Grundlinien der Wissenschaft des bestehenden Rechts: Nebst einer Kritik der philosophischen und historischen Schule [Rprint 2019 ed.] 9783111473789, 9783111106892


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German Pages 157 [160] Year 1836

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Table of contents :
Vorrede
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel. Don der Aufgabe der Wissenschaft des bestehenden Rechts und den zu ihrer Lösung erforderlichen Mitteln
Zweites Kapitel. Die erklärende Rechtswissenschaft im - Grundrisse nebst Conftruktion und Analysis - einiger der Theorie des bestehenden Rechts - angehörigen Begriffe
Drittes Kapitel. Die historische Schule
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Grundlinien der Wissenschaft des bestehenden Rechts: Nebst einer Kritik der philosophischen und historischen Schule [Rprint 2019 ed.]
 9783111473789, 9783111106892

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Grundlinien

der Wissensehakt deö bestehenden Rechts nebst einer

Kritik der philosophischen und historischen Schule

von

C. CH. Cotlmann.

Berlin, 1836. G. Reimer.

z^-hne Zweifel muß der Leser durch das Buch selbst sich in den Stand gesezt sehen, die aufgestellten Resul­

tate zu erfaffen, und sie zum Behuf der Beurtheilung

vor sich hinzustellen. Sollte die Vorrede solchem Zwecke

dienen, so wäre damit zugegeben, daß Anlage und Aus­ führung verfehlt sey. Wie ließe sich aber ein Zugeständ­

nis der Art denken? Wer seine Leser und sich achtet, von dem wird man auch annehmen müffen, er sey, wie

von der Wahrheit des Inhalts, so auch von der Rich­

tigkeit der Anlage und Ausführung überzeugt.

IV

Demnach tritt hier der Verfasser zurück. Mag Jeder prüfen, ob seine bisherige Ansicht, oder aber die hier vorgetragene Lehre den Forderungen entspricht, die das Leben an die Wissenschaft macht. Wo es denn freilich auf die Verschiedenheit der bis dahin herrschen­ den Ansichten sehr ankommen wird. Wer in dem Sinne von Rechtsquelle spricht, daß ihm der äußere Stoff schon Bestandtheil der Wissenschaft ist, der hat, mag er übrigens unbedingt von einer neuen Gesezgebung das Heil für diese seine Wissenschaft erwarten, oder aber in den partikulären Gesezbüchern unserer Zeit ihren Unter­ gang sehen, freilich noch vieles abzustreifen, ehe er den Punkt gewinnt, von welchem aus die hier aufgestellte Ansicht sich würdigen läßt; weit entfemter von ihr steht jedoch derjenige, dem der Verein der Grundstücke zum Gebiet im ursprünglichen Begriff von Staat liegt. Dieser hat sich bei dem Denken des Satzes, daß der Staat im Handeln seiner Glieder besteht, schon zusam­ menzunehmen. Und wie die Eigenthünüichkeit des Beurtheilers noch auf andere Weise sich geltend machen dürfte. Mancher vielleicht sich geneigt fühlt, die hier vorgenommene Trennung zwischen Philosophie und Wis-

senschaft und den für erklärende Wissenschaft eingeschla­ genen Weg einem Mangel an Philosophie zuzuschreiben, während Andere noch in dem als blos geistige Seite ge­

dachten Urrecht UeberschwänglicheS erblicken, so könnte auch wohl die hier gefoderte Beschränkung auf rein

analytisches Denken und am Ende sogar der Umstand, daß die zwischen Wissenschaft und Theorie ihre Stellung nehmende juristische Hermeneutik eine seit langer Zeit

außer Gewohnheit gekommene Gründlichkeit verlangt— bei der Darstellung des bestehenden Rechts das hermener,tische Verfahren allenthalben hervortreten muß und daher die Anfertigung eines Lehrbuchs des bestehenden Rechts keine so leichte Sache ist, den Einen oder den Andern in eine der neuen Lehre ungünstige Stimmung

versehen.

Sey dem jedoch, wie ihm wolle: da die der

frühern Schrift des Verfassers: Die Lehre vom Strafrecht als Theil der Judicialie nebst

einer Kritik der bisherigen Strafrechts­

doktrinen zum Grunde liegende Ansicht jeht ihre vollständige Begründung gefunden, so wird es ja

wohl nunmehr auch zu einer öffentlichen Beurtheilung kommen.

VI

Soweit es sich nun vom aufgestellten Prinzip und seiner Anwendung handelt, kann keine Rede davon seyn,

die Nachsicht des Beurtheilet in Anspruch zu nehmen. Was dagegen das Aeußere der Darstellung betrifft, so

wird das in der Vorrede zu jener frühern Schrift Ge­ sagte auch die für diesmal etwa erforderliche Entschuldi­

gung enthalten, da die Verhältniffe noch die nämlichen sind.

Cleve, im März 1836.

Der Verfasser.

Jnhaltsverzeichniß

Erstes Kapitel.

Don der Aufgabe der Wissenschaft des be­ stehenden Rechts und den zu ihrer Lösung

erforderlichen Mitteln......................................... S. Aw'eiteS Kapitel.

Die

erklärende

im

Rechtswissenschaft

nebst Conftruktion und Analysis

-

einiger der Theorie des bestehenden Rechts

-

Grundriß

angehörigenBegriffe............................................ I. DaS II. DaS

111.

1

-

54

ursprüngliche subjektiveRecht................................................-

55

Gesez.......................................................................................-

68

Der Begriff von Staat................................................................. A. Allgemeine AnalystS des Begriffs von Staat

1) Theoretischer Theil.

Derselbe

hat

...

-

84

86

Ab­

folgende

schnitte :...................................................................................-

86

Der Begriff von Jrnputabilität................................... -

87

Form und Inhalt der Eivität......................................... -

90

Gesezgebende Gewalt............................................................-

95

Richterliche und exekutive Gewalt und RegierungS-

gewalt...................................................................................

97

Nothwehr und Selbsterhaltung 106

2) Praktischer Theil..............................

.

- 109

a) Der Begriff von Relevanz......................................... - 110

b) Der Begriff von jun'stischer GewiSheit.

.

.

.

- 117

a) Don den Mitteln juristische GewiSheit hervor­

zubringen

.......................................................................x 117

ß) Dom Umfange deS Historischen............................. - 120



VIII



B. Die juristische Hermeneutik..................................................S.

123

C.

-

124

jährung....................................................................................... -

126

Spezielle Analysis des Begriff- von Staat. ....

Nothwendigkeit des guten GlaubmS bei Acquisitiv-Ver-

Der Begriff von Civikratie (patria und dominica poteatas).............................................................................................*

128

Der Begnff von Corporation.................................................... -

135

Diehistorische Schule..................................... -

138

Dritte- Kapitel.

Erstes

Kapitel

Von der Aufgabe der Wissenschaft des be­ stehenden Rechts und den zu ihrer Lösung erforderlichen Mitteln,

B,i

d-n Bearbeitungen be- N-ch.-, di. dem unmitteib«

tischen Bedürfnis dienen, sehen wir den Standpunkt für den

Gesezgeber und den Standpunkt für den mit der Anwendung des bestehenden Rechts sich beschäftigenden Juristen — legislato­ rischen und judiriellen Standpunkt — streng geschieden.

Ein ent-

gegengeseztes Verfahren würde sich sofort als völlig verkehrt darstellen.

Der Gesezgeber hat nur darauf sein Augenmerk zu

richten, ob der gegenwärtige Rechtszustand der Idee des Rechts, soweit sie unter den obwaltenden Umständen realisirt werden

kann, entspricht, und geht daher, eben weil die Gesezgebung ihm nur Mittel zum Zweck ist, und deshalb für ihn nur insofern

Gültigkeit hat, als sie sich als zweckmäßig darstellt, technisch — das Wort gerade nicht in der niedrigsten Bedeutung genom­ men — zu Werke.

So kann aber der mit der Anwendung des

bestehenden Rechts sich beschäftigende Jurist nicht verfahren.

Wem die Anwendung der Gesezgebung obliegt, hat nicht nach ihrer Zweckmäßigkeit zu ftagen: eben weil diese Gesezgebung für

ihn unbedingte Gültigkeit hat, geht sein Blick nicht über dieselbe hinaus.

Es ist hier nicht von organischer, sondern von lo-

1

2 gischer Einheit die Rede, weil es sich nur davon handelt, eine

vollständige Quelle für richterliche Entscheidung zu haben; und diese logische Einheit wird nicht auf technischem, sondern auf her­

meneutischem Wege gefunden. Daß nun diese dem unmittelbar praktischen Bedürfnis die­

nenden Bearbeitungen nicht die Wissenschaft selbst sind, sondern dieselbe schon voraussetzen, ist nicht in Abrede zu stellen, und auch im Ernste noch von Niemand in Abrede gestellt worden.

Wenn auch keine Rede davon seyn kann, ein Ideal, was seiner Natur nach in der Unendlichkeit liegt, seinem bestimmten In­

halte nach denken zu wollen, so muß doch der Staatszweck, so­ weit es das Zeitalter zuläßt, erfaßt werdm, und dies ist ohne

Zweifel eine über diesen bestimmten Staat, mit dem es die dem unmittelbar praktischen Bedürfnis des Gesezgebers dienende

Bearbeitung zu thun hat, hinausgehende Betrachtung.

Und

eben so kann die Darstellung des bestehenden Rechts der über

ihr stehenden Wissenschaft nicht entbehren.

Wiewohl die in

das Gebiet der juristischen Hermeneutik fallende logische Aus­

legung die Aufgabe hat, die in diesem bestimmten Staate gel­ tende Gesezgebung zu einem in sich geschloßenen Ganzen zu eonstruiren, in welchem der einzelne Begriff zwar in einen be­

sondern Gattungsbegriff fallen kann, immer aber dem gemein­ samen Geschlechte angehört *), so wird jedoch hiebei stets voraus­

gesetzt, daß dieser bestimmten Gesezgebung wirklich ein Prinzip zum Grunde liege und dieses Grundprinzip völlig erkennbar

sey.

Ist ein solches Grundprinzip vorhanden und erkennbar,

so muß es bei richttger Bersahrungsweise auch zu einem in sich geschloßenen Ganzen, zu der logischen Einheit der Gesezgebung kommen, wie ihrer der mit der Anwendung des bestehenden

Rechts sich beschäftigende Jurist bedarf.

So wie alsdann dieser

Jurist nicht in Zweifel seyn kann, welche von mehreren sich wi­

dersprechenden einzelnen Bestimmungen die andere beschränke

1) S. die in der Vorrede erwähnte Lehre vom Strafrecht, als Theil der Judicialia u. s. w. $. 239.

3 oder gar ausschließe, so sieht er sich auch im Stande, jede et­

waige Lücke der Gesezgebung mittelst Folgerung aus jenem Grundprinzip auszufüllen.

Aber ein solches Grundprinzip sucht

der Jurist gar oft vergebens und da liegt denn das für die er­

wähnte logische Auslegung zum Behuf einer vorzunehmenden

Conciliation erforderliche Regulativ, wie nicht weniger die Ver­

vollständigung und Ergänzung der Gesezgebung außerhalb der juristischen Hermeneutik: leztere stellt sich dann geradezu als die

blos formale Wissenschaft dar, aus welcher der Jurist die hier

erforderlichen Grundsätze nicht zu schöpfen vermag.

Bei den hier in Rede stehenden beiden Wissenschaften, die zusammen die Rechtswissenschaft bilden, macht sich nun die Ver­ schiedenheit des Standpunktes nothwendig ebenfalls geltend.

Soll die Wissenschaft für den Gesezgeber ihrer Aufgabe genügen,

so hat sie, wie bereits bemerkt, den Staatszweck aufzustellen, und dies kann nichts anders heißen, als der Begriff von Staat wird mit einem bestimmten, concreten Inhalt gedacht, welchem

der wirkliche Rechtszustand immer näher gebracht werden soll; wo es sich dagegen davon handelt, zu denen, dem judiciellen Juristen erforderlichen allgemeinen Grundsätzen zu gelangen, da

kann sich das, woraus diese Grundsätze geschöpft werden sollen, zu der in der Wirklichkeit vorhandenen Gesezgebung nicht wie

das Normale zum Abnormen, sondern nur wie das Allgemeine

zum Besondern verhalten.

Muß zugegeben werden, daß es bei

der Frage, ob und wie weit eine in dieser bestimmten Gesezgrbung sich findende Vorschrift als jus singulare2) zu betrachten

sei, lediglich auf die logische Stellung dieser gesezlichen Vorschrift zur übrigen Gesezgebung ankommt, so wird sich auch nicht leug­

nen lassen, daß dieses blos logische Verhältnis sich auch höher hinauf geltend mache und somit das bei der Nicht-Erkennbarkeit

2) Der Begriff des jus singulare und seine Folgen für die logische Auslegung finden sich in der erwähnten Lehre vom Strafrecht u. s. w. §. 240 — 242 vollständig erörtert.

4 des dieser Gesezgebung zum Gmnde liegenden Prinzips durch eine höhere Betrachtung zu Gewinnende nur den angegebenen

Charakter, daß es sich zur wirklichen Gesezgebung wie das All­ gemeine zum Besondem verhalte, haben darf.

Es handelt sich

hier immer von logischer Auslegung, so daß das bei Richt-Er­

kennbarkeit des dieser Gesezgebung zum Grunde liegenden Prin­ zips Erforderliche zu der in das Bereich der juristischen Herme­ neutik fallenden logischen Auslegung in dem Verhältnis höherer zu niederer logischer Auslegung steht.

Das Gegentheil

wäre in sich widersprechend: was hier durch Denkm gefunden werden soll, wäre dann ein, unabhängig von der in der Wirk­ lichkeit vorhandenen Gesezgebung in die Erscheinung fallendes

Recht. Soll der Gegensatz des natürlichen zum positiven Recht, der für den Gesezgeber der Gegensatz des Normalen zum Abnor­

men ist, eine dem Bedürfnis des judiciellen Juristen zusagende Bedeutung haben, so kann natürliches Recht nur das heißen,

was aus logischem Denken hervorgeht, positives Recht hingegen, was historisch gewußt wird, und mag auch der erwähnte Gegen­ satz in dieser Bedeutung sich bis dahin noch nirgends ausgespro­ chen finden, so deutet doch der Sprachgebrauch darauf hin.

Pflegt man doch solche gesezliche Bestimmungen, die entweder

der sonst Statt habenden logischen Folgerung ein Ziel setzen, oder, weil sie das sind, was in der Sprache der juristischen Her­ meneutik exorbitant heißt, an und für sich keine logische Fol­

gerung zulassen, rein positive Vorschriften zu nennen.

Demnach geht die Wissenschaft, wie sie der mit der An­ wendung des bestehenden Rechts sich beschäftigende Jurist braucht,

ihren eigenthümlichen Weg.

Da es sich hier nicht von der Idee

des Rechts und ihrer Realisirung, sondern von der Möglichkeit höherer logischer Auslegung handelt, so wird der Begriff von

Staat nicht concret, sondem als reines Abstractum gedacht. Nur der auf seine wesentlichen Merkmale zurückgeführte und da­

durch über aller äußerer^ Erfahrung stehende Begriff ist ja ge­ eignet, den ganzen Reichthum dieser äußeren Erfahmng in sich

aufzunehmen, so wie man auch allgemein darüber einverstanden

5 ist, daß nur ein solcher Begriff die Quelle allgemein-gültiger Sätze seyn könne, und der höhere Erklärungsgrund geht aus dem Unterschiede analytischer und synthetischer Urtheile hervor,

wie ihn zuerst Kant in der Critik der reinen Vernunft in der Einleitung treffend dargestellt hat-).

Da im (bejahen-

3) Vielleicht ist eS manchem unserer Leser nicht unangenehm, wenn wir diese Stelle, auf die wir tiefer unten noch zurückkommen werden, hier wörtlich anführen. Nachdem Kant a. a. O. sich über das in den leeren Raum des reinen Verstandes sich verlierende und deshalb fruchtlos bleibende Denken geäußert und zu dem Ende die Bemerkung gemacht, daß ein großer Theil und vielleicht der größte von den Geschäften unserer Vernunft in Zergliederung der Begriffe bestehe, die wir schon von Ge­ genständen haben, und dieses uns eine Menge von Erkenntnissen liefere, die, obgleich sie nichts weiter als Aufklärungen oder Erläuterungen des­ jenigen sind, was in unfern Begn'ffen (wiewohl noch auf verworrene Art) schon gedacht worden, doch wenigstens der Form nach neuen Ein­ sichten gleichgeschätzt werden, fährt er fort: „In allen Urtheilen, worinnen das Verhältnis des Subjekts zum Prädikat gedacht wird (wenn ich nur die bejahende erwäge, denn auf die verneinende ist nachher die Anwen­ dung leicht) ist dieses Verhältnis auf zweierlei Art möglich. Entweder das Prädikat B gehört zum Subjekte A als etwas, was in diesem Be­ griffe A (verdeckter Weise) enthalten ist, oder B liegt ganz außer dem Begriff A, ob es zwar mit demselben in Verknüpfung steht. Zm ersten Fall nenne ich das Urtheil analytisch, in dem andern synthetisch. Ana­ lytische Urtheile (die bejahenden) sind also diejenigen, in welchen die Verknüpfung dcS Prädikats mit dem Subjekte durch Identität, diejenigen aber, in denen diese Verknüpfung ohne Identität gedacht wird, sollen synthetische Urtheile heißen. Die erstern könnte man auch ErläuterungS-, die andern Erweiterungsurtheile heißen, weil jene durch daS Prädikat nichts zum Begriff des Subjekts hinzuthun, sondern diesen nur durch Zergliederung in seine Theilbegriffe zerfällen, die in selbigem schon (ob­ gleich verworren) gedacht waren: dahingegen die letztern zu dem Be­ griffe deS Subjekts ein Prädikat hinzuthun, welches in jenem gar nicht gedacht war, und durch keine Zergliederung desselben hätte können heraus­ gezogen werden. Z. D. wenn ich sage: alle Körper sind schwer, so ist das Prädikat etwas ganz anders, als daS, was ich in dem bloßen Be­ griff eines Körpers überhaupt denke. Die Hinzufügung eines solchen

6 den) analytischen Urtheil die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt durch Identität gedacht wird, das Prädikat schon verdeckterweise im Subjekte enthalten ist, so daß es nur nach dem Satze des Widerspruchs herausgezogen zu werden braucht, so besteht die Natur des als Abstraktum gedachten Begriffs über­ haupt darin, daß er das Produkt eines analytischen Urtheils ist, und indem er solches ist, giebt er nothwendig allgemein, oder, was dasselbe heißt, unbedingt gültige, auf jeden in der Wirklich­ keit vorhandenen Staat anwendbare Satze. So gewis das Subjekt — der Grundbegriff — ohne das Prädikat — den Bei-

PrädikatS giebt also ein synthetisches Urtheil. — Erfahrungsurtheile, alS solche, sind insgesammt synthetisch. Denn eS wäre ungereimt, ein ana­ lytisches Urtheil auf Erfahrung zu gründen, weil ich aus meinem Begriffe gar nicht herausgehen darf, um das Urtheil abzufassen; und also kein Zeugniß der Erfahrung dazu nöthig habe. Daß ein Körper ausge­ dehnt sei, ist ein Satz, der a priori feststeht, und kein Erfahrung-urtheil. Denn ehe ich zur Erfahrung gehe, habe ich alle Bedingungen zu meinem Urtheile schon in dem Begriffe, aus welchem ich das Prädikat nach dem Satze de- Widerspruchs nur herausziehen, und dadurch zugleich der Nothwendigkeit de- Urtheils bewußt werden kann, welche mir Erfahrung nicht einmal lehren würde. Dagegen, ob ich schon in dem Begriff eines Körper- überhaupt das Prädikat der Schwere gar nicht einschließe, so bezeichnet jener doch einen Gegenstand der Erfahrung durch einen Theil derselben, zu welchem ich also noch andere Theile ebenderselben Erfah­ rung als zu dem erstem gehörten, hinzufügen kann. Ich kann den Be­ griff de- Körpers vorher analytisch durch die Merkmale der Ausdehnung, der Undurchdringlichkeit, der Gestalt rc., die alle in diesem Begriffe ge­ dacht werden, erkennen. Nun erweitere ich aber meine Erkenntnis, und indem ich auf die Erfahrung zurücksehe, von welcher ich diesen Begriff des Körpers abgezogen hatte, so finde ich mit obigen Merkmalen auch die Schwere jederzeit verknüpft, und füge also diese als Prädikat zu je­ nem Begriffe synthetisch hinzu. ES ist also die Erfahrung, worauf sich die Möglichkeit der Synthesis des Prädikats der Schwere mit dem Be­ griffe des Körpers gründet, weil beide Begriffe, ob zwar einer nicht in dem andern enthalten ist, dennoch als Theile eines Ganzen, nämlich der Erfahrung, die selbst eine synthetische Verbindung der Anschauungen ist, zu einander, wiewohl nur zufälliger Weise gehören."

7 kegungsbegriff — gar nicht gedacht werden kann, so gewis macht

sich auch, soweit der Grundbegriff reicht, der Inhalt des Beile­ gungsbegriffs geltend.

Dies alles ist einleuchtend genug und so tief in der Natur

der Sache gegründet, daß man es in den dem unmittelbar prak­ tischen Bedürfnis des judiciellen Juristen dienenden Bearbeitun­

gen von jeher zur Anwendung gebracht hat.

So wie man hier

innerhalb des Bereichs der juristischen Hermeneutik allgemeine

Rechtssätze durch das Zurückgehen auf den in Betracht kommen­ den Gattungsbegriff findet, so geht man auch, wenn es darauf ankommt, völlig allgemeine Sätze aufzustellen, zurück auf das

Abstraktum von Staat.

Und so sollte man meinen, die von

vorn herein aufzustellende Wissenschaft habe mit diesem Abstrak­ tum von Staat zu beginnen.

§. 2. Insoweit es sich vom Bedürfnis des praktischen Juristen

und dem desfalls erforderlichen analytischen Verfahren handelt,

ist das hier Gesagte nicht neu.

Wenn es bei Hufeland4) heißt:

„der praktische Jurist braucht das Naturrecht theils zur Bestim­

mung der Gültigkeit der positiven Geseze, theils zur leichtem Anwendung derselben, theils als subsidiarisches Recht," so steht

dies mit dem erwähnten Verhältnis der höhern zur niedern lo­ gischen Auslegung in völliger Uebereinstimmung.

Zufolge des

dieser Aeußerung zum Grunde liegenden Satzes, daß der Richter

an das positive Recht gebunden sey, kann das, was hier Prüfung der Gültigkeit positiver Geseze genannt wird, nicht über das hinausgehen, was Paulus in L. 14 de L. L. sagt: quod vero

contra rationem Juris receptum est, non est producendum ad conaequentiaa und der Sinn ist: das vorhandene positive Recht muß angewendet werden, das Naturrecht zeigt aber, ob

die fragliche gesezliche Vorschrift contra oder aber secundum ra­ tionem juris ist, und im erstem Falle gilt sie nur, soweit der

4) Lehrsätze de- Naturrechts §. 54 der zweiten Ausgabe.

8 Buchstabe reicht.

Demgemäs kann denn aber auch die Aeuße­

rung, das Naturrecht diene zur leichtem Anwendung der Geseze, nichts anders heißen, als, die höhere logische Auslegung fällt in

sein Gebiet: wo die niedere logische Auslegung nicht ausreicht, da hilft das Naturrecht aus, indem es uns lehrt, was vermöge

des ursprünglichen Begriffs im Zweifel anzunehmm sey.

Und

ebenso laßt sich jetzt auch der dritte angegebene Nutzen nicht be­

zweifeln.

Bemhet die höhere logische Auslegung auf dem ur­

sprünglichen Begriff, so ist das Naturrecht, wenn es ihm gelingt, diesen ursprünglichen Begriff zu geben, nothwendig subsidiari­

sches Recht.

Und so ist hier in allem Ernste von einer für den

mit der Anwendung des bestehenden Rechts sich beschäftigenden

Juristen geeigneten Wissenschaft die Rede, deren Aufstellung denn auch auf analytischem Wege versucht wird.

Aber fteilich

konnte es so wenig bei Hufeland, wie bei hundert Andern, die vor und nach ihm auf dem nämlichen Wege gewandelt haben, zu dem gewünschten Resultate kommen.

Diesen Naturrechts­

lehrern ist es aus zwiefachem Grunde unmöglich, zum Abstrak­

tum von Staat hinaufzugehen, einmal weil ihnen der Begriff

von Rechtspflicht schon ein ursprünglicher, vom wirklichen Staate unabhängiger und daher dem Abstraktum von Staat widerstrei­ tender Begriff ist, und dann, weil sie sich wegen ihrer Unbekannt­ schaft mit dem Mittel, wodurch man auf wissenschaftlichem Wege vom Abstraktum wiederum zum concreten Begriff gelangt, ge­

nöthigt sehen, das unverkennbar Concrete in die Politik zu

verweisen.

Es muß ihnen aus dem angeführten Grunde alles

daran gelegen seyn, der Wirklichkeit so nahe als möglich zu blei­ ben, und so setzen sie ein Aggregat abgezogener Erfahrungsbe­ griffe an die Stelle des Abstraktums von Staat, was denn da­

durch bewerkstelliget wird, daß man in absolute — aus dem bloßen Begriffe von Persönlichkeit fließende — und hypothe­ tische — an bestimmte Begebenheiten geknüpfte — Rechte un­ terscheidet.

Hierdurch gewinnt das, was sich im Abstraktum

von Staat noch nicht findet, sondem dem concreten Begriff von Staat angehört, wie z. B- Eigenthum, Gültigkeit der Verträge

9 u. s. w. den Anschein, als habe es ein vom wirklichen Starte unabhängiges Daseyn und indem man nun alles aus dem Be­

griffe wegdenkt, was sich, weil er aus seinem concreten Zusam­ menhänge herausgerissen ist, wegdenken läßt, kommt es zu ver­ meintlich abstrakten Begriffen, die man nun analysirt.

Daß die Begriffe von Eigenthum und Vertrag schon in den concreten Begriff von Staat fallen, kann freilich hier noch nicht gezeigt werden, es kann nur aus der Analysis des Abstrak­

tums von Staat, also aus dem aufzustellenden System selbst hervorgehen; haben sie aber die erwähnte Eigenschaft, so mußte

es nothwendig zu dem kläglichen Resultate kommen, wie wir es in jenen Naturrechten erblicken.

Daß es widersinnig sey, einen

in den concreten Begriff von Staat fallenden Begriff als Ab­

straktum zu denken, und aus ihm allgemeine Rechtssätze abzu­

leiten , daß ein solcher Begriff immer nur so gedacht werden könne, wie er sich in diesem wirklichen Staate gestaltet hat, fällt

in die Augen.

Nirgends findet sich aber ein Versuch, bis zum

Abstraktum von Staat hinaufzugehen, vielmehr hat man sich

dem Gedanken hingegeben, das von diesen Naturrechten, in de­ nen sich freilich mitunter auch Sätze finden, die geradezu allem

menschlichen Gefühl Hohn sprechen ‘), beabsichtigte analytische Verfahren sey überhaupt als Abweg zu betrachten.

Die philo-

6) So heißt es bei Hufe land a. a. O. §. 368, der Ehegatte habe nur dann das Recht zur Verhütung des Ehebruchs, wenn ihm die Un­ terlassung desselben versprochen worden, und Hoffbauer lehrt im §.402

der vierten Auflage feinet RaturrechtS, der Beischlaf der Ehefrau mit einem Dritten sei nur insofern unerlaubt, alt dem Ehemann die Last der Erziehung fremder Kinder auferlcgt, und fit, die Ehefrau, dadurch für eine gewisse Zeit außer Stand gesetzt werden könnte, ihre ehelichen Ver­

bindlichkeiten zu erfüllen.

Demnach hätte also die Ehefrau, damit ihre

Unzucht kein Fehltritt sei, dieselbe bis zu villiger Verworfenheit zu stei­ gern, sich aller Weiblichkeit zu entschlagen. Da möchte man wohl mit G. E. Schulze sagen: schwerlich dürften fich in den Gesezbüchern irgend einer gebildeten Nation, wenn man von Sklaverei und Leibeigenschaft abstehr, so inhumane Rechte finden, als hier dedueirt werden.

10 sophische Schule, deren anfängliche Richtung die bisher erwähn­

ten Raturrechte ausmachen, hat in ihren femern Richtungen

das Bedürfnis des praktischen Juristen gänzlich von der Hand gewiesen und die im Gegensatze dieser philosophischen Schule

sich so nennende historische Schule sucht die Wissenschaft in histo­ rischer Ergründung des Rechts.

Demnach könnte der Vorschlag, vom Abstraktum von Staat auszugchen, gar wohl die Meinung hervorbringen, wer ihn macht, habe hier überall keine Stimme.

Was uns jedoch nicht

abhalten soll, die Behauptung unverhohlen auszusprechen, daß es nur die Unbekanntschast mit den hier erforderlichen Opera­

tionen ist, die es jenen Naturrechten unmöglich machte, die von ihnen beabsichtigte Wissenschaft des bestehenden Rechts wirklich

aufzustellen.

Es bedarf hier zweier Operationen, der einen, da­

mit man zum Abstraktum von Staat gelange, ohne daß das

ethische Moment des Rechts verloren gehe, der anderen, um auf die Weise, wie die Wissenschaft es erheischt, vom Abstraktum wiederum den Weg zum Concreten zu finden.

Die erste dieser Operationen gehört, da sie darin besteht

nicht durch Abstraktion, sondern durch Construktion zum Abstrak­

tum von Staat zu gelangen, ausschließlich der analytischen

Rechtswissenschaft an.

Ohne Zweifel ist der Begriff von Hand­

lung für den Juristen, was für den Physiker der Begriff von

Kraft ist: wie die gestimmte physische Natur lediglich das Wir­

ken entgegengesetzter Kräfte ist, was auf dem Punkte, wo es mit den Gesezen des Denkens zusammenfällt — Form und In­

halt Eins sind, zum Abstraktum von Kraft wird, so kann, da der Staat nur im Handeln seiner Glieder besteht, nichts als die­ ses Handeln ist, das Abstraktum von Staat nur im Abstraktum

von Handlung bestehen; aber während, eben weil im Reiche der

Nothwendigkeit wie für die Subsumtion, so auch für die Ab­ straktion das einfachste Gesez gilt, vom speziellsten Naturprodukte bis zum Abstraktum von Kraft hinauf alles in gerader Richtung

geht, und somit hier bloses Abstrahiren ausreicht, vermag der

Jurist nur durch Construktion zu seinem Abstraktum zu gelan-

11 gen.

Es kommt hier darauf an, das Abstraktum in der Art zu

denken, daß es weder blose Freiheit noch blose Nothwendigkeit,

sondern beide in ihrer Vereinigung enthalte.

Was dagegen die

zweite der erwähnten Operationen betrifft, die es möglich machen soll, auch den der äußern — durch Empfindung vermittelten — Erfahrung angehörigen Stoff als Produkt des Denkens zli er­

fassen, so erstreckt sich dieselbe auf analytische, oder wie wir sie

im Gegensatze zu technischer Wissenschaft nennen wollen, er­ klärende Wissenschaft überhaupt.

Was denn für den Gang,

den die Darstellung zu nehmen hat, sehr in Betracht kommt. Eben weil diese zweite Operation sich für erklärende Wissenschaft

überhaupt geltend macht, es sich bei ihr nur von Anwendung

auf die erklärende Rechtswissenschaft handelt, erfordert sie auch, ehe wir uns zur Aufstellung des Systems selbst wenden, schon ihre vollständige Erörterung, die denn nur in das gegenwärtige

Kapitel gehören kann.

Die Construktion des Abstraktums von

Staat fällt dagegen kn das System selbst und kommt im gegen­

wärtigen Kapitel nur insoweit zur Sprache, als der Weg zu ihr gebahnt werden muß.

Wenn wir aber, ungeachtet des allge­

meinen Interesse, was jene, die erklärende Wissenschaft überhaupt

betreffende Operation hat, durch die, wenn sie wirklich aufgefun­

den wird, die bisherige Eintheilung in philosophische, mathema­ tische und historische Wissenschaft sich als bloser Nothbehelf dar­

stellt und statt dessen eine feste Grenze zwischen Wissenschaft und

Philosophie hervortritt, uns jetzt zuerst zu der zur Gewinnung, des Abstraktums von Staat erforderlichen Operation wenden,

so wird dies mit. der Natur unserer Aufgabe, zufolge welcher alles, was der erklärenden Wissenschaft überhaupt angehört, nur

Mittelglied der Untersuchung ist, die erklärende Rechtswissen­ schaft aber mit dem, was bei der Construktion des Abstraktums

von Staat den ideellen Faktor ausmacht, zu beginnen hat, in völliger Uebereinstimmung stehen.

12 tz-3.

Fände das, was in subjektiver Bedeutung Recht heißt, über­ all erst im Staate sein Entstehen', so ginge im Grunde der Be­ griff von Recht nicht über den Begriff von Verhältnis hinaus, was der ethischen Natur des Menschen geradezu widerspricht.

So gewis sich der Mensch nur als ein der Sittlichkeit fähiges

Wesen denken kann, so gewis hat er ein angeborenes, vom Staate unabhängiges Recht, denn eben in diesem angebornen

Rechte, in diesem Urrechte, erblickt das endliche Vernunftwesen den Abglanz seiner inneren ethischen Natur, die Glorie, die es um­

strahlt, das ewige Dokument seiner göttlichen Abkunft. Auf dem legislatorischen Standpunkte macht nun dieses

Urrecht keine Schwierigkeit.

Dasselbe ist hier die vom Gesezge-

ber gedachte Rechtssphäre, wie sie dem Einzelnen zustehen muß,

wenn seine Stellung zu den übrigen Gliedern des Staats seiner Menschenwürde gemäs seyn soll, und wiewohl die hier vom Gesezgeber zu lösende Aufgabe nicht leicht ist, so nimmt doch bei

der Fassung eines solchen — das Wort in der höchsten Bedeu­ tung genommen — technischen Begriffs das Denkm seinen

natürlichen Gang.

Indem der Gesezgeber das Urrecht als das

zu Realisirende denkt, was sich in der Wirklichkeit als Rechts­

sphäre des Einzelnen gestalten soll, wird von ihm auch dieses jetzt noch ideale Recht des Einzelnen schon als ein bestimmtes

und sonach mit dem Begriff von Recht zugleich auch der Begriff von Rechtspflicht gedacht. Davon kann aber auf dem judiciellen Standpunkte keine Rede sein.

Da es sich hier nicht von einem

zu Realisirenden, sondern von einem ein für allemal Vorhande-

nen handelt, so würde, wenn der Begriff von Rechtspflicht schon

im Begriff von Urrecht läge, dieses Urrecht als solches sich für

die Erscheinung geltend machen und sich dadurch das Resultat bilden, wie wir es in den oben erwähnten Naturrechten erblicken,

die sich genöthigt sehen, schon vor dem Staate einen Rechtszu­

stand, den sogenannten Naturstand, demzufolge aber den Staat nur als die, diese bereits vorhandenen bestimmten Rechte

13 sichernde Anstalt zu denken, was selbstredend dem Charakter der Wissenschaft, wie der mit der Anwendung des bestehenden Rechts sich beschäftigende Jurist sie braucht, dem Verhältnis der höheren

zur niederen logischen Auslegung, geradezu widerspricht.

Auf

dem judiciellen Standpunkte kann das Urrecht nur als das rein

Geistige gedacht werden, was zu der in der Wirklichkeit sich fin­

denden Rechtssphäre des Einzelnen in eben dem Verhältniße steht, wie der unendliche Geist zur Welt der Erscheinung über­

haupt.

So gcwis die Wissenschaft des bestehenden Rechts es

nicht mit dem Werden, sondern mit dem Seyn des Rechts zu thun hat, als integrirender Theil der Rechtswissenschaft jedoch des Begriffs von Urrecht nicht entbehren kann, weil das Gegen­

theil hieße, der für sie geltende Begriff von Recht sey von dem, wie ihn der Gesezgeber denkt, specifisch verschieden, so gewis kann sich hier das Urrecht zu der in der Wirklichkeit vorhandenen Rechts­

sphäre des Einzelnen nur wie das Geistige zum Körperlichen

verhalten, so daß sich das Urrecht in dem, was dem Einzelnen

vermöge der Gesezgebung dieses bestimmten Staats als subjek­ tives Recht zusteht, nur manifestirt, dieses in der Wirklichkeit

sich findende subjektive Recht nur das bis dahin real gewordene

Urrecht ist.

Ob das Urrecht dieses bestimmten Subjekts bis da­

hin in einem größer» oder aber geringern Umfange hätte real werden sollen, geht den judiciellen Juristen nichts an; es handelt

sich lediglich davon, daß das Körperliche nicht ohne das Geistige gedacht werden kann, weil es sonst ein absolut Todtes wäre, so

wie umgekehrt ein aus dem Begriff von Urrecht als solchem sei­

nem Inhalte nach entnommenes bestimmtes Recht eben so in fid) widersprechend wäre, als ein in die Erscheinung fallender

Geist ohne Körper. Demnach hat die Idealität, in welcher der judicielle Jurist das Urrecht zu denken hat, einen ganz andern Sinn als auf dem

Standpunkte des Gesezgebers. Da hier der Begriff von Rechts­ pflicht noch ausgeschlossen ist, alles subjektive Recht aber nur

mittelst einer ihm correspondirenden Rechtspflicht die in der Wirklichkeit erforderliche bestimmte Gestaltung erlangt, so ist das

14 Urrecht hier ein unbegrenztes und in dieser seiner Unbegrenztheit

auf immer über der Wirklichkeit stehendes Recht. Und so könnte

der judicielle Begriff von Urrecht im Gegensatze zum legislato­ rischen Begriffe wohl ein künstlicher genannt werden, ohne daß

ihm diese Benennung zum Nachtheil gereicht; sie hat nur die Bedeutung, daß zur richtigen Fassung des Begriffs ein eigener Akt der Reflexion erforderlich ist.

Um aber jetzt, nachdem der

judicielle Begriff von Urrecht in seiner höchsten Allgemeinheit an­ gegeben worden, zu dem Punkte zu gelangen, wo sich mit Be­ stimmtheit angeben läßt, wie die Aufgabe, das Abstraktum von

Staat zu finden, ohne daß die ethische Natur des Rechts unter

den Händen verloren gehe, gelös't werden müsse haben wir vor­ erst den Blick auf die bisherigen Bearbeitungen zu werfen.

Es

wird sich hier zeigen, wie die bisherige unrichtige Ansicht von Urrecht der richtigen Ansicht vonii Rechtsgeseze int Wege stand,

auf diese Weise aber auch die wirkliche Trennung des Rechts von Moral unmöglich war.

Während hier aber nur von der

philosophischen Schule die Rede sein kann, da die historische Schule das Urrecht für einen leeren Gedanken erklärt, haben wir es auch nur mit den spätem Richtungen dieser philosophi­

schen Schule, wie sie sich bei Fichte und bei Fries finden, zu thun, indem eben dadurch, daß sie sich um das Bedürfnis des

praktischen Juristen nicht kümmern, das, worauf es uns hier an­ kommt, eine der Kritik zugängliche wissenschaftliche Form ange­

nommen hat.

h.4. Da in der Grundlage des Naturrechts von Fichte

das Urrecht als das absolute Recht des Menschen, in der Sinnen­ welt nur Ursache, nie Bewirktes zu seyn, deducirt wird und der

Staatsvertrag nicht, wie in den früheren Naturrechten, ein ge­

wöhnliches Rechtsgeschäft, sondem die Bedingung alles bestimm­ ten und somit wirklichen Rechts ist, so läßt sich die Ueberzeugung

Fichte's, daß das Urrecht als ein völlig unbegrenztes Recht und

der Staat als die Quelle und der Inbegriff alles bestimmten,

15 in die Erscheinung fallenden Rechts gedacht werden müsse, nicht bezweifeln.

Aber indem dieser Staatsvertrag, wiewohl er seinen

Halt nur durch den aus ihm hervorgehenden Mechanismus er­

hält und daher unabhängig von innerer Gültigkeit der Verträge gedacht wird, dennoch nur von dem Einzelnen als solchem einge­

gangen werden kann, sieht sich Fichte außer Stande, das Urrecht in seiner Idealität zu erfassen.

Die künftigen Mitglieder des

Staats werden ja schon in Relation zu einander gedacht, sie müssen sich als Paciscenten gegenüber stehen und sich deshalb

gegenseitig als eine in die Erscheinung fallende und somit be­ stimmte Persönlichkeit achten.

Und so geht, weil das Urrecht

nicht in seiner Idealität, als ein rein Geistiges, sondem nur als

Unbestimmtheit des äußern Besizstandes gedacht wird, auch seine Unbegrenztheit gleich anfangs verloren.

Da Achtung fremder

Persönlichkeit den Begriff von Rechtspflicht voraussetzt, die Un­

begrenztheit des Urrechts aber eben darin besteht, daß der Be­

griff von Rechtspflicht noch nicht gedacht wird, so kann Unbe­ grenztheit des Urrechts nur den Sinn haben, daß für das Sub­ jekt keine fremde Persönlichkeit vorhanden sey, waS aber selbst­

redend der zur Eingehung des Staatsvertrags erforderlichen Voraussetzung widerspricht.

Daß nun Fichte, weil er das Urrecht auf dem Wege der Spekulation fand, den Staat nicht auf Begriffsnothwendigkeit gründen konnte, demnach aber, wenn er nicht den Begriff von

Rechtspflicht in den Begriff von Urrecht legen und dadurch die

von ihm beabsichtigte Trennung des Rechts von Moral von vorn herein unmöglich machen wollte, ihm nur insofern Stoff

für eine über der äußeren Erfahrung stehende Rechtslehre blieb, als er das Prinzip der Begrenzung in den Einzelnen als solchen legte, dies alles wird aus unserer demnächstigen Construktion des Abstraktums von Staat von selbst hervorgehen; hier nur

noch die Bemerkung, daß im Verfolg des Fichte'schen Systems

mittelst der Aufstellung: der Weltbürger habe das Recht, auf dem Erdboden frei umherzugehen und sich zu einer rechtlichen

Verfassung anzuttagen, aus dem körperlichen Inhalte und der

16 Begrenztheit des Urrechts kein Hehl mehr gemacht wird.

Aber

indem das Urrecht, wie Fichte es denkt, in Zwei Theile zerfallt,

in bestimmte Rechte, die von dem Subjekt unzertrennlich find

und daher jetzt schon als bestimmte Rechte in die Erscheinung fallen, und in unbestimmte Rechte, die durch den zu schließenden Vertrag zu bestimmten Rechten werden sollen, geht dieser Ansicht

auch die Absolutheit des Rechts unter den Händen verloren. Da es mit der blosen Möglichkeit des Staatsvertrags nicht

gethan ist, die Wirklichkeit des Staats nicht dem Zufalle über­ lassen seyn kann, so fragt es sich nach dem hier eintretenden nö­

thigenden Prinzip, und der Ansicht, daß der Staat nur aus Vertrag hervorgehen könne, so wie der beabsichtigten Trennung

des Rechts von Moral gemäß wird dieses Prinzip in der Forde­ rung gefunden, mit der das vom Sittengesez unabhängige

Rechtsgesez sich unmittelbar an den Einzelnen als solchen wen­ det: Jeder beschränke seine Freiheit durch die Mög­ lichkeit der Freiheit aller Uebrigen.

Allein eben weil

diese Forderung als Forderung unmittelbar an den Einzelnen als solchen gerichtet ist, bleibt auch die Möglichkeit ihrer Nicht-

Erfüllung bestehen, und so kam es darauf an, auch die reelle

Realität jener Federung nachzuweisen, zu zeigen, wie die Ent­ stehung des Staats nicht vom guten Willen des Einzelnen ab­ hängig sey.

Hier konnte aber wiederum von einem inneren

Motiv des Subjekts keine Rede seyn, es mußte ein äußeres Motiv ausgesucht werden, und dies findet nun Fichte auf die

Weise, daß er annimmt, das Subject, was seinen Beitritt zum

Staatsverttage verweigert, werde dcdurch, indem es eine mit seiner vernünftigen Natur im Widersprüche stehende Verachtung

des Rechtsgesezes an den Tag lege, rechtlos und diese seine Rechtlosigkeit berechtige alle Uebrigen zu einem unendlichen

Zwange.

Dieses Resultat ist arg genug, so daß denn auch der ihm beigelegte Spottname: Lodschlagsmoral nicht wundern darf. So wie es geradezu in sich widersprechend erscheint, von einem Rechte wider den, der rechtlos ist, von einem unendlichen Zwangs-

17 rechte,

zu sprechen,

so geht auch dadurch die Absolutheit

des Rechts unwiederbringlich verloren, was denn ebenfalls

nicht wundern darf, da das Urrecht gleich Anfangs mit einem

körperlichen Inhalte gedacht wird.

Bei solcher Ansicht von

Urrecht blieb Fichte nichts anders übrig.

Da es die Idee

des Staatsvertrags mit sich brachte, das Rechtsgesez unmittelbar zum Einzelnen als solchem sprechen zu lassen, so konnte Fichte

gleich seinen Vorgängern des Begriffs von Rechtspflicht vor dem Staate nicht entbehren, wegen der beabsichtigten Trennung

des Rechts von Moral durfte er ihn aber nicht bei seinem wah­ ren Namen nennen, und so sehen wir sowohl die zur Möglichkeit des Staatsvertrags erforderliche negative, als die zur Wirklichkeit desselben erforderliche positive Rechtspflicht unter der all­

gemeinen Angabe als conditio sine qua non einschwarzen.

Wie die negative Rechtspflicht, die Persönlichkeit des Andem soweit zu respektiren, daß ein Pacisciren ihm möglich sey, con­ ditio sine qua non des Staatsvertrags ist, so wird die positive Rechtspflicht, den Staatsverttag wirklich einzugehen, hinwiede­

rum als conditio sine qua non des Urrechts gedacht. * Wir haben uns bei dieser Beleuchtung des Fichte'schen Sy­

stems mit der Bemerkung begnügt, daß Fichte seinen Staats­ vertrag durch den aus ihm hervorgehenden Mechanismus seinen

Halt gewinnen lasse, und man wird damit einverstanden seyn,

daß es einer Beurtheilung der von Fichte erfundenen Staatsver­ fassung nicht bedurfte.

Jede solche bestimmte Staatsverfassung,

mag sie, wie hier, auf ganz gemeinem synthetischen Wege zu

Stande kommen oder aber als Resultat eines in einer imma­ nenten Rechtslehre sich versuchenden vornehmen Verstandes sich darstellen, und ihr allgemeiner Tadel oder aber hoher Beifall zu Theil werden, ist der aus versteckter Teleologie hervorgegan­ gene und daher in das Bereich leerer Ideologie fallende Ver­

nunftstaat, zu dem es schon in jenen früheren Naturrechten ge­

kommen sein würde, hätte die Ueberzeugung von der Nothwen­ digkeit eines analytischen Verfahrens nicht im Wege gestanden. Da es auch nach der in diesen früheren Naturrechten herrschen-

2

18 den Grundansicht nur darauf ankommen konnte, was das Rechtsgesez fodert, so ist es in der That nur ein freilich unvermeidliches

Stehenbleiben auf halbem Wege, wenn in ihnen nicht eine Ver­

fassung ausgeklügelt wird, mittelst welcher, soweit es in mensch­ lichen Kräften steht, die Handhabung des Rechts dem Zufall entrückt ist.

Ehe wir uns aber zur dritten Richtung der philo­

sophischen Schule, zur Rechtslehre von Fries wenden, haben

wir als Uebergang zu derselben dessen Widerlegung der Lehre vom Staatsvertrag überhaupt anzuführen.

Daß die Gründung des Staats auf Vertrag, in welcher Art auch dieser Vertrag gedacht werden möge, in sich widerspre­

chend sey, ist hier überzeugend dargethan.

Es ist unwiderleglich

gezeigt, daß solcher als wirklicher Entstehungsgrund des Staats

dienende Vertrag sich mit dem Begriff von Vertrag überhaupt nicht vereinbaren läßt.

Da der Natur des Vertrags zufolge

seine Eingehung immer nur in das Gebiet der Willkühr fallen kann, ein gebotener Vertrag im Widerspruch mit sich selbst steht, so läßt sich nur da, wo es vom Subjekt abhängt, ob es dieser

Gesellschaft beitreten will, ein Gesellschaftsvertrag denken; der

Staat ist aber keine rechtlich zufällige, sondern eine recht­ lich nothwendige Gesellschaft.

So gewis ohne Staat die

reelle Realität des Rechts nicht gedacht werden kann und der Staat die Form des Beisammenseyns ist, wo es ein entscheiden­

des Urtheil über Recht und Unrecht giebt, versehen mit hinläng­ licher Gewalt, um jeden Einzelnen zur Befolgung zu zwingen, so

gewis ist es auch absolute Forderung des Rechtsgesezes, daß der Staat entstehe. Und so enthält der Staatsvertrag als ursprüng­ licher Entstehungsgrund des Staats gedacht, wirklich einen un­

auflösbaren Widerspruch in sich. Während der Beitritt zum Staat

als absolute Foderung des Rechtsgesezes nicht vom guten,Willen des Einzelnen abhängen kann, ist er dennoch, da er als Vertrag

sich aussprechen soll, der Willkühr überlassen.

Aus dieser Widerlegung der Lehre vom Staatsvertrag über­

haupt folgt nun nothwendig, daß das Prinzip der Begrenzung im Einzelnen als solchem überall nicht liegen kann.

Aber Fries

19 blieb auf halbem Wege stehen, er vermochte an die Stelle der bisherigen Ansicht nur die zu setzen, daß die Gründung des Staats überall kein rechtlicher, sondem nur ein politischer Akt

sey, und so kam es zur dritten Richtung der philosophischen Schule.

Wie Fichte nicht umhin konnte, den Staat auf Vertrag

zu gründen, weil ihm nur auf diese Weise Stoff für eine reine

Rechtslehre blieb, so sah Fries sich genöthigt, in Betreff des Ur­ rechts die Ansicht jener analytischen Naturrechte wiederum auf­

zunehmen, den Begriff von Urrecht gleich Anfangs mit dem

Begriff von Rechtspflicht zu versetzen.

Was denn aber in einer

so wissenschaftlichen Form geschehen ist, daß die Beleuchtung dieser Fries'schen Ansicht uns in den Stand setzen wird, uns über

die oben im Voraus schon angegebene wahre Natur des Rechtsgesezes und des Urrechts insoweit zu verständigen, als t9 die

vollständige Fassung der zu lösenden Aufgabe erheischt. Es wird in der Rechtslehre von Fries davon ausgegangen, daß, wenn auch im Allgemeinsten jede Erlaubnis, jede Befugnis ein Recht heiße, dennoch dieser allgemeine Begriff für die Rechts­

lehre unbrauchbar sey.

„Die Rechtslehre, heißt es dort, geht

nur von der rechtlichen Verbindlichkeit, von der Rechtspflicht aus, welcher immer ein Recht in engerer Bedeutung entspricht, näm­

lich eine Befugnis, von dem Andern zu fordern, daß er um mei­

netwillen etwas thue oder lasse, weil es ihm das Gesez gebietet. Wenn mich ein anderer behandelt, so soll er mich meiner Würde

gemäs behandeln, ich habe also das Recht, den Rechtsanspruch, an ihn, daß er mich meiner Würde gemäs behandele. Die Rechts­

lehre muß also zuerst Verbindlichkeiten ableiten, welche der eine gegen den andern hat, wodurch denn zugleich Rechte des andem

entstehen, zu fordern, daß jener etwas thue oder lasse.

Richte

ich hingegen meine Deduktion auf die blos« Befugnis, als mein

Recht, etwas zu thun oder zu lassen, und will diese nach dem Geseze beurtheilen: so entsteht mir jederzeit die Aufgabe, von

einer erlaubten Handlung erst zu beweisen, daß sie nicht ver­ boten sey, wodurch eine gänzliche Umkehrung der Rechtsver­

hältnisse veranlaßt wird.

Denn wo nichts geboten oder verbo-

2 *

20 teil ist, da ist alles erlaubt, und ursprüngllch hat derjenige den Beweis zu führen, der mich um feines Rechts willen an meiner

That hindern will: ich hingegen werde nur dann meine Befug­ nis beweisen müssen, wenn schon ein Verbot vorausgesetzt wird,

von welchem ich eine Ausnahme machen will. — Wenn wir die Rechtslehre als Lehre von den Rechten erklären und nun ein

Recht nur in die Beftignis setzen, etwas zu thun oder zu unter­ lassen: so wird dieser Rechtslehre eine Pflichtenlehre überhaupt

als Moral mtgrgenstehen und das Recht wird nur bestimmt

werden können, als das nicht verboten.

Eine solche Rechtslehre

wäre also eine blose Folgerung aus der Pflichtenlehre, eine Ab­ leitung von Negativem in Rücksicht derselben.

Eine Rechtslehre

nach dieser Idee wäre also gar keine eigene Wissenschaft; ihre

Befolgung gab daher auch in den ersten Zeiten der Geschichte des Naturrechts jene moralisirende Naturrechte, die sich nie rein von Moral trennen konnten.

Dieser Irrthum wurde fteilich

schon mit der ersten Trennung der Zwangs - und Liebespflichten

entdeckt und dem Naturrecht ein besonderer Theil der Pflichten zugewiesen, dennoch zeigen sich auch in den neuesten Bearbeitun­

gen der Rechtslehre noch Folgen jenes Fehlers.

Nämlich nur

diese Idee, in der Rechtslehre zu beurtheilen, was einem jeden erlaubt sey, konnte auf den Gedanken bringen, wie Kant es thut, persönliche Freiheit anstatt der Gleichheit zum Unrecht der Men­

schen zu machen, welches doch das Prinzip der Rechtslehre seyn

müßte.

Freiheit ist gar kein Recht, sondern eine Eigenschaft,

welche vorausgesetzt wird, um überhaupt erst jemanden zum

Subjekt eines Rechts machen zu können.

Politische persönliche

Freiheit ist hingegen eine blose Folge der Gleichheit.

Das Wi­

dersprechende in der Voraussetzung der Freiheit als Urrecht zeigt

sich am deutlichsten bei Kant selbst, indem gerade daneben auf

eine sehr evidente Weise die Aufgabe der Rechtslehre durch das

Gesez bestimmt wird: die Freiheit jedes Einzelnen soll zur Zu­ sammenstimmung mit der Freiheit aller beschränkt werden.

So

würde also die Rechtslehre zu einer Lehre von der Beschränkung

der Rechte gemacht und man müßte nun noch erst eine eigent-

21 tiche Lehre von den Rechten selbst hinzusetzen. — Will man per­ sönliche Freiheit als ein Urrecht annehmen, so kann darunter nur

verstanden werden, daß es jedem für sich erlaubt sey, zu thun,

was er will.

Soll sich dies nun auf die Gesellschaft auwenden

lassen, so müßte man daraus die Folgerung ziehen: jeder könne

fordern, daß ihn der andere gehen lasse; keiner dürfe dem andern wider seinen Willen befehlen.

Aber eben da, wo zwei sich ein­

ander nicht gehen lassen tonnen oder wollen, wo sie vielmehr in Gemeinschaft kommen, da fangt eigentlich erst das Gebiet der

Rechtslehre an, und wenn einer dem andern nur soweit befiehlt, daß sie dadurch einander gleichgesetzt werden, so ist dieser Befehl

keineswegs widerrechtlich. Die Rechtslehre hat nicht die Freiheit eines jeden vorauszusetzen, um zu bestimmen, was ihm erlaubt

sey, sondern die Gleichheit von beiden, um zu bestimmen, was einem jeden zukomme, wenn zwei in Konflikt gerathen."

Innerhalb der philosophischen Schule läßt sich dieses Rä-

simnement nicht widerlegen und ebenso bleibt, wenn man sich einmal von der Unrichtigkeit der Idee des Staatsvertrags über­ zeugt hat, nichts übrig, als mit Fries die Gründung des Staats

lediglich als einen politischen Akt zu betrachten, für welchen es keine rechtlichen Prinzipien giebt.

Letzteres fällt von selbst in

die Augen und vom ersteren werden wir uns auch leicht über­

zeugen.

Wird das Urrecht nicht in seiner Idealität, sondern

schon mit einem bestimmten Inhalte gedacht, so trifft den Be­

griff von natürlicher Freiheit der ihm hier gemachte Vorwurf,

es ist alsdann, da das mit einem bestimmten Inhalt gedachte Urrecht mit bestimmter Rechtssphäre gleichbedeutend ist, gleich Anfangs der Begriff von Rechtspflicht unerläßlich und somit von einem blosen Erlaubsseyn keine Rede.

Und daß nun auch

hier ein Rechtszustand vor dem Staate eintrete, der nur, weil

die hier waltende Ansicht von der Gründung des Staats Raum läßt, die bestimmten Rechte in Form allgemeiner Geseze aufzu­ stellen, weniger kraß ist, als der in den der anfänglichen Richtung der philosophischen Schule angehörigen Naturrechten sich fin­

dende Naturstand, ist ebenfalls eine nothwendige Folge.

Aber

22 es konnte auch nicht verborgen bleiben, daß die hier vor dem Staate eintretmde Rechtspflicht fich nur auf den kategorischen

Imperativ gründen lasse, und so kam es, insofern Recht und Mo­

ral nicht geradezu zusammenfallen sollten, darauf an, dem Recht einen eigenthümlichen kategorischen Imperativ zu vindiciren.

Dies Letztere sucht man nun dadurch zu bewerkstelligen, daß alle ursprünglichen — mit dem Begriff von Urrecht gedach­ ten — Rechtspflichten dargestellt werden als negative Pflichten

der Unterlassung.

„Wiefern, sagt Fries, der kategorische Impe­

rativ die Quelle der Rechtspflichten ist, wird er als das allge­ meine Gesez eines Reichs der Zwecke in der menschlichen Gesell­

schaft angesehen, wo jeder die Person des andem objectiv als einen selbstständigen Zweck respektiren muß.

Hingegen in Rück­

ficht der Tugendpflichten zeigt er sich unmittelbar nur als ein

Gebot, welches innerlich für meinen Willen gilt. In der Rechts­

pflicht verpflichtet ein jeder den andern seine Persönlichkeit zu respekttren; sie geht also überhaupt auf eine wechselseitige Aus­

schließung der Sphäre der eignen Thätigkeit eines jeden von der Sphäre der eignen Thätigkeit des andern.

Es wird mir darin

nicht geboten, mir irgend etwas zum Zweck zu machen, welches

nur der Gegenstand einer innern Gesezgebung seyn könnte, son­ dern nur meine Thätigkeit und die Verfolgung meiner Zwecke

zur Zusammenstimmuug mit der Thätigkeit jedes andern zu be­ schränken, indem wir beide von dem Geseze als Zweck an sich

und als gleich bestimmt werden.

Hingegen mir irgend etwas

zum Zweck zu machen, sey dies nun in Rücksicht meiner selbst

oder in Rücksicht der Zwecke eines andern, dies zu gebieten kann nur der innern Gesezgebung gehören, indem es sich aller äußern

Gewalt entzieht.

Nur zu äußern Handlungen kann ich äußer­

lich gezwungen werden, nicht aber, mir diese selbst zum Zweck zu machen.

In Rücksicht des Letztern findet nur innerer Selbst­

zwang statt.

Es kann also die juridische Gesezgebung nur auf

die formelle Zusammenstimmung meiner äußern Thättgkeit mit der Thätigkeit jedes andern gehen, die Rechtspflicht kann nur

aus dem Gebote entspringen: daß jeder die Person des andern

23 als Zweck respektiren soll.

Das oberste Rechtsgesez ist also:

Es soll niemand den andem der Würde seiner Person und der

persönlichen Gleichheit eines jeden mit allen zuwider behan­

deln.

Aus allen ursprünglichen Verboten entspringen Rechts­

pflichten, aus den Geboten nur Tugendpflichten; denn das

Rechtsgesez gebietet mir nicht, den andern zu behandeln, sondern nur, wenn ich ihm behandle, seine Würde zu respektiren.

Ein ursprüngliches Gebot für äußere Thaten,

welches positiv wäre, und nicht blos auf die Gesinnung ginge, müßte bei der Beschränktheit meiner Kraft in der Natur ein Widerspruch seyn. In dieser Stelle sind alle die Widersprüche zusammenge­

drängt, die sich bei dem Bestreben, Boden für eine reine Rechts­ lehre zu gewinnen, von Fries nicht vermeiden ließen.

Wenn es

hier heißt, das Rechtsgesez werde als das allgemeine Gesez eines Reichs der Zwecke in der menschlichen Gesellschaft angesehen, wo

jeder die Person des andern objektiv als einen selbstständigen Zweck respektiren müsse, und nun ferner gesagt wird, nur zu

äußern Handlungen könne der Mensch gezwungen werden, so

sollte man glauben, das Rechtsgesez werde hier ganz in einer der Trennung des Rechts von Moral entsprechenden Weise ge­

dacht, es sey mit dem, was Fries in einer andern Stelle seiner Rcchtslehre sagt, daß nämlich die Gesezgebung der Tugend nur

aus die Gesinnung und die Moralität der Handlungen, die Ge­ sezgebung der Rechtspflichten hingegen auf äußere Thaten und auf Legalität gehn, wirklich ernstlich gemeint.

Aber während

Fries sich so ausdrücken mußte, wenn Moral und Recht nicht gleich Anfangs völlig zusammenfallen sollten, sah er sich auch,

damit die ethische Natur des Rechts nicht verloren gehe, genöthigt, das Rechtsgesez für einen Zweig des kategorischen Imperativs auszugeben und ihm mittelst der Unterscheidung in Gebot und

Verbot ein eigenthümliches Gebiet zu erschaffen.

Daß dies nur ein Gewebe von Widersprüchen sey, wird sich leicht einsehen lassen. Es bedarf nur ganz einfacher Reflexionen,

um sich zu überzeugen, daß die erwähnte Unterscheidung in Ge-

24 bot und Verbot hier ein bloserNothbehelf ist und ein als katego­ rischer Imperativ gedachtes Rechtsgesez nicht nur sich selbst, sondem auch der Natur des Sittengesezes widerspricht. Zuvörderst ist es wohl als eine allgemeine anerkannte Wahr­ heit anzusehen, daß, obschon es im Leben sich nicht immer so dar­ stellt, dennoch so wenig ein sittlich-gleichgültiges, als ein physisch-gleichgülttges Handeln gedacht werden kann. Freilich wür­ de sich das Leben zemichtm, wenn Sittengesez und Naturgesez in jedem Augenblicke hervotträten: der Mensch wäre dann sich selbst und andem zur Last; an und für sich kann es aber kein Handeln geben, was nicht unter die Herrschaft dieser beiden Geseze fiele. Physisch-gleichgültig kann keine Handlung seyn, so gewis sie Aeußerung freier Thätigkeit ist und die Annahme eines sittlich-gleichgültigen Handelns hieße, es gebe ein Handeln ohne bestimmte Gesinnung, was sich gleichfalls widerspricht. Mehr bedarf es aber nicht, um sich zu überzeugen, daß die Unterschei­ dung in Gebot und Verbot in der Art, wie Fries von ihr Ge­ brauch macht, nicht bestehen kann. Allerdings ist das Sittenge­ sez als die ununterbrochene Gesezgebung des vernünftigen We­ sens an sich selbst ein schlechthin gebietendes Gesez; eben deshalb enthält aber auch sein Gebot zugleich das hier erforderliche Ver­ bot. Gebietet das Sittengesez, wie es allerdings nicht anders kann, den andem zu behandeln, so wird es auch die Nichtachtung fremder Persönlichkeit verbieten, weil es sonst diese Nichtachtung gebieten müßte, ein Gebot, was in dieser Allgemeinheit nicht ge­ dacht werden kann. Durch diese Allgemeinheit des Sittengesezes ist nun freilich das Rechtsgesez nicht ausgeschlossen. So gewis bei dem Sitten­ gesez als der ununterbrochenen Gesezgebung des vernünftigen Wesens an sich selbst die Nöthigung nicht über die blose Vor­ stellung des Gesezes herausgeht, so gewis ist dieses Sittengesez ein lediglich an die Ueberzeugung des Subjekts sich wendendes Gesez, was zwar fordett, daß das Subjekt sich eine richtige Ueber­ zeugung zu verschaffen suche, mit sich selbst aber im Widersprüche stehen würde, wenn ihm nicht dir ohne Schuld des Subjekts

25 irrige Ueberzeugung genügte.

Was ein gefeierter Schriftsteller

sagt, daß die, die schrecklichsten Wirkungen hervorbringende, That in tugendhafter Gesinnung ihren Grund haben, und umgekehrt, was Segen verbreitet, aus einer dem Sittengeseze zuwiderlau­

fenden Maxime hervorgegangen seyn könne, läßt sich nicht be­ streiten, so wie es denn auch mit dem bekannten Ausspruch: Gott sieht auf das Herz, wie nicht weniger mit den Be­

zeichnungen, Gewissenspflicht und Gewissensfreiheit völlig übereinstimmt.

Und so reicht das Sittengesez für das

Beisammenleben der Menschen nicht aus, es ist für dieses Bei­

sammenleben eine Gesezgebung erforderlich, die auf die Legalität der Handlung sieht. In Ansehung des Gegensatzes zwischen Moralität und Le­

galität an und für sich findet sich nun bei Fries noch keine ab­

weichende Ansicht: er denkt ihn, wie man ihn bisher allgemein gedacht hat und stets denken wird, nämlich so, daß es bei Mora­

lität nur auf die Maxime des Handelnden ankommt, Legalität hingegen darin besteht, daß die äußere That der objektiven Be­

stimmung des Gesezes gemäs ist.

Aber nichtsdestoweniger ist

ihm auch das Rechtsgesez ein reinpraktisches Gesez, ein Zweig

des katechorischen Imperativs: es kommt hier zu jener merkwür­ digen , in eine Unterabtheilung auslaufenden Dichotomie, wo

zuvörderst ein Naturgesez und das als kategorischer Imperativ gedachte Gesez der Freiheit, je nachdem es sich gebietend oder

aber verbietend ausspricht, als Sittengesez oder aber als Rechts­ gesez sigurirt. Ohne Zweifel hat Fries diesen argen Widerspruch selbst ge­ fühlt.

Es spricht dafür schon der Umstand, daß er, um seine

Ansicht zu präpariren, der „nothwendigen innern Gesezgebung,

welche nur in dem Bewußtseyn der Idee des Gesezes besteht"

eine „zufällige äußere, eine Gesezgebung durch äußern Zwang und Gewalt" entgegensetzt, und auf diese Weise die im Staat

sich findende Gesezgebung vom Rechtsgeseze selbst trennt, eine Trennung, die zwar, wie sie sich demnach zeigen wird, nicht ganz

richtig ist, gegen welche sich aber innerhalb der philosophischen

26 Schule nichts erinnern läßt.

Mein darauf kommt es hier noch

nicht an: genug, daß, wie Fries selbst zugestehen muß, das Rechtsgesez nur als die objektive Bestimmung der äußern That

gedacht werden kann.

Wie könnte denn jetzt das Rechtsgesez

ein Zweig des kategorischen Imperativs, ein rein praktisches Ge-

sez seyn? Wird dasselbe als ein von Außen kommendes Gesez gedacht, so steht alles im Einklang: während dann das Sitten-

gesez die Gesinnung in Anspruch nimmt und deshalb die äußere

That als solche freiläßt, sieht das Rechtsgesez, ohne auf die Ge­ sinnung, auf die Maxime des Handelnden Rücksicht zu nehmen,

auf die äußere That, so daß innerhalb des Sittengesezes der Ge­

gensatz zwischen rechtlich und unrechtlich und innerhalb des

Rechtsgesezes der Gegensaz zwischen sittlich und unsittlich sich findet, wie man im Leben ihn annimmt, wo Niemand daran

zweifelt, daß es nur auf das Motiv des Handelnden ankomme,

ob seine That sittlich oder unsittlich zu nennen, Legalität dagegen nur darin bestehe, daß die äußere That als solche den Forderun­

gen des Gesezes gemäs ist, deshalb aber auch das eigennützigste Motiv dieser Legalität nicht im Wege stehen kann. Ein Rechts­

gesez, wie Fries es denkt, ist dagegen ein völlig in sich wider­ sprechender Gedanke.

Indem es die äußere That als solche

einer solchen objectiven Bestimmung unterwirft, dennoch aber

als rein praktisches Gesez, als Zweig des kategorischen Impera­

tivs nur ein schlechthin inneres Gesez seyn kann, müßte man an­

nehmen, auch das schlechthin innere Gesez stehe schon über der Subjektivität, was, wie sich demnächst mit voller Evidenz zeigen wird, dem Begriff von Willensfreiheit und somit dem Begriff von Handlung widerspricht.

Von allen diesen Widersprüchen ist nun keine Rede, wenn man an die Stelle der von Fries ausgestellten, auf der einen Seite in eine Unterabtheilung auslaufenden Dichotomie eine

reine Trichotomie setzt, das Rechtsgesez als das zwischen Sittengesez und Naturgesez die Mitte haltende Gesez denkt.

Es er-

giebt sich dann, daß das Rechtsgesez ein theorethisch-praktisches

Gesez ist: theoretisch, insoweit es sich an die Gattung wendet,

27 praktisch, insofern es durch das Medium der sogenannten posi­ tiven Gesezgebung zum Einzelnen als solchem spricht.

Zu wel­

cher Ansicht es jedoch, so natürlich sie auch seyn möchte, nur kommen kann, wenn das Urrecht in seiner reinen Idealität, oder, um es jetzt näher zu bezeichnen, als unbegrenztes Dürfen erfaßt

wird.

Konnte doch Fries bei seiner Meinung, daß die Rechts­

lehre mit bestimmten Rechten beginne, und also nicht die Freiheit

eines Jeden voraussetze, um zu bestimmen, was ihm erlaubt sey, sondern die Gleichheit von beiden, um zu bestimmen, was einem

jeden zukomme, wenn zwei in Konflikt gerathen, nicht umhin,

dem Rechtsgeseze den Anschein eines rein praktischen Gesezes zu geben.

Ohne den Glauben an die Möglichkeit eines solchen

Versuchs hätte bei der hier herrschenden Grundansicht der Ge­ danke an eine über der äußern Erfahrung stehenden Rechtslehre gar nicht aufkommen können.

Aber so wie sich das Rechtsgesez

nur dann als das zwischen Sittengesez und Naturgesez in der Mitte stehende theoretisch-praktische Gesez ansehen läßt, wenn das Urrecht in unbegrenztem Dürfen besteht, so ist auch hinwie­

derum die Möglichkeit, das Urrecht so zu denken, durch diese An­ sicht vom Rechtsgeseze bedingt und so haben wir uns bei der jetzt folgenden Betrachtung zuerst zum Rechtsgeseze als solchem

zu wenden. §• 5. Man ist nirgends darüber im Zweifel, daß das Rechtsgesez,

soweit es als Idee realisirt werden soll, nur als eine von der Gattung — im Verlaufe der Geschichte — zu lösende Aufgabe

betrachtet werden könne, vielmehr findet sich vielfach die Ueber­ zeugung ausgesprochen, nur das, was auf die Herbeiführung

des Rechtszustandes Bezug hat, sey wirklicher Inhalt der Ge­ schichte.

Und ebenso wird nirgends in Abrede gestellt, daß zur

Realisirung jener Idee eine Gesezgebung erforderlich sey, die das, was geschehen oder unterbleiben soll, auf objektive Weise

bestimmt und zugleich unabhängig vom guten Willen des Ein­

zelnen sich Achtung verschafft. Darin liegt aber, daß das Rechts-

28 gesez ein theoretisch-praktisches Gesez ist. Theoretisch ist eS näm­

lich, inwieweit es noch realisirt werden soll, praktisch, insoweit

es realisirt ist.

Das Rechtsgesez soll realisirt werden, heißt ja

nichts anders, als, es soll ein der Idee des Rechts entsprechender gesellschaftlicher Zustand entstehen, und dieser gesellschaftliche

Zustand wird nur auf theoretischem Wege gefunden: das Rechts­ gesez ist realisirt, hat dagegen den Sinn, die zu seiner Herrschaft

erforderliche äußere Gesezgebung ist bereits wirklich vorhanden und indem nun das Rechtsgesez durch das Medium dieser äußern

Gesezgebung zum Einzelnen als solchem spricht, ist es ein prak­ tisches Gesez.

Es leuchtet wohl von selbst ein, daß das hier erwähnte Me­

dium, wodurch das Rechtsgesez zum Einzelnen als solchem

spricht, nichts anders, als die sogenannte positive Gesezge­ bung ist.

Diese positive Gesezgebung ist gleichsam der Nieder­

schlag des Rechtsgesezes, der Ausdruck der bis zu diesem Punkte gediehenen Realisirung desselben, und daß diese Stellung der

positiven Gesezgebung zum Rechtsgeseze nicht nur mit der früher angegebenen judiciellen Bedeutung des Gegensatzes des uatür-

lichen zum positiven Recht, sondern auch mit dem Verhältnis der Wissenschaft für den mit der Anwendung des

bestehenden

Rechts sich beschäftigenden Juristen im völligen Einklänge stehe«

wird ebenfalls keiner weitern Ausführung bedürfen.

Diese bei­

den Wissenschaften, Legislatur und Judicialia, sind jetzt

wirklich integrirende Theile der Rechtswissenschaft: die erstere

hat das Werden, die andere das Seyn des Rechts zum Gegen­ stände und so hat es denn auch die eine mit der theoretischen, die

andere mit der praktischen Seite des Rechtsgesezes zu thun. Fassen wir aber jetzt die Natur des Rechtsgesezes als eines theo­

retisch-praktischen Gesezes näher in's Auge, so läßt sich schon er­ sehen , wie der Staat nicht ein Werk von Menschenhänden ge­

macht, sondem die aus übersinnlicher und sinnlicher Welt her­

vorgegangene übersinnlich-sinnliche Welt ist.

Es geht dies schon

aus dem Verhältnis hervor, in welchem das Rechtsgesez zum

Sittengesez und zum Naturgesez steht.

Auch das Rechtsgesez

29 ist das aus erwähnten beiden Gesezen hervorgegangene gemein­

schaftliche Dritte, was niedriger als das Sittengesez und höhxr als das Naturgesez steht, von beiden aber etwas in sich tragt.

Daß das Rechtsgesez auf seiner theoretischen Seite niedriger als das Sittengesez stehe, folgt unmittelbar aus dem unbestrittenen Verhältnisse des Rein-Praktischen zum Theoretischen; eben so

unbezweifelt ergiebt sich aber hier seine umgekehrte Stellung zum Naturgeseze.

Freilich ist das Erkennen der nothwendigen Na­

tur des gesellschaftlichen Zustandes der Menschen nicht weniger

theoretisch, als das Erkennen der physischen Natur: auch als eine zweite, höhere Natur besteht der Staat eben sowohl in Ob­

jektivität als die physische Natur, und beide stehen dem ReinPraktischen, wo ewige Subjektivität herrscht, gegenüber; aber

während das Naturgesez mit der Wirklichkeit Eins ist, geht das Rechtsgesez über die Wirklichkeit hinaus — der vollendete Staat

liegt als unendliche Aufgabe in der Zukunft.

Das nämliche Verhältnis tritt nun auch auf der praktischen Seite des Rechtsgesezes ein.

Indem das Rechtsgesez nicht mit

Naturnothwendigkeit wirkt, sondern als Gebot sich an den Willen

wendet, hat es einen hohem Charakter als das Naturgesez; nie­

driger als das Sittengesez steht es dagegen, weil es nicht auf

die Gesinnung, auf die Maxime des Handelnden, sondern nur auf das wirklich gewordene Gewollte, auf die äußere That, sieht,

und so wie es ein von Außen kommendes Gesez ist, auch durch äußern Zwang sich Achtung verschafft.

Das Rechtsgesez läßt

sich auf seiner praktischen Seite allerdings nur als ein Sollen denken, es ist aber nicht ein inneres, sondern ein äußeres Sollen.

Mittelst der hier aufgestellten Ansicht sind Moral und Recht

ganz so getrennt, wie das Leben es erheischt: es giebt auf dem

Gebiete des Rechts kein inneres, sondern nur ein äußeres Sollen, und dieses äußere Sollen spricht sich durch die im Staate sich

findende Gesezgebung aus.

Ob nun aber von dieser Ansicht

wirklicher Gebrauch für die Rechtswissenschaft gemacht werden

könne, hängt davon ab, ob der ethischen Natur des Rechts da­ durch kein Einttag geschieht.

Daß das Rechtsgesez sich auf sei-

30 ner praktischen Seite an den Willen wendet, würde noch keines­

wegs ausreichen: wollte man jetzt annehmen, es lasse sich nur

insofern vom subjektiven Rechte reden, als demselben eme Rechts­ pflicht correspondirt, so ginge der Begriff von Recht allerdings nicht über den Begriff von Verhältnis hinaus: es gäbe dann

kein ursprüngliches, dem Menschen als dem der Sittlichkeit fähi­ gen Wesen und somit unabhängig vom Staate zustehendes Recht. Und so kommen wir jetzt zum zweiten Theil unserer Betrachtung,

aus welcher hervorgehen muß, ob das Urrecht als ein den Be­ griff von Rechtspflicht noch völlig ausschließendes Recht oder,

wie wir es bereits bezeichnet haben, als unbegrenztes Dürfen gedacht werden kann.

§• 6. Solange man nur ein Sollen und Müßen unterscheidet —

unter Sollen lediglich den kategorischen Imperativ und somit nur inneres Sollen versteht, läßt sich ein als solches hervortre­

tendes Dürfen nicht denken. So wie auf der Seite des Müßens als der reinen Naturnothwendigkeit nur von der im Begriff von

Wirklichkeit liegenden Möglichkeit die Rede seyn kann, so würde sich auch, wenn das Sollen lediglich den Charakter des Rein-

Praktischen bezeichnete, das Dürfen zum Sollen nur als Mög­ lichkeit zur Wirklichkeit verhalten, es könnte dann nicht mehr als die negative Seite des Sollens seyn. Das Gegentheil hieße, es gäbe innerhalb des Gebietes des Rein-Praktischen ein Erlaubt­

seyn und somit ein sittlich gleichgültiges Handeln, was, wie

früher gezeigt worden, nicht der Fall ist. Allerdings schließt das

Sollen als solches ein Dürfen in sich, dieses Dürfen tritt aber nicht als solches hervor; ein als solches-hervortretendes Dürfen läßt sich nur dann denken, wenn es ein Sollen giebt, was nicht

rein praktischer Natur, nicht inneres, sondern äußeres Sollen ist. Demnach ist bei der Aufstellung des Begriffs von Urrecht die von uns angegebene Trichotomie: Sittengesez, Rechtsgesez

und Naturgesez eine unerläßliche Voraussetzung.

Nur wenn

vermöge dieser Stellung des Rechtsgesezes das äußere Sollen

31 zwischen dem innern Sollen und dem reinen Müßen in der Mitte steht, kann von einem als solchem hervortretenden Dürfen die

Rede seyn.

funden.

Damit ist jedoch dieses Dürfen selbst noch nicht ge­

Um das Urrecht in seiner wahren Gestalt, als unbe­

grenztes Dürfen, zu erfassen, muß auf das innere Sollen zurück­

gegangen werden, ein Verfahren, dessen Nothwendigkeit sich denn auch im Voraus nicht bezweifeln laßt, indem ja die ethische Seite des Rechts nur in der ethischen Natur des Menschen ge­

sucht werden kann.

Die wirkliche Ableitung des Urrechts fallt nun, wie früher schon bemerkt wurde, in das System selbst und gehört somit in

das folgende Kapitel.

Gegenwärtig handelt es sich nur davon,

über die Art und Weise dieser Ableitung sich soweit zu verbreiten, als es zur bestimmten Fassung der Aufgabe, durch Construktion zum Abstraktum von Staat zu gelangen, erforderlich ist.

Zu

welchem Ende wir denn das, was demnächst seine Begründung finden wird, vorläufig anzugeben haben.

Hier können wir uns nun ganz kurz fassen.

Aus dem Be­

griff von Pflicht, wie die Religionswissenschaft ihn auszustellen

hat, folgt, daß das Sittengesez als die von der vernünftigen

Natur des Menschen an sich selbstgerichtete Federung, sich immer nur dem unmittelbaren Bewußtseyn der Pflicht gemäs zu be­

stimmen, das bei der dem wirklichen Handeln vorausgehenden Wahl sich geltend machende Gesez ist.

Eben weil der im Be­

griff von Handlung liegende Zweckbegriff seiner Natur nach nur

als unbedingtes, lediglich auf sich selbst ruhendes Wollen gedacht

werden kann, ist das, was hier Willensfreiheit heißt, mit Willkühr, Wahl zwischen Entgegengesetztem, gleichbedeutend; so ge-

wis aber das endliche Vernunftwesen das innerhalb der Schran­ ken der Sinnlichkeit sich bewußt gewordene Uebersinnliche ist,

tritt hier jener kategorische Imperativ ein, der ohne Unterlaß ver­

langt, daß nur das, mittelst dessen das Vernunftwesen als solches mit sich selbst in Uebereinstimmung steht, und also nicht die Be­

friedigung der Sinnlichkeit als solcher zum Inhalt des Zweckbe­

griffs gemacht werde.

32 Demnach giebt es keine Handlung, die nicht sittlich oder aber unsittlich genannt werden müßte: es läßt sich kein Willens­ akt denken, bei welchem nicht das Subjekt die Maxime hätte, dem, was es für Pflicht hält, gemäs oder ihm zuwider sich zu bestimmen. Darin liegt aber so wenig eine Bestimmung für die äußere That als solche, daß sich vielmehr durch eine solche Be­ stimmung die Natur des Sittengesezes als rein praktischen Gesezes geradezu vernichten würde. Was rein - praktisches Gesez heißen soll, kann nicht über die Subjektivität hinausgehen, die Bestimmung der äußern That als solcher liegt aber über der Subjektivität. Auf diese Weise ergiebt sich nun das als Urrecht gesuchte unbegrenzte Dürfen. Eben weil das innere Sollen unbedingtes Sollen ist, giebt es hier nach Außen hin unbegrenztes Dürfen und dieses unbegrenzte Dürfen ist, da es nicht als solches in die Erscheinung fällt, das Urrecht in seiner reinen Idealität. Es könnte doch nur gegen andere Subjektivitäten hervortteten; so­ bald aber die Subjektivität in der Mehrzahl gedacht wird, macht sich auch der Begriff von Rechtsgesez geltend, und in der prak­ tischen Seite des Rechtsgesezes, im äußern Sollen, findet sich die zum Behuf der Wechselwirkung vernünftiger Wesen erfor­ derliche Begrenzung. tz.7.

Nachdem wir das Urrecht als das dem innern Sollen correspondirende unbegrenzte Dürfen und die im Staate sich fin­ dende Gesezgebung als das die praktische Seite des Rechtsgesezes ausmachende äußere Sollen kennen gelernt haben, kann die be­ stimmte Fassung der Aufgabe, das Abstraktum von Staat durch Construktion zu finden, keiner Schwierigkeit unterliegen. Indem dadurch, daß das ursprünglich unbegrenzte Dürfen im äußern Sollen seine Begrenzung findet, der Begriff von Rechtspflicht und mit ihm ein bestimmtes, in die Erscheinung fallendes sub­ jektives Recht entsteht, demnach aber das Urrecht als ideeller, das, was hier Gesez heißt, dagegen als reeller Faktor des Staats

33 sich darstellt, kann es jetzt nur noch darauf ankommen, beide Fak­

toren als Ausfluß des Begriffs von Handlung zu finden.

Wo

es denn aber, da die Construkfion des Abstraktums von Staat als solche in das hier aufzustellende System fällt, gegenwärtig

wiederum nur der allgemeinen Bemerkung bedarf, daß der ideelle

Faktor in den ursprünglichen, der reelle Faktor hingegen in den potenzirten Begriff von Handlung fallt. Soweit der ursprüng­ liche Begriff von Handlung reicht, giebt es, da sich hier nur

inneres Sollen findet, auch nur unbegrenztes Dürfen, das dieses

unbegrenzte Dürfen beschränkende äußere Sollen findet dagegen seine Quelle in der im potenzirten Begriff von Handlung, oder

was dasselbe heißt, im Begriff von subjectiv-objektiverGesammthandlung liegenden, auf die Erreichung des gemeinsamen Zweck­ begriffs — des Staatszwecks — gerichteten und daher als soge­

nannte positive Gesezgebung sich objektivirendeu gemeinsamen

Absicht. §• 8-

Wenn es uns gelingt, auf die hier angegebene Weise daAbstraktum von Staat zu construiren, so ist allerdings das große

Problem, das Recht unbeschadet seiner ethischen Seite in der

Art, wie das Leben es erheischt, von Moral zu trennen, gelös't, und somit von dieser Seite jedes Hindernis, zur wirklichen Wis­ senschaft zu gelangen aus dem Wege geräumt.

Um jedoch auch

die in der Natur des Abstraktums an und für sich liegenden Hindernisse zu beseitigen, muß, wie früher schon bemerkt worden,

die Möglichkeit aufgezeigt werden, auf eine der Wissenschaft an­ gemessene Weise vom Abstraktum wiederum zum concreten Be­

griff zu gelangen, oder, wie wir es ebenfalls dort schon aus­ drückten, den der äußern Erfahrung angehörigen Stoff eben so, wie dies mit dem Inhalt des Abstraktums der Fall ist, als Pro­

dukt des Denkens zu erfassen.

Ohne die vollständige Lösung

dieser zweiten Frage wäre für unsern Zweck noch wenig gewon­

nen, vielmehr ließe sich, wenn die Unmöglichkeit solcher Lösung

feststände, mit Recht sagen, der mit der Anwendung des beste-

3

34 henden Rechts sich beschäftigende Jmist sey dem Empirismus auf immer verfallen. Abgesehen davon, daß es im Wesen der erklärenden Wissenschaft liegt, ihren Stoff bis dahin, wo er in geistigem Boden wurzelt, zu verfolgen, würde schon aus dem Grunde, weil alsdann vom Verhältnis des Allgemeinen zum Besondern keine Rede seyn könnte, jede specifische Verschiedenheit des Inhalts des concreten Begriffs vom Inhalte des Abstrak­ tums den an diese Wissenschaft zu machenden Forderungen wi­ dersprechen. Es wurde nun ebenfalls früher schon bemerkt, daß die hier gestellte Aufgabe nicht blos auf erklärende Rechtswissenschaft, sondern auf erklärende Wissenschaft überhaupt, insoweit dieselbe es mit äußerm Stoff zu chun hat, sich erstrecke, und so ist dieselbe allerdings sehr umfassend, so wie sie denn auch unsere ganze Auf­ merksamkeit in Anspruch nimmt. Während davon die Rede ist, die Eintheilung in philosophische, mathematische und historische Wissenschaft als unrichtig zu verwerfen, handelt es sich davon, den Gegensatz zwischen Aposteriorischem und Apriorischem so zu bestimmen, daß er völlig gleichbedeutend sey mit dem Gegensatze zwischen Wissenschaft und Philosophie. Wenn dies aber sehr gewagt scheinen möchte, zumal wir uns genöthigt sehen, die Un­ tersuchung an die Kant'sche Darstellung des Unterschiedes analythischer und synthetischer Urtheile zu knüpfen, während sich doch in der Rechtslehre des großen Denkers keine Spur von solcher Anwendung findet, so dürfen wir, um an der Möglichkeit des hier zu machenden Versuchs an und für sich nicht zu ver­ zweifeln , uns an das Urtheil gerade der bedeutendsten Verehrer Kants halten, nach welchem sein unsterbliches Verdienst eben darin besteht, die menschliche Erkenntnis auf den Punkt geführt zu haben, von welchem aus mit Sicherheit-auf neue Entdeckun­ gen ausgegangen werden kann, und wenn nun jetzt das Voll­ bringen hinter dem Wollen zurückbleibt, so wird die Billigkeit des Beurtheilers nicht anstehen, den bekannten Satz, daß aller Anfang schwer ist, auch uns zu Gute kommen zu lassen.

35 §• 9.

Aus der mehrerwähnten Kant'schen Erörterung deS Un­ terschiedes analythischer und synthetischer Urtheile erklärt «S sich, warum der als Abstraktum gedachte Begriff völlig allgemein

gültige Sätze giebt.

Indem das Prädikat dergestalt im Sub­

jekte enthalten ist, daß es nur nach dem Satze des Widerspruchs braucht herausgezogen zu werden, macht sich, soweit das Sub­ jekt, der Grundbegriff, reicht, auch das Prädikat, der Beile­

gungsbegriff, geltend, und wo diese Unzertrennlichkeit herrscht, da kommt es nothwendig zu völlig allgemein gültigen Sätzen.

Aber daraus folgt noch keineswegs, daß man von dem als Ab­ straktum gedachten Begriff wiederum zum concreten Begriff ge­ langen könnte; vielmehr läßt sich, so lange man bei der 'Unter­ scheidung in analythische und synthetische Urtheile stehen bleibt,

die Möglichkeit gar nicht einsehen.

Ohne Zweifel darf, wenn

ein solches Fortschreiten vom Abstraktum zum concreten Begriff wissenschaftlich genannt werden soll, der concrete Inhalt sich nicht als fremdartig darstellen: das Concrete muß nicht weniger als das Abstrakte Inhalt des einen und nämlichen Begriffs

seyn, so daß bas Verhältnis des Allgemeinen zum Besondem innerhalb des hier in Betracht kommenden Begriffs liegt, dieser

Begriff ein den abstrakten und concreten Begriff in sich ausneh­ mender Begriff ist; bei dem synthetischen Urtheile liegt aber das Prädikat, da es seiner bestimmten Gestaltung nach in die Man­ nigfaltigkeit der äußern Erfahrung fällt, außerhalb des Sub­

jekts, es kommt zu demselben wirklich hinzu.

Und so besteht

denn, so lange nicht über die Unterscheidung in analythische und synthetische Urtheile hinausgegangen wird, nicht nur innerhalb

der Wissenschaft selbst eine Kluft, die Kluft zwischen natürlicher

und positiver Wissenschaft, sondern man sieht sich auch wegen

der Dürftigkeit des Abstraktums genöthigt, statt dieses Abstrak­ tums einen technisch gedachten Begriff zum Gegenstand der na­

türlichen Wissenschaft zu machen.

Der Nachtheil hiervon liegt zu Tage.

Während es bei

3 *

36 solcher Trennung in natürliche und positive Wissenschaft zu der oft gehörten Aeußerung kommen mußte, diese oder jene Ansicht möge für die Theorie von Nutzen seyn, nicht aber für die Praxis, hat auf der andern Seite auch die Erscheinung, daß die prakti­ scher gewordene Richtung des Zeitalters in den wissenschaftlichen Bestrebungen der letztem Hülste des achtzehnten Jahchunderts nichts als einen Abweg erblickt und die Wissenschaft lediglich in äußern» Stoffe sucht, darin ihren Grund. Beides ist von wah­ rer Wissenschaft gleich weit entfernt. Wo von wahrer Wissen­ schaft die Rede seyn soll, da kann die Schule dem Leben nicht widersprechen, indem es eben die Wissenschaft ist, die dem Leben Grundsätze an die Hand zu geben hat. Damit sie aber hierzu im Stande sey, muß sie ihren Gegenstand auf dem Punkte er­ fassen/wo er mit den Gefezen des Denkens zusammmfüllt, weil sie nur auf diese Weise zu völlig allgemeinen Sätzen gelangt. Um nun die hier gestellte Aufgabe zu lösen, haben wir die Reflexion auf den Punkt zu richten, wo das ursprüngliche VerhülMis des Subjekts zum Prädikat nicht als solches hervortritt. Was denn nichts anders heißt, als, wir haben nicht das Urthei­ len, sondern das Produkt dieses Urtheilens in's Auge zu fassen. Indem es sich alsdann immer nur von dem Begriff als solchem handelt, abgesehen davon, ob er das Produkt eines analytischen oder aber synthetischen Urtheils ist, laßt sich die Ueberzeugung gewinnen, daß zwischen dem abstrakten und concrrten Begriff in der That kein specifischer Unterschied herrscht. Bekanntlich laßt jeder Begriff, mag er abstrakt oder concret gedacht werden, eine Definition zu, aus welcher mittelst Analysis Satze gewonnen werden, die, soweit der Begriff reicht, Gültig­ keit haben. So wie z. B. bei dem Abstraktum von Körper aus der Definition: Körper ist Materie innerhalb bestimm­ ter Grenzen, folgt, daß sich in dem Raum, den dieser Körper einnimmt, kein anderer Körper befinden kann, so wird aus der Definition, wie sie bei dem die Kugelgestalt des Körpers be­ treffenden concreten Begriffe Statt findet: Kugel ist ein Kör­ per, dessen Oberfläche so beschaffen ist, daß in ihr

37 alle Punkte von einem gewissen Punkte gleichweit entfernt sind, unter andem die Folgerung gezogen, daß bei gleicher Masse auf einer Ebene der Körper, der Kugelgestalt hat, zu seiner Fortbewegung die geringere Kraft erfordert. Eben so sind aber Alle darüber einverstanden, daß die Definition nicht zur Klarheit, sondern zur Deutlichkeit des Begriffs gehört, und somit ihrer Natur nach nur aus identischem Denken hervor­ gehen sonn6), und so reicht denn, da sich nicht leugnen läßt, daß der Begriff von Kugel das Produkt eines synthetischen Urtheils ist, das hier Gesagte schon aus, um uns bei dem Produkte des synthe­ tischen Urtheils, dem concreten Begriff, nicht weniger, als bei dem Produkt des analytischen Urtheils, dem abstrakten Begriff, identi-

6) Es ist hier wohl der Ort, einer gegen Kant gerichteten Aeußerung

Hegels zu erwähnen, bei der man kaum seinen Augen trauet. In der Anmerkung zu §♦ 256 der zweiten AuSga-e der Encyclopädie der Philosoph. Wissenschaft heißt eS, Kant habe den sonderbaren Einfall ge­ habt, zu behaupten, die Definition der g e r a d e n L i n i e, daß sie der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten sey, sey ein synthetischer Satz. Demnach hätte also Kant in analythische und synthetische Definitionen unterschieden und die bisherige Definition, nach welcher die gerade Linie diejenige ist, deren Theile alle einerlei Richtung haben, mit einer an­ dem vertauscht, welche die unendliche Linie, deren der Geometer doch

nicht entbehren kann, ausschließt, dagegen aber etwas, was bewiesen wer­ den kann, in sich aufnimmr. Das heißt doch wirklich, um in der Spra­ che der erwähnten Encyclopädie (§♦ 573 in der Anmerk.) zu reden, Einen die Krätze anhängen, um ihn kratzen zu können. Die Stelle, wo Kant diesen Unsinn ausgesprochen haben soll, kann keine andere seyn, als S. 16

der Einleitung zur Kn'tik der reinen Dernuft; daselbst ist aber nicht von Definition die Rede, sondem es heißt nur: „ daß die gerade Linie zwischen zweien Punkten die kürzeste sey, ist ein synthetischer Satz. — Wenn die vornehme Logik der gemeinen Logik wegen des Satzes des

auSgeschlossenerpDritten einen derben Beweis giebt (Encyclo­ pädie §. 119 in der Anmerk.), so hat die- in einem durch die Verschie­ denheit deS Dialekts herbeigeführten Mißverständnis seinen Grund; ein solches Mißverständnis konnte aber doch in Ansehung jener Kantischen Aeußerung nicht obwalten. —

38 sches Denken erblicken zu lassen. Aber jetzt führt auch schon die er­ wähnte Unterscheidung in Klarheit und Deutlichkeit des Begriffs darauf hin, daß sich bei dem abstrakten Begriff eben so, wie bei dem cvncreten Begriff, nicht-identisches Denken finden werde. Nur die der Definition vorausgehende Construktion mit dieser Defi­ nition und ihrer Analyse rechnet man zur Deutlichkeit deS Be­ griffs, so daß diese Deutlichkeit erst da beginnt, wo man sich der einzelnen Merkmale deS Begriffs als solcher bewußt ist. Eonstruirt wird der Begriff, wenn man das Verhältnis seiner einzelnen Merkmale zu ihm in's Auge faßt, um zu sehen, was mit seiner Einheit verträglich sey und also zu ihm gehöre, und wäh­ rend nun die Definition das Resultat und die Probe dieser Eonstruktion ist, besteht das Geschäft der Analysis darin, mittelst der Folgerung aus dieser Definition innerhalb des Begriffs allge­ mein gültige Sätze zu gewinnen; zur Klarheit des Begriffs gechört es dagegen, daß der Begriff seinem Gegenstände nach von allem der Att im Ganzen, ohne daß seine einzelnen Merkmale als solche ins Bewußtseyn fallen, genau unterschieden wird, und wiewohl sich deshalb mit Recht sagen läßt, die Klarheit beziehe sich auf das Aeußere, die Deutlichkeit auf das Innere des Be­ griffs, indem zur Klarheit nur gehött, daß der Begriff als In­ dividuum dastehe, so setzt doch diese Klarheit, so gewis es ohne Denken keinen Begriff giebt, schon ein Denken, nur kein iden­ tisches Denken, voraus. Hierdurch stellt sich nun schon die, wenn wir sie so nennen dürfen, formelle Einheit des allgemeinen, den concreten, wie den abstrakten Begriff umfassenden Begriffs heraus: es ist jetzt nicht mehr von Subjekt und Prädicat, Grundbegriff und Beilegungs­ begriff und der Art ihrer Verbindung, sondern überall nur von Klarheit und Deutlichkeit die Rede, und damit völlig überein­ stimmend wird, um bei dem oben gewählten Beispiele zu bleiben, der Körper, der Kugelgestalt hat, schlechtweg Kugel genannt, so daß, wenn auch bei dem Abstraktum das Subjekt, bei dem con­ creten Begriffe hingegen das Prädikat die Bezeichnung hergiebt und nothwendig hergeben muß, dennoch diese Einfachheit des

39 Ausdrucks offenbar Zeugnis giebt, daß zwischen dem concreten und abstrakten Begriffe keine specifische Verschiedenheit obwaltet. Das Verhältnis der Klarheit zur Deutlichkeit zieht sich durch den ganzen Begriff, den wir, weil er den abstrakten und concre­ ten Begriff umfaßt, den allgemeinen Begriff nennen wollen, in gleicher Maaße hindurch. Was flch bei dem als Begriff von Ku­ gel gedachten concreten Begriffe von Körper findet, daß das iden­ tische Denken nur einen ihm gegebenen Begriff bearbeitet, findet sich auch bei dem abstrakten Begriff von Körper, dem Begriff von Körper schlechthin: so lange zugegeben werden muß, daß auch der Begriff von Körper schlechthin kein bloser sogenannter Verstandes­ begriff ist, findet sich bei ihm ebenfalls der Gegensatz des nicht­ identischen zum identischen Denken. Fragen wir aber jetzt nach der hier erforderlichen materiellen Einheit, so kann dieselbe offen­ bar nur darin bestehen, daß das nicht-identische wie das identische Denken an und für sich allenthalben vom reinen Abstraktum bis zum concretesten Begriff herab das nämliche bleibe. Hinsichtlich des identischen Denkens kann kein Zweifel herr­ schen. Was bis dahin über dasselbe gesagt worden, spricht ge­ radezu dafür, daß es bei dem concretesten Begriff den nämlichen Charakter habe, den es bei dem reinen Abstraktum hat, oder man müßte behaupten, die Bestandtheile der Deutlichkeit des Begriffs, Construktion, Definition und Analysis seyen, jenachdem der Begriff concret oder aber abstrakt ist, nicht blos ihrem Gegenstände und Inhalte, sondern ihrem innern Wesen nach verschieden, was Keinem einfallen wird. Es kann also nur noch darauf ankommen, daß wir uns auch von solcher durchgängiger Gleichheit des nicht-identischen Denkens überzeugen. Es wäre wohl ein unnützes Ausholen, wenn wir uns hier über das Verhältnis der Vorstellung zum Begriff verbreiten wollten, da wir doch nur Bekanntes vortragen könnten; wir können'vielmehr, von dem unbestrittenen Satze ausgehend, daß auch bei dem als reines Abstraktum gedachten Begriffe das iden­ tische Denken nur das ihm Gegebene bearbeitet, und somit hier

40 schon ein nicht-identisches Denken vorausgesetzt wird, uns sogleich dazu wenden, dieses nicht-identische Denken positiv zu bezeichnen, was denn keiner Schwierigkeit unterliegt. Zufolge dessen, was über die formelle Einheit des allgemeinen Begriffs gesagt wor-

den, kann hier nicht von zusammensetzendem, sondem nur von setzendem Denken die Rede seyn, also nicht von synthetischem, sondern vom thetischen Denken. Mag es sich vom abstrakten oder aber vom concreten Begriff handeln, der Begriff selbst, so wie er von Außen, in seiner Geschiedenheit von andern Begriffen, dasteht, kommt aus thetischem Denken, im Jnnem des Begriffs waltet identisches Dmken. Aber allerdings tritt innerhalb des theüschen Denken- eine Verschiedenheit ein, und diese Verschie­ denheit fallt zusammen mit dem Unterschied zwischen abstraktem undlconcretem Begriff, Wiewohl zugegeben werden muß, daß auch der Begriff, dessen Inhalt als rein zufällig erscheint, sich auf ein Abstraktum reduciren läßt, und dies schon deshalb keinen Zweifel leidet, weil jeder Gattungsbegriff im Grunde ein Abstraktum ist, so zeigt doch schon die Tendenz der gegenwärttgen Untersuchung, daß es sich hier nur von dem Abstraktum handelt, dessen Inhalt gerade­ zu mit dem empirischen Bewußtseyn zusammenfällt, wie dies mit den Begriffen von Raum und Zeit, dem Begriff von Kraft und dem Begriff von Handlung der Fall ist. Mehr bedarf es aber nicht, um den erwähnten, innerhalb deS thetischen Denkens liegenden, Unterschied auf eine der Lösung unserer Aufgabe völlig entsprechende Weise zu finden. Auch das, was bei dem Ab­ straktum in die Klarheit des Begriffs fällt, besteht in thetischem Denken, es ist aber ein von der Zufälligkeit der äußern Erfah­ rung unabhängiges, unmittelbar mit dem empirischen Bewußt­ seyn fich geltmd machendes Denken, oder, was dasselbe heißt, eine Grundanschauung des Lebens; das bei dem concre­ ten Begriff rinttetende thetische Denken hingegen hat diese Eigen­ schaft nicht, es ist nur die von der Zufälligkeit äußerer Erfahrung abhängige Modification des Begriffs. Fragen wir nun nach der gemeinschaftlichen Quelle des the-

41 tischen und identischen Denkens, so waren fteilich, um den hier zu wählenden Bezeichnungen allen Schein von Willkührlichkeit

zu nehmen, Untersuchungen erforderlich, die hier nicht angestellt werden können, sondern einer neuen Bearbeitung und Vervoll­

ständigung der Logik überlassen bleiben müssen, die ohne Zweifel nicht weniger mit dem thetischen, als mit dem identischen Den­

ken sich zu beschäftigen hat.

Wir haben bei den uns gesteckten

Grenzen nur dafür zu sorgen, daß die hier zu wählenden Be­ zeichnungen den aus jenen Untersuchungen hervorgehenden Re­ sultaten an und für sich nicht widersprechen, sondern eine etwaige

Verschiedenheit sich nur auf den Ausdruck erstrecke, was denn

nicht schwer fallen kann.

Legen wir nämlich einstweilen den

allgemeinen Satz zum Grunde, daß alles Denken im Verstände

seine Quelle hat, indem ja anerkannt der Verstand es ist, der

mittelbare oder allgemeine Vorstellungen giebt, so ließe sich wohl bis dahin, wo ein passenderer Ausdruck gefunden wird, in ma­

terialen und formalen Verstand unterscheiden: ersterer wäre

die Quelle des thetischen, letzterer die Quelle des identischen Denkens.

Hierdurch ist die Untersuchung soweit vorgeschritten, daß

die zur Ausfüllung der Kluft zwischen natürlicher und positiver Wissenschaft erforderliche Operation vollständig angegeben ist.

Es hat sich gezeigt, wie die Wissenschaft auch den äußern Stoff als ein Produkt des Denkens erfaßt und dadurch zum concre-

testen Begriff gelangt, ohne aus sich selbst herauszugehen.

So

wie es nur fottgesetztes thetisches Denken ist, was den abstrakten Begriff concret macht, so hängt auch das Concretwerden dieses

Begriffs nur davon ab, ob sich das thettsche Denken noch weiter

erstreckt.

Es erstreckt sich aber soweit, als der Begriff sich in der

Erfahrung modificirt findet, und wie nun dadurch, daß die er­ klärende Wissenschaft sich im Stande sieht, vom Abstraktum Ge­ brauch zu machen, die Möglichkeit vorhanden ist, zu wirklich all­

gemeinen Sätzen zu gelangen, so ist auch dadurch der Weg ge­ funden, auf dem allein nur das Generalisiren, vor dem man jetzt

so oft warnen hört, mit Sicherheit vermieden werden kann. In-

42 dem das identische Dmken immer nur den ihm gegebenen Be­ griff zu bearbeiten hat, dieser Begriff aber nur soweit reicht, als kein fortgesetztes thetisches Denken eintritt, muß das Resultat der Wissenschaft nothwendig mit dem geben übereinstimmen: durch die Wissenschaft kommt, wenn wir so sagen dürfen, das Leben nur zu fich selbst. Aber so wie die gegenwärtige Unter; suchung über die Rechtswissenschaft hinausgeht, so geht sie auch über die vom Standpunkte des Lebens ausgehende Betrachtung überhaupt hinaus: damit sie vollständig genannt werden könne, muß noch die Frage beantwortet werden, in welchem Verhält­ nisse der Gegensatz des thetischen zum identischen Denken zu der über das empirische Bewußtseyn hinausgehenden, dieGrundanschauungen des Lebens als solche zum Gegenstände habenden, Bettachtung stehe. §. 10.

Gabe es nun eine vom Standpunkte des Lebens ausge­ hende Bettachtung, so ließe fich, insofern das Resultat unserer bisherigen Untersuchung zugegeben werden muß, von der bekannten Unterscheidung in Apriorisch und Aposteriorisch kein wirklicher Gebrauch machen. Dieselbe könnte dann nur den Sinn haben, daß das Apriorische auf das Abstraktum, das Apo­ steriorische hingegen auf den concreten Begriff bezogen würde, was sich aber mit dem Gegensatze des thetischen und identischen Denkens und der ihm correspondirenden Unterscheidung in Klar­ heit und Deutlichkeit des Begriffs nicht verträgt. Watz Resul­ tat des identischen Denkens — Deutlichkeit des Begriffs, heißt, ist bei dem concretesten Begriff eben so apriorisch als bei dem Abstraktum und eben so ist, soweit es fich nicht von der Deut­ üchkeit, sondem von der Klarheit des. Begriffs handett, datz Ab­ straktum gleich dem concretestm Begriff aposteriorisch, indem es auf einer Grundanschauung des Lebens, also immer noch auf thetischem Denken beruht. Anders verhält es fich aber, wenn die Möglichkeit einer über den Standpunkt des Lebens hinaus­ gehenden Bettachtung — der im Gegensatze gegen Reflexion

43 sogenannten Spekulation — nicht in Abrede gestellt werden kann. Es ist dann der bisher besprochene, in das Gebiet der Reflexion fallende, allgemeine — das Abstraktum und den concreten Begriff umfassende — Begriff ein aposteriorischer, der jenseits des empirischen Bewußtseins liegende, der Spekulation angehörige Begriff hingegen ein apriorischer Begriff. Aber so folgerecht dies auch seyn möchte, so ist doch damit für die Mög­ lichkeit einer über das empirische Bewußtseyn hinausgehcnden Betrachtung noch wenig gewonnen; vielmehr stoßen wir hier auf den bekannten Zirkel, daß die Denkgeseze, während sie von der Spekulation ihre Ableitung verlangen, sich schon für das spekulative Denken geltend machen. Derselbe tritt jetzt nur be­ stimmter hervor. So gewiß das spekulative Denken kein von bewußtem und somit wirklichem Denken verschiedenes Denken seyn kann, so gewis besteht auch auf dem Gebiete der Spekulation der Gegensatz des thetischeu zum identischen Denken; soweit wir aber diesen Gegensatz bis dahin kennen, scheint sich derselbe mit der Wesen­ heit des seiner Natur nach jenseits des empirischen Bewußtseyns liegenden apriorischen Begriffs nicht zu vertragen. Daß der apriorische Begriff nur jenseits des empirischen Bewußtseyns liegen könne, läßt sich nicht bezweifeln. Das Gegentheil hieße, er beruhe ebenfalls auf einer Grundanschauung des Lebens, was sich widerspricht. Was apriorischer Begriff heißen soll, muß den Urgrund alles Seyns und Werdens in sich schließen, es kann bei ihm von Gegebenem, wie es den Inhalt des aposteriorischen Begriffs ausmacht, von blosen Voraussetzungen, keine Rede seyn, und dies heißt wiederum nichts anders, als: das Abstraktum des apriorischen Begriffs nimmt nicht, wie das Abstraktum des aposteriorischen Begriffs, das Concrete blos in sich auf, sondern es hat dasselbe schon ursprünglich in sich: der Unterschied zwischen abstrakt und concret tritt hier blos der Form nach hervor, der apriorische Begriff ist, um uns so auszudrücken, ein positiv all­ gemeiner Begriff. Muß dies aber zugegeben werden, so kann der Unttrschied zwischen Klarheit und Deutlichkeit und somit

44 auch der Unterschied zwischen thetischem und identischem Denken hier nicht in der Art eintreten, daß sich von einem Aeußcrn und

Innern des Begriffs reden ließe; der apriorische Begriff ist, so gewis er den Urgrund alles Seyns und Werdens in sich schließt,

ein vom identischen Denken völlig durchdrungener, also ein ur­

sprünglich deutlicher, oder, wenn wir den Ausdruck gebrauchen dürfen, völlig durchsichtiger Begriff.

Ließe sich dieser Widerspruch nicht lösen, so würde die von

Kant angenommene Unfähigkeit der menschlichen Vernunft, auf

theoretischem Wege sich über das empirische Bewußtseyn zu er­ heben, schon von Seiten der Form zugegeben werden müssen: es gäbe dann schon abgesehen vom Inhalte kein denkbares spe­

kulatives Denken.

Fragen wir aber nach der Möglichkeit der

Lösung, so scheint dieselbe vorhanden, wenn der Gegensatz des

thetischen zum identischen Denken, der für die Reflexion reell ist, für die Spekulation als ideeller Gegensatz sich denken läßt.

Es

bleibt dann die den Denkgesezen entsprechende Dualität des

Denkens der Form nach bestehen und mehr bedarf es nicht. Der erwähnte Gegensatz ist reell, heißt: das thetische Den­

ken steht dem identischen Denken in der Art gegenüber, daß es mit der Klarheit zugleich auch den Stoff des Begriffs giebt. Soweit das thetische Denken die Klarheit des Begriffs bewirkt, ist es ebenfalls, wie das identische Denken, ein bearbeitendes Denken; während aber das identische Denken lediglich bearbei­ tend ist, läßt sich das thetische Denken von der Entstehung dessen,

was den Stoff des Begriffs ausmacht, nicht trennen, es ist

nicht ein blos bearbeitendes, sondern auch hervorbringendes Den­ ken. Ideell ist hingegen der Gegensatz, wenn das thetische Den­ ken gleich dem identischen Denken nur bearbeitend ist, feint

Funktion sich darauf beschränkt, die Klarheit des Begriffs her­ vorzubringen, der Stoff des Begriffs aus ihm ebenso wenig, als

aus identischem Denken hervorgeht.

Es bleibt dann zwar der

Unterschied zwischen Klarheit und Deutlichkeit des Begriffs be­ stehen ; indem aber das thetische Denken sich blos auf die Klar­

heit erstreckt, nicht zugleich auch den Stoff des Begriffs hervor-

45 bringt, ist es vom identischen Denken nicht dem Inhalte, sondern nur der. Form nach verschieden.

Offenbar kann dies nun nichts anders heißen, als, der

Stoff des apriorischen Begriffs muß schon jenseits der Dualität des Denkens seine Quelle finden, und die bestimmte Bezeich­

nung dieser Quelle ergiebt sich leicht.

Indem nämlich, so gewis

es ohne Dualität kein wirkliches Denken giebt, jenseits der Dua­ lität des Denkens das Gefühl herrscht, das Gefühl aber, inso­

weit es das Absolute in sein Bereich zieht, nichts anders ist als Religion, das Wort in seiner höchsten Bedeutung genommen

— als das Gefühl des Menschen hinsichtlich seines Verhältnisses zu Gott — ist Religion die vom thetischen wie vom identischen

Denken unabhängige Quelle des Stoffs des apriorischen Be­

griffs und somit der Urquell der Spekulation.

Jetzt läßt sich

aber auch die hier erforderliche Steigerung des Gegensatzes des

thetischen zum identischen Denken leicht finden. Allerdings muß, wenn der Unterschied zwischen reellen und ideellen Gegensatze sich nicht zernichten soll, auch im Bereiche der Spekulation immer

die Dualität des Denkens hervortreten; dies geschieht aber, in­ dem der Gegensatz des thetischen zum identischen Denken sich

zum Gegensatze zwischen Glaube und Wissen gestaltet.

Da,

wie gezeigt worden, bei dem apriorischen Begriff Klarheit und

Deutlichkeit, Aeußeres und Inneres des Begriffs, nur der Form nach vorhanden sind, die Deutlichkeit hier den Begriff völlig

durchdringt, so gilt das, was im Bereiche der Reflexion vom identischen Denken gilt, daß es nur im Innern des Begriffs

waltet, im Bereiche der Spekulation vom Wissen überhaupt — der Glaube giebt das Aeußere des apriorischen Begriffs, das

Wissen waltet im Innern desselben. Welchen Einfluß nun diese hier versuchte Lösung des oben

erwähnten Zirkels, bei welcher wir freilich nicht viel mehr als

blose Andeutungen geben konnten, auf die Frage habe, ob die über das empirische Bewußtseyn hinansgehende, auf das a n

sich der Grundanschauungen des Lebens gerichtete Forschung zu wirklichem Resultate führe und wieweit die Spekulation

46 vorzudringm vermöge, dies liegt, da eS auf den Gegensatz

des thetischen zum identischen Denken, wie wir ihn für unsern gegenwärtigen Zweck zu erörtem hatten, von keinem unmittel­

baren Einflüße ist, außer den Grenzen dieser Untersuchung. Wer sich aber von der hier angegebenen Natur des apriorischen

Begriffs überzeugt hat, wird auch damit einverstanden seyn, daß diejenigen, die sich rühmen, die Liefen der Gottheit ergründet zu

haben, nur von dem Vorrechte Gebrauch machen, bei Bettach­ tung göttlicher Dinge nicht an die gewöhnliche Bedeutung der

Wotte gebunden zu seyn. Wenn auch die Möglichkeit wirklicher spekulativer Erkenntnis nicht geleugnet werden kann, vielmehr

hier immer noch ein großes Feld bleibt, so kann doch von einem wirklichen Begreifen des Urgrundes keine Rede seyn.

Die erste

Bedingung eines solchen wirklichen Begreifens wäre doch wohl

ohne Zweifel, daß der Punkt erfaßt würde, wo theoretische mit praktischer Vernunft noch Eins ist, indem nur hier jener von

Deutlichkeit ganz durchdrungene, völlig durchsichttge Begriff

liegen könnte.

Dazu wäre aber ein unendliches Denken erfor­

derlich, was der Natur des endlichen Vernunftwesens wider­ spricht.

§11. Durch die Erörterung des Gegensatzes des thetischen zum

identischen Denken ist die Möglichkeit nachgewiesen, den äußern

Stoff als Produkt des Denkens zu erfassen und zugleich hat der Ausdruck: aposteriorisch eine umfassendere und deshalb hö­ here Bedeutung gewonnen.

Das Aposteriorische faßt auch die

— daS Wort nicht im Sinne des Psychologen genommen — innere Erfahrung in sich, es erstreckt sich soweit hinauf, daß die

von Kant so benannten synthetischen Anschauungen a priori, sowie die in der sogenannten praktischen Philosophie

vorkommenden Foderungennochin dasselbe fällen. Sowohl jene synthetischen Anschauungen a priori als diese Federungen

find, indem sie sich nothwendig für das Leben geltend machen, nichts anders, als Grundanschauungen des Lebens und somit nur

47 Inhalt eines aposteriorischen Begriffs.

Um uns aber von der

Richtigkeit dieser Ansicht völlig zu überzeugen und das Verhält­ nis der erklärenden Rechtswissenschaft zu der unmittelbaren Dar­

stellung des bestehenden Rechts in der dem Zwecke der gegenwär­ tigen Abhandlung entsprechenden Weise zu erfassen, brauchen

wir nur von dem hier gefundenen Gegensatze des apriorischen zum aposteriorischen Begriff wiederum bis zu dem Punkte, von welchem wir ausgingen, nämlich zum unmittelbar praktischen

Bedürfnis des mit der Anwendung des bestehenden Rechts sich beschäftigenden Juristen herabzusteigen, was denn eine dreifache

Betrachtung in sich schließt.

Zuvörderst handelt es sich davon,

daß der erwähnte Gegensatz des aposteriorischen zum apriorischen

Begriff, der Gegensatz der Reflexion zur Spekulation, nichts an­ ders ist, als der Gegensatz zwischen Wissenschaft und Phi­

losophie, sodann ist die der Rechtswissenschaft entsprechende

Bezeichnung des Gegensatzes des thetischen zum identischen Den­ ken anzugeben und den Beschluß macht der Gegensatz zwischen

Wissenschaft und Theorie als die aus der historischen Natur

des in der Wirklichkeit sich findenden Rechts hervorgehende Un­ terscheidung.

§. 12. Da es nur eine Philosophie giebt, wohl aber mehrere Wissenschaften, so wird es sich von selbst rechtfertigen, wenn wir

den Ausdruck: Wissenschaft als Collectiv-Bezeichnung für

sämmtliche, vom Standpunkte des Lebens ausgehende Doktri­

nen gebrauchen und nun von einem Gegensatze der Wissenschaft zur Philosophie sprechen.

Was aber die Frage betrifft, ob die

erwähnte Unterscheidung wirklich mit dem Gegensatze zwischen aposteriorischem und apriorischem Begriff zusammenfalle, so läßt sich die Unabhängigkeit von Philosophie, auf die sich der Mathe­

matiker soviel zu Gute thut, bei sämmtlichen, dem Leben dienen­

den Doktrinen nicht verkennen.

Wie die Logik keinesweges die

Denkgeseze abzulciten sucht, sondern solche als vorhanden mu

nimmt, so hält sich auch die Physik an die Welt der Erscheinung,

48 ohne ihre Realität vorerst erforschen zu wollen, und was erklä­ rende Rechtswissenschaft und Religionswissenschaft betrifft, so wäre der, welcher ihre Unabhängigkeit von Philosophie nicht zu­ geben wollte, zu der Behauptung genöthigt, entweder die An­ nahme, daß der Mensch ein mit Freiheit des Willens begabtes Wesen ist, sey hier nicht nothwendig, oder die Philosophie sey im Voraus an ein dem Leben entsprechendes Resultat gebunden, was beides sich in sich selbst widerspricht. Insoweit es sich hier nicht von erklärender Wissenschaft handelt, tritt fteilich die Noth­ wendigkeit der Unabhängigkeit von Philosophie noch nicht so ge­ radezu hervor. Fände z. B. die Philosophie das Resultat, der vollendete gesellschaftliche Zustand sey der Znstand wiedergewon­ nener Identität, wo alles als solches hervottretende Juristische ausgeschlossen i(l7), Jeder das Göttliche in sich zum Regenten hat, so könnte die Wissenschaft für den Gesezgeber diese Ansicht gar wohl gelten lassen, ohne mit sich in Widerspruch zu gerathen. Der Gesezgeber wäre ihr dann der Pygmalion, der, nachdem ihm der höchste Wunsch gewährt worden, den Meißel wegwirft und der beseelten Gestaltung liebend in die Arme sinkt. Dage­ gen bleibt für erklärende Rechtswissenschaft das Obengesagte in vollem Maaße bestehen: wie sie von der obenerwähnten Ansicht keinen Gebrauch machen kann, so macht sich auch die Voraus­ setzung, daß der Mensch Freiheit des Willens habe, für sie in einer Art geltend, daß sie genöthigt ist, durchaus ihren eigenen Gang zu gehen, unbekümmert um das Stteben und das Re­ sultat der Philosophie. Halten wir nun diese allgemeinen Bemerkungen an das, was über den Gegensatz des aposteriorischen zum apriorischen Begriff gesagt worden, so ist nicht nur die Unterscheidung in Wissenschaft und Philosophie völlig gerechtfertigt, sondem es ist auch zwischen beiden eine feste Grenze gefunden. Die Wissen­ schaft kann, indem sie Grundsätze für das Leben aufzustellen hat, also dem Leben dient, nur von dem, was Grundanschauung des 7) Res desinit honesta esse, si necessaria est.

Seneca.

49 Lebens ist, ausgehen; sie stände im Widersprüche mit sich selbst, wenn sie über diese Grundanschauungen des Lebens hinausgehen

wollte.

Das an sich dieser Grundanschauungen bleibt bis da­

hin noch völlig unentschieden, die hierauf und — wenn man nicht vergißt, daß es sich vom blosen Streben handelt — auf die

Enthüllung des Geheimnisses des Daseyns gerichtete Betrach­ tung ist Philosophie.

Und so muß es denn für einen Irrthum

erklärt werden, wenn einer der oben erwähnten philosophischen RechtSlehrer sagt: im Tempel der Vernunft gehöre die Logik mit

der Naturwissenschaft nur in die Propyläen, das Allerheiligste mache neben der Tugendlehre die Rechtslehre aus.

Das Ver­

hältnis ist anders: den Vorhof bildet die Empirie, das Heilige

die Wissenschaft, und das Allerheiligste die Philosophie. In der Empirie macht sich zwar schon der Gegensatz des thetischen zum identischen Denken geltend, indem es ohne ihn überall kein Den­

ken giebt, wir werden uns aber dort seiner noch nicht bewußt; erst in der Wissenschaft kommt es zu diesem Bewußtseyn: der

erwähnte Gegensatz wird hier als solcher ein Gegenstand des Denkens. Ueber der Wissenschaft steht aber noch die Philosophie:

sie ist die über die Schranken des empirischen Bewußtseyns hin­ ausgehende, eben deshalb aber ihrer Natur nach esoterische Be­ trachtung. Freilich ist nun auch die Religionswissenschaft von Seiten

ihrer Form esoterisch, indem die Darstellung des Gegensatzes des

thetischen zum identischen Denken, wie Physik und Rechtswissen­

schaft solchen kennen, hier zufolge des Umstandes, daß jede posi­ tive Religion sich für ihre Bekenner als absolute.innere Wahr­ heit geltend macht, nicht Platz greifen kann.

Dies thut jedoch

dem Gegensatze der Wissenschaft zur Philosophie keinen Eintrag: es spricht nur dafür, daß die Religionswissenschaft die höchste der Wissenschaften ist. §. 13. Muß zugegeben werden, daß das thetische Denken in den

einzelnen Wissenschaften aus eine eigenthümliche Weise sich äußere, 4

50 so wird sich auch die Nothwendigkeit einer eigenthümlichen Be­

zeichnung nicht in Abrede stellen lassen

Die erwähnte Eigen­

thümlichkeit ist aber nicht zu verkennen.

Zuvörderst ist hier nun zu bemerken, daß es in der Logik zu einer besondern Bezeichnung des Gegensatzes des thetischen zum identischen Denken noch nicht kommen kann, indem ja dieser

Gegensatz hier noch als solcher betrachtet und erst in den übri­ gen Wissenschaften zur Anwendung gebracht wird.

Und eben

so konnte es nicht fehlen, daß der Mathematiker unabhängig vom Erkennen des vor uns aufgestellten Gegensatzes des theti­

schen zum identischen Denken seine Unterscheidung in construi-

rende Phantasie und reslektirenden Verstand finden

mußte.

Da das, was hier den Gegensatz des identischen Den­

kens ausmacht, noch nicht als wirklicher Gegenstand existirt, demselben noch kein vom Gedanken unabhängiges Seyn zu­ kommt, so ergab sich die Nothwendigkeit dieser Bezeichnung auch ohne die Rücksicht auf den Gegensatz des thetischen zum identi­

schen Denken überhaupt, sowie denn auch, um dies hier zu be­ merken, die Mathematik die allgemeine Analysis in dem Sinne,

wie die mit äußerm Stoff zu thun habenden Wissenschaften den Ausdruck nehmen, nicht kennt — das Abstraktum als solches hier keinen Gegenstand der Betrachtung ausmacht, letztere viel­

mehr mit dem Concretmachen des Abstraktums beginnt.

Fra­

gen wir aber nach der aus dem wirklichen Erkennen des Gegen­ satzes des thetischen zum identischen Denken hervorgehenden und

also für die Wissenschaften, welche es mit äußerm Stoff zu thun haben, noch zu suchenden eigenthümlichen Bezeichnungen, so steht, da hinsichtlich des identischen Denkens nirgends eine Ver­

schiedenheit eintritt, dasselbe immer das eine und nämllche logische Denken bleibt, nichts im Wege, dasselbe in dem Sinne, wie der

Mathematiker den Ausdruck nimmt, Verstand zu nennen; in Betreff des thetischen Denkens kommt es dagegen abermals

darauf an, die verschiedene Natur des Seyns auszudrücken, was,

wie von selbst einleuchtet, für die, ein ethisches Moment in sich haltenden und deshalb einer hohem Ordnung angehörigen Wis-

51 senschaften, Rechtswissenschaft und Religionswissenschaft, einen andern Charakter hat, als für die Physik, wo das den Inhalt

des thetischen Denkens ausmachende Seyn in der That ein von Menschen unabhängiges Seyn ist.

Und daß nun auch, jenach-

dem es sich von Rechtswissenschaft oder aber von Religionswis­ senschaft handelt, wiederum eine hier in Bettacht kommende Ver­

schiedenheit eintrete, wird sich im Voraus nicht bezweifeln lassen. Dem Physiker können wir es nun überlassen, ob er mit

dem Ausdruck: Erfahrung auszukommen vermeint, und was

die Religionswissenschaft betrifft, so spricht ein berühmter Theo­

loge in der Art von Zuständen des frommen Gemüths, daß man wohl sieht, es kann nichts anders, als was wir im Bereiche der von Philosophie getrennten Wissenschaft unter thetischem Denken verstehen, damit gemeint seyn*).

Ohne Zwei­

fel findet sich eben bei der Vieldeutigkeit des Ausdrucks: Ge­

müth für das vom Menschen nicht schlechthin unabhängige Seyn

kein passenderer Ausdruck, als Annahme des Gemüths.

Das Gemüth fragt nicht nach logischer Begründung, es findet seinen Maasstab nur im Bedürfnis des Lebens; und während nun auf diese Weise das im Bereiche der, Ethisches in sich auf-

8) So heißt cs bei Schleiermacher in der Christ: der christ» tiche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche. 1. Band, S. 10 ffl.: „Nur wenn die dogmatische Theologie auf ihrem eigenen Grund und Boden so fest stehen wird, al§ die Weltweis­ heit , so daß von jenen wunderlichen Fragen, ob etwas in der Theologie wahr seyn könne, was in der Philosophie falsch sey, und umgekehrt, gar nicht mehr die Rede ist, und so daß jeder Satz, welcher der Theologie angehört, auch gleich in seiner Gestalt für einen solchen erkannt und von jedem analogen philosophischen unterschieden werden kann, wird di« Trennung, an welcher so lange schon gearbeitet worden, von beiden Seiten gleichvollendet, und wir werden sicher seyn, sowohl vor der Ver­ werfung ächt theologischer Sätze aus Mangel einer Begründung nach Art der Weltweisheit, als auch vor den vergeblichen Bestrebungen, theils nach einer solchen Begründung, theils nach einer Verarbeitung aller Er­ gebnisse der Weltweishcit mit der Betrachtung und Zerlegung der Zu­ stände des frommen Gemüths." —

52 nehmenden Wissenschaften waltende thetische Denken gar wohl Annahme des Gemüths genannt werden mag, bildet sich die, der Verschiedenheit der hier in Bettacht kommenden Wissenschaften entsprechende Unterscheidung von selbst: in der Religionswissen­ schaft wird das thetische Denken bezeichnet als Annahme des frommen Gemüths, in der Rechtswissenschaft schlechtweg als Annahme des Gemüths. §. 14.

Wo, wie dies bei den, Ethisches in sich ausnehmenden Wis­ senschaften der Fall ist, nicht blos ein äußerer Stoff existirt, son­ dern dieser äußere Stoff auch successiv und selbst gleichzeitig ver­ schieden ist, da macht sich das Verhältnis des Allgemeinen zum Besondern schon für die Bettachtung als solche geltend; wäh­ rend auch bei Rechtswissenschaft und Religionswissenschaft die allgemeine Analysis immer die eine und nämliche bleibt, ist die specielle Analysis so verschieden, als es verschiedene Gesezgebungen und verschiedene positive Religionen giebt. Und so liegt es, da das, was Wissenschaft heißt, nie national seyn kann, in der Natur der Sache, daß hier nur die allgemeine Analysis Wissen­ schaft genannt, die spezielle Analysis hingegen mit einem eigen­ thümlichen Ausdrucke bezeichnet werde. Diese eigenthümliche Bezeichnung brauchen wir nicht lange zu suchen. So wie das, was der Theolog Dogmatik nennt, nichts anders, als die, zur Religionswissenschaft wie das Beson­ dere zum Allgemeinen sich verhaltende spezielle Analysis ist, so spricht der Jurist von einer Theorie des bestehenden Rechts, und wer nun nicht gesonnen ist, um Worte zu streiten, wird nichts dagegen haben, wenn wir für die Rechtswissenschaft den Gegensatz zwischen allgemeiner und spezieller Analysis ein für allemal bezeichnen als den Gegensatz der Wissenschaft zur Theorie.

§. 15. Aus dem hier angegebenen Verhältnis der ihrer Natur nach nationalen Theorie des bestehenden Rechts zur erklärenden



53



Rechtswissenschaft geht nun die Stellung der juristischen Her­ meneutik mit völliger Bestimmtheit hervor. Als Zweig der Hermeneutik überhaupt hat auch die juristische Hermeneutik die Allgemeinheit, die zum Wesen der Wissenschaft gehört; indem sie aber nicht über niedere logische Auslegung, also nicht über unmittelbare Anwendung auf den der äußern Erfahrung ange­ hörigen Stoff hinausgeht, ist sie die zwischen allgemeiner und spezieller Analysis in der Mitte stehende formale Wissenschaft, die der Theorie des bestehenden Rechts als Organon dient, eben deshalb aber auch sich der Analysis desAbstraktums von Staat an die Seite stellen darf, weil diese nur durch sie ihren praktischen Charakter gewinnt — zu höherer logischer Auslegung wird.

Zweites Kapitel Die erklärende Rechtswissenschaft im Grund­ risse nebst Construktion und Analysis eini­ ger der Theorie des bestehenden Rechts angehörigen Begriffe.

ylabbern im vorigen Kapitel die Bedingungen angegeben worden, von denen die Aufstellung der Wissenschaft des beste­

henden Rechts abhangt, kommt es nunmehr darauf an, diese Aufstellung zu versuchen, wo sich denn das System für die Dar­ stellung leicht ergiebt.

Zuvörderst handelt es sich davon, auf

dem bereits angegebenen Wege, daß nämlich aus dem ursprüng­

lichen Begriff von Handlung das ursprünglich subjektive Recht

und aus dem potenzirten Begriff von Handlung das, was hier Gesez heißt, abgeleitet wird, zum Abstraktum von Staat zu ge­

langen und sodann dieses durch Construktion gewonnene Ab­ straktum zu analysiren.

Und wahrend nun diese allgemeine

Analysis in einen theoretischen und praktischen Theil zerfällt,

stellt sich die juristische Hermeneutik aus den bereits angegebenen Gründen als zweiter Theil der erklärenden Rechtswissenschaft

dar. Hiermit ist nun das hier aufzustellende System an und

für sich geschloffen, da, wegen der successiven und gleichzeitigen

Verschiedenheit des hier in Betracht kommenden, der äußern

55 Erfahrung angehörigen Stoffs von durchgeführter spezieller

Analysis keine Rede seyn kann.

Um jedoch die Art und Weise,

wie das identische Denken auch innerhalb des concreten Begriffs

von Staat die judicielle Erklärung aufzusuchen hat, und hier auch wohl durch eine erst aus Construktion hervorgehende Ana­

lysis sich den Weg zur höheren logischen Auslegung bahnt, soviel als möglich anschaulich zu machen, wird die Betrachtung auch

auf einzelne der Theorie des bestehenden Rechts angehörige Be­ griffe sich erstrecken.

I. Das ursprünglich subjektive Recht.

Wenn davon die Rede ist, das ursprünglich subjektive Recht

aus dem Begriff von Handlung abzuleiten, so kann dies nur heißen, das ursprüngliche, das Urrecht ausmachende, Dürfen

muß mit dem ursprünglichen Begriff von Handlung zusammen­ fallen, Handeln und unbegrenztes Dürfen müssen ursprünglich

eins und dasselbe seyn.

So wie es ohne Handeln kein Dür­

fen giebt, so giebt es auch ohne Dürfen kein Handeln, und so

kann denn, so gewis das ursprünglich subjektive Recht ein vom Menschen ausströmendes, in der Natur des endlichen Vernunft­

wesens unmittelbar liegendes Recht ist, seine Ableitung nur in der Erörterung des ursprünglichen Begriffs von Handlung be­

stehen. Hiemit ist zugleich der Umfang der gegenwärtigen Erörte­

rung angegeben, so wie denn schon zufolge dessen, was ftüher über die Grenzlinie zwischen Philosophie und Wissenschaft gesagt

worden, kein desfallsiger Zweifel eintreten kann. Da die Wissen­ schaft sich an unmittelbare Thatsachen des Bewußtseyns, an die

Grundanschauungen des Lebens hält, nur von Gegebenem ausgehet, so liegt auch die Erklärung, wie der Mensch dazu

komme, sich die Fähigkeit, zu handeln, zuzuschreiben, und welche Bewandnis es mit der dazu erforderlichen Freiheit des Willens

an und für sich habe, außer den Grenzen der gegenwärtigen Be-

56 trachtung: die Aufgabe ist nur, zu zeigen, was erforderlich sey, damit der Begriff von Handlung mit sich selbst in Uebereinstim­ mung stehe. Indem nun auf diese Weise der Begriff von Handlung an

und für sich schon vorausgesetzt wird, rechtfertigt es sich auch von

selbst, wenn wir von dem, was der gesunde Sinn als eine von diesem Begriff durchaus unzertrennliche Form anzuerkennen sich genöthigt siehet, ausgehen, um von hieraus zu einem mit sich selbst in Uebereinstimmung stehenden Ganzen zu gelangen.

Au

der geradezu als unzertrennlich vom ursprünglichen Begriff von

Handlung sich darstellenden Form gehört aber die bekannte Un­

terscheidung in Zweck und Mittel.

Da Zweck das Ziel heißt,

auf dessen Erreichung es bei'm Handeln abgesehen ist, unter

Mittel dagegen dasjenige verstanden wird, was geschehen muß,

damit dieses Ziel erreicht werde, so könnte ein Handeln ohne die­ sen Gegensatz nur heißen, entweder der Handelnde wisse nicht, was er wolle, oder das Handelnde falle nicht als Aeußerung

freier Thätigkeit m die Erscheinung, was beides dem gesunden

Sinn geradezu entspricht. Indem aber ohne Zweifel der hier er­ wähnte Gegensatz auf der realen Seite der Handlung, innerhalb

des Gewollten liegt, findet sich auf der idealen Seite der Hand­

lung, innerhalb des Wollens, ein ihm entsprechender Gegensatz, zwischen unbedingtem und bedingtem Wollen.

Das auf den

Zweck gerichtete Wollen ist unbedingt, weil man sonst annehmen

müßte, der Zweck werde nicht nm sein selbst willen gewollt, sey also nicht Zweck, sondem selbst nur Mittel; das auf das Mittel gerichtete Wollen ist dagegen so gewiß bedingt, als das Mittel

nur dem Zwecke dient, nur um des Zweckes willen gewollt wird.

Kann aber dies nicht geleugnet werden, so wird es sich auch von

selbst rechtfertigen, wenn wir hier vor allen Dingen für diesen Gegensatz des bedingten zum unbedingten Wollen die bestimmte

Bezeichnung suchen, an der es in der Art, wie die hier aufzu­ stellende Wissenschaft es erheischt, zur Zeit noch gebricht.

Wäh­

rend man nämlich mit dem bekannten Ausdruck: Absicht zwar nur das Wollen, nicht das Gewollte bezeichnet, jedoch sowohl

57

das unbedingte als das bedingte Wollen so nennt, beschränkt

man den Ausdruck keinesweges auf das unbedingt Gewollte, sondern bezeichnet damit auch das unbedingte Wollen. Bei einer

Betrachtungsweise, die ursprünglich von einem bestimmten In­

halte des Begriffs von Handlung ausgehet, mag dies ausreichen, eine Erörterung des Begriffs von Handlung im Sinne erklä­ render Wissenschaft kann sich aber damit nicht begnügen, und der Verfolg dieser Darstellung wird den Beweis davon liefern.

Halten wir uns nun daran, daß man im Civilrecht und Strafrecht das Gegentheil von Fahrläßigkeit absichtliches Han­

deln nennt, dieser Gegensatz zwischen culpa und dolus aber offen­ bar nicht über bedingtes Wollen hinausgehet, so wird schon die

Einheit der Terminologie dafür sprechen, daß wir den Ausdruck Absicht ein für allemal auf das bedingte — auf das Mittel ge­ richtete — Wollen beschränken, und nun für das unbedingte —

aus den Zweck gerichtete — Wollen eine ebenfalls eigenthümliche Bezeichnung suchen.

Wo sich dann der Ausdruck: Zweck be­

griff leicht als adäquat darstellen möchte.

Da nämlich, um

mit Fichte') zu reden, dem Nachbilde der Existenz, dem Er­

kenntnißbegriff, der Zweckbegriff als Vorbild der Existenz gegen­

überstehet und somit, insoweit es sich noch von blosem Denken handelt, gegen den Ausdruck: Zweckbegrisf nichts zu erinnern ist, so können wir es hier, wo das als Zweck Vorgestellte nur in­

sofern Bedeutung hat, als ein Wollen hinzukommt, bei demsel­

ben bewenden lassen; und wird es nur darauf ankommen, daß wir dieser einmal gewählten Terminologie durch die ganze Dar­ stellung hindurch getreu bleiben. Es ist dann für die im ursprüng­

lichen Begriff von Handlung sich findenden Gegensätze eine be­ stimmte Bezeichnung vorhanden: indem sich Absicht zu Mittel,

wie Zweckbegriff zu Zweck, nämlich wie das Ideale zum Realen verhält, zerfällt das Wollen in Absicht und Zweckbegriff,

das Gew ollte in Mittel und Zweck. In Ansehung der Form des ursprünglichen Begriffs von

1) System der Sittenlehre S. 103.

58 Handlung ist hiemit für jetzt das Nöthige gesagt und kommen wir jetzt zur Erörterung des Inhalts, wo zuv-rderst die Frage entgegen«!«, wie sich das Staturgesez mit dem Begriff von Handlung in Uebereinstimmung bringen lasse. Da Handeln seinem Begriff nach als Aeußerung freier Thätigkeit in einem Wirken auf die Außenwelt bestehet, so macht sich bei ihm noth­ wendig das Naturgesez geltend, die Beachtung dieses Naturgesezes ist die unerläßliche Bedingung, von welcher die Realisirung des Zwcckbegriffs abhängt Dennoch aber soll der Zweckbegriff unbedingtes Wollen enthalten und zwar inneres unbedingtes Wollen d. h. ein Wollen, was als lediglich auf sich selbst ruhend, ein schlechthin autonomischer Akt ist. Verhielte es sich anders, so gäbe cs ja keine Freiheit des Willens. Dieser anscheinende Widerspruch muß gelöst werden und er ist nur zu lösen, wenn sich zeigen läßt, daß die durch das Na­ turgesez entstehende Schranke für das Handeln nicht als solche hervortritt. Was sich denn alsbald aus dem Verhältnisse des Denkens zum Wollen «giebt. Allerdings setzt die Realisirung des Zweckbegriffs vermöge der hier erforderlichen Beurtheilung der Tauglichkeit des Mittels ein Denken voraus, aber auch der Zweckbegriff selbst gehet ursprünglich aus Denkm hervor, da, wie oben bemerkt worden, sein Charakter eben darin bestehet, daß das als Vorbild einer Existenz Gedachte gewollt wird, und so ist denn nothwendig auch das auf den Zweck gerichtete Wollen an die Geseze des Denkens gebunden; was vom Denken gilt, daß es den Gesezen des Denkens nicht widersprechen darf, wenn es wirkliches, nicht phantastisches, Denken genannt werden soll, das gilt auch vom Wollen als ausführbarem, oder was dasselbe heißt, wirklichem Wollen. Dadurch bildet sich aber d« bekannte Satz, daß es im Begriff von Vernünftigkeit liegt, nicht das Unmögliche zu wollen, und die Bedeutung dieses Satzes bestehet eben darin, daß das Naturgesez, wiewohl es bei'm Handeln beachtet werden muß, dennoch, so grwiß es mit den Gesezen des Denkens übereinstimmt, nicht als Schranke für das Handeln hervorttitt.

59 Demnach stehet also fest, daß durch den Begriff von physi­ scher Unmöglichkett dem ursprünglichen Begriff von Handlung

kein Eintrag geschieht; wiewohl es kein Handeln giebt, bei wel­

chem nicht die Beachtung des Naturgesezes erforderlich wäre, stehet demnach das Naturgesez der innern Unbedingtheit d:s

Wollens nicht entgegen.

Wenden wir uns aber, dem natürli­

chen Gange der Untersuchung gemäs, jetzt zur Frage nach der

Uebereinstimmung der innern Unbedingtheit des Wollens mit sich

selbst, so ist hier vor allem der Inhalt des Zweckbegriffs zum Ge­ genstände der Betrachtung zu machen.

Halten wir das über die Form des Begriffs Gesagte mit dem Verhältnis des Denkens zum Wollen und der Natur des

Wollens selbst zusammen, so ergiebt sich alsbald, daß das, was Inhalt des Zweckbegriffs heißen soll, im Grunde nichts anders seyn kann, als der Handelnde selbst.

Zwar ist dieser Inhalt des

Zweckbegriffs als das zu Realisirende allerdings vom Subjekt noch verschieden; aber so gewiß das, was Zweck heißt, um sein

selbst willen gewollt wird, so gewiß kann es auch nicht in Be­ ziehung auf etwas anders, sondern lediglich nur in Beziehung

auf sich selbst gedacht werden, und so würde es dem Selbstbe­ wußtseyn und somit gradezu dem Begriff von Handlung wider­ sprechen , wenn das als Zweck Gedachte und Gewollte vom Subjekt

wirklich verschieden wäre.

Was nicht blos ideel, sondern reell

vom Subjekt verschieden ist, kann nicht als Zweck, sondern nur

als Mittel gedacht und gewollt werden.

Wäre es anders, so

gäbe es keine Reflexion — Zurückgehen des Denkens in sich selbst

— und somit kein wirkliches Denken, eben deßhalb aber auch kein Wollen, sondern nur blinden thierischen Trieb.

Demzufolge ist denn allerdings der Zweck des Handelnden

nichts anders, als der Handelnde selbst: was cheoretisch das sich selbst anschauende Subjekt ist, ist praktisch das sich

selbst wollende Subjekt.

Sowie es kein Selbstbewußt­

seyn giebt ohne das Zurückgehen des Denkens in sich selbst, so beruhet dasselbe auch auf der Möglichkeit des Zusammenfallens des Wollens mit dem Gewollten, und läge nun der Zweck in

60 der Außenwelt, so ginge in der vollendeten Handlung der Be­ griff von Handlung verloren: das Subjekt verlöre sich in das äußere Gewollte. Dadurch ist aber auch die hier erforderliche genauere Bezeichnung gefunden. Indem nämlich das wirkliche Zusammenfallen des Wollens mit dem Gewollten nichts anders heißt, als, das Subjekt fühlt sich befriedigt, so gehet das Sub­ jekt bei seinem Handeln immer nur auf seine Selbstbefriedigung aus; und insofern wir nun den zwischen Jnhatt deS Aweckbegriffs und Zweck bestehenden Unterschied an und für sich nicht aus dem Auge verlieren, nämlich als. den Unterschied zwischen dem noch zu Realisirenden und dem Realisirten, können wir wohl, ohne deßhalb einen Borwurf befürchten zu müssen, sowohl den Inhalt des Zweckbegriffs, als auch den auf der realen Seite der Hand­ lung liegenden Zweck Selbstbefriedigung nennem Eine weitere Ausführung wäre hier überflüssig. Jeder kann sich durch Selbstbeobachtung überzeugen, daß es sich so und nicht anders verhält, so wie es denn auch weit gefehlt wäre, wenn man daraus, daß im gewöhnlichen Leben das äußere Faktum schon Zweck genannt wird, schließen wollte, es liege dort wirklich die Meinung zum Gru, d.>, der eigentliche Zweck des Handeln­ den könne in der Außenwelt liegen. Wo das äußere Faktum an und für sich Bedeutung hat — nicht, wie dies bei der Erörte­ rung des Begriffs von Handlung der Fall ist, lediglich in Be­ ziehung auf das handelnde Subjekt gedacht wird, da siehet man sich wohl genöthigt, dasselbe schon Zweck zu nennen; allein eben darin, daß man alsdann in Zweck und Endzweck unterscheidet und im Falle das äußere Faktum, weil ihm ein anderes, eben­ falls objektive Bedeutung habendes äußeres Faktum vorausgehet, schon Endzweck genannt werden muß, von einem letzten End­ zwecke spricht und sich aus diese Weise durch Steigerung des Aus­ drucks hilft, ist auch das deutliche-Anerkenntnis enthalten, daß der eigentliche Zweck des Handelnden nie etwas anders, als Selbstbefriedigung sei.2)

2) Eben diel gilt auch auf der entgegengesetzten Seite, nämlich bei

61 Ohne Zweifel muß nun diese, den Inhalt des Zweckbcgriffs

ausmachende Selbstbefriedigung ursprünglich noch ohne allen bestimmten Inhalt, als reines Abstraktum oder, was dasselbe

heißt, als Selbstbefriedigung schlechthin gedacht werden.

Das

Gegentheil ließe sich mit dem Begriff von Willensfreiheit nicht vereinigen.

Allerdings giebt es, so gewis jede wirkliche Hand­

lung eine bestimmte ist, keine wirkliche Handlung, bei welcher

die Selbstbefriedigung, auf welche das Subjekt ausgehet, nicht einen bestimmten Charakter hatte; würde aber der ursprüngliche Begriff von Selbstbefriedigung schon auf einem bestimmten In­

halte gedacht, so gäbe es für den Handelnden keine Wahl, was sich mit dem Begriff von Willensfreiheit nicht vereinigen laßt,

die ja eben in Willkühr — Wahl zwischen Entgegengesetztem — bestehet.

Zwischen Handeln und Nicht - Handeln giebt es noch

keine Wahl, weil sonst der Begriff von Willensfreiheit über den

Begriff von Handlung hinausginge, was sich widerspricht.

Es

stehet eben so wenig in der Willkühr des Menschen, ob er han­ deln will, als das Denken als solches von ihm abhängt: der Mensch siehet sich, so gewiß er Mensch ist, genöthigt, Zweckbe-

aSeetischen und allen den wissenschaftlichen Betrachtungen, die sich nicht im Sinne de< Juristen mit dem Begriff von Handlung beschäftigen. Man siehet sich hier ebenfalls genithigt, in Zweck und Endzweck zu un­ terscheiden und auch wohl von einem letzten Endzwecke, so wie von den zu einem Endzwecke führenden Mittelzwecken zu reden. Aber eben, weil schon vermöge de« Umstandes, daß das, was man Charakter nennt, im Grunde in nichts anderem bestehet, ais daß alle« dahin gehörige Handeln wiederum nur Eine Handlung auSmacht, jener Bezeichnungen nicht entbehrt werden kann, sprechen dieselben kcineSwegeS für eine dem von uns angegebenen Inhalte des Zweckbegriffs entgegenflehende Annahme. Ein tadelnSwerther Sprachgebrauch ist eS aber, wenn in sogenannten recht-philosophische» Untersuchungen gesagt wird, da» Verbrechen sey Zweck deS Begehrens, der Endzweck dagegen die Befriedigung der Selbst­ liebe. Da- Verbrechen ist, wenn man lediglich auf den Verbrecher sieht, nur Mittel zum Zweck, also nicht Inhalt de- ZweckbegriffS, sondern In­ halt der Absicht, womit denn auch die oben bereits erwähnte Unterschei­ dung in Fahrläßigkelt und absichtliches Handeln übereinstimmt.

62 griffe zu haben, oder was dasselbe heißt, wach Selbstbefriedigung

zu trachten; aber welchen Inhalt dieser bestimmte Aweckbegriff habe — was hier als Selbstbeftiedigung gelten solle, das hängt

von der Willkühr des Subjekts ab und muß von ihr abhängen, wenn sich die innere Unbedingtheit des Wollens und somit der

Begriff von Handlung nicht zernichten soll.

Und so muß, so

gewis es ohne Freiheit des Willens kein Handeln giebt, da, wo vom Aweckbegriff im Allgemeinen die Rede ist, auch die seine»

Inhalt ausmachende Selbstbefriedigung noch als reines Abstrak­ tum gedacht werden.

Aber auch hier ist wiederum ein anschei­

nender Widerspruch zu lösen.

Kragm wir nach dem ursprünglichm Inhalte des bestimm­

ten ZweckbegriM, so stellen sich zwei Arten der Selbstbeftiedigung dar: der bestimmte Zweckbegriff ist entweder auf Uebersinnliches

oder auf Sinnliches gerichtet.

Das Uebersinnliche läßt sich vom

Menschen nicht trennen, weil sonst der Mensch nicht Vernunft­ wesen wäre, das Sinnliche eben so wenig, weil dasselbe im Be­

griffe des sich bewußten, endlichen Vernunftwesens liegt; wären

aber beide nicht möglicher Inhalt des bestimmten Aweckbegriffs,

so könnte das nur heißen, es trete entweder die übersinnliche oder die sinnliche Natur des Subjekts für dasselbe nicht hervor. Dies läßt sich nicht bestreiten, und solange das Subjekt noch als wäh­

lend gedacht wird, tritt auch noch kein Widerspruch ein: eben

um zu wählen, muß ja das Subjekt beide Arten der Selbstbe­ friedigung und somit seine doppelte Natur im Auge haben; an­ ders gestaltet sich dagegen die Sache, wenn die Wahl geschehen

ist — es sich davon handelt, den Zweckbegriff zu realifiren.

So

gewis die Wahl im Begriff von Handlung liegt, so gewis kann der aus der Wahl hervorgegangene wirkliche Zweckbegriff nur

entweder Uebersinnliches oder Sinnliches zum Inhalte haben, so

daß das eine das andere ausfchließt.

Ist dies aber der Kall, so

ist das Subjekt während der Realiflrung des Zweckbegriffs ent­

weder ein rein geistiges, oder ein blos sinnliches Wesen, was

beides der Natur des endlichen Vernunstwesens und somit auch dem Begriff von Handlung widerspricht.

63 Bei der Lösung dieses Widerspruchs, die in der Nachweise

bestehet, daß ohngeachtet der Bestimmtheit des einmal vorge­ faßten Zweckbegriffs dennoch weder das Uebersmnliche noch das Sinnliche int Bewußtseyn des Subjekts gänzlich zurücktrete,

kommen wir auf das sogenannte Sitteng esez und sein Verhältnis zum Naturtriebe, was schon Gegenstand der Religions­

wissenschaft ist, bei der Erörterung des Begriffs von Handlung

aber, da es hier nur als Mittelglied der Untersuchung gefunden wird, eine eigenthümliche Betrachtung erheischt.

Es ist nämlich

gegenwärtig nicht von der unendlichen Perfektibilität des Men-

schen und der deshalb für ihn bestehenden Aufgabe, sondern nur

davon die Rede, wie der ursprüngliche Begriff von Handlung als mit flch selbst in logischer Uebereinstimmung stehend gedacht

werden kann. Muß zugegeben werden, daß das, was in der Sprache der

Religionswissenschaft Pflicht heißt, nie in etwas bestehen kann,

was nicht der Idee des ursprünglichen Vernunftwesens entspräche, das endliche Vernunftwesen aber nur das innerhalb der Schran­

ken des Sinnlichen sich bewußt gewordene Uebersinnliche ist, so ist auch das in das Gebiet der Religionswissenschaft fallende Sittengesez als die von der vernünftigen Natur des Menschen an sich selbst gerichtete Foderung, sich immer nur dem unmittel­

baren Bewußtseyn der Pflicht gemäs zu bestimmen, das bei der dem wirklichen Handeln vorausgehenden Wahl sich geltend ma­

chende, in dem Vorzüge des Uebersinnlichen vor dem Sinnlichen bestehende Gesez.

Das Subjekt kann, so gewis es Vernunft­

wesen ist, nur in dem Uebersinnlichen das Gute erblicken, und daß nun seine Ueberzeugung nur dahin gehen könne, dem Guten

gebühre als solchem der Vorzug, ist ebenfalls eine unmittelbare

Folge aus dem Begriff. Dieses Sittengesez macht sich nun seiner Natur nach nicht

blos bei der vom Subjekt vorzunehmenden Wahl, sondern auch während der Realisirung des Zwrckbegriffs geltend, wie ein

Rückblick auf die Form und den Inhalt des ursprünglichen Be­

griffs von Handlung zeigt.

Mögen wir auf die Natur des

64 Zwecks als das um sein selbst willen Gewollte, oder aber auf

die innere Unbedingtheit des Wollens sehen, immer ist das hier sich darstellende Gute das absolut Gute, dessen Charakter eben

darin bestehet, daß es nie aufhören kann, das Gute zu seyn, und da vermöge dieser Absolutheit des Guten die Foderung, daß nur das Gute gewollt werde, zu keiner Zeit zurücktreten kann,

so fällt, wenn das Sinnliche zum Inhalt des Zweckbegriffs ge­ macht wird, auch während der Nealisirung dieses Zweckbegriffs

das Uebersinnliche als das, was hätte gewählt werden sollen, in das Bewußtseyn des Subjekts: es tritt für dasselbe der Ge­

gensatz zwischen sittlich und unsittlich auf jedem Punkte deS

Handels hervor.

Das Gegentheil hieße, es lasse sich ein Reali-

siren des Zwcckbegriffs ohne das stete Hervortreten dieses Zweck­

begriffs denken, was sich widerspricht.

Noch kürzer ist aber die

Beantwortung der zweiten Hälfte unserer Frage, wie es sich da,

wo das Uebersinnliche zum Inhalte des Zweckbegriffs gemacht

wird, während der Nealisirung dieses Zweckbegriffs mit dem

Sinnlichen verhalte. Eben weil das endliche Vernunftwesen nur das innerhalb der Schranken des Sinnlichen sich bewußt gewor­

dene Uebersinnliche ist, fällt auch, so gewis sich der Begriff von

Handlung auf das endliche Vernunftwesen beschränkt, bei sitt­ lichem Handeln das Sinnliche auf jedem Punkte dieses Han­

delns in das Bewußtseyn des Subjekts, nämlich als eigennützi­ ger, auf Individualität als solche gerichteter Trieb.

Hiedurch ist der aus der Bestimmtheit des wirklichen Zweck­

begriffs anscheinend hcrvorgehende Widerspruch gelös't; es ist gezeigt, wie mittelst des Verhältnisses des Sittengesezes zum

Naturtriebe die Bestimmtheit des wirklichen Zweckbegriffs mit dem Selbstbewußtseyn des Subjekts in völligem Einklänge stehet. Aber so wie wir die Erörterung des Inhalts des ursprünglichen

Begriffs von Handlung damit beginnen mußten, das Natur­ hindernis mit der innern Unbedingtheit des Wollens in Ueber­

einstimmung zu bringen, oder was dasselbe heißt, die Natur des Könnens in das Bereich unserer Betrachtung zu ziehen, so ist

die Construktion des ursprünglichen Begriffs von Handlung erst

65 dann vollständig zu nennen, wennauch nach der Seite desDür-

ftns hin jeder in Ansehung der innern Unbedingtheit des Wol­ lens eintretende Zweifel aus dem Wege geräumt ist.

Zuvörderst läßt sich das Verhältnis, in welchem das Dür­ Mit eben dem Rechte,

fen zum Können stehet, leicht einsehen.

als dem Müssen als theoretischer Nothwendigkeit das Sollen

als praktische Nothwendigkeit entgegengesetzt wirb *), kann man auch dem Können als theoretischer Möglichkeit das Dürfen

So wie nämlich

als praktische Möglichkeit gegenüberstellen.

Sollen und Müssen das gemein haben, daß sie beide das Gesez

selbst sind, so stehet das Dürfen dem Können darin gleich, daß

es nur im Gegensatze gegen das, was hier Gesez heißt, gedacht wird.

Was denn nothwendig den Sinn hat, daß dem Dürfen

eben so, wie dem Können seine Schranke nur von Außen kommt:

das Können findet seine Schranke im Müssen, das Dürfen die seinige im Sollen» Schon zufolge dieser Bemerkungen kann die Bedeutung

des Dürfens keinem Zweifel unterliegen.

Dasselbe ist so wenig,

als das Können die geradezu im Begriffvon Wirklichkeit liegende Möglichkeit, sondern es wird ebenfalls als die vom Eintreten der

Wirklichkeit unabhängige Möglichkeit gedacht»

Was beim Kön­

nen die Fähigkeit, ist bei'm Dürfen das Erlaubtseyn, so daß auch

Dürfen immer das Facultative bezeichnet.

allgemeiner Sprachgebrauch gilt.

Was denn auch als

Wo ein Thun oder ein Un­

terlassen vorgeschrieben ist, spricht man, eben weil es hier kein

Erlaubtseyn, sondern ein Sollen, nämlich ein Gebot oder Ver­

bot giebt, nicht von Dürfen»

Wäre es anders, so ließe sich nicht

in Recht und Pflicht unterscheiden.

Die Pflicht ist immer ein

Sollen, dasjenige hingegen, was in subjektiver Bedeutung Recht genannt wird, kann, so gewis es in einer Befugnis bestehet —

seine Ausübung vom Berechtigten abhängt — nur in Dürfen

bestehen. Die gegenwärtige Betrachtung, von welcher die endliche

3) Fries Rechtslehrc S. 5»

66 Lösung der Frage nach dem Unterschiede zwischen Moral und Recht abhängt, ist nun ohne Zweifel auf zweierlei zu richten: es

kommt zuvörderst darauf an: das Dürfen als Ausfluß des ur­

sprünglichen Begriffs von Handlung nachzuweisen, und als­ dann zu untersuchen, ob sich eine, innerhalb des ursprünglichen

Begriffs von Handlung liegende Schranke für das Dürfen ergiebt.

Behalten wir die Natur des Dürfens im Auge, so möchte wohl sogleich einlcuchten, daß dasselbe in dem Bereiche, wo das Sittengesez waltet, nicht gesucht werden kann.

Es müßte sich

alsdann hier schon Facultatives vorfinden, und dies könnte nm-

heißen, es lasse sich ein moralisch gleichgültiges Handeln denken,

was zufolge unserer obigen Erörterung nicht angenommen wer­ den kann.

So gewis der bestimmte Zweckbegriff immer nur ent­

weder Uebersinnliches oder Sinnliches zum Inhalte hat, so ge­

wis giebt es auch kein Handeln, was nicht entweder sittlich oder

unsittlich genannt werden müßte, und solange es hiebei bleibt,

findet sich kein Raum für das Dürfen.

Worauf sollte sich denn

dasselbe erstrecken ? Das Unsittliche kann nicht erlaubt seyn, es soll ja

unterbleiben, das Sittlich-Gleichgültige eben so wenig, weil die in dem Erlaubtseyn liegende Befugnis der Unendlichkeit des Sollens widerspricht.

Und so scheint denn, da, wie früher gezeigt wor­

den, das Sittengesez sich nicht blos bei der vom Subjekt vorzu­

nehmenden Wahl, sondern auch wahrend der Realisirung des Zweckbegriffs geltend macht, überall kein Feld für das Dürfen zu bleiben.

Allein es scheint auch nur so: nur im Innern der

Subjektivität giebt es kein Dürfen, weil die Subjektivität, nach

Innen gedacht, lediglich in Sollen bestehet; nach Außen ist sie sd gewis Dürfen, als grade in der Wahl zwischen Uebersinnli-

chem und Sinnlichem die Freiheit des Willens bestehet.

Als

Gcsez für die im Begriff von Willensfreiheit liegende, vom

Subjekt vorzunehmende Wahl ist das Sittengesez ein rein prak­

tisches Gesez — die Nöthigung gehet nicht über die blose Vor­ stellung des Gesezcs hinaus; das Sittengesez hat aber nur die­ sen Charakter, insofern es für das Subjekt hier keinen andern



67



Richterstuhl giebt, als den seines eigenen Gewissens, und dies

kann keinen andern Sinn haben, als, der Unterschied zwischen

sittlich und unsittlich gilt nur, insofern die Subjektivität nach Innen, nicht, insoweit sie nach Außen gedacht wird. Das nach Außen heißt ja hier, das Urtheilende ist nicht die Subjektivität selbst, zufolge dessen, was oben über den Begriff von Selbstbe­

friedigung gesagt worden, ist aber für alles, was die Subjekti­ vität nicht selbst ist, ihr Handeln weder sittlich noch unsittlich,

sondern Handeln schlechthin. Dadurch ist das Dürfen als Ausfluß des ursprünglichen Begriffs von Handlung nachgewiesen: es läßt sich aber so wenig

wegdenken, als das Können.

Was vom Können gilt, daß es

im Begriff der Aeußerung freier Thätigkeit liegt, gilt auch vom Dürfen.

Wenden wir uns aber jetzt zu der hier ebenfalls

zu beantwortenden, oben schon angegebenen Frage, ob sich eine, innerhalb des ursprünglichen Begriffs von Handlung liegende

Schranke für das Dürfen ergebe, so läßt sich schon aus der Art und Weise, wie die sich durch das Naturhindernis bildende Schranke für das Können mit der innern Unbedingtheit des Wollens in Uebereinstimmung gebracht werden mußte, abnehmen,

daß sich, so weit der ursprüngliche Begriff von Handlung reicht, eine Schranke für das Dürfen nicht finden werde.

Giebt es für

das Dürfen eine Schranke, so tritt sie nothwendig auch als

solche hervor, nämlich als ein an den Willen sich wendendes

Gebot oder Verbot; ein solches Gebot oder Verbot könnte aber, wie ebenfalls aus dem Bisherigen schon hervorgeht, nur in

einem über jenes reinpraktische Sollen, das Sittengesez, hinaus­

gehenden Sollen bestehen, und da zeigt wiederum ein Rückblick auf das Bisherige, daß der ursprüngliche Begriff von Handlung ein solches Sollen ausschließt.

Ein nicht reinpraktisches Sollen

könnte sich, da der Zweckbegriff als unbedingtes Wollen ledig­ lich in das Gebiet des Rein - Praktischen fällt — das reinprakti­

sche Sollen sich als kategorischer Imperativ lediglich an die

Maxime des Subjekts wendet, nur auf die Absicht erstrecken, und zwar auch nur insoweit, als diese Absicht nicht als solche,

5 *

68 als das durch den Zweckbegriff bedingte Wollen, sondern nur als das auf dieses bestimmte äußere Faktum gerichtete Wollen hervortritt. Dazu giebt es aber, soweit der ursprüngliche Be­ griff von Handlung, oder, was dasselbe heißt, der ursprüngliche Begriff von Subjektivität reicht, keinen hinreichenden Grund, vielmehr würde sich durch dieses von Außen kommende Sollen die innere Unbedingtheit des Wollens zernichten.

Hiemit ist das ursprünglich subjektive Recht auf die im Eingänge dieses Abschnitts angegebne Weise abgeleitet. Das Sittengesez ist zwar für das Handeln eine als solche hervortretende Schranke, aber diese Schranke liegt, da sie lediglich in der Foderung bestehet: handele nach deinem Gewissen, nur im Innern der Subjektivität; nach Außen ist das Subjekt durch­ aus unbeschränkt. Eben weil die Subjektivität im Innern ledig­ lich in Sollen bestehet, ist sie nach Außen gedacht nichts anders als Dürfen. Wäre es anders, so ließe sich kein ursprüngliches Handeln denken: Absicht wäre dann mehr als das auf das Mit­ tel gerichtete und als solches lediglich vom Zweckbegriffe abhängige Wollen. Indem aber das ursprünglich subjektive Recht in dem mit dem ursprünglichen Begriff von Handlung zusammenfallen­ den unbegrenzten Dürfen bestehet, ist es auch ein vom Menschen als solchem ausströmendes Recht, denn es ist nichts anders, als die ursprüngliche Subjektivität nach Außen gedacht.

II. Das Gesez. Würfe Jemand die Frage auf, ob es für die jetzt folgende Untersuchung eines neuen Abschnitts bedürfe, so ließe sich an und für sich die Befugnis zu solcher Frage nicht bestreiten. Wie­ wohl im vorigen Abschnitte nur von der Subjektivität, nicht von der Subjektivität in der Mehrzahl, geredet wurde, so bringt es doch die Bedeutung des Ausdrucks Recht schon mit sich, daß mit dem ursprünglich subjekttvem Rechte auch die Coeristenz mehrerer Subjeküvitäten gesetzt ist. Von Recht läßt sich nur

69 sprechen, insofern der Mensch im Vechältniffe zu andern Men­

schen gedacht wird: gegen die physische Natur giebt es keine Rechte, gegen sie ist nur von Können die Rede, ein Dürfen

tritt nur ein gegen vernünftige Wesen, und da wir dieses Dür­

fen als unbegrenztes Dürfen fanden, so läßt sich auch wohl ein­

sehen, daß der ursprüngliche Begriff von Handlung für ein wirkliches Beisammenleben der Menschen nicht ausreicht.

In­

dem das, was von dem einen Subjekte gilt, auch von allen

übrigen gilt, wäre es in sich widersprechend, das unbegrenzte Dürfen als ein reelles, in die Erscheinung fallendes Dürfen zu

denken.

Aber eben darin ist auch die Rechtfertigung unseres

Verfahrens enthalten.

Das hier gesuchte Gesez als die außer­

halb des ursprünglichen Begriffs von Handlung liegende Schranke für das Dürfen — als das dem Subjekte von Außen kommende und daher, wie man es wohl ausdrücken kann, auf die äußere That gerichtete Sollen kann nur aus dem Begriff von Ge-

sammthandlung hervorgehen, und während dies schon die Recht­

fertigung der hier gemachten Abtheilung enthält, stellt sich auch nur auf diese Weise daS Verhältnis des hier als reellen Faktor

des Staats gesuchten Gesezes zu dem als ideellen Faktor des

Staats gefundenen, ursprünglich subjektiven Rechte völlig heraus. Daß die hier gesuchte Schranke für das Handeln nur im Begriff von Gesammthandkung zu suchen seyn werde, möchte

an und für sich keinem Zweifel unterliegen.

Es ist noch von

Niemand in Abrede gestellt worden, daß der Staat iuGesammthandeln bestehe, nur hat man, weil man sich von theologischer

Betrachtungsweise nicht loszureißen vermochte, den Begriff von

Handlung nicht als reines Abstraktum, sondem sogleich mit einem bestimmten Inhalte gedacht, und indem jetzt das ursprüng­

lich subjektive Recht in seiner wahren Gestalt, als unbegrenztes

Dürfen, nicht hervortreten konnte, blieb auch her Begriff von wirklichem Gesammthandeln, wie die erklärende Wissenschaft ihn braucht, verborgen.

Denjenigen Systemen, die, vom Be­

griff von Persönlichkeit ausgehend, den Staat aus einem Ver­

trage hervorgehen lassen, mußte der Begriff von wirklichem Ge-

70 sammthandeln fremd bleiben, weil jener Staatsvertrag nicht über reinsubjektives Gesammthandeln hinausgehet, und der die­ ser Ansicht geradezu gegenüberstehenden historischen Schule blieb, eben weil ihr das Urrecht überhaupt ein leerer Gedanke ist, nichts anders übrig, als die Erklärung des Staats in rein­ objektivem Gesammthandeln zu suchen. Reinsubjektives Ge­ sammthandeln ist nämlich vorhanden, wenn zwar ein gemein­ schaftlicher Zweck als solcher verfolgt wird, Zeder der Handeln­ den aber unmittelbar in dem gemeinschaftlichen Zweckbegriffe das Motiv für sein Handeln findet, das reinobjektive Gesammthan­ deln besteht dagegen in dem Gesammthandeln, wie es in der Geschichte sich offenbart, und zwischm beiden steht das wirkliche Gesammthandeln in der Mitte. Man braucht nur im Allge­ meinen das Verhältnis des ursprünglichen Begriffs von Hand­ lung zum Begriff von Gesammthandlung in's Auge zu fassen, um sich sogleich zu überzeugen, daß wirkliches Gesammthandeln einen wirklich gemeinsamen, also über der ursprünglichen Sub­ jektivität stehenden Zweckbegriff voraussetzt; ein solcher Zweckbe­ griff findet sich aber bei reinsubjektivem Gesammthandeln nicht, es giebt hier nur Uebereinstimmung individueller Zwecke. Und eben so wenig kann das reinobjektive Gesammthandeln wirkliches Gesammthandeln genannt werden. Allerdings ttägt das, was hier angenommen werden muß, wenn in der Geschichte nicht ein blindes Ohngefähr walten soll, insofern den Charakter des ge­ meinsamen Zweckbegriffs an sich, daß es über der ursprünglichen Subjektivität stehet; aber, was gemeinsamer Zweckbegriff heißen soll, muß auch als solcher d. h. seinem bestimmten Inhalte nach, in das menschliche Bewußtseyn fallen, und dies kann bei dem Gesammthandeln, wie es den Inhalt der Weltgeschichte aus­ macht, nicht eintteten; es ginge dann die Freiheit des Willens als Wahl zwischen Entgegengesetztem und somit der Begriff von Handlung verloren. — Eben diese hier erwähnten Ansichten, die Lehre vom Staatsverttag und die historische Schule, geben aber durch ihre sich geradezu entgegengesetzten Richtungen Zeugnis davon, wie die Nothwendigkeit, daß das Recht eine geistige

71 Seite habe und der Staat eine über menschlicher Erfindung

stehende Einrichtung sey, an und für sich nicht verkannt wird, sondern nur deshalb, weil man den Begriff von subjectiv-objektiyem, oder was dasselbe heißt, wirklichem Gesammthandeln

nicht erfaßt, die Ausführung hinter der Aufgabe zurückbleibt — einen transcendenten oder aber materialistischen Charakter an­

nimmt, je nachdem bei der Betrachtung das subjektive oder aber das objektive Recht zum Ersten gemacht wird.

Geht man von

der Persönlichkeit des Einzelnen aus, denkt aber diese ursprüng­ liche Persönlichkeit nicht als ideellen Faktor des Staats, sondern als ein schon in die Erscheinung fallendes Recht, fo sieht Man

sich bei einiger Consequenz genöthigt, den Staat auf Vertrag zu gründen, und dieser Staatsvertrag muß in seiner völligen Durch­

führung nothwendig aller Erfahrung Hohn sprechen; sucht man dagegen, um dieser unpraktischen Lehre entgegenzutreten, sein Heil in geschichtlicher Ergründung des Staats, so ist bei dem besten Willen keine Möglichkeit vorhanden, bis zur geistigen

Seite des Rechts vorzudringen, es bleibt immer dabei, dasselbe

nur als historisches Produkt zu erfassen.

Aber während beide

Ansichten sich darin gleichstehen, daß die juristische Hermeneutik außer ihrem Bereich liegt und somit keine derselben dem Be­

dürfnis des mit der Anwendung des bestehenden Rechts sich be­

schäftigenden Juristen entspricht, trifft die historische Schule noch der besondere Vorwurf, daß, je tiefer sie gräbt, der Damm

zwischen ihr und der Wissenschaft dadurch um so höher und unübersteiglicher wird. Aus diesen Bemerkungen wird sich nun schon entnehmen lassen, daß es hier darauf abgesehen ist, die im vorigen Kapitel

angegebene praktische Seite des Rechtsgesezes — die sogenannte positive Gesezgebung, das Medium, wodurch das Rechts-

gesez zum Einzelnen als solchem spricht, als die hier gesuchte reelle Schranke für das Handeln aus dem Begriff von wirk­

licher Gesammthandlung abzuleiten, und gelingt uns dieses, so

sind alle Foderungen erfüllt.

Während dann der Charakter der

bestimmten Rechtssphäre des Einzelnen auf die der Erfahrung

72 völlig entsprechende Weise dargethan ist, nämlich als real ge­ wordenes Urrecht, so daß es mit dem, was überhaupt subjekti­ ves Recht heißt, die nämliche Bewandnis hat, wie mit dem

menschlichen Geiste, der, wiewohl an sich unendlich, als be­ wußter Geist sich in bestimmten Schranken bewegt, steht auch, da der ursprüngliche Begriff von Handlung erst mit dem Be­

griff von Gesammthandlung zusammen den Begriff von Hand­ lung ausmacht, der Staat in seiner Begriffsnothwendigkeit da.

Allerdings darf die Wissenschaft der Geschichte nicht wider­ sprechen — es darf sich ihr der Staat eben wenig als ein irdisches

Backwerk darstellen; diese Uebereinstimmung wissenschaftlicher Untersuchung mit historischer Forschung ist aber vorhanden, wenn

die Begriffsnothwendigkeit nicht hinter geschichtlicher Nothwen­ digkeit zurückbleibt. Es wird sich nun nicht bezweifeln lassen, daß bei der Construktion des Begriffs von wirklicher Gesammthandlung das

Verhältnis zwischen Mittel und Zweck, Absicht und Zweckbegriff sich potenzirt wiederfinden werde, nämlich als das Verhältnis

des gemeinsamen Mittels zum gemeinsamen Zweck, des bedingten zum unbedingten gemeinsamen

Wollen.

Da wir uns aber hier auf einem völlig unbebauten Felde befin­ den, so möchte es nicht überflüßig seyn, zu den bisherigen ein­

leitenden Bemerkungen noch die hinzuzufügen, daß es die ge­ meinsame Absicht ist, die sich als positive Gesezgebung darstellt.

So viel leuchtet wohl von selbst ein, daß diese positive Gesezge­ bung nicht in etwas gesucht werden kann, was weder gemein­

samer Aweckbegriff, noch gemeinsame Absicht wäre: ein Blick auf die historische Natur der positiven Gesezgebung zeigt aber auch, daß nicht der gemeinsame Zweckbegriff, sondern nur die

gemeinsame Absicht als positive Gesezgebung gedacht werden kann.

Mag dieser bestimmte Staat Jahrtausende hindurch be­

stehen, immer kann er nur als die eine und die nämliche Ge­ sammthandlung gedacht werden, in welcher es daher auch bei

dem einen und nämlichen Zweckbegriffe bleibt.

Wo der Zweck­

begriff eine Abänderung erlitte, da träte eine andere Gesammt-

73 Handlung und somit ein anderer Staat ein.

Dagegen ist die

Absicht, wie bei der ursprünglichen Handlung, so auch bei der

Gesammthandlung Abänderungen unterworfen, je nachdem Zeit und Umstande solche erheischen, und so bedarf es nur eines

Blicks aus die Erfahrung und die hier sich findenden positiven Gesezgebungen, um im Voraus die Ueberzeugung zu gewinnen,

daß positive Gesezgebung nichts anders seyn werde, als das auf das gemeinsame Mittel gerichtete Wollen, oder, wie wir es

rücksichtlich seines Verhältnisses zum Einzelnen ausdrücken kön­ nen, objektiv gewordene gemeinsame Absicht. —

Wenden wir uns jetzt zur Untersuchung selbst, und begin­ nen hier mit der Erörterung des gemeinsamen Zweckbegriffs, so wird freilich, wenn die positive Gesezgebung in objektiv gewor­

dener gemeinsamer Absicht besteht, auch der gemeinsame Zweck­

begriff nichts anders seyn können, als die früher erwähnte theore­

tische Seite des Rechtsgesezes, die Idee vollendeter Rechtsver­ fassung, deren vollständige Realisirung die von der Gattung zu

lösende Aufgabe ausmacht; allein hier tritt uns auch sogleich ein anscheinender Widerspruch entgegen.

Von den beiden Erforder­

nissen des Inhalts des gemeinsamen Zweckbegriffs, daß er über der ursprünglichen Subjektivität stehe, und dabei zugleich in das

menschliche Bewußtseyn falle, ist zwar das erstere hier vorhan­

den, da die Idee nur insofern Idee ist, als sie über der ursprüng­

lichen Subjektivität steht; zufolge des Umstandes, daß die Her­ beiführung der vollendeten Rcchtsverfassung als die von der

Gattung zu lösende Ausgabe in der Unendlichkeit liegt, läßt sich aber nicht einsehen, wie auch das zweite Erfordernis hier ein­ treten könne.

Es wäre in sich widersprechend, anzunehmen, ein

in der Unendlichkeit liegender Zustand könne seinem ganzen In­

halte nach vor der Seele des Menschen stehen, und dennoch be­ dürfte es dieser Annahme, um sagen zu können, der Inhalt des

gemeinsamen Zweckbegriffs falle in das menschliche Bewußtseyn. Der Widerspruch ist im Voraus vermittelt, wenn wir das Verhältnis des ursprünglichen zum gemeinsamen Zweckbegriff

nicht aus dem Auge verlieren.

Indem nämlich der gemeinsame

74 Zweckbegriff nichts anders ist, als potenzirter Zweckbegriff, kann

auch sein Inhalt nur in potenzirter Selbstbefriedigung bestehen, und in dieser potenzirten Selbstbefriedigung finden sich jene bei­

den Erfordernisse des Inhalts des gemeinsamen Zweckbegriffs ohne weiteres vereinigt.

Potenzirte Selbstbefriedigung besteht

darin, daß das Subjekt sich als Theil dieses bestimmten Ganzen

im Einklänge mit sich selbst fühlt, und da dies in Uebereinstim­

mung mit dem Begriff von Vernünftigkeit nichts anders heißen kann, als, es wird der auf der gegenwärtigen Stufe der Ent­ wickelung des Menschengeschlechts sich als möglich darstellende vollkommenste Zustand gedacht, so ist mit dem ersten der obigen

Erfordernisse auch das zweite vorhanden: der Inhalt des gemein­ samen Zweckbegriffs fallt in das menschliche Bewußtseyn.

Zu­

gleich ergiebt sich aber aus dem früher Gesagten die zur Beseiti­

gung des etwaigen Einwurfs, als gehe dadurch die Einheit des

gemeinsamen Zweckbegriffs verloren, erforderliche nähere Be­ stimmung.

Da nur die Aufgabe für die Gattung wirklich über

ursprünglicher Subjektivität steht, dasjenige aber, was Aufgabe für die Gattung ist, nothwendig fortschreitende Erkenntnis vor­

aussetzt — sich nur fortwährend offenbaren kann, so fällt der gemeinsame Zweckbegriff nur allmälig in das menschliche Be­ wußtseyn, und dies ist eben die Bedeutung des subjektiv-objek­

tiven Gesammthandelns als des aus reinsubjektivem und rein­ objektivem Gesammthandeln hervorgehenden gemeinschaftlichen

Dritten. Hiermit ist über den gemeinsamen Zweckbegriff an und für sich das Nöthige gesagt, und daher jetzt auf die gemeinsame Ab­

sicht die Betrachtung zu richten.

So lange es sich nun von

dieser gemeinsamen Absicht als bedingtem Wollen handelt, ist

wenig darüber zu sagen: es kann jetzt keinem Zweifel mehr unter­

liegen, daß das, was juristisch nothwendig im Staate geschehen

oder unterbleiben muß, gemeinsames Mittel, die Gesezgebung selbst aber, mag sie in förmlicher Gesezgebung oder aber in Ge­

wohnheitsrecht bestehen, objektiv gewordene gemeinsame Absicht sey

Aber nur vom Standpunkte des Gesezgcbers aus stellt

75 sich die gemeinsame Absicht lediglich als bedingtes Wollen dar, auf dem richterlichen Standpunkte muß sie, wenn anders die

Wissenschaft ihrer Aufgabe genügen soll, zugleich auch als unbe­

dingtes Wollen erfaßt werden.

Indem nämlich auf dem rich­

terlichen Standpunkte der Staat nicht als Gegenstand, sondern als Inbegriff des Handelns betrachtet wird — es hier nicht auf

die vom Gesezgeber, sondern auf die von dem mit der Anwen­ dung des bestehenden Rechts sich beschäftigenden Juristen anzu­

wendenden Grundsätze abgesehen ist, mit einem Worte der Staat als eine bestehende Natur erklärt werden soll, kann die erklä­

rende Wissenschaft nicht umhin, die gemeinsame Absicht als be­

dingtes und unbedingtes Wollen zugleich zu betrachten.

Aller­

dings tritt, da es ohne gemeinsamen Zweckbegriff kein wirkliches Gesammthandeln giebt, auch aus dem richterlichen Standpunkte

die gemeinsame Absicht als bedingtes Wollen so gewis hervor,

als der Begriff von wirklicher Gesammthandlung hier ebenfalls nicht weggedacht werden kann: wäre sie aber nicht zugleich auch unbedingtes Wollen, so ließe sich , da diese Unbedingtheit nichts

anders heißt, als, die Ausführung gemeinsamer Absicht darf

nicht von dem guten Willen des Einzelnen abhängig seyn, die

hier gesuchte reelle Schranke für das Handeln nicht finden. Was denn auch an und für sich mit dem Begriff von wirklicher Ge­ sammthandlung völlig übereinstimmt, da das gemeinschaftliche

Wirken, was vom guten Willen des Subjekts abhängig ist, nicht über reinsubjektives Gesammthandeln hinausgeht.

Den­

noch handelt es sich aber hier von einer bis dahin noch unbe­

kannten Struktur des Begriffs, zu welcher sich denn wiederum nur durch Vermittelung anscheinender Widersprüche wird ge­

langen lassen.

Zuvörderst leidet es wohl keinen Zweifel, daß, wenn die gemeinsame Absicht sich als unbedingtes Wollen darstellen soll, während ihrer Ausführung der gemeinsame Zweckbegriff nicht

hervortreten dürfe.

Da alles, was nicht nothwendig im Be­

griff liegt, so angesehen werden muß, als sey es überall nicht in demselben enthalten, so ist das Hcrvortreten des gemeinsamen

76 Zweckbegriffs während der Ausführung gemeinsamer Absicht mit der Unbedingtheit dieser letztem geradezu unvereinbar; es könnte

ja dieses Hervortreten nur darin seinen Grund haben, daß die Ueberzeugung des Handelnden in Betracht komme, das Subjekt

in der Einsicht, daß das gemeinsame Mittel dem gemeinsamen

Zwecke wirklich entspreche, das Motiv für sein Handeln finde. Und so schließt die Unbedingtheit gemeinsamer Absicht die Kennt­ nis des gemeinsamen Zweckbegriffs aus; auf der andern Seite kann jedoch das Hervortreten des gemeinsamen Zweckbegriffs zu keiner Zeit weggedacht werden, weil dieser gemeinsame Zweckbe­

griff nur insofern existirt, als er hervortritt, es aber ohne gemein­ samen Zweckbegriff kein Gesammthandeln giebt. Die Vermittelung des hier angegebenen Widerspruchs un­

terliegt keiner Schwierigkeit, sobald angenommen werden kann, daß der gemeinsame Zweckbegriff wahrend der Ausführung ge­

meinsamer Absicht nur der Form, nicht dem Inhalte nach her­

vortrete, und dieser Annahme steht, solange es sich vom gemein­ samen Zweckbegriff an und für sich handelt, nichts im Wege.

Unter Inhalt ist hier nämlich der bestimmte Inhalt des gemein­

samen Zweckbegriffs zu verstehen, wie der Gesezgeber ihn denkt und zum Behuf dieser bestimmten gemeinsamen Absicht nothwen­

dig denken muß, zur Form gehört dagegen das völlig Allgemeine, der als reines Abstraktum gedachte Inhalt, aus welchem, eben

weil er völlig allgemein ist, keine bestimmte gemeinsame Absicht folgt, sondern nur gemeinsame Absicht überhaupt.

Mittelst die­

ser Unterscheidung kann aber die Unbedingtheit gemeinsamer AbAbsicht mit dem Hervortreten des gemeinsamen Zweckbegriffs gar wohl bestehen.

Soweit der gemeinsame Zweckbegriff blos

seiner Form nach hervortritt — derselbe nicht mit einem bestimmstimmten Inhalt, sondern überhaupt nur als das durch gemein­

same Absicht zu Realisirende gedacht wird, steht er auch da, wo

es sich nicht de lege ferenda, sondern de lege lata handelt,

vor der Seele des Subjekts; eben weil aber, so lange das Ver­

hältnis gemeinsamer Absicht zum gemeinsamen Zweckbegriff blos

in dieser Allgemeinheit hervortritt, die Beurtheilung der Zweck-

77 Mäßigkeit der bestehenden Gesezgebung ausgeschloßen ist, es zu solcher Beurtheilung gar nicht kommen kann, macht sich das,

was bestehende Gesezgebung heißt, als unbedingtes gemeinsames Wollen geltend: wer dem Geseze Unterthan ist, findet nicht im

gemeinsamen Zweckbegriff, sondern nur in gemeinsamer Absicht die Norm für sein Handeln. — Wäre aber Jemand gesonnen, die Richtigkeit der hier gemachten Unterscheidung in Form und

Inhalt des gemeinsamen Zweckbegriffs in Zweifel zu ziehen, so könnten wir uns geradezu auf die Erfahrung berufen.

Was

dort öffentliches Wohl, Wohl des Staats u. s. w. ge­ nannt wird, ist nichts anders, als der als reines Abstraktum er­

faßte gemeinschaftliche Zweckbegriff: es wird, indem der judicielle Jurist jene Ausdrücke gebraucht, der durch positive Gesezgebung

zu erreichende Zweck keineswegs mit einem auf diese bestimmte Weise zu realisirenden Inhalte, sondem nur in höchster Allge-

meinheit gedacht. Würde nun durch diese Unbedingtheit gemeinsamer Absicht

der ursprüngliche Begriff von Handlung nicht beeinträchtigt, so

hätten wir allerdings das gesuchte, dem Subjekt von Außen kommende Sollen und die daraus hervorgehende Schranke für das Dürfen gefunden — dasjenige Gesez, was weder den indi­ viduellen Zweckbegriff,

noch das äußere Faktum als solches,

sondern nur das aus Wollen hervorgehende äußere Faktum —

die äußere That — im Auge hat, blos verlangt, daß das Ge­

gentheil des im Begriff von gemeinsamer Absicht liegenden äußeren Faktums nicht aus dem Wollen des Einzelnen hervor­

gehe, und somit weder kategorischer Imperativ, noch Naturge­

walt ist, von beiden aber etwas an sich trägt.

Läßt sich die ge­

meinsame Absicht in der hier angegebenen Unbedingtheit denken, so hat sie offenbar mit dem kategorischen Imperativ das gemein,

daß sie sich als Gebot an den Willen wendet, auf die Seite der

Raturgewalt neigt sie sich aber, indem sie, so gewis sie sich als gemeinsame Absicht geltend macht, das ihr entgegenstehende

Handeln zernichtet.

Aber die erforderliche Uebereinstimmung der

Unbedingtheit gemeinsamer Absicht mit dem ursprünglichen Be-

78 griff von Handlung ist bis dahin noch nicht nachgewiesen, viel­

mehr sind auch hier anscheinende Widersprüche zu vermitteln.

Insoweit die gemeinsame Absicht bedingtes Wollen ist, aso

auf dem Standpunkte des Gesezgebers, tritt die Nothwendigkeit solcher Vermittelung nicht ein, indem es alsdann nicht zu ur­

Es wird hier ja der gemeinsame

sprünglichem Handeln kommt.

Zweckbegriff seinem bestimmten Inhalte nach — soweit nämlich

das Zeitalter es zuläßt — gedacht, und da es auf diese Weise

hier wirklich potenzirtes Wollen giebt, so kann von ursprüng­ lichem Wollen keine Rede seyn.

Anders verhält es sich dagegen,

wenn die gemeinsame Absicht unbedingtes Wollen seyn soll.

Eben weil diese unbedingte gemeinsame Absicht sich als Gebot an den Willen des Einzelnen wendet, kann sie ohne ursprüngliches

Handeln nicht gedacht werden, dieses gleichzeitig ursprüngliche Handeln setzt aber hinwiederum voraus, daß der ursprüngliche

Begriff von Handlung die unbedingte gemeinsame Absicht als Moment in sich aufnehme.

Und so stehen wir hier auf dem

Punkte, wo es sich zeigen muß, ob ursprüngliches Handeln und

Gesammthandeln sich auf eine dem Begriff von Handlung über­

haupt genügende Art vereinigen lassen — ob es innerhalb des Handeln eine reelle, also ihrer Natur nach außerhalb ursprüng­

licher Subjektivität liegende Schranke für das Handeln giebt,

die so in den Begriff von Handlung verwebt ist, daß sie nicht als heteronomisch hervortritt.

Denn dies kann doch nur damit

gemeint seyn, wenn es heißt, die in ihrer Unbedingtheit sich dar­ stellende gemeinsame Absicht solle Moment des ursprünglichen Begriffs von Handlung seyn.

Daß nun die Ausführung gemeinsamer Absicht als solche

weder Inhalt des individuellen Zwcckbegriffs noch Inhalt indi­ vidueller Absicht seyn könne, läßt sich leicht einsehen.

Durch

Ersteres würde sich der ursprüngliche Begriff von Handlung,

durch Letzteres der Begriff von Gesammthandlung zernichten. Was Inhalt des individuellen Zweckbegriffs seyn soll, darf, wie

im vorigen Abschnitte gezeigt worden, nicht der Außenwelt an­ gehören, und die Ausführung gemeinsamer Absicht gehört doch

79 lediglich der Außenwelt an; wollte man aber diese Ausführung

gemeinsamer Absicht als Inhalt individueller Absicht denken, so

gäbe es keine Unbedingtheit des als gemeinsame Absicht sich aus­

sprechenden gemeinsamen Wollens.

Wo das Subjekt ein zum

Inhalte gemeinsamer Absicht gehöriges äußeres Faktum unab­ hängig vom gemeinsamen Wollen hervorzubringen strebt, da ist zwar dieses Wollen des Subjekts individuelle Absicht, aber

während eines solchen Handelns giebt es, soweit die Begriffs­ nothwendigkeit reicht, für den Handelnden überall keine gemein­

same Absicht, und umgekehrt, wo der Einzelne in seiner Ueber­

zeugung von der Zweckmäßigkeit der gemeinsamen Absicht das Motiv für sein Handeln findet, da herrscht, eben weil er hier den gemeinsamen Zweckbegriff seinem Inhalte nach denkt, bei ihm

nicht individuelle, sondern gemeinsame Absicht, die denn eben

deshalb auch nicht als unbedingtes, sondern nur als bedingtes Wollen hervortreten kann.

Und so ist denn die hier erforderliche

Erklärung anderwärts zu suchen. Käme es blos auf die Form des ursprünglichen Begriffs von Handlung an, so träte hier überall keine Schwierigkeit in den Weg.

Daß, soweit es sich von der Form des erwähnten

Begriffs handelt, derselbe das, was sich als Bedingung der Er­

reichung individueller Zwecke darstellt, als Moment in sich auf­

nehme, geht aus dem im vorigen Abschnitte Gesagten hervor, indem sich ja das Naturgesez auf solche Weise geltend macht, und so gewis nun die unbedingte gemeinsame Absicht den oben

angegebenen Charakter an sich trägt, muß auch ihre Ausführung

als Bedingung der Erreichung werden.

individueller Zwecke gedacht

Eben weil sie als das zwischen Sittengesez und Natur­

gesez in der Mitte stehende, als äußeres Sollen, das ihr entgegenstehende Handeln zernichtet, kann das Subjekt nur in­

sofern auf die Realisirung seiner Zweckbegriffe rechnen, als es durch sein Handeln ihren Anforderungen genügt — das hier Gebotene thut, das Verbotene unterlaßt.

Allein was früher

bei dem Naturhindemis der Fall war, daß es mit dem Inhalte

des ursprünglichen Begriffs von Handlung in Uebereinstimmung

80 gebracht werden mußte, tritt auch hier ein: es muß gezeigt wer­

den, daß die als Bedingung der Erreichung individueller Zwecke sich darstellende Ausführung gemeinsamer Absicht der Unbedingt­

heit des Wollens nicht feindlich entgegentrete.

Den hier obwal­

tenden Widerspruch hat man zu allen Zeiten gefühlt, und es ist darin vorzüglich der Grund zu suchen, warum diejenigen, die

bei der Construktion des Staats von der Persönlichkeit des Ein­ zelnen ausgehen, sich genöthigt gesehen haben, den Staat auf Vertrag zu gründen.

Man suchte dadurch, daß man das

Gesez aus der Einwilligung des Einzelnen hervorgehen ließ,

den Widerspruch zu vermitteln und die erborgte Idee der Gültig­ keit dieses, seiner Natur nach innerhalb des reinsubjektiven Ge-

sammthandelns liegenden Vertrags mußte diesem reinsubjektiven

Gesammthandeln

den Anstrich wirklichen Gesammthandelns

geben. Wiewohl nun die gemeinsame Absicht in ihrer Unbedingt­

heit außerhalb der von Nothwendigkeit geschiedenen Freiheit

liegt, wie auch von denen, die den Staat eine höhere Natur nennen, im Voraus zugegeben ist, so kann sie aber als die in ge­ botenem Thun oder Unterlassen bestehende, also innerhalb des

Handelns liegende und daher als solche hervortretende Schranke für das Handeln keineswegs gleich dem Naturgeseze der von

Freiheit geschiedenen Nothwendigkeit angehören: sie liegt zwar

außerhalb der Willkühr, fällt aber nicht mit den Gesezen des

Denkens zusammen.

Und so leuchtet wohl ein, daß von der

hier gesuchten Vermittelung nur insofern die Rede seyn kann, als sie selbst wiederum auf der Vermittelung jenes höheren Ge­

gensatzes zwischen Freiheit und Nothwendigkeit beruht.

Indeß

haben wir unsere Aufmerksamkeit darauf zu richten, daß die Un­ tersuchung auch hier dem Charakter erklärender Wissenschaft getreu bleibe, sich weder in philosophische Forschung, noch in

eine auf der Seite technischer Wissenschaft liegende, oder wohl gar ascetische Betrachtungsweise verliere.

Dieselbe geht, inso­

fern sie ihre Grenzen nicht überschreiten will, auch hier nicht über

di» logische Uebereinstimmung des Begriffs von Handlung hinaus.

81 Vergleichen wir den unbestreitbaren Satz, daß sich nur hin­

sichtlich dessen, was Inhalt des individuellen Zweckbegriffs seyn kann, innere Unbedingtheit des Wollens denken läßt, mit unse­ rer obigen, ebenfalls nicht zu bestreitenden Bemerkung, daß die

Ausführung gemeinsamer Absicht aus dem Grunde, weil sie der Außenwelt angehört, nicht Inhalt des individuellen Zweckbe­

griffs seyn kann, so zeigt uns dieses den hier einzuschlagenden Weg.

Es kommt ohne Zweifel jetzt auf eine nähere Bestim­

mung des Begriffs von Subjektivität an, damit die Ausführung gemeinsamer Absicht sich von einer Seite zeige, die bis dahin noch nicht hervortreten konnte.

Welche Bewandnis es mit dieser näheren Bestimmung des Begriffs von Subjektivität habe, zeigt sich, wenn wir die Auf­

gabe so fassen, wie sie ursprünglich eigentlich lautet, nämlich als die Aufgabe, zu zeigen, wie das äußere Sollen zu innerem Sol­

len werde.

Offenbar ist die Lösung dieser Aufgabe nur möglich,

wenn der Gegensatz zwischen sittlicher und unsittlicher Ausfüh­

rung gemeinsamer Absicht nur eine Art des allgemeinen Gegen­

satzes zwischen sittlichem und unsittlichem Handeln ist, und wäh­ rend nun alles davon abhängt, daß die Ausführung gemeinsamer Absicht den Gegensatz zwischen Uebersinnlichem und Sinnlichem

in sich aufnehme, ist dieses letztere wiederum mit dem Charakter

des Sittengesezes in Uebereinstimmung zu bringen, indem ge­ meinsame Absicht dem Anschein nach über die ursprüngliche Sub­

jektivität hinausgeht, das Sittengesez aber doch nie etwas an­

ders seyn kann, als die in ihrem Innersten sich erfassende Sub­ jektivität.

Es kann wohl nicht schwer fallen, die als unbedingt sich

darstellende gemeinsame Absicht in ihrem doppelten Charakter, als Ueberfinnliches und Sinnliches, zu erkennen.

Wäre sie

nicht Sinnliches, so wäre sie kein Seyn, was sie doch als die ihrer Natur nach von der Willkühr des Einzelnen unabhängige Bedingung der Erreichung individueller Zwecke nothwendig ist;

siele sie nicht in das Gebiet des Uebersinnlichen, so könnte das nur heißen, sie liege gänzlich außerhalb der von der Gattung

6

82 zu rcalisirenden Idee.

Mit diesem doppelten Charakter ist aber

auch der Gegensatz des Sittlichen zum Unsittlichen und somit ein

weiterer Inhalt des inneren Sollens gegeben.

Da nämlich,

wie früher gezeigt worden, der allgemeine Charakter der Sitt­

lichkeit in dem auf das Uebcrsinnliche als das Absolutgute ge­

richteten Wollen besteht, so ist die Ausführung gemeinsamer Ab­ sicht nur dann sittlich zn nennen, wenn das Subjekt auch hier

dem Uebersinnlichen vor dem Sinnlichen den Vorzug giebt —

nicht in der Rücksicht, daß durch die Ausführung gemeinsamer Absicht die Erreichung seiner Zwecke bedingt sey, also nicht in einem blosen Klugheitsprincip, sondern in der Ueberzeugung, daß ihm als Vernunstwesen obliege, gemeinsamer Absicht zu ge-

nügctt, das Motiv für sein Handeln findet. So gewis nun das Sittengesez sich nur an die Maxime des

Subjekts wendet, so gewis wird auch die ihm entsprechende Aus­ führung gemeinsamer Absicht nur Inhalt des individuellen Zweck­

begriffs seyn können.

Nur die bestimmte Richtung des unbe­

dingten Wollens wird ja Maxime genannt.

Indeß kann es,

da zufolge früherer Erörterungen der Inhalt des individuellen

Zweckbegriffs immer nur in Selbstbefriedigung besteht, hier nur

dann zu völliger Ueberzeugung kommen, wenn gezeigt worden, daß die Ausführung gemeinsamer Absicht auf ihrer übersinnlichen Seite in den Begriff von Selbstbefriedigung falle, welche Er­ örterung denn nichts anders, als eine nähere Bestimmung des

Begriffs von Subjektivität ist. Es ist nämlich die Frage zu be­

antworten, wie und aus welche Weise die übersinnliche Seite gemeinsamer Absicht als Theil des höhern Selbst des Menschen gedacht werden könne.

Zuvörderst zeigt ein allgemeiner Blick auf den Begriff von Handlung, daß derselbe nur insofern gedacht werden kann, als

es ein über dem empirischen Bewußtseyn liegendes, allen Indi­ viduen Gemeinsames und eben deshalb Ewiges giebt.

So ge­

wis der Begriff von Handlung für alle endliche Vernunftwesen

derselbe ist, so gewis giebt es eine allgemeine ewige Vernunft,

und nur die Individualität ist das Gewordene, welche Folge-

83 rung denn auch mit dem ftüher vorgekommenen Satze, daß das

endliche Vernunftwesen das innerhalb der Schranken des Sinn­

lichen sich bewußt gewordene Uebersinnliche ist, völlig überein, stimmt.

Und daß zwischen dem ursprünglichen Begriff von

Handlung und dem Begriff von Gesammthandlung bis da­ hin noch kein Unterschied obwalte, ist von selbst klar; wer leug­ nen wollte, daß das dem Begriff von Gesammthandlung zum Grunde liegende Prinzip ebenfalls in jenem Gemeinsamen,

Ewigen, enthalten sey, wäre zu der in sich widersprechenden

Annahme genöthigt, der Begriff von Gesammthandlung falle

nicht in den Begriff von Handlung überhaupt.

Damit ist nun schon gesagt, daß die übersinnliche Seite der Ausführung gemeinsamer Absicht, so gewis sie diesen Charakter

an sich trägt, auch in den Begriff von Subjektivität fällt, und

zwar in den ursprünglichen Begriff von Subjektivität.

Zur

vollständigen Beantwortung unserer Frage gehört aber, daß

auch gezeigt werde, wie diese übersinnliche Seite der Ausführung gemeinsamer Absicht wirklich als solche hervortrete, und da sehen

wir uns wiederum in die Nothwendigkeit versetzt, einen anschei­ nenden Widerspruch zu vermitteln.

Ohne Zweifel kann das er­

wähnte Hervortreten nur den Sinn haben, daß die übersinnliche

Seite der Ausführung gemeinsamer Absicht in das Bewußtseyn

des Subjekts falle, Gegenstand wirklicher Erkenntnis sey, weil

sie anders nicht als Gegenstand der vom Subjekt vorzunehmen­ den Wahl gedacht werden könnte, worauf es doch hier einzig

und allein abgesehen ist; eben so unbezweifelt widerstreitet aber ein wirkliches Erkennen des Gemeinsamen, Ewigen, dem Be­

griff von Subjektivität: die Subjektivität besteht nur, insofem

das über ihr stehende Gemeinsame, Ewige, zugleich das Unerforschliche ist.

Bei wirklicher Erkenntnis müßte ja der Urgrund

des Wollens als solcher hervortreten; dann gäbe es aber keine Freiheit des Willens als Wahl zwischen Entgegengesetztem, so­ mit kein Selbstbewußtseyn und überall keine Subjektivität.

Die erforderliche Vermittelung ist in der bekannten Unter­ scheidung in mittelbares und unmittelbares Wissen

84 enthalten.

Es tritt hier allerdings ein Wissen ein, aber nicht

ein mittelbares, durch Gründe vermitteltes und deshalb in Verstandeseinsicht bestehendes Wissen, sondern jenes unmittelbare

Wissen, was, insoweit es sich auf Uebersinnliches bezieht, reli­ giöser Glaube genannt wird.

Mittelst des religiösen Glau­

bens fällt auch das Gemeinsame, Ewige, und daher an sich Un-

erforschliche in das menschliche Bewußtseyn.

Jetzt ergiebt sich

aber zugleich auch die vollständige Beantwortung unserer Frage.

Was vom Ueberfinnlichen überhaupt gilt, gilt auch von der über­ sinnlichen Seite der Ausführung gemeinsamer Absicht: dieselbe

tritt bei der dem Handeln des Subjekts vorausgehenden Wahl als das Absolutgute hervor, und indem es nun von der Maxime

des Subjekts abhängt, ob die Ausführung gemeinsamer Absicht zum Inhalte des individuellen Zweckbegriffs werde, oder aber sich nur als Bedingung der Erreichung individueller Zwecke

darstelle, ist jeder hinsichtlich der innern Unbedingtheit des Wol­

lens hier eintretende Zweifel gelös't

Zwar findet sich, wenn

die Ausführung gemeinsamer Absicht sich als Bedingung der

Erreichung individueller Zwecke darstellt, bei dem Subjekte kei­ neswegs absolute Uebereinstimmung des Vernunftwesens mit sich selbst; dieser Mangel an absoluter Uebereinstimmung mit sich

selbst ist aber, wie im vorigen Abschnitte gezeigt worden, die all­ gemeine Folge unsittlichen Handelns.

Auch das aus der Unbe­

dingtheit gemeinsamer Absicht hervorgehende äußere Sollen steht

der höheren Natur des Bernunftwesens nicht entgegen, indem das, was gemeinsame Absicht heißt,.nothwendig als Ausfluß

einer höheren Weltordnung sich darstellt und es also göttliches

Gebot wird, der weltlichen Obrigkeit zu gehorchen.

III.

Der

Begriff

von

Staat.

In der Erörterung, wie sie den Inhalt der beiden vorigen

Abschnitte ausmacht, ist die erforderliche Construktion des Ab­

straktums von Staat enthalten.

Indem wir für die Betrach­

tung trennten, was im Leben vereinigt ist, fanden wir das Ur-

85 recht als das im ursprünglichen Begriff von Handlung liegende unbegrenzte Dürfen und das früher schon als die praktische Seite

des Rechtsgesezes angegebene sogenannte positive Recht als das aus der im potenzirten Begriff von Handlung liegenden gemein­ samen Absicht hervorgehende äußere Sollen.

Hiedurch hat sich nun der Begriff von Rechtspflicht und

somit der Unterschied zwischen Moral und Recht ganz so heraus­

gestellt, wie das Leben ihn kennt, ohne daß die ethische Seite

des Rechts dabei verloren hätte

Was Rechtspflicht heißt, findet

nur in äußerer, sogenannter positiver Gesezgebung seine Quelle; nichts destoweniger aber giebt es ein vom Menschen als solchem

ausströmendes Recht.

Und indem wir dieses ursprünglich sub­

jektive Recht als unbegrenztes Dürfen und somit als ideellen Faktor fanden, sind wir auch hier mit der Erfahrung völlig in Uebereinstimmung geblieben: das in die Erscheinung fallende

subjektive Recht ist gleich dem Subjekte selbst ein ohne sein Zu­ thun Gewordenes, was, wie alles real gewordene Geistige un­

endlichen Modifikationen unterliegt.

So gewis die Befolgung

gemeinsamer Absicht nur als Moment des ursprünglichen Be­ griffs von Handlung gedacht werden kann, so gewis bleibt dem Einzelnen als solchem eine Sphäre für ursprüngliches Handeln,

der bestimmte Inhalt und Umfang dieser Rechtssphäre geht jedoch erst aus der in der Wirklichkeit sich findenden Gesezgebung hervor.

Diese dem judiciellen Standpunkte gemäs nicht auf tech­ nischem, sondern auf blos logischem Wege gefundene Rechts­ sphäre führt nun auf einen Gegensatz, der den Gegenstand der

jetzt folgenden Betrachtung ausmacht, nämlich den Gegensatz

zwischen positiver und negativer Seite des Staats oder was

dasselbe heißt, den Gegensatz des nothwendigen zum frei = gelassenen Handeln.

Was das Subjekt thun oder unter­

lassen muß, um gemeinsamer Absicht zu genügen, ist sein noth­ wendiges Handeln, und was nach Abzug dieses Handelns übrig

bleibt, sein sreigelaffenes Handeln-

Nun kann sich fteilich das

der Willkühr des Subjekts anheim fallende Handeln nicht, wie das nothwendige und deshalb objektiv bestimmte Handeln gerade-

86 zu als ein Gesammthandeln äußern; es kann aber auch, sogewis

es sich seiner Natur nach nur soweit erstreckt, als es sich mit der

Ausführung gemeinsamer Absicht verträgt, nicht außerhalb des Begriffs von Gesammthandlung liegen, und so bildet das noth­

wendige Handeln die positive, das freigelassene Handeln hinge­ gen die negative Seite des in subjektiv-objektivem Gesammthan­

deln bestehenden Staats.

A. Allgemeine Analysis des Begriffs von Staat. Die gegenwärtige Abtheilung zerfallt in einen theoretischen und praktischen Theil.

Der theoretische Theil der Analysis des

Abstraktums von Staat bestehet in der näheren Entwickelung

der Begriffe von nothwendigen und freigelassenen Handeln, oder

was dasselbe heißt, der Begriffe von den Gewalten und der

Eivität; der praktische Theil beschäftigt sich dagegen mit den Begriffen von Relevanz und juristischer Gewisheit.

Die beiden letzteren Ausdrücke sind wohl jetzt schon verständlich genug, und über den Ausdruck Eivität, dessen wir uns hier nur

bedienen, um für die dem Einzelnen für sein freigelassenes Han­ deln zustehende Sphäre eine bestimmte Bezeichnung zu haben, ist bereits anderwärts •) das Nöthige bemerkt; was hingegen die dem Ausdruck: Gewalten hier beigelegte ausgedehntere Bedeu­ tung betrifft, so wird die Darstellung zeigen, daß alles noth­

wendige Handeln nur als Wirken der Gewalten gedacht werden kann. 1) Theoretischer Theil der Analysis des Ab­

straktum von Staat. Da das, was wir hier allgemeine Analysis nennen, zu­ gleich die zur Deutlichkeit des Begriffs erforderliche Construktion in sich schließt, so kann keine Rede davon seyn, die Lehre von

4) Lehre vom Strafrecht u. s. w. §. 5 in der Note.

87

den Gewalten der Lehre von der Civität oder umgekehrt diese

jener vorausgehen zu lassen.

Eben weil es, um den einen der

hier in Betracht kommenden Begriffe in Uebereinstimmung mit sich selbst zu bringen und die zu dem Ende erforderliche Bermit­

telung zu finden, einer nähern Bestimmung des andern bedarf,

siehet sich die Betrachtung genöthigt, den Blick zugleich auf

beide zu werfen.

Indeß macht sich der Zusammenhang der er­

wähnten Begriffe in diesem Maaße nicht auf jedem Punkte gel­

tend, und ob nun die Abschnitte, in die wir, um Ruhepunkte zu haben, die jetzt folgende Untersuchung zerfallen lassen, in

einer dem organischen Gange gemäßen Ordnung auf einander

folgen, muß sich aus der Darstellung selbst ergeben.

Der Begriff von Jmputabilität. Die gegenwärtige Erörterung kann, da sie sich mit der Frage beschäftigt, wann die Aeußerung des Subjekts in den Begriff

von Handlung falle, nur in einer näheren Entwickelung des

ursprünglichen Begriffs von Handlung bestehen.

Es kommt

zwar, wie sich zeigen wird, der Begriff von Civität dabei schon in Betracht, jedoch nur als Modifikation.

Da alles ursprüngliche Handeln in Aeußerung freier Thä­ tigkeit bestehet, so hat jede Handlung eine ideale und reale Seite

und jede dieser beiden Seiten hat ihre eigenthümliche Grundlage

Die ideale Seite ist das auf das äußere Faktum gerichtete Wol­

len im Menschen, die reale Seite ist dieses äußere Faktum selbst. Und somit ist die Grundlage der idealen Seite Freiheit des Wil­ lens, die Grundlage der realen Seite dagegen körperliche Freiheit.

Freiheit des Willens ist ja nichts anders, als die Fähigkeit zu

wollen, ohne welches kein bestimmtes Wollen gedacht werden kann; die körperliche Freiheit bestehet hingegen in der zur Aeuße­ rung freier Thätigkeit erforderlichen Fähigkeit des menschlichen

Körpers, dem Willen als Werkzeug zu dienen. Aus dieser äußern Struktur des ursprünglichen Begriffs

von Handlung gehet nun schon im Allgemeinen hervor, inwie-

88 fern die Grundanschauung des Lebens, daß der Mensch handele, sich in der Wirklichkeit geltend macht. Dieselbe erstreckt sich im­ mer nur soweit, als das Nicht-Borhandenseyn der Gmndlagen des Handelns nicht erkannt werden kann. Wo das Richt-Vorhandenseyn dieser Gmndlagen sich nicht erkennen läßt, da muß allerdings angenommen werden, die Aeußerung des Subjekts sey aus seinem Wollen hervorgegangen, weil sonst von Gmndanschauung des Lebens keine Rede wäre; sollte aber auch im entgegengesetzten Falle jene Annahme eintreten, so k-nnte das nur heißen, die Wirklichkeit gehe über die Möglichkeithinaus, was sich ebenfalls widerspricht. Es fragt sich also nur, inwie­ fern das Nicht - Borhandenseyn der erwähnten Grundlagen sich erkennen lasse. So gewis die Freiheit des Willens, als Möglichkeit des Wollens gedacht, gleichbedeutend ist mit dem Vermögen Zweckbegriffe zu haben, und es demnach kein Wollen ohne Wissen giebt, so gewis schließt die Grundlage der idealen Seite der Handlung auch die Fähigkeit zu wissen in sich, und diese im Gegensatz gegen die Fähigkeit zu wollen, gedachte Fähigkeit zu wissen, zerfällt, da die dem Subjekt inwohnende Fähigkeit der Auffassung für sich allein noch nicht ausreicht, sondern äußere Bedingungen sich geltend machen, in innere und äußere Fähig­ keit zu wissen. Einfacher ist dagegen die Gmndlage der realen Seite der Handlung. Hier läßt sich nur in Dynastisches und Mechanisches, oder, was dasselbe heißt, in innere und äußere körperliche Freiheit unterscheiden. Es leuchtet nun von selbst ein, daß die Möglichkeit, das Nicht - Vorhandenseyn zu erkennen, nicht bei allen den hier er­ wähnten Grundlagen der Handlung in gleichem Maaße eintritt, daß, während die äußere Fähigkeit zu wissen, und die äußere körperliche Freiheit ein durch Gründe vermitteltes Erkennen zuläßt und dies auch in einem bedeutenden Umfange noch bei der inneren körperlichen Freiheit bet Fall ist, bei der Frage, ob die innere Fähigkeit zu wissen und die im Gegensatze derselbe« gedachte Fähigkeit zu wollen vorhanden sey, selbst wiedemm nur

89 von Annahmen die Rede seyn kann, die, wiewohl sie sich bald

mehr, bald weniger unbedingt geltend machen, dennoch immer nur bloße Annahmen sind.

Das Gegentheil wäre in sich wider­

sprechend : es würde sich dadurch die Dualität zerstören, auf der das Leben beruhet, und in Betreff der Fähigkeit zu wollen, tritt

der Widerspruch schon logisch hervor.

Sollte hier mehr als An­

nahme herrschen, so müßte der Urgrund des Wollens aufgefun­

den werden; das Wollen ist aber nur ein Wollen, insofern es als schlechthin autonomischer Akt, als lediglich auf sich selbst

ruhend, somit als absolute Ursache gedacht wird. Eine nothwendige Folge hievon ist, daß die allgemeine Analysis über den Gegensatz zwischen Handlung und NichtHandlung nicht hinaus kann, alle sogenannten Grade der Zu­ rechnung auf fortgesetztem thetischen Denken beruhen.

Hinsicht­

lich des Gegensatzes zwischen übereiltem und überlegtem Wollen

ergiebt sich dies schon aus dem Bisherigen geradezu, indem, wenn das identische Denken ein übereiltes Wollen — impeius —

finden sollte, der Urgrund des Wollens sich müßte aufsinden

lassen, was sich, wie gezeigt worden, widerspricht.

Was da­

gegen der Gegensatz zwischen culpa und dolus betrifft, so liegt es zwar schon im Abstraktum des ursprünglichen Begriffs von

Handlung, daß an Statt des beabsichtigten äußern Faktums ein anderes äußeres Faktum entstehen könne; es bildet sich aber da­

durch noch kein Jmputationsgrad.

So weit der nicht beabsich­

tigte Erfolg in einem unvermeidlichen Nicht-Wissen seinen Grund

hat, kann er überall nicht zugerechnet werden; war dagegen das Subjekt im Stande, die nöthige Kenntnis des hier obwaltenden

Causalnerus sich zu verschaffen, so ist das Nicht-Wissen als aus Wollen hervorgegangen zu betrachten und somit volle Handlung vorhanden.

Und was hieraus für die, über mechanischen Zwang

hinausgehende Möglichkeit fremden Einwirkens auf das bestimmte Handeln dieses Subjekts folge, springt von selbst in die Augen.

So gewis es ursprünglich schon äußere Bedingungen des Wis­

sens giebt, so gewis findet auch die allgemeine Analysis die Möglichkeit einer durch das Handeln eines Dritten hervorge«

90 brachten Täuschung, und das hierin seinen Grund habende ille­ gale äußere Faktum fällt dem Täuschenden insoweit zur Last, als die Täuschung aus einem für den Getäuschten unvermeid­

lichen Nicht-Wissen hervorgegangen; jeder psychologische Zwang/ so wie auch der Gegensatz zwischen intellektuellem und physischem

Thäter, in dem Sinne, daß beide für handelnd gelten, liegt aber außerhalb des als Abstraktum gedachten Begriffs *).

Form und Inhalt der Civität.

Um die allgemeine Form der Civität zu finden, braucht man nur den unleugbaren Satz, daß es ohne Freiheit kein sub­

jektives Recht giebt, überall aber im Leben mit dem Rechte auf Freiheit ein für sich bestehendes Recht auf Ehre angenommen

wird, mit dem früher erwähnten Charakter der Civität, nach

welchem sie in real gewordenem Urrechte bestehet, in Verbindung zu bringen

Was bereits anderwärts 5 6) von uns bemerkt wor­

den, nämlich daß die Civität als Dreiheit in der Einheit nicht

verkannt werden könne — das Recht auf Ehre und das Recht auf Freiheit sich im Recht zu leben durchdringen, stellt sich dann als unwiderleglich dar.

Das Recht auf Ehre ist die geistige,

das Recht auf Freiheit die körperliche Seite der Civität und das Recht zu leben, was hier noch gleichbedeutend mit Recht auf

Existenz überhaupt genommen wird, ist in der That kein abge­ sondert zu denkendes Recht, sondern das gemeinschaftliche Dritte, mittelst dessen jene beiden in die Erscheinung fallen. , ^Werfen wir, um uns völlig zu verständigen, zuvörderst den

Blick auf das Leben, so sehen wir, wie dort das Recht auf Ehre

5) Eine nähere Entwickelung de» Begriffs von Jmputabilität ent­ hält die Lehre vom S t ra fr e ch t u. s. w. §. 23 ff. wo auch §. 50 gezeigt ist, wie da, wo dar Gemüth den Gegensatz zwischen übereiltem und überlegtem Wollen in den Begriff von Handlung legt, der Verstand den Begriff von übereiltem Wollen construirt. 6) Lehre vom Strafrecht u. s. w. §. 113. ff. und 164.

91 mit dem Rechte auf Freiheit oft im umgekehrten Verhältnisse steht, bald das eine, bald das andere überwiegend ist.

Wir

sehen, wie mancher, dem sein pecuniärer Reichthum die größte Unabhängigkeit gewährt, sich dennoch keines wirklichen Rechts

auf besondere Ehrenbezeugungen erfreuet, während derjenige,

dem ein solches Recht zustehet, vielleicht übrigens in sehr drücken­ den Verhältnissen lebt.

Daß die Staaten, wo sich dies findet,

nicht zu den schlechtesten gehören, wird Jeder, der hier eine Stimme hat, zugeben; das gehet uns jedoch hier nichts an, es ist gegenwärtig nur die Rede davon, daß die Wissenschaft, um

ihre Realität zu bewährn, zeigen muß, wie der ursprüngliche Begriff von Civität geeignet ist, auch die verschiedensten, hier eintretenden Annahmen des Gemüths in sich aufzunehmen. Dies thut sie aber, indem sie uns zeigt, wie schon im ursprünglichen

Begriff das Recht auf Ehre und das Recht auf Freiheit sich wie

Faktoren zu einander verhalten, von denen bald der eine, bald

der andere das Uebergewicht hat. Das hier erwähnte Reckt auf Freiheit stellt sich, so gewis die Civität in freigelassenem Handeln bestehet, als unmittelbare

Folge aus dem Begriff dar; aber auch das Recht auf Ehre ist

leicht gefunden.

Die Civität ist real gewordenes Urrecht, kann

ja nichts anders heißen, als, so wie das endliche Vernunftwesen des innerhalb der Schranken des Sinnlichen sich bewußt gewor­

dene Uebersinnliche ist, so ist die Civität der innerhalb einer von

Außen gekommenen Schranke sich bewegende Ausfluß der Sub­

jektivität , und dies führt auf ein für sich hervortretendes Recht

ans Ehre.

Durch dasselbe geht, wenn wir so sagen dürfen, die

Civität in sich selbst zurück, sie wird gleichsam zu einem sich selbst Bewußten.

Das Recht auf Ehre ist nämlich das von allem be­

stimmten Zweckbegriffe, also von allem bestimmten Handeln noch

unabhängige Selbstgefühl des Subjekts nach Außen gedacht. Mehr als dieser Bestimmung des ursprünglichen Begriffs von

Ehre bedarf es aber nicht, um uns von der hier obwaltenden

Dreiheit in der Einheit zu überzeugen.

Freiheit ohne Ehre wäre

ein absolut todtes, Ehre ohne Freiheit dagegen gleich einem in-

92 dividuellen Geiste ohne Körper, und wahrend demnach keine Beeinträchtigung des Rechts auf Ehre gedacht werden kann, die nicht zugleich Beeinträchtigung des Rechts auf Freiheit wäre, und umgekehrt, so ist das Recht zu leben nur das gemeinschaft­ liche Dritte, so daß denn auch der geringste Eingriff in dieCivität das Recht zu leben afficirt. Wenden wir uns nach dieser Erörterung der Form der Civität zum Inhalte derselben, so läßt sich nicht leugnen, daß jetzt schon ein bestimmter als solcher hervottretrnder Inhalt der Civivität gedacht werden muß. Das Gegentheil hieße, es komme nicht zur Verkörperung des Produkts der Faktoren der Civität. Mein damit ist noch keineswegs ein wirklich ein für allemal be­ stimmter Umfang ursprünglich bestimmter Rechte gegeben: diese ursprünglich bestimmten Rechte erstrecken sich immer nur soweit, als ihr Nicht - Vorhandenseyn das oben erwähnte Selbstgefühl des Subjekts und die Möglichkeit des ihm freigelassenen Han­ delns ausschließen würde. Was dagegen die im Gegensatze dieser ursprünglich vorhandenen bestimmten Rechte gedachte Möglichkeit, Rechte zu erwerben, betrifft, so zeigt eben der Be­ griff von freigelassenem Handeln, daß dieselbe außerhalb des Abstraktums von Eivität liegt, nur auf fottgesetztem thetischen Denken beruht. Mag diese Erwerbung bestimmter Rechte als einseitiges Handeln oder als Vertrag gedacht werden, immer wird dabei vorausgesetzt, daß aus freigelassenem Handeln als solchem ein äußeres Sollen hervorgehe. Die dem hier gedachten Rechte correspondirende Verbindlichkeit kann ja, wie jede Ver­ bindlichkeit, nur auf äußerm Sollen beruhen; sowohl das, was hier einseitiges Handeln heißt, als die dem Vertrag zu Grunde liegende Willensbestimmung fällt aber in den Begriff von freige­ lassenem Handeln. Wie vermöchte nun das identische Denken ein solches Hervorgehen äußeren Sollens aus freigelassenem Handeln zu finden? Offenbar nur, wenn jetzt schon im Begriff von fteigelassenem Handeln der einmal als aktiv, das andermal als passiv gedachte Gegensatz zwischen bindendem und nicht, bindendem freigelassenen Handeln läge, von welchem Gegen.

93 satze jedoch jetzt noch keine Rede seyn kann.

Sollte er in das

Bereich des identischen Denkens fallen, so müßte es einer näheren

Construktion des Begriffs von freigelassenem Handeln bedürfen; solcher Construktion bedarf es aber nicht, da der ursprüngliche Begriff von freigelassenem Handeln ein, wenn auch nicht für

das wirkliche Leben ausreichender, dennoch logisch mit sich selbst übereinstimmender Begriff ist.

Soweit es sich von einseitigen Erwerbsarten handelt, möchte

das hier Gesagte ausreichen.

Wer hier das, was das Leben er­

heischt und daher von fortgesetztem thctischen Denken in den Be­ griff von Civität gelegt wird, schon als Ausfluß des Abstraktums

von Civität betrachten wollte, müßte auch behaupten, der von

Kant in seiner früher vorgekommenen Darstellung des Unter­ schiedes analytischer und synthetischer Urtheile beispielsweise an.

geführte Satz: alle Körper sind schwer sey nicht Inhalt

eines synthetischen, sondern analytischen Utheils, was doch wohl Keinem einfallen wird.

Es findet sich in der Wirklichkeit kein

Körper, dem nicht das Prädirat der Schwere zukäme, dasselbe kann nicht weggedacht werden, so gewis der Körper in das Be­

reich der Anziehungskraft fällt, so daß der Gegensatz zwischen

schwer und leicht nur ein innerhalb des Begriffs von Schwere liegender Gegensatz ist; liegt denn aber diese Eigenschaft der Schwere deshalb schon im Abstraktum von Körper? Wer dies

anzunehmen gesonnen wäre, verstände sich selbst nicht, denn es

tage darin die Behauptung, entweder, die dem Gesetze der Schwere zum Grunde liegende Anziehungskraft setze nicht das

Verhältnis des Körpers zum Körper voraus, oder das Abstrak­ tum von Körper enthalte mehr als Materie innerhalb bestimmter

Grenzen, es enthalte schon das Verhältnis des Körpers zum

Körper.

Dagegen könnte es bei der Frage nach der ursprüng­

lichen Gülfigkeit der Verträge wohl den Anschein gewinnen, als

komme der in der Nichterfüllung des Versprechens liegende Misbrauch des Vertrauens schon innerhalb des Abstraktums von

Civität in Betracht.

Allein auch hier wird uns eine ganz ein­

fache Betrachtung sogleich überzeugen, daß weder bei gegenseitigen

94 Versprechungen die Annahme der Leistung zur Gegenleistung verpflichtet, noch überhaupt von einem Ansprüche auf Entschädi­

gung oder Zurückforderung des Geleisteten die Rede seyn kann.

Es fallt in die Augen, daß der erwähnte Mißbrauch des Ver­ trauens nur dann für das identische Denken in Betracht kommen

könnte, wenn für dasselbe auch die Nochwendigkeit, auf die Er­ füllung des erhaltenen Versprechens zu bauen, vorhanden wäre.

Wäre solche Nothwendigkeit vorhanden, so enthielte die Wort­ brüchigkeit des Versprechenden einen seiner Natur nach den An­ spruch auf Resarcition im Gefolge habenden Eingriff in fremde

Civität.

Wie ließe sich denn aber hier solche Nothwendigkeit

denken? Alle nichtlogische Nothwendigkeit fällt ja in das Bereich

des thetischen Denkens und logische Nothwendigkeit hier anzu­ nehmen, wäre, wie Zeder wohl einsiehet, geradezu in sich wider­

sprechend: es hieße, das Wollen sey kein auf sich selbst ruhender, schlechthin autonomischer Akt.

Daß nun das hier Gesagte, so lange es sich vom Abstrak­

tum von Civität handelt, auch für den Fall, wo das Geleistete noch vorhanden ist, unbedingt gelte, wird sich nicht bestreiten

lassen.

Ein Anspruch auf Zurückgabe des noch vorhandenen

Geleisteten ließe sich nur mittelst eines dinglichen Rechts, — des

Rechts, abgesehen von augenblicklicher Benutzung und Detention

den Andern vom Gebrauch dieser Sache auszuschließen, denken; aus dem, was über die einseitigen Erwerbsarten gesagt worden,

gehet aber schon hervor, daß alles dingliche Recht nur auf einem fortgesetztem Akte des thetischen Denkens beruhen kann. Welche

Bemerkung denn zugleich zu der Ueberzeugung führt, daß selbst das sogenannte Precarium 7) jetzt noch einen sehr beschränkten Umfang hat

Allerdings kann das, was mit Einwilligung des

Subjekts geschieht, soweit es sich von veräußerlichem Rechte Han-

7) Precarium est, quod precibua petenti utendum conceditur tamdiu, quamdiu qui concessit, patitur. Pr. D. de Precario. (43 , 26).

95 beit, kein Eingriff in feine Civität seyn; es folgt dies unbezwei­

felt aus dem Abstraktum des ursprünglichen Begriffs von Hand­ lung, indem ja das Eintreten fremden Handelns möglicherweise

reale Seite individueller Absicht ist.

Und eben weil hier alles

nur aus der Absicht des vergönnenden Subjekts beruhet, kann

die Vergönnung zu jeder Zeit zurückgenommen werden.

Aber

die rechtliche Möglichkeit einer Zurückforderung der dem Andern aus diese Weise abgetretenen Sache ist darin nicht enthalten. Dazu würde ein dingliches Recht des Vergönnenden erfordert, was, wie gezeigt worden, ebensowenig im Abstraktum von Civi­

tät liegt, als die Gültigkeit eines Vertrags.

Gesezgebende Gewalt. Man könnte sich zur Erörterung der Frage versucht fühlen,

wie sich, da der Staat zu keiner Zeit ohne Gesezgebung gedacht werden mag und somit das aus die ursprüngliche Gesezgebung

gerichtete Handeln in die Zeit vor dem Staate fällt, die wirkliche Entstehung des Staats begreifen lasse. bar ein Abweg.

Dies wäre jedoch offen­

Mag auch die erwähnte Frage ihre Beantwor­

tung erheischen, so liegt sie doch der Rechtswissenschaft eben so

fern, als etwa der Logik die Frage nach der Entstehung des menschlichen Bewußtseyns.

Allerdings gehet, wie bei dem ein­

zelnen Menschen, so auch bei dem Staat dem geistig-körperlichen

Leben ein blos animalisches Leben voraus, so daß sich gleichsam auch hier ein Erwachen des Selbstbewußtseyns findet *); mit

solcher Betrachtungsweise haben wir es jedoch hier nicht zu thun,

es handelt sich gegenwärtig nur von logischer Uebereinstimmung des Begriffs. Indem nun zufolge des früher erwähnten Verhältnisses der

gemeinsamen Absicht zum gemeinsamen Zweckbegriffe die gesez­ gebende Gewalt sich als nothwendiges Moment des Begriffs von

8) Vergl. das in der Lehre vom Strafrecht u. f. w. §. 13. über Gewohnheitsrecht Gesagte.

96 Staat darstellt, diese gesezgebende Gewalt, so gewis die Realist­ rung des gemeinsamen Aweckbegriffs die Möglichkeit der Abän­ derung gemeinsamer Abficht in stch schließt, zu keiner Zeit weg­ gedacht werden kann, ist aber sogleich auch ein anscheinender Widerspruch zu vermitteln. Nämlich, da alles Wirken der Ge­ walten — nothwendigem Handeln ist, das nothwendige Han­ deln aber als äußerem Sollen korrespondirend schon Gesezgebung, also das Produkt der gesezgebenden Gewalt voraussetzt, so scheint der Begriff von gesezgebender Gewalt stch selbst zu widersprechen. Stellen wir uns das Verhältnis des gesezgeberischen Wir­ kens zum äußern Sollen näher vor Augen, so ergiebt sich, daß der erwähnte Widerspruch eigentlich darin bestehet, daß, wäh­ rend bei dem gesezgeberischen Wirken das äußere Sollen nicht weggedacht werden kann, dieses äußere Sollen sich mit dem Wesen gemeinsamer Absicht nicht verträgt. Gäbe es für das gesezgeberische Wirken kein äußeres Sollen, so könnte dies nur heißen, das wirkliche Eintreten dieses gesezgeberischen Wirkens sey dem Zufall überlassen, was dem im Begriff von subjektiv­ objektiver Gesammthandlung liegenden Fortschreiten gemeinsamer Absicht widerspricht; ginge aber dieses äußere Sollen über das, was wir bisher als solches fanden, nicht hinaus, so könnte dies nur die Bedeutung haben, der Gesezgeber sey nicht unmittelbar an den gemeinsamen Zweckbegriff verwiesen, sondem jede für die Zukunft einftetende Gestaltung gemeinsamer Absicht sey durch die vorhandene Gesezgebung ein für allemal bestimmt, und dies wäre ebenfalls in sich widersprechend: die Gesezgebung wäre dann mehr als objektiv gewordene gemeinsame Absicht. Mittelst dieser genauen Feststellung des anscheinenden Wider­ spruchs läßt sich die Vermittelung finden. Es kann jetzt nur darauf ankommen, den Punkt aufzusuchen, bis zu welchem das äußere Sollen sich möglicherweise erstreckt, und dieser Punkt ist gefunden, wenn wir zwischen Form und Inhalt des gesezgeberischen Wirkens unterscheiden, zur Form dasjenige Handeln rech­ nen, was erforderlich ist, damit es zur Beurtheilung komme, ob die Gesezgebung einer Abänderung bedürfe, unter dem In-



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halte dagegen das Resultat dieser Beurtheilung verstehen.

Das

zur Form des gesezgeberischen Wirkens gehörige Handeln fallt allerdings noch unter das äußere Sollen, für den Inhalt dage­

gen giebt es keine äußere Vorschrift, es macht sich für ihn nur die in der Natur des hier eintretenden Denkens liegende Noth­

wendigkeit geltend.

Dadurch gelangen wir aber zu der näheren

Bestimmung des Begriffs von nothwendigem Handeln, worauf

es hier ankommt, nämlich zu dem Gegensatze zwischen schlechthin-.nothwendigem und deln.

frei-nothwendigem

Han­

Soweit sich das gesezgeberische Wirken seiner Form nach

erstreckt, bestehet die gesezgebende Gewalt in schlechthin-nothwen-

digem Handeln, d. h. sie fällt unter das äußere Sollen — findet in der vorhandenen Gesezgebung ihr Gebot; soweit es sich dage­ gen vom Inhalte handelt, ist sie ftei - nothwendiges Handeln» Es giebt hier kein äußeres Sollen, sondern nur äußere Ueber­

zeugung, aus welcher denn, da sich bei ihr, eben weil der ge­

meinsame Zweckbegriff seinem bestimmten Inhalte nach gedacht wird, objektive Regeln des Denkens geltend machen, ein Han­ deln hervorgeht, was, insofern man nicht vergißt, daß hier von

potenzirter Subjektivität die Rede ist, ebensowohl ftei-nothwen­ diges Handeln genannt werden mag, als das unter gleichem

Namen bekannte, aus ursprünglicher Subjektivität hervorgehende Handeln.

Richterliche und exekutive Gewalt und Regie­

rungsgewalt. Mit dem Begriff von Gesezgebung ist auch die Trennung der Gewalten gegeben.

Ist es zum Produkt der gesezgebenden

Gewalt, zur Gesezgebung, gekommen, so hört das Wirken der

gesezgebenden Gewalt auf, es wirkt ausführende Gewalt, bit ihrer Natur nach in schlechthin-nothwendigem Handeln bestehet,

aber immer nur entweder als richterliche und exekutive Gewalt, oder als Regierungsgewalt in die Erscheinung fällt.

Diese erwähnte Verzweigung folgt aus dem Verhältnis der 7

98 ausführenden Gewalt zur Civität, indem dieses Verhältnis auf

die Nothwendigkeit einer nähem Bestimmung des Begriffs von äußerm Sollen führt.

Nämlich soweit wir den Begriff von

äußerm Sollen bis dahin kennen, korrespondirt ihm nur das schlechthin - nothwendige Handeln; unmöglich läßt sich aber die

Verpflichtung, ftemde Civität zu respektiren, und die dem Sub­

jekte wegen eines von ihm begangenen Eingriffs obliegende Re-

sarcition als schlechthin - nothwendiges Handeln denken.

Es

wäre dies eben so in sich widersprechend, als wenn man hier

von frei-nothwendigem Handeln reden wollte.

Allerdings liegt

es im Begriff von Civität, daß das Subjekt nicht in ftemde Ci­ vität eingreifen darf und jeder Eingriff die Verpflichtung zur

Resarcition nach sich ziehet; allein so gewis die Civität in frei­ gelassenem Handeln bestehet, kann auch das dem Subjekte hin­

sichtlich fremder Civität obliegende Handeln nicht in den Begriff von Gewalten fallen.

Es ist zwar auch nothwendiges Handeln,

aber ein von dem mit Wirken der Gewalten gleichbedeutenden nothwendigen Handeln verschiedenes nothwendiges Handeln.

Während das im Wirken der Gewalten bestehende nothwendige

Handeln, eben weil es auf die positive Seite des Staats fällt — bei ihm nur vom Recht in objektiver Bedeutung die Rede ist,

alles ihm entgegenstehende Handeln ohne weiteres zernichtet,

hängt es zufolge des im Begriff von Civität liegenden Begriffs

von Befugnis vom Willen des Beeinträchtigten ab, ob das Subjekt, was sich den Eingriff in die Civität hat zu Schulden

kommen lassen, zur Wiederaufhebung dieses Eingriffs genöthigt werden soll.

Hiernach stellt sich der Begriff von nothwendigem Handeln in einem größern Umfange dar: der Gegensatz des frei-nothwen­ digen zum schlechthin-nothwendigen Handeln fällt nur in den

Begriff von objektiv-nothwendigem Handeln, das nothwendige Handeln besteht aber nicht blos in objektiv- sondem auch in

subjektiv-nothwendigem Handeln.

Und dadurch erhält denn

zugleich auch der Begriff von äußerm Sollen seine nähere Be­

stimmung.

Auch auf der negativen Seite des Staats findet

99 sich äußeres Sollen: es ist aber nicht das objektiv- äußere Sollen,

dem das Wirken der Gewalten korrespondirt, sondern, weil sub­

jektives Recht gleichbedeutend mit Befugnis ist und somit die reelle Realität der Verbindlichkeit des Beeinträchtigers vom Wil­ len des Beeinträchtigten abhängt, nur subjektiv-äußeres Sollen.

Verlieren wir jetzt die Natur des äußeren Sollens über­ haupt nicht aus dem Auge, und sehen auf den erwähnten Unter­ schied zwischen

objektiv - und subjektiv - äußerm Sollen, so

ergiebt sich die Nothwendigkeit der Verzweigung ausführender

Gewalt in Regierungsgewalt und richterliche und exekutive Ge­ walt.

Alles äußere Sollen ist, wie früher gezeigt worden, das

inmitten kategorischem Imperativ und Naturgewalt stehende

Dritte, dessen Charakter darin bestehet, daß es, wiewohl äußere

Nöthigung nicht weggedachl werden kann, dennoch als eine als solche hervortretende Norm für das Handeln, als ein an den

Willen sich wendendes Gebot sich darstellt; aber während bei

dem objektiv - äußern Sollen vermöge des Umstandes, daß das objektiv- nothwendige Handeln die positive Seite des Staats

ausmacht und daher die gesezliche Vorschrift unabhängig von der Willkühr des Einzelnen in Ausführung gebracht werden muß, die im Wirken ausführender Gewalt liegende Beurtheilung

nur technisch seyn kann, ist sie bei dem subjektiv - äußern Sol­

len juristisch, oder, was dasselbe heißt, nur bei dem objektiv­

äußern Sollen gilt der Begriff von Thatsache überhaupt, bei subjektiv-äußerm Sollen dagegen der Begriff von juristi­ scher Thatsache.

Zufolge des Begriffs von Zukunft macht

sich allerdings auch für das objektiv-nothwendige Handeln, für

die positive Seite des Staats, der Begriff von Thatsache geltend, es giebt auch hier Anwendung der gesezlichen Vorschrift auf be­

stimmte eintretende Fälle, und somit eine aus Subsumtion her­

vorgehende Norm; das subjektiv-äußere Sollen setzt aber, eben weil es auf die negative Seite des Staats fällt, voraus, daß an dieses bestimmte Faktische eine nur in das Bereich des subjek­ tiven Rechts fallende und daher nur auf Anrufen des Betheilig­

ten eintretende Folge geknüpft sey, die Thatsache also zu dem

7 ’

100 werde, was man juristische Thatsache nennt. Dadurch bildet sich aber die erwähnte Verzweigung ausführender Gewalt. In­ dem nämlich die bei der juristischen Thatsache an das Faktische geknüpfte Folge nichts anders, als die dem Rechte dieses be­ stimmten Subjekts korrespondirende Verbindlichkeit ist und es sich daher von einer für den Einzelnen als solchen einttetenden Norm handelt, die vermöge des Begriffs von äußerm Sollen überhaupt nur als ein an den Willen sich wendendes Gebot sich aussprechen kann, wäre es in sich widersprechend, wenn das hier» auf gerichtete Wirken ausführender Gewalt sich erst durch die in äußerer Nöthigung bestehende Ausführung kund gäbe, es fällt nothwendig abgesondert von derselben in die Erscheinung, und indem dies geschieht, wirkt die im Gegensatze zu exekutiver Ge­ walt so benannte richterliche Gewalt. Die beiden, das äußere Sollen überhaupt ausmachenden Momente sind jetzt der Natur des subjektiv - äußern Sollens gemäs getrennt: während das an den Willen dieses bestimmten Einzelnen sich wendende Gebot aus richterlicher Gewalt hervorgeht, fällt die äußere Nöthigung in den Begriff von exekutiver Gewalt, die aber eben deshalb nicht weniger, als die richterliche Gewalt., nur auf Anrufen des Betheiligten wirkt.9) Wenn wir nun das außerhalb des Begriffs von richterlicher

9) Die hier versuchte Ableitung der richterlichen Gewalt, der schon ihre enge Verbindung mit dem für den praktischen Theil so wichtigen Begriff von juristischer Thatsache da» Wort redet, wird sich auch rüh­ men dürfen, völlig mit dem Leben im Einklänge zu stehen. Man hat auch hier gekünstelt und nach Steffen» (Carikaturrn de» Heiligsten B. II. S. 585) wird die Parthei durch dm (Civil-) Richterspruch auf­ geklärt. Jnsofem da» Wort aufklär en hier seine gewöhnlich« Bedeutung behalten soll, möchten sich wohl Biele finden, die vom Ge­ gentheil zu sagen wissen; der Ausspruch de» Dorhandenseyn» oder aber Richtvorhandenseyn» eine» subjektiv - äußern Sollen» liegt aber geradezu in der Natur de» richterlichen Urtheil», womit denn auch die Möser» sche Unterscheidung in formelle» und materielle» Recht völlig überein­ stimmt.

101 und exekutiver Gewalt liegende und deshalb ungetrennt in die

Erscheinung fallende Wirken ausführender Gewalt Regierungs­

gewaltnennen, so geschiehet das nur deshalb, weil der Ausdruck: aus führende Gewalt jetzt nur den Gattungsbegriff bezeich­ nen kann.

Womit jedoch keineswegs gesagt ist, daß es nicht

auch hier noch einer Vermittelung bedürfe, vielmehr haben wir nach zwei Seiten hin die Untersuchung zu richten, um den Be­ griff von Regierungsgewalt mit sich selbst in logische Ueberein­

stimmung zu bringen.

Fassen wir nämlich das Wirken dieser

Regierungsgewalt näher in's Auge, so ergeben sich zwei Rich­ tungen desselben.

Während die Herbeiführung des, der dermali-

gen gemeinsamen Absicht entsprechenden Zustandes selbstredend nur in den Begriff von Regiemngsgewalt fallen kann, laßt sich auch, so gewis die Civität die negative Seite des Staats aus­

macht , das auf den Schutz des Einzelnen als solchen gerichtete Wirken nicht wegdenken: in beiden Fällen tritt aber ein anschei­ nender Widerspruch entgegen, der nur durch eine nähere Bestim­

mung des Begriffs von Civität gelöst werden kann.

Im erstem

Falle macht sich nämlich der Umstand geltend, daß es zwischen Wirken der Gewalten und Civität nirgends ein Zwischenraum

giebt und somit die Regierungsgewalt immer auf Civität stößt,

im letztem Falle kommt es dagegen darauf an, zu zeigen, ob­ gleich das Wirken der Regierungsgewalt auf den Schutz des Einzelnen als solchen gerichtet ist, dennoch das subjektive Recht

nicht als solches hervortritt, indem, wenn dasselbe als solches

hervorträte, ein auf die negative Seite des Staats fallendes

Wirken der Regierungsgewalt angenommen werden müßte, was sich widerspricht.

Zur Lösung der zuletzt erwähnten Aufgabe, zu der wir uns zuerst wenden, führt die Bemerkung, daß auch das die posittve

Seite des Staats ausmachende nothwendige Handeln doch im­ mer nur ein Handeln des Subjekts ist und somit dieses noth­

wendige Handeln nicht weniger, als das freigelaffene Handeln die dem Subjekt ktiwohnende Möglichkeit zu handeln voraussetzt. Da die Möglichkeit des freigelassenen Handelns nicht getrennt

102 gedacht werden kann, so wird durch das besprochene Wirken der Regierungsgewalt zwar die Civität geschützt, nichts destoweniger fällt jedoch dasselbe auf die positive Seite des Staats.

Dies ist

jedoch, wie gesagt, nur eine zu der hier gesuchten Lösung füh­ rende Bemerkung, die wirkliche Lösung besteht darin, daß der Begriff von Civität eben so, wie wir solches oben bei dem Be­

griff von nothwendigem Handeln fanden, einen größern Umfang gewinne und diese Erweiterung des Begriffs von Civität findet sich alsbald, da nicht geleugnet werden kann, daß die Möglich­

keit des freigelassenen Handelns, während dieselbe, so gewis es

ohne sie kein freigelaffenes Handeln giebt, in dem Begriffe von

Civität fällt, gleich dem nothwendigen Handeln und seiner Mögtichkeit außerhalb der Willkühr des Subjekts liegt.

So wie es

oben zu dem über den bis dahin gefundenen Begriff von noth­

wendigem Handeln hinausgehenden Gegensatze zwischen objektivund subjektiv-nothwendigem Handeln kam, so kommt es gegen­ wärtig zu dem über den bisherigen Begriff von Civität hinaus­

gehenden Gegensatz zwischen absoluter und relativer Ci­

vität oder, was dasselbe heißt, zum Gegensatze zwischen unver­ äußerlichem und veräußerlichem Recht.

Nur das freigelassene

Handeln ist veräußerliches Recht, die dem Subjekte inwohnende Möglichkeit zu handeln fällt dagegen in den Begriff von unver­

äußerlichem Recht und soweit sich dieser Begriff von unveräußer­ lichem Rechte oder absoluter Civität erstreckt, giebt es ein auf

den Schutz des Einzelnen als solchen gerichtetes Wirken der Re-

gierungsgewalt. Bei dem nicht auf den Schutz des Einzelnen als solchen, sondern auf das Ganze, oder, wie wir es oben ausgedrückt haben,

auf die Herbeiführung des, der dermaligen gemeinsamen Absicht

entsprechenden Zustandes gerichteten Wirken der Regierungsge-

walt wird um die Vermittelung, wiewohl sie ebenfalls auf der Seite der Civität liegt, auf entgegengesetztem Wege, nämlich mittelst eines in den Begriff von Civität gelegten speziellen Ge­

gensatzes gefunden.

Es ist ja hier überall nur von der in die

Erscheinung fallenden Civität — von freigelaffenem Handeln,

103 die Rede.

Die Lösung selbst kann jedoch keine Schwierigkeit

verursachen; sie gehet geradezu aus der Fassung der Aufgabe

hervor.

Indem nämlich die oben bereits angegebene scheinbare

Collision zwischen dem hier besprochenen Wirken der Regierungs­ gewalt und der Civität darin ihren Grund hat, daß die Civität,

so gewis sie das nach Abzug des nothwendigen Handelns noch bleibende Handeln ist, sich immer soweit erstreckt, als das auf

das Ganze als solches gerichtete Wirken der Regierungsgewalt nicht reicht, ist auch mit diesem Vorrücken der Civität ein Zurück­ weichen derselben gegeben, und zwar soweit das fragliche Wir­ ken der Regierungsgewalt seinem Begriff nach d. h. in Gemäß­

heit der gegenwärtigen Gesezgebung sich ausdehnt.

Demnach

findet sich aber hier bedingte Civität, und da nun aus dem Ver­

hältnis des nothwendigen zum freigelassenen Handeln, wie es in der Construktion des Abstraktums von Staat erörtert worden, hervorgehet, daß die Civität zu keiner Zeit gänzlich, so daß von ihr nichts für die Erscheinung bliebe, zurückweichen kann, so

bildet sich der Gegensatz zwischen bedingter und unbeding­

ter Civität, wodurch denn der erwähnte anscheinende Wider­ spruch völlig vermittelt ist.

Soweit die Civität unbedingt ist,

findet das erwähnte Wirken der Regierungsgewalt in ihr seine Grenze: es wäre, wenn es darüber hinausginge, nicht mehr

Regierungsgewalt, sondern illegales Handeln; dem wirklichen

Wirken der Regierungsgewalt gegenüber giebt es aber nicht un­ bedingte, sondern bedingte Civität, deren Charakter darin be­

stehet, daß sie vor diesem Wirken zurückweicht,0).

10) Daß die Möglichkeit bei hier besprochenen Wirkens der Regie­ rungsgewalt nicht ohne die Unterscheidung in bedingte und unbedingte Civität gedacht werden könne, läßt sich noch von einer andern Seite her ;tig