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German Pages 45 [56] Year 1883
GRUNDZUGE
DER SITTENLEHRE. EIN KOMPENDIUM DER MORALPHILOSOPHIE
VON
DR J. H. W I T T E .
BONN, EDUARD WEBER'S VERLAG. (JULIUS FLITTNER.)
1882.
GRUNDZÜGE
DER SITTENLEHRE. EIN KOMPENDIUM DER MORALPHILOSOPHIE
VON
D** J . H . W I T T E .
BONN, EDUARD WEBER'S VERLAG. (JULIUS FUTTNER.)
1882.
Alles a u s s e r u n s ist nur Element, wie auch alles an u n s ; aber tief i n uns liegt die schöpferische Kraft, die das zu erschaffen vermag, was sein soll, und uns nicht ruhen und rasten lässt, bis wir es ausser uns oder an uns auf eine oder die andere Weise dargestellt haben. D e r hat vielleicht das b e s t e Theil erwählt, der sein sittliches Wesen, und eine tiefe liebevolle Natur, mit sich selbst und dem höchsten Wesen übereinstimmend zumachen sucht, indess die A n d e r n wohl auch nicht zu tadeln sind, die den s i n n l i c h e n Meeschen in seinem Umfange zu kennen und thätig in Einheit zu bringen suchen. G ö t h e (Wilhelm Meisters Lehrjahre).
Vorwort.
Die „Einleitenden Vorbemerkungen" dürften dazu angethan sein, den alsdann folgenden Iiogen im Sinne des Verf. den Wert eines für sich bestehenden Ganzen zu verleihen. Ursprünglich sollten sif einen solchen nicht in Anspruch nehmen. Sie bilden vielmehr von Haus aus den Anhang und Schluss von einem umfassenden zu gleicher Zeit in demselben Verlage erscheinenden Werke: „Über Freiheit des Willens, das sittliche Leben und seine Gesetze". Das praktische Ergebnis dieses Werkes in systematischem Umrisse, welches jener Anhang enthält, hat aber eine Gestalt gewonnen, die als w i s s e n s c h a f t l i c h e s ,,Kompendium der Moralphilosophie" zur kurzen Orientierung über den Inhalt der letzteren Disziplin für jeden Gebildeten geeignet, darum weiteren Kreisen auch für sich allein willkommen und besonders den Studierenden aller Fakultäten, zumal den Theologen der verschiedensten Konfessionen als philosophische Einleitung in die Moraltheologie, nützlich sein dürfte. B o n n , im Juni 1882. J. W i t t e .
Inhalt. Seite.
Einleitende Vorbemerkungen. . . • X. Ein neues Grundgesetz der Moralität (Zur Reform des k a t e g o r i s c h e n Imperativs) 2. Zur P f l i c h t e n l e h r e 3. Die K o l l i s i o n d e r P f l i c h t e n im Besonderen 4. Zur G ü t e r l e h r e 5. Zur T u g e n d l e h r e Beschlüsse Stellung zum Theismus
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Einleitende Vorbemerkungen.
1. Die Selbstgewissheit des ursprünglichen Selbstbewusstseins ist es ganz allein, welche allem t h e o r e t i s c h e n Zweifel einen entschiedenen Halt gebietet. Sie allein ist Quell der Gewissheit der Erkenntnis. Erst sie gibt uns auch strenge Allgemeinheit und unbedingte Notwendigkeit als Kriterien einer gewissen Erkenntnis von etwas Anderem, was irgendwie nicht blos im Bewusstsein enthalten sein mag, an die Hand. Stellen wir mittels dieser Kriterien eine Selbstbesihnung an über den Inhalt desjenigen, was innere oder äussere Beobachtung und Erfahrung unserem Individualbewusstsein als Denkinhalt darbieten, so werden wir der ursprünglichen Vernunftthatsachen inne, deren Vorhandensein von allem besonderen Vorkommen in einzelnen Fällen der durchmusterten Erfahrung unabhängig ist. Solche Vernunftthatsachen gibt es nicht ohne Erfahrung, sie liegen vielmehr der Erfahrung selber als deren eigenes ewiges und beständiges Sein zugrunde; nur von der einzelnen und zufalligen, in ihrem wahren Sein noch nicht erkannten Erfahrung sind sie unabhängig. Diese Vernunftthatsachen verbürgen wie die Gewissheit der Erkenntnis so auch die Gesetzmässigkeit des Seins; denn die erkannten G e s e t z e sind nur der wissenschaftliche Ausdruck für dasjenige im Sein, was das Denken als g e w i s s und nur darum als Denken eines Seienden anzunehmen genötigt wird. Nirgends aber erreicht die Selbstgewissheit der Vernunft solchen Stärkegrad, als sie ihn über die Bewusstseinsobjekte des Willens zu erlangen vermag. Das Wollen ist ja diejenige selbstbewusste Erfahrung, die ihre Gegenstände als Objekte selber hervorbringt. Es ist die einzige Erfahrung, durch welche der menschliche Geist seinen eignen Inhalt selber erfasst und zunächst ganz bei sich selber stehen bleibt. In gleicher Unmittelbarkeit und Vollständigkeit erfasst er überhaupt keine andere Wirklichkeit. In
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Einleitende
Vorbemerkungen.
dieser Erfahrung und ihrer selbstbewussten Kritik findet er deshalb die tiefste Grundlage aller Gewissheit überhaupt. Was in der selbstbewussten Kritik dieser Erfahrung gewonnen wird an der Hand der Kriterien der Gewissheit: das kann keine Täuschung sein. Und eben deshalb ist auch das Bewusstsein der sittlichen Freiheit eine unwiderlegliche Thatsache. Dieselbe besteht in der aus dem Selbstbewusstsein des wollenden Ichs stammenden Einsicht, dass ihm gewisse Handlungen u n b e d i n g t wertvoll sind, dass unser praktisches Bewusstsein diesem gegenüber daher durch nichts gebunden ist, sondern dass in ihm der Mensch als ein s c h l e c h t h i n oder u n i v e r s e l l vernünftiges Wesen, welches das will und vollbringt, was für jedes vernünftige Thun in gleicher Lage ebenso gut maassgebend sein würde, die Entscheidungen und Entschlüsse seines Willens trifft und es in der Gewalt hat, sie in der Sinnenwelt ins Werk zu setzen. Verbürgt doch das Selbstbewusstsein zugleich die Möglichkeit der Einsicht in die Thunlichkeit der Entschlüsse sowie in die Ausführbarkeit der beabsichtigten Zwecke durch die geeigneten Mittel. So gewiss ist die Thatsache der siftlichen Freiheit, dass jede andere angebliche Gewissheit, die mit ihr unvereinbar sein soll, ihr weichen müsste. Solche Unvereinbarkeit ist jedoch zumal d e s h a l b nicht vorhanden, weil, wie schon L o t z e gezeigt hat, nach dem Gesetze der Kausalität wohl jede Wirkung ihre Ursache haben muss, aber nicht jede Ursache, die selbst wirkt, auch ihrerseits wiederum Wirkung zu sein braucht. So bleibt es denn bei dem, was F i c h t e einst lehrte, wenn er ungefähr in folgendem Sinne die Gewissheit der Freiheit behauptete: Was mir im strengsten Sinne gewiss sein soll, das darf nichts Abgeleitetes sein, sonst wäre ich ja nicht'' auf den Grund der Sache gekommen. Es muss etwas Ursprüngliches in mir sein, dasjenige, wodurch ich selbst etwas hervorbringe. Ist mir doch nichts in dem Grade gewiss, wie dasjenige, in Folge dessen ich etwas mein Werk nenne und womit ich selbst etwas erzeugt habe. Etwas derartiges in meinem Ich ist aber die Freiheit. Die Freiheit, d. i. der für meine vernünftige Selbstbesinnung klare und gegebene Umstand, dass ich selbst entscheiden und Urheber von Handlungen sein kann, die meine Person vollzieht, ist allein die zunächst für mich vorhandene Gewissheit, ist die Grundthatsache von allem. Nun habe ich diese Freiheit ganz und voll jedoch nur bewährt in Erzeugnissen meines Bewusstseins. Nur sofern etwas für ein Ergebnis von d i e s e m gelten kann, ist es wahrhaft frei von mir her-
Einleitende Vorbemerkungen.
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vorgebracht und der sichere Inhalt und Besitz einer gewissen Erkenntnis. Die Freithätigkeit des Denkens eben ist das, worin die eigentliche und unmittelbare Freiheit das Ichs besteht; sie ist die wahre Gewissheit desselben; die schöpferische Macht des Selbstbewustseins des denkenden Ichs muss mithin nach F i c h t e die Grundlage aller übrigen Gewissheit sein, und wenn der Mensch jemals über etwas Anderes zur Gewissheit gelangen soll, so muss dieses sich als ein Moment jenes freithätigen Bewustseins nachweisen lassen; denn letzteres ist eine schlechthin gültige und ursprüngliche Vernunftthatsache. Von keinen anderen Objekten ist aber mit solcher Sicherheit der Beweis zu erbringen, dass sie Momente eines derartigen Bewustseins sind, als von den s i t t l i c h e n Handlungen und Entschlüssen. Nur sie, die wir als unbedingt gut oder schlecht auf Grund eines selbsteigenen Maassstabes der Vernunft vollziehen oder unterlassen sowie beurteilen, gehen aus der tiefsten Tiefe des menschlichen Inneren hervor. — ,,Mein Bewustsein kann ich nur selber in mir hervorbringen. Von etwas Anderem hervorgebracht würde es nicht mein, sondern sein Bewusstsein sein. Der tiefste Grund von allem Wissen und Bewusstsein ist daher die freie That." In jedem Wissen ist soviel Wahrheit, als Freiheit darin enthalten ist. F i c h t e selbst sagt wörtlich darum Folgendes (W. W. Bd. II, S. 288): „Der Wille ist das lebendige Prinzip der Vernunft, ist selbst die Vernunft, wenn sie rein und unabhängig aufgefasst wird; die Vernunft ist durch sich selbst thätig, heisst: der reine Wille blos als solcher wirkt und herrscht. Unmittelbar und lediglich in dieser rein geistigen Ordnung lebt nur die unendliche Vernunft. Der Endliche, der nicht die Vernunft selbst ist, sondern nur ein einzelner unter mehreren Gliedern derselben ist, lebt notwendig zugleich in einer sinnlichen Ordnung, das heisst in einer solchen, die ihm noch ein anderes Ziel, ausser der reinen Vernunftthätigkeit darstellt: einen materiellen Zweck, — zu befördern durch Werkzeuge und Kräfte, die zwar unter der unmittelbaren Botmässigkeit des Willens stehen, deren Wirksamkeit aber auch noch durch ihre eigenen Naturgesetze bedingt ist. Doch muss, so gewiss die Vernunft Vernunft ist, der Wille schlechthin durch sich selbst, unabhängig von den Naturgesetzen, durch welche die That bestimmt wird, wirken; und darum deutet jedes sinnliche Leben des Endlichen auf ein höheres, in das ihn der Wille blos durch sich selbst einführe und ihm in demselben Besitz verschaffe — ein Besitz, der
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Einleitende Vorbemerkungen.
sich uns freilich wieder sinnlich darstellen wird, als ein Z u s t a n d , keineswegs als ein blosser Wille.1' 2.
Die P h i l o s o p h i e ist die W i s s e n s c h a f t von d e n G e s e t z e n d e s V e r n u n f t l e b e n s a l s e i n e s s o l c h e n . Dieses letztere stellt sich unmittelbar nur dar in denjenigen Gebieten der Wirklichkeit, in welchen die ursprünglichen Vernunftthatsachen (vgl. ob. S. 5) die herrschenden sind. Innerhalb der äusseren Erscheinungswelt ist dies von Haus aus nirgends der Fall; wohl aber findet im geistigen Wirken eine Entwicklung statt, in Folge deren z u Z e i t e n durch die Willenskräfte des Menschen jene Thatsachen auch für das äussere Dasein bestimmend w e r d e n und das innere Leben der Seele sogar ganz von ihnen erfüllt wird. Sofern dieses geschieht und soweit die Vernunft gerade durch den Willen normgebend für das Dasein überhaupt wird, haben wir es mit Vorwürfen der E t h i k zu thun. Diese ist darum d i e W i s s e n s c h a f t von d e n G e s e t z e n d e s sittlichen V e r n u n f t l e b e n s als e i n e s s o l c h e n . Wird deren Darstellung beschränkt auf das sittliche Leben des Einzelnen, so ist sie Moralphilosophie, während die Untersuchung des sittlichen Lebens in der menschlichen Gemeinschaft für Aufgabe der R e c h t s p h i l o s o p h i e gilt. Hier haben wir es nur mit den Grundzügen der ersteren zu thun, deren weitere Einteilung weiter unten sich ergeben wird.
i. Ein n e u e s Grundgesetz der Moralität. (Zur Reform des kategorischen Imperativs.)
Der K a n t i s c h e n Moralphilosophie werden wesentlich drei Verdienste nachgerühmt, die, wie mich dünkt, auch in anderer Gestalt aufrecht erhalten bleiben können, ja sogar nur in wesentlicher Modifikation bei unserer Auffassung der Willensfreiheit sich aufrecht erhalten lassen. Wenn die Willensfreiheit eine Brücke zwischen Vernunft und Sinnlichkeit bildet und zwar infolge davon, dass die zu ihr führende praktische Erkenntnis eine V e r n u n ftanschauung im Gewissen darbietet, so stehen für unser sittliches Wollen Vernunft und Sinnlichkeit nicht mehr in einem unvermittelten Gegensatze zu einander. Im Gegenteil fordert das sittliche Selbstbewusstsein von jedem ganz direkt eine Durchgeistigung aller seiner H a n d l u n g e n . Alles, was in den Bereich der mit Ü b e r l e g u n g v o l l z o g e n e n willkürlichen Bewegungen des Subjekts treten kann, soll wenigstens mittelbar durch diese ein Gepräge erhalten, welches von dem universell vernünftigen Wesen des sie hervorbringenden Willens Zeugnis ablegt. (Vgl. auch weiter unten S. 14—16.) Nur Handlungen können sittlich werden, sie sollen es aber auch möglichst werden, und sie sind es stets da, wo sie als Ausfluss der Persönlichkeit, d. h. des schlechthin vernünftigen oder sittlichen Charakters erscheinen. Sind sie blos Folgen des individuellen Charakters, so sind sie nur konsequente Thaten; sind sie aber zugleich Wirkungen der Persönlichkeit, so sind sie sittliche Thaten. Wie muss demgemäss das Grundgesetz für unser Verhalten lauten, damit dieses, soweit es kraft unserer Freiheit möglich ist,
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Grundzüge der Sittenlehre.
sich zum sittlichen Thun gestalte? Es muss sich erstlich richten an unsern Willen als den Urheber überlegter Wirkungen, also eine Handlung vorschreiben; es muss ferner sein Inhalt so beschaffen sein, dass durch letzteren diese Handlung auf etwas rein Vernünftiges zuhöchst bezogen und doch zugleich auf die mitwirkenden Bedingungen, die sich selbst bei Ausführung der absolut freien Entschlüsse geltend machen, Rücksicht genommen wird; es muss endlich als ein schlechthin gebietendes Gesetz ohne räumliche und zeitliche Einschränkung für jedes gleichartig organisierte Subjekt in Bezug auf seine sittliche Bestimmung gelten. Allen diesen Anforderungen dürfte folgende Fassung des sittlichen Grundgesetzes entsprechen, die ich auf Grund der gesamten vorangehenden Untersuchung an Stelle des kategorischen Imperativs zu setzen vorschlage. „Handle so, dass in jeder Deiner Handlungen sich stets zugleich irgendwie ein Erfolg der Vernunft über die Sinnlichkeit darstelle!" — „Vernunft" und „Sinnlichkeit" sind dabei in der präzisen Bedeutung zu verstehen, welche sie im Verlaufe unserer vorangehenden Untersuchungen gewonnen haben, so dass beide objektiv als Vernunftsein dem Sinnensein entgegengesetzt werden müssen. Wer nach dieser Maxime verfährt, dessen Wille bekundet in der That ein absolut freies, also sittliches Verhalten. Ist doch das Objekt, welches ihm als Ziel seines selbstbewussten Begehrens vorschwebt, so weit bestimmt, dass es als eine Erscheinung des sittlichen Ideals und darum als Offenbarung der universell bedeutsamen Bestimmung vernünftiger Wesen angesehen werden muss. Denn ein Triumph* und Sieg über die Sinnlichkeit setzt voraus, dass die ihn darstellende That nicht eine gegebene Harmonie des Sinnlichen und Vernünftigen zeigt, sondern eine Unterordnung des ersteren unter das letztere, die nur, wo dies in seiner schlechthin gültigen und reinen Natur sich wirksam erweist, stattfindet. Andererseits aber ist hiermit- die besondere Art, in welcher solche Unterordnung sich zu vollziehen hat, noch in keiner Weise bestimmt und dadurch sowohl auf die Stellung der besonderen Individualität zu dem absoluten Vernunftideal als auch auf die mitwirkenden Naturbedingungen seines Handelns Rücksicht genommen worden. Das Gebiet, für welches das Grundgesetz der Freiheit als eine sittliche Norm gelten soll, ist jedoch schon durch den Wortlaut dieses Gesetzes unseren obigen Forderungen gemäss beschränkt, und nicht minder deutet schon dieser an, dass und in welcher Hinsicht letzteres für das Begehren Allgemeingültigkeit in Anspruch nimmt, nämlich für das Begehren
Ein neues Grundgesetz der Moralität.
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jedes zum Handeln oder zum Begehren mit selbstbewusster Überlegung befähigten, d. i. vernunftbegabten Wesens. K a n t s kategorischer Imperativ weicht jedoch in drei Punkten von unserem Grundgesetze und dem durch letzteres bestimmten Charakter der Sittenlehre ab. Diese drei Punkte stellen eben die Vorzüge dar, welche K a n t zu so grossem Lobe gereichen sollen und besagen: 1) dies, dass als oberstes Prinzip der Sittenlehre sich ein lediglich formales Gesetz aufstellen lasse, nämlich der kategorische Imperativ: „Handle so, dass die Maxime Deines Wollens jederzeit zu einer allgemeinen Gesetzgebung tauge"; 2) dass, wenn dieser kategorische Imperativ die Grundlage der Ethik bleiben solle, die Sittenlehre lediglich auf das Pflichtbewusstsein sich auferbauen lasse; 3) dass das Pflichtgebot auch nur seinetwillen befolgt werden solle. Das erste Moment verbürgt freilich die universelle Vernünftigkeit des Moralgesetzes und der Sittlichkeit in ihrer spezifischen Eigenart, und soweit könnten wir ihm nur zustimmen. Das zweite Moment ferner stellt die Moral auf vollkommen selbständigen Boden und verbannt zugleich allen Eudaimonismus aus der Wurzel der guten Gesinnung. Auch diesen Forderungen können wir nur unsere aufrichtige Anerkennung zollen. Infolge des dritten Merkmals endlich ist zuzugeben, dass K a n t sich nicht an blos äusserlicher Pflichtbefolgung genügen lässt, sondern aufrichtige innere Aneignung des Sittengesetzes durch die Gesinnung verlangt, also das spezifische Wesen der moralischen und nicht blos juridischen Sittlichkeit durchschaut hat. Nicht blos Legalität, sondern wahrhafte Moralität soll die echte Sittlichkeit sein, welche hervorquillt aus dem die Persönlichkeit beseelenden guten Willen des einzelnen Menschen. Die soziale Ethik vermag diesen unabweislichen Forderungen in keiner Weise zu genügen. Dies alles geben wir zu und wir erkennen es gern an, dass K a n t durch Geltendmachung dieser Gesichtspunkte als der Urheber einer echten Sittenlehre in der neueren Philosophie dasteht'). 1) Dieser Überzeugung hat in neuerer Zeit, abgesehen von K u n o F i s c h e r , niemand einen so energischen und trefflichen Ausdruck verliehen wie H. C o h e n in seinem gründlichen und geistvollen Werke „Kant's Begründung der Ethik", Berl. b. Dümmler 1877. Das gute Recht, welches die Kantische Sittenlehre ihrem Kerne nach auch den modernen Anschauungen
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Grundzüge der Sittenlehre.
Was wir als begründet bestreiten, ist nur die Ausschliesslichkeit, mit welcher derselbe die letzten beiden Forderungen geltend macht, sowie die Behauptung, dass dem eigentlichen Zwecke der ersten allein die Fassung des kategorischen Imperativs genügen könne. Welches ist denn dieser Zweck nach K a n t selber? Kein anderer, als welchen auch wir uns gesetzt haben, nämlich der, in gleicher Weise wie es für das theoretische Verhalten geschah, so auch die für das praktische maassgebenden Gesetze zu erkennen. Sonst würde es hier keine Gewissheit, sonst zumal keine philosophisch befriedigende Einsicht geben. Nun hatte "es sich aber in jenem Falle gezeigt, dass die Kriterien a l l e r Gewissheit strenge Allgemeinheit und unbedingte Notwendigkeit seien und dass letztere wiederum auf der rein apriorischen Natur des die Objekte auffassenden Bewusstseins beruhen. Sofern die theoretischen Einsichten sich zu Gesetzen eignen und Gewissheit verbürgen, gründen sie sich ja auf Thatsachen der reinen Vernunft, deren Ursprung alles Empirische von sich abweist, wenn sie gleich die Anwendung auf Erfahrung nicht nur finden, sondern fordern, um Inhalt einer e r k a n n t e n Wahrheit zu werden. Denn nur zeitlich oder räumlich begrenzte Gegenstände, nur Erfahrungsobjekte sinnlicher Natur gegenüber besitzt, sowie der innere Zusammenhang derselben mit dem theoretischen Lehrgebäude K a n t s ist nirgend mit so umfassender Sachkenntnis, noch mit dem gleichen Feuer einer sittlich ernsten Lebensansicht verteidigt und beleuchtet worden. L a a s ' Ignorierung dieses "Werkes ist doch wahrlich keine Widerlegung desselben. Trotzdem geht C o h e n in seinen Behauptungen zu weit, da das a u s s c h l i e s s l i c h e Verharren auf dem Kantischen Standpunkte noch aus vielen anderen Gründen, als sie unsere obigen Darlegungen enthalten, nicht mehr angängig erscheinen dürfte. Müsste es denn nicht geradezu zum Erstarren des Lebens der Wissenschaft führen, wollten wir je irgendwo in unseren Forschungen die eigene Kritik und den Fortschritt der Erkenntnis der Einsicht eines noch so bedeutenden Genies der Vergangenheit opfern? K a n t selber aber würde sich wahrhaftig im Gewände der C o h e n s c h e n Darstellung zuweilen kaum noch als ein „ a l t e r ego" vorkommen. Mit Recht freilich will C o h e n dem „Philosophiren auf eigne Faust" ein Ende machen. Ich vollends bin gewiss der Überzeugung, dass K a n t zumal in der Ethik die F u n d a m e n t e einer solchen Methode gelegt hat, welche allezeit bleiben wird, und der Erfolg seines Verfahrens macht sich überdies in nicht minder bleibenden Ergebnissen des Inhalts seiner Sittenlehre geltend. Immerhin aber ist es sicher, dass auch die M e t h o d e noch manche Bereicherung, ja vielleicht' ganz unabsehbare Umgestaltungen erfahren wird und muss, und C o h e n dürfte mit seiner Meinung wohl allein stehen, dass eine völlige „Einheit in der Methode zwischen Kantischer Philosophie und Philosophie [überhaupt] besteht".
Kants kategorischer Imperativ.
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sollen ihrer Voraussetzung zufolge durch die Gesetze des theoretischen Verfahrens erklärt werden. Letztere Voraussetzung trifft freilich bei dem praktischen Verhalten nicht zu; die G e w i s s h e i t desselben kann jedoch auch nur von gleicher Art sein wie im Theoretischen und muss mithin ebenfalls auf rein apriorische Bedingungen sich zurückführen lassen. Wie wir also bei der erkennenden Vernunft von allen empirischen Bestimmungen absehen müssen, um zur reinen Gesetzmässigkeit der Naturobjekte sinnlicher Art zu gelangen, so müssen wir dasselbe hier thun, um zur gleichen Gewissheit über die Willensobjekte zu kommen. Diese aber, meint K a n t weiter, seien keine E r f a h r u n g s o b j e k t e , da die Voraussetzung des praktischen Verhaltens nicht die sei, dass die Objekte als Gegenstände fertig gegeben sind, sondern als Handlungen erst hervorgebracht werden. In der Einleitung zur „Kritik der prakt. Vernunft" 1 ) sagt K a n t wörtlich: „Mit dem praktischen Gebrauche der Vernunft verhält es sich schon anders [seil, als dem theoretischen]. In diesem beschäftigt sich die Vernunft mit Bestimmungsgründen des Willens, welcher ein Vermögen ist, den Vorstellungen entsprechende Gegenstände entweder hervorzubringen oder doch sich selbst zur Bewirkung derselben (das physische Vermögen mag nun hinreichend sein oder nicht), d. i. seine Causalität zu bestimmen. Denn da kann wenigstens die Vernunft zur Willensbestimmung zulangen, und hat sofern immer objective Realität, als es nur auf das Wollen ankommt Ja, die Vernunft k ö n n e nicht nur allein zur gesetzmässigen Willensbestimmung zulangen, sondern sie m ü s s e das auch, da alle empirischen Objekte und Motive eben als sinnliche mit dem geforderten apriorischen Wesen derselben unvereinbar seien. Dies ist indes nicht richtig, da der Wille doch zugleich ein D a s e i n bestimmen soll und nur in Bezug auf die Objekte, nicht in Bezug auf die Handlungen das blosse praktische B e w u s s t s e i n produktiv sein kann. 1) Dass K a n t s Auffassung der praktischen Vernunft eine ganz originelle Konzeption ist und sich wesentlich von der A r i s t o t e l i s c h e n unterscheidet, hat Dr. J. W a l t e r , „Die Lehre von der praktischen Vernunft in der griechischen Philos.", Jena b. Maucke 1874, ausser allen Zweifel gestellt. Treffend bemerkt W a l t e r S. 243 insonderheit folgendes : „ K a n t sagt: „„Der Wille ist nichts anderes als praktische Vernunft"", A r i s t o t e l e s behauptet neben der praktischen Vernunft einen Willen, ohne den die Vernunft nie praktisch sein könnte. Damit wird die Aristotelische Ethik durchaus empirisch und naturalistisch."
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Grundzüge der Sittenlehre.
Diese reine Vernünftigkeit des sittlichen Willens oder der g e s e t z m ä s s i g bestimmten praktischen Vernunft jedoch, welche K a n t annimmt, ist eben der Grund, weshalb auch bei ihm die Bedeutung und Anwendung von deren Gesetzen nicht auf Erscheinungen eingeschränkt, sondern als etwas unbedingt Gültiges angesehen werden soll. Im § 1 der Kr. d. pr. Vn. erklärt er „praktische Grundsätze" für „ G e s e t z e " , wenn sie „als objectiv, d. i. für den Willen j e d e s v e r n ü n f t i g e n W e s e n s gültig anerkannt" werden. Es gibt mithin hier keine anthropologische Einschränkung, sondern es ist eine universelle Gültigkeit vorhanden. Alle diese Umstände reichen jedoch noch nicht aus, um die Formulierung des kategorischen Imperativs zu begründen. Der eigentliche Grund für deren Beschaffenheit liegt vielmehr in der Annahme, dass alle ein O b j e k t des Begehrungsvermögens enthaltenden praktischen Prinzipien empirisch sein müssten, wie es K a n t ebd. im § 2 behauptet und durch die weitere Behauptung begründet, dass alle Willensobje k t e der Aussenwelt oder mindestens der Sinnlichkeit angehörten. Letztere Behauptung stützt sich aber lediglich auf K a n t s Grundirrtum, dass alle Anschauung sinnlich und folglich aller Bewusstseinsinhalt von materieller Beschaffenheit sei. Die Grundlosigkeit solcher Voraussetzung selbst im Verhältnis zur Kantischen Erkenntnislehre und zu ihrem eigentümlichen Verdienste habe ich bereits früher dargethan in meinen „Beiträgen zum Verständnis Kant's" Berl. 1874, S. 49, 77 fg., 89 u. 102. E s ist nur eine Folge dieser irrtümlichen Voraussetzung, dass die Zulänglichkeit der Vernunft zur gesetzmässigen Bestimmung des Willens nur in der blossen gesetzgebenden Form bestehen könne. Aus ihr ergibt sich alsdann für K a n t die Autonomie des Willens, wie § 5 der Kr. d. pr. Vn. zeigt. Die blosse reine Form sei ja lediglich ein Gegenstand der Vernunft und gehöre nicht unter die Erscheinungen und da der Wille auch keine anderen Bestimmungsgründe haben könne, so müsse ein solcher Wille „als unabhängig von dem Naturgesetze der Erscheinungen, nämlich dem Gesetze der Causalität . gedacht werden. Eine solche Unabhängigkeit aber heisst Freiheit im strengsten, d. i. transscendentalen Verstände. Also ist ein Wille, dem die blosse gesetzgebende Form der Maxime allein zum Gesetze dienen kann, ein freier Wille." E s dürfte aber aus zwei Gründen gelingen, einen anderen Begriff autonomer Willensfreiheit zu begründen. Gewährt uns doch
Mängel und Vorzüge von Kants Grundgesetz.
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erstlich die produktive Anschauung des praktischen Bewusstseins die Überzeugung, dass in diesem ein reiner Vernunftinhalt stets gegenwärtig sei; sodann aber lehrt uns die Selbstbeobachtung, dass das zum Selbstbewusstsein gesteigerte praktische Vermögen es dem begehrenden Subjekte auch ermöglicht, empirische Objekte zu Motiven autonomer Willensakte zu erheben. Überdies findet sogar die Behauptung eines in der praktischen Anschauung vorhandenen reinen Vernunftinhalts, den diese selbst produziert, auch ihre erfahrungsgemässe Bestätigung durch die Thatsachen des spezifisch sittlichen Bewusstseins. Wie die Autonomie und Freiheit des Willens unseren Darlegungen zufolge somit eine ganz andere Bedeutung als bei K a n t hat, wie sie weder blos formal ist noch ohne Bezug zur inneren Erfahrung verständlich erscheint, vor allem aber einen reinen Vernunftinhalt fordert, so erheischt sie auch eine andere Fassung des praktischen Grundgesetzes. Freilich hat K a n t darin recht, dass dies dem Begriffe der Freiheit im Sinne der Selbstgesetzgebung angepasst werden müsse. Würde letztere in der That nur darin bestehen, „dass die blosse gesetzgebende Form der Maxime der zureichende Bestimmungsgrund des Willens sei", so hätte er den treffendsten Ausdruck für dasselbe gefunden. Da der Sachverhalt ein anderer ist, so genügt seine Formulierung keineswegs. Weil das rein Vernünftige als etwas unbedingt Gültiges vielmehr dem praktischen Selbstbewusstsein stets gegenwärtig ist und weil dies seiner Natur nach überdies zum Handeln und damit auch zur Bestimmung des sinnlichen Daseins durch jenes das wollende Subjekt antreibt, erscheint kein anderes Grundgesetz des Sittlichen möglich als das von uns aufgestellte. E i n Vorwurf.jedoch wird gegen K a n t s Imperativ der Sittlichkeit mit besonderem Unrechte erhoben, nämlich: dass derselbe eine blos abstrakte Formel sei. Denn K a n t hat dies Gesetz durch keine Abstraktion, sondern lediglich mittels einer Selbstbesinnung auf die jedweder Abstraktion Halt gebietenden Schranken und ursprünglichen Thatsachen des Bewusstseins gefunden. Er stellt daher als ein Vernunftfaktum seinen obersten Grundsatz mit Recht hin. Er hat sogar darin recht, dass dies Vernunftfaktum sich wesentlich von den apriorischen Grundlagen der theoretischen Erkenntnis unterscheidet. Diese sind blos auf Erscheinungen beschränkte Formprinzipien, jenes ist ein unmittelbar und unbedingt real wirkender Faktor. Allerdings ist das Bewusstsein im Praktischen produktiv nur in Bezug auf seinen eigenen Inhalt.
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Grundzüge der Sittenlehre.
Nur als Objekte, nicht als Existenzen erzeugt der Wille sein Vernunfti d e a l ; allein der Wille wird d o c h unmittelbar angetrieben, d i e s e m g e m ä s s zu wirken u n d ein vorhandenes D a s e i n ihm anzunähern und nach ihm u m z u g e s t a l t e n ; ist derselbe auch nicht künstlerischproduktiv oder technisch, s o ist er d o c h ethisch-produktiv oder praktisch u n d es liegt in seinem W e s e n die unmittelbare B e z i e h u n g zum D a s e i n , das er zu bestimmen sucht. Darum verbleibt K a n t jedenfalls das Verdienst, ein universell gültiges Vernunftfaktum im praktischen Bewusstsein n a c h g e w i e s e n zu h a b e n 1 ) . D a s in ihm sich offenbarende spezifisch Sittliche ist keine Abstraktion von der Erfahrung, nichts blos H u m a n e s ; e s richtet sich nicht nach der empirischen Eigenart d e s Menschen, insofern er als beschränktes G e s c h ö p f o d e r gar nur als z o o l o g i s c h e s G a t t u n g s w e s e n betrachtet wird. Nein, dasselbe b e d e u t e t ein schlechthin gültiges Vernunftsein und bestimmt sich nach der Weltstellung d e s Menschen, die er als eine über j e d e s v e r g ä n g l i c h e Geschöpf erhabene Person einnimmt, deren e i g e n e Intere s s e n sich unmittelbar den Z w e c k e n d e s Weltganzen einreihen u n d 1) Schon K u n o F i s c h e r in seiner „Gesch. der neueren Philos." Bd. 3 hat die unvergängliche Bedeutung dieser kritischen That ans Licht gestellt. Wir aber glauben dargethan zu haben, dass dieselbe auch den heutigen erkenntnistheoretischen, naturwissenschaftlichen und moralischen Forschungen gegenüber unanfechtbar ist. L a a s in seinem o. a. Werke hat die Möglichkeit eines solchen o b j e k t i v e n Kritizismus gar nicht gesehen, für das Universell-Vernünftige sogar gar kein Verständnis. Nicht blos sein „Positivismus und Idealismus" bezeugt dies, sondern auch seine Aufsätze über „Vergeltung und Zurechnung", die vielfach B i n d i n g sehe Irrtümer teilen, in der „Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos." Jhrg. V u. VI. — G. H e y m a n s in Leyden (ebd. Heft 2 v. 1882, im Aufsatze „Die Methode der Ethik") wendet sich zwar mit Geschick gegen jedwede utilistische Moral, und seine Ansicht widerlegt zugleich rein vom empirischen Standpunkte auch den Laas'sehen Eudämonismus. Auch dieser Gelehrte scheint jedoch trotzdem den vergeblichen Versuch zu machen, auf andere Weise die Ethik emp i r i s t i s c h zu gestalten. Doch ist seine Arbeit noch nicht vollendet, während ich dies schreibe. — In neuster Zeit tritt f ü r die Freiheit des Willens in einem Aufsatze, der während des Druckes dieses Buches mir zugeht, ein: Dr. L. A. K o c h : „Der menschliche Geist und seine Freiheit" in „ F i c h t e s Zeitschr. f. Philos. u. philos. Kritik" Neue Folge. Bd. 80. Heft 2 (Halle b. Pfeffer 1882). — H. S p i t t a , der Verf. der tüchtigen Arbeit „Die Willensbestimmung u. ihr Verhältnis zu den impulsiven Handlungen" Tüb. b. Fues 1881, wird wohl selbst zugeben, dass unsere Darlegungen eine solche Unabhängigkeit des Willens vom Charakter nachweisen, wie er sie nicht berücksichtigt hat.
Die bloss formale Natur von Kants Grundgesetz.
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ihr dadurch eine zentrale Weltstellung gegenüber allen blos individuellen Existenzen sichert. Auch im Moralischen ist hiernach von keiner Konstruktion aus Begriffen bei K a n t die Rede. Das Übersinnliche können wir nur konstatieren, nicht erzeugen. Wie alle Begriffe Anschauung voraussetzen, so auch die sittlichen. Was bei Erfahrungsbegriffen die Sinnlichkeit, leistet hier die Vernunft in der praktischen Anschauung. Mit Überspringung derselben aber lediglich aus dem Verstände fliessende Begriffskonstruktionen nach Art eines F i c h t e , S c h e l l i n g , H e g e l und S c h l e i e r m a c h e r vorzunehmen, davor hat K a n t mit Recht gewarnt. Aller besonderen e t h i s c h e n Definition muss vielmehr voraufgehen die Aufzeigung des im praktischen Bewusstsein vorhandenen Ursprünglichen in seiner spezifischen Eigenart auf Grund transscendental-kritischer Selbstbesinnung über die unvergänglichen Grundlagen der selbstbewussten Erfahrung selber. Das Universell-Vernünftige zum Maassstabe unseres Thuns und Handelns machen, heisst mit nichten etwas überhaupt noch gar nicht Vorhandenes erst wirklich machen und erzeugen, sondern nur unser Leben mit einer höheren und umfassenderen Ordnung in Einklang setzen 1 ). Das liegt bereits in K a n t s Begründung der Ethik enthalten, allein ihr Ergebnis, der als praktisches Grundgesetz formulierte kategorische Imperativ, entspricht derselben nicht. Wir verwerfen also nicht den Zweck des letzteren, die absolute Freiheit und Autonomie des Willens in einer schlechthin gültigen Form aussprechen zu sollen, sondern wir sind nur davon überzeugt, dass dieser Zweck auch einen bedeutungsvollen idealen Inhalt, sowie eine notwendige Beziehung zur Erfahrung überhaupt in ihrer Eigenart als solcher, d. i. als einem sinnlichen Dasein von Hause aus in sich berge. Indem K a n t für das praktische Bewusstsein unmittelbar keinen Inhalt kennt, weil ihm die Anschauung eines solchen entgeht, lässt er sich zu einem immerhin methodisch höchst bedenklichen Verfahren verleiten. Er setzt die blosse Form in diesem Falle nicht blos als real bedeutsam für einen Inhalt, wozu er ja 1) E. Laas freilich kennt solche sowenig, wie das Wesen der Persönlichkeit oder wie die Thatsache der sittlichen Selbstüberwindung. Denn er bemerkt a. a. O. S. 140: „Wir kennen keine über unsere Sinnenwelt hinausführende Bestimmung des Menschen." Der Begriff der menschlichen Persönlichkeit als eines Wesens, das Selbstzweck ist und Würde besitzt, scheint ihm höchstens „für pädagogische Zwecke nützlich und fruchtbar." 2
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Gmindziige der Sittenlehre.
freilich ein Recht hat, sondern selber als den einzigen Vernunftinhalt, den das praktische Bewusstsein unmittelbar hat und zwar schlechthin und ohne weitere Begründung. Der Machtspruch, das3 der Wille keinen a n d e r e n obersten Bestimmungsgrund, da ein solcher angeblich stets empirisch sein würde, haben könne, und doch überhaupt einen solchen wegen des Bedürfnisses moralischer Gewissheit erheische, genügt ihm, im § 5 der Kr. d. pr. Vn., die blosse gesetzgedende Form in diesem Falle selber als Inhalt zu setzen ! Auf diese Weise wird zwar nicht der Verstand, aber doch die Urteilskraft, da der oberste Bestimmungsgrund nach Analogie der theoretischen Gesetzmässigkeit in Grundsätzen auszusprechen ist, bei K a n t produktiv. Urteile setzen aber Begriffe voraus und diese wieder Anschauungen, beides nach K a n t selber. Um so ungerechtfertigter erscheint dieses Verfahren. Die Selbständigkeit des praktischen Verhaltens gegenüber dem theoretischen, die wir sehr gern anerkennen, kann aber, wie wir im ersten Teil dargethan haben, nur dies beweisen, dass die praktischen Objekte n i c h t v o n A n b e g i n n E r k e n n t n i s g e g e n s t ä n d e sind; sie ist aber ausser Stande die Forderung umzustossen, dass dieselben, sobald und sofern sie solche w e r d e n , d e r s e l b e n Methode logischer Verarbeitung unterliegen müssen. Gesteht doch K a n t selber ein : „ . . . es ist doch am Ende nur ein und dieselbe Vernunft, die blos in der Anwendung unterschieden sein muss." Hieraus ergibt sich fast von selber, welches unsere Stellung zu den beiden anderen Hauptpunkten der K a n t ' s c h e n Moralphilosophie sein muss. Nur daran halten wir fest, dass die Gewissheit und die Kriterien der reinen Gesetzmässigkeit des Handelns rein apriorischer Natur sin