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German Pages [141] Year 2021
Jörn Ipsen
Grundherrschaft und Bauernbefreiung Die rechtliche Lage der ländlichen Bevölkerung im Königreich Hannover
V&R unipress Universitätsverlag Osnabrück
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Veröffentlichungen des Universitätsverlags Osnabrück erscheinen bei V&R unipress. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Seite aus der Gesetzessammlung des Königreichs Hannover (Hann.GS 1831, S. 209) Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-7370-1340-6
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erstes Kapitel: Die Rechtsstellung der Bauern nach dem preußischen Landrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der »Bauernstand« als Regelungsgegenstand des ALR . . . . . II. Die Befreiung der Domänenbauern in Preußen . . . . . . . . . III. Das Oktoberedikt über die Bauernbefreiung . . . . . . . . . . IV. Gutsherrschaft im Obrigkeitsstaat . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zweites Kapitel: Das Eigenbehörigkeitsrecht des Hochstifts Osnabrück . I. Grundzüge der Eigentumsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Erlass der Eigentumsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. »Von den Ursachen des Eigenthums« (Cap. II) . . . . . . . . . 3. »Von der Person des Eigenthums-Herrn und des Eigenbehörigen Knechts« (Cap. III) . . . . . . . . . . . . . . . . 4. »Von der Succession der Eigenbehörigen« (Cap. IV) . . . . . . 5. Eheschließung des Anerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. »De Laudemiis in specie, sivè Weinkauff/vulgò Auff-Fahrten« (Cap. V) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. »Von Sterb-Fällen/oder Be-Erbtheilungen« (Cap. VI) . . . . . . II. Die Rechtsstellung der Eigenbehörigen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Eigentum (Cap. XI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. »Von denen Diensten« (Cap. XIII) . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwangsmittel gegen den und Rechtsschutz des Eigenbehörigen . 4. Die Abäußerung (Cap. XVIII) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Erlangung der Freiheit (Cap. VIII) . . . . . . . . . . . . . . III. Exkurs: Der Rechtsstreit des Bauern Engelke . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
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41 41 43 43 44 45 46 49 54
Viertes Kapitel: Das Meierverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Meierrecht als selbständiges Rechtsgebiet . . . . . . . . . . II. Die Definition des Meierverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Meierordnung für das Fürstentum Calenberg . . . . . . . . 1. Rechtsvermutung zugunsten des Meierguts . . . . . . . . . . 2. Die Erblichkeit des Meierguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Meierbrief und Weinkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Meierzins und Remissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verbot der Veräußerung des Meierguts . . . . . . . . . . . . 6. Die Erbfolge in das Meiergut . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Abmeierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Der Konkurs des Meiers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gustav von Gülichs Schrift: »Ueber die Verhältnisse der Bauern im Fürstenthume Calenberg« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Exkurs: Bäuerliche Lebensbedingungen im Amt Blumenau . . . VI. Das Meierrecht im Fürstentum Lüneburg . . . . . . . . . . . . . VII. Das Meierrecht im Fürstentum Hildesheim . . . . . . . . . . . . VIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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57 57 58 59 59 60 60 61 62 62 64 65
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66 71 75 76 80
Fünftes Kapitel: Vorboten der Ablösungsgesetzgebung . . I. Die Preisschrift Westfelds . . . . . . . . . . . . . . II. Stüves Beitrag »Stadt und Land« . . . . . . . . . . . III. Stüves Schrift über die Lasten des Grundeigentums
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81 81 84 86
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Drittes Kapitel: Das Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück . I. Die Heuerlinge als unterbäuerliche Schicht . . . . . . . . . II. Das Gutachten von Jacobi und Ledebur . . . . . . . . . . . 1. Begriffliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschaffenheit der Heuerhäuser . . . . . . . . . . . . . . 3. Garten- und Ackerland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Dienstleistungen der Heuerleute . . . . . . . . . . . . . III. Die Schrift des Pastors Georg Funke . . . . . . . . . . . . . IV. Stüves Reform des Heuerlingswesens . . . . . . . . . . . .
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Sechstes Kapitel: Grundherrschaft und Rittergut . . . . . . . . . . . I. Begriffliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Exkurs: Das Beispiel des Ritterguts Ledenburg (Fürstentum Osnabrück) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Ablösung gutsherrlicher Privilegien . . . . . . . . . . . . IV. Die Neuordnung der allgemeinen Grundsteuer . . . . . . . .
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Inhalt
V. Rittergüter und Dorfgemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Aufhebung der Partrimonialgerichte . . . . . . . . . . . . . .
95 96
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99 99 100 100 104 105 106 107 108
Achtes Kapitel: Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen . . . . . . I. Die Gemeinheitsteilungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verkoppelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Exkurs: Gemeinheitsteilung und Verkoppelung in der Gemeinde Albstedt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zusammenfassung und Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Siebtes Kapitel: Wandlungen der Agrarverfassung im Königreich I. Begriffliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verfahren der Ablösungsgesetzgebung . . . . . . . . . III. Die Ablösungsverordnung vom 10. November 1831 . . . . IV. Die Ablösungs-Ordnung vom 23. Juli 1833 . . . . . . . . . V. Vollzug der Ablösungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Exkurs: Der Ablösungs-Contract Wersebe/Wersebe . . . . VII. Die Gründung der Hannoverschen Landeskreditanstalt . . VIII. Gesetze zum Schutz der unterbäuerlichen Schichten . . . .
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Neuntes Kapitel: Staatsverfassung und Agrarverfassung . . . . . . . . . I. Stufen der Verfassungsgebung im Königreich . . . . . . . . . . 1. Das Patent vom 7. Dezember 1819 . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Zusammensetzung der Ständeversammlung im Jahr 1832 II. Die Zusammensetzung der Ständeversammlung nach Inkrafttreten des Staatsgrundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Hannoversche Verfassung von 1840 . . . . . . . . . . . . . . IV. Verfassungsänderung und Zusammensetzung der Ständeversammlung in Zeiten der Revolution . . . . . . . . . . 1. Die Einsetzung des März-Ministeriums . . . . . . . . . . . . . 2. Die Revision des Landesverfassungs-Gesetzes . . . . . . . . . 3. Die Änderungen des Landesverfassungs-Gesetzes . . . . . . . 4. Aktives und passives Wahlrecht zur Ständeversammlung . . .
Vorwort
Die hier vorgelegte Monographie hat eine Vorgeschichte. Aus Anlass meiner Emeritierung habe ich am 6. Juli 2012 eine Abschiedsvorlesung zum Thema »Hannoverscher Staatsstreich und Osnabrücker Verfassungsbeschwerde« gehalten (NdsVBl. 2012, S. 169–178). Die mir im Anschluss zugeordnete Niedersachsenprofessur ermöglichte es, ein Forschungsprojekt zur Vorgeschichte des Hannoverschen Staatsstreichs zu beginnen, das seinen Niederschlag in dem Werk »Macht versus Recht. Der Hannoversche Verfassungskonflikt 1837–1840« gefunden hat und im Jahr 2017 erschienen ist. Die zentrale Figur im Widerstand gegen den Staatsstreich war der Osnabrücker Bürgermeister Johann Carl Bertram Stüve, dessen politisches und wissenschaftliches Wirken ich in der 2019 erschienenen Monographie »Das Reformwerk Johann Carl Bertram Stüves – Bürgermeister und Deputierter der Stadt Osnabrück – Innenminister des Königreichs Hannover« gewürdigt habe. Stüves epochales Reformvorhaben bestand in der Ablösungsgesetzgebung für die von Grundherren abhängigen Bauern, die 1833 abgeschlossen wurde, deren Umsetzung aber noch Jahrzehnte in Anspruch nahm. Die Ablösungsgesetzgebung gab Anlass, den Blick auf die Rechtsverhältnisse der ländlichen Bevölkerung im Königreich Hannover zu richten und diese ebenfalls monographisch zu bearbeiten. Wie bei den vorangegangenen Monographien werden die Rechtsquellen und die hierzu erschienene Literatur vielfach auszugsweise wiedergegeben. Sämtliche Quellen sind nur schwer zugänglich, der unmittelbare Eindruck für den Leser aber unverzichtbar. Mein Dank gilt der Stiftung der Sparkassen im Landkreis Osnabrück und der Dieter Fuchs Stiftung für die Förderung des Forschungsprojekts. Besonderer Dank gilt meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Georgia Marfels für die hilfreiche Unterstützung bei der Archivarbeit. Das Manuskript in seinen zahlreichen Fassungen ist in gewohnter Sorgfalt von Susanne Küpper geschrieben worden, der ich ebenfalls großen Dank schulde. Osnabrück, im Mai 2021
Jörn Ipsen
Einleitung
Das Kurfürstentum Hannover – im Reichsdeputationshauptschluss (§ 4) noch Braunschweig-Lüneburg genannt – erlangte seine territoriale Gestalt erst durch den Wiener Kongress. Die ehemals preußischen Gebietsteile Hildesheim, Goslar, Ostfriesland und ein Teil von Lingen und Münster sowie die ehemals arenbergische Grafschaft Meppen und ein Teil von Rheina-Walbeck wurden dem Kurfürstentum angegliedert.1 Durch gleichlautende Noten an die teilnehmenden Staaten vom 12. Oktober 1814 erklärte sich das Kurfürstentum Hannover zum Königreich und gehörte neben Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg zur sogenannten »Pentarchie«, einer Gruppierung deutscher Königreiche mit besonderer Willensbildung. Die territoriale Ausdehnung des Königreichs erforderte grundlegende Reformen der Verwaltung als Mitgliedstaat des deutschen Bundes (Art. 13 DBA), insbesondere eine Verfassung. Das »Patent, die Verfassung der allgemeinen Stände-Versammlung des Königreichs betreffend« erging am 7. Dezember 1819.2 Schon vorher war eine provisorische Ständeversammlung einberufen worden, die sich aus den Landständen der Provinzen zusammensetzte und für Beschlüsse in allgemeinen Landesangelegenheiten zuständig war.3 Nach dem Provisorium, das sich immerhin über mehrere Jahre erstreckte, erließ der Prinzregent das Patent über die Allgemeine Stände-Versammlung. Es enthielt eine Darstellung der gegenwärtigen Rechtslage, wobei die Notwendigkeit einer für das gesamte Königreich zuständigen Versammlung betont wurde. In der Sache war es ein Organisationsedikt für die Allgemeine Stände-Versammlung mit einer eher vagen Zuständigkeitsabgrenzung und noch weit von den späteren Verfassungen des Frühkonstitutionalismus entfernt. Konkret war erst der Anhang des Patents, in dem die Zusammensetzung der Ersten und der Zweiten Kammer bestimmt
1 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I, S. 578. 2 Hann. GS 1819, S. 135. 3 Vgl. J. Ipsen, Macht versus Recht, S. 8f.
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Einleitung
wurde. Die Erste Kammer bestand nur aus Adeligen, die Zweite Kammer repräsentierte Korporationen und Städte.4 Die neue territoriale Gestalt des Königreichs erforderte eine Reform auch der Verwaltung, die mit dem Edikt vom 26. Oktober 1822 in Angriff genommen wurde. An die Stelle der bisherigen Provinzialregierungen traten sechs Landdrosteien, nämlich Hannover (für das Fürstentum Calenberg und die Grafschaften Hoya und Diepholz), Hildesheim (für die Fürstentümer Hildesheim, Göttingen und Grubenhagen), Lüneburg (für das Fürstentum Lüneburg), Stade (für die Herzogtümer Bremen und Verden und das Land Hadeln), Osnabrück (für das Fürstentum Osnabrück und die Grafschaften Lingen, Meppen und Emsbüren sowie Bentheim) und Aurich (für das Fürstentum Ostfriesland). Die Bezeichnungen der früheren – souveränen – Territorien wurden weiterhin benutzt und dienten nunmehr der geographischen Abgrenzung von Zuständigkeiten der Mittelbehörden.5 Als Reminiszenz an das Alte Reich waren die mediatisierten Fürsten geborene Mitglieder der Ersten Kammer der Allgemeinen Stände-Versammlung. Das Königreich war ein durch die Agrarwirtschaft geprägter Staat, dessen Bevölkerung zu einem ganz überwiegenden Teil auf dem Land und von der Landwirtschaft lebte, die Landwirtschaft aber auch die Versorgung der Stadtbevölkerung sicherstellen musste. Hannover besaß keine einheitliche Agrarverfassung; vielmehr waren die Rechtsverhältnisse der ländlichen Bevölkerung durch Herkommen, Überlieferung und Gesetzgebung der unterschiedlichen Fürstentümer geprägt und entziehen sich schon aus diesem Grund einer zusammenfassenden Darstellung. Zwar lässt sich bei allen Unterschieden im Einzelnen eine Rechtsfamilie in Gestalt des Meierrechts ausmachen, dessen umfassende Darstellung wir Werner Wittich verdanken.6 Grundlegende Unterschiede gab es jedoch im Vergleich zu dem westfälischen Eigenbehörigkeitsrecht, das in Gestalt der Eigentumsordnung für das Fürstentum Osnabrück aus dem Jahr 1722 eine ein ganzes Zeitalter prägende Kodifizierung gefunden hatte. Anliegen dieser Untersuchung kann es deshalb nicht sein, die einzelnen Ordnungen in ihren Verästelungen und Unterschieden darzustellen. Vielmehr ist ein paradigmatisches Vorgehen vorgesehen, in dem zugunsten rechtlicher Grundsätze auf das Detail verzichtet wird. Die die Agrarverfassung des Königreichs in ihren unterschiedlichen Ausprägungen bestimmenden Normenordnungen lassen sich grosso modo dem Privatrecht zuordnen. Zwar war der Landesherr auch Grundherr und in die unterschiedlichen Eigentums- bzw. Meierordnungen eingebunden; diese Rechtsbe4 Verzeichnis der Mitglieder der allgemeinen Stände-Versammlung, Hann. GS 1819, S. 140ff. 5 Überblick bei W. Conze, Die liberalen Agrarreformen Hannovers im 19. Jahrhundert, 1947. 6 Vgl. W. Wittich, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, 1896.
Einleitung
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ziehungen hatten aber kein hoheitliches Gepräge. Der »Staat« als mit Zwangsgewalt ausgestattete Organisation trat indes zunehmend als Steuerstaat in Erscheinung und damit wirtschaftlich gesehen in Konkurrenz zu den Grundherren. Die unfreien Bauern – um hier einen alle Kategorien umfassenden Begriff zu wählen – waren neben den dem Grundherrn zu entrichtenden vielfältigen Abgaben zunehmend auch durch Steuern – etwa die Grundsteuer – belastet. Die Interessen der Grundherren und des Staates waren im Ansatz gegenläufig, wirkten sich aber im Ergebnis als ständig zunehmende Belastung der ländlichen Bevölkerung aus. Die Rechtsverhältnisse der ländlichen Bevölkerung im Königreich Hannover haben sich im Laufe des 19. Jahrhunderts grundlegend gewandelt. Dieser Wandel war Konsequenz und Widerspiegelung des Übergangs vom altständischen Feudalstaat zur konstitutionellen Monarchie und damit des Wandels der Staatsverfassung. Allerdings zeigte sich die überkommene Eigentumsordnung gegenüber Änderungen resistent, so dass es in weiten Gebieten bei dem Herkommen blieb und es noch Jahrzehnte dauerte, bevor die nachhaltigste Änderung der Agrarverfassung – die Ablösungsgesetzgebung – in die Praxis umgesetzt worden war. In Preußen fand der spätabsolutistische Ständestaat und damit die Agrarverfassung eine Kodifizierung im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) von 1794. Im ALR wurde die »Erbunterthänigkeit« der Bauern bis in Einzelheiten geregelt. Zwar galt das Allgemeine Landrecht nur im Königreich Preußen; es kann jedoch für die hier zu untersuchenden Rechtsverhältnisse als eine Art Folie dienen, vor der die Eigenbehörigkeit des Fürstentums Osnabrück und die unterschiedlichen Ausprägungen des Meierrechts in den anderen Fürstentümern an Anschaulichkeit gewinnen.
Erstes Kapitel: Die Rechtsstellung der Bauern nach dem preußischen Landrecht
Mit dem 1794 in Kraft getretenen Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten verfügen wir über eine Kodifikation nicht nur der verschiedensten Rechtsgebiete, sondern auch über eine Vielzahl von Bestimmungen über die seinerzeit bestehende Ständegesellschaft. So ist der siebente Titel »Vom Bauernstande« überschrieben, der achte Titel »Vom Bürgerstande« und der neunte Titel »Von den Rechten und Pflichten des Adelstandes«. Bezeichnend ist, dass der siebente Titel 548 Paragraphen umfasst, der achte Titel sich auf 2.458 Paragraphen beläuft – und damit den Umfang des späteren BGB hat –, während der neunte Titel lediglich 100 Bestimmungen – überwiegend über den Erwerb von Adelsprädikaten – enthält.
I.
Der »Bauernstand« als Regelungsgegenstand des ALR
Zum Bauernstand gehörten alle Bewohner des platten Landes, welche sich mit dem unmittelbaren Betriebe des Ackerbaus und der Landwirtschaft beschäftigten, insofern sie nicht durch adlige Geburt, Amt oder besondere Rechte von diesem Stand ausgenommen waren (§ 1 II 7 ALR). Bauern – und ihre Kinder – durften ohne Erlaubnis des Staates kein bürgerliches Gewerbe betreiben (§ 2 II 7 ALR). Sie waren verpflichtet, die Kultur ihrer Grundstücke »wirthschaftlich« zu betreiben (§ 8 II 7 ALR). Hierzu setzte der Staat nötigenfalls entsprechende Zwangsmittel ein (§ 9 II 7 ALR). § 14 II 7 ALR enthält eine Bestimmung über den Bauernschutz, der zufolge die auf dem Land bestehenden Stellen weder durch Einziehung noch durch Zusammenlegung »vermindert« werden durften. Die Gutsherrschaften waren im Gegenteil verpflichtet, für die Besetzung der vorhandenen Stellen zu sorgen (§ 15 II 7 ALR). Während die genannten Bestimmungen für Bauern, die die Definition des § 1 erfüllten, schlechthin galten, wurde im dritten Abschnitt des Titels – »Von unterthänigen Landbewohnern und ihrem Verhältnisse gegen ihre Herrschaften« –
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Die Rechtsstellung der Bauern nach dem preußischen Landrecht
das als »Erbunterthänigkeit« zu bezeichnende Rechtsverhältnis geregelt. Begrifflich wurde zwischen den »Gutsunterthanen« und den »Gutsherrschaften« unterschieden (§ 87 II 7 ALR). Nur die Besitzer von Rittergütern konnten in der Regel Untertanen haben und herrschaftliche Rechte über »dergleichen Leute« ausüben (§ 91 II 7 ALR). Besitzer freier Landgüter mussten dieses »Vorrecht« besonders begründen (§ 92 II 7 ALR). Die Erbuntertänigkeit war dadurch gekennzeichnet, dass die Kinder der erbuntertänigen Eltern ihrerseits erbuntertänig wurden (§ 93 II 7 ALR). Nach § 147 II 7 ALR wurden die Untertanen »außer der Beziehung auf das Gut« in ihren Geschäften und Verhandlungen als freie Bürger des Staates angesehen: »Es findet daher die ehemalige Leibeigenschaft als eine Art der persönlichen Sklaverey, auch in Ansehung der unterthänigen Bewohner des platten Landes nicht Statt.«7
So waren sie fähig, Eigentum und andere Rechte zu erwerben und sie gegen jedermann – auch gerichtlich – zu verteidigen (§ 149 II 7 ALR). § 150 begründete die für das Erbuntertänigkeitsverhältnis kennzeichnende Schollenpflichtigkeit, denn die Bauern durften das Gut, zu dem sie gehörten, ohne Bewilligung ihrer Grundherrschaft nicht verlassen. Umgekehrt konnten sie von der Herrschaft »ohne das Gut, zu welchem sie gehören, nicht verkauft, vertauscht, oder sonst an einen Andern wider ihren Willen abgetreten werden« (§ 151 II 7 ALR). Diese Bestimmung scheint im Widerspruch zu § 148 zu stehen, nach dem die »ehemalige Leibeigenschaft« gerade nicht stattfinden sollte. Gemeint war, dass bei einem Verkauf des Gutes auch die erbuntertänigen Bauern ihre Gutsherrschaft wechselten, weil das von ihnen bewirtschaftete Land nunmehr im Eigentum des neuen Gutsherrn stand. Nicht dagegen wurde eine Art Leibeigenschaft begründet, kraft derer der Gutsherr Eigentumsrechte an den Untertanen hatte.8 Die Schollenpflichtigkeit schloss ein, dass nach »entwichenen Unterthanen« gesucht werden konnte und sie zur Rückkehr gezwungen werden konnten (§ 155 II 7 ALR). Es war strafbar, entwichene Untertanen dem Gutsherrn vorzuenthalten oder sie bei sich zu verstecken (§§ 156, 157 II 7 ALR). Strafbar und ersatzpflichtig waren auch diejenigen, die einen nicht losgelassenen Untertanen in ihre Dienste aufnahmen (§ 58 II 7 ALR). Das Gleiche galt für die »auswärts gebornen Kinder« entwichener Untertanen (§ 159 II 7 ALR). Untertanen konnten nur mit herrschaftlicher Genehmigung heiraten (§ 161 II 7 ALR). Allerdings waren die Versagungsgründe im Gesetz aufgezählt, etwa wenn die »Person«, die der Gutsuntertan zu heiraten beabsichtigte, wegen »Lieder7 § 148 II 7 ALR. 8 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I, S. 184. Huber bezeichnet die Erbuntertänigkeit nur als »abgeschwächte Form« der Leibeigenschaft (a. a. O.)
Der »Bauernstand« als Regelungsgegenstand des ALR
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lichkeit, Faulheit, oder Widerspenstigkeit« bekannt war (§ 164 II 7 ALR). Ausdrücklich wurden Ehen, die ohne herrschaftliche Erlaubnis geschlossen worden waren, als gültig bezeichnet; die Ehepartner hatten sich damit aber strafbar gemacht und konnten mit Gefängnis oder Strafarbeit belegt werden (§ 168 II 7 ALR). Hatte ein Untertan eine der in den vorherigen Vorschriften genannte Person ohne Einwilligung der Herrschaft geheiratet, so konnte sie beantragen, dass dieser »aus der Stelle« – nämlich aus dem von ihm bewirtschafteten Land – »entsetzt« wurde (§ 169 II 7 ALR). Gegen die Versagung der Heiratserlaubnis konnte der Untertan das Obergericht der Provinz anrufen, freilich nur, um den fehlenden rechtlichen Grund zu ergänzen (§ 170 II 7 ALR). Da die Erbuntertänigkeit sich auf die Kinder der Untertanen erstreckte, gehörten sie ebenfalls dem Bauernstand an (§ 171 II 7 ALR): »Ohne ausdrückliche Erlaubniß der Gutsherrschaft können sie zur Erlernung eines bürgerlichen Gewerbes, oder zum Studiren nicht zugelassen werden.«9
Umgekehrt konnte die Gutsherrschaft die Kinder der Untertanen gegen den Willen der Eltern nicht zur Wahl einer »andern Lebensart« zwingen (§ 173 II 7 ALR). Sofern Kinder wegen ihrer »körperlichen Beschaffenheit« zu schwerer Handarbeit nicht tauglich waren, musste ihnen eine leichtere Arbeit erlaubt werden (§ 175 II 7 ALR). Für auf den Gebieten von Kunst oder Wissenschaft besonders talentierte Kinder sah § 176 vor, dass ihnen die Erlaubnis zu deren Erlernung nicht verweigert werden durfte. Allerdings mussten die Aufwendungen der Herrschaft späterhin durch Abzug vom Lohn erstattet werden (§ 177 II 7 ALR). Selbst für den Fall, dass die erlernte Kunst oder das Handwerk von der Herrschaft nicht gebraucht wurde, traf das Gesetz eine Regelung. Der Untertan hatte in diesem Fall einen Anspruch darauf, sein »Brot anderwärts« zu verdienen (§ 179 II 7 ALR). Im fünften Abschnitt des siebenten Titels fanden sich Bestimmungen über die Rechte und Pflichten der Untertanen in Ansehung ihres Vermögens. Untertanen konnten – »gleich andern Bürgern des Staats« – freies Vermögen erwerben und besitzen (§ 240 II 7 ALR). Allerdings durften sie Verbindlichkeiten, wodurch sie ihren Dienstpflichten entzogen wurden, ohne Einwilligung der Herrschaft nicht übernehmen (§ 241 II 7 ALR). § 246 II 7 ALR enthielt eine bemerkenswerte Bestimmung: »In der Regel, oder wo das Gegentheil nach Provinzialgesetzen und Verfassungen, oder sonst, nicht erhellet, sind angesessene Unterthanen als wirkliche Eigenthümer ihrer Stellen und Güter anzusehen, und in vorkommenden Fällen zu beurteilen.«
9 § 172 II 7 ALR.
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Die Rechtsstellung der Bauern nach dem preußischen Landrecht
Sie konnten die Grundstücke aber ohne Einwilligung der Herrschaft weder veräußern, noch tauschen oder einzelne Teile abtrennen (§ 247 II 7 ALR). Ebenso wenig konnten sie ohne Einwilligung der Herrschaft den von ihnen bewirtschafteten Grundstücken Dienstbarkeiten oder andere Lasten auferlegen (§ 248 II 7 ALR). Der Untertan konnte nach § 267 über sein »eigenthümliches Vermögen« letztwillig verfügen und bestimmen, welches unter mehreren Kindern sein Gut übernehmen sollte (§ 268 II 7 ALR). Auch konnte der Untertan bestimmen, in welcher Höhe die anderen erbberechtigten Kinder entschädigt werden sollten (§ 269 II 7 ALR). Lag kein Testament vor, konnte die Herrschaft denjenigen unter mehreren Miterben bestimmen, der das Gut übernehmen sollte (§ 272 II 7 ALR), sofern sich die Miterben nicht ihrerseits auf denjenigen einigten, der das Gut übernehmen sollte. In diesem Fall konnte die Herrschaft ihre Einwilligung nur versagen, wenn der Miterbe nach allgemeinen Grundsätzen abgelehnt werden konnte (§ 273 II 7 ALR). Der siebente Titel enthielt eine Reihe von Bestimmungen über den Bauernschutz. Als Grundsatz galt, dass die Herrschaft einen Untertanen, »der sein Gut eigenthümlich besitzt, desselben ohne erhebliche Ursache und richterliches Erkenntniß nicht entsetzen« durfte (§ 287 II 7 ALR). Die Parallelen zu dem in den Provinzen des Königreichs Hannover geltenden Meierrechts liegen auf der Hand. In den folgenden Paragraphen sind die Fälle aufgezählt, unter denen der Untertan gezwungen werden konnte, das Gut zu verkaufen bzw. einem anderen zu überlassen. Auch hier drängt sich der Vergleich zum Meierrecht auf. Allerdings wurde ein Untertan, der aus den genannten Gründen zum Verkauf angehalten worden war, von der persönlichen Untertänigkeit nicht frei (§ 297 II 7 ALR). Weniger gesichert war die Rechtsstellung der Erb- und Zeitpächter, die nach dem Inhalt ihrer Verträge beurteilt wurden (§ 304 II 7 ALR). Im Zweifel stritt die Vermutung für eine Erbpacht (§ 305 II 7 ALR). Die Aufhebung derartiger Pachtverträge folgte den gleichen Grundsätzen wie die Erbuntertänigkeit mit der Folge, dass auch hier ein gerichtliches Verfahren stattzufinden hatte. Während im fünften Abschnitt des siebenten Titels die Rechtsstellung der Untertanen hinsichtlich des von ihnen bewirtschafteten Gutes geregelt und im Sinne des Bauernschutzes abgesichert wurde, enthielt der sechste Abschnitt Bestimmungen über die von den Untertanen zu leistenden Dienste. In § 311 wurde hierzu der folgende Grundsatz aufgestellt: »In der Regel sind die zu Diensten verpflichteten Unterthanen alle Arten von Fuhren und Handarbeiten, welche zur landwirthschaftlichen Benutzung des herrschaftlichen Guts erfordert werden, zu verrichten schuldig.«
Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landrechts geleisteten Dienste sollten unberührt bleiben (§ 313 II 7 ALR). Im Übrigen unterschied das Gesetz zwischen
Der »Bauernstand« als Regelungsgegenstand des ALR
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»gemessenen« und »ungemessenen« Diensten. Bei letzteren war »sowohl auf die Nothdurft des Guts, zu dessen Cultur die Unterthanen angesetzt sind, als auch auf deren eigne Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen« (§ 315 II 7 ALR). Bei der Festsetzung und Verteilung der Dienste war darauf zu achten, dass den Untertanen die nötige Zeit zur Stellung ihrer eigenen Wirtschaft übrig blieb (§ 319 II 7 ALR). Den Untertanen kam im Streitfall Rechtsschutz zu, bei dem beide Seiten Sachverständige benennen mussten (§ 320 II 7 ALR). § 323 II 7 ALR enthielt eine Ermächtigung für das Ortsrecht zu bestimmen, welche Klasse von Untertanen zu welchen Spanndiensten verpflichtet war. Nach § 327 waren die Untertanen verpflichtet, ihre Dienste nach der Anweisung der Herrschaft »mit Fleiß, Sorgfalt und Treue zu verrichten«. Mit Einwilligung der Untertanen konnte die Herrschaft Naturaldienste in Dienstgeld und »mit ihrer Zuziehung« ungemessene Dienste aller Art in gemessene verwandeln (§ 421 II 7 ALR). Bei entstehenden Dienststreitigkeiten mussten die Untertanen diejenigen Dienste, die sie im letzten Jahr ohne schriftlichen Vorbehalt geleistet hatten, bis zur rechtskräftigen Entscheidung fortsetzen (§ 463 II 7 ALR). Der siebente Abschnitt betraf die Zinsen und Abgaben der Untertanen. Zunächst enthielt der Abschnitt die Bestimmung, dass zukünftig alle Abgaben der Untertanen in den entsprechenden Dokumenten möglichst genau bestimmt werden sollten (§ 472 II 7 ALR). Dass die Untertanen weitere Abgaben zu leisten verpflichtet waren, wurde nicht vermutet (§ 473 II 7 ALR). Abgaben konnten in Geldzahlungen oder in Naturalien bestehen, wobei für letztere Geld zu entrichten war, wenn dem Pflichtigen die Naturalien »nicht zugewachsen« waren (§ 467 II 7 ALR). Des Weiteren enthielt der Abschnitt besondere Bestimmungen für Fälligkeit und Verzug. Bei Streitigkeiten war dem Untertan Rechtsschutz zu gewähren (§ 486 II 7 ALR). Wegen erlittener Unglücksfälle konnten die Untertanen nur dann einen Nachlass fordern, wenn ihnen ein solcher auch von der »landesherrlichen Kontribution« zukam (§ 488 II 7 ALR). Allerdings betrug der gutsherrliche Nachlass nur die Hälfte der Zeit, für die der Landesherr die Steuern erließ. Zum besseren Verständnis war in § 490 ein Beispiel aufgeführt: »Wenn also z. B. der Landesherr einem Unterthan, wegen erlittener Unglücksfälle, sechsmonatliche Steuern nachläßt; so kommt diesem, an den jährlichen Zinsen und Abgaben der Erlaß eines Viertels zu gute.«
Integriert in den dritten Abschnitt über die Rechtsverhältnisse von Herrschaften und Untertanen waren die Bestimmungen über den Gesindezwang. Die Kinder aller Untertanen, die in fremde Dienste gehen wollten, mussten sich der Herrschaft zum Dienen anbieten (§ 185 II 7 ALR). Die bisherigen »Gestellungstage«, an denen die diensttauglichen Kinder der Untertanen sich melden mussten und die Herrschaft auswählen konnte, welche sie im nächsten Jahr in den Dienst nehmen wollte, blieben bestehen (§ 188 II 7 ALR). Sofern die Herrschaft die
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Die Rechtsstellung der Bauern nach dem preußischen Landrecht
Dienste eines solchen »Unterthanenkindes« nicht in Anspruch nahm, musste sie einen Erlaubnisschein zum »Auswärtsdienen« ausstellen, der jeweils für ein Jahr galt (§§ 189, 190 II 7 ALR). Unter Kindern waren die Abkömmlinge der Untertanen zu verstehen, allerdings mit der Einschränkung, dass sie das Alter und die »Leibesstärke« erlangt haben mussten, die zur Ausübung der Dienste erforderlich waren (§ 195 II 7 ALR). Sofern die Kinder in der eigenen Wirtschaft der Eltern gebraucht wurden, so mussten sie ihnen gelassen werden (§ 196 II 7 ALR). Die im unmittelbaren Dienst der Gutsherrschaft stehenden Abkömmlinge der Gutsuntertanen bildeten das Gesinde. Lohn und Kost wurden durch die Gesindeordnungen bestimmt, die die Herrschaft nicht eigenmächtig ändern konnte (§ 204 II 7 ALR). Die Dienste des Gesindes betrugen unter Umständen mehrere Jahre und konnten nur unter erschwerten Bedingungen abgelöst werden. Über Streitigkeiten aus dem Rechtsverhältnis entschied der Gerichtshalter (§ 224 II 7 ALR), gegen dessen Entscheidung die höhere Instanz angerufen werden konnte (§ 225 II 7 ALR). § 227 II 7 ALR hatte folgenden Wortlaut: »Faules, unordentliches, und widerspenstiges Gesinde kann die Herrschaft durch mäßige Züchtigungen zu seiner Pflicht anhalten; auch dieses Recht ihren Pächtern und Wirtschaftsbeamten übertragen.«
Die gleiche Befugnis stand der Herrschaft über das Gesinde der Untertanen zu, wenn sie zum Hofdienst geschickt worden waren und sich dabei faul, unordentlich oder widerspenstig zeigten (§ 228 II 7 ALR). Eingeschränkt wurde das Züchtigungsrecht dadurch, dass die Gesundheit und das Leben des Gesindes nicht gefährdet werden durften (§ 229 II 7 ALR), weswegen die »Ertheilung der Stockschläge« verboten, der Gebrauch einer ledernen Peitsche demgegenüber aber erlaubt war. Grobe Misshandlungen der Untertanen waren durch die Kriminalgesetze zu ahnden; den Betroffenen stand überdies eine Entschädigung zu (§ 231 II 7 ALR). Gegenüber den »angesessenen Wirthen« – also den erbuntertänigen Bauern – waren Züchtigungen nicht gestattet. Sie wurden bei Widersetzlichkeit, beharrlicher Faulheit oder vorsätzlicher Vernachlässigung ihrer Pflichten mit Gefängnis oder Strafarbeit zu ihrer Pflicht angehalten (§ 232 II 7 ALR). Die folgenden Vorschriften bestimmten das Maß der Strafen und das gerichtliche Verfahren. In einem letzten Abschnitt des Titels fanden sich Vorschriften über die Entlassung aus der Untertänigkeit, die nur von dem Gutseigentümer selbst vorgenommen werden konnte (§ 496 II 7 ALR). Voraussetzung für die Entlassung war, dass der Untertan glaubhaft darlegen konnte, womit er seinen zukünftigen Lebensunterhalt bestreiten wollte (§§ 498, 499 II 7 ALR). Die Ursache der Entlassung war in dem entsprechenden »Losbrief« anzugeben; eine falsche Angabe machte diesen ungültig mit der Folge, dass der Untertan zurückgefordert werden konnte (§ 501
Die Befreiung der Domänenbauern in Preußen
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II 7 ALR). Für den Losbrief musste der Untertan ein Loslassungs- und Abzugsgeld entrichten, dessen Höhe in den Provinzialgesetzen näher bestimmt wurde (§ 531 II 7 ALR). Die Loslassung betraf auch die Frau des Untertanen und Kinder unter 14 Jahren (§ 524 II 7 ALR). Sofern der Untertan von der Herrschaft »ohne Urtel und Recht gemißgehandelt« wurde, konnte er seine Entlassung und die seiner Kinder unentgeltlich fordern (§§ 520, 525 II 7 ALR). Unsere Übersicht über die einzelnen Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts zeigt, dass die Kennzeichen der Erbuntertänigkeit – Schollenpflichtigkeit, Heiratserlaubnis, Gesindezwang, Loslassung gegen Loslassungsgeld bzw. Ablösungsgeld10 – in einer Fülle von Vorschriften geregelt waren. Das ALR entsprach damit dem Anspruch des historischen Naturrechts, »bis ins kleinste Detail konkret richtiges Recht zu schaffen«.11 Dagegen finden sich in dem siebenten Titel des ALR nur wenige Spuren der Aufklärung. Die Bestimmung, dass Untertanen »gleich andern Bürgern des Staates freies Vermögen erwerben und besitzen können« (§ 240 II 7 ALR) und über sein »eigenthümliches Vermögen« letztwillig verfügen könne (§ 267 II 7 ALR), konnte über die Fülle der mit der Erbuntertänigkeit verbundenen Pflichten nicht hinwegtäuschen. Zugunsten der erbuntertänigen Bauern schlugen allein die Bestimmungen über den Bauernschutz aus, die die Einziehung von Stellen zum Gutsbetrieb – das »Bauernlegen« – verhindern sollten. Im Übrigen waren – auch am Maßstab aufklärerischer Positionen – die Freiheiten der erbuntertänigen Bauern so stark beschnitten, dass die Parallele zum mittelalterlichen Leibeigentum und der Sklaverei in der Antike nicht fernliegend ist, obwohl dies im Gesetz ausdrücklich in Abrede gestellt wurde (§ 148 II 7 ALR). Schon vor dem Ende des 18. Jahrhunderts – eben zur Zeit des Inkrafttretens des Allgemeinen Landrechts – gab es Bewegungen, die Erbuntertänigkeit abzuschaffen und eine neue Agrarverfassung zu begründen. Bezeichnend für die Reformbedürftigkeit ist ein Zitat aus jener Zeit: »Und so blieb der Bauer immer und ewig auf derselben Stufe, verworren in sich, finster, unzufrieden, grob, knechtisch, nur dem Vogt gehorchend; ein unglückliches Mittelding zwischen Lastthier und Mensch.«12
II.
Die Befreiung der Domänenbauern in Preußen
Die Anfänge der später als »Bauernbefreiung« bezeichneten Maßnahmen in Preußen liegen in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts. Einerseits durch Unruhen unter den Bauern veranlasst, andererseits aber durch die Ideen von 10 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I, S. 184f. 11 So. F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 332. 12 Zitiert nach G. F. Knapp, Die Bauernbefreiung I, S. 77.
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Die Rechtsstellung der Bauern nach dem preußischen Landrecht
Freiheit und Gleichheit beflügelt13, verordnete König Friedrich Wilhelm III. erste Maßnahmen zur Befreiung der Domänenbauern. Knapp – gewiss kein Freund von Übertreibungen – sieht in den Dienstaufhebungen »das Großartigste, was der Staat des 18. Jahrhunderts – … – auf dem Gebiete der bäuerlichen Verhältnisse geleistet hat: Ganz geräuschlos tritt die Reform auf, greift am tiefsten ein und bringt es zu einer – nach damaliger Lage – makellosen Lösung.«14
Die Maßnahmen wurden in den folgenden Jahren in den verschiedenen preußischen Provinzen mit unterschiedlicher Intensität und gelegentlich mit Zeitverzug durchgesetzt. Da es sich bei den Domänen um Güter im Staatseigentum – gewissermaßen im Privateigentum des Königs – handelte, war politischer Widerstand des Adels nicht zu erwarten, wenngleich im Kreise der leitenden Minister unterschiedliche Auffassungen vertreten wurden.15 Beginnend mit dem Jahr 1799 wurde die Erbuntertänigkeit der Domänenbauern aufgehoben und die Hand- und Spanndienste abgeschafft.16 Soweit statistische Angaben vorliegen, weisen diese nicht nur Vorteile für die Domänenbauern, sondern auch eine Vermehrung der Staatseinkünfte auf.17 Allerdings wurden den Domänenbauern die Dienste nicht schlicht erlassen und den Domänenpächtern zugemutet, hierfür »auf eigene Rechnung« Ersatz zu schaffen.18 Von unentgeltlichem Wegfall der Dienste war nirgendwo die Rede. Es entstand lediglich eine neue Form der Reallast; an die Stelle der Dienste traten jährliche Geld- und Körnerabgaben.19 Die Befreiung der Domänenbauern diente als eine Art Modell für die Maßnahmen, die für die erbuntertänigen Bauern der Adeligen und anderer Güter folgen sollten. Der fundamentale Unterschied bestand allerdings darin, dass bei der Befreiung der »Privatbauern« Interessengegensätze zwischen den Gutsherren und den Hintersassen bestanden und überwunden werden mussten.
III.
Das Oktoberedikt über die Bauernbefreiung
Das am 9. Oktober 1807 vom preußischen König erlassene und von den Ministern Schrötter und Stein gegengezeichnete Edikt ist das grundlegende Dokument der preußischen Bauernbefreiung. Nach dem Zusammenbruch des preußischen 13 14 15 16 17 18 19
Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I, S. 185. So G. F. Knapp, Die Bauernbefreiung I, S. 96. Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I, S. 185f. Vgl. im Einzelnen G. F. Knapp, Die Bauernbefreiung I, S. 108ff. Vgl. G. F. Knapp, Die Bauernbefreiung I, S. 116. So G. F. Knapp, Die Bauernbefreiung I, S. 101. So G. F. Knapp, Die Bauernbefreiung I, S. 102.
Das Oktoberedikt über die Bauernbefreiung
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Staates und den umfangreichen Gebietsabtretungen in Folge der militärischen Niederlage im Jahr zuvor, war die Bauernbefreiung Teil des großen preußischen Reformwerks.20 Das Edikt betraf nicht nur die Erbuntertänigkeit der Bauern, sondern war dazu bestimmt, die dem freien Grundstücksverkehr gesetzten ständischen Schranken zu beseitigen. Nach § 1 des Edikts war jeder Einwohner der preußischen Staaten – will heißen: der Provinzen – zum Eigentum und zum Pfandbesitz unbeweglicher Grundstücke aller Art berechtigt. Der Begriff »Einwohner« verriet bereits die mit dem Edikt verfolgte Schaffung von Rechtsgleichheit, weil die noch im Allgemeinen Landrecht vorgenommene strikte Trennung in Bauern, Bürger und Adelige entfiel. Wie um die gesetzgeberische Absicht zu bestätigen, heißt es im Folgenden, der Edelmann sei »also zum Besitz nicht blos adelicher, sondern auch unadelicher, bürgerlicher und bäuerlicher Güter aller Art, und der Bürger und Bauer zum Besitz nicht blos bürgerlicher, bäuerlicher und anderer unadelicher, sondern auch adelicher Grundstücke [berechtigt], ohne daß der eine oder der andere zu einem Güter-Erwerb einer besonderen Erlaubniß bedarf, wenn gleich nach wie vor, jede Besitzänderung den Behörden angezeigt werden muß. Alle Vorzüge, welche bei Güter-Erbschaften der adeliche vor dem bürgerlichen Erben hatte, und die bisher durch den persönlichen Stand des Besitzers begründete Einschränkung und Suspension gewisser gutherrlichen Rechte, fallen gänzlich weg.«21
Jeder Edelmann sollte befugt sein, bürgerliche Gewerbe zu betreiben und jeder Bürger oder Bauer berechtigt sein, aus dem Bauern- in den Bürgerstand und aus dem Bürger- in den Bauernstand zu treten (§ 2 des Edikts). Die folgenden Paragraphen bezogen sich auf alle Arten von Grundstücksbelastungen und folgten dem Grundsatz, dass diese vor der Veräußerung eines Grundstücks abgelöst werden mussten. War mit den vorstehenden Vorschriften der freie Grundstücksverkehr gesetzlich festgelegt, so galten die folgenden Paragraphen – 10 bis 12 – der Verwirklichung persönlicher Freiheit. So sollte nach dem Datum der Verordnung kein Untertänigkeitsverhältnis – weder durch Geburt, noch durch Heirat, noch durch Vertrag – entstehen können. Mit der Publikation der Verordnung hörten vielmehr die bisherigen Untertänigkeitsverhältnisse derjenigen Untertanen auf, »welche ihre Bauergüter erblich oder eigenthümlich, oder Erbzinsweise oder Erbpächtlich besitzen«. § 12 des Edikts enthielt schließlich die klassischen Worte: »Mit dem Martini-Tage Eintausend Achthundert und Zehn (1810) hört alle Guts- und Unterthänigkeit in Unsern sämmtlichen Staaten auf. Nach dem Martini-Tage 1810 giebt es nur freie Leute, so wie solches auf den Domainen in allen Unsern Provinzen schon 20 Vgl. grundlegend E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I, S. 95. 21 PrGS 1806–10, S. 170.
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Die Rechtsstellung der Bauern nach dem preußischen Landrecht
der Fall ist, bei denen aber, wie sich von selbst versteht, alle Verbindlichkeiten, die ihnen als freien Leuten vermöge des Besitzes eines Grundstücks, oder vermöge eines besondern Vertrages obliegen, in Kraft bleiben.«
Mit dem Ende der Erbuntertänigkeit endete die Schollenpflichtigkeit der Gutsuntertanen, so dass diese nicht gehindert waren, sich an anderen Orten niederzulassen. Die nunmehr bestehende Freizügigkeit führte zu der großen Landflucht des 19. Jahrhunderts und hatte eine Entvölkerung des flachen Landes und die Entstehung eines ausgedehnten Industrieproletariats zur Folge.22 Die Kehrseite der Bauernbefreiung war in Preußen der Wegfall des Bauernschutzes, der sich insbesondere im Verbot des »Bauernlegens« – also der Einziehung von Bauernstellen zum Gutsbetrieb – auswirkte. Waren aber die Bauern nicht gehindert, ihre Stellen zu verlassen und anderswo ihr Glück zu suchen, so konnten umgekehrt die Gutsherren nicht gehindert werden, die frei gewordenen Bauernstellen zum Gutsbetrieb zu schlagen und statt der selbständig wirtschaftenden Bauern Tagelöhner als Arbeitskräfte zu beschäftigen.23 Diesen, dem Befreiungsedikt inhärenten Folgen sollte das vier Jahre später ergangene »Regulierungsedikt«24 entgegenwirken, das die »Allodifikation« – also die Einräumung freien Eigentums der Bauern – bewirken sollte.25 Die Übertragung des uneingeschränkten Eigentumsrechts an die bislang erbuntertänigen Bauern war jedoch nur gegen Ablösung – entweder in Land oder als Geldrente – möglich. Die Entschädigungspflicht wurde durch den im ALR (Einl. §§ 74, 75) enthaltenen Grundsatz gefordert, nach dem wohlerworbene Rechte nur gegen Entschädigung entzogen werden können. Die Entschädigung der Gutsherren durch Landabtretung wurde zwar auf ein Drittel bzw. die Hälfte der Hofstelle begrenzt, stellte bei kleineren Betrieben aber deren Wirtschaftlichkeit in Frage, so dass hiermit eine Art Mechanismus zur Aufgabe der Hofstellen und zu ihrer Einziehung und zur Schlagung zum Gut verbunden war. Zuständig für das Entschädigungsverfahren waren hierfür eingesetzte Kommissionen, so dass die Höhe der Entschädigung nicht im Belieben des Gutsherrn stand. Gleichwohl war die Einziehung von Bauernstellen verbreitet und einer der Gründe, weswegen das Oktoberedikt nicht auf den Widerstand des gutsherrlichen Adels stieß. Bezeichnend ist, dass bereits im Jahr 1808 eine Schrift »Ueber Erbunterthänigkeit« erschien, in der der Verfasser die Auffassung vertrat, die Gutsherren seien berechtigt, beliebig viele Bauernstellen einzuziehen und deren Besitzer als Tagelöhner zu beschäftigen.26 22 So E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I, S. 189. 23 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I, S. 189f. 24 Die Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse betreffend vom 14. Dezember 1811 (Pr. GS 281, 300). 25 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I, S. 193f. 26 Vgl. Th. Schmalz, Ueber Erbunterthänigkeit, S. 137f. u. passim.
Gutsherrschaft im Obrigkeitsstaat
IV.
25
Gutsherrschaft im Obrigkeitsstaat
Die Umsetzung der zur Beseitigung der Erbuntertänigkeit erlassenen Edikte dauerte in Preußen noch mehrere Jahrzehnte, weil naturgemäß über die Ablösung, die von Behörden festzulegen war, Streitigkeiten entstanden. Die Vermehrung und Vergrößerung von Bauerngütern und adliger Güter, die durch Einziehung von Bauernstellen an Umfang gewonnen hatten, veränderte die Agrarverfassung Preußens grundlegend, führte zu erhöhter landwirtschaftlicher Produktivität und trug damit dem Bevölkerungswachstum Rechnung. Eine Folge der Überwindung von Standesschranken, die noch durch das Allgemeine Landrecht verfestigt worden waren, war der Übergang vom Gutsuntertanen zum Staatsuntertanen. An sich hätte es in der Logik des absolutistischen Staates gelegen, gegenüber den Untertanen in einem unmittelbaren Verhältnis zu stehen. Durch die Gutsuntertänigkeit war für die Bauern und unselbständigen Landbewohner die Gutsherrschaft die unmittelbare Obrigkeit, weil diese die Polizeigewalt und Partrimonialgerichtsbarkeit ausübte. Für sämtliche lebenswichtigen Entscheidungen schoben sich zwischen den Staat und die Untertanen feudale Zwischengewalten – »pouvoirs intermédiaires« –, die für letztere wichtiger waren als die staatlichen Behörden, zumal diese auch räumlich weiter entfernt waren. Eine – beabsichtigte – Folge der Bauernbefreiung war die Ausschaltung dieser Zwischengewalten, wenngleich die Aufhebung hoheitlicher Befugnisse der Gutsherrschaft noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen sollte. Die Patrimonialgerichtsbarkeit wurde im Gefolge der Revolution von 1848 aufgehoben, die gutsherrliche Polizeigewalt fand in Preußen erst mit der Kreisordnung von 1872 ihr Ende.27
27 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I, S. 190f.
Zweites Kapitel: Das Eigenbehörigkeitsrecht des Hochstifts Osnabrück
I.
Grundzüge der Eigentumsordnung
1.
Der Erlass der Eigentumsordnung
Am 25. April 1722 erließ Herzog Ernst August II. (1674–1728) als Fürstbischof des Hochstifts Osnabrück eine »Eigentumsordnung«. In der Einleitung wird festgestellt, dass die die Eigenbehörigkeit betreffenden Sachen von den Gerichten oft ganz unterschiedlich entschieden worden seien, weil »kein beständiges Gesetz oder eine sichere und durch Unsere Landes-Herrliche Auctorität befestigte gleichförmige Regul und Observantz in Unserm gantzen Fürstenthum und Hoch-Stifft bißhero vorhanden gewesen.«28
Diesem Mangel und der daraus entstandenen Unordnung solle durch die Eigentumsordnung abgeholfen werden, die nach einem »räthlichen Gutachten« der Landstände und mit deren Vorwissen ergangen sei. Hinsichtlich des bislang angewandten Rechts wird sogleich ein Vorbehalt gemacht. Wenn dies auch nicht »in allen Stücken einerley und allgemein« sei, sondern dem Herkommen nach variiere und die den Eigenbehörigen auferlegten Pflichten unterschiedlich seien; »Also hat es bey solchen hergebrachten oder bedungenen Pflichten/wan selbige durch beglaubigte Registra, so zwantzig oder dreißig nach einander folgende Jahre continuiret sind/oder durch Guts-Herrliche Elterliche oder Vor-Elterliche beglaubte Lager-Bücher bewiesen worden, sein bewenden.«29
28 OEO. 1722, S. 3. 29 Cap. I § 2.
28 2.
Das Eigenbehörigkeitsrecht des Hochstifts Osnabrück
»Von den Ursachen des Eigenthums« (Cap. II)
Als »Fundamenta« des Eigentums werden die Geburt, die »Eigengebung«, die »Anerkaufung« und »Admittirung« vom Gutsherrn benannt (§ 1 Cap. II). § 2 Satz 1 des zweiten Kapitels hat folgenden Wortlaut: »Der Gebuhrt nach wird einer ein Eigenbehöriger/wan er von einer leibeigenen Mutter gebohren ist; dan wan gleich der Vatter frey/so folgen die Kinder dannoch der Condition ihrer Mutter/sie mögen von dem Vatter erben und auff der Stelle gebohren seyn oder nicht.«
Allerdings könnte bei der »Aufflassung« vereinbart werden, dass das erstgeborene Kind frei sein solle. Dies musste aber durch einen »Freibrieff« nachgewiesen werden. Bei der Geburt von Zwillingen konnte nur für das erstgeborene Kind die Freiheit beansprucht werden (Cap. II § 2 Satz 3). Nach § 3 war ein Wechsel des Gutsherrn möglich, indem der Eigenbehörige sich »einem andern eigen geben will«. In diesem Fall musste er von seinem Gutsherrn einen Freibrief vorweisen und durfte »nicht eher auff eine Stätte gelassen werden«. § 4 des zweiten Kapitels lautete wie folgt: »Durch Ankauffung und Tausch werden ebenfalls Eigenbehörige dem hiesigen Stifft acquiriret/wie dan die sogenannte Ravensbergische freyen durch einen Vergleich ans Stifft gebracht und dem Dom-Capitul/einigen von Adel und sonstigen privatis wieder verkauffet worden.«
Schon die ersten Bestimmungen der Eigentumsordnung lassen erkennen, dass diese in der Tradition der mittelalterlichen Leibeigenschaft stand. Zwar wird das Institut als »Eigenbehörigkeit« bezeichnet, setzte aber voraus, dass der Gutsherr an den Eigenbehörigen ein Eigentumsrecht hatte. Ausdrücklich ist in § 2 von der »leibeigenen Mutter« die Rede. § 4 schließlich regelte den Ankauf und den Tausch der Eigenbehörigen und verwendete damit Begriffe, die dem Sachenrecht zuzuordnen sind. Bemerkenswert ist dabei, dass das Eigentumsrecht nicht nur adligen Gutsherren oder dem Domkapitel, sondern auch Privaten zustehen konnte.
3.
»Von der Person des Eigenthums-Herrn und des Eigenbehörigen Knechts« (Cap. III)
§ 1 des dritten Kapitels hat folgenden Wortlaut: »Der Eigenthums-Herr/welcher ist gemein der Guts-Herr genennet wird/ist derjenige/ welchem der Eigenbehöriger mit Leib-Eigenthum verwandt und in Krafft Guts-Herr-
Grundzüge der Eigentumsordnung
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lichen Herkommens und Macht angehöret und dem/die Guts-Herrliche Gerechtsame gegen den Eigenbehörigen zu exerciren/von Rechts wegen zu stehet.«
Für den Erbfall sind Regelungen getroffen, nach denen die Pflichten des Eigenbehörigen nicht erhöht werden dürfen; allerdings steht es dem neuen Gutsherrn nach Cap. III § 4 Satz 1 frei, »die Eigenbehörige an andere zu übertragen oder zu veräussern/und wird alsdan derjenige/welcher dieselbe rechtlicher Weise titulo oneroso vel lucrativo erhandelt/gekaufft oder an sich gebracht hat/Eigenthums-Herr.«
Der neue »Eigenthums-Herr« soll es aber bei den hergebrachten Pflichten bewenden lassen und die Eigenbehörigen nicht mit neuen Diensten oder Auflagen beschweren.
4.
»Von der Succession der Eigenbehörigen« (Cap. IV)
Im vierten Kapitel finden sich eingehende Regelungen für den Fall, dass durch den Tod des Eigenbehörigen oder auf andere Weise eine neue Besetzung der Stelle erforderlich wurde und Söhne vorhanden waren. Hier galt das Jüngstenerbrecht, das heißt, dass der jüngste Sohn vor seinen Brüdern und Schwestern das Erbrecht beanspruchen konnte und vom Gutsherrn vorzuziehen war, falls dieser ihn für tüchtig erachtete (Cap. IV § 1). Für den Fall, dass der Anerbe aus irgendeinem Grund nicht für fähig erachtet wurde, »dem Erbe oder dem Gut der Gebühr vor-zustehen«, so war der Gutsherr ermächtigt, unter den anderen Kindern nach freier Wahl einen Nachfolger zu bestimmen (Cap. IV § 2 Satz 2). Das Jüngstenerbrecht fand insoweit keine Anwendung. Der Anerbe hatte aber ebenso wie die anderen Kinder einen Anspruch auf Entschädigung, die der Gutsherr nach Billigkeit festzulegen hatte. In der folgenden Vorschrift wird im Einzelnen bestimmt, unter welchen Umständen ein Erbe für untüchtig zu erachten ist, die erforderlichen Arbeiten zu verrichten. Dasselbe gilt für weibliche Erben, die auch dann ausgeschlossen sind, wenn sie sich dem »Huren-Leben ergeben haben, oder sonst berüchtiget sind« (Cap. IV § 3). Wird ein Erbe, der bei Gesundheit das Erbe angetreten hat, später arbeitsunfähig, so ist dies kein Grund, ihn zu verstoßen, solange er die Pflichten gegenüber dem Gutsherrn und dem Landesherrn erfüllt (Cap. IV § 4). Der Anerbe hat sich, nachdem er sich mit den übrigen Erben verglichen hat, »nebst seiner Braut oder Bräutigam« mit dem Gutsherrn über einen »billigmäßigen und proportionirten Weinkauffs zu vergleichen« (Cap. IV § 7). Der Anerbe tritt in sämtliche Pflichten gegenüber dem Gutsherrn und dem »publico« ein und hat die Schulden gegenüber privaten Geldgebern zu tragen (Cap. IV § 8). Für den Fall der Zahlungsunfähigkeit finden sich weitere Bestimmungen. Sollten die
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Das Eigenbehörigkeitsrecht des Hochstifts Osnabrück
Erben zahlungsunfähig und damit die Güter »erledigt« sein, können sie mit neuen Eigenbehörigen besetzt werden, die jedoch nicht die Schulden ihrer Rechtsvorgänger zu übernehmen haben, weil diese personengebunden seien (»actio personalis«), nicht aber auf dem Gut als solchem ruhten.
5.
Eheschließung des Anerben
Besondere Bestimmungen enthielt das Kapitel über die Eheschließung des Anerben, die der Genehmigung des Gutsherrn bedurfte: »Will der An-Erbe zur Ehe schreiten/so soll er oder sie eine solche Person außsehen und dem Guts-Herrn darstellen/welche GOtt fürchtet und eines so guten Gerüchts ist/daß der Gutsherr dawieder nichts mit bestand ein-zuwenden habe/und welche das Erbe mit einem proportionirtem Stück Geldes – oder sonst/verbessern könne« (Cap. IV § 12).
Cap. IV § 13 schließt an: »Ist die antretende Person freyen Standes/muß sie sich eigen geben; Ist sie aber dem Eigenthum eines Andern unterworffen/so ist sie gehalten/sich zuforderist frey zu kauffen.«
Die folgenden Vorschriften sind dazu bestimmt zu verhindern, dass Gutsherren hinsichtlich des persönlichen Standes hintergangen oder über den Freibrief getäuscht werden. Die »Eigengebung«, also der freiwillige Eintritt in die Gutsherrschaft und damit in das Eigentum des Gutsherrn, erfolgt formlos: »Zu der Eigen-gebung werden eben keine besondere Solennitäten erfordert/ist auch nicht nöthig/daß es vor Gericht/oder in Gegenwart eines Notarii und Zeugen/geschehe/ sondern es ist gnug/wan die Person/oder deren gnugsam Gevollmächtigter/einen Oßnabrückischen Schilling/oder was und wie viel sonst hergebracht/annimmt/darauff in beyseyn ihrer oder solcher die Dingung auff die Stätte oder Kotten vorgenommen und folglich in des Guts-Herrn Protocoll gezeichnet wird; womit die Person/ohne förmliche Renunciation der vorigen Freiheyt und anderer dergleichen Solennitäten/also bald eigen ist« (Cap. IV § 16).
Im Folgenden finden sich eine Reihe von Bestimmungen, die in der Vergangenheit aufgetretene Rechtsfälle abstrakt entscheiden. So wird geregelt, wie zu verfahren ist, wenn ein Anerbe über längere Zeit außer Landes geht bzw. nicht erreichbar ist (Cap. IV §§ 20, 21). Geregelt wird auch, dass ein Eigenbehöriger, dessen »Leib-eigener« Ehegatte gestorben ist, mit Einwilligung des Gutsherrn wieder heiraten kann, die »Person« sich aber eigen geben und den Weinkauf bezahlen muss (Cap. IV § 22). Auch findet sich eine Regelung darüber, wann Eltern eines Anerben in das Altenteil – die »Leibzucht« – ziehen müssen (Cap. IV § 23). Schließlich wird für den Fall, dass ein Eigenbehöriger von einem freien
Grundzüge der Eigentumsordnung
31
Erben durch Testament zum Erben eingesetzt wird, bestimmt, dass die Eigenbehörigkeit dem Erbantritt nicht entgegensteht, sondern »nach Ordnung der gemeinen Rechte/überall völlig succediren und bei allen Unseren Gerichten danach geurtheilet werden« solle (Cap. IV § 24).
6.
»De Laudemiis in specie, sivè Weinkauff/vulgò Auff-Fahrten« (Cap. V)
§ 1 des fünften Kapitels beginnt mit einer Definition: »Der Weinkauff ist ein gewisses Geld/so dem Guts-Herrn von demjenigen/welcher fremd zur Stätte kommt und dieselbe vermöge Erb-Rechts nicht praetendiren kan/ accordirter massen gegeben wird/gegen dessen Zuzahlung der fremde Contrahent an die von dem Guts-Herrn als Eigener/ihm offerirte Güter ein jus quaesitum erlanget.«
Schon in den vorangehenden Vorschriften über die Eheschließung war bestimmt worden, dass die Braut bzw. der Bräutigam, die oder der einen Eigenbehörigen heiratet, sich nicht nur in die Eigenbehörigkeit begeben, sondern auch einen Weinkauf entrichten muss.30 Im Folgenden finden sich Bestimmungen über die Zahlungsmodalitäten des Weinkaufs. Entscheidend ist § 4 des Kapitels, der folgenden Wortlaut hat: »Weil wegen des quanti der Weinkauffe keine gewisse Ordnung kan gesetzet werden/ nachdem die Stätte und Erben/wie auch die darauff hafftende Pflichten/nicht gleich sind/so wird ein jeder Guts-Herr von selbst dahin bedacht seyn/daß der antretende Colonus nicht über die Gebühr beschweret werde; Doch mag dem Guts-Herrn/wie er hierunter handeln solle/kein praecises Ziel und gewisse Masse eigent- und nahmentlich vorgeschrieben werden.«
7.
»Von Sterb-Fällen/oder Be-Erbtheilungen« (Cap. VI)
§ 1 des sechsten Kapitels hat folgenden Wortlaut: »Der so genannte Sterbfall ist der halbe Erbtheil der beweglichen Güter/so von denen im Eigenthum Verstorbenen nachgelassen/auch an die Guts-Herren dem Herbringen nach verfallen sind und/nach Belieben des Guts-Herren/auß-gezogen oder auf ein gewisses Geld verdungen wird.«
Das Erbrecht des Gutsherrn erfasst alle Eigenbehörigen, gleichgültig welchen Status sie einnehmen:
30 Vgl. oben S. 30.
32
Das Eigenbehörigkeitsrecht des Hochstifts Osnabrück
»Dahero/wan ein Eigenbehöriger Mann oder Frau verstirbet/er oder sie seye ihres GutsHerrn Colonus oder nicht und wohne auf seinen oder anderen eigenen oder auch freyen Gütern/so wird der- oder dieselbe dannoch vom Guts-Herrn geerbtheilet« (Cap. VI § 2).
Wenn einer von beiden im Ehestand lebenden Eigenbehörigen stirbt, so wird die Hälfte aller hinterlassenen beweglichen Güter als des Verstorbenen Anteil oder Erbteil vom Gutsherrn in natura gezogen und der noch lebende Ehegatte und dessen Kinder davon ausgeschlossen (Cap. VI § 3 Satz 1). Die andere Hälfte solcher Mobilien verbleibt dem »übergebliebenen Ehegatten/solang/biß der oder die gleichfalls mit dem Tod abgehet/alsdann erbet der Guts-Herr ferner« (Cap. VI § 3 Satz 2). Es liegt auf der Hand, dass Eltern regelmäßig versuchen würden, den hohen Erbanteil des Gutsherrn von jeweils der Hälfte des Mobiliareigentums zu vermeiden und ihren Kindern bereits zu Lebzeiten schenken. Als allgemeine Regel gilt: »was ein Leib-eigener erwirbet/erwirbet er seinem Guts-Herrn« (Cap. VI § 6 Satz 3). Dieser Satz soll auch für andere »eigenthümliche Güter« gelten. § 6 Satz 4 enthält deshalb eine Art Billigkeitsklausel: »Damit jedoch denen Eigenbehörigen nicht die Hände gantz gebunden werden/ihren Kindern etwas zu-zu wenden und zu geben/so wird ihnen hiermit vergönnet/solchen Kindern von ihren Mobilien/wan das Erbe dadurch nicht beschweret wird/zwar einen Theil/jedoch nicht über die Hälffte/bey lebendem Leib zu schencken/dergestalt und mit dieser Bedingung/daß solche Mobilien denen Kindern so fort übergeben und völlig abgetreten werden/die Eltern auch daran keinen Nießbrauch be- oder sich vorbehalten sollen.«
Die folgenden – sehr detaillierten – Bestimmungen sollen der naheliegenden Versuchung vorbeugen, dass Eigenbehörige Teile ihres Vermögens an Verwandte verschieben oder auf andere Weise dem Zugriff des Gutsherrn zu entziehen versuchen. Nach dem Erbfall ist deshalb ein Verfahren vorgesehen, in dem die Hinterbliebenen einen Eid abzulegen hatten, dass keine Güter oder Barbestände dem Zugriff des »Eigenthums-Herrn« entzogen würden. Für den Fall, dass Streit über die Zuordnung von Sachen entstand, wird ein kurzer Prozess angeordnet: »Solte aber der Bauer/oder derjenige/so die Güter und Sachen quaestionis in Händen haben/sich darüber beschweren und/daß solche Sachen zu des Verstorbenen Mittel gehören/wiedersprechen/so ist alsdan zu Entscheidung dieses Streits summariter und ohne Gestattung unnöthiger Weitläuffigkeit zu verfahren« (Cap. VI § 8 Satz 3).
§ 9 des sechsten Kapitels lautet: »Weil denen Eigenbehörigen obgedachter massen alle testamentarische Verordnung untersaget ist/so ist und bleibet folglich/wan sie auch ein Testamentum solenne errichtet haben/solches ohne Krafft und ungültig/zumahl sie mortis causa nichts verschencken können.«
Die Rechtsstellung der Eigenbehörigen
33
Selbst die Tragung der Beerdigungskosten wird zugunsten des Gutsherrn geregelt: »Die Kosten der Begräbniß muß der Guts-Herr/wan er die gantze Verlassenschaft weg ziehet/herschiessen und den Eigenbehörigen begraben lassen. Im Fall aber bewandten Umbständen nach der Guts-Herr nicht allein/sondern der Eigenbehörige mit erbet/so träget der Colonus selbige Kosten allein« (Cap. VI § 10).
II.
Die Rechtsstellung der Eigenbehörigen
1.
Das Eigentum (Cap. XI)
Im elften Kapitel finden sich Bestimmungen über das Eigentum, worunter bewegliche und unbewegliche Güter zu verstehen sind, »welche dem Eigenbehörigen vom Guts-Herrn eingethan worden/auch welche der Eigenbehöriger selbst/besitzet und erwirbet« (Cap. XI § 1 Satz 1).
Die Rechtsvermutung, dass im Zweifel freies Eigentum bestehe, gilt nicht, »weshalben diejenige Güter/welche die Eigenbehörige in solcher Qualität/als Eigenbehörige/besitzen/ausser Zweiffel zum Eigenthum gehören«
und der Gutsherr berechtigt ist, sie nach dem Tod des Eigenbehörigen pfänden und absondern zu lassen (Cap. XI § 1 Satz 2). Eine besondere Regelung erfahren Güter, die der Eigenbehörige »von neuem erwirbet« und die dem Erbe zugeschlagen werden. Hierüber kann er verfügen, im Sterbfall können sie aber nicht ohne Bewilligung des Gutsherrn veräußert werden (Cap. XI § 2 Satz 2). § 3 enthält eine Billigkeitsvorschrift, mit der verhindert werden soll, dass die neu akquirierten Güter zu Lasten des Erbes gehen. Dem Schutz des Erbes gilt auch die Vorschrift, dass Güter, die sich auf der Hofstelle befinden, solange dem Inventar zuzurechnen sind, wie nicht das Gegenteil bewiesen worden ist (Cap. XI § 4).
2.
»Von denen Diensten« (Cap. XIII)
In § 1 des 13. Kapitels wird zugestanden, dass die Dienstleistungen der Eigenbehörigen im Hochstift sehr unterschiedlich gehandhabt würden und deshalb nichts »generales« verordnet werden könne, vielmehr die Gutsherren solche Dienste kraft Herkommens »ruhig zu geniessen« hätten. Eine Einschränkung findet sich allerdings in § 2:
34
Das Eigenbehörigkeitsrecht des Hochstifts Osnabrück
»Es kan aber ein Eigenthums-Herr dem Colono die Dienste nach seiner Willkühr nicht verhöhen oder/an statt der Dienste/dem Eigenbehörigen wieder seinen Willen DienstGeld auff-dringen/sondern muß/wan dieser die Dienste in natura zu leisten schuldig ist/ihn dabey lassen.« (Cap. XIII § 2 Satz 1).
Allerdings soll es beim Dienstgeld sein Bewenden haben, wenn es der »Eigenthums-Herr« angenommen hat. Dieser kann vom Eigenbehörigen wieder Dienstleistungen »in natura« fordern, ohne dass hiergegen Schutz gewährt würde (Cap. XIII § 2 Satz 2). Detaillierte Vorschriften finden sich über die Spanndienste, gegebenenfalls über solche Dienste, die von Hand verrichtet werden müssen. Auch hier wird im Wesentlichen auf das Herkommen verwiesen, das dem Gutsherrn ein Direktionsrecht einräumt, das unter Umständen längere Fuhren einschließt (Cap. XIII § 9). Bestimmt wird auch, dass Kinder der Eigenbehörigen für eine gewisse Zeit als Knechte und Mägde – zunächst ein halbes Jahr »umbsonst« – dienen müssen (Cap. XIII § 10 Satz 1, 2). Nach dem Herkommen kann der »Zwang-Dienst« auch ein ganzes Jahr betragen. Hierfür ist allerdings als Lohn ein Schilling Osnabrückisch zu entrichten, »worauff sie unweigerlich hergebrachter massen dienen müssen« (Cap. XIII § 10 Satz 4). Nach Ablauf dieser Zeit und vorheriger Kündigung endet der Dienst und die Kinder der Eigenbehörigen können nicht weiter »auff-gehalten« werden. Soweit es das Herkommen gebietet, sind sie für weitere sieben Jahre bis zum Freikauf verpflichtet, Dienste zu leisten (Cap. XIII § 10 Satz 6). Sofern Knechte oder Mägde weiterhin dienen wollen, können sie Lohn in der Höhe beanspruchen, wie sie ihn anderswo hätten verdienen können (Cap. XIII § 11 Satz 1). Im selben Kapitel wird der Gutsherr zu Maßnahmen ermächtigt, seine Rechte durchzusetzen: »Wan ein Knecht oder Magd entweder des Eigenthums oder desselben Schuldigkeit sich entziehen will/so stehet dem Guts-Herrn die in Rechten also genannte actio confessoria wieder dieselbe zu/wodurch er solche Person quasi vindiciren und sein Eigenthum über dieselbe behaupten kan« (Cap. XIII § 13).
§ 15 des Kapitels hat folgenden Wortlaut: »Solte sich auch ein Eigenbehöriger wiedersetzlich bezeigen/wie dan dieselbe gegen die gelinde eher/als gegen die strenge/Guts-Herren sich zu opponiren/pflegen/so wird einem Guts-Herrn/ob er gleich mit keiner Juristiction versehen ist/die levis coercitio, castigatio und custodia gestattet, welches jedoch ohne Schmälerung der Landes-Herrlichen Jurisdiction zu verstehen ist/wie in dem folgenden 14. Cap. §. I. mit mehrem angezeiget wird. Und haben die Beambte auf geziehmendes Erfordern den Guts-Herrn darunter hülffliche Hand zu bieten.«
Die Rechtsstellung der Eigenbehörigen
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Die lateinischen Begriffe können verschiedene Bedeutungen haben, lassen sich in diesem Zusammenhang aber dahin übersetzen, dass den Gutsherren die Ermächtigung zu leichter Bestrafung (»levis coercitio«) eingeräumt ist. Die Bestrafung kann in Gestalt einer Züchtigung (»castigatio«) oder einem Arrest (»custodia«) bestehen. Zur Durchführung dieser Maßnahmen kann der Gutsherr »Beambte« anfordern, also öffentliche Amtsträger einsetzen, um die Disziplin aufrechtzuerhalten. Ausdrücklich wird festgestellt, dass hierdurch die Hoheitsgewalt des Landesherrn nicht geschmälert wird.
3.
Zwangsmittel gegen den und Rechtsschutz des Eigenbehörigen
Die Eigenbehörigen hatten Abgaben unterschiedlicher Art – sogenannte »Pfächte« – an den Gutsherrn zu leisten, die »in Korn/Geld/Schweinen/Gänsen/ Aendten/Hünern und dergleichen« bestanden und jährlich abgeführt werden mussten (Cap. XIV § 1 Satz 1). Eingehend werden die Zwangsmittel bezeichnet, die der Gutsherr bei Säumigkeit des Eigenbehörigen ergreifen kann. Er ist berechtigt, die Pfächte pfänden zu lassen oder Drescher auf den Hof des Eigenbehörigen zu schicken, um das Korn auf dessen Kosten dreschen zu lassen (Cap. XIV § 1 Satz 3). Wenn sich der Bauer widerspenstig zeigen sollte, so wäre der Gutsherr – »wo er solches erweißlich hergebracht« – berechtigt, den Eigenbehörigen zweimal jeweils 24 Stunden bei Wasser und Brot »zur Verwahrung [zu] bringen« (Cap. XIV § 1 Satz 4). Auch hier wird hinzugefügt, dass diese Zwangsmaßnahme unbeschadet der landesherrlichen Jurisdiktion zu verstehen ist. Für diese Maßnahmen kann der Gutsherr die Hilfe von Beamten in Anspruch nehmen, um den »wiederspenstigen Schuldener« anzuhalten, die ausstehenden Abgaben zu begleichen (Cap. XIV § 1 Satz 5). Zwei Bestimmungen des Kapitels sind dem Rechtsschutz des Eigenbehörigen gewidmet, wobei zunächst festgelegt wird, dass Prozesse gegen den Gutsherrn nur auf eigene Kosten geführt werden können: »Da auch die Eigenbehörige/auf Antrieb anderer/sich ihrem Guts-Herrn öffters wiedersetzen und gegen denselben Processe führen/und zwar aus denen Mitteln der GutsHerrlichen Güter und zu deren größtem Schaden/so soll solch Unwesen hinführo nicht gestattet werden/sondern/wan ein Eigenbehöriger wieder seinen Gutsherrn Processus erhalten solte/so soll derselbe/bey sonst zu gewärtigender exemplarischer auch wol/dem befinden nach/Straffe der Ab-äusserung die Kosten aus seinen eigenen/und nicht des Guts-Herrn/Mitteln stehen und tragen/es wäre dan/daß solcher Eigenbehöriger zu dem Process unstreitig befugt und seine Klage auf offenbahrem Recht gegründet wäre/ solchenfalls sind demselben die Kosten/doch ohne Versetz- und Veräußerung der immobilien/ab-zufolgen« (Cap. XIV § 3 Satz 2).
36
Das Eigenbehörigkeitsrecht des Hochstifts Osnabrück
Gegen Dritte darf der Eigenbehörige ohne Einwilligung des Gutsherrn keinen Prozess anstrengen. Falls er dies gleichwohl unternimmt, aber die Einwilligung des Gutsherrn nicht vorzeigen kann, soll die Klage von keinem Gericht angenommen werden (Cap. XIV § 3 Satz 3). Nur in § 4 des 14. Kapitels wird dem Eigenbehörigen ein gewisser Rechtsschutz gewährt: »Gedachtes offenbahres Recht in Ansehung des Guts-Herrn/ist gemeiniglich von denen Fällen zu verstehen/wan dem Colono, wieder das Herkommen/neue Lasten auffgebürdet/die alte Pflichten verhöhet/er ohne Ursache seines Rechts beraubet wird und dergleichen/bey welchen Umbständen er sich billig verthädigen kan/und ist ihm in solchem Fall der Weg Rechtens nicht zu versagen« (Cap. XIV § 4 Satz 1).
Die folgende Bestimmung gewährt dem Gutsherrn hiergegen indes einstweiligen Rechtsschutz: »Wan aber der Guts-Herr in continenti zu rechtlicher gnüge possessionem dociren kan/ so ist er dabey/biß zum Außtrag der Sache/zu schützen/der sich ferner wiedersetzende Eigen-pflichtiger oder solchen falls nicht eher zu hören/noch auch der Guts-Herr sich ferner ein-zu lassen schuldig/biß der Eigenbehörige den Rückstand/worüber gestritten wird/zuforderist völlig abgetragen« (Cap. XIV § 4 Satz 2).
Eigenbehörige waren aufgrund dieser Bestimmung gezwungen, hinsichtlich streitiger Abgaben in Vorleistung zu treten, während der Gutsherr nur das Eigentum an der Stelle (»possessio«) zu behaupten hatte. Solange die Erfüllung des bestrittenen Anspruchs unterblieb, konnte der Eigenbehörige mit seiner Klage nicht gehört werden. Da die Klage ausdrücklich gegen die Erhöhung von Abgaben zulässig war, die gegebenenfalls auf Herkommen gestützt wurde, waren die Prozessrollen nach dieser Bestimmung von vornherein vertauscht. Nicht der Gutsherr musste seinen Anspruch im Klagewege durchsetzen, vielmehr musste der Eigenbehörige zunächst erfüllen und konnte erst dann zulässigerweise eine Klage erheben.
4.
Die Abäußerung (Cap. XVIII)
Der Abäußerung – auch schlicht Äußerung genannt – ist ein umfangreiches Kapitel (XVIII.) mit 16 ausführlichen Paragraphen gewidmet. Nach der in § 1 enthaltenen Definition ist eine »Aeusserung« »wan ein Eigenthums-Herr seinen Eigen-behörigen aus rechtmäßigen Ursachen der Stätte entsetzen lässet.«
Die Rechtsstellung der Eigenbehörigen
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In den folgenden Bestimmungen werden 21 Tatbestände aufgeführt, die zu der Entsetzung von der »Stätte« berechtigen. In § 1 Satz 2 sind sechs dieser Tatbestände benannt: »Erstlich/wan ein Eigen-behöriger/entweder aus Vorsatz oder Nachläßigkeit die Stätte herunter bringet/verdirbet oder verwüstet; Zweytens/das Wohn-Hauß und drittens/die zur Stätte gehörige Neben-Häuser verfallen lässet; Viertens/in gutem Dach nicht bewahret oder erhält und fünfftens/die Gründe der gezimmerten Gebäude zu rechter Zeit/ und wan es nöthig/nicht bessert und im Stand erhält/auch sechstens/vor die Unterhaltung derer Zäune und Wrechten gleichfalls/als ein guter Hauß-Wirth/keine Sorge träget.«
Die §§ 2–11 enthalten weitere Tatbestände. So berechtigt § 11 zur Abäußerung, »Wan (21.) der oder dieselbe sich dem schändlichen Huren-Leben ergiebet/imgleichen Ehebruch oder Diebstahl begehet/oder auch sonst einer groben Missethat überführet ist/wodurch dem Erbe eine schwere Last zu-wächset/ist solches gleichfalls alleinig pro causa discussionis zu halten.«
Die Abäußerung bedarf einer richterlichen Entscheidung, die vom Gutsherrn beantragt werden kann und für die dieser beweispflichtig ist. Das Abäußerungsverfahren ist zugleich eine Art Konkursverfahren, weil die Gläubiger des Eigenbehörigen ihre Forderungen geltend machen können. Obligatorisch ist eine mündliche Verhandlung, in der der Eigenbehörige zu vernehmen ist. Die bis ins Einzelne gehenden Bestimmungen des § 12 vermitteln den Eindruck, dass es sich bei der Abäußerung um ein komplexes Verfahren handelt, in dem Termine eingehalten und Urkunden zum Beweis vorgelegt werden müssen. Sofern der Eigenbehörige – in dieser Bestimmung »discussus« genannt – die vom Gutsherrn vorgebrachten Gründe ableugnet, der Beweis für sie aber erbracht worden ist, ist er in die Kosten der Beweiserhebung zu verurteilen (Cap. XVIII § 12 Satz 6).
5.
Die Erlangung der Freiheit (Cap. VIII)
§ 1 des achten Kapitels hat den folgenden Wortlaut: »Wer im Eigenthum gebohren und gern die Freyheit haben will/muß sich deßhalben bey seinem Guts-Herrn gebührend angeben und die Ursachen/warumb er die Freyheit verlange/anzeigen/unter welchen die vornehmste diese sind: Wan er oder sie auff eine anderweite Stelle zu wohnen/oder auch in eine Statt oder Ambt und Gilde kommen kan. Findet der Guts-Herr solches der Warheit gemäß/so giebt er seinem eigenbehörigen Knecht oder Magd/dem Herkommen nach/vor ein billiches die Freyheit und ertheilet denenselben darüber einen Schein oder Frey-Brieff.«
Als Rechtsfolge der Freiheit erlischt das Sukzessionsrecht des ehemals Leibeigenen. Er kann also nicht zu »etwa erledigten Gütern« zugelassen werden, es sei
38
Das Eigenbehörigkeitsrecht des Hochstifts Osnabrück
denn, dass er sich wiederum in die Eigenbehörigkeit begibt und den Freibrief dem Eigentumsherrn zurückgibt. Als Gegenleistung erhält er den »üblichen Osnabrückischen Schilling«. § 3 Satz 1 schließlich hat folgenden Wortlaut: »Die Freyheit zu ertheilen und Frey-Brieffe auß-zu geben stehet niemandem zu/als demjenigen/welcher die völlige Administration der Güter in Händen und völlige Herrschafft auch freye Verwaltung von Rechts wegen hat.«
III.
Exkurs: Der Rechtsstreit des Bauern Engelke
Ein Rechtsstreit, der im 18. Jahrhundert bei der Osnabrücker Justizkanzlei anhängig war und schließlich entschieden wurde, gibt reiche Anschauung für die im Hochstift bestehende Eigenbehörigkeit, den Freibrief und das gerichtliche Verfahren jener Zeit.31 Kläger des 1761 begonnenen Rechtsstreits waren die Brüder Franz Christopher und Adolf Hermann Philipp von Hanxleden, beide Domkapitulare in Münster, Beklagter war der Vollerbe Gerd Engelke. Engelke bewirtschaftete den Hof als Eigenbehöriger des Obristen Friedrich Christian von Dumstorf. Dumstorf führte ein aufwendiges Leben, geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten und verkaufte den Hof mit Genehmigung des Fürstbischofs an Engelke für den Preis von 3.000 Talern, von denen dieser aus eigenem Vermögen 2.100 Taler und den Rest als Kredit aufbrachte. Der Kauf wurde durch den Fürstbischof als oberstem Lehnsherrn genehmigt und Engelke aller gegenüber dem früheren Grundherrn bestehenden Pflichten entbunden.32 Nach Entrichtung einer »Lehnwahre« an den Landesherrn wurde Engelke 1726 mit seinem Hof und »aller dieses Erbe Zubehör in Dienstmansstatt« belehnt.33 40 Jahre nach dem Verkauf des Hofes erhoben die beiden Domkapitulare des Bistums Münster von Hanxleden Klage gegen den Sohn und Erben Gerd Engelkes, Dirk Engelke, mit der Begründung, sie seien rechtmäßige Erben des verstorbenen früheren Gutsherrn von Dumstorf, der Kauf und Freikauf Gerd Engelkes sei unwirksam. Sie beantragten, dass dieser sich in ihre Eigenbehörigkeit begeben müsse, also diejenigen »Pfächte« an sie zu leisten habe, derentwegen der Vollerbe Engelke den Hof gekauft hatte.
31 Die Prozessakten und weitere Urkunden befinden sich im Hofarchiv Engelke Ankum-Loxten und sind in der Monographie von Martin Joseph, »Die Freyheit ist es, worum gestritten wird …«, Der Kampf des Bauern Dirk Engelke zu Loxten gegen die Zurückstoßung in die Leibeigenschaft. Ein Beitrag zur Rechts- und Sozialgeschichte des Hochstifts Osnabrück im 18. Jahrhundert, 2. Auflage 2007, dokumentiert. 32 Vgl. M. Joseph, »Die Freyheit ist es …«, S. 54f. 33 So M. Joseph, »Die Freyheit ist es …«, S. 54.
Exkurs: Der Rechtsstreit des Bauern Engelke
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Der Prozess zog sich über 10 Jahre hin, wobei ein wichtiger Streitpunkt darin bestand, ob der Hof, dessen Erbe sich die beiden Kläger berühmten, überhaupt mit dem Engelkeschen Hof identisch war oder ob es sich hierbei um einen anderen Hof handelte. Im Laufe des Verfahrens wurden vier Gutachten von Rechtsfakultäten eingeholt, nämlich von Rinteln, Leipzig, Helmstedt und Göttingen, die jeweils zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangten.34 Erst das von der Juristenfakultät der Universität Göttingen am 13. Dezember 1771 – also 50 Jahre nach dem Verkauf des Hofes – erstattete Rechtsgutachten brachte die Klärung.35 Zum einen wurde in dem Gutachten dargelegt, dass es sich bei dem Hof Engelkes nicht um den von den Klägern beanspruchten Hof handele. Hinzu komme, dass das Erbe bereits 1721 mit lehnsherrlicher Zustimmung an den Vater des Beklagten verkauft worden sei, während der Gutsherr von Dumstorf sich 1730 mit einem anderen Hof habe belehnen lassen.36 Wörtlich wird in dem Gutachten ausgeführt, dass die Frage der »Freyheit« als »eine gantz unschätzbahre Sache anzusehen« sei. Daher sei sogar verordnet worden, dass diese »nicht wieder entzogen werden soll«. Der Vater des Beklagten habe sich »bonafide« und durch Zahlung einer großen Summe Geldes freigekauft. Die Kläger müssten, um ihn in Leibeigenschaft zurückzufordern, einen »sonnenklaren Beweiß« dafür erbringen, dass der Beklagte »als Besitzer eines eigenbehörigen… Erbes« sich auf eine rechtswidrige, den Gerechtsamen der Kläger zuwiderlaufende Art und Weise freigekauft habe.37 Das Urteil der Justizkanzlei Osnabrück ist – soweit ersichtlich – nicht überliefert. Allerdings geht aus anderen Quellen hervor, dass die Vindikationsklage der beiden Domkapitulare im Ergebnis erfolglos war.38 Der Hof steht noch heute im Eigentum der Familie Engelke. Die von Martin Joseph eingesehenen und wiedergegebenen Akten vermitteln den Eindruck eines Rechtsstreits, der reich an Merkwürdigkeiten ist. Dass vier Jahrzehnte nach dem durch Dokumente belegten Verkauf des Hofes Nachkommen eines Adelsgeschlechtes aus dem Münsterland sich des Erbes berühmten und den Hofeigentümer mit einer Vindikationsklage überzogen, erscheint schon eigenartig. Dass das Gericht eine von dem Beklagten beantragte »Kaution« – also eine Sicherheitsleistung für die Prozesskosten – denkbar gering ansetzte, erscheint dem Streitgegenstand nicht angemessen. Schließlich war die Frage, ob es sich bei dem Hof der Engelkes tatsächlich um den Hof handelte, dessen Erbe die Kläger geltend machten, zwar logisch vorrangig, hätte aber dahingestellt bleiben können, weil der Verkauf des 34 Eine eingehende Wiedergabe der Rechtsgutachten bei M. Joseph, »Die Freyheit ist es …«, S. 69ff. 35 Vgl. M. Joseph, »Die Freyheit ist es …«, S. 135ff. 36 Vgl. M. Joseph, »Die Freyheit ist es …«, S. 135f. 37 Zitiert nach M. Joseph, »Die Freyheit ist es …«, S. 138. 38 Vgl. M. Joseph, »Die Freyheit ist es …«, S. 145f.
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Das Eigenbehörigkeitsrecht des Hochstifts Osnabrück
Hofes an den »Colon« Engelke bewiesen werden konnte. Insofern kann der Rechtsstreit als ein Beispiel dafür gewertet werden, dass die Bauern obrigkeitlicher Willkür nicht schutzlos ausgeliefert waren, sondern rechtsförmliche Verfahren zu Gebote standen. Andererseits ist der Rechtsstreit auch ein einprägsames Beispiel für den Versuch, die teuer erkaufte Freiheit eines früher Eigenbehörigen mit fadenscheiniger Begründung zunichte zu machen und hierfür gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das Gutachten der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen hat zutreffend den Kern des Rechtsstreites getroffen, dass es nämlich die »Freyheit« war, um die gestritten wurde und diese einen unschätzbaren Wert darstellte. Das Gutachten ist im Jahr 1771 erstellt worden und alles spricht dafür, dass Johann Stephan Pütter der Verfasser war. Pütter wurde 1746 an die Universität Göttingen berufen und übernahm 1757 den Lehrstuhl von J.J. Schmauss. Er prägte entscheidend die aufklärerische Reformuniversität Göttingen und hatte auch als Prozessvertreter einen weithin bekannten Namen. Es ist naheliegend, dass er sich des von der Fakultät erbetenen Gutachtens annahm, wofür nicht zuletzt die örtliche Nähe und – wie zu vermuten steht – die persönliche Bekanntschaft mit den Richtern der Justizkanzlei spricht. So kann denn das Gutachten – und das Urteil – als Sieg bäuerlicher Freiheit gegen adelige Anmaßung begriffen werden. Erst mehr als ein halbes Jahrhundert später hat mit Stüve der Kampf für die Bauernbefreiung und damit gegen die Eigenbehörigkeit im Hochstift Osnabrück begonnen.
Drittes Kapitel: Das Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück
I.
Die Heuerlinge als unterbäuerliche Schicht
Im Königreich Hannover wurde seit jeher zwischen unterschiedlichen »Bauernklassen« unterschieden. An deren Spitze stand der Meier, der je nach Größe des Grundbesitzes als Vollmeier, Halbmeier oder Viertelmeier bezeichnet wurde.39 Es folgten mit unterschiedlichen Bezeichnungen die Kötter, Brinksitzer und Anbauern, wobei die Unterschiede nicht immer trennscharf zu ziehen waren.40 Die letzte Gruppe bildeten die Häuslinge, die im Fürstentum Osnabrück als »Heuerleute« bezeichnet wurden. In der Eigentumsordnung des Fürstentums Osnabrück und späteren Veröffentlichungen findet sich der lateinische Begriff des »Colonus« als Sammelbegriff für die unterschiedlichen Bauernklassen, denen die Heuerleute gegenüberstanden. Der Bauer war der ein Bauerngut selbständig bewirtschaftende Landbesitzer, auch als »Landwirth« oder schlicht »Wirth« bezeichnet, der vor der Ablösung nicht notwendig frei war, gegenüber dem Grundherrn aber ein erhebliches Maß an wirtschaftlicher Selbständigkeit besaß.41 Der Heuermann war zwar mit einem Bauerngut verbunden – hatte eine »Heuerstelle« inne –, bewirtschaftete das ihm überlassene Acker- oder Weideland aber nur zum Eigenbedarf. Als Gegenleistung hatte er dem Bauern vertraglich vereinbarte Dienste zu erbringen, so dass sich zwischen dem Heuermann und dem Bauern ein Verhältnis herausbildete, das Parallelen zu dem von Gutsherren und Colonen aufwies. Neben der Nutzung des ihm überlassenen Acker- und Weidelandes – in der Regel nur wenige Morgen – bewohnte der Heuermann mit seiner Familie ein 39 Die Schreibweise ist unterschiedlich. In den Meierordnungen der Fürstentümer und der Literatur überwiegt die Schreibweise mit »ei«, die auch im Folgenden zugrunde gelegt wird. Bei Zitaten wird die Schreibweise des Originals verwandt. 40 Vgl. grundlegend W. Wittich, S. 84ff. 41 Vgl. nur das Beispiel des Vollerben Gerd Engelke, der den von ihm bewirtschafteten Hof im Jahr 1721 von dem Grundherrn von Dumstorf für den Preis von 3000 Talern erwarb; s. oben S. 38.
42
Das Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück
alleinstehendes »Heuerhaus«, so dass seine Dienste die Gegenleistung für das Wohnrecht darstellten. Unzutreffend wäre es allerdings, den Heuermann als eine Art Mieter zu bezeichnen, weil für die Nutzung des Heuerhauses kein Geldbetrag zu entrichten war, sie vielmehr mit dem Ackerland bzw. Garten eine Einheit bildete. Auch als Pächter waren Heuerleute nicht anzusehen, weil sie nicht eigentlich Pachtzins zu entrichten hatten, ihre Gegenleistung vielmehr in Handund gelegentlich Spanndiensten bestand.42 Heuerleute gehörten nicht zu dem Gesinde des Bauern, wie auch der Bauer nicht zum Gesinde des Gutsherrn gehörte. Das Gesinde der Guts- oder Bauernhöfe bestand aus den Mägden und Knechten, die ihrem Dienstherrn ihre Arbeitskraft gegen Kost und Logis sowie einen geringen Lohn zur Verfügung stellten. Im Gegensatz zu dem Gesinde besaßen die Heuerleute eine größere wirtschaftliche Selbständigkeit und gingen vielfach, weil die Landwirtschaft für sie nicht auskömmlich war, einem Gewerbe nach, so dass sich Handwerk und Landwirtschaft überschnitten. Nicht selten waren Heuerleute Bauernsöhne, die aufgrund des Anerbenrechts keine Aussicht auf ein Erbteil am Hof hatten, aber heiraten wollten und in Gestalt der Heuerstelle eine gewisse Selbständigkeit erlangten. Im Vergleich zu den eigenbehörigen Bauern, die eine durch Gesetz und Verordnung gesicherte Rechtsstellung hatten und nur in einem rechtsförmlichen Verfahren von dem Bauerngut entsetzt werden konnten, war die Rechtsstellung der Heuerleute ungesichert und vom Wohlwollen des Bauern abhängig. Der zwischen dem Bauern und dem Heuermann geschlossene Vertrag hatte in der Regel keine Schriftform und fiel, wenn dies ausnahmsweise der Fall war, einseitig zugunsten des Bauern aus. Da die Verträge gewöhnlich befristet waren, hatte der Bauer die Möglichkeit, Heuerlingsfamilien ohne weiteres Verfahren von der Stelle zu entsetzen. Nach dem anschaulichen Bericht von Lensing/Robben bildete sich eine Kultur des stummen Gehorsams im Verhältnis von Bauern und Heuerleuten aus, die durch die Knappheit an Heuerstellen gefördert wurde.43 In der Dorfgemeinschaft standen die Heuerlinge am Ende der sozialen Hierarchie. Die Bauern betrachteten sie als ihre »Leute«, wie umgekehrt die Gutsherren die von ihnen abhängigen Bauern als ihre »Leute« bezeichneten. Soziale Kontakte beschränkten sich auf die Anforderung der Dienste. In der Kirche nahmen die Heuerlinge und ihre Familien die hintersten Plätze ein. Die von Lensing/Robben veröffentlichten Fotografien von Heuerfamilien bezeugen unverkennbare Armut und unerträgliche Wohnverhältnisse.44 42 Grundlegend zum Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück H. Lensing/B. Robben, »Wenn der Bauer pfeift, dann müssen die Heuerleute kommen!«, 9. Auflage 2019. 43 Vgl. nur Lensing/Robben, »Wenn der Bauer pfeift…«, S. 103ff. 44 Vgl. Lensing/Robben, »Wenn der Bauer pfeift…«, passim. Eine ergiebige Quelle ist auch die von Dietmar Sauermann herausgegebene Schrift »Aus dem Leben eines Heuerlings und Arbeiters. Rudolf Dunckmann berichtet«, Münster 1980.
Das Gutachten von Jacobi und Ledebur
43
Bemerkenswert ist, dass sich die Rechtsverhältnisse der Heuerleute bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts gehalten haben. Mit dem Strukturwandel in der Landwirtschaft, dem allgemeinen Wirtschaftsaufschwung und der gestiegenen Nachfrage nach Arbeitskräften in der Industrie fielen jedoch wesentliche Entstehungsgründe für das Heuerlingswesen fort. Der Ersatz menschlicher Arbeitskräfte in der Landwirtschaft durch Maschinen tat ein Übriges, um dieses Relikt aus dem 19. Jahrhundert und damit der Spätphase des Feudalismus zu beseitigen.45
II.
Das Gutachten von Jacobi und Ledebur
1.
Begriffliches
Die ergiebigste Quelle über die Klasse der Heuerleute ist das von Jacobi und Ledebur verfasste Gutachten »Ueber die Verhältnisse der Heuerleute im Osnabrückschen nebst Vorschlägen für deren Verbesserung«, das im Jahr 1840 als selbständige Schrift in Melle erschienen ist. Carl Jacobi46 verfasste das Gutachten gemeinsam mit A. Ledebur, der Besitzer des Meierhofs zu Wetter und Vorstand des Local-Gewerbe-Vereins im Amt Grönenberg war. Dieser Verein hatte auch die Untersuchung unterstützt, wofür die Verfasser der bedeutenden Zahl »einsichtiger und vorurtheilsfreier Colonen« ihre Anerkennung aussprechen.47 Das Gutachten geht auf Beratungen der Vereinsmitglieder zurück und weist in Duktus und Stil den Verwaltungsjuristen aus, so dass Jacobi als Verfasser gelten darf. Einleitend heißt es: »In dem größten Theile von Westfalen haben die Landwirthschaft treibenden Grundbesitzer neben dem Hauptwohnhause auf dem Hofe kleinere, mehr oder minder davon entfernte Wohnhäuser gebauet, welche theils zu den Leibzuchtshäusern dienen, welche die Eltern beziehen, wenn sie als Altentheiler oder Leibzüchter dem Erben den Hof überlassen haben und allein zu wohnen wünschen, theils aber auch an anderen Familien verpachtet werden, um da, wo eigene Kraft und Dienstboten bei den Arbeiten nicht ausreichen, v o n d i e s e n d i e A u s h ü l f e z u j e d e r Z e i t erhalten zu können. Diese kleinen Wohnhäuser werden auch Kotten und ihre Bewohner daher Kötter; diese Hülfe wird die H a u s h ü l f e genannt. Dergleichen Heuerleute oder Kötter ersetzen auf diese Weise die Dienstboten.
45 Vgl. Lensing/Robben, »Wenn der Bauer pfeift…«, S. 268f. 46 Carl Jacobi (1799–1875) trat nach dem juristischen Studium in Göttingen in den Verwaltungsdienst ein, wurde zunächst Amtsassessor im Amt Iburg und ab 1836 im Amt Grönenberg. 1866 wurde er zum Amtmann, 1856 zum Oberamtmann befördert. 47 Vgl. C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 3.
44
Das Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück
Ein solches Verhältnis ist an und für sich kein unzweckmäßiges und kein drückendes; es wird nur durch unbillige Forderungen nicht selten dazu gemacht. Dienstboten auf dem Lande nämlich, welche keinen Grund und Boden besitzen und kein Vermögen haben, um sich ein Wohnhaus mit entsprechenden Grundstücken kaufen zu können, auch keine Erbpacht oder eine andere von Arbeitshülfe freie Pacht zu erhalten, im Stande sind und doch vom Ackerbau und dem damit in Verbindung stehenden Nebengewerben leben und einen eigenen Haushalt anfangen wollen, pachten für billigen Preis einen solchen Kotten mit dem nothwendigen Ackerlande, auch wohl Wiesengrunde und machen sich dabei verbindlich, d i e A r b e i t s h ü l f e z u l e i s t e n . Sie setzen auf diese Weise das Dienstboten-Verhältniß dem Grundherren gegenüber gewissermaaßen fort, mit dem wichtigen Unterschiede aber, daß sie zugleich in selbstständigem Haushalte leben.«48
Damit sind nach guter Juristenart alle Merkmale dieser Personengruppe genannt. Die Verfasser betonen, dass die Heuerleute von Pächtern zu unterscheiden seien, weil diese nämlich außer der Pachtzahlung keine Pflichten gegenüber dem Verpächter hätten. Die Besonderheit des Verhältnisses der Heuerleute stehe »zwischen dem eines Pächters und eines Dienstboten in der Mitte« und sei daher das abhängigste und werde oft als drückend empfunden.49 Im Amt Grönenberg wird die Zahl der Heuerleute bei insgesamt 27.000 Einwohnern auf 18.000 geschätzt.50 Das Verhältnis von zwei Dritteln besitzloser zu einem Drittel der besitzenden Landbewohner wird von Funke auch für das gesamte Fürstentum Osnabrück angenommen.51
2.
Beschaffenheit der Heuerhäuser
Ein wesentlicher Abschnitt des Gutachtens betrifft die Beschaffenheit der »Pachtobjecte«, die häufig für die darin wohnenden Familien zu klein sind, unter Feuchtigkeit leiden und im Winter kaum zu beheizen sind. Als Beleg hierfür führen die Verfasser den Bericht eines Arztes an, der schwere Krankheiten – auch Epidemien – auf die unzureichenden Wohnverhältnisse der Heuerleute zurückführt.52 In diesem Bericht wird bemängelt, dass Boden und Wände ständig feucht sind und die Häuser keine Fenster aufweisen, die zum Lüften geöffnet werden könnten. Verantwortlich werden hierfür die Verpächter – die »Colonen« – gemacht, die auf den Bau von Heuerhäusern weniger Sorgfalt und Fleiß verwendeten als auf die Errichtung eines Schuppens: 48 49 50 51
So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 5f. So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 4. So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 1. Vgl. G. L. W. Funke, Über die gegenwärtige Lage der Heuerleute im Fürstenthume Osnabrück, S. 1. 52 So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 9ff.
Das Gutachten von Jacobi und Ledebur
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»Es liegen eine Menge Familien in sogenannten Backhäusern, Speichern und Schoppen, oft so gedrängt, daß Alt und Jung 6–7 an der Zahl in e i n e m Durtig die Schlafstelle haben. Dieser ist vielleicht dabei so kurz, daß ein mittelgroßer Mensch gekrümmt darin liegen muß; zudem sind die Stuben gewöhnlich so niedrig, daß nur kleine Personen aufrecht stehen und so eng, daß außer Tisch und Ofen kaum ein Paar Stühle stehen können. – Man denke sich die ganze Brut den langen Winter hindurch in solchem Käfig eingesperrt!«53
Die Verfasser empfehlen gesetzliche Vorschriften, nach denen Häuser nur mit behördlicher Erlaubnis gebaut werden dürfen und gesundheitspolizeilichen Bestimmungen entsprechen müssen. Den Maurern und Zimmerleuten soll bei Androhung schwerer Strafen untersagt werden, Häuser zu errichten, ohne dass der Bauherr hierfür eine Erlaubnis vorweisen kann.54 Einen wesentlichen Grund für den beklagenswerten Zustand der Heuerhäuser sehen die Verfasser auch darin, dass die Heuerleute gewöhnlich verpflichtet sind, die von ihnen genutzten Häuser nach Ablauf der Pacht zu beseitigen. Es liegt auf der Hand, dass die Bauern unter dieser Voraussetzung keinen Anlass sahen, größere Mittel auf den Bau zu verwenden. Die Verfasser schlagen deshalb vor, dass nach Ablauf der Pacht die Häuser nur zu einem »erga taxatum« zu bestimmenden Preis übernommen werden können. Eine solche Bestimmung würde den Bauern hindern, den Heuermann leichtfertig zu vertreiben, letzterem aber bei Wechsel der Heuerstelle ein gewisses Startkapital zur Verfügung stellen.55 Voraussetzung hierfür wäre allerdings, dass die Gegenleistung des Heuermanns nicht allein in seinen Dienstleistungen besteht, sondern eine reguläre Miete für die Nutzung des Hauses gezahlt wird. Für Streitigkeiten aus dem Mietverhältnis schlagen die Verfasser die Errichtung von Kommissionen vor, denen jeweils ein Heuermann und ein Colonus angehören sollten. In zweiter Instanz soll eine »Recurs-Commission« zuständig sein, die die »Orts-Commission« zu »gründlicher, unpartheiischer und vorwurfsfreier Behandlung der Sache veranlassen werde.«56
3.
Garten- und Ackerland
Hinsichtlich des dem Heuermann verpachteten Ackerlands soll der Grundsatz gelten, dass er »so vieles Feldland« haben muss,
53 54 55 56
So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 9. Vgl. C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 11. Vgl. C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 13. So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 15.
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Das Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück
»daß er alle zur Nahrung der Menschen, wenigstens einer Kuh und eines Schweines, nothwenigen Früchte und den zum eigenen Bedarf nothwendigen Flachs auf demselben bauen kann.«57
Wichtig sei es ferner für den Heuermann, dass sein Feldland in der Nähe des Kottens liege, weil er den Acker häufig nur stundenweise bearbeiten könne und bei weiterer Entfernung viel Zeit und Arbeitskraft verloren gehe. Die Verfasser sind sich darüber klar, dass die Beziehungen zwischen den Heuerleuten und den Grundbesitzern nicht ohne Eingriff in Privatrechte geregelt werden könnten.58
4.
Dienstleistungen der Heuerleute
Aus dem »Dienstboten-Verhältniß« des Heuermanns zum Colono entstünden die meisten Klagen und die häufigsten Uneinigkeiten zwischen ihm und dem Verpächter: »Der Letztere sucht so viel Vortheil, als möglich aus der Verpflichtung des Ersteren zu ziehen, denn es handelt sich dabei um höhere Nutzung des theilweise für die Dienste verpachteten Grundes und Ersparniß an den eigenen Arbeitskräften und an denen der Dienstboten; der Heuermann dagegen sucht sich der Haushülfe, so viel, als irgend thunlich zu entziehen.«59
Hieraus wird ersichtlich, dass das Verhältnis der Heuerleute zum Bauern strukturell dem des Bauern zum Grundherrn entspricht und nach einem Ausgleich der beiderseitigen Interessen verlangt. Die Verfasser zögern nicht, den Missbrauch anzuprangern, der mit der Verpflichtung der Heuerleute zu Diensten getrieben wird: »Das Uebelste von allem ist aber von dem Heuermanne u n e n t g e l d l i c h Arbeit zu verlangen. Das Bestellen zur Arbeit hat dann gar zu leicht weder Maaß noch Ziel. Es wird für den Heuermann auf solche Weise die Unmöglichkeit herbeigeführt, daß derselbe sich und seine Familie redlich ernähren könne. Er wird muthlos, zum Quäler, zum Bettler, wenn er sich den Anforderungen des Grundherrn unbedingt hingiebt; sein Charakter leidet, wenn er gezwungen ist, sich den Anforderungen auf tadelnswerthe Weise zu entziehen; namentlich, wo mehrere Heuerleute zu demselben Colonate gehören, wird das Letztere eintreten; durch träge und schlechte Arbeit und auf andere Weise wird der einzelne Heuermann es dahin zu bringen suchen, daß er vorzugsweise selten zur Arbeit bestellt wird; und somit muß er als Mensch und als Arbeiter schlecht werden.«60
57 58 59 60
So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 16. So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 17. So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 18. So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 20.
Das Gutachten von Jacobi und Ledebur
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Die Abschaffung der ungemessenen Dienste sei aber unausführbar, weil der Bauer nicht im Voraus wissen könne, wann und in welchem Umfang er die Arbeit des Heuermanns – oder seiner Frau – benötige. Allerdings könne der Hausherr die Arbeit des Heuerlings bezahlen, ohne dass beide Schaden dabei leiden würden: »Für das einzige practische Mittel, die erwähnten Uebelstände abzustellen, hat man die Vorschrift gehalten: daß alle Dienste der Heuerleute, sein sie nun ganze, halbe, oder viertel Tage Dienste, in oder außer der Erndte, ohne Unterschied bezahlt werden müssen und dabei der geringste Betrag an Tagelohn ohne die K o s t auf 6 Mgr. für den Mann, 5 Mgr. für die Frau; bei freier K o s t auf 3 Mgr. für den Mann, 2 Mgr. für die Frau festgesetzt werde…«61
Den Verfassern ist klar, dass die Verpflichtung des Bauern, für die vom Heuermann geleistete Arbeit einen Lohn zu zahlen, notwendig zu einer Erhöhung der Pacht führen würde, die jeweils deshalb so gering ausfällt, weil die Gegenleistung überwiegend in der »Haushülfe« besteht. Allerdings sei der Missbrauch dieses Austauschverhältnisses so offensichtlich, dass der Übergang zu einem System entgeltlicher Arbeit bei erhöhter Pacht nur Vorteile biete: »Der Hausherr bleibt der nothwendigen und unentbehrlichen Haushülfe gewiß; er wird aber nicht so leichtfertig mit der Bestellung umgehen, wenn er Tagelohn zahlen muß; der Heuerling, dadurch überall mehr Herr seiner Zeit und Arbeit, wird besser und reeller arbeiten, um guten Tagelohn zu verdienen und dann mit dem freudigen und ermuthigenden Gefühle an das Tagewerk gehen, daß der Arbeiter seines Lohnes werth und gewiß sei; während er jetzt mit dem lähmenden Mißmuthe arbeitet, daß er sich ohne Belohnung abquälen müsse, gleich dem Gutsherrlichen Spann- und Hand-Diener; davon sind schlechte Arbeit und Unzufriedenheyt auf beiden Seiten die Folgen und außerdem erdrückte Thatkraft an Seite des Heuerlings, für ihn umso verderblicher, als er durch den Verkauf seiner Producte – mit Ausnahme des Garns und Leinens, welche jedoch seine Kräfte und Zeit ebenfalls in Anspruch nehmen – den Lebensunterhalt für sich und seine Familie nicht gewinnen und also ohne Tagelohn und Verdienst durch Nebengewerbe nicht bestehen kann.«62
Die Verfasser halten die Zeit für gekommen, die Verhältnisse der Heuerleute zu verbessern und die von ihnen erarbeiteten Vorschläge umzusetzen: »Jetzt aber, nachdem die Verhältnisse der freien und unfreien Grundbesitzer in entsprechender Weise erleichtert, nachdem durch das Ablösungs-Gesetz das gebundene Eigenthum der Belastung enthoben, dem freien Verkehr übergeben, die Abhängigkeit der Personen erloschen und auf solche Weise der Bauernstand unendlich gestiegen ist; jetzt ist es auch Zeit, den Heuerleuten empor zu helfen. Entmuthigt durch eignen Druck lehnte der Grundbesitzer dahin abzweckende Maaßregeln bisher ab; er suchte den
61 So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 20. 62 So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 21.
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Das Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück
Druck auf den Heuerling zu schieben; dieser musste entgelten, was jener erduldete. Seine Lage war nicht geeignet, zu solchem Werke die Hand zu bieten. Jetzt sieht der Vorurtheilsfreie sein eigenes Interesse dadurch gefördert; er ist geneigt und bereit mit zu wirken, so lange die Anforderungen in den Schranken des Billigen, des Rechten bleiben.«63
Abschließend werden die Vorschläge zusammengefasst; sie laufen darauf hinaus, für die Kotten Mindestbedingungen zum Schutz gegen Feuchtigkeit und Nässe und für die Wohn- und Schlafräume Möglichkeiten der Lüftung festzulegen. Überdies soll nach Ablauf der Zeit eine Verpflichtung des Grundbesitzers bestehen, den Kotten zu einem Taxwert abzunehmen. Für damit zusammenhängende Streitigkeiten soll eine besondere Schiedskommission aus sachkundigen Personen gebildet werden.64 In Beziehung auf die Haushülfe wird vorgeschlagen, die unentgeltlichen Dienste abzuschaffen und die Dienste jeweils nach ihrer Dauer zu einem in dem Distrikt fest zu setzenden Tagelohn zu bestimmen. Der Bauer wird verpflichtet, zum Jahresschluss eine vollständige Abrechnung vorzulegen. Die Forderungen können gegebenenfalls verjähren, sind aber der Nachprüfung durch die Schiedskommission zugänglich. Hinsichtlich des Vertragsverhältnisses wird Schriftform vorgeschlagen, sofern ihr Inhalt der »freien Willkühr« der vertragschließenden Teile überlassen ist.65 Die wirtschaftliche Lage der Heuerleute soll durch Kreditvergabe verbessert werden, die gegebenenfalls auch bei unverschuldeten Unglücksfällen zu gewähren ist. Als weitere Maßnahme wird vorgeschlagen, die Erteilung von Trauscheinen von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen, um die Nachfrage nach Heuerstellen zu vermindern bzw. den verheirateten Heuerleuten eine wirtschaftliche Grundlage zu sichern. Für die regelmäßig kinderreichen Heuerleute soll das Schulgeld erlassen werden.66 Abschließend wird an den guten Willen der Beteiligten appelliert: »Die Bewohner eines Hofes werden bei Fleiß, Eintracht und Frieden glücklich und im verhältnismäßigen Wohlstande; bei Nachlässigkeit, Hader, Zank und Mangel gegenseitigen Wohlwollens aber selbst unter dem Schutze erleichternder und fördernder Gesetze unglücklich leben und zurückkommen. Der Grundbesitzer hat es in der Gewalt, den Heuermann durch Rechtlichkeit und guten Willen empor zu helfen; dieser muß durch gutes Betragen und Ordnung entgegen kommen und Beide gemeinschaftlich wirken, um sich manche Erwerbsquelle zu eröffnen und die vorhandenen gewinnreicher zu machen.
63 64 65 66
So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 77. So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 78. So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 79. So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 79.
Die Schrift des Pastors Georg Funke
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In diesen Beziehungen können Regierung und Behörden nur unterstützend durch Beseitigung entgegenstehender Schwierigkeiten thätig sein. Beamte, Vögte, Prediger, angesehene Privatmänner und wen sonst Beruf und Einfluß dazu auffordert, können dabei mit Rath und That an die Hand gehen und jeder in seinem Kreise wirken und helfen.«67
III.
Die Schrift des Pastors Georg Funke
Georg Ludwig Wilhelm Funke68 legte 1847 eine im Verlag Velhagen & Klasing erschienene selbständige Schrift mit dem Titel »Ueber die gegenwärtige Lage der Heuerleute im Fürstenthume Osnabrück mit besonderer Beziehung auf die Ursachen ihres Verfalls und mit Hinblick auf die Mittel zu ihrer Erhebung« vor. Die knapp 90 Seiten umfassende Monographie war zunächst im Hannoverschen Magazin des Jahres 1846 erschienen; wegen ihres breiten Echos entschloss sich der Verfasser, sie einem über das Königreich hinausgehenden Leserkreis zugänglich zu machen. Die Schrift Funkes ist das Gegenstück zu der Monographie Stüves über die »Lasten des Grundeigenthums«, die ebenfalls auf einer im Hannoverschen Magazin erschienenen Aufsatzreihe beruhte69 und die Grundlage für die spätere Ablösungsgesetzgebung im Königreich bildete. Sie weist auch im Übrigen Parallelen zu Stüves Schrift auf, weil beide Verfasser sich ihrem Gegenstand aus eigenem Antrieb widmen, über stupende Kenntnisse der tatsächlichen Verhältnisse verfügen und zu Vorschlägen gelangen, durch welche Maßnahmen diese zu ändern sind. Während Stüve als Mitglied der Ständeversammlung in der Lage war, durch die Ablösungsgesetzgebung das Los der eigenbehörigen Bauern zu mildern und einen grundsätzlichen Strukturwandel herbeizuführen, sah sich Funke einer zunehmenden Verarmung des unterbäuerlichen Standes gegenüber, von der er voraussagte, dass sie »nothwendig eine Zerrüttung des gesellschaftlichen, politischen und religiösen Lebens« verursachen würde.70 Funke geht von den Ergebnissen der Volkszählung im Jahr 1845 aus, nach der im Fürstentum Osnabrück 153.412 Menschen lebten. Hiervon zieht er die in den Städten, Flecken und größeren Kirchdörfern lebenden Menschen ab und gelangt zum Ergebnis, dass insgesamt fünf Sechstel der Bevölkerung auf dem platten Land wohnen und
67 So C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 80. 68 Georg Ludwig Wilhelm Funke (1808–1862) war zunächst Pastor in Lindtorf, dann in Menslage. 69 Vgl. J. C. B. Stüve, Stadt und Land, Hann. Mag. 1, 2, 10 und 31/1828. 70 So G. L. W. Funke, Ueber die gegenwärtige Lage der Heuerleute im Fürstenthume Osnabrück, Vorwort, S. 4.
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Das Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück
hiervon zwei Drittel zur Klasse der besitzlosen Heuerleute gehören.71 Funke macht auf den unterschiedlichen Sprachgebrauch aufmerksam, nach dem die besitzlosen Landbewohner in anderen Gegenden als Häuslinge, Einlieger oder Kötter und – wie hinzuzufügen ist – als »Brinksitzer« bezeichnet werden. Wie oben angemerkt, handelt es sich bei diesen Kategorien nicht um eigenständige »Bauernklassen«, ihr verbindendes Merkmal ist vielmehr, dass sie über kein Eigentum verfügen und die Bewirtschaftung des gepachteten Grund und Bodens nicht zum Lebensunterhalt ausreicht.72 Funke widmet sich im Folgenden der Änderung der Lebensverhältnisse der Heuerleute, die durch wechselnde Marktbedingungen ihrer Nebengewerbe geprägt sind. Auch die vielfach genutzte Möglichkeit, für den Lebensunterhalt der Familie Geld im angrenzenden Holland zu verdienen, wird behandelt und deren Abnahme festgestellt.73 Bemerkenswert ist die Feststellung, dass sich die Lage der bäuerlichen Grundbesitzer durch die Ablösungsgesetzgebung verbessert habe und noch weiter verbessern werde, die Heuerleute aber eine zunehmende Bedrückung erlebten: »Wie früher der Gutsherr die Eigenbehörigen im Gegensatz von sich ›Leute‹ nannte, ebenso redet jetzt bereits der Colonus von ›Leuten‹, wenn er im Gegensatz von sich die Heuerleute bezeichnen will. Je näher Jemand einem Anderen steht, desto mehr fühlt er in der Regel seine Lage mit; deßhalb können wir es gerade nicht für heilbringend für den Heuermann ansehen, wenn sich jetzt bei den bäuerlichen Grundbesitzern nur zu oft ein Streben zeigt, über den Kreis, in welchem sich ein gesunder, kräftiger und ehrenwerther Bauerstand bewegen muß, hinauszugehen; denn nur wenn der Bauer in diesem Kreise bleibt, wird sich in ihm jene tüchtige und feste Gesinnung erzeugen, welche, genährt von christlicher Lebensfülle ihm stets einen sicheren sittlichen Halt und damit auch zugleich das rechte Wohlwollen gegen die Heuerleute geben wird.«74
Entscheidend sind – wie schon Jacobi und Ledebur festgestellt haben75 – die unbestimmten Dienste, die euphemistisch als »Haushülfe« bezeichnet werden. Funke zitiert den Ausspruch eines Colonen, der geradezu sprichwörtlich geworden ist: »Wenn wir pfeifen, so müssen die Heuerleute kommen.«76
71 So G. L. W. Funke, Ueber die gegenwärtige Lage der Heuerleute im Fürstenthume Osnabrück, S. 1. 72 Vgl. oben S. 41. 73 Vgl. G. L. W. Funke, Ueber die gegenwärtige Lage der Heuerleute, S. 23ff. Überaus anschaulich werden die wechselnden Bedingungen der »Hollandgängerei« bei H. Lensing/B. Robben, »Wenn der Bauer pfeift, …«, S. 76ff. dargestellt. 74 So G. L. W. Funke, Ueber die gegenwärtige Lage der Heuerleute, S. 35. 75 Vgl. oben S. 43f. 76 So G. L. W. Funke, Ueber die gegenwärtige Lage der Heuerleute, S. 37.
Die Schrift des Pastors Georg Funke
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Diesen Ausspruch haben H. Lensing und B. Robben in leichter Variation zum Titel ihres anschaulichen Werkes gewählt.77 Wie Zeitgenossen berichten, war es nicht unüblich, dass der Bauer durch Hornsignale die Heuerleute zur Arbeit rief, was freilich voraussetzte, dass die Kotten nicht allzu weit vom Hof entfernt lagen. Auch hier ergeben sich deutliche Parallelen zu dem Verhältnis der eigenbehörigen Bauern zum Grundherrn. Beklagt wurden nicht nur die vielfachen Abgaben in Gestalt von Geld und Naturalien, die bedrückend genug waren, sondern die »ungemessenen Dienste«, die die Bauern je nach Bedarf auf dem vom Grundherrn selbst bewirtschafteten Gut verrichten mussten. Für beide sieht Funke hierin einen Widerspruch: » We n i g s t e n s i s t d e r H e u e r m a n n , e b e n s o g u t a l s d e r C o l o n , p e r s ö n l i c h f r e i , u n d s o d a r f i h m a u c h k e i n A r b e i t s z wa n g a u f e r l e g t w e r d e n . « 78
Anzumerken ist hierzu, dass die eigenbehörigen Bauern bis zur Ablösung gerade nicht frei waren, sondern in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Grundherrn standen.79 Die Heuerleute waren demgegenüber nur formell frei, aufgrund der von ihnen geschlossenen Verträge und der Observanzen – nicht zuletzt durch den Zwang, das tägliche Brot für die häufig vielköpfige Familie zu erwirtschaften – jeder in einer von ihnen selbst nicht zu beeinflussenden Abhängigkeit. Die Auswanderungswelle nach Amerika, die in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts infolge schlechter Ernten noch zunahm, vermittelt mehr als andere Umstände einen Eindruck von den Lebensverhältnissen der Heuerlinge.80 Stüve hat in einem Brief an seinen Freund Frommann kurz nach Erscheinen seiner Schrift über die Lasten des Grundeigentums nicht ohne Rührung berichtet, dass ihn Bauern aufgesucht hätten, um ihm für seinen Einsatz für die Ablösung der Lasten zu danken.81 Erwähnenswert ist, dass ein nach Amerika ausgewanderter Heuermann sich ebenfalls an Stüve wandte, um ihn auf die unhaltbare Lage der Heuerleute aufmerksam zu machen: »Wenn Sie nicht das ändern können, so wird es hier schlecht aussehen. Es heißt hier von einem Jahr zum anderen, daß es anders werden soll. Aber es bleibt so, wie es gewesen ist, und es wird immer noch schlechter. Man muß so viel Arbeit tun, daß man es doch nicht aushalten kann, wie Sie hier sehen können. Die Bauern fressen die Heuerleute auf. Und dabei [gibt es] so viele Arme, daß sie nicht wissen, wo sie damit bleiben sollen, welches sie auch selbst erfahren.«82 77 78 79 80 81 82
Vgl. oben S. 42. So G. L. W. Funke, Ueber die gegenwärtige Lage der Heuerleute, S. 37. Vgl. oben S. 20f. Vgl. H. Lensing/B. Robben, »Wenn der Bauer pfeift, …«, S. 113ff. Der Brief ist wiedergegeben bei J. Ipsen, Das Reformwerk J. C. B. Stüves, S. 49f. Zitiert nach H. Lensing/B. Robben, »Wenn der Bauer pfeift, …«, S. 114; dieser verweist auf J. Schlumbohm, Lebensläufe, Familien, Höfe, 2. Auflage 1997, S. 607.
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Das Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück
Der Verfasser hatte den Brief an Stüve noch vor seiner Auswanderung nach Amerika gerichtet, dieser hatte ihn aber erst später erreicht. Offenbar war Stüves Einsatz für die Ablösungsgesetzgebung allgemein bekannt. Der Zufall wollte es, dass die Ablösungsgesetzgebung vom gleichen Tag datierte, an dem der Heuermann seine Überfahrt nach Amerika antrat.83 Man mag den Brief des Heuermanns als Mahnung begreifen, dass nicht allein die den Grundherrn geschuldeten Dienste der abhängigen Bauern der Ablösung bedurften, das Augenmerk vielmehr auch auf die Lage der von diesen abhängigen besitzlosen Landbewohnern zu richten sei. Weil diese sich in der Regel aber nicht artikulieren konnten und auf die Geschicke der Gemeinden keinen Einfluss hatten, blieb ihre Lage unverändert. Resignierend stellt Funke fest: »Politisch sind die Heuerleute durchaus unselbständig, indem sie weder als Mitglieder der Gemeinde noch des Staats auf irgend eine Weise vertreten sind, und doch bilden sie 2/3 der Bevölkerung unseres Fürstenthums! Ja nur zu oft werden sie als eine so gut als gar nicht vorhandene Menschenklasse betrachtet. Auf den Bauerschaftsversammlungen nicht einmal erscheinen sie mit; Verordnungen, welche dort bekannt zu machen sind und eben deßhalb den Vorstehern von der Obrigkeit zugehen, gelangen deßhalb nicht zur Kunde derselben; so geschieht es denn häufig, daß sie wider Gesetze fehlen, von deren Vorhandensein sie gar keine Ahnung haben. Es würde in der That wünschenwerth, daß es in der Hinsicht anders würde, und daß man namentlich bei Gemeindeangelegenheit das Interesse der Heuerleute wenigstens nicht völlig außer Acht ließe.«84
Da das Heuerverhältnis – auch – als eine Art Pachtverhältnis begriffen wurde, konnte es grundsätzlich gekündigt werden. Zwar gab es Erb- und Zeitpachten, die dem Pächter eine gesicherte Rechtsstellung einräumten.85 Die hier behandelte Klasse der Heuerleute verfügte über eine derart gesicherte Rechtsstellung jedoch nicht, vielmehr war das Pachtverhältnis kündbar und zwar mit einer regelmäßig jährlichen Kündigungsfrist. Der Bauer hatte damit ein Druckmittel in der Hand, mit dem er Dienste erzwingen konnte, wofür zahlreiche Beispiele überliefert sind.86 Im Gegensatz zu dem Rechtsverhältnis der Meier, das gesetzlich geregelt war und nur in einem besonderen – gerichtlichen – Verfahren beendet werden konnte, fehlte es für Heuerlinge an einem vergleichbaren Rechtsschutz. Zwar gab es gewachsene – häufig über Generationen hinweg bestehende – Rechtsverhältnisse zwischen Heuerlingen und Bauern, die für beide Seiten zum Vorteil gereichten. Regelmäßig aber war der Bauer – der Verpächter – in der stärkeren 83 Die Ablösungsordnung ist am 23. Juli 1833 ergangen und am 10. August verkündet worden. Hann. GS 1833, S. 147. 84 So G. L. W. Funke, Ueber die gegenwärtige Lage der Heuerleute …, S. 42. 85 Vgl. C. Jacobi/A. Ledebur, Ueber die Verhältnisse der Heuerleute, S. 3. 86 Vgl. H. Lensing/B. Robben, »Wenn der Bauer pfeift, …«, S. 147f.; vgl. auch das Beispiel bei D. Sauermann (Hrsg.), Aus dem Leben eines Heuerlings und Arbeiters, S. 91.
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Position, zumal in Zeiten des Bevölkerungszuwachses an Bewerbern für Heuerstellen kein Mangel herrschte.87 Funkes Schrift endet mit der Forderung, den Heuerleuten Einfluss in öffentlichen Angelegenheiten einzuräumen. »Zum Schluß wollen wir noch darauf aufmerksam machen, d a ß d i e H e u e r l e u t e n i r g e n d s i n i h r e n b e s o n d e r e n I n t e r e s s e n v e r t r e t e n w e r d e n . Wenn wir zwar auch nicht der Meinung sind, daß von ihnen Vertreter zu den Provinzialständen oder wohl gar in die allgemeine Stände-Versammlung gesandt werden, so müßten sie doch wenigstens in den verschiedenen Communen als Glieder derselben angesehen werden. Wohl werden in den verschiedenen Bauerschaften Versammlungen auf der s. g. Bauerstätte gehalten; allein die Heuerleute sind davon ausgeschlossen. Alles, was hier bekannt gemacht wird, muß ihnen daher unbekannt bleiben, wenn sie es nicht zufällig erfahren sollen. Wie kann man sich da noch wundern, wenn sie Verordnungen und Gesetze häufig übertreten, da sie von deren Vorhandensein nichts gewußt haben? Und sind denn nicht alle Gemeinde-Angelegenheiten auch die ihrigen, da sie durchweg der Zahl nach den größeren Theil der Bevölkerung bilden? Es kann deßhalb nur billig und Recht sein, daß auch ihre Stimme hier vernommen wird und sie zugleich von den Verfügungen der Obrigkeit in Kenntniß gesetzt werden. Wir glauben, daß dadurch das Zutrauen der Heuerleute zur Gemeinde und zu den Behörden selbst und die Zufriedenheit mit ihrer Lage vermehrt werden müsste; überhaupt würde der Zustand, in welchem sie sich befinden, nicht mehr als ein völliges Proletariat erscheinen.«88
Damit ist ein Begriff gefallen, der gewissermaßen in der Luft lag, sich aber weder in den Schriften Stüves, noch in dem von Jacobi und Ledebur erstellten Gutachten findet. In der Tat wiesen die Heuerlinge alle Kennzeichen eines ländlichen Proletariats auf. Sie waren durchweg arm, kinderreich und von den Bauern abhängig. Soweit sie Nebenverdienste als Handwerker erwarben, waren diese von den jeweiligen Marktbedingungen abhängig. Hinzu kam trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit der fehlende Einfluss auf die öffentlichen Angelegenheiten. Selbst einem so empathischen Beobachter wie dem Pastor Funke schien es schwer vorstellbar, ihnen ein Wahlrecht zu den Provinzialständen oder gar zur Allgemeinen Ständeversammlung einzuräumen.
87 Vgl. H. Lensing/B. Robben, »Wenn der Bauer pfeift, …«, S. 147f. 88 So G. L. W. Funke, Ueber die gegenwärtige Lage der Heuerleute …, S. 83.
54
Das Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück
IV.
Stüves Reform des Heuerlingswesens
Weder das Gutachten von Jacobi und Ledebur noch die offenbar weit verbreitete Schrift Funkes vermochten eine Änderung der Rechtsverhältnisse der Heuerleute zu bewirken.89 Erst das März-Ministerium des Jahres 1848, in dem Stüve das Amt des Innenministers bekleidete90, nahm sich der Reform des Heuerlingswesens an. Gemessen an den von Jacobi und Ledebur sowie von Funke eindringlich geschilderten Missständen fiel die Reform knapp aus. Das »Gesetz die Verhältnisse der Heuerleute betreffend« vom 24. Oktober 184891 galt ausschließlich für das Fürstentum Osnabrück und fand Anwendung nur auf die außerhalb der Städte und Flecken und deren Feldmarken wohnenden Heuerleute. Die ersten Bestimmungen des Gesetzes lauteten wie folgt: »§. 1. Der seinem Verpächter zur Arbeitshülfe verpflichtete Heuermann ist, mit Ausnahme der Erntezeit zur Dienstleistung nur dann schuldig, wenn er Tags zuvor vor Sonnenuntergang bestellt ist. In neu einzugehenden oder zu verlängernden Heuerverträgen dürfen ungemessene Dienste des Heuermanns bei Strafe der Nichtigkeit nicht ausbedungen werden. §. 2. Der Heuermann kann von dem Verpächter der Wohnung verlangen, daß diese trocken ist, und Wohnstube und Kammer gelüftet werden können. §. 3. Für jede Bauerschaft oder unter Umständen für einen Verband mehrerer Bauerschaften soll zur Regelung der Verhältnisse zwischen Grundbesitzern und Heuerleuten eine Commission gebildet werden, wenn nicht die Mehrheit der Grundbesitzer und zugleich die Mehrheit der Heuerleute das Gegentheil beschließt.«
Das nun war ein Minimum dessen, was im Verhältnis der Heuerleute zu den Bauern nach allgemeiner Meinung als reformbedürftig galt. Die Unsitte, über die Arbeitskraft des Heuermanns zu jeder Zeit verfügen zu können – »Wenn der
89 Durch das »Gesetz, die Aufhebung der von den Häuslingen in verschiedenen Theilen des Königreichs zu entrichtenden schutzherrlichen Abgaben betreffend« vom 8. Mai 1838 (Hann. GS, S. 133) wurden die sogenannten »Häuslingsschutzgelder« gegen Entschädigung der Berechtigten aufgehoben (§ 1 des Gesetzes), die guts- und dienstherrlichen Abgaben dagegen bestätigt (§ 2 des Gesetzes) eine nicht leicht vorzunehmende Abgrenzung erforderte (vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J.C.B. Stüves, S. 146). Ob ein solches Schutzgeld im Fürstentum Osnabrück erhoben worden ist, ist nicht nachweisbar (vgl. W. Wittich, Die Grundherrschaft, S. 111). In jedem Fall dürfte das Schutzgeld im Vergleich zu dem Dienstgeld bzw. den Diensten eine vergleichsweise geringe Belastung bedeutet haben. Bei Jacobi/Ledebur findet das Schutzgeld keine Erwähnung (Ueber die Verhältnisse der Heuerleute …, S. 33), was gegen dessen Erhebung im Fürstentum Osnabrück spricht. 90 Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J.C.B. Stüves, S. 111ff. 91 Hann. GS 1848 III, S. 56.
Stüves Reform des Heuerlingswesens
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Bauer pfeift …«92 – wurde nicht eigentlich abgeschafft, weil die Erntezeit von dem Verbot ausgenommen war. Auch das Verbot, vom Heuermann ungemessene Dienste zu fordern, galt nur für erneut geschlossene oder zu verlängernde Heuerverträge, während im Übrigen alles beim Alten blieb. Schließlich war der Anspruch des Heuermanns auf eine trockene und zu lüftende Wohnung angesichts der bekannten Missstände eine Selbstverständlichkeit und hatte nicht eigentlich den Charakter einer Reform, von der die Gesetzgebung des Jahres 1848 im Übrigen gekennzeichnet war.93 Eine Neuerung bestand in den – schon im Gutachten von Jacobi und Ledebur vorgeschlagenen – Schiedskommissionen mit paritätischer Beteiligung der Bauern und Heuerlinge. Immerhin hatten sich diese Kommissionen »im Allgemeinen mit den Verhältnissen der Heuerleute ihres Bezirks bekannt zu machen und die Beseitigung vorgefundener Mißstände durch gütliche Vermittelung zu versuchen« (§ 5 Abs. 1 des Gesetzes).
Zugleich schränkte die Zuständigkeit der Kommissionen die Möglichkeit der Klageerhebung ein, weil der Rechtsweg zu Gerichten nur dann eröffnet wurde, wenn vor der zuständigen Kommission vergeblich eine gütliche Einigung versucht worden war (§ 5 Abs. 2 des Gesetzes). Immerhin sollte der Kommission das Recht zustehen, »sich die Bedingungen eines jeden zu erneuernden Heuervertrages angeben zu lassen; sie hat dabei möglichst dahin zu wirken, daß, wenn eine baare Vergütung der von dem Heuermanne übernommenen Dienste nicht verabredet ist, das Verhältniß der Dienste und der Gegenleistung aus dem Vertrage klar zu ersehen sei, und daß dem Heuermanne die für den eigenen Haushalt erforderliche Zeit frei verbleibe.« (§ 5 Satz 3 des Gesetzes).
Auf Güter, die für sich eine Gemeinde bildeten, fanden die Vorschriften der §§ 3– 8 keine Anwendung (§ 9 des Gesetzes), so dass deren Heuerleute auf den Anspruch, am Vortag zu den Diensten gerufen zu werden und über eine trockene Wohnung zu verfügen, beschränkt waren. Vergleicht man die Bestimmungen des Gesetzes mit den Reformvorschlägen, die von Jacobi und Ledebur ausgearbeitet worden waren und auf Beratungen der Vertreter der Bauernschaft beruhten, so fällt das Ergebnis mehr als dürftig aus. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand. In Stüve hatten zwar die abhängigen Bauern eine wirkmächtige Stimme gefunden, die schließlich zur Zustimmung zu den Ablösungsgesetzen in beiden Kammern führte. Die besitzlosen Schichten der Bevölkerung blieben dagegen ohne Vertretung und damit ohne Einfluß auf ihre eigenen Angelegenheiten. Die Heuerleute waren nicht nur eine besitzlose, sondern auch eine rechtlose Klasse der ländlichen Bevölkerung und damit ein 92 Vgl. oben S. 42. 93 Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J.C.B. Stüves, S. 126ff.
56
Das Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück
ländliches Proletariat.94 Funke erkannte die Gefahren, die mit der Verarmung der Heuerleute für Staat und Gesellschaft verbunden waren: »Muß man nicht, wenn man von den Arbeiterunruhen in Fabrikgegenden hört, daran erinnert werden, daß bei der Überhand nehmenden Verdienstlosigkeit der gegenwärtigen Zeit und der daraus erfolgenden Verarmung der Heuerleute, die hier zur Zeit ebenfalls als eine vom Gewerbe größtentheils abhängige Arbeiterklasse angesehen werden können, sich auch in unserem Fürstenthume mit der Zeit ähnliche Bewegungen erzeugen können, da schon die Ansätze dazu da sind? Es ist in der That aufs dringendste nothwendig, daß die Aufmerksamkeit nicht bloß mehr als geschehen ist, auf die Heuerleute hingewandt werde, sondern daß man auch ernstlich darauf bedacht ist, ihnen zu helfen, wenn sie nicht noch immer tiefer in Armuth versinken und dabei sittlich zu Grunde gehen sollen.«95
94 Das Heuerlingswesen ist in neuerer Zeit vor allem Gegenstand der Heimatforschung gewesen. Hervorzuheben ist das von Helmut Lensing und Bernd Robben verfasste Werk »Wenn der Bauer pfeift, dann müssen die Heuerleute kommen!«, das umfangreiche Nachweise aus der Literatur und zahlreiches Anschauungsmaterial enthält. 95 So G. L. W. Funke, Ueber die gegenwärtige Lage der Heuerleute, S. 50f.
Viertes Kapitel: Das Meierverhältnis
I.
Das Meierrecht als selbständiges Rechtsgebiet
Die Rechtsverhältnisse der ländlichen Bevölkerung waren im Königreich Hannover durch Partikularrecht geregelt, das an die Stelle des bis dahin geltenden Gewohnheitsrechts trat, durch dieses aber auch ergänzt wurde. Pfeiffer weist in seiner Monographie96 für den nordwestdeutschen Raum insgesamt 16 verschiedene Ordnungen nach, die sich teilweise grundlegend unterschieden.97 Trotz der regionalen Unterschiede bildete sich im 18. und 19. Jahrhundert eine Art gemeines Meierrecht heraus, das in einer Vielzahl von Publikationen behandelt worden ist.98 Neben den zeitgenössischen Publikationen hat das Meierrecht auch späterhin eine Reihe von Untersuchungen angeregt.99 Die umfang96 B. W. Pfeiffer, Das deutsche Meierrecht nach seiner rechtlichen Begründung und damaligen Gestaltung 1848. 97 Vgl. B. W. Pfeiffer, Das Deutsche Meierrecht, S. 10ff. 98 Vgl. J. C. Brasen, Das Mayerwesen, nach dessen Nutzen oder Schaden für den Staat, 1778; M. Busch, Beiträge zum Meierrecht mit besonderer Berücksichtigung der Provinzial-Gesetze und der gerichtlichen Praxis im Fürstenthume Hildesheim, 1855; C. Gesenius, Das Meierrecht mit vorzüglicher Hinsicht auf den Wolfenbüttelschen Theil des Herzogthums BraunschweigLüneburg. Ein Beytrag zum deutschen Rechte, 2 Bde., 1803; F. B. Niemeyer, Das Meierrecht in der Grafschaft Hoya, 1862; Pfeiffer, B. W., Das deutsche Meierrecht nach seiner rechtlichen Begründung und dermaligen Gestaltung, 1848; J. Plate, Bemerkungen über das Meyerrecht im Fürstenthum Lüneburg, 1799; G. Preuß, Lüneburgsches Provinzialmeierrecht 1862; D. G. Strube, Commentatio de iure vilicorum vulgo v. Meyer-Recht, 1720, 1770; E. Wedekind, Zur Reform des Meierrechts und der bäuerlichen Verhältnisse überhaupt, mit besondrer Rücksicht des Fürstenthums Lüneburg, 1861; H. A. Oppermann, Sammlung sämmtlicher im Fürstenthum Carlenberg, Grubenhagen, Göttingen, Lüneburg und in den Grafschaften Hoya und Diepholz in Beziehung auf das Meierrecht erlassenen Gesetze, Verordnungen, Ausschreiben und Resolutionen von der ältesten bis auf die neueste Zeit, 1861. 99 Vgl. nur G. Zimmer, Die Abmeierung im alten und im neuen Recht. Unter besonderer Berücksichtigung des alten Meyerrechts in Niedersachsen, Diss. Erlangen 1935; H. Rust, Das Schaumburg-Lippische Äußerungsverfahren, Diss. Kiel 1939; G. Turner, Das Calenberger Meierrecht, Diss. Göttingen 1960; K. Scharpwinkel, Die westfälischen Eigentumsordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts, Diss. Göttingen 1965.
58
Das Meierverhältnis
reiche Literatur zum Meierrecht lässt die praktische Bedeutung dieses Rechtsgebiets erkennen, das nach Inkrafttreten der Ablösungsgesetzgebung im Königreich noch an Bedeutung gewonnen hat.100
II.
Die Definition des Meierverhältnisses
Pfeiffer definiert das Meierverhältnis als »erbliches und dingliches Recht zur B e w i r t h s c h a f t u n g eines fremden Gutes mit der Verbindlichkeit zur Entrichtung bestimmter jährlicher Abgaben«
und fügt hinzu: »zur Bewirthschaftung sowohl im eigenen Interesse des Meiers als dem der Guts- und Landesherrschaft.«101
Busch übernimmt diese Definition und paraphrasiert deren Begriffe wie folgt: 1) »ein unbewegliches, zur ländlichen Bewirthschaftung geeignetes Gut; 2) die Concurrenz eines Eigenthumsrechts des Gutsherrn und eines dinglichen Rechts des Meiers an diesem Gute; 3) das Recht und die Pflicht des Meiers, das Gut als ein tüchtiger Wirth zum eignen Vortheil zu benutzen; 4) das hieraus sich ergebende Erforderniß einer besondern Qualifikation des Meiers, d. h. der Befähigung, dem Gute persönlich vorzustehen; 5) das Recht des Gutsherrn auf die an ihn zu entrichtenden Abgaben und die Einlösung des Meierbriefs; 6) die Beschränkung des Meiers bei Veräußerung und Belastung des Guts, und 7) die Vererbung des Meierguts, jedoch unter besonderen aus dem Vorstehenden und dem deutschen Familienrechte sich ergebenden Modifikationen.«102
Die Meierverfassung und damit der Begriff des Meiers galt jedoch nicht im gesamten Königreich, sondern stellte nur eine der beiden Hauptgruppen der Provinzialrechte dar. Pfeiffer unterscheidet demgemäß zwischen der in Niedersachsen103 geltenden Meierverfassung und der westfälischen »Eigenbehörigkeitsverfassung«, die eine späte Form der Leibeigenschaft war.104 Bei Pfeiffer heißt es entsprechend, dass die Meierverfassung Westfalens 100 101 102 103
Vgl. B. W. Pfeiffer, Das deutsche Meierrecht, S. III. So B. W. Pfeiffer, Das deutsche Meierrecht, S. 62. So M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 9. Der Name »Niedersachsen« wird in der Literatur für Teile Nordwestdeutschlands gebraucht, die im alten Reich den niedersächsischen Reichskreis bildeten und von Westfalen abzugrenzen waren (vgl. etwa W. Wittich, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, S. 15 und passim). 104 Vgl. oben S. 28.
Die Meierordnung für das Fürstentum Calenberg
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»ursprünglich mit dem Leibeigenthume in so engem Zusammenhange stand, daß man das Meierverhältnis gewissermaßen als identisch mit der Eigenbehörigkeit betrachten konnte,«
während das Meierverhältnis niedersächsischer Prägung »als durchaus unabhängig von der Leibeigenschaft, auch wo dieser etwa die Besitzer von Meiergütern unterworfen waren, erschien.«105
Pfeiffer fährt fort: »Als repräsentative Normen der beiden durch jene locale Verschiedenheit gebildeten Systeme können beispielsweise die Osnabrücksche Eigenthumsordnung und die Calenbergische Meierordnung dienen, deren erstere lediglich von Eigenbehörigen redet, in dem sie die von den Besitzungen derselben geltenden meierrechtlichen Grundsätze vorträgt, letztere dagegen ausdrücklich die Eigenbehörigen von ihrer Anwendung ausschließt.«106
III.
Die Meierordnung für das Fürstentum Calenberg
1.
Rechtsvermutung zugunsten des Meierguts
§ 1 des ersten Kapitels der »Meyer-Ordnung für das Fürstenthum Calenberg« vom 12. Mai 1772107 hat folgenden Wortlaut: »Da die mehreste in Unserm Fürstenthum Calenberg befindliche unfreye Bauer-Güther Meyer-Güther sind, woran denen Guthsherren das Eigenthum, denen Meyern aber ein Erb-Pacht-Recht, unter der Bedingung zustehet, daß sie das Guth in gutem Stande erhalten, einen jährlichen festgesetzten und nicht zu erhöhenden Meyerzins richtig abtragen und bey jeder Veränderung des Hauswirths, auch wo es hergebracht ist, des Gutsherrn gegen Bezahlung des Weinkaufs, einen neuen Meyerbrief auslösen; das Beste des Landes auch erfordert, darunter bey einerley Regel so viel möglich zu bleiben: So sollen alle unfreye Bauer-Güther, es mögen Voll- oder Halb-Meyer-Köther-Höfe oder Brincksitzer-Stellen seyn; so lange das Gegentheil nicht dargethan ist, vor Meyer-Güther von eben beschriebener Eigenschaft gehalten werden, und derjenige, welcher das Gegentheil und eine Ausnahme behaupten will, den Beweis seiner Angabe zu übernehmen schuldig seyn.«
Cap. I § 1 enthält damit eine Rechtsvermutung, dass sämtliche Bauerngüter – als Oberbegriff für Höfe unterschiedlicher Größe – als »Meyer-Güther« zu betrachten sind, es sei denn, der Eigentümer – »Guthsherr« genannt – könnte das 105 So B. W. Pfeiffer, Das deutsche Meierrecht, S. 9. 106 So B. W. Pfeiffer, Das deutsche Meierrecht, S. 10. 107 Abgedr. bei H. A. Oppermann, Sammlung, S. 23; K. Scharpwinkel, Die westfälischen Eigentumsordnungen des 17. und 18. Jahrhundert, Diss. Göttingen 1965.
60
Das Meierverhältnis
Gegenteil beweisen. In einem latenten Widerspruch hierzu steht die Bestimmung, dass die Verordnung »auf die an einigen Orten in Unserm Fürstenthum Calenberg vorhandenen Hägerleute, Eigenbehörige, auf die Ziehung des Theils-Korns, auch auf das mit einem Erb-MeyerRechte nicht behaftete Pacht- oder Erbenzinsland und Güther etc. keine Anwendung [findet], sondern es hat damit in alle Wege bey dem Herkommen sein unveränderliches Bewenden« (Cap. IX § 11 Satz 2).
Der Gutsherr hatte nur zu beweisen, dass eine der genannten Voraussetzungen vorlag, um die Anwendbarkeit der Meierordnung auszuschließen.
2.
Die Erblichkeit des Meierguts
Dem Meier stand grundsätzlich das Recht zu, das Meiergut an seine Kinder zu vererben. Sofern im Meierbrief die Dauer des Meierverhältnisses auf die Lebenszeit des Meiers oder auf neun oder zwölf Jahre beschränkt wurde, sollte dies nur bedeuten, dass nach Ablauf dieser Zeit erneut der Weinkauf zu entrichten war und »dadurch der Meyerbrief über den Hof für erneuert geachtet werden« sollte (Cap. I § 2). Nur wenn im Meierbrief die Bestimmung enthalten war, dass nach Ablauf der Frist der Gutsherr über das Gut nach Belieben verfügen könnte, war es als »Pachtguth« zu betrachten, das nicht vererblich war (Cap. I § 3). Der Meier war verpflichtet, einen Meierbrief zu lösen, der Gutsherr hatte ihm einen solchen gegen Bezahlung zu erteilen (Cap. II § 1). Die Gegenleistung des Meiers wurde als »Weinkauf« bezeichnet und richtete sich in ihrer Höhe nach dem Herkommen, es sei denn, der Meier konnte beweisen, dass die Entrichtung des Weinkaufs nicht (mehr) geboten war (Cap. II § 4 Abs. 2).
3.
Meierbrief und Weinkauf
Ein neuer Meier musste grundsätzlich einen neuen Meierbrief lösen und den Weinkauf entrichten (Cap. II § 3 Abs. 1). Dagegen löste die Veränderung in der Person des Gutsherrn bei dem Meier keine Zahlungsverpflichtung aus, es sei denn, der Meierbrief wäre nur auf Lebenszeit des Gutsherrn oder auf eine bestimmte Anzahl von Jahren gelöst worden. In beiden Fällen musste der Weinkauf nach Ablauf der Frist bzw. bei Veränderung in der Person des Gutsherrn gezahlt werden (Cap. II § 3 Abs. 2). Eine Erhöhung des Weinkaufs war grundsätzlich unzulässig (Cap. II § 4 Abs. 1 Satz 1). Ließ sich die Höhe für die Vergangenheit nicht feststellen, so richtete sie sich nach der Ortsüblichkeit (Cap. II § 4 Abs. 1). Sofern ein Meier nachweisen
Die Meierordnung für das Fürstentum Calenberg
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konnte, dass »überall« kein Weinkauf gezahlt worden war, und eine Verpflichtung hierzu auch nicht »auf andere Art« erwiesen werden konnte, so musste der Meierbrief auch ohne dessen Weinkauf erteilt werden (Cap. II § 4 Abs. 2).
4.
Meierzins und Remissionen
§ 1 des dritten Kapitels »Von dem Meyerzins und Remissionen« hatte folgenden Wortlaut: »Gleichwie den Meyerzins zu steigern nicht erlaubt ist, und solches bey pflichtigen Bauergüthern nicht einst alsdenn gestattet werden kann, wenn auch der Meyer darin willigen und es sich gefallen lassen wollte: Also erfordern hingegen Recht und Billigkeit, dahin zu sehen, daß der Guthsherr dasjenige, was ihm, es sey an Korn Geld oder anderen Praestandis gebühret, richtig, zu gehöriger Zeit und unthadelig erhalte. Wir befehlen daher Unsern Beamten und den Gerichtsherren nicht nur ernstlich, auf die von denen Guthsherren, wegen rückständiger oder in gehöriger Güthe nicht abgelieferter Gefälle an sie gebrachte Klagen, die Meyer zu der Bezahlung anzuhalten, unnöthige Weitläufigkeiten und Kosten dabey zu vermeiden, und in die letzten, in so weit sie unvermeidlich, den säumigen Meyer zu verurtheilen; Sondern es sollen auch diejenigen Beamten und Gerichtsherren, welche diesem unserm Befehle nicht nachkommen und sich einen Verzug dabei zu Schulden kommen lassen, auf desfalls angebrachte und erwiesene Beschwerden, umso mehr bestrafet werden, als das eigene Beste des Bauern erfordert, ihn in Rückstand nicht kommen zu lassen, in dem dadurch sein Verfall nur beschleuniget wird.«
Die folgenden Bestimmungen dienten dem Schutz des Gutsherrn vor betrügerischen Handlungen des Meiers. Insbesondere hatte er einen Anspruch auf Getreide oder andere Früchte von bestimmter Qualität. Gutsherr und Meier konnten vereinbaren, dass statt des »Kornzinses« der Zins in Geld entrichtet wurde; hiermit durfte aber keine verdeckte Erhöhung des Meierzinses verbunden sein (Cap. III § 6). § 8 des Zweiten Kapitels traf Regelungen für den Fall, dass der Meier ein neues Wohnhaus oder eine Scheune baute. Der Gutsherr musste in diesem Fall dem Meier für zwei Jahre die Hälfte der Gefälle erlassen. Ein solcher Verzicht trat auch ein, wenn der Meier durch Viehsterben oder Feuersbrunst Verluste erlitt, setzte allerdings voraus, dass der Gutsherr nicht beweisen konnte, dass der Meier auch »ohne seine Beyhülfe sich allein zu helfen im Stande sey« (Cap. III § 8 Satz 3).
62 5.
Das Meierverhältnis
Verbot der Veräußerung des Meierguts
Der Gutsherr war Eigentümer des Meierguts und hatte ein Interesse daran, dass es mit einem »Wirth« besetzt war, der zur Bewirtschaftung des Hofes in der Lage war und die Gefälle fristgerecht entrichtete. Zum Schutz des Gutsherrn war die Veräußerung des Meierguts oder einzelner Teile grundsätzlich verboten, es sei denn, der Gutsherr willigte ein. Die Genehmigung des »Dienstherrn« war bei einem Verkauf nicht erforderlich, wenn ihm dadurch nichts entzogen wurde (Cap. IV § 2 Abs. 1 Satz 2). Ausdrücklich wurde bestimmt: »Den Verkauf der bey den Meyerguth, es sey eine kurze oder lange Zeit, gewesenen mit der Meyerqualität erweislich nicht behafteten Grundstücke ist hingegen der Guthsherr zu behindern nicht befugt« (Cap. IV § 2 Abs. 2 Satz 2).
Auch die weiteren Bestimmungen – Verbot der Verpfändung des Meierguts und des Zubehörs oder des Verkaufs von »Pertinenzien« – dienten dem Schutz des Gutsherrn und konnten unter Umständen Vindikationsansprüche auslösen. Allerdings galt diese Regel nicht ausnahmslos. § 5 des Kapitels lautete: »Die Meyer müssen zwar der Regel nach, die Meyerhöfe und dazugehörige Ländereyen selbst cultiviren und nicht an andere verpachten. Dafern aber bey einem oder anderm derselben besondere Umstände eintreten, welche ihm eine Sublocation nöthig oder nützlich machten, der Hof mit einem Reihemann besetzet bleibet, auch die Bestellung des Landes und Consistenz des Hofes darunter nicht leidet, als welchemfalls der Gerichts- Guths- und Dienstherr zu widersprechen befugt ist, so soll demselben verstattet seyn, den Hof entweder ganz oder einige Stücke desselben zu verpachten« (Cap. IV § 5).
Auf diese Weise war einer dreistufigen Agrarstruktur das Tor geöffnet. Mit Einwilligung des Gutsherrn konnte der Meier seinerseits Teile des Meierguts verpachten und hierfür einen Pachtzins beanspruchen. Die entsprechenden Rechtsverhältnisse richteten sich nicht nach dem Meierrecht, so dass die in § 1 des ersten Kapitels enthaltene Rechtsvermutung nicht eingriff; vielmehr handelte es sich um ein »blosses Pacht-Guth«, auf welches auch an anderer Stelle Bezug genommen wurde (Cap. I § 3).
6.
Die Erbfolge in das Meiergut
Bereits in der einleitenden Vorschrift war das Meierverhältnis als »Erb-PachtRecht« definiert worden.108 Entsprechend enthielt das fünfte Kapitel Bestimmungen »von der Erbfolge in die Meyergüther«. § 1 lautete wie folgt:
108 Vgl. oben S. 59.
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»Da das Meyerrecht ein Erb-Pachtrecht ist, eine Pacht den Rechten nach die Zeit, welche sie dauert, auf alle und jede Erben des Pächters übergehet; die denen Meyern ein Erbrecht beylegende, eine besondere Erbfolge nicht verordnet haben; auch das gemeine Beste erfordert, die Guthsleute zu fleißiger Cultur ihrer Höfe dadurch zu ermuntern, daß sie bey ihren Erben, in so fern diese solchen vorzustehen tüchtig sind, auch der Erblasser nicht selbst ein anderes verlanget, verbleiben: So ist die Erbfolge in Meyergüther keineswegs auf diejenigen, welche von dem ersten Erwerber abstammen, einzuschränken, sondern es können in Meyergüther alle, welchen nach denen gemeinen Rechten eine Erbfolge an den übrigen Güthern des Meyers zukommt, mithin auch Ascendenten und Collateral-Anverwandte succediren« (Cap. V § 1).
Für die Erbfolge selbst wurde eine Regelung getroffen, die in ihrer Reihenfolge überraschend ist. Voraussetzung war, dass das Meiergut nicht teilbar war, folglich im Geltungsbereich der Meierordnung nicht mehrere Erben eingesetzt werden konnten. Die Gutsherren hatten die Macht, unter den Erbberechtigten denjenigen auszuwählen, der den Hof erhalten sollte, durften sich jedoch »von selbigem niemals davor etwas stipuliren oder bezahlen lassen« (Cap. V § 3 Satz 1). Diese »successio ab intestato« sollte jedoch nicht Platz greifen, wenn der Meier entweder durch einen letzten Willen oder auf eine andere rechtsbeständige Art etwas anderes verordnet hatte (Cap. V § 4 Satz 1). Zwar bedurfte die letztwillige Verfügung des Anerben der Genehmigung des Gutsherrn, dieser konnte sie aber nur unter besonderen Voraussetzungen versagen, nicht jedoch, wenn der Meier einen Sohn oder eine Tochter zur Erbfolge auswählte, gegen deren Tüchtigkeit nichts eingewandt werden konnte (Cap. V § 4 Satz 3). Auch Eheleute konnten sich gegenseitig zu Erben einsetzen; eine solche Vereinbarung gemäß dem Grundsatz »längst Leib längst Guth« konnte der Gutsherr nur durch besondere Gründe in ihrer Rechtswirksamkeit behindern (Cap. V § 5). Da das Meiergut unteilbar war, wurden die erbberechtigten Kinder nur aus dem übrigen Vermögen des Meiers abgefunden, und zwar nach Abzug der Schulden (Cap. VI § 2). Für die Bemessung des »Allodio« – also des dem Erblasser selbst zustehenden Eigentums – enthielt die Meierordnung bis ins Einzelne gehende Bestimmungen, nach denen unter Umständen eine gerichtliche Untersuchung des Vermögens stattfinden musste. Für die Übergabe des Hofes an den Nachfolger des Meiers war eine Altersgrenze von 60 Jahren vorgesehen, es sei denn, dass er gesundheitlich nicht mehr in der Lage war, den Hof zu bewirtschaften oder ihm die Bewirtschaftung nur vorübergehend übertragen worden war (Cap. VII § 1). Dem Meier stand bei Übergabe eine nach den gesamten Umständen und dem Vermögen des Guts zu bestimmende »Leibzucht« zu. § 6 des Siebenten Kapitels lässt erkennen, um welche Vermögensgegenstände es sich gewöhnlich handelte: »Was den alten Leuten von der Stelle an Hausgeräthe und Vieh überlassen worden, soll nebst dem Korn, so auf dem zum Altentheil ausgesetzten Lande annoch auf dem Halm
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Das Meierverhältnis
befindlich ist, nach ihrem Tode im Hofe verbleiben. Was aber die Leibzüchter von eigenem auch auf der Leibzucht erworbenen Vermögen besitzen, darüber können sie nach Gefallen disponiren, oder es fällt solches in Ermangelung einer Disposition ihren nächsten Verwandten zu, wogegen diese die Begräbniskosten übernehmen. Wenn der Hauswirth nach der Verabredung die Begräbnißkosten stehen muß, soll davor gehalten werden, daß die Absicht gewesen, solchem das ganze Vermögen des Leibzüchters zu lassen« (Cap. VII § 6).
7.
Die Abmeierung
Ein eigenes Kapitel (VIII.) war der Abmeierung gewidmet, deren Voraussetzungen in § 1 ausführlich bestimmt wurden: »Die Abmeierung hat Platz: e r s t l i c h wenn der Meyer an denen dem Guthsherrn, er mag deren einen oder mehrere haben, gebührenden Zinsen und Gefällen, so viel restired, als ein dreyjähriges Quantum desselben beträget, es mag dieser Rückstand in drey oder mehreren Jahren erwachsen, darauf geklaget und inzwischen etwas entrichtet seyn oder nicht. Nur alsdann hat dieses eine Ausnahme, wenn erwiesen werden könnte, dass der Meyer durch unvermeidliche Unglücksfälle ohne Schuld an dem Abtrag behindert wäre. Z w e i t e n s : wenn der Meyer einen Concurs erreget, oder doch der von ihm ohne Guthsherrlichen Consens gemachten Schulden wegen, dass Allodium dergestalt angegriffen werden muß, daß der Haushalt auf dem Hofe von ihm gehörig nicht fortgesetzt werden könnte. D r i t t e n s : Wenn derselbe durch Gesöff oder liederlichen Haushalt, Versäumung des Ackerbaues, Verfall der Gebäude, Verderb der Holzung, ohne Guthsherrliche Einwilligung geschehene Veräußerung oder Versetzung der Grundstücke, und anderes diesen ähnlichen Betragen, sich als ein untauglicher Hauswirth bezeiget, und solches durch sachverständige Zeugen erweislich zu machen stehet, auch eine ihm desfalls geschehene ernstliche Admonition fruchtlos geblieben ist, mithin bey seiner fernern Administration sowohl der Wohlstand des Hofes, als des Landes und der Guthsherrn wegen richtiger Abtragung der Gefälle Gefahr läufet« (Cap. VIII § 1).
Allerdings konnte der Gutsherr die Abmeierung nicht selbst aussprechen, vielmehr bedurfte es einer besonderen Klage: »Auf die in diesen Fällen von dem Guthsherrn anzustellende Abmeyerungs-Klage hat der Richter die Sache, jedoch summarisch und mit Vermeidung unnöthiger Weitläufigkeit zu untersuchen, und wenn die Klage gegründet befunden wird, niemahls eine Vereinzelung der Pertinenzien oder Administration des Hofes, sondern allezeit die Abmeyerung zu erkennen, und der Meyer muß während der Abmeyerungs-Klage so lange solche dauert, den currenten Zins jedesmahl bezahlen, ohne daß solches der Klage entgegen gesetzet werden kann« (Cap. VIII § 2).
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Erfolgte die Abmeierung durch das Gericht, konnte der Gutsherr den Meierhof anderweitig besetzen, ohne dass die Kinder oder Verwandten des abgemeierten Meiers einen Anspruch hierauf geltend machen konnten (Cap. VIII § 3). Für die Dauer des Verfahrens traf § 4 eine Regelung, die beiden Seiten gerecht werden sollte: »Gleichwie der Guthsherr von dem Meyer-Contract ohne hinlängliche Ursachen nicht abweichen, noch den Meyer und dessen Erben verstoßen kann: Also ist ebenwenig der Meyer befugt, solchen Contract seiner Seits aufzuruffen, sondern nebst seinen Erben schuldig, denselben zu erfüllen, und dasjenige zu leisten, wozu ihn solcher verbindet: Es sey denn, daß er dem Guthsherrn einen andern annehmlichen und ihm anständigen Meyer verschaffe.« (Cap. VIII § 4)
8.
Der Konkurs des Meiers
Kapitel IX enthielt eingehende Bestimmungen zum Konkurs von Meiergütern. Sofern der Meier Konkurs anmeldete, endete sein Recht an dem Meiergut. Für die Schulden des Meiers haftete das gesamte vorhandene Eigengut (Allodium), das von Gerichts wegen zu untersuchen war (Cap. IX § 2). Der Hof war dann mit einem neuen Meier zu besetzen, wobei es dem Gutsherrn oder dem neuen Meier freistand, den Wert des Allodiums zu bezahlen, damit dieses beim Hof blieb (Cap. IX § 3). Erklärte sich der Gutsherr hierzu nicht bereit, konnten die Gläubiger einen neuen Meier vorschlagen, der zur Bezahlung des Allodiums bereit war und dem der Gutsherr einen neuen Meierbrief erteilen musste (Cap. IX § 4). Gelang dies nicht, so konnte entweder der Gutsherr oder das Gericht einen neuen Meier bestellen, der nur einen geringeren Betrag zu tragen hatte (Cap. IX § 5). Der neue Meier haftete nicht für die alten Schulden, außer für die mit Einwilligung des Gutsherrn oder nach Billigkeit zu bestimmende Leibzucht (Cap. IX § 8). Für mit Einwilligung des Gutsherrn entstandene Schulden trat unter Umständen eine Haftung des Hofs selbst ein, in dem dieser – mit Vorbehalt der »Guthsherrlichen Rechte« – zum Verkauf kam. Gelang ein solcher Verkauf nicht, fielen die Gläubiger aus und der Hof musste mit einem anderen Meier besetzt werden (Cap. IX § 9). Zum Schluss der Meierordnung fand sich noch ein Vorbehalt zugunsten des bisher angewandten Rechts: »Gleichwie Wir in gegenwärtiger Verordnung, blos gewisse Regeln in Absicht der Gutsherren; und ihrer Erbpacht-Meyer, festsetzen; So findet solche auf die an einigen Orten in Unserm Fürstenthum Calenberg vorhandenen Hägerleute, Eigenbehörige, auf die Ziehung des Theils-Korns, auch auf das mit einem Erb-Meyer-Rechte nicht be-
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Das Meierverhältnis
haftete Pacht- oder Erbenzinsland und Güter etc. keine Anwendung, sondern es hat damit in alle Wege bey dem Herkommen sein unveränderliches Bewenden.«109
IV.
Gustav von Gülichs Schrift: »Ueber die Verhältnisse der Bauern im Fürstenthume Calenberg«
Gustav von Gülich (1791–1847) stammte aus einer wohlhabenden Osnabrücker Familie und betätigte sich wechselnd als Gutsbesitzer und industrieller Unternehmer. Bedeutend ist sein wissenschaftliches Werk auf dem Gebiet der Nationalökonomie, das erwiesenermaßen Einfluss auf Karl Marx ausübte.110 Gülichs Lebenslauf weist Parallelen zu dem von Johann Carl Bertram Stüve auf, mit dem ihn ein freundschaftliches Verhältnis verband.111 Stüve und Gülich einte das Interesse für die Nationalökonomie, die nach heutigen Begriffen sowohl die Volkswirtschaft als auch die Politikwissenschaft umfasste. Beide haben sich nach einem nur kurzen Universitätsstudium ihre profunden wissenschaftlichen Kenntnisse neben den von ihnen ausgeübten beruflichen Tätigkeiten erworben und ein umfassendes Oeuvre hinterlassen. Eine weitere Parallele besteht darin, dass sie in ihrer Heimatstadt nahezu in Vergessenheit geraten sind, wobei Stüve zeit seines Lebens an seinem Geburtsort verblieb, während Gülich seine wirtschaftliche Betätigung an verschiedenen Standorten ausübte. Eine Gemeinsamkeit der beiden Privatgelehrten bestand darin, dass ihre Werke in dem Verlag Friedrich Frommann in Jena erschienen. Stüve dürfte seinem Freund Frommann die Herausgabe des fünfbändigen Werkes der Nationalökonomie von Gülich empfohlen haben. In unserem Zusammenhang ist Gustav von Gülich von Bedeutung, weil er im Jahr 1831 eine Schrift mit dem Titel »Ueber die Verhältnisse der Bauern im Fürstenthume Calenberg« vorgelegt hat. Deren Erscheinungsdatum – das Vorwort datiert vom 14. April 1831 – ist insofern bedeutsam, als noch im gleichen Jahr die Ablösungsverordnung erlassen wurde112, die Gülich ein halbes Jahr vorher als wünschenswert angesehen hatte. Gülichs Schrift beginnt mit den Worten:
109 So H. A. Oppermann, Sammlung, S. 49. 110 G. v. Gülich, Geschichtliche Darstellung des Handels, der Gewerbe und des Ackerbaus der bedeutendsten handeltreibenden Staaten, Bd. 1–5, Jena 1830–1845. 111 In der Edition der Briefe Stüves findet sich eine Vielzahl von Erwähnungen Gülichs, in den vor allem an Frommann gerichteten Briefen (W. Vogel (Hrsg.), Briefe Johann Carl Bertram Stüves, 2. Band: 1848–1872, 1960, S. 1057. 112 »Verordnung über die bei der Ablösung der grund- und gutsherrlichen Lasten, und Regulirung der bäuerlichen Verhältnisse zu befolgenden Grundsätze« vom 10. November 1831 (Hann. GS 1831, S. 209).
von Gülichs Schrift: »Ueber die Verhältnisse der Bauern im Fürstenthume Calenberg«
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»Die Bauern im Fürstenthume Calenberg werden eingetheilt in Vollmeier, Halbmeier, Großköthner oder Großkothsassen und in Kleinköthner oder Kleinkothsassen. In einigen Gegenden findet sich auch noch eine fünfte Classe, die der Höfner oder Höflinge, doch trifft man diese vorzüglich nur im Amt Wennigsen. Die Brinksitzer sind eigentlich nicht zu den Bauern zu zählen, da sie nur ein eigenes Haus, nicht eigenes Land besitzen, und von letzterm auch selten ein Bedeutendes zugepachtet haben. Noch weniger können zu denselben die Häuslinge, oder Inquilinen gerechnet werden, indem diese nicht nur kein Land, sondern auch nicht einmal ein eigenes Haus besitzen. Im Allgemeinen ist die Zahl der Köthner und Halbköthner größer als die der Vollmeier und Halbmeier; indeß herrscht in dieser Hinsicht eine große Verschiedenheit, und ein für alle Gegenden richtiges, oder auch nur annähernd richtiges Verhältniß würde nicht anzugeben sein. Eben so wenig lässt sich über die Größe der Höfe etwas Allgemeinrichtiges sagen. Doch ist anzunehmen, dass zu den Höfen der Vollmeier selten unter 60, und selten über 20 Morgen gehören; dass die Halbmeier wenigstens die Hälfte dieser Grundfläche, die Großköthner selten über 30, und selten unter 10 Morgen; die Kleinköthner aber nur wenige Morgen Landes, 2–10 Morgen besitzen.«113
Damit ist gewissermaßen das Personal der Abhandlung bezeichnet und verdeutlicht, dass nur die Meier und Köthner114 als »Bauern« zu bezeichnen sind, während die Brinksitzer wegen der ihnen zukommenden geringfügigen Nutzfläche als »unterbäuerliche Schicht« anzusprechen sind. Umso mehr gilt dies für die Häuslinge, die kein Eigentum an dem von ihnen bewohnten – meist ärmlichen – Haus hatten. Die Größe der Höfe und damit die Einteilung in »Bauernklassen« lässt Rückschlüsse auf das zu ihrer Bewirtschaftung erforderliche Personal zu. So war für den Hof eines Vollmeiers, der 120 Morgen Ackerland umfasste, die Haltung von sechs Pferden notwendig, die wiederum die Anstellung von drei Knechten erforderte. Halbmeier und Kötner hatten üblicherweise kein Personal, vielmehr musste der Bauer selbst die Feldarbeiten erledigen. Kötner übten nicht selten ein Handwerk aus, weil die Bewirtschaftung des Hofes keinen hinreichenden Ertrag bot.115 Tagelöhnerarbeiten wurden auf den größeren Bauernhöfen dagegen nicht von ihnen, sondern von Brinksitzern und Häuslingen verrichtet.116 Bauern mit 100 bis 150 Morgen zu bewirtschaftender Grundfläche hatten üblicherweise mehrere weibliche Dienstboten, die für die Versorgung des Viehs und die Erledigung der Hausarbeiten zuständig waren. Bei 113 So v. Gülich, Die Verhältnisse der Bauern im Fürstenthume Calenberg, S. 1f. 114 Die Bezeichnung unterscheidet sich von der in dem Standardwerk von Wittich, das 1896 erschienen ist, verwandten (»Köther«), die zu Missverständnissen Anlass geben kann. Gebräuchlich war auch die Bezeichnung »Kötter«. Sämtliche Bezeichnungen sind darauf zurückzuführen, dass die Angehörigen dieser bäuerlichen Schicht über ein eigenes Haus (»Kotten«) verfügten. 115 So G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern im Fürstenthume Calenberg, S. 8. 116 So G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern im Fürstenthume Calenberg, S. 8.
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Das Meierverhältnis
Höfen von 120 Morgen wurden regelmäßig 10–14 Kühe und junges Vieh gehalten. Einen besonderen Abschnitt widmete Gülich den Abgaben und Lasten, die auf den Bauernhöfen ruhten.117 Unklar ist, ob dem Verfasser die im Jahr 1830 erschienene Schrift Stüves über die Lasten des Grundeigentums118 bekannt gewesen ist, was aufgrund der zeitlichen Abfolge beider Schriften möglich erscheint. Zitiert wird die Schrift Stüves bei Gülich nicht; auffällig ist indes, dass beide Autoren zu vergleichbaren Ergebnissen gelangen. Gülich erkennt an, dass die in Teilen des Fürstentums Calenberg übliche Umwandlung der Naturaldienste in Dienstgeld für die Bauern eine Erleichterung bedeutete. Vollmeier hätten jährlich etwa 25 Reichstaler, Halbmeier 12–13 Reichstaler, Kötner 6–7 Reichstaler und Kleinkötner die Hälfte dieses Betrages zu zahlen gehabt. Bei Vollmeiern mit größeren Höfen habe das Dienstgeld bis zu 40 Reichstaler im Jahr betragen. Dagegen seien die zu Hand- und Spanndiensten Verpflichteten während des größten Teils des Jahres wöchentlich einmal, in der Ernte zweimal wöchentlich herangezogen worden.119 Die Umwandlung der Naturaldienste in Geldleistungen sei für die Bauern insofern auch vorteilhaft gewesen, weil sie zum Teil weite Wege hätten zurücklegen müssen, um ihren Verpflichtungen zu genügen, was für die eingesetzten Pferde und das Gerät jeweils eine Wertminderung bedeutet habe.120 Besonders drückend erscheinen die auf adligen Gütern zu verrichtenden Dienste: »Auf mehrern adelichen Gütern müssen sowohl die zu Handdiensten als die zu den Spanndiensten Verpflichteten, mit Ausnahme einiger Wintermonate, zweimal wöchentlich dienen; und in der Ernte nicht selten so oft, als der Gutsbesitzer verlangt, diesem zu Gebote stehen, und häufig die Einscheuerung des eignen Getreides der der Früchte des Gutsbesitzers nachsetzen. Zu Handdiensten sind in den Dörfern, welche von adelichen Gütern abhängen, in den s.g. Junkern-Dörfern, auch die Häuslinge, selbst solche, die sich ganz neuerlich erst hier niedergelassen, verpflichtet.«121
Zu den Diensten traten die Abgaben, die die Bauern an die Grundherren zu entrichten hatten. Hierzu gehörten der Zehnte, die Zinskörner, deren Umfang genau festgelegt war, dazu Zinseier und Rauchhühner sowie »Procentgelder«, die dafür bezahlt wurden, dass der Gutsherr dem Pflichtigen die Erlaubnis erteilte, Kredite für seinen Hof aufzunehmen. Diese Abgaben waren sowohl von den »Privatbauern« – deren Grundherren Privatleute waren – als auch von den
117 Vgl. G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern im Fürstenthume Calenberg, S. 26ff. 118 J. C. B. Stüve, Ueber die Lasten des Grundeigentums und Verminderung derselben in Rücksicht auf das Königreich Hannover, 1830. 119 So G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern, S. 26 Anm. 1. 120 Vgl. G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern, S. 27 Anm. 1. 121 So G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern, S. 28.
von Gülichs Schrift: »Ueber die Verhältnisse der Bauern im Fürstenthume Calenberg«
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»landesherrlichen Bauern« zu entrichten, wobei die Prozentgelder nur von Letzteren zu entrichten waren.122 Einen besonderen Abschnitt widmete der Verfasser der Lage der Häuslinge, deren Zahl im Fürstentum Calenberg erheblich gestiegen war123: »… in manchen Dörfern wohnten in einer elenden Hütte zwei und mehrere solcher Familien beisammen, oft waren auch wohl zwei bis drei Familien auf ein einziges Zimmer angewiesen. Höchst jämmerlich aber ward der Zustand dieser Menschen in dem Winter von 1829 auf 1830. Dieser […] traf keinen Stand härter, als die ärmern Dorfbewohner, denn obwohl auch die niedern Stände in den Städten dadurch sehr litten, so fanden diese doch meist noch eher Unterstützung als jene; und die Häuslinge ermangelten jetzt in vielen Gegenden des Calenbergischen um so mehr des Feuermaterials, da ihnen nicht nur kein Holz aus der Forst angewiesen ward, sondern sie auch oft nicht einmal Gelegenheit hatten, sich solches für Geld zu verschaffen.«124
In einer Fußnote fügt Gülich hinzu: »In vielen Dörfern des Calenbergischen sind in diesem Augenblicke (im April 1831), und oft schon seit mehrern Monaten, die Häuser der Bauern von den Allmosen-, meist nur ein Stück trockenes Brod Suchenden, umlagert, und die Diebstähle, welche sich indeß oft nur auf die ersten Lebensbedürfnisse beschränken, sind wohl nie so häufig gewesen, als jetzt.«125
In einem abschließenden Abschnitt widmet sich Gülich den »Mittel[n] zur Verbesserung der Lage der Bauern, Ablösung der gutsherrlichen Gefälle usw.«126 Allgemein anerkannt sei, dass »die Lage des Bauerstandes und der Dorfbewohner überhaupt zu bessern wäre«, so dass es nur darauf ankäme, welche Mittel hierzu gewählt werden sollten.127 Im Folgenden führt Gülich die unterschiedlichen Positionen auf, die für und gegen die Ablösung sprechen. Die Möglichkeit, die Ablösung der Dienste entweder in Land oder in Geld vorzunehmen, hält er gleichermaßen für bedenklich. Die Abtretung von Land würde die ohnehin geringe Nutzfläche der Höfe noch verkleinern, während sie zur weiteren Vergrößerung der grundherrlichen Güter führen würde. Der Ablösung durch Geldzahlungen steht seiner Auffassung nach entgegen, dass die Bauern regelmäßig über kein entsprechendes Kapital verfügten und sich für die Ablösungssumme erheblich verschulden mussten. Als Lösung dieses Dilemmas schlägt Gülich vor,
122 So G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern, S. 29. 123 v. Gülich nennt für den Zeitraum von 1800 bis 1828 in vielen Dörfern eine Zunahme der Häuslingsfamilien um das Vierfache; vgl. G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern, S. 48 Anm. 1. 124 So G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern, S. 49. 125 So G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern, S. 50 Fußn. 1. 126 So G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern, S. 51ff. 127 So G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern, S. 51.
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Das Meierverhältnis
für die Ablösung eine jährliche Abgabe in Getreide vorzusehen.128 Abgesehen von den Modalitäten der Ablösung bleibt es für ihn unabweisbar, die herkömmlichen Dienste zu ersetzen: »Weit wichtiger aber noch ist die Ablösung der auf adelichen Gütern zu leistenden Dienste. Viele größere Landwirthe erklärten sich seit längerer Zeit aus dem Grunde gegen dieselbe, weil die Benutzung der Naturaldienste dem Gutsbesitzer oder Pächter die Mittel verschaffe, in der Ernte- und Saatzeit recht viel Arbeit auf einmal zu beschicken, was nicht nur sehr zur Förderung der Arbeit auf den Oeconomien überhaupt diene, sondern auf schwer zu bearbeitendem Boden auch fast unumgänglich nöthig sei, um bei der nassen Erntezeit namentlich allein vermöge, die Früchte vor gänzlichem Verderben zu schützen.«129
Gülich hält dem entgegen, dass die Pflichtigen bei den sogenannten »Herrendiensten« in der Regel nicht so gut arbeiten wie sie es bei ihrem eigenen Grund und Boden zu tun pflegten. Den Beleg hierfür sieht er auf den Domänen als erbracht, in denen seit Abschaffung der Naturaldienste und deren Ersetzung durch das Dienstgeld häufig weit besser geackert werde, als zu der Zeit, in welcher die Dienste genutzt wurden.130 Bemerkenswert ist, dass sich derselbe Gedanke bei Stüve findet131, weil es offensichtlich der allgemeinen Lebenserfahrung entsprach – und noch heute entspricht –, dass Arbeit zum eigenen Nutzen ökonomisch ertragreicher ist als – unbezahlte – Dienste auf den Feldern der Grundeigentümer. Während Stüve als Mitglied der Ständeversammlung in der Lage war, die Ablösung der Lasten des Grundeigentums zum Gegenstand der politischen Diskussion und späterhin der Gesetzgebung des Königreichs zu machen, musste sich Gülich mit einer Art Appell an den Staat bescheiden, wobei er dessen Wirkungsmöglichkeiten skeptisch beurteilt. Voraussetzung einer Reform ist nach seiner Auffassung allerdings, dem Bauern eine höhere soziale Anerkennung zu zollen: »Gewiß würde in diesen, so wie in manchen andern Fällen, bei uns das Interesse des Ganzen wesentlich gefördert werden, wenn man sich von der Ansicht losmachen könnte, daß der Bauer immer noch in der Unmündigkeit sei, und es, bei Allem was ihn betrifft, der Beaufsichtigung von Seiten der Behörden bedürfe; eine Ansicht, die meist nur daraus hervorgeht, daß viele Personen höhern Standes, aus Unbekanntschaft mit den Bauern, übersehen, wie sehr der gesunde Menschenverstand, auf den es in solchen Fällen vorzüglich ankommt, bei vielen derselben vorherrscht. Und selbst, wenn in manchen Fällen diese Ansicht die richtige wäre, so müßte man sie, meinen wir, doch schon deshalb aufgeben, weil nur, wenn man die Selbstthätigkeit bei diesem Stande 128 129 130 131
So G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern, S. 55. So G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern, S. 56f. So G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern, S. 57. Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J. C. B. Stüves, S. 51ff.
Exkurs: Bäuerliche Lebensbedingungen im Amt Blumenau
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fördert, zu erwarten ist, er werde seine Wirthschaft auf den Standpunkt erheben, welcher erforderlich ist, soll er ferner auch nur ein leidliches Bestehen haben. Schritte der Bauer so weit vor, so ist kaum zu bezweifeln, daß er auch einsehen würde, es sei die Zusammenlegung der Ländereien, welcher wir oben schon gedacht, für eine sehr verbesserte Bodencultur durchaus erforderlich.«132
Allerdings macht der Verfasser darauf aufmerksam, »daß in dieser Hinsicht nicht zu viel von der Regierung erwartet werden dürfe, in dem diese wenigstens unsere Regierung allein für sich, nicht im Stande ist, die allgemeinen Handelsconjuncturen zu bessern, von denen die jetzigen ungünstigen Verhältnisse, in welchen sich der Bauer, so wie der Nährstand überhaupt befindet, großentheils herbeigeführt worden sind.«133
Hierzu verweist Gülich auf den zur gleichen Zeit erschienenen ersten Band seines großen Werkes »Geschichtliche Darstellung des Handels, der Gewerbe und des Ackerbaus der bedeutendsten handeltreibenden Staaten« und fügt die Studie zur Landwirtschaft im Fürstentum Calenberg damit in einen makroökonomischen Zusammenhang. Gustav von Gülichs Schrift ist für unseren Zusammenhang von vielfältigem Interesse. Er hatte große Erfahrungen in der Landwirtschaft gesammelt, weil er frühzeitig eine Domäne erwarb, sie wieder verkaufte, die Landwirtschaft ihn aber nicht losließ. Seiner Herkunft nach gehörte er nicht zum Grundadel, erwarb aber als zeitweiliger Gutsbesitzer eingehende Kenntnisse der Landwirtschaft und der mit ihr verbundenen Schwierigkeiten. Diese Erfahrungen mögen zu seinem Eintreten für die bäuerlichen Schichten beigetragen haben, die in der Schrift aus dem Jahr 1831 ihren Niederschlag gefunden haben. Hervorzuheben ist die Empathie, die er in seiner Schrift den Häuslingen entgegenbringt, deren kümmerliche Existenz er aus nächster Nähe erleben konnte.
V.
Exkurs: Bäuerliche Lebensbedingungen im Amt Blumenau
Ulrike Begemann hat mit ihrer Dissertation »Bäuerliche Lebensbedingungen im Amt Blumenau«134 eine materialreiche Untersuchung zu den Lebensbedingungen der bäuerlichen Bevölkerung vorgelegt, die auch Aufschluss über die hier zu behandelnde Epoche des gesamten Königreichs Hannover gibt. Das Amt Blu-
132 So G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern, S. 61. 133 So G. v. Gülich, Ueber die Verhältnisse der Bauern, S. 61. 134 U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen im Amt Blumenau (Fürstentum Calenberg) 1650–1850, 1990.
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Das Meierverhältnis
menau gehörte zum Fürstentum Calenberg und umfasste 22 Dorfschaften, deren Einwohnerzahl zwischen wenigen Dutzend und mehreren Hundert schwankte.135 Anhand der von Begemann erstellten Statistiken lässt sich die soziale Schichtung der Dörfer verfolgen, die wiederum Rückschlüsse auf das Fürstentum Calenberg und darüber hinaus auf das Königreich Hannover zulässt. Die von Wittich so bezeichneten »Bauernklassen«136 finden sich in der Untersuchung Begemanns mit exakten Zahlenangaben, die überwiegend amtlichen Quellen entnommen sind. Der Klasse der Meier (unterteilt in Voll-, Halb- und Viertelmeier) steht die Klasse der Kötner (Groß-, Mittel- und Kleinkötner)137 gegenüber. Als unterbäuerliche Schichten wurden die Brinksitzer und Häuslinge aufgeführt, so dass auf diese Weise die Sozialstruktur der Dörfer anschaulich wird. In dem Erhebungszeitraum gab es insgesamt 214 Meierhöfe, denen 340 Kötnerhöfe gegenüberstanden.138 In manchen Dörfern überwogen die Meierhöfe, während in anderen die Kötnerhöfe das Mehrfache an Zahl erreichten.139 Der Anteil der Meierhöfe an der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Dörfer überwog den der Kötnerhöfe indes bei weitem. Er betrug bis zu 99 % (Ahlem), während nur in einem Dorf (Kolenfeld) Meier- und Kötnerhöfe etwa über den gleichen Anteil der Nutzfläche verfügten, letztere aber an Zahl das Vierfache der Meierhöfe betrugen. Die unterbäuerlichen Klassen (Brinksitzer, Beibauern usw.) waren zahlenmäßig den Meier- und Kötnerhöfen immerhin vergleichbar; ihr Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Dörfer betrug insgesamt jedoch nur 0,34 %.140 Die Gemeinsamkeit von Meier- und Kötnerhöfen bestand darin, dass Grundeigentum und Grundbewirtschaftung auseinanderfielen.141 Die geläufige Bezeichnung für die Eigentümer war auch im Fürstentum Calenberg die des »Grundherrn«, während die Nutzungsberechtigten entweder nach der entsprechenden Klasse oder schlicht als »Bauern« bezeichnet wurden. Dass innerhalb der dörflichen Gemeinschaft den Meiern in der sozialen Rangfolge die erste Stelle zukam und die Kötner – je nach Größe der Hofstelle – an nachgeordneter Po135 U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen, weist im 17. Jahrhundert anhand der Kopfsteuerlisten rund 4.600 Einwohner auf. Kolenfeld ist mit knapp 600 Einwohnern das größte, Kronsbostel mit 34 Einwohnern das kleinste Dorf des Amtes. Die Einwohnerzahlen werden sich im Laufe des folgenden Jahrhunderts geändert haben, allerdings dürfte die Zahl der Höfe konstant geblieben sein. 136 Grundlegend W. Wittich, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, S. 84ff. 137 Die in der Literatur übliche Schreibweise schwankt. Während Wittich die Bezeichnung »Köter« verwandt, findet sich bei Begemann die Schreibweise »Kötner«. Üblich ist auch die Schreibweise »Kötter«, die auf die von ihnen bewohnten Häuser (»Kotten«) zurückgeht. 138 Vgl. Tabelle 2 bei U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen, S. 23. 139 Vgl. Tabelle 3 bei U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen, S. 25. 140 Vgl. Tabelle 5 bei U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen, S. 30f. 141 Vgl. oben S. 59.
Exkurs: Bäuerliche Lebensbedingungen im Amt Blumenau
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sition folgten, versteht sich von selbst. Brinksitzer und Beibauern standen am Ende der Hierarchie, während die – noch zu behandelnden – Häuslinge keine eigenen Rechte innerhalb der Gemeinschaft hatten. Die Untersuchung von Begemann weist hinsichtlich der Arten der Grundherrschaft bemerkenswerte Ergebnisse auf. Zu Beginn des Erhebungszeitraums entfielen auf die Klöster insgesamt 28,3 %, auf den Adel 21,3 %, auf den Landesherrn 19,6 % und auf die Pfarreien 9,5 % des Grundbesitzes im Amt Blumenau. Auf die vermischten Grundherrschaften entfielen 21,3 %.142 Die Anteile der unterschiedlichen Grundherrn an der gesamten agrarisch genutzten Fläche des Amtes lässt indes nicht erkennen, dass in nahezu allen Dörfern des Amtes die Höfe im Eigentum unterschiedlicher Grundherrn standen. Eine – wenn auch nicht vollständige – Kongruenz von Grundherrschaft und Dorf wies nur Kronsbostel auf, dessen vier Höfe zu dem Rittergut der Familie von Mandelsloh gehörten.143 Im Übrigen wiesen (fast) alle Dörfer unterschiedliche Grundherrschaften auf, wobei die Klöster eine besondere Rolle spielten und es – atypischerweise in dem Dorf Luthe – auch eine Vielzahl vermischter Grundherrschaften gab, derselbe Hof also im Eigentum unterschiedlicher Grundherrn stand.144 Das Nebeneinander unterschiedlicher Grundherrschaften in den Dörfern des Amtes Blumenau darf als paradigmatisch für die Agrarverfassung des Fürstentums Calenberg und darüber hinaus des Königreichs Hannover gelten. Zwar war das »freie« – also an keine Grundherrschaft gebundene – Bauerntum nur in den Marschgebieten verbreitet145, im Gegensatz zu den ostelbischen Gutsbezirken bedeutete das Eigentum in der Hand des Grundherrn aber nicht zugleich die Herrschaft über ganze Dörfer oder sogar Landesteile. Nach der Aufstellung bei Ulrike Hindersmann146 betrug der Anteil der Rittergüter an dem gesamten Grundbesitz im Königreich Hannover 5,5 % des Ackerlandes und 7,0 % der Forsten. Diese Zahlen enthalten zugleich eine Erklärung dafür, warum die von Stüve initiierte Ablösungsgesetzgebung auf keine größeren Widerstände in der ersten Kammer gestoßen ist.147 Das Verhältnis der Grundherren zu den abhängigen Bauern war dadurch gekennzeichnet, dass Letztere zu Abgaben und Diensten verpflichtet waren. Soweit es sich um Meierhöfe handelte, waren die Verpflichtungen der Bauern durch die Meierbriefe festgelegt und konnten grundsätzlich nicht einseitig er142 So U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen, S. 22, s. auch die grafische Darstellung, S. 20f. 143 So U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen, S. 19. 144 Vgl. die grafische Darstellung bei U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen, S. 20f. 145 Hierzu W. Wittich, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, S. 2. 146 U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, 1814–1866, 2001, S. 88. 147 Vgl. unten S. 100.
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Das Meierverhältnis
höht werden. Zu unterscheiden war zwischen Abgaben und Diensten, nämlich Hand- und Spanndiensten. Die Abgaben waren in Naturalien zu erbringen, bei denen der sogenannte »Zehnt« – also die Abgaben von dem angebauten Getreide – die größte Belastung darstellte.148 Weitere Naturalien waren Hühner und Eier, deren Zahl ebenfalls in den Meierbriefen festgelegt wurde. Die den Grundherrn zu erbringenden Dienste waren Hand- und Spanndienste und richteten sich nach der Größe der Höfe.149 Neben die Abgaben an die Grundherrn und die Dienste, die ihnen zu leisten waren, traten Abgaben und Dienste, die dem Landesherrn – vertreten durch das »Amt« – zu erbringen waren.150 Diese Dienste stellten eine zusätzliche Belastung der Bauern dar, weil sie häufig an einem Tag der Woche zu erbringen waren und in der Erntezeit zusätzliche Tage hinzutraten. Sogenannte »Burgfeste« waren ungemessene Dienste, die nicht vorhersehbar waren.151 Die Dienstverpflichtungen gegenüber dem Amt wurden um die Jahrhundertwende durch Dienstgeld abgelöst152, was von Gülich als großer Fortschritt angesehen wurde.153 Wenig erfahren wir bei Begemann über das Verhältnis der Bauern zu den Häuslingen, für das die von der Verfasserin herangezogenen Quellen offenbar wenig Aufschluss geben. Der prozentuale Anteil der Häuslinge an der Einwohnerzahl in den Dörfern154 bezieht sich auf das 17. Jahrhundert, dürfte aber im folgenden Jahrhundert nicht geringer geworden sein. Insgesamt vermittelt die Untersuchung U. Begemanns wesentliche Einblicke in die Sozialstruktur des von ihr untersuchten Amtes Blumenau, in die Größe und Ernteerträge der Bauernhöfe und die auf ihnen ruhenden Lasten. Dabei weisen die einzelnen Dörfer des Amtes wesentliche Strukturunterschiede auf, so dass das Amt keineswegs ein einheitliches Erscheinungsbild vermittelt. Gern hätte man Weiteres über die verschiedenen Grundherrschaften erfahren, die zwar in einem Schaubild dorfweise aufgeführt, dann aber nicht weiter spezifiziert werden. Hier wäre von besonderem Interesse gewesen, welche Klöster die Grundherrschaft ausübten und wie sich ihr Verhältnis zu den adeligen Gütern darstellte. Von besonderem Interesse wäre auch gewesen, wie sich die »vermischten Grundherrschaften« zusammensetzten, die etwa im Dorf Luthe mit einer Zahl von ca. 35 Höfen eine beherrschende Rolle spielten. Zu wenig ist auch über die Situation der Häuslinge
148 149 150 151
Vgl. U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen, S. 49f. Vgl. U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen, S. 55. Hierzu ausführlich U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen, S. 56ff. Hierzu die aufschlussreiche Tabelle »Die Dienstverpflichtungen der Bauern gegenüber dem Amt« bei U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen, S. 285ff. 152 Vgl. die Beispiele bei U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen, S. 57ff. 153 Vgl. oben S. 70. 154 Vgl. U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen, S. 42.
Das Meierrecht im Fürstentum Lüneburg
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zu erfahren155, die für die Nutzung ihrer Behausung auch zu Diensten auf dem entsprechenden Bauernhof verpflichtet waren. Anzunehmen ist, dass sich – dem Fürstentum Osnabrück vergleichbar – eine Art Dreiklassengesellschaft von Grundherren, Bauern und unterbäuerlicher Schicht herausgebildet hat.
VI.
Das Meierrecht im Fürstentum Lüneburg
Im Gegensatz zum Fürstentum Calenberg war das Meierrecht im Fürstentum Lüneburg nicht kodifiziert.156 Die Rechtsquellen des Meierrechts waren vielfältig. Zu seiner Darstellung wurden Landtagsabschiede aus früheren Jahrhunderten, Gerichtsentscheidungen und – nicht zuletzt – Literaturstellen herangezogen.157 Die Grundsätze waren indes mit jenen anderer Fürstentümer identisch oder doch vergleichbar. So stimmt die Darstellung bei Plate mit dem Aufbau der Calenberger Meierordnung weitgehend überein. Gleichwohl werden die Unterschiede zwischen den einzelnen Provinzen betont: »… so kann man auch von der Verfassung der einen Provinz Deutschlands auf die Verfassung der andern, wegen der großen Verschiedenheit derselben, da eine jede aus den örtlichen Gewohnheiten entstanden ist, nicht schließen.«158
Betont wird von Plate, dass es im Fürstentum Lüneburg gegenwärtig keine Leibeigenen mehr gebe und sich die Rechtslage deshalb von der westfälischen Eigenbehörigkeit unterscheide.159 Die wesentliche – von Plate zitierte – Rechtsquelle ist die »Verordnung zur Redintegrirung der Meyergüter« vom 1. Juli 1699, nach der zwischen Meyer-, Erbenzins- und Schillings-Gütern zu unterscheiden war.160 Aus dieser und anderen Verordnungen leitet Plate seine Meinung ab, dass den Meiern »das nutzbare Eigenthum zustehe« und schließt sich damit der vielfach vertretenen Differenzierung zwischen Obereigentum – des Gutsherrn – und Untereigentum – des Meiers – an. In dem Streit, ob der Meier berechtigt ist, den Meierhof weiter zu verpachten, nimmt Plate eine vermittelnde Position ein und hält ihn hierzu mit der Einwilligung des Gutsherrn für berechtigt, wobei
155 Vgl. aber U. Begemann, Bäuerliche Lebensbedingungen, S. 38ff. 156 Vgl. E. Wedekind, Zur Reform des Meierrechts, S. 30. 157 Grundlegend J. Plate, Bemerkungen über das Meyerrecht im Fürstenthum Lüneburg, 1799; E. Wedekind, Zur Reform des Meierrechts und der bäuerlichen Verhältnisse überhaupt mit besonderer Rücksicht des Fürstentums Lüneburg, 1861. 158 So J. Plate, Bemerkungen über das Meyerrecht, S. 10; vgl. auch G. Preuß, Das Provinzialmeierrecht. 159 Vgl. J. Plate, Bemerkungen über das Meyerrecht, S. 9; E. Wedekind, Zur Reform des Meierrechts, S. 30. 160 So J. Plate, Bemerkungen über das Meyerrecht, S. 16f.
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Das Meierverhältnis
allerdings die für die Wirtschaft unentbehrlichen Grundstücke von der Verpachtung ausgeschlossen sein sollen.161 Eingehend widmet sich der Verfasser der Erbfolge. Nachdem in früherer Zeit der Gutsherr berechtigt gewesen sei, unter den Kindern des verstorbenen Meiers eines zur Nachfolge auszuwählen, sei durch die Verordnung vom 19. Mai 1702 das Erstgeburtsrecht eingeführt worden, wonach den Söhnen der Vorzug gegeben sei und, falls keine Söhne vorhanden seien, die Töchter »gleichfalls nach dem Rechte der Erstgeburt zur Beerbung der Höfe zugelassen« seien. Diese »Sukzessionsordnung« sei oft den Höfen nachteilig.162 Sollte der Meier keine Kinder haben, so richte sich die Erbfolge »ab intestato« nach dem Landesrecht. Allerdings könnten die Meier nach dem Herkommen und dem Grundsatz »längst Leib längst Gut« den überlebenden Ehegatten als Erben einsetzen, gegebenenfalls mit der Klausel »es erfolgen Kinder oder nicht«.163 Soweit Kinder vorhanden seien, ist die Klausel nach Plate dahingehend zu verstehen, dass der überlebende Ehegatte während der Minderjährigkeit der Kinder wieder heiraten und später den Altenteil genießen könne.164
VII.
Das Meierrecht im Fürstentum Hildesheim
Dem Fürstentum Lüneburg vergleichbar gab es im Fürstentum Hildesheim keine Kodifikation des Meierrechts. Als Rechtsquellen standen ältere Gesetze, Verordnungen und Gerichtsentscheidungen zur Verfügung. Lücken wurden nicht selten mit gemeinrechtlichen Grundsätzen geschlossen. Wir verdanken Moritz Busch eine 1855 erschiene umfassende Darstellung des Hildesheimer Meierrechts165, die gleichzeitig eine Art allgemeiner Teil des Meierrechts im Königreich Hannover darstellt. Busch geht von der Definition des Meierrechts als des »erbliche[n] und dingliche[n] Recht[s] zur Bewirthschaftung fremden Guts mit der Verbindlichkeit zur Entrichtung bestimmter jährlicher Abgaben und zur periodischen Lösung eines Meierbriefs«
aus.166 Er belässt es indes nicht bei dieser Definition, sondern fügt eine Reihe von Charakteristika des Meierverhältnisses hinzu:
161 162 163 164 165
Vgl. J. Plate, Bemerkungen über das Meyerrecht, S. 20f. So J. Plate, Bemerkungen über das Meyerrecht, S. 28. So J. Plate, Bemerkungen über das Meierrecht, S. 32. So J. Plate, Bemerkungen über das Meierrecht, S. 32. M. Busch, Beiträge zum Meierrecht mit besonderer Berücksichtigung der Provinzial-Gesetze und der gerichtlichen Praxis im Fürstentume Hildesheim, 1855; vgl. auch H. G. Illemann, Bäuerliche Besitzrechte im Bistum Hildesheim, 1969. 166 So M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 8f.
Das Meierrecht im Fürstentum Hildesheim
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1) »ein unbewegliches, zur ländlichen Bewirthschaftung geeignetes Gut; 2) die Concurrenz eines Eigenthumsrechts des Gutsherrn und eines dinglichen Rechts des Meiers an diesem Gute; 3) das Recht und die Pflicht des Meiers, das Gut als ein tüchtiger Wirth zum eignen Vortheil zu benutzen; 4) das hieraus sich ergebende Erforderniß einer besondern Qualification des Meiers, d. h. der Befähigung, dem Gute persönlich vorzustehen; 5) das Recht des Gutsherrn auf die an ihn zu entrichtenden Abgaben und auf die Einlösung des Meierbriefs; 6) die Beschränkung des Meiers bei Veräußerung und Belastung des Guts und 7) die Vererbung des Meierguts, jedoch unter besonderen aus dem Vorstehenden und dem deutschen Familienrecht sich ergebenden Modificationen.«167
Im Unterschied zur Carlenberger Meier-Ordnung gebe es bei Höfen keine Vermutung für die Meierqualität, vielmehr streite nach gemeinrechtlichen Grundsätzen die Vermutung bis zum Beweis des Gegenteils stets für das freie Eigentum; der Richter dürfe sich nur bei erwiesener Zinspflicht für das Vorliegen eines Meierguts entscheiden.168 Ein unbestrittener Grundsatz des Meierrechts ist nach Busch die Unteilbarkeit des Meierguts, die auch durch eine Polizei-Ordnung festgelegt sei. Im Unterschied hierzu sei das Vermögen des Meiers – das Allodium – frei veräußerlich und teilbar.169 Zu der Person des Gutsherrn führt Busch aus: »Die Rechte des Gutsherrn können ihrer Natur nach einem Jeden zustehen, welcher Eigenthümer eines Grundstücks sein kann; daß das weibliche Geschlecht von dem Erwerbe derselben in keiner Weise ausgeschlossen ist, bedarf hiernach kaum einer Bemerkung. Nach der historischen Entwickelung des Meierverhältnisses ist die Gutsherrschaft über die meisten hildesheimschen Meierhöfe nach Aufhebung der zahlreichen Stifter und Klöster, im Besitze des Staats, während ein anderer großer Theil der Meierhöfe von den noch bestehenden geistlichen Instituten (Kirchen, Seminaren usw.) und dem landsässigen Adel relevirt, welcher in vielen Fällen die Gutsherrschaft zu Lehen trägt. Nicht selten sind auch Familien bürgerlichen Standes (vormals von Fürstbischofe oder der Domprobstei, jetzt von der Krone Hannover) mit der Gutsherrschaft über Meiergrundstücke beliehen und selbst Bauern befinden sich bisweilen im Besitze der gutsherrlichen Rechte über andere Bauerhöfe.«170
Wesentliche Voraussetzung für den Meier sei die Fähigkeit, das Meiergut mit Erfolg zu bewirtschaften:
167 168 169 170
So M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 9. Vgl. M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 13. Vgl. M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 16. M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 22.
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Das Meierverhältnis
»Hiernach ist nur ein gesunder, zum Landwirthe ausgebildeter M a n n für einen tauglichen Meier zu halten.«171
Sofern eine Frau das Meiergut – etwa durch Erbfall – erwirbt und heiratet, ist nicht sie, sondern ihr Ehemann als Meier zu betrachten.172 Nach dem in Hildesheim geltenden Gewohnheitsrecht, das in einer Verordnung seinen Niederschlag gefunden hat, war der Meier verpflichtet, von dem Gutsherrn einen Meierbrief anzunehmen und ihm hierfür ein »Laudenium« zu erstatten, das sich aus dem Weinkauf und der Schreibgebühr zusammensetzte.173 Die Verpflichtung des Meiers, »zu gehöriger Zeit« wiederum einen Meierbrief zu lösen, galt in Hildesheim nicht unbeschränkt. Wurden Meierbriefe erneut vergeben, so durften sie nicht »neue und ungehörige Klauseln« enthalten.174 Busch stellt fest, dass die Rechte des Gutsherrn am »Colonate« durch Gesetzgebung und Gewohnheit zugunsten des Meiers nach und nach beschränkt worden seien, dieser aber nach wie vor als Eigentümer des Colonats zu bezeichnen ist. Der Verfasser fährt fort: »Dies folgt aus dem noch gegenwärtig fortbestehenden Erfordernisse des gutsherrlichen Consenses zu Veräußerungen und Belastungen des Meierguts und namentlich aus dem H e i m f a l l s r e c h t e … Alle diese Proprietätsrechte haben jedoch practisch für den Gutsherrn keinen anderen Werth, als ihn sicher zu stellen, daß ihm nicht das wichtigste von allen aus dem Meierverbande für ihn originirenden Rechten gefährdet werde, das Recht auf die g u t s h e r r l i c h e n G e f ä l l e .«175
Der Meierzins wird regelmäßig in Form von Getreide entrichtet, wobei Roggen, Gerste und Hafer in Betracht kommen. Soweit der Zins in Geld entrichtet wird, entspricht dies einer neueren Übung. Der Meierzins sei im Meierbrief festzulegen; sei dies ausnahmsweise nicht der Fall, entscheide der »unvordenkliche Zustand«.176 Als gemeinrechtlicher Grundsatz des Meierrechts darf gelten, dass der Meierzins nicht einseitig durch den Gutsherrn erhöht werden darf und auch eine vertraglich vereinbarte Erhöhung unzulässig ist. Der Grund für dieses allgemeine Verbot ist nicht zuletzt volkswirtschaftlicher Natur, weil eine regelmäßige Erhöhung der Meierzinsen die Wirtschaftskraft der Meiergüter auf Dauer beeinträchtigen und damit ihr Beitrag zur Versorgung der Bevölkerung gemindert würde.177 171 172 173 174 175 176 177
So M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 25. So M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 25. Vgl. M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 32. Vgl. M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 31. So M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 42. So M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 23. Vgl. hierzu M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 43f.
Das Meierrecht im Fürstentum Hildesheim
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Zu der Zinspflicht tritt die Dienstpflicht der Meier. Nach Busch entspringt sie allerdings nicht dem Meierverhältnis, sondern hat ihren Grund in der früheren Hörigkeit und sei mit ihrem Wegfall ebenfalls erloschen.178 Soweit Dienstpflichten noch bestünden, seien sie dem Landesherrn geschuldet und nicht auf Meier beschränkt, sondern von allen bäuerlichen Grundbesitzern zu leisten. Sie trügen damit den Charakter einer Steuer.179 Hinsichtlich der Nachfolge des Meiers – dem Anerbenrecht – richte sich das Recht im Fürstentum Hildesheim nach dem Herkommen. Busch verwahrt sich dagegen, dass Frauen die Meierfähigkeit grundsätzlich abgesprochen werde und führt aus: »In der Tat ist nicht abzusehen, warum ein Frauenzimmer bei dem Mangel entgegenstehender Gesetze nicht dieselben Rechte auf ein Colonat sollte erwerben können, als ein gebrechlicher Mann. Ja, selbst eine solche Gleichstellung würde noch zu einer Unbilligkeit gegen das weibliche Geschlecht führen, da die Anerbin eines Colonats durch Verheirathung mit einem tüchtigen Wirte viel besser für die Erhaltung des Meierguts sorgen kann, als ein Krüppel männlichen Geschlechts.«180
Der Anerbin stehe deshalb das Meierrecht als solches zu, weswegen sie auch berechtigt sei, das Meiergut selbständig zu führen. Die entgegengesetzte Auffassung bezeichnet Busch als »Anomalie«.181 Wie in den anderen Provinzen des Königreichs konnte das Meierverhältnis durch die Abmeierung beendet werden. Busch weist eingangs darauf hin, dass die gesetzlichen Bestimmungen nicht dazu dienten, die Rechte des Meiers einzuschränken, »sondern vielmehr aus der Absicht hervorgegangen sind, das erbliche Rechte der Meier sicher zu stellen und die in früherer Zeit nicht selten willkürliche Entsetzung der Colonen unmöglich zu machen.«182
Da die Rechte des Meiers im Laufe der Zeit umfangreicher geworden seien, sei die Abmeierung das »äußerste Mittel zum Schutze der gutsherrlichen Rechte«. Als Gründe für die Abmeierung führt Busch den zwei oder mehrere Jahre betragenden Rückstand in der Entrichtung des Meierzinses und den Konkurs des Meiers auf. Als dritter Grund für die Abmeierung komme die Veräußerung des Meiergutes ohne Zustimmung des Gutsherrn in Betracht, wobei die Gerichtspraxis in derartigen Fällen als zögerlich bezeichnet wird.183 Busch zitiert einen Fall, in dem die Justizkanzlei ein Urteil der ersten Instanz aufgehoben habe, das 178 179 180 181 182 183
So M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 52. So M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 52f. So M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 95. So M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 99. So M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 181. So M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 182f.
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Das Meierverhältnis
der Abmeierungsklage des Gutsherrn stattgab. Er verweist darauf, dass durch die Ablösungsgesetzgebung der Abmeierung zusätzliche rechtliche Hürden entgegenstünden.184
VIII. Zusammenfassung Trotz der unterschiedlichen Ausgestaltung des Meierverhältnisses in den Provinzen des Königreichs, lassen sich Grundsätze herausarbeiten, die auf ein gemeines Meierrecht des Königreichs hindeuten. Zunächst darf als unbestritten gelten, dass das Meierrecht ein dem Meier zustehendes dingliches Recht am Meiergut darstellt. Wenngleich es in der Calenberger Meierordnung noch als »Erb-Pacht-Recht« bezeichnet worden ist, und damit nur obligatorischen Charakter hätte, ist die Rechtsentwicklung darüber hinweggegangen und darf spätestens zu Beginn des 19. Jahrhunderts als »herrschende Meinung« angesehen werden. Nicht selten wird das Meierrecht als eine Form des Eigentums – nämlich als »Untereigentum« – bezeichnet, dem das »Obereigentum« des Gutsherrn gegenüberstehe. Die Rechtsstellung des Meiers wurde dadurch gefestigt, dass der Gutsherr das Meierverhältnis nicht kündigen – wie dies bei einem Pachtverhältnis statthaft gewesen wäre –, sondern nur die Abmeierungsklage erheben konnte, auf die ein gerichtliches Urteil erging, das unter Umständen auf Klageabweisung lautete. Gefestigt war die Rechtsstellung des Meiers zusätzlich dadurch, dass der Gutsherr den Meierzins nicht erhöhen konnte, auch wenn periodisch ein neuer Meierbrief zu lösen war. Hierfür war zwar eine besondere Abgabe – der Weinkauf – zu entrichten; der Meierzins – regelmäßig in Gestalt von Getreide oder anderen Naturalien – blieb jedoch unverändert. Ein wesentliches Kennzeichen des Meierverhältnisses war die Erblichkeit, die gelegentlich auch durch die Meierordnungen ausdrücklich bestimmt wurde.185 Zwar konnte unter bestimmten Umständen der Gutsherr Einfluss auf die Wahl des Anerben nehmen; grundsätzlich aber war der Meier frei in seiner Bestimmung. Wesenseigen war dem Meierverhältnis auch die Unterscheidung zwischen dem Meiergut und dem Allodium, nämlich dem Eigentum des Meiers, das rechtlich von dem Meiergut zu unterscheiden war und aus dem die anderen Erben abgefunden werden konnten.
184 Vgl. M. Busch, Beiträge zum Meierrecht, S. 183f. 185 Vgl. oben S. 58.
Fünftes Kapitel: Vorboten der Ablösungsgesetzgebung
I.
Die Preisschrift Westfelds
Im November 1772 schrieb die Königliche Societät der Wissenschaften zu Göttingen eine Aufgabe zu der ökonomischen Frage aus: »Ist es rathsam in einem Lande die Frohndienste abzuschaffen? Und welches sind die vortheilhaftesten Mittel sowohl die Abschaffung einzurichten, als den Unbequemlichkeiten, welche die Sache haben kann und den Folgen davon zu begegnen?«
Preisträger war der Kammerrat Westfeld186 aus Bückeburg, dessen Abhandlung im Juli 1773 im Hannoverische[n] Magazin erschien.187 Die Abhandlung beginnt mit den folgenden Thesen: »Die Frohndienstbarkeit ist ohne Rücksicht auf den Dienstherrn und den Dienstpflichtigen dem Staate selbst nachtheilig. Sie verursacht dem arbeitenden Theile des Volks einen großen Verlust an Zeit, sie vermehrt die Consumtion und hindert die gute Cultur der Ländereyen.«188
Diese Thesen bilden gleichzeitig die Gliederung der Abhandlung und werden im Folgenden begründet. Der Verfasser geht von der – wie er betont: unbestrittenen – Erfahrung aus, dass die Arbeit, die ein Dienstpflichtiger verrichtet, nur etwa die Hälfte dessen an Produktivität erbringt, die er in »eignen Geschäften oder für Geld« erzielen würde.189 Selbst wenn der Produktivitätsverlust nur mit einem Viertel angesetzt würde, mache dies in einem Amt, in dem 5.000 Menschen wohnen, die im Jahr 20.000 Tage mit der Hand dienen müssten, einen Verlust von 5.000 Tagen aus:
186 Christian Friedrich Gotthard Westfeld (1746–1823) war Rektor und Kammerrat in Bückeburg und wirkte später als Klosteramtmann in Wülfinghausen und Weende. 1792 wurde er in die Königliche Societät der Wissenschaften zu Göttingen aufgenommen. 187 Hann. Mag. 1773, Sp. 881–912. 188 So Hann. Mag. 1773, Sp. 883. 189 So C. F. G. Westfeld, Hann. Mag. 1773, Sp. 883.
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Vorboten der Ablösungsgesetzgebung
»und es ist nicht dieser Verlust an Zeit allein, auf den man rechnen muß. Eine viel schlimmere Folge davon ist die Verringerung der Industrie, an die sich der Arbeitsmann bey dieser Gelegenheit gewöhnt. Diese Folge ist ganz gewiß: Ich berufe mich auf die eigene Beobachtung eines jeden, der die niedersächsische Landökonomie kennt und ist es nicht auch der menschlichen Natur völlig gemäß? Wer für einen Hof wöchentlich drey Tage im Herrndienste seyn muß (denn es giebt in der Tath viele Höfe, die zu drey Diensttagen verpflichtet sind) und an diesen Tagen nicht so viel Arbeit thun darf, als er könnte, dazu auch noch den Sonntag größtentheils müssig zuzubringen hat, sollte der sich nicht der Arbeit sehr entwöhnen?«190
Die zweite These stützt der Verfasser auf die Überlegung, dass die »Consumtion« – gemeint ist der zum Lebensunterhalt erforderliche Bedarf – an den Diensttagen nicht geringer sei als an üblichen Arbeitstagen. Wiederum an einem Rechenbeispiel wird dargelegt, dass das Land wegen des Handdienstes den Unterhalt von 1.6662/3 »ausgewachsenen Personen« und wegen des Spanndienstes von 1.000 Personen und 2.000 Pferden »geradezu verschwendete«.191 Entsprechendes würde für die Spannarbeit von 9000 Tagen gelten. Für die dritte These führt der Verfasser den Umstand an, dass die Dienstpflichten stets Vorrang vor der in der eigenen Landwirtschaft zu verrichtenden Arbeit hätten. Der Dienstherr könne den Dienstpflichtigen zur ungelegenen Zeit von der eigenen Arbeit abberufen. Er führt Beispiele aus eigener Anschauung an, nach denen Felder verdorben und das Korn nicht gereift sei, weil der Bauer durch die Dienstpflichten von seiner eigenen Arbeit abgehalten worden sei.192 Die Argumentation des Verfassers ist auch hier eine volkswirtschaftliche, denn »… auch auf diese Weise leidet der Staat durch die Frohndienstbarkeit, durch dieses gleichsam privilegirte Mittel wieder die Beförderung des Ackerbaues. Und allen den Schaden, den der Staat von dieser Einrichtung hat, ersetzt ihm die Frohndienstbarkeit durch keinen einzigen Vortheil, den sie an und für sich gewähren könnte.«193
Die folgenden Ausführungen gelten einem Modell, wie den aufgezeigten Missständen abgeholfen werden kann. Es lag auf der Hand, dass die Dienstherren für den Wegfall der Frondienste zu entschädigen waren. Damit war schon mehr als ein halbes Jahrhundert vor der Debatte in der Ständeversammlung die Grundlage für die Ablösung von Frondiensten gelegt. Allerdings waren die Frondienste auf den Domänen schon früher durch ein »Dienstgeld« ersetzt worden, das vor allem bei wohlhabenden Bauern an deren Stelle trat. Der Vorschlag Westfelds ist nach den im ersten Teil seiner Abhandlung dargelegten Prämissen von bestechender Einfachheit: Wenn nämlich der Dienstherr statt der Dienstpflichtigen – hier ist 190 191 192 193
So C. F. G. Westfeld, Hann. Mag. 1773, Sp. 884f. So C. F. G. Westfeld, Hann. Mag. 1773, Sp. 885f. So C. F. G. Westfeld, Hann. Mag. 1773, Sp. 886. So C. F. G. Westfeld, Hann. Mag. 1773, Sp. 887.
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häufig vom »Dienstmann« die Rede – Tagelöhner beschäftige, so sei hiermit volkswirtschaftlich gesehen ein Gewinn verbunden: »Denn da der Dienstmann mehr nach der Zeit die er im Dienste zu seyn schuldig ist als nach der Arbeit, die geschieht rechnen muß, der Dienstherr aber umgekehrt nach der Arbeit und nicht nach der Zeit rechnet: und schon oben gezeigt worden ist, daß man diese Arbeit gegen solche, die man durch eigene Leute oder für Geld verrichten läßt, nur auf die Hälfte oder höchstens auf drey Viertheile anschlagen kann: so folgt, daß der Dienstherr aus diesem Grunde 50 oder wenigstens 25 vom Hundert auf den Aufwand des Dienstmannes zurück zu rechnen hat.«194
So überzeugend die Gedankenführung nationalökonomisch sein mag, lässt sie doch die entscheidende Frage offen, wer für die dann anstehenden Löhne aufzukommen hat. Das schon bisher für nicht in Anspruch genommene Dienste fällige Dienstgeld reichte bei weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. Wie sich sechs Jahrzehnte später bei den von Stüve initiierten Ablösungsgesetzen herausgestellt hat, ist die Entschädigungsfrage zu jeder Zeit nervus rerum gewesen. Die Abhandlung Westfelds darf als Markstein in der Rechtsentwicklung im Königreich angesehen werden, weil sie eine hergebrachte Einrichtung einer rationalen – ökonomischen – Prüfung unterzog. Nicht mehr die – mehrfach erwähnte – »Observanz« sollte zur Begründung der Frondienste ausreichen; sie wurden vielmehr auf den Prüfstand der Nationalökonomie gestellt und anhand von – wenn man so will – »Rechenmodellen« bewiesen, warum sie volkswirtschaftlich schädlich seien. Der Untersuchung lag insofern ein geändertes Staatsbild zugrunde, das am Horizont auch eine andere Verfassung erscheinen ließ: »Der Geist der alten deutschen Verfassung gieng nicht auf die Glückseligkeit eines großen Ganzen, sondern allein auf den Wohlstand einzelner Familien, oder, wenn man lieber will, kleiner Herrschaften. Diese brauchten nicht mehr Industrie, nicht mehr Sparsamkeit in der Wirthschaft, keine künstlichere Anlagen, als ihnen zur Befriedigung ihrer einfachen Bedürfnisse nöthig waren. Wenn sich diese kleine Herrschaften auch bisweilen in ein ganzes Land, oder unter einem Landesherrn zusammen tathen, so geschah es doch nur in einer gewissen Absicht, ohne daß ihr Interesse darüber gemeinschaftlich oder der Geist ihrer Verfassung geändert worden wäre. In der Frohndienstbarkeit sieht man den Geist dieser Verfassung noch ganz. In unsern Zeiten ist die Glückseligkeit des Ganzen, das Interesse des Staats, zugleich das höchste Interesse aller Bürger. Alle unsere Handlungen gehn auf diesen letzten Zweck, ihm sind wir im Nothfalle jeden eignen Vortheil aufzuopfern schuldig. Das Interesse eines Staats fordert die Anwendung aller seiner Kräfte, und die größte Sparsamkeit in dieser Anwendung, die Nutzung aller seiner Vortheile und die größte Klugheit in dieser Nutzung, die lebhafteste Industrie, die stärkste Bevölkerung, die mindeste unnütze 194 So C. F. G. Westfeld, Hann. Mag. 1773, Sp. 892.
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Vorboten der Ablösungsgesetzgebung
Consumtion. Man betrachte die Frohndienstbarkeit aus diesem Gesichtspunkte! Und dann urtheile man, ob sie und so viele andere Ueberbleibsel des Alterthums noch mit dem Geiste unserer Verfassung bestehn können?«195
Diese letzten Zeilen atmen den Geist der Aufklärung und vermitteln ein Staatsbild, das geradezu zur Überwindung des spätabsolutistischen Ständestaates herausforderte. Die Abhandlung Westfelds sollte aber deswegen nicht als Produkt eines realitätsfernen Idealismus missdeutet werden, weil sie auf empirischer Beobachtung und ökonomischer Bewertung beruht. Westfeld hat frühzeitig erkannt, dass die Frondienste – um auch hier seinen durchgängig gewählten Begriff zu benutzen – im Ergebnis volkswirtschaftlichen Schaden anrichteten und aus diesem Grund abzulösen waren. Es sollte Jahrzehnte dauern, bis mit Stüve jemand die historische Bühne betrat, der die Ideen Westfelds zur Ablösung der Frondienste aufgriff und letztlich mit Erfolg umsetzte.
II.
Stüves Beitrag »Stadt und Land«
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach Erscheinen der Abhandlung Westfelds erschien im Hannoverschen Magazin ein Beitrag Johann Carl Bertram Stüves mit dem Titel »Stadt und Land«, der wegen seines Umfangs auf mehrere Nummern verteilt worden war.196 Stüve war seit Beginn des Jahres 1824 Deputierter der Stadt Osnabrück in der Zweiten Kammer der Ständeversammlung. Er hatte die Wahl nur zögerlich angenommen, weil er sich – gerade hatte er das Mindestalter für Deputierte von 25 Jahren erreicht – dieser Aufgabe kaum gewachsen fühlte.197 Stüve hatte bereits Erfahrungen in der Politik gesammelt und vertiefte Erkenntnisse über die Lebensverhältnisse der ländlichen Bevölkerung des Königreichs erworben, als er mit seinem Beitrag – 55 Jahre nach Erscheinen der Abhandlung Westfelds – das Thema der Grundherrschaft unter dem unverfänglichen Titel »Stadt und Land« aufgriff. Die Verhältnisse des Landes fasst er wie folgt zusammen: »Es fehlt unserm Lande nicht an freiem Grundeigenthum, aber in dem größten Theile desselben kann man doch die Vertreter des Grundeigenthums teilen in G u t s h e r r e n und P f l i c h t i g e ; und eine dritte, in vielem eigentümliche, dennoch aber mit der ersten mannigfaltig verschlungene Classe bildet der Beamtenstand, als Vertreter des Domanial-Interesse. Diese Classe der Gutsherren und Beamten hat allerdings am Ende des vorigen Jahrhunderts, als so vieles für den Ackerbau geschah, ebenfalls für diesen gewirkt; aber gewohnt, sich den Betrieb durch gutsherrliche Gefälle, Zehnten, Dienste 195 So C. F. G. Westfeld, Hann. Mag. 1773, Sp. 911f. 196 C. Stüve, Hann. Mag. Nr. 1, 2, 10 und 31/1828. 197 Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J.C.B. Stüves, S. 27.
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zu erleichtern, durch Exemtion von aller Last des Ackerbauers befreit, durch Gehalte und Gnadenpachten in Stand gesetzt, viel weniger rathsam zu wirthschaften, als der rechte Landwirth, sind sie selten oder nie auf dem Standpunct des reinen Landbaues gekommen; oder haben durch Gewohnheit gelernt, zu übersehen, was ihnen teilhaft war. Also hielt man irrig für Bedürfnis des Landes, was man selbst bedurfte und verkannte den Druck der Lasten, deren Vortheil man selbst genoß.«198
Stüve wirft dem Adel vor, seine Aufgabe, die Freiheit des Landes gegen den Fürsten zu verteidigen, vernachlässigt zu haben. Dagegen habe er »seine Exemtionen über alles schätzen gelernt und seitdem in üppigem Hofleben nach französischem Beispiel den Wohlstand, ohne den jener Einfluß unmöglich ist, umso rücksichtsloser zerstreut, je mehr der bedeutungslose Lehnsverband den Landbesitz mit dem nothdürftigen Auskommen zum Verderben der Gläubiger sicherte.«199
So sei der Gutsherr gezwungen, »durch verhaßte Uebung veralterte Rechte sein Einkommen um Weniges zu mehren und das Vertrauen derer, auf denen sein Einfluß beruht, um ein Großes zu mindern.«200
Den Gutsherren und Beamten stellt Stüve die »eigentlich landbauende Classe« gegenüber, das »wahre Landvolk«, das unter schwerem Druck liege: »Freies Eigenthum findet außer den Küstengegenden sich wenig und nur zerstreut. Unter der Last von Leibeigenthum, willkürlichen Gefällen, Diensten, Zehnten, auf Höfen, die mit Steuern, Gemeindelast, Reuterverpflegung, Schulden, vor allem aber mit Pachtgefällen nicht selten überlastet sind, bearbeitet diese Bevölkerung des Landes mit bewundernswürdigem Fleiße einen großentheils undankbaren Boden, ohne die Früchte des eigenen Schweißes zu genießen; selten im Stande über das tägliche Bedürfniß hinaus zu sorgen und (wenn Zehnten und Dienste dem Acker selbst das entziehen, was ihm durchaus zukommt) nur durch übermäßige Anstrengung im Stande, den eigenen Zustand zu verbessern und den natürlichen Reichtum des Landes zu vermehren.«201
Stüve fährt fort: »Den Bestand der Höfe zu verbessern, macht großentheils die unbedingte Unveräußerlichkeit unmöglich, falls nicht Behörden durch Zusammenlegung einschreiten. Dem Eigenbehörigen trägt der Erwerb nur durch Nachsicht des Gutsherrn Frucht. Nach seinem Tode fällt der Erwerb zum Gute und vermehrt die Auffahrtslast seiner Nachkommen. Wenn irgendwo Gut erworben ist, so verwehrt dennoch der Lehnsverband, das Erworbene zu wesentlicher Verbesserung des Grundeigenthums durch Ablösung des Drucks der Zehnten und Zinsen zu verwenden. Der Bauer wird Capitalist (was er nie mit Vortheil ist) statt als Landwirth sich zu vervollkommnen und freier Eigenthümer zu werden. Unter solchen Verhältnissen wird mehr als die Hälfte des Landes bebauet; und 198 199 200 201
So C. Stüve, Hann. Mag. Nr. 10/1828, S. 73. So C. Stüve, Hann. Mag. Nr. 10/1828, S. 74. So C. Stüve, Hann. Mag. Nr. 10/1828, S. 74. So C. Stüve, Hann. Mag. Nr. 10/1828, S. 76.
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Vorboten der Ablösungsgesetzgebung
es ist nur zu bekannt, daß nicht wenige Landbauern ganz für andere bestellen und selbst von Nebengewerbe leben.«202
Die kritische Haltung gegenüber dem Landadel mag auch auf den Erfahrungen beruhen, die Stüve in den vergangenen Jahren als Deputierter in der Ständeversammlung gemacht hat. Sein Verdienst ist indes, mit seinem kämpferischen Beitrag das Thema der Ablösung grundherrlicher Dienste erneut auf die politische Agenda gesetzt und damit die Voraussetzungen für eine parlamentarische Initiative geschaffen zu haben.203
III.
Stüves Schrift über die Lasten des Grundeigentums
Nachdem die Initiative, die Ständeversammlung zu einem an das Ministerium gerichteten Beschluss zur Befreiung des Grundeigentums durch Ablösung von Zehnten, Diensten, gutsherrlichen und Meiergefällen zu veranlassen, erfolglos geblieben war204, machte sich Stüve an das Manuskript einer Abhandlung, die noch im selben Jahr abgeschlossen wurde.205 Er beginnt in seinem Vorwort mit einer Skizze über die wirtschaftliche Lage im Fürstentum Osnabrück: »Lebend in einem Lande, dem Fürstenthum Osnabrück, dessen große Bevölkerung, gesteigertes Manufacturwesen und drückende Rechtsverhältnisse seit langer Zeit das Streben des Landvolks nach Freiheit genährt und Begünstigung desselben zur Nothwendigkeit gemacht haben, hatte er sich seit einer Reihe von Jahren vorzüglich mit Untersuchungen über die rechtlichen Zustände des Grundeigenthums beschäftigt. Das Sinken der Leinwandpreise, die gewaltig fortschreitende Verarmung der eigenthumslosen Classe, die Gefahr, die dadurch dem Lande droht und die allgemeine Ueberzeugung, daß dieselbe nur abgewandt werden könne, wenn man dieser Classe den Erwerb von Grundeigenthum möglichst erleichtere, weil die Lage der Gränzen und der Gränzzölle an kräftige Hülfe durch andere Manufacturen um so weniger zu denken gestattet, je eigenthümlicher die bisherigen mit den Verhältnissen des Landes verknüpft, je mehr sie unmittelbar auf den Landbau begründet und je weniger sie von Unternehmern abhängig sind: dies alles hatte ihm die Ueberzeugung aufgedrungen, daß Befreiung des Grundeigenthums nicht mehr Angelegenheit des Einzelnen, sondern Angelegenheit des Staates sey.«206
202 203 204 205
So C. Stüve, Hann. Mag. 10/1828, S. 76. Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk Johann Carl Bertram Stüves, S. 44. Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J.C.B. Stüves, S. 44f. Carl Stüve, Ueber die Lasten des Grundeigenthums und Verminderung derselben in Rücksicht auf das Königreich Hannover, Hannover 1830. 206 So C. Stüve, Ueber die Lasten des Grundeigenthums, S. IIIf.
Stüves Schrift über die Lasten des Grundeigentums
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Stüve verweist auf seine Bemühungen, einen Beschluss der Ständeversammlung herbeizuführen, der dann von der Ersten Kammer verhindert wurde, fügt aber hinzu, dass er die Sache »nie aus dem Auge lassen wird«: »Seine Absicht war, die Zweckmäßigkeit, Nothwendigkeit und Möglichkeit legislativer Beförderung der Befreiung des Grundeigenthums nachzuweisen. Er hielt es aber für ueberflüssig, zu diesem Ende die verderblichen Einflüsse von Diensten, Zehnten und Leibeigenthum zu deduciren. Schwerlich kann jetzt hieran noch irgendjemand zweifeln, und so konnte eine Wiederholung des allgemein Bekannten zu nichts dienen. Wichtiger erscheint es in einer Sache, bei der insgemein die Widersacher sehr laut von Verletzung der Rechte zu reden pflegen, darzuthun, wie es mit diesen Rechten stehe, daß dieselben durch die dem Pflichtigen aufgebürdete und vermehrte Staatslast in ihrem innersten Grunde vernichtet, theils selbst Staatsauflage, Aequivalent einer Staatslast seyen, die der Berechtigte tragen sollte, die aber nicht allein nicht getragen, sondern sogar dem Pflichtigen wieder aufgebürdet hat.«207
Stüve fährt fort: »Manche freilich werden tadeln, daß der Verfasser auf das Gewerbwesen so wenig Hoffnung setzt. Allein mag seine Ansicht auch im Allgemeinen finster scheinen: so ist sie doch leider ein Bild seines besondern Vaterlandes, das in seinem bisherigen Gewerbe durch auswärtige und Maschinen-Concurrenz gestört, von Neuem durch Gränzen und Prohibitivsysteme ausgeschlossen auf dem Wege der Verarmung rasch fortschreitet. Daß einmal auch den Gewerben geholfen werden könne, leugnet er nicht; allein daß dies unmöglich sey, so lange wir in Deutschland uns einander fremder sind, als den transatlantischen Staaten, so lange wir unser eigenes Erzeugniß durch überseeisches herabwürdigen; so lange wir die arbeitenden Classen herabwürdigen, um Capitalisten zu heben; davon ist er eben so fest überzeugt, als von der Schwierigkeit, einen bessern Zustand herzustellen. Wir sind zu sehr gewöhnt, fremdes politisches Interesse als das unsrige zu betrachten, eingebildetes Bedürfniß für Lebensgenuß zu halten, zu sehr gewöhnt, Productionszahlen zu bewundern und auf die Stimmen zu horchen, die der Liberalismus Französischer und Englischer Capitalisten zu uns herüberschallen läßt, als daß eine kräftige, werkthätige Erkenntniß des eigenen Besten zu hoffen wäre.«208
Weiterhin heißt es im Vorwort: »Verbesserung von Grund und Boden steht in der Gewalt auch des kleinsten Staates; Verbesserung des rechtlichen Zustandes insbesondere kommt wahrhaft den arbeitenden, das heißt jetzt den nothleidenden Classen, zu Statten; nicht etwa bloß großen Capitalisten, die mit möglichster Ersparung, das ist Abwürdigung von Menschenhänden, große Gewinne suchen. Danach muß der Staat arbeiten; er darf hier nicht den Einzelnen walten lassen, dessen Vortheil nur zu noch größerer Beeinträchtigung der Nothleidenden führt. Er muß aber auch kräftig einwirken, nicht bloß ermahnen, zureden, sondern führen und handeln. Wenn die Regierung das Nothwendige nicht för-
207 So C. Stüve, Ueber die Lasten des Grundeigenthums, S. VIf. 208 So C. Stüve, Ueber die Lasten des Grundeigenthums, S. IXf.
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Vorboten der Ablösungsgesetzgebung
dern dürfte; wenn sie verbunden wäre, alle Dinge sich selbst und dem natürlichen Gange zu überlassen; so möchte in der Tath schwer seyn, ihre Existenz überhaupt zu rechtfertigen. Der Einzelne hat seinen Vortheil wohl im Auge und weist denselben zu verfolgen; aber der Vortheil des Einzelnen ist selten unmittelbar auch der des Ganzen; und das eben ist der Zweck aller Regierung, daß sie dieses vereinzelte Streben durch Gesetz und Recht von der Bahn des Eigennutzes ab auf die des Gemeinwohls zwinge, und durch diesen Zweck ist ihre Nothwendigkeit gerechtfertigt.«209
In der folgenden – exakt 200 Druckseiten umfassenden – Abhandlung stellt Stüve nach einleitenden Grundsätzen die Entwicklung der Belastung des Grundeigentums dar.210 Ein weiterer Abschnitt ist den Versuchen gewidmet, die Lasten des pflichtigen Eigentums zu vermindern, um selbst die »Mittel zur Befreiung« zu entwickeln.211 Bemerkenswert ist, dass Stüve an dieser Stelle bereits den Begriff der »Befreiung« verwendet, der später als »Bauernbefreiung« eine weitere Karriere machen sollte. Mittel der Befreiung ist die Kündigung, und zwar sowohl auf Seiten des Gutsherrn wie des Verpflichteten, wobei dem Gutsherrn die Kündigung nur in beschränktem Maße zugestanden werden solle.212 Die Kündigung hat eine Ablösung der auf dem Eigentum ruhenden Lasten zur Folge und bedarf eines »Aequivalents«, für das eine Rente, Abtretung von Grund und Boden und eine Geldzahlung in Betracht kommt.213 Stüve verkennt nicht die Schwierigkeiten, die mit seinem Ablösungsmodell verbunden sind und setzt sich eingehend mit möglichen »Einwürfen« auseinander.214 Indes hält er die Zweifel an der Ausführbarkeit seiner Vorschläge für nicht begründet und belegt dies an Zahlenbeispielen, die er einzelnen Provinzen entnimmt.215 In einem letzten Abschnitt stellt Stüve den »gegenwärtige[n] Zuschnitt des Grund-Eigenthums« in den unterschiedlichen Provinzen dar und gelangt zu dem folgenden »Schluß«: »Diese Grundsätze geben das Mittel, einem großen Theile der Landbewohner den Wohlstand erreichbar zu machen, der ihnen bisher versperrt war. Wenn es eine unweise Härte war, diesem Stande alle Möglichkeit der Verbesserung abzuschneiden, und diese Härte zur Ungerechtigkeit wuchs, indem man Jahrhunderte lang ihm alle Staatslast aufbürdete und ihm die alten Leistungen, deren Grundbedingung Vertheidigung durch den Berechtigten in jeder Rücksicht war, nicht verminderte, ja zu exemten Gute erhob: so mußte die Zeit kommen, diesem abzuhelfen. Sehen wir aber auf das Beispiel der Nachbaren, auf das, was wir selbst gethan haben, auf die Noth, die uns drückt: so 209 210 211 212 213 214 215
So C. Stüve, Ueber die Lasten des Grundeigenthums, S. Xf. C. Stüve, Ueber die Lasten des Grundeigenthums, S. 37ff. C. Stüve, Ueber die Lasten des Grundeigenthums, S. 86ff. So C. Stüve, Ueber die Lasten des Grundeigenthums, S. 89. So C. Stüve, Ueber die Lasten des Grundeigenthums, S. 94. So C. Stüve, Ueber die Lasten des Grundeigenthums, S. 107ff. So C. Stüve, Ueber die Lasten des Grundeigenthums, S. 114ff.
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müssen wir erkennen, daß diese Zeit gekommen ist. Und sie darf nicht ungenutzt verstreichen.«216
Stüves Schrift bildete die theoretische Grundlage der Ablösungsgesetzgebung und eröffnete die Möglichkeit, die Rechtsverhältnisse der ländlichen Bevölkerung des Königreichs grundlegend zu ändern. Hierbei will aber berücksichtigt sein, dass bei aller Empathie, von der die Ausführungen Stüves gekennzeichnet sind, seine Vorschläge doch auf die Rechtsverhältnisse der Bauern beschränkt blieben, während die unterbäuerlichen Klassen, deren Not die der Bauern vielfach übertraf, unberücksichtigt blieben. Die zu den unterschiedlichen Bauernklassen gehörenden Pflichtigen fanden in Stüve eine vernehmbare Stimme, während die Heuerleute, Tagelöhner, Häuslinge und Brinksitzer – wie immer der zunehmend zum ländlichen Proletariat sich entwickelnde Teil der Bevölkerung bezeichnet wurde – außer Betracht blieb. Auf eine kurze Formel gebracht, widmete sich Stüve dem besitzenden, aber unfreien Teil der ländlichen Bevölkerung, ließ hingegen den freien, aber besitzlosen Teil außer Betracht. Christa Volk Graf hat Stüves Anliegen in ihrer leider in Vergessenheit geratenen Doktorthese wie folgt zusammengefasst: »Stüve’s interest and concern for Hanover’s farmers went beyond that, however. If he wanted to make the farmers economically independent, he also wanted them to be a part of the political structure of his state. He hoped for nothing more, than to make these farmers responsible citizens by permitting them to partake in determining politics. He had set himself this goal as early as 1829, and he demanded therefore changes in Hanover’s constitutional system as well.«217
216 So C. Stüve, Ueber die Lasten des Grundeigenthums, S. 174. 217 C. V. Graf, The Hanovarian Reformer Johann Carl Bertram Stüve, S. 157f.
Sechstes Kapitel: Grundherrschaft und Rittergut
I.
Begriffliches
Unser Blick war bislang vorwiegend auf die von einer Grundherrschaft abhängigen Bauern gerichtet, die ihre Höfe in unterschiedlichen Rechtsverhältnissen selbständig bewirtschafteten und dafür dem Eigentümer – dem Grundherrn – zu Abgaben und Diensten verpflichtet waren. Stüves epochales Gesetzgebungswerk verfolgte das Ziel, diese Lasten gegen Entschädigung abzuschaffen und ein auch aus ökonomischen Gründen gebotenes freies Bauerntum zu schaffen. Die in der Gesetzessprache als »Berechtigte« bezeichneten Grundherrn waren unterschiedlicher Natur und übten ganz unterschiedliche Rechte aus. Als gewissermaßen archaischer Typus ist indes das Rittergut anzusprechen, dessen Besitzer in der Gesellschaftsordnung des Königreichs und in seinem politischen System eine entscheidende Rolle spielten. Bei Wittich findet sich die folgende Definition: »Das niedersächsische Rittergut war also ein steuerfreier, kanzleisässiger Grundbesitz, der seinem Inhaber in der Regel Sitz und Stimme auf dem Landtage der Provinz verlieh. Das Rittergut war ein Grundbesitz, d. h. ein Stück Land oder ein Komplex von Ländereien mit dazugehörigen Gebäuden, der in der Regel die Grundlage eines Landwirtschaftsbetriebes bildete. Mit den so charakterisierten Rittergütern waren sehr häufig grundherrliche Berechtigungen, vor allem die Grundherrschaft über Meierhöfe, außerdem aber auch Grundzins, Dienst- oder Zehntenrechte an Bauernhöfen verbunden.«218
Der Verfasser fährt fort: »Es ist für das Verständnis der ländlichen Verfassung Niedersachsens unumgänglich notwendig, diese grundherrlichen Berechtigungen scharf von dem Rittergut zu unterscheiden. Sie bilden in keiner Weise einen notwendigen Bestandteil, ein essentiale, des Rittergutsbegriffes, sondern sie waren nur faktisch sehr häufig mit dem Rittergut zu einer Vermögensmasse vereinigt. Häufig wurden die grundherrlichen Berechtigungen 218 So W. Wittich, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, S. 5.
92
Grundherrschaft und Rittergut
im Erbgang oder durch Veräußerungen von dem Rittergut getrennt. Aber selbst wenn sie rechtlich, z. B. als Bestandteile eines Fideicommisses zusammengehörten, so änderte dies nichts an der Natur des Rittergutes. Nicht die grundherrlichen Berechtigungen, sondern die erwähnten Privilegien waren für das Rittergut begriffsbestimmend.«219
Ulrike Hindersmann, der wir die grundlegende Studie über den ritterschaftlichen Adel im Königreich verdanken, führt aus: »Unabdingbare Voraussetzung für eine Mitgliedschaft in den Ritterschaften war der Besitz eines landtagsfähigen Gutes in der jeweiligen Region, ferner Majorennität und Zugehörigkeit zu einer der drei christlichen Konfessionen sowie ein unbescholtener, ehrenhafter Ruf. In Osnabrück, Bremen und Ostfriesland bestand man außerdem auch noch nach 1814 auf dem Erfordernis adligen Standes. (…) Durch die wichtigste materielle Eingangsvoraussetzung, den Besitz eines landtagsfähigen Gutes, waren die Ritterschaften zu einem Forum des landsässigen Adels geworden, denn der Anteil der Bürgerlichen unter diesen Gutsbesitzern und damit auch unter den Ritterschaftsmitgliedern war insgesamt gering. …«220
II.
Exkurs: Das Beispiel des Ritterguts Ledenburg (Fürstentum Osnabrück)
Am Beispiel des Gutes Ledenburg, das dem Grafen Münster gehörte, führt Hindersmann folgende Rechte und Gerechtigkeiten auf: – Die Brüchtengerichtsbarkeit in der Holter Mark, – das Patronat der Evangelischen Kirche zu Holte, – die Niedere Koppeljagd im Amt Iburg, in der Vogtei Bissendorf, in Gesmold, mit Ausnahme des Freien Hagens, in Melle, Riemsloh, Westeroldendorf, Schledehausen, Belm, Oesede, Borgloh, Wellingholzhausen und die – ausschließliche Jagd auf den gutseigenen Gründen, die Fischereigerechtigkeit in der Hase und in dem Röthebach, – grundherrliche Rechte über 43 eigenbehörige Bauern, die verstreut in den Kirchspielen und Bauernschaften Holte, Sünzbeck, Hiddinghausen, Westerhausen, Nehmden, Astrup, Nordhausen, Stirpe, Halle, Uedinghausen, Grammbergen, Himbergen, Waringhofe, Jöstinghausen, Bohmte, Wehrendorf, Feldkampe, Aschendorf, Hilter und Dissen lebten.221
Hindersmann macht anhand einer Karte anschaulich, dass die Höfe der Eigenbehörigen des Gutes bis zu ca. 20 Kilometer von der Ledenburg entfernt lagen
219 So W. Wittich, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, S. 5. 220 So U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 33. 221 So U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 93f.
Die Neuordnung der allgemeinen Grundsteuer
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und die Streuung sich insgesamt auf eine Entfernung von fast 40 Kilometern erstreckte.222 Hierzu bemerkt die Verfasserin, dass die breite Streuung der grundherrlichen Berechtigungen einen erheblichen Verwaltungsaufwand verursachte und eine ökonomisch effektive Nutzung dieser Rechte für die Eigenwirtschaft des Gutes sehr erschwerte.223
III.
Die Ablösung gutsherrlicher Privilegien
Folgt man Werner Wittich, so waren die am Beispiel des Gutes Ledenburg aufgeführten Berechtigungen zwar typisch, aber nicht begriffsnotwendig für ein Rittergut. Entscheidend war vielmehr die Rittergütern kraft Herkommens zustehende Steuer- und Abgabenfreiheit, die Kanzleisässigkeit und die dem Rittergutsbesitzer zukommende Stimme in der Provinziallandschaft.224 Die Steuerfreiheit bezog sich insbesondere auf die vom Staat erhobene Grundsteuer, Rittergüter waren überdies von kommunalen Abgaben und Diensten eximiert. Als »kanzleisässig« wurden Rittergüter bezeichnet, weil für sie nicht die Gerichte erster Instanz, sondern die Justizkanzleien zuständig waren. Sitz und Stimme in den Provinziallandschaften wurden dadurch ergänzt, dass die Ritterschaften nach Errichtung der Allgemeinen Ständeversammlung die weitaus überwiegende Zahl der Mitglieder der Ersten Kammer zu wählen hatten.225
IV.
Die Neuordnung der allgemeinen Grundsteuer
Am 9. August 1822 wurde die »Verordnung, die Veranlagung einer allgemeinen Grundsteuer im Königreich Hannover betreffend« erlassen226, die das bis dahin geltende Grundsteuerwesen neu ordnete. Von der Grundsteuer befreit waren die zu den königlichen Schlössern gehörenden Gärten, die Festungswerke und die zu öffentlichen Zwecken bestimmten Grundstücke (§ 3 der Verordnung). Eine besondere Regelung wurde auch für kirchliche und der Bildung dienende Grundstücke getroffen (§ 4 der Verordnung). Die Rittergüter waren demgegenüber von
222 So die Entfernung zwischen Aschendorf (ein Eigenbehöriger) und Bohmte (zwei Eigenbehörige); vgl. U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 228. 223 So U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 93f. 224 So W. Wittich, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, S. 4. 225 Verzeichnis der Mitglieder der Allgemeinen Stände-Versammlung, Hann. GS 1819, S. 140. 226 Hann. GS 1822, S. 287.
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Grundherrschaft und Rittergut
der Grundsteuerpflicht nicht ausgenommen.227 Allerdings dauerte es noch Jahre, bis es zu einer regulären Besteuerung der Rittergüter kam.228 In die Praxis umgesetzt wurde das Grundsteuergesetz erst durch eine weitere Verordnung aus dem Jahr 1826.229 Entscheidend war indes, dass die Grundsteuerfreiheit der Rittergüter zwar wegfallen sollte, die Betroffenen hierfür aber zu entschädigen waren. Dies folgte aus einem in der Gesetzessammlung nicht veröffentlichten »Rescriptum ad Mandatum vom 18ten Januar 1822, die Exemtionen betreffend«, das hinsichtlich der Entschädigung folgende Regelung traf: »Die vormaligen Exemtionen von den Grundsteuern sollen hinführo (…) ganz hinwegfallen, jedoch soll der Rent-Werth dieser Exemtionen zu einem Viertel der neu einzuführenden und allgemein gleich zu veranlagenden Grundsteuer angenommen, und mittelst Capitalisirung dieses Viertels des künftigen vollen Grundsteuer-Ansatzes nach dem Fuße von 4 zu 100 das Grund-Eigenthum der Exemten wegen seiner früheren Besteuerungs-Vorrechte ein für alle Mal in nachstehender Maaße abgefunden werden.«230
Der verklausulierte Text ist nach Hindersmann dahingehend zu lesen, dass die Rittergüter und sonstigen vormals exemten Grundstücke nach Einführung der neuen Grundsteuer mit dem 25fachen Wert des vierten Teils eines jährlichen Grundsteuerbetrages entschädigt werden sollten.231 Die Ablösung grundherrlicher Rechte zeigte sich damit in einem neuen Sinne. Privilegien – nämlich die bisherige Grundsteuerfreiheit – wurden nicht schlechthin abgeschafft, sondern als wohlerworbene Rechte angesehen, die nur gegen Entschädigung gewissermaßen »abgelöst« werden konnten.232 Nach der Untersuchung von U. Hindersmann wurden allein im Fürstentum Lüneburg an die dort ansässigen Rittergüter Entschädigungen für die aufgehobene Grundsteuerfreiheit in Höhe von 54.940 Talern gewährt.233
227 Unzutreffend deshalb T. Dipper, Die Bauernbefreiung in Deutschland, S. 75. 228 Vgl. hierzu U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 144ff. 229 Verordnung, die Erhebung der allgemeinen Grundsteuer betreffend, vom 3. Juni 1826 (Hann. GS 1826, S. 83). 230 Zitiert nach U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 154. 231 So U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 155. 232 Vgl. U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 153. 233 Vgl. die Tabelle bei U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 160ff. Entschädigungen wurden auch für aufgehobene Jagdrechte und für die aufgehobenen Häuslingsdienst- und Schutzgelder gezahlt; zu Letzteren vgl. unten S. 108f.
Rittergüter und Dorfgemeinden
V.
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Rittergüter und Dorfgemeinden
Die Rittergüter gehörten im Königreich keiner Gemeinde – also keiner kommunalen Körperschaft – an, waren auch in dieser Hinsicht »exemt«. Stüve hatte dieses Problem der Struktur des Königreichs wie so vieles erkannt und in seiner Schrift »Ueber die gegenwärtige Lage« ausgeführt: »Die Gemeinde ist eben sowohl ein Grundbestandtheil des Staats als des Steuerkataster; wenn in diesem keine Exemtion geduldet werden soll: so darf dies auch in jenem nicht der Fall seyn, und nur der evidente Irrthum über die privatrechtliche Natur des Gemeindewesens hat diese falsche Ansicht unterstützen können. Wollen wir die Exemtion bestehen lassen, so mögen wir die Bemühungen um Verbesserung des Gemeindewesens nur sofort aufgeben.«234
Der Anschluss der Rittergüter an die Gemeinden erfolgte in mehreren Schritten und gegen den erbitterten Widerstand der Gutsbesitzer.235 Im Staatsgrundgesetz von 1833 war bereits bestimmt worden, dass jeder Landeseinwohner einer Gemeinde oder einem Verband mehrerer Gemeinden angehören müsse und deren Lasten verhältnismäßig zu tragen habe: »Nicht minder soll jedes Gut, Haus oder Grundstück einer Gemeinde zugerechnet werden« (§ 42 StGG).
§ 43 StGG hatte folgenden Wortlaut: »Exemtionen von Gemeindelasten sollen nicht ferner Statt finden. Rechtlich bestehende Exemtionen können gegen vorgängig auszumittelnde Entschädigung aufgehoben werden.«
Gleichzeitig mit der Aufhebung der Exemtionen sei eine entsprechende »Regulirung des Gemeindewesens« vorzunehmen: »Bei Ausmittelung der Entschädigung soll zu Gunsten der zu deren Leistung Verpflichteten auf die Beschaffenheit und den Zweck der zu übernehmenden Last, so wie auf deren in neuerer Zeit durch polizeiliche Einrichtungen etwa eingetretene Vermehrung billige Rücksicht genommen werden« (§ 43 StGG).
§ 45 des Staatsgrundgesetzes lautete wie folgt: »Die bisher keiner Gemeinde angehörigen Domainen, Güter und Besitzungen sollen auf eine den Provinzial- und Local-Verhältnissen angemessene Weise in einem bereits vorhandenen oder neu zu bildendem Gemeinde-Verband eingeschlossen werden. Bis ein solcher Anschluß erfolgt ist, wird in deren Beziehungen zu den Gemeinden durch vorstehende Bestimmung nichts verändert.
234 So C. Stüve, Ueber die gegenwärtige Lage des Königreichs Hannover, S. 170f. 235 Vgl. U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 182ff.
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Grundherrschaft und Rittergut
Insofern Lage und Verhältnisse die Vereinigung einer Domaine oder eines Guts mit einer Gemeinde nicht angemessen erscheinen lassen, kann eine solche Domaine oder ein solches Gut eine abgesonderte Gemeinde bilden.«
Der Anschluss der Rittergüter an Gemeinden verlief schleppend und nahm Jahre in Anspruch, wobei gerichtliche Auseinandersetzungen zu Verzögerungen führten. Die von Seiten des Staates unternommenen Bemühungen, die Voraussetzungen für derartige Anschlüsse festzustellen, gewannen erst nach dem März 1848 an Nachdruck, wobei die Änderung des § 45 LV-G durch das verfassungsändernde Gesetz vom 5. September 1848236 die Entscheidung über Ausnahmen den oberen Verwaltungsbehörden – also den Landdrosteien – übertragen wurde (§ 12 Abs. 2 des Änderungsgesetzes). Stüve hatte – wie oben dargestellt – die Zuordnung der Gemeinden zum Privatrecht als einen grundlegenden Irrtum erkannt, der zwangsläufig dazu führen musste, auch den Anschluss eines Gutes an eine Gemeinde dem Privatrecht – und damit letztlich dem Willen des Gutsbesitzers – zuzuordnen. Der durch Gesetz und Hoheitsakt angeordnete Anschluss der Güter an Gemeinden oder Gemeindeverbände war demgegenüber dem öffentlichen Recht zuzuordnen und bewirkte einerseits, dass der Staat – in Gestalt der Landdrosteien und der Ämter – seine Herrschaftsansprüche erweiterte. Auf der anderen Seite waren die Güter und damit die Gutsherren dem Staat nicht nur näher gerückt; in Folge des Wegfalls der Exemtionen waren sie mit anderen Grundbesitzern auch auf die gleiche Stufe gestellt. Nach den Angaben bei U. Hindersmann waren 1858 nur 97 Rittergüter und damit 10 % ihrer Gesamtzahl nicht an eine Gemeinde angeschlossen.237
VI.
Die Aufhebung der Partrimonialgerichte
Die Patrimonialgerichte übten im Königreich Hannover die niedere Gerichtsbarkeit aus. Zu unterscheiden waren geschlossene Gerichte, denen neben der Rechtsprechung die Verwaltung in ihrem Bezirk oblag und die ungeschlossenen Gerichte, die auf Rechtsprechungsaufgaben beschränkt waren. Die geschlossenen Patrimonialgerichte waren damit zugleich Verwaltungsbehörden und unterstanden den Landdrosteien, während neben die ungeschlossenen Gerichte die Ämter als untere staatliche Behörden traten.238 Über die Patrimonialgerichtsbarkeit im Königreich Hannover verdanken wir der Untersuchung von Hindersmann wesentliche Erkenntnisse, während es einer 236 Hann. GS 1848, S. 261. 237 Vgl. U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 191 Fn. 311. 238 Vgl. U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 170.
Die Aufhebung der Partrimonialgerichte
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speziellen Untersuchung für das Königreich – im Gegensatz zu Preußen239 – bis heute fehlt. Die Verfasserin führt hierzu aus: »Wie die Grundherrschaft war auch die Gerichtsherrschaft im Untersuchungsgebiet überwiegend Streubesitz, erforderte also einen erheblichen organisatorischen Aufwand bei der Verwaltung. Hinzu kam, dass Grundherrschaft und Gerichtsherrschaft eines Berechtigten in der Regel nicht deckungsgleich waren, wenige Ausnahmen hiervon fanden sich nur am östlichen und südlichen Rand des Königreichs. Das bedeutete konkret, dass z. B. ein adliger Rittergutsbesitzer in seinem Gerichtsbezirk über eine Anzahl von Bauernhöfen zwar die Gerichtsherrschaft innehaben konnte, diese Höfe aber einem anderen Grundherrn als ihm die entsprechenden Leistungen erbrachten und umgekehrt Bauern, die ihm grundherrliche Abgaben und Dienste leisteten, ohne weiteres einen anderen Gerichtsherrn haben konnten. In Folge dieser Inkongruenz war in der Vergangenheit die allmähliche Ausgestaltung eines verdichteten Herrschaftsbezirkes mit einem Rittergut als Mittelpunkt für den nordwestdeutschen Adel nicht möglich gewesen, die Gerichtsherrschaft hatte sich unter diesen Verhältnissen als Machtinstrument auf lokaler Ebene als wenig nutzbar erwiesen, und vermutlich erfolgte ihre Preisgabe im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch deshalb so widerstandslos.«240
Da es zur Aufhebung der Patrimonialgerichte eines Gesetzes bedurfte, lässt sie sich anhand der Hannoverschen Gesetzsammlung exakt verfolgen.241 Bemerkenswert ist, dass das Inkrafttreten des Staatsgrundgesetzes keineswegs einen Schub zur Auflösung der Partimonialgerichte bewirkt hat, es vielmehr bei Einzelfällen blieb. Eine flächendeckende Aufhebung der Partimonialgerichte setzte erst im Jahr 1848 ein, obwohl das Änderungsgesetz zum LandesverfassungsGesetz keine entsprechenden Bestimmungen enthielt. Allerdings war die Aufhebung der Partimonialgerichte ein Desiderat der Zeit. § 167 der Paulskirchenverfassung bestimmte entsprechend: »Ohne Entschädigung sind aufgehoben: 1. Die Patrimonialgerichtsbarkeit und die grundherrliche Polizei, sammt den aus diesen Rechten fließenden Befugnissen, Exemtionen und Abgaben.«
Den Schlussstrich setzte schließlich das Gesetz über die Gerichtsverfassung vom 8. November 1850242, mit dem das staatliche Justizmonopol durchgesetzt wurde. § 8 des Gesetzes lautete: »Alle Patrimonialgerichtsbarkeit, sie mag Gemeinden oder einzelnen Personen zustehen, wird ohne Entschädigung aufgehoben und geht zu der von der Regierung zu bestimmenden Zeit auf den Staat über.« 239 M. Wienfort, Partrimonialgerichte in Preußen. Ländliche Gesellschaft und bürgerliches Recht, 1770–1848/49, 2001. 240 So U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 180. 241 So die Tabelle 15 bei U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 174ff. 242 Hann. GS 1850, S. 207.
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Grundherrschaft und Rittergut
Hindersmann gelangt zu folgendem Resümee: »Abschließend lässt sich also festhalten, dass die ohne Konflikte verlaufende Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet den vormaligen Gerichtsinhabern letztlich nur Vorteile brachte, sie erhielten zwar für den Verlust ihrer Rechte keine Entschädigungszahlungen, wurden dafür aber von nicht unerheblichen finanziellen Belastungen befreit. Inwieweit daneben der Verzicht auf das Ansehen der gerichtsherrlichen Stellung schmerzte, kann höchstens vermutet werden; die jahrzehntelangen Querelen um die Eingliederung der Güter an die örtlichen Gemeinden mögen aber zur Beantwortung dieser Frage einige Anhaltspunkte geben, […] denn bei den Gemeindeanschlüssen ergab sich die Situation, dass Rittergutsbesitzern, die früher als Gerichtsherren über die Mitglieder einer Dorfgemeinde Recht gesprochen hatten, zugemutet wurde, sich nun ebendieser Gemeinde als ganz gewöhnliche Mitglieder einzufügen.«243
243 So U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 181.
Siebtes Kapitel: Wandlungen der Agrarverfassung im Königreich
I.
Begriffliches
Unter »Agrarverfassung« lässt sich zum einen die Art und Weise verstehen, in der das Land in einem bestimmten Gebiet, das unter Hoheitsgewalt steht, landwirtschaftlich genutzt wird. »Verfassung« wäre damit gleichbedeutend mit »Zustand« und erforderte entsprechend eine Zustandsbeschreibung. Ein derartiger Zustand ist nicht nur tatsächlicher, sondern auch rechtlicher Natur, ist also ein durch Rechtsvorschriften entstandener Zustand, möge dieser auch seit unvordenklichen Zeiten bestanden haben und die ihm zugrundeliegenden Rechtsvorschriften längst in Vergessenheit geraten sein. Die »Agrarverfassung« ist also stets – auch – die Summe der Rechtsvorschriften, die den jeweiligen – tatsächlichen – Zustand hervorgebracht haben. Unser Blick auf verschiedene Fürstentümer des Königreichs hat nicht geringe Unterschiede in der jeweiligen Agrarverfassung ergeben, wobei das Eigenbehörigkeitsrecht des Fürstentums Osnabrück und das Meierrecht des Fürstentums Calenberg nochmals in Erinnerung gerufen seien. Beiden Agrarverfassungen war indes das Auseinanderfallen von Eigentum an landwirtschaftlich genutzten Flächen und deren Bewirtschaftung gemeinsam. Dass dieses Grunddatum der Agrarverfassung sich in der Sozialstruktur widerspiegelte und letztlich Einfluss auf die Staatsverfassung hatte, ist offenkundig und bedarf deshalb keines weiteren Nachweises. Anhand der Zusammensetzung der Ersten Kammer der Ständeversammlung wird späterhin noch zu erörtern sein, wie eng der Zusammenhang zwischen Änderungen der Agrarstruktur – und damit der Agrarverfassung – und der politischen Verfassung ist. An dieser Stelle sei nur festgehalten, dass der Erlass von Rechtsvorschriften – nämlich der Ablösungsgesetze – im Königreich Hannover einen tiefgreifenden Wandel der Agrarverfassung bewirkte.
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II.
Wandlungen der Agrarverfassung im Königreich
Das Verfahren der Ablösungsgesetzgebung
In der Zweiten Kammer der Ständeversammlung wurde zu Beginn des Jahres 1830 der Antrag gestellt, »das Ministerium zu ersuchen, Maßregeln zu treffen, in Folge deren dem Besitzer eines mit lehns-, grund- und gutsherrlichen Gefällen belasteten Eigenthums vergönnt werde, diese Lasten nach bestimmten, demnächst niederzulegenden Prinzipien insoweit abzulösen, dass der Rest gewisse Procente der Ertragsfähigkeit nicht übersteige.«244
Dieser Antrag war wesentlich vorsichtiger formuliert als der Antrag, den Stüve ein Jahr vorher mit Erfolg in der Zweiten Kammer eingebracht hatte, der aber von der Ersten Kammer abgelehnt worden war.245 Bereits am 9. April 1831 legte die Regierung den Ständen den »Entwurf eines Gesetzes über die bei Regulirung der bäuerlichen Verhältnisse und Ablösung der grund- und gutsherrlichen Lasten zu befolgenden Grundsätze« vor, der von einer aus beiden Kammern gebildeten Kommission unter Vorsitz Stüves beraten wurde.246 Die »Verordnung über die Ablösung der grund- und gutsherrlichen Lasten und Regulirung der bäuerlichen Verhältnisse zu befolgenden Grundsätze« wurde am 10. November 1831 von König Wilhelm IV. unter Gegenzeichnung von Ludwig von Ompteda erlassen und am 30. November 1831 verkündet.247
III.
Die Ablösungsverordnung vom 10. November 1831
Die Verordnung beginnt mit dem folgenden Vorspruch: »Nachdem Wir zur Beförderung des Ackerbaues für angemessen erachtet haben, die Ablösung der auf einem Teile des Grund-Eigenthums ruhenden Lasten, Abgaben und Beschränkungen, unter angemessener Feststellung der Verhältnisse der Bauerhöfe nach geschehener Befreiung zu gestatten; die Erlassung eines vollständigen Gesetzes ueber diesen Gegenstand aber wegen der annoch nöthigen Untersuchung einzelner Verhältnisse nicht sofort thunlich war, und Wir gleichwohl wünschen, Unsere Absichten in jener Beziehung baldmöglichst zur Kenntniß Unserer Unterthanen zu bringen; so haben Wir Uns für jetzt auf die Feststellung der zu befolgenden allgemeinen Grundsätze beschränkt, und verordnen zu diesem Zwecke nach vorgängiger Berathung mit Unseren getreuen Ständen und unter Vorbehalt der weiteren Anordnungen, sowie der Bestimmung, ob und in wie weit die
244 Zitiert nach A. F. Ventker, Stüve und die Hannoversche Bauernbefreiung, S. 29. 245 Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J. C. B. Stüves, S. 44f. (versehentlich ist das Datum der Antragstellung als 16. Februar 1827 bezeichnet). 246 Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J. C. B. Stüves, S. 54ff. 247 Hann. GS 1831, S. 209.
Die Ablösungsverordnung vom 10. November 1831
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nachstehenden gesetzlichen Vorschriften auf die Verhältnisse des diesseitigen Harzes Anwendung finden sollen, hiermit folgendes:«248
§ 1 der Verordnung hatte den folgenden Wortlaut: »Jeder Besitzer von Grundstücken, die in einem Meyer-, Eigenbehörigkeits-, Meyerdings-, Hägerdings- oder ähnlichen gutsherrlichen Verbande stehen, oder mit Zinsen, Zehnten, Diensten oder sonstigen Real-Lasten behaftet sind, hat das Recht, seine Grundstücke durch Ablösung oder Verwandlung nach den Grundsätzen des gegenwärtigen Gesetzes davon zu befreien, sofern ihm ein erbliches Recht an denselben zusteht. Gleichfalls ablösbar sind die Erbenzins- und Erbpachts-Verhältnisse; es werden jedoch über die Bedingungen der Ablösbarkeit die weiteren Bestimmungen vorbehalten. Auch sind der Ablösung diejenigen Abgaben unterworfen, welche von lehnbaren Grundstücken dem Lehnsherrn alljährlich entrichtet werden müssen, jedoch ohne Einfluss auf den Lehnsverband selbst. Dem Gutsherrn, Ober-Eigenthümer und sonstigen Berechtigten steht ein Recht, jene Abbestellung herbeizuführen, nur bei veränderlichen Gefällen zu, wie im §. 19 näher bestimmt ist.«
Es macht keinen Unterschied, wer Eigentümer des Grundstücks ist bzw. welchem Rechtsregime es bisher unterlag. § 2 der Ablösungsverordnung lautet: »Die Ablösung findet daher auch bei bürgerlichen oder vormals oder bis jetzt exemten Grundstücken Statt.«
Entscheidend war das Auseinanderfallen von Eigentumsrecht und Bewirtschaftung von Grundstücken, wobei Erbzins- und Erbpachtsverhältnisse, wie sie in einzelnen Landesteilen bestanden, besonders geregelt wurden. Die Vielfalt der Rechtsverhältnisse und die an ihnen beteiligten Personen werden in der Gesetzessprache abstrahiert und erscheinen als »Berechtigter« und »Pflichtiger«, Letzterer wird gelegentlich auch als »Besitzer« angesprochen. Die den unterschiedlichen Rechtsverhältnisse eigenen Belastungen erscheinen als »Reallasten« – folglich nicht als persönliche Dienste, wie sie die Erbuntertänigkeit nach preußischem Muster kennzeichneten249 – und belasteten deshalb das jeweils bewirtschaftete Grundstück. Es ist eine besondere juristische Leistung Stüves, die Vielzahl der bäuerlichen Rechtsverhältnisse in den unterschiedlichen Provinzen und die ihnen entsprechenden Lasten der Bauern in die nüchternen Begriffe der »Berechtigten«, der »Pflichtigen« und der »Reallasten« eingefangen und damit komprimiert zu haben.250 Für die Ablösung heißt es in § 7 der Verordnung:
248 Hann. GS 1831, S. 209f. 249 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I, S. 184f. 250 Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J. C. B. Stüves, S. 58.
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Wandlungen der Agrarverfassung im Königreich
»Die Befreiung der verpflichteten Grundstücke wird bewirkt durch Abstellung der Lasten mittelst Entschädigung des Berechtigten nach demjenigen reinen, nachhaltigen Ertrage, welchen er aus dem bisherigen Rechte gezogen hat. Zufälligkeiten in der Benutzung, oder Conventional-Strafen wegen verspäteter Lieferung kommen überall nicht, Remissionen nur in so weit in Betracht, als sie auf Gesetz oder unwiderruflichem Vertrage oder rechtlichem Herkommen beruhen.«
§ 9 der Verordnung bestimmte, dass die Entschädigung durch Kapitalzahlung, Landabfindung oder durch eine Geld- oder Fruchtrente zu leisten war. Zusätzlich war in § 10 vorgeschrieben: »Der Pflichtige kann die Ablösung jederzeit dadurch bewirken, dass er Capital in ungetrennter Summe zahlt.«
Die Ablösung durch Landabtretung war nur in im Einzelnen geregelten Fällen und Maßen zulässig. Damit sollte einer weiteren Zersplitterung des landwirtschaftlich genutzten Bodens und der Gefahr des »Bauernlegens« vorgebeugt werden.251 Zur Entschädigung wurde in § 8 Abs. 1 der Verordnung bestimmt: »Die Bestimmung des Betrags der Entschädigung, sowie der Entschädigungs-Mittel ist in allen Fällen der freien Übereinkunft der Betheiligten überlassen, insofern nicht die Rücksicht auf Erhaltung der Bauerhöfe eine Beschränkung herbeigeführt (Vergl. § 25, 33, 41). Nur wenn eine güthliche Übereinkunft durch bestimmte Vorschläge versucht und nicht zu Stande gekommen ist, findet eine amtliche Auseinandersetzung nach denjenigen Vorschriften Statt, welche in der Ablösungs-Ordnung in Gemäßheit folgender Grundsätze näher festgestellt werden sollen:«
Allerdings war absehbar, dass eine »gütliche Übereinkunft« zwischen dem Berechtigten und dem Pflichtigen nicht die Regel sein würde, weil die Interessen beider Beteiligten entgegengesetzt waren. Insofern musste Vorsorge dafür getroffen werden, wie zu verfahren sei, wenn eine Ablösung der Grundlasten gefordert wurde, sich Pflichtiger und Berechtigter aber nicht auf die Höhe der Entschädigung einigen konnten. Als Grundsatz galt, dass die Privatvereinbarungen zwischen den »Interessenten« gültig seien, aber der Anmeldung und Bestätigung durch die zuständige staatliche Behörde bedurften (§ 41 der Verordnung). Hierzu wurden »Districts-Commissarien« eingerichtet, die die Privatvereinbarungen auf ihre Ordnungsmäßigkeit zu überprüfen hatten (§ 41 Abs. 2 der Verordnung). Sofern eine gütliche Vereinbarung nicht erreicht werden konnte, stand dem Antragsteller – regelmäßig dem Pflichtigen – das Recht zu, sich an die »Ablösungsbehörde« zu wenden und die gesetzliche Auseinandersetzung zu verlangen (§ 42 Abs. 1 der Verordnung). § 42 Abs. 2 der Verordnung 251 Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J. C. B. Stüves, S. 59.
Die Ablösungsverordnung vom 10. November 1831
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bestimmte für den Fall, dass der Pflichtige beim Berechtigten noch Schulden hatte: »Es braucht sich jedoch der Berechtigte auf eine solche Provocation nicht einzulassen, bevor ihm alle, von dem Provocanten etwa noch schuldigen Rückstände an gutsherrlichen Gefällen nicht berichtigt worden sind. Ist diese Summe dieser Rückstände streitig, so hat die Ablösungs-Behörde zuvörderst eine Liquidation sich vorlegen zu lassen, und darüber die Güte zu versuchen. Kommt die Güte nicht zu Stande, so wird in dem Ablösungs-Verfahren fortgeschritten, wenn der Ablösende wegen der streitigen Rückstände dem Berechtigten genügende Sicherheit geleistet hat.«
Eine besondere Bedeutung kam den Bestimmungen über die Eigenbehörigkeit zu. § 18 der Verordnung hatte folgenden Wortlaut: »Die Eigenbehörigkeit soll gegen Entschädigung der Berechtigten für die nutzbaren Rechte aufgehoben und die gesetzlichen Bestimmungen hierüber sollen in der Ablösungsordnung erlassen werden. Dieselbe hört jederzeit auf, wenn der Besitzer eines eigenbehörigen Colonats den Gutsherrn für die ungewissen Gefälle des Sterbefalls, der Auffahrt und der Freibriefe nach dem Maßstabe entschädigt, der bei der Abbestellung sonstiger veränderlicher Gefälle Statt findet. Die bisherigen Zwangs-Dienste der eigenbehörigen Kinder fallen sodann ohne Entschädigung weg. Durch eine solche Befreiung des Erbbesitzers erlangen zugleich alle diejenigen Kinder die Freiheit, welche noch auf dem Erbe vorhanden und von denselbem nicht abgefunden sind.«
Die Ablösung – in welcher Form auch immer – bewirkte den Übergang des Eigentums auf den bisher Pflichtigen. § 31 der Verordnung lautete: »Durch die Abstellung der auf einem Hofe oder Grundstücke ruhenden gutsherrlichen Rechte und Lasten derjenigen Berechtigten, denen vorhin eine Beschränkung der Dispositions-Befugnis zustand, erwirbt der Besitzer des Hofes oder Grundstücks das volle Eigenthum daran.«
Die Besitzer von Höfen, die in einem in § 1 der Verordnung genannten Rechtsverhältnis standen, konnten den Hof im Ganzen verkaufen, ohne dass es der Einwilligung des Gutsherrn bedurfte. § 6 der Verordnung bestimmte: »Höfe, auf denen ein Meyer-, Eigenbehörigkeits-, Meyerdings-, Hägerdings- oder ähnlicher Verband ruht, können in Zukunft, sowohl im Wege des freiwilligen Verkaufs als der Execution, im Ganzen verkauft werden, ohne daß es dazu ferner eines gutsherrlichen Konsenses bedürfte; jedoch nur unter der Bedingung, daß aus dem Kaufgelde die bisherigen gutsherrlichen Lasten und Gefälle abgelöst werden, wenn nicht der Gutsherr auf eine desfalls an ihn gerichtete Anfrage das Gegentheil genehmigt. Ruhen jedoch auf dem Hofe Zehnten und Diensten, deren Abbestellung der Berechtigte nur von einer Gesammtheit von Pflichtigen anzunehmen braucht, so ist deren Ablösung bei dem Verkaufe nicht erforderlich.
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Wandlungen der Agrarverfassung im Königreich
Auch sollen die Vorschriften dieses §. die bisherigen Dispositions-Befugnisse der Pflichtigen auf keine Weise beeinträchtigen. Übrigens bleiben die näheren Bestimmungen über die Befugnisse, welche einzelnen Gläubigern oder einer Gesammtheit derselben auf dem Grund der Verordnung im gegenwärtigen §., beigelegt werden sollen, so wie über den Einfluss der letzteren auf die Rechte der Gutsherren, Obereigenthümern etc., überall vorbehalten.«
Die Lösung des entscheidenden Problems der Ablösung, wie nämlich das »Capital in ungetrennter Summe« (§ 10 der Verordnung) aufzubringen sei, blieb ungelöst. Der Vorschlag Stüves, eine Kreditkasse zur Finanzierung der Ablösungsgelder zu errichten252, wurde erst zehn Jahre später verwirklicht.253 Einstweilen war die Umwandlung der Lasten in eine Geld- oder Fruchtrente, wie sie in § 9 der Verordnung vorgesehen war, der Regelfall.254
IV.
Die Ablösungs-Ordnung vom 23. Juli 1833
Mit der Verordnung vom 10. November 1831 waren zwar die politischen Grundentscheidungen für die Bauernbefreiung getroffen und die wesentlichen Grundsätze ihrer Durchführung in Gesetzesform gegossen, Stüve war aber bewusst, dass eine so grundlegende Reform der Agrarverfassung weiterer gesetzlicher Regelungen bedurfte. Mit der Ablösungsordnung vom 23. Juli 1833, die am 10. August verkündet wurde255, wurde ein umfangreiches Gesetzgebungswerk vorgelegt, das die Ablösung der unterschiedlichen Lasten des Grundeigentums bis in Einzelheiten regelte. Das Gesetz, das 354 Paragraphen umfasste, war in 14 Abschnitte gegliedert, von denen die ersten (I. – VIII.) der Ablösung der unterschiedlichen Abgaben und Dienste gewidmet waren. In einem besonderen Abschnitt (IX.) wurden die Aufhebung der Eigenbehörigkeit und deren Folgen geregelt. § 133 der Ablösungs-Ordnung hatte folgenden Wortlaut: »Die E i g e n b e h ö r i g k e i t wird durch Abstellung der in §. 18. der Verordnung vom 10ten November 1831 benannten zufälligen oder veränderlichen Rechte, nämlich der A u f f a h r t , des S t e r b e f a l l s und der F r e i b r i e f e sowie auch des H e i m f a l l s , insoweit dem Gutsherrn ein Anspruch auf dieselben zusteht, in Beziehung auf den Besitzer des Hofes, dessen Ehegatten, die Nachkommen derselben und alle Übrige Abkömmlinge vom Hofe, wenn diese nicht etwa bereits auf einem andern eigenbehörigen Hofe sich besetzt haben, wie auch auf die Altentheiler (Leibzüchter) im Hofe, für immer aufgehoben. 252 253 254 255
Ueber die Lasten des Grundeigenthums, S. 166. Vgl. unten S. 107. Vgl. aber unten S. 106. Hann. GS 1833, S. 147.
Vollzug der Ablösungsgesetze
105
Die Vorschrift, daß die übrigen zufälligen oder veränderlichen Rechte, welche dem Berechtigten außer den oben genannten Gebühren, nach der Bestimmung des §. 233. gleichzeitig abgestellt werden müssen, wird hiedurch nicht geändert. Sollten die vier, vorher namhaft gemachten Rechte in einzelnen Fällen überall nicht vorkommen, so erfolgt die Aufhebung der Eigenbehörigkeit doch stets durch Abstellung derjenigen zufälligen oder veränderlichen Rechte, welche dem Gutsherrn in Beziehung auf den zu befreienden Hof und dessen Besitzer zustehen. Für die Zwangsdienste der eigenbehörigen Kinder ist eine Entschädigung jedoch in keinem Falle zu berechnen.«
§ 134 der Ablösungsordnung ergänzt: »Die Abstellung der Eigenbehörigkeit nach den Vorschriften der gegenwärtigen Verordnung bleibt bis zum Ablaufe von d r e i Jahren, vom Tage der Bekanntmachung derselben anzurechnen, dem Antrage der Betheiligten überlassen. Nach deren Ablaufe soll jedoch die Eigenbehörigkeit mit allen ihren rechtlichen Folgen und den davon abhängigen Leistungen aufhören, und der Gutsherrschaft in Rücksicht derjenigen eigenbehörigen Höfe, von welchen bis dahin die Abstellung der zufälligen oder veränderlichen Gefälle nicht bewirkt worden ist, nur das Recht zustehen, auf Kosten der Verpflichteten die Bestimmung einer festen Geldabgabe (Geldrente), welche vom Tage des Ablaufs der vorgedachten drei Jahre an zu entrichten ist, und nach Maßgabe des §. 12. der Verordnung vom 10ten November 1831, nach den Getreidepreisen von zehn zu zehn Jahren berechnet werden kann, nach den in dem Abschnitte V. enthaltenen Vorschriften, durch Antrag bei der Ablösungs-Commission zu bewirken.«
Die weiteren Abschnitte sind den Wirkungen der Abstellung von Grundlasten (X, XI), der Feststellung der Preise von Naturalien und Naturaldiensten (XII) gewidmet und enthalten ferner »allgemeine Bestimmungen« (XIII). Ein letzter – umfangreicher – Abschnitt handelt von den Ablösungs-Behörden, dem Verfahren bei Abstellung von Grundlasten und den zu entrichtenden Gebühren (XIV), der von der Zuständigkeit der Ablösungsbehörden (§§ 242– 263) bis zur Regelung der Reisekosten (§ 354) reicht.
V.
Vollzug der Ablösungsgesetze
Die Ablösungsordnung trat am 10. August 1833 in Kraft. Dass zwei Monate später das Grundgesetz des Königreichs in Kraft trat256, will kaum als historischer Zufall erscheinen, entstammten beide Gesetze doch denselben Grundbedingungen. Da die Ablösung der gutsherrlichen Rechte nur von den Pflichtigen beantragt werden konnte, die auch für die Entschädigung aufzukommen hatten, war für den weiteren Verlauf der Ablösung im Königreich eine gewissermaßen natürliche 256 Das Patent, die Publication des Grundgesetzes des Königreichs betreffend vom 26. September 1833, wurde am 9. Oktober 1833 verkündet (Hann. GS 1833, S. 279).
106
Wandlungen der Agrarverfassung im Königreich
Bedingung gesetzt. Abgesehen hiervon nahm auch das Verfahren selbst unter Umständen Jahre in Anspruch, weil die gütliche Einigung über die Rechte und ihre Umrechnung in Geld oder Naturalien nicht die Regel war und deshalb die Ablösungs-Kommissionen zu entscheiden hatten. Einstweilen also blieb es bei dem bisherigen Rechtszustand, wobei die Ablösung der Meiergefälle noch langsamer verlief, weil die Meier im Vergleich zu anderen Bauernklassen über eine gefestigte Rechtsposition verfügten.257 Eine besondere Bestimmung wurde durch § 134 der Ablösungs-Verordnung für die Eigenbehörigkeit getroffen, die innerhalb von drei Jahren dem »Antrage der Betheiligten« überlassen wurde, dann aber ipso iure erlosch und die Gutsherren auf das Recht beschränkt wurden, bei der Ablösungs-Kommission eine nach bestimmten Grundsätzen zu ermittelnde Geldabgabe zu beantragen. Die Drei-Jahres-Frist lief am 10. August 1836 ab und Stüve berichtet in einem Brief an Frommann von einem Schreiben eines Bauern, der ihm für sein gesetzgeberisches Werk dankt und mit den Worten schließt, er könne jetzt in Frieden sterben.258 Nach dem Bericht Wittichs ist die Ablösung in den weitaus meisten Fällen durch Kapitalzahlung bewerkstelligt worden.259 Da die Landeskreditanstalt erst später gegründet wurde, dürfte das zur Ablösung erforderliche Kapital in erster Linie durch private Kredite beschafft worden sein.260
VI.
Exkurs: Der Ablösungs-Contract Wersebe/Wersebe
Wilhelm Asmus hat in seiner Untersuchung zur Bauernbefreiung im Bistum Bremen und Verden261 die Dokumente einer Ablösung gutsherrlicher Rechte im Dorf Meyenburg wiedergegeben. Am 9. September 1847 schloss der Oberappellationsrat von Wersebe als Eigentümer des Gutes Meienburg mit dem Meienburger Gutsmeier Hinrich Wersebe einen »Ablösungs-Contract«, mit dem die in § 1 aufgeführten gutsherrlichen Rechte abgelöst wurden. Hierzu gehörten Zins- und Dienstgelder, Hofdienste, Getreidezehnte, Spanndienste und das Heimfallrecht: »Ueberhaupt alle gutsherrlichen Berechtigungen hinsichtlich der Stelle des Hinrich Wersebe, in so fern sie nach Inhalte des § 2 dieses Contracts nicht ausdrücklich von der Ablösung ausgeschlossen sind.«
257 258 259 260 261
So W. Wittich, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, S. 447. J. C. B. Stüve, Briefe 1817–1848, S. 396. So W. Wittig, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, S. 446. Vgl. das Beispiel unten S. 107. W. Asmus, Die Bauernbefreiung, Privatdruck o. J.
Die Gründung der Hannoverschen Landeskreditanstalt
107
In § 2 des Contracts wurden bestimmte Hand- und Spanndienste und die »Häuslings-Dienste« von der Ablösung ausgeschlossen. Als »Aequivalent« für die in § 1 benannten »Gefälle, Lasten und Beschwerungen« wurde eine Summe von 1.050 Talern vereinbart. Die Ablösungssumme sollte zu Weihnachten des Jahres in bar an den Gutsverwalter ausgezahlt werden. Der »Ablösungs-Contract« wurde am 9. Oktober 1847 von der königlichen Ablösungs-Commission bestätigt.262 Am 13. November 1847 schloss Hinrich Wersebe mit dem Archivrat Georg Kestner aus Hannover »wegen eines Darlehens Ablösung von Meyerpflichten« einen »Contract« über eine Darlehnssumme von 900 Talern, die am 15. Dezember auszuzahlen war. Ein Zinssatz wurde nicht festgelegt, allerdings machte der Darlehnsgeber die Zusage, den Zinsfuß »nach Maaßgabe der Conjuncturen« so billig als möglich festzusetzen.263 Der Kredit wurde mit halbjährlichen Zahlungen im Laufe von 46 Jahren abgetragen. Überliefert ist eine genaue Aufstellung, die im Jahr 1893 endet.264
VII.
Die Gründung der Hannoverschen Landeskreditanstalt
Stüve hatte in seiner Monographie über die Lasten des Grundeigentums vorhergesehen, dass die Finanzierung der Ablösungsgelder das Kernproblem der Ablösungsgesetzgebung war. Er schlug deshalb die Errichtung einer »Creditcasse« vor, die der »Beförderung des speciellen hier vorliegenden Zwecks« dienen sollte: »An Credit auch im allgemeinen fehlt es nicht; vielleicht hat derjenige, welcher Sicherheit geben kann, nur zu viele Gelegenheiten zu Anleihen. Allein es liegt im Interesse des Privatanleihers, die Rückzahlung nicht zu erleichtern, während dem Staate alles daran liegt, allmähligen Abtrag zu befördern.«265
Es sollte allerdings noch Jahre dauern, bis die Hannoversche Landeskreditanstalt gegründet wurde und der Ablösung grundherrlicher Rechte neue Impulse verlieh.266 In den ersten 20 Jahren nach Erlass der Ablösungsordnung – und 12 Jahre nach Gründung der Landeskreditanstalt – waren 40 % der Abgaben und Dienste abgelöst worden. 15 Jahre später waren es 75 %. Die Landeskreditanstalt vergab
262 Text des »Ablösungs-Contracts« mit Kopie des Originals bei W. Asmus, Die Bauernbefreiung, S. 201ff. 263 Text des »Ablösungs-Contracts« und Faksimile bei W. Asmus, Die Bauernbefreiung, S. 214ff. 264 Faksimile bei W. Asmus, Die Bauernbefreiung, S. 221ff. 265 So C. Stüve, Ueber die Lasten des Grundeigenthums, S. 166. 266 Die Hannoversche Landeskreditanstalt nahm am 15. Januar 1841 ihren Betrieb auf.
108
Wandlungen der Agrarverfassung im Königreich
langfristige und unkündbare Kredite zu einem Zinssatz von 3,5 % und einer Tilgung von 0,5 Prozent.267 Stüves Vorschlag hatte damit eine späte Realisierung gefunden. Vor der Annexion des Königreichs durch Preußen war die Ablösung zu einem größeren Teil erfolgt. Sie wird stets mit dem Namen Stüves verbunden sein, dessen Initiative in der Ständeversammlung und Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren prägend war.268
VIII. Gesetze zum Schutz der unterbäuerlichen Schichten Am 8. Mai 1838 – also im Jahr nach dem Staatsstreich – erließ König Ernst August ein »Gesetz, die Aufhebung der von den Häuslingen in verschiedenen Theilen des Königreichs zu entrichtenden Schutzherrlichen Abgaben betreffend«.269 Mit diesem Gesetz wurden die persönlichen Geldabgaben, die als »Häuslingsschutzgeld« bezeichnet wurden und als schutzherrliche Abgaben anzusehen waren, ebenso wie die statt dieser Abgabe zu leistenden Dienste aufgehoben (§ 1 des Gesetzes). Allerdings sollten die guts- oder dienstherrlichen Abgaben und Leistungen, die unter der Bezeichnung »HäuslingsDienstgeld« oder »Häuslings-Dienste« von den Häuslingen zu entrichten waren, bestehen bleiben (§ 2 des Gesetzes). Die Aufhebung war an einen Antrag gebunden, der in Analogie zur Ablösungsgesetzgebung von Häuslingen oder von den Gebäudeeigentümern zu stellen war, aber nur innerhalb einer Frist von zwei Jahren eingereicht werden konnte (§ 12 Abs. 2 des Gesetzes). Das »Häuslings-Dienstgeld« blieb erhalten und erfuhr durch das Gesetz eine rechtliche Festigung. Vor diesem Hintergrund stellt das Gesetz vom 21. Juli 1848 einen weiteren Schritt zur Minderung der Lasten dar, die auf der Landbevölkerung ruhten. § 1 des Gesetzes hatte folgenden Wortlaut: »Diejenigen guts- oder dienstherrlichen Leistungen, welche der Guts- oder Dienstherr eines von Häuslingen bewohnten Grundstücks in der Regel unter der Benennung ›Häuslings-D i e n s t g e l d ‹ oder ›Häuslings-D i e n s t e ‹ lediglich von den Häuslingen als persönliche Abgaben derselben zu fordern berechtigt ist, sollen mit dem 1sten Julius 1849 aufgehoben sein.«
In § 2 wurde bestimmt, dass auch die schutzherrlichen Abgaben wegfallen sollten, deren Aufhebung nach dem Gesetz vom 8. Mai 1838 nicht fristgemäß beantragt worden war und deshalb fortbestünden. In § 3 wurde klargestellt, dass 267 Zahlen bei K. H. Schneider/H. H. Seedorf, Bauernbefreiung und Agrarreformen in Niedersachsen, S. 68f. 268 Vgl. dazu J. Ipsen, Das Reformwerk J. C. B. Stüves, S. 63f. 269 Hann. GS 1838, S. 133.
Gesetze zum Schutz der unterbäuerlichen Schichten
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sich die Bestimmungen nicht auf diejenigen Leistungen der Häuslinge erstreckten, 1) »welche sie an die Gemeinden zu entrichten haben, in welchen sie wohnen; 2) welche ihnen infolge eines Kirchen-, Schul-, Armen- oder anderen derartigen Verbandes obliegen; 3) welche sie den Vermiethern der von ihnen genutzten Wohnung zu leisten haben; 4) welche in Beziehung auf den Betrieb eines Gewerbes von ihnen entrichtet werden müssen.«
Im Gegensatz zu den Ablösungsgesetzen, nach denen die Ablösungsgelder von den antragstellenden »Pflichtigen« zu tragen waren, wurden die Bauern bei Wegfall des Häuslingsdienstgeldes aus der »Generalcasse« für den Wegfall der Dienste entschädigt (§ 4 des Gesetzes). Das Gesetz vom 21. Juli 1848 stellte sich als Versuch dar, soziale Konflikte auf dem flachen Land zu entschärfen.270 Die Übernahme der Entschädigung durch den Staat stellte eine Art Vorwegnahme späterer sozialstaatlicher Entwicklungen dar.271 Bemerkenswert ist, dass die Not der Häuslinge in der Ablösungsgesetzgebung keine Rolle gespielt hat. Hier ging es allein darum, das Auseinanderfallen von Bewirtschaftung und Eigentum des agrarisch genutzten Landes schrittweise aufzuheben und damit zu einer intensiveren Bodennutzung zu gelangen. Es kann als Zeichen der nach gelungenem Staatsstreich patriachalischen Herrschaft Ernst Augusts gedeutet werden, dass die den Häuslingen obliegenden Schutzgelder bereits 1838 aufgehoben wurden. Insofern hatte Stüve mit dem Gesetz vom 21. Juli 1848 keine soziale Großtat ins Werk gesetzt, aber doch durch das Gesetz bezeugt, dass die Märzregierung auch die Nöte der unselbständigen Landbevölkerung erkannt hatte und zu lindern beabsichtigte.272
270 Vgl. N. Rügge, in: S. Brüdermann (Hrsg.), Geschichte Niedersachsens, Bd. 4/I, S. 227. 271 Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J.C.B. Stüves, S. 147. 272 So J. Ipsen, Das Reformwerk J.C.B. Stüves, S. 147.
Achtes Kapitel: Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen
Eine für das Königreich wegweisende Bedeutung hatten die seit Beginn des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss der Forschungen Albrecht Thaers273 erfolgten Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen. Sollte die Landwirtschaft nach den von Thaer entwickelten Grundsätzen mit dem Ziel eines möglichst hohen Ertrages betrieben werden, so war die Zersplitterung der bebauten Nutzflächen und die für Dörfer bezeichnende gemeinsame Nutzung von Weideflächen hierfür ein allseits bekanntes Hindernis. Die aus dem Mittelalter stammende Allmende war mit wechselnder Bezeichnung als »Gemeinheit« oder »Marken« in die Neuzeit übertragen worden und wies den beteiligten Grundeigentümern ein Recht zur Nutzung dieser Flächen insbesondere für die Weidung des Viehs, aber auch für Holzentnahmen und Plaggennutzung zu. Gewohnheitsrechtlich bedurften Gemeinheitsteilungen der Zustimmung aller Grundbesitzer des Dorfes, was im Ergebnis dazu führte, dass bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nicht einmal 10 % der Gemeinheiten und Marken geteilt waren.274 Die Gemeinheitsteilungen allein hätten allerdings nicht zu der beabsichtigten Intensivierung der Landwirtschaft geführt, weil sie zu einer weiteren Zersplitterung des Grundbesitzes geführt hätten. Zu der Gemeinheitsteilung, die auch zwischen verschiedenen Dörfern erforderlich war, musste die Zusammenlegung von landwirtschaftlich genutzten Flächen in der Hand eines Grundeigentümers – die Verkoppelung – als zweiter Schritt der Landreform treten.275
273 Albrecht Thaer (1752–1828) gilt als Begründer der Agrarwissenschaften. 274 So K. H. Schneider/H. H. Seedorf, Bauernbefreiung und Agrarreformen in Niedersachsen, S. 80. 275 Vgl. nur K. H. Schneider/H. H. Seedorf, Bauernbefreiung und Agrarreformen in Niedersachsen, S. 83ff.
112
I.
Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen
Die Gemeinheitsteilungsgesetze
Grundlegend für die Gemeinheitsteilungen war die Gemeinheitstheilungs-Ordnung für das Fürstenthum Lüneburg vom 25. Juni 1802, die mit wenigen Abweichungen für die Fürstentümer Calenberg, Göttingen und Grubenhagen, Hildesheim, Bremen und Verden und die Grafschaften Hoya und Diepholz übernommen wurde.276 § 22 der Verordnung bestimmte, dass jeder Grundeigentümer eines Bodens, der von anderen nach bestimmten Berechtigungen benutzt werde, das Recht hatte, »eine Untersuchung darüber zu verlangen, ob nach Abfindung des oder der Berechtigten noch ein Ueberschuß für ihn bleiben werde, solche Berechtigten in diesem Falle abzufinden, und jenen Ueberschuß alsdann zu seinem eigenen uneingeschränkten fernern Gebrauche zu fordern und zu sich zu nehmen. Er hat aber nicht das Recht, die abgefundenen Berechtigten zu einer weitern Theilung unter sich zu zwingen.«
§ 23 »Corpora und Commünen, Domanialhaushalt, adliche Güter« hatte folgenden Wortlaut: »Ein jedes Corpus oder eine jede Commüne, als Stifter, Klöster, Städte und Dorfschaften, nicht weniger ein jeder landesherrlicher Domanial-Haushalt und jedes adliche oder sonstige ›freie‹ Gut, wie auch ein einzelner, zu keiner Stadt oder keinem Dorfe gehöriger Hof, sind, wenn sie Berechtigungen und Nutzungen auf einem Boden gemeinschaftlich mit anderen besitzen, als so viel einzelne Gesammt-Theilhaber anzusehen: Und jeder derselben hat das Recht, für sich aus der Gemeinschaft zu treten, und den ihm zukommenden, verhältnismäßigen, nach den weiter folgenden Grundsätzen auszumittelnden Entschädigungs-Antheil von der Gemeinheit abgesondert, und privativ, ›angewiesen‹ zu verlangen.«
§ 24 der Verordnung traf Regelungen für den Fall, dass zwischen den einzelnen Grundbesitzern – »Mitgliedern einer Commüne oder eines Corporis« – über die Gemeinheitsteilung unterschiedliche Auffassungen bestanden. Für Städte, Flecken und Dörfer galten die folgenden Bestimmungen: »1) Wenn nur die Hälfte der Stimmen sich für die Aufhebung der Gemeinheit erklärt, so macht schon diese bloße Gleichheit der Stimmen, und zwar bei allen Arten der Gemeinheitsaufhebung, einen gemeinsamen Beschluss der ganzen Commüne für die Aufhebung aus. 2) Diese Stimmenzahl wird jedoch nicht nach Köpfen geschätzt und berechnet, sondern nach Grundbesitzungen abgewogen, wenn die Theilnahme an der Gemeinheit auf Länderei-Eigenthum beruhet: Als in welchem Falle das Stimmenverhältniß bei pflichtigen Interessenten nach der catastrirten Contribution bei freien aber auch Abschät276 Th. Walbaum, Zusammenstellung der Landes-Oekonomie-Gesetze, Verordnungen und Ausführungs-Vorschriften der Provinz Hannover, 5. Auflage 1875.
Verkoppelungen
113
zung der freien Länderei ausgemittelt wird. Wenn hingegen die Berechtigung an sich, oder der Grund derselben von der Art ist, dass ihre Benutzung nicht von einem Länderei-Besitze abhängt, alsdann bestimmt das Verhältniß des Gemeinheits-Genusses auch das Verhältniß des Stimmen-Gewichts entweder ganz oder hülfsweise; und muß folglich jenes auch da, neben dem LändereiBesitze in Anschlag gebracht werden, wo Länderei-Eigenthümer mit anderen Berechtigten concurriren. Uebrigens versteht sich dabei von selbst, dass in allen solchen Fällen Häuslinge überall kein Stimmrecht sich anmaßen dürfen, wenngleich sie ebenfalls von der Gemeinheit Nutzen gezogen haben sollten.«
Am 25. Juni 1822 wurde eine »Gemeinheits- und Markentheilungsordnung für das Fürstentum Osnabrück« erlassen.277 Die Verordnung wurde 1835 auf das Herzogtum Ahrenberg-Meppen und die Grafschaft Bentheim, 1838 auf die Grafschaft Lingen erstreckt.278 Am 26. Juli 1825 wurde die »Ordnung über die Teilung der Allmenden und Verkoppelung der zerissenen Felder für die Herzogtümer Bremen und Verden« verkündet279, die schon in ihrem Titel deutlich machte, dass die Gemeinheitsteilung und die Verkoppelung notwendig zusammengehörten. Am 30. Juni 1842 wurde schließlich das »Gesetz über die Zusammenlegung der Grundstücke oder die Verkoppelung« erlassen280, das für das gesamte Königreich Hannover galt und auch Ostfriesland, das Land Hadeln und den Oberharz einschloss, die bisher von keinen gesetzlichen Bestimmungen erfasst wurden.
II.
Verkoppelungen
Bei K. H. Schneider/H. H. Seedorf lesen wir: »Bei der Verkoppelung galt es zunächst einmal, das undurchsichtige Besitzparzellengefüge und das Netz der vielfältigen Berechtigungen und Gewohnheiten zu entwirren, bevor man an eine Neuverteilung denken konnte. Weit sorgfältiger als in den Gemeinheiten mußten hier die kartographische Bestandsaufnahme der Besitzverhältnisse sowie die Abgrenzung der Böden nach Güteklasse erfolgen. […] Nach dieser eingehenden Bestandsaufnahme, die sich oft über Jahre hinzog, wurde ein neues, geradeliniges Wege- und Grabennetz entworfen und abgesteckt. Jeder sollte seinen Acker direkt erreichen können und nicht mehr auf Wegerechte über Nachbargrundstücke angewiesen sein. Jeder sollte auch die Möglichkeit erhalten, seinen Acker oder seine Wiese bei Bedarf entwässern zu können. Entsprechend mußte das öffentliche Grabennetz ausgebaut werden. Außerdem wurde geprüft, ob die vorhandenen Was277 Hann. GS 1822, S. 219; abgedr. auch bei Th. Walbaum, Zusammenstellung der LandesOeconomie-Gesetze, S. 88ff. 278 Vgl. Th. Walbaum, Zusammenstellung der Landes-Oeconomie-Gesetze, S. 130ff. 279 Hann. GS 1825, S. 223. 280 Hann. GS 1842, S. 131; 145.
114
Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen
serläufe zur Wiesenbewässerung geeignet seien. Wenn das der Fall war, sah man an den Bächen Wiesenflächen vor. Bei der Zuteilung an die einzelnen Besitzer wurde weitgehend nach folgenden Richtlinien verfahren: 1. Ausweisung möglichst großer und zusammenhängender Flächen, 2. Zuteilung von Grundstücken gleicher Art und Güte wie die abgetretenen, 3. Berücksichtigung der Hofentfernung zu den Grundstücken, die neue sollte nicht größer sein als die frühere, 4. Abfindung kleinerer Anbauer möglichst in der Nähe ihres Anwesens, 5. Beibehaltung bisher bestehender größerer Besitzblöcke.«281
Die Autoren führen aus, dass die landwirtschaftlich genutzte Fläche der Höfe vielfach aus 50 und mehr Teilstücken bestand, die über die ganze Gemeindefläche zerstreut lagen. Entsprechend waren lange Wege zurückzulegen, um die Äcker zu bestellen und abzuernten, wobei vielfach Wegerechte über andere Grundstücke eingeräumt werden mussten. Nicht wenige der Felder waren nur zehn Meter breite Streifen, die von Nachbargrundstücken begrenzt wurden.282
III.
Exkurs: Gemeinheitsteilung und Verkoppelung in der Gemeinde Albstedt
Karl Heinz Schneider und Hans Heinrich Seedorf ist es zu verdanken, dass wir über eine vollständige Übersicht über die Gemeinheitsteilung und Verkoppelung in einem hannoverschen Dorf verfügen. Albstedt war ein zum Amt Hagen gehörendes Dorf, das 1848 160 Einwohner zählte. Die von 1839 bis 1855 durchgeführte Gemeinheitsteilung und Verkoppelung283 betraf insgesamt 31 Grundstückseigentümer mit insgesamt 3.188 Morgen Grundbesitz. Die Grundstückseigentümer sind nach Bauernklassen (Vollhöfner, Halbhöfner, Flugkötner, Handkötner, Brinksitzer284, Häuslinge) aufgeführt und ihr Grundbesitz in Ackerland, Angerweide, Heide und Moor gegliedert. Dabei fällt auf, dass den Bauernklassen nicht notwendig die Größe des Grundbesitzes entsprach, die Halbhöfner vielmehr im Einzelfall mehr Ackerland besaßen als die Vollhöfner. Der größte Grundbesitz (Vollhöfner Lüer Tietjen) betrug 51 Morgen Ackerland, der geringste 2,4 Morgen (Häusling Wilken Mertens). Der Besitz der Handkötner 281 So K. H. Schneider/H. H. Seedorf, Bauernbefreiung und Agrarreformen in Niedersachsen, S. 91f. 282 So K. H. Schneider/H. H. Seedorf, Bauernbefreiung und Agrarreformen in Niedersachsen, S. 92. 283 K. H. Schneider/H. H. Seedorf, Bauernbefreiung und Agrarreformen in Niedersachsen, S. 98f. 284 Das Beispiel der Gemeinde Albstedt zeigt, dass die Brinksitzer nicht notwendig zur unterbäuerlichen Schicht gehörten, sondern durchaus über Grundbesitz verfügen konnten.
115
Exkurs: Gemeinheitsteilung und Verkoppelung in der Gemeinde Albstedt
(Wilhelm Rechten, Hinrich Oldenbüttel) lag bei jeweils 15 Morgen. Die Brinksitzer verfügten über 10–20 Morgen Ackerland. Die Häuslinge hatten keinen Grundbesitz. Zu dem Ackerland traten Heideflächen, die wenige Morgen betrugen. Dazu kam ein Stück Moor, das im äußersten Fall einen halben Morgen groß war. Das Moor, das 45 Morgen umfasste, war fast vollständig im Besitz der Gemeinde und unterfiel der Gemeinheitsteilung. Das Gleiche galt für die Heidefläche, die 2.175 Morgen umfasste. Insgesamt standen 2.571 Morgen an Gemeinheiten zur Verteilung an. In dem »Rezeß, die Specialtheilung und Verkoppelung der Dorfschaft Albstedt« aus dem Jahr 1855, der die Quelle für Schneider/Seedorf bildet, sind die Zahlen vor und nach der Gemeinheitsteilung gegenübergestellt. So wuchs der Grundbesitz des Vollhöfners Johann Henje von 48 auf 231 Morgen, von denen der Hauptteil (137 Morgen) auf Heide entfiel. Der Vollhöfner Lüer Tietjen, der vor der Gemeinheitsteilung über 54 Morgen verfügte, kam auf 210 Morgen. Der Brinksitzer Hinrich Specketer, der vor der Gemeinheitsteilung 15 Morgen besaß, erhielt mehr als 100 Morgen Heidefläche und verfügte nach der Gemeinheitsteilung über 125 Morgen an Grundbesitz. Auch andere Brinksitzer hatten Anteil an der Gemeinheitsteilung, wenn auch in geringerem Maße. Die Häuslinge wurden mit wenigen Morgen Heidefläche abgefunden, so dass der Rezeß zugleich ein Spiegelbild der Sozialstruktur der Dorfschaft darstellt.285 Nach der im Jahr 1855 abgeschlossenen Gemeinheitsteilung und Verkoppelung blieben der Dorfschaft nur 22 Morgen Ackerland, 17 Morgen Angerweide, 156 Morgen Heideland und 0,8 Morgen Moor. Die ursprünglich 2.571 Morgen an Gemeinheiten waren damit auf 196 Morgen reduziert, so dass deutlich mehr als 90 % der Gemeinheiten in das Eigentum der Grundbesitzer übergingen. Mit der Einbeziehung der Heideflächen in die Gemeinheitsteilung war auch die Erwartung verbunden, dass diese kultiviert würden. Dass hierfür längere Zeiträume erforderlich waren, zeigt eine Übersicht der Bodennutzung in der Gemeinde Albstedt in den Jahren 1855 und 1965. Jahr EinGemein- Siedlungswohner defläche fläche (Dorf) 1855 155 910 15
Acker- Grünland Wald- Unkultivierte land fläche Heide und Moore 145 92 25 633
1965 350 950 22 (Flächenangaben jeweils in Hektar)
246
440
160
82
286
285 Zu vermerken ist die Namensgleichheit zwischen dem Häusling Caspar Hinrich Seedorf mit dem Mitverfasser des Werkes. 286 K. H. Schneider/H. H. Seedorf, Bauernbefreiung und Agrarreformen in Niedersachsen, S. 99.
116
Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen
Albstedt ist nach der Gebietsreform eine Ortschaft der Gemeinde Hagen im Bremischen (Landkreis Cuxhaven) mit 416 Einwohnern und einer Fläche von – unverändert – 9,5 Quadratkilometern. Nur wenige Einwohner Albstedts sind noch in der Landwirtschaft tätig.287
287 So K. H. Schneider/H. H. Seedorf, Bauernbefreiung und Agrarreformen in Niedersachsen, S. 99.
Neuntes Kapitel: Staatsverfassung und Agrarverfassung
I.
Stufen der Verfassungsgebung im Königreich
1.
Das Patent vom 7. Dezember 1819
Mit dem am 7. Dezember 1819 vom Prinzregenten erlassenen »Patent, die Verfassung der allgemeinen Stände-Versammlung des Königreichs betreffend«288 erlangte das Königreich erstmals eine für alle Provinzen geltende Verfassung. Genau genommen handelte es sich nicht im eigentlichen Sinne um eine Staatsverfassung, weil wesentliche Regelungsgegenstände einer solchen ungeregelt blieben. So blieb die entscheidende Frage des Wahlrechts offen; auch wurde das Verhältnis der Allgemeinen Stände-Versammlung zu den Provinziallandständen nicht näher bestimmt. Die Stellung des Königs blieb vorkonstitutionell; Grundrechte oder rechtsstaatliche Einrichtungen enthielt das Patent nicht.289 Die Erste Kammer setzte sich aus den Prälaten und der Ritterschaft zusammen und war ausschließlich mit Adeligen besetzt, die teils gewählt, teils persönlich berechtigt waren. Die Zweite Kammer repräsentierte die Städte. Gewählt wurden die Deputierten von den Magistraten (§ 5 des Patents), so dass die Bürger nicht unmittelbar beteiligt waren. Neben der Repräsentation der Städte sollte auch das freie Bauerntum durch Abgeordnete vertreten werden. Weil eine Einigung über deren Auswahl nicht gelang, zog erst 10 Jahre nach Erlass des Patents der erste bäuerliche Vertreter in die Allgemeine Ständeversammlung ein. Die Vertretung der freien Bauern bedeutete jedoch nicht, dass die Verfassung ihren altständischen Charakter eingebüßt hätte. Der Bauernstand war lediglich staatsrechtlich anerkannt worden.290
288 Hann. GS 1819, S. 135. 289 Zur Geschichte der Ständeversammlung ausführlich G. A. Grotefend, Geschichte der allgemeinen landständischen Verfassung des Königreichs Hannover in den Jahren 1814–1848, 1857. 290 Vgl. J. Ipsen, Macht versus Recht, S. 12 m.w.N.
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Staatsverfassung und Agrarverfassung
Das Patent von 1819 war seiner Natur nach ein Organisationsedikt, das zum einen ein für das ganze Königreich zuständiges Organ schuf, zum anderen dessen Zuständigkeiten – wenn auch unscharf – von denen der Provinziallandschaften abgrenzte. Der Prinzregent behielt sich vor, das Patent jederzeit zu ändern, was insofern folgerichtig war, als es auch ohne Zustimmung der Provisorischen Ständeversammlung zustande gekommen war. Die Konstruktion des Zwei-Kammer-Systems bewirkte, dass der Regierung der größte Einfluss zukam. Während sich die Erste und Zweite Kammer bekämpften und gegenseitig blockierten, war es die Regierung, die die Entscheidungen in der Sache traf.291 Allerdings wurden in der Ständeversammlung grundlegende Fragen der Zeit erörtert. Da Mitgliedern der Zweiten Kammer ein Initiativrecht für Gesetze fehlte, richteten sich die Beschlüsse an die Regierung mit der Aufforderung, ihrerseits eine Initiative zu ergreifen. Ein Beispiel hierfür ist der Antrag Stüves vom 16. Februar 1829, der in der Zweiten Kammer einstimmig angenommen wurde, an der Haltung der Ersten Kammer aber scheiterte.292 Entgegen der Einschätzung von Ernst Rudolf Huber, das Patent von 1819 sei ein Kompromiss zwischen ständestaatlicher Verfassung und Repräsentativsystem gewesen293, war der korporative Charakter vorherrschend, so dass von einer Repräsentation der Bevölkerung des Königreichs keine Rede sein konnte. Begünstigt wurde die Ablösungsgesetzgebung durch die Ablösung des Grafen von Münster als Leiter der Deutschen Kanzlei in London und die Einsetzung des Bruders des Königs Wilhelm IV., Adolf Friedrich, Herzog von Cambridge, als Vizekönig des Königreichs im Februar 1831.
2.
Die Zusammensetzung der Ständeversammlung im Jahr 1832
Die Erste Kammer umfasste insgesamt 51 Mitglieder, von denen 16 persönlich berechtigt waren oder aufgrund ihres Amtes der Ständeversammlung angehörten. Hierzu gehörten die Herzöge von Arenberg-Looz und Corswaren und von Bentheim. Von Amts wegen waren u. a. der Erbmarschall des Königreichs – Graf von Münster –, der Generalpostmeister, der Abt von Loccum, der Bischof von Hildesheim und der Präsident des Ober- und Schatzkollegiums – von Schele – Mitglieder der Ersten Kammer. Die anderen 35 Mitglieder wurden von den Ritterschaften des Königreichs – gestuft nach deren Bedeutung – entsandt. So entfielen auf die Lüneburgische Ritterschaft sieben Deputierte, während die Meppensche, Lingensche und 291 Vgl. nur. J.C.B. Stüve, Die gegenwärtige Lage des Königreichs Hannover, S. 58. 292 Vgl. oben S. 100. 293 So E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte II, S. 86.
Die Zusammensetzung der Ständeversammlung
119
Emsbürensche Ritterschaft nur mit einem Deputierten vertreten war. Auf eine kurze Formel gebracht, repräsentierte die Erste Kammer den Hannoverschen Adel in seiner regionalen Verteilung. Die Zweite Kammer umfasste 75 Mitglieder, von denen 45 von den Städten und weitere 30 von den einzelnen Provinzen entsandt wurden. Von Amts wegen gehörten die Mitglieder des Schatzkollegiums – Eichhorn und Stüve – der Zweiten Kammer an. Die Städte entsandten entweder ihre Bürgermeister – die Stadt Hannover den Stadtdirektor Rumann –, leitende Beamte oder angesehene Bürger. So begegnet uns für die Stadt Alfeld der Advokat Weinhagen, der späterhin in den Revolutionstagen eine zweifelhafte Rolle spielen sollte.294 30 Deputierte der Zweiten Kammer repräsentierten die früheren Provinzen, wiederum abgestuft nach deren Größe. Hier fanden sich als Berufsbezeichnungen Vollmeier neben Postverwaltern, Hofbesitzer neben Halbhöfnern und der »Colonus« neben dem Hausmann. Der »dritte Stand«295 von Ostfriesland sollte durch fünf Deputierte vertreten sein, nahm aber nicht alle Mandate wahr.
II.
Die Zusammensetzung der Ständeversammlung nach Inkrafttreten des Staatsgrundgesetzes
Mit dem Grundgesetz des Königreichs vom 26. September 1833296 trat das Königreich Hannover in den Kreis der konstitutionellen Staaten ein. Das Grundgesetz enthielt alle Bestimmungen, die die Verfassungen des Konstitutionalismus als Kompromiss zwischen Absolutismus und dem heraufziehenden Parlamentarismus kennzeichneten.297 Das Königreich war weiterhin eine Monarchie, indes waren die Rechte der Ständeversammlung im Vergleich zum Patent von 1819 deutlich ausgedehnt. Alle Gesetze, die das Königreich insgesamt betrafen, bedurften der Zustimmung der Allgemeinen Ständeversammlung (§ 85 StGG). Im Patent von 1819 war die Ständeversammlung lediglich »zu Rathe« zu ziehen.298 Das Zustimmungsrecht wurde ergänzt durch das Recht, »auf Erlassung neuer oder abändernder Gesetze sowohl überhaupt anzutragen, als zu dem Ende Gesetzentwürfe vorzulegen« (§ 88 StGG). Die Zusammensetzung der Ständeversammlung war bis ins Einzelne geregelt, wobei die Erste Kammer eine Adelskammer blieb, die zum Teil aus persönlich berechtigten Mitgliedern, zum Teil aus von den Ritterschaften gewählten De294 Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J.C.B. Stüves, S. 123f. 295 Zur Zusammensetzung der Ständeversammlung nach H. A. Oppermann, Zur Geschichte des Königreichs Hannover I, S. 321f. 296 Hann. GS 1833, S. 286. 297 Hierzu E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte III, S. 4f. 298 § 6 Satz 2: »Recht auf Zuratheziehung«.
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Staatsverfassung und Agrarverfassung
putierten bestand. Die Zweite Kammer blieb eine Vertretung der Korporationen, insbesondere der Städte und Flecken, die 37 Deputierte entsandten (§ 98 Nr. 6 StGG). Hinzu traten 38 Deputierte der »sämmtlichen Grundbesitzer und aus den unter No. 6. nicht aufgeführten Städten und Flecken, aus den Freien und dem Bauernstand«, die auf die einzelnen Provinzen verteilt wurden (§ 98 Nr. 7 StGG). Für sämtliche Deputierten wurde als Voraussetzung ihrer Wählbarkeit ein jährliches Mindesteinkommen festgelegt, das zwischen 300 Talern (übrige Grundbesitzer) und 1000 Talern (gewerbliche Einnahmen) schwankte. Als Wahlmodus war die absolute Stimmenmehrheit von Wahlmännern nach Maßgabe besonderer Vorschriften vorgesehen (§ 101 StGG). Die Zusammensetzung der Ständeversammlung, die nach den Wahlen am 5. Dezember 1833 einberufen wurde, unterschied sich nur wenig von der vorherigen. Die Erste Kammer blieb bis auf wenige Ausnahmen eine reine Adelskammer und repräsentierte neben den persönlich berechtigten Mitgliedern den hannoverschen Landadel und die in Adelshand stehende Verwaltung. Die Zweite Kammer teilte sich in die Deputierten der Städte, unter denen die Namen Rumann und Stüve hervorstachen, und die nicht zur Ritterschaft gehörenden – folglich bäuerlichen – Grundbesitzer. Diese wählten allerdings nicht stets ihresgleichen, sondern vielfach Amtsträger, die ihr Vertrauen genossen.299
III.
Die Hannoversche Verfassung von 1840
Am 6. August 1840 erließ König Ernst August das »Landesverfassungs-Gesetz für das Königreich Hannover«.300 Nach nahezu drei Jahren verfassungsloser Zeit verfügte das Königreich nunmehr wieder über eine Verfassung, deren Bezeichnung als »Landesverfassungs-Gesetz« den Unterschied zu dem am 26. September 1833 erlassenen »Grundgesetz des Königreichs« verdeutlichen sollte. Äußerlich waren die Unterschiede zwischen dem Staatsgrundgesetz und der schließlich erreichten Fassung des Landesverfassungs-Gesetzes weniger gravierend, als man es nach dem Gewaltakt des Staatsstreichs und den quälenden Verhandlungen mit den Ständen hätte annehmen sollen.301 Berücksichtigt man jedoch die Vorgeschichte und das Zustandekommen des Landesverfassungs-Gesetzes, so ergeben sich so deutliche Unterschiede, die sich nur als Rückfall in ein absolutistisches Regime deuten lassen.302Insofern eignet sich die Verfassung von 1840 nicht zu dem hier unternommenen Versuch, die Beziehung zwischen der jeweiligen 299 Das Verzeichnis der Mitglieder der Fünften Allgemeinen Ständeversammlung findet sich bei H. A. Oppermann, Zur Geschichte des Königreichs Hannover I, S. 361. 300 Hann. GS 1840, S. 151, das am folgenden Tag in Kraft trat. 301 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte II, S. 114. 302 Vgl. hierzu J. Ipsen, Macht versus Recht, S. 302ff.
Verfassungsänderung und Zusammensetzung der Ständeversammlung
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Agrarverfassung und der Staatsverfassung herzustellen. Die Mitglieder der Sechsten Allgemeinen Ständeversammlung waren unter Repressalien gewählt worden, die Beschlussfähigkeit der Zweiten Kammer nur mit erheblichem Druck erreicht worden. Das bei Oppermann überlieferte Verzeichnis lässt bezeichnenderweise viele Lücken erkennen.303
IV.
Verfassungsänderung und Zusammensetzung der Ständeversammlung in Zeiten der Revolution
1.
Die Einsetzung des März-Ministeriums
Das Königreich Hannover blieb von der deutschen Revolution des Jahres 1848 nicht unberührt. Im Gegensatz zu Preußen und den süddeutschen Staaten kam es allerdings nicht zu gewaltsamen Erhebungen, sieht man von dem Hildesheimer Aufstand ab, der ein unblutiges Ende fand.304 Der im Wesentlichen friedliche Verlauf war auf einen Wechsel in der Staatsführung zurückzuführen, die mit dem Rücktritt des Kabinettsministers Falcke305 ermöglicht wurde. Die Einsetzung des sogenannten »März-Ministeriums«, in dem Stüve das Amt des Innenministers übernahm, ließ die Bereitschaft des Königs erkennnen, auf die in der Öffentlichkeit erhobenen »März-Forderungen« einzugehen.306 Stüve verfolgte als verantwortlicher Minister und »Kopf« des Kabinetts307 einen entschiedenen Reformkurs, betrachtete aber gleichzeitig die Regierung als Garanten der Ordnung.308
2.
Die Revision des Landesverfassungs-Gesetzes
Das Landesverfassungs-Gesetz war – obwohl letztlich von der Ständeversammlung beschlossen – ein Ergebnis des Staatsstreichs vom 1. November 1837, mit dem der König das Staatsgrundgesetz aufgehoben hatte.309 Es hätte allerdings Stüves Überzeugung von dem Erfordernis strikter Verfassungsmäßigkeit der Reformmaßnahmen widersprochen, seinerseits die Aufhebung des Landesver303 Vgl. H. A. Oppermann, Zur Geschichte des Königreichs Hannover I, S. 381. 304 Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J. C. B. Stüves, S. 123. 305 Georg Friedrich (von) Falcke (1783–1850), Jurist, geheimer Kabinettsrat, von 1844–1848 Kabinettsminister. 306 Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J. C. B. Stüves, S. 114. 307 So E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte II, S. 538. 308 Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J. C. B. Stüves, S. 119ff. 309 Vgl. J. Ipsen, Macht versus Recht, S. 179ff.
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Staatsverfassung und Agrarverfassung
fassungs-Gesetzes zu betreiben.310 Stüve nutzte vielmehr die Bestimmungen des Landesverfassungs-Gesetzes über Verfassungsänderungen – § 180 – aus, die folgenden Wortlaut hatten: »Abänderungen der Verfassungs-Urkunde können nur unter Zustimmung des Königs und der allgemeinen Stände-Versammlung getroffen werden. Es kann darüber in der allgemeinen Stände-Versammlung nur bei Anwesenheit von wenigstens drei Viertheilen der zum regelmäßigen Erscheinen verpflichteten Mitglieder jeder Cammer abgestimmt werden. Ein ständischer Beschluß, durch welchen die Verfassungs-Urkunde abgeändert werden soll, ist nur dann gültig, wenn derselbe e n t w e d e r in der schließlichen Abstimmung einhellig gefasst o d e r wenn derselbe auf zwei nacheinander folgenden Landtagen jedes Mal von wenigstens zwei Drittheilen der anwesenden Mitglieder jeder Cammer in schließlicher Abstimmung genehmigt wird. Abänderungen des Wahlgesetzes unter Geschäfts-Ordnung der Allgemeinen StändeVersammlung können unter den für andere Gesetze bestehenden Formen, jedoch nur unter Zustimmung der allgemeinen Stände-Versammlung getroffen werden.«
Stüve gelang es, in beiden Kammern die Zustimmung zu einem »Gesetz, die Aufhebung des §. 180 des Landesverfassungs-Gesetzes betreffend« zu erwirken, das am 10. April 1848 mit dem folgenden Wortlaut verkündet wurde: »Nachdem es nothwendig erachtet ist, die Bestimmungen des §. 180 des Landesverfassungs-Gesetzes vom 6ten August 1840 abzuändern, so verordnen Wir, auf einhellig beschlossene Zustimmung Unserer getreuen Stände wie folgt: 1. Der §. 180 des Landesverfassungs-Gesetzes vom 6ten August 1840 und der §. 68 der Geschäftsordnung für die allgemeinen Stände des Königreichs vom 4ten September 1840 werden hiemit aufgehoben. 2. Abänderungen der Verfassungs-Urkunde, des Wahlgesetzes und der Geschäftsordnung können in Zukunft unter den für andere Gesetze bestehenden Formen, jedoch nur unter Zustimmung der allgemeinen Stände-Versammlung getroffen werden.«311
Damit war einerseits die Geltung des Landesverfassungs-Gesetzes bestätigt und trotz möglicher Einwände gegen sein Zustandekommen nicht etwa das Staatsgrundgesetz von 1833 wieder in Kraft gesetzt worden. Andererseits waren die Voraussetzungen für Verfassungsänderungen – einfache Mehrheit in beiden Kammern und Zustimmung des Königs – so herabgesetzt worden, dass grundlegende Änderungen der Verfassung ermöglicht wurden. Es war dem staatsmännischen Geschick Stüves zu verdanken, dass in den Märztagen des Jahres
310 Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J. C. B. Stüves, S. 117f. 311 Das Gesetz wurde vom König unter Gegenzeichnung von Stüve verkündet (Hann. GS 1848, S. 99).
Verfassungsänderung und Zusammensetzung der Ständeversammlung
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1848 der Weg zu einer Umgestaltung des Königreichs eröffnet wurde, ohne dass es hierzu eines revolutionären Aktes bedurft hätte.
3.
Die Änderungen des Landesverfassungs-Gesetzes
Am 5. September 1848 wurde das »Gesetz, verschiedene Änderungen des Landesverfassungs-Gesetzes betreffend« verkündet.312 Die Bezeichnung ließ nicht erkennen, dass die Änderungen nicht nur den Rechtszustand vor dem Staatsstreich des Jahres 1837 materiell wiederherstellten, sondern weit darüber hinausgingen. Zum einen wurden Vorkehrungen dagegen getroffen, dass ein Staatsstreich dieser Art sich hätte wiederholen können. Durch § 14 des Landesverfassungs-Gesetzes wurde nunmehr bestimmt, dass der Thronfolger die Regierung des Königreichs durch ein Patent antrete, »durch welches er bei seinem königlichen Worte die unverbrüchliche Festhaltung der Verfassung verspricht.« Der Staatsstreich war dadurch eingeleitet worden, dass der König die Regierung antrat, ohne in seinem Antrittspatent die Verfassung anerkannt zu haben.313 Überdies wurde das Recht des Königs eingeschränkt, die Ständeversammlung nach dem Thronwechsel aufzulösen.314 Auch die »Rechte der Unterthanen« wurden ergänzt und unter anderem die Pressefreiheit sowie die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit gewährleistet. Neu war auch die Bestimmung, dass »alle Vorzüge der Geburt, unbeschadet der Privatrechte« aufgehoben wurden.315 Eine entscheidende Änderung betraf die Zusammensetzung der Ersten Kammer, die nach den bisherigen Verfassungen – bis auf wenige Ausnahmen – eine reine Adelskammer gewesen war. Zwar blieb es bei persönlichen Mitgliedschaften der mediatisierten Herzöge, Fürsten und Grafen; an die Stelle der von den Ritterschaften zu wählenden Mitglieder traten aber nach § 36 Nr. 7 des Gesetzes 33 Abgeordnete der größeren Grundeigentümer, die nach dem Grundsteuerertrag auf die verschiedenen Provinzen zu verteilen waren. Hierzu wurden 33 Wahlbezirke gebildet, in denen je ein Abgeordneter zu wählen war. Zu den 33 Abgeordneten der Grundeigentümer traten 10 Abgeordnete für Handel und Gewerbe (Nr. 8), 10 Abgeordnete der Kirchen und Schulen (Nr. 9) und 4 Abgeordnete »des Standes der Rechtsgelehrten« (Nr. 10). Damit hatte die Erste Kammer ihre Eigenschaft als Adelskammer eingebüßt. Selbst wenn unter den 312 313 314 315
Hann. GS 1848, S. 261. Vgl. im Einzelnen J. Ipsen, Macht versus Recht, S. 100ff. Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J.C.B. Stüves, S. 132f. So Hann. GS 1848, S. 262.
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Staatsverfassung und Agrarverfassung
33 Abgeordneten der Grundeigentümer noch Adelige vertreten waren, so bildeten die bäuerlichen Grundbesitzer zusammen mit den nach § 36 Nr. 8–10 zu wählenden Abgeordneten doch stets die Mehrheit. Der Sohn des inzwischen verstorbenen Urhebers des Staatsstreichs und früheren Kabinettsministers Georg von Schele, Eduard von Schele, erkannte die Absicht Stüves, aus der Ersten Kammer statt einer Vertretung des Adels eine Vertretung der Grundeigentümer zu machen und sah darin nichts anderes als » e i n e A u f h e b u n g d e s A d e l s ; d e n n d e r A d e l s e i e i n b e vo r r e c h t e t e r S t a n d , n u r m i t Vo r r e c h t e n k ö n n e d e r A d e l b e s t e h e n , n e h m e m a n i h m d i e s e , s o b l i e b e n i c h t s a l s d e r N a m e , e i n l e e r e s N i c h t s . « 316
Eben dies war Stüves Absicht gewesen. Die ritterschaftlichen Güter machten im Königreich insgesamt etwa 5 % des Grundeigentums aus317, so dass die dominierende Stellung der Ritterschaften in der Ersten Kammer nur auf deren adeliger Herkunft beruhte. Eine solche Bestimmung ließ sich angesichts der Ereignisse des Jahres 1848 nicht mehr halten, so dass sich allein die Frage stellte, wie das aktive und passive Wahlrecht zur Ersten Kammer zu gestalten sei. Stüve bevorzugte einen geringeren Zensus, während der Adel einen Zensus wünschte, der garantierte, dass Mitglieder der Ritterschaften gewählt würden.318 Stüve hatte stets das Bild des englischen Landadels vor Augen, der aufgrund seiner Tradition und Lebenshaltung eine hervorgehobene Stellung auf dem flachen Land einnahm. Schließlich war es zu einer Verständigung der Art gekommen, dass aufgrund des Grundsteueraufkommens 4.500 Grundeigentümern das aktive Wahlrecht zukam, darunter 700 Eigentümern von Rittergütern.319
4.
Aktives und passives Wahlrecht zur Ständeversammlung
Das aktive Wahlrecht zur Ersten Kammer richtete sich nach dem Grundsteueraufkommen des jeweiligen Wahlbezirks (§ 36 Nr. 7 LV-G). Wahlberechtigt waren regelmäßig 150 Grundeigentümer, die die höchste Grundsteuer zahlten. Wurde ein jährlicher Betrag von 50 Talern jährlich von mehr als 150 Grundeigentümern entrichtet, waren sämtliche Grundeigentümer wahlberechtigt. Differenzierte Regelungen waren auch vorgesehen, wenn in einem Wahlbezirk nicht mindestens 150 Grundeigentümer mehr als 30 Taler jährlich an Grundsteuer zahlten. Für die Abgeordneten aus Handel und Gewerbe, der Kirche und Schule und der 316 Zitiert nach H. A. Oppermann, Zur Geschichte des Königreichs Hannover II, S. 47. 317 Vgl. U. Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover, S. 88; so schon G. Stüve, J. C. B. Stüve II, S. 14f. 318 Hierzu G. Stüve, J.C.B. Stüve II, S. 15. 319 So G. Stüve, J.C.B. Stüve II, S. 17.
Verfassungsänderung und Zusammensetzung der Ständeversammlung
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Rechtsgelehrten wurden durch das »Gesetz über die Wahlen zur allgemeinen Ständeversammlung« vom 26. Oktober 1848320 besondere Bestimmungen getroffen. Das aktive Wahlrecht zur Zweiten Kammer kam allen »wohnberechtigten männlichen Einwohner[n] der Gemeinde« zu, die älter als 25 Jahre alt waren. Ausgeschlossen vom Wahlrecht waren Einwohner, die in Kost und Lohn eines Anderen standen, zu den direkten Landessteuern nicht beitrugen oder den ihnen obliegenden Beitrag dazu im letzten Jahr nicht entrichtet hatten (§ 42 LV-G). Wählbar zur Zweiten Kammer waren alle wahlberechtigten Landeseinwohner (§ 43 LV-G). Die 10. Ständeversammlung, die aufgrund der geänderten Verfassung und des neuen Wahlgesetzes gewählt worden war, trat am 1. Februar 1849 zusammen und zeigte eine im Vergleich zu allen vorhergehenden Landtagen völlig veränderte Zusammensetzung. Die persönlich berechtigten Mitglieder – insbesondere der Erblandmarschall des Königreichs Hannover Graf Münster – waren wiederum vertreten. Von den vier vom König zu berufenden Abgeordneten gehörten zwei der Regierung an. Von den 33 Abgeordneten der größeren Grundbesitzer waren nur vier adelig, nämlich der Rittmeister von Münchhausen (3. Wahlbezirk), der Minister Graf von Bennigsen (9. Wahlbezirk), der LandCommissär von Honstedt (18. Wahlbezirk) und der Deichvorsteher von der Osten (26. Wahlbezirk). In 29 Wahlbezirken wurden wechselnd Vollmeier, Halbspänner, »Oeconomen«, Vollhöfner, Gutsbesitzer, Landwirte, aber auch Papierfabrikanten und Senatoren gewählt. Die zehn Abgeordneten für Handel und Gewerbe waren Kaufleute, Bankiers oder auch Handwerksmeister. Auch die zehn Abgeordneten der Kirche und Schule entstammten sämtlich dem Bürgertum. Nur unter den vier Abgeordneten des »Standes der Rechtsgelehrten« fand sich noch ein Adeliger, nämlich der Advokat von Wehren. Bezeichnend für den Wandel ist das Wahlergebnis im 21. Wahlbezirk der Ersten Kammer. Der Gutsbesitzer und Regierungsrat von Borries hatte sich selbst als Deputierter mit großer Erfahrung empfohlen und gleichzeitig den Wahlslogan »Wählt nur Bauern zu Deputirten« kritisiert.321 Gewählt wurde im 21. Wahlbezirk der Vollmeier Kellers. Wäre nicht der Begriff der Revolution stets als gewaltsamer Umsturz der Herrschaftsverhältnisse »von unten« zu definieren, müsste die Zusammensetzung der Ersten Kammer geradezu als revolutionär bezeichnet werden. Der frühere Minister und spätere Erblandmarschall des Königreichs Graf Münster, der nach seiner Entlassung als Leiter der Deutschen Kanzlei in London bis zu seinem Tod im Jahr 1839 stets der Ersten Kammer 320 Hann. GS 1848, S. 319. 321 Das vollständige Anschreiben ist bei H. A. Oppermann, Geschichte des Königreichs Hannover II, Anlagen, S. 79f. abgedruckt.
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Staatsverfassung und Agrarverfassung
angehört hatte, wäre sich im Kreise der bäuerlichen Grundbesitzer ziemlich einsam vorgekommen.322 Die Zweite Kammer setzte sich ausschließlich aus bürgerlichen Deputierten zusammen, sieht man vom Justizminister von Düring, der vom König ernannt worden war, ab. Die Berufsbezeichnungen der Deputierten der Zweiten Kammer weisen eine beträchtliche Spannbreite auf. So findet sich ein Schumachermeister neben einem Advokaten, ein Stadtsyndikus neben einem Posthalter. Die Deputierten der Landgemeinden wiesen ebenfalls sehr unterschiedliche Berufe auf. So findet sich ein Gastwirt neben einem Regierungsrat, ein Amtsassessor neben einem Halbmeier. Stüve hatte sich als Deputierter der Stadt Osnabrück wählen lassen, war also nicht durch den König ernannt worden und mit seinem Mandat deshalb von der Dauer des Ministeramts unabhängig. Bemerkenswert ist, dass der Advokat Weinhagen, den Stüve im April des vergangenen Jahres hatte verhaften lassen, wiederum als Deputierter der Stadt Hildesheim gewählt worden war. Als Abgeordneter des 27. Wahlbezirks im Fürstentum Osnabrück wurde der Oberappellationsrat Windthorst zum Deputierten gewählt, der in der Ständeversammlung eine bemerkenswerte politische Laufbahn begann.323
322 Vgl. hierzu H. J. Behr, Revolution auf dem Lande, Westf. Zeitschr. 150 (2000), S. 43. 323 Vgl. J. Ipsen, Das Reformwerk J.C.B. Stüves, S. 149.
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
Die für den Titel dieser Monographie gewählten Begriffe haben ihren festen Platz in der Literatur, versprechen aber für das Königreich Hannover mehr, als sie zu halten vermögen. Beide Begriffe ließen sich in Gestalt einer Kurzformel verbinden, die dahin lauten könnte, dass die Bauernbefreiung durch Abschaffung der Grundherrschaft erfolgt sei. Eine solche Formel ließe indes nicht erkennen, dass es sich bei der »Bauernbefreiung« nicht etwa um einen einmaligen, zu einem bestimmten Zeitpunkt ergangenen – womöglich revolutionären – Akt handelte, sondern um einen sich über Jahrzehnte hinziehenden Prozess, an dessen Ende ein grundlegender Wandel der Agrarverfassung stand. Die Agrarverfassung im Königreich war – unbeschadet der Unterschiede in den einzelnen Fürstentümern – durch das auf das mittelalterliche Lehnswesen zurückgehende Auseinanderfallen von Grundeigentum und Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen gekennzeichnet. Die Eigentümer – um den Begriff des »Grundherrn« an dieser Stelle zu vermeiden – konnten ganz unterschiedlicher Art sein. Wie im Vorigen dargestellt, standen die zu bewirtschaftenden Hofflächen keineswegs ausschließlich im Eigentum des Feudaladels; Eigentümer konnten in gleicher Weise Klöster, Städte oder andere Korporationen, zunehmend auch vermögende Bürger sein. Die aus dem Eigentum fließenden Rechte waren ebenfalls unterschiedlicher Art und Herkommens. Zu unterscheiden waren Abgaben – entweder Naturalabgaben oder Geldleistungen – und Dienste. Diese waren in unterschiedlichen Rechtsformen festgelegt und konnten vom Grundherrn nicht ohne weiteres erhöht werden. Allerdings gab es »ungewisse Gefälle«, die sich als besonders drückend erweisen konnten. Durch gesetzliche Bestimmungen sollte vermieden werden, dass Grundherren aufgrund ihrer privaten Bedürfnisse ständig die Abgabenlast der von ihnen abhängigen Bauern erhöhten und insofern statt eines Rechtsverhältnisses zwischen ihnen ein solches der Rechtlosigkeit bestand. Grundherren konnten zudem Gerichtsherren sein, waren dies aber nicht notwendigerweise. Die Patrimonialgerichtsbarkeit stand nach dem Herkommen den Rittergutsbesitzern zu, diese mussten aber nicht zugleich Grundherren der
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Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
Dörfer oder Höfe sein, über die sie die Jurisdiktion ausübten. Sofern es sich um »geschlossene« Patrimonialgerichte handelte, traten zur Rechtsprechung auch Verwaltungsaufgaben hinzu, so dass der Gerichtsherr auf der unteren Ebene beide Staatsfunktionen ausübte. Dass auch hierfür Abgaben von den den Patrimonialgerichten Unterworfenen zu leisten waren, versteht sich von selbst. Die Ablösung der auf den Bauerngütern lastenden Abgaben und Diensten und die zeitgleich erfolgende Aufhebung der Patrimonialgerichte sind gleichermaßen bezeichnend dafür, dass der Staat im Vordringen begriffen war. Zu den an die Grundherren zu leistenden Abgaben und Dienste traten für die Bauern die an die Gemeinde zu leistenden Abgaben und – vor allem – die vom Staat erhobenen Steuern. Staat und Grundherren konkurrierten also um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bauern, wobei der Staat insofern im Vorteil war, als die ihm zustehenden Abgaben einseitig durch Gesetz festgelegt wurden. Abgaben und Dienste waren für die abhängigen Bauern so belastend, weil sich die Erträge der von ihnen bewirtschafteten Höfe nur begrenzt steigern ließen. Zwar waren für Ernteausfälle besondere Erleichterungen vorgesehen, die der Grundherr zu gewähren hatte; es blieb aber dabei, dass der Bauer einen Teil seiner Ernte – regelmäßig Getreide – an den Grundherrn abführen musste. Weil dies Berechtigungen waren, die aus dem Eigentum folgten, dem Herkommen entsprachen und vom Grundherrn nicht einseitig erhöht werden konnten, finden sich in der zeitgenössischen Literatur keine Stellungnahmen, die das zugrundeliegende Rechtsverhältnis – insbesondere nach Meierrecht – grundsätzlich in Frage stellten. Anders sieht es mit den Diensten aus, die von den abhängigen Bauern je nach Größe der Höfe als Hand- oder Spanndienste auf den Gütern der Grundherrn zu erbringen waren. Solche Dienste beanspruchten die Arbeitskraft des Bauern, die damit in nur vermindertem Maße für die Bewirtschaftung des Hofes zur Verfügung stand. Das galt zum einen für die körperliche Beanspruchung des Bauern selbst, zum anderen – bei Spanndiensten – auch für den Einsatz der Pferde. Überdies musste der Bauer das Arbeitsgerät bei den »Frohndiensten« selbst stellen, so dass dessen Abnutzung ebenfalls zu Lasten des Hofes ging. Als Erfahrungstatsache ist seinerzeit schon festgestellt worden, dass die Produktivität landwirtschaftlicher Arbeit bei diesen Frondiensten deutlich geringer war als bei der Arbeit, die der Bauer auf seinem Hof zum eigenen Nutzen verrichtete. Es war deshalb ein aus ökonomischer Sicht zwingender Gedanke, die Dienste nicht in natura zu erbringen, sondern durch ein Dienstgeld zu ersetzen, das der Grundherr für die Beschäftigung von Tagelöhnern einsetzen konnte. Damit ist zu einer grundsätzlicheren Fragestellung übergeleitet, die Stüve frühzeitig erkannt hat, in ihrer Tragweite den Beteiligten aber kaum bewusst gewesen sein dürfte. Die grundherrlichen Lasten waren nicht allein ein Schicksal des einzelnen Bauern, dem er sich zu fügen hatte und gegen das er sich gele-
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
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gentlich auflehnte; die Produktionsbedingungen und damit die Ertragsfähigkeit der Landwirtschaftsbetriebe insgesamt stellten ein volkswirtschaftliches Problem ersten Ranges dar. Es war insofern nicht reine Philanthropie, sondern wirtschaftliches Kalkül, das zur Ablösungsgesetzgebung führte, mögen auch die Zeitläufte – die Julirevolution in Frankreich lag kaum ein Jahr zurück – für den Erlass der Ablösungsverordnung günstig gewesen sein. Die Ablösung der grundherrlichen Lasten war ein sich über mehrere Jahrzehnte hinziehender Prozess und bedeutete eine soziale Umwälzung der ländlichen Bevölkerung im Königreich. Die Bauern standen nach vollzogener Ablösung nicht mehr dem Grundherrn – in welcher Gestalt auch immer – und seinen Gehilfen als sie unmittelbar betreffende Autoritäten gegenüber; neben der Gemeinde, der sie als Korporation angehörten, trat nunmehr das Amt – und der Amtmann – als staatliche Autorität auf. Nach Aufhebung der Patrimonialgerichte stand daneben das ebenfalls staatliche Amtsgericht. Anders als in Preußen war die Ablösung der grundherrlichen Rechte in Land nur in Ausnahmefällen zulässig, so dass die Höfe in ihrem Umfang regelmäßig erhalten blieben. Der nach Ablösung freie Grundstücksverkehr auch landwirtschaftlich genutzten Bodens und – nicht zuletzt – die Gemeinheitsteilung und Verkoppelung führten überdies zu weiterer Konsolidierung der Bauernhöfe. Zwar besteht kein Anlass, eine Idylle der bäuerlichen Schicht des Königreichs zu zeichnen, denn die Ablösung der grundherrlichen Rechte war nur in einzelnen Verfahren möglich und beanspruchte insgesamt mehrere Jahrzehnte. Immerhin konnte kurz vor Untergang des Königreichs festgestellt werden, dass 75 % der gutsherrlichen Berechtigungen abgelöst waren. Die Abtragung der hierfür aufgenommenen Kredite dauerte indes noch weitere Jahrzehnte und belastete auch fernere Generationen. Bisher ist allein von den Bauern – also von der landbesitzenden, nicht adligen Bevölkerungsschicht – die Rede gewesen. Die unterbäuerlichen Schichten – Heuerleute, Häuslinge, Brinksitzer oder wie auch immer sie genannt wurden – hatten keine so wirkmächtige Stimme gefunden wie Stüve sie für die abhängigen Bauern erhob. Die von christlicher Verantwortung geprägte Schrift des Pastors Funke über die Lage der Heuerleute im Fürstentum Osnabrück324 war ein Einzelfall am Vorabend revolutionärer Ereignisse. Das Gutachten von Jacobi und Ledebur war weniger ein empathischer Appell an die Öffentlichkeit als eine Zusammenstellung konkreter Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft. Als gesetzgeberische Maßnahme ist die Aufhebung des Häuslings-Dienstgeldes zu erwähnen325, für das die Berechtigten eine Entschädigung aus öffentlichen Mitteln erhielten, die aber eine ganze Reihe anderer 324 Vgl. oben S. 49ff. 325 Vgl. oben S. 108.
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Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
Abgaben von Häuslingen unberührt ließen. Speziell für die Heuerleute erging noch im Oktober 1848 ein Gesetz, in dem die Verpächter verpflichtet wurden, jeweils am Tag vor der Inanspruchnahme die Heuerleute von den von ihnen zu leistenden Diensten zu benachrichtigen. Das Recht auf eine trockene und zu belüftende Wohnung dürfte auf das Gutachten von Jacobi/Ledebur zurückzuführen sein. Von weiteren gesetzlichen Maßnahmen zum Schutz der Heuerleute wird nicht berichtet, wobei die Häuslinge in den anderen Provinzen vermutlich das Schicksal der Heuerleute im Fürstentum Osnabrück teilten. Als Fazit lässt sich der Befund ziehen, dass sich neben von den nunmehr besitzenden Bauernklassen ein besitzloses Proletariat herausbildete, das sich in Abhängigkeit von eben den Bauern befand, die ihre Befreiung von der grundherrlichen Abhängigkeit erwirkt hatten oder doch bewirken konnten. Insofern stellte sich – dem Industrieproletariat der Städte vergleichbar – eine »soziale Frage« auch auf dem platten Land. Der grundbesitzende Adel blieb von den Reformmaßnahmen der Agrarverfassung zwar nicht unberührt – seine »grundherrlichen« Rechte wurden ja gerade abgelöst –, behielt aber seine dominierende Stellung im Staat. Die Erste Kammer war bis zum Änderungsgesetz vom 5. September 1848 und den nachfolgenden Wahlen zur Ständeversammlung eine reine Adelskammer gewesen und deshalb in der Lage, die Gesetze zu beeinflussen oder auch zu verhindern. Als bemerkenswert will erscheinen, dass die Ablösungsgesetze von 1831 und 1833 die Zustimmung auch der Ersten Kammer fanden und auch spätere Ablösungsgesetze von der Ständeversammlung beschlossen wurden. Hierzu wird beigetragen haben, dass die Entschädigungsregelungen für die Grundherren vorteilhaft waren und vielfach zur Sanierung verschuldeter Rittergüter beitrugen. In der Wahrnehmung der ländlichen Bevölkerung dürfte sich indes der Ablösung zum Trotz das Bild der mittelalterlichen Lehnspyramide gehalten haben, die den Landesherrn an der Spitze, den Grundadel als belehnte und die Bauern schließlich als von diesen abhängige Untertanen sahen. Aufgrund vormärzlicher Ideen und der auch das Königreich erfassten Bewegung des Jahres 1848 stellte sich die Frage, wie die verfassungsrechtliche Stellung der Ritterschaften – und damit des Grundadels – zu rechtfertigen sei. Eine solche Frage konnte sich – als eine Art Paradigmenwechsel – nur in den unruhigen Zeiten des Jahres 1848 stellen, weil in einer Monarchie dem Adel stets ein besonderes Ansehen – und sei es wegen der Nähe zum Thron – zukommt und die ländliche Bevölkerung ohnehin den Traditionen besonders verpflichtet ist. Bemerkenswert ist, dass diese Frage in der Debatte der Ständeversammlung über das Änderungsgesetz erörtert wurde und der Sohn des inzwischen verstorbenen früheren Kabinettsministers von Schele es als Wesensmerkmal des Adels ansah, dass dieser ein bevorrechtigter Stand sei. Hierin lag unverkennbar eine petitio principii, denn es stellte sich ja gerade die Frage, warum dem Adel diese Privi-
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
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legien zukamen. Waren sie im Mittelalter durch die dem König geschuldeten Dienste gerechtfertigt, so konnten sie hiermit in der Neuzeit schwerlich begründet werden. In Betracht kam deshalb allein der Grundbesitz des Adels – also die Rittergüter –, der jedoch nur einen geringen Prozentsatz des agrarisch genutzten Bodens des Königreichs ausmachte. Insofern konnte die Zusammensetzung der Ersten Kammer als Adelskammer nicht damit begründet werden, dass die Ritterschaften – als vorschlagsberechtigte Körperschaften in den Fürstentümern – die Rittergüter und damit den Grundbesitz des Adels repräsentierten. Es entsprach vielmehr der Logik, den Grundbesitz, nicht aber die Zugehörigkeit zu einer Ritterschaft zum Maßstab für die Mitgliedschaft in der Ersten Kammer zu wählen. Hierin lag der eigentliche revolutionäre – gleichwohl gewaltfreie – Akt des Jahres 1848 im Königreich Hannover: die Umwandlung der Ersten Kammer der Ständeversammlung von einer Adelskammer in eine solche des (größeren) Grundbesitzes. In ihrer alten Zusammensetzung konnte die Erste Kammer offenbar nicht riskieren, diese grundlegende Reform abzulehnen, denn noch war das Schicksal der deutschen Revolution nicht entschieden. Das Ergebnis dieser Verfassungsänderung ist im Vorigen dargestellt worden: Nur noch vier der 33 gewählten Grundbesitzer gehörten dem Adel an, während 29 Mitglieder den bäuerlichen Grundbesitz repräsentierten. Auf eine kurze Formel gebracht, repräsentierte die Zweite Kammer das Bürgertum, die Erste Kammer die grundbesitzenden Bauern. Das Landesverfassungs-Gesetz hatte sich damit von einer ständischen Verfassung zu einer Repräsentativverfassung gewandelt. Die Zusammensetzung der Ersten Kammer war – wie die Verfassung des Jahres 1848 insgesamt – nicht von Dauer. Nachdem Bestrebungen zu einer Verfassungsrevision gescheitert waren, trat die Bundesversammlung auf den Plan, die von den Ritterschaften im Wege der Verfassungsbeschwerde angerufen worden war. Während die Bundesversammlung 1838 den beschwerdeführenden Korporationen die Legitimation versagt und die Verfassungsangelegenheit als innere Angelegenheit des Königreichs erklärt hatte, wurden nunmehr die Ritterschaften als zur Beschwerde legitimiert angesehen und die Verfassung nicht mehr als innere Angelegenheit des Königreichs betrachtet. Mit den Bestimmungen, die das Landesverfassungsgesetz über die Verfassungsänderung enthielt, machte man kurzen Prozess, in dem die Rückkehr zur Fassung von 1848 im Verordnungswege dekretiert wurde. Die Errungenschaften der – friedlichen – Revolution im Königreich und die Verfassungsreform Stüves gehörten damit der Vergangenheit an. Nicht revidiert wurden die Ablösungsgesetze, so dass diese Reform der Agrarverfassung und damit der Gesellschaft des Königreichs ihren Fortgang nahm und erst Jahre später abgeschlossen wurde. Das Königreich Hannover hatte indes mit der Annexion durch Preußen im Jahr 1866 zu bestehen aufgehört und fand sich als preußische Provinz wieder.
Literaturverzeichnis
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Glossar
Abmeierung Allodium, Allod Allodifikation Abbauer Anbauer Anerbe Bauerngut Bauernklassen Bauernlegen Bauernschaft Bauernschutz Besthaupt Brinksitzer
Entsetzung des Meiers vom Meiergut durch Gerichtsbeschluss Eigengut des Bauern Übertragung des Grundeigentums an den, Umwandlung eines Lehnguts in Eigentum des Bauern Abhängiger Bauer mit geringem Grundbesitz Abhängiger Bauer mit geringem Grundbesitz der unter mehreren Erben bestimmte Nachfolger des Bauernguts der wirtschaftliche Betrieb des abhängigen Bauern die nach Größe des Bauernguts eingeteilten Gruppen von Bauern Zuschlagung von Bauernstellen zum Gutsbetrieb körperschaftsähnlicher Zusammenschluss von Bauern innerhalb eines Bezirks zur gemeinsamen Willensbildung Gesetze zum Schutz abhängiger Bauern Sonderabgabe an den Grundherrn im Todesfall des Bauern Angehöriger der unterbäuerlichen Schicht mit geringem Grundbesitz
Castigatio Coercitio Custodia Colon, Colonus
Züchtigung Bestrafung Arrest abhängiger (eigenbehöriger) Bauer
Dienstgeld Domäne
Ersatz für die dem Grundherrn zu leistenden Dienste in Geld landwirtschaftlicher Betrieb des Landesherrn
Eigenbehörigkeit
Abhängigkeitsverhältnis von Bauern zum Grundherrn, das Züge der mittelalterlichen Leibeigenschaft aufweist Pacht des Bauernguts, die auf den Erben übergeht
Erbpacht, Erpächter Fideikommiss
Rechtsinstitut zur Erhaltung unteilbaren Vermögens (insbesondere des Grundbesitzes)
138 Gefälle Gemeinheit Gemeinheitsteilung Gewanne Grundherr Grundherrschaft Gutsuntertänigkeit
Glossar
Bezeichnung für Dienste, die von abhängigen Bauern dem Grundherrn zu erbringen sind Land- und forstwirtschaftliche Grundstücke zur gemeinsamen Nutzung der Bauern eines Dorfes Aufteilung der Gemeinheiten unter den Nutzungsberechtigten Ackerstück, das in Streifen aufgeteilt ist Eigentümer des abhängigen Bauern zur Bewirtschaftung überlassenen Grundbesitzes aus dem Eigentum abgeleiteten Rechte auf Abgaben und Dienste der abhängigen Bauern Abhängigkeitsverhältnis von Bauern (Hintersassen) gegenüber dem Gutsherrn, das Züge der mittelalterlichen Leibeigenschaft aufweist
Häuslinge Heuerhaus
unterbäuerliche Schicht ohne eigenen Grundbesitz Unterkunft mit dazugehörender (geringer) landwirtschaftlicher Nutzfläche Heuerling, Heuermann Angehöriger der unterbäuerlichen Schicht ohne eigenen Grundbesitz Hintersassen der Erbuntertänigkeit unterstehende Bauern in Preußen Himpten Raummaß (entspricht 31,15 Litern) Hufe Flächenmaß (entspricht 30 Morgen oder 7,5 Hektar) Kanzleisässigkeit Köter, Kötner, Kötter Kontribution Leibzucht
erstinstanzliche Zuständigkeit der Justizkanzleien für Güter regional übliche Bezeichnung für abhängige Bauern, Abstufung je nach Größe des Bauerngutes staatliche Steuer, insbesondere Grundsteuer Versorgung des abhängigen Bauern nach Aufgabe der Hofbewirtschaftung (Altenteil)
Marken, Markenteilung siehe Gemeinheit, Gemeinheitsteilung Malter Raummaß (entspricht 186,9 Litern) Meier Angehöriger der ersten Bauernklasse, Bewirtschafter eines Meierguts Meierbrief schriftlicher Vertrag zwischen Grundherrn und Meier über dessen Pflichten Meiergut, Meierhof vom Meier bewirtschaftete Ackerfläche – Vollmeier erste Bauernklasse der abhängigen Bauern – Halbmeier zweite Bauernklasse der abhängigen Bauern – Viertelmeier dritte Bauernklasse der abhängigen Bauern Meierrecht Rechtsgebiet, Zusammenfassung der in den Provinzen geltenden Meierordnungen Meierzins Abgabe an den Grundherrn, den der Meier zu leisten hat Morgen Flächenmaß (entspricht 0,26 Hektar)
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Glossar
Praestanda
Pflichtleistungen
Reihemann Reihestelle
Angehöriger einer Bauernklasse das von einem Reihemann bewirtschaftete Bauerngut
Schollenpflichtigkeit Spannfähigkeit Successio ab intestato
Bindung der erbuntertänigen Bauern an den von ihnen bewirtschafteten Hof Fähigkeit zur Leistung von Spanndiensten mit Pferden gesetzliche Erbfolge
Verkoppelung
Zusammenlegung bisher getrennter agrarischer Nutzflächen
Weinkauf
einmalige Abgabe an den Grundherrn, z. B. des Meiers bei Lösung des Meierbriefs
Zinskorn
Abgabe des Grundzinses an den Grundherrn in Getreide (Hafer)