie ein GetreideTanker gelöscht wird . . . « - dann ist das nicht gesponnen. Denn manches Tankschiff, das eigentlich für den Transport von Rohöl gebaut worden ist, hat schon, weil die Olfrachtraten zu niedrig waren, Getreide über den Großen Teich geschleppt. Für die Saugrüssel der Heber sind die engen Luken und tiefen Tanks kein Problem, So sind bereits Tanker elbauf gekommen, die gut 30000 Tonnen Getreide im Bauch hatten und damit fast elf Meter tief gingen. Wer »He Lücht« ist, braucht den Hamburgern nicht erläutert zu werden. Dennoch sei es hier erklärt: er ist der freundliche Mann, der auf den Fähren und Barkassen, die zur Hafenrundfahrt starten, mit dem Mikrofon in der Hand den Bärenführer macht und dabei mit Tausenden von Tonnen nur so um sich wirft. Er selbst übersetzt seinen Namen so: »Er leuchtet«. Die Schauerleute dagegen sagen es anders. Wenn seine Stimme zu ihnen hinüberschallt, dann pflegt einer das Kommando zu geben, indem er langsam bis drei zählt: »Een, twee, d r e e . . . « . Und im Chor hallt es so prompt wie laut über das Wasser: »He - lücht!« Das heißt g a n z schlicht: »Er lügt«. 71: Ein Tanker kommt auf Pardon! Dafür, daß hier ein kleines Zahlen-Kolleg steht. Aber es muß sein. Hamburg ist heute mit rund 280000 Industrie-Beschäftigten (von 920000 Beschäftigten insgesamt) die größte deutsche Industriestadt. Die Industrie rangiert vor Handel (210 000 Beschäftigte) und Verkehr (100000) an erster Stelle. Der überwiegende Teil der Industrie liegt am Hafen oder ist zumindest in der Rohstoffeinfuhr und auch im Abtransport der Erzeugnisse vom Hafen abhängig. In der Statistik der Beschäftigten hält der Schiffbau mit 31 000 Personen die Spitze vor dem Maschinenbau (29000), der Elektrotechnik (28000), der Chemie (18000) sowie der Kautschuk- und Asbestindustrie (14000). Mit gut 8000 folgt die Mineralölindustrie an sechster Stelle. Nimmt man jedoch den Umsatz zum Maßstab, dann ist die Mineralölindustrie mit 2700 Millionen Mark jährlich weit voraus die Nummer eins; auf den Plätzen folgen die Elektrotechnik (1270 Millionen Mark), der Tabak (1160), die Chemie (900), der Schiffbau (800), der Maschinenbau ( 7 0 0 ) . . . Anders ausgedrückt: m.it drei Prozent der Industrie-Beschäftigten schafft die Mineralölindustrie etwa 20 Prozent des
Industrie-Umsatzes in der Hansestadt. W a s bedeutet, daß sie einiges Geld auch in die Kassen des Staates bringt und daß man deshalb einigen Grund hatte, Gelände für die Ausweitung ihrer Raffinerien zur Verfügung zu stellen, ihr neue Häfen für die Tankschiffe zu bauen und die Elbe für die Tanker von zehn auf eil Meter zu vertiefen. Andere Zahlen machen gleichfalls deutlich, welchen Wert das Mineralöl für den Hafen hat. Die Raffinerien setzen jährlich fast acht Millionen Tonnen Rohöl durch und transportieren rund drei Millionen Tonnen ihrer Fertigprodukte mit Schiffen wieder ab. Das ist ein Umschlag von nahezu elf Millionen Tonnen und damit mehr als ein Drittel des Gesamtumschlags im Hafen. Tanker von etwa 40000 Tonnen Tragfähigkeit und elf Meter Tiefgang kommen bereits die Elbe herauf. Allerdings müssen sie eine günstige Zeit abpassen: so beim Feuerschiff »Elbe II« eintreffen, daß sie das Hochwasser ausnutzen können. Im Vortopp heißen sie bei dieser Reise am Tage einen großen schwarzen Zylinder, nachts zeigen sie im Vordermast zusätzlich ein rotes Licht. Beides bedeutet: hier kommt ein Wegerechtschiff, das seiner Größe wegen das tiefste Fahrwasser beansprucht, quasi also Vorfahrt hat. Janmaat, der auf solchen Tankern fährt, tut gut daran, sich auf See ausgiebig und sehr lange auf die Hafenliegezeit zu freuen. Denn das Vergnügen an Land ist um so kürzer. In 15 bis 20 Stunden ist ein 40000-Tonner leergepumpf. Für einen zweiten St. Pauli-Bummel reicht es nur dann, wenn eine Werftüberholung fällig ist. 72: Auf Fähre VII »Fähre sieben« - das war früher ein Begriff besonderer Art. Denn Fähre VII hatte unterhalb der Landungsbrücken ihren eigenen Anlegeplatz und ihre eigene kleine Kneipe gleichen Namens. Und die »Seute Deern« lag in der Nähe. »Fähre sieben«, das war mehr als nur eine Schiffsverbindung in den Hafen. Jedoch: wo die Fähre VII einst festmachte, ist es heute still geworden. Wohl gibt es noch die kleine Wirtschaft dieses Namens, die Menschenfracht der Fähre aber mischt sich seil einigen Jahren schon mit der anderen, die auf den Landungsbrücken zusammenströmt. Fähre sieben hat ihren speziellen Landeplatz verloren. Dennoch ist sie etwas Besonderes geblieben. Man lese nur die Namen, die auf dem Fahrplan der kleinen Schiffe mit der zweimal diagonal geteilten rotweißen F l a g g e stehen: Kaiser-Wilhelm-Höft, Ellerholzhöft, R o ß h ö f t . . . Für den Kundigen bedeuten sie Kuhwerderhafen, Kaiser-Wilhelm-Hafen, Ellerholzhafen, Roßhafen, Oderhafen; mit einem Wort: Kohwarder. Und auf Kuhwerder haben die H a p a g und der Bremer Lloyd und die D D G Hansa ihre Stammschuppen, dort liegen in langer Reihe tagtäglich Holländer, Franzosen, Engländer, Japaner und viele andere. Dort sind die Liegeplätze so begehrt, dort ist der Hafen so prall voll von Leben und von Internationalität wie sonst nirgendwo. Fähre VII ist davon das Abbild. 73-74: Blöcke aus dem Urwald Samba? - Dumme Frage, natürlich weiß man, was das ist. Und doch weiß man es, ein paar Spezialisten ausgenommen, nicht. Denn im Hafen ist Samba etwas ganz anderes. Da steht es in einer Reihe mit Limba und Abachi, mit W a w a und llomba, mit Kambala und Okoumé. Womit wahrscheinlich noch immer etliches unklar bleibt. So sei die Liste denn fortgesetzt. Auch Makoré, Pitchpine und Palisander, Nußbaum, Zeder, Mahagoni und nicht zuletzt das so begehrte 117
Teak g e h ö r e n d a z u . A l s o ist d e u t l i c h : v o m H o l z ist hier d i e Rede, v o m Rundholz, d a s aus d e n T r o p e n k o m m t . H a m b u r g ist, d a m i t d e r übliche S u p e r l a t i v nicht fehle, auch d a f ü r d e r b e d e u t e n d s t e deutsche I m p o r t p l a t z . Eine v i e r t e l M i l l i o n Tonnen e t w a k o m m e n jährlich Stamm für Stamm herein. Besser muß m a n s a g e n Block für Block. Denn d i e Stämme d e r U r w a l d r i e s e n sind als G a n z e s nicht zu verschiffen. U n d das nicht nur w e g e n ihrer L ä n g e v o n z w a n z i g o d e r d r e i ß i g M e t e r n o d e r mehr. Draußen auf G r i e s e n w e r d e r , w o keine Fähre a n l e g t , w o h i n auch k e i n Bus fährt, w o d e r H a f e n - es ist k a u m zu g l a u b e n , a b e r es stimmt - stellenweise eine g r ü n e W i l d n i s ist, d o r t l i e g t a m Ende einer K a i z u n g e d e r g r ö ß t e Lösch- u n d S t a p e l p l a t z für tropische Hölzer. Er ist einer v o n d r e i Plätzen dieser A r t in H a m b u r g . Seine z e h n nach b e i d e n Kaiseiten hin o f f e n e n H a l l e n stehen auf Pfählen, d i e bis zu 24 M e t e r l a n g sind; u n d einer d e r b e i d e n Kais mußte, w e i l der U n t e r g r u n d a l l z u m o o r i g w a r , einst a u f 21 Caissons g e g r ü n d e t w e r d e n , als e i n z i g e r K a i a n d e r Elbe. Die Firma, d i e diesen Platz für d i e I m p o r t e u r e b e t r e i b t , ist w e i t b e k a n n t : J . F . M ü l l e r & Sohn A . G . , Holzumschlag sowie A g e n t e n u n d M a k l e r für tropische H ö l z e r . Sie kennt sich in d e r Branche seit mehr als e i n e i n h a l b J a h r h u n d e r t e n aus, d e n n schon 1795 machte J a c o b Friedrich M ü l l e r ein Kommissionsgeschäft a u f u n d h a t t e d a b e i auch mit F a r b h ö l z e r n zu tun. Im ü b r i g e n a b e r h a b e n d i e H a m b u r g e r Holz gelöscht, s o l a n g e ihre Stadt steht. O h n e Holz w ä r e sie schließlich g a r nicht erst g e b a u t w o r d e n . H o l z u n d G e t r e i d e w a r e n d i e wichtigsten M a s s e n g ü t e r des mittelalterlichen Hafens. Schon im 17. J a h r h u n d e r t k a m e n auch amerikanische Hölzer herein. A n d e n Kais ist zu b e i d e n Seiten d e r riesigen L a g e r h a l l e n Platz für v i e r Seeschifte. W e n n m a n » r u n d um d i e Uhr« a r b e i t e t , in d r e i Schichten, d a n n schaffen d i e sieben K r ä n e in 24 Stunden a n d i e 3000 T o n n e n aus d e n L a d e r ä u m e n heraus. A u f e i n e m Rundgleis k ö n n e n d i e K r ä n e v o n e i n e m K a i z u m a n d e r e n hinüberwechseln. Die »Deutschland-Kurve« n e n n e n sie auf G r i e s e n w e r d e r ( g r a u e Insel) dieses Gleis. Die L a g e r f l ä c h e ist sieben H e k t a r groß. 3 0 0 0 0 Q u a d r a t m e t e r d a v o n sind ü b e r d a c h t . So lassen sich, w e n n es sein muß, 4 0 0 0 0 T o n n e n Holz witterungsgeschützt u n t e r b r i n g e n . Schutz v o r d e m W e t t e r a l l e r d i n g s b e d e u t e t in diesem Fall nicht Schutz v o r d e m H a m b u r g e r W e t t e r . Das heißt v o r a l l e m : Schutz v o r d e r Sonne. V i e l e tropische H ö l z e r m ö g e n seng e n d e Strahlen nicht. Im Freien ist d a n n noch Platz für e t w a 60000 Tonnen. Rund 90 Prozent d e r H ö l z e r k o m m e n aus A f r i k a , aus d e n U r w ä l d e r n zwischen G h a n a , N i g e r i a u n d d e m K o n g o g e b i e f . Der Rest ist amerikanischer u n d asiatischer Provenienz. Daß d i e Blöcke so schnell u n d reibungslos gelöscht w e r d e n , d a n k t d i e Firma sich selbst. Sie h a t t e einst d i e Idee, nicht mehr mit Stahlstropps zu a r b e i t e n , sondern d i e Stämme v o n g r o ß e n stählernen Z a n g e n , d i e sich ins H o l z h i n e i n b e i ß e n , fassen zu lassen. Eine Kunst für sich ist d a s Stapeln. M i t Hilfe v o n Deckenkränen besorgt m a n d a s in d e n H a l l e n . Jeder Block erhält eine solche L a g e , d a ß er w e d e r rutscht noch rollt. Zusätzlich f ü g t m a n k l e i n e Steine als Bremsklötze ein. So stehen selbst Z w ö l f - M e t e r - S t a p e l , a u s r e c h t w i n k l i g z u e i n andergeschichteten L a g e n g e b a u t , fest w i e e i n Haus. Doch nicht j e n e Stapel h a b e n d e n Chronisten das Staunen g e l e h r t . Das w a r etwas anderes. Es w a r d i e F r a g e : a m Stückg u t k a i ist d e r D r e i - T o n n e n - K r a n d i e N o r m - w o z u um alles in d e r W e l t braucht e i n H o l z u m s c h l a g b e t r i e b , in d e m , mit V e r l a u b , lediglich B a u m s t ä m m e u n d keineswegs stählerne Schwergewichte aus d e n L u k e n d e r Schiffe g e h o l t w e r d e n , K r ä n e , d i e 20 Tonnen h e b e n k ö n n e n u n d j e d e r mittleren W e r f t zur Ehre gereichen würden? Bei M ü l l e r & Sohn lächelte m a n u n d stellte eine G e g e n f r a g e : » W a s schätzen Sie?« Nun,
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d a s w a r so schwer nichf, d e n n d i e H a n d reichte g e r a d e bis a u f d i e o b e r e K a n t e des Blocks, u n d dessen L ä n g e k o n n t e m a n abschreiten: »Gut z w e i M e t e r Durchmesser, sieben M e t e r l a n g . « - » K o m m t hin. U n d w e n n m a n nun für schwere Hölzer ein spezifisches G e w i c h t v o n 0,8 z u g r u n d e legt?« So b e g a n n d e n n d a s Schulwissen T r i u m p h e zu ( e i e r n : R - Q u a d r a t - P i m a l L ä n g e machte r u n d 22 Festmeter, m a l 0,8 e r g a b - fast 18 Tonnen. U n d mit e i n e m w e i t e r e n Lächeln k a m d i e B e s t ä t i g u n g : »Das Dickste, w a s w i r bisher h e r a n b e k o m m e n h a b e n , w o g 22 Tonnen. Ein solches G e w i c h t ist selten. A b e r Blöcke v o n 10 bis 15 T o n n e n sind a l l e T a g e d a b e i . «
75: Am Bananenschuppen Fruchtschiffe sind schnell; sie l a u f e n sechzehn bis achtzehn Knoten. A n Bord ist eine a u s g e k l ü g e l t e Kühltechnik installiert. Ihr Bild ist so g u t w i e immer eine A u g e n w e i d e , u n d d a s nicht nur, w e i l sie v o m Bug bis zum Heck in w e i ß e r F a r b e blitzen. M i t e i n e m W o r t : Fruchtschitfe h a b e n d e n A n f l u g des M o d e r nen. Dennoch f i n d e t m a n in ihren Decks etwas w a h r h a f t A l t e r tümliches. F a h r e n h e i t - T h e r m o m e t e r nämlich. G e f r i e r p u n k t : 32 G r a d ; S i e d e p u n k t : 212 G r a d . Das h a t natürlich seinen G r u n d . Der heißt: B a n a n e n . Die g e l b e n Früchte, d i e v o n diesen Schiffen b e f ö r d e r t w e r d e n , sind d i e empfindlichsten G ü t e r , d i e m a n sich nur d e n k e n k a n n . Schon d a s W ö r t c h e n » g e l b « d ü r f t e hier e i g e n t l i c h g a r nicht stehen. W e i l d i e O f f i z i e r e d e r B a n a n e n d a m p f e r , w i e H e i n S e e m a n n d i e Fruchtmotorschiffe noch immer nennt, u n t e r w e g s alles d a r a n z u s e t z e n h a b e n , d a s G i l b e n ihrer L a d u n g zu v e r h i n d e r n . Eben d r u m messen sie nach F a h r e n h e i t . 52 bis 53 G r a d (11V« G r a d Celsius) h a b e n stets in d e n L a d e r ä u m e n zu herrschen. A n d e r s g i b t es Ä r g e r . Die B a n a n e n müssen g r ü n in H a m b u r g a n k o m m e n . Sind sie erst g e l b , d a n n sind sie bereits auf d e m besten W e g ins V e r d e r b e n . A m m o n i a k - K ü h l m a s c h i n e n sorgen a u f d e n Bananenschiffen für d i e n o t w e n d i g e Temperatur, Propeller h a l t e n d i e Luft s t ä n d i g in B e w e g u n g . Eine E n t f e u c h t u n g s - A n l a g e v e r r i n g e r t d e n W a s s e r d a m p f g e h a l t . M i t Hilfe einer O z o n - A n l a g e b e u g t m a n d e r B i l d u n g v o n Schimmelpilzen v o r , u n d beseitigt m a n v o r d e m B e l a d e n Fremdgerüche. Bis zu 30 Z e n t i m e t e r stark ist d i e Schicht aus A l u m i n i u m t o l i e , d i e B o r d w ä n d e , Decks u n d Schotten isoliert. Schließlich noch h a t a u c h d a s b l e n d e n d e W e i ß d e r A u ß e n h a u t seine B e d e u t u n g als Reflektor d e r w ä r m e n d e n tropischen Sonnenstrahlen. Aufrecht stehen d i e B a n a n e n s f a u d e n in Holzrosten, u n d mit d e r Pünktlichkeit d e r Eisenbahn treffen d i e Schiffe in H a m b u r g e i n : w e i l d i e Frucht es so v e r l a n g t . Für d a s Löschen d e r B a n a n e n h a t d e r H a f e n e i n e n Schuppen g e b a u t , d e r in d e r W e l t e i n m a l i g ist. Zweigeschossig ist er u n d 250 M e t e r l a n g , u n d nicht nur im G e b ä u d e herrscht d i e gewünschte T e m p e r a t u r v o n e t w a zwölf G r a d , s o n d e r n auch in d e n r u n d h e r u m geschlossenen E l e v a t o r e n , in d e r e n Segeltuchtaschen d i e S t a u d e n aus d e m Schiff h e r a u s b e f ö r d e r t w e r d e n (unser Bild). U b e r e i n v i e l v e r z w e i g t e s System v o n T r a n s p o r t b ä n d e r n w a n d e r n sie durch d e n Schuppen. Die reiten B a n a n e n — d i e einen schnellen V e r d e r b w ä h r e n d des W e i t e r t r a n s p o r t s b e w i r k e n w ü r d e n - w e r d e n u n t e r w e g s herausgeschnitten, u n d d a n n w e r d e n d i e S t a u d e n sofort v e r l a d e n . 32 E i s e n b a h n w a g g o n s u n d zahlreiche L a s t z ü g e h a b e n in d e m 30 M e t e r b r e i t e n Schuppen Platz . In z w e i Schichten, in f ü n f z e h n Stunden also, ist eine n o r m a l e Schiffsladung v o n 60000 bis 8 0 0 0 0 S t a u d e n , d i e 1500 bis 2000 Tonnen w i e g e n , gelöscht u n d a u f d i e Reise ins Binnenl a n d gebracht. Kein Wunder, daß zwei v o n drei Bananen, d i e in d e r B u n d e s r e p u b l i k gegessen w e r d e n , ü b e r H a m b u r g h e r e i n k o m m e n : aus E k u a d o r , K o l u m b i e n , d e r D o m i n i k a n i schen R e p u b l i k u n d v o n d e n Kanarischen Inseln. Die H ä f e n , in d e n e n d o r t d i e B a n a n e n g e l a d e n w e r d e n ,
sind häufig gar keine. W o h l gibt es Anlegeplätze, die mit Fließbändern ausgerüstet sind, doch muß es ebensogut noch ein Ankerplatz im Strom tun. Der Urwald ist dann zum Greifen nah. Zu Dutzenden kommen die Früchte in Leichtern längsseits, und von Hunderten von Arbeitern werden die Stauden über schmale Lautplanken in die Kühlräume getragen. Im Gänsemarsch marschieren die Arbeiter, ein Büschel auf dem Nacken, durch die Seifenpforten herein, im Gänsemarsch geht's wieder hinaus. Unaufhörlich kreist die Menschenschlange durchs Schiff: »Pass Banana! - Pass Bananal« Fragt man einen Kapitän, was er und die Mannschaft denn nun in solchem Urwaldkaff anfangen, dann lacht er wohl lauthals: »Bananen laden, sonst nichtsl« Und auf eine unausgesprochene Frage setzt er vielleicht hinzu: »Sie werden staunen, aber Hamburgs Technik ist nicht schneller als drüben etliche hundert Menschen, in zwölf bis achtzehn Stunden haben wir auch dort knapp 2000 Tonnen drin, sind wir voll.« 76: N a Hus, na Husl Jeden Nachmittag ist der Elbfunnel eine knappe Stunde lang für den allgemeinen Fahrzeugverkehr gesperrt; dann gehört er allein den Fußgängern, den Motorrad- und Mopedfahrern, den Zehnfausenden, die aus Werft- und Schuppen-Toren herausströmen - nach Haus. Jeden Nachmittag auch sind die Fährschiffe gepökelt voll von Menschen, die es mehr als eilig haben, an Land zu kommen. Überschrift: Schichtwechsel. Im Hafen wird, wenn es sein muß, »rund um die Uhr« gearbeitet. Es gilt der 24-Sfunden-Tag. V o n montags bis freitags schafft man in drei Schichten zu je 71/2 Stunden, sonnabends und sonntags in vier Schichten zu je sechs Stunden. Natürlich werden in der zweiten und dritten Schicht etwas höhere Löhne gezahlt - aber: schon mancher Kapitän hat die Zeit, die er in anderen Häfen verwarten mußte, in Hamburg wieder aufgeholt, dank der Schichtarbeit. Rund 17000 Hafenarbeiter sind zu jeder Tages- und Nachtzeit einsatzbereit. Dazu gehören die etwa 12000 »festen« Leute der Stauereien, Ewerführereien, Kaiumschlagsbetriebe, Quarfiersleufe, Lagerhäuser, Konfrollfirmen, Wägefirmen, Schiffsreinigungs-Betriebe, Festmacher... Das Unternehmen, das diesen Stamm von Arbeitern jeweils ergänzen kann, heißt »Gesamthafenbetrieb« (GHB). Er hat rund 4000 Arbeiter an der Hand und garantiert ihnen - aus einer von den Hafenbetrieben gespeisten Kasse - einen vollen Wochenlohn auch dann, wenn weniger zu tun ist. Es steht aber auch noch eine zweite Reserve zur Verfügung. Das sind die rund 1000 Hafenaushilfsarbeiter, die »Unständigen«. Die Vermittlungsstelle für sie ist das Arbeitsamt Hafen in der Admiralitäfssfraße, kurz »Admi« genannt. M a n che finden sich dort jeden Morgen, jeden Nachmittag oder jeden A b e n d ein. Manche aber kommen erst, wenn a n allen Kais Hochbetrieb herrscht, wenn sie abends im UKW-Nachrichtendienst aufgerufen werden. Auf die Frage, o b sie nun Lebenskünstler sind oder Gescheiterte, wissen die meisten von ihnen wahrscheinlich nicht einmal selbst eine Antwort zu geben. 77: Ankerplatz Ein wenig verwahrlost, ein wenig enttäuschend sieht der Hafen dort aus, wo dieses Bild entstand. W o h l reiht sich am Johannisbollwerk Laden an Laden, kann Janmaaf dort Junvper und blaue Jacken erstehen, hat der Steuermann dort die Möglichkeit, seinen Vorrat an Tauwerk und Blöcken und Schäkeln zu ergänzen, kann der Besucher aus dem Binnenland in den Andenkenschätzen der Küste wühlen ...; doch wird nebenan, an den Vorsetzen, in unmittelbarer Nähe der •berseebrücke, noch die Erinnerung an den Krieg wach. In einem Straßenzug, von dem man meinen könnte, er müßte
eigentlich der Jungfernstieg des Hafens sein, klafft eine große Baulücke; barackenartige G e b ä u d e und kleine Schuppen erinnern an die Zeit kurz nach 1945; halbmannshohes Gras wächst hinter diesen Schuppen; und selbst das Schiffsausrüstungsgeschäft, vor dessen Tür die Anker liegen, auf dessen Dach ein lustig ausschauender Merkur den Arm in Richtung Himmel und Hafen reckt, erweckt den Eindruck, als ob es nicht recht weiß: ist es hier eigentlich noch a m Platze oder nicht? Das Zwiespältige, das der Fremde dort empfindet, wo er eigentlich nichts als Welthafen erwartet, hat zwei Ursachen. Die eine ist aktueller Natur. Bisher wurde nicht entschieden, ob in dieser G e g e n d ein zweiter Elbtunnel entstehen soll; deshalb ließ man den Wiederaufbau an Baumwall und Vorsetzen noch in der Schwebe. Die zweite ist bereits Geschichte, und sie ist entscheidend; denn vor genau einem Jahrhundert hat der Hafen begonnen, sich von dieser G e g e n d fortzuwenden. Als er zum Welthafen wurde, als ein Hafenbecken nach dem anderen in die Inselwelt jenseits des Stromes hineingebaggerf wurde, verlor die Straße zwischen dem Sfeinhöft und den St. Pauli-Landungsbrücken die überragende Bedeutung, die sie bis dahin gehabt hatte. Der Schiffe Mastenwald verschwand von ihren Ufern. Steinhöft - Baumwall - Vorsetzen - Johannisbollwerk. W o h l kein anderer Sfraßenzug in der Stadt erzählt mit vier Namen auf nur tausend Meter Länge so viel Geschichte wie dieser. Das Steinhöff und ihr Kontrapunkt Kehrwiederspitze waren einst Bastionen, die die Einfahrt zum mittelalterlichen Hafen der Stadt, dem Niederhafen, schützten. Der Baumwall war das südliche Ende des Küterwalles, der zusammen mit dem Neuen Wall die Stadt gegen Westen abschirmte. Als die Hamburger sich dann den holländischen Festungsbaumeister Johann v a n Valckenborgh holten und unter seiner Leitung von 1616 bis 1625 neue riesige Wälle aufschütteten, von denen sie dann fast drei Jahrhunderte lang vor einem Einfall bewahrt wurden, da entstanden, den Strom beherrschend, an der Elbe außerdem die Bastionen Johannes und Albertus. »Albertus« ist noch heute eine ansehnliche Höhe, doch kennen die Hamburger sie unter diesem Namen nicht mehr. Sie ist der Platz, auf dem die Jugendherberge steht und heißt »Stintfang«, weil man an ihrem Fuß in der Elbe vorwiegend die Stinte (kleine Fische) fing, die man als Besteck für die Angeln brauchte. Im Gegensatz dazu ist von »Johannes« lediglich der Name lebendig geblieben. Das Johannisbollwerk war außerhalb der Bastion einst die hölzerne Uferbefestigung, an der die Schiffe anlegen konnten. Und die Vorsetzen waren etwas ähnliches: vor das Ufer gesetzte Liegeplätze aus hölzernen Bohlen. Schon im 17. Jahrhundert wurde der Niederhafen zu klein. So baute man 1642 vor der Kehrwiederspitze noch die Bastion »Hölzern W a m s « und verlegte den schwimmenden Baum, der den Hafen abschloß, stromabwärts. 1655 kam, zur noch besseren Verteidigung der Hafeneinfahrt, das auf Pfählen stehende Blockhaus »Neptunus« hinzu. Schließlich wurde das gesamte Nordufer des Stroms bis hin zu den heutigen Landungsbrücken zum Hafen: Brandenburger Hafen, Rummelhafen und Jonashafen entstanden; man grenzte sie gegen die Elbe hin durch Pfähle und schwimmende Balken (Schiengel) ab. Sie boten das berühmte Bild mit den dicht an dicht liegenden Segelschiffen, die mit Hilfe von Leichtern und kleinen Booten g e löscht und beladen wurden. Und die Uferstraße SteinhöftBaumwall-Vorsetzen-Johannisbollwerk war Stapelplatz für Waren, Versammlungsort der Hafenarbeiter und Einkaufszentrum der Seeleute zugleich. Noch heute scheint dieser Straßenzug - trotz der ratternden Hochbahn - seiner großen Zeit von damals näher zu sein als dem Welthafen, der ihm den Rücken gekehrt hat - wie auch 119
der Mann auf dem Bild dem Hafen halbwegs den Rücken zuwendet. Insofern mag man diese Aufnahme sogar als ein Gleichnis werten. Man mag - man mufj nicht. Denn der Alte träumt wohl deshalb in Richtung Steinhöft vor sich hin, weil er seine schwachen A u g e n sonst der gleitenden Sonne ausgesetzt hätte. Und schwerlich bereitet die vergangene Gräfte seines Ankerplatzes ihm Kummer. Wahrscheinlicher ist, daß die Sorge um die nächste Zukunft ihm viel näher sitzt. Vielleicht wartet er hier nur auf den A b e n d ; darauf, dal) »Pik As«, das Asyl für Obdachlose, für die kommende Nacht seine Pforten öffnet.
78: Seine erste Pülz Bei den Seeleuten ist das Peilen hoch im Schwange. Sie peilen eine Richtung und sie peilen die Wassertiefe, sie peilen den Inhalt eines Tanks, sie peilen das Wetter, sie peilen die Strom.verhältnisse und sie peilen das Lotsenboot, generaliter: sie peilen die L a g e . Im Hafen peilen sie wohl auch ein kleines Mädchen, was meistens zugleich » L a g e peilen« bedeutet. Und wenn Janmaaf jemandem den freundlichen Rat gibt: »Peil man nich in de Pütz, min Söhn!« - dann heißt dies, daß der also Angeredete den Kurs lieber nicht in Richtung gefährlicher Untiefen absetzen soll. Doch meint er mit der »Pütz« dann keineswegs eine Pfützel Eine Pütz ist etwas anderes, ein kleiner Eimer nämlich, dessen Bügel zum Zwecke des Wasserschöpfens mit einem Tau versehen ist, das in einen Knoten endet. Nota bene: der Knoten ist deshalb da, dam.it die Pütz so leicht nicht achteraus segeln kann, sondern sicher von der Faust gehalten wird, wenn sie bei Fahrt voraus aufs Wasser aufschlägt und mit elegantem Schwung über die Reeling geholt wird. Und g a n z besonders muß angemerkt werden: die Pütz ist das wichtigste Arbeitsgerät des Seemanns; weil es geradezu einem Sakrileg gleichkommt, wenn er an einem Morgen gleich nach Sonnenaufg a n g mal das Deckschrubben unterläßt. Also dürfte klar sein, was es bedeutet, wenn ein Junge seine erste Pütz Wasser aus dem Hafen heraufgeholt hat. Das Schiff, auf dessen Deck diese erste Pütz landete, heifjt »JohnOlbers III«. Es lohnt sich, dieses Schiff zu betrachten. Nur wenige Schritt vom A u f g a n g der Oberseebrücke entfernt hat es a n den Vorsetzen seinen Liegeplatz. Dieser ist gekennzeichnet durch einen kleinen grauen Schuppen, den das gewölbte D a d i als einstigen Eisenbahnwaggon ausweist; d a neben steht eine noch kleinere grüne »Laube«, das Kontor. »John Olbers, Cuxhaven, Schiffahrt und Spedition« verkündet eine kaum sichtbare Aufschrift. Der Frachter »John Olbers III« ist von dieser Firma im Liniendienst eingesetzt, auf der Route Hamburg-Cuxhaven. Er erfüllt ein Teil jener Funktion, die auch zu einem Welthafen gehört: die kleinen Orte in seiner Nähe mit allem Nötigen zu versorgen. Er erfüllt sie wie zu Großvaters Zeiten. Eben drum ist dieser lütte Pott, den Frachtewern des vorigen Jahrhunderts vergleichbar, so sehenswert. »John Olbers III«, schwarz gestrichen, ist ein Einluken-Schiff und hat einen knallgelben Ladebaum, der eine Tonne heben kann, a m einzigen Mast. Außer diesem ragt - achtern - noch der silbrig glänzende Schornstein aus dem Deck heraus; eigentlich ist- er nicht mehr als ein etwas windschiefes Ofenrohr. Selbst bei Hochwasser bereitet es keine Schwierigkeit, einen Blick in den Laderaum, zu tun; denn niemals ragen die niedrigen Bordwände des Schiffes über die Kaimauer empor. Es trägt kaum mehr, als ein halbes Dutzend W a g g o n s fassen können. Den Vorteil dieser tiefen L a g e nutzt man denn beim Laden auch weidlich aus; manche Güter, Säcke und ähnliches, flutschen auf einer Rutsche in den Raum hinunter. Der K a i an den Vorsetzen paßt zum Schiff. Auch ihm sieht man das Alter an. Sein Pflaster ist im Laufe der Jahrzehnte ziemlich tief weggesackt und sehr holprig geworden. Doch 120
erfüllt er seinen Zweck. Bis an den Rand der Kaimauer komr men die Hinterräder der Lastwagen; so kann der Baum von »John Olbers« die Waren direkt übernehmen. Viele Fahrer aber setzen ihre Güter, weil sie's eilig haben, auf dem K a i ab. D a stehen dann Kisten mit frischem Blumenkohl, mit Tomaten, Pfirsichen und Zitronen, Säcke mit Zwiebeln, Rosinen, Erbsen; d a liegen Mehlsäcke, Fässer mit Schmieröl und ein kleiner Motor (der wahrscheinlich in Reparatur gewesen ist); d a sind Dosen mit Lack und Farbe aufgereiht, d a lagern Betonrohre, Moniereisen, Kästen, Kisten, Kartons, Pakete j e g licher Art und Größe. Kurz, alles, was die Bewohner von C u x haven in Hamburg bestellt haben, das können sie sich von »John Olbers« bringen lassen, heute wie vor Jahrzehnten. Es ist ein seltsames Bild: dieser Güterumschlag nach alter Art, dieses unscheinbare Schiff - und dahinter, nur gut einen Steinwurf entfernt, an der Oberseebrücke ein blendendweißer hochragender Musikdampfer.
79: Galionsfigur Es muß, damit die L a g e klar ist, noch einmal vom Peilen die Rede sein. Die junge Dame, die d a unter dem Bugspriet des Segelschulschiffes »Gorch Fock« steht (vermutlich ist es eine junge Darre und kein Junge), diese Dame peilt mit dem Sucher der Kamera nicht die Galionsfigur an. Sie peilt ein paar Strich Backbord zur Reeling hinauf, Denn dort stehen diesmal nicht vermutlich, sondern mit Sicherheit - einige der blauen Jungs, die sich a n Bord in christlicher Seefahrt üben. Die Bundesmarine hat, als sie ihr Segelschulschiff bauen ließ, nicht von der Tradition gelassen, unter dem Bugspriet, jenem Teil des Vorderstevens, der dem weit hinausragenden Klüverbaum Halt gibt, eine Figur anzubringen. Sie ist, unserer Zeit entsprechend zwar etwas Stilisiertes, doch auch wiederum nicht etwas, das man nun gar nicht erkennen kann. Das wäre schließlich g e g e n die Tradition. Diese Galionsfigur stellt einen Albatros dar. Sie ist knapp vier Meter lang und wiegt dreißig Zentner. Der Bildhauer Heinz Schoeteler hat sie in dreimonatiger Arbeit aus Eschenholz geschaffen. Albatrosse sind die Riesen unter den Seevögeln und die wohl gewaltigsten Flieger, die es gibt. Ihr Revier ist die Weite der Ozeane. Nur zur Brutzeit - sie legen in jedem Jahr lediglich ein Ei - versammeln sie sich an abgelegenen Küsten auf dem. Land. Tauchen können sie nicht. Sie leben von dem, was die Wasseroberfläche bietet. Sie können ihre Beute auch nicht im Fluge aufnehmen, sondern müssen sich daneben niederlassen. Deshalb sind sie ständig unterwegs, sind sie so ausdauernde Flieger, mißt die Spannweite ihrer Flügel bis zu drei Meter, folgen sie gern den Schiffen, um ein paar Abfälle zu erhaschen. Die Seeleute auf den Windjammern, den großen Seglern, haben sich früher gern den Spaß gemacht, Albatrosse mit einem Köder zu angeln. Aber sie haben ihnen nie etwas zuleide getan, sondern ihre Gefangenen - nicht, ohne dabei einen heftigen Flügelschlag zu riskieren - stets wieder ins Wasser gelassen. V o n Deck aus nämlich kann ein Albatros sich nicht in den Himmel schwingen. Er braucht gleich den Schwänen einen langen Anlauf auf der Wasseroberfläche, um genügend Aufwind unter die Flügel zu bekommen, Galionsfiguren sind wahrscheinlich so alt wie die Seefahrt selbst. Hans Leip hat von ihnen gesagt: »Nichts ist neben der Liebe so schöpferisch wie die Furcht. Die Bugfiguren sind zu ihrem Beginn überall auf der Erde, wo Wasser gefährlich ist und dennoch zum Befahren verlock), als Fetisch anzusehen, als Talisman, als Zauber und Abschreck g e g e n die bösen Geister der unüberwindlich tückischen Elemente des Wassers und der Luft.« Schon die ägyptischen Barken führten Löwenund Bockköpfe a m Bug, die Schiffe der Phönizier waren mit Pferdeköpfen geschmückt, die Steven der römischen Fahr-
zeuge mit A b b i l d u n g e n der Göttinnen und auch mit Köpfen v o n W i d d e r n und Ebern. Die hoch aufragenden Vorder- und Hintersteven der Wikingerschiffe endeten in furchterregenden Drachenköpfen, und das Flaggschiff der Hamburger im Kampf g e g e n die Seeräuber, die »Bunte Koh vun Vlandern«, die einem alten Lied zufolge die Kaper der Seeräuber auf die Hörner genommen hat, soll tafsächlich einen gehörnten Rinderkopf als Bugzier gehabt haben. Die Zeit jener Calionsfiguren, die wir Heutigen kennen, v o n denen allerdings nur sehr wenige in M u s e e n und Privatbesitz übrig geblieben sind, kam erst nach den Jahrhunderten der Hanse. Als die hochbordigen und äußerst breiten, für eine grofje Mannschaft auch vorn und hinten kastenförmig g e bauten K o g g e n v o n den Meeren verschwanden, als die S e g ler ranker wurden und den ausladenden Vordersteven erhielten, d a fand man darunter den Platz für »Neptuns hölzerne Engel«. Doch führten die Briggs und Barken, die Vollrigger und Schoner keineswegs nur Göttinnen und M u s e n a m Bug; auch Tiere standen den Figurenschnitzern a n der Wasserkante nach wie vor Modell, und selbst Friedrich Schiller schwebte über den Wellen dahin. Star aller Galionsfiguren aber blieb Fortuna, die Glücksgöttin. Die eisernen Dampfer, die a n ihrem senkrechten Steven keinen Platz hatten, brachten das Ende der hölzernen Talismane. Zwar gibt es auch heute in der Welt noch (oder wieder) einige Reeder, die den Bug ihrer Schiffe mit einer Figur oder Allegorie schmücken, doch ist ihre Zahl gering. M a n c h e Reedereien allerdings lassen ihre Schiffe unter dem W a p p e n des Heimathafens fahren. Die Zeit aber, d a die europäische Volkskunst den Seeleuten vollbusige Glücksgöttinnen mit auf die Reise g a b , ist vorbei. Das nicht nur deshalb, weil die Schiffe keine Galion mehr haben. Der Sinn für die Figuren hat sich überlebt. Trotzdem sei hier dargelegt, warum die Schiffe keine G a l i o n mehr besitzen. Deutlich wird das, wenn man erläutert, wozu sie einst diente. Die G a l i o n nämlich, a n der die Bugfigur befestigt wurde, ist nicht, wie man es zuweilen lesen kann, ein V o r b a u gewesen, auf dem der Bugspriet ruht. Sie war etwas anderes. Zitieren wir ein seemännisches Handbuch: »Eine G a l i o n war a m Bug der alten hölzernen Schiffe ein Vorbau, der für gewisse Zwecke benutzt wurde, als es noch keine W C ' s gab«. Ein Schelm sei, wer daraus schliefet, die G a l i o n habe eine Verzierung oder Verbrämung denn ja auch bitter nötig gehabt! 80: Ragende Riggen 81: »Gorch Fock« läuft aus Auf einem Segler ist der Seemann dem W i n d und den Wellen näher als auf jedem anderen Schiff; und nirgendwo sonst in der Seefahrt wird einem, jungen Menschen so eindringlich klar, was es heifjt, eine Mannschaft zu sein. Das sagen die Befürworter der Segelschiffsausbildung, und unrecht haben sie gewif} nicht. So legte die Bundesmarine trotz des »Niobe«Unglücks, das a m 26. Juli 1932 im Fehmarnbelt 69 Todesopfer forderte und trotz der »Pamir«-Katastrophe, bei der am 21. September 1957 im Atlantik 80 Seeleute ertranken, im Jahre 1958 bei Blohm & Vof) einen Segler auf Stapel und taufte ihn auf den Namen »Gorch Fock«, zu Ehren des in der Skagerrak-Schlacht (1916) gefallenen Finkenwerder Fischersohnes Johann Kienau, der als Gorch Fock den berühmten Roman »Seefahrt ist not« geschrieben hat. Die Bark hat sich auf vielen Fahrten bewährt, sie hat vielen hundert angehenden M a a t e n und Seeoffizieren einen ersten und entscheidenden Begriff von Wasser und Sturm vermittelt, hat die Schiffsjungen gelehrt, was das alte Seemannswort »een H a n d för di un een H a n d fort Schipp« bedeutet, und
sie hat sich auch als Good-Will-Botschafter in zahlreichen Häfen einen Namen gemacht. Die N e w Yorker zum Beispiel bereiteten ihr und der Besatzung einen Empfang, wie er sonst nur einem grofjen neuen Ozean-Liner zukommt mit Sirenenkonzerf, Fontänen der Feuerlöschboote, kreisenden Hubschraubern, ungezählten Booten und einer riesigen Menschenmenge a n Land. Die »Gorch Fock« ist als Bark getakelt (aufgeriggt). Ihre beiden vorderen Masten, Fockmast und Großmast, haben je fünf Rahsegel, während a m Achtermast, dem Besan, drei Schratsegel gefahren werden. Vier Vorsegel und je drei Stagsegel zwischen den Masten können außerdem gesetzt werden. Das macht eine Segelfläche von 1964 Quadratmeter. D a s Schiff ist bis zum Bugspriet fast neunzig Meter lang und mifjt in der Breite gut zwölf Meter. Es hat eine Wasserverdrängung v o n 1760 Tonnen. A n Bord ist Platz für eine Stammbesatzung v o n 70 M a n n sowie für 200 Kadetten. Die »Gorch Fock« ist stählern vom Kiel bis zur Spitze der Masten, die eine Höhe v o n 40 Meter über Deck erreichen. Kentern kann das Schiff nicht, sagen die Experten. M e h r als 350 Tonnen fester Ballast sollen dafür sorgen, dal) es sich selbst dann noch wieder aufrichtet, wenn es 90 G r a d Schlagseite hat, also platt auf dem Wasser liegt. Die Öffnungen der Decks liegen der Sicherheit wegen in der Mitte des Schiffes, und für die Navigation sind die modernsten Geräte a n Bord. Auch ein Meteorologe fährt mit. Bei steifer Brise und unter vollem Z e u g hat die »Gorch Fock« schon ihre zwölf bis dreizehn Knoten Fahrt gemacht. D a s Ist eine Geschwindigkeit v o n beinahe fünfundzwanzig Kilometer in der Stunde. W e n n sie auf Flüssen oder Kanälen keine Segel setzen kann oder wenn kein Lüftchen weht und auch alles An-den-Mast-Kratzen keinen W i n d herbeizaubert, d a n n hat ihr Kommandant noch die Möglichkeit, zum Maschinentelegraphen zu greifen, Denn einen Motor besitzt der Segler auch. Er leistet 800 Pferdestärken und ist gut für eine Fahut von zehn Knoten. 82: Dunst Es ist diesig, sagt man an der Küste, wenn Dunst über der See liegt, wenn Wasser und Himmel eins sind, wenn die Kimm verschleiert ist v o n einem leichten Grau, in dem die Schiffe Schemen gleich und wie schwerelos dahinzugleiten scheinen. U n d es gilt festzuhalten: d a s Wort »diesig« steht für sich, für einen g a n z bestimmten Zustand; ihm fehlt das Pendant des Substantivs, und es läfjt sich nicht steigern. Im Hafen ist es, anders als auf See, nur g a n z selten diesig, obwohl fast immer Dunst über den Kais liegt. A b e r dieser Dunst ist vielschichtig, ist schwer. In ihn mischt sich das Blau und G r a u und Schwarz aus tausend Schornsteinen von Schiffen und Fabriken. Und die Sonne malt dem Frühaufsteher darin eine wunderbare pastellene Palette, in der nicht das Rot ihrer ersten Strahlen, sondern das schweflige G e l b den Ton angibt. Doch ist dieses Farbenspiel v o n nur kurzer Dauer. Bald danach ist wieder das G r a u die beherrschende Farbe. 83: Dienst ist Dienst . . . 84: Kanonen-Schaukel Hamburg ist niemals ein Marinehafen gewesen. Die kanonenbestückten Schiffe, die der Stadtstaat in seiner vielhundertjährigen Geschichte gebaut hat, lassen sich ziemlich schnell aufzählen. Es waren vornehmlich jene, mit denen man zu Beginn des 15. Jahrhunderts in einem, mehrere Jahrzehnte w ä h renden Kampf die Seeräuber unschädlich machte; und es waren im 17. und 18. Jahrhundert ein paar Konvoischitfe, die man zum Schutz der Kauffahrteifahrer g e g e n die maurischen Barbaresken baute, die in der Biskaya, an der portugiesischen Küste und im Mitfelmeer Piraterie betrieben. Die be121
rühmfesten dieser Konvoischiffe - Geleilkreuzer würde man sie heute nennen — waren neben »Leopoldus Primus« nacheinander die vier » W a p p e n von Hamburg«. V o n der hamburgischen Admiralität, an die noch heute die Admiralitäfsstraße erinnert, darf man gleichfalls nicht auf kriegerische Ambitionen Schliefjen. Sie war die Schiffahrtsbehörde, der natürlich auch die Konvoischiffe und das für deren Ausrüstung notwendige Zeughaus unterstanden. Hamburg war weder im Bismarck-Reich noch zwischen den Weltkriegen Heimathafen für deutsche Kriegsschiffe. Die Stadt ist es auch nach 1945 nicht geworden und wird es nicht werden. Doch schlieft das nicht aus, dal) man im Hafen Kriegsschiffe sehen kann. Auf einigen Werften werden Geleitboote und Zerstörer gebaut, vor allem aber: die Hansestadt ist zu einem anscheinend mehr als beliebten Ziel für Kriegsschiffe befreundeter Nationen geworden. Ganze Flottenverbände haben schon nach anstrengendem Seetörn für acht bis vierzehn Tage an der Oberseebrücke gelegen. Stets ist ein solcher Freundschaffsbesuch ein großes Fest für beide Seiten. Die Sailors besichtigen die Stadt, den Hafen und die Werften, und sie erholen sich in der Umgebung und auch wohl auf St. Pauli; die Hamburger strömen zu Tausenden herbei, um einen Blick in die riesigen Hangars von Flugzeugträgern und in das karge Bordleben von Matrosen zu tun. Als der 37 OCX) Tonnen schwere britische Träger »Victorious« im Hafen lag, als sich zweimal 8000 zur Besichtigung schubsten, als beide M a l e fast 4000 an Bord waren, als an die ISO Polizisten - etliche sogar zu Pferde - anrücken mußten, um den Ansturm in Grenzen zu halfen, da meinte man, nun sei der Höhepukt der Begeisterung erreicht. Doch kam es noch ganz anders. Das war, als der US-Carrier »Essex«, 40000 Tonnen groß, für zwei Wochen festmachte. Da drängten sich an den Vorsetzen jeweils 10000 bis 15 000 Hamburger. Und als die »Essex« wieder auslief, als ihre Matrosen sich auf dem 275 Meter langen Deck zu einem riesigen TSCHDSS formierten, da verzeichnete das Bordjournal einen Rekord. Fast 30000 Besucher waren durch die Decks gezogen. Noch hinterher sagten die Amerikaner, die sich von Riesenzahlen doch eigentlich so leicht nicht verblüffen lassen, kopfschüttelnd: »Impossible ...« Zu den Bildern: Der so martialisch aussehende Posten mit dem aufgepflanzten Bajonett (Tradition ist eben Tradition, in jeder Marine der Welt) stand an der G a n g w a y des US-Flugzeugfrägers »Essex«; und die Schaukel an den Zwillingsrohren einer Zwölf-Zentimeter-Kanone wurde eigens für die Hamburger Deerns und Jungs von den Matrosen des schwedischen Zerstörers »Hälsingland« erfunden.
ger weniger Spezialfirmen. Und sie ist ein Buch mit sieben Siegeln, das von diesen Unfernehmen sehr sorgsam vor jedem fremden A u g e gehütet wird. Abgesehen davon, daß heute jeder Reeder seine ganz speziellen Farbföne verlangt (früher war's einfacher, d a g a b ' s im wesentlichen nur schwarze Schiffe mit weisen oder braunen Aufbauten und rotem Unterwasserteil). - Schiffsfarben sind zugleich komplizierte chemische Stoffe, jeweils für einen bestimmten Zweck »gemixt«. Das gilt ganz besonders für die Unterwasserfarben. Zwar braucht ein eisernes Schiff, anders als die hölzernen Jachten und Fischkutter, den im Salzwasser lebenden Bohrwurm nicht zur fürchten. Aber da ist der Bewuchs. A n einem schlecht unter Farbe stehenden Unterwasserschiff setzen sich in tropischen Gewässern die weiß-grauen krebsartigen Seepocken (Balaniden), die bis zu 25 Zentimeter groß werden, in wenigen Wochen in solchen M e n g e n fest, daß sie die Fahrt bis zu 30 Prozent verringern können. Das bedeutet auf der einen Seite Zeitverlust und auf der anderen einen erhöhten Brennstoffverbrauch. Der zweite grofje Gegner einer glatten Schiffshaut sind die Algen; sie können dem Rumpf schnell einen Bart von einem Meter Stärke wachsen lassen, einen Bart, der bis zu zwei Meter unter die Wasserlinie reicht - fiefer allerdings nicht, weil Algen ziemlich viel Licht benötigen. Im Gegensatz zu ihnen gedeihen die Seepocken auch in der Dunkelheit, und sie haben noch einen weiteren Nachteil: sie sind der Siedlungs- und Nährboden für vielerlei anderes Zeugs. Insgesamt kennt man weit mehr als hundert Arten von seßhaften Seetieren und pflanzlichem Bewuchs. D a g e g e n hilft, wenn auch nicht hundertprozentig, so doch weitgehend, die Schiffsbodenfarbe. Sie wird im Dock stets doppelt aufgetragen. Zunächst kommt der erste Anstrich; er schützt die Stahlplatten gegen das Rosien. Dann folgt der zweite Anstrich: die Farbe mit den chemisch wirksamen Mitteln, die den Bewuchs töten. Kein Wunder also, dal) die Reeder ihre Schiffe regelmäßig docken lassen, um den Bodenansfrich erneuern zu lassen. Und noch eins. Schiffsbodenfarben aus Hamburg haben seit Jahrzehnten Weltruf. Dafür ein Beispiel aus dem ersten Weltkrieg. Da wurde der Erste Seelord der britischen Admiralität in der Öffentlichkeit und im Parlament stark angegriffen, weil die Schiffe Seiner Majestät, die gegen die Deutschen Krieg führten, weiterhin mit Unterwasserfarben eben dieser Deutschen (des Londoner Zweigbetriebes der hamburgischen Firma Höveling) gestrichen würden. Sir Winston Churchill wehrte sich mit einem Argument, auf das es keine Erwiderung g a b : »Die Farben der Deutschen sind so gut, wir können darauf nicht verzichten.«
85: Farbe malen Der U m g a n g mit Pinsel und Farbe ist des Seemanns häufigste und liebste Beschäftigung. Ein Schiff muß a n allen Ecken und Enden blitzen. Die Farbe ist seine Visitenkarte; an der Farbe erkennt man häufig schon von fern, wes Reeders Dampfer da aufkommt. Sie ist zugleich das Etikett der Besatzung. Ein Schiff, das gut unter Farbe ist, hat mit Sicherheit auch eine gute Mannschaft. Schmuck ist die Farbe eines Schiffes erst in zweiter Linie. Vor allem anderen ist sie Schutz. Sie schützt Stahl und Holz vor Seewasser und Regenwasser, vor sengender Sonne und vor mancherlei mechanischer Abnutzung. Sie bietet dem Rosten Einhalt, und sie bewahrt das Unterwasserschiff vor einem allzu starken Bewuchs. Die Farbe ist die beste Sparkasse des Reeders. Nicht von ungefähr gibt es an der Wasserkante für einen alten Schlurren, dessen Platten im Laufe der Jahrzehnte schon ziemlich dünn geworden sind, das Wort: »Zusammengehalten nur noch von Rost und Farbe ...« Die Herstellung von Schiffsfarben ist die Angelegenheit eini122
86: Hafen-Alltag Knarrend reibt sich der Ponton zwischen den Pfählen. Leicht schwankt er hin und her. V o m Rofj im Süden und von Steinwerder im Norden lärmen die Werften herüber. Zwei kurz brummt plötzlich der tiefe Bafj des einkommenden Frachters dazwischen. Zwei kurz antworten die Schlepper, heller und noch etwas knapper. Verstanden heißt das. Und schon tauen sie den Bug nach Backbord hinüber, in Richtung Ellerholzhafen. Es scheint, als ob die Sonne durchkommen will. Möglich aber auch, daß sich gleich wieder eine dicke Wolke davorhängt. Die Frau, die da ein wenig verloren zwischen den Männern auf dem Ponton steht, wird das kaum stören. Nun, soll sie, wird sie denken und damit die dicke Wolke meinen. M a n ist es ja nicht anders gewohnt ... Möglich, daß ihr solcherlei kurz in den Sinn kommt. W a h r scheinlich aber nehmen ihre Gedanken einen g a n z anderen Kurs:
Wetter? Hoffentlich h a b e n sie unterwegs nicht so viel Sturm. V i e r M o n a t e ist er nun w i e d e r fort. U n d in O s t a s i e n g i b t ' s Taifune. Er lacht, w e n n ich d a v o n spreche. ,Den k ö n n e n wir a b ' , s a g t er. O d e r : ,Wir fahren einfach d r u m h e r u m ; der Alte versteht w a s d a v o n . ' O b d i e S o n n e d o c h noch? Ist ja a u c h e g a l . F ä h r e V I I dreht ja schon h e r a n . . .
87: Abschied in der christlichen Seefahrt spielen die F r a u e n keine Rolle. U m so mehr jedoch b e i d e n J a n m a a t e n . D a s erkennt m a n b e i e i n e m Blick in ihre Unterkünfte a n d e n Bildern, d a s sieht m a n a m K a i , w e n n ein Schilf abfährt. F r a u e n , d i e e i n e n S e e m a n n heiraten, z i e h e n w o h l niemals d a s g r o ß e Los. W i e sollen sie es a u c h ! D e n n d i e meiste Zeit ihres L e b e n s heißt warten. W a r f e n zu H a u s e , w a r t e n im H a f e n auf die A n k u n f t d e s Schiffes, w a r t e n vielleicht a n der Schleuse des N o r d o s t s e e k a n a l s , um für eine Viertelstunde ein p a a r W o r t e zu wechseln . . . F r a u e n dürfen allenfalls ein Schiff taufen. D i e Probefahrt ist für sie schon w i e d e r tabu. U n d nur als gut z a h l e n d e P a s s a giere s i n d sie wohlgelitten a n Bord. Trotzdem sollte m a n d e n Einfluß, d e n d i e F r a u e n auf d i e christliche Seefahrt a u s ü b e n , nicht unterschätzen. W e r z u m Beispiel in der Z e i t u n g eine A n z e i g e liest, in der es heifjt: » K a p i t ä n , in u n g e k ü n d i g t e r Stellung, sucht entsprechende B e schäftigung a n L a n d « , w e r e t w a e i n e n M a t r o s e n s a g e n hört: » N u is F i e r o b e n d , n a düsse Reis bliew ick in H a m b o r g « - der darf sicher sein: fast immer steckt d i e Frau dahinter, d i e ihren M a n n für d a u e r n d zu H a u s e h a b e n möchte. Die F r a u e n v o r a l l e m b e w i r k e n d i e g r o ß e Fluktuation in der Seefahrt. D o c h sollte m a n d a r ü b e r nicht lamentieren, D i e s e s A b w a n d e r n hat es immer g e g e b e n , u n d M a t r o s e n a r b e i t v e r langt nun e i n m a l junge, kräftige A r m e . Schließlich hat der A b s c h i e d , d e n s t ä n d i g s o viele v o n der Seefahrt n e h m e n , a u c h seine g u t e Seite. W i e a n d e r s sollte d e r H a f e n zu d e n zahlreichen b e f a h r e n e n Leuten k o m m e n , d i e er a n seinen A r b e i t s p l ä t z e n benötigt?
88: Kahnsdiiffer haben es besser die Frau fährt mit Nicht alle H ä f e n h a b e n g r a u e K a i m a u e r n u n d r a g e n d e K r ä n e . V i e l e a u c h sind v o n g r ü n e n B ö s c h u n g e n umsäumt. Dort h a b e n d i e Elbschiffer ihre L i e g e p l ä t z e , sind sie s o z u s a g e n unter sich. K a u m ein Fremder verirrt sich je dorthin. W i e ein Ei d e m a n d e r e n gleichend, l i e g e n d i e flachen L a s t k ä h n e a n d e n W a s s e r f r e p p e n , w a r t e n auf L a d u n g (die sie h ä u f i g direkt a u s d e n Oberseefrachtern ü b e r n e h m e n ) o d e r d i e n e n - in schlechteren Zeiten - als G e t r e i d e l a g e r . Grolje N u m m e r n stehen a n B u g u n d Heck. A b e r d i e Schiffe h a b e n a u c h N a m e n . » E m m a « o d e r » M a r i e - L o u i s e « heißen sie, vielleicht »Duisburg« oder »Hamborn«, einige sogar »Sturmvogel« oder » S e e a d l e r « , o b w o h l sie n i e m a l s Aussicht h a b e n , sich in Sturm und See zu bewähren. Die auf d e n E l b k ä h n e n zu H a u s e sind, sprechen nur selten d a s H a m b u r g e r Platt. Ihre Dialekte sind a n d e r s gefärbt. D i e Dörfer u n d Städte, a u s d e n e n sie stammen, liegen fast alle hinter d e n Elbdeichen zwischen L a u e n b u r g u n d M a g d e b u r g . Dort pflegten sie schon a l s J u n g e n mit T r ö g e n u n d kleinen B o o t e n auf d e m Strom zu schippern, u n d kein Elbschiffer stellte dort seinem S o h n d i e F r a g e , w a s er d e n n w e r d e n wolle. D a r ü b e r brauchte m a n nicht zu reden. Für viele dieser Elbschiffer ist H a m b u r g nach 1945 d i e zweite H e i m a t g e w o r den. S i e wollten s e l b s t ä n d i g b l e i b e n , Herr auf e i g e n e m Schiff, zumindest Teilhaber, Partikuliere, w i e sie s a g e n . U n d so kommt es, d a ß die P l a n k e n des K a h n s v i e l e n n e b e n b e i a u c h d a s H ä u s c h e n ersetzen müssen, d a s sie in der S o w j e t z o n e hinter d e n Deichen b e s a ß e n .
Die Elbeschiffahrt ernährt nicht mehr so sicher ihren M a n n w i e einst. D a s macht d i e K o n k u r r e n z der L a s t w a g e n , u n d d a s macht a u ß e r d e m d i e Z o n e n g r e n z e . Früher w a r e n sie v o r a l l e m Stückgutfahrer, heute b e f ö r d e r n sie fast ausschließlich M a s s e n g u t : Kies u n d S a n d , Brennstoff, Schrott, Getreide, D ü n g e r , B a u m a t e r i a l , M i n e r a l ö l , Futterstoffe... U n d : w ä h rend bis 1945 d i e g e s a m t e Elbe, d i e S a a l e s o w i e d i e W a s s e r w e g e nach Berlin u n d bis zur O d e r ihr Revier w a r e n , gibt es heute so gut w i e nichts mehr in d i e Z o n e zu fahren, u n d d i e Tschechen h a b e n ihre e i g e n e Flotte. S o ist d a nur noch der Berlin-Verkehr, ist d a v o r a l l e m der N a h v e r k e h r mit L a u e n b u r g , d e n niedersächsischen O b e r e l b e h ä f e n u n d Lübeck. V i e l e a u c h fahren über d e n M i t t e l l a n d k a n a l nach W e s t d e u t s c h l a n d , u n d nicht w e n i g e g i b t es, d i e h a b e n der heimatlichen Elbe g a n z d e n Rücken gekehrt, s i n d z u m R h e i n a b g e w a n d e r t . O b e r h a u p t - sie g e h ö r e n z u d e n letzten N o m a d e n unserer Zeit. Sie n e h m e n d i e L a d u n g , w o sie sich bietet, u n d schon immer ist es Brauch g e w e s e n , die F r a u mitfahren zu lassen. D i e K i n d e r k a m e n u n d k o m m e n e b e n zu B e g i n n der Schulzeit in d i e O b h u t der Großmutter, heute w o h l a u c h in ein Heim. A u s den Kähnen, die v o n Schleppern g e z o g e n wurden und talwärts mit W i n d u n d S t r ö m u n g allein a u s k a m e n , s i n d mehr u n d mehr »Selbstfahrer« g e w o r d e n , Gütermotorschiffe, w i e d i e etwas umständlichere Fachsprache sie nennt. D o c h hat d i e M o t o r i s i e r u n g auf der Elbe ihre Schwierigkeiten. Die Rheinfahrt sei, messe m a n sie a n der Elbefahrt, d a s reinste Kinderspiel, s a g e n d i e Schiffer. Nur selten hat d i e E l b e a u s g e n o m m e n auf d e r Strecke o b e r h a l b d e r Geesthachter Staustufe - g e n ü g e n d W a s s e r , d a f ü r jedoch S a n d b ä n k e mehr als g e n u g . H ä u f i g k a n n ihr S i e b e n h u n d e r t - T o n n e n Schiff nicht e i n m a l voll b e l a d e n w e r d e n . Sie w a r t e n d e s h a l b auf d e n B a u d e s N o r d - S ü d - K a n a l s , d e r d e n W e g z u m Mittell a n d k a n a l u n d d a m i t ihre W a s s e r s t r a ß e s o w o h l in Richtung O s t e n a l s a u c h in Richtung W e s t e n v e r k ü r z e n u n d v e r b e s s e r n soll. »Es muß a n d e r s w e r d e n , w e n n wir auf d i e D a u e r konkurrieren wollen«, s a g e n die Elbschiffer. A n B o r d ist bereits m a n c h e s a n d e r s g e w o r d e n . Jene, d i e e i n e n M o t o r h a b e n , k o n n t e n die P e t r o l e u m l a m p e in d i e Ecke stellen. R a d i o besitzen sie alle, fließend W a s s e r auch. D o c h nach w i e v o r g a c k e r n H ü h n e r u n d g r u n z e n Schweine a n Deck, schmücken b l ü h e n d e B l u m e n d a s blitzsaubere R u d e r h a u s , b l ä h e n sich w e i ß e Unterh o s e n im W i n d . U n d v o n dieser Sitte h a b e n sie gleichfalls nicht g e l a s s e n : noch immer ist auf d e n Binnenschiffen jederm a n n sein e i g e n e r Koch. G a n z gleich, o b Junge, D e c k s m a n n o d e r Schiffsführer (der in ihrer S p r a c h e S t e u e r m a n n heißt) jeder setzt seinen e i g e n e n Topf a u f s Feuer. A u c h auf d e n vielen Schiffen, auf d e n e n d e r S t e u e r m a n n seine F r a u a n B o r d hat, muß d i e B e s a t z u n g selbst sehen, w i e sie satt wird.
89-90: »Hanseatic«, Hamburgs Flaggschiff A m A n f a n g w a r e n d a nichts a l s d i e a u s drei Schloten q u a l m e n d e u n d z u m V e r k a u f stehende britische Schiffsdame » E m press of S c o t l a n d « u n d die Idee eines sehr j u n g e n , g e r a d e dreißig Jahre alten M a n n e s , d e n es d e s T e m p e r a m e n t s w e g e n beizeiten v o n der Schulmeisterei ins Schiffahrtsgeschäft g e z o g e n hatte. In H a m b u r g hielt dieser j u n g e M a n n d i e V e r b i n d u n g zwischen seinem R e e d e r V e r n i c o s E u g e n i d e s u n d der H a m b u r g - A m e r i k a - L i n i e , d i e d e n H o m e - L i n e r » l t a l i a « , ein schon ziemlich betagtes, zwischen C u x h a v e n u n d N e w Y o r k v e r k e h r e n d e s Passagierschiff v o n 2 2 0 0 0 BRT, betreute. Der M a n n heißt A x e l Bitsch-Christensen, u n d g e g e n seine Idee, d i e D a m e »Empress of S c o t l a n d « zu e r w e r b e n u n d w i e d e r z u m h o c h m o d e r n e n Atlantik-Liner zu machen, z u m Flaggschiff der h a m b u r g i s c h e n Flotte, s t a n d e n t a u s e n d T o n n e n Skepsis. Einig wußte er sich vornehmlich nur - »Im
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G r u n d e seid ihr schuld d a r a n , d e n n ihr h a b t ' s ja immer w i e d e r g e s c h r i e b e n ! « - mit ein p a a r Journalisten, u n d d a s e r g a b letzten E n d e s e i n e n W e r t gleich null, d e n n d i e b r a u c h ten ja d a s Risiko nicht zu tragen. U n d schon g a r nicht hatten ( u n d h a b e n ) sie etwas auf der Naht. A b e r d a w a r e n e b e n T e m p e r a m e n t u n d Geschick, d a w a r soviel E n e r g i e wie Liebenswürdigkeit, u n d so b e k a m der j u n g e M a n n d a s Kunststück fertig, d i e e n t s c h e i d e n d e n Leute unter e i n e n Hut zu b r i n g e n u n d d e m d a m a l i g e n Bürgermeister M a x Brauer einer Bürgschaft w e g e n klarzumachen, d a ß sein alter T r a u m - w i e d e r ein großer O z e a n d a m p f e r unter h a m burgischer F l a g g e ! - Wirklichkeif w e r d e n könne. S o lief) er d e n n a u s verschiedenen Q u e l l e n zwölf M i l l i o n e n für d i e » E m p r e s s « u n d d a z u g u t d i e d o p p e l t e S u m m e für d i e notw e n d i g e R a d i k a l - V e r j ü n g u n g s k u r d e r noch äußerst stabilen D a m e zusammenfließen, u n d a m 21. Juli 1958 w a r es so weit: d a schickte die n e u g e g r ü n d e f e H a m b u r g - A t l a n t i k - L i n i e der H a n s e a t e n aller Stolz, d i e 3 0 0 0 0 BRT g r o ß e »Hanseatic«, auf d i e zweite Jungfernreise ihres Lebens, u n d Z e h n t a u s e n d e v o n H a m b u r g e r n ließen sich d a s Schauspiel nicht entgehen. Stolz sein, d a s muß betont w e r d e n , k o n n t e n a n d i e s e m T a g a u c h d i e H o w a l d t s w e r k e H a m b u r g , d i e d e n U m b a u des Schiffes - V o r d e r - u n d Achtersteven neu, ein siebentes Deck a u s Leichtmetall o b e n d r a u f , n e u e Schornsteine, eine K l i m a a n l a g e , neu gestaltete Gesellschaftsräume u n d K a b i n e n - in g e n a u sechs M o n a t e n geschafft hatten, o h n e v o r h e r v o n d i e s e m D a m p f e r mehr zu wissen als d e n Termin d e r Indienststellung. Selten w o h l ist ein Schiff auf einer Werft e i n solcher A m e i s e n h a u f e n g e w e s e n w i e die » H a n s e a t i c « ; zeitweise werkten nicht w e n i g e r als 2000 M a n n in ihren Decks. Inzwischen ist d i e » H a n s e a t i c « mit d e m stilisierten (nur dreigezackten) w e i ß e n H a n s e a t e n k r e u z in d e n b e i d e n roten Schornsteinen auf d e m Nordatlantik längst zu e i n e m Begriff g e w o r d e n . Im Winter kennt m a n sie in d e n U S A als d a s » V e r g n ü g u n g s s c h i f f der g u t e n L a u n e « , d a s in der C a r i b i s c h e n S e e kreuzt, u n d mancher erinnert sich a u c h mit F r e u d e n a n ihre Silvester- u n d N o r d l a n d f a h r t e n . Der V o l l s t ä n d i g k e i t h a l b e r sei erwähnt, d a ß d i e »schöne H a m b u r g e r i n « 2 0 6 M e ter l a n g u n d 29 M e t e r breit ist u n d d a ß sie e i n e n T i e f g a n g v o n n e u n M e t e r n hat. Ihre 3 4 0 0 0 PS a u s d e n gleichfalls erneuerten Turbinen schaffen eine Dienstgeschwindigkeit v o n 20 K n o t e n (37 Kilometer in der Stunde), u n d 450 M a n n (die S t e w a r d e s s e n mitgerechnet) s o r g e n für eine sichere Oberfahrt u n d für d a s W o h l der F a h r g ä s t e . 85 k ö n n e n es in der ersten K l a s s e sein, 1191 in der Touristenklasse. Nicht zuletzt die » H a n s e a t i c « - unsere Bilder z e i g e n sie a m Steubenhöft in C u x h a v e n u n d b e i m W e n d e n im Strom zu nächtlicher Stunde - hat b e w i e s e n : d i e Passagierschiffahrt ist nicht tot. N o c h immer gibt es g e n ü g e n d Reisende, die eine Urlaubsfahrf im s c h w i m m e n d e n Hotel d e m schnellen F l u g v o r ziehen, die d a s Nützliche mit d e m A n g e n e h m e n d e r E r h o l u n g v e r b i n d e n . S o g a r Bürgermeister N e v e r m a n n hat sich einmal in d i e s e m S i n n e geäußert. » M a c h mal l a n g s a m - fahr mit der H a n s e a t i c l « s a g t e er, u m vorsichtigerweise, d e n n es w a r e n a u c h Journalisten a n Bord, gleich h i n z u z u f ü g e n : der Leitspruch für d i e A r b e i t d e s Senats solle d a s natürlich nicht sein.
91: Tanker im Schwimmdock 92: Die Schraube muf| los Frei nach » H e Lücht«, der alles zu erklären weiß, ist ein S c h w i m m d o c k d e s h a l b ein Trockendock, weil d i e Schiffe d a rin auf d e m Trocknen steh'n. W o m i t g e s a g t ist: wer in d a s Kapitel » D o c k s « einsteigt, kommt u m e i n i g e Schwierigkeitsg r a d e nicht herum. S e i e n wir a l s o ein w e n i g schulmeisterlich! Ein S c h w i m m d o c k u n d ein Trockendock - d a s sind zwei g a n z verschiedene Dinge.
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S c h w i m m d o c k s s i n d p o n f o n a r f i g e , mit S e i t e n w ä n d e n v e r s e h e n e u n d in zahlreiche Z e l l e n unterteilte K ä s t e n . Flutet (füllt) m a n diese Z e l l e n o d e r Tanks, d a n n senkt sich d a s Dock bis auf d e n G r u n d der Elbe h i n a b , u n d d a s Schiff k a n n hineinfahren. Lenzt m a n sie (pumpt m a n sie wieder leer), d a n n hebt sich d a s D o c k mitsamt d e m Schiff, d a s d a b e i auf eine Reihe v o n Klötzen, d i e Kielpallen, gesetzt w i r d u n d schließlich zwischen d e n S e i t e n w ä n d e n frei liegt w i e auf dem Land. Ein Trockendock d a g e g e n ist e i n e m a u s b e t o n i e r t e n H a f e n b e c k e n vergleichbar, d a s a n der W a s s e r s e i t e eine Art Schleusentor hat. M a n schließt dieses, w e n n d a s Schiff e i n g e f a h r e n ist u n d p u m p t d a r a u f d a s W a s s e r heraus. Im H a f e n gibt es nur ein e i n z i g e s Dock dieser Art, d o c h zählt es z u d e n g r ö ß t e n Trockendocks in der W e l t . Es ist » E l b e 17«, d a s im letzten Krieg g e b a u t wurde. Es hat eine n u t z b a r e L ä n g e v o n 326 u n d eine lichte W e i t e v o n 56 M e t e r n . D i e A u s m a ß e reichen für d a s B a u e n u n d R e p a r i e r e n v o n T a n k e r n , d i e 1 0 0 0 0 0 u n d noch mehr T o n n e n fragen. A l l e a n d e r e n Docks im H a f e n , 29 a n der Z a h l , s i n d S c h w i m m docks. Sie bieten zwei Vorteile. Die Schiffe k ö n n e n u n a b h ä n g i g v o m W a s s e r s t a n d der Tide jederzeit e i n f a h r e n ; u n d d a s E i n d o c k e n g e h t schneller v o r sich a l s im Trockendock. Nicht zuletzt d a r a u f a b e r kommt es a n . D e n n d a s D o c k e n kostet, mit d e n A u g e n d e s R e e d e r s betrachtet, d o p p e l t e s G e l d : zu d e n Kosten für d i e A r b e i t der Werft k o m m e n noch jene hinzu, d i e der Zeitverlust bringt. Ein Schiff muß v o n Zeit zu Zeit ins Dock w i e e i n A u t o zur Inspektion. D a s heißt, ein Dock wird nicht nur benötigt, w e n n eine Kollision, S t r a n d u n g o d e r schwere Brecher S c h a d e n angerichtet h a b e n . Schiffe leisten stets Schwerarbeit, auf S e e w i e im H a f e n b e i m L a d e n u n d Löschen. D a nutzt sich e b e n manches a b . Nicht zuletzt müssen sie stets gut unter F a r b e sein. S c h w i m m d o c k s a b e r sind, w e n n der V e r g l e i c h mit d e n A u t o s noch einmal gestattet sei, nicht nur H e b e b ü h n e n . Sie s i n d zugleich vielfältig eingerichtete Werkstätten. K r ä n e f a h r e n auf ihren S e i t e n w ä n d e n ; u n d in diesen, d e n D o c k b ä n k e n , ist nicht allein der komplizierte M e c h a n i s m u s für d a s H e b e n u n d S e n k e n - P u m p e n a n l a g e u n d Steuerstand - v e r b o r g e n , sie enthalten a u c h ein ziemlich g r o ß e s E - W e r k ; d e n n ein Schiff, d a s im Dock liegt, muß h ä u f i g alle M a s c h i n e n stillegen, es muß jedoch weiterhin mit Strom versorgt w e r d e n . Strom a u c h b r a u c h e n d i e S c h w e i ß g e r ä t e der Werftarbeiter, d i e a n Bord kommen. D a s größte S c h w i m m d o c k im H a f e n ist d a s 30 0 0 0 - T o n n e n Dock der Deutschen Werft. Die Z a h l bedeutet: e s hebt noch ein Schiff v o n 3 0 0 0 0 T o n n e n Gewicht. A n d e r s a u s g e d r ü c k t : Tanker, d i e etwa 6 5 0 0 0 T o n n e n L a d u n g t r a g e n k ö n n e n , finden d a r i n Platz. Entsprechend sind d i e A u s m a ß e ; es ist 226 M e t e r l a n g u n d 47 M e t e r breit; die lichte W e i t e zwischen d e n D o c k b ä n k e n beträgt 38 Meter. R u n d 7000 T o n n e n Stahl w u r d e n für d e n B a u dieses D o c k s benötigt, seine Schweißnähte h a b e n eine G e s a m t l ä n g e v o n 250 Kilometern, 8000 M e t e r R o h r l e i t u n g e n u n d 2 5 0 0 0 M e t e r K a b e l sind d a r i n verlegt; u n d für d e n Anstrich benötigte m a n mehr als 200 000 Kilogramm Farbe. Der B o d e n k a s t e n ist v o n drei L ä n g s - u n d fünf Querschotten in 24 Ballastzellen unterteilt. Sie fassen i n s g e s a m t 4 0 0 0 0 T o n n e n W a s s e r . Sechs P u m p e n schaffen es, d i e s e M e n g e in zweieinviertel S t u n d e n herauszudrücken. W a s bedeutet: selbst ein Riesenfrachter liegt guf z w e i S t u n d e n , n a c h d e m die Schlepper ihn hineinbugsiert h a b e n , trocken auf d e n Pallen - die Arbeit kann beginnen. Die beiden K r ä n e heben je 15 T o n n e n , u n d d a s E - W e r k in d e n 4,50 M e t e r breiten D o c k b ä n k e n , ausgerüstet mit A n l a g e n für G l e i c h - u n d D r e h strom, nimmt eine L ä n g e v o n z w e i m a l 35 M e t e r ein. Eine
Frischwasserleifung u n d F e u e r l ö s c h a n l a g e n s i n d a u c h v o r h a n d e n . Der Dockmeister verfügt über eine B e s a t z u n g v o n zwanzig Mann. Ein b e s o n d e r e s P r o b l e m w a r es, d i e s e n R i e s e n k a s t e n zu v e r a n k e r n , ihn g e g e n S t r ö m u n g u n d W i n d d r u c k a b s o l u t sicher festzulegen. M a n staune: zwei D a l b e n , je ein Stahlrohrpfahl, g e n ü g e n d a f ü r ; d a r a n ist der K o l o ß so befestigt, dal; er z w a r a u f - u n d a b g l e i t e n k a n n , i m ü b r i g e n a b e r keine B e w e g u n g s m ö g l i c h k e i t hat. D i e M a n n e s m a n n - W e r k e mußten für d i e F e r t i g u n g dieser b e i d e n Röhren, d e r e n A u s m a ß e es bis d a h i n nicht g e g e b e n hatte, ihr g a n z e s S p e z i a l k ö n n e n a u f bieten. Immerhin sind es Pfähle v o n 1,5 M e t e r Durchmesser, sechs Zentimeter W a n d s t ä r k e , gut 37 M e t e r L ä n g e u n d 65 T o n n e n Gewicht. M a n rammte sie auf d e n Dezimeter genau ... A l s der alte Stülcken in H a m b u r g d a s erste S c h w i m m d o c k in Dienst stellte, d a brauchte m a n sich u m d i e V e r a n k e r u n g solche S o r g e n nicht zu machen. Ein p a a r H o l z d a l b e n u n d Ketten g e n ü g t e n . D e n n m a n b e g a n n mit b e s c h e i d e n e n A u s m a ß e n ; 63 M e t e r l a n g u n d 18 M e t e r breit w a r dieses Dock. Viel l ä n g e r jedoch w a r e n a u c h d i e g r ö ß t e n Schiffe jener Zeit nicht. D e n n es verdient festgehalten zu w e r d e n : H. C. Stülcken g i n g d a s technische W a g n i s , e i n S c h w i m m d o c k zu b a u e n , a u s H o l z natürlich, bereits im Jahre 1858 ein, v o r mehr als e i n e m Jahrhundert also. Er verschaffte d e n H a m b u r g e r n d a m i t d e n Ruhm, auf d e m Kontinent d a s erste D o c k dieser Art zu besitzen, u n d m a n n a n n t e es d a m a l s e i n » s c h w i m m e n d e s Trockendock«. H e Lücht, d e r flotte Erzähler des Hafens, hat a l s o mit seiner A u s d r u c k s w e i s e , d a s muß m a n i h m z u g e s t e h e n , g a r so unrecht w i e d e r u m nicht. Z u m i n d e s t ist er ein historisch gebildeter M a n n .
93: Helllngkrttne 94: Werftarbeiter 95: Eine Sektion Im Schiffbau w a r es w i e b e i der F a b r i k a t i o n der A u t o s : d a s F l i e ß b a n d s t a n d erst a m E n d e einer l a n g e n Entwicklung. D a s F l i e ß b a n d auf der Werft? M a n darf es nicht wörtlich n e h m e n , a b e r m a n darf — m a n muß s o g a r - d i e s e n A u s d r u c k g e b r a u c h e n ; d e n n im Prinzip entsteht ein Schiff heute w i e ein A u t o . Es w i r d a u s vielen vorfabrizierten Teilen z u s a m m e n gesetzt. D i e H e l l i n g (der H e l g e n ) , auf der dies geschieht, ist die Freiluft-Montagehalle. L a n g e Zeit b a u t e m a n d i e eisernen Schiffe w i e Jahrhunderte vorher die hölzernen. M a n richtete auf d e m H e l g e n d i e stählernen S p a n t e n auf, v e r b a n d sie mit d e n l ä n g s l a u f e n d e n Baufeilen, d e n Stringern, u n d d a n n w u r d e Platte auf Platte a n g e f ü g t ; so formten sich Schotten, Decks u n d A u ß e n h a u t . Die N i e t h ä m m e r ratterten unaufhörlich ihr Lied. Für d a s H e r a n b r i n g e n der v i e l e n Einzelteile brauchte m a n etliche kleine K r ä n e ; d a s Bild einer C r o ß w e r f t w u r d e d e s h a l b bestimml v o n d e n riesigen H e l g e n g e r ü s t e n mit d e n »Laufkatzen«, w i e sie d i e Deutsche Werft auf Finkenwerder, die H o w a l d t s w e r k e u n d d i e Sfülckenwerff a u c h jetzt noch besitzen. Heute g e b e n d i e S c h w e i ß a p p a r a t e zischend d e n T o n a n . D i e flinken L a u f k a t z e n arbeiten nur noch g e m e i n s a m , d e n n sie h a b e n schwere L a s t e n zu schleppen; bis zu z e h n setzt m a n mit Hilfe eines Traggestells a u s Leichtmetall gleichzeitig ein, w e n n es d i e schweren Bauteile zu befördern gilt. U n d auf d e n Werften, d i e g a n z neu entstanden sind, recken W i p p k r ä n e ihre A u s l e g e r vierzig, fünfzig u n d sechzig M e t e r hoch in d i e Luft. Bei B l o h m & V o s s z u m Beispiel hat m a n d a s alle weltberühmte H e l g e n g e r ü s t nicht w i e d e r a u f g e b a u t ; a n seine Stelle sind s i e b e n K r ä n e getreten, d i e jeweils 40 T o n n e n s c h l e p p e n k ö n n e n . D i e Kräne, die d e n n e u e n 270 M e t e r
l a n g e n C r o ß h e l g e n der Deutschen Werft flankieren, setzen sich s o g a r mit 60 T o n n e n in B e w e g u n g . D a s Stichwort für diese Arbeitsweise heißt: S e k t i o n s b a u . Der Schiffbau w u r d e zu e i n e m nicht u n b e d e u t e n d e n Teil in d i e H a l l e verlegt. Dort fertigt m a n zunächst d i e »Halbfertigteile«, die Sektionen. Im a l l g e m e i n e n sind sie 30 bis 40 T o n n e n schwer. D a r a u s w i r d d a s Schiff nach der B a u k a s t e n w e i s e z u s a m m e n g e s c h w e i ß t . V o n achtern nach v o r n o d e r v o n der Mitte a u s nach b e i d e n Seiten wächst es l a n g s a m in d i e L ä n g e u n d in d i e H ö h e , täglich u m z e h n bis fünfzehn S e k tionen; ein g r o ß e r Tanker ist in e t w a drei M o n a t e n , d o p p e l t so schnell w i e früher, ablaufbereit. D a m i t ist schon der Hauptvorfeil dieser M e t h o d e g e n a n n t : die Bauzeit verkürzt sich erheblich; d a s v o r a l l e m d e s h a l b , weil b e i d e r V o r f e r t i g u n g modernste M a s c h i n e n eingesetzt w e r d e n k ö n n e n . D a s A n z e i c h n e n d e r Platten erfolgt im o p tischen A n r e i ß v e r f a h r e n mif Hilfe eines Projektors. U n d b e i m S c h n e i d e n der Platten, S t e g e u n d G u r t u n g e n , a u s d e n e n eine Sektion entsteht, setzt m a n s o g a r vollautomatische B r e n n m a s c h i n e n ein; über ein in e i n e n Projektor e i n g e s p a n n tes G l a s n e g a t i v w e r d e n sie fotoelektrisch gesteuert; n i e m a n d braucht sich dort noch a u f z u h a l t e n ; sie b e a r b e i t e n d i e Platten, w i e vorgezeichnef, automatisch; ein M a n n , d e r im Steuerh a u s alle H e b e l u n d K n ö p f e unter Kontrolle hat, g e n ü g t . . . D i e S e k t i o n s b a u w e i s e bringt a u c h e i n e n a n d e r e n Vorteil. L e d i g l i c h d i e Schweißer auf der H e l l i n g sind noch d e m W i n d u n d d e m Wetter ausgesetzt. D i e a n d e r e n h a b e n in der Schiffbauhalle ein D a c h über d e m Kopf. U n d sie k ö n n e n besser u n d sorgfältiger arbeiten; d e n n K r ä n e b r i n g e n d i e entstehenden S e k t i o n e n stets in d i e günstigste L a g e - ein O b e r k o p f s c h w e i ß e n ist nicht mehr n o t w e n d i g . Selbstredend, d a ß m a n d i e A r b e i t s k o l o n n e n besser einsetzen k a n n a l s früher, d a ß alles M a t e r i a l w i e a m F l i e ß b a n d - g e n a u nach Z e i t p l a n - herankommt. M a n übertreibt nicht, w e n n m a n b e h a u p t e t : eine Werft ist v o r allem a n d e r e n ein M o n t a g e b e f r i e b . D a s w i r d deutlich, w e n n m a n berichtet, w o h i n d a s G e l d fließt, d a s d i e W e r f t e n für ihre N e u b a u t e n kassieren. Im a l l g e m e i n e n bleibt ihnen nur ein B e t r a g v o n e t w a 30 Prozent; dreiviertel d a v o n w i e d e r u m g e h e n als L ö h n e w e g , mif d e m Rest w e r d e n die s o g e n a n n t e n R e g i e k o s t e n ( a l l g e m e i n e Werftunkosten, V e r w a l t u n g , Strom, u n d a n d e r e s ) a b g e d e c k t . Etwa 25 Prozent der G e s a m t b a u s u m m e muß für d i e A n t r i e b s a n l a g e a u s g e g e b e n w e r d e n (manche Großwerft a l l e r d i n g s b a u t diese selbst, w e n n a u c h meistens in Lizenz); u n d ebenfalls 25 Prozent s i n d für d e n Schiffbaustahl, d i e Bleche u n d Profile, zu zahlen. B l e i b e n noch 20 Prozent für d i e vielen D i n g e , d i e m a n sonst a n B o r d benötigt. D i e H a p a g hat e i n m a l zusammengestellt, w o h e r d a s M a t e rial s o w i e die M a s c h i n e n u n d A u s r ü s t u n g s g e g e n s f ä n d e für ihr Kombischiff »Frankfurt« (8959 BRT) s t a m m e n : d a s R u h r gebiet lieferte Eisen u n d S t a h l ; a u s d e m Bergischen L a n d , a u s Remscheid u n d S o l i n g e n k a m e n Schlösser u n d B e s c h l ä g e , Beleuchtungskörper u n d Wirtschaffsgeräte; a u s K ö l n b e z o g m a n Dieselmotoren, a u s d e m S i e g e r l a n d H e r d e u n d K ü c h e n geräte, a u s Berlin Turbinen, Elektromotoren, elektrische A p p a r a t e u n d Instrumente; in H a m b u r g bestellte m a n Sextanten, M a g n e t k o m p a s s e u n d d e n Schiffspropeller, in Bremen D e c k s hilfsmaschinen u n d nautische G e r ä t e , in Neumünster D e c k s w i n d e n , in Lübeck Rettungsgeräte u n d L a d e w i n d e n ; a u s d e m Bayrischen W a l d b e k a m m a n G l a s w a r e n , a u s H a g e n d i e W ä s c h e , a u s B a d e n d a s Leinen, a u s Pforzheim d a s Silber, a u s B a y e r n Porzellan u n d W o l l d e c k e n , a u s R e n d s b u r g B a d e w a n n e n u n d a u s R a t h i n g e n in Ostfriesland W a s c h b e c k e n und Keramikwaren ... M a n darf a l s o s a g e n : g a n z Deutschland b a u t a n H a m b u r g s Schiffen.
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96: 88000-Tonner S t ü n d e nicht d a s kleine W o r t » 8 8 0 0 0 - T o n n e r « unter d e m Bild - selbst mancher H a m b u r g e r w ü r d e w o h l ein w e n i g d a r a n herumrätseln. Es entstand drei M o n a t e v o r d e m S t a pellaut d e s Riesentankers »Esso S p a i n « . U n d es zeigt im Vorschiff d i e stählerne B i n n e n w a n d eines R o h ö l t a n k s , d i e so hoch ist w i e ein s i e b e n g e s c h o s s i g e s H a u s . S u p e r t a n k e r dieser Gröfje p a s s e n k a u m auf d e n Jungfernstieg; sie reichen v o n d e n A l s t e r a r k a d e n bis über d i e Einm ü n d u n g der K o l o n n a d e n hinaus. D i e »Esso S p a i n « nämlich, d i e v o n zwei L ä n g s - u n d vierzehn Querschotten in 39 T a n k s unterteilt wird u n d 8 8 0 0 0 T o n n e n t r a g e n k a n n , ist 261 M e t e r l a n g u n d gut 3 8 M e t e r breit. Bis z u m H a u p t d e c k mifjf sie in der H ö h e 19 M e t e r , bis z u m S c h o r n s t e m t o p p sind es fast 40 M e t e r , u n d so h o c h ist keines der H ä u s e r a n der Prachtstrafje der City. D i e H o w a l d t s w e r k e h a b e n ihren D o p p e l h e l g e n für derartige N e u b a u t e n e i g e n s u m 25 M e t e r v e r l ä n gert, u n d wer a n Deck eines solchen dicken D a m p f e r s will, hat auf der H e l g e n f r e p p e 135 Stufen hinter sich zu b r i n g e n . A p r o p o s D a m p f e r : d i e Tanker v o m T y p der »Esso S p a i n « s i n d Turbinenschiffe, d e r e n M a s c h i n e fast 27 000 P S leistet u n d für eine G e s c h w i n d i g k e i t v o n 17,5 K n o t e n g u t ist. Eine e i n z i g e vierflügelige S c h r a u b e g e n ü g t ; a l l e r d i n g s hat sie e i n e n Durchmesser v o n 7,5 Meter, u n d sie wiegt 680 Zentner. W e r solche Superschiffe schwimmen sieht, k a n n sich ihre A u s m a ß e nur schwer vorstellen. U n d d a s ist verständlich. V o l l b e l a d e n nämlich liegt d i e »Esso S p a i n « mit ihrem H a u p t d e c k nur k n a p p fünf M e t e r über d e m W a s s e r ; 14,30 M e t e r g e h t sie d a n n tief. Die h a m b u r g i s c h e n Raffinerien k a n n sie d e s h a l b nicht mit R o h ö l beliefern, u n d a u c h d e n S u e z k a n a l passiert sie nur in Ballast o d e r allenfalls mit h a l b v o l l e n Tanks. D a s Revier dieser Schiffe sind vornehmlich d i e Routen v o m Persischen G o l f nach J a p a n u n d d e n U S A . Es gibt in der W e l t nur sehr w e n i g e H ä f e n , d i e v o n ihnen a n g e l a u f e n w e r d e n k ö n n e n . Sollte jedoch d e r bei N e u w e r k g e p l a n t e V o r h a f e n einmal Wirklichkeit w e r d e n , d a n n hat a u c h H a m b u r g e i n e n H a f e n für solche Schiffe. Der erste Hochseetanker der W e l t hiefj »Glückauf«. Er w u r d e auf der Armstrong-Mitchell-Werft in Newcastle ( E n g l a n d ) g e b a u t u n d a m 10. Juli 1886 in Dienst gestellt, v o n W i l h e l m Anton Riedemann aus Geestemünde, dessen Waried-Reederei der U r s p r u n g der heutigen Esso-Tankschiff-Reederei ist. D i e » G l ü c k a u f « fuhr zusätzlich n o c h S e g e l , u n d sie trug 3000 Tonnen. Z w a r g a b es 1914 schon 1 0 0 0 0 - T o n n e n - T a n k e r , d o c h bis z u m zweiten W e l t k r i e g g e h ö r t e n Tankschiffe v o n 1 4 0 0 0 bis 1 6 0 0 0 T o n n e n zu d e n Riesen. U n d noch 1950 n a n n t e m a n e i n e n 2 5 0 0 0 - T o n n e r e i n e n »Supertanker«. D a n n jedoch g i n g es S c h l a g auf S c h l a g . Weltweites A u f s e h e n erregte es, als die H o w a l d t s w e r k e in H a m b u r g 1953 d i e »Tina O n a s s i s « v o m Stapel liefjen, ein Schiff v o n 4 5 0 0 0 T o n n e n , vielfach gefeiert als d a s N o n - p l u s - U l f r a . A b e r diese Superlative hielten nicht l a n g e vor. Ein 50 000-Tonner ist heute nichts als ein »Grofjfanker«, u n d in J a p a n ist m a n bereits d a b e i , 1 6 0 0 0 0 T o n n e n t r a g e n d e Schiffe zu projektieren. W a r u m diese Entwicklung? G a n z einfach: Riesenschiffe k o m m e n d e m R e e d e r billiger. D a s gilt s o w o h l für d e n B a u p r e i s als auch für d e n Betrieb. Für d i e 60 M i l l i o n e n M a r k etwa, d i e ein 9 0 0 0 0 - T o n n e r kosten m a g , b e k o m m t ein R e e d e r b e i weitem nicht drei 3 0 0 0 0 - T o n n e r geliefert. V o r a l l e m a b e r : der Brennstoffverbrauch eines solchen G i g a n t e n ist niedriger als derjenige mehrerer kleinerer Schiffe, u n d in der Besatzungsstärke zeigt sich so gut w i e kein Unterschied. Die »Esso Stuttgart« ( 4 7 0 0 0 T o n n e n ) z u m Beispiel w i r d v o n 59 M a n n g e f a h r e n , die fast d o p p e l t so grofje »Esso S p a i n « benötigt nur drei M a n n mehr. » S e h e n Sie«, s a g t e e i n m a l ein B o o t s m a n n , »vor fünfzig Jahren brauchten wir auf d e n g r o ß e n Tiefwasserseglern, u m
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4000 T o n n e n Last über d e n O z e a n zu b r i n g e n , drei D u t z e n d M a n n . Heute sind wir für d i e z w a n z i g f a c h e L a d u n g s m e n g e fünf Dutzend. Ich k a n n I h n e n d a s a u c h a n d e r s v o r r e c h n e n : früher p r o N a s e 120 T o n n e n , jetzt a b e r 1500 T o n n e n . « Er erzählte d a s nicht o h n e e i n e n heimlichen Grientje, w o h l wissend, dafy dieser V e r g l e i c h hinkte u n d a u s jener Kiste stammte, in der er sein G a r n gespeichert hatte. S u p e r t a n k e r fahrer, d i e nur in E i n z e l k a b i n e n w o h n e n u n d gleich d e n P a s s a g i e r e n eines M u s i k d a m p f e r s ein S c h w i m m b a d besitzen, m ü s s e n z w a r tüchtige Seeleute sein; S u p e r m ä n n e r jedoch w e r d e n trotz der v i e l e n z i g t a u s e n d T o n n e n nicht benötigt. D e n n d i e Technik ist m.it ihnen im B u n d e . D i e I n g e n i e u r e fahren in ihre M a s c h i n e e b e n mit d e m Fahrstuhl hinunter. Trotzdem konnte sich seinerzeit K a p i t ä n S i m m g e n , a l s er d i e »Esso Berlin« ü b e r n a h m , d i e s e n Satz nicht verkneifen: » N u n mufj ich mir, u m v o n v o r n n a c h achtern zu k o m m e n , auf m e i n e alten T a g e ja w o h l d o c h noch e i n e n M o t o r r o l l e r zulegen ...«
97: Ovelgönne In O v e l g ö n n e , d e s s e n einseitig b e b a u t e , a m Fulje d e s E l b h a n g s e n t l a n g f ü h r e n d e S t r a f e nicht mehr ist als ein F l i e s e n w e g für F u ß g ä n g e r , in O v e l g ö n n e , w o sich bereits 1745 d i e Lotsen der Unferelbe zu einer Brüderschaff z u s a m m e n schlössen, w o m a n m e i n e n m a g , d i e Zeit stehe still, dort b e g i n n t H a m b u r g s schönster W a n d e r w e g , der E l b u f e r w e g über Teufelsbrück nach B l a n k e n e s e u n d d a r ü b e r h i n a u s nach d e m Falkenstein. O v e l g ö n n e ist eine der gröfjten Ü b e r r a s c h u n g e n , die H a m b u r g zu bieten hat: unweit der nicht g e r a d e sehr ansehnlichen F i s c h e r e i h a f e n g e b ä u d e , abseits v o n Beton u n d G l a s u n d rastloser Tätigkeit eine Idylle im G r ü n e n u n d K a f f e e g ä r f e n mit Elbblick.
98: Bei Teufelsbrück Betrieb ist auf d e m Strom immer. G a n z gleich, a n welchem T a g , zu welcher S t u n d e m a n a n ihm e n t l a n g w a n d e r f . U n a b h ä n g i g v o n d e n G e z e i t e n k ö n n e n d i e Schiffe in d e n H a f e n einlaufen, k ö n n e n sie ihn a u c h verlassen. Allenfalls auf d e n g a n z kleinen Pötten, Klüteinewern, Schlickrutschern o d e r w i e m a n sie immer nennt a n der Küste, richtet der Schiffer es sich so ein, dafj er nicht u n b e d i n g t g e g e n d e n Strom a n z u tuckern braucht. W o h l g e m e r k t : brauchtl Für d i e K a p i t ä n e der g a n z dicken Schiffe d a g e g e n , der Tanker, d i e a n d i e elf M e t e r tief g e h e n , ist d a s Sicheinrichfen ein Mufj. V o l l b e l a d e n e Riesenfrachfer k o m m e n im elf M e t e r tiefen F a h r w a s s e r nur d a n n stromauf, w e n n sie möglichst auf d e m Scheitel der Flutwelle schwimmen, die ihnen g u t zwei M e t e r W a s s e r mehr unter d e m Kiel garantiert. D i e Unterelbe ist v o n H a m b u r g bis zur M ü n d u n g bei C u x h a v e n 55 S e e m e i l e n (102 Kilometer) l a n g ; d o c h ist der Strom dort, bei der K u g e l b a k e , nicht zu E n d e ; sein W a s s e r fliefjt auch noch durchs W a t t e n m e e r hinaus, um erst allmählich mit d e m der N o r d s e e eins zu w e r d e n . D a s Feuerschiff » E l b e I«, 22 S e e m e i l e n (etwa 40 Kilometer) a u ß e r h a l b C u x h a v e n s stationiert, markiert d a s E n d e dieser Stromstrecke, der A u f j e n elbe. Z w i s c h e n H o c h - u n d N i e d r i g w a s s e r besteht b e i weitem nicht überall der gleiche Unterschied. C u x h a v e n z u m Beispiel hat e i n e n mittleren T i d e n h u b v o n 2,85 M e t e r n ; in H a m b u r g s i n d es 2,30 Meter. A u f d e m Atlantik ist d i e Flutwelle nur w e n i g e Dezimeter hoch - im G o l f v o n Saint M a l ö bei C h e r b o u r g h a b e r mifjf m a n zwölf u n d in der F u n d y B a y auf N e u f u n d l a n d s o g a r z w a n z i g Meter. Flache Küsten o d e r Trichtermündungen b e w i r k e n e b e n , dafj die a u f l a u f e n d e Flutwelle sich » ü b e r höht«, dal; sie sich hochsfaut. D i e G e z e i t e n w e l l e ist a l l e r d i n g s nicht identisch mit d e m b e i
Flut einströmenden Wasser. W ä h r e n d der Scheitel der Flut mit etwa 24 Kilometer in der Stunde elbauf kommt, mif}t man eine stärkste Strömung v o n allenfalls sieben Kilometer. Die Flutwelle und der Wassertransport sind zweierlei, und deshalb auch dringt kein Nordsee-Salzwasser bis nach Hamburg vor; bei Glückstadt etwa ist die Grenze, dort befindet sich die Misch- oder Brackwasserzone. Im übrigen: früher verlief sich die Flutwelle bei Lauenburg; heute wird sie a m Geesthachter Stauwehr schon vorher gestoppt. Eine Tide, die Zeit v o n Hochwasser bis Hochwasser, dauert 12 Stunden und 25 Minuten. Das ist g e n a u die Hälfte eines Mondtages. W i e denn auch der M o n d mit seiner Anziehungskraft in erster Linie die Gezeitenbewegungen verursacht. In erster Linie - nicht allein nämlich. Doch d a v o n gleich. Der M o n d zieht auf der ihm zugewandten Erdseite einen »Flutberg« hoch, und auf der ihm abgewandten bewirkt die Fliehkraft der rotierenden Erdkugel infolge der dort verminderten Anziehungskraft des M o n d e s die gleiche Erscheinung; daher tritt im Laufe eines M o n d t a g e s (24 Stunden und 50 M i nuten) zweimal Hochwasser auf. Doch hat die Sonne noch ihre Kräfte im Spiel. W o h l ist sie mit ihrer M a s s e dem M o n d weit überlegen; dennoch kommt sie bei den Gezeiten über eine Nebenrolle nicht hinaus - weil sie so viel ferner ist. Allerdings: wenn die Kraft der Sonne m.it der des M o n d e s in gleicher Richtung wirkt (bei Neumond und bei Vollmond), d a n n laufen die Flutwellen besonders hoch auf, dann spricht man v o n Springtiden; wenn Sonne und M o n d jedoch »im rechten Winkel« zueinander stehen, dann schwächt die Sonne die Wirkung des M o n d e s ab, d a n n gibt es Nipptiden. In Cuxhaven besteht im Durchschnitt zwischen Springtiden und Nipptiden ein Unterschied v o n etwa 70 Zentimeter, in Hamburg sind es rund 30 Zentimeter. Die Tatsache, dafj die Springtiden auf der Elbe erst etwa drei Tage nach Neumond und Vollmond (und die Nipptiden entsprechend drei Tage nach dem ersten und dem letzten Viertel) eintreten, hat diesen Grund: entscheidend sind die Gezeiten auf dem A t lantik; die Nordsee ist d a v o n nur ein »Anhängsel« - rund drei Tage braucht die auf d e m O z e a n erzeugte Flutwelle, bis sie bei uns eintrifft. Fragen auch wird man noch, warum die Flut in Hamburg ziemlich g e n a u fünf Stunden dauert, die Ebbe aber fast siebeneinhalb; das kommt, weil bei Ebbe auch das sogenannte Oberwasser der Elbe, d a s Wasser, d a s sie aus Mitteldeutschland heranführt, abfliegen mufj. Sturmfluten haben direkt mit den Gezeiten nichts zu tun. Natürlich ist die Gefahr, die sie bringen, in jener Stunde a m größten, in der das Tidehochwasser seinen höchsten Stand erreicht. Ihre Entstehung jedoch besorgt der Wind. W e n n er lange in Sturm- oder Orkansfärke weht, d a n n schiebt er die oberen Schichten des Seewassers vor sich her und staut sie an den Küsten auf, und die hochbrandenden Wellen tun ein übriges, um die Deiche zu zerstören. Gefährlich ist für die sich nach Nordwesten öffnende trichterförmige Deutsche Bucht und die in etwa die gleiche Richtung strömende Elbe deshalb vor allem, ein anhaltender Sturm aus Nordwest. Bis zur grofjen Flut vom 17. Februar 1962 meinte man, eine Sturmflut von etwa 3,70 Meter Höhe über dem mittleren Tidehochwasser sei das Äußerste, was die Nordsee den Bewohnern der Küste bieten könnte. M a n mufjte sich in einer Katastrophe eines anderen belehren lassen. Auf efwa 4,20 Meter stieg diese Flut in der Elbe. Sie brach die Deiche a n Dutzenden v o n Stellen, machte Tausende obdachlos und holte sich allein in H a m b u r g 313 Todesopfer. Möglicherweise kommt eine solche Flut nur alle paar hundert Jahre vor. Doch weifj man auch: für die Zufälle v o n Wetter und W i n d gibt es keine Regeln, gibt es keine vorbestimmten Pausen. U n d man hat einsehen müssen, bei noch ungünstige-
ren Verhältnissen kann es auch Sturmfluten v o n 4,50 oder gar fünf Meter geben. Die Flut v o m 17. Februar, die wahrscheinlich höchste, die Hamburg je erlebt hat, war zum Beispiel keine Springflut. Das heifjt, sie ereignete sich außerhalb der Springzeit, jener Zeit, in der das Tidehochwasser infolge der gemeinsam wirkenden Anziehungskraft v o n M o n d und Sonne a m höchsten aufläuft. W ä r e der 17. Februar ein T a g drei T a g e nach Vollmond oder Neumond gewesen - es wäre noch schlimmer gekommen. 99-100: Sommer . . . S o paradox es klingen m a g - a n der Küste haben Sommer und Winter etwas Gemeinsames. Beiden, möchte man sagen, mangelt es a n Charakter. In der kalten Jahreszeit kennen die Hamburger vom Schnee eigentlich nur den Matsch; und in der warmen, behauptet man, sollen sie selbst bei strahlendblauem Himmel den Regenschirm auf keinen Fall zu Hause lassen. W a s nur beweist: das Wetter ficht sie wenig an; sie sind stets darauf eingerichtet. U n d sie nutzen die Sonne, wenn sie nur scheint: »Fahr'n wir mal zum Hafen runferl« das sagt man in solchem Falle mindestens so häufig wie »Gehn wir mal zu Hagenbeckl« Eine sommerliche Fahrt v o n Hamburg nach Helgoland gehört gleichfalls dazu. »Grön is dat Land, rot is de Kant, witt is de Sand«, das darf man nicht nur v o m Hörensagen kennen. Ist doch auch die Insel ein Teil der hansischen Geschichte — wie es die Gefechte mit den Piraten Klaus Störtebecker und G o d e k e Michels zur G e n ü g e beweisen, wie es schon A d a m von Bremen vor tausend Jahren schrieb: »Dieser Ort hat einen Wert für alle Seeleute, vor allem für die Seeräuber, und darum erhielt er den N a m e n Heiligland«. Eine Fahrt von Hamburg nach Helgoland und zurück ist ein Spezialvergnügen, das v o n morgens um sieben bis Mitternacht dauert. Guf drei Stunden bleibt man auf der Insel, der Rest ist Seereise und Elbefahrt. Mit dem 3700 BRT grofjen » W a p p e n von H a m b u r g « (unser Bild) darf man sie ungetrübt geniefjen, die Seefahrerei. Draußen, in den Wellen, dämpfen bewegliche Flossen das Schlingern des Schiffes, und auf der Elbe mag, wer will, sich in permanenter Siegesstimmung wähnen. Denn kein Dampfer ist dort schneller. 21 Knoten werden nicht überboten. 101-102: . . . und Winter Mit Eisgang ist auf der Elbe allenfalls v o n Dezember bis M ä r z zu rechnen. Mit Sturm jeden Tag. Trotzdem spricht man insbesondere v o n »Herbststürmen«. D a s nicht zu unrecht. Denn kein M o n a t ist so sturmreich wie der Oktober, und diesem auf dem Fulje folgt der November. In der Aufjenelbe hat der Seemann, das langjährige Mittel zugrundegelegt, a n 25 Tagen des Jahres einen W i n d von Stärke 8 und mehr, stürmisches Wetter also, zu erwarten. Vier dieser Sturmtage beschert im Durchschnitt allein der Oktober. Seinen Kontrapunkt setzt der M a i mit (rechnerisch) nur 0,8 Sturmtagen. Schuld an der windigen Misere des Herbstes ist natürlich der Nordatlantik, die grofje Wetterküche der Hamburger. Im Herbst ist sein Wasser vom Sommer her noch recht warm, weil es sich nur g a n z allmählich abkühlt; zu dieser Zeit jedoch weht es vom Pol schon sehr kalt herunter. Kaltluft über warmem Wasser, das aber bedeutet: intensiver W ä r m e a u s tausch und ergo besonders starke vertikale Verwirbelungen in der Atmosphäre; in der Sprache der Meteorologen: es bilden sich Tiefs; in der Sprache der Seeleute: das Barometer reist in den Keller. Je größer d a s Druckgefälle vom Hoch zum Tief, desto heftiger d a s Bestreben zum Ausgleich, desto stärker der Sturm. Ein Praktiker, der britische Admiral Beauforf, hat dafür g e 127
sorgt, dafj es über W i n d und Sturm in der internationalen Seefahrt keine Mißverhältnisse mehr gibt; er schuf die Beaufort-Skala. Weil er Engländer war, hielt er es natürlich mit dem Dutzend. Sie geht von 1 bis 12. Ihr letztes Drittel ist dem Sturm vorbehalten: der Stärke 8 (stürmischer Wind) folgen: 9 - Sturm; 10 - schwerer Sturm; 11 - orkanartiger Sturm; 12 - Orkan. Es gibt in Ergänzung dazu noch die Petersen-Skala. Diese, bei den Seeleuten kaum weniger bekannt als die vom A d miral Beaufort, ist hamburgischer Provenienz, erdacht und in aller Knappheit aufgeschrieben von Kapitän Boie Petersen, dem Führer des größten und schnellsten Seglers aller Zeiten, des Fünfmastvollschiffes »Preußen« von F. Laeisz, der Reederei der Flying P-Liner. Die Petersen-Skala erlaubt es dem Seemann, die Windstärke auf dem Ozean genau zu schätzen. Für Stärke 9 (Sturm) zum Beispiel gibt sie an: »Hohe Wellenberge, dichte Schaumstreifen in Windrichtung, ,Rollen' der See beginnt; Gischt kann die Sicht schon beeinträchtigen«. Und über Orkan wird darin gesagt: »Luft mit Schaum und Gischt angefüllt; See vollständig weiß; Sicht sehr stark herabgesetzt; jede Fernsicht hört auf«. Orkan, Windstärke 12, kommt in der Nordsee nur sehr selten vor. Das beweisen die Messungen der Welterleute. Weder während der Holland-Sturmflut von 1953 noch während der Flut vom 17. Februar 1962 wurde die Orkan-Grenze erreicht. Sie liegt nach der Rechnung der Meteorologen bei einer Windgeschwindigkeit von 64 Knoten oder 118 Kilometer in der Stunde. Orkanartiger Sturm kommt mit 56 bis 63 Knoten (103 bis 117 Kilometer in der Stunde) daher, schwerer Sturm mit 48 bis 55 Knoten (89 bis 102 km/h); Sturm herrscht, wenn 41 bis 47 Knoten (75 bis 88 km/h) gemessen werden. Und keineswegs ist es Seemannsgarn, wenn heute von Windstärke 13 gesprochen wird. Die Meteorologen nämlich haben die Beaufort-Skala noch erweitert. Eine Geschwindigkeit von 72 bis 80 Knoten (134 bis 149 km/h) ist für sie Windstärke 13, und sie setzen diese Skala noch fort ... Slurm und Orkan sind für den Seemann, sind für die Bewohner hinter den Deichen und selbst für die Schiffe im Hafen gefährlich. Das Eis auf der Elbe d a g e g e n ist eigentlich mehr ein Ärgernis denn Gefahr. M a n weiß damit fertigzuwerden, man ist darauf vorbereitet. Für die Elbe stehen im Winter drei große Eisbrecher unter Dampf, darunter zwei von je 2000 PS, und im Hafen hält, wenn es not tut, gut ein halbes Dutzend stark und rundlich gebauter kleiner Schiffe den von der Oberelbe herunterkommenden Schollenteppich in Bewegung. Order: hier mol an den Kant dörch, dor mal an de Kant lang. Und wenn es denn sein muß: immer hinein mit Volldampf in die zwei bis drei Meter starken Barrieren, die sich an Engstellen wohl einmal zusammenschieben können. Darauf nämlich kommt es an: das Eis darf sich nicht festsetzen; es muß treiben. Dann nämlich sorgen die Gezeiten dafür, daß es allmählich in Richtung See entschwindet. Der Ebbstrom ist der große Helfer der Eisbrecher. M a g die Flut noch so viele Schollen elbauf treiben - die Ebbe bleibt doch Sieger. Denn ihr Strom läuft mehr als sieben Stunden, die Flut d a g e g e n bringt es nur auf fünf, Also geht das Eis sozu-
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sagen im Tangoschritt - zwei vor, ein zurück - in die Nordsee hinaus. 103: Ein Schiff mulj fahren Nur vier Tage war er im Hafen. M o r g e n ist er in Bremen, dann in Antwerpen, in Rio, Santos, Rio Grande del Sul, Montevideo, Buenos Aires. Auf der Rückfahrt sind es noch mehr Häfen, dauert's noch länger: Montevideo, Santos, Rio de Janeiro, Salvador, Recife, Antwerpen, Rotterdam, Bremen. Erst in drei Monaten wieder ist es so weit: ein Schiff wird kommen ... 104: A b e n d im Hafen A b e n d im Hafen, das heißt nicht unbedingt Feierabend. Irgendwo wird dort immer gearbeitet. Ein gut Teil der Schiffe sogar trifft nachts ein, um a m M o r g e n zur ersten Schicht löschbereit zu sein. Es gibt keine Pause. Und es gibt keinen Stillstand für den Hafen. Er ist niemals fertiggestellt. Stets muß er sich auf Neues einstellen, auf andere Arten von Gütern, auf noch größere Schiffe, auf veränderte Verkehrswege im Weltwerkehr. Wohl ist der Wiederaufbau nach den Zerstörungen, die der letzte Krieg anrichtete, so gut wie beendet. Nun jedoch gilt es, den Hafen auszubauen. Deshalb hat die Bürgerschaft (das Parlament) das Hafen-Erweiterungsgesetz verabschiedet. D a mit ist sichergestellt, daß dem Hafen für eine weitere Ausdehnung ein Gelände von 2500 Hektar zur Verfügung steht. Im Raum der Alten Süderelbe werden, wenn sie notwendig sind, neue Hafenbecken ausgebaggert. Es werden vornehmlich Massenguthäfen sein, bestimmt für den Umschlag von Kohle, Erz, Mineralöl und anderen Rohstoffen. A n ihren Ufern wird man Industriewerke errichten. Hamburg geht damit den W e g der anderen großen europäischen Häfen: nicht nur Kaufmannshafen zu sein, sondern zugleich auch Platz einer bedeutenden Industrie, die sich mit Rohstoffen aus Ubersee versorgt. Dem gleichen Ziel dient das Vorhafenprojekt in der Außenelbe bei Neuwerk. Dort, wo heute noch zweimal am Tag die Flut das Watt überströmt, wird eines Tages eine große Insel aufgeschüttet werden, werden in naher oder ferner Zukunft Riesenschiffe an Kais und Löschbrücken festmachen. Denn dieser Vorhafen wird unmittelbar an der tiefen Nordsee liegen, an einer natürlichen Zwanzig-Meter-Rinne, die selbst von 100000-Tonnen-Frachtern jederzeit befahren werden kann. Noch weiß niemand, wann dieses Projekt Wirklichkeit wird. Das hängt entscheidend von der Zukunft ab, von der wirtschaftlichen wie von der politischen Entwicklung. Die Bereitstellung von neuem Hafengelände und die Vorhafenplanung sind Vorsorge-Maßnahmen, nichts anderes. Doch sind sie notwendig. Nicht zuletzt beweist das die G e schichte des Hafens. Die Hamburger haben in allen Jahrhunderlen stets auch an die nächsten Generationen gedacht. Nur deshalb konnte ihr Hafen sich jeweils im entscheidenden Augenblick auf einen W a n d e l des Seeverkehrs schnell einstellen.