Grüne Klassik: Goethes Naturverständnis in Kunst und Wissenschaft 9783412504625, 9783412503598, 9783412506308


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Grüne Klassik: Goethes Naturverständnis in Kunst und Wissenschaft
 9783412504625, 9783412503598, 9783412506308

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 Jost Hermand

GRÜNE KLASSIK

 Goethes Naturverständnis in Kunst  und Wissenschaft

BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN  ·  2016

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Junge Blätter des Ginkgo (Ginkgo biloba) im Gegenlicht © INTERFOTO / imageBROKER / Kurt Möbus. Kopf Goethes für das Goethe-Schiller-Denkmal für Weimar. Büste, 1856, von Ernst Rietschel © akg-images.

© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Malte Heidemann, Berlin Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: synpannier. Gestaltung & Wissenschaftskommunikation, Bielefeld Datenkonvertierung: Lumina, Griesheim Druck und Bindung: Finidr, Cesky Tesin Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50359-8  |  eISBN 978-3-412-50630-8

Inhalt Vorwort: Pro und Contra Goethe  7 Die Leipziger und Straßburger Studienjahre  13 Die frühe Weimarer Zeit  21 Das Italien-­Erlebnis  31 Wieder in Weimar  43 Nach dem Beginn der Franzö­sischen Revolu­tion  51 Das »klas­sische« Ideal  63 Während der Befreiungskriege  75 Nach dem Wiener Kongreß  85 Gegen die neu-­deutsche religiös-­patriotische Kunst  91 Die Spätzeit  109 Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen  127 Anmerkungen  149 Bildnachweise  160 Personenregister  161

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Vorwort: Pro und Contra Goethe »Es   ist aber nicht nur ein Mißverständnis Goethes, seine Wissenschaft allein im Dienste von Erkenntnis und Genuß der Welt zu sehen – es ist die grundsätz­liche Frage, ob der ehrfurchtslose Mensch, mit den Instrumenten zur Vernichtung der Natur in der Hand, auf humanistischere Zeiten nur zurückblicken oder nicht viel mehr, sich mit der Natur auf Goethesche Manier ins Verhältnis zu setzen hat – was Ehrfurcht frei­lich nahe legt und ohne Demut nicht zu bewerkstelligen ist.« (Günther Böhme: Goethe. Naturwissenschaft. Humanismus. Bildung, 1991)

»Natur« ist eins der Worte, die in Goethes Schriften am häufigsten auftauchen. Überall wird in ihnen das Organische, das Gewachsene, kurz: das »Natür­liche« beschworen, ob nun im Sinne unverfälschter Gefühlsregungen, wohlgestalteter Menschen, naturverbundener Kunstwerke, sonnenüberstrahlter Landschaften, ständig neu aufblühender Pflanzen, das Auge erfreuender Wolkenforma­tionen oder aus der Urzeit stammender Fels­ablagerungen. All das und noch vieles andere mehr, »was die Welt im innersten zusammenhält«, wie es im Faust heißt, war für ihn »Natur«. Es gab für Goethe nichts Einzelnes, Abgetrenntes, Unorganisches. Die gesamte Erscheinungswelt fügte sich vor seinen Augen zu einer ineinandergleitenden Einheit zusammen, die man nicht frevlerisch auseinanderreißen und damit zerstören dürfe. Und zwar äußert sich d ­ ieses Naturverständnis – fast noch stärker als in seinen Dichtungen – vor allem in der Vielzahl seiner bildkünstlerischen und naturwissenschaft­lichen Bemühungen, die ihn sein gesamtes Leben beschäftigt haben und ohne deren Kenntnis vieles in seinen anderen Werken, Briefen oder münd­lichen Äußerungen kaum verständ­lich wäre. 7

Vorwort: Pro und Contra Goethe

Um mit den bildkünstlerischen Aspekten dieser Art von Naturverständnis zu beginnen, ist es erst einmal unumgäng­lich, auf folgende Fakten und die sich daraus ergebenden Probleme hinzuweisen. Im Gegensatz zu seinen eher beiläufigen Äußerungen über bestimmte musika­lische Komposi­tionen nimmt Goethes Beschäftigung mit Werken der bildenden Kunst in seinem Denken und Schaffen einen beträcht­lichen, wenn nicht gar zentralen Raum ein. Zugegeben, er hat auch einige interessant klingende Aperçus zu Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven von sich gegeben sowie mit Musikern wie Philipp Christoph Kayser, Felix Mendelssohn-­Bartholdy, Johann Friedrich Reichardt und Carl Zelter Kontakte aufgenommen. Dennoch blieb ihm diese Kunstform wie fast allen »aufklärerisch« eingestellten Autoren und Denkern des 18. Jahrhunderts, ob nun Gotthold Ephraim Lessing, Immanuel Kant oder Friedrich ­Schiller, weitgehend fremd.1 Wie sie sah er in ihr, vor allem in den wortlosen und daher als nutzlos geltenden Gattungen der Instrumentalmusik, eine weitgehend untergeordnete Kunstform, der er ledig­lich eine der Dichtung dienende oder sie verstärkende Rolle zugestand. Dagegen hat sich Goethe mit Werken der bildenden Kunst, obwohl sie nicht so unmittelbar mit der Wortkunst verbunden sind wie das Lied oder das Singspiel des 18. Jahrhunderts, zeit seines Lebens mit ständig zunehmender Intensität auseinandergesetzt. Auf d ­ iesem Gebiet griff er deshalb unablässig mit großer Sachkenntnis in die herrschenden Theoriedebatten und die sich daraus ergebenden, zum Teil recht heftig geführten Kontroversen ein, das heißt unterstützte ihn ansprechende Maler, die sich wie er für das Leitbild einer an der Antike orientierten »Natür­lichkeit« und »Wirk­lichkeitsnähe« engagierten, während er ihm als irrig oder gar krankhaft erscheinende Richtungen innerhalb der romantischen beziehungsweise nazarenischen Malerei als bedauer­liche Abweichungen von den seit Johann Joachim Winckelmann als »klas­sisch« und damit normativ bezeichneten Nachahmungstheorien rigoros verwarf. Kein Wunder daher, daß es im Hinblick auf die damit verbundenen Aspekte seines Lebens und Schaffens eine geradezu unübersehbare Fülle an 8

Vorwort: Pro und Contra Goethe

Sekundärliteratur gibt, die auf ­diesem Gebiet selbst die unscheinbarsten, ja auf den ersten Blick relativ unwichtigen Begleiterscheinungen ins Auge gefaßt hat. Das belegen unter anderem die rund 50 diesbezüg­lichen Einträge in den beiden Bänden des 1998 erschienenen Goethe Handbuchs, die unter der Überschrift »Personen, Sachen, Begriffe« herauskamen.2 Im Hinblick auf die dort angeführten Fakten sowie die sich mit ihnen auseinandersetzenden Sonderstudien läßt sich das schwer­lich überbieten. Warum also noch einmal auf diese Themenstellung eingehen, werden manche Goethe-­Kenner einwenden? Wissen wir nicht darüber bereits alles, wenn nicht gar mehr, als ein einzelner Kunstwissenschaftler überblicken kann? Wirkt deshalb – angesichts der uns heutzutage bedrängenden F ­ ragen in politischer, sozioökonomischer und kultureller Hinsicht – ein solches Unterfangen nicht notwendig etwas antiquarisch, ja geradezu verstaubt? Man könnte sich daher fragen: Welche Relevanz haben Goethes Ansichten zur bildenden Kunst im Zeitalter einer massenmedial gesteuerten Visual­ kultur überhaupt noch, in der die Malerei fast keine Rolle mehr spielt und wir uns fast ausschließ­lich den werbewirksamen Reklamen der großen Konzerne sowie der unaufhör­lich flimmernden Bilderflut der Film- und Fernsehindustrie gegenübersehen? Schließ­lich sind die seit Goethes Tod verstrichenen 180 Jahre keine »Kleinigkeit«, wie Bertolt Brecht gesagt hätte. Was sollen uns deshalb Rückblicke auf die Kontroversen innerhalb einer inzwischen längst untergegangenen künstlerischen Ausdrucksform? Manche der bewußt zeitnah, sich entweder postmodernistisch oder post­heroisch gebenden Kunstkritiker beginnen daher bereits, die von Goethe in dieser Hinsicht verfaßten Schriften in die Rumpelkammer der Geschichte zu werfen. Schließ­lich habe er als privilegierter »Fürstenknecht«, wie sie erklären, noch in einem der vielen obrigkeitsverpflichteten, vorindus­triellen, ja alle freiheit­lichen Regungen unterdrückenden Duodezfürstentümer des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts gelebt, in dem noch nicht jener gegenwärtig so gern herausgestellte »demokratische«, das heißt von den visuell gesteuerten Bedürfnissen der breiten Massen ausgehende Geist geherrscht habe, der für unsere Gesellschaftsordnung maßstabsetzend sei.3 9

Vorwort: Pro und Contra Goethe

Doch ­seien wir nicht allzu schnell mit unseren Vorurteilen. Wir haben zwar in mancher Hinsicht, wie etwa der persön­lichen Freizügigkeit, der Berufswahl sowie der Lockerung im Umgang der Geschlechter untereinander, durchaus Fortschritte gemacht. Doch können wir uns bereits rühmen, um auf den zweiten Aspekt der in d ­ iesem Buch behandelten Fragestellungen einzugehen,4 gegen die bereits vom mittleren und alten Goethe im Rahmen seiner naturwissenschaft­lichen Bemühungen erkannten ökolo­ gischen Auswirkungen der damals einsetzenden und inzwischen geradezu verheerende Folgen angenommenen Mechanisierung und damit Verödung weiter Lebensbereiche irgendwelche gesellschaftsverändernden Maßnahmen ergriffen zu haben? In dieser Hinsicht könnten daher Rückblicke auf das von ihm vertretene Naturverständnis und die damit verbundenen Warnungen in unseren eigenen ideolo­gischen Standortbestimmungen durchaus von Nutzen sein. Schließ­lich war Goethe, wenn man neben den reak­tionären auch die fortschritt­lichen Aspekte seines Denkens ins Auge faßt, nicht nur ein »Fürs­ tenknecht« oder ein bildungsbetonter »Klassiker«, sondern hat aus Abneigung gegen die ins Abstrakte, Mathematisierte und Unorganische tendierende Welt der beginnenden Technisierung in seinen Anschauungen zur bildenden Kunst sowie seinen vielfältigen naturwissenschaft­lichen Studien, die in gedruckter Form fast ein Drittel seiner Schriften ausmachen, immer wieder auf das unumgäng­liche Gebot hingewiesen, sich so nah wie mög­ lich an die in der Natur vorgegebenen Verhältnisse zu halten und sich nicht leichtfertig über die dort herrschenden Gesetzmäßigkeiten hinwegzusetzen.5 Und was könnte – angesichts des heutigen Raubbaus an der Natur und all seinen Folgerungen – aktueller sein als eine s­ olche Forderung? Statt also weiterhin vornehm­lich einem unhinterfragten Kult des »Dichters« Goethe zu huldigen, der weitgehend auf jene Identitätsbemühungen zurückgeht, mit denen sich die saturierte Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts den Anschein einer auf der Weimarer Klassik beruhenden »Kulturna­tion« zu geben versuchte,6 sollte man lieber etwas eindring­licher auf jene Aspekte seines Denkens und Schaffens eingehen, die sich nach wie vor, wenn auch in 10

Vorwort: Pro und Contra Goethe

gewandelter Form, als für unsere Zeitsitua­tion relevant erweisen. Und dazu gehören, wie gesagt, vor allem seine naturverpflichteten Anschauungen im Bereich der bildenden Künste sowie der Naturwissenschaften, die ihm, als einem prononcierten »Augenmenschen«, wie er sich gern bezeichnete, im Hinblick auf Konzepte wie »Natur« und »Natür­lichkeit« fast ebenso wichtig, wenn nicht zeitweilig fast noch wichtiger erschienen als seine ausschließ­lich literarisch intendierten Werke. Im Verlauf seines langen Lebens nahmen zwar diese Anschauungen im Zuge einer Reihe höchst dramatisch verlaufender politischer Ereignisse – wie der Franzö­sischen Revolu­tion, der Koali­tionskriege, dem Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reichs, den Befreiungskriegen, dem Wiener Kongreß und der darauf folgenden Metternichschen Restaura­tionsperiode – zum Teil recht verschiedenartige, ob nun eher progressive oder eher reak­ tionäre Formen an, blieben aber letzt­lich stets dem Prinzip der Naturgemäßheit aller Lebensbedingungen treu. Kurzum: Sie vermieden, im Gegensatz zu den Anschauungen vieler seiner von den gleichen Ereignissen aufgeschreckten Zeitgenossen, irgendwelche Ausflüchte in eine chauvinistische Verherr­lichung germanischer Recken, eine romantisierende Verklärung des mittelalter­lichen Ritterwesens oder einen nazarenischen Rückfall ins katholisierend Religiöse, sondern bekannten sich – trotz mancher Abirrungen ins ahistorisch Antikisierende – stets zu einem als »nachhaltig« verstandenen Wirk­lichkeitsverständnis, das es weiterhin zu bedenken gilt. Statt demnach in den folgenden Kapiteln – aus Pietät vor dem nicht zu kritisierenden Goethe – einer einseitig verklärenden Sicht ­dieses Weimarer Klassikers zu huldigen oder ledig­lich in positivistischer Emsigkeit das heutzutage überhandnehmende Informa­tionsbedürfnis zu befriedigen, sollen deshalb in d ­ iesem Buch vor allem jene naturverklärenden und zugleich naturerhaltenden Züge in Goethes Verhältnis zur bildenden Kunst sowie zur Geologie, Mineralogie, Meteorologie, Botanik, Zoologie, Anatomie und Optik, und zwar jeweils vor ihrem zeithistorischen Hintergrund heraus­gestellt werden, die in der bisherigen Sekundärliteratur zu ­diesem Thema meist eher am Rande beziehungsweise nicht mit der 11

Vorwort: Pro und Contra Goethe

ihnen gebührenden Eindring­lichkeit behandelt worden sind. Dabei wird sich erweisen, wie hartnäckig Goethe in den meisten dieser Bereiche mit seinem ins Ideal des »Klas­sischen« erhobenen Konzept an einer vor allem mit den Augen wahrgenommenen Natur festzuhalten versuchte, dem er jedoch unter den jeweils herrschenden politischen Verhältnissen stets leicht variierende Akzente verlieh.

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Die Leipziger und Straßburger Studienjahre »Das   Kunst- und Geschmackselement, worin Oeser lebte und auf welchem man selbst, insofern man ihn fleißig besuchte, getragen wurde, ward auch dadurch immer würdiger und erfreu­licher, daß er sich gern abgeschiedener oder abwesender Männer erinnerte. So wurde auf das hohe Kunstleben Winckelmanns in Italien hingedeutet, und wir nahmen dessen erste Schriften mit Andacht in die Hände: denn Oeser hatte eine leidenschaft­liche Verehrung für ihn, die er uns gar leicht einzuflößen vermochte.« (Goethe im Rückblick auf die Jahre 1765 – 1768, 1811) »Schäd­   licher als Beispiele sind dem Genius Prinzipien. Vor ihm mögen einzelne Menschen einzelne Teile bearbeitet haben; er ist der erste, aus dessen Seele die Teile, in ein ewiges Ganzes zusammen gewachsen, hervortreten.« (Goethe: Von deutscher Baukunst, 1771)

Nicht jeder Mensch erfährt bereits in seiner Kindheit durch Bilder vermittelte Eindrücke, die ihn sein ganzes Leben begleiten werden. Im Falle Goethes waren es vor allem Darstellungen imposanter antiker Bauwerke sowie idyl­lisch wirkender Genreszenen, von denen es in seinem Elternhaus Zu den drei Leiern am Frankfurter Großen Hirschgraben nur so wimmelte. Kurzum: Womit schon der junge Johann Wolfgang konfrontiert wurde, waren Bilder des Altertums und der Natur, die ihm auch ­später – bewußt oder unbewußt – immer wieder vor Augen schwebten. Schon im Vorsaal jenes Hauses, in welchem er aufwuchs, hatte sein Vater, der vermögende und vielseitig interessierte Privatgelehrte Johann Caspar Goethe, der 1740 als Bildungsreisender nach Italien gepilgert war, einige großformatige Kupferstiche der »Prospekte von Rom« anbringen lassen, wie Goethe s­ päter in 13

Die Leipziger und Straßburger Studienjahre

seiner Italienischen Reise schrieb.1 Außerdem hingen an den anderen Wänden ­dieses Hauses überall Bilder Frankfurter Maler im damals weitverbreiteten »niederländischen« Stil. Was sein Vater offenbar besonders schätzte, waren die Rheinveduten von Christian Georg Schütz, die Eichen- und Buchenwälder von Friedrich Wilhelm Hirth, die an Rembrandt erinnernden Gemälde von Johann Georg Trautmann sowie einige Monatsdarstellungen von Johann Conrad Seekatz,2 ­welche er sich manchen Taler kosten ließ. Um auch seinen Sohn für die Werke der bildenden Kunst zu begeistern, ließ er ihn – neben einem höchst sorgfältigen literarischen, philosophischen, naturwissenschaft­lichen und fremdsprach­lichen Unterricht – obendrein von lokalen Künstlern wie Johann Andreas Benjamin Nothnagel und Johann Michael Eben im Zeichnen ausbilden. Als Goethes Vater seinen Sohn für »reif« genug hielt, schickte er ihn im Oktober 1765 als Sechzehnjährigen an die Leipziger Universität, wo er sich zum Juristen qualifizieren sollte. Und der junge Johann ­Wolfgang hörte dort auch bis zum Sommer 1768 zahlreiche staatsrecht­ liche, philolo­gische und philosophische Vorlesungen. Doch ebenso e­ ifrig, wenn nicht noch lernbegieriger besuchte er, und zwar schon seit dem Dezember 1765, jene Unterrichtsstunden, in denen Adam Friedrich Oeser, der hochangesehene Direktor der Leipziger Zeichenakademie und zugleich kurfürst­lich-­säch­sische Hofmaler, einer größeren Anzahl kunstinteressierter Jünglinge das Zeichnen und Modellieren beizubringen versuchte.3 Goethe war von diesen Unterrichtsstunden so angetan, daß er sie bis zum Ende seiner Leipziger Studienzeit besuchte und auch in späteren Jahren den Kontakt mit Oeser nicht abbrechen ließ. Trotz vieler anderer Einflüsse blieben für ihn die kunsttheoretischen Anschauungen sowie der ihm von Oeser vermittelte Zeichenstil lange Zeit von maßstabsetzender Bedeutung, da er sie in ihrer aufklärerisch eingestellten »Natür­lichkeit« als eine Befreiung aus dem noch der höfischen Galanterie verpflichteten Rokoko-­Stil des frühen 18. Jahrhunderts empfand, in dem weitgehend ein maskenhaftes Kokettieren mit posenhaft angenommenen Haltungen vorgeherrscht hatte.4 14

Die Leipziger und Straßburger Studienjahre

Nachdem der bereits 1717 in Preßburg geborene Oeser seine Ausbildung bei den Wiener Barock-­Künstlern Raphael Donner und Daniel Gran erhalten hatte, war er in seiner Dresdener und Leipziger Zeit ein »abgesagter Feind des Schnörkel- und Muschelwesens und des gesamten barocken Geschmacks« geworden, wie Goethe noch als alter Mann erklärte,5 und hatte sich jener frühklassizistischen Richtung zugewandt, als deren theoretischer Hauptvertreter damals Johann Joachim Winckelmann galt, der 1754 bei Oeser das Zeichnen gelernt hatte. Obwohl Oeser in seinen eigenen Werken weiterhin auch gewisse Rokoko-­Elemente beibehielt und selbst Abstecher ins Empfindsame keineswegs verschmähte, hielt er seine Schüler, darunter den jungen Goethe, immer wieder dazu an, in ihren bildkünstlerischen Bemühungen stets jene »edle Einfalt und stille Größe« anzustreben, die er nicht nur im Gefolge von Jean-­Jacques Rousseaus »Natür­lichkeits«Forderungen, sondern auch im Sinne der von Winckelmann bereits 1755 veröffent­lichten Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst sowie dessen 1764 erschienener Geschichte der Kunst des Altertums als vorbild­lich empfand, da der Letztere in ihnen die Kunst der klas­sischen Antike gerade wegen ihrer einfachen, an der Natur geschulten und dennoch ins Idea­lische erhobenen Schönheit als für alle Zeiten musterhaft hingestellt habe. Und der junge Goethe war ehr­lich genug, diesen Einfluß stets offen zuzugeben. So schrieb er etwa am 20. Februar 1770 an Philipp Erasmus Reich über den von ihm verehrten Oeser: »Sein Unterricht wird auf mein ganzes Leben Folgen haben. Er lehrte mich, das Ideal der Schönheit sei Einfalt und Stille.« Ja, Goethe fuhr fort, Oeser in ­diesem Brief – neben Shakespeare und Wieland – als den wichtigsten seiner »echten Lehrer« zu bezeichnen. Diese Hochschätzung Oesers hielt bei Goethe bis in seine frühen Weimarer Jahre an, als er ihn mehrfach zu dekorativen Arbeiten für das dortige Liebhabertheater sowie die Deckenmalereien des Festsaals und der Wohnräume im Wittumspalais der Herzogsmutter Anna Amalia heranzog.6 Erst im Anschluß an seine Italienreise in den Jahren 1786 bis 1788 und mit einem wesent­lich vertiefteren Verständnis der Schriften Winckelmanns 15

Die Leipziger und Straßburger Studienjahre

Abb. 1  Titelblatt (1764)

betrachtete Goethe, der sich in Rom zu einem überzeugten »Klassizisten« gewandelt hatte, die Werke Oesers, ­welche in manchen Zügen, wie gesagt, noch immer einem spätbarocken Stil verpflichtet waren, zusehends kritischer. Nach einem durch mancherlei Krankheiten bedingten Aufenthalt im Frankfurter Elternhaus setzte der junge Goethe, der inzwischen 21 Jahre 16

Die Leipziger und Straßburger Studienjahre

alt geworden war, im Frühjahr 1770 sein Studium an der Universität in Straßburg fort. Wie in Leipzig belegte er dort wiederum juristische und geisteswissenschaft­liche, aber auch medizinische und chemische Vorlesungen. Als er im Sommersemester 1771 seine Disserta­tion »De legislatoribus« einreichte, lehnte das dafür zuständige Prüfungskollegium diese Schrift – wegen einiger als »irreligiös« empfundener Passagen – als inakzeptabel ab. Aber dafür wurde er am 6. August des gleichen Jahres nach einer Disputatio über 56 »Posi­tiones juris« zum Lizentiaten ernannt, was damals in vielen deutschen Teilstaaten dem Rang eines Doctor juris entsprach. Doch wesent­lich entscheidender für Goethes geistige und künstlerische Entwicklung war zu ­diesem Zeitpunkt jene oft beschriebene Bekanntschaft mit Johann Gottfried Herder, der sich vom September 1770 bis zum April 1771 ebenfalls in Straßburg aufhielt. Nachdem sich Goethe in Leipzig unter dem Einfluß Oesers und Winckelmanns, die beide, wie gesagt, einer klassizistischen Antikenverehrung huldigten, in seinen kunsttheoretischen Anschauungen eher den von den Griechen sowie den Vertretern der italienischen Renaissance festgesetzten Regeln gefolgt war, begegnete er in Herder dem maßgeb­lichen Vertreter jener Genieästhetik, die meist mit der journalistisch klingenden Bezeichnung »Sturm und Drang« umschrieben wird. Als ihn Herder auf die Bedeutsamkeit einer na­tional ausgerichteten Volkspoesie, aber auch auf die ungestüme Regellosigkeit in den Werken Shakespeares, Pindars und Ossians hinwies, wandte sich daher der junge Goethe – noch eher rezeptiv als produktiv gestimmt – vorübergehend von den ihm von Oeser vermittelten klassizistischen, sich an vorgegebenen Mustern orientierenden Kunsttheorien ab. Statt dessen bekannte er sich geradezu über Nacht zu einer Originalitätsästhetik, ­welche die Größe eines Kunstwerks vor allem aus dem subjektiven Kreativitätsbedürfnis seines Schöpfers abzuleiten versuchte. Wie die Erzeugnisse der Natur, behauptete er jetzt im Gefolge Herders, müsse auch das Werk des Künstlers aus einem Schaffensakt hervorgehen, der sich nicht irgendwelchen auferlegten Gesetzen unterwerfe, sondern gleichsam »naturgemäß« erfolge. Dementsprechend schrieb er in seinem 1771 verfaßten Essay Zum Schäkespears Tag: »Und ich rufe Natur! 17

Die Leipziger und Straßburger Studienjahre

Natur! nichts so Natur als Schäkespears Menschen«,7 um sich damit in aller Entschiedenheit von der als einengend empfundenen klassizistischen Regelhaftigkeit abzusetzen. Das bekannteste Beispiel seiner neuen kunsttheoretischen Überzeugungen ist Goethes zur gleichen Zeit geschriebenes Manifest Von deutscher Baukunst, mit dem er dem »gottgleichen Genius« Erwin von Steinbach, dem Erbauer des Straßburger Münsters, ein alle Zeiten überdauerndes Denkmal errichten wollte.8 Mit einem unverhüllten Widerwillen gegen die franzö­sische Rokoko-­Ästhetik sowie einen oberfläch­lichen Klassizismus »à la ­grecque« im Sinne des Essai sur l’architecture (1753) von Marc-­Antoine Laugier,9 ja selbst gegen Johann George Sulzers gerade erschienene Allgemeine ­Theorie der schönen Künste,10 die von vielen Vertretern der Aufklärung als maßstabsetzend empfunden wurde, wie überhaupt gegen alles unnötige, sich an bestimmte Regeln haltende Theoretisieren im Hinblick auf Werke der Malerei und Architektur, bekannte er sich in dieser Schrift zu einem Schöpfergeist, der sich in Erwin von Steinbachs Straßburger Münster »wie in den Werken der ewigen Natur« mit geradezu elementarer Kraft offenbare.11 Im Gegensatz zu der bisher wegen ihrer ornamentalen Überfülle weitverbreiteten Verdammung der Gotik als regelwidrig, wenn nicht gar »barbarisch«12 charakterisierte Goethe angesichts d ­ ieses Bauwerks – im Sinne seiner neugewonnenen Anschauungen – die Gotik als einen ursprüng­lichen, unverstellten »Naturstil«,13 wie es bereits der bis dahin kaum bekannte ­Germain Boffrand, wenn auch mit negativer Akzentsetzung, in seinem Livre d’architecture (1748) getan hatte. »Das ist deutsche Kunst«, schrieb Goethe, »unsere Baukunst, da der Italiener sich keiner eigenen rühmen darf, viel weniger der Franzose.«14 Das Bedeutsame an einer derartigen Hochschätzung der Gotik als einer spezifisch deutschen Kunst – worauf s­päter mit reak­tionärer, franzosenfeind­licher Tendenz immer wieder zurückgegriffen wurde – ist jedoch nicht die darin im Sinne Herders zum Ausdruck kommende patriotische Stimmung dieser Schrift, sondern die schon für den frühen Goethe bezeichnende Charakterisierung des gotischen Stilwillens als einer der Natur verwandten Formgebung, die ihn an das Astwerk großer 18

Die Leipziger und Straßburger Studienjahre

Abb. 2  A. D. Dannegger: Straßburger Münster (1758)

Bäume gemahnte. Gerade der Gotik, behauptete er zu d ­ iesem Zeitpunkt, liege kein akademisch-­erstarrtes Regelsystem, sondern ein zutiefst organischer, gleichsam morpholo­gisch erfolgender Schöpfungsakt zugrunde. Was Goethe damit meinte, war also weniger ein die Natur nachahmender als ein naturgleicher Erfindungsprozeß, der im Sinne der Herderschen 19

Die Leipziger und Straßburger Studienjahre

Genieästhetik, wie gesagt, geradezu impulsiv, kurzum: naturhaft-­unwillkür­ lich erfolge. Daher schloß Goethe den zweiten Abschnitt seiner Schrift Von deutscher Baukunst im Hinblick auf das Naturgenie Erwin von Steinbach mit geradezu hymnisch wirkender Emphase: »Wohl! wenn uns der Genius nicht zu Hilfe käme, der Erwinen von Steinbach eingab: Vermannigfältige die ungeheure Mauer, die du gen Himmel führen sollst, daß sie aufsteige gleich einem hocherhobenen weit verbreiteten Baume Gottes, mit tausend Ästen, Millionen Zweigen und Blättern wie Sand am Meer, ringsum der Gegend verkündet die Herr­lichkeit des Herrn, seines Meisters.«15 Was demnach den Straßburger Goethe am meisten beeindruckte, ja geradezu überwältigte, war nicht die Tendenz ins Transzendentale, die – historisch gesehen – dem hochaufstrebenden Mauer- und Pfeilerwerk dieser gotischen Kathedrale letzt­lich zugrunde liegt, sondern vor allem die schöpferische Kraft ihres Erbauers, ihres »Meisters«, der sich bei der Ausführung seines Werks ganz seinem eigenwilligen, naturhaft-­genia­lischen Schöpferwillen hingegeben habe. Zugegeben: All diese frühen kunsttheoretischen Erwägungen waren schon, und zwar sowohl in ihren anfäng­lich winckelmannisierenden als auch in ihren kurz darauf die Gotik verklärenden Anschauungen, durchaus »naturbezogen« gedacht, aber noch weit von jener Einsicht in die objektiven Gesetze der Natur entfernt, deren Erforschung sich Goethe mit kaum zu überbietender Akribie in seinen mittleren und späteren Jahren widmen sollte.

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Die frühe Weimarer Zeit »Ich   kam höchst unwissend in allen Naturstudien nach Weimar, und erst das Bedürfnis, dem Herzog bei mancherlei Unter­ nehmungen, Bauten, Anlagen, praktische Ratschläge geben zu können, trieb mich zum Studium der Natur.« (Goethe im Gespräch mit Kanzler Friedrich von Müller, 1822) »Es   ist ewiges Leben, Werden und Bewegen in ihr, und doch rückt sie nicht weiter. Sie ist fest: ihr Tritt ist gemessen, ihre Ausnahmen selten, ihre Gesetze unwandelbar. Wer sie nicht allenthalben sieht, sieht sie nirgendwo recht. Sie setzt alle Augenblicke zum längsten Lauf an, und sie ist alle Augenblicke am Ziel.« (Goethe in dem Fragment Die Natur, um 1780)

Die nächsten vier Jahre, also von August 1771 bis zum November 1775, sollten sich als die unruhigsten in Goethes Leben erweisen. Überreich begabt und zugleich finanziell wohlsituiert, traf er damals sowohl in Frankfurt, Wetzlar und Darmstadt als auch auf einer Lahn-­Rheinfahrt sowie einer Reise in die Schweiz mit unzähligen interessanten, wenn auch höchst verschiedenartigen Persön­lichkeiten zusammen, die ihn jeweils in ihrem Sinne zu beeinflussen suchten. Zugleich schrieb er – noch immer unter dem Einfluß Herders – seinen Götz von Ber­lichingen und seinen Urfaust, entschied sich für eine unchrist­liche, ins Pantheistische übergehende Weltzugewandtheit, streifte als unruhiger Wanderer durch die Natur und gab sich zeitweilig jener Liebeszerrissenheit hin, wie er sie in seinem 1774 publizierten Roman Die Leiden des jungen Werthers darstellte, der ihn unter allen »empfindsam« gestimmten Seelen über Nacht berühmt machte. Aber auch Goethes Interesse an der bildenden Kunst nahm in d ­ iesem Zeitraum keineswegs ab. Immer wieder griff er zum Zeichenstift, um sich 21

Die frühe Weimarer Zeit

in mög­lichst naturgetreuen Landschaftsdarstellungen zu versuchen. Manche seiner Darmstädter Freunde und Bekannten sahen daher Anfang der siebziger Jahre in ihm eher einen vielversprechenden bildenden Künstler als einen angehenden Dichter. So schrieb etwa Caroline Flachsland, die Braut Herders, am 5. Dezember 1772 an ihren Verlobten: »Er denkt noch ein Maler zu werden, und wir rieten ihm sehr dazu.« Ja, Goethe selbst erklärte am gleichen Tag in einem Brief an denselben: »Ich bin jetzt ganz Zeichner und habe Mut und Glück.« Dafür spricht obendrein, daß er sich kurz darauf von seinem Darmstädter Freund Johann Heinrich Merck sogar im Kupferstechen ausbilden ließ und zugleich enge Kontakte mit dem Frankfurter Maler Georg Melchior Kraus aufnahm. Stilistisch gesehen, bevorzugte Goethe in ­diesem Zeitraum bei fast allen seiner bildkünstlerischen Bemühungen weitgehend jenen »empfindsamen Klassizismus«, der eine »Kunst des hohen Stils und der reinen Form« mit den verschiedensten, als mög­lichst »zwanglos« empfundenen »menschlichen Regungen und Gefühlsergüssen« zu vereinen suchte.1 Hierbei handelte es sich um eine Anschauungsweise, wie sie in jenen Jahren vor allem von Malern und Malerinnen wie Friedrich Heinrich Füger, Angelica Kauffmann und Johann Friedrich August Tischbein bevorzugt wurde, ­welche auf ihren Bildern selbst die Figuren der höfischen Welt zumeist mit bürger­lichen Kostümen drapierten, um so jenem Zeitgeschmack der »Natür­lichkeit« entgegenzukommen, der seit der rousseauistisch gefärbten Aufklärung immer breitere Kreise des Adels und der gebildeten Bourgeoisie in seinen Bann zog. Und auch Goethe wurde von dieser Moderichtung ergriffen und entschied sich bereits 1775 nach Italien zu reisen, um dort – vor allem in Rom – Kontakte zu jenen Malern aufzunehmen, die sich ­diesem Stil zugewandt hatten, der ihnen als eine ideale Verbindung ihrer empfindsam gestimmten Bürger­lichkeit mit einer ins Erhabene, Antikisierende und damit »Klas­ sische« tendierenden Kunstanschauung erschien, ­welche zugunsten jener von Johann Joachim Winckelmann propagierten »edlen Einfalt und stillen Größe« auf alle aufgedonnerten barocken Monumentalismen oder verschnörkelten Rokoko-­Arabesken verzichten würde. 22

Die frühe Weimarer Zeit

Abb. 3  Ludwig Schütze nach Otto Wagner: Goethes Gartenhaus am Ilm-­Park in Weimar (1828)

Ja, Goethe befand sich im Zuge seiner geplanten Italienreise im Spätherbst 1775 bereits in Heidelberg, als ihn jene sein ganzes weiteres Leben verändernde Stafette des achtzehnjährigen Herzogs Carl August von Sachsen-­ Weimar-­Eisenach erreichte, worin dieser den sechsundzwanzigjährigen ­Goethe, den er kurz zuvor in Frankfurt und Darmstadt näher kennenund schätzengelernt hatte, beschwor, doch sofort umzukehren, um ihm in Weimar bei seinen noch ungewohnten Regierungsgeschäften zur Seite zu stehen. Und Goethe nahm ­dieses Angebot auch unverzüg­lich an und traf bereits am 7. November 1775 in Weimar ein, wo er – zuerst in dem bekannten Gartenhaus am Ilm-­Park und dann in einem weiträumigen Gebäude am Frauenplan – fast sein gesamtes weiteres Leben verbringen sollte. 23

Die frühe Weimarer Zeit

Was anfangs als lockerer Freundschaftsbund z­ wischen Carl August und Goethe begonnen hatte, nahm schon nach wenigen Wochen und Monaten die Form eines offiziellen Dienstverhältnisses an.2 Bereits im Juni 1776 ernannte ihn Carl August zum Geheimen Lega­tionsrat mit Sitz und Stimme im geheimen Conseil seines Herzogtums, wodurch Goethe beträcht­liche Machtbefugnisse erhielt. Ein Jahr s­ päter betraute ihn Carl August, zwecks Aufbesserung der Staatskasse, zugleich mit der Wiederaufnahme des Kupferschieferbergbaus in der Gegend um Ilmenau, was Goethe – neben seiner Beratungs- und Verwaltungstätigkeit als Leiter der Kriegs- und Wegebaukommission – zu ausgedehnten geolo­gischen und mineralo­gischen Studien anregte, um ­diesem Aufgabenbereich gerecht zu werden.3 Im Rahmen all dieser Aktivitäten, und zwar nicht nur im Hinblick auf das Bergwerkswesen, widmete sich Goethe ab 1780 immer stärker dem Studium der Naturwissenschaft, und zwar neben der Geologie und Mineralogie auch der Optik, Botanik sowie Osteologie. Dafür sprechen folgende Fakten: So besuchte er an der zum Herzogtum Sachsen-­Weimar-­Eisenach gehörenden Jenaer Universität wiederholt die anatomischen Vorträge und Sezierübungen von Justus Christian Loder, was dazu führte, daß er im März 1784 das Os intermaxillare, den sogenannten menschlichen Zwischenkiefer­knochen, entdeckte, den es bei allen höheren Primaten gibt und dessen Fehlen beim Homo sapiens bis dahin als ein Beweis für die Sonderschöpfung des Menschen nach dem Ebenbilde Gottes galt.4 Zugleich nahm G ­ oethe Kontakte zu Naturwissenschaftlern wie Johann Friedrich Blumenbach, ­Wilhelm ­Heinrich Sebastian Buchholz, Johann Georg Lenz und Samuel Thomas Sömmering auf und fing an, sich mit Optik zu beschäftigen, was ihn s­ päter zu seiner breit ausgeführten Farbenlehre anregte. Im Rahmen seiner geolo­ gischen Studien schrieb er in den frühen achtziger Jahren eine Abhandlung Über den Granit und plante zugleich – unter dem Einfluß der Mineralogen Johann Carl Wilhelm von Voigt und Abraham Gottlob Werner – einen neptunistisch konzipierten Roman über das Weltall, in dem er die Entstehung der Erdkruste aus schichtartig übereinander gelagerten Gesteinsforma­tionen zu erklären hoffte, wie er am 7. Dezember 1781 an Charlotte von Stein 24

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Abb. 4  Charlotte von Stein (um 1780)

schrieb, um so die Erdgeschichte als einen kontinuier­lich-­gesetzmäßigen Prozeß darstellen zu können, während er 1785 als angehender Botaniker sowohl Carl von Linnés Philosophia botanica (1751) studierte als auch die Keimbildung pflanz­licher Samen untersuchte. Angesichts all dieser offiziellen Tätigkeiten und naturwissenschaft­lichen Bemühungen fragt man sich unwillkür­lich: Wieviel Zeit blieb Goethe, der gleichzeitig mehrere Theateraufführungen einstudieren mußte, in diesen Jahren eigent­lich für seine literarischen und bildkünstlerischen Interessen? Selbstverständ­lich frönte er nebenher auch seiner Schreiblust, wenn auch nicht mehr mit der bisherigen Intensität. In seiner Lyrik überwog dabei wie in den Gedichten »Warum gabst du uns die tiefen Blicke«, »Nur wer die Sehnsucht kennt, / Weiß was ich leide«, »Des Menschen Seele / Gleicht dem Wasser«, »Hier bildend nach der reinen stillen / Natur, ist ach mein Herz der alten Schmerzen voll«, »Füllest wieder Busch und Tal / Still mit 25

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Abb.  5  Johann ­Wolfgang Goethe: Das Schloß Groß­ kochberg der F­ amilie von Stein (1777 ?)

Nebelglanz« oder »Über allen Gipfeln ist Ruh« weitgehend ein empfindsamer Ton, der vor allem bei den Damen der Hofkreise um die Herzogsmutter Anna Amalia, darunter der Freifrau Charlotte von Stein, viel Zustimmung fand. Hier trafen sich all jene »schönen Seelen«, die sich mit iphigenienhafter Emphase zu einer »edlen Menschlichkeit« bekannten sowie fast täg­lich gefühlvolle Gedichte, Zeichnungen und Briefe miteinander austauschten. 26

Die frühe Weimarer Zeit

Und auch Goethe nahm unter dem Einfluß von Charlotte von Stein, der er ­zwischen 1775 und 1786 über 1500 Briefe und Billetts schickte, ohne jeden Rückhalt an ­diesem gefühlvollen Seelenaustausch teil. Allerdings handelte es sich bei ihm eher um eine aufgeklärte, mit vielen Naturbildern durchsetzte Empfindsamkeit, die ohne irgendwelche religiö­ sen Einsprengsel auskam und sich – angesichts der gotterfüllten Natur – vornehmlich auf die spontanen Regungen der menschlichen Seele beschränkte. Als ihm darauf die weiterhin Frömmelnden unter seinen literarisch interessierten Zeitgenossen Vorhaltungen machten, kein gläubiger Protestant mehr zu sein, gab er sich in am 29. Juni und 9. August 1782 geschriebenen Briefen an den pietistisch gestimmten Johann Kaspar ­Lavater in aller Offenheit als einen »dezidierten Nichtchristen« aus, der sich weigere, das Übernatürliche als die eigent­liche Manifesta­tion des Religiösen anzuerkennen, was er geradezu als eine »Lästerung gegen den großen Gott und seine Offenbarung in der Natur« empfinde. Ja, an F ­ riedrich Heinrich Jacobi schrieb er am 9. Juni 1785 nach eingehenden Studien der Werke ­Benedictus de ­Spinozas, der damals wegen seiner antimetaphy­sischen Ansichten als »verruchter, gefähr­licher Atheist, ja als schlimmer Ketzer« galt,5 mit dem Aplomb eines inzwischen selbstbewußten Naturforschers sogar noch unverblümter: »Ich suche das Gött­liche in herbis et lapidibus«,6 um keinen Zweifel an seiner Ablehnung aller ins Metaphy­sische ausschweifenden Regungen zu lassen und sich zu einer Frömmigkeit zu bekennen, die allein auf der Verehrung der in der Natur waltenden Mächte beruht. Ein Jahr s­ päter, genauer am 5. Mai 1786, heißt es in einem Brief an den gleichen Jacobi im Hinblick auf Spinoza nicht minder »dezidiert«: »Ich halte mich fest und fester an die Gottesverehrung des Atheisten und überlasse euch alles, was ihr Religion heißt und heißen müßt.« In literarischer Hinsicht beschränkte sich Goethe in diesen Jahren weitgehend auf für Liebhaberaufführungen gedachte Dramen und Dramolette wie Die Laune des Verliebten, Die Geschwister, Lila, Erwin und Elmire, Jery und Bätely, Die Mitschuldigen sowie Der Triumph der Empfindsamkeit, mit denen er dem Geschmack der halb rokokohaft, halb empfindsam eingestellten 27

Die frühe Weimarer Zeit

Hofgesellschaft entgegenzukommen versuchte. Größere Projekte, ob nun den Wilhelm Meister, den Faust, die Iphigenie auf Tauris, den Egmont oder den Torquato Tasso, ließ er dagegen entweder unvollendet liegen oder gab ihnen eine erste, noch vorläufige Fassung, während er ihre endgültige Ausformung immer wieder verschob. Auch seinen bildkünstlerischen Neigungen konnte sich Goethe in ­seinen frühen Weimarer Jahren nicht mehr so intensiv widmen wie in seiner Leipziger oder Straßburger Zeit. Er gab zwar das ihm zum Bedürfnis gewordene Zeichnen im Hinblick auf die nähere Umgebung von Weimar nicht völlig auf und versuchte sich zugleich als Kupferstecher und Porzellan­ maler. Außerdem pflegte er weiterhin Kontakte mit Adam Friedrich Oeser, besuchte im Mai 1778 bei einem Berlin-­Aufenthalt sowohl den ­berühmten Porträtmaler Anton Graff als auch den ebenso bekannten Kupferstecher Daniel Nikolaus Chodowiecki, ja ließ sich kurz darauf vom Weimarer Hofbildhauer Martin Gottlieb Klauer modellieren und ein Jahr s­ päter in Zürich von Johann Heinrich Lips porträtieren. Obendrein unterstützte er die von Georg Melchior Kraus seit 1780 geleitete Weimarer Fürst­liche Freie Zeichenschule und ermahnte am 21. Juni 1781 Friedrich »Maler« Müller in einem Brief, auf seinen Bildern nicht leichtfertig zu »sudeln«, sondern sich enger an die »Natur« zu halten, schrieb jedoch keine kunsttheoretischen Abhandlungen mehr, aus denen man Rückschlüsse auf sein Verhältnis zum damaligen Stand der deutschen Malerei ableiten könnte. Selbst sein ausführ­licher Briefwechsel und persön­licher Umgang mit dem Kunsttheoretiker Johann Heinrich Merck, den er bereits in seiner Frankfurter und Darmstädter Zeit kennengelernt hatte, gibt in dieser Hinsicht nicht viel her. Schließ­lich war Merck kein Anhänger einer naturnahen Darstellungsweise, wie sie Goethe in diesen Jahren favorisierte, sondern vertrat – aufgrund seiner Hochschätzung der italienischen Renaissance-­ Malerei – eher die idealisierende Richtung innerhalb der klassizistischen Kunsttheorie,7 welcher Carl August und Goethe – im Gegensatz zu der von ihnen hochgeschätzten niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts – in ­diesem Zeitraum nur eine untergeordnete Bedeutung beimaßen. Merck 28

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Abb. 6  Allaert van Everdingen: Gebirgslandschaft (2. Hälfte 17. Jahrhundert)

ging es dagegen im Sinne des sich anbahnenden Klassizismus bereits um jenes »Schöne«, von dem er sich erhoffte, daß es einen erhebenden Eindruck auf alle kunstsinnigen Menschen ausüben werde.8 Goethe, der im Verlauf seiner immer intensiveren naturwissenschaft­lichen Studien vor allem das Wirk­lichkeitsnahe bevorzugte, lehnte dagegen in seinen frühen Weimarer Jahren eine derart idealisierende Überbewertung von Gemälden noch weitgehend ab. Darum bestand er bei den Ankäufen für die herzog­liche Kunstsammlung lange Zeit darauf, vor allem Bilder niederländischer Maler mit genau wiedergegebenen Naturdarstellungen zu bevorzugen.9 Ja, in einem Brief vom 28. März 1781 an Merck ließ er sich in einem Moment polemisch gestimmter Gefühlsaufwallung sogar dazu hinreißen, von den Gemälden des Holländers Allaert van Everdingen, dessen Gebirgslandschaften ihn 29

Die frühe Weimarer Zeit

zugleich unter geolo­gischen und mineralo­gischen Gesichtspunkten interes­ sierten, zu behaupten: »Seit ich diesen Menschen kenne, mag ich weiter nichts ansehen.« Und doch, trotz alledem veranlaßte der allgemeine Zeitgeschmack, der im Gefolge von Anton Raphael Mengs und Johann Joachim Winckelmann immer stärker auf einen empfindsamen und dann heroischen Klassizismus hindrängte, schließ­lich auch Goethe, sich erneut eingehender mit derartigen Anschauungen auseinanderzusetzen. Allerdings tat er das auf seine eigene, ihm einzig sinnvoll erscheinende Art, indem er dabei den Akzent weniger auf die zusehends ins Monumentalisierende oder Heldische drängenden Aspekte dieser Richtung als auf das Naturschöne der antikisierenden Stilelemente legte. Was ihn in den mittleren achtziger Jahren am Klassizismus interessierte, war daher weniger das Pompöse, das Heroische, das in göttergleichen Posen Erstarrte, worum sich vor allem Historienmaler wie Asmus Jakob Carstens, Gottlieb Schick und Eberhard Wächter auf ihren Bildern bemühten,10 als jene ins Idea­lische gesteigerte Wirk­lichkeitsnähe, wie sie im frühen 16. Jahrhundert – nach dem Vorbild der antiken Meister – auch einige italienische Renaissance-­Maler, darunter der alle anderen überragende Raffael, angestrebt hätten.

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Das Italien-­Erlebnis »In   diesen Tagen unterhält mich auch das ­Theater, doch sehe ich, daß ich zu alt für diese Späße bin. Die andern bildenden Künste erfreuen mich mehr, und doch am meisten die Natur mit ihrer ewig konsequenten Wahrheit.« (Goethe in einem Brief vom 27. Mai 1787 aus Neapel an Carl August)

Und die Sehnsucht nach dieser Form des Klassizismus, die bis dahin in Deutschland noch nicht wirk­lich Fuß gefaßt hatte, wurde in Goethe schließ­ lich so übermächtig, daß er sich während eines Ferienaufenthalts in Karlsbad Anfang September 1786 – nach einer ­kurzen Absprache mit Carl August – entschloß, seine vielfältigen Ämter und Verpflichtungen in Weimar aufzugeben und für längere Zeit nach Italien zu reisen, um dort als Maler Johann Philipp Möller jene Welt der antiken und renaissancehaften Kunst in Augenschein zu nehmen, von der er sich die Wiedergeburt eines wahrhaft bedeutsamen künstlerischen Stils versprach. Statt weiterhin im deutschen Nifelheim ein »nord’scher Barbar« zu werden, hoffte er in ­diesem Land nicht nur einigen seiner literarischen Werke, wie der Iphigenie auf Tauris und dem Torquato Tasso, end­lich in süd­licher Umgebung eine ihnen gemäße klassizistische Form zu verleihen, sondern zugleich in enger Fühlungnahme mit den in Rom lebenden deutschen Künstlern auch seinen bildkünstlerischen Bemühungen jene bereits in der Antike und der Renaissance erreichte idealisierende Naturnähe zu geben.1 Während Goethe bei seiner Reise durch das Südtiroler Etschtal manche Landschaftsszenerien noch an Gemälde der von ihm zuvor geliebten niederländischen Maler Allaert van Everdingen und Heinrich Roos erinnerten, gab er sich im weiteren Verlauf seiner Reise mehr und mehr jenen »sinn­ lichen Eindrücken« hin, die sich weder beim Lesen von Büchern noch beim 31

Das Italien-­Erlebnis

Betrachten von Bildern einstellen, wie er s­ päter in der Druckversion seiner Italienischen Reise erklärte.2 Als Naturforscher und Kunstenthusiast, ja als immer wieder betonter »Augenmensch« interessierte ihn in den folgenden Wochen und Monaten geradezu alles, was er in ­diesem Lande wahrnahm: die Witterung, die Felsforma­tionen, die Pflanzenwelt, das sich unter süd­ lichem Himmel abspielende freiere Leben der dortigen »Naturmenschen«, die Bauweise ihrer Häuser sowie die überall anzutreffenden Kunstwerke, deren Kenntnis er bisher ledig­lich einigen theoretischen Schriften, Gipsabgüssen oder Kupferstichsammlungen verdankte. Und zwar machte Goethe hierbei im Hinblick auf die Kunst, da es ihm vor allem um die Wiedergeburt einer großen Architektur und Malerei aus dem Geiste der Antike ging, ­zwischen den Werken der Griechen und Römer sowie jenen der »mittleren Zeit«, wie er die Renaissance bezeichnete, keine allzu großen Unterschiede. Ja, die Bauten von Andrea Palladio, vor allem dessen Villa rotunda in Vicenza, aber auch andere seiner Werke beeindruckten ihn Ende September 1786 fast noch stärker als die antike Arena in Verona, da er in ihnen das g­ leiche neuzeit­liche Bestreben nach einer Erneuerung des »Klas­sischen« wahrzunehmen glaubte, dem auch er seine weiteren künstlerischen Bemühungen widmen wollte. In ihrem Verzicht auf alle nordisch-­gotischen Verschnörkelungen und ihrer Betonung wahrhaft klas­sischer Propor­tionen sah er in diesen Bauten etwas, das nicht mehr im Sinne des Mittelalters ins Transzendente weise, sondern in denen sich eine innerwelt­liche und damit humanistisch gesinnte Harmonie zu erkennen gebe. Er erwarb deshalb schon kurz darauf jene von 1770 bis 1780 von Joseph Smith herausgegebene Faksimileausgabe der Quattro Libri dell’Architettura Palladios, die ihm bis zum Ende seines Lebens – neben den Werken des römischen Architekten Vitruv – als die wichtigste Publika­tion auf dem Gebiet der Baukunst erschien.3 Doch das Ziel seiner italienischen Reise war nicht Oberitalien, sondern von vornherein Rom, die »ewige Stadt«, der Ort der meisten Altertümer und zugleich der Wiedererweckung der griechisch-­römischen Kunst seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Goethe hielt sich daher bei seiner 32

Das Italien-­Erlebnis

Abb. 7  Andrea Palladio: Villa Malcontenta, G ­ ambarare di Mira, Venedig (1558/61)

Weiterreise selbst in Florenz nur drei Stunden auf und traf am 29. Oktober 1786 in Rom ein. Diese Stadt galt damals unter vielen nord-­oder westeuro­ päischen Intellektuellen, die sich als »aufgeklärt« verstanden, nicht als Stadt des Papstes, sondern vornehm­lich als Stadt der Kunst. Rom ist »der einzige Ort in der Welt für den Künstler«, schrieb deshalb auch Goethe am 8. Juni 1787 von dort aus an Charlotte von Stein, »und ich bin doch einmal nichts 33

Das Italien-­Erlebnis

anderes.« Bereits im 17. Jahrhundert hatten sich hier viele niederländische Maler niedergelassen. Danach waren die Franzosen gekommen, während seit der Mitte des 18. Jahrhunderts die Deutschen, allen voran Anton Raphael Mengs mit seinem Manifest Gedanken über die Schönheit und über den Geschmack in der Malerei (1761) und Johann Joachim Winckelmann mit seiner Geschichte der Kunst des Altertums (1764), die dort herrschende Kunstentwicklung in klassizistische Bahnen gelenkt hatten.4 Als Goethe in Rom eintraf, gehörten zu den Anhängern und Anhänge­ rinnen dieser Richtung, mit denen er – trotz seines anfäng­lichen I­ nkog­nitos – als bereits bekannter Autor der Leiden des jungen Werthers schnell Kontakte anknüpfen konnte, vor allem die Maler und Malerinnen Friedrich Bury, Angelica Kauffmann, Johann Heinrich Meyer, Johann Georg Schütz und Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, der Kunsttheoretiker Ludwig Hirt, der Kupferstecher Johann Heinrich Lips, der Bildhauer Alexander Trippel, der Altertumsforscher Karl Philipp Moritz und der Archäologe Johann Friedrich Reiffenstein. Aufs Große und Ganze gesehen, lassen sich zwar Goethes Kunstansichten während seiner Zeit in Rom, wo er sich – mit einigen Unterbrechungen – bis zum 23. April 1788 aufhielt, nicht auf einen klar umgrenzten Nenner bringen, zeugen jedoch durchgehend von seinem nicht nachlassenden Bemühen, sich in seinen literarischen und bildkünstlerischen Werken sowie seinen kunsttheoretischen Anschauungen an jener in der Antike und der Renaissance herrschenden »natür­lichen« Einfachheit und Schönheit zu orientieren, die in Stilepochen wie der Gotik und dem Barock zuungunsten einer christ­lichen Frömmigkeit oder fürst­lichen Machtentfaltung gewaltsam unterdrückt worden ­seien. Und zwar ging Goethe in Italien bei seiner Beschäftigung mit der Kunst der »Alten«, wie er sie gern nannte, stets von der Ansicht aus, daß sowohl die griechischen und römischen Künstler als auch die Architekten und Maler der Renaissance »noch nach den Gesetzen verfuhren, w ­ elche die 5 Natur verfährt und denen auch ich auf der Spur bin«. Statt sich auch für Zeitgenös­sisches zu interessieren, wollte sich Goethe jetzt nur noch »mit 34

Das Italien-­Erlebnis

Abb. 8  Friedrich Bury: Goethe im Kreise seiner römischen Freunde (1787/88)

dem beschäftigen, was bleibende Verhältnisse sind«.6 Er las daher keine Zeitungen mehr und wich auch sonst allen tagespolitischen oder gar sozioökonomischen Fragestellungen aus. »Es darf uns nicht niederschlagen«, notierte er sich am 25. Dezember 1787 in Rom, »das Große sei vergäng­ lich; vielmehr wenn wir finden, das Vergangene sei groß gewesen, muß es uns aufmuntern, selbst etwas von Bedeutung zu leisten.« Und die Voraussetzung zu einer solchen Einstellung sah er in der Wiedergewinnung jener »großen Kenntnis der Natur«, wie sie nicht nur Homer, sondern auch die bildenden Künstler der Antike gehabt hätten.7 Ihre »hohen Kunstwerke«, schrieb er am 6. September 1787, »sind zugleich als die höchsten Naturwerke von Menschen nach wahren und natür­lichen Gesetzen hervorgebracht worden.«8 Deshalb strich er in seinen Aufzeichnungen aus dieser Zeit immer wieder die zeitlos-­ewige Natur heraus, um sich von allem Unruhigen, 35

Das Italien-­Erlebnis

Sichverändernden, Zeitgenös­sischen, kurz: Modernistischen abzuschotten. Wenn daher Goethe in dieser Zeit überhaupt auf »Geschichte« zu sprechen kam, erschien ihm selbst das Vergäng­liche immer nur als ein »Gleichnis des Unvergäng­lichen«.9 Ja, selbst in der Natur interessierte ihn weniger das »Gewordene« als das Gewesene, Anfäng­liche, Ursprüng­liche, das heißt nicht die Vielfalt der heutigen Pflanzenwelt, sondern die »Urpflanze«, die er für kurze Zeit im Botanischen Garten von Palermo zu entdecken glaubte.10 Zu Anfang seines Aufenthalts in Rom ging es Goethe erst einmal darum, die bisherige Prosafassung seiner Iphigenie auf Tauris in Verse zu übertragen, um ­diesem Drama ein ihm gemäßes antikisierendes Gewand zu verleihen. Doch danach beschäftigte er sich – neben der Arbeit an seinen Dramen Torquato Tasso und Egmont sowie dem Gedicht Amor als Landschaftsmaler – fast ausschließ­lich mit Problemen der bildenden Kunst. Er zeichnete fast ununterbrochen, eignete sich bei dem Maler Christoph Heinrich Kniep die Kunst des Aquarellierens an, trieb mit Maximilian von Verschaffelt Studien über Architektur und Perspektive, machte mit Johann Heinrich Wilhelm Tischbein im Februar 1787 eine Reise nach Pompeji und Herculanum, um sich über römische Kunst zu informieren, fuhr zwei Monate ­später mit Christoph Heinrich Kniep nach Sizilien, wo er die dortigen Überreste der griechischen Kunst aufsuchte, und stellte anschließend in seinem Zimmer Abgüsse der Büsten Jupiters und Junos auf, um täg­lich an die Größe der vergangenen Zeit erinnert zu werden.11 Doch ebenso wichtig war Goethe in d ­ iesem Zeitraum der Umgang mit einigen der in Rom lebenden deutschen und Schweizer Künstler, deren Bilder und kunsttheoretische Ansichten ihm nicht minder bedeutsam erschienen als das eigene Zeichnen und Aquarellieren sowie die erneute Lektüre der Werke Winckelmanns und der Odyssee Homers, ­welche ihn zum Entwurf eines Nausikaa-­Dramas anregten. Einer der ersten der damals in Rom ansässigen rund 80 deutschen und Schweizer Künstler, zu dem Goethe Kontakte aufnahm, war Johann Heinrich ­Wilhelm Tischbein, mit dem er bereits vorher im Briefwechsel gestanden hatte und bei dem er anfangs sogar wohnte. Tischbein hatte sich bereits 36

Das Italien-­Erlebnis

Abb. 9  Johann Wolfgang Goethe: Italienische Küstenlandschaft (1787)

z­ wischen 1779 und 1781 in Rom aufgehalten und war darauf 1783 wieder dorthin zurückgekehrt, kannte sich also in Rom gut aus und erwies sich daher für Goethe als ein kenntnisreicher Cicerone, der ihn umgehend mit den dort herrschenden Verhältnissen vertraut machte. Ja, nicht nur das. Tischbein malte bereits im Dezember 1786 jenes berühmte Porträt Goethes in der Campagna-­Landschaft, das s­ päter unter dem Titel Et in arcadia ego (Auch ich in Arkadien) allgemein bekannt wurde, auf dem er den von ihm Porträtierten im Sinne des empfindsamen Klassizismus nicht nur als einen naturverbun­denen Wanderer darstellte, sondern durch die Andeutung antiker Ruinen, eines umgestürzten Obelisks sowie eines 37

Das Italien-­Erlebnis

Abb. 10  Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Goethe in römischer Campagnalandschaft (1786)

­ eliefs mit der ­Wiedererkennungsszene aus dessen Iphigenie versah, um R damit Goethes Streben nach einer Symbiose von Natur und griechisch-­ römischer Schönheit zu akzentuieren.12 Wahrschein­lich war es auch Tischbein, der Goethe schon wenige Wochen nach seiner Ankunft in Rom mit der Malerin Angelica Kauffmann bekannt machte, die zu den wichtigsten Mitgliedern der sich zum Geschmack des empfindsamen Klassizismus bekennenden Arkadischen Akademie gehörte.13 Ja, Goethe wurde bereits am 4. Januar 1787 in diese Künstlervereinigung aufgenommen, wo er kurz darauf sein Drama Iphigenie auf Tauris vorlas, 38

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das wegen seiner als »schöne Seele« gezeichneten Hauptgestalt einen großen Eindruck auf Angelica Kauffmann machte, bei deren antikisierenden ­Porträts und allegorischen Szenen es sich meist ebenfalls um gefühlvolle Darstellungen weib­licher Gestalten handelt. Goethe war anfangs von der Zartheit ihres persön­lichen Wesens sowie der iphigenienhaften Wiedergabe weib­licher Figuren auf ihren Bildern sehr angetan, distanzierte sich dann jedoch im Laufe der Zeit allmäh­lich von ihr, da ihm ihre Bildgebung als zu empfindsam und nicht römisch-­antikisierend genug erschien. Um so intensiver wurde dagegen sein Umgang mit Johann Heinrich Meyer, welcher sich bereits seit 1784 in Rom befand und den Goethe ebenfalls schon im Dezember 1786 kennenlernte. Meyer, der ein enger Freund Tischbeins war und zu den nachdrück­lichsten Antikenverehrern gehörte, bestärkte Goethe, sich bei der Darstellung des Schönen und Naturnahen vor allem an die Winckelmannsche Maxime der »edlen Einfalt und stillen Größe« zu halten, was Goethe im Verlauf der kommenden Monate – nach mancherlei schwankenden Orientierungsversuchen auf d ­ iesem Gebiet – immer einleuchtender fand und schließ­lich zur Hauptmaxime seiner kunsttheoretischen Ansichten erhob. Er forderte daher den ihm gleichgesinnten »Kunschtmeyer«, wie er den gebürtigen Schweizer wegen dessen Dialektintona­tion gern nannte, gegen Ende seines Aufenthalts in Rom sogar auf, mit ihm nach Weimar zurückzukehren, und beredete ­später seinen Herzog, Meyer die Leitung der dortigen Kunstschule anzuvertrauen, um damit dieser Stilrichtung auch in Weimar zum Durchbruch zu verhelfen.14 Doch bevor es dazu kam, lernte Goethe auf seiner Reise nach Pompeji und Herculanum am 28. Februar 1787 noch einen anderen Künstler kennen, der einen ebenso großen Eindruck auf ihn machte. Und das war Jakob Philipp Hackert, der seit 1786 Hofmaler des Königs Ferdinand IV . von Neapel war und zu den bekanntesten »Landschaftern« des frühen Klassizismus gehörte. Seine Bilder schätzte Goethe vor allem wegen ihrer zwar topographisch genauen Wiedergabe der jeweiligen Sujets, aber zugleich der ins Idea­lische erhobenen Einfachheit ihrer Gesamtkomposi­tion,15 weshalb er sich Ende 1787 unter Hackerts Anleitung ebenfalls um die zeichnerische 39

Das Italien-­Erlebnis

Abb. 11  Jakob Philipp Hackert: Der Tempel des Herkules in Cori bei Velletri (1783)

Darstellung wohlgefälliger Landschaften bemühte, auf denen er – im Sinne seines an den Griechen geschulten Naturverständnisses – das in der Natur Vorgegebene zwar ins Idea­lische stilisierte, sich aber dabei nie zu Übersteigerungen ins Heroische oder Monumentale verleiten ließ, sondern stets das jeweils Charakteristische der zeichnerisch wiedergegebenen Wirk­lichkeit im Auge behielt. »Hackert hat mich«, schrieb er am 11. August 1787 von Rom aus nach Weimar, »in vierzehn Tagen, die ich mit ihm auf dem Lande war, weitergebracht, als ich in Jahren für mich würde vorgerückt sein.« Nachdem sich Goethe Anfang 1788 sogar zu seiner Zufriedenheit im Zeichnen und Modellieren des menschlichen Körpers versucht hatte, erklärte er am 17. März d ­ ieses Jahres in einem Brief an seinen Herzog: »Ich 40

Das Italien-­Erlebnis

habe mich in dieser eineinhalbjährigen Einsamkeit wiedergefunden; – als Künstler.« Und Carl August – voller Verständnis für diese Wendung in Goethes Leben – entband ihn darauf von fast allen bisherigen offiziellen Verpflichtungen in der Verwaltung seines Herzogtums, worauf sich Goethe entschloß, Rom zu verlassen und nach Weimar zurückzukehren, um dort – außer der Leitung der Ilmenauer Kommissionen sowie einiger kultureller Einrichtungen – sein Leben unter Beibehaltung aller bisherigen Würden und Titel nicht nur als freischaffender »Künstler«, sondern auch als ernsthafter »Naturforscher« fortzusetzen.

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Wieder in Weimar »Vieles   hab ich versucht, gezeichnet, in Kupfer gestochen,  Öl gemalt, in Ton hab ich auch manches gedrückt,  Unbeständig jedoch, und nichts gelernt noch geleistet;  Nur ein einzig Talent bracht ich der Meisterschaft nah:  Deutsch zu schreiben. Und so verderb ich unglück­licher Dichter  In dem schlechtesten Stoff leider nun Leben und Kunst.« (Goethe: Venezianische Epigramme, 1790)

Was Goethe aus Italien mitbrachte, als er am 18. Juni 1788 wieder in Weimar eintraf, waren nicht nur über 1000 Zeichnungen, die versifizierte Iphigenie auf Tauris sowie ein ausführ­liches Tagebuch über seine botanischen Forschungen und Beobachtungen, sondern zugleich eine völlig neue, an einer naturhaften Sinn­lichkeit orientierte Lebensanschauung. Sowohl als Künstler als auch Mann empfand er sich fortan als »Deutschrömer«. Dementsprechend löste er schon vier Wochen ­später sein weitgehend empfindsam gestimmtes Verhältnis zu der betont aristokratisch eingestellten Freifrau Charlotte von Stein und begann eine als Gewissensehe deklarierte Liebschaft mit der zwar kleinbürger­lichen, aber dafür umso lebenslustigeren Floristin Christiane Vulpius, die bis dahin in Friedrich Justin ­Bertuchs Werkstatt für künst­liche Blumen gearbeitet hatte. Obendrein verfaßte er – im Überschwang seiner in Italien gemachten Erfahrungen und des Christiane-­ Erlebnisses – bereits seit September des gleichen Jahres die erste Niederschrift seiner Römischen Elegien, in denen er seiner neuen Weltsicht eine durch die Begegnung mit der Antike sowie der durch sie geweckten Sinn­ lichkeit end­lich eine ihr dichterisch gemäße Form zu verleihen suchte. Und zwar bediente er sich dabei der als spezifisch »klas­sisch« geltenden Hexameter, die in seiner Lyrik zeitweilig alles Empfindsam-­Lyrische weitgehend verdrängen sollten.

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Wieder in Weimar

Nach schnell berühmt werdenden Zeilen, welch auf Goethes Rom-Erlebnis anspielen: »Saget, Steine, mir an, o sprecht, ihr hohen Paläste! / Straßen, redet ein Wort! Genius, regst du dich nicht? / Ja, es ist alles beseelt in deinen heiligen Mauern, / Ewige Roma« oder »Froh empfind ich mich nun auf klas­sischem Boden begeistert; / Vor- und Mitwelt spricht lauter und reizender mir / Hier befolg ich den Rat, durchblättre die Werke der Alten / mit geschäftiger Hand, täg­lich mit neuem Genuß«,1 folgten darauf die lange Zeit ebenso bekannten Zeilen: »Und belehr ich mich nicht, indem ich des lieb­lichen Busens / Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab? / Dann versteh ich den Marmor erst recht; ich denk und vergleiche, / Sehe mit fühlendem Aug, fühle mit sehender Hand« sowie »Oftmals hab ich auch schon in ihren Armen gedichtet / Und des Hexameters Maß auf den Rücken gezählt«,2 um auch seine Christiane-­Affäre mit den in Rom gemachten Erfahrungen in Beziehung zu setzen. Das in diesen Elegien in besonders prononcierter Form zum Ausdruck kommende Lebens- und Kunstverständnis, welches sich sowohl den Anschein des Antikisierenden als auch des ins Ewige oder zumindest Zeit­ enthobene einer neuen Naturbezogenheit zu geben versucht, haben die meisten Goethe-­Forscher oder Goethe­-Verehrer der folgenden 200 Jahre sowohl im Hinblick auf die ästhetische Vollkommenheit dieser Gedichte als auch auf Werke wie die Iphigenie auf Tauris und den Torquato Tasso fast durchgehend als Inbegriff der »Weimarer Klassik« verstanden und damit ins Normative, wenn nicht gar Vorbild­liche einer weitgehend enthistorisierten Literaturvorstellung erhoben, durch ­welche die deutsche Dichtung einen nicht oder kaum zu überbietenden Höhepunkt erreicht habe. Und sie taten das, obwohl bereits beim Erscheinen dieser Werke einige Kritiker gewichtige Bedenken gegen das Modellhafte derartiger Anschauungen vorzubringen versuchten, indem sie sich vor allem gegen die von Winckelmann und dann von Goethe ausgegebene klassizistische Maxime wandten, daß die Wiedererweckung einer wahrhaft großen Kunst ledig­lich durch die Nachahmung des bereits von den Griechen und Römern Geleisteten zu erreichen sei. Dafür sprechen unter anderem jene von Johann Georg 44

Wieder in Weimar

Abb.  12  Johann Wolfgang Goethe: Christiane Vulpius (1788/89)

Hamann in christ­licher, Christoph Martin Wieland in aufklärerischer und Johann Gottfried Herder in historisierender Sicht vorgebrachten Bedenken, die in Goethes Verklärung der Antike einen Rückfall ins Zeitenthobene, wenn nicht gar eine Wendung ins »Retrograde« erblickten, der die Weigerung zugrunde liege, sich als verantwortungsbewußter Bürger mit den Problemen seiner eigenen Zeit auseinanderzusetzen. Doch Goethe ließ sich nach seiner Rückkehr aus Italien wie auch in der unmittelbaren Folgezeit – trotz seiner »entsagungsvollen« Einsicht, letzt­lich eher ein Dichter und Naturforscher als ein bildender Künstler zu sein – von seinen klassizistischen Anschauungen keineswegs abbringen. Immer wieder pries er die an der »edlen Einfalt und stillen Größe« orientierten Werke der Griechen als schlechthin unvergäng­lich und damit nachahmenswert. Statt auch die Antike, wie alles auf sie Folgende, zu historisieren, stellte er sie zwar als ein vergangenes Zeitalter hin, dem man jedoch im Hinblick auf Schönheit und Naturverbundenheit durchaus nacheifern solle. Vor allem in der Kunst sei es keineswegs nötig, im Sinne reformbedürftiger Unruhestifter ständig auf die politischen und sozioökonomischen Ereignisse der 45

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eigenen Zeit einzugehen. Auf d ­ iesem Gebiet wäre man wesent­lich besser beraten, erklärte er hartnäckig, sich lieber an den Ewigkeitscharakter des bereits damals Erreichten zu halten, weshalb er sich in steigendem Maße gegen alles Sichverändernde, Zeitgenös­sische, das heißt als »modern« Hingestellte wandte. Und zwar untermauerte Goethe seine an der Antike geschulten Anschauungen nicht nur in dem kurz nach seinem Italien-­Erlebnis geschriebenen Essay Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil, in dem er sich zu einer künstlerischen Ausdrucksweise bekannte, die vor allem auf den unvergäng­lichen Naturformen der Landschaft sowie der stets gleichbleibenden Gestalt des menschlichen Körpers beruhen sollte, sondern kam in ­diesem Zusammenhang auch ständig auf seine bewußt »unzeitgemäßen« naturwissenschaft­lichen Interessen zu sprechen, die aufs engste damit verknüpft waren. Dafür spricht unter anderem seine Arbeit an dem 86 Seiten umfassenden Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären, den er im Januar 1790 abschloß und mit dem er zu einem Mitbegründer der vergleichenden Morphologie, wenn nicht gar zu einem Vorläufer der späteren Evolu­tionstheorie wurde.3 Im Rahmen dieser Studien nahm Goethe zugleich enge Kontakte mit den Jenaer Botanikprofessoren Johann Georg Karl Batsch und Friedrich Siegmund von Voigt auf, ja regte sie sogar an, für die Anlage eines Botanischen Gartens an der dortigen Universität zu sorgen.4 Doch nicht nur der Botanik wandte er sich verstärkt zu. Auch die Optik, die Anatomie, die Geologie, die Mineralogie, die Akustik sowie die Osteologie, für die er sich bereits in seinen frühen Weimarer Jahren interessiert hatte,5 zogen ihn nach wie vor unverändert an. Dementsprechend schrieb er am 9. Juli 1790 an Karl Ludwig von Knebel: »Mein Gemüt treibt mich mehr als jemals zuvor zur Naturwissenschaft.« Dafür sprechen unter anderem seine im November 1789 in Jena vorgenommenen anatomischen Studien, die ihn zu einer neuen Wirbelsäulentheorie veranlaßten. Ebenso wichtig erschienen Goethe seine mineralo­gischen Studien, über die er sich ausführ­lich mit dem Direktor der Freiberger Bergakademie Abraham Gottlob Werner sowie dem Jenaer 46

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Mineralogen Johann Georg Lenz unterhielt. Beide sprachen sich wie er entschieden gegen die damals kursierende »vulkanistische« Katastrophentheorie aus, mit der man die Entstehung der Erdoberfläche zu erklären suchte. Wie Goethe bemühten sie sich, die in der Urzeit erfolgten geolo­gischen Entwicklungsvorgänge eher »neptunistisch«, das heißt als einen sich langsam vollziehenden Sedimentierungsprozeß zu erklären, bei dem sich die Ton-, Kalk- und Sandsteinablagerungen allmäh­lich über dem Urgestein des Granits ausgebreitet hätten.6 Ja, Goethe wurde aufgrund dieser Studien sogar Mitglied der sich an der Jenaer Universität etablierenden Mineralo­gischen Sozietät. Und er war erfreut zu hören, daß die meisten der dortigen Naturwissenschaftler »mehr Heiden als Christen« s­ eien, wie er sich ausdrückte. Daß Goethe darauf sowohl seine verstärkte Hinwendung zur Männerwelt der Naturwissenschaften als auch seine als »derb« empfundene Betonung des Erotischen vor allem von jenen »schönen Seelen« innerhalb der Damenwelt der Weimarer Hofkreise, die sich weiterhin in den ely­sischen Gefilden der Empfindsamkeit bewegten und vornehm­lich gefühlvolle Billettchen austauschten, verübelt wurden, war vorauszusehen. Weil er sich jedoch nach wie vor der ungeteilten Gunst seines Herzogs erfreute, setzte sich Goethe über derartige Bedenken kurzerhand hinweg. Was ihn nach seinen in Italien gemachten Erfahrungen interessierte, waren nicht mehr irgendwelche Gefühlständeleien, sondern das Konkrete des Lebens, ob nun das rein Körper­liche oder die anderen Realien des gegenständ­lich Naturhaften. Darum zögerte er 1790 keineswegs, diesen Sinneswandel in folgende Hexameter zu kleiden: »Mit Botanik gibst du dich ab? Mit Optik? Was tust du? / Ist es nicht schönrer Gewinn, rühren ein zärt­liches Herz? / Ach, die zärt­lichen Herzen! Ein Pfuscher mag sie zu rühren; / Sei es mein einziges Glück, dich zu berühren, Natur!«7 Deshalb war es Goethe gar nicht recht, daß ihn Carl August im März 1790 aufforderte, seine M ­ utter Anna Amalia, die ebenfalls eine Bildungsreise nach Italien unternommen hatte, in Venedig abzuholen und zurück nach Weimar zu begleiten, was nicht nur seine enge Verbindung mit ­Christiane Vulpius unterbrach, sondern ihn zugleich fast vier Monate von seinen 47

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naturwissenschaft­lichen Studien abhielt. Doch selbstverständ­lich schlug er seinem Herzog, dem er soviel verdankte, diese Bitte nicht ab. Wie verdrieß­ lich ihm allerdings – im Gegensatz zu seiner ersten Italienreise – dabei zumute war, belegen seine während dieser Zeit oder kurz darauf verfaßten Venezianischen Epigramme. Aufgrund seiner neuen Sinnenhaftigkeit setzte er sich in ihnen noch schärfer als zuvor von allen der ewigen Natur widersprechenden Tendenzen ins Religiöse ab, ja schrieb sogar, daß ihm neben »Tabak, Wanzen und Knoblauch« das christ­liche »Kreuz« besonders »zuwider« sei.8 Um dem Ganzen dennoch eine positive Note zu geben, widmete er diese Epigramme der sich im Bereich der Literatur und der bildenden Künste ebenfalls zum Klassizismus bekennenden Herzogin Anna Amalia mit den Worten: »Die uns Italien noch jetzt in Germanien schafft.«9 Noch eindeutiger hätte sich der winckelmannisch orientierte »Höfling« Goethe kaum ausdrücken können. Wonach er sich jetzt – neben dem Naturhaft-­Sinn­lichen – im Rahmen seiner künstlerischen Bemühungen immer stärker sehnte, war zusehends jenes Hohe, Erlesene, Geschmackvolle, wie er es in den Werken der Antike und der Renaissance vorgebildet fand. Was ihn deshalb mehr und mehr verstörte, war alles Niedrige, Ungebildete, sich an mittelalter­liche Religionsvorstellungen Anklammernde. Menschen dieser Art, wie er in seinen Venezianischen Epigrammen unumwunden erklärte, versprächen sich selbst von »schlechten Gemälden«, falls auf ihnen irgendwelche Heiligen dargestellt wären, eine »wohltätige Wirkung«, während sie die tatsäch­lich bedeutsamen »Werke des Geistes und der Kunst« überhaupt nicht wahrnähmen.10 Ja, selbst jene, welche sich – wie die seit 1789 in Paris rebellierenden breiten Massen – gegen die althergebrachten Glaubensvorstellungen aufzulehnen versuchten, erschienen ihm wegen ihrer »niedrigen« Gesinnungsart, mit der sie gegen die Welt der Oberen und die von ihnen befürworteten Bildungsbemühungen zu Feld zogen, von vornherein zu »pöbelhaft«, um eine Wende in dieser Hinsicht in Bewegung zu setzen.

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Abb. 13  Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Herzogin Anna Amalia vor den Ruinen von Pompeji (1788/89)

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Nach dem Beginn der Franzö­sischen Revolu­tion »Ich   nehme jetzt die Grundsätze meines gnädigsten Herrn an, er gibt mir zu essen, es ist daher meine Schuldigkeit, daß ich seiner Meinung bin.« (Goethe im Gespräch mit Johann Gottfried Herder, 1793) »Lese   den ›Briefwechsel ­zwischen Goethe und Schiller‹. Was für eine ›hochgesinnte‹ Verschwörung gegen das Publikum; die Bourgeoisie bekommt seine Literatur aufgezwungen wie sein bürger­liches Gesetzbuch, eine Koterie unter Koterien, und die Verschwörung ist öffent­lich. Zugleich, welch ein Anpassungsversuch! Wie sich die beiden auch gesellschaft­lich qualifizieren!« (Bertolt Brecht: Arbeitsjournal, 1948)

Und diese widerspenstige Haltung verstärkte sich bei Goethe noch, als die Hauptvertreter der Franzö­sischen Revolu­tion zwar einerseits auf die Kunst und den Edelmut der »alten Römer« zurückgriffen, aber andererseits die Weltgeschichte in Hinsicht auf eine grundsätz­liche Umgestaltung aller politischen und sozioökonomischen Verhältnisse »unsinnigerweise« wieder mit dem Jahr Null neu beginnen wollten. Er, der bereits vorher in der Querelle des Anciens et des Modernes stets die Partei der »Alten« ergriffen hatte, sah darum in den Freiheits­- und Gleichheitsforderungen des Pariser Na­tionalkonvents – im Gegensatz zu eher liberal eingestellten Aufklärern wie Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland – ledig­lich »vulkanistische« Erscheinungen, die sich mit den von ihm als »natür­lich« empfundenen, das heißt organisch gewachsenen Herrschaftsformen des benevolenten Absolutismus nicht vereinbaren ließen. In enger Fühlungnahme mit seinem Herzog Carl August sowie mit Christian Gottlob von Voigt, dem eigent­lichen Premierminister des Staates Sachsen-­Weimar-­Eisenach, erschienen ihm demzufolge 51

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schon 1789/90 selbst wohlgesonnene Reformer als unsinnige Aufrührer, wenn nicht gar als blindwütige Revolu­tionäre.1 Noch kritischer wurde Goethes Einstellung der Franzö­sischen Revolu­ tion, ­dieses »schreck­lichsten aller Ereignisse«,2 gegenüber in den Jahren 1792 und 1793, als die Machtstellung der franzö­sischen Jakobiner in Paris ständig anwuchs und auch diesseits des Rheins der Freiheits- und Gleichheitsenthusiasmus mancher liberal gesinnten Aufklärer selbst auf Teile des mittleren Bürgertums und der Bauern überzugreifen begann. So sah man 1792, als die franzö­sischen Truppen Frankfurt besetzten, auf den Straßen von Weimar zum erstenmal bürger­liche Sansculotten mit dreifarbigen Kokarden an den Mützen herumlaufen, die von den Loyalisten als gewissenlose Tagediebe angeprangert wurden. Ja, in Jena kam es aufgrund der von Goethe befürworteten Verbote der dortigen Geheimgesellschaften sogar zeitweilig zu erheb­lichen Studentenkrawallen, die sich nur durch einen verstärkten Militäreinsatz herzog­licher Truppen, daß heißt einer »Demonstra­tion von überlegener Gewalt«, wie Goethe diesen Vorgang nannte, unterdrücken ließen.3 Anschließend begleitete er im Herbst ­dieses Jahres seinen Herzog, der ein Regiment preußischer Truppen innerhalb der Koali­tionsarmee gegen die franzö­sische Republik anführte, sogar nach Frankreich, wo beide – zu ihrem Kummer – den Sieg der Franzosen bei der Kanonade von Valmy miterlebten. Kurze Zeit s­päter, genauer am 27. Dezember 1792, bat Carl August seinen Freund Goethe, doch in einem konservativen Sinne auf Weimarer Liberale wie Herder, Knebel und Wieland einzuwirken, um sie end­ lich zur Räson zu bringen. Ja, Carl August erfaßte in diesen Wochen und ­Monaten ein »wahrer Ekel« vor den Franzosen, bei denen – ähn­lich wie bei den »Juden« – »jede Spur eines mora­lischen Gefühls ausgelöscht« sei, wie er am 13. Januar 1793 Goethe gegenüber erklärte.4 Aufgrund dieser zwei Erfahrungen, der Unruhen im Weimarschen Herzogtum sowie der Siege der franzö­sischen Volksmiliz über die deutschen Söldnerheere, verfaßte Goethe im Winter 1792 auf 1793 seine Antirevolu­ tionsfarce Der Bürgergeneral, in der sich ein deutscher »Jakobiner« mit dem bewußt diffamierenden Namen Schnaps mit dreifarbiger Kokarde, 52

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phry­gischer Mütze und franzö­sischer Na­tionaluniform als Anführer einer lokalen Revolte aufzuspielen versucht, bei der es – ohne Rücksicht auf die bestehenden Eigentumsverhältnisse – vor allem darum gehen soll, mit »Flinten und Pistolen« von einem »Edelhof« Besitz zu ergreifen.5 Der sich als Freiheitsheld aufspielende Schnaps wird jedoch von dem ortsansässigen Baron mühelos als ein egoistischer Aufschneider, Trunkenbold und Langfinger entlarvt. Ja, der Baron erklärt am Schluß mit absolutis­ tischer Benevolenz, daß dort, wo es »weise Fürsten« gebe, sicher keine »Parteien« mit »aufrührerischen Gedanken auftreten würden«, worauf in ­diesem Dorf, wie erwartet, wieder Ruhe und Ordnung einkehren.6 Auch ­Goethes Stück Die Aufgeregten aus der gleichen Zeit richtet sich gegen den revolu­tionären Geist dieser Jahre.7 Im Gegensatz zur bäuer­lichen Szene­ rie im vorangegangenen Stück spielt sich hier die etwas differenziertere Handlung allerdings unter sich nach demokratischer Gleichheit sehnenden Bürger­lichen ab, die jedoch am Schluß ebenfalls von einer Adligen mit derselben benevolenten Attitüde belehrt werden, daß es besser wäre, die älteren Standesunterschiede aufrechtzuerhalten, worauf sich wieder der Status quo einstellt. Genau betrachtet, läßt sich fast alles, was Goethe in d ­ iesem Zeitraum zu Papier brachte, nur als antijakobinische Propaganda verstehen. Darin folgte er aufs Getreueste seinem Herzog, der am 24. März 1793 in einem »weitläufigen Glaubensbekenntnis« all jene »Herren Skribenten« anprangerte, die keine andere Absicht verfolgten, als den »Besitzenden die Hosen auszuziehen, um die Unbehosten damit zu bekleiden«, wie er sich mit einem Seitenhieb auf die franzö­sischen Sansculotten ausdrückte. Alle Meldungen, die Carl August und Goethe im Herbst und Frühwinter 1793 aus Paris erhielten – ob nun die Hinrichtung Marie Antoinettes sowie die drakonischen Maßnahmen Maximilien Robespierres –, bestätigten sie ledig­lich in der Überzeugung, daß die Ausbreitung des Jakobinismus auch in anderen Ländern notwendigerweise zur Herrschaft der Besitzlosen führen müsse. Im Sinne dieser »höfischen« Affekthaltung schrieb daher Goethe in der Folgezeit sein Versepos Reineke Fuchs (1794), seinen Aufsatz Literarischer Sansculottismus 53

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(1795) sowie seine Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795), in denen er gegen alle »mißlaunischen Kritiker« des bestehenden Juste Milieus auftrat und sich entschieden für eine Beibehaltung der »legitimen«, das heißt organisch gewachsenen Herrschafts- und Eigentumsverhältnisse des noch immer in Hunderte von größeren und kleineren Territorien aufgesplitterten Heiligen Römischen Reichs einsetzte, um somit dem »Revolu­tionarismus« der aus dem gesellschaft­lichen Untergrund herkommenden Freiheits- und Gleichheitsvorstellungen in allen ihm zur Verfügung stehenden Genres Paroli zu bieten.8 Seine kunsttheoretischen Bemühungen im Hinblick auf die Durchsetzung eines »klas­sischen« Stils in den bildenden Künsten traten daher in diesen Jahren, in denen sich Goethe, nachdem er sich vorher so »zeitent­ hoben« gegeben hatte, vornehm­lich politisch engagierte, weitgehend in den Hintergrund. Er verfolgte zwar mit Wohlgefallen, daß ihn der Hofbildhauer Martin Gottlieb Klauer in einer Büste verewigte und ihn Johann Heinrich Lips in einer Kreidezeichnung porträtierte, beteiligte sich mit Ratschlägen beim Umbau des Weimarer Schlosses, beschäftigte sich mit Vorstudien eines umfangreichen Italien-­Werks, die er jedoch bald wieder aufgab, ließ sein Haus am Frauenplan, das ihm Carl August am 17. Juni 1792 als Gegenleistung für Goethes ideolo­gische Schützenhilfe schenkte, im »griechischen« Stil dekorieren und stellte den Winckelmannianer Johann Heinrich Meyer als Lehrer an der Weimarer Zeichenschule an, publizierte jedoch in den Anfangsjahren der Franzö­sischen Revolu­tion nichts Nennenswertes auf ­diesem Gebiet. Auch literarisch brachte er in ­diesem Zeitraum keine bedeutsamen Werke heraus. Was ihn nach 1789 – neben seinen antirevolu­tionär gesinnten Schriften, Gedichten und ins Farcenhafte tendierenden Komödien – noch am ehesten beschäftigte, waren seine bereits in den frühen achtziger Jahren begonnenen naturwissenschaft­lichen Studien, die in »morpholo­gischer« Ausrichtung weitgehend dazu dienen sollten, auf jene Gesetzmäßigkeiten hinzuweisen, die sowohl dem Pflanzen- als auch dem Tierreich wie überhaupt allen Naturerscheinungen zugrunde lägen. Und auch darin läßt sich durchaus eine 54

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Abb. 14  Johann Heinrich Lips nach Angelica Kauffmann: Amor, die komische und die tra­gische Muse vor einem Postament mit einer Goethe-­Büste (1789)

ideolo­gische Komponente erkennen. Als entschiedener Vertreter des Neptu­ nismus, mit dem Goethe, wie gesagt, allen eruptiven, vulkanistischen, das heißt auf gewaltsame Umbrüche hindrängenden Veränderungen entgegenzutreten hoffte, bemühte er sich hierbei – wie bei seinen ins Klas­sische und damit Gesetzmäßig-­Natür­liche tendierenden Kunstanschauungen – auch in diesen Jahren weiterhin, wenn nicht noch stärker als zuvor, um mög­lichst schlüssige Beweisführungen, daß sich selbst in den Metamorphosen der Natur alles auf eine »organische«, mit anderen Worten: eine gesetzmäßig langsame Weise abspiele. Dafür sprechen vor allem seine botanischen, optischen und osteolo­ gischen Studien, die er in diesen Jahren betrieb. Im Sinne dieser von ihm 55

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Abb. 15  Johann Wolfgang Goethe: Zwischenkieferdemonstra­tion an Tierschädeln (um 1790)

eingenommenen Haltung schrieb er dementsprechend am 1. Juni 1791 an Friedrich Heinrich Jacobi: »Ich attachiere mich täg­lich mehr an diese Wissenschaften, und ich merke wohl, daß sie in der Folge mich vielleicht ausschließ­ lich beschäftigen werden.« Um auch andere an diesen Bemühungen teilnehmen zu lassen, hielt er deshalb im Rahmen der von ihm gegründeten Weimarer Freitagsgesellschaft immer häufiger Vorträge über bestimmte, ihn jeweils beschäftigende Aspekte naturwissenschaft­licher Themenstellungen. Mit besonderem Eifer wandte er sich dabei eine Zeit lang der Optik zu, ja erklärte am 18. April 1792 in einem Brief an Carl August: »Das Licht- und Farbenwesen verschlingt immer mehr meine Gedankenfähigkeit.« Das soll nicht heißen, daß er darüber seine botanischen oder osteolo­gischen Forschungen vernachlässigte. Im Rahmen dieser Beschäftigungen hielt er sich in d ­ iesem Zeitraum oft monatelang in Jena auf, um sich mit den dortigen Professoren, darunter Johann Friedrich August Göttling, Christoph 56

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Abb. 16  Johann Wolfgang Goethe: Bildung des Pflanzenblattes (nach 1790)

Wilhelm Hufeland und Justus Christian Loder, über ihn interessierende naturwissenschaft­liche Fragestellungen unterhalten zu können. Und bei einer dieser Zusammenkünfte innerhalb der dortigen, von dem Botaniker August Johann Georg Carl Batsch gegründeten Naturforschenden Gesellschaft kam es im Juli 1794 zu jener legendär gewordenen Begegnung ­Goethes mit dem dortigen Historiker Friedrich Schiller, der ihn beim Hinausgehen in jenes Gespräch über die »Urpflanze« verwickelte, welches Goethe so beeindruckte, daß er ihn kurze Zeit s­päter nach Weimar einlud, um sich mit ihm auch über politische und kunsttheoretische Fragen zu unterhalten. Während Goethe in der Zeit ­zwischen Juli 1787 und Januar 1789, als Schiller erstmals in Weimar wohnte, dem Dichter der »abscheu­lichen« Räuber noch geflissent­lich aus dem Wege gegangen war, und auch Schiller am 12. August 1787, ja noch am 2. Februar 1789, kurz nach seiner Berufung an die Jenaer Universität, an seinen Dresdner Freund Christian Gottfried Körner geschrieben hatte, daß ihn der Umgang mit »diesem Menschen, 57

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­diesem Goethe«, d ­ iesem »Egoisten in ungewöhn­lichem Grade«, d ­ iesem Verächter aller »philosophischen Spekula­tion«, der stets »mit einem zur Affekta­tion getriebenen Attachement an die Natur und einer Resigna­tion auf seine fünf Sinne« posiere, zutiefst »unglück­lich« machen würde, entschieden sich die beiden – aufgrund ihrer gleichgearteten antijakobinischen Überzeugungen – darauf im Sommer 1794 zu einem taktisch kalkulierten Gesinnungsbund. Und dieser konterrevolu­tionären Haltung, die in erster Linie gegen die »Auswirkungen der Franzö­sischen Revolu­tion in Deutschland« gerichtet war,9 wollten sie auch auf den Seiten einer neuen Zeitschrift Ausdruck verleihen. Demzufolge erklärte sich Goethe, ohne groß zu zögern, durchaus bereit, an den von Schiller kurz zuvor gegründeten Horen mitzuarbeiten, die sich in Hinblick auf die Kunst ausschließ­lich an überzeit­lichen, das heißt ins »Klas­sische« erhobenen Normen orientieren sollte, um so – nach den radikaldemokratischen »Exalta­tionen« der Jahre 1789 bis 1794 – im Sinne von Schillers Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen an den Erbprinzen Christian Friedrich von Augustenburg zur Beruhigung der politischen Situa­tion beizutragen, das heißt den von ihnen als verderb­ lich empfundenen »unreinen Parteigeist« durch ins »Klas­sische« erhobene Bildungskonzepte zu verdrängen.10 Wie stark bei dieser Bündnisbereitschaft – trotz aller Bekenntnisse zum Ästhetischen – die politideolo­gische Komponente im Vordergrund stand, belegen vor allem die von Goethe und Schiller zu Anfang des Jahres 1796 verfaßten rund 500 Xenien und 103 Votivtafeln, mit denen sie als selbsterwählte oberste Kunstrichter allen politisch aufmüpfigen Tendenzen der durch die »vulkanistischen« Auswirkungen der Franzö­ sischen Revolu­tion höchst erregten literarischen Welt in Deutschland entgegenzutreten versuchten. Und zwar entschlossen sich Goethe und Schiller zu d ­ iesem Federkrieg gegen alle von ihnen als französelnd empfundenen Revolu­tionsfreunde, weil sie für das hochgestochene, von ihnen als maßstabsetzend empfundene Literaturkonzept der Horen nicht genug Zustimmende fanden. Den ihnen Widerstrebenden traten sie dabei mit einer Gesinnung entgegen, die auf dem Paradox einer sich humanistisch 58

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gebenden, aber zutiefst feudalistisch eingestellten Hofkultur beruhte, ­ elche sich zu ihrer ideolo­gischen Rechtfertigung einer klassizistischen w Drapierung bediente. Das Höfische oder zumindest Aristokratische dieser Haltung kommt schon in der für diese Gedichte gewählten Form zum Ausdruck. Dafür spricht, daß sie sich als selbsternannte »Klassiker« jener antikisierenden Distichen bedienten, die damals meist mit dem römischen Epigrammatiker Marcius Valerius Martialis assoziiert wurden. Hier fanden sie jene »martia­ lische« Schärfe, jene Geschliffenheit, jene Kälte, ­welche zu ihrer herrisch-­ aburteilenden Absicht am besten paßte. Fast alle, die sie sich vornahmen, kanzelten sie dabei mit der gleichen Rücksichtslosigkeit ab, das heißt warfen ihnen entweder eine politische Labilität oder eine ressentimentgeladene Uneinsichtigkeit vor. Und zwar stützten sich Goethe und Schiller in dieser Hinsicht gern auf jene völkerpsycholo­gischen K­lischees, nach denen »die« Deutschen brave Bildungsbürger und »die« Franzosen verantwortungslose Aufrührer ­seien. Alle auf eine Abschaffung der bisherigen Macht- und Besitzverhältnisse drängenden Parolen stellten sie dementsprechend von vorherein als fremdländische »Kontrebande«, mit anderen Worten: als »franzö­sisches Gut« hin, dessen Anziehungskraft selbst diesseits des Rheins einige kurzsichtige Liberale betört habe, für gesellschaftszersetzende Phantastereien zu schwärmen. Im Gegenzug dazu rieten sie »den« Deutschen, sich nicht in die größere Politik einzumischen, die ein Privileg der Fürsten und der von ihnen ernannten Minister sei, und sich statt dessen lieber an »klas­sische« Bildungsideale zu halten.11 Als weltanschau­liche Zielvorstellungen boten sie dabei ihren Landsleuten vornehm­lich bewußt entpolitisierte Konzepte wie individualitätsbetonte Menschlichkeit und sachbezogene Gelehrsamkeit an. Dementsprechend heißt es in dem Distichon Deutscher Na­tionalcharakter in klarer Befürwortung der bestehenden Vielstaaterei und der in den einzelnen Landesteilen herrschenden absolutistischen Verhältnisse: »Zur Na­tion euch zu bilden, ihr hofft es, Deutsche, vergebens; / Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus.«12 59

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Worin allerdings diese »Freiheit« bestehen sollte, darüber schwiegen sich die beiden Xenisten wohlweis­lich aus. Aus dem Gesamtzusammenhang dieser Gedichtsammlung geht jedoch deut­lich genug hervor, daß damit die Freiheit jener gebildeten Bürger gemeint war, die sich in ihren geistigen Bestrebungen von vornherein auf den Bereich der höheren Kultur beschränken würden. Und d ­ ieses kulturelle Bildungsbemühen sahen sie in ihrer klassizistischen Orientierung vor allem in einer stärkeren Hinwendung zu den überzeit­lichen Normen der Antike, mit denen sie irgendwelchen modernistischen, ins zeitgenös­sische Gesellschaftsleben eingreifenden Tendenzen entgegenzutreten hofften. Dementsprechend heißt es in dem Distichon Deutscher Genius in den gleichzeitig entstandenen Tabulae votivae geradezu apodiktisch: »Ringe, Deutscher, nach römischer Kraft, nach griechischer Schönheit, / Beides gelang dir, doch nie glückte der gal­lische Sprung.«13 Statt eine politische Solidarität mit den bürger­lichen Aufklärern in Deutschland anzustreben, zogen sich also Goethe und Schiller im Winter 1795 auf 1796 mit ihren Xenien in eine »machtgeschützte Inner­lichkeit« zurück, der eine unverhohlene Übereinstimmung mit den herrschenden Macht- und Eigentumsverhältnissen zugrunde lag, die sie mit einer ideolo­ gischen Verklärung der Kunstanschauungen der Antike zu verschleiern suchten. Aufgrund dieser Haltung, die etwas unleugbar Aristokratisches hat, manövrierten sich Goethe und Schiller immer stärker in eine politische und künstlerische Abseitslage hinein. Wer las sie denn damals überhaupt noch? Die kleinbürger­lichen Leserschichten, die wegen ihrer Unbildung ledig­lich empfindsame Romane oder handlungsreiche Ritter- und Räubergeschichten verschlangen, nahmen ihre Schriften ohnehin nicht wahr, während sich die jakobinisch gesinnten Spätaufklärer und dann die ins Religiöse abdriftenden Frühromantiker zusehends von ihnen abwandten. Was den beiden Weimarer Dioskuren blieb, waren demnach nur die bürger­lichen Liberalen, und die hatten sie mit ihren Xenien so schockiert, daß sie auch unter ihnen zeitweilig keine große Anhängerschaft fanden.14 Selbst den meisten Vertretern dieser Schichten erschien die von Goethe und Schiller eingenommene Haltung einer ins Normative erhobenen Klassizität reich­lich elitär, wenn nicht gar 60

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hybrid. Schließ­lich hätten diese zwei Olympier ihre an der griechischen und römischen Klassik orientierten Konzepte, wie sie erklärten, nur darum entwickeln können, weil ihnen der Weimarer Hof eine von allen äußeren Bedrängnissen abgeschirmte Intellektuellenexistenz ermög­liche, die fast der von Paradiesvögeln gleichkomme. Beinah alles, was Goethe und Schiller in den folgenden Jahren schrieben, mißfiel daher ihren liberal denkenden Zeitgenossen. Um so zufriedener waren dagegen die Vertreter der altständischen Ordnung mit ihren Xenien und den kurz darauf folgenden Publika­tionen. Das gilt vor allem für jene zwei Werke, die schnell zu den meistzitierten Lieblingen der konservativen Bürgerschichten, des niederen Adels und der Hofkreise wurden: Goethes schon zu seinen Lebzeiten dreißigmal aufgelegtes Kleinepos Hermann und Dorothea und Schillers Das Lied von der Glocke, die sich beide in gleicher Offenheit gegen die aufrührerischen Freiheits- und Gleichheitsparolen der Franzö­sischen Revolu­tion wandten. Während Goethe in Hermann und Dorothea erklärte: »Wir wollen halten und dauern, / Fest uns halten und fest an der schönen Güter Besitztum. / Denn der Mensch, der zu schwankender Zeit auch schwankend gesinnt ist, / Der vermehret das Übel, und breitet es weiter und weiter; / Aber wer fest in dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich. / Nicht den Deutschen geziemt es, die fürchter­liche Bewegung / Fortzuleiten, und auch zu wanken hierhin und dorthin,«15 schrieb Schiller in seinem Gedicht Das Lied von der Glocke im Hinblick auf die in den konservativen Presseorganen vielbeschworenen Greuel der Franzö­sischen Revolu­ tion noch unzweideutiger: »Freiheit und Gleichheit! hört man es schallen. / Nichts Heiliges ist mehr, es lösen / Sich die Bande frommer Scheu, / Das Gute räumt den Platz dem Bösen, / und alle Laster walten frei.« Und dann folgten sogar noch die bewußt antidemokratisch gemeinten Zeilen: »Wenn sich die Völker selbst befrei’n, / Da kann die Wohlfahrt nicht gedeih’n.«16 Um wieviel verehrenswerter ständen Goethe und Schiller da, wenn sie zu ­diesem Zeitpunkt in ihren literarischen Werken die Partei der damaligen Freiheits- und Gleichheitsfreunde oder gar des »gemeinen Volks« ergriffen hätten!17 Daß sie es nicht getan haben, läßt sich unter politischen, 61

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ja selbst unter mora­lischen Gesichtspunkten schwer­lich verteidigen. Aber man sollte auch Folgendes bedenken, um nicht allzu schnell ins Undia­ lektische abzugleiten. Nach 1793/94, das heißt nach der Liquidierung der Mainzer Republik und dem Zusammenbruch der Jakobinerherrschaft in Frankreich, weiterhin an revolu­tionären Parolen festzuhalten, hätte – einmal ganz konkret gesehen – in den zahllosen deutschen Königreichen, Kurfürstentümern, Großherzogtümern, Herzogtümern, Markgrafschaften, Grafschaften, Erzbistümern, Bistümern, Reichsabteien, Reichsstädten und Reichsdörfern wenig in Bewegung gesetzt. Manche der von Goethe und Schiller publizierten Xenien und der auf sie folgenden Werke verraten daher in ihrer politischen Mäßigung durchaus eine realistische Einsicht in die damals herrschenden politischen und sozioökonomischen Entwicklungszustände, die im Heiligen Römischen Reich – aufgrund der herrschenden Kleinstaaterei – noch längst nicht jenes Stadium erreicht hatten, aus denen sich zwangsläufig eine die unleugbare Rückständigkeit der bestehenden Verhältnisse gewaltsam verändernde Revolu­tion ergeben hätte. Aber mußten sie dabei wirk­lich über alle bürger­lichen Radikalaufklärer oder Jakobiner herfallen, die zumindest im Bereich des Ideellen weiterhin an gesellschaft­lichen Veränderungsvorstellungen festzuhalten versuchten? War das kein Verrat an ihrer eigenen Klassenherkunft, durch den sich die durch ihren Herzog in den Adelsstand erhobenen zwei Weimarer Dioskuren als ehemalige Bürger zu Handlangern des feudal­absolutistischen Systems erniedrigten? Deshalb sollte man ihre Xenien wie auch ihre kurz darauf folgenden, »klas­sisch« gemeinten Werke stets mit einer Sehweise lesen, die deut­lich ­zwischen den einsichtsvollen und den infamen Aspekten der von ihnen vertretenen Anschauungen zu unterscheiden weiß.

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Das »klas­sische« Ideal »Der   einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es mög­lich ist, unnachahm­lich zu werden, ist die Nachahmung der Alten.« (Johann Joachim Winckelmann, 1755) »Der   Künstler und Denker, der Kosmopolit und der Freund des Schönen und Guten erkennt in der Werken der alten Kunst die ewige Regel des Wahren und des Schönen, wie sie das schaffende Genie aus der unend­lichen Mannigfaltigkeit der Natur geschöpft und dargestellt hat.« (Karl Ludwig Fernow im Hinblick auf Goethe, 1803)

Nach dem Abflauen der durch die Franzö­sische Revolu­tion ausgelösten ideolo­gischen Auseinandersetzungen mit den auch in Deutschland auf­ flackernden, als »jakobinisch« empfundenen Freiheits- und Gleichheitsparolen wandte sich Goethe in der Folgezeit wieder verstärkt seinen hochlite­ rarischen, naturwissenschaft­lichen und kunsttheoretischen Bemühungen zu. So schloß er schon 1796, neben der Arbeit an Hermann und Dorothea, seinen Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre ab und begann ein Jahr s­ päter, einige seiner bekannt gewordenen Balladen zu verfassen sowie – auf Drängen Friedrich Schillers – erneut an seinem lange Zeit liegengebliebenen Faust zu arbeiten. Auch die Leitung des Weimarer Hoftheaters nahm er wieder ernster als zuvor, indem er dort nicht nur Schillers von Stück zu Stück immer »klas­sischer« werdende Dramen wie den Wallenstein, die Jungfrau von Orleans, die Maria Stuart und Die Braut von Messina aufführen ließ, sondern den Spielplan auch durch seine Übersetzungen von Voltaires Mahomet und Tancred sowie sein Drama Die natür­liche Tochter zu bereichern suchte. Nicht minder intensiv widmete sich Goethe in den späten neunziger Jahren einer Reihe naturwissenschaft­licher Studien, mit denen er bestimmte, 63

Das »klas­sische« Ideal

sich gesetzmäßig vollziehende Vorgänge in der Welt des Organischen nachzuweisen versuchte. Schon 1796 hielt er wieder Vorträge über vergleichende Anatomie sowie setzte zugleich seine Studien auf dem Gebiet der Optik und Zoologie fort. In ­diesem Sinne schrieb er am 15. November des gleichen Jahres im Hinblick auf seine nicht nachlassenden naturwissenschaft­lichen Interessen an den davon kaum beeindruckten Schiller: »Die Naturbetrachtungen freuen mich sehr. Es wird, wenn Sie wollen, eigent­lich die Welt des Auges, die durch Gestalt und Farbe erschöpft wird.« Im folgenden Jahr beschäftigte Goethe vor allem der Entwurf zu seiner seit langem geplanten Farbenlehre, mit dem er die rein »mechanische« Sehweise des eng­lischen Physikers Isaac Newtons zu widerlegen hoffte.1 1798 arbeitete er weiter an seinen optischen Versuchen, schrieb ein in Hexametern verfaßtes Lehrgedicht unter dem Titel Die Metamorphose der Pflanzen und begann sich für Friedrich Wilhelm Schellings Ideen zu einer Philosophie der Natur zu inte­ressieren. 1799 nahm er Kontakte zu dem Naturphilosophen Henrik ­Steffens auf und setzte sich mit dem Begriff »Weltseele« in Schellings philosophischen Naturbetrachtungen auseinander. Im Jahr 1800 unterhielt er sich in Jena mit dem Physiker Johann Wilhelm Ritter über das Phänomen des Galvanismus und las die naturphilosophischen Studien Franz von Baaders, ließ sich jedoch durch sie nicht verleiten, bei seinen eigenen Naturstudien ins philosophisch Abstrakte abzuirren, sondern vertraute weiterhin ledig­ lich dem vom menschlichen Auge Wahrgenommenen. Dementsprechend betonte er am 2. Januar ­dieses Jahres in einem Brief an Friedrich Heinrich Jacobi, daß er »sich von jeher bei der Betrachtung der Natur« stets auf das eigene »Anschauen« verlassen habe, um nicht vom Pfade der »unmittelbaren« Wahrnehmungsfähigkeit der menschlichen Sinnes­ organe abzuweichen, was er vor allem im Rahmen seiner optischen Studien als unverzichtbar empfinde. Anfang 1801 begann er mit der Übersetzung von Theophrasts Büchlein von den Farben. Im Juli 1802 besuchte er in Halle den Physiker Ludwig Wilhelm Gilbert, den Mediziner Johann Christian Reil und den Botaniker Kurt Polykarp Joachim Sprengel. Anschließend beschäftigte er sich mit der Metamorphose von Insektenlarven und der 64

Das »klas­sische« Ideal

Abb. 17  Johann Wolfgang Goethe: Antike Kopfstudien (1788/89)

Anatomie von Schmetterlingen. Vom Oktober 1805 bis zum Mai 1806 hielt er in der Weimarer Mittwochsgesellschaft mehrere Vorträge über Th ­ emen der allgemeinen Naturlehre. Die ­gleiche, sich auf die Gesetzmäßigkeit und zugleich organische Schönheit der Natur bezogene Sehweise herrscht bei Goethe in allem vor, was ihn in diesen Jahren im Hinblick auf die bildenden Künste beschäftigte. Bereits 1796 begann er mit der Übersetzung der Lebensgeschichte des italienischen Renaissance-­Bildhauers Benvenuto Cellini, deren erste Abschnitte er im Sinne seines an Winckelmann orientierten klassizis­ tischen Wiedererweckungsprogramms in Schillers Horen abdrucken ließ. Zugleich plante er bereits im Februar d ­ ieses Jahres die Ausarbeitung jener Tagebuchnotizen, die er während seines Italienbesuchs niedergeschrieben hatte, ja wollte im darauffolgenden August erneut nach Italien reisen, gab jedoch diesen Plan wegen der angespannten politischen Lage wieder auf. Im Mai 1797 faßte er abermals eine Italienreise ins Auge, verzichtete jedoch – aufgrund der weiterhin turbulenten Verhältnisse – erneut schweren Herzens darauf. Statt dessen reiste er nach Stuttgart, wo er den klassi­ zistischen Bildhauer H ­ einrich von Dannecker besuchte und den ebenfalls 65

Das »klas­sische« Ideal

Abb. 18  Johann Wolfgang Goethe: Entwurf zu einer Bühnendekora­tion (1802)

auf dieselbe Stilrichtung schwörenden Architekten Nikolaus Friedrich Thouret kennenlernte, der ­später auf seine Anregung hin als Leiter des Schloßumbaus nach Weimar berufen wurde. Danach begab sich Goethe mit dem ihm immer sympathischer werdenden Winckelmann-­Anhänger Johann Heinrich Meyer in die Schweiz, von wo aus er am 25. Oktober 1797 im Hinblick auf den dort herrschenden, die Beibehaltung der altständischen Gesellschaftsordnung bedachten Tradi­tionalismus an Schiller schrieb: »Es ist wunderbar, wie alte Verfassungen, die bloß auf Sein oder Erhalten gegründet sind, sich in Zeiten ausnehmen, wo alles zum Werden und Verändern strebt.« Wieder nach Weimar zurückgekehrt, gründete er im Jahr darauf unter dem Motto »Die Kunst soll sich so wenig wie 66

Das »klas­sische« Ideal

mög­lich vom klas­sischen Boden entfernen« mit Meyer die Zeitschrift Propyläen, in der er sich – als einer Vorhalle des Kommenden – noch ein­ dring­licher als zuvor für die Durchsetzung des von ihm befürworteten klassizistischen Stils in den bildenden Künsten einzusetzen bemühte. In der Einleitung zu dieser Zeitschrift schrieb Goethe, daß sich alle bildenden Künstler in Zukunft um jene »Vollkommenheit« bemühen sollten, ­welche bereits unter den »Griechen« geherrscht habe, die auch »wir ersehnen« und die »bei uns bisher nur als Stückwerk« erreicht worden sei.2 »Wem um eine Sache zu tun ist«, erklärte er darauf apodiktisch, »der muß Partei zu nehmen wissen, sonst verdient er nirgends zu wirken.«3 Allerdings vergaß Goethe auch hier nicht, die auf ihn Hörenden zu beschwören, bei ihren Bemühungen stets das Prinzip der Naturnachahmung zu beachten. »Die vornehmste Forderung, die an den Künstler gemacht wird«, schrieb er dementsprechend, »bleibt immer die, daß er sich an die Natur halten, sie studieren, sie nachbilden, also etwas, das ihren Erscheinungen ähn­lich ist, hervorbringen solle.« Nur ein »Kenner der Naturgeschichte, der zugleich Zeichner ist«, heißt es im Folgenden, wird durch seine »sinn­liche Behandlung« der ins Auge gefaßten Gegenstände Werke hervorbringen, die »faß­ lich, angenehm, erfreu­lich und durch milden Reiz unentbehr­lich« wirken und dazu verhelfen würden, dem »klas­sischen« Geschmack end­lich zum Durchbruch zu verhelfen.4 Allerdings hatte ­dieses anspruchsvolle Programm nicht die von Goethe ins Auge gefaßte Wirkung, weshalb er die von ihm und Meyer gegründeten Propyläen schon zwei Jahre ­später wieder einstellen mußte. Was die meisten damaligen Literaten und bildenden Künstler wesent­lich interessanter fanden, waren jene Anschauungen, w ­ elche die Jenaer Frühromantiker, allen voran Friedrich Schlegel, in der zum gleichen Zeitpunkt gegründeten Zeitschrift Athenäum vertraten, die mit ihrem Lob des Fragmentarischen, Individuell-­ Zügellosen und zugleich Christ­lich-­Erlösungssüchtigen wesent­lich mehr Furore machten als die klassizistischen Forderungen Goethes, ­welche von vielen Vertretern der jüngeren Genera­tion als hoffnungslos veraltet abgelehnt wurden. 67

Das »klas­sische« Ideal

Trotz seiner Abseitsposi­tion ließ Goethe dennoch keineswegs nach, sich im Hinblick auf die bildenden Künste – im Gegensatz zu den frühromantischen Tendenzen ins Subjektivistisch-­Modernistische, mit religiö­ sen Anwandlungen Liebäugelnde oder gar ins Mystisch-­Schwärmerische Ausschweifende – weiterhin für eine bereits in der Antike erreichte Wirk­ lichkeitserfassung der Natur und des Menschen einzusetzen, um so das von ihm immer wieder befürwortete Aufleben zu einer wahrhaft »klas­sischen« Kunst zu befördern. Zur Unterstützung derartiger Bemühungen gründete Goethe 1799 den sogenannten Verein der Weimarer Kunstfreunde und veranstaltete darauf alljähr­lich mit Unterstützung des dortigen Hofs eine Kunstausstellung, auf der fast ausschließ­lich Gemälde und Zeichnungen von ihm als klassizistisch empfundener Künstler, wie Peter von Cornelius, Christian Ferdinand August Hartmann, Johann Erdmann Hummel, Johann Martin Rohden, Christian Friedrich Tieck und Johann Martin Wagner, gezeigt wurden und die mit einem Preis für das jeweils beste Bild in ­diesem Stil verbunden war.5 Und zwar verfuhr Goethe dabei höchst programmatisch, indem er bei diesen Ausstellungen vor allem Bilder mit homerischen Motiven wie Hektors Abschied von Andromache, Die Taten des Herkules, Odysseus und Polyphem, Achill auf Skyros oder Paris und Helena bevorzugte. Im Gegensatz zu der von den Romantikern propagierten christ­lichen Leidens- und Erlösungsstimmung, erklärte er, solle man sich wieder wie in der Renaissance vor allem darum bemühen, die Welt der griechischen Götter und Heroen in sinn­licher Schönheit und Tatkräftigkeit darzustellen. Als ihm daher Philipp Otto Runge, der weitaus bedeutendste unter den frühromantischen Malern, 1801 einige seiner ins Romantisch-­Mytholo­gische tendierenden Zeichnungen zuschickte, reagierte er ablehnend.6 Ab 1802, nachdem Goethe zwei Jahre zuvor seine Zeitschrift Propyläen einstellen mußte, von der sich nur 450 Exemplare absetzen ließen, veröffent­ lichten er und Meyer ihre Anschauungen zur bildenden Kunst zumeist unter der Chiffre »WKF« (Weimarer Kunstfreunde) in der Allgemeinen Literatur-­ Zeitung. Als ­dieses Blatt von Jena nach Halle verlegt wurde, gründete Goethe 1803 in Verbindung mit Karl Abraham Eichstadt die Jenaische Allgemeine 68

Das »klas­sische« Ideal

Abb.  19  Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Hektors Abschied (1812)

Literatur-­Zeitung, um weiterhin ein Forum für seine eigenen kunsttheoretischen Anschauungen zu haben. In ihr publizierten er und Meyer 1805 ihren ersten programmatisch formulierten Angriff auf die romantischen Bestrebungen in der Malerei. »Es ist an der Zeit«, schrieb er hier am 22. Juni ­dieses Jahres, »daß man sich erklärt, wie man über diese Narrenspossen denkt.« Was Goethe besonders störte, ja verärgerte, war das Allegorisierende dieser 69

Das »klas­sische« Ideal

Art von Malerei, die immer stärker zu einer neukatho­lischen Sentimentalität neige und somit durch ihre offen zur Schau gestellte »Frömmelei« ein »unverantwort­liches Rückstreben« ins Mittelalter­lich-­Christ­liche und damit Antihumanistische begünstige.7 Was ihm im Bereich der bildenden Künste dagegen nach wie vor am besten gefiel, war eher das von ihm bereits ein Jahr zuvor gelobte Zeichenbuch des klassizistischen Graphikers Johann Christian von Mann­lich, in dem sich dieser fast ausschließ­lich auf die Sehweise Raffaels gestützt hatte, welcher in seinen Werken bereits jenem »reinen Geschmack« gehuldigt habe, der nur durch eine innige Vermischung des Griechischen mit dem Naturhaften zu erreichen sei. Doch angesichts des geringen Widerhalls ihrer ins Klassizistische tendierenden Bemühungen entschieden sich Goethe und Meyer nach ihrem siebten Preisausschreiben, derartige Versuche schweren Herzens aufzugeben. Als Runge im Mai 1805, dem letzten Jahr dieser Ausstellungen, ­Goethe seine Tageszeiten-­Blätter zuschickte, reagierte er abermals negativ. Allegorische Darstellungen dieser Art lehnte Goethe von vornherein als zu ideell, das heißt nicht mit der real existierenden Natur übereinstimmend ab. Statt dessen setzte er sich kurz darauf lieber dafür ein, zwei italienische Landschaftsbilder von Jakob Philipp Hackert sowie einige Zeichnungen von Asmus Jakob Carstens, dem Hauptvertreter des heroischen Klassizismus, bei dessen antikisierender Körperdarstellungen es keinen Gegensatz z­ wischen »Naturwahrheit« und »Kunstwahrheit« gebe, für die herzog­liche Kunstsammlung anzukaufen. Ja, als im November 1806 der Maler Georg Melchior Kraus, der Direktor der Weimarer Kunstschule, starb, sorgte Goethe dafür, daß Johann Heinrich Meyer dessen Nachfolger wurde. In seinen eigenen Zeichnungen bevorzugte Goethe auch in diesen Jahren weiterhin jene »klas­sischen« Landschaftsdarstellungen, wie er sie bereits in Italien – unter dem Einfluß Tischbeins und Hackerts – begonnen hatte. In Ermangelung weiterer Bundesgenossen zeichnete er sogar die noch nicht allegorisch überhöhten Landschaftsdarstellungen, die ihm der junge Caspar David Friedrich, den er ­später wegen seiner Wendung ins Christgermanische scharf ablehnen sollte, in den Jahren kurz nach der Jahrhundertwende 70

Das »klas­sische« Ideal

Abb. 20  Asmus Jakob Carstens: Die Geburt des Lichts (1794)

noch mit einem Preis aus. Allerdings bat ihn Goethe schon damals, nicht gegen das Prinzip des »Sinn­lich-­Schönen« zu verstoßen und seinen ins Nebelhafte übergehenden Wolkendarstellungen eine etwas »gefälligere« Form zu geben. Überhaupt betonte Goethe in dieser Zeit immer hartnäckiger, daß man sich als Zeichner oder Maler ganz seiner sinn­lichen Wahrnehmung hingeben solle, das heißt Landschaftsdarstellungen, in denen er – neben homerischen 71

Das »klas­sische« Ideal

Motiven – das wichtigste Sujet der Malerei schlechthin erblickte, in ihrem Ewigkeitscharakter nicht durch die Hinzufügung modisch gekleideter Figuren ins Zeitgenös­sisch-­Verheutigende zu erniedrigen, sondern im Sinne der Antike, der italienischen Renaissance oder des franzö­sischen Klassizismus des späten 17. Jahrhunderts lieber das arkadisch Unvergäng­liche herausstellen. Um ­diesem Programm auch eine schrift­liche Form zu geben, verfaßte Goethe 1811 eine Biographie jenes inzwischen verstorbenen Malers Jakob Philipp Hackert, den er 1787 auf seiner Italienreise in Neapel kennengelernt hatte und den er noch immer für den bedeutendsten Vertreter der klassizistischen Landschaftsmalerei hielt, obwohl dessen vedutenhaft angelegte Bilder vielen der jüngeren Kunstkritiker als hoffnungslos unzeitgemäß, das heißt ohne jede innere Anteilnahme an den inzwischen eingetretenen politischen Ereignissen sowie den damit verbundenen ideolo­gischen Wandlungen innerhalb der Kunstanschauungen erschienen. Doch gerade in dem von Hackert angestrebten Ewigkeitscharakter, den Goethe als das eigent­lich »Klas­sische« der von ihm befürworteten Kunstbemühungen empfand, sah er die über allem Vergäng­lichen stehende Bedeutsamkeit derartiger Landschaftsdarstellungen. Schon in seinen Anfängen, schrieb er, sei dieser Maler durch Kopien der »angenehm« wirkenden Landschaftsbilder Claude Lorrains auf »die besonderen Schönheiten der Natur aufmerksam« geworden und habe dann seine »Studien der schönen Natur in Italiens reizenden Gegenden« fortgesetzt. Auch seine Schüler habe er immer wieder dazu angeregt, »die Natur selbst zu studieren« und nicht von dieser Sehweise abzuirren.8 Doch die wichtigste Programmschrift dieser Jahre, in der sich Goethe zu seinem Ideal des »Klas­sischen« bekannte, ist der Essay Winckelmann und sein Jahrhundert, den er bereits in den Jahren 1804 bis 1805 verfaßte und der ebenso klassizistisch eingestellten Herzogin Anna Amalia widmete. In ihm betonte er ausdrück­lich, daß sich dieser alle anderen Kunsttheoretiker des 18. Jahrhunderts überragende Autor zeit seines Lebens als ein »heidnisch« gesinnter Klassizist den »Werken der Alten« zugewandt habe.9 Er sei es gewesen, wie Goethe mit der für ihn bezeichnenden Hartnäckigkeit schrieb, der in Rom »die Reste jenes Riesenzeitalters« entdeckt habe, die 72

Das »klas­sische« Ideal

Abb. 21  Jakob Philipp Hackert: Arkadische Landschaft (1802)

das »Herr­lichste« ­seien, was sich in der Kunst aller Zeiten finden lasse.10 An sie wie auch an den »Gebilden der Natur« solle man sich daher auch in Zukunft halten, falls man sich dazu entschließen würde, wieder eine ebenso große Kunst hervorbringen zu wollen. Die Hauptschuld an dem Verlust dieser ihm weiterhin als »klas­sisch« erscheinenden Kunst gab Goethe in ­diesem Zusammenhang dem barbarischen »Eindrängen der nordischen Völker« in das römische Imperium während der sogenannten Völkerwanderungszeit und der »daraus entstandenen Verwirrung des Menschengeschlechts«, durch das »alle wahre, reine Bildung in ihren Fortschritten für lange Zeit gehindert, ja beinahe für alle Zukunft unmög­lich« geworden sei.11 Erst die Renaissance habe eine erste Wiedererweckung des antiken Geistes versucht. Danach sei es Winckelmann gewesen, fuhr er fort, der »in 73

Das »klas­sische« Ideal

uns wieder den lebhaftesten Drang erregt habe, das, was er begonnen, mit Eifer und Liebe fort- und immerfortzusetzen«, das heißt nicht ständig ins Metaphy­sische auszuschweifen, sondern sich wie »die Alten ohne weiteren Umweg innerhalb der lieb­lichen Grenzen der schönen Welt behag­lich einzurichten«.12 Und an dieser Haltung, die Goethe im Hinblick auf die Kunst als die einzig Sinnvolle erschien, sollte er auch in der Folgezeit festhalten.

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Während der Befreiungskriege »Schüttelt   nur an Euren Ketten, der Mann ist Euch zu groß, Ihr werdet sie nicht zerbrechen.« (Goethe über Napoleon im Gespräch mit Ernst Moritz Arndt, Ende April 1813) »Wenn   sich in der politischen Welt irgendein ungeheures Bedroh­liches hervortat, so warf ich mich eigensinnig auf das Entfernteste.« (Goethe im Rückblick auf das Jahr 1813 in seinen Annalen oder Tag- und Jahresheften)

Wie sehr sich Goethe mit seinen an klassizistischen Idealen orientierten Kunst­anschauungen zwangsläufig ins kulturideolo­gische Abseits manövrierte, sollte in den folgenden Jahren noch deut­licher werden. Während sich der sogenannte Zeitgeist – nach dem von Napoleon im Jahr 1806 erzwungenen Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches – in vielen deutschen Teilstaaten, vor allem in Preußen, zusehends politisierte, blieb Goethe innerhalb seiner literarischen, naturwissenschaft­lichen und bildkünstlerischen Denkschemata weiterhin unbeirrt von allen um ihn herum erfolgenden Ereignissen bei seinen naturhaft-­organischen, das heißt auf eine Bewahrung des Bestehenden drängenden klassizistischen Anschauungen, die zu d­ iesem Zeitpunkt fast nur noch von den kunstinteressierten Vertretern der Hofkreise vertreten wurden. Besonders ener­gisch wandte er sich gegen alle na­tional gesinnten Bestrebungen, die zu einem Umsturz der altständischen Gesellschaft führen könnten, wobei er sich gern auf Parolen wie »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht« oder »Jeder soll vor seiner eigenen Türe kehren« berief, um so zu verhindern, daß sich die bürger­lichen oder gar bäuer­lichen Bevölkerungsschichten in die auf einer »höheren Ebene« erfolgenden politischen Auseinandersetzungen einmischen würden. 75

Während der Befreiungskriege

Wogegen sich Carl August und Goethe in den folgenden Jahren vor allem sperrten, waren deshalb jene im Ankampf gegen die siegreich vordringende franzö­sische Grande armée vielerorts aufflammenden patriotischen Anschauungen, die im Sinne der Lieder Was ist des Deutschen Vaterland und Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte von Ernst Moritz Arndt zur Abschaffung der bisherigen, weitgehend absolutis­ tisch regierten Einzelstaaten aufriefen und als politisches Leitziel einen auf na­tionaldemokratischen Vorstellungen beruhenden deutschen Einheitsstaat ins Auge faßten, durch den sowohl Carl August als auch Goethe ihre bisherigen mit vielen Privilegien versehenen Machtbefugnisse verloren hätten. Dafür spricht unter anderem die Tatsache, daß Goethe im Unterschied zu vielen deutsch gesinnten Intellektuellen und Künstlern dieser Jahre in Napoleon keinen »infamen Landräuber«, keinen anmaßenden Despoten, keinen nur auf die Vorherrschaft Frankreichs in ganz Europa bedachten Schlachtenlenker sah, sondern ihn, wie schon in den späten neunziger Jahren, vornehm­lich als einen genial handelnden »Bändiger der Franzö­sischen Revolu­tion« verehrte, der all jene radikalen Maßnahmen der von ihm gehaßten Jakobiner unter Maximilien Robespierre und Antoine Saint-­Just wieder rückgängig gemacht habe. In d ­ iesem Punkte dachte er weiterhin wie sein inzwischen verstorbener »Freund« Schiller, der 1793 in seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen an den Erbprinzen Christian Friedrich von Augustenburg geschrieben hatte, daß in dieser Revolu­tion ledig­lich die von ihm mit äußerstem Mißtrauen betrachteten »rohen gesetzlosen Triebe« der »niederen und zahlreichen Klassen« zum Ausbruch gekommen s­eien.1 Daher fühlte sich Goethe durchaus geschmeichelt, auf dem Erfurter Fürstentag am 2. Oktober 1808 von Napoleon, der seinen Werther gelesen hatte, mit der Äußerung »Vous êtes un homme!« empfangen zu werden2 und anschließend von ihm das Ritterkreuz der franzö­sischen Ehrenlegion zu erhalten. Trotz einiger Unterredungen mit dem deutsch gesinnten Reichsfreiherrn Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein sowie dem noch aggressiver antinapoleonisch eingestellten Dichter und Publizisten Ernst Moritz Arndt lehnte daher Goethe in den darauffolgenden Jahren, als die antifranzö­sische 76

Während der Befreiungskriege

Stimmung in vielen deutschen Teilstaaten zusehends stärker wurde, alle ins Na­tionalistische tendierenden Bestrebungen weiterhin entschieden ab und verbot sogar Ende August 1813 seinem Sohn August, sich der entstehenden Freikorpsbewegung gegen die franzö­sischen Besatzungstruppen anzuschließen. Getreu seiner einmal gefaßten Maxime »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht« widmete er sich statt dessen, als sei alles »wie gehabt«, nach wie vor unverdrossen seinen literarischen, naturwissenschaft­lichen und bildkünstlerischen Bestrebungen, statt auch in den politischen Auseinandersetzungen das Wort zu ergreifen. Für »Freunde der Wissenschaft und Kunst« zieme es sich eher, schrieb er am 24. November 1813 an Karl Ludwig von Knebel, »zu Hause zu bleiben«, als sinnlos für irgendwelche irregeleiteten Na­tionalvorstellungen vom Leder zu ziehen. Und an dieser Maxime hielt Goethe auch in seinen eigenen Aktivitäten fest. So leitete er im Februar 1807 am Weimarer Hoftheater die erste Aufführung des im Renaissance-­Geist verfaßten Torquato Tasso und diktierte im Mai des gleichen Jahres das erste Kapitel seines end­lich in Angriff genommenen Romans Wilhelm Meisters Wanderjahre. 1808 arbeitete er erstmals an der ins Romanhafte ausschweifenden Novelle Die Wahlverwandtschaften, in welcher er – im Gegensatz zu irgendwelchen mora­lischen Erwägungen, die sich weiterhin auf die Lehren der christ­lichen K ­ irchen zu stützen versuchten – vor allem das »naturhaft« Unbewußte innerhalb menschlicher Liebesbeziehungen aufzudecken versuchte.3 1809 beschäftigte er sich wiederholt mit der ihm zwar fremden, aber plötz­lich vieldiskutierten »altdeutschen« Literatur, darunter dem Nibelungenlied, und vollendete seine Wahlverwandtschaften. 1810 begann er mit dem Diktat seiner Autobiographie Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit und faßte zugleich erstmals den Gedanken einer Faust-­Aufführung ins Auge. In den Jahren 1811 und 1812 setzte er – neben der Abfassung vieler Gedichte – vor allem seine Arbeit an Dichtung und Wahrheit fort. Ebenso nachdrück­lich widmete sich Goethe in d ­ iesem Zeitraum seinen naturwissenschaft­lichen Studien. 1806 begann er einen Briefwechsel mit Philipp Otto Runge über seine Farbenlehre, verfaßte das Gedicht Metamorphose der Tiere und war erfreut zu hören, daß Johann Georg Lenz, 77

Während der Befreiungskriege

ein »erlauchter Gegner aller Vulkanität«, wie er ihn nannte, für ein bisher als Rubinglimmern bezeichnetes Gestein den mineralo­gischen Terminus »Goethit« einzuführen versuchte. 1807 schrieb er die Einleitung zu einem schon seit langem geplanten Werk zur Morphologie, las die Naturgeschichte der Tiere von Albertus Magnus, tauschte an der Universität Jena mit dem neuernannten Anatomieprofessor Lorenz Oken Gedanken zu einer neuen Wirbeltheorie des Schädels aus und schloß den geschicht­lichen Teil seiner Farbenlehre ab. Was ihn in ­diesem Jahr besonders beglückte, war, daß ihm Alexander von Humboldt sein Buch Ideen zur Geographie der Pflanzen widmete und es zudem mit einem Kupferstich versehen hatte, auf dem Goethe als Apoll dargestellt war, der in seiner Metamorphose der Pflanzen das Geheimnis der Entstehung der floralen Welt enthüllt habe. Im Dezember 1808 führte Goethe darauf in Weimar längere Gespräche mit Wilhelm von Humboldt über eine Reihe ihn interessierender bildungsbetonter und naturwissenschaft­licher Probleme. Anfang 1809 beschäftigte er sich eingehend mit den mystischen und kabbalistischen Aspekten in den historischen Abschnitten seines Buchs Zur Farbenlehre, dessen endgültige Fassung im folgenden Jahr in Jena erschien. Im Rückblick auf ­dieses von ihm als besonders wichtig empfundene, aber seinerzeit völlig wirkungslose Buch schrieb er deshalb im Mai 1810 an Charlotte von Stein: »Ich bin dadurch zu einer Kultur gelangt, die ich mir von einer anderen Seite schwer­lich verschafft hätte.« Doch auch Goethes Interesse an bildkünstlerischen Werken und Fragestellungen nahm in diesen politisch wildbewegten Jahren keineswegs ab. So ließ er sich im Jahr 1806 – kurz nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt – in Weimar von der dem klassizistischen Geschmack verpflichteten Malerin Caroline Bardua porträtieren. Ein Jahr ­später erhielt er den Nachlaß des von ihm hochgeschätzten Landschaftsmalers Jakob Philipp Hackert, der ihm ­später als Grundlage zu einer detailreichen Biographie ­dieses Malers dienen sollte. Zugleich begann Goethe im gleichen Zeitraum wieder eifrig zu zeichnen, um auch diesen Teil seiner Naturwahrnehmung nicht zu vernachlässigen. 1808 beschäftigte er sich unter anderem ausführ­lich mit Albrecht Dürers Werken, die ihn schon vorher wegen ihres nie ins Formalistische abgleitenden 78

Während der Befreiungskriege

Abb.  22  Bertel Thorvaldsen: Der Genius der Poesie entschleiert das Bild der Natur. Frontispiz für Alexander von Humboldts »Ideen zur Geographie der Pflanzen« (1807)

»Realismus« angezogen hatten, und knüpfte bei einem Kuraufenthalt in Karlsbad Kontakte zu dem Kunstsammler Johann Gottlob von Quandt sowie den Malern Friedrich Bury und Karl Ludwig Kaaz an. Ja, 1809 ließ er sich nochmals von einem klassizistisch eingestellten Maler, diesmal von Gerhard von Kügelgen, porträtieren. Daß sich zur gleichen Zeit einige jüngere Maler – zum Teil unter Berufung auf Friedrich Gottlieb Klopstocks Hermann-­ Dramen (1769 – 1787) – in ihren Bildmotiven zusehends der germanischen Mythologie zuwandten und in ihrem Haß auf Napoleon gefesselte Germania-­ 79

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Abb. 23  Johann Wolfgang Goethe: Illustra­tion zur »Farbenlehre« (1810)

Allegorien, kampfbereite Recken oder siegverheißende Walküren zu malen begannen,4 übersah er dagegen geflissent­lich. Das soll nicht heißen, daß ihn die politischen Ereignisse dieser Jahre, selbst wenn er sie in seinen späteren Annalen oder Tag- und Jahresheften kaum erwähnt, nicht ebenfalls in ihren Bann zogen. Schließ­lich nahm er 80

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­zwischen 1806 und 1812 sowohl in Weimar als auch bei seinen wiederholten Aufenthalten in Karlsbad und Teplitz an vielen Gesprächen mit maßgeb­ lichen Fürst­lichkeiten dieser Jahre – darunter dem Zaren Alexander von Rußland, dem Fürsten Joseph Johann Baptist Moritz von Liechtenstein, dem Herzog Ernst II. von Sachsen-­Gotha-­Altenburg, den Prinzen Louis Ferdinand und August von Preußen, dem Prinzen Bernhard von Sachsen-­ Weimar-­Eisenach, dem Prinzen Friedrich Ludwig von Mecklenburg, dem Prinzen Friedrich von Gotha, dem Landgrafen Karl von Hessen-­Kassel sowie den sie begleitenden Ministern und Generälen – teil. Aber letzt­lich empfand er diese Zusammenkünfte eher als beiläufig, das heißt als Angelegenheiten der höfischen Etikette, zu denen er sich als Freund und Diener seines Herzogs verpflichtet fühlte. Der in diesen Kreisen, die sich in ihren autonomen Herrschaftsansprüchen bedroht fühlten, allmäh­lich zunehmende Haß gegen Napoleon und die von ihnen eingeleiteten militärischen Abwehrund Aufrüstungsbestrebungen stießen ihn dagegen weitgehend ab. Statt dessen igelte er sich lieber in Weimar ein und beschäftigte sich vornehm­lich mit seinen literarischen, naturwissenschaft­lichen und bildkünstlerischen Bemühungen, um dem immer stärker werdenden Sog der sich anbahnenden Befreiungskriegsstimmung aus dem Wege zu gehen. Als dieser Krieg schließ­lich im Jahr 1813 ausbrach, war daher Goethe eher entsetzt als begeistert. Das belegt am eindring­lichsten seine Reak­tion auf die Völkerschlacht von Leipzig, ­welche von allen sogenannten »Vaterlandsfreunden«, die darin die Chance zu einem von ihnen erhofften politischen Zusammenschluß aller deutschen Teilstaaten sahen, begeistert umjubelt wurde, während Goethe den Sieg der Preußen und Russen über die franzö­ sische Grande armée ledig­lich als eine »verlorene Schlacht«,5 wenn nicht gar als einen »Unglückstag« der deutschen Geschichte empfand.6 Durch diese Einstellung geriet er noch stärker als zuvor in eine ideolo­gische Abseitslage. In den Augen vieler Vertreter der na­tionaldemokratisch gesinnten Intellektuellen und Künstler galt er von nun an nicht nur als »altmodisch«, sondern auch als eindeutiger »Fürstenknecht«, der sich im Laufe seines Lebens aus einem »Bürgerfreund« zusehends zu einem Befürworter des einzelfürst­lichen 81

Während der Befreiungskriege

Abb. 24  Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld: Cäcilia Tschudi als Walküre (1812)

Absolutismus entwickelt habe und dessen klassizistisches Kunstprogramm – trotz aller Bekenntnisse zu einer humanistischen Bildungskultur – ledig­lich auf eine Aufrechterhaltung, wenn nicht gar Festigung der altständischen Gesellschaftsordnung hinauslaufe. 82

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Doch von den Vorwürfen derartiger Kritiker ließ sich Goethe, wie schon während des von ihm in den mittneunziger Jahren entfachten Xenien-­Kriegs, keineswegs in seinen politischen Ansichten beirren. Und er fühlte sich darin bestätigt, als sich die deutschen Könige und Fürsten – nach dem endgültigen Sieg über Napoleon in der Schlacht bei Waterloo und seiner Verbannung auf die Insel Sankt Helena – im Jahr 1815 auf dem vom österreichischen Staatskanzler Fürst Clemens Lothar von Metternich einberufenen Wiener Kongreß gegen die Schaffung eines auf einer konstitu­tionell verankerten Verfassung oder gar auf na­tionaldemokratischen Vorstellungen beruhenden deutschen Einheitsstaates aussprachen. Eine derart revolu­tionäre Umgestaltung der aus der Konkursmasse des Heiligen Römischen Reichs hervorgegangenen deutschen Teilstaaten wäre sicher auch ihm geradezu »jakobinisch« erschienen, wie sich der eindeutig reak­tionär eingestellte ­Kaiser Franz I. von Österreich ausdrückte, als ihn der Reichsfreiherr Karl vom und zum Stein auf d ­ iesem Kongreß bedrängte, die Herrschaft über einen end­lich zu gründenden deutschen Einheitsstaat anzustreben.7 Wofür sich die dort versammelten Könige und Fürsten entschieden, war ledig­lich ein lockerer Staatenbund, in dem auf einzelstaat­licher Ebene nach wie vor der bisherige Absolutismus herrschen sollte. Der auf d ­ iesem Kongreß zum »Großherzog« erhobene Carl August, der sich von nun an »König­liche Hoheit« nennen durfte, und sein zum »Staatsminister« arrivierter Freund Goethe waren daher froh, daß auch im Staat Sachsen-­Weimar-­Eisenach alles beim Alten blieb und sie dort weiterhin nach ihrem Gutdünken schalten und walten konnten. Um dieser Gesinnung auch einen literarischen Ausdruck zu geben, schrieb Goethe 1815 ein allegorisches Festspiel zur siegreichen Beendigung der Befreiungskriege unter dem Titel Des Epimenides Erwachen, in dem sich ein griechischer Philosoph, der besagte Epimenides, in historisch unklaren »Zeiten der Wirren«8 in eine Höhle zurückzieht, wo er einen sogenannten Heilschlaf hält und erst ans Tages­licht zurückkehrt, als wieder Frieden herrscht und die bösartigen Dämonen der politischen Zwistigkeiten von weib­lichen Genien in Ketten gelegt und abgeführt worden sind. Noch neutralitätsbewußter hätte Goethe seine Zeit der inneren Emigra­tion während 83

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Abb. 25  C. Müller (?) nach F. Jagemann (?): Großherzog Carl August von Sachsen-­ Weimar-­Eisenach (1817)

der Vorbereitungen zum Befreiungskrieg und dann dem Sieg über die in ­diesem Stück anonym bleibenden feind­lichen Mächte kaum darstellen können. Es ist daher nicht erstaun­lich, daß sein Epimenides – außer in einigen Hofkreisen – so wenig Anklang fand, ja von den enttäuschten Freischärlern der Jahre ­zwischen 1812 und 1815, die sich vom siegreichen Ausgang ­dieses so enthusiastisch begonnenen Kriegs mehr als einen absolutistisch regierten Staatenbund Metternichscher Prägung versprochen hatten, als politisch verschleiernd, wenn nicht gar reak­tionär empfunden wurde. Doch selbst das berührte Goethe, als d ­ ieses Drama am 7. Februar 1816 im Weimarer Hoftheater aufgeführt wurde und sogar dort auf seiten der eher liberal Gesinnten als Machwerk galt, nicht im geringsten. Er empfand sich weiterhin als »Klassiker«, der sich angeb­lich nur für Natur und Kunst interessierte. Wie hatte er schon am 9. November 1814 an Karl Ludwig von Knebel geschrieben: »Ich habe an der Homerischen und Nibelun­gischen Tafel geschmaust, nur aber für meine Person nichts gemäßer gefunden als die breite und tiefe immer lebendige Natur, die Werke der griechischen Dichter und Bildner.« 84

Nach dem Wiener Kongreß »Welches   Recht wir zum Regiment haben, danach fragen wir nicht: Wir regieren. Ob das Volk ein Recht habe, uns abzusetzen, darum bekümmern wir uns nicht: Wir hüten uns nur, daß es nicht in Versuchung kommt, es zu tun.« (Goethe: Aus Makariens Archiv, um 1820) »Zensur   und Preßfreiheit werden immerfort miteinander kämpfen. Zensur fordert und übt der Mächtige, Preßfreiheit verlangt der Mindere. Jener will weder in seinen Plänen noch seiner Tätigkeit durch vorlautes widersprechendes Wesen gehindert, sondern gehorcht sein; diese wollen ihre Gründe aussprechen, den Ungehorsam zu legitimieren.« (Goethe: Aus Makariens Archiv, um 1820)

Beflügelt vom ideolo­gischen Rückenwind der nach dem Wiener Kongreß in allen deutschen Teilstaaten einsetzenden Restaura­tionsbemühungen, wandte sich auch Goethe in der Folgezeit, so ener­gisch er konnte, gegen alle weiterhin aufflackernden na­tionaldemokratischen Regungen von seiten der enttäuschten, ja verbitterten Befreiungskrieger, die der Weiterexistenz des Staates Sachsen­-Weimar-­Eisenach gefähr­lich werden könnten. Allerdings ging er dabei nicht so weit wie der vor allem um den inneren Zusammenhalt des »Vielvölkerstaats« Österreich besorgte Staatskanzler Clemens Lothar von Metternich, der im Hinblick auf das politische Machtmonopol der Habsburgermonarchie jedwedes Mitspracherecht des niederen Adels und des gehobenen Bürgertums, geschweige denn der sogenannten breiten Massen von vornherein kategorisch ablehnte. Zwar blieb auch Goethe in seinem Staat weiterhin um die Aufrechterhaltung der älteren Ständeordnung bemüht und lehnte zugleich alle deutschna­tionalen Tendenzen strikt ab, verzichtete jedoch im Hinblick auf die kulturbetonten Schichten der 85

Nach dem Wiener Kongreß

»gesitteten«, das heißt sich unpolitisch verhaltenden Bourgeoisie nicht auf gewisse humanistisch-­aufgeklärte Bildungskonzepte. Noch am ehesten stimmte er mit Metternich überein, wenn es um die Unterdrückung na­tionalistischer Bestrebungen ging, die den Fortbestand seines Herzogtums unmittelbar bedrohen würden. Sein besonderer Haß galt dabei der 1815 gegründeten Deutschen Burschenschaft, die gerade unter den Jenaer Studenten einen starken Rückhalt hatte. Schließ­lich waren es vor allem diese Gruppen, ­welche im Gegensatz zu den älteren, regional eingestellten Landsmannschaften – ob nun der Saxonia, der Borussia, der Westphalia oder der Bavaria – weiterhin jenes Arndtsche Lied sangen, das mit den Zeilen beginnt »Was ist des Deutschen Vaterland? / Ist’s Preußenland? Ist’s Schwabenland? / Nein, nein, nein, / Das ganze Deutschland soll es sein!«, um sich damit für die Schaffung eines deutschen Na­tionalstaats einzusetzen. Ebenso ablehnend verhielt er sich Ludwig Jahn, dem Autor des weitverbreiteten Buchs Deutsches Volkstum (1810), gegenüber, der in der Vorbereitungsphase der Befreiungskriege die sogenannte Turnerbewegung ins Leben gerufen hatte, die sich unter der ehemaligen Befreiungskriegern weiterhin einer großen Beliebtheit erfreute. Es waren daher diese Gruppen, w ­ elche auf Anregung der Jenaer Turnervereinigung alle Burschenschafter aus den protestantischen Landesteilen des damaligen deutschen Staatenbunds im Herbst 1817 aufriefen, mit ihnen am 17. Oktober auf der Wartburg bei Eisenach den dreihundertsten Jahrestag des Beginns der als na­tionale Errungenschaft aufgefaßten Lutherischen Reforma­tion zu feiern, zumal sich an ­diesem Tag zugleich das Datum der Völkerschlacht von Leipzig zum vierten Male jährte. Wie schon bei den in vielen deutschen Städten veranstalteten zahlreichen Na­tionalfesten von 1814/15 wurden an ­diesem und dem folgenden Tag auf der Wartburg eine Reihe patriotischer Reden gehalten, vaterländische Gesänge angestimmt, die deutschen Fürsten beschworen, end­lich in ihren Ländern die 1813 versprochenen Verfassungen einzurichten, und obendrein unter dem Jubel aller dort versammelten Burschenschafter mehrere als feudalistisch-­reak­tionär geltende Schriften auf einen in Brand gesteckten Scheiterhaufen geworfen.1 86

Nach dem Wiener Kongreß

All das mußte Goethe, zumal ­dieses Freiheitsfest in so enger Nachbarschaft zu Weimar stattfand, notwendig verärgern. Als daher Metternich und der von ihm beeinflußte Frankfurter Bundestag 1819 die sogenannten Karlsbader Beschlüsse erließen, die – neben den auch von ihm gutgeheißenen Zensurbestimmungen – auf ein Verbot der Burschenschaften hinausliefen, fühlte er sich zwar etwas erleichtert, wenn auch immer noch nicht überzeugt, daß damit die »demago­gischen Umtriebe«, wie man derartige Bedrohungen auf seiten der föderalistisch eingestellten Könige und Herzöge sowie der ihnen ergebenen Ministerialbürokraten nannte, end­lich aufhören würden. Was ihn deshalb auf literarischem Gebiet weiterhin erboste, waren die selbst in der Folgezeit nicht verstummenden deutschna­tionalen Lieder, die jene Gesinnung zu verbreiten suchten, für die sich während der Befreiungskriege vor allem Ernst Moritz Arndt mit seinen Liedern für Teutsche (1813) und Theodor Körner mit seinem Sammelband Leier und Schwert (1814) eingesetzt hatten. Irgendwelche Sympathiegefühle für das deutsche »Volk« oder für einen deutschen Einheitsstaat zu empfinden, lag Goethe als Hofbeamten des real existierenden Staates Sachsen-­Weimar-­Eisenach völlig fern. Aus dem gleichen Grunde lehnte er jede literarische Verklärung der germanischen Vorzeit sowie eine romantisierende Anhimmelung des Mittelalters, denen irgendwelche patriotischen Motiva­tionen zugrunde lagen, von vornherein strikt ab. Statt dessen sprach er sich in den folgenden Jahren, nachdem er 1819 seinen sich an per­sischen Vorbildern orientierenden West-­öst­lichen Divan abgeschlossen hatte, immer nachdrück­licher dafür aus, daß jetzt – nach den Zeiten engbegrenzter Na­tionalliteraturen – eine Ausweitung ins Weltliterarische beginnen solle.2 Darin eine Wende ins Kosmopolitische zu sehen, wie manche Goethe-­Forscher behaupten, wäre sicher verfehlt. Mit dementsprechenden Äußerungen wollte er sich ledig­lich noch entschiedener als zuvor von irgendwelchen auf einen deutschen Na­tionalstaat hinauslaufenden Tendenzen absetzen. In all diesen Bestrebungen stimmte Goethe mit den auf dem Wiener Kongreß beschlossenen Restaura­tionsbestrebungen durchaus überein. Worin er sich allerdings von Metternich unterschied, war Folgendes: Während 87

Nach dem Wiener Kongreß

dieser – im Sinne der vom rus­sischen Zaren, vom K ­ aiser von Österreich und vom preußischen König beschlossenen »Heiligen Allianz« – zur ideolo­ gischen Untermauerung seiner reak­tionären Bestrebungen eine verstärkte Rückwendung ins Religiöse befürwortete, blieb Goethe, wie eh und je, auch in diesen Jahren seiner »dezidiert unchrist­lichen« Haltung durchaus treu. Ja, er schrieb sogar in seinen Zahmen Xenien aus ­diesem Zeitraum reich­lich unverblümt: »Mit Kirchengeschichte was hab ich zu schaffen? / Ich sehe weiter nichts als Pfaffen; / Es ist die ganze Kirchengeschichte / Mischmasch von Irrtum und Gewalt.«3 Metternich ging es hingegen in erster Linie darum, in Anlehnung an die althergebrachte Stufenfolge »Gottvater, Landesvater, Familienvater« den durch das kritische Denken der Aufklärung des 18. Jahrhunderts in Gang gekommenen Prozeß der Überwindung der angeb­lich »selbstverschuldeten Unmündigkeit« der Menschen wieder rückgängig zu machen, um so die nach Selbständigkeit strebenden Bürger wieder in fromme, untertänig gesinnte Landeskinder zu verwandeln. Was er – im Gegensatz zu Goethe – deshalb nachdrück­lich unterstützte, waren die bereits in der romantischen Bewegung um 1800 einsetzenden Rekatholisierungstendenzen, denen sich sogar bedeutende Autoren wie Friedrich Schlegel und Clemens Brentano angeschlossen hatten. Außerdem beförderte Metternich, wie auch andere konservativ eingestellte Fürsten und Theaterdirektoren, jene literarische Richtung, in deren Werken ein blinder Schicksalsglauben herrscht, nach dem jedes selbsttätige menschliche Handeln, wie in den damals vielgespielten Schicksals- und Schauertragödien eines Ernst Christoph von Houwald, Franz Grillparzer, Adolf Müllner und Zacharias Werner, von vornherein in Zweifel gezogen wird und aufgrund dessen der dem Walten unerklär­licher Mächte ausgelieferte Mensch nur durch Gottes Huld wieder auf den rechten Weg gebracht werden kann. Eine ­solche, von religiösen Eingriffen bedingte Sicht lag Goethe, der weiterhin einer sich aus der Naturbetrachtung ergebenden grünen Weltfrömmigkeit huldigte, der man schon in der Antike die Maxime „Natura naturans“ zugrunde gelegt hatte, von vornherein fern. Er lehnte deshalb 88

Nach dem Wiener Kongreß

alle damals weitverbreiteten christkatho­lischen sowie schicksalsbedingten Anschauungen, die von vielen Vertretern der herrschenden Reak­tion lebhaft unterstützt wurden, rigoros ab und trat nach wie vor sowohl vehement für die Durchsetzung pantheistisch-naturbezogener als auch humanistisch-­ klassizistischer Anschauungen ein. In d ­ iesem Punkte hielt er sich lieber an das bildungsbetonte Motto: »Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, / Hat auch Religion; / Wer jene beiden nicht besitzt, / Der habe Religion«, wie es in seinen Zahmen Xenien der frühen zwanziger Jahren heißt.4

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Gegen die neu-­deutsche religiös-­patriotische Kunst »Klas­   sisch ist das Gesunde, romantisch das Kranke.« (Goethe in Maximen und Reflexionen, 1820) »Caspar   David Friedrichs Bilder sollte man an der Tischkante zerschlagen.« (Goethe im Gespräch mit Sulpiz Boisserée, 1815)

Spätestens an dieser Stelle werden sich manche Leser und Leserinnen fragen, was denn all die vorangegangenen, längeren Ausführungen zu Goethes ideolo­gischer Haltung während der Befreiungskriege sowie der anschließenden Metternichschen Restaura­tionsbestrebungen mit seinen kunsttheoretischen und naturwissenschaft­lichen Anschauungen zu tun haben. Solchen Einwänden sollte man jedoch entgegenhalten, daß – unter ideologiekritischer Perspektive betrachtet – seine Vorstellungen auf diesen beiden Gebieten ohne derartige Exkurse ins Historische, Sozia­lgeschicht­liche und Na­tionalbetonte überhaupt nicht zu verstehen sind beziehungsweise weitgehend ästhetizistisch abstrakt und damit ohne einen realgeschicht­ lich konkreten Aussagewert blieben. Beginnen wir mit seinen kunsttheoretischen Anschauungen. Da ­Goethe in den Jahren nach 1815 im Hinblick auf die bildenden Künste erneut auf die Durchsetzung seiner aus der Antike abgeleiteten »klas­ sischen« Vorstellungen drang, die sich anhand der Malerei am augenfälligsten demonstrieren ließen, nahm die Fülle seiner dieser Kunstausübung gewidmeten Schriften und Äußerungen in der unmittelbaren Folgezeit eher zu als ab. Dabei herrschten sowohl polemische als auch normativ gemeinte Züge vor, je nachdem, welches Publikum er dabei ins Auge faßte. Einerseits griff er die ins Na­tionalistische oder Religiöse tendierenden Richtungen an, andererseits verteidigte er ebenso verbissen 91

Gegen die neu-­deutsche religiös-­patriotische Kunst

sein klassizistisches, das heißt aus einer idealisierenden Sicht der antiken Skulpturen und Malereien abgeleitetes Kunstkonzept, mit dem er sich weiterhin zum Primat einer sensualistischen, das heißt ahistorischen Aneignung der Natur bekennen wollte. Um für seine kunsttheoretischen Anschauungen ein ihm stets zur Verfügung stehendes Organ zu haben, gründete Goethe daher 1817 die Zeitschrift Kunst und Altertum, die schon im Titel auf sein kulturpolitisches Programm hinweist, näm­lich daß eine neue Blütezeit der bildenden Kunst nur dann zu erwarten sei, wenn man sich an den Meisterwerken der Antike als den weiterhin unvergäng­lichen Manifesta­tionen des Naturschönen, Zeitlosen und somit »Klas­sischen« orientieren würde, während er jede Herausstellung na­tionalbetonter oder christ­licher Sujets in der Malerei von vornherein als unkünstlerisch und somit für die Herausbildung einer neuen ästhetischen Blütezeit als schäd­lich hinstellte. In seinem Affront gegen den religiösen Charakter der von Goethe als »romantisch« bezeichneten Kunst läßt sich dem durchaus zustimmen. Allerdings neigte er hierbei – in seiner Verdammung aller in einem politisch »eingreifenden« Sinn dargestellten Sujets – zum Teil zu einer geradezu verbissen-­retrograden Haltung. Mit anderen Worten: Auf ­diesem Gebiet gab sich Goethe so, als passe ihm »die ganze Richtung« nicht. Das kommt besonders kraß in dem von Johann Heinrich Meyer verfaßten, aber von ihm durchaus gebilligten Manifest Neu-­deutsche religiös-­patriotische Kunst zum Ausdruck, welches er bereits 1817 im zweiten Heft seiner Zeitschrift Kunst und Altertum publizierte und das sich wie ein Scherbengericht über alle sich gegen die von ihm befürworteten winckelmannisierenden Bemühungen auflehnenden Kunstbestrebungen liest. Statt genauer z­ wischen den na­tionaldemokratischen und den religiös-­reak­tionären Tendenzen innerhalb der damit gemeinten Malerei zu unterscheiden, stellten Goethe und Meyer in ­diesem Aufsatz beide dieser Richtungen – vor allem da, wo sie zum Teil ineinander übergingen – einfach als altertümelnde, mystifizierende oder schlichtweg ins Primitivistische übergehende Manifesta­tionen ein und derselben Gesinnung hin.1 92

Gegen die neu-­deutsche religiös-­patriotische Kunst

Beginnen wir mit Goethes Angriffen auf besonders na­tionalistisch motivierte Themenstellungen. So wie er schon in der Befreiungskriegsära in seinen die damalige Literatur betreffenden Äußerungen jedwede klopstockisierende, moritz-­arndtsche oder romantisch-­mittelalter­liche Tendenz zum urtüm­lich »Deutschbewußten« verworfen hatte, um sich nicht in seiner Vorliebe für antike oder weltliterarische Vorbilder beirren zu lassen, verdammte er jetzt – noch schärfer als zuvor – auch in den bildenden Künsten alle ähn­lich gearteten deutschtümelnden Zielvorstellungen. Kurzum: Nachdem er am 11. September 1815 voller Ingrimm in sein Tagebuch geschrieben hatte, daß man alle na­tionalistisch gefärbten Schriften einfach »zerschießen« solle, ließ er sich jetzt auch im Hinblick auf die bildenden Künste, wo sich dieselben Tendenzen bemerkbar machten, zu ähn­lichen Wutausbrüchen hinreißen. Was Goethe in der Architektur und Malerei d ­ ieses Zeitraums besonders mißfiel, war erst einmal die weitverbreitete Neigung zu einem deutsch­ bewußten »Gotisieren«. Während er das 1796 von Friedrich Gilly im klassizistischen Stil entworfene, tempelartige Denkmal für Friedrich II . von Preußen, falls es gebaut worden wäre, sicher gutgeheißen hätte, konnte er dem von Karl Friedrich Schinkel 1814 geplanten neogotischen Dom als Ehrenmal der Befreiungskriege sowie den s­päter von Schinkel gemalten Traumkathedralen, die dem gleichen Geist verpflichtet waren, wenig abgewinnen. Und auch die preußischen Hofkreise baten Schinkel, seine Ehrenhalle Unter den Linden, sein Altes Museum und sein König­liches Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in Berlin lieber im klassizistischen Stil zu erbauen, um damit den Anschein des na­tional Gesinnten zu vermeiden. Als ebenso verwerf­lich empfand Goethe all jene mit na­tio­nal­demo­kra­ tischer Gesinnung gemalten Bilder Caspar David Friedrichs aus der Befreiungskriegszeit und den Jahren kurz danach, die er am liebsten an der »Tischkante zerschlagen« hätte, wie er sich ausdrückte.2 Schließ­lich war in ­diesem Zeitraum eins der Hauptmotive auf Friedrichs Bildern das nordisch-­ger­ ma­nische Hünengrab, das damals in deutschbewußten Kreisen als zentrales Hoffnungssymbol einer mög­lichen Auferstehung aller älteren na­tional 93

Gegen die neu-­deutsche religiös-­patriotische Kunst

Abb. 26  Karl Friedrich Schinkel: Entwurf zu einem Dom als Denkmal für die Befreiungskriege (1815)

gestimmten Freiheitshelden galt, in deren Geiste man, wie die todesverachtenden germanischen Stämme unter Hermann dem Cherusker, gegen die in ihr Land eingedrungenen Römer, sprich: Franzosen zu Felde ziehen wollte, um so zu verhindern, daß Germanien, sprich: Deutschland zur Provinz eines fremdländischen, sprich: welschen Imperiums würde. Als das bekannteste literarische Beispiel dieser Gesinnung gilt bis heute das Drama Die Hermannsschlacht von Heinrich von Kleist, das dieser bezeichnenderweise 1809 erstmals in Friedrichs Dresdner Atelier einem Kreis antinapoleonisch gestimmter »Freiheitsfreunde« vorgelesen hatte.3 Als symbo­lische Ausdrucksträger einer untergründig schlummernden Freiheitssehnsucht malte daher Friedrich in d ­ iesem Zeitraum rund 20 solcher Hünengräber, und zwar erst als gleichnishafte Darstellungen der französischen Besatzungszeit und dann als Mahnmale der durch die Beschlüsse des Wiener Kongresses vereitelten Sehnsucht nach einem deutschen Einheitsstaat, indem er die vor 1806 im hellen Sonnen­licht wiedergegebenen 94

Gegen die neu-­deutsche religiös-­patriotische Kunst

Abb. 27  Caspar David Friedrich: Hünengrab im Schnee (1807)

Hünengräber, von denen es damals in Norddeutschland noch etwa 200 gab, zusehends mit Schnee bedeckte und obendrein mit halb abgestorbenen Eichen umstellte, um so – wie auf seinem Bild Das Eismeer oder Die gescheiterte Hoffnung (1821), wo es sich um ein in der Polargegend untergehendes Schiff handelt – einen seiner ideolo­gischen Verbitterung entsprechenden bildkünstlerischen Ausdruck zu verleihen. In den gleichen Umkreis der von Friedrich immer wieder aufgegriffenen und von Goethe abgelehnten deutschbetonten Motive gehören seine zahlreichen Eichendarstellungen. Wie vielen seiner Gesinnungsfreunde war ihm in ­diesem Zusammenhang sicher das Gedicht Der Hügel und der Hain (1767) von Friedrich Gottlieb Klopstock vertraut, worin dieser dem aus der 95

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­huma­nistisch-­klassizistischen Tradi­tion stammenden Lorbeerkranz als spezifisch »teutsches« Wertsymbol das Eichenlaub entgegengesetzt hatte. Im Anschluß an d ­ ieses Gedicht war die Eiche bereits im späten 18. Jahrhundert immer stärker zum Symbol deutscher Stärke, Dauerhaftigkeit und Tapferkeit, ja zum deutsch-­heroischen Baum schlechthin geworden. Der Ausdruck »Treu wie deutsche Eichen« wurde daher im Hinblick auf diese »nordischen Riesen«, wie es jetzt hieß, geradezu sprichwört­lich. Schon die patriotisch gesinnten Anhänger des Göttinger Hains und dann die Befreiungskriegs­ lyriker Ernst Moritz Arndt, Theodor Körner, Friedrich Rückert und Max von Schenkendorf hatten in den Eichen wichtige Symbole der »vaterländischen Vergangenheit« gesehen.4 Statt wie Goethe weiterhin in antiker oder renaissance­hafter Tradi­tion den Lorbeerzweig als Symbol der künstlerischen Vollkommenheit zu preisen oder mit weltliterarischer Tendenz wie in seinem West-­öst­lichen Diwan (1819) das Gingo-­biloba-­Blatt als Sinnbild seiner Geis­ teshaltung hinzustellen, hielt Friedrich selbst nach 1815 stets am Bild der Eiche fest, die er meist mit abgebrochenen Ästen und zugleich schneebedeckt darstellte, um so auf die winter­liche Kälte der Metternichschen Restaura­ tion hinzuweisen. Diese Bäume sollten in seinen Augen wie heroisch nieder­ gedrückte Patrioten wirken, die an der Schmach ihres Vaterlandes leiden.5 Fast die ­gleiche symbo­lische Bedeutung haben die zahlreichen gotischen Kirchenruinen auf den Friedrichschen Bildern der gleichen Jahre, die ­Goethe sicher ebenso mißfallen haben. Auch sie stehen meist in wintrig erstarrten, entlaubten Eichenhainen und sind zudem von verwüsteten Grabmälern umgeben, die auf eine Schändung der Vergangenheit, aber zugleich, wie seine Hünengräber, auf die Mög­lichkeit einer Auferweckung hinweisen sollen. Genauer betrachtet, schimmert hinter manchen dieser Ruinen sogar schon ein fahler Morgenhimmel auf, in dem sich die Hoffnung auf eine bessere Zukunft anzudeuten scheint. Unter politideolo­gischer Perspektive betrachtet, dominiert also auf ihnen die ­gleiche Tod- und Auferstehungsthematik, die auch in vielen »vaterländischen« Dichtungen dieser Jahre herrscht. Daß diese Ruinen stets »gotische« Ruinen waren, wurde deshalb von den ehemaligen Befreiungskriegern und Burschenschaftern als ebenso 96

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»patriotisch« aufgefaßt wie die von Friedrich gemalten Hünengräber oder Eichbäume, denen dieselbe Tendenz zugrunde liegt. Auf all diesen Bildern äußert sich daher sowohl ein melancho­lischer Grundzug als auch ein hartnäckiges Festhalten an bisherigen Idealen. Sie geben sich nicht nur der Trauer, sondern auch der Hoffnung hin. Ja, auf einigen dieser Bilder wagte Friedrich sogar, auf unmittelbar Politisches anzuspielen. Dazu gehört vor allem die von Ludwig Jahn und Ernst Moritz Arndt propagierte »altdeutsche Tracht«,6 die fast alle seine Figuren nach 1815 tragen, mit der die damaligen na­tionaldemokratisch gesinnten Burschenschafter die bisher üb­liche, ständisch gegliederte Kleiderordnung zu überwinden hofften. Hierzu muß man wissen, daß diese Tracht von den staat­lichen Behörden damals höchst ungern gesehen wurde, ja nach 1819 in manchen deutschen Teilstaaten und Städten, darunter auch Dresden, offiziell verboten wurde. Als darum Karl Förster am 18. April 1820 F ­ riedrich fragte, was denn die altdeutsch gekleideten Figuren auf seinem ein Jahr zuvor gemalten Bild Zwei Männer in Betrachtung des Mondes eigent­lich im Sinne hätten, erklärte ihm Friedrich lakonisch: »Die machen demago­gische Umtriebe.«7 An seinen Bruder Adolf schrieb Friedrich am 13. Mai 1820 sogar noch offener, daß die zur Zeit herrschenden Fürsten am liebsten alle ihre Untertanen in geduldige Esel verwandeln würden, denen nur noch erlaubt sei »ia – ia!« zu schreien.8 Selbst unmittelbar auf die Befreiungskriege anspielende ­Themen tauchen in diesen Jahren auf Friedrichs Gemälden immer wieder auf. Das gilt vor allem für sein Bild Huttens Grab von 1823. Auf ihm steht in einer gotischen Kirchenruine ein trauernder Burschenschafter mit Barett, Säbel und altdeutscher Tracht, der sich über das Grab Huttens beugt, das nicht nur den Namen »Hutten«, sondern auch die höchst verräterischen Inschriften »Jahn 1813, Stein 1813, Arndt 1813, Görres 1821« aufweist, um damit auf das vor­ geb­liche Gestorbensein dieser Männer für die »teutsche Sache« aufmerksam zu machen. Schließ­lich hatte vor zehn Jahren nicht nur der in na­tional­ demokratischer Hinsicht gescheiterte Befreiungskrieg begonnen, sondern war 300 Jahre zuvor Ulrich von Hutten gestorben, der sich als Vorkämpfer 97

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Abb. 28  Caspar David Friedrich: Zwei Männer in Betrachtung des Mondes (1825)

der na­tionalen Einheit Deutschlands unter den Befreiungskriegern und Burschenschaftern einer besonderen Vorliebe erfreute. Ja, 1821 versuchte der Reichsfreiherr Karl vom und zum Stein sogar, eine Neuausgabe der Huttenschen Werke anzuregen, die jedoch dem patriotisch gesinnten ­Berliner Verleger Georg Andreas Reimer im Jahr 1823 von der preußischen Zensurbehörde untersagt worden war,9 was viele Vertreter der deutsch­na­ tio­nal gesinnten Kreise zutiefst verbittert hatte. Daß sich Friedrich mit solchen Bildern bei seinen Oberen keine Freunde machte, war zu erwarten. Als daher an der Dresdener Akademie 1824 die Professur für Landschaftsmalerei neu zu besetzen war, wurde 98

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er von den klassizistisch eingestellten Behörden wegen seines »ungünstigen Einflusses auf die Jugend«, wie es jetzt hieß, schnöde übergangen.10 Doch in der Folgezeit sah sich Friedrich nicht nur im Bereich des Akademischen, sondern auch dem des öffent­lichen Bewußtseins den gleichen Demütigungen gegenüber. Die Zeitungen und literarischen Journale, die ihn vor 1815 gelobt hatten, besprachen ihn nach 1819 immer seltener und zudem ungünstiger. Ja, ein biedermeier­licher Malkollege bezeichnete Friedrichs Bilder im Zuge dieser Tendenzwende mit bewußt entpolitisierender Absicht als »trübe und fieberhaft«, um ihn damit ins »weltschmerzlerische« Lager abzuschieben.11 Ebenso scharf distanzierten sich zu gleicher Zeit die »höfisch« gesinnten Kreise von Friedrichs Gemälden. Während manche deutschen Fürsten vor 1815, darunter selbst der preußische König Friedrich Wilhelm III ., in einigen seiner Bildmotive noch eine ihren Interessen dien­liche Propaganda gesehen hatten, näm­lich einen »furor teutonicus« anzustacheln, mit dem sie ihre an Napoleon verlorengegangenen Gebiete zurückerobern wollten, sahen sie nach den Beschlüssen des Wiener Kongresses in der von ihnen zuvor entfesselten na­tionalen Hochstimmung nur noch eine Bedrohung ihrer einzelstaat­lichen Souveränität. Daher unterstützten sie auf kulturellem Gebiet lieber jenen als antikisierend, das heißt als undeutsch geltenden klassizistischen Stil des späten 18. Jahrhunderts und lehnten jede Tendenz ins Gotisierende und damit Deutschtümelnde von vornherein entschieden ab. Und auch Goethe stimmte dieser kulturellen, aber zugleich zutiefst po­li­tisch gemeinten Tendenzwende, wie erwartet, rückhaltlos zu. Alle pa­triotisch gestimmten Gefühle, für die er einmal in seiner Straßburger Zeit geschwärmt hatte, waren ihm schon seit seiner im ­­Zeichen ­Winckelmanns unternommenen italienischen Reise in den Jahren 1786 bis 1788 höchst zuwider, ja erschienen Goethe – wegen der von ihm gutgeheißenen deutschen Mehrstaat­lichkeit – zusehends bedroh­licher. In ­diesem Punkte stimmte er deshalb mit den von Metternich vertretenen antina­ tionalistischen Dynastievorstellungen völlig überein. Was ihm jedoch nicht 99

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behagte, war die, wie gesagt, damit verbundene Rückwendung ins Christ­ liche, für die sich die reak­tionären Vertreter der »Heiligen Allianz« stark zu machen versuchten. Demzufolge griff er schon 1817 in dem mit Johann Heinrich Meyer ver­ faßten Aufsatz Neu-­deutsche religiös-­patriotische Kunst nicht nur die ihm verhaßten na­tional gesinnten Maler an, sondern auch all jene, die sich unter dem Einfluß von Wilhelm Heinrich Wackenroders Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1797) und Ludwig Tiecks Franz ­Sternbalds Wanderungen (1798) auf ihren Gemälden oder Zeichnungen immer stärker religiösen Motiven zugewandt hatten. Gemeint waren damit vor allem diejenigen bildenden Künstler, w ­ elche 1809 in Wien – in Anlehnung an den nach mittelalter­licher Tradi­tion als Maler geltenden Evangelisten Lukas – den sogenannten Lukasbund gegründet hatten und kurz darauf nach Rom, in die nunmehr wieder als »heilig« geltende Stadt des Papstes, übergesiedelt waren, wo sie in ihren Werken die Stilhaltung der Maler des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts zu imitieren versuchten und sich voller Stolz auf ihre Christ­lichkeit als »Nazarener« ausgaben.12 Was Goethe und Meyer diesen Künstlern, von denen sie in ihrem Aufsatz vor allem Peter von Cornelius, Johann Friedrich Overbeck, Franz Pforr, die Brüder Friedrich und Johannes Christian Riepenhausen sowie Friedrich ­Wilhelm Schadow ins Auge faßten, als abwegig vorwarfen, war vor allem Folgendes: Statt sich weiterhin im Gefolge von Anton Raphael Mengs und Johann Joachim Winckelmann an die »Nachbildung antiker Formen« zu halten,13 der »lieb­lichen Heiterkeit« auf den Bildern von ­Angelica ­Kauffmann nachzueifern, wie Jakob Philipp Hackert vornehm­lich italienische Landschaften zu malen oder sich wie Asmus Jakob Carstens um eine ins H ­ eroische tendierende Stilhaltung zu bemühen, hätten sie sich durch ­Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder verführen lassen, die »Sache der Malerei« mit der »Sache der Religion« zu verwechseln, und damit alle seit der Antike und der Renaissance aufgestellten »Kunstregeln« im Sinne eines »altertüm­lich, katho­lisch-­christelnden Geschmacks« ungebühr­lich vernachlässigt.14 Selbst bedeutsame Maler wie 100

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Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich ­seien im Zuge dieser Trendwende dazu übergegangen, wie es in ­diesem Aufsatz mit kritischem Unterton heißt, ihre Bilder unnötigerweise mit religiös wirkenden Allegorien auszustaffieren, anstatt weiterhin »Werke heiteren Sinnes« zu malen, die »angenehm ins Auge fallen« und »vermut­lich vom zahlenden Publikum« wesent­lich besser aufgenommen würden.15 Am meisten mißfielen Goethe und Meyer im Hinblick auf die Nazarener all jene Gemälde, die sich in ihren Sujets – in bewußter Frontstellung gegen die homerischen Motive des von den beiden Weimaranern befürworteten Klassizismus – ausschließ­lich auf mög­lichst »rührende« bib­lische ­Themen beschränkten, um nach dem »Sündenfall« der Aufklärung eine erneute »Wiedervereinigung mit Gott« anzustreben. Nur ­solche Motive, schrieb der zum Nazarenertum bekehrte Julius Schnorr von Carolsfeld am 18. April 1818 aus Rom, ­seien geeignet, vom »frommen, forschenden Geist der Künstler« aufgegriffen zu werden.16 Deshalb hielten sich sowohl er als auch die anderen Lukasbrüder bei der Ausführung ihrer Bilder so eng wie mög­lich an den Stil der präraffaelitischen oder dürerzeit­lichen Maler des späten 15. Jahrhunderts, die noch nicht dem Heroen- oder Venuskult der Renaissance gehuldigt hätten, sondern vor allem bemüht gewesen ­seien, das Demütige, Hingebungsvolle, ja im besten Sinne »Einfältige« des christ­lichen Glaubens herauszustellen.17 Man denke in dieser Hinsicht an jenes damals innerhalb der romantisch-­ restaurativen Bewegung schnell bekannt werdende Bild von Peter von ­Cornelius von 1811, auf dem die Heilige Elisabeth vor einer betont lieb­lich gemalten Madonna mit dem kleinen Jesulein niederkniet, das in s­einer bewußten Pseudonaivität kaum zu überbieten ist. Einen nicht minder »altertümelnden« Eindruck erwecken Gemälde wie Die Madonna mit dem Chris­tuskind und dem Johannesknaben (1808) der Gebrüder Friedrich und ­Johannes Christian Riepenhausen, Der Ostermorgen (1818) von Johann Friedrich Overbeck, Die heilige Familie (1818) von Friedrich ­Wilhelm ­Schadow, Die Verkündigung (1820) von Julius Schnorr von Carolsfeld sowie Die sterbende Heilige Cäcilia (1821) von Johann Evangelist Scheffer von 101

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Leonhardshoff, die sich zwar betont »gläubig« geben, jedoch ihren bewußt gekünstelten Charakter kaum verleugnen können. Alle diese Bilder wirken zum Teil wie sentimentalisierte Kopien irgendwelcher florentinischen oder auch Nürnberger Meister um 1500. Wie ­Goethe in seinen winckelmannisierenden Bestrebungen fühlten sich die Nazarener hierbei ebenfalls dem Prinzip der Nachahmung verpflichtet, aber eben einer Nachahmung der christ­lichen, bewußt antiklassizistischen Kunst des späten Mittelalters und nicht der kurz darauf von der Renaissance angestrebten Wiedererweckung der bereits in der Antike erreichten sinn­lich erfaßten Natür­lichkeit. Sie glaubten im Sinne der in den Evangelien verkündeten christ­lichen Lehren, daß auch in der Kunst nicht der Mensch oder die Natur, sondern allein jene Glaubensgewißheit im Vordergrund stehen solle, durch die alle auf Jesus vertrauenden Menschen das angeb­liche Seelenheil erringen könnten. Summa summarum folgerten Goethe und Meyer daraus, daß es »in Bezug auf die Kunst am sichersten und vernünftigsten« sei, »sich ausschließ­lich mit dem Studium der alten griechischen Kunst und dem, was sich in neuerer Zeit an dieselbe angeschlossen habe, zu befassen«, während es »hingegen immer gefähr­lich und vom rechten Weg ableitend« sei, sich im Gefolge klosterbruderisierender oder sternbaldisierender Tendenzen »andere Muster zu suchen«. Schließ­lich sei das »fromme Gemüt nicht das Einzige«, worin sich die Kunst ausdrücken solle, da sich selbst das »rein Gemüt­liche« auch im »Heitern, Großen, ja Erhabenen offenbaren« könne, wie Goethe und Meyer als konsequente Klassizismus-­Anhänger behaupteten.18 Daher solle die Kunst der Zukunft, heißt es am Schluß d ­ ieses Aufsatzes, nicht nur auf den »Na­tional-­Enthusiasmus«, sondern auch auf »alle falsche Frömmelei« verzichten und end­lich wieder »kräftigen heitern Aussichten« Raum geben.19 Fast alles, was Goethe gleichzeitig oder in den Jahren danach über Fragen der bildenden Kunst in Briefen schrieb oder in Gesprächen äußerte, liegt weitgehend auf derselben kulturpolitischen Linie. Dafür spricht beispielsweise sein Essay Antik und modern, ­welchen er 1818 verfaßte, in dem er den Renaissance-­Maler Raffael als jenen Künstler bezeichnete, dessen 102

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Abb. 29  Peter von Cornelius: Die heilige Familie (1811)

Werke in ihrer »Heiterkeit der Aufnahme« und »Leichtigkeit der Mitteilung«, ihrer »Reinheit und Vollkommenheit« sowie ihrer »sicheren und vollendeten Ausführung« nur allzu deut­lich an die Werke der Griechen erinnerten. In Hinblick auf ihn, schrieb er, wird man »uns Weimarer Kunstfreunde« verstehen, »wenn wir immer von dort ausgehen, und immer wieder dort 103

Gegen die neu-­deutsche religiös-­patriotische Kunst

hinweisen«. Ja, Goethe erklärte am Schluß ­dieses Essays sogar noch apodiktischer unter Bezugnahme auf derartige Bemühungen: »Jeder sei auf seine Art ein Grieche.«20 Doch auch in sonstigen Aufzeichnungen stellte Goethe während ­dieses Zeitraums immer wieder das Schöne, Tüchtige, Behag­lich-­Ansprechende, Zeitlose und damit alle Epochen Überdauernde heraus, das sich nur durch eine konsequente Befolgung einer durch nichts getrübten Naturnachahmung im Sinne der »alten Griechen« erreichen lasse, das heißt auf jede Überhöhung ins Allegorische oder gar Vermischung mit politischen beziehungsweise religiösen Motiven verzichte. Nur eine s­ olche Malerei empfand er nach wie vor als »klas­sisch«, während er alles andere als na­tionalistische Verbohrtheit, falsche Romantisierung oder gar krankhafte Mystik ablehnte. Und zwar legte Goethe dabei den Hauptnachdruck nach wie vor auf jene Landschaftsmalerei, die sich weniger um eine Forcierung des in der Natur Wahrgenommenen ins Heroische oder Monumentalisierende als um einen mög­lichst harmonischen, wohlgefälligen Eindruck bemühe, wie sie sich bei den klassizistisch eingestellten Franzosen in der Ära Ludwigs XIV ., aber auch bei einigen Niederländern wie Jakob van Ruysdael entwickelt habe. Am liebsten waren ihm in dieser Hinsicht die antikisierenden Landschaften Claude Lorrains. Aber auch Ruysdael nannte er bereits 1816 in einem ihm gewidmeten Aufsatz einen der »vortreff­lichsten Landschaftsmaler«, der sich nie zu einer falschen, das heißt religiös-­mystifizierenden Motivwahl verführen ließ, sondern stets Bilder geschaffen habe, auf w ­ elchen jene »Gesundheit eines äußeren und inneren Sinnes« zum Ausdruck komme, die alle Augenmenschen »zugleich ergötzt, belehrt, erquicket und belebt.«21 Mit solchen Äußerungen wandte sich Goethe direkt oder indirekt gegen den von ihm am schärfsten abgelehnten Maler unter seinen Zeitgenossen, näm­lich Caspar David Friedrich, der für kurze Zeit nicht nur als als patriotisch gesinnter Künstler, sondern auch und vor allem als Landschaftsmaler bekannt geworden war. Was Goethe an dessen Bildern ablehnte, waren zwar auch die christgermanischen Motive, mit denen sich Friedrich zum na­tional­demokratischen Geist der Befreiungskriege bekannt hatte, aber 104

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Abb. 30  Claude Lorrain: Campo Vaccino in Rom (1636)

auch dessen sogenannte reine Landschaften, bei denen Friedrich auf irgendwelche allegorischen Überhöhungen oder fromme »Ahndungen«, wie man damals sagte, verzichtet hatte. Allerdings handelte es sich bei diesen Gemälden stets um »deutsche« Landschaften, ob nun das Riesengebirge, die Harzgegend, die Ostseeküste, das Elbsandsteingebirge oder den Watzmann, und nicht um die von Goethe erwünschten, wenn nicht gar geforderten italienischen Campagnalandschaften. Schon darin sah Goethe eine ihn verstörende na­tio­nal­istische Gesinnung, die keineswegs »aufkommen dürfe«, wie er sich mehr­fach ausdrückte. Ja, was ihm an diesen Bildern obendrein nicht zusagte, war entweder ihre ins Melancho­lische übergehende Dunkelheit oder ihre Neigung zu einer 105

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Abb. 31  Caspar David Friedrich: Mönch am Meer (1810)

großflächigen Monumentalisierung der Natur, die jede Behag­lichkeit oder erquickende Erfreu­lichkeit vermissen ließen. All das erschien ihm zu ungeformt, zu inhaltslos, sich in unend­liche Weiten verlierend. Solche Gemälde ­seien so leer, daß »sie ebenso gut auf dem Kopf gesehen werden könnten«, behauptete er deshalb schon am 11. September 1815 in einem Gespräch mit Sulpiz Boisserée, wie wir dessen Tagebuch entnehmen können. Was Goethe an Friedrichs Landschaftsbildern ebenfalls mißfiel, war – wenn man an das damals aufsehenerregende Gemälde Mönch am Meer von 1810 denkt – das Verschwommene und damit Ungeformte ihrer Wolkendarstellungen. Auch Wolken sollten seiner Meinung nach stets wohlgeformt sein und somit »erheiternd« wirken. Goethe bezog sich dabei in ­diesem Zeitraum gern auf Luke Howards Essay on the Modifica­tion of Clouds (1803), in dem dieser die verschiedenen Wolkenforma­tionen erstmals mit Begriffen wie Cirrus, Cumulus, Stratus und Nimbus umschrieben hatte. Ja, 106

Gegen die neu-­deutsche religiös-­patriotische Kunst

Goethe verfaßte 1820 sogar einen Essay unter dem Titel Wolkengestalt nach Howard, in dem er zustimmend erklärte, daß Howard das »Unbestimmte« dieser luftigen Gebilde end­lich »treffend« benannt habe, wodurch auch in dieser Hinsicht der »Sinn für das den Augen Erfaß­liche« beträcht­lich verschärft worden sei.22 Worum es also dem allmäh­lich älter werdenden Goethe bei allen malerischen Naturdarstellungen weiterhin ging, war nicht nur das Schöne, Geschmackvolle, das Erheiternde, das in gefälliger Beleuchtung Wiedergegebene, das im Sinne einer Imitatio auctorum nach antiken oder renaissancehaften Mustern Dargestellte, kurzum: das Regelhafte, Kanonische, »Klas­sische«, sondern auch – im Gefolge seiner voraufgegangenen vielfältigen naturwissenschaft­lichen Studien – um eine die inneren Gesetzmäßigkeiten der Natur berücksichtigende, gleichsam morpholo­gische Erkundung des mit sehendem Auge Erforschten. Und an beiden dieser ­Sehweisen versuchte er bis zum Ende seines Lebens beharr­lich festzuhalten.

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Die Spätzeit »Ob   sich an der Verfassung der Gesellschaft einmal etwas ändern wird, bekümmert mich wenig, ich habe wie die Sachen jetzt stehen, an mich selbst zu denken, und wie ich mich selbst und was mir ein unerläß­liches Bedürfnis ist, rette und erreiche. Ich habe nun einmal gerade zu jener harmonischen Ausbildung meiner Natur eine unwidersteh­liche Neigung.« (Goethe in Wilhelm Meisters Wanderjahre, 1821) »Wenn   wir uns dem Altertum gegenüberstellen und es ernst­lich in der Absicht anschauen, uns daran zu bilden, so gewinnen wir die Empfindung, als ob wir erst eigent­lich zu Menschen würden.« (Goethe: Aus Makariens Archiv, um 1820)

Über Goethes ständige Rückbezüge auf die Vorbild­lichkeit der Antike und ihre Wiedererweckung in der Zeit der Renaissance, die selbst in der Zeit ­zwischen 1815 und 1832, seinem Todesjahr, nicht nachließen, brauchen nicht viele Worte verloren zu werden. Sie sind hinreichend erforscht worden und mußten lange Zeit dazu herhalten, dem Bild des »Klassikers« Goethe einen gleichsam unvergäng­lichen Glanz zu verleihen. Dafür wenigstens einige Beispiele. So schrieb er etwa, wie bereits erwähnt, 1815 in seinem Aufsatz Antik und modern, daß sich Raffael – im Rahmen der Kunstbestrebungen des frühen 16. Jahrhunderts – nicht nur »wie ein Grieche« gefühlt, sondern auch in ihrem Sinne »gedacht und gehandelt« habe.1 Um 1822 heißt es in einem seiner Gedichte unter dem Titel Antike: »Homer ist lange mit Ehren genannt, / Jetzt ward auch Phidias bekannt; / Nun hält nichts mehr gegen beide Stich, / Darob ereifre niemand sich.«2 Am 24. November 1824 erklärte er seinem ihm begierig zuhörenden A ­ dlatus Johann Peter Eckermann gegenüber: »Unter allen Völkerschaften haben 109

Die Spätzeit

die Griechen den Traum des Lebens am schönsten geträumt.« Zwei Jahre s­päter notierte sich der g­ leiche Eckermann am 29. Januar als Ausspruch Goethes, daß ihn erst das »Studium der Alten« zu einer Erkenntnis der »wirk­lichen Welt« verholfen habe. Am 31. Januar und am 1. April 1827 sei Goethe wiederum auf das Leben und die Werke der »Alten« zurückgekommen und habe erklärt: »Im Bedürfnis nach etwas Musterhaften müssen wir uns immer zu den alten Griechen zurückgehen«, während »wir alles Übrige nur historisch betrachten« sollten. »Man studiere daher nicht die Mitgeborenen oder Mitstrebenden«, habe er bei dieser Gelegenheit behauptet, »sondern vor allen Dingen die alten Griechen und immer wieder die Griechen!«, da auf »dem Gebiet der heiligen Kunst« die »Alten« der einzige Maßstab ­seien, etwas Bedeutendes hervorzubringen. Im Hinblick auf das »Antike« und »Klas­sische«, mit denen sich nichts anderes vergleichen lasse, wie sich Eckermann noch am 2. April 1829 notierte, habe er daher alles »Romantische« entschieden abgelehnt, ja nach wie vor als geradezu krankhaft, wenn nicht gar irrsinnig bezeichnet. In d ­ iesem Punkte blieb Goethe also bis zu seinem Tode einer der hartnäckigsten Winckelmannianer, wenn ihm auch gegen Ende des Lebens, wie bei der um 1830 erfolgten Niederschrift der Helena-­Szenen seines Faust II , manchmal gelinde Zweifel an einer mög­lichen Wiedererweckung der antiken Kunstgesinnung wie überhaupt an einer auf griechischen Anschauungen beruhenden Lebenseinstellung kamen, die ihm plötz­lich zwar als erwünschte, aber vielleicht doch nie zu verwirk­lichende Phantasmagorien erschienen. Schließ­lich bleiben Faust gegen Ende des dritten Akts d ­ ieses Dramas nach der letzten Umarmung der von ihm über alles geliebten Helena nur »Kleid und Schleier« übrig, während ihr »Körper­liches verschwindet«, wie es ausdrück­lich heißt. Ja, selbst Helenas »Gewande lösen sich zu Wolken auf«.3 Und all das, nachdem sogar ihr Sohn, der kurze Zeit alles überstrahlende Euphorion, tot zu Boden gestürzt ist. Eine derart einseitige, an den Griechen orientierte Kunst- und Lebensgesinnung, die selbst Goethe kurz vor seinem Tod als problematisch, wenn nicht gar unrealistisch erschien, weiterhin als »klas­sisch« zu bezeichnen, 110

Die Spätzeit

wirkt daher bei näherem Zusehen reich­lich problematisch. Damit würde man ledig­lich jene bewußt enthistorisierende Sehweise innerhalb der bisherigen Goethe-­Forschung unterstützen, die sich – im Sinne einer betont unpolitischen Haltung – nicht nur gegen reak­tionäre, sondern auch gegen progressive Tendenzen innerhalb der jeweiligen politischen und kulturellen Situa­tion abzuschotten versuchte. Solchen Anschauungen sollte man so entschieden wie mög­lich entgegenhalten, daß es nun einmal weder im Leben noch in der Kunst irgendetwas gibt, was sich für ewige Zeiten als mustergültig, normativ, kanonisch, das heißt »klas­sisch« bezeichnen läßt, wie bereits unzählige historisch eingestellte Literatur- und Kunstwissenschaftler seit Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Karl Marx zur Genüge nachgewiesen haben.4 Alles, selbst die jeweiligen Kunstanschauungen, erklärten sie zu Recht, ­seien letzt­lich sich ständig wandelnde Überbauphänomene innerhalb der verschiedenen Phasen der geschicht­lichen Entwicklung und der ihnen zugrunde liegenden politischen und sozioökonomischen Voraussetzungen. Und das beweist auch Goethes ideolo­gischer Werdegang mit aller nur wünschenswerten Genauigkeit. Während viele seiner Frühwerke noch Ausdruck jenes sich allmäh­lich bereichernden und daher auf einen verstärkten Emanzipa­tionswillen drängenden Bürgertums sind, nehmen schon seine Werke im höfischen Milieu der frühen achtziger Jahre und dann verstärkt seine als klassizistisch drapierten Reak­tionen auf die Freiheits- und Gleichheitsparolen der Franzö­sischen Revolu­tion eine den Machtbefugnissen des fürst­lichen Absolutismus dien­liche Haltung an. Aus dem gleichen Grund mißfielen ihm die darauffolgenden na­tionaldemokratischen Bestrebungen während der Befreiungskriege von 1812 bis 1815. Und auch in der nach dem Wiener Kongreß einsetzenden Metternichschen Restaura­tionsperiode bezog er – trotz gewisser »humanistischer« Bildungskonzepte – eine betont konservative Haltung allen ins Fortschritt­lich-­Demokratische tendierenden Anschauungen gegenüber. Unter ideologiekritischer Perspektive betrachtet, läßt sich daher dieser Wandlungsprozeß keineswegs als »klas­sisch«, das heißt als vorbild­lich, wenn nicht gar nachahmenswert, sondern bestenfalls 111

Die Spätzeit

als taktisch kalkulierter »Klassenkompromiß« eines in den Adelsstand aufgestiegenen Bürgers charakterisieren.5 Kein Zweifel, viele seiner Dichtungen, vor allem die aus der ersten Hälfte seines Lebens, sind als innovative und zugleich formvollendete Leistungen durchaus bewundernswert. Aber selbst sie sind keineswegs normativ oder nachahmenswert im Sinne des von Goethe ­später verfochtenen Konzept des »Klas­sischen«, sondern ledig­lich beacht­liche historische Dokumente eines bürger­lichen Emanzipa­tionswillens der auch in manchen deutschen Teilstaaten in Gang gekommenen westeuro­päischen Aufklärung. Noch weniger »klas­sisch«, das heißt kanonisch und damit vorbild­lich sind, wie gesagt, seine antirevolu­tionär eingestellten Werke der neunziger Jahre sowie der darauffolgenden napoleonischen und Metternichschen Ära, denen er häufig eine aus dem Bürger­lichen immer stärker ins Höfische übergehende klassizistische Einkleidung gab. Auch unter ihnen findet sich zwar immer noch manches literarisch durchaus Bewundernswerte, aber nichts, was sich als überzeit­lich oder maßstabsetzend bezeichnen ließe. Man wäre daher wohlberaten, auf ­solche Begriffe ein für alle Mal zu verzichten. Sie sind letzt­lich – historisch gesehen – ebenso bedeutungslos wie der unkonkrete Begriff »Moderne«, mit dem viele Geisteswissenschaftler einer politischen und zugleich sozioökonomischen, kurzum: materialistisch konkreten Geschichtssicht sowie einer in die jeweils anstehenden Konflikte »eingreifenden« Haltung aus dem Wege zu gehen versuchen.6 Hören wir deshalb endgültig auf, den mittleren und alten Goethe vor­ nehm­lich als einen »Klassiker« zu betrachten. Daß er geradezu überlebensgroß aus der Menge seiner Zeitgenossen herauszuragen scheint, ist nicht allein sein Verdienst als Dichter. Zugegeben, er war vielseitig begabt und in mancher Hinsicht sogar genial, aber vergessen wir auch nicht, unter welchem günstigen Stern sich sein Leben von Anfang an abgespielt hat. Aus einem vermögenden Hause stammend, sich jahrelang ohne finanzielle Sorgen seinen verschiedenen Bildungsinteressen widmend, überall auf seinen vielfältigen Reisen neue Anregungen empfangend und schließ­lich den Rest seines Lebens als Geheimrat oder gar Staatsminister die volle Unterstützung, 112

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ja Freundschaft eines Herzogs genießend, der ihn in den Adelsstand erhob und ihm auch sonst wenig oder nichts versagte. Wer unter den damaligen Schriftstellern, die sich ihren Lebensunterhalt meist als kümmer­lich bezahlte Hofmeister, Sekretäre oder Lehrer verdienen mußten, hat in so wohlhabenden Verhältnissen wie Goethe gelebt, der es sich leisten konnte, in einem palaisähn­lichen Haus zu wohnen, sich mit kostbaren Kunstwerken zu umgeben, aller materiellen Sorgen enthoben zu sein und gegen Ende seines Lebens ein Millionenvermögen zu besitzen?7 Zudem sollte man nicht vergessen, w ­ elche Hochachtung, wenn nicht rückhaltlose Bewunderung ihm gerade in den letzten zwei Jahrzehnten seines Lebens von seiten vieler Literaten und Professoren, aber auch vieler Vertreter und Vertreterinnen des Adels und der höchsten Fürstenhäuser entgegengebracht wurde. Nicht nur Graf August von Beust, Graf Carl F ­ riedrich von Brühl, Gräfin Julie von Egloffstein, Gräfin Josephine O’Donell von ­Tyrconnel und Freiherr Otto Magnus von Stackelberg, sondern sogar Fürst Emil Friedrich Karl von Bentheim-­Tecklenburg, Fürst Hermann ­Ludwig von Pückler­-Muskau, Fürst Heinrich von Reuß-­Lobenstein und Prinz ­Wilhelm von Preußen, ja selbst König Maximilian von Bayern, Herzog Ernst August von Hannover, Fürstin Isabella Lubomirska sowie Zar A ­ lexander und Zarin Maria Feodorowna von Rußland besuchten ihn in Weimar. Außerdem traf er in Karlsbad und Marienbad mit Fürst Karl Maria Franz Joseph von Khevenhüller, Herzog Eugen Beauharnais von ­Leuchtenberg, Graf F ­ riedrich Christian Ludwig von Luxburg, Fürst Clemens Lothar von Metternich, Kaiserin Maria Ludovica von Österreich, Graf Caspar Maria von Sternburg und Fürst Karl Alexander von Thurn und Taxis zusammen, für die er zum Teil Widmungsgedichte schrieb oder Maskenzüge veranstaltete. Daß ihn all das zeitweilig verführte, in sich selbst eine hochbedeutsame Person zu sehen, ist verständ­lich. Goethe zögerte daher nicht, sich im Laufe seines Lebens immer wichtiger zu nehmen. Und er dokumentierte das zugleich in vielen autobiographischen Schriften wie der Kampagne in Frankreich, in Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, der Italienischen Reise, der Reise in die Schweiz im Jahr 1797, der Reise am Rhein, Main und Neckar 113

Die Spätzeit

Abb.  32  Abgruß der »Medusa Rondanini«. Geschenk König Ludwig I. von Bayern an Goethe (1825)

in den Jahren 1814 und 1815 sowie den Annalen oder Tag- und Jahresheften als Ergänzung meiner sonstigen Bekenntnisse von 1749 bis 1822, während er über viele seiner nicht minder achtenswerten Zeitgenossen unter den damaligen Dichtern, Komponisten und Malern zum Teil in maßloser Überheb­ lichkeit herabwürdigende Urteile fällte. Wie herablassend, wenn nicht gar gehässig hat er sich über die Werke von Friedrich Hölderlin, Heinrich von Kleist, Jean Paul, Ernst Theodor Amadeus Hoffmann und Heinrich Heine geäußert, wie unbedeutend erschienen ihm manche Komposi­tionen von Ludwig van Beethoven und Franz Schubert, wie scharf ist er selbst mit manchen der »besseren« Romantiker umgesprungen, wie sehr haben ihn die Bilder von Caspar David Friedrich empört, die nicht so »höfisch« eingestellt waren, wie er sich das wünschte? Ja, manchmal ist er dabei selbst vor Urteilen wie »zerschießen« oder »zerschlagen« nicht zurückgeschreckt, wie wir aus den Berichten anderer wissen. Dagegen hat er seine eigene 114

Die Spätzeit

»Größe« selten oder nie in Frage gestellt. Und es gab auch einige Kleingeis­ ter wie Johann Peter Eckermann, die ihn in dieser Haltung geflissent­lich unterstützt haben. Ja, ­dieses selbstgefällige Behagen, in die oberen Ränge der Gesellschaft aufgestiegen zu sein, nahm in den letzten zwei Jahrzehnten seines Lebens eher zu als ab. Sogar die hin und wieder aufflackernde Kritik an seiner aristo­ kratischen Haltung, ob nun von na­tionaldemokratischer oder bürger­lich-­ liberaler Posi­tion aus, störte ihn wenig. Er blieb, was er seit den neunziger Jahren war: ein bildungsbetonter Höfling. Statt sich, wie in seiner Frühzeit, als reformwilliger Bürger zu fühlen, empfand er sich jetzt zusehends als Teil der adligen Elite. Die obere Gesellschaftsschicht solle anführen, wie er immer wieder schrieb, die untere »dienen«.8 Was er daher politisch und sozioökonomisch befürwortete, war letzt­lich ein patriarcha­lisch eingerichtetes Herrschaftssystem und nicht irgendwelche konstitu­tionell verankerten Landtags- oder Parlamentseinrichtungen. Selbst von der vielfach geforderten Pressefreiheit hielt er wenig, in der er ledig­lich einen »Freibrief für Demagogen und Ahnungslose« sah, der auch die Bürger ermuntern würde, ebenfalls zu »politisieren«.9 In seinen Zahmen Xenien kleidete er diese Einstellung um 1825 in den Vierzeiler ein: »Mir ist das Volk zur Last, / Meint es doch dies und das! / Weil es die Fürsten haßt, / Denkt es, es wäre was.«10 Die gleiche Gesinnung liegt folgendem Zweizeiler aus denselben Jahren zugrunde: »Sie gönnten Cäsarn das Reich nicht / Und wußtens nicht zu regieren.«11 Nicht minder konservativ wirkt fast alles, was Goethes bildkünstlerischen und naturwissenschaft­lichen Anschauungen seines letzten Lebensjahrzehnts zugrunde liegt. So lobte er, um mit den visuellen Aspekten zu beginnen, 1821 Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins Idyllen vor allem deshalb, weil er sich in ihnen im »Sinne der antiken Maler« à la Theokrit fast durchweg auf Darstellungen des »länd­lichen Wesens und Treibens« während des »golden-­silbernen« Zeitalters beschränkt habe.12 Als ihm Anfang September 1827 Wilhelm Johann Karl Zahn in Weimar sein Tafelwerk Die schöns­ ten Ornamente und merkwürdigsten Gemälde aus Pompeji, Herculanum und Stabiae, nach einigen Grundrissen und Ansichten nach den an Ort und Stelle 115

Die Spätzeit

Abb. 33  Wilhelm Johann Karl Zahn: Die schönsten Ornamente und merkwürdigsten Gemälde aus Pompeji, Herculanum und Stabiae (1827)

gemachten Originalzeichnungen zeigte, erklärte er, daß sich aus der Nachahmung derartiger Werke vielleicht eine »Reform der seit dreißig Jahren törig retrograden deutschen Kunst« ergeben könne.13 Die g­ leiche Hochschätzung 116

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brachte er in seinem 1831 geschriebenen Essay Künstlerische Behandlung landschaft­licher Gegenstände weiterhin dem klassizistischen Maler Claude Lorrain entgegen, der im Sinne der Antike die Natur für »ewig« erklärt habe und dem dadurch eine »erheiternde« Wirkung auf das menschliche Gemüt gelungen sei.14 Ebenso lobend äußerte er sich am 22. März des gleichen Jahres in einem Brief an Johann Gottlob Quandt wie schon oft zuvor über die Landschaftsdarstellungen Jakob Philipp Hackerts, auf denen das Natür­liche stets künstlerisch und das Künstlerische stets natür­lich wirke. Doch wer unter den damaligen Kunsttheoretikern hielt sich noch an derartige Maximen? Der Winckelmannianer Karl Ludwig Fernow, der in seinem Buch Leben und Werke des Malers Asmus Jakob Carstens (1806) die gleichen klassizistischen Anschauungen vertreten hatte, war bereits 1808 gestorben. Und auch der Antikenschwärmer Carl Friedrich von Rumohr, der ebenfalls unter Berufung auf Winckelmann als das Ziel aller bildkünstlerischen Bemühungen das »Kunstschöne« hingestellt hatte15 und daher wie Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr als ein scharfer Gegner der gotisierenden Tendenzen auf den Bildern von Caspar David Friedrich aufgetreten war,16 hatte schon 1822 das Zeit­liche gesegnet. Dieselbe ideologiegefärbte Hartnäckigkeit äußert sich auch in vielen seiner naturwissenschaft­lichen Studien, ob nun auf mineralo­gischem, mete­ orolo­gischem, botanischem, zoolo­gischem, anatomischem oder geolo­gi­ schem Gebiet, die Goethe während ­dieses Zeitraums trieb, obwohl auch sie von vielen seiner Zeitgenossen kaum wahrgenommen wurden. So führte er 1820 in Eger ausführ­liche Gespräche mit dem Mineralogen Joseph ­Sebastian Grüner, begann 1822 einen Briefwechsel mit dem Genfer Naturwissenschaftler Frédéric-­Jean Soret, arbeitete 1823 an seinen Morpholo­gischen ­Heften, nahm 1824 Kontakte zu dem Botaniker Karl Friedrich Philipp von Martius auf, schrieb 1826 den Versuch einer Witterungslehre, plante 1828 eine Neubearbeitung seiner Metamorphose der Pflanzen, nahm 1831 an dem Pariser Akademiestreit ­zwischen den Zoologen Etienne Geoffroy de Saint-­ Hilaire und Georges de Cuvier teil,17 äußerte sich über die Spiraltendenz der Pflanzen und überarbeitete den literarischen Teil seiner Farbenlehre sowie 117

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verfaßte 1832, in seinem Todesjahr, sowohl Briefe über die Probleme der Pflanzenchemie und das Phänomen des Regenbogens als auch einen Aufsatz über Plastische Anatomie. Gleichzeitig vervollständigte er in all diesen Jahren seine Mineraliensammlung, die schließ­lich 17 800 Steine umfaßte, und berichtete noch am 11. März 1832 seinem Freund Carl Zelter voller Stolz von neuen »fossilen Tier- und Pflanzenresten«, ­welche er entdeckt habe. Mit all diesen zwar konservativ gemeinten, aber im Hinblick auf eine Erhaltung der natür­lichen Grundlagen der menschlichen Existenz durchaus positiven Bemühungen wandte sich Goethe in erster Linie gegen ein rein pragmatisches Verhältnis zur Natur, das heißt gegen mechanisch durchgeführte Experimente, die im Sinne eines bloßen Nütz­lichkeitsdenkens ledig­lich der Ausbeutung der Natur dienen sollten. Statt dessen behielt er stets die in der Natur begründete Einheit von Kunst und Wissenschaft im Auge, womit er letzt­lich die Untrennbarkeit von Materie und Geist beweisen wollte. Was Goethe daher weiterhin ablehnte, war im Hinblick auf die Natur sowohl jede Tendenz ins Mathematisierende als auch ins Romantisch-­ Mystische, um auf jene Einheit alles Natür­lichen hinzuweisen, von der auch der Mensch nur ein Teil sei. Wie wichtig ihm derartige Anschauungen waren, beweist eine seiner späteren Äußerungen aus dem Jahr 1831, in der er sich darüber beklagte, daß man ihn »im Vaterlande und wohl auch auswärts« zwar als Dichter gelten ließe, jedoch nicht bedacht werde, daß er sich »um die Natur in ihren allgemeinen phy­sischen und ihren organischen Phänomenen emsig bemüht und ernst­lich angestellte Betrachtungen stetig und leidenschaft­lich im Stillen verfolgt« habe, obwohl er von den meisten seiner Zeitgenossen in dieser Hinsicht kaum beachtet worden sei.18 Um so beglückter war Goethe, dennoch von Zeit zu Zeit auf Wissenschaftler zu stoßen, die wenigstens Teilen seiner naturwissenschaft­lichen Bemühungen zustimmten. Zu ihnen gehörte unter anderem der Arzt und Maler Carl Gustav Carus, der ihn bereits im Juli 1821 in Weimar besuchte und ihm ein Jahr s­ päter seinen organolo­gisch orientierten Essay Briefe über Landschaftsmalerei zuschickte, ja dessen Organographie Goethe noch 1830 mit innerer Zustimmung las. Ebenso geehrt fühlte er sich, als der Botaniker 118

Die Spätzeit

Christian Gottfried Nees von Esenbeck zwei im brasilianischen Urwald neuentdeckte Malvenarten Goethea cauliflora und Goethea strictiflora nannte. Doch am meisten erfreute ihn, als ihm der Leipziger Medizinprofessor Johann ­Christian August Heinroth 1822 sein Lehrbuch der Anthropologie zuschickte, in dem er Goethes naturwissenschaft­licher Sehweise ein »gegenständ­liches Denkvermögen« bescheinigte, das stets von der eigenen Anschauung ausgehe, statt auf irgendwelche vorgefaßten Theorien zu vertrauen. Goethe antwortete darauf ein Jahr s­ päter in einer zustimmenden Erklärung unter dem Titel Bedeutende Förderung durch ein einziges geistreiches Wort: »Nun aber durch das Wort ›gegenständ­lich‹ ward ich auf einmal aufgeklärt, indem ich deut­lich vor Augen sah, daß alle Gegenstände, die ich seit fünfzig Jahren betrachtet und untersucht hatte, gerade die Vorstellung und Überzeugung in mir erregen mußten, von denen ich jetzt nicht ablassen kann.«19 Nicht minder wohltuend empfand er, wenn ihn andere wie der Jenaer Mineralogieprofessor Johann Georg Lenz, den er einen »erlauchten Gegner aller Vulkanität« nannte, in seinen neptunistischen Anschauungen unterstützten, das heißt seine Anschauungen einer langsamen, durch keinerlei vulkanistische Erup­tionen beeinträchtigten Entstehung der Erdkruste teilten. Überhaupt ging es Goethe in seinen letzten Jahren immer stärker darum, auf die Dauerhaftigkeit alles natür­lich Gewachsenen, also das, »was die Welt im Innersten zusammenhält«, hinzuweisen. Er betonte daher bei all seinen Naturstudien eher das Morpholo­gische als das Analytische, um so im Gegensatz zur mechanisch verfahrenden Physik und Chemie nicht das Trennende, sondern die innere Verbundenheit der verschiedenen Naturphänomene herauszustellen, die auf jenem organischen Ganzen beruhe, welches die Griechen einmal das »Hen kei pan« genannt hätten. Aus ­diesem Grunde lehnte Goethe weiterhin jedes abstrahierende, sich von der Welt der Gegenständ­lichkeit absondernde Denken von vornherein entschieden ab. So erklärte er bereits 1817 in seinem Essay Einwirkung der neueren Philosophie, daß Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft »völlig außerhalb seines Kreises« gelegen habe. »Wenn ich auf meine Weise über Gegenstände philosophiere«, lesen wir dort, »so tat ich es in unbewußter 119

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Naivität und glaubte wirk­lich, ich sähe meine Meinungen vor Augen.« Überhaupt »habe ich Selbst und Außenwelt niemals gesondert«, wie er anschließend erklärte, um sich damit als konsequenter »Realist« zu qualifizieren.20 Als gleichermaßen fremd, wenn nicht gar unsinnig empfand Goethe das von Georg Wilhelm Friedrich Hegel vertretene Prinzip der philosophischen Dialektik, nachdem das Falsche zugleich das Wahre und das Wahre zugleich das Falsche sein könne. »Da lobe ich mir lieber das Studium der Natur«, erklärte er Hegel gegenüber, als ihn dieser am 18. Oktober 1827 in Weimar besuchte. Ja, er fügte ­diesem selbstbewußten Statement sogar noch den Satz hinzu: »Ich bin mir gewiß, daß mancher dialektisch Kranke im Studium der Natur eine wohltätige Heilung finden könnte.« Ebenso kritisch beurteilte der alte Goethe – im Rahmen seiner teils orga­ nolo­gischen, teils morpholo­gischen Sehweise, die ihm als die einzig gemäße erschien – all jene technischen Neuerungen, w ­ elche im Zuge der allmäh­ lichen Industrialisierung damals auch in Deutschland erstmals von sich reden machten. Dafür spricht bereits sein Roman Wilhelm Meisters Wander­ jahre (1821), in dessen Zentrum jene auf dem Lande angesiedelte Pädago­ gische Provinz steht, die sich wie jede echte Utopie streng von der Außenwelt abschließt. Neben bürger­lichen Berufen gibt es hier ledig­lich Handwerkerinnungen, während alles Technolo­gische, das die Naturkräfte quält und ausbeutet, als teuf­lisch abgelehnt wird. Voller Sorge um die Zukunft heißt es darum gegen Ende: »Das überhandnehmende Maschinenwesen ängstigt mich, es wälzt sich heran wie ein Gewitter, langsam, langsam, aber es hat seine Richtung genommen, es wird kommen und treffen.«21 Als höchs­ter Wert gilt deshalb in dieser Provinz ein ehrfürchtiger Respekt vor der Natur, wie er sich bereits in Albrecht von Hallers Die Alpen (1732), Ewald von Kleists Der Frühling (1749) und Salomon Geßners Idyllen (1756) finde.22 Nicht die rücksichtslose Selbstverwirk­lichung, sondern die natur­ erhaltende Verantwort­lichkeit allem Lebenden gegenüber wird in ­diesem Bereich als höchster Wert geschätzt. Als die umweltbedrohenden Zustände durch bedrückende Einflüsse von außen allmäh­lich unerträg­lich werden, wandern schließ­lich die dortigen Siedler nach Nordamerika aus, um dort 120

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Abb.  34  Johann Joseph Schmeller: Johann Wolfgang Goethe (1826/27)

eine neue Kolonie zu gründen, in der sie hoffen, sich aufgrund der Weite und dünnen Besiedlung ­dieses Kontinents gegen die korrumpierenden Einflüsse der Industrialisierung leichter zur Wehr setzen zu können. Noch deut­licher drückte Goethe seinen Widerwillen gegen das von ihm als verhängnisvoll empfundene »Maschinenwesen« und die damit verbundene Beschleunigung und zugleich Verflachung aller menschlichen 121

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Tätigkeiten in einem Brief vom 6. Juni 1825 an Carl Zelter aus, wo es unter anderem heißt: »Reichtum und Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert und wonach jeder strebt. Eisenbahn, Schnellpost, Dampfschiffe und alle mög­lichen Fazilitäten der Kommunika­tion sind es, worauf die gebildete Welt ausgeht, sich zu überbieten, zu überbilden und dadurch in der Mittelmäßigkeit zu verharren. Eigent­lich ist es ein Jahrhundert für die fähigen Köpfe, für leicht fassende Menschen, die mit einer gewissen Gewandtheit ausgestattet ihre Superiorität über die Menge fühlen, wenn sie gleich selbst nicht zum höchsten begabt sind.« Ja, Goethe schrieb im Folgenden sogar noch: »Laß uns soviel wie mög­lich an der Gesinnung halten, in der wir herkamen, wir werden, mit vielleicht noch Wenigen, die Letzten sein einer Epoche, die so leicht nicht wiederkehrt.« Unter ähn­lichen Gesichtspunkten muß auch Goethes Faust II betrachtet werden, an dem er in ­diesem Zeitraum arbeitete. Auch der Protagonist ­dieses Werks hat teils utopische, teils dystopische Züge, in denen sich sowohl Goethes historische Weitsicht als auch seine Furcht vor einer immer intensiveren Bedrohung der Natur manifestieren. Es ist heute kaum noch vorstellbar, wie lange ­dieses Werk vom liberal-­geschäftigen Bürgertum als ein Leitbild der positiven Selbstentfaltung des Einzelnen mißverstanden werden konnte.23 Schließ­lich tritt Faust schon im ersten, aber noch verstärkt im zweiten Teil ­dieses Dramas als ein starrer, skrupelloser, sich zwanghaft wiederholender Egomane auf, der sich weder mit den Menschen noch mit der Natur solidarisch fühlt. Genau besehen, ähnelt er jenen Großunternehmern, die im Zustand der Entfremdung von der Natur nur noch am Produk­tionsprozeß als solchem ein vorübergehendes Vergnügen finden. Da jedoch d ­ ieses Streben immer neuer Surrogate bedarf, wird Fausts Existenz zwangsläufig zum Exemplum terribilis einer die gesamte Natur bedrohenden Produk­tions- und Lebensweise. Um das Widersinnige eines solchen alle »natür­lichen« Bedingtheiten mißachtenden Strebens so kraß wie mög­lich herauszustellen, läßt Goethe im zweiten Akt d ­ ieses Dramas noch einmal Fausts früheren Famulus Wagner auftreten, der sich inzwischen zu einem experimentierfreudigen Physiker 122

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entwickelt hat und dem es unter Nichtachtung aller »organischen« Gesetzmäßigkeiten mit seinen technolo­gisch verfeinerten »Apparaturen« gelungen ist, in einer Glaskugel einen künst­lichen Menschen, genannt ­Homunculus, herzustellen. »Was man an der Natur Geheimnisvolles pries«, erklärt dieser ausschließ­lich neuerungssüchtige Laborakademiker, »Das wagen wir verständig zu probieren, / Und was sie sonst organisieren ließ, / Das lassen wir kristallisieren.«24 Kein Wunder daher, daß dieser Zombie, sobald er zu funk­tionieren beginnt, als erstes die seiner »Modernität« entsprechende vorwärtsdrängende Frage stellt: »Was gibt’s zu tun?«25 Wie lebensbedroh­lich eine s­ olche Haltung ist, macht Goethe vor allem in der darauffolgenden Klas­sischen Walpurgisnacht deut­lich, die fast den Charakter einer grünen Gegenutopie hat. Hier ist alles noch heil, hier herrschen noch Teilnahme, Einordnung und Bindung, hier glaubt man noch an die vorsokratischen Naturphilosophen Thales und Anaxagoras. Statt sich sinnlos zu erschöpfen, drängt sich in dieser Welt alles in kreisenden Bewegungen nach wohltätiger Berührung und ordnet sich zugleich in den Rhythmus des Ganzen ein. Kurzum: Hier sind Mensch und Natur noch homöostatisch miteinander vernetzt, wobei dem Ganzen als Grundprinzip der ewigen Anziehung und Sympathie jener »Eros« zugrunde liegt, »der alles begonnen«.26 Es wirkt daher geradezu naturgemäß, daß der künst­lich erzeugte Homunculus, als er plötz­lich in diesen Gefilden von Gefühlen einer besitzgierigen Liebe ergriffen wird, notwendig »zerschellt«.27 Vor ­diesem Hintergrund wirkt auch Faust in seinem ungezügelten Tatendrang immer stärker wie ein Vertreter der Unnatur des rücksichtslosen Habenwollens. Er verkörpert gegen Ende ­dieses Dramas den linear denkenden und handelnden Menschen schlechthin, der nur seine Bahn im Auge hat und dessen ständige Vorwärtsbewegung eine Gefahr für alle Lebewesen um ihn herum bedeutet. Im Gegensatz zur Natur, wo sich alles langsam entwickelt, ist er ein Mann der Ungeduld, der nicht warten kann, der stets nach neuen Projekten Ausschau hält, der sich alles erkämpfen muß. Faust ist daher der Inbegriff der Starrheit, der Sucht, der Hybris. Er braucht immer alles, und das so schnell wie mög­lich. Sein Dasein steht nicht im Zeichen ­­ 123

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des Eros, sondern des Thanatos. Demzufolge hinterläßt er auf der breiten Schleifspur seines Lebens fast nur gebrochene Herzen, fahrlässig umgebrachte Menschen und zerstörte Natur. Ihren Höhepunkt erleben diese gewaltsamen Konfronta­tionen ­zwischen Natur und menschlichem Egoismus im fünften Akt des zweiten Teils d ­ ieses Dramas. Aus Faust ist inzwischen ein imperialistischer Herrscher geworden, der in einem großen Palast wohnt, selbst vor Piraterei und Krieg nicht zurückschreckt und dessen Arm schließ­lich »die ganze Welt umfaßt«.28 Das einzige, was Faust in seiner näheren Umgebung noch stört, ist jene grüne Enklave, in der Philemon und Baucis wohnen und die dem Türmer L ­ ynkeus wie ein paradie­sisches Bild erscheint. Da diese beiden ihren Besitz nicht aufgeben wollen, läßt er ihr Hüttchen einfach in Brand stecken. Selbst die Figur der Sorge, die Faust mit Blindheit schlägt, kann ihn nicht von seinem zerstörerischen Teufelsweg abhalten. Unbefriedigt, wie er ist, will er die Natur weiterhin unterjochen und einen Deich anlegen, der große Teile des Meeres mit einem strengen Band umschließen soll.29 Erst jetzt – als ihm alle »frönen«, ihn das »Geklirr der Spaten ergötzt« und er sich im »Hochbesitz« seiner gewaltsam zusammengescharrten Reichtümer fühlt,30 ja sich sogar dazu versteigt, von einem »freien Volk auf freiem Grund« zu schwärmen, welches einst das dem Meer gewaltsam abgewonnene Land besiedeln wird – glaubt sich Faust end­lich jenem höchsten Augenblick nahe, nach dem er zeit seines Lebens gegiert hatte. Und er erlebt ihn sogar, aber erlebt ihn sterbend, da diese Form eines skrupellosen Tätigkeitsdranges nur zum Tode führen kann. Auch in den folgenden Szenen bleibt manches etwas widersprüch­lich, läßt aber dennoch erkennen, daß Goethe dem Prinzip des alles verzehrenden Tätigkeitsdranges noch eine kleine grüne Utopie entgegensetzen wollte. Schließ­lich treten in ihnen weitgehend Eremiten, Anachoreten, Büßerinnen und andere Entsagende auf, die in idyl­lisch wirkenden Bergschluchten wohnen und sich zum Ideal der Bescheidenheit oder des Verzichts bekennen. Nur wenn ­solche Kräfte der Selbstlosigkeit und Solidarität herrschen, wenn die Hast hinter der Geduld, der Egoismus hinter 124

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dem Gemeinschaftsbewußtsein zurücktritt, wollte Goethe damit andeuten, könnte die Welt heil und bewohnbar bleiben. Am Schluß steht daher wie in der Klas­sischen Walpurgisnacht abermals die Liebe, wenn auch aus dem Bereich des Eros in den Bereich der »ewig-­weib­lichen« Agape erhoben. Es ist unter Geisteswissenschaftlern allgemein bekannt, wie kontrovers – ob nun kritisch oder positiv, tätigkeitsbejahend oder inaktiv, sozia­listisch oder religiös – diese Schlußszenen oft interpretiert worden sind. Mir scheint eher, daß sie sich weder in der einen noch in der anderen Richtung deuten lassen. Schließ­lich läßt sich die Vision eines »freien Volks auf freiem Grund«, wie es gegen Ende heißt, nicht mit dem imperialistischen Tatendrang jenes Faust vereinbaren, der ledig­lich an seine Selbstverwirk­lichung denkt. Daher wirken die letzten Szenen ­dieses fast die gesamte Menschheitsgeschichte umfassenden Dramas streckenweise reich­lich »opernhaft«, das heißt unglaubwürdig, wie manche der späteren Faust-­Interpreten bemängelt haben. Einen nicht minder ratlosen Eindruck erwecken einige Äußerungen des alten Goethe über jene Gesellschaftstheorien, die sich um 1830 in Frankreich im Rahmen der saint-­simonistischen Bewegung entwickelten, die ihn einerseits wegen ihrer gegen das christ­liche Sündenbewußtsein opponierenden Tendenzen beeindruckten, aber andererseits in ihrer Neigung zur Durchsetzung industrieller Maßnahmen, w ­ elche der Natur gefähr­lich werden könnten, zwangsläufig verunsicherten.31 Auch in ihnen spiegelt sich letzt­lich die Hilflosigkeit eines bürger­lichen Aufsteigers wider, der trotz aller humanistischen Bestrebungen, denen er in den verschiedenen Phasen seines Lebens gehuldigt hatte, schließ­lich doch die Maßlosigkeit eines ins »Klas­ sische« übersteigerten Selbstbewußtseins erkannte, aber dieser Einstellung – aufgrund seiner Verankerung im höfischen Gesellschaftsleben – weder ein wohldurchdachtes Programm noch eine breitere Schichten der Bevölkerung ergreifende Parteigesinnung entgegenzusetzen vermochte. Dazu war er viel zu ichbezogen eingestellt, um sich – wie die auf ihn folgenden Jungdeutschen, Junghegelianer oder Vormärzler – irgendeiner progressiven Bewegung anzuschließen und wie diese gegen die reak­tionären Gesellschaftszustände 125

Die Spätzeit

in den verschiedenen deutschen Teilstaaten in die Schranken zu treten. In Goethes letztem Brief an Wilhelm von Humboldt vom 17. März 1832 heißt es daher angesichts der von ihm zwar wohlerkannten, aber im Sinne seiner aristokratischen Außenseiterrolle nicht aufzulösenden ideolo­gischen Widersprüche, die ihn zwangsläufig resignativ stimmten: »Verwirrende Lehre zu verwirrtem Handeln waltet über der Welt.«

126

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen »Die   Menschheit ist heute in Gefahr, durch ihre Wissenschaft von der Natur den Bereich der Natur, in dem sie lebt und der ihrem Zugriff ausgesetzt ist, zu zerstören. Eine Erkenntnis, die sich dadurch bezeugt, daß sie das, was erkannt werden soll, vernichtet, kann nicht wahr sein. Deswegen sind wir heute gezwungen, die Wahrheit unserer Naturerkenntnis in Frage zu stellen.« (Georg Picht, 1981) »Über   allen Gipfeln / Ist Ruh, / In allen Wipfeln / Spürest du / Kaum einen Hauch; / Die Vöglein schweigen im Walde. / Warte nur, balde / Ruhest du auch.« (Waldsterben. Anonymes Gedicht auf einem Wahlplakat der Partei Die Grünen, 1982)

Soviel zu Goethes übersteigertem, wenn auch gegen Ende seines Lebens leicht erschüttertem Selbstwertgefühl, ein »Klassiker« zu sein, mit dem er sich seit Beginn der Franzö­sischen Revolu­tion gegen die von den unteren Schichten der Gesellschaft erhobenen Gleichheitsforderungen abzuschotten versuchte. In der Folgezeit empfand er sich, wie bereits aufgeführt, nicht mehr als Bürger, sondern in erster Linie als Angehöriger jener adligen Herrenschicht, der seit altersher eine führende Rolle in der Ausübung der Staatsgeschäfte und der damit verbundenen Macht-­und Besitzverhältnisse zustehe. Diesen politökonomischen Status quo – in der Abwehr irgendwelcher jakobinischen oder na­tionaldemokratischen Forderungen – solange wie mög­lich aufrechtzuerhalten, war daher eins seiner ideolo­gischen Hauptanliegen. Und zwar bediente sich Goethe dabei mehrerer Taktiken. Entweder sprach er sich, wie in seinen Xenien und in Hermann und Dorothea, höchst unverblümt gegen bestimmte gesellschaft­lichen Veränderungswünsche aus, 127

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

die auch den sogenannten kleinen Leuten mehr Rechte eingeräumt hätten, oder er stützte sich auf gewisse, die »ewigen Gesetze der Natur« betonende Maximen, in denen er sich zwar zu langsam vollziehenden Evolu­tionen bekannte, aber vor gewaltsamen Umbrüchen warnte, wofür er gern die Formel »Dauer im Wechsel« gebrauchte, um so – im Gegensatz zu allen revolu­tionären Vulkanismuskonzepten – seinen auf Beständigkeit beruhenden neptunistischen Anschauungen mehr Nachdruck zu verleihen. Goethes Naturverständnis, um das es in ­diesem Buch in erster Linie gehen soll, hat daher von vornherein einen höchst widerspruchsvollen Charakter. Einerseits versuchte er damit auf reak­tionäre Weise die Dauerhaftigkeit der bestehenden Gesellschaftsverhältnisse zu untermauern, indem er sie nicht als historisch bedingt, das heißt durch menschliches Eingreifen veränderbar charakterisierte, sondern stets auf ihren angeb­lich »organisch« gewachsenen Charakter hinwies. Andererseits bemühte er sich sowohl bei seinen bildkünstlerischen Bestrebungen als auch bei seinen naturwissenschaft­ lichen Studien in durchaus begrüßenswerter Absicht stets darum, durch eine pantheistische Erkundung des ihn umgebenden Environments alle metaphy­sischen Erklärungsversuche der naturgegebenen Um- oder Mitwelt, zu der auch der Mensch gehöre, ad absurdum zu führen. Statt in christ­licher Manier in dieser Hinsicht weiterhin ins Transzendente auszuschweifen, sah er das sogenannte gött­liche Prinzip nicht mehr in irgendwelchen Himmelserscheinungen oder Offenbarungsvorstellungen, sondern ausschließ­lich in den sich ständig erneuernden Lebensquellen der Natur. Während also Goethes Naturverständnis in seiner Betonung der Dauerhaftigkeit politisch durchaus problematische Züge aufweist, ist es in seiner pantheistischen Orientierung, mit der er – im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen – die christ­liche Unterscheidung von Leib und Seele und damit zugleich von Natur und Mensch aufzuheben versuchte, höchst bedenkenswert. Auf diesen Aspekt seiner lebenslangen Bemühungen, der bisher nur selten in aller Schärfe herausgestellt worden ist, sollten deshalb weitere Goethe-­Studien keineswegs verzichten, statt sich unter neoliberaler Perspektive vor allem mit jenem Goethe zu beschäftigten, dem es gelungen sei, sein 128

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

Leben in ein »Kunstwerk« zu verwandeln, wie es in manchen Schriften der neueren Goethe-­Literatur gern heißt.1 Zugegeben: Auch eine ­solche Sehweise hat angesichts Goethes durch seine privilegierten Lebensumstände ermög­lichten Egomanie durchaus ihre Berechtigung. Doch im Hinblick auf eine bis heute währende Relevanz seiner Schriften erscheinen mir bestimmte Züge seines Naturverständnisses eher bedeutsam als die sich im Zeichen ­­ der Abwendung von irgendwelchen Solidaritätsvorstellungen verstärkenden Neigungen zur Überbetonung des Individuellen, wenn nicht gar vornehm­ lich Erfolgsbetonten. Richten wir daher als Geistes-, Kultur- und Literaturwissenschaftler unseren Blick nicht allein auf Goethes persön­liche Lebensumstände oder auf Werke wie Die Leiden des jungen Werthers, den Götz von Ber­lichingen, die Iphigenie auf Tauris, den Faust, den Wilhelm Meister sowie seine Gedichte und Balladen, sondern beschäftigen wir uns ebenso intensiv mit seinen Naturkonzepten, durch die er zu Einsichten gelangte, die nicht aufgehört haben, weiterhin aktuell zu sein. Indem Goethe zeit seines Lebens ein »Augenmensch« blieb und sich gegen alle einer ausschließ­lich empirischen Naturauffassung widersprechenden Abstrak­tionen zur Wehr setzte, wurde ihm sowohl bei seinen zeichnerischen Landschaftsdarstellungen als auch bei seinen botanischen, optischen, osteolo­gischen, zoolo­gischen, geolo­gischen, mineralo­gischen und meteorolo­gischen Studien bewußt, w ­ elchen Respekt der Mensch der Natur als dem wichtigsten lebenserhaltenden Prinzip schuldet. Obwohl sich Goethe auch darin in mancher Hinsicht an die »Alten«, vor allem an Lukrez, hielt, erkannte er als einer der ersten unter den deutschen Autoren seiner Zeit, daß jede menschliche Tätigkeit, w ­ elche gegen die der Natur innewohnenden Gesetzmäßigkeiten verstößt, notwendig zerstörerische Auswirkungen hat. Und diese aus seiner unablässigen Naturbetrachtung gewonnene Einsicht erscheint mir wesent­lich bedeutsamer als jene, an seinen Werken weiterhin vor allem das angeb­lich Progressive, der sogenannten Modernität Zugewandte, kurzum: das Egoistisch-­Emanzipierte, Sich-­selbst-­zur-­Darstellung-­Bringende hervorzuheben, um ihn damit im Hinblick auf den »Tatmenschen« Faust als das angeb­lich »klas­sische« Leitbild 129

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

jener bürger­lichen Liberalität hinstellen zu können, der – genauer gesehen – trotz aller ideolo­gischen Schönrederei ledig­lich das immer wieder verschleierte Prinzip der Ausbeutung der unteren Klassen sowie eines ständig bedroh­ licher werdenden Raubbaus an der Natur zugrunde liegt. Mag auch diese auf Dauerhaftigkeit begründete Sicht der Natur in poli­ tischer Hinsicht, wie gesagt, ins Reak­tionäre tendieren, indem sie zugleich auf eine Befürwortung gleichbleibender Besitz- und Machtverhältnisse hinaus­läuft, im Hinblick auf eine Schonung, ja ein ehrfürchtiges Verhalten der Natur gegenüber als einer wohlgeordneten Harmonie, in die man nicht eingreifen solle, ist sie bis heute vorbild­lich. Schließ­lich forderte Goethe als »Freund alles Organischen«, wie er sich selber gern nannte, bereits damals geradezu unentwegt, daß man die Natur selbst als Wissenschaftler keineswegs »zwingen«, »quälen« oder »auf die Folter spannen« dürfe.2 Von einigen vulkanischen Erup­tionen und gewissen Seebeben einmal abgesehen, spiele sich in ihr alles in Form langsamer Wandlungs- und Wachstumsprozesse ab, dürfe also nicht durch allzu drastische menschliche Eingriffe vergewaltigt beziehungsweise zerstört werden. Demzufolge wurde Goethe nicht müde, im Hinblick auf die Natur stets vom »Urgrund aller Dinge« zu sprechen. Anstatt die Natur skrupellos der analytischen Wißbegier des Menschen auszuliefern und sie damit zu entwürdigen, bekannte er sich stets zu jener heiligen Scheu vor der Natur, wie sie unter den »Alten« oder bestimmten Naturvölkern noch selbstverständ­lich gewesen sei. Und damit schlug er in bildkünstlerischer und naturwissenschaft­licher Hinsicht wie auch in einigen literarischen Werken einen Kurs ein, der in einem deut­lichen Widerspruch zu den zwei ideolo­gischen Hauptströmungen seiner Zeit, das heißt sowohl den ra­tionalistisch-­mechanistischen Tendenzen innerhalb der Aufklärung als auch den christkatho­lischen Tendenzen innerhalb der romantischen und Metternichschen Restaura­tionsbestrebungen stand. Schließ­lich hatten sich viele Ra­tionalisten unter den Aufklärern in erster Linie für eine einzelpersön­lich orientierte Emanzipa­tion sowie eine ihnen dien­liche physiokratische Ausbeutung der Natur eingesetzt, was in der sich daraus 130

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

ergebenden Hybris der real existierenden Fauna und Flora gegenüber zwangsläufig die Gefahr einer technisch-­wissenschaft­lichen Überforderung der bestehenden Um- oder besser Mitwelt des Menschen in sich barg. Auch den meisten romantisch gesinnten Reak­tionären ging es weitgehend um eine gesteigerte Wohlfahrt des Menschen und nicht um eine Schonung der Natur. Allerdings legten sie hierbei den ideolo­gischen Hauptakzent weniger auf eine progressionsbetonte Verfreiheit­lichung als auf eine Rückbindung des Menschen an ältere, meist kirch­liche Autoritätsvorstellungen. Daher räumten sogar sie nicht der Natur den ersten Platz in der Rangliste der lebenserhaltenden Elemente ein, sondern stilisierten sie meist aus poetolo­gischen Gründen ins Wunderbare, Mytholo­gische oder Märchenhafte, das heißt sonderten sie von der Welt des Menschen fast ebenso scharf ab wie die strengen Ra­tionalisten unter den Aufklärern. Goethe war daher in diesen Jahrzehnten einer der wenigen, der sich gegen die Abspaltung der Natur sowohl in wissenschaft­lich-­analytischer als auch christ­lich-­religiöser Hinsicht aussprach und ein Weltbild entwarf, dem die Forderung einer sinnvollen Einordnung des Menschen in die Natur zugrunde lag. Er wollte weder eine rücksichtslose Liberalisierung im Sinne bürger­lich-­ tataktivistischer Anschauungen noch eine orthodoxe Bindung an irgendwelche religiösen Vorstellungen, sondern eine z­ wischen diesen beiden Polen vermittelnde »Freiheit in der Bindung«.3 Als in dieser Hinsicht »ganzheit­lich« denkender und empfindender Mensch glaubte er, daß sich dies nur durch eine bessere Einbeziehung aller Menschen in die natür­liche Ordnung der Dinge erreichen lasse. Seine ins Utopische tendierende Idealfigur war darum ein Humanus naturalis, der sowohl vernünftig als auch sinnenhaft ist, welcher sich der Natur zu seinem Lebensunterhalt bedient, aber sich zugleich in sie einordnet, der sich als selbständiges Wesen fühlt und doch die Grenzen seiner Mög­lichkeiten im Auge behält, der von Leidenschaften ergriffen wird, aber auch zu entsagen weiß, mit anderen Worten: der sich um eine bessere Erkenntnis seines Platzes in der natür­lichen Ordnung der Dinge bemüht, statt – ohne Rücksicht auf die real existierende Mitwelt und die anderen in ihr lebenden Wesen – nur auf seine eigene Entfaltung bedacht zu sein. 131

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

Allerdings blieben das zum größten Teil »schöne Worte«. Schließ­lich konnte Goethe aufgrund seiner gesellschaft­lich privilegierten Existenz am Weimarer Hofe solchen »ganzheit­lichen« Forderungen kaum Genüge leis­ ten. Seine liberal gesinnten Zeitgenossen sahen daher in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren, also der ersten Phase der Metternichschen Restaura­tionsepoche, in ihm eher einen anpassungsbereiten »Fürstendiener« als einen verantwortungsbewußten Humanisten. Zudem, was scherte diese Kreise die »Natur«, die damals – vor dem gewaltsamen Einbruch der Industrialisierung – noch weitgehend in voller Blüte stand? Vor allem nach der Pariser Julirevolu­tion von 1830, die auch in mehreren deutschen Bundesstaaten die Hoffnung auf die Heraufkunft eines »fortschritt­lichen Zeitalters« wach werden ließ, galt Goethe demzufolge unter den Vertretern der sich über Nacht formierenden »jungdeutschen« Bewegung immer stärker als ein abgelebter, nach wie vor der Winckelmannschen »Kunstperiode« anhängender Ästhet oder ein in den Adelsstand erhobener »Pöbelverächter«, dem es nur um die Aufrechterhaltung der älteren Ständeordnung gehe und der sich daher gegen jede »demokratische« Neuordnung der sozia­len Verhältnisse zur Wehr setze.4 So schrieb etwa Ludwig Börne 1831 in seinen Briefen aus Paris über den alten Goethe, der »nie ein armes Wörtchen für sein Volk gesprochen« habe: »Goethe hätte ein Herkules sein können, sein Vaterland von großem Unrate zu befreien, aber er holte sich bloß die goldenen Äpfel der Hesperiden, die er für sich behielt, und dann setzte er sich zu den Füßen der Omphale und blieb da sitzen.«5 Heinrich Laube nannte ihn 1834 in seinen ­Reisenovellen einen »herzlosen Aristokraten«.6 Heinrich Heine stellte ihn 1835 in seiner Romantischen Schule als einen »Indifferentisten« hin, der sich nie für die politisch entscheidenden »Weltinteressen« eingesetzt habe.7 Theodor Mundt charakterisierte ihn im gleichen Jahr als einen maßlosen »Egoisten«.8 ­Charlotte Stieglitz erklärte nicht minder kritisch: »Goethe steht in seiner letzten Periode immer dem Publikum gegenüber wie ein absoluter König. Er geruht, d ­ ieses und jenes dem Volke zu übergeben. Keine Kammern, die ihn konstitu­tionsmäßig mit dem Volke verbinden.«9 Ja, selbst Friedrich 132

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

Engels schreckte kurz darauf nicht davor zurück, die Behauptung aufzustellen, daß sich Goethe trotz seiner »kolossalen Begabung« von Zeit zu Zeit als ein »weltverachtendes Genie« aufgespielt habe.10 Nicht viel glimpflicher sprangen die meisten Naturwissenschaftler – von Carl Gustav Carus, Johann Wolfgang Döbereiner, Alexander von ­Humboldt und Christian Gottfried Nees von Esenbeck einmal abgesehen, die ihm weiterhin die Treue hielten – in d ­ iesem Zeitraum mit Goethe um, den sie als einen hoffnungslos veralteten Dilettanten hinstellten, der bei seinen optischen, osteolo­gischen und ähn­lich gearteten Forschungen allein auf seine eigenen Sinnesorgane vertraut habe, statt sich der allmäh­lich in Mode kommenden technisch avancierteren Instrumente zu bedienen. Eine ­solche Naivität empfanden manche von ihnen, wie etwa Ernst Daniel August Bartels, Emil du Bois-­Reymond, Heinrich Wilhelm Brandes, Carl Brandan Mollweide und Johannes Müller, zumeist unter Bezugnahme auf seine Farbenlehre, geradezu archaisch, wenn nicht gar kindisch.11 Eine Änderung in dieser Hinsicht setzte erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, als die durch den industriellen Aufschwung der fünfziger Jahre allmäh­lich reicher werdende Bourgeoisie, w ­ elche sich aus Angst vor dem immer zahlreicher werdenden Proletariat zu einem Klassenkompromiß mit der älteren Aristokratie entschloß, Goethes Verhalten am Weimarer Hof keineswegs mehr so ehrenrührig einschätzte wie in den Jahren des Vormärz, als die Fürsten und der Adel noch die Hauptzielscheibe der bürger­lichen Kritik waren. Jetzt war daher im Hinblick auf Goethe nicht mehr vom »Fürstendiener«, sondern eher vom »Dichterfürsten« die Rede. Ja, manche gingen bereits in den fünfziger und sechziger Jahren dazu über, ihn als Deutschlands »größtes Genie« zu bezeichnen, das durchaus die Bezeichnung »Klassiker« oder »Olympier« verdiene. Und zwar machte sich dieser Stimmungsumschwung sogar unter manchen Naturwissenschaftlern bemerkbar. Einer der ersten auf ­diesem Gebiet war der bekannte Physiker Hermann Helmholtz, ­später Hermann von Helmholtz, der bereits 1853 in seinem Vortrag Über Goethes Naturwissenschaft zwar zugab, daß Goethe in seinen »physika­lischen Untersuchungen«, 133

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

womit er vor allem die Farbenlehre von 1810 meinte, »vielfach fehlgegangen« sei, jedoch sich in seinen »botanischen und osteolo­gischen Arbeiten so unbestrittene Verdienste erworben habe, daß man ihn unbedenk­lich zu den großen Naturforschern« zählen dürfe. Und zwar sei er hierbei, wie bei der Entdeckung des Zwischenkieferknochens und der Suche nach der Urpflanze, stets jenen inneren »Gesetzmäßigkeiten« nachgegangen, die sich im »Verhältnis des Einzelnen zum Ganzen« nachweisen ließen.12 Damit habe Goethe, wie Helmholtz erklärte, »alles geleistet, was in seiner Zeit überhaupt zu leisten war«.13 Von irgendwelchen ökolo­gischen Folgerungen, die man daraus ziehen könnte, ist dagegen bei Helmholtz noch nicht die Rede. Das g­ leiche gilt für Rudolf Virchow, der 1861 in seiner Rede Goethe als Naturforscher den inzwischen zum Weimarer Olympier aufgestiegenen Goethe ebenfalls für seine naturwissenschaft­lichen Erkundungen lobte, aber darin ebenfalls noch nichts Relevantes im Hinblick auf eine Schonung der Natur sah.14 Die ­gleiche Anschauung vertraten die meisten Repräsentanten der grün­ der­zeit­lichen Besitzbourgeoisie der siebziger und achtziger Jahre, die im Rahmen ihrer ins Geschäftstüchtige drängenden Gesinnung den Hauptakzent vornehm­lich auf die »rastlose Tätigkeit« in Goethes Werken, also das Aktivistische, Sich-Bereichernde, Herrscher­liche legten und damit ihren Verfasser zum Inbegriff eines selbstbezogenen Durchsetzungsdranges stili­ sierten, indem sie ihn einfach mit der von ihnen rein positiv bewerteten Faust-­Figur gleichsetzten, die sich durch nichts an ihrer Icherfüllung hindern lasse. Selbst die Geisteswissenschaftler dieser Ära sahen in Goethe vornehm­ lich ein selbstverliebtes, sich aus allen Bindungen lösendes Genie, das sich in jedem Moment seines Lebens der Besonderheit seiner Person und seiner Bedürfnisse voll bewußt gewesen sei. Sein Tätigkeitsdrang sei rein ichbezogen gewesen, erklärte beispielsweise Wilhelm Scherer im Rahmen seiner literarischen »Blütezeiten«-Theorie ohne Umschweife, was sich sowohl im Hinblick auf den Wilhelm Meister als auch den Faust nachweisen lasse.15 Sogar viele Naturwissenschaftler ­dieses Zeitraums teilten die ­gleiche Hochschätzung Goethes, ja schlossen sich dem gründerzeit­lichen Geniekult, 134

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

in Goethe den »größten Deutschen« zu sehen, voll und ganz an. Allerdings gingen dabei einige von eher biolo­gisch determinierten Prämissen aus. Zu dieser Gruppe von Naturwissenschaftlern gehörten im späten 19. Jahrhundert vor allem jene, die sich als Monisten ausgaben. Daß sie im Gegensatz zu einer egozentrischen Weltanschauung, wie sie für weite Bereiche des landläufigen Liberalismus bezeichnend ist, zum Teil auch sozia­l- und naturverantwort­liche Elemente in ihr Gedankengut einzubeziehen suchten, läßt sich auf zwei ideolo­gische Einflüsse – den goetheanischen Pantheismus und den allmäh­lich um sich greifenden biolo­gischen Evolu­tionismus – zurückführen. Diese Einstellung bewahrte die Monisten sowohl vor jenem platt-­mechanischen Materialismus, wie ihn nach 1848 Philosophen wie Ludwig Büchner, Jakob Moleschott und Karl Vogt vertraten, als auch vor einem Rückfall in einen abstrakten Idealismus, der überhaupt keine materiellen Voraussetzungen mehr berücksichtigt. Als Hauptvertreter des goetheanisch-­spätromantischen Pantheismus galt um 1850 Gustav Theodor Fechner, der in seinem Buch Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen (1848) unter Berufung auf die Naturanschauungen der Antike und des alten Goethe sogar die bisher als unbeseelt geltende Pflanzenwelt als Teil einer »allgemein gottbeseelten Natur« zu charakterisieren versuchte. Wie schon Goethe und nach ihm Carl Gustav Carus erklärte auch Fechner, daß man die Natur nicht in ein Innen und Außen, das heißt in Geist und Materie zerlegen dürfe, sondern daß sie selbst in ihren kleinsten Bestandteilen ein und dieselbe Emana­tion der gleichen organolo­ gischen Ursprungskräfte sei.16 Andere Naturwissenschaftler beriefen sich dagegen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eher auf den biolo­gischen Evolu­tionismus des Engländers Charles Darwin, dessen Zentralwerk On the Origin of Species by Means of Natural Selec­tion, or the Preserva­tion of Favoured Races in the Struggle for Life (1859) bereits ein Jahr ­später in deutscher Übersetzung erschien. Unter ausdrück­licher Berufung auf Erasmus Darwin, Johann Wolfgang Goethe, Jean-­Baptiste de Lamarck und Etienne Geoffroy de Saint-­Hilaire als seinen Vorgängern auf dem Gebiet der Evolu­tionstheorie wies Darwin in d ­ iesem 135

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

Werk – wie schon Goethe in seiner Schrift Über die Metamorphose der Pflanzen – nach, daß es »innerhalb jedes Organismus eine innere Triebkraft« gebe, die es »zu immer höheren und vollkommeneren Formen« emporhebe.17 Der Forscher, der diese beiden Weltanschauungen – den goetheanisch­ spätromantischen Pantheismus sowie den biolo­gischen Evolu­tionismus – in Deutschland zu einer komplexen Einheit verschmolz und schließ­lich »Monismus« nannte, war Ernst Haeckel. Er hatte bei dem spätromantischen Mediziner und Naturphilosophen Lorenz Oken studiert und war 1865 als Professor für Biologie nach Jena berufen worden. Das erste größere Werk, in dem er die Naturphilosophie von Giordano Bruno, B ­ enedictus de S­ pinoza, Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Wilhelm Schelling und Lorenz Oken mit dem Darwinismus zu verquicken suchte, war seine Generelle Morphologie der Organismen von 1866. In ­diesem Buch fällt erstmals das folgenreiche Wort »Ökologie«, worunter Haeckel die »gesamte Wissenschaft von den Beziehungen der Organismen zur sie umgebenden Außenwelt« verstand.18 In seinen folgenden Büchern ging Haeckel dementsprechend stets von der Idee eines »Naturhaushalts« aus, nach dem jedes Lebewesen im Kontext eines größeren Ganzen steht und nur so zu verstehen ist. Zwischen physika­ lischen, psycholo­gischen und biolo­gischen Erscheinungen machte er dabei kaum noch Unterschiede und schrieb wie Goethe, daß er sich »keinen Geist ohne Substanz und keine Substanz ohne Geist vorstellen« könne.19 Im Gefolge solcher Gedankengänge bekannte er sich schließ­lich 1879 in seiner Natür­lichen Schöpfungsgeschichte zu einer »Naturreligion«, die in Form eines »tieferen Naturverständnisses« den ihr aufgeschlossenen Menschen jene »sitt­liche Veredelung der Vernunft« beschere, ­welche auf »keinem anderen Wege« zu erlangen sei.20 Erst dann werde eine an Goethe gemahnende Weltanschauung entstehen, wie er schrieb, die der sich zu immer höheren Formen der Erkenntnis durchringenden Menschen würdig sei. Allerdings sah er dabei zwei Gefahren voraus: einerseits jene »Orthodoxie der ­Kirchen«, die weiterhin auf die »Sitten oder besser Unsitten« der zivilisierten Welt einen unheilvollen Einfluß ausübe, andererseits jenen unerbitt­lichen »Kampf ums Dasein«, der vor allem im Bereich des »Militärwesens« und 136

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

der »Börsenspekula­tion« immer schärfere Formen annehme.21 Um diesen Übeln entgegenzutreten, bekannte sich Haeckel in seinen Büchern Die Naturanschauung von Darwin, Goethe und Lamarck (1882) sowie Die Welt­ rätsel. Gemeinverständ­liche Studien über die monistische Philosophie (1899) mit utopischer Emphase zu einer biolo­gischen Entwicklungslehre, deren naturerhaltende Einsichten sich sicher eines Tages auch im gesellschaft­lichen Leben durchsetzen würden. Die Wirkung dieser pantheistischen Form des Monismus auf manche der sogenannten Neuromantiker um 1900 läßt sich kaum überschätzen. Auch sie versuchten, die »trockenen Resultate« der exakten Naturwissenschaften, auf w ­ elche die früheren Materialisten geschworen hatten, durch naturverbundene »Gefühlswerte« zu ersetzen.22 Dafür sprechen unter anderem die frühen Romane von Waldemar Bonsels, Cäsar Flaischlen, Carl Hauptmann und Hermann Hesse. Fast alle diese Autoren verließen damals die großen Städte und zogen aufs Land oder in sogenannte Gartenstädte. Wenn sie »Natur« schilderten, taten sie dies fast ausschließ­lich im Sinne einer monistischen oder panpsychischen Beseelungstendenz, die fast ins Paradie­sische tendiert. Während die Vertreter des Monistenbundes bei solchen Liebeserklärungen an die Natur auch das Gesellschaft­liche im Auge behielten, ging es den meisten Neuromantikern weniger um die Natur als um die eigene Person. Immer wieder schlich sich bei ihnen jener Liberalismus ein, der im Umgang mit der Natur vornehm­lich das Ungebundene und Außergesellschaft­liche der eigenen Existenz erfahren will, ohne dabei allzuviel an die auf die menschliche Schonung angewiesene Natur zu denken. Etwas ernster zu nehmen sind in d ­ iesem Umkreis ledig­lich Bruno Wille und Wilhelm Bölsche. Beide begannen als sozia­ldemokratisch orientierte Großstadt-­Naturalisten, zogen dann in die märkische Heide hinaus und verbrachten den Rest ihres Lebens mit dem Schreiben von Büchern, in denen sie sich im Gefolge Haeckels um eine Synthese aus darwinistischer Entwicklungslehre und panpsychischer Naturbeseelung bemühten. Wille tat dies vor allem in seinem Roman Offenbarungen des Wacholderbaums (1901), in dem er sich nicht nur gegen den herrschenden Materialismus, sondern 137

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

auch gegen das um sich greifende Großstadt-­und Maschinenwesen wandte. Im Mittelpunkt d ­ ieses Werkes steht ein »Allseher«, der unter Berufung auf Goethe, Fechner und Haeckel an eine monistische Allbeseelung glaubt. Aus ­diesem Grund tritt er allem, selbst den geringsten Naturerscheinungen, mit respektvoller Sympathie entgegen. Nichts erscheint ihm nur nütz­lich, nur ausbeutungsreif, nur zweckinstrumental. Aus Dankbarkeit dafür nennt ihn der Geist des Wacholderbaums, mit dem sich sein »Allseher« besonders oft unterhält, viermal »mein grüner Philosoph«.23 Denselben Ehrentitel hätte dieser Baum sicher auch Wilhelm Bölsche verliehen. Er wurde vor allem durch sein zweibändiges Werk Das Liebesleben in der Natur (1898 – 1902) berühmt, in dem er den Eros als das Urprinzip aller sich in der Natur abspielenden Prozesse nachzuweisen versuchte, wodurch sich bei ihm der Darwinismus aus der Vorstellung eines unerbitt­lichen Konkurrenzkampfes aller gegen alle in eine Art monistischen Panerotismus wandelte. Wie Wille berief sich Bölsche dabei gern auf Goethe, Fechner und Haeckel, ja sogar auf Novalis, um seiner panpsychischen Naturbeseelung eine spezifisch neuromantische Note zu geben. Mit Schriften dieser Art wie seinem Büchlein Goethe im zwanzigsten Jahrhundert (1903) erweckte er bei vielen Menschen ein lebhaftes Interesse für eine größere Schonung der Natur, ja bei manchen sogar ein ökolo­gisches Bewußtsein. Und auch er selber blieb nicht nur ein anthropozentrischer Liebhaber der Natur, sondern bekannte sich in der Folgezeit – vor allem im Rahmen der von ihm mitbegründeten Heimatschutzbewegung – immer wieder zu einem mitweltschonenden Verhalten, um seiner Begeisterung für alles organisch Beseelte die nötige gesellschaft­liche Relevanz zu verleihen.24 Auch Rudolf Steiner, der ­zwischen 1882 und 1897 zwei Edi­tionen der naturwissenschaft­lichen Schriften Goethes herausgegeben hatte, wandte sich zur gleichen Zeit solchen Anschauungen zu. Dafür sprechen seine Bücher Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung (1886) sowie Goethes Weltanschauung (1897), in denen er sich von einer theosophischen zu einer anthroposophischen Betrachtung der Natur durchrang, die sich vornehm­lich auf die »Weltsicht« Goethes berief.25 Ja, Steiner 138

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

Abb.  35  Fidus: Umschlagentwurf für Wilhelm Bölsches Buch »Goethe im zwanzigsten Jahrhundert« (1903)

ging sogar dazu über, eine dementsprechende Sekte zu gründen, mit deren Hilfe er 1914 in Dornach ein Goetheanum errichtete, wo man sich im Sinne einer ganzheit­lichen Naturauffassung, die in holistischer Sicht keinen Gegensatz ­zwischen Geist und Materie anerkannte, auf meditative Weise und mit eurhythmischen Tänzen in die ewigen Wesensgesetze der Natur einzufühlen versuchte. Einige Anthroposophen bemühten sich sogar, diese Gesinnung in die Praxis umzusetzen. So entwickelte etwa Erhard Bartsch, einer der engsten Weggefährten Steiners, zur Schonung der bäuer­ lichen Ackerflächen, das heißt der Erhaltung einer dauerhaften Fruchtbarkeit, jene biolo­gisch-­dynamische Landbauweise, deren damals vielbeachtete Erzeugnisse die Anhänger dieser Sekte unter dem Namen »Demeter«-Produkte auf den Markt brachten. 139

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

Abb. 36  Rudolf Steiner: Das erste Goetheanum in Dornach (1914)

Im Kanonendonner des ­Ersten Weltkriegs und dann im fordistisch­-­tech­ nolo­gischen Klima der Weimarer Republik sowie in der Ära des sogenannten »na­tionalen Aufbaus« der frühen dreißiger Jahre verstummten s­olche Stimmen wieder weitgehend. Erst die brisanten Entdeckungen auf dem Gebiet der Atomphysik verstörten eine Reihe deutscher Naturwissenschaftler in ihrem bisherigen Progressionsoptimismus. Das gilt vor allem für ­Werner Heisenberg, der bereits 1941 – mitten im Zweiten Weltkrieg – in einem Aufsatz unter dem relativ unverfäng­lichen Titel Die Goethesche und die Newtonsche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik schrieb, daß ­Goethe, der sich zeit seines Lebens in aller Entschiedenheit gegen ein rein utilitaris­tisches Ausnutzen der Natur ausgesprochen habe,26 auch heute noch ein wichtiges Vorbild im Kampf gegen eine fortschreitende Instrumentalisierung alles Lebendigen sein könne. Ja, Heisenberg fragte sich hier bereits, ob die Entwicklung der modernen Technik für die Menschheit wirk­lich nur ein Segen gewesen sei oder sie nicht besser beraten wäre, im Gefolge G ­ oethes die »Grenzen ihres aktiven Verhaltens zur Natur« zu erkennen. Nicht ganz so radikal äußerten sich kurz darauf jene Autoren über die Gefahren der fortschreitenden Industrialisierung für die Natur, die aus dem 140

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

liberalen oder abendländisch-­humanistischen Lager kamen. Auch sie beriefen sich zwar meist auf Goethe, dessen 200. Geburtstag 1949 landauf, landab in zahlreichen Festakten, Reden, Broschüren und Büchern gefeiert wurde, blieben aber dabei meist in philosophischen Erörterungen stecken. Am interessantesten sind in d ­ iesem Zusammenhang die vielen Äußerungen zu Goethes Faust, in denen d ­ ieses Drama – im Gegensatz zu bisherigen Glori­ fizierungen seines angeb­lich positiven Tataktivismus – erstmals im Sinne Albert Schweitzers als ein Werk der Lebensehrfurcht und des Respekts vor der Natur aufgefaßt wurde. Am weitesten ging dabei Karl Jaspers, der 1949 in seiner Broschüre Unsere Zukunft und Goethe erklärte, daß der Autor des Faust die künftigen Genera­tionen vor allem »vor der heraufkommenden Welt der technischen Naturbeherrschung« warnen wollte. Schon Goethe habe klar erkannt, lesen wir hier, ­welche Gefahren in der »Grenzenlosigkeit« des menschlichen Tätigkeitsdranges steckten. Daraus folgerte Jaspers, daß man heute aus dem »Unnatür­lichen« eines linear gedachten Fortschritts wieder zu einer verstärkten »Daseinsgeschlossenheit« zurückkehren müsse.27 Ebenso verantwortungsbewußt äußerten sich damals einige westdeutsche Naturwissenschaftler. Ihre Hauptsorge galt den geradezu apokalyptischen Konsequenzen der von ihnen mitentdeckten beziehungsweise mitentwickelten Atomenergie, durch w ­ elche die Menschheit plötz­lich ein Mittel zur Hand habe, alles Leben auf Erden mit einem Schlag vernichten zu können. Vor allem Carl Friedrich von Weizsäcker und Werner Heisenberg beriefen sich bei solchen Protesten wiederholt auf Goethe. So verfaßte Weizsäcker 1959 im Rahmen der Hamburger Goethe-­Ausgabe das Nachwort zu ­Goethes naturwissenschaft­lichen Schriften, in dem er in Anlehnung an Goethe davor warnte, die Natur ledig­lich als ein wertfreies Forschungsprojekt zu betrachten. Nicht minder entschieden bekannte sich Heisenberg 1967 in seinem Aufsatz Das Naturbild Goethes und die technisch-­naturwissenschaft­liche Welt zu einer Wissenschaft, die nicht danach trachte, die »materielle Macht des Menschen« mit Hilfe der Technik bis ins Grenzenlose zu erweitern, sondern von der ökolo­gischen Einsicht ausgehe, »daß das Leben auf der Erde eine Einheit darstellt, daß ein Schaden an einer Stelle sich an allen anderen 141

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

Stellen auswirken kann und wir für die Ordnung des Lebens auf dieser unserer Erde mitverantwort­lich sind«. Als besonders bemerkenswert empfand er Goethes Beharren auf dem »unmittelbaren Eindruck«, dem die Skepsis zugrunde liege, daß »mit Apparaturen ausgefilterten, der Natur geradezu abgezwungenen Abstrak­tionen« dem Natür­lich-­Konkreten notwendig Gewalt angetan werde.28 Im Laufe der fünfziger und frühen sechziger Jahre, als in Westdeutschland im Zuge des sogenannten Wirtschaftswunders der Technikkult erneut merk­lich zunahm, wurden s­ olche Warnungen wieder seltener, verstummten aber nie ganz. So drang etwa Ernst Hasse 1955 in seiner Bekenntnisschrift Des Menschen Thron wankt. Eine naturwissenschaft­liche Kritik des modernen Lebens – unter Berufung auf Giordano Bruno und Goethe – darauf, sich end­lich für eine Lösung der anstehenden ökolo­gischen Probleme auf sozia­l­anthropolo­gischer Ebene einzusetzen. Die Schuld an der katastrophalen Entwicklung der modernen Welt gab Hasse vor allem der Intensivierung der »kapitalistischen Wirtschaft«, die zugunsten eines »kurzfristigen Vorteils« die Zukunft der Natur ignoriere. Das Ergebnis ­dieses Primats des Ökonomischen über das Menschliche sei eine »Diktatur der Technik«, die von Jahr zu Jahr immer zwanghafter werde. Seine Hoffnung setzte Hasse dementsprechend allein auf eine neue Ehrfurcht vor der Natur im Sinne Goethes, Adalbert Stifters und Albert Schweitzers, die noch ein Gefühl für das wahre Maß des Lebens in »der Erscheinungen Flucht« besessen hätten.29 Ähn­liche Äußerungen finden sich ein Jahrzehnt ­später in dem Buch Geeinte Zwienatur. Aufsätze zu Goethes wissenschaft­lichem Denken von Andreas B. Wachsmuth, wo es an einer Stelle prononciert heißt: »­Goethes Naturwissenschaft sollte nicht den Zweck haben, daß man mit ihrer Hilfe die Natur für den menschlichen Nutzen beherrsche und ausbeute. Sie liegt wie eine Insel im Geistesstrom unseres naturwissenschaft­lichen Denkens. Wir werden nicht aufhören, sie anzupeilen, sie anzusteuern, wahrhaft betreten kann sie nur, wer auf Goethes Art in die Natur schaut.«30 Weitere Anstöße in dieser Richtung kamen in den siebziger Jahren von seiten einiger auf die chemische Verschmutzung der deutschen Flüsse 142

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

Abb. 37  Klaus Staeck: Postkarte (1974)

hinweisender Gesellschaftskritiker wie Klaus Staeck sowie von sich als Hippies ausgebender Vertreter der sogenannten Aussteigerbewegung. Selbst auf ihren Bildern und in ihren Schriften begegnet man ab und zu Auseinandersetzungen mit Goethe. Dafür spricht unter anderem der Landkommuneroman Papa Faust. Eine Idylle aus deutschen Landen (1982) von Uwe Wolff, in dem sich eine Gruppe ökolo­gisch gesinnter Aussteiger, die den »Luxus des technolo­gischen Zeitalters« gründ­lich satt hat, entschließt, aufs Dorf zu ziehen, um dort so »alternativ« wie nur mög­lich zu leben. Statt wie der bürger­lich-­hyperaktive Faust ständig weiterzuhasten und alles umzugestalten, widmet sich Wolffs Faust lieber dem »ruhigen Betrachten«, dem sorgsamen Hegen und Bewahren der bedrohten Natur. Als Endziel schwebt ihm dabei eine auf ökolo­gischen Grundsätzen beruhende landwirtschaft­liche 143

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

Autarkie vor, mit der er die »Sehnsucht nach einem ganzheit­lich erfüllten Leben jenseits der Entfremdung« befriedigen will.31 Allerdings drängen sich in ­diesem Roman, so mitweltbetont er sich auch gibt, gegen Ende immer stärker die damals beliebten Selbstfindungsprobleme in den Vordergrund, wodurch das Ökolo­gische wieder abgeschwächt wird. Ähn­liches gilt für jene New-­Age- oder Wendezeit-­Philosophie, die in den gleichen Jahren um sich griff, w ­ elche sich sowohl auf anthroposo­ phische Gedankengänge als auch auf Anregungen aus dem Bereich fernöst­ licher Spiritualität zu stützen versuchte. Als ihr wichtigster Vertreter galt lange Zeit der Atomphysiker und Heisenberg-­Schüler Fritjof Capra, dessen Hauptwerk The Turning Point (1982) in der Bundesrepublik unter dem Titel Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild erschien und mit zwei Zusatzkapiteln über »Das ganzheit­lich-­ökolo­gische Denken in der Geistesgeschichte« und »Die Ökologie- und Alternativbewegung in Deutschland« ausgestattet war. In ihm gab Capra dem gesamten mechanistischen Weltbild der Vergangenheit kurzerhand den Laufpaß und versuchte zu zeigen, daß sich seit der Mitte der sechziger Jahre – im Gegensatz zu den ­Newtonschen, Marxschen und Freudschen Ableitungstheorien – ein neues Paradigma der Welterklärung entwickelt habe, und zwar eins, dem eine ganzheit­lich-­ökolo­gische Sicht der Dinge zugrunde liege, die sich ansatzweise bereits im Denken der frühen Naturmystiker, Goethes organolo­ gischer Naturauffassung und den anthroposophischen Lehren Rudolf ­Steiners beobachten lasse. Den Hauptnachdruck legte er dabei auf Goethe, den er als »die zentrale Gestalt in der Entwicklung des ökolo­gischen Ganzheitsdenkens in der deutschen Geistesgeschichte« charakterisierte.32 Erst heute, »am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts«, schrieb Capra hier, gewinne Goethes Naturbild – angesichts des Schwunds natür­licher Rohstoffe, der Ozonlöcher, des Klimawandels und der Ölpest der Meere – plötz­lich eine »bestürzende Aktualität«, da es in fast allen Zügen mit den als »neu« herausgestellten ökolo­gisch-­ holistischen Einsichten übereinstimme. Daß man Goethes »ganzheit­liches«, das heißt »synthetisch-­­vernetzendes« Denken so lange verkannt habe, führte 144

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

Capra vor allem auf die »reduk­tionistisch orientierten« Natur- und Geis­ teswissenschaften sowie das ledig­lich auf »Nütz­lichkeit und Verwertung ausgerichtete Fortschrittsdenken des Maschinenzeitalters« zurück. Allen Utilitaristen, das heißt in pragmatischen Einzeldiskursen Befangenen der letzten 150 Jahre, s­ eien daher die »Universalität von Goethes Leben«, sein »transdisziplinäres Vorgehen« sowie die »ihm eigenen nahtlosen Übergänge vom Gelehrten zum Dichter, vom bildenden Künstler zum Anatom, vom Meteorologen zum Ergründer der menschlichen Seele«, ­welche in fast »allen seiner Werke anzutreffen sind«, notwendig fremd geblieben. Erst die »­neueste, um ganzheit­liche Erkenntnis bemühte wissenschaft­liche Forschung unserer Zeit«, heißt es abschließend, »verspricht, Goethes Naturlehre den Rang einzuräumen, der ihr angesichts unserer Weltlage zukommt«.33 Mit ähn­licher Radikalität wandte sich Hans-­Christoph Binswanger 1982, dem Jahr der »grünen Wende«, wie es damals hieß, gegen jene Produk­tionsund Lebensweise, die – um der »unend­lichen Vermehrung des Wohlstands« willen – allein auf den Prinzipien der Naturbeherrschung, des »technischen Fortschritts« und des »künftigen Gewinns« beruht. All das prangerte er als einen Teufelsweg an, der in seinem faustischen »Streben nach stetem Wachstum« und damit »maßloser« Ausbeutung der natür­lichen Ressourcen notwendig zu ökolo­gischen Katastrophen führen muß.34 Während ­solche Stimmen von vielen Vertretern und Vertreterinnen der hippyartigen Aussteigerbewegung der siebziger und frühen achtziger Jahre, denen es um eine grundsätz­liche Veränderung der gesellschaft­lichen und ökolo­gischen Verhältnisse ging, noch durchaus wahrgenommen wurden, verstummten sie nach der 1989 vollzogenen Wiedervereinigung Deutschlands allmäh­lich. Von einigen Sprechern und Sprecherinnen der Partei Bündnis 90/Die Grünen sowie naturphilosophisch oder bildungstheoretisch eingestellten Wissenschaftlern wie Gernot Böhme in seiner Anthologie Klassiker der Naturphilosophie (1989)35 oder Günther Böhme in seinem Buch Goethe. Naturwissenschaft. Humanismus. Bildung (1991)36 einmal abgesehen, ging danach das Interesse an der sich aus Goethes Naturverständnis ergebenden »Umweltproblematik« zusehends zurück. Anschließend verbreitete 145

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

Abb.  38  Michael Mathias Prechtl: Goethe mit der Urpflanze und dem von ihm entworfenen Farbkreis (1982)

sich in der neuen BRD selbst unter den meisten Intellektuellen wieder jene Status-­quo-­Gesinnung der Adenauer-­Ära der fünfziger Jahre, in der schon damals irgendwelche gesellschaftspolitischen Veränderungskonzepte in den Hintergrund getreten waren. Von nun an verhielt »man« sich in ideolo­ gischer Hinsicht wieder weitgehend »cool«, nämlich unbeteiligt oder angepaßt, wie es damals hieß. Zugegeben: Ökolo­gische Probleme wurden auch 146

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

weiterhin als relevant empfunden und dementsprechend einige pragmatisch orientierte Reformen im Bereich der erneuerbaren Energien durchaus unterstützt. Aber für eine allumfassende »Wendezeit« im Gefolge Goethes setzte sich danach fast niemand mehr ein. Demzufolge war schon um die Jahrhundertwende von den Gründungsmitgliedern der Partei Bündnis 90/Die Grünen, selbst von der um 1980 weithin bekannten Petra Kelly, kaum noch die Rede. Wer hätte – angesichts der von breiten Schichten der Bevölkerung begrüßten neu angekurbelten technolo­gischen Modernisierungsschübe – jetzt noch gewagt, sich zu dem Slogan »Runter vom Wohlstand« zu bekennen, mit dem die sogenannten Fundis innerhalb der Grünen um 1980 zu einer durchgreifenden Wende in unserem Verhältnis zu einer »nachhaltigen« Mitwelt aufgerufen hatten? Derartige Kandidaten wären – angesichts der auf eine ständige Verbesserung der Konsumangebote drängenden Mehrheit der bundesrepublikanischen Bevölkerung – bei sämt­lichen Wahlen durchgefallen. Daher bekamen selbst innerhalb dieser Partei die sogenannten Mittalos oder Realos das Übergewicht, die sich – wenn auch im Rahmen gewisser Reformen – wie die Hauptvertreter aller anderen Parteien ebenfalls für eine Stärkung des »Industriestandorts« Deutschland einsetzten. Von der Notwendigkeit grundsätz­licher Veränderungen in unserem Ver­ hält­nis zur Natur war daher in den letzten zwanzig Jahren – trotz des Waldsterbens, der Ölpest der Meere, des sinkenden Grundwasserspiegels, der Überdüngung der landwirtschaft­lichen Anbauflächen, der Abholzung der Regenwälder, der rapiden Abnahme der Wildpflanzen und Wildtiere, der erschreckenden Bevölkerungszunahme, der fortschreitenden Zersiedlung, der Gefahren des Frackings, des steigenden Energieverbrauchs, des sich immer deut­licher abzeichnenden Klimawandels sowie der zunehmenden Verstraßung, Verdrahtung, Vermüllung und Verschilderung – kaum noch die Rede. Es meldeten sich zwar hin und wieder Stimmen, vor allem im Rahmen naturphilosophischer Debatten, die sich im Hinblick auf das momentan herrschende Naturverständnis auch auf die organolo­gische Sehweise Goethes sowie anderer älterer Naturforscher beriefen, aber ohne dabei eine 147

Nachwort: Ökolo­gische Folgerungen

fundamentale Veränderung der bestehenden Gesellschaftsverhältnisse zu fordern. Ja, selbst die Germanistik, die sich früher so intensiv mit Goethe auseinandergesetzt hat, blieb in dieser Hinsicht eher in biographischen Einzelforschungen stecken, statt auf seine weitaus relevanteren naturerhaltenden Ansichten hinzuweisen.30 Dabei wäre heutzutage kaum etwas anderes an Goethes Schriften bedeutsamer als dieser Aspekt. Schließ­lich war er es, der im Hinblick auf das sich im frühen 19. Jahrhundert auch in Deutschland allmäh­lich ausbreitende »Maschinenwesen« als einer der ersten auf die damit verbundenen Gefahren aufmerksam gemacht hat. Ihm ging es noch um »Dauer«, was zwar, wie gesagt, auch seine politisch bedenk­lichen Züge hat, aber für das Weiterleben des Homo sapiens innerhalb der seine Existenz ermög­lichenden Natur von ausschlaggebender Bedeutung wäre. Lesen wir daher Goethes Werke in Zukunft nicht nur als die Hinterlassenschaften eines literarischen »Klassikers«, sondern auch im Hinblick auf ihre »grünen« Aspekte, die in ihrer naturbezogenen Weisheit fast alle Schriften seiner Zeitgenossen übertreffen. Statt ihn weiterhin mit einem Lorbeerkranz als unvergleich­lichen Olympier der deutschen Literatur auszuzeichnen, wäre es fortan wesent­lich sinnvoller, in ihm einen unserer ersten »grünen Klassiker« zu sehen. Denn in dieser Hinsicht war er im Rahmen seiner Anschauungsweisen durchaus vorbild­lich.

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Anmerkungen Für die Computerisierung meines Manuskripts sorgte auch diesmal Justin Court, ohne dessen Hilfe ­dieses Buch nie seine endgültige Druckreife erhalten hätte. Ebenso dankbar bin ich Carol Poore für ihre unermüd­liche Sorgfalt bei bibliographischen Ermittlungen und beim Korrekturlesen. In meinem ökolo­gischen Engagement hat mich vor allem Elisabeth Jagenburg jahrzehntelang bestärkt. Zu den Goethe-­Kennern, mit denen ich mich in verschiedenen Phasen meines Lebens teils wohlwollend, teils kritisch auseinandergesetzt habe, gehörten vor allem Klaus L. Berghahn, Karl-­Heinz Hahn, Venkat Mani, Hans Mayer, Thomas Metscher, Michael Niedermeier, Friedrich Sengle, Dolf Sternberger und Elizabeth M. Wilkinson. Die folgenden Anmerkungen sind bewußt knapp gehalten, da ich angesichts der ins Unend­liche auswabernden Sekundärliteratur zu Goethes Leben und Werk kein spezifisch »akademisches« Buch schreiben wollte, das im Gefolge der heutigen digital ermög­lichten Informa­tionsanhäufung zu zwei Dritteln aus Fußnoten besteht, sondern es mir mehr um das Argumentative ging.

Vorwort: Pro und Contra Goethe 1  Vgl. hierzu die diesbezüg­lichen ­Abschnitte in meinem Buch: Konkretes Hören. Zum Inhalt der Instrumentalmusik, Berlin 1981, S. 21 – 31. 2  Vgl. Goethe Handbuch, Bd. IV,1/2. Hrsg. von Dietrich Dahnke und Regine Otto, Stuttgart 1998. 3  Vgl. mein Buch: Verlorene Illusionen. Eine Geschichte des deutschen Na­tionalismus, Köln 2012, S. 111 f. 4  Vgl. dazu die ausführ­liche Bibliographie in dem Buch von Otto Krätz: Goethe und die Naturwissenschaften, München 1992, S. 222 – 227. 5  Vgl. bereits meinen Aufsatz: Freiheit in der Bindung. Goethes grüne Weltfrömmigkeit. In ders.: Pro und Contra Goethe. Dichterische und germanis­ tische Stellungnahmen zu seinen Werken, Oxford 2005, S. 69 – 95.

6  Vgl. u. a. Eva D. Becker: »Klassiker« in der deutschen Literaturgeschichtsschreibung ­zwischen 1780 und 1860. In Jost Hermand und Manfred Windfuhr (Hrsg.): Zur Literatur der Restaura­ tionsepoche 1815 – 1845, Stuttgart 1970, S. 349 – 370, Klaus L. Berghahn: Von Weimar nach Ver­sailles. Zur Entstehung der Klassik-­Legende im 19. Jahrhundert. In Reinhold Grimm und Jost Hermand (Hrsg.): Die Klassik-­Legende, F ­ rankfurt a. M. 1971, S. 50 – 78, und ­Walter Müller-­ Seidel: Zur ­Geschichtlichkeit der deutschen Klassik. Literatur und Denkformen um 1800, Stuttgart 1983, der vor ­allem davor warnte, in der Weimarer Klassik, im Gefolge von Stefan George oder ­Georg Lukács, einen maßstabsetzenden Gegenpol zur »modernen Literatur und Welt­anschauung« zu sehen (S. 29). 149

Anmerkungen

Die Leipziger und Straßburger Studienjahre 1  Vgl. Goethe’s sämmt­liche Werke. Vollständige Ausgabe in sechs ­Bänden, Stuttgart (Cotta) 1854, Bd. VI, S. 281. Im Folgenden wird nach dieser Ausgabe zitiert. 2  Dichtung und Wahrheit. Aus meinem Leben. In: Werke, Bd. IV, S. 8. Vgl. dazu auch W. D. Robson-­Scott: The Younger Goethe and the Visual Arts, Cambridge 1981, S. 4 f. 3  Vgl. Karl Benyovszky: Adam ­Friedrich Oeser, der Zeichenlehrer ­Goethes, Leipzig 1930, Friedrich Schulze: Adam Friedrich Oeser. Der Vorläufer des Klassizismus, Leipzig 1944, S. 49 ff., und W. D. Robson-­ Scott: The Younger Goethe and the ­Visual Arts (wie Anm. 2), S. 27 ff. 4  Vgl. Richard Hamann: Die deutsche Malerei vom Rokoko bis zum Expressionismus, Leipzig 1925, S. 60 ff. 5  Dichtung und Wahrheit. In: Werke, Bd. IV, S. 96. 6  Vgl. Jürgen Seifert: Die Restaurierung historischer Wohnräume im ­Wittumspalais in Weimar. In: Neue Museumskunde 24, 1981, S. 48 – 57. 7  Zum Schäkespears Tag. In: Werke, Bd. V, S. 413.

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8  Von deutscher Baukunst. In: Werke, Bd. V, S. 325. Vgl. dazu auch Harald Keller: Goethes Hymnus auf das ­Straßburger Münster und die Wieder­ erweckung der Gotik im 18. Jahrhundert, München 1974, und Norbert Knopp: Zu Goethes Hymnus »Von deutscher Baukunst«. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistes­geschichte 53, 1979, S.  617 – 650. 9  Von deutscher Baukunst. In: Werke, Bd. V, S. 325. 10  Vgl. Werke, Bd. V, S. 429 – 431. 11  Ebd., Bd. V, S. 326. 12  Vgl. Johann George Sulzer: Gothisch. In ders.: Allgemeine ­Theorie der schönen Künste, Leipzig, 2. Aufl., 1792, Bd. II, S. 433. 13  Vgl. Herbert von Einem: Goethe und die bildende Kunst. In ders.: Goethe-­Studien, München 1972, S. 97. 14  Von deutscher Baukunst. In: Werke, Bd. V, S. 327. 15  Ebd., Bd. V, S. 326.

Anmerkungen

Die frühe Weimarer Zeit 1  Vgl. u. a. Richard Hamann: Der empfindsame Klassizismus. In ders.: Die deutsche Malerei vom Rokoko bis zum Expressionismus, Leipzig 1925, S. 61 ff., und Gisold Lammel: Deutsche Malerei des Klassizismus, Leipzig 1986, S. 56 ff. 2  Vgl. dazu allgemein Friedrich Sengle: Das Genie und der Fürst. Die ­Geschichte der Lebensgemeinschaft Goethes mit dem Herzog Carl ­August von Sachsen-­Weimar-­Eisenach, Stuttgart 1993, S. 11 ff. 3  Vgl. u. a. Johann Wolfgang Goethe: Die Schriften zur Naturwissenschaft, Bd. I. Schriften zur Geologie und Mineralogie. Hrsg. von Günther Schmid, Weimar 1947, S. 15 ff. 4  Vgl. u. a. Hermann Bräuning-­ Oktavio: Goethes naturwissen­ schaftliche Schriften. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts, 1982, S.  111 – 138.

5  Vgl. Rüdiger Safranski: Goethe. Kunstwerk des Lebens, Frankfurt a. M. 2015, S. 287 ff. 6  Vgl. u. a. Herbert Lindner: Das ­Problem des Spinozismus im Schaffen Goethes und Herders, Weimar 1960, Martin Bollacher: Der junge Goethe und Spinoza, Tübingen 1969, und ­Helmut Brandt: Natur in Goethes Dichten und Denken. In Bernd ­Wilhelmi (Hrsg.): Goethe und die Wissenschaften, Jena 1984, S. 159 ff. 7  Vgl. Jutta Van Selm: Zwischen Text und Bild. Goethes Werdegang zum Klassizismus, New York 1986, S. 97 ff. 8  Zit. in ebd., S. 99. 9  Ebd., S. 100 f. 10  Vgl. Richard Hamann: Der ­abstrakte Klassizismus (wie Anm. 1), S.  79 ff.

Das Italien-­Erlebnis 1  Vgl. zum Folgenden u. a. Heinrich Wölfflin: Goethes »Italienische Reise«. In: Jahrbuch der Goethe-­Gesellschaft 12, 1926, S. 325 – 337, Hans Mayer: Goethes »Italienische Reise«. In: Sinn und Form 12, 1960, S. 235 – 261, ­Herbert von Einem: Die italienische Reise. In ders.: Goethe-­Studien, München 1972, S. 49 – 66, Jutta Van Selm: Zwischen Text und Bild. Goethes Werdegang zum Klassizismus, New York 1986, S. 115 – 127, Jochen Golz (Hrsg.):

J­ ohann Wolfgang Goethe. Italienische Reise, Berlin 1987, und Jörn Göres (Hrsg.): Goethe in Italien, Bonn 1987. 2  Italienische Reise. In: Werke, Bd. IV, S. 249. 3  Vgl. Herbert von Einem: Goethe und Palladio. In ders.: Goethe-­Studien (wie Anm. 1), S. 147. 4  Vgl. Jutta Van Selm: Zwischen Text und Bild (wie Anm. 1), S. 115. 5  Italienische Reise. In: Werke, Bd. IV, S. 296.

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Anmerkungen 6  Ebd., Bd. IV, S. 371. 7  Ebd., Bd. IV, S. 374. 8  Vgl. hierzu Wilfried Barner: Altertum, Überlieferung, Natur. Über »Klassizität« und autobiographische Konstruk­tion in Goethes »Italienischer Reise«. In: Goethe Jahrbuch 105, 1988, S.  88 ff. 9  Vgl. Herbert von Einem: Die italie­ nische Reise (wie Anm. 1), S. 98. 10  Vgl. Günther Böhme: Goethe. Natur­wissenschaft. Humanismus. Bildung, Frankfurt a. M. 1991, S. 56 f. 11  Vgl. Reinhard Herbig: Begegnungen Goethes mit griechischer Kunst in ­Italien, Mainz 1948, und Georg Striehl: Der Zeichner Christoph Heinrich Kniep. Landschaftsauf­fassung und Antikenrezep­tion, Hildesheim 1998. 12  Vgl. Petra Maisak: Goethe und Tischbein in Rom, Frankfurt a. M. 1994, Marianne Heinz: Der »Römische Tischbein«. Johann Heinrich Wilhelm. In: 3 x Tischbein und die euro­päische Malerei. Hrsg. Staat­liche Museen ­Kassel, M ­ ünchen 2006, S. 37 – 47, und Klaus Langenfeld: Wilhelm Tischbein.

­Goethe-­Maler in Rom und her­zog­­lich-­ oldenbur­gischer Hofmaler, Oldenburg 2008. 13  Vgl. u. a. Gisold Lammel: Angelika Kauffmann und der Sentimentalismus. In ders.: Deutsche Malerei des Klassizismus, Leipzig 1986, S. 56 – 59, Oscar Sandner: Angelika Kauffmann und Rom, Lucca 1998, S. 36 ff., und Melissa Dabakis: ­Angelika Kauffmann, Goethe and the Arcadian Society in Rome. In Evelyn K. Moore und Patricia Anne Simpson (Hrsg.): The Enlightened Eye. Goethe and Visual Culture, Amsterdam 2007, S. 34. 14  Vgl. Jost Schillemeit: Goethe und Heinrich Meyer. Zu den römischen Anfängen der klas­sischen Weimarer Kunstlehre. In: Abhandlungen der Braunschwei­gischen Wissenschaft­lichen Gesellschaft 64, 1993, S. 119 – 129. 15  Vgl. Wolfgang Krönig und Reinhard Wegner: Jakob Philipp Hackert. Der Landschaftsmaler der Goethezeit, Köln 1994, und Thomas Weidner: Jakob Philipp Hackert. Landschaftsmaler im 18. Jahrhundert, Berlin 1998.

Wieder in Weimar 1  Römische Elegien. In: Werke, Bd. I, S. 55. 2  Ebd., Bd. I, S, 56. 3  Vgl. Hansjakob Schoepp: Goethes Morphologie der Pflanzen und ihre ­Bedeutung für die Gegenwart, Frankfurt a. M. 1949, S. 92 – 108. 4  Vgl. hierzu allgemein Georg Balzer: Goethe als Gartenfreund, München 1966. 152

5  Vgl. Günter Steiger: Goethe, die Universität Jena und die Natur­wissen­ schaften. In Bernd Wilhelmi (Hrsg.): Goethe und die Natur­wissenschaften, Jena 1984, S. 21. 6  Vgl. Otfried Wagenbreth: Abraham Gottlob Werner und der Höhepunkt des Neptunistenstreites um 1790. In: Freiberger Forschungsheft D 11, 1955, S.  185 – 241.

Anmerkungen 7  Venezianische Epigramme. In: Werke, 9  Ebd., Bd. I, S. 71. Bd. I, S.72. 10  Ebd., Bd. I, S. 68. 8 Ebd.

Nach dem Beginn der Franzö­sischen Revolu­tion 1  Vgl. bereits meinen Aufsatz: Mit scharfer Klinge. Der Xenien-Krieg von 1796. In ders.: Pro und Contra Goethe, Oxford 2005, S. 33 – 48. 2  Vgl. Bedeutende Förderung durch ein einziges geistreiches Wort. In: Werke, Bd. VI, S. 494. 3  Vgl. W. Daniel Wilson: Das Goethe-­ Tabu. Protest und Menschenrechte im klas­sischen Weimar, München 1999, S.  179 f. 4  Vgl. W. Daniel Wilson (Hrsg.): ­Goethes Weimar und die Franzö­sische Revolu­tion, Köln 2004, S. 16. 5  Der Bürgergeneral. In: Werke, Bd. II, S. 308 und 311. 6  Ebd., Bd. II, S. 318. 7  Vgl. Lothar Ehr­lich: Goethes Revolu­ tionskomödien. In: Goethe Jahrbuch 107, 1999, S. 179 ff. 8  Vgl. Rüdiger Safranski: Goethe. Kunstwerk des Lebens. Frankfurt a. M. 2015, S. 376. 9  Vgl. W. Daniel Wilson (Hrsg.): ­Goethes Weimar (wie Anm. 4), S. 100. Vgl. hierzu auch meinen ­Aufsatz: ­Goethe und Schiller. Eine strate­gisch kalkulierte Interessens­gemeinschaft. In ders.: Freundschaft. Zur Geschichte ­einer sozia­len ­Bindung, Köln 2006, S.  28 – 48.

10  Friedrich Schiller: Sämt­liche Werke, Leipzig (Insel) o. J., Bd. VII, S. 193. 11  Xenien, Nr. 93. 12  Ebd., Nr. 96. 13  Tabulae votivae. In: Werke, Bd. I, S. 137. 14  Vgl. Friedrich Sengle: Die Xenien Goethes und Schillers als Teilstück der frühen antibürger­lichen Bewegung. In: Interna­tionales Archiv für Sozia­l­ geschichte der Literatur 8, 1983, S. 121 – 144. Franz Schwarzbauer spricht in ­diesem Zusammenhang sogar von ­einem napoleonischen »Staatsstreich im Reich des Schönen«. Vgl. sein Buch: Die ­Xenien. Studien zur Vorgeschichte der Weimarer Klassik, Stuttgart 1992, S. 43 und 226. 15  Hermann und Dorothea. In: Werke, Bd. I, S. 361. 16  Friedrich Schiller: Die Horen. In: Sämt­liche Werke (wie Anm. 10), Bd. IV, S. 302. 17  Vgl. hierzu Erhard Bahr: Goethe’s Concept of »Volk« and His Dis­agree­ ment with the Contemporary Discourse from Herder to Fichte. In Nicholas ­Vazsony (Hrsg.): Searching for Common Ground. Diskurse zur deutschen Identität, Köln 2000, S. 127 – 140.

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Anmerkungen

Das »klas­sische« Ideal 1  Vgl. hierzu allgemein Olaf L. Müller: Mehr Licht. Goethe mit Newton im Streit um die Farben, Frankfurt a. M. 2015. 2  Einleitung in die Propyläen. In: Werke, Bd. V, S. 277. 3  Ebd., S. 278. 4  Ebd., S. 279. 5  Vgl. Walther Scheidig: Goethes Preisaufgaben für bildende Künstler 1799 – 1805, Weimar 1958. 6  Vgl. Gerhard S. Kalienke: Das ­Verhältnis von Goethe und Runge im Zusammenhang von Goethes Ausein­ andersetzung mit der Früh­romantik, Hamburg 1973.

7  Letzte Kunstausstellung. In: Werke, Bd. V, S. 708. 8  Philipp Hackert. In: Werke, Bd. V, S.  221 – 224. 9  Winckelmann und sein Jahrhundert. In: Werke, Bd. V, S. 211. 10  Ebd., S. 213. 11  Ebd., S. 214. 12  Ebd., S. 220 und 210. Vgl. hierzu auch Max L. Baeumer: Winckelmanns Formulierung der klas­sischen Schönheit. In: Monatshefte 65, 1973, S. 60 – 75, und Klaus-­Werner Haupt: ­Johann Winckelmann. Begründer der klas­sischen Archäologie und modernen Kunstwissenschaften, Weimar 2014.

Während der Befreiungskriege 1  Friedrich Schiller: Sämt­liche Werke, Leipzig (Insel) o. J., Bd. V, S. 381. 2  Annalen oder Tag- und Jahreshefte. In: Werke, Bd. VI, S. 650. 3  Vgl. Rüdiger Safranski: Goethe. Kunstwerk des Lebens, Frankfurt a. M. 2015, S. 506 ff. 4  Vgl. hierzu meine Aufsätze: Dashed Hopes: On the Paintings of the Wars of Libera­tion. In Seymour Drescher et al. (Hrsg.): Political Symbolism in Modern Europe, New Brunswick 1982, S. 216 – 238, Back to the Roots. The Teutonic Revival from Klopstock to the Wars of Libera­tion. In Reinhold Grimm und Jost Hermand (Hrsg.):

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From the Greeks to the Greens. Images of the Simple Life, Madison 1989, S. 48 – 60, und: Sieg der gerechten ­Sache! Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld: Cäcilia Tschudi als Walküre (1813). In ders.: Politische Denkbilder von Caspar David Friedrich bis Neo Rauch, Köln 2011, S. 35 – 50. 5  Tagebuch vom 24. Oktober 1829. 6  Brief an Johann Friedrich Rochlitz vom 27. April 1822. 7  Vgl. mein Buch: Verlorene Illusionen. Eine Geschichte des deutschen Na­tio­ nalismus, Köln 2012, S. 97. 8  Des Epimenides Erwachen. In: Werke, Bd. II, S. 339.

Anmerkungen

Nach dem Wiener Kongreß 1  Vgl. zum Folgenden auch mein Buch: Verlorene Illusionen. Eine ­Geschichte des deutschen Na­tionalismus, Köln 2012, S. 102 ff. 2  Vgl. u. a. Fritz Strich: Goethe und die Weltliteratur, Bern, 2. Aufl., 1957, Hans Joachim Schrimpf: G ­ oethes Begriff der Weltliteratur, Stuttgart 1968, und Peter

Weber: Die Herausbildung des Begriffs Weltliteratur. In Günther Klotz et al. (Hrsg.): Literatur im Epochenumbruch, Berlin 1977, S. 533 – 614. 3  Zahme Xenien. In: Werke, Bd. I, S. 199. 4  Ebd., Bd. I, S. 139.

Gegen die neu-­deutsche religiös-­patriotische Kunst 1  Vgl. Frank Büttner: Der Streit um die »Neu-­deutsche religiös-patriotische Kunst«. In: Aurora 43, 1983, S. 55 – 76. 2  Vgl. das Tagebuch von Sulpiz ­Boisserée vom 19. September 1815. 3  Vgl. meinen Aufsatz: »Das ganze Deutschland soll es sein!« Heinrich von Kleists »Hermannsschlacht«. In Jost Hermand und Michael ­Niedermeier: Revolutio germanica. Die Sehnsucht nach der »alten Freiheit« der Germanen 1750 – 1820, Frankfurt a. M. 2002, S. 232. 4  Vgl. Paul Wagler: Die Eiche in alter und neuer Zeit, Berlin 1891, S. 40 ff., und meinen Aufsatz: Zwischen ­Pascha Weitsch und Caspar David Friedrich. Carl Wilhelm Kolbes ­Eichen­darstel­lungen. In Norbert Michels (Hrsg.): Carl Wilhelm Kolbe, Petersberg 2009, S. 123 – 132. 5  Vgl. meinen Aufsatz: Caspar David Friedrichs »Eiche im Schnee« im Umkreis der Befreiungskriegsthe­matik. In Ekkehard Mai (Hrsg.): Die Zukunft der alten Meister, Köln 2001, S.  217 – 242.

6  Vgl. Ludwig Jahn: Deutsches ­Volkstum, Leipzig, 2. Aufl., 1817, S. 313 ff., und Ernst Moritz Arndt: Über Sitte, Mode und Kleidertracht, Frankfurt a. M. 1814. 7  Sigrid Hinz (Hrsg.): Caspar David Friedrich in Briefen und Bekennt­nissen, Berlin 1968, S. 220. 8  Ebd., S. 40. 9  Vgl. Paul Märker: Caspar David Friedrich zur Zeit der Restaura­tion. Zum Verhältnis von Naturbegriff und geschicht­licher Stellung. In ­Bertold Hinz (Hrsg.): Bürger­liche Revolu­tion und Romantik, Gießen 1976, S. 66. 10  Vgl. Gerhard Eimer: Caspar David Friedrich und die Gotik, Hamburg 1963, S. 25. 11  Vgl. Werner Sumowski: CasparDavid-­Friedrich-­Studien, Wiesbaden 1970, S. 36. 12  Vgl. Klaus Gollwitz: Die Nazarener in Rom. Ein deutscher Künstlerbund der Romantik, München 1981. 13  Heinrich Meyer: Kleine Schriften zur Kunst, Nedeln 1968, S. 98 f. 14  Ebd., S. 107. 155

Anmerkungen 15  Ebd., S. 114. 16  Julius Schnorr von Carolsfeld: Briefe aus Italien, geschrieben in den Jahren 1817 – 1830, Gotha 1886, S. 128. 17  Vgl. Richard Hamann: Die Malerei der Restaura­tionsepoche. In ders.: Die deutsche Malerei vom Rokoko bis zum Expressionismus, Leipzig 1925, S. 134 ff.

18  Heinrich Meyer: Kleine Schriften zur Kunst (wie Anm. 13), S.117. 19  Ebd., S. 120. 20  Antik und Modern. In: Werke, Bd. V, S. 322. 21  Ruysdael als Dichter. In: Werke, Bd. V, S. 374. 22  Wolkengestalt nach Howard. In: Werke, Bd. VI, S.  460 – 468.

Die Spätzeit 1  Antik und Modern. In: Werke, Bd. V, S. 322. 2  Antike. In: Werke, Bd. I, S. 227. 3 Faust II. In: Werke, Bd. II, S. 467. 4  Vgl. hierzu schon das Buch: Die Klassik-­Legende. Hrsg. von Reinhold Grimm und Jost ­Hermand, Frankfurt a. M. 1971, S. 7 f. 5  Vgl. Gisold Lammel: Deutsche Malerei des Klassizismus, Leipzig 1986, S.  15 ff. 6  Vgl. hierzu schon das Kapitel »Zur Problematik des Begriffs ›Die Moderne‹« in meinem Buch: Nach der Postmoderne. Ästhetik heute, Köln 2004, S.  43 – 69. 7  Vgl. Vera Hierholzer und Sandra Richter: Goethe und das Geld, Frankfurt a. M. 2012, S. 28. 8  Vgl. Rüdiger Safranski: Goethe. ­Leben als Kunstwerk, Frankfurt a. M. 2015, S. 370. 9  Ebd., S. 589. Vgl. über Goethes ­Abneigung gegen Pressefreiheit und Judenemanzipa­tion auch Richard ­Friedenthal: Goethe. Sein Leben und seine Zeit, München 1963, S. 499 f., und W. Daniel Wilson: 156

»Humanitätssalbader.« Goethe’s Distaste for Jewish Emancipa­tion and Jewish ­Responses. In Klaus L. Berghahn und Jost Hermand (Hrsg.): Goethe in German-­Jewish Culture, ­Rochester 2001, S.  146 – 164. 10  Zahme Xenien. In: Werke, Bd. II, S. 391. 11  Ebd., S. 297. 12  Tischbeins Idyllen. In: Werke, Bd. V, S. 361. 13  Zahns Ornamente und Gemälde. In: Werke, Bd. V, S. 388. Vgl. zu Fernow und Zahn auch Martin ­Dönike: Altertumskund­liches ­Wissen in Weimar, Berlin 2013, S. 248 – 250 und 267 – 451. 14  Künstlerische Behandlung landschaft­licher Gegenstände. In: Werke, Bd. V, S. 371 f. 15  Vgl. Carl Friedrich von Rumohr: Italienische Forschungen, Berlin 1827, Bd. I, S. 101. 16  Vgl. Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr: Über ein zum Altarblatte bestimmtes Landschaftsgemälde von Herrn Friedrich in Dresden. In: ­Zeitung für die elegante Welt, 1809, S. 89 ff.

Anmerkungen 17  Vgl. Wolfgang Voigt und Ulrich ­Sucker: Johann Wolfgang von ­Goethe als Naturwissenschaftler, Leipzig 1979, S.  77 ff. 18  Vgl. Johann Wolfgang Goethe: Die Schriften zur Naturwissenschaft, Bd. I, 10, Weimar 1953, S. 337 f. 19  Bedeutende Förderung durch ein einziges geistreiches Wort. In: Werke, Bd. VI, S. 495. 20  Einwirkung der neueren Philosophie. In: Werke, Bd. VI, S. 5 f. 21  Wilhelm Meisters Wanderjahre. In: Werke, Bd. III, S. 460. 22  Ebd., Bd. III, S. 458.

23  Vgl. Hans Schwerte: Faust und das Faustische. Ein Kapitel deutscher Ideologie, Stuttgart 1962. 24 Faust II. In: Werke, Bd. II, S. 434. 25  Ebd., Bd. II, S. 434. 26  Ebd., Bd. II, S. 452. 27  Ebd., Bd. II, S. 452. 28  Ebd., Bd. II, S. 482. 29  Ebd., Bd. II, S. 485. 30  Ebd., Bd. II, S. 484. 31  Vgl. u. a. Heinz Hamm: Julirevolu­ tion, Saint-­Simonismus und Goethes abschließende Arbeit am »Faust«. In: Weimarer Beiträge 28, 1982, H. 11, S.  70 – 91.

Nachwort: Ökolo­gische Forderungen 1  Vgl. u. a. Rüdiger Safranski: Goethe. Kunstwerk des Lebens, Frankfurt a. M. 2015. 2  Vgl. u. a. Johann Wolfgang Goethe: Die Schriften zur Naturwissenschaft, Weimar 1947 ff., Bd. V, S. 545. 3  Vgl. meinen Aufsatz: Freiheit in der Bindung. Goethes grüne Weltfrömmigkeit. In ders.: Pro und Contra Goethe. Dichterische und germa­nistische Stellungnahmen zu seinen Werken, Oxford 2005, S.  69 – 96. 4  Vgl. den Abschnitt »Anti-Goethe­ana« in: Das junge Deutschland. Texte und Dokumente. Hrsg. von Jost Hermand, Stuttgart 1966, S. 21 – 29. 5  Ludwig Börne: Gesammelte Schriften, Hamburg 1862, Bd. III, S. 385. 6  Heinrich Laube: Reisenovellen, Leipzig 1834, S. 247. 7  Heinrich Heine: Sämt­liche Werke, Leipzig 1910 ff., Bd. VII, S. 48.

Vgl. hierzu auch meinen Aufsatz: Ein Blick von unten. H. Heine und Johann Wolfgang von Goethe. In Ursula Roth und Heidemarie Vahl (Hrsg.): Großer Mann im seidenen Rock. Heines Verhältnis zu Goethe, Stuttgart 1999, S.  3 – 24. 8  Theodor Mundt: Literarischer ­Zodiakus 1, 1835, S. 2. 9  Charlotte Stieglitz. Ein Denkmal. Hrsg. von Theodor Mundt, Berlin 1835, S. 252. 10  Karl Marx und Friedrich Engels: Über Kunst und Literatur, Berlin 1948, S.  216 ff. 11  Vgl. Felix Höppner: Wissenschaft wider die Zeit. Goethes Farbenlehre aus rezep­tionsgeschicht­licher Sicht, Heidelberg 1990, S. 245 ff., und Olaf L. ­Müller: Mehr Licht. Goethe mit ­Newton im Streit um die Farben, Frankfurt a. M. 2015, S. 448 – 451. 157

Anmerkungen 12  Hermann Helmholtz: Goethes naturwissenschaft­liche Arbeiten, Berlin 1853, S. 2. 13  Ebd., S. 18. 14  Vgl. Rudolf Virchow: Goethe als Naturforscher, Berlin 1861, S. 20 ff. 15  Vgl. zu Wilhelm Scherers »Blüte­ zeiten«-Theorie mein Buch: ­Geschichte der Germanistik, ­Reinbek 1994, S. 60. 16  Vgl. Gustav Theodor Fechner: Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen, Hamburg, 2. Aufl., 1899, S. X–XV. 17  Vgl. Stephen F. Mason: Geschichte der Naturwissenschaft, Stuttgart 1961, S. 504. 18  Ernst Haeckel: Generelle Morpho­ logie der Organismen, Berlin 1866, S. 282. 19  Zit. in Stephen F. Mason: Geschichte der Naturwissenschaft (wie Anm. 17), S. 504. Vgl. zum Folgenden auch mein Buch: Grüne Utopien in Deutschland. Zur Geschichte des ökolo­gischen Bewußtseins, Frankfurt a. M. 1991, S. 82 ff. 20  Ernst Haeckel: Natür­liche Schöpfungsgeschichte, Berlin, 10. Aufl., 1910, S. X. 21  Ebd., S. XVI. 22  Vgl. Richard Hamann und Jost ­Hermand: Impressionismus, Berlin 1960, S. 309. 23  Bruno Wille: Offenbarungen des Wacholderbaums, Jena, 4. Aufl., 1915, Bd. II, S. 121 ff. 24  Vgl. meinen Aufsatz: Rousseau, Goethe, Humboldt. Their Influence on Later Advocates of the Nature Garden. In Joachim Wolschke-­Bulmahn (Hrsg.): 158

Nature and ­Ideology. Natural Garden Design in the Twentieth Century, ­Washington D. C. 1997, S. 50 f. 25  Vgl. Rudolf Steiner: Grundlinien ­einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, Stuttgart 1925, S. 8. 26  Werner Heisenberg: Die Goethesche und die Newtonsche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik. In: Geist der Zeit 19, 1941, S. 261 ff. 27  Karl Jaspers: Unsere Zukunft und Goethe, Bremen 1949, S. 28. 28  Werner Heisenberg: Schritte über die Grenze. Gesammelte Reden und Aufsätze, München 1971, S. 118. Vgl. in ­diesem Zusammenhang auch Max Planck: Vorträge und Erinnerungen, Stuttgart 1949, und Max Born: Betrachtungen zur Farbenlehre. In: Die Naturwissenschaften 50, 1963, H. 2, S.  37 – 39. 29  Ernst Hasse: Des Menschen Thron wankt, München 1955, S. 76 und 191. 30  Andreas B. Wachsmuth: Geeinte Zwienatur. Aufsätze zu Goethes naturwissenschaft­lichem Denken, Berlin 1966, S. 24 f. 31  Uwe Wolff: Papa Faust, Berlin 1982, S. 94, 112, 114 und 127. 32  Fritjof Capra: Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, München 1988, S. 5. Vgl. in d ­ iesem Zusammenhang auch Rüdiger Lutz: Die sanfte Wende. Aufbruch ins ökolo­gische Zeitalter, München 1984. 33  Ebd., S. 5. 34  Hans-­Christoph Binswanger: Die moderne Wirtschaft als alchemistischer Prozeß. Eine ökonomische Deutung

Anmerkungen von Goethes »Faust«. In: Neue Rundschau 93, 1982, S. 70 ff. Beachtenswert, aber weniger ergiebig für eine spezifisch ökolo­gische Perspektive sind in ­diesem Zusammenhang auch Alfred Schmidt: Goethes herr­lich leuchtende Natur. Philosophische Studie zur deutschen Spät­aufklärung, München 1984, und Adolf Muschg: »Im Wasser Flamme«. Goethes grüne Wissenschaften, Wies­ baden 1985. 35  Gernot Böhme (Hrsg.): Klassiker der Naturphilosophie, München 1989, S. 12. 36  Günther Böhme: Goethe. Natur­ wissenschaft. Humanismus. Bildung. Ein Versuch über die Gegenwart klas­ sischer Bildung, Frankfurt a. M. 1991, S. 52.

37  Vgl. hierzu schon meine Publika­ tionen: Ökolo­gische Dring­lich­keits­ postulate in den Kultur- und Geis­tes­ wissenschaften, Leipzig 1997, Literaturwissenschaft und ökolo­gisches Bewußtsein. Eine mühsame Verflechtung. In Anne Bentfeld et al. (Hrsg.): Perspektiven der Germanistik, Opladen 1997, S. 106 – 125, Von der Notwendigkeit neuer Meisterdiskurse. Rot-­grüne Posi­tionen in den Geisteswissenschaften. In Peter Morris-­Keitel und Michael Niedermeier (Hrsg.): Ökologie und Literatur, New York 2000, S. 55 – 74, und Der »aufhaltsame Aufbruch« der Grünen und die zöger­lich folgende Germanistik. In John A. McCarthy et al. (Hrsg.): The Many Faces of Germany. Festschrift für Frank Trommler, New York 2004, S. 289 – 300.

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Bildnachweise Abb. 1, 2, 3, 14, 22, 24, 25, 26, 33, 35  Archiv des Verfassers. Abb. 4, 8, 11, 36  wiki commons. Abb. 5  Corpus der Goethezeichnungen. Hrsg. von Gerhard Femmel et al., ­Leipzig, Seemann, Bd. 1, 1958, Nr. 167. Abb. 6  bpk | Staat­liches Museum Schwerin | Elke Walford. Abb. 7  Bruce Boucher: Andrea ­Palladio. The Architect in his Time, New York, Abbeville, 1998, S. 144. Foto: Paolo Marton. Abb. 9 bpk. Abb. 10, 29  Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt a. M. Abb. 12  Corpus der Goethezeichnungen. Hrsg. von Gerhard Femmel et al., Leipzig, Seemann, Bd. 4, B 1968, Nr. 38. Abb. 15  Corpus der Goethezeichnungen. Hrsg. von Gerhard Femmel et al., Leipzig, Seemann, Bd. 5, B 1967, Nr. 24. Abb. 16  Corpus der Goethezeichnungen. Hrsg. von Gerhard Femmel et al., Leipzig, Seemann, Bd. 5, B 1967, Nr. 56. Abb. 17  Corpus der Goethezeichnungen. Hrsg. von Gerhard Femmel et al., Leipzig, Seemann, Bd. 4, B 1968, Nr. 17.

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Abb. 18  Corpus der Goethezeichnungen. Hrsg. von Gerhard Femmel et al., Leipzig, Seemann, Bd. 4, B 1968, Nr. 239. Abb. 19  Niedersäch­sisches Landesmuseum, Oldenburg, Foto: Sven Adelaide Abb. 20  Gisold Lammel: Deutsche ­Malerei des Klassizismus. Leipzig, ­Seeman 1986, S. 231. Abb. 21  bpk | Na­tionalgalerie, SMB | Andres Kilger. Abb. 23  Corpus der Goethezeichnungen. Hrsg. von Gerhard Femmel et al., Leipzig, Seemann, Bd. 5, A 1963, Nr. 139. Abb. 27  bpk | Staat­liche Kunstsamm­ lungen Dresden | Jürgen Karpinski. Abb. 28  bpk | The Metropolitan ­Museum of Art. Abb. 30  bpk | RMN – Grand Palais. Abb. 31  Werner Hofmann (Hrsg.): ­Caspar David Friedrich. München, ­Prestel, 1974, S. 92. Abb. 32  Christoph Michel (Hrsg.): ­Goethe. Sein Leben in Bildern und Texten. Frankfurt a. M., Insel, 1982, S. 129. Abb. 34  Freies Hochstift, Frankfurt a. M. Abb. 37 © VG Bild-­Kunst, Bonn 2016. Abb. 38  Christoph Stölzl: Michael ­Mathias Prechtl. München, C. J. Bucher, 1986, S. 138.

Personenregister A Albertus Magnus  78 Alexander von Rußland  81, 113 Anna Amalia von Sachsen-WeimarEisenach 15, 26, 47, 48, 72 Arndt, Ernst Moritz  75, 76, 86, 87, 93, 96, 97 Augustenburg, Christian Friedrich von 58, 76 August von Preußen  81 B Baader, Franz von  64 Bach, Johann Sebastian  8 Bardua, Caroline  78 Bartels, Ernst Daniel August  133 Bartsch, Erhard  139 Batsch, August Johann Georg Carl  46, 57 Beethoven, Ludwig van  8, 114 Bentheim-Tecklenburg, Karl von  113 Bernhard von Sachsen-Weimar-­ Eisenach 81 Bertuch, Friedrich Justin  43 Beust, August von  113 Binswanger, Hans-Christoph  145 Blumenbach, Johann Friedrich  24 Boffrand, Germain  18 Böhme, Gernot  145 Böhme, Günther  7, 145 Bois Reymond, Emil de  133 Boisserée, Sulpiz  91, 106 Bölsche, Wilhelm  137, 138 Bonsels, Waldemar  137 Börne, Ludwig  132 Brandes, Heinrich Wilhelm  133 Brecht, Bertolt  9, 51

Brentano, Clemens  88 Brühl, Carl Friedrich von  113 Bruno, Giordano  136, 142 Buchholz, Wilhelm Heinrich ­Sebastian  24 Büchner, Ludwig  135 Bury, Friedrich  34, 79 C Capra, Fritjof  144, 145 Carl August von Sachsen-WeimarEisenach 23, 24, 28, 31, 41, 47, 51 – 54, 56, 76, 83 Carstens, Asmus Jakob  30, 70, 71, 100, 117 Carus, Carl Gustav  118, 133, 135 Cellini, Benvenuto  65 Chodowiecki, Daniel Nikolaus  28 Cornelius, Peter von  68, 100 – 103 Cuvier, Georges de  117 D Dannecker, Heinrich von  65 Dannegger, A. D.  19 Darwin, Charles  135 – 138 Darwin, Erasmus  135 Döbereiner, Johann Wolfgang  133 Donner, Georg Raphael  15 Dürer, Albrecht  78, 101 E Eben, Johann Michael  14 Eckermann, Johann Peter  109, 110, 115 Egloffstein, Julie von  113 Eichstadt, Karl Abraham  68 Engels, Friedrich  132 Ernst August von Hannover  113 161

Personenregister Ernst II. von Sachsen-GothaAltenburg 81 Everdingen, Allaert van  29, 31 F Fechner, Gustav Theodor  135, 138 Ferdinand IV. von Neapel  39 Fernow, Karl Ludwig  63, 117 Fidus, eigentlich Hugo Höppner  138, 139 Flachsland, Caroline  22 Flaischlen, Cäsar  137 Förster, Karl  97 Franz I. von Österreich  83 Freud, Sigmund  144 Friedrich, Adolf  97 Friedrich, Caspar David  70, 91, 93 – 99, 101, 104 – 107, 114, 117 Friedrich Ludwig von Mecklenburg  81 Friedrich von Gotha  81 Friedrich Wilhelm III. von Preußen 99 Füger, Friedrich Heinrich  22 G Geßner, Salomon  120 Gilbert, Ludwig Wilhelm  64 Goethe, August  77 Goethe, Johann Caspar  13 Görres, Johann Joseph von  97 Göttling, Johann Friedrich August  56 Graff, Anton  28 Gran, Daniel  15 Grillparzer, Franz  88 Grüner, Joseph Sebastian  117 H Hackert, Jakob Philipp  39, 40, 70, 72, 73, 78, 100, 117 Haeckel, Ernst  136 – 138 162

Haller, Albrecht von  120 Hamann, Johann Georg  45 Hartmann, Christian Ferdinand August 68 Hasse, Ernst  142 Hauptmann, Carl  137 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  111, 120 Heine, Heinrich  114, 132 Heinroth, Johann Christian August 119 Heisenberg, Werner  140, 141, 144 Helmholtz, Hermann  133, 134 Herder, Johann Gottfried  17 – 19, 21, 22, 45, 51, 52 Hesse, Hermann  137 Hirth, Friedrich Wilhelm  14 Hirt, Ludwig  34 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 114 Hölderlin, Friedrich  114 Homer 35, 36, 109 Houwald, Ernst Christoph von  88 Howard, Luke  106, 107 Hufeland, Christoph Wilhelm  57 Humboldt, Alexander von  79, 133 Humboldt, Wilhelm von  78, 126 Hummel, Johann Erdmann  68 Hutten, Ulrich von  97 J Jacobi, Friedrich Heinrich  27, 56, 64 Jagemann, F. (?)  84 Jahn, Ludwig  86, 97 Jaspers, Karl  141 Jean Paul, eigentlich Johann Paul Friedrich Richter  114

Personenregister K Kaaz, Karl Ludwig  79 Kant, Immanuel  8, 119 Karl von Hessen-Kassel  81 Kauffmann, Angelica  22, 34, 38, 39, 54, 55, 100 Kayser, Philipp Christoph  8 Kelly, Petra  147 Khevenhüller, Karl Maria Franz Joseph von 113 Klauer, Martin Gottlieb  28, 54 Kleist, Ewald von  120 Kleist, Heinrich von  94, 114 Klopstock, Friedrich Gottlieb  79, 93, 95 Knebel, Karl Ludwig von  46, 52, 77, 84 Kniep, Christoph Heinrich  36 Körner, Christian Gottfried  57 Körner, Theodor  87, 96 Kraus, Georg Melchior  22, 28, 70 Kügelgen, Gerhard von  79 L Lamarck, Jean-Baptiste de  135, 137 Laube, Heinrich  132 Laugier, Marc-Antoine  18 Lavater, Johann Kaspar  27 Lenz, Johann Georg  24, 47, 77, 119 Leonhardshoff, Johann Evangelist Scheffer von  101 Lessing, Gotthold Ephraim  8 Leuchtenberg, Eugen Beauharnais von 113 Liechtenstein, Joseph Johann Baptist Moritz von  81 Linné, Carl von  25 Lips, Johann Heinrich  28, 34, 54, 55 Loder, Justus Christian  24, 57

Lorrain, Claude, eigentlich Claude Gelée 72, 104, 105, 117 Louis Ferdinand von Preußen  81 Lubomirska, Isabella  113 Ludwig I. von Bayern  113, 114 Lukrez, eigentlich Titus Lucretius Carus 129 Luxburg, Friedrich Christian Ludwig von 113 M Mannlich, Johann Christian von  70 Maria Feodorowna von Rußland  113 Maria Ludovica von Österreich  113 Marie Antoinette von Frankreich  53 Martialis, Marcius Valerius  59 Martius, Karl Friedrich Philipp von 117 Marx, Karl  111, 144 Maximilian von Bayern  113 Mendelssohn-Bartholdy, Felix  8 Mengs, Anton Raphael  30, 34, 100 Merck, Johann Heinrich  22, 28, 29 Metternich, Clemens Lothar von  83, 85 – 88, 91, 96, 99, 111 – 113, 130, 132 Meyer, Johann Heinrich  34, 39, 54, 66 – 70, 92, 100 – 102 Moleschott, Jakob  135 Mollweide, Carl Brandan  133 Moritz, Karl Philipp  34 Mozart, Wolfgang Amadeus  8 Müller, C. (?)  84 Müller, Friedrich „Maler“  28 Müller, Friedrich von  21 Müller, Johannes  133 Müllner, Adolf  88 Mundt, Theodor  132

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Personenregister N Napoleon Bonaparte  75, 76, 79, 81, 83, 94, 99, 112 Nees von Esenbeck, Christian Gottfried 119, 133 Newton, Isaac  64, 140, 144 Nothnagel, Johann Andreas Benjamin 14 Novalis, eigentlich Friedrich Leopold von Hardenberg  138 O O’Donell von Tyrconnel, Josephine 113 Oeser, Adam Friedrich  13 – 17, 28 Oken, Lorenz  78, 136 Overbeck, Johann Friedrich  100, 101 P Palladio, Andrea  32, 33 Pforr, Franz  100 Phidias 109 Picht, Georg  127 Prechtl, Michael Mathias  145, 146 Pückler-Muskau, Hermann Ludwig von 113 Q Quandt, Johann Gottlob  79, 117 R Raffael, eigentlich Raffaelo Santi  30, 70, 101, 102, 109 Ramdohr, Wilhelm Basilius von  117 Reichardt, Johann Friedrich  8 Reich, Philipp Erasmus  15 Reiffenstein, Johann Friedrich  34 Reil, Johann Christian  64 Reimer, Georg Andreas  98 Rembrandt, Harmensz van Rijn  14 164

Reuß-Lobenstein, Heinrich von  113 Riepenhausen, Friedrich  100, 101 Riepenhausen, Johannes Christian 100, 101 Ritter, Johann Wilhelm  64 Robespierre, Maximilien  53, 76 Rohden, Johann Martin  68 Roos, Heinrich  31 Rousseau, Jean-Jacques  15, 22 Rückert, Friedrich  96 Rumohr, Carl Friedrich von  117 Runge, Philipp Otto  68, 77, 101 Ruysdael, Jakob van  104 S Saint-Hilaire, Etienne Geoffroy de  117, 135 Saint-Just, Antoine  76 Schadow, Friedrich Wilhelm  100, 101 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 64, 136 Schenkendorf, Max von  96 Schick, Gottlieb  30 Schiller, Friedrich  8, 51, 57 – 66, 76 Schinkel, Karl Friedrich  93, 94 Schlegel, Friedrich  67, 88, 100 Schmeller, Johann Joseph  120, 121 Schnorr von Carolsfeld, Julius  101 Schnorr von Carolsfeld, Ludwig ­Ferdinand  80, 82 Schubert, Franz  114 Schütz, Christian Georg  14 Schütze, Ludwig  23, 24 Schütz, Johann Georg  34 Schweitzer, Albert  141, 142 Seekatz, Johann Conrad  14 Shakespeare, William  15, 17, 18 Smith, Joseph  32 Sömmering, Samuel Thomas  24 Soret, Frédéric-Jean  117

Personenregister Spinoza, Benedictus de  27, 136 Sprengel, Kurt Polykarp Joachim  64 Stackelberg, Otto Magnus von  113 Staeck, Klaus  143 Steffens, Henrik  64 Steinbach, Erwin von  18, 20 Stein, Charlotte von  24, 26, 27, 33, 43, 78 Steiner, Rudolf  138 – 140, 144 Stein, Heinrich Friedrich Karl vom und zum  76, 83, 98 Sternburg, Caspar Maria von  113 Stieglitz, Charlotte  132 Stifter, Adalbert  142 Sulzer, Johann George  18 T Theokrit 115 Theophrast 64 Thorvaldsen, Bertel  79 Thouret, Nikolaus Friedrich  66 Thurn und Taxis, Karl Alexander von 113 Tieck, Christian Friedrich  68 Tieck, Ludwig  100 Tischbein, Johann Friedrich August  22 Tischbein, Johann Heinrich Wilhelm 34, 36 – 39, 48, 49, 68 – 70, 115 Trautmann, Johann Georg  14 Trippel, Alexander  34

Voigt, Johann Carl Wilhelm von  24 Vulpius, Christiane  43 – 45, 47 W Wachsmuth, Andreas B.  142 Wächter, Eberhard  30 Wackenroder, Wilhelm Heinrich  100 Wagner, Johann Martin  68 Wagner, Otto  23, 24 Weizsäcker, Carl Friedrich von  141 Werner, Abraham Gottlob  24, 46 Werner, Zacharias  88 Wieland, Christoph Martin  15, 45, 51, 52 Wilhelm von Preußen  113 Wille, Bruno  137 Winckelmann, Johann Joachim  8, 13, 15, 17, 20, 22, 30, 34, 36, 39, 44, 48, 54, 63, 65, 66, 73, 92, 99, 100, 102, 110, 117, 132 Wolff, Uwe  143 Z Zahn, Wilhelm Johann Karl  115 – 117 Zelter, Carl  8, 118, 122

V Verschaffelt, Maximilian von  36 Virchow, Rudolf  134 Vitruv, eigentlich Vitruvius Pollio  32 Vogt, Karl  135 Voigt, Christian Gottlob von  51 Voigt, Friedrich Siegmund von  46 165

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Jost Hermand

Das liebe GelD! EigEntumsvErhältnissE in dEr dEutschEn litEratur

Im Gegensatz zu eher dichtungsorientierten Deutungsweisen deutscher Literatur geht es in diesem Buch vornehmlich um die Widerspiegelung jener sozioökonomischen Verhältnisse, die letztlich allen kulturellen Überbauphänomenen zugrunde liegen. Als Beispiele dienen dafür – vom späten Mittelalter bis zur unmittelbaren Gegenwart – vor allem Dramen, Romane, Autobiographien und Gedichte von Rudolf von Ems, Wickram, Grimmelshausen, Lessing, Goethe und Schiller, Immermann, Freytag, Fontane, Hauptmann, Fischer, Kaiser, Fallada, Brecht, Müller, Walser, Wallraff, Scheben, Braun, Hein und Händler, in denen die jeweiligen Wandlungen und Katastrophen bestimmter Wirtschaftsprozesse besonders deutlich zum Ausdruck kommen. 2015. 356 s. GB. 155 X 230 mm | IsBn 978-3-412-50145-7

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THEO BUCK

GOETHES THEATRALISCHE SENDUNG VOM „URGÖTZ“ ZU „FAUST II“

Schon zu seinen Lebzeiten, wie auch noch heute, waren und sind die Meinungen über Goethe als Dramatiker gegensätzlich, wurde und wird sein theatralisches Talent sogar grundsätzlich in Frage gestellt. Einen anderen Weg geht der renommierte Literaturwissenschaftler Theo Buck. Er wirft einen neuen Blick auf Goethe und die Entwicklung seines dramatischen Schaffens von den Anfängen bis zum zweiten Teil des „Faust“. Nach den Anfangsversuchen in offener Form vollzieht Goethe mit der „Iphigenie“ eine scheinbare Rückwendung zur geschlossenen Form, die in Wahrheit die Herausbildung einer kommunikativ ausgerichteten Bewusstseinsdramaturgie darstellt. Dabei ist der Dramentext darauf angelegt, einen mentalen Prozess zwischen Verfasser und Rezipient auszulösen. Dieses zunächst an punktuellen Ausschnitten entwickelte Verfahren kommt dann im „Faust II“ mit seiner multiperspektivischen Totalität zu voller Wirkung. Goethes theatralische Sendung mündet aus in einem universalen Welttheater, das jeder aufgeschlossene Betrachter unmittelbar auf sich wirken lassen kann. 2015. 359 S. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-50191-4

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