Grundprinzipien einer Periodisierung der Urgeschichte: Ein Beitrag auf Grundlage ethnographischen Materials [Reprint 2021 ed.] 9783112529669, 9783112529652


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German Pages 502 [521] Year 1962

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Grundprinzipien einer Periodisierung der Urgeschichte: Ein Beitrag auf Grundlage ethnographischen Materials [Reprint 2021 ed.]
 9783112529669, 9783112529652

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D E U T S C H E AKADEMIE D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N VÖLKERKUNDLICHE

FORSCHUNGEN

Herausgegeben v o n der Sektion f ü r Völkerkunde und deutsche Volkskunde Band 4

IRMGARD SELLNOW

GRUNDPRINZIPIEN EINER PERIODISIERUNG DER URGESCHICHTE

Ein Beitrag auf Grundlage ethnographischen

Materials

AKADEMIE - VERLAG • BERLIN • 1961

Alle Rechte vorbehalten insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen Copyright 1961 by Akademie-Verlag GmbH, Berlin Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipziger Straße 3 - 4 Lizenz-Nr. 202 • 100/123/61 Satz, Druck und Einband: IV/2/14 • VEB Werkdruck Gräfenhainichen • 1457 Bestellnummer: 2079/4 Printed in Germany ES 15 F

INHALTSVERZEICHNIS

5

Vorwort 1. Historiographischer

Überblick

8

1. Altertum a) Hesiod b) Dikaiarch u. a c) Lucrez

8 8 8 10

2. Mittelalter

12

3. Die Aufklärer a) Rousseau b) Goguet c) Iselin d) Kant e) Herder

12 13 15 16 16 18

4. Ferguson

19

5. Adam Smith

25

6. Hegel

28

7. Die mythologische Schule

37

8. Die evolutionistische Schule a) Lubbock b) Bachofen c) Morgan d) Kowalewski e) Hahn f) Grosse g) White h) List, Roscher, Bücher

38 39 40 41 52 53 54 54 56

9. Die kulturhistorische Schule

57

10. Die soziologische Schule a) Max Weber b) Richard Thurnwald c) Multilinearer Evolutionismus

67 69 74 83

11. Amerikanische historische und psychologische Schule

84

12. Zusammenfassung

87

4

Inhaltsverzeichnis 13. Marxistische Arbeiten a) Klassiker des Marxismus b) weitere marxistische Arbeiten aa) Gorbatscheva bb) Kosven cc) Tolstov dd) Böhm ee) Perschitz c) Zusammenfassung und neuer Vorschlag von Grundprinzipien zur Periodisierung der Urgeschichte

II. Darlegung der Grundprinzipien

einer Periodisierung

90 90 98 98 100 105 107 109 111 118

1. Frühperiode der Urgemeinschaftsordnung

118

2. Mittlere Periode der Urgemeinschaftsordnung a) Jäger und Sammler b) Fischer, Jäger und Sammler aa) Jagd- und Sammelwirtschaft: Die Australier

121 121 123 124

3. Späte Periode der Urgemeinschaftsordnung a) Kombinierte Bodenbau-, Viehzucht-, Jagd- und Fischfangwirtschaft b) Seßhafte Meerestierjagd c) Jagd mit Schneeschuhen .

158 159 196 203

4. Auflösungsperiode der Urgemeinschaftsordnung a) Die Polynesier aa) Zentral- und Randpolynesien a) Die Maori ß) Die Marquesas-Inseln y) Die Cook-Inseln d) Die Hawaii-Inseln e) Die Tahiti-Gruppe bb) Westpolynesien a) Samoa ß) Tonga cc) Zusammenfassung b) Einige südafrikanische Viehzüchtervölker aa) Die Hottentotten bb) Einige südafrikanische Bantustämme a) Die Herero ß) Einige Stämme der Nguni-Gruppe aa) Die Xosa ßß) Die Zulu •y) Die Sotho-Cwana-Gruppe cc) Zusammenfassung

209 209 212 212 230 246 254 274 299 301 323 343 358 361 376 376 394 395 417 436 459

I I I . Schlußteil

473

Überprüfung der vorgeschlagenen Grundprinzipien an dem dargelegten Material Literaturverzeichnis

.

473 485

VORWORT

Die urgeschichtliche Periodisierung ist eine alle Gesellschaftswissenschaften interessierende Frage, gelöst werden kann sie jedoch nur von zwei Wissenschaften: Von der Archäologie und von der Ethnographie. Beide Wissenschaften bemühen sich schon seit langem mit Hilfe ihrer Materialien um eine Klärung dieses Problems. Der Umfang des Materials und die verschiedenen Arbeitsweisen beider Wissenschaften machen es heute einem einzelnen unmöglich, von beiden Wissenschaften her an die Behandlung dieses Problems zu gehen. Deshalb sei hier ausschließlich vom ethnographischen Material ausgegangen. An Versuchen, von ethnographischer Seite die Frage urgeschichtlicher Periodisierung zu klären, hat es nicht gefehlt. In vielen Fällen beruhten diese Versuche auf rein methodischen Erwägungen; das ethnographische Material wurde dabei lediglich zur Illustration benutzt. Wenn auch keineswegs die Bedeutung methodischer Erwägungen unterschätzt werden soll und wenn auch anerkannt wird, daß das Problem urgeschichtlicher Periodisierung im wesentlichen eine philosophische Frage ist, so sei aber doch mit dieser Arbeit ein anderer Weg beschritten. Die Untersuchung soll in zwei Richtungen gehen: In die rein philosophisch-methodische und die konkrethistorische. Dabei sollen die auf dem ersten Wege gewonnenen Ergebnisse am konkreten Material überprüft werden. Dieses Material soll also nicht Illustrationsmittel sein, sondern soll seinen eigenen Wert behalten. Wenn auch durch dieses Vorgehen der Umfang der Arbeit notwendigerweise gegenüber den rein methodischen Arbeiten erheblich anwachsen muß, so erscheint es aber aus folgendem Grunde gerechtfertigt: Die rein methodischen Erwägungen zielen und zielten darauf ab, auf der Grundlage geschichtsphilosophischer Prinzipien den allgemeinen Gang historischer Entwicklung nach seiner immanenten Gesetzmäßigkeit zu gliedern. Das aber ist gleichsam nur die eine Seite der Geschichte, und zwar ihre abstrakte Seite. Was die Geschichtsphilosophie aus zahlreichen Einzelfakten schließlich als das Allgemeingültige feststellt, ist nur die abstrakte Gesetzmäßigkeit. Die Dialektik der Geschichte besteht ja gerade darin, daß sich die Gesetzmäßigkeit nur über die Zufälligkeit durchsetzen kann. Daher gehört zu jeder historischen Untersuchung das konkrete Material. In der abstrakten, allein von methodischen Prinzipien ausgehenden Überlegung kann an irgendeiner Stelle ein logischer Fehlschluß vorliegen; durch die Überprüfung der methodischen Prinzipien am konkreten Material wird eine solche Möglichkeit ausgeschlossen. Die Wirklichkeit ist der einzig mögliche und einzig beweiskräftige Prüfstein f ü r die Geschichtsphilosophie.

6

Vorwort

W e n n in älteren Periodisierungsversuchen das ethnographische Material häufig nur ein Illustrationsmittel war, d a n n lag das an der Auswahl u n d Behandlung dieses Materials. Man wählte einzelne ethnographische Beispiele aus, reihte sie aneinander u n d riß sie dabei aus ihrem Z u s a m m e n h a n g heraus. Dadurch n a h m m a n a b e r dem ethnographischen Material jede historische Beweiskraft u n d verfolgte eine Methode, die bereits im 19. J a h r h u n d e r t ausgebildet worden war und die allgemein als formal-vergleichende Methode b e k a n n t ist. Jedes ethnographische Detail h a t aber n u r innerhalb der K u l t u r eine Beweiskraft, der es e n t s t a m m t ; aus seinem Z u s a m m e n h a n g gerissen, geht sie ihm verloren. W e n n m a n methodische Prinzipien beweisen will, d a n n k a n n m a n das nur, wenn m a n ganze K u l t u r e n analysiert u n d die aufgestellten Prinzipien daran ü b e r p r ü f t . Dabei werden sich stets Erscheinungen finden, die zufälligen Charakter tragen, die also nicht verallgemeinert werden können, es werden sich andere finden, die Modifikationen oder Besonderheiten dieser verallgemeinerten Erscheinungen darstellen, u n d es werden sich schließlich Erscheinungen zeigen, die eigentlich den betreffenden K u l t u r e n fremd sind, die sie aus benachbarten Kulturen übernommen u n d mehr oder weniger umgewertet haben. Nur wenn sich die philosophischen Prinzipien an diesem vielschichtigen K o m p l e x des historischen Materials bewähren, können sie Gültigkeit beanspruchen. U m das zu wissen, m u ß m a n aber das historische Material auch in seiner Vielfalt untersuchen u n d darf nicht n u r einzelne Seiten, die den aufgestellten Prinzipien entsprechen, herausgreifen u n d alles andere u n b e a c h t e t lassen. Die historische Beweiskraft des ethnographischen Materials ist am größten, wenn m a n von einheitlichen oder doch relativ einheitlichen historisch-ethnographischen Gebieten ausgeht. Es h a t wenig Sinn, einen S t a m m aus dem einen Gebiet u n d den anderen aus dem anderen Gebiet zu wählen. H a t die E n t w i c k l u n g in einem größeren Gebiet eine relativ einheitliche, b e s t i m m t e R i c h t u n g genommen, d a n n besagt das f ü r den Einzelfakt mehr als wenn er nur von einem einzigen S t a m m oder einer einzigen Lokalgruppe berichtet wird. Aber auch u n t e r dieser Voraussetzung ist die historische Beweiskraft des ethnographischen Materials noch nicht endgültig gesichert. Kein rezentes Volk, u n d wäre es auch u n t e r den ungünstigsten U m s t ä n d e n in seiner Entwicklung aufs äußerste g e h e m m t worden, k a n n ohne weiteres m i t irgendwelchen urgeschichtlichen E n t wicklungsstufen gleichgesetzt werden. I m jedem Falle h a t es eine Geschichte u n d d a m i t auch eine Entwicklung gegeben. Der E t h n o g r a p h ist daher gezwungen, diese Geschichte so weit wie möglich zu rekonstruieren, u m die inzwischen erfolgten Veränderungen festzustellen. Das wird ihm nicht im vollen U m f a n g e gelingen, u n d je einfacher eine K u l t u r ist, u m so weniger wird eine solche Rekonstruktion möglich sein. U m so m e h r aber m u ß er sich davor h ü t e n , den ethnographischen D a t e n Allgemeingültigkeit zuzubilligen. Allgemeingültig können u n t e r diesen U m s t ä n d e n n u r die Grundprinzipien des ökonomischen u n d gesellschaftlichen Lebens sein, da n u r sie verhältnismäßig geringe Variationsmöglichkeiten besitzen. I n n e r h a l b einer gegebenen Entwicklungsstufe können Veränderungen auf sozial-ökonomischem Gebiet n u r in bestimmten Grenzen stattfinden. Wird diese Grenze überschritten, ist der Übergang zu einer neuen Entwicklungsstufe vollzogen.

Vorwort

7

Aus diesen Gründen wurde in dieser Arbeit von den relativ einheitlichen historisch-ethnographischen Gebieten der Australier, Papua, Polynesier und der südafrikanischen Viehzüchter ausgegangen, wobei — soweit das möglich war — die Geschichte der betreffenden Gruppen mit berücksichtigt wurde. Das gesamte ethnographische Material zu berücksichtigen, kann heute von niemandem bewältigt werden. Daher mußte zwangsläufig eine Auswahl getroffen werden. Das Schwergewicht der Ausführungen liegt auf der Darstellung der Auflösungsperiode der Urgemeinschaftsordnung. Eine Periodisierung der Urgeschichte verfolgt zwei Ziele: Einerseits stellt sie den allgemeinen Gang urgeschichtlicher Entwicklung fest. Sie zeigt, welche Hauptentwicklungsetappen die Menschheit in vorstaatlicher Zeit durchlief und welche Kräfte diese Entwicklung bedingten. Sie erweitert die Kenntnis über den universalhistorischen Entwicklungsverlauf, indem sie die quantitativen Anreicherungen innerhalb der sozial-ökonomischen Epoche der Urgemeinschaftsordnung anzeigt, die schließlich den Übergang zu einer neuen sozial-ökonomischen Formation notwendig machten. Hat also die urgeschichtliche Periodisierung einerseits eine allgemeine geschichtsphilosophische Bedeutung, so hat sie andererseits für den Ethnographen noch eine durchaus praktische Bedeutung: Eine Periodisierung der Urgeschichte erleichtert ihm die universalhistorische Einordnung seines Materials, sofern es Völker im vorstaatlichen Zustand betrifft. Sie erleichtert ihm damit die Erkenntnis der in einer gegebenen Lokalhistorie wirksamen allgemeinen historischen Gesetzmäßigkeit. Damit aber hat eine solche urgeschichtliche Periodisierung auch noch eine aktuelle Bedeutung: Da sie diese allgemeine Gesetzmäßigkeit unter den lokalhistorischen Besonderheiten finden hilft, hilft sie gleichzeitig bei der Klärung der Frage, warum im Einzelfall die Entwicklung langsamer als anderswo verlief. Sie beweist damit, daß es nur eine einzige universalhistorische Entwicklung gibt, der alle Völker dieser Erde unterliegen, eine Gesetzmäßigkeit, die allerdings durch eine Fülle lokalhistorischer Besonderheiten modifiziert wird insbesondere in bezug auf Entwicklungstempo und äußere Erscheinungen des Entwicklungsverlaufs. Wenn sich aber diese allgemeine historische Gesetzmäßigkeit unter den lokalhistorischen Besonderheiten immer wieder nachweisen läßt, dann beweist das gleichzeitig die Entwicklungsfähigkeit aller Völker. Die äußeren Umstände können die Entwicklung nur verzögern bzw. ihren äußeren Verlauf verschieden gestalten, die allgemeine historische Gesetzmäßigkeit aber bringt über kurz oder lang überall im wesentlichen die gleichen Ergebnisse zustande. Dieser Nachweis der historischen Gesetzmäßigkeit auch bei den heute hinter der allgemeinen Entwicklung zurückgebliebenen Völkern ist deshalb von besonderer aktueller Bedeutung, weil er zu einer Zeit erfolgt, in der die politische Gleichheit gerade diesen Völkern noch oft verweigert wird. Abschließend sei an dieser Stelle ein herzlicher Dank den Herren Professoren Tokarev, Steinitz und Otto für ihre verständnisvolle Unterstützung dieser Arbeit und für ihre zahlreichen Anregungen ausgesprochen.

I. H I S T O R I O G R A P H I S C H E R

ÜBERBLICK

1. ALTERTUM

a) Hesiod Bereits in der Antike wurden Versuche unternommen, den Verlauf der menschlichen Geschichte zu gliedern. So lesen wir beispielsweise bei Hesiod, die Menschen hätten am Anfang ihrer Geschichte in einem paradiesischen Zustand gelebt, durch den Willen der Götter jedoch seien ihnen Unheil und Armut gesandt worden. In seinem Gedicht „Werke und Tage" schrieb er: „Früher lebten ja doch die Stämme der Menschen auf Erden allem Elend fern und ohne beschwerliche Mühsal.. .". 1 Da aber Prometheus den Zeus listig getäuscht und den Menschen heimlich das Feuer gebracht hatte, sandte der hintergangene Göttervater das Unheil unter die Menschen, er „verbarg die Nahrung" und schickte „Myriaden von Übel". 2 Nach dieser göttlichen Einmischung in die Geschicke der Menschheit blieb den ins Elend Gestoßenen nur noch die Hoffnung auf eine ferne, bessere Zukunft; denn nach Hesiod „hilft nichts gegen das Unheil". 3 Diese Interpretation der Geschichte war im Grunde genommen weiter nichts als eine Sanktionierung der Sklavenhalterordnung. Die Theorie vom ehemaligen goldenen Zeitalter war ein Versuch, die Verhältnisse des „ehernen Zeitalters" zu rechtfertigen, wobei die Götter die Verantwortung für den Wandel in den sozialen Beziehungen der Menschen tragen mußten. Diese Theorie beruhte ausschließlich auf spekulativen und transzendentalen Gedankengängen. Wenn Hesiod auch Zeus und der ganzen übrigen himmlischen Hierarchie einen bedeutenden Einfluß auf die Geschicke der Menschen zugestand, so beschränkte sich aber dieser alte Sänger Griechenlands durchaus nicht nur auf die Lobpreisung der Götter. Ebenso hoch pries er in seinen Versen die Arbeit der Menschen und ließ die Olympier dieser ihnen fremden Tätigkeit mit Wohlwollen und Verständnis gegenüberstehen. Mit der Arbeit aber hatte Hesiod bewußt oder unbewußt die für die Geschichte der Menschheit entscheidende Kraft besungen, wenn auch onst seine historischen Gedanken für unser Problem heute kein Interesse mehr haben. b) Dikaiarch

u.a.

Hatte Hesiod nur eine einzige Periode in der Urgeschichte der Menschheit gekannt, von der aus der Übergang in die Sklavenhalterordnung direkt und ohne Zwischen1 2

Hesiod, Sämtliche Werke, deutsch von Thassilo v. Scheffer, Wien 1936, S. 74. 3 Ebenda, S. 74ff. Ebenda, S. 84.

Altertum

9

stufen durch göttliche Einmischung erfolgte, so finden sich in späterer Zeit Auffassungen, die diesen Prozeß wesentlich realer und differenzierter zu erklären u n d zu rekonstruieren versuchten. Wie Hesiod, so nahmen auch die Vertreter dieser Theorien einen paradiesischen Urzustand an, dem aber später das Hirtenleben sowie das Leben des Ackerbauern gefolgt sein sollten. Über den Urheber dieser Theorie, die in veränderter Form etwa 2000 J a h r e n a c h ihrer wahrscheinlichen Entstehung wieder auftauchen sollte, sind schon verschiedentlich Vermutungen aufgestellt worden. H e u t e scheint es, als ob Dikaiarch der erste war, der sie vertreten h a t . 1 Leider ist von den Werken dieses griechischen Philosophen nur sehr wenig erhalten geblieben, so daß wir zur Klärung dieser F r a g e zum größten Teil auf Quellen zweiter Hand angewiesen sind, die sich in späterer Zeit auf ihn bezogen haben. Nach Porphyrius lehrte Dikaiarch die Unterscheidung von drei Zeitaltern. Im Urzustand waren die Menschen noch den Göttern nahe. Sie töteten keine Lebewesen und nährten sich von dem, was ihnen die N a t u r freiwillig bot. Dadurch waren die Menschen gut. Krankheit und Kriege gab es nicht. Als aber Hirten- u n d Jägerleben a u f k a m e n , änderten sich diese Verhältnisse von Grund auf. Mit dem Besitz an Vieh kamen Neid, Streit und Krieg auf. Schließlich kam es zur dritten F o r m der Lebensführung, dem Ackerbau. 2 Gegenüber der älteren von Hesiod vertretenen Auffassung lag in dieser Darstellung eine entscheidende Wende. Nicht mehr der Eingriff der Götter h a t t e die Menschen ins Elend und in die Not gestürzt, die Veränderungen gegenüber dem paradiesischen Urzustand wurden nun aus den Lebensverhältnissen der Menschen erk l ä r t . Der Urzustand war deshalb ideal, weil die Menschen weder töteten noch den Besitz kannten. Waren sie erst einmal mit dem Töten und dem Eigentum bekannt geworden, war es mit dem Paradies vorbei. Das war eine erstaunlich tiefe E r k e n n t nis, die leider f ü r viele J a h r h u n d e r t e verloren gehen sollte. Neben Porphyrius h a t t e wesentlich früher auch schon Varro, ebenfalls Dikaiarch folgend, eine ähnliche Dreistufentheorie vorgetragen. Dabei ist besonders die Begründung f ü r diese Theorie erwähnenswert. Varro argumentierte, immer nach Dikaiarch, da es natürlicherweise immer Menschen und Tiere gegeben habe, m ü ß t e sich die menschliche Lebensführung von den ältesten Zeiten bis zur heutigen Generation schrittweise hinentwickelt h a b e n . 3 Damit war klar gesagt, daß die Vertreter dieser Theorie die Entwicklung der Menschheit als einen Prozeß betrachteten, der stufenweise zur Herausbildung der damaligen Gesellschaftsordnung geführt h a t t e . Die Dreistufentheorie sollte diese Zwischenetappen aufzeigen und — was noch mehr war — sie sollte die stufenweise E n t s t e h u n g der gesellschaftlichen Verhältnisse der Sklavenhalterordnung erklären. Daß die Philosophen der Antike diese Erklärung bereits in den Lebens- und Eigentumsverhältnissen der Menschen suchten, zeugt von ihrer realistischen Auffassung von der Welt. 1 Vergl. W. Koppers, 1915, S. 619. 2 Ebenda, S. 619.

Die ethnologische Wirtschaftsforschung, in: 8

Zitiert ebenda, S. 620.

Anthropos

10/11

10

Historiographischer

Überblick

Bei aller Achtung vor diesen Leistungen darf aber nicht vergessen werden, daß die bisher angeführten Philosophen des Altertums in der Urgeschichte keine Aufwärts-, sondern eine Abwärtsbewegung s a h e n . 1 Der vollendete, glückselige Zustand, in dem es keine Widersprüche und keine Not gab, war der Urzustand. Die ihm folgenden Perioden stellten einen stufenweisen Abstieg aus diesem Zustand dar.

c)

Lucrez

I m Gegensatz dazu versuchte Lucrez in seinem großen Lehrgedicht „ V o n der N a t u r der D i n g e " , die Urgeschichte der Menschheit als einen Entwicklungsprozeß v o m Niederen zum Höheren darzustellen. Mit diesem Versuch L u c r e z ' h a t t e die Geschichtstheorie des Altertums zweifellos ihren H ö h e p u n k t erreicht. In seinem Werk „ V o n der N a t u r der D i n g e " h a t t e sich Lucrez die große A u f g a b e gestellt, den U r s p r u n g aller Dinge, also auch den Ursprung der menschlichen Gesellschaft, zu erklären. E r t a t das in Versform, so daß sein Werk nicht nur f ü r die Wissenschaftsgeschichte, sondern ebenso für die Geschichte der Weltliteratur immer als ein Meisterwerk gelten wird. Diese Seite seines Werkes, so angenehm sie auch dessen Lektüre m a c h t , soll uns jedoch hier nicht beschäftigen. W a s seine B e d e u t u n g f ü r die Wissenschaftsgeschichte anbetrifft, so wird die Geschichte der Naturwissenschaften immer wieder auf Lucrez als einen der bedeutendsten Verfechter des antiken atomaren Materialismus verweisen müssen. Lucrez schrieb sein Werk als Anhänger der epikuräischen Philosophie. E r wollte — wie alle E p i k u r ä e r — der Menschheit zur Glückseligkeit verhelfen und übte deshalb a n der Gesellschaft seiner Zeit, insbesondere aber an der aristokratischen Gesellschaft, harte K r i t i k . E r hoffte, die Unzulänglichkeiten des L e b e n s überwinden zu können, wenn er den Menschen die Ursachen dieser Unzulänglichkeiten erklärte. Allerdings gab es zu seiner Zeit noch keine wissenschaftlich h a l t b a r e L e h r e v o n der Gesellschaft und den sie beherrschenden Entwicklungsgesetzen. Deshalb mußte sich L u c r e z einen anderen A u s g a n g s p u n k t suchen. E r unternahm einen R e k o n s t r u k tionsversuch des Geschichtsverlaufs, u m auf diese Weise die Ursachen der gesellschaftlichen Erscheinungen zu klären. In diesem Zusammenhang finden sich seine Anschauungen über die Urgeschichte der Menschheit. Lucrez nahm bei seinem Rekonstruktionsversuch der Urgeschichte keine systematische Periodisierung dieser Geschichtsepoche vor. E r beschrieb aber die E n t wicklung der menschlichen K u l t u r auf den verschiedensten Gebieten und k a m auf diese Weise zu einer ganzen Anzahl von Entwicklungsreihen. Dabei ließ er s t ä n d i g die Entwicklung v o m Niederen zum Höheren fortschreiten. Nach ihm w a r d e r Beginn der Geschichte keineswegs ein — wenn auch unwiederbringlich verlorener — Idealzustand, sondern im Gegenteil ein mit ganz primitiven Mitteln geführter zäher und verbissener K a m p f der Menschen gegen die N a t u r u m das tägliche Dasein. N u r allmählich eignete sich die Menschheit die materiellen Möglichkeiten an, diesen K a m p f 1 Vergl. hierzu Varro, der stets das Verb „descendere" gebrauchte, wenn er die Entwicklung vom Urzustand zum Hirtenleben, vom Hirtenleben zum Ackerbau darstellte.

Altertum

11

ums Dasein mit besserem Erfolg zu führen. Hand in Hand mit dieser Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen ging bei Lucrez auch eine Entwicklung der gesellschaftlichen Organisationsformen. Die Ursachen dieses komplizierten Entwicklungsprozesses sah er in der durch die Praxis sich ständig erweiternden Erfahrungen der Menschen „in langsam gehendem Fortschritt". 1 Er schloß seine Betrachtungen über die Geschichte der Menschheit mit den Worten: „Denn wir bemerken es wohl, daß in Künsten sich eins aus dem andern aufhellt, bis sie zuletzt zum erhabensten Gipfel gelangen". 2 Allerdings hatte Lucrez, wie bereits angedeutet, keine systematisierten Geschichtsperioden aufgestellt. Er hatte statt dessen die Entwicklung auf einzelnen Gebieten, wie beispielsweise dem der J a g d , der Kleidung, der Methoden der Nahrungsgewinnung, der Kriegführung, der Familie usw. zu rekonstruieren versucht und machte sich Gedanken über den Zeitpunkt der Entstehung von Sprache, Schrift, Malerei usw. 3 Eine Entwicklung, die er unter anderen anführt, ragt jedoch besonders hervor, und zwar die des Werkzeugmaterials. Nach Lucrez waren die ältesten Werkzeuge des Menschen „ . . d i e Hände, die Nägel, die Zähne..., auch Knüttel von Bäumen und Steine". Später, als man das Feuer zu nutzen verstand, habe man dann Kupfer und Eisen als Werkzeugmaterialien benutzt. 4 Leider hat uns Lucrez nicht überliefert, auf Grund welcher Tatsachen bzw. Überlieferungen er diese Entwicklungslinie aufstellte. Da auch die moderne Urgeschichtsforschung noch häufig auf das Werkzeugmaterial als Periodisierungsprinzip zurückgreift, soll auf die Zweckmäßigkeit bzw. Unzweckmäßigkeit dieses Prinzips erst später näher eingegangen werden. An dieser Stelle muß jedoch gesagt werden, daß Lucrez, im Gegensatz zu seinen Nachfolgern, nicht versucht hat, die dadurch gegebenen Stufen nach allen Seiten hin auszufüllen und mit einer bestimmten Form des Werkzeugmaterials beispielsweise bestimmte Formen der übrigen materiellen Kultur, der Lebensunterhaltsgewinnung, der gesellschaftlichen Organisation usw. zu verknüpfen. Für Lucrez konnte die Fragestellung nach einer solchen Systematisierung der Geschichte noch gar nicht aufkommen. Er wollte eine „natürliche Schöpfungsgeschichte" schreiben, um abergläubischen Vorstellungen über den Entwicklungsweg der Gesellschaft wirksam zu begegnen, getreu der epikuräischen These, daß die Einsicht in die natürlichen Zusammenhänge das einzig wirksame Gegenmittel sei. Die langsame Entwicklung der Menschheit aus primitiven Anfängen heraus steht deshalb auch nicht zufällig im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner 1 T. Lucretius Carus, Von der Natur der Dinge,deutsch von K . L. von Knebel, herausgeg. von S. Güthling, 2. Aufl., Leipzig (1947), S. 259. 3 Ebenda, S. 242 ff. » Ebenda, S. 259. 4 Ebenda, S. 253. Eine ähnliche Erkenntnis findet sich bereits in wesentlich älterer Zeit in chinesischen Quellen, und zwar seit etwa 400 v. Z. E s ist wohl kaum anzunehmen, daß sie Lucrez gekannt hat. Die chinesische Auffassung ist der Wirklichkeit noch um einiges näher, weil sie die einzelnen Perioden noch weiter aufteilte und von einer Holzzeit, einer einfacheren und einer höheren Steinzeit, einer Kupfer-, Bronze- und Eisenzeit sprach (vergl. W. Eberhard, Geschichte Chinas bis zum E n d e der Han-Zeit, i n : Historia Mundi, Bd. II, Bern 1953, S. 567). Diese Periodisierung ist, trotz ihrer größeren Bedeutung, in Europa leider nicht bekannt geworden.

12

Historio graphischer

Überblick

Polemik gegen Zentauren und ähnliche Fabelwesen. 1 Lucrez bemühte sich, diesen mystischen Vorstellungen eine natürliche Geschichte der Menschheitsentwicklung gegenüberzustellen, bei der sich jede neue Errungenschaft gleichsam folgerichtig aus der vorhergehenden ergab, und das auf allen Gebieten der Kultur. Eine Periodisierung der Urgeschichte hat Lucrez sicher völlig fern gelegen. Wenn wir heute mehr als 2100 Jahre nach dem Tode des großen römischen Dichter-Philosophen bei einer Periodisierung der Urgeschichte noch immer auf sein Werk zurückgreifen bzw. noch heute ein Periodisierungsprinzip verwenden, das sich in seinem Werke findet, so zeigt das, wie weitgreifend und umfassend seine Erkenntnisse auf historischem Gebiete waren. Sie wären durchaus geeignet gewesen, die Ausgangsbasis für eine weitere wissenschaftliche Interpretation der Urgeschichte zu bilden.

2. M I T T E L A L T E R

Die Wissenschaftsgeschichte entwickelte sich jedoch nicht in dieser Richtung weiter. Die Erkenntnisse des Altertums auf diesem Gebiete gingen der Menschheit, jedenfalls in Europa, wieder vollständig verloren. Sie wurden erst anderthalb Jahrtausende später allmählich wieder neu erschlossen. Das Mittelalter nahm von ihnen keine Notiz. In dieser Zeit gab sich die herrschende klerikal-feudale Weltanschauung mit dem zufrieden, was die allgemein anerkannte Autorität, die Bibel, über diesen Fragenkomplex aussagte: Der Mensch und seine Kultur waren das Produkt eines einmaligen göttlichen Schöpfungsaktes. Mit Hilfe eines ungeheuren Inquisitionsapparates sorgte die universale Kirche in Europa dafür, daß die durch das Dogma gesetzten Schranken an keiner Stelle durchbrochen wurden. Das ist einer der Gründe für das völlige Fehlen von Arbeiten, die für unser Problem etwas Wesentliches aussagen könnten. Deshalb wurde im Mittelalter gegenüber dem Altertum in bezug auf die Erforschung der Urgeschichte der Menschheit nicht nur kein Fortschritt erreicht, sondern die Erkenntnisse des klassischen Altertums gerieten außerdem noch in völlige Vergessenheit. 3. D I E A U F K L Ä R E R

Mit dem Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft und mit dem Kampf ihrer Philosophen gegen die klerikal-feudale Weltanschauung blieb auch das Dogma von der göttlichen Erschaffung des Menschen nicht unbestritten. In dem Streit der Meinungen spielte die Interpretation des Naturzustandes eine nicht geringe Rolle, und die Nachrichten über die sogen. Wilden wurden mehr und mehr zum Anlaß wissenschaftlicher Erörterungen. In Anlehnung an Montesquieu versuchten Humboldt und die beiden Forster, die Verschiedenartigkeit der Kulturen auf Einflüsse ihrer geographischen Umwelt zurückzuführen. 1

Luczrez. Von der Natur der Dinge, S. 241f.

12

Historio graphischer

Überblick

Polemik gegen Zentauren und ähnliche Fabelwesen. 1 Lucrez bemühte sich, diesen mystischen Vorstellungen eine natürliche Geschichte der Menschheitsentwicklung gegenüberzustellen, bei der sich jede neue Errungenschaft gleichsam folgerichtig aus der vorhergehenden ergab, und das auf allen Gebieten der Kultur. Eine Periodisierung der Urgeschichte hat Lucrez sicher völlig fern gelegen. Wenn wir heute mehr als 2100 Jahre nach dem Tode des großen römischen Dichter-Philosophen bei einer Periodisierung der Urgeschichte noch immer auf sein Werk zurückgreifen bzw. noch heute ein Periodisierungsprinzip verwenden, das sich in seinem Werke findet, so zeigt das, wie weitgreifend und umfassend seine Erkenntnisse auf historischem Gebiete waren. Sie wären durchaus geeignet gewesen, die Ausgangsbasis für eine weitere wissenschaftliche Interpretation der Urgeschichte zu bilden.

2. M I T T E L A L T E R

Die Wissenschaftsgeschichte entwickelte sich jedoch nicht in dieser Richtung weiter. Die Erkenntnisse des Altertums auf diesem Gebiete gingen der Menschheit, jedenfalls in Europa, wieder vollständig verloren. Sie wurden erst anderthalb Jahrtausende später allmählich wieder neu erschlossen. Das Mittelalter nahm von ihnen keine Notiz. In dieser Zeit gab sich die herrschende klerikal-feudale Weltanschauung mit dem zufrieden, was die allgemein anerkannte Autorität, die Bibel, über diesen Fragenkomplex aussagte: Der Mensch und seine Kultur waren das Produkt eines einmaligen göttlichen Schöpfungsaktes. Mit Hilfe eines ungeheuren Inquisitionsapparates sorgte die universale Kirche in Europa dafür, daß die durch das Dogma gesetzten Schranken an keiner Stelle durchbrochen wurden. Das ist einer der Gründe für das völlige Fehlen von Arbeiten, die für unser Problem etwas Wesentliches aussagen könnten. Deshalb wurde im Mittelalter gegenüber dem Altertum in bezug auf die Erforschung der Urgeschichte der Menschheit nicht nur kein Fortschritt erreicht, sondern die Erkenntnisse des klassischen Altertums gerieten außerdem noch in völlige Vergessenheit. 3. D I E A U F K L Ä R E R

Mit dem Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft und mit dem Kampf ihrer Philosophen gegen die klerikal-feudale Weltanschauung blieb auch das Dogma von der göttlichen Erschaffung des Menschen nicht unbestritten. In dem Streit der Meinungen spielte die Interpretation des Naturzustandes eine nicht geringe Rolle, und die Nachrichten über die sogen. Wilden wurden mehr und mehr zum Anlaß wissenschaftlicher Erörterungen. In Anlehnung an Montesquieu versuchten Humboldt und die beiden Forster, die Verschiedenartigkeit der Kulturen auf Einflüsse ihrer geographischen Umwelt zurückzuführen. 1

Luczrez. Von der Natur der Dinge, S. 241f.

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Historio graphischer

Überblick

Polemik gegen Zentauren und ähnliche Fabelwesen. 1 Lucrez bemühte sich, diesen mystischen Vorstellungen eine natürliche Geschichte der Menschheitsentwicklung gegenüberzustellen, bei der sich jede neue Errungenschaft gleichsam folgerichtig aus der vorhergehenden ergab, und das auf allen Gebieten der Kultur. Eine Periodisierung der Urgeschichte hat Lucrez sicher völlig fern gelegen. Wenn wir heute mehr als 2100 Jahre nach dem Tode des großen römischen Dichter-Philosophen bei einer Periodisierung der Urgeschichte noch immer auf sein Werk zurückgreifen bzw. noch heute ein Periodisierungsprinzip verwenden, das sich in seinem Werke findet, so zeigt das, wie weitgreifend und umfassend seine Erkenntnisse auf historischem Gebiete waren. Sie wären durchaus geeignet gewesen, die Ausgangsbasis für eine weitere wissenschaftliche Interpretation der Urgeschichte zu bilden.

2. M I T T E L A L T E R

Die Wissenschaftsgeschichte entwickelte sich jedoch nicht in dieser Richtung weiter. Die Erkenntnisse des Altertums auf diesem Gebiete gingen der Menschheit, jedenfalls in Europa, wieder vollständig verloren. Sie wurden erst anderthalb Jahrtausende später allmählich wieder neu erschlossen. Das Mittelalter nahm von ihnen keine Notiz. In dieser Zeit gab sich die herrschende klerikal-feudale Weltanschauung mit dem zufrieden, was die allgemein anerkannte Autorität, die Bibel, über diesen Fragenkomplex aussagte: Der Mensch und seine Kultur waren das Produkt eines einmaligen göttlichen Schöpfungsaktes. Mit Hilfe eines ungeheuren Inquisitionsapparates sorgte die universale Kirche in Europa dafür, daß die durch das Dogma gesetzten Schranken an keiner Stelle durchbrochen wurden. Das ist einer der Gründe für das völlige Fehlen von Arbeiten, die für unser Problem etwas Wesentliches aussagen könnten. Deshalb wurde im Mittelalter gegenüber dem Altertum in bezug auf die Erforschung der Urgeschichte der Menschheit nicht nur kein Fortschritt erreicht, sondern die Erkenntnisse des klassischen Altertums gerieten außerdem noch in völlige Vergessenheit. 3. D I E A U F K L Ä R E R

Mit dem Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft und mit dem Kampf ihrer Philosophen gegen die klerikal-feudale Weltanschauung blieb auch das Dogma von der göttlichen Erschaffung des Menschen nicht unbestritten. In dem Streit der Meinungen spielte die Interpretation des Naturzustandes eine nicht geringe Rolle, und die Nachrichten über die sogen. Wilden wurden mehr und mehr zum Anlaß wissenschaftlicher Erörterungen. In Anlehnung an Montesquieu versuchten Humboldt und die beiden Forster, die Verschiedenartigkeit der Kulturen auf Einflüsse ihrer geographischen Umwelt zurückzuführen. 1

Luczrez. Von der Natur der Dinge, S. 241f.

Die

Aufklärer

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Weitreichender und für unser Problem bedeutungsvoller aber waren die Ansichten von Hobbes und Lafitau. Sie vertraten die Meinung, daß die sogen. Wilden zurückgebliebene Völker darstellten, mit deren Zustand man die älteste Vergangenheit der europäischen Völker vergleichen könnte. Damit war der erste Schritt zu einer wissenschaftlichen Interpretation ethnographischen Materials getan. Unter den Philosophen der Aufklärung war das Interesse für die Fragen der Urgeschichte im allgemeinen gering. Wenn sie überhaupt darauf eingingen, dann behandelten sie diesen Geschichtsabschnitt nur an Rande als Vorgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Dabei kam es ihnen meist nicht darauf an, ethnographisches Material nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu verarbeiten, sondern vielmehr darauf, an Hand dieses Materials der Menschheit ihre bisherigen Irrtümer vor Augen zu halten und sie geistig und moralisch reif zu machen für die Errichtung der neuen, vernünftigen, d. h. bürgerlichen Gesellschaft. Dabei gingen alle Aufklärer von der These aus, es sei nur eine Sache der richtig angewendeten Vernunft, diese neue und „bestmögliche" Gesellschaft zu errichten. Diese Vernunft sei von Anbeginn der Menschheit gegeben gewesen, sie sei bisher nur nicht richtig angewendet worden. Demzufolge erschien den meisten von ihnen die Urgemeinschaft, die am weitesten von dieser „bestmöglichen" und „vernünftigen" Gesellschaft entfernte Sozialordnung, als die unvernünftigste Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Von dieser Position aus konnten die Aufklärer den bisherigen historischen E n t wicklungsprozeß nicht erklären. Manchmal schien ihnen die Geschichte nur aus lauter unvernünftigen Handlungen der Menschen zu bestehen. Diese Einschätzung der Geschichte erklärt sich hauptsächlich aus der metaphysischen Denkmethode der Aufklärer. Dieser Denkmethode mußte die über Widersprüche sich durchsetzende Gesetzmäßigkeit des Geschehens in Natur und Gesellschaft eine unerklärbare Erscheinung bleiben. Deshalb gelang es auch z. B . den beiden größten Materialisten unter den Aufklärern, Holbach und Helvetius, trotz mancher großartiger Einzelerkenntnisse, nicht, den geschichtlichen Entwicklungsprozeß als Ganzes zu erklären. Infolgedessen war es ihnen auch nicht möglich, die gesetzmäßig aufeinanderfolgenden Perioden des Geschichtsablaufs zu ermitteln. Andere Aufklärer wiederum versuchten, eine solche Periodeneinteilung vorzunehmen. Zu ihnen zählt Rousseau, dessen Auffassungen von ungeheurer Bedeutung für die Wissenschaftsgeschichte gewesen sind. a)

Rousseau

Seine Lehre vom Naturzustand hat noch bis in das 19. Jahrhundert hinein die ethnographische Literatur beeinflußt. F ü r das Problem der Periodisierung der Urgeschichte sind seine Anschauungen deshalb besonders wichtig, weil er sich bemühte, eine Erklärung für das stufenweise Herauswachsen der Menschheit aus dem Naturzustand und die allmähliche Entstehung der in Staaten organisierten Gesellschaft zu finden. Das Kriterium für diese Entwicklung sah Rousseau in der E n t stehung der Ungleichheit unter den Menschen. E r hoffte, die soziale Ungleichheit

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Überblick

seiner Tage beseitigen zu können, wenn er die Menschen über die Ursachen und den Prozeß der Entstehung dieser Ungleichheiten aufklärte. Deshalb hatte Rousseau so großes Interesse für die Urgeschichte der Menschheit. Die stufenweise Entstehung der Ungleichheit, die sich über die Einführung des Eigentumsrechtes, die Einsetzung einer obrigkeitlichen Gewalt und die Verwandlung der legitimen in eine willkürliche Gewalt vollzog, 1 führte Rousseau auf die Veränderungen in den materiellen Lebensbedingungen der Gesellschaft zurück. Rousseau ließ die Menschheit ihr Dasein als Sammler beginnen. 2 In dieser Periode des sogen. Naturzustandes, in dem die Menschen vereinzelt lebten, herrschten Frieden und Gleichheit. 3 Die nächste Periode, von Rousseau manchmal auch das „ J u g e n d a l t e r " der Menschheit genannt, brachte bereits einige entscheidende Veränderungen: Die Menschen begannen, sich Behausungen zu bauen und als Familien, später als Stämme, ständig zusammenzuleben. Sie erfanden Pfeil und Bogen und wurden Jäger und Krieger; an den Küsten wurden sie zu Fischern und fertigten sich einfache Boote. Später begannen sie sogar, den Boden mit Hilfe spitzer Stäbe zu bearbeiten und bauten sich einige Gemüsearten und Hackfrüchte an. 4 Die größten Umwälzungen brachte nach Rousseau die Erfindung des Ackerbaues und der Metallbearbeitung hervor. Insbesondere maß er der daraus resultierenden Arbeitsteilung innerhalb der Gesellschaft eine große Bedeutung bei. Sie bewirkte nach seiner Auffassung eine gegenseitige Abhängigkeit und vertiefte die durch die natürlichen Unterschiede gegebenen Ungleichheiten unter den Menschen. 5 Die Bedeutung des Ackerbaues schätzte er deshalb so hoch ein, weil es dadurch zur Entstehung des Eigentums kam. 6 Aus dem Eigentum aber resultierte die politische Ungleichheit, und die Gesellschaft befand sich bald in einer unaufhörlichen inneren Auseinandersetzung, aus der es schließlich nur noch einen Ausweg gab: die Bildung des Staatsapparates. 7 Die Geschichte der Urgemeinschaftsordnung vollzog sich also bei Rousseau vom Naturzustand über das „Jugendalter" zu einer Übergangsperiode, in der sich die unlösbaren Widersprüche entwickelten, die die Entstehung des Staates notwendig machten. Diese Entwicklungsstufen waren bei Rousseau gleichzeitig Wirtschaftsstufen und Stufen in der Ausbildung von Ungleichheiten: Naturzustand Jugendalter

Übergangsperiode zum Staat 1

— Sammelwirtschaft — zunächst Jagd- und Fischfang, später Bodenbau (und Viehzucht) — Ackerbau und Metallbearbeitung

J. J. Rousseau, Über den Ursprung Menschen, Berlin 1955, S. 117. 2 Ebenda, S. 48, 132, 136f. 4 Ebenda, S. 87f., 90, 9 2 f . , 97. 6 Ebenda, S. 8 9 f .

und Grundlagen 3 5 7

vollkommene Gleichheit Unterschiede auf natürlicher Grundlage Reichtumsunterschiede

der Ungleichheit unter den

Ebenda, S. 112f.; vergl. auch S. 36. Ebenda, S. 99 Ebenda, S. 103.

Die Aufklärer

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Das Bemerkenswerte an diesen Auffassungen Rousseaus ist die Tatsache, daß er die Veränderungen in den sozialen Beziehungen der Menschen auf Veränderungen in ihren materiellen Lebensverhältnissen zurückführte und dabei das Eigentum in Verbindung mit der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit und der Form der gesellschaftlichen Organisation zum Prinzip der urgeschichtlichen Periodisierung erhob, wie überhaupt Rousseau der erste in neuerer Zeit war, der die urgeschichtliche Entwicklung in umfassender Weise darzustellen und zu periodisieren versuchte. Die dabei von ihm angewendeten Prinzipien verdienen es, als wichtiger Beitrag zum Problem der Periodisierung der Urgeschichte festgehalten zu werden, wenn wir auch heute die These Rousseaus ablehnen müssen, der zufolge die Menschen am Anfang ihrer Entwicklung nicht in Gesellschaften, sondern als Einzelwesen gelebt hätten.

b) Goguet Goguet, der als Zeitgenosse Rousseaus seine Theorien veröffentlichte, war weit weniger konsequent als der letztere und ließ in seiner Darstellung der Weltgeschichte wesentliche Teile des christlich-feudalen Weltbildes unangetastet, so vor allem die Annahme einer göttlichen Erschaffung der Welt und der menschlichen Gesellschaft. Um die im Gefolge des Entdeckungszeitalters bekannt gewordenen Tatsachen damit in Übereinstimmung zu bringen, ging er von der These aus, die Sintflut habe nur einen Teil der Menschheit betroffen und aus einem einstigen zivilisierten Zustand verdrängt, so daß die betreffenden Völker sich nur allmählich wieder diesem ursprünglichen Zustand nähern konnten, während die zu seiner Zeit zivilisierten Völker diesen Rückschlag nicht erlebt haben sollten. Die von der Sintflut betroffenen Völker machten nach Goguet eine stufenweise Entwicklung durch, bis sie wieder den Zustand der Zivilisation erreicht hatten. Das Prinzip, nach dem er diese Entwicklung einteilte, war das der Wirtschaftsstufen. Einer Periode der Jagd- und Sammelwirtschaft folgte die Viehzucht, und erst zuletzt wurde der Ackerbau erfunden, der zunächst als einfacher Bodenbau ohne oder doch nur mit Hilfe weniger einfacher Arbeitsmittel begann. 1 Mit dem entwickelten Ackerbau waren die Voraussetzungen für Seßhaftigkeit sowie die Erfindung einer ganzen Reihe weiterer „Künste" und Fertigkeiten gegeben. 2 Vor allem aber zog der entwickelte Ackerbau nach Goguet die Entstehung des Eigentums sowie die Einführung von Gesetzen nach sich und legte dadurch die Grundlage zur Ausbildung großer und mächtiger Staatswesen. 3 Goguet ging bei seiner Darstellung der Universalgeschichte von der richtigen These aus, man müsse zunächst Mittel suchen, „für das Nothwendige zu sorgen, ehe man sich mit dem Überflüssigen beschäftiget". 4 Deshalb ging er bei seiner Periodisierung von den Veränderungen aus, die sich in den materiellen Lebens1 A. Y . Goguet, Untersuchungen von dem Ursprung der Gesezze, Künste und Wissenschaften wie auch ihrem Wachstum bei den alten Völkern, 3 Teile, 1760, Bd. I, S. l l f . , 33, 77f., 87. 2 Ebenda, S. 3 3 f . 3 Ebenda, S. 27, 33. 4 Ebenda, S. 280.

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bedingungen der Gesellschaft ergeben h a t t e n . E r wählte die Wirtschaftsstufen, weil sie am auffälligsten die Völker voneinander unterschieden. Die dadurch gewonnenen Entwicklungsetappen, die mit der bereits im Altertum bekannten Dreistufentheorie identisch waren, konnte Goguet zu seinem eigenen Bedauern aus Mangel an Nachrichten nicht durch weitere Merkmale kennzeichnen. Insbesondere versuchte er vergeblich, die Entwicklung der „ K ü n s t e " und Fertigkeiten in sein Schema einz u b a u e n . 1 Deshalb blieb es lückenhaft, und war auch f ü r Goguet nicht in allen P u n k t e n befriedigend. c)

Iselin

Wirtschaftsstufen waren auch f ü r Iselin die Grundlage einer Periodisierung der Urgeschichte. Im allgemeinen fügte er seiner Darstellung der Universalgeschichte k a u m neue Gedanken zu den bereits bekannten Ansichten der Aufklärer hinzu. Ein Hinweis von ihm verdient jedoch B e a c h t u n g : Unter Bezugnahme auf die Maori schränkte er die Dreistufentheorie des Altertums ein und bewies, daß ein Übergang zum Bodenbau auch ohne vorherige Nomadenviehzucht möglich war, 2 eine E n t deckung, die einige Zeit später auch Humboldt m a c h t e . 3

d)

Kant

Unter den deutschen Aufklärern war es vor allem Kant, der sich mit den Fragen der Urgeschichte befaßt und sie in ein umfassendes philosophisches System eingebaut h a t . Prinzipiell hielt er es zwar nicht f ü r möglich, eine Periodisierung der Universalgeschichte vorzunehmen, 4 da die Menschen bisher im allgemeinen nur „ . . . a u s Torheit, kindischer Eitelkeit, o f t auch aus kindischer Bosheit und Zerstörungssucht gehandelt h a b e n . . . " . 5 Erst wenn die Menschen gelernt haben sollten, sich „wie vernünftige Weltbürger" zu verhalten, könnte nach seiner Meinung die Geschichte wissenschaftlich interpretiert werden. Trotzdem wollte K a n t in der Geschichte nicht n u r eine A n h ä u f u n g zufälliger Handlungen sehen. E r schlug vor, bei der Abfassung einer Weltgeschichte , , . . . ein sonst planloses Aggregat menschlicher Handlungen, wenigstens im großen, als ein System darzustellen", 6 wenn er auch sogleich einschränkend hinzufügte: ,,.. ob wir gleich zu kurzsichtig sind, den geheimen Mechanism ihrer (der N a t u r — I. S.) Veranstaltung zu durchschauen". 7 Nicht Erkenntnis historischer Gesetzmäßigkeiten, sondern lediglich Systematisierung des Geschichtsverlaufs aus Zweckmäßig1

Ebenda, Bd. II, S. 75, 152. J. Iselin, Über die Geschichte der Menschheit, 2 Bde., Carlsruhe 1784, Bd. II, S. 20. 3 A. v. H u m b o l d t , Ansichten der Natur, Tübingen 1808, Bd. I, S. 22ff., 121; derselbe, Kosmos, Stuttgart und Tübingen 1847, Bd. II, S. 488f. 4 I. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, in: Ausgewählte kleine Schriften, Taschenausgaben der Philosophischen Bibliothek, H e f t 24, Leipzig o. J. ,S. 24. s 7 Ebenda, S. 24. « Ebenda, S. 3 6 ; vergl. auch S. 34. Ebenda, S. 36. 2

Die Aufklärer

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keitsgründen war also das Anliegen Kants. In diesem Sinne ist auch seine Periodeneinteilung der Urgeschichte zu interpretieren. Nachdem sich — nach Kant — der Mensch in einem komplizierten Entwicklungsprozeß aus dem Tierreiche herausentwickelt und sich stufenweise die Fähigkeit, vernünftig zu denken, angeeignet hatte, führte er in der ersten Periode der Urgeschichte zunächst ein Leben als Sammler und Jäger. Langsam entwickelten sich in der zweiten Periode aus dem Wurzelgraben bzw. Früchtesammeln der Bodenbau und aus der J a g d die Viehzucht. Bodenbau und Viehzucht bestanden zunächst nebeneinander. Durch die Verschiedenheiten der Lebensweise aber entstanden in dieser Periode bereits die ersten Gegensätze unter den Gemeinwesen. Die Folge davon war schließlich eine Trennung zwischen Bodenbau und Viehzucht, womit bei Kant die dritte und letzte Periode der Urgemeinschaftsordnung eingeleitet wurde. Diese Periode war zugleich die wichtigste. Die vergrößerten Widersprüche zwischen Bodenbauern und Viehzüchtern führten zur Bildung fester Städte, die unterschiedlichen Lebensweisen förderten den Austausch, es entstanden Handwerk und Kunst und schließlich der Staatsapparat, 1 den Kant als das „vornehmste" Ergebnis dieser Entwicklung bezeichnete; denn er stellte gegenüber dem vorangegangenen Zustand der „gesetzlosen" bzw. „tollen Freiheit" eine „gesetzmäßige Macht" dar, „die das Ganze zusammenhielt". 2 Mit der Entstehung des Staates war bei Kant die Geschichte der Urgemeinschaftsordnung abgeschlossen. Damit begann dann , , . . . die Ungleichheit unter den Menschen, diese reiche Quelle so vieles Bösen, aber auch alles Guten . . . und nahm fernerhin z u " . 3 Nach Kant machte also die Menschheit in ihrer Urgeschichte eine langsame Entwicklung durch. Die einzelnen Etappen dieser Entwicklung wurden bei ihm in den Anfangsstadien durch eine immer umfangreicher werdende Naturbeherrschung gekennzeichnet, die zu produktiveren Formen der Lebensunterhaltsgewinnung führte. Er folgte dabei nicht der alten Dreistufentheorie, sondern ließ Bodenbau und Viehzucht gleichzeitig nebeneinander entstehen. In dem Antagonismus zwischen Bodenbauern und Viehzüchtern, der auf Grund der großen gesellschaftlichen Arbeitsteilung und der damit verbundenen verschiedenartigen Interessen von Bodenbauern und Viehzüchtern entstand, sah er das entscheidende Kriterium für die weitere Entwicklung, die dann schließlich zur Bildung des Staates führte. Kant hatte mit diesem Rekonstruktionsversuch der Urgeschichte sicherlich keine Prinzipien für eine Periodisierung aufstellen wollen. Das war schon deshalb nicht möglich, weil er sich nicht berufen fühlte, die Gesetzmäßigkeit der historischen Entwicklung zu erkennen, sondern höchstens eine gewisse Systematisierung der Geschichte vorzunehmen. Er hatte aber in der Urgesellschaft eine vorstaatliche Gesellschaftsform erkannt, die aus primitiven Anfängen heraus zu einer immer höheren Form der Naturbeherrschung gelangte und die schließlich an einem allerdings nur einzigen fundamentalen Widerspruch zugrunde ging und der staatlichen Organisation Platz machte. 1 Derselbe, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, i n : Ausgewählte Schriften, Heft 24, S. 7 2 f . 2 Ebenda, S. 73. 3 Ebenda, S. 73.

2 Sellnow, Urgeschichte

kleine

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Überblick

Zweierlei darf man allerdings nicht übersehen: Einmal war für Kant die Urgeschichte kein Problem, das einer besonderen Untersuchung bedurfte, da ihm hier die Menschen am wenigsten nach einem vernünftigen Plan zu handeln schienen. Deshalb hielt er für diesen Teil der Geschichte sogar Rekonstruktionen aus Mußmaßungen heraus für durchaus berechtigt, um Lücken in den Nachrichten aufzufüllen, 1 ein Vorgehen, das er für den übrigen Teil der Geschichte strikt ablehnte. Zweitens waren für Kant die von ihm dargestellten Etappen der urgeschichtlichen Entwicklung insofern ohne weitreichende Bedeutung, als er die materielle Seite in der Geschichte der Menschheit zwar registrierte, aber als nicht entscheidend betrachtete. Für ihn gab es nur ein wirkliches Kriterium des historischen Fortschritts, und zwar die latent immer vorhandene Möglichkeit, die Freiheit zur Wirklichkeit zu erheben. Freiheit aber war für Kant identisch mit „vernünftiger" Ethik und Moral und „vernünftigem" Recht in einem „vernünftigen" Staate. Deshalb konnte Kant der historischen Bedeutung der Urgemeinschaftsordnung nicht gerecht werden.

e) Herder Galt Kant die Urgeschichte nur als Antipode zur bürgerlichen Gesellschaft, der allein sein ganzes Interesse gewidmet war, so sah Herder in der Urgeschichte den interessantesten Teil der Menschheitsgeschichte. Herder sah in den primitiven Völkern Beispiele für den Urzustand des Menschengeschlechtes. 2 Gewiß, dieser Gedanke war in der Wissenschaft nicht neu und war bereits von Hobbes und Lafitau ausgesprochen worden. Herder gelang es aber, ihm in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen. Dieses Verdienst um die ersten Schritte einer wissenschaftlichen Völkerkunde haben ihm in Deutschland den Titel eines Vaters der Völkerkunde eingebracht. In seinen philosophischen Betrachtungen ging Herder von der Gesetzmäßigkeit alles Geschehens aus, wobei er im ganzen Universum, d. h. in Natur und Gesellschaft, nur eine einzige wirkende Kraft zu erkennen glaubte. Gab es Naturgesetze — zu seiner Zeit hatte man schon eine ganze Reihe solcher Gesetze gefunden — dann mußte es n a c h seiner Auffassung auch Gesetze des historischen Geschehens geben, 3 von denen er hoffte, daß man sie eines Tages erkennen und zum Nutzen der weiteren Entwicklung beachten würde. 4 Er war fest überzeugt, daß die Menschheit in ihrer Entwicklung aus primitiven Anfängen heraus verschiedene Stufen durchlaufen haben mußte. 5 Angesichts der Fülle des Materials gelang es ihm jedoch nicht, die Universalgeschichte der Menschheit in ein Entwicklungsschema zu bringen. Er scheiterte stets an der Widersprüchlichkeit der historischen Entwicklung. 1

Ebenda, S. 62. J. G. Herder, Zur Philosophie der Geschichte, eine Auswahl in 2 Bänden, Berlin 1952, Bd. I, S. 319ff. 3 Ebenda, Bd. II, S. 10f., 15. 130. 4 5 Ebenda, S. 428, 437, 450. Ebenda, S. 442. 2

Ferguson

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Die zur Periodisierung der Urgeschichte d a m a l s viel gebrauchte Dreistufentheorie tadelte Herder. E r m a c h t e zu R e c h t auf die großen Unterschiede a u f m e r k s a m , die Völker gleicher Wirtschaftsform o f t aufweisen. 1 E r setzte aber an die Stelle des kritisierten Periodisierungsprinzips kein neues, im Gegenteil, er griff gelegentlich sogar selbst wieder darauf z u r ü c k . 2 D a s war zweifellos inkonsequent, trotzdem aber bleibt es d a s Verdienst Herders, die Dreistufentheorie als erster von der prinzipiellen Seite her kritisiert zu haben.

4. F E R G U S O N Ferguson ging es in seiner Darstellung der urgeschichtlichen Entwicklung — wie übrigens fast allen anderen vor ihm — in erster Linie u m die L ö s u n g zeitgenössischer Probleme, wobei ihm die Urgeschichte lediglich die Antwort auf eine Reihe von F r a g e n erleichtern sollte. Wenn Ferguson auch etwa zur gleichen Zeit lebte wie K a n t (1723—1816), so war er doch nicht mehr so unbedingt d a v o n überzeugt, in der bürgerlichen Gesellschaft die „ v e r n ü n f t i g s t e " aller Gesellschaften zu finden. D a z u g a b ihm die E n t w i c k l u n g nach zwei bürgerlichen Revolutionen in seinem L a n d e zu viel zu denken. Gewiß, er war noch überzeugt, daß die bürgerliche Gesellschaft den Menschen „ G e l e g e n t heit zur B e t ä t i g u n g ihrer besten Fähigkeiten, wie den Gegenstand ihrer besten R e g u n g e n " b i e t e ; 3 er sah aber bereits in diesem gesellschaftlichen S y s t e m eine Reihe von Gebrechen, die es ihm geraten erscheinen ließen, diesem Z u s t a n d d a s P r ä d i k a t „ v e r n ü n f t i g " nicht zuzugestehen. Als größte Gefahr für die weitere Entwicklung der Menschheit erschien F e r g u s o n die „ K o r r u p t i o n " , die sich aus dem henmungslosen Streben nach individueller Bereicherung ergab. S i e stand seinem Suchen nach der Glückseligkeit der menschlichen Gesellschaft als größtes Hindernis im Wege. N a c h seiner A u f f a s s u n g konnte die Gesellschaft nur dort eine H a r m o n i e erreichen, wo das Streben jedes einzelnen auf das Gemeinwohl gerichtet w a r . 4 Ferguson h a t in immer neuen bewegten Worten den Verfall dieser staatsbürgerlichen Tugend b e k l a g t u n d wurde nicht müde, auf diejenigen Völker zu verweisen, die sich diese T u g e n d bewahrt hatten. Allerdings k a m F e r g u s o n dabei in einen für ihn unlösbaren W i d e r s p r u c h : Einerseits wollte er die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft nicht a n t a s t e n und andererseits forderte er staatsbürgerliche Tugenden, die nur außerhalb dieser Gesellschaftsordnung existieren konnten. U m die Erziehung zu den von ihm angestrebten staatsbürgerlichen Tugenden zu erleichtern, erwog Ferguson zwar eine gewisse Einschränkung der R e i c h t u m s a u f h ä u f u n g in einer H a n d , 5 da er aber sehr wohl wußte, daß ein solches Ziel unter den Verhältnisen der bürgerlichen GesellEbenda, S. 184f. 2 Ebenda, S. 29. A. Ferguson, Abhandlungen über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, Jena 1904, S. 217. 4 Ebenda, S. 334. * Ebenda, S. 221. 1 3

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Die zur Periodisierung der Urgeschichte d a m a l s viel gebrauchte Dreistufentheorie tadelte Herder. E r m a c h t e zu R e c h t auf die großen Unterschiede a u f m e r k s a m , die Völker gleicher Wirtschaftsform o f t aufweisen. 1 E r setzte aber an die Stelle des kritisierten Periodisierungsprinzips kein neues, im Gegenteil, er griff gelegentlich sogar selbst wieder darauf z u r ü c k . 2 D a s war zweifellos inkonsequent, trotzdem aber bleibt es d a s Verdienst Herders, die Dreistufentheorie als erster von der prinzipiellen Seite her kritisiert zu haben.

4. F E R G U S O N Ferguson ging es in seiner Darstellung der urgeschichtlichen Entwicklung — wie übrigens fast allen anderen vor ihm — in erster Linie u m die L ö s u n g zeitgenössischer Probleme, wobei ihm die Urgeschichte lediglich die Antwort auf eine Reihe von F r a g e n erleichtern sollte. Wenn Ferguson auch etwa zur gleichen Zeit lebte wie K a n t (1723—1816), so war er doch nicht mehr so unbedingt d a v o n überzeugt, in der bürgerlichen Gesellschaft die „ v e r n ü n f t i g s t e " aller Gesellschaften zu finden. D a z u g a b ihm die E n t w i c k l u n g nach zwei bürgerlichen Revolutionen in seinem L a n d e zu viel zu denken. Gewiß, er war noch überzeugt, daß die bürgerliche Gesellschaft den Menschen „ G e l e g e n t heit zur B e t ä t i g u n g ihrer besten Fähigkeiten, wie den Gegenstand ihrer besten R e g u n g e n " b i e t e ; 3 er sah aber bereits in diesem gesellschaftlichen S y s t e m eine Reihe von Gebrechen, die es ihm geraten erscheinen ließen, diesem Z u s t a n d d a s P r ä d i k a t „ v e r n ü n f t i g " nicht zuzugestehen. Als größte Gefahr für die weitere Entwicklung der Menschheit erschien F e r g u s o n die „ K o r r u p t i o n " , die sich aus dem henmungslosen Streben nach individueller Bereicherung ergab. S i e stand seinem Suchen nach der Glückseligkeit der menschlichen Gesellschaft als größtes Hindernis im Wege. N a c h seiner A u f f a s s u n g konnte die Gesellschaft nur dort eine H a r m o n i e erreichen, wo das Streben jedes einzelnen auf das Gemeinwohl gerichtet w a r . 4 Ferguson h a t in immer neuen bewegten Worten den Verfall dieser staatsbürgerlichen Tugend b e k l a g t u n d wurde nicht müde, auf diejenigen Völker zu verweisen, die sich diese T u g e n d bewahrt hatten. Allerdings k a m F e r g u s o n dabei in einen für ihn unlösbaren W i d e r s p r u c h : Einerseits wollte er die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft nicht a n t a s t e n und andererseits forderte er staatsbürgerliche Tugenden, die nur außerhalb dieser Gesellschaftsordnung existieren konnten. U m die Erziehung zu den von ihm angestrebten staatsbürgerlichen Tugenden zu erleichtern, erwog Ferguson zwar eine gewisse Einschränkung der R e i c h t u m s a u f h ä u f u n g in einer H a n d , 5 da er aber sehr wohl wußte, daß ein solches Ziel unter den Verhältnisen der bürgerlichen GesellEbenda, S. 184f. 2 Ebenda, S. 29. A. Ferguson, Abhandlungen über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, Jena 1904, S. 217. 4 Ebenda, S. 334. * Ebenda, S. 221. 1 3

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schaft niemals zu erreichen war, legte er das Schwergewicht seiner Forderungen auf die moralische Seite. Als eins der wirksamsten Erziehungsmittel betrachtete Ferguson das Wissen der Menschen um ihre eigene Vergangenheit. E r hoffte, die Menschen am besten gegen die Anfechtungen der „Korruption" zu bewahren, wenn er ihnen das Bewußtsein von einem Urzustand vermittelte, in dem es noch keine Ungleichheiten gab. 1 Ein Mensch, der diese ursprüngliche Gleichheit vergessen hat, „...sinkt leicht zum Sklaven herunter, oder es können ihm in der Eigenschaft eines Herrn die Rechte seiner Mitmenschen nicht anvertraut werden". 2 Das war der Grund, warum Ferguson so ein großes Interesse für die klassenlose Urgemeinschaft bezeugte. E r glorifizierte aber keineswegs diesen Zustand. Der „Korruption" der staatsbürgerlichen Tugenden in der bürgerlichen Gesellschaft stellte er das demokratische Verhalten von Wilden und Babaren gegenüber, die — allerdings nur auf diesem Gebiete — von ihm als Vorbilder gewürdigt wurden. Die Betrachtung der Vergangenheit sollte Ferguson in zweierlei Hinsicht helfen: Sie sollte ihm 1. die Vorbilder für ein tugendhaftes staatsbürgerliches Verhalten liefern und sollte ihm 2. die Frage nach den Ursachen des moralischen Verfalls beantworten. Die historischen Vorbilder für staatsbürgerliche Tugenden fand Ferguson ohne Schwierigkeiten nur in der Periode der Urgemeinschaftsordnung. Hier mußte er aber selbst die Bedeutung dieser Erkenntnis durch den Hinweis auf die völlig anders gearteten Lebensbedingungen dieser Geschichtsepoche einschränken. Aus der Geschichte der Klassengesellschaft gelang es ihm nur ein einziges überzeugendes Beispiel zu finden, auf das er immer wieder verwies, und zwar S p a r t a . 3 Nur hier sei „ . . . d i e Tugend zum Staatszwecke erhoben" worden. 4 Diese Tatsache hat jedoch auch Sparta nicht vor dem Untergang bewahren können. Wie alle anderen S t a a t e n vor und nach ihm war es in dem Augenblick verloren, wo diese Tugenden verfielen und durch die Gier nach individueller Reichtumsaufhäufung ersetzt wurden. Wie aber war der Verfall zu erklären? Ferguson rang bei seinen historischen Betrachtungen mit zwei großen Problemen, mit denen er nicht fertig werden konnte. Das eine war die Dialektik der Geschichte, und das andere war das evolutionistische Prinzip. Wenn er den Anfangs- und Endpunkt der historischen Entwicklung miteinander verglich, dann fand Ferguson einen beträchtlichen Fortschritt. Dieser Fortschritt ließ sich nach seiner Ansicht über verschiedene Stufen von der Wildheit bis zur Zivilisation verfolgen. 5 In seiner evolutionistischen Betrachtungsweise nahm Ferguson bereits die Grundgedanken des späteren klassischen Evolutionismus vorweg. Wie dieser, so ging auch Ferguson von der methodischen Voraussetzung aus, man könne aus dem Verhalten des Menschen von heute auf sein Verhalten auch in fernster Vergangenheit schließen. 6 Wie der spätere Evolutionismus, so sah auch Ferguson in der Geschichte lediglich eine quantitative Anreicherung von Erfahrungen, Fertigkeiten usw., die aber alle nur eine Fortsetzung „gewisser Kunstgriffe" seien, „die in den ersten Zeiten der Welt 1 4

Ebenda, S. 123. Ebenda, S. 226.

2 6

Ebenda, S. 123. Ebenda, S. 1, 103.

3 6

Ebenda, S. 132, 225ff., 348. Ebenda, S. 5, 6.

Ferguson

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und im rohesten Zustande der Menschheit ausgeübt wurden". 1 Diese Entwicklung war nach Ferguson die natürliche Folge des Prinzips des Fortschritts und des Wunsches nach Vollendung, die jeder Mensch in sich trägt. 2 Ferguson war jedoch Realist genug, um zu sehen, daß dieser Fortschritt bzw. dieser Wunsch nach Vollendung sich durchaus nicht reibungslos durchsetzen konnten. Zunächst entsprach in den meisten Fällen das Ergebnis der menschlichen Handlungen nicht den subjektiven Absichten der Handelnden. 3 Die Fortschritte, die die Menschheit machte, waren sozusagen das Ergebnis eines blinden Weiterschreitens, bei dem bei näherem Zusehen der subjektive Wunsch nach Vollendung höchst bedeutungslos war. Weiterhin fand Ferguson bei seinen Geschichtsbetrachtungen ein ewiges Auf und Ab von Völkern, ein ständiges Hochkommen und Niedersteigen, einen ständigen Fortschritt und Niedergang. 4 Dieses scheinbare Durcheinander des Geschehens konnte sich Ferguson nicht erklären. Es zeigte sich nur mit aller Deutlichkeit, daß der Fortschritt kein Prinzip sein konnte, das mechanisch und gleichförmig wirksam war. Der Fortschritt der Menschheit ließ sich überhaupt nicht an einem einzelnen Volke verfolgen, er war nur in der Universalgeschichte nachweisbar. Ferguson hatte also bereits die Dialektik in der Geschichte der Menschheit gesehen, er hatte sie jedoch noch nicht theoretisch verallgemeinern können. E r hat nach den Ursachen dieser Erscheinungen gefragt und hat sie — im Gegensatz zu Hegel, der später dieses Problem lösen sollte — in den materiellen Lebensbedingungen der Menschen gesucht. Eine materialistische Erklärung für diese Dialektik der Geschichte konnte Ferguson noch nicht finden. Dazu fehlte es ihm an den Erkenntnismöglichkeiten. Der Liberalismus des 18. Jahrhunderts konnte noch mit gutem Recht an die Möglichkeit einer fruchtbaren Weiterentwicklung glauben. Die Unlösbarkeit der gesellschaftlichen Widersprüche wurde erst nach der Vollendung der französischen Revolution offenbar, zu einer Zeit also, als Ferguson bereits sein wissenschaftliches Werk abgeschlossen hatte. Der zweite Grund für das zwangsläufige Scheitern Ferguson bei der Erklärung der widerspruchsvollen gesellschaftlichen Entwicklung war die Tatsache, daß er die wirklichen Ursachen für den Untergang ganzer Völker bzw. den Verfall der staatsbürgerlichen Tugenden noch nicht richtig erkannt hat, wenn er auch manchmal nahe daran war. Er sprach immer nur von „Reichtum" oder Eigentum" schlechthin. E r erkannte aber die letzte Ursache aller der von ihm beklagten Erscheinungen noch nicht in Privateigentum als einer besonderen Form des Eigentums. Wie gesagt, manchmal stand er nahe vor dieser Erkenntnis. E r hatte die Beobachtung gemacht, daß das Eigentum nicht in jedem Falle die von ihm bekämpften negativen Nebenerscheinungen hervorbrachte, und zwar niemals dort, wo es „ . . . nur mit Rücksicht auf den Unterhalt oder selbst auf das Vergnügen betrachtet wird". Wo dagegen Reichtum „Rangunterschiede" schafft, dort findet sich nach Ferguson regelmäßig 1 3

Ebenda, S. 11. Ebenda, S. 170.

2 4

Ebenda, S. 11. Ebenda, S. 293, 296f., 327.

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die „ K o r r u p t i o n " und mit ihr der politische Verfall als Vorzeichen des nahenden Unterganges. 1 Diesen richtigen und wichtigen Gedanken Fergusons würden wir heute lediglich anders formulieren und würden sagen, daß das Eigentum, das n u r der Konsumtion dient, von geringer gesellschaftlicher Bedeutung ist. Nur das Eigentum, das der Produktion dient und dort als Ausbeutungsmittel verwendet wird, h a t entscheidende Auswirkungen auf das Verhalten und die Beziehungen der Menschen untereinander. Da Ferguson dies noch nicht klar gesehen hatte, blieb ihm auch die gesuchte Erkenntnis verschlossen. Am Ende seiner Untersuchung sprach er dann von den Schicksalsgöttinnen und der Vorsehung, die über Anfang und Ende der S t a a t e n bestimmen. 2 Nach seinem großartigen Versuch, die Gründe f ü r das Aufblühen und den Untergang der Kulturen vor allem in den materiellen Lebensbedingungen der Menschen zu suchen, war dies das Eingeständnis des Scheiterns. Auf diesem Wege konnte also die von Ferguson gesuchte Erklärung nicht gefunden werden. In seinen Untersuchungen über die Ursachen des Unterganges zahlreicher ehemals mächtiger Völker kam Ferguson immer wieder auf das eine bestimmende Moment z u r ü c k : Die staatsbürgerlichen Tugenden der Menschen waren verfallen, weil sie durch den Reichtum korrumpiert waren. Deshalb galt sein ganzes Interesse der Entwicklung des Eigentums, und deshalb h a t er die Geschichte der Menschheit nach diesem Prinzip periodisiert. Ferguson war der erste, der die Geschichte in die Perioden der Wildheit, der Barbarei und der Zivilisation gliederte. Das Kriterium f ü r die Zuordnung der einzelnen Völker zu einer dieser drei Perioden waren ausschließlich die herrschenden Eigentumsverhältnisse. E r ging davon aus, daß die Eigentumsverhältnisse das bestimmende Element in der Gesellschaft sind und waren, und daß gleiche Eigentumsverhältnisse auch gleiche oder doch ähnliche Einrichtungen auf anderen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens hervorbringen. 3 Von diesem Prinzip ausgehend rechnete er zur Wildheit alle jene Völker, die „wenig Achtung v o r d e m E i g e n t u m " 4 bzw. noch überhaupt kein Eigentum kannten. 5 Diese Völker gewannen ihren Lebensunterhalt entweder durch J a g d oder Fischfang oder verbanden das eine oder andere mit einer rohen Form des Bodenbaues. 6 Als das klassische Beispiel dieser Entwicklungsstufe behandelte Ferguson die Irokesen. 7 Bei ihnen wie bei anderen Völkern dieser Entwicklungsstufe bestand das Eigentum, das der einzelne besaß, lediglich in Waffen, Geräten und Kleidung, während alle übrigen zum Leben notwendigen Dinge als Gemeineigentum betrachtet wurden. Die natürliche Folge dieses Zustandes war eine absolute soziale Gleichheit aller Mitglieder der Gesellschaft. W o ein gesellschaftliches Amt notwendig wurde, erhielt es der Tüchtigste, der während seiner Amtsperiode keinerlei materielle Vorteile genoß und der nach seiner Amtsperiode wieder mit allen Stammesgenossen auf dem gleichen Niveau lebte. 8 1 4 7

Ebenda, S. 224, 354f. Ebenda, S. 113. Ebenda, S. 118ff.

2 6 8

Ebenda, S. 394. Ebenda, S. 114. Ebenda, S. 117.

3

Ebenda, S. 118, 136. • Ebenda, S. 113, 114.

Ferguson

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Die Abwesenheit des Eigentums brachte es mit sich, daß die Interessen sowohl der gesellschaftlichen Oberhäupter als auch der gewöhnlichen Mitglieder einer gesellschaftlichen Einheit sich ausschließlich auf das Gemeinwohl konzentrierten. Da sich alle gleichermaßen für das Gemeinwohl verantwortlich fühlten, lebten die Menschen jener Periode im Sinne Fergusons in einem glückseligen Zustande, mehr noch, sie lebten in einem Zustande der vollkommenen persönlichen Freiheit. 1 Diese Verhältnisse erfuhren auf der Stufe der Barbarei nach Ferguson bereits einige entscheidende Veränderungen. In dieser Epoche bildete sich das erste Eigentum, und zwar in Form von Vieh. 2 Barbaren waren bei Ferguson ausschließlich Viehzüchter, die nicht nur das Eigentum schlechthin, soondern auch bereits Unterschiede in der Verteilung des Eigentums kannten. 3 F ü r den Barbaren war das Eigentum bereits zu einem Hauptgegenstand der Sorge und des Verlangens geworden, wenn es auch noch nicht durch Gesetze gesichert wurde. 4 Damit war eine erste Abkehr von jenem vorangegangenen glückseligen Zustand erfolgt, wo die Menschen — unbelastet von der Sorge um ihr persönliches Eigentum — sich einzig und allein mit dem Gemeinwohl befaßten. Diese beachtliche Bedeutung, die das Eigentum auf der Stufe der Barbarei erlangt hatte, blieb nicht ohne Folgen für die Formen der gesellschaftlichen Organisation. W a r in der vorangegangenen Periode der Wildheit für die Verleihung eines gesellschaftlichen Amtes allein der Gesichtspunkt der Tüchtigkeit ausschlaggebend gewesen, so änderte sich das bei den Barbaren. Zwar konnte die Bewunderung für die persönlichen Eigenschaften eines Mannes ausschlaggebend für seine gesellschaftliche Stellung sein, von gleicher Bedeutung konnte aber bereits sein individueller Reichtum sein. 5 Konnte der Reichtum auf der einen Seite zur Erhöhung der gesellschaftlichen Stellung beitragen, so wurde er auf der anderen Seite zur Ursache für die gesellschaftliche Erniedrigung der weniger vom Glück Begünstigten. Auf der Stufe der Barbarei hatte die individuelle Reichtumsaufhäufung schon zu den ersten Formen der Unterordnung geführt: Es gab bereits Herren und Diener, Schutzherren und Schützlinge. 6 Oftmals verdankte der Barbar unter diesen Umständen seine persönliche Freiheit nur noch seinem Mute und seinem Schwerte. 7 E h e von diesem Zustand der Übergang zur Zivilisation erfolgen konnte, waren noch einige wichtige Voraussetzungen notwendig. Zunächst mußten die Eigentumsunterschiede bedeutend geworden sein. Der nächste Schritt auf dem Wege zur Zivilisation erfolgte dann durch die Vererbung der gesellschaftlichen Ämter, um dann schließlich nach Einführung des allgemeinen Erbrechts insbesondere auch am Grund und Boden und der Entstehung der Arbeitsteilung die Grundlagen zur Bildung der Klassengesellschaft zu legen. 8 Mit dem Übergang zur Zivilisation wurde das Prinzip der urgemeinschaftlichen Gleichheit endgültig begraben und mit ihr die durch sie bedingten staatsbürger1 3 5 7

Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda,

S. 367. S. 113. S. 113, 169. S. 367.

2 4 6 8

Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda,

S. 136. S. 114. S. 113. S. 140, 170, 255.

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Historiographischer

Überblick

liehen Tugenden. Ferguson hatte ihren stufenweisen Verfall durch die urgeschichtlichen Perioden verfolgt und hatte als Ursache dieses Verfalls das Eigentum bzw. den Reichtum gefunden. Bei seiner Analyse der Geschichte ging Ferguson also von einer widerspruchsvollen aktuellen Erscheinung aus und versuchte, die Entstehung dieser Erscheinung zu erklären. Ein Vergleich der zeitgenössischen Zustände mit den gesellschaftlichen Verhältnissen weniger entwickelter Völker zeigte ihm, daß der zu seiner Zeit vorhandene Widerspruch zwischen dem allgemeinen und dem persönlichen Interesse b*w. — nach der Terminologie Fergusons — die Abwesenheit der staatsbürgerlichen Tugenden nicht von Ewigkeit her existiert hat. Für Ferguson ergab sich daraus das Problem, die stufenweise Entwicklung aufzuzeigen, die zur Entstehung dieses Widerspruchs geführt hat. Der Ausgangspunkt Fergusons war also eine dialektische Fragestellung. Ferguson konnte sich jedoch diesen gesellschaftlichen Widerspruch nicht erklären, da er nicht den grundlegenden Unterschied zwischen dem persönlichen und dem privaten Eigentum erkannt hatte. Deshalb weist seine Periodisierung der Urgeschichte einen widerspruchsvollen Charakter auf: Auf der einen Seite stellt sie eine Entwicklung der Gesellschaft vom Niederen zum Höheren dar, wobei Ferguson die Entstehung des Eigentums durchaus als einen Fortschritt wertete; auf der anderen Seite stellt sie einen Verfall der menschlichen Tugenden dar, der durch das Streben nach individuellem Eigentum hervorgerufen wurde. Bei seiner Untersuchung unter diesen Gesichtspunkten war Ferguson zu einer Gliederung der Geschichte nach drei Stufen gekommen, die von ihm jeweils durch besondere Formen des Eigentums und der sozialen Organisation gekennzeichnet wurden. Diese kausale Verknüpfung von Eigentumsverhältnissen und gesellschaftlicher Organisation war eine großartige Leistung Fergusons, die mit derjenigen Rousseaus vergleichbar ist. Kein neuer Versuch einer Periodisierung der Urgeschichte kann diese Erkenntnisse ignorieren. Allerdings wird man dabei den Fehler Fergusons vermeiden und wird eine klare Unterscheidung zwischen individuellem und privatem Eigentum treffen müssen. Dann wird man auch beispielsweise jene Unzulänglichkeit umgehen, die Ferguson dazu führte, die Irokesen der Stufe der Wildheit, die Hottentotten dagegen der der Barbarei zuzurechnen. Ferguson hatte mit seiner Einschätzung dieser beiden soeben genannten Völker insofern recht, als bei den Irokesen das Eigentum nicht über die geringfügigen Gegenstände des individuellen Gebrauchs hinausging, der Grund und Boden als wichtigstes Produktionsmittel war jedoch noch Gemeineigentum. Bei den Hottentotten dagegen umfaßte das individuelle Eigentum das wichtigste Produktionsmittel, nämlich Vieh. Betrachtet man Irokesen und Hottentotten dagegen vom Standpunkt der allgemeinen Entwicklungshöhe, dann müssen sich gegen diese Einstufung schwere Bedenken erheben. Die Irokesen betrieben einen Bodenbau erstaunlichen Ausmaßes und ernteten jährlich beachtliche Mengen von Mais, während die Hottentotten ihre Viehzucht noch auf ganz extensive und wenig ergiebige Art betrieben. In ihrer gesellschaftlichen Organisation waren die Irokesen ebenfalls keineswegs

Adam Smith

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„primitiv". Im Gegenteil: Sie hatten einen straff organisierten Stammesbund, mit dessen Hilfe sie ihre Nachbarstämme mit zahlreichen Kriegen überzogen und tributpflichtig machten, Sie kannten also bereits eine Form der Ausbeutung, die sich allerdings — im Gegensatz zu der der Hottentotten — nicht gegen die eigenen Stammesgenossen richtete. Daher muß man die Irokesen ebenso wie die Hottentotten — um mit Ferguson zu sprechen — der Stufe der Barbarei zurechnen. Wenn man bedenkt, daß sich Ferguson bei seinen Ausarbeitungen nur auf wenige Reiseberichte stützen konnte und daß es zu seiner Zeit eine wissenschaftliche B e richterstattung über zurückgebliebene Völker noch nicht gab, dann kommt man nicht umhin, seinem Versuch einer systematischen und umfassenden Periodisierung der Urgeschichte Bewunderung entgegenzubringen.

5. ADAM SMITH

Adam Smith ging als Schüler Fergusons andere Wege wie sein Lehrer. Zwar h a t t e auch er, wie Ferguson, als Moralphilosoph seine wissenschaftliche Laufbahn begonnen, beendet hat er sie jedoch als Begründer der politischen Ökonomie. Uns soll hier die zweite Periode seines Schaffens interessieren, insbesondere aber sein Hauptwerk, die „Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Volkswohlstandes", an dem er 10 J a h r e lang gearbeitet hat. Hatten die Vorgänger von Adam Smith und vor allem sein Lehrer Ferguson die Gesellschaftskritik in Form der Moralkritik betrieben und hatten sie die Verbesserung der Moral als das Entscheidende für die Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse angesehen, so hielt Adam Smith dies nicht für ausreichend. E r wandte sich der Ökonomie zu, die seine Vorgänger in ihren Erörterungen nur gestreift hatten. Als Anhänger des Liberalismus war auch er überzeugt, daß mit dem allgemeinen Volkswohlstand das Wohlergehen des Individuums gesichert war. Im Verlaufe seiner Untersuchungen kam er u. a. auch auf die Dinge zu sprechen, die sich für den erstrebten Volkswohlstand als höchst schädlich erwiesen. Die größte Gefahr erblickte er in den stehenden Heeren der modernen Staaten, die nahezu den gesamten Volkswohlstand aufzufressen drohten. Um zu erklären, wie es zur Bildung dieser reichtumzerstörenden Institutionen kam, untersuchte Smith die Ökonomie zurückgebliebener Völker. Adam Smith teilte die urgeschichtliche Zeit in drei Perioden ein, wobei er von der Art und Weise der Lebensunterhaltsgewinnung ausging und demzufolge zu einer Periodisierung nach Wirtschaftsstufen kam. In der ersten Periode, die er gelegentlich auch als Periode der Wildheit bezeichnete, existierten nur Jäger- bzw. Fischervölker, in der zweiten Periode, in der Periode der Babarei, traten nomadisierende Hirtenvölker auf, während die dritte Periode durch die Entstehung des Ackerbaues bzw. Bodenbaues gekennzeichnet war. 1 Smith gebrauchte also die im Altertum und der Aufklärung viel benutzte Dreistufentheorie. 1 A. Smith, Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Volkswohlstandes, 2. Aufl., 4 Bde., Bd. 3, Berlin 1907, S. 1, 2, 4.

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„primitiv". Im Gegenteil: Sie hatten einen straff organisierten Stammesbund, mit dessen Hilfe sie ihre Nachbarstämme mit zahlreichen Kriegen überzogen und tributpflichtig machten, Sie kannten also bereits eine Form der Ausbeutung, die sich allerdings — im Gegensatz zu der der Hottentotten — nicht gegen die eigenen Stammesgenossen richtete. Daher muß man die Irokesen ebenso wie die Hottentotten — um mit Ferguson zu sprechen — der Stufe der Barbarei zurechnen. Wenn man bedenkt, daß sich Ferguson bei seinen Ausarbeitungen nur auf wenige Reiseberichte stützen konnte und daß es zu seiner Zeit eine wissenschaftliche B e richterstattung über zurückgebliebene Völker noch nicht gab, dann kommt man nicht umhin, seinem Versuch einer systematischen und umfassenden Periodisierung der Urgeschichte Bewunderung entgegenzubringen.

5. ADAM SMITH

Adam Smith ging als Schüler Fergusons andere Wege wie sein Lehrer. Zwar h a t t e auch er, wie Ferguson, als Moralphilosoph seine wissenschaftliche Laufbahn begonnen, beendet hat er sie jedoch als Begründer der politischen Ökonomie. Uns soll hier die zweite Periode seines Schaffens interessieren, insbesondere aber sein Hauptwerk, die „Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Volkswohlstandes", an dem er 10 J a h r e lang gearbeitet hat. Hatten die Vorgänger von Adam Smith und vor allem sein Lehrer Ferguson die Gesellschaftskritik in Form der Moralkritik betrieben und hatten sie die Verbesserung der Moral als das Entscheidende für die Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse angesehen, so hielt Adam Smith dies nicht für ausreichend. E r wandte sich der Ökonomie zu, die seine Vorgänger in ihren Erörterungen nur gestreift hatten. Als Anhänger des Liberalismus war auch er überzeugt, daß mit dem allgemeinen Volkswohlstand das Wohlergehen des Individuums gesichert war. Im Verlaufe seiner Untersuchungen kam er u. a. auch auf die Dinge zu sprechen, die sich für den erstrebten Volkswohlstand als höchst schädlich erwiesen. Die größte Gefahr erblickte er in den stehenden Heeren der modernen Staaten, die nahezu den gesamten Volkswohlstand aufzufressen drohten. Um zu erklären, wie es zur Bildung dieser reichtumzerstörenden Institutionen kam, untersuchte Smith die Ökonomie zurückgebliebener Völker. Adam Smith teilte die urgeschichtliche Zeit in drei Perioden ein, wobei er von der Art und Weise der Lebensunterhaltsgewinnung ausging und demzufolge zu einer Periodisierung nach Wirtschaftsstufen kam. In der ersten Periode, die er gelegentlich auch als Periode der Wildheit bezeichnete, existierten nur Jäger- bzw. Fischervölker, in der zweiten Periode, in der Periode der Babarei, traten nomadisierende Hirtenvölker auf, während die dritte Periode durch die Entstehung des Ackerbaues bzw. Bodenbaues gekennzeichnet war. 1 Smith gebrauchte also die im Altertum und der Aufklärung viel benutzte Dreistufentheorie. 1 A. Smith, Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Volkswohlstandes, 2. Aufl., 4 Bde., Bd. 3, Berlin 1907, S. 1, 2, 4.

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Auf der untersten Entwicklungsstufe, auf der Stufe der Jagd- bzw. Fischfangwirtschaft, war die Produktivität der Arbeit noch sehr gering, so daß diese Völker häufig gezwungen waren, ihre Alten, Kranken und sogar Kinder aus bloßem Mangel an Unterhaltsmitteln in der Wildnis auszusetzen. 1 Die Kargheit der Unterhaltsmittel zwang die Menschen einer ökonomischen Einheit, sich im täglichen Kampf um das Dasein gegenseitig zu unterstützen. Um die Gesellschaft als Ganzes zu erhalten, mußte die notwendige Arbeit auf alle ihre Mitglieder möglichst zweckmäßig verteilt werden. Dies führte zur ersten Form der Arbeitsteilung, nämlich der Arbeitsteilung nach physiologischen Gesichtspunkten, bei der die Kinder und Alten von den Jungen und Arbeitsfähigen mit den Produkten der Jagd und des Fischfangs versorgt wurden. 2 Irgendeine Form der sozialen Differenzierung gab es nach Smith bei Jägervölkern noch nicht und konnte es auch noch nicht geben. Die geringe Produktivität der Arbeit hatte die allgemeine Armut zur Folge, und diese stellte die allgemeine Gleichheit her. 3 Nur persönliche Tüchtigkeit und größere Lebenserfahrungen des Alters konnten sich besondere Achtung erringen. 4 Eine Form der Herrschaft bzw. Obrigkeit gab es in diesen Gesellschaften ebenfalls noch nicht. Sie war auch noch gar nicht notwendig, weil es noch nichts gab, womit sie sich hätte befassen sollen. Da jeder erwachsene Mann Jäger und Krieger in einer Person war, wurden stehende Heere nicht notwendig. Aus diesem Grund gab es in Gesellschaften dieser Kulturstufe keine Abgabensysteme. Auf der zweiten Entwicklungsstufe der Urgemeinschaftsordnung, der Periode der nomadisierenden Hirtenvölker, änderten sich diese Verhältnisse grundlegend. Hier wurde durch die Viehzucht die Produktivität der Arbeit beachtlich vergrößert. Das wichtigste Ergebnis dieser Entwicklungsetappe sah Smith in der Entstehung von Vermögensungleichheiten, die nach seiner Meinung in dieser Periode große Ausmaße annehmen konnten. 5 Hatte die allgemeine Armut auf der vorherigen Entwicklungsstufe die allgemeine Gleichheit garantiert, so bedeutete nunmehr die einseitige Armut die Unterordnung der Verarmten unter die Macht der Reichen. Die Vermögensungleichheit und die damit verbundene ökonomische Abhängigkeit der Armen von den Reichen bedingte nach Adam Smith eine Art von Regierung, die von Anfang an ein Instrument der Reichen zur Niederhaltung der Armen war. Damit sie diese ihre Funktion um so sicherer durchführen konnte, war der reichste Mann im Stamm zugleich der Inhaber der Gewalt. Da diese Gewalt bald innerhalb bestimmter Familien erblich wurde und damit eine Art Adel entstand, kam zu den Reichtumsunterschieden noch der Unterschied der Geburt hinzu, wodurch die soziale Ungleichheit noch weiter vertieft wurde. 6 Trotz der ausgesprochenen sozialen Gliederung auf dieser Entwicklungsstufe entstand aber noch kein Abgabensystem. Das war deshalb noch nicht notwendig, 1

Ebenda, Ebenda, 4 Ebenda, • Ebenda, 2

1. S. S. S.

Aufl., Bd. 1. Berlin 1878, S. 2. 3 2. Ebenda, 2. Aufl., Bd. 3, S. 28. 6 29. Ebenda, S. 28. 28.

Adam. Smith

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weil die Oberschicht durch den Überschuß ihrer eigenen Herden unterhalten wurde. 1 Es gab noch kein stehendes Heer, das den Wohlstand verschlungen hätte. 2 Über die Ackerbauvölker hat Adam Smith nur sehr wenig ausgesagt. Wahrscheinlich sah er in ihnen, sofern sie noch der vorstaatlichen Periode angehörten, keine wesentlichen Unterschiede gegenüber den Nomaden-Viehzüchtern. Wie bei diesen, war der Fürst bzw. das gesellschaftliche Oberhaupt der reichste Mann im Stamm, nur daß bei den Ackerbauern dieser Reichtum in Grund und Boden bestand. 3 Die Erfindung des Ackerbaues führte zur Seßhaftigkeit. Es entstanden befestigte Städte, es kam zur Herausbildung einer systematischen gewerblichen Arbeitsteilung und — damit unmittelbar verbunden — zur Entstehung von Tausch, Geld und Kaufmannsstand und schließlich zur Ausbildung der Zivilisation. Damit aber war jener Apparat vorhanden, den Smith als eine Bedrohung des Volkswohlstandes ansah. Die allgemeine Arbeitsteilung, die jedem seinen Platz in einem komplizierten Wirtschaftssystem anwies, brachte auch den Beruf des Soldaten hervor, der aber nun, da er von jeder produktiven Arbeit freigestellt werden mußte, durch Steuergelder von der Allgemeinheit unterhalten wurde. Ähnlich verhielt es sich mit allen übrigen Organen des Staates. Auch sie wurden von Menschen betätigt, die von jeder Arbeit freigestellt waren und die demzufolge Steuergelder verschlangen. Diese Staatsorgane wurden mit der Vertiefung der Widersprüche zwischen Arm und Reich immer unabdingbarer und umfangreicher, schufen aber durch die stets wachsenden Lasten nur wieder neue Widersprüche. Hier können wir die Ausführungen von Adam Smith verlassen und können zusammenfassend feststellen, daß er wie sein Vorgänger Ferguson die Periodisierung der Urgeschichte unter dem Gesichtspunkt der stufenweisen Enstehung eines aktuellen gesellschaftlichen Widerspruchs vornahm. Im Gegensatz zu Ferguson jedoch, der die enge Verkoppelung der Regierungsgewalt mit den Interessen des Reichtums als einen Verfall der Tugend beklagte und der an die Wiederherstellung eines glückseligen Zustandes durch eine moralische Vervollkommnung der Menschen glaubte, wurde bei Smith diese Verkoppelung von Regierungsgewalt und Reichtum als eine objektive Notwendigkeit dargestellt, die sich völlig unabhängig vom Willen der Menschen ergab und die demzufolge auch nicht durch den Willen der Menschen geändert werden konnte. Wie Ferguson, so hatte aber auch Smith nicht die wirkliche Ursache dieser Entwicklung erkannt. Auch er sprach immer nur von Reichtums- bzw. Vermögensungleichheit überhaupt, ohne im Privateigentum die letzte Ursache aller vorhandenen Widersprüche zu sehen. Da er aber die Wirkung der Reichtumsunterschiede auf die Entstehung antagonistischer Klassenwidersprüche und deren Niederhaltung durch entsprechende Institutionen untersuchte, kam er zu Ergebnissen, die auch heute noch ihre volle Gültigkeit haben. So war es eine äußerst fruchtbare Erkenntnis von Adam Smith, die Herausbildung staatlicher bzw. staatsähnlicher Institutionen nicht nur mit den Reichtumsunterschieden, sondern auch mit der Produktivität der Arbeit zu verbinden. Damit 1

Ebenda, S. 33, 156.

2

Ebenda, S. 27.

3

Ebenda, S. 33.

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H istorio graphischer

Überblick

wurde Smith zu einem unmittelbaren Vorläufer der materialistischen Geschichtsphilosophie; denn er betrachtete den gesamten Geschichtsverlauf als eine Folge der Entwicklung der Produktion und versuchte, von diesem Gesichtspunkt her eine Gliederung bzw. Periodisierung der Geschichte vorzunehmen. Dieser Versuch ist das Positive und Bleibende an dem Beitrag von Adam Smith zu dem hier behandelten Problem. Allerdings ist die Dreistufentheorie als Periodisierungsprinzip unzureichend, um diese Grundgedanken von Smith auszudrücken. Es gibt Völker gleicher Wirtschaftsform mit sehr unterschiedlicher Produktivität der Arbeit und demzufolge auch sehr unterschiedlichen sozialen Beziehungen. Die Fischervölker der Nordwestküste Nordamerikas kann man beispielsweise nicht mit den Fischervölkern der ersten Entwicklungsstufe im Schema von Smith gleichsetzen. Wenn man also die richtigen Grundgedanken Smith' bei der urgeschichtlichen Periodisierung berücksichtigen will, dann muß man nach neuen Kriterien für die Bestimmung der Arbeitsproduktivität suchen. Auf dieses Problem wird später nochmals zurückzukommen sein.

6. HEGEL

Die Philosophen vor Hegel waren, wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, bei ihren historischen Betrachtungen vielfach an der Widersprüchlichkeit der historischen Entwicklung gescheitert. Bei Hegel wurde erstmalig dieses Problem theoretisch gelöst und zum Ausgangspunkt und Eckpfeiler seines ganzen philosophischen Systems gemacht. Das war sicher kein Zufall. Vor Beginn des 19. Jahrhunderts hatten sich die Widersprüche des kapitalistischen Systems, d. h. die höchste Form der gesellschaftlichen Widersprüche, noch nicht voll entfaltet, und vielfach kämpfte das Bürgertum noch um die Ablösung der überlebten Feudalordnung. Die Philosophen konnten also bis zu dieser Zeit noch an eine Lösung der vorhandenen Widersprüche durch die Vernunft oder Moral glauben. Anders bei Hegel. Er war der Denker der konstituierten bürgerlichen Gesellschaft und sah, daß auch die angeblich „vernünftigste" aller Gesellschaften an die Stelle der alten nur neue Widersprüche gesetzt hatte. Die Erkenntnis von den der Geschichte stets innewohnenden Widersprüchen wurde im System Hegels theoretisch in der Lehre von der Dialektik verarbeitet. Auf dieser Grundlage war es dann Hegel möglich, eine Periodisierung der Weltgeschichte vorzunehmen. Nach Hegel ist die Weltgeschichte in vier große Etappen (bzw. „Reiche") zu gliedern: 1. das 2. das 3. das 4. das

orientalische Reich (mit Ägypten, Babylonien, Persien usw.) griechische Reich römische Reich germanische Reich.

Dieser Einteilung folgte auch seine vierbändige „Philosophie der Weltgeschichte".

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wurde Smith zu einem unmittelbaren Vorläufer der materialistischen Geschichtsphilosophie; denn er betrachtete den gesamten Geschichtsverlauf als eine Folge der Entwicklung der Produktion und versuchte, von diesem Gesichtspunkt her eine Gliederung bzw. Periodisierung der Geschichte vorzunehmen. Dieser Versuch ist das Positive und Bleibende an dem Beitrag von Adam Smith zu dem hier behandelten Problem. Allerdings ist die Dreistufentheorie als Periodisierungsprinzip unzureichend, um diese Grundgedanken von Smith auszudrücken. Es gibt Völker gleicher Wirtschaftsform mit sehr unterschiedlicher Produktivität der Arbeit und demzufolge auch sehr unterschiedlichen sozialen Beziehungen. Die Fischervölker der Nordwestküste Nordamerikas kann man beispielsweise nicht mit den Fischervölkern der ersten Entwicklungsstufe im Schema von Smith gleichsetzen. Wenn man also die richtigen Grundgedanken Smith' bei der urgeschichtlichen Periodisierung berücksichtigen will, dann muß man nach neuen Kriterien für die Bestimmung der Arbeitsproduktivität suchen. Auf dieses Problem wird später nochmals zurückzukommen sein.

6. HEGEL

Die Philosophen vor Hegel waren, wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, bei ihren historischen Betrachtungen vielfach an der Widersprüchlichkeit der historischen Entwicklung gescheitert. Bei Hegel wurde erstmalig dieses Problem theoretisch gelöst und zum Ausgangspunkt und Eckpfeiler seines ganzen philosophischen Systems gemacht. Das war sicher kein Zufall. Vor Beginn des 19. Jahrhunderts hatten sich die Widersprüche des kapitalistischen Systems, d. h. die höchste Form der gesellschaftlichen Widersprüche, noch nicht voll entfaltet, und vielfach kämpfte das Bürgertum noch um die Ablösung der überlebten Feudalordnung. Die Philosophen konnten also bis zu dieser Zeit noch an eine Lösung der vorhandenen Widersprüche durch die Vernunft oder Moral glauben. Anders bei Hegel. Er war der Denker der konstituierten bürgerlichen Gesellschaft und sah, daß auch die angeblich „vernünftigste" aller Gesellschaften an die Stelle der alten nur neue Widersprüche gesetzt hatte. Die Erkenntnis von den der Geschichte stets innewohnenden Widersprüchen wurde im System Hegels theoretisch in der Lehre von der Dialektik verarbeitet. Auf dieser Grundlage war es dann Hegel möglich, eine Periodisierung der Weltgeschichte vorzunehmen. Nach Hegel ist die Weltgeschichte in vier große Etappen (bzw. „Reiche") zu gliedern: 1. das 2. das 3. das 4. das

orientalische Reich (mit Ägypten, Babylonien, Persien usw.) griechische Reich römische Reich germanische Reich.

Dieser Einteilung folgte auch seine vierbändige „Philosophie der Weltgeschichte".

Hegel

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Wie man sieht, gehören alle angeführten Etappen der staatlichen Periode an. Ihr ging, auch nach Hegel, eine vorstaatliche Periode voraus, nach unserer Terminologie die Urgeschichte. Diese Geschichtsperiode hat Hegel als solche jedoch nicht mit in seine geschichtsphilosophischen Betrachtungen einbezogen und hat sich demzufolge auch mit ihrer Gliederung nicht um ihrer selbst willen auseinandergesetzt. Dieser Widerspruch erklärt sich in erster Linie aus dem Geschichtsbegriff Hegels. Für Hegel war Geschichte das Bewußtsein über den Gang der Geschichte und über die in ihr objektiv waltende Kraft. 1 Diese objektiv waltende Kraft oder, anders ausgedrückt, das bestimmende Element der historischen Entwicklung war nach Hegelscher Auffassung der objektive Geist. Das dem objektiven Geist innewohnende Gesetz war — immer nach Hegel — seine fortwährende Entzweiung mit sich selbst, die durch seine ebenfalls fortwährende „Entäußerung" auf die menschliche Gesellschaft übertragen wurde und auf diese Weise die historische Entwicklung bedingte. Die historische Gesetzmäßigkeit Hegels fand also nur im rein Geistigen ihre Ursache. Seinen Geschichtsbegriff erläuterte Hegel auch einmal als „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit". 2 Selbstverständlich kann die Freiheit dem Menschen erst dann bewußt werden, wenn er auch die Unfreiheit kennt. Kennt er diesen Zustand der Unfreiheit, dann mußte er nach Hegel nach Möglichkeiten suchen, eine Ordnung ausfindig zu machen, in der trotzdem alle Menschen leben konnten. Die Lösung dieses Problems war die Bildung des Staates. In ihm wurden nach Hegel aus Willkür Gesetz und aus Chaos Ordnung. Hier erst lag nach Hegel der Beginn der Geschichte. Alles, was vor dieser Periode lag, war für ihn ,,Vorgeschichte im eigentlichen Sinne des Wortes. Kennen die Menschen noch nicht den Begriff der Freiheit, weil sie in ihrer gesellschaftlichen Praxis noch keine Unfreiheit kennen, dann leben sie nach Hegels Ansicht noch in Dumpfheit und Wildheit. Der Mensch existierte nur „ . . . i n seiner Unmittelbarkeit" und stand lediglich „im Gegensatz zur Natur". 3 Er konnte in seinem System nicht zum Gegenstand der Geschichtsphilosophie werden. Der Geschichtsbegriff Hegels war also der Hauptgrund seiner Ablehnung, sich mit den Völkern zu befassen, die noch mehr oder weniger vollständig die Urgemeinschaftsordnung erhalten hatten. Trotzdem aber kam Hegel nicht umhin, über die Urgeschichte doch einiges auszusagen und sie auf Umwegen in sein Schema einzuführen. Wenn er die eigentliche Geschichte auch erst mit der Entstehung des Staates beginnen ließ, so war doch dieser Staat nicht fertig vom Himmel gefallen. Zwar war die Periode vor der Staatsentstehung nur „Vor"geschichte, Hegel mußte ihr aber trotzdem, getreu seinem System, eine Entwicklung zugestehen. Diesen Ansichten Hegels über die ,,Vorgeschichte der Menschheit lag ein für die weitere Entwicklung der Wissenschaft äußerst fruchtbarer Gedanke zugrunde. Dieser Gedanke bestand in der Auffassung, die ,,Vorgeschichte sei durch die langsam in ihr entstehenden gesellschaftlichen Widersprüche gekennzeichnet. Zu Beginn 1 2 3

G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Stuttgart 1927, S. 618f. Ders., Philosophie der Weltgeschichte, 4 Bde., Leipzig (1944), Bd. 1, S. 40. Ebenda, S. 208.

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seines Daseins befand sich der Mensch noch ganz ,,in seiner Unmittelbarkeit", am Ende der vorstaatlichen Periode aber stand die Kollision, die dann schließlich zur Errichtung von staatlichen Institutionen führte. Diese Entwicklung der Urgemeinschaftsordnung konnte Hegel aber gemäß seinem System nur in gesetzmäßigen Etappen verlaufen lassen. Da er den Angelpunkt in der Entstehung der gesellschaftlichen Widersprüche und deren Überwindung durch die Schaffung entsprechender Institutionen sah, wurden diese gesellschaftlichen Institutionen bei ihm zum Periodisierungsprinzip. Hegel unterschied folgende Perioden der „vorgeschichtlichen Entwicklung: 1. Periode: Heraustreten aus dem Tierreiche (bzw. aus der Natur), Bildung der menschlichen „Gemeinsamkeit", d. h. der Gesellschaft überhaupt — Entstehung der Familie. 2. Periode: Herausbildung des Patriarchats als Regierungsform bzw. des Stammes als ethnischer Einheit. 3. Periode: Entstehung des Despotismus als Regierungsform bzw. des Volkes als ethnischer Einheit. 4. Periode: Entstehung des Staates als Form der gesellschaftlichen Organisation bzw. der Nation als ethnischer Einheit. 1 Bei dieser Periodisierung muß man den Hegeischen Staatsbegriff berücksichtigen. Nach seiner Auffassung besaßen beispielsweise Inder und Chinesen noch keinen S t a a t ; sie waren „Despotien". Aus diesem Grunde ergibt sich im Hegeischen Periodisierungsschema der Urgeschichte eine Verschiebung nach oben bis in die staatliche Periode hinein. Nach heutiger Ansicht müßte, wenn man dem Schema Hegels folgen wollte, die Urgemeinschaftsordnung enden mit der Bildung des orientalischen Despotismus. Weiterhin muß bemerkt werden, daß Hegel an keiner Stelle eine systematische Zusammenfassung dieser vorstaatlichen Perioden gegeben hat, da ihn diese ganze Epoche nicht um ihrer selbst willen, sondern nur als Vorgeschichte seines im Staate entfalteten objektiven Geistes interessierte. Deshalb kam er an den verschiedensten Stellen zwar auf das Problem der vorstaatlichen Entwicklung zu sprechen, und nur wenn man diese vertreuten Bemerkungen systematisiert, kommt man zu der oben angeführten Periodisierung. Nachdem die Menschen aus der Natur herausgetreten waren und sich zu Gesellschaften zusammengeschlossen hatten, zeigten sich nach Hegel bereits die ersten Gegensätze. Zwar handelte es sich noch nicht um Gegensätze tiefgreifender Art, trotzdem mußten sie ausgeglichen werden. Das führte zur Manifestierung der 1 Ein ähnliches Periodisierungsprinzip findet sich, wenn man v o m äußeren Schein ausgeht, bereits bei Aristoteles. In seiner,, Politik" v e r t r a t er die Auffassung, die Entwicklung sei v o n den vereinzelt lebenden Menschen (Zyklopen) über die Dorfgemeinden zum S t a a t verlaufen (Aristoteles, Politik, Leipzig 1948, S. 3f.). Während aber dieser Prozeß bei Aristoteles lediglich als eine zahlenmäßige Vergrößerung, als eine quantitative Anhäufung erschien, beruhte er nach Hegel auf der Entstehung und Überwindung zahlreicher gesellschaftlicher Widersprüche.

Hegel

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ersten Form der Sittlichkeit, und zwar in der Familie. 1 Die Entstehung der Familie war gegenüber der freien, ungebundenen Natur bereits ein Fortschritt, weil in ihr „die Mitglieder derselben ... ihre Persönlichkeit (damit das Rechtsverhältnis, wie auch die ferneren partikulären Interessen und Selbstsüchtigkeit) entweder gegeneinander aufgeben (die Eltern) oder dieselben noch nicht erreicht (die Kinder)..." haben. 2 Die Familie galt Hegel also als eine erste Institution, die einen — wenn auch noch harmlosen — gesellschaftlichen Widerspruch ausglich. Es ist fraglich, ob man berechtigt ist, Hegel eine enge Fassung des Familienbegriffs zu unterlegen. Leider ist es nicht möglich, die Ansichten Hegels darüber eindeutig festzustellen. Möglicherweise verstand er darunter jede Form der gesellschaftlichen Organisation, deren Mitglieder sich als blutsverwandt betrachteten. Das scheint aus folgendem Ausspruch hervorzugehen: „Die Erweiterung der Familie aber zu einem patriarchalischen Ganzen (Hegel verstand darunter die Stammesorganisation—I. S.) geht über das Band der Blutsverwandtschaft". 3 Das würde bedeuten, daß Hegel auch die Gens mit in seinen Familienbegriff einbezogen hätte. Zweifellos hatte Hegel noch keine klaren Vorstellungen über die Gentilgesellschaft. Er kannte jedoch die Institution der Gens durch seine Studien über die griechische und römische Geschichte und hat sie einmal folgendermaßen charakterisiert: „ I n der Gens mußte Blutsverwandtschaft sein, zugleich erhält und behält sie ihren bestimmten politischen Charakter". 4 Hegel rechnete also die Gens noch nicht zum Patriarchat bzw. zur Stammesorganisation, folglich konnte sie seinem System zufolge nur der Stufe der Familie zuzurechnen sein. Das aber bestätigt die oben ausgesprochene Vermutung, daß er in der Familie als Grundlage der gesellschaftlichen Organisation in der ersten Periode der Urgemeinschaftsordnung nicht unbedingt nur die Kleinfamilie verstanden hat. Völlig eindeutig sind jedoch die Ansichten Hegels über den Charakter der Familie als Form der gesellschaftlichen Organisation. Er sah in ihr ein gesellschaftliches Organisationsprinzip auf der Grundlage der Blutsverwandtschaft, das gleichzeitig die gesellschaftliche und ethnische Einheit repräsentierte. In ihr existierte das Individuum nur als Teil des Ganzen und war in seinen Handlungen von dem Gesamtinteresse der Familie abhängig. 6 Gegenüber dem Urzustand, in dem Hegel nur einen wilden, ungebändigten Zustand erblickte, erschien das Organisationsprinzip auf der Grundlage der Blutsverwandtschaft als ein erster Fortschritt, weil die Blutsverwandtschaft „ . . . die abstrakte natürliche Bewegung dadurch (ergänzt), daß sie die Bewegung des Bewußtseins hinzufügt, das Werk der Natur unterbricht und den Blutsverwandten der Zerstörung e n t r e i ß t . . . " . 6 Der Mensch war von jetzt ab nicht mehr nur ein natürliches, er war zugleich ein gesellschaftliches Wesen. Da sich aber in dieser Gesellschaft die unvermeidlichen Widersprüche noch in einem „harmlosen" Stadium befanden, blieb der dominierende Widerspruch der zwischen Mensch und Natur. 1 2 4 6

G. W. F. Hegel, Philosophie der Weltgeschichte, Bd. 1, S. 97. 3 Ebenda, S. 97f. Ebenda, S. 98. 5 Ebenda, Bd. 2, S. 671. Ebenda, Bd. 1, S . 9 7 f . Ders., Phänomenologie des Geistes, S. 345.

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H¡stenographischer

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Die zweite Periode der vorstaatlichen Entwicklung war nach Hegel die Zeit der Herausbildung des Patriarchats als Regierungsform bzw. des Stammes als ethnischer Einheit. Als Hauptrepräsentanten dieser Periode betrachtete Hegel die ViehzüchterNomaden, wie die Mongolen und die Nomadenvölker östlich des Kaspischen Meeres. 1 Da ihm von allen diesen Völkern die Mongolen am besten bekannt waren, nannte Hegel diese ganze Entwicklungsstufe auch das „mongolische Prinzip". Beides, Stamm und Patriarchat, sehen auf den ersten Blick in der Hegeischen Darstellung lediglich wie vergrößerte Familien aus, sie sind aber weit mehr. Hegel charakterisierte den Stamm (bzw. das „patriarchalische Ganze") als eine gesellschaftliche Organisationsform, die „über das Band der Blutsverwandtschaft" hinausgeht. 2 Damit war mit der Entstehung des Patriarchats ein weiterer Schritt zur wahrhaft sittlichen Organisation, zum Staat, getan. Zwar bezeichnete Hegel das Blutsverwandtschaftsprinzip bzw. die Familie als eine erste Form der Sittlichkeit, das eigentliche sittliche Prinzip aber sah er im Staat, da in ihm die Sittlichkeit, „mit Bewußtsein entwickelt ist" und sich nicht, wie in der Familie, nur auf „Liebe und Zutrauen" gründete. 3 Den Übergang von der ersten zur zweiten, eigentlichen Form der Sittlichkeit bildete nach Hegel das Patriarchat. 4 Hatte die Familie die historische Funktion, die natürlichen (animalischen) Beziehungen zu zerstören und an deren Stelle ein erstes sittliches Prinzip, Liebe und Zutrauen, zu setzen, so hatte das Patriarchat nach Hegel die historische Funktion, „ . . . die Bande der Liebe und des Zutrauens" durch einen „Zusammenhang des Dienstes" zu ersetzen. 5 Dadurch wurde das Patriarchat zu einer Übergangsperiode von der Urgemeinschaftsordnung zum Staat, in der erstmalig eine allgemeine Unterordnung erfolgte, und zwar unter die Befehlsgewalt des Patriarchen als gesellschaftlichem Oberhaupt. Durch diese Entwicklung wurde der einzelne Mensch, der bisher nur an die blutsverwandte Familie gebunden war, aus dieser Enge gelöst und wurde zum Mitglied einer größeren Gemeinschaft, die nicht mehr ausschließlich aus Blutsverwandten bestand. Wie die Familie, so wurde nun auch das Individuum gezwungen, von seinen Interessen zugunsten der größeren Allgemeinheit abzusehen. Das war für Hegel das ,,Werden zum reinen Sein". Damit begann die Aufspaltung des Menschen in ein Wesen mit rein individuellen Interessen und in ein Wesen mit Interesse am öffentlichen Leben. Diese dialektische Entwicklung ließ Hegel dann zusammenfassend das Patriarchat als „die erste Stufe (zum) Bewußtsein eines Volkes" bezeichnen,® d. h. als die erste Stufe in der Auflösung der Urgemeinschaftsordnung bzw. der Entstehung von staatlichen Institutionen. Die dritte Periode der vorstaatlichen Zeit wurde nach Hegel durch die Entstehung des orientalischen Despotismus als Regierungsform bzw. dem Volk als ethnischer Einheit charakterisiert. Wie bereits erwähnt, umfaßt diese Periode nach heutiger 1 2 4

Ders., Philosophie der Weltgeschichte, Bd. 2, S. 332. 8 Ebenda, S. 97. Ebenda, Bd. 1. S. 98. 6 Ebenda, S. 97. Ebenda, S. 97.

6

Ebenda, S. 234

Hegel

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Auffassung Völker, die schon einen Staat kannten. Deshalb soll hier das Schwergewicht auf die Bedingungen gelegt werden, die nach Hegel zur Entstehung des Despotismus geführt haben. Die Charakterisierung der despotischen Staaten selbst aber soll unterbleiben, weil sie die durch diese Arbeit gesteckten Grenzen überschreiten würde. Der Despotismus war nicht sofort fertig ausgebildet vorhanden. Er hatte eine Vorstufe, die Hegel als das „Heroenzeitalter" bezeichnete. 1 Dieses Heroenzeitalter war aber nicht nur die Vorstufe des orientalischen Despotismus, sondern lag beispielsweise auch bei Griechen und Germanen unmittelbar vor dem Übergang zum Staat, so daß es sich überhaupt als die letzte Phase der vorstaatlichen Periode erweist. Während des Heroenzeitalters wurden alle Vorbedingungen für die spätere Entstehung des Staates bzw. des Despotismus geschaffen. Insbesondere kam es zur Bildung einer ersten Form der Zentralgewalt. 2 Aus den vielen einzelnen patriarchalischen Stämmen, die ständig miteinander in Kriege verwickelt waren, bildeten sich nunmehr Völkerschaften. 3 Diese Völkerschaften waren durch zweierlei gekennzeichnet: Einmal waren sie keine stabilen Vereinigungen, 4 und zum anderen waren in ihnen mehrere Stämme vertreten. 5 Die Völkerschaften waren also gegenüber den patriarchalischen Stämmen zahlenmäßig umfangreichere Gemeinschaften. Aus diesem Grunde wurde die Bildung eines Mittelpunktes notwendig, einer Zentralgewalt, worunter Hegel die Entstehung des Königtums verstand. 6 Diesem neuentstandenen Königtum hafteten noch viele Merkmale der vergangenen Periode an, und unter seiner Herrschaft erhielten sich noch mancherlei Reste urgemeinschaftlicher Demokratie. 7 Den endgültigen Sieg gegenüber den partikulären Einzelinteressen konnte nach Hegel erst der vollausgebildete Despotismus erringen. Nunmehr wurde der vorher lose Zusammenhalt vieler Stämme zu einem endgültigen und stabilen. Die einzelnen Stämme verschmolzen allmählich zu Völkern. Durch den Despotismus wurde die patriarchalische Willkür endgültig zerbrochen. Das konnte aber nur unter Anwendung von Gewalt geschehen. Diese despotische Gewalt wurde von Hegel insofern als ein höheres sittliches Prinzip gewertet, als sie die partikulare Willkür bändigte, den Stamm als Grundlage des Ethnos sprengte und dadurch die Entstehung des Volkes als einer größeren ethnischen Einheit ermöglichte. 8 Hatte im Patriarchat dieselbe Anzahl von Menschen einer Vielzahl von willkürlich regierenden Oberhäuptern gegenüber gestanden, so hatte sie es nunmehr nur mit einem einzigen Despoten zu tun. Die Willkür vieler wurde durch die Willkür eines einzelnen ersetzt. Ebenda, Bd. 4, S. 7 8 2 f f . ; Bd. 3, S. 547. 2 Ebenda, B d . 4, S. 784. Den Ausdruck „ V ö l k e r s c h a f t " wird man bei Hegel vergeblich suchen. E r half sich, da er sehr wohl den Unterschied zwischen den ethnischen Gemeinschaften dieser Periode zu den Völkern als ethnischer Einheit einer späteren Epoche sah, mit dem Ausdruck „Gemeinsamkeiten" (ebenda, S. 783). 4 Ebenda, S. 783; Bd. 3, S. 544f. 5 Ders., Phänomenologie des Geistes, S. 554. 6 Ders., Philosophie der Weltgeschichte, Bd. 1, S. 219, 220. 7 Ebenda, Bd. 3, S. 544f., 547; B d . 4, S. 784. 8 E b e n d a , Bd. 3, S. 547. 1

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Sellnow, Urgeschichte

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Historiographischer

Überblick

H a t t e n im patriarchalischen Zustand infolge der geringen Größe der Gemeinschaften noch persönliche Beziehungen bestanden, so hörte das in den großen despotischen Reichen auf. An die Stelle persönlicher Befehlsgewalt des patriarchalischen Oberhauptes t r a t e n abstraktere, unpersönliche Beziehungen. Diese E n t w i c k l u n g h a t t e weitreichende Folgen auch f ü r die Veränderungen des individuellen B e w u ß t seins. Die Ausweitung der ethnischen Einheit b r a c h t e eine Tendenz zur Vereinzelung der Individuen hervor; denn sie k n ü p f t e sie enger an eine a n o n y m e Allgemeinheit u n d lockerte ihre Bindungen zu den Blutsverwandten. Zwar h a t t e auch der Despotismus noch nicht alle blutsverwandtschaftlichen Bindungen endgültig zerstört, er h a t t e sie aber endgültig auf den häuslichen Bereich zurückdrängen k ö n n e n . Die hier bereits sichtbare Tendenz zur Vereinzelung der Individuen bzw. zu ihrer Freisetzung, die schließlich zur Aufgabe jeder Art von persönlicher Beziehung f ü h r e n sollte, m a c h t e d a n n die S t a a t s f o r m , die auch Hegel als staatliches Prinzip a n e r k a n n t e , zur unbedingten Notwendigkeit. Die persönlichen Beziehungen w u r d e n ersetzt durch unpersönliche Gesetze. Mit der vollständigen Isolierung des Individuums n a h m aber auch jener Prozeß seinen Fortgang, der m i t dem P a t r i a r c h a t begann u n d den m a n als „ A u f s p a l t u n g " bezeichnen k a n n . Einerseits h a t t e das I n d i v i d u u m seine p r i v a t e n Interessen, denen auf der anderen Seite die Interessen der Allgemeinheit gegenüberstanden. Diese beiden Interessengebiete miteinander in Übereinstimmung zu bringen, wurde m i t fortschreitender Entwicklung zu einem immer größeren Problem. Hegel k a m es bei seinen verstreuten Bemerkungen über die urgeschichtliche Entwicklung darauf an, die E n t s t e h u n g des Staates als eine absolute Notwendigkeit nachzuweisen. In konsequenter Verfolgung seines Prinzips h a t t e er dabei auch die Geschichte der UrgemeinschaftsOrdnung als eine widerspruchsvolle E n t w i c k l u n g dargestellt. Da es sich hier aber noch u m eine klassenlose Gesellschaft handelte, bestand die Besonderheit dieser Entwicklungsstufe in der langsamen E n t s t e h u n g der gesellschaftlichen Widersprüche. Die K n o t e n p u n k t e dieser E n t w i c k l u n g sah Hegel: 1. in der E n t s t e h u n g der Familie (bzw. des Blutsverwandtschaftsprinzips) als Kennzeichen f ü r die endgültige Konstituierung der menschlichen Gesellschaft; 2. in der E n t s t e h u n g des P a t r i a r c h a t s (bzw. des Stammes) als Kennzeichen f ü r die beginnende Auflösung des Blutsverwandtschaftsprinzips u n d erste, zunächst noch k e i m h a f t e F o r m einer politischen H e r r s c h a f t ; 3. in der E n t s t e h u n g des Despotismus (Vorstufe: Heroenzeitalter), der das Blutsverwandtschaftsprinzip völlig auf den häuslichen Bereich z u r ü c k d r ä n g t e u n d m i t despotischer Gewalt die Willkür zahlreicher einzelner Patriarchen zugunsten der einzigen Willkür des Despoten brach. Von dieser Entwicklungsetappe aus w u r d e d a n n nach Hegel der S t a a t zu einer u n a b w e n d b a r e n Notwendigkeit; denn die Gewalt k o n n t e sich auf die Dauer n u r m i t Hilfe eines besonderen A p p a r a t e s gegenüber der Masse des Volkes b e h a u p t e n . J e d e dieser Entwicklungsetappen war durch eine zahlenmäßige Z u n a h m e der zu einer ethnischen bzw. gesellschaftlichen Einheit gehörenden Menschenmenge gekennzeichnet. Hegel b e t r a c h t e t e diese Überwindung des Partikularismus der f r ü h e n menschlichen Gemeinschaften als ein wesentliches Kennzeichen der E n t w i c k l u n g .

Hegel

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E r sah darin aber keineswegs einen evolutionistischen Prozeß, ein bloßes zahlenmäßiges Anwachsen. F ü r ihn handelte es sich dabei u m einen dialektischen Prozeß, bei dem die Vergrößerung der Gemeinschaften auf der einen Seite zwar die Überwindung der Vereinzelung der verschiedenen menschlichen Gemeinschaften b e d e u t e t e , auf der anderen Seite jedoch durch die d a m i t notwendig v e r b u n d e n e Loslösung des einzelnen Menschen aus seinem bisherigen engen, durch B l u t s v e r w a n d t s c h a f t gekennzeichneten Bereich u n d dessen V e r k n ü p f u n g m i t immer größeren Gemeins c h a f t e n eine schrittweise größere Vereinzelung des I n d i v i d u u m s hervorrief. Da der Mensch gezwungen wurde, sein Interesse einer umfassenderen Gemeinschaft zuzuwenden, die f ü r ihn immer m e h r zu einer a n o n y m e n Gemeinschaft wurde, s t a n d er ihr am E n d e dieser E n t w i c k l u n g v o n jeder persönlichen B i n d u n g losgelöst als Einzelindividuum gegenüber. An die Stelle persönlicher Beziehungen m u ß t e n notwendigerweise sachliche, durch R e c h t u n d Gesetz geregelte Beziehungen t r e t e n . W e n n die B e d e u t u n g Hegels f ü r das hier behandelte Problem gewürdigt werden soll, d a n n soll nicht von den Interpretationen einzelner historischer E r s c h e i n u n g e n ausgegangen werden. Diese I n t e r p r e t a t i o n e n Hegels sind insbesondere auf u n s e r e m Wissenschaftsgebiet durch neue Forschungsergebnisse ü b e r h o l t . A u ß e r d e m sind sie nicht das Wesentliche in den Arbeiten Hegels, der u n s selbst in seiner Geschichte der Philosophie gelehrt h a t , daß a u c h die wissenschaftliche E r k e n n t n i s v o n niederen zu i m m e r höheren S t u f e n aufsteigt. Schließlich handelt es sich in dieser Arbeit u m die Klärung der Grundprinzipien einer Periodisierung der Urgeschichte, u n d deshalb sollen hier auch n u r die Grundprinzipien b e t r a c h t e t werden, die Hegel der Gliederung seiner „ v o r g e s c h i c h t l i c h e n Periode zugrunde gelegt h a t . Von diesem Ausgangspunkt soll die F r a g e b e a n t w o r t e t werden, was an der Arbeit Hegels d a s Bleibende ist bzw. in welchen P u n k t e n ihr nicht gefolgt werden k a n n . Selbstverständlich k a n n nicht die vorstaatliche E p o c h e der Menschheit als „ V o r - " geschichte bezeichnet werden. Es m u ß also z u n ä c h s t der Geschichtsbegriff Hegels von seinen idealistischen Beschränkungen befreit werden. Es m u ß also jede E n t wicklung der menschlichen Gesellschaft als Geschichte b e t r a c h t e t werden, die j e n a c h den v o r h a n d e n e n Bedingungen bestimmte F o r m e n der gesellschaftlichen Organisation hervorbrachte. Diese gesellschaftlichen Organisationsformen k ö n n e n nicht von einem konstruierten Idealtyp her als unsittlich bzw. m e h r oder weniger sittlich b e t r a c h t e t werden, sondern müssen jeweils als das Ergebnis der entsprechenden Bedingungen materieller u n d ideeller Art gewertet werden. Deshalb m u ß von diesem S t a n d p u n k t aus die B l u t s v e r w a n d t s c h a f t s - bzw. Stammesorganisation als genau so sittlich wie der preußische S t a a t angesehen werden, da sie genau wie dieser ganz b e s t i m m t e n historischen Bedingungen entsprach. Weiterhin wird m a n nicht wie Hegel die gesellschaftlichen O r g a n i s a t i o n s f o r m e n als Mittel zur Überwindung der vorhandenen gesellschaftlichen W i d e r s p r ü c h e ansehen können, sondern m u ß sie umgekehrt als den Ausdruck dieser W i d e r s p r ü c h e betrachten. Schließlich wird m a n Hegel in der Auffassung von der Einlinigkeit der historischen E n t w i c k l u n g n i c h t folgen können. Der Geschichtsverlauf war viel k o m p l i zierter als ihn Hegel darstellte, auch bereits in der Periode der U r g e m e i n s c h a f t s 3«

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Historiographischer

Überblick

Ordnung. Hegel k a m u m diese E i n l i n i g k e i t n i c h t h e r u m , weil sein o b j e k t i v e r Geist s e l b s t v e r s t ä n d l i c h jeweils i m m e r n u r eine G e s t a l t a n n e h m e n u n d sich n u r in einem Volke e n t ä u ß e r n k o n n t e . Das f ü h r t e i h n d a n n zwangsläufig zu m a n c h e n G e w a l t k o n s t r u k t i o n e n , zu S c h e m a t i s i e r u n g e n , u m die Vielfalt d e r E r s c h e i n u n g e n einer Geschichtsepoche u n t e r einen Begriff zu z w ä n g e n . Alle diese E i n w e n d u n g e n b e t r e f f e n zwar wichtige Teile des Hegeischen S y s t e m s , n i c h t a b e r dessen G r u n d l a g e n . Die beiden H a u p t s t ü t z e n , auf d e n e n d a s G e b ä u d e r u h t e , w a r e n die dialektische M e t h o d e u n d die A n n a h m e eines g e s e t z m ä ß i g b e d i n g t e n E n t w i c k l u n g s p r i n z i p s . I n diesen P u n k t e n wird m a n Hegel n i c h t n u r folgen k ö n n e n , m a n wird ihm d a r i n folgen m ü s s e n . J e d e s A b g e h e n v o n d e m G r u n d s a t z einer gesetzm ä ß i g e n , sich in W i d e r s p r ü c h e n vollziehenden historischen E n t w i c k l u n g m u ß als ein Z u r ü c k f a l l e n h i n t e r d e n S t a n d der W i s s e n s c h a f t g e w e r t e t w e r d e n , der d u r c h H e g e l erreicht w o r d e n w a r . Von dieser Seite h e r h a t t e b e k a n n t l i c h a u c h E n g e l s die L e i s t u n g e n Hegels g e w ü r d i g t . 1 Man wird also a u c h in Z u k u n f t bei der Periodisier u n g d e r U r g e s c h i c h t e v o n den a u f t r e t e n d e n gesellschaftlichen W i d e r s p r ü c h e n a u s g e h e n m ü s s e n . Allerdings wird m a n dies n i c h t v o n der Position Hegels u n d seines o b j e k t i v e n Geistes a u s t u n k ö n n e n . M a n wird n a c h g r e i f b a r e n U r s a c h e n s u c h e n m ü s s e n , u m v o n hier a u s die e n t s p r e c h e n d e n K r i t e r i e n f ü r dieses G r u n d p r i n z i p zu finden. A b e r n o c h eins m u ß als große L e i s t u n g Hegels g e w e r t e t w e r d e n , u n d z w a r seine E r k e n n t n i s ü b e r das W e s e n der U r g e m e i n s c h a f t s o r d n u n g . W i e keiner v o r i h m h a t Hegel die T a t s a c h e h e r v o r g e h o b e n , d a ß die G r u n d l a g e der u r g e m e i n s c h a f t l i c h e n O r g a n i s a t i o n auf d e m B l u t s v e r w a n d t s c h a f t s p r i n z i p b e r u h t e , u n d d a ß die E n t w i c k l u n g w ä h r e n d dieser E p o c h e g l e i c h b e d e u t e n d w a r m i t einer s c h r i t t w e i s e n A u f h e b u n g bzw. Ü b e r w i n d u n g dieses Prinzips. Dieser G e s i c h t s p u n k t d ü r f t e e b e n f a l l s bei n e u e n V e r s u c h e n einer P e r i o d i s i e r u n g der U r g e s c h i c h t e seine G ü l t i g k e i t b e h a l t e n . Schließlich m u ß noch auf eine d r i t t e E r k e n n t n i s Hegels hingewiesen w e r d e n , die z w a r im Hinblick auf die g e s u c h t e n G r u n d p r i n z i p i e n einer P e r i o d i s i e r u n g d e r U r g e s c h i c h t e weniger v o n B e d e u t u n g ist, die a b e r t r o t z d e m ein wichtiges M o m e n t d e r historischen E n t w i c k l u n g b e t r i f f t . E s h a n d e l t sich dabei u m die sogen. Aufspalt u n g des Menschen. H i e r m i t zeigte Hegel, wie sich die o b j e k t i v v o r h a n d e n e n gesellschaftlichen W i d e r s p r ü c h e im individuellen B e w u ß t s e i n n o t w e n d i g widerspiegeln m ü s s e n . H a t t e n w ä h r e n d der f r ü h e n G e s c h i c h t s e p o c h e n persönliche B e z i e h u n g e n zwischen den Menschen geherrscht, die infolge des g e r i n g e n U m f a n g s der Gemeinwesen a u c h im öffentlichen Leben d o m i n i e r t e n , so ä n d e r t e sich das m i t d e r E n t s t e h u n g des S t a a t e s . Die Beziehungen der Menschen i m öffentlichen L e b e n w u r d e n d u r c h sachliche Beziehungen g e k e n n z e i c h n e t u n d d u r c h R e c h t u n d Gesetz geregelt. Die persönlichen Beziehungen blieben auf d e n b e d e u t u n g s l o s gewordenen h ä u s lichen Bereich b e s c h r ä n k t u n d w u r d e n n u r n o c h in der E t h i k der v e r s c h i e d e n s t e n Philosophien einer B e t r a c h t u n g u n t e r z o g e n . J e g r ö ß e r die gesellschaftlichen W i d e r s p r ü c h e w u r d e n , u m so t i e f g r e i f e n d e r w u r d e a u c h die A u f s p a l t u n g des Menschen. D a 1 F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Moskau 1946, S. 11.

Die mythologische

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Schule

die gesellschaftlichen Widersprüche ihren Höhepunkt in der bürgerlichen Gesellschaft erreichten, wurde auch hier die Aufspaltung des Menschen am weitesten getrieben. Dieses Auseinanderfallen von persönlichem und allgemeinem Interesse hatte bekanntlich auch Ferguson gesehen und beklagt. Auch der junge Marx sah dieses Problem als so wichtig an, daß er ihm eine seiner Frühschriften, die Ausführung „Zur Judenfrage", widmete. Die Behandlung diese Problems wurde damit zu einer wichtige Etappe bei der Herausbildung des Marxismus.

7. D I E M Y T H O L O G I S C H E

SCHULE

Alle bisher behandelten Versuche, die Urgeschichte der Menschheit zu behandeln, waren eigentlich nur Nebenprodukte in den betreffenden Arbeiten. Diesen Philosophen ging es um ein ganz anderes Problem: Es ging um die Frage, wie die Gesellschaft am zweckmäßigsten einzurichten sei. Die ganze bisherige Geschichte war ihnen nur ein Mittel, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Mit anderen Worten: Eine ethnographische Wissenschaft, deren Untersuchungsobjekt u. a. auch die Geschichte der Urgesellschaft sein konnte, existierte noch nicht. Es gab lediglich Theorien über die Urgemeinschaftsordnung, die meist nur durch wenig Material bewiesen wurden. Das änderte sich aber mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, wo sich die Ethnographie als Wissenschaft konstituierte, und zwar zunächst als mythologische Schule. Die mythologische bzw. romantische Schule war, wie die Romantik überhaupt, eine Reaktion auf die französische Revolution. 1 Sie war eine Kritik an den Zuständen der neuentstandenen bürgerlichen Gesellschaft. Die Ablehnung dieser Gesellschaft führte jedoch die Romantiker meist zu Mystizismus und Pessimismus und zu einer Flucht aus der Wirklichkeit zurück in die Welt des Katholizismus und des Mittelalters. Trotzdem hatten die Vertreter dieser Schule unbestreitbar große Verdienste auf dem Gebiet der deutschen bzw. europäischen Volkskunde. Hier leisteten sie vortreffliche Beiträge zur Sprach- und Rechtsgeschichte, zur Mythologie usw. und erzielten dabei Ergebnisse, die zum Teil auch heute noch Gültigkeit besitzen. Das Problem der Periodisierung der Urgemeinschaftsordnung allerdings wurde von ihnen nicht der Lösung näher gebracht. Das verhinderte der Glaube der Romantiker an das biblische Dogma und ihre Bindung an die klerikale Philosophie. Das biblische Dogma von der Erschaffung des Menschen als Ebenbild Gottes drohte jedoch einen gefährlichen Stoß durch die immer zahlreicher werdenden Nachrichten über primitive Völker zu erhalten. Die Kirche bzw. ihre Theoretiker mußten zumindest versuchen, diese Tatsachen mit dem alten Schema in Übereinstimmung zu bringen. Sie taten das mit Hilfe der sogen. Degenerationstheorie. Einer der eifrigsten und sehr beredten Verfechter dieser Theorie war de Maistre. Nach seiner Auffassung konnte es sich bei diesen Primitiven in jedem Falle nur um 1

Vgl. Marx/Engels, Briefwechsel, 4 Bände, Berlin 1950, Bd. 4, S. 40.

Die mythologische

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Schule

die gesellschaftlichen Widersprüche ihren Höhepunkt in der bürgerlichen Gesellschaft erreichten, wurde auch hier die Aufspaltung des Menschen am weitesten getrieben. Dieses Auseinanderfallen von persönlichem und allgemeinem Interesse hatte bekanntlich auch Ferguson gesehen und beklagt. Auch der junge Marx sah dieses Problem als so wichtig an, daß er ihm eine seiner Frühschriften, die Ausführung „Zur Judenfrage", widmete. Die Behandlung diese Problems wurde damit zu einer wichtige Etappe bei der Herausbildung des Marxismus.

7. D I E M Y T H O L O G I S C H E

SCHULE

Alle bisher behandelten Versuche, die Urgeschichte der Menschheit zu behandeln, waren eigentlich nur Nebenprodukte in den betreffenden Arbeiten. Diesen Philosophen ging es um ein ganz anderes Problem: Es ging um die Frage, wie die Gesellschaft am zweckmäßigsten einzurichten sei. Die ganze bisherige Geschichte war ihnen nur ein Mittel, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Mit anderen Worten: Eine ethnographische Wissenschaft, deren Untersuchungsobjekt u. a. auch die Geschichte der Urgesellschaft sein konnte, existierte noch nicht. Es gab lediglich Theorien über die Urgemeinschaftsordnung, die meist nur durch wenig Material bewiesen wurden. Das änderte sich aber mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, wo sich die Ethnographie als Wissenschaft konstituierte, und zwar zunächst als mythologische Schule. Die mythologische bzw. romantische Schule war, wie die Romantik überhaupt, eine Reaktion auf die französische Revolution. 1 Sie war eine Kritik an den Zuständen der neuentstandenen bürgerlichen Gesellschaft. Die Ablehnung dieser Gesellschaft führte jedoch die Romantiker meist zu Mystizismus und Pessimismus und zu einer Flucht aus der Wirklichkeit zurück in die Welt des Katholizismus und des Mittelalters. Trotzdem hatten die Vertreter dieser Schule unbestreitbar große Verdienste auf dem Gebiet der deutschen bzw. europäischen Volkskunde. Hier leisteten sie vortreffliche Beiträge zur Sprach- und Rechtsgeschichte, zur Mythologie usw. und erzielten dabei Ergebnisse, die zum Teil auch heute noch Gültigkeit besitzen. Das Problem der Periodisierung der Urgemeinschaftsordnung allerdings wurde von ihnen nicht der Lösung näher gebracht. Das verhinderte der Glaube der Romantiker an das biblische Dogma und ihre Bindung an die klerikale Philosophie. Das biblische Dogma von der Erschaffung des Menschen als Ebenbild Gottes drohte jedoch einen gefährlichen Stoß durch die immer zahlreicher werdenden Nachrichten über primitive Völker zu erhalten. Die Kirche bzw. ihre Theoretiker mußten zumindest versuchen, diese Tatsachen mit dem alten Schema in Übereinstimmung zu bringen. Sie taten das mit Hilfe der sogen. Degenerationstheorie. Einer der eifrigsten und sehr beredten Verfechter dieser Theorie war de Maistre. Nach seiner Auffassung konnte es sich bei diesen Primitiven in jedem Falle nur um 1

Vgl. Marx/Engels, Briefwechsel, 4 Bände, Berlin 1950, Bd. 4, S. 40.

Historiographischer

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Überblick

einen „ v o n dem Baume der Gesellschaft losgerissennen A s t " handeln. 1 Die „ H e r abwürdigung" der betreffenden Völker führte er ganz im Sinne der biblischen Auffassung von der Erbsünde auf „Pflichtvergessenheit" eines ehemaligen Oberhauptes zurück. 2 I m Prinzip die gleiche Auffassung vertrat unter den deutschen Philosophen z. B . Schlegel. Er bezeichnete den sogen. Naturzustand als einen Zustand der Verwilderung und Ausartung. Die verschiedenen Grade von Zurückgebliebenheit rezenter Völker versuchte er, mit einem stufenweisen Herabsinken dieser Völker von einem einstmals zivilisierten Niveau zu erklären. 3 Das Festhalten an den kirchlichen Glaubenssätzen hinderte also die Romantiker an einem Verständnis der ethnographischen Tatsachen. Deshalb erfuhr in bezug auf

das

hier behandelte Problem die Wissenschaftsgeschichte durch sie keine

Weiterentwicklung.

8. D I E E V O L U T I O N I S T I S C H E

SCHULE

Mit der Festigung der neuen bürgerlichen Ordnung jedoch bildete sich eine andere Schule heraus, die nun ganz im Gegensatz dazu einen optimistischen Charakter hatte: Die evolutionistische Schule, die eine Schattierung innerhalb der positivistischen Anschauungen darstellte.

Sie focht einen hartnäckigen Kampf gegen

die Vertreter der mythologischen Schule und vertrat an Stelle der Degenerationstheorie die Theorie von der fortschreitenden Entwicklung. 4 Dieser Standpunkt spiegelte den unbedingten Optimismus der bürgerlich-liberalen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts wider, deren Glauben an eine stetige, widerspruchslose Aufwärtsentwicklung der Gesellschaft. Dieser Optimismus der Evolutionisten beruhte auf der Tatsache, daß sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts ab der Kapitalismus über den ganzen Erdball allmählich und ohne große Erschütterungen und Revolutionen ausbreitete. Das war die wesentlichste Ursache für das Entstehen einer Theorie, die die Entwicklung in Natur und Gesellschaft nur in Evolutionen vor sich gehen ließ. Einen einheitlichen Charakter wies jedoch die evolutionistische Schule keineswegs auf. Im Gegenteil, in ihr waren sogar sehr verschiedene Auffassungen vertreten. So waren z. B. Bastian und Bachofen Idealisten, Morgan und Waitz dagegen mehr oder weniger konsequente Materialisten. Es gab jedoch einige Grundprinzipien, die sich bei allen Vertretern der evolutionistischen Schule wiederfanden. Dazu gehörten die Annahme eines immanenten Entwicklungsprinzips und einer Einlinigkeit der Entwicklung sowie die Übertragung naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden auf historisches Forschungsgebiet. Das A x i o m , die heute vorhandene 1 de Maistre, Abendstunden zu St. Petersburg oder Gespräche über das Walten der göttlichen Vorsicht in zeitlichen Dingen, 2 Bände, Frankfurt a. M. 1824, Bd. 1, S. 94. 2 Ebenda, S. 95f. 3 F. v. Schlegel, Philosophie der Geschichte, 2 Bände, Wien 1829, Band 1, S. 48. 4 Vergl. z. B. die Auseinandersetzung zwischen Lubbock und dem Erzbischof von Dublin (Whateley) in: J. Lubbock, Die Entstehung der Zivilisation, Jena 1875, S. 401 f.

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einen „ v o n dem Baume der Gesellschaft losgerissennen A s t " handeln. 1 Die „ H e r abwürdigung" der betreffenden Völker führte er ganz im Sinne der biblischen Auffassung von der Erbsünde auf „Pflichtvergessenheit" eines ehemaligen Oberhauptes zurück. 2 I m Prinzip die gleiche Auffassung vertrat unter den deutschen Philosophen z. B . Schlegel. Er bezeichnete den sogen. Naturzustand als einen Zustand der Verwilderung und Ausartung. Die verschiedenen Grade von Zurückgebliebenheit rezenter Völker versuchte er, mit einem stufenweisen Herabsinken dieser Völker von einem einstmals zivilisierten Niveau zu erklären. 3 Das Festhalten an den kirchlichen Glaubenssätzen hinderte also die Romantiker an einem Verständnis der ethnographischen Tatsachen. Deshalb erfuhr in bezug auf

das

hier behandelte Problem die Wissenschaftsgeschichte durch sie keine

Weiterentwicklung.

8. D I E E V O L U T I O N I S T I S C H E

SCHULE

Mit der Festigung der neuen bürgerlichen Ordnung jedoch bildete sich eine andere Schule heraus, die nun ganz im Gegensatz dazu einen optimistischen Charakter hatte: Die evolutionistische Schule, die eine Schattierung innerhalb der positivistischen Anschauungen darstellte.

Sie focht einen hartnäckigen Kampf gegen

die Vertreter der mythologischen Schule und vertrat an Stelle der Degenerationstheorie die Theorie von der fortschreitenden Entwicklung. 4 Dieser Standpunkt spiegelte den unbedingten Optimismus der bürgerlich-liberalen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts wider, deren Glauben an eine stetige, widerspruchslose Aufwärtsentwicklung der Gesellschaft. Dieser Optimismus der Evolutionisten beruhte auf der Tatsache, daß sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts ab der Kapitalismus über den ganzen Erdball allmählich und ohne große Erschütterungen und Revolutionen ausbreitete. Das war die wesentlichste Ursache für das Entstehen einer Theorie, die die Entwicklung in Natur und Gesellschaft nur in Evolutionen vor sich gehen ließ. Einen einheitlichen Charakter wies jedoch die evolutionistische Schule keineswegs auf. Im Gegenteil, in ihr waren sogar sehr verschiedene Auffassungen vertreten. So waren z. B. Bastian und Bachofen Idealisten, Morgan und Waitz dagegen mehr oder weniger konsequente Materialisten. Es gab jedoch einige Grundprinzipien, die sich bei allen Vertretern der evolutionistischen Schule wiederfanden. Dazu gehörten die Annahme eines immanenten Entwicklungsprinzips und einer Einlinigkeit der Entwicklung sowie die Übertragung naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden auf historisches Forschungsgebiet. Das A x i o m , die heute vorhandene 1 de Maistre, Abendstunden zu St. Petersburg oder Gespräche über das Walten der göttlichen Vorsicht in zeitlichen Dingen, 2 Bände, Frankfurt a. M. 1824, Bd. 1, S. 94. 2 Ebenda, S. 95f. 3 F. v. Schlegel, Philosophie der Geschichte, 2 Bände, Wien 1829, Band 1, S. 48. 4 Vergl. z. B. die Auseinandersetzung zwischen Lubbock und dem Erzbischof von Dublin (Whateley) in: J. Lubbock, Die Entstehung der Zivilisation, Jena 1875, S. 401 f.

Die evolutionistische

Schule

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bzw. b e o b a c h t e t e K a u s a l i t ä t m ü s s e in der gleichen Weise u n d u n t e r allen U m s t ä n d e n zu allen Zeiten in dieser F o r m v o r h a n d e n gewesen sein, ließ sie v o n den k o n k r e t historischen Ereignissen a b s t r a h i e r e n . Die v o n den E v o l u t i o n i s t e n a u f g e s t e l l t e n E n t w i c k l u n g s r e i h e n auf d e m Gebiete der K u n s t , Religion, materiellen K u l t u r , F a milie, W i r t s c h a f t , sozialen Organisation usw. w a r e n d e s h a l b logische K o n s t r u k t i o n e n u n d Klassifikationen, die m i t einer formal-vergleichenden M e t h o d e e r a r b e i t e t w u r den u n d die v o n d e m wirklichen Geschichtsverlauf o f t m a l s erheblich a b w i c h e n . D a b e i e n t s t a n d s t e t s d a s H ö h e r e aus d e m Niederen u n d u n t e r s c h i e d sich d a v o n durch quantitative, nicht aber durch qualitative Veränderungen. G e t r e u den Prinzipien des Comteschen P o s i t i v i s m u s beschrieben die E v o l u t i o nisten das v o r g e f u n d e n e Material u n d o r d n e t e n es lediglich n a c h d e n soeben a n g e f ü h r t e n wenigen, g a n z allgemeinen Prinzipien. N i c h t i m m e r k a m e n sie d a b e i zu Periodisierungen der Urgeschichte. M a n c h m a l o r d n e t e n sie a u c h n u r die verschied e n e n Familien-, W e r k z e u g - , Religionsformen u s w . zu E n t w i c k l u n g s r e i h e n , o h n e zu v e r s u c h e n , v o n den E n t w i c k l u n g s r e i h e n h e r zu E n t w i c k l u n g s s t u f e n zu k o m m e n . So beließ es beispielsweise S c h u r t z bei E n t w i c k l u n g s r e i h e n in seiner U n t e r s u c h u n g ü b e r Altersklasen u n d M ä n n e r b ü n d e bzw. in seiner D a r s t e l l u n g d e r U r g e s c h i c h t e der Kultur. A u c h T y l o r hielt es f ü r ausgeschlossen, die v e r s c h i e d e n e n E n t w i c k l u n g s r e i h e n a u s d e m Gebiet der materiellen bzw. geistigen K u l t u r zu E n t w i c k l u n g s s t u f e n zu o r d n e n , da ein gleichmäßiger F o r t s c h r i t t auf den verschiedenen K u l t u r g e b i e t e n seiner Meinung n a c h n i c h t f e s t s t e l l b a r sei. 1 Lediglich die ältere, g a n z allgemeine E i n t e i l u n g in die E n t w i c k l u n g s s t u f e n der W i l d h e i t (Sammel-, J a g d - u n d F i s c h f a n g w i r t s c h a f t ) , B a r b a r e i ( A c k e r b a u b z w . V i e h z u c h t , z. T . bereits M e t a l l b e a r b e i t u n g ) u n d Zivilisation (beginnend m i t der E r f i n d u n g der S c h r i f t ) ließ er gelten. 2 L i p p e r t l e h n t e es in seiner D a r s t e l l u n g d e r „ K u l t u r g e s c h i c h t e der M e n s c h h e i t " sogar geradezu a b , irgendwelche Periodeneinteilungen v o r z u n e h m e n 3 u n d zog es s t a t t dessen vor, eine „ p r a g m a t i s c h e K u l t u r g e s c h i c h t e " m i t einzelnen E n t w i c k l u n g s reihen zu schreiben. So wertvoll seine D a r s t e l l u n g e n im einzelnen a u c h sind, einen B e i t r a g zur Periodisierung der Urgeschichte k o n n t e u n d wollte er d a m i t n i c h t leisten. Die A n e r k e n n u n g d e r historischen G e s e t z m ä ß i g k e i t d u r c h die E v o l u t i o n i s t e n u n d eine im Vergleich zu ä l t e r e n Zeiten weitaus bessere M a t e r i a l k e n n t n i s f ü h r t e n sie j e d o c h t r o t z d e r in ihren philosophischen A n s c h a u u n g e n b e g r ü n d e t e n G r e n z e n i h r e r M e t h o d e zu einigen E r k e n n t n i s s e n , die e r w ä h n e n s w e r t u n d in einigen F ä l l e n v o n großer B e d e u t u n g f ü r die Wissenschaftsgeschichte w a r e n .

a) Lubbock L u b b o c k h a t in einer Beziehung einen wichtigen B e i t r a g z u r P e r i o d i s i e r u n g d e r Urgeschichte geleistet. E r f ü h r t e in E u r o p a die U n t e r s c h e i d u n g zwischen P a l ä o l i t h i 1 E. B. Tylor, Die Anfänge derCultur. Untersuchungen über die Entwicklung der Mythologie, Philosophie, Religion, Kunst und Sitte, 2 Bände, Leipzig 1873, Bd. 1, S. 27f. 2 Ebenda, S. 30, 31, 253, 506f. 3 J. Lippert, Kulturgeschichte der Menschheit, 2 Bände, Stuttgart 1886, Bd. 1, S. 2.

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kum und Neolithikum ein 1 und folgte dann weiter Thomson, indem er die nächsten Perioden Bronze- und Eisenzeit nannte. 2 Diese Periodisierung bezog sich aber nur auf das archäologische Material; sie auch auf ethnographischem Gebiet anzuwenden, daran hat Lubbock nie gedacht. Im Gegenteil, es erschien ihm unmöglich, die ethnographisch erfaßbaren Völker niedriger Entwicklungsstufe auf Grund der materiellen Kultur zu klassifizieren; denn er konnte bei ihnen keine Regelmäßigkeit in der Entwicklung der materiellen Kultur feststellen. 3 Die von Lubbock vorgenommene Unterteilung der Steinzeit ist inzwischen in den neueren archäologischen Schemata vervollkommnet worden, und auch die späteren Perioden der Urgeschichte haben eine detailliertere Untergliederung erhalten. Nach wie vor jedoch gilt die schon Lubbock bekannte Tatsache, daß diese Schemata gegenüber dem ethnographischen Material versagen. Sie genügen aber auch nicht mehr allen Archäologen. Bekanntlich war beispielsweise die Bronzezeit Ost- und Mitteleuropas mit einer völlig anderen sozial-ökonomischen Formation verbunden wie diejenige in Mesopotamien oder Ägypten. Wenn man auch das archäologische Material mit Hilfe der vom Werkzeugmaterial ausgehenden Schemata einwandfrei klassifizieren und ordnen kann, über die in einer Kultur erreichte Entwicklungshöhe sagt man damit noch zu wenig aus, und deshalb ist das archäologische Periodisierungsprinzip nicht ausreichend für eine Periodisierung der Urgeschichte. b) Bachofen Ein völlig neuartiges Periodisierungsprinzip schlug Bachofen vor. Er teilte die Geschichte der Urgemeinschaftsordnung in drei Etappen ein. Die erste nannte er Hetärismus, die zweite mutterrechtliche und die dritte vaterrechtliche Gesellschaft. Er sah in diesen drei urgeschichtlichen Perioden, wie in der Geschichte überhaupt, gesetzmäßige Erscheinungen. 4 Die Ursache dieser allgemeinen Gesetzlichkeit erblickte er in der Gleichförmigkeit der menschlichen Natur, die überall unter den gleichen Bedingungen die gleichen Erscheinungen hervorbringe. 5 Als Triebkraft für diese fortwährende Aufwärtsentwicklung bezeichnete Bachofen die Religion. 6 Auch Mutter- und Vaterrecht beruhten nach seiner Meinung letztlich auf religiösen Grundlagen. 7 Bei der Charakterisierung seiner Kulturstufen erscheinen daher neben Mutter- und Vaterrecht auch jeweils bestimmte Religionsformen, und zwar der Demeterkult für das Mutterrecht und der Sonnenkult für das Vaterrecht. 8 Neben der Beziehung zur Religion sah Bachofen jedoch auch noch Zusammenhänge zwischen Mutterrecht und Ökonomie. Nach seiner Ansicht erfolgte der Übergang zum Mutterrecht und damit zur ersten Form der Ehe mit bzw. 1 J. Lubbock, Die vorgeschichtliche Zeit, erläutert durch die Überreste des Alterthums und der Sitten und Gebräuche der jetzigen Wilden, 2 Bände, Jena 1874, Bd. 1, S. 270. 2 Ebenda, S. 2. » Ebenda, Bd. 2, S. 249, 251. 4 J. I. Bachofen, Das Mutterrecht, Basel 1897, S. VI, X X V . s 6 Ebenda, S. VI, X X V . Ebenda, S. X I I I . 7 Ebenda, S. X I I I , X I V , X V I I , X X I I I , X X V I I I . 8 Ebenda, S. X I V , X X V I I I .

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nach der Erfindung des Bodenbaues durch die F r a u ; denn „ E i n Gesetz beherrscht den Ackerbau und die E h e . . .".- 1 Damit wollte Bachofen jedoch keineswegs die E n t s t e h u n g des Mutterrechts primär aus den Lebensbedingungen ableiten, die sich aus der Erfindung des Bodenbaues ergaben. Das lag ihm schon deshalb fern, weil er der Ansicht w a r : „ E s gibt nur einen einzigen Hebel aller Zivilisation, die Religion." 2 Schließlich m u ß noch auf eine weitere Erscheinung hingewiesen werden, die Bachofen mit seinen Kulturstufen verband, und zwar die soziale Gliederung. Bis zur mutterrechtlichen Periode bezeichnete er die Gesellschaft als ungegliedert und von „allgemeinem C h a r a k t e r " . 3 Mit dem Übergang zum Vaterrecht jedoch begann der soziale Gliederungsprozeß, wobei sich die Einzelfamilie als ein individueller Organismus aus der Allgemeinheit herausschälte. 4 Bachofen h a t diese Tatsachen n i c h t näher erklärt, er h a t sie lediglich registriert. Das Periodisierungsprinzip Bachofens beruhte also auf dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Vorrangstellung des Mannes bzw. der Frau. E r e r k a n n t e als erster die ehemals weltweite Verbreitung des Mutterrechts und wies sie einer bestimmten menschlichen Kulturstufe zu. Sein umfangreiches Werk h a t , wie m a n wohl ohne Übertreibung sagen kann, in der Geschichte der Ethnographie epochemachend gewirkt. Zwar h a t Bachofen mit seiner Ableitung des Mutterrechts primär aus der Religion nicht überzeugen können; daneben h a t t e er jedoch zumindest die zeitliche und auch sachliche Verbindung zwischen Bodenbau und Mutterrecht gesehen. Von dieser Seite her sollte dann kurze Zeit nach dem Erscheinen seines Werkes die Wissenschaft eine fruchtbare Weiterentwicklung nehmen. Das Periodisierungsprinzip Bachofens wird auch heute noch, wenn auch mit notwendigen Abänderungen, verwendet. Das allein zeigt schon, daß mit ihm ein großer Wahrheitsgehalt verbunden sein m u ß . Da Bachofen selbst nicht in der Lage w a r , das von ihm verwendete Periodisierungsprinzip überzeugend aus den Lebensverhältnissen der Urgemeinschaftsordnung abzuleiten, können wir ihm in der von seinem Urheber vorgetragenen Form heute nicht mehr folgen. Inwieweit es überh a u p t als Prinzip zur Periodisierung der Urgeschichte anwendbar ist, soll, u m unnötige Wiederholungen zu vermeiden, erst später näher erörtert werden. c)

Morgan

Den umfassendsten Periodisierungsversuch von allen Evolutionisten h a t Morgan vorgenommen. E r ging nicht, wie seine Vorgänger, nur von einem einzigen Merkmal aus, nach dem die verschiedenen Perioden der Urgemeinschaftsordnung gegliedert wurden. Die wissenschaftliche Spezialforschung h a t t e inzwischen eine Fülle von Material zutage gefördert, und daraus ergab sich eine Vielzahl von Kriterien, die einer Periodisierung der Urgeschichte dienlich sein konnte. Morgan teilte die Urgeschichte wie Ferguson in die Perioden der Wildheit u n d Barbarei. J e d e dieser Perioden unterteilte er nochmals in drei Stufen, die jeweils 1 2

Ebenda, S. 9; vergl. auch S. XVII, X X V I . 3 Ebenda, S. XIII. Ebenda, S. XI.

4

Ebenda, S. XI.

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besondere Kulturepochen darstellten, so daß gegenüber allen vorangegangenen Periodisierungen das Morgansche Schema das differenzierteste darstellt. Für Morgan gab es zwei Hauptgründe für die Aufstellung seines Periodisierungsschemas: 1. wollte er damit die Einordnung der vorgefundenen zurückgebliebenen Völker in eine „Entwicklungsreihe" ermöglichen; dadurch sollte 2. den Wissenschaftlern die Auswahl typischer Beispiele unter den noch lebenden Repräsentanten der verschiedenen Kulturepochen der Menschheit erleichtert werden. 1 Diese Zielsetzung seiner Periodisierung der Urgeschichte offenbart zugleich ihre Beschränkung. Beides, Zielsetzung und Beschränkung der Periodisierung, waren Folgen der evolutionistischen Geschichtsauffassung Morgans. Für Morgan war die Geschichte ein Fortschritt vom Niederen zum Höheren, wobei sich dieser Fortschritt infolge der Einheit des Menschengeschlechts im wesentlichen überall gleichmäßig und gleichartig auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens vollzog. 2 Diese Art des Fortschritts war für Morgan gleichbedeutend mit der Gesetzlichkeit der historischen Entwicklung. Diese evolutionistische Auffassung von der historischen Gesetzmäßigkeit hatte weitreichende Folgen für die Aufstellung einer Periodisierung der Urgeschichte. Hatten Rousseau, Ferguson, Smith und insbesondere Hegel ihre Versuche einer Periodisierung der Urgeschichte vorgenommen von dem Gesichtspunkt der stufenweisen Entstehung gesellschaftlicher Widersprüche, an denen die Urgesellschaft schließlich zugrunde gehen mußte, so fiel für Morgan dieser Gesichtspunkt fort. Bei der dialektischen Geschichtsbetrachtung der zuerst genannten Philosophen stellte sich der historische Entwicklungsprozeß als ein komplizierter Vorgang dar, bei dem der Fortschritt auf der einen Seite einen Niedergang auf der anderen Seite hervorrief. Bei der evolutionistischen Geschichtsbetrachtung Morgans war die Geschichte ein steter Fortschritt auf allen Gebieten des gesellschaftlichen LebensWaren bei Rousseau, Ferguson, Smith und Hegel die einzelnen Entwicklungs1

L. H. Morgan, Die Urgesellschaft, 4. Aufl., Stuttgart-Berlin 1921, S. 11, 14.

Von dieser Gleichförmigkeit des Entwicklungsprozesses ließ Morgan nur wenige Aus nahmen zu. Nach seiner Ansicht habe beispielsweise nur in wenigen Ausnahmefällen eine Familienform bei einigen Stämmen noch in einer späteren Periode fortexistiert als in der Universalgeschichte im allgemeinen üblich war. Ausnahmsweise habe eine Familienform auch schon einmal früher bei einem Stamme auftreten können als dies im allgemeinen der Fall gewesen sei. Aber, wie gesagt, dies sah Morgan nur als Ausnahmen von der Regel eines im allgemeinen gleichförmigen Entwicklungsverlaufs an (vergl. ebenda, S. 357, 390). Den sogen, typischen Vertretern niedriger Kulturstufen, wie z. B. den Australiern als Repräsentanten der Wildheit und den amerikanischen Indianern f ü r die Unter- und Mittelstufe der Barbarei, billigte Morgan keine Entwicklung seit dem Zeitpunkt zu, wo sie die genannten Kulturstufen erreicht hatten. Diese Völker waren f ü r ihn lebende Versteinerungen der entsprechenden Urzeitvölker. Er zog jedoch lokale Variationen von dem einheitlichen historischen Entwicklungsprozeß insofern in Betracht, als er speziell in der östlichen Hemisphäre kulturelle Einflüsse höher entwickelter auf zurückgebliebene Völker zugab. Deshalb warnte er davor, in diesen von höherer K u l t u r beeinflußten Völkern Repräsentanten f ü r einen Urzustand der Menschen zu erblicken und forderte, zur Rekonstruktion der Urgeschichte nur solche Gebiete zu studieren, „ . . . w o die Einrichtungen des Volkes einheitliche sind" (ebenda, S. 392). 2

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stufen jeweils Kulminationspunkte in dem Prozeß der langsamen Untergrabung der Urgemeinschaftsordnung, so konnte es demgegenüber für Morgan lediglich Kriterien für den erreichten Stand des Fortschritts geben. Deshalb spielte für Morgan die Frage nach dem Hauptkriterium für die Periodisierung der urgeschichtlichen Entwicklung keine Rolle. F ü r ihn war es gleichgültig, ob man den Fortschritt nach Kriterien bemaß, die der Entwicklung der Familie bzw. der gesellschaftlichen Organisation, der Produktivkräfte, der Nahrungsgewinnung oder des Eigentums entlehnt waren. Alle diese Gebiete gaben bei ihm gleicherweise einen Maßstab f ü r den erreichten Stand des Fortschritts ab. Deshalb stellte Morgan die Fortschrittsreihen dieser soeben angeführten Gebiete in seinem Werke über die Urgesellschaft alle als gleichberechtigt nebeneinander. Für diesen Verzicht auf die Priorität eines Fortschrittskriteriums gegenüber allen anderen gab es noch einen weiteren Grund, der sich ebenfalls aus der evolutionistischen Methode Morgans erklärt. Die Vorgänger Morgans, wie Ferguson und Smith, hatten versucht, den historischen Prozeß in seiner Totalität darzustellen. Sie hatten dabei die wechselseitige Bedingtheit einer Mehrzahl von Erscheinungen untersucht und zur Grundlage ihrer Periodisierungen gemacht. Das fiel bei Morgan im allgemeinen fort, da er von der evolutionistischen Auffassung einer immanenten Entwicklung ausging. 1 Dieser Auffassung zufolge bedurfte es für die Tatsache des Fortschritts auf irgendeinem Gebiete keinerlei Erklärungen, die außerhalb des betreffenden Gebietes gesucht werden mußten. Wenn der Fortschritt das allgemeine Gesetz der Geschichte war und wenn jede Erscheinung bereits keimhaft das Spätere in sich trug, dann erklärte sich jede neue Erscheinung ausschließlich aus der ihr vorangegangenen Erscheinung als Produkt des immer wirksamen Fortschritts. Das war der Grund für die Isolierung der einzelnen Untersuchungsgebiete. Diese Isolierung führte dann zur Aufstellung einzelner Entwicklungsreihen, zwischen denen es keine innere Verbindung gab. Dadurch zerfiel die Urgeschichte in eine Vielzahl von „Entwicklungen", wodurch der Geschichtsverlauf gleichsam in eine Reihe von Längsschnitten zerlegt wurde. An einer Stelle seines Werkes gab Morgan allerdings einen querschnittmäßigen Gesamtüberblick über die einzelnen Perioden, um ,,. . . eine Übersicht über den relativen Umfang und das Maß des Fortschritts der Menschheit in den angeführten einzelnen Kulturperioden dadurch zu erlangen, daß man die Errungenschaften einer jeden zusammenfaßt und sie dann als bestimmte Klassen ermittelter Tatsachen miteinander vergleicht". 2 Mit diesem Überblick über die Errungenschaften einer jeden Kulturperiode unterteilte Morgan die Urgeschichte in horizontaler Richtung und kam damit zu einer Darstellungsform, wie sie bei allen bisherigen Periodisierungsversuchen außerhalb der evolutionistischen Schule üblich war. Allerdings wurde bei Morgan dieser Überblick über die einzelnen Perioden nicht wie bei seinen Vorgängern durch eine Methode gewonnen, bei der die Entwicklung von einem Hauptkriterium her gesehen wurde und die Veränderungen aller übrigen Erscheinungen als Folge der 1

Ebenda, S. 4, 324, 364.

2

Ebenda, S. 24

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Veränderungen dieses Hauptkriteriums betrachtet wurden. Morgan ging einen anderen Weg. Da nach seiner Ansicht das Gesetz des Fortschritts auf allen Gebieten im gleichen Maße wirksam war, brauchte man nur die zeitlichen Entsprechungen zwischen den Fortschritten der verschiedenen Gebiete zu wissen, um dadurch den gewünschten Überblick über das Maß des Fortschritts einer gesamten Periode zu gewinnen. Die Methode Morgans war also nicht Darstellung bzw. Untersuchung eines dialektischen Gesamtzusammenhanges, sondern lediglich Parallelisierung verschiedener, im wesentlichen voneinander unabhängiger Entwicklungsreihen. In einer Beziehung muß man allerdings im Hinblick auf die soeben charakterisierte Methode Morgans eine Einschränkung machen: Morgan hat mit aller Deutlichkeit die Bedeutung erkannt, die das Eigentum in seinen verschiedenen Formen in der Geschichte der Menschheit gespielt hat. Dabei war auch für Morgan der Ausgangspunkt die Auseinandersetzung mit aktuellen Problemen. Er sah, daß der „Reichtum" einiger weniger dem Volke gegenüber „eine nicht zu bewältigende Macht" geworden w a r . 1 Dem Reichtum ordnete sich alles unter, vor allem diente ihm der gesamte Staatsapparat, der seine Entstehung nach Ansicht Morgans zum großen Teil dem Auftreten von Reichtumsunterschieden verdankte. 2 Bis zu diesem Punkte unterschied sich Morgan in der grundsätzlichen Behandlung dieses Problems noch nicht von den Philosophen der frühbürgerlichen Periode, wie beispielsweise Adam Smith und Ferguson. Beide hatten die Herausbildung des Staates in enger Verbindung mit der Entstehung von Reichtumsunterschieden gesehen. Worin sich jedoch Morgan von Smith grundlegend unterschied und worin er sich mit den ersten sozialistischen Kritikern an der bürgerlichen Gesellschaft begegnete, das waren die Schlußfolgerungen, die er für die Gegenwart bzw. Zukunft zog: Er forderte eine Gesellschaft, die eine Wiederbelebung — wenn auch in höherer Form — der alten klassenlosen Gentilgesellschaft sein müsse. 3 Morgan hatte aber nicht nur die überragende Bedeutung registriert, die der Reichtum in der historischen Entwicklung gehabt hat, er hat auch gesehen, daß dieser Reichtum die Folge der vervollkommneten Produktivkräfte war. Deshalb stellte er fest: „Die Entwicklung des Privateigentums h i e l t . . . gleichen Schritt mit dem Fortschritt der Erfindungen und Entdeckungen." 4 Mit diesen Erkenntnissen war Morgan nahe an die Auffassungen des historischen Materialismus herangekommen, eine Tatsache, die auch Engels in einem Brief an Kautsky vom 16. 2. 1884 erwähnte. 5 Allerdings war diese materialistische Geschichtsanschauung bei Morgan nicht konsequent und wurde von seiner evolutio1

3 Ebenda, S. 474. 2 Ebenda, S. 5, 473. Ebenda, S. 475. Wenn Morgan in späteren Jahren, als er Eisenminen- und Eisenbahnaktien sein Eigen nannte, eine völlig andere Auffassung vertrat und die Notwendigkeit einer „Aristokratie des Reichtums" auf der Grundlage einer „Aristokratie des Talents" anerkannte (aus einem Briefe Morgans, zitiert in: B. J. Stern, Lewis Henry Morgan, Social Evolutionist, Chicago (1931), p. 36), so können diese und alle damit im Zusammenhang stehenden Auffassungen Morgans außerhalb der Betrachtung bleiben, weil darin nicht seine publizistische Wirkung bestand. 4 L. H. Morgan, Urgesellschaft, S. 453. s Karl Marx/Friedrich Engels, Ausgewählte Briefe, Berlin 1953, S. 437.

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stischen Methode überwuchert. Es finden sich zwar bei Morgan viele wertvolle Anhaltspunkte, die seine Arbeit weit über das Niveau der übrigen Arbeiten der evolutionistischen Schule hinausheben; diese A n h a l t s p u n k t e wurden jedoch bei ihm nicht zur methodologischen Grundlage der gesamten Arbeit. E r w u ß t e zwar, daß der Reichtum die Folge entwickelter P r o d u k t i v k r ä f t e und daß die Klassengesellschaft wiederum die Folge der Konzentration des Reichtums in einigen wenigen Händen war. Das hinderte ihn aber nicht daran, an der These eines i m m a n e n t e n Entwicklungsprinzips und dadurch an der Aufstellung einzelner, voneinander isolierter Entwicklungsreihen festzuhalten. Trotz wichtiger Zusammenhänge der gesellschaftlichen Entwicklung, die Morgan klar erkannt hatte, blieb also seine Methode evolutionistisch. Nach seiner Ansicht konnte man den Fortschritt der Menschheit nach Kriterien gliedern, die den verschiedensten Gebieten des gesellschaftlichen Lebens entnommen waren. Morgan selbst benutzte f ü r die Gliederung dieses Fortschritts Kriterien, die der Entwicklung der Produktivkräfte, der Methoden der Nahrungsgewinnung, der Familie und des Eigentums entlehnt waren. D a m i t h a t t e er zweifellos einen Komplex von Erscheinungen u m f a ß t , der f ü r eine Gliederung der Urgeschichte von ausschlaggebender Bedeutung ist. Das war auch der Grund, weshalb sein Periodierungsschema für lange Zeit am meisten benutzt wurde und weshalb Marx und Engels an dieses Schema a n k n ü p f t e n , als sie sich mit den Fragen der Urgemeinschaftsordnung befaßten. Wenn bisher verschiedentlich vier Gebiete des gesellschaftlichen Lebens genannt wurden, auf denen Morgan den stufenweisen Fortschritt verfolgte und wenn weiterhin die Ergebnisse dieser Untersuchungen als voneinander unabhängige Entwicklungsreihen bezeichnet wurden, d a n n m u ß jetzt ergänzend hinzugefügt werden, daß Morgan zwar diese vier Fortschrittsreihen prinzipiell als gleichberechtigt ansah, daß er sie aber nicht alle — jedenfalls nicht unter den zu seiner Zeit vorhandenen Umständen — als f ü r eine Periodisierung gleich geeignet betrachtete. Die Entwicklung des Eigentumsbegriffs, die Morgan auf Grund der verschiedenen Erbfolgeordnungen rekonstruierte, m u ß t e ihm schon deshalb für eine Periodisierung weniger geeignet erscheinen, weil sie f ü r die Unterteilung der Wildheitsperiode versagte. In dieser Periode gab es entweder noch keine spezifischen Erbfolgeordnungen, oder sie sind zumindest u n b e k a n n t . 1 Auch in den späteren Perioden ergaben sich von diesem Kriterium her keine klaren Abgrenzungen, da die Übergänge von einer Erbfolgeordnung zur anderen von Morgan jeweils inmitten einer Periode angesetzt wurden, aber niemals als Einleitung bzw. Abschluß einer Periode. Auch die Entwicklung in den Methoden der Nahrungsgewinnung benutzte Morgan selbst nicht zur^ praktischen Periodisierung. E r fügte zwar diese verschiedenen Methoden in ihrer vermutlichen historischen Reihenfolge auf und fügte sie auch in sein allgemeines Periodisierungsschema ein. 2 E r ging sogar noch einen Schritt weiter, wenn er a n n a h m , in diesem Kriterium eines Tages vielleicht die geeignetste Grundlage f ü r eine Periodisierung der Urgeschichte zu finden 3 und hielt 1

Ebenda, S. 453 ff.

2

Ebenda, S. 16ff.

3

Ebenda, S. 8.

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es für ,,. . . höchstwahrscheinlich, daß die großen Epochen menschlichen Fortschritts mehr oder weniger direkt zusammenfallen mit der Ausweitung der Unterhaltsquellen." 1 Er fügte allerdings einschränkend hinzu: „Es sind jedoch die Forschungen nach dieser Richtung noch nicht weit genug gediehen, um die hierzu notwendigen Aufschlüsse zu liefern." 2 Fiel infolge mangelnder Spezialforschungen also auch das Gebiet der Wirtschaftsstufen als Kriterium für eine Periodisierung der Urgeschichte für Morgan aus, so blieben nur noch zwei Entwicklungsreihen als Hauptstützen bzw. -kriterien seines Periodisierungsschemas übrig, und zwar die Entwicklung der Produktivkräfte und die der gesellschaftlichen Organisationsformen. Beide bilden nach Ansicht Morgans voneinander unabhängige und gleichwertige Maßstäbe für den erreichten Stand des Fortschritts. 3 Von diesen beiden Fortschrittskriterien erwies sich das auf der Entwicklung der gesellschaftlichen Organisationsformen bzw. der Familienformen beruhende auch nicht als unbedingt zuverlässig; denn Morgan selbst mußte zugeben, daß in manchen Fällen die Familienformen in ihrem zeitlichen Auftreten Abweichungen von der Regel aufgewiesen und durchaus nicht immer zuverlässig und genau die einzelnen Perioden der Urgemeinschaftsordnung begrenzt haben. 4 Trotzdem hielt er im Widerspruch zu dieser seiner eigenen Erkenntnis das auf der Entwicklung der Familienformen beruhende Kriterium als das instruktivere. 5 Da spätere Forschungen starke Zweifel, an der von Morgan aufgestellten Folge der Familienordnungen aufkommen ließen, hat man schließlich oft ganz darauf verzichtet, dieses Kriterium zur Periodisierung der Urgeschichte auch dann heranzuziehen, wenn man sich auf Morgan stützte. So wurde von dem Morganschen Schema hauptsächlich nur das letzte noch übrige Kriterium, das auf der Entwicklung der Produktivkräfte beruhende, benutzt. Dies lag jedoch nicht im Sinne Morgans, der in der Entwicklung der Produktivkräfte und der Entwicklung der Familienformen als „voneinander unabhängigen Forschungsgebieten" den „parallel laufenden Fortschritt" festeilen wollte. Zu einer Synthese in der Festsetzung der für die Periodisierung ausschlaggebenden Kriterien konnte Morgan nicht kommen, weil er niemals seine inkonsequente materialistische Geschichtsauffassung überwunden hat. Nach seiner Auffassung war die Entwicklung der Produktivkräfte das Ergebnis der Anpassung der Menschen an die Umweltbedingungen unter dem Gesichtspunkt einer stets wachsenden Naturbeherrschung. Hierin war Morgan also durchaus Materialist. Die Entwicklung der gesellschaftlichen Organisationsformen (bzw. der Familienordnungen) dagegen interpretierte er als das Ergebnis einer geistigen Entwicklung der Menschheit, wobei ,,. . . die hauptsächlichsten Institutionen der Menschheit aus einigen wenigen ursprünglichen Gedankenkeimen sich entwickelt haben, und . . . der Verlauf und die Art ihrer Entwicklung vorher bestimmt war und innerhalb enger Grenzen sich bewegte infolge der natürlichen Logik des menschlichen Geistes und der notwendigen 1 4

3

Ebenda, S. 16.

2

Ebenda, S. 8.

E b e n d a , S. 3 9 0 f .

6

Ebenda, S. 350; vergi, auch S. 3.

Ebenda, S. X I V , 3, 4

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Beschränkung seiner Kräfte". 1 In diesem Punkte war Morgan also Idealist. Die inkonsequente materialistische Geschichtsauffassung und die evolutionistische Methode bedingten sich also bei Morgan wechselseitig. 2 So bliebe als letzte noch zu klärende Frage das Problem, inwieweit die von Morgan auf dem Gebiet der Produktivkräfte und der gesellschaftlichen Organisationformen (bzw. Familienordnungen) aufgestellten Kriterien noch heute Gültigkeit haben bzw. ob von ihnen aus mit einer konsequenten historisch-materialistischen Methode eine Periodisierung der Urgeschichte möglich ist. Beginnen wir mit dem Teil der Periodisierung, den Morgan selbst als den instruktivsten ansah, mit der Periodisierung der Familienformen. Wie bereits angedeutet, ist die Morgansche Darstellung der Entwicklung der Familienformen inzwischen schon oft einer Kritik unterzogen worden. Es herrscht wohl Einstimmigkeit in der Auffassung, daß die These von der Blutsverwandtschaftsfamilie als älteste Familienform heute fallen gelassen werden muß. Morgan hatte ihr Vorhandensein nicht aus der Realität selbst, sondern nur aus dem sog. malayischen Verwandtschaftschaftssystem ableiten können. Dieses Verwandtschaftssystem sollte nach Morgans Ansicht seine Erklärung einzig und allein in der Blutsverwandtschaftsfamilie finden können. Da dieses Verwandtschaftssystem noch fortlebte in einer Zeit, wo die Blutsverwandtschaftsfamilie selbst schon untergegangen war, wurde es für Morgan zum einzigen Beweis für die ehemalige Existenz der ihm entsprechenden Familienform. Dieses malayische Verwandtschaftssystem machte keinen Unterschied in den Bezeichnungen für die eigenen Kinder des Sprechers und diejenigen seiner Brüder und Schwestern und benannte alle Angehörigen der älteren Generation unterschiedslos als Väter und Mütter. Die einzig mögliche Erklärung für diese Tatsache sah Morgan in der Annahme einer Eheform, in der die leiblichen und kollateralen Brüder und Schwestern eine Gruppenehegemeinschaft bildeten. Dieser Schluß war, wie sich heute herausstellt, sehr kühn. Eine Erklärung für den Aufbau dieses Verwandtschaftssystems würde beispielsweise auch durch das australische Heiratsklassensystem möglich sein. Auch die Punaluafamilie erweist sich heute in der Form, wie sie Morgan darstellte, als nicht mehr haltbar. Morgan hatte ihre Existenz bekanntlich aus hawaiianischen Verhältnissen abgeleitet, wie er auch die Bezeichnung „ p u n a l u a " der hawaiianischen Sprache entlehnte. Auf Hawaii gab es z. Z. seiner Entdeckung eine Eheform, bei der die Mehrzahl von Frauen, mit denen ein Mann verheiratet sein 1

Ebenda, S. 15. Diese Inkonsequenz war keinesfalls eine Erscheinung, die nur bei Morgan anzutreffen ist. Sie ist überhaupt ein Kennzeichen des Positivismus und damit auch des E v o l u t i o n i s m u s , deren Vertreter oft versucht haben, Materialismus und Idealismus miteinander zu „versöhnen". So wollte beispielsweise Comte, der Begründer der positiven Philosophie, alle zu seiner Zeit herrschenden Sozialtheorien, materialistische und idealistische, in seiner Philosophie miteinander vereinen (A. Comte, Soziologie, 2. Aufl., Bd. 1, Jena 1923, S. 1 5 f . ) . Bastian schrieb eindeutig: „Die wahre Wissenschaft kennt weder Materialismus noch Idealismus, da sie beide u m f a ß t " (A. Bastian, Die Psychologie als Naturwissenschaft, Leipzig 1860, S. X I I I ) . 2

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H¡stenographischer Überblick

konnte, und die Mehrzahl von Männern, mit denen eine Frau verheiratet war, als „punalua" bezeichnet wurden. Diese Eheform war jedoch keineswegs die herrschende, im Gegenteil: sie war im wesentlichen auf die Häuptlingsfamilien beschränkt. Die weitaus größte Zahl von Menschen lebte, um mit Morgan zu sprechen, in Paarungsfamilien. Erwies es sich schon als eine unzulässige Verallgemeinerung, die nur vereinzelt auftretende Punaluafamilie als einzige Eheform der Hawaiianer anzusehen, so war die Ableitung der in der Wildheit vorhandenen Eheform aus den hawaiianischen Verhältnissen völlig unmöglich. Die Begründung für diese niedrige Einstufung der Hawaiianer bzw. der Polynesier überhaupt leitete Morgan aus seinem zweiten Periodisierungskriterium, dem der Produktivkräfte, ab. Da den Polynesiern im allgemeinen die Töpferei und Pfeil und Bogen fehlten, wies er sie der Mittelstufe der Wildheit zu. Deshalb sah er in ihren gesellschaftlichen Einrichtungen Reste einer Organisationsform, wie sie in der Wildheit einmal allgemeingültig gewesen sein sollte. Über diese Fehleinschätzung Morgans wird weiter unten noch Näheres zu sagen sein. Hier sei nur festgestellt, daß seine Beweisführung für das ehemalige Vorhandensein einer Punaluafamilie bei allen Völkern der späteren Wildheitsperiode heute nicht mehr überzeugen kann. Das soll jedoch nicht gleichbedeutend sein mit einer Leugnung jeder Form der Gruppenehe; es soll lediglich bedeuten, daß wir die ehemalige Existenz der Gruppenehe nicht aus den Verhältnissen Hawaiis ableiten können. Wie diese Gruppenehe im einzelnen ausgesehen hat, läßt sich heute nicht mehr feststellen. B e i einer Rekonstruktion der Geschichte der Ehe wird man sie höchstwahrscheinlich an den Anfang setzen müssen; denn sie entsprach am besten den Erfordernissen des unsteten Lebens der Sammler und Jäger. Die australischen Verhältnisse gaben hierzu den Forschern noch im 19. Jahrhundert wertvolle Aufschlüsse. Über die weiteren Kriterien in der Periodisierung der Familienformen ist nicht viel zu sagen. Hierin wird man, was das rein Sachliche anbetrifft, mit Morgan konform gehen können. Morgan untersuchte aber nicht nur die Geschichte der Familienformen; er koppelte dieses Gebiet mit dem umfassenderen der gesellschaftlichen Organisation im allgemeinen. In den Anfangsstadien der Wildheitsperiode gab es nach Morgan keine weitere Form der gesellschaftlichen Organisation neben der Blutsverwandtschaftsfamilie. Etwa in der Mitte der Oberstufe der Wildheit entwickelte sich aus der Punaluafamilie die Gens, und zwar zunächst als mutterrechtliche Gens, die im Laufe der Mittelstufe der Barbarei in die vaterrechtliche Gens umgewandelt wurde und mit dem Beginn der Zivilisation schließlich unterging. Da die Morgansche These von der Blutsverwandtschaftsfamilie heute nicht mehr akzeptiert werden kann, würde man am besten diese Entwicklungslinie in folgende Perioden gliedern: Vorgentile Periode, gentile Periode mit den beiden Unterstufen der mutter- und vaterrechtlichen Gens. Die Entdeckung der Gens war die größte Leistung Morgans. Sie ist die Ursache für die überragende Bedeutung, die dem Werke Morgans über die Urgesellschaft immer zukommen wird. Von der Gentilorganisation ausgehend, charakterisierte

Schema zu Morgans Periodisi« Perlode

Methoden der Nahrungsgewinnung

Den Beginn der Perlode kennzeichnende Produktivkräfte

WILDHEIT

1. Unterstufe

2. Mittelstufe

V

M Natürliche Nahrung durch Früchte u. Wurzeln in beschränktem Wohnsitz Fischnahrung

Fischnahrung — Feuer Pfeil und Bogen

3. Oberstufe

T

BARBAREI 1. Unterstufe westliche Hemisphäre

östliche Hemisphäre

mehlhaltlge Nahrung durch Bodenbau

Töpferei westliche östliche Hemisphäre Hemisphäre Anbau von Feldfrüchten und Pflanzen

2. Mittelstufe mehlhaltlge Nahrung durch Bodenbau

Fleisch- und Milchnahrung durch Viehzucht

mehlhaltlge Nahrung durch Bodenbau

Bewässerung sbodenbau Gebrauch von Adoben

Züchtung von Haustieren 1 1 4. Viehzucht

Bodenbau u. t Viehzucht t 1 Erste große gesellschaftliche Arbeltstellung

3. Oberstufe Unbegrenzte Nahrungsproduktion durch Feldbau

Elsengewinnung und Gebrauch elserner Werkzeuge



ZIVILISATION Erfindung des

Alphabets

iodisierung der Urgesellschaft te

Verwandtschaftssysteme Promis Malaylsches Verwandtschaftssystem

Famlllenformen

Formen d. gesellschaftl. Organisation

Eigentum

kultät Blutsverwandtschaftsfamilie

Punaluafamille —— •

Gens

Turanlsches Verwandtschaftssystem

i

Vererbung des persönlichen Eigentums und des individuell genutzten Bodens Innerhalb der Mutter gens

e Syndyasmische (Paarungs-) Familie a. Mutterrechtliche Gens

on n

icht

t1

b. Vaterrechtliche Gens

Se che ng

ch

arisches (semitisches, uralisches) Verwandtschaftssystem

Patriarchalische Familie (nicht allgemein) Monogamische Familie

Vererbung des persönlichen Eigentums und des Individuell genutzten Bodens unter den Agnaten

Vererbung des persönlichen Eigentums und des Privateigentums (auch an Grund und Boden) an die Kinder

Die evolutionistische Schule

49

Morgan die Urgemeinschaftsordnung als eine auf persönlichen Beziehungen beruhende Gesellschaft, während er die „Zivilisation" als eine auf ,,Landgebiet und Privateigentum" begründete Gesellschaft bezeichnete. 1 Damit h a t t e er wichtige Kriterien f ü r die prinzipielle Unterscheidung der Urgemeinschaftsordnung gegenüber der Klassengesellschaft aufgestellt. Als Periodisierungskriterium erwiesen sich die verschiedenen Formen der Gentilorganisation aber bereits f ü r Morgan als wenig geeignet. Insbesondere k o n n t e er damit keine klare Abgrenzung der einzelnen urgeschichtlichen Entwicklungsstufen erreichen, und ebenso wenig gelang ihm damit eine detaillierte Periodisierung wie m i t Hilfe der Produktivkräfte. Diese Schwierigkeiten erhöhen sich noch, wenn m a n versuchen wollte, das ungleich reichere ethnographische Material von heute in den entsprechenden Teil des Morganschen Schemas einzuordnen. Es würde sich zeigen, daß eine Unterteilung nach m u t t e r - und vaterrechtlicher Gens zu Ungenauigkeiten und Fehlern in der E i n s t u f u n g führen würde, man denke nur an die vaterrechtlich organisierten P a p u a und die mutterrechtlich organisierten Irokesen. Als letztes bliebe noch die Untersuchung übrig, ob evtl. mit dem von Morgan angewendeten Prinzip der Entwicklung der P r o d u k t i v k r ä f t e eine Periodisierung der Urgeschichte möglich ist. In der Übersicht zu seinem Schema h a t Morgan jede Stufe in der Entwicklung der Produktivkräfte im allgemeinen nur durch ein Kriterium, in einigen Ausnahmefällen durch zwei Kriterien gekennzeichnet. Das f ü h r t e ihn zwangsläufig zum Mechanismus und verursachte schwerwiegende Fehler in der Eingliederung bestimmter Völker in sein Periodisierungsschema. Es genügt, in diesem Zusammenhang auf das bekannte Beispiel der Polynesier hinzuweisen, die er der Mittelstufe der Wildheit zuordnete, da sie im allgemeinen Pfeil und Bogen nicht besaßen. Dabei interessierte es ihn nicht, warum ein bestimmtes Werkzeug bei einem Volke fehlte. Im Falle der Polynesier h ä t t e Morgan die Erklärung leicht in den spezifischen Bedingungen ihrer geographischen Umwelt gefunden. Als J a g d waflen konnten Pfeil und Bogen k a u m verwendet werden, da es kein jagdbares Wild gab, und als Kampfwafle erwiesen sich die mit der Schleuder geworfenen Steine als weitaus wirkungsvoller als die leichten Pfeile, die in der ständigen Brise an den Küsten der polynesischen Inseln ohne große Wirkung bleiben m u ß t e n . Außerdem k a m Morgan bei den Polynesiern mit seinen eigenen Feststellungen in Widerspruch. In dem Überblick über den erreichten S t a n d des Fortschritts der einzelnen Perioden, den er jeweils mit einer ganzen Reihe von neuentstandenen Produktivkräften kennzeichnete, führte er u. a. an, das Plankenboot, das b e k a n n t lich bei vielen Polynesiern z. Z. ihrer Entdeckung vorgefunden wurde, sei eine Erfindung, die der Oberstufe der Barbarei angehört. 2 J e nachdem, welchem Kriterium man nun folgen will, m ü ß t e man die Polynesier Morgan zufolge entweder der Mittelstufe der Wildheit oder der Oberstufe der Barbarei zuordnen. Morgan selbst t a t das erstere, was allerdings das Unzutreffendere von beidem war. Überhaupt ließ Morgan vollkommen die Frage ununtersucht, ob nicht an Stelle der von ihm als charakteristisch angesehenen P r o d u k t i v k r ä f t e n evtl. andere, ebenso 1

L. H . Morgan, D i e Urgesellschaft, S. 6.

4 Sellnow, Urgeschichte

2

E b e n d a , S. 27.

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Historiographischer

Überblick

entscheidende Produktivkräfte entwickelt worden waren. Bei den Polynesiern h ä t t e er dann an Stelle von Töpferei und Pfeil und Bogen einen hochentwickelten Schiffbau und stellenweise einen ebenso hochentwickelten Bewässerungsbodenbau gefunden. Der Gefahr des Schematismus könnte man also nur entgehen, wenn man für jede der urgeschichtlichen Perioden jeweils eine ganze Reihe typischer Produktivkräfte zusammenstellte. Eine neue Periodisierung der Urgeschichte kann jedoch nicht mehr von der Morganschen Vorstellung eines gleichförmigen Entwicklungsverlaufs ausgehen, der lediglich auf der Unter- und Mittelstufe der Barbarei eine unterschiedliche Entwicklung der östlichen und westlichen Hemisphäre zuläßt. Neuere Forschungen haben eine ganze Reihe verschiedener wirtschaftlich-kultureller Typen ergeben, die jeweils unter dem Einfluß ihrer geographischen Umwelt die Produktivkräfte in einer anderen Richtung entwickelten. Man müßte also, wenn man die Entwicklung der Produktivkräfte weiterhin in der alten Form als Periodisierungsprihzip benutzen wollte, für jeden dieser wirtschaftlich-kulturellen Typen eine besondere Gruppe kennzeichnender Produktivkräfte benennen. Dadurch würde das Periodisierungsschema aber sehr kompliziert und unübersichtlich werden. Zweifellos h a t t e Morgan mit seiner Methode, die verschiedenen Entwicklungsstufen der Urgemeinschaftsordnung jeweils durch bestimmte Produktivkräfte zu kennzeichnen, einen richtigen Weg beschritten. Wenn die Entwicklung der Produktivkräfte das revolutionäre Element in der Geschichte war und wenn darauf letztlich alle Veränderungen auf dem Gebiete des gesellschaftlichen Lebens zurückgeführt werden müssen, dann muß eine Periodisierung der Urgeschichte, die eine Widerspiegelung der objektiven historischen Gesetzmäßigkeit sein will, die Entwicklung der Produktivkräfte einbeziehen. Allerdings wird man dabei die Mängel des Morganschen Versuchs vermeiden müssen. Diese Mängel bestanden im wesentlichen darin, daß immer nur von einzelnen Produktivkräften und dabei auch nicht immer von den wichtigsten ausgegangen wurde. So kennzeichnete Morgan beispielsweise die Mittelstufe der Barbarei in der westlichen Hemisphäre durch den Bewässerungsbodenbau und den Gebrauch von Adoben; die Erfindung der Bronze, die er ebenfalls dieser Periode zuwies, benutzt er jedoch nicht dazu. Für die Mittelstufe der Wildheit führte er als charakteristische Merkmale die Fischnahrung und den Gebrauch des Feuers a n ; die Werkzeugherstellung ließ er jedoch völlig unberücksichtigt. Um die Mängel des Morganschen Versuchs zu vermeiden, müßte man also den erreichten Stand der Produktivkräfte im a l l g e m e i n e n kennzeichnen, und zwar in einer Weise, wie das in neuerer Zeit durch Tolstov geschehen ist und wie das an entsprechender Stelle noch näher ausgeführt werden wird. Nach dieser Methode vermeidet man einerseits den Schematismus Morgans, der sich aus der W a h l einzelner oder einiger weniger angeblich charakteristischer Produktivkräfte ergab, und andererseits vermeidet man die Kompliziertheit, die sich aus einer empirischen Aufzählung von Gruppen typischer Produktivkräfte für die einzelnen wirtschaftlichkulturellen Typen ergeben würde. Wenn alle diese Forderungen in einer neuen auf der Entwicklung der Produktivkräfte aufgebauten Periodisierung der Urgeschichte berücksichtigt würden, selbst

Die evolutionistische

Schule

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dann könnte man damit allein die Universalgeschichte aber noch nicht periodisieren; denn die gleichen Produktivkräfte können, j e nach den Umständen, sehr verschiedene Auswirkungen haben. So bestand beispielsweise in den Produktivkräften bei den Bewohnern Tongatabus und Tahitis einerseits und den Maori sowie den Bewohnern der Marquesas-Inseln andererseits kein prinzipieller Unterschied, und doch war auf Tongatabu und Tahiti die Gesellschaft bereits seit langem in Klassen gespalten, während auf den beiden zuletzt genannten Inselgruppen die alte Stammesorganisation noch erhalten war. Historische und verschiedene äußere Bedingungen, auf die an entsprechender Stelle noch im einzelnen eingegangen werden wird, hatten hier den Auflösungsprozeß erheblich verzögert. Auch ein solch entscheidendes Produktionsinstrument, wie zum Beispiel der Pflug, oder die Einführung der Metallgewinnung und -bearbeitung führten durchaus nicht überall zum Übergang zur Klassengesellschaft, wie ein Vergleich zwischen Mesopotamien und Nord-, Mittelund Osteuropa zeigt. Man muß also die Produktivkräfte unter dem Gesichtspunkt der Produktivität der Arbeit betrachten, die allein entscheidend ist für die Art der gesellschaftlichen Beziehungen und damit auch für die Geschichte der Urgemeinschaftsordnung. Das Problem ist also, objektiv meßbare Kriterien für die Höhe der Arbeitsproduktivität zu finden. Diese Frage wird noch später bei der Behandlung neuerer Periodisierungsvorschläge eine Rolle spielen und soll erst dort eingehender behandelt werden. Hier sei als Ergebnis nur festgehalten, daß das Vorhandensein bestimmter Produktivkräfte oder ganzer Gruppen von Produktionsinstrumenten nicht genügt, um in der Periodisierung der Urgeschichte in jedem Falle zu richtigen Schlüssen zu kommen. Wenn das Periodisierungsschema Morgans einer so gründlichen Kritik unterzogen wurde, dann geschah das nicht, um das wissenschaftliche Verdienst seines Urhebers herabzumindern. Das Periodisierungsschema Morgans ist und bleibt das bedeutendste, das in der Literatur des 19. Jahrhunderts aufgetreten ist. Diese Kritik ergibt sich aus der Untersuchung der Frage, inwieweit der Versuch Morgans, die Geschichte der Urgemeinschaftsordnung zu periodisieren, heute noch als Grundlage eines neuen Versuchs geeignet ist, eine Fragestellung, die bei der Behandlung aller vorangegangenen Periodisierungsversuche von vornherein ausschied. Diese früheren Periodisierungen der Urgeschichte enthielten zwar wichtige Gesichtspunkte im einzelnen, boten aber als Ganzes keine geeigneten Grundlagen für einen neuen solchen Versuch. Morgans unbestreitbares Verdienst bleibt es, als erster ein wissenschaftlich fundiertes Periodisierungsschema aufgestellt zu haben, in dem er weit über das hinausgegangen war, was die Vertreter der evolutionistischen Schule im allgemeinen zu leisten vermocht hatten. Weiterhin hatte er den Weg verbreitert, der zur Rekonstruktion der Urgeschichte führt, indem er — ausgehend von der Gesetzmäßigkeit des historischen Geschehens — die Kulturen zurückgebliebener Völker mit den Urzuständen verglich. Engels schätzte Morgan j a gerade deshalb so hoch ein, weil er in der Gentilordnung der Indianer die gesellschaftliche Organisationsform entdeckte, die überall dem S t a a t 4«

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Historiographischer Überblick

vorausgegangen war, wodurch bis dahin ungelöste Probleme der griechischen und römischen Geschichte geklärt werden konnten. 1 Schließlich überragte Morgan alle anderen Vertreter der evolutionistischen Schule deshalb u m vieles, weil er den Geschichtsverlauf in größeren Zusammenhängen darstellte. E r schilderte, wie sich Produktivkräfte, Eigentum, Gesellschaft und Familie von Stufe zu Stufe entwickelten und immer neue Formen aufwiesen und beschränkte sich nicht auf die Darstellung einzelner Gebiete. d)

Kowalewski

Nicht ganz so umfassend wie Morgan hat etwas später Kowalewski versucht, die Urgeschichte zu periodisieren. E r verfolgte die urgeschichtliche Entwicklung auf zwei Gebieten : Auf dem Gebiete der Familie u n d dem des Eigentums. E r betrachtete jedoch die Entwicklung beider Gebiete nicht — wie m a n es häufig bei den Evolutionisten finden k a n n — unabhängig voneinander, sondern sah zwischen ihnen Zusammenhänge, so daß er über die einfachen Entwicklungsreihen hinaus zur Aufstellung von Entwicklungsstufen k a m . Auf der untersten Entwicklungsstufe existierte nach Kowalewski die matriarchale Familie auf der Grundlage der Gruppenehe. 2 Individuelles Eigentum gab es lediglich an den wenigen Gegenständen des persönlichen Gebrauchs. 3 Im allgemeinen herrschte Gemeineigentum, es wurde gemeinsam gearbeitet u n d der E r t r a g gemeinsam verzehrt. 4 Auf der zweiten Entwicklungsstufe fand sich nach Kowalewski als Familienform die patriarchalische Familie. 6 Gleichzeitig entstand das individuelle Eigentum an wichtigen Dingen, insbesondere an Vieh. 6 An diesem neu entstandenen Eigentumsrecht gab es jedoch eine wichtige Einschränkung: Die Verpflichtung zur gegenseitigen Hilfe, wodurch die Allgemeinheit noch immer einen Anspruch an der Arbeit des einzelnen behielt. 7 Die Ursache f ü r den Übergang zum Patriarchat erblickte Kowalewski in dem Aufkommen der spezialisierten Viehzucht. W a r der ältere einfache Bodenbau Frauenarbeit und war dadurch eine soziale Vorrangstellung der F r a u gegeben, so war die Viehzucht Männerarbeit und bewirkte die soziale Vorrangstellung des Mannes. 8 Alle diese Formen des Gemeinschaftslebens zerfielen jedoch einerseits durch die E n t s t e h u n g der Einzelfamilie 9 und andererseits durch die Zerstörung der Gemeinwirtschaft infolge der Konstituierung einer ökonomisch mächtigen Handelsschicht und vor allem durch die Entstehung einer herrschenden Klasse und des Staatsapparates. 1 0 1

F. Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, Berlin 1946, S. XVIII, VI. a M. Kowalewski, Tableau des origines et de l'évolution de la famille et de la propriété, Stockholm (1890), p. 11, 16. 3 4 Ebenda, p. 57. Ebenda, p. 5 1 - 5 7 . 6 Ebenda, p. 28. « Ebenda, p. 57, 59. 7 8 Ebenda, p. 59. Ebenda, p. 28. 9 10 Ebenda, p. 128, 138. Ebenda, p. 189, 190.

Die evolutionistische

Schule

53

Wenn Kowalewski die Eigentumsformen — neben den Familienformen — zum Periodisierungsprinzip benutzte, dann hatte er zweifellos ein sehr wesentliches Kriterium herausgegriffen. Sein Ausgangspunkt dabei war wie bei Rousseau, Ferguson, Smith und Morgan eine Kritik an den zeitgenössischen Eigentumsverhältnissen. Die Eigentumsformen in den älteren Geschichtsepochen untersuchte er, um die Gesetze, die die Entwicklung des Eigentums beherrschen, zu finden und für notwendige Reformen auszunutzen. Für die Periodisierung der Urgeschichte hatte Kowalewski mit seinem Verfahren einige wichtige Wendepunkte hervorgehoben: Die Periode mit dem aufkommenden individuellen Eigentum an wichtigen Dingen (Vieh) gegenüber der älteren Periode mit unterschiedslosem Gemeineigentum und als Abschluß der Urgemeinschaftsordnung die Entstehung des Staates mit den antagonistischen Klassen als Grundlage. Der Mangel des Periodisierungsschemas Kowalewskis besteht in der Koppelung der Geschichte der Eigentumsformen an die Geschichte der Familienformen. Wie noch später zu zeigen sein wird, bieten matriarchale und patriarchale Familienform kein sicheres Kriterium für eine Periodisierung. Vor allem aber bietet die Periodisierung Kowalewskis keine Möglichkeit für eine Unterteilung der ersten Periode, die bei ihm von der Menschwerdung bis zur Ausbildung der Nomadenviehzucht reicht, also einen sehr großen Zeitraum mit sehr unterschiedlichen Entwicklungsstufen umfaßt. Um diesen Zeitraum gliedern zu können, müssen also weitere Kriterien gesucht werden, um die richtigen Grundgedanken Kowalewskis zu Ende zu führen.

e) Hahn Hahn gehört zu einer Gruppe von Forschern, die bereits die Entstehung einer neuen ethnographischen Schule, der kulturhistorischen Schule, vorbereiteten, ohne jedoch schon völlig den Prinzipien der evolutionistischen Schule zu entsagen. So war Hahn z. B. gegen die Theorie der Versteinerung und billigte auch den sog. Wilden eine Entwicklung zu. 1 Er war weiterhin gegen die Auffassung eines gleichförmigen Entwicklungsverlaufs; 2 vor allem aber ersetzte er die konstruierten Entwicklungsreihen der älteren Evolutionisten durch konkret-historische Forschungen. Hahn bezeichnete sich selbst als Wirtschaftsgeograph; sein Spezialgebiet war die Erforschung der Geschichte des Pflugbaues. Dabei war er gezwungen, auch die älteren Formen des Bodensbaues mit zu bearbeiten, so daß er zum Spezialisten für die Geschichte des Bodenbaues wurde. Seine Übergangsstellung zwischen Evolutionismus und Historismus wirkte sich deutlich auf seine Arbeiten aus: Einerseits stellte er die verschiedenen Wirtschaftsformen im großen und ganzen als Ergebnis einer Höherentwicklung dar; andererseits jedoch verzichtete er darauf, sie „in Reihen zu ordnen". 3 Deshalb sind die von Hahn aufgestellten Wirtschaftsformen nicht ohne weiteres als Entwicklungsstufen 1 E. Hahn, Von der Hacke zum Pflug, Leipzig 1914, S. 15; ders., Die Entstehung der wirtschaftlichen Arbeit, Heidelberg 1908, S. 12f. 2 Ebenda, S. 13f., 38. 3 Ders., Das Alter der wirtschaftlichen Kultur der Menschheit, Heidelberg 1905, S. 36

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Historiographischer

Überblick

anzusehen. Zwar drückten H a c k b a u , Viehzucht oder Ackerbau immer Mindesthöhen der erreichten E n t w i c k l u n g aus; der H a c k b a u aber beispielsweise k o n n t e sehr verschiedenen Entwicklungsstufen angehören, war er doch nach H a h n sowohl bei relativ primitiven U r w a l d s t ä m m e n Afrikas als auch bei den J a p a n e r n u n d vielen anderen modernen Kulturvölkern v o r h a n d e n . 1 Die Arbeiten H a h n s waren also keine Periodisierungsversuche, sie waren Klassifizierungen. Trotzdem k o m m t diesen Arbeiten H a h n s f ü r die Periodisierung der Urgeschichte eine n i c h t unerhebliche B e d e u t u n g z u ; denn in ihnen wurde ein bis dahin häufig gebrauchtes Periodisierungsprinzip endgültig widerlegt: Die Dreistufentheorie. H a h n wies nach, daß Ackerbau u n d Viehzucht aus einer älteren W i r t s c h a f t s f o r m , dem H a c k b a u , e n t s t a n d e n u n d d a ß demzufolge die Viehzucht nicht vor dem Bodenbau v o r h a n d e n gewesen sein k o n n t e . 2 W e n n m a n heute H a h n auch nicht m e h r folgen k a n n in seiner Ableitung des Ackerbaues u n d der Viehzucht sowie der historischen E n t w i c k l u n g ü b e r h a u p t aus religiösen Motiven u n d wenn er selbst auch kein neues Periodisierungsprinzip aufgestellt h a t , so bleibt die Widerlegung eines einst sehr gebräuchlichen Periodisierungsprinzips aber doch ein Verdienst. f ) Grosse In den Arbeiten der Evolutionisten am Ausgang des 19. J a h r h u n d e r t s findet m a n k a u m noch Versuche zu einer Periodisierung der Urgeschichte. Auch die vielbea c h t e t e Arbeit Grosses über „Die F o r m e n der Familie u n d die Formen der Wirts c h a f t " war keine Periodisierung, sondern lediglich eine Klassifizierung. Grosse wollte d a m i t keine Entwicklungsreihen u n d erst recht keine Entwicklungsstufen aufstellen; er wollte n u r den Z u s a m m e n h a n g zwischen den F o r m e n der Familie u n d den F o r m e n der W i r t s c h a f t nachweisen. Eine Entwicklungsgeschichte von Familie u n d W i r t s c h a f t zu schreiben lehnte er sogar ausdrücklich als z. Z. unmöglich ab. 3 g)

White

Es gibt jedoch h e u t e noch einen Vertreter der evolutionistischen Schule, der die Arbeiten Morgans fortzusetzen versucht, u n d zwar White. E r h a t kürzlich ein neues Periodisierungsprinzip der Universalgeschichte vorgeschlagen, das die Fehler des alten Morganschen Schemas zu vermeiden t r a c h t e t . E r geht dabei von der Voraussetzung aus, die E n t w i c k l u n g der Technik bzw. die zur Verfügung stehende Energie sei bestimmend f ü r die allgemeine soziale Entwicklung. 4 D a d u r c h k o m m t W h i t e zu folgenden universalhistorischen E n t w i c k l u n g s s t u f e n : 1

Ders., Von der Hacke zum Pflug, S. 72. Ders., Die Haustiere und ihre Beziehung zur Wirtschaft des Menschen, Leipzig 1896, S. 77, 132ff. 3 E. Grosse, Die Formen der Familie und die Formen der Wirtschaft, Freiburg-Leipzig 1896, S. 1 (und Vorwort). 4 L. A. White, Kroeber's „Configurations of Culture Growth", i n : American Anthropologist, 48/1946, p. 88. 2

Die evolutionistische

Schule

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1. Nur menschliche Kraft verfügbar; 2. Einbeziehung der Sonnenenergie durch den Anbau von Pflanzen und Nutzung der tierischen Energie; 3. Nutzung der Dampfenergie; 4. Nutzung der Atomenergie. 1 Wenn mit diesem Periodisierungsvorschlag auch einige Etappen in der Entwicklung der Produktivkräfte gekennzeichnet wurden, die Etappen der sozialen E n t wicklung wurden damit nicht markiert. Eine Nutzung der Atomenergie erfolgt heute beispielsweise sowohl in sozialistischen als auch in kapitalistischen Ländern. Das zeigt schon, daß Art und Menge der genutzten Energie keineswegs automatisch zu einer Änderung der sozialen Beziehungen führen. Wenn man also die Geschichte der Gesellschaft periodisieren will, muß man die Veränderungen der sozialen Beziehungen mit einschließen. Auch für die älteren Geschichtsabschnitte ist der Periodisierungsvorschlag Whites nicht befriedigend. So läßt er beispielsweise keine Unterscheidung zwischen der Urgemeinschaftsordnung, der Sklavenhalter- und Feudalgesellschaft sowie der Manufakturperiode der bürgerlichen Gesellschaft zu. Alle diese Perioden fallen bei ihm unter die 2. Entwicklungsstufe, die durch die Nutzung der Sonnenenergie gekennzeichnet wird. Wenn die Urgemeinschaftsordnung im Periodisierungsvorschlag Whites in eine Periode mit und eine ohne Bodenbau und Viehzucht aufgeteilt ist, so ist das auch nicht ausreichend. Man wäre dadurch z. B . gezwungen, das untere Paläolithikum, die Australier, die Fischervölker der Nordwestküste und die Itelmenen des 19. J a h r hunderts einer Entwicklungsstufe zuzuweisen. Das aber würde bedeuten, die Periode, in der sich der Mensch und mit ihm die Normen des gesellschaftlichen Lebens erst entwickelten, mit den komplizierten Heiratsklassensystemen und streng geregelten sozialen Beziehungen der Australier auf eine Stufe zu stellen, und beides wiederum der Haussklaverei der genannten Fischervölker gleichzusetzen. Zur Periodisierung der Universalgeschichte ist also das Schema Whites nicht geeignet. Man könnte sich fragen, ob es evtl. zur Charakterisierung des allgemeinen Entwicklungsstandes der Produktivkräfte als eines Teilgebietes der Periodisierung brauchbar ist. Bekanntlich bestand der Mangel des Morganschen Schemas in der Charakterisierung der Entwicklungsstufen durch einzelne bestimmte Produktivkräfte. Könnte der Versuch Whites diesen Mangel beheben? Diese Frage kann leider ebenfalls nicht im positiven Sinne beantwortet werden. Das Schema Whites ist zu undifferenziert, da es lediglich von der Erschließung neuer Energiequellen ausgeht. Ehe aber die Menschheit solche umwälzenden Erfindungen machte, mußten viele kleinere Einzelerfindungen gemacht werden, die im Schema Whites nicht berücksichtigt werden können. Man kann also mit dem Prinzip Whites weder die Universalgeschichte noch die Entwicklung der Produktivkräfte als Teilgebiet der Universalgeschichte periodi1 Ders., Evolutionary Stages, Progress, and the Evaluation of Cultures, in: Southwestern Journal of Anthropology, 3/1947, p. 187; ders., Energy and the Evolution of Culture, in: American Anthropologist 45/1943, p. 340 sqq.

56

H¡stenographischer

Überblick

sieren. Dieses Schema ist offenbar unter dem Eindruck der umwälzenden Folgen, die sich infolge der eben erst entdeckten Atomenergie ergeben oder doch bald ergeben werden, entstanden. Wenn also die Technik heute aus diesem Grunde von überragender Bedeutung erscheint, die Universalgeschichte läßt sich dennoch mit technisch-naturwissenschaftlichen Prinzipien allein nicht erklären.

h) List, Roscher,

Bücher

Ehe die Behandlung der evolutionistischen Schule abgeschlossen wird, sei kurz noch auf die Vorschläge eingegangen, die seitens der ökonomischen Evolutionisten zur Periodisierung der Urgeschichte gemacht wurden. Einer der bedeutendsten Evolutionisten des 19. Jahrhunderts war List. E r ging bei seinen Untersuchungen über die Entstehung der Volkswirtschaft wie Smith von Wirtschaftsstufen aus und folgte dabei der alten Dreistufentheorie, die er bis in die Neuzeit fortführte durch Anhängen der Agrikultur-Manufaktur- und der Agrikultur-Manufaktur-Handelsperiode. 1 Während aber Smith die stufenweise Entstehung gesellschaftlicher Widersprüche untersuchte und dabei zu noch heute bedeutenden Ergebnissen kam, blieb List bei formalen ökonomischen Prinzipien stehen. Seine Periodisierung ist daher heute durch die Ergebnisse der modernen Forschung überholt. Auch Roscher kam über die Aufstellung einfacher Wirtschaftsstufen nicht hinaus wenn er auch die Allgemeingültigkeit der Dreistufentheorie anzweifelte. 2 Sehr bekannt geworden ist das Schema Büchers, der die ganze Periode der Urgemeinschaftsordnung als Stufe der „individuellen Nahrungssuche" bezeichnete. 3 Diese Charakterisierung der urgeschichtlichen Ökonomie ist absurd. Wenn auch Bücher keineswegs das Gemeineigentum am Grund und Boden, 4 die kollektive Arbeit 5 und die gentile Hilfe 6 übersah, so hielt er dennoch auf Grund eines willkürlich gefaßten Wirtschaftsbegriffs an dieser Einschätzung fest. Er war deshalb nicht in der Lage, die Entwicklung der Wirtschaft in der Urgemeinschaft richtig zu beurteilen, zumal er bei seiner Periodisierung der Wirtschaftsgeschichte ebenfalls nur von formalen ökonomischen Prinzipien, nämlich den Wirtschafts- und Zirkulationseinheiten, ausging. Da er die Prinzipien moderner Wirtschaftsführung in der Periode der Urgemeinschaftsordnung nicht fand, bezeichnete er sie als ein „vorwirtschaftliches Entwicklungsstadium", 7 das er mit seinen Prinzipien nicht analysieren und dessen Entwicklung er damit nicht erklären konnte. E s bleibt noch die Frage offen, ob man evtl. heute mit verbesserten Forschungsmethoden auf der Grundlage von Wirtschaftsstufen zu einer wissenschaftlich haltbaren Periodisierung der Urgeschichte kommen könnte. F. List, Das nationale System der politischen Ökonomie, Berlin 1930 S. 49. W. Roscher, Grundlagen der Nationalökonomie, Bd. 2: Nationalökonomik des Ackerbaues und der verwandten Urproduktionen, Stuttgart 1860, S. 24, 48. 3 K. Bücher, Die Entstehung der Volkswirtschaft, 6. Aufl., Tübingen 1908, S. 27. 4 Ebenda, S. 46, 50. 5 Ebenda, S. 49, 50. 6 Ebenda, S. 56. ' Ebenda, S. 27. 1

2

Die kulturhistorische

Schule

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Mit dieser Frage hat sich von marxistischer Seite zuerst Rosa Luxemburg befaßt. In ihrer Polemik gegen Grosse und Bücher lehnte sie diese Möglichkeit entschieden ab, wobei sie mit Recht auf die verschiedenen sozialökonomischen Beziehungen hinwies, unter denen beispielsweise die Dorfgemeinschaften existieren konnten. 1 Wichtiger als die äußeren Formen der Produktion oder Zirkulation seien zu allen Zeiten die sozialen Beziehungen der Menschen gewesen, und von ihnen müsse man daher bei der Bestimmung der Entwicklungshöhe eines Volkes ausgehen, 2 eine Feststellung, der nichts hinzuzufügen ist.

9. D I E K U L T U R H I S T O R I S C H E

SCHULE

Um die Jahrhundertwende entstand eine neue Schule in der Ethnographie, die sog. kulturhistorische Schule. Ihre Vertreter fochten von Anfang an einen heftigen Kampf gegen die Evolutionisten. Da keine Schule so viele Änderungen ihres Systems erlebt hat wie diese, erscheint es angebracht, bei ihrer Behandlung chronologisch vorzugehen. Ihren Beginn nahm die kulturhistorische Schule mit den Arbeiten von Frobenius über den „Ursprung der afrikanischen Kulturen" (1898) und den „Kulturformen Ozeaniens" (1900). In diesen Arbeiten wurden die älteren Ratzeischen Formenkreise zu Kulturkreisen erweitert, in denen jeweils bestimmte Haustypen mit bestimmten Werkzeugformen, Masken- und Kleidungstypen usw. zusammen auftraten. Der nächste Schritt wurde dann von Ankermann und Graebner unternommen mit ihren Vorträgen über „Kulturkreise und Kulturschichten in Afrika" bzw. „Kulturkreise und Kulturschichten in Ozeanien" (1904). Das war die Geburtsstunde der kulturhistorischen Methode, denn mit diesen Vorträgen wurden nicht nur Kulturkreise konstruiert, sie wurden darüber hinaus noch in eine zeitliche Abfolge gebracht. Die endgültige Ausarbeitung der kulturhistorischen Methode erfolgte dann sehr rasch: 1909 unternahm Graebner den Versuch, die neue Methode aus ihrer bisherigen räumlichen Begrenzung auf Ozeanien und Afrika zu lösen, indem er zunächst einmal nur einen Kulturzusammenhang über die ganze Erde hin verfolgte, 3 und 1911 erfolgte dann die Veröffentlichung des Buches „Methode der Ethnologie" durch denselben Autor. Damit hatte sich zunächst einmal die neue Schule konstituiert, jedenfalls in der Gestalt ihrer ersten Entwicklungsetappe. Das Wesentliche dieser ganzen Lehre auf dieser Entwicklungsstufe bestand in der Annahme von einigen wenigen Kulturkreisen, die jeweils in einem bestimmten geographischen Raum entstanden sein und sich von dort aus über die ganze Erde verbreitet haben sollten. Ihre Existenz sollte durch zwei Hauptkriterien nachgewiesen werden: 1. durch das Qualitätskriterium, womit kulturelle Ähnlichkeiten und damit historische Beziehungen ermittelt werden sollten, und 2. durch das 1 2 3

R. Luxemburg, Einführung in die National-Ökonomie, Berlin 1925, S. 141. Ebenda, S. 109, 136. F . Graebner, Die melanesische Bogenkultur, in: Anthropos I V / 1 9 0 9 .

Die kulturhistorische

Schule

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Mit dieser Frage hat sich von marxistischer Seite zuerst Rosa Luxemburg befaßt. In ihrer Polemik gegen Grosse und Bücher lehnte sie diese Möglichkeit entschieden ab, wobei sie mit Recht auf die verschiedenen sozialökonomischen Beziehungen hinwies, unter denen beispielsweise die Dorfgemeinschaften existieren konnten. 1 Wichtiger als die äußeren Formen der Produktion oder Zirkulation seien zu allen Zeiten die sozialen Beziehungen der Menschen gewesen, und von ihnen müsse man daher bei der Bestimmung der Entwicklungshöhe eines Volkes ausgehen, 2 eine Feststellung, der nichts hinzuzufügen ist.

9. D I E K U L T U R H I S T O R I S C H E

SCHULE

Um die Jahrhundertwende entstand eine neue Schule in der Ethnographie, die sog. kulturhistorische Schule. Ihre Vertreter fochten von Anfang an einen heftigen Kampf gegen die Evolutionisten. Da keine Schule so viele Änderungen ihres Systems erlebt hat wie diese, erscheint es angebracht, bei ihrer Behandlung chronologisch vorzugehen. Ihren Beginn nahm die kulturhistorische Schule mit den Arbeiten von Frobenius über den „Ursprung der afrikanischen Kulturen" (1898) und den „Kulturformen Ozeaniens" (1900). In diesen Arbeiten wurden die älteren Ratzeischen Formenkreise zu Kulturkreisen erweitert, in denen jeweils bestimmte Haustypen mit bestimmten Werkzeugformen, Masken- und Kleidungstypen usw. zusammen auftraten. Der nächste Schritt wurde dann von Ankermann und Graebner unternommen mit ihren Vorträgen über „Kulturkreise und Kulturschichten in Afrika" bzw. „Kulturkreise und Kulturschichten in Ozeanien" (1904). Das war die Geburtsstunde der kulturhistorischen Methode, denn mit diesen Vorträgen wurden nicht nur Kulturkreise konstruiert, sie wurden darüber hinaus noch in eine zeitliche Abfolge gebracht. Die endgültige Ausarbeitung der kulturhistorischen Methode erfolgte dann sehr rasch: 1909 unternahm Graebner den Versuch, die neue Methode aus ihrer bisherigen räumlichen Begrenzung auf Ozeanien und Afrika zu lösen, indem er zunächst einmal nur einen Kulturzusammenhang über die ganze Erde hin verfolgte, 3 und 1911 erfolgte dann die Veröffentlichung des Buches „Methode der Ethnologie" durch denselben Autor. Damit hatte sich zunächst einmal die neue Schule konstituiert, jedenfalls in der Gestalt ihrer ersten Entwicklungsetappe. Das Wesentliche dieser ganzen Lehre auf dieser Entwicklungsstufe bestand in der Annahme von einigen wenigen Kulturkreisen, die jeweils in einem bestimmten geographischen Raum entstanden sein und sich von dort aus über die ganze Erde verbreitet haben sollten. Ihre Existenz sollte durch zwei Hauptkriterien nachgewiesen werden: 1. durch das Qualitätskriterium, womit kulturelle Ähnlichkeiten und damit historische Beziehungen ermittelt werden sollten, und 2. durch das 1 2 3

R. Luxemburg, Einführung in die National-Ökonomie, Berlin 1925, S. 141. Ebenda, S. 109, 136. F . Graebner, Die melanesische Bogenkultur, in: Anthropos I V / 1 9 0 9 .

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Quantitätskriterium, mit dessen Hilfe die Entsprechungen zwischen ganz bestimmten Formen der verschiedenen Kulturelemente und deren Verbreitungsgebieten festgestellt wurden. Die Methode dieser Schule könnte man also als typologisch-geographisch-statistisch bezeichnen. Dabei spielte die Frage nach den Ursachen, die zur Entstehung der einzelnen Kulturkreise geführt haben, keine Rolle. Im Gegenteil: Das Zusammentreffen der einzelnen zu einem Kulturkreis gehörenden Elemente sollte ganz zufällig sein. Im Vordergrund standen die Fragen nach den zu einem Kulturkreis gehörenden Elementen, nach der Migration dieser Elemente und der zeitlichen Abfolge der Kulturkreise. Die Erklärung für diese Beschränkung auf Fragen von zweitrangigem Interesse findet sich in den allgemeinen Geschichtsauffassungen dieser Schule, deren philosophische Grundlage der Neukantianismus war. Hatte der Evolutionismus die Gesetzmäßigkeit aller Erscheinungen betont, so leugnete demgegenüber der Neukantianismus für das Gebiet der historischen Wissenschaften jede Gesetzmäßigkeit und wies ihnen gegenüber den Naturwissenschaften eine Sonderstellung zu. Die Entstehung dieser neuen Geschichtsphilosophie erklärt sich aus der allgemeinen Situation der bürgerlichen Gesellschaft am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Erwuchs der Evolutionismus aus dem aufstrebenden Bürgertum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und konnte er noch als Perspektive eine stete Weiterentwicklung der Gesellschaft proklamieren, so zeigte sich am Ende des gleichen Jahrhunderts bereits die Krisenhaftigkeit der bürgerlichen Gesellschaft. Die stets furchtbareren Krisen schufen ein Gefühl der Existenzunsicherheit, das noch durch den immer heftigeren und bewußteren Kampf des Proletariats gegen die bürgerliche Ordnung verstärkt wurde. Die evolutionistische These von der fortschreitenden Entwicklung hätte jetzt bedeutet, die Existenz der bürgerlichen Gesellschaft für die weitere Zukunft anzuzweifeln. Deshalb also flüchtete sich die bürgerliche Philosophie in den Agnostizismus und leugnete nicht nur die Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern zweifelte überhaupt an der Möglichkeit, die „Dinge an sich" erkennen zu können. 1 Dieser Verzicht auf die Erforschung einer historischen Gesetzmäßigkeit führte zwangsläufig zu einer Überbetonung zweit- und drittrangiger Fragen, wie das beispielsweise bereits in der Aufgabenstellung zum Ausdruck kommt, die Graebner der Ethnologie zuwies: „So bleibt denn als erstes und Grundproblem der Ethnologie wie der ganzen Kulturgeschichte die Herausarbeitung der Kulturbeziehungen." 2 Dieser Verzicht auf die Erforschung der historischen Gesetzmäßigkeit führte dazu, daß eines dieser zweitrangigen Probleme zum theoretischen Fundament der ganzen Schule erhoben wurde, und zwar die Frage der Wanderung von Kulturelementen. 1 Vgl. hierzu z. B. : P. W . Schmidt, Handbuch der Methode der kulturhistorischen Ethnologie, Münster 1937, S. 7, 16, 134; Diskussionsbeiträge von Koppers und Leser auf der Tagung der Gesellschaft für Völkerkunde im Jahre 1929, in: Tagungsberichte der Gesellschaft für Völkerkunde (1929), Leipzig 1930, S. 38, 40. 2 F. Graebner, Methode der Enthnologie, Heidelberg 1911, S. 107.

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F ü r die E v o l u t i o n i s t e n w a r dies kein besonderes P r o b l e m . I h r e T h e s e v o n d e m gleichförmig v e r l a u f e n d e n F o r t s c h r i t t auf G r u n d der Gleichförmigkeit des m e n s c h lichen D e n k e n s e r k l ä r t e m i t Leichtigkeit alle v o r h a n d e n e n k u l t u r e l l e n Ähnlichk e i t e n . F ü r sie w a r e n n u r die E n t w i c k l u n g u n d die Reihenfolge i n n e r h a l b der verschiedenen E n t w i c k l u n g s r e i h e n F r a g e n v o n wissenschaftlicher B e d e u t u n g . W e n n d e m g e g e n ü b e r ein M a n n wie R a t z e l a u f t r a t u n d f o r d e r t e , z u e r s t eine L e h r e v o n d e r geographischen V e r b r e i t u n g in der E t h n o g r a p h i e zu schaffen, ehe die L e h r e v o n d e r E n t w i c k l u n g in Angriff g e n o m m e n w i r d , 1 d a n n lag d a r i n eine historische B e r e c h t i g u n g . Die E v o l u t i o n i s t e n h a t t e n in i h r e m Eifer, i m m e r u n d überall d e n F o r t s c h r i t t nachzuweisen, die F o r s c h u n g n a c h den historischen B e z i e h u n g e n zwischen d e n Völkern a u ß e r a c h t gelassen. Mit seiner F o r d e r u n g n a c h F e s t s t e l l u n g d e r geographischen V e r b r e i t u n g der K u l t u r g ü t e r wollte R a t z e l g e r a d e diese historischen Beziehungen aufhellen.2 Insoweit k a n n m a n also R a t z e l v o l l k o m m e n z u s t i m m e n , insofern leiteten seine F o r d e r u n g e n eine n o t w e n d i g e N e u o r i e n t i e r u n g in d e r W i s s e n s c h a f t ein. R a t z e l blieb j e d o c h n i c h t d a b e i s t e h e n . E r fiel gegenüber d e n E v o l u t i o n i s t e n , die v o n der T h e o r i e d e r selbständigen p o l y z e n t r i s c h e n E n t s t e h u n g ausgingen, in d a s a n d e r e E x t r e m u n d schuf die Migrationstheorie bzw. ü b e r t r u g diese Theorie a u s d e n N a t u r w i s s e n s c h a f t e n auf die Gesellschaftswissenschaften u n d b e h a u p t e t e die v o r r a n g i g e Bed e u t u n g der W a n d e r u n g e n vor den E r f i n d u n g e n . Diese Theorie, die sicherlich n i c h t die progressive Seite im S c h a f f e n R a t z e l s d a r stellt, z u m a l sie v o n der V o r a u s s e t z u n g der „ E n g e u n d A r m u t des m e n s c h l i c h e n B e w u ß t s e i n s " ausging, griffen die B e g r ü n d e r d e r k u l t u r h i s t o r i s c h e n Schule auf u n d m a c h t e n sie z u r G r u n d l a g e ihres g e s a m t e n S y s t e m s . Von dieser T h e o r i e sind sie a u c h in n e u e s t e r Zeit n i c h t a b g e g a n g e n . Noch in seiner letzten A r b e i t e r k l ä r t e P a t e r W . S c h m i d t a u s d r ü c k l i c h : Da die Beweise f ü r die „ ä u ß e r e E n t w i c k l u n g " (d. h. die W a n d e r u n g e n v o n K u l t u r e l e m e n t e n ) leichter zu f ü h r e n sind als f ü r die „ i n n e r e E n t w i c k l u n g " (d. h. die a u t o c h t h o n e E n t s t e h u n g ) , m u ß ,,. . . m e t h o d i s c h v o n diesen letzteren ausgegangen w e r d e n . . . " 3 E s soll n i c h t b e s t r i t t e n w e r d e n , d a ß es W a n d e r u n g e n v o n K u l t u r g ü t e r n gegeben h a t . Die Geschichtswissenschaft wird sich m i t diesen W a n d e r u n g e n befassen m ü s s e n . E s b e d e u t e t j e d o c h n u r , eine W i l l k ü r d u r c h eine a n d e r e F o r m der W i l l k ü r zu ersetzen, w e n n m a n die Theorie v o n der a u t o c h t h o n e n E n t s t e h u n g d u r c h die Migrat i o n s t h e o r i e e r s e t z t . Die F r a g e , ob W a n d e r u n g o d e r a u t o c h t h o n e E n t s t e h u n g , w i r d jeweils i m m e r n e u f ü r den b e t r e f f e n d e n Einzelfall gelöst w e r d e n m ü s s e n . Die Migrationstheorie u n d die L e h r e v o n der geographischen V e r b r e i t u n g d e r K u l t u r e l e m e n t e f ü h r t e n d a n n , wie schon eingangs e r w ä h n t , stufenweise zur E n t s t e h u n g der K u l t u r k r e i s m e t h o d e . B e g o n n e n w u r d e m i t der A u f s t e l l u n g einzelner 1

F. Ratzel, Anthropogeographie, 2 Bände, Bd. II, Stuttgart 1922, S. 460. Ebenda, S. 388ff. 3 P. W. Schmidt, Die Urkulturen; Altere Jagd- und Sammelstufe, in: Historia Mundi Bd. I, Bern 1952, S. 384. Beinahe dasselbe hatte der gleiche Autor im „Handbuch der Methode der kulturhistorischen Ethnologie", S. 11 geschrieben. 2

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Kulturkreise, die dann in eine historische Abfolge gebracht wurden, d. h. die Methode bestand darin, aus dem räumlichen Nebeneinander ein zeitliches Nacheinander zu m a c h e n . 1 Der A u s g a n g s p u n k t war also der Kulturkreis. Die Bezeichnungen dieser Kulturkreise und auch ihre Abgrenzungen haben verschiedentlich gewechselt. 2 Diese Um- und Abänderungen können hier übergangen werden. Gemeinsam war allen diesen Kulturkreisaufstellungen die A u f f a s s u n g von einer starren, unveränderlichen E x i s t e n z der zu einem Kulturkreis gehörenden Elemente. Die einzelnen Kulturelemente konnten zwar wandern und sich miteinander vermischen, sie blieben aber ihrem Wesen nach immer Bestandteile ein und desselben Kulturkreises. Durch diese Wanderungen konnten höchstens „ g e m i s c h t e " Kulturen entstehen, die sich aus den „ E l e m e n t e n " verschiedener Kulturkreise zusammensetzten. Diese A u f f a s s u n g der „historischen" R i c h t u n g der E t h n o g r a p h i e war zutiefst unhistorisch. Sie betrachtete die zurückgebliebenen Völker als „stehen gebliebene Zeugen ältester E n t w i c k l u n g s p h a s e n " , 3 deren Sitten und Gebräuche, Anschauungen und Meinungen als Seiten, auf denen „ d i e Geschichte sich eingeschrieben h a t " , angesehen wurden, so daß es jetzt nur darauf a n k o m m e , ,,. . . die richtige Reihenfolge der Seiten festzustellen, u m aus dem sich so ergebenden B u c h e die Geschichte dieser ältesten, mittleren und jüngeren Völker in der Aufeinanderfolge ihrer Kulturen herunterlesen zu k ö n n e n . " 4 D a m i t war klar gesagt, daß die P. W. Schmidt, Handbuch der Methode, S. 12, 13. Die erste Benennung der Kulturkreise stammte von Graebner. Er hatte dabei kein einheitliches Prinzip verfolgt. Er verwendete Bezeichnungen, die teils der materiellen Kultur (Bumerangkultur, Bogenkultur), teils aus der sozialen Organisation (mutterrechtliche Zweiklassenkultur, totemistische Kultur) stammten und zum Teil auf ethnographisch-geographische Begriffe zurückgingen (polynesische Kultur, ost- und westpapuanische Kultur). Für Graebner war also offenkundig die Benennung der Kulturkreise eine Fräge von untergeordneter Bedeutung; sie war genauso zufällig wie nach seiner Auffassung die Existenz der Kulturkreise überhaupt. Schmidt und Koppers haben später, nachdem sie zu den 6 Graebner'schen Kulturkreisen noch einen siebenten hinzugefügt hatten, auch die Benennung der Kulturkreise geändert. Sie gingen dabei von einem einheitlichen Prinzip aus, nämlich von der sozialen Stellung von Mann und Frau sowie dem Vorhandensein bzw. der Abwesenheit der Exogamie. Damit sollte jedoch keineswegs ein urgeschichtliches Entwicklungs- bzw. Periodisierungsprinzip zum Ausdruck gebracht werden. Schmidt und Koppers waren genau wie Graebner der Meinung, die Kulturkreise seien einmalige, zufällige Erscheinungen. Sie waren aber der Ansicht, mit ihrer prinzipiell einheitlichen Benennung der Kulturkreise eine „durchgreifende und damit sowohl praktisch brauchbare als auch theoretisch zutreffende Einteilung" getroffen zu haben (Schmidt-Koppers, Völker und Kulturen, Regensburg 1924, S. 77). Dieser Einschätzung kann man allerdings nicht folgen. Denn wenn man sich — um nur ein Beispiel anzuführen — die nach Schmidt und Koppers zum frei-vaterrechtlichen Kulturkreis gehörenden Polynesier ansieht, so findet man beispielsweise auf Mangaia exogame Stämme und auf Pukapuka sogar matrilineare, exogame Gentes, obgleich die Bewohner der genannten Inseln Träger polynesischer Kultur sind. Die von Schmidt und Koppers gewählten Prinzipien waren also nicht geeignet zur Charakterisierung der von ihnen aufgestellten Kulturkreise, und sie waren erst recht nicht geeignet zur Unterscheidung der Entwicklungshöhe der verschiedenen Völker. 3 P. W. Schmidt, Handbuch der Methode, S. 12, 13. 4 Ders., Die Urkulturen, S. 375. 1

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zurückgebliebenen Völker als lebende Versteinerungen urgeschichtlicher Zustände betrachtet wurden. Diese Völker hatten also nach Ansicht der Vertreter dieser Schule keine Entwicklung und keine Geschichte mehr seit dem Zeitpunkt, wo sie in einen oder mehrere Kulturkreise einbezogen wurden. Auch die Kulturkreise blieben sich immer gleich. Durch ihre gegenseitige Vermischung entstand nichts grundsätzlich Neues. Der Geschichtsprozeß bestand also nach Auffassung dieser Schule nur in zweierlei: In Neuentstehungen, die selten und immer unerklärlich waren, und in Wanderungen, die man auf Grund bestimmter Kriterien rekonstruieren konnte. Ein weiteres allgemeines Kennzeichen aller aufgestellten Kulturkreise war die willkürliche Art und Weise, in der die verschiedensten heterogenen „ E l e m e n t e " zu einem Kulturkreis zusammengefügt wurden. Zwar betonte Pater W . Schmidt ausdrücklich, die einzelnen Elemente eines Kulturkreises gehörten „organisch" zusammen. Gleich danach aber sagte er, „logisch" wären sie nicht miteinander verbunden; „. . . denn in diesem Falle wäre kein Quantitätskriterium vorhanden, das j a eine Mehrheit voneinander unabhängiger Elemente voraussetzt." 1 Damit hatte einer der Hauptvertreter der kulturhistorischen Schule den größten Mangel in der Methode dieser Schule aufgedeckt. Das Quantitätskriterium, d. h. das geographisch-statistische Mittel zur Feststellung der Entsprechungen zwischen den Verbreitungsgebieten der verschiedensten Kulturformen, wurde nur deshalb als methodisches Hilfsmittel notwendig, weil diese Schule nicht von den Zusammenhängen innerhalb einer Kultur ausging, sondern von der These des historisch-zufälligen Zusammentreffens der einzelnen Kulturelemente. Mit Hilfe des Quantitätskriteriums wurden die aus ihrem Zusammenhang gerissenen Kulturelemente wieder künstlich zu neuen Kulturen, eben zu den Kulturkreisen, zusammengefügt. Die seinerzeit aufgestellten Kulturkreise haben dann auch tatsächlich der wissenschaftlichen Kritik nicht standhalten hönnen, weil sie nur in den wenigsten Fällen (wie z. B . in den von Graebner aufgestellten Kulturkreisen der Eskimo- und polynesischen Kultur) der Realität entsprachen. Bereits in ihrer ersten Entwicklungsetappe wies die kulturhistorische Schule keinen einheitlichen Charakter auf. Der Begründer dieser Schule, Fritz Graebner, repräsentierte gleichsam ihren weltlichen Zweig, während Schmidt und Koppers die Repräsentanten des konfessionell-katholischen Zweiges darstellten. Während es dem Neukantianer Graebner nur darauf ankam, Kulturkreise und ihr zeitliches Nacheinander sowie die Ausbreitungswege der Kulturelemente festzustellen, verfolgten Schmidt und Koppers noch einige weitere Ziele. Ihre Gesichtsphilosophie war kein einfacher Neukantianismus, sondern ein konfessionell bestimmter geschiehtsphilosophischer Agnostizismus. Die Leugnung der historischen Gesetzmäßigkeit war die Folge ihres Kampfes gegen den Materialismus. Nur wenn die Ursachen historischer Entwicklung unbekannt waren, blieb Raum für übersinnliche Erklärungen im Sinne des biblischen Dogmas. 1

Ders., Handbuch der Methode, S. 168f.

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Dabei kam es den Vertretern dieser Richtung vor allem auf den „Nachweis" des Urmonotheismus, des Ureigentums, der Urmonogamie und des Urstaates in der Form der Urfamilie an. Das alles sollten gottgewollte und durch Gott geschaffene Einrichtungen sein, sollten also als Relikte des göttlichen Schöpfungsaktes noch bei den zurückgebliebensten Völkern der Erde auffindbar sein. Mit diesen durch das biblische Dogma gegebenen Prämissen war gleichzeitig eine geschichtsphilosophische Konsequenz verbunden, die praktisch eine Wiederbelebung der alten Degenerationstheorie bedeutete. 1 Während aber die Romantiker mit ihrer Degenerationstheorie die rezenten, zurückgebliebenen Völker als Ergebnis einer Rückentwicklung von einem einstigen höheren Entwicklungsniveau ansahen, konnten dies ihre späteren Nachfahren nicht mehr aufrechterhalten. Die Entwicklung der materiellen Kultur vom Niederen zum Höheren war im 20. Jahrhundert durch die Arbeitsergebnisse von Archäologie und Ethnographie nicht mehr anzuzweifeln. Deshalb gaben Schmidt und Koppers zwar zu, der Mensch habe auf dem Gebiete der materiellen Kultur mit ganz einfachen, „rohen" Formen beginnen müssen; 2 das aber sollte nichts besagen über seine geistigen und moralischen Fähigkeiten. Gerade in moralischer Beziehung sollte der Urmensch dem heutigen Menschen absolut überlegen gewesen sein, und diese moralische Überlegenheit sollten auch noch die heutigen zurückgebliebenen Völker aufweisen. Denn ,,. . . ihre Seele ist . . . freier und offener und kommt ungehindert den Einwirkungen der e i n e n großen Macht des Schöpfers entgegen. Zu dieser Entgegennahme sind sie aber auch positiv mehr disponiert als spätere Menschen." 3 Nach Schmidt und Koppers unterlag also der Geschichtsprozeß zwei widerstreitenden Tendenzen: Einem Fortschritt vom Niederen zum Höheren (materielle Seite der Kultur) und einer Degeneration vom Höheren zum Niederen (moralische Eigenschaften des Menschen). Von dieser Position aus, die noch dazu gepaart war mit einer generellen Leugnung der Erkennbarkeit historischer Gesetzmäßigkeiten, war selbstverständlich keine Periodisierung der Urgeschichte möglich. Die kulturhistorische Schule blieb jedoch in dieser ihrer ersten Form nicht bestehen. Nach dem Tode von P. W. Schmidt setzte eine Neuorientierung vor allem der in Wien beheimateten Gruppe ein. Diese Neuorientierung wurde erzwungen durch die massive wissenschaftliche Kritik am Kulturkreisschema. Die Kulturkreise waren immer unhaltbarer geworden. Die Anhänger dieser Schule sehen schon seit langem die Gefahr, die sich aus der Zerstörung des Kulturkreisschemas als dem Fundament ihrer Schule ergeben würde. Um dieses Lehrgebäude zu retten, erfand bereits Pater W. Schmidt die These von dem Kulturkreis „in der Seinsordnung",, der von dem Kulturkreis als „Mittel und Ziel der Forschung" unterschieden werden müsse. 4 Mit dieser Unterscheidung sollte die Fehlerhaftigkeit der aufgestellten 1 Kein Wunder also, w e n n die kulturhistorische Schule um Schmidt und Koppers die Romantik sehr hoch einschätzte und , , . . . letzten Endes in derselben ihre Mutter verehrte' 1 (W. Koppers, Der Anfänge des menschlichen Gemeinschaftslebens im Spiegel der neuern Völkerkunde, München-Gladbach 1921, S. 33). 2 3 W. Schmidt, Handbuch der Methode, S. 10. Ders., Urkulturen, S. 469. 4 Ders., Handbuch der Methode, S. 164; ders., Die Urkulturen, S. 386.

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Kulturkreise als eine Art Wachstumsschwierigkeit erklärt werden, die aber in Zukunft überwunden werden würde. Außerdem sollte davon der Kulturkreis „in der Seinsordnung" völlig unberührt bleiben. Der Sinn dieser Unterscheidung war also die Rettung der Kulturkreise als Fundament des Lehrgebäudes, wenn auch nur in ihrer imaginären Gestalt als Kulturkreise „in der Seinsordnung". Inzwischen ist auch die kulturhistorische Schule nicht umhin gekommen, das endgültige Fiasko der Kulturkreise öffentlich einzugestehen. Im Jahre 1952 veröffentlichte Koppers einen Artikel unter der Überschrift: „Der historische Gedanke in Ethnologie und Prähistorie". Darin sprach er deutlich und unmißverständlich das aus, was er 1931 in einem Anthropos-Artikel nur gewagt hatte, zaghaft anzudeuten: Die Kulturkreise befinden sich in einer Krisis, entsprechen zum größten Teil nicht der Realität, sind also nicht mehr aufrechtzuerhalten. Damit riß Koppers das ohnehin morsche Gebäude des Kulturkreisschemas endgültig ein. Aber genau wie Schmidt vor ihm, so wollte auch Koppers mit diesem Widerruf keineswegs die kulturhistorische Methode antasten. Er sagte ausdrücklich: „Das bedeutet nun keineswegs eine Krisis der historischen Methode." 1 Wenn sich auch Koppers in seinem genannten Artikel nicht ganz klar ausdrückte, so deutete er aber doch an, als ob auch er lediglich den „Kulturkreis als Mittel und Ziel der Forschung", nicht aber den „Kulturkreis in der Seinsordnung" anzweifeln wollte. E r bestimmte das Ziel der Forschung dahingehend, die Unterlagen für die Zuordnung der einzelnen Kulturelemente zu bestimmten Kulturkomplexen bzw. Kulturkreisen zu gewinnen. 2 Koppers hob also die Kulturkreise auf, wollte aber die Methode als Ganzes retten. Dieser Versuch war von vornherein verfehlt und führte in ein auswegloses Dilemma: Auf der einen Seite ließ sich die Krisis bzw. Verfehltheit der Kulturkreise nicht leugnen; auf der anderen Seite aber sollte eine Methode gerettet werden, die sich gerade erst als nicht geeignet zur Erfassung der Wirklichkeit erwiesen hatte. Man kann die Fehler nicht nur in den Unzulänglichkeiten der Forscher suchen, die es angeblich nur nicht verstanden haben sollten, mit einer an sich richtigen Methode auch richtig umzugehen. Auch Koppers selbst sah sich gezwungen, zunächst auf die Anwendung der Kulturkreismethode zu verzichten. E r wollte sich mit dem Zeichnen von Verbreitungskarten begnügen, d. h. er wollte wieder dort beginnen, wo Ratzel aufgehört hatte. An einem theoretischen Prinzip jedoch hielt Koppers entschieden fest: an der Migrationstheorie. Er wollte sie in voller Bedeutung hinüberretten in die neue Phase der kulturhistorischen Schule. Auch die Migrationstheorie ging bekanntlich auf Ratzel zurück. Die ganze Entwicklung der kulturhistorischen Schule nach Ratzel wurde damit von Koppers als verfehlt bezeichnet. Vier Jahre nach Koppers hat nochmals ein Vertreter der kulturhistorischen Schule zu Grundsatzfragen Stellung genommen, und zwar Haekel, der nach Demissionierung von Koppers als Oberhaupt des Wiener Kreises anzusehen ist. Auffallend ist, daß sich Haekel zufolge die Schule nunmehr auch anders bezeichnet. Sie nennt 1 W . Koppers, Der historische Gedanke in Ethnologie und Prähistorie, in: Kultur und Sprache, Wien 1952, S. 27. 2 Ebenda, S. 62.

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sich j e t z t „ W i e n e r Schule der Völkerkunde", vermeidet also die Bezeichnung „kulturhistorisch". Haekel ging noch einen Schritt weiter als vor ihm Koppers. E r bezeichnete d e n Kulturkreisbegrifl als unhaltbares methodisches Forschungsprinzip u n d ließ a u c h nicht den leisesten Zweifel daran, daß er sowohl den Kulturkreis als Mittel u n d Ziel der Forschung als auch den Kulturkreis in der Seinsordnung ablehnt. Mit der endgültigen Lossagung v o m Kulturkreisprinzip war bei Haekel auch eine E i n s c h r ä n k u n g der Migrationstheorie v e r b u n d e n . Das Kulturkreisschema k a n n t e bekanntlich in seiner letzten F o r m lediglich sieben Kulturkreise. Alle K u l t u r elemente m u ß t e n demzufolge in irgendeiner Weise jeweils auf einen dieser sieben Kulturkreise z u r ü c k g e f ü h r t werden. Diese Notwendigkeit f ü h r t e z. B. S c h m i d t zu d e r Annahme, P y g m ä e n u n d Negritos m ü ß t e n einem einheitlichen Kulturkreis angehören. Solche Auffassungen lehnte Haekel ab. E r hielt es f ü r unmöglich, alle Kulturerscheinungen ähnlicher Art jeweils auf ein einziges E n t s t e h u n g s z e n t r u m z u r ü c k z u f ü h r e n . 1 E r gab zwar die Migrationstheorie nicht endgültig auf, s c h r ä n k t e aber ihre Gültigkeit auf den engeren Bereich der lokalen Kulturbeziehungen ein. Nicht weltweite Beziehungen wollte er mit Hilfe dieser Theorie ergründen, sondern lediglich lokale Kulturbeziehungen. Praktisch n a h m Haekel d a m i t der Migratioustheorie ihre Allgemeingültigkeit. Man m u ß sich fragen, welche Prinzipien der älteren Phase dieser Schule noch ihre Gültigkeit behalten haben. An erster Stelle wäre zu nennen der Formenvergleich, wie er bereits von Ratzel ausgearbeitet worden war. Man will jedoch nicht n u r einzelne Formenkreise untersuchen, sondern will aus der K u l t u r k r e i s m e t h o d e neben d e m Qualitäts- auch noch das Q u a n t i t ä t s k r i t e r i u m beibehalten. 2 Das bedeutet, d a ß m a n ganze K u l t u r k o m p l e x e herausarbeiten will, u n d zwar in ihrer Beziehung zu b e n a c h b a r t e n K u l t u r e n . Als Ziel der Forschung bezeichnete Haekel aber n i c h t d e n Kulturkreis, sondern lediglich die Kulturbeziehung. W e n n er die „heutige Forschungssituation" als wenig geeignet f ü r „ w e l t u m s p a n n e n d e S y n t h e s e n " bezeichn e t e , 3 d a n n war d a m i t eine Ablehnung des weltumspannenden Kulturkreisschemas gemeint. Haekel stellte sich bescheidenere Ziele als ehedem Schmidt u n d K o p p e r s : E r begnügte sich m i t der Erforschung ziemlich eng begrenzter lokaler Kulturbeziehungen. Eine Sonderstellung wies Haekel der Erforschung der Gesellschaft zu. Die ältere Schule h a t t e auch die Art der sozialen Beziehungen m i t als Charakteristikum in die Kulturkreise einbezogen. N a c h der W i d e r r u f u n g der Kulturkreise war das nicht m e h r möglich. Schon bei Ratzel h a t t e es sich gezeigt, wie unzugänglich die sozialen Beziehungen dem Prinzip des Formenvergleiches waren. Ratzel h a t t e sie deshalb a u ß e r h a l b der B e t r a c h t u n g e n gelassen u n d h a t t e sich s t a t t dessen im wesentlichen auf den Formenvergleich an Gegenständen der materiellen K u l t u r beschränkt. F ü r die Wiener Schule blieb u n t e r den gegebenen U m s t ä n d e n nichts weiter übrig, als das S t u d i u m der sozialen Beziehungen zu einem Sondergebiet zu machen. Ziel d e r Forschungen soll die „ E r f a s s u n g der soziologischen Regelmäßigkeiten" sein. 4 1

J. Haekel, Z u m heutigen Forschungsstand der historischen E t h n o l o g i e , in: D i e Wiener Schule der Völkerkunde, Festschrift, Wien 1956, S. 21, 23. 2 3 4 Ebenda, S. 25. Ebenda, S. 2 6 f . Ebenda, S. 30.

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Diese Zielsetzung ist aber eine völlig andere wie die vorher behandelte. Die Aufgabenstellung der Ethnographie ist also nach der Neuorientierung dieser Schule nicht mehr einheitlich. Aber nicht nur das, auch die Methode ist nicht mehr einheitlich, streng genommen ist eigentlich gar keine Methode mehr vorhanden, so daß man sagen muß, die „Wiener Schule" hat kein ethnographisch-methodisches Spezifikum mehr. Den Formenvergleich kann man nicht als wissenschaftliche Methode bezeichnen. Er ist eine Arbeitsweise, die technische Seite der wissenschaftlichen Arbeit. Der Formenvergleich ist außerdem nicht nur spezifisch für die Wiener Schule. E r muß angewendet werden, sofern historische Beziehungen auf der Grundlage ethnographischer Materialien erschlossen werden sollen. Den methodischen Teil der älteren kulturhistorischen Schule (Kulturkreise) hatten Haekel und in gewisser Beziehung auch Koppers zertrümmert. Was von der alten Konzeption noch übrig blieb, war der Positivismus bzw. der Neukantianismus. Wenn die Wiener Schule sagt, sie wolle historisch arbeiten, dann meint sie, sie will lokalhistorische Vorgänge klären. In bezug auf die Universalgeschichte hat sie nach Zertrümmerung des weltumfassenden Kulturkreissystems nur ganz allgemeine Vorstellungen. Sie sieht, daß am Anfang der Entwicklung Sammler- und Jägerstämme gestanden haben, aus denen sich auf höherer Entwicklungsstufe die entwickelteren Kulturen der Taigajäger unter Verwendung von Schneeschuhen und Hundegespannen herausbildeten. Sie sieht weiterhin, daß die Entstehung von Bodenbau und Viehzucht das Produkt neolithischer Kulturen war und daß der Ackerbau unter Verwendung von Zugvieh und Pflug und evtl. einer Arbeitsteilung zwischen Bodenbau und Handwerk eine noch spätere Entwicklungsstufe repräsentiert. Aber diese Einsichten sind nicht das Verdienst der Wiener Schule. Die Anfänge dieser Auffassungen fanden sich bereits im klassischen Altertum, in der Aufklärung waren sie weit verbreitet, und für die Evolutionisten waren sie eine Selbstverständlichkeit. Diese Erkenntnisse sind ganz allgemeiner Art und heute allgemein bekannt. Im übrigen ist für die Wiener Schule Geschichte gleichbedeutend mit Ereignisgeschichte. Begrifflich unterscheidet sie zwischen Universalgeschichte und Kulturgeschichte. Unter Universalgeschichte versteht sie die politische Ereignisgeschichte, die der Historiker auf Grund seines Quellenstudiums untersuchen muß. Kulturgeschichte dagegen beruht nach ihrer Auffassung auf dem Studium schriftloser Quellen und damit auf dem Kulturvergleich. Nur in großen Zügen sei auf dieser Grundlage eine Rekonstruktion der Geschichte möglich. Kulturgeschichtliche Studien müßten vom Zuständlichen ausgehen, um daraus eine ältere historische Bewegung abzuleiten. Kulturgeschichte sei also Studium historischer Ereignisse auf mittelbare Art. 1 Der Begriff der Universalgeschichte wird von der Wiener Schule nicht im Sinne von allgemeiner historischer Gesetzmäßigkeit gebraucht, sondern im Sinne von „jede Einzelheit einschließend", ist also ein quantitativer Begriff. Eine wirkliche Universalgeschichte kann man daher nach Meinung dieser Schule niemals schreiben, 1

5

W. Koppers, Der historische Gedanke, S. 39 f.

Sellnow, U r g e s c h i c h t e

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da man niemals alle konkreten Ereignisse kennen könne, vor allem nicht für die älteren Perioden menschlicher Kulturentwicklung. Wenn vorher festgestellt wurde, von der Wiener Schule sei in methodischer Hinsicht nicht Spezifisches aus der älteren Kulturkreislehre übernommen worden, dann liegt es nahe sich zu fragen, inwieweit die alten konfessionellen Bindungen noch erhalten geblieben sind. Auch in dieser Beziehung ist ein gewisser Wandel zu verzeichnen. Zwar distanziert sich die neue Richtung keineswegs prinzipiell von der älteren Auffassung, aber sie propagiert auch nicht mehr so direkt die biblischen Dogmen als wissenschaftliche Tatsachen. Es scheint demnach, als bestehe die Absicht, in Zukunft mehr von den Tatsachen als von den Glaubenssätzen der Bibel auszugehen. Man muß jedoch abwarten und an den Einzelarbeiten nachprüfen, inwieweit diese Vermutung stimmt. In dem letzten Artikel von Haekel ist ein gewisses Abrücken von der urmonotheistischen These der älteren kulturhistorischen Schule zu verspüren. Man spricht nicht mehr vom Urmonotheismus, man spricht auch nicht mehr vom Eingottglauben auf frühester Entwicklungsstufe. Im Gegensatz zu Koppers, der an den Thesen der kulturhistorischen Schule über die religiösen Vorstellungen auf frühester Entwicklungsstufe noch weiter festhalten wollte, 1 spricht Haekel etwas vorsichtiger nur von dem Glauben an ein höchstes Wesen. Das ist, wie gesagt, noch kein prinzipieller Bruch mit den älteren Auffassungen, aber doch ein gewisses Abrücken davon. Unverändert beibehalten wurden jedoch die Auffassungen über Familie und Eigentum. Man ist nach wie vor der Meinung, von Anfang an habe das individuelle Eigentum eine überragende Bedeutung für die Gesellschaft besessen und von Anfang an habe die Einzelfamilie bestanden. 2 Aber das ist keineswegs nur für die Wiener Schule spezifisch. Andere bürgerliche Schule halten an den gleichen Prämissen fest. Im übrigen versucht die Wiener Schule, mit anderen bürgerlichen Schulen der Ethnographie zu verschmelzen. Von der Übernahme der soziologischen Methode durch diese Schule war bereits die Rede. Daneben wird aber auch die psychologische Schule anerkannt und die Nützlichkeit ihrer Forschungen hervorgehoben. Der Tendenz nach läuft die Entwicklung — jedenfalls von der Wiener Schule aus gesehen — auf eine Zusammenfassung aller heute vorhandenen bürgerlichen Schulen hinaus, auf eine Vereinheitlichung der bürgerlichen Ethnographie also, wobei den einzelnen Schulen jeweils bestimmte Spezialgebiete zur Forschung überlassen werden: Den Soziologen die Erforschung der „Regelmäßigkeiten" in der Entwicklung des sozialen Lebens, den Psychologen die Erforschung der psychologischen Grundlagen der Kulturentwicklung bzw. die Erforschung der psychologischen Besonderheiten der Völker, während sich die Wiener Schule die Feststellung von Kulturbeziehungen auf der Grundlage des Qualitäts- und Quantitätskriteriums vorbehalten hat. Eine solche Vereinheitlichung bzw. Zusammenfassung ist insofern denkbar, als alle angeführten Schulen auf ein und der1 2

Ebenda, S. 27. Ebenda, S. 14, 62.

Die soziologische Schule

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selben philosophischen Grundlage beruhen: Auf dem Positivismus bzw. Neukantianismus. Da sie sich also in einem Punkte begegnen, können sie sich untereinander verständigen. 1 Dieses Bestreben nach Zusammenfassung der Schulen f ü h r t jedoch zwangsläufig zum Eklektizismus. Die Schulen büßen ihre Eigenarten ein, es wird alles als gültig anerkannt, es gibt keine methodischen Meinungsverschiedenheiten mehr. Außerdem geben diese Schulen mit ihrer wechselseitigen Anerkennung zu, daß sie m i t ihren Zielsetzungen in keinem Falle den historischen Prozeß in seiner Gesamtheit erforschen. Sie untersuchen jeweils n u r Teilgebiete und noch nicht einmal die wichtigsten Teilgebiete. Auch die Wiener Schule geht m i t ihrer bewußten Beschränkung auf die lokalhistorischen Wechselbeziehungen am Wesen der geschichtlichen E n t wicklung vorbei. Auch in ihrer neuen E t a p p e ist von der Position dieser Schule aus eine Periodisierung der Urgeschichte nicht möglich.

10. D I E S O Z I O L O G I S C H E

SCHULE^

Eine weitere wichtige Schule innerhalb der Ethnographie stellt die soziologische Schule dar, die sich im Laufe ihrer langen Entwicklung in verschiedene U n t e r gruppen unterteilt hat. Begründet wurde diese Schule in der Ethnographie durch Dürkheim. Wie die Soziologie überhaupt, so h a t auch die soziologische R i c h t u n g u m Dürkheim ihre Auffassungen in bewußtem Gegensatz zur marxistischen Theorie entwickelt. Der marxistischen Lehre von der Notwendigkeit des Sozialismus setzte Dürkheim die Beh a u p t u n g entgegen, u m Schlußfolgerungen über zukünftige Maßnahmen zu ziehen, „il est indispensable d'avoir étudié cette multitude d'institutions et de pratiques, d'avoir cherché la manière dont elles ont varié dans l'histoire, les principales conditions qui ont déterminées ces variations et c'est seulement alors qu'il sera possible de se demander rationellement ce qu'elles doivent devenir aujourd'hui é t a n t donné les conditions présentes de notre existence collective . . ,". 2 Damit wurde die so dringend notwendige grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf einen unendlich fernen Zeitpunkt verschoben, und die wissenschaftliche Untersuchung gesellschaftlicher Probleme wurde begrenzt auf eine Unzahl kleiner und kleinster Zusammenhänge. Diese Ablehnung theoretischer Lehrgebäude ist f ü r alle Anhänger der v o n der Funktion ausgehenden Soziologen bzw. Ethnographen charakteristisch. Da m a n nach ihrer Meinung das Wesen des historischen Entwicklungsprozesses nicht oder noch nicht erkennen kann, m u ß man sich damit begnügen, funktionale Zusam menhänge der Erscheinungen zu untersuchen. F ü r Dürkheim war das Studium der 1 Die gleiche Tendenz ist auch in den USA zu verspüren. Hier h a t H. Driver einen Artikel geschrieben über „ A n Integration of Functional, Evolutionary, and Historical Theory b y Means of Corrélations" (Supp. to International Journal of American Linguistics, 22/1956), in dem die gleichen Grundgedanken vertreten werden. 2 E. Dürkheim, Le Sozialisme, ed. par M. Mauss, Paris 1928, p. 5.



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selben philosophischen Grundlage beruhen: Auf dem Positivismus bzw. Neukantianismus. Da sie sich also in einem Punkte begegnen, können sie sich untereinander verständigen. 1 Dieses Bestreben nach Zusammenfassung der Schulen f ü h r t jedoch zwangsläufig zum Eklektizismus. Die Schulen büßen ihre Eigenarten ein, es wird alles als gültig anerkannt, es gibt keine methodischen Meinungsverschiedenheiten mehr. Außerdem geben diese Schulen mit ihrer wechselseitigen Anerkennung zu, daß sie m i t ihren Zielsetzungen in keinem Falle den historischen Prozeß in seiner Gesamtheit erforschen. Sie untersuchen jeweils n u r Teilgebiete und noch nicht einmal die wichtigsten Teilgebiete. Auch die Wiener Schule geht m i t ihrer bewußten Beschränkung auf die lokalhistorischen Wechselbeziehungen am Wesen der geschichtlichen E n t wicklung vorbei. Auch in ihrer neuen E t a p p e ist von der Position dieser Schule aus eine Periodisierung der Urgeschichte nicht möglich.

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SCHULE^

Eine weitere wichtige Schule innerhalb der Ethnographie stellt die soziologische Schule dar, die sich im Laufe ihrer langen Entwicklung in verschiedene U n t e r gruppen unterteilt hat. Begründet wurde diese Schule in der Ethnographie durch Dürkheim. Wie die Soziologie überhaupt, so h a t auch die soziologische R i c h t u n g u m Dürkheim ihre Auffassungen in bewußtem Gegensatz zur marxistischen Theorie entwickelt. Der marxistischen Lehre von der Notwendigkeit des Sozialismus setzte Dürkheim die Beh a u p t u n g entgegen, u m Schlußfolgerungen über zukünftige Maßnahmen zu ziehen, „il est indispensable d'avoir étudié cette multitude d'institutions et de pratiques, d'avoir cherché la manière dont elles ont varié dans l'histoire, les principales conditions qui ont déterminées ces variations et c'est seulement alors qu'il sera possible de se demander rationellement ce qu'elles doivent devenir aujourd'hui é t a n t donné les conditions présentes de notre existence collective . . ,". 2 Damit wurde die so dringend notwendige grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf einen unendlich fernen Zeitpunkt verschoben, und die wissenschaftliche Untersuchung gesellschaftlicher Probleme wurde begrenzt auf eine Unzahl kleiner und kleinster Zusammenhänge. Diese Ablehnung theoretischer Lehrgebäude ist f ü r alle Anhänger der v o n der Funktion ausgehenden Soziologen bzw. Ethnographen charakteristisch. Da m a n nach ihrer Meinung das Wesen des historischen Entwicklungsprozesses nicht oder noch nicht erkennen kann, m u ß man sich damit begnügen, funktionale Zusam menhänge der Erscheinungen zu untersuchen. F ü r Dürkheim war das Studium der 1 Die gleiche Tendenz ist auch in den USA zu verspüren. Hier h a t H. Driver einen Artikel geschrieben über „ A n Integration of Functional, Evolutionary, and Historical Theory b y Means of Corrélations" (Supp. to International Journal of American Linguistics, 22/1956), in dem die gleichen Grundgedanken vertreten werden. 2 E. Dürkheim, Le Sozialisme, ed. par M. Mauss, Paris 1928, p. 5.



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E m p i r i e und die A u s a r b e i t u n g der Theorie ein zeitliches Nacheinander, wobei d a s letztere aber in unbekannter F e r n e lag. Dürkheim trennte also die Theorie von der P r a x i s oder — was nur ein anderer Ausdruck d a f ü r ist — d a s Denken v o m Sein. Die Soziologie h a t Dürkheim einmal definiert als ,,. . . science des institutions, de leure genèse et de leur fonctionnement". 1 Nicht alle Soziologen s t i m m t e n jedoch dieser Definition zu. I m L a u f e der Zeit bildeten sich innerhalb der zahlenmäßig sehr groß gewordenen funktionalistisch-soziologischen Schule verschiedene S c h a t tierungen aus. Dürkheim gehört zu einer Gruppe, die nach „ R e g e l m ä ß i g k e i t e n " bzw. Bedingtheiten des gesellschaftlichen Lebens suchte auf der Grundlage von Untersuchungen über den historischen Funktionswandel, ein Verfahren, dem auch Thurnwald und M a x Weber gefolgt sind. E i n e solche Methode hielten aber beispielsweise Radcliffe-Brown und Malinowski für gänzlich verfehlt. Sie lehnten historische Untersuchungen a b und wollten j e d e K u l t u r nur aus ihrer gegenwärtigen S t r u k t u r heraus begreifen und interpretieren. 2 Innerhalb dieser Richtung muß m a n noch zwei weitere Gruppen voneinander unterscheiden. Die eine davon, zu der beispielsweise Dürkheim, Malinowski und Radcliffe-Brown gehörten, ging von den objektiven Wirkungen der von ihnen untersuchten Institutionen aus und suchte darin die E r k l ä r u n g für deren E x i s t e n z , während M a x Weber die Institutionen als Ergebnis des subjektiven Wollens der handelnden Individuen verstanden wissen wollte. Wenn m a n diese ganze Schule betrachtet unter dem Gesichtspunkt, welchen Beit r a g sie zur Auffindung von Grundprinzipien einer urgeschichtlichen Periodisierung geleistet hat, dann scheiden bei der Untersuchung von vornherein jene Autoren aus, die historische Untersuchungen ablehnten, d. h. Radcliffe-Brown und Malinowski. Ausscheiden muß aber auch Dürkheim, weil er sich in seinen Arbeiten stets nur mit Einzelerscheinungen des gesellschaftlichen Lebens, wie z. B . der Arbeitsteilung oder d e m T o t e m i s m u s , beschäftigte. Außerdem war er der Meinung, in der Geschichte ergäbe sich jede neue Entwicklungsetappe keineswegs zwangsläufig aus der vorhergehenden; das Verhältnis zwischen den Entwicklungsstufen sei rein chronologisch, 3 d . h. historisch-zufällig, nicht aber gesetzmäßig oder überhaupt kausal bedingt. Aus diesem Grunde unternahm er nicht den Versuch einer Periodisierung des urgeschichtlichen Entwicklungsverlaufs. Von allen hier angeführten Anhängern der soziologischen Schule kann m a n daher nur hoffen, bei M a x Weber und Thurnwald Aussagen zu dem untersuchten Problem zu finden. Ders., Les Règles de la Méthode Sociologique, l i m e Ed., Paris 1950, p. X X I I . Vgl. z. B. B. Malinowski, Introduction, in: Hogbin, Law and Order in Polynesia, London 1934, p. X V I I ; ders., Foreword in: Ashley-Montagu, Coming into Being among the Australian Aborigines, London 1937, p. X X ; Ders., Die Dynamik des Kulturwandels, Wien-Stuttgart (1951) S. 71; A. R. Brown, The Andaman Islanders, Cambridge 1922, p. 229; ders., Structure and Function in Primitive Society, London 1952, p. 185 sq. 3 E. Durkheim, Les Règles de la Méthode Sociologique, p. 117. 1

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a) Max Weber M a x W e b e r g e h ö r t e zu d e m Zweig der sozio"tigischen Schule, der historisches Geschehen v o m s u b j e k t i v e n Willen der H a n d e l n d e n h e r d e u t e n u n d v e r s t e h e n w o l l t e . 1 E i n e k u r z e B e t r a c h t u n g seiner Theorien erscheint d e s h a l b besonders a n g e b r a c h t , weil seine G e d a n k e n g ä n g e h e u t e in W e s t d e u t s c h l a n d , E n g l a n d u n d d e n U S A eine s t a r k e W i e d e r b e l e b u n g e r f a h r e n u n d d u r c h h o h e N e u a u f l a g e n seiner W e r k e verb r e i t e t werden. W e b e r h a t seine W e r k e keinesfalls u m der E r f o r s c h u n g der U r g e m e i n s c h a f t willen geschrieben. E r b e h a n d e l t e die Urgescnichte n u r , u m seiner empirischhistorischen T y p e n l e h r e Vollständigkeit a n g e d e i h e n zu lassen. Diese T y p e n l e h r e bzw. I d e a l t y p e n e r f a n d W e b e r , u m den W i d e r s p r u c h zwischen der s u b j e k t i vistischen D e u t u n g des historischen Geschehens u n d der generalisierenden soziologischen M e t h o d e zu ü b e r b r ü c k e n . Diese I d e a l t y p e n sollten, allgemein gesprochen, die begriffsmäßige E r f a s s u n g einer historischen E r s c h e i n u n g erleichtern. Sie m ü s s e n als A r b e i t s h y p o t h e s e n ihres U r h e b e r s b e t r a c h t e t w e r d e n , der m i t ihrer Hilfe zeigen wollte, wie eine Gesellschaft aussehen w ü r d e , w e n n alle Menschen ihre H a n d l u n g e n auf ein g e m e i n s a m e s Ziel o r i e n t i e r t e n . Die I d e a l t y p e n sollten n a c h der Vorstellung W e b e r s eine A r t s t a t i s t i schen D u r c h s c h n i t t s w e r t v o n menschlichen H a n d l u n g e n d a r s t e l l e n 2 u n d sollten d a m i t die E n t w i c k l u n g s t e n d e n z e n einer gegebenen historischen E p o c h e aufzeigen. Sie w u r d e n v o n W e b e r selbst als K o n s t r u k t i o n e n angesehen, die in dieser a b solut idealen reinen F o r m vielleicht ebenso wenig j e in der R e a l i t ä t a u f t r e t e n wie eine physikalische R e a k t i o n , die u n t e r V o r a u s s e t z u n g eines a b s o l u t leeren R a u m e s errechnet i s t . " 3 Diese d u r c h die I d e a l t y p e n angeblich angezeigten E n t w i c k l u n g s t e n d e n z e n k o n n t e n a b e r n a c h W e b e r d u r c h eine Vielzahl a n d e r e r F a k t o r e n s t ä n d i g „ g e s t ö r t " w e r d e n . Diese „ S t ö r u n g e n " eines sog. z w e c k r a t i o n a l e n A b l a u f s w u r d e n n a c h W e b e r d u r c h „ i r r a t i o n a l e A f f e k t e " , wie „religiöse V i r t u o s e n l e i s t u n g e n " , Angst, Zorn, E h r geiz, Neid, E i f e r s u c h t , Liebe, B e g e i s t e r u n g usw. h e r v o r g e r u f e n . 4 Diese „ i r r a t i o n a l e n A f f e k t e " e n t z i e h e n sich n u n w e i t g e h e n d n a c h W e b e r einer w i s s e n s c h a f t l i c h e n Deut u n g . E r zog d a r a u s folgende S c h l u ß f o l g e r u n g : „ J e n a c h L a g e des Falles m ü s s e n wir u n s d a n n b e g n ü g e n , sie (die Zwecke u n d W e r t e solchen i r r a t i o n a l e n H a n d e l n s — I. S.) n u r intellektuell zu d e u t e n , oder u n t e r U m s t ä n d e n , w e n n a u c h das m i ß l i n g t , g e r a d e z u : sie als G e g e b e n h e i t e n einfach h i n n e h m e n u n d a u s i h n e n soweit als m ö g lich intellektuell g e d e u t e t e n o d e r soweit als möglich e i n f ü h l e n d a n n ä h e r u n g s w e i s e n a c h erlebten R i c h t p u n k t e n den Ablauf des d u r c h sie m o t i v i e r t e n H a n d e l n s u n s v e r s t ä n d l i c h zu m a c h e n . " 5 1

Vergl. z. B. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 3. Aufl., Tübingen 1947, S. 1, 13: ders., Soziologische Grundbegriffe, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1951, S. 533 f., 538 f., 540 f. 2 Ders., Wirtschaft und Gesellschaft, S. 5f. 3 4 5 Ebenda, S. 10. Ebenda, S. 2f. Ebenda, S. 2.

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So zeigt sich dem Neukantianer die Entwicklung der Gesellschaft als ein Ineinanderwirken von zweckrationalen Handlungen und von irrationalen Affekten, die als, ,Störungen" diesen zweckrationalen Ablauf unterbrechen. Eine historische Gesetzmäßigkeit konnte es von dieser Position aus selbstverständlich nicht geben. Die Idealtypen bildeten für Max Weber lediglich das Mittel zu einer Systematisierung der gesellschaftlichen Handlungen, womit er allerdings ein Entwicklungsprinzip verband. Auch die in der Urgemeinschaftsordnung vorkommenden Handlungstypen hat Weber systematisiert. Da er dabei vom subjektiven Wollen der Handelnden ausging, suchte er nach den Orientierungsrichtungen des Handelns. Nach seiner Meinung muß man für die Periode der Urgemeinschaftsordnung zwei solche Orientierungsrichtungen des Handelns unterscheiden: Eine „zweckrationale" Orientierung, die auf die immer wiederkehrenden, sog. traditionalen Handlungen gerichtet ist, und eine „irrationale" Orientierung, die auf die außergewöhnlichen Vorkommnisse reagiert. Der erste Handlungstyp war nach Weber der regelmäßige und erklärbare, 1 der zweite dagegen der regelwidrige und meist unerklärliche. E r ergab sich aus dem Eingreifen außergewöhnlicher, „charismatischer" Persönlichkeiten, und deshalb bezeichnete ihn Weber als spezifisch revolutionär". 2 Insbesondere seien J a g d und Krieg sein Betätigungsfeld gewesen. 3 Ausgehend vom Gemeinschaftshandeln kam Max Weber zu folgenden urgeschichtlichen Entwicklungsetappen: In der Periode der Okkupationswirtschaft (SammelJ a g d - und Fischfangwirtschaft) existierten die Frauen-(Mutter-) Gruppe und die Männergruppe als Zellen des Gemeinschaftshandelns. Die Frauengruppe beschäftigte sich m i t dem Sammeln, während sich die Männergruppe mit J a g d , Fischfang und Krieg befaßte. 4 Mit dem Übergang zum Bodenbau wurde die Familie zur Zelle des Gemeinschaftshandelns, und zwar zunächst die Kleinfamilie, die einen nomadisierenden Hackbau in Verbindung mit Viehzucht betrieb. 5 Mit der Erweiterung der Anbauflächen, dem Übergang zu größerer Seßhaftigkeit und der Zusammenfassung einer größeren Anzahl von Menschen unter einheitlichem Kommando bildeten sich die Hausgemeinschaften, deren wirtschaftliche Grundlage ein extensiver bzw. relativ werkzeugloser Bodenbau mit Viehzucht war. 6 Auf der nächsten Entwicklungsstufe kam es nach Weber zur Bildung der Sippenorganisation durch Zusammenschluß mehrerer blutsverwandter Hausgemeinschaften. Diese Sippenorganisationen stellten nach Weber meist sehr große Vereinigungen von Menschen dar, die sich oft gar nicht persönlich kannten. 7 Das Gemeinschaftshandeln innerhalb dieser Organisation war Max Weber zufolge gekennzeichnet durch Exogamie, Solidarität gegenüber allen Sippenfremden und Gemeineigentum an Grund und Boden. 8 Die ökonomische Grundlage der Sippenorganisation war ein intensiver Bodenbau, evtl. sogar unter Verwendung von Arbeitstieren. Die 1 1 5 7

Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda,

2 Ebenda, S. 141. 3 Ebenda, S. 154. S. 19, 130, 141. S. 35; Ders., Wirtschaftgeschichte, München-Leipzig, 1923, S. 50f. S. 49, 50. « Ders., Wirtschaft und Gesellschaft, S. 208. 8 Ders., Wirtschaftsgeschichte, S 40f. S. 201.

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Alltagsbelange wurden weiterhin von den einzelnen Hausgemeinschaften selbständig geregelt. Auf der nächsten Entwicklungsetappe, die durch die Entstehung von Stämmen gekennzeichnet war, änderte sich im traditionalen Gemeinschaftshandeln nichts Grundsätzliches. Die einzelnen Hausgemeinschaften regelten weiterhin ihre eigenen Angelegenheiten selbständig. Der Stamm als Ganzes trat lediglich nach außen als eine gemeinsam handelnde Einheit in Erscheinung. 1 Die letzte Entwicklungsetappe der Urgeschichte schließlich war nach Max Weber der Oikos, in dem die vorher selbständigen Einzelwirtschaften unter eine einheitliche Leitung zusammengefaßt und zu Abgabenleistungen an die Zentralwirtschaft verpflichtet wurden. 2 Diese historische Entwicklung bewirkte nach Weber nicht nur eine Veränderung der Zellen des Gemeinschaftshandelns, sondern veränderte auch den Charakter des Gemeinschaftshandelns. Waren in den ersten Perioden der Urgemeinschaftsordnung kleinere blutsverwandte Gemeinschaften Zellen des Gemeinschaftshandelns und konzentrierte sich hier alles auf die Regelung der Alltagsangelegenheiten ( = traditionales Gemeinschaftshandeln), so änderte sich das mit der Entstehung größerer Gemeinschaften. Hier entwickelte sich erstmals ein Gemeinschaftshandeln, das nach Max Weber im Gegensatz zum traditionalen Gemeinschaftshandeln der Blutsverwandtschaftsgruppen ein politisches Gemeinschaftshandeln war. 3 Es umfaßte alle Angelegenheiten, die nicht nur die einzelne Familie und nicht die alltäglichen Fragen betrafen. Dazu zählten nach Max Weber solche Dinge wie beispielsweise die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung innerhalb der Dorfgemeinschaft, vor allem jedoch die Kriegsführung. J e mehr die letztere an Bedeutung gewann, je mehr also das politische Gemeinschaftshandeln gegenüber dem traditionalen dominierte, um so mehr wurden auch die sozialen Einheiten zu politischen Gemeinschaften. Max Weber setzte den endgültigen Übergang zur politischen Gemeinschaft in der Endperiode der Sippenorganisation an. 4 Hier wurde infolge des nunmehr permanenten Kriegszustandes das politische Gemeinschaftshandeln vorherrschend und bestimmte den Charakter der ganzen Gemeinschaft. Mit der Art des Gemeinschaftshandelns verband Max Weber verschiedene Formen von Herrschaft bzw. Gewalt. In der Periode mit vorherrschendem traditionalen Gemeinschaftshandeln, d. h. bis zur Endperiode der Sippenorganisation, war eine primär traditionale Herrschaftsform vorhanden, 5 die ihrem Wesen nach patriarchalisch war. In der folgenden Periode mit vorherrschendem politischen Gemeinschafts1

Ders., Wirtschaft und Gesellschaft, S. 223. 4 Ebenda, S. 54. 3 Ebenda, S. 199. Ebenda, S. 756. 5 Eine Ausnahme machte davon nur die erste Entwicklungsstufe, die durch das Nebeneinander von Männer- und Frauengruppen im Weber'schen Entwicklungsschema gekennzeichnet war. Hier konnte es noch kein patriarchalisches Familienoberhaupt geben, da die Einzelfamilie noch nicht existierte bzw. noch nicht Zelle des Gemeinschaftshandelns war. Nach Max Weber bestand hier die „Herrschaft" in einem Übergewicht der Männer- gegenüber der Frauengruppe. Im Gegensatz zu allen folgenden Perioden handelte es sich dabei um eine kollektive „Herrschaft" der in sich demokratisch organisierten Männergruppe (ebenda, S. 136, 760). 2

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handeln muß man nach Weber von einer primär charismatischen Herrschaft sprechen. Ihren Höhepunkt erfuhr dieses politische Gemeinschaftshandeln und damit auch die charismatische Herrschaft in der Periode der Stammesorganisation. In der Folgezeit änderte sich das aber wieder, weil die charismatischen Herrscher dazu übergingen, sich dauerhafte und sichere ökonomische Grundlagen ihrer Gewalt zu sichern insbesondere durch die Aneignung des Grund und Bodens. 1 Damit aber waren sie gezwungen, sich mit Alltagsfragen zu beschäftigen. Das Außergewöhnliche, Charismatische ihrer bisherigen Herrschaft wurde dadurch abgestreift. Zur Wiederherstellung der traditionalen Herrschaftsform, die nur in kleinen blutsverwandten Gemeinschaften, in denen sich das Gemeinschaftshandeln in erster Linie auf die Befriedigung der Alltagsbedürfnisse konzentrierte, eine Existenzbedingung hatte, konnte es jedoch nicht kommen. Nach Max Weber begann nunmehr die Periode der „rationalen Herrschaft", d. h. der Staat. Grundlage zur Rekonstruktion der Idealtypen waren also für Max Weber einerseits die Handlungsrichtungen und andererseits die Institutionen bzw. Zellen des Gemeinschaftshandelns. Aus der Kombination beider Gesichtspunkte ergab sich für ihn das vorher dargestellte Schema. Im ersten Teil dieses Schemas (traditionales Gemeinschaftshandeln, traditionale Herrschaft) ging er von einem materialistischen Gesichtspunkt aus, ließ er doch hier die Handlungsrichtungen und die Zellen des Gemeinschaftshandelns direkt aus den verschiedenen Methoden der Lebensunterhaltsgewinnung entstehen. Diesen Standpunkt verließ er jedoch im nächsten Teil des Schemas, in dem er zwar die wirtschaftlichen Grundlagen nicht außer Acht ließ, in dem er aber die Entwicklung primär auf das Handeln charismatischer bzw. „begnadeter" Persönlichkeiten zurückführte. An dieser Konzeption erscheint lediglich die Auffassung richtig, der zufolge die urgeschichtliche Entwicklung zunächst durch die Auseinandersetzung der Gesellschaft m i t der Natur und erst gegen Ende der Urgeschichte durch das Überwiegen sozialer Auseinandersetzungen gekennzeichnet war. Der Erklärung Webers für diesen Wandel kann man jedoch nicht zustimmen. Weber bezeichnete die charismatischen, „begnadeten" Persönlichkeiten bzw. ihre Herrschaft als „regelwidrig" und „wirtschaftsfremd" und sah in ihnen eine revolutionäre Kraft. Diese revolutionierende Gewalt des Charismas führte Weber auf eine „Mentanoia der Gesinnung" der Charismaträger zurück. 2 Zuerst mußte sich demnach die Gesinnung bzw. das Denken hervorragender Persönlichkeiten wandeln, erst dann konnte eine Umwandlung des Handelns und damit der Wirklichkeit erfolgen. An diesem Punkte begann bei Weber der Sprung in die reine Spekulation, der ihn dazu führte, die Entstehung der Klassengesellschaft aus dem Charisma „begnadeter" Persönlichkeiten abzuleiten, wie er übrigens auch den Staat aus den subjektiven Vorstellungen „begnadeter" Menschen erklärte. 3 Wenn man die Institutionen, Ereignisse und Veränderungen als Ergebnis subjektiver Vorstellungen 1

Ebenda, S. 146.

2

Ebenda, S. 759.

3

Ebenda, S. 7.

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und „revolutionierender", „regelwidriger" H a n d l u n g e n „ b e g n a d e t e r " Persönlichkeiten b e t r a c h t e t , d a n n k o n n t e es für ihr Vorhandensein keine E r k l ä r u n g geben. Man k o n n t e sie d a n n lediglich registrieren u n d — da der Urheber insbesondere bei schriftlosen Völkern meistens u n b e k a n n t war — als gegeben hinnehmen. W a r also die These Webers v o n der „charismatischen" H e r r s c h a f t ungeeignet zur E r k l ä r u n g des U n t e r g a n g s der Urgemeinschaftsordnung so w a r die These von der „ t r a d i t i o n a l e n " H e r r s c h a f t bzw. v o m „traditionalen G e m e i n s c h a f t s h a n d e l n " nicht befriedigend zur E r k l ä r u n g der vorhergehenden E p o c h e urgeschichtlicher Entwicklung. Der Grundfehler dieses Rekonstruktionsversuches b e s t a n d in der Relation, die W e b e r zwischen einzelrten Seiten des Arbeitsprozesses u n d der sozialen Organisation herstellte. Bekanntlich sah er die b e s t i m m e n d e Seite dieser E n t wicklungsperiode in der Technik der Bodenbearbeitung. Da sich das Gemeinschaftshandeln dieser Periode in erster Linie auf die „Befriedigung der Alltagsbedürfnisse" u n d d a m i t auf den B o d e n b a u richten sollte, m u ß t e n sich n a c h W e b e r m i t v e r ä n d e r t e r Technik der B o d e n b e a r b e i t u n g die Zellen des Gemeinschaftshandelns ä n d e r n . Dabei k a m er zu dem seltsamen Schluß, die Kleinfamilie vor Sippe u n d S t a m m als Zelle des Gemeinschaftshandelns anzusetzen. Weber sah nicht, daß einzelne Seiten des Arbeitsprozesses keinesfalls Aufschluß geben können ü b e r die „Zellen des Gemeinschaftshandelns". Der „relativ werkzeuglose A c k e r b a u " in der F r ü h z e i t der Produktionswirtschaft verlangte geradezu eine über die Kleinfamilie hinausreichende F o r m der gesellschaftlichen Organisation, da die Kleinfamilie zu schwach gewesen wäre, u m den Kampf gegen die N a t u r allein zu bestehen. Dabei spielte es keine Rolle, wenn beispielsweise S a a t u n d E r n t e eines primitiven Bodenbaues von der Kleinfamilie allein bestritten wurden. Diese Gepflogenheit, die sich gelegentlich bei primitiven Bodenbauern beobachten läßt, h a t Weber wahrscheinlich zu dieser den übrigen historischen T a t s a c h e n völlig widersprechenden These von der Existenz der Kleinfamilie als gesellschaftlicher u n d ökonomischer Einheit vor der Sippe u n d Großfamilie g e f ü h r t . Dabei ging er von der stillschweigenden Voraussetzung aus, d a ß R o d u n g e n von Neuland, die immer die Zusammenarbeit einer größeren Anzahl von Menschen erforderten, in dieser Periode nicht erfolgten. Eine nähere U n t e r s u c h u n g primitiver Bodenbauern h ä t t e M a x W e b e r jedoch gezeigt, daß überall nicht die Kleinfamilie, sondern eine größere Einheit, die Sippe, Eigentümerin des G r u n d u n d Bodens war. E r h ä t t e auch gefunden, d a ß die Sippe oder Teile der Sippe Träger all jener Gemeinschaftshandlungen war, die W e b e r infolge seines einseitigen Ausgangspunktes entweder n i c h t b e a c h t e t h a t oder n i c h t erklären konnte. Dazu zählen beispielsweise J a g d , Fischfang, R o d u n g e n , aber a u c h alle K u l t h a n d l u n g e n u n d kriegerischen U n t e r n e h m u n g e n , sowie die Verpflichtung zur gegenseitigen Hilfeleistung gegenüber allen Gentilgenossen. W e n n der Terminus „Zelle des Gemeinschaftshandelns" einen Sinn h a b e n soll, d a n n doch nur, wenn m a n d a r u n t e r die soziale u n d ökonomische Einheit v e r s t e h t . Diese Einheit war aber in jener E p o c h e nicht die Kleinfamilie. W e b e r stellte in seinem Schema das Verhältnis zwischen Entwicklung der Technik u n d ökonomischer Einheit geradezu auf den Kopf. N a c h seiner Auffassung v e r g r ö ß e r t e sich die öko-

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nomische E i n h e i t in dem Maße wie sich die Technik der Bodenbearbeitung verbesserte. In Wirklichkeit verhielt es sich jedoch u m g e k e h r t : J e primitiver Bodenbau u n d Viehhaltung betrieben wurden, u m so weniger k o n n t e die Einzelfamilie ökonomische Selbständigkeit erringen. W e b e r selbst n a h m f ü r die erste Phase der P r o d u k t i o n s w i r t s c h a f t ein Nebeneinander von B o d e n b a u , Viehhaltung u n d J a g d an. Seinen eigenen A u s f ü h r u n g e n zufolge bedingte aber gerade die J a g d eine F o r m des Gemeinschaftshandelns, das über die Kleinfamilie hinausreichte. J e vollkommener Bodenbau u n d Viehhaltung entwickelt waren, u m so unabhängiger wurde die Einzelfamilie von einer größeren sozialen bzw. ökonomischen Einheit, u m so m e h r w u r d e sie, u m m i t Weber zu sprechen, wirklich zur Zelle des Gemeinschaftshandelns. Auch die f r ü h e s t e Entwicklungsstufe der Urgeschichte im Schema Webers weicht erheblich von den wirklichen Verhältnissen ab. Auf dieser K u l t u r s t u f e gab es zwar eine physiologische Arbeitsteilung nach dem Geschlecht, das aber berechtigt nicht, Männer- u n d F r a u e n g r u p p e als ökonomische Einheiten bzw. als Zellen des Gemeinschaftshandelns anzusehen. Mit dem gleichen Recht k ö n n t e m a n von der physiologischen Arbeitsteilung nach dem Alter ausgehen u n d in den entsprechenden Altersg r u p p e n Zellen des Gemeinschaftshandelns erblicken. Die Tatsachen zeigen, daß die Menschen dieser K u l t u r s t u f e in Lokalgruppen vereinigt lebten, in denen b e s t i m m t e Vorschriften über Arbeits- u n d Nahrungsmittelverteilung herrschten, die eindeutig im Interesse aller zu diesen G r u p p e n gehörenden Menschen getroffen waren. Diese Regelungen, die auf die E r h a l t u n g aller Lokalgruppenmitglieder abzielten, waren aber ebenfalls „ G e m e i n s c h a f t s h a n d l u n g e n " , ebenso wie alle Kriegs- u n d K u l t h a n d l u n g e n , deren Träger auch die Lokalgruppen waren. Der A u s g a n g s p u n k t Webers war also falsch. Von einzelnen Seiten des Arbeitsprozesses her l ä ß t sich der Verlauf der Urgeschichte nicht erklären u n d gliedern, u n d ebensowenig k a n n m a n m i t Hilfe der „regelwidrigen" charismatischen Herrs c h a f t den U n t e r g a n g dieser sozial-ökonomischen F o r m a t i o n begreifen. Die von Weber angewendeten Prinzipien sind also, da sie willkürlich einzelne Seiten des urgeschichtlichen Entwicklungsprozesses herausgreifen u n d verabsolutieren, nicht f ü r eine Periodisierung geeignet. Die Idealtypen Webers sind K o n s t r u k t i o n e n , die den in der R e a l i t ä t vorgefundenen T a t s a c h e n nicht gerecht werden.

b) Richard

Thurnwald

T h u r n w a l d gehörte wie Max Weber zu jenen Soziologen, die die Notwendigkeit historischer Untersuchungen a n e r k a n n t e n , u n d wie W e b e r war auch T h u r n w a l d Soziologe u n d J u r i s t , daneben aber nicht zuletzt E t h n o g r a p h , so d a ß seine Ausführungen zu F r a g e n der Urgeschichte von größerem Interesse sind. H a t t e Weber versucht, den Geschichtsverlauf m i t Hilfe seiner Idealtypen zu systematisieren, so lehnt T h u r n w a l d diesen Versuch strikt ab. F ü r ihn waren die Kons t r u k t e u r e von I d e a l t y p e n „philosophierende P h a n t a s t e n " . 1 In der Ablehnung der 1 R. Thurnwald, Werden, Wandel und Gestaltung v o n Staat und Kultur, Berlin und Leipzig, 1935, S. 2.

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Idealtypen k a n n m a n durchaus mit Thurnwald konform gehen. Die Frage ist nur, was h a t er an deren Stelle gesetzt. Trotz Ablehnung der Idealtypen durch Thurnwald bestand aber zwischen ihm und Weber in bezug auf den Geschichtsbegriff manche Überstimmung. An einer Stelle behauptete Thurnwald: ,,,Geschichte' besteht aus Abläufen und ,Störungen', aus dem Verlieren u n d Wiedergewinnen des Gleichgewichts". 1 Mehr als 10 J a h r e vor dem Erscheinen des Thurnwaldschen Werkes schrieb Weber zum gleichen T h e m a : „ F ü r die ij/pmbildende wissenschaftliche B e t r a c h t u n g werden n u n alle irrationalen, aflektuell bedingten, Sinnzusammenhänge des Sichverhaltens, die das Handeln beeinflussen, am übersehbarsten als, Ablenkungen' von einem konstruierten rein zweckrationalen Verlauf derselben erforscht und dargestellt." 2 In beiden Fällen sollte also das Wesen der historischen Entwicklung in „Abläufen" und „ S t ö r u n g e n " bestehen. Die Konsequenzen, die Thurnwald aus dieser Auffassung zog, waren jedoch grundverschieden von den Schlußfolgerungen Webers. H a t t e Weber den „zweckrationalen Verlauf" der Geschichte mit Hilfe seiner Idealtypen rekonstruiert, hielt sich Thurnwald streng an das konkrete Material und suchte sich „repräsentative Lebensbilder", die ebenfalls so etwas wie T y p e n darstellen sollten, aber im Gegensatz zu den Weberschen Idealtypen der Realität entnommen waren. Beide waren sich jedoch einig in der Auffassung, daß die historische Entwicklung oftmals von diesen Typen abweichende Wege ging. Da es Thurnwald also n u r m i t der Realität zu t u n hatte, m u ß t e er versuchen, ein durchweg anwendbares Prinzip zu finden, das einen wissenschaftlichen Vergleich der verschiedenen Kulturen ermöglichte. Dieses Prinzip war f ü r ihn die F u n k t i o n . 3 Seine historischen Darstellungen bzw. Untersuchungen gingen daher immer vom Funktionswandel in der Zeit aus. Nach Thurnwald war es jedoch unmöglich, die Entwicklung der Gesamtkultur zu verfolgen. Nach seiner Auffassung gab es n u r zwei Vergleichsmöglichkeiten: Entweder man verglich eine bestimmte Einrichtung bei verschiedenen Völkern unterschiedlicher Entwicklungsstufe und stellte dabei ihren Funktionswandel fest, oder m a n verglich Gesamtkulturen bei Völkern mit gleicher oder sehr ähnlicher „zivilisatorischer Ausrüstung". Deshalb wurde durch Thurnwald der Geschichtsverlauf zwei ganz verschiedenen Betrachtungsweisen unterzogen: E i n m a l wurden die Einzelkulturen nach ihrem funktionalen Gesamtzusammenhang u n t e r s u c h t in einer Weise, wie es im Prinzip auch Malinowski und seine Schule t a t ; zum anderen wurden die K u l t u r e n in einzelne Funktionsgruppen zerlegt, und diese aus verschiedenen Kulturen stammenden Fuktionsgruppen wurden jeweils miteinander verglichen, um aus dem zeitlichen Nebeneinander ein historisches Nacheinander der betreffenden Funktionen zu machen. 1

R. Thurnwald, ebenda, S. 306. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 2. 3 Vergl. z. B. R. Thurnwald, Realistische Soziologie, in: Sociologus, 8/1932, S. 3 ; ders., Auswirkungen der Technik auf das soziale Leben sowie das Problem des Fortschritts, i n : Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, 57/1927, H e f t III und IV, S. 3 1 ; ders., Werden, Wandel und Gestaltung v o n Staat u n d Kultur, S 2 f . 2

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Die Ursache dieses Verfahrens war das Unvermögen Thurnwalds, den dialektischen Zusammenhang zwischen Universal- und Lokalgeschichte zu erkennen. Die Einzelkulturen sah er als „komplexe Originalitäten" und „einzigartige historische Gebilde" an. 1 Da aber die Gesellschaft bestimmte Bedürfnisse überall befriedigen mußte, kehrten auch überall die dazu erforderlichen Institutionen wieder. Sie waren bei Thurnwald gleichsam die universalhistorische Seite der Entwicklung. Zwischen den „komplexen Originalitäten" der Lokalgeschichte und den universalen Funktionsreihen aber gab es keine Verbindung. Wenn man hofft, bei Thurnwald Prinzipien für eine Periodisierung der Urgeschichte zu finden, dann kann man das mit Aussicht auf Erfolg also nur bei den Funktionsreihen versu chen. Zu diesem Zweck muß Thurnwald in einige Teilgebiete der Kultur gefolgt werden. Begonnen sei mit Technik und Wirtschaft, die beide nach Thurnwald funktionell zusammenhängen. 2 Was er unter Technik genau verstand, hat Thurnwald leider nicht definiert. Man kann aber annehmen, daß er mit diesem Begriff die Summe der angewendeten Produktionsinstrumente meinte. Für diesen Bereich gab Thurnwald eine Entwicklung bzw. einen „Aufspeicherungsprozeß" zu. 3 Das Kennzeichnen dieses „Aufspeicherungsprozesses" war nach seiner Meinung die „Irreversibilität". Nur bei irreversiblen Vorgängen sprach er von „Akkumulation", „Entwicklung" oder „Fortschritt". Da die Technik aber nicht von den übrigen gesellschaftlichen Einrichtungen isoliert existierte, kam Thurnwald nicht umhin, als Folge der technischen Entwicklung auch auf anderen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens eine Entwicklung zuzugeben, aber nur insoweit, als unmittelbare kausale Zusammenhänge existierten. So habe beispielsweise die Entwicklung der Verkehrstechnik auf die Größe der gesellschaftlichen Gebilde ihre Auswirkungen gehabt, die Geldwirtschaft setzte die Kenntnis der Metallbearbeitung voraus usw. 4 Da aber nach Thurnwald die Entwicklung der Technik nicht das in der gesellschaftlichen Gestaltung allein bestimmende Element war, konnten nach seiner Ansicht von hier aus die Ursachen der historischen Prozesse nicht geklärt werden. Der Kern dieses Gedankens von Thurnwald war zweifellos richtig. Ein bestimmter Stand der Technik kann unter Umständen sehr verschiedenen Gesellschaftsformationen dienen, wie wir heute beobachten können, wo dieselbe Technik sowohl dem kapitalisitischen als auch dem sozialistischen Gesellschaftssystem dient. Umgekehrt kann die Technik sich innerhalb gewisser Grenzen wandeln, ohne daß eine wesentliche Veränderung der gesellschaftlichen Organisationsformen erfolgt. So hatte beispielsweise der Übergang zum Gebrauch eiserner Werkzeuge bei den südafrikanischen Thonga keine tiefgreifenden Änderungen auf dem Gebiete des gesellschaftlichen Zusammenlebens zur Folge. Erst wenn der neue Stand der Technik neue Formen der Distribution erzwingt, pflegen auch andere gesellschaftliche Beziehungen auf1 2 3 1

Ebenda, S. 9 1 . Ders., Werden, Wandel und Gestaltung der Wirtschaft, Berlin und Leipzig 1932, S. 5. Ders., W e r d e n Wandel und Gestaltung v o n S t a a t und K u l t u r , S. 273 f. Ders., Repräsentative Lebensbilder, Berlin und Leipzig 1931,. S. X I .

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zutreten. Deshalb h a t t e Thurnwald recht als er es ablehnte, von der Technik her allein die historische Entwicklung zu erklären. E r h a t t e aber nicht recht in seiner Auffassung, von der Technik her gar keine Erklärung f ü r die gesellschaftlichen Verhältnisse einer gegebenen ethnischen Gemeinschaft zu finden oder die Beziehung zwischen gesellschaftlicher Organisationsform und Technik auf den Kopf zu stellen mit der Feststellung: „. . . so finden wir diese (die Technik — I. S.) durch zwei H a u p t f a k t o r e n bedingt: Durch ihre Gesellschaftsorganisation und die Art ihrer Wirtschaftsgüter". 1 Zustimmen m u ß m a n Thurnwald auch in seiner Auffassung, daß die Technik etwas „Relatives, namentlich in Beziehung zur U m w e l t " ist. 2 J e nach Art der geographischen Umwelt m u ß t e n andere technische Mittel zur Auseinandersetzung mit der Natur geschaffen werden. Nach Thurnwald ist „die Frage . . . immer die, was eine bestimmte Menschengruppe durch ihre Fertigkeiten und Kenntnisse aus dem Lande, das sie bewohnt, herauszuholen imstande i s t " . 3 Damit h a t t e er eine Erkenntnis von großer Bedeutung gewonnen; denn er h a t t e die P r o d u k t i v i t ä t der Arbeit als das entscheidende Kriterium bezeichnet. E r verfolgte jedoch seine richtige Beobachtung bzw. Erkenntnis nicht weiter, sondern kehrte sie, wie die weiteren Ausführungen zeigen werden, wieder in ihr Gegenteil u m . Wenn man also nach Thurnwald den Geschichtsverlauf von der Technik her weder erklären noch gliedern kann, so bleibt die Frage offen, ob dies evtl. von der W i r t s c h a f t her, die mit der Technik in engem funktionalen Zusammenhang steht, möglich ist. Diese Vermutung wird hervorgerufen durch die von Thurnwald gebrauchten Begriffe der „ W i r t s c h a f t s t y p e n " u n d der „Wirtschaftshorizonte"; sie wird weiter bestärkt durch seine Ansicht, die Wirtschaft sei das vom „ A k k u m u lationsprozeß" am meisten betroffene Gebiet, das demzufolge noch am ehesten eine Entwicklung zuließ. 4 Thurnwald h a t die einzelnen Wirtschaftsformen (bzw. - „ t y p e n " ) zusammengestellt und ihr gegenseitiges historisches Verhältnis angegeben. Darüber hinaus h a t e r noch die den einzelnen Wirtschaftstypen entsprechenden Distributionsformen und sozialen Verhältnisse einbezogen. 5 Diese Betrachtungsweise könnte m a n als einen Versuch werten, den urgeschichtlichen Entwicklungsprozeß nach den genannten Merkmalen zu gliedern. Gegen eine solche Auslegung würde sich jedoch Thurnwald verwahrt haben. F ü r ihn gab es keine Entwicklung in der W i r t s c h a f t wie es eine Entwicklung in der Technik gab. Nur in der Technik setzte nach seiner Auffassung jede kompliziertere Fähigkeit die Kenntnis einer einfacheren voraus und f ü h r t e •damit zu einem zwangsläufigen Fortschritt vom Niederen zum Höheren. In der Wirtschaft sollte sich zwar dieser technische Akkumulationsprozeß nach Ansicht Thurnwalds im Vergleich zu den übrigen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens am stärksten auswirken, er war hier jedoch nicht der allein bestimmende F a k t o r . 1 2 4 3

Ders., Werden, Wandel und Gestaltung der Wirtschaft, S. 28. 3 Ebenda, S. 47. Ebenda, S. 47. Ders., Werden, Wandel und Gestaltung von Staat und Kultur, S. 244f. Ders., Werden, Wandel und Gestaltung der Wirtschaft, S. 4 8 f .

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Nach Thurnwald konnten „wirtschaftliche Änderungen . . . außer von der technischen Seite und der des Wissens und der Einsicht, auch von der sozialen Neugestaltung her erfolgen. Dies geschieht etwa durch Wanderungen, Nebeneinandersiedeln verschiedener ethnischer Bestandteile, Überschichtung oder herrschaftliche Zusammenfassung, ganz besonders aber auf dem Wege über das Abgabe- und Verteilungssystem".. 1 Im Werden, Wandel und der Gestaltung der Wirtschaft (nicht Entwicklung der Wirtschaft!) spielten demnach eine ganze Reihe äußerer Zufälligkeiten eine Rolle. Daneben darf man nach Thurnwald nicht die geistigen Faktoren vergessen, die ebenfalls bestimmend auf den Gang der Wirtschaft eingewirkt haben sollen. 2 Deshalb ist nach Thurnwald in den wirtschaftlichen Prozessen immer etwas „Rätselhaftes" enthalten. 3 Letztlich waren nach seiner Ansicht „alle Änderungen in der Wirtschaft . . . dem Ineinanderwirken unter Persönlichkeiten, und dem zwischen diesen und der Gesellschaft als Ganzes unterworfen." 4 Thurnwald konnte schon deshalb der Wirtschaft keine entscheidende Bedeutung in der Geschichte zubilligen, weil er sie von einem funktionalistischen Standpunkt betrachtete. Er sah in ihr lediglich einen Funktionskomplex, den er sich bemühte, in seine einzelnen Bestandteile zu zerlegen und auf seine verschiedenen funktionalen Beziehungen hin zu untersuchen. Wirtschaft war für Thurnwald aber nicht nur gleichbedeutend mit dem Funktionieren von Geld, Handel, Handwerk usw., sie war auch ein Funktionieren von Menschen in einem gegebenen Wirtschaftsprozeß. Deshalb war für ihn die Frage nach dem individuellen Handlungsmotiv von besonderer Wichtigkeit. Bei der Untersuchung dieser Frage kam er zu dem Ergebnis, „daß das soziale Motiv, das Verlangen nach einer ausgezeichneten Stellung unter den Gruppenangehörigen, durchaus die wirtschaftlichen Motive überwiegt". 5 Thurnwald vertrat also eine sehr persönlichkeitsbetonte Auffassung von der Wirtschaft. In diesem Zusammenhang ist auch seine Auffassung vom „Wirtschaftsgeist" von Interesse. Mit diesem Begriff erweiterte er die Wirtschaft so sehr, daß sie beinahe zu einer unerklärlichen Erscheinung wurde, jedenfalls was ihre urgeschichtliche Periode anbetrifft. Der ,,Wirtschaftsgeist" stellte nach Thurnwald gleichsam den Grundtenor eines gegebenen Wirtschaftssystems dar, der sich beispielsweise in einem ausgeprägten „Handelsgeist" oder einer besonders betonten „Wirtschaftsmagie" ausdrücken konnte. 6 Dieser Wirtschaftsgeist zeigt, insbesondere in der Wirtschaftsmagie, „die Bedingtheit der Wirtschaft durch religiöse Vorstellungen, die Art wie das rationale Wirtschaften stets durch irrationale Momente durchbrochen wird".' So kam Thurnwald auf dem Wege von dem technischen Akkumulationsprozeß, über die äußeren und inneren Zufälligkeiten, der Überbetonung der Rolle der Persönlichkeit in dem Ablauf wirtschaftlicher Prozesse und dem Wirtschaftsgeist schließlich zu dem Ergebnis: „Die Reihenfolge, in der die Systeme des Nahrungs1 4 6

Ebenda, S. 5. Ebenda, S. 5. Ebenda, S. 201 ff.

2 6 7

3 Ebenda, S. 6f. Ebenda, S. 5. Ebenda, S. 154; vergl. auch S. 153. Ebenda, S. 202.

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erwerbes angeführt wurden, darf keinem Entwicklungsschema gleichgesetzt werd e n " . 1 Trotz gewisser Wechselbeziehungen zwischen der sich ständig entwickelnden Technik und der Wirtschaft gab es also nach Thurnwald auf dem zuletzt genannten Gebiet keine Entwicklung. Gab es aber keine Entwicklung in der Wirtschaft, dann gab es auch keine Möglichkeit, den historischen Prozeß des wirtschaftlichen „Werdens, Wandeins und Gestaltens" zu gliedern. Hatte Weber immerhin noch die ersten Perioden der Urgemeinschaftsordnung von ökonomischen Gesichtspunkten her gegliedert, so müssen wir dieses Gebiet bei Thurnwald verlassen, ohne eine Lösung unseres Problems zu finden; denn f ü r ihn gab es kein „rationales Wirtschaften", das die Menschen gezwungen hätte, ihre Gesellschaft jeweils nach bestimmten Gesichtspunkten einzurichten. Auch der wirtschaftliche Prozeß bestand bei ihm aus „Abläufen" und „Störungen", wobei eben diese „Störungen" nach seiner Ansicht das Hindernis zu einer Gliederung dieses Verlaufs waren. Ehe auf die gesellschaftliche Entwicklung im allgemeinen eingegangen wird, soll die Frage untersucht werden, ob Thurnwald die Entstehung der Klassen und damit die Auflösung der Urgemeinschaftsordnung als einen Prozeß betrachtete, der einer bestimmten Gesetzmäßigkeit unterlag. Eine solche Vermutung könnte beim Lesen älterer Arbeiten von Thurnwald aufkommen. In einem Artikel über „Stufen der Staatsbildung bei den Naturvölkern" hatte er beispielsweise den gefundenen Stufen wenigstens „teilweise den Wert einer . . . entwicklungsmäßigen Schichtung" beigelegt. 2 In seinen späteren Arbeiten verließ er jedoch diese Betrachtungsweise wieder. Entweder wollte er die aufgestellten Typen lediglich als logische, nicht aber als historische Kategorien verstanden wissen, 3 oder er konnte die Vielfalt der Erscheinungen nicht auf einen Nenner bringen. Trotzdem hat er auch in seinen späteren Arbeiten zu diesem Problem einige Verallgemeinerungen getroffen. So hat er z. B. gesehen, wie ehemals urgemeinschaftliche Gemeinwesen in individualisierte und verselbständigte Familien zerfielen, die sowohl ökonomische als auch politische Ungleichheiten aufweisen konnten. 4 Die Ursache dieser Erscheinungen sah er in der Entstehung „privaten Kapitals", die wiederum die „Verselbständigung von Familien in einem größeren Gemeinwesen" zur Voraussetzung haben sollte. 6 Abgesehen von der unhistorischen Methode Thurnwalds, die Anhäufung von Reichtum an Vieh und Erzeugnissen des Bodenbaues mit „privatem K a p i t a l " gleichzusetzen, wurden mit dieser Behauptung die Kausalverhältnisse umgekehrt. Nach Thurnwald mußte erst die Vereinzelung der Familien stattgefunden haben, ehe es zur Bildung von Reichtumsunterschieden kommen konnte. Das aber be1

Ders., Werden, Wandel und Gestaltung von Staat und Kultur, S. 239. Ders., Stufen der Staatsbildung bei den Urzeitvölkern, i n : Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft, 25/1911. S. 420. 3 Vgl. z. B. E n t s t e h u n g v o n Staat und Familie, in: Blätter für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre, X V I / 1 9 2 1 , S. 3. 4 Ders., Werden, Wandel und Gestaltung v o n S t a a t und Kultur, S. 23ff. 5 Ders., Werden, Wandel und Gestaltung der Wirtschaft, S. 161. 2

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d e u t e t e , ökonomische Vorgänge einseitig durch gesellschaftliche F a k t o r e n b e d i n g t sein zu lassen. Die Klassenbildung k o n n t e nach T h u r n w a l d weiterhin die Folge einer ethnischen oder sozialen „ S c h i c h t u n g " sein. Die ethnische Schichtung war f ü r ihn gleichbedeutend mit einem Assimilierungsprozeß verschiedener ethnischer Gruppen m i t verschiedenen W i r t s c h a f t s f o r m e n . Dabei k o n n t e es zu wechselseitig verschiedener „ B e w e r t u n g " k o m m e n u n d d a m i t zu unterschiedlicher sozialer R a n g s t u f u n g . 1 W e n n beispielsweise beim Zusammentreffen von Bodenbauern u n d Viehzüchtern (bei Thurnwald ein Ereignis von überragender historischer Bedeutung) die Viehzüchter allgemein höher „ b e w e r t e t " w u r d e n qls die Bodenbauern, d a n n ergab sich d a r a u s die Bildung einer Herrenschicht seitens der Viehzüchter. Ausschlaggebend bei der Klassenbildung infolge ethnischer Schichtung w a r d e m n a c h die subjektive B e w e r t u n g bzw. H ö h e r b e w e r t u n g der einen oder anderen K o m p o n e n t e dieses Vorganges. Nicht objektive, sondern subjektive F a k t o r e n waren demzufolge hier das bestimmende Element.2 Andererseits k o n n t e n a c h T h u r n w a l d die E n t s t e h u n g von Klassen auf „soziale S c h i c h t u n g e n " z u r ü c k g e f ü h r t werden. Diese „ S c h i c h t u n g e n " b e r u h t e n ihm zufolge ,,. . . teils auf Besitz von Wertsymbolen oder Nahrungsquellen, teils auf Beziehung zur Z e n t r a l m a c h t (Despot, Beamte) . . . " 3 Beim Lesen dieses Zitats k ö n n t e d e r E i n d r u c k entstehen, als ob T h u r n w a l d wenigstens z u m Teil die E n t s t e h u n g der Klassen auf ökonomisch-materielle Bedingungen z u r ü c k f ü h r t e . E r blieb jedoch n i c h t bei dieser Meinung; denn gleich danach heißt es: „Allerdings m u ß die Frage offen bleiben, ob sie (die Rangunterschiede — I. S.) d a n n nicht die Nachwirkung von f r ü h e r e n ethnischen Überlagerungen d a r s t e l l e n . " 4 N a c h d e m er so seine erste Mein u n g angezweifelt, widersprach er ihr auch bald g a n z : „Man . . . (kann) von einer Schichtung doch erst dort sprechen, wo ein rangmäßiger Unterschied zur Grundlage des Gesellschaftsbaues geworden ist. Die Voraussetzung d a f ü r scheint aber in d e r Regel das Zusammentreffen verschiedener ethnischer Gruppen zu sein, also von Völkern verschiedener Rassenzusammensetzung u n d K u l t u r . " 5 Die Folge dieser Auffassungen war die Z u r ü c k f ü h r u n g der Klassen auf äußere Einflüsse u n d subjektive F a k t o r e n sowie die Außerachtlassung der ökonomischen Veränderungen innerhalb der entsprechenden Gemeinwesen. In letzter Konsequenz b e d e u t e t e dies, dem Zufall die E n t s t e h u n g der Klassen zu überlassen. Zusammenfassend k a n n also festgestellt werden, daß von der Ökonomie bzw. der materiellen Seite ü b e r h a u p t nach Thurnwald eine Gliederung der Urgeschichte n i c h t möglich ist. E s bleibt noch die Frage offen, ob er evtl. andere Prinzipien zur Systematisierung dieser Geschichtsepoche angewendet h a t . Ein solches Prinzip k ö n n t e m a n beispielsweise v e r m u t e n in den „Situationst y p e n " , die T h u r n w a l d m i t folgenden W o r t e n charakterisiert h a t : „ D a s was wiederk e h r t , sind gewisse Situationstypen, an die sich ein ablaufendes Reaktionsschema der d a r a n beteiligten Gruppen, Personen u n d F ü h r e r k n ü p f t . Die Z u r ü c k f ü h r u n g auf 1

Ders., Werden, Wandel und Gestaltung von Staat und Kultur, S. X V I I . 3 2 Vgl. auch ebenda, S. 113. Ebenda, S. X V I I . 4 5 Ebenda, S. 112. Ebenda, S. 112.

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die durch die Wiederkehr gleicher Situationen entstehenden psychischen Reize und ihre ähnliche Beantwortung ist der Kern der Gesetzlichkeit, weil die besonderen sozialen Erscheinungen in die ihnen letztlich zugrunde liegenden psychischen Vorgänge aufgelöst werden k ö n n e n . " 1 Es wird gleich klar werden, daß m a n die erwähnte Gesetzlichkeit der sozialen Erscheinungen nicht allzu wörtlich nehmen darf. Unter diesen Situationstypen gab es nach Thurnwald zunächst einmal „allgemeinmenschliche Situationen", wie Sexualität, Freundschaft, Feindschaft usw. 2 Von diesen angeführten Kategorien sind jedoch Freundschaft und Feindschaft — zumal in interethnischer Beziehung — auch nur historische Erscheinungen. Stempelt m a n sie zu „allgemein-menschlichen Situationen", dann läßt sich daraus leicht die politische „ E r b f e i n d s c h a f t " ableiten, und auch der Krieg könnte dann zu einer „allgemein-menschlichen S i t u a t i o n " erklärt werden. Neben diesen „allgemein-menschlichen Situationen" k a n n t e Thurnwald noch die „sozial-psychischen Situationen". Wie schon der Name andeutet, handelt es sich dabei u m Situationen, die durch die psychische Reaktion auf eine soziale Gegebenheit hervorgerufen wurden. 3 Daraus sollten sich „ A b l ä u f e " ergeben, d. h. ein folgerichtiges Nacheinander von historischen Ereignissen, wobei die Entwicklung durch die Entscheidung hervorragender Persönlichkeiten bestimmt wurde. 4 Die ganze Konstruktion der „sozial-psychischen Situationen" beruhte auf der Anerkennung der psychischen Reaktion auf äußere Reize als Kern der historischen Gesetzlichkeit. Geschichte, insbesondere Geschichte der sozialen Organisation, war f ü r Thurnwald gleichbedeutend mit psychischen Vorgängen. In diesen psychischen Vorgängen aber sah er letztlich unerklärliche Erscheinungen. W a r der Geschichtsverlauf abhängig vom subjektiven Wollen der Menschen, dann — so meinte Thurnwald — „. . . stellten solche Abläufe immer nur Tendenzen dar, die jederzeit durch Ereignisse stärkerer Art, wie vor allem durch fremde Einflüsse, die sich in irgendwelcher Form, friedlich oder feindlich, geltend machen ,gestört' und abgebogen werden k ö n n e n . " 5 An anderer Stelle heißt es: „ E s handelt sich hier nicht u m irreversible Vorgänge, zumal diese Gemeinwesen ja immer wieder gelegentlich zerfallen . . . Irreversibel an diesen Abläufen ist n u r die Erfahrung, die die Menschen ü b e r h a u p t daran gemacht haben, und die darum in den Schatz ihres Wissens eingegangen ist. Der Ablauf der sozialen Gestaltung hingegen t r ä g t einen anderen C h a r a k t e r . " 6 So zerfließt also die zuvor angekündigte Gesetzmäßigkeit sozialer Gestaltung bei näherem Zusehen unter den Händen. W a s übrig bleibt, sind „ A b l ä u f e " und „ S t ö r u n g e n " und ein irreversibler Anhäufungsprozeß historischer Erfahrungen, mit denen allerdings nicht eine einzige Geschichtsperiode gegliedert werden kann. Um das Bild zu vervollständigen, sei noch hinzugefügt, daß bei der Entstehung der „sozial-psychischen Situationen" Thurnwald zufolge die Emotionen der Menschen von ausschlaggebender Bedeutung gewesen sind. J a , mehr noch: „Die ungeheuere Macht der Affekte entrückt das soziale Geschehen immer wieder vernünftigem Planen und leitet in ein übermenschliches Bereich hin", 7 von wo aus keine wissenschaftliche Erkenntnis mehr gewonnen werden kann. 1 4

6

Ebenda, S. 305. Ebenda, S. 24, 287.

Sellnow, U r g e s c h i c h t e

* Ebenda, S. 306. Ebenda, S. 24.

5

3 8

Ebenda, S. 31.

7

Ebenda, S. 3 0 1 f . Ebenda, S. 319.

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Thurnwald hat noch eine Vielzahl von „Abläufen" in den fünf Bänden seiner „Menschlichen Gesellschaft in ihren ethno-soziologischen Grundlagen" angeführt. Es würde nichts nützen, sie hier im einzelnen zu verfolgen. Bisher wurden die Gebiete untersucht, die noch am ehesten eine brauchbare Lösung versprachen bzw. bei denen Thurnwald selbst eine solche Lösung ankündigte. Bis auf eine Ausnahme stellte es sich immer wieder heraus, daß die historischen Prozesse seiner Meinung nach nicht zu gliedern sind, da alle Geschichte nur aus „Abläufen" und „Störungen" besteht. Deshalb kam er bei seinen Untersuchungen über „Werden, Wandel und Gestaltung von Staat und Kultur" zu folgenden Schlußfolgerungen: „Was nun vorausschauend als Unbestimmtheit, ja als Zufallsspiel erscheint, ist bestimmt und bedingt in allerdings für den Menschen unabsehbaren Kombinationen. Nur mit göttlicher Allwissenheit wäre dieser Prozeß überschaubar." 1 An anderer Stelle heißt es: „Von unbekannter Hand ist das große Drama der Menschheit geschrieben, in dem wir Puppen auf der Bühne sind, meistens schlechte Beobachter und oft verwirrte Zuschauer . . . Nur als Naturforscher können wir von diesem Drama etwas ahnen — nie aber es ,verstehen'." 2 Die Erklärung dieser Ansichten Thurnwalds liegt in seinem Entwicklungsbegriff. In seinen Werken hat er sich des öfteren mit den Evolutionisten auseinandergesetzt und völlig berechtigt auf die Unzulänglichkeiten ihrer Methode hingewiesen. Man muß jedoch Thurnwald widersprechen, wenn er den evolutionistischen Entwicklungsbegriff als den allein vorhandenen ansieht. Da er einen anderen Entwicklungsbegriff als den evolutionistischen nicht berücksichtigte bzw. nicht anerkannte, kam er zu der Auffassung, die Entwicklung auf die Zivilisation (bzw. Technik) zu beschränken, da er nur hier ein immerwährendes folgerichtiges Fortschreiten vom Niederen zum Höheren feststellen konnte. Darin hatte Thurnwald zweifellos recht. Nicht recht hatte er aber, den gesellschaftlichen Prozessen die Entwicklung abzusprechen, nur weil sie sich hier nicht in evolutionistischer Weise vollzog. In der Interpretation der gesellschaftlichen Entwicklung scheiterte also Thurnwald, weil er nicht mit der Widersprüchlichkeit der historischen Prozesse fertig werden konnte. Deshalb wollte er sich beschränken auf die Untersuchung zahlloser Einzelzusammenhänge, wollte er sich wie ein „Naturforscher" den gesellschaftlichen Prozessen gegenüber verhalten. Da Thurnwald also bei der Untersuchung gesellschaftlicher Prozesse von einem evolutionistischen Entwicklungsbegriff ausging, fand er immer nur in einem zeitlich begrenzten Abschnitt einen „Ablauf", d. h. einen kontinuierlichen, evolutionistischen Anhäufungsprozeß vor, der jedoch immer wieder „gestört" bzw. „abgelenkt" wurde. Diese „Störungen" oder „Ablenkungen" Thurnwalds können auf zwei Wurzeln zurückgeführt werden: Einmal stellen sie — wie oben angedeutet — auftretende gesellschaftliche Widersprüche bzw. Auseinandersetzungen infolge dieser Widersprüche dar; zum anderen handelt es sich dabei um äußere Zufälligkeiten. Ebensowenig wie die innere Widersprüchlichkeit der gesellschaftlichen Entwicklung konnte sich Thuruwald den dialektischen Zusammenhang zwischen Zufall und Notwen1

Ebenda, S. 321f.

2

Ebenda, S. 3.

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digkeit erklären. Für ihn gab es entweder nur die Notwendigkeit, d . h . den folgerichtigen historischen „Ablauf", oder den Zufall bzw. die „Störung". Er sah nicht, wie sich im historischen Entwicklungsprozeß die Gesetzmäßigkeit über die Zufälligkeit durchsetzt. Hatten die Evolutionisten den Zufall der Entwicklung ignoriert und hatten sie überall nur folgerichtige Entwicklungen gesehen, so fiel Thurnwald in das andere Extrem und sah — bis auf eine Ausnahme, in der technischen E n t wicklung — vor lauter „Störungen" keine durchgängige Entwicklung mehr. Infolgedessen nahm er eine Aufspaltung vor in „Zivilisation" und „ K u l t u r " und unterteilte auch das Gebiet der Kultur noch in eine Reihe weiterer Funktionsgruppen, wie Familie, soziale Beziehungen, Wirtschaft, politische Organisation, Recht usw., die untereinander zwar in gewisser Weise funktionale Zusammenhänge aufweisen konnten, die aber in sich jeweils ganz verschiedenen Veränderungsbedingungen unterlagen. „Aus alledem", schrieb er, „geht die ungeheuere Verwicklung des Zivilisations- und Kulturprozesses hervor, die wir nie mit einfachen Formeln bewältigen können". 1 Aus diesem Grunde hielt es Thurnwald nicht für möglich, ein Prinzip zur Periodisierung der Urgeschichte zu finden. c) Multilinearer

Evolutionismus

Zur soziologischen Schule muß man auch eine Gruppe von Forschern rechnen, die ihre eigene Position als „multilinearen Evolutionismus" bezeichnen. Diese Selbstbezeichnung ist etwas irreführend; denn mit den Evolutionisten der alten Schule hat diese neue Forschungsrichtung wenig Gemeinsames. Den Anhängern des multilinearen Evolutionismus kommt es nicht — wie dem klassischen Evolutionismus — auf die Darstellung eines gesetzmäßigen historischen Prozesses an; sie wollen, wie alle Soziologen, „Regelmäßigkeiten" in der sozialen Entwicklung finden.2 Da sich unter ähnlichen Bedingungen auch ähnliche soziale Entwicklungen vollziehen, wollen die Vertreter dieser Schule Kulturen mit jeweils spezifischen und gleichen Existenzbedingungen untersuchen. Versuche in dieser Richtung stellen z. B. die Arbeiten Wittfogels über die soziale Struktur in den orientalischen Bewässerungskulturen und die Stewards über die patrilineare Bande bzw. Horde bei Jägervölkern dar. Im Prinzip läuft also das Bestreben dieser Schule auf die Herausarbeitung typischer Übereinstimmungen in Kulturen mit jeweils gleicher wirtschaftlicher Grundlage hinaus, ein Bemühen, das auch bei Thurnwald festzustellen war. Die „Ähnlichkeiten" bzw. „Parallelen" in der kulturellen E n t wicklung werden — ebenfalls wie bei Thurnwald — zurückgeführt auf einige unabänderliche funktionale Zusammenhänge. Da aber das Vorhandensein einer allgemeinen historischen Gesetzmäßigkeit geleugnet wird bzw. der dialektische Zusammenhang zwischen Lokal- und Universalgeschichte sowie zwischen Zufall und Notwendigkeit zerrissen wird, sehen sich die Vertreter des multilinearen Evolutionismus außerstande, univeralhistorische Entwicklungsprozesse zu periodisieren. 3 1

Ebenda, S. 306. J. H. Steward, Evolution and Process, in: Anthropology Today, Chicago 1953, p. 318. Ebenda, p. 318; ders., Cultural Causality and Law: A Trial Formulation of the Development of Early Civilizations, in: American Anthropologist, 51/1949, No. 1, p. 23. 2 3

6*

Historiographischer

84 11. A M E R I K A N I S C H E

Überblick

HISTORISCHE SCHULE

UND

PSYCHOLOGISCHE

Nach der Betrachtung einer ganzen Reihe von Theoretikern erweist es sich, daß von den Anhängern der kulturhistorischen und der soziologischen Richtung innerhalb der Ethnographie keine Hilfe zur Auffindung von geeigneten Grundprinzipien einer Periodisierung der Urgeschichte zu erwarten ist. Neben den beiden genannten Richtungen gibt es noch eine Mehrzahl anderer Schulen, die hier nicht alle behandelt werden können. Es würde auch gar nichts an dem bisher gewonnenen Ergebnis ändern. Zum Beweis dessen seien noch zwei Schulen angeführt, die heute insbesondere in den USA von Bedeutung sind. Die eine dieser Schulen bezeichnet sich als „historische Schule". Trotz dieser Bezeichnung ist sie aber weit davon entfernt, die Probleme geschichtlicher Entwicklung zu lösen. Boas, ehemals das H a u p t dieser Schule, vertrat beispielsweise genau wie Thurnwald die Auffassung, eine Entwicklung sei nur auf dem Gebiete der Technik, nicht aber auf kulturellem Gebiet zu verzeichnen. 1 Wenn Boas auch die Möglichkeit des Vorhandenseins historischer Gesetzmäßigkeiten zugab, so hielt er aber im Augenblick ihre Erkennbarkeit für unmöglich. Er stellte resignierend fest: „We refrain from the attempt to solve the fundamental problem of the general development of civilization until we have been able to unravel the processes t h a t are going on under our eyes." 2 Boas und seine Schüler betrachteten daher alle Kulturen als einmalige, individuelle Gebilde und verzichteten darauf, nach den Ursachen ihrer Existenz zu forschen. Eine völlig andere Forschungsrichtung verfolgt die psychologische Schule, als deren Begründerin Ruth Benedict, eine Schülerin von Boas, betrachtet werden muß. Der Grundgedanke dieser Schule ist folgender: Jede Kultur wird beherrscht von einem einzigen Leitmotiv, einer Konfiguration. Alle Institutionen, alle Handlungen der Menschen gründen sich angeblich auf dieses Leitmotiv, entspringen daraus. Dadurch erhalte jede Kultur eine ganz spezifische, psychologisch bedingte Individualität. R u t h Benedict hat ihre Konzeption an drei Beispielen demonstriert: An den Dobu, deren Kultur angeblich von Böswilligkeit beherrscht werde, an den Pueblo, die einem apollinischen Prinzip huldigen sollen, „das in Formalitäten schwelgt und dessen Richtschnur Maßhalten und Nüchternheit heißt", und an den Kwakiutl, deren Kultur dem Gedanken der Rivalität untergeordnet sein soll. 3 Diese These von der Konfiguration ist keine neue Erfindung Ruth Benedicts. In der Ethnographie hat sie einen Vorgänger in dem Paideuma von Frobenius, und unter den Philosophen finden sich in Dilthey, Spengler und Spranger ebenfalls Vorläufer dieser Auffassung. Verbunden wurde das Ganze bei Benedict mit der psychoanalytischen Methode Freuds und der pragmatistischen Philosophie Deweys. 1 F. Boas, Anthropology, Reprinted from Encyklopaedia of the Social Sciences, 1930, p. 103. 2 Ders., TheMethods of Ethnology, in: American Anthropologist, N. S., vol. 22/1920, p. 315. 3 R. Benedict, Kulturen primitiver Völker, Stuttgart 1949, S. 118, 157, 223.

Amerikanische historische und psychologische Schule

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W e n n auch die Thesen Benedicts den Anstoß zur E n t s t e h u n g einer h e u t e zahlenm ä ß i g sehr bedeutenden Schule bildeten, so werden sie aber doch nicht m e h r in allen P u n k t e n von ihren heutigen Anhängern akzeptiert. So erweckte insbesondere die Auffassung von dem einzigen Leitmotiv einer K u l t u r Widerspruch. Es erwies sich oftmals als unmöglich, ein solches Leitmotiv ausfindig zu m a c h e n . Deshalb sah sich beispielsweise Kardiner gezwungen, einen neuen Begriff einzuführen, die „basic p e r s o n a l i t y " einer jeden K u l t u r . Dieser Begriff e n t s p r i c h t seinem U r h e b e r zufolge dem Begriff des Nationalcharakters bei H e r o d o t u n d Cäsar 1 u n d läßt jeweils eine Mehrzahl charakteristischer W e r t s c h ä t z u n g e n bzw. Orientierungsrichtungen des Handelns innerhalb einer K u l t u r zu. 2 Auch von K a r d i n e r wurde jedoch die Psychoanalyse F r e u d s beibehalten als methodische Grundlage der ganzen Arbeit. Dieser Methode zufolge soll die „basic p e r s o n a l i t y " gefunden werden durch Analyse von T r ä u m e n , S a m m l u n g von Biographien u n d U n t e r s u c h u n g der Erziehungsm e t h o d e n . 3 Ausgangspunkt war also das I n d i v i d u u m . Von hier aus sollte e r k e n n b a r sein, wie die einzelnen gesellschaftlichen Institutionen auf den einzelnen Menschen w i r k t e n 4 u n d wie diese Institutionen strukturell z u s a m m e n h ä n g e n . 5 Von dieser Basis aus sollten d a n n schließlich erkennbar werden „ t h e laws which govern t h e psychodynamics of social c h a n g e " . 6 In dieser Methode liegen jedoch zwei Unsicherheitsfaktoren: E i n m a l können die objektiven Gegebenheiten durch die subjektiven Vorstellungen des U n t e r s u c h t e n u n d zum anderen können diese subjektiven Vorstellungen des U n t e r s u c h t e n d u r c h die I n t e r p r e t a t i o n e n des Untersuchenden entstellt sein. T r a u m a n a l y s e n beispielsweise haben bis h e u t e ihre Eignung zur Klärung sozialer Probleme nicht bewiesen, u n d f ü r eine Methode, die auf ein Meinen über das Meinen anderer h i n a u s l ä u f t , d ü r f t e dasselbe gelten. E s ist hier nicht der Ort, u m auf die psychologischen Methoden der Vertreter dieser Schule im einzelnen einzugehen. Diese Methoden k ö n n e n n u r vom Psychologen, aber nicht vom E t h n o g r a p h e n beurteilt werden. 7 Aber bereits der Ausgangsp u n k t dieser Schule m u ß Widerspruch hervorrufen. Sie geht v o m individuellen Bewußtsein aus u n d h ä l t es f ü r so entscheidend, u m von hier aus Veränderungen des sozialen Lebens erklären zu können. Niemand wird die B e h a u p t u n g der psychologischen Schule bestreiten, daß der Mensch Träger der K u l t u r ist u n d auch seine 1

A. Kardiner, The Psychological Frontiers of Society, N e w York (1948), p. 24.

2

R. Linton, Foreword, in: A. Kardiner, The Individual and His Society, 5 t h Ed., N e w York 1949, p. I X . 3

A. Kardiner, Psychological Frontiers, p. 35 sqq.

4

Ders., Individual and His Society, p. 9, 462.

5

Ders., Psychological Frontiers, p. 30.

6

Ders., Individual and His Society, p. 487.

7

Diese Schwierigkeit besteht nicht nur für den Außenstehenden. Auch innerhalb dieser Schule ist die A n w e n d u n g dieser Methode nicht allen ihren Anhängern möglich. Oftmals sind die Ethnographen nur die Materiallieferanten, während die Analyse und Interpretation d e m Psychiater vorbehalten bleiben muß. Dadurch wird die Ethnographie zu einer Hilfswissenschaft der Psychologie.

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Historiographischer Überblick

Geschichte m a c h t . Der strittige P u n k t liegt n u r in der Frage, ob das individuelle Bewußtsein der primäre oder der sekundäre F a k t o r ist. Das Hauptproblem, mit dem sich diese Schule befaßt, ist weniger das Problem der historischen Entwicklung als vielmehr das Verhältnis, das zwischen Individ u u m und Gesellschaft besteht. Immerhin wäre es möglich, von dieser Frage aus historische Erkenntnisse zu gewinnen, wenn m a n systematisch die Veränderungen untersuchte, die dieses Verhältnis im Laufe der Zeit durchgemacht h a t . Die basicpersonality-Konzeption aber läßt eine solche Untersuchung nicht zu. Kardiner selbst stellte fest, der Nationalcharakter verschiedener europäischer Völker h a b e in den letzten 2000 J a h r e n k a u m Veränderungen durchgemacht, 1 u n d doch h a t sich der Charakter dieser Gesellschaften mehrfach grundlegend gewandelt und damit auch das Verhältnis Individuum-Gesellschaft. Wenn diese Methode trotz ihres Interesses f ü r dieses Verhältnis zu keinen historischen Erkenntnissen k o m m t , dann k a n n das n u r an einer falschen Ausgangsbasis liegen. Ein Mangel dieser Schule liegt in der Gleichsetzung des individuellen Bewußtseins m i t dem objektiven Tatbestand. Die wirklichen sozialen Verhältnisse werden dadurch von vornherein aus der B e t r a c h t u n g ausgeklammert. Dieses Verfahren ist u m so weniger verständlich, als das erklärte Ziel dieser Schule die Erfassung u n d das Verständnis der gesellschaftlichen Institutionen ist. Es wäre wesentlich einfacher, würde man direkt diese Institutionen untersuchen bzw. würde man sie als objektive Gegebenheiten in die Untersuchung einbeziehen. Betrachtet man aber das individuelle Bewußtsein als Widerspiegelung dieser objektiven Gegebenheiten, dann könnte man der Erkenntnis der Widersprüchlichkeit des Verhältnisses Individuum-Gesellschaft einen Schritt n ä h e r k o m m e n , m ü ß t e allerdings immer berücksichtigen, daß das individuelle Bewußtsein keine exakte Widerspiegelung der Realität zu sein braucht. Diese Ausklammerung der objektiven Gegebenheiten und ihre Ersetzung durch psychologische Kategorien erklärt jedoch noch nicht alles. Ein weiteres Hindernis zur historischen Erkenntnis f ü r diese Schule ist die Konzeption des „Leitmotivs". Auch in ihrer etwas variabler gehaltenen Form als „basic personality" setzt sie immer durchgängige psychologische Eigenschaften bei einem bestimmten Volke voraus. Das wirkliche individuelle Bewußtsein mit seinen Besonderheiten wird also gar nicht erforscht; gesucht werden die bei allen oder doch nahezu allen Mitgliedern einer gegebenen Gesellschaft vorhandenen gleichen psychologischen Eigenarten. Zweifellos haben sich solche Eigenarten im Laufe derZeit bei den einzelnen Völkern herausgebildet. Sie objektivieren sich in spezifischen Lebensgewohnheiten, Kunststilen usw. Sie sind das P r o d u k t der Isolierung der betreffenden Gruppen von anderen und scheinen sich erst im Zeitalter der schnellen Verkehrsmittel, des Weltverkehrs und des Welthandels allmählich abzuschleifen. Sie haben sich jedoch über lange J a h r h u n d e r t e hinweg bei den betreffenden Völkern erhalten, und zwar relativ unabhängig von den wechselnden sozial-ökonomischen Strukturen. Die Konzentration und Begrenzung auf diese Seite des Bewußtseins ist der H a u p t g r u n d f ü r die fehlende Einsicht in die historischen Entwicklungsprozesse. 1

A. Kardiner, Psychological Frontiers, p. 432.

Zusammenfassung

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Im Laufe langer Zeit allmählich herausgebildet, sind die Nationalcharaktere sehr konservative Elemente, die sich n u r langsam ändern, in denen sich also der historische Entwicklungsprozeß nicht im einzelnen widerspiegelt. Sie sind allgemeine Merkmale der einzelnen Völker. Ständig verändert werden dagegen die ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen. Wenn m a n also den historischen Entwicklungsprozeß gliedern will, dann kan n m a n nicht von den konservativen, d a n n m u ß m a n von den veränderlichen Merkmalen ausgehen. Da aber gerade diese veränderlichen Merkmale von der psychologischen Schule ausgeklammert werden, k a n n m a n m i t ihrer Methode keine Periodisierungsprinzipien finden.

12. Z U S A M M E N F A S S U N G

Das Problem der Periodisierung der Urgeschichte wird also schon seit langem in der Wissenschaft erörtert. Bereits in der Antike wurden Periodisierungsversuche unternommen, die zum Teil spekulativ, zum Teil aber auch schon von wissenschaftlichem Wert waren. Sie beruhten bereits verschiedentlich, wie ganz ausgesprochen bei Lucrez, auf einer materialistischen Grundlage und einer naturwüchsigen Dialektik. Alle angeführten Denker dieser Periode wollten mit ihren Rekonstruktionsversuchen der Urgeschichte die Ursachen der Widersprüche in der Gesellschaft ihrer Tage klären. Die beachtlichen methodischen u n d praktischen Ergebnisse, die die antiken Philosophen dabei gewonnen hatten, gingen in Europa dem Mittelalter wieder verloren. Hier ließ das christlich-feudale Weltbild keinen Platz f ü r Erörterungen über Fragen der Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft. Die Schranken, die damit einer Erforschung der Urgeschichte gesetzt waren, wurden erst durch die Aufklärung durchbrochen. Obgleich sich viele Aufklärer mit dem Urzustand beschäftigt haben, so war doch diese Geschichtsperiode nicht ihr eigentliches Forschungsobjekt. Die Aufklärer als Vertreter der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft setzten sich mit den vorgefundenen feudalen Einrichtungen und Anschauungen auseinander. Ihr Problem war die Errichtung der bestmöglichen Gesellschaft; der Geschichte maßen sie n u r eine untergeordnete Bedeutung bei. Vielfach sahen sie in der bisherigen Geschichte ü b e r h a u p t nur eine Folge bedauerlicher I r r t ü m e r der Menschheit. Manchmal erblickten sie aber auch in den vorangegangenen Perioden Vorbilder f ü r die zukünftige, nach rationalistischen Prinzipien einzurichtende Gesellschaft. Nur einige versuchten eine Periodisierung des Geschichtsverlaufs. Häufig wurde dabei als Prinzip die bereits im Altertum bekannte Dreistufentheorie angewendet. Von einer gänzlich anderen Position ging jedoch Rousseau aus. E r gliederte die Urgeschichte unter dem Gesichtspunkt der stufenweisen E n t s t e h u n g der sozialen Ungleichheit, womit erstmals eine dialektische Fragestellung in der Neuzeit bei der Periodisierung der Urgeschichte auftauchte. Ein weitaus stärkeres Interesse f ü r die urgeschichtlichen Zustände als die Aufklärer bewiesen einige Vertreter der englischen Moralphilosophie, wie Ferguson und

Zusammenfassung

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Im Laufe langer Zeit allmählich herausgebildet, sind die Nationalcharaktere sehr konservative Elemente, die sich n u r langsam ändern, in denen sich also der historische Entwicklungsprozeß nicht im einzelnen widerspiegelt. Sie sind allgemeine Merkmale der einzelnen Völker. Ständig verändert werden dagegen die ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen. Wenn m a n also den historischen Entwicklungsprozeß gliedern will, dann kan n m a n nicht von den konservativen, d a n n m u ß m a n von den veränderlichen Merkmalen ausgehen. Da aber gerade diese veränderlichen Merkmale von der psychologischen Schule ausgeklammert werden, k a n n m a n m i t ihrer Methode keine Periodisierungsprinzipien finden.

12. Z U S A M M E N F A S S U N G

Das Problem der Periodisierung der Urgeschichte wird also schon seit langem in der Wissenschaft erörtert. Bereits in der Antike wurden Periodisierungsversuche unternommen, die zum Teil spekulativ, zum Teil aber auch schon von wissenschaftlichem Wert waren. Sie beruhten bereits verschiedentlich, wie ganz ausgesprochen bei Lucrez, auf einer materialistischen Grundlage und einer naturwüchsigen Dialektik. Alle angeführten Denker dieser Periode wollten mit ihren Rekonstruktionsversuchen der Urgeschichte die Ursachen der Widersprüche in der Gesellschaft ihrer Tage klären. Die beachtlichen methodischen u n d praktischen Ergebnisse, die die antiken Philosophen dabei gewonnen hatten, gingen in Europa dem Mittelalter wieder verloren. Hier ließ das christlich-feudale Weltbild keinen Platz f ü r Erörterungen über Fragen der Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft. Die Schranken, die damit einer Erforschung der Urgeschichte gesetzt waren, wurden erst durch die Aufklärung durchbrochen. Obgleich sich viele Aufklärer mit dem Urzustand beschäftigt haben, so war doch diese Geschichtsperiode nicht ihr eigentliches Forschungsobjekt. Die Aufklärer als Vertreter der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft setzten sich mit den vorgefundenen feudalen Einrichtungen und Anschauungen auseinander. Ihr Problem war die Errichtung der bestmöglichen Gesellschaft; der Geschichte maßen sie n u r eine untergeordnete Bedeutung bei. Vielfach sahen sie in der bisherigen Geschichte ü b e r h a u p t nur eine Folge bedauerlicher I r r t ü m e r der Menschheit. Manchmal erblickten sie aber auch in den vorangegangenen Perioden Vorbilder f ü r die zukünftige, nach rationalistischen Prinzipien einzurichtende Gesellschaft. Nur einige versuchten eine Periodisierung des Geschichtsverlaufs. Häufig wurde dabei als Prinzip die bereits im Altertum bekannte Dreistufentheorie angewendet. Von einer gänzlich anderen Position ging jedoch Rousseau aus. E r gliederte die Urgeschichte unter dem Gesichtspunkt der stufenweisen E n t s t e h u n g der sozialen Ungleichheit, womit erstmals eine dialektische Fragestellung in der Neuzeit bei der Periodisierung der Urgeschichte auftauchte. Ein weitaus stärkeres Interesse f ü r die urgeschichtlichen Zustände als die Aufklärer bewiesen einige Vertreter der englischen Moralphilosophie, wie Ferguson und

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Historiographischer

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Adam Smith, die man auch als Vorläufer bzw. Begründer der klassischen politischen Ökonomie bezeichnen kann. Beide Autoren sahen trotz ihres bedingungslosen Eintretens für den Liberalismus in der bürgerlichen Gesellschaft keine harmonische Ordnung, wie es sich die Aufklärer noch erträumt hatten. Ferguson und Smith waren aber Vertreter des Bürgertums in seiner aufsteigenden Epoche und glaubten daher noch an eine Möglichkeit der Lösung der vorgefundenen neuen Widersprüche. Um diese Lösung zu ermöglichen, gingen sie methodisch wie die Philosophen des Altertums und wie Rousseau vor: Sie untersuchten die klassen- und widerspruchslose Periode der Urgeschichte der Menschheit, um mit der Ursache der aufgetretenen Widersprüchlichkeit die Mittel zu ihrer Überwindung zu finden. Dieser Ausgangspunkt führte Ferguson und Smith zu Periodisierungen der Urgeschichte, deren Grundlagen die stufenweise Entstehung jeweils eines gesellschaftlichen Widerspruchs war. Da sie beide von Gesichtspunkten ausgegangen sind, die für die Entwicklung der Gesellschaft von entscheidender Bedeutung sind und waren, haben ihre Periodisierungen auch für uns noch einen Wahrheitsgehalt. Als eine endgültige Lösung des Problems können sie jedoch nicht betrachtet werden, da ihre Urheber jeweils nur von einem Merkmal aus die Urgeschichte gegliedert hatten und demzufolge ihre Schemata an einer allzugroßen Einseitigkeit litten. Ein konsequenter dialektischer Standpunkt kam erst mit dem System der Hegelschen Philosophie in der Geschichtsbetrachtung auf. Wie seine Vorgänger, glaubte auch Hegel noch an eine Lösung der gesellschaftlichen Widersprüche innerhalb der Klassengesellschaft und an eine Weiterentwicklung dieser Gesellschaftsform. Deshalb deckte er schonungslos die Widersprüchlichkeit in der Geschichte der Menschheit auf, um die Errichtung eines Idealstaates zu erleichtern. Allerdings beruhte der Hegeische historische Standpunkt auf der abstrakten Vorstellung von der Entwicklung des objektiven Geistes und nicht auf konkreten historischen Untersuchungen. Unter seinem Einfluß wurde es aber nunmehr zur Aufgabe des Denkens, den allmählichen Entwicklungsprozeß der Menschheit zu verfolgen und dessen innere Gesetzmäßigkeit nachzuweisen. Hegel selbst hatte diese Gesetzmäßigkeit nicht finden können, da er seine dialektische Methode mit einem idealistischen Inhalt verband. In der bürgerlichen Philosophie lebten die progressiven Seiten der Hegeischen Philosophie nicht weiter. Ihr Erbe übernahm der Marxismus, der mit der Methode der Dialektik und dem materialistischen Inhalt seiner Philosophie das Geschehen in Natur und Gesellschaft erklärt. Als Reaktion des Bürgertums auf die französische Revolution entstand in Deutschland die Romantik und als Teil davon, auf dem Gebiete der sich konstituierenden ethnographischen Wissenschaft, die mythologische Schule. Infolge ihrer Ablehnung sowohl der bürgerlichen Revolution als auch der bestehenden Verhältnisse sahen die Romantiker als politisches Ideal die historisch überlebte feudale Gesellschaftsordnung an. In der Wissenschaft leugneten sie unter dem Einfluß der feudalen Ideologie die Entwicklung der Menschheit und ihrer Kultur. Durch diese antihistorische Einstellung wurde die Erforschung der Urgesellschaft unmöglich, und

Zusammenfassung

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das Problem der Periodisierung der Urgeschichte konnte deshalb im System der mythologischen Schule gar nicht erst auftauchen. Als sich die bürgerliche Ordnung festigte, kam eine neue Richtung in der Ethnographie auf: die evolutionistische Schule. Da sich nach den französischen Revolutionen die bürgerliche Ordnung nunmehr in der ganzen Welt langsam ohne revolutionäre Umwälzungen durchsetzte, entstand bei den Vertretern dieser Schule die Vorstellung, die Geschichte bestehe einzig und allein aus einer allmählichen Evolution, die infolge der Gesetzmäßigkeit der Entwicklung überall zu den gleichen Ergebnissen führe. Unter dem methodischen Gesichtspunkt der Evolution versuchten sie auch, den historischen Prozeß der Urgeschichte zu gliedern. Dabei kam ihnen die sprunghafte Entwicklung der Ethnographie als Wissenschaft sehr zu Hilfe, so daß die Evolutionisten ihre Darstellung der Urgeschichte auf weit besserer materialmäßiger Grundlage aufbauen konnten als ihre Vorgänger. Trotzdem betrachteten sie in den meisten Fällen den historischen Entwicklungsprozeß nicht in seiner Gesamtheit. Nur verhältnismäßig wenige von ihnen, wie z. B . Bachofen, Tylor, Kowalewski und vor allem Morgan, stellten statt einfacher Entwicklungsreihen regelrechte Entwicklungsstufen auf. Von besonderer Bedeutung waren die Arbeiten Morgans; denn darin wurde versucht, den historischen Entwicklungsprozeß in seiner Totalität darzustellen, und zwar im wesentlichen auf der Grundlage materialistischer Gesichtspunkte. Von allen Evolutionisten war Morgan der einzig konsequente; denn nur bei ihm hörte die Geschichte nicht mit der bürgerlichen Gesellschaft auf, ohne daß er allerdings diese Annahme wissenschaftlich begründen konnte. An diese Erkenntnisse Morgans knüpfte später der Marxismus an und entwickelte dessen Theorien mit Hilfe des dialektischen Materialismus weiter. Die bürgerliche Richtung in der Ethnographie allerdings konnte diesen Weg nicht gehen. Hatten es schon fast alle Evolutionisten abgelehnt, aus dem bisherigen Verlauf der Geschichte Schlußfolgerungen zu ziehen, so mußten spätere ethnographische Schulen unter dem Eindruck der immer offener zutage tretenden Krise der bürgerlichen Gesellschaft darüber hinaus zu einer Ablehnung der historischen Gesetzmäßigkeit Zuflucht nehmen, um nicht den historischen Charakter der bürgerlichen Gesellschaftsordnung anerkennen zu müssen. Da außerdem die dialektische Methode in der bürgerlichen Philosophie heute abgelehnt wird, müssen zwangsläufig alle Versuche, den Geschichtsverlauf zu erklären bzw. zu periodisieren, an der Widersprüchlichkeit der Erscheinungen scheitern. Zufälligkeit und Notwendigkeit, Lokal- und Universalgeschichte, Fortschritt und Rückschritt, Individuum und Gesellschaft wurden und werden einander gegenübergestellt und nicht als Einheiten eines dialektischen Prozesses betrachtet. Man sieht nur Gegensätze, aber nicht die Einheit der Gegensätze. Aufgabe der Dialektik und Leugnung der historischen Gesetzmäßigkeit aber sind die Ursachen, warum eine Periodisierung der Urgeschichte von diesen neueren und neuesten ethnographischen Schulen nicht vorgenommen werden kann. Heute erkennt nur der Marxismus-Leninismus vorbehaltlos die historische Gesetzmäßigkeit an, und er kann dies um so mehr tun, als seine Prinzipien bereits seit

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Historiographischer

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über einem Menschenalter in der Praxis erprobt werden und sich als richtig erwiesen haben. Diese erfolgreiche praktische Anwendung des Marxismus-Leninismus in der Geschichte der Menschheit aber ist ein ebenso überzeugender Beweis für die Richtigkeit seiner Ansichten wie das Experiment in den Naturwissenschaften. 13. M A R X I S T I S C H E A R B E I T E N a) Klassiker des

Marxismus

Von den Klassikern des Marxismus-Leninismus haben sich speziell Marx und Engels mit urgeschichtlichen Fragen befaßt. Die Urgeschichte war für die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus deshalb von besonderem Interesse, weil sie hier die Existenzbedingungen einer klassenlosen Gesellschaft studieren konnten, wenn auch nur in ihrer unentwickelten Form. Am umfassendsten hat sich Engels mit urgesellschaftlichen Problemen beschäftigt und hat diesen Fragen eine besondere Arbeit, den „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats", gewidmet. Wie schon der Titel des Buches besagt, ging es Engels dabei nicht darum, eine Periodisierung der Urgeschichte aufzustellen. Im Gegenteil, Engels akzeptierte die von Morgan aufgestellte Periodisierung, da sie „mit Sachkenntnis eine bestimmte Ordnung in die menschliche Vorgeschichte zu bringen . . ." imstande war. 1 Er folgte dieser Periodisierung, da sie auf „unbestreitbaren, weil unmittelbar der Produktion entnommenen Zügen" beruhte. 2 Wenn Engels mit der Morganschen Periodisierung zugleich ihre bereits dargestellten Mängel und Schwächen — jedenfalls zum Teil 3 — mit übernahm, so sah er aber 1 F. Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, Berlin 1946; S. 3. 2 Ebenda, S. 8. 3 Engels übernahm jedoch keineswegs alle Mängel des Morganschen Werkes. So kann man z. B. ihm nicht wie Morgan den Vorwurf machen, er habe voneinander unabhängige Entwicklungsreihen aufgestellt. Zwar beging er die Inkonsequenz, im Vorwort zur ersten Auflage in Anlehnung an Morgan die Familie als einen bestimmenden Faktor der gesellschaftlichen Entwicklung zu bezeichnen. In der Behandlung dieses Problems ging Engels jedoch methodisch ganz anders vor. Hier sah er in der Familie,, die Zellenform der zivilisierten Gesellschaft, an der wir schon die Natur der in dieser sich voll entfaltenden Gegensätze und Widersprüche studieren können" (ebenda, S. 43; vergl. auch S. 45). Die Geschichte der Familie wurde bei ihm zu einer Geschichte der langsam im Schöße der Urgemeinschaft heranwachsenden Widersprüche und deren Widerspiegelung in den verschiedenen Familienformen. Diese heranwachsenden Widersprüche, deren Auswirkungen von Engels nicht nur auf dem Gebiete der Familie, sondern vor allem auf dem Gebiete der gesellschaftlichen Organisationsformen und der Eigentumsverhältnisse untersucht wurden, leitete er aus den allgemeinen Produktionsbedingungen der verschiedenen Entwicklungsetappen ab. Wenn er dabei besonders die letzte Etappe der Urgemeinschaftsordnung beachtete, dann erklärt sich das aus dem Thema seines Buches, das ja neben dem Ursprung der Familie die Entstehung von Privateigentum und Staat erforschen wollte, die beide in dieser letzten Etappe ihren Anfang nahmen. Gegenüber den Morganschen Entwicklungsreihen ging Engels von ganz anderen methodischen Prinzipien aus. Die Geschichte der Ur-

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über einem Menschenalter in der Praxis erprobt werden und sich als richtig erwiesen haben. Diese erfolgreiche praktische Anwendung des Marxismus-Leninismus in der Geschichte der Menschheit aber ist ein ebenso überzeugender Beweis für die Richtigkeit seiner Ansichten wie das Experiment in den Naturwissenschaften. 13. M A R X I S T I S C H E A R B E I T E N a) Klassiker des

Marxismus

Von den Klassikern des Marxismus-Leninismus haben sich speziell Marx und Engels mit urgeschichtlichen Fragen befaßt. Die Urgeschichte war für die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus deshalb von besonderem Interesse, weil sie hier die Existenzbedingungen einer klassenlosen Gesellschaft studieren konnten, wenn auch nur in ihrer unentwickelten Form. Am umfassendsten hat sich Engels mit urgesellschaftlichen Problemen beschäftigt und hat diesen Fragen eine besondere Arbeit, den „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats", gewidmet. Wie schon der Titel des Buches besagt, ging es Engels dabei nicht darum, eine Periodisierung der Urgeschichte aufzustellen. Im Gegenteil, Engels akzeptierte die von Morgan aufgestellte Periodisierung, da sie „mit Sachkenntnis eine bestimmte Ordnung in die menschliche Vorgeschichte zu bringen . . ." imstande war. 1 Er folgte dieser Periodisierung, da sie auf „unbestreitbaren, weil unmittelbar der Produktion entnommenen Zügen" beruhte. 2 Wenn Engels mit der Morganschen Periodisierung zugleich ihre bereits dargestellten Mängel und Schwächen — jedenfalls zum Teil 3 — mit übernahm, so sah er aber 1 F. Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, Berlin 1946; S. 3. 2 Ebenda, S. 8. 3 Engels übernahm jedoch keineswegs alle Mängel des Morganschen Werkes. So kann man z. B. ihm nicht wie Morgan den Vorwurf machen, er habe voneinander unabhängige Entwicklungsreihen aufgestellt. Zwar beging er die Inkonsequenz, im Vorwort zur ersten Auflage in Anlehnung an Morgan die Familie als einen bestimmenden Faktor der gesellschaftlichen Entwicklung zu bezeichnen. In der Behandlung dieses Problems ging Engels jedoch methodisch ganz anders vor. Hier sah er in der Familie,, die Zellenform der zivilisierten Gesellschaft, an der wir schon die Natur der in dieser sich voll entfaltenden Gegensätze und Widersprüche studieren können" (ebenda, S. 43; vergl. auch S. 45). Die Geschichte der Familie wurde bei ihm zu einer Geschichte der langsam im Schöße der Urgemeinschaft heranwachsenden Widersprüche und deren Widerspiegelung in den verschiedenen Familienformen. Diese heranwachsenden Widersprüche, deren Auswirkungen von Engels nicht nur auf dem Gebiete der Familie, sondern vor allem auf dem Gebiete der gesellschaftlichen Organisationsformen und der Eigentumsverhältnisse untersucht wurden, leitete er aus den allgemeinen Produktionsbedingungen der verschiedenen Entwicklungsetappen ab. Wenn er dabei besonders die letzte Etappe der Urgemeinschaftsordnung beachtete, dann erklärt sich das aus dem Thema seines Buches, das ja neben dem Ursprung der Familie die Entstehung von Privateigentum und Staat erforschen wollte, die beide in dieser letzten Etappe ihren Anfang nahmen. Gegenüber den Morganschen Entwicklungsreihen ging Engels von ganz anderen methodischen Prinzipien aus. Die Geschichte der Ur-

Marxistische Arbeiten

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darin nur eine vorläufige Lösung, die bei weiterem Fortschreiten der Wissenschaft einem verbesserten Schema weichen müßte. Dieses neue Schema müßte aber unter allen Umständen den Vorzug des Morganschen Schemas beibehalten und seine Kriterien „unmittelbar der Produktion" entnehmen. Wie gesagt, Engels und auch die übrigen Klassiker haben sich mit dem Problem der Periodisierung der Urgeschichte nicht befaßt. Sie haben aber eine große Anzahl von Hinweisen über die historischen Bedingungen für Existenz und Untergang der Urgemeinschaftsordnung gegeben, die zum großen Teil ebenfalls „unmittelbar der Produktion" entnommen sind. Es bleibt also zu prüfen, inwieweit sich hier Anhaltspunkte für die gesuchten Kriterien einer Periodisierung der Urgeschichte finden lassen. Bekanntlich geht der Marxismus bei der Geschichtsbetrachtung von der gesamten Produktionsweise aus, wobei er als das revolutionärste Element in der Entwicklung die Produktivkräfte betrachtet. Diese Produktivkräfte sind aber nur die eine Seite der gesamten Produktion, die andere Seite bilden die Produktionsverhältnisse. Beide Seiten hängen unlösbar miteinander zusammen. Während die Produktivkräfte den erreichten Stand der Naturbeherrschung anzeigen, besagen die Produktionsverhältnisse, in wessen Händen sich die Produktionsinstrumente befinden und wer demzufolge über den mit ihrer Hilfe geschaffenen Reichtum verfügt. Unter den Produktivkräften spielen eine besonders wichtige Rolle die Werkzeuge. Für die frühesten Geschichtsepochen sind sie außerdem oft das einzige, worauf sich die Wissenschaft stützen kann. Es wäre jedoch eine falsche Auslegung der marxistischen Prinzipien, wollte man von den Werkzeugen direkt den Zustand der gesamten Gesellschaft abhängig machen. In dem bekannten Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie zeigte Marx, wie der gesellschaftliche Überbau von der ökonomischen Basis her bestimmt wird, also nicht direkt von den Produktivkräften bzw. den Produktionsinstrumenten. 1 Außerdem war nach Marx das Verhältnis zwischen Produktionsinstrumenten und Basis der Gesellschaft kein mechanisches. E r hat sehr deutlich gesehen, wie insbesondere in einer Zeit gering entwickelter Arbeitsmittel „die Produktivität der Arbeit an iVaturbedingungen gebunden" war. Für diese Periode sei für die Gesellschaft ausschlaggebend gewesen der „natürliche Reichtum an Lebensmitteln, also Bodenfruchtbarkeit, fischreiche Gewässer usw. . . , " 2 gesellschaft spielt sich bei ihm nicht in einzelnen, voneinander mehr oder weniger unabhängig gedachten Gebieten ab, sondern war ein Prozeß der fortschreitenden Entwicklung der Produktion und damit im unmittelbaren Zusammenhang stehend der wechselseitigen Beziehungen der Menschen, sei es nun im Produktionsprozeß, in der Familie oder in der allgemeinen gesellschaftlichen Sphäre. Diese Methode von Engels, die sich von der Morganschen grundsätzlich unterschied, zwang ihn, Gesichtspunkte in seine Arbeit einzubeziehen, die Morgan nicht beachtet hatte. E r selbst hob im Vorwort zur ersten Auflage hervor, er habe „die ökonomischen Ausführungen, die bei Morgan für seinen Zweck hinreichend, für den meinigen aber durchaus ungenügend (waren), .. .alle . . . neu bearbeitet" (ebenda, S.VII). 1 K. Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Berlin (1947), S. 13. 2 Ders., Kapital, Bd. I, Wien - Berlin 1932, S. 537.

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Historiographischer

Überblick

E i n m a l v o r h a n d e n , waren aber die Arbeitsmittel f ü r die weitere E n t w i c k l u n g das ausschlaggebende E l e m e n t ; denn die natürlichen Einflüsse blieben — von wenigen Ausnahmen abgesehen — immer in der gleichen Weise wirksam, während die Arbeitsmittel ständig vervollkommnet u n d d a d u r c h in stets anderer Weise wirksam wurden. W e n n m a n den historischen Prozeß von der Tätigkeit der Menschen her bet r a c h t e t , d a n n müssen notwendigerweise die P r o d u k t i v k r ä f t e das größte Interesse beanspruchen; denn sie bestimmen ausschlaggebend die Art u n d Weise des Zusammenwirkens der Menschen. Dies ist jedoch nur die eine Seite des gesamten historischen Prozesses; die andere Seite ist Behandlung des fertigen P r o d u k t e s , d. h. des Ergebnisses der gesellschaftlichen Arbeit. Beide Seiten bilden eine Einheit. Weder von der einen noch von der anderen Seite allein k a n n der historische Prozeß vollständig erfaßt u n d erklärt werden. Vom S t a n d p u n k t des Produktionsprozesses ist das P r o d u k t der E n d p u n k t , vom S t a n d p u n k t der Produktions- bzw. Distributionsverhältnisse sowie der Zirkulation jedoch ist es der Ausgangspunkt. Marx u n d Engels sahen in den Veränderungen der Distributions- u n d Zirkulationsverhältnisse entscheidende Kriterien f ü r den erreichten Entwicklungsstand. Im Z u s a m m e n h a n g m i t den Zirkulationsverhältnissen interessierten sie v o r allem die T a u s c h f o r m e n u n d d a m i t die Entwicklungsetappen der W a r e n p r o d u k t i o n . J e m e h r der Tausch zu einer geregelten E i n r i c h t u n g wurde u n d je m e h r P r o d u k t e speziell f ü r den Tausch hergestellt wurden, desto m e h r n ä h e r t e sich die P r o d u k t i o n der W a r e n p r o d u k t i o n . D a m i t aber verloren n a c h Engels die Produzenten m e h r u n d m e h r die Herrschaft über ihr P r o d u k t . „Sie w u ß t e n nicht m e h r , was m i t ihm wurde, u n d die Möglichkeit war gegeben, d a ß das P r o d u k t dereinst verwandelt werde gegen den Produzenten, zu seiner Ausbeutung u n d U n t e r d r ü c k u n g . " 1 Natürlich ging dieser Prozeß n u r allmählich vor sich. Nach Marx begann er m i t dem gelegentlichen Tausch zwischen verschiedenen Gemeinwesen auf der Grundlage der verschiedenen vorgefundenen natürlichen P r o d u k t i o n s b e d i n g u n g e n . 2 Dabei s t a n d e n sich n a c h seinen A u s f ü h r u n g e n zuerst n i c h t die Individuen als Tauschp a r t n e r gegenüber, sondern die Gemeinwesen als Ganzes. 3 Diese urwüchsige F o r m des Tausches w u r d e aber durch die gesellschaftlichen Arbeitsteilungen ü b e r w u n d e n . In einer arbeitsteiligen Gesellschaft m u ß t e der Tausch zu einer ständigen E i n r i c h t u n g werden. Nach Marx u n d Engels f a n d zunächst eine solche gesellschaftliche Arbeitsteilung n u r „zwischen verschiedenen Gemeinwesen, nicht aber zwischen Gliedern einer u n d derselben G e m e i n d e " s t a t t . 4 Dieser Zustand w a r charakteristisch f ü r die erste große gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Bodenbau u n d Viehzucht. D a d u r c h k a m es zum regelmäßigen Austausch zwischen Bodenbauern u n d V i e h z ü c h t e r n . 5 Dieser regelmäßige Tausch f ü h r t e zur 1

F. Engels, Der Ursprung der Familie, S. 89. 3 K. Marx, Kapital, Bd. I, S. 369. Ebenda, S. 369. Ders., Kapital, Bd. III, Moskau-Leningrad (1933), S. 202; vergl. auch F . Engels im Nachtrag des gleichen Bandes, S. 31. 6 K. Marx, ebenda, S. 202; F. Engels, Der Ursprung der Familie, S. 138. 2

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Marxistische Arbeiten

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Verwandlung der Produkte in Waren, allerdings vorerst nur in begrenztem Ausmaße, sozusagen nur in den Berührungspunkten verschiedener Gemeinwesen. Im Innern dieser Gemeinwesen war die Arbeit noch nicht gesellschaftlich geteilt u n d folglich blieb hier der Charakter der urgemeinschaftlichen Beziehungen der Menschen noch weitgehend erhalten. Weitreichendere Folgen h a t t e die zweite große gesellschaftliche Arbeitsteilung, die zu einer Verselbständigung des Handwerks f ü h r t e u n d im entwickelten Stadium eine Trennung zwischen S t a d t und Land bewirkte. Besonders innerhalb der Gemeinwesen, die den Pflugbau betrieben, wuchsen infolge der d a m i t verbundenen Steigerung des Bodenertrages die Zweige der handwerklichen Betätigungen so an, daß „so mannigfache Tätigkeit . . . nicht mehr von demselben einzelnen ausgeübt werden" konnte. 1 Mit dieser Teilung der Arbeit wurde auch im Innern der Gemeinwesen der regelmäßige Tausch zu einer unumgänglichen Notwendigkeit; er verwandelte die Produkte in Waren. 2 Außerdem erlaubte es jetzt der S t a n d der Produktivkräfte, sowohl den Bodenbau als auch das Handwerk individuell zu betreiben. Die Gesellschaft zerfiel in eine Reihe unabhängiger Warenproduzenten, die n u r durch Tausch und Markt zusammengehalten wurden. Diese Entwicklung aber stand am Ende der Urgemeinschaftsordnung; sie leitete den Übergang zur Klassengesellschaft ein. Der Tausch als Gradmesser der Unterhöhlung und allmählichen Aufhebung der urgemeinschaftlichen Produktion hing also in seiner Entwicklung engstens m i t der Ausbildung der verschiedenen Formen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zusammen. Die physiologische Arbeitsteilung war dabei ohne Bedeutung. Da die Menschen in den verschiedenen Stadien ihres Lebens verschiedener K r a f t anstrengungen fähig sind, und Frauen, Kinder u n d Alte besonderer Hilfe bedürfen, so ergab sich daraus eine naturwüchsige Verteilung der Arbeit. Von Bedeutung wurde die Arbeitsteilung jedoch erst dann, wenn sie nicht auf natürliche, sondern auf ökonomische Faktoren zurückging. Ist also die Arbeitsteilung nach Ansicht der Klassiker des Marxismus als ein empfindlicher Gradmesser f ü r den Auflösungsprozeß der Urgemeinschaftsordnung zu betrachten, dann läßt sich das gleiche von der Distribution, die mit der Arbeitsteilung unmittelbar zusammenhängt, sagen. Nach Engels gibt die Distribution, d. h . die Anteilnahme der einzelnen Mitglieder einer Gemeinschaft am Gesamtprodukt, Auskunft über die Art der urgemeinschaftlichen Beziehungen bzw. den Grad ihrer Auflösung. Diese Auflösung erfolgte nicht mit einem Schlage. In der Früh- u n d Blütezeit der Urgemeinschaftsordnung herrschten u n t e r den Menschen Verhältnisse der Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe. Dies ergab sich zwangsläufig aus den gering entwickelten P r o d u k t i v k r ä f t e n und der geringen Arbeitsproduktivität. In diese ursprünglichen Verhältnisse „schiebt sich die Teilung der Arbeit langsam ein. Sie untergräbt die Gemeinsamkeit der Produktion u n d Aneignung, sie erhebt die Aneignung durch einzelne zur überwiegenden Regel." 3 Mit 1

2 Ebenda, S. 136. Ebenda, S. 136. F. Engels, Der Ursprung der Familie, S. 147; vergl. auch Marx/Engels, Deutsche Ideologie, MEGA, 1. Abtig., Bd. 5, Berlin 1932, S. 22: „Mit der Teilung der Arbeit, in welcher 3

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Historiographischer

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jeder neuen Form bzw. jedem neuen Stadium der gesellschaftlichen Arbeitsteilung wurde das alte Verteilungssystem mehr und mehr verändert. Diese Veränderungen konnten sich aber nicht immer reibungslos vollziehen. Der ganze Vorgang war deshalb nach Ansicht von Marx und Engels ein Prozeß allmählich sich entwickelnder gesellschaftlicher Widersprüche. Marx und Engels schenkten deshalb den Veränderungen in der Distributionssphäre eine solche Beachtung, weil „ehe die Sklaverei möglich wird, . . . schon eine gewisse Stufe in der Produktion erreicht und ein gewisser Grad von Ungleichheit in der Verteilung eingetreten sein" mußte. 1 Zunächst haben sich also die Distributionsverhältnisse geändert, ehe sich die Produktionsverhältnisse als Ganzes umgestalteten. Die Distributionsverhältnisse reagierten demzufolge eher auf die Veränderungen in der Produktion als die Produktionsverhältnisse. Diese Veränderungen waren nicht in jedem Falle an die Erfindung neuer Produktionsinstrumente gebunden. In einem Briefe vom 8. Dezember 1852 schrieb Engels an Marx: „Um endlich mit der Parallele zwischen Tacitus' Germanen und amerikanischen Rothäuten ins reine zu kommen, habe ich mir den ersten Band von Deinem Bancroft gelind exzerpiert. Die Ähnlichkeit ist in der Tat um so überraschender, als die Produktionsweise so grundverschieden — hier Fischer und Jäger ohne Viehzucht und Ackerbau, dort Wanderviehzucht, übergehend in Ackerbau. Es beweist eben, wie auf dieser Stufe die Art der Produktion weniger entscheidend ist als der Grad der Auflösung der alten Blutbande und der alten gegenseitigen Gemeinschaft der Geschlechter (sexus) im Stamm." 2 Kriterien für diesen „Grad der Auflösung der alten Blutbande" waren Tauschbeziehungen, Arbeitsteilung, Distributionsverhältnisse, zu denen als viertes noch die Eigentumsverhältnisse kamen. Auch die Entwicklung der Eigentumsverhältnisse hing nach Ansicht von Marx und Engels aufs engste mit der Teilung der Arbeit zusammen. Mit der durch die Arbeitsteilung gegebenen individuellen Aneignung der Produkte kam es bald zur Reichtumsaufhäufung in den Händern einiger weniger, die schließlich überall zur Bildung von Privateigentum führte. Deshalb betrachteten Marx und Engels Teilung der Arbeit und Privateigentum als identische Begriffe, wobei „in dem Einen . . . in Beziehung auf die Tätigkeit dasselbe ausgesagt (wird), was in dem andern in bezug auf das Produkt der Tätigkeit ausgesagt wird." 3 Deshalb sahen sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen der Teilung der Arbeit „eben soviel verschiedene Formen des Eigentums; d. h. die jedesmalige Stufe der Teilung der Arbeit bestimmt auch die Verhältnisse der Individuen zueinander in Beziehung auf das Material, Instrument und Produkt der Arbeit". 4 Den gleichen Zusammenhang alle diese Widersprüche gegeben sind, und welche ihrerseits wieder auf der naturwüchsigen Teilung der Arbeit in der Familie und der Trennung der Gesellschaft in einzelne, einander entgegengesetzte Familien beruht, ist zu gleicher Zeit auch die Verteilung, und zwar die ungleiche sowohl quantitative wie qualitative Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte gegeben." 1 F. Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälung der Wissenschaft, Moskau 1946, S. 195 f. 2 Marx/Engels, Briefwechsel, 4 Bde., Berlin (1949/50), Bd. IV, S. 690. 3 Marx/Engels, Deutsche Ideologie, S. 22. 4 Ebenda, S. 11.

Marxistische Arbeiten

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zwischen Arbeitsteilung und Privateigentum h a t später Lenin nochmals hervorgehoben. 1 Einen sehr breiten R a u m in den Betrachtungen der Klassiker über die Urgeschichte nahmen die Erörterungen über die gesellschaftlichen Organisationsformen ein. Auch in ihnen erblickten sie Kriterien für die einzelnen E t a p p e n der urgeschichtlichen Entwicklung. Allerdings waren die Ansichten von Marx und Engels vor dem Erscheinen von Morgans Werk noch nicht klar und eindeutig, da sie zu dieser Zeit noch keine genauen Vorstellungen über das Wesen der Gentilorganisation h a t t e n . Sie waren sich allerdings beide darüber im klaren, daß die Menschen von Anfang an in Gemeinschaften gelebt haben m u ß t e n , die größer als die Einzelfamilie waren. Als Formen der gesellschaftlichen Organisation kannten sie n u r Familie und S t a m m . Wie aber die Familie im einzelnen ausgesehen h a t und wie sie sich historisch zum S t a m m verhielt, darüber besaßen sie zu jener Zeit noch keine Klarheit. 2 Nach dem Erscheinen der „Urgesellschaft" von Morgan gebrauchten Marx und Engels mit der Klärung der urgemeinschaftlichen Organisationsformen auch eine eindeutige Terminologie. Von besonderem Interesse war f ü r Marx und Engels stets der Umschlag von den blutsverwandtschaftlichen zu den politischen Organisationsprinzipien der Gesellschaft. Deshalb h a t sich z. B. auch Engels in seinen Untersuchungen über den „ U r s p r u n g der Familie . . . " sehr ausführlich mit den Formen der Auflösung der Gentilgesellschaft befaßt. F ü r die älteren Perioden ü b e r n a h m er die Arbeitsergebnisse Morgans. Wenn auch heute die Thesen Morgans über die gesellschaftlichen Organisationsformen der frühesten urgeschichtlichen Entwicklungsstufen abgelehnt werden müssen, so bleibt aber die Tatsache bestehen, daß er eine vorgentile Periode annahm und Engels ihm in diesem P u n k t e folgte. Die Voraussetzung f ü r eine Abgrenzung zwischen vorgentiler u n d gentiler Periode ist eine Definition des Begriffes der Gens. Eine solche Definition liegt jedoch bis h e u t e noch nicht vor. Morgan und Engels führten eine Reihe von Merkmalen der Gens an, die aber alle relativ hoch entwickelten gentilen Gesellschaft entnommen waren. Es ist daher die Frage, welche dieser Merkmale Allgemeingültigkeit besitzen. Nicht universell unter diesen Merkmalen sind z. B. der gemeinsame Begräbnisplatz, das Vorhandensein besonderer Kriegsführer, die organisierte Versammlung aller männlichen und weiblichen Mitglieder der Gens. Es gab eine Anzahl von Völkern, die diese Merkmale nicht aufwiesen und die trotzdem nach Gentes organisiert waren, wie beispielsweise es eine regelrechte gesellschaftliche Teilung der Arbeit zwischen Bodenbauern und Viehzüchtern bei den südafrikanischen Stämmen gab; denn bekanntlich wohnten hier Nomadenviehzüchter (Hottentotten und Herero) in unmittelbarer Nachbarschaft von Bodenbauern oder doch vorwiegend

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Darlegung der Grundprinzipien einer Periodisierung

den Bodenbau betreibenden Stämmen (Ambo und Cwana-Stämme). Es scheint, als h ä t t e zwischen den betreffenden Stämmen nur selten ein Austausch von Vieh gegen Getreide stattgefunden; denn darüber findet sich nur ab und zu eine Mitteilung. Weitaus häufiger waren die benachbarten Bodenbauern f ü r die Viehzüchternomaden die Lieferanten der verschiedensten handwerklichen Erzeugnisse, wie beispielsweise von Schmiede- und Schnitzarbeiten, von Tontöpfen oder Lederarbeiten. Manchmal wurden nicht fertige Erzeugnisse ausgetauscht, sondern die Angehörigen der Bodenbau treibenden S t ä m m e betätigten sich als wandernde Handwerker, die jeweils an Ort und Stelle den Viehzüchtern die benötigten Gegenstände anfertigten, wie es bekanntlich die Ambo oft bei den Herero handhabten. Die Erklärung f ü r diese Art der Arbeitsteilung zwischen S t ä m m e n unterschiedlicher Produktionsformen lag zweifellos in der größeren Seßhaftigkeit der Bodenbau treibenden Stämme. Deshalb konnten sich bei ihnen leichter handwerkliche Fertigkeiten herausbilden als bei den nomadisierenden Viehzüchtern. Zweifellos h a t es auch Viehzüchter gegeben, die Großes auf diesem Gebiet geleistet haben, m a n denke nur an die Skythen. In den hier behandelten Beispielen jedoch waren die Bodenbauern den Viehzüchtern in bezug auf die handwerklichen Fertigkeiten überlegen, und deshalb war es weitaus mehr dieser Zweig ihrer Produktion, der f ü r die Viehzüchter den Anreiz zu Tauschgeschäften bildete als die Erzeugnisse des Bodenbaues. Man muß sich also fragen, ob m a n in diesem Falle überhaupt berechtigt ist, von einer gesellschaftlichen Teilung der Arbeit zu sprechen; denn die hier angetroffenen Tauschbeziehungen unterschieden sich nicht wesentlich von denen anderer S t ä m m e . Sie waren vielleicht etwas reger als anderswo, sie trugen aber keinen grundsätzlichen anderen Charakter. Nirgends h a t t e n sich aus der Spezialisierung der Produktion die von Marx geforderten ,,. . . m e h r oder minder voneinander abhängigen Zweige einer gesellschaftlichen G e s a m t p r o d u k t i o n " 1 ergeben. Eine solche Verflechtung zwischen den auf verschiedene Zweige der Produktion spezialisierten Stämmen konnte sich so lange nicht ergeben, wie die Viehzüchter die von ihnen benötigte Pflanzennahrung durch das Sammeln wildwachsender Pflanzen erwarben, und die Bodenbauern die von ihnen benötigte Fleischnahrung entweder durch die J a g d oder durch eine nebenbei betriebene Viehzucht erhielten. Dadurch blieben alle S t ä m m e im wesentlichen selbstgenügsam u n d tauschten nur ihre Überschüsse bzw. ihre Spezialitäten wechselseitig aus, so wie das schon seit langem üblich war. Die E n t s t e h u n g der Nomadenviehzucht in unmittelbarer Nachbarschaft von Bodenbauern oder doch vorwiegend Bodenbau treibenden Stämmen führte also nicht zwangsläufig zu einer regelrechten gesellschaftlichen Teilung der Arbeit in dem soeben charakterisierten Sinne. Man könnte bei den hier behandelten S t ä m m e n lediglich von Ansätzen einer Entwicklung sprechen, die vielleicht im Laufe der Zeit zur E n t s t e h u n g einer solchen gesellschaftlichen Gesamtproduktion geführt h ä t t e . Dieses Beispiel zeigt, daß die Ausbildung einer gesellschaftlichen F o r m der Arbeitsteilung nur über die Veränderungen der P r o d u k t i o n erfolgen kann, niemals aber allein durch den Tausch. Die Ausdehnung der Tauschbeziehungen kann eventuell 1

K. Marx, Das Kapital, Bd. I, S. 369.

Auflösungsperiode

der

Urgemeinschaftsordnung

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die Umgestaltung der Produktion einleiten, sie kann sie aber nicht ersetzen. Das bloße Nebeneinander von spezialisierten Viehzüchtern und Bodenbauern schafft also allein noch keine gesellschaftliche Teilung der Arbeit; es schafft höchstens die Voraussetzung zur Weiterentwicklung der Produktion, die — in Verbindung mit einer gesteigerten Produktivität der Arbeit — auch zu einer gesellschaftlichen Teilung der Arbeit führen kann. In den Ansätzen war auch noch eine weitere Form der Arbeitsteilung bei diesen Stämmen vorhanden: Die Teilung zwischen körperlicher und geistiger Arbeit. Heilkundige und Regenmacher waren beispielsweise Spezialisten, auf die die Masse der Stammesmitglieder angewiesen waren. Auch das geistige Leben war inzwischen so kompliziert geworden, daß Spezialisten auch auf diesem Gebiete benötigt wurden. Von besonderem Interesse waren die in diesem Abschnitt behandelten S t ä m m e deshalb, weil sie Beispiele für verschiedene Formen der Auflösung des Blutsverwandtschaftsprinzips darstellten und jeweils verschiedene Stadien dieses Auflösungsprozesses aufwiesen. Bei den Hottentotten war das Blutsverwandtschaftsprinzip noch Grundlage der gesellschaftlichen Organisation. Die einzige Durchbrechung dieses Prinzips bedeutete die weitgehende Einschränkung der gentilen Hilfe, weshalb bekanntlich die eigenen Sippengenossen bereits in Abhängigkeitsverhältnisse zu den Reichen geraten konnten. Davon blieb aber das Organisationsprinzip als solches unberührt. Zweifellos haben ursprünglich die Herero ähnliche Verhältnisse gekannt. Die hier vorgefundene Durcheinanderwürfelung der Blutsverwandten war wohl mehr die Folge der Kolonisierung Süd- und Südwestafrikas. Dadurch wurden viele kleinere S t ä m m e aufgerieben, und die Reste mußten sich dann notgedrungen anderen Stämmen anschließen. Bei den Xosa wurde das Blutsverwandtschaftsprinzip deshalb mehr und mehr durchbrochen, weil ihm hier das Territorialprinzip übergeordnet wurde. Bekanntlich wurden hier jeweils einigen Häuptlingssöhnen ganze Teile des Stammesgebietes nach dem Tode ihres Vaters zur Verwaltung übergeben. Im Laufe der Zeit mußten sich dadurch in ständig größerem Maße die Verwaltungseinheiten des Stammes mit den durch die Blutsverwandtschaft gegebenen Gruppierungen überkreuzen. Diese von oben durchgeführte Durchbrechung des Blutsverwandtschaftsprinzips wurde durch eine weitere von unten her gefördert und gestärkt. Sie wurde durch Abwanderungen ganzer Gruppen in andere Distrikte unter die Oberhoheit anderer Häuptlinge hervorgerufen, wenn die Betreffenden mit ihrem Häuptling nicht zufrieden waren. Das Nebeneinander von Blutsverwandtschafts- und Territorialprinzip förderte also eindeutig den Sieg der zuletzt genannten gesellschaftlichen Organisationsform. Ein wichtiger Faktor in diesem Prozeß war die Einschränkung der gesellschaftlichen Bedeutung der Sippenverbände. Regelten die Sippen der Hottentotten und Herero ihre inneren Angelegenheiten selbst und wurden sie von Sippenoberhäuptern vertreten, die jeweils die ältesten Linien dieser Verbände darstellten, hatten unter den Xosa die Stammeshäuptlinge das Bestreben, diese blutsverwandten Sippenoberhäupter durch Mitglieder ihrer eigenen Familien zu ersetzen. Während bei den Hottentotten und zum Teil auch noch bei den Herero die jüngeren Linien der Häupt-

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Darlegung der Grundprinzipien

einer

Periodisierung

lingsfamilien i m m e r wieder in die Masse d e r Freien z u r ü c k s a n k e n , w u r d e bei den X o s a ein großer Teil der H ä u p t l i n g s f a m i l i e (insbesondere die ä l t e s t e n S ö h n e der einzelnen H ä u p t l i n g s h ä u s e r ) als A n g e h ö r i g e d e r sozialen Oberschicht e r h a l t e n . Ahnlich wie bei den X o s a ging die E n t w i c k l u n g in vielen S o t h o - C w a n a - S t ä m m e n v o r sich. Auch hier erfolgte in den m e i s t e n F ä l l e n ausschließlich v o n innen h e r a u s eine U n t e r g r a b u n g der S i p p e n a u t o n o m i e . Hier w u r d e d u r c h U m s i e d l u n g e n u n d A u f n a h m e v o n S t a m m e s f r e m d e n die B e v ö l k e r u n g i m m e r m e h r d u r c h e i n a n d e r gewürfelt, so d a ß auf diese Weise das B l u t s v e r w a n d t s c h a f t s p r i n z i p u n t e r h ö h l t w u r d e . Das allein a b e r h a t t e noch nirgends z u r Beseitigung der S i p p e n a u t o n o m i e g e f ü h r t , s o n d e r n lockerte n u r u n m e r k l i c h i m m e r weiter die b l u t s m ä ß i g e n B i n d u n g e n d e r Menschen, so d a ß d a n n o h n e weiteres beispielsweise bei den N g w a t o , T a w a n a u n d N g w a k e t s e d a s S t a m m e s g e b i e t in einzelne D i s t r i k t e eingeteilt, wie bei den X o s a also d e m B l u t s v e r w a n d t s c h a f t s p r i n z i p d a s T e r r i t o r i a l p r i n z i p ü b e r g e o r d n e t w e r d e n k o n n t e . U n t e r diesen U m s t ä n d e n w a r es d a n n n u r noch eine F r a g e der Zeit, w a n n die B l u t s v e r w a n d t s c h a f t s g r u p p e n völlig im öffentlichen Leben d e m Territorialprinzip weichen m u ß t e n ; denn n u r das zuletzt g e n a n n t e gesellschaftliche Organisationsprinzip t r u g den neugeschaffenen V e r h ä l t n i s s e n R e c h n u n g u n d w a r allein in der Lage, die Z u s a m m e n f a s s u n g einer großen A n z a h l v o n Menschen f ü r d a u e r n d zu ermöglichen. Auf e t w a s a n d e r e Weise verlief die E n t w i c k l u n g bei d e n S t ä m m e n , die auf G r u n d i h r e r E r o b e r u n g s p o l i t i k sehr schnell ü b e r den R a h m e n eines einzelnen S t a m m e s h i n a u s w u c h s e n , wie die B a s u t o , Kololo u n d Zulu. In den g e n a n n t e n F ä l l e n w u r d e n z u n ä c h s t ü b e r die e r o b e r t e n S t ä m m e b z w . S t a m m e s t e i l e v o m H ä u p t l i n g o d e r König S t e l l v e r t r e t e r eingesetzt, die er a u c h j e d e r z e i t wieder bei U n f ä h i g k e i t u n d U n z u verlässigkeit a b b e r u f e n k o n n t e . Diese M a ß n a h m e erwies sich als n o t w e n d i g , u m die e r o b e r t e n S t ä m m e n i e d e r z u h a l t e n u n d u m die G e f a h r eines A u s e i n a n d e r b r e c h e n s des Gemeinwesens h e r a b z u m i n d e r n . W a r a b e r erst e i n m a l d a s B l u t v e r w a n d t s c h a f t s p r i n z i p den S t a m m e s f r e m d e n gegenüber a u ß e r a c h t gelassen, d a n n m u ß t e das ü b e r k u r z oder lang auch seine R ü c k w i r k u n g e n im eigenen S t a m m h a b e n . Bei den Zulu h a b e n diese A u s w i r k u n g e n im eigenen S t a m m sehr rasch eingesetzt. N a c h d e m u n t e r d e m T e t w a - H ä u p t l i n g Dingiswayo noch ein loser V e r b a n d verschiedener S t ä m m e b e s t a n d e n h a t t e , verschmolzen n a c h den zahlreichen E r o b e rungsfeldzügen S h a k a s sehr schnell die verschiedenen S t ä m m e m i t e i n a n d e r , so d a ß sich im öffentlichen Leben d a s B l u t s v e r w a n d t s c h a f t s p r i n z i p nirgends als G r u n d l a g e d e r gesellschaftlichen Organisation a u f r e c h t e r h a l t e n ließ. E i n e r der e n t s c h e i d e n d e n G r ü n d e f ü r die schnellere U n t e r g r a b u n g des Blutsv e r w a n d t s c h a f t s p r i n z i p s bei den Zulu w a r die große B e d e u t u n g , die hier die Altersklassen- bzw. Heeresorganisation erhielt. Mit z u n e h m e n d e r H ä u f i g k e i t d e r Kriege u n d m i t der A u s w e i t u n g der Gemeinwesen ü b e r den einzelnen S t a m m h i n a u s w a r die S i p p e n o r g a n i s a t i o n n i c h t m e h r die geeignete G r u n d l a g e der Heeresorganisation. Man m u ß t e n a c h besseren u n d militärisch z w e c k m ä ß i g e r e n Organisationsprinzipien h i e r f ü r s u c h e n u n d f a n d sie in den Altersklassen. D a d u r c h w u r d e das B l u t s v e r w a n d t s c h a f t s v e r h ä l t n i s s t ä n d i g d u r c h ein a n d e r s g e a r t e t e s O r g a n i s a t i o n s p r i n z i p ü b e r l a g e r t . J e zahlreicher die Kriege w u r d e n , je m e h r sich den B e d ü r f n i s s e n der K r i e g f ü h r u n g d a s g e s a m t e gesellschaftliche Leben a n p a s s e n m u ß t e , u m so m e h r m u ß t e demzufolge

Auflösungsperiode

der

Urgemeinschaftsordnung

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die Altersklassenorganisation dominieren. Sie mußte das um so mehr tun, als mit ihr noch andere Dinge verbunden wurden, wie beispielsweise die Arbeitsleistungen auf den vom König bzw. den Häuptlingen verwalteten Feldern. Der Stamm war nur noch bei verhältnismäßig wenigen Gruppen die Grundlage der gesellschaftlichen Organisation. Nur die Hottentotten und Herero kannten ursprünglich lediglich zeitlich begrenzte, labile Stammesbünde. In allen anderen Gruppen waren mehr oder weniger zahlreiche Stammesfremde in die Gemeinschaften aufgenommen, so daß sich hier der Stamm zur Völkerschaft umwandelte und erweiterte, ein Prozeß, der am weitesten bei den Zulu, Südsotho, Kololo und Ndebele fortgeschritten war. In der Übergangsperiode von der Urgemeinschaftsordnung zum S t a a t konnten unter Umständen also drei verschiedene Organisationsprinzipien gleichzeitig innerhalb einer Gesellschaft vertreten sein: Das Blutsverwandtschaftsprinzip, die Altersklassenorganisation und das Territorialprinzip. Ein Beispiel für ein solch kompliziertes Nebeneinander bildeten einige Sotho-Cwana-Stämme. Da das Territorialprinzip allen Gegebenheiten entsprechen konnte, während das Blutsverwandtschaftsprinzip wesentlich weniger anpassungsfähig war, mußte im Laufe der Zeit das erstere den Sieg davontragen. Wie bereits angeführt, hatte sich das Territorialprinzip am meisten bei den Zulu durchsetzen können. Überhaupt war hier die Urgemeinschaftsordnung in jeder Beziehung am meisten überwunden. Dabei hatten die Eroberungsfeldzüge Shakas einen entscheidenden Anteil. Es wäre jedoch falsch, würde man behaupten, der Krieg sei die alleinige Ursache dieser ganzen Entwicklung. In Wirklichkeit war der Krieg seinerseits auch wiederum nur die Folge einer Entwicklung auf einem ganz anderen Gebiet: E r entstand, weil der allgemein aufkommende Reichtum die Möglichkeit bot, ihn sich ohne Arbeit anzueignen, wenn man die Nachbarn überfiel und ausraubte. Außerdem war eine gewisse Akkumulation von Reichtum eine unbedingte Voraussetzung, wenn man, wie die Zulu, ständig ein angriffsbereites Heer zur Verfügung haben wollte. Deshalb war es sicher kein Zufall, wenn erst auf dieser relativ hohen Entwicklungsstufe der Krieg zur Dauererscheinung wurde. In primitiveren Gesellschaften führte man aus Rache Überfälle durch, später unternahm man gelegentliche Raubzüge, wie es beispielsweise noch bei Hottentotten und Herero der Fall war. Die Xosa organisierten bereits ihr Heer in mehreren Abteilungen mit jeweils besonderen taktischen Aufgaben, um die Ergiebigkeit ihrer Raubzüge zu steigern. Die höchstentwickelte Heeresorganisation aber hatten die Zulu geschaffen. Hier wurde der Krieg in einem solchen Maße organisiert, daß dadurch das gesamte öffentliche Leben bestimmt wurde und sich auch die individuellen Interessen dem unterordnen mußten. Erst hier wurde der Krieg zum eigentlichen Erwerbszweig, da er nur unter den Bedingungen einer solchen Organisation einen regelmäßigen E r t r a g einbrachte. Dabei nützte es nichts, wenn eine Gruppe von Menschen wie in einer Oase eine relativ hohe Entwicklung erreichte, die Nachbarn dagegen auf einem niedrigeren Niveau stehen blieben. Dann hätte dem Raubkrieg die materielle Voraussetzung gefehlt. Deshalb wurden auch die Beziehungen zwischen relativ wohlhabenden 30

Sellnow, Urgeschichte

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Darlegung der Grundprinzipien einer Periodisierung

Sotho-Cwana-Stämmen u n d den v e r a r m t e n , in die Kalahari verdrängten S t ä m m e n der gleichen Gruppe nicht durch Raubkriege bestimmt, sondern durch H e r r s c h a f t und Unterordnung. Der Krieg konnte also erst d a n n zu einem das gesellschaftliche Leben bestimmenden Phänomen werden, wenn allgemein ein bestimmtes Entwicklungsniveau erreicht worden war. Mit anderen Worten gesagt: E s konnte nichts in einem noch so gut organisierten Krieg geraubt werden, was nicht zuvor produziert worden war. Also konnte der permanente Kriegszustand lediglich die Auflösung der Urgemeinschaftsordnung beschleunigen, bewirken konnte er sie jedoch nicht, da er selbst n u r die Folgeerscheinung einer tieferliegenden Ursache war. H a n d in H a n d m i t der Auflösung der urgemeinschaftlichen Organisationsprinzipien ging die E r r i c h t u n g einer Zentralgewalt. Sie n a h m überall von der Institution des Stammeshäuptlings ihren Ausgang und entstand durch ständige Erweiterung seiner Machtbefugnisse. Dadurch wurden die Funktionen der Sippen im öffentlichen Leben immer weiter eingeschränkt, und auch die Befugnisse der Großfamilien waren bekanntlich nicht immer gesichert vor dem Zugriff der Stammeshäuptlinge. Auch der Abbau der Blutrache und der Zwang zur Verhandlung aller Vergehen vor dem Häuptling gehörten hierher. Diese Zentralgewalt war u m so mächtiger, je geringer die Macht der blutsverwandten Gruppen war. Das wird eindeutig, wenn m a n die H o t t e n t o t t e n m i t den Herero und diese m i t den Xosa u n d Zulu vergleicht. Bei den H o t t e n t o t t e n waren bekanntlich noch stabile Sippenorganisationen vorhanden, denen gegenüber der Stammeshäuptling oftmals machtlos war. Seine Ratgeber waren die Sippenoberh ä u p t e r sowie die ältesten und erfahrensten Mitglieder aus jeder Sippe. Sie waren das durch A u f t r a g der Sippenmitglieder. Bei den Herero besaßen die Häuptlinge bereits insofern eine größere Machtbefugnis, als sie selbst ihre Ratgeber u n d Helfer ernannten u n d diese Personen meist aus ihrer eigenen Familie wählten. Damit war offensichtlich eine erste Einengung des Personenkreises verbunden, der an der Regelung der Stammesangelegenheiten beteiligt war. Ähnlich verhielt es sich bei den Sotho-Cwana-Stämmen und den Xosa. Da aber bei allen diesen S t ä m m e n noch immer die Volksversammlung bestand und wenigstens zum Teil noch eine Sippenautonomie vorhanden war, war d a m i t allen etwaigen despotischen Bestrebungen der Häuptlinge ein Riegel vorgeschoben. Verschiedentlich k a m e n "die zuletzt genannten S t ä m m e jedoch bereits an die Grenze, wo eine Weiterentwicklung ohne gewaltsame Durchbrechung der urgemeinschaftlichen Demokratie nicht möglich war. Im allgemeinen jedoch h a t anscheinend noch ein gewisses Gleichgewicht der K r ä f t e zwischen der sich entwickelnden Zentralgewalt u n d der Masse der Stammesmitglieder bestanden. Dieses Gleichgewicht der K r ä f t e wurde bei den Herero zugunsten des Häuptlings gestört, als es infolge der Kolonialpolitik zu heftigen Auseinandersetzungen kam, die seine Autorität ungeheuer stärkten, da er der oberste Kriegsanführer war und gleichzeitig als einziger die Möglichkeit hatte, für entsprechende Bewaffnung der Krieger zu sorgen. Bei Xosa u n d einigen Sotho-Cwana-Stämmen gab es verschiedene Versuche von Stammeshäuptlingen zur gewaltsamen Ausweitung ihrer Machtpositionen. Durch Gegenmaßnahmen der Stammesmitglieder, Interventionen einflußreicher Ratgeber

Auflösungsperiode

der

Urgemeinschaftsordnung

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oder auch benachbarter S t a m m e s h ä u p t l i n g e k o n n t e jedoch noch immer das Gleichgewicht wieder hergestellt werden. Von allen hier behandelten S t ä m m e n h a t t e n die Zulu die s t ä r k s t e Zentralgewalt. Volksversammlungen, auf denen öffentliche Angelegenheiten diskutiert worden wären, gab es hier nicht. D a sich aber die Zulu-Könige auf die D a u e r n i c h t erlauben k o n n t e n , entgegen der öffentlichen Meinung ihre Anordnungen zu treffen, sahen sie sich gezwungen, sogenannte Spione in alle Teile des Landes auszusenden, die sich über die in der Öffentlichkeit v o r h a n d e n e n Ansichten informieren sollten. Die verschiedenen R a t g e b e r h a t t e n dieselbe Aufgabe. Sie waren meist sehr gut ü b e r die öffentliche Meinung orientiert u n d sollten den jeweiligen König bei der Regelung aller Angelegenheiten beraten. Als ein wesentliches Kennzeichen f ü r die S t ä r k e der Zentralgewalt erwies sich überall ihr Einfluß auf die Ein- bzw; Absetzung der Unterhäuptlinge. Bei den H o t t e n t o t t e n , die bekanntlich die am schwächsten entwickelte Zentralgewalt besaßen, h a t t e der S t a m m e s h ä u p t l i n g keinerlei E i n f l u ß auf die Ein- u n d Absetzung seiner Unterhäuptlinge. Sie waren lediglich ihren eigenen Sippenangehörigen gegenüber rechenschaftspflichtig. Da diese Sippenoberhäupter außerdem gleichberechtigt mit dem S t a m m e s h ä u p t l i n g die Regelung der Stammesangelegenheiten v o r n a h m e n , w a r der letztere eigentlich n u r primus inter pares. Bei den Herero war das A m t der Sippenoberhäupter noch i m m e r erblich. Diese Sippenhäuptlinge waren jedoch nicht m e h r m ä c h t i g genug, u m als Gleichberechtigte an der Regelung der Stammesangelegenheiten teilzunehmen. Der S t a m m e s h ä u p t l i n g k o n n t e sich bereits seine ständigen u n d engsten R a t g e b e r selbst wählen u n d schaltete d a m i t die Sippen z u m Teil von der Regelung der Stammesangelegenheiten aus. Von besonderem Interesse waren jedoch die Verhältnisse u n t e r einigen S o t h o C w a n a - S t ä m m e n . Hier d u r f t e bekanntlich der S t a m m e s h ä u p t l i n g n u r die Distriktshäuptlinge beliebig ein- u n d absetzen, nicht aber die O b e r h ä u p t e r der Familiengruppen. W ä h r e n d die im Prinzip auf B l u t s v e r w a n d t s c h a f t beruhenden V e r b ä n d e erbliche Oberhäupter besaßen, hingen die Häuptlinge der T e r r i t o r i a l v e r b ä n d e völlig vom Stammeshäuptling ab. Die Zulu schließlich, bei denen die Sippen keine F u n k t i o n e n im öffentlichen Leben zu bekleiden h a t t e n , k a n n t e n auch keine von der Zentralgewalt unabhängigen Häuptlinge mehr. Daraus wird ersichtlich, wie eine S t ä r k u n g der Zentralgewalt n u r möglich w a r bei gleichzeitiger E i n s c h r ä n k u n g bzw. Beseitigung der Autonomie der B l u t s v e r w a n d t schaftsgruppen. Man k a n n das Problem auch u m g e k e h r t sehen: Mit Zerfall der B l u t s v e r w a n d t s c h a f t s g r u p p e n m u ß t e die Zentralgewalt erstarken, da sich u n b e d i n g t eine neue gesellschaftliche Institution der Aufgaben a n n e h m e n m u ß t e , die bisher diese Gruppen erfüllt h a t t e n . Die Zentralgewalt war noch in keinem S t a m m so e r s t a r k t , d a ß es zur Ausbildung staatlicher I n s t i t u t i o n e n k o m m e n k o n n t e . Auch die Zulu h a t t e n diese Entwicklungshöhe noch nicht erreicht, wenn sie auch bereits kurz davor standen. Zwei wesentliche Dinge fehlten ihnen n o c h : E i n m a l war es ihnen noch immer möglich, ihre P r o d u k t i o n im wesentlichen von Freien ausüben zu lassen, u n d zum anderen fehlte es ihnen an einem regelrechten S t a a t s a p p a r a t . Zwischen beiden bestand ein u n m i t t e l b a r e r Zu30*

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Darlegung der Grundprinzipien einer Periodisierung

sammenhang. Infolge der fehlenden ausgeprägten Klassenspaltung war es noch nicht notwendig, Gewaltorgane zur Niederhaltung einer unterdrückten Klasse zu schaffen. Deshalb richteten sich despotische Maßnahmen der Zentralgewalt, von denen europäische Reisende zu berichten wissen, zunächst immer nur gegen einzelne; deshalb richtete sich die öffentliche Meinung gegen Ende seiner Herrschaft gegen Shaka, als dieser größere Teile der Bevölkerung mit seinen Maßnahmen bedrohte. Es scheint jedoch, als sei der Zustand, den die Europäer zu Beginn des 19. J a h r hunderts bei den Zulu antrafen, nicht auf die Dauer haltbar gewesen. Zunächst einmal zeigen die Ereignisse am Ende der Herrschaft Shakas, wie es allmählich unmöglich wurde, mit Hilfe von Raubkriegen einen beträchtlichen Teil der zur Ernährung und Ausrüstung des Heeres notwendigen Mittel herbeizuschaffen. Die Kriegszüge mußten in immer entferntere Gegenden verlegt werden. Sie verliefen immer öfter unglücklich für die Zulu, weil ihnen für solche Unternehmungen die technischen Voraussetzungen fehlten. Von Raub allein konnte also auf die Dauer kein Gemeinwesen existieren. Die Zulu standen vor der Notwendigkeit, entweder neue und intensivere Formen der Produktion einzuführen, die es ihnen gestattet hätten, die Mittel zur Aufrechterhaltung des stehenden Heeres und überhaupt ihres gesamten Gemeinwesens im wesentlichen aus eigenen Mitteln zu bestreiten, oder aber den Zerfall ihres Gemeinwesens zuzulassen. Wenn sie den zuerst genannten Weg gegangen wären, dann hätte das bedeutet, die Ausraubung fremder Stämme durch Ausbeutung eines Teils der Bevölkerung des eigenen Landes zu ersetzen. Das aber hätte zwangsläufig zur Ausbildung des Staatsapparates führen müssen. R a u b und Krieg allein können also nicht zur Ausbildung des Staates führen. Sie sind nur Mittel zu einer gewaltsamen Aneignung von Reichtum, der von anderen Stämmen bzw. Völkern produziert worden ist. W a r der vorhandene Reichtum geraubt und verbraucht, dann mußte entweder das Gemeinwesen wieder zerfallen, oder es mußten Wege gefunden werden, um diesen Reichtum selbst zu erzeugen. Mit den alten Mitteln war dieses Ziel nicht zu erreichen. Erst die aus diesem Grunde notwendige Umstellung der eigenen Produktion konnte zu qualitativ neuen sozialen Beziehungen führen und war die wirkliche Ursache einer Umgestaltung der Gesellschaft. Auch ist es fraglich, ob die Zulu-Könige auf die Dauer ihre Positionen ohne die Unterstützung von besonderen Gewaltorganen hätten aufrecht erhalten können. Die Herrschaft eines einzelnen tendiert immer danach, zu einer Despotie zu werden. Auch bei den Zulu war diese Tendenz erkennbar. Das mußte zwangsläufig zu Widersprüchen führen; denn noch immer sah sich der Zulu-König einem Heer gegenüber, das aus der Gesamtheit der waffenfähigen Männer des Gemeinwesens bestand. Da die Krieger zugleich die Exekutivgewalt darstellten, gab es also noch keine vom Volke losgelösten Gewaltorgane, auf die sich der Zulu-König hätte stützen können. Auch er konnte also nur die Maßnahmen treffen und durchführen, die die Allgemeinheit billigte; er mußte aber scheitern, wenn er die Unterstützung der Allgemeinheit nicht fand. Wie in Polynesien, so konnte man auch in südafrikanischen Gemeinwesen feststellen, daß die Sippen bzw. Familiengruppen ein wesentlich zäheres Leben besaßen als die Stämme. Die Stammesorganisation der Unterworfenen wurde von den

Auflösungsperiode der Urgemeinschaftsordnung

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Siegern im Interesse der Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft meist als erstes beseitigt. Die kleineren Blutsverwandtschaftsgruppen stellten, wenn man sie ihrer öffentlichen Funktionen beraubte, für die Sieger keine Gefahr dar. Im Gegensatz zu einigen polynesischen Beispielen gab es jedoch unter den hier behandelten südafrikanischen Stämmen keinen, bei dem die Sippen bzw. Familiengruppen bereits völlig verschwunden wären. Sogar dort, wo diese blutsverwandten Gruppen nicht mehr geschlossene Siedlungseinheiten bildeten, bestimmte die Zugehörigkeit zur Sippenorganisation doch immer noch die Heiratsregeln und verschiedene andere gesellschaftliche Beziehungen. Am stabilsten aber erwies sich auch hier die Großfamilie, da sie nicht nur soziale, sondern auch ökonomische Einheit war. Während die ehemaligen ökonomischen Funktionen der Sippen von den Territorialverbänden oder den Altersklassenverbänden übernommen werden konnten, konnten die Größfamilien durch nichts ersetzt werden. Am Schluß dieses Abschnittes muß die Frage gestellt werden, wodurch die soeben kurz charakterisierte Entwicklung hervorgerufen wurde. Was war die bestimmende Ursache, die innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit aus den kleinen, Viehzucht und Bodenbau treibenden Gruppen des 17. Jahrhunderts die Beherrscher großer Gemeinwesen des 19. Jahrhunderts werden ließ? Unter den spärlichen älteren Nachrichten fällt eine auf, die den Schlüssel für die gesuchte Erklärung darstellen könnte. Wir wissen, daß noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beispielsweise nur sehr wenige reiche Zulu Vieh als Brautgabe aufbringen konnten. 1 Zu dieser Zeit muß also Vieh noch eine große Kostbarkeit dargestellt haben. Erst später hat offenbar die Viehzucht rasch zugenommen und einen großen Reichtum erzeugt. Dieser Reichtum aber war die letzte Ursache für die erstaunliche Entwicklung, die die südafrikanischen Stämme durchgemacht haben. Dieser Reichtum, der bald nicht mehr unter alle gleichmäßig verteilt war, zerstörte allmählich den Zusammenhalt der Sippengenossen und ersetzte die verwandtschaftlichen durch sachliche Beziehungen. Seinetwegen wurden Kriege geführt und gesellschaftliche Organisationsformen geschaffen, die den Bedürfnissen der Kriegführung angepaßt waren. Den geraubten Reichtum eigneten sich schließlich diejenigen an bzw. kontrollierten ihn, die für die Organisation des Krieges verantwortlich waren, die also das wichtigste gesellschaftliche Amt verwalteten. Der aufkommende Reichtum zerstörte also in verschiedener Hinsicht die alte Urgemeinschaftsordnung: Einerseits untergrub er immer mehr die urgemeinschaftlichen Beziehungen der Menschen, indem er die alte soziale und ökonomische Gleichheit der Menschen beseitigte; andererseits ermöglichte er das Aufkommen einer starken Zentralgewalt, die ihren Einfluß und ihre Macht deshalb so vergrößern konnte, weil sie nicht nur die wichtigsten gesellschaftlichen Ämter, sondern bald auch den größten Teil des Reichtums in ihren Händen konzentrierte. Es könnte sich die Frage erheben, ob diese Entwicklung bei einigen südafrikanischen Stämmen nicht ebensogut die Folge einer Verbesserung des Bodenbaues gewesen sein könnte. Zweifellos ist es kein Zufall, wenn die am weitesten fort1

A. T. Bryant, Zulu People, p. 590.

470

Darlegung der Grundprinzipien

einer Periodisierun g

geschrittenen Völker diejenigen waren, die neben der Viehzucht noch den Bodenbau betrieben. Gegenüber der p r i m i t i v e n S a m m e l w i r t s c h a f t , durch die die reinen Viehzüchter ihre P f l a n z e n n a h r u n g gewannen, stellte der Bodenbau selbstverständlich eine p r o d u k t i v e r e F o r m der N a h r u n g s g e w i n n u n g dar. Es ist jedoch auffallend, d a ß nicht die S o t h o - C w a n a - S t ä m m e , die v o n allen S t ä m m e n den ausgedehntesten Bodenbau, aber die geringste Viehzucht betrieben, am weitesten fortgeschritten waren, sondern die Zulu, bei denen die Viehzucht gegenüber dem B o d e n b a u dominierte. Das spricht f ü r die größere B e d e u t u n g der Viehzucht bei der Auflösung der Urgemeinschaftsordnung der hier behandelten südafrikanischen S t ä m m e . Das Gleiche ergibt noch ein anderer Gesichtspunkt. W ä h r e n d die A u s d e h n u n g der Viehzucht bei den südlichen B a n t u - S t ä m m e n ziemlich feststeht, ist über eine E n t wicklung des Bodenbaues nicht viel b e k a n n t . W e n n m a n die südafrikanischen Verhältnisse m i t denen Polynesiens vergleicht, d a n n ergeben sich f ü r die B e t r a c h t u n g dieser F r a g e einige interessante Gesichtspunkte. In Polynesien k a m bekanntlich der Viehzucht keine entscheidende B e d e u t u n g bei der Auflösung der Urgemeinschaftso r d n u n g zu. Hier k o n n t e sich die soziale Differenzierung einzig u n d allein auf Grund der Eigentumsverhältnisse am G r u n d u n d Boden ergeben. Dabei zeigt sich, d a ß die Grundvoraussetzung f ü r die E r h a l t u n g einer sozialen Oberschicht eine relativ hohe P r o d u k t i v i t ä t des Bodenbaues war. Von den südafrikanischen S t ä m m e n wissen wir aber, wie gering bei ihnen die P r o d u k t i v i t ä t des Bodenbaues war u n d o f t m a l s noch nicht einmal die notwendige Pflanzennahrung bis zur nächsten E r n t e sicherte. Weiterhin zeigte das polynesische Beispiel, d a ß die individuelle u n d p r i v a t e Aneign u n g des G r u n d u n d Bodens durch zwei Dinge sehr gefördert w u r d e n : E i n m a l d u r c h die V e r k n a p p u n g des G r u n d u n d Bodens u n d z u m anderen durch den Ü b e r g a n g zu arbeitsintensiveren Bearbeitungsmethoden wie dem Bewässerungsbodenbau u n d der Terrassierung. Bei den hier behandelten südafrikanischen S t ä m m e n war überall die B o d e n b e w i r t s c h a f t u n g extensiv. J e d e Großfamilie sorgte allein f ü r die Bestellung ihrer Felder, wobei m a n sich lediglich gelegentlich gegenseitig half. Der Bewässerungsbodenbau f a n d erst n a c h dem A u f t r e t e n der E u r o p ä e r verschiedentlich Eingang. Eine V e r k n a p p u n g von Grund u n d Boden gab es hier ursprünglich n i c h t . Zu einer endgültigen Aufteilung des Grund und Bodens bzw. zu dessen privater Aneignung fehlte bei den südafrikanischen S t ä m m e n noch jeder Anreiz u n d jede Voraussetzung. Man k a n n t e n u r eine D a u e r n u t z u n g an dem b e b a u t e n G r u n d u n d Boden. Der Bodenbau bedingte also nirgends solche Eigentumsverhältnisse, die eine soziale Differenzierung nach sich gezogen h ä t t e n , wohl aber t a t das die Viehzucht. Vieh w u r d e überall sehr viel schneller zu individuellem E i g e n t u m als G r u n d u n d Boden. Das lag schon in der N a t u r der Sache; denn die Viehzucht forderte geradezu die Bildung kleinerer Produktionseinheiten u n d bewirkte d a d u r c h das individuelle E i g e n t u m dieser Einheiten — der Großfamilien — an den Viehherden. Das allein h ä t t e jedoch noch keine soziale Differenzierung hervorgerufen. Die t r a t erst ein mit der E n t s t e h u n g von Ungleichheiten im Viehbesitz, wie ja auch bei Bodenbauern die soziale Differenzierung erst m i t der ungleichmäßigen Verteilung des Grund u n d Bodens a u f t r a t . Das individuelle E i g e n t u m allein schuf noch keine sozialen Unterschiede.

Auflösungsperiode

der

Urgemeinschaftsordnung.

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Im Unterschied zu den Bodenbauern entstanden aber bei den Viehzüchtern diese Unterschiede schneller, und zwar aus folgenden Gründen: Zunächst einmal unterlag die Viehzucht verschiedenen Zufälligkeiten. Seuchen konnten den Viehbestand des einen vermindern oder sogar ganz vernichten, während der des anderen verschont blieb. Da bei keinem der hier behandelten Viehzüchterstämme die gentile Hilfe noch so weit vorhanden war, daß man den in Not geratenen Sippengenossen neue Produktionsmittel zur Verfügung stellte, wurden durch solche Zufälligkeiten ökonomische Unterschiede geschaffen, die meist nicht oder doch nur sehr schwer wieder auszugleichen waren. Auf die gleiche Weise wirkten übrigens auch die Raubfeldzüge der Nachbarn, die den einen schwer treffen, den andern aber verschonen konnten. Weiterhin wurde die Entstehung von Ungleichheiten bei allen hier behandelten Stämmen durch die Erbregeln gefördert. Überall herrschte das Prinzip, jeweils dem ältesten Sohn den größten Teil des Familienerbes zukommen zu lassen. E r galt infolge des Senioritätsprinzips als der eigentliche Fortführer der Familie, während die übrigen Söhne jüngere Linien bildeten, deren Ansehen geringer war. Schließlich konnte auch noch die Beuteverteilung die Ungleichheit unter den Stammesmitgliedern fördern. Fast überall wurden im Kriege geraubte Herden nicht gleichmäßig unter alle Teilnehmer verteilt. Entweder bedachte man den tüchtigen Krieger mit einem besonders großen Anteil oder man überließ die Verteilung dem Häuptling, der nur allzu oft sich und seine Günstlinge reichlicher als andere bedachte. Die Ungleichmäßigkeiten in der Verteilung des Viehbesitzes aber mußten sehr bald eine soziale Differenzierung nach sich ziehen. Wir wissen nicht, wann bei den verschiedenen südafrikanischen Stämmen die gentile Hilfe weitgehend beseitigt wurde. W i r stehen nur vor der Tatsache, daß überall die bestehenden ökonomischen Ungleichheiten bereits soziale Ungleichheiten nach sich gezogen hatten, und sogar die eigenen Sippengenossen nicht vor Abhängigkeit und Ausbeutung bewahrt worden waren. Während bei den Bodenbauern erst eine hohe Produktivität erreicht worden sein mußte, ehe die private Aneignung des Grund und Bodens möglich wurde, was meist erst das Ergebnis einer langen Entwicklung war, lagen die Dinge bei den Viehzüchtern etwas anders. Hier war sogar mit verhältnismäßig primitiven Methoden der Viehzucht (wie z. B . bei den Hottentotten, die ihre Viehzucht auf ungleich extensivere Weise betrieben als die Maori ihren Bodenbau) eine Ausbeutung möglich, weil die Größe der Herden die fehlende Produktivität ersetzen konnte. Die einfache Akkumulation von Reichtum aber war in der Viehzucht schneller möglich, als die Steigerung der Arbeitsproduktivität im Bodenbau, da diese Reichtumsakkumulation bei den Viehzüchtern gleichsam mühelos und selbsttätig vor sich ging. 1 Deshalb ging bei den Viehzüchtern die Auflösung der Urgemeinschaftsordnung im allgemeinen schneller und leichter vonstatten als bei Bodenbauern, und deshalb kam bei den südafrikanischen Stämmen der Viehzucht beim Übergang von der Urgemeinschaftsordnung zur Klassengesellschaft eine solch große Bedeutung zu.

1 Die Swazi erklärten dieses Problem Kuper gegenüber einmal folgendermaßen: „Cattle do not rot like corn, and they multiply with time" (H. Kuper, An African Aristocracy, Rank among the Swazi, London 1947, p. 150).

472

Darlegung der Grundprinzipien

einer

Periodisierung

Damit ist aber die Charakterisierung der historischen Bedeutung der Viehzucht noch nicht erschöpft. Das Beispiel der Zulu zeigt, daß die Viehzucht zwar eine schnelle Auflösung der Urgemeinschaftsordnung bewirken konnte, daß sie allein jedoch die Entwicklung über dieses Auflösungsstadium nicht hinausführen konnte. Die einfache Akkumulation von Reichtum bewirkte lediglich eine andere Verteilung; solange sich aber an der Verwertung dieses Reichtums nichts Grundsätzliches änderte, konnte auch keine grundsätzliche Umgestaltung der Gesellschaft erfolgen. Solange der akkumulierte Reichtum nur eine Quelle von Konsumtionsmitteln war und keine Anwendung in der Produktion erfuhr, solange entwickelte sich daraus keine neue Gesellschaftsformation. Die Zulu hatten zwar die alte Urgemeinschaftsordnung weitgehend überwunden, weil sie die alte Gleichheit der Menschen beseitigt hatten, zur Entstehung einer ausgeprägten Klassengesellschaft war es bei ihnen jedoch noch nicht gekommen. Die Verteilung allein konnte also noch nicht den Übergang zu einer neuen Gesellschaftsordnung bewirken, es mußten noch neue Produktionsformen in Verbindung mit einer höheren Produktivität der Arbeit hinzukommen. Bei den Zulu wurde der geraubte und akkumulierte Reichtum jedoch nicht zum Ausgangspunkt neuer Produktionszweige, einer weiter entwickelten gesellschaftlichen Teilung der Arbeit und neuer Tauschbeziehungen; er wurde in der gleichen Weise verwertet wie schon seit langer Zeit. Deshalb konnten bei ihnen zwar die Ungleichheiten vergrößert werden, zur Ausbildung einer neuen Form der gesellschaftlichen Organisation kam es jedoch nicht. Letztlich galt also auch für die Viehzüchter das Gleiche wie für die Bodenbauern: Nur eine höhere Produktivität der Arbeit führte den Übergang zur Klassengesellschaft herbei. Der Unterschied zwischen beiden bestand nur darin, daß die Viehzüchter in den meisten Fällen schneller die Auflösungsperiode der Urgemeinschaftsordnung erreichten, daß sie aber in den meisten Fällen langsamer die Ausbildung der Klassengesellschaft vollzogen. Viele von ihnen sind über dieses Zwischenstadium von Urgemeinschaftsordnung und Klassengesellschaft nicht hinausgekommen und haben erst in neuester Zeit wieder Anschluß an die allgemeine Höherentwicklung der menschlichen Gesellschaft gefunden; denn erst hier fanden sich die materiellen Voraussetzungen, die den Viehzüchtern eine Weiterentwicklung gestatteten und eine höhere Produktivität der Arbeit in diesem Produktionszweig ermöglichten.

III.

SCHLUSSTEIL

ÜBERPRÜFUNG DER VORGESCHLAGENEN GRUNDPRINZIPIEN AN DEM DARGELEGTEN MATERIAL An den hier behandelten Beispielen konnte m a n sehen, wie die Grundvoraussetzung jeder gesellschaftlichen Weiterentwicklung eine entsprechende Steigerung in der Produktivität der Arbeit war. Dabei blieb es völlig offen, mit welchen Mitteln dies erreicht wurde. Bei den Itelmenen und den Fischern der Nordwestküste Nordamerikas war die P r o d u k t i v i t ä t der Arbeit hoch genug, u m auf der Grundlage der Fischfangwirtschaft bis zur Auflösungsperiode der Urgemeinschaftsordnung zu kommen. Dagegen konnten H o t t e n t o t t e n u n d Herero nicht dieselbe Höhe der Arbeitsproduktivität erreichen wie beispielsweise die Zulu, da der Anbau von Pflanzen den Zulu einen höheren E r t r a g sicherte als das einfache Sammeln wildwachsender Pflanzen bei H o t t e n t o t t e n und Herero. Die Maori u n d die Bewohner des Tonga-Archipels wiederum errangen mit dem gleichen Grabstockbau jeweils verschiedene Ergebnisse. Die Höhe der Arbeitsproduktivität hängt von verschiedenen Faktoren ab. In erster Linie wurde und wird sie bestimmt von den Produktivkräften. In einigen Fällen wurde durch das Aufkommen neuer P r o d u k t i v k r ä f t e eine neue universalhistorische Entwicklungsetappe eingeleitet. Dazu zählten beispielsweise das Auftreten von Werkzeugen speziell zum Zwecke der Werkzeugherstelleng zu Beginn des Jungpaläolithikums oder die Erfindung von Bodenbau u n d Viehzucht zu Beginn des Neolithikums. Diese neuen P r o d u k t i v k r ä f t e waren in jedem Falle so umwälzend, u m zu neuen historischen Entwicklungsetappen zu führen. Auch die Entwicklungsstadien einer Einzelkultur k a n n m a n sehr gut durch das Aufkommen neuer, wichtiger P r o d u k t i v k r ä f t e charakterisieren. F ü r archäologische Kulturen ist dies sogar die einzige Möglichkeit zur Periodisierung. Es ist daher kein Zufall, wenn von den Archäologen die Zweckmäßigkeit u n d Richtigkeit dieses Prinzips betont wird. F ü r die Behandlung des ethnographischen Materials ist dieses Periodisierungsprinzip allein nicht befriedigend. Gegen seine Anwendung sprechen zunächst einmal methodische Erwägungen. Jede Produktion ist ein gesellschaftliches P h ä n o m e n . Geht man bei der Periodisierung nur von den Produktivkräften aus, dann schaltet m a n ihre gesellschaftliche Wirkung aus der Betrachtung aus. Die Einbeziehung dieser Wirkungen aber ist f ü r das ethnographische Material unbedingt notwendig; denn die gleichen Produktivkräfte konnten jeweils verschiedene Auswirkungen haben, wie u m gekehrt verschiedene Produktivkräfte die gleichen Auswirkungen haben konnten.

474

ScMußteil

So haben beispielsweise Itelmenen und einzelne Gruppen unter den Bewohnern der Nordwestküste Nordamerikas ohne die Kenntnis von Bodenbau und Viehzucht und nur auf der Grundlage einer Fischfangwirtschaft das Auflösungsstadium der Urgemeinschaftsordnung erreicht. Der Arbeitsertrag war in beiden Fällen groß genug, um einen Uberschuß über den eigenen Lebensunterhalt hinaus zu liefern, und deshalb war es zur Ausbildung von patriarchalischen Abhängigkeitsverhältnissen und damit zur Ausbildung sozialer Unterschiede gekommen. Ginge man bei der Periodisierung nur von den Produktivkräften aus, dann ergäben sich Schwierigkeiten weiterhin bei der Beurteilung des polynesischen und südafrikanischen Materials. In ganz Polynesien war bekanntlich in voreuropäischer Zeit Metall unbekannt. Mit gutem Grund vermuten heute die Forscher, die Polynesier hätten vor ihrer Abwanderung aus dem hinterindischen Raum die Kenntnis der Metallgewinnung und -bearbeitung besessen. Nach ihrer Einwanderung auf die polynesischen Inseln mußte diese Kenntnis verlorengehen, da es hier an dem notwendigen Rohmaterial fehlte. Dadurch trat jedoch keine Rückentwicklung bzw. kein Verfall der altpolynesischen Kulturen ein. Im Gegenteil: Die Produktivkräfte wurden insgesamt der neuen Umwelt angepaßt, und dabei wurde eine Produktivität der Arbeit erreicht, die die Ausbildung einer sozialen Oberschicht auf verschiedenen Inseln ermöglichte. Zweifellos ist die Kenntnis der Metallgewinnung und -Verarbeitung eine entscheidende Produktivkraft, und vom Standpunkt dieses Periodisierungsprinzips m ü ß t e man die Kulturen verschiedenen Entwicklungsetappen zuweisen, je nachdem ob Metalle bearbeitet und verwendet werden oder nicht. Vergleicht man aber das polynesische Material mit dem südafrikanischen, dann sieht man, daß das zu falschen Schlüssen führen würde. So wäre es z. B. ein Fehler, die Hottentotten einer höheren Entwicklungsstufe zuzuweisen als beispielsweise die Bewohner des Tonga-Archipels. Zwar waren die ersteren im Gegensatz zu den Tonganern mit der Gewinnung und Verarbeitung des Metalles vertraut, in der Ausbildung der sozialen Differenzierung waren jedoch die Tonganer entschieden weiter fortgeschritten. Auch konnte man in Südafrika, wo man übrigens Eisen später kennenlernte als Kupfer, 1 die soziale Entwicklung nicht mit dem Aufkommen der Metallbearbeitung in Zusammenhang bringen. Während -liier die Metallbearbeitung wahrscheinlich schon seit dem 10. Jahrhundert bekannt war, erfolgte die Überwindung der Urgemeinschaftsordnung erst in wesentlich späterer Zeit. Lediglich der Bodenbau hat möglicherweise eine Verbesserung bzw. Erweiterung durch die Einführung von Eisenhacken erfahren. Da aber der Bodenbau bei den meisten hier behandelten südafrikanischen Stämmen nicht von ausschlaggebender Bedeutung war und in keinem Falle die Auflösung der Urgemeinschaftsordnung bewirkte, blieb diese Veränderung ohne nennenswerte soziale Auswirkungen. 1

Erst am Ende des 15. Jahrhunderts sollen die südafrikanischen B a n t u - S t ä m m e Kupfer erhalten haben, und zwar durch die Portugiesen (vgl. A. T. Bryant, Zulu People, p. 159). Vorher kannten sie lediglich Eisen. Deshalb war beispielsweise für die Zulu die Bezeichnung für Eisen gleichzeitig diejenige für Metall überhaupt (infimbi).

Überprüfung der vorgeschlagenen

Grundprinzipien

475

W i e bereits a n g e f ü h r t , k a m der Anstoß z u r w e i t e r e n E n t w i c k l u n g bei d e n süda f r i k a n i s c h e n S t ä m m e n v o n der Viehzucht. Mit der A u s w e i t u n g dieses W i r t s c h a f t s zweiges u n d d e m d a m i t v e r b u n d e n e n Anwachsen des R e i c h t u m s , der a u ß e r d e m i m m e r u n g l e i c h m ä ß i g e r u n t e r die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft v e r t e i l t w u r d e , k a m e n v o l l k o m m e n n e u e gesellschaftliche B e z i e h u n g e n auf, die schließlich zu einer w e i t g e h e n d e n U n t e r g r a b u n g der U r g e m e i n s c h a f t s o r d n u n g f ü h r t e n . U b e r h a u p t ä n d e r t sich an der sozial-ökonomischen S t r u k t u r n i c h t s W e s e n t l i c h e s , solange d a s Metall lediglich z u r H e r s t e l l u n g v o n W a f f e n bzw. S c h m u c k v e r w e n d e t wird. D a b e i k a n n sich lediglich das S c h m i e d e h a n d w e r k h e r a u s s o n d e r n . D a s allein a b e r g e n ü g t noch n i c h t zu einer U m g e s t a l t u n g der ö k o n o m i s c h e n B e z i e h u n g e n d e r Menschen. E r s t w e n n der größere Teil der P r o d u k t i o n in einer a r b e i t s t e i l i g e n Gesells c h a f t hergestellt wird, k a n n v o n dieser Seite h e r eine g r u n d s ä t z l i c h e U m g e s t a l t u n g der ökonomischen S t r u k t u r erfolgen. Von einzelnen P r o d u k t i v k r ä f t e n bei der Periodisierung der U r g e s c h i c h t e auszugehen, ist also n i c h t möglich, a u c h d a n n n i c h t , w e n n es sich u m sehr wichtige P r o d u k t i v k r ä f t e h a n d e l t . Sie sind n i c h t in j e d e m F a l l e ein zuverlässiger M a ß s t a b f ü r die erreichte E n t w i c k l u n g s h ö h e ; e n t s c h e i d e n d d a f ü r w a r der R e i c h t u m , d e n die Gesellschaft m i t den ihr z u r V e r f ü g u n g s t e h e n d e n Mitteln zu erzeugen i m s t a n d e w a r , d. h. die H ö h e der A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t . M a n k ö n n t e f r a g e n , ob m a n n i c h t e v t l . z u m Ziele k ä m e , w e n n m a n v o n d e m E n t w i c k l u n g s s t a n d der P r o d u k t i v k r ä f t e i n s g e s a m t (und n i c h t n u r v o n einzelnen P r o d u k t i v k r ä f t e n ) a u s g i n g e . D a b e i e r h e b t sich j e d o c h die F r a g e , auf G r u n d welcher Kriterien m a n diesen E n t w i c k l u n g s s t a n d b e s t i m m e n soll. I n w i e w e i t w e r d e n f e h l e n d e P r o d u k t i v k r ä f t e (wie z. B. die K e n n t n i s d e r M e t a l l g e w i n n u n g u n d -Verarbeitung) d u r c h a n d e r e P r o d u k t i v k r ä f t e k o m p e n s i e r t ? W i e hoch ist die V i e h z u c h t als P r o d u k t i v k r a f t zu b e w e r t e n ? I s t ihr W e r t f ü r die E n t w i c k l u n g der G e s e l l s c h a f t höher als der des B o d e n b a u e s ? W i e s t e h t es m i t d e m B e w ä s s e r u n g s b o d e n b a u ? Welche B e d e u t u n g h a b e n h a n d w e r k l i c h e F e r t i g k e i t e n f ü r die E n t w i c k l u n g s h ö h e einer K u l t u r ? Auf diese u n d noch zahlreiche w e i t e r e F r a g e n , die m a n in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g a u f w e r f e n k ö n n t e , gibt es keine allgemeingültigen A n t w o r t e n . E i n R ü c k b l i c k auf das d a r g e l e g t e Material zeigt, wie z. B . die A r t d e r sozialen Beziehungen in Polynesien bei a n n ä h e r n d gleichem S t a n d der P r o d u k t i v k r ä f t e r e c h t verschieden w a r . I n s b e s o n d e r e in K u l t u r e n m i t r e l a t i v gering e n t w i c k e l t e n technischen H i l f s m i t t e l n w u r d e u n d w i r d die Menge der p r o d u z i e r t e n G ü t e r n i c h t n u r d u r c h die P r o d u k t i v k r ä f t e b e s t i m m t , auch die n a t ü r l i c h e F r u c h t b a r k e i t des b e w o h n t e n T e r r i t o r i u m s spielt d a b e i eine Rolle, w e n n a u c h n u r als s e k u n d ä r e r F a k t o r . D e r gleiche A u f w a n d a n A r b e i t u n d der E i n s a t z der gleichen P r o d u k t i o n s i n s t r u m e n t e e r b r a c h t e beispielsweise auf Neuseeland einen wesentlich geringeren E r t r a g als auf d e n Inseln des Tonga-Archipels. E b e n s o w a r der B o d e n b a u bei d e n in die K a l a h a r i z u r ü c k g e d r ä n g t e n C w a n a - S t ä m m e n w e i t a u s weniger ergiebig als bei d e n ü b r i g e n S t ä m m e n dieser G r u p p e . A n d e r e r s e i t s w i e d e r u m h a t t e auf H a w a i i der W a s s e r m a n g e l die Menschen z u m Z u s a m m e n s c h l u ß g e f ü h r t u n d h a t t e sie a n g e r e g t , B e w ä s s e r u n g s anlagen großen A u s m a ß e s zu b a u e n . W a r in d e n z u e r s t a n g e f ü h r t e n F ä l l e n die U n g u n s t der geographischen U m w e l t ein H e m m n i s z u r w e i t e r e n E n t w i c k l u n g d e r

476

Schlußteil

Kultur, so war dieselbe Ungunst im zweiten Falle ein Anreiz zur Weiterentwicklung. Das geographische Milieu kann also negativ und positiv auf eine Kultur wirken, wobei ein ungünstiges Milieu nicht in jedem Falle auch eine ungünstige Wirkung auszuüben braucht. Das Bestreben, dieser Ungunst Herr zu werden, kann in manchen Fällen den Anstoß geben zu einer entscheidenden Verbesserung der Produktivk r ä f t e und damit zu einer Weiterentwicklung der Kultur. Der Einfluß des geographischen Milieus ist in der Regel konstant. Einmal in einem bestimmten geographischen Milieu beheimatet, kann die weitere Entwicklung einer gegebenen K u l t u r n u r durch die Weiterentwicklung der P r o d u k t i v k r ä f t e erfolgen. Daher stellt f ü r die lokalhistorische Periodisierung die Gesamtentwicklung der P r o d u k t i v k r ä f t e meist ein gutes Kriterium zur Abgrenzung der einzelnen E n t wicklungsstadien dar. Da aber die Wirkung der Produktivkräfte relativ ist, im Verhältnis zu ihrer Umwelt, ist dieses Kriterium unzureichend für die universalhistorische Periodisierung und den Vergleich zwischen verschiedenen Kulturen aus unterschiedlichem geographischen Milieu. Hierbei müssen die Auswirkungen sekundärer Faktoren auf die Höhe des Arbeitsertrages beachtet werden, d. h. man muß die P r o d u k t i v k r ä f t e im Zusammenhang mit der erreichten Arbeitsproduktivität betrachten. Aber auch in diesem Zusammenhang erhebt sich die Frage, auf Grund welcher objektiver Kriterien man diese Arbeitsproduktivität messen soll. Was in der modernen Volkswirtschaft und mit Hilfe der Statistik kein Problem ist, erweist sich am ethnographischen Material als unmöglich. Deshalb muß man sich nach Hilfskriterien umsehen, die geeignet sind, Aufschluß über diesen P u n k t zu geben. Ein zuverlässiger Maßstab f ü r die Höhe der Arbeitsproduktivität ist der ganze Komlpex der sozialökonomischen Beziehungen. J e nachdem, wie produktiv die Arbeit war, waren die Menschen zu einem mehr oder weniger starken gemeinwirtschaftlichen Zusammenhalt gezwungen, und wenn die Arbeit so produktiv geworden war, daß sie einen über die bloße E r h a l t u n g des Lebens hinausreichenden E r t r a g abwarf, dann wurde die Verwertung dieses entstandenen Reichtums zu einem gesellschaftlichen Problem. Die Produktivkräfte, im Zusammenhang mit den sozial-ökonomischen Beziehungen der Menschen betrachtet, geben deshalb einen objektiven Maßstab f ü r die allgemeine Entwicklungshöhe ab. Zu diesen gesellschaftlichen Auswirkungen gehören eine ganze Reihe von Faktoren, einen der wichtigsten aber bildet das Eigentum. Der sozial-ökonomische Charakter einer Gesellschaft wird maßgebend durch die herrschenden Eigentumsverhältnisse bestimmt. Ob an den wichtigsten Produktionsmitteln Gemeineigentum, individuelles Eigentum oder Privateigentum herrscht, m a c h t das Wesen einer Gesellschaft aus. Da es zur Ausbildung von Privateigentum aber erst kommen konnte, als die Arbeit des Menschen einen entsprechenden E r t r a g über den von ihm benötigten Lebensu n t e r h a l t hinaus erbrachte, ist also die Entstehung von Privateigentum immer ein untrügliches Kennzeichen f ü r den nahenden Untergang der Urgemeinschaftsordnung. In der Praxis ist es jedoch gar nicht immer so leicht, das Vorhandensein von Privateigentum festzustellen, wie das z. B. die polynesischen Verhältnisse zeigten,

Überprüfung der vorgeschlagenen

Grundprinzipien

477

wo die Besitzverhältnisse nicht in jedem Falle mit den Eigentumsverhältnissen iden-, tisch waren. Wenn der Häuptling einen Teil der Ernte erhielt, den er in großen Vorratsgruben aufbewahrte, woraus er bei Hungersnot die Notleidenden unterstützen mußte und womit er Arbeiten durchführen lassen mußte, die im öffentlichen Interesse lagen (Marquesas-Inseln), dann zeigt das, wie wenig man in diesem Falle die betreffenden Vorräte als „ E i g e n t u m " des Häuptlings ansehen kann; sie standen lediglich unter der Verfügungsgewalt des Häuptlings. Ebenso zeigte der bereits erwähnte Vorfall auf Mangareva, wo es zur Rebellion kam, als das Oberhaupt die eingegangenen Abgaben ausschließlich selbst verbrauchte, wie falsch es in diesen Fällen wäre, von einem Eigentum der Häuptlinge zu sprechen. Auf der anderen Seite verfügten aber auf einigen Inselgruppen Polynesiens die Oberhäupter völlig willkürlich über den in ihrem Besitz befindlichen Reichtum und eigneten sich darüber hinaus auch noch nach Belieben den Besitz ihrer Untergebenen an (Tonga-, Tahiti- und Hawaii-Gruppe). Hier kann man also schon von Eigentum der Oberhäupter über den von ihnen kontrollierten Reichtum sprechen, wozu noch eine weitgehende Verfügungsgewalt über die im fremden Besitz befindlichen Werte hinzukam. Auch bei den hier behandelten südafrikanischen Stämmen konnte man bekanntlich den im Besitz der Häuptlinge befindlichen Reichtum nicht ohne weiteres als Eigentum der Betreffenden bezeichnen. Die im Kriege eroberten Herden gingen hier zwar zum größten Teil in die Verfügungsgewalt der Häuptlinge über. Bei den Sotho-CwanaStämmen übte die Allgemeinheit aber immer noch eine gewisse Kontrolle über die Verwendung dieses Reichtums aus. Sogar bei den Zulu hatte der König noch immer zahlreiche Verpflichtungen gegenüber der Allgemeinheit, wenn er auch in bezug auf die Verwendung seines Reichtums niemandem Rechenschaft schuldig war. Überhaupt konnte man bei den südafrikanischen Viehzüchtern studieren, wie allmählich die Oberhäupter der jeweiligen Gemeinwesen sich unmerklich immer weitgehendere Befugnisse über den gesellschaftlichen Reichtum aneigneten, um so die Verfügungsgewalt über den gesellschaftlichen Reichtum in ein Privateigentum umzuwandeln. Bei den Zulu war zwar der König niemandem rechenschaftspflichtig über die Verwendung der unter seiner Verfügungsgewalt befindlichen Herden sowie der Vorräte an Pflanzennahrung; die Verhältnisse zwangen ihn jedoch dazu, den größten Teil davon zugunsten der Allgemeinheit zu verwenden. Ähnlich verhielt es sich bei den meisten Sotho-Cwana-Stämmen. Lediglich bei einigen Stämmen des nördlichen Betschuanalandes, insbesondere den Ngwato, waren diese Herden in den Händen der Häuptlinge zu einem Mittel geworden, u m andere von sich abhängig zu machen. Bei den meisten Stämmen dieser Gruppe bestand aber noch die Vorstellung, dieses Beutevieh sei eigentlich Stammeseigentum und müsse vom Häuptling im Interesse der Allgemeinheit verwaltet werden. Als ebenso schwierig erweist sich auf manchen polynesischen Inseln die Bestimmung der Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden. Man kann z. B. vielfach der Behauptung begegnen, der Grund und Boden auf den Marquesas-Inseln sei jeweils Eigentum der Stammeshäuptlinge gewesen, die ihn gegen die Überlassung eines Teils der Ernte sowie gegen die Verpflichtung zum Heeresdienst ihren Untergebenen

478

Schlußteil

zur Bearbeitung überließen. Tatsächlich hatten sich die Häuptlinge verschiedentlich die alleinige Verfügungsgewalt über Teile des Grund und Bodens angeeignet und vergaben ihn nach eigenem Ermessen an die einzelnen Großfamilien. Kann man aber von Eigentum der Häuptlinge am Grund und Boden sprechen, wenn noch jeder sich beliebig unbebautes Land urbar machen und dieses Land dann innerhalb seiner Familie weitervererben konnte? Kann man die Abgabenleistungen an den Häuptling bei Zuteilung eines Landstückes ohne weiteres als Folge eines Eigentums desselben am Grund und Boden werten, wenn diese Abgaben noch zum größten Teil im allgemeinen Interesse verwertet wurden? Anscheinend war auf den MarquesasInseln ein Prozeß im vollen Gange, der auf Tahiti, Hawaii und Tongatabu zu Ende geführt worden war. Wo aber liegt die Grenze zwischen der einfachen Verfügungsgewalt und dem Eigentum? Ein sicheres Kriterium zur Unterscheidung zwischen beidem ist das Vorhandensein der Ausbeutung. Solange die im Besitz von Häuptlingen befindlichen Reichtümer noch vorwiegend zum allgemeinen Nutzen verwendet wurden, kann m a n nicht von Ausbeutung sprechen. Der in ihren Händen konzentrierte Reichtum war dann lediglich eine Form der gesellschaftlichen Aneignung der Produkte. Sofern aber eine ganze soziale Oberschicht von jeder produktiven Arbeit freigestellt wurde und zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes einen Teil der erzeugten Produkte beanspruchte, dann kann man schon nicht mehr von einer Form der gesellschaftlichen Aneignung sprechen. Das kann man um so weniger tun, wenn sich diese Oberschicht gegenüber der Masse der übrigen Mitglieder der Gesellschaft verselbständigt hat, wie das in Polynesien auf den Inseln mit der am weitesten fortgeschrittenen Entwicklung der Fall war. Ein weiteres Kennzeichen für das Vorhandensein von Privateigentum ist die ausschließliche Verfügungsgewalt einer Person bzw. einer begrenzten Gruppe von Personen über eine Sache. Wenn beispielsweise auf Hawaii der König jederzeit eine Großfamilie vom Grund und Boden verjagen konnte, wenn sie — nach seiner Auffassung— zuwenig Abgaben geleistet hatte, dann war der Grund und Boden zweifellos Eigentum des Königs geworden. Wenn aber dagegen auf den Marquesas-Inseln noch jeder nach eigenem Belieben Land urbar machen und dieses Land dann an seine Familienangehörigen vererben konnte, dann konnte das Oberhaupt zumindest noch nicht über den gesamten Grund und Boden die ausschließliche Verfügungsgewalt bzw. ein Eigentum darüber besitzen. Die Grenze zwischen Verfügungsgewalt und Eigentum ist bei den Viehzüchtern zumindest auf Teilgebieten leichter zu bestimmen als bei den Bodenbauern. Bei den ersteren ist die Viehleihe immer ein eindeutiges Kriterium für das Vorhandensein von Ausbeutung und damit von Privateigentum. Bei den polynesischen Bodenbauern jedoch kann man manchmal im Zweifel sein, ob man in einem gegebenen Falle noch von einer Verfügungsgewalt oder schon von einem Privateigentum sprechen soll. Die gleichen Schwierigkeiten ergaben sich aber auch bekanntlich bei den aus erbeutetem Vieh bestehenden Herden, die sich unter der Verwaltung der Häuptlinge südafrikanischer Viehzüchterstämme befanden. Sofern die Allgemeinheit noch immer Ansprüche an den von ihren Oberhäuptern verwalteten Reichtum geltend

Überprüfung der vorgeschlagenen Grundprinzipien

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machen konnte, waren diese Dinge strenggenommen noch nicht P r i v a t e i g e n t u m . Nur wenn dieser Reichtum in erster Linie benutzt wurde, u m andere in Abhängigkeit zu bringen bzw. eine unproduktive soziale Oberschicht zu erhalten, war der Übergang zum Privateigentum vollzogen. Es ist also sehr viel leichter, den Übergang vom individuellen zum Privateigentum zu bestimmen, als den Übergang vom gesellschaftlichen zum Privateigentum. Im zuletzt genannten Falle gab es eine ganze Reihe von Zwischenformen, ehe die Gesellschaft die Kontrolle über ihren eigenen Reichtum völlig verlor. Das individuelle Eigentum dagegen, über das die Gesellschaft eine wesentlich geringere Kontrolle ausübte, konnte viel leichter zu Privateigentum umgewandelt werden, sofern n a t ü r lich die materiellen Voraussetzungen d a f ü r gegeben waren. Daraus erklärt sich auch die Tatsache, daß beispielsweise in vielen Cwana-Stämmen reiche Vieheigentümer seit langem ihr überschüssiges Großvieh in Viehleihe vergaben, während das Beutevieh unter der Verwaltung des Stammeshäuptlings noch immer als Gemeineigentum betrachtet wurde. Nur in dem Maße, wie die Allgemeinheit ihrer demokratischen Rechte verlustig ging, verlor sie auch die Kontrolle ü b e r den gemeinsam geschaffenen Reichtum sowie die Kontrolle über den Grund u n d Boden als der natürlichen Voraussetzung zur Produktion. Da also der Übergang vom Gemeineigentum zum Privateigentum fließend w a r und eine Reihe von Zwischenformen aufwies, bei denen sowohl die Elemente des Alten a u c h die des Neuen nebeneinander existierten, erscheint es zweckmäßiger, bei der Periodisierung nicht nur vom Eigentum auszugehen, sondern auch noch andere Seiten der sozial-ökonomischen Beziehungen in die Betrachtung einzuschließen. Vor allem aber erscheint es notwendig, die Distributionsregeln in die B e t r a c h t u n g einzubeziehen, da es manchmal nur dann möglich ist, klar zwischen Verfügungsgewalt und Eigentum zu unterscheiden. Während die Besitzverhältnisse nicht m i t den Eigentumsverhältnissen identisch zu sein brauchen, die Form der Aneignung der Produkte war und ist stets die unmittelbare Folge der herrschenden E i g e n t u m s verhältnisse. Von besonderer Bedeutung ist die Einbeziehung der Distributionsverhältnisse f ü r die frühen Perioden urgeschichtlicher Entwicklung. Allein vom Eigentum ausgehend w ü r d e man keine Möglichkeit zu einer Untergliederung jener langen Geschichtsperiode von der Entstehung des individuellen und kollektiven Eigentums bis zur Ausbildung des Privateigentums haben. Vom Eigentum her gesehen scheint es, als ändere sich nichts Entscheidendes in dieser Zeit. Aber das wäre ein falscher Schluß. Die ökonomischen Beziehungen der Menschen machten Veränderungen durch, und zwar vor allem auf dem Gebiete der Distribution. Wenn z. B. d i e , P a p u a die E r n t e jeweils durch die Einzelfamilien aneigneten und die gegenseitige U n t e r s t ü t z u n g der Sippengenossen n u r noch auf bestimmte Gelegenheiten beschränkt blieb, dann war das gegenüber der selbstverständlichen täglichen gegenseitigen Hilfe u n d der ständigen und geregelten Verteilung der Produkte unter den Australiern eine andere Stufe der Gemeinwirtschaft. Aber auch die australischen Verhältnisse waren keineswegs die ursprünglichsten der Menschheit. Die Bevorzugung der älteren Männer in der Distribution von Nahrungsmitteln war z. B. keine ursprüngliche Erscheinung, denn sie schuf bereits

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Schlußteil

erste Unterschiede in der Verteilung. Auch die zeitweilige Aufsplitterung der Lokalgruppen in kleinere Einheiten brachte Veränderungen der Verteilungsformen mit sich. Ist es also einerseits unbedingt notwendig, das Eigentum im Zusammenhang mit den Distributionsregeln zu betrachten, so muß andererseits beides im Zusammenhang mit der Arbeitsteilung gesehen werden. Wenn man beispielsweise die Handwerker nur mit dem Eigentum oder nur mit den Distributionsregeln in Verbindung bringt, dann scheint es, als sei mit den nur vom Ertrag ihrer handwerklichen Arbeit lebenden Gruppen nichts Neues aufgetreten. Diese Handwerker besaßen ein individuelles Eigentum an ihren Arbeitsgeräten und wurden für ihre Arbeiten entschädigt. Das war auch schon in früheren Epochen so, stellte also nichts Neues dar. Und doch waren mit dem Aufkommen einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung weitreichende Folgen verbunden. Auf Samoa hatte sie bekanntlich zu völlig neuen gesellschaftlichen Organisationsprinzipien geführt und trug entscheidend mit bei zur Untergrabung der alten Gemeinwirtschaft. Erst wenn man den Zusammenhang zwischen Eigentum, Distribution und Arbeitsteilung herstellt, gewinnt man die Möglichkeit, den schrittweisen Zerfall der Gemeinwirtschaft durch das Aufkommen der individuellen Produktion zu zeigen. Dabei wird ersichtlich, wie die Teilung der Arbeit allmählich den Charakter des Eigentums änderte, dem individuellen Eigentum eine ständig größer werdende Bedeutung innerhalb der Gesellschaft verschaffte und aus der individuellen eine private Aneignung entstehen ließ. Diese Entwicklung kann man sich verdeutlichen, wenn man beispielsweise die Verhältnisse bei Sammlern und Jägern denen von einfachen und fortgeschritteneren Bodenbauern gegenüberstellt. Bei den Sammlern und Jägern gab es lediglich eine Arbeitsteilung nach Alter und Geschlecht. Die wenigen Gebrauchsgegenstände stellte sich meist jeder selbst her; nur selten überließ man die Anfertigung der komplizierteren Dinge einem besonders Geschickten. Aber dieser Vorgang war von völlig untergeordneter Bedeutung in der Ökonomie der betreffenden Stämme. Im Vordergrund stand das Zusammenwirken aller, um die Erhaltung aller Mitglieder der Gemeinschaft zu sichern. Demgegenüber hatte die individuelle Produktion bereits bei den einfachen Bodenbauern eine ungleich größere Bedeutung. Zwar dominierte auch hier noch immer die alte Gemeinwirtschaft, da ohne sie eine Erhaltung der Gesellschaft noch nicht möglich gewesen wäre. Es bildeten sich aber bereits kleine Produktionseinheiten, die Teile der Produktion selbständig erledigten. Auch das Individuum konnte bereits als selbständiger Produzent auftreten, wie vor allem in der handwerklichen Produktion, die hier bereits einen größeren Umfang und damit auch eine größere gesellschaftliche Bedeutung erlangte. Infolgedessen kamen nunmehr verschiedene Formen des Eigentums auf. Neben dem Gemeineigentum der sozialen Einheit gab es das Sondereigentum kleinerer Produktionseinheiten (beispielsweise das Eigentum der Sippen an Booten, Fischnetzen usw.) und das individuelle Eigentum von Personen. Die gentile Hilfe, ursprünglich eine tägliche Selbstverständlichkeit, trat nunmehr nur noch im Notfall in Kraft, gewährte dann aber den Blutsverwandten jede Unterstützung.

Überprüfung der vorgeschlagenen

Grundprinzipien

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Damit waren die Voraussetzungen zum endgültigen Zerfall der Urgemeinschaftsordnung geschaffen. Mit Ausweitung der Produktion und damit einer weiter fortschreitenden Arbeitsteilung innerhalb der Gesellschaft verselbständigten sich die Individuen bzw. kleineren Produktionseinheiten (Großfamilien, evtl. Kleinfamilien) immer mehr. Das individuelle Eigentum aber festigte sich und nahm mit steigender Produktion einen ständig größer werdenden Umfang ein. Wurden die Menschen früher, als es vornehmlich galt, den Kampf gegen die Natur zu bestehen, durch das Band der Blutsverwandtschaft zusammengehalten, so wurde dieses Band jetzt immer lockerer, und an seine Stelle traten in der Auflösungsperiode der Urgemeinschaftsordnung erstmalig sachlich bedingte Beziehungen. Die Haus- und Kanubauer auf Samoa und der Schmied bei den südafrikanischen Stämmen arbeiteten in keinem Falle aus Hilfsbereitschaft. Sie verlangten für ihre Arbeit entsprechende Gegenwerte. Die Arbeitsprodukte hatten also durch die einsetzende gesellschaftliche Arbeitsteilung einen Wert bekommen. Mit der Lösung einzelner Handwerke von Bodenbau bzw. Viehzucht entstanden also grundsätzlich neue Beziehungen zwischen den Menschen, obgleich sich formal von den Eigentums- und Distributionsverhältnissen her gesehen nichts geändert h a t t e . Das Neue bestand eben in der sachlichen Grundlage dieser Beziehungen. Aus diesem Grunde erscheint es notwendig, nicht nur die Formen des Eigentums und der Distribution einer Periodisierung zu Grunde zu legen, sondern beides in unmittelbare Beziehung zu den Formen der Arbeitsteilung zu setzen. Wenn man Eigentum und Arbeitsteilung miteinander in Beziehung setzt, d a n n bezieht man damit auch die vorhandenen Austauschverhältnisse in die Betrachtung ein. Auch dies ist ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Analyse der sozialen Verhältnisse. Solange noch Gruppen ihre Erzeugnisse bzw. Spezialitäten gelegentlich miteinander austauschten bzw. die individuellen Tauschbeziehungen persönliche Beziehungen zwischen den Tauschpartnern voraussetzten, solange waren die urgemeinschaftlichen Verhältnisse noch nicht gefährdet. Die Untergrabung dieser Verhältnisse begann aber mit dem Aufkommen der Warenproduktion. Bei allen hier behandelten Beispielen nahmen die ausgetauschten Produkte zuerst im Verkehr zwischen verschiedenen Gemeinwesen Warencharakter an. Wenn beispielsweise die Ambo-Schmiede und -Töpfer ihre Erzeugnisse herstellten, um sie an die Herero zu verhandeln, oder wenn die Hottentotten von den Buschmännern verschiedene Dinge eintauschten einzig und allein, um sie an die Cwana-Stämme weiterzuverhandeln, oder wenn die Cwana alljährlich zu bestimmter Zeit die W ü s t e durchwanderten, um mit den Nama am unteren Oranje-Fluß einen ausgedehnten Handel zu treiben, der sehr an einen regelrechten Markt erinnerte, und wenn schließlich auf Hawaii jeweils an bestimmten Tagen an bestimmten Orten der Insel regelmäßige Märkte abgehalten wurden, dann zeigt das, wie in diesen Fällen der Produktenaustausch bereits zu einem Warenaustausch geworden war. Im Innern der genannten Gemeinwesen dagegen fehlte noch jede Form der Warenproduktion. Die Tauschpartner stellten hier ihre Produkte nur auf Bestellung her und arbeiteten nicht für den Markt bzw. den unbekannten Käufer. Da hier also keine Waren hergestellt und getauscht wurden, waren trotz der verschiedentlich 31 Sellnow, Urgeschichte

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Schlußteil

bereits sachlichen Beziehungen zwischen den beiden Tauschpartnern noch keine Warenbeziehungen möglich. Wenn man also wissen will, inwieweit die Gesellschaft bereits in voneinander isolierte Einzelproduzenten zerfallen ist oder nicht, m u ß man auch die Tauschbeziehungen analysieren. Im Zusammenhang mit den Distributionsregeln charakterisieren sie sehr deutlich die Art der sozial-ökonomischen Beziehungen. In der hier vorgeschlagenen Periodisierung wurden jene Perioden, in denen Tauschbeziehungen ohne Bedeutung waren und in denen die Allgemeinheit noch die Kontrolle über Distribution und Konsumtion besaß, als Perioden der „direkten gesellschaftlichen P r o d u k t i o n " bezeichnet. Dagegen wurden diejenigen, in denen der Tausch bereits eine Bedeutung erlangt h a t t e und in denen die Allgemeinheit zwar bereits z. T. die Kontrolle über Produktion, Distribution und Konsumtion verloren h a t t e , die Erhaltung der gesamten Gesellschaft aber nach wie vor sicherte, im Unterschied zur späteren warenproduzierenden Gesellschaft als Perioden der „indirekten gesellschaftlichen P r o d u k t i o n " bezeichnet. Schließlich sei noch auf einen Gesichtspunkt hingewiesen, der sich aus der Untersuchung über die Entstehung des Privateigentums bei den Polynesiern und den südafrikanischen Viehzüchtern ergab: Man m u ß beachten, über welche Institutionen sich dieses Privateigentum ausbildete. Bei den südafrikanischen Viehzüchtern erfolgte das vorwiegend über die patriarchalischen Großfamilien; bei den Polynesiern dagegen eigneten sich jeweils diejenigen die sachlichen Grundlagen der Produktion an, die die wichtigsten gesellschaftlichen Amter bekleideten. Während es bei den ersteren eine Vielzahl von privaten Eigentümern gab, gab es in den höchstentwickelten polynesischen Gemeinwesen nur einen oder einige wenige. Das h a t t e jeweils beträchtliche Verschiedenheiten in der gesellschaftlichen S t r u k t u r beider Gebiete hervorgerufen. W ä h r e n d man in Südafrika sehr genau eine Gruppe abhängiger und ausgebeuteter Stammesangehöriger, die sozial unter den Freien standen, abgrenzen konnte, war die soziale Oberschicht meist wenig ausgeprägt. In Polynesien verhielt es sich gerade u m g e k e h r t : Hier gab es eine hierarchisch gegliederte soziale Oberschicht; dagegen kam den sozial unter den Freien stehenden Gruppen keine große gesellschaftliche Bedeutung zu. Die Ausbeutungsverhältnisse wurden in der Regel nicht durch das Vorhandensein dieser Gruppen bestimmt (mit Ausn a h m e der Maori und der Bewohner der Osterinsel) sie wurden vielmehr auf den fortgeschrittensten Inseln bestimmt durch die alleinige Verfügungsgewalt der Oberh ä u p t e r über den Grund und Boden, wodurch in erster Linie die Masse der Freien in ein Ausbeutungsverhältnis geriet. Der Unterschied ergab sich aus der verschiedenartigen Produktion. Während in Polynesien eine Zentralisation der Produktion s t a t t f a n d und damit auch die Konzentrierung der sachlichen Grundlagen der Produktion in einer oder einigen wenigen Händen, förderte die Viehzucht die Dezentralisierung der Produktion und damit das Vorhandensein einer Vielzahl von Eigentümern. Wenn m a n diese Möglichkeiten auch nicht in Periodisierungsprinzipien umsetzen kann, so sollten sie aber doch angeführt werden, u m zu zeigen, unter welch mannigfaltigen Formen sich die Klassengesellschaften ausbilden können und wie ver-

Überprüfung

der vorgeschlagenen

Grundprinzipien

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schiedenartig der Übergang von der Urgemeinschaftsordnung zum Staat erfolgen konnte. Auch aus diesem Grunde ist man gezwungen, bei der Periodisierung nicht nur diese oder jene Seite, sondern den ganzen Komplex der Produktionsweise zugrunde zu legen. Die vorangegangenen Betrachtungen haben gezeigt, daß neben den Formen des Eigentums die Formen der gesellschaftlichen Zusammenarbeit bzw. Arbeitsteilung und die Distributionsregeln außerordentlich wichtige Kriterien sind für die erreichte Entwicklungshöhe in einer gegebenen Gesellschaft. Dabei konnten die Produktivkräfte jeweils verschiedene Formen aufweisen, konnten verschiedene Wirtschaftsformen bestehen, verschiedene Werkzeugmaterialien in Gebrauch sein, wenn die Produktivität der Arbeit eine bestimmte Höhe erreicht hatte, änderten sich jeweils die sozialen und ökonomischen Beziehungen der Menschen. Auch dabei konnten die Formen variieren je nach den Traditionen und anderweitigen Gegebenheiten, der Inhalt blieb jedoch überall derselbe. Altere Periodisierungsschemata konnten vielfach dem ethnographischen Material, deshalb nicht immer gerecht werden, weil sie einseitige Periodisierungsprinzipien gewählt hatten. Man könnte die Frage aufwerfen, ob das hier vorgeschlagene Periodisierungsprinzip nicht nur eine neue Einseitgkeit bedeutet, ob die urgeschichtliche Entwicklung nicht wesentlich mehr Seiten des gesellschaftlichen Lebens betraf. Das ist zweifellos der Fall. Wenn es aber darum geht, den gesetzmäßigen Verlauf der Entwicklung einer sozial-ökonomischen Formation zu periodisieren, dann kann man die Kriterien dafür nur dort suchen, wo die Gesetzmäßigkeit dieser E n t wicklung liegt. Alle außerhalb des Bereichs der Produktionsweise liegenden Erscheinungen existieren zwar ebenfalls nicht unabhängig davon, aber sie sind variabler, unterliegen noch zahlreichen anderen Einflüssen und können daher Abweichungen auf den einzelnen Entwicklungsstufen aufweisen. Das bezieht sich sowohl auf die Verfassungsform als auf den ganzen Komplex der geistigen Kultur. Das zeigt sich beispielsweise, wenn man die verschiedenen Formen der Stammesorganisation australischer Stämme miteinander vergleicht. Bei gleicher Entwicklungshöhe der materiellen Kultur und im Prinzip gleichen sozial-ökonomischen Beziehungen war die Stammesorganisation unter den australischen Stämmen verschieden hoch entwickelt, sie war also in ihrer Entwicklungshöhe nicht allein von den soeben genannten Faktoren abhängig. Zum gleichen Ergebnis kommt man, wenn man die Stammesorganisation der Australier mit der der Papua vergleicht. Trotz geringer entwickelter Produktivkräfte und sozial-ökonomischer Beziehungen war der Stamm in Australien in vielen Fällen weiter entwickelt als unter den Papua. Auch das polynesische Material zeigte die Variabilität der Verfassungsform: Trotz gleicher sozial-ökonomischer Beziehungen war die politische Verfassung auf der Tahiti-, Hawaii- und Tonga-Gruppe unterschiedlich. Noch größer als auf dem Gebiet der Verfassungsform waren die Verschiedenheiten auf dem Gebiete der geistigen Kultur, die aus diesem Grunde nicht mit in die Betrachtung einbezogen wurde. Es ist aber bekannt, wie verschieden z. B . einerseits die Initiationsriten der australischen Stämme und wie groß andererseits die Übereinstimmungen auf diesem Gebiet zwischen einer Reihe australischer Stämme 31»

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Schlußteil

und einigen Papua-Stämmen an der Südküste Neuguineas auf Grund historischer Beziehungen zwischen den genannten Gruppen waren. Gleiche oder ähnliche Erscheinungen auf dem Gebiete der geistigen Kultur waren also möglich bei unterschiedlicher allgemeiner Entwicklungshöhe, wie umgekehrt verschiedene Formen der geistigen Kultur bei gleicher allgemeiner Entwicklungshöhe anzutreffen waren. Auch das polynesische Material warnt davor, bei der Periodisierung von Elementen der geistigen Kultur auszugehen. So war z. B . die Holzschnitzkunst zweifellos bei den Maori am höchsten entwickelt, viel weiter als auf dem Tonga-Archipel, und trotzdem war das Verhältnis zwischen beiden Inselgruppen in bezug auf die allgemeine Entwicklungshöhe gerade umgekehrt. Während man also von den zum gesellschaftlichen Überbau gehörenden Faktoren zu keiner sicheren Einschätzung der allgemeinen Entwicklungshöhe kommen kann, bilden die aus der Produktion (im weitesten Sinne des Wortes verstanden) stammenden Kriterien stets eine sichere Grundlage dafür. Sie wurden daher diesem Versuch einer urgeschichtlichen Periodisierung als Grundprinzipien zugrunde gelegt.

LITERATURVERZEICHNIS

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