Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Band 4 [Reprint 2023 ed.] 9783112696088, 9783112696071


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German Pages 491 [492] Year 1969

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Table of contents :
Vorrede
Aus: Der Naturforscher, Eine physikalische Wochenschrift
Aus: Berlinische privilegirke Zeitung
Aus: Berlinische Privilegirke Zeitung
Römische Historie
Beyträge zur Historie und Aufnahme Theaters. 1750
Erstes Stück
Zweytes Stück
Drittes Stück
Viertes Stück
Das Neueste aus dem Reiche des Witzes, als eine Beylage zu den Berlinischen Staats- und Gelehrten Zeitungen. 1751
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Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Band 4 [Reprint 2023 ed.]
 9783112696088, 9783112696071

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Gotthold Ephraim Lessings

sämtliche Schriften. Vierter Band.

Gotthold Ephraim Lessings

sämtliche Schriften. Herausgrgrden von

Karl Lachmann.

Dritte, anf's neue durchgrsehene und vermehrte Auflage, besorgt dnrrli

Fran; Munckrr.

Vierter Band.

—-C3A3-^-nX-—

Stuttgart. G. I. Göschen'sche Verlagshandlung. 1889.

Unveränderter photomechanischer Nachdruck

Archiv-Nr. 36 52 680 ©

1968 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen’sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuch­ handlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in the Netherlands Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Geneh­ migung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen

Vorrede Nach längerer Pause, deren Ursache in verschiednen äußern Umständen liegt, erscheint hiemit der vierte Band der sämtlichen Schriften Lessings, dem sich

nunmehr in rascherer Folge die übrigen Bände anschließen werden.

Er enthält

die ersten prosaischen Arbeiten des jungen Verfassers, vorwiegend Beiträge zu Zeitschriften.

Die frühesten derselben fallen in das Jahr 1747 und sind in dem von Mylius heranSgegebeneu „Naturforscher" gedruckt. Daß ich in den sonstigen Zeit­

christen aus jenen Jahren, welche Mylius und andre Freunde leiteten, vergebens

nach Spuren von Lessings Thätigkeit suchte, habe ich schon in der Vorrede züm ersten Bande angemerkt.

Von den dort aufgezählten Werken ist mir inzwischen

auch das letzte, das ich damals noch nicht aus eigner Anschauung kannte, zu­

gänglich geworden:

„Der Freygeist, eine Wochenschrift auf das Jahr 1745.

Leipzig, bey Johann Gottlieb Crull, 1746." (52 Blätter zu je 4 Seiten in groß 8°, die alle Montage erschienen; im ganzen 4 unpaginierte Blätter und

208 Seiten).

Der Augenschein bestätigte, was ich damals nur vermuten und

aus der allgemeinen Kenntnis der Lessingischen Jugendgeschichte schließen konnte:

in dieser Zeitschrift, welche heranskam, während Lessing noch die Fürstenschule zu Meißen besuchte, stammt keine Zeile aus seiner Feder. Konnte ich aber auch teilte früheren litterarischen Versuche unsers Autors

auffinden, die den bisherigen Herausgebern noch unbekannt gewesen, so durfte ich wenigsteus gleich anderu Forschern der letzten Jahre nach neuen Beiträgen Lessings zu TageSblättern und Wochenschriften auS der Zeit seines Berliner

Aufenthalts, wie ich hoffe, nicht erfolglos suchen.

Meine Ausgabe fügt als Er­

gebnis einer sorgfältigen Durchsicht der „Berlinischen privilegirten Zeitung" von 1748 bis 1755 und der „Critischen Nachrichten auS dem Reiche der Gelehrsam­ keit" von 1750 und 1751 mehrere längere und kürzere Bücherbesprechungen zu den Artikeln hinzu, welche in den letzten Jahren Redlich, B. A. Wagner, Maltzahn

und Boxberger aus diesen Zeitungen als Lessings Eigentum mitgeteilt haben.

Ob ich bei der Aufnahme oder Ausschließung solcher neuen Aufsätze stets das Richtige getroffen habe, weiß ich nicht; jedenfalls verfuhr ich überall mit der

Vorrede.

VI strengsten Vorsicht.

Ich prüfte die einzelnen Artikel der beiden Zeitungen zuerst

meistens, ohne daß ich die Arbeiten der genannten Forscher zur Hand hatte. Wo

sich hernach erwies, daß mein Urteil mit dem ihrigen übereinstimmte, durfte ich

weitem Zweifeln nicht mehr nachhängen.

Wo aber Recensionen, welche Wagner­

oder Maltzahn und Boxberger (in der zweiten Auflage des Danzel'schen Werkes) für Lessing in Anspruch nahmen, mir unecht zu sein und andre ihm zu gehören

schienen, die jene Forscher noch nicht angezeigt hatten, wiederholte ich meine Unter­ suchung, nicht selten drei- bis viermal, zu verschiedenen Zeiten, zwischen denen

etwa vier und zwar vier der Beschäftigung mit Lessing und der gleichzeitigen Litteratur gewidmete Jahre lagen. Ich bemühte mich dabei geradezu, meine An­ sichten mit jenen älteren in Einklang zu bringen; gleichwohl glaubte ich mehreres, was Boxberger und Maltzahn für Lessings Eigentum hielten, und selbst das eine

und das andre, das Wagner ihm zuschrieb, wegen seines Inhaltes, seiner Ten­

denz oder seines Stiles schließlich noch eben so bestimmt ablehnen zu müssen als am Anfang.

Damit jedoch der Leser, den meine Gründe vielleicht nicht immer

überzeugen, in meiner Ausgabe nichts vermisse, was er in andern, namentlich in der neuesten,

von Boxberger

besorgten Spemann'schen

Ausgabe

(in Joseph

Kürschners „Deutscher Nationallitteratur") findet, so teile ich jene meiner Meinung nach unechten Aufsätze, deren Unechtheit aber wenigstens nicht unwiderleglich be­

wiesen werden kann, in Anhängen hinter den einzelnen Jahrgängen, der frag­

lichen Zeitungen mit.

Diesen Platz mußte ich besonders mehreren Aufsätzen aus der „Berlinischen Zeitung" von 1749 anweisen, die Boxberger und Maltzahn zuerst wieder ab­

gedruckt haben. Ich vermisse an ihrem Stil wie an ihrem Inhalte das Lessingische Gepräge; dagegen scheint es mir bei vielen von ihnen unzweifelhaft, daß Mylius sie verfaßt hat.

Bon ihm rührt sicherlich die Anzeige des „Naturforschers" (im

15. Stück), die der „Deutschen Schaubühne zu Wien" (im 61. Stück), die des Lessittgischen „Eremiten" (im 108. Stück) her; er und nicht Lessing, der nach seinen sonstigen Äußerungen über Klopstock und dessen Verehrer ganz anders von

Reichels Büchlein über den „Messias" geurteilt hätte, kramte die plumpen Spöt­ tereien darüber im 143. Stück aus.

Auf seine Rechnung möchte ich auch mit

B. A. Wagner die ungesalzenen Grobheiten gegen La Mettrie (im 9. Stück) und das nichtssagende Lob der Übertragungen von Frau Gottsched ans dem Eng­ lischen (im 137. Stück) setzen, das von der beißenden Schärfe, mit der Lessing die Arbeiten aus dem Gottschedischen Lager zu durchätzen Pflegte, himmelweit

entfernt ist, desgleichen die unfeine und zugleich witzlose Derbheit der beiden Auf­

sätze über den „Petit discours sur les grands bouquets ä, la mode“ (int 145. und 155. Stück). Aber auch die Aufsätze über die „Bigarure“ (int 133. und

149. Stück) scheinen mir int Stil nichts specifisch Lessingisches zu haben, und noch weniger Lessingisch dünkt mich die Ausdrucksweise in der Anzeige des „Kritischen

Musikus an der Spree" (im 28. Stück), die auch nach ihrent Jtthalte nicht wohl von Lessing stammen kann, und in den herzlich unbedeutenden Nachrichten über d'Alembert und Crcbillon (im 92. Stück).

Vorrede.

vn

AuS den übrigen Jahrgängen der „Berlinischen Zeitung" hatte ich keinen

Artikel in den Anhang zu verweisen. Dagegen glaube ich die farblose kurze Be­

merkung über Gottscheds „Neuen Büchersaal" und sein „Neuestes auS der an­ mutigen Gelehrsamkeit" im 9. Stück der „Critischen Nachrichten" von 1751 be­

stimmt Lessing absprechen zu müssen.

Eben so wenig Anteil scheint mir dieser

an der Vorrede zum Jahrgang 1751 der „Critischen Nachrichten" zu haben; ihr Stil und Inhalt legt die Vermutung nahe, daß Mylius, als er seine Wochen­

schrift schloß, sie allein verfaßte.

Die Ankündigung dieses Jahrgangs hingegen,

die zu Ende des Jahres 1750 erschien, halte ich für eine gemeinsame Arbeit der beiden Freunde und habe sie deshalb wie alles, was sich irgendwie als Lessings

Eigentum erweisen läßt, unter seine Schriften selbst ausgenommen. Noch teilte ich als Anhang zu den Aufsätzen aus dem „Naturforscher" einen kurzen, erdichteten Brief mit, der in allen bisherigen Ausgaben fehlt. Die

Form, in welcher dieser Brief im „Naturforscher" gedruckt ist, erhielt er allem

Anscheine nach von Mylius, wie denn auch ohne Zweifel die Antwort darauf

von Mylius allein herrührt, der sich darin stets von seinem Freunde L. unter­ scheidet.

Aber es werden hier die Vorwürfe, welche Lessing sich damals wegen

seiner Anakreontischen Dichtungsversuche von seinen Eltern gefallen lassen mußte,

gewissermaßen öffentlich wiederholt und vor aller Welt zurückgewiesen, und somit bürste der, dem diese ganze Verteidigung galt, an dem Inhalte jener Scheltrede und der Antwort darauf, wenigstens des wichtigsten Satzes derselben, doch einen gewissen Anteil haben.

Hingegen ist der mit Dämon unterzeichnete läppische

Brief im 21. Stück des „Naturforschers", auf den Mohnike und dann wieder Maltzahn und Boxberger (in der zweiten Auflage des Danzel'schen Werkes, Bd. I, S. 96, Anm. 2) Hinwiesen, auf keinen Fall von Lessing; da auch Boxberger ihn von seiner Ausgabe ausschloß, brauchte ich ihn nicht einmal im Anhang zu er­

wähnen. Neu ausgenommen habe ich aus den Recensionen in der „Berlinischen Zeitung" von 1749 und 1750 und in den „Critischen Nachrichten" nur solche, in

deren Stil oder Inhalt mir etwas geradezu auf Lessing zu deuten schien.

Auf­

sätze hiugegen, die nach ihrem allgemeinen Charakter wohl auch von ihm, aber eben so gut von Mylius oder einem Dritten geschrieben sein können, blieben aus­

geschlossen, so z. B. die Anzeige des Vorspiels „Hermanns Wunsch" int 2. Stück der „Berlinischen Zeitung" von 1749. Die Besprechung von Wallbergens „Samm­

lung nützlicher Zauberkünste" im 3. Stück desselben Jahrgangs nahm ich auf,

weil die witzige Ironie der Schlußsätze entschieden Lessingisch klingt; ferner han­

delt es sich um ein Verlagswerk des Buchhändlers Metzler, mit dem Lessing in

Verbindung stand; auch ist die Anspielung auf den Satz von der besten Welt zu

beachten, die ähnlich gleich darauf in der unzweifelhaft Lessingischen Recettsion im 30. Stück wiederkehrt.

In der Anzeige von Middletons „Germana monu-

menta“ (1749, Stück 49) spricht die häufige Auslassung des Hilfsverbums nach

dem Participium Passivi für Lessing, den auch der Stoff dieses Werkes besonders anziehen konnte.

Die spöttische Recension von Hechts „Schriftmäßiger Bctrach-

Vorrede.

VIII

tung" (Stück 50) ihm beiznlegen, wurde ich durch den Ton dieses ganzen Auf­

satzes , namentlich durch die satirische Wendung des Schlußgedankens bestimmt.

Mit Boxberger und Maltzahn nahm ich die Fortsetzung der Besprechung des

Gottschedischen „Neuen Büchersaals" (im 86. Stück) auf, obgleich B. A. Wagner ihre Echtheit bezweifelte.

Denn die naturwissenschaftlichen Kenntnisse, die dieser

Artikel verrät, sind keineswegs so tief oder so speciell, daß sie nur Mylius und

nicht auch Lessing besessen haben könnte; der höhnische Ton desselben aber läßt

viel eher auf den letztem schließen als auf MyliuS, der die schuldige Rücksicht gegen seinen ehemaligen Lehrer Gottsched niemals so außer Acht gesetzt hat. Mit jenen beiden Herausgebern reihte ich auch die Anzeigen des „Schriftstellers nach der Mode" (im 83. Stück) und der „Lyrischen Gedichte" von Uz (im 135. Stück)

unter Lessings Schriften, weil einzelne Sätze darin Lessingisch klingen; einen zwingenden Grund, die beiden Recensionen Mylius ab- und Lessing zuzusprechen,

wüßte ich sonst nicht anzuführen. Die Aufsätze des Jahrgangs 1750, die Wagner für Lessing in Anspruch

genommen hat, vermehrte ich um drei.

Der beißende Spott auf Cortum (im

33. Stück) erinnert im Ton und in den Worten ziemlich genau an spätere sattrische Bosheiten unsers Verfassers; zur Anzeige der Abhandlung von Camenz (im 45. Stück) mochte sich Lessing durch den halb theologischen, halb philologischen

Inhalt dieser Schrift, dann aber auch durch lokalpatriottsche Rücksichten — Camenz stammte auch gleich ihm aus Camenz — getrieben fühlen; die Besprechung des

Buchs über die Schauspielkunst von dem jüngern Riccoboni (im 88. Stück) darf man ihm um so eher zuschreiben, da er dasselbe zur gleichen Zeit in seinen

„Theatralischen Beiträgen" übersetzte. Zahlreicher sind die Aufsätze aus den „Critischen Nachrichten" vom Jahr 1751, die ich zum ersten Mal den Schriften Lessings beifügte.1

Mehrere dieser

neu aufgenommenen Recensionen betreffen Werke, die Lessing zur nämlichen Zeit

in einem ähnlichen Sinn und Ton, zum Teil sogar mit übereinstimmenden Worten, quch in der „Berlinischen Zeitung" besprach, so daß von seiner Autorschaft bei der einen Kritik auf dieselbe auch bei der andern ziemlich zuverlässig geschlossen

werden darf.

So entsprechen in den „Critischen Nachrichten" die Anzeigen von

Arnauds Gedicht auf den Tod des Marschalls von Sachsen im 15., von Gellerts „Briefen" im 25. und 26., von Naumanns „Empfindungen für die Tugend" im 31., von den „Caracteres“ der Frau von P * * * im 43. Stück den längst als Lessingisch anerkannten Recensionen in der 31., 55., 86. und 132. Nummer der

„Berlinischen. Zeitung"; die Anzeige der „Allgemeinen Geschichte der Handlung

und Schiffahrt" im 45. Stück der „Critischen Nachrichten" hat an der Recension in der 141. Nummer der „Berlinischen Zeitung", die ich fteilich ebenfalls zum 1 Zu den von B. A. Wagner beigebrachten Beweisen, daß Mylius diesen Jahrgang

herausgab,

kann ich noch eine Stelle aus einem Briefe GleimS an Johann Adolf Schlegel vom 27. Fe­ bruar 1751 (gedruckt im Archiv für Litteraturgeschichte IV, 12) anführen:

„Habe ich Ihnen

auch schon gesagt, daß Ramler die Critischen Nachrichten nicht mehr schreibt, auch Sulzer nicht mehr? Mylius ist ihr elender i^ribent.

Und sie sind auch seitdem recht herzlich elend."

Vorrede.

IX

ersten Mal unter Lessings Schriften ausgenommen habe, die Besprechung der Briefe Rousseaus im 12. Stück der „Critischen Nachrichten" an der Recension der Übersetzung dieser Briefe in der 57. Nummer der „Berlinischen Zeitung" ihr Gegenstück.

Der Aufsatz ferner über die neue Ausgabe des „Dictionnaire 6ty-

mologique“ von Menage (im 11. Stück der „Critischen Nachrichten") wiederholt unmittelbar

verschiedne Bemerkungen über Fehler, die Gottsched

bei besserer

Kenntnis der Etymologie hätte vermeiden können, aus Lessings Recension der

Gottschedischen „Sprachkunst" in der 144. Nummer der „Berlinischen Zeitung" von 1748. Indes war diese Übereinstimmung zwischen einzelnen Beiträgen zu

den beidell Zeitschriften für mich nie der einzige Grund, wärmn ich Lessing für den Verfasser eines solchen Beitrags erkannte. Ich nahm hier überall auch Eigen­

tümlichkeiten seines Stiles wahr, Satzkonstruktionen und sprachliche Wendungen, die ihm besonders geläufig waren. Töne, die er auch sonst gern anschlug, Be­

strebungen, die er überhaupt verfolgte.

Meistens aber war schon der Stoff und

Inhalt der Bücher, deren Recension ich ihm zuschrieb, der Art, daß er ihn un­ gleich stärker anziehen mußte als seinen Freund Mylius, oder daß wir mindestens

von diesem Besprechungen in einem andern Ton erwarten müßten, als wir nun­

mehr vernehmen.

So dürfte Mylius die „Beichte eines christlicheli Komödianten"

von Uhlich (Stück 44) mit heftigern Ausfällen gegen die Geistlichen und Oporins „Religion und Hoffnung im Tode" (Stück 46) mit mehr Nachsicht gegen die Frei­ geister angezeigt haben.

Der philologische Sinn, den unter andern die Bespre­

chungen der Schriften von Angusti und Zehner für und gegen Luthers Bibelüber­ setzung (Stück 2), von Chaulieus Werten (Stück 9), von Übertragungen aus dem Englischen (Strick 42) bekunden, würde es schon wahrscheinlicher machen, daß

Lessing, als daß Mylius sie verfaßt habe, wenn sich auch nicht in dem einen dieser Aufsätze Worte über Luther fänden, die mit Lessings sonstigen Äußerungen

über den Reformator aus jenen Jahren übereinstimmen, und tu dem andern die Schilderung des echteu Anakreontischen Dichters nach Inhalt und Form gleich­

falls auf Lessing Hinwiese.

In der Anzeige der Briefe von Rousseau (Stück 12)

macht sich die — echt Lessingische — Absicht geltend, den von der Welt ver­

kannten und verlästerten Dichter zu „retten". Die Recension der Broschüre Benzins über die Nicolinischen Pantomimen (Stück 46) behandelt, um von allem andern abzusehen, einen Gegenstand, auf den sich Lessing damals mit einer gewissen Vor­

liebe öfters einließ.

Aus ähnlichen, teils formalen, teils inhaltlichen Anzeichen

glaubte ich noch die Kritiken der Altenburger „Neuen Bibliothek" und der Leichen­ predigt von Lorenz und Lobrede von Fröreißen auf den Marschall von Sachsen

(Stück 9 und 14) auf Lessings Rechnung setzen zu dürfen. Nach einigermaßen veränderten Grundsätzen mußte ich bei den Recen­ sionen in der „Berlinischen Zeitung" von 1751 verfahren. Die früheren Jahr­

gänge dieses Blattes und die „Critischen Nachrichten" gab Mylius heraus, Lessing beteiligte sich nur als Freund des Redakteurs, als gelegentlicher Mitarbeiter mt ihnen; im Jahrgang 1751 der „Berlinischen Zeitung" aber redigierte Lessing den

gelehrten Artikel und verfaßte ihn demgemäß auch nach der Sitte der Zeit zum

Vorrede.

X allergrößten Teile.

Durfte ich bei jenen ftühern Jahrgängen also nur die Bei­

träge Lessing zuschreiben,

die mir ganz bestimmt das Gepräge seiner schrift­

stellerischen Eigenart zu tragen schienen, so hatte ich ihm jetzt auch nur die Auf­ sätze abzüsprechen, deren Inhalt oder Form geradezu gegen seine Autorschaft

zeugte.

Bon den übrigen Artikeln dieses Jahrgangs, die von ihm, vielleicht aber

auch von einem andern verfaßt sein können, mußte ich im allgemeinen annehmen,

daß sie aus seiner Feder stammten.

Nach dieser Regel hat seiner Zeit schon

Redlich in der Hempel'schen Ausgabe die Lessingischen Beiträge zur „Berlinischen

Zeitung" von 1751 in viel größerer Anzahl gesammelt als seine Vorgänger; ich nahm noch einige auch von ihm übergangene Recensionen in meine Ausgabe

auf, namentlich Anzeigen von philologischen, kulturgeschichtlichen, theologischen und

moralphilosophischen Schriften, deren Stoff schon auf Lessing deutete, und Be­ sprechungen von Büchern, die im Vossischen Verlag erschienen waren, deren An­ kündigung Lessing also aus zwiefachen! Grunde für seine Pflicht halten mußte.

Aber auch Artikel über naturwissenschaftliche, ja selbst medicinische Schriften nahm ich unter Umständen auf, wofern sie wenigstens nur eine allgemeine Kenntnis der

Disciplin, der sie angehörten, und kein fachmännisches Wissen verrieten, das sich Lessing nicht hätte aneignen können.

Doch hoffe ich, daß auch hier stilistische

und andere Gründe mein Vorgehen in jedem einzelnen Falle noch besonders recht­

fertigen.

Vielleicht bringt die Einleitung, welche B. A. Wagner vermutlich dem

zweiten Teile seines kürzlich begonnenen Neudnlcks aus der berlinischen Zeitung" (Berliner Neudrucke, Serie 1, Band 5 ff.) beigeben wird, über diese Recensionen

noch einigen Aufschluß.

Da es mir nicht gelang, von dem gerade über diese

Dinge trefflich unterrichteten Herausgeber noch vor dem Truck etwas über den

Inhalt jener Einleitung zu erfahren, so muß ich mich begnügen, die-Ergebnisse derselben, die etwa von meinen Untersuchungen abweichen sollten, in einem spä­

teren Bande nachzutrageu. „Das Neueste aus dem Reiche des Witzes" druckte ich, so weit sein Inhalt

nicht schon im ersten Bande mitgeteilt wurde oder erst im fünften Bande bei den „Briefen" von 1753 wiedergegeben werden soll, vollständig ab mit Ausnahme der wenigen als Kästners Eigentum uachgewiesenen Beiträge. Auch die Aufsätze des „Neuesten", die nur Übersetzungen sind, nahm ich auf. Sie gehören so not­

wendig zu dem Gesamtbilde dieser Monatsschrift und sind in mancher Hinsicht so bezeichnend für Lessing, daß es, zumal bei ihrer Kürze, angezeigt erschien, die strenge Regel, welche bloße Übersetzungen im allgemeinen von meiner Ausgabe

ausschließt, zu ihren Gunsten hier zu mildern.

Ferner druckte ich auch das von

stöbert Pilger angezweifelte Schreiben im Dezemberheft des „Neuesten" ab; das

äußerliche Bedenkeu, das hier einzig und allein gegen Lessings Autorschaft spricht, der Umstand, daß der Brief unterzeichnet ist, während sonst unter Lessings eignen

Aufsätzen im „Neuesten" jede Unterschrift fehlt, dünkt mich nicht beweiskräftig genug, um unserm Verfasser diesen seiner durchaus würdigen Beitrag abzusprechen, um so weniger, da wir auf die Frage, wer außer ihm den Brief geschrieben

baben sollte, keinerlei befriedigende Antwort wissen.

Vorrede.

XI

Von Lessingischen Übersetzungen größerer Werke fällt in die Jahre, welche dieser Band umspannt, nur die der „Gefangnen" von Plautus und der „Römischen Historie" von Rollin. Eine sorgfältige Vergleichung des Originals mit der Über­ tragung ergab bei der letzteren, daß Lessing außer zwei unbedeutenden Anmerkungen,

die ich in. meine Ausgabe aufnahm, nichts zu seiner Vorlage hinzugesetzt hat.

Meinens Texte konnte ich überall die Originaldrucke zu Grunde legen. Handschriften kacken nirgends in Betracht; auch ließen sich keine Doppeldrucke ausfindig machen. Die textkritische Arbeit war daher einfach. Ich hielt mich in Orthographie und Interpunktion genau an jene ersten Drucke und verbesserte

nur augenscheinliche Fehler derselben, an denen freilich besonders die „Berlinische

Zeitung" reich ist.

Namentlich n und m ist daselbst oft verwechselt.

Diese Ver­

tauschung ist aber keineswegs in allen Fällen als bloßes Druckversehen zu er­

klären, sondern lag vielfach geradezu in der Absicht des Verfassers.

Lessing

wandte nicht nur oft die Formen der schwachen Deklination an, wo die strenge

Grammatik starke Flexion erforderte, sondern er verband auch einige Präpositionen

mit einem andern Casus, als wir jetzt gewohnt sind, so ohne meistens mit dem

Datitx und zu in gewissen Fällen regelmäßig mit dem Accusativ.

Daß wir es

hier nicht mit bloßen Druckfehlern zu thun haben, beweist eine Stelle wie die

auf S. 402, Z. 36 „bis zu Sie".

Diese grammatischen. Eigentümlichkeiten des

Schriftstellers blieben natürlich unangetastet.

Die Pronomina der höflichen An­

rede Sie, Ihnen, Ihr, Euch, Euer versah ich der Deutlichkeit halber wieder durchaus mit großen Anfangsbuchstaben, auch wo sie, wie regelmäßig im

„Naturforscher" und oft in der „Berlinischen Zeitung", klein geschrieben waren. Sonst änderte ich an der eilten Orthographie nur in den lateinischen Citaten das

u, welches Lessing gewöhnlich, doch nicht immer statt des v in der Mitte der Wörter setzte (z. B. acquieuisse). Wie schon Lachmann, unterschied ich hier über­

all nach der Aussprache zwischen u und v und ließ nur am Anfang der Wörter

die Majuskel V statt U (z. B. Vmbria) stehen. Den Einzeldruck der Übersetzung der Plautinischen „Ge­ fangnen" suchte ich und mit mir mein Verleger Monate lang vergebens, so daß

ich mich zuletzt schon entschloß, das Vorwort dazu nur aus Maltzahns Ausgabe

abdrucken zu lassen, wie das auch die andern neuern Herausgeber der Lessingischen Werke sämtlich gethan haben. Erst nachdem der betreffende Bogen längst rein gedruckt war, gelang es mir, die Originalausgabe jenes Sonderdrucks zu erhalten, aus der ich hier zu dem erwähnten Abdrucke (auf S. 194) Folgendes berichtigend

und ergänzend nachtrage.

Diese Einzelausgabe der „Gefangnen", 72 Seiten in

8° stark, ist kein eigentlich neuer Druck, sondern beruht auf demselben Drucksatz wie die Übersetzung in den „Theatralischen Beiträgen" und ist nur mit andern

Seitenzahlen und Kustoden versehen.

Wirklich neu hinzugekommen sind nur die

ersten sechs Seiten, das Titelblatt nämlich und der „Vorbericht des Uebersetzers".

Das erstere lautet genau, wie auf S. 194 angegeben; nur ist Stuttgart, (nicht Stuttgard,) geschrieben. Im „Vorbericht des Uebersetzers" stimmen die nächsten Sätze, die auf den S. 194 mitgeteilten Anfang folgen, genau mit dem

XII

Vorrede.

Wortlaut des Vorberichts in den „Theatralischen Beiträgen" (S. 83, Z. 24 ff.) über­ eilt; doch fehlen tut dritten Satze (Z. 29) die Worte und zärtlichen. Etwas mehr­ weicht davon der Rest des Vorberichts in der Einzelausgabe ab (von Z. 31 an): 'Sie werden mich mit Erbarmen ansehen, daß ich mir die Mühe genommen habe, die Wortspiele theils durch ähnliche Wortspiele zu über­ setzen, theils in die Anmerkungen zu bringen, daß der Leser ja nichts von diesem Schatze verliere. Doch sie werden so gütig seyn, und mich so lange als einen Uebersetzer, welcher mit seinem Originale gewissen­ haft umgehen will, ansehen, bis ich einmal meine Gedanken von dem Gebrauche der Wortspiele in den Komödien entdecke, und ihnen das Recht gebe, meinen Geschmack zu verdammen. Ich war anfangs Willens, in den Anmerkungen alle Schönheiten meines Dichters zu entwickeln; allein ich fand, daß sie zu weitläuftig würden, als daß man sie mit Vergnügen bey dem Stücke selbst, lesen könne. Sie sind also weggeblieben, sehr wenige ausgenommen, welche größtentheils nichts enthalten, als was wir zur Erklärung unsers Originals und zur Rechtfertigung unserer Uebersetzung nothwendig beybringen mußten. Findet diese Arbeit Bey­ fall, so wird es mich ungemein ermuntern, alles mögliche anzuwenden, daß wir einmal die sämmtlichen Lustspiele des Plautus unsern Landsleuten übersetzt vorlegen können. Könnte man etwas bessers thun, den itzt ein­ reißenden verkehrten Geschmack in den Lustspielen einigermaßen zu hemmen?

Zu einem andern Versäumnis, das ich hier nachholen will, wurde ich durch einen Fehler Boxbergers verleitet. Dieser reihte nämlich in der Spemann'schen Ausgabe zwei bereits von Wagner mitgeteilte Recensionen des Triller'schcn „Wurmsamens" und einer Gegenschrift „Der Wurmdoktor", die im 48. Stück der „Critischen Nachrichten" von 1751 stehen, irrtümlich unter die Artikel dcr „Berlinischen Zeitung" aus demselben Jahre. Ich bin nicht überzeugt, daß die beiden Recensionen aus Lessings Feder stammen; denn ich kann mich nur schwer überreden, daß Lessing mit diesen beiden über allen Begriff elenden, Witz- und sinnlosen Machwerken nicht noch viel gröber verfahren wäre. Ich hätte sie demungeachtet mindestens im Anhang mitgeteilt, wenn mich das Fehlen der beiden Aufsätze an der gebührenden Stelle'in der Spemann'schen Ausgabe nicht stutzig gemacht und auf die Vermutung gebracht hätte, Boxberger habe bestimmte Gründe für ihre Unechtheit. Fast zu spät erkenne ich nun, daß ich mich getäuscht habe, und trage die beiden Aufsätze hier nach, obwohl ich nach wie vor bezweifle, daß Lessing sie verfaßt habe.

Frankfurt und Leipzig.1 Der Wurmsaamen. Ein Heldengedicht. Erster Ge­ sang. Welchem bald noch XXIX. folgen sollen. Nach der 1 ^Acht und vierzigstes Stück.

Frcvtags, den 26. November, 1751.

382—383.]

Vorrede.

XIII

allerneuesten Mahlerischen, Schöpferischen, Heroischen und männlichen Dichtkunst, ohne Regeln regelmäßig eingerichtet. Horat.

Vesannm tetigisse tinfent, fugiuntqne poetam.. Qui sapinnt, agitant pueri incautiqne sequnntnr. In Quart, 1 Bogen. Wenn derjenige großmüthig genennet wird, welcher auch an seinem Feinde die Tugend lobt, so wird man es uns wenigstens vergeben, wenn wir gestehen, daß wir in diesem Bogen eine Art des Witzes bemerket haben, welcher vielleicht in der Satire sein Glück machen könnte, wenn er guten Mustern folgen wollte. Man darf es ja in diesen erleuchteten Zeiten nicht mehr beweisen, daß ein Einfall gut, obgleich nicht wahr, und eine Satire witzig, obgleich nicht gegründet seyn kan. Aber es fehlt gleichwohl dieser Satire noch viel an ihrer wahren Güte. Es scheint, als ob sie bey einer Pfeife Taback, oder bey dem Nähpult (denn wir sind wegen des Geschlechts des Verfassers sehr zweifelhaft) wäre ver­ fertiget worden. Bald spottet der kritische Dichter, bald spielt er; bald redet die Ironie, bald die Kritik. Wir wissen, daß gewisse Kunstrichter den Milton strafen, daß sein Held der Teufel und die Haupthandlung seines Heldengedichts eine von diesem durchaus bösen Helden ausgeführte böse That sey. Der Held unsers Spötters ist ------ ein Seraff, aller Serasfen Oberhaupt, in den einsiedlerischen einsamen Wüsten der Scythen Bormals gebohren, bey Zihim und Ohim, dunkel erzogen, Wo Feldgeister und Kobolde Hüpfen und springen, Und die Rohrdommeln und Igel nisten und legen, Mit Wind und Rauche, Nebel und Eiße ernähret rc. „Dieser böse Geist, vor welchem die Vögel verstummen, die Blumen ver„ welken, das Honig zu Wermuth, das Licht zu Finsterniß und das Gold „zu Eisen wird, und welcher Raben, Eulen und Käuzlein zu Gefährden „hat, hat den Phöbus aus Deutschland vertrieben, und durch Ausstreu„ung seines edlen Wurmsamens das Bernunftlose und Abentheuerliche „in der Dichtkunst eingeführet." Was ist das anders, als ein böser Geist, ein Teufel des guten Geschmacks, welcher, nach unsers Satyrs Meynung, eine sehr böse That glücklich ausgeführet hat? Daß diese Satire auf den Messias und einige andere neue dem­ selben ähnliche Gedichte gehet, dürfen wir wohl unsern Lesern nicht erst sagen. Der Verfasser hat seine Leser nicht für so klug gehalten, dieses errathen zu können, indem er in den Noten den Messias und den Noah ausdrücklich nennet. Doch wir glauben schon genug von dem Wurmsamen geredet zu haben. Wir wollen aber den Verfasser desselben noch selbst ein wenig reden lassen. So lautet der Anfang:

1751.

XIV

Vorrede.

Von dem Wurmsaamen, der itzo so reichliche Früchte schon träget, Daß nun die Dichtkunst der Deutschen ein anderes Wesen beginnet, Sing ich Miltonisch, ja über Miltonisch, begeistert. Helft mir ihr Musen, ihr neuen, ° gehirneten-, bessern, Dieses Vorhaben rühmlich vollbringen, und jaget Alles natürliche, kriechende ferne von dannen, Sylbenmaaß, Reime, Abschnitt und andere Zierden entweichen. Daß ich nichts menschliches, oder gewöhnliches singe; Sondern die Leser erstaunend, den Schwindel darüber bekommen, Daß sie vor Freuden, die Köpfe an Wänden zerstossen. Wie, wenn zwey von den folgenden Büchern von dem Hermann und dem Nimrod handelten? Sollte da die Satire nicht besser an­ gewandt seyn? Frankfurt und Leipzig.' Der Wurm-Doctor oder glaubwürdige Lebensbe­ schreibung des Hrn. Verfassers vom Wurmsamen. 1751. In Oct. P/a Bogen. Dieses ist eine Antwort von dem Wurmsamen, von welchem wir itzo geredet haben. Wir glauben nicht, daß sie von einem Freunde des Hrn. Klopstocks oder seines gleichen herrühret. Diese werden weder eine Antwort für nöthig halten, noch ihre gute Sache so schlecht ver­ theidigen. Es fehlt zwar dieser Satire (denn eine Satire soll es doch wohl seyn) auch nicht an Witz und Erfindung: aber der Witz ist so ge­ zwungen, und die Erfindungen sind so leer, daß wir besorgen, der Ver­ fasser werde dadurch weder sich berühmt, noch seinen Gegner schamroth gemacht haben. Er dichtet, daß dieser Wurmdoctor einen Wurmdoctor zum Vater gehabt, daß er eine breite Nase, eine Frau mit einer langen Nase, einen Wurm an statt der Seele, und in seiner Jugend über ein Paar Affen die Aufsicht gehabt habe, und der Obersehraff sey genennet worden. Wozu dienet aller dieser Unrath? Doch es wird kommen. Er kauft sich von seinem mit der Wurmdocterey erworbenen Vermögen ein Bauergut mit einem Obstgarten. In diesem läßt er alle Bäume ausrotten, säet Wurmsamen hinein, und beschreibt in einem Heldengedicht diese und andere von seinen Heldenthaten. Wir wünschen, daß die Drohung dieses St. Georgenritters nicht erfüllet wird, und er nicht noch einmal die Lanze mit dem Lindwurm brechen möge. Endlich teile ich an dieser Stelle noch eine schon von Boxberger in seine Einleitung zum „Neueste»" aufgcnommene Buchhändleranzeige aus dem 33. Stück

der „Berlinischen Zeitung" von 1751 mit, die vielleicht zwar nicht wörtlich von

Lessing, doch aber kaum ganz ohne seine Beihilfe abgefaßt ist.

Vorrede.

XV

Nachricht. Da1 Se. Königl. Majestät, nach dem Tode des bisherigen Ver­ legers dieser Zeitungen Joh. Andreas Rüdigers, die Gnade gehabt, das Privilegium derselben auf den Buchhändler Chr. Friedr. Boß, auf ihn und seine Erben, übertragen zu lassen, so hat man für nöthig befunden, den sämtlichen Lesern hiervon Nachricht zu geben, und öffentlich zu ver­ sichern, daß man in Zukunft weder Mühe noch Kosten sparen werde, diesen Blättern, sowohl durch die Neuigkeit als Zuverlässigkeit der mitzutheilenden Nachrichten, den Beyfall des Publici zu verschaffen. Weil man nun wohl einsiehet, daß der Raum beynahe zu klein ist die ge­ doppelte Absicht derselben zu erreichen, so hat sich der Verleger ent­ schlossen, sie durch eine monatliche Beylage von einem Bogen, doch ohne die geringsten ferneren Unkosten der Leser zu verstärken. Diese Beylage soll den gelehrten Neuigkeiten gewidmet seyn und zwar denen, welche diejenigen Künste und Wissenschaften betreffen, die bey den meisten mehr zum Vergnügen als zur Beschäftigung dienen. Man hat schon allzuviel wöchentliche Blätter, welche die ernsthafte Gelehrsamkeit zum Gegenstände haben; und da das ganze Feld derselben zu durchlaufen, bey gegenwärtiger Einrichtung, unmöglich ist, so glaubt man nicht übel gethan zu haben, daß man denjenigen Theil wählet, an welchem die Neugier der meisten, und auch unzähliger, welcher Hauptwerk die Studia nicht sind, Antheil nimmt. Der Titel dieser Beylage wird seyn: Das Neueste aus dem Reiche des Witzes, als eine Beylage zu rc. rc. und mit dem Ende des Monaths April soll der Anfang gemacht werden. Die Aus­ führung mag es lehren, ob man auf . eine angenehme Art nützlich zu seyn weiß, und ob auch durch dieses Unternehmen die Ausbreitung des Geschmacks etwas gewinnet, welcher fast einzige gesittete Völker auf den­ jenigen Grad der Artigkeit bringen muß, auf welchem wir unsere Nach­ barn bewundern. Durch ihre bereitwillige Förderung meiner Arbeit haben sich auch bei diesem Baude sowohl öffentliche Bibliotheken als eiuzcluc Freunde meiner Ausgabe An­ recht auf meinen wärmsten Dank erworben. Durch die gütige Vermittlung der Direktion der Münchner kgl. Hof- und Staatsbibliothek konnte ich zu wiederholten Malen auf längere Zeit die überaus seltnen alten Jahrgänge der „Berlinischen Zeitung" und die „britischen Nachrichten" aus dem Besitze der königlichen Bibliothek zu Berlin in ungestörter Muße hier benützen. Das in dem Exemplar der königlichen Bibliothek fehlende Juliheft des „Neuesten" hat mein Freund Dr. Heinrich Wclti nach einem Exemplar im Besitze der „Vossischen Zeitung", das mir selbst nicht hiehcr gesandt werden durfte, mehrmals sorgfältig verglichen. Herr Landgerichtsdirektor Robert Lessing in Berlin,

Vorrede.

XVI

dessen Gunst schon den früheren Bänden so reichlich zu statten kam, überließ mir

sein Exemplar der ungemein seltnen Sonderausgabe der „Gefangnen" zu unein­

geschränktem Gebrauche.

Während der Vorbereitungen für den Druck dieses

Bandes ging die Verlagshandlung in andere Hände über.

Gleichwohl hat der

frühere Besitzer, Herr Ferdinand Weibert, mich noch bei einem großen Teile dieses Bandes mit seinem treuen, mir stets schätzbaren Rat unterstützt, während

der neue Inhaber der Göschen'schen Buchhandlung, Herr Adolf Rast in Stnttgart, sich die äußerliche Förderung der Ausgabe eifrig angelegen sein ließ.

München, im November 1889.

Fran; Muncker.

Mus:

Der Naturforscher, Eine physikalische Wochenschrift auf die Jahre 1747 und 1748.1 Herr Naturforscher,

5

Ich habe alle Ihre Blätter bishero gelesen, weil ich Ihr Freund

bin. Ich kann es leicht errathen, daß Ihnen diese Ursache nicht allzuwohl

gefallen wird. Schlecht genug! werden Sie sagen, daß es bloß aus Freund­ schaft geschehen ist.

lich geschrieben sind.

Sie hätten sie lesen sollen, weil sie schön und gründ­

Nun gut, gut! erzürnen Sie sich nur nicht!

Ich 10

habe das letzte noch nicht geläugnet, da ich Ihnen das erste von mir be­ richte. Ihre Blätter können gründlich und schön seyn.

Muß ich sie aber

deswegen lesen? Ich müßte viel Zeit auf das Studiren zu wenden haben,

wenn ich alle Schriften von dieser Gattung lesen wollte. soll, muß mich vergnügen können.

Was ich lesen

Sie wissen schon, was ich unter dem 15

Worte vergnügen verstehe. Und in diesem Verstände, ich sage es Ihnen

unter die Augen, fehlt es Ihren Blättern noch sehr an dieser, zur Er­

haltung meines Beyfalls, nothwendigen Eigenschaft.

Ich merke, ich bin

nun ziemlich nahe bey dem Zwecke meines Briefes.

Ich wollte Ihnen

nämlich schreiben, Sie sollten sich gefallen lassen, mich künftighin entweder 20

nicht mehr unter Ihre Leser zu rechnen, oder in Ihren Stücken mehr Einfälle, mehr Witz, kurtz, mehr von dem anzubringen, was mich und 1 Leipzig, beb Johann Gottlieb GrnlL Leisings Teilnahme ward im achten Stücke (Sonnabends, din 19. des Augnstmonats, 1747), S. 63 f. durch obigen Brief und dieses Vorwort des ungenannten Herausgebers Lbriftlob Mylius angetündigt: „folgendes ist mir vor wenig Tagen eingehändiget worden. Icl' werde mich aller Bebträge meines anakreontiichen Freundes bedienen, weil ich weis, daß ich viel anatreontisck'e Leser bctbe."J L eisi n g, sämtliche Schriften. IV.

2

Ans: Der Naturforscher.

meines gleichen vergnügen kann.

Sie schreiben zu trocken. Wo hat denn

jemals Anakreon so geschrieben? Ich weis wohl, Anakreon war kein Natur­ forscher, und Sie, als Naturforscher, wollen kein Anakreon seyn.

Wenn

ich nun aber alle andere Seribenten, ausgenommen die anakreontischen,

5 mit Verdruß lese: wollen Sie denn, daß ich Sie auch mit Verdruß lesen soll? Entschuldigen Sie sich nur nicht mit der Trockenheit Ihrer Materie. Weun Sie nur wollen, sie wird Ihnen oft genug Gelegenheit geben, die feinsten Scherze von Liebe und Wein anzubringen.

Gesetzt aber, dieses

wäre wider Ihr physikalisches Gewissen: nun wohl! so tragen Sie es

10 einem andern auf, dessen Gewissen nicht so zärtlich ist. Wenn Sie mir ein gut Wort geben wollten, vielleicht thäte ich es selbst, und theilte Ihnen

dann und wann meine Einfälle mit.

Sie möchten nun so schlecht seyn,

als sie wollten: so viel würden Sie doch dadurch erlangen, daß ich einer von Ihren Lesern bliebe. Denn, es Ihnen nur im Vertrauen zu gestehen,

15 ich lese mich selbst gar zu gern. Wollen Sie etwan eine Probe von meiner Arbeit sehen? Hier ist eine. Ihr viertes Stück hat mir den Stoff dazu gegeben. Ich bin ?c.

o.i

M e i n H e r r,2

20

Die Griechen und die Romer ziehen wider Sie zu Felde, wofern Sie noch mehr anakreontische Freunde zu Mitarbeitern annehmen.

Der

Beyfall unserer witzigen Jünglinge wird Sie nicht vor dem Zorne schützen,

den Sie bey den Vertheidigern der Alten erregen. Die ersten fangen zwar

an, Ihre Blätter, wie die Ebräer, von hinten zu lesen: damit ihnen die

25 artigen Briefe Ihrer Correspondenten zuerst in die Augen fallen: allein die griechischen Gelehrten unserer Zeiten verschworen es, eine Zeile von

Ihnen anzusehen, wofern Sie nicht dem Anakreon eine Ehrenerklärung thun lassen. Ist denn nun aber die Beleidigung so groß, die am Ende 1 (Dazu von MhliuS Mc Bemerkung: „Die Bevlage folgt im nächsten Stiles." Dort, im neunten Stiles (Sonnabends, den 26. de» Anguftmonats, 1747), S. 71 f. sieben denn auch die wieder Die d r e v e i ch e der Natur und Die Wetterpro phecevung (vgl. Bd. 1, S. 93 und 121), beide mit V. unter­ zeichnet und durch diese Worte des Herausgebers eiugeleitet: „Hier folgt die vor 8 Tagen zurück gebliebene Beylage. Die darauf folgende kleine Ode, und alle künftigen Gedichte, worunter der Buch­ stabe L siebet, kommen von meinem anakreontischen Zrennde. Ich mache dieses einmal für allemal bekannt, damit ich dem verdienten Ruhme seines muntern Witzes nichts entziehen und mit fremden Schönheiten prangen zu wollen scheinen möge."] 2 (Zehntes Stück. Sonnabends, den 2. des Herbstmonats, 1747. Nach der kurzen Antwort sicht das Lied Der Sommer; vgl. Bd. I. S. 122.]

Aus: Der Naturforscher.

3

Ihres achten Stückes diesem Dichter wiederfahren ist? Sie dürfen keinen

Augenblick zweifeln, wenn Sie nur die Worte selbst, mit ihren Folgen, in Erwägung ziehen.

Anakreon, der grundgelehrte Anakreon, den Fon­

tenelle den größten Philosophen mit Recht an die Seite stellet, soll ein bloßer Witzling, und kein Naturforscher, gewesen seyn? Um der Musen

5

willen! das ist zu viel. Das ist eine Lästerung wider das ganze Alter­ thum, die nicht ungeahndet bleiben kann. Denn, nur eins zu gedenken: wer hat wohl jemals unter allen Menschen die Natur des Weines, und

die geheimsten Wirkungen der Zärtlichkeit so genau erforscht, als dieser alte Jüngling? Und wer hätte wohl über die Eigenschaften der Rosen, des 10 Balsams, der Lotusblätter artiger und scharfsinniger philosophiren können,

als er, der an Feinheit des Geschmacks, und an langer Erfahrung die stärksten Weltweisen übertraf?

Soll ich noch mehr Gründe anführen,

Anakreons tiefe Einsicht in die Naturlehre zu beweisen? so erinnern Sie sich nur seiner neunzehnten Ode.

von Wahrheiten verborgen.

Darinne liegt ein ganzes Königreich 10

Einer von meinen Freunden verfertiget ein

philologisch-critisch-historisch-philosophisches Dissertatiönchen von dreyßig

neuen physikalischen Entdeckungen, die er in den Schriften dieses philo­ sophischen Dichters gemacht hat.

Bon ihm, als von einem jungen Ge­

lehrten, haben Sie eben nicht so viel zu besorgen, ob er gleich in seinen 20 Meynungen hitzig ist.

Aber wenn ich Ihnen aufrichtig rathen soll: so

verderben Sie es ja nicht mit den Graubärten. Diese sind unversöhnlich;

und wer den griechischen Berfassern nur eine scheele Mine macht, der verdienet wenigstens den Namen eines Ketzers.

Wenn sie noch gnädig

mit ihm verfahren: so verdammen sie ihn gewiß zum Feuer; und dar- 2">

aus ist freylich keine Erlösung zu hoffen. Lassen Sie sich also bey Zeiten warnen. Ich bin rc. C.

Mein Herr,

30

Sie haben reckt. Ich bin rc.

L.

Herr Naturforscher/ Mein Mägdchen hat Ihr 17. Stück von mir zu lesen bekoiumen.

Sie schickte mir es heute wieder zurück, und zugleich gegenwärtiges Liedchen. 1 (Neunzehntes 3tücf. Sonnabends, den 4. dcS Wintermonats, 1747. S. 150. Auf den kurzen Brier folgt das Gedicht Tie Versteinerung (vgl. Bd. I, 3. 123), mit C * * * unterzeichnet.)

4

Rus: Drr Nslnrforscher.

Ich muß es Ihnen doch mittheilen, ob es gleich nur für mich alleine ist. Sie hat. zwey Lehrmeister im Singen; mich und die Liebe.

Von mir

lernt sie die Reime, und von der Liebe die Empfindungen.

Wenn sie

die letztern durch die erster« verunstaltet, so schreiben Sie es mir zu.

5 Ich bin rc. L.

Anhang. Mein Herr/

Ich weis nicht, was Sie für närrisches Zeug machen. Was T - 10 wollen Sie denn mit Ihren Sauf- und Hurenliedern in Ihrem Natur­ forscher? Ist es nicht eine Schande, daß Sie solch abgeschmacktes Zeug mit hinein setzen! Das muß ein infamer Kerl seyn, der diese Lieder macht. Ein Erzthurer und Säufer muß er seyn. Wenn Sie seinen Narrenspossen nur noch einen quer Finger breit Platz einräumen, so 15 werde ich Sie auch dafür halten. Leben Sie wohl. Ich bin rc.

Horribilicribrifax II. 1 sNeunzchntes Stück. Sonnabends, den 4. des Wintcrmvnats, 1747. S. 149. Mylius erklärt dar­ auf, daß er die scherzhaften kleinen (Gedichte des Herrn L., „welcher so ein großer Feind der an­ geführten Ausschweisungen ist, als der Herr Horrrbilieribrrfar nimmermehr seyn wird, oder ehemals gewesen seyn kann," nebst allen vernünftigen Lesern für eine Zierde seines Blattes halte und sie daher auch ferner bringen, ja sogar fernen Freund täglrch ausmuntern w«.rde, „seinen Vorsatz, bte ganze Naturlehre rn anakreontrschcn Oden heraus zu geben, auszuführcn")

Ans: Vrrlinische prwilegtrfe Zeitung.

Ruf das Jahr 1748.

5

Mus:

Berlinische privilegirke Zeitung Auf das Jahr MDCCXLVIII.1 Berlin.^

Catalogue (Tune cdllection de 1 irres en Theologie, en

Droits en Medecine, en Histoire generale et particuliere, en Philosophie,

5

Politique, Mathemat ique et Physique, en Poesie et en ouvrages de litterature, et de helles lettres; en Allemand, Grec, Latin, Anglois, Francois,

Italien et Espagnol, proprement relies, cxposes en vente publique aux plus

offrans, chez JEAN ANDEE E VDIGED, Marchand Libraire, le 30. Dec.

MDCCXLVIII. 15 Bogen. Dieses ansehnliche Bücherverzeichniß ist, nebst 10 der den 30. Decemb. bevorstehenden Auction der darinnen enthaltenen

Bücher, schon einigemal in diesen Zeitungen angekündiget worden.

Wir

können aber nicht unterlassen, wegen der vielen darinnen enthaltenen sehr raren und kostbaren Werke, nochmals Nachricht davon zu geben.

Es befindet sich z. E. darunter, Casp.

Schriften,

Schwenkfelds gesamte 15

Magna Bibliotheca Patruni cetcrum etc.

Aldrovands

sämtliche Werke, J. G. Gracvii Thesaurus antiquitatum et historiarum Italiae, J. A. Thuani Historia sui t empor is. Polydori Vergilii historia Angliae, und viele noch grössere und seltenere Werke.

Dabey sind fast

alle diese Bücher sehr sauber und prächtig eingebunden. Wie oft werden 20 rare Bücher in vielen Ländern vergeblich ausgesucht, oder mit über­

mäßigen Kosten bezahlt?

Hier aber hat das Glück die besten Werke

versammlet, so, daß ein Bücherliebhaber sehr unbillig gegen sein Ber1 Zu nnfrin beu Johann Andreas NüE-uier und allen Pon-Aemtern. 157 Nummern von durchschnittlich 4 Blättern S'\ — (Sbriftlob Mui ins leitete den geleinten ArtiUl der Berlinnänm Zeitung seit dem G. November 1748; um dieselbe Zeit siedelte ^einng von Wittenberg nach Berlin über und ordnete dort Zunächst die Buchet iammlung des Buchhändlers Nüdiger. Bor der Mitte des November lienrtc er deshalb sicherlich teilte Beiträge zu jener ZettungZ 2 [No. 138. Sonnabend, sm IG. NovemberZ

6

Rus: Berlinische privilrgirkr Zrilung.

Ruf da» Jahr 1748.

gnügen handeln würde, wenn er diese Auktion ohne seine Gegenwart oder Ordre wolle vorbey

gehen lassen.

Herr Rüdigern, dem ältern,

Der Catalogus ist noch bey

umsonst zu haben.

Ein jeder wird aus

selbigem sehen, daß wir noch nicht genug zum Lobe dieser Sammlung

5 gesagt Haben. Leipzig. * Bernhard Christoph Breitkopf hat verwichne Michaels­ messe geliefert: Grundlegung

einer deutschen Sprachkunst;

nach den Mustern der besten Schriftsteller des vorigen und

itzigen Jahrhunderts abgefasset von Johann Christoph Gott-

10 scheden. 8. l’/a Alphabet. Endlich erscheinet die so lange versprochne deutsche Sprachlehre des Hrn. Prof. Gottscheds in Leipzig, von welcher wir itzo einige Nachricht geben wollen. Er hat sie den deutschen Gesellschaften in Königsberg und Göttingen zugeschrieben. Fast gleich zu Anfänge meldet

der Hr. Professor der gelehrten Welt, daß er 48 Jahr alt ist, und,

15 daß er 24 Jahre über seiner Sprachlehre gearbeitet, daß er im 18. Jahre seines Alters rein deutsch zu schreiben angefangen, und daß ihm dieses

Buch unter allen seinen Büchern die meiste Mühe gekostet hat. Vielleicht ist es auch das beste unter allen seinen Büchern. Wir merken aus der

Vorrede nur noch an, daß er einem fränkischen Sadducäer das Maul •20 stopfet, welcher sich träumen lassen, niemand, als ein gebohrner Franke,

könne gut deutsch reden.

Wir erinnern uns, daß vor einiger Zeit der

Hr. Prof. Christ in Leipzig, ein gebohrner Franke, in einem recht alt­ fränkisch geschriebenen deutschen Merkchen, dergleichen vorgegeben.

Der

Hr. Prof. Gottsched beantwortet dieses Vorgeben hauptsächlich durch An-

25 führung vieler guter deutscher Scribenten aus andern deutschen Provinzen; wiewohl verschiedene davon hätten weg bleiben können. Diese Sprachlehre

besteht aus den gewöhnlichen 4 Theilen, aus der Rechtschreibung, Wort­ forschung, Wortfügung und Tonmessung.

Der Hr. Prof, redet in der

Vorrede mit einer ungewohnten Bescheidenheit von diesem Werke.

Er

30 bittet sich von jedermann die Anzeigung der darinnen enthaltenen Fehler

aus, und wir nehmen uns also um desto eher die Freyheit, einige, welche wir, bey dem Durchblättern, nach unserer Einsicht, bemerket haben, an-

zuführen. Seine Erklärung der Sprachlehre lautet also: „Eine Sprach-

„ tunst ist eine gegründete Anweisung, wie man die Sprache eines Volkes, 1 [No. 143.

Donnerstag, beit 28. November.)

Kus: Berlinische privilegirtr Drikung. Mus bas Jahr 1748.

7

,nach der besten Mundart desselben, und nach Einstimmung der besten

„Schriftsteller, richtig und zierlich, so wohl reden als schreiben solle."

Erst merken wir an, daß hier falsch Sprachkunst anstatt Sprachlehre

steht; denn dieses Wort bedeutet die Anweisung zu einer Sprache, jenes aber die Fertigkeit in derselben;

einen solchen Unterschied gemacht hat.

eben so, wie der Hr. Prof, selbst

5

zwischen Beredsamkeit und Redekunst

Ferner, so ist gegründete vor Anweisung überflüßig,

weil sich dieses von sich selbst verstehet. Ferner gehört es nicht in eine

Erklärung, die Mittel einer Wissenschaft, welche man erklärt, in der­ selben anzuzeigen. Ferner ist auch richtig und zierlich überflüßig; 10

weil, in philosophischem Verstände, den die Wörter in einer Erklärung haben müssen, derjenige eine Sprache gar nicht versteht, der sie nicht recht versteht. Endlich so ist es wider den Charakter einer guten Er­

klärung, daß eine Eintheilung, nämlich reden oder schreiben, mit hinein gebracht worden. Was das Verzeichniß der mit einem C sich an- 15

fangenden deutschen Wörter auf der 69. und 70. Seite anlanget, so halten wir nicht für rathsam, diesen Anfangsbuchstaben bey den eigenen Namen in K zu verwandeln, und z. E. anstatt Coblenz, Camburg, Camenz rc.

zu setzen: Koblenz, Kamburg, Kamenz; weil bey solchen Wörtern in vielen

Fällen sehr viel auf die einmal, obgleich oft falsch, angenommnen Buch- 20 staben ankömmt. (Das übrige folgt künftig.)

Fortsetzung* des letzt abgebrochnen Artikels.

Wenn

der Herr Prof, diejenige Provinz, deren Mundart in einem Lande die beste ist, bestimmen will, so sagt er, es sey diejenige, welche mitten im 25

Lande liege.

Woher will man aber beweisen, daß diese Provinz allemal

gerade in die Mitte müsse zu liegen kommen? Man sagt zwar, daß in

Orleans das beste Französisch gesprochen würde: aber die Pariser werden sich diesen Ruhm wohl nicht wollen abstreiten lassen.

Nun liegt aber

die Jsle de France lange nicht mitten in Frankreich. London und Oxford M

liegen auch nicht mitten in England, und doch wird da gewiß das beste Englisch geredet. Wir wollen die Provinz in Deutschland, wo das beste

Deutsch geredet wird, nickt nennen: aber sie liegt gewiß nicht mitten in

1 [Xo. 144.

Lonnabcnd, den 3-\ 'Jtovcmbir ]

8

Aus: Berlinische privilrgirte Zeitung.

Nus das Jahr 1748.

Deutschland. Der Hr. Prof, sagt selbst, daß in Rom mit das beste Ita­

liänisch gesprochen würde: Rom aber ist nahe an der See, und gar weit gegen Süden, gelegen.

Der Herr Vers, kann nicht einsehen, warum Mater die

erste Sylbe lang hat, die in Pater kurz ist, da keine physikalische Ur-

5 fache 4>avon vorhanden sey.

Er würde die grammaticalische Ursache leicbt

und

entdecket haben, wenn er bedacht hätte, daß Mater von

In dem

Pater von narherkömmt, rt aber lang und a hier kurz ist.

Verzeichnisse der übersetzten Kriegskunstwörter klingt uns das Vor trab

(Avantgarde) und Nachtrab (Arrieregarde) zu Pferde mäßig.

Besser

10 würde es heissen: Vortrupp, Nachtrupp. Auf der 158. S. ist wobl Serenata allzu sehr eingeschränkt, wenn es durch Abendmusik über­

setzt wird,

und Violon klingt int deutschen besser durch Baßgeige;

und Baß hat längst das deutsche Bürgerrecht bekommen.

In dem Ver­

zeichnisse der französischen Wörter können wir bey vielen ihre Abstam-

15 mung nicht einsehen, z. E. wie Ambassadeur von Abgesandter her­ kömmt.

So kömmt auch Farce Wohl nicht von Fratze, sondern von

farcio, foyer nicht von Feuerheerd, sondern von .focus, liony seit etc. nicht von Hohn sey dem re. sondern von Hunnus etc.

In diesem

Verzeichnisse ist auch falsch angemerket, daß zerren ein plattdeutsches

20 Wort sey, welches ganz Meissen und die ganze Lausitz bezeugen kann. Der

Herr Prof,

her hat.

kann nicht

begreifen,

wo

zeter

seinen Ursprung

Uns dünkt, es kömmt eben so gut von Caedes. als mordio

von Mord.

Den fremden naturalisirten Wörtern setzt der Herr Prof,

wider allen Gebrauch, welchen er doch für den Dictator der Spracb-

25 lehrer selbst erkennet, im Supino falsch das g e vor und sagt z. E. g esc an dir et anstatt sc an dir et; jenes klingt gar zrv hanssachsisch.

In

dem Verzeichnisse der Zeitwörter erstaunen wir über die Menge fremder, seltsamer und Provinzialwörter, welche der Hr. Verf.

mit in die deutsche Sprache aufnimmt.

ohne Bedenken

Doch genug hiervon.

Wir melden

80 nur noch, daß der Hr. Prof. Gottsched eine vollständige Geschichte ver­ deutschen Sprache und

Poesie heraus zu geben verspricht.

Wir ver­

muthen, daß sie, um des Titels willen, noch vor dem 23. April künf­

tigen Jahres heraus kommen wird, weil gegenwärtiges Buch nicht nach dem 16. October dieses Jahres erschienen ist.

Diese Sprachlehre ist in

35 C. F. Vossens Buchladen, auf der Königsstraße, in der Viedebandiscben Erben Hause, allhier für 18 Gr. zu haben.

Rus: Berlinische privilegirke Heilung. Frankfurt

und

Leipzig. *

Ruf das Jahr 1748.

Geschichte

des

dreyssig-

jährigen Krieges und des Westphälischen Friedens. Behuf der gegenwertigen Staatsbegebenheiten. 1 Alphab.

9

Zum

1748. 4.

Da das hundertjährige Andenken des Westphälischen Friedens

dieses Jahr besonders merkwürdig und zu einem Jubeljahre macht, so hat der Herr Verfasser dieser Schrift nicht unrecht gethan, daß er das­ selbe durch eine kurze Wiederholung der Geschichte dieses Friedens und des 30jährigen Krieges erneuern, und vielen, die nicht genug davon

unterrichtet sind, eine zusammenhängende Nachricht davon geben wollen.

Er recommendiret

den

Herren Ausruffern

der

Neuig­ 10

keiten des Parnasses die Bescheidenheit, und wir nehmen diese gütige Recommendation mit einer tiefen Verbeugung an.

Er hat

mit einem löblichen Fleisse die Geschichte des 30jährigen Krieges aus

den besten Schriftstellern zusammen getragen, in eine gute Ordnung ge­ bracht und ausführlich beschrieben.

Da er aber auf die Geschichte des la

Westphälischen Friedens gekommen, muß es ihm an Zeit oder Pappier gefehlet haben; denn über diese ist er weggelaufen, wie der Hahn über die Kohlen.

Er eilt gegen das Ende so sehr, daß er gar nicht im ge­

ringsten des Inhalts des Westphälischen Friedensinstruments woraus

gedenket,

er doch billig die Hauptpuncte in der Kürze hätte anführen 20

sollen; zumal da er von vielen Nebenunterhandlungen so weitläuftige Auszüge giebt.

Er hat auch nicht einmal den Ort des endlichen Friedens­

schlusses angezeigt; da er doch billig wenigstens hätte sagen sollen, daß er den

22. Jul

5U Osnabrück von den Ministern des Kaysers, der

Königin in Schweden, und der meisten evangelischen Stände vorläufig, und 25 14 hernach den — Oct. durch die Minister des Kaysers, des Königs in

Frankreich, des Königs in Spanien, der Holländer und der meisten katho­ lischen Stände, mit obigen zusammen zu Münster völlig erfolget ist. Es ist auch falsch, daß er sagt, der 14. Oct. alten Kalenders sey der

24. Oct. neuen Kalenders, da es doch, weil man nicht 10, sondern 30

11 Tage, fortzählen muß, der 25ste ist.

Wir haben uns sehr gewundert,

daß man sich dieses Jahr fast überall so verzählet, und an allen Orten,

1 [No. 156.

Sonnabend, den 28. Decembers

10

Rus: Berlinische privilrgirle Heilung. Nus das Jahr 1748.

wo ein Jubelfest dieses Friedens wegen gefeyert worden, dieses den 24. Oct. gethan. In dem einzigen Osnabrück ist dieses Fest an dem rechten Tage, nämlich den 25. Oct. gefeyert worden. Man sollte nicht denken, daß ein so offenbarer chronologischer Irrthum so allgemein seyn ö könnte. Sonst müssen wir, doch mit aller Bescheidenheit, erinnern, daß in dieser Schrift oft über die Grenzen der historischen Schreibart geschritten worden. Ist bey Vossen für 8 Gr. zu haben.

Uns: Verlimscho privilegirkr Zeitung.

Im Jahr 1749.

11

Ilus:

Berlinische Privilegirke Zeitung. Im Jahr 1749? Stuttgart).2 Metzler,

Der hiesige Buchhändler, Johann Benedict

hat verlegt:

Joh.

Wallbergens Sammlung nütz-

5

licher Zauberkünste, oder aufrichtige Entdeckung vieler

bewährter,

lustiger und nützlicher Geheimnisse, insbe­

sondere denen Wein-Negocianten dienende.

Anhänge

von

Nebst einem

medicinisch -sympathetisch-antipathetisch-

und ergötzenden Kunst-Stücken.

1748. 8. 1 Alph. 9 Bog. Der 10

trostreiche Titel dieses Buchs kan einem schon einen ziemlichen Begriff von

seinem kurzweiligen Inhalte beybringen.

Es ist ein Convolut von allen

Kunst- Raritäten- und Zauberstückchen; ein Kunstbuch aller Kunstbücher. Gleich aus dem Titel, und noch mehr in der Vorrede, sieht man, daß

der Verfasser desselben ein großer Freund von der Sympathie und Anti- 15 pathie ist; und wer dieses ist, der hat allemal einen innerlichen Beruff, Kunstbücher zu schreiben.

Es ist in diesem Buche so ein Gemische unter­

einander, daß man unmöglich in einem Auszuge sagen kan, was darinnen enthalten ist. Zu allem Glück ist nicht viel daran gelegen, dieses zu wissen.

Ueberhaupt gehöret dieses Werkchen mit unter diejenigen Dinge, um welcher 20 willen der Satz von der besten Welt erfunden worden.

Gleich fällt uns

ein Kunststück in die Augen, welches wir dem neugierigen Leser doch mit­

theilen wollen.

Es heißt: Zn errathen, wie viel Geld jemand

bey sich habe.

Da Heist die Auflösung: Laß die Person die Anzahl

der Einheiten seines Geldes mit 3 multipliciren, das Product halbiren, 25 1 [23ir(ut, bei Johann Andrea- :HiiNger. 2 [3. ctiirf. Tiennaa, den 7. m: Berlinische prioilegirke Zeitung 1749. Anhang.

37

bürg herausgekommenes Tentamen novae theoriae musicae ihm, als einem Würdigen Musikverständigen, nicht unbekannt seyn kann. Doch vielleicht hat er nur diejenigen nennen wollen, welche eigentlich für den musika­ lischen Haufen geschrieben haben, weil er Wohl wird gewußt haben, daß ein Euler, wie in der Mathematik, also auch in der Musik, ein Lehrer der Lehrer ist.

SBieti.1 Die Deutsche Schaubühne zu Wien«, nach Alten und Neuen Mustern. Wienn, bey Joh. Paul Krauß, in seinem Gewölbe nächst der Kayserlichen Burg, 1749. In Octav, l1/» Alphabet. Das Wienerische Theater hat unter der Aufsicht des Herrn von Sellier, und nachdem etliche geschickte Komödianten von der Neuberischen Gesellschaft dasselbe betreten, seit einem Jahre, eine ganz andere Gestalt gewonnen, als es vordem gehabt. Man spielt auf demselben regel­ mäßige Stück regelmäßig; und da beyde Kayseri. Majestäten dasselbe öfters Dero höchsten Gegenwart würdigen, so können auch die sonst auf selbigem üblichen Haupt- Helden- und Staatsactionen, mit Arlequins Lustbarkeiten untermengt, darauf nicht mehr Statt finden. Herr Weiß­ kern, ein sehr geschicktes Mitglied der Gesellschaft des Herrn von Sellier, hat mit itzt angezeigter Sammlung den Anfang gemacht, Schauspiele, welche von derselben vorgestellet worden, oder vorgestellet werden sollen, im Drucke heraus zu geben. Es ist löblich, daß er den Entschluß gefastet hat, nur solche, die bisher noch nicht gedruckt ans Licht getreten,' zu wählen. Die in diesem Bande enthaltene Stücke sind folgende: 1) Der Graf von Essex, ein Trauerspiel des Herrn T. Corneille, über­ setzt von Herrn L. Peter Stüven, in Hamburg. 2) Demetrius, ist durch eine geistliche Feder aus der Italiänischen Oper des berühmten Kahserl. König!. Hofpoeten, Herrn Abts Peter Metastasio, übersetzt, und in die Form eines Trauerspiels gebracht worden. Ist sehr wohl ge­ rathen. 3) P h ädra, ein Trauerspiel des Herrn Racine, von Herrn L. Peter Stüven übersetzt. 4) Die falsche Bediente oder der bestrafte Betrüger, ein Lustspiel des Herrn von Marivaux, von Herrn H. A. O. (Heinrich August Ossenfelder, aus Dresden,) übersetzt. Die Uebersetzung ist wohl gerathen. 5) O e d i p u s, ein Trauer­ spiel des Herrn von Voltäre. Dieses Stück hat der wegen seiner be­ sondern Geschicklichkeit im Agiren sehr berühmte Herr Heinrich Gott lieb Koch, welcher sich von der Wienerischen Schaubühne wieder weg und zur Schönemannischen gewendet, übersetzt. 6) Die Schäferinsel, von Herrn C. Mylius. Es ist in Versen. Der Verfasser hat es, auf Verlangen, einem geschickten Komödianten der Wienerischen Schaubühne gegeben, und es, in dieser Gestalt, niemals zum Drucke bestimmet. Wäre

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Au»: Berlinische privilrgirkr Zeitung 1749. Anhang.

es mit seinem Borwissen gedruckt worden, so würde es vielleicht ein ganz anderes Ansehen bekommen haben. Da es das erste Deutsche Original­ lustspiel in Versen ist, so hätte er gewünscht, Gelegenheit zu haben, es vollkommner zu machen. Uebrigens hätte man billig etwas mehr Fleiß 5 auf die Vermeidung der Druckfehler wenden sollen. Ist in den Vossischen Buchläden für 12 Gr. zu haben. Paris.' Der Herr vonAlembert, Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Paris und Berlin, ist Verfasser von folgendem ganz neu herausgekommenen Buche: Recherches sur la Pre-

10 cession des Equinoxes et sur la Nutation de l’Axe de la Terre dans le sisteme Neutonien. In Quart. Es ist bey dem Hrn. David dem ältern, Buchhändler in der Jacobstraße, in Paris, für 6 Livres zu haben. Der siebenzigjährige Poet, Hr. von Crebillon, scheint um eben die Zeit, da sich das Schauspiel seines Lebens bald mit seinem Tode endigen wird, 15 an derjenigen Art von Schauspielen, welchen seine Umstände in diesem Stück ähnlich sind, einen besondern Geschmack zu finden. Die gute Auf­ nahme seines Catilina, welcher gegen das Ende verwichenen Jahres die Bühne betreten, hat ihn aufgemuntert, seinen Lerxes neu und ver­ bessert heraus zu geben. Er selbst hat ihm eine Kritik über seinen 20 Catilina beygefüget. Diese Kritik hat wenigstens die seltene Eigenschaft, daß der kritisirte Verfasser nicht darinne geschimpfet wird. Berlin. In den hiesigen Buchläden sieht man ein scherzhaftes Gedicht auf 2 Bogen in Quart, dessen Aufschrift ist: Der Eremite. Eine Erzählung. Vacui lusimus. Hör. Kerapolis, 1749. Wer 25 den Weller und Schrevel noch nicht ganz vergessen hat, der wird aus dem untergesetzten erdichteten Orte gleich schließen, daß dieses Gedicht auf diejenige große Zunft gerichtet ist, deren Moliere in seiner Männer­ und Weiberschule in allen Ehren so fleissig erwähnet, und welche wir hier nicht nennen wollen; theils aus Hochachtung gegen ihre unsichtbaren 30 Kronen; theils darum, weil dabey mancher einen Griff an seine Stirne thun würde, welcher bey der Jugend ein Aergerniß geben könnte. Das Gedicht ist scherzhaft genug, daß man ihm viele Leser versprechen kann, und witzig genug, daß man es den Liebhabern der Dichtkunst mit gutem Gewissen anpreisen kann. Sein Verfasser scheint aus der uralten Ana35 kreontischen Familie herzustammen, und mehr, als 16 poetische Ahnen, zu zählen. Fragt man, von was für einer Gattung der Eremit ist, von welchem dieses Gedicht handelt, so antwortet der Poet,

Daß er, der Eremit, beynah die ganze Stadt Zu Schwägern oder Kindern hat. 1 [92. Stück. 2 [108. Stück.

Sonnabend, den 2. August.)

Tienstag, den 9. September.)

Nus: Berlinische xrivilegirlr Zeitung 1749.

Anhang.

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Wir wollen nur noch einige Zeilen, welche dem Dichter im Vorbeygehen eingefallen sind, her setzen:

Kömmt mir einmal der Einfall ein, Und ein Verleger will so gnädig für mich seyn, Mich in groß Quart in Druck zu nehmen: So könnt ich mich vielleicht bequemen, Mit hundert Englischen Moralen, Die ich im Laden einst gesehn, zu pralen, Exempelschätze, Sittenrichter, Die alten und die neuen Dichter Mit witzgen Fingern nachzuschlagen, Und was die sagen, und nicht sagen, In einer Note abzuschreiben rc.

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Es wird mancher ein Stück aus seinem Lebenslaufe in diesem Gedicht finden, und sich also die 2 Gr. nicht gereuen lassen, die er in dem Vossi- 15 schen Buchladen dafür ausgeben möchte.

H a a g.1 In Peter Gossens Buchhandlung kömmt seit etlichen Wochen alle Donnerstage ein Wochenblatt von einem halben Bogen heraus, welches la Bigarure betittelt ist. Der Haupttitel ist: La Bigarure, ou Meslange curieux, instructif et amüsant de Nouvelles, de Critique, de Morale, de 20 Poesies, et andres matteres de Litteratwe, d’Evenements singuliers et extraordinaires, d’Avantures galantes, d’Histoires Secrettes, et de plusieurs autres Nouveautes amüsantes, avec des Bejiexions Critiques sw chague sujet. Qxtidquid agunt homines, Indus farrago Libelli, Et quando uberior vitiornm copia?

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IUVENAL. Sat. I.

Es wird erdichtet, daß eine Dame in Paris einer guten Freundin in Brabant wöchentlich schreibt, was besonderes und lustiges in Paris vor­ geht. Der wirkliche Verfasser dieses Wochenblatts muß entweder in Paris leben, oder er muß seine Nachrichten aus einer dieser ähnlichen periodischen 30 Schrift nehmen, welche in Paris herauskömmt. Man findet darinne vornehmlich das neueste, was in dem Reiche des Witzes, und besonders des Theaters in Paris, vorfällt. Im ersten Stück ist das merkwürdigste die Nachricht, von dem traurigen Schicksale, welches der Catilina des Crebillon, und Vvltärens Semiramis gehabt haben. Beyde Tra- 35 gödien sind nur einige wenige male gespielet und ausgepfiffen worden. Der von dem Hrn. von V. deswegen geschriebene Brief ist angenehm

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Aus: Berlinische privilegirte Zeitung 1749. Anhang.

zu lesen, und die Kritik darüber desgleichen. Es wird eine bittere Satire auf den itzigen Zustand des Parisischen Theaters angekündiget, deren Titel ist: POT DE CHAMBRE GASSE, Tragödie pour rire et Comedie pour pleurer. Wir sehen aus den Holländischen Zeitungen, daß sie wirklich 5 schon heraus ist. Im zweyten Stück treffen wir besondere Nachrichten von dem itzo in der Bastille sitzenden Herrn Diderot und ein lustiges Histörchen von einem freygeisterischen Mönche an. Im dritten werden wieder artige Nachrichten von dem Theater gegeben, und das vierte müssen wir dem jungen Frauenzimmer zur Lehre anpreisen. So weit haben wir 10 es itzo gesehen. Es ist überhaupt ein recht angenehmes Blatt, sowohl wegen der artigen Neuigkeiten aus Paris, als auch wegen der aufgeweckten und satirischen Schreibart.

Leipzig.' Allhier ist in Bernhard Christoph Breitkopfs Verlage in verwichener Messe herausgekommen: Neue Sammlung auser­ 15 lesener Stücke, ausPopens, Eachards, Newtons, und an­ derer Schriften, übersetzt von Luisen Adelg. Biet. Gottschedin», geb. Kulmuhinn. JnOctav. 1 Alph. 4 Bogen. Die Frau Gottschedin, vor deren Namen das Wort berühmt zu gemein klingt, hat sich bey der klugen Welt durch gegenwärtiges Buch neuen Dank und neue Hoch­ 20 achtung erworben. Sie rechtfertiget in der im Carlsbade geschriebenen Vorrede die Wahl der übersetzten Stück hinlänglich. Es sind derselben viere: 1) Popens Schrift vom Homer und seinen Werken; 2) Betrach­ tungen über den Hobbesischen Stand der Natur; 3) ein Auszug aus der Newtonischen Chronologie und 4) eine Reisebeschreibung nach Frank­ 25 reich. Die Frau Uebersetzerin hat hin und wieder nützliche und sinn­ reiche Anmerkungen beygefügt. Newtons Chronik ist, unsers Wissens, noch nicht im Ganzen Deutsch-'übersetzt, wie die Fr. G. glaubt, sondern Hrn. Hübners Übersetzung ist auch nur ein Auszug. Angezeigtes Buch ist in den Vossischen Buchläden für 9 Gr. zu haben.

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Chemnitz. ? Allhier ist ohnlängst bey Joh. Christoph und Johann David Stössel auf 2 Bogen in 8t. gedruckt worden: Critik über den Wohlklang des Sylben Maases in dem Heldengedichte, der Messias, in einem Sendschreiben an Herrn I. F. M. in Leipzig abgefasset von I. N. R. Herr I. N. R. das ist, 35 Johann Nathanael Reichel, welcher sich vor ein Paar Jahren in Leipzig beyder Rechte Beflissenen nennte, nunmehr aber, da er absolvirt hat, oder von der Universität weg ist, sich ohne Zweifel beyder Rechte Candidaten nennen wird, ist einer von den unverschämten Anbetern des Hrn. Klopstocks, Verfassers des Heldengedichts, der Messias. Bey diesen 1 [137. Stück.

Sonnabend, den 15. Povember.)

2 [143. Stück.

Sonnabend, den 29. November.)

Aus: Berlinische privilegirke Zeitung 1749. Anhang.

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Leuten heisst Critik, wenn sie auf den Messias zu reden kommen, nichts anders, als Lobspruch. Herr Reichel dringt mit seinen sklavisch kritischen Lobsprüchen nicht in das Innere dieses Heldengedichts ein. Er sieht es; er fängt an zu lesen; er sperrt Maul und Nase auf, und sieht das Sylbenmaaß an, wie die Kuh das neue Thor. Er entdeckt unentdeckliche Schönheiten darinne und giebt dadurch einen Beweis von der Feinheit und der scharfen Ausdehnung des Trommelfells seiner Ohren. In dem Verse:

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Sieh! itzt streckt schon der Sprößling der grünenden Ceder den Arm aus,

sieht er die Ceder vor sichtlichen Augen wachsen, und die beyden Worte: Arm aus, machen in seinen Ohren den Eindruck von dem Sprößlinge 10 der Ceder gerade so, wie er zum völligen Dienste des Messias da steht. Herr Reichel muß Eingebungen haben. Diese Kritik ist in den Vossischen Buchläden für 1 Gr. zu haben.

Berlin.* In den Vossischen Buchläden allhier und in Potsdam wird für 2 Gr. verkauft: Petit Discours sur les grands Bouquets ä la mode. MDCCXLIX. In Quart, 3 Bogen. Wenn man diese artige kleine Schrift gelesen hat, so kan man sie, wenn man nicht sehr unbekannt in dem Reiche des Scherzes und des Witzes ist, nicht aus den Händen legen, ohne einen großen Begriff von der Gabe des Verfassers, witzig zu scherzen, zu haben. Er leitet den Gebrauch, sich überhaupt mit Blumen zu schmücken, von der Eva Zeiten her: aber die ihm so sehr verhaßte Mode des jungen Frauenzimmers, einen großen Blumenstrauß vor die bloße Brust zu stecken, und dadurch so manche den Mannspersonen be­ trübte Sonnenfinsterniß zu verursachen, scheint ihm einen weit spätern und dabey niedrigen Ursprung zu haben. Er beweiset mit den tüchtigsten Gründen der Wahrscheinlichkeit, daß sie von den Schweizerischen Bauer­ nymphen herrühret, welche die großen Blumenbüsche deswegen vor ihre Brüste gepflanzet haben, damit sie den aus dieser Gegend zuweilen auf­ steigenden unangenehmen Duft vertreiben und in einen wohlriechenden verwandeln möchten. Er glaubt auch, daß man anfangs dasjenige dadurch ein wenig habe vermindern wollen, worinnen sich öfters die Natur etwas gar zu freygebig erwiesen hat. Er bestreitet diese itzo bey Schönen von höherem Stande überhand genommene Mode tapfer und glücklich. „Wieviel Angenehmes wird nicht manchem zärtlichen Blicke, welcher das „Natürliche liebet, durch die großen Blumensträußer entzogen! und wie „manche kritische Bewegung verstecken sie nicht vor den schmachtenden „Augen junger Mannspersonen!" sind des Verfassers Worte. Er wirst am Ende gar die rechtliche Frage auf, ob nicht den Mannspersonen er­ laubt sey, diese Feinde ihrer Zärtlichkeit mit gewaltsamer Hand an­ zugreifen? Er untersteht sich nicht, diese Frage, welche an alle verliebte

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Kus: Berlinische xrivilrgirtr Zeitung 1749.

Anhang.

Facultäten verschicket werden sollte, zu entscheiden; behauptet aber doch, daß das -schöne Geschlecht den Rechten der Mannspersonen restitutionem in integrum illimitatam zu erstatten, gehalten sey. Und das von Rechts wegen. Wir sehen diese Anklage der großen Blumensträußer als einen 5 Sturmwind an, welcher sie alle an den Brüsten unserer Schönen auf einmal von Grund aus umstürzet und wegjaget. Wer dieses nicht glauben will, der lese diese Schrift, welche man allen Liebhabern des artigen Scherzes, des gesalzenen Witzes, und der feinen Satire in bester Form Rechtens anzupreisen sich verbunden zu seyn achtet.

Haag. * Die allhier bey P. Gosse, dem Jüngern, alle Donnerstage herauskommende Bigarure, welche auch in Berlin, in dem Neaulmischen Buchladen alle Sonnabende zu haben ist, wird mit grossem Beyfall fort­ gesetzt; welchen sie auch bey den Liebhabern des Witzes und Scherzes billig verdienet. In dem neunten Stück derselben finden wir eine so 15 lustige Begebenheit aus Paris, daß wir sie unsern aufgeweckten Lesern unmöglich vorenthalten können. Es giebt nicht nur in Deutschland kri­ tische Rotten. Wir finden nicht nur unter unsern witzigen Köpfen Gottschedianer und Schweizerianer, sondern es giebt auch in Paris Boltärianer und Crebillonianer. Zwey von diesen Parteyen trafen einander 20>ohnlängst auf dem Komödieneaffeehause an, wo sie warteten, bis die Ko­ mödie anging. Man unterhielt sich, nach der Gewohnheit, von theatra­ lischen Neuigkeiten, wobey man ganz natürlicher Weise auf die beyden von den Herrn von Boltäre ganz neu angekündigten Trauerspiele, Catilina und Elektra, zu reden kam. Ein jeder urtheilte davon so, wie 2d er für den Herrn von Boltäre, oder für den Herrn Crebillon gesinnet war. Denn es ist zu merken, daß der letztere auch zwey Trauerspiele, über eben diese Materien verfertiget hat, welche der erstere durch die feinigen verbessern und übertreffen will. Mitten unter dem Disputiren fingen ihrer zwey, wovon der eine, des Herrn von B., der andere des 30 Hrn. C. Anbeter war, an, einander ihre Sätze durch Stösse mit den Stühlen zu demonstriren, und wollten dadurch erfahren, welcher von diesen beyden Dichtern den andern vom Parnaß herunter stürze. Keiner von beyden Partisanen wollte nachgeben. Auf den Streit folgte Ernst, auf den Ernst Heftigkeit und auf die Heftigkeit Grobheit. Alsbald mischten sich 35 Zorn und Wut darein. Wenn man sie sah, war es nicht anders, als wenn Apollo sie anreizte und erhitzte, wie er ehemals der Sybille von Cumä that. Der Zorn blitzte aus ihren Augen. Bald darauf erfolgte ein Still­ schweigen, welches dem Streit das Ende anzukündigen schien. Aber eh man sichs versah, warf der eine dem andern eine Bouteille Wein, aus 40 welcher sie kurz vorher als gute Freunde miteinander getrunken hatten,

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Rus: Berlinische privilrgirkr Heilung 1749.

Anhang.

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in das Gesicht. Auf dieses Signal fing sich der Krieg ohne Verzug an. Man zerbrach die Gläser in tausend Stücken; man warf die Tische um; die Stühle flogen im Saale herum; die zerbrochenen Fensterscheiben machten ein entsetzliches Geklirre; es ward alles der Erde gleich gemacht; die beyden Kämpfer kamen zusammen, und faßten einander nach einem Hagel von derben Ohrfeigen. Sie bemächtigten sich in aller Geschwindigkeit der Ohren und Haare, und kriegten einander hernach bey dem Leibe zu packen, da sie denn einander niederwarfen, und so sehr und so lange über ein­ ander wegkullerten, daß einer über den andern in den Keller die Treppe hinunter fiel, ohne die Smffen zu zählen. Die übrige Gesellschaft versah sich nichts gutes von dieser Komödie. Sie ging in den Keller zu den beyden spielenden Personen, wo die Bouteillen voll Musealen- und Spanischen Wein Gefahr liefen, mit den Gläsern, Stühlen und Fenstern gleiches Schicksal zu erfahren. Nach vieler Mühe brachte man sie end­ lich auseinander. Sie gingen wieder herauf und erschienen vor dem Commissar, welchen der Caffeeschenke abgeschickt hatte, Friede zu stiften. Er stellte ihnen den Schaden vor, welchen sie ihm verursachet, da sie ihm seine Sachen zerbrochen, welche gleichwohl mit den beyden neuen Trauerspielen des Hrn. von V. in keiner Verbindung stünden. Kurz, er fragte, wer seine Sachen bezahlen wollte? „Parbleu! antwortete der „Crebillonist; ich bezahle sie nicht; meine Rippen im Leibe sind mir zer„brochen; ist das nicht genug für meine Rechnung?" Der andere machte sich dieses Geständniß zu Nutzen, und ruffte, ohne an die gethane Frage wegen der Bezahlung zu denken, mit einem sieghaften Ton aus: „Sehen „Sie, meine Herren, ich ruffe Sie zu Zeugen an, daß er mir gewonnen „Spiel giebt!" Eine Ausrüstung, welche als eine den neuen Stücken des Hrn. von V. höchstgünstige Vorbedeutung angesehen worden. Es ist zu wünschen, daß es mit diesen ein besseres Ende nimmt, als mit dem Kriege dieser tapfern Kunstrichter, welche, bey allem ihrem Eifer und Muth, alsbald in das Chatelet geführet worden, wo sie noch sind, und so lange seyn werden, bis es dem Policeylieutenant gefallen wird, sie daraus zu erlösen.

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Halles Bey Carl Herrmann Hemmerden ist auf 2 Bogen in 8t. herausgekommen: Eine kleine Betrachtung über die grossen Modesträusser, ans dem Französischen des Ritters ®*** 35 übersetzt. Dieses ist eine Uebersetzung des Petit Discours sur les grands Bouquets u la mode, welchen wir ohnlängst angezeiget haben. Diese Uebersetzung müßte besser seyn, als sie ist, wenn man solle sagen können, daß sie der Urschrift gleich käme. Der öfters unreinen Deutschen Schreibart nicht zu gedenken, so ist oft den witzigsten und scherzhaftesten 40

44

Nus: Berlinische privilegirke Zeitung 1749. Anhang.

Ausdrückungen der Urschrift ihre Schönheit durch übel gewählte Deutsche Wörter und Redensarten benommen worden. Wie Französisch Deutsch klingt das, wenn der Uebersetzer sagt: Durch einen Ueberfluß an Gründen erweisen; das Frauenzimmer wird wider diese 5 Meynung auffahren; einer Sache mit einem gesammleten Gemüthe nachdenken! Damit der Herr Uebersetzer auch was de suibus hinzu thun möchte, so hat er eine Vorrede von einer halben Octavseite dazu gemacht; worinnen er sich unter andern von dem Verfasser folgendermassen ganz sinnreich ausdrückt: Er habe das Herz gehabt, 10 dem Frauenzimmer recht ans Herz zu greifen. 0 puer! ut sis vitalis, metuo.

Nollins Römische Historie.

45

Römische Historie von Erbauung

Der Stadt Nom, Vis auf die Schlacht bey Rrtium,

oder das Ende der Republik;

5

aus dem Französischen des Herrn Rollins ins Deutsche übersetzt.

Vierter Theil. Mit Kön. Poln. u. Churfl. Sächs. allergn. Privil.

Leipzig, bey Johann Heinrich Rüdiger, 1749.1 2 [Seite 461, Anmerkung.)?

10

Weil weder das Wort Zöllner, noch das Wort Pachter, man wollte denn das Beywort, öffentlich hinzusetzen, das lateinische Wort Publicanus genug ausdrücken, so will man lieber das lateinische Wort,

gleich andern solchen Wörtern im Deutschen behalten.

Römische Historie

15

von Erbauung

Der Stadt Vom, Bis auf die Schlacht bey Mrtium, oder das Ende der Rrxublick;

aus dem Französischen des Herrn Rollins, ins Deutsche übersetzt.

Fünfter Theil. Mit Kön. Poln. u. Churfl. Sächs. allergn. Privil.

Leipzig und Danzig, bey Johann Heinrich Rüdiger, 1750.3

1 [24 unpaginierte Blätter und 480 Seiten 8°.] 2 [Zu der dem dreizehnten Buche der Römischen Historie beigesügten Abhandlung von den Publicanis (Disgression sur les publicains) ] 3 [510 Seiten 8o.j

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46

Lollins Römisch! Historie.

Römische Historie von Erbüuung

Der Stadk Rom, Vis auf dir Schlacht bey Rrtium, 5

oder da« Ende der Rrpublick; aus dem Französischen des Herrn Rollins, ins Deutsche übersetzt.

Sechster Theil. Mit Kön. Poln. und Churfl. Sächs. allergn. Privil.

Leipzig und Danzig, bey Johann Heinrich Rüdiger, 1752.1 2 10

[Seite 361, Anmerkung.)

Modius, ein Maas, das zwanzig Pfund an Getrayde in sich hielt, und nach unsrer Art etwa« ein Viertel betrug.3 1 [560 Seiten 8°.] 2 [Buch XX, 8 r, zu den Worten „fünf hundert tausend Scheffel Korn" (boisseaux de froment).] 3 [Mehr alS diese drei Bände hat Lessing nicht übersetzt. Band III war schon 1746 zu Leipzig er­ schienen;. Band VII tarn erst 1757 bei Korn in Breslau heraus. Vgl. Lessings Brief an seinen Vater vom 2. November 1750.]

Beyträge

istorie und Aufnahme Theaters. 1750.

[Die Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theaters erschienen anonym in vier Stücken „Stuttgard, bey Johann Benedict Metzler, 1750", zusammen 606 Seiten 8° nebst 12 un­ paginierten Blättern Titel und Vorrede und 4 Blättern Register. Zur Herausgabe vereinigte sich Lessing mit Christlob MylinsZ

Erstes Eck. Vorrede. Wir wollen uns nicht lange entschuldigen, daß wir der Welt

eine neue periodische Schrift vorlegen, wir wollen vielmehr dem Leser alsobald unsere Absicht etwas umständlicher entdecken, und versichert

ö

seyn, daß, wenn ihm diese gefällt, ihm auch unsere Arbeit nicht un­

angenehm seyn werde. Entweder man hat etwas nützliches unter Händen, oder nicht.

Im ersten Falle sind die Entschuldigungen überflüßig, im

andern vergebens.

Deutschland kann sich nunmehro bald rühmen, daß es in den 10

Werken des Witzes Stücke aufzuweisen habe, welche die schärfste Critik

und die unbilligsten Ausländer nicht scheuen dürfen. Wir trauen unsern Lesern mehr Geschnmck zu, als daß wir nöthig zu haben glauben, sie ihnen zu nennen.

Es sind nicht nur Kleinigkeiten.

Das Heldengedicht

und die Fabel, das Schauspiel und das Trinklied, eines sowohl wie is

das andre, haben ihre Geister gefunden.

Nur in der Menge dieser

Geister muß unser Vaterland andern Ländern weichen.

Allein man

erwarte nur die Jahre, man bemühe sich nur, den guten Geschmack

allgemein zu machen, so wird auch dieser Vorwurf Wegfällen.

Dieses

letztre ist eine Zeit lang die Absicht unterschiedener Monatsschriften 20

gewesen.

Weil eben nicht lauter Meisterstücke dazu nöthig sind, so hat

jede ihren Nutzen gehabt.

Wir wollen damit nicht die Rangordnung

unter ihnen aufheben, noch Sachwalter aller unglücklichen und ver­ wegnen Schriftsteller dieser Art werden; wir sagen nur, daß sie zu

jetzigen Zeiten alle auf gewisse Weise und nach gewissen Stufen was 25 gutes gestiftet haben. Diese Zeiten sind größtentheils Zeiten der KindLessing, sämtliche Schriften. IV. 4

60

Vrykriigr ;ur Historie und Aufnahme de« Theater». 1. Stück.

heil unsers guten Geschmacks gewesen. nicht starke Speise.

Kindem gehöret Milch, und

Von Weisen auf Hallern wäre ein allzugroster

Sprung gewesen, und diese schnelle Verändenmg hätte vielleicht dem

guten Geschmacke eben so gefährlich seyn können, als es einem Kinde

6 seyn würde, welches man nach der Milch gleich zu starken Weinen ge­ wöhnen wollte.

Waren nicht also auch diejenigen nöthig, die eben so

weit unter den einen, als über den andern waren?

Wenigstens für

die Menge, die sich nur stufenweise zu bessern fähig ist. Auf diese Art haben sie di« Liebhaber vermehrt, und manchen Kopf ermuntert, der

10 vielleicht durch lauter Meisterstiicke wäre abgeschreckt worden. nur zu betauern,

Eines ist

nämlich daß meistentheils die Einrichtung dieser

Monatsschriften nicht vergönnet hat, sich in alle Theile, besonders der Poesie, gleich weit einzulaffen.

anführen.

Wir wollen nur den dramatischen Theil

Hat dieser nicht allezeit den kleinsten Theil darinnen ein-

15 genommen? In vielen hat man gar nicht an ihn gedacht. Gleichwohl hätte man ihn am wenigsten vergesien sollen, da er die meisten Lieb­

haber nöthig hat.

Wir verlangen eben Nicht, daß man unS allezeit

Originalstücke hätte vorlegen sollen. Arbeit.

Hierzu gehöret allzuviel Zeit und

Allein warum hat man unS nicht die Werke der Alten, und

20 der Ausländer darinnen näher bekannt gemacht?

Wie viele kennen die

griechischen und römischen dramatischen Dichter?

Wie viele kennen die

Schaubühne der Jtaliäner, Engländer, Spanier, Holländer? Die einzigen Franzosen hat man durch häufige Uebersetzungen sich eigen zu machen

gesucht.

Dadurch hat «um aber unser Theater zu einer Einförmigkeit

26 gebracht, die man auf alle mögliche Art zu vermeiden sich hätte be­ streben sollen.

Wenn num auch nur in das Theoretische der Schau­

bühne sich etwas eingelassen hätte, entweder durch eigne oder fremde

Abhandlungen das Leere in den meisten Lehrbiichern der Dichtkunst zu erfüllen: wir glauben gewiß, eS würde um das Theater noch bester so stehen, es würde vielleicht mehr Arbeiter und weniger Stümper ge­ funden haben, eS würde vielleicht von mehr Gönnern seyn unterstützt

worden.

Denn wie wir schon gesagt, dazu sind die Monatsschriften,

sie breiten den guten Geschmack und die Liebe zu den Werken deS

Witzes ans, und ermuntern zur Nacheifrung.

35

Diese Betrachtung hat unS auf einen Einfall gebracht, den wir

jetzt auSzufiihren anfangen. Wir wollen einholen, was man versäumet

Vorrede.

51

hat. Wir wollen uns bemühen, so viel in unsern Kräften steht, zur Aufnahme des Theaters beyzutragen.

Der Plan, ben wir uns zur

Erhaltung dieser Absicht gemacht haben, besteht in folgenden. Wir wollen theils auf die sehen, die zu ihrer Arbeit, oder zur Verbesserung ihres

Geschmacks, noch Vorschriften nöthig haben; theils auf die, die nur durch Muster aufgemuntert zu werden brauchen.

5

Der Erster» wegen

wollen wir alles aufsuchen, was sowohl alte als neue, sowohl ein­ heimische als ausländische Kunstrichter von der Einrichtung der Schau­ spiele geschrieben haben. Doch wollen wir gleich im voraus melden,

daß wir die ersten Anfangsgründe dieser Kunst übergehen werden, sie 10

müßten denn so genau mit wichtigem Betrachtungen verknüpft seyn, daß sie nicht zu trennen wären. Die drey Einheiten sind auch Schülem

bekannt.

Allein Abhandlungen über die Wahrscheinlichkeit, über das

Comische, über das Erhabene, über die Charaktere, über die Sitten­

sprüche, und über andre beträchtliche Theile sowohl der Tragödie als 15 Comödie werden vielen, wo nicht was ganz Repes, doch was An­

genehmes seyn.

Wo wir von diesem oder jenem keine Abhandlung,

in was für einer Sprache es sey, finden, wollen wir unsre eignen

Gedanken mittheilen.

Wir wollen uns bestreben, daß sie allezeit von

der Vemunft und von den Beyspielen alter und neuer Meister unter- 20

stützt seyn mögen. Was wir alsdann von den Regeln sammeln, wollen wir in der Beurtheilung der neusten theattalischen Stücke anzuwenden

suchen. Diese Beurtheilung soll allezeit ohne Bitterkeit, ohne Vomrtheile angestellt werden. Wir wollen, wider die Gewohnheit der Kunstrichter,

mehr das Schöne als das Schlechte aufsuchen.

Wir wollen mehr loben, 25

als tadeln. Wir glauben also, daß niemand unsre Crittk scheuen werde.

Doch so sehr wir uns ein Gewiffen machen werden, jemanden abzu­

schrecken, so sehr wollen wir uns auch Hüten, die theatralische Arbeit als eine Kleinigkeit, als eine Arbeit, der jeder gewachsen sey, vorzu­

stellen. Hierzu werden genaue Charaftere, die wir in ihrem Umfange 30 von dem römischen und dem tragischen Dichter machen wollen, dienlich seyn.

Wir wollen untersuchen, wie weit sich beyder Witz und beyder

Gelehrsamkeit erstrecken müße, und Vorschläge thun, wie jeder seine

Kräfte prüfen könne. Was die Muster, die wir vorlegen wollen, anbelangt, so glauben 35

wir uns in den Stand gesetzt zu haben, daß wir aus dem Griechischen

52

Beyträge zur Historie und Aufnahme de« Theaters.

1. Stück.

und Lateinischen, aus dem Französischen, Italiänischen, Englischen, Spanischen und Holländischen unsern Lesem von uns übersetzte Stücke werden liefern können.

Auf die erfterp zwey wollen wir unsern Fleiß

besonders wenden. Wir wollen zuweilen aus dem Sophokles, Euripides

ö und Aeschylus ein Stück übersetzen; wozu wir allezeit ein solches wählen wollen, das von neuern Poeten ist nachgeahmet worden, oder von dessen Inhalte wenigstens ein ähnliches neueres Stück zu finden ist.

Dieses

wollen wir auch mit dem Aristophanes, Plautus, Terenz und dem

tragischen Seneca thun.

Wir wollen sie dabey selbst untereinander

10 vergleichen, und zu bestimmen suchen, was Sophokles vor dem Euripides, dieser vor jenem, beyde vor dem Aeschylus, und dieser vor beyden eignes habe.

Auf gleiche Art wollen wir mit dem Terenz und Plautus

verfahren. Es soll uns nicht genug seyn, ein Stück von ihnen zu über­

setzen, wir wollen auch zeigen, worinne und wie Terenz den Plautus, und lö Plautus den Aristophanes nachahme. Wir wollen dabey mit allem Fleisse

diejenigen Stücke und Stellen aufsuchen, welche die neuern Dichter von diesen geborgt haben. Wir werden daraus nothwendig einsehen lernen,

welches die wahre und falsche Art, nachzuahmen sey, und den Vorzug

der Alten vor den Neuern, oder, in gewissen Stücken, dieser vor jenen,

20 daraus, feste setzen können. widmet werden.

Hierzu sollen besondre Abhandlungen ge­

Von den Stücken der neuen Ausländer aber, werden

wir nur solche übersetzen, , die in Deutschland bisher am wenigsten sind

bekannt gewesen, und die man als Muster in ihrer Art ansehen muß. Wir werden besonders unser Augenmerk auf das englische und spanische

25 Theater richten.

Shakespear, Dryden, Wicherley, Vanbrugh, Cibber,

Congreve sind Dichter, die man fast bey uns nur dem Namen nach kennet, und gleichwohl verdienen sie unsere Hochachtung sowohl als die

gepriesenen französischen Dichter.

Eben so ist es mit dem Lopez de

Vega, Augustin Moreto, Antonio de Mendosa, Francisco de Rojas,

30 Fernando de Zarate, Juan Perez de Montalvan, Antonio de Azevedo, Francisco Gonsalez de Bustos und andern.

Diese sind alle Männer,

die zwar eben so grosse Fehler als Schönheiten haben, von denen aber ein vernünftiger Nachahmer sich sehr vieles zu Nutze machen kann.

Doch wollen wir auch die Franzosen, Jtaliäner und Holländer nicht

35 vergesien.

Von den erstem haben die Deutschen schon sehr vieles ge­

nommen; wir werden uns. also hüten, alte Stücke von ihnen aufzu-

Vorrede.

53

wärmen, unb deswegen größtentheils nur auf die itztlebenden Verfasser sehen, deren Arbeit in Ansehung der ältern Stücke viel besonders hat,

und von denen jeder meistentheils einen eignen Weg zu gehen sucht. Von den Jtaliänern und Holländern aber werden wir nur das, was

sie regelmäßiges und eigenthümliches haben, aufsuchen. Sollte es her-

6

nach nicht möglich seyn, dasjenige fest zu setzen, was jede Nation vor der andern vorzügliches und eigentümliches habe?

Wir glauben, ja,

und sind so gar überzeugt, daß aus keiner andern Sache das Naturell

eines Volks besser zu bestimmen sey, als aus ihrer dramatischen Poesie. Wir wollen dieses an seinem Orte weitläufttger ausführen.

Nur ist 10

gewiß, daß es eine kleine Ausnahme in Ansehung der deutschen Schau­ bühne leiden werde. Wir haben zu wenig eigne Stücke; und den meisten

dieser Stücke merkt man das Ausländische allzusehr an.

Der sicherste

Charakter also, den man daraus von dem Deutschen wird bestimmen

können, ist, daß er überall das Gute, wo er es findet, billige, und es 15 sich zu Nutze mache.

Das ist gewiß, wollte der Deutsche in der drama­

tischen Poesie seinem eignen Naturelle folgen, so würde unsre Schau­

bühne mehr der englischen als französischen gleichen. Dieses ist es, was wir zur Aufnahme des Theaters unter uns beyzutragen hoffen.

Wir hätten gerne noch dieses hinzugefügt, daß wir 20

auch dann und wann einige von unsern eignen Stücken mittheilen

wollten.

Allein der Leser hat noch allzuwentg Grund, sich etwas Gutes

davon zu versprechen, daß wir es also auf sein eigen Urtheil wollen ankommen lassen, ob wir auch hierinnen unsre Absicht erreichen werden.

Wir geben ihm zugleich das Recht, unsre Arbeit eben so scharf zu be- 26

urtheilen, als wir es mit andrer Arbeit machen werden.

Uebrigens

wollen wir ihm nicht vorschreiben, ob er es auf eine bescheidne oder

unbescheidne Art thun wolle.

Das gilt uns gleich viel.

Wir werden

aus dem einen sowohl als aus dem andern uns zu bessern suchen. Eines hätten wir bald bey diesem Plane vergessen.

Wer weis 30

nicht, daß die dramatische Poesie nur durch die Vorstellung in das­ jenige Licht gesetzt werde, worinne ihre wahre Schönheit am deutlichsten

in die Augen fällt?

Sie reizet, wenn man sie liesst, allein sie reizet

ungleich mehr, wenn man sie hört und sieht.

Derjenige, der durch die

bloße Lesung, zum Exempel eines Trauerspiels, bis zu süssen Thränen 35 gebracht wird, muß schon selbst ein Mensch von Empfindungen seyn.

54

Beyträge jur Historie und Aufnahme de» Theater». 1. Stück.

Er muß schon mehr zu denken, und mehr als der gemeine Haufe zu fühlen gewohnt seyn.

Und solche Leute sind selten.

Mit dem größten

Theile muß man zufrieden seyn, wenn durch die Gewalt der Sinne ihr schweres und kaltes Herz in diejenige Bewegung gesetzt wird, die

5 der Dichter zur Absicht hatte.

Wer sieht also nicht, , daß die Vorstellung

ein nothwendiges Theil der dramatischen Poesie sey?

Die Kunst dieser

Vorstellung verdienet derohalben unsrer Aufmerksamkeit eben sowohl, als die Kunst der Verfassung. Sie muß ihre Regeln haben, und diese

Es sind uns einige neue Schriftsteller hierinne

wollen wir auffuchen.

10 schon vorgegangen, und wir werden uns ihrer Arbeit auf eine erlaubte Art zu bedienen wissen.

Diese Regeln erstrecken sich nicht allein auf

die Schauspieler, sie können allen nutzen, welche die Beredsamkeit des

Körpers brauchen.

Es ist ohnedem zu belauern, daß wir die Kunst

zu declamiren, die bey den Alten so hoch geachtet war, theils verlohren

15 haben, theils geringe schätzen.

Ihre größten Redner übten sich darinne,

und Cicero selbst hat sich nicht geschämt, sich in einen Wettstreit mit dem Roscius einzulaffen.

Wenn man itziger Zeit etwas mehr Fleiß

darauf wendete, so würde man gewiß mehr Redner als Stöcke auf unsern Kanzeln finden, und diejenigen, die oft einem Rasenden daselbst

20 ähnlicher als einem Apostel sehen, würden mit mehrerer Mäßigung und Annehmlichkeit zu reden wissen.

Denn wir wollen doch nimmer-

mehr hoffen, daß diese äusserliche Anständigkeit auch unter die Eitelkeit der Welt mit gehöre.

Zu der Vorstellung der dramatischen Poesie ge­

höret aber noch mehr, als die Beredsamkeit des Körpers; die Aus-

25 zierung des Schauplatzes; die gehörige und wahrscheinliche Verkleidung der Personen ist nichts weniger nöthig.

Wir wollen also auch darüber

dann und wann unsre Gedanken eröffnen, und die unzähligm Un­ gereimtheiten, die, in diesen "Stücken, noch auf dem und jenem Theater

sind, zu vermindern suchen.

so

Dieser Entwurf wäre weitläuftig genug, und wir würden an

Materie sobald keinen Mangel haben: gleichwohl haben wir für dienlich

befunden, mit erwähnter Absicht noch eine andre zu verbinden, damit die Abwechslung in unsrer periodischen Schrift desto größer, und der Gebrauch desto allgemeiner seyn könne.

Es sind nun vier Jahr, daß

35 uns bey dem Beschlusse der deutschen Schaubühne, der Herr Professor

Gottsched Hoffnung zu einer Historie des Theaters machte.

Es ist

Vorrede.

55

gewiß, wir sind nicht die einzigen, die der Erfüllung diese- Versprechen­

mil Vergnügen und mit einem unruhigen Verlangen entgegen gesehen haben.

Man muß gestehen, daß er sehr geschickt dazu seyn würde,

und daß seine Verdienste, die er unwidersprechlich um da- deutsche

Theater hat, dadurch zu ihrer vollkommnen Größe anwachsen würden,

s

Es ist also um so vielmehr zu belauern, daß ihn ohne Zweifel wichtigere

Geschäffte von dieser Arbeit abhalten, die fast einen eignen Mann erfodern will.

Noch mehr aber würde eS zu belauern seyn, wenn sie

gar unterbleiben sollte.

Wir glauben schwerlich, daß sich außer ihm

derselben jemand unterziehen möchte, wenn er weis was für eine weit-10 läuftige Belesenheit, und was für Hülfsmittel dazu erfodert werden. Sollte es aber nicht möglich seyn, diese- schwere Werk zu erleichtern? Ein Gebäude ist leichter und geschwinder aufzuführen, wenn die Bau­

materialien bey der Hand sind; und wenn man diese mit Musie her­ beyschaffen kann, so wird die Arbeit nicht halb so schwer.

Es würde 15

unendliche Mühe kosten, .wenn der Mäurer jeden Stein, den er ge­

brauchet, selbst herbey schaffen sollte.

Dessen Mühe aber wird nicht

geringer seyn, der zu Verfertigung der Geschichte de- Schauplatze­ alle Kleinigkeiten selbst au-spähen muß.

Wir hoffen also nicht- Ueber*

flüßiges oder Unnützliches zu thun, wenn wir die vornehmsten Nach- 20 richten, die dazu nöthig sind, sammeln.

Diese werden theil- den Ur­

sprung, den Fortgang, den Verfall, und die Wiederherstellung der

Schaubühne bey allen gesitteten Völkern; theil- die Lebensbeschreibungen sowohl der dramatischen Poeten, al- der Schauspieler; theil- historische

Auszüge aus den vornehmsten theatralischen Werken, betreffen.

Wir 26

wollen übrigens alles sammeln, wa- sowohl für al- wider die Schau­

spiele ist geschrieben worden; und deswegen von den Kirchenvätern an­ fangen, und bis auf unsre heutigen Gottesgelehrten kommen.

Hieraus

wird deutlich erhellen, mit was für Grunde sich diese auf das Beyspiel jener berufen; daß alle die Gründe, welche die erstem wider die Schari- so

spiele vorgebracht haben, zu den itzigen Zeiten wegfallen; und daß die letztem sie aus Unwissenheit und Stolz verachten. Vielleicht gewinnen

wir damit so viel, daß mrbedachtsame Eifrer etwas gelinder urtheilen, rind mit ihrer Verdammung etwas nrehr an sich halten lernen.

zwar wollen wir uns nicht allzugroße Rechnuiig machen.

Darauf

Denn manche 35

Leute sind gewohnt, am meisten zu eifern, wenn sie am wenigsten zu

56

VrytrSgr zur Historie und Aufnahme de« Theater».

antworten haben.

1. Stück,

Sie sind genugsam durch ihren Irrthum, und durch

die Schande, mit den größten und gründlichsten Gottesgelehrten nicht

übereinzustimmen, gestraft.

So viel ist zwar leider! wahr, daß durch

ihr Schmälen bey dem Pöbel das Vorurtheil wider das Theater, und

ö wider die, die daran arbeiten, erhalten wird.

Allein vielleicht kommen

bald die Zeiten, da auch der Pöbel klüger, als sie, seyn wird, und da sie die einzigen seyn werden, denen man einen gesündern Verstand zu wünschen hat.

Bey diesen historischen Beyträgen wollen wir vornehmlich auf 10 das deutsche Theater mit sehen.

Wir wollen alle die verdienstvollen

Männer hervorsuchen, die mit ihrem Witze oder mit ihrem Vermögen

und Ansehen demselben nützlich gewesen sind, und ihnen zu demjenigen Ruhme zu verhelfen suchen, den nur die »»parteyische Nachwelt geben kann.

Von unsern alten theatralischen Stücken haben viele einen all-

15 zuverächtlichen Begriff.

Es ist wahr, sie sind wenig regelmäßig, sie

haben wenig von den Schönheiten, die itzo Mode sind; allein wer vielen von ihnen den Witz, das ursprünglich Deutsche, und das Bewegende

abspricht, der muß sie entweder nicht gelesen, oder seinen Geschmack allzusehr verekelt haben.

Wir werden zu seiner Zeit von dergleichen

20 Stücken unsern Lesern einen Auszug machen, von welchen metstentheils

nichts, als der Titel aus des Herrn Prof. Gottscheds Verzeichnissen bekannt ist.

Nunmehr kömmt es auf den geneigten Leser an, zu urtheilen, ob das, was wir hier versprochen haben, und welches wir uns auf

25 alle mögliche Art zu halten bestreben werden, seine Aufmerksamkeit verdiene.

Wir wollen das Beste hoffen, und in dieser Hoffnung alle

Quartale mit dieser Arbeit fortzusahren versprechen.

Jedes Stück soll

ohngefähr 10 Bogen, und jeder Band 4 Stück, oder ein Jahr, aus­

machen.

Diejenigen werden uns allezeit den angenehmsten Dienst er-

30 weisen, die uns dartnne beystehen, oder, wo wir etwa» irren sollten, uns zurechte führen werden. Im October, 1749.

Dir Verfasser.

Von dem Leben und den Werken de« Plaukus.

57

[I. Versuch eines Beweises, daß die Schauspielkunst

eine freye Kunst sey. (Von Mylius.)j II.

Abhandlung

6

von dem Leben, und den Werken des

Marrus Fcrius Msutus. Wir sind Willens, dem Leser in der Folge einige Lustspiele des Plautus übersetzt vorzulegen. Wir haben uns schon in der Vorrede 10

Es wird also nicht

erklärt, wie und warum wir dieses thun wollen.

unbillig seyn, wenn wir vorher das nöthige sammeln, was uns dm Verfaffer und seine Arbeit näher kennen lehrt. Von dem Plautus (a) selbst finden wir wenige Nachricht. Alles waS wir von seinen Lebensumständen missen, beruhet auf einigen Stellen 15

des Cicero, Gellius, Festus, Servius, und Hieronymus. Horaz, Plinius der jüngere, Quintilian, Macrobius und andre gedenken zwar auch sein, allein alles was sie uns von ihm sagen, sind Lobeserhebungen oder Beurtheilungen.

Marcus Accius (b)

Plautus soll

in

Sarsina (c), einer Stadt in Umbrien, gebohren seyn. Seine Aeltern und 20 (a) Man hat schon einige Lebensbeschreibungen von dem Plautus.

Der­

jenigen nicht zu gedenken, die man theils vor einigen Ausgaben und Uebersetzungen

seiner Werke, theils in unterschiedenen Nachrichten von den lateinischen Schrift­

stellern findet, so hat Casp. SagittartuS ein besonderes Buch de Vita, acriptia, editionlbua, interpretibua, lectione atque imltatlone Plauti, Terentii, et Ciceronia, 85

Altorfli, 1672, in 8. herausgegeben.

Ich würde mir vielleicht viel Miihe haben

ersparen können, wen» ich es zu bekommen gewußt hätte. (b) Einige schreiben ihn auch AttiuS. (e) Man schreibt sie auch Sarcina und Satzina. sie gar Farsina, aus welchem Grunde, weis ich nicht.

Janus ParrhafiuS nennt

Sie führt noch bis itzo 30

diesen Namen, und liegt an dem apenninischen Gebirge an dem Flusse Sapis, in der heutigen Provinz Romagna, 24 Meilen westwärts von Rimini.

Sie ist ein

58

Vrykrägr prr Historie und Aufnahme de» Thraker». 1. Lkück.

die Zeit seiner Geburt sind gleich unbekannt.

Man glaubt gemeinig­

lich, daß seine Vorfahren Leute von sehr geringem Stande, ja gar Sklaven sollen gewesen seyn.

Pareus beruft sich deshalb auf eine

Stelle bey dem Minutius Felix, wo Plautinae prosapiae homo, einen

5 Menschen von der allerniedrigsten Herkunft anzeige. ob dieses Beweis genug ist.

Ich weis nicht,

Wenn man übrigens von der Geschick­

lichkeit und dem feinen Witze eines Menschen, auf seine gute Erziehung und von dieser auf seine Aeltern einigermaßen schließen kann, so möchte

die Vermuthung von des Plautus geringer Herkunft am ersten weg-

io fallen.

Wenigstens könnte man nicht ohne Grund glauben, daß er

unter gesitteten und artigen Leuten müsse seyn auferzogen worden. Vielleicht ist er zeitig nach Rom gekommen, vielleicht hat er eben das

Glück gehabt, welches Terentius hatte, daß er mit den größten Leuten

seiner Zeit umzugehen Gelegenheit fand.

Doch das sind Vermuthungen,

15 die keinen gewissem Grund als die gegenseitigen haben.

Das Glück

mag einen großen Geist aus einem Stande entspringen laffen, aus

welchem es will, er wird sich allezeit hemordringen und zur Bewun­ derung der Welt werden.

Der Ruhm des Plautus wird nur noch

größer, wenn er auch selbst in seinen ersten Jahren ein Sklave ge-

20 wesen wäre.

Man bewundert den Epictet; und ich sollte fast meynen,

daß es schwerer sey in der Sklaverey ein Porte als ein Philosoph zu

werden.

Das Unglück giebt ost die beste Anleitung zur Weltweisheit,

allein ob es zum Dichten gleich nützlich sey, daran kann man um so viel mehr zweifeln, je mehr man Beyspiele von Dichtern anführen 25 könnte, welche Armuth und Niedrigkeit entkräftet und zu Boden ge­ schlagen hat.

So viel ist gewiß, Plautus muß sehr zeitig Comödien

zu schreiben angefangen haben, wenn alle, die man für seine Arbeit ausgegeben hat, wirklich von ihm sind.

seiner Arbeit glücklich gewesen seyn.

Im Anfänge muß er mit

Er hatte nämlich, wie uns Gellius

so berichtet, damit so viel gewonnen, daß er eine Handlung anfangen konnte (ä).

Vielleicht, daß er seine Stücke an die Aediles verkaufte,

bischöflicher Sitz, und gehöret unter den Erzbischof von Ravenna. LimierS in der Lebensbeschreibung des PlautuS, die er seiner Uebersetzung vorgesetzt hat, meynt also fälschlich, daß man Sarcina heutiger Tage» nicht mehr fände. 35 (d) Gellius im 3 Haup.t. der 3 Buchs seiner attischen Nächte: Saturionem et Addictum, et tertiam quandani, cujus nunc mihi nennen non suppetit, in

Von dem Lrbrn und drn Werken des p lautu».

59

vielleicht, wann diese Einrichtung, damals, noch nicht war, daß er sie

selbst auf seine Unkosten aufführen ließ, und den Nutzen davon zog. Aus den Worten des Gellius kann man nichts gewisses schließen.

Das erste ist zwar wahrscheinlicher, weil aus einigen Stellen in seinen Lust­ spielen klar ist (e), daß die Aediles schon damals die Aufsicht über die 5

Schauspiele gehabt haben. Dem sey wie ihm wolle. Plautus war aus einem comischen Dichter ein Handelsmann geworden. Er suchte sich

vielleicht dadurch in solche Glücksumstände zu versetzen, worinn er seiner Neigung mit mehr Bequemlichkeit genugthun könne. Allein seine Hoff­ nung schlug ihm fehl. Er verlohr durch seinen Handel alles, was er 10 sich so rühmlich verdient hatte, und kam in größter Artnuth wieder nach Rom zurück. Hier nun nahm er seine erstem Bemühungen wieder vor.

Allein ein Lustspiel ist nicht gleich gemacht, und ohne Zweifel

fand er auch nicht gleich Gelegenheit es unterzubringen. Die Noth zwang ihn also, sich zu einem Becker zu vermiethen, bey dem er die Hand- 15

Mühlen (t) drehte. Gewiß eine niedrige BeschäMgung für einen Dichter (g). Allein die Schande fällt nicht auf ihn, sondern auf die undankbaren und unempfindlichen Römer.

Ungeacht dieser knechttschen

und fast viehischen Arbeit, behielt Plautus noch immer einen genugsam aufgeräumten und muntern Geist, seine komischen Werke fortzusetzen. 20 Er machte die Zeit über, da er sich in der Mühle aufhielt, drey Lust­ spiele; zwey davon nennt uns Gellius, Saturio und Addictus. Er beruft sich auf das Zeugniß des Barro, diligentissimi investigatoris antiquitatis, wie ihn Cicero nennt. Die Stücke selbst find verlohren pistrino Plautum scripsisse Varro, et plerique alii memoriae tradiderunt, cum 25 pecunia omni, quam in operis artificum scenicorum pepererat, in mercationibus perdita, inops Bomarn redisset, et ob quaerendum victum ad circumagendas molas, quae trusatiles appellantur, operam pistori locasaet. Sicut de Naevio quoque accepimus, Fabulas «um in carcere duas scripsisse, Hariolum et Leontem. (e) Siehe den Vorredner des Amphitruo, v. 72. 30 (f) Diese Handmühlen hießen bey den Römem Trusatiles sc. molae. Von dem alten Zeitworte Trusari, dem Frequentativo von trudi. Bey den Griechen heißen sie x€,Q0^u^a* (g) AthenäuS erzählt ein gleiches von den Weltweisen Asklepiades und MenedemuS. Sonst ist auch aus dem Laertius bekannt, daß der stoische Welt- 35 weise Cleanthes deS Nachts Wasser, zur Begießung der Pflanzen, gepumpt, und damit seinen Unterhalt gesucht hat.

60

Beyträge jur Historie und Aufnahme de» Theater».

1. Stück,

gegangen, auch von ihrem Inhalte weis man nichts zu sagen, und aus

den Benennungen läßt sich wenig oder gar nichts schließen (k).

Aus

dem Addictus führt der ungenannte Ausleger des Virgils über das

1 Buch Georg, eine Zeile an: 6

Opus facere nimio quam dormire mavolo: veternum metuo. Ohne Zweifel hat der gute Plautus damals auch, wann er vom Drehen ermüdet war, zur Erquickung lieber an seinen Lustspielen arbeiten, als

schlafen wollen.

Aus dem Saturio aber hat uns Festus unterschiedene

Man findet in der Nachricht des Gellius und des

Stellen aufbehalten.

10 Hieronymus (i), die sie uns beyde von

der Mühlarbeit des Plautus

geben, einen kleinen anscheinenden Widerspruch.

Gellius nämlich spricht,

wie wir schon angeführet, daß ihn seine eigne Noth so weit gebracht habe; Hieronymus aber sagt, daß er wegen damaliger Theurung hierzu Allein sie sind leicht zu vergleichen.

hätte greifen müssen.

16 beydes wahr seyn.

Es kann

Plautus kam von seinem Handel arm wieder nach

Rom, und zu allem Unglück war Theurung in Rom, so daß ihm

seine Freunde, die er ohne Zweifel wird gehabt haben, nicht beyspringen konnten.

Es scheint, daß er von diesem Zufalle einen beynahe schimpf­

lichen Zunamen bekommen habe.

In den drey Handschriften, die

20 C. Langius zusammengehalten hat, hat er ihn allezeit M. A. Plautus

Asinius benennt gefunden.

Joh. Meursius glaubt, daß es ein Ver­

sehen der Abschreiber sey, und daß es heißen müsse Asinus, weil alle (h) Herr LimicrS übersetzt Addictus durch le Valet obeissant.

Ich kann

nicht begreifst«, wie die wahre Bedeutung deS Worts Addictus einem Uebersetzer

25 des Plautus hat unbekannt seyn können.

Ich will nicht leugnen, daß es nicht

dann und wann ergeben, gehorsam heitze, Plautus aber braucht es in einem

ganz andern Verstände.

Addicti wurden nämlich diejenigen genennt, die ihre

Schuldner nicht befriedigen konnten, und ihnen deswegen von dem Richter als Knechte zugesprochen wurden.

Sie wurden auch nicht eher wieder frey, als bis

30 sie ihre Schulden bezahlt hatten.

Man sehe die Bacchid. im 6 Aufzuge im

2 Auftritt v. 86. desgleichen im Rubens Aufz. 3. Aust. 6. v. 53.

Ohne Zweifel

hat also Plautus in diesem Stücke etwan einen Hurenwirth, der seinen Klägern

von dem Prätor zum Sklaven übergeben wird, aufgeführt.

Saturio ist der Name

eines Schmarotzers, dergleichen Plautus auch in der Persa vorgestellet hat. 35

(i) Hieronymus in der Chronike des Eusebius: Olymp. 145. Plautus ex Vmbria Sarsinas Romae moritur, qui propter annonae difficultatem ad molas manuarias pistori se locaverat. Ibi quoties ab opere vacaret, scribere fabulas et vendere solitus consueverat.

Von dem Leben und den Werken de» Plaulu«.

61

diejenigen, die in den Mühlen gearbeitet, und mit den Eseln beynahe

gleiche Verrichtungen gehabt hätten, zur Verachtung, Asini wären ge-

nennet worden.

Allein ich glaube vielmehr, daß es überhaupt ein Zu­

satz unbesonnener Abschreiber sey, oder wenn ja Plautus auch bey feinen Lebzeiten diesen Zunamen sollte gehabt haben, daß ihn gewiß niemand,

5

als der niedrigste Pöbel, oder seine ärgsten Feinde, damit werden be­

legt haben.

Wenn es ein Name gewesen wäre, den man ihm durch­

gängig gegeben hätte, so würde man ihn gewiß auch bey andern Schrift­

stellern finden. Durch die angeführten drey Lustspiele mochte sich Plautus nun 10 wohl wieder so viel verdienet haben, daß er die Mühle verlassen, und

vor sich leben konnte. hört.

Vielleicht hatte auch die Hungersnoth aufge­

Er konnte nunmehro mehr Zeit auf seine Arbeit wenden, und

seinem nachfolgenden Fleiße haben wir ohne Zweifel dasjenige zu danken,

was uns von ihm übrig geblieben ist.

Wenn ich nicht dem spanischen 15

Schriftsteller, dessen Taubmann (k) gedenket, gleich werden, und in Er­ manglung gegründeter Nachrichten von dem Plautus, meine Erdich­

tungen oder Vermuthungen dem Leser aufhängen will, so kann ich weiter nichts zur Lebensbeschreibung unsers Dichters beyfügen, als seinen

Tod.

Plautus starb in Rom.

Die Zeit seines Todes haben uns 20

Cicero und Hieronymus aufbehalten.

Hieronymus sagt in dem oben

angeführten Orte, er sey in der 145ten Olympiade gestorben.

Er

läßt uns also die Wahl, ob wir es auf das erste, andere, dritte oder vierte Jahr dieser Olympiade setzen wollen.

Cicero bestimmt das Jahr

(k) Zum Schlüsse seiner Ausgabe vom Jahr 1606. Narro tibi, Isotor, 26 cnm extremes hasce pagellas typographiae adornarem, commodum mihi e Bibliotheca Lud. Personii JC. et Elect. Sax. Consil. ac Prof, primarii, libellus ab amico offertur Nob. cujusdam Hispani, in quo ille, pag. 19. germ. edit. ut rem certam ponit, Plautum nostrum in juventute variis fuisse moribus: sectatum esse militiam: per maria circumvectum esse: pistorem fuisse: mercaturam et 30 imprimis oleariam exercuisse: factum etiam vestiarium et sarcinatorem: tandemque in bonis litteris acquievisse. Sed nisi potior ab aevo prisco juvet auctoritas, qui credam ista omnia Taubmannus ? — Credat Judaeus Apelles, non ego. Wo ich nicht irre, so ist bieser Spanier Antonius von Guevara. Denn so viel 36 ich mich besinne, glaube ich an einem Orte seiner Schriften ein gleiches gelesen zu haben.

62

Beyträge pir Historie und Aufnahme de» Lheakrr».

1. Stück,

genauer, und zwar, wie wir sehen werden, mit einem ganz beträcht­ lichen Unterschied (1). Der Ort befindet sich in dem 15ten Haüptstücke seines Brutus, wo er von dem Cethegus, und seinem Zeitgenossen dem Nävius redet. Er sagt uns, daß Rävius unter dem Bürgermeister6 amte des Cethegus und des P. Tuditanus, zur Zeit des zweyten punischen Krieges, als M. Cato Quästor war, gestorben sey. Er bestimmt

uns diese Zeit noch genauer, nämlich gleich 140 Jahr vor seinem Consulate. Und zwanzig Jahr hernach, spricht er, als P. Claudius und L. Poreius Consuls, und Cato Censor waren, starb Plautus. Wenn 10 wir also das Jahr wissen, in welchem Cicero Consul war, so ist das

Uebrige leicht auszurechnen. bauung der Stadt Rom.

Dieses Jahr nun ist das 690ste nach Er­ In dem 550sten also starb Nävius, und

20 Jahre nachhero im Jahr 570 Plautus.

Dieses nun ist das zweyte

Jahr der 148sten Olympiade. Hieronymus läßt also den Plautus wenig15 stens zehn Jahr zu früh sterben. Wir wollen nicht untersuchen, woher dieser Unterscheid komme: so viel bleibt doch gewiß, daß sich Plautus

zur Zeit des zweyten punischen Krieges, zu Lebzeiten des Cato, durch seinen komischen Geist beliebt gemacht hat. Rom hatte also damals zu einer Zeit zwey der größten Geister, die aber ihrer Gemüthsbeschaffen20 heit nach, einander sehr ungleich waren. Wer war ernsthafter, als Cato? Wer war scherzhafter, als Plautus? Wenn wir einigen Auslegern des Plautus glauben wollen, so ist

sein Körper noch weit drollichter gewesen, als sein Geist, und man könnte sagen, daß ihn die Natur recht darzu ausgekünstelt habe, seine 25 ernsthaften Mitbürger zum Lachen zu bringen. Ein schwärzliches Ge­ sicht, rothes Haar, ein Hervorhangender Bauch, ein großer Kopf, ein

Paar scharfe Augen, ein rother Mund; diese Stücke stelle man nach ihrer Lage auf ein Paar übermäßig große Beine mit dicken Waden,

(1) ES lautet also: At hic Cethegus consul cum P. Tuditano fuit dello 30 punico secuudo. Quaestorque his consulibus M. Cato, modo plane annis 140. ante me consulem, et id ipsum nisi unius esset Ennii testimonio cognitum, hunc vetustas, ut alles fortasse multos, oblivione obruisset. Illius anten» aetatis qui sermo fuerit, ex Naevianis scriptis Intel ligi potest. His enim Consulibus, ut in veteribus commentariis scriptum est, Naevius est mortuus: 35 quanquam Varro noster, diligentissimus investigator antiquitatis, putat in hoc enatum, vitamque Naevii producit longius. Nam Plautus P. Claudio, L. Porcio, viginti aunos post illos, quos ante dixi consules, mortuus est, Catone censore.

Von dem Leben und den Werken de» piautua.

63

so möchte man ungefähr das Bild unsers Comödienschreibers haben.

Allein woher weis man denn, daß er so ausgesehen hat? doch meinen Lesern den schönen Grund mittheilen.

Ich muß

PlautuS soll sich

selbst so unter der Gestalt des Pseudolus,- in dem Lustspiele, das von

diesem schlauen Betrüger den Namen hat, geschildert haben.

Er läßt

5

daselbst den Harpax eine Beschreibung von dem machen, dem er das Symbolum gegeben hatte, und zwar in diesen Worten: (siehe des 4 Aufz.

VII. Aust. v. 120). Kufas quidam, ventricosus, crassis suris, sahniger,

10

Magno capite, acutis oculis, ore rubicundo, admodum

Magnis pedibus - Hier fällt ihm der alte Simo ins Wort:

Perdidisti, postquam dixisti pedes.

Pseudolus fuit ipsus. Und dieses letzre, vermuthe ich, hat Gelegenheit gegeben, baß man diese lö

Stelle auf die Gestalt des Plautus selbst angewendet hat.

Man be­

hauptet nämlich, und dieses zwar nicht ohne Grund, daß sein eigent­

licher Name MareuS Accius gewesen sey, daß er aber" von seinen platten

Füßen den Zunamen (m) Plautus bekommen habe.

Weil nun hier das

deutlichste Kennzeichen des Pseudolus gleichfalls die Beine sind, so hat 20 man sich- gefallen lasten, so wohl dieses, als das vorhergehende, auf

den Verfaster selbst zu deuten.

Ob gleich nach der gemeinen Meinung

PlautuS nicht grosse, sondern platte, Füße soll gehabt haben.

Die

(m) Festu» sagt: Ploti appellati sunt Vmhri pedibus plania quod essent, unde soleas dimidiatas, quibus utuutur in venando, quo planius pedes ponerent, 25 vocant semiplotia, et ab eadem causa M. Accius Poe tu, quia Vmber Sarsinas erat, a pedum planitie initio Plotus, postea Plautus coeptus est dici. Scaliger vermeint, daß b«8 Wort Plotus ein umbrischeS Wort sey, allein wahrscheinlicher Weise kömmt e» wohl von dem griechische» rriarut her; und in der That heißt e» auch nicht» ander», al» breit, platt, welche» letztre auch dem Tone nach eine 30 grosse Gleichheit mit ihm hat. Man sagt r» auch von Hunden, und plauti canes heißen Hunde mit breiten herabhangenden Ohren. Wenn man e» von den Füßen sagt, so heißen e» Füße, wo die Fußsohlen nicht die gehörige Höhlung haben, und also ganz platt auf der Erde aufliegen. Allein ich begreife nicht, warum alle Umbrier diesen Fehler sollen gehabt haben. Ich vermuthe also vielmehr, daß 35 sie von ihren Schuhen, die sie vielleicht ganz platt machten, den Zunamen be­ kommen haben. Die angeführte Stelle de» Fest»» scheint diese Meinung zu be­ stärken, da er glaubt, daß die Semiplotia von ihnen den Nomen haben.

64

VrykrSgr jur Piyorir und Aufnahme des Thrakers.

Herren Kunstrichter find überhaupt sehr scharfsichtig.

1. Eck.

In einer andern

Stelle (n) wollen einige von ihnen auch das Vaterland des Plautus gefunden haben. Ich aber und andre ehrliche Leute können nichts

als eine frostige Verwechslung des Worts Umbra, da es bald der ö Schatten, bald eine Weibsperson aus Umbrien heißen kann, darinnen finden.

Wenn man sonst nicht wüßte, daß Plautus aus Sarsina in

Umbrien gewesen wäre, wie würde man es ewig daraus schließen können?

habe.

Gellius berichtet, daß sich Plautus selbst eine Grabschrist gemacht Sie klingt etwas hoffärtig, allein kann man es einem großen

io Manne verdenken, wenn auch er von seinen Verdiensten überzeugt ist? Genug er hat die Wahrheit gesagt, und seine Prophezeyung ist aller­

dings eingetroffen.

Die Grabschrist ist diese:

Postquam est mortem aptus Plautus, Comoedia luget: Seena est deserta. Hine Indus risusque jocusque 16

Et numeri innumeri simul omnes eollacrimarunt.

Wir kommen nunmehro auf die Werke des Plautus, wo wir schon ein viel weitläustiger Feld vor uns haben. Die Anzahl seiner Lustspiele ist nicht geringe, allein es ist unmöglich, sie gewiß zu be­

stimmen.

Zu deS Gellius Zeiten waren ihrer auf hundert und dreyßig,

20 die des Plautus Namen hatten (o).

Allein es war auch damals schon

(n) Diese Stelle siche in der Mostellaria im 3 Aufz. 3 Aust. v. 83. (o) Gellius im 3 Buch s. attischen Nächte int 8 Hauptst. Verum esse comperior, quod quosdam bene litteratos homines dicere audivi, qui plerasque Plauti Comoedias curiose atque contente lectitaverunt, non indicibus Aelii, 25 nec Sedigiti, nec Claudii, nec Aurelii, nee Accii, nec Manilii super bis fabulis, quae dicuntur ambiguae, credituros, sed ipsi Plauto inorlbusque ingenii, atque linguae ejus. Hao enim judicii norma Varronem quoque esse usum videmus. Nam praeter illas unam et viginti, quae Varronianae vocautur, quas idcirco a caeteris segregavit, quoniam dubiosae non erant, sed consensu omnium 30 Plauti esse censebantur; quasdam item alias probavit adductus stylo atque facetia sermonis Plauto congruentis: easque jam nominibus aliorum occupatas Plauto vindicavit: sicuti istam quam nuperrime legebamus, cui est nomen Boeotia. Nam cum in illis una et viginti non sit et esse Aquilii dicatur, nihil tarnen Varro dubitavit, quin Plauti köret, ueque alius quisquam non infrequens 35 Plauti lector dubitaverit, si vel hos solos versus ex ea fabula cognoverit, qui quoniam sunt, ut de illius more dicam, Plautinissimi, propterea et meminimus eos, et adscripsimus. Parasitus ibi esuriens haec dielt: Ut illum Dii perdant, primus qui horas repperit etc.

Von drm Lrbrn und den Wirken de» planlos.

65

ausgemacht, daß die meisten nicht von ihm waren. Varro meinet, daß

ein andrer römischer Komicus gewesen sey, mit Namen Plautius, dessen Stücke man mit den feinigen vermengt habe. Es kann seyn. Doch ist auch die Vermuthung des Gellins nicht ohne Wahrscheinlichkeit, daß viele von diesen Stücken die Arbeit ältrer Poeten wären; Plautus 5 aber habe sie vielleicht durchgearbeitet und verbessert, daher man dar­ innen hin und wieder den plautinischen Ausdruck fände.

Er erzählt

uns übrigens nicht wenige, die sich bemüht hätten, die wahren Stücke Favorinus quoque noster, cum Nervolariam Plauti legerem, quae inter incertas est habita, et audisset ex ea Comoedia versum hunc: 10 Strateae, scrupedae, strativolae, sordidae, delectatus faceta verborum antiquitate, meretricum vitia atque deformitates significantium: vel unus hercle, inquit, hie versus Plauti esse haue fabulam satis potest fidei fecisse. Nos quoque ipsi nuperrime, cum legeremus Freium (nomen est id Comoediae, quam Plauti esse quidam non putant) haud quic- 15 quam dubitavimus, quin Plauti foret, et omnium maxime genuina, ex qua duos hos versus exscripsimus, ut historiam quaereremus Oraculi arietini:

Nunc illud est Quod arietinum responsum magnis ludis dicitur: Peribo, si non fecero: si faxo, vapulabo.

Marcus aut em Varro in libro de Comoediis Plautinis primo verba liaec ponit: Nam nec Gemini, nec Lenones, nec Conclalium, nec Amts Plauti, nec Bis compressa, nec Boeotia unquam fuit, neque adeo dyQorzoc, neque Commorientes; sed M. Acutici. In eodem libro Varronis id quoque scriptum est, Plautium fuisse quempiam Poetani Comoediarum, cujus quoniam Fabulae Plauti inscriptae forent. acceptas esse quasi Plautinas, cum essent non a Plauto Plautinae, sed a Plautio Plautianae. Feruntur autem sub Plauti nomine circiter centum atque triginta. Sed homo eruditissimus L. Aelius quinque et viginti esse ejus solas existimavit. Non tarnen dubium est, quinjstae, et quae scriptae a Plauto non videntur, et noinini ejus addicuntur, veterum Poetarum fuerint, et ab 60 retractatae et expolitae sint, ac propterea resipiant dictum Plautinum. Dieser Lucius Aelius, welcher hier zu zweyeumalen geuenuet wird, ist ohue Zweifel wohl der, dcsseu Suctouius in seinem Buche von berühmten Grammatikern ge­ denket. Er sagt unter andern daselbst von ihm: Lucius Aelius cognomine duplici fuit: nam et Praeconius, quod pater ejus praeconium fecerat, vocabatur: et Stilo, quod orationes nobilissimo cuique scribere solebat: tantus optimatum fautor, ut Quintum Metellum Numidicum in exilium comitatus sit. Eben dieser Lucius Aelius Stilo, wie uns Ouintilian im 10 B. im 1 Hauptst. meldet, hat zuerst das Urtheil vom Plauto gesellt: Musas Plautino sermone locuturas fuisse, si latine loqui vellent. 5 Sieffinß, sämtliche Schriften. IV.

20

25

30

35

40

66

Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theater«.

1. Stück,

des Plautus auszusuchen, und sie in richtige Verzeichnisse zu bringen. Aelius, Sedigitus, Claudius, Aurelius, Accius, Manilius, und vor­

nehmlich Varro, dessen Buch von den plautinischen Comödien er an­ führet, welches sich aber, leider, unter den verlohrnen Büchern des 5 Varro befindet. Varro hatte nur 21 für ächte plautinische Stücke er­ kannt, weswegen sie die Varronianischen hießen, und die auch in der

That von allen einmüthig für die Arbeit des Plautus erkannt rourbeit. Er war aber nicht so strenge, daß er nicht auch andre, in welchen er den Witz und die Schreibart des Plautus fand, ihm hätte zueignen

10 sollen. L. Aelius, ein gelehrter Graminaticus, gab dem Plautus 25 Stücke. Man lese die angeführte Stelle des Gellius. Servins be­

richtet uns in fehlen Anmerkungen über das erste Buch der Aeneis,

daß einige dem Plautus zwanzig, andre vierzig und andre hundert Lustspiele zuschrieben.

Da also schon die Alten so gar sehr uneinig

15 hierüber gewesen sind, so muß es uns genug seyn, wenn wir wissen, er habe sehr viele gemacht, und daß die, die uns unter seinem Flamen iibrig geblieben sind, die Varronianischen, das ist, diejenigen sind, die er ohnstreitig verfertiget hat. Von vielen der zweifelhaften Stücke haben

uns die alten lateinischen Sprachkundigen theils die Namen, theils 20 einige Stellen, oder nur einzelne Worte aufbehalten. Es ist aber in den meisten dieser Fragmente so wenig Saft und Kraft, daß es sehr unnöthig seyn würde, sie hier anzufiihren. Bey den Alten machte die Erklärung der Lustspiele einen großen Theil ihrer schönen Wissenschaften aus. Daher kam es, daß sich viele 25 von den Römern, deren Hauptwerk die Studia doch nicht waren, so sehr darauf legten, daß sie die Schreibart des Plautus, seine Art zu denken und zu scherzen so genau inne hatten, daß sie gleich sagen konnten,

dieses oder jenes ist von ihm, oder ist nicht von ihm. Außer dein was Gellius von dem Favorinus anführet, so versichert schon Cicero (p), 30 daß Servius Claudius, der Bruder des Papirius Pütus, an den wir

(p) Im 9 Buche s. Briefe an lliitersch. im 16 Briefe. Sed tarnen ipse Caesar habet peracre Judicium: et ut Servius frater tuns, quem litteratissimum fuisse judico, (er war damals schon todt, denn er ist unter dem Konsulate des Metellus und AfraniuS gestorben) theile dicerct, hie versus Plauti non est, hie 35 est, quod tritas aures haderet notandis generibus poetarum. et consuetudine legendi etc.

Von dem Leben und den Werken des Plautus.

67

unterschiedene Briese von ihm lesen, besonders diese Stärke im Ur­ theilen besessen habe.

Die alten Römer schätzten den Plautus besonders

zweyer Stücke wegen sehr hoch; theils wegen seiner Schreibart, theils

wegen seiner anmuthigen Scherze. Und gewiß beydes ist unverbesserlich, wenn man von dem ersten das allzu alte und den possenhaften Aus-

druck, von diesem aber das Allzufteye wegnimmt.

5

Sie glaubten, die

Musen würden plautinisches Latein sprechen, wenn sie römisch reden wollten. Hiermit stimmen die neuern Critici durchgängig überein.

Es

würde eine unendliche Arbeit seyn, wenn ich alle die Lobeserhebungen sammeln wollte, die man ihm deswegen gegeben hat.

haben ihm nicht mindern Beyfall erworben.

Seine Scherze 10

Cicero (q) stellet sie den

Scherzen der alten Attischen Comödie, und der Socratischen Weltweisen gleich. Der h. Hieronymus ergötzte sich daran, wenn er in vielen Nacht­ wachen aus Reue über seine begangnen Sünden herzliche und bußfertige

Thränen vergossen hatte (r).

Man mag hierüber schelten oder spotten, 15

wie man will, ich sehe weder was unbegreifliches, noch vielweniger was

verdammliches darinnen. Darf denn ein Christ keine Erholung genießen? Ist es denn ein so großer Widerspruch das Laster verlachen, und das

Laster beweinen? Ich sollte vielmehr glauben, daß man beydes zugleich sehr wohl thun könne.

Entweder inan betrachtet das Laster als etwas 20

das unsrer unanständig ist, das uns geringer macht, das uns in un­

zählige widersinnische Vergehungen fallen läßt: oder man betrachtet es, als etwas, das wider unsre Pflicht ist, das den Zorn Gottes erregt,

(q) Cicero im 29 Hauptstücke des ersten Buchs von den Pflichten: Duplex omnino est jocandi genus, unum illiberale, petulans, flagitiosum, obscenum: 25 alterum elegans, urbamun, ingeniosum, facetum: quo genere non modo Plautus noster et Atticorum antiqua Coinoedia, sed etiain Philosophorum Socraticorum libri sunt referti. (r) Hieronymus in seinem Buche von der Bewahrung der Keuschheit: Post noctium crebras vigilias, post lachrymas, quas mihi praeteritorum recordatio 30 peccatorum ex imis visceribus eruebat, Plautus sumebatur in manus. Es sind zwar einige, welche hier vor Plautus lieber Plato lesen wollen, wie man denn auch dieses in der Baseler Ausgabe von 1490 findet. Allein die Handschriften haben sonst alle Plautus; Übrigens leidet auch der Zusammenhang diese Acndrung nicht. Und da wir ans andern Stellen versichert seyn können, daß Hieronymus 35 den Plautus sehr fleißig gelesen habe, so können wir wegen der gemeinen Lese­ art um so viel gewisser seyn.

68

Beyträge jur Historie und Aufnahme des Thrakers.

und uns also nothwendig unglücklich machen muß.

1. SkülK.

Im ersten Falle

muß man darüber lachen, in dem andern wird man sich darüber be­

trüben. Zu jenem giebt ein Lustspiel, zu diesem die heilige Schrift die beste Gelegenheit.

Wer seine Laster nur beständi'g beweint und sie nie-

5 mals. verlacht, von dessen Abscheu dargegen kann ich mir in der That keinen allzuguten Begriff machen.

Er beweint sie nur vielleicht aus

Furcht, es möchte ihm übel darbey gehen, er möchte die Strafe nicht vermeiden können.

Wer aber das Laster verlacht, der verachtet es zu­

gleich, und beweiset, daß er lebendig überzeugt ist, Gott habe es nicht 10 etwan aus einem despotischen Willen zu vermeiden befohlen, sondern

daß uns unser eignes Wohl, unsre eigne Ehre es zu fliehen gebiethe. Allein, kann man mir einwerfen, wie hat Hieronymus so viele nicht allzu gesittete und reine Stellen, die in dem Plautus vorkommen, mit

gutem Gewissen lesen können?

15 daß den Reinen alles rein ist.

Die zulänglichste Antwort darauf ist, Ich könnte zwar diesen scheinheiligen

Richtern sagen, daß der Charakter derjenigen Personen, die Plautus aufgeführet hat, und die Umstände manchmal etwas Freyes erfodert hätten, ich könnte ihnen sagen, daß vieles von dem, was sie verdammen,

nicht in der Absicht geschrieben sey zu ärgern, sondern vielmehr zu

20 bessern, allein hierzu möchten sie mehr Ueberlegung nöthig haben, als sie darauf wenden wollen. Sie müffen sich also mit der Versicherung

begnügen lassen, daß es Leute, außer ihnen, giebt, welche die so ge­

nannten anstößigen Stellen in den plautinischen Lustspielen, mit gleich unsträflichen Gedanken lesen können, als sie etwa die Geschichte der 25 Bathseba.

Und aus dieser Zahl war auch Hieronymus.

Man wird mir diese kleine Ausschweifung nicht verübeln. Ich will wieder einlenken.

So viel auch Plautus Verehrer in alten und

neuen Zeiten fand, so hat er doch auch seinen Verächter gestmden. Das übelste darbey ist, daß es ein Mann ist, den die Welt nicht nur als

30 einen großen Dichter, sondern auch als einen gründlichen Kunstlichter bewundert, der also viele durch seinen Ausspruch, ehe sie ihn unter­ suchen konnten, auf seine Seite gezogen hat.

Es ist Horaz, und sein

Urtheil ist dieses: (siehe von der Dichtk. v. 270. f. f.)

At nostri proavi Plautinos et numeros, et 35

Laudavere sales: nimium patienter utrumque,

Vrm dem Leben und den Werken des Plautus.

Ne. dicam stulte, mirati: si modo ego et vos Scimus inurbanum lepido seponere dicto, Legitimumque sonum digitis callemus, et aure. Zwar unsrer Väter Mund hat Plautus Scherz und Kunst Im Lustspiel sehr gelobt; allein aus blinder Gunst. Man hat ihn wahrlich nur aus Einfalt hochgeschätzet: Dafern ich anders weis, was euch und mich ergötzet. Was ein erlaubter Scherz, was grob und garstig ist, Und wenn ein reiner Vers ganz ungezwungen fließt: Wenn wir das Sylbenmaaß an unsern Fingern zählen, Und was den Klang betrifft, das Ohr zum Richter wählen. Gottsched.

69

5

10

Gewiß es wird mir gleich schwer ihm zu widersprechen, als ihm Recht zu geben. Wenn ich jenes thun wollte, so würde ich zwar nichts mehr thun, als was schon die größten Gelehrten gethan haben. I. I. 15 Scaliger sagt Horatii Judicium sine judicio est. Turnebus (im 25 B. im 16 Hauptst. s. Advers.) spricht in Plauti salibus existimandis accedo potius sententiae vetcrum ingenuorum Romanprum, quam Flacci, Venusini hominis ac libertino patre nati. Camerarius gar, wird durch die angeführte Stelle so erhitzt, daß er den Horaz in vollem 20 Affecte anredet: (s. seine Dissert. von den Lustspielen des Plautus) Imo illi (proavi) merito et recte ac sapienter Plautum laudarunt et admirati fuerunt: tuque ad Graecitatem omnia, quasi regulam. poemata gentis tuae exigens, immerito et perperam atque incogitanter culpas. Doch hat es dem Horaz auch nicht an Vertheidigern 25 gefehlt. Unter den Neuern hat besonders Daniel Heinsius (s) seine (s) Danielis Heinsii ad Horatii de Plauto et Terentio Judicium Dissertatio. Man hat sie unter andern auch der Ausgabe des Terentius zum Gebrauch des Dauphins, Vordrucken lassen. Er fängt mit den Worten des Horatius an, und spricht: Durum equidem Judicium, et quod non nemo hac aetate de leporum 30 omnium parente, summo Critico, ac maximo Poeta excidisse nollet: cujus tarnen vernae melius de Plauto judicabant, quam qui familiam in literis hac aetate tueri creduntur. etc. Man kann leicht sehen auf wen er zielt. Ich finde, daß er nachher von dem Bened. Floretti ist widerlegt worden, dieser gab im Jahr 1618. in 8 heraus Apologiam pro Plauto oppositam scaevo Judicio Horatiano et 35 Heinsiano. Wir wollen so wohl die Abhandlung des Heinsius als diese Apologie dem Leser ein andermal bekannter machen.

70

Beyträge jur Historie und Aufnahme des Theater«.

1. Stück.

Sache auf sich genommen. Und er geht so gar noch weiter, als selbst Horaz gegangen ist. Wenn wir genau überlegen, was dieser sagt, so

finden wir, daß er eigentlich nichts an ihm aussetze, als seine unharmonWen Verse, und seine hin und wieder angebrachten frostigen und 5 unhöflichen Scherze. Vielleicht könnte man ihm auch manchmal Recht geben, wenn er sich nur nicht so gar unbestimmt erklärt hätte; wenn

es nur nicht schiene, er habe alle Verse des Plautus vor schlechte Verse und alle Scherze vor ungesittete Scherze gehalten. Gleichwohl kann ich mir nimmermehr einbilden, daß Horaz mit der Vertheidigung des Hein10 sius zufrieden seyn sollte, wenn er sie lesen könnte. Er verwirft da­ rinne überhaupt die ganze Schreibart des Plautus, er behauptet, sie sey, außer dem Schauplatze, unbrauchbar, indem er nur das Lächerliche auszudrucken gesucht hätte. Er giebt ihm übrigens unzählige Fehler so wohl wider die Wahrscheinlichkeit, wider die Einheit des Orts und 15 der Zeit, als auch wider das Sittliche der Lustspiele, Schuld.

Wenn

man aber seine Vorwürfe prüfet, so hat er oft den Plautus nicht ver­

standen, oft auch ganz falsche Begriffe von der Comödie gehabt. Das Billigste bey dieser Streitigkeit ist, daß man den Plautus nicht allzu unbehutsam, auf Unkosten des Horazes, erhebt, noch auch dem Horaz, 20 auf Unkosten des Plautus, völlig beyfällt. Niemand ist gründlicher dabey verfahren, als die Frau Dacier, diese macht in der Vorrede zu ihrer Uebersetzung einiger plautinischen Lustspiele, drey Anmerkungen,

welche das Urtheil des Flaccus theils erklären, theils lindern. Erstlich, sagt sie, muß man erwegen, daß, als Plautus anfing seine Stücke zu

25 verfertigen, das römische Volk noch an die Satyren, welche vorher den Schauplatz besessen hatten, gewöhnt war. Diese Satyren waren zwar ein regelmäßiges Gedichte, aber es hatte noch so viel rauhes von seinem Ursprünge behalten, so wohl §vas die Scherze als die Einrichtung selbst anbelangte, daß es fteylich, in einem so wenig artigen Jahrhunderte, 30 noch sehr hart seyn mußte. Plautus war also genöthiget, seinen Stücken Beyfall zu verschaffen, einen Theil von diesen Scherzen beyzubehalten. Dieses war an ihm um so viel erträglicher, je weniger er sich dadurch von der alten griechischen Comödie, die er nachzuahmen sich vorgesetzt hatte, entfernte. Zum andern machen die Verse und die Scherze so 35 wenig das Wesen der Lustspiele aus, daß ein Dichter ein vortrefflicher Comicus seyn kann, ob er gleich harte Verse und einige schlimme

Von dem Leben und den Werken des Plautus.

Späße hat.

71

Endlich muß man die Stelle des Horazes nicht allzu

sehr nach dem Buchstaben nehmen, als wenn dieser Porte alle Scherze und alle lustigen Einfälle des Plautus verdammte. Er konnte unmöglich

dieser Meinung seyn, ohne Vernunft und Wahrheit zu beleidigen. Plautus hat ohne Zweifel grobe und seichte Scherzreden, allein er hat 5 auch sehr viele, die sehr fein, zärtlich und wohl angebracht sind. Dieserwegen stellt ihn auch Cicero, welcher gewiß kein übler Richter von dem

war, was die alten Römer urbanitatem nennten, zum Muster im Scherzen vor. Und wie man dem Cicero sehr Unrecht thun würde,

wenn man glaubte, er habe diejenigen Stellen gelobt, die Horaz tadelt, 10 so wird man auch sehr übel von dem Horaz urtheilen, wenn man

meinet, er tadle das, was Cicero so sehr erhoben hat. Sie haben alle beyde Recht. Der erste redet nur von den Schönheiten, die man nicht lesen kann, ohne von ihnen bezaubert zu werden; der andre aber nimmt

mir die üble Seite, und berühret nichts als gewisse frostige, und un- 15

ehrbare Poffenreden; die er auch uicht einmal an und vor sich selbst

verdammet, und die man zwar entschuldigen könnte, allein weder loben noch nachahmen nmß. Wir unterschreiben dieses Urtheil um so viel lieber, je gerner wir so wohl des einen als des andern Ehre mögen gerettet sehen. Wir werden ein andermal Gelegenheit haben unsre 20 Gedanken weitläuftiger von dem Vortrefflichen und von dem Tadel­ haften in den Lustspielen des Plautus zu entdecken, wenn wir vorher

einige Stücke von ihm, wie wir schon versprochen, werden übersetzt haben, damit der Leser zugleich mit uns urtheilen könne. Jetzo wollen wir uns etwas näher zu seinen uns hinterlaßnen Stücken machen, doch 25

auf diesesmal nichts mehr, als eine historische Nachricht davon, ertheilen.

Es sind auf uns nicht mehr als zwanzig Lustspiele des Plautus ge­ kommen. Wenn es also diejenigen sind, die man die Varronianischen

genennt hat, so fehlt uns noch eine daran. Ich hoffe, daß es vielen nicht unangenehm seyn wird, wenn wir vorher die vornehmsten Aus- 30 gaben davon bekannt machen. Alsdann wollen wir das Nöthigste von ihren Uebersetzungen, von ihren Nachahniungen und von ihrem all­

gemeinen Inhalte anführen. Die erste gedruckte Ausgabe von dem Plautus haben wir dem

Georgius Merula zu danken. Dieser Mann hat lange Zeit zu Venedig . 35 und Meyland gelehrt, und die plautinischen Comödien an dem erstern

72

Beyträge zur Historie und Aufnahme des Thrakers.

1. Stück.

Orte in Folio 1472 drucken lassen. Von dieser Zeit an, bis zum Anfänge dieses jetzigen Jahrhunderts, würde es uns was leichtes seyn, beynahe alle Jahre, eine neue Ausgabe, wenigstens Auflage, und oftmals in

Allein so ein Verzeichnis 5 möchte den meisten Lesern allzutrocken vorkommen, wir berühren also einem Jahre mehr als eine, anzumerken.

nur die vorzüglichsten; und dieses sind nach der Ordnung der Jahre folgende:

1499 zu Venedig, in Fol. mit den Anmerkungen des Valla und 10

Saracenus. 1500 zu Meyland, in Fol. mit dem Commentar des Joh. Baptista Pius. 1512 hat in Leipzig Veit Werler einige Comödien des Plautus einzeln drucken lassen, als die Cistellaria, den Truculentus, den

15

Stichus. Er war Professor daselbst, und Joachim Camerarius hat bey ihm über den Plautus gehört, wie er uns in der oben angeführten Abhandlung von den Plautinischen Fabeln berichtet. 1513 zu Paris von Simon Carpentarius, in 8. 1514 zu Straßburg in 4 sind 5 Comödien des Plautus mit dem

20

Commentar des Pilades, aus Brescia, gedruckt worden. 1522 in Venedig eine Aldinische Ausgabe in 8. In eben diesem Jahre kamen auch die 20 Lustspiele des Plautus cum acri Judicio (wie es auf dem Tittel heißt) Nicolai Angeld zu Florenz in 8 heraus. 1530 in Paris von Robert Stephanus gedruckt in Fol. In eben diesem Jahre des Gisb. Longolius Ausgabe in 8.

25

1538 gab Joachim Camerarius seine in Basel heraus. Er ist der­ jenige, dem wir das Meiste in Verbesserung des Plautus zu dauken

haben. Er hat unzählige Stellen wiederhergestellt, und die Menge derjenigen Kunstrichter, welche vor ihm daran gearbeitet, halten ihn mehr verdorben als verbessert. Er klagt selbst hierüber in 30

seiner angeführten Dissertation, wo er uns auch von einer Hand­ schrift des Plautus Nachricht giebt, die er aus der Bibliothek des vorhin erwehnten Veit Werlers bekommen hatte, welche zwar alt genug war, allein von einer sehr ungelehrten Hand mochte seyn

35

verfertiget worden. 1566 kam Carl Langens Ausgabe mit den unterschiednen Lesearten des Turnebus, Innins und anderer heraus. In Antw.

Von dem Leben und den Werken des Plautus.

73

1577 in Paris des Lambinus Ausgabe in Fol. Seine Verbesse­ rungen sind oft allzu verwegen und eigenniächtig. Man findet

bey ihm viel Gelehrsamkeit, aber wenig Kenntniß des Comischen. 1590 des Janus Dousa, in Lübeck in 8. Die erste Ausgabe' zwar von ihm ist von 1589. 1593 in Franks, mit Anmerk, unterschiedner Gelehrten. 1605 in Wittenberg in 4 von Fried. Taubmann. Der Fleiß, den

5

dieser Gelehrte daran gewendet hat, ist ungemein zu rühmen. Er hat aus den Anmerkungen der vornehmsten Gelehrten, einen nütz­ lichen Auszug gemacht, und auch das, was er von dem seinen 10 darzu gesetzt hat, ist allezeit gelehrt und sinnreich. Es ist kein

Wunder, daß ein Mann, der selbst so anmuthig gescherzt, die Scherze des Plautus am besten verstanden hat. 1610 gab PH. Pareus in Franks, in 8 den Plautus heraus. Er hat sich ungemein verdient um ihn gemacht. Außer dieser Aus- 15

gäbe haben wir auch von ihm Analecta plautina, ein Lexicon

plautinum, eine Abhandlung de Metris Plauti und eine andre de Imitatione Terentiana, ubi Plautum imitatus est. Daß Terentius den Plautus in der That nachgeahmet habe, gesteht er selbst in der Vorrede zu seiner Andria 20 Quorum (Plauti sc., Naevii, Ennii) aemulari exoptat neg-

ligentiam Potius, quam istorum obscuram diligentiam. Pareus hat auch mit Grutern viele Streitigkeit des Plautus wegen

gehabt, weswegen er 1620 Provocationem ad senatum Criticuin 25 pro Plauto et Electis plautinis herausgab. 1621 in 4 gab Janus Gruterus den Plautus mit beut Commentar des Taubmanns heraus. Diese Ausgabe ist in der That die aller­ brauchbarste. 1640 hat ihn zu Wittenberg in 12 Buchnerus herausgegeben. Diese 30

Ausgabe ist daselbst zu unterschiednenmalen wieder aufgelegt worden. 1645 trat. Borhorns Ausgabe in Leiden in 8 ans Lickst. Sie ist mit Anmerknngeit unterschiedner Gelehrten; dergleichen auch

1664 I. Fr. Gronovius zu Leiden in 8 herausgab. 1679 sah die Welt die Ausgabe des Jacob Operaritts zum Gebrauch 35

des Dauphins. Zu Parts in 4. Alan weis schon ohne mein Er-

74

Beyträge zur Historie und Aufnahme des Thrakers. innern, wie diese Ausgaben beschaffen sind.

1. Stück,

Nach dieser Ausgabe,

mit der Erklärung und den Anmerkungen des Operarius, hat in

diesem Seculo 1724 Samuel Patrick in Landen vier Comödien

Amphitruo, Captivi, Epidicus, Rudens in 8 herausgegeben.

5

Und außer dieser ist auch keine in diesem Jahrhunderte merkwür­

dige, als etwa die noch, die 1725 in Padua, in des Josephs Cominus Buchdruckerey, nach der Taubmannischen Ausgabe, in 8 ans Licht gekommen ist.

An statt ihn zu ediren, und sich über seine dunkeln Stellen zu

io zanken, haben unsre neuern Gelehrten es vor dienlicher gehalten ihn theils zu übersetzen, theils nachzuahmen.

Unter den Franzosen haben

sich besonders in diesem und zum Ausgange des letztern Seculi vier

Federn bemüht diesen Vater aller Comödienschreiber ihren Landsleuten in ihrer Muttersprache vorzulegen. Man kennet die Frau Dacier, und

15 weis was sie vor einen Fleiß auf die Uebersetzung des Terentius ge­ wandt hat.

Eben diesen Fleiß fing sie auch 1683 an dem Plautus

genießen zu laffen.

Sie gab nämlich drey vorzügliche Stücke, den

Amphitruo, Rudens und Epidicus in einer treuen und zierlichen Ueber­

setzung, mit Anmerkungen, und Beurtheilungen nach den Regeln des 20 Theaters, in drey kleinen Bändchen zu Paris heraus.

Aus der Vor­

rede haben wir oben schon etwas angeführt, sie giebt außerdem noch darinnen eine kurze Nachricht von dem Ursprünge der Lustspiele und besonders bey den Römern; und stellet alsdann eine kleine doch sehr

gründliche Vergleichung des Plautus und Terentius an. 25 darinn sich nun

Sie verspricht

auf gleiche Art über den Aristophanes zu machen,

welches sie auch gethan hat, alsdann die griechischen Tragödienschreiber durchzugehen, und von dar wieder auf dm Plautus zurück zu kommen.

Ich zweifle nicht, daß sie ihr Versprechen nicht würde gehalten haben;

allein wie manchen schönen Vorsatz hat der Tod nicht schon zu nichte 30 gemacht?

Von ihren Beurtheilungen, werden wir ein andermal Ge­

legenheit nehmen ausführlicher zu reden. Der andre französische Uebersetzer des Plautus ist Herr Cost, welcher uns die Gefangnen des

Plautus französisch geliefert hat.

Die Arbeit ist glücklich gerathen.

Herr (Soft also und die Frau Dacier haben sich nur, wie wir sehen, 35 über einzelne Stücken gemacht; die Franzosen sind derowegen dem Herrn

von. Limiers, und dem Herrn Gueudeville besondern Dank schuldig,

Von drm Leben und den Werken des piaufus.

75

welche ihnen in zwey verschiednen Uebersetzungen alle sämmtlichen Stücke

des Plautus zu lesen verschafft haben.

Beyde Uebersetzungen sind in

einem Jahre nämlich 1719 herausgekommen.

Des Herrn Limiers ist

in Amsterdam in 10 Octavbänden gedruckt worden.

Er hat diejenigen

Stücke sich zugeeignet, welche schon, wie wir erwehnt, von dem Herrn Cost und der Fr. Dacier waren übersetzt worden.

5

In der Vorrede

erzählt er kürzlich des Plautus Leben, und ertheilt von seiner Arbeit

Nachricht.

Der lateinische Text ist mit beygedruckt.

Er sagt, daß er

sich besonders einer Aldinischen Ausgabe bedienet habe.

Jedem Stücke

-hat er nach Art der Fr. Dacier eine wohlgeschriebene Critik und Zer- 10 gliederung vorgesetzt, auch wo es nöthig, kurze Anmerkungen beygefügt.

Diese.sind zwar größtentheils aus dem Taubmannischen Commentar genommen, doch hat er auch

gewisie geschriebne Anmerkungen von

Gronoven hin und wieder dabey gebraucht. Die Uebersetzung selbst ist an den meisten Orten treu, besonders muß man seine Geschicklichkeit 15 loben, mit welcher er die anstößigen Stellen eingekleidet hat.

Zwey

Stücke nämlich Stichus und Trinummus hat er in Verse übersetzt. Man hätte ihm vielleicht außer dieser Probe geglaubt, daß er reimen

könne. Uebrigens ist es wohl ein französisches Vorurtheil, daß dieses

allein die rechte Art wäre, die Comicos zu übersetzen. In dem zehnten 20 Bande befinden sich theils die Fragmente, theils eine Sammlung aus­ erlesener Lehrsprüche (t) aus dem Plautus, theils zwey ganz nützliche

Register.

Eine Stelle wollen wir doch aus seiner Vorrede anführen.

„Ich habe mich bemüht, sagte er, so viel mir möglich gewesen ist, die

„Lebhaftigkeit der Gespräche zu erhalten. Und meiner Uebersetzung desto- 25 „mehr Anmuth zu geben, habe ich sie dadurch zu unterstützen geglaubt,

„wenn ich mir die theatralische Vorstellung lebhaft dabey einbildete. „Dieserwegen sahe ich allezeit auf Molieren zurück, und untersuchte, „so weit ichs fähig war, welcher Ausdrücke er sich wohl würde bedient

„haben, wenn er diese oder jene Gedanke hätte ausdrücken sollen.

Als- 30

„dann brachte ich die Personen des Plautus auf das französische Theater,

(t) Die Sittensprüche aus dem Plautus haben außer ihm schon sehr viele gesammelt. Tahin gehören des Uladeraccins Flores Plauti, die zu Antw. 1597 gedruckt worden, desgleichen des Heupolds Plautus redivivus, der 1628 heraus­ gekommen , wie auch des Georg Cassanders sententiae selectiores ex Plautinis 35 Corn, und viel andre mehr.

76

Beyträge zur Historie und Aufnahme de« Theaters,

t. Stück,

„und stellte mir die Bewegungen, mit welchen die besten Schauspieler

„in Paris etwa diese oder jene Person vorstellen würden, vor. Hatte „ich einen bossenhaft'en Knecht vor mir, so gedachte ich an la Terilliere

„odtzx an Poißon (u).

Sollte ich einen Liebhaber oder einen Stutzer

5 „reden lasten, so ruft ich mir das Bezeigen des Barons, oder des Beau„burgs (x) ins Gedächtniß zurück.

Die la Beauval und die la Des-

„mar (y) gaben mir den Begriff von einer geschickten Buhlerinn.

Es

„ist unglaublich, wie mich diese Beyhülfe in meiner Arbeit unterstützet „hat, und wie viele Ausdrücke ich diesem Kunststücke schuldig bin, auf

10 „die ich aufferdem wohl schwerlich würde gefallen seyn." Dieser Vor­ theil besteht wirklich in keiner leeren Einbildung, er ist gegründet, und

man kann sich desselben mit eben so vielem Nutzen auch bey Verfertigung

eigner Stücke bedienen.

Diejenigen welche einen Koch, einen Heydrich,

einen Bruck, eine Lorenzin und eine Kleinfelderin gekannt haben, werden

15 leicht die Stellen der angeführten französischen Schauspieler mit ihnen besetzen können.

Ich komme aus die Uebersetzung des Herrn Gueude-

ville. Diese ist zu Leiden gleichfalls in 10 Octavbänden herausgekommen,

doch ohne den lateinischen Text.

Er hat eine Vorrede vorgesetzt, in

der er die Schauspiele auf eine sehr muntre Art vertheidigt. Die Ueber­

20 setzung selbst ist sehr frey.

Die Schreibart ist zwar comisch, und der

Verstand ist größtentheils sehr wohl beybehalten, allein es sind so viel eigne Einfälle mit untermengt, daß man die Plautinischen mit Mühe

darunter erkennen kann. Oft hat er auch den Plautus mehr zu einen Poßenreißer, als gescheiten Comödienschreiber gemacht.

So viel muß

25 ich zwar gestehn, seine Uebersetzung läßt sich angenehmer lesen, als des Herrn von Limiers, nur muß man nicht sagen, daß man den Plautus

gelesen habe.

Er hat jedenr Stücke eine freye Zergliederung vorgesetzt,

und jedem Stücke hat er auch .eine wohl geschriebene Untersuchung seiner

Charaktere beygefügt. Der letzte Band enthält die Fragmente, tinb ein

30 Verzeichniß aller anstößigen Stellen.

Dieses werden die Keuschen so

wohl als die Unkeuschen zu gebrauchen wissen.

Außer diesen Ueber-

setzungen haben die Franzosen zwar schon lange Zeit vorher die Ueber(u) Ein Paar vortreffliche Schauspieler zu Paris vor das Eomischc. (x) Sie waren besonders in den ernsthaftern Rollen stark. (y) Zwey unvergleichliche Schauspielerinnen vor die verschmitzten Fraucns-

35 rofleii.

Von dem Leben und den Werken de» Plautus.

77

setzung des Mich, von Marolles gehabt, die in Paris 1658 in 4 Octav-

bänden nebst der Uhrschrift ist gedrnckt worden, allein sie ist so schlecht,

so unangenehm, so unverständlich, daß sie in keine Erwegung zu ziehen ist. Eine englische Uebersetzung des Plautus haben wir nur vor einigen Jahren, 1742 von dem Herrn Cokes erhalten. Ich habe sie nicht ge-

5

sehen, und bin also nicht im Stande davon zu urtheilen. Noch weniger kann ich von Nebersetzungen in andere Sprachen sagen; die deutsche

ausgenommen, in der ich aber nicht mehr als zwey Stücke unsers Poeten anzuführen weis.

Das eine ist die Aulularia, doch hat man

eine doppelte Uebersetzung davon. Die eine hat nur ohnlängst ein ge- 10 schickter Schulmann, mit dem Texte und Anmerkungen herausgegeben. Ich habe sie nicht bey der Hand und kann mich auch auf seinen Namen

nicht besinnen. Die andre aber ist sehr alt und 1535 in Magdeburg gedruckt worden. Der Tittel heißt: Eine schöne lustige Comoedia des Poeten Plauti, Aulularia genannt, durch Joachi- 15

muin Greff, von Zwickau deutsch gemacht und in Reimen

verfaßt, fast lustig und kurzweilig zu lesen.

Quisquis es, o faveas nostrisque laboribus adsis, His quoque des veniam. In der Vorrede kommen viel nützliche Sachen vor, woraus man sieht, 20 daß der Uebersetzer allerdings ein vernünftiger Mann muß gewesen

seyn, der einen sehr guten Begriff von den Comödien und ihrem Nutzen gehabt hat. Die größte Hinderniß der Aufnahme des Theaters bey

den Deutschen, sagt er, sey, daß man die Leute, welche sich damit zu thun machten, nicht unterstützte.

Er glaubt es würde sehr nützlich seyn, 25

wenn man in Deutschland fleißig spielte, und lobt deswegen die Nieder­ lande, wo fast alle Sonntage Comödien gehalten würden, wodurch denn manche Gotteslästerung, mancher Todschlag, Saufen, Freffen und viel Uebles unterbleiben könnte. Die Uebersetzung ist vor die damaligen Zeiten noch sehr gut.

Der Anfang des Prologs klingt so:

Es möchte vielleicht euch Wunder nehm.

Wer ich doch sey, woher ich quehm, Ich wills euch sagen alsobald. So ihr ein wenig zuhören wolt. rc.

30

78

BrykrSgr jur Historie und Aufnahme des Theaters.

1. Stück.

Das andre Stück des Plautus, von welchem man eine deutsche Ueber-

setzung hat, sind die Gefangnen.

Es ist beynahe eben so alt,

nämlich von 1582, und durch M. Mart. Hayneccium übersetzt.

Ich

kenne es bloß aus den Verzeichnissen der alten deutschen Lustspiele, die

In

5 wir dem Fleiße des Herrn Prof. Gottscheds zu verdanken haben.

eben diesen Verzeichnissen finde ich von 1608 ein Lustspiel von Wolf­ rath 1 Spangenbergen, unter dem Tittel die Geburt des Herculis.

Viel­

leicht ist dieses eine Uebersetzung oder wenigstens eine Nachahmung

des Amphitruos.

Ich will mich beinühen, daß ich es meinen Lesern

10 ein andermal näher berichten kann. Wir wollen nunmehr den Stücken des Plautus selbst etwas näher treten.

Es sind ihrer, wie wir schon gesagt, an der Anzahl zwanzig,

die nach den Buchstaben geordnet zu seyn scheinen.

Das erste ist

Amphitruo. In der Abwesenheit des Amphitruos hatte Jupiter

15 desselben Gestalt angenommen, und seine Stelle bey der Alcumena ver­ treten.

In diesem Lustspiele mm werden die Unruhen bey der Ankunft

des wahren Amphitruos vorgestellt, welche sich mit der Entdeckung des

Jupiters und der Geburt des Hercules und Jphiclus endigen.

Plautus

nennt es eine Tragicocomödie, weil hohe und niedrige Personen, Götter

20 und Menschen darinne vermischt sind.

Es ist in neuern Zeiten vom

Molieren, unter eben diesem Tittel, und im Englischen von Dryden unter der Benennung the two Sosias nachgeahmet worden.

Von der

erster« Nachahmung sagt Bayle, wenn aus des Plautus und aus des Molieres Amphitruo der Vorzug der Alten oder der Neuern sollte fest

25 gesetzt werden, so würde er nothwendig auf die letztern fallen.

Ich

wundre mich, wie dieses Urtheil diesem großen Manne entwischt ist.

Gesetzt Moliere hat einige sinnreichere Wendungen, einige feinere Ein­ fälle; gesetzt seine ganze Einrichtung sey vortrefflicher: so bleibt doch, welches das vornehmste ist, die Ehre der Erfindung dem Plautus. 30 Wenn ein Meister, wie Moliere war, einen Plautus zum Vorgänger

hat, so ist ja kein Wunder, wenn er ihn übertrifft.

Wo man auf das

gute nicht sinnen darf, da kann man leicht auf die Vermeidung der

Fehler denken.

Wenn der erwehnte Streit durch diese zwey Stücke

sollte ausgeinacht werden, so müßte Moliere diesen Stoff nach seiner

35 eignen Erfindung, wie es Plautus gethan hat, abgehandelt haben. 1 ^vielmehr: Wolfhart)

Von dem Leben und den Werken de« Plautus.

79

Aus einer Stelle des Arnobius erhellet, daß dieses Lustspiel noch zu

Zeiten des Diocletians, das ist dreyhundert Jahr nach Christi Geburt, zu Rom sey aufgeführet worden.

Nach dem Amphitruo kommen die

übrigen Stücke in folgender Ordnung. Asinaria. Dieses Lustspiel hat Plautus von dem Diphilus imitirt,

5

und nicht, wie gleichwohl die meisten Ausgaben lesen, von dem Dimophilus.

Von dem erstem hat man auch noch einige Fragmente ex xr.$

dviffov, welches ohne Zweifel das Vorbild des Plautus gewesen ist.

Inest lepos, ludusque in hac Comoedia. Ridicula res est:

10

Ein listiger Knecht nämlich, betriegt seine Frau um das Geld, welches

ihr für einige Esel soll ausgezahlt werden.

Mit diesem Gelde befreyt

er die Liebste seines jünger» Herren, und

dem Vater wird sie, für

seine Einwilligung, auf eine Nacht versprochen, welches aber die Frau erfährt und hintertreibt.

AuMaria.

15

Dieses ist das bekannte Stück, woraus Moliere zu

seinem Geizigen die schönsten Züge erborgt hat. Es ist nur zu betauten, daß sie nicht ganz zu uns gekommen ist.

Antonius Codrus, Professor

zu Bonnonien, der zu den Zeiten Sigismunds und Friedrichs des dritten gelebt hat, hat sie zwar ergänzt, allein seine und des Plautus Arbeit 20

unterscheiden sich allzusehr.

Sie hat den Namen von dem Geldtopfe

(olla), den Enclio gefunden hatte.

Captivi.

Wir wollen von dem Inhalte dieses Stücks nichts ge­

denken, weil es das erste seyn soll, welches wir unsern Lesern übersetzt

vorlegen wollen.

Es ist gewiß, daß es das vortrefflichste Stück ist, 25

welches jemals auf den Schauplatz gekommen ist.

Curculio.

Dieses Stück hat von dem Schmarotzer, der darinnen

vorkömmt, den Namen.

Der Inhalt ist sehr einfach, und die ganze

Verwicklung beruhet auf dem Ringe, den dieser entwendet, und dadurch

seinem Patrone seine Liebste ohne Entgeld in die Hände spielt.

30

Casina. Dieses ist der 9Zame der Magd, über welche in diesem Lust­

spiele gestritten wird. Plautus hat es abermals von dem Diphilus erborgt, der es xb^ovfierot genennet hatte, weil beyde Parteyen darinnen um

die Casina loßen. Es ist ungemein comisch. Der Prolog, ob er gleich

nicht vom Plautus selbst ist, ist gleichwohl lesenswürdig. Wir wollen ein- 35 andermal über unterschiedne Stellen daraus unsre Gedanken mittheilen.

80

VrykrSgr Nir Historie und Aufnahme de» Theaters.

1. Stück.

Cistellaria. Dieses Stück hat von dem Schmuckkästchen (cistella), welches verlohren wird, und wodurch hernach ein Frauenzimmer von

ihren Aeltern erkannt wird, den Namen. Epidicus.

Dieses ist der Name des betriegerischen Knechts, der

5 die vornehmste Rolle darinne zu spielen hat.

Man hat eine italienische

Nachahmung von diesem Stücke, unter folgendem Titel: La Emilia

Comedia nova di Luigi Groto, Cicco di Hadria.

Sie ist in Paris

1609. nebst der französischen Uebersetzung herausgekommen.

Allein

diese Nachahmung hat ihr vortreffliches Urbild sehr schlecht erreicht. 10 Wir werden einanderinal davon reden.

Sie hat ihren Namen von den beyden Buhlerinnen,

Bacchides.

die von dem Plautus aufgeführet werden.

Apud lenones rivales filiis fiunt patres. Dieses ist der kurze Inhalt davon. 15

Mostellaria.

Wer des Regnard seine unvermuthete Wie­

derkunft gelesen hat, der hat von diesem Stiicke eine glückliche Nach­

ahmung gelesen. Es hat seinen Namen von den Abentheuern (monstris, wovon das diminut. Mosteilum) die der Knecht seinem zurückkonimenden

Herrn weis macht. 20

Menaechmi.

So heißen die zwey ähnlichen Brüder, von welchen

dieses Lustspiel handelt.

Regnard hat es gleichfalls unter eben dieser

Benennung nachgeahmt. Males ijloriosus. Dieses Stück ist genugsam wegen des von alten und neuen Poeten so oft nachgeahmten Charakters eines großspreche­ 25 rischen Soldatens, bekannt genug.

Mercator. Aus dem Titel wird man es schwerlich errathen, daß

dieses Stück von einem alten verliebten Starren handelt, der seinem

Sohne seine Liebste vor dem Maule wegnehmen will.

Dieses Stück

ist von Joh. Maria Cecchi, einem Florentiner, in einer Comödie in 30 Prosa, nachgcahmet worden, die nebst seinen andern Schauspielen 1550

zu Venedig ist gedruckt worden. Pseudolus.

Ueber dieses Stück und über den Truculentus soll

sich Plautus, nach dem Zeugnisse des Cicero, am meisten gefreuet haben. Es hat seinen Namen von dem Knechte, den Plautus darinnen in der 35 Schelmerey rechte Wunder thun läßt.

Poemdus.

Der Inhalt betrifft ein Paar Erkemmngen, und weil

Von dem leben und den Werken de« piaufu».

81

diese Erkennungen durch einen punischen Knecht geschehen, so hat dieses

Stück von ihm deit Namen bekommen.

Persa.

Ein Schmarotzer, betriegt einen Hurenwirth, indem er

ihm seine Tochter als eine Sklavinn verkauft, für das erhaltene Geld

seines Patrones Liebste von ihm befreyet, und ihm hernach seine Tochter, als eine Freygebohrne, wieder entreißt.

5

Sie hatte sich müssen für eine

Persianerinn ausgeben, welcher Umstand dann dem Stücke seine Be­ nennung ertheilet hat.

Hudens.

Heißt eigentlich ein Schiffsseil.

Es sollte vielmehr der

glückliche Schiffbruch heißen, und ist eines von den anmuthigsten Stücken 10

des Plautus. Die Jungfer Helena Balletti Riccoboni hat es sehr artig unter dem Titel le Naufrage nachgeahmet.

Diese Nachahmung ist zu

Paris 1726 in 12 gedruckt worden.

Stichus.

Der Herr von Limiers benennt dieses Stück in seiner

Uebersetzung den Triumph der ehelichen Treue.

Der Haupt-15

inhalt ist auch so ziemlich dadurch ausgedrückt; ein Paar Weiber näm­ lich, die ihre Männer verlassen haben, wollen sich, des Verlangens

ihres Vaters ungeachtet, doch nicht wieder verheirathen, sondern bestehen darauf die Rückkunft ihrer Männer zu erwarten, welche auch erfolgt.

Den Namen hat dieses Stück von dem Knechte, der diese Männer be- 20 gleitet hat, und sich den Tag der Rückkunft mit seinem Cameraden,

und ihrer gemeinschaftlichen Liebsten, lustig macht. Trinummus.

Nach den Gefangenen des Plautus ist dieses

sein vortrefflichstes Stück.

Er hat es aus dem Griechischen des Philemo

erborgt, bey dem es einen weit anständigern Titel hat, nämlich: der 25 Schatz.

Das letzte Stück des Plautus ist endlich:

Truculentus. Dieses Lustspiel ist am allerfehlerhaftesten unter den Werken des Plautus auf uns gekommen. Den Inhalt machen die verschie­

denen Kunstgriffe aus, die eine Buhlerinn anwendet, drey unterschiedene Liebhaber auf ihrer Seite zu gleicher Zeit zu behalten.

Den Namen 30

aber hat es von dem groben Knechte, der darinnen mit vorkömmt. Zu diesen 20 Comödien fügen Pareus und einige andre Aus­

gaben noch die ein und zwanzigste unter dem Titel Querulus.

Dieses

Stück hat Peter Daniel zu Paris 1564 in 8. zum erstenmale her­

ausgegeben.

Außerdem ist es auch 1595 mit Conrad Rittershusius 35

und des Janus Gruterus Anmerkungen an das Licht gekommen. Lessing, sämtliche Schriften. IV.

6

Ob

82

VrykrSgr xur Historie und Aufnahme de» Theater». 1. Stück.

nun zwar auch einige Manuscripte dieses Stück dem Plautus zueignen, so haben doch die Kunstrichter erwiesen, daß es weit neuer, und un­

gefähr zu den Zeiten des Theodosius des jüngern geschrieben sey. Dieses haben wir vor diesesmal von dem Leben und Schriften 6 des Plautus anführen wollen.

Wir werden schon noch öftrer Gelegen­

heit haben, von ihm zu reden, wo wir dasjenige, was wir etwa noch übergangen haben, nachholen werden.

[III. Abhandlung von dem Nutzen und den Theilen de» dramakischen Gedicht». io

Aus dem Französischen de» Peker Corneille überfehl.]

[IV. De» Herrn von Voltaire Gedanken über die Traurr-

und Lustspiele der Engländer, au» seinen Briefen über die Engländer übersetzt. (Von Mylius.)]

15

[V. Theatralische Neuigkeiten au» Paris.] [VI. Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande des Theaters in Berlin.]1

1 [Die Nachrichten über da- Berliner Theater erhielt Lessing höchstwahrscheinlich auch schon in der stilistischen Fassung, in der er sie abdruckte, von fremder Hand, wofern nicht MhliuS sie geliefert haben sollte. Höchstens könnte Lessing die eine oder andere Zwischenbemerkung darin eingeschaltet haben, z. B. nach dem Verzeichnis der im Jahre 1749 aufgeführten, durchweg französischen Schau­ spiele den Satz:] Racine und Moliere verdienen den Beyfall, den man ihnen in Berlin gönnet: aber Voltaire und DestoucheS würden ihn auch verdiene», wenn sie ihn erhielten, [ober bei der Schil­ derung eine- alten, steifen und nnbranchbaren Schauspielers, der selbst alte Miinner schlecht, weil allzu natürlich und kunstlos, darstellte, die Worte .] Alle- Natürliche auf dem Theater, wa- gefallen soll, muß durch Aunst hervorgebracht werden, [und besonder- nach der Beschreibung deS Opernhauses, das trotz feiner Größe noch immer zu klein für die vielen Schaulustigen sei, die vorwurfsvollen Sätze:] Niemand bekömmt BilletS. Ge. Majestät wollen, daß alle Leute, welche nicht -um niedrigsten Pöbel gehören, und besonder- Fremde, eingelassen werden sollen. Aber diesem königlichen Willen wird schlecht nachgelebet. Man sieht die besten Logen von den nicht-würdigsten Weib-bildern ein­ nehmen, indessen daß sich oft die angesehensten Leute vor der Thüre mit den brutalsten Begegnungen müssen zurückweisen lassen. Doch diese- sind Beschwerden, welche zu klein sind, alS daß sie biS vor den Thron sollten gelangen können. [Ob Lessing diese Worte geschrieben bat, muß dahingestellt bleiben; daß sich aber seine etwaigen Zuthaten zu dem Aufsatz über das Berliner Theater weiter erstreckt Hütten, darf wohl entschieden bezweifelt werden. F. M.]

Dir Gefangnen de« piautus.

83

Zweytes Stück. i.

Die Gefangnenrin Lustspiel.

Aus dem Lateinischen des M. Aerius Plautus übersetzt.

5

Vorbrrichk des Nebersehers. Wir halten hiermit unser Versprechen, und scheuen uns nicht, noch einmal zu behaupten, daß die Gefangnen des Plautus mit eines

von den schönsten Stücken sind, die jemals auf den Schauplatz ge­ kommen sind. Johann Douza, ein Mann, der sich in seinen Anmerkungen 10

über den Plautus als einen wahren Kenner komischer Schönheiten gezeigt hat, spricht: Quotiescunque manum Plauti Captivis injectare

übet, me sibi prorsus consimilem, hoc est captivum reddunt, eadem opinor ratione qua olim Graecia capta ferum victorem cepit, et sic ut iis nitro vinciendum me praebeam, faveamque ipse servi- 15 tuti meae: neque adeo si liceat aufugere velim: ita isthaec nimis lenta (ut meo more Plautissem) vincla sunt literaria. Quo magis intendas, tanto adstringunt arctius etc. Wir könnten noch mehr solche

Urtheile anführen, wenn wir den Leser nicht lieber selbst wollten ur­

theilen laßen.

Dieser Vorbericht ist auch zu nichts bestimmt, als nur 20

etwas weniges von unserer Uebersetzung zu gedenken.

Wir haben uns bestrebet, sie so einzurichten, daß sich Plautus darinne ähnlich bleiben möge. Wir haben genau übersetzt, wo es möglich gewesen ist; wir sind von dem Originale abgegangen, wo es der natürliche und komische

Ausdruck der Gedanken, oder unübersetzliche Wortspiele nothwendig er- 25 foderten. Mit den letztern würden unsere feinern Kunstrichter vielleicht etwas tyrannischer umgegangen seyn, als wir es zu thun gewagt haben.

Sie würden sie mit einer verächtlichen Miene übergangen, und uns dafür mit einigen von ihren ausgesuchten und zärtlichen Wendungen beschenkt haben, die eben so weit von dem Komischen entfernt sind, 30 als des Plautus Spielwerke nimmermehr von dem wahren Witze. Sie

werden uns mit Erbarmung ansehn, daß wir uns Mühe genommen

84

VrykrSgr zur Historie und Aufnahme de» Thraker». 2. Eck.

haben, die Wortspiele theils durch ähnliche Wortspiele zu übersetzen, theils in die Anmerkungen zu bringen, daß der Leser ja nichts von

diesem Schatze, verliere.

Doch sie werden so gütig seyn uns so lange

als Uebersetzer, welche mit ihrem Originale gewissenhaft umgehen wollen,

5 anzusehen, bis wir einmal unsere Gedanken von dem Gebrauch der Wortspiele in den Komödien entdecken, und ihnen das Recht geben, unsern Geschmack zu verdammen.

Wir waren Anfangs Willens in den

Anmerkungen alle Schönheiten unsers Dichters zu entwickeln; allein wir fanden, daß sie zu weitläustig würden als daß man sie mit Vergnügen, io bey dem Stücke zugleich, lesen könne.

Wir entschlossen uns also, die

Empfindungen unserer Leser ungehindert fortgehen zu lassen, und unsere

Gedanken darüber in eine besondere Abhandlung, die wir in dem dritten Stücke liefern wollen, zu bringen. Die wenigen Anmerkungen aber, welche

noch geblieben sind, enthalten größtentheils nichts, als was wir zur Er­ is klärung unsers Originals, und zur Rechtfertigung unsrer Übersetzung,

nothwendig beybringen mußten.

Findet unsre Arbeit Beyfall, so wird es

uns ungemein ermuntern, alles mögliche anzuwenden, daß wir einmal die sämmtlichen Lustspiele des Plautus unsern Landsleuten übersetzt vor­

legen können.

Könnte man was bessers thun, den itzt einreißenden ver-

20 kehrten Geschmack in den Lustspielen einigermaßen zu hemmen?

Personen des Lustspiels. 25

Hrgio. Ein Alter. Ergafrlus, ein Schmarutzer. D?nd-ru^' } bic ®efm,6,,c,L

30

Aristoxhonlrs. Ein Scherge. Ein KnrchL des Hrgio. Philoxoleinus, des Hcgio Sohn. SLalagmus.

Der Vorredner an dir Zuschauer. Diese zwey Gefangnen, die. ihr hier stehen sehet, sitzen nicht, son­ dern* - - stehen.

Es kann mir es jeder von euch bezeugen, daß ich die

* Ich mag diesen Einfall eben nicht vertheidigen. Plautus hat es ohne 35 Zweifel selbst eingesehen, daß er nicht der vortrefflichste ist. Es ist ihm genug

Dir Grfangnrn drs Plaukus. Wahrheit rede.

85

Der Alte, welcher hier wohnet, heißt Hegio, und ist

dieses Gefangnen Vater.

Wie eS aber komme, daß er bey seinem eignen

Vater diene, will ich euch, wenn ihr mir zuhören wollt, erzählen. Hegio

hatte zwey Söhne.

Einen davon, als ein Kind von vier Jahren, ent­

führte ihm ein Knecht, welcher sich damit fortmachte, und ihn in Elis

an den Vater dieses andern Gefangnen verkaufte.

&

Ihr begreift eS

doch? - - Nun gut. Wie aber? Du, dort unten im Winkel, du sprichst,

nein? Tritt näher her. Wenn du keinen Platz zum sitzen finden kannst, hier ist Platz zum stehen. Soll sich denn der Schauspieler zum Bettler

schreyen?

Nimm mir eS nicht Übel- deinetwegen werde ich mich nicht 10

zerreißen.

Ihr aber, die ihr einen bequemen Ort inne habt, dankt es

euerm. Reichthum, und hört vollends das Nestchen, denn ich bleibe die Nestchen nicht gerne schuldig.

Der flüchtige Knecht, wie ich schon gesagt

habe, verkaufte seinen jungen Herrn, den er von Hause mitgenommen

hatte, an dieses Vater.

Dieser schenke ihn alsobald seinem Sohne zu 15

seinem besondern Knechte, weil sie beynahe von einem Alter waren. Nunmehro aber dient er in seinem väterlichen Hause seinem eignen

.Vater, ohne, daß es der Vater weis.

In der That, die Götter spielen

auch mit den Menschen, wie mit Fangebällen.

wie er den einen Sohn verlohren hat.

Nunmehro wißt ihr,

Der andre aber ist im Kriege, 20

den die Aetolier und Elienser mit einander geführt haben, zum Ge­

fangnen gemacht worden, (denn das geschieht, so viel ich weis, im Kriege dann und wann) und der Arzt Menarchus in Elis hat ihn an sich

gekauft.

Hegio gegentheils kauft eliensische Gefangne auf, in Hoff­

nung, daß er einen darunter finden wird, mit dem er seinen gefangnen 20

Sohn austauschen könne; weis aber nicht, daß einer davon sein eigner Sohn sey.

Weil er nun gestern gehört,

daß ein sehr vornehmer

eliensischer Ritter sey gefangen worden, so hat er, zu seines Sohnes Besten, keine Unkosten angesehen, sondern hat diesen Ritter, nebst seinem

gewesen, wenn er nur seine Absicht, die Römer zum Lacken zu bewegen, damit 30 erlangt hat. So ein Anfang verspricht eine reiche Erndte lächerlicher Sachen. Man sehe übrigens, mit was für Lebhaftigkeit er das, was die Zuschauer wissen sollen, erzählet, und mit was für Kunst er das versteckt, was sie itzo nicht wissen, sondern was sie selbst bald sehen sollen. Und man sage mir, ob in vielen neuen Komödien die ersten Auftritte, ob sie gleich das Dialogische voraus haben, so 35 angenehm sind, als dieser Prolog?

86

VrykrSgr zur Historie und Aufnahme des Thraker».

2. Stück.

Knechte, bey den Quästors von der Beute erkauft, damit er durch ihn

seinen Sohn desto leichter wieder erhalten könne.

Diese aber haben

sich folgende List ausgesonnen, wodurch der Knecht seinen Herrn nach

Hause verhelfen könne: sie haben nämlich Kleider und Namen unter 5 einander verwechselt, daher heißt nun dieser Philokrates und jener

Tyndarus, und Tyndarus spielt heute des Philokrates, und Philokrates des Tyndarus Rolle.

Dieser wird seine List vor­

trefflich ausführen, und nicht allein seinen Herrn in die Freyheit ver­ setzen, sondern zugleich seinen eignen Bruder erhalten, und ihn als

10 einen Freyen in sein Vaterland zu seinem Vater zurück helfen. Alles das aber wird er von ungefähr thun, wie es denn meistentheils ge­ schieht, daß die Menschen mehr Gutes von ungefähr*, als mit Willen, thun. Denn von ungefähr haben sie, ohne jemands Einrathen, ihre List

also eingerichtet, daß dieser bey seinem eignen Vater in der Knechtschaft

15 bleiben muß. Er dienet nun also seinem eignen Vater, ohne, daß er es weis.

Was für eine elende Creatur ist der Mensch, wenn ichs bedenke! Dieses nun, ihr Zuschauer, ist es, was ihr als eine wahre Ge­

schichte, wir aber als eine Fabel** anzusehen haben.

Eines habe ich

* — itidem ut saepe iam in multis locis

20

Plus insciens quis fecit, quam sciens, boni. Dieses sind des Plautus Worte. Wir wollen hierbey die Stelle aus dem Terentius anmerken, wo er eben dieses den P arm en o zum Schlüsse der H ecyra sagen läßt:

equidem plus hodie boni Feci imprudens, quam sciens ante hunc diem unquam. 25 Aus dieser Stelle darf es nicht allein bewiesen werden, daß Terentius den Plautus nachgeahmet habe.

** Haec res agetur nobis, vobis fabula: so heißt eigentlich die Stelle.

Wenn ich sie aber nach der Einsicht beurtheile, welche Plautus nothwendig von der Einrichtung der Schauspiele muß gehabt haben; so komme ich auf die Ver­

30 muthung, daß die beyden Pronomina versetzt worden sind, und daß es heißen solle: Haec res agetur vobis, nobis fabula.

Denn dieses eben macht die Voll­

kommenheit der Schauspiele aus, wenn die Zuschauer eine wahrhafte Geschichte, und keine Vorstellung einer erdichteten Begebenheit, zu sehen glauben.

Die Schau­

spieler aber müssen es niemals aus den Gedanken lassen, daß sie nur vorstellende

35 Personen sind, und ihre Vorstellungen so wahrscheinlich machen müssen, daß sie den Zuschauer zu hintergehen im Stande seyn können.

Doch kann es auch seyn,

daß die erste Leseart die rechte ist, und daß Plautus ganz was anders dabey gedacht hat.

Vielleicht will er den Vorredner dadurch sagen lassen: ihr könnt

zwar das, was wir vorstellen werden, für eine Fabel ansehen, für uns aber ist

Dir Gefangnen des piaufua.

noch mit wenigem zu erinnern.

87

Es verlohnt sich, in der That, der

Mühe, daß ihr diesem Spiele zuhört.

Denn es ist nicht so oben hin

nach der gemeinen Weise gemacht; es sind keine unzüchtigen Verse da­

rinne, mit welchen man das Gedächtniß zu beladen sich schämen muß.

Es kömmt kein meyneidiger Hurenwirth, keine treulose Buhlerinn, kein

5

großsprecherischer Soldat vor. Uebrigens dürst ihr euch des Kriegs wegen nicht bange seyn lasten,

den, wie ich gesagt habe, die Aetolier und Elienser mit einander führen'.

Es kömmt nichts auf dem Schauplatze davon vor.

Denn es wäre sehr

unbillig, wenn wir, da die Zuschauer ein Lustspiel erwarten, plötzlich 10 in ein Trauerspiel fallen wollten*.

Will aber jemand von euch Krieg

haben, der fange nur Händel an.

Wenn es ihm glückt, daß er an

einen kömmt, der stärker ist als er, so wird es gewiß ein so artiges

Treffen setzen, daß er sich gerne in Zukunft für alle Treffen bedanken wird.

Lebet wohl, ihr gerechtesten Richter im Frieden, und tapfersten 15 Helden im Kriege!

Ich gehe ab.

Erster Auszug. Erster Austritt. Trgasilus. Die Jugend hat mir den Zunamen Hure gegeben, weil ich be- 20 ständig ungerufen bey ihren Gastereyen bin. Ich weis wohl, die Herren Witzlinge sagen, daß der Zuname sehr albern sey; allein ich -- ich sage, daß er schon recht ist.

Denn wenn ein Buhler bey der Schwan­

es schon eine etwas wichtigere Sache, weil unsere Belohnungen, wenn wir eS gut machen, darauf beruhen. 25 * Hoc paene iniquum est Comico choragio, Conari de subito nos agere Tragoediam.

Die neuern Comiei würden sehr wohl thun, wenn sie diese kleine Erinnerung merken wollten. Es ist, als wenn sich unsere Zeiten verschworen hätten, daS Wesen der Schauspiele umzukehrcn. Mau macht Trauerspiele zum Lachen, und 30 Lustspiele zum Weinen. Den Franzosen könnte man es noch eher erlauben, daß sie sich diese kleine Abwechselung machten. Sie haben schon Trauerspiele genug, die zum Weinen, nub Lustspiele, die zmn Lachen bewegen. Warum die Deutschen aber, die ihnen hierinne noch weichen müssen, da mit Ruhm anzufangen glauben, wo diese mit Schanden aufgehöret haben, das begreifen wir nicht. 35

88

Beyträge zur Historie und Aufnahme de» Theater«.

serey würfeln will, so ruft er seine Hure dabey an. ist also an gerufen?

2. Stück,

Nicht wahr, sie

Ist eS denn nun viel anders mit

Freylich.

uns Schmarutzern, die wir niemals zu einem Schmause gerufen werden?

Wir sind also allezeit ungerufen?

Angerufen und ungerufen

6 aber ist ja nicht so weit von einander*. wie die Mäuse, von fremder Kost.

Wir ernähren uns beständig,

Wenn sich die Leute Feyertage

machen, und auf- Land begeben, so haben auch unsere Zähne Feyer­ tage.

So wie die Schnecke bey der Hitze, wenn kein Thau fällt, sich

ganz verborgen hält, und von ihrem eignen Safte zehret; so bleiben io auch die Schmarutzer, wenn die, die sie sonst beschmausen, auf deni

Lande sind, ganz versteckt, und leben von ihrem eignen Safte.

Als­

dann gleichen sie den Windhunden, nach und nach aber, wenn die

Leute in die Stadt zurück kommen, werden sie wieder zu dicken unbe­ quemen und verdrüßlichen Bollenbeißern.

Es ist zwar hier auch ganz

16 aus mit ihnen; wer nicht Ohrfeigen leiden, und sich die Töpfe auf dem

Kopfe zerschmeißen lasten kann, der mag nur den Sack nehmen und vors Thor betteln gehen.

Und wer weis, ob mirs besser gehen wird

da mein Patron im Kriege, den die Aetolier und Elienser mit

einander führen, zum Gefangnen ist gemacht worden.

Jtzo ist er nun

20 in Elis, der arme Philopolemus; denn ich bin hier in Aetolien, und zwar bey seines Vaters des Hegio Hause.

Der gute alte Mann!

Sein Haus ist mir itzo ein recht Jammerhaus geworden, ich kann es

ohne Thränen niemals ansehen.

Er hat, seinem Sohne zum Bestell,

einen recht schimpflichen Handel, und der seinem Naturell gar nicht

26 gemäß ist, angefangen.

Er kaust nämlich Gefangne auf, in Hoffnung,

daß er einen darunter finden wird, mit welchem er seinen Sohn ver­ tauschen kann.

Ich muß ihn doch besuchen.

Doch die Thüre geht

alleweile auf, woraus ich so ost dicke und berauscht gegangen bin. * Ich habe dieses Wortspiel einigermaßen beyzubehalten gesucht. In deni

30 Lateinischen ist es ungleich artiger, weil invocatus zugleich angerufen und ungerufen heißen kann.

Ehe ich es aber gar übergehen wollte, so habe ich

es lieber so gut übersetzen wollen, als cs die deutsche Sprache verstattet.

Uebrigeus

wird man so billig seyn, und dieses Spiclwcrk nach dein beurtheilen, in dessen Munde es ist.

Die Scherze nach den unterschiednen Charakteren cinzurichten, ist

35 ein Kunststück, welches wenig in einer solchen Stärke besitzen, wie Plautus.

Bey

den meisten scherzet der Knecht eben so fein, wie sein Herr, oder der Herr eben

so grob, wie sein Knecht.

Dir Gefangnen der piaufu».

89

Ztvryker Austritt. Hrgio. Ein Dchrrgr. Lrgastlu». Hrgio. .Höre, was ich sage.

Mache die zwey Gefangnen, die

ich gestern bey den Quästors von der Beute gekauft habe, von ihren

großen Ketten, womit sie gefesselt sind, loS, und lege jedem eine besondre an.

v

Laß sie, drinnen und draußen, frey herumgehen, nur daß sie mit Mit einem Gefangnen, dem man

der größten Sorgfalt bewacht werden.

zu viel Freyheit läßt, ist es nicht anders, als mit einem Bogel.

Wenn

er einmal Gelegenheit davon zu fliegen findet; so ist es geschehen.

Er

10

läßt sich nimmermehr wieder fangen. Der Scherge. Ja freylich sind wir allesammt lieber frey, alin der Knechtschaft. Hegio.

Doch scheinst du eben nicht von den allen zu seyn.

Der Scherge.

Willst du denn also, da ich dir nichts geben kann,

daß ich mich auf die Flucht begeben soll? Hegio.

16

Begieb dich nur, begieb; du sollst schon sehen, was sich

alsdann mit dir begeben soll.

Der Scherge.

Je nu, ich will es machen, wie du sprichst, daß

es die Vögel machen. Hegio.

sperren.

Gut, und eben deswegen werde ich dich ins Käficht so

Doch, genug gespaßt.

Thue was ich dir befohlen habe und

pack dich fort.

Ergasilus. Wie gerne wollte ich, daß der ehrliche Mann seinen

Zweck erhielte.

Denn wenn er seinen Sohn nicht wieder erhält, so ist

es mit meiner Erhaltung geschehen. nichts zu hoffen.

Von der übrigen Jugend ist gar 25

Sie lieben sich alle selbst zu sehr.

der einzige Jüngling von altem Schrot und Korne.

niemals umsonst vergnügt gemacht.

Das war noch Ich habe ihn

Sein Vater ist auch noch von der

guten Att. Hegio.

Ich will zu meinem Bruder, bey dem ich meine übrigen so

Gefangnen habe, gehen.

Ich muß sehen, ob sie die Nacht keine Un­

ordnung angefangen haben. Hause kommen. Ergasilus.

Von dar will ich alsbald wieder nach

Es thut mir leid, daß der arme alte Mann, zum

Besten seines Sohnes, so eine kerkermäßige Handthierung treiben muß. 35

90

VrykrSgr ;ur Historie und Aufnahme de» Thrakers. 2. Stück.

Wenn er ihn zwar auf keine andere Art wieder erhalten kann, so mag er gar.einen Schinder abgeben.

Hrgio.

Ich kann eS wohl leiden.

Wer redt hier?

Ergasilus. Ich, den deine Betrübniß ganz abinexgelt. 5 alte, verschmachte und verschwinde darüber. keit nichts als Haut und Knochen.

Ich ver­

Ich bin vor lauter Mager­

Es bekömmt mir kein Bissen, den

ich zu Hause esse; kaum daß mir das, was ich bey guten Freunden koste, noch gedeyet.

Hrgio.

10

Willkommen Ergasilus.

Ergasilus. Hrgio.

Die Götter stehen dir bey, Hegio!

Nu, nu, weine nur nicht.

Ergasilus. Ich soll nicht weinen? Ich soll so einen rechtschaffnen Jüngling nicht beweinen? Hrgio. Ich habe wohl gesehen, daß mein Sohn und du gute

16 Freunde wäret - Ergasilus. So gehts. Wir Menschen erkennen unser Glück nicht

eher, als bis wir es wiederum verlieren.

Seit dem dein Sohn ist

gefangen worden, seit dem habe ich erst eingesehen, wie hoch ich ihn zu schätzen habe.

20

Hrgio.

Ach wie sehne ich mich nach ihm!

Da einem Fremden sein Unglück so nahe geht, wie soll

es mich nicht schmerzen, da er mein einziger Sohn ist? Ergasilus.

Ich ein Fremder?

Dein Sohn mir ein Fremder?

O Hegio, sage dieses nicht; glaub es nicht.

Er ist dein einziger Sohn,

aber mir - - mir ist er noch viel einziger.

25

Hrgio.

Ich lobe dich, daß dich deines Freundes Ungemach wie

das deine schmerzt.

Doch sey nur gutes Muths.

Ergasilus. Ach! Hrgio. Der gute Schelm ist ganz betrübt, weil die Schmausereyen

nunmehr abgedankt sind.

Hast du denn aber niemanden gesimden, der

30 unterdessen diese abgedankten Schmausereyen in seinen Sold nehmen und commaudiren will?

Ergasilus. Du glaubst es wohl; aber nein. Nachdem dein Sohn Philopolemus ist gefangen worden, bedankt sich jedermann für

dergleichen Commando.

35

Hrgio. danken.

Es wundert mich auch eben nicht, daß sie sich dafür be-

Man hat gar zu viel und gar zu vielerley Soldaten dazu

Dir Gefangnen drs Plaukus.

91

nöthig. Da sind erstlich Beckersoldaten. Und von diesen Beckersoldaten giebts wieder unterschiedne Arten. Man braucht Brodsoldaten; man braucht Kuchensoldaten. Schnepfensoldaten.

Hernach kommen die Ziemersoldaten, die

Und was hat man nicht endlich für eine Menge

Fischsoldaten nöthig? 5 Ergasilus. Wie doch manchmal die größten Köpfe im Verborgnen bleiben!

Was solltest du nicht für ein General seyn, und mußt doch

als eine Privatperson leben? Hrgio. Sey nur gutes Muths,

Ich hoffe, daß ich meinen Sohn

in wenig Tagen wieder zu Hause haben will.

Denn ich habe gestern lö

einen jungen eliensischen Gefangnen, der von sehr vornehmen und reichen Geschlechte ist, bekommen, und mit diesem hoffe ich ihn zu

vertauschen. Ergasilus. Die Götter geben es! Hegio. Aber sage mit doch, bist du heute auf den Abend zu 16 Gaste gebeten? Ergasilus. So viel ich weis, nicht.

Aber warum fragst du das?

Hrgio. Es ist heute mein Geburtstag, ich will dich also auf den Abend einladen.

Ergasilus. Hrgio.

Das war sinnreich gesprochen!

20

Aber du mußt mit wenigem können zufrieden seyn.

Ergasilus. Wenn es nur nicht allzuwenig ist. Hegio. Wie ich ordentlich zu speisen pflege. Ergasilus. Nu, nu, biethe mich nur. Hegio. Wenn mich nur niemand überbiethet*.

25

Ergasilus. Ey! was für ein Geboth sollte mir und meines gleichen wohl lieber seyn? Mit solchen Bedingungen will ich mich dir mit Grund und Boden zuschlagen laffen. Hegio. O sage vielmehr ohne Grund und Boden** - - Doch,

wenn du kommen willst, so mußt du bey Zeiten kommen.

30

Ergasilus. Ich kann itzo gleich kommen. Hegio. Nein, nein, gehe nur, und sieh, ob du sonst wo etwa * Die Anspielung, die im Lateinischen auf den Kauf überhaupt ist, habe ich nur auf eine Art deS Kaufs, auf die Versteigerung, einschränken müssen, da­ mit ich den Scherz beybehalten konnte. 35 ♦♦ Wegen seiner Gefräßigkeit.

92

Brytritgr prr Historie und Aufnahme de» Thraker».

2. Eck.

einen Hasen austreiben kannst, die Lerche bleibt dir doch gewiß*; denn

meine Mahlzeit ist allerdings auch für dich ein wenig zu harte und

zu rauh. , Crgaftlu».

6 abschrecken wirst. Hegio.

O! o! Denke nicht, Hegio, daß du mich dadurch

Ich kann meinen Zähnen Schuhe anziehn.

Nu, nu, meine Kost wird stachlicht genug seyn.

Grgsstlus. Du wirst doch nicht gar Dörner speisen? Hegio. 'Lauter Feldgerichte - Grgnstlu».

DaS Schwein ist auch ein Feldthier.

Hegio. Vor allen Dingen viel Kraut - -

io

Grgsstlus.

DaS kannst du den Kranken zu Hause vorsetzen.

Hast du mir sonst noch waS zu befehlen? Hegio.

Nichts, als daß du bey Zeiten kommen sollst.

Grgastlus.

16

Hegio.

DaS hätte ich so nicht vergessen.

Ich will herein gehen, und doch überschlagen, wie viel

ich Geld bey dem Wechsler stehn habe.

Den Gang zu meinem Bruder

kann ich verspüren bis hernach.

Zweyter Auszug. Erster Austritt. 20

Vir Vchrrgrn.

Ein Scherge.

Philokratrs und Tyndarus, w Gefangnen.

Da die unsterblichen Götter euch zu diesem Un­

glück auSersehen haben, so habt ihr eS mit Geduld zu ertragen.

diese könnt ihr euch eure Last erleichtern.

Durch

Ich will es glauben, daß

ihr in eurem Vaterlande frey gewesen seyd.

Da ihr aber itzo in die

26 Knechtschaft gerathen seyd, so wird es gut seyn, wenn ihr euch darein * Ich glaube, daß dieser der natürlichste Verstand sey, weil er mit der ersten Rede der Hegio, emtum, nisi qui meliorem affert, am besten überein­ kömmt.

Ich biethe dich zwar zu Gaste, will Hegio sagen, aber du brauchst des­

wegen keine beßre Mahlzeit zu versäumen.

80 vorsetzen kann, laß dich nicht abhalten.

Findest du einen, der dir was bessers

Ich könnte hier dem ältern Scaliger

eine gelehrte Untersuchung, war Ciris sey, abborgen, wenn ich glaubte, daß

meinen Lesern was daran gelegen seyn würde.

Ich habe es nach der gemeinen

Art schlechtweg, durch Lerche übersetzt; ich will mir aber diejenigen nicht dadurch

Die Gefangnen des Plauku«.

93

schickt, und sie euch, durch den Gehorsam gegen euren Herrn, so er­ träglich macht, als es nur möglich ist. Alles was der Herr thut, muß

euch recht seyn, wenn es gleich nicht recht ist. Dir Gefangnen. Ach! Ein Scherge.

Der Seufzer war unnöthig, und euer Weinen 5

ist euch zu nichts gut, als die Augen zu verderben.

In Trübsalen

ist nichts besser, als ein guter Muth. Vie Gefangnen. Allein, wir schämen uns, daß wir gefesselt seyn.

Ein Scherge. So darf es euren Herrn hernach nicht gereuen,

daß er euch, die ihr ihm so viel Geld kostet, frey, ohne Ketten, hat 10 gehn lassen, wenn ihr etwa - Dir Gefangnen. Was befürchtet er sich denn von uns? Wir wissen schon, was unsere Schuldigkeit ist, wenn er uns gleich unge­

bunden gehen ließe. Ein Scherge. Ha! ha! Ich sehe schon, worauf ihr umgeht. Ihr 15

sucht zu entfliehn. Dir Gefangnen. Wir entfliehen?

Und wohin?

Ein Scherge. Nach Hause. Dir Gefangnen. Geh! Es würde sich schlecht für uns schicken,

zu entfliehn. Ein Scherge.

20 Nu, nu, wenn sich die Gelegenheit etwa eräugen

sollte, so will ich es euch nicht abrathen. Die Gefangnen. Eine kleine Bitte haben wir an euch zu thun. Ein Scherge. Worinne besteht die? Die Gefangnen. Wir wollten gerne mit einander sprechen, ohne, 25 daß uns weder du, noch jemand von diesen, zuhörte. Ein Scherge. Gut, das soll euch erlaubt seyn. Weg von hier!

Laßt uns unterdesien hier zurück treten. Allein macht es kurz,

zu Feinden machen, welche gebratene Lerchen einem gebratenen Hasen vorziehen. Eine kleine Anmerkung will ich hier noch über den Charakter der Schmarutzer 30 machen. Man wird wenig Stücke bey dem PlautuS finden, worinne nicht ein Parasitns Vorkommen sollte. Ich kann mich aber in der That auf kein ein­ ziges von neuern Lustsvielen besinnen, wo so eine Person wäre lächerlich gemacht worden. Doch es ist kein Wunder. Man würde vielleicht ein Hirngespinste lächerlich gemacht haben. Der Charakter eines Schmarutzers hat das Unglück 35 gehabt, mit der Gastfreyheit auSzusterben.

94

VrykrSge prr Historie und Aufnahme des Thrakers.

PhiloKrakes.

Dieses

wünschte

ich

eben.

2. Stück.

Komm hier her

Tyndarus. Fort hier!

Ein Scherge.

Tyndarus.

Packt euch zurück!

Wir sind euch beyde sehr verbunden, daß ihr uns

% diese- Gefälligkeit erzeigt. PhiloKrakes. Komm also näher hieher, damit sie nichts von unfern Reden auffangen können.

das geringste merken.

Sie müssen von unserer List nicht

Denn eine List ist keine List, wenn sie nicht

heimlich gehalten wird; sie ist vielmehr das größte Unglück, so bald

10 sie auskömmt.

Wenn du dich also für meinen Herrn ausgeben willst,

und ich mich als deinen Diener anstellen soll, so müssen wir uns wohl vorsehn, daß wir alles behutsam und ohne Behorcher verrichten.

Wir

müffen allen unfern Fleiß, allen unsern Witz dabey anwenden.

Die

Sache ist zu wichtig, als daß sie sich schläfrich treiben ließe.

Tyndarus.

15

Ich will alles thun, wie du es befiehlst.

PhiloKrakes. Das- hoff ich. Tyndarus.

Du siehst wohl, daß ich itzo für dein mir so werthes

Leben, mein eigen Leben in die Schanze schlage.

PhiloKrakes. 20

Tyndarus.

Aber gedenke auch daran, wenn du deinen Zweck

wirst erlangt haben.

sind.

Es ist wahr.

Denn ich weis wohl, wie die meisten Menschen

So lange als sie nach etwas streben, so lange sind sie gut; so

bald sie es aber erlangt haben, so bald werden sie aus den Besten, Doch ich will hoffen, daß du so

die Schlimmsten und Ungetreuesten.

26 seyn werdest, wie ich es wünsche.

Ich könnte es mit meinem Vater

nicht bester meynen, als ich es mit dir meyne.

PhiloKrakes. In der That, ich habe dich mit Recht meinen

Denn nach meinem wirklichen Vater hast du- dich

Vater zu nennen.

am väterlichsten gegen mich bewiesen.

30

Tyndarus.

Ja! Ja!

PhiloKrakes.

Ich ermahne dich also, gedenke ja fleißig daran,

daß ich nun nicht mehr dein Herr, sondern dein Knecht, bin.

Nur das

einzige bitte ich dich, da uns die Götter itzo ihren Willen kund gethan, und mich, deinen vorigen Herrn, zu deinem Mitknechte gemacht haben: 36 dieß einzige bitte ich dich, ich, der ich dir sonst mit Recht zu befehlen hatte, ich bitte es dich um unsers ungewiffen Glücks, um der Gütig-

Dir Gefangnen de« Plnukn«.

95

feit, die dir mein Vater erzeigt hat, um unserer gemeinschaftlichen

Knechtschaft willen; ehre mich nicht anders, als ich dich geehrt habe, da du mir dientest, und erinnere dich fleißig, was du gewesen seyst, und was du nun bist. Tyndsrus. Ich weis schon. Ich bin nunmehro du, und du bist ich.

5

PhiloKrates. Gut. Wenn du das wohl merken kannst, so können wir hoffen, daß unsre List gelingen werde.

Zweyter Auftritt. Hegt», PhiloKrates. Tyndarus.

Hegio. Ich werde gleich wieder herein kommen. Ich will nur 10

diese erst etwas fragen. Wo sind sie, die ich vor die Thüre zu führen befohlen habe? PhiloKrates. O, du hast schon dafür gesorgt, daß wir nicht weit seyn können. Wir sind ja mit Ketten und Wachen ganz umschanzt. Hegio. Wenn man sich auch noch so sehr vorsieht, man kann 15

sich doch nimmermehr zu viel vorsehn. Wenn man manchmal glaubt, sich am besten vorgesehn zu haben, so ist man mit aller seiner Vor­

sicht betrogen. Oder thue ich etwa unrecht, daß ich euch so scharf be­ wache, da ich euch für so viel baares Geld gekauft habe? PhiloKrates. Es würde uns nicht geziemen, wenn wir dir deine 20 Vorsicht übel nehmen wollten. Doch würde es sich auch für dich nicht schicken, es nn8 zu verdenken, wenn wir uns bey Gelegenheit davon

machen sollten. Hegio. Wie ich euch' hier bewachen lasse, eben so wird mein Sohn bey euch bewacht. PhiloKrates. Ist er auch gefangen worden?

25

Hegio. Leider! PhiloKrates. So sind wir doch nicht die einzigen Bärenhäuter gewesen. Hegio. Komm hier her. Ich möchte dich gerne alleine um etwas 30

fragen, worinne du mich aber nicht belügen mußt.

PhiloKrates.

Was ich weis, will ich dir wahrhaft gestehen.

Wenn ich aber etwas nicht weis, so mußt du mir es auch nicht ver­

denken, daß ich es nicht weis.

96

Vrytrikg« zur Historie und Ilulnahme de» Lheeürr«. 2. Hkttck. Tyndarus. Run ist der Alte in der Barbierstube. Das Mester

ist schon angesetzt. Gleichwohl giebt er ihm nicht einmal das Tuch um, daß er sich das Kleid nicht garstig mache. Ob er ihn aber glatt, oder über den Kamm scheren wird, weis ich noch nicht. Wenn er aber ge6 scheid ist, so wird er ihn rechtschaffen zerkratzen. Hrgio. Höre! Willst du lieber frey, oder ein Knecht seyn? Sprich! Philok. Ich will nichts, als was dem Guten am nächsten kömmt, und von dem Uebel am weitesten entfernt ist. Vielen zwar ist die Knecht­ schaft eben nicht sehr beschwerlich gewesen. Darunter gehöre auch ich.

10 Mein Herr hat mich nicht anders, als sein eigen Kind gehalten. Tynd. Gut! In der That, nicht einmal für ein Talent wollte

ich den Thales aus Milet kaufen.

Denn gegen den seiner Weisheit

ist die feinige Kinderpoffen. Mit was für einer Art hat er nicht die Rede auf die Knechtschaft zu bringen gewußt! 15 Hrgio. Aus was für einem Geschlechte ist dieser Philokrates? Philok. Aus dem polyplusischen, welches daselbst das mächtigste und geehrteste Geschlecht ist. Hrgio. Aber er selbst, in was für einem Ansehen stehet er in 20

seiner Vaterstadt? Philok. In großem.

Die vornehmsten Leute schätzen ihn.

Hrgio. Da er nun, wie du sagst, in solcher Hochachtung bey den Eliensern steht, wie steht es denn um seinen Beutel? Ist er fett? Philok. Er könnte Unschlitt daraus kochen. Der Alte - -*

25

Hrgio. Was? der Alte? Lebt sein Vater auch noch? Philok. Als wir von Hause abreiseten, hat er noch gelebt. Ob er'aber itzo noch lebt, das muß der Tod am besten misten. Tynd. Das geht vortrefflich. Er lügt nicht nur, er fängt auch gar an zu philosophiren.

* Vnde excoqnat sevum senex heißt eS in den meisten Ausgaben, Douza 30 aber unterscheidet die Personen also: Phil. Vnde excoquat sevum. Heg. Senex quid pater? vivitne? Allein das Senex kann ganz wohl noch bey der Rede deS Philokrates bleiben, nur so, daß es einen neuen Perioden anfängt, worinne er von seinem Vater etwas gedenken will, wo ihm Hegio aber alsbald ins Wort fällt: quid pater? etc. Daß man also vielleicht lesen muß: 35 Phil. Vnde excoquat sevum. Senex Heg. Quid Pater? vivitne?

Die Gefangnen des Dlauku». Hrgio.

97

Wie heißt sein Vater? Thesaurocrypsonicochry fides.

Philok.

Hrgio. Den Namen hat man ihm gewiß wegen seines großen

Reichthums gegeben.

Philok. Kühnheit.

Nicht allein.

Auch wegen seines Geizes, und seiner

5

Denn sein eigentlicher Name ist Theodoromedes.

Hrgio.

Was sagst du?

So ist sein Vater geizig?

Nur gar zu geizig. Zum Exempel, daß du doch siehst,

Philok.

was er für ein Mann ist; wann er seinem Genius opfert, so braucht

er lauter irdene Gefäße zu dem heiligen Werke,

Furcht sein Genius 10

möchte sie ihm sonst entwenden. Daraus kannst du sehen, wie viel er andern trauen mag.

Hrgio.

Gut! Komm, tritt unterdessen hier her.

auch bey diesem erkundigen.

Ich will mich

Philokrates *, dieser hat als ein recht­

schaffner Mensch, wie es auch seine Schuldigkeit war, gehandelt.

weis von ihm, aus was für einem Geschlechte du bist.

Ich 15

Er hat mirs

gestanden. Wenn du mir es auch gestehen willst, es wird dein Schade nicht seyn. Unterdessen will ich dir doch sagen, daß ich alles schon von

ihm weis. Tyndarus.

Er hat seine Schuldigkeit gethan, da er dir die 20

Wahrheit gestanden hat; ob ich gleich mit aller Sorgfalt meinen Adel, mein Geschlecht und meine Reichthümer habe verbergen wollen.

Da

ich aber Vaterland und Freyheit verlohren habe, so kann ich es ihm

freylich nicht verdenken, daß er mich weniger als dich fürchtet.

Die

feindliche Gewalt hat meinen Stand dem {einigen gleich gemacht. Vorher 25

durste er mich nicht mit einem Worte beleidigen; itzo kann er es mit

der That thun.

Aber, wie du siehst, das Glück verfährt mit uns

Menschen nach seinem Kopfe.

Ich war frey, nun bin ich ein Knecht.

Vom höchsten macht es mich zum letzten.

Sonst war ich gewohnt zu

befehlen, nun muß ich mir befehlen lassen.

Wenn ich zwar einen Herrn 30

bekommen habe, wie ich selbst gegen meine Leute gewesen bin, so darf ich mich nicht befürchten, daß er mir was ungerechtes oder allzu be* In den Ausgaben, die ich habe Nachsehen können, stehet: Philocrates hic fecit, hominem frugt ut facere oportuit. Dieses ist offenbar falsch. Bey Philokrates ist das Comma unentbehrlich, welches hier die Anrede seyn muß; 35 denn Hegio wußte es ja nicht, daß es Philokrates, mit dem er geredt hätte. Lessing, sämtliche Schriften. IV. 7

98

VrykrSgr ;ur Historie unb Aufnahme des Thrakers.

fchwerliches gebiethen werde.

2. SküiK.

Dieses einzige, Hegio, will ich dir nur

sagen, - - wenn du es nicht übel nehmen willst - -

Rede frey.

Hegio.

Ich bin eben sowohl frey gewesen, als dein Sohn.

Tyndsr.

5 Wir haben, sowohl er als ich, durch die feindliche Gewalt unsre Frey­ Er dienet bey uns nicht anders, als ich bey euch diene.

heit verlohren.

Es ist ganz gewiß ein Gott, welcher, was wir thun, hört und sieht. Wie du mich hier halten wirst, so wird er machen, daß man behielt

Sohn auch bey uns hält.

Führst du dich gütig gegen mich auf, so

10 wird es ihm zu statten kommen, bist du hart gegen mich, so wird man es auch gegen ihn seyn.

So sehr du nach deinem Sohne verlangst,

so sehr verlangt auch mein Vater nach mir. Ich glaube alles das.

Hegio.

Doch wirst du mir es gestehen,

was er mir gestanden hat?

15

Tynd. Ich gestehe dir, daß mein Vater großen Reichthum be­ sitzet, und daß ich aus vornehmen Geschlechte bin.

Allein ich bitte dich,

Hegio, laß dich meine Reichthümer nicht geiziger machen; und bringe

meinen Vater nicht dahin, daß er es für anständiger halten muß, mich, ob ich gleich sein einziger Sohn bin, lieber bey dir in der Knechtschaft

20 zu lassen, wo du mich auf deine Unkosten satt machen und kleiden mußt, als mich da, wo es mir am wenigsten anständig seyn würde,

betteln zu sehen'. Hegio. Ich bin durch den Segen der Götter, und den Fleiß

meiner Vorfahren reich genug.

Zwar glaube ich nicht, daß man den

25 Gewinnst allezeit verachten muß, ich weis vielmehr, daß viele Leute dadurch groß geworden sind. Allein ich weis auch, daß zuweilen Schaden besser ist, als Gewinnst. Ich hasse das Geld, es ist vielen ein schlechter

Rathgeber gewesen.

meynung.

Höre also, und vernimm meine ganze Sinnes­

Mein Sohn dienet bey euch in Elis, als ein Gefangner.

30 Wenn du mir ihn zurück schaffst, so sollst du keinen Hüller mehr geben. Ich will dich und deinen Knecht gehen lassen.

Anders aber laß ich

euch nicht frei).

Tynd.

Dein Verlangen ist gut und billig.

schaffenste Mann.

Du bist der recht­

Allein ist dein Sohn ein privat oder ein öffentlicher

35 Gefangner?

Hegio.

Ein privat Gefangner, bey dem Arzt Menarchus.

Die Gefangnen des Plautus.

99

Phil. Vortrefflich. Menarchus ist dieses sein Client. Die Sache wird gehn, als ob sie geschmiert wäre*. Hegio.

Tynd. Hegio.

Mache also, daß er ranzionlrt wird. Es soll geschehn.

Aber das bitte ich dich Hegio - -

Nur bitte nichts, was diesem Vornehmen zuwider läuft;

5

sonst alles - -

Tynd.

Höre mich nur. Ich verlange nicht, daß du mich eher

frey taffen sollst, als du deinen Sohn wieder bekommen hast.

das bitte ich dich.

Schlag mir diesen um ein Gewiffes an.

Allein

Ich will

ihn zu meinem Vater schicken, damit er deinen Sohn ranzioniren kann. 10 Hegio. Ich dächte, wir schickten lieber einen anbem, so bald als

Waffenstillestand seyn wird.

Ein andrer kann sich mit deinem Vater

eben so wohl besprechen, und deine Befehle nach deinem Willen aus­ richten.

Tynd. Nein, einen Unbekannten an ihn zu schicken, taugt nichts. 15 Es wäre alles umsonst.

Schicke diesen.

Der wird alles ausrichten

können, wenn er hinkömmt. Du kannst keinen Getreuern, keinen, dem er mehr zutraute, schicken.

Sinne ist.

Es ist ein Knecht, der völlig nach seinem

Wem sollte er also wohl seinen Sohn sichrer vertrauen

können? Besorge nichts, ich will auf meine Gefahr seine Treue pro- 20

biren.

Ich verlasse mich auf seine Ehrlichkeit, weil er weis, daß ich

gütig gegen ihn gesinnt bin. Hegio.

Gefahr gehen. Tynd.

Gut, wenn du es so haben willst, so mag er auf deine Ich will dir ihn anschlagen.

Ich sähe aber gerne, daß du ihn je eher je lieber ab- 25

fertigtest. Hegio. Willst du mir aber, wenn er nicht wieder kämmt, zwanzig

Pfund für ihn geben? Tynd. Ja, die will ich dir geben.

Hegio.

Ihr da! Nehmt diesem die Ketten, oder nehmt sie viel- 30

mehr allen beyden ab.

Tynd.

Die Götter beglücken dich mit allem was du wünschest,

da du mich so vieler Ehre würdigest, und mir die Ketten abnimmst. * Man hatte mir den Ausdruck zu gute. Ich habe etwas setzen wollen, welches dem Lateinischen, welches ein Sprüchwort zu seyn scheinet, ein wenig 35 ähnlich sey.

100

BrytrSgr jur Historie und Aufnahme des Theaters.

2. Stück.

In der That, es ist mir eben nicht beschwerlich, daß ich das Halsband

ablegen soll.

Hegio.

Rechtschaffnen Leuten ist der Dank für die Wohlthat,

Wenn du ihn also

die sie rechtschaffnen Leuten erzeigt haben, zuwider.

5 nach Hause senden willst, so sage, unterrichte, befiehl, was er deinem Vater melden soll.

Soll ich ihn herrufen?

Tynd. Ja ruf ihn*.

Drikkrr Auftritt. Hrgio. Philokratrs. Tyndarus.

10

Hrgio.

Wollten die Götter, daß dieses Vorhaben für mich,

meinen Sohn und euch glücklich ausschlage! Du, dein neuer Herr be­

fiehlt dir deinem alten Herrn, in allem was er verlangt, treulich zu gehorchen. Ich habe dich ihm für 20 Pfund angeschlagen.

Er spricht,

er wolle dich zu seinem Vater schicken, damit dieser meinen Sohn ran-

15 zionire, und wir also unsre Söhne mit einander austauschen können. PhiloK.

Ich halte meine Dienste auf allen Seiten bereit. Ihr

könnt mich wie eine Töpferscheibe gebrauchen.

Ich laffe mich zu dir

und zu ihm drehen, wie ihr es verlangt.

Hetzio.

Diese deine Dienstfertigkeit wird dir das meiste nutzen,

20 da du dich bey deiner Knechtschaft so verhältst, wie es dir geziemet. Folge mir! Hier ist er. Tynd.

Ich danke dir, daß du mir Macht und Gewalt giebst,

diesen als einen Bothen zu meinem Vater zu schicken, der ihm alles umständlich berichte, wie es mit mir hier stehe, und wie ich es wolle

25 gehalten haben. Hegio und ich, Tyndarus, sind mit einander eins geworden, daß ich dich nach Hause schicken soll.

Er hat dich mir um

ein Gewiffes angeschlagen. Ich soll ihm nämlich, wenn du nicht wieder zurück kömmst, zwanzig Pfund für dich bezahlen.

PhiloK.

Das habt ihr sehr wohl ausgemacht. Denn dein Vater

30 wartet* gewiß, daß du mich oder einen Bothen an ihn schicken wirst. * Ich weis in der That nicht, warum hier ein ncncr Auftritt angehcn soll. Tyndarus war ja nicht abgegangen, sondern Hegio hatte ihn nur bey Seite geführt, und er war bloß einige Zeit ohne Handlung geblieben. 1 svielleicht nur Druckfehler für] erwartet

Die Gefangnen des Plaukus. Tynd.

101

Vernimm also wohl, was du meinem Vater zu Hause

berichten sollst.

Wie ich mich, Philokrates, bis anhero gegen dich er­

PhiloK.

zeiget habe, will ich mich noch stets erzeigen.

Alles, was deinen Um­

ständen am zuträglichsten ist, will ich mich mit Leibs- und Seelen-

5

frästen auszurichten bestreben.

Tynd.

mehro zu.

Du thust dadurch, was dir geziemt.

Doch höre mir nun-

Vor allen Dingen grüße meinen Vater und meine Mutter

und unsere Verwandten, und alle, die uns sonst wohlwollen.

Sage

ihnen, daß ich mich wohl befinde, daß ich bey diesem rechtschaffnen 10 Manne diene, und daß er mir alle Ehre erzeige.

Das brauchst du mir nicht zu befehlen.

PhiloK.

Ich würde es

so thun.

Tynd.

Ich wäre bey ihm wie frey, nur daß ich einen Wächter

um mich hätte.

Und endlich sage meinem Vater, auf was für Art ich 15

mit ihm, wegen seines Sohns, einig geworden wäre. PhiloK. Du hältst dich nur auf, da du mir etwas befiehlst, was ich ohnedem thun würde.

Tynd.

Nämlich, daß er seinen Sohn ranzioniren, und ihn an

unser beyder Statt zurück schicken solle. PhiloK.

Hrgio.

20

Das will ich nicht vergessen. Er soll es aber, so bald als möglich) thun, weil beyden

Theilen daran gelegen ist.

PhiloK.

O die Begierde, seinen Sohn wieder zu sehn, wird bey

ihm nicht geringer als bey dir seyn.

Hegio.

25

Ja, ich liebe meinen Sohn, und ein jeder liebt den

seinigen.

PhiloK.

Tynd.

Hast du sonst noch was an den Vater zu bestellen?

Daß ich mich hier wohl befinde.

Außerdem kannst du

ihn, Tyndarus, auch kühnlich versichern, daß wir sehr wohl mit 30

einander ausgekommen wären; daß du keinen Fehler begangen habest, und daß ich dir nicht zuwider gewesen sey.

Du habest deinem Herrn

in diesen Trübsalen treulich beygestanden; du habest mich niemals verlaffen und seyst mir in zweifelhaften und unglücklichen Fällen mit

Rath und That an die Hand gegangen.

Und wenn mein Vater hören 35

wird, wie du, Tyndarus, gegen seinen Sohn seyst gesinnt gewesen,

102

VrykrSgr jur Historie und Aufnahme de» Thrakers.

2. Stück,

so wird er nimmermehr so geizig seyn, daß er dir deine Freyheit nicht ohne Entgeld ertheilte.

Ich selbst will, wenn ich nach Hause komme,

alles mögliche beytragen, daß er es desto eher thue.

Denn dir, deiner

Leutseligkeit, Tugend und Weisheit habe ich es zu danken, daß ich 5 wieder 'zu meinen Aeltern werde zurück kehren können. Nach deiner Weisheit entdecktest du dem Hegio mein Geschlecht und Vermögen,

und nur dadurch befreitest du deinen Herrn aus den Ketten. Philok.

Ich habe alles gethan, was du sagst, und es ist mir

lieb, daß du dich dessen erinnerst.

Ich habe nach meiner Pflicht mit

10 dir gehandelt. Denn wenn ich, Philokrates, itzo auch erzählen wollte, wie viel Wohlthaten du mir erzeigt hast, so würde sich der Tag eher als meine Erzählung endigen. Denn wenn du auch selbst mein Knecht

wärest, so hättest du nicht ergebner gegen mich seyn können.

Hegio.

O ihr Götter, was sind das für großmüthige Seelen!

15 Sie pressen mir Thränen aus. Wie herzlich sie sich lieben. für Lobfprüchen belegt nicht der Knecht seinen Herrn.

Mit was

Philok. O, er verdient hundertmal mehr gelobt zu werden, als er mich gelobt hat.

Hegio.

Wann du also so treulich an ihm gehandelt hast, siehe,

20 hier hast du eine Gelegenheit, deine Verdienste gegen ihn vollkommen zu machen. Sey auch hierinne treu.

Philok.

Man soll nicht treuer seyn können, so treu will ich mich

zu seyn bestreben.

Und daß du mir, Hegio, desto eher glaubest, so

rufe ich den höchsten Jupiter zum Zeugen an, daß ich dem Philo­

25 krates nimmermehr untreu seyn werde. Hrgio. Du bist ein wackrer Mensch! Philok.

Ich will an ihm handeln, wie ich an mir selbst handeln

würde. Tynd.

Gut! Bekräftige nur diese deine Reden auch mit der

30 That. Weil ich dir aber noch nicht alles, was ich wollte, gesagt habe, so höre, doch hüte dich, daß du dich durch meine Worte nicht zum

Zorne reizen lastest.

Ich bitte dich, bedenke, daß du auf mein Wort

nach Hause geschickt wirst, daß du mir angeschlagen bist, und daß ich mein Leben hier für dich zum Pfande setze.

Vergiß mich nicht etwan,

35 so bald du mich aus den Augen gelassen hast. Da du mich für dich hier in der Gefangenschaft lässest, so glaube nicht, daß du selbst frey

Die Gefangnen de» Plsukus.

103

seyst, und könnest dein Pfand in Stiche lassen; und brauchtest dich

nicht zu bemühen, daß sein Sohn zu Hause für mich ranzioniret werde. Bedenke es ja, du bist mir um 20 Pfund angeschlagen. Mache mein Bertrauen auf dich nicht zu Schanden. Laß dein Wort nicht in Wind

Ich weis, der Vater wird alles thun, was ihm zu

gesprochen seyn. thun zukömmt.

5

Mache, daß du mich zu deinem beständigen Freunde

behältst, und an dem Hegio einen neuen Freund gefunden habest. Sieh,

ich bitte dich um des Handschlags, den meine Rechte der deinen giebt, sey mir nicht ungetreuer, als ich dir bin. Herr, mein Patron, mein Vater.

Bedenke, du bist itzo mein

Auf dich gründet sich itzo meine 10

Hoffnung und mein Glück. Philok.

Du hast mir genug befohlen.

Bist du zufrieden, wenn

ich das, was du mir befohlen hast, ausrichte? Tyndarus.

Philok.

Ja.

Ich hoffe mit Ehren nach deinem, und deinem Wunsche 15

Ist sonst noch was?

wieder zurück zu kommen. Tynd.

Philok. Hegio.

Komm, so bald es möglich ist, wieder.

Das versteht sich.

Folge mir, ich will dir von meinem Wechsler Reisegeld

auszahlen lasten, und will dir zugleich von dem Prätor einen Paß 20

verschaffen. Tynd.

Hegio.

Was für einen Paß? Den er mit sich nehmen muß, daß ihn unsre Truppen

in sein Vaterland reisen lasten. Tynd.

Philok.

Hegio.

Gehe du unterdessen herein.

25

Reise also glücklich Tyndarus. Lebe wohl.

Ich danke es den Göttern, daß ich diese zwey von den

Quästors gekauft habe.

rechten guten Fuß gesetzt. wollen, so gut als frey.

Ich habe meine Sache durch sie auf einen Mein Sohn ist also, wenn es die Götter

Und ich konnte noch bey mir anstehen, ob ich 30

sie kaufen, oder ob ich sie nicht kaufen sollte? Ihr Knechte, bewacht ihn drinnen wohl.

Laßt ihn keinen Schritt, ohne ihn zu beobachten, thun.

Ich werde gleich wieder zu Hause seyn.

Ich will nur erst sehn, was bey

meinem Bruder die übrigen Gefangnen machen.

Ich muß mich doch

zugleich erkundigen, ob einer von ihnen diesen Jüngling kennt. Du folge 35 mir, daß ich dich reisen kann lasten, denn dieses geht allen andern vor.

104

Bryträgr zur Historie und Aufnahme des Theaters.

2. Stück.

Dritter Auszug. Erster Auftritt. Ergastlus. Das ist ein elender Mensch, der seine Nahrung sucht, und sie

5 mit Mühe findet; der ist aber noch viel elender, der sie mit Mühe sucht, und sie gar nicht findet*.

Ja, ja, das ist der allerelendeste, der

gerne essen will, und nichts zu essen hat.

Ich möchte diesem Tage

gleich die Augen auskratzen, wenn es angienge; so unbarmherzig sind

alle Sterbliche heut gegen mich.

10 fasttäglichern Tag gesehen.

Ich habe keinen verhungertem, keinen

Es geht mir nichts an demselben von

Statten, ich mag anfangen, was ich will. heute bey mir Fastnachten.

Magen und Kehle fettem also

Nun kannst du dich, du ganze Schmarutz-

kunst, nur an Galgen packen; denn die Jugend entfernt sich von uns

armen Possenreißern ganz und gar.

Was bekümmern sie sich itzo mehr

15 um die lakonischen Schlägefaulen, um die Prügelgeduldigen, welche wohl Einfälle, aber weder Brodt, noch Geld, haben.

Sie bitten nur

itzo die zu Gaste, die sie, wenn es ihnen geschmeckt hat, wieder bitten

tonnen.

Sie kaufen gar itzo selber zur Mahlzeit ein, welches doch

sonst die Schmarutzer thun mußten.

Sie verhüllen sich eben so wenig

20 den Kopf, wenn sie vom Markte zum Hurenwirth gehen, als wenn sie in ihrer Zunft zu eines Verdammung ihre Stimmen geben. achten die Lustigmacher nicht einen Pfiff mehr. nur alleine.

Als ich von hier weg gieng, machte ich mich auf dem

Markte unter die Jünglinge.

25 wir heute zu Mittage speisen? denit einladen?

Seyd gegrüßt, sprach ich. Keiner antwortet.

Aber alle sind stumm.

Wo wollen

Nu, wer wird uns

Keiner will über mich lachen.

Wo wollen wir zu Abend speisen? fragte ich wieder. den Kopf.

Sie

Sie lieben sich alle

Und alle schütteln

Ich bringe darauf ein schnackisches Wort, eine von meinen

besten Schnacken vor, eine, die mir wohl sonst einen ganzen Monat

30 lang den Tisch verdienen mußte.

Allein, niemand lacht.

Ich merkte

* In dem Lateinischen scheinet eine dreyfache Gradation zu seyn; die andre und dritte aber ist, wenn man sie recht betrachtet, einerley; daß also der Supcr-

lativus nichts als eine Bestätigung des Comparativ! hier seyn kann, wie ich cs

in der Uebersetznng deutlicher »zu machen mich bemüht habe.

Die Gefangnen de« Plaukus.

bald, daß es eine abgeredte Sache war.

105

Keiner von ihnen wollte es

nicht einmal wie die geneckten Hunde machen, daß er wenigstens die Zähne gefletscht hätte, da er nicht lachen wollte.

man mich so zum Narren hat, so gehe ich fort.

Weil ich sehe, daß

Ich komme zu andern,

wieder zu andem, und wieder zu andern: alle sind einerley.

Sie

5

sind alle von einem Schlage, wie die Oelmäckler auf dem Velabrum *.

Ich komme eben von da her, weil ich mich nicht länger wollte ver­ spotten lassen.

O es sind noch mehr Schmarutzer, die alle vergebens

auf dem Markte auf und nieder spazieren.

Ich habe es aber nun-

mehro beschlossen, mein Recht nach den römischen Gesetzen auszuführen. 10 Ich will denen einen Termin setzen; ich will sie rechtschaffen strafen, die darauf umgehn, daß sie mir zu essen und zu leben verwehren

wollen.

Sie sollen mir zehn Mahlzeiten geben müffen, so wie ich sie

verlange, und noch dazu bey der theuersten Zeit. Ja, das will ich thun.

Voritzo aber will ich nach dem Hafen gehen.

Ich habe da noch eine 15

kleine Schmausehoffnung; wird aber auch dieser der Hals gebrochen,

so muß ich mich schon mit der rauhen Mahlzeit bey dem alten Hegio

begnügen.

Zweyter Auftritt. Hrgio.

20

Was ist angenehmer, als wenn man, mit allgemeinem Beyfall**, eine Sache wohl ausgeftthrt hat, wie ich gestern gethan habe, da ich

die zwey Gefangnen kaufte? Wer mich sieht, kömmt mir entgegen, und wünscht mir deswegen Glück.

Sie haben mich durch ihr Stillestehn-

laffen und durch ihr Zurückhalten ganz ermüdet.

Mit Blühe und Noth 25

* Velabrum hieß ein Platz in Rom an dem aventinischen Berge, wo die Oelverkäufer ihre Buden hatten.

Plautus hat zwar in diesem Stücke den Schau­

platz nach Aetolicn verlegt, gleichwohl macht er sich kein Bedenken, Oerter, welche in Rom waren, darinne so anzuführen, als ob sie an dem Orte selbst wären,

wo diese Vorstellung geschieht.

Die röniischcn Zuschauer mußten zu seiner Zeit 30

noch nicht sehr ekel seyn, weil er dergleichen Verwirrungen, ohne getadelt zu

werden, brauchen konnte.

In dem ersten Austritt des ersten Aufzugs haben wir

schon ein Exempel davon gehabt, wo er von der porta trigemina redet, welche in Rom war, und an der die Bettelleute am häufigsten fassen.

** Ich glaube nicht, daß bono publico etwas anders hier heißen kann. 35 Denn des Lambinus Erklärung ist sehr weit hergcholt.

106

Beyträge pir Historie und Aufnahme de» Lhratrrs.

2. Stück,

konnte ich mich durch die vielen Glückwünsche durchdringen. Endlich kam ich. doch bis zum Prätor, wo ich ein wenig ausruhte, und um einen Paß bath. Ich bekam ihn. Ich habe ihn auch schon dem Tyndarus gegeben, welcher sich alsobald mit auf den Weg machte.

Von

5 dar komme ich nun itzo nach Hause. Auf dem Mckwege aber bin ich bey meinem Bruder eingesprochen, wo ich meine übrigen Gefangnen habe. Ich fragte sie, ob einer von ihnen den Philokrates aus Elis kenne? Endlich schreyt dieser, es wäre sein guter Freund. Ich

sagte ihm, er wäre bey mir; worauf er mich inständigst bath, daß er io ihn sehen dürfe. J'ch ließ ihn auch alsobald los schließen. Du, folge

mir numehro, daß ich deine Bitte erfüllen kann.

Du sollst ihn sprechen.

Dritter Austritt. Tyndarus. Ach! Itzo wollte ich auch lieber gelebt haben, als leben. Hoff-

15 nung, Rath und Hülfe fliehen und verlassen mich. Dieses ist der Tag, an welchem ich keine Rettung meines Lebens mehr zu hoffen habe. Es ist keine Zuflucht mehr für mich; keine Hoffnung, die mir diese Furcht

benehmen könnte. Ich weis auf keine Art meine betrügrische Lügen zu bemänteln, auf keine Art meine sykophantischen Teuschereyen zu be•20 schönigen.

Ich kann eben so wenig meine Untreue abbitten, als ent­

fliehen. Die Hartnäckigkeit wird mir eben so wenig, als neue List, helfen. Allein, unsre Geheimniffe sind entdeckt. Unsre List ist verrathen. Alles ist offenbar. Es ist ausgemacht, ich bin verlohren, für mich und meinen Herrn. 25 kennt mich.

Aristophontes, der eben itzo kam, ist mein Unglück.

Er

Er ist des Philokrates Verwandter und guter Freund.

Wenn mich auch die Errettung selbst erretten wollte, sie kann es nicht; es ist unmöglich. - - Wo ich mich nicht noch auf eine List besinne - -

Aber, zum Henker, auf was für eine? Was soll ich erdenken? Ich will - - Ach, es ist alles nichts; es sind Poffen. Da steck ich!

30

Vierter Austritt. Hrgio. Tyndarus. Aristophontes.

Hegio. Nu, wo ist der aus dem Hause hingerennt? Tyndarus. Nurndhr bin ich verlohren. Die Feinde kommen auf

Die Gefangnen des Plaukus.

107

dich los, Tyndarus; was wirst du sagen? Was wirst du Vorbringen? Was wirst du leugnen? Was wirst du gestehn? Ach, ich bin in allen

ungewiß.

Worauf soll ich mich verlassen?

Daß du doch eher um­

gekommen wärest. Aristo pH ontes, als du aus deinem Vaterlande

kämest.

Du verwirrest alle unsre Anschläge.

Alles ist zu nichte, wenn

5

ich nicht eine recht erschreckliche List ersinne - - -

Hegio.

Folge mir.

Tyndarus.

Hier ist er.

Gehe zu ihm, rede mit ihm.

Wer kann unglücklicher seyn, als ich?

Mristophonles.

Was ist das?

Augen von mir weg, Tyndarus?

Warum wendest du denn die

Warum verachtest du mich denn, io

als einen Fremden, als wenn du mich niemals gekannt hättest?

Ich

bin itzo so gut ein Knecht, als du; ob ich gleich zu Hause bin frey

gewesen, und du von deiner Kindheit an in Elis gedient hast. Hrgio. will.

O, ich wundre mich gar nicht, daß er dich nicht ansehn

Er zürnt auf dich, daß du ihn, anstatt Philokrates, Tyn-15

darus nennest.

Tyndarus. Hegio, dieser Mensch ist in Elis für rasend ge­ halten worden.

Höre ja nicht auf seine Reden.

Mutter mit dem Wurfspieße verfolgt. zuweilen die schwere Noth.

Er hat Vater und

Daher bekömmt er auch noch

Mache dich also ja nicht allzunahe an ihn. 20

Hegio. Fort mit dem von mir! Fort! ^ristoxhonles. Was sagst du Galgenstrick? Ich rasend? Ich hätte meinen Vater und meine Mutter mit dem Wurfspieße verfolgt?

Und ich hätte eine Krankheit, daß man mich anspeyen müßte*? Hegio.

Gieb dich zuftieden.

Es sind mehr Leute mit diesem 25

Unglücke behaftet, denen das Anspeyen ganz heilsam gewesen ist. Tyndarus. O, es hat auch vielen in Elis geholfen.

Mristophonlrs.

Hegio.

So?

Und du glaubst ihm das?

Was soll ich ihm glauben?

Aristophonles. Tyndarus.

Daß ich rasend sey.

30

Siehst du, mit was für einem gräßlichen Gesichte

* Man weis nicht, ob die Alten, wenn sie einen solchen Kranken sahen, ihn deswegen angespien haben, weil sie glaubten, daß cs ihm gesund sey, oder

ob sie es aus Abscheu gethan haben: so viel ist aus einigen Stellen des Plinius klar, daß Morbus qui insputatur nichts anders als die Epilepsie sey.

35

VrykrSge zur Historie und Aufnahme de« Thrakers.

108

er uns ansieht?

2. Skück.

Es ist am besten, man giebt ihm nach.

Hegio,

wie ich dir es gesagt habe, seine Raserey nimmt zu, nimm dich in Acht. Hegio. Ich merkte es gleich, daß es nicht richtig mit ihm stehn

mußte, weil er dich Tyndarus nannte. 5

Tyndarus. Je, er weis ja manchmal seinen eignen Namen nicht, und kennt sich selber nicht.

Hegio.

Aber er sagte auch, du wärst sein guter Freund.

Tyndarus. Das könnt ich eben nicht sagen. Alkmäo, Orestes und Lykurgus könnten sich mit eben so vielem Rechte meinen guten

io Freund nennen, als er. Mristophonies.

Und du nichtswürdiger Kerl unterstehst dich, so

viel Uebles von mir zu sprechen?

Kenne ich dich etwa nicht?

Das ist ganz offenbar, daß du ihn nicht kennest.

Hegio.

Sonst

würdest du ihn nicht Tyndarus, anstatt Philokrates, genannt

16 haben.

Den, den du siehst, kennst du nicht, und nennst den, den du

nicht siehst. Mristophontes.

Nein, nein, sondem er giebt sich für einen aus,

der er nicht ist, und wer er ist, verleugnet er. Tyndarus.

So?

Du willst

der seyn, der

den

Philokrates

20 Lügen straft?

Mristoph. Aber du, wie ich wohl sehe, willst der seyn, der die Wahr­ heit durch seine Lügen unterdrückt? Sieh mich doch recht an, ich bitte dich.

Nu.

Tyndar.

Mristoph.

25

Tyndar.

Ey!

Und du sprichst, du wärst nicht Tyndarus?

Eben das sprech ich.

Mristoph. Du sprichst, du wärst Philokrates? Das sprech ich, ja.

Tyndar. Mristoph.

Und du glaubst ihm?

Mehr als dir und mir.

Hegio.

Der, für den du ihn ausgiebst,

30 ist heute von uns nach Elis zu dieses Vater gesandt worden. Mristoph. Tyndar. frey wärest.

Seinem Vater? Der Knecht? Bist du doch itzo auch ein Knecht, ob du gleich sonst

Und ich, ich hoffe es auch zu seyn, so bald sein Sohn

durch mich die Freyheit wird erhalten haben.

35

Mristoph. gebühren.

Was sprichst du, Galgenstrick? Du nennst dich frey

Die Gefangnen des Plaukus.

109

Tyndar. Nicht doch, ich heiße nicht Freygebohren, sondern

Philokrates. Aristoph. Was? Höre einmal, Hegio, was er noch für Narrens­ poffen treibt.

Glaube mir, es ist der Knecht selbst, und er hat nie­

mals einen Knecht außer sich selbst gehabt. 5 Tyndar. Da du selbst in deinem Vaterlande Mangel leidest und nichts zu leben hast, so wundert mich es gar nicht, daß du dir alle gleich zu seyn wünschest. Die Unglücklichen sind meistentheils so,

sie sind misgönstig, und beneiden die Glücklichen. Aristoph. Ich bitte dich nochmals, Hegio, höre auf ihm so ohne 10

Grund zu trauen. So viel ich vermuthe, hat er dir ohne Zweifel schon einen Streich gespielt. Was er von der Auslösung deines Sohnes spricht, das will mir gar nicht gefallen. Tyndar. Ich glaub es wohl, daß du es nicht gerne sehen würdest.

Gleichwohl will ich es thun, wenn mir die Götter beystehen. Ich will 15 ihm seinen Sohn wieder zustellen, und er wird ein gleiches mit mir meinem Vater thun. nach Hause geschickt.

Und in dieser Absicht habe ich den Tyndarus

Aristoph. Bist denn dus aber nicht selber? Es ist ja sonst in

ganz Elis kein Knecht dieses Namens. 20 Tyndar. So fährst du doch fort, mir meine Knechtschaft vorzu­ werfen, in die mich die feindliche Gewalt gezwungen hat? Aristoph. Nein, länger kann ich mich nicht halten. Tyndar. Hörst du, was er sagt? Mache dich ja fort!

Bald

wird er uns mit Steinen verfolgen, wenn du ihn nicht gleich zu binden 25 befiehlst. Aristoph. Welche Marter! Tyndar. Die Augen brennen ihm. Nun ist der Strick nöthig, Hegio. Siehst du nicht, wie er ttn Gesichte ganz schwarzgelbe wird? Das schwarze Geblüts macht ihn unsinnig. 30 Aristoph. Aber dein böses Geblüte sollte dir der Schinder schon

abzapfen, wenn Hegio klug wäre. Tynd. Er redt schon ganz verkehrt.

Die Furien schrecken den

armen Mann. Hegio. Wie, Philokrates, wenn ich ihn binden ließe?

Tynd. Du könntest nicht klüger thun.

35

110

Beiträge Nir Historie imb Aufnahme des Thrakers.

2. Skück.

Flristoxh. Ich ärgre mich, daß ich keinen Stein bey bet Hand habe; damit ich dem verdammten Kerl, der mich durch seine Reden

unsinnig machen will, den Hirnschädel zerschmeißen könnte. Tynd. Hörst du? Er sucht einen Stein. 5

Aristoxh. Ich will dich alleine sprechen, Hegio. Hegio. Bleib nur dort, wenn du mir was sagen willst, -ich will

es schon von weitem hören. Tynd. Zum Henker, wenn du dir ihn auch ließest näher kom­ men, so wärs um deine Nase gewiß geschehen. 10 Wurzel und Stiel wegbeißen. Islristoxh.

Er würde dir sie mit

Glaube nicht, Hegio, daß ich unsinnig bin, oder daß

ich es jemals gewesen sey.

Ich habe die Krankheit nicht, deren er mich

beschuldiget. Wenn du dich aber vor mir fürchtest, gut, so laß mich binden, nur laß diesen auch mit binden.

15

Tynd. Ja, ja, Hegio, laß ihn nur binden, wie er es selbst begehrt. Mristoxh. Schweig nur. Ich will dich schon, falscher Philokrates,

noch heute überführen, daß du der wahre Tyndarus bist.

Nu, was

winkst du mir mit dem Kopfe? 20 Tynd. Ich winkte dir*? Mristoxh.

Was würde er nicht thun, wenn du weiter davon

stündest. Hegio. Was meynst du, ob ich wohl mit dem Unsinnigen rede? Tynd. Er wird dir Posien vormachen, er wird dir Zeug schwatzen,

25 das weder Kopf noch Schwanz hat.

Es ist der vollkommne Ajax, nur

daß ihm sein Anputz fehlt. Hegio. Es schadet nichts; ich will doch mit ihm reden. Tynd. Nun bin ich verlohren. Jtzo stehe ich auf der gefähr­ lichsten Stufe.

30

Was soll ich anfangen?

Hegio. Aristophontes, ich will dir doch zuhören, wenn du mir

was zu sagen hast. * Diese und die folgende Rede ist' in allen Ausgaben nur eine. Allein ich

sehe nicht, was Tyndarus mit dem andern sagen wollte; wenn man eS aber

dem Aristophontes in den Mund legt, wie ich es hier gethan habe, so hat es 35 einen ganz natürlichen Verstand. Er winkt mir, will er sagen, da du so nahe dabey

stehst, wenn du weiter davon stündest, so würde er mich gar schweigen heißen.

Die Gefangnen des Msukus. Aristoph.

111

Du wirst also hören, daß das die Wahrheit sey, was

Vor allen Dingen aber mußt du

du für eine Lügen gehalten hast.

überzeugt seyn, daß ich kein Unsinniger bin, und daß ich keine Krank­ heit habe, außer meiner Knechtschaft.

Wenn ich und du aber nicht

eben so wohl Philokrates sind, als dieser, so strafe mich der König

5

aller Götter und Menschen, und lasie mich mein Vaterland niemals wieder sehen. Nu so sage mir doch, wer ist er denn sonst?

Hegio.

Aristoph.

gegeben habe.

Kein andrer, als für den ich ihn gleich anfangs aus­

Und wenn du es anders befindest, als ich es sage, so 10

will ich meiner Freyheit und meiner Aeltern bey dir verlustig werden. Hegio.

Tynd.

Was sagst du dazu?

Daß ich dein Knecht bin, und du mein Herr bist.

Hegio. Darnach frage ich nicht.

Tynd.

15

Ja.

Aristoph.

Tynd.

Bist du frey gewesen?

Nein, er ist es niemals gewesen.

Wie kannst du denn das reiften ?

Er hintergeht.

Bist du denn etwa

bey meiner Mutter Hebamme gewesen, daß du es so kühnlich be­ haupten kannst? Aristoph. Ich habe dich, da wir beyde noch Kinder waren, 20

gekannt. Tynd.

Und ich kenne dich itzo, da wir beyde erwachsen find.

Aristoph.

Siehst du, wie er wieder Possen treibt*!

Tynd. Wenn du klug wärest, so solltest du dich um mich gar

nicht bekümmern; denn bestimmte ich mich denn um dich? Hegio.

25

Hat sein Vater nicht Thesaurocrypsonicochrysides

geheißen? Aristoph.

Nichts weniger.

Namen nicht gehört.

Tynd.

Ich habe Zeit meines Lebens den

Des Philokrates Vater heißt Theodoromedes.

3hm ist es aus mit mir.

oder geh an Galgen.

O so ruhe doch, mein Herz, 30

Dr» hüpfest, und ich armer Teufel kann vor

Furcht kaum stehen. * Das Hem rursum tibi! habe ich lieber dem Aristoph ontes in Mund legen wollen.

Tyndarus hatte sich schon oben einmal durch eine solche Wen­

dung aus beut Handel ziehen wollen; und itzo versucht er es wieder, welches 35 freylich Aristophontes nicht unangemerkt lassen konnte.

112

VrykrSgr zur Historie und Aufnahme des Thraker«. Hegio.

2. Stück.

So kann ich es gewiß glauben, daß dieser in Elis ge-

dienet hat, und daß er Philokrates nicht ist? Mristoph. Ja, und du wirst es niemals anders befinden.

Aber

wo ist denn der rechte Philokrates? 5 Hegio. Da, wo er sich am liebsten, und ich ihn am wenigsten zu seyn wünsche. Und so bin ich doch durch dieses Ruchlosen Be­ trügerey so jännnerlich angeführt worden; so hat man mich doch, nach

eignem Belieben, bey der Nase herumgezogen? Aber hüte dich - -

Mristoph. Ich sage dir nichts, als was ich ganz gewiß weis. 10

Hegio. Ganz gewiß also? Mristoph. Du wirst niemals was gewiffers finden. Philokrates und

ich sind von den ersten Jahren der Kindheit an gute Freunde gewesen - Hegio. Aber sage mir doch, wie sieht denn dein guter Freund Philokrates aus? 15 Mristoph. Ich will dir es sagen. Er hat ein hagres Gesicht, eine spitzige Nase, bleiche Farbe, schwarze Augen, etwas röthlich krauses

Haar, das er in Locken legt - Hegio. Alles trifft überein. Tynd. O, zu was für einer Übeln Stunde bin ich heute aufgestanden! 20 Wehe den armen Ruthen, die heute auf meinen: Rücken sterben werden!

Hegio. Ich sehe wohl, ich bin betrogen. Tynd. Was zaudert ihr noch ihr Feffeln, kommt, leget euch um meine Schenkel, ich will euch redlich bewachen. Hegio. So bin ich denn rechtschaffen von diesen unglücklichen

25 Gefangnen hintergangen worden.

Der Freygebohrne gab sich für den

Knecht, und der Knecht für den Freygebohrnen aus.

Den Kern habe

ich verlohren, und die Schale hat man mir zuin Pfande gelaffen. Und durch dieses Blendwerk hab ich mich aus Unvorsichtigkeit schimpflich hintergehen laffen. Doch - - wenigstens soll mich dieser nicht auslachen. 30 He! Colaphus! Cordalio! Corax! kommt heraus, und bringt die Stricke mit.

Fünfter Auftritt. Dir Schergen. Hegio. Tyndaru». Aristophonkr«.

Die Schergen. 35

Wir werden gewiß wieder Holz tragen sollen.

Hegio. Gleich fesselt dem Galgenschwengel die Hände.

Die Gefangnen des Plauku«.

Tynd. Hrgio.

Was soll das heißen?

113

Was hab ich gethan?

Du fragst noch, du unglücklicher Säemann und Schnitter

der größten Uebelthaten.

Tynd.

Warum nennst du mich denn nicht zuerst den Egger?

Denn die Bauern eggen allezeit eher, als sie säen. Hrgio.

Noch so unverschämt kannst du mir vor den Augen stehn?

Tynd.

Ein unschuldiger Knecht muß unerschrocken seyn, beson­

5

ders gegen seinen Herrn.

Hrgio. Bindet ihm die Hände recht scharf.

Tynd.

Ich und also auch meine Hände gehören dir; du kannst 10

mir sie gar abzuhauen befehlen.

Aber was ist denn das? Warum bist

du denn auf mich zornig? Hrgio. Weil du mein ganzes Vornehmen, das sich auf euch

allein gründete, durch deine verdammten betrügrischen Lügen, zu nichte gemacht hast.

Durch alle meine Rechnungen hast du mir einen Strich 15

gemacht. Durch deine List hast du mir den Philokrates aus den Händen gespielt.

Ich habe ihn für den Knecht und dich für den Freygebohrnen

gehalten.

So nanntet ihr euch selbst, und so hattet ihr eure Namen

verwechselt. Tynd. So will ich es denn nur gestehen. Ja, es ist alles wahr, 20 was du sagst. entgangen.

Durch meine Mühe und Arglistigkeit ist Philokrates dir

Aber, ich bitte dich, wie kannst du darüber ungehalten auf

mich seyn? Hrgio. Tynd.

Nu, nu, es soll dir nicht unbelohnt bleiben.

Wenn ich nur wegen keiner Uebelthaten umkomme, so 25

werde ich es wenig achten.

Muß ich hier sterben, und Philokrates

kömmt, wie du befürchtest, nicht wieder, so wird mir meine That noch nach meinem Tode Ruhm bringen, daß ich meinen gefangnen Herrn

aus der Knechtschaft und aus den Händen der Feinde frey in sein

Vaterland zu seinem Vater wieder geschafft, und lieber mein, als sein 30 Leben, der Gefahr ausgesetzt habe. Hrgio. Fort! Macht also, daß dieser wackre Mann diesen Ruhm

am Galgen haben kann.

Tynd. Hrgio.

Wer um der Tugend willen umkömmt, kömmt nicht um.

Wenn ich dich werde rechtschaffen haben martern (affen, 35

wenn du deiner Betrügereyen wegen wirst zu Tode seyn gepeiniget Lessing, sämtliche Schriften. IV. 8

114

Vryträgr jur Historie und Aufnahme de» Thrairr«.

2. Stück,

worden, so mögen sie meinetwegen sagen, du seyst umgekommen oder nicht; wann du nur umkömmst, so gilt mir es gleich viel, wenn sie auch sagten, du lebtest.

Tynd.

Wenn du das thust, so wirst du es gewiß nicht umsonst

S gethan haben, wenn Philokrates wiederkömmt, wie ich gewiß hoffe.

Aristoxh. O ihr unsterblichen Götter, nun bekomm ich in der

Sache Licht. So ist mein Freund Philokrates ftey? So ist er in seinem Vaterlande bey seinem Vater?

Glück lieber gönnen, als ihm?

Wohl.

Wem sollte ich dieses

Aber, wie schmerzt es mich, daß ich

10 diesem einen so schlechten Dienst gethan habe.

Meinetwegen, meiner

Entdeckung willen ist er gebunden.

Hegio.

Habe ich dich nicht nachdrücklich gewarnt, mich nicht zu

belügen? Tynd.

15

Hegio.

Ja.

Warum hast du es also gewagt?

Tynd. Weil dem, für dessen Wohl ich besorgt war, die Wahr­

heit geschadet hätte.

Hegio.

Jtzo nutzt ihm die Lügen.

Und dir wird sie schaden.

Tynd. Wohl gut! Habe ich doch meinen Herrn erhalten, über

20 dessen Erhaltung ich mich freue; denn der alte Herr hatte mich ihm

zum Beschützer gegeben.

Aber sprich, ist es eine Lasterthat, was ick

begangen habe? Hegio.

Eine erschreckliche.

Tynd. Ich aber bin andrer Meynung, und behaupte, es sey

2ö eine gute That. Denn bedenke, wenn dein Knecht gegen deinen Sohn sich so verhalten hätte, wie würdest du ihm danken? Würdest du ihn

frey lassen oder nicht?

Würde er dir nicht der angenehmste Knecht

seyn? Antworte. Hegio. Ja wohl.

30

Tynd.

Warum zürnst du denn also auf mich?

Hegio.

Weil du ihm getreuer gewesen bist, als mir.

Tynd.

So? Du hast also gemeynt, einen neue» Gefangnen in

Nacht- und Tages-Frist zu überreden, daß er dir mehr wohlwolle, als dem, mit dem ich von Kindheit an ausgewachsen bin?

35

Hegio.

Du magst also auch nur von ihm den Dank erwarten.

Führt ihn nur fort, damit ihr ihm schwere und starke Fußeisen anlegen

Vie Gefangnen de« piattht«.

115

könnt. Von dar bringt ihn nur gleich in die Steingruben. Anstatt, daß andre daselbst d:s Tages nur acht Stitck brechen dürfen, so soll

er alle Tage anderthalb Tagewerk verrichten müßen, oder alle Tage 600 Stockschläge gewärtig seyn. Istristoxh. Hegio, ich bitte dich um der Götter und Menschen willen, laß diesen Menschen nicht umkommen.

5

Hegio. O dafür soll schon gesorgt werden. Des Nachts über

will ich ihn gebunden bewachm laßen, und des Tags über soll er Steine aus den Gruben bringen müssen.

Ich will ihn lange genug

martern. Sorge nicht, daß er es mit einem Tage soll überstanden haben. 10 Krisioph. Und das willst du gewiß thun? Hegio. So gewiß als ich einmal sterben werde. Fort! Führt

ihn alsobald zu dem Schmidt Hippolyt. Laßt ihm fein starke Bein­

eisen anlegen, und alsdann führt ihn sogleich vor das Thor zu meinem Freygelaßnen Cordalus, damit er in die Steinbrüche gebracht wird. 15 Sagt, daß es mein ausdrücklicher Wille wäre, er solle es nicht schlimmer

haben, als die, die es am allerschlimmsten haben. Tynd. Je nu, ich will mich nicht wider deinen Willen erhalten wißen. Setze mich immer in Lebensgefahr, es geschieht auf deine Ge­

fahr. Ich habe, nach dem Tode, im Tode nichts Uebles zu befürchten. 20 Und wenn ich auch das größte Alter erreichte, so muß ich doch nach

kurzem das, womit du mir drohest, einmal ausstehen.

Lebe wohl, ob

du es gleich nicht um mich verdienest. Dir Aristophontes möge es so

gehen, wie du es an mir erholt hast. Nur du bist die Ursache meines Unglücks. Hegio. Tynd. zurück kömmt, Hegio.

25

Führt ihn fort. Das einzige bitte ich euch; wenn Philokrates wieder macht, daß ich mit ihm sprechen kann. Ihr seyd unglücklich, wo ihr ihn mir nicht gleich aus

dem Gesichte führet. 30 Tynd. Nu, das heißt doch noch Gewalt brauchen, ein ziehen

und stoßen zugleich*. * Ich weis nicht, wie einige Erklärer des PlautnS diese Ironie nicht haben einsehen können, daß sie ihre Erläuterungen so weit hcrgesucht haben. Wenn die Alten bey erlittener Gewalt schrien: Haec vis est, so wollten sie zugleich um 35 Hülfe rufen, welches aber dem TyndaruS hier ganz unnöthig gewesen wäre.

116

BrykrSgr zur Historie und Aufnahme de« Thrakers. 2. Stück.

Hegio. Er wird an seinen verdienten Ort gebracht.

Ich muß

wegen der andern Gefangnen nothwendig ein Exempel statuiren, damit andre nicht auch so ein Bubenstück wagen. Wenn ich es nicht thäte,

da man mir doch diesen Streich so öffentlich gespielt hat, so würde 5 jeder' sagen, er wolle mir meinen Sohn frey schaffen, und mich also betrügen. Ich habe mirs nun feste vorgenommen, keinem mehr zu glauben. Es ist genug, daß ich einmal bin betrogen worden. Ich armer Mann hoffte meinen Sohn dadurch aus der Gefangenschaft zu befreyen. Meine Hoffnung ist zu Schanden worden.

Einen Sohn habe ich schon

iv verlohren, den mir ein Knecht als ein Kind von vier Jahren entwendet hat. Ich habe weder des Knechts, noch des Sohnes, wieder habhaft werden können.

Der andre nun ist auch in der Gewalt der Feinde.

Was für eiy Schicksal! Habe ich denn nur Kinder gezeugt, sie zu ver­

lieren? - - Du folge mir, ich will dich wieder hinführen, wo du her15 gekommen bist. Ich will mich auch gewiß keines mehr erbarmen, weil

sich niemand meiner erbarmet. Aristoph. Ich bin kaum einen Augenblick aus den Ketten ge­ wesen, und nun, seh ich, muß ich schon wieder herein.

Vierter Auszug. 20

Erster Austritt. Ergasilus. Höchster Jupiter! so willst du mich doch erhalten, und meine Um­ stände verbeffern! O mit was für Ueberfluß, mit was für köstlichen Leckerbißchen, mit was für Lob, Gewinnst, Spiel und Scheiß, mit was

25 für Feyer- und Freudentagen, mit was für Pracht, mit was für Vor­ rath, mit was für Zechen, mit was für Sättigkeil, mit was für Wollust beglückest du mich! Nun darf ich gewiß keinem Menschen mehr gute Worte geben. Nun kann ich allen meinen Freunden helfen, und allen

meinen Feinden schaden. O angenehmer Tag, mit was für angenehmen 30 Annehmlichkeiten überschüttest du mich! Was für eine austrägliche ErbMan wird es durchgängig finden, je gelehrter die Commentatores sind, je weniger

Witz lassen sie dem Schriftsteller, den sie erklären wollen.

Dir Gefangnen des Plaukus.

117

schäft ist auf mich gefallen! Ich muß gleich meinen Lauf zu dem alten

Hegio richten, dem ich so viel gute Nachricht bringe, als er sich nur

selber wünscht, und noch weit mehr. Ich will eilend, wie die komischen Knechte zu thun pflegen, meinen Mantel auf die Schulter werfen, damit er die Bothschast von mir zuerst höre. Ich weis gewiß, ich werde dafür

5

eine ewige Mahlzeit bey ihm haben.

Zweyter Auftritt. Hegio. Ergastlus. Hegio. Je mehr ich diesen Zufall bey mir überlege, je größer wird mein Verdruß. Auf so eine Art bin ich heute hintergangen worden? io

Und ich konnte den Betrug nicht einsehn. Die ganze Stadt, wenn sie es erfährt, wird mich auslachen. Wenn ich werde auf den Markt kommen, so wird einer zum andern sagen: das ist der Alte, den sie

so betrogen haben. - - Aber, seh ich nicht den Ergasilus dort von ferne? Und zwar mit auf die Schulter geworfnem Mantel. Was muß 15

er vorhaben? Ergas. Fort, zaudre nicht, Ergasilus; thue was zu thun ist.

Ich will es niemanden rathen, daß er mir in Weg kömmt, wenn er nicht am längsten will gelebt haben. Wer mir entgegen kömmt, den

will ich zur Erde schmeißen - 20 Hegio. Ich glaube gar, er will Balgereyen anfangen? Ergas. Ja, ja. Es soll ganz gewiß geschehn. Es mögen nur alle ihre Gänge aufschieben; es mag sich nur niemand auf dieser Straße was zu thun machen. Meine Faust soll mir statt der Balista, mein

Ellebogen statt der Katapult« seyn; Schulter und Knie sind meine 25 Mauerböcke, damit will ich meine Feinde zu Boden werfen. Wer mir in Weg kömmt, soll seine Zähne müßen auf der Gasie suchen. Hegio. Was sind das für Drohungen? Ich kann mich nicht

wundern genug. Ergss. Ich will gewiß machen, daß er dieses Tags, dieses Otts, 30

und meiner nimmermehr vergißt. Wer meinen Lauf hemmet, soll sein Leben schnell gehemmet haben. Hegio. Was muß das Wichtige seyn, das er mit solchen Dro­ hungen anfängt?

118

BrykrSgr jur Historie und Aufnahme de» Thrakers. 2. Stück.

Ergas. Ich sage es fein zuerst, damit niemand durch sein Ver­

sehn unglücklich werde. vor meiner Gewalt.

Hegio.

Haltet euch in den Häusem, und hütet euch

Das muß was ganz besonders seyn, wenn ihn nicht

5 etwa der volle Bauch so übermüthig macht. Wehe dem armen Mann, durch dessen Kost er so gebiethrisch geworden ist! Ergastlus. Besonders ihr Becker, die ihr so viel Säue mit

Kleyen mästet, daß man wegen des Gestanks bey euren Läden nicht

Wenn ich welche von euren Schweinen auf der io Gaffe antreffe, so will ich ihnen gewiß mit meinen Fäusten die Kleyen aus den Ranzen prügeln, ich meyne ihren Besitzern. Hegio. Nu, die Warnungen sind königlich und herrscherisch genug. vorbey gehen kann.

Er muß ganz gewiß satt seyn. Er trotzt auf seinen vollen Bauch. Ergastlus. Auch euch, ihr Fischer, die ihr dem Volke stinkende is Fische feil biethet, welche ihr mit einer hinkenden Schindmehre in die

Stadt bringt, und die durch Gestank alle Pflastertreter von der Basi­ lika auf den Markt verjagen, euch will ich die Fischkörbe wacker unter

die Nasen reiben, damit ihr doch auch fühlet, was sie andern Nasen für Verdruß machen. Was euch aber anbelangt, ihr Fleischer, die ihr 20 die Schafe der Kinder beraubt, die ihr Lämmer zum abschlachten ein­ kaust, mit dem Lammfleische das Volk betrügt*, und einen verschnittnen

Hammel einen Schafbock nennt, wenn ich so einen Schafbock auf öffent­ licher Straße sehe, so will ich den Schafbock und seinen Herrn, zu den unglücklichsten Thieren von der Welt machen. 25

Hegio. Nu, das sind doch noch ädilische Verordnungen. Es sollte mich sehr wundern, wenn ihn nicht die Aetolier zu ihrem Marstmeister

machen sollten. Ergastlus. Jtzo bin ich kein Schmarutzer, sondern ein könig­ licher König der Könige, da so vieler Proviant für meinen Magen

30 im Hafen angelangt ist. Doch zaudre ich noch den Hegio mit dieser Freude zu überschütten? Kann wohl jemand glücklicher seyn,, als dieser Alte ist? * Die Gelehrten machen zu dieser Stelle die Anmerkung, die Alten hätten

das Lammfleisch nicht gerne gegessen. Wie können sie aber dieses mit einer kurz 35 darauf folgenden Stelle vergleichen, wo der Schmarutzer unter andem Lecker­ bissen, die Hegio soll zurechte machen lassen, auch ausdrücklich agninam mit nennet?

Dir Grfangnrn dr» Plauku«.

119

Hrgio. Nu, was ist denn das für eine Freude, die er mir so voller Freuden schenkt? Ergssilus. Nu? Holla? Wo steckt ihr? Wird keiner die Thüre

aufmachen? Hegio. Ha! Ha! Er findet sich zur Abendmahlzeit bey mir ein. 5 Ergssilus. Macht die Thüren alle beyde auf, ehe ich sie in Grund und Boden stoße. Hrgio. Ich muß ihn doch anreden. Ergasilus. Ergssilus. Wer ruft den Ergasilus? Hrgio. Sieh mich doch an! 10 Ergssilus. Das thut das Glück an dir nicht, und soll es auch

nimmermehr thun. Hegio. Wünschest du mir das*? Ergssilus. Aber was giebt es denn? Hrgio. Sieh dich doch um, ich bin Hegio.

15

Ergssilus. O! bist dus, du allerbester der allerbesten Männer?

Du kömmst zu rechter Zeit. Hrgio. Ich weis nicht, wen du in dem Hafen mußt angetroffen haben, bey dem du auf den Abend schmausen wirst, weil du so hoch-

müthig geworden bist. Ergssilus. Gieb mir die Hand.

20

Hrgio. Die Hand'' Ergasilus. Gieb mir deine Hand, sage ich; gleich! Hrgio. Nu, da! Ergasilus. Freue dich!

25

Hegio. Weswegen soll ich mich freuen?

Ergasilus. Weil ich dirs heiße. Fort! freue dich nur. Hegio. Die Betrübniß ist bey mir größer als die Freude. Ergasilus. Sey nicht böse auf mich. Ich will dir bald alle Be­ trübniß benehmen. Freue dich nur! Auf mein Wort! 30 Hrgio. Gut. Ich freue mich, ob ich gleich nicht sehe warum?

Ergasilus. So recht! Nun befiehl auch - Hegio. Was soll ich befehlen? * Es. hat mir natürlicher geschienen, wenn ich das hoc ine iubes als eine Frage dem Hegio in Mund legte, ob ich gleich nicht leugne, daß es einen guten 35 Verstand hat, wenn cs auch (rrgasilus sagt.

120

Beyträge ptr Historie und Aufnahme de» Theaters. Ergsfilus. Hrgio.

2. Stück.

Daß man ein entsetzliches Feuer anmache.

Ein entsetzliches Feuer?

Ergsfilus. Ja, ja, was ich sage; und es muß recht sehr groß seyn. Hrgio.

Was willst du denn verbrennen?

Glaubst du, daß'ich

5 deinetwegen mein Haus anstecken werde? Ergsfilus. Werde nicht böse. Befiehl auch zugleich, daß die Töpfe angesetzt, und die Schüsseln ausgewaschen werden.

Laß nur den

gespickten Braten ans Feuer bringen, und unterdessen schicke einen andern

nach Fischen.

10

Hrgio. Ich glaube er träumt wachende.

Ergsfilus. Einen andern schicke nach Schweinefleisch, nach Lamm­

fleisch und nach jungen Hühnern. Hrgio.

Nu, du weißt doch was gut schmeckt, aber woher nehmen?

Ergsfilus.

Laß Schinken, Kuhlparse, Makrellen, Stockfische und

15 Wallfische, und weichen Käse holen*. Hrgio. Nu, nu, nennen kannst du es wohl, ob du es aber wirst bey mir zu essen bekommen, mein guter Ergasilus--

Ergsfilus.

Glaubst du denn, daß ich es meinetwegen anzurichten

befehle?

20

Hrgio.

Betrüge dich nicht. Ich will dir zwar nicht nichts, aber

doch nicht viel mehr als nichts vorsetzen.

Bringe also von deinen

Bäuchen nur den für die Alltagskost mit.

Ergsfilus.

Wie aber, wenn du diesen Aufwand, auch ohne

mein Geheiß, machen wirst?

25

Hrgio. Ich? Ergsfilus.

Hrgio.

Eben du.

Alsdann will ich dich für meinen Herrn erkennen.

Ergsfilus. O! ich werde ein ganz gütiger Herr seyn.

Soll ich

dich glücklich machen?

30

Hrgio.

Wenigstens lieber als unglücklich.

Ergsfilus.

Hrgio.

Gieb mir die Hand.

Da ist sie.

* Ich habe diese Namen so gut übersetzt, als es möglich ist, einige habe ich gar weggelassen, weil sie unsern heutigen Köchen allzu besonders vorkommen

Cetus heißt zwar jede Art von großen Fischen, ich glaube aber doch, daß ihn der Schmarutzer ehe? zum Scherze als im Ernste dazu gesetzt hat.

35 möchten.

Dir Gefangnen des Plauku».

121

Ergasilus. Die Götter erbarmen sich deiner.

Hrgio. Ich weis nichts davon. Ergasilus. Aber bald wirst du es missen. Unterdessen gebiethe nur, daß man dir die Gefäße zu dem heiligen Werke fertig halte; und laß ein eignes und fettes Lamm holen.

5

Hrgio. Warum das? Ergasilus. Weil du opfern mußt. Hrgio. Und welchem Gotte denn?

Ergasilus. Mir. Ich bin itzo dein höchster Jupiter, ich bin deine Errettung, dein Glück, dein Licht, deine Freude, dein Vergnügen; wenn 10 du nur diesen deinen Gott wacker satt machest, damit er dir gnädig sey. Hrgio. Du bist mir also hungrig, wie es scheint? Ergasilus. Ich bin mir hungrig und nicht dir.

Hrgio. Ey, hol dich der - Ergasilus. Du solltest dich lieber bey mir bedanken für die 15 Nachricht, die ich dir aus dem Hafen bringe! O was für eine vor­ treffliche Nachricht! Wirst du mir so wieder gut? Hrgio. Geh, Narre, du kömmst zu spät. Ergasilus. Das hättest du können sagen, wenn ich bey einer

andern Gelegenheit gekommen wäre.

Doch vernimm nur endlich die 20

Freude, die ich dir bringe. Ich habe itzo gleich deinen Sohn Philopolemus lebend, gesund und frisch in dem Hafen gesehen. Er kam mit dem öffentlichen Jagtschiffe. Es war noch ein andrer Jüngling bey ihm, und deinen Knecht Stalagmus, der dir mit deinem Sohne, als einem Kinde von vier Jahren, davon gegangen ist, bringt er auch mit. 25 Hrgio. Du willst mich zum besten haben. Geh! pack dich!

Ergasilus. Ich schwöre dir es bey der heiligen Sättigkeit! Ihr Name soll nie zu meinem Namen können gefügt werden; wenn ich nicht alles das gesehen habe. Hrgio. Meinen Sohn hast du gesehen? 30 Ergasilus. Deinen Sohn, und meinen Schutzengel.

Hrgio. Und den elidensischen Gefangnen? Ergasilus. fta iov aztoZZw */

* Ich habe diese griechischen Schwüre bey behalten, weil sie unmöglich zu

übersetzen waren.

Ich kaun auch den Leser versichern, daß er nicht viel damnter 35

122

Brykräge zur Historie und Aufnahme des Thrakers.

2. Stück.

Hrgio. Und meinen Knecht Stalagmits, der mir meinen Sohn entwendet hat? Ergastlus. 0

vt]

xav xogav!

Hegio. Schon lange? Ergastlus. vtj xav TtQatvs^v !

Hrgio. Kömmt er? Ergastlus. vtj xav aiyviav! Hrgio. Ganz gewiß? Ergastlus. vrj xav q>Qovaivajva! 10

Hrgio. Aber du - Ergastlus. vt] xav dlaxQiov!

Hrgio. Bey was für barbarischen rauhen Städten schwörest du? Ergastlus. Sie sind eben so rauh, als deine Speisen, wie du sagtest, seyn sollten. 15 Hegio. Verdammtes Maul!

Ergastlus.

Du willst mir aber ja nichts glauben, was ick dir

doch so umständlich berichte*. Hrgio. Nein, sage mir aufrichtig,

kann ich dir Glauben zu­

stellen? 20 Ergastlus. Sehr vielen. Hrgio. O ihr unsterblichen Götter, ich bin von neuem gebohren, wenn es wahr ist was er sagt. Ergastlus. Und ich glaube, wenn ich die heiligsten Schwüre verliert.

Der erste Schwur ist bey dem Apollo, der andere bey der Proserpina,

26 und die übrigen bey unterschiednen italiänischen Städten, die er auf eine läckerliche Art als Gottheiten ansieht, bey welchen er schwören kann.

* Hier habe ich drey Zeilen ausgelassen, weil ich sie nicht so genau zu übersetzen weis, daß weine Leser den Sinn des Plautus daraus begreifen könnten. Hier sind sie:

30

Sed Stalagmits cuius erat tune nationis, cum hinc abiit? Er. At nunc Siculus non est, Boius est, Boiam terit. Liberorum quaerundorum causa ei, credo, uxor data est.

Heg. Siculus.

Dieses zu verstehen, darf man nur wissen, daß Boiae oder Boia eine Art von Ketten waren, Boii aber gewisse gallische Völker.

Der Scherz in der dritten

35 Zeile aber beruht darauf, daß Boia auch ein Weibsbild aus diesem Volke heißen kann. Man mag es selbst versuchen, ob es sich auf eine Art übersetzen läßt, daß diese Anspielungen nicht ganz verlohren gehen.

Dir Gefangnen des Plaukus.

123

thäte, würdest du doch noch zweifeln. Doch kurz, Hegio, wenn du meinen Betheurungen so wenig trauest, so gehe selber zum Hafen. Hrgio. Das soll auch geschehn.

Mache unterdessen drinnen die

nöthigen Anstalten. Verlange, nimm, fodre was du willst. Ich mache dich zu meinem Ausgeber. 5

Ergasilus. Wenn ich das Amt nicht reichlich verwalte*, so sollst du das Recht haben mich wacker zu prügeln.

Hegio. Du sollst ewig einen aufgedeckten Tisch bey mir finden,

wenn du die Wahrheit gesagt hast. Ergsstlus. Wie so? Hrgio. Bey mir, und meinem Sohne. Ergasilus: Versprichst du mir das?

10

Hegio. Ich versprech es. Ergasilus. Und ich verspreche dir nochmals, daß du deinen Sohn

gewiß im Hafen finden wirst. Hrgio. Besorge alles aufs beste.



Ergasilus. Glück auf den Hinweg und Herweg!

Dritter Austritt. Ergasilus. Er geht, und hat mir sein gemeines Küchenwesen übergeben. O 20 ihr unsterblichen Götter, wie viel Rümpfe sollen die Hälse verlieren! Was für eine Pest soll unter die Schinken, was für ein Sterben unter

den Speck gerathen! Was für eine Abnahme soll über den Schmeer, was für eine Niederlage über die Schweinslenden kommen! Wie will

ich die Schlächter, wie will ich die Schweinshändler abmatten! Doch, 25 wenn ich alles erzählen wollte, was zur Sättigung des Bauchs gehört, so würde ich mich zu sehr aufhalten. Ich will lieber mein Amt an­ treten, und dem Specke sein Urtheil sprechen; und will die armen aufgehangnen Schinken los schneiden lassen. * Die Lesart mantissinatus scheint mir die bequemste zu seyn, so daß man 30 es von mantissa ableite.

Mantissa, spricht Festus, est additamentum lingua

Tusca, quod ponderi additur.

Er will also sagen: ich will zu dem Fleische,

das ich zum Schmause werde abwicgen lassen, nicht wenig zugeben, damit die

Gerichte desto größer werden.

Ich hab es etwas allgemeiner ausgedrückt.

124

Bryträgr zur Historie und Aufnahme des Thrakers.

2., Stück.

Vierter Austritt. Ein Lnrcht dr» Hegio.

Daß du, E r g a s i l u s, mit deinem Bauche, mit allen Schmarutzern,

und'mit allen, die die Schmarutzer füttern, verunglücktest!

Was für

5 Unfälle, was für Unmäßigkeiten, sind in unser Haus gerathen! Er ist wie ein hungriger Wolf, ich mußte fürchten, er würde auch mich an­ Ich hatte es in der That Ursache zu fürchten, so knirschte er

fallen.

mit den Zähnen.

Was für Unordnung hat er in dem Fleischbehält-

niffe mit dem Fleische angefangen.

Er ergriff das Beil und hackte

10 gleich drey geschlachteten Schweinen die Köpfe ab.

Alle Gefäße, alle

Töpfe, die nicht zum wenigsten acht Kannen hielten, brach er entzwey. Er hätte lieber gar von dem Koche verlangt, daß er die ganzen Fleisch­

tonnen ans Feuer setze.

Gewalt aufgebrochen.

Alle Keller, alle Vorrathsschränke hat er mit

Haltet ihn ja feste, ihr Knechte, ich muß mit

16 dem Allen deswegen reden.

Ich muß ihm sagen, daß er sich nur neuen

Denn wie der es anfängt, so muß er itzo

Vorrath anschaffen soll.

schon alle seyn, oder wird es bald werden.

Fünfter Auszug. Erster Aufkrikk. Hrgio.

20

Philopolrmu«.

sshilokrakrs.

Slslagmus.

Hegio. Ich danke dem Jupiter und allen Göttern herzlich, daß sie dich deinem Vater wiedergeschenkt haben, daß sie mich aus so vieler

Kümmerniß gerissen, die mich in deiner Abwesenheit beunruhigte, daß sie diesen Bösewicht wieder in unsre Hände geliefert haben, und daß

25 Philokrates sein Wort so redlich gehalten hat.

Mein Herz hat sich

genug betrübet; Sorgen und Thränen haben 'mich genug abgemattet. Was du ausgestanden hast, habe ich von dir weitläustig in dem Hafen gehört.

Es ist vorbey - -

Philokralxs.

Wie nun, Hegio, da ich dir mein Wort gehalten,

30 und deinen Sohn in die Freyheit versetzt habe?

Hrgio.

Du hast so, an mir und meinem Sohne gehandelt, daß

ich dir es nimmermehr verdanken kann.

125

Die Gefangnen de» Plsuku».

Philoxolenms. Du kannst es einigennaßen, mein Vater, und mir werden vielleicht die Götter Gelegenheit geben, daß ich mich auch

unserm Wohlthäter erkenntlich erzeigen kann.

Was du aber itzo thun

kannst, das hat er um uns verdienet. Hrgio. Ohne so viel Worte! Er verlange nur, ich werde ihm 6 nimmermehr was abschlagen können*. PhiloKrakrs. Ich verlange also, daß du mir meinen Knecht, den

ich hier zum Pfande gelassen habe, wiedergebest. lieber gewesen, als das feinige.

Mein Wohl ist ihm

Ich muß ihn für seine redlichen Dienste

belohnen. Hrgio. Ich will dir zeigen, daß ich dankbar bin.

10 Sowohl das,

als was du sonst noch verlangen wirst, will ich thun. Nur nimm mir es nicht übel, daß ich mit deinem Knechte im Zorne hart verfahren habe. Philokrales. Was hast du mit ihm gemacht? Hrgio. Ich habe ihn gefeffelt in die Steingruben geschickt, so 15 bald ich erfuhr, daß man mich hintergangen hatte. PhiloKrakrs. O ich Unglückseliger! Der beste Mensch soll meinet­

wegen so viel leiden? Hrgio. Dieserwegen sollst du auch keinen Haller für ihn bezahlen. Ich will ihn umsonst frey geben. 20 Philokrales. Du handelst in der That gütig, Hegio. Allein

befiehl nur, daß er herausgebracht werde. Hrgio. Ja. Holla! Geht, und bringet gleich den Tyndarus her! Gehet unterdefien herein. Ich will sehen, ob ich aus dieser schlägefaulen

Bildsäule erfahren kann, was er mit meinem jüngsten Sohne gemacht 25 hat.

Mittlerweile waschet euch. Philoxolemus. Folge mir hier herein Philokrales. PhiloKrakrs. Ich folge.

Zweyter Nufkrikk. Hrgio.

Skalsgrmi«.

Hrgio. Nun, du wackrer Mann, komm doch näher her. Du bist

ein sehr feiner Knecht. * Der Ausdruck ist hier im Lateinischen sehr artig, ich habe ihn aber nicht zu erreichen gewußt: lingua nulla est, spricht er, qua negem, quicquid roges.

30

126

Beyträge ptt Historie und Ausnahme des Thrakers.

2. Stück.

Stalagmits*. Was muß ich denn noch thun, damit sich so ein

Mann wie du, nicht in seinem Urtheile von mir irret? Ich bin nie­ mals fein, wacker, noch gut gewesen. Ich habe niemals was getaugt, und werde auch Zeitlebens nichts taugen. Hüffe nur nicht, daß ich 5 mich -bessern werde. Hrgio. Du kannst leicht einsehen, wie deine Sachen stehn. Es wird dir nicht schaden, wenn du die Wahrheit redest. Sache wird weniger schlimm dadurch werden.

Deine schlimme

Rede aufrichtig - - Doch

du hast niemals aufrichtig gehandelt - Stalagmits. Ich glaube gar du meynst, ich werde mick schämen 10 dir es zu gestehn? Hegio. Die Scham soll schon bey dir aufsteigen. Ich will dich über und über roth machen lassen. Stalagmits. Das glaube ich wohl.

Allein drohst du denn deine

15 Schläge einem unversuchten**? Weg mit den Possen. Sage was dein Anbringen ist, wenn du was von mir wegbringen willst. Hegio. Ey! wie beredt du bist. Doch, erspare die vielen Worte - -

Stalagmua. Wohl, es geschehe dann! Hegio. In deiner Jugend warst du bescheiden, aber freylich 20 schickt es sich itzo nicht mehr für dich. Doch zur Sache. Höre zu, und gestehe mir, was ich dich frage. Es wird deine Umstände nicht ver­

schlimmern, wenn du mir die Wahrheit gestehst. Stalagmua. Ach', das sind Worte! Glaubst du denn nicht, daß

ich weis, was ich verdient habe? Hegio. Du kannst aber wenigstens deine Strafe lindern, wenn 25 du ihr auch nicht entfliehst. Stalagmua. O eine solche Strafe, als ich verdient habe, ist zu * Alle die Verbesserungen, die man mit dieser Stelle hat machen wollen, scheinen mir ganz vergebens zu seyn.

Ich glaube den rechten Sinn ohne eine

30 Veränderung zu machen, getroffen zu haben.

StalagmuS nämlich nimmt

das, was ihm Hegio sagt, für Ernst auf, und antwortet ihm: ich habe dir

deinen Sohn entwandt, und du kannst mich noch für einen wackem Mann halten? Was soll ich denn noch für ein Schelmstück begehen, daß du richtiger von mir

urtheilen lernest?

35

** Ich glaube dieses nicht unbillig in eine Frage verwandelt zu haben. Denkst du, will er sagen, daß mich deine Drohungen so schrecken, als ob ich nicht wüßte was Prügel wären?

127

®xt Gefangnen des Plautns. groß, als daß sie durch das Lindem kleiner werden könnte.

Ich bin

dir nicht allein entflohen, sondern ich habe auch deinen Sohn mitge­ nommen, und ihn verkauft. Hegio. An wen? Sialagmus. An den polyplusischen Theodoromedes in Elis, für S sechs Pfund.

Hegio. Unsterbliche Götter!

Das ist Philokrates Vater.

Slalagmus. O! ich kenne ihn besser als dich, und hab ihn öftrer gesehen. Hegio. Höchster Jupiter! Erhalte mrch, und erhalte mir meinen 10 Sohn. Um des Himmels willen, Philokrates, komm heraus! Ich muß dich sprechen.

Dritter Auftritt. Philokrates. Hegio. Skalagmus.

PhiloK. Hier bin ich, Hegio.

Was verlangst du? Befiehl!

15

Hegio. Dieser spricht, er habe meinen Sohn in Elis an deinen

Vater ftir sechs Pfund verkauft. PhiloK Wie lange ist das? Äalagm. Es geht numehro ins zwanzigste Jahr.

20

PhiloK, Du lügst.

Stalagm. Entweder ich oder du.

Dein Vater hat ihn dir als

ein Kind von vier Jahren zu deinem eignen Knechte geschentt. PhiloK. Wie hieß er? sage mir das einmal, wenn du die Wahryeit redest. Zlalagm.

Er hieß Pägnium, ihr aber gabt ihm den Namen 25

Tyndarus. PhiloK. Warum kenn ich dich aber nicht? Slslsgm. Weil es die Mode ist diejenigen zu vergessen, deren

Bekanntschaft uns nichts hilft. PhiloK. So ist der, den du meinem Vater verkauft hast, und 30 den er mir zum eignen Knechte geschenkt hat, dieses sein Sohn?

Hegio. Sage, lebt er noch? ^talagm. Ich habe mein Geld bekommen; was bekümmere ich mich um das übrige? Kegio. Aber was sagst du?

128

2. Stück.

Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theaters.

Philok.

Aus seinen Reden kann ich nicht anders schließen, als

daß mein Tyndarus dein Sohn ist. Er ist mit mir ausgewachsen, und hat eine gute, und einem Freygebohrnen anständige Erziehung 5

genossen. Hegio. Ich bin glücklich und unglücklich, wenn ihr die Wahr­ heit redet. Unglücklich, weil ich meinem eignen Sohne so hart mit­ gefahren habe. Ach! warum habe ich mehr und weniger thun müssen, als die Billigkeit erfoderte? Wie bekümmert mich mein Verfahren! O könnte was geschehen ist, nicht geschehen seyn.

10 er in seinem Schmucke. seine Tugend!

Doch hier kömmt

Was für ein unerschrocknes Ansehen giebt ihm

Vierkrr Mufkrikk. Lyndaru». Hegio. PhiloKrates. Statagmus.

Tyndarus. Ich habe doch oft viel höllische Strafen abgemalt 15 gesehen, aber was kann die Hölle gegen die Steingruben seyn, woraus

ich komme? Das ist doch noch ein Ort, der einem nicht einen Tropfen Schweiß im Leibe läßt. So bald man herein kömmt, bringen sie einem

Schubkarn, Hacke und Schaufel, von einer klein wenig dauerhaftem Art, als die sind, welche man den Kindern zum Spielen giebt*. Ich 20 bekam auch eine ganz zierliche Spitzhacke, mir die Zeit zu vertreiben. - - -

Doch, da steht Hegio vor der Thüre - - und, wie ich sehe, so ist auch mein Herr aus Elis wieder zurück gekommen. Hegio. Umarme mich, mein liebster Sohn. Tynd. Was? Ich dein Sohn? Ha! Ha! Ich merke bald warum 25 du dich meinen Vater, und mich deinen Sohn nennest.

Vielleicht, weil

du mich, wie es die Aeltern thun, ans Licht bringest? Philok. Sey gegrüßet, Tyndarus. Tynd. Du auch, für den ich so viel ausstehen muß. * Es lautet in dem Originale ein wenig anoers, ich mußte aber noth­

30 wendig davon abgehen, weil wir im Deutschen kein Wort haben, das zugleich einen Wiedehopf und eine Spitzhacke bedeute, wie das lateinische Vpupa ist.

Ich

habe dergleichen Abweichungen noch hin und wieder gemacht, ohne sie angemerkt zu haben; denn es ist meine Absicht nicht, daß man alle Worte des PlautuS aus meiner Uebersetzung soll verstehen lernen; ich habe sie bloß gemacht, damit

35 die komischen Schönheiten desselben unter uns ein wenig bekannter würden.

Die Gefangnen des Plsutus.

129

PhiloK. Dafür wirst du numehr in Freyheit und Reichthum versetzt.

Siehe, das ist dein Vater! Das ist der Knecht, der dich ihm

als eilt Kind von vier Jahren entwendet, und an meinen Vater für 6 Pfund verkauft hat. Er schenkte dich mit, weil wir in einem Alter waren, zum eigenthümlichen Knechte. Wir haben diesen Dieb aus Elis wieder zurück gebracht, und er hat alles gestanden.

5

Tynd. Aber wie ists mit seinem Sohne geworden?

PhiloK. Gehe herein, so wirst du deinen leiblichen Bruder finden. Tynd. Was? So hast du ihn mitgebracht? PhiloK. Ja, ja, drinnen ist er.

io

Tynd. O wie wohl hast du gethan!

PhiloK. Dieser ist numehr dein Vater, und dieser dein Dieb, der dich ihm als ein Kind gestohlen hat. Tynd. Dafür will ich ihn nun erwachsen züchtigen lassen. PhiloK. Er hat es verdient. 15 Tynd. Er soll seinen verdienten Lohn schon bekommen. Aber Hegio, so bist du mein Vater?

Hegio. Ja, ich bin es, mein Sohn.

Tynd. Nun besinne ich mich auch, wenn ich nachdenke. Es ist mir, als ob ich wie im Traume einmal gehört hätte, daß mein Vater 20 Hegio heiße. Hegio. Und ich eben bin es.

PhiloK.

Nun so mache doch Hegio, daß ihm die Fessel ab­

genommen, und diesem angelegt werden.

Hegio. Ja, das soll auch das erste seyn. Kommt, laßt uns 25 herein gehen. Der Schmid soll den Augenblick da seyn, dich von den

Banden zu befteyen, die dein Räuber bekommen soll. Slalagm. Du thust sehr wohl; ich habe so nichts eigenthümliches.

Der Schlußredner. Dieses Lustspiel, ihr Zuschauer, ist für züchtige Sitten gemacht. 30 Es kommen keine Liebsstreiche, keine Unterschiebung von Kindern, keine

Geldschneidereyen darinnen vor.

Kein verliebter Jüngling befteyet

darinnen eine Hure wider Wissen seines Vaters. Dergleichen Spiele, worinne die Guten besser werden können, erfinden wenige Dichter. Hat Lessing, sämtliche Schriften. IV. 9

130 VrykrSgr ;ur Historie und Aufnahme de» Theater». 2. Stück. es euch gefallen, und sind wir euch nicht zur Last gewesen, so gebet

das gewöhnliche Zeichen; und ein jeder, der von euch gute Sitten

liebet, klatsche!

[H. Dir zweyte Abhandlung des Peter Corneille» von den 5 Trauerspielen insbesondre, und von den Mitteln, sie nach der Wahrscheinlichkeit und Nothwendigkeit auszuführen. Aus dem Französischen übrrseht-f

[UL Untersuchung, ob man in Lustspielen dir Charaktere übertreiben solle? io

(Von Mylius.)f

[IV.

Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande de« Theaters in Dresden. (Vermutlich von Ofsrnfrldrr.)j

[V. Fortgesetzte Nachricht von dem gegenwärtigen Zu15 stände des Theaters in Berlins

[VI. Theatralische Neuigkeiten aus Paris.j

(Kritik über dir (Befangnen des plautus.

131

Drittes Stück. [I. Clikia, rin Lustspiel in fünf Nuftügrn. Aus dem Italienischen des Nicolaus Machiavell übersetzt. (Von Mylms.)^

n. CrikiK

über dir Gefangnen des Plaukus. Gleich als ich im Begriff war die meine* Leser versprochene und mir sehr angenehme Arbeit zu unternehmen, nämlich, mich über

die Schönheiten des Plautus mit ihm etwas umständlich zu besprechen; 10 so erhalte ich von einem Freunde unserer Arbeit einen Brief, dessen Inhalt mit meinem Vorhaben allzuviel Verwandtschaft hat, als daß ich ihn nicht mit Vergnügen bekannt machen sollte. Er ist zwar mehr wider als für mich. Doch daraus mag man schließen, was ich für ein Vertrauen zu meiner gerechten Sache und zu der Billigkeit meines 15 Gegners habe.

Der ganze Inhalt* bezieht sich auf drey Stücke. Erstlich

macht er überhaupt über unser Vorhaben einige Anmerkungen. Zum andern beurtheilet er meine Uebersetzung des plautischen Lustspiels. Endlich tadelt er den Plautus selbst. Was die ersten zwey Stücke angeht, darauf werde ich ihm in beygefügten kurzen Anmerkungen ant- 20

Worten. Das letzte ist das wichtigste, und verdienet also eine besondre

Antwort. Mein Gegner zeigt überall eine wohlangebrachte Belesenheit, welche ich, wie seine Einsicht in die Regel1 der dramatischen Dichtkunst,

nicht wenig loben würde, wenn er nicht mein Gegner wäre. Denn seine Gegner zu loben ist eine sehr kützliche Sache. Alles Gute, das 25 man ihnen beylegt, entzieht man sich, und - - Doch ohne längre Vor­

rede, hier ist der Brief. 1 (vielleicht verdruckt für] Regeln

132

VrykrSgr jur Historie und Aufnahme des Thraker».

3. Stück.

Mein Herr, Ich bin einer von denen, die Ihnen sehr verbunden sind, daß Sie zur Aufnahme des Theaters, durch eine.der artigsten Mo­ natsschriften unserer Zeit, den guten Geschmack und die Liebe 5 zu den Werken des Witzes ausbreiten wollen. Ich habe von Jugend auf ein großes Vergnügen an der dramatischen Dichtkunst ge­ funden, und wenn mich die Natur einen Dichter hätte lassen gebühren werden, so würde ich vielleicht in keiner andern als dieser Art der Dichtkunst meine Kräfte versucht haben. Was Wunder also, daß Ihre io Monatsschrift meinen Beyfall erhalten hat? Die Vorrede Ihres ersten Stücks hat mich in eine Verwunderung gesetzt, welche dem Erstaunen sehr nahe war. Ich sahe die fast unend­ liche Reihe von Dingen, welche alle zu erreichen Sie sich vorgesetzt, und welche alle zu erfüllen Sie sich anheischig gemacht hatten. So gleich 15 aber fiel mir ein: sollte wohl alles dieses so leicht seyn, als man es

sich einbildet? und wird nicht dieses schöne Vorhaben vielleicht ein bloßer schöner Vorsatz bleiben? Nicht, daß ich an Ihren Kräften zweifelte;

nein, ich versprach mir vielmehr viel davon. Der Geist, den man in

Ihrer Vorrede wahrnimmt, zeiget von Ihrer Stärke in Dingen dieser 20 Art. Allein ich hatte an einem andern Orte gelesen, daß eine Gesell­ schaft, die wie die Ihrige ist, und beynahe ein gleiches Absehen gehabt

hat, gestehen müffen, daß sie nicht eher begriffen habe, wie schwer es

sey, in Dingen dieser Art etwas mehr als trockne Namen anzuführen; als bis sie Hand an das Werk gelegt. Die Gedanken hierüber sind 25 so schön, daß ich mich nicht enthalten kann solche hier anzuführen.

Sie befinden sich in der Vorrede des ersten Theils der Histoire du Theatre

franqois depuis son origine jusqu’ä, present etc. Amsterdam, 1735, 8. „II est de certains tableaux, qui, consideres dann

„Feloignement, presentent aux yeux des plaines charmantes, des 30 „coteaux rians, des montagnes superbement elevees, des rivieres „larges, profondes et remplies d’une eau argentine, enfin tous „les agremens d’une belle Campagne. Aproche-t-on de cette per­ spective ? tout disparoit, et des traits couches grossierement „sur une muraille prennent la place des objets enchanteurs, que 35 „l’oeil tromp6 par Fart du peintre regardoit avec admiration. „Voila la juste comparaison de ce qui arrive ä ceux qui forment

Criiik über die Grfananen des Plaulu».

133

„le dessein de donner une histoire du Theatre----- Tont semble „leur promettre une Carriere aisee et brillante, pieces singulieres, „auteurs celSbres, faits anecdotes interessans, Comediennes et „Comediens renomm&s dans leur art. Mais ces flateuses id6es „se trouvent totalement confondues lorsqu’on consulte les histoi- 5 „res-----A l’egard des acteurs, le talent qu’ils ont exerce ne „les a point tires du ntiant dont ils sortoient, et ils y sont ren„tres si parfaitement qu’on n’en retrouve que peu de vestiges. — „Ces difficultes sont sans doute rebutantes, et nous ne doutons „point qu’elles ne soient la cause pour laquelle jusqu’ä ce jour io „les personnes qui possedent le plus cette maniere, se so'nt re„fus6s au penible et dangereux emploi de remplir les souhaits du „public en lui donnant un ouvrage qu’il s’imagine pouvoir etre „execute dans toutes ses parties.“a Doch vielleicht finden alle diese Schwierigkeiten bey Ihnen, eine 15

Ausnahme, und man darf hoffen, daß Sie so schöne Versprechungen nicht werden gethan haben, ohne zu wiffen, daß es Ihnen leicht seyn

werde, solche zu erfüllen. Wie viel Ehre werden Sie sich dadurch er­ werben? Wie viel werden wir. und unsre witzigen Nachkommen Ihnen

schuldig seyn? Und wie reizend ist diese Aufmunterung? 20 Wenn alle diejenigen, so heut zu Tage Vorreden schreiben, so viel lehrreiches darinne anbrächten, als Sie in der Ihrigen, so würden die Vorreden öfters mehr scharfsinniges enthalten, und mehr Nachdenken erfodern, ja selbst lesenswürdiger seyn, als manche Werke selber. Was

Sie unter andern darinnen von der Declamation sagen, scheint mir 25 wahr zu seyn, nicht nur vielleicht darum, weil ich derselben Meynung a) Die Schwierigkeiten, welche die Verfasser der Historie des französischen

Theaters vor sich gefunden, treffen uns nur zum Theil.

Jene wollten eine an­

einander hangende Geschichte liefern, uns aber ist dieses niemals in Sinn ge­ kommen.

Wir haben nur versprochen, die wichtigsten Nachrichten zu sammeln, 30

und demjenigen, der es einmal wagen möchte, eine vollständige Historie des Schauplatzes bey allen Völkern zu unternehmen, die Arbeit in etwas zu erleichtern. Bey den angeführten französischen Verfassern wäre durch einen jeden beträcht­ liche» Umstand, den sie übergangen, oder nicht allzu hinlänglich vorgctragen

hätten, die ganze Kette ihrer Erzählungen zerrisse» worden.

Bey uns aber fällt 35

dieses weg; weil wir uns niemals zu der geringsten Ordnung oder Vollständig­

keit anheischig gemacht haben.

Man sehe unsre Vorrede.

134 VrykrSgr jur Historie und Aufnahme de» Thraker«. 8. Stück. bin, sondern weil es mit der Vernunft, der Erfahrung, und der Em­ pfindung verständiger Kenner übereinstimmt. Dieses Theil der Bered­ samkeit ist eines von den Dingm, an welchen ich von der Zeit an, da

ich denkm gelernt, einen großen Gefallen gehabt, und worinne ich mich

5 bey aller Gelegenheft aus einer natürlichen Neigung geübt. Ungeachtet ich niemals das Glück gehabt öffentlich zu reden, so habe ich es doch

gewiß dieser Uebung allein zu danken, daß ich von einer sehr schwachen Stimme, die ich-von Natur hatte, zu einer männlichen gesetzten Aus­

sprache gelangt bin. Ich weis die Regeln davon, und kann also meinen

io Reden allen Nachdruck geben, wodurch ich mir öfters mehr Beyfall er­ werbe, als andre durch die ausgesuchtesten Ausdrücke. Mein damaliger Aufenthalt an einem Orte, wo ein gekrönter Weltweise das prächttgste der Schauspiele, oder wie andre sagen, das

ungereimteste Werk, so der menschliche Verstand jemals 15 er funden,^ die Oper einem Volke zeigte, so bisher dergleichen kaum dem Namen nach tonnte; gab mir noch mehr Gelegenheit hierauf zu denken.

Ein jeder sagte seine Meynung von Arien und Recitativen,

als von den allergemeinsten Sachen, so daß die Oper der Vorwurf

aller Unterredungen ward.

Ich befand mich bey einer derselben, wo,

20 nachdem verschiedenes von dem Natürlichen und dem Wahrscheinlichen der Oper war geredt worden, einer von der Gesellschaft in die Worte

eines Dichters unserer Zeit/ausbrach: die Vernunft muß man

zu Hause lassen, wenn man in die Oper geht; mithin, setzte er hinzu, müffe man nicht viel Vernunft da suchen, wo keine anzutreffen 25 sey, sondern sich an der Wollust begnügen, die man durch das Gehör

und das Gesicht empfände. Denn allerdings sey nichts widersinnischer, als zwey Helden vor sich zu sehen, welche von den allerwichtigsten und ost sehr heftig bewegenden Sachen sich singend besprechen.

Ich sagte

hierauf, daß man diesem Unnatürlichen abhelfen könne, wenn man nur 30 die Arien singen ließe, und das Recitattv declamiret würde.

Dieses

könne der Oper, anstatt ihr etwas von ihrer Pracht zu benehmen, einen neuen Zierrath verschaffen, indem dieses liebenswürdige Schauspiel da­

durch dem Natürlichen näher kommen würde. Meine Gedanken fanden damals Beyfall, wenigstens wurde ihnen nicht widersprochen.

Allein

35 mir selbst fiel hernach ein, daß sich zu der rechten Deklamation keine italienische Castratenstimme schicke.

Indessen suchte ich in meiner und

(Kritik über dir (Befangnen de» Plantu».

135

meiner Freunde Büchersammlungen etwas über diesen Vorwurf nach­ zulesen.

Unter allen aber gefiel mir nichts besser als des Grimarest

Traitfe du Recitatif dans la lecture, dans Faction publique, dans la declamation, et dans le chant, 1740, 8.

Dieses kleine Werk ist gewiß eines der vortrefflichsten in seiner Art,

5

und enthält so vieles, so zu Ihrem Vorhaben dient, daß ich hoffen darf. Sie werden wenigstens einer Uebersetzung b des 7 und 8ten Hauptst., darinne von der theatralischen Declamation und dem Singen eines Schau­

spielers gehandelt wird, einmal einen Platz in Ihren Beyträgen ver­

gönnen.

Sie verdienen es so wohl als die Abhandlungen des Corneille, io

und vielleicht ist der Nutzen davon allgemeiner. Es scheint übrigens nicht, als habe der Verfasser der deutschen Dichtkunst dieses Buch gesehm, wenn er da, wo von dem Vortrage und der Aussprache der spielenden Per­

sonen gehandelt wird, verschiedene Schriftsteller anführt, die meines Er­ achtens lange nicht so ausführlich davon gehandelt haben, als dieser. 15 Doch ich entferne mich allzuweit von meinem Zwecke und komme

eilmds zu dem Plautus, den Sie sich zu Ihrem Helden erwählt haben; worinne Sie so glücklich gewählt, als eine Dacier und ein Limiers,

obschon Horaz gesagt:

Daß seiner Väter Mund des Plautus Scherz und Kunst

20

Im Lustspiel sehr gelobt, allein aus blinder Gunst. G. Ihre Ausdrücke aber, deren Sie sich bedienen, so oft Sie Ihres Dichters

gedenken, sagen deutlich genug, daß Sie sich vorgenommen haben, ihn

nur zu loben.

Ihrem angenommenen Satze selbst: wider die Ge-25

wohnheit der Kunstrichter mehr zu loben als zu tadeln,

ist dieses vollkommen gemäß.

Verzeihen Sie es also meiner Gemüths­

art, welche zum Unglücke keine einzige von den Eigenschaften hat, die einen Lobredner ausmachen.

Ich werde den Plautus nur tadeln.

So

wenig es aber vernünftig seyn würde, wenn man sagte. Sie behaupteten, 30 b) Wir werden ehestens zeigen, daß wir guten Rath anzunehmen wissen. Gleichwohl scheinet mir auch dieser Schriftsteller von der theatralischen Declamation

nicht zureichend gehandelt zu haben.

Das beste, was ich mich über diese Materie

jemals entsinne gelesen zu haben, ist das schöne italienische Gedicht des Herrn

Riccoboni von der Kunst zu agiren; vornehmlich aber das ganz neue Werk: le 35

Comedien.

136

BrytrSgr ptr Historie und Aufnahme des Thrakers.

3. Stück.

daß Plautus ganz ohne alle Fehler, und alles an ihm lobenswürdig sey: eben so unbillig wäre es, wenn man mir Schuld geben wollte,

als wenn ich alles an Ihrem Dichter für tadelhafte Mängel hielte.

Sie haben in dem ersten Stücke Ihrer Beyträge versprochen, in 5 einer eignen Abhandlung von dem Vortrefflichen sowohl

als dem Tadelhasten in den Schauspielen des Plautus

zu handeln; und ich habe mit Verlangen diese Abhandlung erwartet.

Da ich aber sahe, daß Sie in dem zweyten Stücke Ihr Wort halb

zurück genommen und uns nur die Hoffnung gemacht, die Schön­ 10 heiten Ihres Dichters im dritten Stücke zu entwickeln,

so habe ich gemuthmaßt, daß es Ihnen vielleicht leid geworden °, an Ihrem Helden Fehler zu entdecken. Vergönnen Sie mir also, daß ich

diesen zweyten Theil Ihres Versprechens ergänze, und nehmen Sie diese Critik so gütig auf, als ich mit Wahrheit versichern kann, daß 15 sie aus keiner andern Absicht geschrieben ist, als nur zu zeigen, wie

viel dazu gehöre, ein vollkommen dramatisches Gedicht zu machen, und

wie groß die Verwegenheit derer seyn müffe, die heut zu Tage der­ gleichen in 24 Stunden zu verfertigen für nichts unmögliches halten. Wenn Meister in der Kunst, ein Plautus und Terenz fehlen, dürst Dem Ruhme des Plautus wird indeß mein Tadel keinen Abbruch thun; so gewiß als Sophokles

20 ihr Lehrlinge denn schon trotzen?

dennoch ein großer Dichter ist, obschon sein Oedipus, den Aristoteles

zum Muster der Tragödie vorschreibt, nicht ohne Fehler ist. Plautus ist allerdings ein großer Geist, deffen Scharfsinnigkeit unsre Bewun25

c) Wie aber, wenn Sie falsch gemuthmaßt hätten?

Ich glaube nimmer­

mehr, daß man die Schönheiten eines Schriftstellers in ihr gehöriges Licht setze»

könne, ohne zugleich das, was an ihm anstößig zu seyn scheinet, anzuführen, da­ bey aber so viel wie möglich zu entschuldigen.

Diesen letzten Punkt muß man

besonders bey den alten Dichtern beobachten: Denn theils waren die Fehler, die

30 man ihnen hin und wieder vorwerfen kann, zu ihren Zeiten keine Fehler; theils aber waren sie selbst von einem viel zu erhabnen Geiste, als daß sich ihre Sorg­ falt zu den Kleinigkeiten hätte können hernieder lassen, welche unsre Kunstrichter

alsobald in Harnisch bringen.

Ich habe allezeit geglaubt, daß Plautus gewisse

Fehler habe; allein diese Fehler sind von mir niemals für was anders gehalten

35 worden, als für eine Sommersprosse auf eincni sonst vollkommen schönen Gesichte. Ich würde sic bemerkt haben,, ohne sie zu tadeln und ohne sie zu lieben.

dem ersten bitt ich nicht verwegen, und zu dem andern nicht blind genug.

Zu

Crikik Wer die Gefangnen de» Plautus.

137

drung verdient. Die alten Römer, sagen Sie, schätzten ihn zweyer Stücke wegen sehr hoch; wegen seiner Schreibart

und seiner Scherze: beydes sey unverbesserlich.

Racine

hingegen ist der Meynung, daß alle diese Lobeserhebungen aus einem

andern Grunde entsprungen sind.

Er sagt in der Vorrede des Trauer-

5

spiels Berenice: „Les Partisans de Terence, qui Felevent avec „raison au dessus de tous les poetes comiques pour l’elegance „de sa diction et pour la vraisemblance de ses moeurs, ne laissent

„pas de confesser que Plante a un grand avantage sur lui pai* „la simplicitS qui est dans la plus part de ses sujets. Et c’est 10 „sans doute cette simplicite merveilleuse qui a attirS ä Plante

„toutes les louanges que les anciens lui ont donnees.“ d Daß aber 'm den Scherzen des Plautus viele den guten Sitten schädliche

und unanständige Dinge befindlich sind, kann man nicht leugnen; so wenig man zu seiner Entschuldigung behaupten kann, daß es die 15

Charaktere seiner Personen allemal so erfodert hätten.

Denn erstlich

hätte er dergleichen Charaktere auf den Schauplatz zu bringen vermeiden sollen, und zweytens hat Balzac schon gesagt, que les plus libres

courtisanes de Terence sont souvent plus modestes que les plus honnettes femmes de Plante. In der That war er auch so daran 20 gewöhnt, daß er es nicht unterlaffen konnte, an allen Orten ärger­ liche Dinge anzubringen. Man kann dieses aus seinen Gefangnen be­ weisen, wo er an unterschiedenen Stellen, die ich anmerken werde, ganz ohne Roth dergleichen Unrath ausstreuet; da er doch in diesem

Stücke sich meynt Gewalt angethan zu haben, und

bey dem Be- 25

schlusse derselben sagt: ad pudicos mores facta est tabula. Der Kunst des Dichters benimmt dieser Vorwurf nichts; nur schadet es den guten Sitten. Von den verschiednen Ausgaben und Uebersetzungen des Plautus haben Sie uns hinlängliche Nachricht ertheilet; da Sie aber von allen 30 d) Es ist unwidersprechlich, daß Plautus wegen der Einheit seiner Hand­ lungen ganz besonders zu loben ist; das; aber die Alten vornehmlich auf die zwey von mir angeführten Stücke gesehen haben, beweiset die Stelle aus dem

29 Hauptst. des 1 Buchs von den Pflichten, und das Urtheil des Lucius Aelius Stilo; welches ich beydes in der Abhandlung von d. L. und SB. des Plautus 35

angeführt habe.

138

VrykrSgr jur Historie und Aufnahme de» Theaters. 3. Stück.

Uebersetzungen so weitläustig gehandelt, so wundert mich, warum Sie der vortrefflichen Uebersetzung des Coste nicht mit mehrerm gedacht,

und sie nur mit dem kurzen und guten Ruhme, die Arbeit sey

glücklich gerathen, abgefertiget haben.

Ich bin daher auf den

6 Argwohn gekommen«, daß Sie vielleicht diese Uebersetzung nicht selbst gesehm haben.

Sie ist unter dem Titel: les Captifs, Comedie de

Plante, traduite en fran^ois avec des remarques par Msr. Coste, in Amsterdam 1716 8TO herausgekommen.

Der lateinische Text ist zur

Seite beygedruckt, und die Anmerkungen enthalten lauter artige und 10 lehrreiche Gedanken, die zu dem Verstände des Gedichts nöthig waren,

und die Ihnen vielleicht mürben haben nutzen können, wenn Sie das Buch bey der Hand gehabt hätten.

Man sieht aus verschiednen Stellen,

daß Herr Coste eine zweyte Ausgabe mit verschiedenen Verbefferungen davon zu liefern Vorhabens -gewesen ist, so aber meines Wissens un-

16 erfüllt geblieben. Dieser Ihr Vorgänger hat sich bemüht in einer sehr wohlgeschriebnen Vorrede zu erweisen, daß dieses Lustspiel nach allen Regeln

des Theaters sey.

Seine Gedanken hiervon sind sehr schön.

„Dieses

„Stück, sagt er, scheint mir vollkommen regelmäßig - - - Die Einheit 20 „der Handlung fällt in die Augen - - Die Entdeckung der Betrügerey

„des Tyndars fließt sehr natürlich aus dem innersten Stoffe, und „dieser Zwischenfall, welches der einzige im ganzen Stücke ist, macht

„den Knoten durchgängig aus - „ihn sehr ungezwungen.

Die Wiederkunft des Philokrat löset

Aus einem so einfachen Stoffe, worinne ein

26 „mäßiger Geist kaum Materie zu zwey oder drey Aufzügen würde ge„funden haben, hat Plautus durch seine Kunst ein Stück von fünf „ganz vollständigen Aufzügen zu machen gewußt - -

Die Einhett des

e) ES ist wahr; besonders gedruckt war mir diese Uebersetzung damals noch nicht vorgekommen, ich kannte sie aber aus des Limiers Uebersetzung, wo sie von

30 Wort zu Wort eingerückt ist.

Doch auch diese, die Wahrheit zu gestehen, hatte

ich nicht bey der Hand; welches mir in so weit ganz lieb ist, weil ich mich viel­ leicht durch sein Beyspiel zu einigen Fehlern, die ich hernach bemerken will, hätte

können verleiten lassen.

Uebrigens hat doch der Verfasser dieses Briefes einge-

sehen, daß meine Absicht gar nicht gewesen, alle Ausgaben des Plautus anzu-

36 führen; sonst würde es ihm weit leichter, als einem von meinen Bekannten, ge­ worden seyn, noch ein halb Dutzend von mir übergangner Ausgaben, ich weis

nicht-aus was für Katalogen zusammen zu stoppeln und gnädigst mitzutheilen.

Crrkik über die Gefangnen des Plautus.

139

„Orts ist eben so genau als die Einheit der Handlungen darinne be„obachtet.

Alles geht ganz natürlich bey dem Hause des Hegio vor - -

„Was die Dauer der Handlung anbelangt, so hat sie Plautus gleich­

falls mit vieler Sorgfalt bemerkt.

Sie fängt sich des Morgens an,

„und schließt sich noch vor dem Abendeffen, so daß acht oder aufs

5

„höchste neun Stunden dazu erfodert werden." Alles dieses werde ich beantworten, und das Gegentheil darthun, wenn ich vorher einige kleine Erinnerungen werde gemacht haben, die sich nirgends besser als hier anbringen lassen.

Wenn Sie an des Limiers Uebersetzung des Plautus seine Ge-10 schicklichkeit rühmen, mit welcher er die anstößigen Stellen übersetzt, so

verdient Eoste eben dieses Lob; denn in seiner Uebersetzung finden

Sie eben diese Behutsamkeit angewendet, so daß er selber sägt: „ä la „faveur de ces changements je serois en droit de dire de ma

„traduction seien tonte larigueur de la lettre ce que Plante dit 15 „de sa piece: ad pudicos mores facta est.“

Die Uebersetzung von des Plautus Aulularia, der Sie gedenken, ist zu Zelle 1743 mit dem lateinischen Texte zur Seite und artigen

Anmerkungen herausgekommen.

Der Name aber des Uebersetzers ist

nur durch ein bloßes M. am Ende der Vorrede ängstigt worden.

In 20

derselben wird gleich Anfangs gesagt, daß man durch diesen Ver­

such den Deutschen von der Stärke oder Schwäche der alten römischen Schaubühne einen Begriff habe geben

wollen.

Der Uebersetzer scheint nichts von der ältern Uebersetzung

25

dieses Stücks gewußt zu haben, der Sie gedenken.

Wennt Plautus der Vater aller Komödienschreiber f) Wenn ich den PlantuS den Vater aller Komödicnschrciber genannt, so habe ich nur alle diejenigen darunter verstanden, welche nach ihm gelebt haben.

Ich will auch nicht glauben, daß mir mein Gegner im Ernste zutrauet, als hätte ich selbst die Griechen für Schüler dieses Dichters gehalten.

Es wird ihm aber 30

mehr als zu wohl bekannt seyn, daß uns von diesen kein einziger in ganzen Stücken übrig geblieben ist, als Aristophanes. Und auch dieser ist einen ganz andern Weg in den Schauspielen gegangen, als wir heut zu Tage zu gehen

pflegen; so daß wir ihn uns nur in sehr wenig Sachen zum Muster vorstellen

können.

Wer ist aber nach ihm der älteste Komödienschreiber? Unter denen, die 35

uns übrig geblieben sind, gewiß kein anderer als Plautus.

Alle aber, die nach

ihm gekommen, haben sich eine Ehre daraus gemacht zu bekennen, daß sie in

140

VrykrSgr jur Historie und Aufnahme bea Thraker«.

3. Skück.

wäre, wie Sie ihn nennen, so müßten alle Komödienschreiber seine Schüler seyn, welches doch schwerlich wird können erwiesen werden.

Ihre Meynung wird vielleicht nicht so allgemein seyn, als dieser Aus­

druck es zu behaupten scheint.

Hat gleich Terenz und Moliere ihn zu-

5 weilen nachgeahmt, wie viel hat jener nicht auch von andern, absonder­

lich den Griechen, genommen und gelernt?

Da ich in dem ersten Stücke Ihrer Beyträge las, daß Sie der Meynung wären, daß die Gefangnen des Plautus gewiß das

vortrefflichste

10 Theater

Stück

wären,

welches

jemals

auf

das

gekommen, und ich dieses nochmals in dem zweyten

Stücke wiederholt sahe; ich aber bey Durchlesung des Originals und

der Uebersetzung des Herm Coste verschiednes Unwahrscheinliches und

Ungereimtes darinne wahrgenommen hatte: so schien es mir, als wäre ich anitzo aufgefodert, meine Meynung, daß dieses Stück kein Meister-

15 stück sey, zu beweisen, oder zu ändern.

Hieraus nun sind diese Ge­

danken entstanden/ Ich erwähle Sie selbst zu meinem Richter.

Mit

Vergnügen will ich meinem Irrthume absagen, wenn Sie zeigen werden,

daß das, so ich an diesem Stücke tadele, nicht tadelnswürdig sey, und daß das Stück selbst dennoch wirklich schön und regelnräßig bleibe,

20 und folglich für ein vollkommnes Muster eines dramatischen Gedichts

müsse angesehen werden. Hätten Sie nur gesagt, daß die Gefangnen das schönste Lustspiel

unter allen Lustspielen des Plautus wären, und daß dieses die Ursache

wäre, warum Sie eben dieses zu übersetzen sich die Mühe gegeben; 26 so hätte man Ihnen nichts anhaben können. dieses Stück gewählt, weis ich nicht.

Denn warum Sie sonst

Es scheint Ihrem Vorhaben zu­

wider zu seyn, nach welchem Sie versprochen, zu Ihren Uebersetzungen allezeit ein^solches Stück zu wählen, welches

von neuern Poeten nachgeahmet worden, oder von dessen

30 Inhalte wenigstens ein ähnliches neues Stück zu finden

sey.

Wer hat denn die Gefangnen des Plautus nachgeahmt?

Ich

weis keinen. Doch es kann seyn, daß vielleicht meine Unwissenheit daran schuld ist, und darum würden Sie mir und andern einen großen Geihren vornehmsten Stücken den Plautus zu ihrem Vorgänger erwählt. Doch muß 35 ich erinnern, daß ich unter diesen allen nur diejenigen verstehe, die es werth sind

Schüler des Plautus genennt zu werden.

(Kritik über dir Gefangnen de« plautus.

141

fallen erzeiget haben, wenn Sie uns solches gesagt hätten, denn so hätten wir es hernach auch gewußt«.

Des Turnebus Urtheil, so Sie anführen, gilt hier nicht viel.

Denn obschon dieser Mann seine großm Verdienste, wegen seiner er­

staunlichen Gelehrsamkeit, hat; so weis man doch, wie heftig die Ge-

5

lehrten des 16 Jahrhunderts die alten Schriftsteller vertheidigten, und

dieses mit weit größrer Gelehrsamkeit als Scharffinnigkeit. Absonderlich aber weis man, daß ste in Sachen des Witzes nur schlechte Ritter waren. Weil Sie also Ihren Lesern die Freyheit gelaffen haben selbst zu

urtheilen, so bediene ich mich derselben, doch unterwerfe ich mich gänzlich 10 Ihrer Beurtheilung.

Dieser freundschaftliche Streit wird vielleicht einem

Dritten nützlich seyn.

Der Streit ist bekannt, den der Abt Hedelin

mit dem Menage wegen eines Lustspiels des Terenttus gehabt hat.

Wie viel schöne Anmerkungen haben sie nicht dabey gemacht, die ihren

Nachfolgern alle genutzt, und uns vieles gelehrt haben, wofür wir 15 ihnen Dank sagen müssen.

Sie würden aber unserer Verehrung noch

mehr würdig seyn, wenn sie sich nicht durch etliche niederttächttge Aus­ drückungen und ihre lächerliche Hitze um einen Theil der Hochachtung, die man ihren Verdiensten schuldig ist, gebracht hätten.

Anfangs werde ich nur mehrentheils mit dem Herm Coste allein 2»

zu thun haben, und das Gegentheil dessen erweisen, was er in seiner

Vorrede behauptet.

Dieses geht Ihnen auch an, in so fern Sie dieses

Stück für vollkommen halten; und wenn es mir gelingt zu erweisen,

daß es nicht so regelmäßig ist, als Herr Coste behauptet, daß es im

Gegentheil Unmöglichkeiten enthält, und daß es hin und wieder ohne 25 Ueberlegung gemacht: so habe ich zulänglich das Gegentheil Ihres Satzes erwiesen, daß es das schönste Stück sey, so jemals auf

das Theater gekommen. Dieses setze ich aber, nach den Regeln der dramatischen Dichtg) Ich habe geglaubt, es stehe mir frey, von den Regeln, die ich mir selbst 30 gemacht, gleich das erstemal abzugchen; zumal da ich so wichtige Ursache vor mir sahe: Es ist wahr, ich weis selbst keine Nachahmung dieses Stücks; allein

eben deswegen, weil es von einer so besondem Einrichtung ist, daß ich glaube, es zeige uns eine ganz neue Att von Lustspielen, an die sich die neuem Dichter auf keine Weise gewagt; eben deswegen, sage ich, habe ich mir geschmeichelt, der 35

Leser würde mir es Dank wissen, daß ich mich nicht so gar genau an mein Wort gehalten hätte.

142

VrykrSgr pir Historie und Aufnahme de» Theater».

3. Stück,

kunst, voraus, daß ein vollkommnes Gedicht dieser Art nicht nur voll

sinnreicher Gedanken, artiger Einfälle, angenehmer Scherze, künstlicher

Verwickelung, und natürlicher Auflösung des Knotens der Haupthand­

lung seyn müsse; sondern daß es absonderlich müsse wahrscheinlich seyn, Sund der Zuschauer nicht alle Augenblicke durch die großen Sprünge

des Dichters merke, daß man ihm eine ohnmögliche Fabel vorplaudert. „Jamais au spectateur n’ofir6s rien d’incroiable;

„l’Esprit n’est point emü de ce qu’il ne croit pas,“ sagt Boileau in seiner Dichtkunst. - - Ich habe also itzt zu erweisen, 10 was ich in den Gefangnen des Plautus für unanständig und unwahr­ scheinlich halte; was ich wider die Einheit der Handlung und wider

die Dauer derselben zu sagen habe. Vorher aber muß ich noch erinnern, daß in dieser Komödie, so

wie wir sie anitzo lesen, viel unrichtige Abtheilungen der Aufzüge und 16 Austritte befindlich, welche das Ungereimte darinne vermehren. Allein

dieses lege ich dem Plautus nicht zur Last, sondern seinen Scholiasten und Abschreibern.

Die Ursache davon hat mir Menage in seinem

Discours sur Terence p. 216 gelehrt: Nous voyons dans. Terence

des scenes et des actes mal divisös.

La cause de cette confusion

20 est - - que les anciens Poetes grecs et latins n’ont laissS aucune

marque de ces distinotions, non pas meme Seneque le dernier

des Poetes dramatiques anciens. Dergleichen unrichtige Abtheilung befindet sich im 2 Aufzuge, welcher in 3 Austritte abgetheilet ist, da

er doch nur zwey haben sollte. Diesen Irrthum haben Sie bereits in

26 Ihrer Uebersetzung angemerkt, darum halte ich mich nicht dabey auf, und würde ihn ganz mit Stillschweigen übergangen haben, wenn ich

nicht dabey anmerken wollen, daß Plautus selbst viel Schuld an diesem

Irrthume sey, und vielleicht nicht besser würde abgetheilet haben.

Es

ist gewiß, daß in dem andern Austritte Philokrates auf dem Theater

so ist, und daß, wenn man auch sagte, er habe so weit davon gestanden,

daß er nicht hören können, was sie gesprochen, er sie doch hat sehen können.

Mithin ist das vin’ vocem ad te ? des Hegio, und des Tyn-

dars Antwort voca ungereimt

Hegio selbst ruft ihn auch nicht eins

h) Warum dieses ungereimt seyn sollte, kann ich nicht einsehen. Hegio 36 hatte den Philokrat vorher mit Fleiß bey Seite geführt, damit er den Tyndar

(Kritik über die Gefangnen des Plautus.

143

mal, sondern, inzwischen daß er acht Worte spricht, nähert er sich ihm und sagt: vult te novus herus operam dare etc. Hier ist also keine

Veränderung vorgegangen, also geht auch kein neuer Austritt an. Selbst

die Aufschriften dieser beyden Austritte zeigen, daß in der einen eben die Personen sind, die in der andern waren: obschon dieses noch zu

5

merken, daß außer diesen drey Personen noch andre Knechte müssen auf der Bühne gewesen seyn, welche Hegio zu Anfänge des zweyten Auftritts fragen können: ubi sunt.isti quos ante aedes iussi produci

foras? Denn den Philokrat und Tyndar kann dieses nicht angehen;

auch nicht einmal das vorhergehende si ex bis quae volo exquisivero. 10 Denn wenn Hegio den Philokrat und Tyndar damit gemeynet, wie ungereimt wäre es, daß er gleich darauf fragte, wo sie wären? Daß

aber hier keine Knechte antworten, sondern Philokrat so gleich herzutritt

und den andern Knechten mit der Antwort zuvorkömmt, ist ein Kunst­ stück des Dichters, davon die Absicht einem jeden in die Äugen fällt1. 15

insbesondere vornehmen konnte.

Wahrscheinlicher Weise mußte er ihn so weit

weggeführt haben, daß er auch dem Tyndar keinen Wink oder ein ander Zeichen geben können.

wegführte.

Denn dieses zu verhindern war eben die Ursache, warum er ihn

Da er sich nun hernach genugsam mit dem Tyndar besprochen hatte,

und sie über die Art, wie er und sein Sohn frey könne gemacht werden, einig 20 geworden waren: was war natürlicher, als'daß Hegio sagte: Soll ich ihn also her rufen? damit du ihm sagen kannst, wie er sich in Elis

zu verhalten hat?

Rufe ihn, antwortet Tyndarus.

Was ist aber dem

Plautus daraus für ein Verbrechen zu machen, daß nunmehr Hegio den Philo­ krat nicht ruft, sondern gar herholt?

25

i) Auch hier scheinet mir mein Gegner Schwierigkeiten zu finden, wo keine sind.

Er hätte nur den vorhergehenden Auftritt mit sollen zu Hülfe nehmen, so

würde ihm alles nothwendig sehr deutlich vorgekommen seyn.

In dem ersten

Austritte des zweyten Auszuges werden die beyden Gefangnen von ihrem Wächter

herausgeführt.

Sie bitten sich die Erlaubniß aus, daß sie ein Paar Worte im 30

Verttauen mit einander reden dürfen.

Sie erhalten sie, gehen also etwas bey

Seite und werden über ihre ausgedachte List einig.

Unterdessen könrmt Hegio, so

daß er die ersten Wotte, iam ego revertar intus, si ex bis quae volo exquisivero noch in seinem Hause, oder doch gleich vor der Thüre, das Gesicht gegen sein

HauS gekehret, sagt.

Als er sich aber völlig umwendet, und die beyden Ge- 35

fangnen, die er hatte herausführen lassen, nicht gleich gewahr ward, weil sie, wie auS dem ersten Auftritte erhellt, etwas bey Seite gegangen waren; so mußte er freylich wohl fragen, wo sie wären? Philokrat und Tyndarus gehen.

Das ex bis kann also ganz wohl auf den

Freylich wenn es hieße ex bis, quos hic Stare

144

Vrykrügr pir Historie und Ausnahme de» Thraker».

3. Lkück.

Eben so ist auch der dritte Aufzug in 5 Auftritte abgetheilt, da

es nur viere seyn müssen.

Denn die beyden letzten Austritte machen

nicht mehr als einen aus.

Hegio ruft am Ende des vierten Austritts

seine Knechte, sie komnien, und er befiehlt ihnen den Tyndar zu feffeln. S So ist zwar alles natürlich, und es geht allerdings em neuer Austritt

an, da die Knechte auf den Schauplatz kommen; und so haben Sie

in Ihrer Uebersetzung durch eine geschickte Ordnung dieser Schwierig­ keit abgeholfen.

Allein in dem Originale sieht es ganz anders aus.

Da ist alles in Unordnung. Hegio steht in dem vierten Austritte vor io der Thüre, und ruft seine Knechte.

Diese sind entweder im Hause,

oder sie sind mit ihrem Herrn vor der Thüre.

Man mag- wählen,

welches man will, so findet man Schwierigkeiten. Heg. v. 124. - Hie quidem me nunquam irridebit.

Colaphe,

Cordalio, Corax,

15

Ite istinc atque eiferte lora. Die Knechte antworten: Nurn lignatum mittimur? Und damit soll sich der vierte Austritt endigen.

Hegio aber fährt fort in der fünften

Scene zu seinen Knechten zu reden: Iniicite huic manicas etc.

20 Das ite istinc zeiget an, daß die Knechte schon vor der Thüre sind, und Hegio zu ihnen sagt: geht hin und holet die Stricke.

Es müßte

aber alsdenn wohl afferte lora heißen, wenn ich das efferte lora nicht

durch bringet heraus übersetzen kann.

Hegio hat das Wort kaum

ausgeredt, so sind die Stricke schon da, und er befiehlt den Tyndar

25 zu fesseln. Ich gestehe gern, daß mir dieses unbegreiflich bleibt. Denn daß ite istinc, kommet heraus heißen könne, kann ich mir nicht über­ reden^.

video, alsdann würde die daraus folgende Frage ungereimt seyn. Allein PlauMS will sagen ex bis, quos ante aedes iussi produci foras. UebrigenS will ich gar 30 nicht leugnen, daß noch außer dem Hegio, Philokrat und Tyndar, noch Knechte auf dem Theater müssen gewesen seyn. In dem vorhergehenden Austritte führt ja PlautuS die Lorarios redend ein; daß sic aber im Anfänge des andem Auf­ tritts sollten abgegangen seyn, davon findet sich keine Spur, wohl aber von dem Gegentheile. Denn zu wem hätte Hegio zu Ende dieses Austritts sonst sagen 35 können: Solvite istum nunc iam etc. k) Ich glaube diesen Ort nicht so wohl verbeffert, als nur richttg über­ setzt zu haben. Freylich heißt ite istinc nicht eigentlich kommet heraus.

Critik über dir Gefangnen des PlsuLus.

145

Der vierte Aufzug besteht aus vier Scenen und sollte nur dreye

haben; denn die vierte muß die erste des letzten Aufzuges seyn.

Ich

wundre mich, daß Ihnen dieser große Irrthum nicht bey dem Ueber-

setzen in die Augen gefallen ist.

Nachdem Hegio den Ergasilus in dem

zweyten Austritte zu seinem Haushofmeister gemacht, und dieser in dem

5

dritten Austritte den schönen Vorsatz faßt, die größte Niederlage unter dem Vorrathe anzurichten, so geht er ab alle diese große Dinge zu bewerkstelligen. Hier nun sollte sich der Aufzug enden, damit Ergasilus

in der Zeit, die der Raum zwischen dem vierten und fünften Austuge dem Dichter giebt, wirklich alles ausrichten, und alsdann der Knecht, 10

in dem ersten Austritte des fünften Aufzuges, die Erzählung davon machen könne. So aber ist Ergasilus noch nicht einmal von dem Theater herunter, so kömmt der Knecht schon gelaufen, und erzählt was jener für Unheil im Hause angerichtet und wie er alle Vorrathskammern

durchwühlet habe.

Wann, fragt hier jeder Zuschauer, hat er denn alles 15

das gethan ? Man läßt ihm ja keine Zeit darzu. Ich sehe ihn ja erst

vor meinen Augen weggehen.

Und siehe, der Zuschauer spüret hand­

greiflich, daß ihn der Dichter betrügt1. sondern es heißt, kommet von dort hieher, und nicht gehet von hier dorthin, wie es heißen müßte, wenn es Herr (Softe durch allez richtig sollte 20

übersetzt haben.

Eine einzige Stelle, die ich aus dem 57 Briefe des ersten Buchs

der Briefe Ciceronis anführen will, wird zeigen, daß istinc allerdings die Be­

deutung hat, die ich ihm beylege: quanquam, spricht er, qui istinc veniunt, partim

te superbum esse dicunt, quod nihil respondeas etc.

Man darf sich also nur

vorstellen, Hegio habe seine knechte unter der Hausthüre stehen sehen, und als- 25

dann ist das ite istinc atque eiferte lora sehr deutlich.

Daß aber die Knechte

schon sollten auf dem Theater gewesen seyn, ist gar nicht wahrscheinlich.

Wenn

sie da gewesen wären, so hätten sie ja nothwendig hören müssen, was vorge­

gangen, und hätten gewußt, wozu sie die Stricke herausbringen sollten, so daß

alsdann ihre Frage: num lignatum mittimur? sehr abgeschmackt gewesen wäre. 30

1) In diesem Stücke hat mein Gegner vollkommen Recht; ich bitte ihn nur,

daß er die Schuld nicht auf den Plantus, sondern auf seine Abschreiber, und iho auf mich, als seinen Uebersetzer, lenen wolle.

Was mich aber abgehalten hat

diese falsche Abtheilung anzumerken, ist, daß wenn man die letzte Scene des vierten Aufzugs zu der ersten des fünften macht, sie gar keine Verbindung mit 35

den übrigen bekömmt.

Der Knecht läuft auf der einen Seite fort, seinen Herrn

zu suchen, und auf der andern Seite kömmt er ohne daß er ihn gewahr wird. Diese kleine Unwahrscheinlichkeit war also

Schuld, daß mir eine weit größre

entwischte.

Lessing, sämtliche Schriften. IV.

10

146

Beyträge ;ur Historie und Aufnahme de» Theater». 3. Stück. Dieses sey von der unrichtigen Abtheilung der AuMge und Auf­

tritte genug. Ich komme auf das, was ich wider die Einheit der Hand­ lung in den Gefangnen zu sagen habe.

Die Handlung ist allerdings

einfach, so wie sie Herr Coste in seiner Vorrede zergliedert.

Allein in

5 seinem Entwürfe sagt er nichts von der Person des Tyndars, daß er ein Sohn des Hegio sey, noch daß er seinem Vater vor vielen Jahren entführet worden, und nunmehr, ohne es zu wiffen, in seines Vaters

Hause sich befinde. Man wird mir sagen, dieses sey nur eine Episode,

die nicht zur Haupthandlung gehöre. Allein die Episoden sollen ja nach

10 den Regeln der Dichtkunst so genau mit der Haupthandlung verbunden seyn, daß diese ohne jene unvollkommen seyn würde; ohne welche Be­

dingung die Episoden als

besondere Handlungen können angesehen

werden; so wie in der That auch in diesem Lustspiele die Handlung durch die Episode verdoppelt wird. Denn würde die Handlung dieses

15 Gedichts nicht eben so vollkommen gewesen seyn, wenn auch diese Epi­ sode nicht darzu gekommen, wenn auch in der Person des Tyndars

Hegions Sohn nicht verborgen wäre? Was trägt denn dieser Umstand

zu dem Knoten oder zur Auflösung desselben bey?

Er würde ganz

fremde in dieser Handlung seyn, wenn nicht der Dichter die Zuschauer

20 durch den Vorredner hätte warnen lassen, daß einer von diesen Ge­ fangnen des alten Hegio Sohn sey, ohne daß es einer von ihnen beyden

wisse.

Hierdurch hat freylich der Dichter mit großer Kunst die Auf­

lösung des Knotens zubereiten wollen, und die Zuschauer desto aufmerksamer auf alles gemacht, nxio dem Tyudar wiederfährt.

Allein es

25 ist die Frage, ob der Prolog der alten Komödien kann als ein noth­ wendiges Theil derselben angesehen werden, und ob es nicht der Ver­

nunft gemäßer ist, solchen für etwas ganz fremdes und nicht damit

verbundenes anzusehen? Ich kann mich hierüber dießmal nicht weitläuftig erklären.

Hie-

30 rinne bin ich aber Ihrer Meynung, daß dieser Prolog sehr angenehm sey.

Die alten Dichter hatten einen großen Vortheil bey

dieser Erfindung die Zuschauer von dem Inhalte ihres Stücks zu unter­ richten; allein daß man hernach diese Weise abgeschafft hat, ist gewiß

aus keiner andern Ursache geschehen, als weil sie etwas sehr unnatür­

35 liches an sich hat.1

Crikik über die Gefangnen de» Plauku«.

147

Mehr werde ich wider die Einheit der Handlung in diesem Stücke

nicht sagen.

Wenn ich nicht erwiesen, daß sie doppelt ist, so glaube

ich doch wenigstens erwiesen zu haben, daß man an der Einheit der­

selben zu zweifeln Ursache hat.

Was ich nun in diesem Stücke für unanständig halte, ist erstlich

5

die Person des Schmarutzers. Der Charakter dieses Kerls ist vollkommen

ausgedrückt, und man erkennt an diesen! Bilde einen großen Mahler. Allein daß uns diese Person heut zu Tage etwas frentbe, unwahr­ scheinlich und übertrieben vorkömmt, davon haben Sie uns die Ursache

gar artig in einer Anmerkung entdeckt.

Nur dieses gefällt mir nicht, 10

daß dieser Parasit in drey Austügen allemal der erste auf dem Theater ist, und das noch darzu allemal alleine. Mr scheint, dieß sey sehr ge­

zwungen. Man sieht wohl, Plautus hat den Parasiten zu dem End­ zwecke gebraucht, wozu die Neuern den Arlequin aufgefiihret haben.

Ferner ist es lächerlich, daß Ergasilus in dem ersten Austritte 15 sagt: Aetolia haec est.

vor.

Ich stelle mir dabey fei» ganzes Betragen

Vielleicht hat er eine Bewegung des Körpers darzu gemacht,

welche sich zu diesem, denn ich bin hier in Aetolien, geschickt;

und so gleich fallen mir die Meisterstücke der ersten Mahler bey, welche, wenn sie ein Gemählde fertig hatten, allen Irrungen vorzukommen, 20 noch hinzuschrieben: denn dieß ist ein Pferd, und dieß ist ein Ochse.

Doch Plautus ist nicht der einzige dramatische Dichter der Alten, der

diesen Fehler begangen hat. Es ist noch weit lächerlicher, wenn in dem

Oedip des Sophokles, der Oedipus zu seinem Volke sagt: Ich bin

Oedipus, der in aller Welt so b erühmt ist; und der Priester 25 des Jupiters ihm antwortet: Ich, der ich dich anrede, bin der Oberpriester des Jupiters.

Kann was ungereimter seyn oder

erdacht werden?

Drittens sind in dieser Komödie gar sehr viele und lange so

genannte Aparte, welche so ungereimt sind, daß nichts darüber ist. Ich 30 ließ es noch gelten, wenn dann und wann eine Person ein Wort sagt,

das ihr so zu sagen aus dem Munde wider Willen entwischt, und die

Verfasiung seiner Seelen, bey unvermutheten Zufällen, gleichsam zu verrathen scheint.

Allein solche lange Reden, als hier im zweyten Auf­

tritte des ersten Aufzuges, im zweyten Auftritte des zweyten Aufzuges, 35

im zweyten Auftritte des vierten Aufzuges anzutreffen, haben auch nicht

148 BrykrSge zur Historie und Rufnahmr de» Thrakers. 3. SkülK.

5

io

15

20

25

30

35

die geringste Spur des Natürlichen an sich. Die letzte von den an­ gezeigten Stellen ist am allerunnatürlichsten, wo Ergasilus die größten Posien macht, und gar erstaunlich droht, wie unbarmherzig er mit dem ganzen menschlichen Geschlechte umgehen wolle, wenn ihn jemand aufhalten würde, eilends zu des Hegio Haus zu gelangen. Und siehe der Narr steht vor des Hauses Thüre. Absonderlich aber halte ich die anstößigen Stellen, die zweideu­ tigen Redensarten, und die schlechten platten Scherze, die in diesem Stücke in Menge zu finden sind, für sehr unanständig. Gleich Anfangs in dem Prolog haben wir dergleichen: Hos quos videtis Stare hic captivos duos, Illi qui astant, hi stant ambo, non sedent etc. C’est un jeu de Theatre (sagte Coste) dont tont le succes depend. de Fhabilit6 de l’acteur. Allein dieses thut mir noch keine Genüge. Ihre Anmerkung, in welcher Sie gestehen, daß dieser Einfall nicht der vortrefflichste sey, verdient mehr Beyfall. Ob er aber geschickt sey zum Lachen , zu bewegen, weis ich nicht. Dieß merke ich noch an, daß also diese beyden Gefangnen, Philokrat und Tyndar, auf dem Theater gewesen sind, und Tyndar nothwendig muß gehöret haben,, daß er Hegions Sohn sey. Gehört nun noch der Prolog zur Handlung? Und kann man einen Beweis daher nehmen, daß der Poet diese Episode von Anfänge der Handlung schon mit Kunst vor­ bereitet habe? Einen eben so schlechten Scherz findet man in dem ersten Auftritte des ersten Aufzugs, wo Ergasilus sagt: Juventus nomen indidit scorto mihi, Eo quia invocatus soleo esse in convivio etc. Anstatt dieses elende Wortspiel zu übersetzen, sagt Coste in einer An­ merkung : „II m’a ete impossible de traduire ces huit vers, parce „qu'ils ne contiennent qu’un jeu de mots si dependant de la lan„gue latine qu’il seroit tont ä fait absurde, traduit en franqois. „Gela meine prouve sensiblem ent que la plaisanterie que Flaute „a pretendu mettre dans ces huit vers, semble dire quelque chose, „mais ne signifie rien dans le fond. Car ce qui est veritablement „plaisant dans une langue, peut toujours etre transporte dans „une autre.----- Tout ce qu’on peut dire pour excuser Flaute,

Critik über die Gefangnen des Plautus.

149

„qui est assez sujet ä donner dans ces sortes de plaisanteries qui „ne roulent que sur des mots, c’est qu’il les met dans la bouche „de gens qui trouvent ces plaisanteries merveilleuses et sont in„capables d’en imaginer de plus fines et de plus raisonnables - „C’est pour ce qu’Ergasilus n’a pas plütöt läche cette fade 5 „plaisanterie que Flaute lui fait dire Scio absurde dictum hoc derisores dicere etc.“ Der Sinn Ihrer Anmerkung über diese Stelle trifft mehrentheils hiermit

überein.

Alle beyde Anmerkungen geben nichts destoweniger zu, daß

dieses ein schlechter Scherz sey.

Eben so ist es mit dem Scherze be. 10

schaffen, der in den Worten des Tyndars im zweyten Aufz. 2 Aust, stecken soll, wo er den verstellten Philokrates mit einem Barbier ver­

gleicht.

Und noch viel edler ist der Einfall der Knechte im 3 Aufz.

4 Stuftm: Num lignatum mittimur?

Es ist wahr, durch die Art,

wie Sie es übersetzt, haben Sie der Ungereimtheit dieses gezwungnen 15 Misverständniffes in etwas abgeholfen.

Allein im Lateinischen ist es

als eine Frage an ihren Herrn eingerichtet, und ganz unerträglich.

Die zweyte Scene im vierten Aufzuge ist voll dergleichen zweydeutiger Scherze.

Im 86 V. sagt Ergasilus

Mihi quickem esurio non tibi - „Cette replique (sagt Eoste) est trös insipide et fondee sur une „supposition tout ä fait extravagante.“ Darauf sagt Hegio im 87 V. Tuo arbitratu tadle patior.

20

In diesen Worten, spricht der französische Uebersetzer, liegt eine schänd- 25

liche Anspielung.

Daß dieses wahr sey, und Hegio es wohl verstanden

habe, was jener sagen wolle, kann man aus dem folgenden schlieffen, da er böse wird und sagt:

Iupiter te Dique perdant - Sie haben dieses, die Ehre Ihres Helden zu retten, in Ihrer Ueber- 30 setzung billig ausgelassenn. m) Aus meiner Anmerkung k) werden Sie genugsam sehen, daß dieser

Tadel ganz ungegründet ist. n) Glauben Sie nicht, daß ich diese Stelle deswegen wcggclassen, weil ich geglaubt, daß sie keusche Ohren beleidigen können.

Nichts weniger als dieses; 35

sondern ich habe sie in der Ausgabe, die ich meistentheils bey meiner Arbeit ge-

150

Brykrägr zur Historie und Aufnahme de» Thraker».

3. Stück.

In dem zweyten Auftritte des vierten Aufzuges sagt Ergasilus

von dem Stalagmus: Boius est Boiam terit. Cet equivoque (sagt Coste) porte sur une idee obscure et la plai5 santerie est en eile, meme obscure et insipide. Und Sie haben es in Ihrer Uebersetzung eben darum auslassen müssen, weil es zu über­

setzen unmöglich war.

Ein Beweis eines falschen Scherzes.

In dem zweyten Auftritte des fünften Aufzuges sagt Hegio vom

Stalagmus: 10 Bene morigerus fuit puer, nunc non decet. Wenn man nun das ut vis flat, das vorhergehet, dazu nimmt, so scheint es, als wenn Coste Recht hätte zu sagen: Voila une de ces passages dont j’ai dit que la pudeur n’y etoit pas assez menagee.

Sie haben dieses aber in Ihrer Uebersetzung so bescheiden ausgedrückt, 15 daß aller Argwohn einer Unfläterey wegfällt, und ich fast dadurch be­ wogen werde zu glauben, daß Coste sich geirret, und Plautus hier keinen niederttächtigen Gedanken im Sinne gehabt habe. Was ich nun endlich für unwahrscheinlich in diesem Gedichte

halte, und was ich absonderlich wider die Dauer desselben einzuwenden

20 habe, gründet sich auf folgendes. Der Schauplatz ist in Aetolien, einer Provinz in Griechenland, und zwar in einer Stadt dieser Provinz Namens Calydon. Gleichwohl nennt Plautus in diesem Stücke mehr

als an drey Orten verschiedne bekannte Plätze der Stadt Rom, als wenn die Scene in Rom selbst wäre. Der Dichter, als er sein Gedicht 25 schrieb, war freylich in Rom; allein die Unbedachtsamkeit seinen Auf­

enthalt mit dem Orte des Spiels zu verwechseln, ist nicht im geringsten zu entschuldigen. Im ersten Auftritte des ersten Aufzuges sagt Ergasilus, wenn es noch lange so gienge, würde er vor die porta trigemina gehen, und sein Brodt daselbst betteln müssen. In der ersten Scene

30 des dritten Auftugs sagt ebenderselbe, daß sich alle schienen beredt zu

haben, als wie die Olearii in velabro, einem öffentlichen Marktplatze zu Rom.

Beyde Stellen haben Sie in Ihrer Uebersetzung, und vor

braucht, nämlich in der Plantinischen von 1609 in 16, gar nicht gefunden.

in der Taubmannischen Ausgabe hatte ich sic nicht gelesen.

35 dem gehörigen Orte zeigen, daß sie ganz unschuldig ist.

Auch

Ich will aber an

(Erifift über dir Gefangnen des Plautus.

151

Ihnen schon Herr Coste, angemerkt, und beyde gestehen Sie, daß es wunderlich sey in einem Spiele, wo der Schauplatz in Griechenland ist, römische Plätze zu nennen; und beyde haben nichts zu des Dichters

Rechtfertigung beybringen können.

Daß die römischen Zuschauer zu

seiner Zeit dergleichen Verwirrungen vertragen können, heißt nichts zu

seinem Ruhme sagen.

5

Wenn Plautus nur solche Richter gehabt, so ist

es ihm sehr leicht gewesen, sich ihren Beyfall zu erwerben.

Muß aber

unser Geschmack nicht bester seyn? Wenn man auch zu des Plautus Vertheidigung sagen wollte, er habe mit Willen diese Benennungen erwählt, um seinen Zuschauern 10

durch ihnen bekannte Dinge seine Meynung leicht und begreiflich zu

machen, so würde auch dieses können widerlegt werden.

Denn daß

Plautus in diesen Fehler bloß aus Unbedachtsamkeit oder Nachläßigkeit verfallen ist, beweise ich aus dem zweyten Auftritte des vierten

Aufzuges, wie Hegio sagt:

15

Edictiones aedilitias die habet quidem:

Mirumqae adeo est, ni hunc fecere sibi Aetoli agoranomum.

Was die Aediles bey den Römern waren, das waren die Agoranomi

bey den Griechen, und wenn Plautus sich hätte wollen nach den Römern

20

richten, so hätte er die Aediles nur alleine nennen dürfen.

Was aber am allerunglaublichsten und am allerunwahrscheinlichsten in diesem Gedichte ist, ist des Philokrates schleunige Hin- und Herreise

aus Aetolien nach Elis, und von da wieder zurück in einer Zeit von weniger als drey Stunden.

Hier sage ich mit Ihnen, die Zuschauer

des Plautus mästen nicht sehr eckel gewesen seyn, wenn er ihnen der- 25 gleichen Dinge hat dürfen vormachen, ohne daß sie ihn darüber ge­

tadelt. Wie kann Coste numnehr behaupten, daß dieses Stück vollkommen

regelmäßig sey, und daß seine Dauer nicht länger als 7 bis 8 Stunden währe?

Ich werde meine Meynung beweisen.

des Morgens an.

Die Handlung fängt

Plgutus hat es selbst deutlich angezeigt, wenn er 30

den Hegio sagen läßt: Ego ibo ad spätrem ad alias captivos meos,

Visum ne nocte har quippiam turbaverint.

Gesetzt also die Handlung gehe des Morgens an um

7 Uhr.

Zu dem ersten Aufzuge ist eine Stunde genug.

8

35

152

Beyträge zur Historie und Aufnahme de» Thrakers. 3. Stück.

Zwischen dem ersten und zweyten Aufzuge wollen wir dem Dich­

9 Uhr.

ter ei.ne Stunde zu Gute kommen lassen,

Zu dem zweyten Aufzuge ist gleichfalls nicht mehr als eine

Stunde nöthig, und also

10

5 Zwischen dem zweyten und dritten Aufzuge müssen wir dem Plautus zwey Stunden verstatten, weil Hegio viel zu ver­

richten hat.

Er geht nämlich mit dem verstellten Philokrates

zum Quästor, und fodert einen Paß. Man hält ihn aller

10

Orten, ehe er dahin kömmt, mit Glückwünschen auf; endlich bekömmt er den Paß und Philokrates reiset ab, 11 Nachdem dieser fort ist, geht Hegio zu seinem Bruder, erkun­ diget sich daselbst bei den Gefangnen, ob keiner von ihnen

den Philokrates kenne.

Es giebt sich Aristophontes an, und

12

Hegio nimmt ihn mit sich in sein Haus

15 Der dritte Aufzug dauert eine Stunde

1

Zwischen dem dritten und vierten Aufzuge wollen wir zwey Stunden rechnen, davon wir eine dem Dichter noch wollen lasten zu Statten kommen, als sey sie verflossen, ehe Philo­

2

krates wieder angekommen ist,

20 Die andre Stunde, wollen wir annehmen, habe Ergasilus ge­ braucht von dem Hafen nach Hegions Hause zu kommen

3

Und hier sind die 8 Stunden des Herrn Coste schon verflossen, ohngeachtet wenigstens noch zwey Stunden bis zu Endigung des Stücks

nöthig sind.

25

Wenn nun ein dramatisches Gedicht nach den Regeln der Dicht­

kunst, und zwar derer, welche der Währung desselben die längste Zeit ver­ statten, nicht über 24 Stunden dauern soll; wenn es vielmehr nur 6, 8,

höchstens 12 Stunden zu seinem ganzen Verlauf haben soll, und wenn der Poet, der es höher treibt, wider die Wahrscheinlichkeit handelt, wie wird

30 hier Plautus zu rechte kommen? Alles was man also wohl in diesen Umständen von uns fodern kann, ist, daß wir ihm die 24 Stunden lasten zu Statten kommen, und sehen, ob wir ihn können durchbringen. Dieses genau zu bestimmen, müßte man wissen, was Aetolien und Elis für böhmische Dörfer gewesen.

35

Eine kleine« Anmerkung

o) Aus der Art wie ich den Plautus hierinue vertheidigen werde, wird man bald sehe», daß so eine Anmerkung ganz wider meinen Zweck gewesen wäre.

Crilik über die Gefangnen des plautus.

153

hierüber in Ihrer Uebersetzung würde vielleicht nicht unangenehm ge­ wesen seyn.

Sind es griechische Provinzen oder Städte, und wie weit

waren sie von einander entfernt? in folgenden.

Alles was ich hiervon weis, bestehet

Menage in seiner Abhandlung S. 14. sagt, Polybius

erzähle, die Aetolier und Elienser hätten Krieg mit einander geführet, und wären mächtige Völker gewesen.

5

Vielleicht hat Plautus von diesem

Kriege die Gelegenheit zu seiner Komödie genommen.

Völker die zu­

sammen Krieg führen, wenn es auch nur kleine Staaten sind, deren Macht nicht weiter als durch die Gegend ihres Hauptsitzes geht, müssen doch wohl so gar nahe nicht beysammen liegen.

Sollte es wohl nicht 10

das mindeste seyn, wenn man sagte, sie hätten auch nur zehn Meilen von einander gelegen?

So hat also Philokrates zu seiner Hin- und

Herreise 20 Meilen gehabt.

So bald er in Elis angekommen, hat er

seinen Vater besucht, er hat ihm seine Geschichte erzählt, er ist zu dem

Arzt Menarchus gegangen, er hat um die Freylassung des Philopolemus 15

angehalten, er hat ihn los bekommen, er hat sich auf die Rückreise gemacht, ist in Aetolien wieder angelangt, und das alles in drey Stunden.

Pausanias soll uns hierinne mehr Licht geben.

Ich bediene mich

der französischen Uebersetzung des Abts Gedoyn, der amsterdamer Aus­ gabe von 1730.

Daselbst sehe ich in der Karte von Griechenland, die 20

vor dem ersten Theile befindlich ist, daß Aetolien eine große Provinz gewesen, und Elis gleichfalls keine kleine Provinz, die einen Theil des

Peloponnesus ausgemacht; daß man aus Aetolien nach Elis zu kommen durch den korinthischen Meerbusen schiffen müssen, und daß alles das ziemlich weit von einander lieget.

Auf einer andern Karte, die in dem 25

dritten Theile befindlich, sehe ich, daß Elis die Hauptstadt der Provinz dieses Namens gewesen ist.

Ich finde auch in der Provinz Aetolien

den Ort, wo Plautus den Schauplatz hinverlegt, Namens Ealydon,

und der Maßstab zeigt mir, daß Elis und Ealydon 400 griechische Stadia von einander entfernt gewesen.

Vierhundert griechische Stadia 30

machen 50 römische Meilen, oder 12 deutsche Meilen, die Meile zu

4000 Schritt gerechnet.

Ich glaube also meine Meynung bewiesen zu haben, daß diese

Oerter nicht nahe bey einander gelegen, und man also den Plautus hierdurch nicht retten kann.

Doch dieses sind nur kleine Fehler, welche. 35

man dem Dichter eben sowohl vergeben kann, als man es dein Euripides

154

Beyträge ;ur Historie und Zlufnahmr des Thrskrr». 8. Stück.

vergiebt, daß er gedichtet, Theseus sey von Athen nach Theben mit einer großen Armee gegangen, habe daselbst eine Schlacht geliefert

und hundert andre Dinge verrichtet, sey siegend wieder nach Athen auf das Theater gekommen, und das alles in 6 Stunden. (S. Menage 5 Seit. 13-22. 53-55.)

Dieserwegen hat auch wohl Aristoteles von dem

Euripides gesagt, daß er die Einrichtung und die Regeln des Theaters nicht verstanden.

Kann man also von dem Plautus nicht ein gleiches

sagen?

Wenn also bis zu Philokrates Abreise, nach meiner Rechnung, die 10 Handlung vier Stunden dauert, und von der Zeit seiner Wiederkunft

bis zu Ende noch drey Stunden gehören, so bleiben von 24 Stunden noch 17 Stunden zu des Philokrates Hin- und Herreise.

in diesen 17 Stunden kann

Aber auch

die Reise unmöglich verrichtet werden,

wenn man auch zugeben wollte, Philokrates habe bey seiner Ankunft 15 in Elis seinen Vater und den Menarchum und alle andre gleichsam

wartend auf ihn angetroffen, daß er ohne sich aufzuhalten gleich mit brennendem Kopfe wieder fortrennen können.

spricht wohl gar Plautus selbst dieser Meynung.

Doch vielleicht wider­ Sein Gedicht soll sich

gegen das Abendessen enden, und der vierte Aufzug endet sich auch 20 wirklich mit den Anstalten darzu.

aßen die Griechen zu Abend?

der Nacht gegessen.

Run fragt sichs, um welche Zeit

Hedelin behauptet, daß sie sehr späte in

Menage hingegen erweiset genugsam, daß es mit

Untergang der Sonne geschehen; und also fast zu eben der Zeit, wie

wir es zu thun gewohnt sind; wir wollen annehmen um acht Uhr. 25 Da nun Herr Coste selbst sagt, daß sich

das Stück einige Zeit vor

dem Abendessen, etwa um 6 oder 7 Uhr, schließe; so rechne man mir nach, ob ich ihm nicht eben so viel Dauer zugestanden; nur muß man

an des Philokrates Reise nicht gedenken.

Diese bleibt eine Hexerey;

es müßte denn seyn, daß er wie die Medea in der Tragödie, durch 30 die Lust geflohen.

Freylich ein viel kürzrer Weg.

Daß aber Plautus selbst gar wohl gewußt, daß Philokrates zu

seiner Reise mehr als 3 Stunden Zeit haben müsse, beweise ich mit einer zweyten Unwahrscheinlichkeit, die in dem Tyndar sich antrifft.

Nachdem Philokrates weg ist, wird des Tyndars List im 4 Auftritte 35 des dritten Aufzuges, und also ohngefähr um 12 Uhr Vormittags ent­

deckt/ Hegio verdammt ihn in den Steinbrüchen zu arbeiten; er be-

Crikik über dir Gefangnen des Plautus.

155

fiehlt seinen Knechten mit ihm zum Schmiede zu gehen, der ihm die Schellen anlegen solle, ihn hernach zur Stadt heraus zu führen, und

ihn seinem Freygelaßnen zu übergeben. gefähr um 1 Uhr fortgehen.

Sie können also mit ihm ohn-

In dem vierten Auftritte des fünften

Aufzugs kömmt Tyndar schon wieder hervor, und macht eine umständ-

5

liche schreckliche Erzählung von allen den Plagen, die er in den Stein­ gruben habe ausstehen müssen.

Die Zeit da er dieses erzählt, ist die

fünfte Stunde Nachmittags; mithin wenn man annimmt, daß doch

wohl wenigstens eine Stunde vergangen, bis er zu den Steinbrüchen gekommen, und abermals eine Stunde verflossen, ehe er von da zurück 10

in des Hegio Haus hat gelangen können, so bleiben nicht mehr als

zwey Stunden übrig, die Tyndar in den Bergwerken zugebracht. Was kann er wohl in so kurzer Zeit für groß Ungemach ausgestanden haben, daß er davon eine so schöne Beschreibung machen könnte?

Hat nicht

Plautus wenigstens einige Tage zur Währung seines Gedichts haben 15 wollen?

Was mir sonst noch unwahrscheinlich in diesem Stücke vorkömmt, ist die Person des Stalagmus. Dieser Kerl kömmt am Ende der Hand­ lung ganz unvermuthet auf das Theater, als wenn er ^om Himmel

gefallen wäre; denn nichts scheint seine Gegenwart daselbst zu erfodern. 20 Der Knoten der Haupthandlung ist aufgelöset.

Er kömmt indeß mit

den drey Personen der ersten Scene des fünften Aufzugs zugleich auf die Bühne, welches die sinnreichen Worte des Hegio am Ende des Auf­

tritts anzeigen: Vos ite intro - - Interibi ego ex hac statua erogitare volo etc. 25

wodurch der Dichter zugleich die Unbeweglichkeit dieses Knechts hat rechtfertigen wollen.

Nun fragt der Zuschauer, wie kömmt der hier

her? und was will er? Wer es sey, sagt Hegio gleich selbst, nämlich der, welcher seinen jüngsten Sohn entführt habe.

Man wird sagen,

Plautus brauche diese Person zur Entdeckung, daß in der Person des so Tyndars dieser entführte Sohn verborgen sey: allein von dieser Epi­

sode habe ich schon oben meine Meynung gesagt, und der Einwurf,

den ich hier mache, gereicht nur um so vielmehr zum Beweise, daß sie der Dichter, so schön und künstlich sie auch ausgedacht ist, entweder hätte weglasien, oder besser einrichten sollen. Wo Stalagmus herkömmt, 35

hat zwar der Zuschauer im dritten Austritte des vierten Aufzugs von

156

Beyträge mr Historie und Aufnahme des Thrakers.

3. Stück,

dem Ergasilus gehört, daß ihn nämlich Philokrat mitgebracht: allein mit alle dem kann ich in diesem Stücke keine Spur des Wahrschein­

lichen, ja nicht einmal einen Zusammenhang finden.

Denn warum

kömmt Stalagmus wieder in ein Haus, wo er ja wohl wußte, daß

5 er nichts als die Strafe seiner Bosheit zu holen habe?

Sagt man,

Philokrat habe ihn wider seinen Willen mit zurück gebracht, wie es seine Worte in dem letzten Auftritte anzuzeigen scheinen,

„Nam liunc ex Alide huc reduximus;“

so frage ich aufs neue, was bewog den Philokrat darzu? Er wußte ja 10 nicht, daß Tyndar Hegions Sohn sey, noch daß Stalagmus dem Hegio

entlaufen, noch daß er ihm einen Sohn entführt, noch daß er denselben seinem Vater verkauft.

Er kannte ja den Stalagmus nicht einmal, wie

er selbst im 3ten Austritte des 5ten Aufzuges sagt: Cur ego te non novi?

15 Hegio wußte ja selbst nicht einmal, daß sein Sohn noch am Leben, noch vielweniger, daß er schon in seinem Hause sey; denn so, meyne

ich, muß man die Worte des Hegio übersetzen,

Vivitne is homo? nämlich is quem vendidisti patri Philocratis; so wie Sie es auch 20 gar wohl übersetzt, da des Herrn Coste Uebersetzung ganz falsch ist.

Und wo hat denn Philokrat den Stalagmus aufgetrieben? Denn daß

er in des Theodoromedes Hause geblieben, kann nicht erwiesen werden. Das Gegentheil aber sieht man aus der Antwort des Knechts:

Accepi argentum, nil curavi caeterum.

25 Alles das sind für mich unauflösliche Schwierigkeiten und unbegreif­ liche Dinge.

Endlich muß ich noch den einfältigen Gedanken des Plautus ent­ decken, da er, nachdem Tyndar gehört, daß er Hegions Sohn sey,

jenen sagen läßt: 30

Nunc demum in memoriam redeo, cum mecum cogito, ------

audisse me

Quasi per nebulam Hegionem patrem meum vocarier.

Welche Lügen! Tyndar hat hier was scharfsinniges sagen sollen, und sagt eine große Thorheit.

Er war vier Jahre alt, als er aus seines

35 Vaters Hause kam; seit der Zeit hatte er 20 Jahr in einem fremden

Critik über dir Grfsngnrn dr» Plautus.

157

Lande zugebracht, wo keine Seele den Hegio kannte. Wenn hat er es denn also gehört, daß sein Vater so heiße? Als er noch zu Hause war? Wird man wohl ein Exempel beybringen können, daß ein Mensch von 24 Jahren sich einer Sache erinnert habe, so er im vierten Jahre seines Alters gehört? Widerspricht nicht die Erfahrung aller Menschen dieser Ungereimtheit? Menage in seiner Abhandlung über den Selbstpeiniger des Terentius hat ein ganzes Hauptstück der Vertheidigung des Plautus wider die Beschuldigungen des Scaligers und des Muretus gewidmet, welche lange vor mir angemerkt, daß Plautus eine große Unwahrscheinlichkeit durch die schnelle Hin- und Herreise des Philokrates vorgebracht. Hier sind seine Worte: Jul. Scaliger - et Muret - - accusent Flaute d’une precipitation peu vraisemblable dans sa Comedie des captifs. 11s pretendent qu’il falt passer Philocrate d’Etolie en Aulide et revenir en Etolie en meins de 2 ou 3 heures. Mais Turnebe a fort bien justifie Flaute de cette accusation, faisant voir par la Geo­ graphie, par l’Histoire et l’autorite de bons MScts, que les exemplaires de Flaute dont J. Scaliger et Muret se sont servis, etoient corrompüs, et qu’au lieu d’Aulide il saut lire Elide ou Alide. „Quoiqu’il ne seit pas toujours necessaire que le sujet des Co„medies seit veritable, il saut qu’il seit toujours vraisemblable. „Or il n’y a point d’apparence qyi’Aulide qui est une ville de „Beotie fort eloignee de FEtolie, et qui n’a jamais ete fort con„siderable, ait fait la guerre aux Etoliens qui etoient des peuples „tres puissans. Mais pour la ville d’Alide ou Elide on voit dans „Polybe, qu’elle a ete en guerre avec les Etoliens, et quand „l’Histoire n’en diroit rien, cette ville n’etant pas eloignee d’Etolie, „il y a bien de l’apparence qu’elle a eu quelque different avec „les peuples d’Etolie: que si on veut donner a cette comedie le

5

10

15

20

25

„temps de 24 heures, on ne trouvera pas grande precipitation en ce 30 -,voyage de Philocrate, particulierement si on considere que Philo„ crate l’a fait dans un de ces vaissaux que les anciens appelloient

„CELOCES, a cause de leur vitesse, et il ne saut pas douter „que le Poete n’ait employe ce mot a dessein pour faire connoitre „aux spectateurs que Philocrate etoit alle et revenu avec dili- 35 „gence.“ Diese Stelle ist lang, allein ich habe sie ganz einrücken

158

Beyträge ;ur Historie und Aufnahme de« Theaters.

3. Stück.

müssen, weil ich zu Behauptung meiner Meynung das Unrichtige aller

dieser Gegeneinwendungen zeigen muß, und wie sie so gar nichts1 er­ weisen, was sie erweisen sollen.

Erstlich ist es zwar wahr, daß, wenn

Scaliger und Muret Aulis statt Elis gelesen, die Schuld an den

5 verdorbnen Handschriften gelegen. Indessen ob wir nun schon heut zu Tage alle Alis oder Elis lesen, so hebt dieses die Schwierigkeit doch lange noch nicht auf.

Dieses ist genugsam erwiesen.

Zum andern,

wenn die Aetolier ein mächtiges Volk, und die Eleenser im Stande

gewesen sind, mit ihnen Krieg zu führen, so müssen sie wohl so gar

10 nahe nicht beysammen gelegen haben. Uebrigens ist das sehr unbestimmt geredt „cette ville n’etant pas eloignee d’Etolie.“ Wenn die Rede

von großen Städten ist, welche Krieg mit einander führen können, so ist eine Entlegenheit von 10 bis 20 Meilen noch nicht sehr weit von

Drittens, wenn man auch der Währung dieses Stücks

einander.

15 24 Stunden geben wollte, so würde die Reise dennoch unwahrscheinlich bleiben.

Wir haben aber schon genugsam erwiesen, das Plautus selbst

die Dauer zwischen dem Morgen und der Zeit gegen das Abendessen

einschließt.

können?

Wie hat Menage diesen Umstand wohl nicht wahrnehmen

Endlich ist die Geschwindigkeit des Schiffes, wodurch man

20 dem Dichter zu Hülfe kommen will, noch sehr zweydeutig. Im Latei­ nischen steht in publica celoce.

Sie haben es übersetzt in einem

öffentlichen Jagdschiffe, und Herr Coste le bäteau de poste. Ist es also ein öffentliches Schiff gewesen, das zur Bequemlichkeit mehrer Reisenden bestimmt war, mithin zu gewissen Stunden des Tages

25 abgieng, wie unsre Posten heut zu Tage; so finde ich hier noch weit mehr Schwierigkeiten, als sich würden angetroffen haben, wenn Philokrat mit einer Gelegenheit gereiset wäre, so in seiner Gewalt alleine

gestanden. Ich wenigstens würde zur Vertheidigung des Plautus mich dieses Grundes nicht bedient haben; denn er ist inehr wider den Dichter

30 als für ihn. So unrichtig als auch indessen Menage in diesem Stücke genrtheilet, so schlecht er auch den Plautus vertheidiget; (was kann man

zwar mehr von ihm fobern? es war unmöglich ihn zu vertheidigen,

und er hat zu seiner Entschuldigung alles beygebracht was er gekonnt)

1 (vielleicht nur verdruckt für] nicht

Crikik über die Gefangnen de» plsukus.

159

so muß ich doch gestehen, daß diese seine kleine Abhandlung so voll der gelehrtesten Anmerkungen über die theatralische Dichtkunst ist, daß ich

glaube. Sie würden auch noch aus diesem kleinen Buche manchen Ge­ danken nehmen können, den man mit Vergnügen in Ihren Beyträgen lesen, und der manchem noch neu seyn würde. Das Buch ist alt, und sein Titel ist auch nicht sehr reizend; er verspricht nicht viel, und gewiß

niemand sucht darinne, was man darinne findet.

5

Die Aufschrift heißt

Discours de Mr. Menage sur l’Heavtontimorumenos de Terence, ä, Utrecht. 1690. 12. Dieses achtfüßige Wort schreckt schon manchen ab, das Buch in die Hände zu nehmen. Aber wenn man über den 10

Eckel des ersten Blatts weg ist, und man sieht darinne die artigsten

Gedanken über die Wahrscheinlichkeit in den dramatischen Gedichten, wie wenig sie die alten Dichter in Acht genommen, und wie sehr so gar die größten Meister, ein Euripides, ein Aeschylus und ein Aristo-

phanes darwider gesündiget; über die Ausdehnung der Einheit des 15

Orts, wie weit sich die Scene erstrecken könne, ohne wider die Regeln zu verstoßen; wie das Theater der Alten und die Auszierungen desselben

beschaffen gewesen, und andere dergleichen Dinge, so sage ich noch ein­ mal, daß viele von Ihren Lesern sie, wenn sie in Ihren Beyträgen stünden, mit Lust lesen würden. Wenn ein großer Kunstrichter unserer 20 Zeit sich die Mühe gegeben hätte, ein so verlegnes Büchelchen selbst anzusehen, so würde er nicht geschrieben haben, „daß Menage den

„Terenz wegen des Selbstpeinigers beschuldigen wollen, als habe er „mehr denn 24 Stunden zu diesem Stücke genommen, tiitb also wider „die Vorschrift des Aristoteles gehandelt - -. Der Abt von Aubignac 25 „aber habe den Terenz gelehrt vertheidiget." (Erit. Dichtk. S. 733.) Was kann wohl deutlicher seyn, als die Worte deS Menage, gleich im

Anfänge? „Mr. d’Aubignac soutenoit que l’action de cette comedie „ne comprenoit que 10 lieures et je soutenois qu’elle en com„prenoit plus de 12, mais je soutenois en meine tems qu’elle ne 30 „laissoit pas d'etre neanmoins reguliere--*4 Und bald darauf:

„- - je crois avoir demontre que l’action de cette comedie coni„prend du meins 15 lieures et qu’un Poeme dramatique peilt bien „etre de plus de 12 lieures saus etre contre les reg] es - -« Und stin Ende: „Je suis d’accord avec vous que cette comedie est 35 „dans tonte la justesse des regles anciennes.*4 Wo steht nun hier.

160

Vrykrögr ;ur Historik und Aufnahme des Thrakers.

3. Skiillr.

daß dieses Lustspiel wider die Regeln des Aristoteles sey? Freylich,

im Hedelin steht es.

Allein, es heißt, man höre auch den andern Theil.

Uebrigens ist hier wohl nicht zu fingen, wer Recht hat, ob Menage

oder Hedelin?

5

Wenn alle diese Gründe nicht hinreichend sind, meinen Satz zu beweisen, daß das Stück des Plautus ganz und gar nicht regelmäßig sey, daß es wider die Einheit der Handlung, wider die Wahrschein­ lichkeit, wider die Dauer eines guten dramatischen Gedichts verstoße, und also unmöglich das schönste Stück sönne genennet werden, welches

10 jemals auf das Theater gekommen: so weis ich nicht, wozu wir den

Verstand und unsre Empfindung bey dem Natürlichen und Wahren brauchen sollen, und wie man sagen könne, eine Fabel, die nicht wahr­

scheinlich ist, tauge nichts, weil ihr die vornehmste Eigenschaft mangle. Ich könnte hier meine Critik endigen, indessen, da ich während 15 dieser Arbeit noch einige Anmerkungen gemacht habe, die Ihnen viel­ leicht zu fernerer Untersuchung Gelegenheit geben, und bey der Ent­

wicklung des Schönen in dem Lustspiele des Plautus nutzen können, so theile ich sie Ihnen hier mit, so gut als sie sind.

Im Prolog stehet eine merkwürdige Stelle, welche wohl mit 20 größtem Recht eine Erklärung gebraucht hätte. Ich meyne die Worte: Accedito! si non ubi sedeas locus est, est ubi ambules. Wenn ein in den Alterthümern, und besonders in den theatralischen, Unerfahrner, dergleichen Leser Sic mehr als der Gelehrten haben, dieses in Ihrer llebersetzung liefet?, so weis er nicht, was er daraus

25 machen soll? (Softe hat ein Stück von dieser Anrede erläutert, doch nicht alles, und ich möchte gerne wissen, ob denn der Vorredner den Prolog aus dem Kopfe auf dem Theater gemacht, oder der Poet vorher zu

Hause? und ob er vorher gewußt, daß sich bey Vorstellung seiner Ko­ mödie dergleichen Begebenheit zutragen würde? und denn, ob die alten 30 Komödien mir einmal vorgestellt worden, oder ob, wenn sie öfters p) Es ist wahr, wenn ich allzu sehr bei) dem Buchstaben des Textes ge­

blieben wäre, so wäre eine Anmerkung hier sehr nöthig gewesen.

Ans meiner

llebersetznng aber wird jeder, der nur jemals in einem bollen Schonplätze ge­

wesen ist, so gleich erkennen, das; der Poet mit denjenigen zu thun hat, welche

35 sich mit viele» Lärmen Platz zum Sitzen verschaffen wollen, da sie doch noch genug Platz zum Stehen finden könnten.

Kritik über die Gefangnen des Plautus.

161

wiederholt worden, sich diese Begebenheit allemal zugetragen, damit die Anrede paffen können? Ihre Anmerkung über das Nam hoc paene iniquuin est comico choragio etc. ist sehr vernünftig, und was Sie an den Deutschen tadeln, hat Sofie eben so in seiner Anmerkung über diese Stelle bestraft. In dem zweyten Austritte des ersten Aufzuges ist die Einladung des Hegia an den Ergasilus bey Ihnen lange nicht so natürlich, als in der Uebersetzung des Herrn Softe. Es ist wahr, er liesst auch nicht int Texte so wie Sie; sondern nach der Verbesserung des Salmasius, und er sagt von der Leseart, wornach Sie übersetzt haben, tont cela me paroit un galimatias impenetrableEr liefet also: Er. Facete dictum. Heg. Sed si pauxillum potes contentus esse. Er. Ne perpauxillum modo, nam isthoc me assiduo victu delecto domi. Heg. Agesis, rogo. Erg. Nisi qui meliorem afferet, quae mihi atque amicis placeat conditio magis. Welches ich also übersetzen würde: Erg. Das war noch einmal recht geredt. Heg. Aber btt mußt dich mit wenigem behelfen können. Erg. Wenn es nur nicht allzuwenig wird: denn so behelfe ich mich, leider, alle Tage zu Hause. Heg. Ich bitte dich also. Erg. Es mag drum seyn; der Handel ist richtig, wo ich nicht eine befere (Gelegenheit antreffe, und annehmlichre Bedingungen als die deinen. Eben daselbst haben Sie das Cirim in den Worten „I modo, venare leporem: nunc Cirim tenes,“ durch Lerche übersetzt. Softe liefet ictim und übersetzet es dttrch Stachel­ schwein, un herisson. Er hält diese Leseart für die natürlichste und wahrscheinlichste. In der That ist der Sprung von einem Hasen aus

5

10

15

20

26

30

q) Ich gestehe cS, daß Sie hicrinne einigermaßen Recht haben. Doch müssen Sie mir auch zugcstehen, daß aus meiner Uebersetzung dennoch ein ganz guter Verstand komme.

Ucbrigcns scheint mir die Lcscart des Herrn Softe etwas ver­

wegen, da das eint™ oder einin’ tu, oder wie man sonst lesen will, ganz hin- 35

weg gekommen ist.

Lessing, sämtliche Schriften. IV.

162

VrykrSgr zur Historie und Aufnahme de« Theaters.

3. Stück.

ein Stachelschwein, nicht so groß, als bis auf eine Lerche; und alles,

was folget, scheint auf dieses Thier zu spielen1.

Heg. Asper meus. victus est. Er. Sus terrestris bestia est. In dem zweyten Austritte des ersten Aufzuges haben Sie die

S

letzten Worte des Hegio ad fratrem mox ivero so übersetzt: Den Gang zu meinem Bruder kann ich »ersparen bis

nach.

her­

Ich weis nicht, ob ich mich irre; mir und allen, die ich dar­

um gefragt, scheint aus diesem Ausdrucke zu folgen, als wenn Hegio 10 den Gang zu

seinem Bruder noch lange hinaus verschöbe; da er

doch wirklich so gleich hingehet, in der Zeit nämlich, die zwischen dem ersten

und zweyten Aufzuge verfließte.

also übersetzt hätten:

Da

hingegen, wenn Sie

Ich will herein gehen und erst über­

schlagen - - - hernach so gleich zu meinem Bruder hin-

15 gehen: so würde man hören, daß Hegio diesen Gang nur auf einen Augenblick verschöbe.

Eben so ist es beschaffen mit den ersten Worten des zweyten Hegio sagt

Austritts im zweyten Aufzuge.

Iam ego revertar intus - 20 welches Sie so

übersetzt:

Ich

werde gleich wieder

herein­

kommen. Dieser Ausdruck setzet zum Voraus, daß Hegio mit jemanden

geredt, der voran ins Haus gehet, und dem er dadurch zu verstehen giebt, daß er ihm folgen wolle; oder aber daß Hegio aus seinem Hause

herauskömmt.

Beydes ist falsch.

Hegio kömmt von seinem Bruder,

25 und ist im Begriff in sein Haus herein zu gehen.

Er ist allein, und

sagt gleichsam vor sich, da er seine Knechte in der Thüre sieht: Ehe r) Ich kann es zugeben, daß es jeder übersetzt, wie er will.

wird doch allezeit mit dem meinigen Übereinkommen.

Der Sinn

Daß aber die Stelle»,

welche Sie anführtcn, auf das Stachelschwein zielten, glaube ich nicht.

Ißt man

30 denn die Stachelschweine mit den Stacheln, daß sie deswegen asper victus könnten

genennt werden?

s) Wer hat Ihnen denn gesagt, daß Hegio zwischen dem ersten und zweyten Aufzuge zu seinem Bruder gegangen? Finden Sie die geringste Spur davon in dem Stücke?

Ich glaube nicht.

Hegio geht nicht eher zu seinem Bruder als

35 zwischen dem zweyten und dritten Aufzuge, nachdem er den Philokrat hat fort­

reisen lassen; siehe den zweyten Anftr. des dritten Aufzuges. Mox ganz recht durch hernach gegeben.

Ich habe also das

«Kritik über die Gefangnen des Plaulus.

163

ich herein gehe, muß ich doch diese Knechte noch etwas fragen, was ich von ihnen wissen roilP. So, deucht mich, ist es natürlicher; obschon das jam ego revertar intus nicht von Wort zu Wort übersetzt ist; worauf aber nicht nöthig zu antworten ist. Sie

wissen, was übersetzen ist. 5 Auch gefällt mir in einer schönen Uebersetzung der Ausdruck des Tyndars im dritten Austritte des dritten Aufzuges gar nicht: Ich weis auf keine Art - - meine sykophantischen Teuschereyen zu

beschönigen. Dieser Ausdruck ist nicht deutsch, und ich getraue mir unter 50 Ihrer Leser kaum einen zu finden, der sich einbilden könnte, 10 was Sykophante für ein Gewächse sey. Wenn man sagt, ich weis

meine Schelmereyen nicht zu beschönigen, so weis ein jeder

Deutscher was das ist. Ich bin Ihrer Meynung, daß die Leseart, wie Sie im vierten

Auftritte des dritten Austuges lesen: A. Quid mihi abnutas? T. Tibi 15 ego abnuto. A. Quid agat si absis longius ? die wahre sey, weil der Verstand am natürlichsten ist; obschon, wenn man auch die alte Leseart behält, und, so wie Coste es übersetzt, die letzten Worte den

Tyndar sagen ließe, es auch nicht schaden würde. Man muß nur be­ denken, daß dieser Auftritt für alle drey Personen ganz ungemein wichtig 20 und beschäftigend ist. Jeder kann viel Bewegungen anbringen, mithin hat auch Tyndar Gelegenheit dem Aristophontes einen Wink zu geben,

damit er das Maul halten möge; Aristophontes aber, der das Geheim­ niß nicht versteht, oder nicht verstehen will, sagt, daß es Hegio hört: Nu? was winkst du mir? So gleich giebt Hegio besser Acht, und weil 25 Tyndar sieht, daß ihm die List fehlschlägt, so leugnet er es, und spricht: ich winkte dir? und zum Hegio: Siehe Herr, was er mir

Schuld giebt, mich nur verhaßt bey dir zu machen? Was würde er nicht vorbringen, wenn du nicht so nahe bey uns stündest? Darauf wird Hegio böse und sagt: Was schwatzest 30

du mir dafür Zeug vor? Wie, wenn ich gleichwohl mit diesem Unsinnigen ernsthaft spräche?

Darum sagt Tyndar

t) Aus der vorhergehenden Anmerkung folgt, daß Sie mich auch hierinne

ohne Grund tadeln.

Hegio war nicht zu seinem Bruder gegangen, sondern kömmt

in dem zweyten Auftritte zu seinem Hause heraus, wie ich diese Stelle schon in 35 einer vorhergehenden Anmerkung i) erklärt habe.

164

BrytrSgr ptt Historie und Aufnahme bee Thraker».

3. HkürK.

endlich laut zum Aristophontes, weil er sieht, daß alles stumme Winken nicht helfen will: Hem rursum tibi, meam rem' non eures etc. Höre., ich sage dir noch einmal, wenn du klug bist, so laß 5 dich um meine Sachen unbekümmert; bekümmre ich mich doch nicht um deine. Ich stelle mir dabey vor, daß Tyndar, indem

er das sagt, dem Aristophontes abermals, ohne daß es Hegio gewahr wird, einen Wink giebt, und gleichsam drohend zu ihm spricht: hem rursum tibi! Er würde hinzugesetzt haben: „es wird dir leid werden, 10 das Maul nicht gehalten zu haben, „wenn du das Geheimniß erfahren wirst:" allein Hegio stehet zu nahe bey ihn». Die Worte des Tyndars in eben demselben Austritte: Vae illis virgis miseris, quae hodie in tergo morientur meo: haben Sie meiner Meynung nach allzubuchstäblich übersetzt. Kann man 15 denn sagen, daß Ruthen sterben"?

Man sagt zwar von einem

Zweige eines Baumes, der vertrocknen will: er stirbt ab; allein

dieser Ausdruck findet nur alsdenn statt, wenn der Zweig noch an dem Stamme sitzt, welcher letzterer gesund ist und bleibt, da jener nur alleine vergehet. Indeß ist es gewiß, daß dieses eine der artigsten Stellen in 20 unsrer Komödie ist. Ich stelle mir vor, wie der Schauspieler mit einem halb zärtlichen doch gar nicht kläglichen Tone wird gesagt haben:

Wehe den armen Ruthen, die man heute ohne Erbarmen auf meinem Rücken zu Schanden schlagen wird.

Coste hat

dieses gar artig übersetzt. Rach seiner Uebersetzung sieht man ganz 25 deutlich, daß Tyndar sich nicht beklagt; er belauert nur die Ruthen. Und das was er gleich drauf sagt: was verweilet ihr noch ihr Ketten; eilet doch, kommt, umfasset meine Schenkel, ich will euch treulich bewachen: klingt im Französischen noch

viel artiger, weil das Wort embrassez (mes jambes) eine sehr zärt­ 30 liche Nebenbedeutung hat, weil es zugleich umarmen bedeutet". Der

Dichter hat hier viel Geschicklichkeit gezeigt, wie ein Mensch, der ein u) Warum sagt es denn PlautuS?

Er hat diesen Ausdruck komischer be­

funden als einen andern; und ich desgleichen. w) Man darf nur das Wort umfassen nehmen, so findet eben die so

35 artige Nebenbedeutung, welche meinem Gegner so wohl gefällt, bey dem deutschen Ausdrucke Statt.

Crikik über dir Gefangnen de» Plautu«.

165

gutes Gewisien hat, gleichwohl aber einer Sache wegen, die mehr

rühmlich als strafbar ist, in Gefahr kömmt, ohne eine niederträchtige Schwachheit blicken zu lassen, gelaffen erwartet, was man mit ihm

vomehmen werde.

Die prahlerhaste Ausschweifung des Ergasilus im zweyten Auftrifte des vierten Aufzuges ist lächerlich genug.

5

Allein, daß Sie die

Worte Balista und Catapulta in Ihrer Uebersetzung nur mit deutschen

Buchstaben geschrieben haben, kann ich Ihnen nicht vergebenx.

Ein

Leser, der nicht die alte römische Kriegsgeräthschast kennet, sucht hier

den Verstand, oder den ausschweifenden Scherz vergeblich.

Es ist ja 10

Ihre Absicht nicht, daß man alle Worte des Plautfts aus Ihrer Uebersetzung soll verstehen lernen.

Wenn Sie

nur wenigstens durch eine kleine Anmerkung der Armuth dieser Leser

zu Hülfe gekommen wären.

Allein Sie sind gar zu geizig.

Eoste hat

ohne diese seltnen Namen anzubringen, diese Stelle gar artig übersetzt, 15

und in einer Anmerkung die Ursache gesagt, warum er sie nicht von

Wort zu Wort habe übersetzen wollen. Was ferner Ergasilus in eben dem Auftritte etwas weiter unten sagt:

Tum pistores scrophipasci Eorum si quojusquam scropham in publico conspexero,

20

Ex ipsis dominis, meis pugnis exculcabo furfures.

haben Sie gleichfalls sehr undeutlich übersetzt, wiewohl hieran die alte Leseart, die Sie vor sich gehabt haben, Schuld ist.

Sie mögen selbst

urtheilen, ob es nicht sehr gezwungen ist, wenn Sie am Ende der ganzen

Rede hinzusetzen müssen, ich meyne ihren Besitzern.

Eoste hat 25

dieß gemerkt; seine Anmerkung verdient, daß ich sie hersetze y: Un sax) Ich habe geglaubt, daß das, was mir so gar sehr deutlich gewesen,

auch allen meinen Lesem begreiflich seyn werde.

Habe ich dadurch, daß ich ihnen

allzu viel zugetraut habe, einen Fehler begangen, so wird mich ihre Höflichkeit

schon entschuldigen.

Denn eine Höflichkeit erfordet die andre.

Zg

y) Ich sollte meynen, daß in dieser Stelle eine ziemlich komische Wendung

zn finden sey, wenn man die alte Leseart beybehielt.

GruteruS ist auch der Mey­

nung, weswegen er hinzusetzt: lepide minatur se id facturum dominis quod iuxta nexum orationis facturum quis putaret suibus. Der gelehrte Kunstrichter aber, auf

den sich Eoste gründet, ist JacobuS Palmcrius. von dieser Verbesserung sagt?

Wissen Sie aber, waS Taubmann 35

Palmcrius legit ex ipso dbdomine etc. invita

Venere, et cuius sententia opinor non plus sapit quam occisa sus, quod noster ait.

166

Beyträge zur Historie und Aufnahme de» Thrakers. 3. Stück,

vant Critique a crü qu’il falloit lire au lieu de ex ipsis dominis, ex ipso abdomine. Je voudrois pour Fhonneur de Plante qu’on püt trouver cette leqon en quelque MScrit, car la leqon ordinaire

fait a mon avis un sens fort bizarre et ou 11 est bien difficile

5 de trouver le mot pour rire. Streichen Sie in Ihrer Uebersetzung die Worte, ich meyne ihren Besitzern weg, so haben Sie eben diesen Verstand. Warum aber Coste die Worte pistores und pistrinum durch Muniers und moulin übersetzt hat, weis ich nicht. Erlauben Sie mir, daß ich einmal einen kleinen Austritt über10 setzen darf, der mir nach Ihrer Uebersetzung nicht gefällt, so wie Ihnen die meine vielleicht nicht gefallen wird. Ich wollte anfänglich nur An­ merkungen zu der Ihrigen machen, und zeigen, daß man vom Specke nicht sagen könne sterben und dergleichen mehr; es würde aber viel

zu weitläustig geworden seyn z. Der Auftritt, welchen ich vornehmen 15 will, ist der dritte des vierten Aufzuges. Ergasilus ist voller Freuden, daß Hegio ihn zu seinem Haushofmeister gemacht. Er ist ganz außer sich, stir Vergnügen einmal eine rechte Mahlzeit anrichten zu können. Sobald also Hegio weg gehet, bricht er in die Worte aus: „Er geht fort? und mir überläßt er die Verwaltung des ganzen

20

„Küchenwesens? Ihr unsterblichen Götter welch Glück!

O welche

„Schlacht will ich unter dem Viehe anrichten! wie viel Köpfe werde „ich taffen herunter schmeißen! Welche Verheerung will ich unter dem

„Specke und den Schinken anrichten! Wie werde ich das Fett so „dünne machen! und wie will ich die Schlächter durch viel Arbeiten

25

„abmatten! Doch was halte ich mich auf, hier lange zu erzählen,

„womit ich meinen Bauch zu füllen gedenke? Ich gehe hin, mein „großes Amt selbst anzutreten. Ueber den Vorrath werde ich das „Uttheil sprechen, und den unschuldig aufgehangnen Schinken eiligst

„zu Hülfe kommen." 30

z) Was ich in der Anmerkung u) gesagt habe, das kann ich auch hier sagen.

Hat Plautus solche uneigentliche Ausdrücke gebraucht, so muß sie auch der Uebcr-

setzer brauchen können.

Wer sic tadeln will, der scheint mir von dem komischen

Ausdrucke nicht viel zu verstehen.

Uebrigens wird cs auf den Leser ankommen,

unsre beyden Uebcrsetzungen dieses Auftritts mit einander zu vergleichen. Mein 35 Gegner wird sich ohne Zweifel nicht besonnen haben, daß diese wunderlichen

Reden und possenhaften Anspielungen mit zu deni Charakter des Ergasilus gehören.

Critik über dir Grsangnrn de» sslautu».

167

Ich bin gewiß, daß Ihnen selbst der Ausdruck im ersten Auftritte des fünften Aufzuges, wodurch Sie die Worte statua verberea, eine schlägefaule Bildsäule übersetzt, nicht gefällt. Was ist dasaa?

Coste hat dieß besser übersetzt, wenn er sagt „cet idole icy, qui merite „d’etre roue de coups.“ 5 Die Art, wie Sie die Stelle des Stalagmus gleich im Anfänge des zweyten Austritts, im fünften Aufzuge übersetzt haben, ist sehr natür­

lich, und ich glaube, daß dieses wirklich der Sinn des Dichters ist. Coste

hat eben so übersetzt, wenn er fagtbb: que peut-on attendre de moi, si un homme de votre merite ne fait pas scrupule de donner 10 des entorses ä la verite? je n’ai jamais ete beau nijoly etc.

Daß eine Sprache vor der andern manchmal gewiffe Worte, Ausdrückyngen und Redensarten hat, die viel bequemer sind eine Sache in einer Uebersetzung eben so wohl als im Originale auszudrücken, daran wird wohl niemand zweifeln. Ein Beweis davon ist die schöne Stelle 15

im zweyten Austritte des fünften Aufzuges:

Sta. Quod ego fatear, credine pudeat? — Heg. At ego faciam ut pudeat, nam in ruborem te totum dabo. Coste übersetzt es: Sta. je ne rougis pas de l’avouer. Heg. vä je sqaurai bien trouver le moyen de te faire rougir. Das artige in 20

diesem Ausdrucke bestehet in dem Worte rougir, wie man leichte sieht, und welches nicht einmal im Lateinischen so artig klingt. Im Deutschen hätte man es eben so geben können. Stal. Meyne st du, daß ich darüber erröthen werde? Heg. Allerdings, ich will es schon machen, daß du über und über erröthen sollst25 aa) Ich sollte kaum glauben, daß ein Teutscher diesen Ausdruck nicht ver­

stehen sollte.

Eine schlägefaule Bildsäule ist hier ein Kerl, bey dem die

Schläge eben so wenig fruchten würden, als bey einer Bildsäule,

(befällt je­

manden die französische Uebersetzung dieses Ausdrucks besser, so kann ich cs leicht zustieden seyn.

Nur habe ich cs nicht für gut befunden aus dem, was Plautus 30

mit zwey Worten sagt, acht bis neun Worte zu machen. bb) Nein Coste hat es nicht so überseht. Bey ihm will der Knecht sagen: Wenn dn die Unwahrheit redest, wie vielmehr soll ich sie nicht reden, der ich nie­

mals was getaugt habe?

Bey mir aber sagt er: Ich habe dir deinen Sohn ent­

führt, und du sprichst gleichwohl, ich sey ein feiner Knecht?

Was muß ich denn 35

noch thun, daß du richtiger von mir urtheilen lernst? cc) Vielleicht würde ich auch darauf gefallen sehn, wenn ich das Recht z»

haben geglaubt hätte, den Plautus schöner zu niachcn, als er ist.

168

Beyträge pir Historie und Aufnahme de» Theater».

3. Stück.

Den Beschluß der Komödie macht eine Anrede an die Zuschauer,

über welche in Ihrer Uebersetzung stehet der Schlußredner.

Ich

vermuthe also dd, daß in der Ausgabe, der Sie sich bedienet, Recitator

gestanden.

(Softe liefet statt Recitator Grex oder Caterva, und hat

5 bey dieser Gelegenheit eine gar artige Anmerkung gemacht, ob dieser

Recitator einer von den Schauspielern gewesen, so in eben demselben Stücke mit gespielt; oder eine besondere Person.

Er beweiset das erste,

ob es schon sehr wider den Wohlstand sey, daß einer von den Spielen­

den auf einmal seinen Charakter ablegt, und unter der Person eines 10 bloßen Komödianten hintritt, den Zuschauern ein Compliment zu machen.

Es ist wohl einmal Zeit, daß ich meine Critik beschließe.

Ich

werde es nicht wie diejenigen machen, die, wenn sie nichts mehr wisien, dennoch zum Beschluffe sagen, sie würden noch vieles erinnern, wenn

sie nicht befürchteten allzu weitläustig zu werden.

Nein, ich gestehe auf-

15 richtig, daß dieses alles ist, was ich wider diese Komödie zu sagen habe,

und daß ich überzeugt bin, daß diese Critik dem Dichter und seinem

Uebersetzer so wenig schaden werde, als ich versichern kann, daß ich dieser Kleinigkeiten ungeachtet, gegen beyde die vollkommenste Hochachtung

habe, und daß das, was ich dagegen angeführt, viel zu wenig sey, dem

20 Dichter seinen Ruhm und meine Bewunderung zu versagen. Je genauer ich gegentheils dieses Stück untersucht habe, Fehler darinne zu ent­ decken, je mehr habe ich auch Schönheiten darinne angetroffen.

Alle

Charaktere, bis auf die schlechtesten, sind auf das vollkommenste aus­ gebildet, und doch nicht übertrieben.

25

dd) Sie vermuthen falsch.

Ist nicht in der Person des

Es heißt in meiner Ausgabe auch Grex; und

in der einzigen Straßburger Edition, welche Mulingus besorgt hat, steht Recitator. Wenn sich Herr Coste übrigens nur ein wenig genauer umgesehen hätte, so

würde er eine Stelle bey dem Plautus gefunden haben, woraus er ausdrücklich hätte schließen können, daß es nicht allezeit einer von den spielenden Personen

30 gewesen, welcher diese Schlußreden hielte.

Diese Stelle steht zum Beschlusse der

Cistellaria: -

-

-

omnes intus conficient negotium.

Vbi id erit factum, ornamenta ponent. post id ea loci

Qui deliquit, vapulabit; qui non deliquit, bibet. 35 Sie, die Schauspieler, spricht er, werden ihren Putz ablegen, nicht wir, wie er

doch nothwendig hätte sagen müssen, wenn er selbst ein Schauspieler gewesen wäre.

Critik über die Gefangnen de» flankn».

169

Ergasilus der Charakter eines Schmarutzers auf das lebhafteste aus-

gedmckt, und behauptet er nicht diesen Charakter durch das ganze Stück

mit einer ungemeinen Stärke?

Steigt und fällt nicht sein Muth? Ist

er nicht trotzig oder verzagt, nachdem seine Hoffnung zu schmausen groß oder geringe ist? Ist er nicht, wie es für einen solchen Kerl gehört,

unverschämt, niederträchtig, von schlechten Sitten, und lasterhaft?

5

Hat

nicht der Dichter in der Person des Hegio auf das vortrefflichste einen, alten reichen Bürger geschildert, einen ehrlichen Mann, einen Vater,

der seine Kinder über alles liebt, der alles, was ihm zum Besitz der­ selben verhelfen kann, anwendet, und alles, was man ihm sagt, wodurch 10

er dazu gelangen könne, leicht glaubt; so bald er aber einmal hinter­ gangen worden, wie alle Alte, mistrauisch wird, und sich völlig ver-

lohrm schätzet? Ist nicht Tyndarus ein Mensch, der mit seinem Herrn

von Jugend auf zusammen gelebt, und mit ihm die Vortheile einerley

Erziehung genoffen hat? Ist es also nicht natürlich, daß er diesen 15 Herrn mehr liebt, als ein gemeiner Knecht sonst einen Herrn lieben würde? Ist es nicht natürlich, daß der Herr ihn wiederum gleichfalls

mehr liebt, als einen gemeinen Knecht? Hier bewundre ich die Kunst und den Geist des Dichters: denn aus diesem Grunde sind die schönen

Austritte entsprungen, wo bey dem Abschiednehmen Tyndarus unter 20

der Person des Philokrates seinem Herrn alles das Gute vorhält, so

er ihm als Knecht erwiesen; wie treulich und willig er ihm gedient, und wie viel er um seinetwillen bey dieser Gelegenheit absonderlich wage; wie viel Vertrauen er in ihn setze, daß er ihn nicht werde in der Gefangenschaft zurücklassen, da er bloß durch ihn itzo frey sey, und 25 in sein Vaterland reisen könne.

Tont cela me paroit interessant

et touche avec beaucoup de delicatesse, sagt Coste in einer artigen

Anmerkung hierüber.

Dem Hegio selbst bricht das Herz, wenn er voller

Verwundrung ausruft: Dii vostram fidem,

30

Hominum ingenium liberale ut lacrumas excntiunt mihi.

Eben so schön ist der zweyte Austritt im dritten Aufzuge, wo Hegio den Tyndarus, nachdem er die List entdeckt, so hart angehet, und drohet, und dieser mit der größten Standhaftigkeit, und einer Kaltsinnigkeit,

welche nur ein gutes Gewissen wirken kann, antwortet, und sich so 85

schön vertheidigt, daß man ihm allezeit Beyfall geben, und ihn in

170

BrytrSgr jur Historie und Aufnahme de» Thraker».

3. Stück,

seinem Unglücke belauern muß. Er läßt zwar mehr Verstand und Tugend blicken, als man von einem Knechte verlangen kann; allein dieser Einwurf ist dadurch gehoben worden, daß er mit dem Philokrat einerley Erziehung genossen hat.

Stalagmus hingegen ist ein trotziger

5 Knecht, ein alter boshafter Schalk, der mit seinen Lastern prahlet, und

sich eine Ehre daraus macht, ein Taugenichts zu seyn. Und konnte er wohl anders seyn?

Mußte der Dichter nicht den, der das Herz gehabt,

seinem Herrn ein Kind von vier Jahren zu entführen, also bilden? Ein mittelmäßig böser Knecht, der sich hier auf das Bitten gelegt hätte, 10 würde nicht gefallen 'haben. Doch hat Terenz vielleicht auch hier den Plautus übertroffen,

weil Varro schon gesagt, daß er unter allen komischen Dichtern die Charaktere so vollkommen auszudrücken gewußt, daß wenn die Natur selbst hätte sprechen wollen, so würde sie sich seiner Worte haben be­ 15 dienen müssen.

Ich gestehe also gern, daß Plautus große Verdienste habe, daß

dieses Stück, die Gefangnen, voll schöner Stellen sey, daß der Dichter darinne viel Kunst und viel Erfahrung blicken lasse: doch nimmermehr werde ich zugestehen, daß es ohne Fehler, oder daß es gar das schönste 20 Stück sey, so jemals auf das Theater gekommen.

Zu des Plautus

Zeiten haben Sie vielleicht sagen wollen. Denn wie weit ist er noch von der Vollkommenheit entfernt, wozu ein Moliere gelangt ist? Es verdient das Schöne darinne nachgeahmet zu werden, doch muß man uns das Stück überhaupt nicht als das vollkommenste Muster vorlegen. 25 Sollte ich demnach in meinem Urtheile irren, so bitte ich Sie, um

Ihrer Stärke willen in theatralischen Dingen, mir aus meinem Irr­

thume zu helfen, und mich davon mit Gründen zu überführen; welches Ihnen nicht wenig Ehre bringen, und den Ruhm Ihres Helden nicht um ein geringes vermehren wird. Ich werde zwar also meine Sache im Gegentheil aber mich freuen, durch meine Zweifel Ihnen Gelegenheit gegeben zu haben. Trotz aller Einwürfe, uns das

30 verlieren;

Geständniß

abzuzwingen, daß

die Gefangnen des Plautus

das schönste Stück sind, so jemals auf das Theater ge­ 35

kommen ist. Ich schließe mit dem Urtheile des Hrn. von Esten, welches er in

seinem Menschenfeinde von unserm Dichter fällt:

171

Crikik über dir Gefangnen de« Plautus.

Ce comique Boufon, n’en deplaise aux savans, A son grösster Parterre, immole le bonsens. Chez lui d’un trait d’esprit la grace deployee Dans wille jeux de mots d’ordinaire est noyee: Sans rime et sans raison il fait le goguenard: La justesse en ses vers n’est qu’un don du hazard. Si le Valet souvent y parle d’un ton grave, L’honnet-homme y produit les pointes d’un esclave. Enfln par un seul trait, pour le depeindre en tont, II eut beaucoup d’esprit, peu d’art, et point de gout.

5

10

Ich bin rc. Geschrieben im Brachmonat 1750.

Ich glaube, in diesem -Briefe ist alles gesagt, was man nur immer

zum Nachtheil des Plautus vorbringen kann.

Und vielleicht meynen

auch viele meiner Leser, daß Beschuldigungen darinne vorkommen, die 15

man nimmermehr beantworten könne, und wobey auch der eifrigste Vertheidiger dieses Dichters seinen Witz nur umsonst anwenden würde. Doch wir wollen sehen.

Alles was man wider ihn vorgebracht hat,

beziehet sich auf drey Stücke.

Kunst, Witz und Moral sind es, wo-

rinne sich Plautus sehr tadelhast soll bezeigt haben.

Zu dem ersten 20

gehören alle Einwürfe, die man ihm, besonders in diesem Lustspiele,

wider die Einheit der Handlung, wider die Dauer, kurz wider die ganze mechanische Einrichtung seiner Stücke macht.

Zu dem andern

gehören seine seichten und nichtsbedeutenden Scherze; und zu dem dritten einige unbehutsame und allzusaftige Stellen, welche man bey ihm will 25

gefunden haben.

Ich will bey dem letzten zu erst anfangen; und hoffe

leicht damit zu Stande zu kommen, weil ich gar nicht gesinnt bin,

unsern Dichter in allen seinen Lustspielen deswegen zu entschuldigen, sondern bloß seine Gefangnen von diesem schimpflichen Vorwurfe zu befreyen suche.

Ueberhaupt aber von den unkeuschen Stellen des 30

Plautus zu urtheilen, sollte man wohl überlegen, daß vieles, was itzo

unsre Ohren auf die ärgerlichste Art beleidiget, zu seiner Zeit von ernsthaften Römern ganz gleichgültig konnte angehöret werden. Es ist die größte Ungerechtigkeit, die man gegen einen alten Schriftsteller aus-

172

VrykrSgr zur Historie und Aufnahme des Theater«.

3. Stück.

üben kann, wenn man ihn nach den itzigen feinern Sitten beurtheilen will. Man muß sich durchgängig an die Stelle seiner Zeitgenoffen setzen, wenn man ihm nicht Fehler andichten will, welche bey ihm keine sind.

Es Mr bey den alten Römern nichts gewöhnlicher und nichts weniger 5 anstößig, als Laster, welche offenbar im Schwange giengen, bey ihrem rechten Namen zu nennen. Die Bühne war dazu, sie zu bestrafen. Was sich der Zuschauer nicht schämte zu thun, sollte sich das der Dichter

schämen zu nennen? Dichter und Zuschauer waren also, wird man mir vorwerfen, im höchsten Grade unverschämt, und folglich im höchsten 10 Grade lasterhaft. Allein, die Wahrheit zu gestehen, mit diesem folglich

bin ich nicht sehr zufrieden. Ich weis nicht, mit was für einem Rechte man die oft erzwungne Fertigkeit bey Anhörung gewiffer Worte, bey Erblickung gewiffer Gegenstände roth und unwillig zu scheinen, unter die Tugenden setzen kann? Die Schamhaftigkeit in diesem Verstände

15 ist oft nichts als die Schminke des Lasters. Uebrigens berufe ich mich auf alle die anstößigen Stellen, woraus man dem Plautus ein so groß Verbrechen macht, und behaupte, daß keine einzige auf eiye Art abgefaffet sey, welche unschuldige Gemüther verführen könne. Sie sind insgesammt allzu rauh, und können nichts als Abscheu erwecken. Ja,

20 ich müßte mich sehr irren, wenn man nicht von dem, was unsre feinem Köpfe das Schalkhafte zu nennen belieben, einen weit größern Schaden zu besorgen hätte. Das Gift, welches man uns unvermerkt einflößet, verfehlt seltner seine Wirkung, als das, welches man uns offenbar aufzudringen sucht. Doch ich will mich itzo hierüber nicht weiter

25 einlaffen; genug wenn ich nur zeigen kann, daß in den Gefangnen nicht das geringste zu finden ist, dessen sich Plautus, auch wenn er in unsern Zeiten gelebt, zu schämen hätte. Ich habe in dem zweyten Stücke bey Gelegenheit gesagt: daß je gelehrter die Commentatores sind, je

weniger Witz ließen sie dem Schriftsteller, den sie erklären wollen*. •30

* Es scheint, als ob man meine Beschuldigung nur für einen bloßen Ein­

fall angenommen habe; allein, wenn cS darauf ankomme» sollte, so wollte ich mit mehr als hundert Beyspielen die Wahrheit derselben bestärken.

Eines davon

habe ich allzu große Lust hier anzuführen, weil eS mir gar zu besonders zu seyn scheinet.

Im ersten Auftritte des ersten Aufzuges des Curculio stehet ein Jüng-

35 ling nebst seinem Knechte, und einigen andern, die er bey sich hat, neben einem Altare der Venus.

Es ist noch ganz früh, und spricht also, er möchte gern der

Crikik über dir Gefangnen des Plsukus.

173

Jetzo will ich hinzu setzen, je gelehrter die Eommentatores über unsern

konnschen Dichter seyn wollen, je mehr anstößige Stellen finden sie bey ihm.

Zwey Oerter, aus gegenwärtigem Stücke, worinne sie mir alle-

sammt mehr zu sehen scheinen, als sie sehen sollten, mögen es beweisen. Allein, man wird fragen, was mich so verwegen macht, der Einsicht

5

so vieler gelehrten Kunstrichter meine Wenigkeit entgegen zu setzen, die

man noch aus keinem einzigen lege meo periculo kennet; ich muß es Er versichert uns in der Vorrede,

also nur gestehen, Plautus selbst.

daß in dem ganzen Stücke keine versus spurcidici immemorabiles wären, muß also nicht entweder Plautus selbst, oder seine Ausleger 10

lügen?

Nothwendig, und wer kann es mir verdenken, daß ich lieber

das letzte glaube, da ohnedem in den streitigen Stellen ein so guter

Verstand liegt, daß man gar nicht nöthig hat, zu solchen unzüchtigen Anspielungen seine Zuflucht zu nehmen.

Wir wollen sie selbst ansehen.

Die erste befindet sich im zweyten Austritte des vierten Aufzuges.

Venus ein Frühstück zum Opfer bringen.

Mich,

Wie? spricht der Knecht, willst du, daß

dich, und diese alle, antwortet der Herr. sich die Venus übergeben soll?

Was denn? fragt der Knecht.

15

Die Stelle selbst heißt so:

PK. Me inferre Venen vovi iam ientaculum.

20

Pa. Quid antepones Veneri a ientaculo ?

PK. Me, te, atque hosce omnes.

Pa. Nurn tu Venerem vomere vis?

Wer sieht nicht so gleich, daß der Knecht sagen will: wenn du uns ihr willst zum Frühstücke vorsetzen, so wird es ihr gewiß schlecht bekommen.

Wir sind so ein

niedlicher Bissen, daß sie sich nothwendig wird übergeben müssen! Der Einfall

ist knechtisch, aber so deutlich, als er nur immer seyn kann.

Gleichwohl will Tan. 25

Faber uns in einem Briefe an Sarravium versichern, daß niemand diese Stelle

verstanden habe, noch verstehen könne.

Er habe lange gesonnen, was wohl da­

hinter stecken möge, und endlich wäre er auf den Einfall gekommen, sie in da8

Griechische zu übersetzen, woraus sie ohne Zweifel genommen wäre.

Er habe eS

gethan und endlich diesen sehr richtigen griechischen VerS heraus bekommen:

. (76 xai TOvTOus. litt. TrsV youv (o 710710! habe er ausgeruft, iatuc ipsum est quod quaeris. es sey hier ein bloßeS Wortspiel zwischen

at und

30

fyeffat.

Er meynt nämlich, (vomere), welches

von dem Plautus nicht sey bemerkt, und daher so unverständlich übersetzt worden.

Wer bewundert nicht die Geschicklichkeit dieses Mannes, der aus einem noch ganz 35

erträglichen Scherze des Plautus mit so vieler Gelehrsamkeit ein verdorbneS Wort­ spiel zu machen weis.

wo ich meine der Ewigkeit geweihte Reise

„nun weiter hinwenden soll, das wollen mir keine Ahndungen entdecken,

30 „keine freundliche Schatten mich lehren.

Ach daß in unsern unerleichte-

„ten Tagen kein gelehrter Priester die Opfer mehr erkläret, und mit „prophetischen Auge die Eingeweide durchspähet, oder die herumirrenden „Warnungen des Himmels lesen kan!

Keine geheiligten Orakel kommen

„mehr zu Hülfe; die Pythia und das Cumäische Mädchen sind sprachlos. 35 „O hätten wir in jenen glüklichen Zeiten gelebt,

„Held und der Griechische Weise herumschweiften!

als der Trojanische Da hätten wir viel-

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes. MonaL Junius 1751.

413

„leicht einen freundschaftlichen Helenus oder Anius gefunden, welcher ge„ schilt gewesen wäre uns jede Ahndung zu entzieffern.

Vielleicht wären

„wir zu den dunkeln Wohnungen der Hölle gegangen, und der berüchtigte „Tiresias hätte uns unser Schicksal gezeigt!" „Ach, nur allzugerecht ist dein Kummer!

Hierauf spricht Albertus:

O möchte mein weissagendes

„Herz die gewünschte Linderung verschaffen!

5

Die klugen Mahometaner

„haben den Narren und Unsinnigen allezeit besondere Ehre erzeugt, und

„dieses sehr weißlich. Denn oft, wann sich die Flügel der Vernunft hoch „über irrdische Dinge erheben, so streifen die Gedancken unter den Woh-

„nungen der Sterne und werden durch den Umgang mit den Unsterb- 10

„lichen beglückt.

Von da aus theilt alsdann der göttliche Mann den

„minder erhabenen Sterblichen unterrichtende Wahrheiten aus. In Cairo „wohnt ein phrenetischer Weise, welcher von aller dieser theomantischen

„Wuth begeistert ist.

Ich habe bemerkt, so oft der Morosoph zum Bor-

„schein kam, ward er von einer unzähligen Menge umringt, und von 15 „allen verehret.

Jung und Alt, Jungfern und Weiber küßten die Fuß-

„stapfen des seligen Gymnosophisten.

Die brünstige Braut berührte jeden

„günstigen Theil, geschickt die Kraft der Fortpflanzung zu ertheilen. End„lich thut die Stimme den heiligen Ausbruch, und die horchende Menge

„bleibt staunend stehen. - - Laß uns also, dieses ist meine Meinung, wie- 20 „der nach Cairo zurückkehren, und laß den Weisen sich bey dem Narren „Raths erhöhten."

Hiermit endet sich das erste Buch.

Die besten Er­

läuterungen des ganzen Gedichts kan man aus den Denkwürdigkeiten des

Scriblerus, welche sich in Popens Werken befinden, ziehen, wovon es

25

eigentlich eine Art der Nachahmung ist.

Monat Junius 1751. Die Regeln in den schönen Künsten sind aus den Beobachtungen entstanden, welche man über die Wercke derselben gemacht hat.

Diese

Beobachtungen haben sich von Zeit zu Zeit vermehret, und vermehren sich noch, so oft ein Genie, welches niemals seinen Vorgängern ganz folgt, 30 einen neuen Weg einschlägt, oder den schon bekannten über die alten

Grenzen hinausbähnet.

Wie unzehlig muß also nicht die Menge der

Regeln sein; denn allen diesen Beobachtungen kan man eine Art der Allgemeinheit geben, das ist, man kan sie zu Regeln machen.

Wie un-

414

Das Neueste au» dem Deiche des Witzes. Monat Junm» 1751.

nütz aber müssen sie uns nothwendig durch eben diese Menge werden, wenn man sie nicht durch die Zurückführung auf allgemeine Sätze ein­

facher und weniger machen ton. Dieses war die Absicht des Herrn Batteux in der Einschränckung

6 der schönen Künste auf einen eintzigen Grundsatz, welche er vor einigen Jahren in seiner Sprache herausgab.

Er sah alle Regeln

als Zweige an, die aus einem einzigen Stamme sprossen.

Er gieng bis

zu ihrer Quelle zurück und traf einen Grundsatz an, welcher einfach und

unversteckt genug war, daß man ihn augenblicklich entdecken konnte, und 10 weitläuftig genug, daß sich alle die kleinen besondern Regeln darinnen

verloren, welche man bloß vermittelst des Gefühls zu kennen braucht,

und deren Theorie zu nichts hilft, als daß sie den Geist fesselt, ohne ihn zu erleuchten.

Dieser Grundsatz ist die Nachahmung der schönen Natur.

Ein Grundsatz, woran sich alle, welche ein wirkliches Genie zu den Künsten 15 haben, fest halten können; welcher sie von tausend eitel» Zweifeln be-

fteyet, und sie bloß einem einzigen unumschränkten Gesetze unterwirft,

welches, so bald es einmal wohl begriffen ist, den Grund, die Bestim­ mung und die Auslegung aller andern enthält. Wir haben nicht nöthig, von dieser glücklichen Arbeit des Hrn. 20 Batteux, welche ohnedem nicht unter das Neueste gehört, weitläuftig zu

reden, da sie vor kurtzen unter uns durch eine doppelte Uebersetzung be­ kannt genug geworden ist.

Die eine dieser Uebersetzungen ist in Leipzig,

Man braucht keine weitläuf-

die andre in Gotha ans Licht gekommen.

tige Untersuchungen, der ersten den Vorzug zu ertheilen.

Auffer dem

26 Anhänge einiger eignen Abhandlungen, mit welchen sie vorzüglich pranget, ist die Uebersetzung selbst weit getreuer gerathen; da oft die andre den

Sinn des Verfassers verfehlt.

Gleich die erste Periode aus dem Bor­

berichte des Verfassers mag es beweisen.

Man beklagt sich bestän­

dig über die Menge derRegeln; sie setzen den Verfasser, SOwelcher schreiben, und den Liebhaber, welcher urteilen will, in eine gleiche Verwirrung.

Dieses sagt Herr Batteux;

die Gothaische Uebersetzung aber sagt etwas ganz anders.

Man be­

klagt sich, heißt es, täglich über die Menge derRegeln; sie sind so wohl dem Verfasser der SIE verfertigen, als dem

35 Liebhaber der SIE beurtheilen will, beschwerlich. SIE bringt einen ganz andern Verstand hinein.

Das

Batteux will nicht

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes.

Mona! Junius 1751.

415

sagen, daß die Menge der Regeln denjenigen verwirre, welcher die Regeln

schreiben oder beurtheilen wolle, sondern den, welcher nach diesen Regeln schreiben oder urtheilen will.

Die eignen Abhandlungen, welche zu der

ersten Uebersetzung gekommen sind, handeln von der Eintheilung der Künste; von den Zeiten, in welchen die schönen Künste entsprungen sind;

5

von dem höchsten und allgemeinsten Grundsätze der Poesie; von der Ein­ richtung der Poesie; von der künstlichen Harmonie des Verses; von dem

Wunderbaren der Poesie besonders der Epopee, und von den eigentlichen Gegenständen des Schäfergedichts.

Sie verbessern Theils den Hrn. Bat-

teux, theils setzen sie seine Gedancken auf eine Art weiter fort, welche 10

sie der Nachbarschaft, in der sie stehen, würdig macht.

An statt durch

einen Auszug Leser von Geschmack anzutreiben, sie ganz zu lesen, dürfen wir nur den Verfasser nennen.

Der Nahme des Herrn Gellerts wird

mehr davon versprechen, als die schönsten Stellen, die wir daraus ab­ 15

schreiben könnten.

Wir wollen vielmehr ein ganz neues Werk bekannt machen, welches

dem vorhergehenden seinen Ursprung zu danken hat.

Es ist ein Brief

welcher unter folgender Aufschrift an den Herrn Batteux gerichtet ist.*)

Schreiben über die Tauben und Stummen, zumGebrauch derer, welche hören und reden.

Wer sich an das Schreiben über 20

die Blinden erinnert, welches vor einiger Zeit herauskam, der wird ohne

Zweifel gleich

bey

dem Tittel vermuthen, daß Herr Diderot gleich-

fals der Verfasser davon sey.

Was er jetzo vermuthet, wird er gewiß

wissen so bald er das Werk selbst gelesen hat.

Die Aufschrift scheinet

nichts weniger zu versprechen als eine Abhandlung von den Versetzungen 25

in den Sprachen.

Gleichwohl ist dieses der vornehmste Inhalt.

Wir sagen

mit Fleiß, der vornehmste; denn wem ist die Gewohnheit des Herrn Diderot unbekannt?

Er schweift überall aus, er springt von einem auf

das andre, und das letzte Wort einer Periode ist ihm ein hinlänglicher Uebergang.

Der Name eines Sendschreibens ist vielleicht eine kleine 30

Entschuldigung dieser Ungebundenheit.

Die beste Entschuldigung aber ist,

daß alle seine Ausschweifungen voller neuen und schönen Gedanken sind.

♦) Lettre sur les Sourds et Muets, ä l’usage de ceux, qui entendent et qui parlent. Addressee ä, Mr. Versisque viarum Judiciis raptos; pedibus vestigia rectis Ne qua forent - - Aeneid. lib. 8. 1751. in 12mo auf 200 und 35 etlichen 40 Seiten.

416

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes.

Monat Junius 1751.

Wann uns doch alle unordentliche Schriftsteller auf diese Art schadlos

halten wollten.

Die Art wie er die Versetzungen, gegen den Herrn

Batteux untersucht, ist diese.

Er glaubt, die Natur der Versetzungen

zu erkennen, müsse man untersuchen, wie die oratorische Sprache ent5 standen sey.

Er schließt aus dieser Untersuchung, erstlich, daß die

französische Sprache voller Versetzungen sey, wenn man sie mit der thie­ rischen Sprache und mit dem ersten Zustande der oratorischen Sprache

vergleichet, in welchem sie ohne alle Regeln der Zusammenfügung ge­ wesen ist; zweytens,

daß, wann sie fast keine von den Versetzungen

10 habe, die in den alten Sprachen so gewöhnlich sind, man es der neuen

peripatetischen Weltweißheit zu danken habe, welche die Abstracta realisirt, und ihnen in der Rede den vornehmsten Platz eingeräumet hat.

Hiervon

glaubt er könne man sich, auch ohne bis auf den Ursprung der oratorischen

Sprache hinauf zu steigen, bloß durch die Betrachtung der Sprache der 15 Gestus überzeugen. Diese Sprache zu erkennen, schlägt er zwey Mittel vor;

die Erfahrungen nemlich, die man mit einem sich stellenden Stummen

machen kan, und der beständige Umgang mit einem taub und stumm Gebohrnen.

Der Begrif eines sich stellenden Stummen bringt ihn auf den

Einfall den Menschen in so viel besondre Wesen zu theilen, als er Sinne

20 hat.

„Ich besinne mich, spricht er, daß ich mich manchmal mit dieser Art

„einer metaphysischen Anatomie beschäftigt habe. Ich fand, daß unter allen

„Sinnen, das Auge der am wenigsten gründliche, das Ohr der stolzeste, „der Geruch der wollüstigste, der Geschmack der abergläubigste und un-

„beständigste, das Fühlen aber der gründlichste und philosophischste Sinn 25 „waren.

Es würde, sollte ich denken, eine sehr lustige Gesellschaft seyn,

„welche aus Personen bestünde, wovon jede nur einen Sinn hätte.

Ich

„glaube gewiß einer würde den andern für einen Unsinnigen halten;

„man urtheile aber, mit was für Grunde.

Und gleichwohl ist dieses

„ein Bild von dem, was alle Augenblicke in der Welt geschieht; man 30 „hat nicht mehr als einen Sinn, und urtheilet gleichwohl von allein.

„Uebrigens kan man über diese Gesellschaft von fünf Personen, deren „jede nur einen Sinn hat, eine besondere Anmerkung machen; diese nem-

„lich, daß sie, vermöge der Kraft zu abstrahiren, alle fünfe Geometers „seyn können, daß sie einander vortreflich verstehen, aber um* in geo-

35 „metrischen Sachen verstehen würden."

Die Fortsetzung dieser Gedancken

bringet den Verfasser ans andre, die wir dem Leser ganz mittheilen

Das Neueste aus dem Reiche des Wihrs. Monat Junius 1751.

müssen.

417.

„Ich besuchte, spricht er, vor diesen sehr fleißig die Schauspiele,

„und ich konnte die meisten von unsern guten Stücken auswendig.

Wenn

„ich mir einmal vorsetzte, eine Untersuchung der Gestus und Stellungen

„vorzunehmen, so begab ich mich auf die dritten Logen, denn je weiter

„ich von den Schauspielern entfernt war, desto besser war mein Platz.

5

„So bald als der Vorhang aufgezogen war, und alle Zuschauer sich

„bereit machten, zuzuhören, verstopfte ich mir die Ohren mit den Fingern

„zu nicht geringer Verwunderung derjenigen, die um mich herum waren, „und mich, weil sie mich nicht verstunden, bey nahe für einen Unsinnigen

„ansahen, der nur deswegen in die Komödie gekommen wäre, daß er sie 10 „nicht hören wollte.

Ich ließ mich sehr wenig von ihren Urtheilen an-

„fechten, und hielt mir ungestört die Ohren fest zu, so lange das Spiel „des Schauspielers mit den Reden überein kam, die ich mir ins Ge-

„dächtniß rüste.

Ich hörte nur alsdann, wenn mich die Gestus irre

„machten, oder ich wenigstens irre zu seyn glaubte.

Ach, mein Herr, 15

„wie wenig Schauspieler können eine solche Probe aushalten, und wie

„erniedrigend würde für die meisten von ihnen eine weitre Erklärung

„seyn, in die ich mich einlassen könnte.

Ich muß Ihnen aber auch nicht

„die neue Verwunderung verhehlen, in welche alle um mich herum fielen,

„als sie sahen, daß ich bey den pathetischen Stellen Thränen vergoß, 20 „und mir gleichwohl die Ohren immer zuhielt.

Nunmehr konnte man

„sich nicht länger halten, und die am wenigsten Neugierigen wagten sich „mit ihren Fragen an mich, worauf ich aber ganz kaltsinnig antwortete:

„jeder höre nach seiner Art, und meine Art wäre, mir

„die Ohren znzuhalten, um desto besser zu hören.

Ich lachte 25

„bey mir selbst über die Reden, welche meine vielleicht nur scheinende, „vielleicht würkliche Narrheit, verursachte; noch mehr aber lachte ich über

„die Einfalt verschiedner junger Leute, welche sich gleichfalls nach meiner

„Art die Ohren mit den Fingern zuhielten, und ganz erstaunten, daß „es ihnen nicht gelingen wollte.

Sie mögen von meiner Gewohnheit 30

„denken, was Sie wollen, so bitte ich Sie zu überlegen, daß, wenn man, „von der Aussprache richtig zu urteilen, die Rede hören muß, ohne den

„Schauspieler zu sehen; es ganz natürlich ist zu glauben, daß man,

„von den Bewegungen und Stellungen richtig zu urtheilen, den Schau„spieler sehen müsse, ohne ihn zu hören.

Der Schriftsteller, welcher sich 35

„durch seinen hinkendell Teufel, durch seinen Gilblas von Santillana, X: e i i i n q, inrntlube im n. IV 27

418

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes. Monak Junius 1751.

„und verschiedne theatralische Stücke bekannt gemacht hat, HerrleSage

„war in seinem Alter so taub geworden, daß man ihm mit aller Gewalt „in die Ohren schreyen mußte, wenn man von ihm wollte verstanden

„seyn.

Gleichwohl wohnte er allen Vorstellungen seiner Stücke bey; er

5 „verlohr kein Wort davon, und sagte so gar, daß er niemals, sowohl „von dem Spiele als von den Stücken selbst, besser geurtheilet habe,

„als seitdem er die Schauspieler nicht mehr hören könne." - - Hierauf kommt der Verfasser auf den Nachdruck der Gestus,

er führt einige

Exempel davon an, welche ihn auf die Betrachtung einer Art des Er­

10 habnen bringen, welche er das Erh abne derStellung nennet. Die Schwierigkeiten, welche man hat,

einem taub und stumm Gebohrnen

gewisse Begriffe beyzubringen, geben ihm Gelegenheit unter den orato-

rischen Zeichen die zu erst und

zuletzt eingeführten zu unterscheiden.

Unter die zuletzt eingeführten Zeichen rechnet er die unbestimmten Theile

15 der Größe, und besonders der Zeit. Er macht hieraus begreiflich, war­ um einigen Sprachen verschiedne Zeitfälle mangeln, und andere einerley Zeitfall verschiedentlich brauchen.

Diese Unvollkommenheiten geben ihm

die Eintheilung an die Hand, die Sprachen überhaupt in einem drey­

fachen Stande, in dem Stande der Geburt, der Bildung und der Voll­

20 kommenheit zu betrachten.

Bey dem Stande der Bildung zeigt er, wie

der Geist durch die Regeln der Wortfügung gebunden worden, und wie

unmöglich es sey die Ordnung bey den Begriffen selbst anzubringen,

welche in den griechischen und lateinischen Perioden herrscht.

Hieraus

schließt er, erstlich, daß, die Ordnung in den Theilen der Perioden

25 möge auch in einer alten oder neuern Sprache seyn, wie sie wolle, der Geist des Schreibenden doch allezeit der didactischen Ordnung der fran­ zösischen Wortfügung folge; zweytens, daß, da diese Wortfügung die

allereinfachste sey, die französische Sprache, sowohl dieser als andrer Ur­ sachen wegen, den Vorzug vor den alten Sprachen verdiene.

„Die Frau-

30 „zosen, spricht er, haben dadurch, daß sie alle Versetzungen verworfen „haben, die Klarheit mtb Genauigkeit, die vornehmsten Stücke der Rede „gewonnen; Stärke und Nachdruck aber haben sie dadurch verloren.

Ich

„füge hinzu, daß die französische Sprache, wegen der didactischen Ord-

„nung, welcher sie unterworfen ist, zu den ernsthaften Wissenschaften weit

35 „bequemer, als die griechische, lateinische, italiänische und englische Sprache „ist, diese aber, wegen ihrer Wendungen und Versetzungen, weit vor-

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes. Monak Junius 1751.

419

„theilhafter bey den schönen Wissenschaften können angewendet werden. „Wir können besser, als jedes andre Volk den Geist reden lassen, und

„die Vernunft muß notwendig die französische Sprache, sich auszudrücken,

„erwehlen; Einbildung und Leidenschaften aber, werdenden alten-Sprachen

„und den Sprachen unsrer Nachbarn den Vorzug geben.

Französisch

5

„muß man in der Gesellschaft und in den Schulen der Weltweisen reden;

„griechisch, lateinisch und englisch aber auf der Kanzel und der Bühne.

„Unsre Sprache wird die Sprache der Wahrheit seyn, wenn sie jemals

„wieder auf die Erde kommen sollte; die übrigen Sprachen aber sind „die Sprachen der Fabel und der- Lügen. Das Französische ist gemacht 10 „zu unterrichten, zu erleuchten, und zu überzeugen; das griechische, la-

„teinische, italiänische, englische aber zu überreden, zu bewegen und zu „betriegen.

Sprecht griechisch, lateinisch, italiänisch mit dem Pöbel;

„französisch aber mit dem Weisen." - - Indem er die gebildete Sprache bis zu dem Stande der Vollkommenheit begleitet, stößt ihm die Har- 15

monie auf.

Er vergleicht die Harmonie der Schreibart, mit der musi­

kalischen Harmonie, und zeigt erstlich daß die erstre in den Worten die

Würkung einer gewissen Vermischung der selbstlautenden und mitlauten­ den Buchstaben, und des Werths der Sylben sey; daß sie aber in den Perioden aus der Stellung der Worte entstehe: zweytens daß die 20

Harmonie der Worte und die Härmonie der Perioden eine Art von Hieroglyphik hervorbrächten, welche der Poesie besonders eigen ist.

Er er­

klärt diese Hieroglyphik in verschiednen Stellen der größten Dichter, und beweiset,

daß es unmöglich sey einen Dichter in einer andern Sprache

vollkommen auszudrücken.

Eine von diesen Stellen ist die, in welcher 25

Virgil von dem tödlich verwundeten Euryalus sagt:

Pulchrosque per artus It cruor: inque humeros cervix collapsa recumbit, Purpureus veluti cum flos snccisus aratro Languescit moriens, lassove papavera collo Demisere capnt, plnvia cum forte gravantur.

30

„Ich würde weniger erstaunt seyn, sagt er, wenn ich sähe, daß

„diese Verse durch das ungefehre Untereinanderwerfen der Lettern ent„stünden, als wenn ich sehen sollte, daß alle hieroglyphische Schönheiten „derselben in eine Uebersetzung gebracht würden.

Das Bild der Her- 35

„Vorquellung des Bluts, It cruor: das Bild des sterbenden Haupts,

420

Da« Neueste aus dem Reiche des Witzes. Monat Junius 1751.

„welches auf die Schultern fällt, cervix collapsa recumbit; das Geräusche

„des Pflugs, wenn er durchschneidet, succisus; die tödliche Mattigkeit

„des languescit moriens; die Weichlichkeit des -Mohnstengels lassove

„papavera collo; das demisere caput, und das gravantur, welches das 5 „Bild schliesset.

Demisere ist so weichlich als der Stengel der Blume;

„gravantur ist eben so schwer, als der Kelch, wann er mit Regen er„füllt ist.

Collapsa bemerkt die Gewalt und den Fall.

„Hieroglyphe befindet sich doppelt in papavera.

Eben diese

Die zwey ersten Sylben

„halten das Haupt des Mohns aufrecht, und die zwey letzten biegen es."

10 Der Verfasser geht hierauf weiter und zeigt, daß auch in den allerdeut­ lichsten Dichtern Schwierigkeiten sind, und versichert, daß es tausendmal mehr Menschen giebt, welche fähig sind, einen Geometer zu verstehen

als einen Dichter, weil man allezeit tausend Leute von Verstände gegen einen Menschen von Geschmak findet, und tausend Menschen von Geschmack

15 gegen einen von einem ausgesuchten Geschmacke.

Er bringt bey dieser

Gelegenheit eine neue Erklärung der bekannten Verse des Homers an, von welchen man gezweifelt hat, ob sie erhabner oder gottloser sind.

20

Zi/v TUXTSQ dZÄd av Qvaat vn tfsQOg viaAyaian^ lloivfiov dai^QTjV^ doG d'ocp&aZf.io'iaiv löea&ai, Ey de cpdei xdi 6Zeoüoys enei vv toi evadey ovTiug. „Boileau, spricht er, hat diese Zeilen übersetzt: GOtt zerstreue die „Nacht, welche unsre Augen bedeckt, und streite gl eich selb st

„wider uns, nur bey hellem Himmel.

Seht, da, schreyt dieser

„Kunstrichter, mit dem Rhetor Longin, die würklichen Gesinnungen eines 25 „Kriegers.

Er verlanget nicht das Leben; ein Held war dieser Nieder-

„trächtigkeit nicht fähig; weil er aber keine Gelegenheit sieht, seinen „Muth in der Dunckelheit sehen zu lassen, so verdrttßt es ihm, daß. er

„nicht streiten soll; er verlangt also, daß der Tag geschwind anbreche, „damit er seinem grossen Herzen wenigstens ein ihm würdiges Ende her-

30 „bey bringe, wenn er auch mit dem Jupiter selbst zu streiten haben sollte. Grand Dien, rens nous le jour, et combats contre nous!

La Motte. „Ey, meine Herren! werde ich dem Longin und dem Boileau ant„Worten; hier ist gar nicht die Frage von den Gesinnungen, welche ein 35 „Krieger haben muß, auch nicht von der Rede, welche er in den Um-

„ständen, worinne Ajax war, führen muß.

Homer wußte dieses, ohne

Das Vrurste aus drm Reiche des Witzes. Monat Junius 1751.

„Zweifels eben so gut, wie ihr.

421

Hier kömmt es nur darauf an, daß

„man zwey Verse des Homers richtig übersetze.

Und wenn es nun von

„ohngefehr geschehen sollte, daß dasjenige nicht darinne stünde, was ihr „lobt; wie würde es denn mit euern Lobeserhebungen und Betrachtungen „stehen?

Was wird man von dem Longin, dem Boileau und la Motte

5

„denken müssen, wenn sie von ohngefehr etwa gottlose Pralereyen da „gefunden hätten, wo nichts als ein erhabnes und pathetisches Gebet

„ist?

Man lese und überlese die zwey Verse des Homers so vielmal

„als man will, so wird man doch nichts als dieses darinne finden: Vater­ ader Götter und Menschen, Zev TtaxtQ, zerstreue die Nacht, welche unsre 10

„Augen bedecket, und wenn du beschlossen hast uns zu verderben, so

„verderbe uns wenigstens bey Hellem Himmel.

Faudra-t-il sans combats terminer sa Carriere ? Grand Dien, chasses la nuit, qui nous couvre les yeux Et que nous perissions ä la clarte des cieux.

15

„Wenn diese Uebersetzung nicht das pathetische des Homers ausdrückt, so „findet man doch wenigstens nicht den Mißverstand darinne, welchen Boi-

„leau und la Motte hineingebracht haben.

Hier ist gar keine Heraus-

„foderung des Jupiters: man sieht nichts als einen Held, welcher bereit „ist zu sterben, wann es Jupiter so verlangt, und keine andre Gnade 20 „von ihm erbittet, als kämpfend sterben zu können.

Ztv tuitsq ; Jupiter!

„Vater! Würde ein Menippus wohl den Jupiter so anreden? - - Diese „Stelle, führet er fort, beweiset genugsam, daß es gar nicht nöthig ist „dem Homer Schönheiten zu leihen, und daß man oft dadurch in Gefahr

„kömmt, ihm diejenigen zu nehmen, welche er wirklich hat.

Man mag 25

„ein noch so großes Genie seyn, so wird man dasjenige doch nimmer-

„mehr besser sagen, was Homer gut gesagt hat.

Laßt uns ihn erst ver-

„stehn lernen, ehe wir ihn verschönern wollen.

Er ist aber von den

„poetischen Hieroglyphen, von welchen ich vorher geredet habe, so voll, „daß man sich nicht einmal, wenn man ihn auch zum zehntenmale liefet, 30

„schmeicheln darf, alles gesehn zu haben." - - Der Verfasser merkt hierauf an, daß jede Kunst der Nachahmung ihre Hieroglyphen habe, und daß es zu wünschen sey, wenn ein kundiger und zärtlicher Schriftsteller ihre Ver­

gleichung unternehmen wollte.

Hier giebt er dem Hrn. Batteux zu

verstehen, daß man von ihm diese Arbeit erwartet, und daß diejenigen, 35 welche seine Einschränkung der schönen Künste auf die Nachahmung der

422

Das Neueste aus dem Leiche des Witzes.

Monat Junius 1751.

schönen Natur gelesen hätten, berechtiget zu seyn glaubten, von ihm eine genaue Erklärung, was denn die schöne Natur sey? zu verlangen. Ohne diese würde seinem Werke der Grund und ohne jene die Anwen­ dung fehlen. In Erwartung wagt er von der ersten Arbeit selbst eine ö Probe, wozu er die vortrefliche Stelle des Virgils gewählt hat.

10

Illa graves oculos conata attollere, rursus Deficit. Infixum stridet sub pectore vnlnus. Ter sese attollens cubitoque annexa levavit; Ter revoluta toro est, oculisque errantibus alto Quaesivit coelo lucem, ingemuitque reperta. Die Tonkünstler und Mahler mögen es beurtheilen, ob er in ihren Künsten den poetischen Hieroglyphen gleichgeltende angegeben hat. - - Zum Schlüsse kömmt er auf die französische Sprache wieder zurück; er ertheilt ihr noch

einmal den Vorzug vor allen Sprachen in den nützlichen Sachen, und

15 spricht ihr auch in dem angenehmen ihre Stärke nicht ab, wann sie in

den Händen eines Meisters ist.

„Ein Werk, schließt er, welches von dem

„Genie unterstützt wird, fällt nie; es mag in einer Sprache geschrieben „seyn, in welcher es will."

Wir haben uns bey diesem kleinen Werke ein wenig lange auf•20 gehalten, und gleichwohl haben wir nichts als einige Blumen daraus

aussuchen können.

Wir hoffen aber, daß sie dem Leser angenehmer seyn

werden, als ein halb Duzend BücherTittel, mit einem nichts beurthei­

lenden Urtheile verlängert, das voller kindischen Ausruffungen, lächerlichen

Anspielungen, und unnöthigen Versicherungen ist, wie werth uns der 25 allerwertheste Herr Verfasser sey. Ein kurzsichtiger Dogmaticus, welcher sich für nichts mehr hütet,

als an den auswendig gelernten Sätzen, welche sein System ausmachen, zu zweifeln, wird eine Menge Irrthümer aus dem angeführten Schreiben des Herrn Diderot heraus zu klauben wissen.

Unser Verfasser ist einer

30 von den Weltweisen, welche sich mehr Mühe geben, Wolken zu machen als

sie zu zerstreuen.

Ueberall, wo sie ihre Augen hinfallen lassen, erzittern

die Stützen der bekanntesten Wahrheiten, und was man ganz nahe vor sich zu sehen glaubte, verliert sich in eine ungewisse Ferne.

Sie führen uns

In Gängen voll Nacht zum glänzenden Throne der Wahrheit;

35

v. Klei st.

wenn Schullehrer, in Gängen voll eingebildeten Lichts zum düstern Throne

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes. Wonat Junius 1751. der Lügen leiten.

423

Gesetzt auch ein solcher Weltweise wagt es, Meinungen

zu bestreiten, die wir geheiliget haben.

Der Schade ist klein.

Seine

Träume oder Wahrheiten, wie man sie nennen will, werden der Gesell­ schaft eben so wenig Schaden thun, als vielen Schaden ihr diejenigen

thun, welche die Denkungsart aller Menschen unter das Joch der ihrigen bringen wollen.

ö

Wenn man einer Art von Schriftstellern das Handwerk

legen will, so sey es diejenige, welche uns das Laster angenehm macht.

Dem witzigen Wollüstler nehme man die Feder, welcher sich nicht scheuet, die Mädchenschulen, unglüklich genug, zu vermehren? Dieser Gedanke könnte eine Art des Ueberganges zu folgendem 10

Buche seyn, wann wir in einem Blatte, wie das gegenwärtige ist, die Uebergänge nöthig hätten.

Der Herr de la Mettrie,

ein Name,

bey dem man vielerley denken kan, hat die Welt mit einer neuen Geburth seines Witzes beschenkt, welche die Aufschrift führet: Die Kunst zu

geniessen.*)

Er hätte sich noch kürzer, ob gleich ein wenig dunkler, 15

fassen können, wann er sie die Pornevtik überschrieben hätte.

Wem

die geheimste Bedeutung des französischen Worts geniessen unbekannt

ist, dem wird der Vers aus dem Lucrez zu statten kommen, welcher mehr

als ein ganz artigs Bild, anstatt der Tittelvignette enthält.

Et quibus ipsa modis tractetur blanda voluptas.

20

Der züchtigste Begrif, den wir davon machen können, ist, toemt wir

sagen, daß der Verfasser darinne die Wollust in ihren verschiedenen und zwar den ausgesuchtesten Stellungen mahlt. Die Züge zeigen von keiner

Meisterhand; die Kolorite ist blendend und die Farben sind mehr unter einander gekleckt als vertrieben.

„Vergnügen, hebt er an, höchster Be- 25

„Herrscher der Götter und Menschen, vor welchem alles, auch so gar die „Vernunft verschwindet; du weißt wie tief mein Herz dich anbetet, du

„weißt alle die Opfer, die es dir gebracht hat.

Ich weiß nicht ob ich

„an den Lobsprüchen, die ich dir gebe, werde Theil haben; ich würde

„mich aber für deiner unwerth halten, wenn ich nicht aufurerksam wäre 30 „mich deiner Gegenwart zu versichern, und mir selbst von allen deinen

„Wolthaten Rechnung abzulegeu.

Die Danckbarkeit würde ein allzu-

„schwacher Zoll seyn; ich Mge also die Untersuchung meiner süssesten

♦) L’Art de jouir. El tjuibus ipsa niodix tractetur blanda colupta.s. 1751. in 8. ans 8* > Bogen. 35

Laer, ä Cxtliere. vmxebmcn.

117511

424

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes.

„Empfindungen hinzu."

Monak Junius 1751.

In diesem Tone fährt er einige Seiten fort,

bis er endlich auf der eilften ausruft: „O Natur! o Liebe! werde ich

„auch in das Lob eurer Reitze alle die Entzückungen bringen können,

„mit welchen ich eure Wohlthaten schmeke!"

Sollte man nicht glauben,

5 daß nach einer solchen Ausrufung ein Franzose, das ist, ein gebohrner witziger Kopf, wie man behauptet, sich ganz besonders anstrengen würde?

Wahrhaftig es ist auch geschehen. ausgeschrieben.

Und wie?

Er hat einen Deutschen

Die Ode des Hrn. von Hallers an Doris ist es, welcher

dieses Glück wiederfahren ist.

Wir müssen die ganze Stelle einrücken,

10 damit unsere Leser nicht glauben, wir scherzten.

„Komm Phyllis, spricht

„der französische Haller, laß uns in das kühle Thal herabsteigen.

Alles

„schläft in der Natur: wir allein sind wache. Komm unter jene Bäume, „wo man nichts als das sanfte Geräusche ihrer Blätter höret. Der ver-

„liebte Zephir ist es, welcher sie belebt.

Siehe wie sie sich gegen ein-

15 „ander bewegen, und dir das Zeichen geben: ihnen nachzuahmen."

Wie

unglücklich hat sich der Herr de la Mettrie seinen Raub zu Nutze gemacht. Man vergleiche! Komm, Doris, komm zu jenen Buchen,

Laß uns den stillen Grund besuchen,

20

Wo nichts sich regt, als ich und du.

Nur noch der Hauch verliebter Weste Belebt das schwanke Laub der Aeste Und winket dir liebkosend zu.

„Sprich Phyllis, fühlst du nicht eine süsse Bewegung, eine angenehme Weh-

25 „muth, welche dir unbekannt ist? Ja, ich sehe den glücklichen Eindruck, „welchen dieser geheimnißvolle Ort auf dich gemacht hat.

Das Feuer

„deiner Augen wird gelinder; dein Blut rollt mit mehrerer Geschwindigkeit; „es schwellt deinen schönen Busen, es belebt dein unschuldiges Herz." Sprich Doris, fühlst du nicht im Herzen,

30

Die zart? Regung sanfter Schmerzen, Die süsser sind als alle Lust? Strahlt nicht dein holder Blick gelinder? Rollt nicht dein Blut sich selbst geschwinder,

Und schwellt die unschuldsvolle Brust?

35 „Wie ist mir! Was für neue Empfindungen, sprichst du! - - Komm Phyt„lis, ich will sie dir erklären."

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes. Monat Junius 1751.

425

Ich weiß daß sich dein Herz befraget,

Und ein Gedank zum andern saget, Wie wird mir doch? Was fühle ich rc.

„Deine Tugend erwacht; sie fürchtet überrascht zu werden, und ist es

„schon. Die Scham scheint deine Unruhe mit deinen Reizen zu vermehren.

5

„Dein Ruhm verwirft die Liebe, aber dein Herz verwirft sie nicht."

Du staunst.

Es regt sich deine Tugend,

Die holde Farbe keuscher Jugend Deckt dein verschämtes Angesicht:

Dein Blut wallt von vermischtem Triebe,

10

Der strenge Ruhm verwirft die Liebe

Allein dein Herz verwirft sie nicht.

„Umsonst widersetzest du dich; jeder muß seinem Geschicke folgen; dem „deinigen hat nichts, glücklich zu seyn, gefehlt, als die Liebe.

Du wirst

„dich nicht eines Glücks berauben, welches sich verdoppelt, indem man es 15 „theilt.

Du wirst die Schlingen nicht vermeiden, welche du der ganzen

„Welt legst: wer zweifelt, der hat sich schon entschlossen." Mein Kind erheitre deine Blicke,

Ergieb dich nur in dein Geschicke Dem nur die Liebe noch gefehlt.

20

Was wilst du dir dein Glück mißgönnen?

Du wirst dich doch nicht retten können, Wer zweifelt der hat schon gewählt.

„O könntest du nur den Schatten von dem Vergnügen empfinden, welches „zwey Herzen schmecken, die sich einander ergeben; du würdest von dem 25

„Jupiter alle die verdrüßlichen Augenblicke, alle die leeren Stellen deines

„Lebens, die du ohne Liebe zugebracht hast, zurück fordern." £ könnte dich ein Schatten rühren

Der Wollust die zwey Herzen spühren,

Die sich einander zugedacht,

30

Du fordertest von dem Geschicke

Die langen Stunden selbst zurücke, Die dein Herz müßig zugebracht. „Wann sich eine Schöne ergeben hat, wann sie nur für den noch lebt,

„welcher für sie lebt; wann ihre Weigerungen nichts mehr, als ein noth- 35

„wendiges Spiel sind; wann die Zärtlichkeit, welche sie begleitet, die

426

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes.

Moual Junius 1751.

„verliebten Räubereyen recht spricht, und nichts als eine sanfte Gewalt

„fordert; wann zwey schöne Augen, deren Bestürzung die Reitze ver„mehret,- heimlich verlangen, was der Mund ausschlägt; wann die ge„prüfte Liebe des Liebhabers von der Tugend selbst mit Myrten gekrönet

5 „wird; wann die Vernunft keine andre Sprache führt, als die Sprache „des Herzens;

wann - - die Ausdrücke fehlen mir, Phyllis; alles was

„ich dir sage ist nichts als ein leichter Traum von diesem Vergnügen.

„Angenehme Wehmuth! süsse Entzückung!

Umsonst wagt der Witz euch

„auszudrücken; das Herz selbst kann euch kaum begreifen."

10

Wann eine Schöne sich ergeben

Für den, der für sie lebt, zu leben Und ihr Verweigern wird zum Scherz: Wann nach erkannter Treu des Hirten

Die Tugend selbst ihn kränzt mit Myrten,

15

Und die Vernunft redt wie das Herz. Wann zärtlich Wehren, holdes Zwingen,

Verliebter Diebstal, reizend Ringen Mit Wollust beyder Herz beräuscht,

Wann der verwirrte Blick der Schönen,

20

Ihr schwimmend Aug voll seichter Thränen,

Was sie verweigert, heimlich heischt.

„Du seufzest, du fühlest die süsse Annäherung des Vergnügens! „wie anbetenswürdig bist du!

Liebe,

Wann dein Bild Begierden erweckt, was

„wirst du nicht selbst thun?"

25

Du seufzest, Doris! wirst du blöde?

O selig! flößte meine Rede Dir den Geschmack des Liebens ein! Wie angenehm ist doch die Liebe! Erregt ihr Bild schon zarte Triebe,

30

Was wird das Urbild selber seyn. „Genieße, Phyllis, genieße deiner Reitze: nur schöne für sich seyn, heißt

„schöne zur Qual der Menschen seyn." Mein Kind genieße deines Lebens, Sey nicht so schön für dich vergebens,

35

Sey nicht so schön für uns zur Qual.

Da» Neueste aus dem Reiche des Witzes. Monak Julius 1751.

427

„Fürchte weder die Liebe noch den Geliebten: Du bist einmal Meisterin

„von meinem Herze; du wirst es ewig bleiben. Die Tugend erhält leicht

„diejenigen, welche die Schönheit besiegt hat."

Zu dem was hast du zu befahren?

5

Laß andre nur ein Herz bewahren,

Das, wers besessen, gleich verlässt. Du bleibst der Seelen ewig Meister;

Die Schönheit fesselt dir die Geister, Und deine Tugend hält sie fest."

Wir müssen noch einige Strophen weglassen, welche er eben so getreulich 10

untreu abgeschrieben hat. Ich weiß nicht was der für eine Stirne haben muß, welcher sich fremde Gedanken auf eine so unerlaubte Art zueignet?

Was für eine Beleidigung gegen einen tugendhaften Dichter, seine un­ schuldigen Empfindungen unter priapeische Ausruffungen vermengt zu

sehen! Es ist das zweyte-Unrecht, welches dem Herrn von Haller durch 15 den Herrn de la Mettrie geschieht. Doch vielleicht ist dieses nur eine Folge von dem ersten.

Da er in der Zueignungsschrift seines Werks, der

Mensch eine Machine, sich die Gedichte dieses Mannes gelesen zu haben rühmte, so hat er vielleicht jetzo dadurch, daß er sie ausgeschrieben, beweisen wollen, daß er sie würklich gelesen habe, woran man damals 20

zweifeln konnte, weil die französische Uebersetzung noch nicht heraus war.

Doch er glaubt wohl gar sein Original verschönert und uns eine Probe gegeben zu haben, wie sehr ein deutsches Gedichte umgeschmolzen werden

müße, wenn es im französischen nur erträglich seyn solle? So gut es auch wäre, wann die witzigen Schriften der Deutschen bey den Franzosen be- 25

kannter würden, so wenig wollten wir wünschen, daß es durch diesen Weg

geschehen möge. Sie würden offenbar mehr dabey verlieren als gewinnen.

Monat Julius 1751. Die Liebe macht edel. Eine Geschichte. Daß die Liebe eine gefährliche Leidenschaft sey, ist eine Wahrheit, 30

welche durch tausend Exempel bestätigt zu seyn scheinet. die geschwornen Menschenfeinde, welche sich

Man höre nur

eine Ehre daraus machen,

Empfindungen zu verlästern, die sie niemals gefühlt haben; es ist die Liebe, welcher sie alle Unordnungen zuschreiben, über die sie ewige Klagen

auszuschütten sich zum Gesetze gemacht' haben.

Ich unterstehe mich, ihr 35

428

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes.

Vorurtheil zu bestreiten.

Monat Julius 1751.

Die Liebe, wenn ich mich so ausdrücken darf,

nimmt die Farbe der Seele an, welche sie besizt.

Selten macht sie aus

einem ehrlichen Mann einen Schelm, oft genug aber aus einem Schelm einen ehrlichen Mann.

Die Begierde zu gefallen, läßt uns gemeiniglich

5 die Neigungen, den Geschmack, die Denckungsart des geliebten Gegen­ standes annehmen; besonders wann sie der natürlichen Rechtschaffenheit nicht entgegen sind, welche jeder Mensch in dem innersten seines Herzens

eingegraben trägt.

Zwar kan ein Ehrliebender durch den betrüglichen

Schein hintergangen werden; er kann sein Herz einem verachtungswür10 digen Gegenstände überlassen: doch der Betrug dauert nicht, und sobald ihm eine genaue Untersuchung in seiner Geliebten wesentliche Fehler ent­ deckt, steht er nicht einen Augenblick an, sich von seiner Liebe zu heilen. Ich weiß, daß diese Regel einige Ausnahme leidet, und daß eine übel

angebrachte Neigung oft die Tugend, die die gegründeste zu seyn schien,

15 verführet hat.

Ich behaupte aber, daß diese Tugend sehr schwach gewesen

ist, 'und allenfalls, daß diese Ausnahmen die Wahrheit nicht umstossen, welche ich vortrage.

Ein

reicher

Marianne.

Folgendes Beyspiel wird sie am besten beweisen. Kaufmann

in

Paris

hatte

einzige

eine

20 dieses Erbin; konnte es ihr an Anbetern fehlen?

Tochter,

Sie war über-

Sie war ein vollkommnes Frauenzimmer.

Ihr Vater, Dupuis,

hatte für seine Tochter eine unumschränkte Zärtlichkeit.

Er überließ ihr

die Wahl eines Gemahls, und versprach ihr, ohne Ausnahme, den für

seinen Eidam anzunehmen, auf welchen sie fallen würde.

Marianne

war von einer alten Mamsell erzogen worden, welche kein ander Ver-

25 mögen als ihren Adel besaß, von welchem sie so eingenommen war, daß sie sich ohnmöglich einbilden konnte, daß ein gemeiner Mann edel denken nnb handeln könne.

Diese Gesinnung theilte sie ihrer Untergebnen mit,

und Marianne faßte den festen Entschluß, ewig Jungfer zu bleiben, oder diesen Namen nur einem Edelmanne aufzuopfern, sollte es auch der

30 ärmste Cadet seyn, der in ganz Gascognen zu finden wäre.

Sie hatte

schon verschiedne ansehnliche Partien ausgeschlagen, als sie von ohngefehr

einen gewissen Menschen in Bedienungen, dessen Vermögen unermeßlich

war, kennen lernte.

Er mag Disenteuil heißen.

Sein Vater hatte,

als er sein Dorf verließ, die Liverey getragen und war von Stuffe zu 35 Stuffe bis zur Stelle eines Oberpachters gestiegen. Es war ihm gelungen

seinem Sohne das äusserliche Ansehen eines ehrlichen Mannes

geben;

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes. Monat Julius 1751. 429 die Gesinnungen eines ehrlichen Mannes aber konnte er ihm nicht bey­ bringen, und er hatte sie selbst nicht.

Disenteuil war durch den Tod

seines Vaters sein eigner Herr geworden, und kaum hatte er Mariannen

gesehen, als er sie zu seiner Frauen zu machen beschloß. Nach den' Grund­ sätzen, welche sie hatte, mußte ihr diese Heyrath am wenigsten anstehen.

5

Sie war überzeugt, daß man, ohne Nachtheil der Ehrlichkeit nicht auf einmal reich werden kan, und erklärte also ihrem neuen Liebhaber rund­

heraus, daß sie nimmermehr die Ehre seiner Verbindung annehmen würde. Disenteuil war durch diese abschlägliche Antwort erbittert.

Er suchte

die Ursache davon, er fand sie, und nahm sich vor, Mariannen an 10

ihrer empfindlichsten Seite zu strafen.

Er hatte an der Thüre seines

Pallasts einen wohlgewachsnen Burschen bemerkt, welcher, so sehr ihn

auch der Schweiß verstellt hatte, ungemein wohl aussahe. er zu dem Werkzeuge seiner Rache machen.

ihn dieses und jenes.

Diesen wollte

Er nahte sich ihm, und fragte

Robillard, so hieß dieser Bursche, hatte Ber- 15

stand, und Disenteuil freute sich zum voraus über seine Wahl.

Er

versprach ihm, sein Glücke zu machen, wann er ihm einen unumschränkten Gehorsam schwören wollte. Robillard that es, und erhielt etwas Geld,

sich zu kleiden, mit dem Befehle, des Tages drauf sich an einem gewissen Orte einzufinden. Er fand sich ein, und kaum erkannte ihn Disenteuil 20

unter seinem neuen Aufzuge.

Er ließ ihn nach Rouen abreisen, wo er

ihn einem seiner Freunde empfahl und ihm ein halbes Jahr alle Meister hielt, welche sein äusserliches auszubilden fähig seyn konnten.

Er legte

sich besonders auf das italiänische, welches er sprechen lernte. Der Freund

schrieb an den Disenteuil, daß er vollkommen wohl mit dem jungen 25

Menschen zufrieden wäre, den er ihm empfohlen hätte.

Disenteuil

reißte sogleich ab und überzeugt sich mit eignen Augen, daß sein Schau­ spieler die bestimmte Rolle zu spielen im Stande sey.

Er erklärte ihm

nunmehr, daß er sich durch ihn an der hochmüthigen Marianne zu

rächen willens wäre, und Robillard ließ sich, ohne viel Bedencken in 30 sein Unternehmen ziehen; doch mußt er ihm vorher versprechen, alle

Ungelegenheiten so daraus erfolgen könnten, über sich zu nehmen.

Er

reiste hierauf mit seinem Patrone fort, welcher ihn in verschiednen guten Häusern als einen jungen Jtaliäner, den man ihm empfohlen habe, vor­ stellte.

Robillard spielte seine neue Person vortrefflich; er machte 35

hier und da Bekanntschaften und kam auch zu dem Herrn Dupuis,

430

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes.

Monat Julius 1751.

unter dem Vorwande, verschiedenes bey ihm zu kaufen.

Weil er baar

bezahlte und ohne viel zu handeln, so ward er gar bald ein Freund des Hauses.

Er sahe Mariannen und empfand für sie, was man

Geschmacke, Begierde nennen sollte, und was man ganz unrecht Liebe

5 nennt.

Er schlug verschiedne Ergötzungen vor, und seine Vorschläge

wurden angenommen, bis es nach und nach so weit kam, daß er dem

Herrn Dupuis frey erklärte, er sey von den Eigenschaften der schönen Marianne bezaubert und würde die Ehre, sein Schwiegersohn zu werden, für das größte Glück ansehen, welches ihm begegnen könnte.

10 Dupuis bezeigte ihm seine Erkenntlichkeit, und bat sich Zeit aus, seine Tochter dazu vorzubereiten. Robillard begriff leichte die Ursache dieses

Aufschubs und kam dem Kauffmanne auf die Art zuvor, wie man sie

ihm unter den Fuß gegeben hatte.

Es würde

sehr ungerecht seyn,

sagte er, wann ich verlangte, daß Sie mir, wegen meines Vermögens

15 und meiner Geburt, auf mein Wort glauben sollten. Die Welt ist voller Herumschweiffer, welche Abentheuer suchen, und so groß mein Verlangen

auch ist, mich als der Gemahl der reitzenden M a r i a n n e zu sehen, so verlange ich doch ihre Hand nicht eher, als bis Sie meinetwegen alle

Erkundigungen, welche Ihnen Ihre Klugheit an die Hand giebt, werden

20 eingezogen haben.

Hier nennte Robillard

dem

Herrn Dupuis

einen reichen Wechsler, an welchen er gewiesen sey, und der ihm nur

noch vor drey Monaten beträchtliche Summen ausgezahlt babe.

diesem Wechsler hatte es seine Richtigkeit.

Mit

Disenteuil wußte nemlich,

daß er die Familie kenne, deren Namen er den Robillard hatte an-

25 nehmen lassen, und ließ ihm also von dem Orte, wo diese Familie war, Wechselbriefe und Gelder übermachen: so daß der Wechsler nicht im

geringsten anstand, dem Herrn Dupuis zu bekräftigen, daß er für feine Tochter keine beßre Wahl treffen könnte.

Es kam also auf nichts

weiter als auf die Einwilligung der M a r i a n n e an.

Der vorgegebene

30 Marquis gefiel ihr, sie wollte aber seinen Charakter kennen lernen und glaubte nicht, daß man sich auf den ersten Anblick verlassen müsse, wenn man eine Verbindung eingehen wollte, wovon das Glück oder Unglück

des ganzen Lebens abhange.

Sie ließ also dem Robillard zu ver­

stehen geben, daß es ihr angenehm seyn würde, wenn man die Heyrath

35 noch einige Zeit verschöbe, und weil sie in der Untersuchung, welche sie anzustellen sich vornabm, nicht zerstreuet werden wollte, so schlug sie ihm

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes.

Monat Julius 1751.

431

vor, sie auf das Landgut zu begleiten, wohin sich ihr Vater alle Jahre einmal begab.

Disenteuil, welcher bey dem Worte Aufschub gezittert

hatte, faßte wieder neuen Muth, als er hörte, daß es auf das Land gehen sollte.

Indem hier nun Marianne bemüht war, den Charakter

des Robillard zu erkennen, entdeckte sie ihm alle Schönheiten des

5

ihrigen, und endlich fing dieser Mensch, bey welchem bisher die Gewissens­

bisse sehr schwach gewesen waren, an sein Unternehmen als eine Hand­ lung anzusehen, welche die größten Züchtigungen verdiene.

Die Liebe

entdeckte ihm, was er der Redlichkeit und der Ehre schuldig sey; und so

wie diese Liebe alle Augenblicke zunahm, so wurden auch seine Gewissens- 10 Er bestritt sie eine Zeit lang, weil er nicht

bisse stärker und stärker.

ohne Entsetzen den Zustand überlegen konnte, in welchen er sich dadurch

stürzen müßte.

Alles verschwand vor ihm in dem Augenblick, da er die

Larve ablegen würde.

Nichts blieb ihm übrig als seine Liebe, welche

sein ganzes Leben zu beunruhigen drohte, gesetzt, daß er auch in einen 15 andern Stand gelangen möchte,

Disenteuil gerissen hatte.

als derjenige war, aus welchem ihn

Doch zuletzt blieb die Tugend die stärkste.

Marianne erklärte ihrem Vater, daß sie bereit wäre, dem Marquis

die Hand zu geben, und sie wollte ihm selbst sein Glück ankündigen.

Eine Traurigkeit, welche Robillard vergebens zu verbergen bemüht 20 war, und welche sie für eine Würkung.seiner Liebe hielt, hatte sie zu

seinem Vortheile schließig gemacht, da sie ohnedem mit allem, was sie

an seinem Charakter beobachtet hatte, vollkommen zufrieden war.

Wie

groß aber war ihre Bestürzung, als sie ihren Liebhaber in keine von

den Entzückungen gerathen sahe, die sie erwartet hatte. Schmerz

verrieth

sich

in

Der lebhafteste 25

dem Gesichte des Robillards, und die

Thränen entronnen im wider seinen Willen.

Nachdem er eine lange

Zeit in einem tieffen Nachdencken wie vergraben gewesen war, erhob

er sich, küßte Mariannen die Hand, ohne daß er sich getraute, sie anzusehen, und machte sich aus dem Zimmer.

Marianne wußte nicht, 30

wem sie eine so wunderliche Aufführung zuschreiben sollte: sie ließ ihren

Vater ruffen, und indem sie ihm noch das, was vorgefallen war, erzehlte, so kam ein Bedienter und meldete, der Marquis sey zu Pferde gestiegen

und habe hinterlassen, daß man gegen Abend Nachricht von ihm haben sollte. gedult.

Dupuis und seine Tochter erwarteten sie mit der grösten Un- 35

Gegen sieben Uhr kam auch in der That ein Mann mit einem

432 Das Nrurste aus brüt

5

10

15

20

25

30

35

eiche des Witzes. Bluttat Julius 1751.

Packte und einem Briefe. Der Brief war an Mariannen gerichtet, und dieses Jnnhalts: Mademoisell, Es wird mir theuer zu stehen kommen, Ihnen alle die Verbrechen zu entdecken, deren ich mich gegen Sie schuldig gemacht habe; doch was vermag nicht bey mir die Furcht, Sie ins Un­ glück zu stürzen? Diese Furcht ist es, welche mich abhält, den verhaßten Borsatz Ihrer Verführung zu Stande zu bringen, und mich schlüßig macht, lieber in das Nichts wieder zurückzufallen, woraus man mich gezogen hat, als ein Glück zu ge­ nießen, welches ich nicht anders als durch Ihre Entehrung besitzen konnte. Ich bin in der Classe der allerverächtlichsten Menschen gebohren; und Sie wegen der abschläglichen Antwort zu strafen, hatte man mich zu Ihrem Gemahl zu machen 6cschlossen. Zehntausend Livres, welche bey einem Wechsler in London niedergelegt worden sind, waren der Preiß meiner Schandthat. Ich kannte die Abscheulichkeit derselben noch nicht, als ich mich dazu überreden ließ: die Liebe aber, welche sie mir eingeflößt hat, hat mir die Angen eröffnet. Ihr bin ich die Empfindungen der Ehre schuldig, nach welchen ich künftig meine Aufführung einzurichten entschlossen bin; Empfindungen, welche ich so lange behalten und schätzen werde als meine Liebe. Verzeihen Sie mir dieses Wort, Mademoisell; es muß Sie be­ leidigen, denn Sie waren nicht gemacht, sie Menschen von meinem Stande beyzubringen. Doch Sie denken allzu edel, als daß Sie sich über die Wirkung Ihrer Reitze, welche mich gänz­ lich verwandelt haben, erzürnen sollten. Meine Tugend werde ich niemanden als Ihnen schuldig seyn. Wie glücklich, wann Sie meine Rene dahin bringt, daß Sie ohne Abscheu an mich dencken können. Wann Sie diesen Brief erhalten, werde ich schon ans Paris seyn, welches ich ans ewig verlasse. Die Kriegsdienste eröffnen mir eine rühmliche Zuflucht, und ich hoffe, durch Ver­ giessung meines Bluts für dasBaterland bald das Verbrechen auszusöbnen, dessen ich mich gegen Sie schuldig gemacht habe. Ich habe lange Ieit ben mir angestanden, ob ich Jbnen den Namen desjenigen entdecken soll, welcher mich zn dieser Nieder-

Das Neueste aus dem Reiche des Witze».

Monat Julius 1751.

433

trächtigkeit verführet hat; zuletzt aber fand ich, daß ich Sie

nothwendig in den Stand setzen müsse, künftig seine Verfolgung vermeiden zu können. Lassen Sie also, wenn es Ihnen gefällig ist, dem Herrn Disenteuil die Kleider,- die Edelsteine und das

Geld, welches ich hier zurück schicke., wieder zustellen: ich mag

5

nichts behalten, worüber ich erröthen müßte. Es ist unmöglich, die Bestürzung auszudrücken,

in welche Herr

Dupuis und seine Tochter, bey Lesung dieses Briefes, geriethen. Der Unwille war die erste Empfindung, welche sich ihnen lebhaft fühlen ließ.

Ein solches Abentheuer, wenn es bekannt würde, war fähig, Mariannen 10 nicht wenig Nachtheil zu verursachen; und gesetzt auch, daß es verborgen

blieb, was würde die Welt von der Verschwindung des Marquis dencken,

dessen Bemühungen um Mariann en so öffentlich gewesen waren? Mit diesen Gedanken brachte der Vater die ganze Nacht zu, und da er sich nicht entschliessen konnte, die Spöttereyen auszuhalten, welche ihm seine 15

Leichtgläubigkeit von allen Seiten zuziehen würde, so nahm er sich vor,

Paris zugleich zu verlassen, da er ohnedem Geld genug besaß die Hand­ lung aufgeben zu können.

Er entdeckte Mariannen seinen Entschluß

und bat sie, ihm ihre Meinung zu sagen.

Marianne hatte die Nacht

ebenso unruhig zugebracht als ihr Vater.

Mitten in ihrem Zorne gegen 20

den Robillard, hatte sie eingesehen, wie viel ihr dieser Mensch auf­ opferte, und sie konnte sich nicht enthalten, die Grösse seiner Seele zu bewundern, welche ihn, seinem Glücke und seiner Liebe zu entsagen, ge­

trieben hatte.

Was suchte ich denn in einem von Adel, fragte sie sich

Eine große und tugendhafte Seele.

selbst?

Doch ich irrte mich; das 25

Edle der Gesinnungen kann mit dem Niedrigen der Geburt ganz wohl

bestehen.

Robillard ist der Beweiß davon.

Warum sollte ich mich

schämen, das Unrecht, welches ihm das Glück erzeigt hat, gut zu machen? Warum sollte ich zugeben, daß er das Opfer seiner Redlichkeit würde?

Zu diesen Empfindungen gesellte sich noch ein lebhaftes Verlangen, den 30 Disenteuil zu beschämen.

Konnte sie ihn mehr erniedrigen, als wenn

sie ihm diesen Robillard vorzöge, welchen er als den verächtlichsten

unter allen Menschen ansahe? Sie entschloß sich also dazu, vorausgesetzt, daß ihr Vater gütig genug wäre, ihr seine Einwilligung nicht zu ver­ sagen.

Der gute Mann machte Anfangs Schwierigkeiten, aus Furcht, 35

was die Welt von einer solchen Heyrath sagen würde. Doch seine Tochter Lessing, sämtliche Schriften. IV. 28

434

Vas Neueste aus dem Deiche des Witzes.

Monat Julius 1751.

zeigte ihm klar, daß sie lange nicht so viel sagen könnte, wenn sie diese Heyrath vollzögen, als wenn sie sie nicht vollzögen.

Robillard hatte

frey mit ihr gelebt, zwar vor den Augen des Vaters, doch die Bosheit des Disenteuil würde diesen Umgang gewiß auf der nachtheiligsten

5 Seite vorstellen.

Er würde

sich ein unmenschlich Vergnügen daraus

machen, einem jeden, der ihn anhören wollte, Histörchen davon in das

Ohr zu erzehlen, und ihre Abwesenheit würde allem, was er sagte, einen Schein der Wahrheit geben.

Herr Dupuis war nicht sowol von den

Gründen seiner Tochter überführt, als von der Liebe gerührt, die sie,

10 wie er glaubte gegen den Robillard hegte, welchen er selbst als seinen Sohn geliebt hatte. Er versprach also der Marianne, ihr in allen Stücken freye Gewalt zu lassen, wann sie den Aufenthalt ihres Geliebten

entdecken könnte.

Dieses schien schwer zu seyn.

Der Brief hatte keine

Unterschrift, und der Ort war nirgends genennt, nach welchem er sich,

15 von Paris, begeben wollte. Marianne fragte den Bedienten, ob der Mann, welcher den Packt gebracht, nichts gesagt hätte, was den Auf­

enthalt

des

Robillards verrathen

könnte.

Man

antwortete

ihr,

nein; ein anderer Bedienter aber kannte diesen Mann, zu welchem sich

Marianne bringen ließ, und von ihm erfuhr, daß derjenige, nach 20 welchem sie fragte, unter dem Regimente des Grafen von D** Dienste genommen habe. Herr Dupuis kannte diesen Grafen, und er begab sich sogleich mit seiner Tochter zu ihm, die Entlassung dieses neuen

Soldaten von ihm zu erbitten.

Der Capitän willigte, in Ansehung

seines Obersten, ganz gerne darein, und Robillard, welcher schon in 25 Thionville war, bekam Befehl, mit einem Sergenten wieder nach Paris

zu kommen. Der Oberste wußte noch nicht, welchen Antheil Marianne an diesem jungen Menschen nahm, als er ihm einen Brief von seinem Hauptmann überbrachte.

Sein gutes Ansehen gefiel ihm ungemein, und

nach verschiednen andern Fragen that er auch diese an ihn, ob er den 30 Herrn Dupuis kenne. Bey diesenl so werthen Namen ward Robillard auf einmal niedergeschlagen und glaubte, daß nunmehr sein Verderben

unvermeidlich sey.

Die anbetenswürdige M a r i a n n e, sagte er zu dem

Grafen, will meinen Tod; sie wird ihn aber bloß einige Tage beschleu­

nigen.

Der Schmerz, sie betrogen zu haben, konnte mir nicht anders

35 als tödtlich seyn.

Ich würde zwar seine Wirkung nicht erwartet haben,

und mein Wille war, mich in alle Gefahren zu stürzen, um ihr das

Das Unreife aus dem Deiche de« Mhr«. Opfer je eher je lieber zu bringen.

Monat Julius 1751.

435

Diese Rede war für den Obersten

ein Räthsel; Robillard aber gab ihm den Schlüssel dazu, und dieser Herr, welcher von der Reue und von den Verdiensten dieses jungen

Menschen gerühret war, fürchtete selbst, Marianne möchte in der That

die Absicht haben, sich zu rächen, und bot ihm Geld an, sich in fremde Länder zu begeben, um ihrem Hasse zu entgehen.

5

Robillard dankte

ihm auf das Lebhafteste, sein Anerbieten aber schlug er aus.

Ich bin

strafbar, sagte er, und ich werde vergnügt sterben, wenn Marianne ihren Zorn, den ich verdienet, in meinem Blute stillen kann.

Er wollte

sogleich hingehen, sich zu ihren'Füffen zu Werffen; der Oberste aber 10 setzte sich dawider und schickte hin, den Herr Dupuis und seine Tochter

zu sich bitten zu laffen.

Sobald er Mariannen sahe, welche ihn mit

vieler Hitze fragte, ob er keine Nachricht von Robillarden hätte, nahm er sie bey der Hand und sahe sie steif an. er, Ihre Hitze Schuld geben?

Wem soll ich, sagte

So viel Lebhaftigkeit verräth entweder viel 15

Haß oder viel Liebe; sagen Sie mir, von welcher dieser beyden Leiden­

schaften Sie getrieben werden! Bon der Liebe, antwortete Marianne,

und erröthete, doch ich weiß nicht, fuhr sie fort, warum ich roth werde, da Robillard, sobald er anlangt, mein Gemahl werden soll.

Sie

war Willens, dem Obersten die ganze Geschichte zu erzehlen, als er sie 20 umfaßte und sagte: Liebenswürdige Marianne, ich beneide das Glück

Ihres Geliebten, ich glaube aber, daß er es verdient; Ihre Empfindungen

machen Sie in meinen Augen weit reihender als Ihre Schönheit, welche ich bis jetzo bewundert habe. Sogleich ließ der Graf Rvbillarden ruffen,

welcher über die Gegenwart des Herrn Dupuis und seiner Tochter er- 25

staunte und sich zu ihren Füssen warf.

Man kündigte ihm sein Glück an,

er hatte aber Mühe es zu glauben. Der Oberste versprach Mariannen

ihrem Geliebten eine Compagnie zu verschaffen, und drey Tage darauf

ward die Hochzeit öffentlich vollzogen.

Den Tag vor der Hochzeit schrieb

Marianne folgende Zeilen an den Disenteuil:

30

Sie werden mir erlauben, mein Herr, daß ich Ihnen die lebhafteste Dankbarkeit bezeige, und Sie ersuche, mir die Ehre

zu erweisen, der Vollziehung meiner Verbindung beyzuwohnen,

welche Ihr Werk ist.

Ich hatte beschlossen, meine Hand nur

einem Edeln zu geben, und ich verstand darunter einen Men- 35

schen, welcher edle Gesinnungen habe.

Ich muß es aber ge-

436

Da» Neueste au» dem Deiche de» Witzes.

Monak Julius 1751.

stehen, ich war in dem Irrthume, daß ich glaubte, edle Gesin­ nungen könnten nur eine nothwendige Folge einer edeln Geburt

seyn.

Sie haben mir diesen Irrthum beno.mmen.

Die Liebe,

welche dem Robillard Empfindungen beygebracht hat, wovon

5 Sie niemals den geringsten Begriff haben werden, hat ihm in meinen Augen alle Vorzüge des Adels gegeben, welche mir um so viel schätzbarer vorkommen, da er sie sich allein zu danken hat.

Ich heyrathe ihn morgen, und ohngeachtet des Abscheus, mit wel chem mich Ihr Verfahren gegen Sie erfüllen sollte, werde ick 10 Zeit meines Lebens daran denken, daß ich das Glück meines

Lebens demverächtlichsten unter allenMenschen zu dankenhabe.

Der Oberste hielt dem Robillard sein Wort. Er riß sich aus den Armen seiner Geliebten, und nachdem er sich bey Fontenoy, vor den Augen des Königs vorgethan hatte, erkundigte sich dieser Monarch nach

15 seinem Namen.

Der König erfuhr von dem Obersten sein besonders

Abentheuer und ließ ihm sogleich den Adelsbrief ausfertigen. Nach dem letzten Frieden kam er unter ein altes Regiment, wo er sich die Hoch­ achtung und Freundschaft aller Officiere erworben hat. Den übrigen Raum mögen folgende Sinnschriften einnehmen, wobey

20 wir nichts zu erinnern finden, als daß die zwey ersten, welche sich von den übrigen allzuvorzüglich unterscheiden, als daß sie von einem Verfasser seyn könnten, von auswerts an uns gekommen sind. Das deutsche Kriegswesen.' Auf den Marschall von Sachsen.' 25 Auf das Gedichte die Sündflut.^ Auf Herr Merkeln, Erfinder der Quadratur des Cirkels in Schwaben.3 An Herrn D**/ Auf den Pompiel.3

30

An Hrn. F**." Von @**.7 Auf des Herrn C** Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte.3 1 ['Bon Saftncr.] 2 [Vgl. Bd. I, S. 37.] » [Vgl. Bd. I, S. 38.] ‘ [Vgl. Bd. I, S. 35 „Au den Herrn R."] [Vgl. Bd. I, S. 9 „Ans den G-rgil."] » [Vgl. Bd. r, S. 29 „An den Herrn S."l 7 fVgl. Bd. I, S. 37 „Auf den eop^ron."] 8 ^Vgl. Bd. I, S. 41.]

Da» Neueste aus drm Reiche des Witzes.

Monat Ilugust 1751.

437

Nachahmung der 84 Sinnschrift im 3ten Buche des Mar -

tialä.1 An Grillen.

Monat August 1751. Eine Geschichte.

5

In einer von den Inseln, welche der Stadt Hieres in der Pro­

vence gegenüber liegen, sieht man zwischen den Felsen ein kleines aber

altes Schloß, am Rande des Meeres, wovon die Beschreibung in einer spanischen Roman

wenigstens zwanzig

Seiten

einzunehmen verdiente.

Auch ich würde dieses Blat damit auszuschmücken nicht vergessen, und 10 der gothischen Baukunst alle Kunstwörter, wann sie anders welche.hat,

abborgen, wenn ich nicht die Ungeduld meiner Leser befürchten müßte.

Der Deutsche geht gerne seinen geraden Weg.

Ich will also nur einer

Allee von Pommeranzenbäuwen gedenken, welche in diesen Inseln sehr

häuffig sind.

In dieser Allee war es, wo, im Monate September ver- 15

gangenen Jahres, zwey Schwestern spatziren gingen, deren Vater dieses

einsiedlerische Schloß besitzt. Die älteste von diesen zwey Schwestern ist schön; die jüngste ist

sehr artig; die eine erweckt Bewunderung, die andre Liebe. Die älteste, welche ich Lu eile nennen will, liebt das Abentheuerliche; Marianne 20

ihre jüngere Schwester begnügt

sich

natürlich und aufgeweckt zu seyn,

womit sie ein gutes Herz und viel Verstand verbindet.

Lu eile hat

auch Verstand; zu viel spröde Gesinnung und Eigenliebe aber, andre

ausser sich zu lieben.

Marianne liebte ihre Schwester zärtlich, die

sich gleichwohl, aus Stolz, eine Art von Herrschaft über sie anmaßte, 25

welche ernsthafte Frauenzimmer über aufgeweckte zu haben vermeinen. Lu eile näherte sich mit langsamen Schritten dem Ufer des Meeres.

Sie war seit einigen Tagen traurig.

Marianne zog sie damit auf,

daß sie der Vater, aus eigennützigen Absichten, an einen benachbarten

Edelmann, welcher weder jung noch liebenswürdig war, verheyrathen 30 wollte. Diese Heyrath ist gar nicht für dich, sagt Marianne scherzend zu ihr.

Du bist gebohren, am Ende eines Romans,

einen Cyrus oder einen Orondates zu heyrathen. In der That war die Denkungsart der L u c i l e ziemlich romanen1 [-Bgl Bd. I, 5 37.J

2 (Vgl. Bd. I, 5. 11.1

438

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes.

Monat August 1751.

mäßig; eine Schwachheit, von der man seit langer Zeit bey Hofe und

in der Stadt nichts mehr weiß, und die man in wüste Schlösser ver­

bannt hat, wie dasjenige war, welches Lu eile bewohnte, wo die Ro­ manen die einzige Gesellschaft sind. Sie hatte eben die Geschichte von 5 Leanßer und Hero in der Hand, worinne sie verschiedene Stellen fand,

die sehr Wohl zu den Ideen paßten, womit sie sich beschäftigte. Nachdem sie ihre Augen ziemlich lange auf dem Meere hatte Herumschweiffen lassen, fiel sie in ein "tiefses Nachdenken. sache; sie antwortete mit Seufzern.

Marianne ftagte sie um die Ur­ Doch Marianne drang so lange

10 in sie, bis sie sich entschloß, das Stillschweigen zu brechen.

Anfangs ließ

sie sich, ungeachtet ihres natürlichen Stolzes, soweit herab, daß sie ihre Schwester umarmte, und recht auftichtig umarmte; denn sie liebte alle

diejenigen sehr zärtlich, die sie nöthig hatte

Hierauf reichte sie ihr, mit

einer kostbaren Gebehrde, das Buch und sagte: da hier! lies, lies 15 einmal die Unruhen

und Verwirrungen der

zärtlichen

Hero, worinne sie ihren geliebten Leander, welcherdurchs

Meer zu ihr schwimmen soll, auf dem Thurme erwartet.

Ich brauche das Buch nicht, versetzte Marianne, um zu wissen, daß du, wie Hero,

einen geliebten Leander erwartest.

20 Die Anverwandte dieses Leanders, hat mir dein Aben­

theuer erzählt; ich that aber aus Vorsichtigkeit und Hoch­

achtung gegen meine ältere Schwester, als ob ich es nicht wüßte. Ich weiß, daß, als er diese Insul, woselbst er vor einigen Monaten ankam, verließ, er dir zurückzukommen,

25 und bey unserm Vater um dich anzuhalten, versprach. Als Lu eile sahe, daß sie schon um die Sache wußte, so machte

sie ihr länger aus ihrer Liebe kein Geheimniß, aus der Liebe nemlich,

die sie zu haben glaubte; denn der Stand und das Vermögen ihres

Leanders hatte sie weit mehr gerührt, als sein Verdienst.

Allein sie

30 liebte grosse Gesinnungen; sie strebte darnach, und brachte es endlich

dahin, daß sie sich etwas wirklich zu fühlen überredte, was sie sich nur

einbildete.

Sie hatte nichts als poetische Bilder von der Liebe im Kopfe,

und predigte Mariannen alles vor, was man nur möglicher Weise von der schönsten Leidenschaft schönes sagen kan.

35

Zur Sache, antwortete Marianne: Leander ist sehr reich; der Gemahl, dem dich mein Vater bestimmt, ist es eben

Da» Neueste au» dem Reiche de» Witze». Monat Rugust 1751.

439

nicht. Ich will ihn heyrathen, dir dieFreyheit zu lassen,

den andren heyrathen zu können.

Ich will unsern Vater

schon dahin bringen.

Der Vater war ein guter Dorsjuncker, dem die Geartheit der

Marianne gefiel; daher er sie weit mehr als die ältere Tochter liebte.

5

Bey Tische besonders pflegte der gute Alte, welcher eben so empfindlich für den Wein als für das muntre Wesen seiner jüngern Tochter war,

die häuslichen Angelegenheiten mit ihr abzuthun.

Gleichwohl hatte sie

Mühe von ihrem Vater, welcher sich ein Bedencken machte, das Recht der Erstgeburt nicht zu beobachten, die Einwilligung zur Heyrath, vor ihrer 10

älteren Schwester, zu erhalten.

Es mußte Lu eile dieses Recht schriftlich

an Mariannen abtreten, und da Lu eile die wahrhafte Ursache ihrem

Vater.nicht entdecken wollte, so sagte sie nur: sie empfände, ich weiß nicht was für eine Antipathie gegen den Gemahl, welchen

sie ihrer Schwester abgetreten.

Man machte fich nicht wenig 15

über diesen mit dem Rechte der Erstgeburth abgetretenen Liebsten lustig.

Der ehrliche Vater tranck auf die Gesundheit der neuen erstgebohrnen

Marianne. Die Verbindung ward beschlossen, und der Edelmann, wel­ cher ohnedem Mariannen mehr liebte als Lu eilen, willigte darein.

Beyde Schwestern waren gleich vergnügt.

Denn Marianne, die 20

gegen ihr eigen Vortheil ganz gleichgültig war, theilte die Hoffnung eines

schimmernden Glücks recht aufrichtig mit ihrer Schwester.

Unterdessen

verflossen einige Tage, und die Zeit die Leander zu seiner Zurückkunft

festgesetzt hatte war bereits verstrichen. Lucile fing an, tödliche Unruhen zu empfinden, und Marianne schob ihre kleine Ausstattung von einem 25

Tage zum andern auf, fest entschloffen sie ihrer Schwester wieder ab­

zutreten, im Fall ihr die andre fehl schlagen sollte. Eines Tages befanden sich beyde am Ende eben derselben Allee,

aus welcher man auf das offne Meer sehen konnte.

Lucile hatte ihre

Augen gegen die Reede von Toulon geheftet, von wannen derjenige kommen 30 sollte, der sich nur deßwegen von ihr beurlaubt hatte, die Einwilligung seiner Aeltern in disse Heyrath zu hohlen.

senkt, als sie ein Schiff gewahr ward.

Sie war in Traurigkeit ver­ Dieser Gegenstand brachte sie

ausser sich, als ob kein ander Schiff auf dem Meere seyn könnte, als

dasjenige, welches ihren Geliebten zurückbringen sollte.

Ihre Freude 35

wurde verdoppelt, als ein Wind, welcher sich erhob, das Schiff gegen

440

Da« Neueste aus dem Reiche de« Witze«. Monat Rugust 175t.

ihre Insel zu treiben schien.

Doch dieser Wind war ihren Wünschen nicht

lange günstig. Zwar nahte sich das Schiff mit vieler Geschwindigkeit, plötz­

lich aber' entstand ein so fürchterliches Ungewitter, daß sie die Abgründe

für ihren Leander offen sahe.

Die romanhafte Lu eile würde ohne

5 Zweifel, wenn sie diesen Ort ihrer Geschichte erzählen sollte, sagen, daß die Marter in ihrer Seele nicht weniger stürmisch als auf demMeere, wo dasSchiff untergehen sollte, gewesensey.

Nach einigen gefährlichen Stunden, warf ein Windstoß das Schiff an das Ufer, zwischen die Felsen, nicht weit vom Schlosse.

Man stelle

10 sich das Vergnügen vor, welches Lu eile empfand, als sie ihren Ge­ liebten in Sicherheit sahe. Leander sollte sich, bey seiner Zurückkunft, bey einer Nachbarin

einfinden, wo die ersten Unterhaltungen vorgefallen waren.

Sie war

gleich auf dem Schlosse, wohin sich beyde Schwestern in aller Eil begaben,

15 ihr von dem, was sie gesehen hatten, Nachricht zu geben. etwas davon zu sagen, hielten sie noch nicht für gut.

Dem Vater

Lu eile sagte ihm

nur, daß sie diese Nacht bey ihrer Nachbarin zubringen wollte, wie sie

es schon oste gethan hatte.

Marianne aber blieb zu Hause, ihrem

Vater Gesellschaft zu leisten, welcher sich ihrer nicht entschlagen konnte.

20

Kaum war Lucile mit der Nachbarin in den Wagen gestiegen,

als ein Mensch vom Schiffe kam, und mit dem Herrn des Schlosses zu sprechen verlangte.

Dieser Mensch war eine Art eines groben Bedienten,

welcher mit einer traurigschrecklichen Erzehlung anfing, wie viel sein junger Herr, während des Sturms, erlitten habe.

Mitleiden zu erwecken,

25 ließ er sich ziemlich weitläuftig über alle Eigenschaften aus, die er an ihm wahrgenommen zu haben glaubte, und schloß endlich mit der Bitte um ein Nachtlager für ihn.

Der Vater, der beste Mann von der Welt, ließ sogleich die Fackeln

anzünden, weil es bey nahe Nacht war.

Er wollte sich selbst an das

30 Ufer begeben wohin ihm Marianne, aus Neugierde den Liebsten ihrer Schwester zu sehen, folgte. Sie zweifelte nicht, daß er den Sturm nur zum Vorwande brauche, unbekannter weise in das Schloß zu kommen, wo er

Lucil en schleuniger zu sehen hoffen konnte als bey seiner Anverwandtin. Indem sie auf das Ufer zugingen, wurden sie bey dem Schimmer

35 andrer Fackeln auf einem Wege zwischen den Felsen verschiedne Bediente gewahr, die sich um ihren Herrn, welcher eben das Schiff verlassen hatte,

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes.

beschäftigten.

Monat August 1751.

441

Er war, weil er allzuviel Ungemach in dem Sturme aus­

Marianne be­

gestanden hatte, in eine Art einer Ohnmacht gefallen.

trachtete ihn sehr aufmerksam, sie bewunderte seine Schönheit, und be­

wunderte sie so sehr, daß sie endlich anfing ihrer Schwester einen solchen

Liebhaber zu mißgönnen. Unterdessen kam er wieder zu sich. Kaum warf er die Augen auf Mariannen, als sein Übel auf einmal ver­

5

schwand, und er nichts, als das Vergnügen sie zu sehen, fühlte.

Man bewundre hier die verschiednen Wirkungen der Liebe.

Auf

einmal ist die natürliche Lebhaftigkeit der Marianne von einer her­

vorbrechenden Leidenschaft erstickt, da unterdessen ein säst toder Mensch 10 durch ein Feuer, dessen Heftigkeit er bey dem ersten Anblicke fühlte, neu

belebt wird. wesen.

Nie ist eine Leidenschaft in ihrer Geburth so lebhaft ge­

Wie ist es aber möglich, wird man sagen, daß dieser Leander,

welchen eine ganz andre Neigung über das Meer zu Lu eil en führte,

den Augenblick so empfindlich gegen Mariannen seyn sollte? ist es nicht Zeit auf diese Frage zu antworten.

Noch 15

Man bilde sich bloß

einen Menschen ein, den nicht- als die Liebe beseelt.

Seine Augen waren

auf Mariannen geheftet, welche die ihren zur Erde niedergeschlagen

hatte.

Beyde waren stum und der Vater allein führte die Unterredung,

doch ohne die Ursache ihre- Stillschweigens zu vermuthen.

Endlich kommen 20

sie auf dem Schlosse an, wo Marianne sogleich alle ihre Sorgfalt

sehen läßt.

Sie läuft, sie ordnet an, und ist mit einem Eifer um ihren

liebenswürdigen Gast besorgt, den sie bis jezo nur einer zärtlichen Gast­

freyheit zuschreibt.

Der Vater befahl, die Lu eile auf das schleunigste

nach Hause kommen zu lassen, seinem neuen Gaste die Gesellschaft noch 25 angenehmer zu machen, welchen man unterdessen mit seinen Bedienten in einem Zimmer alleine gelassen hatte.

Man gab der L u c i l e bey ihrer Nachbarin davon Nachricht. Sie kam

auf das schleunigste.

Sie war ausser sich vor Freuden.

fing an, verdrüßlich zu werden.

M arianne aber

Dieses gute Mädchen hatte ihre Liebe 30

schon gemerckt; sie schämte sich die Mitbuhlerin ihrer Schwester zu seyn, und faßte in dem Augenblicke den festen Entschluß, eine Leidenschaft zu

unterdrücken, welche ihren tugendhaften Gesinnungen so sehr zuwieder war. Sie lief der Lu eile entgegen, sie wünschte ihr aufrichtig Glück, sie lobte

den neu angekommnen, sie übertrieb alles, was sie angenehmes in seiner 35 Gesichtsbildung und in seinem Bezeigen bemerkt hatte, und iudcm sie

442

Ds» Neueste aus dem Leiche de» Witzes. Monat August 1751.

sich unmerklich dem Vergnügen ihn zu loben überließ, so macht sie ihr eine so lebhafte Beschreibung von ihm, daß sie sich ihn selbst noch tieffer

in das Herz drückte, als er schon darinne war.

Sie schloß ihre Lobes­

erhebung mit einem Seufzer und der Ausrüstung: ach Schwester, wie 5 glücklich bist du! Auf einmal kam ihre Überlegung wieder. Sieblieb stum und verwirrt, und erstaunte, daß sie sich noch verliebt fand, da sie doch beschlossen hatte, es nicht länger zu seyn. Lu eile machte unterdessen, bis Leander erschien, eine Menge

romanenhafte Betrachtungen, über die Besonderheit dieses Abentheuers.

10 Das geheimnißvolle Verfahren dieses Liebhabers von dem feinsten Ge­ schmacke, sagte sie, bezaubert mich.

Er that in Gegenwart meines Vaters

als ob er auf dem Wege in Ohnmacht fiel, damit er einen Borwand, unbekannter Weise herzukommen, und mich angenehm zu überraschen,

haben möge.

Ich will ihm, aus gleicher Feinheit des Geschmacks, das

15 Vergnügen lassen, zu glauben, daß er mich überrascht habe.

Ich will

so bald er sich sehen läßt, ein außerordentliches Erstaunen annehmen,

den angenehmsten Gegenstand - - -

Hier ward Lu eile von einem Be­

dienten unterbrochen, welcher ihr meldete, daß das Abendessen bereit sey. Die beyden Schwestern traten zu der einen Thüre in den Saal, indem

20 der Vater mit dem angenehmesten Gegenstände zu der andern hinein kam. bezeigen.

ob

sie

Dieser ging auf sie loß, Lu eil en seine Ergebenheit zu

Sobald sie ihn sah, that sie einen Schrey, und blieb unbewegt, gleich

versprochen

hatte zu

thun als

ob sie

erstaunt wäre.

Marianne fand die Verstellung ein wenig zu übertrieben; der Vater

25 aber gab nicht darauf Acht, weil er auf gar nichts Acht gab, so ein guter Vater war er. Lu eile war in der That sehr erstaunt.

Und wie sollte sie es

nicht seyn? Der Unbekannte, war ihr erwarteter Leander nicht.

Es

war ein junger Kaufmann, den aber seine Bildung und Gestalt eben so

30 liebenswürdig als den artigsten jungen Herrn machten.

Er war sehr

reich und brachte auf seinem Schiffe aus Indien sehr viel Waren mit. Ein widriger Wind hatte ihn überfallen, als er in die Reede zu Toulon einzulauffen glaubte, und hatte ihn, wie wir gesehen haben, auf diese

Insel verschlagen.

35

Der junge Liebhaber setzte sich mit dem Vater und den zwey Töchtern zu Tische.

Die Abendmahlzeit war nicht allzu munter.

Nur

Da» Neueste au» dem Reiche des Witzes. Monak August 1751. 443 der Vater war völlig zufrieden, und also der einzige, welcher redte.

Der

Kaufmann, welcher von dem Schiffbruche, noch mehr aber von seiner

neuen Liebe betäubt war, antwortete blos mit Höflichkeitsbezeigungen.

Das Wunderbareste dabey ist, daß in ganzen zwey Stunden, die man bey Tische zubrachte, weder der Vater noch die Töchter seine Liebe merkten.

5

Lucile, welche diesen falschen Leander nicht ohne Betrübniß ansehen

konnte, schlug beständig die Augen nieder; und Marianne, die es sich

selbst abgemerkt hatte, daß sie ihn nur allzugern« ansähe, wolle sich damit

Was den Vater

bestraffen, daß sie ihn nur verstohlner Weise ansahe.

-aber anhelangte, so wäre er eher, ich weiß nicht auf was, als auf eine 10 so schleunige und heftige Liebe gefallen.

Man muß hier uicht vergessen, daß der Vater, welcher ein voll­ kommener Schmauser war, den Gast ohne Unterlaß zum Trincken, und seine Töchter, ihn aufgeräumt zu machen, ermunterte. Munterkeit geblieben?

zwang sie sich munter zu seyn.

„Wo ist deine

sagte er zu Mariannen.

So gleich 15

Weil aber die Scherze sich nicht gerne

freywillig denjenigen darbieten, welche sie suchen, so betraf der erste, welcher ihr beyfiel, das Recht der Erstgeburth, welches seit einiger Zeit

der Stoff aller ihrer Unterhaltungen gewesen war.

Ich wundre mich

sehr, sagte Marianne zu ihrem Vater, daß Sie von mir verlangen 20

lustig zu seyn, da ich doch ernsthaft seyn muß.

Die Ernsthaftigkeit kömmt

mir, als der ältesten Schwester zu, und die Munterkeit ist für die jüngere. Der Kaufmann schloß natürlicher Weise daraus, daß Marianne die

älteste sey. Diesen Umstand merke man. Nachdem man ihn endlich auf das beste bewirthet hatte, so führte ihn der Vater in sein Zimmer.

Lucile 25

blieb mit ihrer Schwester alleine und entdeckte ihr, daß dieses ihr Liebhaber nicht sey. Wie groß hätte die Freude der Marianne seyn müssen, wenn

sie ein weniger gutes Herz gehabt hätte; so aber schlug sie die Traurig­ keit ihrer Schwester fast eben so sehr nieder, als ihr die Betrachtung,

30

keine Mitbuhlerin an ihr mehr zu haben, Vergnügen erweckete. Die zwey Schwestern begaben sich jede in ihr Zimmer,

wo sie

wenig schlieffen. Marianne überließ sich ohne Bedenken allen Gedanken,

welche ihrer Liebe schmeicheln konnten. Lucile aber machte nichts als traurige Überlegungen, weil sie verzweifelte, ob sie den Leander, von dem sie ihr Glück hoste, jemals wieder sehen würde.

Sie war aber 35

dazu bestimmt durch alle Zufälle erfreut zu werden, welche der Marianne

444

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes. Monak August 1751.

schmerzlich fallen konnten.

Der junge Kaufmann war in seinen Leiden­

schaften sehr lebhaft, und was noch mehr ist, so hatte er nicht Zeit zu

Er faßte also

seufzen, weil er wieder nach Indien zurückkehren mußte.

seinen Entschluß eben so schleunig, als seine Liebe entstanden war.

Der

5 Batet kam des Morgens, in sein Zimmer und fragte ihn, wie er geruhet

habe: Sehr schlecht, sagte er, aber ich habe hundert tausend

Thaler baar Geld.

Der Vater verstand diese kaufmännische Be­

redsamkeit nicht'sogleich; doch der Liebhaber erklärte sich deutlicher, und verlangte seine älteste Tochter zur Ehe. 10 Umständen.

Beyde waren Leute von wenig

Die Sache kam den Augenblick zu Stande.

Der Vater ver­

ließ das Zimmer, und beschwor seinen Gast noch einige Stunden zu ruhen.

Unterdessen wolle er seiner Tochter ihr Glück ankündigen.

Der ehrliche

Mann war so ausser sich, daß er sich auf die Scherzreden, die man

wegen des Rechts der Erstgeburth über Tische geführt, und die der 15 Kaufmann nach den Worten genommen hatte, nicht besann.

Wie betrübt

war diese Zweydeutigkeit für Mariannen als der Vater Lu eil en

zu melden kam, der reiche Kaufmann sey in sie verliebt.

Weil. Lucile

sahe, daß er weit reicher als ihr Leander sey, so dachte sie auf nichts,

als wie sie ihre Unbeständigkeit durch grosse Gesinnungen rechtfertigen 20 möchte. sie,

daß

Sonderlich brauchte sie ihre Pflicht dazu.

man seine Liebe

dem

Es ist löblich, sagte

väterlichen Willen

aufopfert.

Was

Mariannen anbelangte, so würde sie sich gewiß dem Vergnügen, ihre

Schwester wohl versorgt zu sehn, überlassen haben, wann dieses ihr erster Gedanke gewesen wäre; so aber bemeisterte sich ihrer ein andrer erste

25 Gedanke.

Welcher Schmerz, zu erfahren, daß derjenige, welchen man

liebt, in die Schwester verliebt ist. Während der Zeit, als dieses auf dem Schlosse vorging, langte

Leander, der wahrhafte Le-ander bey der Anverwandtin an, welche in aller Eil Lu eilen davon Nachricht zu geben kam.

30 gegen diese Nachricht sehr unempfindlich. verschwunden.

Sie fand sie aber

Ihre schöne Leidenschaft war

Leander hätte sollen eher kommen.

Sie urtheilte mit

vieler Feinheit, daß ein Liebhaber, welcher sich zu späte einfindet, und

nicht mehr als fünfzig tausend Thaler besitzt, wohl verdiene daß man ihn einem Manne von hundert tausend Thaler aufopfre.

Die Anver-

35 wandtin des Leanders erzürnte sich Anfangs über eine so offenbare Untreue; Lu eile aber bewieß ihr nach den Regeln der allerfeinsten Liebe,

Das Neueste au« dem Reiche des Witzes. Monat August 1751.

445

daß Leander zuerst Unrecht gehabt habe, daß die Fehler des Herzens unvergeblich wären, daß jemehr ein Frauenzimmer liebe, jemehr sey es

verbunden sich zu rächen, und daß die zärtlichste Rache die man gegen einen Liebhaber, welcher uns vergißt, ausüben könne, darinne-bestehe,

daß man ihn wieder vergesse.

5

Nachdem sich Lucile sehr sinnreich gerechtfertigt hatte, so floh sie zu ihrem Nachttische, ihrem Liebsten bey seinem Erwachen wenigstens so schön als die ausgehende Sonne zu scheinen.

Leanders,

Die Anverwandtin des

welche ihm mit einer wahren Freundschaft zugethan war,

begab sich voller Verdruß fort, und überzeugte den Leander von der 10

Untreue der Lucile so wohl, daß er von Stund an, die Insul zu ver­

lassen, und niemals wieder zu kommen beschloß.

Marianne that ihr möglichstes einem Vater ihre Liebe und Be­ trübniß zu verbergen, welcher es sich äusserst angelegen seyn ließ, alles zu thun, was seinem neuen Schwiegersöhne gefallen könnte.

Komm, 15

meine Tochter, sagte er zu Mariannen, kommmitmir. Laß uns ihm durch unsre Sorgfalt und Höflichkeit zeigen, daß er in eineFamilie tritt, welche allemögliche Achtsamkeit gegen

ihn haben wird.

ter?

Er verdient sie, nicht wahr meine Toch­

Nicht wahr, dein Schwager ist recht liebenswürdig? 20

Marianne folgte ihm, ohne zu antworten, voller Betrübniß, nichts als die Schwägerin dieses liebenswürdigen Schwagers zu seyn.

So

bald sie die Thüre des Zimmers erblickte, so kehrte sie ihre Augen weg, weil

sie sich nicht getrauete der Gefahr in das Gesichte zu sehen.

Der Vater

gieng zu erst hinein, und sagte unserm Liebhaber, daß seine älteste Tochter 25

gleich hier seyn würde; daß sie alle mögliche Erkenntlichkeit, und so gar schon Hochachtung gegen ihn empfände.

Diese kleine Schmeicheley ent-

wüschte diesem aufrichtigen Manne: denn Liebe und grosser Reichthum ver­

ändern allezeit etwas, auch in dem Herzen des rechtschaffensten Menschen. Unterdessen kam Marianne ganz langsam herbey. So bald sie ihr Lieb- 30 Haber herein treten sahe, so lief er ihr entgegen, und sagte ihr hundert

Schmeicheleyen, wovon die eine immer verliebter, als die andre war. Marianne war so bestürtzt und verwirrt,

daß sie kein Wort

hervor bringen konnte. Der Vater war nicht weniger erstaunt.

Endlich

blieben alle dreye stumm und unbeweglich. Während dieses stummen Auf- 35

tritts langte Lucile mit gemeßnen Schritten an.

Ihr Betragen war

446

Da« Neueste aus dem Reiche de» Witzes. Monak August 1751.

majestätisch und zärtlich; sie war glänzend, und wie eine Göttin ge­ schmückt, die ihre Anbeter aufsucht. Indem sie sich näherte, so fiel dem

Alten der gestrige Scherz bey, welcher zu der Zweydeutigkeit Gelegenheit gegeben hatte.

Lucile geht ihren Weg fort, sie macht dem Kaufmann

5 eine Verbiegung, und dieser schlägt voller Verwirrung die Augen nieder.

Sie sieht diese Verwirrung, für die Schaam eines furchtsamen Lieb­

habers an; sie liebäugelt, ihn beherzter zu machen. Doch diese Stellung

war für den ehrlichen jungen Menschen nicht länger erträglich; ohne ein

Wort zu sagen begab er sich also ganz sachte aus dem Zimmer.

10 sollte man von einem solchen Verfahren denken?

Was

Die Liebe kan einen

Liebhaber wol stumm machen, aber wird es deswegen fliehen? Lucile

sieht ganz bestürzt ihre Schwester an, die es nicht wagen will, ihr ihr

Unglück zu entdecken. Auch der Vater hat das Herz nicht ihr den Irr­

thum zu benehmen.

Er geht fort, Marianne folgt ihm, und Lucile

15 bleibt alleine in dem Zimmer.

Man urtheile von ihrer Verwirrung.

Nimmermehr würde sie sich von selbst heraus gefunden haben.

Denn

war es ihr wohl möglich zu glauben, daß man ihre Schwester mehr lieben könne als sie? Ich weiß nicht, wer sie aus ihrem falschen Wahne

gebracht hat; so viel weiß ich, daß sie ihres Erstaunens ohngeachtet, so

20 viel Gegenwärtigkeit des Geistes behielt, daß sie sogleich zu ihrer Nach­

barin lief, ihren wahren Leander wieder zurück zu hohlen.

Es kommt

drauf an, ob es ihr gelingen wird. Als der Vater Lu eil en aus dem Schlosse gehen sahe, so glaubte er, daß sie ans keiner andern Ursache zu der Nachbarin gehe, als weil

25 sie keine Zeugin von dem Glücke ihrer Schwester abgeben wolte.

Man

war auf nichts als auf die Anstalten zur Hochzeit bedacht. Vorher wolte

der Kaufmann noch verschiedene Waaren sehen lasten, welche er auf döm Schiffe hatte, wo dem Capitaine die Zeit ziemlich lang ward; denn das

Schiff war wieder ausgebessert, und im Stande seinen Lauf fortzusetzen. 30 Dieser Capitain war ein unverstellter Mann, der beste Freund von der Welt, und dem Kaufmanne sehr zugethan.

sein Rathgeber, und so

Er war sein Reisegefährte,

zu sagen sein Vormund.

Er erwartete mit

größter Ungeduld Nachricht von seinem Freunde. Wie man aber gesehen hat, so beschäftigte ihn die Liebe allzusehr, als daß er eher an den

35 Capitain hätte gedenken sollen, als bis er ihn in das Schloß herein treten sah.

Er lief ihm entgegen, er umarmte ihn, und dieses war

Da» Neueste aua dem Reiche des Witzes.

Monat August 1751.

genug, daß ihn alle in dem Schlosse wohl empfingen.

447

Er nahm die

Höflichkeitsbezeigungen sehr frostig auf, weil er nicht anders als frostig seyn konnte.

Man setzte sich zu Tische; man ließ Wein bringen, das

kalte Blut des Capitains anzufeuren, und jeder brachte ihm die Gesund­ heit seines jungen Freundes und seiner Liebste.

Aus die Gesundheit

meines Schwiegersohns! sagte der Vater.

5

Auf die Gesund­

heit meines Schwiegervaters! sagte der Kaufmann. Hier sperrete der Capitain Augen und Ohren auf, und sein Erstaunen war ausser­

ordentlich.

Er hatte geglaubt, seinen Freund krank und übel bewirthet

zu finden, wie man es ineistentheils in einem fremden Hause ist; und 10 fand ihn voller Freude, ohne den geringsten Zwang, als ob er in seiner Familie wäre.

Dieser, misantropische Seemann wüste nicht, was er von

diesem Abendtheuer denken solte.

faßte er doch feinen Entschluß.

So phlegmatisch er aber war, so schnell

Er hörte alles an, und nachdem er einen

Augenblick nachgedacht hatte, so brach er das Stillschweigen durch einen 15 Spaß nach seiner Art: zur Gesundheit der neuen Eheleute,

sagte er.

Die Ehen über Tische sind völlig nach meinem

Geschmacke; sie kommen in einem Augenblick zu Stande,

und zertrennen sich in einem Augenblick wieder. Endlich ließ er sich ganz ernstlich erklären, wie weit man in der 20 Sache gekommen sey.

Er verdoppelte sein kaltes Blut, und versprach

das Hochzeitfest auf dem Schiffe auszurichten. Komm,lieberFreund, sagte er zum Kaufmanne, du must heissen auf dem Schiffe An­ stalt machen. Recht gerne, antwortete der Freund, ich habe ohne­

dem was aus meinen Koffern zu hohlen. Ich will meinem 25

Schwiegervater meine Edelsteine zeigen.

Sie begaben sich

auch in der That gleich nach Tische dahin, und der Vater blieb mit Mariannen aus dem Schlosse, die sich auf der höchsten Spitze ihres Glücks sahe, und Lu eil en so sehr eben nicht betauerte.

Drey bis vier

Stunden vergingen, und Marianne, welche ganz ungeduloig war, ihren 30 Liebhaber wieder zu sehen, fand, daß er zu lange aussen blieb.

Die

Ungeduld vermehrte fich von Augenblick zu Augenblick, bis jemand ohn-

gefehr kam, und die Nachricht brachte, daß der Capitain mit dem Kauf­

manne abgefahren sey, und daß man das Schiff schon weit in der See

sähe.

Man wollte eine so unwahrscheinliche Sache lange nicht glauben. 35

Man lief an das Ufer,

und ward das Schiff kaum mehr gewahr.

Es

448 Da» Neueste aua dem Reiche des Witzes. Wonal Fugust 1751. ist unmöglich, die verschiednen Urtheile alle anzuführen, die man darüber

fällte.

Niemand konnte sich die Ursache einer so wunderlichen und schleu­

nigen Abreise vorstellen.

Ich will es dem Leser nicht rathen, sich den

Kopf darüber zu zerbrechen.

5

Das Ende der Geschichte ist nicht mehr weit.

Nachdem man verschiedene Tage hinter einander unzähliche Be­ trachtungen über die Erscheinung dieses verliebten und reichen Reisenden

angestellt hatte, so vergaß man ihn endlich, wie einen Traum.

An­

genehme Träume aber machen oft sehr liesse Eindrücke auf das Herz einer jungen Person.

Marianne konnte diesen zärtlichen Liebhaber

10 nicht vergessen, und sie verdient, daß wir sie einen Augenblick betanern.

Jedermann betauert sie, nur Lucile nicht, welche eine boshafte Freude

empfand, durch die sie sich ein wenig wegen ihres muthwilligen Verlusts schadlos hielt.

Ihr Liebhaber hatte die Gelegenheit ergriffen, und sich

mit dem Capitain eingeschifft, fest entschlossen, niemals wieder zu kommen; 15 und der Edelmann, weil er sahe, daß man Mariannen dem Kauf­

manne versprochen hatte, ließ es sich auch nicht einkommen, um Lu eil en

von neuen anznhalten.

Der Vater hielt also für nöthig, die Verbindung

mit Mariannen wieder vorzusuchen.

Sie wolte sich ihm auch auf-

opffern, weil diese Heyrath den häuslichen Umständen ihres Vaters, welche

20 die besten nicht waren, ziemlich vortheilhaft schien.

Die Ehestiftung war

schon aufgesetzt, und man machte Anstalt zur Hochzeit. Wie ging es aber dem Kaufmanne, seit dem wir ihn aus dem

Gesichte verlohren haben?

Er war dem Capitaine nach seinem Schiffe

gefolgt, wo er einige Edelsteine hohlen wollte.

Er hatte ihn auf dem

25 Wege von dem Vergnügen unterhalten, das Glück eines so würdigen Frauenzimmers machen zu können.

Er langte auf dem Schiffe an, wo

er alle seine Koffer auspackte, die Edelsteine und nöthigen Handschriften

herauszunehmen.

Er brachte hiermit geraume Zeit zu; endlich wollte er

wieder auf das Schloß zurückkehren.

Wie erstaunte er aber, als er sahe,

30 daß sich das Schiff vom Ufer entfernte.

Er schrie, und lief zu dem

Capitaine welcher auf hem Obertheile des Schiffs war, wo er in aller

Ruhe eine Pfeiffe Taback rauchte.

Liebster Freund, schrie der un­

ruhige Liebhaber, wir stoßen ja vom Lande.

Ich weiß wohl,

antwortete der Capitain ganz frostig und rauchte fort. 35 also auf Ihren Befehl, versetzte der andre?

Es geschiht

Habe ich Ihnen

denn nicht gesagt, daß ich vor meiner Abreise noch diese

Das Neueste aus hem Nrichr de» Witze». Monat September 1751. Heyrath zu Stande bringen will? mir einen so

grausamen Streich?

bin, sagte unser Tobacksschmaucher.

449

Warum spielen Sie

Weil ich Ihr Freund

Wann Sie es sind, versetzte

der Kaufmann, so stürzen Sie mich nicht in Verzweiflung, führen Sie mich in dieJnsel wieder zurück, ich bitte Sie, ich beschwöre Sie.

5

Der feurige Liebhaber wirft sich ihm zu Füssen,

er ist untröstlich, er weint. Kein Erbarmen! Der Capitain rauchte seine Pfeiffe aus, und das Schiff läuft immer seinen Weg fort. Umsonst stellt

ihm der Kaufmann vor, daß er sein Wort gegeben habe, daß seine Ehre und sein Leben davon abhange.

Der unerbittliche Freund schwört ihm, IQ

er werde es nimmermehr zugeben, daß er sich mit einer Million Ver­

mögen verheyrathe, ohne Zeit zu haben zu überlegen, was er thue. Man muß, sagte er, diese Liebe ein wenig auf dem Meere spatzieren führen, um

zu sehen ob sie nicht kälter wird, wenn sie einmal unter der Linie weg ist. Endlich endigte sich diese Spatzierfarth bey Toulon, wo der Capitain 15

anlandete, weil er sahe daß sein Freund verzweifeln wollte. Dieser suchte

sogleich ein ander Schiff und kehrte in die Insel zurück.

Beynahe wäre er

zu späte gekommen. Zu Mariannens Glück aber war ihre Heyrath noch nicht weiter als bis zur Unterschreibung der Ehestiftung gekommen. Einige

tausend Pistolen, die man dem Edelmann gab, machten den ganzen Con- 20

tract nichtig. - -

Der Schluß ist wie der Schluß von allen Romanen. ♦ * *

Lieder.

Der müßige Pöbel.'

Niklas.^

25

Der Neid."

Der Furchtsame.s

An die Siebe.4

Monat September 1751. Ueber das Heldengedichte der Messias.^ Die Fortsetzung dieser Materie, weil sie vielleicht nicht nach eines 30

jeden Geschmacke seyn möchte, wollen wir bis auf eine andere Gelegen1 (Vgl. Bd. I, S. 84.] r (Bgl. Bd. I, S. 86.] < [Kgl. Bd. I, S. 28.] * (Vgl. Bd. I, S. 89 f.] (Hierauf folgt die 1753 in den fünfzehnten, sechzehnten und siebzehnten der Briefe aufgenom­ mene Kritik der Anfangsversc des Klopstockischen Messias; vgl. Bd. V.]

Lessing, sämtliche Schriften.

IV.

450

Da» Vrurstr au» dem Leiche de» Witze». Monat Vriobrr 1751.

heit verspüren.

Den übrigen Raum mögen einige kleine Sinnschristen,

und folgende- Schreiben einnehmen, welches eine eben so feine als zu unfern tändelnden Zeiten nöthige Satyrs enthält.

An den Herausgeber.1

5

Die Triebe der Menschen.2 * * * Die Ewigkeit gewisser Gedichte.6 Fabull.6

Auf ein Duells ©ertöt.6

Turan.6

10

Der kranke Stax.^ Bon Codyllen.6

An die Candida.6 An den Lascon.'6

16

Rufus."

Faustin.12

Monak Ortober 1751. Das einzige Denkmahl, woraus man sich einen Begrif von der

Artigkeit der alten Römer, von ihren feinern Sitten, dem Geschmacke 20 in ihren Ergötzungen, dem Tone ihrer Gesellschaften, der Wendung ihrer zärtlichen Gesinnungen, machen Ion, ist des Ovids Kunst zu lieben.

Hundert Werke werden uns jene Beherrscher der Welt als grosse, mäch­ tige und tugendhafte Geister schildern, dieses allein schildert sie uns als

Geister, welche empfunden, ihre Empfindungen geläutert und die Natur 26 zur schönen Natur ausgebildet haben.

Bon dieser Seite ist dieses Gedichte unschätzbar. Es hat eine andere Seite, die es weniger ist, diejenige nemlich, auf welcher eS seinem Titel

widerspricht.

Lehrte Ovid die Kunst zu lieben, er würde der liebens­

würdigste und unschuldigste Dichter seyn. Die schamhafteste Jugend würde

30 ihn lesen, und jener Trieb der Natur würde ein Führer zur Tugend werden, da er bey denen, die ihn nicht zu ordnen wissen, ein Verleitet 1 [DaS Schreiben An den Herausgeber ist Antipompiel unterzeichnet und von Kästner verfaßt.] 2 [Witt Ä * ♦ unterzeichnet, ebenfalls von Kästners [Vgl. Bd. I, S. 6.] * [Vgl. Bd. I, S. 19.] •' [Bgl. Bd. I, S. 31.] « [Bgl. Bd. I, S. 36.] ? [Vgl. Bd. I, S. 20.] * [Vgl. Bd. f, S. 7 „Bav« Gast."] ' [Bgl Bd. I, S. 17 „An die DoriliS."] 10 [Bgl. Bd. I, S. 4 „An den Marnll."] 11 [Bgl. Bd. I, S. 7.] « [Bgl. Bd. I, S. 161 f.]

Da» Neueste au« dem Lerche de» Witze». Mona! Sctodrr 1751.

451

zu den unsaubersten Ausschweifungen wird. Allein Ovid lehret die Wol­ lust, jene sinnliche, die ohne Zärtlichkeit deS Herzens vom Genuß zum

Genusse schweift, und selbst in dem Genusse schmachtet.

Verschiedene Neue scheinen den Widerspruch, welcher bey dem römi­ schen Gedichte zwischen dem Titel und der Ausführung ist, eingtsehen zu

6

haben. Wie schwer ist eS dasjenige gut zu machen, was ein Ovid schlecht gemacht hat! Jeder von seinen Racheifrern hat sich ein besonder Lehr­

gebäude von der Liebe gemacht.

Des JtaliänerS Pietro Michele arte

degli arnanti ist eine Sammlung süsser Grillen und wortreicher Tändeleyen.

Kan auch ein Jtaliäner von der Liebe schreiben ohne zu platoni- 10

siren?

Die Maximen der Liebe des Grafen von Bussy sind

lächerlich ernsthafte Stoßgebetchens, und was die kalte Frau von Lambert

von dieser feurigen Leidenschaft sagen will, find metaphysische Grübeleyen, die nach dem Hotel de Rambouillet schmecken. Wo hin und wieder ein Deutscher die Liebe zu seinem Gegenstände gehabt hat, da wird man 15

schwerlich mehr als* schulmäßige Declamationes finden, welche die Ohren

füllen, und dem Leser nichts zu fühlen geben, weil die Verfasser nichts gefühlt haben. Ein liebenswürdiger Franzose ist glücklicher gewesen.

Vernarb

hat uns in seiner Kunst zu lieben ein Gedichte geliefert, welches 20 diesen Titel behauptet.

Schon seit fünf bis sechs Jahren hat die Welt

unvollständige Abdrucke davon gelesen, und mit Vergnügen, so unvoll­ ständig sie gewesen sind. Nur erst zu Ende des vorigen Jahres hat man

eine getreue, verbesserte und ganze Ausgabe erhalten.

Wir würden

weniger berechtiget seyn ihrer hier zu gedenken, wenn sie in Deutschland 25 mehr bekant geworden wäre.

Sollten wir glauben, daß ein Auszug

deßwegen mißfallen sollte, weil hinter dem L auf dem Titel nicht noch

ein I stehet? **) Dieses neue Gedichte, welches aus sechs Gesängen bestehet, lehret

die Kunst die Liebe dem Wohlstände zu uuterwerfen, den Pflichten und 30

den Sitten; doch ohne ihr Zwang anzuthun, ohne ihr ihre Reitze zu **) L’art d’aimer, nouveau poeme en six chants par Mr.****; edition fidele, et complette, enrichie de figures. ä. Londres, aux depena de la Com­ pagnie. MDCCL. en 8. 1 mehr al- (fehlt 1751; von Lachmann eingefügt. Vielleicht ist aber auch zu ändern:] da wird man sicherlich fchulmäßige Declamationes finden,

452

Das Neueste au» dem Reiche de« Witze».

Monat Veto der 1751.

nehmen, ohne sie Einschränckungen auszusetzen, die sie vernichten; mit einem Worte, ohne von ihr zu verlangen, daß sie keine Leidenschaft seh.

Der Dichter hat sich nicht vorgesetzt dje Natur zu ersticken, sondern die Liebe zu lehren, wie sie ein ehrlicher Mann zu empfinden, und das zärt­

5 lichste' Frauenzimmer beyzubringen wünscht.

DaS ganze Werk läuft auf

den Lehrsatz hinaus: man kan sich durch nichts als durch gute Eigen­ schaften beliebt machen. Wir wollen von Gesang zu Gesang gehen, um den Leser in Stand

zu setzen den Plan zu übersehen; und wollen hin und wieder kleine

10 Stellen einrücken, um ihn in den Stand zu setzen, von der Ausführung zu urtheilen. Der erste Gesang fängt sich mit der Entdeckung des Borsatzes, und

den gewöhnlichen Anrufungen an.

„Ohne Lehrmeister lernt man lieben,

„ohne Kunst seufzet das Herz; .denn die Liebe ist eine Neigung, die die

15 „Natur einflößt. Aber dem Gesetze der Pflichten ihre schönen Flammen „zu unterwerfen, das widrige Schicksal zu erweichen, die Gunstbezeigungen

„für den Preiß der Beständigkeit zu erkaufen, den Argwohn bleicher Mit-

„buhler zu ersticken; dazu gehöret eine Kunst, dazu gehören Lehrmeister

„und Regeln."

Dieser Entwurf, hoffen wir, muß den schärfsten Sitten­

20 richter auf das Trockene setzen. Der Dichter weiß von keiner Muse ausser von seiner Zulni, „die Geliebte, deren Reitz die Tugend borgen würde, wann sie sterblichen Blicken sichtbar werden wollte."

„Wende diese Augen

„auf mich, worinne dein Hertz sich bildet, wo die Schamhaftigkeit wohnet,

„und die siegende Liebe lächelt. Ein einziger deiner Blicke bringt jenes

25 „erhabene Feuer, jene göttliche Flamme, die die Töne der ewigen Sänger „beleben, in meine Seele.

„lichere finden?

„Anmuth.

Sey meine Muse.

Wo soll ich eine zärt-

Komm führe meine Hand, leihe meinem Liede deine

Indem ich die Liebe erhebe, singe ich dich, Zulni!" — —

Nunmehr tritt der Dichter ins Feld.

Er lehrt den himmlischen Ursprung

30 der Liebe, er lehrt, daß sie nach diesem Ursprünge, das schönste Geschenk sey, welches das Schicksal auf die Menschlichkeit fliessen lassen, er lehrt, daß sie nur durch die Vermischung mit unsern Lastern tadelhast wird; daß ihr alle Herzen den Zoll schuldig sind; daß sie früh oder späte sich Meister davon macht; daß man die Zeit der Empfindlichkeit, der Jugend

35 dazu anwenden müsse; daß in der Welt eine-Person sev, welche das Schicksal uns zu lieben, und von uns geliebt zu werden bestimmt habe.

Da» Neueste au» dem Reiche des Witzes.

Monat Orkobrr 1751.

453

„Unsere Neigungen sind bestimmt, umsonst sind unschiffbare Meere un-

„überwindliche Scheidemauern zwischen zwey jungen Herzen, gebohren

„einander zu fesseln. Ein unvermutheter Augenblick bringt sie zusammen.

„Wäre sie auch unter dem brennenden Himmelsstriche gebohren, wo Phö„bus die wilden Mexicaner bereichert; lebte sie auch auf den gefrohrnen,

5

„wüsten und schrecklichen Bergen, um die sich der Scythe und die Bäre „streiten, auf den Bergen, den Gräbern der Welt, wo die Natur er„ blasset; und der Himmel hat ihr die Beherrschung eurer Wünsche vor­

nbehalten; so wird nichts diese ewigen Rathschlüffe hintertreiben." Nur,

°fährt der Lehrer der Liebe fort, muß man den Augenblick erwarten; 10

und sich nicht darinne zu betriegen, zeigt er welches die Merckmahle

der wahren Liebe sind.

„Bon den Reitzen einer jungen Schönheit ge-

„blendet bleibt man bey dem ersten Blicke unbeweglich, bezaubert. Das

„Herz fühlt die Annäherung der Liebe; die Sinne werden verwirrt, die „Stimme wird schwach; das Herz scheint sich loszureissen, und dem Gegen- 15 „stände nachzufolgen.

Alles erneuert dem Auge das Bild davon; alles

„mahlt euch seine Reitze, alles redet euch von ihm. Abwesend betet ihr „sie an; sie ist gegenwärtig und ihr erbleichet.

Eurx gemeinsten Reden

„scheinen verworren; ihr drückt viel aus und empfindet nöch mehr. „sich einige Hoffnung, die Furcht theilet sie.

Zeigt

Furchtsam, ungewiß, voll 20

„von einer redenden Verwirrung, fallen die Blicke nur zitternd auf

„sie.--------- Ja gewiß, dieser ist der bezaubernde Gegenstand, welcher „euch zu gefallen, gebohren ward.

Und hat ein solches Schicksal unter

„so viel Reitze ein für die Tugend gebildetes Herz verborgen, ist ihr „Geist eben so groß als ihre Schönheit, so liebt, so unterwerft euch 25 „ohne Murren."--------- Allein wie oft widersetzen sich Geitz und Hoch­

muth dem Fortgänge der Liebe.

Glückliche Zeiten der ersten Welt, da

ein König wenn er liebte, nicht seine Krone, sondern die Heftigkeit seiner Liebe prieß!-------- Hierauf beschreibt der Dichter die Sprache der Augen,

die erste Sprache der Verliebten, ihre Gewalt und ihre Bequemlichkeit. 30 Wo die Augen antworten, da ist das Herz nicht taub. Doch jemehr eine

Schöne nicht hintergangen zu werden wünschet, desto mehr fürchtet sie es.

Auf der Art des Angriffes beruhet das meiste; ein Herz das man

wohl angegriffen hat erobert man gewiß. Man verschaffe sich eine erste

Zusammenkunft; man drücke sich lebhaft und ungezwungen aus.

Eine 35

übel aufgenommene Erklärung muß die Hofnung nicht benehmen. Gebt

454

Das Neueste au» dem Reiche des Witze».

Monat Vrkober 1751.

mehr auf das übrige Betragen der Schönen Acht, als auf ihre Rede.

Schreibt ihr, wenn sie zu sprechen unmöglich ist. Die Liebe war es ja, welche die Kunst die Worte abzumalen und den Ton sichtbar zu machen

erfand.

Nunmehr zeigt der Dichter, was für Mittel anzuwenden sind,

5 wann die Schöne hartnäckig darauf besteht, unempfindlich zu scheinen. Er erläutert seine Lehre mit einem Beyspiele des Herzogs von Nemours

und der Prinzeßin von Cleves. Eine angenommene Gleichgültigkeit lockt das geheimnißvolleste Herz aus.

Was feste genug zu seyn scheinet hält

man nicht; man hält nur das, wovon wir fürchten, es möchte uns ent10 wischen.

Die Glieder des zweyten Gesanges sind folgende. Die Gelegenheit

ist ost der Liebe Vortheilhaft, man muß ihren schnellen Flug anzuhalten,

ihr zuvorzukommen und sie bey der Stirne zu fassen wiffen.

Der Lieb­

haber und Soldat müssen geschwind sehn.----------„Folget überall den 16 „Schritten eurer Schönen; sehet nichts, bewundert nichts, liebet nichts,

„als ihre Reitze. Die zärtliche Liebe belohnt sich zuletzt und man gefällt „dem Gegenstände, welcher empfindet, daß man ihm gefallen will."

Die

Orte wohin man die Geliebte vornehmlich begleiten muß, sind die Komödie,

die Oper, die Spatziergänge.,

„Der Schauplatz ist den Wünschen der

20 „Verliebten günstig und das Hertz zu erweichen bietet er glückliche Augen-

„ blicke an.

Durch ihre Teuschereyen macht die zaubernde Scene ihren

„Betrug angenehm, schmeichelt, reitzet und bewegt rc.--------- Allzuliebens„ würdige Goßin, bricht der Dichter zum Schluffe dieser Materie aus, „empfange hier den Preis, den dir tausend von deinen Reitzen besiegte 25 „Liebhaber darbieten.

Ja, die schmeichelnden Töne deiner rührenden

„Stimme, deine Thränen, deine Blicke, deren Anmuth bezaubert, schiessen „überall siegende Pfeile der zärtlichsten Liebe ab. Sie herrschet durch deine

„Augen; dir ist sie alle Herzen schuldig.

Glücklich, wer dich sehen kan,

„wer mit dir sprechen, wer dich hören kan!

30 „kan!

Glücklich, wer dir gefallen

Glücklich den dein Mund mit einem kostbaren Lächeln beglükt,

„wer sein Glück in deinen bewegten Augen liefet! Empfange diese Verse,

„die die Liebe erzeugte.

Ich singe ihre Reitze und du machst sie be-

„tonnt."--------- Wenn wird unser deutsches Theater eine Goßin bekom­

men, welche einen Dichter in so süffe Entzückungen zu versetzen fähig 35 ist?--------- Der zweyte Ort, wohin man der Schönen folgen muß, ist

die Oper, der Tempel der Liebe, wo sie alle Sinnen aufbietet sie durch

Das Lrurste au» dem Leiche de» Witze».

fich einzunehmen.

BQonat Vriober 1751.

455

„Verliebte, strömet in diese prächtige Schauspiele.

Die

„allzeit siegende Liebe weiß da von keinem Hindernisse, und alle ver-

„ einigte Künste bieten alle Arten des Vergnügens an. Sucht ihn, redet „ihn an, den Gegenstand eurer Wünsche.

Die schmeichelnde Harmonie

„der Lullischen Töne, welche die Liebe mit den Gesängen des Quinaut

6

„verband, wird sie ganz mit einer schmachtenden Verwirrung erfüllen,

„und auf ihrem Munde werdet ihr die Strenge erblassen sehen. Wenn „Cadmus feyerlich die Treue schwört, so werden ihre Augen euch eine

„ewige Liebe

schwören. — — Clio

„Frühlinge; jede hat ihre Zeit.

glänzet im

Winter,

Flora

im

Liebt die reizenden Betrügereyen der 10

„ersten, doch vergeßt nicht, daß man auch der Natur ihre Augenblicke

„geben müsse.--------- Unter jenen wachsenden Lauben, wo die Götter des

„Lachens herumflattern und Philomele durch zärtliche Klagen entzückt; „da könnt ihr dem geliebten Gegenstände eure zärtlichsten Gesinnungen

„durch eure Augen erklären.

Laßt eure Begierden in allen euren Be- 15

„wegungen lesen; alles entdecke an euch die heftigste Glut. Habt einen „traurigen Anblick, einen langsamen Gang. Suchet nichts als ihre Augen,

„fliehet sie dann, und suchet sie wieder.

Ueberall wird euch ihr Herz

„folgen, und schalkhaft wird die Liebe sie ihre Zärtlichkeit verrathen „lassen."--------- Hierauf weiset der Dichter, wie natürlich dem Frauen- 20

zimmer die Begierde zu gefallen sey, Leidenschaft.

Diese ist ihre erste und letzte

Gleichwohl ist es bey seiner Liebe unruhig.

Diese Unruhe

ihm zu benehmen, sie ihr bey einer geheimen Zusammenkunft zu be­

nehmen, da laste der Liebhaber seine Stärke sehen. Er finde sich zuerst an dem bestimten Orte ein; er suche sie durch Versicherungen, durch 26 Schwüre, durch Thränen zu gewinnen.--------- „Sind Thränen nöthig sie

„besser zu überzeugen, so lasset ganze Ströme derselben aus den Augen „brechen.

Weinet I die zärtlichste Liebe ergötzt sich an Thränen, und ihre

„süsseste Stille entstehet aus der Unruhe. Ihre theuersten Myrten sind „mit Thränen befeuchtet, und wer nicht weinen kan, kennet ihre Anmuth 30

„nicht.----------Endlich siegt die Liebe und die Strenge wanket.

Die

„Zärtlichkeit flimmert in den schmachtenden Augen; die Unbewegliche wird

„bewegt, und erkühnt sich nicht den Fuß aus der Falle zu ziehen, die „ihr gefällt.

Erntet dann den ersten Genuß auf ihrer zitternden Hand

„ein; ein Kuß redet ans Herz, denn er ist die Sprache des Herzens. 35

„Liebe, umsonst flieht man dich!

Alles empfindet deine Gewalt, alles

456

Vas Neueste aus dem Leiche de» Witze».

Monat Oktober 1751.

„weichet deinen Reitzen; so gar das stolze Gespenst, die eitle Weltweisheit.

„Kom, Kolossus von Rauch, siehe den Hochmuth eines deiner größten „Meister'biegen, und lerne dich kennen."

Hierauf beschließt der Dichter

den zweyten Gesang mit der Erzählung der Liebe des Cartes; die uns

5 aber ein wenig trocken vorkommt. Sie hat zwar ihren guten historischen Grund, da man weiß daß dieser Weltweise in Holland eine Tochter, mit Namen Francine gehabt hat: so wie Newton einen Sohn.

Der

einzige Punkt worinne der Verfechter und der Vernichter des leeren Raumes vielleicht einander gleich gewesen sind.

10

Im dritten Gesänge werden die Eigenschaften beschrieben, die ein Liebhaber haben muß, wenn er gefallen will.

Der Dichter fängt mit

einer doppelten Allegorie der lasterhaften und nichtigen, und der weisen

und dauerhaften Liebe an.

Bor allen muß man sich bemühen den Cha­

rakter des geliebten Gegenstandes zu erforschen.

„Seine Geliebte zu be-

15 „ zwingen, muß man aufmercksam ihr zu gefallen, und von seinem Vor„satze ganz erfüllet seyn; nach ihrem Geiste, nach ihrem Geschmacke muß

„man sich falten, dencken, lieben, handeln wie sie, und sich ganz in sie „verwandeln.

Ist sie eine Schülerin der ernsten Weisheit, trägt sie in

„ihrem Herzen ein langsames Feuer, welches sie bestreitet? Geht nicht

20 „allzukühn fort, und schonet ihre Tugend.

Bereinigt sie mit der Liebe

„einen philosophischen Geist? Redet, den Malebranche in der Hand, nichts „als Metaphysick.

„Tanzet.

Tadelt sie? Tadelt.

Singt sie? Singet.

Lobt sie? Lobt.

Tanzet sie?

Mahlt sie? bewundert ihre Werke. Liefet

„sie euch ihre Verse? verschwendet die Lobeserhebungen." — — Diese

25 Erforschung der Charaktere muß auf beyden Theilen seyn, und keines muß glauben, der Verstellung, berechtiget zu seyn.

Wer tugendhaft ist

der scheint es, und die Verbergung der wahren Gestalt ist ein gewisser

Beweiß von ihrer Häßlichkeit.

Man bestrebe sich also durch Verdienste

liebenswerth zu werden; aus der Hochachtung entspringt die Liebe; man

30 habe die Gesinnungen und die Aufführung eines Mannes, der die Welt kennet; man trotze nicht auf äusserliche Vortheile, die nur von allzukurzer

Dauer sind; man schmücke seinen Geist mit dauerhaftern Reizen; man verbinde mit der Zärtlichkeit bes Witzes großmüthige Gesinnungen des Herzens; man fliehe das gezwungene Betragen eines Stutzers; man sey

35 gleichförmig in der Aufführung; man prahle nicht mit Metaphysik und Versen, eine Prahlerey, die J>er üble Geschmack zu rechtfertigen scheinet;

Das Neueste au« dem Reiche de» Witzes.

Monak Vrkober 1751.

457

man vermeide den lächerlich kostbaren Ton der Neologisten; man sey kein Lustigmacher, der die geringsten Fehler auch seiner Freunde anfällt; die

Wahrheit wohne allezeit auf den Lippen; nie komme ein Ausdruck in den Mund, der die Schamhaftigkeit roth macht und die Unschuld zum Schaudern bringt; man halte sich zu Grossen, deren Umgang die Schule

5

der Tugend und Artigkeit ist. — — Hier ist der Dichter gedoppelt ein Dichter; und die Schmeicheleyen die er diesem und jenen französischen

Hofmanne macht, den er mit Namen nennt, sind nicht zu übersetzen.--------

Doch die Welt allein bildet einen vollkommenen Menschen nicht.

Das

Lesen der besten Schriftsteller muß dazu kommen. La Fontaine, Mokiere, 10 Racine, Regnard, Nericaut, La Chaussee, Grefset, Chaulieu, Bernis, und wer sie sonst sind, die Mahler, welche Natur und Kunst gebildet hat, die Helden der Gesinnungen, die das edelste Feuer belebt!---------

Hiebey vermeide man das französische Borurtheil, die Nachbarn zu ver­ achten.

„Es giebt gewisse in ihre Sphäre so eingeschränkte Geister, die 15

„nur den Himmelsstrich preisen, unter welchem sie gebohren sind, furcht„sam ihren Großältern nachschleichen und nur die Güter loben, die vor

„ihren Augen wachsen. Für sie ist ausser Paris kein Genie anzutreffen,

„und das Chaos fängt an, da wo sich Frankreich endet.

Leget diesen

„närrischen Hochmuth, den ihr mit der Milch eingesogen habt, ab.

In 20

„den wildesten Gegenden giebt es Pilpais. Der abergläubische Spanier, „der selbstmörderische Engländer haben Sitten und Gaben.

Erforschet

„ihren Geschmack und macht euch der Schätze zu Nutze, welche die Natur „andern Ufern vorbehält."--------- Dieses sind Lehren, welche kluge Franzosen ihren Landsleuten noch unzähligmal wiederhohlen und unzählig- 25

mal umsonst wiederhohlen werden. — — Nunmehr kommt der Dichter auf den Zweykampf, die Frucht des falschen Muths.

Er beschreibt alle

schreckliche Folgen derselben, und will in einer kleinen Geschichte lehren,

wie vermögend ein Frauenzimmer sey, diese Raserey bey Mitbuhlern zu

unterdrücken.

Auch diese Geschichte will uns im Ganzen nicht gefallen. 30

Wir wollen die Rede eines Frauenzimmers, die in voller Unschuld ihre Liebe entdeckt, daraus hersetzen:

„wenn man liebt?

„Was empfindet man, was will man,

Belehre mich Zamor, warum mein zitternder Geist,

„wenn ich mit dir rede, eine ihm sonst unbekannte Verwirrung fühlt.

„Mein Herz zerfließt, wenn ich dich sehe.

Seitdem dich ein Gott in 35

„diese Insel führte, begleitet und entzückt mich dein Bild Tag und Nacht.

458

Das Neueste aus dem Leiche de« Witze». Monat Ortober 1751.

„Der zärtliche Eindruck deiner geringsten Reden, wird immer in mir „neu, und scheint in mir zu leben.

Gestern seufzete ich deiner langen

„Abwesenheit wegen, als Dorival erschien.--------- Ach welcher Unterschied!

„Ich empfinde das nicht für ihn, was ich für dich empfinde.--------- In 5 „was für

ein Gift würde sich meine Liebe verwandeln, wenn Zamor

„nicht so sehr liebte, als er geliebet wird." Der vierte Gesang fängt mit der Beschreibung de- Nachttisches an.

Bey diesem sich einzufinden, doch erst alsdann, wann das Frauen­

zimmer die Reitze des Gesichts in Ordnung gebracht hat, ist die Pflicht 10 eines Liebhabers.

seyn muß;

Der Nachttisch ist ein Tempel, der niemals ohne Dienst

ein Madrigal, eine Sinnschrift, ein Lied, ein Sonnet find

die Lobgesänge, welche die Gottheit der Liebe daselbst prüften.

Dieses

führt den Dichter auf die Macht der Poesie, auf ihren Ursprung, auf

ihre Reize, auf ihre Borrechte.--------- „Weihet, Verliebte, dieser bezau15 „bernden Kunst einige Augenblicke, mehr euch beliebt zu machen, als in

„die Klasse der Schriftsteller zu kommen. „unwirthbarste Herz zu finden.

Sie weiß den Eingang in das

Nicht Löwen, Felsen, Sturmwinde hat

„man mehr durch sie zu erweichen, sondern allein die Strenge des „Herzens."--------- Von der

Poesie kömt

er

20 Schmauses, den Mittelpunkt der Aufrichtigkeit.

auf die Vortheile des Der Schmaus bietet die

zärtlichsten Geständnisse dar, und berechtiget sie;

wie sehr Hilst er der

Liebe, wann zumal Musick und Tanz ihn begleiten, diese Kinder der

Zärtlichkeit.--------- „Auch das Spiel ist für Liebhaber.

Die Munterkeit

„hat den Vorsitz, bey diesem lachenden Streite, den das Schicksal ent25 „ scheidet.

Der Verdruß, die lange Weile werden auf Flügeln der Zeit

„davon geschickt.

Jeder Augenblick bekömt eine neue Gestalt.

Das Glück

„flattert herum, es drohet, es lacht; die Hofnung strahlet und verschwindet; „das Gold wächset und vertrocknet.

Doch wollt ihr den Augen derjenigen

„gefallen, welche euer Herz beherrscht, so fliehet den Ruff eines Spielers 30 „von Profeßion.

Das Herz wird getheilt, eure Geliebte aber will es

„ganz besitzen."

Hier zeigt der Dichter, wie weit sich ein vernünftiger

Liebhaber in das Spiel einlassen müffe.

Nie muß die Geliebte darunter

vermehren, die man beständig zu sehen, sich zu einer süssen Gewohnheit machen muß.

Diese allein entscheidet; man wird sich wesentlich, und

35 endlich sind es zwey Körper welche eine Seele belebt.

Doch muß man

deswegen nicht den andern-Umgang fliehen, und aus Liebe ein Menschen-

Da» Lrurpr aus dem Reiche des Witzes.

feind werden. zu schätzen.

Monat Vrtobrr 1751.

459

Man muß fortfahren seine Freunde zu besuchen und sie

Hier schildert der Dichter das Lob der Freundschaft.

„Das

„geheime Vergnügen einer zärtlichen Verbindung theile euern Tagen

„neue Anmuth mit.

Bringet der Welt eine geschmeidige Biegsamkeit

„davon her, und verbindet euch die Gemüther durch einen willigen Um-

„gang.

5

Besonders erwerbt euch den Schatz eines weisen Freundes, an

„dessen Werth weder Ehre noch Gold kömt.

Er ist eine Quelle von

„Tugenden, die euch nützlich sind; er ist eine leuchtende Fackel auf den „dunkelsten Wegen; nach der Liebe ist er das kostbarste Geschenke des

„Himmels.

Bey ihm leget alle Geheimnisse eurer Seele nieder, nur nicht 10

„die Geheimnisse eurer Liebe."

Die Verschwiegenheit ist eine dsr vor­

nehmsten Tugenden eines ehrlichen Mannes, und der Dichter glaubt, daß

sie besonders den Franzosen einzuschärfen sey.

Ein Vertrauter wird oft

zum Mitbuhler, welches er durch das Beyspiel Heinrichs des IVten, des

Ritters von Bellegarde und der Gabrielle Destrees erläutert. Fünfter Gesang.

15

Ein geheimer verliebter Umgang hat seine Reize;

doch weit mehr Vergnügen geniessen Verliebte, die sich für den Augen der Welt lieben.

Dazu zu gelangen, muß man sich einen fteyen Zutritt

bey seiner Geliebten zu verschaffen suchen, unter dem Titel eines Freundes;

man muß die Charaktere derjenigen zu erforschen suchen, die um ihr 20 sind, und von welchen sie in etwas abhanget.

nemlich die Bormünde.

„Predigt er,

Hierunter gehören vor-

in einen Lehnsessel

gekrümmt,

„schwach und kolsternd, voller Galle gegen die jetzige Zeit, wider die

„Jugend und ihre ausserordentliche Verschwendung? Setzt er seine Ehre „und sein höchstes Gut in das Gold, in welchem er schwimmt ohne es 25

„zu geniessen? So rühmt seinen jetzigen und zukünftigen Reichthum, und

„heimlich beklagt seine wirkliche Armuth." Oft bestimmt so ein Wütherich

den Gegenstand unserer Liebe dem Kloster, diesen dem ewigen Verdruß gewidmeten Mauern, den Gräbern, welche eine rasende Schwärmerey

gehölet hat, welche die Reue, der Irrthum, die Tyranney bewohnen. 30 Doch dieser Aufenthalt ersticket die Heftigkeit der Leidenschaft nicht, und

die Beständigkeit des Liebhabers erlangt ihren Zweck.--------- Bey vielen,

weil sie allzugewiß sind, daß sie geliebet werden, erkaltet die Liebe.

„Der

„zuversichtliche Medor verläßt sich auf seinen Sieg und wenig bewegt „von der Unruhe seiner Geliebten, betrachtet er mit einem heutern Auge 35 „sein Glück.

Als ein ruhiger Beherrscher eines ihm Unterthanen Herzen

460

Das Neueste aua dem Reiche des Wikes.

Monak Vrkobrr 1751.

„trotzt er ihrem Argwohne, und lacht über ihre Beängstigung. „ihre Klagen nicht, er sieht ihre Thränen nicht.

Er höret

Bey ihr ist er ab-

„ wesend; und redet sie mit ihm, so ist er zerstreut; er betrachtet einen „Rinß oder ein Bild, er ruft seinen Hund, er spricht mit ihm und

6 „streuchelt ihn.

Aus seiner umwölckten Stirne leuchtet eine stolze Ber-

„achtung; und wenn die Geliebte ganz Feuer ist, so ist er ganz Eis."

---------Doch, muß man auch nicht seine Liebe durch Ausschweifungen der Eifersucht zu beweisen suchen; wohl aber kann man sich auf kurze Zeit

entfernen, um die Beständigkeit der Geliebten auf die Probe zu stellen. 10 Eine allzulange Abwesenheit ist das traurigste Unglück für Verliebte.

Es zu lindern schencke man sein Bildniß der Geliebten, und suche das

ihre dafür zu erhalten.

Die Liebe so wohl als die Freundschaft erlaubt

den Gebrauch der Geschencke; diese aher müssen gewehlt seyn, und man muß mehr die Empfindlichkeit der Schönheit als ihr Glück dabey zu

16 Rathe ziehen.

Erhält man zum Gegengeschencke ein von ihren Haaren

geflochtenes Armband; welches kostbare Pfand der zärtlichsten Liebe! Das

sicherste Mittel ohne Nebenbuhler geliebt zu werden, ist eine gleiche un-

getheilte Liebe gegen die, von welcher man dieses Glück begehrt.

Hier

haben beyde Geschlechter gleiches Recht; und dieses so wohl als jenes

20 kann sich über die Untreue des andern beklagen.

Wie schädlich aber ist

dabey eine stürmende Eyfersucht! Nimmermehr wird diese ein Herz wider

zurück bringen, welches nur durch Gefälligkeit und Anmuth von neuen gewonnen wird.

Diesen Satz erläutert der Dichter durch das Exempel

des ersten Franciscus Königs von Frankreich und der zwey Herzoginnen

26 von Etampe und von Valentinois. In dem letzten Gesänge nahet sich der Dichter dem glücklichen Zeit­

punkte, da die Liebe gekrönt wird. Er beschreibt die Besorgniß der Ge­ liebten durch einen völligen Gtznuß ihren Liebhaber allzusehr zu sättigen, und in der That sind diese Gunstbezeigungen oft die Mörder einer Lei30 denschaft, die die wohlgegründeste zu seyn schien;

die Mängel auf beyden Theilen entdecken.

weil sie meistentheils

Hier hat also der Liebhaber

seine ganze Kunst anzuwenden, jene Besorgniß zu zerstreuen, und sein gutes Glücke mit Behutsamkeit weiter zu treiben. Lobt er seine Gebieterin, so muß dieses Lob fein angebracht seyn.

36 „mit Genauigkeit.

„Lobet mit Anmuth, und lobet

Man wird unhöflich, durch allzuviel Höflichkeit.

Legt

„ihr keine Reize bey, von denen sie, Danck sey ihrem Spiegel, weiß daß

Da» Neueste aus dem Reiche de» Witze».

Monat Ortober 1751.

461

Bey der blaffen Fanny lobet nicht die blühenden Rosen;

„sie sie nicht hat.

„leihet ihr Schönheiten, allein ohne die Sache zu übertreiben.

„triebenes Lob ist unschmackhaft, und man lacht drüber.

Ein über-

Oft, euch zu

„erforschen, lobt sie Reize an andern, die ihr der Himmel nicht beygelegt „hat: Wie lebhaft ist Iris! wie schöne ist Dorinde! Dieses ist ein heim„kicher Fallstrick, den euch ihre Furcht leget.

5

Sagt also, daß ihre Reize

„nichts rührendes haben, und treibt die List so gar, bis sie zu verachten.

„Das Lob einer jeden andern hat das Ansehen einer Critick."---------Den Unvollkommenheiten der geliebten Person muß man Vortheilhafte

Namen geben.

Hiezu hilft die Gewohnheit nicht wenig, welche ost die 10

Augen so verblendet, daß sie wirkliche Fehler für Schönheiten ansehen. -------- Doch wie eigensinnig, wie wunderlich ist das Gemüth eines Frauen­ zimmers!

Wie- oft wenn man sich ihrem Besitze am nächsten geglaubt

hat, sieht man sich am entferntesten davon! Diesen kleinen Wiederwärtigkeiten zu begegnen, dahin zielen die letzten Lehren des Dichters. setze dem Eigensinne der Geliebten Gefälligkeiten entgegen.

Man 15

Man bekenne,

daß man Unrecht habe; dieses ist allezeit das sicherste Mittel mehr als Vergebung zu erlangen.

Verliebte, die sich wieder vertragen, lieben sich

allezeit zärtlicher, als sie sich vorher geliebt haben; „und wenn ja bey

„der Geliebten Skrupel übrig blieben; sitzen ja noch Wolken des Miß- 20 „trauens auf ihrer Stirne, und leset ihr in ihren Augen, daß ihr un„ruhiges Herz befürchtet nicht geliebt zu werden; so schwöret ihr, daß

„eure Seele sie anbete, und wiederhohlt diesen Schwur hundertmal; be-

„netzt ihre Hände mit Thränen, erhebet ihre Reitze, fallet ihr zu Fusse, „rufet den Tod an.

Wo ist das grausame Herz das hierdurch nicht sollte 25

„gerührt werden?" Die Geliebte sucht die Verzweifelung zu stillen, durch längstgewünschte Gunstbezeigungen. Hier kömmt es drauf an, die Zeit sie

einzuernten zu beobachten.

Ost wird man in den süssesten Augenblicken

gestört, und alsdenn muß der Liebhaber sein Spiel zu verstecken wiffen.

----------Der Dichter hat bisher den Verliebten nur kleine Schreckbilder 30

gewiesen; jetzt aber zeigt er ihnen ein wirkliches. stand wird krank.

Der geliebte Gegen­

Hier hat die Liebe ihre stärkste Probe abzulegen; für

die sie aber nur allzusehr belohnt wird, wann die Kranke wieder hergestellet wird.

Folgt sie der Stimme des Frühlings, welche sie auf das

Land ladet? Folget ihr dahin; da ist es, wo euch die Liebe den schönsten 35

Triumph vorbehält; da untersteht man sich alles, da erhält man alles.

462

Das Neueste aus dem Reiche de» Witze«. Monat November 1761.

— — „Muse, hier hemme deinen Lauf, und wag es nicht mit einem

„allzukühnen Blicke in das Heiligthum zu dringen, wo das Opfer er-

„Masset, und die Liebe es betrachtet. „tiefste Verschwiegenheit.

Dieses Geheimniß verlangt die

Laß auf deiner Stirne, Muse, die Anmuth

6 „und Schamhaftigkeit verschwistert prangen; fliege in den Himmel zurück; „dein Weg ist vollendet.--------- Liebe, du lehrest mich deinen Dienst,

„und deine Geheimnisse, die du in meinen Liedern niedergelegt hast. „Deine unsterblichen Myrten umkränzen meinen Frühling, ich sang dein „Gesetz der Welt, und hatte noch nicht zwanzig Jahre." 10

Hiermit endet der Dichter seine Kunst zu lieben.

Zum Schluffe

des Werks findet man noch ein Gedichte über den Tod seiner Zulni, die

er in dem ersten Gesänge als seine Muse angeruffen hat.

Dieses Ge­

dichte ist ungemein zärtlich und vielleicht ist mehr Empfindung darinne, als in allen sechs vorhergehenden Gesängen; wovon wir dem Leser das

16 Urtheil überlassen wollen, da wir ihn gnugsam in den Stand gesetzt haben, es fällen zu können. *

*

**

Fabeln. Der Tanzbär.'

Der Adler und die Eule.^

20

Morydan.b

Monat November 1751. Die Religion.

Monat December 1751. Reise der Unschuld nach der Insel Cylhrre. 26

Es ist eine beglückte Insel, unbekannt den blinden Sterblichen.

Die

Luft, die man daselbst ahtmet, ist allezeit rein und heiter; die Jahrszeiten

sind daselbst nicht dem Wechsel unterworfen, welchem sie in unsrer Hemi­ sphäre unterworfen sind; die Fläche der Waffer wird durch nichts, als

Zephyre in Bewegung gesetzt, und niemals hat das Herz der glücklichen 1 lVgl. »b. I, S. 158.] ' « [ögt. Bb. I, S. 187 f.J * sBgl. Bd. I, S. 256—267.]

' lBgl. Bb. I, S. 188 f.)

Da» Neueste au» dem Reiche des Mhes. Monat December 1751.

463

Einwohner dieses schönen Aufenthalts die Stürme empfunden» welche die

Heftigkeit der Leidenschaften und ausschweifenden Affekten erwecket.

Die

Unschuld, die Beherrscherin dieser angenehmsten Insel, hat ihren Thron

nirgends, als in den Herzen ihrer Unterthanen.

Sie lieben ihre Re­

gierung, und wiffen von keinem andern Vergnügen, als von dem Ber-

gnüge«, ihr getreu zu seyn.

5

Hier war es, wo die reizende Themire

ihre glücklichen Tage in dem Schooße der Beherrscherin, deren Liebling sie war, zubrachte; als sich das Schicksal ihrentwegen erklärte, und die

Unschuld in die allerlebhasteste Unruhe versetzte.

Sie hatte diesen Herren

der Götter und Sterblichen wegen der Zukunft ihrer Geliebten um Rath 10 gefragt.

Themire, erhielt sie zur Antwort, muß nach Cythere gebracht

und daselbst ihrer eignen Ausführung überlasi-n werden'; ihr Glück oder Unglück hanget von ihrer Treue gegen dich ab.

Die Unschuld seufzet«;

doch wenn da- Schicksal einmal geredet hat, so ist es unmöglich, seine

Aussprüche zu verändern.

Zu allem Glücke hatte man der Unschuld 15

nichts, in Ansehung dieser unglücklichen Reise ihrer Untergebenen, vor­

geschrieben.

Sie beschloß also, sie in ein Land zu begleiten, welches sie

selbst nicht kannte, und sie, wenn es möglich wäre, wider alle Gefahr zu vertheidigen, der sitz, etwan ausgesetzt werden möchte. Themire, voller Vertrauen auf die Unschuld, deren Willen sie alle- 20

zeit blindlings nachgekommen war, verließ ohne Widerwillen die glückliche Insel. Kaum waren sie an das Ufer eines Meeres gelangt, dessen Fläche

ruhig scheinet, welches aber gleichwohl durch unzählige Schiffbrüche be­ kannt ist, als sich die geschäftigen Bootsleute, sie nach Cythere überzu­

bringen, anbothen.

Das Vergnügen, die Weichlichkeit, die Neugierde, 25

die Gelegenheit führten sehr prächtige Schiffe, auf welchen eine Menge

Reisender Themiren die Hand bothen, sie zur Ueberfahrt in ihrer Gesellschaft zu bewegen.

Endlich kam ein ehrwürdiger Alter, welcher

nichts als eine kleine Barke ohne Zierrathen führte, und both gleichfalls seine Dienste an; er nannte sich die Schuldigkeit, und die Unschuld, 30

ohne sich bey der Unansehnlichkeit seines Schiffchens aufzuhalten, stand nicht einen Augenblick an, Themiren hinein steigen zu lassen.

Es soll

euch nicht gereuen, daß ihr mich vorgezogen habt, sagte der Alte zu ihnen; ich kenne alle Klippen um Cythere herum, und kein einziger von denen, die mich zu ihrem Führer erwählt haben, ist unglücklich daselbst 35 angelandet.

Wie kömmt es aber,

fragte

ihn Themire,

daß dein

464

Das Neueste au» dem Leiche de» Witzes. Monak Derember 1751.

Schiff so klein ist; kaum daß wir batinne Raum haben?

Es ist nur

noch allzugroß, antwortete der Alte, wenn man die wenige Anzahl der

Reisenden bedenkt, die mich auf diesem gefährlichen Wege zu ihrem Leitsmanne nehmen.

Indem er so redete, stieß die Barke gegen die Insel

5 ganz sanfte ab, der die prächtigen Schiffe folgten, welchen Themire den Vorzug würde gegeben haben, wann die Unschuld sie nicht zu dem Schluffe gebracht hätte, sich für die Schuldigkeit zu erklären. Doch gar

bald lernte sie einsehen, wie vieler Gefahr sie ihre Folgsamkeit überhoben habe.

Die Winde der Eifersucht, des Argwohns, der Unbeständigkeit

10 fingen gewaltig an zu toben; und indem die kleine Barke an dem Ufer der Insel anlandete, scheiterten die andern Schiffe, nachdem sie lange

genug der Wuth der Wellen widerstanden hatten.

Verschiedene von den

Reisenden kamen um, ehe sie das Land erreichten, und die andern ent­

kamen nicht anders, als mit Verlust der reichen Edelsteine, die sie mit-

15 gebracht hatten.

Das ganze Ufer erscholl von dem Geschrey dieser Elenden.

Der

eine beweinte seine verlohrne Ruhe, der andre seine Ehre, dieser seine Gesundheit, und hundert andre Güter, deren Erzählung viel zu lang seyn würde.

Die Unschuld, welche des Schicksals dieser Unglücklichen

20 wegen sehr bekümmert war, vergaß auf einen Augenblick ihre Unter­ gebene, und dieser Augenblick war genug, Themiren zu verlieren. Dieses war der Wille der Götter, welcher dieses liebenswürdige Mägd-

chen auf die Probe stellen wollte, damit sie ihre Tugend in allen ihrem

Glanze zeigen könnte.

Sie hatte bey dem Eingänge eines Lustwäldchens,

25 welches nicht weit vom Ufer war, ein Kind ganz in Thränen gefunden,

welches seine kleinen Hände gegen sie ausstreckte, und sie um Hülfe anzuruffen schien. Themire ward vom Mitleiden durchdrungen und näherte

sich ihm.

Es zeigte ihr mit dem Finger einen Jüngling, welcher sich

vergebens bemühte einen Pfeil heraus zu ziehen, welcher ihm das Herz

30 zu durchbohren schien.

Themire wollte ihm ihn helfen herausziehen,

kaum aber hatte sie diesen unglücklichen Pfeil angerührt, als sie sich

selbst verwundet fühlte, und die gemeinschaftlichen Bemühungen, ihn heraus zu reissen, nutzten zu nichts, als ihn tiefer hinein zu treiben.

Themire ward von einer Wehmuth ergriffen, welche sie bisher nie

35 empfunden hatte, schlug die Augen nieder und seufzete. Der Unbekannte, welcher die Natur des Uebels, das ihn betroffen

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes. Mona! December 1751. 465 hatte, nicht besser kannte, sahe sie an, und unterstund sich nicht, sein Stillschweigen zu brechen.

Als einige Augenblicke in einer Art von

Trunkenheit verflossen waren, erinnerte sich Themire, welche fühlte,

daß ihr Herz zum erstenmal gerühret war, und vor den Seufzern er­

staunte, welche ihr wider Willen entfuhren, auf einmal ihrer Königin, Ach! liebste Unschuld, rief sie aus, wo bist du?

ö

Warum hast

du mich verlassen, oder vielmehr durch welche Bezauberung habe ich mich

entschliessen können, mich von dir zu trennen?

Als Themire diese

Worte aussprach, vergoß sie einen Bach von Thränen. L i s i d o r, (dieses

war der Name des jungen Menschen, welchem sie hatte wollen zu Hülfe 10 kommen) fiel auf seine Knie, trocknete ihre Thränen ab, und beschwor sie, ihn zu lehren, was er thun müsse, um ihr ihre Ruhe wieder zu

geben.

Mir geht es eben so, antwortete Themire.

Gesellschafterin, meine liebste Unschuld, verlohren.

Ich habe meine Ich kan ohne die­

selbe nicht glücklich seyn, und ich will alle meine Kräfte daran wenden, 15

sie wieder zu finden. Ach! schöne Themire, versetzte L i s i d o r, sanft du

denn das Vergnügen, welches ich schmecke, indem ich dich sehe, nicht theilen? Ich habe so, wie du, alles verlohren, da ich an dieser Insel angelandet

bin:

aber ein einziger Blick von dir ersetzet meinen Verlust, und ich

kenne weiter kein Gut mehr, als dieses, daß ich dich anbete, daß ich dir 20 es sage, und daß ich sehe, daß du meine Flamme mit mir theilest. Ver­ giß die.Gespielin, deren Andenken unsre Glückseligkeit vergiftet. Ich habe

deine Zärtlichkeit gegen mich aus deinen Augen gelesen.

Ueberlaß dich

derselben ganz und gar; laßt uns einsam in diesen Gebüschen den übrigen

Theil der Sterblichen vergessen.

ihm Themire.

Was schlägst du mir vor? antwortete 25

Ich kan mich nicht verstellen; ich fühle, daß ich dich

mehr liebe, als mich selbst, daß ich dich Zeit Lebens lieben werde: aber diese Liebe wird niemals die Treue wankend machen, welche ich meiner

Königin schuldig bin. sie verlasse.

Unser Glück kan nicht vollkommen seyn, wenn ich

Erlaube, daß ich sie suche; wir wollen, den Göttern die 30

Sorge, einander wieder zu sehen, überlassen.

Du willst mich verlassen,

Themire, antwortete ihr Lisidor zärtlich; du willst also meinen Tod?

Warum wollen wir diese Gespielin, welche dir so lieb ist, nicht mit ein­ ander suchen? Ach Lisidor! versetzte Themire, mein Herz sagt mir,

daß wir sie beyde mit einander nicht finden werden.

Als sie dieses ge- 35

sagt hatte, verließ sie ihren Liebhaber und suchte mit der größten UnLessing, sämtliche Schriften. IV. 30

466

Das Neueste aus dein Reiche des Witzes. Monat Derembrr 1751.

ruhe die Unschuld, welche seit dem Augenblicke, da sie sie aus dem

Gesicht verlohren hatte, sie ihrerseits vergebens suchte. Amor empfand ein boshaftes Vergnügen über die Unruhe der

Unschuld.

Sie hatten sich seit langer Zeit entzweyt, aber der Gott

5 von Cythere suchte sie wieder zu versöhnen.

Er ging zu seiner Feindin,

stellte sich, als ob er die Ursache ihrer Reise nicht wüßte, und fragte sie: Was hat dich denn hieher gebracht?

Ich habe dich so lange Zeit

nicht gesehen, daß ich dich kaum mehr kenne.

Kanst du dich noch des­

wegen beklagen? Unbeständiger! versetzte die Unschuld. Konnte ich mich

10 seit dem verhaßten Augenblicke, da du mir das Kunststück, die Buhlerey und die Wollust zu Mitbuhlerinnen gegeben, entschließen, wieder in deinem Reiche zu erscheinen?' Erinnere dich derjenigen glücklichen Tage, da wir

miteinander über die Herzen regierten, und gestehe, daß du seit dem Augenblicke deinen Ruhm verlohren, da du mich verlassen hast.

Ich will

15 mich nicht zu rechtfertigen suchen, antwortete Amor: aber giebt es kein Mittel wider dieses Uebel? und könnten wir nicht durch eine aufrichtige Versöhnung alles das Uebel wieder gut machen, welches unsere Scheidung

unter den Sterblichen verursachet hat?

Wenn du mir vergeben willst,

so sollen dich die feyerlichsten Eide von meiner Beständigkeit versichern.

20 Kan man sich auf Amors Eidschwüre verlassen? antwortete die Un­ schuld; und ist eine bloße Entschuldigung genug, alles Böse, welches

du mir verursachet hast, wieder gut zu machen?

Wie viel Herzen, in

welchen ich unumschränkt herrschte, hast du nicht geraubt!. Eben heute ist mir meine geliebte Schülerin durch deine Kunststücke entwendet worden.

25 Sachte, Madame, unterbrach sie Amor; das ist eine von deinen ge­ wöhnlichen Ungerechtigkeiten; du steckst in einem Vorurtheil.

Wie oft

haben nicht die Eitelkeit, der Vortheil und die Eifersucht meinen Namen geborget, um dir deine Schülerinnen zu rauben!

Glaubst du denn wirk­

lich, daß es die Liebe ist, welche die meisten Vereinigungen stiftet, über

30 welche du seufzest?

Ich wollte eine Erläuterung vermeiden, und war so

gut, mich für schuldig zu erklären, um desto geschwinder Vergebung von

dir zu erlangen: aber ich sehe wohl, daß ich mich förmlich rechtfertigen muß.

Du machtest Staat auf die junge Chloe, und du zogst wider

mich loß, als sie einen Liebsten nahm. An den Plutus hättest du dich 35 deswegen machen sollen.

Ich hatte gar nichts mit dem Handel zu thun,

welchen sie mit einem Generalpächter schloß, und sein Gold machte die-

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes. Monat December 1751. jenige Wunde, welche du meinen Pfeilen zuschriebest.

467

Die junge Elise,

welche, seitdem sie dich verlassen, ihre Liebhaber viermal verändert hat,

hat mich nie gekannt. Bloß das Verlangen, den Vorzug vor Climen en zu haben, welche sie für nicht so schön hielt, als sich, hat gemacht, daß sie dich, verlassen, damit sie um sich einen zahlreichen Hofstaat sehen

möchte.

5

Ich könnte dir noch tausend andere Exempel von deiner Unge­

rechtigkeit gegen mich anführen: aber ich habe dir es gesagt, ich will mich mit dir versöhnen.

Was setzest du für einen Preiß auf die Ver­ Du misbrauchest vielleicht meine Auf­

gebung, um welche ich dich bitte?

richtigkeit, antwortete ihm die Unschuld; doch will ich mich noch ein- 10 mal deiner Leichtsinnigkeit aussetzen.

Setze meine Ehre auf feste Gründe,

und mache, daß diejenigen, welche durch Lieben mein Reich verlassen haben, der Verachtung derjenigen Liebhaber ausgesetzet seyn, welche sie mir vorgezogen haben; und auf diese Art will ich das Vergangene ver­ gessen.

Und ich, versetzte Amor, steh für das Künftige.

Jede Ber- 15

einigung, welche nicht auf das Künftige gegründet seyn wird, soll von

keiner Dauer seyn, und man wird aus der Unbeständigkeit der Liebhaber die Klugheit der Schönen auf das sicherste erkennen.

Themiren den Anfang machen. einem Liebhaber allein gewesen.

Wir wollen mit

Ich verheele dir es nicht, sie ist bey Ich will sie einer großen Versuchung 20

aussetzen, und du wirst sehen, ohne daran zweifeln zu können, ob Themire deiner noch würdig ist.

In dem Augenblicke versammlete Amor die unzählbaren Schön­ heiten, mit welchen seine Insel angefüllet ist.

Er theilte unter dieselben

diejenigen verführerischen Annehmlichkeiten aus, welche noch mächtiger 25 sind, als die Schönheit.

Er befiehlt den Zephyren, die Themire und

den Lisidor mitten unter diesen schönen Trupp zu führen. Themire sieht endlich diesen Liebhaber wieder, von welchem sie so ungern geflohen

war; da sie aber einzig und allein von der Unschuld eingenommen ist, so will sie auf sie zu, und will sich in ihre Arme werfen.

Halt! 30

sagte die Unschuld zu ihr, die Beständigkeit des Lisidor wird mich

lehren, ob du noch meiner würdig bist.

Themire erwartet bestürzt

und zitternd den Befehl der Unschuld, und ob sie gleich überzeugt war, daß sie nichts zu befürchten hätte, so konnte sie doch kaum wieder zu sich selbst kommen.

Lisidor schien anfangs bey dem Anblicke der 35

Schönheiten, welche sich ihm zeigten, geblendet zu seyn.

Er durchlief sie

468 Das Neueste aus dem Leiche des Witzes. Monat Derembrr 1751. mit begierigen Augen: aber nach einer kurzen Prüfung warf er sich Themiren zu Füßen, und schwur ihr eine ewige Beständigkeit. Seit demselben Tage hat Amor seine Verbindlichkeiten niemals

aus der Acht gelassen.

Ein Liebhaber, welcher genug hat, wird ein

5 flüchtiger Liebhaber, und dieser Gott hebt die Annehmlichkeiten der Be­

ständigkeit nur für diejenigen auf, welche niemals die Unschuld von der Liebe trennen.

*

*

*

Der Herrmann und der Nimrod würden in diesen Blättern

keinen Platz gefunden haben, wenn sie nicht der unbekannte Verfasser

10 folgendes Schreibens seiner Aufmerksamkeit und Gedult gewürdiget hätte. Mein Herr Sie sind sehr unachtsam auf die merkwürdigsten Begebenheiten im Reiche des Witzes.

Sie haben Ihren Lesern noch gar nichts von den

neuen Lichtern erzählet, welche diesem Reiche in der letztverwichenen Mi-

15 chaelsmesse aufgegangen sind.

Haben Sie denn den Herrmann und

den Nimrod noch nicht gelesen? Oder haben Sie denn nicht wenigstens

die Vorrede des Vormunds des guten Geschmacks in Deutschland durch­ gelaufen, welche derselbe dem erstern vorgesetzet hat?

Da würden Sie

gefunden haben, daß es nunmehr mit dem Deutschen Witze aufs höchste 20 gekommen ist, und daß, wenn die Ausländer auch zehn Henriaden

aufzuweisen hätten, wir Deutsche ihnen doch nunmehr beherzt unter die Augen treten, und ihnen dieses Heldengedicht selbst zum Muster ihrer künftigen Werke dieser Art vorlegen könnten.

Warum haben Sie denn

Deutschland zu diesem längst vergebens gewünschten Zeitpunct noch nicht

25 Glück gewünscht? Ich will doch nimmermehr hoffen, daß Sie ein Fran­ zose sind, welcher vor allen Meisterstücken des Deutschen Witzes Augen

und Ohren verschließet, um nur das bisgen Ehre seiner witzigen Lands­ leute noch in Ansehen zu erhalten.

Da wir längst den Ausländern in

allen Arten von Gedichten Trotz biethen konnten, so fehlte es uns nur

30 noch an einem Heldengedichte; und siehe, das haben wir nun, Gottlob! an dem Herrmann, wie der Titel desselben klärlich ausweiset.

Kommen

Sie mir ja nicht mit dem Meßias, und sagen Sie etwan, daß dieses

auch ein Heldengedicht sey.

In der Schweiz und in den derselben in-

corporirten Landen kann er allenfalls dafür gelten: aber in Deutschland

35 hat er das Diploma noch nicht erhalten; und ist es, zu dessen Beweise,

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes. Monat December 1751.

469

nicht genug, daß ihn noch kein G --- dafür erkennet? Siehe den Wurm saamen, den ersten Gesang. Es ist also gewiß, daß nunmehr der leere

Raum in der Deutschen Dichtkunst durch diejenige hochfreyherrliche Feder glücklich ausgeMet worden, welche uns den Herrmann in den so

natürlich fließenden trochäischen Versen, in 12 Büchern, wie Virgil seine

5

Aeneis, geliefert hat.

Aber zu gleicher Zeit erschien auch noch ein anderes Heldengedicht, der Nimrod des Herrn Naumann welcher schon über 10 Jahr auf die

Presse gewartet hatte.

Welch ein Reichthum eines poetischen Witzes wird

nicht dazu erfordert, von einem Helden, von welchem uns alle Geschichte 10 weiter nichts erzählet, als daß er ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn

gewesen, ein Heldengedicht von ganzen 24 Büchern zu schreiben!

Zu

was für schönen Episoden hat nicht dieser Mangel in der Geschichte dem

Dichter Gelegenheit gegeben, welcher die Aufmerksamkeit des Lesers bald

mit einem todten und wieder auferweckten Pferde, bald mit dem noch 15 vor der Sündflut im Gebrauch gewesenen groben Geschütz, bald von dem Taubenschlage eines glückseligen Schäfers, bald von der Capelle des

Nimrod, bald von dessen Hofnarren, welcher seinen hölzernen Säbel auf der rechten Seite stecken hat, und mit tausend andern belustigenden Er­ dichtungen,

unterhält!

Der Dichter hat seinem Witze völlig den Lauf 20

gelassen, und sich mit den Reimen nicht abgegeben, sondern Hexameters

ohne Füße erwählet, an welche er sich aber auch nicht so genau gebun­ den, daß er nicht öfters Octameters und Pentameters hätte sollen mit unterlaufen lassen.

Ich schäme mich, mein Herr, daß ich Ihnen

Neuigkeiten aus dem Reiche des Witzes erzählen soll, welche Sie Ihren 25 Lesern zuerst hätten erzählen sollen.

Dahin gehöret auch die neueste und letzte Ausgabe der critisch en Dichtkunst des berühmten Hrn. Prof. Gottscheds.

Ja, mein Herr,

dieses ist die allerletzte Ausgabe, oder vielmehr die letzte Umgießung der­ selben.

Herr Gottsched hat dieses selbst feyerlich versichert.

Er hatte in 30

den bisherigen Ausgaben so vieles weggenommen, hinzu gesetzt und ver­

ändert, und doch wüste er selbst nicht, woran es doch liegen müßte, daß

sie noch nicht für vollkommen erkannt werden wollte.

Endlich besann er

sich, daß es in derselben noch an Anweisungen zu Sechstinnen, Ringel­ reimen, Madrigalen, und andern dergleichen poetischen Marcipanen, fehlte. 35 Diesen Mangel nun hat er in dieser neuen Ausgabe sorgfältig ersetzt,

470

D«s Neueste aus dem Reiche des Witzes. Monat Verembrr 1751.

und dadurch alles geleistet, was man noch von einer Gottschedischen Ich bin rc.

Dichtkunst verlangen konnte.

S.

P.

*

*

Eine Fabel des la Molke.

Das Ebenbild. 5

*

Die Welt ist voll falscher Beurtheiler.

Man zeige ihnen ein gutes

Stück: ihre unwissende Kühnheit schreibt es, kraft ihres Ansehens, einem

Stümper zu.

Sie finden darinne weder Geschmack, noch Stärke, noch

Es misfällt ihnen bald hier, bald dort etwas.

Richtigkeit.

Sie schimpfen

und verdammen alles im Namen der neun Musen.

Ach! meine Herren,

10 das thut der Stolz, und nicht der feine Geschmack.

Nur eure Unwissen­

heit, ihr sogenannten Kenner, ist Schuld daran.

Ein gewisser Mensch wollte sich malen lassen.

mal in seinem Leben gemalet seyn. daß sie Ebenbilder liebt.

15 auch zu vervielfältigen.

Ein jeder will ein­

Es ist der Eigenliebe eigenthümlich,

Diese Kunst, welche uns abmalet, scheinet uns Das ist nicht unsere einzige Thorheit.

Als das

Ebenbild fertig war, wollte unser Mann das Urtheil seiner Freunde,

in der Malerey erfahrner Leute, darüber vernehmen.

Betrachtet es, sagte

er, und seht, ob ich getroffen bin, und ob es meine Gestalt ist.

Gut,

sagte der eine, man hat Euch schwarz gemalt, und Ihr seyd doch weiß. 20 Der andere sprach: Was für ein verdrehtes Maul!

Die Nase steht nicht

am rechten Orte, setzte ein dritter hinzu.

Ich möchte wohl wissen, ob

Ihr solche kleine und finstre Augen habt?

Und wozu dienen denn diese

Schatten?

Kurz, Ihr seyd es nicht, es muß ganz anders gemalet werden.

Der Maler schreyt vergebens dawider; umsonst ärgert er sich.

Auf diesen

25 Rathschluß muß er wieder anfangen zu malen. Er arbeitet und verbessert, es gelingt nach seinen genommenen Maaßregeln, und er wollte dieses-

mal sein ganzes Vermögen drauf setzen, daß es vollkommen getroffen wäre. Die Kenner werden wieder zusammen beruffen, und sie verdammen

noch einmal das ganze Stück.

Das Gesicht, heißt es, ist zu lang, die

30 Backen sind eingefallen, die Haut ist runzlicht, Ihr seyd schmutzig und wie ein Mann von sechzig Jahren gemalt; und, ohne Schmeicheley, Ihr

seyd jung und schön.

mal machen.

Nun gut, sagte der Maler, ich muß es noch ein­

Ich verspreche es euch recht zu machen, oder ich will meinen

Pinsel darüber verbrennen.

Als die Kenner weg waren, sagte der Maler

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes. Monat December 1751.

471

zu dem, der sich malen ließ: Wenn ich Eure Freunde bey ihrem rechten Namen nennen darf, so sage ich Euch, daß sie privilegirte Unwissende

sind; und wenn Ihr erlauben wollt,' so will ich sie morgen ertappen. Ich will eben so ein Bild, aber ohne Kopf, malen, und an dessen Stelle

Laßt sie morgen wieder kommen; es

sollt Ihr Euren Kopf Hinhalten.

soll alles fertig seyn.

5

Ich bin es zufrieden, antwortete jener. Lebt wohl,

Der Schwarm dieser Kunstverständigen versammlete sich

bis auf morgen.

den Tag darauf wieder.

Der Maler zeigte ihnen das Bild ein wenig

von ferne, und sagte: Nun, gefällt euch dieses besser? Was dünkt euch?

Wenigstens habe ich den Kopf von neuem mit großem Fleiße gemalet. 10 Warum laßt Ihr uns wieder ruffen? sagten diese.

Warum zeigt Ihr

uns diesen unausgearbeiteten Entwurf noch einmal?

Wenn wir es auf­

richtig sagen sollen, er ist es ganz und gar nicht; Ihr habt es noch

schlimmer gemacht.

Ihr irret euch, meine Herren, sprach der Kopf; ich

bin es selbst.

15

Bey den itzigen Lustbarkeiten, an welchen das Theater den meisten

Theil nimmt, wird es nicht unrecht seyn, dem Leser einige theatralische

Anekdoten aus Paris zu erzählen. Pechantre hatte in einem Wirthshause auf dem Tische einen Zettel

liegen lassen, auf welchem einige Ziffern und über denselben die Worte 20

stunden: Hier soll der König ermordet werden.

Der Wirth,

welcher sich schon über die Mienen und über die Zerstreuung dieses Poeten Gedanken gemacht hatte, hielt es für seine Schuldigkeit, diesen Zettel zu dem Quartiercommissar zu tragen, welcher ihm sagte, er solle, wenn der Unbekannte wieder zu ihm zu Tische käme, ihm ja davon Nachricht geben. 25

Pechantre kam wirklich einige Tage darauf wieder, und kaum hatte er angefangen zu essen, so sah er sich mit einer Menge Häscher umgeben.

Der Kommissar zeigte ihm sein Pappier, um ihn von seinem Verbrechen

zu überführen.

Ach! mein Herr, sagte der Poet, wie froh bin ich, daß

ich meinen Zettel wieder habe!

Ich suche ihn schon etliche Tage.

Das 30

ist der Auftritt, in welchen ich den Tod des Nero in einem Trauerspiele,

an welchem ich arbeite, bringen will.

Der Commissar schickte seine Häscher

wieder nach Hause, und einige Zeit darauf ließ Pechantre sein Trauer­ spiel aufführen. Der Comödiant Montsleury griff sich einmal so an, da er in der 35

472

Das Neueste aus dem Reiche des Wihes. IVvnal Drrrmbrr 1751.

Andromacha die Wut des Orestes vorstellte, daß er krank ward und starb.

So hatte auch die Mariamne des Tristan dem Mondory den Tod ver­

ursachet. Daher pflegte man zu sagen, daß künftig kein Poet mehr seyn würde, welcher nicht würde die Ehre haben wollen, in seinem Leben 5 einen Comödianten ums Leben zu bringen.

Timokrates, das Trauerspiel des Thomas Corneille, ward 80 mal

hintereinander vor einer großen Menge Zuschauer aufgeführet, welche es beständig wieder gespielet haben wollten. Die Comödianten wurden müde,

es zu spielen.

Einer von ihnen trat einmal forn vor auf dem Theater

10 und sagte: Meine Herren, Sie werden nicht müde,

sehen: wir aber sind müde, ihn zu spielen.

unsere andern'Stücke vergessen.

den Timokrates zu

Wir befürchten, wir werden

Lassen Sie ihn uns doch nicht mehr

spielen! Hierauf ward er nicht mehr wiederholet, und auch niemals wie­

der gespielet.

La Fontaine war bey der ersten Vorstellung seiner Oper Asträa

15

in einer Loge hinter einigen Damen, welche ihn nicht kannten.

Fast bey

allen Stellen schrie er: Das ist abscheulich! Die Damen wurden müde, immer einerley zu hören, und sagten zu ihm: Mein Herr, das ist nicht

so schlecht.

Der Verfasser ist ein witziger Kopf.

20 la Fontaine.

Es ist der Herr de

Ach! meine Damen, versetzte er, ohne sich was merken zu

lassen, das Stück taugt nichts. Dieser la Fontaine ist ein dummer Kerl.

Ich bin es. Als Racine den Brunet sagen hörte: Meine Herren, das ist das

Theater des Herrn Dancourt, erwiederte er: Sage vielmehr, sein Schaffot, 25 sage vielmehr sein Schaffot!

Der Comödiant Chamesle starb, als er au§ dem Kloster der Cordeliers kam, wo er zwey Seelenmessen, eine für seine Mutter und eine

für seine Frau, hatte lesen lassen.

Für diese zwey Messen gab er dem

Küster 30 Sols, welcher ihm 10 wiedergeben wollte. 30 sagte zu ihm:

Chamesle aber

Die dritte soll für mich, ich will sie eben hören gehen.

Als er aus der Kirche ging, setzte er sich auf eine Bank bey der Thür der Allianz, welches ein Wirthshaus neben dem Comödienhause ist, wo

er ein wenig mit seinen Cameraden plauderte. sagte: 35

Als er zu dem einen

Wir wollen heute zu Mittage mit einander essen, starb er. In der Fastenzeit 1721 ward das Trauerspiel des de la Mothe,

die Maccabäer, aufgeführet.

Bey der Vorstellung desselben war dieses

Das Neueste aus dem Reiche des Wrtzrs. Monat December 1751.

473

etwas besonders, daß der alte Baron die Rolle eines Kindes, in der Kappe und in herabhangenden Kinderärmeln, vollkommen gut spielte, ob er gleich damals 70 Jahr alt war.

Der Gebrauch, allezeit ein Nachspiel nach den neuen Stücken auf­

zuführen, ist erst 1722 aufgekommen.

Man spielte vor dieser Zeit die

5

neuen Comödien allein, und begleitete sie erst, wenn sie 8 bis 10 mal

waren vorgestellet worden, mit Nachspielen.

Man glaubte alsdenn, daß

das Stück anfinge, weniger zu gefallen. Diesen zuweilen ungegründeten Vorurtheilen zuvorzukommen, ließ der Herr de la Mothe gleich bey der

ersten Vorstellung seines Trauerspiels, Romulus, ein Nachspiel aufführen. 10

Diesem Exempel haben hernach andere Comödienschreiber gefolgt, und

sie wünschten alle, daß dieser Gebrauch möchte eingeführet werden: aber niemand wollte den Anfang machen, aus Furcht, es möchte den Zu­ schauern gleich bey der ersten Vorstellung ihrer Stücke ein übler Be­

griff von denselben gemacht werden. Bis hieher die Anekdoten.

15

Wir wollen denselben noch eine kurze

Nachricht von dem Ursprünge des Französischen Theaters beyfügen. Nichts ist ungewisser, als der Ursprung der Französischen Schau­

spiele und theatralischen Stücke, und man kann fast nicht anders, als

muthmaßlich, davon reden.

Man findet keine Spur davon in der ersten 20

und zweyten Linie der Könige von Frankreich.

Man weis nur, daß

unter der dritten Linie derselben Constantia aus der Provence, Roberts

Gemalin, Gaukler und Pantomimen nach Paris kommen ließ. Hier muß man also die Epoche der ersten Parisischen Comödianten bestimmen, und

doch kan man noch nichts zuverläßiges davon sagen.

Man bekömmt 25

hierinnen eher kein kläreres Licht, als unter der Regierung Carls V.

oder zu Anfang der Regierung Carls VI. Frankreich hat den Ursprung seiner-dramatischen Gedichte der An­ dacht der Herren Paters zu danken. Der größte Nutzen, welchen sie viel­

leicht in der Welt gestiftet haben. Wenn man den meisten Schriftstellern, 30 welche hiervon Nachricht gegeben haben, glauben soll, so erwählten sie

dazu die Geheimnisse ihrer Religion, die Jungfrau Maria und die Hei­ ligen, und machten daraus den Gegenstand des Vergnügens und der Er­ bauung des Volks.

-Man weis, daß unteiffchiedene Bürger in Paris, aus einer Art von 35 Andacht, unter einander eine Gesellschaft zu Erbauung eines Theaters

474

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes. Monat Derrmbrr 1751.

errichteten, um auf demselben Stücke von andächtigem Inhalte und be­

sonders das Geheimniß des Leidens Christi, vorzustellen. hierzu die Vorstadt St. Maur diesseits Vincennes.

Sie wählten

Daselbst errichteten

sie ein Theater und stellten auf demselben das Leiden Christi vor.

Sie

5 mußten anfangs einige Widersprüche von dem Prevot der Kaufleute er­ dulden: als sie aber vor dem Könige einige Stück, welche ihm gefielen, vorgestellet hatten, so ertheilte er ihnen im Jahr 1402 in einem Patent

die Freyheit, sich ordentlich zu setzen.

Diese Bürger, welche sich Brüder

des Leidens Christi nennten, errichteten ihr Theater auf dem Saal des

10 Hospitals der Dreyeinigkeit, in der Straße St. Denis, worauf sie ver­ schiedene Geheimnisse des alten und neuen Testaments und einige aus

dem Leben der Heiligen vorstellten.

Dieses erste Theater behielt fast 150 Jahr eben dieselbe Einrich­ tung. Aber man ward endlich diese allzu ernsthaften Schauspiele über-

15 drüßig.

Auf die Geheimnisse folgten moralische Handlungen,

auf die

moralischen Handlungen lustige Stücke, auf die lustigen Stücke Narren­

possen, oder vielmehr man machte aus allem diesem halb ernsthafte, halb possierliche Stücke, an welchen sich das Publicum ärgerte.

Man nahm

ihnen ihr Theater, und das Haus zur Dreyeinigkeit ward wieder ein

20 Hospital, welches es bey seiner Anlegung hatte seyn sollen. Im Jahr 1548 verließ diese Gesellschaft diesen Ort, und da sie sich viel verdienet hatte, so kaufte sie den alten Pallast der Herzoge von Bourgogne, welcher nur noch in einem Mauerwerk bestund.

Sie ließ

daselbst einen Saal, ein Theater und die andern Gebäude bauen, welche

25 man noch itzo sieht! Das Parlament erlaubte ihr, sich daselbst zu setzen, doch mit der Bedingung, daß sie lauter weltliche, erlaubte und ehrbare

Stück spielen sollte.

Die Brüder des Leidens Christi, welche Profession von der Gott­ seligkeit machten, konnten sich lange Zeit nicht zu weltlichen Stücken be­

30 quemen und 40 Jahre hernach, nämlich 1588, überließen sie ihr Theater zur Miethe einem Trupp Französischer Comödianten, welcher sich damals mit Erlaubniß des Königs zusammen that. Die Stücke, welche man da­

mals spielte, waren schon ein wenig erträglicher, als die Stücke der Brüder des Leidens Christi.

Der Geschmack ward allmählich mehr aus­

35 gebreitet und gereiniget. Die unter Ludwig XI. erfuudene Buchdrucker­ kunst, und die unter Franciscus I. wieder hergestellten Wissenschaften

Das Neueste aus dem Reiche des Witzes. Monat December 1751.

475

hatten eine neue Laufbahn eröffnet. Die Bücher waren gemein geworden,

man hatte Sprachen gelernet, man übersetzte die Lust- und Trauerspiele

der Alten; man wagte es so gar, aus diesen Schauspielen neue Fran­

Etienne Jodelle von Paris ist der erste unter den

zösische zu machen.

Französischen Poeten, welcher Schauspiele in Französischer Sprache ver-

5

fertiget hat. Die Neuigkeit dieser Schauspiele machte den meisten Ruhm

Von dem Jodelle bis zu dem Robert Garnier war

dieses Poeten aus.

der Fortgang der dramatischen Werke in Frankreich nicht sehr merklich. Dieser letzter? war aus la Ferte Bernard in Maine gebürtig.

dete seinen Geschmack nach den Trauerspielen des Seneca. sich, diesen Dichter nachzuahmen, und es gelang ihm völlig.

Er bil­

Er bemühte 10 Von seiner

Zeit an bis zum Alexander Hardy erlangte die dramatische Poesie eine

neue Vollkommenheit.

Dieser lebte zu Anfänge des 17. Jahrhunderts

und war aus Paris gebürtig.

Vor dem Corneille hielt man ihn für

den berühmtesten theatralischen Schriftsteller. überaus leicht, gemacht,

und

als er.

Seine Arbeit ward ihm 15

kein Poet hat eine so große Menge Trauerspiele

Er lieferte den Comödianten jährlich auf 6 Trauer­

spiele: aber seine Verse sind rauh und seine Ausarbeitungen finster und ernsthaft.

Von dem Hardy an bis zu dem Corneille ist die Veränderung

des Französischen Theaters merklicher: aber Corneille und Mokiere haben 20

es zu derjenigen Größe erhoben, welche Racine und Regnard unterstützet

haben, und welche noch itzo durch die Werke der Herren Crebillon, Vol­

taire, des Touches, la Chaussee und Boissy fortdauert.