Grundfreiheiten und Privatrecht 9783161579400, 316148357X

Torsten Körber untersucht und verdeutlicht den Einfluß der Grundfreiheiten des EG-Vertrages (Warenverkehrs-, Dienstleist

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Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
Zitierweise von EG-Vertrag und EU-Vertrag
Einleitung
A. Der Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf das nationale Privatrecht
B. Die Bedeutung des nationalen Privatrechts für die Gemeinschaft
C. Koordinations- und Kompetenzproblem
D. Zusammenspiel und Konflikt
E. Beziehungsebenen von Grundfreiheiten und nationalem Privatrecht
F. Aufbau und Ziele dieser Studie
1. TEIL Grundfreiheiten und Privatrecht im System des Binnenmarktes
1. Abschnitt Der Europäische Binnenmarkt
§ 1 Gemeinsamer Markt und Binnenmarkt
A. Der Gemeinsame Markt in EGKS-Vertrag und EWG-Vertrag
B. Vom Gemeinsamen Markt zum Binnenmarkt
§ 2 Binnenmarkt und wettbewerbsgesteuerte Marktwirtschaft
A. Zur Wirtschaftsordnung des Binnenmarktes
B. Ausgangslage bei Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
C. Fortentwicklung durch EEA, Maastrichter und Amsterdamer Vertrag
D. Das Beispiel des Verbraucherschutzes
E. Betonung von Freiheit und Rechtssicherheit in Art. 6 Abs. 1 EU
§ 3 Verteilung der Regelungskompetenzen im Binnenmarkt
A. Kompetenzabgrenzung zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft
B. Abgrenzung der Regelungskompetenz zwischen den Mitgliedstaaten
2. Abschnitt Die Grundfreiheiten im Binnenmarkt
§ 1 Intensivierung der Integration = strengere Anwendung der Grundfreiheiten?
§ 2 Der Binnenmarkt als „Raum ohne Binnengrenzen“
A. Raum ohne Rechtsunterschiede?
B. Raum ohne Rechtsgrenzen und grenzüberschreitender Bezug
C. Ergebnis
§ 3 Binnenmarkt und Herkunftslandprinzip
A. Binnenmarkt = Herkunftslandprinzip?
B. Genese des Binnenmarktziels
C. Keine primärrechtliche Verankerung des Herkunftslandprinzips
§ 4 Der Binnenmarkt als Spielfeld des Wettbewerbs der Rechtsordnungen
A. Wettbewerb der Rechtsordnungen und Harmonisierung „von unten“
B. Immanente Grenzen des Wettbewerbs der Rechtsordnungen
C. „Race to the Bottom“ oder „Race to the Top“?
D. Wettbewerb der Rechtsordnungen oder Wettbewerb der Hersteller?
3. Abschnitt Das Privatrecht im Binnenmarkt
§ 1 Privatrecht und Internationales Privatrecht
§ 2 Elemente des binnenmarktrelevanten Privatrechts
A. Nationale Privatrechtsordnungen
B. Gemeinschaftsprivatrecht
C. Einheitsprivatrecht (Konventionsprivatrecht)
D. Lex mercatoria
E. Gemeineuropäisches Privatrecht
§ 3 Funktionen des Privatrechts im Binnenmarkt
A. Freiheitssicherung und Ermöglichung privatautonomer Transaktionen
I. Anerkennung der Rechtssubjektivität der Marktteilnehmer
II. Definition und Zuordnung verkehrsfähiger Güter und Rechtsprodukte
III. Transaktionsförderung durch Vertragsfreiheit und Vertragsrecht
1. Vertragsfreiheit als Grundlage marktgemäßer Selbststeuerung
2. Dispositives Vertragsrecht als Grundlage komplexer Transaktionen
IV. Herstellung von Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit
B. Regelnde Eingriffe im Spannungsfeld von Privatrecht und Politik
I. Regulierungsfunktion des Privatrechts
II. Regulierungsziele
1. Schutz der Privatautonomie bei den Vertragsverhandlungen
a) Institutioneller Schutz des Wettbewerbs
b) Individueller Schutz der schwächeren Partei beim Vertragsschluß
2. Korrektur des Ergebnisses der Vertragsverhandlungen
3. Privatrechtliche Lenkung durch Risikoverteilung und Beweislastregelung
4. Zwischenbilanz
5. Regulierung zur Erreichung privatrechtsfremder Zwecke
C. Privatrecht und Integration
2. TEIL Funktion und Reichweite der Grundfreiheiten
1. Abschnitt Allgemeiner Teil
§ 1 Unmittelbare Wirkung und Vorrang der Grundfreiheiten
A. Unmittelbare Wirkung
I. Grundsätzliche Anerkennung in bezug auf alle Grundfreiheiten
II. Unmittelbare Wirkung der Grundfreiheiten und Rechtsangleichung
1. Kein Vorrang der Rechtsangleichung
2. Keine Entbehrlichkeit der Rechtsangleichung
3. Zusammenwirken von Positiv- und Negativintegration
B. Vorrang der Grundfreiheiten
I. Vorrang der Grundfreiheiten vor dem nationalem Recht
II. Lösung von Konflikten zwischen Grundfreiheiten und nationalem Recht
1. Anwendungsvorrang
2. Gemeinschaftskonforme Auslegung
§ 2 Bezug des Sachverhalts zum Gemeinschaftsrecht
A. Unanwendbarkeit auf rein innerstaatliche Sachverhalte
B. Gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit sog. „umgekehrter Diskriminierung“
C. Normativer Maßstab
I. Tätigkeit oder Qualifikationserwerb im Ausland
II. Reimporte
III. Regionale Privilegien
IV. Mißbrauch zur Umgehung nationalen Rechts
D. Bezugnahme oder Nachbildung durch nationale Regelungen
I. Freiwillige Nachbildung von Gemeinschaftsrecht
II. Freiwillige Bezugnahme auf Gemeinschaftsrecht
1. Freiwillige Inbezugnahme durch private Verträge
2. Inbezugnahme durch eine zivilrechtliche Generalklausel
3. Inbezugnahme durch § 134 BGB?
§ 3 Wirtschaftsbezug
A. Schutz grenzüberschreitender Teilnahme am Wirtschaftsleben
B. Schutz berufsmäßiger und nicht berufsmäßiger Marktteilnahme
C. Nachfrager- und Verbraucherfreiheit
D. Erfassung unentgeltlicher Transaktionen?
E. Keine Voraussetzung der Handelsfinalität erfaßter Regelungen
§ 4 Adressaten der Grundfreiheiten
A. Die Mitgliedstaaten als primäre Verbotsadressaten
I. Bindung jeder staatlichen Stelle
II. Bindung von Bestimmungsland und Herkunftsland
B. Private Wirtschaftsteilnehmer
C. Grundfreiheitenbindung der Gemeinschaftsorgane
I. Bedeutung für das mitgliedstaatliche Privatrecht
II. Grundsätzliche Bindung der Gemeinschaftsgesetzgebung
III. Inhalt der Bindung an die Grundfreiheiten
1. Verbotsreichweite
2. Rechtfertigung von Freiverkehrsbeschränkungen
3. Ermessen der Gemeinschaftsorgane
IV. Gegenseitige Beeinflussung von Grundfreiheiten und sekundärem Recht
1. Gebot grundfreiheitenkonformer Setzung und Auslegung von Sekundärrecht
2. Harmonisierung und Allgemeininteresse
a) Vollharmonisierung
b) Mindestharmonisierung
3. Kompetenz zur Festlegung des Allgemeininteresses
V. Folgerungen für die Grundfreiheitenprüfung nationalen Privatrechts
§ 5 Die Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbote
A. Feststellung einer Diskriminierung
I. Offene (formelle) Diskriminierung
1. Unterschiedliche Behandlung und Diskriminierung
2. Keine Kompensation offener Diskriminierungen durch andere Maßnahmen
3. Fälle „scheinbarer Diskriminierung“
II. Versteckte und mittelbare Diskriminierungen
1. Primär quantitative Abgrenzung durch die Rechtsprechung
2. Divergierende Literaturauffassungen
3. Lösungsvorschlag
a) Rechtsunterschiede als Diskriminierungsgrundlage?
b) Ermittlung der diskriminierenden Wirkung einer Norm
B. Verhältnis der Grundfreiheiten zu Art. 12 EG
I. Verbotsreichweite des Art. 12 EG
II. Eingeschränkte Subsidiarität des Art. 12 EG
§ 6 Verhältnis zu anderen freiheitssichernden Normen
A. Grundfreiheiten und Grundrechte
I. Die Gemeinschaftsgrundrechte im Überblick
II. Grundrechtsähnlichkeit der Grundfreiheiten
III. Differenzierung zwischen Grundfreiheiten und Grundrechten
1. Unterschiede hinsichtlich Voraussetzungen und Reichweite
2. Grundrechtlicher Individualschutz und grundfreiheitlicher Institutionenschutz
IV. Folgerungen
B. Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln
§ 7 Die Grundfreiheiten als Teile der gemeinschaftlichen Werteordnung
2. Abschnitt Die Warenverkehrsfreiheit – Art. 28ff. EG
§ 1 Schutzbereich
A. Die Warenverkehrsfreiheit als Pionierfreiheit des Binnenmarktes
B. Waren als Schutzgegenstand
I. Warenbegriff
II. Herkunft und Ursprung der Waren
III. Erfassung fehlerhafter Waren
C. Potentiell geschützte Transaktionen
D. Schutzadressaten
E. Potentielle Berührungspunkte mit dem nationalen Privatrecht
§ 2 Verbotsreichweite: Maßnahmen gleicher Wirkung
A. Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung
I. Maßnahmebegriff
II. Kontingentierungsgleiche Wirkung
B. Warenausfuhrfreiheit – Art. 29 EGV
I. Auslegung des Art. 29 EG als reines Diskriminierungsverbot
II. Die Groenveld-Rechtsprechung
III. Anwendung auf Handelsbehinderungen durch Zivilrecht
1. Keine Diskriminierung durch besonders strenges Herkunftsland-Zivilrecht
2. Bedeutung der Rechtswahlfreiheit
C. Wareneinfuhrfreiheit – Art. 28 EG
I. Die Wareneinfuhrfreiheit als Diskriminierungsverbot
II. Ausbau zum Beschränkungsverbot: Dassonville
1. Die Dassonville-Formel
2. Präzisierungsbedarf und Bedeutung für das Privatrecht
III. Erste Beschränkung des Beschränkungsverbots: Cassis de Dijon
1. Sachverhalt und Entscheidungsgründe
2. Anwendung des Art. 28 EG als Beschränkungsverbot
3. Beschränkung des Beschränkungsverbots auf der Rechtfertigungsebene
a) Ausgangspunkt
b) Erweiterung der Rechtfertigungsgründe um „zwingende Erfordernisse“
c) Labelling-Doktrin
4. Zwischenbilanz
5. Das „Herkunftslandprinzip“
a) Voraussetzungen der Herkunftslandformel
aa) Rechtmäßige Herstellung und Verkehrsfähigkeit im Herkunftsland?
bb) Verkehrsfähigkeit und Zirkulation im Herkunftsland?
cc) Ursprungsland, Herkunftsland oder anderer Mitgliedstaat?
b) Reichweite und Bedeutung der Herkunftslandformel
aa) Kein kompetenzielles Herkunftslandprinzip
bb) Bedeutung auf der Rechtfertigungsebene
cc) Irrelevanz für die Anwendung als Diskriminierungsverbot
dd) Voraussetzung für die Anwendung als Beschränkungsverbot
6. Bedeutung für den Binnenmarkt
7. Bedeutung für das nationale Privatrecht
IV. Entwicklung der Rechtsprechung bis zum Vorabend der Keck-Entscheidung
1. Die Tasca-Rechtsprechung
a) Erfordernis einer relativen Einfuhrbelastung durch Preisregelungen
b) Bedeutung für das nationale Privatrecht
2. Die Oebel-Rechtsprechung
a) Oebel und Forest: Erfordernis eines Einfuhrzusammenhangs
b) Zu ungewisse und mittelbare Einfuhrbeeinflussung
aa) Krantz
bb) CMC Motorradcenter
c) Bedeutung für das nationale Privatrecht
3. Die Blesgen-Rechtsprechung
a) Blesgen – Art. 28 EG als Beschränkungsverbot gegenüber Absatzregelungen
b) Torfaen – die sog. Sonntagsverkaufsfälle
c) Eigentümliche Wirkungen als „Magna Charta des Privatrechts“?
4. Die Oosthoek-Rechtsprechung
a) Oosthoek: grenzüberschreitend einheitliches Werbekonzept
b) GB-INNO-BM: Werbung für den Absatz im Herkunftsland
c) Yves Rocher: konzerneinheitlich grenzüberschreitende Werbekonzepte
d) Weitere Entscheidungen zur Beschränkung von Werbung oder Absatz an sich
5. Stand der Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit am Vorabend von Keck
a) Resümee: Konturlosigkeit und Widersprüchlichkeit
b) Illustration: Schlußanträge zur Rechtssache Hünermund
c) Praxistest: Auswirkungen auf die nationale Rechtsprechung
V. Keck und Mithouard
1. Ausgangssachverhalt
2. Nicht ergriffene Entscheidungsoptionen
3. Entscheidungsgründe
a) Maßstab für diskriminierende Regelungen und Produktregelungen
b) Maßstab für „bestimmte Verkaufsmodalitäten“
4. Die Verkaufsmodalitäten-Regel
5. Klarstellungsziel
a) Rechtsicherheit durch klare Regelbildung
aa) Leitbildfunktion der EuGH-Rechtsprechung für die nationale Judikatur
bb) Bestimmtheit als Voraussetzung unmittelbarer Anwendbarkeit
b) Steigerung der Rechtsanwendungsqualität und des „effet utile“
c) Neue Unsicherheiten
6. Subsidiarität der EuGH-Rechtsprechung?
a) Keine Subsidiarität im engeren Sinne
b) Rechtspolitischer Hintergrund der Keck-Entscheidung
c) Vom integrationspolitischen Schrittmacher zum Garanten der Grundfreiheiten
VI. Die Verkaufsmodalitäten-Regel im Spiegel der Folgerechtsprechung
1. Absolute Wirkung: Beschränkung des Einfuhrvolumens
a) Conditio sine qua non für die Annahme einer Maßnahme gleicher Wirkung
b) Kausalität – „zu ungewiß und mittelbar“
aa) Kostenerhöhung durch Anwendung des Bestimmungslandrechts
bb) Erfassung der Einfuhrbeschränkung durch Niederlassungshindernisse?
cc) Unterschiedliche Rechtsschutzintensität als Handelshindernis?
dd) Kausalität und Spürbarkeit
(1) Das Spürbarkeitskriterium in der Literatur
(2) Ablehnung eines Spürbarkeitstests durch den EuGH
(3) Spürbarkeitstest als Lösung de lege ferenda?
c) Resümee
2. Zweck: Keine gezielte Regelung des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten
3. Objekt: Keine auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten gerichtete Maßnahme
4. Gegenstand: Abgrenzung zwischen Produkt- und Verkaufsmodalitätenregelungen
a) Produktregelungen
aa) Produktregelungen im engeren Sinne
bb) Absolute Vertriebsverbote und Beschränkungen der Vermarktungsdauer
cc) Regelungen der Produktbe- und -kennzeichnung
dd) Anwendung von Werberegelungen auf Produktinhalt und Werbeaufdrucke
ee) Zusammenfassung
b) Regelung bestimmter Verkaufsmodalitäten
aa) Werberegelungen
bb) Ladenöffnungsregelungen
cc) Vertriebskanalisierungen
(1) Vertriebsmonopole
(2) Direktvertrieb
dd) Zusammenfassung
c) Abgrenzung „bestimmter“ von „sonstigen“ Verkaufsmodalitäten?
aa) Unterscheidung von Verkaufsmodalitäten und Absatzsystemen
bb) Wertende Betrachtung
cc) Bloße Hinweisfunktion
d) Sonstige Regelungen (Umfeldregelungen)
e) Ergebnis
5. Relative Wirkung: Einschränkungen der Verkaufsmodalitäten-Regel
a) Geltung für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer
b) Rechtliche und tatsächliche Gleichberührung der Importwaren
6. Begründung: Erfordernis der Zugangsversperrung oder materiellen Diskriminierung
a) Keck und Dassonville
b) Folgerungen für die Reichweite des Art. 28 EG
aa) Kein Schutz der Privatautonomie als solcher
bb) Ausrichtung des Art. 28 EG auf Marktzugang und Markgleichheit
cc) Unterscheidung von Diskriminierung und tatsächlicher Ungleichberührung?
7. Kriterien zur Feststellung einer Einfuhrbenachteiligung in der Folgerechtsprechung
a) Kommission/Griechenland (Säuglingsnahrung): generalisierender Maßstab
b) Beispiele für typischerweise importbenachteiligende Vertriebsregelungen
aa) Absolute Werbeverbote
bb) Werbebeschränkungen mit binnenmarktspezifischem Produktbezug
cc) Niederlassungserfordernisse
c) De Agostini als leiser Abschied von „Säuglingsnahrung“ und Keck?
d) Fazit
VII. Die Verkaufsmodalitäten-Regel im Spiegel der nationalen Rechtspraxis
1. Anwendungsfälle der Verkaufsmodalitäten-Regel
2. Anwendungsfälle des Cassis de Dijon-Tests und des Diskriminierungsverbots
3. Resümee
VIII. Fortgeltung der Oosthoek-Rechtsprechung?
1. Ausgangsfrage
2. Fortgeltung der Oosthoek-Rechtsprechung de lege lata?
a) Rückschlüsse aus Keck und der Folgerechtsprechung
b) Herkunftslandansatz
c) Doppelbelastungsansatz
aa) Verbot der Belastung mit vertriebsbezogenen Diversifikationskosten?
bb) Ungleichberührung bei Weitervertrieb im Bestimmungsland?
(1) Rein innerstaatlicher Weitervertrieb
(2) Innerstaatlicher Weitervertrieb als Teil eines Euro-Marketing-Konzepts
cc) Ungleichberührung bei grenzüberschreitendem Vertrieb?
(1) Doppelregelung im weiteren Sinne
(2) Doppelregelung im engeren Sinne
(3) Rechtsinformationskosten
(4) Zweifel am Abgrenzungskriterium des grenzüberschreitenden Vertriebs
d) Fazit: Oosthoek ist tot!
3. Es lebe Oosthoek?
a) Neubewertung der EuGH-Judikatur aus der Zeit vor Keck
b) Vollkommener Binnenmarkt, Freiverkehr und unverfälschter Wettbewerb
c) Erforderlichkeit eines vertriebsbezogenen Beschränkungsverbots?
d) Bedeutung der Rechtsangleichung
4. Resümee
IX. Ergebnis
§ 3 Rechtfertigung von Maßnahmen gleicher Wirkung
A. Rechtfertigungsgründe
I. Primärrechtliche Rechtfertigung nach Art. 30 EG
1. Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums
2. Das Privatrecht als Bestandteil der öffentlichen Ordnung?
II. Zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses
1. Ausgangspunkt: Die Entscheidung Cassis de Dijon
2. Vom EuGH anerkannte Allgemeininteressen auf dem Gebiet des Privatrechts
a) Verbraucherschutz
b) Lauterkeitsschutz
c) Weiterungen in der Folgerechtsprechung
aa) Soziale und kulturelle Besonderheiten
bb) Kohärenz des nationalen Rechts
cc) Funktionsschutz
dd) Vom Verbraucherschutz zum Schwächerenschutz
3. Allgemeine Anforderungen an die Bestimmung zwingender Erfordernisse
a) Quellen für die Ermittlung anerkennungsfähiger Allgemeininteressen
b) Grundsätzlich einheitliche Anerkennung für alle Grundfreiheiten
c) Entscheidungszuständigkeit des EuGH
d) Grenzen
aa) Keine abschließende Gemeinschaftsregelung
bb) Keine Berufung auf rein wirtschaftlicher Gründe
cc) Keine Verhinderung richtiger Verbraucherinformation
dd) Keine Zementierung nationaler Verbrauchererwartungen
ee) Keine Unlauterkeit der Nutzung grundfreiheitlicher Freiräume
ff) Kein Schutz von in anderen Mitgliedstaaten lokalisierten Interessen
e) Rechtspolitische Überlegung: Obergrundfreiheit „Verhältnismäßigkeit“?
4. Anwendbarkeit der „zwingenden Erfordernisse“ auf diskriminierende Regelungen
B. Rechtfertigungsgrenzen („Schranken-Schranken“)
I. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
1. Geeignetheit
a) Mindestanforderungen an Interessengefährdung und Wirkung der Maßnahme
b) Konsequente Zielverfolgung als Voraussetzung der Geeignetheit?
2. Erforderlichkeit
3. Angemessenheit
4. Zuständigkeitsverteilung zwischen EuGH und nationalen Gerichten
II. Sonstiges Primärrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze und Grundrechte
C. Ergebnis
§ 4 Zusammenfassung zur Warenverkehrsfreiheit
3. Abschnitt Die Arbeitnehmerfreizügigkeit – Art. 39ff. EG
§ 1 Schutzbereich
A. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit als Personenverkehrsfreiheit
I. Subjektbezogenheit
II. Grundrechtsähnlichkeit
III. Sekundärrechtliche Ausgestaltung
B. Arbeitnehmer als Schutzadressaten
I. Arbeitnehmerbegriff
II. Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten
III. Persönlicher und räumlicher Anwendungsbereich
C. Potentielle Berührungspunkte mit dem nationalen Privatrecht
§ 2 Verbotsreichweite
A. Diskriminierungsverbot
I. Grundsatz der Inländergleichbehandlung
II. Verbot der Diskriminierung mobiler Arbeitnehmer
B. Beschränkungsverbot
I. Vom Diskriminierungs- zum Beschränkungsverbot
1. Ramrath: Kongruenz der Personenverkehrsfreiheiten und zwingende Gründe
2. Die Kraus-Formel
3. Der Gebhard-Test
4. Bosman: Anwendung des Art. 39 EG als Beschränkungsverbot
II. Reichweite des Art. 39 EG als Beschränkungsverbot
1. Präzisierungsbedarf
2. Rechtsprechung des EuGH
a) Bosman und Keck
b) Verbot der Marktzugangsversperrung durch Qualifikationserfordernisse
c) Die Rechtssache Deliège als leiser Widerhall der Keck-Entscheidung?
d) Die Rechtssache Graf: zu indirekte und ungewisse Wirkung
3. Differenzierung zwischen Berufszugangs- und Berufsausübungsregelungen
a) Schlußanträge der Generalanwälte
b) Literaturstimmen
c) Stellungnahme
4. Umfeldregelungen
5. Resümee
C. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit als Wegzugsfreiheit
§ 3 Rechtfertigung von Freizügigkeitshindernissen
A. Rechtfertigungsgründe
I. Primärrechtliche normierte Vorbehalte
II. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses
B. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und andere Rechtfertigungsgrenzen
§ 4 Zusammenfassung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit
4. Abschnitt Die Niederlassungsfreiheit – Art. 43 ff. EG
§ 1 Schutzbereich
A. Die Niederlassungsfreiheit als Schwester der Arbeitnehmerfreizügigkeit
B. Schutzadressaten
C. Varianten der Niederlassungsfreiheit
I. Primäre Niederlassungsfreiheit
II. Sekundäre Niederlassungsfreiheit
D. Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften
I. Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2 EG
II. Gemeinschaftszugehörigkeit nach Art. 48 Abs. 1 als Gleichstellungsvoraussetzung
1. Erfordernis der Gründung nach dem Recht eines Mitgliedstaates
a) Daily Mail
b) Lex fori oder Gründungsrecht?
aa) Daily Mail: Abhängigkeit vom nationalen Gesellschaftsrecht?
bb) Centros: Relativierung in bezug auf die sekundäre Niederlassungsfreiheit
cc) Überseering: Maßgeblichkeit des Gründungsrechts
c) Reichweite der Verweisung: Gründung oder Existenz?
d) Sachnormverweisung oder Gesamtverweisung?
aa) Bedenken gegen die Annahme einer Gesamtverweisung
bb) Bedenken gegen die Annahme einer reinen Sachnormverweisung
cc) Eingeschränkte Gesamtverweisung („Gründungsstaat-Theorie“)
2. Ansässigkeitserfordernis
E. Die Niederlassungsfreiheit als Motor des Systemwettbewerbs?
F. Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten
I. Arbeitnehmerfreizügigkeit
II. Dienstleistungsfreiheit
III. Warenverkehrsfreiheit
IV. Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit
G. Potentielle Berührungspunkte mit dem nationalen Privatrecht
§ 2 Verbotsreichweite
A. Diskriminierungsverbot
B. Beschränkungsverbot
I. Entwicklung des Art. 43 EG zum Beschränkungsverbot
1. Rechtsprechung
2. Der Normtext und seine Korrektur durch den Amsterdamer Vertrag
II. Reichweite des Art. 43 EG als Beschränkungsverbot
1. Anwendbarkeit der Keck-Grundsätze
2. Anhaltspunkte in der EuGH-Judikatur
a) Semeraro Casa Uno: „zu ungewiß und mittelbar“
b) Pfeiffer Großhandel: Marktzugangs- und Diskriminierungsbezug
c) Perfili: Irrelevanz des Unterschieds der Rechtsordnungen an sich
3. Folgerungen für die Reichweite des Beschränkungsverbots
a) Achtung der Rechts- und Parteifähigkeit ausländischer Gesellschaften
b) Freier Berufs- und Marktzugang
c) Marktzugangsschutz und sekundäre Niederlassungsfreiheit
d) Inländergleichbehandlung bei Ausübung der Erwerbstätigkeit
e) Umfeldregelungen
III. Fazit: Wachsende Konvergenz der Grundfreiheiten
C. Schutzentfaltung gegenüber dem Heimatstaat (Wegzugsfreiheit)
§ 3 Rechtfertigung von Freizügigkeitshindernissen
A. Rechtsfertigungsgründe
I. Primärrechtlich normierte Vorbehalte
II. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses
B. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und andere Rechtfertigungsgrenzen
§ 4 Zusammenfassung zur Niederlassungsfreiheit
5. Abschnitt Die Dienstleistungsfreiheit – Art. 49ff. EG
§ 1 Schutzbereich
A. Brückenfunktion der Dienstleistungsfreiheit
B. Dienstleistungsbegriff
C. Varianten der Dienstleistungsfreiheit
I. Personenverkehrsfreiheit
II. Produktfreiheit
D. Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten
I. Personenverkehrsfreiheiten
II. Warenverkehrsfreiheit
1. Grundsatz: Abgrenzung nach dem Körperlichkeitskriterium
2. Abgrenzung nach der Schwerpunktregel
3. Abgrenzung bei Miete und Leasing
4. Parallele Anwendbarkeit bei trennbaren Transaktionen
III. Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit
E. Potentielle Berührungspunkte mit dem nationalen Privatrecht
§ 2 Verbotsreichweite
A. Diskriminierungsverbot
B. Beschränkungsverbot
I. Anerkennung durch die Rechtsprechung
II. Reichweite des Beschränkungsverbots
1. Kein Schutz der Privatautonomie als solcher
2. Übertragbarkeit der Keck-Rechtsprechung
a) Anhaltspunkte in der EuGH-Rechtsprechung
aa) Alpine Investments
bb) De Agostini
cc) Sonstige Rechtsprechung zur Dienstleistungsfreiheit
b) Der Einfluß der Keck-Judikatur im Spiegel der Literatur
aa) Kriterium des hinreichenden grenzüberschreitenden Bezugs
(1) Beschränkungsverbot nur in bezug auf Korrespondenzdienstleistungen?
(2) Umfassendes Beschränkungsverbot bei Grenzüberschreitung?
(3) Stellungnahme
bb) Differenzierung nach dem Vorbild der Verkaufsmodalitäten-Regel
(1) Produktregelungen
(2) Unternehmensbezogene Regelungen
(3) Sonstige Regelungen (Vertriebs- und Umfeldregelungen)
c) Ergebnis
C. Ausgangs- bzw. Ausfuhrfreiheit
I. Spiegelverkehrte Anwendung der Verkaufsmodalitäten-Regel
II. Beschränkungskontrolle produkt- und unternehmensbezogener Regelungen?
III. Exkurs: Reform der Groenveld-Rechtsprechung zu Art. 29 EG
§ 3 Rechtfertigung von Dienstleistungsbeschränkungen
A. Rechtfertigungsgründe
I. Primärrechtlich normierte Vorbehalte
II. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses
B. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und andere Rechtfertigungsgrenzen
§ 4 Zusammenfassung zur Dienstleistungsfreiheit
6. Abschnitt Die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit – Art. 56ff. EG
§ 1 Schutzbereich
A. Entwicklung zur gleichberechtigten Grundfreiheit
B. Kapitalverkehrsfreiheit – Art. 56 Abs. 1 EG
I. Begriff des Kapitalverkehrs (sachliche Reichweite)
II. Räumlicher Bezug und persönliche Reichweite
C. Zahlungsverkehrsfreiheit – Art. 56 Abs. 2 EG
D. Abgrenzung der Kapitalverkehrsfreiheit zu den anderen Grundfreiheiten
I. Warenverkehrsfreiheit
II. Niederlassungsfreiheit
1. Direktinvestitionen
2. Grunderwerb
III. Arbeitnehmerfreizügigkeit
IV. Dienstleistungsfreiheit
1. Finanzdienstleistungen
2. Versicherungen
3. Lizenzierung geistiger Eigentumsrechte
E. Potentielle Berührungspunkte mit dem nationalen Privatrecht
§ 2 Verbotsreichweite
A. Diskriminierungsverbot
B. Beschränkungsverbot
I. Entsprechende Anwendbarkeit der Dassonville-Formel
II. Reichweite des Beschränkungsverbots
1. Beschränkung der Verbotsreichweite entsprechend Cassis de Dijon
2. Beschränkung des Verbotstatbestands entsprechend den Keck-Grundsätzen
a) Übertragbarkeit der Keck-Grundsätze
aa) Literatur
bb) Rechtsprechung – die Golden Shares-Entscheidungen
cc) Stellungnahme zur Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit als Beschränkungsverbot
b) Differenzierung nach dem Vorbild der Dienstleistungsfreiheit
aa) Produkt- oder unternehmensbezogene Regelungen
bb) Absatz- bzw. Investitionsmodalitäten und Umfeldregelungen
cc) Stimmrechtsbeschränkungen
dd) Übernahmerechtliche Regelungen
C. Ausfuhrfreiheit
§ 3 Rechtfertigung von Kapitalverkehrsbeschränkungen
A. Rechtfertigungsgründe
I. Primärrechtliche normierte Vorbehalte
1. Ausnahmen für den Kapitalverkehr mit Drittstaaten in Art. 57 EG
2. Ausnahmeregelungen in Art. 58 EG
II. Zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses
B. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und andere Rechtfertigungsgrenzen
§ 4 Zusammenfassung zur Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit
3. TEIL Einwirkung der Grundfreiheiten auf das deutsche Privatrecht
1. Abschnitt Allgemeiner Teil
§ 1 Facetten grundfreiheitlicher Drittwirkung im Überblick
A. Die Grundfreiheiten als Institutsgarantien
B. Die Grundfreiheiten als Quelle von Schutz- und Förderpflichten
C. Die Grundfreiheiten als Schranken des nationalen Privatrechts
§ 2 Die Grundfreiheiten als Institutsgarantien
A. Garantie privatrechtlicher Institute durch den EG-Vertrag?
B. Kernbereichsschutz und Wesensgehaltgarantie
C. Überwindung der Ermöglichungsperspektive durch Institutsgarantien?
I. Der Ansatz von Wilmowskys
II. Stellungnahme
1. Widerspruch zur EuGH-Rechtsprechung
2. Gefahr der Überdehnung der Grundfreiheiten und der EuGH-Kompetenzen
3. Gefahr des Verlusts eines verläßlichen privatrechtlichen Orientierungsrahmens
4. Institutionelle Ausrichtung der Grundfreiheiten auf das Binnenmarktziel
5. Ausgleich von Repräsentationsdefiziten durch Anwendung der Grundfreiheiten?
D. Ergebnis
§ 3 Die Grundfreiheiten als Quelle von Schutz- und Förderpflichten
A. Aus den Grundfreiheiten abgeleitete Schutzpflichten
I. Kommission/Frankreich (Französische Bauernproteste)
II. Begründung, Voraussetzungen und Reichweite der Schutzpflicht
1. Begründung: Ableitung einer Schutzpflicht aus Art. 28 i.V.m. Art. 10 EG
2. Voraussetzungen: Schutzlücke und massive Handelsbehinderung
3. Inhalt: lediglich Ergebnispflicht
4. Kontrolldichte: nur Kontrolle auf evidente Ermessensfehler
5. Schutzrichtung: Binnenmarktbezug der Grundfreiheiten
III. Zusammenfassende Wertung
B. Normsetzungspflichten aufgrund der Förderpflicht der Mitgliedstaaten?
I. Literaturstimmen zur Handelsbehinderung durch das Fehlen von Normen
II. Das Fehlen von Normen aus dem Blickwinkel der Privatautonomie
III. Handelsbehinderung durch „Unterregulierung“?
IV. Ergebnis
§ 4 Die Grundfreiheiten als Schranken des Privatrechts
A. Das Privatrecht als Gegenstand der Grundfreiheitenkontrolle
I. Bereichsausnahme zugunsten des Privatrechts?
1. Irrelevanz der formellen Zuordnung einer Norm zum Privatrecht
2. Erfordernis privater Rechtsausübung und gerichtlicher Konkretisierung
II. Privatrecht ohne Wirtschaftsbezug, insbesondere Erb- und Familienrecht
B. Zur Grundfreiheitenkontrolle nicht autonom mitgliedstaatlicher Normen
I. Konventionsprivatrecht
II. Gemeinschaftsprivatrecht
C. Voraussetzungen der Grundfreiheitenkontrolle privatrechtlicher Normen
I. Zusammenspiel von Kollisions- und Sachprivatrecht
II. Handelsbehindernde Wirkung
1. Verbotsreichweite der Grundfreiheiten im Lichte der Keck-Rechtsprechung
2. Test für die Feststellung einer verbotenen handelsbehindernden Wirkung
D. Zur Bedeutung der Abbedingbarkeit privatrechtlicher Normen
I. Sachlich dispositives Privatrecht
1. Handelsfördernde Wirkung dispositiver Normen
2. Dispositive Normen als partiell zwingendes staatliches Recht
3. Stellungnahme
a) Formelle Betrachtung: Staatlichkeit dispositiven Rechts
b) Materielle Betrachtung: Erfordernis der Handelsbehinderung
c) Dispositive Normen und AGB
4. Ergebnis
II. Grundfreiheitenkontrolle des Sachrechts trotz Rechtswahlfreiheit?
1. Alsthom Atlantique
2. Ausschluß der Grundfreiheitenkontrolle bei Rechtswahlfreiheit
3. Kritik in der Literatur
4. Stellungnahme
a) Rechtswahlfreiheit und Vertragsrecht
b) Rechtswahlfreiheit außerhalb des Vertragsrechts
III. Ergebnis
IV. Exkurs: Objektive Anknüpfung an das Anbieterrecht
E. Reformfunktion der Grundfreiheiten in bezug auf das nationale Gesetzesrecht
I. Literaturstimmen
II. EuGH-Judikatur
III. Stellungnahme
1. Änderungspflicht bei Notwendigkeit korrigierender Auslegung
2. Keine Änderungspflicht bei bloßer Offenheit des Normwortlauts
3. Normanpassung zur Korrektur einer grundfreiheitenwidrigen Praxis
4. Faktischer Reformdruck
F. Zivilgerichtliche Entscheidungen als Freiverkehrsbeschränkungen
I. Ausgangspunkt: Ausfüllungsbedürftigkeit zivilrechtlicher Normen
II. Zweifel und Relativierungen in der Literatur
III. Stellungnahme
1. Zur Differenzierung nach der Bedeutung der Entscheidung
2. Grundfreiheitenbindung der Zivilgerichte
3. Umfang und Grenzen der Grundfreiheitenbindung der Zivilgerichte
a) Bindung bei Auslegung und Anwendung staatlichen Rechts
b) Bindung bei Auslegung privatautonom gesetzter Willenserklärungen?
G. Zusammenfassung
2. Abschnitt Grundfreiheiten und Kollisionsrecht
§ 1 Vorbemerkung
A. Internationale Zuständigkeit
I. Zusammenspiel von Internationalem Zuständigkeits- und Privatrecht
II. Bestimmung des Gerichtsstandes durch die EuGVVO
III. Bedeutung für das Verhältnis von Grundfreiheiten und Kollisionsrecht
B. Das Kollisionsrecht als Gegenstand der Grundfreiheitenkontrolle
I. Divergierende Literaturansätze
II. EuGH-Judikatur
1. Generelle Zurückhaltung des EuGH
2. Daily Mail: Vorrang der Rechtsangleichung?
3. Alsthom Atlantique: Bedeutung der Rechtswahlfreiheit
4. Johannes: Kollisionsnormen ohne Wirtschaftsbezug
5. Hubbard: Irrelevanz der formellen Zuordnung einer Norm zum Kollisionsrecht
III. Folgerungen
1. Grundsätzliche Neutralität des IPR in bezug auf die Grundfreiheiten
a) Beschränkung auf Binnenmarktsachverhalte mit Wirtschaftsbezug
b) Beschränkung auf die Kontrolle zwingender Kollisionsnormen
c) Bedeutung des Zusammenspiels von Kollisions- und Sachrecht
d) Bedeutung der Möglichkeit einer kollisionsrechtlichen Konfliktlösung
2. Ausnahme in Fällen spezifisch kollisionsrechtlicher Handelsbehinderung?
§ 2 Die Grundfreiheiten als Kollisionsnormen
A. Die Lehre von den „versteckten Kollisionsnormen“
I. Berufung des Herkunftslandrechts
1. Reines Herkunftslandprinzip
2. Eingeschränktes Herkunftslandprinzip
II. Anbieterorientiertes Günstigkeitsprinzip („favor offerentis“)
III. Verdrängung des Internationalen Privatrechts durch die Grundfreiheiten?
IV. Stellungnahme
1. Kollisionsrechtsähnlichkeit der Grundfreiheiten?
2. Unvereinbarkeit mit der geltenden EuGH-Rechtsprechung
3. Kollisionsrechtliche Deutung der Grundfreiheiten de lege ferenda?
a) Reines Herkunftslandprinzip
aa) „Patt“ zwischen Anbieter- und Nachfragerfreiheit?
bb) Zwingende Allgemeininteressen, insbesondere Verbraucherschutz
cc) Widersprüchlichkeit bei Grundfreiheitenverstoß der Herkunftslandregelung
dd) Fazit
b) Eingeschränktes Herkunftslandprinzip
c) Anbieterorientiertes Günstigkeitsprinzip
B. Ansätze im Grenzbereich von positiver und negativer Wirkung
I. Sonderanknüpfung bei grundfreiheitenwidriger Sachnorm
II. Die Grundfreiheiten als „negative einseitige Kollisionsnormen“
C. Ergebnis
§ 3 Die Grundfreiheiten als Schranken des Internationalen Privatrechts
A. Anwendung der Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbote
I. Ausgangssituation
1. Allgemeiner Diskriminierungstest
2. Gebot der Inländerbehandlung und kollisionsrechtliche Differenzierung
II. Potentielle Fallgruppen kollisionsrechtlicher Diskriminierung
1. Offene kollisionsrechtliche Privilegierung eigener Staatsangehöriger
2. Diskriminierung durch Anwendung der lex fori?
a) Anwendung der lex fori durch ein Gericht des Bestimmungslandes
b) Anwendung der lex fori durch ein Gericht des Herkunftslandes
c) Ergebnis
3. Diskriminierung durch Anknüpfung ausländischen Rechts als solche
4. Anknüpfung strengeren Herkunftslandrechts durch das Bestimmungsland-IPR
a) Diskriminierung durch Berufung strengeren Bestimmungslandrechts?
b) Zur Bedeutung der Wermutwein-Entscheidung
c) Ansätze zur Widerlegung des Verdachts kollisionsrechtlicher Diskriminierung
aa) „Patt“ zwischen Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot?
(1) Legitimierung von Diskriminierungen durch das Herkunftslandprinzip?
(2) Unanwendbarkeit der Grundfreiheiten in Ermangelung klarer Maßstäbe
(3) Spezifisch kollisionsrechtliche Diskriminierung
(4) Stellungnahme
bb) Keine Diskriminierungseignung bei Allseitigkeit der Anknüpfung?
(1) Hintergrund
(2) Allseitige Anknüpfung = unterschiedslose Anwendung?
(3) Stellungnahme
cc) Bedeutung des Zusammenspiels mehrerer Rechtsordnungen
(1) Literaturstimmen
(2) Stellungnahme
dd) Herkunftslandverantwortung und internationaler Entscheidungseinklang
(1) Kontrolle am Maßstab der Ausfuhrfreiheiten?
(2) Bedrohung des Internationalen Entscheidungseinklangs
(3) Stellungnahme
d) Konkretisierung des Diskriminierungstests für Kollisionsnormen
aa) Bedeutung der Anknüpfung an verdächtige Kriterien
bb) Bedeutung der Berufung strengerer ausländischer Sachnormen
cc) Test: Typische Auslösung materieller Ausländerbenachteiligung?
dd) Anwendung
e) Anknüpfung an strengeres Recht durch das Herkunftsland-IPR
5. Diskriminierung durch kollisionsrechtliche Günstigkeitsregeln
a) Anbieterorientierte Günstigkeitsregeln
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Grundfreiheiten und Privatrecht
 9783161579400, 316148357X

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 93

Torsten Körber

Grundfreiheiten und Privatrecht

Mohr Siebeck

Torsten Körber, geboren 1965 in Hannover. 1985-1991 Studium in Göttingen, München und Singapur. 1. Staatsexamen. 1991/1992 Lehrauftrag an der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg. 1992-1993 Studium an der University of California at Berkeley (Boalt Hall). 1993 Master of Laws. 1994-1996 Referendariat in Berlin. 2. Staatsexamen. 1996 Promotion („Die Konkurrentenklage im Fusionskontrollrecht der USA, Deutschlands und der Europäischen Union", Baden-Baden 1996). 1996-2003 Wissenschaftlicher Assistent an der Georg-August-Universität Göttingen. 2003 Habilitation. Lehrbefugnis für die Fächer Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie deutsches und europäisches Wirtschaftsrecht. Seit Juli 2003 Privatdozent und Wissenschaftlicher Oberassistent an der Georg-August-Universität Göttingen. Im Sommersemester 2004 Gastprofessor für Bürgerliches Recht an der Technischen Universität Dresden.

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

978-3-16-157940-0 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 I S B N 3-16-148357-X ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2004 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide Druck in Tübingen aus der Garamond belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Meiner Großmutter Hildegard Schulze

Vorwort Diese Studie behandelt das Verhältnis von „Grundfreiheiten und Privatrecht". Dahinter verbirgt sich die Frage nach der Einwirkung der Grundfreiheiten sowohl auf das staatlich gesetzte Privatrecht als auch unmittelbar auf den Rechtsverkehr zwischen privaten Wirtschaftsteilnehmern. In der Vergangenheit wurden von manchen große Hoffnungen in die deregulierende Kraft der Grundfreiheiten gegenüber dem nationalen Privatrecht gesetzt. Andere haben den Gedanken einer zunehmenden „Vergrundrechtlichung" des deutschen Privatrechts als „horror iuris" gefürchtet. In der Praxis ist bisher weder das eine noch das andere wahr geworden. Doch haben die Grundfreiheiten ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH immer wieder punktuellen Einfluß auf Teilgebiete des nationalen Privatrechts gewonnen. Waren dies früher vor allem das Lauterkeitsrecht und die gewerblichen Schutzrechte, so ist in letzter Zeit insbesondere das internationale und sachliche Gesellschaftsrecht ins Fadenkreuz der Grundfreiheiten geraten. Trotzdem ist die Reichweite der Grundfreiheiten gegenüber Privatrecht und Privatrechtsverkehr bisher alles andere als abschließend ausgelotet. Selbst in bezug auf ganz grundsätzliche Fragen besteht erhebliche Unsicherheit. Ziel dieser Studie ist es, Licht in dieses „Dunkel im Grundsätzlichen" zu bringen und zugleich anhand des deutschen Privatrechts aufzuzeigen, wo die Möglichkeiten und Grenzen von Zusammenspiel und Konflikt von Grundfreiheiten und Privatrecht liegen. Die Arbeit wurde im Sommersemester 2003 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen als Habilitationsschrift angenommen. Sie ist im Laufe meiner Assistentenzeit bei Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Ulrich Immenga und bei seinem Nachfolger Herrn Prof. Dr. Holger Fleischer am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Rechtsvergleichung an der Universität Göttingen entstanden. Die Veröffentlichung wurde mir durch eine großzügige Publikationsbeihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglicht, für die ich mich herzlich bedanke. Besonderer Dank gebührt meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Ulrich Immenga, der mich in vielfältiger Weise fachlich und persönlich gefördert hat und ohne den meine wissenschaftliche Laufbahn schlechthin undenkbar wäre. Herrn Professor Dr. Fleischer danke ich für die gute Zusammenarbeit und zahlreiche anregende Diskussionen. Meiner Frau Mary Ann danke ich für ihre persönliche Unterstützung in der Erstellungsphase der Arbeit und für ihre Hilfe bei der Zusammenstellung des Literaturverzeichnisses. Vor Drucklegung habe ich mich bemüht, wichtige Literaturund Rechtsprechungsentwicklungen bis Ende 2003 nachzutragen und die wert-

Vili

Vorwort

vollen Anregungen aus den Gutachten von H e r r n Professor Dr. Dr. h.c. Ulrich Immenga, H e r r n Professor Dr. Holger Fleischer und H e r r n Professor Dr. Volkmar Götz in die Arbeit einfließen lassen, für die ich mich herzlich bedanke. Neustadt, im D e z e m b e r 2 0 0 3

Torsten K ö r b e r

Inhaltsübersicht Einleitung

1

1. Teil: Grundfreiheiten und Privatrecht im System des Binnenmarktes . . 1. Abschnitt: Der Europäische Binnenmarkt 2. Abschnitt: Die Grundfreiheiten im Binnenmarkt 3. Abschnitt: Das Privatrecht im Binnenmarkt

7 8 21 35

2. Teil: Funktion und Reichweite der Grundfreiheiten

55

1. Abschnitt: 2. Abschnitt: 3. Abschnitt: 4. Abschnitt: 5. Abschnitt: 6. Abschnitt:

Allgemeiner Teil Die Warenverkehrsfreiheit - Art.28ff. EG Die Arbeitnehmerfreizügigkeit - A r t . 39ff. EG Die Niederlassungsfreiheit - Art. 43ff. EG Die Dienstleistungsfreiheit - Art.49ff. EG Die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit - Art. 56ff. EG .

56 115 254 282 317 348

3. Teil: Einwirkung der Grundfreiheiten auf das deutsche P r i v a t r e c h t . . . .

377

1. Abschnitt: 2. Abschnitt: 3. Abschnitt: 4. Abschnitt:

378 432 490

Allgemeiner Teil Grundfreiheiten und Kollisionsrecht Einwirkung der Grundfreiheiten auf das deutsche IPR Einwirkung der Grundfreiheiten auf das deutsche Sachprivatrecht

563

4. Teil: Unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten

631

1. Abschnitt: Begriff und Bedeutung der unmittelbaren Drittwirkung . . . . 2. Abschnitt: Grenzbereich privater und staatlicher Tätigkeit 3. Abschnitt: Die unmittelbare Drittwirkung in der EuGH-Rechtsprechung 4. Abschnitt: Unmittelbare Drittwirkung im System von EGV und Binnenmarkt 5. Abschnitt: Unmittelbare Drittwirkung zur Kompensation von „Schutzlücken"?

632 638

Wesentliche Ergebnisse

820

Literaturverzeichnis

843

Stichwortverzeichnis

871

663 721 798

Inhaltsverzeichnis Vorwort

VII

Abkürzungen

XLVIII

Zitierweise von EG-Vertrag und EU-Vertrag

XLVIII

Einleitung

1

A. Der Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf das nationale Privatrecht B. Die Bedeutung des nationalen Privatrechts für die Gemeinschaft C. Koordinations- und Kompetenzproblem D. Zusammenspiel und Konflikt E. Beziehungsebenen von Grundfreiheiten und nationalem Privatrecht F. Aufbau und Ziele dieser Studie

2 2 3 4 4 5

I. TEIL

Grundfreiheiten und Privatrecht im System des Binnenmarktes 1. Abschnitt

Der Europäische Binnenmarkt

8

§ 1 Gemeinsamer Markt und Binnenmarkt A. Der Gemeinsame Markt in EGKS-Vertrag und EWG-Vertrag . . . B. Vom Gemeinsamen Markt zum Binnenmarkt

8 8 10

§2

11 11

Binnenmarkt und wettbewerbsgesteuerte Marktwirtschaft A. Zur Wirtschaftsordnung des Binnenmarktes B. Ausgangslage bei Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft C. Fortentwicklung durch EEA, Maastrichter und Amsterdamer Vertrag D. Das Beispiel des Verbraucherschutzes E. Betonung von Freiheit und Rechtssicherheit in Art. 6 Abs. 1 EU .

12 13 15 17

XII §J

Inhaltsverzeichnis

Verteilung der Regelungskompetenzen im Binnenmarkt A. Kompetenzabgrenzung zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft B. Abgrenzung der Regelungskompetenz zwischen den Mitgliedstaaten

2. Abschnitt 51 §2

§3

§4

Die Grundfreiheiten im Binnenmarkt

Intensivierung der Integration = strengere Anwendung der Grundfreiheiten? Der Binnenmarkt als „Raum ohne Binnengrenzen" A. Raum ohne Rechtsunterschiede? B. Raum ohne Rechtsgrenzen und grenzüberschreitender Bezug . . . C. Ergebnis Binnenmarkt und Herkunftslandprinzip A. Binnenmarkt = Herkunftslandprinzip? B. Genese des Binnenmarktziels C. Keine primärrechtliche Verankerung des Herkunftslandprinzips Der Binnenmarkt als Spielfeld des Wettbewerbs der Rechtsordnungen A. Wettbewerb der Rechtsordnungen und Harmonisierung „von unten" B. Immanente Grenzen des Wettbewerbs der Rechtsordnungen . . . . C. „Race to the Bottom" oder „Race to the Top"? D . Wettbewerb der Rechtsordnungen oder Wettbewerb der Hersteller?

3. Abschnitt

17 18 19 21 21 22 23 24 25 26 26 27 28 29 29 30 31 32

Das Privatrecht im Binnenmarkt

35

§1 §2

Privatrecht und Internationales Privatrecht Elemente des binnenmarktrelevanten Privatrechts A. Nationale Privatrechtsordnungen B. Gemeinschaftsprivatrecht C. Einheitsprivatrecht (Konventionsprivatrecht) D. Lex mercatoria E. Gemeineuropäisches Privatrecht

35 36 36 36 38 39 39

§3

Funktionen des Privatrechts im Binnenmarkt A. Freiheitssicherung und Ermöglichung privatautonomer Transaktionen I. Anerkennung der Rechtssubjektivität der Marktteilnehmer II. Definition und Zuordnung verkehrsfähiger Güter und Rechtsprodukte

41 41 41 42

Inhaltsverzeichnis

III. Transaktionsförderung durch Vertragsfreiheit und Vertragsrecht 1. Vertragsfreiheit als Grundlage marktgemäßer Selbststeuerung 2. Dispositives Vertragsrecht als Grundlage komplexer Transaktionen IV. Herstellung von Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit... B. Regelnde Eingriffe im Spannungsfeld von Privatrecht und Politik I. Regulierungsfunktion des Privatrechts II. Regulierungsziele 1. Schutz der Privatautonomie bei den Vertragsverhandlungen a) Institutioneller Schutz des Wettbewerbs b) Individueller Schutz der schwächeren Partei beim Vertragsschluß

2. Korrektur des Ergebnisses der Vertragsverhandlungen . 3. Privatrechtliche Lenkung durch Risikoverteilung und Beweislastregelung 4. Zwischenbilanz 5. Regulierung zur Erreichung privatrechtsfremder Zwecke C. Privatrecht und Integration

XIII

43 43 44 44 46 46 47 47 47 48

49 51 51 52 52

2. TEIL

Funktion und Reichweite der Grundfreiheiten 1. Abschnitt §1

Allgemeiner Teil

Unmittelbare Wirkung und Vorrang der Grundfreiheiten A. Unmittelbare Wirkung I. Grundsätzliche Anerkennung in bezug auf alle Grundfreiheiten II. Unmittelbare Wirkung der Grundfreiheiten und Rechtsangleichung 1. Kein Vorrang der Rechtsangleichung 2. Keine Entbehrlichkeit der Rechtsangleichung 3. Zusammenwirken von Positiv- und Negativintegration . B. Vorrang der Grundfreiheiten I. Vorrang der Grundfreiheiten vor dem nationalem Recht .. II. Lösung von Konflikten zwischen Grundfreiheiten und nationalem Recht 1. Anwendungsvorrang 2. Gemeinschaftskonforme Auslegung

56 57 57 57 58 58 59 60 61 61 61 61 63

XIV §2

Inhaltsverzeichnis

Bezug des Sachverhalts zum Gemeinschaftsrecht A. Unanwendbarkeit auf rein innerstaatliche Sachverhalte B. Gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit sog. „umgekehrter Diskriminierung" C. Normativer Maßstab I. Tätigkeit oder Qualifikationserwerb im Ausland II. Reimporte III. Regionale Privilegien IV. Mißbrauch zur Umgehung nationalen Rechts D. Bezugnahme oder Nachbildung durch nationale Regelungen . . . . I. Freiwillige Nachbildung von Gemeinschaftsrecht II. Freiwillige Bezugnahme auf Gemeinschaftsrecht 1. Freiwillige Inbezugnahme durch private Verträge 2. Inbezugnahme durch eine zivilrechtliche Generalklausel 3. Inbezugnahme durch §134 BGB?

63 63 64 65 66 67 68 69 70 71 71 72

$3

Wirtschaftsbezug A. Schutz grenzüberschreitender Teilnahme am Wirtschaftsleben . . . B. Schutz berufsmäßiger und nicht berufsmäßiger Marktteilnahme . C. Nachfrager- und Verbraucherfreiheit D. Erfassung unentgeltlicher Transaktionen? E. Keine Voraussetzung der Handelsfinalität erfaßter Regelungen ..

74 74 75 75 76 78

§4

Adressaten der Grundfreiheiten A. Die Mitgliedstaaten als primäre Verbotsadressaten I. Bindung jeder staatlichen Stelle II. Bindung von Bestimmungsland und Herkunftsland B. Private Wirtschaftsteilnehmer C. Grundfreiheitenbindung der Gemeinschaftsorgane I. Bedeutung für das mitgliedstaatliche Privatrecht II. Grundsätzliche Bindung der Gemeinschaftsgesetzgebung . III. Inhalt der Bindung an die Grundfreiheiten 1. Verbotsreichweite 2. Rechtfertigung von Freiverkehrsbeschränkungen 3. Ermessen der Gemeinschaftsorgane IV. Gegenseitige Beeinflussung von Grundfreiheiten und sekundärem Recht 1. Gebot grundfreiheitenkonformer Setzung und Auslegung von Sekundärrecht 2. Harmonisierung und Allgemeininteresse a) Vollharmonisierung b) Mindestharmonisierung 3. Kompetenz zur Festlegung des Allgemeininteresses . . . .

79 79 79 80 80 81 81 82 85 85 87 88

72 73

89 89 90 90 90 93

Inhaltsverzeichnis

XV

V. Folgerungen für die Grundfreiheitenprüfung nationalen Privatrechts § 5 Die Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbote A. Feststellung einer Diskriminierung I. Offene (formelle) Diskriminierung 1. Unterschiedliche Behandlung und Diskriminierung . . . . 2. Keine Kompensation offener Diskriminierungen durch andere Maßnahmen 3. Fälle „scheinbarer Diskriminierung" II. Versteckte und mittelbare Diskriminierungen 1. Primär quantitative Abgrenzung durch die Rechtsprechung 2. Divergierende Literaturauffassungen 3. Lösungsvorschlag

§6

§7

95 95 95 96 96 97 98 99 100 100

a) Rechtsunterschiede als Diskriminierungsgrundlage?

101

b) Ermittlung der diskriminierenden Wirkung einer N o r m . . .

102

B. Verhältnis der Grundfreiheiten zu Art. 12 EG I. Verbotsreichweite des Art. 12 EG II. Eingeschränkte Subsidiarität des Art. 12 EG

104 104 105

Verhältnis zu anderen freiheitssichernden Normen A. Grundfreiheiten und Grundrechte I. Die Gemeinschaftsgrundrechte im Uberblick II. Grundrechtsähnlichkeit der Grundfreiheiten III. Differenzierung zwischen Grundfreiheiten und Grundrechten 1. Unterschiede hinsichtlich Voraussetzungen und Reichweite 2. Grundrechtlicher Individualschutz und grandfreiheitlicher Institutionenschutz IV. Folgerungen B. Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln

106 106 107 108

Die Grundfreiheiten

113

2. Abschnitt §1

94

als Teile der gemeinschaftlichen

Die Warenverkehrsfreiheit - Art.28ff. EG

Schutzbereich A. Die Warenverkehrsfreiheit als Pionierfreiheit des Binnenmarktes B. Waren als Schutzgegenstand I. Warenbegriff II. Herkunft und Ursprung der Waren III. Erfassung fehlerhafter Waren

Werteordnung .

109 110 110 112 112

115 115 115 115 115 116 116

XVI

§2

Inhaltsverzeichnis

C. Potentiell geschützte Transaktionen D. Schutzadressaten E. Potentielle Berührungspunkte mit dem nationalen Privatrecht...

118 119 120

Verbotsreichweite: Maßnahmen gleicher Wirkung A. Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung I. Maßnahmebegriff II. Kontingentierungsgleiche Wirkung B. Warenausfuhrfreiheit - Art. 29 EGV I. Auslegung des Art. 29 EG als reines Diskriminierungsverbot II. Die Groenveld-Rechtsprechung III. Anwendung auf Handelsbehinderungen durch Zivilrecht . 1. Keine Diskriminierung durch besonders strenges Herkunftsland-Zivilrecht 2. Bedeutung der Rechtswahlfreiheit

122 122 122 123 123

C. Wareneinfuhrfreiheit - Art. 28 EG I. Die Wareneinfuhrfreiheit als Diskriminierungsverbot II. Ausbau zum Beschränkungsverbot: Dassonville 1. Die Dassonville-Formel 2. Präzisierungsbedarf und Bedeutung für das Privatrecht. III. Erste Beschränkung des Beschränkungsverbots: Cassis de Dijon 1. Sachverhalt und Entscheidungsgründe 2. Anwendung des Art. 28 EG als Beschränkungsverbot .. 3. Beschränkung des Beschränkungsverbots auf der Rechtfertigungsebene

126 126 127 127 127

a) Ausgangspunkt b) Erweiterung der Rechtfertigungsgründe um „zwingende Erfordernisse" c) Labelling-Doktrin

4. Zwischenbilanz 5. Das „Herkunftslandprinzip" a) Voraussetzungen der Herkunftslandformel aa) Rechtmäßige Herstellung und Verkehrsfähigkeit im Herkunftsland? bb) Verkehrsfähigkeit und Zirkulation im Herkunftsland? cc) Ursprungsland, Herkunftsland oder anderer Mitgliedstaat? b) Reichweite und Bedeutung der Herkunftslandformel aa) Kein kompetenzielles Herkunftslandprinzip bb) Bedeutung auf der Rechtfertigungsebene cc) Irrelevanz für die Anwendung als Diskriminierungsverbot

123 124 125 125 126

129 129 130 130 130 130 131

132 132 133 133 134 135 135 136 137 138

Inhaltsverzeichnis dd) Voraussetzung für die Anwendung als Beschränkungsverbot 6. Bedeutung f ü r den Binnenmarkt 7. Bedeutung f ü r das nationale Privatrecht IV. Entwicklung der Rechtsprechung bis zum Vorabend der Keck-Entscheidung 1. Die Tasca-Rechtsprechung a) Erfordernis einer relativen Einfuhrbelastung durch Preisregelungen b) Bedeutung für das nationale Privatrecht 2. Die Oebel-Rechtsprechung a) Oebel und Forest: Erfordernis eines Einfuhrzusammenhangs b) Zu ungewisse und mittelbare Einfuhrbeeinflussung aa) Krantz bb) C M C Motorradcenter c) Bedeutung für das nationale Privatrecht 3. Die Blesgen-Rechtsprechung a) Blesgen - Art. 28 EG als Beschränkungsverbot gegenüber Absatzregelungen b) Torfaen - die sog. Sonntagsverkaufsfälle c) Eigentümliche Wirkungen als „Magna Charta des Privatrechts"? 4. Die Oosthoek-Rechtsprechung a) Oosthoek: grenzüberschreitend einheitliches Werbekonzept b) GB-INNO-BM: Werbung für den Absatz im Herkunftsland c) Yves Rocher: konzerneinheitlich grenzüberschreitende Werbekonzepte d) Weitere Entscheidungen zur Beschränkung von Werbung oder Absatz an sich 5. Stand der Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit am Vorabend von Keck a) Resümee: Konturlosigkeit und Widersprüchlichkeit b) Illustration: Schlußanträge zur Rechtssache Hünermund . . c) Praxistest: Auswirkungen auf die nationale Rechtsprechung V. Keck und Mithouard 1. Ausgangssachverhalt 2. Nicht ergriffene Entscheidungsoptionen 3. Entscheidungsgründe a) Maßstab für diskriminierende Regelungen und Produktregelungen b) Maßstab für „bestimmte Verkaufsmodalitäten" 4. Die Verkaufsmodalitäten-Regel 5. Klarstellungsziel

XVII

138 140 141 141 142 142 143 144 144 145 145 145 146 147 147 147 148 149 149 151 152 153 154 154 155 156 157 157 157 158 158 158 159 159

XVIII

Inhaltsverzeichnis a) Rechtsicherheit durch klare Regelbildung aa) Leitbildfunktion der EuGH-Rechtsprechung für die nationale Judikatur bb) Bestimmtheit als Voraussetzung unmittelbarer Anwendbarkeit b) Steigerung der Rechtsanwendungsqualität und des „effet utile" c) N e u e Unsicherheiten 6. S u b s i d i a r i t ä t d e r E u G H - R e c h t s p r e c h u n g ? a) Keine Subsidiarität im engeren Sinne b) Rechtspolitischer Hintergrund der Keck-Entscheidung . . . c) Vom integrationspolitischen Schrittmacher zum Garanten der Grundfreiheiten V I . D i e V e r k a u f s m o d a l i t ä t e n - R e g e l i m Spiegel d e r Folgerechtsprechung

160 160 161 161 162 163 163 165 166

166

1. A b s o l u t e W i r k u n g : B e s c h r ä n k u n g d e s Einfuhrvolumens a) Conditio sine qua non für die Annahme einer Maßnahme gleicher Wirkung b) Kausalität - „zu ungewiß und mittelbar" aa) Kostenerhöhung durch Anwendung des Bestimmungslandrechts bb) Erfassung der Einfuhrbeschränkung durch Niederlassungshindernisse? cc) Unterschiedliche Rechtsschutzintensität als Handelshindernis? dd) Kausalität und Spürbarkeit (1) Das Spürbarkeitskriterium in der Literatur (2) Ablehnung eines Spürbarkeitstests durch den EuGH (3) Spürbarkeitstest als Lösung de lege ferenda? c) Resümee

167 167 167 167 168 170 171 171 171 173 174

2. Z w e c k : K e i n e gezielte R e g e l u n g d e s W a r e n v e r k e h r s zwischen den Mitgliedstaaten 3. O b j e k t : K e i n e auf E r z e u g n i s s e aus a n d e r e n Mitgliedstaaten gerichtete M a ß n a h m e

175 175

4. G e g e n s t a n d : A b g r e n z u n g z w i s c h e n P r o d u k t - u n d Verkaufsmodalitätenregelungen

175

a) Produktregelungen aa) Produktregelungen im engeren Sinne bb) Absolute Vertriebsverbote und Beschränkungen der Vermarktungsdauer cc) Regelungen der P r o d u k t b e - u n d - k e n n z e i c h n u n g dd) Anwendung von Werberegelungen auf Produktinhalt und Werbeaufdrucke ee) Zusammenfassung b) Regelung bestimmter Verkaufsmodalitäten aa) Werberegelungen

176 176 177 177 178 179 180 180

Inhaltsverzeichnis

XIX

bb) Ladenöffnungsregelungen cc) Vertriebskanalisierungen (1) Vertriebsmonopole (2) Direktvertrieb dd) Zusammenfassung c) Abgrenzung „bestimmter" von „sonstigen" Verkaufsmodalitäten? aa) Unterscheidung von Verkaufsmodalitäten und Absatzsystemen bb) Wertende Betrachtung cc) Bloße Hinweisfunktion d) Sonstige Regelungen (Umfeldregelungen) e) Ergebnis

181 181 181 182 183 183 183 184 184 185 186

5. R e l a t i v e W i r k u n g : E i n s c h r ä n k u n g e n d e r Verkaufsmodalitäten-Regel a) Geltung für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer b) Rechtliche und tatsächliche Gleichberührung der Importwaren

186 ..

187 188

6. B e g r ü n d u n g : E r f o r d e r n i s der Zugangsversperrung oder materiellen Diskriminierung

189

a) K e c k und Dassonville

189

b) Folgerungen für die Reichweite des Art. 28 E G aa) Kein Schutz der Privatautonomie als solcher bb) Ausrichtung des Art. 28 E G auf Marktzugang und Markgleichheit cc) Unterscheidung von Diskriminierung und tatsächlicher Ungleichberührung?

190 190 191 191

7. K r i t e r i e n z u r F e s t s t e l l u n g e i n e r E i n f u h r b e n a c h t e i l i g u n g in d e r F o l g e r e c h t s p r e c h u n g a) Kommission/Griechenland (Säuglingsnahrung): generalisierender Maßstab b) Beispiele für typischerweise importbenachteiligende Vertriebsregelungen aa) Absolute Werbeverbote bb) Werbebeschränkungen mit binnenmarktspezifischem Produktbezug cc) Niederlassungserfordernisse c) D e Agostini als leiser Abschied von „Säuglingsnahrung" und Keck? d) Fazit

192 192 193 193 194 195 196 197

V I I . D i e Verkaufsmodalitäten-Regel im Spiegel der nationalen Rechtspraxis

197

1. A n w e n d u n g s f ä l l e d e r V e r k a u f s m o d a l i t ä t e n - R e g e l

198

2 . A n w e n d u n g s f ä l l e des C a s s i s d e D i j o n - T e s t s u n d des Diskriminierungsverbots 3. R e s ü m e e V I I I . Fortgeltung der O o s t h o e k - R e c h t s p r e c h u n g ? 1. A u s g a n g s f r a g e

199 200 200 200

XX

Inhaltsverzeichnis 2. F o r t g e l t u n g der O o s t h o e k - R e c h t s p r e c h u n g de lege lata? a) Rückschlüsse aus Keck und der Folgerechtsprechung b) Herkunftslandansatz c) Doppelbelastungsansatz aa) Verbot der Belastung mit vertriebsbezogenen Diversifikationskosten? bb) Ungleichberührung bei Weitervertrieb im Bestimmungsland? (1) Rein innerstaatlicher Weitervertrieb (2) Innerstaatlicher Weitervertrieb als Teil eines Euro-Marketing-Konzepts cc) Ungleichberührung bei grenzüberschreitendem Vertrieb? (1) Doppelregelung im weiteren Sinne (2) Doppelregelung im engeren Sinne (3) Rechtsinformationskosten (4) Zweifel am Abgrenzungskriterium des grenzüberschreitenden Vertriebs d) Fazit: Oosthoek ist tot!

205 206 206 206 208 208 209 210 211 212

3. E s lebe O o s t h o e k ?

212

a) Neubewertung der EuGH-Judikatur aus der Zeit vor Keck b) Vollkommener Binnenmarkt, Freiverkehr und unverfälschter Wettbewerb c) Erforderlichkeit eines vertriebsbezogenen Beschränkungsverbots? d) Bedeutung der Rechtsangleichung

213 215 216 217

4. R e s ü m e e

218

I X . Ergebnis §3

Rechtfertigung

von Maßnahmen

202 202 204 205

219 gleicher

Wirkung

220

A. Rechtfertigungsgründe

220

I. P r i m ä r r e c h t l i c h e R e c h t f e r t i g u n g n a c h A r t . 3 0 E G

220

1. S c h u t z des g e w e r b l i c h e n u n d k o m m e r z i e l l e n Eigentums

221

2. D a s P r i v a t r e c h t als B e s t a n d t e i l der ö f f e n t l i c h e n Ordnung?

222

I I . Z w i n g e n d e E r f o r d e r n i s s e des A l l g e m e i n i n t e r e s s e s 1. A u s g a n g s p u n k t : D i e E n t s c h e i d u n g C a s s i s de D i j o n

223 ....

223

2. V o m E u G H a n e r k a n n t e A l l g e m e i n i n t e r e s s e n auf d e m G e b i e t des P r i v a t r e c h t s

224

a) Verbraucherschutz b) Lauterkeitsschutz c) Weiterungen in der Folgerechtsprechung aa) Soziale und kulturelle Besonderheiten bb) Kohärenz des nationalen Rechts cc) Funktionsschutz dd) Vom Verbraucherschutz zum Schwächerenschutz . . . .

224 225 226 227 227 228 229

Inhaltsverzeichnis

XXI

3. Allgemeine Anforderungen an die Bestimmung zwingender Erfordernisse

230

a) Quellen für die Ermittlung anerkennungsfähiger Allgemeininteressen b) Grundsätzlich einheitliche Anerkennung für alle Grundfreiheiten c) Entscheidungszuständigkeit des E u G H d) Grenzen aa) Keine abschließende Gemeinschaftsregelung bb) Keine Berufung auf rein wirtschaftlicher Gründe cc) Keine Verhinderung richtiger Verbraucherinformation dd) Keine Zementierung nationaler Verbrauchererwartungen ee) Keine Unlauterkeit der Nutzung grundfreiheitlicher Freiräume ff) Kein Schutz von in anderen Mitgliedstaaten lokalisierten Interessen e) Rechtspolitische Überlegung: Obergrundfreiheit „Verhältnismäßigkeit"?

4. Anwendbarkeit der „zwingenden Erfordernisse" auf diskriminierende Regelungen B. Rechtfertigungsgrenzen („Schranken-Schranken") I. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 1. Geeignetheit a) Mindestanforderungen an Interessengefährdung und Wirkung der Maßnahme b) Konsequente Zielverfolgung als Voraussetzung der Geeignetheit?

§4

231 232 232 233 233 235 235 236 236 238

239 241 241 243 243 244

2. Erforderlichkeit 3. Angemessenheit 4. Zuständigkeitsverteilung zwischen EuGH und nationalen Gerichten II. Sonstiges Primärrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze und Grundrechte C. Ergebnis

245 246

Zusammenfassung

252

3. Abschnitt §1

230

zur Warenverkehrsfreiheit

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit - Art. 39ff. E G

Schutzbereich A. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit als Personenverkehrsfreiheit . . . . I. Subjektbezogenheit II. Grundrechtsähnlichkeit III. Sekundärrechtliche Ausgestaltung

248 250 251

254 254 254 254 254 255

XXII

$2

Inhaltsverzeichnis

B. Arbeitnehmer als Schutzadressaten I. Arbeitnehmerbegriff II. Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten III. Persönlicher und räumlicher Anwendungsbereich C. Potentielle Berührungspunkte mit dem nationalen Privatrecht...

255 255 256 257 258

Verbotsreicbweite A. Diskriminierungsverbot I. Grundsatz der Inländergleichbehandlung II. Verbot der Diskriminierung mobiler Arbeitnehmer B. Beschränkungsverbot I. Vom Diskriminierungs- zum Beschränkungsverbot 1. Ramrath: Kongruenz der Personenverkehrsfreiheiten und zwingende Gründe 2. Die Kraus-Formel 3. Der Gebhard-Test 4. Bosman: Anwendung des Art. 39 EG als Beschränkungsverbot II. Reichweite des Art. 39 EG als Beschränkungsverbot 1. Präzisierungsbedarf 2. Rechtsprechung des E u G H

259 259 259 261 261 261

a) Bosman und Keck b) Verbot der Marktzugangsversperrung durch Qualifikationserfordernisse c) Die Rechtssache Deliege als leiser Widerhall der Keck-Entscheidung? d) Die Rechtssache Graf: zu indirekte und ungewisse Wirkung

3. Differenzierung zwischen Berufszugangs- und Berufsausübungsregelungen a) Schlußanträge der Generalanwälte b) Literaturstimmen c) Stellungnahme

§3

§4

262 263 264 264 266 266 267 267 268 269 270

272 272 274 274

4. Umfeldregelungen 5. Resümee C. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit als Wegzugsfreiheit

276 276 276

Rechtfertigung von Freizügigkeitshindernissen A. Rechtfertigungsgründe I. Primärrechtliche normierte Vorbehalte II. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses B. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und andere Rechtfertigungsgrenzen

277 277 277 278

Zusammenfassung

280

zur Arbeitnehmerfreizügigkeit

280

Inhaltsverzeichnis

4. Abschnitt §1

§2

Die Niederlassungsfreiheit - Art. 43 ff. E G

Schutzbereich A. Die Niederlassungsfreiheit als Schwester der Arbeitnehmerfreizügigkeit B. Schutzadressaten C. Varianten der Niederlassungsfreiheit I. Primäre Niederlassungsfreiheit II. Sekundäre Niederlassungsfreiheit D. Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften I. Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2 E G II. Gemeinschaftszugehörigkeit nach Art. 48 Abs. 1 als Gleichstellungsvoraussetzung 1. Erfordernis der Gründung nach dem Recht eines Mitgliedstaates

XXIII 282 282 282 282 283 283 284 285 285 286 286

a) Daily Mail

286

b) Lex fori oder Gründungsrecht? aa) Daily Mail: Abhängigkeit vom nationalen Gesellschaftsrecht? bb) Centros: Relativierung in bezug auf die sekundäre Niederlassungsfreiheit cc) Uberseering: Maßgeblichkeit des Gründungsrechts . . . c) Reichweite der Verweisung: Gründung oder Existenz? . . . . d) Sachnormverweisung oder Gesamtverweisung? aa) Bedenken gegen die Annahme einer Gesamtverweisung bb) Bedenken gegen die Annahme einer reinen Sachnormverweisung cc) Eingeschränkte Gesamtverweisung („Gründungsstaat-Theorie")

287 287 288 290 292 293 294 294 294

2. Ansässigkeitserfordernis E. Die Niederlassungsfreiheit als Motor des Systemwettbewerbs? . . F. Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten I. Arbeitnehmerfreizügigkeit II. Dienstleistungsfreiheit III. Warenverkehrsfreiheit IV. Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit G. Potentielle Berührungspunkte mit dem nationalen Privatrecht...

296 297 298 298 299 299 300 300

Verbotsreichweite A. Diskriminierungsverbot B. Beschränkungsverbot I. Entwicklung des Art. 43 E G zum Beschränkungsverbot . . . 1. Rechtsprechung 2. Der Normtext und seine Korrektur durch den Amsterdamer Vertrag II. Reichweite des Art. 43 E G als Beschränkungsverbot

302 302 303 303 303 305 305

XXIV

Inhaltsverzeichnis

1. Anwendbarkeit der Keck-Grundsätze 2. Anhaltspunkte in der EuGH-Judikatur a) Semeraro Casa Uno: „zu ungewiß und mittelbar" b) Pfeiffer Großhandel: Marktzugangs- und Diskriminierungsbezug c) Perfili: Irrelevanz des Unterschieds der Rechtsordnungen an sich

3. Folgerungen für die Reichweite des Beschränkungsverbots a) Achtung der Rechts- und Parteifähigkeit ausländischer Gesellschaften b) Freier Berufs- und Marktzugang c) Marktzugangsschutz und sekundäre Niederlassungsfreiheit d) Inländergleichbehandlung bei Ausübung der Erwerbstätigkeit e) Umfeldregelungen

III. Fazit: Wachsende Konvergenz der Grundfreiheiten C. Schutzentfaltung gegenüber dem Heimatstaat (Wegzugsfreiheit) §3

§4

306 307 308

309 309 309 310 310 311

311 312

Rechtfertigung von Freizügigkeitshindernissen A. Rechtsfertigungsgründe I. Primärrechtlich normierte Vorbehalte II. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses B. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und andere Rechtfertigungsgrenzen

313 313 313 314

Zusammenfassung

315

5. Abschnitt §1

305 306

zur Niederlassungsfreiheit

Die Dienstleistungsfreiheit - Art. 49ff. EG

Schutzhereich A. Brückenfunktion der Dienstleistungsfreiheit B. Dienstleistungsbegriff C. Varianten der Dienstleistungsfreiheit I. Personenverkehrsfreiheit II. Produktfreiheit D. Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten I. Personenverkehrsfreiheiten II. Warenverkehrsfreiheit 1. Grundsatz: Abgrenzung nach dem Körperlichkeitskriterium 2. Abgrenzung nach der Schwerpunktregel 3. Abgrenzung bei Miete und Leasing 4. Parallele Anwendbarkeit bei trennbaren Transaktionen .

315

317 317 317 317 318 318 320 321 321 321 321 322 323 324

Inhaltsverzeichnis

§2

III. Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit E. Potentielle Berührungspunkte mit dem nationalen Privatrecht...

324 325

Verbotsreichweite A. Diskriminierungsverbot B. Beschränkungsverbot I. Anerkennung durch die Rechtsprechung II. Reichweite des Beschränkungsverbots 1. Kein Schutz der Privatautonomie als solcher 2. Ubertragbarkeit der Keck-Rechtsprechung

325 325 326 326 327 327 328

a) Anhaltspunkte in der EuGH-Rechtsprechung aa) Alpine Investments bb) D e A g o s t i n i cc) Sonstige Rechtsprechung zur Dienstleistungsfreiheit . . b) Der Einfluß der Keck-Judikatur im Spiegel der Literatur . . aa) Kriterium des hinreichenden grenzüberschreitenden Bezugs (1) Beschränkungsverbot nur in bezug auf Korrespondenzdienstleistungen? (2) Umfassendes Beschränkungsverbot bei Grenzüberschreitung? (3) Stellungnahme bb) Differenzierung nach dem Vorbild der Verkaufsmodalitäten-Regel (1) Produktregelungen (2) Unternehmensbezogene Regelungen (3) Sonstige Regelungen (Vertriebs- und Umfeldregelungen) c) Ergebnis

C. Ausgangs- bzw. Ausfuhrfreiheit I. Spiegelverkehrte Anwendung der Verkaufsmodalitäten-Regel II. Beschränkungskontrolle produkt- und unternehmensbezogener Regelungen? III. Exkurs: Reform der Groenveld-Rechtsprechung zu Art. 29 EG §3

§4

XXV

329 329 331 331 332 333 333 334 334 335 336 337 338 339

340 340 340 343

Rechtfertigung von Dienstleistungsbeschränkungen A. Rechtfertigungsgründe I. Primärrechtlich normierte Vorbehalte II. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses B. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und andere Rechtfertigungsgrenzen

345

Zusammenfassung

346

zur Dienstleistungsfreiheit

343 343 343 343

XXVI 6. Abschnitt §1

§2

§3

Inhaltsverzeichnis

Die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit - Art.56ff. EG .

348

Schutzbereich A. Entwicklung zur gleichberechtigten Grundfreiheit B. Kapitalverkehrsfreiheit - Art. 56 Abs. 1 EG I. Begriff des Kapitalverkehrs (sachliche Reichweite) II. Räumlicher Bezug und persönliche Reichweite C. Zahlungsverkehrsfreiheit - Art. 56 Abs. 2 EG D. Abgrenzung der Kapitalverkehrsfreiheit zu den anderen Grundfreiheiten I. Warenverkehrsfreiheit II. Niederlassungsfreiheit 1. Direktinvestitionen 2. Grunderwerb III. Arbeitnehmerfreizügigkeit IV. Dienstleistungsfreiheit 1. Finanzdienstleistungen 2. Versicherungen 3. Lizenzierung geistiger Eigentumsrechte E. Potentielle Berührungspunkte mit dem nationalen Privatrecht...

348 348 349 349 350 351

Verbotsreichweite A. Diskriminierungsverbot B. Beschränkungsverbot I. Entsprechende Anwendbarkeit der Dassonville-Formel . . . II. Reichweite des Beschränkungsverbots 1. Beschränkung der Verbotsreichweite entsprechend Cassis de Dijon 2. Beschränkung des Verbotstatbestands entsprechend den Keck-Grundsätzen

360 360 361 361 362

a) Ubertragbarkeit der Keck-Grundsätze aa) Literatur bb) Rechtsprechung - die Golden Shares-Entscheidungen . cc) Stellungnahme zur Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit als Beschränkungsverbot b) Differenzierung nach dem Vorbild der Dienstleistungsfreiheit aa) P r o d u k t - oder unternehmensbezogene Regelungen . . . bb) Absatz- bzw. Investitionsmodalitäten und Umfeldregelungen cc) Stimmrechtsbeschränkungen dd) Ubernahmerechtliche Regelungen

363 363 364

352 352 353 353 355 356 356 356 358 359 359

363 363

367 369 369 369 370 371

C. Ausfuhrfreiheit

372

Rechtfertigung von Kapitalverkehrsbeschränkungen A. Rechtfertigungsgründe I. Primärrechtliche normierte Vorbehalte

373 373 373

Inhaltsverzeichnis

XXVII

1. Ausnahmen für den Kapitalverkehr mit Drittstaaten in Art. 57 E G 2. Ausnahmeregelungen in Art. 58 E G II. Zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses B. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und andere Rechtfertigungsgrenzen §4

Zusammenfassung

zur Kapital-

und Zahlungsverkehrsfreiheit

373 373 374 375 376

3. T E I L

E i n w i r k u n g der G r u n d f r e i h e i t e n auf das deutsche Privatrecht 1. Abschnitt §1

§2

§3

Allgemeiner Teil

Facetten grundfreiheitlicher Drittwirkung im Uberblick A. Die Grundfreiheiten als Institutsgarantien B. Die Grundfreiheiten als Quelle von Schutz- und Förderpflichten C. Die Grundfreiheiten als Schranken des nationalen Privatrechts . . Die A. B. C.

Grundfreiheiten als Institutsgarantien Garantie privatrechtlicher Institute durch den EG-Vertrag? Kernbereichsschutz und Wesensgehaltgarantie Überwindung der Ermöglichungsperspektive durch Institutsgarantien? I. Der Ansatz von Wilmowskys II. Stellungnahme 1. Widerspruch zur EuGH-Rechtsprechung 2. Gefahr der Uberdehnung der Grundfreiheiten und der EuGH-Kompetenzen 3. Gefahr des Verlusts eines verläßlichen privatrechtlichen Orientierungsrahmens 4. Institutionelle Ausrichtung der Grundfreiheiten auf das Binnenmarktziel 5. Ausgleich von Repräsentationsdefiziten durch Anwendung der Grundfreiheiten? D . Ergebnis Die Grundfreiheiten als Quelle von Schutz- und Förderpflichten .... A. Aus den Grundfreiheiten abgeleitete Schutzpflichten I. Kommission/Frankreich (Französische Bauernproteste)... II. Begründung, Voraussetzungen und Reichweite der Schutzpflicht 1. Begründung: Ableitung einer Schutzpflicht aus Art. 28 i.V.m. Art. 10 E G

378 379 379 380 381 381 381 382 383 383 384 384 385 385 386 387 387 388 388 388 390 390

XXVIII

Inhaltsverzeichnis

2. Voraussetzungen: Schutzlücke und massive Handelsbehinderung 3. Inhalt: lediglich Ergebnispflicht 4. Kontrolldichte: nur Kontrolle auf evidente Ermessensfehler 5. Schutzrichtung: Binnenmarktbezug der Grundfreiheiten III. Zusammenfassende Wertung B. Normsetzungspflichten aufgrund der Förderpflicht der Mitgliedstaaten? I. Literaturstimmen zur Handelsbehinderung durch das Fehlen von Normen II. Das Fehlen von Normen aus dem Blickwinkel der Privatautonomie III. Handelsbehinderung durch „Unterregulierung" ? IV. Ergebnis §4

Die Grundfreiheiten als Schranken des Privatrechts A. Das Privatrecht als Gegenstand der Grundfreiheitenkontrolle . . . I. Bereichsausnahme zugunsten des Privatrechts? 1. Irrelevanz der formellen Zuordnung einer N o r m zum Privatrecht 2. Erfordernis privater Rechtsausübung und gerichtlicher Konkretisierung II. Privatrecht ohne Wirtschaftsbezug, insbesondere Erb- und Familienrecht B. Zur Grundfreiheitenkontrolle nicht autonom mitgliedstaatlicher Normen I. Konventionsprivatrecht II. Gemeinschaftsprivatrecht C. Voraussetzungen der Grundfreiheitenkontrolle privatrechtlicher Normen I. Zusammenspiel von Kollisions- und Sachprivatrecht II. Handelsbehindernde Wirkung 1. Verbotsreichweite der Grundfreiheiten im Lichte der Keck-Rechtsprechung 2. Test für die Feststellung einer verbotenen handelsbehindernden Wirkung D. Zur Bedeutung der Abbedingbarkeit privatrechtlicher Normen . I. Sachlich dispositives Privatrecht 1. Handelsfördernde Wirkung dispositiver Normen 2. Dispositive Normen als partiell zwingendes staatliches Recht 3. Stellungnahme

391 392 392 393 394 395 395 396 397 398 399 399 399 399 401 402 404 404 406 406 406 407 407 409 411 411 411 412 412

Inhaltsverzeichnis a) F o r m e l l e B e t r a c h t u n g : Staatlichkeit dispositiven R e c h t s . . .

XXIX 413

b ) Materielle B e t r a c h t u n g : Erfordernis der Handelsbehinderung c) Dispositive N o r m e n und A G B

4. Ergebnis II. Grundfreiheitenkontrolle des Sachrechts trotz Rechtswahlfreiheit? 1. Alsthom Atiantique 2. Ausschluß der Grundfreiheitenkontrolle bei Rechtswahlfreiheit 3. Kritik in der Literatur 4. Stellungnahme a) Rechtswahlfreiheit und Vertragsrecht b) Rechtswahlfreiheit außerhalb des Vertragsrechts

III. Ergebnis IV. Exkurs: Objektive Anknüpfung an das Anbieterrecht E. Reformfunktion der Grundfreiheiten in bezug auf das nationale Gesetzesrecht I. Literaturstimmen II. EuGH-Judikatur III. Stellungnahme 1. Anderungspflicht bei Notwendigkeit korrigierender Auslegung 2. Keine Anderungspflicht bei bloßer Offenheit des Normwortlauts 3. Normanpassung zur Korrektur einer grundfreiheitenwidrigen Praxis 4. Faktischer Reformdruck F. Zivilgerichtliche Entscheidungen als Freiverkehrsbeschränkungen I. Ausgangspunkt: Ausfüllungsbedürftigkeit zivilrechtlicher Normen II. Zweifel und Relativierungen in der Literatur III. Stellungnahme 1. Zur Differenzierung nach der Bedeutung der Entscheidung 2. Grundfreiheitenbindung der Zivilgerichte 3. Umfang und Grenzen der Grundfreiheitenbindung der Zivilgerichte

413 414

415 415 415 416 416 417 417 419

419 419 420 420 421 422 423 424 424 425 425 425 426 426 426 427 428

a) B i n d u n g bei Auslegung und A n w e n d u n g staatlichen Rechts

428

b) B i n d u n g bei Auslegung privatautonom gesetzter Willenserklärungen?

G. Zusammenfassung

429

430

XXX

Inhaltsverzeichnis

2. Abschnitt §1

Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

Vorbemerkung A. Internationale Zuständigkeit I. Zusammenspiel von Internationalem Zuständigkeits- und Privatrecht II. Bestimmung des Gerichtsstandes durch die E u G W O . . . . III. Bedeutung für das Verhältnis von Grundfreiheiten und Kollisionsrecht B. Das Kollisionsrecht als Gegenstand der Grundfreiheitenkontrolle I. Divergierende Literaturansätze II. EuGH-Judikatur 1. Generelle Zurückhaltung des E u G H 2. Daily Mail: Vorrang der Rechtsangleichung? 3. Alsthom Atiantique: Bedeutung der Rechtswahlfreiheit 4. Johannes: Kollisionsnormen ohne Wirtschaftsbezug . . . . 5. Hubbard: Irrelevanz der formellen Zuordnung einer N o r m zum Kollisionsrecht III. Folgerungen 1. Grundsätzliche Neutralität des I P R in bezug auf die Grundfreiheiten a) Beschränkung auf Binnenmarktsachverhalte mit Wirtschaftsbezug b) Beschränkung auf die Kontrolle zwingender Kollisionsnormen c) Bedeutung des Zusammenspiels von Kollisions- und Sachrecht d) Bedeutung der Möglichkeit einer kollisionsrechtlichen Konfliktlösung

2. Ausnahme in Fällen spezifisch kollisionsrechtlicher Handelsbehinderung? §2

Die Grundfreiheiten als Kollisionsnormen A. Die Lehre von den „versteckten Kollisionsnormen" I. Berufung des Herkunftslandrechts 1. Reines Herkunftslandprinzip 2. Eingeschränktes Herkunftslandprinzip II. Anbieterorientiertes Günstigkeitsprinzip („favor offerentis") III. Verdrängung des Internationalen Privatrechts durch die Grundfreiheiten? IV. Stellungnahme 1. Kollisionsrechtsähnlichkeit der Grundfreiheiten?

432 432 432 432 433 434 435 435 436 436 437 438 439 439 440 440 440 440 441 442

442 444 444 444 444 445 446 447 447 447

Inhaltsverzeichnis

XXXI

2. Unvereinbarkeit mit der geltenden EuGH-Rechtsprechung 3. Kollisionsrechtliche Deutung der Grundfreiheiten de lege ferenda? a) Reines Herkunftslandprinzip aa) „Patt" zwischen Anbieter- und Nachfragerfreiheit? . . . bb) Zwingende Allgemeininteressen, insbesondere Verbraucherschutz cc) Widersprüchlichkeit bei Grundfreiheitenverstoß der Herkunftslandregelung dd) Fazit b) Eingeschränktes Herkunftslandprinzip c) Anbieterorientiertes Günstigkeitsprinzip

B. Ansätze im Grenzbereich von positiver und negativer Wirkung . I. Sonderanknüpfung bei grundfreiheitenwidriger Sachnorm II. Die Grundfreiheiten als „negative einseitige Kollisionsnormen" C. Ergebnis §3

Die Grundfreiheiten als Schranken des Internationalen Privatrechts A. Anwendung der Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbote .. I. Ausgangssituation 1. Allgemeiner Diskriminierungstest 2. Gebot der Inländerbehandlung und kollisionsrechtliche Differenzierung II. Potentielle Fallgruppen kollisionsrechtlicher Diskriminierung 1. Offene kollisionsrechtliche Privilegierung eigener Staatsangehöriger 2. Diskriminierung durch Anwendung der lex fori? a) Anwendung der lex fori durch ein Gericht des Bestimmungslandes b) Anwendung der lex fori durch ein Gericht des Herkunftslandes c) Ergebnis

3. Diskriminierung durch Anknüpfung ausländischen Rechts als solche 4. Anknüpfung strengeren Herkunftslandrechts durch das Bestimmungsland-IPR a) Diskriminierung durch Berufung strengeren Bestimmungslandrechts? b) Zur Bedeutung der Wermutwein-Entscheidung c) Ansätze zur Widerlegung des Verdachts kollisionsrechtlicher Diskriminierung

449 452 452 453 454 454 455 456 457

458 458 459 459

460 460 460 460 461 462 463 464 464 465 465

465 467 467 468 469

XXXII

Inhaltsverzeichnis aa) „Patt" zwischen Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot? (1) Legitimierung von Diskriminierungen durch das Herkunftslandprinzip ? (2) Unanwendbarkeit der Grundfreiheiten in Ermangelung klarer Maßstäbe (3) Spezifisch kollisionsrechtliche Diskriminierung . . . (4) Stellungnahme bb) Keine Diskriminierungseignung bei Allseitigkeit der Anknüpfung? (1) Hintergrund (2) Allseitige A n k n ü p f u n g = unterschiedslose Anwendung? (3) Stellungnahme cc) Bedeutung des Zusammenspiels mehrerer Rechtsordnungen (1) Literaturstimmen (2) Stellungnahme dd) Herkunftslandverantwortung und internationaler Entscheidungseinklang (1) Kontrolle am Maßstab der Ausfuhrfreiheiten? . . . . (2) Bedrohung des Internationalen Entscheidungseinklangs (3) Stellungnahme d) Konkretisierung des Diskriminierungstests für Kollisionsnormen aa) Bedeutung der A n k n ü p f u n g an verdächtige Kriterien . bb) Bedeutung der Berufung strengerer ausländischer Sachnormen cc) Test: Typische Auslösung materieller Ausländerbenachteiligung? dd) Anwendung e) A n k n ü p f u n g an strengeres Recht durch das Herkunftsland-IPR 5. D i s k r i m i n i e r u n g d u r c h k o l l i s i o n s r e c h t l i c h e Günstigkeitsregeln

470 471 471 472 474 474 474 475 476 476 477 478 478 478 479 480 480 481 482 482 483 484

a) Anbieterorientierte Günstigkeitsregeln b) Nachfrager- bzw. geschädigtenorientierte Günstigkeitsregeln B. A n w e n d u n g d e r G r u n d f r e i h e i t e n als B e s c h r ä n k u n g s v e r b o t e

470

484 485 ....

485

I. V o r a u s s e t z u n g : S p e z i f i s c h k o l l i s i o n s r e c h t l i c h e Behinderungswirkung

485

II. F r e i v e r k e h r s b e s c h r ä n k u n g d u r c h E n t z u g des Heimatrechts?

486

I I I . A l p i n e I n v e s t m e n t s als A u s d r u c k eines kollisionsrechtlichen U b e r m a ß v e r b o t s ? IV. E r g e b n i s

487 489

Inhaltsverzeichnis

3. Abschnitt

XXXIII

Einwirkung der Grundfreiheiten auf das deutsche IPR

§ 1 Rechtsfähigkeit

und Geschäftsfähigkeit

natürlicher Personen

490 490

§2

Stellvertretung

491

§3

Internationales Schuldvertragsrecht A. Die einschlägigen Regelungen und ihre Quellen B. Grundsatz der Rechts wahlfreiheit C. Dispositive objektive Anknüpfungen D. Form E. Zwingende Regelungen I. Art. 27 Abs. 3 EGBGB: Verbindung des Sachverhalts mit nur einem Staat II. Art. 32 Abs. 2 EGBGB: Berücksichtigung des Erfüllungsstaatrechts III. Verbraucherverträge 1. Art. 29 EGBGB 2. Art. 29a EGBGB IV. Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse im Sinne des Art. 30 EGBGB V. Eingriffsnormen 1. Anwendung inländischer Eingriffsnormen im Sinne des Art. 34 EGBGB 2. Pflicht zur Anwendung ausländischer Eingriffsnormen?

492 492 494 494 495 495

Internationales Versicherungsvertragsrecht A. Regelungsinhalt B. Kritik in der Literatur C. Stellungnahme I. Besonderheiten bei der Grundfreiheitenprüfung harmonisierten Privatrechts II. Vorwurf mangelnder gesetzgeberischer Konsequenz III. Schutz kleiner und mittlerer Gewerbetreibender IV. Beschränkung der Nachfragerfreiheit V. Bedeutung des Art. 9 Abs. 4 E G W G D. Ergebnis

503 503 504 505

§4

55

Internationales Delikts- und Produkthaftungsrecht A. Regelungsinhalt B. Anwendbarkeit der Grundfreiheiten C. Einzelne Anknüpfungen I. Art. 40 Abs. 1 EGBGB und das Internationale Produkthaftungsrecht 1. Diskriminierung durch die Ubiquitäts- und Günstigkeitsregel?

495 496 497 497 500 501 501 501 503

505 506 507 507 508 509 509 509 511 512 512 512

XXXIV

Inhaltsverzeichnis

2. Zur Bedeutung der Produkthaftungsrichtlinie von 1985 a) Keine Vollharmonisierung des materiellen Produkthaftungsrechts b) Schweigens der Richtlinie zum Internationalen Produkthaftungsrecht

3. Diskriminierungstatbestand a) A n k n ü p f u n g an den Handlungsort nach Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB b) Wahlrecht nach Art.40 Abs. 1 S.2 E G B G B

4. Rechtfertigung der Anwendung des Art.40 Abs. 1 S.2 EGBGB a) Rechtfertigungsmaßstab bei spezifisch kollisionsrechtlicher Diskriminierung b) Rechtfertigung durch den Schwächerenschutzgedanken . . . c) Indirekte Anerkennung der Ubiquitätsregel durch die EuGH-Rechtsprechung

513 513 514

514 514 515

516 516 516 518

5. Ergebnis II. Art. 40 Abs. 2 EGBGB 1. Exportdiskriminierung 2. Exportbeschränkung D. Bedeutung der Ausweichklausel des Art. 41 EGBGB E. Bedeutung der Rechtswahlmöglichkeit nach Art. 42 EGBGB . . . .

519 520 520 521 521 522

§6

Internationales Lauterkeitsrecht A. Grundzüge B. Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten I. Marktortregel II. Abweichende Anknüpfung von „Kaffeefahrt-Fällen" III. Stahlexport-Rechtsprechung des B G H

522 522 524 524 526 526

57

Internationales Kartellrecht

527

§8

Internationales Immaterialgüterrecht

528

§9

Internationales Sachenrecht A. Regelungsinhalt B. Situs-Regel und Grundfreiheiten im Spiegel der Literatur C. Stellungnahme I. Bedeutung des Art. 295 EG II. Bedeutung der Entscheidung Krantz III. Bedeutung der Keck-Rechtsprechung D. Ergebnis

528 528 530 532 532 534 534 536

§10 Kollisionsrechtlicher ordrepublic-Vorbehalt

536

§11 Internationales Gesellschaftsrecht A. Ausgangslage

537 537

Inhaltsverzeichnis

XXXV

I. Gründungstheorie, Sitztheorie und Grundfreiheiten II. Daily Mail und die Sonderstellung des Internationalen Gesellschaftsrechts III. Centros als Etappensieg der Gründungstheorie B. Die Entscheidung Überseering D. Auswirkungen auf das Internationale Gesellschaftsrecht I. Vorbemerkung: Kollisionsrechtliche Bedeutung des Art. 48 EG? II. Primärrechtlicher Kontrollmaßstab III. Bedeutung der Entscheidung für das Gesellschaftskollisionsrecht 1. Kollisionsrechtliche Deutung der Entscheidung 2. Sonderanknüpfung der Rechts- und Parteifähigkeit oder Gründungsstatut? IV. Auswirkung auf das nationale Gesellschaftskollisionsrecht 1. Grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit ohne Sitzverlegung 2. Wegzugsfälle 3. Ausübung der sekundären Niederlassungsfreiheit 4. Freie Standortwahl oder freie Rechts wähl? 5. Zuzugsfälle

537 538 540 541 542 542 543 544 544 546 547 547 548 548 549 550

a) Gesellschaften aus Gründungstheorie-Staaten b) Gesellschaften aus Sitztheorie-Staaten c) Nach dem Recht eines Drittstaates gegründete Gesellschaften

550 551

6. Ubergang zur Gründungstheorie de lege ferenda? IV. Durchsetzung der Schutzvorschriften des Aufnahmestaates 1. Zulässigkeit des Schutzes zwingender Interessen des Sitzstaates 2. Kollisionsrechtliche Durchsetzung durch Sonderanknüpfung 3. Inspire Art 4. Beispiele

552

a) Verkehrsschutz aa) Handelsrechtliche Registrierungsrechte und -pflichten bb) Firmenrecht b) Gläubigerschutz aa) Vorschriften über die Kapitalaufbringung und -erhaltung bb) Durchgriffshaftung c) Gesellschafterschutz durch Konzernrecht d) Arbeitnehmerschutz durch Mitbestimmung

V. Resümee und Ausblick

551

552 552 553 554 554 554 555 555 556 557 558 558 559

560

XXXVI

Inhaltsverzeichnis

§12 Ergebnis 4. Abschnitt §1

561 Einwirkung der Grundfreiheiten auf das deutsche Sachprivatrecht

Lauterkeitsrecbt A. Ausgangslage I. Anwendbarkeit nach Maßgabe der Marktortregel II. Grundfreiheitenkontrolle des deutschen Lauterkeitsrechts nach Keck 1. Maßstab: Keck statt Oosthoek 2. Verbleibender Anwendungsbereich der Grundfreiheiten

564 564 564

a) Produktregelnde Anwendung von Lauterkeitsnormen . . . . b) P r o d u k t - oder personenbezogene Bezeichnungsverbote . . . c) Diskriminierung durch Anwendung werbe- oder lauterkeitsrechtlicher N o r m e n aa) O f f e n diskriminierende Regelungen bb) Absolute Werbeverbote cc) Werbebeschränkungen mit binnenmarktspezifischem Produktbezug

565 566

2. Rechtfertigung a) Grundsatz b) Leitbild eines verständigen und mündigen Verbrauchers . . . c) Lauterkeit der N u t z u n g grundfreiheitlicher Freiräume . . . . III. Z u r B e d e u t u n g sekundärrechtlicher Regelungen

B. Das deutsche Lauterkeitsrecht im Spiegel der Grundfreiheiten .. I. DocMorris: grenzüberschreitender Medikamentenversand und § 1 U W G 1. Position der deutschen Rechtsprechung 2. Bewertung aus der Perspektive des Gemeinschaftsrechts II. EG-Neuwagen-Fälle: Ableitung einer Hinweispflicht aus §3 UWG 1. Sachverhalt 2. Lösungsansätze in der deutschen Rechtsprechung 3. Bewertung in der Literatur 4. EuGH-Rechtsprechung 5. Stellungnahme a) Auslegung des § 3 U W G im Lichte des Gemeinschaftsrechts b) Verstoß der konkreten Werbung gegen Art.28 EG?

§2

563

Allgemeiner Teil des BGB und Schuldvertragsrecht A. Anwendbarkeit der Grundfreiheiten I. Bereichsausnahme zugunsten des Schuldvertragsrechts? . . .

564 564 565

567 567 568 568

569 569 570 571 571

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Inhaltsverzeichnis

XXXVII

1. Literaturstimmen 2. Stellungnahme II. Kollisionsrechtliche Anwendbarkeit schuldvertragsrechtlicher Normen B. Die einzelnen Regelungen im Spiegel der Grundfreiheiten I. Regelungen über Zustandekommen und Wirksamkeit von Verträgen 1. Rechts- und Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen . . . 2. Bürgentauglichkeit nach §239 Abs. 1 BGB 3. Vertragsnichtigkeit

585 586 586 587

a) Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB . . . . b) Verstoß gegen die guten Sitten nach § 138 BGB c) Formnichtigkeit und sonstige Nichtigkeitsgründe

587 588 589

II. Beschränkung der Durchsetzbarkeit vertraglicher Ansprüche 1. Naturalobligationen 2. Verjährung und Verwirkung III. Gesetzliche Ausgestaltung von Primärpflichten 1. Hauptleistungsbezogene Regelungen a) Grundsätzliche Überlegungen aa) Bedeutung der Charakterisierung als sog. „Rechtsprodukt" bb) Abgrenzung von Produktregelungen und sonstigen Regelungen cc) Besonderheiten bei der AGB-Kontrolle? b) Versicherungsvertragsrecht aa) Versicherungsverbote bb) Inhaltsbestimmungen zur Krankenversicherung cc) Kündigungsregelung des § 8 Abs. 3 S. 1 W G dd) Versicherungsrechtliches Bereicherungsverbot ee) Regelungen zum Schutz der Gefahrsperson ff) Sonstige Regelungen c) Kündigungsregelungen im Darlehens-, Miet- und Arbeitsrecht aa) Darlehensrecht (1) Regelungsinhalt des §489 BGB (2) Zwingende Wirkung (3) U b e r p r ü f u n g am Maßstab der Grundfreiheiten . . . bb) Wohnraummietrecht cc) Arbeitsrecht

2. Gegenleistungsbezogene Regelungen a) Mietrecht b) Maklerrecht c) Arbeitsrecht

IV. Regelung von Sekundärpflichten 1. Gewährleistungspflichten a) Grundsätzliche Abbedingbarkeit

582 583 585 585

590 590 592 592 592 592 592 593 594 597 597 598 598 599 599 600 600 600 601 601 602 603 605

606 607 607 608

609 609 609

XXXVIII

Inhaltsverzeichnis b) Produktregelnder Charakter?

2. Verzug und Nichterfüllung 3. Inhaltskontrolle vertraglicher Haftungsbegrenzungen .. V. Regelung von Nebenpflichten 1. Grundsatz 2. Aufklärungspflichten a) EuGH-Rechtsprechung: C M C Motorradcenter b) Kritik in der Literatur c) Stellungnahme

VI. Regelung von Vertragslösungsrechten 1. Widerrufs-oder Rücktrittsrecht 2. Kündigungsrecht VII. Bedeutung der Grundfreiheitenbindung der Rechtsprechung §3

§4

§5

Deliktsrecht und Produkthaftungsrecht A. Anwendbarkeit nach Maßgabe des Internationalen Deliktsrechts B. Das Deliktsrecht als Gegenstand der Grundfreiheitenkontrolle .. I. Grundfreiheitenkontrolle diskriminierender Regelungen .. 1. Gesetzliche Regelungen 2. Rechtsprechung II. Beschränkungskontrolle unterschiedslos anwendbarer Regelungen?

610

612 612 613 613 613 614 614 615

616 616 617 617 619 619 619 619 619 620 622

Sachen-und Kreditsicherungsrecht A. Anwendbarkeit nach Maßgabe der Situs-Regel B. Das Sachenrecht als potentieller Gegenstand der Grundfreiheitenkontrolle C. Das Beispiel des Kreditsicherungsrechts I. Literaturstimmen für eine umfassende Beschränkungskontrolle II. Stellungnahme im Lichte der Keck-Rechtsprechung 1. Gemeinschaftsrechtlicher Kontrollmaßstab 2. Kreditsicherungsrecht und Warenverkehrsfreiheit 3. Kreditsicherungsrecht und Kapitalverkehrsfreiheit

623 623

624 625 625 626 627

Zusammenfassung

629

624 624

Inhaltsverzeichnis

XXXIX

4. T E I L

Unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten 1. Abschnitt §1

§2

Begriff und Bedeutung der unmittelbaren Drittwirkung . . . .

Begriff der unmittelbaren Drittwirkung A. Wirkung gegenüber privaten Wirtschaftsteilnehmern als „Dritten" B. Unmittelbare Drittwirkung und unmittelbare Wirkung C. Unmittelbare Drittwirkung und Privatrechtswirkung D . Drittwirkung und Horizontalwirkung Bedeutung für das nationale Privatrecht A. Die Grundfreiheiten als „Grundbeschränkungen" ? B. Potentielle Bedeutung der Grundfreiheiten für private Rechtsverhältnisse

2. Abschnitt

Grenzbereich privater und staatlicher Tätigkeit

632 632 633 634 634 635 635 635 636 638

§1

Staatliches Handeln in Formen des Privatrechts

638

§2

Zusammenspiel privater und staatlicher Akteure A. Grundfreiheitenbindung von Zwangsverbänden I. Apothekerkammer-Entscheidungen II. Broekmeulen III. Wouters B. Grundfreiheitenbindung Privater bei Erfüllung öffentlicher Aufgaben I. Ausübung von Hoheitsrechten II. Erfüllung öffentlicher Aufgaben mit Mitteln des Privatrechts C. Private Berufszulassungsregelung und Normsetzung I. Staatliche Geltungserweiterung privater Rechtsakte auf Dritte 1. Übernahme privater Entscheidungen in den staatlichen Willen 2. Normative Wirkung und Geltungserweiterung von Tarifverträgen 3. Unlauterkeit der Ausnutzung eines fremden Vertragsbruchs II. Staatliche Genehmigung privatautonomer Akte 1. Keine Grundfreiheitenbindung allein aufgrund staatlicher Genehmigung 2. Grundfreiheitenkontrolle bei staatlicher Einflußnahme . 3. Grundfreiheitenkontrolle bei Bestehen einer Garantenpflicht

639 639 639 641 642 643 643 644 646 646 646 646 647 648 648 650 650

XL

§3

Inhaltsverzeichnis

Grundfreiheitenbindung

im Anwendungsbereich

des Art. 86 EG . . . .

A. Regelungsgehalt und Adressaten des Art. 86 E G B. Reichweite der Grundfreiheiten im Anwendungsbereich des Art. 86 A b s . l E G I. Persönliche Reichweite des Art. 86 Abs. 1 E G 1. Öffentliche Unternehmen 2. Unternehmen mit besonderen oder ausschließlichen Rechten

§4

651 652 652 652 653

3. Art. 86 Abs. 1 E G und geistige Eigentumsrechte II. Verhaltensbindung und Garantenpflicht der Mitgliedstaaten III. Grundfreiheitenbindung der privilegierten Unternehmen? IV. Bedeutung für die Drittwirkungsfrage C. Grundfreiheitenbindung im Anwendungsbereich des Art. 86 Abs. 2 E G I. Art. 86 Abs. 2 E G als Legalausnahme II. Art. 86 Abs. 2 E G als Quelle der Grundfreiheitenbindung? III. Art. 86 Abs. 2 E G als Indiz gegen eine unmittelbare Drittwirkung?

654

Ergebnis

661

3. Abschnitt

51

651

Die unmittelbare Drittwirkung in der EuGH-Rechtsprechung

655 656 658 659 659 660 660

663

Rechtsprechung zu den Personenverkehrsfreiheiten

663

A. Unmittelbare Drittwirkung gegenüber Verbandssatzungen I. Walrave und Koch 1. Sachverhalt und Entscheidungsgründe 2. Bedeutung für die Drittwirkungsfrage II. Dona III. Bosman 1. Bestätigung und Ausbau der Walrave und Koch-Rechtsprechung 2. Unmittelbare Drittwirkung des Art. 39 E G auch als Beschränkungsverbot 3. Rechtfertigungsmöglichkeiten IV. Lehtonen V. Deliège B. Anwendung privater Regelwerke gegenüber Dritten I. VanAmeyde II. Haug-Adrion III. Exkurs: Ferlini

663 664 664 665 666 667 668 668 669 671 671 672 672 673 675

§2

Inhaltsverzeichnis

XLI

C. Individuelle Rechtsgeschäfte I. Exkurs: Die Defrenne Ii-Rechtsprechung zu Art. 141 EG . II. Angonese 1. Sachverhalt 2. Entscheidungsgründe 3. Rechtfertigungsebene 4. Bedeutung für die Drittwirkungsfrage

675 676 677 677 678 679 679

a) Unmittelbare Drittwirkung des Art. 39 E G aus sich heraus b) Erfassung rein materieller Diskriminierungen c) „Kollektivität" oder „Unentrinnbarkeit" der Regelung . . . . d) Staatsnähe, Staatsähnlichkeit oder besonderen Machtstellung e) Rechtfertigung durch „sachliche Erwägungen"

681 682

D. Wouters E. Zusammenfassende Analyse der EuGH-Rechtsprechung I. Unmittelbare Drittwirkung als Diskriminierungsverbote .. II. Unmittelbare Drittwirkung als Beschränkungsverbote . . . . III. Rechtfertigung privater Freiverkehrsbeschränkungen IV. Begründung für die unmittelbare Drittwirkung

682 683 683 684 685 686

Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit A. Die Immaterialgüterrechte im Spiegel der EuGH-Rechtsprechung I. Immaterialgüterrechte, freier Wettbewerb und Europäischer Binnenmarkt 1. Gegenstand und Schutz der Immaterialgüterrechte nach deutschem Recht 2. Schutz geistigen Eigentums, Wettbewerb und Freiverkehr 3. Grundfreiheitliche Bereichsausnahme zugunsten des Immaterialgüterrechts? 4. Adressat der Warenverkehrsfreiheit auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts II. Kontrolle der Schutzrechtsinhaber anhand der Wettbewerbsregeln III. Kontrolle am Maßstab der Warenverkehrsfreiheit 1. Unterscheidung zwischen Bestand und Ausübung 2. Wahrung des „spezifischen Gegenstandes" der Schutzrechte 3. Grundsatz der gemeinschaftsweiten Erschöpfung B. Bestimmung des Verbotsadressaten I. Die Warenverkehrsfreiheit als Maßstab privater Schutzrechtsausübung? 1. Frühe EuGH-Rechtsprechung

686

680 680 681

687 687 687 688 689 690 690 692 692 693 694 695 695 695

XLII

Inhaltsverzeichnis 2. Terrapin 3. Dansk Supermarked 4. Exkurs: Mißverständliche Entscheidungen auf anderen Rechtsgebieten

700

b) Delhaize

700

Unmittelbare Drittwirkung Zahlungsverkehrsfreiheitf A. Ausgangsbefund B. Stellungnahme

701 701 701 703 705 705 705 706 707 708 708 710 711

der Kapital- und

Offene Fragen im Spiegel von Rechtsprechung und Literatur A. Die Drittwirkungsfrage an sich B. Verbotsreichweite C. Rechtfertigungsebene D. Verhältnis zu den Wettbewerbsregeln E. Privatrechtliche Durchsetzung der Grundfreiheiten

4. Abschnitt

700

a) Deutsche Hochseefischerei (Nordsee-Urteil)

II. Die Mitgliedstaaten als Adressaten der Warenverkehrsfreiheit 1. Grundfreiheitenbindung der mitgliedstaatlichen Zivilgerichte 2. Die Warenverkehrsfreiheit als Maßstab nationaler Schutzrechtsvorschriften III. Auflösung der Wortlautdivergenzen IV. Adressatenbezogene Abgrenzung des Art. 28 EG von den Wettbewerbsregeln 1. Van der Haar 2. W R 3. Bayer 4. Tournier V. Weitere Entscheidungen zur Warenverkehrsfreiheit 1. Kommission/Frankreich (Französische Bauernproteste) 2. Sapod Audic C. Zusammenfassung

§4

696 697

711 711 712 713 714 715 717 719 719

Unmittelbare Drittwirkung im System von EG-Vertrag und Binnenmarkt

721

§1

Ausgangspunkt

721

§2

Wortlaut des EG-Vertrages A. Tragfähigkeit für die Drittwirkungsfrage I. Offener Wortlaut der Grundfreiheitennormen II. Staatsbezogenheit der Begleitvorschriften

722 722 722 724

Inhaltsverzeichnis III. Ausrichtung der Rechtfertigungsgründe auf den Schutz öffentlicher Interessen B. Der Wortlaut als Differenzierungsgrundlage I. Wortlaut der Art. 28 und 29 E G II. Wortlaut des Art. 39 E G C. Ergebnis §3

Systematische Betrachtung A. Bindung Privater an die Grundfreiheiten im Lichte allgemeiner Regelungen I. Präambel II. Art. 2 und 3 E G III. Art. 10 E G B. Das Verhältnis der Grundfreiheiten zu Art. 141 und 12 E G I. Grundfreiheiten und Art. 141 E G 1. Erst-Recht-Schluß aus der Defrenne Ii-Rechtsprechung 2. Klarheitsargument II. Grundfreiheiten und Art. 12 E G 1. Unmittelbare Drittwirkung des Art. 12 E G ? a) Rechtsprechung b) Literatur c) Stellungnahme 2. Art. 12 E G als Quelle der Drittwirkung der Personen Verkehrsfreiheiten? 3. Verwerflichkeit der Diskriminierung und Binnenmarktbezug der Grundfreiheiten 4. Ergebnis C. Drittwirkung aufgrund des „grundrechtlichen Gehalts" der Grundfreiheiten? I. Grundrechtlicher Gehalt der Personenverkehrsfreiheiten . . II. Entwicklung eines grundrechtsbezogenen Begründungsansatzes III. Bedenken D. Das Verhältnis der Grundfreiheiten zu den Wettbewerbsregeln . . I. Gefährdung des Binnenmarktes durch private Machtausübung II. Funktion von Wettbewerbsregeln und Grundfreiheiten im Binnenmarkt 1. Erfassung des gesamten unternehmerischen Wirtschaftsverkehrs 2. Freiverkehrsschutz und Wettbewerbsschutz III. Vergleich der Verbotsreichweite von Wettbewerbsregeln und Grundfreiheiten

XLIII

724 725 725 727 727 728 728 728 729 729 730 730 730 732 733 733 733 734 736 737 739 741 741 741 742 743 745 745 746 746 747 748

XLIV

Inhaltsverzeichnis 1. Verbotsadressaten: Unternehmensbezug der Wettbewerbsregeln 2. Beschränkung auf bestimmte Rechtsgeschäfte und Tathandlungen 3. Zwischenstaatlichkeitsklausel 4. Spürbarkeitserfordernis 5. Rechtfertigungs- und Freistellungsmöglichkeiten 6. Praktische Durchsetzung a) Zivilrechtliche Durchsetzung b) Behördliche Durchsetzung und Freistellung

7. Resümee IV. Zusammenspiel oder Konflikt im Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln? 1. Kartellrechtlich verbotenes Verhalten 2. Nach Art. 81 Abs. 3 E G vom Kartellverbot freigestelltes Verhalten 3. Vereinbarungen und Verhaltensweisen jenseits der Spürbarkeitsgrenze a) Funktion des Spürbarkeitserfordernisses b) Anwendung auf nicht spürbar handelsbehinderndes Verhalten? c) Einführung eines Spürbarkeitstests in die Grundfreiheitenprüfung?

4. Nach der Rule of Reason erlaubte Vereinbarungen und Verhaltensweisen 5. Ergebnis 6. Uberprüfung am Beispiel der Sportverbandsfälle a) Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln in den Sportverbandsfällen b) Prüfung der Sportverbandsfälle am Maßstab des Kartellverbots c) Wouters als Anfang vom Ende der Sportverbandsrechtsprechung? d) Anwendbarkeit der Grundfreiheiten gegenüber intermediären Gewalten? aa) Dreistufige Prüfung nach Jaensch bb) Stellungnahme

7. Spezialität der Wettbewerbsregeln? V. Ergebnis §4

Teleologische Betrachtung A. Unmittelbare Drittwirkung und effet utile der Grundfreiheiten . I. Inhalt und Bedeutung des effet utile-Arguments II. Präzisierung der Fragestellung B. Bedenken gegen die Tragfähigkeit des effet utile-Arguments

748 750 751 752 753 755 755 756

758 759 759 761 761 761 762 763

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773 774 775 775 775 776 777

Inhaltsverzeichnis

I. Inkonsequente Anwendung im Verhältnis zu den Wettbewerbsregeln II. Grundsatz offener Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb 1. Unterschiedlicher Regelungsbedarf gegenüber Mitgliedstaaten und Privaten 2. Verteilung der Rechtfertigungslast III. Rechtssicherheit als rechtsstaatliches Gebot und praktisches Erfordernis 1. Unzureichende Bestimmtheit der Grundfreiheiten 2. Bedeutung praktischer Sicherheit über den Bestand privater Rechtsgeschäfte IV. Eingriff in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten? V. Einheitlichkeitsargument 1. Rechtstatsächliches Fehlgehen des Arguments in den Sportverbandsfällen 2. Berechtigung des Arguments für das kollektive Arbeitsrecht? 3. Effektuierung des Einheitlichkeitsarguments gegen die unmittelbare Drittwirkung C. Die effet utile-Rechtsprechung des E u G H auf anderen Rechtsgebieten I. Verhinderung der Umgehung gemeinschaftsrechtlicher Zielsetzungen 1. Teleologische Auslegung des Gemeinschaftsrechts 2. Schutz der Grundfreiheiten vor Aushöhlung 3. Bindung der Mitgliedstaaten an den effet utile der Wettbewerbsregeln II. Unmittelbare Wirkung pflichtwidrig nicht umgesetzter Richtlinien 1. Bestimmtheitsgrundsatz 2. Begründungswechsel: Verbot des venire contra factum proprium statt effet utile 3. Grenzen der Begründung von Eingriffskompetenzen durch den effet utile 4. Staatshaftung nach der Francovich-Rechtsprechung . . . . III. Sicherung des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts IV. Resümee D. Zwingender Charakter und Bedeutung der Personenverkehrsfreiheiten E. Ergebnis

XLV

777 778 778 779 780 780 782 783 785 785 786 787 788 788 788 789 789 791 791 792 792 793 794 794 795 796

XLVI 5. Abschnitt

Inhaltsverzeichnis

Unmittelbare Drittwirkung zur Kompensation von „Schutzlücken" ?

798

§1

Ausgangspunkt

798

§2

Ermittlung potentieller Schutzlücken A. Einseitiges Verhalten nicht marktbeherrschender Unternehmen . B. Nicht unternehmerisches Verhalten I. Hoheitliche Maßnahmen II. Private Bedarfsdeckung und Individualarbeitsverträge . . . . III. Idealistisch motiviertes Verhalten ohne unmittelbaren Wirtschaftsbezug IV. Arbeitsrechtliche Kollektivregelungen C. Exkurs: Zum „Gebot" der einheitlichen Auslegung der Art. 39 und 49 EG D. Resümee

799 799 799 800 800

§3

§4

Alternativansatz A. Etablierung mitgliedstaatlicher Schutzpflichten B. Ergänzung durch Amtshaftungsansprüche bei Verletzung einer Schutzpflicht C. Abbau von Handelshemmnissen durch Rechtsangleichung D. Sieben Thesen E. Vergleich der Lösungsansätze I. Effizienzsteigerung durch unmittelbare Drittwirkung II. Keine Schutzlosstellung Dritter durch den Alternativansatz III. Vorzüge des Alternativansatzes Überprüfung am Beispiel der Rechtssache Angonese A. Ausgangspunkt B. Lösungsansatz des E u G H I. Umfassende Drittwirkung des Art. 39 EG als Diskriminierungsverbot 1. Einwirkung der Grundfreiheiten auf die Vertragsabschlußfreiheit 2. Kritik II. Ausrichtung privater Regelungen an einem nationalen Orientierungsrahmen 1. Die Interpretation Forsthoffs 2. Stellungnahme a) Bestehen einer Schutzlücke b) Praktische Konsequenzen der Angonese-Entscheidung c) Fazit: Fehlgehen des Lösungsansatzes des E u G H

C. Lösung auf der Grundlage des Alternativansatzes I. Das Problem privater Orientierung am nationalen Ordnungsrahmen

801 801 802 803 804 804 804 805 806 807 807 807 808 809 809 809 809 809 810 811 811 812

...

812 813 815

815 815

Inhaltsverzeichnis

II. Das Problem der Diskriminierung an sich §5

Ergebnis

XLVII

816 818

Wesentliche Ergebnisse

820

1. Teil: Grundfreiheiten und Privatrecht im System des Binnenmarktes . . . .

820

2. Teil: Die Grundfreiheiten im Binnenmarkt

822

3. Teil: Einwirkung der Grundfreiheiten auf das deutsche Privatrecht

828

4. Teil: Unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten

836

Literaturverzeichnis

843

Stichwortverzeichnis

871

Abkürzungen Die in diesem Buch verwendeten Abkürzungen entsprechen, soweit nicht nachfolgend anders ausgewiesen, den Vorschlägen von Kirchner/Butz, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Auflage, Berlin 2003. C.M.L.Rev. Common Marked Law Review E.L.Rev. European Law Review GTE Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag GTBE Groeben/Boeckh/Tkiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWGVertrag GYIL German Yearbook of International Law ICLQ International & Comparative Law Quarterly jbl Juristische Blätter JJZ Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler MünchKomm Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Rev.crit.internat. Revue critique de droit international privé SEW Sociaal Economische Wetgeving SZW/RDSA Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht WBl Wirtschaftsrechtliche Blätter ZEW Zentrum für europäisches Wirtschaftsrecht, Reihe Vorträge und Berichte zfbf Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung

Zitierweise von EG-Vertrag und EU-Vertrag Vorschriften des EG-Vertrages werden grundsätzlich nach der aktuellen Numerierung zitiert, selbst wenn die zitierten Quellen sich auf die vor Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages geltende Numerierung beziehen. Der EG-Vertrag wird dabei als „EG" abgekürzt, die EU-Vertrag mit „EU". Die Abkürzungen „EGV" und „EUV" kennzeichnen Zitate nach der alten Numerierung. Die Abkürzung „EWGV" wird nur verwendet, um bereits mit Inkrafttreten des Maastrichter Vertrag gestrichene oder umnumerierte Normen zu bezeichnen. Gleiches gilt bei der Zitierung von Kommentaren zu EG-Vertrag und EU-Vertrag.

Einleitung Grundfreiheiten und Privatrecht erschienen lange Zeit als zwei fast vollständig getrennte Bereiche. Das „Europäische Privatrecht" fristete in Praxis wie wissenschaftlicher Diskussion ein Dasein im Schatten des öffentlichen Europarechts. An den juristischen Fakultäten stellte sich das Europarecht mit Ausnahme des Wettbewerbsrechts als Domäne der Staats- und Verwaltungsrechtler dar. Diese Sichtweise schien im EWG-Vertrag angelegt zu sein. Dessen Verhandlungsgrundlage, der Spaak-Bericht, sprach vor allem von der Notwendigkeit der Angleichung öffentlich-rechtlicher Vorschriften 1 . Gleiches galt für das Weißbuch der Kommission zur „Vollendung des Binnenmarktes" aus dem Jahre 1985 2 , und auch in der Rechtsprechung des E u G H dominierten öffentlich-rechtliche Fragestellungen3. So nimmt es nicht Wunder, daß 'Walter Hallstein einen Beitrag zur Privatrechtsangleichung im Jahre 1964 mit den Worten einleitete, es möge dem Außenstehenden verwunderlich erscheinen, daß sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft auch mit dem Problem der Angleichung des Privat- und Prozeßrechts befasse4. Und noch 1987 konnte Peter-Cbristian Müller-Graff konstatieren, daß es eher programmatisch als etabliert klinge, das Verhältnis von Privatrecht und Gemeinschaftsrecht gleichrangig mit dem gemeinschaftsrechtlichen Verfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht zu diskutieren5. Das hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Das Europäische Privatrecht ist vom Randbereich in den Mittelpunkt des praktischen und wissenschaftlichen Interesses gerückt. Rechtsangleichungsrichtlinien6 und wissenschaftliche Publikationen zu diesem Thema sind Legion, wobei sich insbesondere die deutschsprachige Rechtswissenschaft hervorgetan hat7. In diesen wissenschaftlichen Diskurs reiht sich auch diese Studie ein. Vgl. dazu Hallstein, RabelsZ 28 (1964), 211. Europäische Kommission, K O M (85), 310 endg. 3 Zur Entwicklung der privatrechtsbezogenen Rechtsprechung des E u G H vgl. Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S. 31 ff. 4 Vgl. Hallstein, RabelsZ 28 (1964), 211. 5 Vgl. Miiiler-Graff, Privatrecht und europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 8. 6 Einen stets aktuellen Uberblick des acquis communautaire des Gemeinschaftsprivatrechts bietet die EUR-Lex-Datenbank der Gemeinschaft (http://europa.eu.int/eur-lex/de/index.html). S.a. Anhang I der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum Europäischen Vertragsrecht, K O M (2001) 398 endg. 7 Vgl. nur das Literaturverzeichnis dieser Studie. Der Umstand, daß die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Grundfreiheiten und Privatrecht bisher vor allem in Deutschland und Osterreich Beachtung gefunden hat, macht im Verbund mit der dafür um so gewaltigeren Fülle 1

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2

Einleitung

A. Der Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf das nationale Privatrecht Das weitgehende Desinteresse am Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und Privatrecht bis zur Mitte der achtziger Jahre sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß Privatrecht und europäisches Gemeinschaftsrecht nie beziehungslos nebeneinander standen. Europäisches Primär- und Sekundärrecht wirken seit geraumer Zeit auf die nationalen Privatrechtsordnungen ein. Der ehemalige Kommissionspräsident Delors prognostizierte in einer Debatte in Hannover am 6. Juli 1988, daß 1998 wohl 80% der Wirtschafts- und vielleicht auch der Steuer- und Sozialgesetzgebung durch die Gemeinschaft initiiert oder wenigstens beeinflußt sein würden8. Zwar ist diese Prognose niemals empirisch verifiziert worden, doch erscheint sie nicht unrealistisch. Das nationale Zivilrecht, namentlich das Wettbewerbs- und Verbraucherschutzrecht, aber auch das Gesellschafts-, Kapitalmarktund Arbeitsrecht, ist heute in weitem Umfang gemeinschaftsrechtlich geprägt. In Form der (nunmehr in das BGB integrierten) Gesetze zu Haustürwiderruf, Teilzeit-Wohnrechten, Verbraucherkredit und Fernabsatz, des Produkthaftungsgesetzes und vieler anderer Regelungen treten uns in deutsches Recht gegossene EG-Richtlinien gegenüber. Die Schuldrechtsrechtreform 2002 wurde maßgeblich durch den Umsetzungsdruck dreier EG-Richtlinien zu elektronischem Handel, Verbrauchergüterkauf und Zahlungsverzug beflügelt. Es existiert kaum ein wirtschaftsbezogenes Gesetz, das nicht zumindest punktuell von Umsetzungen sekundären Gemeinschaftsrechts durchwirkt ist, auch wenn die gemeinschaftsrechtlichen Ursprünge nicht immer klar zu Tage treten. Noch versteckter und subtiler ist der Einfluß der Grundfreiheiten des EG-Vertrages auf das nationale Privatrecht, dem diese Studie nachzuspüren strebt, denn die Grundfreiheiten entfalten im Gegensatz zur Positivintegration durch Richtlinien grundsätzlich nur negative (kassatorische) Wirkung.

B. Die Bedeutung des nationalen Privatrechts für die Gemeinschaft Das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und nationalem Privatrecht ist keine Einbahnstraße. Die Europäische Gemeinschaft baut als Wirtschaftsgemeinschaft ihrerseits maßgeblich auf den Privatrechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf und deutschsprachiger Publikationen auch im Rahmen dieser Arbeit eine weitgehende Konzentration auf die deutschsprachige Literatur erforderlich. Fremdsprachige Stellungnahmen sind, soweit ersichtlich, vergleichsweise rar, werden aber, soweit möglich, ebenfalls berücksichtigt. Insoweit ist insbesondere auch an die Einbringung nationaler Kompetenz und Perspektive durch die aus verschiedenen Mitgliedstaaten stammenden Generalanwälte zu erinnern, deren Schlußanträge umfassend gewürdigt, aber nicht gesondert ins Literaturverzeichnis aufgenommen wurden. 8 Vgl. Philipp, EuZW 1997, 289. In der Literatur wird diese Aussage desöfteren irrig auf den Ist-Zustand der frühen 90er Jahre bezogen, vgl. etwa Blaurock, JZ 1994, 270; Steindorff, FIW 1 4 8 , 1 1 , 1 4 ; Lamprecht, NJW 1997, 505; s.a. Vortrag des Beschwerdeführers in BVerfGE 89,155, 172f - Maastricht.

3

Einleitung

ist auf sie angewiesen 9 . Wenn der E G - V e r t r a g es in seinen Art. 2 und 3 zur Aufgabe der Gemeinschaft macht, einen Binnenmarkt mit freiem Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr und ein System unverfälschten Wettbewerbs zu errichten und zu sichern, so setzt dies die Existenz eines umfassenden privatautonomen Tauschsystems voraus 1 0 . Dieses wiederum ist nicht ohne einen privatrechtlichen R a h m e n denkbar, und diesen R a h m e n müssen die mitgliedstaatlichen Privatrechtsordnungen zur Verfügung stellen, weil das „Gemeinschaftsprivatrecht" 1 1 trotz erheblicher Fortschritte immer noch weit davon entfernt ist, eine eigenständige (geschweige denn vollständige) Privatrechtsordnung zu bilden.

C. Koordinations- und Kompetenzproblem Die bestehende privatrechtliche Gemengelage aus mitgliedstaatlichen Privatrechtsordnungen und Gemeinschaftsprivatrecht wirft zwei zentrale Probleme

auf: ein Koordinationsproblem

und ein Kompetenz- oder Machtproblem. Wenn

der Europäische Binnenmarkt funktionieren soll, so bedarf er angesichts der fortbestehenden Unterschiede der nationalen Rechtsordnungen eines Koordinationssystems, das deren reibungsloses Zusammenwirken ermöglicht. Ein solches System stellen die nationalen Privatrechtsordnungen der Mitgliedstaaten grundsätzlich bereits selbst in F o r m ihres (in weiten Teilen durch das E V U und Richtlinienrecht vereinheitlichen) Internationalen Privatrechts zur Verfügung. Inwieweit die Grundfreiheiten - namentlich zum Schutz der Privatautonomie oder zur D u r c h setzung des sog. „Herkunftslandprinzips" - Einfluß auf dieses System zu nehmen vermögen, ist noch weitgehend ungeklärt und dementsprechend heftig umstritten. Hinsichtlich der Verteilung der Regelungskompetenzen stellt sich die zivilrechtliche Urfrage nach dem Verhältnis von Freiheitsgewährleistung und Regulierung, von Privatautonomie und staatlicher Intervention, die auf der G e m e i n schaftsebene allerdings noch um eine weitere D i m e n s i o n erweitert und kompliziert wird: Das der Marktwirtschaft immanente zweifache Machtproblem der Zuordnung und Begrenzung privater und staatlicher Macht wird zu einem dreifachen 1 2 , denn neben Marktbürger und Mitgliedstaaten tritt die Gemeinschaft als dritte supranationale Instanz. D i e Inanspruchnahme von Regelungs- oder D e r e gulierungskompetenzen seitens der Gemeinschaft kann hierbei in Konflikt mit der Freiheit der Bürger treten, diese Freiheit aber auch umgekehrt gegenüber den Mitgliedstaaten zur Geltung bringen.

9 Vgl. Schmidt-Leithoff, FS-Rittner, S. 597ff.; Müller-Graff, Gemeinschaftsrecht, S. 17ff.

Privatrecht und Europäisches

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Vgl. Rittner, JZ 1990, 838, 840.

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Begriffsprägend Müller-Graff, Privatrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 17ff. Vgl. Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, S. 10.

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Einleitung

D. Zusammenspiel und Konflikt Konflikte zwischen Grundfreiheiten und Privatrecht stellen im Ordnungsgefüge des Europäischen Binnenmarktes nicht den Regelfall, sondern die Ausnahme dar. Es ist nicht auszuschließen, daß privatrechtliche Normen den grenzüberschreitenden Freiverkehr im Binnenmarkt behindern können. Wer nationales Privatrecht jedoch allein aus dieser Perspektive betrachtet, wird seiner Bedeutung nicht gerecht. Das Privatrecht ist nicht nur als Ordnungsrahmen Voraussetzung für Errichtung und Funktionieren des Europäischen Binnenmarktes13, es ist auch ebenso wie die Grundfreiheiten dem Ziel der Verwirklichung persönlicher Freiheit verpflichtet14. Das insoweit bestehende Spannungsverhältnis zwischen Zusammenspiel und Konflikt führt zu einer dem Verhältnis von Grundfreiheiten und Privatrecht immanenten Schwierigkeit: Während die Integration der nationalen Teilmärkte zu einem Binnen-Markt einen möglichst weitreichenden Abbau potentiell freiverkehrsbeschränkender nationaler Regelungen verlangt, fordert das Funktionieren als Binnen-Markt Respekt gegenüber den - dafür mangels umfassender Harmonisierung unverzichtbaren - nationalen Privatrechtsordnungen ein. Die Grundfreiheitenrechtsprechung des EuGH steht vor der schwierigen Aufgabe, privatrechtliche Hindernisse zu beseitigen, ohne dadurch das Funktionieren des Privatrechts als Rahmen privater Transaktionen im Binnenmarkt zu beeinträchtigen.

E. Beziehungsebenen von Grundfreiheiten und nationalem Privatrecht Eine Einflußnahme der Grundfreiheiten auf das nationale Privatrecht und auf den privaten Rechtsverkehr kommt auf verschiedenen Ebenen in Betracht. Mit Blick auf die Formulierung der Grundfreiheiten als Verbotsnormen stehen ihre „negative" (kassatorische) Funktion („Schrankenfunktion") und ihr Einfluß auf die Auslegung nationaler Normen („Auslegungsfunktion") im Vordergrund. Daneben ist eine Reihe „positiver" Funktionen denkbar: Die Grundfreiheiten könnten als „Institutsgarantien" den Kernbestand der Privatrechtsordnung schützen, vielleicht sogar die Schaffung bestimmter Normen einfordern („Garantiefunktion") 15 . Aus ihnen könnten Schutz- oder Garantenpflichten der Mitgliedstaaten zugunsten des Binnenmarktes als Institution, aber auch einzelner Marktteilnehmer erwachsen („Schutzpflichtfunktion"). Soweit die Grundfreiheiten der Anwendung nationaler Regelungen entgegenstehen oder umgekehrt die Gewährleistung bestimmter privatrechtlicher Institute garantieren, erzwingen sie mögliVgl. Basedow, ZEW Nr. 62, S. 8ff. Vgl. Basedow, FS-Mestmäcker, S.347f. 15 Vgl. v. Wilmowsky, Europäisches Kreditsicherungsrecht, S. 35 ff.; zur parallelen Problematik im deutschen Verfassungsrecht siehe Götz, Die Verwirklichung der Grundrechte durch die Gerichte im Zivilrecht, in: Heyde/Stark, Vierzig Jahre Grundrechte in ihrer Verwirklichung durch die Gerichte, S.33, 41. 13

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Einleitung

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cherweise eine Umgestaltung des nationalen Rechts („Anpassungsfunktion"). Als intensivste Form denkbarer Einflußnahme der Grundfreiheiten auf den Privatrechtsverkehr kommt schließlich eine „unmittelbare Drittwirkung", d.h. eine unmittelbare Grundfreiheitenbindung nicht nur der Mitgliedstaaten, sondern auch der privaten Marktteilnehmer bei Ausübung ihrer Privatautonomie in Betracht, bei deren Annahme die Grundfreiheiten letztlich selbst als Privatrechtsnormen wirken würden 16 .

F. Aufbau und Ziele dieser Studie Im Rahmen dieser Studie soll der Frage nachgespürt werden, wie die Grundfreiheiten diesen Aufgaben gerecht werden und inwieweit sie überhaupt zur Linderung oder gar Lösung der daraus resultierenden Probleme beitragen können. Dabei steht nicht die Einwirkung auf konkrete Einzelnormen im Vordergrund, sondern die Fülle grundsätzlicher Fragen die hinsichtlich der Reichweite der Grundfreiheiten im allgemeinen und in bezug auf das nationale Privatrecht im besonderen bestehen. Der 1. Teil dieser Studie beleuchtet den Binnenmarkt als Spielfeld für Zusammenwirken und Konflikt von Grundfreiheiten und Privatrecht. Die rechtlichen und wirtschaftlichen Grundstrukturen des Binnenmarktes werden in grundsätzlicher Weise umrissen. Es wird untersucht, wie sich das Binnenmarktziel insbesondere mit Blick auf sein Verhältnis zum Herkunftslandprinzip und zum Wettbewerb der Rechtsordnungen auf die Auslegung der Grundfreiheiten auswirken könnte, aus welchen Elementen sich das Privatrecht im Binnenmarkt zusammensetzt und welche Funktionen es im Binnenmarkt erfüllt. Der 2. Teil unternimmt den Versuch, die immer noch äußerst undeutlichen Konturen der Reichweite der Grundfreiheiten zu schärfen. Die erhebliche Unsicherheit sowohl über ihre sachliche Reichweite als auch über den Umfang der den Mitgliedstaaten zu Gebote stehenden Rechtfertigungsmöglichkeiten läßt eine grundlegende Ausleuchtung geboten erscheinen, bevor in den nachfolgenden Teilen dem mittelbaren und unmittelbaren Einfluß dieser Normen auf Privatrecht und Privatrechtsverkehr nachgespürt werden kann. Der 3. Teil zielt darauf, die Aspekte positiver und negativer Einwirkung der Grundfreiheiten auf die Setzung, Auslegung und Anwendung staatlichen Rechts durch Gesetzgeber und Zivilgerichte der Mitgliedstaaten zu erhellen. Aufbauend auf den Erkenntnissen des 2. Teils wird die Bedeutung der Grundfreiheiten für Sachprivatrecht und Internationales Privatrecht untersucht. Dabei stehen grund16

Insoweit werden Parallelen zur verfassungsrechtlichen Diskussion in Deutschland erkennbar, die hier allerdings nur am Rande Bedeutung erlangen. Die h.M. geht von einer lediglich mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes aus. Diesem Ansatz folgt seit dem LüthAJneA auch das Bundesverfassungsgericht, vgl. BVerfGE 7,198,205; s.a. BVerfGE 73,261; BVerfGE 81, 242 - Handelsvertreter sowie jüngst monographisch Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts (2001).

6

Einleitung

sätzliche Überlegungen im Vordergrund. Die gewonnenen Erkenntnisse werden anhand zahlreicher Beispiele verdeutlicht und überprüft. Der 4. Teil untersucht abschließend die unmittelbare Einwirkung der Grundfreiheiten auf den Privatrechtsverkehr. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Grundfreiheiten auch ohne Vermittlung durch das nationale Recht unmittelbar aus sich heraus private Rechtsverhältnisse beeinflussen können, indem sie private Wirtschaftsteilnehmer als Verbotsadressaten binden und deren Handlungen einer Diskriminierungs- oder sogar Beschränkungskontrolle unterwerfen.

I. T E I L

Grundfreiheiten und Privatrecht im System des Binnenmarktes

1. Abschnitt D e r Europäische B i n n e n m a r k t § 1 Gemeinsamer Markt und Binnenmarkt Spielfeld für Zusammenwirken und Konflikt von europäischen Grundfreiheiten und nationalem Privatrecht ist der Europäische Binnenmarkt. Der Einfluß der Grundfreiheiten auf Errichtung und Funktionieren des Binnenmarktes wird in Art. 3 Abs. 1 lit. c und Art. 14 Abs. 2 EG deutlich. Danach ist der Binnenmarkt durch freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr gekennzeichnet. Umgekehrt werden die Grundfreiheiten durch diese Bestimmungen auf das Binnenmarktziel ausgerichtet. Der „Binnenmarkt" ist ein durch rechtliche, soziale, sprachliche und kulturelle Vielfalt gekennzeichneter, aber trotzdem einheitlicher Wirtscbaftsraum und zugleich Rechtsbegriff des Gemeinschaftsrechts.

A. Der Gemeinsame Markt in EGKS-Vertrag und EWG-Vertrag In den ursprünglichen Verträgen ist der Begriff „Binnenmarkt" noch nicht anzutreffen. Doch weisen schon EGKS-Vertrag und EWG-Vertrag dem Begriff des „Gemeinsamen Marktes" eine zentrale Bedeutung zu. Die durch den EGKS-Vertrag vom 18. April 1951 gegründete europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) beruhte auf einem (noch auf den Montanbereich beschränkten) „gemeinsamen Markt" (Art. 1) und strebte trotz umfassender planerischer Elemente Bedingungen an, „die von sich aus die rationellste Verteilung der Erzeugung auf dem höchsten Lebensstande sichern" (Art.2), d.h. die Schaffung eines sich durch Angebot und Nachfrage selbst regulierenden Marktes im ökonomischen Sinne1. Mit den Verboten der mengenmäßigen Beschränkung des freien Warenverkehrs (Art. 4 lit. a), der Diskriminierung von Kohle- und Stahlfacharbeitern (Art. 69) sowie wettbewerbsbeschränkender Kartelle und Zusammenschlüsse (Art. 65 und 66) enthielt der EGKS-Vertrag bereits die Kernelemente für eine freiheitliche Wirtschaftsverfassung. Der EWG-Vertrag vom 25. März 1957 griff den Begriff des „Gemeinsamen Marktes" auf, erstreckte ihn über den Montanbereich hinaus auf alle Wirtschaftsbereiche und rückte ihn ins Zentrum der gemeinschaftlichen Integrationsbestrebungen. Die Errichtung des „Gemeinsamen Marktes" wurde primäres Ziel (Art. 8 EWGV) und zugleich Mittel (Art. 2 EWGV) der harmonischen Entwick1

Vgl. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, §28 Tz. 18.

1. Abschnitt: Der Europäische

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Binnenmarkt

lung des Wirtschaftslebens und der wirtschaftlichen wie politischen Integration 2 . Vor dem Hintergrund des anfänglichen Scheiterns einer Integration „von o b e n " besannen sich die Gründerstaaten auf das Marktprinzip und die völkerverbindende F u n k t i o n des Handels. Wenn es schon nicht gelang, die V ö l k e r Europas auf politischer E b e n e z u s a m m e n z u f ü h r e n , sollten doch jedenfalls auf wirtschaftlichem Gebiet die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, ihnen ein friedensbewahrendes und wohlfahrtsstiftendes ZusammenmicÄse« durch den Austausch von Waren und Dienstleistungen auf einem „Gemeinsamen M a r k t " zu ermöglichen 3 . G a n z in diesem Sinne füllte der Gerichtshof den Begriff des Gemeinsamen M a r k tes schon 1966 durch die der Präambel entnommenen Voraussetzungen der H a n delsfreiheit und des redlichen Wettbewerbs aus 4 . I m grundlegenden

Schul-Urteil

aus dem Jahre 1982 stellte er den Begriff erstmals in Beziehung zu demjenigen des Binnenmarktes: „Der Begriff Gemeinsamer Markt - so wie ihn der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung herausgearbeitet hat - stellt ab auf die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziele der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarktes möglichst nahekommen. Es ist wichtig, daß die Vorteile dieses Marktes über den berufsmäßigen Handel hinaus auch Privatleuten zugute kommen, wenn sie grenzüberschreitende wirtschaftliche Transaktionen durchführen" 5 . D e m lassen sich fünf prägende Elemente des Gemeinsamen Marktes entnehmen: Zentrales Anliegen ist erstens die Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem nach außen einheitlichen 6 und nach innen binnenmarktähnlichen Markt im ö k o nomischen Sinne 7 . D e r Gemeinsame M a r k t bezeichnet insofern die Summe der grenzüberschreitend zusammenwachsenden Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalmärkte 8 . Dieser M a r k t ist zweitens gekennzeichnet durch für den innergemeinschaftlichen Handel offene Grenzen und drittens durch ein System unverfälschten Wettbewerbs. Seine Vorteile sollen viertens unternehmerisch wie rein privat agierenden Wirtschaftsteilnehmern einschließlich der privaten Endverbraucher zugute k o m m e n . Schließlich ist der Gemeinsame Markt fünftens

auch Rechtsbe-

griff und als solcher Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung. Zahlreiche N o r m e n des EG-Vertrages (etwa Art. 2, 3, 81 ff., 9 4 , 2 1 1 , 308 E G ) machen ihn z u m B e z u g s 2 Vgl. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, §28 Tz. 18; Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 19f.; Oppermann, Europarecht, S. 13 Rn.24. 3 Vgl. Rittner, JZ 1995, 849; vgl. Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 15ff. undl9. 4 Vgl. EuGH, 13.7.1966, Rs. 32/65, Slg. 1966,458,483 - Italien/Rat und Kommission (VO 19/ 65). 5 EuGH, 5.5. 1982, Rs. 15/81, Slg. 1982, 1409, 1431 f Rn. 33 - Schul. 6 Diese Einheitlichkeit wird durch gemeinsame Handelspolitik und gemeinsamen Außenzolltarif gewährleistet, vgl. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, §28 Tz. 12; Grabitz, in: Grabitz/Hilf, Art. 2 EWGV Rn. 15; ders., FS-v.d.Groeben, S. 1229, 1238f. 7 Vgl. Rittner, JZ 1990, 838, 839; relativierend Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, §28 Tz. 12. 8 Vgl. Behrens, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft, S. 73, 79; Rittner, JZ 1990, 838, 839; Nicolaysen, Europarecht II, S.29.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Privatrecht im System des Binnenmarktes

punkt für die Verwirklichung der Vertragsziele und der Gemeinschaftstätigkeit insgesamt 9 . D e r Gemeinsame Markt bezeichnet dabei in rechtlicher wie wirtschaftlicher Hinsicht weniger einen Zustand als einen P r o z e ß 1 0 . In den Worten Ipsens ist er ein „dauernd wirksamer, im Sinne der Integration optimaler Maßstab der Gestaltung, Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts aller E r scheinungsformen" 1 1 . Das Entstehen eines solchen Marktes „von unten" setzt eine Befreiung von den Fesseln nationaler Handelsbeschränkungen, insbesondere von protektionistischen und marktaufspaltenden Regelungen (d.h. von Zöllen, Kontingentierungen und sonstigen E i n - , D u r c h - und Ausfuhrhemmnissen) voraus, welche die Mitgliedstaaten zum Schutz der heimischen Wirtschaft errichtet haben, mit anderen Worten: Marktfreiheit 1 2 . D u r c h Erweiterung ihres individuellen Freiheitsraums werden die Marktteilnehmer zugleich als „Agenten der Integrationspolitik" in den Dienst des europäischen Einigungswerks gestellt 1 3 . W i c h tigster H e b e l für diese Liberalisierung sind die Grundfreiheiten.

B. Vom Gemeinsamen Markt zum Binnenmarkt In ihrem Weißbuch „Vollendung des Binnenmarktes" v o m Juni 1985 griff die E u ropäische K o m m i s s i o n den im Schul-\Jitei\

verwendeten Begriff des B i n n e n -

marktes auf. Sie betonte, es sei von Anfang an Ziel des E W G - V e r t r a g e s gewesen, einen einheitlichen integrierten Binnenmarkt zu schaffen und stellte ein Arbeitsprogramm zur Schaffung dieses „großen einheitlichen Marktes von 320 Millionen E i n w o h n e r n " auf 1 4 . D u r c h die Einheitliche Europäische A k t e ( E E A ) fand der Begriff des Binnenmarktes dann Eingang in den Vertragstext. Art. 8a E W G V (14 E G ) gab der Gemeinschaft auf, bis zum 31. D e z e m b e r 1992 schrittweise einen Binnenmarkt zu errichten. Wie der Gemeinsame Markt ruht dieser Binnenmarkt auf vier Säulen: dem Diskriminierungsverbot (Marktgleichheit), der Zollfreiheit und den Grundfreiheiten (Marktfreiheit), einem System unverfälschten Wettbewerbs und dem (im wesentlichen durch die Privatrechtsordnungen der Mitgliedstaaten bereitgestellten) privatrechtlichen Rahmen. Wie der Gemeinsame Markt beschreibt er zugleich einen Markt im ökonomischen Sinne und ist Rechtsbegriff des Gemeinschaftsrechts 1 5 . Wichtigster Unterschied dürfte die durch den B i n 9 Vgl. GTE-Bardenhewer/Pipkorn, Art. 7a EGV Rn. 10; Müller-Graff, Binnenmarktziel und Rechtsordnung, S. lOf. Die rechtliche Natur des Begriffs „Gemeinsamer Markt" wird besonders in den Art. Art. 81, 82 EG deutlich, die Vereinbarungen bzw. Verhaltensweisen verbieten, die „mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar" sind. 10 Vgl. Behrens, EuR 1992, 145. 11 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, §28 Tz. 12. 12 Vgl. Müller-Graff , Binnenmarktziel und Rechtsordnung, S. lOf. 13 Vgl. Basedow, FS-Mestmäcker, S. 347. 14 KOM (85), 310, Einleitung Nrn. 1 und 5. 15 Vgl. Art. 299 Unterabs. 4 EG. Teilweise (aber nicht immer) verwendet der EG-Vertrag die Begriffe „Gemeinsamer Markt" und „Binnenmarkt" sogar als Synonyme. Beispielsweise spricht er in der Aufgabenbestimmung des Art. 3 Abs. 1 lit. g EG seit der EEA vom „Binnenmarkt", in

1. Abschnitt: Der Europäische

Binnenmarkt

11

nenmarktbegriff ausgedrückte Vertiefung des angestrebten Integrationsgrades des Binnenmarktes im Vergleich zum nach dem Schul-\Jrteil nur „binnenmarktähnlichen" Gemeinsamen Markt sein16. Der besseren und schnelleren Verwirklichung dieses Ziels dient insbesondere die Einführung der binnenmarktbezogenen Rechtsangleichungskompetenz nach Art. 95 EG 17 . Der Binnenmarkt ist weder bloßes „Remake" des Gemeinsamen Marktes noch ein listig getarnter Aufschub der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes um weitere 23 Jahre 18 . Befürchtungen, das neue Zieldatum des Art. 14 EG könnte im Zusammenspiel mit den neuen Vorbehalten in Art. 15 und 95 EG in der Praxis sogar eine Abschwächung der Integration bewirken 19 , haben sich als unbegründet erwiesen. Die Positivintegration hat mit Einführung des Binnenmarktziel und der binnenmarktbezogenen Rechtsangleichungskompetenzen erheblich an Triebkraft, Umfang und Bedeutung gewonnen.

§2 Binnenmarkt und wettbewerbsgesteuerte Marktwirtschaft A. Zur Wirtschaftsordnung des Binnenmarktes Die Begriffe Gemeinsamer Markt und Binnenmarkt bezeichnen auch und vor allem Märkte im ökonomischen Sinne. Es liegt daher nahe, daß die Frage, inwieweit die Grundfreiheiten ihre Ziele gegenüber staatlicher Regulierung durchzusetzen vermögen, zumindest mittelbar durch die den Binnenmarkt prägende Wirtschaftsordnung beeinflußt wird. Allerdings ist nach wie vor heftig umstritten 20 , den der Erfüllung dieser Aufgabe dienenden Wettbewerbsregeln dagegen weiterhin vom „Gemeinsamen Markt". In den Art. 3,15 und 94f. E G treten beide Begriffe allerdings nebeneinander. Sie können also nicht gänzlich deckungsgleich sein. 16 Vgl. Grabitz, in: Grabitz/Hilf, Art. 8a EWGV Rn.3; ders., FS-Steindorff, S. 1229; Langeheine, in: Grabitz/Hilf, Art. 100a EGV Rn.20f, insb. Rn.23; ders., EuR 1988, 235, 239; Nicolaysen, Europarecht II, S.33. 17 Nach Art. 94 EG kommt nur eine Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in Betracht, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken, und zwar nur durch Richtlinien und bei Einstimmigkeit. Art. 95 EG ermöglicht dagegen den Erlaß von Maßnahmen (Art. 249 EG) zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes (nicht unbedingt unmittelbar) zum Gegenstand haben, und zwar im Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EG und damit per Mehrheitsbeschluß. Andererseits enthält Art. 95 EG in Abs. 3 inhaltliche Vorgaben und in Abs. 4ff. Derogationsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten, die Art. 94 EG nicht kennt. 18 So tendenziell Pescatore, EuR 1986,153, 157; dagegen überzeugend Dauses, EuZW 1990, 8, 9. 19 So Pescatore, EuR 1986,153, 158ff.; vgl. auch Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft zum Binnenmarkt-Weißbuch der Kommission, Studienreihe Nr.51,22.2. 1986, S.5. 20 Zu dieser Frage vgl. etwa Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, S.26ff.; Behrens, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft, in: Brüggemeier, Verfassungen für ein ziviles Europa, S. 73 ff.; Dreher, WuW 1998, 656ff.; Everling, FS-

12

1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht im System des

Binnenmarktes

ob der EG-Vertrag überhaupt eine Entscheidung für eine bestimmte Wirtschaftsordnung enthält oder ordnungspolitisch neutral ist21, ob er Grundlage einer gemischten Wirtschaftsordnung (mixed economy) ist,22 oder ob er (wie es Art. 4, 98, 105 EG nahelegen) eine Systementscheidung zugunsten der wettbewerbsgesteuerten Marktwirtschaft trifft 23 .

B. Ausgangslage bei Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Daß den Gründern der E W G letztlich gar nichts anderes übrig blieb, als auf das marktwirtschaftliche Modell zu setzen, hat v. Simson schon 1967 herausgearbeitet24: Eine zentralisierte Wirtschaftsplanung setzt einen hohen Bestand an Anfangsinformationen und zentralisierten Kompetenzen voraus. Bei Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gab es weder das eine noch das andere25. Es überrascht daher nicht, daß der belgische Verhandlungsführer Baron Snoy et d'Oppuers feststellte, man habe sich auf den freien Markt festgelegt, weil man sich nicht auf die Grundlagen von Interventionen habe einigen können26. Allerdings wäre es verfehlt, aus dieser praktischen Alternativlosigkeit abzuleiten, der EWGVertrag nehme die Marktwirtschaft lediglich hin. Obgleich der ursprüngliche Vertragstext den Begriff der Marktwirtschaft noch nicht enthielt, dürfte dem EWG-Vertrag nicht zuletzt auch der Wunsch zugrunde gelegen haben, das untrennbar mit der Marktwirtschaft verbundene deutsche „Wirtschaftswunder" auf europäischer Ebene nachzuahmen27. Zudem enthielt der Vertrag von Anfang an Mestmäcker, S.365ff.; Günther, WuW 1963, 191 ff.; Immenga, EuZW 1994, 14ff.; Mestmäcker, FS-v.d.Groeben, S, 9ff.; ders., ZEW Nr.28; Müller-Graff, EuR 1997, 433ff.; Mussler, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft im Wandel; Rittner, JZ 1990, 838ff. W.-H. Roth, EuR Beiheift 1/1994, S.45ff.; A Schmidt, WuW 1999,133ff.; Schmidt-Leithoff, FS-Rittner, S.597ff.; v. Simson, in: Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, S.55ff.; Steindorff, FIW Heft 148, S. 11 ff. Außerhalb Deutschlands hat diese Frage nur geringe Beachtung gefunden, vgl. Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, S. 9f. 21 So nachdrücklich VerLoren van Themaat, FS-v.d.Groeben, S. 427f. 22 So z.B. Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rn.211. 23 So die wohl h.M. vgl. etwa Kaiser, Die Marktwirtschaft als Verfassungsprinzip in den Europäischen Gemeinschaften, in: Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, S. 49ff. (zum EWG-Vertrag); Dreher, WuW 1998, 656ff. und Müller-Graff, EuR 1997, 433ff. (zum EG-Vertrag in der Maastrichter Fassung); s.a. Immenga, EuZW 1994, 14f.; Mestmäcker, FS-v.d.Groeben, S, 9, 11 ff.; ders., ZEW Nr.28; Behrens, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft, in: Brüggemeier, Verfassungen für ein ziviles Europa, S. 73, 84f; Canaris, FS-Lerche, S. 873, 890; Dreher, WuW 1998, 656ff.; Günther, WuW 1963,191, 194; Rittner, JZ 1990, 838ff. 24 Vgl. v. Simson, in: Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, S.55, 62ff. 25 Zu Divergenzen in den Ordnungsvorstellungen der Mitgliedstaaten siehe insbesondere Rahmsdorf, Ordnungspolitischer Dissens und europäische Integration, S. 71 ff.; s.a. VerLoren van Themaat, FS-v.d.Groeben, S.425, 428ff. 26 Wiedergegeben nach Steindorff, FIW Heft 148, S. 11, 19. 27 So schon Schmidt-Leithoff, FS-Rittner, S. 597, 604; v. Simson, in: Zur Einheit der Rechtsund Staatswissenschaften, S. 55, 60ff.

1. Abschnitt: Der Europäische

Binnenmarkt

13

zumindest implizit alle für eine wettbewerbsgesteuerte Marktwirtschaft wesentlichen Grundlagen. E r formulierte sie sogar in prinzipieller Weise als umfassende Geltung beanspruchende Grundsätze des Gemeinsamen Marktes und richtete die Gemeinschaftstätigkeiten einschließlich Rechtsangleichung und E u G H - R e c h t sprechung auf ihre Verwirklichung aus 2 8 : Die gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsgebote in Gestalt der Art. 1 2 , 1 4 1 E G und der Grundfreiheiten stellten die für eine Marktwirtschaft unabdingbare formelle Gleichheit der Rechtssubjekte sicher 2 9 . Zollfreiheit und Grundfreiheiten sicherten den freien Marktzugang sowie (in n o c h auszulotenden Grenzen) den grenzüberschreitende Gebrauch der Privatautonomie 3 0 . D e r aus der Ausübung der Freiheiten resultierende grenzüberschreitende Wettbewerb wurde durch die Wettbewerbsregeln (Art. 81, 82 EG)

geordnet und vor Verfälschungen durch private Beschränkungen

ge-

schützt 3 1 . Einer Rechtsordnung, die primär auf Selbstkoordination durch den Markt und auf Selbstkontrolle durch Wettbewerb setzt, ist notwendig die M a r k t wirtschaft zugeordnet. D u r c h Hervorhebung des Gemeinschaftsziels des G e meinsamen Marktes entschieden sich somit bereits die Gründer der E W G für die wettbewerbsgesteuerte Marktwirtschaft nicht nur als Mittel, sondern als primäre Organisationsform 3 2 und tragendes Prinzip der europäischen Wirtschaftsverfassung 3 3 .

C. Fortentwicklung durch EEA, Maastrichter und Amsterdamer Vertrag D a ß der ursprüngliche Vorrang der Marktwirtschaft die nachfolgenden Vertragsrevisionen unbeschadet überstanden hat, wird vielfach bezweifelt 3 4 . Angesichts

Vgl. Mestmäcker, FS-v.d.Groeben, S.9, 17f.; Immenga, EuZW 1994, 14, 15. Dazu eingehend Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 6 EU Rn. 174ff.; Wetter, Die Grundrechtscharta des EuGH, S. 197ff. 30 Vgl. Behrens, EuR 1992, 145,147; Mestmäcker, ZEW Nr.28, S. 16f.; Müller-Graff, Unternehmensinvestitionen und Investitionsteuerung im Marktrecht, S. 296; Canaris, FS-Lerche, S. 873,890; zur Vertragsfreiheit s.a. EuG 18.9.1992, Rs. T-24/90, Slg. 1992 II, 2223,2268 Rn. 51 Automec. 31 Vgl. eingehend Müller-Graff, Unternehmensinvestitionen und Investitionsteuerung im Marktrecht, S.292ff.; s.a. Günther, WuW 1963, 191, 192f.; Behrens, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft, S. 73, 79ff. 32 Vgl. Schmidt-Leithoff, FS-Rittner, S. 602 ff. 33 Vgl. v. Simson, in: Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, S. 55,67; Engel, Europarechtliche Grenzen für die Industriepolitik, in: Rengeling, Europäisierung des Rechts, S. 35ff., insb. S. 56f. 34 Für die Zeit nach Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages vgl. Immenga, EuZW 1994, 14, 15ff.; Steindorff, FIW Heft 148, S. 84f.; s.a. Szczekalla, DVB1.1998,219,222: seit Maastricht könne „von einer auch nur schwerpunktmäßigen Festlegung der Gemeinschaft auf den Bereich der Wirtschaftsliberalisierung nicht mehr die Rede sein". 28

29

14

1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht im System des Binnenmarktes

der Veränderungen durch EEA 35 , Maastrichter Vertrag 36 und Amsterdamer Vertrag 37 wird eine kontinuierliche Zunahme interventionistischer Elemente festgestellt. Als „Sündenfall" wird insbesondere die Ermächtigung der Gemeinschaft zum Betreiben einer aktiven Industriepolitik durch den Maastrichter Vertrag angesehen. Seitdem gehört es nach Art. 3 Abs. 1 lit. m EG (3 lit. 1 EGV) offen zu den Aufgaben der Gemeinschaft, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu stärken, und der neue Art. 157 EG verpflichtet die Gemeinschaft sogar dazu, bei Durchführung anderer Maßnahmen industriepolitische Zielsetzungen zu berücksichtigen38. Steindorff sieht darin nicht nur eine Weichenstellung für die Industriepolitik, sondern für eine „ganz neue Union" 3 9 . Immenga konstatiert bereits für den Maastrichter Vertrag einen „Umbruch der geschriebenen Wirtschaftsverfassung" 40 . Der Amsterdamer Vertrag wertete die Industriepolitik sogar nochmals auf, indem er in Art. 2 EG die Politiken und Maßnahmen im Sinne der Art. 3 und 4 EG (einschließlich des Systems unverfälschten Wettbewerbs) auch auf das Ziel hin ausrichtete, „einen hohen Grad an Wettbewerbsfähigkeit" zu fördern 41 . Allerdings ist schon mit dem Maastrichter Vertrag nicht nur die Industriepolitik durch explizite Aufnahme in den Vertragstext geadelt worden. Gleiches gilt für die marktwirtschaftliche Grundausrichtung: Art. 4, 98, 105 EG verpflichten die Gemeinschaft erstmals ausdrücklich auf den Grundsatz einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" 42 . Das Gebot der Errichtung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs in Art. 3 Abs. 1 lit. g EG blieb im Grundsatz unangetastet, und selbst der „Industriepolitik-Artikel" 157 EG bindet die Tätigkeit der Gemeinschaft an ein „System offener und wettbewerbsorientierter Märkte" und bietet ausdrücklich keine Grundlage für Maßnahmen der Gemeinschaft, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen könnten. Das gibt der N o r m eine paradoxe Wendung, weil industriepolitisch motivierte Eingriffe - ganz gleich ob sie der Stützung kränkelnder oder der Förderung zukunftsweisender Industriezweige dienen - typischerweise wettbewerbsverzerrend sind 43 . Das wirft ein Schlaglicht auf das eigentliche Dilemma: Der grundsätzliche Primat von Privatautonomie, Markt und Wettbewerb für Gemeinsamen Markt und Binnenmarkt wird zwar 35

Dazu etwa Oppermann, FS-Börner, S. 53, 61 ff. Mussler, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft im Wandel, S. 125ff., insb. S. 147ff. 36 Dazu etwa Immenga, EuZW 1994,14ff.; Mussler, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft im Wandel, S. 166ff. 37 Dazu A. Schmidt, WuW 1999, 133ff. 38 Dazu Immenga, EuZW 1994, 14, 15 ff.; Behrens, Die Wirtschafts Verfassung der Europäischen Gemeinschaft, S. 73, 86ff.; Mestmäcker, ZEW Nr. 28, S.26f. 39 Steindorff, FIW Heft 148, S. 11, 21. 40 Immenga, EuZW 1994, 14, 16. 41 Vgl. A. Schmidt, WuW 1999, 133. 42 Engel sieht den Streit um die Wirtschaftsverfassung der EG dadurch positiv zugunsten der Marktwirtschaft entschieden, ders., Europarechtliche Grenzen für die Industriepolitik, in: Rengeling, Europäisierung des Rechts, S. 56f. 43 Vgl. Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rn.218. Mestmäcker bezeichnet die Industriepolitik plastisch als „Gegenentwurf zum System unverfälschten Wettbewerbs" (ders., FSv.d.Groeben, S.9, 27).

1. Abschnitt: Der Europäische

15

Binnenmarkt

durch die Vertragsrevisionen von Maastricht und Amsterdam nicht in Frage gestellt 4 4 , doch werden die Grenzen staatlicher Intervention durch die Unklarheit, Doppeldeutigkeit und Widersprüchlichkeit der eingefügten Bestimmungen verwischt 4 5 . Diese Unbestimmtheit kennzeichnet auch das Verhältnis von G r u n d freiheiten und staatlicher Intervention sowie die Grundfreiheitendogmatik insgesamt.

D. Das Beispiel des Verbraucherschutzes D i e Bedeutung der Ausrichtung des Binnenmarktes auf offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb und des damit verbundenen Primats von Privatautonomie, M a r k t und Wettbewerb läßt sich am Beispiel des Verbraucherschutzes erhellen. D e r Verbraucherschutz hat im Zuge der verschiedenen Vertragsrevisionen kontinuierlich an Bedeutung gewonnen 4 6 . D e r ursprüngliche E W G - V e r t r a g erwähnte die Verbraucher eher am Rande 4 7 . D i e E E A gab der Kommission in Art. 100a Abs. 3 E W G V immerhin schon auf, bei ihren Harmonisierungsvorschlägen von einem hohen Verbraucherschutzniveau auszugehen. D e r Maastrichter Vertrag fügte mit dem neuen Art. 129a E G V erstmals eine eigenständige K o m petenznorm in den Vertrag ein, die der Gemeinschaft einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus auftrug. Diese Bestimmung ließ zwar n o c h offen, o b die Gemeinschaft eine von der binnenmarktbezogenen Rechtsangleichung nach Art. 100a E G V (95 E G ) unabhängige Rechtssetzungskompetenz für Verbraucherschutzregelungen besaß 4 8 . M i t Inkrafttreten des A m sterdamer Vertrages wurde jedoch schließlich auch diese Frage in Art. 153 Abs. 3 lit. b E G positiv entschieden. Diese Entwicklung hat zu der Befürchtung geführt, die Verbraucherschutzkompetenz der Gemeinschaft könne zum Einfallstor für einen übertriebenen, paternalistischen Verbraucherschutz werden. Junker

sieht den Marktbürger schon

durch die geltende EG-Verbraucherschutzgesetzgebung

„vom Citoyen zum

C o n s o m m a t e u r " degradiert 4 9 und beschwört im Zusammenhang mit der E G 44 So auch Müller-Graff, EuR 1997, 433, 444; ders., Perspektiven des Rechts in der Europäischen Union, S. 183, 195ff.; Dreher, WuW 1998, 656, 663; eingehend Engel, Europarechtliche Grenzen für die Industriepolitik, in: Rengeling, Europäisierung des Rechts, S. 35ff., insb. S. 56f. Zum Primat von Freiverkehr und Wettbewerb s.a. Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, S.24; Grabitz, in: Grabitz/Hilf, Art. 8a EWGV Rn. 3; ders., FS-Steindorff, S. 1229; Langeheine, in: Grabitz/Hilf, Art. 100a EGV Rn.20f, insb. Rn.23; ders., EuR 1988,235, 239; vgl. auch EuGH, 5.10. 2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000,1-8419 Rn. 88 und 97 - Deutschland/ Parlament und Rat (Tabakrichtlinie) = JZ 2001, 32 m. Anm. Götz. 45 Vgl. Steindorff, FIWHeft 148, S. 11, 85;Immenga, EuZW 1994,14,17; optimistischer Drewer, WuW 1998, 656, 663. 46 Vgl. Überblick bei Staudenmayer, RIW 1999, 733ff. 47 Art. 39 Abs. 1 lit. e, 40 Abs. 3 Unterabs. 2, 85 Abs. 3, 86, 92 Abs. 2 lit. a EWGV. 48 Dagegen etwa Taschner, Mindestharmonisierung im Verbraucherschutzrecht, S. 159, 163 f. 49 Vgl. Junker, IPRax 1998, 65ff.; eingehend zum Paternalismusbegriff Enderlein, Rechtspaternahsmus und Vertragsrecht, S. 7ff.

16

1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht im System des

Binnenmarktes

Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf die Gefahr einer Wandlung des B G B „vom Bürgerlichen Gesetzbuch zum kleinbürgerlichen Gesetzbuch" 50 . Der EG-Vertrag selbst enthält indes keine Festlegung auf ein solches Verbraucherschutzmodell. Das in Art. 95 Abs. 3 und 153 Abs. 1 E G normierte Ziel eines „hohen Verbraucherschutzniveaus" muß nicht zu einer Maximierung staatlicher Intervention führen. Im Lichte der wirtschaftlichen Grundausrichtung des Binnenmarktes ist es in erster Linie auf eine freiheitserhöhende Optimierung des Verbraucherschutzes durch Stärkung von Markt, Wettbewerb und Privatautonomie der Verbraucher gerichtet 51 . Diese Sichtweise führt zu dem vom E u G H entwickelten Leitbild des aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers, das sich wohltuend vom immer noch in der deutschen Rechtsprechung aufflackernden Leitbild des flüchtigen, geradezu pathologisch dummen und fahrlässigen Verbrauchers abhebt 52 . Der Ansatz des E u G H setzt in erster Linie auf Information der Verbraucher und die dadurch bewirkte Stärkung von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung 53 . Dieses „Informationsmodell" hat in Art. 153 Abs. 1 E G sogar einen Anklang im Vertragstext gefunden54. Es prägt in weitem Umfang die Rechtsangleichungsmaßnahmen der Gemeinschaft 55 , aber auch die Grundfreiheitenkontrolle solcher originär mitgliedstaatlicher wie gemeinschaftsprivatrechtlicher Normen, die einen Schutz der Verbraucher nicht durch Information und Stärkung seiner Selbstbestimmung, sondern vor Information und Selbstverantwortung anstreben und deren Legitimität im Lichte dieses Ansatzes in Zweifel geraten muß 56 .

Junker, DZWir 1997, 271 ff. Vgl. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 438ff.; deutlich auch EuGH, 13.5. 1997, Rs. C-233/94, Slg. 1997, 1-2405 Rn.48 - Deutschland/Parlament und Rat (Einlagesicherungsrichtlinie). 52 Vgl. etwa LG Köln, MMR 2001, 54f. (Verstoß des sog. „Powershopping", bei dem sich mehrere Kaufinteressenten zusammentun können, um günstigere Einkaufskonditionen zu erhalten, gegen § 1 UWG wegen angeblich übertriebenen Anlockens). 53 Grundlegend EuGH, 20.2. 1979, Rs.120/78, Slg. 1979, 649 Rn. 13 - Cassis de Dijon; s.a. EuGH, 9.12. 1981, Rs. 193/80, Slg. 1981, 3019 Rn.27 - Kommission/Italien (Essigj; EuGH, 13.12.1990, Rs. C-238/89, Slg. 1990,1-4827 Rn. 20ff. - Pall. Aus jüngerer Zeit siehe EuGH, 16.7. 1998, Rs. C-210/96, Slg. 1998,1-4657 Rn. 31 - Gut Springenheide-, EuGH, 28.1.1999, Rs. C-303/ 97, Slg. 1999,1-513 - Rn. 38 - Sektkellerei Kessler, EuGH, 13.1. 2000, Rs. C-220/98, Slg. 2000,1117 Rn. 17ff. - Estee Lauder Cosmetics (Lifting). 54 Steindorff sieht darin einen Ausdruck der primärrechtlichen Anerkennung des in der Rechtsprechung seit Cassis de Dijon postulierten Vorrangs der Verbraucherinformation, ders., ZHR 164 (2000), 223,249. 55 Dazu eingehend Fleischer, ZEuP 2000, 772 ff. 56 Besonders deutlich EuGH, 7.3. 1990, Rs. C-362/88, Slg. 1990,1-683 Rn. 18 GB-INNOBM. 50

51

1. Abschnitt: Der Europäische Binnenmarkt

17

E. Betonung von Freiheit und Rechtssicherheit in Art. 6 Abs. 1 E U Der grundsätzliche Vorrang individueller Freiheit und Selbstverantwortung wird von Seiten der Gemeinschaftsrechtsordnung in Art. 6 E U bestätigt57. Art. 6 Abs. 2 EU verpflichtet die Europäische Union auf die Achtung der Grundrechte. Der durch den Amsterdamer Vertrag neugefaßte Absatz 1 betont, daß die Union auf den Grundsätzen der Freiheit und der Rechtsstaatlichkeit aufbaue, die allen Mitgliedstaaten gemeinsam seien. „Freiheit" meint dabei nichts anderes als die persönliche Freiheit des einzelnen im Verhältnis zum Staat. Dies schließt eine umfassende Gewährleistung der Privatautonomie ein58. Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit betont die Rechtsbindung staatlicher Macht unter Einschluß der Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der Rechtssicherheit59, der Bestimmtheit60, der Verhältnismäßigkeit61, des Vertrauensschutzes und des Rückwirkungsverbots62. Diese Grundsätze galten schon lange bevor sie eine primärrechtliche Verankerung in Art. 6 E U fanden. Der EuGH hat schon 1989 in der Entscheidung Hoechst die allgemeine Bindung staatlicher Eingriffe an die Grundsätze des Gesetzesvorbehalts und der Verhältnismäßigkeit unterstrichen63.

§ 3 Verteilung der Regelungskompetenzen im Binnenmarkt Der grundsätzliche Vorrang von Privatautonomie, Markt und Wettbewerb im Binnenmarkt löst noch nicht vollständig das eingangs beschriebene Problem der Abgrenzung der Regelungskompetenzen im Dreieck von marktgemäßer Selbststeuerung, mitgliedstaatlicher und gemeinschaftsrechtlicher Regulierung, denn der grundsätzliche Vorrang privatautonomer Selbststeuerung sagt für sich genommen noch nichts darüber aus, wem die Regelungszuständigkeit zusteht, wenn eine staatliche Regulierung ausnahmsweise erforderlich ist. Berücksichtigt man, daß in bezug auf grenzüberschreitende Sachverhalte möglicherweise nicht nur das Recht eines Mitgliedstaates, sondern die Rechtsordnungen von zwei oder 57 Scholz/Langer sehen in der Betonung dieses Vorrangs sogar eine Kernaussage der Grundfreiheiten, die in ihrer Summe eine „der öffentlichen Gewalt vorausliegende Sphäre individueller Freiheit" (eben „Grundfreiheit") beschrieben, dies., Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, S.51. 58 Vgl. Schwzrze-Stumpf, Art. 6 EU Rn. 7ff.; Geiger, EUV/EGV, Art. 6 EU Rn. 5. 59 Vgl. umfassende Nachweise bei Pernice, in: Grabitz/Hilf, Art. 164 EGV Rn. 89. 60 Vgl. (zu gemeinschaftsrechtlichen Normen) EuGH, 9.7. 1981, Rs. 169/80, Slg. 1981, 1931 Rn. 18 - Gonrand sowie (in bezug auf mitgliedstaatliche Regelungen) EuGH, 26.2. 1991, Rs. C120/88, Slg. 1991,1-621 Rn. 11 - Kommission/Italien (Mehrwertsteuer) und EuGH, 24.3. 1988, Rs. 104/86, Slg. 1988, 1799 Rn. 12 - Kommission/Italien (Abgaben). 61 Dazu eingehend Hirsch, ZEW Nr. 80; Kischel, EuR 2000, 380ff. 62 Vgl. Schwarze-Si«m/>/, Art. 6 EU Rn. 14f.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 6 EU Rn. 9ff. jeweils mit reichhaltigen Nachweisen aus der EuGH-Rspr.; s.a. Geiger, EUV/EGV, Art.6 EU Rn. 5. 63 Vgl. EuGH, 21.9. 1989, verb. Rs. 46 und 227/87, Slg. 1989, 2859 Rn. 19 - Hoechst; ebenso EuGH, 17.10. 1989, verb. Rs. 97 bis 99/87, Slg. 1989, 3165 Rn. 16 - Dow Chemical Iberica.

18

1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht

im System des

Binnenmarktes

mehr Mitgliedstaaten Geltung beanspruchen können, erweitert sich das „Kompetenzdreieck" sogar zum Vier- oder gar Vieleck.

A. Kompetenzabgrenzung zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft Für die Abgrenzung der Regelungskompetenzen zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft enthält der EG-Vertrag mit Art. 5 E G eine Grundsatzregelung. Das in Art. 5 Abs. 1 E G normierte Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung stellt klar, daß die Gemeinschaft nur im Rahmen der ihr vom EG-Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig werden darf64. Im Lichte dieses Grundsatzes erscheint eine umfassende Gesetzgebungskompetenz der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Privatrechts zweifelhaft65. Für den besonders wichtigen Aspekt des Verbraucherschutzes ist der Gemeinschaft allerdings spätestens seit der Konkretisierung des Art. 153 EG durch den Amsterdamer Vertrag eine solche Regelungskompetenz zugewiesen. Wo die Gemeinschaftskompetenz mit derjenigen der Mitgliedstaaten konkurriert, kommen die als „Subsidiaritätsprinzip" bezeichnete Kompetenzabgrenzungsregel des Art. 5 Abs. 2 EG 6 6 und das in Art. 5 Abs. 3 EG normierte Verhältnismäßigkeitsprinzip zum Zuge. In der Zusammenschau dieser Bestimmungen läßt sich aus Art. 5 E G ein grundsätzlicher Vorrang mitgliedstaatlicher vor gemeinschaftsrechtlicher Regulierung ableiten. Für das Verhältnis von Grundfreiheiten und Privatrecht kommt der Kompetenzabgrenzung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten in zweifacher Weise Bedeutung zu: Erstens können sich mitgliedstaatliche Regelungsbefugnisse nach Maßgabe der EuGH-Rechtsprechung grundsätzlich nur „in Ermangelung einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung" gegenüber den Grundfreiheiten

6 4 Vgl. dazu E u G H , 5.10. 2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000,1-8419 Rn.96ff. Deutschland/Parlament und Rat (Tabakrichtlinie) = J Z 2001, 32 m. Anm. Götz. Nur ausnahmsweise kommt eine Kompetenzerweiterung nach Art. 308 E G in Betracht. 6 5 So auch die wohl h.M. vgl. etwa Armbrüster, J J Z 1991,91,96; Bangemann, ZEuP 1994,377, 378f.; Canaris, FS-Lerche, S. 873,890f.; Mestmäcker, Z E W Nr. 28, S. 8; Rittner,]Z 1990,838,842; a.A. allerdings Basedow, FS-Mestmäcker, S.358ff.; Reich, EuZW 1991, 203, 208; wohl auch Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S. 90ff. Rn. 125ff. (vgl. aber auch ebenda, S. 125 Rn. 176 „nicht gesichert"). 6 6 Dazu monographisch Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, insb. S. 69ff. O b der Gemeinschaft eine ausschließliche Kompetenz zur Schaffung des Binnenmarktes zukommt, ist ebenfalls umstritten. Dagegen etwa Lurger, Regulierung und Deregulierung im europäischen Privatrecht, S. 11 lff,',Rohe, RabelsZ 61 (1997), 1,31; a.A. z.B. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 397ff. Die Kommission differenziert zwischen Rechtsangleichungsmaßnahmen, die dem Freiverkehr dienen und solchen, die lediglich Wettbewerbverfälschungen beseitigen sollen. Im ersten Fall nimmt sie eine ausschließliche, im zweiten eine konkurrierende Kompetenz der Gemeinschaft an, vgl. Kommission, Das Subsidiaritätsprinzip, SEK (92) 1990 endg., Anhang S.7ff.; dazu Schwanz, ZEuP 1994, 553, 575; für einen Überblick zum Streitstand siehe Schwartz, FS-Everling, S. 1331 ff.; Lurger, a . a . O . S . l l l Fußnote 236; Deckert/ Lilienthal, EWS 1999, 121, 128f.

1. Abschnitt: Der Europäische

19

Binnenmarkt

durchsetzen 6 7 . Eine Harmonisierung durch Rechtsangleichung reduziert sowohl die Bedeutung der Grundfreiheitenkontrolle (primärer Maßstab

nationalen

Rechts ist in diesem Fall die Gemeinschaftsrichtlinie) als auch den U m f a n g der nationalen Regelungskompetenzen (soweit die Richtlinie reicht, scheidet eine B e r u fung auf zwingende Allgemeininteressen aus). Wird eine gemeinschaftsrechtliche Rechtsangleichungsmaßnahme für nichtig erklärt 6 8 , so werden die Grundfreiheiten wieder zum unmittelbaren und alleinigen Prüfungsmaßstab 6 9 . Zweitens stellt sich die Frage, ob bzw. wie die der Gemeinschaft durch Art. 5 E G gebotene Zurückhaltung bei der Positivintegration durch Rechtsangleichung auf die Negativintegration durch Grundfreiheitenkontrolle nationalen Privatrechts

durch-

schlägt. Insoweit wird in der Literatur nicht zu U n r e c h t darauf hingewiesen, daß eine legislatorische Zurückhaltung der Gemeinschaft wenig wert wäre, wenn sie durch eine um so weitere Anwendung der Grundfreiheiten überspielt werden könnte 7 0 . Diese Frage wird insbesondere zur

-Entscheidung des E u G H dis-

kutiert, die von vielen als Ausdruck eines auch auf die Grundfreiheitenrechtsprechung durchschlagenden Subsidiaritätsgedankens gewertet wird 7 1 .

B. Abgrenzung der Regelungskompetenz zwischen den Mitgliedstaaten Liegt die Regelungszuständigkeit bei den Mitgliedstaaten, weil es an einer G e setzgebungskompetenz der Gemeinschaft fehlt oder weil die Gemeinschaft noch nicht bzw. nicht abschließend Gebrauch von ihren Befugnissen gemacht hat, und berührt ein Sachverhalt die Rechtsordnungen von zwei oder mehr Mitgliedstaaten, so stellt sich die Frage, wessen Mitgliedstaates Privatrecht Anwendung findet und o b die Grundfreiheiten etwas zur Lösung dieses Kompetenzproblems beitragen können. Bei einer sehr engen Auslegung im Sinne reiner Diskriminierungsverbote, aber auch bei einer sehr weiten Interpretation im Sinne umfassender Verbote jedweder Beschränkung der Privatautonomie, wäre dies nicht der Fall. In beiden Fällen würden die Grundfreiheiten lediglich im Verhältnis zwischen Staat und privaten Wirtschaftsteilnehmern wirken: I m ersten könnten grundsätzlich 67 Grundlegend EuGH, 20.2. 1979, Rs.120/78, Slg. 1979, 649 Rn.8 - Cassis de Dijon; dazu noch eingehend unten 2. Teil, S. 89ff. und S. 129ff. 68 Vgl. etwa EuGH, 5.10.2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000,1-8419- Deutschland/Parlament und Rat (Tabakrichtlinie). Die Tabak-Werberichtlinie ist abgedruckt in AB1EG 1998 Nr. L213/9; dazu Reher/Schöner, EWS 1998,294; R. Wägenbaur, EuZW 1998,709; H.-P. Schneider, NJW1998, 576 mit Entgegnung Reich, NJW 1998, 1537; B. Wägenbaur, EuZW 1999, 144; Caspar, EuZW 2000, 237; Nolte, NJW 2000, 1144 ; Stein, EuZW 2000, 337. 69 Zum Verhältnis von Grundfreiheiten und Rechtsangleichungsrichtlinien siehe noch unten 2. Teil., S. 94. 70 So Remien, JZ 1994, 349, 353. 71 So etwa Arndt, JuS 1994, 469, 473; ders., ZIP 1994, 188,191; Classen, EWS 1995, 97,104f.; Möschel, NJW 1994, 429, 431; a.A. Fezer, WRP 1995, 671, 672 Fn.6; Lurger, Regulierung und Deregulierung im europäischen Privatrecht, S. 114f.; Reich, (1994) 31 C.M.L.Rev. 459,477f. Dazu noch eingehend unten 2. Teil, S. 163ff.

20

1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht

im System des

Binnenmarktes

beide Mitgliedstaaten ihre Regelungen (diskriminierungsfrei) anwenden, im zweiten möglicherweise keiner von beiden. Folgt man einer verbreiteten Auffassung, verbindet das Binnenmarktziel mit dem sog. „Herkunftslandprinzip" und richtet die Grundfreiheiten auf dieses Prinzip aus 72 , so könnten sie dagegen durchaus auch Einfluß auf die Verteilung der Regelungskompetenzen zwischen den Mitgliedstaaten gewinnen. Am größten wäre die Bedeutung der Grundfreiheiten, wenn ihnen ein kompetenzielles Herkunftslandprinzip zugrunde läge und sie als Kompetenzzuweisungsregeln fungierten. Aus der Perspektive des Privatrechts wäre ihr Einfluß kaum geringer, wenn man ihnen Kollisionsnormen entnehmen könnte, welche für grenzüberschreitende Sachverhalte das Herkunftslandrecht zur Anwendung berufen. Am geringsten wäre ihr Einfluß auf die Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten, wenn man im Herkunftslandprinzip lediglich eine Auslegungsregel im Sinne einer Pflicht zur Berücksichtigung des Herkunftslandrechts und zur Anerkennung seiner grundsätzlichen Gleichwertigkeit mit dem Bestimmungslandrecht sieht 73 .

72 73

Dazu noch eingehend unten S. 2 6 f f . Dazu noch eingehend unten 2. Teil, S. 129, 2 1 9 f f . , und 340f. sowie 3. Teil, S . 4 3 2 f f .

2. Abschnitt

Die Grundfreiheiten im Binnenmarkt Errichtung und Funktionieren des Binnenmarktes sind durch die Art. 3 Abs. 1 lit. c und 14 Abs. 2 EG untrennbar mit den Grundfreiheiten verbunden. Der durch die Grundfreiheiten gewährleistete Freiverkehr zwischen den Mitgliedstaaten kennzeichnet nach Art. 3 Abs. 1 lit. c EG den Binnenmarkt. Art. 14 Abs. 2 EG beschreibt den Binnenmarkt als „Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages gewährleistet ist". Diese wechselseitige Ausrichtung von Grundfreiheiten und Binnenmarkt aufeinander unterstreicht die Bedeutung der Grundfreiheiten für den Binnenmarkt, aber auch umgekehrt die Bedeutung des Binnenmarktziels für die Auslegung der Grundfreiheiten. Insoweit stechen neben dem bereits behandelten Vorrang privatautonomer Selbststeuerung 1 vier weitere Aspekte hervor: die Bedeutung der Intensivierung der Integration durch Einführung des Binnenmarktziels 2 , die Definition des Binnenmarktes als „Raum ohne Rechtsgrenzen" in Art. 14 Abs. 2 EG, seine Verbindung mit dem sog. „Herkunftslandprinzip" in der Cassis de Z)z)o«-Rechtsprechung des EuGH und im Binnenmarkt-Weißbuch der Kommission und schließlich sein Bezug zu einem durch die Grundfreiheiten ermöglichten „Wettbewerb der Rechtsordnungen".

§ 1 Intensivierung der Integration = strengere Anwendung der Grundfreiheiten? Es liegt nahe, der im Binnenmarktbegriff angelegten Intensivierung der Integration prima fade das Gebot einer weiter ausgreifenden und zugleich strengeren Anwendung der Grundfreiheiten gegenüber dem nationalen Recht zu entnehmen. Ein „echter" Binnenmarkt ist tendenziell weniger tolerant gegenüber Freiverkehrshindernissen als ein schon begrifflich in stärkerem Maße unvollkommener, nur „binnenmarktähnlicher" Gemeinsamer Markt. Die Erwartung, daß der EuGH nach Einführung des Binnenmarktziels in den Vertragstext bei der Grundfreiheitenkontrolle nationalen Rechts durchweg strengere Maßstäbe anlegen würde, ist allerdings nicht erfüllt worden. Zwar lassen sich in der Rechtsprechung vielfältige Signale für eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten erkennen, etwa in Gestalt des Ausbaus aller Grund1 2

Siehe oben S. 1 l f f . , insb. S. 15f. Siehe dazu bereits oben S. lOff.

22

1. Teil: Grundfreiheiten und Privatrecht im System des Binnenmarktes

freiheiten zu Beschränkungsverboten und in ihrer vereinzelten Anwendung auf faktisch rein innerstaatliche Sachverhalte 3 . D o c h sind auch gegenläufige Tendenzen erkennbar, die ihren Ausdruck namentlich in der & c & - R e c h t s p r e c h u n g 4 , aber auch in zahlreichen anderen Entscheidungen finden, in welchen der E u G H den Katalog der den Mitgliedstaaten für die Rechtfertigung handelsbehindernder Maßnahmen zu G e b o t e stehenden Gründe beständig erweitert hat 5 . Diese E n t wicklung macht deutlich, daß der E u G H das Binnenmarktziel nicht im Sinne einer „blinden" Deregulierung um jeden Preis versteht, sondern einen Ausgleich der vielfältigen widerstreitenden Interessen anstrebt. Das m u ß dem Ziel einer I n tensivierung der Integration bei praxisnaher Betrachtung nicht entgegenstehen. Eine engere und dadurch schärfere Fassung der Verbotsreichweite der Grundfreiheiten kann in der Praxis, wie wir noch sehen werden, sogar ein M e h r an Integration bewirken 6 . E i n e weite Fassung des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten macht umgekehrt eine Positivintegration durch Rechtsangleichung für die Zukunft nicht überflüssig, sondern kann sie im Gegenteil gerade durch die dadurch bewirkte Rechtsunsicherheit erforderlich machen. H i n z u k o m m e n R ü c k wirkungen erfolgter Positivintegration, die den praktischen Bedarf an einer D e r e gulierung in den vergangenen Jahrzehnten deutlich reduziert hat 7 . Eine automatische Gleichsetzung der Intensivierung der Integration durch das Binnenmarktziel mit einer strengeren Anwendung der Grundfreiheiten ginge daher fehl.

§ 2 Der Binnenmarkt als „Raum ohne Binnengrenzen" Eine mit Einführung des Binnenmarktbegriffs einhergehende Neuerung war die Beschreibung des Binnenmarktes als „Raum ohne Binnengrenzen". Sie wäre von nicht zu unterschätzender Bedeutung für das Verhältnis von Grundfreiheiten und nationalem Privatrecht, wenn sie im Sinne eines G e b o t s zur Schaffung eines „Raums ohne Rechtsunterschiede" oder wenigstens eines „Raums ohne Rechtsgrenzen" zu verstehen wäre, in dem es für die Anwendung der Grundfreiheiten nicht mehr darauf ankommt, o b ein Sachverhalt ein über eine innergemeinschaftliche Binnengrenze hinausweisendes Element aufweist oder nicht. Beides ginge indes zu weit. M i t dem Postulat eines „Raums ohne Binnengrenz e n " ist nach vorherrschender und richtiger Auffassung lediglich das Ziel der 3 Vgl. etwa EuGH, 7.5.1997, verb. Rs. C-321 bis C-324/94, Slg. 1997,1-2343-Pistre; dazu bereits Körber, EuR 2000, 932, 934f.; Weyer, EuR 1998, 435ff.; s.a. unten 2. Teil, S. 65ff. 4 Siehe EuGH, 24.11.1993, verb. Rs. C-267 und C-268/91, Slg. 1993,1-6097 - Keck und Mithouard; dazu noch eingehend 2. Teil, S. 157ff. 5 Grundlegend EuGH, 20.2.1979, Rs.120/78, Slg. 1979,649 - Cassis de Dijon\ in jüngerer Zeit vgl. etwa EuGH, 9.7. 1997, verb. Rs. C-34 bis C-36/95, Slg. 1997,1-3843 Rn.45 - De Agostini (zur Rechtfertigung auch materiell diskriminierender Regelungen durch „zwingende Erfordernisse"); eingehend unten 2. Teil, S.223ff. 6 Dazu noch eingehend unten 2. Teil, S. 161. 7 Dies wird auch im Zusammenhang mit der A"ec£-Entscheidung deutlich, dazu noch unten 2. Teil, S. 166.

2. Abschnitt: Die Grundfreiheiten im Binnenmarkt

23

Schaffung eines Raumes ohne innergemeinschaftliche Grenzkontrollen angesprochen 8 . A u f die Terminologie des Binnenmarkt-Weißbuchs übertragen bezieht sich der Ausdruck nur auf die dort als „materielle Schranken" bezeichneten, unmittelbar an den Binnengrenzen in Gestalt bestimmter Formalitäten auftretenden Hindernisse 9 . Keine „Binnengrenzen" sind sonstige Hindernisse steuerlicher 1 0 oder „technischer" Art, wobei das Binnenmarkt-Weißbuch unter den B e griff der „technischen Schranken" auch alle Hindernisse faßt, die aus den U n t e r schieden der nationalen Rechtsordnungen resultieren und die keiner der beiden anderen Gruppen zuzuordnen sind 1 1 . Dies gilt auch für Handelsbehinderungen durch Regelungen, die durch zwingende Erfordernisse ( z . B . durch den Verbraucherschutz) gerechtfertigt sind 1 2 .

A. Raum ohne Rechtsunterschiede? In der Literatur wird aus dem Begriff des „Raums ohne Binnengrenzen" gleichwohl die Forderung nach einer Vereinheitlichung der wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingen, einschließlich der „weitestgehenden Uberwindung der zivilrechtlichen ,Binnengrenzen'" abgeleitet 1 3 . Eine Deutung des Binnenmarktziels im Sinne eines Postulats der Beseitigung aller bestehenden Rechtsunterschiede würde allerdings nicht nur der Rechtswirklichkeit, sondern auch der Verteilung der Regelungskompetenzen durch den E G - V e r t r a g widersprechen. De

facto

zeichnet sich der Ist-Zustand des Binnenmarktes auch zehn Jahre nach Ablauf des in Art. 14 Abs. 1 E G gesetzten neuen Zieldatums (31. D e z e m b e r 1992) durch Rechtsvielfalt aus. Das Privatrecht im Binnenmarkt ist nach wie vor ein (wenn auch zunehmend durch Gemeinschaftsprivatrecht durchwirkter) Flickenteppich 1 4 . De iure läßt sich weder aus dem Binnenmarktbegriff als solchem noch aus seiner Beschreibung als „Raum ohne Binnengrenzen" oder aus dem neuen Zieldatum eine Befugnis ableiten, dieses F a k t u m zu ignorieren. I m Gegenteil hat die Setzung eines neuen Zieldatums den Grundfreiheiten weder ihre unmittelbare Anwendbarkeit genommen 1 5 , noch hat sie ihre Reichweite vergrößert oder sogar eine gleichsam „automatische" Rechtsangleichung bewirkt 1 6 . D a ß Rechtsunter8 Vgl. Miiller-Graff, Binnenmarktziel und Rechtsordnung, S. 11; ders., EuR 1989, 107, 125f; GTE-Bardenhewer/ Pipkorn, Art. 7a EGV Rn. 8; Schwanz, FS-v.d.Groeben, S. 333, 366; Nicolaysen, Europarecht II, S. 33. 9 Vgl. Kommission, Weißbuch „Vollendung des Binnenmarktes", KOM (85), 310, Tz. 12f. und 24ff. 10 Vgl. Kommission, a.a.O. Tz. 160ff. " Vgl. Kommission, a.a.O. Tz. 57ff. 12 Vgl. Kommission, a.a.O. Tz. 68. 13 Vgl. Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, S.352. 14 Dazu noch eingehend unten S.36ff. 15 So eine Befürchtung Pescatores, EuR 1986,153,157f.; dagegen zu Recht Grabitz, FS-Steindorff, S. 1229, 1231f.; Steindorff, ZHR 150 (1986), 687, 700; siehe bereits oben S. lOf. 16 Vgl. Nicolaysen, Europarecht II, S. 32; GTE-Bardenhewer/Pipkom, Art. 7a EGV Rn. 12ff.;

24

1. Teil: Grundfreiheiten und Privatrecht im System des Binnenmarktes

schiede nicht als solche binnenmarktwidrig sind, sondern angesichts der grundsätzlichen Rechtssetzungskompetenz der Mitgliedstaaten den primärrechtlich akzeptierten N o r m z u s t a n d darstellen, wird nicht nur in Art. 5 E G deutlich 1 7 . D e r E u G H hat auch in seiner Entscheidung zur Tabakrichtlinie herausgestellt, daß die bloße Feststellung von Rechtsunterschieden nicht ausreiche, um eine binnenmarktbezogene Rechtsangleichungsmaßnahme zu legitimieren 1 8 . Rechtseinheit ist auch im Binnenmarkt kein Wert an sich 1 9 . Diese Feststellung hat erhebliche Bedeutung für die Auslegung der Grundfreiheiten. Zwar ist der E u G H bei Auslegung der Grundfreiheiten weder unmittelbar an Art. 5 noch an Art. 95 E G gebunden 2 0 , doch sind auch die Grundfreiheiten auf das Binnenmarktziel ausgerichtet. Schon daraus folgt, daß sie nicht Rechtsunterschieden als solchen entgegenstehen. Schließlich m u ß der Binnenmarkt, auch wenn man ihn als R a u m ohne Rechtsgrewzew versteht, keineswegs auch ein R a u m ohne Rechtsuntersckiede

sein. Rechtliche G r e n z e n werden durch mitgliedstaatli-

che Regelungen oder Rechtsunterschiede erst dann aufgerichtet, wenn diese ausnahmsweise den Freiverkehr behindern 2 1 . D a ß die Grundfreiheiten dem A b b a u solcher Rechtsgrenzen dienen, stand schon vor Einführung des Binnenmarktziels außer Frage. D i e ausdrückliche Ausrichtung der Grundfreiheiten auf dieses Ziel hat diesen Aspekt lediglich hervorgehoben, ohne ihn inhaltlich zu verändern.

B. Raum ohne Rechtsgrenzen und grenzüberschreitender Bezug A u f den ersten Blick erscheint es geradezu widersinnig, die Anwendung der Grundfreiheiten in einem „Markt ohne Binnengrenzen" davon abhängig zu machen, daß der betreffende Sachverhalt einen Bezug zur Überschreitung einer solchen (definitionsgemäß gar nicht mehr existierenden) G r e n z e aufweist 2 2 , wie ihn Dauses, EuZW 1990, 8, 10; Grabitz, FS-Steindorff, S. 1229, 1232; s.a. die Erklärung der Regierungskonferenz zu Art. 8a EWGV, die betont, daß dem Zieldatum „keine automatische rechtliche Wirkung" beizumessen sei (abgedruckt in Beck-Texte Europa-Recht, 15. Aufl. 1999 unter Nr. 9). Müller-Graff weist in diesem Zusammenhang zutreffend auf den durch den Amsterdamer Vertrag aufgehoben Art. 100b EWGV (ders., EuR 1989, 107, 138). 17 Dazu schon oben S. 18. 18 Vgl. EuGH, 5.10. 2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000, 1-8419 Rn. 84 Deutschland/Parlament und Rat (Tabakrichtlinie). Grenzen der Rechtseinheit werden auch in den Ausnahmeregelungen der Art. 95 Abs.4ff. EG deutlich. 19 Vgl. Immenga, EuZW 1997, 449; Streinz, Mindestharmonisierung im Binnenmarkt, in: Everling/Roth, Mindestharmonierung im Europäischen Binnenmarkt S. 9,21; Remien, Mindestharmonisierung im Verbraucherschutzrecht (Stellungnahme), in: Everling/Roth, a.a.O. S. 181, 183; Taupitz, Europäische Privatrechtsvereinheitlichung heute und morgen, S. 5; M. Wolf, WM 1990,1941,1945; a.A. Schmidhuber, EuArch 1989, 75, 79; Taschner, Mindestharmonisierung im Verbraucherschutzrecht, in: Everling/Roth, a.a.O.S. 159, 173. 20 Siehe dazu noch eingehend unten 2. Teil, S. 163ff. 21 Vgl. Schwanz, ZEuP 1994, 559, 570. 22 Vgl. Heydt, EuZW 1993, 105; vgl. auch Mülbert, ZHR 159 (1995), 2, 19f.; Brüggemeier, NJW 1996, 38, 39.

2. Abschnitt: Die Grundfreiheiten

im

Binnenmarkt

25

Wortlaut der Grundfreiheiten, EuGH und ganz h.M. im Grundsatz postulieren23. In der Literatur ist daher verschiedentlich angeregt worden, das Kriterium des grenzüberschreitenden Bezugs im Lichte des Binnenmarktziels zu überdenken 24 . Jedenfalls beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts erscheint es allerdings unverzichtbar. Der Verzicht auf einen grenzüberschreitenden Bezug hätte zur Folge, daß letztlich nahezu jede wirtschaftsrelevante mitgliedstaatliche oder gemeinschaftsrechtliche Norm einer Kontrolle am Maßstab der Grundfreiheiten unterworfen würde. Die Grundfreiheiten würden von Instrumenten der Marktöffnung zu universellen Maßstäben der Rechtspolitik der Mitgliedstaaten. Dies wäre nicht nur mit Blick auf das Fehlen einer umfassenden Verbandskompetenz der Gemeinschaft bedenklich, sondern würde auch zu einer Verlagerung von Organkompetenzen von der Legislative auf die Judikative führen. Eine derart tiefgreifende, nicht nur den Charakter der Grundfreiheiten, sondern auch das innergemeinschaftliche Kompetenzgefüge betreffende Veränderung läßt sich allein aus der Einfügung des Binnenmarktziels nicht ableiten. C. Ergebnis Die Gleichheit der Rechtsbedingungen ist auch im Binnenmarkt kein Wert an sich. Das Binnenmarktziel verlangt kein völlig einheitliches Binnenmarktprivatrecht. Es rechtfertigt deshalb auch nicht den Abbau von Rechtsunterschieden um ihrer selbst willen. Im Mittelpunkt steht der Abbau rechtlicher wie tatsächlicher Handelshindernisse und Wettbewerbsverzerrungen. Rechtsunterschiede sind (nur) dann abzubauen, wenn von ihnen solche Hindernisse ausgehen. Auch dieses deutlich bescheidenere Ziel ist bei weitem nicht vollständig verwirklicht. Der real existierende Binnenmarkt ist nach wie vor Raum mit Rechtsgrenzen und insoweit ein „unvollkommener Binnenmarkt" 25 . Die Grundfreiheiten tragen zur Linderung dieser Unvollkommenheit und damit zur fortdauernden Herstellung des Binnenmarktes bei. Darüber hinausgehende zwingende Vorgaben in dem Sinne, daß sie Rechtsunterschieden als solchen entgegenstünden oder daß für ihre Anwendung auf das Kriterium eines grenzüberschreitenden Bezugs verzichtet werden müßte, lassen sich weder aus dem Binnenmarktziel an sich noch aus der Beschreibung des Binnenmarktes als „Raum ohne Binnengrenzen" ableiten.

Zu diesem Erfordernis und seinen Grenzen siehe noch eingehend unten 2. Teil, S.63ff. Vgl. Heydt, EuZW 1993, 105; kritisch auch Behrens, EuR 1992, 145, 161; Reich, EuZW 1991, 203, 204f.; Mülhert, ZHR 159 (1995), 2, 19f.; T. Wernicke, Privates Bankvertragsrecht im EG-Binnenmarkt, S. 34 (in einem Binnenmarkt könne es keine „rein internen Sachverhalte" der Mitgliedstaaten mehr geben); ähnlich Nachbaur, Niederlassungsfreiheit, S. 122ff. 25 So auch trefflich der prägnante Titel eines auf die Äec£-Entscheidung bezogenen Aufsatzes von Ernst Steindorff, ZHR 158 (1994), 149ff. 23 24

26

1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht

im System des

Binnenmarktes

§ 3 Binnenmarkt und Herkunftslandprinzip A. Binnenmarkt = Herkunftslandprinzip? MUlbert tritt in einer Studie zum Verhältnis von Privatrecht, Grundfreiheiten und Binnenmarkt dafür ein, den Ausdruck „Raum ohne Binnengrenzen" im Sinne eines „einheitlichen Wirtschaftsraum[s] ohne staatliche Binnengrenzen und ohne Segmentierung in nationalstaatliche Rechtskreise" zu verstehen. Mit Blick auf das Postulat eines Raums ohne Binnengrenzen könne die Funktion der Grundfreiheiten nicht mehr darin bestehen, strukturelle Hindernisse des zwischenstaatlichen Verkehrs zu beseitigen. Sie gehe vielmehr dahin, sicherzustellen, daß trotz fortbestehender Rechtsunterschiede der Rechtsrahmen für den Handelsverkehr im Binnenmarkt den Verhältnissen auf einem rechtlich homogenen Markt gleichkomme. Dafür sei keine Rechtsgleichheit notwendig, wohl aber, daß die Anbieter im ganzen Binnenmarkt nach den Regeln tätig werden könnten, die an ihrem Geschäftssitz gelten, d.h. nach ihrem Herkunftslandrecht 2 6 . Er knüpft damit an grundlegende Arbeiten von Steindorff an, der den Übergang vom Bestimmungslandprinzip zum Herkunftslandprinzip als wesentliches Kennzeichen des Binnenmarktes ansieht 27 . Indes ist auch das „Herkunftslandprinzip" keine erst mit der Einführung des Binnenmarktbegriffs verbundene Neuerung 2 8 . Die dafür als grundlegend angesehene Cassis de Dz)'o«-Entscheidung erging bereits 1979 - gut acht Jahre vor Einführung des Binnenmarktbegriffs in den EG-Vertrag mit Inkrafttreten der E E A 2 9 . Es verwundert daher nicht, daß Donner bereits 1982 aus der Rechtsprechung des E u G H ableiten konnte, der Freiverkehr sei nicht durch das Recht, jedes beliebige Produkt herzustellen und zu handeln oder durch die Abwesenheit von Produkt- und Vertriebsregeln gekennzeichnet, sondern durch das Recht ein Produkt zu verkaufen, zu handeln und zu kaufen, wenn es einmal regulär irgendwo auf den Gemeinsamen Markt gebracht worden sei. Das daraus resultierende Konzept des Gemeinsamen Marktes sei dasjenige eines Marktes, auf dem die Produkte in Abwesenheit einheitlicher Produkt- und Vertriebsregeln in Ubereinstimmung mit dem Recht irgendeines Mitgliedstaates hergestellt werden müßten, dann aber in jedem Mitgliedstaat vermarktet werden dürften 3 0 .

26

MUlbert, Z H R 159 (1995), 2, 19f. Steindorff, Z H R 150 (1986), 687, 689 unter Berufung auf die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft zum Binnenmarkt-Weißbuch der Kommission, Studienreihe Nr. 51,22.2.1986, S. 5ff.; ders., E u R 1988,17,29; ebenso Grabitz, FSSteindorff, S. 1229,1230; Dauses, E u Z W 1990, 8, 10; T Wernicke, Privates Bankvertragsrecht im EG-Binnenmarkt, S. 34. 2 8 So auch Steindorff, Z H R 150 (1986), 687,690, der betont, es habe bereits dem Gemeinsamen Markt zugrunde gelegen. 2 9 Vgl. E u G H , 20.2. 1979, Rs.120/78, Slg. 1979, 649 - Cassis de Dijon. 3 0 Vgl. Donner, SEW 5 (1982), 362, 363f.; s.a. W.-H. Roth, Z H R 159 (1995), 78, 84f. 27

2. Abschnitt: Die Grundfreiheiten

im

Binnenmarkt

27

Dieser Befund schließt es nicht aus, das Herkunftslandprinzip als wesentliches Kennzeichen auch des Binnenmarktes anzusehen, denn in bezug auf die zentrale Rolle des Freiverkehrs gleichen sich Binnenmarkt und Gemeinsamer Markt wie ein Ei dem anderen 3 1 . Es stellt sich jedoch die Frage, o b tatsächlich die Auslegung der Grundfreiheiten „am Konzept des Binnenmarktes und seines Prinzips des Herkunftslandes auszurichten ist", wie Steindorff

meint 3 2 , oder o b nicht vielmehr

gerade umgekehrt nur durch Auslegung der Grundfreiheiten ermittelt werden kann, in welchem

Maße das Herkunftslandprinzip den Binnenmarkt prägt (und

schon vorher den Gemeinsamen M a r k t geprägt hat). D i e Frage stellen, heißt sie verneinen: Eine Bindung des E u G H im erstgenannten Sinne wäre nur anzunehmen, wenn dem Binnenmarktziel eine primärrechtliche Entscheidung des E G Vertrages für das Herkunftslandprinzip entnommen werden könnte. Ein Blick auf die Genese des primärrechtlichen Binnenmarktziels zeigt, daß dies nicht der Fall ist. Ein Blick auf die E u G H - R e c h t s p r e c h u n g bestätigt diesen Befund.

B . G e n e s e des B i n n e n m a r k t z i e l s Grundlegend für die Aufnahme des Binnenmarktbegriffs in den E G - V e r t r a g war das Weißbuch „Vollendung des Binnenmarktes" v o m Juni 1985. Darin knüpfte die K o m m i s s i o n an die Cassis de Z)z)'ow-Rechtsprechung des E u G H an. D i e von ihr im Binnenmarkt-Weißbuch verkündete „neue Strategie" zur Verwirklichung des Binnenmarktes baute auf dieser Entscheidung auf. D i e K o m m i s s i o n setzte auf die Verpflichtung

der Mitgliedstaaten

zur gegenseitigen Anerkennung

der

Gleichwertigkeit der jeweiligen Schutzvorschriften. D i e Rechtsangleichung sollte sich fortan darauf beschränken, die Grundvoraussetzungen für die Verkehrfähigkeit von Produkten in Sektoren festzusetzen, in denen Handelshemmnisse durch unterschiedliche nationale Regeln entstanden waren, deren Anwendung zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Bürger, der Verbraucherinteressen oder der U m w e l t gerechtfertigt war und für die das G e b o t gegenseitiger A n e r k e n nung folglich nicht galt 3 3 . Diesen Ansatz versuchte die K o m m i s s i o n über die E E A in den E G - V e r t r a g einzubringen. D e r erste E n t w u r f der E E A sah in Anlehnung an das Binnenmarkt-Weißbuch vor, daß ein durch die Grundsätze der H e r kunftslandkontrolle und der gegenseitigen Anerkennung gekennzeichneter B i n -

Siehe bereits oben S. 10. So Steindorff, ZHR 150(1986), 687,697; s.a. Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, S.207 („Das Herkunftslandprinzip ist ein wesentliches Charakteristikum des Binnenmarktes und wird durch diesen legitimiert"). 33 Vgl. KOM (85), 310, Tz. 65ff. Wirklich „neu" war diese Strategie nicht. Schon die „Mitteilung der Kommission über die Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 (,Cassis de Dijon')" sah den Schwerpunkt der Kommissionstätigkeit in der Angleichung dieser, nach Maßgabe der Cassis de Di/orc-Entscheidung gerechtfertigten Handelshemmnisse (ABlEG 1980 Nr. C256/2); eingehend zum Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im europäischen Binnenmarkt Götz, FS-Jaenicke, S. 763 ff. 31

32

28

1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht im System des

Binnenmarktes

nenmarkt mit Ablauf des Zieldatums unmittelbar wirksam werden sollte, wenn die notwendigen Harmonisierungsmaßnahmen der Gemeinschaft bis dahin nicht zustande gekommen seien34. In der endgültigen Fassung der EEA kam dem neuen Zieldatum jedoch keine unmittelbare Wirkung mehr zu35. Im Gegenteil wurde in Art. 100b EWGV ein besonderes Verfahren vorgesehen, mittels dessen der Rat die Mitgliedstaaten durch Beschluß zur Anerkennung der Gleichwertigkeit nicht harmonisierter mitgliedstaatlicher Regelungen verpflichten konnte. Der Rat hat noch nicht einmal diese Möglichkeit genutzt. Bis zu seiner Streichung durch den Amsterdamer Vertrag ist nicht ein einziger Ratsbeschluß auf der Grundlage des Art. 100b EWGV ergangen36. Das Herkunftslandprinzip ist mithin nicht durch Einführung des Binnenmarktbegriffs in den EG-Vertrag zu einem primärrechtlich abgesicherten Prinzip des Gemeinschaftsrechts geworden, das dem EuGH als unmittelbar bindender Maßstab die Auslegung der Grundfreiheiten in seinem Sinne gebieten könnte. Die Grundfreiheiten dienen der Verwirklichung des Binnenmarktes, nicht aber unbedingt derjenigen des Herkunftslandprinzips37.

C . Keine primärrechtliche Verankerung des Herkunftslandprinzips Der EuGH hat diese Auffassung seiner Entscheidung zur Einlagesicherungsrichtlinie ausdrücklich bestätigt. Die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland hatten gegen die Rechtmäßigkeit der Richtlinie unter anderem einen Verstoß gegen das Prinzip der Herkunftslandkontrolle vorgetragen. Sie hielten das Herkunftslandprinzip für ein allgemeingültiges, auch den Gemeinschaftsgesetzgeber bindendes Prinzip des Gemeinschaftsrechts und argumentierten, es sei schon 1985 im Binnenmarkt-Weißbuch der Kommission als maßgebliches Mittel zur Harmonisierung und Koordinierung der nationalen Vorschriften über die Finanzdienstleistungen bezeichnet worden, und dieses Weißbuch habe der Europäische Rat 1985 bei Schaffung der EEA ausdrücklich gebilligt38. Der EuGH wies dieses Vorbringen zurück und stellte fest, „daß nicht dargetan worden ist, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber das Prinzip der Herkunftslandkontrolle im Bereich des Bankrechts mit der Absicht aufgestellt hätte, ihm systematisch alle übrigen Regeln für diesen Bereich unterzuordnen. Außerdem konnte der Gemeinschaftsgesetzgeber, da es sich nicht um ein im Vertrag verankertes Prinzip handelt, davon abweichen, sofern er nicht das berechtigte Vertrauen der Betroffenen verletzt" 39 . Diese Entscheidung negiert nicht die wesentliche Bedeutung des HerkunftslandVgl. Steindorff, ZHR 150 (1986), 687, 700. Siehe dazu bereits oben S.23 nach Fn. 14. 36 Vgl. Decken/Lilienthal, EWS 1999, 121, 130. 37 Besonders deutlich v. Wilmowsky, RabelsZ 1998 (62), 1, 12. 38 EuGH, 13.5. 1997, Rs. C-233/94, Slg. 1997, 1-2405 Rn.61 - Deutschland/Parlament Rat (Einlagesicherungsrichtlinie). 39 EuGH, a.a.O. Rn.64 (Hervorhebung durch den Verfasser). 34 35

und

2. Abschnitt: Die Grundfreiheiten

im

Binnenmarkt

29

prinzips für den Binnenmarkt 40 . Sie rückt aber die Beziehungen zwischen den beiden Rechtsbegriffen ins rechte Licht und stellt klar, wer Roß und wer Reiter ist. Eine pauschale Gleichsetzung des Binnenmarkts mit dem Herkunftslandprinzip scheidet danach aus. Seine Durchsetzung ist kein selbständiges Ziel des E G Vertrages, sondern nur ein (wenn auch wichtiges) Mittel zur Verwirklichung des Binnenmarktes. Dem Binnenmarktziel ist weder ein primärrechtliches Gebot zu entnehmen, Rechtsangleichungsmaßnahmen am Herkunftslandprinzip auszurichten, noch verpflichtet es den E u G H , die Grundfreiheiten in seinem Sinne auszulegen. Die Verwirklichung des Herkunftslandprinzips ist für Gemeinschaftsgesetzgeber wie E u G H lediglich eine Möglichkeit zur Verwirklichung des Binnenmarktes, die sie ergreifen können, aber nicht ergreifen müssen. Welche Rolle das Herkunftslandsprinzip für den Binnenmarkt spielt, ist nicht durch die Aufnahme des Binnenmarktziels in den EG-Vertrag vorgegeben, sondern ergibt sich erst aus seiner sekundärrechtlichen Realisierung durch Gesetzgebungsmaßnahmen der Gemeinschaft und durch die Rechtsprechung des E u G H zu den Grundfreiheiten, bei der das Herkunftslandprinzip seinen Ausgang nahm und durch die allein es primärrechtliche Bedeutung erlangen kann. Kurzgefaßt: Der Binnenmarkt ist nur in dem Umfange primärrechtlich durch das Herkunftslandprinzip geprägt, in dem ihm der E u G H Bedeutung für die Grundfreiheitenkontrolle nationaler Normen beimißt.

§4 Der Binnenmarkt als Spielfeld des Wettbewerbs der Rechtsordnungen A. Wettbewerb der Rechtsordnungen und Harmonisierung „von unten" Im Zusammenhang mit dem Herkunftslandprinzip ist häufig auch vom „Systemwettbewerb" in der Ausprägung des Wettbewerbs der Rechtsordnungen 41 bzw. der Mitgliedstaaten als Regelgeber die Rede 42 . Dahinter steht der Gedanke, daß die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bzw. die Mitgliedstaaten als Regelgeber ähnlich wie die Anbieter von Waren und Dienstleistungen miteinander in Wettbewerb treten, wenn man es den Wirtschaftsteilnehmern ermöglicht, zwischen ihnen zu wählen. Eine solche Wahl kann mittelbar durch Verlagerung des Produktions- bzw. Absendestandorts (Abwanderung in einen anderen Mitgliedstaat) oder auch unmittelbar durch Rechtswahl (Abwanderung in ein anderes Recht) er4 0 Seine Bedeutung für das Primärrecht macht die bereits mehrfach zitierte Cassis de DijonEntscheidung deutlich, dazu noch eingehend unten 2. Teil, S. 129ff. Zur Bedeutung im Sekundärrecht vgl. den Uberblick bei Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, S.212ff. 41 Dazu jüngst monographisch die Habilitationsschrift von Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt (2002). 42 Vgl. Grundmann, Z G R 2001, 783ff.

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1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht

im System des

Binnenmarktes

folgen. Die Grundfreiheiten leisten einen Beitrag zur Ermöglichung dieses Wettbewerbs, indem sie die Ausschöpfung von Standortvorteilen absichern und die Faktormobilität in Richtung auf vorteilhafte Produktionsstandorte erhöhen. Die Personenverkehrsfreiheiten ermöglichen eine Abwanderung von Unternehmen bzw. Arbeitnehmern in andere Mitgliedstaaten mit für sie besonders günstigen Rahmenbedingungen 43 . Die Kapitalverkehrsfreiheit bewirkt Gleiches für den Produktionsfaktor Kapital. Die Produktfreiheiten sichern diese Faktormobilität ab, indem sie den binnenmarktweiten Vertrieb von in einem Mitgliedstaat nach dortigem Recht legal hergestellten und vertriebenen Produkten ermöglichen. Idealtypisch entsteht auf diese Weise für die Nachfrager rechtlicher Institutionen ein Anreiz, unter den verschiedenen Standorten und Rechtsordnungen diejenigen aufzuspüren und auszuwählen, die für sie besonders attraktiv sind (Wettbewerb als Entdeckungsverfahren). Umgekehrt geraten die Mitgliedstaaten als Anbieter von Rechtsregeln unter Druck, ihr Angebot der Nachfrage anzupassen bzw. die Nachfrage nach „ihrem Recht" durch Anpassung und Innovation zu erhöhen (Wettbewerb als Kontrollverfahren). Kristallisiert sich in diesem Wettbewerb eine überlegene Rechtsordnung heraus, so kann der Wettbewerb der Rechtsordnungen zur Harmonisierung „von unten" führen und in institutionelle Konkurrenz zur Rechtsangleichung treten 44 .

B. Immanente Grenzen des Wettbewerbs der Rechtsordnungen Der Wettbewerb der Rechtsordnungen erscheint als Alternative zur in der Vergangenheit oftmals schwerfälligen Positivintegration und vor allem auch im Lichte der in letzter Zeit verstärkt betonten Aspekte der „Subsidiarität" und „Dezentralisierung" verlockend 45 . Gleichwohl ist die Tragfähigkeit dieses Ansatzes im Sinne einer echten Alternative aus einer Reihe von Gründen in Zweifel zu ziehen: Auf der Nachfragerseite wird die Rechtswahl auch durch eine Reihe anderer Faktoren beeinflußt, die die Qualität der Privatrechtsordnung oftmals als sekundär erscheinen lassen bzw. die Faktormobilität negativ beeinflussen können. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang insbesondere sprachliche Barrieren, natürliche Gegebenheiten, Infrastrukturaspekte sowie unterschiedliche steuerliche Rahmenbedingungen und Sozialsysteme 46 . Hinzu kommen Informationsproble-

43 Vgl. insbesondere EuGH, 9 . 3 . 1 9 9 9 , Rs. C-212/97, Slg. 1999,1-1459-Centros-, dazu eingehend Kieninger, Z G R 1999, 724; Meilicke, DB 1999, 627; Sedemund/Hausmann, BB 1999, 810; Freitag, EuZW 1999, 267. 44 Vgl. Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Gerken, Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75 ff.; Mussler, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft im Wandel, S. 70f.; Streit, FS-Mestmäcker, S. 521, 524f.; Koenig, EuZW 1998, 513; kritisch Dreher , J Z 1999,105ff.; Lurger, Regulierung und Deregulierung im europäischen Privatrecht, S. 83ff. 45 Vgl. dazu bereits oben S. 18; s.a. Koenig, EuZW 1998, 513. 4 6 Vgl. Dreher, JZ 1999, 105, 109.

2. Abschnitt:

Die Grundfreiheiten

im

Binnenmarkt

31

me und Informationskosten, die mit einer solchen Wahl verbunden sind47. Schließlich ist die Dominanz einzelner Regelungssysteme nicht zwingend allein durch ihre Qualität determiniert, sondern möglicherweise auch durch Netzwerkeffekte bedingt, die sich aus der Verbreitung der ihnen zugrunde liegenden Sprache (namentlich des Englischen) oder durch eine in Handelskreisen bestehende Übung der Wahl eines bestimmten Rechts ergeben können48. Mit Blick auf die hohe Bedeutung der Rechtssicherheit gerade für den grenzüberschreitenden Verkehr werden die Nachfrager regelmäßig bekannten und bewährten, durch reichhaltige Rechtsprechung ausgeformten Rechtsregeln Vorrang vor innovativen Ansätzen geben, selbst wenn diese den althergebrachten potentiell überlegen sind. Auf der Anbieterseite wird es oftmals an einem Anreiz zur Änderung der eigenen Rechtsordnung fehlen, denn anders als ein Anbieter von Waren- oder Dienstleistungen erleiden die Mitgliedstaaten dadurch, daß ihr Recht abgewählt wird, keine unmittelbaren Nachteile 49 . Ein Anpassungsdruck entsteht allenfalls dann, wenn die Rechtswahl mit einer Standortwahl verbunden ist, und selbst in diesem Fall muß auch ein Gesetzgeber eine Vielzahl anderer Faktoren und Interessen in seine Entscheidung einbeziehen50.

C. „Race to the Bottom" oder „Race to the Top"? Der Wettbewerb auf den Produktmärkten übt Druck auf die Anbieter in Richtung auf eine Optimierung der Produktqualität aus. Für den Wettbewerb der Rechtsordnungen gilt das nur eingeschränkt. Beugen sich die Mitgliedstaaten einem aus der Benachteiligung (und ggf. Abwanderung) einheimischer Anbieter resultierenden Anpassungsdruck, oder erlauben sie den Unternehmen eine vom Standort unabhängige Rechtswahl, so kommt es möglicherweise zu einem „race to the bottom" in bezug auf die Standards zum Schutz bestimmter Gruppen (Verbraucher, Gesellschaftsgläubiger, Kleinanleger, Arbeitnehmer usw.) oder öffentlicher Interessen (Umweltschutz, Sozialschutz etc.)51. Eine solche Entwicklung ist im Lichte der freiheitlichen Grundausrichtung des Binnenmarktes nicht a priori negativ zu bewerten. Da Deregulierung mehr Raum für Privatautonomie schafft, könnte man sie auch ebensogut freiheitsbezogen als „race to the top" bezeichnen und als Chance begreifen, mitgliedstaatliche Uberregulierung abzubauen52. Eine Einordnung des Wettbewerbs der Rechtsordnungen als Beispiel eines potentiell Vgl. Lutger, Regulierung und Deregulierung im europäischen Privatrecht, S. 85f. Vgl. Dreher, JZ 1999, 105, 110. 49 Einen Nachteil erleiden allenfalls die mit dem Recht des Mitgliedstaates vertrauten Berufsgruppen, namentlich die Anwälte. Die zunehmend internationale Ausrichtung und grenzüberschreitende Verbindung der wirtschaftsorientierten Anwaltssozietäten relativiert allerdings auch den von dieser Seite zu erwartenden Reformdruck. 50 Vgl. Dreher, JZ 1999, 105, 109. 51 Vgl. Dreher, JZ 1999, 105, 110; Lurger, Regulierung und Deregulierung im europäischen Privatrecht, S. 86. 52 Vgl. dazu Kieninger, ZGR 1999, 724, 748f. 47 48

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1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht

im System des

Binnenmarktes

„ruinösen Wettbewerbs" 53 erscheint daher zu pauschal. Doch ist damit das eigentliche Problem noch nicht gelöst, sondern erst aufgeworfen: Man kann es den Mitgliedstaaten auch im Lichte der Grundfreiheitenrechtsprechung nicht verwehren, zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses zu verfolgen und gegenüber dem Freiverkehr durchzusetzen. Da der EuGH derartige Interessen in weitem Umfange als Rechtfertigungsgründe anerkennt 54 und da insoweit ein Wettbewerb der Rechtsordnungen mangels Wahlmöglichkeit der Normadressaten ausscheidet, kann er die Rechtsangleichung zwar ergänzen, aber gerade dort nicht ersetzen, wo Handelsbehinderungen durch nationales Recht in der Praxis schwerpunktmäßig auftreten. Ein Beispiel bietet die Entwicklung des Versicherungsrechts. Dieses war vor Umsetzung der EG-Versicherungsrichtlinien nicht nur durch ein erhebliches Schutzbedürfnis der Versicherungsnehmer, sondern auch dadurch gekennzeichnet, daß einige Mitgliedstaaten (etwa Deutschland) auf eine präventive Kontrolle der Versicherungsprodukte, andere dagegen (etwa das Vereinigte Königreich) auf freie Vermarktung und nachträgliche Kontrolle setzten. Eine Lösung auf der Grundlage des Wettbewerbs der Rechtsordnungen schied aufgrund dieser grundsätzlichen Differenz jedenfalls für das Massengeschäft aus. Der Weg zu einem Wettbewerb der Rechtsordnungen (und damit auch zu freiem Produktwettbewerb) mußte erst durch gemeinschaftliche Rechtsangleichung geebnet werden 55 .

D. Wettbewerb der Rechtsordnungen oder Wettbewerb der Hersteller? Im Mittelpunkt der hier anzustellenden Untersuchungen steht die Frage, inwieweit der Binnenmarkt und die diesem dienenden Grundfreiheiten auf die Ermöglichung eines „Wettbewerbs der Rechtsordnungen" zielen, und inwieweit eine solche Zielsetzung auf die Auslegung der Grundfreiheiten zurückzuwirken vermag. Insoweit hat Wulf-Henning Roth die berechtigte Frage aufgeworfen, ob die Grundfreiheiten im Binnenmarkt einen Wettbewerb der Mitgliedstaaten oder nicht doch eher einen Wettbewerb der Hersteller ermöglichen sollten 56 . Das damit bezeichnete Problem läßt sich in zwei Richtungen ausdifferenzieren: Einerseits greift ein Verständnis der Grundfreiheiten als Instrumente der Ermöglichung eines Wettbewerbs der Mitgliedstaaten möglicherweise zu kurz. Legt man sie als Exportfreiheiten in dem Sinne aus, daß sie nur eine Diskriminierung der

So tendenziell Dreher, JZ 1999, 105, 110. So schon die grandlegende Entscheidung EuGH, 20.2. 1979, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 Cassis de Dijon; eingehend unten 2. Teil, S. 220ff. 55 Vgl. EuGH, 4.12. 1986, Rs. 205/84, Slg. 1986, 3755 - Kommission/Deutschland (Versicherang); dazu eingehend Schwintowski, N J W 1987,521 ff.; s.a. Everling, FS-Lukes, S. 3 5 9 , 3 7 1 ; zur Entwicklung des Versicherungsrechts unter dem Aspekt des Wettbewerbs der Rechtsordnungen auch Reich, (1992) 29 C.M.L.Rev. 861, 870ff. 56 Vgl. W.-H. Roth, ZHR 159 (1995), 78ff. 53

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2. Abschnitt: Die Grundfreiheiten

im

Binnenmarkt

33

Ausfuhren gegenüber der Inlandszirkulation verbieten 57 , so mag dies den Standortwettbewerb beflügeln. Doch verzerrt eine solche Deutung nicht nur den Wettbewerb auf dem Bestimmungslandmarkt zu Lasten der Hersteller mit Sitz in Mitgliedstaaten mit besonders strengen Produktvorschriften. Sie verringert auch die Auswahlmöglichkeiten der Nachfrager, die um die Chance gebracht werden, von ausländischen Produzenten nach den liberaleren Regelungen des Marktstaates hergestellte Produkte zu erwerben 58 . Andererseits können Wettbewerbsverzerrungen auf dem Bestimmungslandmarkt auch dann auftreten, wenn einheimische Hersteller infolge der Entbindung grenzüberschreitender Vorgänge von der Anwendung des Bestimmungslandrechts strengeren Regeln unterworfen sind als ausländische (sog. „umgekehrte Diskriminierung") 59 . Aus der Perspektive des Wettbewerbs der Rechtsordnungen mag dieser Effekt geradezu wünschenswert erscheinen, weil er den Abwanderungsdruck auf die inländischen Hersteller bzw. den Anpassungsdruck auf den Bestimmungsland-Gesetzgeber erhöht. Aus der Perspektive eines dem Freiverkehr, aber eben auch dem Grundsatz unverfälschten Wettbewerbs verpflichteten Binnenmarktes, erscheint dieses Ergebnis jedoch unbefriedigend. Zwar dienen die Grundfreiheiten weder dem Abbau bloßer Wettbewerbsverfälschung, wenn mit der Wettbewerbsverfälschung nicht zugleich Freiverkehrsbehinderungen verbunden sind 60 , noch zielen sie als solche darauf ab, einen „möglichst reinen Leistungswettbewerb zu schaffen" 61 . Doch erscheint es trotzdem zweifelhaft, ob sie ohne weiteres in einer Weise ausgelegt werden dürfen, die solche Wettbewerbsverzerrungen zur Folge hat. Jedenfalls wird man nach einem Ausgleich mit dem Ziel unverfälschten Wettbewerbs suchen müssen. Der Wettbewerb der Rechtsordnungen bzw. Regelgeber dürfte vor diesem Hintergrund weniger Ziel als mögliche Folge der Anwendung der Grundfreiheiten sein. Die Frage W.-H. Roths ist also eindeutig im Sinne einer Rangfolge zu beantworten: Die Grundfreiheiten dienen in erster Linie der Öffnung der Grenzen für den Freiverkehr von Personen, Produkten und Kapital und damit der Ermöglichung des Wettbewerbs der Hersteller. Ist man dessen eingedenk, so erhellt auch ein Weg zur Versöhnung mit dem Grundsatz des unverfälschten Wettbewerbs: Soweit den Herstellungsprozeß betreffende Produktionsregelungen betroffen sind, steht die Ermöglichung des Wettbewerbs der Rechtsordnungen im Einklang mit dem (insbesondere durch die Niederlassungsfreiheit angestrebten) Ziel des 57 In diesem Sinne versteht der EuGH den Art. 29 EG in ständiger Rechtsprechung seit EuGH, 8.11. 1979, Rs. 15/79, Slg. 1979, 3409 - Groenveld; abweichend zu Art. 49 EG aber EuGH, 10.05.1995, Rs. C-384/93, Slg. 1995,1-1141 -Alpine Investments. Dazu noch eingehend unten 2. Teil, S. 123ff. und S.340ff. 58 Dazu eingehend W.-H. Roth, ZHR 159 (1995), 78, 88ff. 59 Siehe dazu noch unten 2. Teil, S. 63 und S. 140. Dies ist erst recht problematisch, wenn sich Wettbewerbsverzerrungen daraus ergeben, daß Richtlinien nicht bzw. nicht korrekt umgesetzt wurden, vgl. dazu Reich, (1992) 29 C.M.L.Rev. 861, 877ff. 6 0 Vgl. W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 658. 61 So aber Arndt, ZIP 1994, 188, 190; ders., JuS 1994, 469, 473 (der damit das Ziel hinausschießt).

34

1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht im System des

Binnenmarktes

freien Standortwettbewerbs. Die daraus für immobile Hersteller entstehenden Nachteile sind gleichsam ein notwendiger Nebeneffekt der Schaffung eines Binnenmarktes für mobile Unternehmen. Geht es um Produkteigenschaften betreffende Produktregelungen, so erweitert die Zulassung des Rechtsordnungswettbewerbs zugleich die Wahlmöglichkeiten der Nachfrager und eröffnet ausländischen Anbietern und den nach ihren heimischen Standards hergestellten Produkten überhaupt erst die Möglichkeit, in Qualitäts- und Preiswettbewerb mit einheimischen Produkten zu treten. Auch hier kann man in der möglichen Benachteiligung inländischer Produzenten gleichsam einen notwendigen Nebeneffekt der Schaffung des Binnenmarktes für grenzüberschreitend tätige Unternehmen sehen. Grundsätzlich anders stellt sich die Situation für Vertriebsregelungen dar, die nicht das „Ob", sondern das „Wie" des Vertriebs (auch) ausländischer Waren auf dem Bestimmungslandmarkt betreffen. Hier ist die Zulassung des Wettbewerbs der Rechtsordnungen weder für die Ermöglichung des Standort- noch des Leistungswettbewerbs erforderlich. Sie würde sogar möglicherweise zu erheblichen Verzerrungen der Wettbewerbsbedingungen auf dem Bestimmungslandmarkt führen. Es liegt daher nahe, Handelshindernisse, die sich aus Unterschieden vertriebsbezogener Regelungen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ergeben, dem Wettbewerb der Rechtsordnungen zu entziehen und der Lösung durch die Rechtsangleichung zuzuführen 62 . Diesen Ansatz hat sich auch EuGH in seiner Äec&-Entscheidung zu eigen gemacht63.

62 Vgl. EuGH, 11.6.1991, Rs. C-300/89, Slg. 1991,1-2867 Rn. 15 - Kommission/Rat oxid). 63 Dazu noch eingehend unten 2. Teil, S. 157ff.

(Titandi-

3. Abschnitt

Das Privatrecht im Binnenmarkt § 1 Privatrecht und Internationales Privatrecht Wenn in dieser Studie vom „Privatrecht" die Rede ist, so ist damit grds. staatlich gesetztes Privatrecht einschließlich des Internationalen Privatrechts gemeint 1 . Das Privatrecht umfaßt Gesetze im formellen Sinne ebenso wie Gewohnheitsund Richterrecht 2 . Das Privatrecht ist der Teil der Rechtsordnung, der die Rechtsbeziehungen zwischen den einzelnen Personen auf der Grundlage von Gleichberechtigung und Privatautonomie regelt und ihnen dafür in Gestalt seiner Sachnormen die erforderlichen Regeln, Institutionen und Prinzipien zur Verfügung stellt3. Reicht ein Sachverhalt über den Hoheitsbereich eines Privatrechtsgesetzgebers hinaus, so stellt sich die vom Internationalen Privatrecht (IPR, Kollisionsrecht) zu lösende Frage, welchen Staates Privatrecht auf das Rechtsverhältnis anzuwenden ist4. Wie beim Sachprivatrecht handelt es sich auch beim IPR grundsätzlich um nationales Recht, das allerdings in weiten Bereichen durch Konventionen (insbesondere durch das EVÜ) vereinheitlicht bzw. durch Richtlinienbestimmungen harmonisiert ist.

1 O b es auch privatautonom gesetztes Privatrecht gibt, d.h. ob Verträgen, Satzungen, der lex mercatoria usw. bereits aus sich heraus Rechtsqualität zukommt, ist umstritten. Dafür etwa Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 209; Rittner, FS-Müller-Freienfels, S.509, 514f.; dagegen Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band - Das Rechtsgeschäft, S. 5f.; speziell zur lex mercatoria siehe Nachweise unten auf S. 39 in Fn. 23. Im Rahmen dieser Studie ist diese begriffliche Abgrenzung letztlich ohne Belang. Die Frage, ob auch privatautonom gesetzte Regeln Gegenstand der Grundfreiheitenkontrolle sein können, wird gesondert im 4. Teil behandelt. 2 Zur Abgrenzung von privatem und öffentlichem Recht siehe etwa Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, S.5ff. Rn. 18ff. Nach der vorherrschenden Sonderrechtstheorie, ist ein Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlich, wenn an ihm mindestens ein Hoheitsträger mit Rechten und Pflichten beteiligt ist, die ihn nur in seiner Eigenschaft als Träger öffentlicher Gewalt treffen können. Terminologisch abweichend Rittner der zwischen Privatrecht im Sinne von privatautonom gesetztem Recht und öffentlichem Recht im Sinne von hoheitlich gesetztem Recht unterscheidet (ders., FS-Müller-Freienfels, S.509, 515). 3 Vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, S. 1 ff. Rn. 1 ff.; Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, O R D O 17 (1966), 75, 91; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.44. 4 Vgl. Art. 3 Abs. 1 S. 1 E G B G B K e g e l / S c h u r i g , Internationales Privatrecht, §1 II, S.4; zum IPR als Teil des Privatrechts vgl. Kropholler, IPR, § 1 V, S. 7f. Wenn im folgenden von „Kollisionsrecht" die Rede ist, ist damit stets (nur) das „Internationale Privatrecht" gemeint.

36

1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht im System des

Binnenmarktes

§ 2 Elemente des binnenmarktrelevanten Privatrechts Die Privatrechtsordnung des Binnenmarktes ist, wie bereits in der Einleitung angedeutet wurde, nicht „aus einem Guß". Sie ist ein buntes Mosaik, dessen Elemente sich in fünf Gruppen sondern lassen. Wichtigster Bestandteil des „Binnenmarktprivatrechts" sind nach wie vor die nationalen Privatrechtsordnungen, deren Beeinflussung durch die Grundfreiheiten im Mittelpunkt des 3. Teils dieser Studie steht. Hinzu treten Gemeinschaftsprivatrecht, Einheitsprivatrecht (Konventionsprivatrecht) und - bei weiterem Verständnis - die lex mercatoria, die jeweils besondere Fragen hinsichtlich der Grundfreiheitenkontrolle der in ihnen enthaltenen bzw. auf ihnen basierenden Regelungen aufwerfen. Ein den Mitgliedstaaten gemeinsamer Bestand an gemeineuropäischen Traditionen, Grundsätzen und Normen (gemeineuropäisches Privatrecht) rundet das Bild ab.

A. Nationale Privatrechtsordnungen Trotz fortschreitender Privatrechtsharmonisierung bilden die nationalen Privatrechtsordnungen nach wie vor das Fundament des Binnenmarktes5. Zwar mutet es allzu euphorisch an, wenn Franz Böhm schon 1969 zu den (damals von der gemeinschaftlichen Rechtsangleichung noch nahezu unberührten) Privatrechtsordnungen der sechs Gründungsmitgliedstaaten anmerkte, sie glichen einander wie ein Ei dem anderen und seien infolgedessen ohne Rest austauschbar, so daß die EG-Bürger in Wirklichkeit bereits unter einem Einheitsrecht lebten6. Doch zeigt der intensive grenzüberschreitende Austausch von Waren und Dienstleistungen trotz des anfänglich geringen Bestands an Gemeinschaftsprivatrecht, daß die nationalen Privatrechtsordnungen in hohem Maße kompatibel waren bzw. wirksam durch das Internationale Privatrecht koordiniert wurden7. Dieser Umstand stützt die bereits in der Einleitung geäußerte Vermutung, daß Handelsbehinderungen durch privatrechtliche Normen eher Ausnahme als Regel sind.

B. Gemeinschaftsprivatrecht Das neben den nationalen Rechtsordnungen wichtigste Element des Binnenmarktprivatrechts bildet das sog. „Gemeinschaftsprivatrecht". Es umfaßt sämtliche für alle Mitgliedstaaten (aber auch nur für diese) verbindlichen Privatrechtsregelungen gemeinschaftsrechtlichen Ursprungs8. Zum Gemeinschaftsprivatrecht Vgl. Rittner, JZ 1995, 849, 850. So Böhm in einem Brief an Ernst-Joachim Mestmäcker vom 30.10. 1969, von diesem auszugsweise veröffentlicht in: Mestmäcker, O R D O 29 (1978), S.3, 11. 7 Vgl. auch Schmidt-Leithoff, FS-Rittner, S. 597,607; Müller-Graff, Privatrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 15 ff. 8 Grundlegend und begriffsprägend Müller-Graff, Privatrecht und Europäisches Gemein5

6

3. Abschnitt: Das Privatrecht im Binnenmarkt

37

zählen unmittelbar anwendbare primärrechtliche Bestimmungen 9 , unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbares Verordnungsrecht 1 0 , vor allem aber die an die Mitgliedstaaten gerichteten und von diesen in nationales Recht umzusetzenden privatrechtlichen Rechtsangleichungsrichtlinien. Weite Bereiche des nationalen Privatrechts sind heute durch Richtlinienrecht gemeinschaftsrechtlichen Ursprungs überformt. Dies gilt namentlich für das A r beits - und Gesellschaftsrecht, für das R e c h t gegen unlauteren Wettbewerb und des gewerblichen Rechtsschutzes, aber auch für das Kapitalmarkt- und Versicherungsrecht. I m bürgerlichen Recht sind insbesondere die nationalen Verbraucherschutzregelungen von E G - R i c h t l i n i e n geprägt.

Gemeinschaftsrechtlichen

Ursprungs sind u.a. die (jetzt in das B G B integrierten) Gesetze zu Haustürwiderruf, Verbraucherkredit und Fernabsatz sowie die § § 3 1 0 Abs. 3, 611a, 6 5 1 k und 676a ff. B G B . W o sich dem Privatrecht neue Aufgaben stellen, etwa in bezug auf Fernabsatz 1 1 , elektronische Signaturen 1 2 oder elektronischen Geschäftsverkehr 1 3 nimmt die Gemeinschaft zunehmend das H e f t in die H a n d und verhindert durch „präventive Angleichung", daß überhaupt handelsbehindernde oder wettbewerbsverzerrende Unterschiede zwischen den nationalen Zivilrechtsordnungen aufkommen 1 4 . Die gemeinschaftsrechtliche Herkunft privatrechtlicher N o r m e n kann auch im R a h m e n der Grundfreiheitenkontrolle relevant werden. Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, o b auch der Gemeinschaftsgesetzgeber an die Grundfreiheiten gebunden ist und wie sich eine solche Bindung im einzelnen auf die Grundfreiheitenkontrolle harmonisierten Privatrechts auswirkt 1 5 .

schaftsrecht, S. 17ff.; ders., Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S. 9, 26ff.; geringfügig abweichend Rittner, AöR 115 (1990), 332ff. (alle Normen, die letztinstanzlich der EuGH auslegt). Die Definition Rittners schloß auch das EuGVÜ ein, das zwischenzeitlich weitgehend durch die fraglos zum Gemeinschaftsprivatrecht zählende VO Nr. 44/2001 ersetzt wurde. 9 Z.B. die Wettbewerbsregeln (Art. 81, 82 EG). 10 Z.B. die Fusionskontrollverordnung (FKVO), die EWIV-VO und die E u G W O Nr.44/ 2001.

Vgl. Richtlinie 97/7/EG, AB1EG 1997 Nr. L 144/19. Vgl. Richtlinie 99/93/EG, AB1EG 1999 Nr. L 13/12. 13 Vgl. Richtlinie 2000/31/EG, AB1EG 2000 Nr. L 178/1. 14 Ob überhaupt eine Gemeinschaftskompetenz zur „präventiven Angleichung" existiert, ist umstritten. Wohl zu Recht dafür Schwarze-Herrnfeld, Art. 94 EG Rn. 9 und Art. 95 EG Rn. 22; GHH-Taschner, Art. 100 EGV Rn. 33 (unter Hinweis darauf, daß es ein unnützer Umweg sei, zunächst die Auseinanderentwicklung der nationalen Rechtsordnungen abzuwarten, um dann eine Angleichung vorzunehmen). Enger Langeheine (in: Grabitz/Hilf, Art. 100 EGV Rn.23), der eine „präventive Angleichung" an die Voraussetzung knüpft, daß das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes durch das Fehlen von Normen beeinträchtigt wird. S.a. EuGH, 5.10. 2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000,1-8419 Rn. 86 - Deutschland/Parlament und Rat (Tabakrichtlinie). 15 Dazu eingehend unten 2. Teil, S. 81 ff., insbesondere S.94f. und 3. Teil, S.406. 11

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1. Teil: Grundfreiheiten und Privatrecht im System des Binnenmarktes C . Einheitsprivatrecht (Konventionsprivatrecht)

N e b e n die N o r m e n des autonomen nationalen Privatrechts der Mitgliedstaaten und das Gemeinschaftsprivatrecht treten Privatrechtsnormen, die ihren U r sprung in völkerrechtlichen Verträgen der Mitgliedstaaten haben (sog. Einheitsprivatrecht oder Konventionsprivatrecht). Eine völkerrechtliche Konvention kann zu einheitlichen Rechtsregeln in allen oder zumindest einigen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft (und darüber hinaus auch im Verhältnis zu Drittstaaten) führen. Sie kann in unterschiedlich enger Beziehung zum Gemeinschaftsrecht stehen. Drei Beispiele mögen dies verdeutlichen 1 6 : Völlig unabhängig v o m G e meinschaftsrecht entstand das Wiener U N - K a u f r e c h t s a b k o m m e n ( C I S G ) , das einerseits nicht von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wurde (es fehlt das Vereinigte Königreich), andererseits aber auch in zahlreichen Drittstaaten gilt 1 7 . Das R ö m i sche E W G - U b e r e i n k o m m e n über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende R e c h t ( E V U ) 1 8 ist zwar ebenfalls weder gemeinschaftsrechtlichen U r sprungs, n o c h basiert es auf dem E G - V e r t r a g 1 9 . D o c h ist es als völkerrechtliches A b k o m m e n allein zwischen den EG-Mitgliedstaaten eng mit dem G e m e i n schaftsrecht verwandt und führt in seinem durch Art. 1 E V U abgesteckten A n wendungsbereich einen gemeinschaftsweit einheitlichen Rechtszustand herbei 2 0 . N o c h enger mit dem Gemeinschaftsrecht verknüpft war das Brüsseler E W G U b e r e i n k o m m e n über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ( E u G V U ) , das auf Art. 293 E G basierte und mit Wirkung v o m 1. M ä r z 2002 für alle Mitgliedstaaten außer Dänemark durch die unmittelbar geltende Verordnung Nr. 4 4 / 2 0 0 1 ( E u G W O ) ersetzt wurde 2 1 . In bezug auf die Grundfreiheitenkontrolle konventionsprivatrechtlicher Regelungen stellt sich die Frage nach dem Rangverhältnis

16 Weitere Beispiele bei Müller-Graff, Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S.9, 24ff. 17 Dazu Basedow, EuZW 1992, 489; Magnus, ZEuP 1995, 202ff.; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, S. 381 ff. 18 Dazu ausführlich Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S. 149ff. mit umfangreichen Literaturhinweisen und Text des EVU (a.a.O.S. 189ff.); s.a. Haase, ZEuP 1994, 701 ff; Martiny, ZEuP 1993, 298ff.; zur Fortentwicklung („EVÜ II") siehe Wagner, EuZW 1999, 709ff. 19 Vgl -Junker, IPRax 1998,65, 70. Zum historischen Hintergrund, insb. zu den Gründen, das EVÜ entgegen ersten Absichten nicht auf Art. 293 Unterab. 1 und 4 EG (220 EWGV) zu stützen, siehe GTE-Schwartz, Art. 220 EGV Rn.69. 20 Vgl. Art. 18 EVÜ (36 EGBGB) zum Gebot einheitlicher Auslegung und Anwendung unter Berücksichtigung der Entwicklungen in den anderen Vertragsstaaten. Die Übertragung der Auslegungskompetenz auf den EuGH wird seit langem angestrebt, vgl. Erstes Protokoll 89/128/ EWG, AB1EG 1989 Nr. L 48/1; Zweites Protokoll 89/129/EWG, ABlEG 1989 Nr. L 48/17; dazu auch Martiny, ZEuP 1993,298,304; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S. 161; Palandt-Heldrich, Art. 36 EGBGB Rn. 1. 21 Als Teil des Gemeinschaftsprivatrechts und durch ihre unmittelbare Verbindlichkeit in fast allen Mitgliedstaaten stellt diese Verordnung ein noch größeres Maß an Rechtseinheit her als zuvor das EuGVÜ. Die VO gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 3 nicht in Dänemark. Insoweit gilt das EuGVÜ fort, dazu Micklitz, EuZW 2001, 325, 326.

3. Abschnitt: Das Privatrecht im

Binnenmarkt

39

zwischen den ihnen zugrunde liegenden völkerrechtlichen Verträgen und dem EG-Vertrag, der ebenfalls ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten ist 22 . D. Lex mercatoria Zu den beschriebenen Spielarten staatlich gesetzten Privatrechts tritt bei weitem Verständnis die lex mercatoria als privat gesetztes und daher möglicherweise im doppelten Sinne „privates Recht" 23 . Die lex mercatoria umfaßt u.a. allgemeine internationale Handelsbräuche und Prinzipien (prominent: die UNIDROIT-Principles 24 ), internationale, aber rechtlich unverbindliche Konventionen 25 , von Berufsverbänden aufgestellte Leitlinien sowie vorformulierte Standardverträge und typisierte Handelsklauseln für den internationalen Handelsverkehr 26 . Sie speist sich aus den international gemeinsamen Rechtsüberzeugungen der Kaufleute 27 . Als Summe privatautonom gesetzter Regeln unterliegt ihre Anwendung nur dann bzw. nur so weit einer Kontrolle am Maßstab der Grundfreiheiten, wie diesen eine unmittelbare Drittwirkung beigemessen werden kann. Ob dies der Fall ist, ist noch im 4. Teil dieser Studie zu ergründen 28 . Umgekehrt stellt sich die Frage, ob ein nationaler Richter an die Grundfreiheiten gebunden ist, wenn er Regeln aus der lex mercatoria einer Inhaltskontrolle nach den Maßstäben des (staatlichen) nationalen Rechts unterzieht 29 .

E. Gemeineuropäisches Privatrecht Das zwar nicht reibungslose, aber doch vergleichsweise reibungsarme Zusammenwirken der nationalen Privatrechtrechtsordnungen dürfte seinen wichtigsten Dazu noch unten 3. Teil, S.404. Ob die lex meractoria überhaupt als „Recht" oder nur als bloße Sammlung von Handelsbräuchen zu qualifizieren ist, ist umstritten: Vgl. nur Hirte, Wege zu einem europäischen Zivilrecht, S. 16 („Gewohnheitsrecht"); Mertens, RabelsZ 56 (1992), 219ff. („paralegales Recht"). Spickhoff, RabelsZ 56 (1992), 116,120ff. (Respektierung durch das staatliche Recht als Ausdruck der Privatautonomie und der Handelsbräuche); Uberblick bei Remien, RabelsZ 56 (1992), 300, 302f. Allgemein zur Rechtsqualität privat gesetzten Rechts siehe oben S. 35 in Fn. 1. 24 Abgedruckt in ZEuP 1997, 890ff.; dazu eingehend Boele-Woelki, IPRax 1997, 161 ff.; Boneil, RabelsZ 56 (1992), 274ff.; Leible, ZVglRWiss 97 (1998), 286, 312ff. 25 Vgl. etwa Horn, RIW 1997, 717ff. (zur UN-Konvention über unabhängige Garantien). 26 Vgl. U.H. Schneider, NJW 1991, 1985, 1987. 27 Vgl. etwa Hirte, Wege zu einem europäischen Zivilrecht, S. 16; Hom, RIW 1997, 717. 28 Die EuGH-Rechtsprechung ist insoweit gespalten. Der Gerichtshof bej aht eine solche Wirkung für die Personenverkehrsfreiheiten und verneint sie für die Warenverkehrsfreiheit. Richtigerweise dürfte eine unmittelbare Drittwirkung für alle Grundfreiheiten abzulehnen sein, dazu noch eingehend 4. Teil, S. 663 ff. 29 Zu Recht grundsätzlich bejahend Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S. 74f. Rn. lOlf. 22

23

40

1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht

im System

des

Binnenmarktes

Grund in der in allen Mitgliedstaaten ähnlichen Funktion des wirtschaftsbezogenen Privatrechts als Rahmenordnung privater Markttätigkeit im Kontext primär marktwirtschaftlich orientierter Wirtschaftssysteme haben30. Es ist ein alter Erfahrungssatz der Rechtsvergleichung, daß die Ähnlichkeit der Problemstellungen regelmäßig auch zu ähnlichen rechtlichen Lösungen führt. Darüber hinaus ist die Rechtswissenschaft bemüht, gemeineuropäische Rechtstraditionen und Rechtsgrundsätze freizulegen 31 : Die rechtsgeschichtliche Forschung spürt der Frage nach, wieviel von dem früher einmal existierenden Europäischen Privatrecht (ius commune) die Nationalisierung der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtswissenschaften im 19. und frühen 20. Jahrhundert überdauert hat und für die Schaffung einer neuen gemeinsamen Rechtstradition fruchtbar gemacht (oder auch wiederbelebt) werden kann32. Die Rechtsvergleichung hat sich zur Aufgabe gestellt, bestehende Gemeinsamkeiten in den nationalen Privatrechtsordnungen aufzuspüren und für die Rechtsharmonisierung fruchtbar zu machen33. Als herausragende Beispiele für Anstrengungen auf dem Gebiet der Wissenschaft sind die Arbeit der Lando-Kommission34, der Entwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuches der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler 35 , aber auch die von Hartkamp herausgegebene Sammlung „Towards a European Civil Code" 36 und das Lehrbuch von Kötz/Flessner zum Europäischen Vertragsrecht37 zu nennen. Für den hier untersuchten Bereich hat dieser Aspekt keine unmittelbare Bedeutung. Allgemeine Rechtsgrundsätze sind regelmäßig zu diffus, um selbst in Konflikt mit den Grundfreiheiten geraten zu können. Allerdings hat der EuGH die Erkenntnisse der Rechtsvergleichung desöfteren für die Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Rechtsbegriffe fruchtbar gemacht und in diesem Zusammenhang nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen gesucht, die sich aus der Mehrheit oder sogar aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen ableiten lassen. Im Fall Deka identifizierte der EuGH den Einwand des Rechtsmißbrauchs als einen solchen Rechtsgrundsatz 38 . Im Fall LTU zog er die „GeSiehe dazu bereits oben S. 11 ff. Ein ausdrücklicher Hinweis auf die Geltung allgemeiner, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamer Rechtsgrundsätze findet sich in Art. 288 EG in bezug auf die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft. 32 Vgl. dazu etwa Repgen, JJZ 1997, 9ff.; Schulze, ZEuP 1993, 442ff.; Zimmermann, Historische Verbindungen zwischen civil law und common law, in: Müller-Graff, Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S. 103 ff. 33 Zur Rechtsvergleichung als treibende Kraft der Harmonisierung des Europäischen Vertragsrechts in Wissenschaft und Praxis vgl. eingehend Berger, (2001) 50 ICLQ 877ff. (aus der Perspektive des englischen Rechts). 34 Siehe Kommission für Europäisches Vertragsrecht, Die Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, Teil I, ZEuP 1995, 864ff.; Lando, RabelsZ 56 (1992), 261 f ff.; ders., Die Regeln des Europäischen Vertragsrechts, in: Müller-Graff, Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S.567ff.; Zimmermann, JZ 1995, 477ff.; ders., ZEuP 1995, 731 ff. 35 Dazu Sonnenberger, RIW 2001, 409ff. 36 Hartkamp (Hrsg.), Towards a European Civil Code (2. Auflage 1998). 37 Kötz/Flessner, Europäisches Vertragsrecht I (1996). 38 Vgl. EuGH, 1.3. 1983, Rs. 250/78, Slg. 1983, 421 R n . \ 5 - D E K A . 30 31

3. Abschnitt:

Das Privatrecht

im Binnenmarkt

41

samtheit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen" für die Auslegung des Begriffs der „Zivil- und Handelssachen" in Art. 1 Abs. 1 EuGVU heran 39 . Insoweit können gemeineuropäische Rechtsgrundsätze auch Bedeutung für die Auslegung der Grundfreiheiten oder für die Bestimmung der den Mitgliedstaaten zu Gebote stehenden Rechtfertigungsgründe erlangen 40 .

§ 3 Funktionen des Privatrechts im Binnenmarkt Drei Grundfunktionen des Privatrechts im Binnenmarkt lassen sich mit den Begriffen Freiheitssicherung (oder Ermöglichung), Regulierung und Integration umschreiben. Es liegt auf der Hand, daß Konflikte mit den Grundfreiheiten insbesondere mit Blick auf die Regulierungsfunktion in Betracht kommen, während der Freiheitssicherung oder der Integration dienende Regelungen grundsätzlich mit dem Ziel der Grundfreiheiten konvenieren, einen durch Marktfreiheit und Marktgleichheit gekennzeichneten Binnenmarkt zu schaffen und funktionsfähig zu erhalten 41 . Die klare Zuordnung einzelner Privatrechtsregelungen zu einem dieser Bereiche ist allerdings oft schwierig, wenn nicht unmöglich. Das ambivalente Verhältnis von Grundfreiheiten und Privatrecht kann sich insoweit durchaus auch in ein und derselben Norm wiederfinden.

A . Freiheitssicherung und Ermöglichung privatautonomer Transaktionen Das Privatrecht setzt den Ordnungsrahmen für die privaten Transaktionen auf dem Binnenmarkt. Es gewährleistet das Funktionieren des marktwirtschaftlichen Lenkungsmechanismus und stellt den Wirtschaftsteilnehmern die für die Koordination ihrer Interessen erforderlichen Institutionen, Prinzipien und Regeln zur Verfügung. Der Rechtsverkehr im Binnenmarkt könnte nicht funktionieren ohne die Anerkennung der Rechtssubjektivität der Marktteilnehmer und ihre Erweiterung durch Stellvertretung und Vereinigungsfreiheit, ohne Zurverfügungstellung verkehrsfähiger Tauschobjekte und ihre Zuordnung zu bestimmten Rechtssubjekten, ohne Vertragsfreiheit und Vertragsbindung und wohl auch nicht ohne gewisse standardisierte Transaktionsformen. I. Anerkennung der Rechtssubjektivität der Marktteilnehmer Eine Selbststeuerung der Wirtschaft durch Markt und Wettbewerb ist nicht denkbar ohne die Anerkennung der Markteilnehmer als rechtlich handlungsfähige, 39 40 41

Vgl. EuGH, 14.10. 1976, Rs. 29/76, Slg.1976, 1541 Rn.3 - LTU. Dazu noch unten 2. Teil, S.250. V%\.Jarass, FS-Everling, S.593, 597; W.-H. Roth, EuR 1986, 340, 355.

42

1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht im System des

Binnenmarktes

rechts- und geschäftsfähige Rechtssubjekte 42 . Der zunehmenden Komplexität wirtschaftlicher Transaktionen in der modernen Verkehrswirtschaft trägt das Privatrecht durch Zulassung der rechtsgeschäftlichen Stellvertretung und durch die Ermöglichung des Zusammenschlusses zu Personen- und Kapitalgesellschaften Rechnung, denen es eine von ihren Mitgliedern unabhängige Rechtsfähigkeit oder sogar Rechtspersönlichkeit zuerkennt 43 . Konflikte mit den Grundfreiheiten scheinen auf diesem Gebiet fernzuliegen. Sie sind aber jedenfalls dann nicht auszuschließen, wenn das nationale Recht zwischen eigenen Angehörigen und E G Ausländern unterscheidet oder im Zusammenspiel mit abweichenden ausländischen Normen eine Ungleichberührung bewirkt. So wird beispielsweise diskutiert, ob die Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit an die Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei eine verbotene Diskriminierung darstellen kann, soweit die nationalen Rechtsordnungen dafür unterschiedliche Voraussetzungen normieren 44 . Gleichermaßen können der numerus clausus der Gesellschaftsformen und die daraus resultierende Nichtanerkennung ausländischer Gesellschaften diskriminierende oder jedenfalls handelsbehindernde Wirkungen entfalten 45 . II. Definition und Zuordnung verkehrsfähiger Güter und Rechtsprodukte Nationaler wie grenzüberschreitender Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr wären undenkbar ohne die Definition handelbarer Güter und die Zuweisung, der daran bestehenden materiellen und geistigen Eigentumsrechte an bestimmte Rechtsträger 46 . Die Funktion, dem einzelnen Rechtssubjekt Rechtspositionen an handelbaren Gegenständen zuzuordnen und zu regeln, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen es darüber verfügen und andere davon ausschließen kann, kommt innerhalb des Privatrechts dem Sachenrecht 47 und dem Immaterialgüterrecht (Marken-, Muster-, Patent- und Urheberrecht) 48 zu. Oft gewinnen die handelbaren Gegenstände sogar erst im rechtlichen Kontext Gestalt. Dies gilt nicht nur für Immaterialgüter, sondern auch für Gesellschaftsanteile und sog. Vgl- SS 1. 104 BGB sowie Art. 1 und 2 GG. Vgl. Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, S. 15; § 1 Abs. 1 S. 1 AktG, § 13 Abs. 1 GmbHG, § 17 Abs. 1 GenG; s.a. § 124 Abs. 1 H G B sowie BGH NJW2001, 1056 (zur Rechtsfähigkeit der GbR). 44 Dazu bereits Beitzke ZfRVgl 5 (1964), 80,89; aus jüngerer Zeit Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, S.238ff. m.w.N.; dazu noch eingehend unten 3. Teil, S.490. 45 Vgl. v. Wilmowsky, Europäisches Kreditsicherungsrecht, S.33f.; Randelzhof er/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf Art.48 EG Rn.37; dazu noch unten 2. Teil, S.285ff. und 3. Teil, S.537ff. 46 Siehe dazu BVerfGE 83, 201: „Unter den Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallen im Bereich des Privatrechts grundsätzlich alle Vermögenswerten Rechte, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, daß er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf." 47 Vgl. nur §903 BGB. 48 Vgl. dazu im einzelnen Hubmann/Gotting, Gewerblicher Rechtsschutz, S. 113 ff.; Ullrich/ Konrad, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, C.III, Rn. 8; Ullrich, in: Immenga/ Mestmäcker, EG-WbR, GRUR, S. 1111, Rn. 5 ff. 42 43

3. Abschnitt:

Das Privatrecht

im

Binnenmarkt

43

„Rechtsprodukte" auf dem Gebiet des Bank- und Versicherungsrechts 49 . Konflikte mit den Grundfreiheiten sind auch insoweit nicht von vornherein auszuschließen. So liegt es nicht fern, anzunehmen, daß sachenrechtliche Regelungen handelsbehindernd wirken, wenn sie ausländischen Eigentumsformen und Kreditsicherheiten die Wirksamkeit versagen 50 . Erst recht könnte die Nichtanerkennung ausländischer „Rechtsprodukte" Bedenken aus der Warte der Grundfreiheiten auslösen 51 . Gewerbliche Schutzrechte können unbeschadet einer Kontrolle an den Grundfreiheiten sogar zur Marktabschottung genutzt werden 52 . III. Transaktionsförderung durch Vertragsfreiheit und Vertragsrecht 1. Vertragsfreiheit

als Grundlage

marktgemäßer

Selbststeuerung

Marktgemäße Selbststeuerung setzt voraus, daß die Markteilnehmer in weitem Umfange über Privatautonomie verfügen 53 . Das Prinzip der Privatautonomie beruht auf dem Gedanken der weitgehenden Selbstbestimmung aber auch Selbstverantwortung freier und in ihrer Freiheit formell gleicher Bürger 54 . Dies setzt die Anerkennung der Berufs- und Gewerbefreiheit, Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit voraus 55 . Die wichtigste Erscheinungsform der Privatautonomie ist die Vertragsfreiheit. Typische Koordinationsform für ein durch offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb gekennzeichnetes Wirtschaftssystem ist der entgeltliche Austauschvertrag 56 . Die Vertragsfreiheit umfaßt die Freiheit, über den Vertragsschluß an sich und den Vertragspartner (Abschlußfreiheit), über die Form (Formfreiheit) sowie über den Vertragsinhalt (Inhaltsfreiheit) zu entscheiden57. Sie ist auch und vor allem die Freiheit, sich rechtswirksam zu binden. Mit dem Grundsatz der Vertragsbindung {pacta sunt servanda) stellt das Vertragsrecht ein Stück Vertrauenswürdigkeit zwischen einander unbekannten Vertragspartnern her und verleiht bereits dem Vertrag an sich einen wirtschaftlichen Wert. Mit Blick auf die zentrale Rolle des Marktpreises als Knappheitsindex treten die Preisfreiheit als wesentlicher Aspekt der Inhaltsfreiheit und die Informationsund Kommunikationsfreiheit als wesentliche Voraussetzungen für die Ausübung

Vgl. etwa monographisch Dreher, Die Versicherung als Rechtsprodukt (1991). Vgl. v. Wilmowsky, Europäisches Kreditsicherungsrecht, S.37; dazu noch unten 3. Teil, S.528ff. und 623ff. 51 Dazu noch unten 3. Teil, S.592ff. 52 Vgl. z.B. EuGH, 17.10.1990, Rs. C-10/89, Slg. 1990,1-3711 Rn. 20 - Hag //; dazu noch unten 4. Teil, S.687ff. 53 Vgl. §§ 1,241,311 BGB sowie Art. 1,2 und 3 GG; Böhm, O R D O 1 7 (1966), 75,80; Streissler, Sozialrevolutionäre Ethik und Privatrecht, S. 131,132 („so ist die erste und größte ethische Leistung des Privatrechts ... die Konstituierung eines großen Kreises von vor dem Gesetz Gleichen"); Zöllner, JuS 1988, 329, 330. 54 Vgl. Böhm, ORDO 17 (1966), 75, 89/98; A. Smith, Wealth of Nations, S.407. 55 Vgl. Schluep, FIW Heft 148, S. 171, 175. 56 Vgl. Böhm, ORDO XVII (1966), 75, 95. 57 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band, S. 12. 49

50

44

1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht

im System des

Binnenmarktes

der Vertragsfreiheit hinzu 58 . Es ist daher nicht auszuschließen, daß Eingriffe in die Vertragsfreiheit oder die wirtschaftliche Informationsfreiheit den grenzüberschreitenden Verkehr behindern und dadurch in Konflikt mit den Grundfreiheiten geraten können. 2. Dispositives

Vertragsrecht als Grundlage komplexer

Transaktionen

Die meisten Regelungen des Vertragsrechts sind freilich dispositiv. Sie dienen der Senkung der Transaktionskosten und damit der Förderung auch grenzüberschreitender Transaktionen, indem sie typisierte Vertragsformen (Kaufvertrag, Mietvertrag, Dienstvertrag usw.) zur Verfügung stellen und privatautonom geschlossene Verträge durch dispositive Regelungen ergänzen, wo die Parteien bestimmte Umstände nicht bedacht haben, sie nicht regeln wollten oder sich nicht einigen konnten, ohne deshalb auf den Vertragsschluß verzichten zu wollen. Beispielsweise stellen die §§434ff. BGB den Käufer in weitem Umfange von dem Zwang frei, die Fehlerfreiheit des Kaufgegenstandes aber auch die Vertrauenswürdigkeit des Verkäufers und seiner Produktinformationen zu überprüfen 59 . Gleiches gilt gerade mit Blick auf grenzüberschreitende Transaktionen für die objektiven Anknüpfungen des Internationalen Privatrechts, die (wie z.B. Art.28 EGBGB) lediglich dann zum Zuge kommen, wenn die Parteien eine Rechtswahl unterlassen haben. Würde es an dispositiven Regelungen fehlen, könnten die Transaktionskosten für Informationsbeschaffung, Vertragsgestaltung und Vertragsdurchführung gerade im grenzüberschreitenden Verkehr prohibitiv hoch werden und dazu führen, daß die Parteien vom Abschluß solcher Geschäfte Abstand nehmen. Jedenfalls mit Blick auf Massengeschäfte erscheint eine Ergänzung faktisch unvollständiger Verträge durch dispositives Vertragsrecht geradezu unverzichtbar 60 . Diese Überlegungen, vor allem aber der Umstand, daß dispositive Normen nicht die Privatautonomie beschränken, sondern privatautonom abbedungen werden können, lassen es unwahrscheinlich erscheinen, daß sie in Konflikt mit den Grundfreiheiten geraten könnten. Trotzdem fehlt es nicht an Stimmen, die selbst dispositive Privatrechtsnormen nicht von einer Grundfreiheitenkontrolle ausnehmen wollen 61 . IV. Herstellung von Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit Das Privatrecht des Binnenmarktes ist durch Rechtsvielfalt gekennzeichnet. Es setzt sich aus fünfundzwanzig nationalen Privatrechtsordnungen zusammen. Die Vgl. Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, S. 17f. Dazu eingehend Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 469ff. Eine Grenze zieht §442 BGB (ex 460 BGB), der es dem Käufer verwehrt, Rechte aus Mängeln abzuleiten, die ihm bekannt waren oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben sind, dazu Fleischer/ Körher, BB 2001, 841, 844ff. 6 0 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 394f. 61 So insbesondere v. Wilmowsky, Europäisches Kreditsicherungsrecht, S. 39ff.; ders., JZ 1996, 590, 595 f. 58

59

3. Abschnitt:

Das Privatrecht

im

Binnenmarkt

45

in diesen Privatrechtsordnungen enthaltenen Normen sind teils autonom nationalen Ursprungs, teils beruhen sie auf gemeinschafts- oder konventionsrechtlichen Vorgaben62. Hinzu tritt (noch vereinzelt) unmittelbar wirkendes Gemeinschaftsprivatrecht, das wiederum seinerseits teilweise auf das nationale Recht verweist63. Diese rechtliche Gemengelage hat zur Folge, daß grenzüberschreitende Transaktionen im Binnenmarkt im Vergleich zu rein innerstaatlichen Wirtschaftsvorgängen nicht nur durch Unterschiede und Inkompatibilitäten der nationalen Rechtsordnungen belastet werden können, sondern praktisch immer durch eine erhöhte Unsicherheit über das anzuwendende Recht, dessen Inhalt, Auslegung und Durchsetzung belasten werdenM. Diese Unsicherheit und die daraus resultierenden Kosten grenzüberschreitender Transaktionen können dazu beitragen, daß die Marktbürger sprichwörtlich „im Lande bleiben und sich dort redlich (wenn auch vielleicht zu schlecht oder zu teuer) nähren", ohne die Chancen und Vorteile des Binnenmarktes für sich zu nutzen. Das Funktionieren des Binnenmarktes ist deshalb in besonderem Maße auf die Herstellung Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit angewiesen. Die Aufgabe, dies zu gewährleisten, wird wesentlich durch Regelungen des Privatrechts und insbesondere des Internationalen Privatrechts erfüllt. Mit Blick auf das Verhältnis von Grundfreiheiten und Privatrecht gewinnt dieser Aspekt in zweifacher Hinsicht Bedeutung: Einerseits verlangen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes auf den vom Gemeinschaftsrecht erfaßten Gebieten nach der EuGH-Rechtsprechung von den Mitgliedstaaten „eine eindeutige Formulierung der Rechtsnormen ..., die den betroffenen Personen die klare und genaue Kenntnis ihrer Rechte und Pflichten ermöglicht und die innerstaatlichen Gerichte in die Lage versetzt, deren Einhaltung sicherzustellen"65. Eine unklare Formulierung mitgliedstaatlicher Normen oder Anwendungspraxis kann mit Blick auf die davon ausgehende Verunsicherungswirkung abschreckend auf grenzüberschreitende Transaktionen wirken und daher zur Qualifizierung einer Norm als durch die Grundfreiheiten verbotene Handelsbeschränkung beitragen. Andererseits müssen die vom EuGH aufgestellten Anforderungen aber auch für das Gemeinschaftsrecht - einschließlich der die Grundfreiheiten konkretisierenden Rechtsprechung des EuGH selbst - gelten: Wenn die Anwendbarkeit privatrechtlicher Normen davon abhängig gemacht wird, daß sie grundfreiheitenkonform sind, steht auch der EuGH in der Pflicht, den mitgliedstaatlichen Gerichten klare Maßstäbe für die Anwendung der Grundfreiheiten an die Hand zu geben und dadurch Sicherheit über Anwendbar-

Siehe oben S.36ff. Vgl. etwa die Regelung des Art. 24 Abs. 1 S. 2 der EWIV-VO, nach der die Folgen der Gesellschafterhaftung durch das einzelstaatlicher Recht bestimmt werden. 64 Eingehend zum Verhältnis von Außenhandel und Rechtssicherheit (auch über den Binnenmarkt hinaus) Leible, ZVglRWiss 97 (1998), 286ff. 65 EuGH, 26.2.1991, Rs. C-120/88, Slg. 1991,1-621 Rn. 11 - Kommission/Italien (Mehrwertsteuer); vgl. EuGH, 24.3. 1988, Rs. 104/86, Slg. 1988, 1799 Rn. 12 - Kommission/Italien (Abgaben). 62

63

46

1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht im System des

Binnenmarktes

keit und Inhalt der an ihnen zu messenden privatrechtlichen Regelungen zu schaffen 66 . Daß die Anwendung der Grundfreiheiten unter Umständen Lücken in das nationale Privatrechts reißt, ist hinnehmbar und regelmäßig durch privatautonome Gestaltung zu kompensieren, solange diese Lücken klar bestimmt oder zumindest bestimmbar sind. Unsicherheiten über die Auslegung der Grundfreiheiten setzen sich dagegen in Unsicherheiten über die Anwendbarkeit mitgliedstaatlicher Normen fort und können deren für den Binnenmarkt unverzichtbares Funktionieren als Rahmenordnung in Frage stellen. Die Forderung nach rechtlicher Klarheit und sicherer Handhabbarkeit (Praktikabilität) kann dabei, wie schon Radbruch betont hat, durchaus in Konflikt mit den anderen Antinomien der Rechtsidee - Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit - geraten, indem sie „scharfe Grenzen da [zieht], wo das Leben nur fließende Übergänge kennt" 67 . Dies gilt auch für die Anwendung der Grundfreiheiten gegenüber Bestimmungen des nationalen Privatrechts: Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit haben, auch wenn man sie gegenüber den Grundfreiheiten einfordert, möglicherweise ihren Preis in Gestalt unbefriedigender Ergebnisse im Einzelfall. Der E u G H hat in seiner grundlegenden ÄTec^-Entscheidung signalisiert, daß er bereit ist, diesen Preis zu zahlen 68 . Für den Binnenmarkt muß das keine Katastrophe sein, denn für seine Schaffung sind die Grundfreiheiten neben der Rechtsangleichung nur eines der der Gemeinschaft zur Verfügung stehenden Instrumente.

B. Regelnde Eingriffe im Spannungsfeld v o n Privatrecht u n d Politik I. Regulierungsfunktion des Privatrechts Konflikte zwischen Grundfreiheiten und nationalem Privatrecht liegen naturgemäß besonders nahe, wenn privatrechtliche Regelungen die Privatautonomie der Wirtschaftsteilnehmer im Dienste der Privatautonomie des Vertragspartners, der Vertragsgerechtigkeit oder übergeordneter Interessen der Allgemeinheit beschränken und zu diesem Zweck zwingende bzw. halbzwingende Wirkung entfalten (Regelungs- oder Regulierungsfunktion des Privatrechts) 69 . Das Privatrecht ist seit jeher vor die Aufgabe gestellt, widerstreitende Interessen der Bürger im Verhältnis zueinander zum Ausgleich zu bringen und ihre individuellen Freiheitssphären gegeneinander abzugrenzen. Dabei hat es „nichts zu verschenken": Es kann dem einen nur geben, was es dem anderen nimmt 70 . Dies ist bei der Grundfreiheitenkontrolle privatrechtlicher Normen zu berücksichtigen. 66

Zur Bindung der Gemeinschaft an rechtsstaatliche Grundsätze einschließlich der Bestimmtheit und Rechtssicherheit siehe bereits oben S. 17. 67 Vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 75. 68 Siehe unten 2. Teil, S.160ff. 69 Vgl. v. Wilmowsky, JZ 1996, 590, 592. 70 Vgl. Medicus, AcP 192 (1992), 35, 57.

3. Abschnitt: Das Privatrecht

im

Binnenmarkt

47

II. Regulierungsziele 1. Schutz der Privatautonomie

bei den

Vertragsverhandlungen

Regulierende Eingriffe können dem Schutz des Marktmechanismus und der Privatautonomie bei den Vertragsverhandlungen dienen und danach streben, die Funktionsfähigkeit von Markt und Wettbewerb zu verbessern. Auf makrojuristischer Ebene schützen Kartell- und Wettbewerbsrecht einen freien und lauteren Wettbewerb als Institution. Auf mikrojuristischer Ebene stärken zwingende Normen des „Schwächerenschutzrechts" (z.B. Verbraucher-, Arbeitnehmer-, Mieter- und Anlegerschutznormen) die Privatautonomie der „strukturell schwächeren" Seite, indem sie versuchen, eine freie und informierte Entscheidung sicherzustellen und zu verhindern, daß ein Vertragspartner zum Objekt der Fremdbestimmung durch den anderen wird. Im zuletzt beschriebenen Teilbereich regulierender Eingriffe verschwimmen die Grenzen zur Freiheitssicherungsfunktion in besonderem Maße. a) Institutioneller

Schutz des

Wettbewerbs

Die Richtigkeitsgewähr durch den Vertragsmechanismus ist in Frage gestellt, wenn sich die materielle Ungleichheit der Parteien in einer Weise auf deren Verhandlungsposition auswirkt, daß die eine zum Spielball der anderen wird und Fremdbestimmung an die Stelle von Selbstbestimmung tritt. Soll die Koordination der individuellen Bedürfnisse durch Markt und Wettbewerb funktionieren, so darf kein Marktteilnehmer über eine solche Macht verfügen. Das setzt nicht notwendig voraus, daß beide Vertragspartner in jeder Hinsicht „gleich stark" sind. Auch ein Großkonzern kann relativ „machtlos" sein, wenn sein (potentieller) Vertragspartner nicht auf den Abschluß des Vertrages angewiesen ist 71 . Besteht Wettbewerb um den Kunden, so kann dieser auf einen anderen Anbieter ausweichen. Der scheinbar „mächtige" Vertragspartner wird in bezug auf sein Gegenüber durch den Wettbewerb entmachtet. Privatautonomie ist insoweit nicht nur Funktionsbedingung von Marktwirtschaft und Wettbewerb, sondern auch ihr Resultat 72 . Relative Machtlosigkeit ist auch dann gegeben, wenn es jedem Vertragspartnern möglich und zumutbar ist, auf das Austauschgeschäft zu verzichten 73 . Anderenfalls kann ein „Marktversagen" vorliegen und die Rechtsordnung in der Pflicht stehen, zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Marktmechanismus und Wettbewerbs, regulierend einzugreifen. Im Vorder-

Vgl. Rittner, AcP 188 (1988), 101, 119 („wir kennen auch sehr schwache Riesen"). Vgl. etwa Koppensteiner, AcP 179 (1979), 595, 597; Böhm, O R D O X V I I (1966), 75, 94f.; Zöllner, Die Privatrechtsgesellschaft im Gesetzes und Richterstaat, S. 24; Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, S. 11 ff., 225 („strukturelle Parallelität"). 73 Zur Bedeutung dieser oft außer Betracht gelassenen „Ausweichmöglichkeit" vgl. Reuter, Freiheitsethik und Privatrecht, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, S. 105, 118; Schmidt-Rimpler, FS-Raiser, S.3, 14. 71

72

1. Teil: Grundfreiheiten

48

und Privatrecht im System des

Binnenmarktes

grund steht dabei das Wirken des Kartellrechts, das bestrebt ist, den Preismechanismus durch Verhinderung oder Neutralisierung privater Machtkonzentration, durch Offenhaltung der Märkte und durch Gewährleistung eines freien und unverfälschten Wettbewerbs funktionsfähig zu erhalten74. Hinzu treten Regelungen des Rechts gegen unlauteren Wettbewerb (Lauterkeitsrechts), die die Fairneß im Wettbewerb sicherstellen und insoweit ebenfalls dem Schutz der wettbewerblichen Rahmenbedingungen dienen. In bezug auf die Einwirkung der Grundfreiheiten auf private Rechtsverhältnisse wirft dieser Aspekt vornehmlich zwei Probleme auf. Einerseits stellt sich die Frage, inwieweit nationale Regelungen des Kartell- und Lauterkeitsrechts sich am Maßstab der Grundfreiheiten messen lassen müssen, wenn der Schutz des Wettbewerbs auf dem nationalen Markt um den Preis der Behinderung (auch) grenzüberschreitender Wirtschaftsvorgänge erfolgt 75 . Andererseits ist die Frage aufgeworfen, ob die Grundfreiheiten als potentielle Kontrollmaßstäbe hinter den Wettbewerbsregeln zurücktreten, wenn Behinderungen des grenzüberschreitenden Handels nicht von staatlichen Stellen, sondern von privaten Akteuren ausgehen76. b) Individueller

Schutz der schwächeren

Partei beim

Vertragsschluß

Zwingende privatrechtliche Regelungen treten auch dann auf den Plan, wenn der Markt zwar Ausweichmöglichkeiten läßt, eine Partei der anderen aber gleichwohl aufgrund intellektueller, informationeller oder motivationeller Asymmetrien „strukturell unterlegen" ist 77 . Auch hier sprechen manche von einem „Marktversagen" 78 . Ausgehend von der marktwirtschaftlichen Grundausrichtung des Binnenmarktes und der auf den verständigen und mündigen Verbraucher abstellenden EuGH-Rechtsprechung 79 muß das Ziel im Mittelpunkt stehen, beiden Seiten im Stadium des Vertragsschlusses eine freie und informierte Entscheidung zu ermöglichen. Dafür kommt Täuschungsverboten 80 und vorvertraglichen Informationspflichten eine herausragende Bedeutung zu 81 . Hinzu treten Vgl. Böhm, O R D O XVII (1966), 75, 87ff., 99ff., 120, 139f. Vgl. etwa EuGH, 18.5. 1993, Rs. C-126/91, Slg. 1993, 1-2361 - Yves Rocher, EuGH, 6.6. 1995, Rs. C-470/93, Slg. 1995,1-1923 - Mars (beide zum Lauterkeitsrecht). 76 Dazu noch eingehend 4. Teil, S. 745ff., insbesondere S. 759ff. 77 Die Parteien werden oft ein unterschiedliches Interesse an der Aufnahme bestimmter Regelungen in den Vertrag haben. So sind AGB für den Verwender regelmäßig von großer wirtschaftlicher Bedeutung, während der Vertragspartner sie zumeist unbesehen akzeptiert, weil sie aus seiner Sicht nur Nebensächlichkeiten behandeln. 78 Z.B. Basedow, Diskussionsbeitrag zu Kleindieck, Aspekte gemeinschaftsweiter Privat rechtsangleichung: Ein Sonderprivatrecht für Verbraucher?, in: Hommelhoff, Europäischer Binnenmarkt: internationales Privatrecht und Rechtsangleichung, S. 311. 79 Siehe oben S. 15 f. 80 Vgl. etwa §§ 123,826 BGB; §§ 1 ff. UWG. Die Auslegung des UWG wird maßgeblich beeinflußt durch die Richtlinie 84/450/EWG zur irreführenden Werbung (AB1EG 1984 Nr. L 250/17) und die sie abändernde Richtlinie 97/55/EG zur vergleichenden Werbung (ABlEG 1997 Nr. L 290/18). 81 Diese Regelungen sind zumeist gemeinschaftsrechtlichen Ursprungs, vgl. etwa § 305 Abs. 2 74

75

3. Abschnitt:

Das Privatrecht

im

Binnenmarkt

49

der Übereilungsschutz durch Formgebote, der insbesondere bei einseitig verpflichtenden Verträgen (z.B. Schenkung, Bürgschaft) 82 und in Verbraucherschutzregelungen 83 anzutreffen ist, und Vertragslösungsrechte, die neben den Informationspflichten typisch für Verbraucherschutzregelungen gemeinschaftsrechtlicher Herkunft sind und durch die dem Verbraucher eine über den Vertragsschluß hinausreichende (zeitlich begrenzte) Bedenkfrist eingeräumt wird 84 . Die Vereinbarkeit derartiger Regelungen mit den Grundfreiheiten gerät um so mehr in Zweifel, je weiter sie sich vom Ziel der Stärkung der Eigenverantwortung des schwächeren Vertragspartners entfernen und auf deren staatliche Bevormundung zu bewegen. Die Grenzen sind freilich fließend. Konflikte mit den Grundfreiheiten werden in Literatur und Rechtsprechung noch nicht einmal in bezug auf Regelungen, die Informationspflichten etablieren, von vornherein ausgeschlossen. Das gilt namentlich dann, wenn die dem Nachfrager mitzuteilenden Informationen sich nachteilig auf den Absatz und damit auch auf die Einfuhr ausländischer Produkte auswirken können 8 5 . 2. Korrektur des Ergebnisses der

Vertragsverbandlungen

Regulierende Eingriffe in private Rechtsverhältnisse beschränken sich nicht notwendig auf die bloße Stärkung der Privatautonomie der „schwächeren Seite" im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Wenn Marktversagen oder Imparität der Parteien die materielle Gerechtigkeit des Ergebnisses der Vertragsverhandlungen in Frage stellen 86 , kommen ausnahmsweise auch staatliche Eingriffe in das konkrete

B G B (ex §2 A G B G ) , §312c B G B (ex §2 FernabsG), §482 B G B (ex §2 TzWrG), §492 B G B (ex §4 VerbKrG). Allgemeiner Ansatzpunkt für vorvertragliche Aufklärungspflichten ist das nunmehr in §311 Abs. 2 B G B anerkannte Institut der culpa in contrahendo. Eingehend und rechtsvergleichend zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten Habilitationsschrift von Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001); zu Informationspflichten im Gemeinschaftsprivatrecht ders., ZEuP 2000, 772ff.; s.a. Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S.62ff.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 7ff. Vgl. §§31 l b Abs. 1 (ex 313), 518 Abs. 1, 766 S . l , 780, 781 B G B . Vgl. §484 B G B (ex § 3 TzWrG), §492 (ex §4 VerKrG), §3 FernUSG. 84 Vgl. etwa das Rücktrittsrecht nach §65Ii B G B sowie die Widerrufs- und Rückgaberechte nach §§355f. B G B i.V.m. §312d B G B (ex §3 FernAbsG), §312 B G B (ex §2 HaustürWG), §485 (ex § 5 TzWrG) oder § 495 B G B (ex § 7 VerbrKrG) sowie aus § 4 FernUSG und § 126 InvestmG. Micklitz will diesen Widerrufsrechten sogar eine Entscheidung des europäischen Privatrechts gegen den Grundsatz pacta sunt servanda und für ein „kompetitives Vertragsrecht" entnehmen, das die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers über den Zeitpunkt des Vertragsschlusses hinaus erhalte (ders., ZEuP 1998, 253, 265). Mit Blick darauf, daß die Möglichkeit zur Vertragsbindung ein unverzichtbares Funktionselement der Vertragsfreiheit ist (siehe oben S.43), erschiene eine Erosion des Vertragsrechts durch eine derartige Verallgemeinerung allerdings bedenklich. 85 Vgl. B G H B B 1999,2044 - EG-Neuwagen I; B G H B B 1999,2047 - EG-Neuwagen / / ; dazu eingehend 2. Teil, S.576f.; s.a. E u G H , 13.10.1993, Rs. C-93/92, Slg. 1993,1-5009 - CMC Motorradcenter, dazu eingehend 2. Teil, S. 145f. sowie 3. Teil, S.580f. und 613. 86 Grundlegend zur ausgleichenden Funktion des Vertragsmechanismus Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130ff.; s.a. ders., FS-Raiser, S.3ff. 82

83

50

1. Teil: Grundfreiheiten

und Privatrecht

im System des

Binnenmarktes

Verhandlungsergebnis in Betracht. Bestimmten Geschäften verweigert die Rechtsordnung schlichtweg die Anerkennung, indem sie zum Schutz öffentlicher oder auch individueller Interessen ihre Nichtigkeit anordnet, z.B. wenn ihr Inhalt gegen Gesetz oder gute Sitten verstößt, 8 7 oder wenn sie die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit eines Vertragspartners über die Maßen beschränken 8 8 . Anderen verwehrt sie die gerichtliche Durchsetzbarkeit, indem sie sie als Naturalobligationen ausgestaltet 89 . Mit Blick auf Dauerschuldverhältnisse setzen privatrechtliche Regelungen der Reichweite privater Selbstbindung zeitliche Grenzen, indem sie unabdingbare Vertragslösungsrechte aus wichtigem Grund 9 0 oder jedenfalls nach Ablauf einer bestimmten Zeit etablieren 91 bzw. umgekehrt die Befristbarkeit oder Kündbarkeit seitens der „stärkeren Partei" einschränken 9 2 . Im Extremfall greift das Privatrecht sogar modifizierend in den Vertragsinhalt ein und bindet damit zugleich mindestens eine Partei an einen Vertrag, den sie so nicht gewollt hat. Dieser Aspekt begegnet namentlich bei der staatlichen Kontrolle von A G B und AVB anhand der §§305ff. B G B 9 3 . Es liegt nicht fern, daß solche Inhaltsvorgaben, Inhaltskontrollen und Inhaltskorrekturen in Konflikt mit den Grundfreiheiten geraten können. Dies gilt namentlich dann, wenn das Privatrecht eines Mitgliedstaates vertraglichen Leistungsumschreibungen oder ganzen „Rechtsprodukten" die Anerkennung verweigert, die im Ausland legaler Gegenstand von Austauschverträgen sind 94 .

Vgl. etwa §§134, 138 Abs. 1 und 2 B G B . Vgl. §31 l b Abs.2 B G B (ex 310 B G B , Vertrag über künftiges Vermögen) sowie § 138 Abs. 1 B G B unter den Gesichtspunkten der Überforderung des Bürgen (vgl. BVerfG N J W 1994,36 und BVerfG N J W 1994, 2749) und der Knebelung (vgl. Palandt-Heinrichs, § 138 B G B Rn. 38a ff.). 8 9 Vgl. etwa § 656 B G B (Ehemaklervertrag), § 762 B G B (Spiel, Wette), § 764 B G B (Differenzgeschäft). 9 0 Vgl. jetzt allgemein für alle Dauerschuldverhältnisse geregelt in §314 B G B . 91 Nach § 489 Abs. 1 Nr. 3 B G B (ex § 609a Abs. 1 Nr. 3 B G B ) können Darlehensverträge spätestens nach Ablauf von 10 Jahren, nach §8 Abs. 3 W G Versicherungsverträge spätestens nach 5 Jahren gekündigt werden. 9 2 Vgl. etwa die mietrechtlichen Regelungen in §§573 ff. B G B und die arbeitsrechtlichen Regelungen im Kündigungsschutzgesetz und in zahlreichen anderen Normen, etwa §§622ff. B G B , § 9 MuSchG, §§ 18f. B E r z G G oder §§15ff. SchwbG. 93 Nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 B G B (ex § 24a Nr. 2 A G B G ) erfaßt die Inhaltskontrolle seit Umsetzung der Klauselrichtlinie (93/13/EWG, AB1EG 1993 Nr. L 95/29) bei Verbraucherverträgen sogar für einen Einzelfall vorformulierte Vertragsbedingungen. Auf Individualvereinbarungen ist sie allerdings nicht anwendbar (vgl. Palandt-Heinrichs, §310 B G B Rn. 17). Auch sonst steht das deutsche Recht einer allgemeinen Vertragsinhaltskontrolle ablehnend gegenüber (dazu eingehend Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S. 320ff.). Ausnahmen bilden die Möglichkeit zur richterlichen Herabsetzung von Vertragsstrafenversprechen nach §343 B G B und des Mäklerlohns nach §655 B G B . In extremen Fällen kommt eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht (§313 B G B ) . 9 4 Siehe bereits oben S.43 bei Fn.49 sowie unten 2. Teil, S.336ff. und 3. Teil, S. 592ff. 87 88

3. Abschnitt: Das Privatrecht im Binnenmarkt 3. Privatrechtliche

Lenkung

durch Risikoverteilung

und

51 Beweislastregelung

Privatrechtliche Regelungen können die Interessen der Vertragspartner nicht nur durch Stärkung des Vertragsmechanismus und ausnahmsweise Korrektur des Verhandlungsergebnisses schützen, sondern gleichsam vorab dadurch auf Leistungsaustausch und Produktgestaltung einwirken, daß sie dem Anbieter das R i siko für Qualitätsmängel zuweisen und ihm die Beweislast für die vertragsgemäße Leistungserbringung auferlegen. Derartige Regelungen im Gewährleistungsrecht und im vertraglichen wie deliktischen Haftungsrecht motivieren die Hersteller und Anbieter von Waren und gewerblichen Leistungen zur Verbesserung der Produktqualität. Gleichzeitig können Informations- und Haftungsregelungen öffentlich-rechtliche Produktsicherheitsvorschriften ergänzen und vielleicht sogar in gewissem U m f a n g e ersetzen. D e r Verkäufer wird gleichsam kraft gesetzlicher Regelung zum Versicherer des Käufers für das Sachmangelrisiko 9 5 . B e s o n ders deutlich wird diese „Steuerungs- oder Lenkungsfunktion" des Privatrechts am Beispiel des Produkthaftungsrechts: N a c h § 823 Abs. 1 B G B haftet der H e r steller eines fehlerhaften Produkts zwar nur dann, wenn ihn ein Verschulden trifft, doch wird bei Inverkehrbringen eines fehlerhaften Produkts ein fahrlässiger Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflichten des Herstellers vermutet 9 6 . Das auf der Produkthaftungsrichtlinie basierende Produkthaftungsgesetz verstärkt den bereits durch diese Beweislastumkehr bewirkten Lenkungseffekt, indem es eine verschuldensunabhängige Haftung für Gesundheits- und Sachschäden etabliert, die aus einem Produktfehler resultieren 9 7 . Solche Haftungsregelungen können sich im Ergebnis ähnlich wie öffentlich-rechtliche Produktvorschriften, wenn auch nur sehr mittelbar, auf die Produktgestaltung auswirken. Dies läßt Konflikte mit den Grundfreiheiten möglich erscheinen. 4.

Zwischenbilanz

Die bisher beschriebenen Regelungen dienen typisch privatrechtlichen Anliegen. Sie schützen Vertragsfreiheit oder materielle Vertragsgerechtigkeit, sorgen für eine gerechte Risikoverteilung oder sichern Äquivalenz- und Integritätsinteressen der Wirtschaftsteilnehmer. Kurzgefaßt: Sie zielen auf den Ausgleich widerstreitender privater Interessen. Derartige Regelungen sind, auch wenn sie die Privatautonomie beschränken, nicht notwendig als handelsbehindernd einzustufen, denn sie schaffen oft erst das nötige Vertrauen, ohne das die Nachfrager es nicht wagen würden, ein für sie schwer erfaßbares Produkt (namentlich eine Versicherung oder Finanzdienstleistung) grenzüberschreitend zu erwerben. Sie wirken insoweit jedenfalls auch handelsfördernd. Dieser Ambivalenz muß bei Anwendung

Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Rechts, S.440. Grundlegend BGHZ 51, 91, 102 - Hühnerpest-, s.a. Palandt-Sprau, §823 BGB Rn.184; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S. 284ff. Zur Fortgeltung dieser Judikatur neben dem ProdHaftG siehe § 15 ProdHaftG. 97 Vgl. §1 Abs. 2 ProdHaftG. 95 96

52

1. Teil: Grundfreiheiten und Privatrecht im System des Binnenmarktes

der im Dienste des Binnenmarktes stehenden Grundfreiheiten Rechnung getragen werden 9 8 . 5. Regulierung

zur Erreichung

privatrechtsfremder

Zwecke

Konflikte mit den Grundfreiheiten liegen besonders nahe, wenn ein Mitgliedstaat sich des Privatrechts bedient, um letztlich privatrechtsfremde, allgemeinpolitische Ziele zu erreichen, z . B . die Verbesserung des Umweltschutzes oder sozialpolitische Anliegen. Derartigen Regelungen geht regelmäßig jede auch nur mittelbar handelserleichternde oder -fördernde Wirkung ab. Allerdings hat der E u G H in der Vergangenheit solche Allgemeininteressen häufig als „zwingende Erfordernisse" anerkannt und ihnen Vorrang gegenüber dem Freiverkehr e i n g e r ä u m t " .

C. Privatrecht und Integration Als dritte Funktionsebene des Privatrechts neben Ermöglichung und Regulierung des privaten Wirtschaftsverkehrs tritt in einem aus mehreren nationalen Teilmärkten bestehenden Binnenmarkt die Integration. Fernab aller SchwarzWeiß-Schemata ist auch hier eine gewisse Ambivalenz festzustellen. Untersucht man das Verhältnis von nationalem Privatrecht und Grundfreiheiten und k o n z e n triert sich dabei auf mögliche Konfliktfelder, so entsteht allzu leicht der Eindruck, daß die nationalen Privatrechtsordnungen durch ihre bloße Fortexistenz integrationshemmend wirkten, während eine Integrationsförderung allein von der Grundfreiheitenrechtsprechung des E u G H und der gemeinschaftlichen Rechtsangleichung ausgehe. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn man mit Blick auf die Grundfreiheitenrechtsprechung von einer „Logik des Privatrechts" und einer „Logik der Integration" spricht und diese einander gegenüberstellt 1 0 0 . Bei aller Richtigkeit dieser Kontrastierung im Grundsatz darf nicht außer A c h t geraten, daß damit kein grundsätzlicher Konflikt zwischen Grundfreiheiten und nationalem Privatrecht, sondern nur punktuelle Reibungen im Einzelfall bezeichnet werden. Grundsätzlich trägt das nationale Privatrecht zur Integration der nationalem Märkte zu einem Europäischen Binnenmarkt bei, indem es im Zusammenspiel

98 Vgl. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 223; Heiss, ZEuP 1996, 625, 626 und 641 ff. Die Entschließung des Rates vom 9. November 1989 über die künftige Prioritäten bei der Neubelebung der Verbraucherschutzpolitik stellt ausdrücklich fest, „daß die Kommission bei ihren ... Vorschlägen im Bereich Verbraucherschutz von einem hohen Schutzniveau ausgeht, um sicherzustellen, daß die Verbraucher Vertrauen in das Funktionieren des Marktes setzen" (AB1EG Nr. C 294 vom 29.11. 1989, S.l). Die Bedeutung des Verbrauchervertrauens für den Binnenmarkt betonen auch die jeweiligen Erwägungsgründe 5 zur Richtlinie 97/9/EG (Anlegerentschädigung), zur Richtlinie 98/27/EG (Unterlassungsklagen) und zur Richtlinie 1999/44/EG (Verbrauchsgüterkauf). 99 Vgl. dazu eingehend unten 2. Teil, S.223ff. 100 Vgl. eingehend Joerges/Brüggemeier, Europäisierung des Vertragsrechts und des Haftungsrechts, S.233ff.; Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S.25ff.

3. Abschnitt: Das Privatrecht im

Binnenmarkt

53

von Sach-, Kollisions- und Prozeßrecht den rechtlichen Rahmen für private Transaktionen schafft, Transaktionskosten reduziert und Rechtsunsicherheit und Mißtrauen beseitigt. Zusätzlich verleiht es dem „Papiertiger" Gemeinschaftsrecht oft erst „Zähne", indem es durch die Anordnung von Nichtigkeitsfolgen oder Schadensersatzansprüchen dessen Durchsetzung auf nationaler Ebene sicherstellt 101 . Das Privatrecht wirkt auch insoweit als „Schmiermittel der Integration".

101

Als Anknüpfungspunkte für Sanktionen bei Verletzung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen kommen im deutschen Recht insbesondere die §§134, 138, 823 Abs.2 und 826 BGB in Betracht (dazu eingehend am Beispiel der Durchsetzung der Art. 81 und 82 EG Weyer, ZEuP 1999,424,441 ff.). Das Gemeinschaftsrecht selbst enthält nur selten Privaten gegenüber wirkende Sanktionsregelungen. Eine solche Bewehrung durch die Möglichkeit der Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern findet sich z.B. in der FKVO und in der Kartell-VO.

2. T E I L

Funktion und Reichweite der Grundfreiheiten

1. Abschnitt

Allgemeiner Teil Die Grundfreiheiten zielen in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich darauf, die Binnengrenzen zwischen den Mitgliedstaaten für Personen, Produkte und Kapital zu öffnen und eine diskriminierungsfreie grenzüberschreitende Entfaltung wirtschaftlicher Aktivitäten zu ermöglichen. Das ist im Grundsatz unstreitig. Wirft man allerdings einen genaueren Blick auf die einzelnen Grandfreiheiten und auf die Grundfreiheitenrechtsprechung des EuGH, so werden erhebliche Unsicherheiten im Detail, aber auch grundsätzlicher Art deutlich. Diese gilt es zu erhellen, bevor im 3. und 4. Teil Stellung zum Einfluß der Grundfreiheiten auf Privatrecht und Privatrechtsverkehr genommen werden kann. Aufgrund der (von Sonderbereichen wie dem Lauterkeitsrecht und dem gewerblichen Rechtsschutz abgesehen) eher spärlichen privatrechtsbezogenen Grundfreiheitenrechtsprechung, ist dabei ein Ausgreifen auf Entscheidungen unumgänglich, denen verwaltungs- oder strafrechtliche Ausgangssachverhalte zugrunde liegen. Im Zentrum der wissenschaftlichen Debatte, wie auch der nachfolgenden Erörterungen, steht die Bedeutung der grundlegenden Entscheidungen Dassonville1, Cassis de Dijon2, Oosthoek3 und Keck4 zur Warenverkehrsfreiheit und ihre Ubertragbarkeit auf die anderen Grundfreiheiten. In diesen Entscheidungen und in ihrem Verhältnis zueinander liegt der Schlüssel für die Frage nach der Reichweite der Grandfreiheiten als Beschränkungsverbote: Kann den Grundfreiheiten ein Schutz der grenzüberschreitenden Privatautonomie als solcher entnommen werden (wie Dassonville nahelegt), präferieren sie das Herkunftslandrecht (wie Cassis de Dijon andeutet), gilt dies auch für Vertriebsregelungen (wie Oosthoek nahelegt) oder ist insoweit lediglich ein Diskriminierungsmaßstab anzulegen (wie Keck indiziert)? Der Analyse der diesbezüglichen Rechtsprechung und Literatur soll die Erörterung einiger Aspekte vorangestellt werden, die allen Grundfreiheiten gemeinsam und zugleich für ihr Verhältnis zum nationalen Privatrecht von grundlegender Bedeutung sind. Dazu zählen die Grundsätze der unmittelbaren Wirkung und des Anwendungsvorrangs, das Erfordernis eines Bezugs der geschützten Transaktionen zum grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, die primäre VerEuGH, 11.7. 1974, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 - Dassonville; dazu unten S. 127ff. EuGH, 20.2. 1979, Rs.120/78, Slg. 1979,649 - Cassis de Dijon (eigentlich : Rewe); dazu unten S. 129ff. 3 EuGH, 15.12. 1982, Rs. 286/81, Slg. 1982, 4575 - Oosthoek; dazu unten S. 149ff. und 200ff. 4 EuGH, 24.11.1993, verb. Rs. C-267 und C-268/91, Slg. 1993,1-6097 - Keck und Mithouard; dazu unten S. 157ff. 1

2

1. Abschnitt: Allgemeiner Teil

57

botsadressatenstellung und umfassende Bindung mitgliedstaatlicher Stellen und schließlich das Verhältnis der Grundfreiheiten zu Rechtsangleichung, allgemeinem Diskriminierungsverbot und Gemeinschaftsgrundrechten.

§ 1 Unmittelbare Wirkung und Vorrang der Grundfreiheiten A. Unmittelbare Wirkung I. G r u n d s ä t z l i c h e A n e r k e n n u n g in b e z u g auf alle G r u n d f r e i h e i t e n Bereits in der Rechtssache Van Gend

und Loos

aus dem Jahre 1963 stellte der

E u G H zur Zollfreiheit des Art. 12 E W G V (25 E G ) in grundsätzlicher Weise fest, daß nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Bürger Rechtssubjekte der Gemeinschaftsrechtsordnung seien und daß das Gemeinschaftsrecht den Bürgern daher R e c h t e nicht nur kraft ausdrücklicher Bestimmung, sondern auch durch solche N o r m e n gewähre, die den Mitgliedstaaten oder Gemeinschaftsorganen klare und eindeutige Verpflichtungen auferlegten 5 . N a c h Ablauf der ersten U b e r gangszeit am 31. D e z e m b e r 1969 hat der Gerichtshof diese Rechtsprechung Schritt für Schritt auch auf die Grundfreiheiten übertragen 6 . Alle Grundfreiheiten tragen heute das Potential in sich, unmittelbar zu wirken und subjektive R e c h te der einzelnen Marktbürger dem Staat gegenüber zu begründen. Diese R e c h t e sind von den nationalen Gesetzgebern, Gerichten und Behörden zu respektieren und zu wahren 7 . D i e Grundfreiheiten gelten unmittelbar, ohne daß es dazu eines nationalen Transformationsaktes bedurft hätte 8 , und sie enthalten nach Auffassung des E u G H hinreichend klare und unbedingte Maßstäbe, um ihre Anwendung als Verbotsnormen im Einzelfall ohne Konkretisierung durch andere Regelungen zu erlauben. D u r c h die Ableitung subjektiver Rechte aus den Grundfreiheiten wird ihre Durchsetzung durch Einspannung Privater als „Agenten der Integrationspolitik" im Dienste des Binnenmarktes gefördert und zugleich der Schutz der indivi-

5 Vgl. EuGH, 5.2. 1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1, 25 - Van Gend und Loos (zu Art.25 EG); zu den Voraussetzungen unmittelbarer Wirkung eingehend Fabis, Die Auswirkungen der Freizügigkeit des Art. 48 EG-Vertrag auf Beschäftigungsverhältnisse im nationalen Recht, S. 101 ff. 6 St. Rspr., z.B. EuGH, 22.3. 1977, Rs. 74/76, Slg. 1977, 557 Rn. 13 - Iannelli (Art.28 EG); EuGH, 29.11. 1978, Rs. 83/78, Slg. 1978, 2347 Rn.66f. - Pigs Marketing Board (Art. 29 EG); EuGH, 4.12. 1974, Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337 Rn.4ff. - Van Duyn (Art.39 EG); EuGH, 21.6. 1974, Rs. 2/74, Slg. 1974, 631 - Reyners (Art. 43 EG); EuGH, 3.12. 1974, Rs. 33/74, Slg. 1974, 1299 - Van Binsbergen (Art. 49 EG); EuGH 14.12.1995, verb. Rs. C-163, C-165 und C-250/94, Slg. 1995,1-4821 Rn. 19 - Sanz de Lera (Art. 56 EG). 7 Vgl. EuGH, 9.3. 1978, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 Rn. 1 4 f f S i m m e n t h a i II; Steindorff, EGVertrag und Privatrecht, S.59f., 107ff.; Zuleeg, FS-Everling, S. 1717, 1719. 8 Vgl. EuGH, 9.3. 1978, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 Rn. 14/16 - Simmenthai II; Schaefer, Die unmittelbare Wirkung des Verbots der nichttarifären Handelshemmnisse, S. 6.

58

2. Teil: Funktion und Reichweite

der

Grundfreiheiten

duellen Rechte des einzelnen gegenüber dem Staat sichergestellt 9 . Einschränkungen hinsichtlich der unmittelbaren Wirkung der Grundfreiheiten bestehen heute nur noch in Ausnahmebereichen (namentlich in bezug auf Landwirtschaft und Verkehr) 1 0 , die im Rahmen dieser Studie außer Betracht bleiben können, sowie hinsichtlich des Schutzes der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit von Gesellschaften in Beziehung zu dem Staat, nach dessen Recht sie gegründet w u r den 1 1 . II. U n m i t t e l b a r e W i r k u n g der G r u n d f r e i h e i t e n u n d Rechtsangleichung 1. Kein Vorrang der

Rechtsangleichung

Die unmittelbare Wirkung der Grundfreiheiten ist selbst in Bereichen, in denen der EG-Vertrag einen Abbau von Handelsbeschränkungen durch Rechtsangleichung vorsieht, nicht zwingend von einer vorausgehenden Rechtsangleichung abhängig. Schon in der Entscheidung Reyners aus dem Jahre 1974 betonte der E u G H , daß der Rechtsangleichung nach A r t . 44 und 4 7 E G kein Vorrang v o r der A n w e n d u n g der Niederlassungsfreiheit zukomme, obwohl Art. 43 E G damals seinem Wortlaut nach noch kein unmittelbar anwendbares Verbot, sondern lediglich ein Gebot zum schrittweisen Abbau der Freizügigkeitshindernisse enthielt 12 . Daß die vertraglich vorgesehenen Rechtsangleichungsmaßnahmen noch unvollständig bzw. unvollkommen waren, stellte f ü r den E u G H ebensowenig wie der Wortlaut der N o r m einen G r u n d dar, A r t . 43 E G die unmittelbare A n w e n d b a r -

9 Vgl. Basedow, FS-Mestmäcker, S.347. In den Worten des EuGH: „Die Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten einzelnen stellt eine wirksame Kontrolle dar, welche die durch die Kommission und die Mitgliedstaaten gemäß den Artikeln 169 und 170 [226, 227 EG] ausgeübte Kontrolle ergänzt" (EuGH, 5.2. 1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1, 26 - Van Gend und Loos); s.a. oben 1. Teil, S. 8ff. 10 Zur Landwirtschaft vgl. Art. 32 Abs. 2 EG; GTE-Korte/van Rijn, Art. 38 EGV Rn. 13ff. Für den Verkehrssektor gelten nach Art. 51 Abs.l EG die Sonderbestimmungen der Art. 70 bis 80 EG. Nach Art. 71 Abs. 1 EG sollte der Rat bis zum Ende der Ubergangszeit Durchführungsvorschriften erlassen. Obgleich der Rat dieser Pflicht nicht fristgerecht nachgekommen ist, lehnt der EuGH eine unmittelbare Anwendbarkeit und Wirkung der Art. 70ff. EG ab, vgl. EuGH, 22.5.85, Rs. 13/85, Slg. 1985, 1513 Rn.63 - Parlament/Rat (Verkehrspolitik;; s.a. EuGH, 7.11.91, Rs. C17/90, Slg. 1991,1-5253 Rn. 14 - Pinaud Wieger. 11 Vgl. EuGH, 7.9. 1988, Rs. 81/87, Slg. 1988, 5483, 5511f. Rn.20ff. - Daily Ate'/(dazu noch unten S.286 sowie 3. Teil, S. 538ff.). Ob diese Entscheidung im Sinne einer Einschränkung der unmittelbaren Wirkung (so v. Wilmowsky, Europäisches Kreditsicherungsrecht, S.8f.; W.-H. Roth, RabelsZ 55 [1991], 623, 647), als allgemeiner Ausdruck judikativer Zurückhaltung (so Everling, GS-Knobbe-Keuk, S. 607,613) oder als Etablierung einer eng begrenzten Bereichsausnahme zu werten ist (so Mülbert/Schmolke, ZVglRWiss 100 [2001], 233, 253ff.), ist im Ergebnis gleichgültig. In der Entscheidung Überseering hat der EuGH klargestellt, daß sich Gesellschaften jedenfalls gegenüber der Anwendung des Bestimmungslandrechts auf Art. 43 EG berufen können (EuGH, 5.11. 2002, Rs. C-208/00, EuZW 2002, 754 Rn.52ff., insb. Rn.80; dazu unten S.290f. sowie 3. Teil, S. 541 ff.). 12 Zur diesbezüglichen Textänderung (erst) durch den Amsterdamer Vertrag siehe noch unten S. 305.

1. Abschnitt: Allgemeiner

Teil

59

keit zu versagen 13 . Noch deutlicher machte er diesen Gesichtspunkt im sog. „Essigurteil": Darin ging es um die Frage, ob die Warenverkehrsfreiheit einer italienischen Regelung entgegenstand, welche die Bezeichnung „Essig" allein dem Weinessig vorbehielt. Die italienische Regierung hatte argumentiert, eine Anwendung der Warenverkehrsfreiheit komme nicht in Betracht, weil Vorschriften zu dieser Frage Gegenstand eines noch andauernden Harmonisierungsprogramms der Gemeinschaft seien. Der E u G H wies diese Auffassung zurück: „ D e r wesentliche G r u n d s a t z der Einheit des Marktes u n d der sich daraus ergebende freie Warenverkehr k ö n n e n unter keinen U m s t ä n d e n unter den Vorbehalt einer vorherigen Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften gestellt werden, da dieser G r u n d s a t z durch die Aufstellung eines derartigen Vorbehalts seines Inhalts beraubt würde. Im übrigen verfolgen die Artikel 30 u n d 100 [28 u n d 94 E G ] unterschiedliche Ziele. W ä h r e n d die erste dieser Vorschriften darauf gerichtet ist, abgesehen von genau bestimmten A u s n a h m e n unverzüglich alle mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen u n d alle M a ß n a h m e n gleicher Wirkung zu beseitigen, liegt der zweiten die allgemeine Zielsetzung zugrunde, durch die A n gleichung der Rechts- u n d Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten die sich aus der Unterschiedlichkeit dieser Vorschriften ergebenden Hindernisse aller Art zu mildern" 1 4 .

2. Keine Entbehrlichkeit

der

Rechtsangleichung

Damit ist freilich nicht gesagt, daß die Grundfreiheiten umgekehrt geeignet wären, alle sich aus den Unterschieden der Rechtsordnungen ergebenden Probleme ohne Hilfe der Rechtsangleichung zu lösen und den Binnenmarkt allein durch „negative Harmonisierung" herzustellen. Der Schwerpunkt binnenmarktbezogener Rechtsangleichung liegt - abgesehen von Maßnahmen, die außerhalb des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten liegende Wettbewerbsverzerrungen abmildern oder einen Normenmangel beseitigen sollen 15 bzw. bestimmten politischen Zielen dienen, wie die Verbraucherschutzregelungen nach Art. 153 EG - zwar klar auf dem Abbau von Handelshindernissen, die aus durch zwingende Allgemeininteressen gerechtfertigten Regelungen resultieren (und daher einer Kassation durch die Grundfreiheiten entgehen) 16 . Insoweit liegt die Annahme nahe, daß der Bedarf nach Positivintegration durch Rechtsangleichung desto geringer wird, je weiter die Negativintegration durch unmittelbare Anwendung der Grundfreiheiten reicht. Doch kann Rechtsangleichung im Lichte der immer noch großen Unbe13 Vgl. E u G H 21.6. 1974, Rs. 2/74, Slg. 1974, 631 Rn.24ff. - Reyners; s.a. E u G H , 28.4. 1977, Rs. 71/76, Slg. 1977,765 Rn. 15/18 -Thieffry: „Die tatsächliche Ausübung der ...Niederlassungsfreiheit darf also ... einer dem Gemeinschaftsrecht unterstehenden Person nicht allein deshalb verwehrt werden, weil die in Artikel 57 des Vertrages [47 EG] vorgesehenen Richtlinien für einen bestimmten Beruf noch nicht erlassen worden sind". Dies gilt grds. auch für die Fälle des Art. 293 EG, vgl. E u G H , 5.11. 2002, Rs. C-208/00, EuZW 2002, 754 Rn.53ff. - Überseering. 14 E u G H , 9.12. 1981, Rs. 193/80, Slg. 1981, 3019 Rn.17 - Kommission/Italien (Essig); vgl. auch GA Capotori, Schlußanträge zu E u G H , 20.2.1979, Rs.120/78, Slg. 1979,649 - Cassis de Dijon, S.671. Es geht daher ebenfalls zu weit, von einem Vorrang des Art. 28 EG vor der Rechtsangleichung zu sprechen (so aber Bleckmann, G R U R Int. 1986, 172, 176). 15 Vgl. Langeheine, in: Grabitz/Hilf, Art. 100 EGV Rn.23. 16 Siehe dazu schon 1. Teil. S.27.

60

2. Teil: Funktion und Reichweite der

Grundfreibeiten

stimmtheit der Grandfreiheiten und der den Mitgliedstaaten zu Gebote stehenden Rechtfertigungsgründe selbst dann erforderlich sein, wenn ein Sachverhalt sich ex post (d.h. nach Beurteilung durch den EuGH) als von den Grundfreiheiten erfaßt und durch deren Anwendung lösbar erweist, weil ex ante kaum abzuschätzen ist, ob die Anwendung einer Norm der Grundfreiheitenkontrolle standhalten wird. Rechtsangleichung kann in einem solchen Fall die für den Binnenmarkt unverzichtbare Vorhersehbarkeit und Rechtsanwendungssicherheit herstellen. Entgegen mancher allzu euphorischen Erwartung in der Literatur 17 kann die Negativintegration die Positivintegration daher selbst dann (bzw. erst recht) nicht ersetzen, wenn man die Verbotsreichweite der Grundfreiheiten sehr weit faßt. Hinzu kommt, daß gerade dann, wenn man die Verbotsreichweite der Grundfreiheiten sehr weit faßt, ihre unmittelbare Wirkung, die ja bereits nach der grandlegenden Entscheidung Van Gend und Loos eine „klare und eindeutige Verpflichtung" voraussetzt, in Zweifel geraten kann. In einzelnen Fällen, in denen diese Eindeutigkeit in bezug auf Voraussetzungen bzw. Wirkungen der Niederlassungsfreiheit fehlte, wies der E u G H sogar eine unmittelbare Berufung auf die Grundfreiheiten unter Hinweis auf noch ausstehende Rechtsangleichungsmaßnahmen zurück 18 . Dahinter dürfte die Einsicht gestanden haben, daß die Anwendung der Grundfreiheiten nicht immer das passende Mittel zur Herstellung des Binnenmarktes ist. Diese Annahme liegt insbesondere dort nahe, wo die Anwendung der allein kassatorisch wirkenden Grandfreiheiten ungeeignet erscheint, um den Ordnungsanforderungen des Binnenmarktes gerecht zu werden 19 , weil ein bestimmtes Rechtsgebiet nicht ohne sicheren Rechtsrahmen auskommt und daher nicht allein „durch Deregulierung geregelt" werden kann 20 . 3. Zusammenwirken von Positiv- und Negativintegration Negativintegration durch Anwendung der Grandfreiheiten und Positivintegration durch sekundärrechtliche Harmonisierung sind also keine Gegensätze, sondern untrennbar miteinander verbunden und ineinander verwoben, wie nicht zuletzt auch durch die spezifisch mit einzelnen Grundfreiheiten verbundenen Rechtsangleichungsnormen der Art. 40, 44 und 47 E G und die über Art. 95 E G ebenso wie die Grundfreiheiten auf den Binnenmarkt ausgerichtete allgemeine Rechtsangleichungskompetenz deutlich machen. Auf die daraus resultierende ge17 Vgl. etwa v. Wilmowsky, EuR 1996, 362,369; Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 117. 18 Vgl. EuGH, 7.2. 1979, Rs. 136/78, Slg. 1979, 437 Rn.21 -Auer, EuGH, 4.10. 1991, Rs.C15/90, Slg. 1991,1-4655 Rn. 14f. - Middleburgh; EuGH, 27.9. 1988, Rs. 81/87, Slg. 1988, 5483 Daily Mail (dazu bereits oben S.58 in Fn. 10). 19 Vgl. W.-H. Roth, GS-Knobbe-Keuk, S.929, 934ff. 2 0 Dies wird insbesondere auch für Sicherungsrechte angenommen, vgl. Remien JJZ 1991,11, 37 sowie MUlbert, ZHR 159 (1995), 2, 11 (unter Hinweis auf schützenswerte Drittinteressen); s.a. allgemein Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.69ff., 81, 107ff.; Dänzer-Vanotti, FSEverling, S. 205, 207ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 143 f.; Taupitz, ZEuS 1998, 17, 39f.

1. Abschnitt: Allgemeiner

Teil

61

genseitige Beeinflussung von Grundfreiheiten und Sekundärrecht wird noch gesondert zurückzukommen sein21.

B. Vorrang der Grundfreiheiten I. Vorrang der Grundfreiheiten vor dem nationalem Recht Die unmittelbare Wirkung der Grundfreiheiten kann zu Zielkonflikten mit nationalen Vorschriften führen. Die Frage, welcher Regelung in einem solchen Fall der Vorrang einzuräumen ist, ist im Gemeinschaftsrecht nicht ausdrücklich geregelt. Doch lassen sich den Art. 10 und 249 Abs.2 EG Anhaltspunkte für einen grundsätzlichen Vorrang des Gemeinschaftsrechts entnehmen 22 . Der E u G H hat einen solchen Vorrang schon 1964 in der Entscheidung Costa/EN EL daraus abgeleitet, daß die Mitgliedstaaten sich auf der Grundlage der Gegenseitigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung unterworfen und diese in ihr Recht aufgenommen hätten und daß es die Verwirklichung der Ziele des Vertrages im Sinne des Art. 10 Abs. 2 EG gefährden würde, wenn es den Mitgliedstaaten erlaubt wäre, einseitig davon abzuweichen 23 . Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Recht ist heute im Grundsatz allgemein anerkannt 24 . Er gilt auch für die Grundfreiheiten, die als unmittelbar geltende Normen des Gemeinschaftsrechts von den nationalen Behörden und Gerichten nicht nur angewendet werden können, sondern angewendet werden müssen25, und zwar nicht nur gegenüber Normen, die bereits bei ihrem Inkrafttreten galten, sondern auch (und erst recht) gegenüber später erlassenen Regelungen der Mitgliedstaaten 26 . II. Lösung von Konflikten zwischen Grundfreiheiten und nationalem Recht 1.

Anwendungsvorrang

Kommt es zum Konflikt zwischen Grundfreiheiten und nationalen Regelungen, so läßt es der E u G H regelmäßig dabei bewenden, die Unanwendbarkeit der na21

Dazu noch ausführlich unten S. 89ff. Dazu eingehend Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 1 ff. 23 Vgl. E u G H , 15.6. 1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251,1269f. - Costa/ENEL. Der E u G H findet diese Auffassung auch in Art. 249 EG (189 EWGV) bestätigt, der die allgemeine, unmittelbare und verbindliche Geltung von Verordnungen in jedem Mitgliedstaat anordnet. 24 Siehe auch E u G H , 9.3. 1978, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 Rn. 14ff. - Simmenthai II; E u G H 14.12. 1991, Gutachten 1/91, Slg. 1991,1-6079 Rn. 21 - Gutachten zum EWR; BVerfGE 31,145, 174f. - Milchpulver; BVerfGE 73, 339, 375 - Solange II; BVerfGE 75, 223, 240 - Kloppenburg; Immenga, JA 1993,257,260; Everling, FS-Lukes, S. 359,369; Schockweiler, EuR 1996,123,128f.; relativierend allerdings BVerfGE 89,155,174ff., 188 - Maastricht; Zuck/Lenz, N J W 1997,1193. 25 Siehe dazu soeben S.57ff. 26 Vgl. E u G H , 15.6. 1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251, 1270 - Costa/ENEL; E u G H , 9.3. 1978, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 Rn. 14/16 - Simmenthai II. 22

62

2. Teil: Funktion und Reichweite

der

Grundfreiheiten

tionalen Regelung festzustellen 27 . Damit ist allerdings nicht ihre Unanwendbarkeit schlechthin gemeint. Es steht dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich frei, eine N o r m grundfreiheitenkonform umzugestalten oder auch vollständig aufzuheben. Doch erlegen die Grundfreiheiten den Mitgliedstaaten lediglich eine Ergebnispflicht auf. Sie beanspruchen nur einen Anwendungsvorrang 2 8 : Die mitgliedstaatliche N o r m bleibt gültig, darf aber nicht angewendet werden, soweit sie in Konflikt mit der Grundfreiheit steht 29 . Ihre Anwendung auf rein innerstaatlichen Sachverhalte und Drittlandssachverhalte, die keinen Bezug zum Gemeinschaftsrecht aufweisen, bleibt in den Grenzen des nationalen Rechts möglich 3 0 . A u s der Perspektive des nationalen Rechts muß sie mit Blick auf die Bindung der nationalen Behörden und Gerichte an Recht und Gesetz sogar angewendet w e r den, soweit sich nicht aus Diskriminierungsverboten des nationalen Bürgerlichen Rechts oder Verfassungsrechts ein anderes ergibt 3 1 . Soweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts reicht, ist dem nationalen Richter ein mächtiges und vorsichtig zu handhabendes Werkzeug in die Hand gegeben. Er kann (und muß) nationales Recht unter Hinweis auf den Verstoß gegen eine Grundfreiheit unangewendet lassen und sich insoweit von seiner Bindung an das 27 Vgl. etwa EuGH, 22.6. 1994, Rs. 9/93, Slg. 1994, 1-2789 Rn.24 - IHT; EuGH, 7.5. 1997, verb. Rs. C-321 bis C-324/94, Slg. 1997,1-2343 Rn. 54 - Pistre. 28 So die ganz h.M., vgl. etwa BVerfGE 75,223,244; BVerfGE 85,191,204; Immenga,]K 1993, 257, 260; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 2f.; GTE-Müller-Graff, Art. 30 EGV Rn. 316; zur Unterscheidung von Geltungs- und Anwendungsvorrang eingehend Ehricke, RabelsZ 59 (1995), 598, 628ff. 29 Dies gilt auch in zeitlicher Hinsicht: Der EuGH hat zur Rechtssache Stefan ausdrücklich betont, daß vor dem Betritt eines Mitgliedstaates nach dessen Recht ex tunc, absolut und unheilbar nichtige Rechtsgeschäfte auch dann unwirksam bleiben, wenn die die Nichtigkeit anordnende Norm nach dem Beitritt nicht mehr angewendet werden darf. Anderes gelte nur dann, wenn das Rechtgeschäft noch als schwebend unwirksam anzusehen sei. In diesem Fall dürfe der Richter nach dem Beitritt im Lichte der Grundfreiheiten nicht mehr die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts feststellen, sondern müsse aufgrund der unmittelbaren Wirkung und des Anwendungsvorrang der Grundfreiheiten von der Anwendung der innerstaatlichen Nichtigkeitsnorm absehen, vgl. EuGH, 11.1. 2001, Rs. C-464/98, Slg. 2001,1-173 Rn.24 - Stefan. 30 Vgl. BGH NJW 1990, 108 - Niederlassungsfreiheit für Rechtsanwälte. Gilt eine wirksame Gemeinschaftsregelung auch für rein innerstaatliche Sachverhalte, so entfällt diese Unterscheidung, vgl. etwa EuGH, 11.1.2000, Rs. C-285/98, Slg. 2000,1-69 Rn. 32 - Kreil, wo der EuGH der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG Vorrang sogar vor dem damaligen Art. 12a Abs. 4 S. 2 GG einräumte und das Verbot des Waffendienstes von Frauen für schlechthin unanwendbar erklärte. 31 Vgl. Art. 20 Abs. 3 GG (dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 199ff.). Der OstVerfGH leitet aus dem Gleichheitsgrundsatz der österreichischen Verfassung ein Verbot der Inländerbenachteiligung ab (vgl. OstVerfGH EuGRZ 1997, 362 und EuZW2001,219ff.). Ob nach deutschem Recht Gleiches gilt, ist umstritten. Für ein Verbot durch Art. 3 GG mit Unterschieden im Detail Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, S. 343ff.; Hammerl, Inländerdiskriminierung, S. 183ff; Kleier, RIW 1988,623,628ff.; Weis, NJW 1983, 2721, 2725; Wesser, Grenzen zulässiger Inländerdiskriminierung, S. 165ff.; zurückhaltend Kewenig, JZ 1990, 20, 22; dagegen Lackhoff/Raczinski, EWS 109, 116f.; Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 52 sowie aus Praxis BGH NJW 1990, 108 und BGH NJW 1990, 910 (Anwaltsrecht). Diese verfassungsrechtliche Frage kann hier nicht vertieft werden.

63

1. Abschnitt: Allgemeiner Teil

nationale Recht befreien, wenn dessen grundfreiheitenkonforme Auslegung ausscheidet. I m Gegensatz zur Uberprüfung einfachen nationalen Rechts am M a ß stab der Grundrechte des Grundgesetzes gilt das nicht nur für „vorkonstitutionelles R e c h t " , sondern für jede mitgliedstaatliche Rechtsnorm, deren A n w e n dung in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten fällt. Eine Vorlagepflicht an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 G G besteht nicht 3 2 . Ist die Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen N o r m zweifelhaft und ist diese N o r m für die Entscheidung eines Rechtsstreits erheblich, so kann bzw. muß (bei letztinstanzlichen Gerichten) diese Auslegungsfrage allerdings nach Art. 2 3 4 E G dem E u G H vorgelegt werden 3 3 .

2. Gemeinschaftskonforme

Auslegung

Die Nichtanwendung einer mitgliedstaatlichen N o r m ist nur ultima

ratio. B e v o r

das nationale Gericht eine N o r m unbeachtet läßt, m u ß es prüfen, ob eine grundfreiheitenkonforme Auslegung möglich ist. Bejahendenfalls kann und muß es (wegen seiner grundsätzliche Bindung an das nationale Gesetz) die mitgliedstaatliche N o r m in grundfreiheitenkonformer Weise anwenden. D e r E u G H hat diesen Grundsatz in der Entscheidung Murphy

unterstrichen. Danach ist es „Sache des

nationalen Gerichts, das innerstaatliche Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale R e c h t einräumt, in Ubereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden; soweit eine solche gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nicht m ö g lich ist, darf es entgegenstehende innerstaatliche Vorschriften nicht anwenden" 3 4 .

§ 2 Bezug des Sachverhalts zum Gemeinschaftsrecht A. Unanwendbarkeit auf rein innerstaatliche Sachverhalte D i e Grundfreiheiten finden nur Anwendung auf Vorgänge, die einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen oder auf andere Weise mit dem Gemeinschaftsrecht verbunden sind. Reicht ein Sachverhalt in keiner Weise (Parteien, Gegenstand oder Wirkungen) über das Territorium eines einzelnen Mitgliedstaates hinaus, handelt es sich also um einen „rein innerstaatlichen Sachverhalt", so scheidet eine Überprüfung der einschlägigen N o r m e n bzw. Entscheidungen am Maßstab der Grundfreiheiten aus 35 . Dieses Erfordernis eines grenzüberschreitenden B e 32 Vgl. Hirsch, NJW 2000, 1817, 1819; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung, des EG-Rechts, S. 101; Götz, JZ 1989,1021,1023; s.a. Seidel, Grundsätzliche Rechtsprobleme bei der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes, S.43, 52f. 33 Zu den Voraussetzungen von Vorlagepflicht und Vorlageberechtigung eingehend Dauses, FS-Everling, S. 223 ff.; B. Wägenbaur, EuZW 2000,37ff.; Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S. 23 ff.; GTE-Krück, Art. 177 EGV Rn.51ff.; Sch-wzrze-Schwarze, Art. 234 EG Rn.25ff. 34 EuGH, 4.2. 1988, Rs. 157/86, Slg. 1988, 673 Rn. 11 - Murphy (zu Art. 141 EG). 35 Z.B. zum freien Warenverkehr: EuGH,14.12.1982, verb. Rs. 314 bis 316/81 und 83/82, Slg.

64

2. Teil: Funktion und Reichweite der

Grundfreibeiten

zugs ist bereits im Wortlaut der Grundfreiheiten angelegt. Sie sprechen von der Beschränkung des Handels „zwischen den Mitgliedstaaten" (Art. 28, 29, 56 E G ) oder handeln von der Tätigkeit der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten (Art. 39, 43, 49 E G ) . D e r Schutz der Art. 28 und 2 9 E G ist grundsätzlich daran geknüpft, daß Waren eine innergemeinschaftliche G r e n z e überschreiten, überschritten haben oder überschreiten sollen 3 6 . Art. 56 E G erfaßt nur den grenzüberschreitenden Kapital- und Zahlungsverkehr 3 7 , Art. 49 E G jedenfalls auch grenzüberschreitende Korrespondenzdienstleistungen. Aus den Personenverkehrsfreiheiten können Unionsbürger typischerweise das Recht ableiten, sich zur Aufnahme selbständiger (Art. 43, 49 E G ) oder unselbständiger (Art. 39 E G ) Tätigkeiten in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und diese Tätigkeit dort ohne Benachteiligung gegenüber dessen Angehörigen auszuüben 3 8 .

B. Gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit sog. „umgekehrter Diskriminierung" Das Erfordernis eines grenzüberschreitenden Bezugs kann dazu führen, daß I n länder oder einheimische Produkte gegenüber Ausländern oder eingeführten Produkten benachteiligt werden, weil eine beschränkende Regelung wegen Verstoßes gegen eine Grundfreiheit letzteren gegenüber nicht angewendet werden darf, einheimischen Wirtschaftsteilnehmern bzw. Produkten gegenüber dagegen weiterhin angewendet werden kann oder sogar angewendet werden muß 3 9 . Ein plastisches Beispiel bietet das sog. „Bierurteil" des E u G H , in dem der E u G H die Anwendung des deutschen Reinheitsgebots auf Importbiere unter Berufung auf die Warenverkehrsfreiheit untersagte 4 0 . Während Importbier seither v o m R e i n heitsgebot freigestellt ist, gilt es für deutsches Bier fort. F ü r die K o r r e k t u r derartiger, oft als „umgekehrte Diskriminierungen" oder „Inländerdiskriminierungen" bezeichneter Wettbewerbverzerrungen bietet das Gemeinschaftsrecht keine Handhabe. E i n e sich (auch) aus dem beschränkten A n 1982,4337 Rn. 12 - Waterkeyn; EuGH, 15.12.1982, Rs. 286/81, Slg. 1982,4575 Rn. 9 - Oosthoek-, EuGH, 23.10. 1986, Rs. 355/85, Slg. 1986, 3231 Rn. 10 - Cognet; EuGH, 14.4. 1986, Rs. 98/86, Slg. 1987, 809 - Mabot; zur freien Personenverkehr: EuGH, 28.3. 1979, Rs. 175/78, Slg. 1979, 1129 Rn. 11 - Saunders; EuGH, 5.6.1997, verb. Rs. C-64 und C-65/96, Slg. 1997,1-3171 Rn. 16 Uecker und Jacquef, EuGH, 2.7. 1998, verb. Rs. C-225 bis C-227/95, Slg. 1998,1-4239 Rn. 22 Kapasakalis; zur Fortgeltung dieses Erfordernisses im Binnenmarkt bereits oben 1. Teil, S. 24. 36 So die ganz h.M., vgl. nur Jarass, FS-Everling, S. 593, 596; zu einer Erweiterung vgl. Art. 23 Abs. 2, 1. Alt. EG; abweichend Weyer, Freier Warenverkehr und nationale Regelungsgewalt in der Europäischen Union, S. 59ff. 37 Art. 56 EG geht insoweit über die anderen Grundfreiheiten hinaus, als er auch den Verkehr mit Drittstaaten erfaßt, freilich nur mit erheblichen Einschränkungen nach Maßgabe der Art.57ff. EG (dazu noch unten S.373f.). 38 Vgl. etwa GTE-Wölker, Art.48 EGV Rn.5ff. 39 Zum Anwendungsvorrang der Grundfreiheiten siehe bereits soeben S. 61. 40 Vgl. EuGH, 12.3. 1987, Rs. 178/84, Slg. 1987, 1227 - Kommission/Deutschland (Bier).

1. Abschnitt: Allgemeiner

Teil

65

wendungsbereich des Gemeinschaftsrechts ergebende Schlechterstellung von Inländern oder einheimischen Produkten ist aus der Warte des primären Gemeinschaftsrechts grundsätzlich ebenso unbedenklich 4 1 wie die Ungleichbehandlung von Inländern untereinander 42 . Auch das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 E G beansprucht, obgleich es seinem Wortlaut nach „jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit" erfaßt, ausdrücklich nur im Anwendungsbereich des EG-Vertrages Geltung, und dieser Anwendungsbereich ist bei Vorliegen eines rein innerstaatlichen Sachverhalts nicht eröffnet 4 3 . Der Abbau solcher Verzerrungen bleibt daher in erster Linie Aufgabe der nationalen Gesetzgeber bzw. Gerichte. J e nach Ausgestaltung der nationalen Rechtsordnung kann eine bloße Möglichkeit, aber auch eine Pflicht zum Tätigwerden bestehen. Ein Verbot „umgekehrter Diskriminierungen" wird beispielsweise in Osterreich aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot 4 4 und in Italien aus Art. 1418,1421 Codice Civile ( C C ) abgeleitet 45 . Es hat zur Folge, daß den Grundfreiheiten widersprechende Regelungen auch im rein innerstaatlichen Rechtsverkehr unangewendet bleiben müssen. Für Deutschland wird die Frage eines Verbots umgekehrter Diskriminierungen durch Art. 3 Abs. 1, 2 Abs. 1 oder 12 G G kontrovers diskutiert 46 .

C. Normativer Maßstab O b ein „rein innerstaatlicher Sachverhalt" vorliegt, ist nicht allein Tatsachenfrage, sondern wertend zu ermitteln. Dabei kann sich ergeben, daß ein Vorgang, der sich faktisch nur innerhalb der Grenzen eines Mitgliedstaates abspielt, gleichwohl einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist, weil er geeignet ist, den grenzüberschreitenden Freiverkehr mittelbar zu beeinflussen 47 . Der E u G H hat diesen G e 41 Eine Andeutung dieses Gedankens im Vertragstext enthält Art. 97 Abs. 2 S. 2 E G : Nach Art. 96, 97 E G finden grundsätzlich Konsultationen mit der Kommission statt, die zu einer Rechtsangleichungsmaßnahme führen können, wenn ein Mitgliedstaat wettbewerbsverzerrende Vorschriften erläßt. Dies gilt nach Art. 97 Abs. 2 S.2 E G aber nicht, wenn ein Mitgliedstaat eine solche Verzerrung lediglich zu seinem eigenen Nachteil verursacht. 4 2 Vgl. E u G H , 13.11. 1990, Rs. 370/88, Slg. 1990,1-4071 Rn.21 - Marshall II. 4 3 Vgl. E u G H , 13.2. 1969, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 Rn. 13 - Walt Wilhelm sowie Nachweise in Fn. 35; Hammerl, Inländerdiskriminierung, S. 150f.; Wesser, Grenzen zulässiger Inländerdiskriminierung, S. 111; Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, S. 124 f.; abweichend Fezer, J Z 1994, 317, 325f.; Heydt, EuZW 1993, 105; Reitmaier, Inländerdiskriminierung nach dem EWG-Vertrag, S. 76; Nachhaur, Niederlassungsfreiheit, S. 18ff., insb. S. 120ff. Fällt ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich des EG-Vertrages, so schützen Art. 12 E G und die Grundfreiheiten auch Inländer (dazu sogleich S. 66f.; sehr deutlich Schwarze-Holoubek, Art. 12 E G Rn.33f.). 4 4 Vgl. ÖstVerfGH E u G R Z 1997, 362 und EuZW 2001, 219ff.; Engel, in: Schulze/Engel/ Jones, Casebook Europäisches Privatrecht, 2000, S. 195f.; Gundel, EuZW 2000, 311. 4 5 Vgl. E u G H , 6.6. 2000, Rs. C-281/98, Slg. 2000,1-4139 - Kngonese; dazu noch eingehend unten S. 72f. 4 6 Siehe dazu bereits oben S.62 Fn.31. 4 7 Grundlegend E u G H , 11.7. 1974, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 Rn.5 - Dassonville. Manchmal

66

2. Teil: Funktion und Reichweite

der

Grundfreiheiten

danken insbesondere in bezug auf den Qualifikationserwerb im Ausland, Reimporte und regionale Privilegien fruchtbar gemacht. Umgekehrt kann und muß in bestimmten Fällen tatsächlich durchaus grenzüberschreitenden Transaktionen der Schutz der Grundfreiheiten verwehrt werden. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Auslandsbezug künstlich herbeigeführt wurde, um sich mit Hilfe der Grundfreiheiten der Anwendung des eigenen Rechts zu entziehen48. I. Tätigkeit oder Qualifikationserwerb im Ausland Nach ständiger Rechtsprechung kann es gegen die Personenverkehrsfreiheiten verstoßen, wenn ein Mitgliedstaat bei der Aufstellung von Berufszulassungsoder -ausübungsvoraussetzungen die Berücksichtigung von im Ausland erworbenen Qualifikationen und Diplomen verweigert49. Auch Inländer, die im EGAusland Qualifikationen oder Diplome erworben haben, können sich unter bestimmten Voraussetzungen auf den Schutz der Grundfreiheiten berufen50. Die Feststellung, daß ein Mitgliedstaat eine inländische Norm im konkreten Fall nur gegenüber eigenen Staatsangehörigen anwendet, reicht also nicht unbedingt aus, um ihre Kontrolle am Maßstab einer Grundfreiheit auszuschließen. Angehörige eines Mitgliedstaates, die von den Personenverkehrsfreiheiten Gebrauch gemacht haben, um in einem anderen Mitgliedstaat tätig zu sein oder dort eine Qualifikation zu erwerben, befinden sich bei Rückkehr in ihr Heimatland in einer vergleichbaren Lage wie Ausländer, die von ihren Personenverkehrsfreiheiten Gebrauch machen, um in einem anderen Mitgliedstaat tätig zu werden. Sie können sich daher auch grundsätzlich wie diese auf den Schutz der Grundfreiheiten berufen51. Notwendig ist allerdings ein sachlicher Zusammenhang der Auslandstätigkeit bzw. der Inhalte des Qualifikationserwerbs im Ausland mit der angestrebten Berufstätigkeit oder mit dem Gegenstand der angegriffenen nationalen Regelung (beispielsweise eine auf den angestrebten Beruf bezogene Ausbildung im Ausland)52. Der Auslandsaufenthalt als solcher oder ein rein privater Wohnsitz im schießt der EuGH insoweit über das Ziel hinaus. Vgl. etwa EuGH, 1.2. 2001, Rs. C-108/96, Slg. 2001,1-837 Rn. 16 - Mac Quen, wo der EuGH die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit auf einen rein innerstaatlichen Sachverhalt allein daraus ableitete, daß die von der Anwendung einer inländischen Norm betroffene inländische Gesellschaft Tochter einer in einem anderen EG-Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft war (vgl. dazu noch unten S. 296 bei Fn. 73). 48 Dazu bereits eingehend Körber, EuR 2000, 932, 934ff. 49 Siehe etwa EuGH, 28.4.1977, Rs. 71/76, Slg. 1977, 765 -Thieffry; EuGH, 7.5.1991, Rs. C340/89, Slg. 1991, 1-2357 - Vlassopoulou; EuGH, 30.11. 1995, Rs. C-55/94, Slg. 1995, 1-4165 Gebhard. 50 Vgl. EuGH, 7.2. 1979, Rs. 115/78, Slg. 1979, 399 Rn. 24 - Knoors\ EuGH, 6.10. 1981, Rs. 246/80, Slg. 1981, 2311 Rn.20 - Broekmeulen; EuGH, 21.12. 1987, Rs. 379/87, Slg. 1989, 3967 Rn.23 - Groener; EuGH, 31.3. 1993, Rs. C-19/92, Slg. 1993,1-1663 Rn. 32 - Kraus. 51 Vgl. Nachweise in Fn. 50; zu Ausnahmen bei Mißbrauch einer Grundfreiheit siehe sogleich unten S. 69ff. 52 Vgl. EuGH, 6.6.2000, Rs. C-281/98, Slg. 2000,1-4139-Angonese mit Besprechungsaufsatz Körber, EuR 2000,932ff. In diesem Fall strebte der Kläger des Ausgangsverfahrens (ein Italiener)

1. Abschnitt: Allgemeiner Teil

67

Ausland stellen bei Fehlen eines beruflichen Bezuges n o c h nicht einmal dann einen hinreichenden Bezug zum Gemeinschaftsrecht her, wenn sie im Zeitpunkt der möglichen Diskriminierung oder Freizügigkeitsbeschränkung noch andauern 5 3 . D a Regelungen der Berufszulassung bzw. -ausübung regelmäßig dem öffentlichen R e c h t angehören, kann diese Fallgruppe für das Verhältnis von Grundfreiheiten und staatlichem Privatrecht allenfalls mittelbare Bedeutung erlangen, etwa dann, wenn die Verletzung einer Berufszulassungsregelung im R a h m e n einer Klage aus W e r k - oder Dienstvertrag (Unwirksamkeit nach § 1 3 4 B G B , möglicher Einfluß auf Haftungsregelungen) oder einer Unterlassungsklage nach § 1 U W G (Begründung eines Vorsprungs durch Rechtsbruch) geltend gemacht wird. U n gleich größere Bedeutung käme der Rechtsprechung zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen zu, wenn sie auch private Arbeitgeber oder Auftraggeber im R a h m e n einer privaten Ausschreibung binden würde. D e r E u G H hat eine solche Bindung in seiner (freilich überaus zweifelhaften) Entscheidung Angonese

be-

jaht 5 4 . II. Reimporte N a c h ständiger Rechtsprechung des E u G H schützt die Warenverkehrsfreiheit nicht nur die freie Einfuhr ausländischer Produkte, sondern grundsätzlich auch die freie Wiedereinfuhr von Waren, die im Bestimmungsland hergestellt und zunächst exportiert wurden 5 5 . D e r grenzüberschreitende Bezug ist in diesem Falle tatsächlich wie normativ gegeben. Privatrechtlich kann diese Fallgruppe insbesondere dann relevant werden, wenn sich der Inhaber eines gewerblichen Schutzrechts gegen den R e i m p o r t von Waren wehrt und die Anwendbarkeit der (in einem solchen Fall gezielt zur Einfuhrbehinderung genutzten) nationalen Schutzrechtsregelungen im Lichte der Warenverkehrsfreiheit in Zweifel steht.

eine Banktätigkeit in Italien an und sah sich daran durch das Erfordernis der Vorlage eines bestimmten italienischen Diploms zum Nachweis der deutsch-italienischen Zweisprachigkeit (sog. „patentino") gehindert. Die Kommission sah eine hinreichende Verbindung zum Gemeinschaftsrecht bereits darin, daß der Kläger sein Recht auf Freizügigkeit durch ein Auslandsstudium wahrgenommen habe und daß er in unmittelbarem Anschluß an dieses Studium wieder in Italien tätig werden wollte. Generalanwalt Fennelly (Tz. 28ff.) wies diese Auffassung in seinen Schlußanträgen zu Recht zurück, weil das Auslandsstudium (Vermessungstechnik, Englisch, Slowenisch und Polnisch) keinen sachlichen Bezug zu der angestrebten Banktätigkeit aufwies und weil der Kläger auch kein dem „patentino" vergleichbares ausländisches Sprachdiplom erworben oder auch nur Deutsch und Italienisch im Ausland studiert hatte. Vgl. EuGH, 25.1. 1993, Rs. C-112/91, Slg. 1993,1-429 Rn. 13ff. - Werner. Vgl. EuGH, 6.6.2000, Rs. C-281/98, Slg. 2000,1-4139 -Angonese (siehe soeben Fn. 52; dazu kritisch Körber, EuR 2000, 932ff. sowie unten 4. Teil, S. 677ff. und S. 809ff.). 55 Vgl. EuGH, 10.1.1985, Rs. 229/83, Slg. 1985, 1 Rn.26 - Leclerc; EuGH, 27.6. 1996, Rs. C 240/95, Slg. 1996,1-3179 Rn. 10 - Sehmit. 53 54

68

2. Teil: Funktion

und Reichweite

der

Grundfreiheiten

III. Regionale Privilegien Die Annahme, daß eine Regelung den Wirtschaftsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten betrifft, wird nicht notwendig dadurch ausgeschlossen, daß sie ihre Rechtsfolgen nur an die Überschreitung einer Binnengrenze innerhalb eines Mitgliedstaates (und nicht zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten) knüpft 56 . Dies hat der E u G H für regionale Einfuhrkontrollen, -abgaben oder -verböte 5 7 sowie für regionale Privilegien hinsichtlich der Bezeichnung von Waren 58 und der Zulassung zum fliegenden Vertrieb von Waren betont 5 9 . Zu Recht, denn die Schaffung regionaler „Inseln" steht dem Binnenmarktziel ebenso entgegen wie die Abschottung nationaler Märkte. Sitzen Ausländer und regionsfremde Inländer in bezug auf eine diskriminierende Regelung „in einem B o o t " , so geht von deren Anwendung auf regionsfremde Inländer oder Produkte eine einfuhrabschreckende Wirkung aus, denn Ausländer bzw. Importeure ausländischer Produkte müssen damit rechnen, bei einem Verstoß gegen das Regionalprivileg ebenfalls belangt zu werden 60 . Anders liegt der Fall nur dann, wenn Ausländer bzw. ausländische Produkte von der Anwendung einer solchen Regelung ausdrücklich ausgenommen sind 61 . Ist dies nicht der Fall, so bezieht der E u G H zu Recht auch regionsfremde Inländer und Produkte in den Schutz der Grundfreiheiten ein. Ein solches Regionalprivileg ist daher abweichend vom Grundsatz des bloßen Anwendungsvorrangs schlechthin unanwendbar 62 . In bezug auf das Privatrecht kann diese Fallgruppe (abgesehen vom eher unwahrscheinlichen Fall der Diskriminierung durch lokale Sonderprivatrechte 63 ) Bedeutung für Wettbewerbs- oder Schutzrechtsklagen erlangen, die auf einem Regionalprivileg (z.B. zum Schutz von Herkunftsangaben) basieren. Ungleich bedeutsamer würde auch diese Fallgruppe, wenn man den Grundfreiheiten eine unmittelbare Drittwirkung zwischen Privaten beimessen könnte. Die GrundfreiVgl. E u G H , 25.7. 1991, verb. Rs. C - l und C-176/90, Slg. 1991,1-4151 Rn. 24 - Aragonesa. Vgl. E u G H , 15.12.1993, verb. Rs. C-277, C-318 und C-319/91, Slg. 1993,1-6621 R n . 3 6 f f . Ligur Carni (EinfuhrkontrolleJ; E u G H , 9.8.1994, verb. Rs. C-363 und C-407 bis C-411/93, Slg. 1994, 1-3957 - Lancry (Einfuhrabgabe); E u G H , 3.12. 1998, Rs. C-67/97, Slg. 1998, 1-8033 Bluhme (Einfuhrverbot). 5 8 Vgl. E u G H , 7.5. 1997, verb. Rs. C-321 bis C-324/94, Slg. 1997,1-2343 Pistre. 5 9 Vgl. E u G H , 13.1. 2000, Rs. C-254/98, Slg. 2000,1-151 - TK-Heimdienst Sass. 6 0 Normativ betrachtet liegt daher kein „rein innerstaatlicher Sachverhalt" vor, so daß in diesen Entscheidungen kein Indiz für eine Aufgabe des Erfordernisses des grenzüberschreiten Bezugs gesehen werden kann, dazu eingehend Körber, EuR 2000, 932, 935ff.; a.A. Weyer, EuR 1998, 435, 444ff. 61 Erfaßt die Regelung ausländische Erzeugnisse ausdrücklich nicht, so liegt ein „rein innerstaatlicher Sachverhalt" vor, und Art. 28 E G findet keine Anwendung. Insoweit offenlassend E u G H , 7.5. 1997, verb. Rs. C-321 bis C-324/94, Slg. 1997,1-2343 Rn. 55 - Pistre. 6 2 Vgl. Nachweise in Fn. 58f. Da diese Fallgruppe auf dem Vorliegen einer regionalen Privilegierung (oder anders gewendet: einer Diskriminierung Regionsfremder) aufbaut, ist sie auf unterschiedslos anwendbare, schlicht handelsbeschränkende regionale Regelungen nicht übertragbar (insoweit wie hier Weyer, EuR 1998, 435, 460). 6 3 Zu solchen Sonderprivatrechten vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 105 (Spanien) und S. 198 f. (Vereinigtes Königreich). 56 57

1. Abschnitt: Allgemeiner Teil

69

heiten könnten in einem solchen Fall der Bevorzugung regionsansässiger A n b i e ter oder B e w e r b e r bei einer Auftrags- oder Stellenausschreibung entgegenstehen. D e r E u G H hat dies in der Rechtssache Angonese in bezug auf eine faktisch regionsansässige B e w e r b e r begünstigende Ausschreibungsbedingung angenommen und einem privaten Arbeitgeber deren Anwendung verboten 6 4 . IV. M i ß b r a u c h z u r U m g e h u n g nationalen R e c h t s Die Anwendung der Grundfreiheiten findet eine G r e n z e im Verbot des Rechtsmißbrauchs. Ein zur Umgehung nationalen Rechts künstlich hergestellter grenzüberschreitender Bezug bringt einen Sachverhalt nicht in ihren Anwendungsbereich 6 5 . Schon in der Rechtssache Van Binsbergen

betonte der E u G H dazu, daß

einem Mitgliedstaat nicht das Recht abgesprochen werden könne, Vorschriften zu erlassen „die verhindern sollen, daß der Erbringer einer Leistung, dessen T ä tigkeit ganz oder vorwiegend auf das Gebiet dieses Staates ausgerichtet ist, sich die durch Artikel 59 [ 4 9 E G ] garantierte Freiheit zunutze macht, um sich den B e rufsregelungen zu entziehen, die auf ihn Anwendung fänden, wenn er im Gebiet dieses Staates ansässig w ä r e " 6 6 . Ein solcher Fall ist auch anzunehmen, wenn sich aus objektiven Umständen ergibt, daß Waren allein deshalb ausgeführt worden sind, um sie unter Ausschaltung der Anforderungen des Bestimmungslandrechts wieder einzuführen 6 7 . D i e B e t o n u n g liegt dabei allerdings auf dem W o r t „allein". N i m m t ein Unternehmen den ihm von den Grundfreiheiten eröffneten Freiraum in Anspruch, um sich durch Verlagerung seiner wirtschaftlichen Aktivitäten ins Ausland ungünstiger Standortfaktoren einschließlich der Anwendung strengeren nationalen Rechts zu entziehen, so ist dies als legitimer Ausdruck der durch die Grundfreiheiten ermöglichten Mobilität im Binnenmarkt grundsätzlich nicht zu beanstanden 6 8 . D i e G r e n z e n zwischen Gebrauch und Mißbrauch der Grundfreiheiten sind dabei überaus fließend. Dies macht die Cerafros-Entscheidung im Schnittfeld von Grundfreiheiten, Gesellschaftsrecht und I P R deutlich: Ein dänisches Ehepaar hatte eine reine „Briefkastenfirma" im Vereinigten Königreich gegründet, ohne dort irgendeine tatsächliche Geschäftstätigkeit zu entfalten oder Sie soeben S. 67 Fn. 54. Vgl. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.62. 66 Ständige Rspr. seit EuGH, 3.12. 1974, Rs. 33/74, Slg. 1974, 1299 Rn. 13 - Van Binsbergen (zu 49 EG); s.a. EuGH, 3.2.1993, Rs. C-148/91, Slg. 1993,1-487 Rn. 12 - Veronica; EuGH. 5.10. 1994, Rs. C-23/93, Slg. 1994, 1-4795 Rn.21 - TV10 (zur Dienstleistungsfreiheit) sowie schon EuGH 7.2.1979, Rs. 115/78, Slg. 1979,399 Rn.25 -Knoors und EuGH, 3.10.1990, Rs. C-61/89, Slg. 1990,1 3551 Rn. 14 - Bouckoucha (beide zur Niederlassungsfreiheit); weitere Nachweise in EuGH, 9.3.1999, Rs. C-212/97, Slg. 1999,1-1459 Rn.24 - Centros; monographisch Ottersbach, Rechtsmißbrauch bei den Grundfreiheiten des Europäischen Binnenmarktes (2001). 67 Vgl. EuGH, 10.1. 1985, Rs. 229/83, Slg. 1985, 1 Rn.27 - Leclerc. Normativ betrachet liegt bei einem solchen Hin- und Hersenden kein grenzüberschreitender Vorgang vor. 68 Siehe dazu bereits oben 1. Teil, S.29ff.; vgl. EuGH, 10.1. 1985, Rs. 229/83, Slg. 1985, 1 Rn.26 - Leclerc; besonders deutlich EuGH, 9.3. 1999, Rs. C-212/97, Slg. 1999,1-1459 Rn.27 Centros. 64

65

70

2. Teil: Funktion

und Reichweite

der

Grundfreiheiten

dies auch nur zu beabsichtigen. Dieses Vorgehen diente allein dem Ziel, unter Inanspruchnahme der sekundären Niederlassungsfreiheit eine „Zweigniederlassung" in Dänemark zu gründen und dort geschäftlich tätig zu werden, ohne die im Vergleich zum englischen Recht strengeren Regelungen des dänischen Gesellschaftsrechts (konkret: die Pflicht zur Einzahlung einer Mindestkapitaleinlage) einhalten zu müssen. Der E u G H hielt formell an seiner Mißbrauchsrechtsprechung fest, lehnte es aber gleichwohl ab, die gezielte Umgehung des dänischen Rechts mit Hilfe der sekundären Niederlassungsfreiheit als einen solchen anzusehen 6 9 .

D . Bezugnahme oder Nachbildung durch nationale Regelungen Wenn ein Sachverhalt aufgrund seiner rein innerstaatlichen Natur an sich nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, kann er gleichwohl freiwillig durch eine nationale Regelung damit verbunden und dadurch den Grundfreiheiten Bedeutung für die Entscheidung rein innerstaatlicher Streitigkeiten verschafft werden 7 0 . Der E u G H sieht sich in einem solchen Fall zur Beantwortung von Vorlagefragen nationaler Gerichte befugt. E r begründet dies damit, daß es im Rahmen des Vorlageverfahrens nach Art. 234 E G allein Sache des vorlegenden Gerichtes sei, im Hinblick auf die Besonderheiten des konkreten Rechtsstreits sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen 7 1 . Darüber hinaus betont er das Gemeinschaftsinteresse an der einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts, dem auch das Vorlageverfahren nach Art. 234 E G diene 72 . 6 9 Vgl. E u G H , 9.3. 1999, Rs. C-212/97, Slg. 1999, 1-1459 Rn.24ff. - Centros. Dabei mag es noch eine Rolle gespielt haben, daß weder Mitgliedstaaten noch Gemeinschaft den zehn Jahre zuvor in der Daily Mail-Entscheidung erteilten Auftrag ausgeführt hatten, eine identitätswahrende grenzüberschreitende Sitzverlegung zu ermöglichen. Doch hat der E u G H diese Rechtsprechung später verselbständigt und z.B. in der Entscheidung E u G H , 30.9.2003, Rs. C - l 6 7 / 0 1 , EuZW 2003, 687 Rn. 95ff. - Inspire Art abermals bekräftigt, daß eine Gründung allein zum Zwecke der Niederlassung in einem anderen Staat und zur Umgehung der Vorschriften des eigenen Rechts keinen Mißbrauch, sondern einen legitimen Gebrauch der Niederlassungsfreiheit darstelle. 7 0 „Freiwillig" deshalb, weil keine gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur Nachbildung einer Norm des Gemeinschaftsrechts bzw. zur Erstreckung ihrer Anwendung auf rein innerstaatliche Sachverhalte besteht. Für die Auslegung von Normen, die „unfreiwillig" aufgrund einer gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung - etwa in Umsetzung einer Richtlinienvorgabe - dem Gemeinschaftsrecht angepaßt wurden, ist der E u G H ohnehin zuständig. 71 Vgl. E u G H , 18.10.1990, Rs. 297/88, Slg. 1990,1-3763 Rn. 3 3 f . - D z o i f e i ; E u G H , 17.7.1997, Rs. C-28/95, Slg. 1997,1-4161 Rn.25 Leur-Bloem-, ebenso E u G H , 30.4. 1998, Rs. C-230/96, Slg. 1998,1-2055 Rn.21 - Carbour; anders nur im Falle des Mißbrauchs des Vorlageverfahrens: siehe E u G H Dzodzi, a.a.O. Rn. 40, E u G H Leur-Bloem, a.a.O. Rn. 26 sowie eingehend B. Wägenbaur, EuZW 2000, 37, 39f. 72 Vgl. E u G H , 18.10.1990, Rs. 297/88, Slg. 1990,1-3 763 Rn. 3 7 - Dzodzi. Dieses Interesse entfällt, wenn die nationale Regelung es dem vorlegenden Gericht überläßt, ob es der Auslegung durch den E u G H folgt oder nicht (zu einem solchen Fall E u G H , 28.3. 1995, Rs. C-346/93, Slg.

1. Abschnitt: Allgemeiner

Teil

71

Möglichen Bedenken im Hinblick auf einen Eingriff in nationale Regelungskompetenzen begegnet der EuGH mit dem Hinweis, daß Sache des EuGH lediglich die Auslegung des Gemeinschaftsrechts sei, während die Anwendung der innerstaatlichen Normen auf den konkreten Fall dem vorlegenden Gericht vorbehalten bleibe73. Eine Verbindung rein innerstaatlicher Sachverhalte mit dem Gemeinschaftsrecht kann durch freiwillige Nachbildung oder durch freiwillige Bezugnahme erfolgen. I. Freiwillige Nachbildung von Gemeinschaftsrecht Eine freiwillige Nachbildung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen kommt in Betracht, wenn ein nationaler Gesetzgeber die Vorgaben einer Rechtsangleichungsrichtlinie zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen (bzw. sog. „umgekehrten Diskriminierungen")74 freiwillig auch für rein innerstaatliche Sachverhalte verbindlich macht. Ein solcher Sachverhalt lag der Rechtssache Leur-Bloem zugrunde. Der EuGH hielt sich darin für befugt, dem Vorlagegericht Auskunft über die Auslegung einer Richtlinie zu geben, obwohl der Ausgangssachverhalt rein innerstaatlicher Natur war und formell betrachtet gar nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fiel75. Da diese Fallgruppe allein die Positivintegration betrifft, kann sie im folgenden außer Betracht bleiben. II. Freiwillige Bezugnahme auf Gemeinschaftsrecht Wichtiger sind die Fälle freiwilliger Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht. Davon handelt die Dzodzz-Rechtsprechung des EuGH. Der Entscheidung Dzodzi lag eine belgische Regelung zugrunde, welche Ehegatten belgischer Staatsangehöriger, die aus einem Drittstaat stammten, solchen Ehegatten gleichstellte, die aus EG-Mitgliedstaaten stammten. Der EuGH sah darin eine Verweisung des belgischen Rechts auf eine EG-Gleichstellungsrichtlinie76. Eine solche Bezugnahme auf die Grundfreiheiten dürfte man in den nationalen Privatrechtsordnungen zwar vergeblich suchen, doch kann eine „autonom nationale" Gel1995,1-615 Rn. 16f. - Kleinwort Benson\ instruktiv auch EuGH, 17.7. 1997, Rs. C-130/95, Slg. 1997,1-4291 Rn. 25 - Gilo). Zu eng GA Jacobs, Schlußanträge zu EuGH, 7.1.2003, Rs. C-306/99, Slg. 2003,1-1 - BIAO, Tz. 61 ff., der bereits aus der fehlenden gemeinschaftsrechtlichen Bindung des nationalen Gerichts eine Unzuständigkeit des EuGH abgeleitet und den EuGH (ohne Erfolg) angehalten hat, seine Dzodzi-/Leur-Bloem-Rechtsprechung zu überdenken. 73 Vgl. EuGH, 18.10.1990, Rs. 297/88, Slg. 1990,1-3763 R n . 3 8 - D z o d z i . Freilich hält sich der EuGH nicht immer an die eigene Maxime; insbesondere hält er sich für befugt, die Verhältnismäßigkeit der Anwendung einer Norm selbst zu prüfen, wenn die ihm vorgelegten Fakten für eine abschließende Beurteilung ausreichen, vgl. EuGH, 16.12. 1992, Rs. C-169/91, Slg. 1992,1-6635 Rn. 12ff. - B&Q. 74 Dazu soeben S.64f. 75 Vgl. EuGH, 17.7. 1997, Rs. C-28/95, Slg. 1997,1-4161 Leur-Bloem. 76 Vgl. EuGH, 18.10. 1990, Rs. 297/88, Slg. 1990,1-3763 Rn. 13f. -Dzodzi-, s.a. EuGH, 17.7. 1997, Rs. C-130/95, Slg. 1997,1-4291 Rn.23 - Giloy; EuGH, 3.12. 1998, Rs. C-247/97, Slg. 1998, 1-8095 Rn. 14 Schoonbroodt.

72

2. Teil: Funktion

und Reichweite

der

Grundfreiheiten

tungserweiterung auch durch ein verfassungsrechtliches Gleichheitsgebot oder eine privatrechtliche Generalklausel 77 bewirkt oder den Grundfreiheiten (in sogleich zu erörternden Grenzen) durch einen privaten Vertrag Bedeutung verschafft werden.

1. Freiwillige Inbezugnahme

durch private Verträge

In der Rechtssache Federconsorzi übertrug der E u G H die Dzodzi-Rechtsprechung im Grundsatz auf einen Sachverhalt, in dem die Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht nicht durch eine staatliche Norm, sondern durch einen privaten Vertrag erfolgt war. Das vorlegende Gericht hatte über die Wirksamkeit einer Vertragsklausel zu entscheiden, nach der der Auftragnehmer für Verluste haften mußte, „die aufgrund von Tatsachen eintreten, die er zu vertreten hat, in Höhe des Wertes, der in den zu diesem Zeitpunkt geltenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften festgelegt ist" 78 . Uber den Inhalt dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften herrschte Streit. Der E u G H hielt die Vorlage für zulässig, stellte allerdings ausdrücklich klar, daß sich seine Zuständigkeit auf die Auslegung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts beschränke. In welchen Grenzen eine solche private Vereinbarung überhaupt möglich und zulässig sei, beurteile sich allein nach dem nationalem Recht 7 9 . Der E u G H macht dadurch zugleich deutlich, daß private Parteien nicht Regelungen des nationalen Privatrechts durch Bezugnahme auf abweichende gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen aushebeln können, wenn diese gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen aus sich heraus keine unmittelbare Geltung auf nationaler Ebene beanspruchen.

2. Inbezugnahme

durch eine zivilrechtliche

Generalklausel

Eine Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht muß nicht ausdrücklich erfolgen. In der Rechtssache Angonese ging es um die Frage, ob die Arbeitnehmerfreizügigkeit der Anwendung einer mutmaßlich Ausländer diskriminierenden Stellenausschreibung einer privaten Bankgesellschaft auf einen Inländer entgegenstand 80 . Anders als in der Rechtssache Dzodzi verwies die streitentscheidende italienische Norm nicht ausdrücklich auf das Gemeinschaftsrecht. Vielmehr handelte es sich dabei um die Generalklausel des Art. 1418 Codice Civile (CC), nach der ein Vertrag nichtig ist, wenn er „zwingenden Vorschriften" widerspricht. Gemäß Art. 1421 C C kann die Nichtigkeit von jedem, der ein berechtigtes Interesse daran hat, geltend gemacht und muß vom Gericht von Amts wegen beachtet werden 81 . Zu den „zwingenden Vorschriften" im Sinne des Art. 1418 C C zählte das Siehe oben S. 65 bei Fn.44f. sowie sogleich S. 72ff. E u G H , 25.6. 1992, Rs. C-88/91, Slg. 1992,1-4035 R n . 3 - F e d e r c o n s o r z i . 79 Vgl. E u G H , a.a.O. Rn.6ff. 80 Vgl. E u G H , 6.6. 2000, Rs. C-281/98, Slg. 2000,1-4139 - Angonese; zum Sachverhalt siehe oben S. 66 in Fn. 52 81 Vgl. Bauer, Italienisches Zivilgesetzbuch/Codice Civile, Zweisprachige Ausgabe, 3. Aufl. Bozen 2001. 77 78

1. Abschnitt: Allgemeiner

Teil

73

italienische Gericht auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 E G ) und wies darauf hin, daß nach Art. 1418,1421 C C eine private Ausschreibungsregelung ergo, omnes (also auch Inländern gegenüber) nichtig sei, wenn sie die Rechte von Ausländern aus Art. 39 E G verletze und daher diesen gegenüber nicht angewendet werden dürfe 82 . Dem E u G H reichte das (im Gegensatz zum Generalanwalt) aus, um sich für zuständig zu erklären und die Vorlagefrage zu beantworten 83 . Im Ergebnis dürfte der Entscheidung Angonese jedenfalls insoweit zuzustimmen sein. Das Bedürfnis nach einer einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts hängt nicht von seinem innerstaatlichen Geltungsgrund ab. Würde sich der E u G H dem Auslegungsersuchen der nationalen Gerichte in Fällen verweigern, in denen die Heranziehung des Gemeinschaftsrechts erst durch eine Generalklausel des nationalen Rechts vermittelt wird, so bestünde die Gefahr einer uneinheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf nationaler Ebene. Zudem dehnt der E u G H durch diese Rechtsprechung nicht etwa den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts aus, sondern er respektiert lediglich die diesbezügliche Entscheidung des nationalen Rechts. Die Entscheidung Angonese erweitert die Z)zoe/-Rechtsprechung an. Der E u G H nimmt sogar ausdrücklich auf die privatrechtsbezogenen Entscheidungen Krantz und CMC Motorradcenter Bezug. Dabei handelt es sich nicht um eine Alternative zur Verkaufsmodalitäten-Regel, sondern um eine Vorfrage 273 . Das Kriterium „zu ungewiß und mittelbar" bezieht sich allein auf die Kausalität zwischen Maßnahme und Einfuhrbehinderung, nicht auf deren Intensität. Fehlt es bereits an einer hinreichenden tatsächlichen Wahrscheinlichkeit der Einfuhrbehinderung oder fällt eine Regelung unmittelbar in den Anwendungsbereich einer anderen Grundfreiheit, so scheidet eine Anwendung des Art. 28 E G als Beschränkungsverbot grundsätzlich aus, ohne daß es noch auf die Abgrenzung zwischen Produkt- oder Verkaufsmodalitätenregelung ankäme. Die Entscheidungen Krantz und CMC Motorradcenter legen nahe, daß dies bei den meisten, nicht unmittelbar einfuhr-, produkt- oder absatzbezogenen Regelungen des Privatrechts der Fall sein dürfte 274 . Daß der Vertrieb eines Produkts in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen unterliegt, reicht für sich genommen nicht aus, um eine hinreichend wahrscheinliche einfuhrbehindernde Wirkung des Bestimmungslandrechts anzuneh-

2 7 0 Vgl. auch G A Tesauro, Schlußanträge zu E u G H , 15.12. 1993, Rs. C-292/92, Slg. 1993,16787 - Hünermund, Tz. 21 („schwierig, wenn nicht gar unmöglich"). 271 Vgl. etwa Arndt, ZIP 1994, 188, 190; Becker, EuR 1994, 162, 170; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S. 85; Kieninger, Mobiliarsicherheiten im Europäischen Binnenmarkt, S. 149f.; Kotthoff, Werbung ausländischer Unternehmen im Inland, S. 87f.; Oliver, (1999) 36 C.M.L.Rev. 783, 790ff.; Rüffler, Der Einfluß des Europarechts auf das österreichische U W G , S.30; Schilling, EuR 1994, 50, 60; Weyer, DZWir 1994, 89, 91 f. 2 7 2 Vgl. G A Darmon, Schlußanträge zu E u G H , 18.5. 1993, Rs. C-126/91, Slg. 1993,1-2361 Yves Rocher, Tz. 18 (anders noch ders., Schlußanträge zu E u G H , 7.3. 1990, Rs. C-69/88, Slg. 1990, 1-583 - Krantz, Tz. 11: „merkliche Wirkungen"); GA Tesauro, Schlußanträge zu E u G H , 15.12. 1993, Rs. C-292/92, Slg. 1993,1-6787 - Hünermund, Tz. 21; GA Fennelly, Schlußanträge zu E u G H , 3.12. 1998, Rs. C-67/97, Slg. 1998,1-8033 - Bluhme, Tz. 19; ders., EuGH, 18.6. 1998, Rs. C-266/96, Slg. 1998,1-3949 - Corsica Ferries II, Tz. 29. 2 7 3 Entgegen Giovannopoulos (Die Harmonisierung des privatrechtlichen Bankgeheimnisses im europäischen Wirtschaftsverkehr, S.260) steht diese Rechtsprechungslinie mithin nicht im Gegensatz zu Dassonville und Keck. 2 7 4 S.a. E u G H , 27.1.2000, Rs. C-190/98, Slg. 2000,1-493 - Graf (Arbeitsrecht); dazu noch unten S.270f.

2. Abschnitt: Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff. EG

175

men. Aus sich heraus formell oder materiell diskriminierende Regelungen sind dagegen per se zur Handelsbehinderung geeignet. Hier kann die Frage, ob die Wirkungen einer solchen Regelung unmittelbar, mittelbar oder nur hypothetisch sind, lediglich Bedeutung auf der Rechtfertigungsebene erlangen 275 . 2. Zweck: Keine gezielte Regelung des zwischen den Mitgliedstaaten

Warenverkehrs

Art. 28 EG steht auch nach Keck Maßnahmen entgegen, die eine Regelung des Warenverkehrs bezwecken 276 . Zwar ist eine solche Zweckrichtung oder Handelsfinalität keine Voraussetzung für eine Anwendung der Warenverkehrsfreiheit 277 , doch liegt es auf der Hand, daß derartige, prima facie ihrem Regelungsanliegen widersprechende Regelungen sich an ihr messen lassen müssen 278 . Die Einordnung als Produktregel, Verkaufsmodalität oder sonstige Regelung (Umfeldregelung) spielt dafür keine Rolle. 3. Objekt: Keine auf Erzeugnisse aus anderen gerichtete Maßnahme

Mitgliedstaaten

Sonderregelungen für ausländische Waren sind weiterhin (unbeschadet einer Rechtfertigung) als Maßnahmen gleicher Wirkung verboten. Auf „Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten gerichtet" 279 sind alle Regelungen, die sich formell oder der Sache nach ausschließlich auf Einfuhrwaren oder auf die Wareneinfuhr beziehen 280 . Die Einordnung als Produktregel, Verkaufsmodalität oder sonstige Regelung (Umfeldregelung) ist auch in diesem Fall irrelevant. 4. Gegenstand: Abgrenzung zwischen ProduktVerkaufsmodalitätenregelungen

und

Die in der wissenschaftlichen Diskussion im Vordergrund stehende Abgrenzung zwischen Produkt- und Verkaufsmodalitätenregelungen spielt erst dann eine 275

Vgl. E u G H , 5.10. 1994, Rs. C-323/93, Slg. 1994,1-5077 Rn.36 - Centre d'insémination. Vgl. E u G H , 24.11. 1993, verb. Rs. C-267 und C-268/91, Slg. 1993,1-6097 Rn.12 -Keck und Mithouard; E u G H , 9.2. 1995, Rs. C-412/93, Slg. 1995, 1-179 Rn. 19 - Leclerc-Siplec und E u G H , 23.10. 1997, Rs. C-158/94, Slg. 1997,1-5789 Rn.31 - Kommission/Italien (Elektrizität). 277 Siehe dazu schon oben S.78; vgl. auch Becker, EuR 1994, 162, 171. 278 Vgl. Duhach, SZW/RDSA 1994, 219, 224: für ein Beispiel siehe E u G H , 25.6. 1997, Rs. C 114/96, Slg. 1997,1-3629 Rn. 27ff. - Kieffer und Thill. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn sie nicht schon die Einfuhr in den Mitgliedstaat, sondern erst diejenige in bestimmte Teile desselben betreffen, vgl. E u G H , 3.12. 1998, Rs. C-67/97, Slg. 1998,1-8033 Rn.21 - Bluhme. Zur Unzulässigkeit regionaler Privilegien siehe schon oben S.68ff. 279 E u G H , 24.11. 1993, verb. Rs. C-267 und C-268/91, Slg. 1993, 1-6097 Rn.14 -Keck und Mithouard. 280 Vgl. E u G H , 10.11. 1994, Rs. C-320/93, Slg. 1994, 1-5257 Rn.9 - Ortscheit: „Da es [das Werbeverbot] somit den Absatz der Arzneimittel aus anderen Mitgliedstaaten und der inländischen Arzneimittel nicht in der gleichen Weise berührt, kann es nicht von vornherein dem Anwendungsbereich von Artikel 30 EWG-Vertrag entzogen sein... Keck"; zu diesem Fall siehe bereits oben S. 97 bei Fn. 201. 276

176

2. Teil: Funktion und Reichweite der

Grundfreiheiten

Rolle, wenn sich das Vorliegen einer Maßnahme gleicher Wirkung nach Maßgabe der vorgenannten Kriterien weder ohne weiteres ausschließen noch bejahen läßt. D i e Cassis de Dz)'o«-Rechtsprechung gilt auch nach Keck

ohne Abstriche für R e -

gelungen fort, nach denen Produkte bestimmte Eigenschaften besitzen müssen, um im Bestimmungsland vertrieben werden zu dürfen (Produktregelungen). D i e sen Regelungen stellte der E u G H in Keck

eine zweite Gruppe nicht näher defi-

nierter Regelungen „bestimmter Verkaufsmodalitäten" gegenüber 2 8 1 . Diese U n terscheidung entspricht der Sache nach den bereits von der Kommission in Art. 3 der Richtlinie 70/50/EWG aufgeführten Beispielen 2 8 2 . Sie erinnert zudem an eine Differenzierung, die White schon vier Jahre vor Keck aus älteren Entscheidungen des E u G H extrahiert und (damals noch erfolglos) in der Sache Torfaen K o m m i s s i o n vorgetragen hatte 2 8 3 . White

unterschied zwischen

für die

„characteristics

[including] composition, size, shape, and weight of goods as well as their presentation, denomination and labelling" und „circumstances

in which a product may

be sold or used; i.e., to where, when, b y w h o m , or h o w it may be sold or used or at what price it may be sold" 2 8 4 . Whites Abgrenzung wurde von Generalanwalt Tesauro

in seinen Keck

aufgegriffen. Tesauro

prägenden Schlußanträgen zur Rechtssache

Hünermund

unterschied zwischen Zusammensetzung und Aufmachung

der Ware und den Modalitäten ihrer Vermarktung („wer, wo, wann, wie") 2 8 5 . M i t Keck

hat diese Unterscheidung (wieder) Eingang in die E u G H - R e c h t s p r e c h u n g

gefunden, und zwar nicht als N o v u m oder B r u c h mit der vorausgehenden R e c h t sprechung, sondern als Rückbesinnung auf den eigenen Ausgangspunkt. In der Keck-Folgerechtsprechung

hat der E u G H diesen Ansatz fortwährend bekräftigt

und weiter verdeutlicht.

a)

Produktregelungen

aa) Produktregelungen

im engeren Sinne

U n t e r Produktregelungen im engeren Sinne sind zunächst solche Regelungen zu verstehen, die die Einfuhr oder Verkehrsfähigkeit eines Produkts von der Einhaltung bestimmter N o r m e n des Bestimmungslandes über die Produktion 2 8 6 , Pro-

281 Vgl. EuGH, 24.11. 1993, verb. Rs. C-267 und C-268/91, Slg. 1993, 1-6097 Rn. 15 - Keck und Mithouard. 282 Darin zählte die Kommission „die Form, die Ausmaße, das Gewicht, die Zusammensetzung, die Aufmachung, die Identifizierung [und] die Aufbereitung" auf. Zu dieser Richtlinie siehe bereit oben S. 122. 283 Siehe Sitzungsbericht zu EuGH, 23.11. 1989, Rs. C-145/88, Slg. 1989, 3851 - Torfaen, S. 3861 f. 284 White, (1989) 26 C.M.L.Rev. 233, 246f. (keine Hervorhebung im Original). 285 Vgl. GA Tesauro, Schlußanträge zu EuGH, 15.12. 1993, Rs. C-292/92, Slg. 1993,1-6787Hünermund, Tz. 8 ff. 286 Vgl. GA Colomer, Schlußanträge zu EuGH, 18.9. 2003, Rs. C-416/00 (siehe EuGH-Webpage) Morellato II, Tz. 19 (nationale Regelung, wonach es für die Vermarktung von vorgebackenem Brot erforderlich ist, daß es unmittelbar nach dem Fertigbacken verpackt wird).

2. Abschnitt:

Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff.

EG

177

duktzusammcnsctzung 2 * 7 oder sonstige Produkteigenschaften 288 bzw. von einer (erneuten) formellen Zulassung abhängig machen 289 . Derartige Regelungen dürfen Einfuhr oder Vertrieb solcher Produkte, die bereits alle rechtlichen Hürden in einem anderen Mitgliedstaat genommen haben und sich dort rechtmäßig im Verkehr befinden, nur aus zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses entgegengehalten werden (Cassis de Dijon). bb) Absolute

Vertriebsverbote

und Beschränkungen

der

Vermarktungsdauer

Regelungen, die nicht nur eine Produktänderung oder erneute Zulassung erforderlich machen, sondern den Vertrieb eines Produkts als solchen ohne Wenn und Aber verbieten (absolute Vertriebsverbote), sind natürlich erst recht als Produktregelungen anzusehen 290 . Gleiches gilt bereits für zeitliche Beschränkungen der Vermarktungsdauer, die bewirken, daß ein in einem anderen Mitgliedstaat bereits im freien Verkehr befindliches Produkt im Bestimmungsland noch nicht vertrieben werden darf 291 oder die in sonstiger Weise die „kommerzielle Lebensdauer" eines Produkts verkürzen können 292 . Diese Fallgruppe ist nicht zu verwechseln mit rein vertriebsbezogenen Regelungen der Ladenöffnungszeiten 293 . cc) Regelungen

der Produktbe-

und

-kennzeichnung

Regelungen, die bestimmte Produktbe- oder - kennzeichnungen ge- oder verbieten sind ebenfalls weiterhin am Cassis de Dijon-Maiistab zu messen. Dies gilt immer dann, wenn sie die Abänderung von Markennamen oder der Produktbezeichnungen erforderlich macht und erst recht, wenn sie im Zusammenhang mit der Produktzusammensetzung stehen 294 oder zur Etikettierung in der Landes2 8 7 Vgl. etwa E u G H , 13.3. 1997, Rs. C-358/95, Slg. 1997,1-1431 Rn. 12 - Morellato (Höchstfeuchtigkeitsgehalt von Brot). 2 8 8 Vgl. E u G H , 3.12. 1998, Rs. C-67/97, Slg. 1998, 1-8033 Rn. 19ff. - Bluhme (Einfuhr- und Haltungsverbot für bestimmte Bienenarten). 2 8 9 Vgl. E u G H , 24.3. 1994, Rs. C-80/92, Slg. 1994,1-1019 - Kommission/Belgien (Funkgeräte). 2 9 0 Vgl. E u G H , 3.12.1998, Rs. C-67/97, Slg. 1998,1-8033 Rn.21 -Bluhme-, Eilmansherger, jbl 1999, 345, 348, ordnet zu Recht auch Vertriebsverbote den Kernbereichseingriffen zu. Für ein Beispiel aus der Zeit vor Keck vgl. E u G H , 23.2. 1988, Rs. 216/84, Slg. 1988, 793 Rn. 7ff. - Kommission/Frankreich (Milchersatzstoffe) zu einem vollständigen Verbot von Einfuhr, Herstellung und Vertrieb von Milchersatzstoffen. 291 Vgl. (aus der Zeit vor Keck) E u G H , 11.7.1985, verb. Rs. 60 und 61/84, Slg. 1985,2605 - Cinetheque. 2 9 2 So hat der E u G H in der Entscheidung E u G H , 1.6. 1994, Rs. C-317/92, Slg. 1994,1-2039 Rn. 12 - Kommission/Deutschland (Haltbarkeitsdatum) eine Regelung, die zwingend auf einer halbjährlichen Haltbarkeitsangabe auf der Produktverpackung (30. Juni oder 31. Dezember) bestand, unbeschadet des Umstands, daß sie eine Verpackungsänderung erforderte, auch deshalb als Maßnahme gleicher Wirkung angesehen, weil sie zu einer Verkürzung der Vermarktungsdauer ausländischer Produkte führen konnte. 2 9 3 Siehe dazu sogleich unten S. 148. 2 9 4 Vgl. E u G H , 16.11. 2000, Rs. C-217/99, Slg. 2000,1-10251 - Rn. 18 Kommission/Belgien (Anmeldenummer, Verpflichtung zur Angabe der Produktzusammensetzung); E u G H , 1.6.

2. Teil: Funktion und Reichweite der

178

Grundfreiheiten

spräche verpflichten 2 9 5 . D e r E u G H trägt damit insbesondere auch der erheblichen Bedeutung von Markennamen für die Wertschätzung eines Produkts R e c h nung und verhindert Wertungswidersprüche zu seiner Rechtsprechung zum gewerblichen Rechtsschutz 2 9 6 . Prominentes Beispiel ist die Entscheidung Sozialer

Wettbewerb

(besser bekannt als Clinique-Entscheidung)

Verband

zur Frage der

Irreführungseignung der M a r k e „Clinique" bei Verwendung für reine K o s m e t i ka. D e r E u G H unterstellte ein auf § 3 U W G gestütztes Verbot dieser Bezeichnung (angeblich suggerierte sie medizinische Wirksamkeit) dem Cassis de

Dijon-

Test, weil der betroffene Hersteller dadurch gezwungen wurde, „seine Erzeugnisse im Bestimmungsland unter einer anderen Bezeichnung zu vertreiben und zusätzliche Verpackungs- und Werbekosten auf sich zu n e h m e n " 2 9 7 . dd) Anwendung

von Werberegelungen

auf Produktinhalt

und

Werbeaufdrucke

Einen vergleichbaren Ansatz verfolgt der E u G H in bezug auf körperlich mit der Produktverpackung verbundene Maßnahmen der Werbung oder Absatzförderung. D e r Entscheidung Mars lag die Frage zugrunde, o b ein auf §§ 1 und 3 U W G gestütztes Verbot des Vertriebs eines Mars-Eiskremriegels mit dem Aufdruck „ + 1 0 % " in Konflikt mit Art. 28 E G geraten könne. Das Landgericht K ö l n sah den europaweit verwendeten Aufdruck als irreführend an, u.a. weil nicht auszuschließen war, daß einzelne Händler für den (tatsächlich 1 0 % größeren) Riegel auch einen höheren Preis kassierten. D e r E u G H hielt Art. 28 E G für tatbestandlich einschlägig, weil ein auf einem Werbeaufdruck basierendes Vertriebsverbot den Importeur dazu zwinge, die Ausstattung seiner Erzeugnisse je nach dem O r t des Inverkehrbringens unterschiedlich zu gestalten und demgemäß zusätzliche Verpackungs- und Werbekosten aufzuwenden 2 9 8 . In der Entscheidung Colim 1994, Rs. C-317/92, Slg. 1994,1-2039 - Kommission/Deutschland (Haltbarkeitsdatum); EuGH, 9.2.1999, Rs. C-383/97, Slg. 1999,1-731 Rn. 19f. - Van der Laan (Verbot des Inverkehrbringens von qualitativ minderwertigen Waren, hier: Formfleisch, ohne entsprechende Kennzeichnung). Gleiches gilt für Normen, die bestimmte Bezeichnungen Produkten vorbehalten, die den im Bestimmungsland geltenden Qualitätsnormen entsprechen, vgl. etwa EuGH, 26.10. 1995, Rs. C51/94, Slg. 1995, 1-3599 - Kommission/Deutschland (Sauce Hollandaise); EuGH, 22.10. 1998, Rs. C-l84/96, Slg. 1998, 1-6197 - Kommission/Frankreich (Stopfleber). Zwingend erforderlich ist ein solcher Bezug der Bezeichnung zu Produkteigenschaften aber nicht. 295 Vgl. EuGH, 9.8. 1994, Rs. C-51/93, Slg. 1994,1-3879 - Meyhui; EuGH, 3.6. 1999, Rs. C33/97, Slg. 1999,1-3175 - Rn. 37 - Colim = EuZW 1999, 464 m. Anm. Reich. Hier liegt die Annahme einer materiellen Diskriminierung nahe, so daß es letztlich wohl nicht auf die Einordnung als Produktregel oder Verkaufsmodalitätenregel ankommt. 296 Dazu noch unten 4. Teil, S.687ff. 297 Vgl. EuGH, 2.2. 1994, Rs. C-315/92, Slg. 1994, 1-317 Rn.19 - Clinique (eigentlich: Verband Sozialer Wettbewerb)-, deutlich auch EuGH, 26.11. 1996, Rs. C-313/94, Slg. 1996,1-6039 Rn. 16ff. - Cotonelle (eigentlich: Graffione); vgl. ferner EuGH, 13.1. 2000, Rs. C-220/98, Slg. 2000, 1-117 Rn.22ff. Estee Lauder („Lifting"); EuGH, 11.5. 1999, Rs. C-255/97, Slg. 1999, I2835 Rn. 20 - Pfeiffer Großhandel (zu Art. 43 EG). 298 Vgl. EuGH, 6.6. 1995, Rs. C-470/93, Slg. 1995,1-1923 Rn. 13ff. - Mars. Im Ergebnis hielt der EuGH die Regelung nicht für erforderlich, um die Verbraucher vor Irreführung zu schützen (a.a.O. Rn.22ff.).

2. Abschnitt:

Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff.

EG

179

verallgemeinerte er diesen Ansatz dahingehend, daß Regelungen, die dazu führen, daß „die Verpackung oder Kennzeichnung eingeführter Erzeugnisse geändert werden muß", keine Verkaufsmodalitäten betreffen 299 . Gleiches gilt erst recht, wenn das Produkt selbst mit einer Maßnahme der Absatzförderung verbunden ist. Dies illustriert die Rechtssache Familiapress Zeitungsverlag-. Aufgrund eines österreichischen Zugabeverbots durften Herausgeber periodischer Druckwerke dem Leser keine Teilnahme an Verlosungen ermöglichen. Ein österreichischer Verlag versuchte, den Vertrieb einer deutschen Frauenzeitschrift, die derartige, in Deutschland legale Gewinnspiele enthielt, unter Hinweis auf das Zugabeverbot verbieten zu lassen. Die österreichische Regierung argumentierte vor dem EuGH, die Veranstaltung der Gewinnspiele stelle eine verkaufsfördernde Maßnahme dar und unterfalle der Verkaufsmodalitäten-Regel dar. Der E u G H hielt dem zu Recht entgegen, daß das Verbot sich auf den Inhalt der Zeitschrift beziehe und daher keine Verkaufsmodalität betreffe 300 . Diese Entscheidungen, insbesondere Clinique und Mars, sind im Gegensatz zu einer in der Literatur verbreiteten Auffassung kein Beleg für die mangelnde Unterscheidbarkeit von Produkt- und Verkaufsmodalitätenregelungen301. Im Gegenteil fand der EuGH ein klares und einfach zu handhabendes Abgrenzungskriterium, indem er auf einen körperlichen Bezug der Absatzförderung oder Werbung zum Produkt abstellte 302 . Dieses Kriterium nicht so formalistisch, wie es auf den ersten Blick erscheint. Es trägt vielmehr dem Gedanken Rechnung, daß Produktregelungen per se geeignet sind, den Marktzugang ausländischer Produkte zu versperren und damit ihre freie Zirkulation im Binnenmarkt zu unterbinden. Ist eine Werbung körperlich mit dem Produkt verbunden, so verhindert ein darauf bezogenes Werbeverbot, daß das Produkt in der Gestalt, in der es in einem anderen Mitgliedstaat legal im Verkehr ist, „so, wie es ist", auch auf dem Bestimmungslandmarkt vertrieben werden kann. Es wirkt daher im Gegensatz zur Regulierung bloßer Begleitwerbung unmittelbar markzugangsversperrend303. ee)

Zusammenfassung

Produktregelungen sind Regelungen, welche Einfuhr oder Vertrieb solcher Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat legal im Verkehr sind, materiell von der Einhaltung bestimmter körperlicher Eigenschaften des Produkts, seiner Bezeich2 9 9 Vgl. E u G H , 3.6.1999, Rs. C-33/97, Slg. 1999,1-3175 - Rn. 37 - Colim = EuZW 1999,464 m. Anm. Reich-, s.a. E u G H , 13.9. 2001, Rs. C-169/99, Slg. 2001, 1-5901 Rn.39 Schwarzkopf („Weil das Behältnis oder die Verpackung verändert werden müssen, ist es auch ausgeschlossen, daß es sich um eine Verkaufsmodalität... handelt"). 3 0 0 Vgl. E u G H , 26.6.1997, Rs. C-368/95, Slg. 1997,1-3689 Rn. 11 - Familiapress Zeitungsverlag. 301 So aber Fezer, J Z 1994,317,323; Kieninger, Mobiliarsicherheiten im europäischen Binnenmarkt, S. 145; Möschel, N J W 1994, 429, 430. 3 0 2 Vgl. Freund, J A 1997, 716, 720f. 3 0 3 Ahnlich Kotthoff, Werbung ausländischer Unternehmen im Inland, S. 112. Zur Erfassung weiterer Werberegelungen im Lichte des DiskriminierungsVerbots siehe noch unten S. 193 f.

180

2. Teil: Funktion und Reichweite

der

Grundfreiheiten

nung oder seiner Verpackung oder formell von einer (erneuten) Zulassung abhängig machen. Solche Regelungen versperrender se den Zugang des unveränderten Produkts, „so, wie es ist", zum Bestimmungslandmarkt und verhindern damit seine freie Zirkulation im ganzen Binnenmarkt. Gleiches gilt für absolute Vertriebsverbote und Beschränkungen der Vermarktungsdauer, die temporär marktzugangsversperrend wirken bzw. die „kommerzielle Lebensdauer" eines Produkts verkürzen.

b) Regelung

bestimmter

Verkaufsmodalitäten

Als Regelungen „bestimmter Verkaufsmodalitäten" hat der EuGH bisher vier Gruppen herausgearbeitet: Neben den bereits Keck selbst zugrunde liegenden Preisregelungen304 sind dies die Anwendung von Werberegelungen auf bloße Begleitwerbung, Vertriebszeitbeschränkungen und Vertriebskanalisierungen.

aa)

Werberegelungen

Die prominenteste und für das Verhältnis zum nationalen Privatrecht (insbesondere Lauterkeitsrecht) wichtigste Fallgruppe bildet die Anwendung von Werberegelungen auf Werbemaßnahmen, die nicht körperlich mit dem Produkt oder seiner Verpackung verbunden sind. Schon in der Entscheidung Hünermund lehnte es der EuGH ab, in einem (nur) an Apotheker gerichteten Verbot, apothekenübliche Waren außerhalb von Apotheken zu bewerben, eine Maßnahme gleicher Wirkung zu sehen, weil dieses Verbot die Möglichkeiten anderer Wirtschaftsteilnehmer unberührt lasse, für diese Waren zu werben 305 . In der Entscheidung Leclerc-Siplec betonte er, daß das Verbot der Fernsehwerbung für den Vertriebssektor, nur eine Verkaufsmodalität betreffe, weil „sie eine bestimmte Form der Förderung (Fernsehwerbung) einer bestimmten Methode des Absatzes (Vertrieb) von Erzeugnissen verbietet" (und z.B. die Direktwerbung durch den Hersteller unberührt läßt) 306 . In der Entscheidung De Agostini ging der EuGH ohne nähere Begründung davon aus, daß ein generelles Verbot der an Kinder unter 12 Jahren gerichteten Fernsehwerbung „offensichtlich" nur eine Verkaufsmodalität betreffe 307 . In der Entscheidung ARD judizierte er entsprechend zu einer Regelung, durch die der Werbeanteil am Fernsehprogramm zeitlich beschränkt wurde 308 .

304 Siehe auch EuGH, 11.8.1995, Rs. C-63/94, Slg. 1995,1-2467 Rn. 1 Off. - Belgapom (Verbot des Verkaufs von Kartoffeln zum Verlustpreis, Einkaufspreis oder mit einer äußerst niedrigen Gewinnspanne). 305 Vgl. EuGH, 15.12. 1993, Rs. C-292/92, Slg. 1993,1-6787 Rn. 19 Hünermund. 306 Vgl. EuGH, 9.2. 1995, Rs. C-412/93, Slg. 1995,1-179 Rn.7 und 22 Leclerc-Siplec. 307 Vgl. EuGH, 9.7. 1997, verb. Rs. C-34 bis 36/95, Slg. 1997, 1-3843 Rn.40f. - De Agostini. Der EuGH hielt allerdings eine Einfuhrdiskriminierung für möglich (a.a.O. Rn.42, dazu noch unten S. 193). 308 Vgl. EuGH, 28.10. 1999, Rs.C-6/98, Slg. 1999,1-7599 R n . 4 5 f f . - A R D .

2. Abschnitt:

bb)

Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 2 8 f f . EG

181

Ladenöffnungsregelungen

In den Entscheidungen Tankstation 'tHeuske, Punto Casa und Semeraro Caso Uno ordnete der EuGH auch mitgliedstaatliche Regelungen der Ladenöffnungszeiten den „bestimmten Verkaufsmodalitäten" zu 309 . Derartige Regelungen betreffen anders als Regelungen der Vermarktungsdauer nicht die kommerzielle Lebensdauer der angebotenen Produkte, sondern lediglich die Bedingungen ihres Vertriebs. Die Rechtsprechung zu den sog. Sonntagsverkaufsverboten ( T o r f a e n ) ist damit überholt 310 . In der Entscheidung Punto Casa beschrieb der EuGH Verkaufsmodalitäten als „die Umstände, unter denen die Waren an die Verbraucher verkauft werden können" 311 und traf damit erstmals eine Aussage, die einer Definition des umstrittenen Begriffs nahekommt und an die Abgrenzungskriterien Wbites und Generalanwalt Tesauros erinnert („wer, wo, wann, wie") 312 . cc)

Vertriebskanalisierungen

In bezug auf Vertriebskanalisierungen war die Judikatur vor Keck besonders konfus. Fälle dieser Gruppe fanden sich in Oebel- und Oost/?oe&-Rechtsprechung, ohne daß deutlich wurde, warum der EuGH sie der einen oder anderen Entscheidungslinie zuordnete. Seit Keck ordnet der EuGH gehören Vertriebskanalisierungen eindeutig den Verkaufsmodalitätenregelungen zu. (1)

Vertriebsmonopole

Gegenstand der Entscheidung Bancbero war u.a. die Frage, ob Art.28 EG der Anwendung einer italienischen Regelung entgegenstand, nach der Tabakwaren nur in lizenzierten Geschäften veräußert werden durften. Der EuGH betonte, daß sich die Regelung nicht auf Merkmale der Erzeugnisse beziehe, sondern nur die Modalitäten des Einzelhandels mit Tabakwaren regele, wobei es nichts ändere, daß sie nur für den Handel mit bestimmten Erzeugnissen und nicht für den Einzelhandel allgemein gelte313. Mögliche Unzulänglichkeiten des Einzelhandelsnetzes behinderten weder den Zugang ausländischer Zigaretten zum italienischen Markt, noch beeinträchtigten sie den Verkauf von Tabakwaren aus anderen 309 EuGH, 2.6.1994, verb. Rs. C-401 und C-402/92, Slg. 1994,1-2199 - Tankstation 'tHeukske\ EuGH, 2.6.1994, verb. Rs. C-69 und C-258/93, Slg. 1994,1-2355 - Punto Casa; EuGH, 20.6. 1996, verb. Rs. C-418 bis C-421/93 u.a., Slg. 1996,1-2975 - Semeraro Casa Uno (beide zu Sonntagsverkaufsverboten). 310 Siehe dazu oben S. 147f. Befremdlich ist allerdings, daß der EuGH in der Entscheidung Semeraro Caso Uno in einem obiter dictum zusätzlich darauf hinwies, daß Art. 28 EG einem solchen Verbot auch deshalb nicht entgegenstehe, weil Sonntagsverkaufsverbote Ausdruck landesweiter oder regionaler, sozialer und kultureller Besonderheiten seien (a.a.O. Rn. 25f.). Dieser Versuch des EuGH, sein Ergebnis (unnötigerweise) in alle Richtungen abzusichern, könnte zu der falschen Annahme verleiten, die Sonntagsverkaufs-Rechtsprechung gelte fort. Der EuGH provoziert damit unnötigerweise neue Vorlagen. 311 EuGH, 2.6. 1994, verb. Rs. C-69 und C-258/93, Slg. 1994,1-2355 Rn. 13 - Punto Casa. 312 Siehe oben S.175f. 313 EuGH, 14.12. 1995, Rs. C-387/93, Slg. 1995,1-4663 Rn.36 Banchero.

182

2. Teil: Funktion und Reichweite

der

Grundfreiheiten

Mitgliedstaaten stärker als denjenigen einheimischer Produkte314. Der Umstand allein, daß eine Regelung an eine Produkteigenschaft knüpft, reicht also nicht ohne weiteres aus, um sie aus dem Kreis der Verkaufsmodalitäten auszuschließen. Erforderlich ist ein binnenmarktspezifischer Produktbezug in dem Sinne, daß eine Maßnahme den Vertrieb eines in einem anderen Mitgliedstaat legal im Verkehr befindlichen Produkts als solchen von der Einhaltung bestimmter Produkteigenschaften abhängig macht315. Eine binnenmarktneutrale Anknüpfung der Regelung an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Warengattung (Alkoholika, Medikamente, Tabakwaren etc.) oder an Eigenschaften, in bezug auf welche sich Herkunfts- und Bestimmungslandrecht nicht unterscheiden, reicht dafür nicht aus. Es ist (wie in der Tasca- und Oebel-Rechtsprechung vorgezeichnet) ein relativer Maßstab anzulegen. Die Maßnahme muß geeignet sein, den Absatz eingeführter Waren nicht nur absolut, sondern gerade im Verhältnis zu demjenigen einheimischer Produkte zu reduzieren316. (2)

Direktvertrieb

Die Verkaufsmodalitäten-Regel gilt grundsätzlich auch für Regelungen, die den Direktvertrieb durch ausländische Hersteller im Bestimmungsland betreffen. Dies wird durch die Rechtssache TK-Heimdienst Sass illustriert. Darin maß der EuGH eine österreichische Gewerberegelung an Art. 28 EG, die das Feilbieten von nicht vorher bestellten Waren im Umherziehen von Ort zu Ort durch Bäcker, Fleischer und Lebensmittelhändler von der Einrichtung einer ortsfesten Betriebsstätte in der Vertriebsregion abhängig machte. Der EuGH sah darin eine Verkaufsmodalitätenregelung und differenzierte nicht zwischen dem Direktvertrieb selbst hergestellter Waren durch Bäcker und Fleischer und dem Weiterverkauf fremder Produkte durch Lebensmittelhändler. Die Anwendung der Verkaufsmodalitäten-Regel ist also nicht auf den Weiterverkauf von Waren beschränkt317.

314 EuGH, 14.12. 1995, Rs. C-387/93, Slg. 1995,1-4663 Rn.40 bzw. 44 - Banchero. Dies entspricht der Argumentation im Fall Forest (siehe oben S. 144 bei Fn. 148). S.a. EuGH, 29.6. 1995, Rs. C-391/92, Slg. 1995,1-1621 - Kommission/Griechenland (Säuglingsnahrung) zu einem Apothekenmonopol für verarbeitete Milch für Säuglinge; kritisch gegenüber der Einordnung von Vertriebskanalisierungen als Verkaufsmodalitätenregelungen W.-H. Roth, FS-Großfeld, S.929, 953. 315 Vgl. z.B. EuGH, 26.6.1997, Rs. C-368/95, Slg. 1997,1-3689 Rn. 11 - Familiapress Zeitungsverlag (oben S. 179 bei Fn.300); EuGH, 3.12.1998, Rs. C-67/97, Slg. 1998,1-8033 Rn.21 -Bluhme (oben S.177 bei Fn.290). 316 Insoweit sehr deutlich auch EuGH, 11.8. 1995, Rs. C-63/94, Slg. 1995,1-2467 Rn. lOff. Belgapom. Zur Ausfüllung dieses Kriteriums siehe noch unten S. 192 f. 317 EuGH, 13.1. 2000, Rs. C-254/98, Slg. 2000,1-151 Rn.24 - TK-Heimdienst Sass = EuZW 2000,309 m. Anm. Gundel. Allerdings wertete der E u G H die Regelung gleichwohl als Maßnahme gleicher Wirkung, weil sie seiner Ansicht nach den Marktzugang ausländischer Waren stärker behinderte als den Absatz einheimischer Erzeugnisse (a.a.O. Rn.25ff., dazu noch unten S. 193).

2. Abschnitt: Die Warenverkehrsfreiheit

dd)

- Art. 28ff. EG

183

Zusammenfassung

Der Begriff der Verkaufsmodalität ist weit im Sinne von Absatz-, Vertriebs- oder Vermarktungsmodalität zu verstehen. Preisregelungen, Werbebeschränkungen und ganz allgemein Regelungen der Umstände, unter denen Waren an Verbraucher verkauft werden können, sind als „bestimmte Verkaufsmodalitäten" grundsätzlich keine Maßnahmen gleicher Wirkung. Dies gilt auch dann, wenn sie nur für bestimmte Produktgattungen gelten, den Direktvertrieb einschränken oder ganz allgemein Werbung und Absatz massiv behindern, es sei denn, sie sind geeignet, den Marktzugang für im Ausland legal im Verkehr befindliche Produkte (ebenso wie eine Produktregel) zu versperren oder den Absatz eingeführter Waren im Verhältnis zu demjenigen gleichartiger einheimischer Produkte zu beeinträchtigen (also zu diskriminieren). c) Abgrenzung

„bestimmter"

von „sonstigen"

Verkaufsmodalitäten?

Der Begriff der Verkaufsmodalitäten ist bereits in sich selbst doppelt relativiert. Der EuGH spricht einerseits von Verkaufsmodalitäten und bezieht die Verkaufsmodalitäten-Regel andererseits nur auf „bestimmte" Modalitäten. Auf den ersten Blick liegt die Annahme nahe, er habe durch diese Begrenzungen deutlich machen wollen, es müsse auch andere „sonstige Verkaufsmodalitäten" geben, für welche die Verkaufsmodalitäten-Regel nicht gilt318. In der Literatur sind denn auch verschiedene Versuche unternommen worden, diese begrifflichen Relativierungen für eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Verkaufsmodalitäten-Regel fruchtbar zu machen319. aa) Unterscheidung

von Verkaufsmodalitäten

und

Absatzsystemen

Ein erster Ansatz liegt darin, unter „bestimmten" Verkaufsmodalitäten einzelne Modalitäten des Absatzes im Gegensatz zu „ganzen Absatzsystemen" zu verstehen. Ein weiterhin von der Warenverkehrsfreiheit erfaßtes Absatzsystem habe in den Fällen Oosthoek (Verbot der Zugabewerbung), Buet (Verbot der Haustürwerbung und des Haustürverkaufs von pädagogischem Material) und Yves Rocher (Verbot der Preisgegenüberstellungen) vorgelegen, während etwa die Entscheidungen Oebel (Nachtback- und -ausfahrverbot), Blesgen (Verbot der Abgabe von alkoholischen Getränken zum sofortigen Verzehr an öffentlichen Plätzen) und Torfaen (Sonntagsverkaufsverbot) nur einzelne Verkaufsmodalitäten betroffen hätten320. Eine solche Unterscheidung erscheint indes willkürlich. Warum das Verbot der Preisgegenüberstellung (Yves Rocher) ein Absatzsystem betreffen soll, das Verbot des Weiterverkaufs zum Verlustpreis (Keck und Mithouard) dagegen nicht, ist ebensowenig nachvollziehbar wie die Einordnung des Haustürverkaufs pädagogischen Materials (Buet) als Absatzsystem im Gegensatz zur Ein318 319 320

Vgl. Leible, in: Grabitz/Hilf, Art. 28 E G Rn.28. Zum Spürbarkeitstest siehe bereits oben S. 171. So etwa Adrian, EWS 1998, 288, 291 ff.

184

2. Teil: Funktion und Reichweite der

Grundfreiheiten

Ordnung des Verkaufs von alkoholischen Getränken an öffentlichen Plätzen (Blesgen) oder des Sonntagsverkaufs (Torfaen) als bloße Verkaufsmodalitäten. Letztlich läßt sich jede Werbe- oder Absatzmethode zum Bestandteil eines „Absatzsystems" erheben. Sogar die immer wieder als Paradebeispiele für bloße Verkaufsmodalitäten aufgeführten Ladenschlußregelungen und Sonntagsverkaufsverbote 321 können einen Anbieter empfindlich treffen, der sich darauf spezialisiert hat, temporale Versorgungslücken zu schließen, die nachts bzw. an Sonnund Feiertagen auftreten können (wie z.B. die Kette 7-Eleven) 322 . Dieser Ansatz führt letztlich zurück zum chaotischen Zustand vor Keck, weil eine plausible Grenzziehung auf zwischen Verkaufsmodalität und Absatzsystem nicht möglich ist. Er ist daher abzulehnen 323 . bb) Wertende

Betrachtung

Einem zweiten Ansatz zufolge soll für jede Regelung wertend zu bestimmen sein, ob sie als „bloße Verkaufsmodalität" anzusehen ist: Nach Maßgabe dieses Tests will etwa Steindorff Regelungen bestimmter, besonders wichtiger Absatzmodalitäten (namentlich von Werbung und Preis) sowie das grenzüberschreitende EuroMarketing von der Verkaufsmodalitäten-Regel ausnehmen 324 . Steindorff kommt allerdings selbst nicht umhin, zuzugeben, daß auch dieser Ansatz dem Ziel der Äec&-Entscheidung zuwiderläuft, solche Wertungen gerade zu vermeiden und den Tatbestand des Art. 28 EG im Dienste einer klaren Regelbildung abstrakter zu fassen 325 . Zudem sind Werbe- und Preisregelungen nach Maßgabe der KeckRechtsprechung geradezu Musterbeispiele für „bestimmte Verkaufsmodalitäten". Letztlich ist dieser Ansatz eher eine Anregung, Keck zu überdenken, als eine Anleitung, Keck auszulegen. cc) Bloße

Hinweisfunktion

Letzten Endes trägt die begriffliche Relativierung des Kriteriums der „bestimmten Verkaufsmodalitäten" zur Feinabstimmung der Reichweite der Verkaufsmodalitäten-Regel wenig bei. Man kann ihr eine doppelte Hinweisfunktion beimessen: Zum einen unterstreicht sie, daß der E u G H absolute (auch temporäre) Vertriebsverbote nicht als VerkaufsmoJa/z'tafewregelungen erfaßt sehen möchte, denn daß der E u G H von nur Modalitäten spricht, setzt voraus, daß der Vertrieb als solcher zulässig ist. Verkaufsmodalitäten betreffen nur das „Wie", nicht aber 321 Vgl. etwa Adrain, a.a.O, S.293; Ackermann, RIW 1994,189,193; Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, S.35; Kieninger, Mobiliarsicherheiten im Europäischen Binnenmarkt, S. 149; Rüffler, Der Einfluß des Europarechts auf das österreichische U W G , S.53. 322 Vgl. Kotthoff, Werbung ausländischer Unternehmen im Inland, S. 108; Sack, WRP 1998, 103, 108. 323 Ähnlich auch Sack, WRP 1998, 103, 108; Schwarze-Äeofeer, Art.28 EG Rn.48. 324 Steindorff., EG-Vertrag und Privatrecht, S.lOlff. sowie den., Z H R 158 (1994), 149, 163 (Werbung), 166 (Preis). 325 Steindorff, a.a.O. S. 103.

2. Abschnitt: Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff. EG

185

das „Ob" des Vertriebs 326 . Darüber hinaus weist die Begrenzung auf bestimmte Verkaufsmodalitäten auf die vom E u G H selbst bereits in Erwägungsgrund 16 der /iec&-Entscheidung normierten Einschränkungen. Sonstige Verkaufsmodalitätenregelungen sind danach solche, die nicht „für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben" bzw. nicht „den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren" 327 und die daher weiterhin nach dem Cassis de Dijon-Test zu beurteilen sind. Eine eigenständige rechtliche Bedeutung hat der Hinweis auf „bestimmte Verkaufsmodalitäten" also nicht. d) Sonstige Regelungen

(Umfeldregelungen)

Nicht alle Maßnahmen der Mitgliedstaaten lassen sich begrifflich als Produktregelung oder Verkaufsmodalitätenregelung klassifizieren. Daneben existieren Regelungen, die sich weder auf Eigenschaften noch auf den Vertrieb von Produkten beziehen. Sieht man einmal von unmittelbar einfuhrbezogenen Regelungen (Einfuhrregelungen) ab, die nach der /fec^-Entscheidung ohnehin aus der Verkaufsmodalitäten-Regel herausfallen328, so bleibt eine vergleichsweise diffuse Menge sonstiger Regelungen, die das allgemeine wirtschaftliche Umfeld des Absatzes und der Verwendung der eingeführten Produkte im Bestimmungsland betreffen und die man daher als „Umfeldregelungen" bezeichnen kann 329 . Hier stellt sich die Frage, ob diese Regelungen als dritte Gruppe neben Produkt- und Verkaufsmodalitätenregelungen treten 330 , oder ob sie begrifflich den Verkaufsmodalitätenregelungen zugeordnet werden können 331 . Eine Antwort kann letztlich dahinstehen, denn Judikate, in denen der E u G H unterschiedslos anwendbare und angewendete Regelungen ohne jeden Einfuhroder Produktbezug als Maßnahmen gleicher Wirkung angesehen hätte, sucht man in der Keck-Folgerechtsprechung vergeblich. Dies überrascht nicht, denn die rechtspolitische Begründung der Verkaufsmodalitäten-Regel, nach der die ständige Ausweitung des Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit den E u G H zunehmend gezwungen habe, letztlich rechtspolitische Entscheidungen über die sachliche Berechtigung von Regelungen zu treffen, die keinen Zusammenhang mit der Wareneinfuhr aufwiesen 332 , trifft auf derartige Umfeldregelungen erst 326 Dazu bereit oben S. 177; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 103 f.; Weyer, Freier Warenverkehr und nationale Regelungsgewalt in der Europäischen Union, S. 299. 327 So auch Joliet, GRUR Int. 1994, 979, 984; Heermann, WRP 1999, 381, 383ff.; GTE-Müller-Graff, Art. 30 EGV Rn. 248. Zu diesen Ausnahmen siehe sogleich unten S. 186ff. 328 Siehe oben S. 175 (bezweckte Einfuhrregelung und Bezug auf Wareneinfuhr oder Einfuhrwaren). 329 Vgl. Reich (1994) 31 C.M.L.Rev. 459, 471. 330 So etwa Rüffler, Der Einfluß des Europarechts auf das österreichische UWG, S. 58; Reich, (1994) 31 C.M.L.Rev. 459, 471. 331 So etwa Oliver, Free Movement of Goods in the European Community, Tz. 6.5.6 und 6.62; ebenso wohl GA Fennelly, Schlußanträge zu EuGH, 17.10.1995, verb. Rs. C-140 bis C-142/94, Slg. 1995,1-3257 Rn.21 - DIP, Tz. 69ff. 332 Vgl. EuGH-Richter Joliet, GRUR Int. 1994, 979, 984.

186

2. Teil: Funktion

und Reichweite

der

Grundfreiheiten

recht zu. Gleiches gilt für die Besorgnis des EuGH, daß sich die Wirtschaftsteilnehmer immer häufiger auf Art. 28 E G berufen, um jedwede Regelung zu beanstanden, die sich als Beschränkung ihrer geschäftlichen Freiheit auswirkt, auch wenn sie nicht auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten gerichtet ist 333 , und für die Befürchtung des Generalanwalts Tesauro, bei einer zu weiten Ausdehnung des Beschränkungsverbots auf lediglich mittelbar einfuhrbehindernde Regelungen drohe eine Entwertung der anderen Grundfreiheiten 334 . Bloße Umfeldregelungen versperren ebenso wie Verkaufsmodalitätenregelungen und im Gegensatz zu Produktregelungen nicht per se den Marktzugang für im Ausland legal vertriebene Produkte. Sie dürften zudem regelmäßig bereits wegen ihrer „zu ungewissen und mittelbaren" Eignung zur Einfuhrbehinderung als Maßnahmen gleicher Wirkung ausscheiden335. Ist dies nicht der Fall, sind sie ebenso wie Verkaufsmodalitätenregelungen auf ihre Eignung zur Marktzugangsversperrung oder Diskriminierung zu prüfen. Kurz: Die VerkaufsmodalitätenRegel gilt auch für Umfeldregelungen. e)

Ergebnis

Entscheidend ist nicht, ob eine Regelung eine „bestimmte Verkaufsmodalität" betrifft oder nicht, sondern ob sie als Produktregel anzusehen bzw. einer Produktregel aufgrund ihrer marktzugangsversperrenden Wirkung gleichzustellen ist (Produktregel i. w. S.) 336 . Alle anderen Regelungen sind am Maßstab der Verkaufsmodalitäten-Regel zu messen 337 . Danach gilt: Ist eine Regelung (1.) geeignet, das Einfuhrvolumen zu reduzieren, so ist sie gleichwohl grundsätzlich nicht als Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne der Dassonville-Formel anzusehen, wenn sie weder (2.) auf eine Regelung des Warenverkehrs oder (3.) auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten gerichtet noch (4.) als Produktregelung i.w.S. anzusehen ist. Dies gilt sowohl für Regelungen, die im engeren Wortsinne „Verkaufsmodalitäten" betreffen, als auch für sonstige Absatzregelungen und für bloße Umfeldregelung ohne unmittelbaren Bezug zu Einfuhr, Produkteigenschaften oder Vertrieb. Anderes gilt (5.) nur nach Maßgabe der sogleich zu beschreibenden Einschränkungen. 5. Relative

Wirkung: Einschränkungen

der

Verkaufsmodalitäten-Regel

Der Grundsatz, nach dem Verkaufsmodalitätenregelungen (und Umfeldregelungen) nicht zur Handelsbehinderung geeignet sind, gilt nach Keck nur mit zwei V g l . E u G H . 2 4 . i l . 1993, verb. Rs. C-267 und C-268/91, Slg. 1993, 1-6097 Rn. 14 - Keck Mithouard. 3 3 4 Vgl. G A Tesauro, Schlußanträge zu E u G H , 15.12. 1993, Rs. C-292/92, Slg. 1 9 9 3 , 1 - 6 7 8 7 Hünermund, Tz. 27; siehe oben S. 128 bei Fn. 72 und S. 168. 3 3 5 Siehe oben S. 167. 3 3 6 Vgl. G T E - M ü l l e r - G r a f f , Art. 30 E G V Rn.248. 3 3 7 Im Ergebnis wie hier (trotz jeweils unterschiedlicher Ausgangsbasis) Rüffler, Der Einfluß des Europarechts auf das österreichische U W G , S.58; Oliver, Free Movement of Goods in the European Community, Tz. 6.62. 333

und

2. Abschnitt: Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff. EG

187

Einschränkungen: E r greift nur ein, „sofern diese Bestimmungen [a] für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie [b] den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren" 3 3 8 .

a) Geltung für alle im Inland tätigen

Wirtschaftsteilnehmer

D e r Hinweis, daß die Verkaufsmodalitäten-Regel nur Bestimmungen erfaßt, die für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, überrascht auf den ersten Blick, weil dadurch ein personenbezogenes Kriterium in die Prüfung der grundsätzlich rein produktbezogenen Warenverkehrsfreiheit eingeführt wird 3 3 9 . D o c h bringt diese Formulierung, die bereits in ähnlicher F o r m in Dassonville

und Oebel

begegnet 3 4 0 , letztlich nur zur Aus-

druck, daß persönliche Diskriminierungen eine Eignung zur mittelbar warenbezogenen Diskriminierung bzw. Handelsbehinderung indizieren und deshalb eine genauere Uberprüfung anhand des Cassis de Dijon-Tests

gebieten 3 4 1 . Eine per-

sönliche Diskriminierung ohne jede Eignung zur Beeinflussung der Wareneinfuhr kann schon begrifflich keine Maßnahme kontingentierungsgleicher

Wirkung

im Sinne des Art. 28 E G sein 3 4 2 . D a ß es letztlich um durch persönliche Diskriminierung vermittelte produktbezogene Wirkungen geht, zeigen auch Formulierungen in anderen Entscheidungen, in denen der E u G H beide Aspekte deutlicher verbunden hat. So heißt es etwa in Belgapom,

eine Mindestpreisregelung, „die o h -

ne nach Erzeugnissen zu unterscheiden, für alle Wirtschaftsteilnehmer in dem betreffenden Sektor gilt, [berühre] den Absatz der Erzeugnisse aus anderen M i t gliedstaaten nicht anders als den der inländischen Erzeugnisse" 3 4 3 . In der Literatur wird eine alternative Deutung erwogen: W.-H. Roth hält es für möglich, die personenbezogene Einschränkung im Sinne einer Beschränkung der Verkaufsmodalitäten-Regel auf Absatzvorgänge auszulegen, die sich gänzlich in Inland abspielen. D i e Anwendung der Vertriebsregelungen des Bestimmungslandes auf im Ausland 3 4 4 oder grenzüberschreitend erfolgende Absatzvorgänge und

338 EuGH, 24.11. 1993, verb. Rs. C-267 und C-268/91, Slg. 1993,1-6097 Rn.16 -Keck und Mithouard. 339 Vgl. dazu bereits eingehend oben S.119f. 340 Vgl. EuGH, 11.7.1974, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 Rn. 6 - Dassonville („von allen Staatsangehörigen erbracht werden können"); EuGH, 14.7. 1981, Rs. 155/80, Slg. 1981, 1993 Rn. 16 - Oebel(„nach objektiven Kriterien auf sämtliche im Inland ansässigen Unternehmen eines bestimmten Sektors Anwendung findet, ohne irgendeine unterschiedliche Behandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit der Wirtschaftsteilnehmer vorzunehmen"). 341 Ein Beispiel bietet der Fall EuGH, 30.4. 1991, Rs. C-239/90, Slg. 1991,1-2023 - Boscher (dazu oben S. 153 in Fn. 175). 342 Vgl. oben S.\67;Jickeli,]Z 1995, 57, 60 Fn.38. 343 EuGH, 11.8. 1995, Rs. C-63/94, Slg. 1995,1-2467 Rn. 14 - Belgapom. 344 Für ein Beispiel siehe EuGH, 7.3. 1990, Rs. C-362/88, Slg. 1990,1-683 GB-INNO-BM (dazu oben S. 151).

188

2. Teil: Funktion und Reichweite der

Grundfreiheiten

Werbemaßnahmen345 fiele danach aus ihrem Anwendungsbereich heraus und wäre stets am Cassis de D?)ow-Maßstab zu messen346. Bei genauerer Betrachtung liegt der Akzent der EuGH-Formel aber nicht auf der Inlandstätigkeit, sondern auf der Gleichbehandlung der Betroffenen 347 . Der EuGH verlangt nicht, die Regelung müsse auf Wirtschaftsteilnehmer bezogen sein, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, sondern er betont, sie müsse „für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben" 348 . Auch dieser Ansatz führt also de lege lata nicht weiter. b) Rechtliche und tatsächliche

Gleichberührung

der

Importwaren

Während die erste Einschränkung der Verkaufsmodalitäten-Regel in Literatur wie Spruchpraxis des EuGH eher ein Schattendasein fristet, kommt dem Hinweis, eine Regelung falle nur dann unter die Verkaufsmodalitäten-Regel, wenn sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühre, große Bedeutung zu 349 . Aus dieser Formulierung folgt jedenfalls, daß die Verkaufsmodalitäten-Regel die Anwendung des Art. 28 E G als Diskriminierungsverbot auch gegenüber Vertriebs- und Umfeldregelungen in keiner Weise beeinträchtigt350. EuGH-Richter Joliet beschreibt sie insoweit als eine „elementare Vorsichtsmaßnahme", die sicherstelle, daß Verkaufsmodalitätenregelungen nur dann nicht in den Anwendungsbereich des Art. 28 E G fielen, wenn sie keinen Wettbewerbsvorteil für die nationale Industrie schafften351. Allerdings ist heftig umstritten, ob sich die Reichweite des Kriteriums der „tatsächlichen Ungleichberührung" in der Bezeichnung derartiger Diskriminierungsfälle erschöpft 352 oder ob sie darüber hinausreicht und auch für nicht diskriminierende Einfuhrbelastungen gilt353.

Vgl. W.-H. Roth, FS-Großfeld, S.929, 949 bei und in Fn. 108. Vgl. W.-H. Roth, FS-Großfeld, S. 929,936; ähnlich schon ders., Rückzug des Europäischen Gerichtshofs vom Binnenmarktkonzept?, in: FIW Heft 160, S.21,31; sehr deutlich diesem Sinne jetzt auch Fetsch, RIW 2002, 936, 941; kritisch dazu GTE-Müller-Graff, Art. 30 EGV Rn.257 Rn.614. 347 So auch GTE-Müller-Graff, Art. 30 EGV Rn. 257; Keßler, Das System der Warenverkehrsfreiheit im Gemeinschaftsrecht, S. 165. 348 EuGH, 24.11. 1993, verb. Rs. C-267 und C-268/91, Slg. 1993,1-6097 Rn. 16 - Keck und Mithouard (Hervorhebung durch den Verfasser). 349 Daß Regelungen, die auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten gerichtet sind, nicht unter die Verkaufsmodalitäten-Regel fallen, hatte der EuGH bereits an anderer Stelle betont (siehe oben S. 175); s.a. EuGH, 10.11. 1994, Rs. C-320/93, Slg. 1994,1-5257 - Ortscheit. 350 Insoweit besteht Einigkeit, vgl. nur Joliet, GRUR Int. 1994, 979, 983; Keßler, Das System der Warenverkehrsfreiheit im Gemeinschaftsrecht, S. 163; Riiffler, Der Einfluß des Europarechts auf das österreichische UWG, S.50. 351 Vgl. Joliet, GRUR Int. 1994, 979, 984. 352 So etwa Sack, WRP 1998,103,107; Kotthoff, Werbung ausländischer Unternehmen im Inland, S. 115f.; Glöckner, GRUR Int. 2000, 29, 33f. 353 So mit unterschiedlicher Akzentuierung im Detail Weyer, DZWir 1994, 89, 93; Ackermann, RIW 1994,189, 194 Fn.38; Basedow, EuZW 1994, 225; Heermann, WRP 1999, 381, 385; 345

346

2. Abschnitt: Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff. EG

Aufschluß hierüber gibt die in Erwägungsgrund 17 der

189

Entscheidung ent-

haltene Begründung des E u G H . 6. Begründung: Diskriminierung

Erfordernis

der Zugangsversperrung

oder

materiellen

Ahnlich wie bei der Herkunftslandformel der Cassis de Dzyow-Entscheidung erschließt sich die Bedeutung der Äec&-Entscheidung für die Warenverkehrsfreiheit maßgeblich aus der - der eigentlichen Entscheidung zur Sache „nachgeschobenen" - Begründung. In Erwägungsgrund 17 heißt es zur VerkaufsmodalitätenRegel: „Sind diese Voraussetzungen [oben 1.-5.] nämlich erfüllt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Diese Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 30 EWG-Vertrag [28 EG]." 3 5 4 a) Keck

und

Dassonville

D e m E u G H ist vorgeworfen worden, es sei eine „bloße F i k t i o n " , wenn er R e g e lungen „bestimmter Verkaufsmodalitäten" die Eignung abspreche, den innergemeinschaftlichen Handel im Sinne der Dassonville-Formel einzelt wird Dassonville

zu behindern 3 5 5 . Ver-

sogar aufgrund dieser Aussage als überholt angesehen 3 5 6 .

D o c h trifft diese Kritik nicht den Kern der Sache. D e r E u G H hat die F o r m e l nicht nur in Keck

Dassonville-

selbst und in ständiger Folgerechtsprechung ausdrück-

lich bestätigt 3 5 7 . A u c h inhaltlich bedarf es keiner „rechtlichen F i k t i o n " um und Dassonville

Keck

zu versöhnen. Eine auf die Feststellung eines protektionistischen

oder diskriminierenden Charakters gerichtete Sichtweise prägte bereits vor

Keck

die 7tfsai-Rechtsprechung 3 5 8 . D i e Begründung der Verkaufsmodalitäten-Regel deutet an, daß der E u G H diesen Ansatz mit der Äec&-Entscheidung verallgemeinern und auf diese Weise die ihrem Wortlaut nach zu weit geratene

Dassonville-

F o r m e l inhaltlich präzisieren wollte 3 5 9 . E r legte sie wieder so aus, wie er dies beKieninger, Mobiliarsicherheiten im Europäischen Binnenmarkt, S. 149; W.-H. Roth, FS-Großfeld, S. 929, 956; Rüffler, Der Einfluß des Europarechts auf das österreichische UWG, S. 50. 354 EuGH, 24.11. 1993, verb. Rs. C-267 und C-268/91, Slg. 1993,1-6097 Rn. 17 - Keck und Mithouard. 355 So vor allem v. Wilmowsky, Europäisches Kreditsicherungsrecht, S. 25 Fn. 78; Schilling, EuR 1994, 50, 58; kritisch auch Sack, EWS 1994, 37, 44. 356 Vgl. Mülhert, ZHR 159 (1995), 2, 20f. 357 Vgl. EuGH, 24.11. 1993, verb. Rs. C-267 und C-268/91, Slg. 1993,1-6097 Rn. 11 und 16 Keck und Mithouard-, aus jüngster Zeit EuGH, 13.1.2000, Rs. C-254/98, Slg. 2000,1-151 Rn. 22 TK-Heimdienst Sass. 358 Siehe dazu eingehend oben S. 142 f. 359 So auch EuGH-Richter Joliet, GRUR Int. 1994,979,985: Der EuGH habe mit dieser Klarstellung der Auslegung der Dassonville-¥orme\ einen Irrtum der früheren Rechtsprechung korrigiert.

190

2. Teil: Funktion und Reichweite der

reits 1978 in der Entscheidung Van Tiggele

Grundfreiheiten

getan hatte: Geeignet, den innerge-

meinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sind danach nur Maßnahmen, deren beschränkende Wirkungen auf den Absatz eingeführter Waren über diejenigen hinausgehen, die sie auf den A b satz einheimischer Produkte haben 3 6 0 . Dadurch machte der E u G H die

Dassonvil-

/e-Formel keineswegs obsolet, sondern gab ihr überhaupt erst subsumtionsfähige K o n t u r e n 3 6 1 . Keck

ist auch insoweit weniger Neuorientierung als R ü c k b e s i n -

nung. D e r E u G H verknüpft die Verkaufsmodalitäten-Regel in Erwägungsgrund 17 mit dem von den Generalanwälten Van Gerven trägen zu Torfaen,

Keck

und Hünermund

und Tesauro

in ihren Schlußan-

in den Mittelpunkt gerückten Kriteri-

um der Marktabschottung bzw. Marktaufsplitterung 3 6 2 . D i e Verkaufsmodalitäten-Regel hat ihren „Grund ... darin, daß die Anwendung derartiger Regelungen nicht geeignet ist, den Marktzugang für diese Erzeugnisse im Einfuhrmitgliedstaat zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse t u t " 3 6 3 . Sie basiert auf der Annahme, daß Art. 28 E G nur diesen Wirkungen und nicht jedweder Belastung des Handelsverkehrs entgegensteht, wie der mißverständlich weite Wortlaut von Dassonville b) Folgerungen aa)

Kein Schutz

für die Reichweite der Privatautonomie

nahelegte.

des Art. 28 als

EG

solcher

D e r E u G H stellt in Keck also unmißverständlich klar, daß Art. 28 E G nicht die allgemeine Handlungsfreiheit der Wirtschaftsteilnehmer oder die Privatautonomie als solche schützt. D i e wirtschaftliche Freiheit gegenüber staatlicher Uberregulierung zu verteidigen, ist in einem dem Prinzip der wettbewerbsverfaßten M a r k t wirtschaft verpflichteten Binnenmarkt zwar von hoher Bedeutung. D o c h kann und muß diese Aufgabe nicht allein durch Anwendung der Grundfreiheiten bewältigt werden. Allgemeine Beschränkungen der Handels- und Handlungsfreiheit sind am Maßstab der nationalen Grundrechte bzw. der Gemeinschaftsgrundrechte zu messen 3 6 4 . D i e insbesondere von v. Wilmowsky

vertretene Auffassung,

daß Art. 28 E G letztlich jede Beschränkung der Partei- oder Privatautonomie verbiete bzw. einem Rechtfertigungserfordernis unterwerfe, die geeignet sei, den innergemeinschaftlichen Handel im Sinne der weit verstandenen

Dassonville-l'or-

mel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern 3 6 5 , ist im Vgl. EuGH, 24.1. 1978, Rs. 82/77, Slg. 1978, 43 Rn. 11 ff. - Van Tiggele. Zum desolaten Zustand der EuGH-Rechtsprechung vor Keck siehe eingehend oben S. 154 ff. 362 Vgl. GA Van Gerven in seinen Schlußanträgen zur EuGH, 23.11.1989, Rs. C-145/88, Slg. 1989, 3851 - Torfaen, Tz. 23 sowie 2. Schlußanträge zu Keck, Tz. 8; GA Tesauro, Schlußanträge zu EuGH, 15.12. 1993, Rs. C-292/92, Slg. 1993,1-6787 - Hünermund, Tz. 29. 363 So ausdrücklich EuGH, 10.05. 1995, Rs. C-384/93, Slg. 1995,1-1141 Rn.37 a.E. -Alpine Investments; s.a. Becker, EuR 1994, 162, 172f.; Hödl, Die Beurteilung von verkaufsbehindernden Maßnahmen im Europäischen Binnenmarkt, S. 161. 364 Dazu bereits oben S. 106ff. 365 Vgl. v. Wilmowsky, Europäisches Kreditsicherungsrecht, S. 7ff.; ders., JZ 1996, 590ff. 360

361

2. Abschnitt: Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff. EG

Lichte dieser Entscheidung nicht zu halten 3 6 6 . D e r E u G H beantwortete in

191 Keck

die Frage des Generalanwalts Tesauro danach, o b Art. 28 E G (nur) der Liberalisierung des innergemeinschaftlichen Handels oder ganz allgemein der Förderung der freien Ausübung der Handelstätigkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten diene 3 6 7 , eindeutig im erstgenannten Sinne. bb)

Ausrichtung

des Art. 28 EG auf Marktzugang

und

Markgleichheit

U m Mißverständnissen vorzubeugen: Art. 28 E G schützt nach wie vor die grenzüberschreitende Privatautonomie. E r schützt sie aber nicht als solche, sondern nur, soweit dieser Schutz erforderlich ist, um der primär institutionellen, auf E r richtung des Binnenmarktes gerichteten Zielsetzung der Warenverkehrsfreiheit gerecht zu werden 3 6 8 . D e r Warenverkehrsfreiheit k o m m t die Aufgabe zu, als B e schränkungsverbot jedem in einem Mitgliedstaat legal vertriebenen Produkt den freien Zugang zu den Märkten aller anderen Mitgliedstaaten zu öffnen und als Diskriminierungsverbot auf diesen Märkten seine Benachteiligung im Wettbewerb mit einheimischen Produkten zu verhindern 3 6 9 . cc) Unterscheidung Ungleichberührung

von Diskriminierung

und

tatsächlicher

f

Die Begründung der Verkaufsmodalitäten-Regel in Erwägungsgrund 17 erhellt auch die Bedeutung ihrer Einschränkung in bezug auf Maßnahmen, die zu einer „tatsächlichen Ungleichberührung" führen (Erwägungsgrund 16). D i e verbreitete Auffassung, es sei zwischen Maßnahmen, die Einfuhrwaren offen oder versteckt schlechter stellen (und damit diskriminieren) und solchen Regelungen zu unterscheiden, die (ohne eine dergestalt generelle Eignung zur Einfuhrbehinderung aufzuweisen) lediglich im Einzelfall zu einer „tatsächlichen Ungleichberührung" führen, weil sie einer grenzüberschreitend konzipierten und praktizierten Absatz- und Werbestrategie entgegenstehen 3 7 0 , erscheint zwar grammatikalisch möglich. D a ß der E u G H mit den beiden, unmittelbar aufeinander folgenden Ausdrücken der „Ungleichberührung" (Erwägungsgrund 16) und der „stärkeren Behinderung" (Erwägungsgrund 17) verschiedene, sich teilweise widersprechende Maßstäbe aufstellen wollte, ist aber schon bei systematischer Betrachtung un366 Bei genauerer Betrachtung standen dieser Auffassung bereits Cassis de Dijon (siehe oben S. 141) und die 7asra-Rechtsprechung (siehe oben S. 143) entgegen. 367 Vgl. GA Tesauro, Schlußanträge zu EuGH, 15.12. 1993, Rs. C-292/92, Slg. 1993,1-6787 Hünermund, Tz. 1 siehe oben S. 156 bei Fn. 185. 368 Dazu bereits oben 1. Teil, S. 110. 369 Ähnlich bereits White, (1989) 26 C.M.L.Rev. 233, 246; s.a. W.-H. Roth, FS-Großfeld, S.929, 944. 370 Besonders deutlich am Kriterium der Ungleichberührung setzt Weyer, DZWir 1994,89,93 an; vgl. auch Ackermann, RIW 1994, 189, 194 Fn.38; Basedow, EuZW 1994, 225; Heermann, WRP 1999,381,385; Kieninger, Mobiliarsicherheiten im Europäischen Binnenmarkt, S. 149; W.H. Roth, FS-Großfeld, S. 929,956; Riiffler, Der Einfluß des Europarechts auf das österreichische UWG, S.50.

192

2. Teil: Funktion und Reichweite der

Grundfreiheiten

wahrscheinlich. Vor allem aber würde eine Differenzierung Sinn und Zweck der Verkaufsmodalitäten-Regel widersprechen und das in ihr angelegte Regel-Ausnahme-Verhältnis auf den Kopf stellen. Sie würde in bezug auf grenzüberschreitende Absatzvorgänge letztlich wieder jede Vertriebsregelung des Bestimmungslandrechts in potentiellen Konflikt mit der Warenverkehrsfreiheit bringen, ganz einfach weil sie vom Herkunftslandrecht abweicht 371 . Der Klarstellungseffekt von Keck wäre weitgehend verspielt. Die möglichen Bedeutungsunterschiede zwischen „tatsächlicher Ungleichberührung" und „stärkerer Behinderung" erscheinen zu subtil, um die Anerkennung derartig weitreichender konkludenter Ausnahmen zu rechtfertigen 372 . Ein Blick auf die Äec&-Folgerechtsprechung bestätigt, daß der E u G H mit beiden Formulierungen letztlich nichts anderes gemeint hat als eine Erfassung versteckter Diskriminierungen und daß das Vorliegen einer solchen Diskriminierung im Einklang mit den bereits oben entwickelten Maßstäben durch Anlegung eines generalisierender Maßstabes zu ermitteln ist, der zwar rechtliche und tatsächliche Besonderheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten berücksichtigt, aber nicht von faktischen Zufälligkeiten und individuellen Besonderheiten einzelner Anbieter abhängig ist 373 . 7. Kriterien zur Feststellung in der Folgerechtsprechung a) Kommission/Griechenland.

einer

Einfuhrbenachteiligung

(Säuglingsnahrung):

generalisierender

Maßstab

Die Frage nach der Reichweite des Art. 28 E G als Verbot versteckter vertriebsbezogener Diskriminierungen stellt sich mit besonderem Nachdruck, wenn es an einer Inlandsproduktion fehlt und eine Vertriebsregelung daher in der Rechtswirklichkeit allein den Absatz von Einfuhrwaren trifft. Ein solcher Sachverhalt lag der Entscheidung Kommission/Griechenland (Säuglingsnahrung) zugrunde. Darin mußte der E u G H ein griechisches Verbot des Vertriebs von verarbeiteter Milch für Säuglinge außerhalb von Apotheken an Art. 28 E G messen. Generalanwalt Lenz hatte in seinen Schlußanträgen aus dem Fehlen einer Inlandsproduktion abgeleitet, daß sich jede Reglementierung des Vertriebs verarbeiteter Milch für Säuglinge spezifisch auf importierte Waren auswirke und daher möglicherweise Art. 28 E G verletze 374 . Der E u G H machte sich dagegen eine abstrahierende Betrachtungsweise zu eigen: Zwar beeinträchtigte die Regelung die allgemeine 371 Vgl. Schilling, EuR 1994, 50, 59; Kotthoff, Werbung ausländischer Unternehmen im Inland, S. 115; insoweit auch Lutger, Regulierung und Deregulierung im europäischen Privatrecht, S. 43. 3 7 2 Auf diesen Aspekt wird noch einmal im Zusammenhang mit der Frage nach der Fortgeltung der Oost^oefe-Rechtsprechung, um die es bei diesem Streit letztlich geht, zurückzukommen sein (siehe unten S. 205 ff.). Dort wird sich zeigen, daß selbst die Annahme einer solchen Differenzierungsmöglichkeit kaum weiterführen würde. 3 7 3 Zu den Kriterien für die Feststellung einer versteckten Diskriminierung siehe bereits eingehend oben S.98ff. 3 7 4 GA Lenz, Schlußanträge zu E u G H , 2 9 . 6 . 1 9 9 5 , R s . C - 3 9 1 / 9 2 , S l g . 1995,1-1621 -Kommission/Griechenland (Säuglingsnahrung), Tz. 19ff.

2. Abschnitt: Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff. EG

193

Handlungsfreiheit, doch erstrecke sie sich nicht auf Merkmale der erfaßten Erzeugnisse selbst, gelte für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer und berühre den Vertrieb von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten nicht anders als denjenigen einheimischer Waren. Daß im vorliegenden Fall keine Inlandsproduktion existierte und die Regelung daher faktisch allein Einfuhrwaren betraf, erklärte der E u G H mit überzeugender Begründung für irrelevant: „Die A n w e n d b a r k e i t von Artikel 30 des Vertrages [28 E G ] auf eine nationale M a ß n a h m e der allgemeinen Aufsicht über das Handelsgewerbe, die alle betroffenen Erzeugnisse ohne Unterscheidung nach ihrem U r s p r u n g erfaßt, kann nicht von einem solchen tatsächlichen U m s t a n d abhängen, der rein zufällig ist und sich darüber hinaus auch noch im Laufe der Zeit verändern kann, w e n n man nicht zu dem unlogischen Ergebnis gelangen will, daß eine Regelung, die identische A u s w i r k u n g e n entfaltet, in bestimmten Staaten unter Artikel 30, in anderen Mitgliedstaaten aber nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fiele. Etwas anderes w ü r d e nur gelten, w e n n sich ergäbe, daß die streitige Verordnung eine nationale P r o d u k t i o n schützt, die ähnliche Erzeugnisse wie die aus anderen Mitgliedstaaten stammende verarbeitete Milch f ü r Säuglinge oder mit derartigen Milcherzeugnissen im Wettbewerb stehende Erzeugnisse herstellt" 3 7 5 .

b) Beispiele für typischerweise importbenachteiligende aa) Absolute

Vertriebsregelungen

Werbeverbote

In bestimmten Ausnahmefällen können auch unterschiedslos anwendbare und angewendete, rein vertriebsbezogene Werberegelungen materiell diskriminierend oder sogar marktzugangsversperrend wirken. Ein besonders deutliches Beispiel bieten absolute Werbeverbote für bestimmte Produktgattungen 376 . Zwar zeigte sich der Gerichtshof in der Rechtssache Franzen aus dem Jahre 1997 noch unbeeindruckt von dem Hinweis auf die markterschließende Funktion der Werbung und ließ das praktisch lückenlose schwedische Verbot der Alkoholwerbung unbeanstandet 377 . Doch revidierte er diese Auffassung in der Entscheidung GIP aus 375 E u G H , 29.6. 1995, Rs. C-391/92, Slg. 1995,1-1621 Rn. 15ff. Kommission/Griechenland (Säuglingsnahrung); ähnlich bereits vor Keck E u G H , 18.3. 1980, Rs. 52/79, Slg. 1980, 833 Leitsatz 5 - D e b a u v e ; E u G H , 25.7.1991, verb. Rs. C - l und C-176/90, Slg. 1991,1-4151 Rn. 25 -Aragonesa. Dem entspricht auch der Ansatz der Entscheidung E u G H , 22.10. 1998, Rs. C-l84/96, Slg. 1998,1-6197 Rn. 14ff. - Kommission/Frankreich (Stopfleber). Darin betonte der E u G H , daß es umgekehrt auch für die Ablehnung eines hinreichenden Zusammenhangs zwischen Maßnahme und innergemeinschaftlichem Handel nicht ausreiche, daß eine nennenswerte Produktion eines Erzeugnisses im Ausland nicht existiere. 376 In diese Richtung deuten bereits E u G H , 9.7. 1997, verb. Rs. C-34 bis 36/95, Slg. 1997,13843 Rn. 42 - De Agostini (dazu noch sogleich noch unten S. 196); E u G H , 4.11.1997, C-337/ 95, Slg. 1997, 1-6013 Rn.49ff. - Parfüms Christian Dior, E u G H , 10.11. 1994, Rs. C-320/93, Slg. 1994,1-5257 Rn. 12 - Ortscheit. Die beiden letztgenannten Entscheidungen betrafen allerdings Werbeverbote, die spezifisch auf Einfuhrwaren bezogen waren. 377 Vgl. E u G H , 23.10. 1997, Rs. C-189/95, Slg. 1997, 1-5909 Rn.58ff. - Franzen (zu einem Handelsmonopol i.S.d. Art.31 EG). In dieser Entscheidung ließ es der E u G H noch ausreichen, daß eine „Verkaufsförderung" ausländischer Produkte durch Auslage von (inhaltlich auf reine Produktinformation beschränkten) Broschüren in den für den Verkauf derartiger Getränke konzessionierten Geschäften erlaubt war.

194

2. Teil: Funktion

und Reichweite

der

Grundfreiheiten

dem Jahre 2001 und gestand ein, daß eben dieses schwedische Werbeverbot nicht nur eine Form der Werbung, sondern die Werbung als solche verbiete und daß ein derartiges, praktisch lückenloses Werbeverbot dazu führen könne, daß die Verbraucher die einheimischen Produkte präferierten, mit denen sie besser vertraut seien 378 . Vollständige Werbeverbot fallen demnach, weil sie typischerweise protektionistisch und einfuhrbenachteiligend wirken, nicht unter die Verkaufsmodalitäten-Regel. Mit Blick auf die markterschließende Funktion der Werbung, ohne die die Einführung neuer Produkte ökonomisch sinnlos oder sogar unmöglich sein kann, dürften sie sogar geeignet sein, den Marktzugang für ausländische Produkte zu versperren 379 . bb)

Werbebeschränkungen

mit binnenmarktspezifischem

Produktbezug

Eine zweite Fallgruppe läßt sich aus den Entscheidungen Mars und Clinique ableiten. Darin stellte der E u G H körperlich mit dem Produkt verbundene Werbemaßnahmen und Produktbezeichnungen den Produkteigenschaften gleich 380 . Zur Begründung führte der E u G H an, daß die Anwendung der streitgegenständlichen Verbote den Hersteller dazu zwinge, „seine Erzeugnisse im Bestimmungsland unter einer anderen Bezeichnung zu vertreiben und zusätzliche Verpakkungs- und Werbekosten" auf sich zu nehmen" 3 8 1 . Lediglich produktbegleitende, nicht körperlich mit dem Produkt verbundene Maßnahmen der Werbung und Absatzförderung betreffen dagegen nur Verkaufsmodalitäten. Ein gegen sie geeinrichtetes Werbeverbot kann jedoch zu einer tatsächlichen Schlechterstellung geführter Waren führen, wenn es an Produkteigenschaften knüpft, die nach dem Herkunftslandrecht der Verkehrsfähigkeit nicht im Wege stehen und mit denen daher im Herkunftsland ohne weiteres geworben werden darf (binnenmarktspezifischer Produktbezug). Anbieter einheimischer Waren dürfen diese regelmäßig ohne Einschränkung (mitsamt Markennamen und sonstigen Aufdrucken) in ihrer Werbung abbilden und auf deren Eigenschaften hinweisen. Jede Anwendung einer Lauterkeitsnorm, die Gleiches in bezug auf eingeführte Produkte verbietet (weil ein Produkt nach Maßgabe des nationalen Rechts ein bestimmtes Aussehen, eine bestimmte Bezeichnung oder bestimmte Eigenschaften nicht haben darf), benachteiligt die Bewerbung der eingeführten Produkte und ist daher als materiell 3 7 8 Vgl. E u G H , 8.3. 2001, Rs. C-405/98, Slg. 2001,1-1795 Rn.20ff. - GIP = EuZW 2001,251 m. Anm. Leihle. Dies erinnert an den Ansatz von Dauses, der vorschlägt, bereits beim Begriff der „bestimmten Verkaufsmodalität" anzusetzen: Ein vollständiges Werbeverbot regele (anders als ein partielles) nicht nur einzelne Verkaufsmodalitäten, sondern einen ganzen „Marktregelungskomplex" (RIW 1998, 750, 755 und in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, C.I. Rn. 131). Die „Rest-Werbemöglichkeit" durch Auslage von Broschüren in den Verkaufsstätten hielt der E u G H (anders als noch in Franzen) zu Recht für irrelevant; dies um so mehr, als das staatliche Monopolunternehmen de facto nur seine eigenen Broschüren auslegte, vgl. E u G H , a.a.O. Rn. 23 f.

Siehe dazu bereits oben S. 87 bei Fn. 154 (zur EG-Tabakrichtlinie). Siehe dazu bereits oben S. 177f. 381 Vgl. E u G H , 2.2. 1994, Rs. C-315/92, Slg. 1994,1-317 Rn. 19 -Clinique; Rs. C-470/93, Slg. 1995,1-1923 Rn. 13ff. - Mars. 379 380

E u G H , 6.6.1995,

2. Abschnitt: Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff. EG

195

diskriminierend anzusehen. Gerade die für ausländische Anbieter besonders wichtige Information über die besonderen, ihre Produkte von den einheimischen Erzeugnissen unterscheidenden Eigenschaften bleibt mithin umfassend geschützt 382 . Diese Ausnahme ist vor allem für Fälle des sog. „Marketing-Mix" von Bedeutung, bei denen die Werbung teils mit dem Produkt verbunden und teils reine Begleitwerbung ist 383 . Sie umfaßt aber auch Fälle reiner Begleitwerbung, die darauf gerichtet ist, den Abnehmer über die Vorteile ausländischer Produkte aufzuklären und die vom Bestimmungsland gerade deshalb untersagt wird 384 . Bei Werbe- und Absatzregelungen, denen ein binnenmarkspezifischer Produktbezug fehlt, scheidet eine spezifische Benachteiligung eingeführter Waren aus. Schon ein „binnenmarktneutraler" Produktbezug ist unzureichend 385 . So ist z.B. ein unterschiedslos anwendbares Verbot, der Werbung mit selbstverständlichen (weil auch nach dem Bestimmungslandrecht vorgeschriebenen) Produkteigenschaften nicht geeignet, Importwaren in irgendeiner Weise zu benachteiligen; es ist daher eine reine Verkaufsmodalitätenregelung. Gleiches gilt erst recht für Werberegelungen, Zugabeverbote etc., denen jeder inhaltliche oder körperliche Bezug zu Produkteigenschaften fehlt. cc)

Niederlassungserfordernisse

Die Mitgliedstaaten dürfen schließlich (unbeschadet einer Rechtfertigung) auch keine Regelung treffen, durch welche der fliegende Vertrieb ausländischer Waren oder der grenzüberschreitende Versandhandel als solcher verboten oder durch das Erfordernis der Begründung einer festen Betriebsstätte faktisch unmöglich gemacht wird 386 . Dies belegt die Entscheidung TK-Heimdienst-Sass, in welcher der E u G H ein Niederlassungserfordernis zwar als Verkaufsmodalität ansah 387 ,

382 Dies begegnet dem Argument, eine strenge Anwendung der Verkaufsmodalitäten-Regel stehe der Verbraucherinformation im Wege, so etwa Lensdorf, Das deutsche Werberecht im Rahmen des Euro-Marketing, S. 135f. 383 Dies begegnet der Befürchtung, die Verkaufsmodalitäten-Regel führe bei einem „Marketing-Mix" zur Aufspaltung der Beurteilungsmaßstäbe danach, ob die Werbung auf das Produkt gedruckt sei oder es lediglich begleite, so etwa Dauses, RIW 1998, 750, 755. 384 Ähnlich Grundmann, Das Europäische Bankaufsichtsrecht wächst zum System, S. 43 (Verbot einer Werbung, welche über die Vorteile ausländischer Finanzierungstechniken aufklären will). 385 Vgl. dazu bereits oben S. 181. 386 So im Ergebnis auch LG Berlin, MMR 2001, 249, 250 - DocMorris m. Anm. Mankowski (zur gemeinschaftskonformen Auslegung des Verbots des Arzneimittelversandhandels durch § 43 Abs. 1 AMG im Lichte des Art. 28 EG). In der Tendenz ebenso, die Frage letztlich aber offenlassend LG Frankfurt MMR 2001,243,246 - DocMorris mit zust. Anm. Hoeren, EWiR 2001, 39 und Just EWiR 2001; s.a. O L G Frankfurt, ZIP 2001,1164; KG MMR 2001,759. Zur DocMorra-Rechtsprechung siehe noch ausführlich unten S.573f. 387 Vgl. EuGH, 13.1. 2000, Rs. C-254/98, Slg. 2000, 1-151 Rn.24 - TK-Heimdienst Sass = EuZW 2000,309 m. Anm. Gundel zu einer österreichischen Gewerberegelung, die das Feilbieten von nicht vorher bestellten Waren im Umherziehen von Ort zu Ort durch Bäcker, Fleischer und Lebensmittelhändler von der Einrichtung einer ortsfesten Betriebsstätte in der Vertriebsregion

196

2. Teil: Funktion und Reichweite der

Grundfreiheiten

ihm aber in Parallele zu seiner Rechtsprechung zur Dienstleistungsfreiheit 3 8 8 eine einfuhrdiskriminierende Wirkung beimaß, weil ausländische Anbieter durch eine solche Regelung anders als bereits niedergelassene inländische Anbieter typischerweise besonderen Kosten ausgesetzt werden 3 8 9 . D e r E u G H hat diesen A n satz jüngst auch in der ß o c A f o r r a - E n t s c h e i d u n g bestätigt 3 9 0 . Freilich entbindet dieser Befund den fliegenden bzw. grenzüberschreitenden Vertrieb ausländischer Waren nicht pauschal von allen Verkaufsmodalitätenregelungen des Bestimmungslandes. D e r Verkaufsmodalitäten-Regel entgehen nur Regelungen, die das „ O b " dieser Vertriebsformen (und damit den Marktzugang ausländischer Waren) betreffen, nicht dagegen solche, die lediglich einzelne Modalitäten (das „ W i e " ) beschränken. c) De Agostini

als leiser Abschied

In der Entscheidung De Agostini

von „ Säuglingsnahrung

" und Keck ?

aus dem Jahre 1997 betonte der E u G H , daß ein

vollständiges Verbot der an Kinder unter zwölf Jahren gerichteten Fernsehwerbung als bloße Verkaufsmodalitätenregelung nicht unter Artikel 28 E G falle, „sofern nicht nachgewiesen wird, daß dieses Verbot den Absatz der inländischen E r zeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich nicht in gleicher Weise berührt". Dies zu beurteilen, sei Sache der nationalen Gerichte 3 9 1 . Darin ist in der Literatur ein Abgehen vom Diskriminierungsmaßstab der Entscheidung Kommission/Griechenland gar schon ein „leiser Abschied vom Keck-Urteil"

(Säuglingsnahrung) 3 9 2 und sogesehen worden 3 9 3 . Das schwe-

dische Marktgericht, das die Vorlagefrage an den E u G H gerichtet hatte und daher Adressat der A n t w o r t des E u G H war, sah dies aber zu R e c h t anders: O h n e auf die individuelle, durch das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Vertriebskonzepts der Muttergesellschaft geprägte Situation von D e Agostini einzugehen, lehnte es in seiner Abschlußentscheidung das Vorliegen einer tatsächlichen Ungleichberührung ab, da die Regelung die Markteinführung neuer Kinderzeitschriften durch schwedische wie ausländische U n t e r n e h m e n in gleicher Weise erschweabhängig machte (dazu bereits oben S. 182). Zum umgekehrten Problem der Handelsbehinderung durch Niederlassungshindernisse siehe bereits oben S. 168 f. 388 Vgl E u G H , a.a.O. Rn.29. Niederlassungserfordernisse nehmen der auf vorübergehende Leistungserbringung im Bestimmungsland gerichteten Dienstleistungsfreiheit jede praktische Wirksamkeit und sind daher gemeinschaftsrechtlich besonders bedenklich, vgl. dazu etwa EuGH, 25.7. 1991, Rs. C-76/90, Slg. 1991,1-4221 Rn. 13 - Säger; EuGH, 9.7. 1997, Rs. C-222/ 95, Slg. 1997,1-3899 Rn.31 - Parodi. 389 Vgl. EuGH, a.a.O. Rn.24; ähnlich EuGH, 23.10. 1997, Rs. C-189/95, Slg. 1997,1-5909 Franzén sowie schon vor Keck EuGH, 30.4.1991, Rs. C-239/90, Slg. 1991,1-2023 - Boscher sowie nach Keck EuGH, 5.10. 1994, Rs. C-323/93, Slg. 1994,1-5077 - Centre d'insémination. 390 Vgl. EuGH, 11.12. 2003, Rs. C-322/01, EuZW 2004, 21 Rn.74 - DocMorris (Deutscher Apothekerverband). 391 Vgl. EuGH, 9.7. 1997, verb. Rs. C-34 bis 36/95, Slg. 1997,1-3843 Rn.43f. - De Agostini. 392 Vgl. etwa Oliver, (1999) 36 C.M.L.Rev. 783,796;Heermann, WRP 1999,381,385;Rüffler, Der Einfluß des Europarechts auf das österreichische UWG, S. 50f. 393 So Novak, DB 1997, 2589, 2591f.

2. Abschnitt: Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff. EG

197

re 394 . Was der EuGH in De Agostini gemeint haben dürfte, wird im Zusammenspiel mit der späteren Entscheidung GIP deutlich: In De Agostini war unklar, ob aufgrund besonderer tatsächlicher Umstände in Schweden ein Fernsehwerbeverbot de facto (wie De Agostini behauptet hatte) auf ein vollständiges Werbeverbot (und damit auf eine Einfuhrdiskriminierung) hinauslief. GIP lag dagegen bereits tatbestandlich ein vollständiges Werbeverbot zugrunde, so daß der EuGH sich für befugt hielt, eine einfuhrdiskriminierende Wirkung festzustellen, ,,[o]hne daß eine genaue Untersuchung der die Lage in Schweden kennzeichnenden tatsächlichen Umstände nötig wäre - diese Untersuchung obläge dem nationalen Gericht" 395 . Eben diese Untersuchung (und nicht etwa eine Analyse der individuellen Situation von De Agostini) hatte der EuGH dem schwedischen Marktgericht in De Agostini aufgegeben396. Es bleibt daher auch nach De Agostini beim abstrakt-generellen, „überindividuellen" Diskriminierungsmaßstab397. Von einem „Abschied von Keck" kann nicht die Rede sein. d) Fazit Zusammenfassend ist festzuhalten, daß für die Feststellung einer Einfuhrbenachteiligung ein abstrakt-genereller Maßstab anzulegen ist. Untersucht wird die Situation der Einfuhrwaren im Verhältnis zur einheimischen Produktion. Zufälligkeiten (wie das Fehlen einer Inlandsproduktion) oder individuelle Besonderheiten (wie der Umstand, daß ein Hersteller ein bestimmtes, im Bestimmungsland nicht oder nur eingeschränkt zulässiges Vertriebskonzept verfolgt und daher durch eine Regelung stärker behindert wird als ein solcher, der dies nicht tut) bleiben außer Betracht. VII. Die Verkaufsmodalitäten-Regel im Spiegel der nationalen Rechtspraxis Die Nagelprobe für die Praxistauglichkeit der Verkaufsmodalitäten-Regel ist ihre Anwendung in der Spruchpraxis der nationalen Gerichte. Dem EuGH war in einer frühen Stellungnahme vorgeworfen worden, er habe mit Keck im Ergebnis nicht Rechtssicherheit geschaffen, sondern „größte Rechtsunsicherheit" hervorgerufen398. Diese Kritik hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil ist der EuGH 394 Vgl. Marknadsdomstolen (Marktgericht) G R U R Int. 1999, 466, 467f. - De Agostini mit zust Anm. Edling-, abweichend allerdings Richter Stenlund in einer dissenting opinion (a.a.O. S.468). 3 9 5 EuGH, 8.3. 2001, Rs. C-405/98, Slg. 2001, 1-1795 Rn.21 - GIP = EuZW 2001, 251 m. Anm. Leible; dazu schon oben S. 194 bei Fn. 378. 3 9 6 In diese Richtung deuteten bereits die Schlußanträge des GA Jacobs zu EuGH, 9.7. 1997, verb. Rs. C-34 bis 36/95, Slg. 1997,1-3843 - De Agostini, Tz. 99ff. Gegen eine auf die individuelle Situation einzelner Wirtschaftsteilnehmer abstellende Auslegung des Diskriminierungsbegriffs auch EuGH, 23.5. 1996, Rs. C.237/94, Slg. 1996,1-2617 Rn.21 - O'Flynn (zu Art.39 EG). 3 9 7 Vgl. auch Franzen, Privatrechtangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 160. 3 9 8 So Steindorff, Z H R 158 (1994), 149, 158.

198

2. Teil: Funktion

und Reichweite

der

Grundfreiheiten

dem Ziel rechtlicher Klarheit ein gutes Stück näher gekommen. Die Rechtspraxis nimmt den E u G H im Gegenteil zu großen Teilen der Literatur beim Wort und kommt daher gut mit der Verkaufsmodalitäten-Regel zurecht 399 . 1. Anwendungsfälle

der

Verkaufsmodalitäten-Regel

Die deutsche Rechtsprechung hat die Verkaufsmodalitäten-Regel in einer Vielzahl von Fällen angewendet, die fast ausnahmslos lauterkeitsrechtliche Vorschriften betrafen. Schon 1994 sah das O L G Düsseldorf das Verbot der Preisgegenüberstellungen im früheren § 6e U W G als Verkaufsmodalitätenregelung an und hielt die EuGH-Entscheidung Yves Rocher für überholt 4 0 0 . Der B G H bestätigte diese Auffassung in seiner Entscheidung Wiederholungsgefahr 7/ 4 0 1 . Gleichermaßen judizierte er in der Entscheidung „2fürl" zu einer Rabattregelung, die einem anderen, wiederum von der französischen Muttergesellschaft konzipierten Werbekonzept der Yves Rocher G m b H entgegenstand 402 . Das O L G Rostock sah das Verbot einer irreführenden Alleinstellungswerbung eines deutschen Franchisenehmers durch § 3 U W G als reine Verkaufsmodalitätenregelung an, obwohl die konkrete Werbung auf einem zentral aus Belgien gesteuerten, grenzüberschreitenden Konzept des dort ansässigen Franchisegebers beruhte 403 . Das Hanseatische O L G Hamburg stellte sich in seiner Modeschmuck-^LntscheidiUng zu § 1 U W G ausdrücklich der Auffassung entgegen, den Entscheidung Clinique und Mars ließe sich eine Bestätigung der Entscheidung Yves Rocher und damit eine Fortgeltung der OosiÄoe^-Rechtsprechung entnehmen 404 . Dieser Auffassung schlössen sich auch das Schleswig-Holsteinische O L G und O L G Nürnberg in bezug auf die Anwendung des Rabattgesetzes an 405 . Weitere Judikate betrafen das Verbot einer Gewinnspielwerbung 406 , die Beurteilung eines unbeschränkten U m -

3 9 9 Ähnlich Heermanns, W R P 1999, 381, 386 (freilich verbunden mit dem m.E. unberechtigten Vorwurf, die deutsche Rechtsprechung gehe dabei zu schematisch vor). 4 0 0 Vgl. O L G Düsseldorf EuZW 1994, 189ff. 401 Vgl. B G H N J W - R R 1996, 554, 555 - Wiederholungsgefahr / / ; ebenso B G H N J W E WettbR 1996, 266 - Schlußverkauf (beide zum früheren §6e U W G ) . 4 0 2 Vgl. B G H N J W - R R 1995, 871 - 2 für 1; noch eher auf die Rechtfertigung abstellend O L G Stuttgart W R P 1993, 281, 285f. (Vorinstanz); klarer O L G Stuttgart O L G R 1998, 318; kritisch Leible/Sosnitza, G R U R 1995, 799ff. 4 0 3 Vgl. O L G Rostock O L G R 1995, 248, 249 - weltweit erster Spezialist; ebenso O L G Köln N J W - R R 1997, 1473 - Ackern für Deutschland (Irreführung durch Verwendung des Wortes „Ackern" für auf Nährstoffmatten gezogenes holländisches Gemüse). 4 0 4 Vgl. Hans. O L G Hamburg G R U R Int. 1997, 640, 643f. = W R P 1997, 314, 318f. Modeschmuck (zur Frage, ob das Verschenken von Waren ein übertriebenes Anlocken i.S. v. § 1 U W G darstellt). 4 0 5 Vgl. Schleswig-Holsteinisches O L G W R P 1996, 468; O L G Nürnberg EWS 1995, 53, 54 (zu einem Inlandssachverhalt). 4 0 6 Vgl. O L G Karlsruhe M D R 1997, 770 - Gewinnspielwerbung (mit dem absichernden Hinweis, das Verbot nach § 1 U W G sei jedenfalls auch durch Lauterkeits- und Vebraucherschutz gerechtfertigt).

2. Abschnitt: Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff. EG

199

tausch- und Rückgaberechts am Maßstab der Z u g a b e V O 4 0 7 und das Verbot einer wettbewerbswidrigen Anlehnung an das Bezeichnungssystem eines Wettbewerbers 4 0 8 . Das in einer ersten Entscheidung von 1994 hinsichtlich einer Werberegelung noch eher zurückhaltende Kammergericht 4 0 9 folgte 1997 ebenfalls dieser Auffassung und sah im Verbot einer aus den Niederlanden gesendeten, an deutsche Verbraucher gerichteten Faxwerbung für ein in Deutschland vertriebenes Produkt eine bloße Verkaufsmodalitätenregelung 4 1 0 . Gleichermaßen judizierte auch der österreichische O G H zu einem auf § 1 O s t U W G gestützten Verbot der unbestellten Telefonwerbung ( c o l d calling)m

und zum österreichischen A p o t h e -

k e n m o n o p o l für Arzneimittel 4 1 2 . D e r O G H sah darin Verkaufsmodalitätenregelungen. D a ß schließlich auch das schwedische Marktgericht dem hier vertretenen Ansatz zur Auslegung der Keck-Rechtsprechung menhang mit der Entscheidung De Agostini

2. Anwendungsfälle

folgt, wurde bereits im Zusamerörtert 4 1 3 .

des Cassis de Dijon-Tests und des

In der Entscheidung Mozarella

Diskriminierungsverbots

I hielt der B G H die Verkaufsmodalitäten-Regel

für unanwendbar auf eine Produktbezeichnungsregelung 4 1 4 . Gleichermaßen judizierte das O L G Dresden zu einer sprachbezogenen Etikettierungsregelung 4 1 5 sowie der österreichische O G H zu einer Regelung, die eine Preisauszeichnung in österreichischen Schilling vorschrieb 4 1 6 , zur Anwendung des § 1 O s t U W G auf einen möglicherweise irreführenden Verpackungsaufdruck 4 1 7 und zu einem an be-

407 Vgl. OLG Saarbrücken GRUR Int. 2000, 92, 93 - Unbeschränktes Umtausch- und Rückgaberecht (Lands' End, Inlandssachverhalt). 408 Vgl. OLG Celle OLGR 2001, 57, 59 - Gelenkwellen (leider ohne Wiedergabe der Begründung). 409 Vgl. KG NJW-RR 1994, 1463, 1464 - Irreführende Werbung für Produkte aus der EU. 410 Vgl. KG IPRax 1999, 374 - Telefax-Werbung mit kritischer Anm. Dethloff IPRax 1999, 347ff. Für Art.49 EG nahm das KG Gleiches an. Von EuGH, 10.05. 1995, Rs. C-384/93, Slg. 1995,1-1141 -Alpine Investments distinguierte das KG seine Entscheidung unter Hinweis darauf, daß diese EuGH-Entscheidung eine Regelung des Absatzes in einem anderen Mitgliedstaat betroffen habe, die den Ausgangsstaat grundsätzlich nichts angehe (a.a.O. S.375). 411 Vgl. OGH GRUR Int. 1996,68 - Computerkurse. Die Entscheidung erging vor Alpine Investments, wo der EuGH für Regelungen des Exportstaates, nicht aber notwendig auch für solche des Importstaates anderes nahelegte. 412 Vgl. OGH, 19.9. 1995, Geschäftszahl 40b75/96, veröffentlicht auf der Website „http://www.ris.bka.gv.at/jus/". 413 Vgl. Marknadsdomstolen (Marktgericht) GRUR Int. 1999, 466 - De Agostini m. zust. Anm. Edling; dazu bereits oben S. 193. 414 Vgl. BGH NJW-RR 1994, 619, 621 - Mozarella I. 415 Vgl. OLG Dresden GRUR 2000, 88 - Italienisches Mineralwasser. Das OLG hielt Art. 28 EG für anwendbar, die Etikettierungsregelung aber im Ergebnis für gerechtfertigt. 416 Vgl. OGH GRUR Int. 1995, 714 Sportschuh-Spezial. 417 Vgl. OGH GRUR Int. 1999, 796 - Screwpull (zur Irreführung durch den Aufdruck „PAT AND PAT PEND", wenn in Österreich ein Patentschutz für das Produkt weder besteht noch beantragt ist).

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2. Teil: Funktion und Reichweite der

Grundfreiheiten

stimmte Produkteigenschaften geknüpften Zulassungserfordernis418. Diese Entscheidungen bewegen sich im Rahmen der auf Produkteigenschaften, Verpakkung und Bezeichnung ausgerichteten Linie, die der E u G H in den Entscheidungen Clinique und Mars vorgezeichnet hat. Daß schließlich auch Verkaufsmodalitätenregelungen grundsätzlich weiterhin dem Verbot des Art. 28 E G unterfallen, wenn sie sich allein auf Einfuhrwaren beziehen (und diese dadurch diskriminieren), verdeutlicht eine Entscheidung des L G Frankfurt zu einem allein ausländische Produkte betreffenden Werbeverbot 419 . 3.

Resümee

Der Blick auf die deutsche, österreichische und schwedische Rechtsprechung macht deutlich, daß die Verkaufsmodalitäten-Regel den Beweis ihrer Praxistauglichkeit erbracht hat. Ihre konsequente Anwendung hat Rechtsanwendungssicherheit und Rechtsanwendungsqualität deutlich verbessert. Eine länderübergreifende Untersuchung zur Anwendung des EG-Rechts auf nationaler Ebene durch Jarvis bestätigt diesen Befund. Er weist darauf hin, daß Anwendungsschwierigkeiten in der Praxis weniger aus der Verkaufsmodalitäten-Regel selbst als vielmehr aus dem Versäumnis des E u G H resultieren, die durch Keck überholten Entscheidungen wenigstens exemplarisch beim Namen zu nennen 420 . Die deutsche Rechtsprechung hat auf diese Zweifelsfrage eine eindeutige Antwort gefunden: Oosthoek ist danach überholt, die Übertragung des Cassis de Dijon-Ansatzes auf reine Vertriebs- und Umfeldregelungen ist Rechtsgeschichte, und zwar auch in bezug auf grenzüberschreitend verfolgte Vertriebskonzepte. In der Literatur sehen viele das freilich immer noch anders. Damit sind wir bei der Gretchenfrage zur -Entscheidung angelangt, die zugleich Schlüsselfrage für das Verhältnis der Grundfreiheiten zum (überwiegend vertriebsbezogenen) Privatrecht ist: Wie hält es der E u G H mit Oosthoek?m V I I I . Fortgeltung der Oosthoek-Rechtsprechung? 1.

Ausgangsfrage

Während die Fortgeltung des produktbezogenen Herkunftslandprinzips im Sinne von Cassis de Dijon feststeht, ist in der Literatur nach wie vor heftig umstritten, 418 Vgl. OGH, 16.6. 1998, Geschäftszahl 40bl26/98b, veröffentlicht auf der Website „http://www.ris.bka.gv.at/jus/". 419 Vgl. LG Frankfurt WPR 1995, 879, 881 = NJW-RR 1996, 299 FAO-Zahl. 420 Vgl .Jarvis, The Application of EC Law by National Courts, S. 118 ff. sowie S.433. Dieses Versäumnis des EuGH wurde bereits oben auf S. 162 kritisiert. 421 Die Einordnung der Oostioe^-Entscheidung war schon vor Keck überaus umstritten: Vgl. einerseits White, der den Fall Oosthoek als Beispielfall für die Produktpräsentation aufführte, die er zu den „characteristics" (Produkteigenschaften) zählte, ders., (1989) 26 C.M.L.Rev. 235, 246f. Andererseits EuGH-Richter Joliet, der darin bereits vor Keck einen typischen Fall einer Verkaufsmodalitätenregelung sah (ders., GRUR Int. 1994, 1, 11 Fn. 79) und die Entscheidung nach Keck dementsprechend für überholt hielt {ders., GRUR Int. 1994, 979, 986).

2. Abschnitt: Die Warenverkehrsfreiheit o b der E u G H mit Keck

- Art. 28ff. EG

201

die A u s d e h n u n g des Cassis de Dijon-Ansatzes

auf b l o ß e

Vertriebsregelungen durch die Oo5iÄoe£-Rechtsprechung revidiert hat 4 2 2 , oder o b sie fortgilt 4 2 3 . V o n denjenigen, die für eine Fortgeltung der

Oosthoek-Recht-

sprechung plädieren, tritt eine M e h r h e i t dafür ein, sie auf wirklich grenzüberschreitende Absatzvorgänge zu b e g r e n z e n 4 2 4 . A n d e r e sprechen dem K r i t e r i u m der G r e n z ü b e r s c h r e i t u n g eine hinreichende Trennschärfe ab und wollen sie generell weiterführen, soweit durch eine Vertriebsregelung des Bestimmungslandes der A b s a t z (auch) eingeführter W a r e n betroffen ist 4 2 5 . D i e s e Frage wird insbesondere am Beispiel des sog. „ E u r o - M a r k e t i n g " erörtert, d.h. mit B l i c k auf b i n n e n marktweit konzipierte A b s a t z - und Werbestrategien, deren

Verwirklichung

durch die fortbestehenden Rechtsunterschiede im B i n n e n m a r k t be- oder sogar verhindert w i r d 4 2 6 . D e r Oost/?ot'&-Rechtsprechung lag der G e d a n k e zugrunde, daß die B e h i n d e r u n g solcher Absatzstrategien dem A r t . 28 E G widerspreche 4 2 7 . D e r privatrechtliche A n w e n d u n g s s c h w e r p u n k t dieser R e c h t s p r e c h u n g lag auf 422 So die deutsche Rechtsprechung (siehe soeben S. 198) sowie aus der Literatur SchwarzeBecker, Art.28 EG Rn.77; ders., EuR 1994, 162, 173f.; Ehricke, WuW 1994, 108, 114; Everling, ZLR 1994, 221, 227f.; Hödl, Die Beurteilung von verkaufsbehindernden Maßnahmen im Europäischen Binnenmarkt, S.\92f.-,Joliet, GRUR Int. 1994, 979, 986; Kotthoff, WRP 1996, 79, 83f.; ders., Werbung ausländischer Unternehmen im Inland, S. 116ff.; Lierow, MDR 1995, 18, 19f.; Lüder, EuZW 1996, 615, 620; Möschel, NJW 1994, 429, 430; Petschke, EuZW 1994, 107, 111; Sack, EWS 1994, 37, 42f.; ders., WRP 1998,103. 106ff.; im Grundsatz auch Freund]A 1997, 716, 721 und (allerdings bedauernd) Solbach, Staatliche Regelungen von Verkaufsmodalitäten, S. 177ff.; im Grundsatz auch Franzen, Privatrechtangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 157ff. (der allerdings eine Ausnahme für die Werbung machen will); unentschieden Jaestadt/Kaestle, EWS 1994,26,28; Weatherill, (1996) 33 C.M.L.Rev. 885,900; Weyer, DZWir 1994, 89, 92. 423 So etwa Ackermann, RIW 1994,189,194; Basedow, EuZW 1994, 225; Classen, EWS 1995, 97,100; Dauses, RIW 1998, 750, 755; Ebenroth, FS-Piper, S. 133,164ff.; Fezer, JZ 1994,317, 323; Heermann, WRP 1999, 381, 388; Kieninger, EWS 1998, 277, 283f; Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S.97f.; Leible, WRP 1997,517, 521; Leible/Sosnitza, K&R 1998,283,287; Lensdorf, Das deutsche Werberecht im Rahmen des Euro-Marketing, S. 129ff.; Lenz, ZEuP 1994,624, 647; GTE-Müller-Graff, Art. 30 EGV Rn.124, 258; Perau, Werbeverbote im Gemeinschaftsrecht, S. 133 ff.; Reese, Grenzüberschreitende Werbung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 58ff.; Reich, (1994) 31 C.M.L.Rev. 459,486f.; ders., ZIP 1993,1815,1817; Rüffler, Der Einfluß des Europarechts auf das österreichische UWG, S.45ff.; Steindorff, ZHR 158 (1994), 149,164ff.; ders., EG-Vertrag und Privatrecht, S. 102; s.a. GA Tesauro, Schlußanträge zu EuGH, 15.12.1993, Rs. C-292/92, Slg. 1993,1-6787 - Hünermund, Tz. 22. 424 Vgl. Basedow, EuZW 1994, 235; ders., RabelsZ 59 (1995), 1, 6ff; ähnlich W.-H. Roth, FSGroßfeld, S. 929,936; ähnlich schon ders., Rückzug des Europäischen Gerichtshofs vom Binnenmarktkonzept?, in: FIW Heft 160, S.21, 31; Leible, in: Grabitz/Hilf, Art.28 EG Rn.28. 425 Vgl. Steindorff, ZHR 158 (1994), 149, 167; GTE-Müller-Graff Art.30 EGV Rn.257 Fn. 614. 426 Dazu monographisch Reese, Grenzüberscheitende Werbung in der Europäischen Gemeinschaft (1994); Kotthoff, Werbung ausländischer Unternehmen im Inland (1995); Fensdorf, Das deutsche Werberecht im Rahmen des Euro-Marketing, 1998; Dethloff Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001). Aus ökonomischer Sicht Meissner, Marketingstrategien im Gemeinsamen Binnenmarkt, in: Brauchlin, Die Vollendung des EG-Binnenmarktes, S.5ff.; Rohleder/ Gratzer, Markenartikel 1990, 473ff.; Reuter, zfbf 1991, 75ff. 427 Siehe oben S.149ff.

202

2. Teil: Funktion

und Reichweite

der

Grundfreiheiten

dem Gebiet des Lauterkeitsrechts 428 . Doch kann der Oosthoek-Ansatz auch für andere Gebiete des Privatrechts Bedeutung erlangen, etwa für die grenzüberschreitende Anwendung von A G B oder für die Beurteilung einer nicht aus dem wettbewerblichen Irreführungsverbot, sondern aus dem schuldrechtlichen Institut der culpa in contrahendo abgeleiteten Aufklärungspflicht. Ob das U W G (zum Schutz der Wettbewerber) oder das allgemeine Schuldrecht (zum Schutz der Vertragspartner) als Grundlage der Aufklärungspflicht zur Anwendung kommt, hängt schließlich häufig allein davon ab, wer ihre Verletzung im konkreten Fall rügt 429 . Hinzu kommen auf Oosthoek bzw. GB-INNO-BM basierende Ansätze zu einer kollisionsrechtlichen Deutung der Grundfreiheiten 430 . 2. Fortgeltung a) Rückschlüsse

der Oosthoek-Rechtsprechung aus Keck und der

de lege lataf

Folgerechtsprechung

Argumente für eine Fortgeltung des Oosthoek-Ansatzes de lege lata werden bereits der Keck-Entscheidung selbst entnommen. So betont Fezer in einer frühen Stellungnahme, gegen eine Aufgabe der Oosf/?oe&-Rechtsprechung spreche bereits, daß der E u G H die nur ein halbes Jahr vor Keck ergangene Yves Rocher-Entscheidung mit keinem Wort erwähnt habe 431 . Genauer betrachtet trägt dieser Befund indes keinen Schluß auf eine Fortgeltung von Yves Rocher oder sogar der Oo5i/?oe&-Rechtsprechung insgesamt. Der E u G H betonte in Keck ausdrücklich, „entgegen der bisherigen Rechtsprechung [sei] die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils Dassonville ... zu behindern" 432 . Damit zitierte er fast wörtlich die Rechtssache Yves Rocher, wo er mit entgegengesetzter Tendenz von einer nationalen Regelung sprach, „die bestimmte Formen der Werbung oder bestimmte Methoden der Absatzförderung beschränkt oder verbietet" 4 3 3 . Der Vergleich der Urteilspassagen macht deutlich, daß der E u G H sich

4 2 8 Regelungen aus anderen Privatrechtsgebieten hat der E u G H bislang regelmäßig bereits wegen ihres zu ungewissen und mittelbaren Einfuhrbezugs dem Verbot des Art. 28 E G entzogen (siehe dazu schon oben S. 145 ff.; zur Fortwirkung dieses Begründungsmusters nach Keck siehe S. 167ff.). 4 2 9 Siehe dazu oben S. 145 (CMC Motorradcenter. Aufklärungspflicht zur Vermeidung einer Haftung aus culpa in contrahendo) und und unten 3. Teil, S. 576ff. ( E G - N e u w a g e n : Aufklärungspflicht aus §3 U W G ) . 4 3 0 Vgl. etwa Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht (1997). Auf die kollisionsrechtliche Bedeutung der Grundfreiheiten wird noch im 3. Teil dieser Studie einzugehen sein (siehe unten S. 432ff.). 431 Vgl. Fezer, J Z 1994, 317, 321. 4 3 2 E u G H , 24.11. 1993, verb. Rs. C-267 und C-268/91, Slg. 1993, 1-6097 Rn. 16 - Keck und Mithouard. 4 3 3 E u G H , 18.5.1993, Rs.C-126/91, Slg. 1993,1-2361 R n . 1 0 - Yves Rocher, siehe auch E u G H 15.12.1982, Rs. 286/81, Slg. 1982,4575 Rn. 15 - Oosthoek (vollständiges Zitat und weitere Fundstellen siehe oben S. 138 bei bzw. in Fn. 167).

2. Abschnitt: Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff. EG

203

hinsichtlich des Rechtsprechungswechsels gerade auf die Oosf^oe^-Rechtsprechung bezogen hat, auch wenn er es (vielleicht um sich eine Hintertür offenzuhalten) versäumte, sie ausdrücklich beim Namen zu nennen 434 . Eine Fortgeltung der OosiAoe^-Rcchtsprechung in bezug auf Werberegelungen entnehmen manche auch dem Hinweis auf die zusätzlichen Werbekosten in den Entscheidungen Clinique und Mars435, weil es sich bei den Werbekosten anders als bei den Umverpackungskosten nicht um produktbezogene Mehrkosten handle 436 . Das ist zumindest ungenau, denn der E u G H erklärte in diesem Entscheidungen nicht etwa zusätzliche Werbekosten an sieb für relevant, sondern nur solche zusätzlichen Werbekosten, die aus einer Produktmodifizierung resultieren 437 . Zwingt die Anwendung einer Bestimmungslandregelung ausländische Anbieter dazu, Bezeichnung oder Aufmachung eines Produkts zu ändern, so hat dies unweigerlich auch eine Erhöhung der produktbezogenen Werbekosten zur Folge, denn auch Begleitwerbung, die diese Bezeichnung benutzt oder das Produkt abbildet, ist nicht mehr verwendbar 438 . Eine darüber hinausgehende Verallgemeinerung in bezug auf jegliche Form der Begleitwerbung auch ohne einen solchen binnenmarktspezifischen Produktbezug, d.h. auf Werbung, für die erhöhte Kosten lediglich deshalb anfallen, weil sie im Herkunftsland des Produkts zulässig im Bestimmungsland dagegen verboten ist, tragen diese Entscheidungen nicht. Als unergiebig erweist sich entgegen einzelnen Literaturstimmen 439 schließlich auch die Entscheidung Pfeiffer Großhandel. Darin betont der E u G H zwar, das Verbot, eine im Ausland zulässige Marke zur Geschäftsbezeichnung zu verwenden, sei „geeignet, die Durchführung einer gemeinschaftsweit einheitlichen Werbekonzeption durch diese Unternehmen zu beeinträchtigen, da es sie dazu zwingen kann, das Erscheinungsbild ihrer Geschäfte je nach dem Ort der Niederlassung unterschiedlich zu gestalten" 440 . Doch hat der EuGH Produktbezeichnungen seit jeher zu den Produkteigenschaften gezählt. Dies übertrug er in Pfeiffer Großhandel auf die Verwendung binnenmarktweit einheitlicher Geschäftsbezeichnungen in Ausübung der Niederlassungsfreiheit 441 . Daß eine Maßnahme, 434 Wie hier auch Freund, JA 1997, 716, 720; Sack, WRP 1998, 103, 106; Joliet, GRUR Int. 1994, 979, 986. 435 Vgl. EuGH, 2.2. 1994, Rs. C-315/92, Slg. 1994,1-317 Rn. 19 - Clinique; EuGH, 6.6.1995, Rs. C-470/93, Slg. 1995,1-1923 Rn. 13ff. - Mars-, siehe oben 177f. und S. 194. 436 Vgl. etwa Ehenroth, FS-Piper, S.133, 165; Lenz, ZEuP 1994, 624, 647; Kieninger, EWS 1998, 277, 284; Langner, RabelsZ 65 (2001), 222, 231f.; tendenziell auch Bernhard, EWS 1995, 404, 409f. 437 So zu Recht auch Hans. O L G Hamburg GRUR Int. 1997, 640, 643f. = WRP 1997, 314, 318f. - Modeschmuck; Schleswig-Holsteinisches O L G WRP 1996, 468; O L G Nürnberg EWS 1995, 53, 54; Kotthoff, WRP 1996, 79, 83; ders. Werbung ausländischer Unternehmen im Inland, S.llOf.; Lüder, EuZW 1996, 615, 620; Sack, WRP 1998, 103, 107; Freund, JA 1997, 716, 720f. 438 Dazu soeben S. 194. 439 Vgl. Rüffler, WB1 1999, 297ff.; Leihle, in: Grabitz/Hilf, Art. 28 EG Rn.28. 440 EuGH, 11.5. 1999, Rs. C-255/97, Slg. 1999,1-2835 Rn.20 - Pfeiffer Großhandel. 441 Die Warenverkehrsfreiheit hielt der EuGH im Fall Pfeiffer Großhandel ausdrücklich für nicht anwendbar (a.a.O. Rn.25ff., siehe dazu bereits oben S. 169 bei Fn.245).

204

2. Teil: Funktion

und Reichweite

der

Grundfreiheiten

die die Benutzung einer im Herkunftsland zulässigen Bezeichnung verbietet, nicht unter die Verkaufsmodalitäten-Regel fällt, steht bereits seit der Entscheidung Clinique außer Frage 442 . Daß der EuGH dies nicht anders sieht, wenn die Bezeichnung im Rahmen eines Euro-Marketings genutzt wird, ist nur konsequent. Doch sagt dies gerade nichts darüber aus, ob Gleiches für Werbe- und Absatzregelungen ohne einen binnenmarktspezifischen Produktbezug gilt. b)

Herkunftslandansatz

Fragt man nach einer inhaltlichen Begründung für die angebliche Fortgeltung der Ooii^oe^-Rechtsprechung, so setzen einige beim Herkunftslandprinzip an und halten einer Reduzierung der Verbotsreichweite des Art. 28 EG auf ein vertriebsbezogenes Diskriminierungsverbot entgegen, ausländische Anbieter müßten gerade vor einer Gleichbehandlung geschützt werden. Art. 28 EG ziele darauf ab, daß die Hersteller ihre Waren überall auf dem Binnenmarkt nach den Gewohnheiten und Regeln des Herkunftslandes anbieten könnten. Eine Aufspaltung in Produkt- und Verkaufsmodalitätenregelungen sei nicht mit diesem Herkunftslandprinzip vereinbar 443 . Diesem Ansatz liegt der Gedankengang zugrunde, daß Art. 28 EG erstens der Schaffung des Binnenmarktes diene, daß der Binnenmarkt zweitens durch das Herkunftslandprinzip gekennzeichnet sei und daß folglich drittens auch Art. 28 EG im Dienste des Herkunftslandprinzips ausgelegt und angewendet werden müsse. Der erste Schritt ist richtig. Der zweite trifft bereits nur in bezug auf Produktregelungen und sekundärrechtliche Implementierungen des Herkunftslandprinzips zu. Der dritte vertauscht Ursache und Wirkung 4 4 4 . Der Binnenmarkt kann weder mit einem allumfassenden Herkunftslandprinzip in dem Sinne gleichgesetzt werden, daß eingeführte Produkte ihr ganzes Heimatrecht bei der Zirkulation durch den Binnenmarkt mit sich führen dürften, noch handelt es sich beim Herkunftslandprinzip um ein primärrechtliches, für die Auslegung der Grundfreiheiten verbindliches Prinzip 445 . Das Herkunftslandprinzips ist lediglich Mittel und nicht Ziel der Binnenmarktverwirklichung. Es stand dem EuGH daher frei, sich mit Blick auf Vertriebsregelungen wieder vom Herkunftslandprinzip und sogar von einer Auslegung des Art. 28 EG als Beschränkungsverbot zu verabschieden 446 . Dafür, daß er dies in Keck getan hat, spricht schon die Gegenüberstellung der Bestätigung des Herkunftslandprinzips für Produktregeln in

Siehe oben S. 178 nach Fn. 296 sowie S. 194. Grundlegend Steindorff, Z H R 158 (1994), 149, 165; s.a. Ebenroth, FS-Piper, S.133, 164 und 168; s.a. Lurger, Regulierung und Deregulierung im europäischen Privatrecht, S.47 (die Freiheit der Gestaltung des Vertriebs sei als „Annexrecht zur Warenverkehrsfreiheit" zu beachten). 444 Dazu bereits eingehend oben 1. Teil, S. 26ff. 445 Vgl. E u G H , 13.5. 1997, Rs. C-233/94, Slg. 1997,1-2405 R n . 6 1 Deutschland/Parlament und Rat (Einlagesicherungsrichtlinie). 4 4 6 Siehe dazu bereits oben S. 165 f. 442

443

2. Abschnitt:

Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff.

205

EG

Erwägungsgrund 15 mit der dazu ausdrücklich („demgegenüber") kontrastierten Verkaufsmodalitäten-Regel in Erwägungsgrund 16. Die EuGH-Folgerechtsprechung unterstreicht diesen Befund 4 4 7 .

c)

Doppelbelastungsansatz

Die meisten Anhänger der Fortgeltungsthese suchen nach einer Lösung innerhalb des Koordinatensystems der Keck-Entscheidung und stellen darauf ab, daß derjenige, der eine Ware grenzüberschreitend oder sogar europaweit im Rahmen eines sog. „Euro-Marketing" anbiete und dabei von den Größenvorteilen des Binnenmarktes Gebrauch machen wolle, infolge des Unterschieds der Rechtsordnungen Diversifikations- oder Anpassungskosten ausgesetzt sei. Diese zur Verteuerung der Produkte führenden Kosten wolle Art. 28 E G verhindern, zumal die Integration der nationalen Märkte gerade von solchen Unternehmen ausgehe, die die Größenvorteile des Europäischen Binnenmarktes nutzten (Doppelbelastungsansatz) 448 . Dies wirft die Fragen auf, ob die Belastung mit solchen Kosten eine Diskriminierung oder jedenfalls eine „tatsächliche Ungleichberührung" im Sinne der Äec&-Rechtsprechung darstellt und ob insoweit zwischen dem inländischen Weiterverkauf und dem grenzüberschreitenden Vertrieb zu unterscheiden ist.

aa) Verbot der Belastung mit vertriebsbezogenen

Diversifikationskosten

?

Daß eine Vertriebsregelung überhaupt Kosten verursacht, die auch eingeführte Waren treffen oder daß sie deren Vertrieb mit höheren Kosten belastet als denjenigen im Herkunftsland der Waren, ist für die Anwendung der Warenverkehrsfreiheit irrelevant, solange sie nicht zu einer spezifischen Kostenmehrbelastung des Absatzes eingeführter Waren im Vergleich zu demjenigen einheimischer Produkte führt 4 4 9 . Als Diskriminierungsverbot erfaßt Art. 28 E G zudem nur solche Kosten, die sich aus der Anwendung des Bestimmungslandrechts als solchem und nicht erst aus dem Unterschied der Rechtsordnungen ergeben 450 . Durch die unterschiedslose Anwendung der Vertriebsregelungen des Bestimmungslandes wird der Absatz eingeführter Waren aber in keiner Weise gegenüber demjenigen einheimischer Produkte erschwert, d.h. diskriminiert. Er wird lediglich nicht privilegiert 451 . Da der Cassis de Dijon-Ansatz nach Keck ausdrücklich nur für pro-

Siehe oben S.166f£. Vgl. etwa W.-H. Roth, FS-Großfeld, S. 9 2 9 , 9 5 6 ; A c k e r m a n n , R I W 1 9 9 4 , 1 8 9 , 1 9 4 ; Fezer,JZ 1994,317,323; Kieninger, Mobiliarsicherheiten im europäischen Binnenmarkt, S. 146; dies., EWS 1998, 277, 285; Leible/Sosnitza, K & R 1998, 283, 287. 4 4 9 Dazu bereits eingehend oben S. 167f. 4 5 0 Dazu bereits eingehend oben S. 101. 451 So zu Recht Marknadsdomstolen (Marktgericht) G R U R Int. 1999,466,467f. - De Agostini II; Sack, W R P 1998, 103, 107; Kotthoff, Werbung ausländischer Unternehmen im Inland, S. 115f.; Glöckner, G R U R Int. 2000, 29, 33f. Insoweit ebenso Steindorff, Z H R 158 (1994), 149, 166, Riifßer, Der Einfluß des Europarechts auf das österreichische U W G , S. 50 und Kieninger, 447 448

206

2. Teil: Funktion

und Reichweite

der

Grundfreiheiten

duktbezogene Regelungen gilt, läßt sich eine Erfassung vertriebsbezogener Diversifikationskosten innerhalb des Koordinatensystems von Keck mithin nur dadurch bewerkstelligen, daß man zwischen materieller Diskriminierung und „Ungleichberührung" der Wareneinfuhr differenziert 452 . Daß dieser Ansatz sich mit Blick auf Systematik und Teleologie der Ä"ec&-Entscheidung kaum rechtfertigen läßt, wurde bereits erörtert 453 . bb)

Ungleichberührung

(1) Rein innerstaatlicher

bei Weitervertrieb

im

Bestimmungsland?

Weitervertrieb

Selbst wenn man - entgegen dem hier vertretenen Ansatz - eine Differenzierung zwischen Diskriminierung und Ungleichberührung für möglich hält, ist eine sich erst aus dem Zusammenspiel verschiedener Rechtsordnungen ergebende „tatsächliche Ungleichberührung" im Sinne einer spezifischen Einfuhrbelastung nicht auszumachen, soweit eine Vertriebsregelung des Bestimmungslandes auf den Absatz im Bestimmungsland durch einen inländischen Wiederverkäufer angewendet wird. Ein solcher Wiederverkäufer unterliegt erstens nur einer Rechtsordnung, und zweitens ist die Anwendung des Bestimmungslandrechts in keiner Weise geeignet, ihn dazu zu bewegen, einheimische gegenüber eingeführten Waren zu bevorzugen. Anderes gilt erst dann, wenn die Vertriebsregelung Absatz oder Bewerbung eingeführter Waren besonderen Behinderungen aussetzt. Derartigen Belastungen durch Werbebeschränkungen mit binnenmarktspezifischen Produktbezug trägt Art. 28 E G aber bereits als Diskriminierungsverbot hinreichend Rechnung 454 . (2) Innerstaatlicher

Weitervertrieb

als Teil eines

Euro-Marketing-Konzepts

Nichts anderes gilt für den innerstaatlichen Weitervertrieb eingeführter Waren im Rahmen eines grenzüberschreitenden Vertriebskonzepts und damit letztlich für alle Entscheidungen der Oosi&oe&-Rechtsprechung mit Ausnahme der Rechtssache GB-INNO-BM, denn abgesehen von dieser einen Ausnahme betrafen alle Sachverhalte, die sich vor oder nach Keck der Oost/;oe&-Rechtsprechung zuordnen lassen, den inländischen Weitervertrieb von Waren 455 . Dies gilt auch für die EWS 1998, 277, 286 (die freilich gleichwohl von einer Fortgeltung der Oosthoek-Rechtsprechung ausgehen und Art. 28 E G auf diese Fälle als Beschränkungsverbot anwenden wollen). 4 5 2 Besonders deutlich am Kriterium der Ungleichberührung setzt Weyer, DZWir 1994, 89,93 an; vgl. auch Ackermann, R I W 1994, 189, 194 Fn.38; Basedow, EuZW 1994, 225; Heermann, W R P 1999,381,385; Kieninger, Mobiliarsicherheiten im Europäischen Binnenmarkt, S. 149; W.H. Roth, FS-Großfeld, S. 929,956; Rüffler, Der Einfluß des Europarechts auf das österreichische U W G , S. 50. 4 5 3 Siehe oben S. 191. 4 5 4 Dazu oben S. 193 f. 4 5 5 Zu den vor Keck ergangenen Entscheidungen siehe oben S.149ff. Zur Rechtsprechung nach Keck eingehend W.-H. Roth, FS-Großfeld, S. 929, 943ff. Roth mißt in seiner sorgfältigen Analyse einzig der Rechtssache E u G H , 29.6. 1995, Rs. C-391/92, Slg. 1995,1-1621 - Kommission/Griechenland (Säuglingsnahrung) einen grenzüberschreitenden Charakter zu. Selbst dies

2. Abschnitt:

Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff.

EG

20 7

Oost^oe^-Entscheidung selbst und für die Entscheidung Yves Rocher. Beiden lagen Sachverhalte zugrunde, in denen sich inländische Unternehmen durch Berufung auf die Grundfreiheiten der Anwendung ihres Heimatrechts entziehen wollten. Die niederländische Oosthoek wurde zwar an der binnenmarktweit einheitlichen Vermarktung der von ihr eingeführten belgischen Bücher nach belgischem Recht gehindert 456 . Die Anwendung des niederländischen Vertriebsrechts war jedoch in keiner Weise geeignet, den Absatz dieser Bücher im Verhältnis zu demjenigen einheimischer Bücher ungleich zu berühren. Sie ließ daher jede marktzugangsbehindernde Wirkung vermissen 457 , ganz abgesehen davon, daß es der Oosthoek freistand, die Bücher gemeinschaftsweit nach ihrem (strengeren) niederländischen Heimatrecht zu vertreiben. Die deutsche Yves Rocher G m b H befand sich bei Anwendung des deutschen Werbeverbots in der gleichen Lage wie jeder andere deutsche Anbieter. Die Annahme, dies könne die Yves Rocher G m b H dazu zu verleiten, statt der Produkte der französischen Muttergesellschaft nunmehr verstärkt einheimische Konkurrenzprodukte abzusetzen, erscheint geradezu absurd. Zudem vertrieb die Yves Rocher G m b H die eingeführten Waren allein in Deutschland. Sie unterstand daher ausschließlich deutschem Recht. Diversifikationskosten entstanden ihr durch Anwendung des Bestimmungslandrechts nicht. Schließlich erlitten Yves Rocher-Produkte durch Anwendung des deutschen Vertriebsrechts auch im Verhältnis zu den Kunden keinen Wettbewerbsnachteil, weil sie genauso beworben werden durften wie einheimische Erzeugnisse. Die Yves Rocher G m b H in Anwendung des Art. 28 E G von einer Anwendung des deutschen Vertriebsrechts freizustellen, lief daher auf eine nicht mehr auf die Wareneinfuhr bezogene und daher die Grenzen des Art. 28 E G sprengende persönliche Privilegierung grenzüberschreitend verbundener Unternehmen hinaus 458 .

erscheint aber zweifelhaft, denn daß das umstrittene Apothekenmonopol für Säuglingsnahrung in diesem Fall tatsächlich allein Einfuhrwaren traf, war reines Zufallsergebnis des Umstandes, daß eine inländische Produktion fehlte. Ein konkreter grenzüberschreitender Bezug der Regelung war nicht auszumachen (so auch Kieninger, EWS 1998, 277, 285). Es ist insoweit bezeichnend, daß die Klageinitiative nicht etwa von ausländischen Herstellern ausging, die sich in ihren grenzüberschreitenden Vertriebsmöglichkeiten beschränkt sahen, sondern vom griechischen Verband der Unternehmen für Kindernahrung, denen das Apothekenmonopol Absatzmöglichkeiten entzog. Vgl. E u G H , 15.12. 1982, Rs. 286/81, Slg. 1982, 4575 Rn.4 - Oosthoek; siehe oben S. 149. So auch W.-H. Roth, FS-Großfeld, S. 929,943f.; ähnlich Remien, J Z 1994,349,352 (zu Yves Rocher). 4 5 8 Dazu, daß sich aus Art. 28 E G kein Anspruch auf Iiiniuhrprivilegierung ableiten läßt, siehe bereits oben S. 140. Im Ergebnis zu Recht gegen eine Freistellung der Yves Rocher-Konstellation von der Verkaufsmodalitäten-Regel auch Remien, J Z 1994, 349, 352; W.-H. Roth, FS-Großfeld, S.929, 951; a.A. Lurger, Regulierung und Deregulierung im Europäischen Privatrecht, S.40f. (die auch abhängige Importeure von dieser Regel freistellen will) sowie Leible, in: Grabitz/Hilfe, Art. 28 E G Rn. 28 (der auch „Konzessionäre usw." davon ausgenommen sieht). 456 457

208

2. Teil: Funktion

cc) Ungleichberührung

und Reichweite

der

bei grenzüberschreitendem

Grundfreiheiten

Vertrieb f

Der Doppelbelastungsansatz hat mehr Uberzeugungskraft in Fällen, in denen nicht nur die Ware aus dem Ausland stammt, sondern auch der Absatzvorgang selbst grenzüberschreitend erfolgt. Die deutlichste Fallgruppe bilden Fälle des grenzüberschreitenden Fernabsatzes. Ein solcher Sachverhalt lag der Entscheidung Alpine Investments zur Dienstleistungsfreiheit zugrunde 459 . Hinzu kommen Fälle der grenzüberscheitenden Werbung für den Warenabsatz im Ausland nach dem Muster der Rechtssache GB-INNO-BM460 und schließlich Fälle der grenzüberschreitenden Werbung durch ausländische Hersteller oder Exporteure (im Fernsehen, durch Postsendungen etc.) für den Warenabsatz im Bestimmungsland (kurz: grenzüberschreitende Herstellerwerbung) 461 . In diesen drei Fallgruppen muß ein und derselbe Anbieter, der seine Waren nicht nur in seinem Sitzstaat, sondern auch in anderen Mitgliedstaaten vertreiben bzw. bewerben will, in der Tat zwei oder mehr Rechtsordnungen beachten und seine Werbe- oder Absatzkonzepte möglicherweise je nach Bestimmungsland variieren (Doppelregelung i.w.S.). Der Anbieter kann dadurch vertriebsbezogener economies of scale verlustig gehen. Er befindet sich bei ökonomischer Betrachtung in einer ähnlichen Lage wie ein solcher, der durch eine Produktregelung mit Diversifikationskosten belastet oder sogar am Vertrieb bestimmter Produkt gehindert wird 462 . Wendet das Herkunftsland (wie in Alpine Investments) sein Vertriebsrecht auch auf den Absatz im Ausland an, kann es sogar zu einer echten Doppelbelastung in dem Sinne kommen, daß ein und derselbe Absatzvorgang kumulativ mehreren Rechtsordnungen genügen muß (Doppelregelung i.e.S.). (1) Doppelregelung

im weiteren

Sinne

Gegen die grundfreiheitliche Relevanz der Belastung mit Diversifikationskosten, die sich aus dem Unterschied der Rechtsordnungen ergeben, läßt sich bereits anführen, daß diese Kosten jeden (in- wie ausländischen) Anbieter treffen, der grenzüberschreitend tätig ist 463 . Entscheidend ist aber letztlich ein anderer Aspekt. Der Doppelbelastungsansatz rückt die Situation der Anbieter in den Mittelpunkt. Das ist zumindest ungenau. Art. 28 E G dient als Produktfreiheit nicht primär der Begünstigung binnenmarktweit tätiger Unternehmen, sondern dem Schutz des Marktzugangs und gleichberechtigten Vertriebs ausländischer Waren. 4 5 9 Vgl. E u G H , 10.05. 1995, Rs. C-384/93, Slg. 1995,1-1141 -Alpine Investments-, s.a. W.-H. Roth, FS-Großfeld, S.929, 949. 4 6 0 Vgl. E u G H , 7.3.1990, Rs. C-362/88, Slg. 1990,1-683 - GB-INNO-BM (siehe oben S. 151). 461 Vgl. W.-H. Roth, FS-Großfeld, S.929, 949. 4 6 2 Sehr deutlich Kieninger, EWS 1998, 277, 284; W.-H. Roth, FS-Großfeld, S.929, 950f. 4 6 3 Vgl. Kotthoff, Werbung ausländischer Unternehmen im Inland, S. 115. Rüffler (Der Einfluß des Europarechts auf das österreichische U W G , S. 49) tritt aus diesem Grunde dafür ein, auch inländische Anbieter, die gemeinschaftsweit operieren (wie im Fall Oosthoek), in den Schutz des Euro-Marketing durch Art. 28 E G einzubeziehen. Dies freilich sprengt vollends den Rahmen des Art. 28 E G als produktbezogener Emfuhrireiheit.

2. Abschnitt: Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff. EG

209

Daher können nur solche Vertriebsregelungen ins Fadenkreuz der Warenverkehrsfreiheit geraten, die geeignet sind, die Bezugsentscheidung der Abnehmer im Bestimmungsland von eingeführten auf einheimische Waren umzulenken bzw. in anderer Weise den Marktzugang oder Vertrieb eingeführter Waren gegenüber demjenigen einheimischer zu erschweren 464 . Ganz in diesem Sinne spricht der E u G H in Erwägungsgrund 16 der /Teck-Entscheidung auch nicht von einer Ungleichberührung in- und ausländischer Anbieter, sondern von einer Ungleichberührung des Absatzes „der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten". Für eine solche, relativ wirkende Absatzbehinderung reicht der bloße Wegfall von Kostenvorteilen aufgrund möglicher economies of scale im Falle einer Doppelbelastung i.w.S. nicht aus465. Daß der Schutz der freien Produktzirkulation im Binnenmarkt nach dem Cassis de Dijon-Ansatz eine partielle (auf diesen Schutzzweck bezogene und dadurch begrenzte) Privilegierung des Absatzes eingeführter Erzeugnisse zur Folge (nicht: zum Ziel) hat, rechtfertigt nicht die Ausdehnung dieses Privilegs auf Vertriebsmethoden ausländischer Hersteller ohne binnenmarktspezifischen Produktbezug 466 . (2) Doppelregelung im engeren Sinne Der Umstand, daß grenzüberschreitend tätige Unternehmen möglicherweise einer besonderen Belastung durch die Inkompatibilität zweier Rechtsordnungen ausgesetzt sind, die beide kumulativ Anwendung auf ein und denselben Absatzvorgang beanspruchen (Doppelregelung i.e.S.), sagt schließlich noch nichts darüber aus, welcher Rechtsordnung diese Belastung zuzurechnen ist467. In solchen Fällen spricht mehr dafür, die zusätzliche Anwendung des Herkunftslandrechts in Frage zu stellen, wenn dieses seine Schutzvorschriften auf den Absatz im Bestimmungsland ausdehnt und sich dadurch des Schutzes dort lokalisierter Rechtsgüter oder Rechtssubjekte annimmt, denn die Ursache der Doppelbelastung im engeren Sinne liegt in einem solchen Fall eher in der Uberdehnung des Geltungsanspruchs des Herkunftslandsrechts als des Bestimmungslandrechts 468 .

464 Diese Unterscheidung wird in der Literatur nicht immer hinreichend beachtet. Auf die subjektiven Verhältnisse der Anbieter abstellend etwa Rüffler, Der Einfluß des Europarechts auf das österreichische U W G , S. 49; Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, S. 114; Lurger, Regulierung und Deregulierung im Europäischen Privatrecht, S.46f. 465 Dazu schon oben S. 167; s.a. Sack, W R P 1998,103, 107. 466 Dazu schon oben S. 140. 467 So (trotz Annahme einer umfassenden Geltung des Herkunftslandprinzips) zu Recht auch Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 80f.; s.a. GA Trabucchi, Schlußanträge zu E u G H , 11.7. 1974, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 - Dassonville, Tz. 3; Kommission, Erwägungsgrund 8 zur Richtlinie 70/50, AB1EG 1970 Nr. L 13/29. 468 Der E u G H wandte Art. 49 EG daher in Alpine Investments (EuGH, 10.05. 1995, Rs. C384/93, Slg. 1995, 1-1141) zu Recht als Beschränkungsverbot gegenüber dem Sitzstaat (Herkunftsland) an (siehe unten S. 340ff.). Er hat sich allerdings bisher geweigert, diesen Ansatz auf Art. 29 EG zu übertragen (siehe oben S. 124; zu einer möglichen Reform der Groenveld-Rechtspechung nach dem Vorbild dieser Entscheidung siehe noch unten S. 343).

210

2. Teil: Funktion und Reichweite

der

Grundfreiheiten

Darüber hinaus ist der Doppelbelastungsansatz auch in grundsätzlicher Weise zweifelhaft. Ginge es in Art. 28 E G wirklich um die Vermeidung solcher Doppelbelastungen, so könnte die Anwendung des Bestimmungslandrechts konsequenterweise keine Maßnahme gleicher Wirkung mehr sein, wenn das Herkunftsland auf eine Anwendung der eigenen Normen verzichtet oder durch sein Kollisionsrecht das Recht des Bestimmungslandes zur Geltung beruft. In diesem Fall wird eine Doppelbelastung i.e.S. vermieden. Produkt- und Absatzregelungen unterliegen allein dem Bestimmungslandrecht. Trotzdem kann es zu einer am Cassis de Z)z)o«-Maßstab zu messenden Handelsbehinderung kommen, wenn die Produktanforderungen des Bestimmungslandes von denjenigen des Herkunftslandes abweichen, denn das Entgegenkommen des Herkunftslandes ändert in diesem Fall nichts daran, daß die Anwendung des Bestimmungslandrechts den Marktzugang für Produkte versperrt, die nach dem Herkunftslandrecht hergestellt und dort legal vertrieben werden 469 . Diese Kontrollüberlegung verdeutlicht, wer Roß und wer Reiter ist: Vermeidung von Doppelbelastungen und Ermöglichung von economies of scale sind nur mögliche Folge und positiver Nebeneffekt von Marktöffnung und Diskriminierungsverbot, nicht aber selbständige Ziele der Warenverkehrsfreiheit 470 . (3)

Rechtsinformationskosten

Was unter dem Strich bleibt, ist eine Belastung grenzüberschreitender Vorgänge mit Rechtsinformationskosten. Diese Kosten sieht der EuGH aber zu Recht nicht als grundfreiheitenwidrig an471, denn sie sind unvermeidliche Folge der vom EG-Vertrag gewollten, föderalen Entscheidungsstruktur der Gemeinschaft. Sie entstehen unabhängig vom Norminhalt allein dadurch, daß jeder Mitgliedstaat überhaupt einen Sachverhalt regelt, sie treffen jeden in- oder ausländischen „Marktneuling", und sie wären nur durch eine Totalharmonisierung zu beseitigen 472 . Rechtsinformationskosten werden daher auch von Anhängern des Doppelbelastungsansatzes zu Recht als „freiheitenirrelevant" betrachtet 473 . Konsequenterweise muß dies dann aber auch für andere Kosten gelten, die aus Rechtsunterschieden im Binnenmarkt resultieren, die nicht marktzugangsversperrend oder diskriminierend zu Lasten ausländischer Produkte wirken 474 .

469 Ähnlich W.-H. Roth, in: Honseil, Berliner Kommentar zum W G , Europäisches Versicherungsrecht, Rn. 41 (in bezug auf die Dienstleistungsfreiheit). 470 Vgl. dazu schon oben S. 140. 471 Daß auch der EuGH bloße Rechtsinformationskosten aus der Perspektive der Grundfreiheiten für irrelevant erachtet, läßt sich daraus ableiten, daß er die mit der Anwendung fremden Rechts verbundenen Informationslasten bisher in keiner einzigen Entscheidung problematisiert hat (so auch W.-H.-Roth, GS-Lüderitz, S.635, 640). 472 Vgl. M. Wolf, WM 1990, 1941, 1945; s.a. Ackermann, R I W 1994, 189, 193. 473 Vgl. W.-H.-Roth, GS-Lüderitz, S.635, 640; s.a. Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 30. 474 In diese Richtung deuten auch die aktuellen Entscheidungen ¿MSF (oben S. 170) und Perfili (unten S.308).

2. Abschnitt:

Die Warenverkehrsfreiheit

(4) Zweifel am Abgrenzungskriterium

- Art. 28ff.

211

EG

des grenzüberschreitenden

Vertriebs

Die Zweifel an einer Relevanz des Kriteriums des grenzüberschreitenden Vertriebs für die Anwendung des Art. 28 E G als Beschränkungsverbot werden durch seine mangelnde Trennschärfe untermauert. Das macht bereits der Streit zwischen den Vertretern des Doppelbelastungsansatzes darüber deutlich, ob der Entscheidung Yves Rocher ein innerstaatlicher oder grenzüberschreitender Sachverhalt zugrunde liegt. Während W.-H. Roth zu Recht einen Inlandssachverhalt annimmt, den er der Verkaufsmodalitäten-Regel unterstellt 475 , will Lurger nicht nur konzernverbundene Unternehmen wie die Yves Rocher GmbH, sondern alle abhängigen inländischen Importeure den ausländischen Herstellern oder Verkäufern gleichstellen 476 . Leible dehnt diesen Ansatz auf „Konzessionäre usw." aus (wobei unklar bleibt, wie weit das „usw." reichen soll) 477 . Gerade für die problematischen Fälle fehlt eine klare Trennlinie 478 . Soll der Schlußstrich für eine Privilegierung durch Art. 28 E G beim Vertrieb über eigene Niederlassungen oder Verkaufsstellen gezogen werden? Sollen auch konzernverbundene Unternehmen, Franchisenehmer und Vertragshändler einbezogen werden? Oder soll sogar jeder Wiederverkäufer von Art. 28 E G geschützt werden, wenn nur das Werbekonzept selbst als Teil einer Euro-Marketing-Strategie konzipiert wurde? Eine Privilegierung bestimmter Vertriebsarten oder bestimmter Wiederverkäufer (etwa konzernverbundener Unternehmen wie der Yves Rocher GmbH) läßt sich weder mit Binnenmarktgedanken noch mit den Erfordernissen des freien Warenverkehrs begründen. Könnten sich ausländische Hersteller nur beim Vertrieb über konzernverbundene Unternehmen oder eigene Niederlassungen auf ihr Heimatrecht berufen, so liefe dies auf ein faktisches Gebot zur grenzüberschreitenden vertikalen Unternehmenskonzentration hinaus. Man wird kaum behaupten können, daß Binnenmarktziel oder Warenverkehrsfreiheit auf ein solches, kartellrechtlich nicht unbedenkliches Ergebnis gerichtet sind. Faßt man dagegen die Ausnahme von der Verkaufsmodalitäten-Regel eng und beschränkt sie auf den grenzüberschreitenden Fernabsatz, so könnte dies dazu führen, daß ein und derselbe ausländische Anbieter für den Vertrieb eines identischen Produkts verschiedenen Absatzregelungen unterworfen wäre, je nachdem, ob er es von einer in- oder ausländischen Niederlassung aus vertreibt oder bewirbt 479 . Faßt man sie weit und läßt bereits die ausländische Warenherkunft ausreichen (wie die frühere Rechtsprechung), so widerspricht dies nicht nur offen der Keck-Entscheidung, sondern hat auch seltsame praktische Konsequenzen: Wie der E u G H in Oosthoek ausVgl. W.-H. Roth, FS-Großfeld, S.929, 951; ebenso Remien, J Z 1994, 349, 352. Vgl. Lurger, Regulierung und Deregulierung im europäischen Privatrecht, S. 40ff. 4 7 7 Vgl. Leible, in: Grabitz/Hilf, Art. 28 E G Rn.28. 4 7 8 So zu Recht auch G T E - M ü l l e r - G r a f f , Art.30 E G V Rn.257 Fn.614; s.a. Steindorff, ZHR 158 (1994), 149, 167f. 4 7 9 Vgl. Lurger, Regulierung und Deregulierung im europäischen Privatrecht, S. 46. Anderes würde nur gelten, wenn man das für das Verhältnis der Art. 43 und 49 E G geltende Kumulverbot (siehe unten S. 299 Fn. 92) auf solche Fälle überträgt und solche Anbieter deshalb allgemein den inländischen Wiederverkäufern gleichstellt. 475 476

212

2. Teil: Funktion und Reichweite

der

Grundfreiheiten

drücklich festgestellt hat, könnte sich ein Anbieter in diesem Fall gegenüber dem Bestimmungsland nur in bezug auf den Absatz eingeführter Waren auf das mildere Herkunftslandrecht berufen, während er für den Absatz von einheimischen Produkten (die u.U. bis auf die Herkunft völlig identisch damit sind) weiterhin an das Bestimmungslandrecht gebunden bliebe480. In einem Binnenmarkt, in dem alle in einem Mitgliedstaat legal im Verkehr befindlichen Produkte frei zirkulieren dürfen, ohne daß ihre Herkunft notwendig zu kennzeichnen ist, ist eine solche Differenzierung nicht nur evident unsinnig, sondern auch nicht praktikabel. d) Fazit: Oosthoek

ist tot!

Unterschiedslos auf einheimische wie eingeführte Waren anwendbare Regelungen, denen ein spezifischer Einfuhr- oder Produktbezug fehlt, fallen nach Keck aus dem Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit heraus, soweit sie nicht den Marktzugang für in einem anderen Mitgliedstaat legal im Verkehr befindliche Waren versperren oder einfuhrdiskriminierend wirken. Eine über die in Keck selbst normierten Einschränkungen hinausgehende generelle Ausnahme von der Verkaufsmodalitäten-Regel zugunsten des Absatzes eingeführter Erzeugnisse ist auch dann abzulehnen, wenn Absatz oder Absatzförderung grenzüberschreitend erfolgen. Dies gilt um so mehr, als es der EuGH bisher trotz vehementer Literaturkritik und im Einklang mit der deutschen Rechtsprechung vermieden hat, zwischen grenzüberschreitendem Vertrieb und innerstaatlichem Weitervertrieb zu unterscheiden481. Der Gerichtshof grenzt allein nach dem Regelungsgegenstand (Produktregel oder Verkaufsmodalitäten-Regel) ab und kommt den Interessen grenzüberschreitend tätiger Unternehmen lediglich innerhalb des durch Keck vorgegebenen Koordinatensystems durch ein vergleichsweise weites Verständnis der Produktregeln und der in Keck normierten Einschränkungen für diskriminierende Regelungen entgegen. Der Oosthoek-Ansatz ist durch Keck überholt. 3. Es lebe Oosthoek ? Die Obsoleszenz des Oosthoek-Ansatzes de lege lata schließt es nicht aus, de lege ferenda auf seine Wiederbelebung durch einen erneuten Rechtsprechungswechsel zu drängen. Mit Blick auf die erhebliche Bedeutung dieser Fragestellung für die Reichweite der Grundfreiheiten als Beschränkungsverbote gegenüber dem nationalen Privatrecht482 bei zugleich hartnäckiger Weigerung weiter Teile der Literatur, diesen Rechtsprechungswechsel des EuGH zu akzeptieren, ist dieser Befund durch rechtspolitische Überlegungen gegen eine Wiederbelebung von Oosthoek abzusichern.

480 481 482

Vgl. EuGH, 15.12. 1982, Rs. 286/81, Slg. 1982, 4575 Rn.9 Vgl. schon Everling, ZLR 1994, 221, 227f. Siehe dazu oben S. 149ff., insbesondere S. 153.

Oosthoek.

2. Abschnitt:

a) Neubewertung

Die Warenverkehrsfreiheit

der EuGH-Judikatur

- Art. 28ff.

EG

213

aus der Zeit vor Keck

Auf den ersten Blick scheint die Verkaufsmodalitäten-Regel einen erheblichen „Rückschritt" hinsichtlich des Liberalisierungspotentials des Art. 28 E G zu bewirken. Hierher rührt wohl auch die vehemente Kritik, die ihr in der Literatur entgegenschlägt. Ebenso liegt die Vermutung nahe, daß der regelbasierte und daher notwendig weniger flexible Ansatz der Verkaufsmodalitäten-Regel im Vergleich zur allgemeinen Anwendung des Cassis de .Dyo«-Standards zu erheblichen Einbußen an praktischer Wirksamkeit der Grundfreiheiten und unbilligen Ergebnissen im Einzelfall führen, vielleicht sogar mit Fezer „fatal für die Fortentwicklung eines Europäischen Wettbewerbsrechts und ein Rückschritt im Ausbau einer Binnenmarktordnung" sein könnte 4 8 3 . D o c h macht schon eine Rückprojektion auf die frühere EuGH-Rechtsprechung deutlich, daß diese Befürchtungen letztlich grundlos sind. Wendet man die Verkaufsmodalitäten-Regel auf die vor Keck entschiedenen Fälle an, so ergibt sich ein auf den ersten Blick überraschender Befund: Kaum eine Rechtssache wäre nach Keck in der Sache anders zu entscheiden als nach den vorher geltenden, höchst diffusen Maßstäben. Für Preisregelungen galt der in Keck verallgemeinerte Test nach Maßgabe der Tasca-Kechx.sprechung ohnehin schon immer. Sie wurden seit jeher nur als Maßnahmen gleicher Wirkung angesehen, wenn sie diskriminierend oder marktzugangsversperrend, kurz: protektionistisch, wirkten 4 8 4 . Für die oben als Oe¿e/-Rechtsprechung zusammengefaßten Fälle ändert sich ebenfalls nichts. Unterschiedslos anwendbaren Regelungen, die sich nicht auf Einfuhr, Produkteigenschaften oder Verkaufsmodalitäten beziehen, sondern das allgemein wirtschaftliche Umfeld betreffen, sah und sieht der E u G H regelmäßig schon unter Hinweis auf ihren unzureichenden Einfuhrzusammenhang nicht als Maßnahmen gleicher Wirkung an 485 . Die den Fällen der 5/esgew-Rechtsprechung zugrunde liegenden Regelungen (örtliche Verkaufsbeschränkungen und Ladenschlußregelungen) würde der E u G H nach Keck zwar schon tatbestandlich nicht mehr als Maßnahmen gleicher Wirkung ansehen. Durch Art. 28 E G verboten waren sie aber bereits vorher nicht, denn der E u G H räumte den nationalen Regelungsinteressen in allen untersuchten Fällen Vorrang vor dem freien Warenverkehr ein 486 . Eine Neubewertung der elf beschriebenen Fälle der Oosi¿oe&-Rechtsprechung ergibt ein differenzierteres Bild: Sechs Entscheidungen betrafen unterschiedslos anwendbare Regelungen, die nach Keck grundsätzlich als „Verkaufsmodalitätenregelungen" einzuordnen sind und damit aus dem Anwendungsbereich des Art. 28 E G herausfallen: Vor Keck hatte der E u G H das Zugabeverbot in Oosthoek, das Verbot des Haustürverkaufs in Buet, die Werbebeschränkung in Aragonesa und die Apotheken- bzw. Optikermonopole in Delattre, Monteil und Samanni und LPO als Maßnahmen 483

Vgl. Fezer, J Z 1994,317,318 (zur Auslegung von Keck als Revision des Beschränkungsver-

bots). 484 485 486

Siehe oben S. 142ff. Siehe oben S. 144ff. Zur Fortführung dieser Rechtsprechung nach Keck siehe oben S. 185ff. Siehe oben S.147ff.

214

2. Teil: Funktion und Reichweite der

Grundfreiheiten

gleicher Wirkung angesehen. Allerdings hatte er die Regelungen im Ergebnis jeweils für gerechtfertigt gehalten und daher unbeanstandet gelassen. H i e r ändert sich nach Keck

nur die Begründung. Von den fünf Fällen, in denen der E u G H ei-

nen Verstoß gegen die Waren Verkehrsfreiheit bejahte, wären drei nach Keck so zu entscheiden: In den Rechtssachen SARPP487

und Pall4SS

eben-

machte die an

Art. 28 E G gemessene Regelung eine Änderung der Etikettierung bzw. Produktaufmachung erforderlich und betraf daher nicht Verkaufsmodalitäten, sondern Produkteigenschaften 4 8 9 . Das lokale Eintragungserfordernis in der Rechtssache Boscher490

(bzw. eigentlich: die aus dessen Unerfüllbarkeit für ausländische A n -

bieter resultierende Notwendigkeit, sich für die Versteigerung gebrauchter Sachen eines lokalen Versteigerers zu bedienen) kann im Lichte der Entscheidung TK-Heimdienst

Sass als materiell einfuhrdiskriminierend angesehen werden und

fällt daher unter die Ausnahmeregelung zur Verkaufsmodalitäten-Regel. Anders zu entscheiden wären lediglich die Rechtssachen Yves Rocher

und

GB-INNO-

BM. D i e diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Werberegelungen betrafen Verkaufsmodalitäten. Ihre Anwendung auf die Bewerbung eingeführter (bzw. einzuführender) Waren war nach Auffassung des E u G H durch Art. 28 E G verboten und ließ sich auch nicht durch zwingende Erfordernisse rechtfertigen. N a c h Keck

würde ein Verbot durch Art. 28 E G in Anwendung der Verkaufsmodalitä-

ten-Regel bereits tatbestandlich ausscheiden 4 9 1 . Zusammengefaßt würde sich bei Zugrundelegung der VerkaufsmodalitätenRegel lediglich in zwei der über dreißig oben beschriebenen, durchaus repräsentativ ausgewählten Fällen etwas am Ergebnis ändern. Die praktischen Auswirkungen einer R ü c k p r o j e k t i o n der

Entscheidung auf die vorausgehende R e c h t -

sprechung wären also erstaunlich gering und zwar auch in bezug auf die

Oostho-

eÄ:-Rechtsprechung 4 9 2 . D e r Befund, daß der klare, regelbasierte Ansatz aus

Keck

in nahezu allen Fällen zum gleichen Ergebnis führt wie der erheblich umständlichere, diffuse und daher für Rechtsanwendungsfehler anfälligere Strauß der vorher angewendeten Standards, ist ein gewichtiges praktisches Argument für die Verkaufsmodalitäten-Regel.

Vgl. EuGH, 12.12.1990, Rs. C-241/89, Slg. 1990,1-4695-SARPP (oben S. 150 in Fn. 167). Vgl. EuGH, 13.12. 1990, Rs. C-238/89, Slg. 1990,1-4827 - Pall (oben S. 150 in Fn. 167). 489 Vgl. EuGH, 6.6. 1995, Rs. C-470/93, Slg. 1995,1-1923 - Mars (oben S. 178); a.A Matthies, FS-Everling, S.803, 812. 490 Vgl. EuGH, 30.4. 1991, Rs. C-239/90, Slg. 1991, 1-2023 - Boscher (siehe oben S.153 bei Fn. 176); in bezug auf diese Entscheidung wie hier Matthies, FS-Everling, S. 803, 812. 491 Zu diesen Entscheidungen siehe oben S. 151 ff.; wie hier MünchKomm-Kreuzer, Art. 38 EGBGB Rn. 227a; BGH GRUR 1997,379,380 - Wegfall der Wiederholungsgefahr II-, a.A. in bezug auf die Entscheidung GB-INNO-BM Remien, (2001) 38 C.M.L.Rev. 53, 82, der die Anwendung des Luxemburger Rechts (ohne Begründung) als diskriminierend ansieht. 492 Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Matthies (FS-Everling, S.803ff.) und Lierow (MDR 1995, 18, 19) in ihren Fallstudien. 487 488

2. Abschnitt:

Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff.

EG

b) Vollkommener Binnenmarkt, Freiverkehr und unverfälschter

215

Wettbewerb

Der Zurückführung des Herkunftslandprinzips auf die Sicherstellung der freien PrWw&izirkulation im Binnenmarkt läßt sich de lege ferenda entgegenhalten, der Binnenmarkt brauche ein auf Absatzregelungen bezogenes Herkunftslandprinzip oder sogar eine umfassende Gewährleistung grenzüberschreitender Privatautonomie, um den grenzüberschreitenden Vertrieb anzuregen und dadurch die gegenseitige Durchdringung der nationalen Märkte zu fördern. In der Tat: Ein Binnenmarkt, in dem ein Anbieter nicht operieren kann, ohne dabei Belastungen durch Rechtsunterschiede ausgesetzt zu sein, ist ein Stück weit „unvollkommen" 4 9 3 . Daß ein Binnenmarkt in dem ein umfassendes Beschränkungsverbot auch für Absatzregelungen und bloße Umfeldregelungen gilt, „vollkommen" wäre, muß allerdings bezweifelt werden, denn der Binnenmarkt wird nicht nur durch den Freiverkehr, sondern auch durch den Grundsatz unverfälschten Wettbewerbs geprägt. Zwar dienen die Grundfreiheiten nicht aus sich heraus dem Ziel, Wettbewerbsverzerrungen abzubauen und einen „möglichst reinen Leistungswettbewerb" sicherzustellen 494 . Sie richten sich nicht gegen Wettbewerbsverzerrungen, die sich aus dem Unterschied der Rechtsordnungen ergeben, sondern nur gegen Freiverkehrsbeschränkungen 495 . Ihre Anwendung kann daher sowohl Wettbewerbsverzerrungen durch diskriminierende Regelungen abbauen als auch Wettbewerbsverzerrungen durch Auslösung „umgekehrter Diskriminierungen" hervorrufen 496 . D o c h gehört der unverfälschte Wettbewerb der Hersteller und Anbieter nach Art. 3 Abs. 1 lit. g E G nicht weniger zu den Zielen der Gemeinschaft als der Freiverkehr nach Art. 3 Abs. 1 lit. c E G . Beide Ziele sind sogar untrennbar miteinander verbunden und ineinander verwoben 4 9 7 . Geraten sie (ausnahmsweise) in Konflikt miteinander, so ist eine Lösung auf der Grundlage praktischer Konkordanz beider Ziele zu suchen. In bezug auf Produktregelungen sind Wettbewerbsverzerrungen notwendiger Nebeneffekt der Marktöffnung, weil sich Produktregeln auf das „ O b " des Vertriebs und damit auf den Marktzugang als solchen beziehen. Für bloße Regelungen der Vertriebsmodalitäten gilt das nicht. Ihre unterschiedslose Anwendung führt in aller Regel lediglich zum Verlust von Einfuhrprivilegien, zu denen aus der Warte des Art. 28 E G auch die Möglichkeit der Ausschöpfung vertriebsbezogener „economies of scale" zählt. Zwar

Siehe dazu bereits oben S.25; Steindorff, Z H R 158 (1994), 149ff. Insoweit trotz richtigen Ausgangspunktes zu weit gehend Arndt, ZIP 1994,188,190; ders., JuS 1994, 469, 473. 495 Insoweit richtig, aber zu kurz greifend Lurger, Regulierung und Deregulierung im europäischen Privatrecht, S. 49. 496 Hinzu kommen möglicherweise Wettbewerbverzerrungen zwischen aus verschiedenen Mitgliedstaaten eingeführten Waren mit jeweils unterschiedlichen Herkunftslandanforderungen, vgl. Arndt, ZIP 1994,188,190; ¿ m . , J u S 1994,469,473; Bernhard, EWS 1995,404, 408; Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1,38f.; Taupitz, ZEuP 1997,986, lOOlf.; ders., ZEuS 1997,17,35f.; W.H. Roth, GS-Lüderitz, S.635, 652f.; dazu unten 3. Teil, S.470ff. 497 Vgl. Fezer, J Z 1994, 317,318f. (der treffend von einer „Interdependenz von Wettbewerbsrecht und Warenverkehrsrecht" spricht). 493 494

216

2. Teil: Funktion und Reichweite

der

Grundfreiheiten

erscheint die Beseitigung dieser Reibungsverluste im Dienste des Binnenmarktziels wünschenswert, aber nicht um den Preis des unverfälschten Wettbewerbs. In der Summe zeigt sich, daß sich ein „vollkommener Binnenmarkt" auch durch eine weite Auslegung des Art. 28 EG im Sinne der Oost/?oe&-Rechtsprechung nicht erreichen läßt. Die dadurch beseitigten Unvollkommenheiten werden lediglich durch andere, rechtlich wie wirtschaftlich nicht weniger bedenkliche Mängel ersetzt498. c) Erforderlichkeit

eines vertriebsbezogenen

Beschränkungsverbots?

Der Umstand, daß nahezu alle vor wie nach Keck entschiedenen Sachverhalte Fälle des Weitervertriebs im Bestimmungsland betrafen, in denen sich einheimische Wiederverkäufer unter Berufung auf Art. 28 EG der Anwendung ihres Heimatrechts entziehen wollten 499 , wirft Zweifel an der praktischen Bedeutung des Schutzes von Euro-Marketing Strategien durch Art. 28 EG für den Binnenmarkt auf und legt es nahe, daß aus den Unterschieden der nationalen Vertriebsregelungen und Umfeldregelungen resultierende Handelshindernisse von den Unternehmen selbst nicht als so gravierend empfunden werden 500 . Dies dürfte seinen Grund einerseits darin haben, daß eine Vielzahl, wenn nicht sogar die meisten Absatz- und Werbemaßnahmen (nicht zuletzt infolge der Harmonisierungsanstrengungen der Gemeinschaft) in allen Mitgliedstaaten einsetzbar sind501. Andererseits dürften wirklich einheitlich betriebene und vom Produkt gelöste Absatzkonzepte schon mit Blick auf Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten hinsichtlich Sprache, Kultur, Wohlstand und Konsumgewohnheiten in der Praxis eher Ausnahme als Regel sein502. Diese faktischen Unterschiede, die weder der Rechtsordnung zuzurechnen sind, noch durch sie kompensiert werden können oder gar kompensiert werden müssen, machen regelmäßig ohnehin eine „Feinabstimmung" des grenzüberschreitenden Vertriebs auf die verschiedenen nationalen Märkte notwendig 503 . Daneben scheinen die aus den Rechtsunterschieden resultierenden Informations- und Anpassungskosten regelmäßig kaum ins Ge-

498 Daß der Gedanke des „Wettbewerbs der Rechtsordnungen" nicht geeignet ist, die Verzerrung des Wettbewerbs der Anbieter zu kompensieren oder gar zu legitimieren, wurde bereits erörtert, siehe oben 1. Teil, S. 29ff., insb. S. 32. 499 Siehe oben S.206 bei und in Fn.455. 500 Zum Fortbestehen derartiger Hindernisse trotz fortschreitender Harmonisierung siehe jüngst das Grünbuch der Kommission zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union vom 2.10. 2001, KOM (2001) 531 endg., S. 11 ff., insb. Tz. 3.1 sowie die Mitteilung der Kommission zur Verkaufsförderung im Binnenmarkt vom 15.01. 2002, KOM (2001) 546 endg./2. 501 Vgl. Sack, WRP 1998, 103, 107. 502 Vgl. etwa den Vortrag der Bundesregierung im Verfahren Deutschland/Rat und Parlament (Tabakrichtlinie), demzufolge Werbestrategien auf dem Gebiet der Tabakwerbung in aller Regel national ausgerichtet sind (siehe EuGH, 5.10. 2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000,1-8419 Rn.22). 503 Vgl. Reese, Grenzüberschreitende Werbung in der Europäischen Gemeinschaft, S.5f.; Keßler, Das System der Warenverkehrsfreiheit im Gemeinschaftsrecht, S. 159f.

2. Abschnitt:

Die Warenverkehrsfreiheit

- Art. 28ff.

EG

217

wicht zu fallen 504 . Schließlich lassen die faktischen Diversifikationszwänge die Grenzen zwischen einem „echten" Euro-Marketing und einem speziell auf das Bestimmungsland ausgerichteten Vertriebskonzept verschwimmen. Mit der Möglichkeit dieser Grenzziehung steht und fällt jedoch die Auffassung, gerade die Mehrkosten, die aus der Vereitelung eines europaweit einheitlichen Vertriebskonzepts resultierten, seien geeignet, eine Anwendung des Art. 28 E G als Beschränkungsverbot gegenüber Absatzregelungen zu begründen 505 .

d) Bedeutung der

Rechtsangleichung

Die vorausgehenden Überlegungen unterstreichen, daß Rechtsunterschiede auch im Europäischen Binnenmarkt nicht ohne (positive) Rechtsangleichung zu beseitigen sind 506 . Insoweit fällt ins Auge, daß die Positivintegration gerade auf den Gebieten des Werbe- und Lauterkeitsrechts 507 und in bezug auf die für grenzüberschreitende Sachverhalte wichtigen Bereiche des Fernabsatzes 508 und des E Commerce 5 0 9 im Vergleich zur Situation bei Ergehen der Oosthoek-Entscheidung Ende 1982 erhebliche Fortschritte gemacht hat 510 . Wendet man den Blick zurück auf das Jahrzehnt zwischen Oosthoek und Keck, so wird zudem deutlich, daß die überaus großzügige Auslegung des Verbotstatbestands der Warenverkehrsfreiheit in dieser Zeit den Bedarf an Rechtsangleichung offensichtlich kaum reduziert hat. Dies überrascht bei genauerem Zusehen nicht. Im Gegenteil belegt gerade die Oost/we^-Rechtsprechung, daß es eine Illusion wäre zu glauben, man könne durch Anwendung des Art. 28 E G auf Vertriebsvorschriften in maßgeblichem Umfang Handelshindernisse abbauen. Fast überall dort, wo solche Hindernisse wirklich bestanden, ließ sie der E u G H in Anerkennung zwingender Erfordernisse im Ergebnis passieren 511 . Kaum ein unter die Oos£^o