Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters. Teil I, Band 3: IV. Die Geschöpfe: Engel, Teufel, Menschen [1 ed.] 9783737005814, 9783847105817


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German Pages [624] Year 2016

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Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters. Teil I, Band 3: IV. Die Geschöpfe: Engel, Teufel, Menschen [1 ed.]
 9783737005814, 9783847105817

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Orbis mediaevalis Vorstellungswelten des Mittelalters

Band 16

Herausgegeben von Amalie Fößel, Hans-Werner Goetz, Ludger Körntgen und Helmut G. Walther

Hans-Werner Goetz: Gott und die Welt Bereits erschienene Teilbände im Akademie Verlag: Orbis mediaevalis, Band 13.1 Goetz, Hans-Werner Gott und die Welt Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters Teil I, Band 1: [I.] Das Gottesbild Orbis mediaevalis, Band 13.2 Goetz, Hans-Werner Gott und die Welt Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters Teil I, Band 2: II. Die materielle Schöpfung. Kosmos und Welt. III. Die Welt als Heilsgeschehen Der vorliegende Band 16 der Reihe »Orbis mediaevalis« entspräche dem Band 13.3, Teil I, Band 3 in der vom Akademie Verlag begonnenen Zählung.

Hans-Werner Goetz

Gott und die Welt Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters Teil I, Band 3 IV. Die Geschöpfe: Engel, Teufel, Menschen

Mit 59 Abbildungen

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 1438-8669 ISBN 978-3-7370-0581-4 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de

 2016, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild (Erkennungsbild der Reihe »Orbis mediaevalis«): Petrus de Ebulo: Liber ad honorem Augusti, Burgerbibliothek Bern, Cod. 120.II, f. 146r (Ausschnitt)

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Nachwort zum Vorwort: ›Retractationes‹ oder Antwort auf einzelne Kritikpunkte zu den ersten beiden Teilbänden von »Gott und die Welt« .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt . . . . . . . . 1. Forschungsstand und Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ein erster Zugang: Die Engellehre Isidors von Sevilla . . . . . . . 3. Schöpfung und Stellenwert der Engel . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Engel als Himmelsbewohner . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Natur der Engel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Engeln und Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gestalt und Sprache der Engel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Unterschiede in Rang und Funktion: die neun »Engelchöre« . . . 9. Funktionen der Engel im Himmel: Gotteslob und Gottesdienst . . 10. Funktionen der Engel auf Erden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Boten- und Mittlerdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Das sonstige Wirken der Engel: Schutz, Hilfe und Seelengeleit 11. Die Engelerscheinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Fazit: Die Bedeutung der Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung, Tradition und Forschungsstand . . . 2. Begrifflichkeit und Etymologie: Isidor von Sevilla 3. Ursprung, Fall und Wohnstätte des Teufels . . . .

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Inhalt

Die Dämonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Natur des Teufels (und seiner Dämonen) . . . . . . . . . . . . Die Gestalt des Teufels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Wirken des Teufels 1: Versuchung und Sünde . . . . . . . . . . a. Die Prinzipien und die Vielfalt des Wirkens . . . . . . . . . . . b. Versuchung und Verführung zum Bösen . . . . . . . . . . . . . c. Die Versuchungen nach Isidor von Sevilla . . . . . . . . . . . . d. Verführung zum Laster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Ständiger Kampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f. Konkretisierungen teuflischen Handelns . . . . . . . . . . . . . g. Teufelsbegegnungen, Zwiegespräche, Verkehr mit dem Teufel . . 8. Gegenwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Das Wirken des Teufels und Gegenwehr 2: Der Teufel im Menschen – Besessenheit und Exorzismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Heilsgeschichtliches Wirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Die Andersgläubigen als Glieder des Teufels . . . . . . . . . . . . . 12. Funktionalisierung des Teufels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Fazit: Ubique diabolus – Die Realität des allgegenwärtigen Teufels im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 5. 6. 7.

Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt . . 1. Einführung und Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Mensch als Geschöpf und seine Bestimmung . . . . . . . a. Der geschaffene Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Die Bestimmung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . c. Die aus der Bestimmung erwachsenden Eigenschaften des Menschen: die Gottebenbildlichkeit und ihre Inhalte . . . d. Die Unterschiede zwischen Schöpfer und Geschöpf . . . . 3. Die Natur des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Begriff und Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Humanitas: Sterblichkeit und Vernunft . . . . . . . . . . . c. Lebensalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Mensch in der »Mitte« der Kreaturen – Vernunft als Unterschied zum Tier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Körper und Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. anima – animal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Zusammenwirken von Gegensätzen . . . . . . . . . . . . . c. Die Seele als Herrin des Körpers . . . . . . . . . . . . . . . d. Abwertung des Körpers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Aufwertung des Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

212 220 229 243 243 249 255 260 262 264 269 283 290 307 324 334 339 349

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7

Inhalt

6. Der Mensch als Mikrokosmos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Widerspiegelung des Kosmos: ›elementare‹ Strukturen . . . . . b. Säftelehre und Zeitverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. ›Physik‹ des Körpers bei Isidor von Sevilla und Wilhelm von Conches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Religiös-kosmologische Ausdeutung des Körpers bei Wilhelm von Saint-Thierry und Hildegard von Bingen . . . . . . . . . . . 7. Der Mensch als »Individuum« oder »Person« und als Glied der Gesellschaft: Das »Individuum« als »Typus« . . . . . . . . . . . . . 8. Der Mensch als Sünder und als Lügner . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Der »doppelte« Mensch 1 (theologisch): erster und zweiter, innerer und äußerer, alter und neuer, irdischer und himmlicher Mensch, Adam und Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Der doppelte Mensch 2 (biologisch): Mann und Frau im religiös-theologischen Geschlechterbild – Geschlechterdifferenz und Geschlechtergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Das Bild der »Anderen«: Menschen(un)ähnliche Wesen am Rande der Menschheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Fazit: ein ambivalentes Menschenbild zwischen Auserwähltheit und Sündigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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498

502 524 532 535

Rückblick: Die Vorstellungen von Gottes Geschöpfen im Rahmen des mittelalterlichen Weltbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

545

Verzeichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . 2. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . 3. Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . 4. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . Allgemeines (und Einleitung) . . . . . . Übergreifend zu den einzelnen Kapiteln Engel (Kapitel 1) . . . . . . . . . . . . . Teufel (Kapitel 2) . . . . . . . . . . . . . Menschen (Kapitel 3) . . . . . . . . . .

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Autorenregister (einschließlich anonymer und Bildquellen) . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

»Gott und die Welt« würden ohne die Bewohner des mundus wohl recht einsam bleiben. Es muß dringend ein dritter Teilband her, dessen Bearbeitungszeit wegen zwischenzeitlicher anderer Projekte nun leider etwas länger gewährt hat als ursprünglich erhofft. Wie in den beiden vorangegangenen, insgesamt begrüßten und überwiegend positiv aufgenommenen Bänden versteht sich das Ergebnis erneut bei weitem noch nicht als ein erschöpfender Überblick über das Thema, sondern als ein Diskussionsangebot über einen immerhin wieder auf breiter Materialgrundlage dargestellten Komplex, der zahlreiche, im Mittelalter selbst als wichtig erachtete Aspekte zu berücksichtigen sucht. Denn darum geht es mir erneut, nicht um eine theologische oder philosophische Diskussion des Problems. Erstere fällt bei Engeln und Teufeln in der jüngeren Theologie ohnehin bei weitem schwächer aus als beim Gottesbild mitsamt der Christologie und der Trinitätslehre, die entscheidende Aspekte des Christentums bleiben (müssen), während Engel und Dämonen heute theologisch zumeist kaum mehr als zeitgemäß begriffen werden. Gegenstand dieses Bandes sind demgegenüber wieder die abendländisch-mittelalterlichen Vorstellungen breiterer (gebildeter) Schichten, in denen Engeln und Teufeln eine durchaus zentrale Rolle zufällt. Das Thema erfaßt somit wesentliche Aspekte religiöser Vorstellungen im christlichen Mittelalter. Wieder habe ich mehrfachen Dank auszusprechen, auch wenn die Liste der an dem Buch beteiligten Hilfskräfte bei einem Emeritus zwangsläufig erheblich kürzer ausfällt als bei den Vorläuferbänden (gewiß auch das ein Grund für die längere Bearbeitungszeit). Schon vor Jahren waren bei der elektronischen Suche nach repräsentativen Belegen für Engel und Teufel aber vor allem die damaligen Studentischen Hilfskräfte Johanne Hoffmann, Justus Ledig und Anika Reineke beteiligt, denen ich dafür nachträglich noch einmal herzlich danke. Natalia Bade und Maximilian Zilken danke ich für ihre Hilfe bei der Literaturbeschaffung, der Erstellung von Scans und mancherlei angefallenen Arbeiten, Maximilian Zilken und Mats Homann waren bei der Registererstellung und beim Korrekturlesen behilflich. Mein besonderer Dank gilt Julia Reymers, die sämtliche Literaturzi-

10

Vorwort

tate überprüft, das Quellen- und Literaturverzeichnis erstellt und die Abdruckgenehmigungen der Abbildungen eingeholt hat. Der Band erscheint in derselben Reihe wie die beiden Vorgängerbände, wenngleich in anderem Gewand und in einem anderen Verlag. Ich danke der Geschäftsführerin von V& R unipress, Susanne Franzkeit, für die Übernahme der Reihe und dieses Bandes in ihr Verlagsprogramm und für die uns entgegenkommende Behandlung und stets zuvorkommende Beratung sowie ihren Mitarbeiterinnen Susanne Köhler und Laura Haase für die intensive Betreuung und die sorgfältige Einrichtung des Manuskripts im Verlag. Dieser Band konnte nicht mehr wie die Vorgängerbände von dem Lektor Manfred Karras betreut werden, dem ich an dieser Stelle aber auch noch einmal für eine jahrelange, zuverlässige und reibungslose Zusammenarbeit danken möchte. Den Mitherausgebern bin ich für die gründliche Lektüre und manchen wichtigen Hinweis sehr dankbar. Mit dem abendländisch-christlichen Gottesbild, dem Weltbild und den Vorstellungen von den Geschöpfen ist das mit »Gott und die Welt« überschriebene Forschungsprogramm zwar längst nicht erschöpfend, aber doch einigermaßen hinreichend abgehandelt, ist vor allem aber die Thematik des ursprünglich einbändig geplanten, im Laufe der Bearbeitung dann auf drei Teilbände angewachsenen »ersten Bandes« der Serie erfüllt. Als zweiter Band war seinerzeit eine Analyse der ›internen‹ Ausprägungen solcher Vorstellungen auf zentrale Einzelaspekte mittelalterlicher Religiosität, die Vorstellungen etwa von Glaube und Unglaube, Sünde und Buße, Todes- und Jenseitsvorstellungen, Heiligen- und Wunderglaube, in Aussicht genommen. Darüber ist jeweils bereits viel, und nun auch von geschichtswissenschaftlicher Seite her, geschrieben worden, doch nur selten oder am Rande hat man dabei (wie hier) unmittelbar nach dem mittelalterlichen Selbstverständnis gefragt, so daß die vorstellungsgeschichtliche Perspektive doch wieder neue und andere Aspekte anbieten würde. Ganz unbeschadet der völligen Ungewissheit des Menschen über seine noch verbleibende Arbeitskraft und Lebenszeit habe ich durchaus vor, diesen Plan noch einzulösen. Da mir im Gegensatz zu den bisherigen Bänden bei der Materialsuche, Literatur- und Quellenbeschaffung und Überprüfung der Belege jedoch keine Mitarbeiter und Hilfskräfte mehr zur Verfügung stehen, noch mancherlei andere Aufgaben und Pläne anstehen und ich nach über 40jährigem Totalengagement für Forschung und Wissenschaft, Lehre und universitäre Selbstverwaltung vielleicht auch noch den ein oder anderen lebenswerten Aspekt menschlichen Lebens erkunden möchte, wird das wahrscheinlich nur langsam vorangehen. »Gott und die Welt« selbst sind von ihrer Natur wie auch von dieser sprachlichen Wendung her trotz aller Vulnerabilität ohnehin ohne jedes Ende.

Vorwort

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Formale Hinweise: Literaturtitel sind in den Fußnoten nur bei der ersten Nennung vollständig und fortan mit Kurztiteln ohne Querverweise zitiert, im Literaturverzeichnis aber jeweils leicht aufzufinden. Die benutzten Quelleneditionen sind überhaupt nur im Quellenverzeichnis vollständig aufgeführt. Quellenzitate folgen im Prinzip und im Wortlaut der dort angegebenen Edition, sind orthographisch aber wegen der sehr unterschiedlichen, auch nationalen Gepflogenheiten vereinheitlicht und unserer Sprache angepaßt. So ist beispielsweise das »j« bei Migne durchweg durch ein im Lateinischen allein übliches »i« ersetzt, Namen und Satzanfänge beginnen mit einem Großbuchstaben. Ebenso ist die in den Editionen völlig uneinheitliche (ohnehin moderne) Kommasetzung deutschen Gepflogenheiten angepaßt. Die Übersetzungen ins Deutsche sind in der Regel selbst erstellt, stützen sich aber, soweit vorhanden, mehrfach auch auf angegebene oder gängige Vorlagen (wie die Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe), sind jedoch durchweg überprüft und oft (stillschweigend) abgeändert. Wie die Vorgängerbände ist auch dieser Band – soll ich sagen: noch oder wieder? – in bewährter, gewachsener und nicht in künstlich befohlener Rechtschreibung verfaßt. Erschien das im vorigen Band noch als eine Art Rebellion, so geben inzwischen selbst an der sogenannten Rechtschreibreform Beteiligte deren Unsinnigkeit zu.

Nachwort zum Vorwort: ›Retractationes‹ oder Antwort auf einzelne Kritikpunkte zu den ersten beiden Teilbänden von »Gott und die Welt«

Trotz einzelner kritischer Stimmen und selbstredend spezieller Kritikpunkte sind die beiden ersten Teilbände erfreulicherweise gut aufgenommen und oft ausdrücklich begrüßt worden.1 Ein Bedarf für ein solches Werk mit der Ausrichtung auf mittelalterliche Vorstellungswelten hat offensichtlich vorgelegen, auch wenn ich bei der Abgrenzung zu Studien zur Religiosität ineinandergreifende Phänomene wie Vorstellungen, Frömmigkeit und Praxis dabei vielleicht zu scharf getrennt habe, wie Dorothea Weltecke anmerkt, die, gewiß zu Recht, noch eine ganze Reihe offener Fragen sieht. Es würde mich freuen, wenn meine Studie, die (wenn überhaupt vereinbar) sich sowohl als Forschungsergebnis, als Überblick und als Diskussionsanreiz versteht, hier entsprechende Impulse initiieren kann. Nicht alle Rezensenten haben Anliegen und Anlage des Werkes allerdings so klar erkannt wie Thomas Vogtherr, der ausdrücklich betont, daß die Studie an den eingangs dargelegten methodischen Ansätzen zur Vorstellungsgeschichte zu messen ist. Wer das übersieht oder mißversteht, wird sich in seinen Erwartungen zwangsläufig enttäuscht fühlen. Es war selbstverständlich auch nicht meine 1 Zum ersten Teilband über das Gottesbild sind mir folgende Rezensionen bekannt geworden: B. Gebert, in: Theologie und Philosophie 87/4, 2012, S. 600–604; Thomas Vogtherr, in: Das Mittelalter 17, 2012/2, S. 156f.; Volker Leppin, in: ZKG 123/1, 2012, S. 128f.; Klaus Krönert, in: Francia-Online 2012/4 (www.perspectivia.net/content/publikationen/francia/francia-recen sio/2013-4/mittelalter-moyen-age-500-1500/gott-und-die-welt); Martin Lätzel, in: Das Historisch-politische Buch 60/4, 2012, S. 429f.; Klaus Unterburger, in: Theologische Revue 108/ 4, 2012, S. 300f.; Hans Hubert Anton, in: RHE 108/1, 2013, S. 389–393; Matthias M. Tischler, in: MIÖG 121/1, 2013, S. 165–167; Herbert Schneider, in: DA 69, 2013, S. 423; Arno Zahlauer, in: Christ in der Gegenwart 67, 2015 (22. November). Zum zweiten Teilband: Klaus Krönert, in: Francia-Recensio 2013/4 (www.perspectivia.net/content/publikationen/francia/franciarecensio/2013-4/mittelalter-moyen-age-500-1500/gott-und-die-welt); Volker Leppin, in: ZKG 125/3, 2014, S. 396–398; Matthias M. Tischler, in: MIÖG 123, 2015, S. 1765–1768; Thomas Vogtherr, in: Das Mittelalter 20/1, 2015, S. 195–197. Sammelbesprechungen zu beiden Teilbänden: Dorothee Weltecke, in: Sehepunkte 14, 2014, Nr. 5 (www.sehepunkte.de/2014/05/ 22816.html); Miriam Czock, in: H-Soz-u-Kult 2014 (www.hsozkult.geschicht.hu-berlin.de/ rezensionen/2014-1-175).

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Nachwort zum Vorwort: ›Retractationes‹

Absicht, die Geschichtswissenschaft zum alleinigen Ort solcher Studien zu erklären und Theologie und Religionswissenschaft entsprechende Fähigkeiten abzusprechen (so B. Gebert) – wie könnte man das bei diesem Thema? –, sondern den vorstellungsgeschichtlichen Ansatz von deren engeren Anliegen abzugrenzen (und wo hätten Theologie oder Religionswissenschaft denn je eine der meinigen im methodischen Ansatz vergleichbare Studie über das mittelalterliche Gottesbild hervorgebracht?). Daß es, zumal hinsichtlich der Lehre einzelner Autoren, enge Berührungspunkte gibt, versteht sich von selbst (und sie sind ja auch kenntlich gemacht). Wenn hier allerdings noch mehr erwartet und die Einbeziehung des jüdischen und muslimischen Gottesbildes vermißt wird, so gestehe ich gern ein, daß ich, ohnehin schon an die Grenzen geschichtswissenschaftlicher Kompetenzen gelangt, diese nicht noch ausschließlich dilettierend überschreiten möchte. Es sei aber herzlich dazu eingeladen, von berufener Seite vergleichbare Gottesbildstudien zu Judentum und Islam im früheren Mittelalter vorzulegen und mit meinen Ergebnissen zum christlichen Mittelalter zu vergleichen. Das Gleiche gilt natürlich auch schon für die interessante Frage nach Veränderungen im christlich-spätmittelalterlichen, universitären Milieu (V. Leppin). Vorstellungsgeschichtlich müßte aber auch hier wieder das Gottesbild breiterer Kreise (und nicht nur der großen Denker) untersucht werden. Anders gelagert ist der Einwand, das christliche Gottesbild sei von Anfang an in Auseinandersetzung mit Judentum und (später) Islam entwickelt worden – wobei ich letzteres für den von mir behandelten Zeitraum, jedenfalls in größerem Rahmen, eher bestreiten möchte – und daher stärker zu berücksichtigen gewesen (M. Tischler), die mittelalterlichen Lehren hätten nicht erst mit Augustin, sondern schon mit den – bei mir allenfalls sporadisch auftretenden – frühen Kirchenvätern begonnen (H.H. Anton), und auch der biblischen Bildungstradition sei zu wenig Beachtung geschenkt worden (V. Leppin). Das alles ist zweifellos richtig und die Bedeutung solcher Perspektiven nicht zu bestreiten. Zum ersten Einwand wäre noch zu ergänzen, daß das Gottesbild sich bei den Kirchenvätern noch weit mehr in Auseinandersetzung mit christlichen Häresien als mit dem Judentum entwickelt hat. Alle diese Traditionen aufzuarbeiten, war allerdings nicht die Absicht meiner vorstellungsgeschichtlichen Studie, um so weniger, als die Entstehung einzelner Elemente des Gottesbildes den mittelalterlichen Autoren zumeist gar nicht mehr bewußt gewesen ist. Deshalb trifft auch der parallele – und durchaus berechtigte – Vorwurf, ich hätte nicht überall die Herkunft der Zitate erkannt oder kenntlich gemacht (H.H. Anton), nur bedingt: So interessant und wichtig es auch ist, solchen Traditionen nachzuspüren – und vielfach habe ich mich ja auch darum bemüht –, an den Ergebnissen meiner Fragestellung nach den mittelalterlichen Vorstellungen würde solche Kenntnis nicht viel ändern, weil der zitierte Text von den mittelalterlichen Autoren ja jeweils bewußt aufgegriffen und damit als auch für sie und ihre Zeit

Nachwort zum Vorwort: ›Retractationes‹

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gültig anerkannt wird: Sie sind somit zu einem unbezweifelten Teil mittelalterlicher Vorstellungen geworden. Der Nachweis der Herkunft der Zitate oder auch nur der Inhalte ist zudem dort, wo der mittelalterliche Autor sie nicht selbst verkündet, eine Betrachtung »von außen« und fragt nicht mehr »vorstellungsgeschichtlich« nach dem »inneren« Selbstverständnis mittelalterlicher Autoren, kann als Zusatzinformation allerdings in manchen Fällen für die Deutung aufschlußreich werden. Die Analyse der ausgiebigen Nutzung der Bibel schließlich, die jedem Mediävisten bewußt, die aber wohl nicht zufällig bislang dennoch nie in großem Stil aufgearbeitet worden ist, wäre tatsächlich ein wichtiges Großprojekt für sich.2 Die Vielfalt der herangezogenen Quellen(arten) ist, gemäß der Absicht des Werkes in diesem Fall sicherlich zu Recht, mehrfach positiv gewürdigt worden. Daß ich darüber hinaus nicht noch andere ›Quellenarten‹ wie Himmelsbriefe, Weihelegenden oder Eucharastiemirakel herangezogen habe (M. Tischler) – für letztere finden sich aber zumindest zwei Beispiele –, sei gern eingestanden. Soweit ich das überblicke, würden sie die vorgetragenen Beobachtungen und damit deren weite Verbreitung allerdings nur bestätigen. Klärungsbedarf scheint schließlich bei der Frage nach Wandel und Kontinuität vorzuliegen. Anerkennend aufgegriffen wurde mehrfach, daß die wesentlichen Züge des Gottesbildes nicht erst im Hochmittelalter entstanden sind und daß schon das Frühmittelalter eine differenzierte Sicht gehabt habe (so etwa dezidiert D. Weltecke). Das macht mich froh, weil es mir ein zentrales Anliegen (auch der anderen Bände) war. Dieses Ergebnis resultiert ja nicht zuletzt daraus, daß viele Arbeiten nach wie vor von Augustin zu Thomas von Aquin springen (wie soeben wieder auch die bemerkenswerte philosophiegeschichtliche Studie von Kurt Flasch über den Teufel). Schon das Frühmittelalter war keineswegs ›monolithisch‹ (so richtig H.H. Anton). Damit relativieren sich klare Entwicklungslinien (wie die vom thronenden zum leidenden Christus oder vom Kriegergott zum »lieben Gott«), wie ich im Fazit des ersten Teilbandes betont habe. Ob ich damit anerkannten Kollegen Unrecht tue (B. Gebert), mag eine Geschmacksfrage sein. Ich hoffe, meine Einwände gegen solche Thesen genügend sachlich vorgetragen zu haben. Viel wichtiger ist etwas anderes: Differenzierte Gottesvorstellungen schon des Frühmittelalters und – jedenfalls in den wichtigen Grundzügen – gleichbleibende Vorstellungen bis zum Ende des Untersuchungszeitraums klingen wie ein Widerspruch und bedürfen der Erläuterung. Tatsächlich glaube ich nachgewiesen zu haben, daß bislang als klare Entwicklungen postulierte Glaubensvorstellungen eher als ein Nebeneinander verschiedener, durchaus gängiger (und nicht nur in Einzelfällen schon früh geäu2 Vgl. allein für einige ausgewählte Heiligenviten des frühen Mittelalters die Monographie von Dieter Von der Nahmer, Agiografia altomedievale e uso della Bibbia (Nuovo Medioevo 48), Neapel 2001.

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Nachwort zum Vorwort: ›Retractationes‹

ßerter) Perspektiven zu begreifen sind. Das belegt die Vielfalt möglicher Anschauungen und Deutungen im frühen und hohen Mittelalter, wenngleich stets innerhalb des Rahmens ›erlaubter‹ Lehren. Gewiß hätte eine Einbeziehung häretischer Lehren oder Devianzen dieses Spektrum noch erweitert und zugleich die Grenzen des ›Erlaubten‹ schärfer fassen können (D. Weltecke). Allerdings kennen wir solche Positionen im Untersuchungszeitraum (fast) nur indirekt aus katholischer Sicht, so daß ihre Einbeziehung aus vorstellungsgeschichtlicher Perspektive problematisch bleiben würde. Sachlich ebenso berechtigt ist der Einwand, ich hätte zwischen den vielen Abstufungen sogenannter arianischer Lehren3 nicht genügend differenziert und alles pauschal unter »Arianismus« zusammengefaßt (V. Leppin). Wir wissen längst, wie unzutreffend eine solche Pauschalisierung ist. Zu meiner Verteidigung (wenngleich leider nicht auch zur Verteidigung meiner mittelalterlichen Quellenautoren) kann ich dem nur entgegnen, daß die mittelalterlichen Autoren solche Differenzierungen eben nicht vorgenommen, sondern ungeniert von »der« arianischen Lehre gesprochen haben (der im Extremfall sogar der Islam zugeordnet wurde!). Zur Vielfalt frühmittelalterlicher Anschauungen zählt auch das (zwanglose) Eindringen weltlich-wissenschaftlicher Lehren in die religiöse Vorstellungswelt (wie im zweiten und auch in diesem dritten Teilband ja vollends deutlich wird). Sollte ich den Eindruck erweckt haben, jegliche Säkularisierung zu bestreiten (H.H. Anton), dann hätte ich mich falsch ausgedrückt. Eine ›Säkularisierung‹ im Sinne zwangloser Verknüpfung religiöser und weltlicher Traditionen und Anschauungen zu einheitlichen Vorstellungen ist unbestreitbar und nicht erst die Folge scholastischer Methoden. Sie gewinnt bis zum Ende des behandelten Zeitraums jedoch keinen Selbstzweck, sondern steht – bei den zugegebenermaßen fast durchweg geistlichen Autoren – im Dienst religiöser Erkenntnis, gerade auch in der sogenannten Frühscholastik. Um damit noch einmal auf die problematische Frage von Kontinuität und Wandel zurückzukommen: Mir scheint (nicht nur beim Gottesbild), daß sowohl die Anliegen als auch die Inhalte selbst weithin, allerdings mit vielen (aufgezeigten) Varianten, unverändert geblieben sind, während die Herangehens- und Betrachtungsweisen seit dem späteren 11. Jahrhunderten hier zweifellos zu differenzierteren und schärferen Sichtweisen, vor allem aber zu einer systematischeren Betrachtung geführt haben, und zwar bei monastischen Autoren4 nicht minder als bei ›scholasti3 Die Wendung »germanischer Arianismus« ist allerdings nicht meine Diktion, sondern die des Rezensenten. Daß die ursprünglich kaum zufällig im bildungsreichen, hellenistischen Osten entstandene Lehre, die dank der Mission gerade zu Zeiten häretischer römischer Kaiser auf ›germanische‹ Herrschaftsbereiche übergriff und sich hier verbreitete, ›germanischem‹ Denken entsprochen hätte, ist eine früher häufig, aber natürlich längst aufgegebene Sichtweise. 4 Eine interne zeitliche Differenzierung durch das Reformmönchtum (diese Frage wirft K.

Nachwort zum Vorwort: ›Retractationes‹

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schen‹. Der Wandel liegt meines Erachtens daher weit mehr in der – zweifellos auch durch die weltlichen Künste inspirierten – methodischen Herangehensweise als in den Inhalten der Gottes-, Welt- und Geschichtsvorstellungen. Verwunderlich ist das nicht, wollte man im mittelalterlichen Selbstverständnis dadurch doch die Erkenntnis schärfen und Gott besser und klarer erkennen. Auslöser solcher Fragen sind nicht Zweifel (an Gott), sondern Unklarheiten in der Tradition und im Wissensdrang. Das führt zu manchen Differenzierungen, aber noch nicht zu einem grundsätzlichen Wandel des Gottesbildes. Löst sich damit der scheinbare Widerspruch auf ? Das bleibt eine wichtige Frage, die natürlich nicht nur das Gottesbild, sondern alle Bereiche der Vorstellungswelt (und zwar nicht nur der religiösen) betrifft und noch umfangreicher Untersuchungen bedürfte. Wenn mir im Hinblick auf den zweiten Teilband über Schöpfung und Heilsgeschehen von theologischer Seite her eine zu strenge Unterscheidung von Theologie und Wissenschaft vorgehalten wird (V. Leppin), dann bezieht sich dieser Einwand lediglich auf eine Klärung des Untersuchungsgegenstandes in der Einleitung. Demgegenüber sei noch einmal betont, daß es mir ja gerade auf die innige Verflochtenheit religiös-theologischer und säkularwissenschaftlicher Vorstellungen angekommen ist, wie gerade aus dem Abschnitt über das Weltbild deutlich werden sollte.5 Daß (nicht nur empirische) Naturbetrachtung und religiöse Deutung ineinandergreifen, wollte ich tatsächlich aufzeigen und keineswegs »trennen, was zusammengehört«. Und wenn ich in einem Werk über religiöse Vorstellungen schreibe: »Die ganze Schöpfung ließ sich aus der Elementenlehre erklären« (S. 39), dann sollte dieser Satz natürlich Bedeutung und Verwendung der physikalischen Vorstellungen vom Aufbau der Welt als Erklärung der göttlichen Schöpfung betonen, keineswegs aber Gottes Wirken, das im ersten Teilband ja ausführlich beschrieben wird, herabsetzen. Den mittelalterlichen Autoren geht es darum, diese göttliche Schöpfung in ihrer Art zu erklären. Solche Mißverständnisse zeigen aber, wie vorsichtig man sich ausdrücken muß und wie leicht man trotz aller Bemühungen mißverstanden werden kann. Daß ich die Quellen als Steinbruch für mittelalterliche Vorstellungen benutze (M. Tischler), ist ein um so schwerwiegenderer Vorwurf, als gerade die Vorstellungsgeschichte an sich ja das Ziel hat, solche Fehler zu vermeiden. Diskurse über die behandelten Themen ergeben sich allerdings erst aus der in beiden Bänden angestrebten Breite der Schriftgattungen und Einzelbelege. Bei der Fülle herangezogener Quellenbelege ist es – leider – nicht möglich gewesen, vorab die gesamte Vorstellungswelt jedes einzelnen Autors zu erarbeiten, wie jeder einKrönert auf) habe ich tatsächlich kaum erkennen können, das wäre aber noch eine genauere Untersuchung wert. 5 Ich habe auch nirgends Exegese und Visionen von »theologischen Texten« unterschieden, sondern von theologischen Traktaten gesprochen.

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sichtige Rezensent wohl zugeben wird. Das muß zwangsläufig Spezialstudien überlassen bleiben (zu denen ich hiermit gern ermuntern möchte). Ich habe mich bemüht, Charakter und Anlage der Werke zu berücksichtigen und die zitierten Belege nicht aus ihrem Kontext zu lösen. Sollte das in Einzelfällen mißglückt sein, dann wäre das konkret aufzuweisen und gern zu korrigieren. Es ist aber zweifellos richtig, daß Bekanntheit und Wirkung der Lehrmeinungen nicht ausgeklammert werden dürfen (und auch das dokumentiert sich in der Belegbreite und ist an vielen Stellen eigens betont worden); eine von demselben Rezensenten eingeforderte Rezeptionsgeschichte jeder einzelnen Ansicht ist in einem solchen Werk jedoch einfach nicht zu leisten. Schließlich ist die Begrenzung des Untersuchungszeitraums (bis 1150) bemängelt worden (M. Tischler), da doch erst jetzt eine Öffnung des christlichen Weltbildes erfolgt sei. Natürlich ist jede Grenzziehung auch willkürlich gewählt. Doch zum einen ist das 12. Jahrhundert in beiden Teilbänden, und immer wieder auch über 1150 hinaus, umfassend zur Sprache gekommen. Zum andern hatte ich mich gerade gegen die ebenso verbreitete wie veraltete Ansicht wenden wollen, daß sich mit der Scholastik alles gewandelt habe. Es ist gar nicht zu bestreiten, daß man sich im 12. Jahrhundert um tieferschürfende Erklärungen bemüht und daß die Übersetzungen griechischer und arabischer Schriften, deren Einbeziehung der Rezensent vermißt, das Wissen erweitert haben. Sie haben im Untersuchungszeitraum aber weder die religiösen Vorstellungen noch deren Inhalte bereits durchgreifend verändert, noch gibt es einen Pluralismus des christlichen Weltbildes erst seit dem früheren 12. Jahrhundert, wie der Rezensent auch nach der Lektüre des Bandes noch glaubt. Andere Rezensenten heben gerade die Korrekturen an der bisherigen Ansicht heraus (K. Krönert) und betonen als ein wichtiges Ergebnis beider Bände eben die Bedeutung des bislang immer wieder unterschätzten Frühmittelalters, das sich nicht so unbefangen von der Renaissance des 12. Jahrhunderts abgrenzen läßt (M. Czock). Daran bleibt wohl doch festzuhalten. Wenn schließlich zwei Rezensenten die unterschiedliche Drucktype der Fallbeispiele bemängeln, zu der ich im übrigen auch den Verlag überreden mußte, so würde ich mich vollends glücklich schätzen, wenn dieser grundlegende Einwand der einzige geblieben wäre. Die Sans Serif-Schrift hatte die Funktion, die mehrfach mitten in ein Kapitel eingefügten Fallbeispiele als solche deutlich erkennbar zu machen. Wenn ich in diesem Band darauf verzichtet habe, dann hat das andere Gründe. Das mag als kurze Antwort zu einigen Einwänden und zur schärferen Klärung der eigenen Vorgehensweise genügen. Zu einer grundsätzlichen Infragestellung der in beiden Bänden vorgetragenen Beobachtungen führen sie, soweit ich sehe, nicht. Ob eingeforderte Desiderate daran etwas ändern, bleibt abzuwarten, wenn sich jemand (anderes) an eine solche Arbeit setzt.

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Wie hat sich aber der Forschungsstand zum Thema in der Zwischenzeit verändert? Ich gehe hier nicht näher auf neuere Arbeiten zum Prozeß der (äußeren und inneren) Christianisierung im frühen Mittelalter ein.6 Solche Arbeiten schärfen den Hintergrund für die christlich-religiöse Vorstellungswelt. Einen wichtigen begriffsgeschichtlichen Beitrag zum Selbstverständnis des Christentums bilden aber auch semantische Untersuchungen, wie sie Tim Geelhaar für den Begriff christianitas im Wandel von der Spätantike bis zur Zeit Karls des Großen vorgelegt hat:7 Die Bedeutungsvielfalt widerspricht allen einseitigen Thesen, hier (im 9. Jahrhundert) die Anfänge eines Bewußtseins des im Christentum geeinten Europa zu sehen. Bezüglich inzwischen erschienener Literatur zur engeren Thematik der beiden Teilbände sind mir zwar nur wenige einschlägige Studien zum Gottesbild bekannt geworden, doch streifen mehrere Arbeiten, in der Regel zu bestimmten Aspekten, das Thema. Bei der Behandlung der Gottesvorstellungen steht die Trinität ganz im Mittelpunkt. Eine theologische Einführung von Matthias Haudel8 in die Gotteslehre (tatsächlich die Trinitätslehre) betont zu Recht deren Bedeutung und überblickt ausführlich ihre Entfaltung vom Alten Testament bis zu Augustins ›De trinitate‹, springt dann allerdings zur Reformation und übergeht die gesamten mittelalterlichen Gotteslehren nahezu vollständig als Zeit der »Engführung«, die an der filioque-Kontroverse festgemacht wird9 (als ob Luthers Lehre ohne die mittelalterliche Tradition verständlich würde). Ganz Ähnliches gilt für die parallele Einführung in die Christologie von Christian Danz,10 der dem Mittelalter zwischen der Patristik – hier werden nicht zuletzt Abweichungen (wie Arianismus, Adoptianismus und Monophysitismus) besprochen – und Luther gerade einmal sechs Seiten einräumt (zu Anselm von Canterbury, Hugo von St. Viktor und Thomas von Aquin), weil man im Mittelalter die patristische Christologie nicht weiterentwickelt hätte. Es ist außerdem unrichtig, daß erst Anselm von Canterbury die Menschwerdung Christi als unmittelbare Folge des Sündenfalls gesehen habe. Während Haudel die gesamte

6 Zuletzt etwa Marilyn Dunn, Belief and Religion in Barbarian Europe, c. 350–700, LondonNew Delhi-New York-Sidney 2013, die den (ursprünglich orientalischen) Arianismus immer noch als für Polytheisten leichter verständlich betrachtet, oder den Sammelband von MichHle Gaillard (Hg.), L’empreinte chr8tienne en Gaule du IVe au IXe siHcle. Ptudes r8unies (Culture et Soci8t8 m8di8vales 26), Turnhout 2014. 7 Tim Gelhaar, Christianitas – Eine Wortgeschichte von der Spätantike bis zum Mittelalter (Historische Semantik 24), Göttingen 2015. 8 Matthias Haudel, Gotteslehre. Die Bedeutung der Trinitätslehre für Theologie, Kirche und Welt (UTB 4292), Göttingen 2015. 9 Ebd. S. 93ff. 10 Christian Danz, Grundprobleme der Christologie (UTB 3911), Tübingen 2013.

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Trinitätslehre schon durch das Neue Testament geprägt sieht11 und eine »Urform« in der griechischen Philosophie bestreitet,12 legt Paul Thom13 in seiner philosophischen Formalanalyse den Akzent zu Recht gerade auf den Einfluß der platonischen und aristotelischen Philosophie auf die Trinitätslehre und beschreibt die Trinitätsvorstellungen ausgewählter mittelalterlicher Denker, nämlich (in ›unserem‹ Zeitraum) bei Augustin, Boethius, Abaelard, Gilbert von Poitiers und Petrus Lombardus. Dabei sucht er die Eigenarten der einzelnen Autoren herauszustellen und in (nicht leicht verständlichen) Schemata zu veranschaulichen und verdeutlicht noch einmal zu Recht die unterschiedlichen Zugriffe, die natürlich dennoch sämtlich um das schwierige Verhältnis der einen Gottheit in drei Personen ringen. Andere Arbeiten sind spezieller ausgerichtet. Die christologischen Streitigkeiten der Spätantike (um Arius und Nestor) hat überblicksartig auch Manfred Clauss dargelegt.14 Die interessante Arbeit von Lesley Smith über die Auslegung der zehn Gebote bei 19 Autoren des 12. und 13. Jahrhunderts, die den von mir behandelten Zeitraum zumindest noch streift, konzentriert sich ganz auf die Methode der Kommentare und ihre moralischen Forderungen.15 Vor allem die Auslegungen der ersten drei Gebote wären aber auch für das Gottesbild von Bedeutung. Dieser von mir vernachlässigte Aspekt wäre tatsächlich noch zu erarbeiten. Einen wichtigen, bei mir ebenfalls ganz übersehenen Aspekt behandelt Robert Wilkinson: die Rezeption und Auslegung des jüdischen Gottesnamens Jahweh (JHWH) im Judentum sowie im spätantiken und mittelalterlichen Christentum, der das christliche Mittelalter mit dem Ausblenden hebräischer Gelehrsamkeit allerdings als eine »Zeit der Ignoranz« bezeichnet, das diesem Aspekt wenig Interesse beigebracht, wohl aber die Frage Gottes als Sein diskutiert habe.16 Mehrere Studien sind den mittelalterlichen Eucharistielehren (und ihrer künstlerischen Umsetzung) gewidmet. Ein englischer Sammelband bietet einen guten liturgiegeschichtlichen Einblick in Theorie und Praxis dieses zentralen christologischen Aspekts, einschließlich der Euchari11 Haudel, Gotteslehre. S. 51. 12 Ebd. S. 46. 13 Paul Thom, The Logic of the Trinity. Augustine to Ockham (Medieval Philosophy. Texts and Studies), New York 2012. 14 Manfred Clauss, Der Kaiser und sein wahrer Gott. Der spätantike Streit um die Natur Christi, Darmstadt 2010. 15 Lesley Smith, The Ten Commandments. Interpreting the Bible in the Medieval World (Studies in the History of Christian Traditions), Leiden-Boston 2014. Im Ergebnis stellt Smith wieder eine grundlegende Verlagerung der Exegese der Gebote von den Klöstern auf die Kathedralschulen im Verlauf des 12. Jahrhunderts fest. Aber wie will man das beurteilen, wenn man erst mit der Mitte des 12. Jahrhunderts beginnt? 16 Robert J. Wilkinson, Tetragrammaton: Western Christians and the Hebrew Name of God. From the Beginnings to the Seventeenth Century (Studies in the History of Christian Traditions 179), Leiden-Boston 2015.

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stiedebatten.17 Von kunstgeschichtlicher Seite bestätigt Elizabeth Saxon darin die Bedeutung eines »penitential focus« der Christusdarstellungen und damit des leidenden Christus bereits im frühen Mittelalter. Einen Umschwung möchte sie im Rahmen der ersten Eucharistiedebatte im 9. Jahrhundert erkennen.18 Wie schwierig das genaue Verständnis dieses Eucharistiestreits zwischen Paschasius Radbertus und Rathramnus von Corbie tatsächlich ist, betont Helmut Hoping, der die Positionen noch einmal im Spiegel der augustinischen Zeichenlehre überblickt.19 Eine weitere Arbeit über die Eucharistie im kanonischen Recht20 ist hingegen nahezu ganz spätmittelalterlich ausgerichtet. Schließlich hat Tobias Frese von kunstgeschichtlicher Seite her Formen und Bedeutung des Christusbildes in der Eucharistie im spätantiken Italien, in Byzanz und im Karolingerreich untersucht: Die Eucharistie wurde durch das dem Altar zugeordnete Bild des gekreuzigten Christus und Christusdarstellungen auf dem Kelch und in liturgischen Büchern unmittelbar sichtbar auf Christus bezogen.21 Aus Redeszenen in mittelalterlicher Bibeldichtung und Legende wird in einem Sammelband die Kommunikation mit Gott betrachtet.22 Dieser hier erst an volkssprachigen (auch epischen) Werken betrachtete Aspekt böte noch ein weites, interessantes Forschungsfeld. Noch spezieller, aber sehr gründlich ist die (mir seinerzeit ganz entgangene) theologische Dissertation der Physiklehrerin Monique Desthieux über die Gottesschau und den durch Gottesliebe verdienten Wunsch nach Gottesschau bei Wilhelm von Saint-Thierry,23 mit einer soliden Einführung in Leben und Werk des Abtes, in die Tradition und zeitgenössische Parallelen. Desthieux betont die originelle und persönliche Lehre Wilhelms und bestätigt die Bedeutung dieses – bei Wilhelm natürlich in mystischer Perspektive betrachteten – Aspekts für die mittelalterlichen Vorstellungen. Von den drei 17 Ian Christopher Levy/Gary Macy/Kristen Van Ausdall (Hg.), A Companion to the Eucharist in the Middle Ages (Brill’s Companions to the Christian Tradition 26), Leiden-Boston 2012. 18 Elizabeth Saxon, Carolingian, Ottonian and Romanesque Art and the Eucharist, in: ebd. S. 251–324. 19 Helmut Hoping, Sein und Zeichen. Zur karolingischen Eucharistiekontroverse, in: Theologie und Philosophie 90, 2015, S. 321–335. 20 Thomas M. Izbicki, The Eucharist in Medieval Canon Law, Cambridge 2015. 21 Tobias Frese, Aktual- und Realpräsenz. Das eucharistische Christusbild von der Spätantike bis ins Mittelalter (Neue Frankfurter Forschungen zur Kunst 13), Berlin 2013. Wenn Frese abschließend (S. 265ff.) angesichts der sichtbaren Unterschiede von Hostie und Bild fragt, ob das nicht gerade figuralen Deutungen förderlich war, dann bleiben das allerdings spekulative Gedankengänge. 22 Nine Miedema/Angela Schrott/Monika Unzeitig (Hg.), Sprechen mit Gott. Redeszenen in mittelalterlicher Bibeldichtung und Legende (Historische Dialogforschung 2), Berlin 2012. 23 Monique Destieux, D8sir de voir Dieu et amour chez Guillaume de Saint-Thierry (Vie monastique 45), Abbaye de Bellefontaine, B8grolle en Mauges 2006.

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Arten des Sehens (körperlich, geistig, intellektuell) führt nur letztere zur Gottesschau. Eine umfangreiche Festschrift für Edouard Jeauneau ist ganz Johannes Scotus Eriugena, entgegen dem Titel allerdings nicht ausschließlich der Schöpfung gewidmet.24 Jeauneau selbst ordnet das ›Periphyseon‹ darin in die Tradition ein.25 Andere Beiträge betonen die enge Verbindung von Gott und Natur bei Johannes,26 seine Lehre von der Weisheit als Lösung des Verhältnisses von Gottes Schöpfung und (natürlichen) Erstursachen27 oder sein Naturverständnis vor dem Hintergrund der (irischen und aristotelischen) Tradition.28 Viele Beiträge sind dem Nachwirken Eriugenas in Mittelalter und Moderne gewidmet. Die bei mir nur kurz angesprochene (und verneinte) Frage eines möglichen Atheismus im Mittelalter hat in der Zwischenzeit ausführlich Dorothea Weltecke für das spätere Mittelalter untersucht29 und zunächst bestätigt, daß bislang herangezogene Belege für einen mittelalterlichen Atheismus nicht tragfähig und auch die Begriffe (vor allem infideles) zu vielschichtig für eine entsprechende Inanspruchnahme sind. Sie bezeichnen vielmehr falschen Glauben (im Christentum und außerhalb des Christentums, wie ich selbst seither in einer anderen Studie ebenfalls betont habe),30 nicht aber einen Zweifel an der Existenz Gottes und der Göttlichkeit schlechthin, während es Zweifel an bestimmten Glaubensinhalten zu allen Zeiten gegeben hat. Auch die Inquisition hat Weltecke zufolge nach Abweichlern und nicht nach Glaubenszweiflern gefahndet. Im letzten Teil stellt sie dann aber doch Belege für einen Zweifel an der Existenz 24 Willemien Otten/Michael I. Allen (Hg.), Eriugena and Creation. Proceedings of the Eleventh International Conference on Eriugenian Studies, held in honor of Edouard Jeauneau, Chicago, 9–12 November 2011 (Instrumenta patristica et mediaevalia. Research on the Inheritance of Early and Medieval Christianity 68), Turnhout 2014. 25 Edouard Jeauneau, From Origen’s Periarchon to Eriugena’s Periphyseon, in: ebd. S. 139– 182. 26 Jeremy C. Thompson, God’s Own Dwelling-Place: Oppositions in the Ninth-Century Predestination Debate, in: ebd. S. 85–104. 27 Ernesto Sergio Mainoldi, Creation in Wisdom: Eriugena’s Sophiology beyond Ontology and Meontology, in: ebd. S. 183–222. 28 Alfred K. Sievers, The Periphyseon, the Irish »Otherworld«, and Early Medieval Nature, in: ebd. S. 321–347; John Marenbon, Eriugena, Aristotelian Logic and the Creation, in: ebd. S. 349–368. Weitere Beiträge befassen sich mit der Rezeption im 12. Jahrhundert, bei Johannes von Salisbury (Agnieszka Kijewska) und Honorius (Daniel Yingst) sowie in Spätmittelalter und Moderne. 29 Dorothea Weltecke, »Der Narr spricht: Es ist kein Gott«. Atheismus, Unglauben und Glaubenszweifel vom 12. Jahrhundert bis zur Neuzeit (Campus Historische Studien 50), Frankfurt a.M.-New York 2010. 30 Zu entsprechenden Bezeichnungen nichtchristlicher Religionen vgl. jetzt Hans-Werner Goetz, Die Wahrnehmung anderer Religionen und christlich-abendländisches Selbstverständnis im frühen und hohen Mittelalter (5. bis 12. Jahrhundert), 2 Bde., Berlin 2013 (in jedem Kapitel jeweils Abschnitt 2: Terminologie).

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Gottes zusammen, darunter mit Otloh von St. Emmeram sogar aus dem 12. Jahrhundert, die meines Erachtens noch einer Diskussion bedürfen und nicht über jeden Zweifel erhaben sind, aber dennoch zeigen, daß man die Nichtexistenz Gottes schon im Mittelalter zumindest als Gedankenexperiment in Erwägung ziehen und, wenn Otlohs Bericht glaubwürdig ist, vorübergehend auch tatsächlich bezweifeln konnte. Das korrigiert und präzisiert meine (sehr kurzen) Bemerkungen zu diesem Aspekt. Als »Unglaube« aber wird das, wie auch Weltecke betont, jedoch gerade nicht bezeichnet. Und Ausnahmeerscheinungen bleiben die Belege allemal, auch wenn solche Zweifel für Weltecke »sehr präsent« waren. Wenn die scholastischen Gelehrten, die doch über alles disputiert haben, solche Fragen gerade nicht aufgreifen oder und sie sogar »blockieren«, wie Weltecke feststellt, mag das vielleicht doch daran liegen, daß sie einfach nicht akut waren. Man mochte hier oder da in Zweifel geraten (wie einst Hiob), ein Atheismus im modernen Sinn erscheint mir hingegen nach wie vor als recht unmittelalterlich. Zur Thematik des zweiten Halbbandes sind in der kurzen Zwischenzeit nur wenige Arbeiten erschienen. Unter dem viel versprechenden Titel »Heaven and Earth in Anglo-Saxon England« betrachtet Helen Forbes Theologie und Gesellschaft in den bei mir mit Ausnahme Bedas nur sporadisch herangezogenen angelsächsischen Texten und kann dabei auf bislang wenig beachtete theologische Ansichten hinweisen.31 Um »Himmels- und Erdvorstellungen« geht es in dem Band allerdings nicht, sondern eher um Glaubensfragen, deren soziale Auswirkungen und seelsorgerischen Aspekte: wie Glaube und Theologie das soziale Leben in England durchdringen. Das Kapitel über Gott als Schöpfer von allem widmet sich vor allem den Engeln, im folgenden Kapitel (»And He Will Come Again to Judge the Living and the Dead«) geht es nicht um das Jüngste Gericht, sondern um den religiösen Einfluß auf die weltliche Gerichtsbarkeit, während das letzte Kapitel (»The Communion of Saints and the Forgiveness of Sins«) Purgatorium, Memoria und Schenkungen an Heilige behandelt. Die Thematik einer »Entdeckung der Natur« im Mittelalter vertieft Steven Epstein in seiner entsprechend betitelten Monographie,32 greift dabei allerdings nicht die Diskussion um eine Entdeckung im 12. Jahrhundert auf, sondern setzt sie von vornherein voraus und behandelt fast nur das Spätmittelalter. In vier Kapiteln über zunehmendes Wissen über die Tierwelt (»The Invention of Mules«), die Vererbung (inheritability : »Like produces Like«), »The Nature of Property« und »The Nature of Disaster« beschreibt der Autor von ganz anderer 31 Helen Foxhall Forbes, Heaven and Earth in Anglo-Saxon England. Theology and Society in an Age of Faith, Farnharm-Burlington 2013. 32 Steven A. Epstein, The Medieval Discovery of Nature, Cambridge-New York 2012.

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Nachwort zum Vorwort: ›Retractationes‹

Seite her das (spät-)mittelalterliche Verhältnis zur Natur (allerdings wieder zur Natur in modernem Sinn!). Gerade das letzte Kapitel über die Wahrnehmung und Deutung von Naturkatastrophen, die in einem eingängigen Schema zusammengefaßt werden33 (siehe die Grafik unten), ließe sich, einschließlich der Unterscheidung natürlicher und übernatürlicher Vorgänge, ohne weiteres auch für das frühere Mittelalter in Anspruch nehmen und zeigt sehr schön das geradezu nahtlose Fortwirken religiöser Deutungen trotz größeren empirischen Wissens. Schema der Katastrophendeutung (nach Epstein S. 161):

WRATH

GOD offends

appeases (sometimes)

PENANCE/ PRAYER

SIN

offers

commits

HUMAN SOCIETY

causes

NATURAL EVENTS results

DISASTERS punishes

Jeremy Thomson betont den engen Zusammenhang von Gott und Natur als göttlicher Schöpfung in der Prädestinationslehre Eriugenas.34 Ein fast durchweg spätmittelalterlich ausgerichteter Sammelband geht verschiedenen moralischen Aspekten der Natur nach (beispielsweise der Homosexualität, dem politischen Denken, ethnographischen Gewohnheiten, der Sprache oder der Nachahmung).35 Für das 13. Jahrhundert stellt Alain Boureau fest, daß die – von der Elementenlehre bestimmte – Natur der Welt vom Sündenfall des Menschen nicht

33 Ebd. S. 161. 34 Jeremy C. Thompon, God’s Own Dwelling-Place: Oppositions in the Ninth-Century Predestination Debate, in: Otten/Allen (Hg.), Eriugena and Creation S. 85–104. 35 Maaike Van der Lugt (Hg.), La nature comme source de la morale au Moyen ffge (Micrologus Library 58), Florenz 2014.

Nachwort zum Vorwort: ›Retractationes‹

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betroffen war.36 Ansonsten setzen fast alle Beiträge wieder einen (modernen) Naturbegriff voraus. Eine umfassende Arbeit zum Naturverständnis im mittelalterlichen Sinn bleibt weiterhin ein Desiderat. Den Erzählungen der Reise Alexanders des Großen ins Paradies ist inzwischen ein ganzer, interkultureller Sammelband gewidmet,37 der allerdings ausschließlich spätmittelalterlich (und literarisch) ausgerichtet ist und die Paradiesvorstellungen selbst allenfalls am Rande berührt. Patrick Gautier Dalch8 geht darin aber dem Niederschlag auf mittelalterlichen Weltkarten nach.38 Ein von Lucy Donkin und Hanna Vorholt herausgegebener Sammelband über die westlichen Jerusalemvorstellungen konzentriert sich ausschließlich auf – hier aber gründlich ausgewertete – Jerusalemkarten.39 Dem früheren Mittelalter sind nur drei Beiträge (zu Adamnan, der Hesekielexegese und Petrus von Poitiers) gewidmet.40 Zur Mittelpunktfunktion Jerusalems in der christlichen Vorstellungswelt seit dem hohen Mittelalter außerhalb der christlichen Welt (und ganz im Gegensatz zur Realität) hat Folker Reichert einen Aufsatz beigesteuert.41 Sehr nützlich ist ein französischer, sehr geschlossener, handbuchartiger Sammelband zum geographischen Wissen (bevor es eine »Geographie« gab) und zur Darstellung der Erde und ihrer physischen Gestalt anhand entsprechender Quellenausschnitte aus Erdbeschreibungen, Reiseberichten und Weltkarten (samt Übersetzung) mit ausführlichem Kommentar.42 Die einzelnen Kapitel behandeln, zeitlich geordnet, unter der Überschrift »Die Erde im Kosmos« (Patrick Gautier Dalch8) Form, Bewohnbarkeit, Ausmaße und Einfluß der Sterne, sodann 36 Alain Boureau, Une nature pr8serv8e de la transgression humaine des normes. Physique des 8l8ments et g8ologie du monde dans l’exegHse et la th8ologie du XIIIe siHcle, in: ebd. S. 55–93. 37 Cath8rine Gaullier-Bougassas/Margaret Bridges (Hg.), Les voyages d’Alexandre au paradis. Orient et Occident, regards crois8s (Alexander redivivus), Turnhout 2013. 38 Patrick Gautier Dalché, Quatre notes sur Alexandre et la cartographie m8di8vale, in: ebd. S. 213–238. 39 Lucy Donkin/Hanna Vorholt (Hg.), Imagining Jerusalem in the Medieval West (Proceedings of the British Academy 175), Oxford 2012. 40 Thomas O’Loughlin, Adomn#n’s Plans in the Context of his Imagining ›the Most Famous City‹, in: ebd. S. 1–13; Catherine Delano-Smith, The Exegetical Jerusalem. Maps and Plans for Ezekiel Chapters 40–48, in: ebd. S. 41–75; Andrea Worm, ›Ista est Jerusalem‹. Intertextuality and Visual Exegesis in Peter of Poitiers’ Compendium historiae in genealogia Christi and Werner Rolevinck’s Fasciculus temporum, in: ebd. S. 123–161, die die Verknüpfung von irdischem und himmlischem Jerusalem bei Petrus betont. 41 Folker Reichert, Nabel der Welt, Zentrum Europas und doch nur Peripherie? Jerusalem in Weltbild und Wahrnehmung des späten Mittelalters, in: Zeitschrift für Historische Forschung 38, 2011, S. 559–584. 42 Patrick Gautier Dalché (Hg.), La Terre. Connaissance, repr8sentations, mesure au Moyen ffge (L’Atelier du m8di8viste 13), Turnhout 2013. Zum geographischen Wissen und zu Erdund Raumvorstellungen anhand von Karten und Texten, vorwiegend seit dem 12. Jahrhundert, vgl. jetzt auch die Aufsatzsammlung von Dems., L’espace g8ographique au Moyen ffge (Micrologus’ Library 57), Florenz 2013.

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Nachwort zum Vorwort: ›Retractationes‹

Land- (Nathalie Bouloux) und Meerbeschreibungen (Emmanuelle Vagnon), Reisebeschreibungen (Christine Gadrat-Ouerfelli), Großkarten (Paul Fermon) sowie die spätmittelalterliche Geographie, Maße und Maßstäbe (Armelle Querrien). Da es in erster Linie um geographisches Wissen geht, nehmen Hochund Spätmittelalter den größten Teil des Bandes ein, doch sind hier mit der mittelalterlichen Darstellung solcher Phänomene zwangsläufig auch die Vorstellungen eng berührt. Daß die thematisch ausgewählten Quellenexzerpte der Vorstellungswelt der Autoren dennoch nicht immer gerecht werden, zeigt sich, wenn bei Adam von Bremen etwa nur die geographischen Informationen zum Norden interessieren, während Adam selbst sie als Folie seiner Christianisierungsgeschichte benutzt. Abschließend sei noch auf eine Arbeit hingewiesen, die von kunstgeschichtlicher Seite her, mit Ausnahme heidnischer Einflüsse allerdings durchweg an spätmittelalterlichen Beispielen, die Profanisierung religiöser Themen aufzeigt.43 Eine solche Verflechtung ist letztlich für das ganze Mittelalter charakteristisch, auch wenn sich das in bildlichen Darstellungen im früheren Mittelalter allenfalls zaghaft andeutet. Der Band dokumentiert, dass eine Trennung beider Ebenen auch im späten Mittelalter noch keineswegs vollzogen ist. Zu diesem Komplex ist auch noch ein Kremser Tagungsband zu erwarten.44

43 Christian Heck (Hg.), ThHmes religieux et thHmes profanes dans l’image m8di8vale: tranferts, emprunts, oppositions (R8pertoire iconographique de la litt8rature du Moyen ffge. Les 8tudes du RILMA 4), Turnhout 2013. 44 Elisabeth Vavra (Hg.), Die Welt und Gott – Gott und die Welt? Zum Verhältnis von Religiosität und Profanität im »christlichen Mittelalter« (in Druckvorbereitung).

Einleitung

Nachdem der erste Teilband zu den religiösen Vorstellungswelten des Mittelalters dem Gottesbild gewidmet war, zu dem zentral eben auch Gott als Schöpfer gehört, dem alles entstandene Sein erst zu verdanken ist, und im zweiten Teilband die materielle Schöpfung in Raum (Welt) und Zeit (Heilsgeschehen) überblickt wurde, wird es gewissermaßen höchste Zeit, auch Gottes Geschöpfe selbst als den personellen Teil der Schöpfung zu betrachten, die diesen Raum in den jeweils verschiedenen, ihnen zugeordneten und im vorigen Band vorgestellten Sphären füllen: die Engel den Himmel, von denen sich in dem – ebenfalls bereits behandelten – Engelfall der Teufel mit seinen gefallenen Engeln oder Dämonen abgespalten hat und aus dem Himmel in die Luft bzw. die Hölle verbannt wurde, und schließlich die Menschen, die nach der Vertreibung aus dem Paradies auf der Erde leben und (mehr oder weniger geduldig) das Ende der Welt und die himmlische Erlösung erwarten. Bei der Besprechung der jeweiligen Räume mußte dabei manchem Aspekt bereits vorgegriffen werden. Das ist hier nun ›systematisch‹ zusammenzuführen. Der Band beschränkt sich bewußt auf die rationalen Geschöpfe, denen in der religiösen Vorstellungswelt eine erheblich größere Rolle zukommt als den Tieren, obwohl es zugegebenermaßen auch hier interessant wäre, die Funktion der Tiere in der Religion zu betrachten. Das muß anderen überlassen bleiben.1 Von den mittelalterlichen Autoren selbst 1 Einen allgemeinen Überblick über das Tier-Mensch-Verhältnis bzw. die einzelnen Erwähnungsbereiche der Tiere geben Robert Delort, Les animaux ont une histoire, Paris 1984 (dt. Der Elefant, die Biene und der heilige Wolf. Die wahre Geschichte der Tiere, MünchenWien 1987), und Frank Meier, Mensch und Tier im Mittelalter, Ostfildern 2008. Zu mittelalterlichen Tiervorstellungen vgl. ferner : Jacques Voisenet, Bestiaire chr8tien. L’imagerie animale des auteurs du Haut Moyen ffge (Ve-XIe s.) (Tempus), Toulouse 1994, spürt den biblischen, antiken, frühchristlichen, keltischen, germanischen, orientalischen und volkstümlichen Traditionen mittelalterlicher Tiervorstellungen nach; entsprechend geht es ihm im Frühmittelalter vor allem um das Verhältnis von Tradition und Weiterentwicklung der im Prinzip unrealistischen Tierdarstellungen. Die beiden Bände: Il mondo animale. The World of Animals, 2 Bde. (Micrologus 8,1–2), Florenz 2000, heben vor allem auf die Rolle der Tiere in Literatur und Symbolik ab; Texte zur Tierliebe sind zusammengestellt bei: Gabriela Kom-

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Einleitung

werden Tiere jedenfalls weit eher als Teil der dem Menschen zugewiesenen und unterstellten Welt denn als gleich ernst zu nehmende Geschöpfe angesehen, auch wenn sie zweifellos einen Teil ein Schöpfung bilden. »Gott schuf drei Arten von Lebewesen,« schreibt der Schottenmönch Honorius Augustodunensis im 12. Jahrhundert, »Engel, Menschen und animantia: die Engel im Himmel, also am höchsten Ort, die Bestien ganz unten, nämlich auf der Erde; die Menschen aber setzte er in die Mitte, nämlich ins Paradies. Wie der Mensch also niedriger ist, so überragt er doch das Vieh, und hätte er das Gebot seines Schöpfers bewahrt, wäre er den Engeln gleich gewesen; wenn er es aber verachtete, würde er sich damit den Bestien unten annähern.«2

Ganz ähnlich hatte vorher schon Thietmar von Merseburg drei Naturen bzw. Seelenarten unterschieden, die weder den gleichen Beginn noch das gleiche Ende haben: die unkörperlichen Engel, die wie die Seelen weder Anfang noch Ende haben, die Menschen, die mit den Engeln beginnen, aber nicht an ihrem Ende teilhaben, weil jene unsterblich sind, und die Seelen der Tiere und Vögel, die mit ihrem Körper beginnen und enden.3 Auf die Abgrenzung vom Tier ist bei der Behandlung des Menschen noch zurückzukommen. Wilhelm von Conches behandelt in seiner ›Philosophia‹ Gott, Engel und Teufel, Menschen und die gesamte materielle Welt, nicht aber die nicht mit Vernunft begabten Tiere, die seiner Ansicht nach für die Lektüre der »Philosophen« unbedeutend sind. (Fragen, weshalb die einen wiederkäuen die anderen nicht, die einen urinieren, die anderen nicht, so fügt er geradezu ironisch hinzu, seien deshalb nachrangig.)4 Ebenso ausgeschlossen bleiben die Pflanzen.5

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patscher/Albrecht Classen/Peter Dinzelbacher (Hg.), Tiere als Freunde im Mittelalter. Eine Anthologie, Badenweiler 2010. Der religiöse Aspekt wird in diesen Arbeiten hingegen allenfalls gestreift. Honorius Augustodunensis, Speculum ecclesiae. In conventu populi, Sp. 1099 B: Karissimi, Deus creavit tria viventia, angelos, homines, animantia: angelos in coelo, id est in summo; bestias in immo, id est in terra; homines posuit in medio, id est in paradyso. Sicut ergo homo inferior, ita extitit iumento superior, ut si conditoris sui praeceptum servaret, angelis superius adaequaretur ; si autem contemneret, bestiis inferius assimilaretur. Thietmar von Merseburg, Chronicon 1,14, S. 20: Tres namque sunt animae, non equaliter incipientes nec simul finientes. Prima angelorum incorporeorum, quae cum eis est sine inicio et termino; IIa hominum, quae cum eis sumit exordium, sed in fine non habens participium, namque inmortalis est, et ut quidam gentiles opinantur, in futuro non habens hoc offitium, quod in hoc seculo; tercia species est animae paecudum ac volatilium, quae cum corpore parem inicii finisque sortitur equalitatem. Wilhelm von Conches, Philosophia mundi 4,7,15, S. 94f.: Restat ergo, ut de terreno animali dicamus. Quod cum omne sit mortale, quoddam tamen est rationale, quoddam irrationale. Sed quia irrationabilia infinita sunt nec lectioni philosophorum multum pertinentia, de naturis illorum et unde quaedam ruminent, quaenam non, quaedam mingunt, quaedam non, dicere postponamus, ut de rationali et mortali, i. e. de homine, quod dignius est, disseramus. Vgl. dazu den Überblick von Helmut Birkhan, Pflanzen im Mittelalter. Eine Kulturge-

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Wie bei Wilhelm, so geht es daher auch in diesem Buch ausschließlich um die Vorstellungen von den rationalen Geschöpfen. Tiere werden nur berücksichtigt, insoweit sie der Erfassung des menschlichen Wesens dienen. Das mag man bedauern, begründet sich sachlich jedoch aus der mittelalterlichen Vorstellungswelt selbst. Nach Beda besteht etwa die Kirche (nur) aus heiligen Engeln und Menschen; entsprechend pilgert sie teils noch hier unten (auf Erden), teils herrscht sie bereits oben im ewigen Vaterland und trennt ihre Bürger voneinander ab und verbirgt sie hinter dem Schleier des Himmels.6 Das mittelalterliche Verhältnis zum Tier unterscheidet sich grundlegend vom heutigen. Niemand wäre im Mittelalter auf die Idee gekommen, dem Tier eine Heilsbestimmung zuzuschreiben oder überhaupt auf Tiere Rücksicht zu nehmen oder künstliches Fleisch zu entwickeln, um die Tiere als Fleischproduzenten zu schonen. Auch das temporäre Vegetariertum während der Fastenzeit diente gewiß nicht dem Tierschutz, sondern der grundsätzlichen religiösen Mahnung nach Enthaltsamkeit vor und in der Passionszeit und setzt den Fleischgenuß außerhalb der Fastentage gleichsam voraus, denn andernfalls wäre das Fasten ja kein Verzicht. Nur in Fabeln oder ähnlichen Erzählungen nehmen Tiere – symbolisch als Spiegelbilder der Menschen – menschliche Züge und Verhaltenswesen an. In der religiösen Praxis bleiben Tiere Objekte (etwa als Opfertiere), in der religiösen Vorstellungswelt spielen sie zumindest aber als Symbole (wie das Lamm Gottes) eine Rolle. Wissenschaftlich erlangen in neoplatonischer Denkweise bei der Unterscheidung der Geschöpfe neben der Nähe zu Gott ontologische Vorstellungen wieder eine hohe Bedeutung. Die Geschöpfe unterscheiden sich, wie bereits Augustin feststellt, nicht nur vom Schöpfer, sondern auch untereinander dadurch, daß sie unterschiedlich stark am Sein partizipierten: »Während nämlich Gott das höchste Wesen, das heißt das Sein schlechthin, und deshalb unwandelbar ist, gab er auch den Dingen, die er aus nichts erschaffen hat, ein Sein, jedoch kein höchstes Sein, wie er es selbst ist. Und den einen gab er mehr davon, den anderen weniger und ordnete so stufenweise die Naturen der Wesen.«7

schichte, Wien-Köln-Weimar 2012 (mit einem Kapitel über die biblischen Pflanzen); Agostino Paravicini Bagliano (Hg.), Le monde v8g8tal (Micrologus’ Library 30), Florenz 2009. 6 Beda Venerabilis, De tabernaculo et vasis eius ac vestibus sacerdotum 2, S. 72f.: Hoc uelo sanctuarium et sanctuarii sanctuaria diuiduntur, quoniam ecclesia, quae ex angelis sanctis et hominibus constans partim adhuc peregrinatur in infimis, partim in aeterna patria regnat in supernis, adhuc ciues suos dirimente uelo caeli habet ad inuicem segregatos. 7 Augustinus, De civitate Dei 12,2, CCL 48, S. 357: Cum enim Deus summa essentia sit, hoc est summe sit, et ideo inmutabilis sit: rebus, quas ex nihilo creauit, esse dedit, sed non summe esse, sicut est ipse; et aliis dedit esse amplius, aliis minus, atque ita naturas essentiarum gradibus ordinauit.

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So stellen Engel und Menschen zwei in ihrer Erscheinung (geistig – körperlich) wie in ihrer Dauer (unsterblich – mortal), aber auch in ihrer eigentlichen Wohnstätte (Himmel bzw. Hölle – Erde) strikt unterschiedene Arten göttlicher Geschöpfe dar, während sie in ihrer rationalen Natur übereinstimmen und von ihrer Bestimmung her beide zum Heil erschaffen und vorgesehen sind.8 Das unterscheidet sie von den verstandeslosen Geschöpfen. Unter den Engeln (wie unter den Menschen) aber gab es solche, die Gott treu blieben, und solche, die von ihm abfielen, wie bereits im zweiten Teilband dargelegt wurde.9 Alle Geschöpfe, so betont Augustin, sind von Natur aus gut erschaffen, da sie aber nicht immerwährend sind, können sie sich verändern und daher zum Bösen wenden.10 Das spaltet die Gemeinschaften. War es bei der materiellen Schöpfung darum gegangen, die religiösen Elemente bzw. die Verflechtung weltlich-physikalischer und religiöser Vorstellungen herauszustellen, so sind Engel und Teufel von vornherein Elemente der religiösen Vorstellungswelt, wenngleich auch hier immer wieder Aspekte nichtreligiöser Art und Herkunft einfließen. Die religiöse Perspektive gibt der Darstellung, dem im ersten Band dargelegten Konzept gemäß, aber deutlich Inhalte und Struktur vor. Weit stärker als bei den – nicht zuletzt (im mittelalterlichen Verständnis) wissenschaftlichen – Vorstellungen der materiellen Schöpfung speisen sich zumal Engels- und Teufelsvorstellungen zu einem erheblichen Teil, wenn auch nicht aus außerreligiösen, so doch aus außerbiblischen und außerchristlichen Elementen, die uns oftmals als »Volksglaube« anmuten mögen, in ihrer Substanz aber, trotz nicht zu leugnender Unterschiede und Differenzierungen, nicht minder auch von den gelehrten Autoren des Mittelalters geteilt werden, deren schriftlicher Niederschlag hier wiederum die wichtigsten Quellen bereitstellt. Sie oder zumindest einige Aspekte ungeprüft einer ›Volkskultur‹ zuzuschreiben, wie es aus heutigem Denken heraus immer wieder geschieht, geht an der mittelalterlichen Vorstellungswelt vorbei. Eine Diskrepanz zu den beiden ersten Bänden schlägt sich allerdings auch im Forschungsstand nieder (der erst in den einzelnen Kapiteln näher betrachtet werden soll). Neben einer letztlich auffällig begrenzten, wissenschaftlichen Forschungsliteratur über die mittelalterlichen Engels- und inzwischen auch über die Teufelsvorstellungen ist über diesen Gegenstand (und zumal über den Teufel) auch manches wenig Verwertbare geschrieben worden. Was davon zu berücksichtigen ist, wäre jeweils kritisch zu prüfen. Das Forschungsdefizit liegt hier also eher in der 8 Ebd. 11,13, S. 333f. 9 Hans-Werner Goetz, Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters. Teilband 2: II. Die materielle Schöpfung: Kosmos und Welt. III. Die Welt als Heilsgeschehen (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 13.2), Berlin 2012, S. 176–201. 10 Vgl. Augustinus, De civitate Dei 12,5, S. 359.

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(überschaubaren) Menge wissenschaftlich brauchbarer Arbeiten. Weit mehr als über das Gottes- und Weltbild im engeren, wörtlichen Sinn gibt es über Engel und Teufel erfreulicherweise aber kunstgeschichtlich-ikonographische Studien, die mit den Aussagen der Schriftquellen zu vergleichen wären. Ansonsten sind die Arbeiten überwiegend entweder volkskundlicher oder theologischer, gelegentlich auch religionswissenschaftlicher oder philosophischer Herkunft.11 Geschichtswissenschaftliche Studien bleiben demgegenüber selten; umfassende vorstellungsgeschichtliche Arbeiten sind Mangelware. In bezug auf das Menschenbild schließlich gibt es überhaupt nur wenige einschlägige und zudem meist auf einzelne Aspekte beschränkte Studien. Hier liegt das Defizit somit eher in einem insgesamt noch wenig befriedigenden Forschungsstand (ohne daß damit, wie auch bei Engeln und Teufeln, der Wert bisheriger Veröffentlichungen bestritten werden soll). Auch mit diesem Band kann diese Lücke nicht annähernd geschlossen werden, doch sollen zumindest alle wesentlichen Aspekte ausführlich zur Sprache kommen. Das Thema selbst ist, mittelalterlich gesehen, zentral. Engel und Teufel bilden einen wesentlichen Aspekt der religiösen Vorstellungen und sind im mittelalterlichen Schrifttum nahezu aller Gattungen ausgesprochen häufig erwähnt. Der Mensch wiederum steht insgesamt im Zentrum mittelalterlicher Betrachtungen (unbeschadet der Überzeugung von Gott als höchstem und entscheidendem Wesen). Ziel der folgenden Ausführungen kann daher kaum eine Gesamtbestandsaufnahme sein. Wie in den Vorgängerbänden geht es auch hier darum, aus vielen Einzeläußerungen ein einigermaßen repräsentatives Bild über weiter verbreitete Vorstellungen zu entwerfen, ohne dabei Unterschiede zwischen einzelnen Autoren oder Richtungen, zwischen Theologen und weniger Gebildeten, zwischen unterschiedlichen Gattungen oder im Hinblick auf eine zeitliche Entwicklung zu verwischen. Das verlangt erneut die Berücksichtigung einer Vielzahl von Belegen, während um der Geschlossenheit willen einzelne Autoren ausführlicher zu besprechen sind. Dazu sind wieder verschiedene Quellenarten heranzuziehen: neben theologischen Traktaten, exegetischen Schriften und Predigten vor allem historiographische und hagiographische Werke, aber auch Enzyklopädien, Briefe, Dichtungen und künstlerische Darstellungen. »Fallbeispiele« werden dabei im Gegensatz zu den ersten beiden Teilbänden integriert und nicht eigens als solche ausgewiesen, weil die einschlägigen Texte hier nur in wenigen Fällen eine Aufspaltung gemäß den in den einzelnen Kapiteln behandelten Aspekten erlauben, damit aber auch deren ›Integrität‹ unter Beweis stellen.

11 Zu religionswissenschaftlichen Erklärungen der Engel vgl. Johann Ev. Hafner, Angelologie (Gegenwärtig Glauben Denken. Systematische Theologie 9), Paderborn u. a. 2009, S. 13ff.

Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

1.

Forschungsstand und Tradition

Der Forschungsstand zu Engeln im Mittelalter ist unterschiedlich, bislang aber keinesfalls erschöpfend (wobei im Folgenden nur exemplarisch die wichtigsten, den Engeln gewidmeten Studien vorgestellt werden können). Manches hält wissenschaftlichen Standards kaum Stand,1 anderes betrachtet die Engel über die Zeiten hinweg2 oder gibt nur einen kurzen Überblick,3 vieles ist Engeln und Dämonen zugleich gewidmet. Bieten aus theologischer Sicht Georges Tavard einen handbuchartigen Überblick über die Dogmatik der Engel4 und Johann Hafner einen systematisch-theologischen Gesamtüberblick über die Angelologie (mit immerhin breiten mittelalterlichen Anteilen),5 so hat David Keck mit seinem Werk über Engel und Angelologie die gerade vom vorstellungsgeschichtlichen Aspekt her bislang sicher gründlichste Studie über dieses Thema vorgelegt, konzentriert sich dabei jedoch weitgehend auf das 13. Jahrhundert.6 1 Aspektreich zu den Erscheinungsformen, aber zeitlich disparat über alle Jahrhunderte hinweg und ausschließlich auf Literatur beruhend, etwa Jutta Ströter-Bender, Engel. Ihre Stimme, ihr Duft, ihr Gewand und ihr Tanz (Symbole), Stuttgart 1988. 2 Nennenswerte Mittelalterteile enthalten Renzo Lavatori, Gli angeli. Storia e pensiero, Genova 1991, der die Engellehren einzelner Autoren nachzeichnet, das 9. bis 14. Jahrhundert aber nur kurz nach den Aspekten der Ontologie und der monastischen Angelologie behandelt. Ebenfalls Autor für Autor bespricht kurz Heinrich Krauss, Die Engel. Überlieferung, Gestalt, Deutung (bsr 2135), München 32005, springt dabei aber von Gregor dem Großen ins 13. Jahrhundert. Ein (im einzelnen allerdings zu allgemeines) alphabetisches Lexikon zu Engeln bietet: Rosemary Ellen Guiley, The Encyclopedia of Angels, New York 22004. 3 Vgl. etwa, zudem spätmittelalterlich orientiert, Peter Van der Eerden, Engelen en demonen, in: Manuel Stoffers (Hg.), De middeleeuwse idee[nwereld, 1000–1300 (Middeleeuwse studies en bronnen 63), Heerlen-Hilversum 1994, S. 117–143 (zu Engeln S. 121–132). 4 Georges Tavard (Hg.), Die Engel (Handbuch der Dogmengeschichte II/2b), Freiburg i. Br. 1968 (frz. Les anges, Paris 1971). 5 Hafner, Angelologie, zum Mittelalter ebd. S. 111–156 (aber an den großen Denkern wie Augustin, Petrus Lombardus und Thomas von Aquin orientiert). 6 David Keck, Angels and Angelology in the Middle Ages, New York-Oxford 1998.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Neben zielgerichteten, aber weitgespannten Überblicken, etwa von Alfred Rosenberg über den Gestaltwandel der Engel über die Jahrhunderte hinweg,7 und kürzeren Artikeln, wie von Philippe Faure,8 darunter ein – geradezu als Ausnahme – ganz dem Frühmittelalter gewidmeter Aufsatz, wenngleich mit spezifischer Ausrichtung,9 hat dieser zusammen mit Yves Cattin in einem sehr engagiert-persönlich geschriebenen Überblick den ikonographischen und textlichen Befund zu verschiedenen Aspekten vorgelegt.10 Wichtig ist auch ein jüngst erschienenes Themenheft der Reihe ›Micrologus‹ über den Engel in Antike und Mittelalter,11 dessen anregende Beiträge aber natürlich kein Gesamtbild anstreben können. Durchweg spätmittelalterlich ausgerichtet sind die philosophiegeschichtlichen Monographien von Tiziana Suarez-Nani12 sowie zwei jüngere, von Isabel Iribarren und Martin Lenz13 sowie von Tobias Hoffmann herausgegebene Sammelbände,14 während ein von Wendelin Knoch verantwortetes Zeitschriftenheft speziell das Problem der Botendienste der Engel von verschiedenen Aspekten und Disziplinen her angeht.15 Spätmittelalterlich sind

7 Alfons Rosenberg, Engel und Dämonen. Gestaltwandel eines Urbildes, München 21986 (11967). Rosenberg geht es vor allem um die biblische Tradition und deren Fortführung und Wandlung im Christentum. 8 Philippe Faure, Anges, in: Jacques Le Goff/Jean-Claude Schmitt (Hg.), Dictionnaire raisonn8 de l’Occident m8di8val, Paris 1999, Sp. 42–54. 9 Philippe Faure, L’ange du haut Moyen ffge occidental (IVe-IXe siHcles): cr8ation ou tradition?, in: M8di8vales: langue, textes, histoire 15, 1988, S. 31–49. Faure geht es darin vor allem um die Stellung und Verehrung der Erzengel. 10 Yves Cattin/Philippe Faure, Les Anges et leur image au Moyen ffge, Saint-L8ger-Vauban 1999 (dt. Die Engel und ihr Bild im Mittelalter, Regensburg 2000). Die engagierte Studie differenziert allerdings kaum zwischen den Zeiten (sehr vieles ist spätmittelalterlich) und ist oft zu allgemein gehalten. 11 Accekos – Angelus. From the Antiquity to the Middle Ages (Micrologus 23), Florenz 2015. 12 Tiziana Suarez-Nani, Les anges et la philosophie. Subjectivit8 et fonction cosmologique des substances s8par8es / la fin de la XIIIe siHcle (Ptudes de philosophie m8di8vale 82), Paris 2002; Dies., Connaissance et langage des anges selon Thomas d’Aquin et Gille de Rome (Ptudes de philosophie m8di8vale 85), Paris 2002. 13 Isabel Iribarren/Martin Lenz (Hg.), Angels in Medieval Philosophical Inquiry. Their Function and Significance (Ashgate Studies in Medieval Philosophy), Aldershot 2008, vor allem zur Natur und zur Raumbindung. 14 Tobias Hoffmann (Hg.), A Companion to Angels in Medieval Philosophy (Brill’s Companions to the Christian Tradition 35), Leiden-Boston 2012. Darin ist einzig der Beitrag von Peter King über Anselm von Canterbury dem hohen Mittelalter gewidmet. Spätmittelalterlich ausgerichtet ist auch der Band von Gerhard Jaritz (Hg.), Angels, Devils. The Supernatural and Its Visual Representation (CEU Medievalia 15), Budapest 2011, der weniger speziell an Engeln als an dem Zusammenhang von Theologie und Kunst im Hinblick auf das Übernatürliche interessiert ist. 15 Wendelin Knoch (Hg.), Engel und Boten (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 11/1), Berlin 2006.

1. Forschungsstand und Tradition

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auch literaturwissenschaftliche Studien über Engel in der englischen Literatur16 oder in Weihnachts- und Osterspielen.17 Entwicklungsgeschichtlich hat man versucht, den »romanischen« Engel, nicht nur in der Kunst, vom »gotischen« zu unterscheiden18 oder hat sich einzelnen Epochen wie der Scholastik zugewandt.19 Spezieller widmen sich einzelne Arbeiten etwa der »Engelsmusik«20 oder – wiederum ausnahmslos spätmittelalterlich – der Engelsprache21 oder ihrer Erkenntnisfähigkeit.22 Mehrere Studien sind darüber hinaus einzelnen 16 Leo Carruthers (Hg.), Anges et D8mons dans la litt8rature anglaise au Moyen ffge (Cultures et civilisations m8di8vales 19), Paris 2002. 17 Hilda Findlay, The Representation and Function of Angels in Medieval German Easter and Passion Plays, Diss. Oxford 1987 (Ann Arbor Microfilms, British Theses D-83181). 18 Aurelia Stapert, L’ange roman dans la pens8e et dans l’art (Tradition et culture 3), Paris 1975, zur monastischen Sichtweise ebd. S. 149–189; Dominique Poirel, L’ange gothique, in: AgnHs Bos/Xavier Dectot (Hg.), L’architecture gothique au service de la liturgie. Actes du colloque organis8 / la Fondation Singer-Polignac (Paris) le jeudi 24 octobre 2002 (Rencontres m8di8vales europ8ennes 3), Turnhout 2003, S. 115–144. 19 Marcia L. Colish, Early Scholastic Angelology, in: Recherches de Th8ologie ancienne et m8di8vale 62, 1995, S. 80–109, die (ebd. S. 109) die frühscholastische Engellehre noch als »terra incognita« in unserem Wissen bezeichnet. Ebd. S. 80f. kann Colish noch feststellen, daß nicht nur die Forschung, sondern auch die Scholastik den Engeln wenig Interesse entgegengebracht habe. Nach Colish (ebd. S. 91), schuf Petrus Lombardus das einzige geschlossene Engelbild der Frühscholastik. Anders dagegen Keck, Angels S. 75ff., der ein erhöhtes Interesse der Scholastik an der Natur der Engel und eine neue Haltung in der Beschäftigung mit Engeln (so S. 92) feststellt, das allerdings erst auf das 13. Jahrhundert bezieht. 20 Vgl. Reinhold Hammerstein, Die Musik der Engel. Untersuchungen zur Musikanschauung des Mittelalters, Bern 21990 (11962). Vgl. auch Gunilla Iversen, Chanter avec les anges. Po8sie dans la messe m8di8vale. Interpr8tations et commentaires (Patrimoines christianisme), Paris 2001; Dies., Laus uranica. La louange des anges dans la po8sie liturgique m8di8vale. Conversion de mots et d’id8es antiques, in: Claudio Leonardi (Hg.), Gli umanesimi medievali. Atti del II Congresso dell’»Internationales Mittellateinerkomitee«, Firenze, Certosa del Galluzzo, 11–15 settembre 1993 (Millennio Medievale 4. Atti di Convegni 1), Florenz 1998, S. 239–259. 21 Bernd Roling, Locutio angelica. Die Diskussion der Engelsprache als Antizipation einer Sprechakttheorie in Mittelalter und Früher Neuzeit (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 97), Leiden-Boston 2008; Jan R. Veenstra, La communication avec les anges. Les hi8rarchies ang8liques, la lingua angelorum et l’8l8vation de l’homme dans la th8ologie et la magie (Bonaventure, Thomas d’Aquin, Eiximenis et l’Almandal), in: M8langes de l’Pcole franÅaise de Rome. Moyen ffge 114/2, 2002, S. 773–812; zu hochscholastischen Diskussionen: Claude Panaccio, Angel’s Talk, Mental Language, and the Transparency of the Mind, in: Costantino Marmo (Hg.), Vestigia, Imagines, Verba. Semiotics and Logic in Medieval Theological Texts (XIIth-XIVth Century). Acts of the XIth Symposium on Medieval Logic and Semantics, San Marino, 24–28 May 1994 (Semiotic and Cognitive Studies 4), Turnhout 1997, S. 323–335. 22 Ralf M.W. Stammberger, Die Lehre von der prälapsarischen Erkenntnis der Engel bei Hugo von Sankt Viktor, Petrus Lombardus und in zeitgenössischen Sententiae, in: Maria C.ndida Pacheco/Jos8 Francisco Meirinhos (Hg.), Intellect et imagination dans la Philosophie M8di8vale / Intellect and Imagination in Medieval Philosophy / Intelecto e imaginażo na Filosofia Medieval. Actes du XIe CongrHs International de Philosophie M8di8vale de la So-

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Gattungen23 oder einzelnen Autoren wie Gregor dem Großen,24 Hildegard von Bingen25 oder Aelred von Rievaulx26 gewidmet. Eine ganze Reihe von Arbeiten befaßt sich schließlich mit Engeln in der mittelalterlichen Kunst27 oder in anderen Kulturkreisen.28 Insgesamt ergibt sich ein breites Spektrum, in dem das Frühmittelalter häufig jedoch auf kurze Bemerkungen beschränkt wird. Gerade

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ci8t8 Internationale pour l’Ptude de la Philosophie M8di8vale (S.I.E.P.M.), Porto, du 26 au 31 ao0t 2002 (Soci8t8 Internationale pour l’Ptude de la Philosophie M8di8vale. Rencontres de Philosophie M8di8vale 11,3), Bd. 3, Turnhout 2006, S. 1853–1862. Vgl. etwa zur irischen Hagiographie Lucia M.M. Olivieri, L’Angelus nelle Vitae Sanctorum Hiberniae, in: Accekos – Angelus S. 289–306; zur süditalienischen Hagiographie Ada Campione, Angeli nell’agiografia di arca italomeridionale, in: ebd. S. 307–332. Zu Gregors Engellehre vgl. Claudio Micaelli, Riflessioni su alcuni aspetti dell’angelologia di Gregorio Magno, in: Gregorio Magno e il suo tempo. XIX Incontro di studiosi dell’antichit/ cristiana in collaborazione con l’Ecole FranÅaise de Rome, Roma, 9–12 maggio 1990. Bd. 2: Questioni letterarie e dottrinali (Studia Ephemeridis »Augustinianum« 34), Roma 1991, S. 301–314; Poirel, L’ange gotique S. 119ff. Vgl. Heinrich Schipperges, Die Welt der Engel bei Hildegard von Bingen, Salzburg 21979 (11963; Taschenbuch Freiburg-Basel-Wien 1995); Francesco Santi, Ildegarde di Bingen e gli angeli, in: Accekos – Angelus S. 333–350. Vgl. Ralf Lützelschwab, Vigiles sunt angeli. Angels in the Writings of Ælred of Rievaulx, in: C%teaux: Commentarii cistercienses 59, 2008, S. 193–208. Zur Ikonographie der Engel vgl. Stapert, L’ange roman S. 243–385, zur romanischen Kunst. Ferner : Engel. Zwölf farbige Miniaturen aus dem frühen Mittelalter, erläutert von Wolfgang Krönig, Hamburg 1957; Ma Dolores Barral Rivadulla, ]ngeles y demonios, sus iconograf&as en el arte medieval, in: Cuadernos del CEMyR [Centro de Estudios Medievales y Renacentistas, Universidad de La Laguna] 11, 2003, S. 211–235. Spätmittelalterlich: Heinrich und Margarethe Schmidt, Die vergessene Bildersprache christlicher Kunst. Ein Führer zum Verständnis von Tier-, Engel- und Mariensymbolik, München 1981 (ND. 2007), S. 125–192; Meredith J. Gill, Angels and the Order of Heaven in Medieval and Renaissance Italy, Cambridge 2014. Zur französischen Kunst, ebenfalls fast durchweg spätmittelalterlich, vgl. Patricia M. Gathercole, The Depiction of Angels and Devils in Medieval French Manuscript Illumination, Lewiston-Queenston-Lampeter 2004, S. 1–52. Zu den Engelchören in der spätmittelalterlichen Kunst: Barbara Bruderer Eichberg, Les neufs chœurs ang8liques. Origine et 8volution du thHme dans l’art du Moyen ffge (Civilisation M8di8vale 6), Poitiers 1998. Nur ganz wenige Beispiele aus dem hohen Mittelalter bietet die zeitlich übergreifende, von den Bildern her auf das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit konzentrierte Darstellung von Rosa Giorgi, Angels and Demons in Art, hg. v. Stefano Zuffi, Los Angeles 2005 (ital. Erstausgabe Milano 2003). Knapp zur byzantinischen Kunst: Mirjana Taticˇ -Djuricˇ , Das Bild der Engel (Iconographia ecclesiae orientalis), Recklinghausen 1962. Ganz spätmittelalterlich und neuzeitlich ist: Josefine Müllers, An der Hand des Engels. Der Engel in bildender Kunst und Literatur, in: Peter Gerlitz (Hg.), Wasser und Quelle. Engel und Dämonen (Symbolon N. F. 13), Frankfurt a.M. u. a. 1997, S. 147–180. Der Ausstellungskatalog von Maria Theisen (Hg.), Engel. Himmlische Boten in alten Handschriften, München und Darmstadt 2014, enhält ausschließlich spätmittelalterliche Abbildungen, obwohl der Text das ganze Mittelalter umfaßt. Eine prägnante Einführung in Traditionen, Entwickung und Inhalte der mittelalterlichen Engellehre gibt aber Maria Theisen, Engel im Christentum, in: ebd. S. 34–137. Zu byzantinischen Engelsvorstellungen vgl. etwa Enrico Valdo Maltese, Gli angeli in terra: sull’immaginario dell’angelo bizantino, in: Ders., Dimensioni bizantine. Donne, angeli e demoni nel Medioevo greco, Torino 1995, S. 69–92.

1. Forschungsstand und Tradition

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die wissenschaftlichen Arbeiten interessieren sich mehr für die Zeit seit der Frühscholastik, während ein hinreichend umfassender, geschichtswissenschaftlich-vorstellungsgeschichtlicher Überblick über die Wahrnehmung der Engel im früheren Mittelalter, wie ihn diese Studie anstrebt, bislang fehlt. Engel sind dem mittelalterlichen Menschen höchst vertraute, allgegenwärtige Wesen,29 über die man hat lesen und hören und die man auf Bildern und Skupturen hat betrachten können. Engel sind gewissermaßen, wie Conrad Leyser es ausdrückt, »within spitting distance« ihrer Umgebung,30 auch wenn man sie, von bildlichen Darstellungen abgesehen, recht selten wirklich zu Gesicht bekam. Sind Engel in Buchminiaturen meist dem liturgischen und jedenfalls dem ›gebildeten‹ Gebrauch vorbehalten, so vermitteln zumindest die häufigen Engeldarstellungen an Kirchenportalen, Säulen und Kirchenwänden allen Menschen eine plastische Vorstellung von der Gestalt mittelalterlicher Engel. Engel sind den mittelalterlichen Menschen, in ihrer Gesamtheit wie im besonderen auch die namentlich bekannten Erzengel, nicht minder aus der Bibel vertraut31 und als Himmelsbewohner in der Umgebung Gottes bekannt, haben aber auch Funktionen in ihrem irdischen Leben sowie später im Jüngsten Gericht. Sind Engel in den sehr vereinzelten und verstreuten Nachrichten des Alten Testaments, einschließlich der apokryphen Literatur (Buch Henoch), vor allem die geisthaften Heerscharen Gottes,32 so werden sie im Neuen Testament zu sichtbaren Boten Gottes, ohne daß sich daraus bereits eine systematische Angelologie ableiten läßt. Sie bildete sich, unter Einbezug nicht zuletzt der griechischen Philosophie über die Geistwesen (die noch stärker die Dämonen- als die Engellehre beeinflußt hat), erst in den ersten christlichen Jahrhunderten aus, vor allem im apokryphen Schrifttum, wurde dann aber von den Kirchenvätern, voran von Irenäus von Lyon, aufgegriffen, ohne schon systematisch herausgearbeitet zu werden.33 29 Faure, L’ange du haut Moyen ffge S. 31, spricht von »l’omnipr8sence de la figure ang8lique«. Vgl. auch Ders., Anges Sp. 42; Keck, Angels S. 69. 30 Conrad Leyser, Angels, Monks, and Demons in the Early Medieval West, in: Richard Gameson/Henrietta Leyser (Hg.), Belief and Culture in the Middle Ages. Studies presented to Henry Mayr-Harting, Oxford 2001, S. 9–22, hier S. 9, mit Bezug auf die Bestimmung der Magisterregel (47f.), der Mönch solle stets nach hinten spucken, weil vor ihm immer Engel stünden. 31 Vgl. Keck, Angels S. 28–46; Lavatori, Gli angeli S. 18–50; ausführlich auch Krauss, Engel S. 11–53. 32 Im Judentum sind Engel die treugebliebenen Himmelsbewohner, die das Böse hemmen und die Menschen beschützen sollen; vgl. Clemens Thoma, Engel und Dämonen im Judentum, in: Hubert Herkommer/Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Engel, Teufel und Dämonen. Einblicke in die Geisterwelt des Mittelalters, Basel 2006, S. 33–41, hier S. 40. 33 Vgl. dazu die ersten drei Kapitel (von Andr8 Caquot, Johann Michl und Georges Tavard) in Tavard (Hg.), Die Engel S. 1–49, zu Altem und Neuem Testament, Frühchristentum und Hochpatristik; Stapert, L’ange roman S. 73–146; Cattin/Faure, Les anges et leur image

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Unbeschadet älterer Traditionen ist die mittelalterliche Engellehre daher ein Produkt des frühen Mittelalters.34 Eine geschlossenere Engellehre bieten trotz zahlreicher Belege noch nicht die großen Kirchenväter, wie Augustin35 und in Ansätzen Gregor der Große,36 sondern erst Isidor von Sevilla im frühen 7. Jahrhundert und bereits ein Jahrhundert früher vor allem Pseudo-Dionysios Areopagita mit seinem griechischen Werk über die Himmelshierarchien (tatsächlich einer neoplatonischen Schrift wohl des frühen 6. Jahrhunderts, deren Verfasser sich als Schüler des Paulus ausgibt),37 das im Mittelalter vielfach aufgegriffen, übersetzt und kommentiert worden ist (wie zuerst 835 von Abt Hilduin von Saint-Denis und wenig später von Johannes Scotus Eriugena im 9.38 und dann von Hugo von St. Viktor im 12. Jahrhundert).39 Erst jetzt begann die

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S. 29–85; Hafner, Angelologie S. 157–225, zur spätantiken und biblischen Tradition; ausführlich zur christlichen Adaption, allerdings sehr spezifischer Aspekte, jetzt Rangar Cline, Ancient Angels. Conceptualizing Angeloi in the Roman Empire (Religions in the GraecoRoman World 172), Leiden-Boston 2011, sowie, vor allem zu Evagrius von Pontus und Augustin, Ellen Muehlberger, Angels in Late Ancient Christianity, Oxford 2013. Vgl. Faure, L’ange du haut Moyen ffge S. 42f.: »La mise en place de l’ang8lologie et de la d8votion aux anges est donc l’œuvre du Haut Moyen ffge. La continuit8 avec l’Antiquit8 tardive est ind8niable; les œuvres de r8f8rence de la tradition ang8lologique occidentales (saint Augu[s]tin et le pseudo-Denys) relHvent de cette p8riode, la spiritualit8 de l’ange v8cue dans le milieu monastique prend son inspiration dans les PHres du d8sert, chez Jean Cassien ou saint J8rime, la v8n8ration populaire aux anges et / saint Michel prend son essor au Ve siHcle.« Zur christlichen Tradition vgl. ebd. S. 32f.; Ders., Anges Sp. 43ff.; Hafner, Angelologie S. 157–182. Zum Beitrag Augustins vgl. Tavard, Die Hochpatristik, in: Ders., (Hg.), Die Engel S. 46ff. Vgl. Gregor der Große, Homiliae in Evangelium 34, S. 299ff.; Ders., Moralia in Iob 32,23 (47f.), CCL 143B, S. 1665f. Zur Angelologie Gregors des Großen vgl. oben Anm. 24. Jane Hawkes, Gregory the Great and Angelic Mediation: The Anglo-Saxon Crosses of the Derbyshire Peaks, in: Alastair Minnis/Jane Roberts (Hg.), Text, Image, Interpretation. Studies in Anglo-Saxon Literature and its Insular Context in Honour of Pamonn = Carrag#in (Studies in the Early Middle Ages 18), Turnhout 2007, S. 431–448, findet Gregors Gedanken sogar auf den Engeldarstellungen angelsächsischer Kreuze wieder, doch wird man hier wohl angemessener von der Visualisierung bereits weit verbreiteter Vorstellungen ausgehen können. Ps.-Dionysios Areopagita, Peri tes ouranias hierarchias. Zu Pseudo-Dionysios vgl. Tavard, Die Hochpatristik, in: Ders. (Hg.), Die Engel S. 48ff.; Hafner, Angelologie S. 157–165. Beide Übersetzungen sind, wie auch die späteren, jeweils zeilenweise vergleichend ediert von Philippe Chevallier u. a., Dionysiaca. Recueil donnant l’ensemble des traductions latines des ouvrages attribu8s au Denys de l’Ar8opage, 2 Bde., Paris 1937–1950. Vgl. Faure, L’ange du haut Moyen ffge S. 33. Hugo von St. Viktor, Commentaria in Hierarchiam coelestem s. Dionysii Areopagitae, Sp. 923–1154. Vgl. jetzt die seit längerem angekündigte Neuedition: Hugo von St. Viktor, Super Ierarchiam Dionisii, ed. Dominique Poirel, CCM 178. Hugonis de Sancto Victore opera 3, Turnhout 2015. Hugos Schrift ist wohl der bedeutendste Kommentar zu Dionysios in dieser Zeit. Das Werk ist in seinem Verhältnis zu Dionysios ausführlich analysiert von Dominique Poirel, Des symboles et des anges. Hugues de Saint-Victor et le r8veil dionysien du XIIe siHcle (Bibliotheca Victorina 23), Turnhout 2013, und hier deshalb nicht weiter berücksichtigt. Poirel geht es dabei ganz um die dionysische Tradition und Rezeption im

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eigentliche Rezeption.40 Vielfach wird geradezu zwischen einer »gregorianischen« (monastischen) und einer »dionysischen« (priesterlichen) Tradition unterschieden,41 doch würde eine Reduzierung darauf das Gesamtbild allzu sehr vereinfachen. Einige mittelalterliche Autoren haben ihren enzyklopädischen, didaktischen und theologischen Schriften und Traktaten – nur wenige sind ganz den Engeln gewidmet – einzelne Abschnitte oder Kapitel über die Engel eingefügt. Daneben aber gibt es unzählige, teils beiläufige,42 teils zentrale Äußerungen über Engel in fast allen Schriftgattungen, allen voran in exegetischen Bibelkommentaren und in der Hagiographie, aber auch in liturgischen Schriften und Predigten, in der Historiographie, in der Dichtung oder in Briefen. Die Exegese zeigt allerdings ein entscheidendes Charakteristikum: Während unzählige Bibelstellen und -begriffe auf Christus hin ausgedeutet werden, werden Engel (angeli) zwar (gelegentlich) allegorisch gedeutet, aber kaum andere Begriffe mit Engeln identifiziert. Was die Bibel über Engel sagt, wird daher in der Regel wörtlich verstanden und bietet somit einen recht guten Einblick in das mittelalterliche Engelverständnis. Engel sind darüber hinaus ein beliebtes Objekt bildlicher Darstellungen und Skulpturen, nicht zuletzt im Umkreis Gottes. Im Folgenden sollen nicht einzelne Schriften geschlossen, sondern die einzelnen Aspekte der Engelsvorstellungen anhand repräsentativer Belege vorgestellt werden. Die hybride Tradition hat unweigerlich zur Folge, daß die Vorstellungen von Engeln bei den christlichen Autoren im einzelnen zwar oft voneinander abweichen, insgesamt aber doch wieder ein erstaunlich kohärentes Bild ergeben.

2.

Ein erster Zugang: Die Engellehre Isidors von Sevilla

Die wichtigsten Aussagen über die Engel hat Isidor von Sevilla im entsprechenden Abschnitt seiner weit verbreiteten »Etymologiae«43 und in seinen »Sententiae«44 zusammengefaßt und dem Mittelalter überliefert. Nach Isidor wurden die Engel (mit Augustin) vor allen anderen Kreaturen und vor der Schöpfung der Welt geschaffen, als Gott sprach: »Es werde Licht.« Sie haben

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Rahmen der symbolischen Theologie Hugos. Die Inhalte der Engelsvorstellungen treten dahinter zurück. Als »Geburt der Theologie« (so Poirel) würde ich das nicht ansehen. Das betont Poirel, Des symboles et des anges S. 241–333. Vgl. Poirel, L’ange gotique S. 119ff. und 128ff. So stellt auch Lützelschwab, Angels S. 206, im Hinblick auf Aelred von Rievaulx fest, daß Aelred keine Angelologie schreibt, sondern sein Wissen über Engel anwendet. Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5, Bd. 1, S. 274ff. Isidors Ausführungen wiederholt später nahezu wörtlich Hrabanus Maurus, De rerum naturis 1,5, Sp. 28ff. Isidor von Sevilla, Sententiae 1,10, S. 29–38.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

nämlich Anteil am ewigen Licht.45 (Allen voran aber wurde der Teufel geschaffen, nicht zeitlich, sondern dem Rang nach.46) Die Schöpfung dieses (gefallenen) Engels unterscheidet sich wesentlich von der des Menschen: Der Mensch wurde als Ebenbild Gottes geschaffen, der (später gefallene) Engel aber war Zeichen dieses Ebenbildes.47 Der Fall wiederum fand statt, noch bevor der Mensch geschaffen wurde, »denn kaum war er geschaffen, als er schon dem Hochmut verfiel und aus dem Himmel fiel.48 Das ist im Abschnitt über den Teufel noch einmal aufzugreifen. Dem gefallenen Engel wird nie mehr verziehen, weil er keine Buße tat49 und weil ihn im Gegensatz zum Menschen keine körperliche Schwäche zur Sünde trieb.50 Der Mensch aber wird die gefallenen Engel einst ersetzen. Wie viele das sein werden, weiß nur Gott.51 In den »Etymologiae« geht es Isidor vor allem um die Etymologie der Namen, die er aber mit den Eigenschaften und mit sonstigem Wissen über Engel verknüpft. Der griechische Name für die Engel (angeli) bedeutet »Boten«, weil sie den Völkern den Willen Gottes verkünden. Die Engel haben ihren Namen also nicht von ihrer Natur, sondern von ihrer Funktion her erhalten. Der Natur nach sind sie zwar stets Geist(er) (spiritus), heißen aber Engel, weil sie geschickt werden.52 Einige Erzengel tragen Namen, die ihre Ämter anzeigen, doch nur von 45 Ebd. 1,10,3, S. 30: Ante omnem creaturam angeli facti sunt, dum dictum est: ›Fiat lux‹ (Gen 1,3). De ipsis enim dicit scriptura: Prior omnium creata est sapientia (Eccli 1,4). Lux enim dicuntur participando lucis aeternae. Vgl. dazu Abschnitt 3, unten S. 44ff. 46 Ebd. 1,10,4, S. 30: Ante omnem creationem mundi creati sunt angeli et ante omnem creationem angelorum diabolus conditus est, sicut scriptum est: ›Ipse est principium uiarum Dei‹ (Iob 40,14). Vnde et ad conparationem angelorum archangelus appellatus est. Prius enim creatus extitit ordinis praelatione, non temporis quantitate. 47 Ebd. 1,10,6, S. 30: Distat conditio angeli a conditione hominis: homo enim ad Dei similitudinem conditus est; archangelus uero qui lapsus est signaculum Dei similitudinis appellatus est. 48 Ebd. 1,10,7, S. 31: Prius de caelo cecidisse diabolum quam homo conderetur. Nam mox ut factus est, in superbiam erupit, et praecipitatus de caelo est. Zu anderslautenden Ansichten vgl. aber Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 178f. 49 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,10,9, S. 31: Diabolus ideo iam non petit ueniam, quia non conpungitur ad poenitentiam. 50 Ebd. 1,10,11, S. 32: Apostatae angeli ideo ueniam non habent, quia carnalis fragilitatis nulla infirmitate grauati sunt ut peccarent. Homines autem post peccatum idcirco reuertuntur ad ueniam, propter quod ex lutea materia pondus traxerunt infirmitatis. 51 Ebd. 1,10,13, S. 33: Bonorum angelorum numerus, qui post ruinam angelorum malorum est diminutus, ex numero electorum hominum subplebitur. Qui numerus soli Deo est cognitus. 52 Ders., Etymologiae 7,5,1f., Bd. 1, S. 274: Angeli Graece vocantur, Hebraici malachoth, Latine vero nuntii interpretantur, ab eo quod Domini voluntatem populis nuntiant. Angelorum autem vocabulum officii nomen est, non naturae. Semper enim spiritus sunt, sed cum mittuntur, vocantur angeli. Ähnlich Ders., Sententiae 1,10,1, S. 29: Angelorum nomen officii est, non naturae, nam secundum naturam spiritus nuncupantur. […] Natura enim spiritus sunt. Der Satz geht auf Cassiodor, Expositio psalmorum. Ps. 148, S. 1315, und auf Gregor den Großen, Homiliae in evangelia 2, hom. 34,8, S. 306, zurück: Sciendum quoque quod angelorum uocabulum nomen est officii, non naturae.

2. Ein erster Zugang: Die Engellehre Isidors von Sevilla

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vier Engeln sind überhaupt die Namen bekannt: Gabriel (das bedeutet: »Gottesstärke«), Michael (»der wie Gott ist«), Raphael (»Gottes Heilmittel«) und Uriel (»Feuer Gottes«).53 (Daß daneben weitere, aber nicht biblisch bezeugte Erzengelnamen kursieren, zeigt beispielsweise das Konzil von Rom von 745, das Gebete an die Engel Uriel, Raguel, Tubuel, Adinus, Tubuas, Sabaoc und Simiel, die der Häretiker Aldebert in seinen Gebeten angerufen haben soll, ausdrücklich verboten hat.54) Die ›Namen‹ sind allerdings nur kennzeichnende Bezeichnungen. »Haben Engel Namen?« fragt später im 12. Jahrhundert der Schüler im ›Elucidarium‹ des Honorius und erhält die Antwort: »›In den Engeln steckt ein solches Wissen, daß sie keines Namens bedürfen.‹ ›Aber sind Michael, Gabriel und Raphael denn keine Namen?‹ ›Das sind eher Beinamen, die ihnen die Menschen zufällig beigelegt haben; im Himmel haben sie dagegen keine Eigennamen. So erhielt auch der erste Engel erst aus dem Geschehen heraus (ab accidenti) den Namen Sathael, das heißt: Gott entgegengesetzt.‹«55

An anderer Stelle bekundet Honorius, daß einige sich darüber wundern, weshalb überhaupt nur drei Engel namentlich bekannt sind (Uriel wird hier, wie häufig, weggelassen): »Ihr müßt nämlich wissen,« so lautet seine Antwort, »daß ihnen diese Namen von den Menschen gegeben wurden,« während das Wissen der Engel Namen überflüssig macht.56 53 Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,9–15, Bd. 1, S. 275 (nach Gregor, Homiliae in evangelia 2, hom. 34,7ff, S. 305ff.). Obwohl Uriel als einziger nicht biblisch, sondern nur apokryph bezeugt ist, ist er in Texten und Ikonographie, zwischen Zurückweisung und Beharren, nie als einer der vier Erzengel verschwunden; vgl. dazu ausführlich Philippe Faure, Le quatriHme archange Uriel dans l’occident m8di8val. Pl8ments pour l’histoire d’un insaississable proscrit, in: Accekos – Angelus S. 249–287. Zu Engelnamen in der jüdischen und christlichen Tradition im religionswissenschaftlichen Kontext vgl. Beno%t Grévin, L’ange en d8composition(s). Formation et 8volution de l’onomastique ang8lique des origines au Moyen ffge, in: M8langes de l’Pcole FranÅaise de Rime. Moyen ffge 114/2, 2002, S. 617–656. 54 MGH Conc. 2,1, Nr. 5, S. 42f., und Bonifatius, ep. 59, S. 117. Das Verbot geht bereits auf die Synode von Laodikea von 363/364 zurück. Das Gebet an diese Engel wird aber wieder aufgenommen von Otloh, Vita Bonifatii 2,4, S. 175, im langen Bericht über diese Häretiker. Vgl. auch ein Capitulare missorum Karls des Großen, MGH Capit. 1, Nr. 35, c. 5, S. 102: Ut ignota angelorum nomina nec fingantur nec nominentur. Ähnlich noch öfter. Vgl. etwa die Capitula ecclesiastica Haitos von Basel, ebd. Nr. 177, c. 19, S. 365; Ansegis, Capitularium 1,16, S. 434 und 449. 55 Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,30, S. 366: D. Habent nomina angeli? M. Tanta scientia est in angelis, ut non indigeant nominibus. D. Michael, Gabriel, Raphael, non sunt nomina? M. Magis sunt agnomina, quia ab accidenti sunt eis ab hominibus imposita, cum ea non habeant in coelis propria; unde et primus angelus ab accidenti Sathael, id est Deo contrarius, nomen accepit. 56 Honorius Augustodunensis, Speculum ecclesiae. De sancto Michaele, Sp. 1011f.: Quidam mirantur de angelis cur non pius quam tria nomina, scilicet Michahel, Gabriel, Raphahel habeantur ; unde scire debetis haec nomina eis indita ab hominibus, cum tanta scientia sit in angelis, ut non indigeant nominibus.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

»Nach der Heiligen Schrift« gibt es für Isidor neun Stände der Engel,57 die der Bischof von Sevilla im einzelnen gemäß ihrer Bezeichnungen und ihrer Stellung bespricht – und wieder sieht er beides jeweils eng miteinander verknüpft.58 Die Einteilung des Pseudo-Dionysios Areopagita ist Isidor offenbar bereits so geläufig, daß er sie auf die Bibel selbst zurückführen kann, wenngleich er nicht unmittelbar Dionysios folgt. Isidor betont damit gleichfalls, daß es unter den Engeln eine Stufung in höhere und niedere Stände gibt, und hinsichtlich der einzelnen Stände, daß sie den jeweils niedrigeren vorstehen und ihnen Anweisungen geben.59 Nach Macht, Würde und Wissen (um die Tugend) differenziert, werden ihnen entsprechend unterschiedliche Aufgaben zugeteilt.60 Die Begriffe zeigen somit Stand und Würde sowie die Funktion der Engel und zugleich die unterschiedliche Nähe zu Gott an. Insgesamt aber bilden die neun Chöre die ganze himmlische »Engelgesellschaft« (societas caelestis)61 nach dem Engelfall, weil sie hernach fest in ewiger Seligkeit verharren.62 Während der Teufel danach sucht, was das Seine ist, erfreuen sich die guten Engel nicht an sich selbst, sondern an Gott.63 Der Engelfall wiederum führt Isidor zu der Folgerung, daß die Engel (vorher) »wandelbar« (mutabilis) sein mußten und Wandelbarkeit demnach ein Teil ihrer Natur ist (sonst hätten sie ja nicht fallen können). Ihre (jetzige) Unwandelbarkeit ist folglich nicht Teil ihrer Natur, sondern Ausfluß der göttlichen Gnade.64 Ihre Seligkeit aber besteht darin, daß sie Gott sehen (und Gott sehen wollen).65 Sämtliche Engel stehen im Dienst Gottes: die gefallenen 57 Isidor von Sevilla, Etymologie 7,5,4, Bd, 1, S. 274: Novem autem esse ordines angelorum sacrae Scripturae testantur, id est angeli, archangeli, throni, dominationes, virtutes, principatus, potestatus, cherubim et seraphim. 58 Ebd. 7,5,4–26, S. 274ff. Siehe dazu unten Abschnitt 8, S. 94ff. 59 Ebd. 7,5,6/8, S. 275: Sunt enim duces et principes, sub quorum ordine unicuique angelorum officia deputata sunt. […] Si enim in ipsis officiis angelorum nequaquam potestates superiores inferiores disponerent, nullo modo hoc, quod homini diceret angelus, ab angelo cognovisset. 60 Ders., Sententiae 1,10,14, S. 33: Inter angelos distantia potestatum est, et pro graduum dignitate ministeria eisdem sunt distributa, aliisque alii praeferuntur tam culmine potestatis quam scientia uirtutis. Subministrant igitur alii aliorum praeceptis atque oboediunt iussis. 61 Ders., Etymologiae 7,5,16, Bd. 1, S. 275f.: Throni autem et dominationes et principatus et potestates et virtutes, quibus universam caelestem societatem Apostolus conplectitur, ordines angelorum et dignitates intelleguntur. 62 Ebd. 7,5,30, S. 277: Hic est ordo vel distinctio angelorum, qui post lapsum malorum in caelesti vigore steterunt. Nam postquam apostatae angeli ceciderunt, hi perseverantia aeterna beatitudinis solidati sunt. Fast wörtlich Ders., Sententiae 1,10,12a, S. 32. 63 Ebd. 1,10,16, S. 34: Angeli semper in Deo gaudent, non in se. Malus uero inde est diabolus, quia non quae Dei, sed quae sua sunt requisiuit. 64 Ebd. 1,10,2, S. 29: Natura angelorum mutabilis est, quia inest illis mutabilitas in natura, sed facit eos incorruptos caritas sempiterna. Gratia, non natura esse incommutabiles angelos. Nam si natura incommutabiles essent, diabolus non utique cecidisset. 65 Ebd. 1,10,22–24, S. 36: nam ueraciter credimus, quod Deum angeli et uident et uidere desiderant; et habent et habere festinant; et amant et amare nituntur.

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Engel dienen der Strafe durch den Zorn Gottes, vermögen aber längst nicht soviel, wie sie selbst sich das wünschen; die guten Engel stehen hingegen im Dienst des Heils und der Heilung des Menschen und regeln alles nach Gottes Befehl.66 Wenn sie den Menschen als körperhafte Gestalten erscheinen, dann nehmen sie ihren Körper nach Isidor aus der höheren Luft und dessen Festigkeit aus dem himmlischen Element.67 Vor der Ankunft Christi herrschte Zwietracht zwischen Engeln und Menschen; seither aber herrscht Friede zwischen ihnen.68 Isidor bietet damit, knapp gefaßt, bereits eine geschlossene Engellehre, eine der ganz wenigen überhaupt, in der fast alle relevanten Aspekte angesprochen werden. Im folgenden ist das nun in den hier jeweils kurz angedeuteten Aussagen genauer zu analysieren und gegebenenfalls zu differenzieren. Wie sehr Isidors (und Augustins) Gedanken im Mittelalter weiterwirkten, zeigt sich am Ende des 8. Jahrhunderts besonders an Alkuin, der in seinen »Interrogationes et responsiones in Genesim« im Frage- und Antwortspiel kurz und knapp das Wesentliche zusammenfaßt. Dabei geht es ihm, jeweils im Vergleich zum Menschen, um dreierlei: Geschöpflichkeit und »Wohnraum«, das Schweigen der Bibel und den Grund für die Unheilbarkeit der gefallenen Engel (deren Fall hier wieder als gegeben vorausgesetzt wird): »Wie viele rationale Geschöpfe hat Gott geschaffen? – Zwei: Engel und Menschen. Und (er gab) den Engeln den Himmel und den Menschen die Erde als Wohnstatt. – Weshalb wird die Sünde der Engel in der Genesis mit Schweigen übergangen, die Sünde des Menschen aber offengelegt? – Weil Gott nicht vorherbestimmt hat, daß die Wunde des Engels geheilt werde, die des Menschen aber hat er zur Heilung vorherbestimmt. – Warum ist die Sünde des höchsten Engels unheilbar, die des Menschen heilbar? – Weil der Engel der Erfinder seines eigenen Verbrechens war, der Mensch aber durch Betrug eines anderes verführt wurde. Je erhabener der Engel im Ruhm, desto tiefer ist sein Sturz; um wieviel gebrechlicher der Mensch von Natur aus ist, um soviel leichter gelangt er zur Gnade.«69

66 Ebd. 1,10,18, S. 35: Quotiens Deus quocumque flagello huic mundo irascitur, ad ministerium uindictae apostatae angeli mittuntur. Qui tamen diuina potestate coercentur, ne tantum noceant quantum cupiunt. Boni autem angeli ad ministerium salutis humanae deputati sunt, ut curas administrent mundi et regant omnia iussu Dei. 67 Ebd. 1,10,19, S. 35: Angeli corpora, in qua hominibus apparent de superno aere sumunt, solidamque speciem ex caelesti elemento inducunt, per quam humanis obtutibus manifestius demonstrentur. 68 Ebd. 1,10,26f., S. 37: Ante dominicae incarnationis aduentum discordia inter angelos et homines fuit. Veniens autem Christus, pacem in se angelis et hominibus fecit. 69 Alkuin, Interrogationes et responsiones in Genesin 2–4, Sp. 517 CD: Int. 2. Quot creaturas rationales condidit Deus? Resp. Duas. Angelos et homines et coelum angelis, et terram hominibus habitationem. Int. 3. Quare angelicum peccatum silentio in Genesi absconditum est et hominis patefactum? Resp. Quia angelicum vulnus Deus non praedestinavit curare, hominis vero sanare praedestinavit. Int. 4. Cur summi angeli peccatum insanabile fuit et hominis sanabile? Resp. [Quia] angelus sui sceleris inventor fuit, homo vero alterius fraude

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3.

Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Schöpfung und Stellenwert der Engel

Isidors Lehre hat bereits verdeutlicht, daß die Engel Geschöpfe (und folglich in den biblischen Schöpfungsbericht einzuordnen) sind. Gegenüber antik-heidnischen Vorstellungen mußten die patristischen und mittelalterlichen Autoren immer wieder betonen, daß Engel (oder Geister) nicht von jeher existieren, sondern ihre Existenz wie die gesamte Schöpfung Gott verdanken.70 Daß auch Engel Geschöpfe und nicht Schöpfer sind oder schon vor der Schöpfung existiert haben, haben dezidiert bereits Irenäus von Lyon im 2. und dann Augustin zu Beginn des 5. Jahrhunderts in seiner Schrift ›De civitate Dei‹ bekräftigt, um polytheistischen Tendenzen und heidnischen Einwänden zu begegnen:71 Engel sind zwar Geistwesen, aber nicht Gott gleich. Noch das Pariser Konzil von 825 muß herausstreichen, daß heilige Engel und heilige Menschen nicht (wie Gott) verehrt oder angebetet werden dürfen.72 »Und obgleich wir lesen, daß die Engel schon vor den Zeiten existiert haben,« schreibt im 12. Jahrhundert ein Fortsetzer Sigeberts von Gembloux in seiner ›Historia pontificalis‹, »können sie doch nicht nach Gleichewigkeit streben, weil sie wie alles andere auch von Gott erschaffen wurden und wir deshalb nicht daran zweifeln können, daß sie einen Anfang haben.«73

Auch Augustin hat keine systematische Engellehre geschaffen, sondern nur einzelne Fragen in ihrem jeweiligen Zusammenhang diskutiert (und dabei bereits vorhandene Vorstellungen über Engel vorausgesetzt und benutzt). Dabei widmet er der Schöpfung der Engel ebenfalls besondere Aufmerksamkeit. Zwar ist die Ansicht, daß Gott alles gleichzeitig aus dem Nichts und die Engel am Anfang schuf, nicht erst ein neuer Konsens der Frühscholastik,74 sondern längst

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seductus [fuit]. Item, quanto sublimior angelus in gloria, tanto maior in ruina; homo vero quanto fragilior in natura, tanto facilior ad veniam. Vgl. Keck, Angels S. 68: Gott ist der einzige Schöpfer ; Hafner, Angelologie S. 115: Engel existierten nicht von Anfang an. Augustinus, De civitate Dei 11,22, S. 340f.; 12,25, S. 381; 12,27, S. 383f. Zur Schöpfung der Engel bei Augustin vgl. Faure, L’ange du haut Moyen ffge S. 32. Konzil von Paris von 825, MGH Conc. 2/2, Nr. 44, c. 53, S. 497: Si enim, sicut praemissa sanctorum patrum documenta declarant, sancti angeli et sancti viri non sunt colendi nec adorandi, hoc enim et ipsi refugiunt, sed sola caritate, non autem servitute honorandi. Hingegen stellt Emanuele Coccia, Massa e potere. Lo statuto della divinit/ nell’angelo cristiano, in: Accekos – Angelus S. 79–107, Attribute der Göttlichkeit der Engel heraus. Historia pontificalis 13 (Fortsetzer Sigeberts von Gembloux), S. 527, gegen häretische Ansichten: Et licet angeli legantur ante tempore extitisse, tamen ad coeternitatem aspirare non possunt, quia sicut omnia alia a Deo creati initium habuisse non dubitantur. So klingt das, von ihrem Thema her, bei Colish, Early Scholastic Angelology S. 81ff., an, die (ebd. S. 83) aber auch feststellt, daß in der Frage der Herkunft der Engel wenig Klarheit herrscht.

3. Schöpfung und Stellenwert der Engel

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in der frühmittelalterlichen Genesisexegese verbreitet,75 doch galt es gleichwohl, das Schöpfungswerk gemäß dem Genesisbericht als Sechstagewerk zu begreifen. Da der biblische Schöpfungsbericht die Engel jedoch gänzlich unerwähnt läßt, hat Augustin im Rahmen der Entstehungsgeschichte der beiden civitates die Frage diskutiert, wo sich die Schöpfung der Engel (die er gar nicht erst in Frage stellt) im Schöpfungsbericht der Genesis finden lassen könnte: Da sie Gottes Geschöpfe und folglich nicht gleichewig mit ihm sind, müssen sie sich schließlich zwangsläufig in den Schöpfungsvorgang einordnen lassen.76 Da Gott nun Himmel und Erde am Anfang (in principio) schuf, können die Engel nicht vorher erschaffen worden sein. Da die Engel (nach Hiob 39,7) aber die Schöpfung der Gestirne lobten, müssen sie vor dem vierten Tag erschaffen worden sein. Auch der dritte Tag – die Scheidung von Wasser und Land – kommt nach Augustin ebensowenig in Frage77 wie der zweite, als der Himmel erschaffen wurde (eine Möglichkeit, die er immerhin noch in Betracht zieht, da der Himmel ja die Wohnstätte der Engel ist). Augustin identifiziert die Engel vielmehr mit dem »Licht« des ersten Schöpfungstages bzw. sieht er mit der Scheidung von Licht und Finsternis den Engelfall, die Scheidung von heiligen und unreinen Engeln, symbolisiert,78 eine Deutung, der man seither weithin gefolgt ist: »Indem Gott nämlich sprach: ›Es werde Licht,‹ und es Licht ward, und wir unter diesem Licht wirklich die Erschaffung der Engel verstehen, sind sie in der Tat des ewigen Lichtes teilhaftig geworden, das die unwandelbare Weisheit Gottes ist, durch die alles erschaffen wird und die wir den eingeborenen Sohn Gottes nennen.«79

Eine solche Deutung erklärt tatsächlich manches: die lichtvolle Gestalt der Engel, die Anteil am Licht Gottes haben, ebenso wie den vollkommenen Gegensatz zur Finsternis, die Sphäre des Teufels und der unreinen Geister, nämlich 75 Vgl. Hans-Werner Goetz, Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters. Teilband 1: Das Gottesbild (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 13.1), Berlin 2011, S. 88f. 76 Augustinus, De civitate Dei 11,9, S. 328ff.; ebd. 11,32, S. 351f. Daß nicht die Engel den Menschen erschaffen haben, betont Augustin mehrfach: ebd. 12,25, S. 381; 12,27, S. 383f. 77 Dennoch greift das, angeblich auf Augustin fußend, Burchard von Worms, Decretum 20,40 (De creatione angelorum), Sp. 1028 D, auf: et aquam terra absconderet, facti sunt angeli et omnes coelestes virtutes. 78 Augustinus, De civitate Dei 11,19, S. 338: non mihi uidetur ab operibus Dei absurda sententia, si, cum lux prima illa facta est, angeli creati intelleguntur, inter sanctos angelos et inmundos fuisse discretum, ubi dictum est: ›Et diuisit Deus inter lucem et tenebras; et uocauit deus lucem diem et tenebras uocauit noctem‹ (Gen 1,4f.). Zur Rechtfertigung dieser Deutung gegenüber anderen Interpretationen der Stelle: ebd. 11,32, S. 351f. 79 Augustinus, De civitate Dei 11,9, S. 329f.: Cum enim dixit Deus: ›Fiat lux‹, et facta est lux, si recte in hac luce creatio intellegitur angelorum, profecto facti sunt participes lucis aeternae, quod est ipsa incommutabilis sapientia Dei, per quam facta sunt omnia, quem dicimus unigenitum Dei filium.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

der gefallenen Engel, die mit dem Engelsturz80 »in die tiefste Tiefe dieser Welt verstoßen sind«.81 Es gibt nämlich zweierlei Arten der Engel: gute (die Engel) und böse82 (die Dämonen): Die einen, die Erwählten, so Gregor der Große, stehen zur Rechten, die anderen, die Verworfenen, zur Linken Gottes (während Gott weder links noch rechts ist).83 Nach Augustin teilen sich die Engel nach dem Fall in zwei in ihrem Wesen und Wirken ganz gegensätzliche Engelgemeinschaften (duas societates angelicas):84 »Die eine wohnt im Himmel der Himmel, die andere ist von dort herabgestürzt in diesen untersten Lufthimmel, um hier ruhelos hin und her zu schwirren. Die eine ruht in lichtvoller Ergebenheit, die andere wird zerwühlt von finsteren Begierden; auf Gottes Wink hin erbarmt sich die eine und leistet Hilfe und straft gerecht, die andere kennt nur ihren eigenen Wunsch und brennt vor Gier, zu unterjochen und zu schaden; die eine ist der Güte Gottes dienstbar und schafft Rat, soviel sie will, die andere wird von Gottes Macht in Zaum gehalten, um nicht, wie sie will, zu schaden; die eine spottet der anderen, weil sie wider Willen durch ihre Verfolgungen Nutzen bringt, die andere beneidet jene, weil sie die Ihren zur Pilgerschaft zusammenruft. Mit diesen beiden unter sich so verschiedenen, einander entgegengesetzten Engelgemeinschaften haben wir es also zu tun; die eine ist sowohl von Natur aus gut als auch im Willen recht, die andere ist zwar auch von Natur aus gut, doch im Willen verkehrt.«85 80 Vgl. dazu Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 176ff. und unten S. 201ff. 81 So Augustinus, De civitate Dei 11,33, S. 352: Peccasse autem quosdam angelos et in huius mundi ima detrusos. Zu den »Engeln des Lichts« vgl. Cattin/Faure, Les anges et leur image S. 179–185. 82 Vgl. Licinianus von Karthago, ep. 2, Sp. 693 C: En habet non solum angelos bonos, verum etiam angelos malos spiritus nuncupari. Nach Tavard, Engel S. 50f., und Faure, L’ange du haut Moyen ffge S. 35, geht diese Unterscheidung auf Johannes Cassianus (Conlationes 7,11– 13, S. 191ff.) zurück, wo jedoch zwischen Engeln und unreinen Geistern unterschieden wird. Die Unterscheidung von guten und bösen Engeln findet sich (mehr oder weniger gleichzeitig) auch bei Augustin. Zur religionswissenschaftlichen Unterscheidung guter (zum Schutz der Menschen) und böser Engel (als Widersacher der Menschen) vgl. Uwe Steffen, Zwei Aspekte der Engelvorstellung, in: Gerlitz (Hg.), Wasser und Quelle S. 105–116. 83 Gregor der Große, Moralia in Iob 2,20, CCL 143, S. 83: Sed dextra Dei angelorum pars electa, sinistra autem Dei pars angelorum reproba designatur. Danach auch Burchard von Worms, Decretum 20,48, Sp. 1030 C: Quid est ergo quod exercitus coeli a dextris et sinistris eius stare perhibetur? Deus enim, qui ita est intra omnia, ut etiam sit extra omnia, nec dextera nec sinistra concluditur, sed dextera Dei angelorum pars electa, sinistra autem Dei, pars angelorum reproba designatur. 84 Augustinus, De civitate Dei 11,33, S. 353: diuisit Deus inter lucem et tenebras: nos tamen has duas angelicas societates, unam fruentem Deo, alteram tumentem typho. 85 Ebd.: illam in caelis caelorum habitantem, istam inde deiectam in hoc infimo aerio caelo tumultuantem; illam luminosa pietate tranquillam, istam tenebrosis cupiditatibus turbulentam; illam Dei nutu clementer subuenientem, iuste ulciscentem, istam suo fastu subdendi et nocendi libidine exaestuantem; illam, ut quantum uult consulat, dei bonitati ministram, istam, ne quantum uult noceat, Dei potestate frenatam; illam huic inludentem, ut nolens prosit persecutionibus suis, hanc illi inuidentem, cum peregrinos colligit suos, nos ergo has

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Die einen verharren in der Wahrheit, die anderen sind davon abgefallen. Der Gegensatz resultiert damit nicht aus einer Verschiedenheit der Naturen – und das bleibt wichtig für die Fähigkeiten der Dämonen –, sondern aus dem verschiedenartigen Willen und Begehren: als Existenz und Handeln für Gott oder sich selbst, für das allgemeine Gut oder für die eigene Macht.86 Im folgenden betont Augustin noch einmal, daß diese Gegensätzlichkeit nicht auf die Uranfänge und Naturen zurückgeht, da Gott die einen wie die anderen erschaffen hat; daher sind sie sämtlich von Natur aus gut, aber veränderlich, weil sie aus dem Nichts (und nicht aus der Substanz Gottes) erschaffen sind.87 Die Seligkeit der Engel besteht darin, daß sie am höchsten Sein festhalten, die Unseligkeit der gefallenen Engel zwangsläufig darin, daß sie aus Hochmut (superbia) vom höchsten Sein zu sich selbst – und damit nicht dem höchsten Sein – abgefallen sind.88 (So ist nach Augustin auch 1. Joh 3,8 zu verstehen, der Teufel sündige von Anfang an.89) Gregor dem Großen zufolge betrachtete der allmächtige Gott die (jeweiligen) Verdienste der Engel und ließ die einen im ewigen Licht ohne Fall verbleiben, während er die anderen, die aus eigenem Antrieb gefallen waren, von ihrem Zustand in der Höhe in die Strafe ewiger Verdammnis niederwarf.90 Die Begrifflichkeit weist noch einmal auf die antike Tradition zurück: Während christliche Autoren seit Augustin »Engel« eher für die guten, »Dämonen« nahezu ausschließlich für die bösen Engel verwenden, bezeichnen beide Begriffe ursprünglich eben Geistwesen, die gut oder böse sein können.91 Ihr Schicksal aber ist so unveränderlich, daß das fünfte Konzil von Toledo Übeltäter cum diabolo et

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duas societates angelicas inter se dispares atque contrarias, unam et natura bonam et uoluntate rectam, aliam uero natura bonam, sed uoluntate peruersam. Ebd. 12,1, S. 355: angelorum bonorum et malorum inter se contrarios adpetitus non naturis principiisque diuersis, cum Deus omnium substantiarum bonus auctor et conditor utrosque creauerit, sed uoluntatibus et cupiditatibus extitisse dubitare fas non est, dum alii constanter in communi omnibus bono, quod ipse illis Deus est atque in eius aeternitate ueritate caritate persistunt; alii sua potestate potius delectati, uelut bonum suum sibi ipsi essent, a superiore communi omnium beatifico bono ad propria defluxerunt et habentes elationis fastum pro excelsissima aeternitate, uanitatis astutiam pro certissima ueritate, studia partium pro indiuidua caritate superbi fallaces inuidi effecti sunt. Ebd. S. 356: dicimus itaque inmutabile bonum non esse nisi unum uerum beatum Deum; ea uero, quae fecit, bona quidem esse, quod ab illo, uerum tamen mutabilia, quod non de illo, sed de nihilo facta sunt. Ebd. 12,6, S. 359: Proinde causa beatitudinis angelorum bonorum ea uerissima reperitur, quod ei adhaerent qui summe est. Cum uero causa miseriae malorum angelorum quaeritur, ea merito occurrit, quod ab illo, qui summe est, auersi ad se ipsos conuersi sunt, qui non summe sunt; et hoc uitium quid aliud quam superbia nuncupetur? Ebd. 11,15, S. 335. Gregor der Große, Moralia in Iob 15,54,61, CCL 143 A, S. 788: Omnipotens enim Deus angelorum merita discernens, alios in aeterna luce sine lapsu permanere constituit; alios sponte lapsos a statu suae celsitudinis in aeternae damnationis ultione prostrauit. Vgl. etwa Cline, Ancient Angels S. 8ff.

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angelis eius verdammen und das Anathem in conspectu Dei Patris et angelorum verkünden kann.92 »Wie die guten Engel groß in ihrer Güte und in ihren Tugenden sind, so sind die bösen Engel groß in ihrer Bosheit und Verschlagenheit,« schreibt gegen Ende des 12. Jahrhunderts Radulf Ardens.93 Augustins Lehre vom Ursprung der Engel wurde im Mittelalter weithin, wenngleich mit Abwandlungen, weitertradiert. Beda greift zumindest das frühe »Datum« der Engelschöpfung auf: Noch waren Himmel und Erde nicht erschaffen, doch sobald Gott sie schuf, füllte er sie auch schon mit Lebewesen. Sobald der Himmel geschaffen wurde, entstanden gleich am Anfang gleichzeitig die Engel, um Gott zu loben.94 »Am ersten Tag schuf Gott unter dem Namen des Lichts die Engel,« schreiben kurz und knapp die um 1000 entstandenen Quedlinburger Annalen.95 »Die Engel wurden, wie man glaubt, nämlich am Anfang zusammen mit Himmel und Erde erschaffen,« meint dagegen wieder ein Kleriker der Karolingerzeit,96 während Hildebert von Le Mans später mit Blick auf die Naturlehre betont, daß sie nicht vor der aus den vier Elementen bestehenden Materie geschaffen worden sein können.97 Die Engel, so Honorius Augustodunensis, wurden zuerst, die Menschen zuletzt geschaffen,98 während Hugo von St. Viktor sie gleichzeitig mit und in der Zeit erschaffen sein läßt.99 Bildlich umgesetzt wird die Schöpfung der Engel am ersten Tag zusammen mit dem Licht im Evangeliar Heinrichs des Löwen, das – von oben beginnend entgegen dem Uhrzeigersinn – die sechs Schöpfungstage in Medaillons darstellt, 92 Toletanum 16 (a. 693), Nr. 34, c. 10, S. 51f. 93 Radulfus Ardens, Homiliae de tempore 38. In festo angelorum. Sermo de Apocalypsi, Sp. 1456 D: Et sicut boni angeli sunt magni in bonitate et virtutibus, ita mali angeli sunt magni in malitia et dolositatibus. 94 Beda Venerabilis, Hexaemeron 1, Sp. 13f.: Non ergo superius illud coelum, quod mortalium omnium est inaccessibile conspectibus, inane creatum est et vacuum in terra, quae nihil in prima sua creatione viventium germinum vel viventium produxit animantium, quia nimirum suis incolis mox creatum, hoc est beatissimis angelorum agminibus impletum est; quos in principio cum coelo et terra conditos esse, ac mox conditionem suam simul et totius creaturae primordialis ad laudem creatoris retulisse, testatur ipse Conditor. 95 Annales Quedlinburgenses, S. 384: Primo enim die Deus in lucis nomine condidit angelos. 96 Supplementum ad epistolas variorum 11, S. 637f.: Angeli enim in principio cum ce˛lo et terra conditi esse creduntur, sicut in Genesi scriptum est: ›In principio creavit Deus ce˛lum et terram‹ (Gen 1,1). 97 Hildebert von Le Mans, Tractatus theologicus 17 (De angelis. Quandonam creati fuerint), Sp. 1107 BC: et ita non prius tempore creati sunt angeli, quam illa materia quatuor elementorum. 98 Honorius Augustodunensis, Libellus VIII quaestionum 1, Sp. 1186 CD: Quod autem angelus sit principium viarum Dei, scribitur in Iob: homo vero ultima factura Dei legitur. Hinc per illum inchoatio, per istum vero consummatio operum Dei innuitur: cui omnis creatura reliqua subicitur. 99 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,5,4, ed. Migne, Sp. 248 CD; ed. Berndt S. 115: Nec fuisse in tempore nec coepisse in tempore alteram sine altera, nec prius unam quam alteram, sed utramque simul in tempore et cum tempore.

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die ringsum an die Christusgestalt in der Mandorla angeheftet sind bzw. zu Teilen dahinter verschwinden und zugleich die sechs Weltalter symbolisieren.100 Das Spruchband zum ersten Schöpfungstag oben über der Mandorla lautet: prima die lux facta e(st) et ang(e)li, »Am ersten Tag wurde(n) das Licht und die Engel erschaffen«. Damit ist die Gleichzeitigkeit betont, während das Bild selbst von einem geflügelten Engel mit ausgebreiteten Armen beherrscht wird. Das Licht ist als Goldstreifen auf blauem Grund hinter dem Engel symbolisiert. In dem bekannten Schöpfungsbild der Grandval-Bibel des 9. Jahrhunderts sehen zwei Engel mit seitlich ausgestreckten Armen folgerichtig bereits zu, wie Gott den Menschen auf der schon bewachsenen Erde erschafft.101 Honorius bestätigt ebenfalls die augustinische Lehre der Licht-Schöpfung der Engel,102 greift, von Augustin abweichend, an anderer Stelle jedoch auch die ›Himmelstheorie‹ auf und setzt die Engel damit ganz an den Anfang der Schöpfung: Man solle nicht glauben, daß bereits vor den Engeln etwas Unfühlbares erschaffen worden sei; die geistige Natur der Engel sei vielmehr zuallererst geschaffen worden, als Gott am Anfang den Himmel erschuf.103 Damit waren die Engel lange vor der sichtbaren Welt und von vornherein in einem seligen Zustand erschaffen worden.104 Durch das Licht Gottes aber wurde die Natur der (bereits existenten) Engel erleuchtet und das Licht der Weisheit Gottes über die Engel ergossen (und zugleich allem noch zu Schaffenden ein Wissen gegeben).105 Vor der Schöpfung gab es hingegen weder Tag noch Nacht, sondern nur den ewigen Tag, der eben die Engel symbolisiert.106 Sie wurden aber gerade zu jener Stunde erschaffen, so schreibt Honorius an wiederum anderer Stelle, in der sie »Gottessöhne« genannt werden konnten, um alsbald nach der Schöpfung 100 Evangeliar Heinrichs des Löwen. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 105 Noviss. 2o, . fol 172r. Abbildung: Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, Abb. I/4. 101 Bibel von Moutier-Grandval (Tours, 834/841). London, British Library, Add. 10546, fol. 5v. Abbildung: Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, Abb. I/2, oberes Bild. Auf dem unteren Bild vertreibt ein Engel Adam und Eva nach dem Sündenfall aus dem Paradies. 102 Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,27, S. 366: D. Quando facti sunt angeli? – M. Cum dictum est: ›Fiat lux‹ (Gen 1,3). 103 Honorius Augustodunensis, Hexaemeron 4, Sp. 260 BC: Non est autem aestimandum aliud insensibile a Deo ante angelos creatum; omne enim sensibile dignius insensibili praedicatur. Angelica itaque natura, quae est intellectualis, in primis conditur, ubi Deus in principio coelum creasse legitur. 104 Ebd.: Et cum hic mundus vix ante sex millia annorum formatus sit, frivolum videtur, quod angelica natura cum eo esse coeperit. Igitur angeli diu ante hunc corporeum mundum in beata et aeterna vita traduntur ; unde etiam in creatione huius Deum magna voce laudasse scribuntur. 105 Ebd. Sp. 261 B, zu ›Fiat lux‹: Ergo ipse Deus lux intellegitur, qui lux vera scribitur ; de cuius visione ita angelica natura illuminatur, ut hic corporeus dies a sole illustratur. Dicitur itaque: ›Dixit Deus: Fiat lux‹: Hoc est per verbum suum Deus lucem suae sapientiae angelicae naturae infudit, et dein adhuc omnibus creandis scientiam dedit. 106 Ebd. Sp. 261 D: Angelica quippe natura est aeterna dies, quam fecit Dominus.

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der Welt im sanften Einklang ihrer vollen Stimmen den Schöpfer zu loben.107 Rupert von Deutz weist hingegen die Ansicht zurück, nach der die Engel bereits vor dem Himmel und der Erde geschaffen worden seien.108 Petrus Lombardus gibt der Engelschöpfung eine entwicklungsgeschichtliche Note und vereint damit die beiden Positionen, indem er, wie bei der Schöpfung der Welt allgemein,109 auch bei den Engeln eine Art doppelter Schöpfung annimmt: zunächst noch ohne Gestalt (informis) und erst dann geformt; zuerst Dunkel, dann Licht.110 Mögen die Ausdeutungen daher im einzelnen jeweils etwas anders ausfallen, so zweifelt Hugo von St. Viktor doch keinesfalls daran, daß Gott die Engel sowohl perfekt als auch gut geschaffen hat.111 Nach dem Engelfall steht die Seligkeit der guten Engel ebenso unwiderruflich fest wie die Verdammnis der gefallenen.112 Allerdings bedurfte es einer Erklärung, weshalb die eigentlich veränderlichen Engel später nicht mehr fallen konnten. Die Engel, so schreibt schon Isidor von Sevilla, sind von Natur aus veränderlich (sonst wäre der Teufel ja nicht gefallen), aber durch die Gnade unveränderlich.113 Sie waren nämlich zuerst veränderlich, wie Isidor aus Mc 12,25 (»Sie werden wie Engel im Himmel sein«) schließt und wie es sich im Engelfall zeigt; jetzt aber sind sie unveränderlich, so daß sie nicht fürchten müssen zu sündigen (wie einst auch die Menschen unveränderlich sein werden).114 Andere betonen stärker das eigene Verdienst der Engel. Als die einen aus 107 Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2,32, Sp. 626 A zu den kanonischen Stunden: scilicet angeli ea hora creati sunt, qui et filii Dei vocati sunt, qui mox pro creatione mundi magna voce suavi concentu conditori iubilaverunt. 108 Rupert von Deutz, De victoria verbi Dei 1,28, S. 41f. Dieselbe Ansicht vertritt schon lange vorher auch ein (fiktiver) Dialog zwischen Augustin und Orosius: Wären die Engel vor der Welt geschaffen worden, hätte Gott nicht zuerst Himmel und Erde erschaffen können (Dialogus quaestionum LXV, quaestio 21, Sp. 740 A: Angeli postmodum facti sunt, an non? Si enim ante Angeli facti sunt, non primo omnium fecit Deus coelum et terram.) Nach der Antwort wurden sie in principio, nämlich in Filio, zusammen mit Himmel und Erde geschaffen. 109 Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 42. 110 Petrus Lombardus, Sententiae lib. 2, dist. 13, c. 2, par. 2, Bd. 1, S. 389f.: Si spiritualis accipitur, angelica natura intelligitur, quae prius informis fuit, sed postea formata est, cum ad Creatorem conversa ei caritate adhaesit. Cuius informitatis creatio superius significata est […]. Haec ergo angelica natura prius tenebrae et postea lux fuit; quia prius habuit informitatem et imperfectionem, deinde formationis perfectionem; et ita divisit Deus lucem et tenebras. 111 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,5,17/19, ed. Migne Sp. 253 BC und 254f.; ed. Berndt S. 122f. Zu Engeln in der Schule von St. Viktor vgl. Stapert, L’ange roman S. 191–200. 112 Augustinus, De civitate Dei 11,13, S. 333f. Vgl. Burchard von Worms, Decretum 20,45, Sp. 1029 CD: Angelorum spiritus idcirco irremissibiliter peccaverunt (nach Gregor dem Großen, Moralia in Iob 9,50,76, CCL 143, S. 510). 113 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,10,2 (oben Anm. 64). 114 Ders., De ordine creaturarum 15,2, Sp. 950 BC: In eo autem quod prius dixerat: ›Erunt sicut

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freiem Willen fielen, meint Augustin (und mit ihm Remigius von Lyon), blieben die anderen aus dem gleichen freien Willen heraus so standhaft, daß sie es verdient haben, diese Wohnstätte als Lohn zu empfangen.115 Die guten Engel, schreibt auch Honorius, gingen aus dem Fall so gestärkt hervor, daß sie weder fallen noch sündigen konnten oder wollten (ut nunquam cadere nec peccare possint numquam velint).116 Die guten Engel, die das Böse verachten und das Gute leben, lehrt Hildegard von Bingen, haben den Fall des Teufels, der die Wahrheit verdrängen und die Lüge aufrichten wollte, gesehen und sind aus dieser Beobachtung heraus so in ihrer Gottesliebe entflammt und haben seither ein solch festes Fundament von allem Guten, daß sie nichts anderes wollen als Gott gefallen und niemals in ihrem Lob nachlassen.117 Anselm von Canterbury zufolge war in den guten Engeln nie irgendeine Ungerechtigkeit, in den Bösen hingegen niemals Gerechtigkeit.118 Die gefallenen Engel aber, so Anselm, können nicht mehr erlöst werden, und schon gar nicht durch einen Engel, zumal die Engel nicht, wie die Menschen aus einem Menschen, aus einem Engel erschaffen wurden und nicht aus einem Geschlecht, sondern von einer Natur sind. Daher kann es keinen Engelgott in der Art geben, wie Christus Gottmensch geworden und für die Menschen gestorben ist.119 Engel aber sterben nicht. Honorius greift

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angeli in coelo‹ (Mc 12,25), intuendum est quod sicut angeli prius per naturam mutabiles facti, quod probatum est in his, qui ceciderunt, nunc vero immutabiles, ut peccare non metuant nec possint, per Dei contemplationem effecti sunt, sic homines et ipsi per naturam mutabiles, quod in Adam et eius semine exploratum est, creati, post resurrectionem Conditoris contemplatione immutabiles effecti, nec desiderabunt peccare nec poterunt; omnis enim rationabilis creatura, quae Dei contemplatione reficitur, peccare non potest. Augustinus, De correptione et gratia 11,32, Sp. 936, und, danach wörtlich, Remigius von Lyon (?), De tenenda immobiliter scripturae veritate et ss. orthodoxorum patrum auctoritate fideliter sectanda 3, Sp. 1090 A: Angeli sancti, qui cadentibus aliis per liberum arbitrium, per idem liberum arbitrium steterunt ipsi, huius mansionis debitam mercedem recipere meruerunt. Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,50, S. 370: D. Quid dicis de bonis angelis? M. Post lapsum illorum mox ita confirmati sunt, ut nunquam nec cadere nec peccare possint. Hildegard von Bingen, Scivias 1,4,30, CCM 43, S. 86f.: Boni uero angeli malum neglexerunt et bonum amauerunt, casum diaboli uidentes, qui ueritatem uolebat opprimere et mendacium erigere. Quapropter ipsi in amore Dei exarserunt, firmum fundamentum totius boni habentes, ita quod aliud nolunt, quam quod Deo placet, numquam in laude eius cessantes. Anselm von Canterbury, Cur Deus homo 1,7, S. 59: Denique sicut in bono angelo nulla omnino est iniustitia, ita in malo nulla penitus est iustitia. Ebd. 2,21, S. 132: Sicut enim homo non potuit reconciliari nisi per hominem-deum qui mori posset, per cuius iustitiam Deo restitueretur, quod per peccatum hominis perdiderat: ita angeli damnati non possunt salvari nisi per angelum-deum, qui mori possit et qui per suam iustitiam Deo reparet, quod aliorum peccata abstulerunt. Et sicut homo per alium hominem, qui non esset eiusdem generis, quamvis eiusdem esset naturae, non debuit relevari: ita nullus angelus per alium angelum salvari debet, quamvis omnes sint unius naturae, quoniam non sunt eiusdem generis sicut homines. Non enim sic sunt omnes angeli de uno angelo, quemadmodum omnes homines de uno homine.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

das auf: Da die Engel nicht wie die Menschen aus einem Ur-Engel, sondern, anders als die Menschen, die sich vermehren, alle gleichzeitig erschaffen wurden, konnte Christus die gefallenen Engel nicht alle gleichzeitig erlösen; hätte er die Gestalt eines Engels angenommen, dann hätte er nur diesen erlöst.120 Weshalb hat Gott lieber die Natur des Menschen und nicht des Engels angenommen? fragt auch Guibert von Nogent. Gott, so lautet die Antwort, hätte, um den Ekel des Fleisches zu vermeiden, den Engeln eine Gebärmutter bereiten müssen; der Himmel aber ist rein. Der Mensch war dazu außerdem geeigneter, weil in ihm ohne Hoffnung auf Verdienst allein die Gnade der Anerkennung zum Vorschein kommt. Bei den Engeln ist das nicht das Gleiche, weil sie unkörperlich sind.121 Damit wird nicht nur die Verschiedenheit von Engeln und Menschen betont – darauf ist gleich noch näher einzugehen –, sondern das Erlösungswerk Christi gleichsam aus diesen Unterschieden erklärt. Engel stehen somit zwischen Gott und den Menschen,122 und zwar in jeder Hinsicht: hinsichtlich ihrer Gottnähe, ihrer Natur (als Geistwesen) und ihrer Mittlerfunktion. »Was kann erhabener sein als Engel und Erzengel?« fragt schon im 9. Jahrhundert daher die Gräfin Dhuoda in ihrer Erziehungsschrift für ihren Sohn Wilhelm.123 Wie Heilige vermitteln Engel zwischen Gott und den Menschen, indem sie Dämonen vertreiben, Krankheiten heilen, weissagen und bei Gott intervenieren.124

120 Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,44, S. 368: Angeli sunt omnes pariter creati, non ab uno angelo, sicut homines ab uno homine, nati. Ideo, si Christus ab uno angelo angelicam naturam sumeret, illum solum redimeret. 121 Guibert von Nogent, De incarnatione contra Iudaeos 1,3, Sp. 494 AB: Quare humanam Deus potius quam angelicam assumpsit naturam. Bene sensa sunt haec. Debuerat ergo Deus propter evitandos carnis fetores, angelicos sibi uteros praeparare. Hos forsitan aptiores conceptioni ipsius poteritis iudicare. Minime gentium. Non legistis, quia coeli non sunt mundi in conspectu eius (Iob 15,15). Et: In angelis suis reperit pravitatem? (Iob 4,18) Si de dignitate agitur, nil Creatori in creatura dignum. Et cum sit tanta Conditoris puritas, ut conditorum omnium iustitiae habeant unde displiceant, illam rationalem, quae videbatur infirmior, naturam congruentissima sibi ratione connexuit, ubi praeter ullam meriti spem sola gratia dignationis apparuit. Nam si angelos apprehendisset, supparilitas quaedam videri, quia incorporei sunt, ex assumptione contigua potuisset. 122 Vgl. Hafner, Angelologie S. 112ff.; Cattin/Faure, Les anges et leur image S. 91–115. 123 Dhuoda, Liber manualis 2,1, S. 192: Quid sublimius possunt esse quam angeli, archangeli? 124 So Marthe Mensah, Anges et d8mons dans les hom8lies d’Ælfric, in: Carruthers (Hg.), Anges et d8mons S. 39–56, hier S. 56: »Comme l’ange le saint est un m8diateur. Il expulse les d8mons, gu8rit les malades, et prophHte / son heure et intercHde auprHs de Dieu pour les hommes.«

4. Die Engel als Himmelsbewohner

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Die Engel als Himmelsbewohner

Engel haben ihre besondere »Zeit«: das aevum (die Ewigkeit),125 und ihren eigenen Raum: den Himmel.126 Hugo von St. Viktor zufolge blieb die rationale Kreatur teils in sua puritate (die Engel), teils wurde sie mit Körpern und irdischen Wohnungen behaftet (die Menschen), um sich dort zu vereinen. Den ersten bereitete Gott eine Wohnung in Reinheit oben im Himmel, den letzteren einen Lebensraum unten auf Erden, erstere waren körperlos, letztere körperlich.127 Allerdings sind die Engel, so meint Rupert von Deutz, nicht im Himmel, sondern außerhalb des Himmels geschaffen und nur aus Gnade dorthin versetzt worden. Das wiederum ist jedoch nur aufgrund ihrer geistigen Natur möglich gewesen.128 Dem widerspricht möglicherweise Petrus Lombardus, demzufolge die Engel vielleicht, aber nicht ganz eindeutig, bereits im Himmel geschaffen wurden: Kaum aber waren die Engel erschaffen, wurde der Himmel mit ihnen erfüllt.129 Ebenso sind Engel Bewohner des Paradieses.130 Wenn Isidor den Engelfall als Sturz aus dem Himmel beschreibt,131 setzt er bereits voraus, daß die Engel Himmelsbewohner waren, eine durchweg gängige, bei Alkuin unmittelbar angesprochene Ansicht.132 Bonifatius betet zu Gott, damit er der Äbtissin Bugga 125 Vgl. dazu Hafner, Angelologie S. 116ff. 126 Ebd. S. 118f. Zur Frage, wie Engel gleichzeitig im Himmel und auf Erden sein können bzw. ob sie überhaupt einen ›Ort‹ haben, diskutiert anhand der Früh- und Hochscholastik Thomas Marschler, Der Ort der Engel. Eine scholastische Standardfrage zwischen Theologie, Naturphilosophie und Metaphysik, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 53, 2006, S. 39–72. 127 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,6,1, ed. Migne Sp. 263f.; ed. Berndt S. 136f.: Creaturam ergo rationalem, quam fecerat, iussit partim in sua puritate persistere; partim eam corporeis indumentis et terrenis mansionibus copulans, luteam materiam fecit ad vitae sensum vegetare. […] Sic ergo conditor Deus rationales spiritus, quos fecerat, varia forte pro arbitrio omnipotentis voluntatis suae disposuit; illis, quos in sua puritate reliquerat, sursum in coelo mansionem constituens; illos vero, quos corporibus terrenis sociaverat, in terrena deorsum habitatione disponens; Ders., De sacramentis legis naturalis et scriptae Sp. 18 C. Zum Ursprung der Engel bei Hildegard von Bingen vgl. Schipperges, Welt der Engel S. 39–53. 128 Rupert von Deutz, De sancta trinitate et operibus eius 1,11, CCM 21, S. 138: Ita nimirum et angeli extra caelum conditi et in caelum translati non natura sed gratia caelum inhabitant. De caelo namque nemo uenit nisi qui super omnes et inde super omnes, quia spiritus simplex et ex nullo compositus est, unde et humanum spiritum cum corpore induere potuit, quod nemo facere potuisset ex spiritibus angelicis. 129 Petrus Lombardus, Sententiae 2, dist. 2. c. 4, par. 1, S. 339: Ubi angeli mox creati fuerint; in empyreo scilicet, quod statim factum, angelis fuerit repletum. 130 Vgl. Christoph Auffarth, Langeweile im Himmel? Das Paradies als Wunsch-Raum und seine Engelsbewohner, in: Gerlitz (Hg.), Wasser und Quelle S. 125–146. 131 Isidor von Sevilla, Etymologiae 1,10,7 (oben Anm. 48). 132 Alkuin, Interrogationes et responsiones in Genesim 2–4 (oben Anm. 69). Vgl. auch Amalar von Metz, Liber de ordine antiphonarii 15, S. 51: quoniam illi digni sunt ascendere usque ad

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

»einen Ort ewiger Belohnung mit Engeln und Erzengeln auf dem höchsten Himmelsgipfel« gewähre.133 »Wie die Engel im Himmel« ist eine immer wieder gebrauchte Redewendung. Beda spricht geradezu vom »Himmel der Engel«,134 und Aelred von Rievaulx identifiziert die Engel sogar mit dem Himmel.135 Mit den Himmeln (von Ps 56,13) sind die Engel gemeint, schreibt auch Petrus Lombardus im 12. Jahrhundert, mit den Wolken die Prediger, »weil die Himmel nämlich über den Wolken sind, und in diesen Himmeln liegen die Wohnsitze der Engel«.136 Engel sind bereits nach Augustins »Gottesstaat« die Bürger des himmlischen Jerusalem,137 die schon jetzt die ewige Glückseligkeit (beatitudo) und ein Bewußtsein davon besitzen.138 Das ist die ewige Freude der Engel, die auch die Menschen erwartet.139 Poirel bezeichnet das als Modell einer »vollkommenen Gemeinschaft«.140 Dabei handelte es sich natürlich nicht um den sichtbaren, sondern um einen (dahinter liegenden) unsichtbaren Himmel, der immer wieder vom ersteren abgehoben wird. Nach Beda schuf Gott, indem er Licht und Finsternis trennte, zunächst den unsichtbaren Himmel als Wohnstätte der Engel und dann erst den sichtbaren für die Menschen.141 Der obere Teil gehört den

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altitudinem caeli, in quo habitant angeli. Das wird von Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 67, Sp. 781 A, aufgegriffen. Bonifatius, ep. 27, S. 48f.: De muneribus namque et vestimentis, quae misisti, gratias agentes Deum omnipotentem rogamus, ut tibi premium remunerationis aeterne˛ cum angelis et archangelis in alto ce˛lorum culmine reponet. Vgl. ebd. ep. 93, S. 212, an Abt Fulrad von Saint-Denis: sed Deum omnipotentem deprecor, ut tibi in alto ce˛lorum culmine mercedis premia in gaudio angelorum aeternaliter retribuat. Beda Venerabilis, De templo (Salomonis) 1, S. 147: in quibusdam intemeratam in coelis angelorum felicitatem. Vgl. Lützelschwab, Angels S. 201f. Petrus Lombardus, Commentarium in psalmos. In Ps. 56, Sp. 532 B: Vel ita, ut per coelos angeli accipiantur, per nubes praedicatores, quia coeli supra nubes sunt, in quibus coelis sedes est angelorum. Zum kosmischen Weltbild des Mittelalters vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 59ff. Augustinus, De civitate Dei 11,9, S. 328: Die Engel sind ein wesentlicher Teil der Civitas Dei und um so seliger, als sie niemals (auf der Erde) pilgern mußten: et prius, quod ad sanctos angelos adtinet dicendum putaui, quae huius ciuitatis et magna pars est et eo beatior, quod numquam peregrinata. Ebd. 11,13. S. 333f. Vgl. Vita Boniti episcopi Arverni 31, S. 134: Luxit pro tempore, ut in perpetua angelorum leticia gauderet; Donatus von Metz, Vita Trudonis confessoris Hasbaniensis 21, S. 291, zu Trudos Tod: eumque de hoc ergastulo fragilis vitae eripere et aeterno gaudio angelorum sociare; Bonifatius, ep. 9, S. 6: Que sine ullo naufragio periculose tempestatis navem anime nostrae gubernans deducet ad amoenissimi litus paradisi et ad perpetua supernorum gaudia angelorum. Poirel, L’ange gothique S. 134: »En ce sens, la hi8rarchie c8leste est le modHle d’une soci8t8 parfaite.« Beda Venerabilis, De temporum ratione 5, S. 286: Qui spiritus Dei, iussu Dei, quasi ipsa conditoris manus lucem separauit a tenebris et post illud inuisibile caelum istud uisibile

4. Die Engel als Himmelsbewohner

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Engeln, der untere den Menschen, meint Beda (und mit ihm Hrabanus Maurus).142 Anselm von Canterbury nennt diesen Himmel empyreum, nach klassischer Tradition wäre das der obere Teil des Himmels: Gott habe den Himmel mit Sternen, das Empyrium mit Engeln, die Lüfte mit Vögeln, die Wasser mit Fischen geschmückt und die Erde mit Pflanzen und Blumen besetzt.143 Angelomus von Luxeuil unterscheidet deshalb drei Himmel: die Luft mit den Vögeln, den Sternenhimmel und als dritten den geistlichen Himmel, der den Engeln gehört.144 Vor dem Hintergrund solcher Vorstellungen kann Petrus Damiani feststellen, daß die Engel den Himmel der Schöpfungsgeschichte nicht über sich, sondern unter sich sehen, seit Gott am zweiten Tag Himmel und Erde, Fleisch und Geist voneinander getrennt hat.145 Der Himmel der Engel aber wird wiederum vom Himmel Gottes, dem »Himmel der Himmel« abgehoben, wenn Honorius Augustodunensis als ersten Himmel den Sternenhimmel, als zweiten den der Engel und erst als dritten den Himmel Gottes versteht.146 Gott selbst, so meint andererseits Johannes Scotus Eriugena, wohnt in den Engeln und Menschen, denen er allein die Fähigkeit gegeben hat, die Wahrheit zu ergründen.147 Die himmlische Wohnung erlaubt den Engeln zugleich die ständige Gottesschau148 (wenngleich, wie noch auszuführen sein wird, in unterschiedlicher

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produxit, ut superiora quidem habitaculum faceret angelis, inferiora uero hominibus. Die Stelle entstammt den 406 von Rufinus ins Lateinische übertragenen Recognitiones 6,7,3 des Pseudo-Clemens (ed. Bernhard Rehm und Franz Paschke, S. 191). Beda Venerabilis, In principium Genesis usque ad natiuitatem Isaac 1,1, S. 12: Diuisionis autem haec fuit causa ut superna regio angelis habitaculum, inferior uero praeberet hominibus. Danach wörtlich Hrabanus Maurus, Commentarii in Genesim 1,3, Sp. 451 A. Auch diese Stelle entstammt ursprünglich Ps.-Clemens, Recognitiones 1,27,5, S. 24. Anselm von Canterbury, Liber meditationum et orationum. Meditatio 13, Sp 774 A: Ornasti coelum sideribus, empyreum angelis, aera volucribus, aquas piscibus, terras herbis, floribus virgulta. Angelomus von Luxeuil, Commentarius in Genesin 2, Sp. 124 D (siehe Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 76f. mit Anm. 352). Petrus Damiani, ep. 49 (von ca. 1057, an Hildebrand), Bd. 2, S. 67: Angeli enim scripturarum caelum non habent super se, sed sub se, quia non egent, ut verbum Dei legentes audiant, qui ipsum Deum praesentem manifeste conspiciunt, et in eius semper amore flammascunt. Cum igitur homo per firmamentum, hoc est per caelestis eloquii documentum, iam incipit inferiores aquas superioresque dividere, id est carnalia a spiritalibus, terrena a caelestibus separare, iam in eo secundus fit dies, quia non modo fidei lucem, sed et rerum incipit habere discretionem. Wörtlich auch Ders., Expositio mystica historiarum libri Geneseos 2, Sp. 841 D. Honorius Augustodunensis, Imago mundi 1,145–157, S. 91f. Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 77, mit Anm. 354 und 356. Johannes Scotus Eriugena, Periphyseon 5, CCM 165, S. 171: Non enim alibi habitat Deus, nisi in humana et angelica natura, quibus solis donatur contemplatio veritatis. Vgl. Faure, L’ange du haut Moyen ffge S. 33, zu Gregor dem Großen; Lützelschwab, Angels S. 202f., zu Aelred von Rievaulx. Seit Ambrosius, Augustin und Gregor verweisen zahlreiche Autoren auf Mt 18,10: Angeli eorum in coelis semper vident faciem patris mei qui in coelis est.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Intensität): Ständig sehen die Engel im Himmel das Gesicht des Vaters, meint Smaragd von Saint-Mihiel.149 »Pour 8viter le face / face de l’homme avec les Þtres invisibles, l’Pglise ne se contente pas de promouvoir le culte des saints, elle ne cesse d’associer les anges / la vision de Dieu et de dessiner avec pr8cision les contours d’une d8votion licite.«150 Das gilt besonders für den höchsten Stand, die Cherubim: »Cherubim oder cherubin aber bedeutet ›Menge des Wissens‹ oder ›Verstehen des Wissens‹,« schreibt Beda Venerabilis; »wie es ihrem Namen entspricht, um so richtiger paßt es zu den Mächten der Engel, die, je vollkommener und fremd jedes Triebs unreiner Betrachtung sie sind, der Schau ihres Schöpfers anhängen. Deshalb haben sie Flügel, wie Moses befohlen wurde, Flügel nach dem Sinnbild eines Cherubim anzufertigen oder wie es der Prophet bezeugt, er habe sie bei ihrem Anblick gesehen.«151

Patriarchen und Propheten haben Gott nur »innerlich«, in geistlicher Kontemplation ihres Denkens, nicht aber im Angesicht ihres körperlichen Auges, erblickt. Wenn sie ihn gesehen haben, dann ist das bildlich zu verstehen, in Form der Substanz der Engel. Seine Natur aber, in der er sich durch die Engel zeigt, wie er es will, vermochten sie keineswegs zu schauen.152 Engel werden so zu Vermittlern des Anblicks Gottes. Letztlich bleibt Gott jedoch auch ihnen unbegreiflich, bekräftigt Alkuin; Engel und Seelen der Heiligen verstehen ihn bis zum Anbruch der Ewigkeit nur nach Maßgabe seiner Gabe und ihrer Heiligkeit.153 Solche Vorstellungen spiegeln sich auch in bildlichen Darstellungen wider.154 Im Apokalypsenkommentar des Beatus von Li8bana in der Handschrift aus 149 Smaragd von Saint-Mihiel, Collectiones in epistolas et evangelia. Hebdomada II post Pentecostes, Sp. 344 C: et de sanctis dicat, quod angeli eorum in coelis semper vident faciem patris. Vgl. Beda Venerabilis, In prouerbia Salomonis 2,23, S. 118: dico enim uobis quia angeli eorum in caelis semper uident faciem patris mei, qui in caelis est (Rom 10,12). 150 So Faure, L’ange du haut Moyen ffge S. 35. 151 Beda Venerabilis, De tabernaculo 1, S. 18: Interpretatur autem cherubim siue cherubin scientiae multitudo uel scientiae intellectus, quod uidelicet nomen tanto rectius angelicis potestatibus congruit, quanto perfecte ab omni impulsu impurae cogitationis alieni uisioni sui conditoris adhaerent. Idcirco autem alas uel in figura cherubim Moyses facere iubetur uel in ipsa eorum specie uidisse se propheta testatur. Danach wörtlich Hrabanus Maurus, Commentaria in Exodum 3,10, Sp. 144 C. 152 So Beda Venerabilis, In cantica canticorum 5,8,1, S. 338: Viderunt namque patriarchae, uiderunt prophetae Deum sed intus, id est in contemplatione mentis spiritali non in oculi carnalis intuitu, uiderunt eum sed in imagine sed in angelicae forma substantiae, at ipsam eius naturam, quae per angelos se quomodo uoluit ostendebat, nequaquam uidere ualebant. 153 Alkuin, De fide sanctae et individuae trinitatis 2, S. 77f.: Nec etiam angelicae naturae comprehensibilis est Deus: quia vere inconprehensibilis dicitur ; sed secundum mensuram donationis Dei, ita Deum uel angeli uel animae sanctorum intellegunt. Proinde quamuis usque ad aequalitatem angelicam humana post resurrectionem natura proficiat et ad contemplandum Deum glorificata consurgat, uidere tamen eius essentiam plene non ualet, sed unicuique sanctorum ad suae sufficientiam beatitudinis manifestabitur gloria eius. 154 Vgl. Barral Rivadulla, ]ngeles y demonios S. 223ff.

4. Die Engel als Himmelsbewohner

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Gerona von 975 bewohnen die Engel mit ihren großen Flügeln – im Gegensatz zu den Verdammten unten in der Hölle – oben einen sternenbehangenen, von der Erde scharf abgegrenzten Himmel (Abb. IV/1, S. 154).155 Engel sind hier, wenngleich ohne die Unterscheidung von Sternen- und Engelhimmel, immer wieder als Himmelsbewohner in der Nähe Gottes bzw. Christi, aber doch davon abgesetzt, dargestellt, wie in einer Bamberger Handschrift (um 1000),156 in der verschiedene, teils musizierende, teils bewaffnete Engelchöre – hier haben die Engel kleine, gedrungene Körper – sich großenteils außerhalb des »Christuskreises« befinden, teils sich aber auch daran anschmiegen, teils, wie die beiden Engel unten, sogar darin hineinreichen, während die Cherubim und Seraphim mit ihren großen, feurigen Flügeln ganz innerhalb des Kreises stehen und Christus links und rechts umgeben. Die (erlösten) Menschen steigen in einer langen Kette hingegen erst allmählich in den Himmel auf. In einer anderen Bamberger Handschrift157 umgeben bzw. umfliegen die Cherubim mit ihren sechs Flügeln (nach Is 6,1–7) den in der Mandorla von ihnen noch einmal durch einen feurigen Riegel abgesonderten Christus von allen Seiten in einem äußeren, aber ebenso deutlich abgegrenzten, blauen Oval. Deutlich von der Mandorla abgetrennt sind auch die oben im (roten) Himmel links und rechts davon stehenden, jeweils Christus zugewandten Engel im Codex Aureus von El Escorial aus der Mitte des 11. Jahrhunderts. Noch deutlicher sind sie allerdings durch den breiten, blauen Luftgürtel von der Erde unten mit dem knienden Königspaar abgesetzt.158 Engel gehören zum Himmel, nicht zur Erde, ohne jedoch ganz in die göttliche Sphäre vorzudringen. Im berühmten Krönungsbild des Evangeliars Heinrichs des Löwen159 sind die Sphären ebenfalls getrennt: Während unten (auf der Erde) die Krönungszeremonie stattfindet, in die Gott mit seinen krönenden Händen hineinreicht, ist Gott selbst bzw. Christus auf der oberen »Etage« von Heiligen umgeben; dabei wenden die beiden bekleideten, geflügelten Engel sich ihm von »ganz oben« zu. Sterne deuten wieder an, daß es sich um den Himmel

155 Beatus von Li8bana, Apokalypsenkommentar. Nordspanien, um 975. Gerona, Archiv der Kathedrale, Nfflm. Inv. 7 (11), fol. 192r. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Kathedralarchivs Gerona, aus: Franz Unterkircher, Die Buchmalerei. Entwicklung, Technik, Eigenart, Wien-München 1974, Tafel V, S. 55. 156 Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Bibl. 22, fol. 5r. Abbildung: siehe Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Abb. II/7, bei S. 58. 157 Altes Testament (Jesaja). Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Bibl. 76, fol. 10v. Abbildung: Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, Abb. I/19, bei S. 282. 158 Codex Aureus, El Escorial. Madrid, Biblioteca del Real Monasterio de San Lorenzo de El Escorial, Cod. Vitr. 18, fol. 2v. Abbildung: siehe Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Abb. II/8, bei S. 58. 159 Evangeliar Heinrichs des Löwen. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 105 Noviss. 2 / Bayerische Staatsbibliothek München, clm 30055, fol. 171v. Abbildung: Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Abb. II/11, bei S. 58.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

handelt. Eine Augustinhandschrift aus Canterbury (Abb. IV/2, S. 155)160 illuminiert den Gottesstaat als Gebäude, in dessen Dachgipfel Christus thront, während im oberen Giebelgeschoß in Höhe des Leibes Christi die Engel – ihr Attribut ist der Stab –, im unteren nur noch in Höhe der Füße Christi die Heiligen mit dem Palmzweig als Attribut wohnen. Beide sind deutlich voneinander abgetrennt, aber noch einmal durch einen dickeren Balken von der Erde mit dem Papst an der Spitze, mit Königen, Geistlichen und Laien abgehoben. In einem um 1050 entstandenen Sakramentar aus Saint-Denis (Abb. IV/3, S. 156)161 sind Himmel und Erde ebenfalls klar voneinander abgegrenzt, aber gleichsam durch die Kirche miteinander verbunden. Eine ganze ›Engelpalette‹ steht auf der Grenze zwischen Himmel und Erde, aus der wie ein Berg ein Kirchturm hinaufragt. Die unteren Engel wenden den Blick der Kirche zu, während die oberen zu dem in der Höhe thronenden Christus in der Mandorla aufblicken, die wiederum von den beiden oberen, direkt über der Kirche stehenden und sich durch ihre hellere Kleidung von den anderen abhebenden Engeln getragen wird. Rechts und links neben der Mandorla aber stehen zwei große Seraphim mit sechs Flügeln, von denen zwei scharf nach oben ausgerichtet, zwei hinten angebracht sind und die beiden vorderen den Leib be- und verdecken. Damit sind gleichzeitig Trennung und Verbindung der Sphären, Unterschiedlichkeit der Engelordines und nochmalige Heraushebung Christi verbildlicht. Engel sind Himmelsbewohner, aber doch vom Himmel Christi unterschieden und zugleich die Verbindungsglieder zur Erde und zur Kirche. Den »außerirdischen« Wohnort der Engel samt ihrem Bezug zur Erde setzt gleichsam die berühmte (früher Heinrich von Mainz zugeschriebene) Sawley-Weltkarte ins Bild. Das Oval des »Erdkreises« ist hier an den vier Ecken von Engeln (oben stehend, unten liegend) umgeben, die gewissermaßen von außen (aus dem Himmel) kommen, sich aber der Erde zuwenden.162 Auch der »Wohnort« der geisthaften Engel ist allerdings symbolisch zu verstehen. Tatsächlich gibt es keinen einzigen Ort, meint Isidor von Sevilla, dem die

160 Augustinus, De Civitate Dei. Canterbury, um 1120. Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Ms. Plut. 12.17, fol. 2v. Abbildung nach der Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz (ð vietata ogni ulteriore riproduzione con qualsiasi mezzo). 161 Sakramentar von Saint-Denis, vor 1050. Paris, BibliothHque Nationale de France, cod. lat. 9436, fol. 15v. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der BibliothHque nationale de France (BnF) aus: Wolfram von den Steinen, Homo caelestis. Das Wort der Kunst im Mittelalter, Bern-München 1965, Bd. 2 (Bildband), Nr. 153. 162 Abbildung bei Brigitte Englisch, Ordo orbis terrae. Die Weltsicht in den Mappae mundi des frühen und hohen Mittelalters (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 3), Berlin 2002, S. 401.

5. Die Natur der Engel

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Engel nicht vorstehen.163 Die »Zweisphärigkeit« der Engel aber, die gleichzeitig ständig auf die Erde geschickt werden, ist bildlich im Wolfenbütteler Evangeliar mit seinen Federzeichnungen umgesetzt: Während der Engelchor oben (im Himmel) zusieht, verkündet ein Engel, bekleidet, aber mit nackten Füßen, unten (auf Erden) den Hirten die Geburt Christi (Abb. IV/4, S. 157).164

5.

Die Natur der Engel

Die Engel sind nach mittelalterlichen Vorstellungen also bereits vor der Materie ganz aus dem »Geist« (spiritus) erschaffen worden,165 um den Himmel zu bevölkern. Diese geistige Natur wird immer wieder betont.166 »Ihrer Natur nach sind sie Geist«, schreibt Isidor von Sevilla,167 »Die heiligen Engel werden Geist genannt,« Hinkmar von Reims.168 Geist, spiritus, aber ist, wer niemals mit dem Körper vereinigt ist, obwohl er, wie Engel und Dämonen, zeitweise einen Körper aus Luft oder Feuer annehmen kann, schreibt Beda (oder ein Autor aus seinem Wirkungskreis), während irdische Wesen nie ohne Körper sein können.169 Da 163 Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,29, Bd. 1, S. 277: Unde apparet nullum esse locum, cui angeli non praesint. Praesunt enim et auspiciis operum omnium. 164 Wolfenbütteler Evangeliar, spätes 10. Jahrhundert. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Cod. Guelf. 16.1 Aug. 2, fol. 9r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. 165 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,5,7, ed. Migne, Sp. 249 D; ed. Berndt S. 116f.: Non enim in materia praeiacente creata est spiritualis natura, quemadmodum corpoream diximus conditam fuisse; quoniam non ita est, neque simul ipsa, cuius substantiae simplicis [Berndt: neque similis ipsa, cui simplicis subsistentie] non aliud esse potest id, quod est, et id, de quo est. 166 Zur »Natur« der Engel vgl. Keck, Angels S. 75ff. (zur Scholastik); zu Engeln als Geistwesen Hafner, Angelologie S. 120f.; zum »prälapsalen und postapokalyptischen Zustand« ebd. S. 121ff.; zu Natur und Raum Iribarren/Lenz (Hg.), Angels in Medieval Philosophical Inquiry (durchweg spätmittelalterlich); zu Abaelard vgl. John Marenbon, Abelard on Angels, in: ebd. S. 63–72. Zu unterschiedlichen Deutungen spätmittelalterlicher Autoren im Hinblick auf Materie und Form vgl. John F. Wippel, Metaphysical Composition of Angels in Bonaventure, Aquinas, and Godfrey of Fontaines, in: Hoffmann (Hg.), A Companion to Angels S. 45–78. 167 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,10,1 (oben Anm. 52). Weitgehend auf Isidor fußt das lange Kapitel bei Burchard von Worms, Decretum 20,54, Sp. 1033ff., über die Natur und Schöpfung der Engel sowie den Engelfall. 168 Hinkmar von Reims, De diversa et multiplici animae ratione (ad Carolum Calvum regem) 1, Sp. 932 D: et sancti angeli spiritus vocentur. Zu Hinkmars Politik und Kirchenpolitik vgl. jetzt Rachel Stone/Charles West (Hg.), Hincmar of Rheims. Life and Work, Manchester 2015. Allerdings enthält der Band keinen einzigen Beitrag zu Hinkmars religiösen Vorstellungen. 169 Beda Venerabilis (?), De mundi coelestis terrestrisque constitutione, Sp. 903f.: Cumque eis spiritus esset secundum diversitates animarum, unus, qui nunquam unitur cum corpore, licet aliquando illud assumat aereum vel aethereum, ut angeli vel daemones. Alius, qui

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Geistwesen aber eine durch die Dimensionen Breite, Höhe und Länge gekennzeichnete Form fehlt, können sie nach Honorius nicht physisch, sondern nur durch den Intellekt wahrgenommen werden.170 Für Johannes Scotus Eriugena sind die Körper der Engel einfach und geistig, und sie entbehren jedes äußeren Sinnes.171 Damit unterscheidet Johannes die Engel von den (beseelten) »Lebewesen«, animalia. Er geht der Frage argumentativ nach, weil die Schrift sie offen läßt, und kann so der platonischen Erklärung zustimmen: Die Seele sehe außerhalb ihrer selbst nicht, was sie fühlt, sondern durch Wahrnehmung in sich selbst, was auf Engel wiederum nicht zutrifft. Wenn Platon den Engel als ein vernünftiges, unsterbliches Wesen definiert, dann lasse sich das aus der Heiligen Schrift nicht belegen und kann deshalb nicht als unverbrüchliches physikalisches Wissen gelten. Weil Augustin aber nicht nur nicht bestreitet, sondern geradezu bekräftigt, daß die höchsten Engel geistige Körper haben, in denen sie oft erscheinen, zwingt uns das keineswegs zu glauben, daß die himmlischen Substanzen Lebewesen sind, zumal die himmlischen, unvergänglichen Körper mit den Geistern der Engel keine untrennbare Übereinstimmung eingehen; vielmehr bewirkt erst die Verbindung der irdischen, vergänglichen Körper mit den Seelen, seien sie vernünftig oder vernunftlos, durch Vermittlung des Sinnes das Lebewesen. Im Anschluß ist in einigen Versionen hingegen die gegenteilige Meinung angefügt: Wenn den Körpern und dem Verständnisvermögen der Engel nämlich ein äußerer Sinn anhaftet, verbietet nichts, sie als Lebewesen mit Körper und Sinn sowie belebendem Geist anzunehmen, wie es Plato gefällt. Warum sollte man sie in diesem Fall nicht unter die Gattung der Lebewesen zählen? Wäre doch auch der Mensch, wenn er nicht gesündigt hätte, gleichwohl ein Lebewesen. Seine Natur, nicht die Sünde macht den Menschen zum Lebewesen. Denn es verbürgt auch keinerlei Autorität, daß die Engel, die ihre Pflichten verletzt haben, Lebewesen sind, und doch lehrt es deutlich solche Argumentation. Auch die künftige Glückseligkeit, die den heiligen Menschen in Aussicht gestellt ist, ist doch nichts anderes als die nunquam est sine corpore, ut spiritus brutorum animalium, qui cum ipsis et oritur et interit. Einen Körper aus Luft und Feuchtigkeit haben die Engel nach Rupert von Deutz, De sancta trinitate et operibus eius 1,11, CCM 21, S. 139. Zur Frage des Engelkörpers vgl. Barbara Faes de Mottoni, Discussioni sul corpo dell’angelo nel secolo XII, in: Parva Mediævalia. Studi per Maria Elena Reina, Universit/ degli Studi di Trieste 1993, S. 1–42. 170 Honorius Augustodunensis, Liber XII quaestionum 9, Sp. 1182f. (zwar zu Engeln und Seelen, aber als Geistern): Corpus habet tres dimensiones, longum, latum, altum: haec tria praestant formam omni corpori. Spiritus autem non habet longum, nec latum, nec altum. Igitur nullam formam Deus et angelus habent. […] animae pertinent ad vitam et sensum, spiritus ad rationem et intellectum; ergo nec ipsi formam habent. Ita autem est intelligendum de spiritibus, sicut de virtutibus, scilicet de iustitia, de sapientia, etc. 171 Johannes Scotus Eriugena, Periphyseon 3, CCM 163, S. 164: Corpora uero angelica simplicia spiritualiaque sunt omnique exteriori sensu carentia.

5. Die Natur der Engel

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vollkommene und an nichts mangelnde Gleichheit mit der Natur der Engel.172 Im Vergleich mit dem Menschen (und der Seele) erweist Johannes die Engel somit als (geistige) Wesen, die er zugleich vom Menschen und seiner Seele abhebt. Mit Gott selbst und der Seele des Menschen gehören die Engel zu den ›rationalen‹, mit Verstand begabten Naturen:173 »Die rationale Natur aber besitzen nur Gott, der Engel und die Seele des Menschen,« schreibt Anselm von Canterbury, »deretwegen der Mensch ›vernünftig‹ genannt wird und ohne die er kein Mensch wäre. Da es aber weder in Gott noch bei dem Engel eine Ursünde gibt, existiert diese allein in der Seele des Menschen.«174 »Engel sind nämlich vernunftbegabt und unsterblich,« schreibt schlicht Alkuin.175 »Geistwesen«, »Geschöpfe des Himmels« und vernünftige Wesen sind die Engel auch für Bernhard von Clairvaux, der ihnen immerhin einige Abschnitte des fünften Buches seiner an Papst Eugen III. gerichteten Schrift »De consideratione« unter der Rubrik »Was über ihm ist« widmet:176 Wie Gott sind sie Geist und wie Gott stehen sie 172 Ebd. 4, CCM 165, S. 31 (Die Passagen in eckigen Klammern finden sich nicht in allen Versionen): quamuis Plato angelum diffiniat animal rationale et immortale. Sed quod auctoritate sanctae scripturae sanctorumque patrum probare non possumus, inter certas naturarum speculationes (quoniam temerarium est) recipere non debemus. Quod autem sanctus Augustinus summos angelos spiritualia sua corpora, in quibus saepe apparent, non solum habere non denegat, uerum etiam confirmat, nullo modo compellit nos caelestes substantias animalia esse credere, praesertim cum non caelestium et incorruptibilium corporum cum angelicis spiritibus armonia inseparabilisque iunctura, sed terrestrium et corruptibilium cum animabus, siue rationabilibus siue irrationabilibus, sensu mediante, connexio animal efficiat. Quod maxime tali docetur argumento. Siquidem illa futura felicitas, quae sanctis hominibus promittitur, non alia esse praedicatur quam angelicae naturae perfecta et in nullo deficiens aequalitas. 173 Zur spätmittelalterlichen Diskussion der Erkenntnisfähigkeit der Engel vgl. Wouter Goris/ Martin Pickavé, Von der Erkenntnis der Engel. Der Streit um die species intelligibilis und eine quaestio aus dem anonymen Sentenzenkommentar in ms. Brügge, Stadsbibliotheek 491, in: Jan A. Aertsen/Kent Emery Jr./Andreas Speer (Hg.), Nach der Verurteilung von 1277. Philosophie und Theologie an der Universität von Paris im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts. Studien und Texte (Miscellanea Mediaevalia 28), Berlin-New York 2001, S. 125–177. 174 Anselm von Canterbury, Liber de conceptu virginali et originali peccato 3, S. 143: Rationalis autem natura non est nisi Deus et angelus et anima hominis, per quam homo dicitur rationalis et sine qua non est homo. Quoniam ergo non est originale peccatum in Deo nec in angelo, non est nisi in hominis anima rationali. 175 Alkuin, De dialectica 2, Sp. 953 D: Angeli enim rationales et immortales sunt. 176 Bernhard von Clairvaux, De consideratione ad Eugenium papam 5,3,5ff., S. 470ff.: Ausführlich zur Engellehre in diesem Traktat und bei Bernhard: Wendelin Knoch, Die Engellehre Bernhards von Clairvaux. Vergessene Einsichten aus der Blüte hochmittelalterli-

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

über den Menschen, aber nicht von Natur aus (wie Gott), sondern aus Gnade.177 Der Verstand ist die beste Eigenschaft der Engel wie der Menschen (während Gott das eine Beste schlechthin ist).178 Engel sind folglich nicht Gott gleich, aber doch in ihrer Art vollkommen. Sie zeichnen sich durch ihre Körper aus Äther (Feuer), die Unsterblichkeit und die Leidensunfähigkeit (oder Affektlosigkeit) aus (das heißt: sie sind nicht Leiden und Leidenschaften unterworfen). Sie sind erneut allerdings nicht von ihrer Natur her so geschaffen, sondern durch göttliche Gnade so geworden:179 »rein im Verstand, gütig im Gemüt, fromm im Glauben, unbefleckt in der Keuschheit, ungeteilt in ihrer Einmütigkeit, sorglos im Frieden; von Gott geschaffen, geben sie sich ganz den göttlichen Lobgesängen und dem Gehorsam hin.«180

Für Bernhard ist das der Inbegriff der Seligkeit. Die geistige Natur der Engel gerät dennoch in Konflikt mit ihren biblisch bezeugten körperlichen Erscheinungen. Für Gennadius von Marseille im 5. Jahrhundert haben Engel wie alle himmlischen Mächte einen Körper, der aber nicht aus Fleisch besteht. Geistige Kreaturen sind vielmehr insofern körperlich, als sie räumlich beschrieben werden können (wie die menschliche Seele, die im Fleisch eingeschlossen ist, aber auch die Dämonen, die ihrer Substanz nach die Natur der Engel haben).181 Ein anderer Autor untersucht mit Augustin, was für Körper Engel haben; er sieht die Engel räumlich verortet, auch wenn sie sich überall hinbewegen können: »Die einen sagen, sie können keine Körper haben, sondern sind Geist, derart, daß sie zwar nicht überall sind, aber sich doch von Ort zu Ort bewegen, im Vergleich zum höchsten Geist, der überall ganz und unvermindert ist. Der selige Gregor nennt sie zwar Körper, doch folgt daraus nicht, daß sie tatsächlich Körper sind.«182

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cher Mönchstheologie, in: Ders. (Hg.), Engel und Boten S. 10–28 (S. 13ff. zu den Predigten, S. 19ff. zu ›De consideratione‹). Bernhard von Clairvaux, De consideratione ad Eugenium papam 5,3,5, S. 470: Porro spiritus est Deus, sunt et angeli sancti, et hi supra te. Sed Deus natura, angeli gratia superiores sunt. Ebd.: Unum siquidem tui et angeli optimum, ratio est; Deus vero non sui aliquid optimum habet, unum optimum totus. Ebd. 5,4,7, S. 471: perfectos in genere suo, corpore aethereos, immortalitate perpetuos, impassibiles non creatos, sed factos, id est gratia, non natura. Ebd. S. 471f.: mente puros, affectu benignos, religione pios, castimonia integros, unanimitate individuos, pace securos, a Deo conditos, divinis laudibus et obsequiis deditos. Gennadius von Marseille (?), De ecclesiasticis dogmatibus 12, Sp. 1216 A: Creatura omnis corporea est; angeli et omnes coelestes virtutes corporeae, licet non carne subsistant. Ex eo autem corporeas esse credimus intellectuales creaturas, quod localiter circumscribuntur ; sicut et anima humana, quae carne clauditur, et daemones, qui per substantiam angelicae naturae sunt. Danach wörtlich Burchard von Worms, Decretum 20,42, Sp. 1029 AB. Beda Venerabilis (?), Didaxeon sive Philosophia elementorum 1, Sp. 1131 C: Hoc iterum probant auctoritate beati Augustini, qui in Enchiridio quoddam ponit capitulum, qualia corpora angeli habeant. Alii dicunt illos non esse corpora, sed spiritus, scilicet, quia ubique

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»Was ist die Natur der Engel?« fragt (viel einfacher) der Schüler im ›Elucidarium‹ des Honorius Augustodunensis und erhält die Antwort: »Geistiges Feuer.«183 Engel, Dämonen und Menschen haben, so Honorius, verschiedene Körper : Die Engel aus Äther (Feuer), Dämonen aus Luft, Menschen aus Erde. Wie Menschen ihre Kleider wechseln, so können auch Dämonen und Engel verschiedene Formen annehmen und so ihre Körper zu unterschiedlichen Gestalten verwandeln.184 Einen Körper zu haben, ist für Engel jedoch keine zwingende Folge ihrer Natur185 und wurde besonders im 12. Jahrhundert stärker problematisiert: Man stellte es entweder ganz in Frage oder nahm (wie Honorius) eben an, daß Engel einen ›geistigen‹ Körper besitzen.186 Engel, Seelen und alle Geister, so schreibt schon ein Priester Candidus zur Zeit Karls des Großen, sind unkörperlich, und doch ist ihre Unkörperlichkeit gewissermaßen einer geistigen Körperlichkeit vergleichbar. Obwohl sie nicht räumlich faßbar sind, sind sie im Vergleich zu Gott auch räumlich.187 Während die ratio der Engel erwiesen ist – sie können, schreibt Bernhard von Clairvaux, ja nicht gleichzeitig nicht vernünftig sein und dennoch an Gott teilhaben –,188 ist das für ihre Körperlichkeit keineswegs der Fall, und so fügt Bernhard hinzu: »Woraus allerdings ihre Leiber bestehen und ob sie überhaupt solche haben, darüber herrscht bei manchen Unklarheit,« und er will nicht widersprechen, wenn das als bloße Vermutung zu verstehen ist.189 Wilhelm von Conches, der hier (wie auch sonst) zeigen will, daß die Philosophie (in diesem Fall Plato) mit der biblischen Lehre durchaus übereinstimmt, hält Engel und Dämonen für Geister (während andere ihnen eine gewisse, luftartige

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non sunt, de loco ad locum moventur, comparatione summi Spiritus, qui ubique totus est et integer. A beato Gregorio corpora dicti sunt, nec inde sequitur, quod corpora sint. Honorius Augustodonensis, Elucidarium 1,29, S. 366: D. Quae est natura angelica? M. Spiritualis ignis, ut dicitur: ›Qui facit angelos de flamma ignis‹ (Hebr 1,7). Ders., Liber XII quaestionum 11, Sp. 1178 AB: Quod angeli aetherea, daemones aeria, homines terrena corpora habeant: et sicut nos vestes mutare possumus, ita daemones sua corpora in varias figuras transformare, et angeli sua, prout velint, valeant permutare; ebd. Sp. 1183 B. So Faes de Mottoni, Discussioni S. 27. So ebd. S. 40f. Epistolae variorum Carolo magno regnante scriptae 39, S. 558: Hoc autem ideo dico, quia et angeli et animae et quicunque spiritus creati sunt, licet incorporales et dicantur et sint, eius tamen incorporalitatis et, ut ita dicam, spiritalitatis conparatione corporales quodammodo sunt. Licet namque alias forte inlocales, vel animae vel angeli dici possint, in conparatione tamen summae illius divinitatis locales sunt, quia etsi non altero, ipso tamen mundo, qui utique locus est, continentur. Bernhard von Clairvaux, De consideratione ad Eugenium papam 5,4,7, S. 472: Porro intellectu praeditos, non fide, non opinione, sed intellectu capimus, quia non possunt huius expertes et Dei simul participes esse. Ebd.: Quamquam de corporibus horum non mode unde sint, sed an aliquatenus sint, haeret sententia aliquorum. Unde si quis inter opinabilia magis id ponendum censuerit, non contendo.

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Körperlichkeit zugestehen wollen).190 Physikalisch sind Engel eigentlich körperlos, und doch nehmen sie Gestalt an. Die Körperlichkeit der Dämonen, so schreibt Wilhelm selbst im ›Dragmaticon philosophiae‹, erklärt sich aus der Relativität und aus der menschlichen Sicht: Im Vergleich zu den Menschen sind sie geistige, im Vergleich zu dem räumlich unbeschreibbaren Gott hingegen körperliche Wesen.191 Für Beda sind Engel im »Schleier des Himmels« mit der Gnade höchster Klarheit bekleidet; sie haben Köpfe aus Gold, weil der Geist, der sie lenkt, die Gegenwart göttlicher Erkenntnis und göttlichen Anblicks anzeigt; sie haben silberne Füße, weil ihre ganze Natur auf diesem Fundament ruht und ihrem Schöpfer Lob singt, um damit auch den auf Erden pilgernden Menschen als ihren Mitbürgern außerhalb dieses Schleiers den Willen ihres Schöpfers kundzutun.192 Natürlich ist das allegorisch zu verstehen. Die Engel aber werden damit zu »Figuren«, nämlich Sinnbildern, des Himmelreichs, wo sie stets im Bild ihres Schöpfers bleiben, damit auch die Menschen sein Bild, das sie in der Sünde verloren haben, zurückgewinnen.193 Nur Gott, so lehrt vermittelnd Honorius, ist völlig körperlos (incorporeus); die Engel hingegen sind »Geist« (wie auch die Seelen der Menschen), ihre »Körper« aber bestehen, da Geist nicht aus Körpern erschaffen sein kann und es sich bei ihnen um himmlische Körper handelt, aus Feuer, denn alle Körper sind gemäß der Elementenlehre in Übereinstimmung mit der biblisch-christlichen Traditionen, aus den vier Elementen zusammengesetzt.194 Ihr Geist ist aus dem Nichts aus ungeformter Materie, ihr Körper hingegen aus Feuer erschaffen,195 das aber nicht Hitze, sondern ewig helles Licht 190 Wilhelm von Conches, Philosophia 1,6,16–18, S. 24ff. Vgl. Ders., Dragmaticon 1,5,5, S. 19, zu den Engeln: Sunt igitur angeli spiritus, id est subtilia et aerea uel aetherea corpora. 191 Ders., Dragmaticon philosophiae 1,5,9f., S. 20f.: Comparatione igitur nostrorum sunt spiritus, sed comparatione creatoris, qui est spiritus incircumscriptus loco, sunt corpora dicenda. 192 Beda Venerabilis, De tabernaculo 2, S. 72: Deauratae quippe sunt columnae, ante quas appenderetur uelum, quia positae intra uelum caeli uirtutes angelorum summae claritatis sunt gratia uestitae, capita habent aurea, quia mentem qua reguntur habent praesentia diuinae cognitionis ac uisionis illustratam, habent et bases argenteas, quia omnis eorum natura in hoc quasi fundamento specialiter subsistit, ut laudes hymnorum suo conditori decantet, ut uoluntatem eiusdem conditoris nobis adhuc in terra peregrinantibus quasi extra uelum positis suis conciuibus narret. 193 Ders., De templo Salomonis 1, S. 179: Quapropter et figurae regni caelestis aptissime congruit, ubi et angeli sancti in imagine sui conditoris, ad quam facti sunt, semper manent et electi homines imaginem eius, quam peccando amiserant, recipiunt. 194 Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Kapitel 2, S. 39–57. 195 Honorius Augustodunensis, Libellus VIII quaestionum 3, Sp. 1188f.: Spiritum de corpore creari dicere insani capitis est, corpus vero de corporibus vel de elementis dicere creari assertio veritatis est. Angelici spiritus et humanae animae et informis materia mundi ex nihilo creata sunt; ex informi autem materia elementa discreta sunt, dicente Scriptura: ›Qui fecit mundum de informi materia.‹ Corpora vero omnia ex quatuor elementis formata sunt,

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ist; deshalb sind sie ›einfach‹ (simplex).196 Nach Honorius übertreffen Engel, die von Ewigkeit an einen unaussprechlichen Glanz erhalten haben, die Sonne um ein Siebenfaches an Helligkeit.197 Somit sind Engel nicht völlig körperlos, sondern haben Körper aus Äther (Feuer).198 Sie sind gewissermaßen mit einem Körper bekleidete Geister (während die Menschen aus der mit dem Körper bekleideten Seele bestehen).199 Der geistige Körper aber kennt im Gegensatz zum materiellen weder Höhe, Länge oder Breite und besitzt folglich keine klar abgrenzbare Form.200 Oft geht es daher gar nicht darum, welche Körper Engel haben, sondern welche Körper sie annehmen, wenn sie den Menschen auf der Erde erscheinen. Nach Isidor von Sevilla nehmen sie dann Körper aus der oberen Luft, ihre feste himmlische Erscheinung aber aus dem himmlischen Element an.201 Nach Alkuin nehmen Engel überhaupt nur zeitweise solche Körper an, wenn sie vor körperliche Augen treten (wie Abraham – nach Gen 18 – bei seiner Engelerscheinung gewissermaßen drei Männer in seinem irdischen Haus empfangen und speisen konnte), weil Engel nämlich anders nicht in unseren Blick geraten können.202 In diesen Körpern aber, so Honorius, erscheinen die Engel den Menschen verschiedenartig: Michael erschien Josua bewaffnet, als er dem Gottesvolk zu Hilfe kam, Gabriel dem Daniel in Form eines Chrisolyths (eines Edelsteins), als er das Reich Christi verkündete, Raphael dem Tobias umgür-

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scilicet unumquodque corpus illi elemento specialiter attribuitur, quod in eo plus abundat. Unde dicuntur quaedam corpora coelestia vel ignea, quaedam terrestria, quaedam aquatica, quaedam aerea. […] Corpora autem angelicorum spirituum sunt ignea […], quod est dicere angelicos spiritus ex nihilo fecit Deus; corpora vero eorum ex igne creavit. Ders., Liber XII quaestionum 11, Sp. 1183 C: Angelorum corpora sunt simplicia, videlicet ex puro aethere facta. Aether est ignis, scilicet quartum elementum, non calore, sed perpetua luce serenum. Ders., Hexaemeron 4, Sp. 262 A: Sed sciendum est, quod innumerabilia angelorum sunt, qui singuli hunc solem septuplo sua claritate vincunt et ineffabilem splendorem ab aeterno recipiunt. So Ders., Liber XII quaestionum 11, Sp. 1183 B: Angeli quoque habent corpora aetherea, daemones aerea, homines terrea. Vgl. oben Anm. 184. So Ders., Libellus VIII quaestionum 3. So Ders., Liber XII quaestionum 9, Sp. 1182 D (oben Anm. 170). Isidor von Sevilla, Sententiae 1,10,19, S. 35: Angeli corpora, in qua hominibus apparent, de superno aere sumunt, solidamque speciem ex caelesti elemento inducunt, per quam humanis obtutibus manifestius demonstrentur (sinngemäß nach Gregor dem Großen, Moralia in Iob 28,1,7, CCL 143 B, S. 1399). Alkuin, Interrogationes et responsiones in Genesin. Int. 178, Sp. 540 BC: Et quidem aliquando imaginibus, et ante corporeos oculos, ad tempus ex aere assumptis per angelos loquitur Deus, sicut nunc Abraham non solum tres viros videre potuit, sed etiam terreno habitaculo recipere et eorum usibus etiam cibos adhibere. Nisi enim angeli, cum quaedam nobis in terra nuntiant, ad tempus ex aere corpus assumerent, exterioribus profecto nostris obtutibus non apparerent. Nec cibos cum Abraham sumerent, nisi propter nos solidum aliquid ex coelesti elemento gestarent.

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tet,203 als er Sara von einem Dämon und ihren Vater von Blindheit heilte; der Maria erschien ein Engel als junger Mann, der Cäcilia mit leuchtenden Flügeln.204 Die Engel, deren körperlose Gestalten sich durch Schönheit auszeichnen, sind für Honorius deshalb Ebenbilder Gottes (similitudo Dei).205 Die Erhabenheit der Engel betont schon im 9. Jahrhundert die Gräfin Dhuoda: »Aufgrund ihrer Verdienste erlangen sie Schnelligkeit und fliegen wie wachsame Tauben zu den heiligen Fenstern. In ihren würdigen Tugenden triumphierend, nennt man sie würdig und einsichtig die Freunde Gottes. Weshalb? Weil sie mit leidenschaftlicher Nächstenliebe erfüllt sind, sich vorbildlich verhalten und nicht aufhören, viele zu belehren.«206

Zur Natur der Engel zählt auch ihr höheres Wissen, da sie dank göttlicher Enthüllung schon jetzt sehen, was dem Menschen erst die Zukunft offenbaren wird.207 Die gefallenen Engel haben zwar ihre Seligkeit verloren, den »lebendigen Sinn der Engelsnatur aber bewahrt« und daher ein dreifaches Vorherwissen: aus ihrem natürlichen Scharfsinn, der zeitlichen Erfahrung und der Enthüllung durch höhere Mächte.208 Die Natur der Engel, so Beda (?), ist intellectibilis, sie können demnach verstehen und einsehen. Die ›Intellektibilität‹ unterscheidet sie (mit zwei eng miteinander verwandten Begriffen) von der »intellegiblen«, in

203 Zur Ikonographie der Erscheinung Raphaels bei Tobias vgl. Raffaele Argenziano, I compagni di viaggio Tobia e Raffaele. Alcune precisazioni sull’iconografia di Raffaele ›arcangelo‹ come protettore e taumaturgo, in: Accekos – Angelus S. 463–485. 204 Honorius Augustodunensis, Liber XII quaestionum 11, S. 1183 C: In his corporibus nobis apparent: et haec pro rebus, quas administraturi sunt, mutant. Hinc est, quod Michael armatus Iosue apparuit, cum populo Dei in adiutorium venit. Gabriel quoque in forma chrysolithi Danieli apparuit, cum Christi regnum praenuntiavit; Raphael etiam Tobiae praecinctus apparuit, cum Saram a daemonio, patrem a caecitate liberavit. Nascente Domino cum lumine apparuerunt, et eo resurgente vel ascendente in albis fulserunt. Mariae ut iuvenis apparuit angelus, Caeciliae vero alis fulgentibus. 205 Ders., Elucidarium 1,54f., S. 370. 206 Dhuoda, Liber manualis 2,1, S. 192: Et ob meritis agilitatem, ut columbae peruigiles, tendentes ad fenestras transvolant sacras; triumphantes in uirtutibus dignis, digne et perlucide amici appellati sunt Dei. Quare? Quia feruore karitatis repleti in exemplis conuersantes, erudire non cessant multos. 207 Vgl. Isidor von Sevilla, Sententiae 1,10,17, S. 34f.: Angeli verbo Dei cognoscunt omnia, antequam in re fiant, et quae apud homines adhuc futura sunt, angeli iam, reuelante Deo, nouerunt. 208 Ebd. S. 35: Praeuaricatores angeli, etiam sanctitate amissa, non tamen amiserunt uiuacem creaturae angelicae sensum. Triplici enim modo praescientiae acumine uigent, id est subtilitate naturae, experientia temporum, reuelatione superiorum potestatum. Vgl. auch Hinkmar von Reims, De divortio Lotharii regis et Theubergae reginae. Capitulatio. Interrogatio 9, S. 101 (und 164): Nec mirum videri debet, si fraus in iudicio fuerit operatione diaboli, qui licet perdiderit angelici spiritus gloriam, sed non amisit naturae subtilitatem; quod fit permittente domino aut pro infidelitate non recte credentium aut pro purgatione fidelium.

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sich (oder rein verstandesmäßig) verstehenden Natur Gottes wie auch von der natürlichen Substanz anderer Geschöpfe.209 Nach Hugo von St. Viktor haben die Engel vier Eigenschaften: eine einfache, immaterielle Beschaffenheit (substantia simplex et immaterialis), eine persönliche Unterscheidungskraft (discretio personalis), die Form der Weisheit und der verstandesmäßigen Einsicht (forma sapientiae et intelligentiae rationalis) und die freie Willensentscheidung zum Guten oder Bösen (libera voluntas et electio sive ad bonum sive ad malum),210 und sie besitzen eine dreifache Macht (oder Vollmacht): die Macht der Tugend (potestas virtutis), der Herrschaft (potestas dominationis) und der »(dienstbaren) Verwaltung« (potestas administrationis); die erste haben sie für sich selbst erhalten und unterscheiden sich darin von den anderen Engeln; das verleiht ihnen eine jeweils spezifische Natur ; die zweite teilen sie wechselseitig und heben sich darin insgesamt von anderen Geschöpfen ab, denen sie vorstehen; die dritte unterstellt ihnen die geordnete Schöpfung; hier sind sie unterschieden und zugleich herausragend; das verleiht jedem nach der Tugend der Natur und der Würde des Amtes eine bestimmte Funktion.211 Gleichermaßen haben die Engel ein dreifaches Wissen: daß, vom wem und mit wem sie erschaffen wurden. Das erste erlaubt es ihnen, Gut und Böse zu unterscheiden, um zu erkennen, wonach sie streben sollen und was sie dank der Kraft ihrer Tugend und ihres freien Willens von sich weisen müssen; das zweite läßt sie ihren Ursprung und ihr Ziel erkennen und sich danach ausrichten; das dritte läßt sie erkennen, was sie sich gegenseitig dank der göttlichen Einrichtung und Ordnung schulden und wieviel sie in diesem Rahmen vermögen, ohne sich 209 Beda Venerabilis (?), De mundi coelestis terrestrisque constitutione Sp. 908 C: Physica autem alia intellectibilis, ut angeli; alia intelligibilis, ut Deus; alia naturalis, ut substantia. Zu den Begriffen vgl. Thesaurus linguae latinae VII/I, Leipzig 1970, Sp. 2095 und 2089. 210 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,5,8, ed. Migne Sp. 250 AB; ed. Berndt S. 117f.: quatuor sunt ista, quae proposuimus et diximus angelis in conditione sua attributa; hoc est primum substantiam simplicem et immaterialem; secundum, discretionem personalem; et tertium formam sapientiae et intelligentiae rationalem; quartum vero sive ad bonum sive ad malum liberam inclinandae voluntatis et electionis propriae potestatem. 211 Ebd. 1,5,13, ed. Migne Sp. 252; ed. Berndt S. 120: De triplici potestate angelorum. Et erat [Berndt: exit] primum triplex discretio potestatis illorum, quoniam alia pars [Berndt: erat] potestas quam acceperant ad se, alia quam acceperant ad invicem inter se, alia autem quam acceperant ad ea. que conditione ordinata fuerant sub se. Prima potestas virtutis erat, secunda dominationis, tertia amministrationis. In ea potestate, quam acceperant in se, omnes differentes erant; in ea vero, quam acceperant inter se quidem excellentes; in ea autem, quam acceperant sub se, differentes et excellentes. In ea potestate. quam in semetipsis singuli acceperant, unicuique ad effectum famulabatur natura propria. In ea vero, quam ad se invicem habebant, quibusdam subiecta erat obedientia aliena. In ea autem. quam ad inferiora possidebant potestate, unicuique secundum virtutem nature et dignitatem officii ministerium exhibebat subiecta creatura. Haec de potentia prima rationalis nature dicta, future investigationi primam occasionem exponunt.

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etwas anzumaßen. In diesem Maße sind alle Geistwesen (»geistigen Substanzen«) weise, unterscheidend und verstehend erschaffen.212 Mit solchen Differenzierungen erklärt Hugo gleichsam die (spezifische) Natur der Engel. Wenn Engel und Dämonen schon jetzt nicht mehr raumgebunden sind und den Menschen erscheinen können, dann deshalb, so erläutert Honorius aus anderer Perspektive, weil die Ewigkeit für sie schon jetzt angebrochen ist oder aber weil man ihnen eine eigene Zeit (aeternitas oder perpetuitas) zwischen göttlicher Ewigkeit (aevum) und menschlicher Zeit zugesteht.213 Im 11. Jahrhundert betont Petrus Damiani, daß Engel zwar unsterblich, aber nicht gleichewig mit ihrem Schöpfer sind, der von seiner Natur her selbst die Macht, die Unsterblichkeit und die Ewigkeit ist.214 Sie sind zwar nicht vorherwissend, denn sonst hätten sie den Engelfall vorausgesehen, meint Hugo.215 Wohl aber besitzen sie ein schärferes Sehen als die körperlichen Wesen und können daher prophezeien.216 Die Natur der Engel erklärt hier zugleich ihr Wirken. Hingegen 212 Ebd. 1,5,14, ed. Migne Sp. 252; ed. Berndt S. 120: De triplici cognitione angelorum. De sapientia quoque illorum in prima consideratione triplex nobis discretio occurrit. Quoniam illuminabantur tripliciter, vel ad tria simpliciter ; et erat trina cognitio in eis, ut agnoscerent, quod facti erant et a quo facti erant et cum quo facti erant. In eo quod facti erant, mali et boni cognitionem acceperant, ut intelligerent, quid appetendum illis foret vel quid respuendum [Berndt: respondendum] secundum potentiam virtutis in se et libertatem voluntatis. Sed et ipsius, a quo facti erant, cognitionem acceperant, ut intelligerent et scirent principium et finem suum, a quo conditione processerant et ad ipsum debuerant intentione converti. Illius vero, cum quo facti erant, cognitionem acceperant, ut scirent, quid vel sibi invicem pro divina dispensatione et ordinatione deberent vel quantum in his, que conditione sibi subiecta fuerint pro concessa potestate divinitus sine praesumptione valerent. Et in hunc modum sapientes condite sunt et discernentes et intelligentes spirituales ille substantie; et tamen in his omnibus sapientes, quantum incipienti nature congruum fuit, vel pro merito virtutis adipiscendo necessarium. Zur Natur der Engel bei Hugo und, darauf beruhend, aber auch abweichend Petrus Lombardus vgl. Stammberger, Lehre von der prälapsarischen Erkenntnis. Zum späten Mittelalter : Harm Goris, Angelic Knowledge in Aquinas and Bonaventure, in: Hoffmann (Hg.), A Companion to Angels S. 149–185, und Timothy B. Noone, Duns Scotus on Angelic Knowledge, in: ebd. S. 187–221. 213 Honorius Augustodunensis, Imago mundi 2,1ff., S. 92: Evum est ante mundum, cum mundo, post mundum. Hoc ad solum Deum pertinet, qui non fuit nec erit, sed semper est. Tempora e˛terna sub quo sunt, et he˛c ad archetipum mundum et angelos pertinent, qui ante mundum esse ce˛perunt et cum mundo sunt et post mundo erunt. Tempus autem mundi est umbra e˛vi. Hoc cum mundo incipit et cum mundo desinet. 214 Petrus Damiani ep. 119, Bd. 3, S. 359: Nam et angelica virtus, licet potens sit, non tamen a se, sed ab illo; licet immortalis sit suumque beate vivere nullo prorsus fine concludat, tamen quia et loca mutat et tempora, non coaeterna suo dicenda est creatori, quia naturaliter et essentialiter est ipsa potentia, ipsa inmortalitas, ipsa aeternitas. 215 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,5,18, ed. Migne Sp. 253 D; ed. Berndt S. 122: Propter hoc dicimus, quia non erant prescii eventus sui, neque eis data est cognitio eorum, que fuerunt futura super eos. 216 Honorius Augustodunensis, Scala coeli maior 13, Sp. 1235 B: Disc. Unde est, quod longe facta annuntiant? Mag. Quia inest eis acrimonia cernendi corporalia: incorporalis enim ipsorum natura nobis praestantior, et longe nobis subtilior est.

6. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Engeln und Menschen

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gibt es nach Petrus Lombardus sogar nichts, das die Engel nicht wissen.217 Doch auch die subtile, unkörperliche Natur der Engel, so verkündet schon das Konzil von Friaul von 796/797, weiß alles nur aus ihrer Quelle, Gott selbst, dessen unbegreifliches Wesen sie niemals ermessen können.218

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Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Engeln und Menschen

Schöpfung, himmlischer Aufenthaltsort und Natur der Engel unterscheiden diese, wie immer wieder betont wird, vom Menschen. »Der Engel ist reiner Geist, der Mensch aber ist Geist und Fleisch,« schreibt Gregor der Große.219 Beide sind rationale Geschöpfe – und daher, so Otto von Freising, die einzigen »Personen« im philosophischen Sinn.220 Beide wurden zur Seligkeit erschaffen, und beide fielen, der Mensch aber kann erst nach dem Ende der Welt erwerben, was die guten Engel schon jetzt auf ewig besitzen. Die Seligkeit der Engel sei daher größer als die der Menschen im Paradies, meint Anselm von Canterbury, auch wenn in beiden Fällen keinerlei Mangel herrscht und man auch Adam die Seligkeit nicht absprechen kann.221 Gott aber hat beide deshalb so geschaffen, daß sie sündigen können, weil sie nur auf diese Weise ihre Gerechtigkeit auch aus eigenem Willen bewahren und somit Gnade und Lob verdienen konnten; andernfalls wäre das nicht möglich.222 Für den päpstlichen Bibliothekar Anastasius sind die Engel aus dem Nichts 217 Petrus Lombardus, Sententiae 2, dist. 11, c. 2, par. 10, S. 283: Videtur dicere, quod omnia sciant angeli et nihil sit quod nesciant. 218 Konzil von Friaul (Paulinus von Aquileja), MGH Conc. 2/1, Nr. 21, prol., S. 184: sed neque subtilis et incorporea angelica natura summam illam inconprehensibilem et incircumscriptam divinitatis essentiam nulla penitus investigare subtilitatis posset sagacitate. Nam etsi angeli fonti scientiae perenniter adsistentes omnia sciunt, ipsum tamen scientiae fontem, cuius sit magnitudinis, qui nec initium recipit nec fine concluditur, metiri nequeunt. 219 Gregor der Große, Moralia in Iob 4,3,8, CCL 143, S. 168: Angelus namque solummodo spiritus, homo uero est spiritus et caro. 220 Otto von Freising, Gesta Frederici 1,56 (55), S. 246 (MGH S. 79): Restat, ut hic angelus et hic homo tantum plenarie in naturalibus persona vocentur. 221 Anselm von Canterbury, De concordia praescientiae et praedestinationis et gratiae Dei cum libero arbitrio 3,13, S. 285: In beatitudine autem, secundum omnium sensum, est sufficientia competentium commodorum sine omni indigentia, sive angelica intelligatur beatitudo sive illa, quam habebat ADAM in paradiso. Quamvis enim maior sit beatitudo angelorum quam illa, quae erat hominis in paradiso, non tamen ideo negari potest ADAM beatitudinem habuisse. 222 Ders., Cur Deus Homo 2,10, S. 107: Solemus namque dicere Deum idcirco fecisse angelum et hominem tales, qui peccare possent, quatenus, cum possent deserere iustitiam et ex libertate servarent arbitrii, gratiam et laudem mererentur, quae illis, si ex necessitate iusti essent, non deberentur.

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erschaffen, daher besteht zwischen den himmlischen Engeln und dem Irdischen eine Diskrepanz zwischen »Exzellenz« (Vortrefflichkeit) und Schlichtheit (tenuitas). Der Mensch ist sterblich, der Engel reiner, unvergänglicher Geist; da der Mensch aber zu Denken und Lernen (mens et disciplina) fähig ist, hat er einerseits doch Anteil an der Natur der Engel, andererseits aber auch an der Natur anderer irdischer Lebewesen, die wie er selbst aus Fleisch bestehen, sich ernähren und schlafen und mit denen er die Erde teilt, aus der er selbst geschaffen ist, bis er aus seinem vergänglichen in einen unvergänglichen Zustand überführt wird.223 Mit aller Sorgfalt schuf Gott nach Florus von Lyon Engel und Menschen als vernünftige Geschöpfe, indem er jenen ein Sein als körperloser Geist, diesen aber Seele und Körper gab. So besitzen beide von Natur aus Erinnerungs- und Erkenntnisvermögen, Willen, Sein, Wissen und Wollen, damit sie sich jeweils auf natürliche Weise ihrer selbst erinnern, sich erkennen und lieben: Sie haben ein Sein, um zu existieren, ein Wissen, um sich zu erkennen, und ein Wollen, daß Gott sie liebt.224 Mit der Gott ähnlichen ratio, die Engel und Menschen gemeinsam haben und mit der sie erkennen, was Gottes ist, unterscheiden sich die Menschen von den Tieren, mit denen sie hingegen das »Tierische«, nämlich das Fleischliche teilen, schreibt Guibert von Nogent.225 Mehr noch: Da niemand, der im Fleisch lebt, ohne Sünde sein kann, fehlt den Menschen nach Anselm von Canterbury jene Reinheit, wie sie die Engel besitzen.226

223 Anastasius bibliothecarius, Sancta synodus septima generalis Nicaena secunda. Actio octava, Sp. 510 CD: Nam angeli cum sint purae mentes, ex nihilo producti sunt ab omnium rerum conditore Deo; similiter et natura humana; sed et media est inter excellentiam et tenuitatem, coelestium scilicet angelorum rerumque terrenarum; verum ut creaturae conveniunt inter se. Deinde angeli quidem purae sunt mentes et incorruptibiles, homo autem mortalis; sed cum sit mentis ac disciplinae capax, angelicam participat naturam. Rursus natura hominis naturae caeterorum animalium est particeps, quod et ipse et ipsa caro, et comedunt et dormiunt terramque communem habent et qua sumpti sumus et in quam resolvimur usque ad transmutationem nostram ex corruptione in incorruptionem. 224 Florus von Lyon, Adversus Ioannis Scoti Erigenae definitiones 15, Sp. 189f.: Quod ut diligentius consideretur, manifestum est illa, quae Deus fecit in creatura rationali angelica vel humana, esse in angelis spiritus sine corpore, esse in hominibus animam et corpus. Naturalia vero munera, quae istis rationalibus creaturis naturaliter Deus dedit, illa vult iste intelligi, de quibus superius multa locutus est, id est quod habeat in se naturaliter mens humana sive angelica memoriam, intelligentiam, voluntatem, esse, nosse, velle, ut naturaliter meminerit sui, intelligat se, diligat se, naturaliter habeat esse ut existat, nosse ut agnoscat se, velle ut amet se. 225 Guibert von Nogent, Moralia in Genesin 1,1, Sp. 33 CD: Ratio vero nihil aliud est quam intellectus, ex quo Dei et angelorum similes efficimur, quo ea, quae Dei sunt, sapimus, quo etiam solo in vita hac a bestiis differimus, hoc animalitatem nostram, id est carnalitatem, quam cum bestiis habemus communem, regere et ordinare debemus. 226 Anselm von Canterbury, Homilia 6, Sp. 623 AB: Constat ergo quia omnes qui in carne peccati vivunt, peccati sordem ad purum exuere non possunt. Unde adhuc de Ecclesia matre subditur: quia ›omne sanctum non tanget‹ (Lev 12,4); illud videlicet perfectissimae puritatis,

6. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Engeln und Menschen

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»Aber auch darin sind die Natur der Engel und unsere Natur in der Schöpfung unterschieden, daß wir sowohl örtlich umschrieben werden als auch durch blinde Unkenntnis eingeengt sind, während die Engel zwar durch einen Ort des Geistes umschrieben sind, ihr Wissen jedoch unvergleichlich weit über unseres hinausgeht,«

schreibt Gregor der Große (und nach ihm Hinkmar von Reims und Peter Abaelard).227 Während die niedrigeren Kreaturen körperhaft sind, sind Engel (und menschliche Seelen) durch das Geschenk des Schöpfers in ihrer Substanz unsichtbar, wissend, selig, machtvoll und unsterblich.228 Für Johannes Scotus Eriugena sind die sterblichen und sichtbaren Menschen und die unsterblichen und unsichtbaren Engel geradezu entgegengesetzt: Die Bejahung des Menschen, etwa die Sterblichkeit, ist Verneinung des Engels (und umgekehrt). Wenn der Mensch, so fügt eine Version hinzu, nämlich ein vernunftbegabtes, sterbliches, sichtbares Lebewesen ist, so ist der Engel wahrhaftig weder ein vernunftbegabtes noch ein sterbliches noch ein sichtbares Lebewesen, und er kennt kein höheres Geschöpf mehr über sich.229 Engel und Menschen werden nach der Auferstehung ähnlich, ihre Natur aber hatte nie die gleiche Würdigkeit; beide waren ursprünglich allerdings ohne körperliches Geschlecht und vergängliche Zeugung erschaffen. Der erste Zustand des Menschen vor dem Sündenfall im Paradies, nämlich in himmlischer Seligkeit, kann daher als engelgleich und somit gleichsam als von gleicher Natur betrachtet werden.230 Noch

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quod habent angeli. Zur Reinheit der Engel (angelica puritas) vgl. auch Chronicon s. Michaelis in pago Virdunensi 5, S. 81. Gregor der Große, Moralia in Iob 2,3,3, CCL 143, S. 61: In hoc itaque est nunc natura angelica a naturae nostrae conditione distincta, quod nos et loco circumscribimur et caecitatis ignorantia coartamur ; angelorum uero spiritus loco quidem circumscripti sunt, sed tamen eorum scientiae longe super nos incomparabiliter dilatantur. Das zitieren Hinkmar von Reims, De diversa et multiplici animae ratione, Sp. 937 A, und Petrus Abaelardus, Sic et non, quaestio 44,2, S. 200. Hinkmar von Reims, De diversa et multiplici animae ratione 4, Sp. 938 CD: Quomodo solus habet immortalitatem, cum nec angeli mori possint et animae humanae immortales sint creatae? Sed intelligimus, quantum quidem ad naturam substantiamque earum attinet, inferiorumque creaturarum, quae sunt utique corporales, eas et invisibiles atque sapientes necnon et beatas et potentes et immortales munere Creatoris; collatas tamen Creatori propter excellentem magnitudinem nihil horum habere. Johannes Scotus Eriugena, Periphyseon 1, CCM 161, S. 6: Eodemque modo superioris affirmatio inferioris est negatio, negatio uero superioris erit affirmatio inferioris. Affirmatio enim hominis negatio est angeli, negatio uero hominis affirmatio est angeli et uicissim. […] eius nanque negatio nullam creaturam superiorem se confirmat. (Der folgende Zusatz findet sich nur in der 4. Version, ebd. S. 125): Si enim homo est animal rationale, mortale, visibile (Hs.: risibile), profecto angelus neque animal rationale est neque mortale neque visibile. Vgl. Augustinus, De civitate Dei 9,13, CCL 47, S. 261: quia pecus est animal inrationale atque mortale, angelus autem rationale et inmortale, medius homo est, sed inferior angelis, superior pecoribus, habens cum pecoribus mortalitatem, rationem cum angelis, animal rationale mortale. Johannes Scotus Eriugena, Periphyseon 2, CCM 162, S. 67: Quod enim post resurrectionem

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

einmal betont Johannes daher, daß weder die Heilige Schrift noch die Vernunft es verbiete, eine Gleichheit oder zumindest Ähnlichkeit der Natur von Engeln und Menschen anzunehmen: Beide sind intellectualis et rationalis creatura.231 Beide sind gewissermaßen Söhne Gottes und aus der väterlichen Gnade heraus beschenkt worden: Der Engel ist der ältere, der Mensch der jüngere Sohn, weil die Bibel erst von der Erschaffung des Engels und erst danach von der Erschaffung des Menschen spricht. Beide aber können Gott erkennen und sind eben dazu erschaffen worden.232 »Warum wollte (Gott) nicht, daß die Zahl der Auserwählten nur aus Engeln besteht?« fragt der Schüler im ›Elucidarium‹ des Honorius und erhält die Antwort: »Gott hat zwei vornehmste Geschöpfe erschaffen: ein geistiges und ein körperliches. Also wollte er von beiden gelobt werden, über das Geistige von den Engeln und über das Körperliche von den Menschen.«233 Für Gottfried von Vendime stand der Mensch, der sündigte und durch die Sünde dem Teufel ausgeliefert war, zunächst unter dem Engel; durch die Überwindung der Sünde aber erhebt er sich über alle göttlichen Geschöpfe, übertrifft alle Engelordines an Größe und befiehlt ihnen, und sie gehorchen ihm.234 Hingegen erreicht für Guibert von Nogent kein Mensch einen solchen Grad an Heiligkeit, daß er auch nur den geringsten aller Engel an Menge seines Ruhms übertreffen könnte.235 Die

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omnium generaliter de omnibus hominibus dominus dicit ›Erunt sicut angeli dei in caelo‹ (Mc 12,25) non de condignitate naturae, sed de immortalitatis aequalitate, et quod omni sexu corporeo omnique corruptibili generatione carebunt intelligendum arbitror. Primam nanque hominis conditionem ante peccatum in paradiso, hoc est in caelesti beatitudine, aequalem angelis ac ueluti connaturalem fuisse non incongruum credere. Ebd. 4, CCM 164, S. 46: Humanam angelicamque naturam aut eandem aut simillimas esse et diuina scriptura et ipsa ratio perhibet. Nam et homo et angelus intellectualis et rationalis creatura dicitur et est. Ebd. 5, CCM 165, S. 202f.: Pater siquidem caelestis duas naturas ad se cognoscendum creauit, angelicam uidelicet et humanam, quibus duabus filiolitatis gratiam donauit. Sed homo adolescentior filius dicitur, angelus uero maior aetate, quoniam prius scriptura conditionem angeli, posterius hominis commemorat. Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,26, S. 366: Cur numerum electorum noluit tantum constare ex angelis? M. Duas principales creaturas fecit Deus: unam spiritualem, alteram corporalem. Voluit igitur ab utraque laudari, de spirituali ab angelis, de corporali ab hominibus. Gottfried von Vendime, Sermo 6 (De ascensione Domini), Sp. 259 AB: Huius mirae gaudio et dilectione mirandae divinae et humanae ascensionis magna sunt sacramenta, de quorum magnitudine nec homo nec angelus de coelo tantum dicere posset, quod ad comparationem magnitudinis eorum modicum non videretur et esset. Hoc inter caetera est magna devotione mirandum, quod homo prius diabolo subditus per peccatum, non solum liber factus est a peccato, sed quodcumque ligat, ligatum est, et quodcumque solvit, noscitur absolutum. Homo minor angelo ante factus fuerat, sed gloria et honore postea coronatus, constitutus est super omnia, quae Deus fecerat. Homo siquidem angelos, archangelos, thronos, dominationes, principatus, potestates, virtutes coelorum, cherubim et seraphim sua magnitudine superat et eis imperat et ei obediunt voluntate. Guibert von Nogent, De virginitate 5, Sp. 585 C: Quorum quanta habeatur summa quamque

6. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Engeln und Menschen

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Erwählten, so schreibt schon lange vorher Haymo von Auxerre, werden zwar den Engeln ähnlich sein, aber doch nicht so ähnlich, daß sie dem Gottessohn gleichen.236 Die Darstellung des Jüngsten Gerichts in der Bamberger Apokalypse (um 1000) (Abb. IV/5, S. 158)237 ist entsprechend zweigeteilt (nach Apoc 20,11f.): Oben thront Christus, dessen rechte Hand ein großes Kreuz umfaßt, auf beiden Seiten von Seligen umgeben, deren Blicke fest auf ihn gerichtet sind: In der oberen »Etage« umgeben ihn Engel, von denen die äußeren die Posaune zum Jüngsten Gericht blasen, in der unteren zwölf Menschen, vielleicht die zwölf Apostel. Auf dem unteren Bild werden rechts die Erwählten, links die Verworfenen, Männer und Frauen, jeweils von einem Engel mit langem Spruchband (mit Endzeitzitaten Christi) empfangen bzw. in die Hölle versetzt. Die beiden (wiederum geflügelten) Engel zeichnen sich nicht nur durch ihre Größe, sondern auch dadurch aus, daß der »Balken«, der Himmel und Erde trennt, nur in ihrer Mitte unterbrochen ist, so daß ihre Flügel soeben noch in die himmlische Sphäre hineinragen, während die beiden Engel an den Seiten am oberen Rand der unteren Partie wiederum die Gerichtsposaune blasen. Bei aller Differenzierung der Deutungen überwiegt insgesamt bei weitem die Vorstellung einer Überlegenheit der Engel im jetzigen Zustand und einer Gleichrangigkeit im Jenseits. Die Engel sind den Menschen folglich überlegen. Da beide aber gleichermaßen zur Seligkeit erschaffen sind, führen sie nach der Erlösung im Jenseits ein gemeinsames Leben aus den Früchten ihrer Barmherzigkeit und den Werken des Lichts, wie Hrabanus Maurus betont.238 Eadmer von Canterbury vergleicht Engel und (heilige!) Menschen mit den nutriti und den conversi, den beiden ›Bevölkerungsgruppen‹ im Kloster : Engel sind wie nutriti, nämlich von jeher (oder von kleinauf) im Kloster erzogen, während die heiligen Menschen den erst in höherem Alter eingetretenen Konversen entsprechen. Dennoch blicken weder die Engel auf die Heiligen herab, weil diese einst Verpraeemineat dignitas, ex eo praecipue potest perpendi, quod certa auctoritate scitur nullum hominum ad eum sanctitatis gradum pertingere posse, ut minimum angelorum gloriae quantitate praecellat. 236 Haymo von Auxerre, Expositio in Apocalypsin 3,(10), Sp. 1061 AB: Et quidem erunt electi similes angelis, non tamen ita similes, quod aequales Filio Dei. Allgemein zu Haymo und zu seiner Exegese vgl. Sumi Shimahara (Hg.), Ptudes d’ex8gHse carolingienne: autour d’Haymon d’Auxerre (Collection haut Moyen ffge 4), Turnhout 2007; Dies., Haymon d’Auxerre, ex8gHte carolingien (Collection Haut Moyen ffge 16), Turnhout 2013. 237 Bamberger Apokalypse, frühes 11. Jahrhundert. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 53r. Abb. nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek Bamberg. Foto: Gerald Raab. 238 Hrabanus Maurus, Commentaria in libros IV regum. In librum III 6, Sp. 158f.: Quibus omnibus apte congruit, quod eadem ostiola de lignis fiunt olivarum, quia nimirum et angeli et homines perfecti fructu misericordiae et operibus lucis sese in domo Dei gloriosos exhibent, imo omnes electi per arma lucis et pietatis aditum sibi patriae coelestis aperiunt.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

suchungen ausgesetzt waren, noch die Heiligen auf die Engel, weil diese niemals Versuchungen erlitten haben. Wenn nämlich Michael dem Petrus vorwürfe: »Du hast den Herrn verleugnet«, könnte Petrus antworten: »Du sprichst wahr, aber Du hast für den Herrn auch nicht einen einzigen Schlag erlitten.« Das tun sie jedoch eben nicht, sondern leben so einträchtig miteinander, als ob sie sämtlich Engel oder Menschen wären bzw. als ob sie alle nutriti oder alle conversi wären239 (und sicherlich will Eadmer, der hier Vergleiche Anselms von Canterbury zusammenstellt, den Mönchen damit einen Spiegel vor Augen halten). Im folgenden Abschnitt vergleich Eadmer die Engel im Himmel mit der Mönchsgemeinschaft auf Erden, indem er die Engel mit Mönchen und die Mönche mit Novizen parallelisiert, die noch außerhalb der Klausur im Novizentrakt leben.240 Auch für Anselm selbst ist den Menschen für die Zukunft Gleichheit mit den Engeln im Himmel versprochen.241 Für Hildegard von Bingen ist Mönchsdienst schlechthin Engeldienst.242 Die These, daß der »gotische Engel« dann mehr zum Modell des Klerikers als des Mönchs wird,243 ist hingegen überspitzt. In seiner kleinen Schrift ›Liber XII quaestionum‹ nimmt Honorius zu dem Streit zwischen einem Kanoniker von St. Peter und einem Mönch von St. Michael um den Vorrang ihrer ›Herren‹ (der Patrone) Stellung. Wenn es sich dabei eigentlich um einen – für das 12. Jahrhundert typischen – Rangstreit zwischen Kanonikern und Mönchen handelt, so verlagert Honorius die Diskussion damit bezeichnenderweise auf die Autorität der beiden Patrone, des Erzengels Michael und des Apostels Petrus, so daß die Schrift zugleich einen Einblick in die Vorstellungen vom Verhältnis zwischen Engeln und – heiligen – Menschen (wie auch 239 Eadmer von Canterbury, Liber de sancti Anselmi similitudinibus 78, Sp. 649f.: Sed si vere monachi essent, sic esset inter eos, quomodo inter angelos in coelis et homines sanctos. Angeli enim sunt quasi nutriti, sancti vero homines quasi conversi. Sed nec angeli sanctos despiciunt, quia tentationibus aliquando victi sunt, nec sancti angelos, quia nullam, quam vincerent, passi sunt tentationem. Si enim Michael diceret Petro: Tu Dominum negasti, posset Petrus respondere: Verum quidem est quod dicis, sed tu pro Domino nunquam vel unum colaphum sustinuisti. Quod omnino non faciunt, sed ita existunt concordes ac si omnes essent angeli vel homines. Sic ergo sunt isti ac si nutriti sint omnes aut conversi. 240 Ebd. 79, Sp. 650 AB: Sic est inter monachorum congregationem in terris et congregationem angelorum in coelis, quomodo inter eos, qui sunt adhuc exterius in cella novitiorum, et illos, qui iam sunt interius in congregatione monachorum, qui, ut praevalent, in omnibus se perfecte custodiunt. 241 Anselm von Canterbury, Cur Deus homo 1,18, S. 83: Qui angeli quoque Dei per hoc recte possunt vocari, quia vitam angelicam imitantur atque similitudo et aequalitas illis angelorum promittitur in caelo, et quia omnes iuste viventes angeli sunt Dei; unde ipsi ›confessores‹ aut ›martyres dicuntur‹. 242 So Schipperges, Welt der Engel S. 146ff. 243 So Poirel, L’ange gothique S. 134f. Man wird das jedoch kaum so gegeneinanderstellen dürfen. Mit der Reformierung des Klerus lehnt dieser sich vielmehr durchweg an monastische Vorbilder an. Die Orientierung an Engeln würde sich demnach hier eingliedern, bleibt im Mönchtum aber gleichermaßen erhalten.

6. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Engeln und Menschen

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vom Rangdenken an sich) vermittelt. Der Mensch, so lautet die (ebenso differenzierte wie andersgelagerte) Antwort, ist würdiger, der Engel glücklicher. Der Mensch ist würdiger, weil ein Mensch in Christus Gott ist, den auch die Engel anbeten; hingegen beten die Menschen keinen Engel an.244 Der Mensch ist aber auch deshalb würdiger, da er sich das Heil in seinem Elend erst durch seine Tugenden im Kampf gegen Laster und Dämonen verdienen muß – und damit widerspricht Honorius, der sich sonst eng mit Anselm von Canterbury verbunden weiß, dem obigen Zitat Eadmers. Der Engel aber ist glücklicher, weil sein Heil bereits feststeht und er es dank Gottes Gnade nie verloren hat.245 Die Vorstellung, daß die erlösten Menschen die gefallenen Engel im Himmel ersetzen, und zwar auf eine Weise, daß es genauso viele erwählte Menschen wie Engel geben wird,246 hat immer wieder Spekulationen über ihr Zahlenverhältnis herausgefordert.247 Dabei ist die Zahl der Engel unbekannt, doch jedenfalls unvorstellbar groß: Von sanctorum angelorum innumera multitudo spricht Gregor der Große,248 von einer »unberechenbaren Zahl der Engel« und von »großen Mengen an Engeln« Hilduin von Saint-Denis.249 Wenngleich man von neun Engelständen spricht, meint Paschasius Radbertus, dienen ihnen Abertausende, ja Zahllose.250 Pseudo-Dionsysios hatte sogar von einer Million (»tausend mal tausend« und »zehn mal hunderttausend«) Engeln gesprochen, die sich ständig vermehren und schon deshalb unzählbar sind,251 jedenfalls, wie Richard von St. Viktor meint, für die Menschen. Nur für Gott sind sie zählbar.252 244 Honorius Augustodunensis, Liber XII quaestionum 7, Sp. 1182 A: Et cum homo tanta gloria per hominem sit exaltatus, quaeritur: quis dignior sit, homo an angelus? Resp. Absque dubio: homo est dignior, licet angelus sit felicior ; quia homo in Christo est Deus, quod non est angelus; et angeli adorant supra se hominem Deum, non homines angelum. 245 Ebd. Sp. 1182 B: Angelus est felicior, quia semper in beatitudine mansit; homo autem dignior, quia in miseria positus, contra vitia et daemones pugnans, virtute beatitudinem promeruit, quam angelus per gratiam Dei non amisit. Eine ähnlich differenzierende Unterscheidung nimmt Aelred von Rievaulx vor; vgl. Lützelschwab, Angels S. 205. 246 Vgl. Colish, Early Scholastic Angelology S. 90, mit Verweis auf Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christinae fidei 1,5,31–33, der das allerdings nur als eine Meinung wiedergibt und dessen eigene Position weit differenzierter ist. Vgl. unten Anm. 253. Dagegen kann ein Engel nach Petrus Lombardus, Sententiae 2, dist. 11, c. 1, par. 1, S. 380, mehrere Menschen beschützen, da es mehr Menschen als gute Engel gibt. 247 Vgl. dazu Keck, Angels S. 28–36. 248 Gregor der Große, Homiliae in Ezechielem prophetam 1, hom. 8,15, S. 108. 249 Hilduin von Saint-Denis, Passio Dionysii 15, Sp. 36 A: et astantem ei in hominum speciebus inaestimabilem angelorum numerum; angelorum multitudines. 250 Paschasius Radbertus, Expositio in psalmum XLIV,1, S. 23: Vbi quamuis nouem dicantur ordines angelorum, milia milium assistunt, quibus nullus est numerus, et ministrant Daniele teste ›decies milies centena milia propter eos, qui haereditatem sunt accepturi‹ (Dan 7,10). 251 (Pseudo-)Dionysios Areopagita, De caelesti hierarchia 14 (in der Übersetzung des Johannes Scotus, Zeile E), S. 980f.: Et hoc autem dignum, ut aestimo, intellectuali cognitione, quia eloquiorum de angelis traditio millies millia esse ait et decem millia decies millies, secundum nos sublimissimos numerorum in se ipsam reuoluens et multiplicans, et per hos aperte

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Für Hugo von St. Viktor ist das Zahlenverhältnis bei Menschen und Engeln entgegengesetzt: Es gibt es mehr schlechte als gute Menschen, aber mehr gute als schlechte Engel. Folglich übertreffen nicht nur die schlechten Menschen, sondern auch die guten Menschen an Zahl die schlechten Engel: »Wenn es aber mehr schlechte Menschen als auserwählte Engel gibt, während es mehr auserwählte als verworfene Engel gibt, muß die Zahl der verworfenen Menschen größer sein als die der verworfenen Engel. Wie kann es dann aber wahr sein, daß jedem Menschen zwei Engel zugewiesen sind: ein schlechter zum Angriff und ein guter zu Verteidigung, wenn die Zahl der Menschen doch die Zahl der Engel übersteigt? Wenn es bei den Menschen also mehr Schlechte als Gute, bei den Engeln aber mehr Gute als Schlechte gibt und wenn gleichzeitig bestimmt ist, daß es so viele auserwählte Menschen wie gute Engel geben wird, dann folgt daraus ohne jeden Zweifel, daß es mehr gute Menschen als schlechte Engel und sogar weit mehr schlechte Menschen als schlechte Engel gibt, weil die schlechten Menschen die guten an Zahl übertreffen, während die guten Menschen zahlreicher sind als die schlechten Engel.«253

Den Engeln aber, so Haymo von Auxerre, ist die Zahl der erlösten Menschen bekannt, die die Ganzheit des Himmelsstaates wiederaufrichten:254 »Ebendarin wird erneuert, was im Himmel ist, wenn das, was an Engeln fiel, an Menschen zurückgegeben wird. Und es wird wiederhergestellt, was auf Erden ist, wenn die zum ewigen Leben prädestinierten Menschen selbst von der alten Verdorbenheit erneuert werden. Jener höchste Staat aber besteht aus Engeln und Menschen; dahin

signans innumerabiles caelestium essentiarum ordinationes. Vgl. Hrabanus Maurus, Enarrationes in epistolas beati Pauli. Expositio in epistolam ad Romanos 7, Sp. 1581 A: Videbunt haec et legent etiam angeli, et illa millies millia angelorum et decies millies dena millia ministrorum, et ita criminum nostrorum, in quibus nunc unum saltem testem pati confundimur, coelestium tunc virtutum testes catervas innumerabiles patiemur. 252 Richard von St. Viktor, In Apocalypsim Joannis 2,3, Sp. 759 A: Quod ergo numerum angelorum millia millium dicit, non homini, sed Deo numerabiles angelos ostendit. 253 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,5,31, ed. Migne Sp. 261 BC; ed. Berndt S. 132f.: Si autem homines reprobi plures sint quam electi angeli (cum electi angeli plures sint quam reprobi angeli), plures erunt homines reprobi quam reprobi [angeli, fehlt Berndt]. Quomodo ergo verum est, quod dicitur unusquisque hominum duos angelos habere deputatos sibi, unum malum ad impugnationem et unum bonum ad defensionem, cum numerus hominum transcendat numerum angelorum? Si enim in hominibus mali plures sunt quam boni et in angelis plures boni quam mali, cum positum sit tot electos futuros homines, quot sunt angeli boni, constat sine ulla dubitatione plures esse [homines, fehlt Berndt] bonos quam sint angeli mali, multoque plures homines malos quam angelos malos, quia plures sunt homines mali quam boni, cum plures sint homines boni quam angeli mali. 254 Haymo von Auxerre, De varietate librorum sive de amore coelestis patriae 1,7, Sp. 882 B: Ex redemptione hominum ruinae illius angelicae reparantur. Et utique noverunt angeli sancti docti de Deo, cuius veritatis aeternae contemplatione beati sunt, quanti numeri supplementum de genere humano integritas illius civitatis exspectet. Propter hoc ait Apostolus: ›Instaurari omnia in Christo, quae in coelis sunt et quae in terris‹ (Eph 1,10).

6. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Engeln und Menschen

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steigt, wie wir glauben, das Menschengeschlecht nur in dem Maße auf, wie er die erwählten Engel, die dort verblieben sind, umfaßt.«255

Die himmlische civitas besteht dann aus einer einzigen Gemeinschaft ewiger Seligkeit von Engeln und Menschen.256 Wie die Engel unter sich Frieden halten,257 weil sie einig sind in der Verehrung Gottes,258 schreibt Rufin von Sorrent im 12. Jahrhundert in seinem Buch über das Gut des Friedens – Zwietracht entstand erst durch den Sündenfall, den Rufin als (allegorischen) Kampf zwischen Michael und dem »Drachen«, nämlich dem Teufel, und ihren jeweiligen Anhängern mit Geist und Leidenschaften, nicht mit Waffen versteht und der mit dem Ausschluß der Komplizen des Teufels endete –,259 so leben auch Engel und Menschen miteinander in Frieden, nämlich wiederum in gemeinsamem Gottesdienst.260 Wie Christus Gott mit den Menschen versöhnt und Frieden ge-

255 Ebd. Sp. 882 BC: In ipso instaurantur quippe, quae in coelis sunt, cum id, quod in angelis lapsum est, ex hominibus redditur. Instaurantur autem quae in terris sunt, cum ipsi homines, qui praedestinati sunt in aeternam vitam, a corruptionis vetustate innovantur. Illa enim superna civitas ex angelis et hominibus constat, ad quam tantum credimus humanum genus ascendere, quantos illic contingit electos angelos remansisse, sicut scriptum est: ›Statuit terminos gentium secundum in numerum angelorum Dei‹ (Dt 32,8). Die Vorstellung einer civitas aus Engeln und Menschen entstammt Gregor dem Großen, Homiliae in Evangelia 2,34,11, S. 309. 256 So Alkuin, Confessio fidei 3, Sp. 1085 C: Tunc illa superna civitas ex angelis et hominibus una efficietur, habens sempiternum beatitudinis praemium, solam conditoris coniunctionem atque eis inenarrabilem visionem. Vgl. Schipperges, Welt der Engel S. 168–173, zu Hildegard von Bingen. 257 Vgl. schon Isidor von Sevilla, Sententiae 1,10,26f. (oben Anm. 68). 258 Rufinus von Sorrent, De bono pacis 9, S. 76: Proposite distinctionis series exigit, ut post illa, que de pace Dei vel diaboli dupliciter diximus, de pace angelorum ad se, hoc est inter se, quod expedit, disseramus. Pax, que inter angelos esse creditur, est concors in Dei venerationem. 259 Ebd. S. 76/78: Prima siquidem et maxima discordia inter angelos exstitit, quando Lucifer, qui mane oriebatur, divinitatis apicem invadere cogitavit dicens: ›Ponam sedem meam ad aquilonem et ero similis Altissimo.‹ (Isa 14,14). Tunc enim ›factum est prelium magnum in celo. Michahel et angeli eius preliabantur cum dracone, et draco pugnabat et angeli eius, et non prevaluerunt neque locus inventus est eorum amplius in celo.‹ (Apoc 12,7ff.). Nam proiectus est draco ille magnus, qui vocatur diabolus et Sathanas; proiectus est in terram et angeli eius cum eo missi sunt. Prelium vero istud, quod inter angelos fuit, non est putandum factum materiali ferro, sed intellectuali studio, non commissione armorum, sed contrarietate affectuum, dum, quantum diabolus et eius complices per typum superbie contra Deum erecti sunt, tantum Michael sibique similes per humilitatis devotionem regis eterni subici imperiis elegerunt. Et ideo istis in celo sublimius, quam prius fuerant, remanentibus illi exclusi sunt, in terre huius ultima corruentes. ›Omnis enim, qui se humiliat, exaltabitur et qui se exaltat humiliabitur.‹ (Lc 14,11). 260 Ebd. 11, S. 80: Denique pax angelorum ad homines, id est inter angelos et homines, est in divini famulatus obsequium similium officiorum coymaginata concordia et in eadem celestis patrie, velut cuiusdam civitatis iura facta conscriptio, sicut Paulus meminit ad Hebraeos: ›Accessistis,‹ inquit, ›ad Syon montem magnum et civitatem Dei viventis, Ierusalem celestem et multorum milium angelorum frequentiam et Ecclesiam primitivorum, qui scripti

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

schaffen hat, so hat er durch das Kreuzmysterium auch Frieden zwischen Engeln und Menschen gemacht.261

7.

Gestalt und Sprache der Engel

Die oben angesprochene Körperlichkeit der Engel wirft die Frage nach ihrer Gestalt auf. Engel sind zwar Geistwesen, nehmen, wenn sie Menschen erscheinen, aber eine (erkennbar) körperliche, menschenähnliche Gestalt an. Hafner spricht daher von »Einkörperung«.262 Die ›Körperlichkeit‹ der Engel ist aber durchaus umstritten.263 Wenn Engel als Geistwesen an sich keinen klar umrissenen Körper haben, wohl aber Körper annehmen können, wird ihr konkretes Aussehen in der Vorstellung der Menschen wesentlich zu der Gestalt, in der sie den Menschen erscheinen. Obwohl sie hier durchaus unterschiedliche Formen annehmen können – bei dem Teufel wird das allerdings noch weit deutlicher und differenzierter –, entwickeln sich in den Grundkomponenten doch recht uniforme Standardelemente heraus, wie man sich einen Engel vorstellt. Engel erscheinen menschenähnlich, bleiben aber durch verschiedene Merkmale von menschlichen Körpern unterschieden und sind somit als Engel erkennbar. Engel erscheinen als »leibhafte Gestalten«, zugleich aber als Lichtwesen. Bei ihren Erscheinungen tragen Engel, im Unterschied zum schwarzen Teufel, meist weiße Gewänder :264 In weißen Kleidern erschienen die Engel nach Beda bei der

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sunt in celis‹ (Hebr 12,22f.). Et rursum alibi: ›Nostra autem conversatio in celis est‹ (Phil 3,20). Ebd. 11, S. 82: Sicut autem pacem inter Deum et homines mediator Christus restituit, sic et ipse inter angelos et homines mediante crucis mysterio pacem fecit, quemadmodum ad Colossenses scribitur (Col 1,19f.): ›Quia in ipso,‹ hoc est in Christo, ›complacuit omnem scientie plenitudinem habitare et per eum reconciliare omnia in ipso, pacificans per sanguinem crucis, que in terris et que in celis sunt.‹ Zur Fortsetzung des Textes vgl. unten Anm. 423. Hafner, Angelologie S. 148f. So bleibt Bernhard von Clairvaux darüber letztlich unentschieden; zu Bernhard vgl. Stapert, L’ange roman S. 164–180; zur Körperlichkeit ebd. S. 165ff.; zur Unentschiedenheit ebd. S. 169. Vgl. (mehrfach) Gregor der Große, Homiliae in euangelia 2,21,2, S. 175: In sua ergo ac nostra festiuitate angelus albis uestibus apparuit, quia dum nos per resurrectionem dominicam ad superna reducimur, caelestis patriae damna reparantur ; ebd. 2,29,9, S. 251: Hoc autem nobis primum quaerendum est, quidnam sit, quod nato Domino apparuerunt angeli et tamen non leguntur in albis uestibus apparuisse, ascendente autem Domino, missi angeli in albis leguntur uestibus apparuisse; Smaragd von Saint-Mihiel, Collectiones in epistolas et evangelia, Sp. 226 C (Dominica sancta in Pascha); Stephanus, Vita Wilfridi episcopi Eboracensis 56, S. 251: angelus Domini in veste candida sancto pontifice nostro apparuit; Robert der Mönch (Robert von Saint-Remi), Historia Iherosolimitana 5 (99), ed. Kempf/Bull, S. 52 (RHC 3, S. 797) (unten Anm. 271). Vgl. Rosenberg, Engel und Dämonen S. 75–88.

7. Gestalt und Sprache der Engel

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Himmelfahrt Christi (nicht hingegen bei seiner Geburt, da er niedrig geboren wurde und sich erst in der Himmelfahrt in seiner ganzen Erhabenheit zeigte).265 Auch der Engel, der dem heiligen Gallus erschien, trug ein schneeweißes Kleid.266 Als deutlichstes Kennzeichen und zugleich als Ausdruck ihrer »luftigen« Natur haben Engel im Mittelalter nahezu durchweg Flügel. Die Seraphim haben, wie Isidor schreibt, nach Isa 6,2 entsprechend den sechs Schöpfungstagen sogar sechs Flügel.267 Wenn man Engel schon früh mit Flügeln darstellt – in der Kunst sind geflügelte Engel aber erst seit dem 4./5. Jahrhundert üblich268 –, dann ist das für Isidor eine Allegorie, um ihre Schnelligkeit anzudeuten. (Dichter schreiben ihnen deshalb ›Windflügel‹ zu.269) Nach Beda symbolisieren die Flügel die ewige Gnade und ungeminderte Glückseligkeit derjenigen, die stets im Himmel im Dienst ihres Schöpfers verharren.270 Die Erscheinung der Engel ist aber auch der jeweiligen Situation und dem jeweiligen Zweck angepaßt. Manchmal erscheinen sie in Waffen, um damit auszudrücken, daß sie den bedrängten Kriegern zu Hilfe kommen. Wenn sie hingegen als Pilger oder wie Priester in weißen Gewändern erscheinen, verkünden sie nicht Krieg, sondern Frieden.271 Dem heiligen Cuthbert erschien in seiner Jugend während einer Krankheit ein Engel skurrilerweise sogar in Gestalt eines Reiters, der wiederum weiße Gewänder trug und einen ehrenhaften Blick hatte, auf einem unvergleichlich schmuckvollen Pferd, um ihn zu stärken und seine Genesung von einem Knieleiden zu prophezeien. Wer so etwas nicht

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Ausführlich zur Farbe der Engel vgl. Francesca Sivo, I colori degli angeli, in: Accekos – Angelus S. 109–192. Das Weiß drückt Reinheit, Klarheit und Licht aus. Beda Venerabilis, Expositio actuum apostolorum 1,10, S. 8f.: Et ideo Domino ascendente in albis uestibus angeli apparent, qui nato Domino in albis uestibus apparere non dicuntur, quia qui in natiuitate sua apparuit Deus humilis in ascensione sua ostensus est homo sublimis. So Gregor von Tours, Historiae 4,5, S. 138: qui tam caesariem quam vestem in similitudine nivis candidam efferebat. Ähnlich Ders., Liber vitae patrum 6,6, S. 234 (unten Anm. 487). Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,33, Bd. 1, S. 278: Singuli senas alas habent, quia de fabrica tantum mundi, quae in sex diebus facta sunt, in praesenti saeculo novimus. Nach Schmidt/Schmidt, Die vergessene Bildersprache S. 129f., sind Engel mit Flügeln in der Kunst nicht vor dem 5. Jahrhundert nachweisbar, nach Barral Rivadulla, ]ngeles y demonios S. 214, werden sie seit dem 4. Jahrhundert in dieser im Mittelalter dann völlig üblichen Weise dargestellt. Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,3, Bd. 1, S. 274: Quibus ideo pictorum licentia pinnas faciunt, ut celerem eorum in cuncta discursum significent, sicut et iuxta fabulas poetarum venti pinnas habere dicuntur, propter velocitatem scilicet. Beda Venerabilis, De templo (Salomonis) 1, S. 179: Cum uero in significatione angelorum ponuntur alae quid aptius quam gratiam demonstrant perpetuae et indefectiuae felicitatis eorum, qui semper in caelestibus in ministerio sui persistunt auctoris? So Robert der Mönch (Robert von Saint-Remi), Historia Iherosolimitana 5 (9), ed. Kempf/ Bull, S. 52 (RHC 3, S. 797): Ideo armati nunc apparent, ut quia in bello laborantibus auxiliaturi veniunt indicent. Si enim ut peregrini vel ut sacerdotes stolis dealbati apparerent, non bellum, sed pacem nuntiarent.

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glauben will, meint Beda, soll die Geschichte der Makkabäer lesen; auch dort seien dem Judas Makkabäus Engel auf Pferden erschienen.272 Solche Erzählungen illustrieren jedenfalls die Vorstellungs- und Deutungskraft und -breite mittelalterlicher Menschen, die Engel vielfach und in verschiedener Gestalt wirken sehen konnten, auch wenn solche Bilder ein weit geringeres Spektrum erreichen als bei dem Teufel.273 Es versteht sich nahezu von selbst, daß man sich Engel besonders schön vorstellte. Das zeigt sich etwa, wenn die Halberstädter Bistumschronik an dem Bischof Gardolf »den Anstand der Sitten und ein engelhaftes Gesicht« lobte, das ihn bei allen beliebt machte.274 Das konkrete Aussehen der Engel ergibt sich, mehr noch als aus den Anspielungen in Schriftquellen, doch im allgemeinen damit konform,275 aus den zahlreichen künstlerischen Darstellungen: Engel begegnen als Statuen und Skulpturen an Portalen und Tympana der Kirchen, an Kapitellen und in unzähligen Miniaturbildern der Codices.276 In der romanischen Kunst erscheinen Engel voller Licht, mit wehenden Kleidern und klaren Gesten.277 In französischen Handschriften sind sie nach Gathercole »thin, long 272 Beda Venerabilis, Vita Cuthberti 2, S. 158/160: Quoniam puer Domini Cuthbertus, quae per hominem accepit hortamenta sedulo corde retinebat, etiam angelico uisu et affatu confortari promeruit. Nam subito dolore genu correptum illius, acri coepit tumore grossescere, ita ut neruis in poplite contractis, pedem primo a terra suspensum claudicans portaret, dehinc ingrauescente molestia, omni poene priuaretur incessu. Qui die quadam deportatus foras a ministris atque sub diuo recumbens, uidit repente uenientem de longe equitem albis indutum uestimentis et honorabilem uultu, sed et equum cui sedebat incomparandi decoris. Qui cum adueniens mansueto illum salutaret alloquio, addidit quasi per iocum inquirere, si aliquod tali hospiti praebere uellet obsequium. At ille, ›Iam.‹ inquit, ›promptissime tuis cuperem astare deuotus obsequiis, sinon exigentibus culpis huius compede languoris retinerer. Diu nanque est, quod molestia genu tumentis oppressus, nulla cuiuslibet medicorum industria possum sanari.‹ Qui desiliens equo ac genu languidum diligentius considerans, ›Coque,‹ inquit, triticeam in lacte farinam et hac confectione calida tumorem superungue et sanaberis.‹ Et his dictis, ascendens equum abiit. Ille iussis obtemperans, post dies paucos sanatus est agnouitque angelum fuisse, qui haec sibi monita dedisset, mittente illo, qui quondam Raphaelem archangelum ad sanandos Tobiae uisus destinare dignatus est. Quod si cui uidetur incredibile angelum in equo apparuisse, legat historiam Machabeorum, in qua angeli in equis et ad Iudae Machabei et ad ipsius templi defensionem aduenisse memorantur. Das ist eine Anspielung auf 2. Makk 11,6ff.: Auf das Gebet der Krieger, Gott möge einen Engel schicken, um Israel zu helfen, hin erschienen Reiter in weißen Gewändern und goldener Rüstung. 273 Vgl. unten Abschnitt 2.6. 274 Gesta episcoporum Halberstadensium a. 1193, S. 110: Ipse enim morum elegantia et angelica facie, quam pretendit, omnium in se provocabat affectus. 275 Die Übereinstimmung der Bildmotive mit den theologischen Vorstellungen betont, an einzelnen Motiven, vor allem Barral Rivadulla, ]ngeles y demonios. 276 Vgl. Stapert, L’ange roman S. 275–290, zu Portalen und Kapitellen. Zu Engeln in der Kunst vgl. oben Anm. 27. 277 So Stapert, L’ange roman S. 265/267, 271f., 274. Zum Gestaltwandel der Engel im späten Mittelalter und in der Neuzeit vgl. Rosenberg, Engel und Dämonen S. 236–320.

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and lithe«, »youthful and graceful«, mit Heiligenschein, blondem Haar und Flügeln abgebildet. Anfangs tragen sie hier einfache, lange Kleider.278 Als menschenähnliche, mit einem Umhang bekleidete, aber geflügelte Wesen im Himmel begegnen sie immer wieder bereits im Utrechtpsalter aus dem 9. Jahrhundert (Abb. IV/6a279 und IV/6b, S. 159).280 In der Trierer Apokalypse aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts mag der Engel mit einem Buch vielleicht mißglückt sein (so Wolfgang Braunfels), zeigt aber schön die typische Engelsgestalt mit Heiligenschein und breiten Flügeln, gelocktem Haar, fußlangem Gewand und kurzem Umhang.281 Fein unterschieden sind die Engel bei der Verkündigung an die Hirten im St. Galler Sakramentar des 11. Jahrhunderts (Abb. IV/7, S. 160):282 Während der geflügelte Verkündigungsengel unten in einem engen Kleid mit Umhang barfuß vor den Hirten steht, sind die ähnlich geflügelten, aber fliegenden oder schwebenden Engel oben im Himmel über der Krippe Christi zwar ebenfalls bekleidet, doch verlieren sich ihre Unterkörper in einer amorphen, undurchsichtigen Masse (und machen sie dadurch als Geistwesen erkenntlich). Die drei Engel, die (nach Gen 18) Abraham in Menschengestalt besuchen und die er bewirtet, werden in dem zwischen 1193 und 1213 angefertigten Ingeborgpsalter aus Frankreich sehr ähnlich als vornehme, bartlose Gestalten mit gewelltem Haar, farbigen Kleidern und Umhängen, aber barfuß, mit hoch hinaufreichenden Flügeln und Heiligenschein präsentiert (Abb. IV/8, S. 161).283 Viele Engelgestalten sind in der um die Jahrtausendwende entstandenen Bamberger Apokalypse ins Bild gesetzt. Bei den vier Evangelistensymbolen, die Christus in der Mandorla umgeben, ist Matthäus links oben deutlich als geflügelter Engel (und nicht als Mensch dargestellt, wie Apoc 4,7 sagt: »das dritte [Lebewesen] sah aus wie ein Mensch«) (Abb. IV/9, S. 162).284 Seine Flügel aber 278 Gathercole, Depiction of Angels S. 8–23 zu »physical appearance«, Zitat S. 8 (Heiligenschein 10f.; Haare 11f.; Flügel 12ff.; Kleidung 16ff.). 279 Utrechtpsalter, um 830. Utrecht, Rijksuniversiteit, Universitätsbibliothek, ms. 32, fol. 59r, zu Ps 102. 280 Utrechtpsalter, um 830. Utrecht, Universitätsbibliothek, ms. 32, fol. 6v. Beide Abbildungen nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Utrecht. 281 Trierer Apokalypse. Trier, Stadtbibliothek Cod. 31, fol. 38r. Abbildung: Wolfgang Braunfels, Die Welt der Karolinger und ihre Kunst, München 1968, Abb. 214, S. 301. Dazu ebd. S. 180. Ähnlich auch ebd. fol. 21r. Die Bilder können wegen der hohen Preisforderungen der Stadtbibliothek Trier hier leider nicht abgedruckt werden. 282 St. Galler Sakramentar. Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 341, S. 59. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Stiftsbibliothek St. Gallen. 283 Ingeborgpsalter. Chantilly, bibliothHque et archives du ch.teau, Ms. 9 (früher Mus8e Cond8 MS. 1695, fol. 10v). Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Schloßbibliothek Chantilly aus: H. Gerhard Franz, Spätromanik und Frühgotik (Kunst der Welt 7,2), Zürich 1969, S. 186. 284 Bamberger Apokalypse. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 10v. Alle Abbildungen der Bamberger Apokalypse (Abb. 5, 9–13, 26 und 28) nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek Bamberg. Foto: Gerald Raab. Ich danke Herrn Gerald

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gleichen denen des Adlers (als Zeichen des Evangelisten Johannes). Während der Engel, der (nach Apoc 20,1–8) Satan (mit der Schlange zusammen-)bindet, mit breiten Flügeln, fußlangem Kleid und farbigem Umhang dem in dieser und in anderen Handschriften üblichen »Schema« entspricht, ist der dunkelhäutige »Engel« in der unteren Bildhälfte, der Satan löst, mit seiner kurzen, lendenschurzähnlichen Bekleidung und seinen kurzen, zu Bündeln abstehenden Haaren nicht nur ganz ungewöhnlich, sondern das Gegenbild und tatsächlich kein Engel, sondern ein geflügelter Dämon mit dunklen Flügeln, der bis auf die Bekleidung ziemlich genau dem Satan des oberen Bildes entspricht (Abb. IV/10, S. 163).285 Stehende, mit einem engen, einfachen Gewand bekleidete Engel, nämlich Seraphim mit sechs großen Flügeln und nackten Füßen, umgeben auf beiden Seiten das (nach Apoc 5,1ff.) in der Mitte auf dem als Stadtmauer stilisierten Thron Gottes plazierte Lamm Gottes (Abb. IV/11, S. 164).286 Die Selbstverständlichkeit der um Gott postierten Engel wird hier um so deutlicher, als im Apokalypsentext selbst an dieser Stelle gar keine Engel erwähnt sind. Geradezu idealtypisch sind die drei Engel gemalt, die (nach Apoc 16,8ff.) ihre Schalen bzw., im Bild, die olifantartigen Trinkbecher ausgießen (um damit jeweils die Sonne zum Verbrennen zu erhitzen, die Finsternis hereinbrechen zu lassen und die Gewässer auszutrocknen): Sie tragen sämtlich lange Kleider und darüber verschiedenfarbige Umhänge, haben verschiedenfarbige Flügel, einen Heiligenschein und sind wieder barfuß (Abb. IV/12, S. 165).287 Der »Engel mit dem Mühlstein« (nach Apoc 18,21) zeichnet sich ebenfalls durch noch breitere, geradezu adlerartige Flügel aus und trägt über dem weißen Gewand noch einen mantelartigen Umhang. Auch er hat einen Heiligenschein und läuft barfuß (Abb. IV/13, S. 166).288 Ganz ähnlich ist der Engel in dem nur wenig jüngeren Evangelistar Heinrichs II. bei der Verkündigung an die Hirten gemalt, der sein wehendes Gewand mit der linken Hand festhalten muß: Der übergroße, geflügelte Engel, mit wallendem Gewand und Heiligenschein, steht im Zentrum des Ge-

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Raab sehr herzlich für die zuvorkommenden Hilfeleistungen. Vgl. den Kommentar in: Suckale-Redlefsen, Gude/Schemmel, Bernhard (Hg.), Das Buch mit 7 Siegeln. Die Bamberger Apokalypse. Eine Ausstellung der Staatsbibliothek Bamberg in Zusammenarbeit mit dem Haus der Bayerischen Geschichte in der Bamberger Residenz vom 26. November – 31. Januar 2001, Wiesbaden 2000, S. 62. Ebd. fol. 51r. Foto: Gerald Raab. Vgl. den Kommentar in: Suckale-Redlefsen/Schemmel (Hg.), Das Buch mit 7 Siegeln S. 71. Ebd. fol. 13v. Foto: Gerald Raab. Vgl. den Kommentar in: Suckale-Redlefsen/Schemmel (Hg.), Das Buch mit 7 Siegeln S. 62. Ebd. fol. 40v. Foto: Gerald Raab. Vgl. den Kommentar in: Suckale-Redlefsen/Schemmel (Hg.), Das Buch mit 7 Siegeln S. 69. Ebd. fol. 46r. Foto: Gerald Raab. Vgl. den Kommentar in: Suckale-Redlefsen/Schemmel (Hg.), Das Buch mit 7 Siegeln S. 70. Es hat den Anschein, als ob der Engel den Mühlstein rollt. Wahrscheinlich hebt er ihn auf, um ihn, nach dem Apokalypsentext, ins Meer zu werfen und damit den Untergang Babylons zu symbolisieren.

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schehens und überragt die Hirten nicht nur durch seine Größe, sondern er schwebt gleichsam über der Erde, die er nur soeben mit seinen bloßen Füßen berührt (Abb. IV/14, S. 167).289 Beide Handschriften wurden auf der Reichenau gefertigt. In dem ebenfalls Reichenauer Lektionar und Kollektar von ca. 1010/ 1030 (Abb. IV/15, S. 168)290 ist die Himmelfahrt Mariens dargestellt. Maria wird in einer Kugel von zwei Engeln mit zweifarbigen Flügeln zu Gott/Christus in der noch größeren Himmelskugel (mit Sternen) emporgeflogen, während auf der Erde mehrere Engel zu ihr aufschauen. Majestätisch thront im Evangelistar Heinrichs II. der Engel unter einem Dachgiebel mit Säulen vor dem Grab Christi, der mit auffallend eindringlicher, geradezu gebieterischer Geste seiner rechten Hand die Auferstehung verkündigt. Dabei sind Umhang und Flügel in erregter Bewegung, die Farben seiner Gewänder und Flügel eher blaß (Abb. IV/16, S. 169).291 Alle diese Engel haben breite Flügel und einen Heiligenschein, und sie tragen ein hautenges, beiges Gewand und darüber einen bis an die nackten Füße hinabreichenden, weiteren Umhang. Dieselben Merkmale trägt auch der Engel auf der Bronzetür des Hildesheimer Domes (um 1015), der Adam und Eva aus dem Paradies vertreibt; seine Flügel sind hier hoch in die Höhe gerichtet. Sein eng anliegendes Gewand wird, wie häufig, in der Mitte durch ein Band zusammengehalten (Abb. IV/17, S. 169).292 Die Flügel der Engel der Apokalypse von Gerona (Abb. IV/1, S. 154) erscheinen geradezu gefiedert; auch diese Engel tragen farbige, fußlange Kleider, haben aber kurze Haare unter dem Heiligenschein. Ein geflügelter Engel erscheint sogar auf einem polnischen Medaillon des 11. oder 12. Jahrhunderts.293 Eher eigenwillig wirkt dagegen der Verkündigungsengel vor Maria im Psalter aus St. Alban aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts: Er hat langes, durch ein Stirnband zusammengehaltenes Haar und hoch aufragende, in der Mitte noch 289 Evangelistar (Perikopenbuch) Heinrichs II., Reichenau 1007/1012. Bayerische Staatsbibliothek München, clm 4452, fol. 8v. (Digitalisat Image 20). Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Staatsbibliothek München. Geflügelt und barfuß sind auch die Engel der Sawley-Weltkarte (vgl. oben S. 58). 290 Reichenauer Lektionar und Kollektar. Hildesheim, Dombibliothek, Hs. 688, fol. 77r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Dombibliothek Hildesheim. 291 Evangelistar (Perikopenbuch) Heinrichs II. für den Bamberger Dom, Reichenau, 1007/1012. München, Bayerische Staatsbibliothek, clm 4452, fol. 117r (Digitalisat Image 237). Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Staatsbibliothek München. 292 Bernwardtür des Hildesheimer Domes (Ausschnitt). Abbildung: Von den Steinen, Homo Caelestis. Bildband, zwischen S. 22 und 23. 293 Vgl. dazu Tadeusz Baranowski/Leszek Gajewski, The Angel and the Dragon: Two Medallions from an Early Medieval Hill-fort in Kalisz, Poland, in: Guy De Boe/Frans Verhaeghe (Hg.), Art and Symbolism in Medieval Europe: Papers of the ›Medieval Europe Brugge 1997‹ Conference 5 (I. A.P. [Instituut voor het Archeologisch Patrimonium] Rapporten 5), Zellik 1997, S. 119–125.

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einmal farblich abgesetzte Flügel, während Kleidung und Barfüßigkeit weithin dem bisherigen Bild entsprechen; nicht nur das Kleid, sondern auch der Umhang ist allerdings wieder so lang, daß er mit einer Hand hochgehalten werden muß. Die Verkündigung ist durch die erhobene Hand und den Zeigefingergestus angezeigt (Abb. IV/18, S. 170).294 Eigenständig sind auch die Engel in verschiedenen Miniaturen der Wolfenbütteler Handschrift des ›Liber floridus‹ Lamberts von Saint-Omer (Abb. IV/19, S. 171),295 die dennoch die wesentlichen Merkmale der anderen Handschriften tragen: Die apokalyptischen Engel schreiten, Tuba blasend mit bloßen Füßen über Erde und Wasser und leiten damit die apokalyptischen Katastrophen ein (Feuer und Hagel oben, den ins Meer stürzenden Berg, der die Schiffe vernichtet, in der Mitte, einen herabfallenden Stern unten). Alle drei Engel der drei Bildstreifen haben einen Heiligenschein und breite, ausladende Flügel, tragen fußlange Kleider und einen unterschiedlich langen Umhang, der jeweils nur eine obere Körperhälfte bedeckt, haben aber unterschiedliche Frisuren: Mittelscheitel (oben), rundherum gleichmäßig gekämmt (Mitte), gelockt (unten). Ansonsten erscheinen sie wieder sehr menschenähnlich. Wenn Alfons Rosenberg aus kunsthistorischer Sicht einen mehrfachen Gestaltwandel des Engels im Verlauf des Mittelalters konstatiert – die karolingische Buchmalerei griff auf den ungeflügelten Engel zurück und machte diesen daher menschenähnlicher, um die Jahrtausendwende wurden die Engel wieder zu strengen Boten und Kündern des Gerichts, im Investiturstreit wurden sie erneut zu dienenden Geistern und »amtierenden Priestern«, die Volksbewegungen des 12. und 13. Jahrhundert verlegten den Engel (noch) stärker in die irdische Sphäre, ihre Gestalt erscheint wie »von irdischen Säften durchpulst«, bevor die Gotik die Gewandung an Stelle des Körpers betont296 –, dann erscheint eine solche Entwicklung doch allzu geradlinig an die (politische) Entwicklung angelehnt. Der Kunststil mag sich zeitgemäß ebenso ändern wie die Gewandung, doch in den Inhalten und Aussagen orientieren sich die Künstler an denselben Vorstellungen wie die Autoren der Schriftwerke und zeigen ein entsprechendes,

294 Psalter der Abtei St. Alban bei London (Albani-Psalter), um 1125. Hildesheim, St. Godehard, Kirchenschatz, fol. 3r. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Abtei St. Godehard aus: Krönig, Engel, Nr. 6. Foto: Medienwerkstatt der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky. 295 Lambert von Saint-Omer, Liber floridus. Nordfrankreich, 12. Jahrhundert. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. I Gud. lat., fol. 12r. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek aus: Christian Heitzmann/Patrizia Carmassi, Der Liber Floridus in Wolfenbüttel. Eine Prachthandschrift über Himmel und Erde, Darmstadt 2014, S. 95. 296 Rosenberg, Engel und Dämonen S. 244–254. In der Renaissance wird der Engel gleichsam Mensch (ebd. S. 254ff.).

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durchaus variierendes und doch inhaltlich konsistentes Engelbild, das in der Kunst anschaulich macht, was die Texte nur andeuten können. Engel werden auf Erden also durchweg in menschlicher Gestalt und in (der Zeit angepaßter, in aller Regel vornehmer und jetzt oft farbiger) Bekleidung, jedoch ohne Schuhe, statt dessen aber oft majestätisch erhöht dargestellt. Sie sind eindeutig letztlich allerdings nur an ihren Flügeln als Engel und in den meisten Fällen zusätzlich an ihrer Verbindung zum Himmel zu erkennen. Haben die Engel ihren Auftag erfüllt, »so kehren sie in den Himmel, woher sie gekommen sind, zurück und legen ihren Körper, den sie angenommen haben, um für uns sichtbar zu erscheinen, wieder ab, um erneut jene Materie (wie vorher) anzunehmen.«297 Die Darstellung der Engel im Himmel kennzeichnet diese durch ihre geradezu zerfließenden Formen immer wieder als Geistwesen. Andere Kennzeichen der Engel werden eher selten thematisiert. Wenngleich man sich über die Ernährung der Engel wenig Gedanken gemacht hat, verführt die biblische Erzählung von dem aus dem Himmel fallenden Brot (Ex 16) dazu, dieses himmlische Manna als »Engelsbrot« zu verstehen (auch wenn es dann allegorisch ausgedeutet wird).298 Die wahre Speise der Engel aber ist der Leib Christi, wie Petrus Lombardus verkündet.299 Gelegentlich, wie in der ›Visio Wettini‹, wird die sanfte Stimme der Engel betont.300 Daß Engel zu den Menschen sprechen, bezeugt die Bibel eindeutig. »Ab und zu,« schreibt Gregor der Große, »spricht Gott zu uns durch die Engel mit Worten und Taten.«301 Überhaupt ist es entgegen gängigen Ansichten ein bereits im frühen und hohen Mittelalter immer wieder diskutiertes Problem, in welcher 297 So Robert der Mönch (Robert von Saint-Remi, Historia Iherosolimitana 5 (9), ed. Kempf/ Bull S. 52 (RHC 3, S. 797): Expleto siquidem negotio, pro quo veniunt, ad celestia remeant, unde venerunt; et corpora, que, ut visibiles apparerent, acceperunt, in eamdem reponunt matheriam, quam sumpserunt. 298 Vgl. etwa Isidor von Sevilla, Mysticorum expositiones sacramentorum seu Quaestiones in Vetus Testamentum. In Numeros 13,2, Sp. 345 A: Alioquin si post perceptum angelicum manna, quae est coelestis vita, sive doctrina, rursus carnes Aegyptias (quae sunt carnales huius saeculi voluptates) et concupiscentias pristinorum morum voluerimus appetere; Beda Venerabilis, In proverbia Salomonis 1,9,(18), S. 65: Panem enim caeli dedit eis, panem angelorum manducauit homo (Ps 77,24f.). Vom panis angelorum sprechen auch Hinkmar von Reims, De cavendis vitiis et virtutibus exercendis 3,2, S. 243 (mit Augustinus, Enarrationes in psalmos XXXIII,1,5, S. 276), Dhuoda, Liber manualis 4,8, S. 250, Wilhelm von Saint-Thierry, De natura et dignitate amoris 38, S. 206 (manna celeste, panem angelorum), und viele weitere Autoren. 299 Petrus Lombardus, Commentarius in psalmos, Ps. 57, v. 29, Sp. 732 B: vel corpus Christi, qui est vere cibus angelorum. 300 Heito, Visio Wettini 5, S. 269: eumque blandis alloquens sermonibus. 301 Gregor der Große, Moralia in Iob 28,1,4, CCL 143 B, S. 1397: Verbis namque per angelum loquitur Deus; ebd. 28,1,5, S. 1397: Aliquando rebus per angelos loquitur deus; ebd. 28,1,6, S. 1398: Aliquando per angelos uerbis simul et rebus loquitur Deus.

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Sprache sich die Engel denn verständigten.302 Das konnte bei körperlosen Wesen schlecht eine menschliche Sprache sein. Glaubte Augustin eher an eine Zeichensprache,303 so plädierte Gregor der Große für eine Sprache des Gefühls.304 Andererseits gehört Kommunikation zum Wesen rationaler Geschöpfe, und so werden auch ›Engelstimmen‹ bald eine Selbstverständlichkeit. »Die Stimmen der Engel dienen dem Lob ihres Schöpfers, als Bewunderung innigster Kontemplation,« schreibt (falls ihm die Schrift zugeordnet werden darf) Alkuin. »Wie also müssen unsere Stimmen beschaffen sein, mit denen wir im Anblick Gottes mit dem Lob der Engel um Zutritt flehen, nämlich eingelassen zu werden?«305 Immer wieder ist, schon im früheren Mittelalter, einfach von der vox angelica306 oder von sprechenden Engeln die Rede.307 Die Engel haben somit eine (engelspezifische) Sprache, ohne daß das näher erläutert wird. »Wenn du aber die Sprachen der Engel mit den menschlichen Sprachen vergleichst,« meint Hrabanus Maurus, »und wenn du weißt, daß dieser [nämlich Christus] größer noch als die Engel ist, wie der Apostel in seinem Brief an die Hebräer von ihm bezeugt (Hebr 1,4), dann wirst du verstehen, daß er auch in den Sprachen besser war als die Engel, als nur das Wort Gottes bei dem Vater war.«308

302 Vor allem Roling, Locutio angelica, betrachtet das als ein erst im späten Mittelalter diskutiertes Problem. Ebd. S. 39–62 werden die Aussagen verschiedener Autoren von Augustin bis Hugo von St. Viktor (ohne Formulierung eines Ergebnisses), S. 63–293 die Belege aus der Scholastik des 13. Jahrhunderts zusammengestellt. Vgl. auch Ders., Angelic Language and Communication, in: Hoffmann (Hg.), A Companion to Angels S. 223–260; Hafner, Angelologie S. 149ff. Ganz auf das Spätmittelalter bezogen sind auch die Arbeiten von Veenstra, Communication, Panaccio, Angel’s talk, Cattin/Faure, Les anges et leur image S. 117–144, sowie Theo Kobusch, The Language of Angels: On the Subjectivity and Intersubjectivity of Pure Spirits, in: Iribarren/Lenz (Hg.), Angels in Medieval Philosophical Inquiry S. 131–142. Nach Panaccio finden sich die meisten Äußerungen nicht in Abschnitten über Engel als vielmehr über Sprache und Denken. 303 Vgl. Roling, Locutio angelica S. 39ff. 304 Vgl. ebd. S. 50ff. 305 Alkuin (?), De divinis officiis 40, Sp. 1255 B: Voces angelorum sunt in laude conditoris, ipsa admiratio intimae contemplationis. Quales ergo oportet esse voces nostras, quas in conspectu Dei cum angelicis laudibus deprecamur admitti, id est, intromitti? Das wird wörtlich wiederholt in einer zisterziensischen Schrift des ausgehenden 12. Jahrhunderts (Collectaneum exemplorum et visionum Claraeuallense 1,25, S. 162). 306 Vgl. etwa Augustinus, ep. 205, S. 325; Isidor von Sevilla, Etymologiae 8,11,18, Bd. 1, S. 330; Beda Venerabilis, Expositio actuum apostolorum 10,28, S. 53; Ambrosius Autpertus, Expositio in Apocalypsin 6,13,1, S. 482; Paschasius Radbertus, Expositio in Matheo 2, (v. 1,21), S. 127; Petrus Damiani, Sermo 65, S. 388. 307 Vgl. Beda Venerabilis, Homiliae euangelii 1,4, S. 22: angelus qui loquebatur. 308 Hrabanus Maurus, Expositio super Ieremiam prophetam 1,1, Sp. 802 D: Si autem et angelorum linguas humanis comparaveris linguis, et scieris, quia iste maior sit etiam ab angelis, sicuti testatus de eo Apostolus in epistola sua, quam scribit ad Hebraeos (Hebr. 1,4), intelliges maiorem eum angelorum etiam linguis fuisse, quando tantum Dei Verbum erat apud Patrem.

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Eine griffige Erklärung bietet Haymo von Auxerre in Anlehnung an Paulus: »Wenn ich aber in den Sprachen aller Menschen redete, also den 72 Sprachen, die bei dem Turmbau unterschieden wurden, und wenn ich in den Sprachen der Engel redete, aber keine Liebe hätte, nämlich sowohl Gottes- als auch Nächstenliebe, dann bin ich gar nichts. Zu sagen: in den Sprachen der Engel sprechen, versteht sich als Übertreibung dessen, was man zeigen wollte, nämlich die Gewalt der Liebe darzulegen, da die Engel, die doch Geister sind, weder Sprache noch Gaumen noch Zähne haben, mit denen sie Worte formen könnten.«309

Und doch fügt Haymo hinzu: »Unter sich sprechen auch die Engel sprachlos [eigentlich: unaussprechlich]; ihre gegenseitige Unterredung aber ist die Übereinstimmung im guten Willen, und es ist nicht nötig, daß sie dort in Worten tönen lassen, wo in der Kontemplation Gottes ein einziger, einträchtiger, guter Wille sämtlicher Engel vorhanden ist.«310

Wenn der Apostel sagt: ›Auch wenn ich in den Sprachen der Engel sprechen könnte, nützte mich das nichts ohne Liebe‹ (1. Kor 13,1), dann bezieht sich »Engel«, so meint Haymo, auf die in den freien Künsten Gebildeten, »Menschen« hingegen auf die einfache Sprache311 oder auf diejenigen, die die Gabe haben, alles, was sie wollen, präzise und beredt auszudrücken.312 Auch wenn man in Menschen- und Engelszungen reden könnte, meint Hinkmar von Reims erneut im Hinblick auf das Lob der Nächstenliebe, und wenn man alle Sakramente und jede Wissenschaft kennen würde und wenn man alle Prophetie und den ganzen Glauben hätte, so daß man Berge versetzen kann, und das alles an die Armen verteilte, nützte das nichts.313 309 Haymo von Auxerre, Expositio in divi Pauli epistolas. In epistolam I ad Corinthios 13, Sp. 581 B: Si linguis omnium hominum loquar, septuaginta scilicet duabus, quae divisae sunt in aedificatione turris, et si linguis etiam angelorum loquar et charitatem non habeam, dilectionem videlicet Dei et proximi, nihil sum. Quod dicit loqui angelorum linguis, intelligitur ad exaggerandum hoc, quod volebat ostendere, posuisse charitatis scilicet vim; siquidem angeli nec linguam nec palatum vel dentes habent, utpote spiritus, quibus verba forment. 310 Ebd. Sp. 581 C: Inter se quoque angeli loquuntur ineffabiliter, sed eorum ad invicem collocutio bonae voluntatis est concordatio, nec est necesse, ut ibi sonent verba, ubi in Dei contemplatione omnium angelorum concors est voluntas bona. 311 Ebd. Sp. 581 CD: Inde ergo Apostolus dicit: ›Si linguis etiam angelorum‹ loqui possem, nihil mihi prodesset sine charitate. Possunt intelligi et per angelos, scholastissime loquentes, qui liberalibus artibus instructi, politis disserunt verbis, quae norunt: per homines vero, simpliciter loquentes. 312 Ebd. Sp. 585 BC: Iam qualis et quanta sit charitas, non pedum via, sed morum, Apostolo docente, discamus. ›Si linguis‹, inquit, ›hominum loquar et angelorum‹ etc. Hominum et angelorum linguis, inanem facundiam quorumdam hominum significatam debemus accipere, quae omnia, quaecunque voluerint, accurate quidem atque eloquenter enuntiant. 313 Hinkmar von Reims, Opusculum LV capitulorum c. 48, S. 343 (nach Augustin, De baptismo 3,21, S. 212): Ipse est enim caritas, quam non habent, qui ab ecclesie˛ catholice˛ communione

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

In diesem Sinn wird die Wendung von der Sprache der Engel immer wieder aufgegriffen, gedeutet und relativiert, eine solche damit aber doch vorausgesetzt. »Denn die Stimme der Engel im Himmel ist nichts anderes als die ewige Bewunderung der Klarheit und Unaussprechlichkeit Gottes, ohne Bewegung der Zunge und ohne das Geräusch einer Stimme,« schreibt Rather von Verona.314 Honorius Augustodunensis verteilt gar die Sprachen der Engel und der Menschen: das Hebräische symbolisiert die Sprache der Engel mit ihrem Halleluja, das Lateinische die Sprache der Menschen mit ihrem »Gelobt sei Gott«.315 Wilhelm von Saint-Thierry wiederum unterscheidet das Wort Gottes von der Sprache der Engel und der Menschen bei der Bezeichnung Gottes: Im Gotteswort ist die bezeichnete Sache das, was ist, in der Sprache der Engel wird das betrachtet und verstanden, so wie es ist; in der Sprache des inneren Menschen heißt das: im Herzen an die Gerechtigkeit glauben, in der Sprache des äußeren Menschen hingegen, sich mit dem Mund zum Heil bekennen:316 Im Verhältnis von Wort und Bedeutung zeichnet sich hier eine klare Stufung ab. Tatsächlich gebrauchen die Engel als Geistwesen ihre Stimme lediglich um des Menschen willen, meint Hildegard von Bingen; in Wirklichkeit ist der Klang ihrer Stimme ein einziges Lob.317 Andere betrachten die Sprache der Engel als Zeichensprache, wie Bruno der Kartäuser, ebenfalls in der Auslegung zum Korintherbrief des Paulus, dem er bezeichnenderweise hinzufügt: »nicht daß Engel überhaupt in Sprachen sprächen; vielmehr zeigt der eine dem anderen seinen Willen mit verschiedenen Zeichen an«, um aber anzufügen, daß Engel, die eine Form an-

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praecisi sunt ac per hoc, etiam si linguis hominum et angelorum loquantur, si sciant omnia sacramenta et omnem scientiam et si habeant omnem prophetiam et omnem fidem, ita ut montes transferant, et distribuant omnia sua pauperibus et tradant corpus suum, ut ardeant, nihil eis prodest. Rather von Verona, Sermones liturgici. Sermo 5 (de quadragesima 2), 37, S. 85: Vox enim in celo angelorum nihil est aliud nisi ammiratio perpetua claritatis et ineffabilitatis Dei sine motu linguae sine strepitu uocis. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3,45, Sp. 656 CD: Quia vero linguas angelorum et hominum legimus, per Hebraeam angelorum linguam exprimimus, per Latinam hominum linguam innotescimus. Ergo quia inter angelos Dominum non laudamus, idcirco Hebraeum ›Alleluia‹ quasi vocem angelorum non cantamus. Quia vero cum hominibus laboramus in terra, ideo Latinum ›Laus tibi, Domine, rex aeternae gloriae‹, quasi vocem hominum resonamus. Wilhelm von Saint-Thierry, Epistola de erroribus Guillelmi de Conchis 5, S. 67: Etenim nomina, quae de Deo digne dicuntur, aliter dicuntur Verbo Dei, aliter lingua angelorum, aliter lingua hominum. Verbo enim Dei ea dici rem nominum est esse quod est; lingua angelorum contemplari eam et intelligere sicuti est; lingua hominis interioris corde credere ad iustitiam; exterioris autem ore confiteri ad salutem. Zu Wilhelm vgl. Stapert, L’ange roman S. 181ff. Hildegard von Bingen, Triginta octo quaestionum solutiones 14, Sp. 1045 AB: Angeli qui spiritus sunt, nisi propter hominem verbis rationalitatis non loquuntur ; quoniam linguae eorum sonans laus sunt.

7. Gestalt und Sprache der Engel

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nehmen und zu Menschen sprechen, zwangsläufig menschliche Worte verwenden.318 Unabhängig von der offenkundigen Schwierigkeit, die Sprache der Engel zu bestimmen, ist der Engelgesang zum Lobe Gottes ein immer wiederkehrendes Charakteristikum der Engel und Heiligen (und das läßt sich nun kaum mehr als »wortlos« deuten).319 Verstorbene und Entrückte hören immer wieder den cantus (oder canticus) angelicus.320 Beim Tod des Heiligen Martin sangen, so Gregor von Tours, alle Heiligen und der ganze Chor der Engel.321 »Ich kann euch wahrhaftig sagen, daß ich selbst die Stimmen der Engel im Himmel gehört habe, wie sie laut ›Sanctus‹ zum Lob des Herrn sangen,« berichtet laut Gregor der Abt Venantius.322 Und als Maria starb, ging sie unter dem Gesang der Engelchöre ins Paradies ein.323 Das Halleluja, das aus der Deutung zweier Worte, »Lob Gottes«, besteht, lehrt Isidor von Sevilla, ist der Gesang der alten Hebräer. Johannes habe das in der Apokalypse durch die Offenbarung des Heiligen Geistes gesehen und die Stimme des himmlischen Heeres der Engel gehört, die »Halleluja« sangen und sich wie das Geräusch vieler Gewässer oder wie ein gewaltiger Donner anhörten.324 Der Adlige Herlefrid hörte die Engel das Vaterunser singen.325 318 Bruno der Kartäuser, Expositio in omnes epistolas Pauli. Epistola I ad Corinthios 13, Sp. 193 AB: Quia vult Corinthios magis appetere charitatem quam linguas, probat charitatem excellentiorem esse quam loqui linguis, dicens: Charitas utique linguis est excellentior; nam si ego ›loquar linguis‹ omnium ›hominum, loquar‹ etiam ›linguis angelorum‹ (non quod angeli linguis loquantur, sed quibusdam signis alteri alter voluntatem suam significat), et si ego tantae perfectionis essem, ut monitiones angelorum cognoscerem, vel ›linguis angelorum‹ loquerer (cum enim angeli assumpta forma aliqua hominibus loquuntur, necesse est ut verba humana proferant); si autem haec eadem verba loquar. 319 Vgl. etwa Hilduin von Saint-Denis, Passio Dionysii 10, Sp. 30 C: etiam caeteris angelorum choris, et sensualiter Alleluia concinentibus; Amalar von Metz, Liber officialis (De ecclesiasticis officiis), z. B. 4,21,12, S. 471; hymnus angelicus mehrfach etwa bei Walahfrid Strabo, De exordiis et incrementis rerum ecclesiasticarum 23, S. 498. Ausführlich zum Engelgesang: Hammerstein, Musik der Engel. Vgl. kurz Rosenberg, Engel und Dämonen S. 70ff. 320 Vgl. etwa Jonas von Bobbio, Vita Columbani 2,14, S. 134; ebd. 2,17, S. 137; ebd. 2,20, S. 141; Passiones Leudegarii episcopi et martyris Augustodunensis I 37, S. 318. 321 Gregor von Tours, De miraculis s. Martini 1,5, S. 141: O beatum virum, in cuius transitu sanctorum canit numerus, angelorum exsultat chorus omniumque coelestium virtutum occurrit exercitus; diabolus praesumptione confunditur, Ecclesia virtute roboratur, sacerdotes revelatione glorificantur ; quem Michahel adsumpsit cum angelis, Maria suscepit cum virginum choris, paradisus retinet laetum cum sanctis! 322 Ders., Liber vitae patrum 16,2 (Venantius abbas), S. 275: Vere, inquit, dico vobis, quod ego audivi voces angelorum in caelis ›Sanctus‹ in laude Domini proclamantes. 323 Ders., Liber in gloria martyrum 8, S. 43: Maria vero gloriosa genitrix Christi, ut ante partum, ita virgo creditur et post partum, quae, ut supra diximus, angelicis choris canentibus, in paradiso, Domino praecedente, translata est. 324 Isidor von Sevilla, De ecclesiasticis officiis 1,13,1, S. 15: Laudes, hoc est alleluia, canere antiquum est Hebreorum; cuius expositio duorum uerborum interpretatione consistit, hoc est ›laus Dei‹; de cuius mysterio Iohannis in Apocalypsin refert spiritu reuelante uidisse

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Sanctus, sanctus, sanctus ist der Gesang der Engel, schreibt Amalar von Metz, »weil die Engel nie aufhören, über seine [Christi] Auferstehung zu singen«.326 Die Beispiele sind tatsächlich zahlreich. Singende Engel begegnen in der Literatur327 ebenso wie in der Kunst,328 wo Engel oft singend oder mit Musikinstrumenten dargestellt werden.329 Gemäß der Musiktheorie spielt der Engelgesang darüber hinaus eine Rolle in der Harmonie des Kosmos.330 Diesen Engelgesang ahmt der Kirchengesang331 und ahmen vor allem die Mönche nach:332 insgesamt – schon die frühen Mönchsregeln vergleichen den Chorgesang mit dem Gesang der Engel333 – und, der Norm nach, ganz besonders in Cluny, das den ganzen Tag lang von Psalmengesang erfüllt sein sollte. Der singende Engel ist eine »liturgische Konstante«.334 Notker der Stammler nennt den Kirchengesang schlicht hymnus angelicus.335 Für Walahfrid Strabo ist dieser »Engelshymnus« das ›Gloria in excelsis Deo‹ und das Halleluja, die nicht zu allen Zeiten gesungen werden, sondern besonderen Gelegenheiten vorbehalten bleiben sollen.336 Bei der Kaiserkrönung aber werden der (h)ymnus angelicus337 und die Antiphon ›Ecce mitto angelum meum‹ gesungen.338

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et audisse uocem caelestis exercitus angelorum ›tamquam uocem aquarum multarum et tamquam uocem ualidorum tonitruum dicentium alleluia‹ (Apoc 19,6). Vgl. Vita Lupi episcopi Senonici 24, S. 186: Dum quidam vir nobilis Herlefredus nomine eum causa prandii Titiaco villa invitasset dominica die et ipse devotus offerre sacrificium aurora pergeret vico, audito in caelum sonitu, adstetit equo insidens diu in uno loco, sicque diutius caelo intentus orationem dominicam decantari audivit inter angelicos choros. Amalar von Metz, Liber officialis (De ecclesiasticis officiis) 1,31,10, S. 161: Sanctus, sanctus, sanctus cantant, quod est angelorum cantus, quia angeli non tacuerunt de eius resurrectione. Vgl. dazu Hammerstein, Musik der Engel S. 15–191. Vgl. ebd. S. 193–257 (zu Tuba-, Exultet- und Instrumentenengeln). Vgl. Gathercole, Depiction of Angels S. 45ff.; Hammerstein, Musik der Engel S. 205– 238. Vgl. ebd. S. 116–144. Vgl. ebd. S. 36–49. Zur Magisterregel vgl. Leyser, Angels S. 9ff. Vgl. Regula Magistri 3,90, S. 374 (nach der Passio Sebastiani): Sonant ibidem iugiter super ripas illorum fluminum posita organa hymnorum, quae ad laudem regis ab angelis psallentibus simul sanctis et archangelis decantantur. So Hammerstein, Musik der Engel S. 76ff. Vgl. ferner Iversen, Laus uranica, und Dies., Chanter avec les anges: Die Engelshymne »Gloria in excelsis Deo« wird als gemeinsamer Gesang von Engeln und Menschen verstanden (ebd. S. 142). Iversen geht allerdings nicht dem Engelgesang an sich nach, sondern behandelt die »himmlischen Texte« des Kirchengesangs, den die Menschen gleichsam »mit den Engeln singen«. Notker Balbulus, Gesta Karoli imperatoris 1,22, S. 30. Walahfrid Strabo, De exordiis et incrementis rerum ecclesiasticarum 24, S. 503: nec in diebus ieiuniorum vel umquam post meridiem ymnum angelicum, id est ›Gloria in excelsis Deo‹ vel ›Alleluia‹ dicendum, nisi in duobus sabbatis paschae et pentecostes, quae specialibus mysteriis adornantur. Vgl. Staufischer Ordo, Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers Nr. 17, c. 19, S. 66; Ordo der römischen Kurie, ebd. Nr. 18, c. 20, S. 77. Vgl. Ordo Cencius II., ebd. Nr. 14, c. 1, S. 36; Staufischer Ordo, ebd. Nr. 17, c. 1, S. 62.

7. Gestalt und Sprache der Engel

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Äußerst beliebt ist, nur scheinbar im Gegensatz zum friedlichen Gesang,339 aber auch die Kennzeichnung der Engelscharen als (unermeßlich großes) Heer, das mit der Funktion des Dämonenkampfes korrespondiert.340 Die Engel bilden ein exercitus angelorum,341 agmina angelorum,342 militia angelorum,343 legiones angelorum,344 cohortes angelorum,345 castra angelorum346 oder die ordines coelestis militiae.347 Das »himmlische Heer« sei doch nichts anderes als die (Gott) dienenden Engel, meint Angelomus von Luxeuil.348 Damit der Feind Christi von der Tugend des Zweikampfs besiegt abzieht, so Paschasius Radbertus, steht das Heer der Engel quasi zum Gehorsam gegenüber dem König bereit, der dessen Triumph schon seit langem von fern beobachtet; es tritt ergeben heran und dient 339 Vgl. den Gesang des Engelheeres bei Isidor von Sevilla (oben Anm. 324). 340 Vgl. Gregor von Tours, De miraculis s. Martini 1,5 (oben Anm. 321). 341 Vgl. bereits Tertullian, De fuga in persecutione 8,1, S. 1145; Ambrosius von Mailand, Expositio psalmi CXVIII 1,11, S. 12 (und öfter); Augustinus, Enarrationes in psalmos. Ps. 8,12, S. 55; Hieronymus, Commentarii in Ezechielem 13,44, S. 665; Isidor von Sevilla, De ecclesiasticis officiis 1,13,1 (oben Anm. 324); Beda Venerabilis, In Lucae evangelium expositio 2,7,27, S. 162; Gregor der Große, Moralia in Iob 2,20,38, CCL 143, S. 83; Hrabanus Maurus, Commentaria in libros IV regum 3,22, Sp. 219 D, und noch vielfach. 342 Vgl. Gregor der Große, Moralia in Iob 27,14,27, CCL 143 B, S. 1351; Ders., Homiliae in Hiezechihelem prophetam 2,4,7, S. 263, und öfter ; Beda Venerabilis, In Ezram et Neemiam 3, S. 378; Vita Wandregisili 20, S. 23; Agnellus von Ravenna, Liber pontificalis ecclesiae Ravennatis 8, S. 152; Beatus von Li8bana, Tractatus de apocalypsin 2 prol. 1,27, S. 148; Hrabanus Maurus, Expositio in Matthaeum 6, S. 572; Heiric von Auxerre, Homiliae per circulum anni. Pars aestiva. Hom. 19, S. 180; Gregor VII., ep. 1,85, S. 122; Bernhard von Clairvaux, Sermones in dominica in kalendis novembris, Sermo 5,5, Bd. 5, S. 321, und eine Reihe weiterer Belege. 343 Vgl. etwa Ambrosius, Epistolae extra collectionem traditae, ep. 14,82, S. 279; Alkuin, Commentarii in apocalypsin 3,5, Sp. 1123 A; Paschasius Radbertus, Expositio in Matheo 6, v. 10,11, S. 590; Heiric von Auxerre, Homiliae in circulum anni. Pars hiemalis, hom. 8, S. 74; Rather von Verona, Sermo 2, Sp. 708 B, und weitere Belege; mehrfach auch: militia coelestis. 344 Vgl. etwa Ambrosius, Expositio evangelii secundum Lucam 4,9, S. 109; Augustinus, In Iohannis euangelium tractatus 1,5, S. 3; Orosius, Liber apologeticus contra Pelagianos 28,6, S. 650; Hieronymus, Commentarii in Isaiam 13,50,2, S. 551; Eucherius von Lyon, Passio Acaunensium martyrum 11, S. 37; Hinkmar von Reims, De praedestinatione Dei et libero arbitrio. Dissertatio posterior (adversus Gothescalcum) 27, Sp. 281 B: astantibus legionibus angelorum, assistente tunc ministerio coelestium potestatum; Ambrosius Autpertus, Expositio in Apocalypsin 2,2,24a, S. 149; Paschasius Radbertus, Expositio in Matheo 12, v. 26,54, S. 1329; Petrus Abaelardus, Sic et non, quaest. 35, sent. 9, S. 185, und weitere Belege. 345 Vgl. Augustinus, Contra Faustum 15,5, S. 425; Beda Venerabilis, In primam partem Samuhelis libri IV. Nomina locorum 3,17, S. 154. 346 Vgl. Ambrosius, Explanatio psalmorum XII, ps. 36,58,4, S. 115; Ildefons von Toledo, De virginitate sanctae Mariae, S. 234; Paschasius Radbertus, Expositio in lamentationes Hieremiae 1,7, S. 28; Rupert von Deutz, Commentaria in duodecim prophetas minores. In Joel 1,2, Sp. 222 B. 347 Vgl. etwa Hrabanus Maurus, De rerum naturis 1,1, Sp. 14 D (bezeichnenderweise im Abschnitt über Gott). 348 Angelomus von Luxeuil, Enarrationes in libros Regum. In librum tertium 22, Sp. 491 B: Et quid exercitus coeli nisi ministrantium angelorum describitur?

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

botmäßig.349 Es mag vielfach symbolisch gemeint sein, wenn Hrabanus Maurus zufolge die Reihen der Heiligen und das Heer der himmlischen Streitkräfte in Namen und Zahl mit dem Heiligen Kreuz übereinstimmen, um den Sieg des ewigen Königs zu loben.350 Es wird aber auch wörtlich begriffen. »Oder glaubst Du,« läßt Hraban an anderer Stelle (mit Mt 26,53) Christus fragen, »daß ich meinen Vater nicht bitten kann, mir mehr als zehn Legionen an Engeln herbeizuschaffen?« (Aus diesen zwölf Legionen kommen 72 000 Engel, so viele, wie die Menschheit sich in Sprachen unterteilt.)351 Das Heer der Engel tritt hier in eine bewußte Parallele zu irdischen Verhältnissen: »Mit Recht sah man das Lager der Engel auf Erden,« schreibt Jonas von Orl8ans. »Denn wie alle Burgen des besten Kaisers, alle seine Städte, die einzelnen Kastelle, mit einer Kriegerschar gegen feindliche Angriffe geschützt und alle Orte sorgfältig ausgerüstet werden, damit sie nicht durch einen Einfall der Barbaren zerstört werden, so hat auch Gott, weil die raffgierigen Dämonen in barbarischem und bäuerlichem Sinn sich überall aufhalten, um den Frieden zunichte zu machen, zu unserem Schutz ein Heer der Engel aufgestellt, damit die Tollkühnheit der Dämonen durch ihre Anwesenheit gebrochen wird und uns durch sie um des Friedens willen gedient wird. Du siehst, wie die Engel voranstehen, die Märtyrer beistehen und uns überall Hilfstruppen stellen: denn was ist elender als diejenigen, die diesen glänzenden Konvent verlassen haben?«352

349 Paschasius Radbertus, Expositio in Matheo 3, S. 262: At uero ut ex uirtute monomachiae Christi hostis ille uictus abscessit, exercitus angelorum quasi paratus ad obsequium regis, qui procul triumphum illius longe diu contemplabatur deuotus accessit et ministrans famulabatur. 350 Hrabanus Maurus, In honorem sanctae crucis 1,3 (C3), S. 45: Merito quippe sanctorum angelorum ordines et caelestis militiae exercitus nomine et numero sanctae cruci concordant, ut aeterni regis uictoriam collaudent et magnitudinem laetitiae suae honesto officio praedicent. 351 Hrabanus Maurus, Expositio in Matthaeum 8,26,53, S. 713: ›An putas, quia non possum rogare patrem meum, ut exhibebit mihi plus quam duodecim legiones angelorum?‹ (Mt 26,53), ac si patenter dicat: Non indigeo XII apostolorum auxilio, etiamsi omnes me defenderent, qui possum habere XII legiones angelici exercitus. […] Typum tantum dixisse sufficiat: LXXII milia angelorum (in quot gentes hominum lingua diuisa est) de duodecim legionibus fieri. Hraban folgt hier (abgewandelt) dem Matthäuskommentar des Hieronymus 4, S. 258. 352 Jonas von Orl8ans, De cultu imaginum 3, Sp. 373 B: Et merito angelorum castra videbantur in terra; nam sicut imperatoris optimi urbes omnes, universae civitates, castella singula, manu militari adversus hostilem muniuntur adventum, et omnia loca diligenter armantur, ne barbarica incursione deleantur, ita et Deus, quoniam barbarica et agresti mente rapientes daemones ad pacis eversionem ubique versantur, ad tutelam nostram constituit exercitus angelorum, ut eorum praesentia daemonum confringatur audacia et per eos nobis pacis gratia ministretur. Vides quod angeli praesunt, assistunt martyres et ubique nobis praeparantur auxilia; quid enim miserius est illis, qui conventum istum splendidum derelinquunt?

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7. Gestalt und Sprache der Engel

Die Vorstellung von Engelheeren ist jedenfalls absolut gängig. Für Hildegard von Bingen sind sogar die neun Engelchöre tatsächlich neun Engelheere (acies angelorum).353 Eine bewußte Parallele himmlischer und irdischer Zustände zieht Honorius Augustodunensis, wenn er den neun Engelordines jeweils die Ordines der Erwählten, der Gläubigen und der kirchlichen Weihen gegenüberstellt, so daß sich folgende Zuordnung ergibt:354 Engelordines angeli archangeli virtutes potestates principatus dominationes throni cherubim seraphim

Erwählte pauperes mites lugentes esurientes iustitiam misericordes mundi corde pacifici persecutionem patientes propter iustitiam maledicta opprobia mendacia propter Filium hominis sustinentes

»Stände« coniugati viduae virgines monachi confessores martyri apostoli prophetae

Weihegrade laici ostiarii lectores exorcistae acolythi subdiaconi diaconi presbyteri

patriarchae

episcopi

Wenig läßt sich schließlich über das Geschlecht der Engel sagen. Johannes Scotus Eriugena sieht das Geschlecht der Menschen nur ursprünglich ähnlich dem der Engel (die allerdings keinem irdischen Koitus unterliegen wie Menschen und Tiere).355 Hrabanus Maurus zumindest scheint die Engel eher für weiblich zu halten, wenn er in seiner Vita Maria Magdalenas zwei Engel »mitten unter anderen Frauen« stehen sieht.356 »More like slender females«, schließt auch Patricia Gathercole aus französischen bildlichen Darstellungen.357 Hingegen betrachtet Gail Ashton Engel in der Regel als maskuline Wesen,358 aber auch als 353 Vgl. unten S. 110. 354 Honorius Augustodunensis, Liber XII quaestionum 6, Sp. 1181 D; ebd. 9, Sp. 1182 C. 355 Johannes Scotus Eriugena, Periphyseon 4, S. 148: Non uidetur homini, quem ad imaginem et similitudinem nostram fecimus, bonum esse solum (hoc est simplicem atque perfectum) uniuersaliterque diuisione naturae in sexus, ad similitudinem angelicae naturae, absolutum permanere, sed pronum procliuumque ad terrenos coitus pariter cum bestiis ruere ac sic unitatem naturae per carnalem generationem sexusque corporeos seminaliter multiplicare, caelestium numerorum multiplicationis dignitate contempta. 356 Hrabanus Maurus, Vita Mariae Magdalenae et sororis eius sanctae Marthae 28, Sp. 1476 B: Nunc visionem duorum angelorum, quos, simul cum aliis mulieribus, stantes vidit. 357 Gathercole, Depiction of Angels S. 8. 358 Gail Ashton, Bridging the Difference: Reconceptualising the Angel in Medieval Hagiography, in: Literature and Theology : An International Journal of Religion, Theory and

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

»marker of sexual difference«.359 Für Ashton sind Engel »a masculine construct and feminised through their association with the body«,360 und so folgert sie: »The angel, thus, bridges the division between the two genres or sexes that patriarchy has inserted.«361 Der Körper an sich ist allerdings menschlich, nicht männlich. Es bedürfte daher des Nachweises der Übertragung körperlicher Geschlechtsunterschiede auf die Engel. Man wird vielmehr fragen müssen, ob Engel überhaupt geschlechtlich gesehen wurden (zumal es bei ihnen keine Fortpflanzung gibt)362 oder ob sie nicht gewissermaßen ein eigenes Geschlecht bilden, in einem Zustand, in dem Geschlechtlichkeit keine Rolle spielt, den Männer und Frauen aber erst in der Ewigkeit erreichen können.363

8.

Unterschiede in Rang und Funktion: die neun »Engelchöre«

Die mittelalterliche Welt ist hierarchisch geordnet, und das schließt die überirdischen Sphären ein. So steht der Mensch über dem Tier, der Engel über dem Menschen, der Erzengel über dem Engel, lehrt Gregor der Große.364 Das betrifft folglich auch die Engelgemeinschaft selbst, die keineswegs einheitlich gestaltet ist. Daß die Engel eine himmlische Gemeinschaft bilden, ist den mittelalterlichen Autoren ebenso selbstverständlich wie die Vorstellung, daß diese Gemeinschaft entsprechend organisiert sein muß. »Diese (Himmels-)Bürger,« schreibt Bernhard von Clairvaux, »sind mächtige, ruhmreiche und selige Geister, nach Personen geschieden, nach Würde geordnet; von Anfang an haben sie ihren Rang inne und sind jeweils in ihrer Art vollkommen.«365 Auch im Himmel gibt es eine klare Ordnung, eine Hierarchie.366

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Culture 16, 2002, S. 235–247, hier S. 238, zum Spätmittelalter. Dabei setzt Ashton Geschlechterunterschiede eher voraus, als daß sie sie aufzeigt. Ebd. S. 246. Ebd. S. 236. Ebd. S. 246. Allerdings glaubt Bernhard von Clairvaux, Sententiae 3,127, S. 247f., daß es auch bei den Engeln »Generationen« und folglich eine Art Zeugung, gibt: Nam et in angelis generationes sunt. […] Angelicarum namque generationum numerus per meum generatum redintegrabitur, et hominum generatio in Adam maledicta, per benedictum fructum ventris mei ad aeternam benedictionem regenerabitur. »Geschlechtslos« nennt sie zu Recht auch Lützelschwab, Angels S. 203. Gregor der Große, Moralia in Iob 4,29,55, CCL 143, S. 199: Sic iumentis homines, hominibus angeli, archangeli uero angelis praesunt. Zur Ikonographie der Erzengel vgl. Schmidt/ Schmidt, Die vergessene Bildersprache S. 146–160. Bernhard von Clairvaux, De consideratione ad Eugenium papam 5,4,7, S. 471: Et primo quidem cives spiritus esse illic potentes, gloriosos, beatos, distinctos in personas, dispositos in dignitatem, ab initio stantes in ordine suo, perfectos in genere suo. Vgl. dazu Rosenberg, Engel und Dämonen S. 133–141; Keck, Angels S. 53–58; Schmidt/ Schmidt, Die vergessene Bildersprache S. 140–146; zur Ikonographie der Cherubim und

8. Unterschiede in Rang und Funktion: die neun »Engelchöre«

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»Daß die Erzengel über den Engeln stehen, bezeugt der Prophet Zacharias,« schreibt Isidor von Sevilla: »›Und siehe der Engel, der zu mir sprach, ging weg, und ein anderer Engel ging auf ihn zu und sagte zu ihm: ›Lauf und sag diesem Jungen, indem du sprichst: Jerusalem wird ohne Mauer bewohnt sein‹‹ (Zach 2,3). Wenn bei diesen Ämtern der Engel nämlich nicht höhere Gewalten den niedrigeren Anordnungen gäben, hätte man das, was der Engel dem Menschen sagte, keinesfalls von einem Engel wissen können.«367

Zwischen den Engeln gibt es folglich Rangunterschiede, die ihren verschiedenen Aufgaben (»Ämtern«) entsprechen, meint Isidor von Sevilla. So stehen die einen den anderen sowohl nach der Größe ihrer Macht als auch der Tugend ihres Wissens vor ; die einen dienen den Befehlen der anderen und gehorchen ihnen.368 Nach Hugo von St. Viktor sind die Eigenschaften unterschiedlich auf die Engel verteilt.369 Alle Engel, schreibt Petrus Lombardus, sind in manchem völlig gleich: daß sie Geistwesen, unauflöslich und unsterblich sind, haben alle Engel gemeinsam. In ihrem genauen Sein (oder Wesen), der Erkenntnis der Weisheit und der Freiheit des Willens aber unterscheiden sie sich.370 Zwar sind die neun Engelhierarchien schon in der Patristik bekannt (etwa bei Johannes Chrysostomos oder Hieronymus), doch zeigt man sich im Mittelalter zunehmend von der Lehre des Pseudo-Dionysios Areopagita über die »Himmelshierarchien« beeinflußt.371 Pseudo-Dionysios (und nach ihm Hugo) hatten die Engel – angeblich nach mündlicher Offenbarung durch Paulus – in drei Hierarchien / drei Ordines, also insgesamt in neun Ordines eingeteilt:

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Seraphim ebd. S. 160–170; Hafner, Angelologie S. 127ff.; Poirel, L’ange gothique S. 133f.; David Luscombe, The Hierarchies in the Writings of Alan of Lille, William of Auvergne and St Bonaventure, in: Iribarren/Lenz (Hg.), Angels in Medieval Philosophical Inquiry S. 15–28; zu Hildegard von Bingen: Schipperges, Welt der Engel S. 54–64. Nach Colish, Early Scholastic Angelology S. 85f., war die Frage der neun Ordines in der Frühscholastik wenig kontrovers. Zur Darstellung in der Kunst, aber auf das Spätmittelalter konzentriert: Bruderer Eichberg, Les neuf chœurs. Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,7f., Bd. 1, S. 275: Nam quia archangeli angelis praesunt, Zacharias propheta testatur dicens: ›Ecce angelus, qui loquebatur in me, egrediebatur et angelus alius egrediebatur in occursum eius et dixit ad eum: Curre, loquere ad puerum istum dicens: Absque muro habitabitur Hierusalem‹ (Zach 2,3). Si enim in ipsis officiis angelorum nequaquam potestates superiores inferiores disponerent, nullo modo hoc, quod homini diceret angelus, ab angelo cognouisset. Ders., Sententiae 1,10,14 (oben Anm. 60). Hugo von St. Viktor, De sacramentis christianae fidei 1,5,10ff., ed. Migne Sp. 251; ed. Berndt S. 118f. Petrus Lombardus, Sententiae lib. 2, dist. 3, cap. 3, Bd. 1, S. 343: Et sicut in praedictis angeli differebant, ita et quaedam communia et aequalia habebant. Quod spiritus erant, quod indissolubiles et immortales erant, commune omnibus et aequale erat. In subtilitate vero essentiae et intelligentia sapientiae et libertate voluntatis differentes erant. Zur großen Nachwirkung der Engelvorstellungen des Lombarden vgl. Keck, Angels S. 89ff. Pseudo-Dionysios Areopagita, Hierarchia caelestis. Vgl. dazu Hafner, Angelologie S. 157– 165.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Erste Hierarchie: Seraphim Cherubim Throne

Zweite Hierarchie: Herrschaften Tugenden Mächte

Dritte Hierarchie: Fürstentümer Erzengel Engel

»Die Hierarchie der Engel unterteilte er in drei Hierarchien,« kommentiert Hugo von St. Viktor, »und in jeder der drei unterschied er wiederum drei Ränge, so daß sich insgesamt die Zahl von neun Engelständen erfüllte. Jede Hierarchie für sich aber war von gleicher Macht, gleichem Amt und gleicher Würde, und in jeder Hierarchie setzte er obere, mittlere und untere (Engel) ein. Die oberen erleuchten die mittleren, diese erleuchten die unteren.«372

Petrus Lombardus kennt ebenfalls drei ordines angelorum, die sich wiederum unterteilen: drei sind superiores, drei in der Mitte (medii) und drei inferiores.373 Von drei mal drei Unterscheidungen spricht auch Herveus von D8ols in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts anläßlich der (vielfach behandelten und erwähnten) Entrückung des Paulus in den dritten Himmel, die Herveus – und das ist anscheinend ein eigener Gedanke – mit den Engelhierarchien verknüpft. Jede habe quasi ihren eigenen Himmel: die untere Hierarchie mit Engeln, Erzengeln und Fürstentümern den ersten, der der Erde am nächsten ist, die mittlere mit Mächten, Tugenden und Herrschaften den zweiten, die obere mit Thronen, Cherubim und Seraphim den dritten Himmel, welcher Gott am nächsten ist; in diesen dritten Himmel wurde Paulus entrückt.374

372 Hugo von St. Viktor, Commentarii in hierarchiam coelestem s. Dionysii Areopagitae 1,5, Sp. 932 BC: Angelicam vero hierarchiam primo demonstrat theologus. Secundo tractat de humana. Tertio quasi in fine et consummatione, de divina et summa. Ipsam autem angelicam in tres subdividit hierarchias et unamquamque trium per tres ordines distinguit, ut novem angelicorum ordinum numerus compleatur. Et omnem hierarchiam unius potestatis et unius officii et unius dignitatis et in unaquaque hierarchia et primos constituit et medios et ultimos ordines. Et primos quidem illuminare; ultimos vero illuminari; medios autem et illuminari a primis et ultimos illuminare. Vgl. jetzt die Neuedition: ed. Dominique Poirel, CCM 178, 1 prol., S. 412 (der Text weicht vom obigen nur in der Schreibweise ab). 373 Petrus Lombardus, Sententiae 2, dist. 9, c. 1, S. 371: Unde Dionysius tres ordines angelorum esse tradit, ternos in singulis ponens. Sunt enim tres superiores, tres inferiores, tres medii; superiores: Seraphin, Cherubin, Throni; medii: Dominationes, Principatus, Potestates; inferiores: Virtutes, Archangeli, Angeli. 374 Herveus von D8ols (Bourg-Dieu), Commentarii in epistolas divi Pauli. In epistolam II ad Corinthios 12, Sp. 1113 B: Novem enim sunt ordines angelorum, qui iuxta Dionysium in tres ternas distinctiones distributi sunt. Prima enim triplex eorum dispositio, id est illa, quae terris est vicinior, constat ex angelis et archangelis et principatibus; media vero ex potestatibus et virtutibus et dominationibus; suprema autem ex thronis et cherubim atque seraphim. Prima igitur dispositio primum coelum recte potest accipi; secunda vero secundum coelum, tertia autem tertium coelum. Apostolus itaque raptus in tertium coelum,

8. Unterschiede in Rang und Funktion: die neun »Engelchöre«

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Weshalb sind es aber gerade neun Ordines? fragt der Schüler in Honorius’ ›Elucidarium‹ und erhält die Antwort: »Wegen der Trinität, denn in der Zahl Neun wiederholt sich die Drei dreimal.« Die Menschen bilden hingegen nur einen ordo und symbolisieren demnach die unitas.375 Andere gehen aber auch von ursprünglich zehn Engelordines aus:376 Es seien einst zehn Stände gewesen, meint Hrabanus Maurus, von denen der zehnte fiel und sich in seinem Hochmut dem Teufel zuwandte, während die anderen neun in ihrer Heiligkeit verblieben.377 Gegen eine solche Ansicht wendet sich Honorius: »So gibt es andere,« schreibt er, »die glauben, es habe zehn Stände der Engel gegeben, der gesamte zehnte Stand aber sei gestürzt; dabei berufen sie sich auf das evangelische Gleichnis, welches erzählt, eine Frau habe zehn Drachmen gehabt, die zehnte aber verloren. Von daher glaubt man gewöhnlich, daß der zehnte Engelchor gefallen sei. Wir aber sagen mit der Autorität der Heiligen Schrift, daß es (nur) neun Engelstände gegeben hat und gibt und daß aus allen Ständen einige gefallen sind.«378

Die Bibel klärt das Problem allerdings gerade nicht. Für Gregor den Großen im 6., Beda Venerabilis379 im 8. und Rupert von Deutz im 12. Jahrhundert wiederum ist die »zehnte Drachme« der Mensch selbst (nach seiner Erlösung).380 »Damit die Zahl der Erwählten erfüllt wird,« schreibt auch Honorius, »wurde der

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intelligitur supremis angelorum choris interfuisse, id est inter agmina seraphim sive cherubim secreta Dei vidisse. Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,24, S. 366: D. Quare novem angelorum? M. Propter Trinitatem, in novenario enim numero ternarius tertio fit repetitus. Zur Tradition dieser Zehnzahl vgl. Wolfgang Babilas, Untersuchungen zu den Sermoni Subalpini. Mit einem Exkurs über die Zehn-Engelchor-Lehre (Münchner romanistische Arbeiten 24), München 1968, S. 173–213. Hrabanus Maurus, Liber de sacris ordinibus, sacramentis divinis et vestimentis sacerdotalibus 19 (De ordine missae), Sp. 1181 BC: Dominationes unus ordo dicitur de novem ordinibus angelorum, nam decem fuerunt ordines angelorum, sed decimus ordo cecidit et versus est per superbiam in diabolum. Novem autem permanserunt in sanctitate sua. Danach wörtlich Expositio super missam, Sp. 1165 B. Auch nach Hildegard von Bingen fiel der zehnte Engelordo; vgl. Schipperges, Welt der Engel S. 65ff. Honorius Augustodunensis, Liber XII quaestionum 5, Sp. 1180 D: Item sunt alii, qui arbitrantur decem ordines angelorum fuisse et decimum totum corruisse, inducti evangelica parabola, quae narrat mulierem decem drachmas habuisse et decimam perdidisse; unde adhuc vulgo dicitur, quia decimus chorus angelorum ceciderit. Nos autem sacrae Scripturae auctoritate dicimus novem ordines angelorum fuisse et esse et de singulis ordinibus aliquos corruisse. Gregor der Große, Homiliae in evangelia 2, hom. 34,6, S. 304f.: Decem uero drachmas habuit mulier, quia nouem sunt ordines angelorum. Sed ut compleretur electorum numerus, homo decimus est creatus, qui a conditore suo nec post culpam periit, quia hunc aeterna sapientia per carnem miraculis coruscans ex lumine testae reparauit. Danach wörtlich Beda Venerabilis, In Lucae evangelium expositio 4,15,9, S. 287. Rupert von Deutz, Liber de divinis officiis 9,6, S. 319: Drachmamque decimam, id est hominem, coniunxit uero in seipso et pacificauit haec omnia uerus hic homo Christus et super haec omnia constitutus est et omnia subiecta sunt sub pedibus eius.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Mensch als zehnter (Ordo) erschaffen.«381 Die Menschen ersetzen den zehnten, abgefallenen »Teil« der Engel – hier ist nicht vom »Ordo« die Rede – und gliedern sich, so Alkuin (und viele andere), den Engelordines ein.382 Denn »aus der Erlösung des Menschen wird der Fall der Engel ›repariert‹,« schreibt Haymo von Auxerre.383 Nach Hugo von St. Viktor ersetzt der Mensch als zehnter Ordo die gefallenen Engel, ist allerdings keineswegs nur zu diesem Zweck erschaffen worden.384 Hingegen wird man nicht von einer »Engelwerdung der Menschen« sprechen dürfen:385 Engel und Menschen bleiben unterschieden.386 Diese Ordnung ist unveränderlich. »Denn keine Ordnung im Himmel wie auf Erden,« schreibt Johannes Scotus Eriugena erläuternd, »also in jenem öffentlichen Staat, der unter dem Kult des einen wahren Gottes aus der vernunft- und verstandesmäßigen Natur, also der des Menschen und der Engel, besteht, und deren Vernunft (ratio) nicht in sich selbst vorangeht und aus sich selbst hervorgeht, kann darin vom Höchsten zum Niedrigsten oder vom Niedrigsten zum Höchsten fortgerufen werden.«387

Damit nicht genug, erkennt Johannes auch eine Stufung innerhalb des einzelnen Ordo, ganz wie bei den Weihegraden in der (irdischen) Kirche: »So übertrifft ein Seraphim den anderen und ein Cherubim den anderen und ein Thron den anderen, eine Tugend die Tugend, eine Macht die Macht, eine Herrschaft die Herrschaft, ein Fürstentum das Fürstentum, der Erzengel den Erzengel, der Engel den Engel; bei den Menschen aber (geht) ein Bischof dem Bischof, der Priester dem Priester, der Diakon dem Diakon und genauso die übrigen (voraus), so daß unter den gleichen namentlichen Bezeichnungen tatsächlich die ersten, die mittleren und die letzten Tugenden zu verstehen sind.«388 381 Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,57, S. 371: Sed ut impleretur electorum numerus, homo decimus est creatus. Vgl. schon Hrabanus Maurus, Homiliae de festis praecipuis. Homilia 31, Sp. 59 B: Novem vero sunt ordines angelorum, decimus quoque homo est creatus. 382 Alkuin, Commentarii in Apocalypsim 5,11 (v. 13), Sp. 1150 B: Decima pars civitatis in illis cadit, qui ad electorum numerum non pertinent. Electi enim novem ordinibus angelorum iuncti ruinas daemonum sua numerositate instaurant et decimum ordinis sui locum adimplent. 383 Haymo von Auxerre, De varietate librorum sive de amore coelistis patriae 1,7, Sp. 882 BC (oben Anm. 254). 384 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,5,30, ed. Migne Sp. 260 CD; ed. Berndt S. 131. 385 So Haffner, Angelologie S. 152ff. 386 Vgl. Cattin/Faure, Les anges et leur image S. 145–150: Der Mensch kann nicht Engel werden. 387 Johannes Scotus, Eriugena, Expositiones super Ierarchiam caelestem s. Dionysii 1, S. 19: Nullus enim in celo uel in terra, hoc est in illa publica ciuitate, que, sub cultu unius ueri Dei, ex rationabili et intelligibili, hoc est ex humana et angelica constituitur natura, ordo est, cuius ratio non precedat in ipsa et ab ipsa non procedat, a summo usque deorsum uel in ipsam non reuocetur a deorsum usque ad sursum. 388 Ebd. 10, S. 155f.: Precedit itaque Seraphim alium Seraphim et Cherubim alium Cherubim et

8. Unterschiede in Rang und Funktion: die neun »Engelchöre«

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Auch das prophetische Wissen über Gott wird stufenweise von den höheren (den »Engeln der Engel«) zu den niedrigeren Engeln (und von diesen zu den Propheten und über sie zu den anderen Menschen) weitergeleitet.389 Sich mehrfach auf Gregor den Großen stützend, leitet Isidor von Sevilla die Namen der einzelnen Engelstände wieder aus ihrer Funktion und ihrer Stellung gegenüber den anderen ab:390 - Die Engel (als griechischer Begriff) heißen auf Latein ›Boten‹, »weil sie den Völkern den Willen Gottes verkünden« und weil sie vom Himmel geschickt werden, um den Menschen etwas zu verkünden.391 - Erzengel, griechisch die »höchsten Engel«, bringen die höchsten Botschaften. Sie haben den Primat unter den Engeln und sind gleichsam deren Führer und Fürsten, die jedem einzelnen Engel seine Aufgaben zuweisen.392 Teilweise haben sie, wie bereits oben angesprochen, Namen, und auch ihnen sind bestimmte Funktionen zugeordet: Wo es um die göttliche Macht und Kraft geht, erscheint Gabriel,393 bei Michael geht es um wunderbare Dinge, die nur Gott vermag,394 Raphael, die »Medizin Gottes«, verkündet und bewirkt Heilungen (wie an Tobias),395 Uriel steht, seinem Namen gemäß, im Zusammenhang mit Feuer.396

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Thronus alium Thronum, Virtus Virtutem, Potestas Potestatem, Dominatio Dominationem, Principatus Principatum, Archangelus Archangelum, Angelus Angelum; in hominibus episcopus episcopum, sacerdos sacerdotem, diaconus diaconum ceteraque huiusmodi, ita ut sub eisdem significationibus nominum prime et medie et ultime intelligantur uirtutes. Ebd. 9, S. 148: Et est sensus: hec omnia per propheticas uisiones in notitiam hominum traducta sunt, dum reuelata est manifestatio, hoc est expositio, uisionis formationum, imaginationum uidelicet et figurationum, quibus prophetici spiritus formati sunt, ab angelis angelorum, id est a superioribus angelis inferioribus reuelata est manifestatio, et continuo ipsa reuelata manifestatio per angelos ex Deo sanctis prophetis tradita est. Zu Eriugenas Verarbeitung der Lehre von den neun Engelordines vgl. Nikolaus M. Häring, John Scottus in Twelfth-Century Angelology, in: John J. O’Meara/Ludwig Bieler (Hg.), The Mind of Eriugena: Papers of a Colloquium Dublin, 14–18 July 1970, Dublin 1973, S. 158–169, dem es aber weniger um die Aussagen als vielmehr um den späteren Einfluß geht. Nach Faure, L’ange du Haut Moyen ffge S. 34, gibt Johannes die empirische Wirklichkeit zugunsten einer grandiosen Schau des Universums auf. Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,1ff., Bd. 1, S. 274ff. Isidor folgt hier teils wörtlich, teils inhaltlich vielfach Gregor dem Großen, Homiliae in evangelia. Hom. 2,34, S. 306ff. Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,1, S. 274 (oben Anm. 52) und 7,5,5, S. 274: Angeli vocantur propter quod de caelis ad adnuntiandum hominibus mittuntur. Ebd. 7,5,6ff., S. 274f.: Archangeli Graeca lingua summi nuntii interpretantur. Qui enim parua vel minima adnuntiant, angeli; qui vero summa, archangeli nuncupatur. Archangeli dicti, eo quod primatum teneant inter angelos; aqwos enim Graece, Latine princeps interpretatur. Sunt enim duces et principes, sub quorum ordine unicuique angelorum officia deputata sunt. Ebd. 7,5,10, S. 275: Vbi enim potentia diuina vel fortitudo manifestatur, Gabriel mittitur. Ebd. 7,5,12, S. 275: Quando enim aliquid in mundo mirae virtutis fit, hic archangelus mittitur. Et ex ipso opere nomen est eius, quia nemo valet facere, quod facere potest Deus. Ebd. 7,5,13f., S. 275: Vbicumque enim curandi et medendi opus necessarium est, hic ar-

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Throne, Herrschaften, Fürstentümer, Mächte und Tugenden, unter denen Paulus den ganzen Himmelsstaat zusammenfaßt, bezeichnen Stände und Würden der Engel und werden deshalb nach ihren Würden voneinander unterschieden:397 - Die Dienste der virtutes angelicae bestehen, ihrem Namen gemäß, in Zeichen und Wundern.398 - Den potestates sind die »schädlichen Tugenden« untergeben: Sie bezwingen mit ihrer Macht die bösen Geister, damit diese der Welt nicht so viel Schaden zufügen können, wie sie gern möchten.399 - Die Fürstentümer (principatus) stehen den Heerscharen der Engel vor und tragen ihren Namen, weil sie den untergebenen Engeln den göttlichen Dienst zuweisen, den sie erfüllen sollen. »Denn die einen verwalten, die anderen stehen bei.«400 - Die Herrschaften aber überragen selbst Tugenden und Fürstentümer und beherrschen die übrigen Heere der Engel.401

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changelus a Deo mittitur ; et inde medicina Dei vocatur. Vnde et ad Tobiam idem archangelus missus oculis eius curationem adhibuit, et caecitate detersa visum ei restituit. Ebd. 7,5,15, S. 275: Legimus etiam ignem missum desuper et inplesse, quod praeceptum est. Zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen und Funktionen der vier Erzengel Michael (Drachenkämpfer, Heiler, Seelengeleiter), Gabriel (Feuerengel, Zeugung, Prophet), Raphael (Heiler) und Uriel (Lichtengel) vgl. Rosenberg, Engel und Dämonen S. 92–127. Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,16, Bd. 1, S. 275f.: Throni autem et dominationes et principatus et potestates et virtutes, quibus universam caelestem societatem Apostolus conplectitur, ordines angelorum et dignitates intelleguntur ; et pro hac ipsa distributione officiorum alii throni, alii dominationes, alii principatus, alii potestates dicuntur pro certis dignitatibus, quibus invicem distinguitur. Anders als Pseudo-Dionysios, deutet sich bei Isidor ein »2–5–2-System« anstelle der 3 x 3-Hierarchie an, wie es später auch Hildegard von Bingen aufgreift; vgl. unten Anm. 437. Ebd. 7,5,17, S. 276: Virtutes angelicae quaedam ministeria perhibentur, per quos signa et miracula in mundo fiunt; propter quod et Virtutes dicuntur. Vgl. Gregor der Große, Homiliae in evangelia 2, hom. 34,10, S. 308: Virtutes etenim uocantur illi nimirum spiritus, per quos signa et miracula frequentius fiunt. Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,18, Bd. 1, S. 276: Potestates sunt, quibus virtutes adversae subiectae sunt et inde Potestatum nomine nuncupatur, quia maligni spiritus eorum potestate coercentur, ne tantum mundo noceant, quantum cupiunt. Vgl. Gregor der Große, Homiliae in evangelia 2, hom. 34,10, S. 308: Potestates etiam uocantur hi, qui hoc potentius ceteris in suo ordine perceperunt, ut eorum ditioni uirtutes aduersae subiectae sint, quorum potestate refrenantur, ne corda hominum tantum temptare praeualeant quantum uolunt. Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,19, S. 276: Principatus sunt hi, qui angelorum agminibus praesunt. Qui pro eo, quod subditos angelos ad explendum ministerium divinum disponunt, principatus vocabulum acceperunt. Nam alii sunt qui administrant, alii qui adsistunt, sicut et per Danielum dicitur : ›Milia milium ministrabant ei, et decies milies centena milia adsistebant ei‹. Vgl. Gregor der Große, Homiliae in evangelia 2, hom. 34,10, S. 308: Principatus etiam uocantur, qui ipsis quoque bonis angelorum spiritibus praesunt, qui subiectis aliis dum quaeque sunt agenda disponunt, eis ad explenda diuina ministeria principantur. Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,20, S. 276: Dominationes sunt ii, qui etiam Virtutibus et Principatibus praeeminent, qui pro eo, quod ceteris angelorum agminibus dominantur, Dominationes vocantur. Vgl. Gregor der Große, Homiliae in evangelia 2, hom. 34,10, S. 308:

8. Unterschiede in Rang und Funktion: die neun »Engelchöre«

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- Die Throne wiederum sind die Engelheere, auf denen der Schöpfer thront und durch die er seine Urteile fällt.402 Die Erhabensten aber sind Cherubim und Seraphim. - Die Cherubim sind die erhabenen Mächte des Himmels, die die Ämter der Engel wahrnehmen. Sie sind erhabener, weil sie näher an der göttlichen Weisheit sind als die übrigen und mehr daran teilhaben. Daher ihr Name, der auf hebräisch »Fülle des Wissens« bedeutet.403 - Die Seraphim schließlich, die »Brennenden«, sind ebenfalls die Masse der Engel. Zwischen ihnen und Gott stehen keine anderen Engel mehr. Je näher sie vor ihm stehen, desto mehr werden sie von der Klarheit des göttlichen Lichtes entflammt und verdecken dabei zugleich Gesicht und Füße des thronenden Gottes. Die anderen Engel vermögen das Wesen Gottes daher nicht vollständig zu erblicken, weil die Seraphim es verdecken.404 An anderer Stelle – hier sucht Isidor offensichtlich nach biblischen Belegen für die verschiedenen Engelordines – stehen die Seraphim hoch über dem Thron Dominationes autem uocantur, qui etiam potestates principatuum dissimilitudine alta transcendunt. Ea ergo angelorum agmina, quae mira potentia praeeminent, pro eo quod eis cetera ad oboediendum subiecta sunt, dominationes uocantur. 402 Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,21, S. 276: Throni sunt agmina angelorum, qui Latino eloquio sedes dicuntur ; et vocati Throni, quia illis conditor praesidet, et per eos iudicia sua disponit. Vgl. Gregor der Große, Homiliae in evangelia 2, hom. 34,10, S. 308: Throni quoque illa agmina sunt uocata, quibus ad exercendum iudicium semper Deus omnipotens praesidet. 403 Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,22, S. 276: Cherubin autem et ipsi sublimes caelorum potestates et angelica ministeria perhibentur ; qui ex Hebraeo in linguam nostram interpretantur scientiae multitudo. Sunt enim sublimiora agmina angelorum, qui pro eo, quod vicinius positi divina scientia ceteris amplius pleni sunt, Cherubin, id est plenitudo scientiae, appellantur. Vgl. Gregor der Große, Homiliae in evangelia 2, hom. 34,10, S. 308: Cherubin quoque plenitudo scientiae dicitur. Et sublimiora illa agmina idcirco cherubin uocata sunt, quia tanto perfectiore scientia plena sunt, quanto claritatem Dei uicinius contemplantur, ut secundum creaturae modum, eo plene omnia sciant, quo uisioni conditoris sui per meritum dignitatis appropinquant. 404 Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,24f., S. 276f.: Seraphin quoque similiter multitudo est angelorum, qui ex Hebraeo in Latinum ardentes vel incendentes interpretantur. Qui idcirco ardentes vocantur, quia inter eos et Deum nulli angeli consistunt; et ideo quanto vicinius coram eo consistunt, tanto magis luminis claritate divini inflammantur. Vnde et ipsi velant faciem et pedes sedentis in throno Dei; et idcirco cetera angelorum turba videre Dei essentiam plene non valent, quoniam Cherubin eam tegit. Danach ähnlich Sedulius Scottus, Collectaneum in apostolum 2. In epistolam ad Ephesios 1,21, S. 563f. Vgl. Gregor der Große, Homiliae in evangelia 2, hom. 34,10, S. 308f.: Seraphin etiam uocantur illa sanctorum spirituum agmina, quae ex singulari propinquitate conditoris sui incomparabili ardent amore. Seraphin namque ardentes uel incendentes uocantur, quae, quia ita Deo coniuncta sunt, ut inter haec et Deum nulli alii spiritus intersint, tanto magis ardent, quanto hunc uicinius uident.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Gottes (wie Jesaja sie sah und singen hörte), die Cherubim verdecken die Bundeslade (wie Salomon sie im Tempel mit Rindern und Löwen malen ließ). Throne, Herrschaften, Fürstentümer und Mächte bezeugt Paulus im Kolosserund Epheserbrief. Engel und Erzengel sind ohnehin vielfach bezeugt.405 Erzengel sind die höchsten Boten, Engel verkünden das Niedrigere und Gewöhnliche.406 Kurz erläutert auf diesen Grundlagen im 9. Jahrhundert Hrabanus Maurus den Sachverhalt: »Von diesen (neun) Ständen tragen (nur) zwei nicht lateinische Namen: Die Cherubim werden als ›Fülle der Weisheit‹ gedeutet, Seraphim bedeutet ›Brand‹. Die übrigen Namen der besagten Ordines sind lateinisch, außer Engeln und Erzengeln. Denn Engel werden ›Boten‹, Erzengel ›erhabene Boten‹ genannt.«407

Prägnant charakterisiert, darauf gestützt und doch eigenständig und erweitert, im 12. Jahrhundert Honorius die verschiedenen Funktionen der neun Chöre bezeichnenderweise in seiner Predigt zum Michaelstag: @ Engel werden den (einzelnen) Menschen zum Schutz, zum Trost oder zur Hilfeleistung gesandt, damit die Dämonen ihnen nicht so viel schaden können, wie sie gern wollen; @ Erzengel vollbringen oder verkünden besonders Wichtiges und stehen, wie man glaubt, ganzen Völkern vor; @ die Tugenden verwalten Zeichen und Wunder, @ die Mächte zügeln Laster und Dämonen, @ die Fürstentümer herrschen über die Engelheere, 405 Isidor von Sevilla, De ordine creaturarum 2,2, Sp. 917 A-C: Seraphim etenim super sollum Domini excelsum stare Isaias vidit et cantare audivit, et uno ex his ad se misso, purgari de sui oris pollutione promeruit. Cherubim vero, in oraculo testimonii, propitiatorium figurati et arcam tegebant et in templo Domini cum bubus et leonibus per Salomonem depicti fuerant. Ezechiel quoque in visionibus Dei quadrigam vidisse se describit, quam quatuor Scripturae utriusque Testamenti notis mystico famine coniungit. Ad Colossenses vero Paulus apostolus scribens, thronos et dominationes et principatus et potestates commemorat: ›Sive throni sive dominationes sive principatus sive potestates‹ (Col 1,16). Ipse etiam ad Ephesios de virtutibus enarrat, ita inquiens: ›Supra omnem principatum et potestatem et virtutem et dominationem‹ (Eph 1,21). Archangelorum autem et angelorum ostentationibus et nominationibus divinorum voluminum prata referta sunt. 406 Ebd. 2,11f. , Sp. 918 CD : Octavo ordo est archangeli, id est summi nuntii vocantur, per quos maiora quaeque hominibus nuntiatur. […] Nonus ministrorum coelestium ordo angeli sunt nominati, qui minora quaeque et communia ex Dei voluntate hominibus nuntiant et suadent. Das geht auf Gregor den Großen, Homiliae in evangelia 2, hom. 34,8, S. 306, zurück: Hi autem, qui minima nuntiant, angeli, qui uero summa annuntiant, archangeli uocantur. 407 Hrabanus Maurus, Liber de sacris ordinibus 19 (De ordine missae), Sp. 1181 C: Istorum duorum ordinum nomina non sunt latina. Cherubin enim plenitudo scientiae interpretatur, seraphin incendium dicitur ; caetera nomina supradictorum ordinum Latina sunt, nisi angelorum et archangelorum. Nam angeli nuntii, archangeli vero excelsi nuntii dicuntur.

8. Unterschiede in Rang und Funktion: die neun »Engelchöre«

@ @ @ @

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die Herrschaften wiederum über die Fürstentümer, die Throne führen Gottes Urteile aus, die Cherubim stellen das Wissen göttlicher Kenntnis, die Seraphim die Glut der göttlichen Liebe dar.408

Mit solchen Charakterisierungen betont Honorius sowohl die strikte Hierarchie der Engel als auch die verschiedenen Funktionen der einzelnen Stände. Dabei werden die Himmelshierarchien, in die später auch die Menschen eintreten werden, wieder mit den entsprechenden irdischen Begriffen der Menschen und mit deren Gemeinschaften verglichen. Zugleich bilden die einzelnen Chöre jeweils eine Gemeinschaft für sich. Sind die Engel Boten, so sind Erzengel die höchsten Boten, die das Höchste von Gott wahrnehmen »und schnell zur Gemeinschaft der Erzengel laufen«; die Wunder wirkenden Tugenden »gesellen sich der Gemeinschaft der Tugenden zu«, und wer die Laster niedertritt und den Dämonen Befehle erteilt, »eilt schnell zur Gemeinschaft der Mächte«. »Wer hier aber den Primat an Heiligkeit hält, ist dort wiederum Teilhaber der Würde der Fürstentümer.« Und wer in allen Regungen des Fleisches und Wünschen des Lebens die Heiligkeit beherrscht, »wird gewiß zur Helligkeit der Herrschaften erhoben«. Wer die Gottlosen und Sünder im Kampf aburteilt, darf sich freuen, zu den Thronen zu zählen, denen Gott vorsteht und alles gerecht ordnet, vergilt und urteilt. »Wer aber voller Wissen sich in Irdisches versenkt und solange tief einatmet, um sich von den Himmlischen zu unterscheiden, eilt schnell zum Ordo der Cherubim. Wer schließlich in der Liebe Gottes brennt und Atem holt, um andere zur Liebe zu entzünden, steigt wahrlich zur Höhe des Ordo der Seraphim auf.«409 408 Honorius Augustodunensis, Speculum ecclesiae. De sancto Michaele, Sp. 1007 CD: Horum itaque novem ordines referuntur, qui ad summae Trinitatis ministeria mire disponuntur, scilicet angeli, qui singulis hominibus ad tutelam vel solatium vel auxilium mittuntur, a quibus daemones, ne quantum volunt noceant, reprimuntur ; archangeli, qui ad summa peragenda vel nuncianda mittuntur, quibus singulis gentibus praeesse creduntur ; virtutes, per quos (sic) signa et miracula administrantur ; potestates, per quos vicia et daemones refrenantur ; principatus, qui angelorum agminibus principantur ; dominationes, qui ipsis principibus dominantur ; throni, per quos iudicia Dei exercentur ; cherubin, per quos scientia divinae cognitionis exhibetur ; seraphin, per quos ardor divini amoris praebetur. 409 Ebd. Sp. 1008f.: Angeli namque dicuntur ›nuncii‹. Qui ergo quo [quae] de futura vita sapiunt, ea pie proximis nunciare contendunt, hii nimirum in ordinem angelorum tendunt. Archangeli autem ›summi nuncii‹ dicuntur ; et qui summa de Deo sentiunt eaque aliis insinuare solliciti sunt, hii profecto in consortium archangelorum currunt. Qui vero virtutibus pollentes mira operantur, virtutum utique contubernio aggregantur ; et qui vicia calcant, daemonibus imperant, profecto in consortium potestatum properant. Qui autem hic primatum tenent sanctitatis, hii nimirum erunt ibi participes principatuum dignitatis. Qui vero sanctimonia cunctis motibus carnis et vitae desideriis dominantur, in claritate dominationum utique sublimantur. Et qui zelo Dei impios et peccatores impugnando iudicant, inter thronos se censeri gaudeant, quibus Deus praesidens cuncta iuste ordinat, remunerat,

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Daß die einzelnen Stände jeweils unterschiedliche Eigenschaften und Aufgaben haben, betont auch Bernhard von Clairvaux. Dabei werden sie jeweils von dem nächsthöheren Chor übertroffen: @ Engel und Erzengel leisten Boten- und Schutzdienste, wobei Engel zu denen geschickt werden, die Erben des Heils sind, während die Erzengel erneut nur zu besonders wichtigen Aufträgen auf die Erde gesandt werden, da sie Mitwisser der göttlichen Geheimnisse sind. So wurde Gabriel zu Maria in einer Mission gesandt, wie sie größer gar nicht mehr sein kann.410 (Deshalb wird Gabriel bildlich vor allem auch bei der Verkündigung dargestellt.411) @ Die Tugenden über ihnen, auf deren Wink hin und durch deren Werk Wunder und Vorhersagen in oder aus den Elementen geschehen, erscheinen zur Mahnung der Sterblichen und bewirken Wunder und Tugenden.412 @ Die Mächte über ihnen heißen so, weil durch ihre Kraft die Macht der Finsternis zurückgedrängt und die Bosheit der Luft (nämlich der Dämonen) in Schranken gehalten wird, damit sie nicht soviel schaden kann, wie sie gern möchte, und nur das zu tun vermag, was nützt.413 @ Über ihnen aber stehen die Fürstentümer, durch deren Walten und Weisheit alle Fürstentümer auf Erden errichtet, gelenkt, beschränkt, übertragen, beschnitten und verändert werden.414 @ Die Herrschaften wiederum übertreffen sämtliche bisher genannten Stände, die gleichsam als ihre geistigen Verwalter erscheinen; so berichten die Fürstentümer ihnen als ihren Herren über ihre Regierung, die Mächte über ihren

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iudicat. Qui autem pleni scientia terrenis se deprimi, a coelestibus tamdiu differri suspirant, in ordinem profecto cherubim festinant. Qui vero in amore Dei ardentes alios in dilectionem accendere anhelant, revera in altitudinem ordinis seraphim meant. Bernhard von Clairvaux, De consideratione ad Eugenium papam 5,4,8, S. 472: Putemus Angelos dici, nisi tu convenientius aliquid considerasti, qui singuli singulis hominibus dati creduntur, missi in ministerium, secundum Pauli doctrinam, propter eos qui hereditatem capiunt salutis. […] Putemus his praeesse Archangelos, qui, conscii mysteriorum divinorum, nonnisi ob praecipuas et maximas causas mittuntur. E quibus magnus ille archangelus Gabriel missus legitur ad Mariam, ob causam utique, qua maior esse non potuit. Vgl. Diane Calvert, Gabriel of the Annunciation in Medieval Art, in: Carruthers (Hg.), Anges et d8mons S. 17–27. Bernhard von Clairvaux, De consideratione ad Eugenium papam 5,4,8, S. 472: Putemus super istos Virtutes esse, quorum nutu vel opere signa et prodigia, in elementis sive ex elementis facta, apparent ad commonitionem mortalium. […] hi nimirum spiritus, per quos signa et virtutes fiunt. Ebd. S. 473: Putemus Potestates superiores istis, quorum virtute potestas tenebrarum comprimitur et coercetur malignitas aeris huius, ne quantum vult noceat, ne malignari, nisi ut prosit, possit. Ebd.: Putemus Principatus his quoque praelatos, quorum moderamine et sapientia omnis in terris principatus constituitur, regitur, limitatur, transfertur, mutilatur, mutatur.

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Schutz, die Tugenden über ihre Werke, die Erzengel über ihre Offenbarungen und die Engel über Sorge und Vorsehung.415 @ Die Throne aber ragen noch über sie hinaus; sie heißen Throne, weil sie sitzen, und sie sitzen, weil Gott auf ihnen thront (was er nicht könnte, wenn sie nicht selbst thronten). Dieser Sitz aber ist als höchste Ruhe, friedlichste Heiterkeit und als Friede zu verstehen, der jedes Verständnis übersteigt. So kann Gott über alles ruhig, heiter und friedlich richten. Deshalb hat er die Throne sich selbst ähnlich geschaffen.416 (Für Richard von St. Viktor sind die Throne jene Engelsmächte, auf denen Gott vor allem ruht, wenn er herrscht, und durch die er seine Erwählten regiert.417) @ Die Cherubim wiederum schöpfen aus der Quelle aller Weisheit, dem Mund des Höchsten und gießen ihrerseits Ströme des Wissens über alle ihre Mitbürger aus.418 @ Die Seraphim schließlich sind ganz vom göttlichen Feuer entflammte Geister, die alles entflammen, so daß jeder einzelne Bürger selbst zu einer strahlend leuchtenden Fackel wird, brennend vor Liebe, leuchtend vor Erkenntnis.419 Bernhard erklärt aus dem Namen und der Funktion also die (bestimmte) Rangfolge, die Eigenschaften und die spezifischen Aufgaben der Engelchöre und bringt sie begrifflich und funktional mit ihrer Beziehung zu irdischen Mächten in Verbindung. Je näher die Engelhierarchien Gott sind, desto mehr sind sie vom göttlichen Licht erleuchtet. Nur die erste Hierarchie umgibt die göttliche Trinität unmittelbar. Die mittlere Hierarchie bildet das Verbindungsglied zur unteren, die wiederum die Verbindung zu den Menschen herstellt. Auch Bruno der Kartäuser begründet die Verschiedenheit der Engelstände ausdrücklich mit ihren unterschiedlichen, sich aus dem Namen ergebenden 415 Ebd.: Putemus Dominationes adeo cunctis supereminere praefatis ordinibus, ut respectu horum ceteri videantur omnes administratorii spiritus, et ad istos, tamquam ad dominos, referri regimina Principatuum, tutamine Potestatum, operationes Virtutum, revelationes Archangelorum, curam et providentiam Angelorum. 416 Ebd.: Putemus Thronos alto etiam ab his evolasse recessu, qui, ex eo quod sedent, Throni dicuntur, et ex eo sedent, quod sedet in eis Deus. Neque enim sedere in eis, qui non sederent, posset. Quaeris quid illam sentiam sessionem? Summam tranquillitatem, placidissimam serenitatem, pacem, quae exsuperat omnem intellectum. Talis est, qui sedet in Thronis Dominus Sabaoth, iudicans omnia cum tranquillitate, placidissimus, serenissimus, pacatissimus. Et tales sibi constituit Thronos, simillimos sibi. 417 Richard von St. Viktor, In apocalypsim 6,3, Sp. 846 C: Thronus Dei sunt angelicae potestates, in quibus Deus principalite residendo regnat et per quas suos electos gubernat. 418 Bernhard von Clairvaux, De consideratione ad Eugenium papam 5,4,8, S. 473: Putemus Cherubim ex ipso sapientiae fonte ore Altissimi haurientes et refundentes fluenta scientiae universis civibus suis. 419 Ebd.: Putemus Seraphim, spiritus totos divino igne succensos, succendere universa, ut singuli cives singulae sint lucernae ardentes et lucentes: ardentes caritate, lucentes cognitione.

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Funktionen, die aber sämtlich dem Heil der Menschen dienen: Einige haben den Prinzipat über alle anderen inne, andere führen mit der ihnen zur Verfügung stehenden Macht aus, was die Fürstentümer ihnen auftragen. Wieder andere heißen virtutes, weil sie Wunder wirken (und das Gleiche trifft auch auf die bösen Engel zu). Nach dem Jüngsten Gericht aber werden solche Funktionen überflüssig. Dann verlieren sich folgerichtig auch die Namen der verschiedenen Engelstände.420 Eine ganz andere Differenzierung nimmt Agnellus von Ravenna im 9. Jahrhundert vor dem Hintergrund des Anblicks Gottes vor : die Engel zittern, die Erzengel fürchten sich, die Herrschaften geraten in ängstliche Unruhe, Fürstentümer und Mächte laufen zusammen.421 (Offenbar bleiben nur Seraphim und Cherubim davon unberührt; jedenfalls werden sie an dieser Stelle nicht erwähnt.) Die Himmelshierarchien gelten als so selbstverständlich, daß Rufinus von Sorrent in seiner zwischen 1174 und 1177 entstandenen Schrift »Über das Gut des Friedens« umgekehrt die irdische Stufung aus ihnen ableiten und von ihnen her begründen kann: »Wie die Engel nämlich in ihren Ämtern so verschieden sind, daß, wie oben ausgeführt, die einen höher, die anderen niedriger, die dritten in der Mitte stehen, sie alle aber gemäß der Würde ihres Standes ihrem König in einträchtigem Lohn Kriegsdienste leisten, so dienen auch unter uns, wo die einen vorstehen, die anderen untergeben sind, die dritten aber Beschäftigungen nachgehen, in denen sie gleichzeitig über- und un-

420 Bruno der Kartäuser, Expositio in omnes epistolas Pauli. Epistola ad Corinthios I, c. 15, Sp. 208 AB: Notandum est quod in angelis diversitates officiorum Deus posuerit et hoc totum causa hominum, ut angeli administrent saluti eorum. Sed postquam homines iam in perfectione erunt et nulla administratione egebunt, nomina illa destruentur in angelis, quibus vocabantur pro diversitate humanae administrationis. Sunt enim quidam inter angelos, qui principatum habent super omnes alios. Sunt etiam alii, qui potestative perficiunt ea, quae a principatu iniunguntur eis. Sunt alii, qui dicuntur virtutes, quia miraculorum sunt operatores. Similiter et in malis angelis quidam sunt principes super omnes alios. Alii habentes potestatem efficiendi, quod principes praeceperint; alii virtutes, qui aliqua nova inducant quasi miracula. Et haec iterum in fine evacuabuntur. Quia sicut boni angeli ultra non habebunt, in quo homines tueantur, sic nec mali, in quo noceant hominibus. 421 Agnellus von Ravenna, Liber pontificalis ecclesiae Ravennatis 37, S. 190: Sub tuo, Domine, imperio omnia contremiscunt, ante tuum conspectum fugiunt caeli, tremit terra, montes commouentur, fluenta quassantur, tremunt angeli, metuunt arcangeli, trepidant dominationes, principatus et potestates corruunt, nubes et aera disparguntur, sol obscurat radios, luna obtenebrescit caliginem, claritas astrorum minuitur. Nach ebd. 45, S. 206, zittern die Engel vor dem Anblick Gottes, fürchten sich die Erzengel, ängstigen sich die Throne, erschrecken die Herrschaften, stürzen die Mächte, grausen sich die Fürstentümer und die himmlischen Tugenden geraten in unruhige Bewegung: Ante conspectum diuinae maiestatis terribiles uisiones sunt; ibi enim angeli tremunt, archangeli metuunt, pauent throni, terrentur dominationes, ruunt potestates, formidant principatus, commouentur uirtutes caelorum, pertimescunt iusti, terra fugit, elementa quassantur.

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tergeordnet sind, alle gemäß dem Rang ihres Standes mit einheitlichem Sinn und Eifer dem höchsten Herrn.«422

Rufinus geht es eben um diese Eintracht, die durch die hierarchische Stufung nicht beeinträchtigt wird, sondern im Gegenteil erst den Frieden schafft, bis eben nach dem Ende der Zeiten der Friede zwischen Engeln und Menschen aufgehoben wird, weil die menschliche Natur in nichts mehr von der der Engel abweicht: Der jetzt tierische Körper wird als Geist auferstehen, und es wird weder mehr eine Verderbtheit der Zeugung noch eine Zeugung von Verderbten geben, ›denn sie werden dort weder heiraten noch geheiratet werden, sondern wie die Engel Gottes im Himmel sein‹.423 Und auch Rufinus identifiziert die drei Gruppen nicht nur mit den drei Hierarchien, sondern erklärt sie zudem mit dem von Hierarchie zu Hierarchie abnehmenden Licht des Schöpfers, das mit den Befehlen von oben nach unten weitergereicht wird: So reinigt, erleuchtet und vollendet die erste Hierarchie, während die untere gereinigt, erleuchtet und vollendet wird und die mittlere von der Gestalt beider geschmückt wird.424 Insgesamt wirken die Engel jedenfalls wie ein himmlischer Hofstaat.425 Von Gregor dem Großen und Isidor von Sevilla bis zu Bernhard von Clairvaux und seinen Zeitgenossen wiederholen sich die – hier nur exemplarisch, trotz Wiederholungen aber bewußt im Einzelnen vorgeführten Charakterisierungen merklich und doch in einer jeweils anderen, eigenständigen Weise. Für den ›Mystiker‹ Bernhard spiegelt sich in den vollkommenen Geschöpfen der Engel gleichzeitig Gott selbst wider und verrät somit etwas über Gottes Erhabenheit und seine ›Tätigkeiten‹ (und nicht zufällig folgt Bernhard der zuvor aufsteigend 422 Rufinus von Sorrent, De bono pacis 1,11, S. 82: Sicut enim angelorum ita sunt discreta officia, ut prefatum est, quod alii superiores, alii inferiores, alii constituti sunt medii, omnes tamen secundum sui ordinis dignitatem concordibus regi suo stipendiis militant, sic et inter nos, cum alii prelati sint, alii subditi, alii prelationis simul et subiectionis professionibus censeantur, omnes secundum sui gradus ordinem unitis animis et studiis summo Domino famulantur. 423 Ebd.: Tunc pax haec inter nos et angelos ad plenum consumabitur, cum scilicet nichil in nostra natura esse poterit, quod a natura discohereat angelorum. Ubi etiam corpus, quod nunc animale est, spirituale creditur surrecturum, ubi nulla umquam erit generatorum corruptio, nulla generatio corruptorum. ›Non enim nubent ibi neque nubentur, sed erunt sicut angeli Dei in celo‹ (Mt 22,30). 424 Ebd. 1,9, S. 78: Quod autem in descriptione huius pacis gradualem ad inferiora subgressionem posuimus, in hunc evadit sensum: quod videlicet – cum iuxta excellentissimum Dionisium tres sint angelice ierarchie, prima, quae seraphin, cherubin et thronos, media, que potestates, dominationes et virtutes, ultima, que principatus, archangelos et angelos continet –, ita hee sunt summe artis ordinatione disposite, ut prima ierarchia tanquam ea, que sine medio divinis optutibus heret, qualiter inferiora hec amministranda sunt, ab ipso fonte lucis principaliter hauriat, a qua postea media et a media ultima, que sint facienda condiscant. Unde et prima ierarchia purgare, illuminare, perficere, ultima purgari, illuminari, perfici dicitur ; media vero utraque decorari habitudine predicatur. 425 Vgl. Cattin/Faure, Les anges et leur image S. 33.

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dargestellten Folge der Engel nun absteigend bzw. von Gott ferner werdend): An den Seraphim zeigt sich Gottes Liebe zu den Geschöpfen,426 an den Cherubim die Fülle seines Wissens, während er allein keine Unwissenheit kennt,427 an den Thronen seine Richtertätigkeit, die keinerlei Unschuld beargwöhnt und nicht hintergangen werden kann, weil er alles liebt, wie er es sieht;428 an den Herrschaften erkennt man die Majestät Gottes, auf dessen Befehl die Herrschaft besteht und zugleich räumlich wie zeitlich begrenzt wird;429 an den Fürstentümern erkennt man den Ursprung von allem, weil alles von ihm stammt und von ihm gelenkt wird;430 an den Mächten erkennt man, wie dieser Fürst mit seiner Gewalt alles schützt, was er lenkt, und wie er widerstrebende Kräfte abwehrt und vertreibt;431 an den Tugenden läßt sich erkennen, daß überall ein und dieselbe, gleiche Tugend herrscht, durch die alles belebend, wirksam, unsichtbar und unbeweglich, alles Bewegliche aber nützlich und alles Festgehaltene stark bleibt; die Menschen aber nennen alles weniger Gewöhnliche Wunder oder Vorzeichen.432 An den Engeln und Erzengeln schließlich lassen sich Wahrheit und Erfahrung seiner Stimme erkennen und bewundern; er vergnügt uns unaufhörlich durch ihre Besuche, belehrt uns durch Offenbarungen, ermahnt durch Eingebungen, tröstet durch Emsigkeit.433 Bei Bernhard werden die Engelchöre so zum Spiegelbild der im ersten Teilband beschriebenen Natur und Wirkweisen Gottes, von der Schöpfung bis zu den Offenbarungen auf Erden. So wirkt Gott in den Engeln, und so läßt er sie wirken, aber doch anders als Gott selbst: Wenn die Seraphim brennen, dann durch Gottes Feuer oder vielmehr durch Gott als Feuer ; wenn sie lieben, dann doch nicht so wie Gott selbst. Wenn die Cherubim leuchten und durch Wissen hervorstechen, dann aus Teilhabe an der Wahrheit, doch nicht in derselben Art 426 Bernhard von Clairvaux, De consideratione ad Eugenium papam 5,4,10, S. 474: Cernere est in his, qui Seraphim appellantur, quomodo amet, qui, unde amet, non habet. 427 Ebd.: Cernere est in Cherubim, qui plenitudo scientiae dicuntur, Deum scientiarum dominum esse, qui solus solam nesciat ignorantiam. 428 Ebd.: Cernere est in Thronis, quam non suspectus omni innocentiae iudex sedeat in his, qui circumvenire nolit, circumveniri non possit, quippe sic amans et sic videns. 429 Ebd. S. 475: Cernere est in Dominationibus, quantae sit Domini maiestatis, cuius nutu imperium constat et imperio universitas atque aeternitas termini sunt. 430 Ebd.: Cernere est in Principatibus principium, ex quo omnia, et quomodo a cardine ostium, sic ab ipso regi universitatem. 431 Ebd.: Cernere est in Potestatibus, quam potestative idem princeps quos regit protegit, contrarias potestates arcens et propulsans. 432 Ebd.: Cernere est in Virtutibus unam ubique aequaliter praesto esse virtutem, per quam omnia vivificam, efficacem, invisibilem immobilemque, omnia tamen moventem utiliter, tenentem fortiter, quae, cum in minus usitata effecta apud mortales eruperit, miracula sive prodigia vocant. 433 Ebd.: Cernere postremo et mirari est in Angelis et Archangelis veritatem atque experientiam vocis illius […], qui talium nos et tantorum non desinit iucundare visitationibus, instruere revelationibus, suggestionibus commonere, sedulitate solatiari.

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und demselben Ausmaß wie die Wahrheit selbst. Wenn die Throne sitzen, dann geschieht das durch die Wohltat dessen, der auf ihnen sitzt; wenn sie in aller Ruhe richten, dann doch nicht nach Maß und Art dessen, der den jedes Verständnis übersteigenden Frieden befriedet. Wenn die Herrschaften herrschen, dann doch unter der Herrschaft des Herrn schlechthin, dem sie zugleich dienen. Wenn die Fürstentümer anderen vorstehen und sie lenken, so werden sie doch selbst von ihm in einer Weise gelenkt, daß sie gar nicht zu lenken wüßten, wenn sie nicht selbst entsprechend gelenkt würden. In den Mächten ragt die Stärke hervor, doch sie verdanken es ihm, daß sie stark sind, der noch auf ganz andere Weise stark, ja die Stärke selbst ist. Die Tugenden sind von ihrem Amt her vollauf damit beschäftigt, die starren Herzen der Menschen durch Wunder aufzurütteln, und sie bewirken solche Wunder durch ihre Tugend bzw. die Tugend selbst bewirkt sie, und doch ist das nichts im Vergleich zu ihm. Engel und Erzengel stehen uns bei, aber Gott steht uns leibhaftig näher ; er steht nicht bei uns, er ist in uns.434 Ganz offensichtlich kommt es Bernhard bei aller Erhabenheit der Engelchöre darauf an, die Unvergleichlichkeit Gottes herauszustellen. Auf diese Weise wird Gott noch einmal ins Unendliche von den ihm in so vielem ähnlichen Engeln abgehoben, deren Rolle Bernhard damit nicht mindern will, aber doch relativiert, indem er noch einmal an die Geschöpflichkeit der Engel (wie auch der Menschen) erinnert, die nur eine teilweise Partizipation an der Einzigkeit des Schöpfers erlaubt. Dennoch überragen die Engel, wie der Text ebenfalls erkennen läßt, die (irdischen) Menschen bei weitem an solcher Teilhabe und an ihren Fähigkeiten. Dabei will Bernhard nicht abstreiten, daß in jedem Menschen auch ein Engel sein könnte. Der Engel aber legt uns das Gute nahe, er bewirkt es nicht selbst und hat es nicht selbst geschaffen. Nur Gott ist so in uns, daß er es bewirkt und wirken läßt. Der Engel ist bei, Gott ist in der Seele; er ist ihr Leben.435 434 Ebd. 5,5,11, S. 475f.: Haec operatur in illis, haec dedit operari et illis, sed aliter. Ardent Seraphim, sed igne Dei vel potius igne Deo. Quod praecipuum est in eis, amant, sed non quantum Deus nec quomodo. Lucent Cherubim et scientia eminent, sed participio veritatis, ac per hoc non ut veritas nec quantum. Sedent Throni, sed insidentis beneficio. Iudicant et ipsi cum tranquillitate, sed non ad mensuram modumve pacis pacentis, pacis quae exsuperat omnem sensum. Dominantur Dominationes, sed sub Domino dominantur, sed serviunt pariter. Quid hoc ad summum sempiternum, singulare dominium? Praesunt Principatus et regunt, sed reguntur et ipsi, ita ut regere iam non norint, si regi desierint. Praecellit in Potestatibus fortitudo, sed cui debent, quod fortes sunt, et aliter est fortis, et plus, nec tam fortis, quam ipsa fortitudo est. Virtutes pro suo ministerio satagunt excitare corda torpentia hominum exhibitione signorum; virtus vero in eis manens, ipsa facit opera. Faciunt et illae, sed in comparatione eius non faciunt. […] Adsunt Angeli et Archangeli, sed ille germanior nobis, qui non modo adest, sed inest. 435 Ebd. 5,5,12, S. 476: Quod si dicas posse inesse et angelum, non inficior. Memini scriptum: ›Et Angelus qui loquebatur in me‹ (Zach 1,14). Atqui differentia est in hoc. Inest Angelus suggerens bona, non ingerens; inest hortans ad bonum, non bonum creans. Deus sic inest, ut

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Hildegard von Bingen sieht in einer ihrer Visionen zwei Chöre himmlischer Geister von leuchtender Klarheit (oder Helligkeit):436 Im ersten »Chor« – Hildegard selbst spricht durchweg von »Schlachtreihen« (acies) – haben sie Flügel an der Brust und menschliche Gesichter als Spiegel von Menschen; im zweiten haben sie ebenfalls Flügel an der Brust und menschliche Gesichter, in denen sich aber das Bild des Menschensohnes spiegelt. Diese beiden Chöre umgeben fünf weitere, die zwar ebenfalls noch menschliche Gesichter haben, aber immer leuchtender und glanzvoller werden. Schon vom zweiten (dieser fünf Chöre) an vermag die Visionärin sie in ihrem Glanz gar nicht mehr anzuschauen. Der dritte glänzt wie Marmor und über den Köpfen sind leuchtende Fackeln; von der Schulter abwärts umgibt sie eine eisenfarbene Wolke. Im vierten Chor haben sie menschenartige Köpfe und Füße, tragen aber Helme und marmorartige Gewänder. Im fünften Chor haben sie schließlich keine Menschengestalt mehr, sondern leuchten wie die Morgenröte. Diese fünf Chöre aber umgeben ihrerseits wie ein Kranz zwei weitere. In einem sind sie voller Augen und Flügel; in den Augen sind Spiegel und darin spiegelt sich ein menschliches Gesicht, während die Flügel sich in die höchsten Höhen erheben. Im anderem leuchten sie wie Feuer und haben ganz viele Flügel, in denen sich die Stände der kirchlichen Hierarchie spiegeln. Mehr ist nicht zu erkennen. Die licht- und glanzvolle, sich zunehmend in unerkennbare Gestaltlosigkeit verflüchtigende Natur der Engel wird hier anschaulich überhöht, die ›Dreiheit‹ (dreimal drei Stände) des PseudoDionysios gemäß den Funktionen der Engel zu einer von jeweils zwei oberen und unteren Ständen umschlossenen Fünfergruppe aufgegeben.437 Alle aber lassen mit wunderbaren Stimmen die Wunder ertönen, die Gott in den seligen Seelen bewirkt, um dadurch Gott herrlich zu rühmen.438 afficiat, ut infundat. […] Angelus ergo cum anima, Deus in anima: Ille ut contubernalis animae inest, Deus ut vita. 436 Hildegard von Bingen, Scivias 1,6, CCM 43, S. 100–108. Zu Engeln bei Hildegard vgl. Schipperges, Welt der Engel. Stapert, L’ange roman S. 211–216, und Santi, Ildegarde di Bingen, zu Scivias 1,6, ebd. S. 337ff. 437 Zu Hildegards Vorstellungen von den Engelordines in der Engelvision von ›Scivias‹ vgl. Schipperges, Welt der Engel S. 54–64, der (S. 62f.) betont, daß Hildegard von dem dionysischen Schema der Triaden zugunsten einer Gliederung 2–5–2 abweicht und den Gruppen jeweils einen eigenen Symbolgehalt zuweist: Der äußere Doppelkranz verweist auf die geheimnisvolle Ordnung von Leib und Seele, der Fünferkreis in der Mitte symbolisiert die fünf Sinne, der innere Doppelkranz das Mysterium der Gottes- und der Nächstenliebe. Dieses 2–5–2-»System« ist implizit bereits bei Isidor angedeutet. Vgl. oben Anm. 397. Santi, Ildegardi di Bingen S. 333ff., hebt hervor, daß Hildegard eher Gregor als PseudoDionysios folgt. 438 Hildegard von Bingen, Scivias 1,6, prol., CCM 43, S. 100f.: DEINDE VIDI in altitudine caelestium secretorum duas acies supernorum spirituum multa claritate fulgentes, ita ut qui in una acie erant uelut pennas in pectoribus suis habebant et facies ut facies hominum in se praetendebant, in quibus et uultus hominum quasi in pura aqua apparebant; et qui in acie alia fuerunt etiam in pectoribus suis quasi pennas habuerunt et facies ut facies hominum in

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Indem diese Vision im Folgenden detailliert, dabei aber auch eigenwillig ausgedeutet wird, beschreibt Hildegard die Funktionen dieser Engelchöre, indem sie Gestalt und Funktion aufeinander bezieht. Die bei Isidor aus der Funktion erklärten Namen werden bei Hildegard wiederum zur Beschreibung der Funktionen benutzt. Dabei ordnet Hildegard die Chöre in die Schöpfung Gottes ein, der alle Geschöpfe geschaffen und teils für die Erde, teils für den Himmel bestimmt hat. Diese himmlischen Engel aber hat er sowohl für das Heil der Menschen als auch zur Ehre seines Namens eingeplant, indem jeweils einige einer dieser Funktionen nachgehen, die ihrerseits wiederum Körper und Seele des Menschen symbolisieren und somit einen Bezug vom Schöpfer zu den Geschöpfen und einen durch die Engel vermittelten Bezug zum Menschen herstellen. Am Ende werden die Seelen der Menschen mit den himmlischen Bürgern die ewige Seligkeit genießen.439 Die Engel aber breiten den Wunsch nach tiefer Einsicht wie Flügel aus, nicht wie die Flügel von Vögeln, sondern von rasch dahinfliegenden Wünschen und Gedanken. In ihren von der Schönheit der Rationalität gezeichneten Gesichtern aber spiegeln sich die Werke der Menschen.440 Die Erzengel achten in ihrem se ostenderunt, in quibus etiam imago Filii hominis uelut in speculo fulgebat. Sed nec in his nec in illis aliam formam discernere potui. Hae autem acies alias quinque acies secundum modum coronae circumcinxerant. Et qui in acie una istarum fuerunt quasi facies hominum habebant, ab umero et deorsum magno splendore fulgentes; qui uero in alia erant, tantae claritatis exstiterunt, quod eos intueri non poteram; et qui in alia ut album marmor apparuerunt et capita ut capita hominum habuerunt, super quae ardentes faculae uisae sunt, et ab umero et deorsum uelut ferrea nube circumdati fuerunt; et qui in alia facies ut facies hominum et pedes ut pedes hominum habentes, in capitibus suis galeas gestabant, marmoreis tunicis induti; et qui in alia erant, nullam formam hominum in se ostendentes, uelut aurora rubebant. Nullam autem aliam formam in eis conspiciebam. Sed et acies istae alias duas etiam in modum coronae circumdederant. Qui autem in una acie illarum erant, oculis et pennis pleni uidebantur, et in quoque oculo speculum et in ipso speculo facies hominis apparuit et pennas suas ad supernam altitudinem eleuarant; et qui in alia fuerunt quasi ignis ardebant, plurimasque pennas habentes in eisdem pennis quasi in speculo omnes ordines ecclesiasticae institutionis insignitos demonstrabant. Sed aliam formam nec in his nec in illis uidi. Et hae acies omnes in omni genere musicorum mirabilibus uocibus miracula illa resonabant, quae Deus in beatis animabus operatur, per quae Deum magnifice glorificabant. 439 Ebd. 1,6,1, S. 101f.: Omnipotens et ineffabilis Deus, qui ante saecula fuit, sed initium non habuit nec post finem saeculorum esse desinet, omnem creaturam mirabili modo sua uoluntate condidit eamque mirabili modo sua uoluntate disposuit. Quomodo? Quasdam creaturas terrenis adhaerere, quasdam uero caelestibus inesse deputauit. Ipse quoque beatos angelicos spiritus tam ad salutem hominum quam ad honorem nominis sui disposuit. Quomodo? Nam quosdam ita constituit, ut necessitatibus hominum subueniant, quosdam uero, ut iudicia secretorum suorum per eos hominibus manifestentur. […] haec duo agmina corpus et animam hominis Deo famulari debere designant, ubi ipsa cum supernis ciuibus claritatem aeternae beatitudinis habent. 440 Ebd. 1,6,2, S. 102: Et qui in una acie sunt, uelut pennas in pectoribus suis habent et facies ut facies hominum in se praetendunt, in quibus et uultus hominum quasi in pura aqua ap-

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Wunsch nach Einsicht Gottes Willen und zeigen an sich selbst die Schönheit der Vernunft.441 Die Tugenden steigen in den Herzen der Gläubigen auf und errichten in ihnen in glühender Liebe aus ihren Werken einen hohen Turm.442 So kämpfen die Erwählten mit (ihren) Tugenden gegen die teuflischen Nachstellungen443 (und auch Hildegard verknüpft den Engelchor hier begrifflich mit den menschlichen Tugenden). Die Mächte glänzen bereits in solcher Herrlichkeit, daß man sie kaum anzuschauen vermag, und zeigen damit, daß keine Schwäche der Sterblichkeit der Sünder je die Heiterkeit und Schönheit der Macht Gottes erfassen kann.444 Die Fürstentümer versinnbildlichen, daß die durch Gottes Gabe bestellten weltlichen Fürsten sich die echte Stärke der Gerechtigkeit aneignen sollen, um nicht in Unbeständigkeit zu fallen.445 Die Herrschaften zeigen an, daß Gott, der Herr aller, die im menschlichen Staub verunreinigte Vernunft der Menschen von der Erde in den Himmel erhebt.446 Die Throne verdeutlichen, daß die Gottheit sich in dem vom Heiligen Geist gezeugten und von der Jungfrau geborenen Christus zuneigt, der ohne jede menschliche Sünde ist und zum Heil der Menschen einen menschlichen Körper annahm, jedoch ohne jeden Makel Fleisch wurde.447 Die Form der Engel aber ist, wie Hildegard immer wieder betont, die gleiche (undeutliche), weil die Engel die Mysterien der überirdischen

441 442 443 444

445 446 447

parent: quoniam isti angeli sunt desideria profunditatis intellectus sui quasi pennas expandentes, non quod pennas ut aues habeant, sed quod uoluntatem Dei in desideriis suis uelociter perficiant, uelut homo in cogitationibus suis celeriter uolat, ita quod et per facies suas pulchritudinem rationalitatis in se manifestant, ubi etiam Deus opera hominum perspicue perscrutatur ; quia ut seruus uerba domini sui audiens ea secundum uoluntatem illius perficit, ita et ipsi uoluntatem Dei in hominibus attendunt et actus eorum illi in semetipsis ostendunt. Ebd. 1,6,3, S. 103: qui archangeli sunt, etiam in desideriis intellectus sui uoluntatem Dei attendentes et decorem rationalitatis in se manifestantes, incarnatum Verbum Dei purissime magnificant. Ebd. 1,6,4, S. 103: qui uirtutes sunt, in corda credentium ascendentes et in ardente caritate excelsam turrim in eis aedificantes, quae opera ipsorum sunt. Ebd.: fortiter aduersus diabolicas insidias pugnant. Ebd. 1,6,5, S. 104: Qui autem in alia acie sunt tantae claritatis exsistunt, quod eos intueri non potes; qui potestates sunt, designantes quoniam serenitatem et pulchritudinem potestatis Dei nulla imbecillitas mortalitatis peccatorum apprehendere poterit nec se ipsi similem facere, quia potestas Dei indeficiens est. Ebd. 1,6,6, S. 104f.: qui principatus sunt, praefigurantes, quod hi, qui ex dono Dei in saeculo principes hominum exsistunt, sinceram fortitudinem iustitiae induant, ne in diuersitatem instabilitatis incidant. Ebd. 1,6,7, S. 105: qui dominationes sunt, ostendentes quia ille, qui dominus omnium est, rationalitatem hominum, quae in humano puluere polluta iacuerat, a terris ad caelos subleuauit. Ebd. 1,6,8, S. 105: qui throni sunt, demonstrantes, quod diuinitas ad humanitatem se inclinauit cum Vnigenitus Dei humanum corpus pro salute hominum induit, qui nulla contagia humanorum peccatorum in se habuit, quoniam ipse de Spiritu sancto conceptus, in aurora, uidelicet in beata Virgine, carnem absque omni macula totius sordis accepit.

8. Unterschiede in Rang und Funktion: die neun »Engelchöre«

113

Geheimnisse symbolisieren.448 Die Cherubim zeichnen sich durch Gotteskenntnis aus, die sie die Mysterien der himmlischen Geheimnisse erkennen läßt und ihnen »den reinsten Durchblick« (oder auch: die reinste Klarheit) verleiht; sie tragen uns daher seine wahren Herzensabsichten zu;449 die Seraphim symbolisieren die Gottesliebe; sie haben den größten Wunsch nach Gottesschau und versinnbildlichen damit geistliche und weltliche Würden in den kirchlichen Mysterien.450 Die Undeutlichkeit, sie klar zu erkennen, symbolisiert zugleich die dem Menschen verborgenen Geheimnisse der Geistwesen, denn der sterbliche Mensch kann das Ewige nicht vollkommen erkennen.451 Hinter aller Bildlichkeit der Darstellung Hildegards zeigen sich doch bezeichnende Vorstellungen von der Unterschiedlichkeit, Eigenheit und Aufgabe der Engelstände wie auch deren Bezüge zur irdischen Gesellschaft. Alle diese Elemente werden hier miteinander verwoben. Dennoch entsteht aus dieser Unterschiedlichkeit kein Neid der Engel untereinander, etwa der Erzengel und Engel, wie auch die Seelen der Gerechten nicht neidisch auf das Amt der Engel sind, zeigen die Erzengel in ihrer größeren Notwendigkeit doch einfach Größeres auf, während die Engel in ihrer häufigen Wandlung Kleineres verkünden; »das treue [zugleich: gläubige] Volk aber gehorcht demütig«.452 Selbst den himmlischen Staat stellt man sich im Mittelalter also hierarchisch gestuft und nach Funktionen differenziert vor. Von Gleichheit kann gar keine Rede sein.453 Das wird auch in Bildern dargestellt.454 In einer bekannten Abbil448 Vgl. etwa ebd.: Sed nullam aliam formam in eis conspicis; quia plurima mysteria supernorum secretorum sunt. 449 Ebd. 1,6,9, S. 106: qui cherubin sunt, scientiam Dei significantes, in qua ipsi mysteria supernorum secretorum uicentes desideria sua secundum uoluntatem Dei exspirant, ita quod ipsi in profunditate scientiae suae purissimam perspicuitatem habentes in ipsa illos mirabiliter praeuident, qui uerum Deum cognoscentes intentionem desideriorum cordis sui ad ipsum, qui super omnes est, uelut pennas bonae et iustae subleuationis dirigunt. 450 Ebd. 1,6,10, S. 106f.: qui seraphin sunt, significantes, ut sicut ipsi in amore Dei ardent et ut maxima desideria uisionis eius habent, ita quod etiam in eisdem desideriis suis cum multa puritate tam saeculares quam spiritales dignitates, quae in ecclesiasticis mysteriis uigent, ostendunt, quia secreta Dei in ipsis mirabiliter apparent. 451 Ebd. S. 107: Quod uero aliam formam nec in his nec in illis uides, hoc est, quod multa secreta in beatis spiritibus sunt, quae homini manifestanda non sunt, quoniam quamdiu ipse mortalis exsistit, ea, quae aeterna sunt, perfecte discernere non poterit. 452 Ebd. 2,5,36, S. 206: Animae enim iustorum officio angelorum non inuident nec angeli gloriam archangelorum dedignantur. Quid est hoc? Archangeli in maiori necessitate maiora demonstrant, angeli uero in frequenti uicissitudine minora denuntiant, fidelis autem populus humiliter obtemperat. 453 Vgl. Jacques Le Goff, La civilisation de l’Occident m8di8val (Collection Les grandes civilisations 3), Paris 1964, S. 210 (dt. Kultur des europäischen Mittelalters, München-Zürich 1970): »D’ailleurs la soci8t8 c8leste des anges n’est que l’image de la soci8t8 terrestre, ou plutit, comme le croient les hommes au Moyen ffge, celle-ci n’est que l’image de celle-l/.« 454 Beispiele dafür (und für die bildliche Darstellung der einzelnen Engelstände) bietet Barral Rivadulla, ]ngeles y demonios S. 213ff.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

dung in Hildegard von Bingens ›Scivias‹ (Abb. IV/20, S. 172)455 ist die beschriebene Vision bildlich umgesetzt. Die ganze himmlische Hierarchie ist, vor einem rechteckigen Rahmen, den sie unsymmetrisch überschreitet, in neun konzentrischen Kreisen dargestellt, die in sich wieder farblich klar in drei Gruppen unterteilt sind: die neun Engelhierarchien, die von der Bildmitte her vom göttlichen Licht, je nach Entfernung unterschiedlich stark, erleuchtet werden. In den beiden äußeren Kreisen (der Engel und Erzengel) noch klar als geflügelte Wesen mit jugendlichem Haarschnitt erkennbar, verlieren sie nach innen hin gewissermaßen – als Geistwesen – zunehmend ihre feste Gestalt; die beiden inneren Kreise lassen Gesichter nur mehr als schemenhafte, feuerrote Gebilde, im innersten Kreis in tiefstem Rot, erkennen. Die dicht gedrängten Engelgestalten mögen gleichzeitig auf die große Zahl der Engel hindeuten; besonders im dritten Kreis von außen stehen sie dicht neben- und voreinander. Die beiden inneren Kreise (Cherubim und Seraphim) sind zudem noch einmal durch einen zitadellenartig geschützten Zwischenraum deutlich von den anderen abgetrennt. Alle diese Kreise aber umgeben in der Mitte einen ganz formlosen, sonnenartig hellweißen Kreis: Gott. In einer Handschrift aus dem 11. Jahrhundert des Werkes ›De laudibus sanctae crucis‹ mit Figurengedichten des Hrabanus Maurus findet sich eine Darstellung der Seraphim und Cherubim (Abb. IV/21, S. 173).456 Die Seraphim (oben) sind hier mit angelegten Armen bzw. armlosen Händen gemäß der Vision des Propheten Jesaja mit sechs Flügeln dargestellt: zwei bedecken den Leib, zwei kreuzen sich über dem Haupt, zwei an den Seiten erlauben das Fliegen. Der Text in den Schemen der Engel aber lautet: »Die himmlischen Seraphim zeigen die Zeichen des Kreuzes Christi, durch die Flügel und Stellung erweisen sie, daß alles geheiligt ist« (links)457 sowie »Mit ihrem Lobgesang feiern und preisen sie den Höchsten und rufen dreimal die Herrschaft Zebaots aus« (rechts).458 Die Cherubim (dem niedrigeren Rang gemäß unten dargestellt) haben zur Unterscheidung nur zwei (auf anderen Darstellungen hingegen ebenfalls sechs) Flügel, aber ausgestreckte Arme. Hier lauten die Texte: »Diese heiligen Standarten (Altar und Lade) zeigen fortan den Triumph der Cherubim an; mit ihren ausgebreiteten Flügeln weisen sie 455 Hildegard von Bingen, Scivias 1,6. Original: Wiesbaden, Landesbibliothek, Rupertsberger Kodex (heute verloren). Handkopie der Abtei St. Hildegard, Rüdesheim-Eibingen, Tafel 9. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Abtei St. Hildegard. 456 Hrabanus Maurus, De laudibus sanctae crucis. 11. Jahrhundert. Orl8ans, BibliothHque Municipale Ms. 145, fol. 13. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der BibliothHque Municipale Orl8ans. Zum Text des Gesamtgedichts vgl. Hrabanus Maurus, In honorem sanctae crucis, S. 51. 457 Signa crucis Christi ast Seraphim caelestia monstrat; pennam atque situ hac cuncta sacrata probant. 458 Nam haec sociae exsultant celebrando hac laude supernum conclamantque tribus sceptra Sabaoth vicibus.

8. Unterschiede in Rang und Funktion: die neun »Engelchöre«

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voraus auf die ausgestreckten Arme [Christi]« (links)459 sowie »Die an der Seite der Bundeslade stehen und ihren Deckel verbergen, zeigen durch ihre Stellung die Vollendung der Sühne« (rechts).460 Poirel betrachtet die einer hierarchischen geordneten Kirche entsprechende Engelhierarchie als Kennzeichen der Gotik.461 Die Grundlagen wurden allerdings schon weit früher gelegt. Ist die Vorstellung von neun Engelordines vollkommen gängig, so fehlt in ihrer genauen Reihenfolge hingegen jede Einheitlichkeit. Selbst bei ein und demselben Autor finden sich unterschiedliche Versionen. Gregor der Große etwa kennt zwei,462 Isidor von Sevilla sogar drei verschiedene Varianten, ohne darin einen Widerspruch zu entdecken, so daß die übliche Unterscheidung eines dionysischen und eines gregorianischen »Systems« zu kurz greift.463 Auch andere Autoren (wie Hrabanus Maurus, Bernhard von Clairvaux, Hugo von St. Viktor oder Petrus Lombardus) vermitteln in verschiedenen Schriften zwei oder sogar drei unterschiedliche Reihenfolgen. Heiric von Auxerre faßt gar die sieben unteren Ordines unter dem Begriff der »Engeltugenden« zusammen.464 Nur die beiden obersten (Seraphim und Cherubim) und die beiden untersten Ränge (Erzengel und Engel) bleiben durchweg konstant, während es bei allen anderen teils leichte, teils aber auch erhebliche Verschiebungen in der Reihenfolge geben kann, so daß insgesamt mindestens zwölf verschiedene Listen bzw. Rangfolgen begegnen (vgl. Tabelle 1, S. 116): So stehen die Throne manchmal an dritter, teils aber auch erst an sechster und meistens sogar an siebenter Position (allerdings nie dazwischen), die Herrschaften in der Regel 459 Hinc signant Cherubin haec labbara sancta triumphum distensisque alis brachia tensa notant. 460 Quae latere assistunt arcae et sacra opercula condunt factaque propitia officio ipsa probant. 461 Poirel, L’ange gothique S. 142: »l’ange gothique est le modHle d’une Pglise ordonn8e, hi8rarchis8e et qui pour cette raison fait leur place mÞme aux la"cs, d’une Pglise qui investit le monde au lieu de le fuir puisqu’elle a mission de le christianiser, enfin d’une Pglise confiante en elle-mÞme car elle sait que par le sacerdoce et dans l’acte liturgique le pouvoir lui a 8t8 donn8, non pas de s’8vader de la terre vers le ciel, mais de faire descendre le ciel sur la terre.« 462 Auf wieder andere Stellen (und Reihenfolgen) bei Gregor dem Großen beruft sich Poirel, ebd. S. 142: In den ›Homiliae in Evangelia‹ kennt Gregor die Folge Seraphim, Cherubim, Throni, Dominationes, Principes, Potestates, Virtutes, Archangeli, Angeli, in ›Moralia in Iob‹ hingegen: Seraphim, Cherubim, Potestates, Principatus, Virtutes, Dominationes, Throni, Archangeli, Angeli. 463 Die beiden Systeme und ihr Nachwirken im Mittelalter verfolgt detailliert: Eckart Conrad Lutz, In niun schar insunder geordent gar. Gregorianische Angelologie, Dionysius-Rezeption und volkssprachliche Dichtungen des Mittelalters, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 102, 1983, S. 335–376; zu den beiden Versionen Gregors ebd. S. 341ff. 464 Heiric von Auxerre, Homiliae per circulum anni. Homilia 2, S. 19f.: Virtutes caelorum angelos, arcangelos, thronos, dominationes, principatus et potestates, cherubin et seraphin et omnium caelestium uirtutum agmina nuncupat. Das geht auf Gregor den Großen, Homiliae in evangelia 1, hom, 1,2, S. 7, zurück: Quid enim Dominus virtutes coelorum nisi angelos, archangelos, thronos, dominationes, principatus et potestates appellat.

116

Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

auf dem vierten oder sechsten, aber auch auf dem fünften oder siebten Rang, die Fürstentümer auf dem dritten, vierten, fünften oder sechsten Platz, die Mächte ebenso wie die Tugenden an dritter, vierter, fünfter, sechster oder siebter Stelle. Zwischen Rang drei und Rang sieben herrscht folglich eine fast beliebige Reihenfolge. Da diese Unterschiede den Autoren kaum entgangen sein können, aber, soweit ich sehe, nirgends diskutiert werden, stellen solche Abweichungen offenbar kein Problem dar. Tabelle 1: Reihenfolge der neun Engelordines1 Engelchor :

System/Reihenfolge: Dio- Greg.I/ Greg. nys.2 I/Isid.3 II4 Engel 1 1 1 Erzengel 2 2 2 Fürstentümer 3 5 6 Mächte 4 4 7 Tugenden 5 3 5 Herrschaften 6 6 4 Throne 7 7 3 Cherubim 8 8 8 Seraphim 9 9 9

1 2

3

4

Joh. Er.5 1 2 3 5 6 4 7 8 9

Hrb. M.6 1 2 4 5 3 7 6 8 9

Rup. v.D.7 1 2 5 6 7 4 3 8 9

Rich. v.SV8 1 2 4 3 5 6 7 8 9

Bern. Cl.9 1 2 5 6 3 4 7 8 9

Coll. ex.10 1 2 4 5 3 6 7 8 9

Iud. Dei11 1 2 3 4 7 6 5 8 9

Hrab. M.12 1 2 3 7 4 6 5 8 9

Rufinus13 1 2 3 6 4 5 7 8 9

Die Belege werden im Folgenden in normaler Schrift wiedergegeben, wenn die Engelstände nur aufgezählt werden, und fett gedruckt, wenn sie explizit erläutert werden. Ps.-Dionysius Areopagita, Peri tes ouranias hierarchias (in der lateinischen Übersetzung des Johannes Scotus Eriugena, Expositiones in Ierarchiam coelestem 6,2, S. 89f.; Otloh von St. Emmeram, Dialogus de tribus quaestionibus 40, Migne PL 146, Sp. 116 C; Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,5,30, ed. Migne Sp. 260 C; ed. Berndt S. 131; Otto von Freising, Chronica 8,30, S. 441; Herveus von D8ols (Bourg-Dieu), Commentarii in epistolas divi Pauli. In epistolam II ad Corinthios 12, Sp. 1113 BC; Petrus Lombardus, Sententiae lib. 2, dist. 9, c. 1, S. 370. Gregor der Große, Homiliae in evangelia 2, hom. 34,7, S. 305; Taio von Zaragossa, Sententiae 1,13, Sp. 744 D; Bruno der Kartäuser, Expositio in Epistolas Pauli. Epistola ad Corinthios II, c. 12, Sp. 273 C (schreibt diese Reihenfolge Dionysius zu); Sedulius Scottus, Collectaneum in apostolum. Bd. 2: In epistolam ad Ephesios 1,21, S. 563; Hrabanus Maurus, In honorem sanctae crucis 1,3, S. 47; Hildebert von Le Mans, Tractatus theologicus 32, Sp. 1112 D; Rupert von Deutz, De glorificatione trinitatis et processione spiritus sancti 3,17, Migne PL 169, Sp. 68 CD; Honorius Augustodunensis, Liber XII quaestionum 2, Sp. 1179 BC; Ders., Speculum ecclesiae. De sancto Michaele, Sp. 1007 C; Hugo von St,. Viktor, Quaestiones et decisiones in epistolas Pauli. In epistolam ad Ephesios, quaestio 8, Migne PL 175, Sp. 570 A; Ders., In Ierarchiam caelestem 5,5, Sp. 1025 A; Hildegard von Bingen, Scivias 1,6, S. 100f.; Petrus Abaelardus, Sic et non 49, sent. 2, S. 223; Bernhard von Clairvaux, De consideratione 5,7, Opera Bd. 3, S. 472; Robertus Pullus, Sententiae 6,35, Migne PL 186, Sp. 885 B; Petrus Lombardus, Sententiae 2, dist. 9, c. 2, S. 371; Garner von St. Viktor, Gregorianum 1,2, Migne PL 193, Sp. 23 BC. Gregor der Große, Moralia in Iob 32,23,48, CCL 143B, S. 1666; Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,4, Bd. 1, S. 274; Beatus von Li8bana, Commentarius in Apocalypsin 2 prol. 1,16, ed. Henry A. Sanders (Papers and Monographs of the American Academy in Rome 7), 1930, S. 105; Hrabanus Maurus, Commentaria in Ezechielem 11, Sp. 788; Ders., De rerum naturis

8. Unterschiede in Rang und Funktion: die neun »Engelchöre«

5 6 7

8 9 10

11 12 13

117

1,5, Sp. 28 AB, und ebd. 18,3, Sp. 491 D; Prudentius von Troyes, De praedestinatione contra Ioannem Scotum 8, Migne PL 115, Sp. 1113 C: Haymo von Auxerre, Homiliae de tempore. Homilia 114, Sp. 613 BC; Burchard von Worms, Decretum 20,54, Sp. 1034 D; Gratian, Decretum, pars 2, causa 33, quaest. 3, dist. 2, c. 45, S. 1210. Johannes Scotus Eriugena, Periphyseon 5, CCM 165, S. 213; Ders., Expositiones in hierarchiam caelestem 10, S. 155. Hrabanus Maurus, Liber de sacris ordinibus 19 (De ordine missae), Sp. 1181 BC; Expositio super missam, Migne PL 138, Sp. 1165 B. Ælfric, Sermones catholici. Dominica III post Pentecosten, ed. Benjamin Thorpe, Bd. 1, London 1844, S. 10; Petrus Damiani, Preces (Opera liturgica) 6: Orationes ad trinitatem, Migne PL 145, Sp. 925 A; Rupert von Deutz, De glorificatione trinitatis et processione sancti spiritus 3,3, Migne PL 169, Sp. 55 A; ebd. 3,17, Sp. 69 A; Ders., Liber de divinis officiis 9, S. 319; Ders., De sancta trinitate et operibus eius 2. In Genesim 2, CCM 21, S. 200; Ders., De victoria verbi Dei 1,3, S. 7; ebd. 1,27, S. 40; ebd. 9,9, S. 285; Gottfried von Vendime, Sermo 6, Sp. 259 B. Richard von St. Viktor, Mysticae adnotationes in psalmos. Adnotatio in ps. 113, Migne PL 196, Sp. 340 D. Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica canticorum. Sermo 27,5,1, Opera Bd. 1, S. 184. Johannes von Clairvaux, Collectaneum exemplorum et uisionum Claraeuallense e codice Trecensi 946, pars 1,9, ed. O. Legendre, CCM 208, Turnhout 2005, S. 128 (12. Jh.); Petrus Lombardus, Collectanea in omnes Pauli apostoli epistolas. In epistolam II ad Corinthios 12,1, Migne PL 192, Sp. 82 D. Iudicium aquae frigidae (h), MGH Form. S. 648. Hrabanus Maurus, Carmina 39,14 (De fide catholica rhythmo carmen compositum), MGH Poetae 2, S. 198. Rufinus, De bono pacis 1,9, S. 78.

Betrachtet man allerdings die Häufigkeit jedes Systems, dann schmilzt diese Vielfalt wieder zusammen: In den hier berücksichtigen (keineswegs vollständigen) Beispielen (Tabelle 1) überwiegt bei weitem das »System« Gregors und Isidors mit den Tugenden an dritter und den Thronen an fünfter Stelle (18mal) – Hugo von St. Viktor übernimmt es sogar in seinem Dionysioskommentar! – vor der Rangfolge Aelfrics, Petrus’ Damiani und Ruperts von Deutz mit den Thronen an dritter und den Tugenden an siebter Stelle (9mal, davon allerdings sechsmal allein bei Rupert), der zweiten Version Gregors und anderer Autoren mit den Thronen an dritter und den Mächten an siebter Stelle (8mal) und dem Ursprungssystem des Pseudo-Dionysios mit den Fürstentümern an dritter Stelle (6mal). Alle anderen Reihenfolgen begegnen nur ein-, zwei- oder dreimal.

118

9.

Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Funktionen der Engel im Himmel: Gotteslob und Gottesdienst

Während nach Dominique Poirel Gregor der Große die Engel von ihrer geistigen Natur her sieht, betont Pseudo-Dionysios stärker ihre Funktion (als Bote und Mittler).465 Beides gilt, wie wir gesehen haben, aber auch für Honorius, Bernhard von Clairvaux oder Hildegard von Bingen. Beide Stränge sind im Mittelalter also zusammengeführt. Engel haben tatsächlich eine doppelte Funktion: einmal im Himmel gegenüber Gott und zum andern auf Erden gegenüber den Menschen. Ihre himmlische Aufgabe besteht, nach den ständig begegnenden Aussagen, ganz in Gotteslob, Gottesdienst und Gottesliebe. Wenige Beispiele mögen genügen, um das zu illustrieren. Nach Beda werden Engel durch den Heiligen Geist entflammt, Gott (ebenso wie die Menschen) zu lieben.466 »Die Engel aber,« schreibt Alkuin in einem Brief an eine Mönchsgemeinschaft, »loben Gott dauernd in ihren Wachen. Wer sich also bemüht, die Wachen zum Lob Gottes zu nutzen, führt auch auf Erden ein engelhaftes Leben.«467 Die ganze Menge der Engel betet Christus an, meint Alkuin in seiner Schrift gegen den Häretiker Felix von Urgel, und Millionen dienen ihm, dessen Herrschaft ewig und dessen Reich endlos ist (während Felix sich nicht fürchte, den Gottessohn mit seinen Blasphemien zu leugnen).468 Die Engel dienen Gott, schreibt auch Hrabanus Maurus,469 und bekräftigt mit Beda: »Die Cherubim breiten ihre Flügel aus, als ob sie fliegen wollten, weil der Geist der Engel ständig seinen Sinn darauf richtet, bereit zu sein zum Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen.«470 Den Gottesdienst, der in verschiedenen Zitaten bereits angeklungen ist,471 aber leisten sie nicht aus 465 So ebd. S. 134f. 466 Beda Venerabilis, De tabernaculo et vasis eius ac vestibus sacerdotum 2 (12), S. 84: eiusdemque gratia Spiritus, quo angeli inflammantur ad amandum semper Deum in coelis et hominibus in terra et dimittuntur peccata et virtutum dona conceduntur. 467 Alkuin, ep. 278, S. 435: angeli vero Dei semper in vigiliis Deum laudant; et qui vigilare studet ad laudes Dei, angelicam vitam agit in terris. 468 Alkuin, Contra Felicem Urgellitanum episcopum 2,11, Sp. 154f.: Vos vero Ecclesiae filii, licet nomine tenus, cum Iudaeis obicitis Christo, quod dixisset se esse Filium Dei, nec non et nunc in sede paternae maiestatis regnantem et in throno coelestis gloriae sedentem, quem adorat omnis multitudo angelorum, et millia millium ministrant ei, cuius potestas est aeterna et regni eius non erit finis, vestris adhuc blasphemiis filium proprium et verum Deum negare non metuitis. 469 Hrabanus Maurus, Expositio in Matthaeum 2 (v. 6,34), S. 201: Nam et ipse Dominus, cui ministrabant angeli. Hraban folgt hier wörtlich Augustinus, De sermone Domini in monte 2,17,57, S. 150. 470 Beda Venerabilis, De templo (Salomonis) 1,13, S. 180: Extendebant autem alas cherubim quasi ad uolandum quia spiritus angelici semper habent animum ad obsequium diuinae uoluntatis paratum. Danach Hrabanus Maurus, Commentaria in libros IVregum. In librum 3,6, Sp. 155 B. 471 Vgl. Alkuin (?), De divinis officiis 40 (oben Anm. 305); Paschasius Radbertus, Expositio in

10. Funktionen der Engel auf Erden

119

Furcht, sondern aus Liebe, wie Atto von Vercelli betont.472 Wenn Engel bei Hildegard bereits der Schöpfung zusehen und sie lobpreisen,473 dann stellt sich allerdings erneut die Frage ihrer Schöpfung.

10.

Funktionen der Engel auf Erden

a.

Boten- und Mittlerdienste

In ihren Funktionen handeln die Engel im Auftrag Gottes (wie im übrigen auch die »bösen Geister«).474 Da Engel, wie schon oben betont, »Boten« heißt,475 liegt eine ihrer wesentlichen Funktionen in den Boten- und Verkündigungsdiensten zwischen Himmel und Erde.476 Doch nur die untersten »Stände« der Erzengel und Engel begegnen in der Bibel als Boten zwischen Gott und den Menschen;477 sie wurden daher zu auswärtigen Diensten herangezogen (ganz eindeutig ist das nicht, und so mußte man einige Bibelstellen entsprechend »uminterpretieren«). »Während nämlich Engel Boten heißen und Engel (tatsächlich oft) zu den Menschen kommen, um etwas anzukündigen, lesen wir von den Thronen niemals, daß sie zu Botendiensten ausgeschickt werden, weil der Schöpfer aller ihnen bei weitem erhabener vorsteht,«

schreibt bereits Gregor der Große.478

472 473 474 475 476

477 478

Matheo 3 (oben Anm. 349); Ders., Expositio in psalmum XLIV (oben Anm. 250); Hrabanus Maurus, Expositio in epistolam ad Romanos 7 (oben Anm. 251); Hinkmar von Reims, De praedestinatione Dei et libero arbitrio (adversus Gothescalcum) 27 (oben Anm. 354). Atto von Vercelli, Expositio epistolarum s. Pauli. Epistola ad Romanos (zu c. 1), Sp. 129 C: Sic enim sancti, servi vocantur, sicut angeli, qui semper Domino serviunt non per timorem, sed per amorem. Cuius autem servus fuerit, evidenter ostendit, subiungens. So Schipperges, Welt der Engel S. 83ff., zur Engelvision zu Beginn der sechsten Vision in Hildegard von Bingens ›Scivias‹. Vgl. Florus von Lyon, Adversus Ioannis Scoti Erigene erroneas definiones 3, Sp. 123 AB: Ubi, etiamsi diabolus et caeteri angeli maligni aliquid agunt, ministri sunt divinae ultionis, atque vindictae, non iudices vel auctores, sicut manifeste libri beati Iob historia ostendit. Gregor der Große, Homiliae in euangelium 1,6,5, S. 42: Quod enim graece angelus, hoc latine nuntius dicitur. Vgl. bereits Licinianus von Carthago, ep. 2, Sp. 693 A: Angelus enim Graece, Latine nuntius dicitur. Vgl. Cattin/Faure, Les anges et leur image S. 179–185; Knoch (Hg.), Engel und Boten. Zu Engeln als Boten in Adamn#ns Vita Columbae vgl. James Bruce, Prophecy, Miracles, Angels, and Heavenly Light? The Eschatology, Pneumatology, and Missiology of Adomn#n’s Life of Columba (Studies in Christian History and Thought), Carlisle-Waynesboro 2004, S. 129–136. In der Frühscholastik wurde daher die Frage diskutiert, ob alle Engel oder überhaupt nur die unteren Ränge Boten sind; vgl. Colish, Early Scholastic Angelology S. 89. Ansätze dazu finden sich, wie die folgenden Beispiele zeigen werden, allerdings schon früher. Gregor der Große, Homiliae in Hiezechihelem prophetam 1, Homilia 8,20, S. 112: Nam cum angeli nuntii dicantur et saepe angeli ad annuntianda quaedam hominibus ueniant, throni

120

Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

»Mit Recht heißt der Engel so,« wie Christian von Stablo bekräftigt, »der, zum ›sicheren Boten‹ und Herold des Heilands gemacht, mit Augen und Fingern offenkundig deutlichen Nachweis von ihm liefert, wie auch jeder Gläubige, dem die Bezeichnung eines Priesters beigelegt wird, ›Engel‹ genannt wird.«479

Die Engel sind Boten, die Erzengel die wichtigsten Boten, meint Hugo von St. Viktor in traditioneller Ansicht, wie sie schon vielfach zitiert wurde:480 Erstere verkünden die kleineren, letzteren die größeren Dinge aus der Würde ihres Amtes.481 Mit Vorliebe aber verkünden sie Frieden und nicht Krieg.482 Durch Engel (konkret die beiden Engel von Gen 19,1) nimmt man Sinnlichkeit und Vorstellungskraft in Empfang, meint Guibert von Nogent. Sie heißen nämlich zu Recht Boten, weil der äußere Sinn dem Anblick der Vorstellungen verkündet, was man äußerlich wahrnimmt, und sich die bildliche Vorstellungskraft wiederum auf die Fähigkeit bezieht zu begreifen, was ihr die äußere Sinnlichkeit an Eindrücken vermittelt.483 Sie helfen damit, das Göttlich-Übernatürliche bildhaft zu begreifen. Engel sind gleichsam das Sprachrohr Gottes, der durch sie spricht und seinen Willen verkündet.484 Als Boten Gottes bringen Engel göttliche Vorschriften: »Und häufig erscheinen die Engel und geben den Menschen Befehle,« schreibt Gregor der Große.485 Nicht zuletzt aber verkünden Engel Prophezeiungen, wie aus vielen

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missi ad ministerium nuntii nusquam leguntur, quia eis longe sublimius Creator omnium praesidet. Christian (Druthmar) von Stablo, Expositio in Matthaeum evangelistam 11, S. 239: Angelus enim ›nuntius‹ dicitur. Et recte angelus nuncupatur qui, certus nuntius et praeco Saluatoris factus, manifeste ab ipso oculis et digito demonstratus est. Et unusquisque fidelis, qui sacerdotis nomine censetur […], ›angeli‹ nomine uocantur. Der hier wörtlich übersetzte Text verschleiert im Deutschen die Spannbreite der Bedeutungen von certus facere, die vom einfachen »benachrichtigen« bis zu »über etwas vergewissern« reicht. Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,6ff. (oben Anm. 392); Ders., De ordine creaturarum 2,11f. (oben Anm. 406); Hrabanus Maurus, Liber de sacris ordinibus 19 (oben Anm. 407); Honorius Augustodunensis, Speculum ecclesiae. De sancto Michaele Sp. 1007 (oben Anm. 408); Bernhard von Clairvaux, De consideratione ad Eugenium papam 5,4,8 (oben Anm. 410); Hildegard von Bingen, Scivias 2,5,36 (oben Anm. 452). Hugo von St. Viktor, Commentarii in Hierarchiam coelestem s. Dionysii Areopagitae 5, Sp. 1019 C: Angeli videlicet nuntii, archangeli vero principales nuntii dicti; quoniam et illi minora, isti vero maiora quasi ex ministerii dignitate annuntiant. So Robert der Mönch (Robert von Saint-Remi), Historia Iherosolymitana 5 (9) (oben Anm. 271). Guibert von Nogent, Moralia in Genesin 5,19, Sp. 146 D: Per duos angelos sensualitas et imaginatio accipitur, quae recte angeli, id est ›nuntii‹ dicuntur, quia sensus exterior cogitationum nuntiat visioni, quae foris senserit, rursusque imaginalitas refert intellectualitati, quae sibi sensualitas forastica impresserit. Vgl. Gregor der Große, Moralia in Iob 28,1,44, CCL 143B, S. 1397ff., wo Gregor mehrfach, mit verschiedenen biblischen Beispielen, wiederholt: per angelos loquitur Deus; vgl. auch ebd. Z. 84, 121f., 129, 141f., 144f., 147. Ebd. 11,45,61, CCL 143 A, S. 620: Et saepe apparentes angeli hominibus praecepta dederunt.

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Beispielen hervorgeht. So sagte eine Frau mit einem »Wahrsagergeist«, die nach Gregor von Tours bereits den Tod König Chariberts prophezeit hatte, auf Anfrage Guntchramns hin auch, jetzt allerdings fälschlich, den baldigen Tod Chilperichs voraus. Gregor entlarvt das als Wirken des Teufels (und verlacht König Guntchramn, der an solcherlei Dinge glaubt), während er selbst dem Engel vertraut, den er im (Halb-)Schlaf durch die Luft fliegen sah und der vielmehr den Tod der Söhne Chilperichs verkündete. Als der Engel über die heilige Kirche flog, sagte er laut: »Oh je! Gott hat Chilperich und alle seine Söhne geschlagen, denn von denen, die aus seinen Lenden hervorgegangen sind, wird keiner mehr übrig bleiben, der sein Reich auf ewig regieren könnte.«486 Das erscheint Gregor glaubhaft, auch wenn es im Traum geschieht. Die Geschichte zeigt, wie ähnlich König und Bischof letztlich denken, wie unsicher es oft jedoch sein kann, göttliche Botschaft und teuflisches Wirken auseinanderzuhalten, auch wenn das für Gregor selbst hier eindeutig erscheint. Freilich hat Gregor all das noch selbst erlebt und kennt daher bereits den Ausgang. Zudem ist hier zu berücksichtigen, daß Gregor die Prophezeiung gegen seinen Erzfeind Chilperich entsprechend stilisiert, wenn nicht gar erfunden hat. Gerade dann würde sie aber von dem verbreiteten Glauben seiner Leser an prophezeiende Engel zeugen. Es ist auch nicht die einzige Engelerscheinung der ›Historien‹. Als eine Seuche die Provinz Auvergne heimsuchte und der heilige Gallus darüber wegen des Volkes in Angst geriet und Tag und Nacht zu Gott betete, er möge ihn nicht zusehen lassen, wie sein Volk vernichtet werde, erschien ihm ein Engel in schneeweißem Gewand und meldete, daß sein Gebet erhört sei und er und sein Volk völlig verschont bleiben würden; gleichzeitig kündigte er jedoch quasi seinen Tod in acht Jahren an (wie er dann auch eintraf): »Jetzt brauchst Du nichts zu fürchten; fürchte Dich aber nach acht Jahren.«487 Dann nämlich sollte er sterben. Plastisch stellt man sich die Botendienste der Engel (trotz ihrer Flügel), in Anlehnung an Jakobs biblischen Traum (Gen 28,10–22), gern in Form einer (unsichtbaren) Himmelsleiter vor, auf der die Engel auf- und absteigen,488 wenngleich das allegorisch zu verstehen ist.489 So schreibt Isidor von Sevilla: 486 Gregor von Tours, Historiae 5,14, S. 210f.: Denique quadam nocte vigilias in basilica sancti antestitis caelebratis, dum lectulo decubans obdormissem, vidi angelum per aera volantem. Cumque super sanctam basilicam praeteriret, voce magna ait: ›Heu heu! percussit Deus Chilpericum et omnes filios eius; nec superabit de his, qui processerunt ex lumbis eius, qui regat regnum illius in aeternum.‹ 487 Ders., Liber vitae patrum 6,6, S. 234: per visum noctis parauit ei angelus Domini, qui tam caesariem quam vestem in similitudine nivis candidam efferebat et ait ad eum: ›Bene enim te, o sacerdos, prospectat divina pietas pro populo tuo supplicantem; ideoque ne timeas, exaudita est enim oratio tua; et ecce eris cum populo tuo ab hac infirmitate liberatus, nullusque, te vivente, in regione ista ab hac strage deperiet. Nunc autem noli metuere; post octo vero annos time.‹ Unde manifestum fuit, transactis his annis eum a saeculo discessisse. 488 Vgl. Cassiodor, De institutione dinivarum litterarum praef. 2, S. 4: ista est enim fortasse

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»Die Leiter aber ist Christus, der sagt: ›Ich bin das Leben.‹ Darauf steigen die Engel hinauf und herab, in denen wiederum die Evangelisten und Prediger Christi symbolisiert sind. Sie steigen auf jeden Fall hinauf, während sie jedes Geschöpf übertreffen, um die alles überragende Göttlichkeit zu verstehen, damit sie das Wort am Anfang, Gott bei Gott, finden, durch den alles geschaffen ist.«490

Nach Beda steigen sie auf und ab, um den Menschen zu dienen und ihnen den Weg in den Himmel zu weisen.491 Der Abstieg erfolgt durch mitleidende Barmherzigkeit, der Aufstieg durch Betrachtung des Himmlischen, meint Hugo von St. Viktor.492 Das aber ist eben die Jakobsleiter mit ihren zwölf Stufen, so Aelred von Rievaulx, auf der Jakob die Engel herab- und hinaufsteigen sah, als er seinen Kopf auf einen Stein legte.493 Die Spitze dieser Leiter ragt nach Gerhoh von Reichersberg bis in den Himmel.494 Diese Himmelsleiter ist auch ein beliebtes

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scala Iacob, per quam angeli ascendunt atque descendunt; Regula Magistri 10,6, S. 418: actibus nostris ascendentibus scala illa erigenda est, quae erecta in caelum in somnio Iacob apparuit, per quam ei descendentes et ascendentes angeli monstrabantur. Der älteste Beleg scheint Ambrosius, Explanatio psalmorum XII. Ps. 1,18,3, S. 13, zu sein: scalarum enim similem esse scriptura nos docet pietatis ascensum, per quas uidit angelos Domini ascendentes et descendentes sanctus Iacob uir exercitationis […].Vgl. auch Vita Pardulfi abbatis Waractensis 8 (unten Anm. 603). Zu dieser Himmelsleiter, vorwiegend allerdings im späten Mittelalter, vgl. Christian Heck, L’8chelle c8leste dans l’art du Moyen ffge. Une image de la quÞte du ciel, Paris 1997; Ders., Du songe de Jacob aux visions de saints dans l’art m8di8val. Th8ophanie et g8ographie sacr8e, in: La visione e lo sguardo nel Medioevo. View and Visions in the Middle Ages (Micrologus 6), Bd. 2, Turnhout 1998, S. 43–57; Walter Cahn, Ascending to and Descending from Heaven: Ladder Themes in Early Medieval Art, in: Santi e demoni, Bd. 2, S. 697–724. Isidor von Sevilla, Mysticorum expositiones sacramentorum seu Quaestiones in Vetus Testamentum. In Genesim 24,3, Sp. 258 BC: Porro scala Christus est, qui dixit: ›Ego sum via.‹ Per hanc ascendunt et descendunt angeli, in quibus significati sunt evangelistae et praedicatores Christi. Ascendentes utique, cum ad intelligendam eius supereminentissimam divinitatem excedunt universam creaturam, ut eum inveniant in principio verbum, Deum apud Deum, per quem facta sunt omnia. Beda Venerabilis, Commentaria in Pentateuchum. Expositio in primum librum Mosis 28, Sp. 253 C: Angeli autem ascendentes et descendentes angeli sunt, qui ministrant hominibus. Vgl. Ders., In Ezram et Neemiam 3, S. 350f.: Quos profecto gradus maxime in humilitate consistere reuerendissimus pater nomine et uita Benedictus intellexit cum scala patriarchae Iacob ostensa angelis per eam ascendentibus ac descendentibus iter ad caelestia nostrum esse designatum interpretans gradus scalae ipsius incrementis ac profectibus operum bonorum, quae per humilitatem fiunt sollertissima ac piissima inquisitione distinxit. Hugo von St. Viktor, Miscellanea 3. Adnotationes in scripturam 27, Sp. 649 D: Isti enim sunt angeli per scalam ascendentes et descendentes: descendentes compassione misericordiae, ascendentes supernorum contemplatione. Aelred von Rievaulx, Sermo 162 (In natiuitate sanctae Mariae), 14, S. 507: Haec est enim scala Iacob, qui quando caput in lapide posuit, angelos ascendentes et descendentes videre meruit. Scala ista duodecim gradus habet inter duo latera. Gerhoh von Reichersberg, Commentarius aureus in psalmos et cantica ferialia. Ps. 24 (v. 22), Sp. 1150 C: in quo loco super lapidem quiescenti ostendisti illi regnum Dei per visionem scalae, cuius culmen pertingebat usque ad coelos, per quam angeli ascendentes et descendentes honorabant Dominum innixum scalae.

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Bildmotiv, bei dem es allerdings zumeist nicht um die Engel, sondern um den mühsamen Aufstieg der Menschen geht (wie bei Herrad von Landsberg).495 Wieder aber ist die Aufgabe der Engel eine doppelte, nach beiden Seiten, Gott und den Menschen, ausgerichtete, denn wie sie den Menschen Gottes Willen verkünden, so informieren sie umgekehrt Gott über das Treiben auf Erden, wie ein unbekannter Autor wohl aus dem 7. Jahrhundert schreibt: »Denn wir müssen mit Sicherheit glauben, daß über alle unsere Werke bei Tag wie in der Nacht und zu jeder Stunde, ob gut oder schlecht, was immer wir tun, von dem Engel selbst vor das Angesicht Gottes Bericht erstattet wird.«496

Wenngleich Engel aber als Boten zwischen Gott und den Menschen fungieren497 – der Name leitet sich nach Isidor, wie schon erwähnt, ja nicht von ihrer Natur, sondern von ihrem Amt ab498 –, so ist es nach mittelalterlicher Auffassung dennoch nicht ihre »Berufung« (vocation), den Menschen zu erscheinen, wie Philippe Faure meint,499 sondern nur eine ihrer sich aus ihrem Wesen und aus dem Verlauf der Heilsgeschichte ergebenden Funktionen.500 »Denn wenn der Engel uns ermahnt und rät, gute Werke zu vollbringen,« so fährt der vorhin zitierte Autor des 7. Jahrhunderts fort, »ist dieser Engel, wie wir glauben, ständig zu unserer Rechten; und wenn wir Böses im Sinn haben oder versuchen, irgendeine Sünde zu begehen, ob groß oder klein, dann haben wir den bösartigen Teufel als Anfeuerer, und wenn wir sündigen wollen und sündigen, freut sich der Teufel, und jener heilige Engel wird ganz traurig. Wenn wir überflüssige und schlimme Worte sagen, geschieht das auf den Rat des Teufels hin; wenn wir darüber aber seufzen und schmachten und irgendwelche guten Werke zu tun gedenken, dann haben wir eben jenen heiligen Engel Gottes als Ratgeber.«501

495 Herrad von Landsberg, Hortus Deliciarum, fol. 215v. Abbildung: Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Abb. III/8. 496 Auctor incertus (Isidor?), Sermo 3,2, Sp. 1223 B: Quia pro certo nobis credendum est, quia omnia opera nostra tam in die quam in nocte, omni hora, sive bona, sive mala, quaecunque facimus, ab ipso angelo renuntiantur in conspectu Dei. 497 Vgl. dazu Knoch (Hg.), Engel und Boten. 498 Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,5,1 (oben Anm. 52). 499 Faure, Anges Sp. 45. 500 Vgl. Keck, Angels S. 58–65. 501 Auctor incertus (Isidor?), Sermo 3,2, Sp. 1223 B (zum Anfang des Zitats vgl. oben Anm. 496): Nam cum angelus hortatur nobis consilium ad bona opera facienda, ipsum angelum semper habere credimus a dextris; cum autem cogitamus malum agere aut aliqua peccata conamur committere tam capitalia quam minuta, tunc habemus hortatorem malignum diabolum, ut cum peccare cogitamus et peccamus, diabolus gaudet, ille sanctus angelus tristatur. Cum dicimus otiosa verba et prava, consilium est diaboli; cum autem ingemiscimus et suspiramus et cogitamus aliqua bona opera facere, tunc habemus consiliatorem illum sanctum angelum Dei.

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Engel, so glaubt man, besuchen gleichsam dauernd die heiligen Orte (und Klöster). Beda soll einmal gesagt haben, so erzählt Alkuin in einem Brief an die Mönche von St. Peter in Wearmouth: »Ich weiß, daß die Engel zu den kanonischen Stunden und der Versammlungen der Mönche kommen; was aber, wenn sie mich dort nicht unter den Brüdern finden? Werden sie nicht fragen: ›Wo ist denn Beda? Weshalb kommt er nicht mit den Brüdern zu den festgesetzten Gebetszeiten?‹ Denn viel gilt bei Gott das gemeinsame Gebet und die große Liebesgemeinschaft.«502

Natürlich will Alkuin hier die Bedeutung der mönchischen Chorgebete herausstellen. Um so deutlicher aber wird sein darin zwanglos verarbeiteter Glaube an eine dazu benutzte Dauerpräsenz von Engeln. Das Wirken der Engel (und des Teufels), auf das gleich noch näher einzugehen ist, wird hier klar geschildert. Engel sind demnach nicht nur (gelegentliche) Boten, sondern ständige Begleiter, bekommen alles mit (und können es deshalb zum Himmel melden). In einer Miniatur des um 810 entstandenen Psalters von Corbie bilden Psalmist und Engel die V-Initiale des Verses Voce mea ad dominum clamavi, der hier bezeichnenderweise bildlich umgesetzt wird: Der Ruf des Propheten zu Gott wird von dem Engel aus dem Mund des Psalmisten entgegengenommen (und dann zu Gott getragen) (Abb. IV/22, S. 174).503 Wenn man darüber spekuliert hat, ob Engel als Geistwesen überhaupt Emotionen haben können, so spricht ihnen der zitierte, anonyme Text hier zumindest Freude oder Trauer zu, die allerdings auf gut und böse und damit auf das Heil der Menschen ausgerichtet sind, das die Engel vermitteln sollen. Vom gaudium der Engel aber ist immer wieder die Rede.504 Ihre Funktion geht damit erneut weit über die Botendienste hinaus. Gemäß den beschriebenen Funktionen besteht das »normale« Wirken der Engel, die als Boten zu den Menschen auf die Erde herabkommen, in Verkündigungen und Prophezeiungen.505 Sie kommen um der Menschen willen und sind Diener zum Wohl der Menschen, meint Hrabanus Maurus: Der Gottessohn habe sein »Amt« den Engeln überantwortet und sie damit zu Dienern unseres 502 Alkuin, ep. 284, S. 443: Sed et angelorum visitationes loca sancta frequentare non dubium est. Fertur enim magistrum nostrum et vestrum patronum beatum dixisse Baedam: ›Scio angelos visitare canonicas horas et congregationes fraternas; quid, si ibi me non inveniunt inter fratres? Nonne dicere habent: Ubi est Baeda? quare non venit ad orationes statutas cum fratribus?‹ Magna est apud Deum communis oratio et magna caritatis communio. 503 Psalter aus Corbie. Amiens, BibliothHques d’Amiens-M8tropole, Ms 18 C, fol. 67v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der BibliothHques d’Amiens M8tropole. 504 Vgl. etwa Isidor von Sevilla, Sententiae 1,10,6 (oben Anm. 47); Vita Boniti episcopi Arverni 31 (oben Anm. 139). 505 Vgl. Gregor von Tours, Historiae 5,14 (oben Anm. 486); Ders., Liber vitae patrum 6,6 (oben Anm. 487).

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Heils gemacht; um des Heils der Menschen willen werden sie von Gott gesandt.506 Die Funktion der Engel den Menschen gegenüber ist aber erneut eine doppelte: Trost oder Strafe, wie es Sedulius Scottus explizit verkündet: »Engel haben ein zweifaches Amt: entweder dienen sie den Menschen mit dem Geist des Trostes oder dem Feuer der Strafe.«507 Damit sind ihre Funktionen jedoch bei weitem nicht erschöpft.

b.

Das sonstige Wirken der Engel: Schutz, Hilfe und Seelengeleit

Engel erfüllen diakonische Aufgaben im Gottesdienst, wirken als Schutzengel, haben eine Funktion bei der Schöpfung ebenso wie am Weltende im Weltgericht,508 aber auch im irdischen Gericht. Bei einer in den Sommermonaten im Langobardenreich zur Zeit König Kuniberts (Cunincpert, 688–700) wütenden Seuche, die bereits durch eine Mond- und eine Sonnenfinsternis innerhalb von zwei Tagen angekündigt worden war, sah man nach dem Bericht des Paulus Diaconus, den am Ende des 11. Jahrhunderts Frutolf von Michelsberg aufgreift und ausweitet, nachts zwei Engel, einen guten und einen bösen, durch die Straßen der Stadt gehen. Der böse Engel aber hatte eine Art Fangeisen (venabulum) in seiner Hand und schlug bei jedem Haus auf Befehl des guten Engels an die Tür, und alle Bewohner dieses Hauses waren am nächsten Tag tot, bis einem guten Mann in einer Vision prophezeit wurde, daß das Sterben erst aufhöre, wenn in der Peterskirche »Bei den Fesseln« dem heiligen Märtyrer Sebastian ein Altar geweiht würde. Sobald das geschah, hörte das Sterben auf.509 Engel vollziehen hier (gemeinsam mit den Dämonen) gleichsam Gottes Strafgericht. 506 Hrabanus Maurus, Enarrationes in epistolas beati Pauli 27. Expositio in epistolam ad Hebraeos 1, Sp. 720 C: Quid miraris, si Filio suum ministerium exhibent angeli, cum etiam nostrae salutis ministros eos constet effectos? Mentes eorum, ad quos loquitur, sublevare volens, dicit angelorum functiones humanae salutis causa a Domino directos esse, Filius vero sicut Dominus Salvator, isti vero sicut servi saluti praedestinatorum deserviunt. 507 Sedulius Scottus, Collectaneum in Apostolum. In epistolam ad Hebraeos 1,7, S. 722: Duplex angelorum officium est, aut enim spiritum consolationis aut ignem uindictae hominibus ministrant, ut Hieronimus dicit. 508 So Schmidt/Schmidt, Die vergessene Bildersprache S. 180–192. Zu ihrer »Anwesenheit« bei den kirchlichen Praktiken vgl. auch Keck, Angels S. 155–207 und 210f. (Kirchenkalender ; Engelstatuen und Bilder). Zu Engeln in der Liturgie vgl. auch Stapert, L’ange roman S. 221–242. Zu künstlerischen Darstellungen vgl. Bruderer Eichberg, Les neufs chœurs S. 95–109 (Schöpfung) und S. 111–123 (Jüngstes Gericht). 509 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 6,5, S. 166, über das Sterben in Pavia: Tuncque visibiliter multis apparuit, quia bonus et malus angelus noctu per civitatem pergerent, et ex iussu boni angeli malus angelus, qui videbatur venabulum manu ferre, quotiens de venabulo hostium cuiuscumque domus percussisset, tot de eadem domo die sequenti homines interirent. Tunc cuidam per revelationem dictum est, quod pestis ipsa prius non quiesceret, quam in basilica beati Petri, quae ad Vincula dicitur, sancti Sebastiani martyris altarium

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Ihre ›Tätigkeit‹ besteht darüber hinaus nicht zuletzt darin, die Menschen (und die ganze Schöpfung) zu schützen. Schon bei der Passion Christi kam der Engel vom Himmel, um Christus zu stärken, wie die himmlischen Geister der Engel ihm auch zuvor stets beigestanden hatten.510 Engel sind entsprechend auch die Wächter der Kirche Christi, custodes utique ecclesiae,511 und nach Beda und Hinkmar andauernd besonders am Grab Christi anwesend.512 Das Mauerloch von Hohelied 2,14 deutet Haymo von Auxerre als himmlische Wachen und Schutz der Engel: Jesaja (?) hielt sich in einem Mauerloch auf, »damit er von allen Seiten vom Schutz der Engel umgeben und von den Versuchungen des Teufels geschützt war.«513 Der Mensch braucht die Hilfe der Engel. Messen und Kirchenbräuche dienen daher »vor allem zum Lob der höchsten Trinität, dann aber, um die Vermittlung der Heiligen zu erbitten wie auch die Hilfe der Engel zu ersuchen, die für die sich in dieser Pilgerschaft Abmühenden äußerst notwendig ist,«

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poneretur. Factumque est, et delatis ab urbe Roma beati Sebastiani martyris reliquiis, mox in iam dicta basilica altarium constitutum est, pestis ipsa quievit. Das nimmt Regino von Prüm, Chronicon a. 605–611, S. 31, auf. Danach, etwas abgeändert, wieder Frutolf von Michelsberg, Chronicon, S. 149: His quoque temporibus per octavam indictionem eclypsis lunae apparuit et secundo die intrantis Mai e˛clypsis solis facta est hora diei decima, ac deinde mense Iulio, Augusto et Septembre mortalitas magna facta est. Tunc visibiliter multis hominibus apparuerunt duo angeli, unus bonus et alter malus, ambulantes per Urbem tempore nocturno, et ille malus angelus tenebat venabulum in manu, et per iussionem boni angeli de quacumque domo ianuam percutiebat, alia die omnes homines de eadem domo moriebantur. Post haec cuidam homini bono per visionem dictum est, quod ipsa mortalitas non cessaret, nisi in aecclesia sancti Petri, quae dicitur Ad vincula, dedicaretur altare in honore sancti Sebastiani martyris. Quo facto, mortalitas cessavit. So Bruun Candidus, De passione Domini 8, Sp. 75 A: Apparuit domino suus angelus de coelo confortans eum, sicut ante, cum esuriret, accesserunt angeli et ministrabant ei. Quando ergo ipse voluit, adfuerunt ei coelestes illi angelici spiritus. So Beda Venerabilis, In cantica canticorum 2,3,4, S. 233. Zu Engeln als Wächtern vgl. Keck, Angels S. 36–42. Vgl. Hinkmar von Reims, De cavendis vitiis et virtutibus exercendis 2,6, S. 208: Et maxime in ipsa domo orationis, ubi corpus Domini consecratur, ubi angelorum praesentia semper adesse non dubitatur, ne quid ineptum fiat, ne quid, quod nostram fraternamve orationem impediat, totis viribus agamus. Hinkmar folgt hier Beda Venerabilis, Homiliae evangelii 2, hom. 1, S. 188. Haymo von Auxerre, Commentarium in Cantica canticorum 2, Sp. 307 AB: Per maceriam ergo significatur coelestium custodia virtutum, angelicum videlicet praesidium, sicut Isaias de Domini vinea ait: ›Et maceriam circumdedit, et circumfodit vineam.‹ In caverna ergo maceriae moratur, quia praesidio angelorum undique circumdatur et a tentationibus diaboli custoditur. Das Jesajazitat habe ich nicht ausfindig machen können; am nächsten käme wohl Is 5,5. Anklänge finden sich vielmehr bei Mt 21,33, das vollständig im Jesajakommentar des Hieronymus aufgegriffen wird (Commentarii in Esaiam 2,5,1, S. 63: homo […], qui platauit uineam et maceriam illi circumdedit).

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schreibt Alkuin den Mönchen von St. Vaast mit Blick auf den Inhalt seines Gebetsbuches,514 und er sendet deshalb Gebete mit der Bitte um Hilfe an Gott, die heiligen Engel, Patriarchen und Propheten, Apostel, Märtyrer, Bekenner, Jungfrauen und alle Heiligen.515 Der heilige Columban betet zu Gott, er möge ihm seinen Engel schicken, damit dieser ihn zum Langobardenkönig Agilulf geleite und ihm dort eine neue Wohnstätte bereite.516 Anselm von Canterbury betet regelrecht: »O heiliger Michael, Du Erzengel Gottes, Vorsteher des Paradieses, komm zu meiner Hilfe und verteidige mich gegen den bösen Feind in der Stunde meines Todes und führe meine Seele in das Paradies des ewigen Jubels. Alle heiligen Engel und Erzengel Gottes, alle Tugenden des Himmels und alle Stände der heiligen Geister, drängt die Kräfte der widrigen Verdammung zurück, bezwingt diejenigen, die mich anfechten, verteidigt mich kraftvoll gegen die Wildheit des brüllenden Feindes, wacht über mich zu jeder Stunde, bei Tag und Nacht, wenn ich gläubig den Weg der Wahrheit beschreite, und nehmt meine Seele in der Stunde meines Endes in Frieden bei Euch auf.«517

Daher rufen wir zu allen Zeiten den heiligen Michael an, so beschließt Honorius seine Predigt zum Michaelstag (29.9.), damit, wie in jener Schlacht (am Berg Gargano, über die Honorius zuvor geschrieben hat) das christliche Volk durch ihn Sieger blieb, »er auch in der allerletzten Schlacht zwischen dem Erzengel Michael und dem siebenköpfigen Drachen uns mit der mit der Sonne umhüllten Frau mit seinen beiden Flügeln der Liebe zu den Himmeln fliegen möge und wir mit dem Erzengel Michael als Sieger und dem ganzen Heer der Engel und der gesamten Menge der Heiligen verdienen mögen, im Himmlischen Jerusalem zu triumphieren.«518

514 Alkuin, ep. 296, S. 455: Missas quoque aliquas de nostro tuli missale ad cotidiana et aecclesiasticae consuetudinis officia: primo in honore summaeque Trinitatis; deinde sanctorum intercessiones deprecandas etiam et angelorum suffragia postulanda, quae multum necessaria sunt in hac peregrinatione laborantibus. 515 Alkuin, Opusculum de psalmorum usu 1,6 (Oratio), Sp. 477 B. 516 Walahfrid Strabo, Vita Galli 1,8, S. 291: ›Deus enim, cui servimus, angelum suum mittet nobiscum, qui nos perducat ad Agilulfum Langobardorum regem, ubi, eius clementia praeparante, humanos affectus et pace plenum habitationis locum inveniemus‹. 517 Anselm von Canterbury, Oratio 36, Sp. 928 BC: O sancte Michael, archangele Dei, praepositus paradisi, veni in adiutorium meum et defende me ab hoste maligno in hora mortis meae et animam meam deduc in paradisum exsultationis aeternae. Omnes sancti angeli et archangeli Dei, cunctae coelorum virtutes omnesque sanctorum spirituum ordines, adversae damnationis vires reprimite, expugnate ›impugnantes me‹ (Ps 34,1), a rugientis inimici saevitia potenter me defendite in via veritatis fideliter gradientem omni hora, die ac nocte custodite me, et in hora exitus mei animam meam in pace vobiscum suscipite. 518 Honorius Augustodunensis, Speculum ecclesiae. De sancto Michaele Sp. 1012 C: Ideo omni tempore sanctum Michahelem invocemus, ut sicut in illo praelio victor per eum extitit Christianus populus, ita in ultimo praelio archangeli Michahelis et eptacephali draconis nos cum muliere amicta sole duabus alis caritatis ad coelestia volare, et cum victore archangelo

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Nach Radulfus Ardens symbolisiert auch der Kampf im Himmel zwischen guten und bösen Engeln,519 daß die Engel beständig die Menschen schützen.520 In einer Miniatur der Bibel Gebhards von Admont (um 1150) rettet ein Engel den Propheten Daniel aus der Löwengrube (nach Dan 6 und 14), indem er ihn am Kopf nach oben zieht.521 Eine Ambrosiushandschrift des 12. Jahrhunderts aus Bamberg stellt in Medaillons die einzelnen Etappen der Buchherstellung dar (Abb. IV/23, S. 175).522 In der Mitte aber steht schützend ein großer Engel (Michael) mit breiten, langen Flügeln auf dem Dach einer Klosterkirche, zu dem die Mönche im Chor aufschauen. Engel schützen aber auch gegen Naturgewalten. Auf einer Miniatur der Trierer Apokalypse des 9. Jahrhunderts halten vier Engel, deren Flügel nicht, wie bei den mittelalterlichen Engeln üblich, am Rücken, sondern, in antiker Tradition, über dem Kopf angebracht sind, (nach Apoc 7,1f.) jeweils einen der vier Winde zurück.523 Das gleiche Motiv findet sich in der Bamberger Apokalypse. Hier halten oben und unten jeweils zwei geflügelte, mit dem Rücken aneinanderstehende und den Bildecken (anguli) zugewandte Engel (angeli) die vier Winde zurück, die als gehörnte Köpfe den Wind aus ihren Mäulern auspusten (Abb. IV/24, S. 176).524 Oft wird die durch Engel geleistete Hilfe sehr konkret verstanden und auf bestimmte Vorfälle bezogen. So erschienen dem heiligen Benedikt von Nursia, der an einer Weggabelung nicht weiter wußte, zwei Engel in Gestalt junger Männer (bzw. im besten Mannesalter, als iuvenes) und zeigten ihm, welchen Weg

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Michahele omnique milicia angelorum cunctaque frequentia sanctorum mereamur in coelesti Hierusalem triumphare. Vgl. unten Kapitel 2, Anm. 108. Radulfus Ardens, Homiliae de tempore 38: In festo angelorum. Sermo de Apocalypsi, Sp. 1456 B: Hac in visione, fratres charissimi, revelatum est a Deo Ioanni, et per eum nobis, sancti angeli quam sint solliciti et vigiles in tutela et defensione nostra et quantum gaudeant de profectu et salute nostra. Bibel des Abtes Gebhard von Admont (aus Salzburg). Wien, Österreichische Nationalbibliothek. Abbildung bei Krönig, Engel, Nr. 4. Bamberger Schreiberbild, einer Ambrosiushandschrift vorgebunden: Ambrosius, De officiis ministrorum. Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Patr. 5, fol. 1v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek Bamberg und Auskunft von Herrn Gerald Raab. Trierer Apokalypse. Trier, Stadtbibliothek, Cod. 31, fol. 21r. Abbildung: Bruno Reudenbach (Hg.), Karolingische und Ottonische Kunst (Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland 1), München-Berlin-London-New York 2009, Tafel S. 149. Vgl. dazu Katalog Nr. 213, ebd. S. 462. Das Bild kann wegen überhöhter Preisforderungen der Trierer Stadtbibliothek leider nicht abgebildet werden. Bamberger Apokalypse, um 1000. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 17v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek Bamberg. Vgl. den Kommentar bei Suckale-Redlefsen/Schemmel (Hg.), Das Buch mit 7 Siegeln, S. 63. Das Wortspiel angeli – anguli verstärkt die Wirkung im Lateinischen noch. Nach Alkuin, Commentarii in Apocalypsin 4,7, Sp. 1128f., können die vier Ecken hier nichts anderes als den Leib des Teufels symbolisieren, der die vier Weltreiche beherrschte.

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er einschlagen müsse.525 Bruno der Kartäuser bekräftigt, daß es der Hilfe des Dienstes der Engel bedarf, um sich der Feinde zu erwehren, »wie es bei den alten Vätern war«: Häufig lese man nämlich, daß, wenn man sich zum Kampf gegen die Feinde vorbereitete, Engel mit ihnen als Helfer in die Schlacht gezogen seien, so daß Gott selbst durch seine Diener mit dem Heer zu dessen Hilfe ausgezogen sei. Das Heer aber seien die Tugenden, in denen die Kraft der Fürsten besteht, Schlachten zu schlagen.526 Der plastisch beschriebene Beistand wird damit zugleich allegorisch gedeutet. Wenn aber Engel und Erzengel und der ganze Himmelshof, ja selbst der Gottessohn für uns kämpfen, so mahnt Radulfus Ardens, dann müssen wir selbst erst recht für uns kämpfen: Mit gleicher Leidenschaft sollen Menschen und Engel daher (wie einst) gemeinsam gegen den Teufel in die Schlacht ziehen.527 Die Unterschiede zwischen den Engeln, die, wie oben dargelegt, oftmals gerade aus der Funktion abgeleitet werden, verschwimmen hier geradezu hinter dem gemeinsamen Wirken der Engel zum Schutz der (guten) Menschen: »Der Engel Michael, der Engel Gabriel, der Engel Raphael, alle Engel, alle Erzengel, alle Throne, alle Herrschaften, alle Fürstentümer und Mächte, alle Patriarchen und Propheten, alle Apostel und Märtyrer, alle Bekenner und Jungfrauen, mögen mir durch unseren Herrn Jesus Christus zur Unterstützung und Hilfe beistehen,« schreibt Alkuin.528

Der (mehr oder weniger passive) Schutz, den Engel zur inneren Stärkung bieten, steigert sich somit nicht selten zu – oft sehr konkret verstandenem – 525 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 1,26, S. 68, mit Berufung auf die Dialogi Gregors des Großen (die Stelle ist dort allerdings nicht zu finden): Cui ad omne bivium, usque dum huc veniret, duo angeli in figura iuvenum apparentes, ostenderunt ei, quam viam arripere deberet. Danach wörtlich Chronica s. Benedicti Casinensis 20, S. 479. 526 Bruno der Kartäuser, Expositio in psalmos. In psalmum XLIII, Sp. 822 AB: Quod est dicere: Adeo ›confudisti et repulisti‹, quod non ultra poterimus contra hostes congregare exercitus, in quibus egrediaris ad auxilium per ministerium angelorum, sicut apud patres antiquos fuit. Legitur enim saepe, quando cum hostibus dimicare pararentur, auxiliatores angelos cum eis ad praelium processisse. Et hoc modo per ministros suos dicebatur Deus egredi in exercitibus eorum ad auxilium. Exercitus autem bene virtutes dicuntur, eo quod in eis constet virtus principum praeliandi. 527 Radulfus Ardens, Homiliae de tempore 38, Sp. 1457 AB: Si ergo, fratres mei, apud coelestes tanti sumus, quod pro nobis angeli et archangeli et omnis curia coelestis, imo etiam ipse Filius Dei pro nobis praelietur, quare ipsi pro nobis ipsis non praeliamur? […] et tunc pari fervore, et homines et angeli contra diabolum praeliabantur. 528 Alkuin, Opusculum de psalmorum usu 1,6 (Oratio), Sp. 478 A: Angelus Michael, angelus Gabriel, angelus Raphael, omnes angeli, omnes archangeli, omnes throni, omnes dominationes, omnes principatus et potestates, omnes patriarchae et prophetae, omnes apostoli et martyres, omnes confessores et virgines, in adiutorium et auxilium assistant mihi, per Dominum nostrum Iesum Christum. Man wird darüber spekulieren dürfen, ob Seraphim und Cherubim hier ausgespart sind, weil sie sich als oberste Ränge nicht mehr unmittelbar mit solchen Funktionen befassen.

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aktivem Beistand.529 Der Engel, so predigt ein unbekannter Autor wohl des 7. Jahrhunderts, steht uns ständig zur Seite und gibt guten Rat für gute Werke.530 Als der irische Heilige Furseus erkrankte, so berichtet Beda, verdiente er die Vision eines Engels, der ihn mahnte, sein gottgefälliges Werk fortzuführen.531 Bei abermaliger Krankheit wurde er vom Abend bis zum Hahnenschrei entrückt, sah die Scharen der Engel und hörte sie Loblieder singen; bei nochmaliger Entrückung schützten ihn die Engel vor den Dämonen, die ihm den Weg in den Himmel versperren wollten.532 Der Schutz gegenüber den Dämonen gehört daher zu den wichtigsten Aufgaben der Engel: »Wie Bärenwärter die Bären, so bändigen die Engel die bösen Dämonen von ihrer Wildheit und drängen sie zurück, damit sie uns nicht soviel schaden, wie sie selbst wollen,«

schreibt Eadmer von Canterbury.533 Engel bringen Heilung, wie der heiligen Christina im Martyrolog Bedas, die von einem Engel von ihren Verbrennungen geheilt, aus dem Kerker befreit und vor dem Ertrinken bewahrt wurde.534 Sie wenden sich aber auch gegen diejenigen, die falsch handeln. So setzen sie sich nach dem Kirchenreformer Petrus Damiani sogar für die Ziele der Kirchenreform ein, so daß Petrus die Simonisten vor den Scharen der Engel warnen kann, die sich schrecklich gegen sie erheben und einträchtig an ihrer Verdammung 529 Zu den Parallelen zwischen Rolands Sarazenenkämpfen und Michaels Himmelskämpfen und zur aktiven Rolle Gabriels als Beschützer Karls des Großen im französischen ›Chanson de Roland‹ vgl. Penn R. Szittya, The Angels and the Theme of Fortitudo in the Chanson de Roland, in: Neuphilologische Mitteilungen 72, 1971, S. 193–223. Am Ende tragen Michael und Gabriel gemeinsam Rolands Seele ins Paradies. 530 Auctor incertus, Sermo 3,2 (oben Anm. 501). 531 Beda Venerabilis, Historia ecclesiastica gentis Anglorum 3,19,2, S. 102: Vbi quadam infirmitate corporis arreptus, angelica meruit uisione perfrui, in qua ammonitus est coepto uerbi ministerio sedulus insistere. 532 Ebd. 3,19,3, S. 104/106: Procedente tempore et ipse sibi monasterium, in quo liberius caelestibus studiis uacaret, construxit; ubi correptus infirmitate, sicut libellus de uita eius conscriptus sufficienter edocet, raptus est e corpore et a uespera usque ad galli cantum corpore exutus, angelicorum agminum et aspectus intueri et laudes beatas meruit audire. […] Qui reductus in corpore, et die tertia rursum eductus, uidit non solum maiora beatorum gaudia, sed et maxima malignorum spirituum certamina, qui crebris accusationibus improbi iter illi caeleste intercludere contendebant nec tamen protegentibus eum angelis, quicquam proficiebant. 533 Eadmer von Canterbury, Vita Anselmi 1,1,10, S. 19: Sicut enim ursarii ursos, ita angeli malignos demones a saevitia sua coercent et opprimunt, ne nobis (tantum) noceant, quantum volunt. Vgl. Beda Venerabilis, Historia ecclesiastica 3,19,3 (oben Anm. 532); Gregor von Tours, De miraculis s. Martini 1,5 (oben Anm. 321); Bernhard von Clairvaux, Sermones in psalmum qui habitat (unten Anm. 628). 534 Beda Venerabilis, Martyrologium, Sp. 984 AB: Iterum carceri tradita, angelo visitante sanata est et refecta; dein cum magno saxi pondere in mare iactata, angelico praesidio liberata est.

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arbeiten.535 Wie Heilige, so bewirken schließlich auch Engel Wunder : Eligius von Noyen erzählt in einer Predigt von einem alten Gärtner, der all seine Erträge den Armen spendete, auf Antrieb des Teufels jedoch das Geld für sich behielt. Daraufhin verfaulte sein Fuß, so daß kein Arzt ihm mehr helfen konnte und ein erfahrener Arzt ihm den Fuß schließlich abnehmen wollte. Als er nun des Nachts Buße für seine Sünde tun wollte und zu Gott betete, er möge doch seiner früheren (guten) Taten gedenken, erschien ihm ein Engel und fragte: »Wo sind denn die Geldstücke, die du eingesammelt hast, und wo ist die Hoffnung, die du mit Dir herumschleppst?« Als der Alte daraufhin seine Sünden gestand, berührte der Engel seinen Fuß, und er wurde sogleich gesund und konnte schon am nächsten Morgen wieder auf dem Feld arbeiten.536 Alle Menschen haben schützende Engel.537 Die guten Menschen haben Engel, die sie behüten, während die bösen jeden Schutz von sich weisen, meint Remigius von Auxerre.538 Wenn aber gute und böse Menschen Engel haben, die ihnen zugeordnet sind, wie kann man dann die Kleinen gleichsam als privilegiert betrachten? fragt Radulfus Ardens und gibt selbst die Antwort: Die guten Engel sind die Hüter der Kleinen, weil sie sie durch Zustimmung zu den Ihren machen; sie sind jedoch nicht die Hüter der Bösen, weil die bösen Menschen nicht die guten, sondern die bösen Engel zu den Ihren machen, indem sie mit ihnen übereinstimmen.539 Täglich schickt Gott Engel zum Schutz der Menschen, meint 535 Petrus Damiani, Liber gratissimus 39, S. 73: Affluite nunc divitiis, constipamini tumescentes obsequentium cuneis, propre est, ut videatis omnes angelorum exercitus adversum vos vehementer iratos, apostolos, martyres omniumque sanctorum agmina contra vos terribiliter insurgere et in dampnationis vestrae sententiam concordi simul ac parili iudicio convenire. 536 Eligius von Noyen, Homilia 1, Sp. 596f.: Narraverunt senes de quodam hortulano, quia laboraret et omnem laborem suum expenderet in eleemosynam et tantum sibi retinebat, quantum ad victum ipsius sufficeret. Postea vero Satanas misit in corde eius dicens: ›Collige tibi aliquantam pecuniam, ne cum senueris aut aegrotaveris, opus habeas ad expensas‹; et collegit et adimplevit lagenam de nummis. Contingit autem eum infirmari et putrefieri pedem eius: et expendit, quod collectum fuerat, in medicos, et nihil ei prodesse potuit. Postea vero venit quidam de peritis medicis dicens ei: ›Nisi scideris pedem tuum, totum corpus tuum putrefiet;‹ et constituerunt diem incidere illi pedem. Illa autem nocte rediens in se et poenitentiam agens de his, quae gesserat, ingemuit et flevit dicens: ›Memor esto operum meorum priorum, quae faciebam cum labore intento meo, ex quo pauperibus ministrabam.‹ Et cum hoc dixisset, stetit angelus Domini et dixit ei: ›Ubi sunt nummi, quos collegisti, et ubi est spes, de qua tractasti?‹ Tunc intelligens, dixit: ›Peccavi, Domine, et modo ulterius non faciam;‹ et angelus Domini tetigit pedem eius, et sanatus est statim et surgens mane, abiit in agrum operari. Venit ergo medicus secundum constitutum diem cum ferramentis, ut secaret pedem eius, et dicunt ei: ›Exiit mane operari in agro.‹ Tunc admiratus medicus perrexit in agrum, ubi operabatur ille, et videns eum fodentem terram, glorificavit Dominum, qui reddiderat ei sanitatem. 537 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,10,21, S. 36: Item omnes homines angelos habere probantur. 538 Remigius von Auxerre, Enarationes in psalmos. Ps. 54, Sp. 416 C: O, boni habent angelos custodes, sed mali quamcunque custodiam a se repellant. 539 Radulfus Ardens, Homiliae de tempore 39. In festo angelorum. Sermo de Apocalypsi,

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Radulf in einer Predigt gerade zum Fest der Engel (am 29. September).540 Die Menschen müssen sich allerdings dementsprechend verhalten: »Da es feststeht, daß wir durch die Bewachung der Engel geschützt werden,« schreibt Jonas von Orl8ans in seinem Laienspiegel für den Grafen Matfrid von Orl8ans, »ist es nur würdig und notwendig, daß wir uns ihrem Anblick weder beim Denken noch beim Reden noch beim Tun in irgendeiner Weise unwürdig aussetzen.«541

Angesichts der Wiedereinsetzung Ebos von Reims erinnert Lothar I. an das Bibelwort (Lc 15,10), daß die Engel im Himmel sich über jeden reuigen Sünder freuen.542 Aus solchen Vorstellungen der »Schutzengel«543 konnte die Überzeugung erwachsen, daß jeder Mensch einen (persönlichen) Schutzengel habe,544 auch wenn im früheren Mittelalter erst die Anfänge dieser später verbreiteten Denkweise liegen. Schon Isidor von Sevilla hatte aber allen gentes und allen Menschen ihre »eigenen« Engel zugeschrieben.545 Hrabanus Maurus liefert dafür die Erklärung nach: »Die Aufgaben [oder Ämter] der Engel sind, wie man glaubt, über einzelne Völker und über einzelne Menschen angeordnet, damit die menschliche Natur gemäß der Verfügung des allmächtigen Gottes ihrer Lenkung und ihrem Schutz unterstellt und vor den Feinden geschützt wird.«546

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Sp. 1463 BC: Sed si omnes tam boni quam mali habent angelos sibi deputatos, quomodo in hoc parvuli quasi privilegiati hic dicuntur? Quia boni angeli sunt eorum, eo quod eos per consensum suos efficiunt, malorum vero non sunt, eo quod mali non bonos angelos, sed potius malos eis consentiendo efficiunt suos. Ebd., Sp. 1463 B: Ideo non sunt contemnendi, quia sunt filii coelestis Patris, qui eos tanti habet, quod quotidie pro eis mittit angelos suos, ad eorum custodiam deputatos. Jonas von Orl8ans, De institutione laicali 3,13, S. 290: Quia ergo constat nos angelorum praesidio muniri, dignum et necessarium est, ut eorum aspectu neque in cogitatione neque in locutione neque in opere nos quodammodo indignos faciamus. MGH Capit. 2, Nr. 226, S. 111, von 840: gaudium etiam esse angelorum in coelo super uno peccatore poenitentiam agente non dubitamus, nos mortales in terris eos nequaquam despicimus, pro quibus gaudere angelos in coelo divino testimonio non ignoramus. Vgl. dazu Faure, Anges Sp. 50ff.; Cattin/Faure, Les anges et leur image S. 237–245. Die Ursprünge liegen bei Klemens von Alexandrien (Stromateis VI 17); vgl. ebd. S. 239f. Vgl. Le Goff, Civilisation S. 209: »Chacun a son ange.« Isidor von Sevilla, Sententiae 1,10,20f., S. 35f.: Singulae gentes praepositos angelos habere creduntur. […]. Item omnes homines angelos habere probantur. Die Vorstellung von einem persönlichen Schutzengel findet sich daher nicht erstmals bei Honorius Augustodunensis (so Faure, Anges Sp. 47). Hrabanus Maurus, Enarratio super Deuteronomium 4,2, Sp. 972 D: Angelorum enim ministeria super gentes singulas et super homines singulos ordinata creduntur, quatenus sub eorum regimine atque defensione humana natura iuxta dispositionem omnipotentis Dei subiciatur atque ab inimicis tueatur. Vgl. auch Burchard von Worms, Decretum 20,46, Sp. 1029 D (nach Gregor dem Großen): Quia vero angeli hominibus praesint, per prophetam testatur angelus.

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Engel wachen über das (gute oder böse) Tun der Menschen: »Hütet euch also um so aufmerksamer und verkehrt immerzu mit Gottesfurcht,« mahnt Audoenus von Rouen im 7. Jahrhundert in seiner Eligiusvita, »denn ihr müßt wissen, daß jeder von euch einen Engel Gottes hat, der beständig beobachtet, was man tut, und wenn es gut getan ist, so erzeugt das Freude bei dem Engel, der ihm nie von der Seite weicht; begeht er aber schlechte Werke, so vertreibt er den Engel von seiner Seite und verbindet sich mit einem bösartigen Dämon.«547

Jeder Mensch, so schreibt auch Anselm von Canterbury der Äbtissin Eulalia des Klosters des heiligen Edward in Shaftesbury in Dorset, hat einen persönlichen Schutzengel, der wacht, mahnt, berichtet und hilft: »In welchem Geheimnis ihr auch gerade seid, ihr könnt sicher sein und müßt in keiner Weise zweifeln, daß jede von euch ihren Engel hat, der alle Gedanken und Handlungen sieht, aufschreibt und Gott, dem Richter, berichtet. Daher ermahne ich Euch, meine teuersten Töchter, daß eine jede im Geheimen und offen über alle Bewegungen ihres Herzens und Körpers wacht, so als ob sie ihren Schutzengel (angelum ipsum custodem) mit ihren eigenen körperlichen Augen anwesend sähe. Der allmächtige Gott möge euch mit seinem Segen schützen und zum Anblick des ewigen Ruhmes führen.«548

Je nach dem Verhalten des Menschen verbindet sich die Schutzfunktion der Engel hier wieder mit der Rolle des Mittlers und Kontrolleurs. Der Engel, der Heito in seiner Vision durch das Jüngste Gericht und die Ewigkeit geführt hatte, klärte ihn nach der Rückkehr über die Sünden der Menschen auf549 und mahnte ihn zur Besserung. Anschließend sagte er : »Ich bin zu deiner Bewachung abkommandiert« (und zwar sei er derselbe, der einst Samson geweiht und beschützt habe).550 Für Hrabanus Maurus sind die Engel »die Wächter eures Lebens« (nämlich der fratres charissimi, an die sich die Predigt wendet).551 Nach 547 Audoenus von Rouen, Vita Eligii 2,15, Sp. 541 B (dieses Kapitel ist in der MGH-Edition von Bruno Krusch, MGH SSrM 4, c. 2,16, S. 705, weggelassen): Cavete ergo attentius et iugiter cum Dei timore conversamini, scientes quia unusquisque vestrum angelum Dei habet, qui observet iugiter, quae egerit, et si quidem bene agit, gaudium sancto angelo sibi adhaerenti gignit; si vero mala opera exercet, angelum sanctum a se repellit et malignum daemonem sibi coniungit. 548 Anselm von Canterbury, ep. 337, Bd. 5, S. 275: In quocumque secreto sitis, certae estote nec ullatenus dubitetis, quia unaquaeque habet angelum suum, qui omnes cogitatus et actus eius videt et notat et ad iudicem Deum reportat. Moneo itaque vos, filiae carissimae, ut in occulto et in aperto unaquaeque sic omnes motus cordis et corporis sui custodiat ac si ipsum angelum custodem suis oculis corporalibus praesentem videat. Omnipotens Deus vos sua benedictione protegat et ad conspectum gloriae suae perducat. Amen. 549 Heito, Visio Wettini 19, S. 272: Post haec inde recedentes, coepit ei angelus exponere. in quantis vitiorum sordibus volutatur humanitas. 550 Ebd. 20, S. 273: Post haec coepit eum ammonere modo diverso de emendatione sua. ›Ego sum,‹ inquit angelus, ›ad custodiam tui deputatus.‹ 551 Hrabanus Maurus, Homiliae de festis praecipuis. Homilia 4, Sp. 15 C: et angeli, qui custodes vitae vestrae sunt.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Johannes Cassian, Christian Druthmar von Stablo und Hugo von St. Viktor hat jeder Mensch zwei Engel als Wächter, einen guten und einen bösen, damit er einem folge.552 Mit ihren Botendiensten vermitteln die Engel den Menschen darüber hinaus (himmlisches) Wissen: direkt durch Visionen, bildliche und figürlich-allegorische Verdeutlichungen (visionis formationum, imaginationum videlicet et figurationem), aber auch indirekt und hierarchisch gestuft: Die höheren Engel informieren die niedrigeren, diese die Propheten, diese wiederum die Menschen.553 Nach dem Engelfall schützen Cherubim, das »Präsidium« der Engel, außerdem das Paradies, damit die bösen Geister dort keinen Zutritt mehr erhalten (während die Flammen die Menschen abhalten),554 wie es in der Bibel von Marchiennes aus dem 12. Jahrhundert geradezu »kosmisch« dargestellt ist: Der mit dem Schwert umgürtete Cherubim schützt mit seinen sechs Flügeln und mit ausgebreiteten Armen das oben gelegene Paradies gegen »irdische« Anfechtungen von unten (Abb. IV/25, S. 177).555 Selbst im mittelalterlichen Recht spielen Engel eine Rolle, wenn etwa das Kapitular Karls des Großen von Frankfurt 794 vorschreibt, bei Gott und seinen Engeln zu schwören.556 Eine wesentliche Aufgabe verrichten die Engel schließlich beim Tod des Menschen, beim Jüngsten Gericht und bei der Erlösung.557 Das sei hier, da es im zweiten Band noch ausführlicher zu erörtern ist, nur noch kurz angedeutet, soweit es die Funktion der Engel darin betrifft. Erlösen können Engel (als Geschöpfe) allerdings nicht.558 552 Johannes Cassianus, Conlationes 13,12, S. 380f.: in quo duo angeli unicuique nostrum adhaerere dicuntur, id est bonus ac malus, in hominis uero optione consistere, ut eligat quem sequatur. Wörtlich wiederholt bei Prosper Tiro von Aquitanien, De gratia Dei et libero arbitrio contra Collatorem 13,1, Sp. 247. Vgl. Christian Druthmar von Stablo, Expositio in Matthaeum evangelistam 6, S. 163: exceptis illis habere unumquemque hominem duos angelos custodes sui, unum bonum, alterum malum. Vgl. auch Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,5,31 (oben Anm. 253). 553 So Johannes Scotus Eriugena, Expositiones super Iearchiam caelestem 9 (oben Anm. 389). 554 Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiae 14,3,4 (zu Asien), Bd. 2, S. 112f.: Cherubin quoque, id est angelorum praesidium, arcendis spiritibus malis super rompheae flagrantiam ordinatum est, ut homines flammae, angelos vero malos angeli [boni] submoveant, ne cui carni vel spiritui transgressionis aditus Paradisi pateat. Vgl. dazu Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Kapitel 5, S. 107f. 555 Bible de Marchiennes, 12. Jahrhundert. Douai, BibliothHque Municipale, ms. 2, fol. 7. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der BibliothHque Municipale Douai aus: Cattin/ Faure, Les anges et leur image, Abb. 140, S. 258. 556 MGH Capit. 1, Nr. 28, c. 9, S. 75: Definitum est etiam ab eodem domno rege sive a sancta synodo, ut Petrus episcopus contestans coram Deo et angelis eius iuraret cum duobus aut tribus, sicut sacrationem suscepit. 557 Vgl. Keck, Angels S. 44ff.; Schipperges, Welt der Engel S. 154–159 (als »Richtengel«); Rosenberg, Engel und Dämonen S. 188–208. 558 Vgl. oben S. 52 und unten S. 492f.

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»Unser Erlöser ist nicht Engel, sondern Mensch geworden,« schreibt Gregor der Große, »weil er zweifellos das werden mußte, was er erlöst: damit er den verlorenen Engel im Stich läßt, indem er ihn nicht ergreift [oder : mit einschließt], und den Menschen in sich selbst wiederherstellt, indem er ihn ergreift [oder : mit einschließt].«559

»Warum schickte (Gott) nicht einen Engel, um ihn [den Menschen] freizukaufen?« fragt auch der Schüler im ›Elucidarium‹ des Honorius Augustodunensis im frühen 12. Jahrhundert, erhält aber eine etwas anders gelagerte Antwort: »Wenn ein Engel den Menschen freigekauft hätte, dann wäre dieser sein Sklave geworden. Der Mensch sollte vielmehr so wiederhergestellt werden, daß er dem Engel gleich war. Aber noch ein zweites steht dem entgegen: Der Engel ist von seiner Natur her unfähig, den Menschen zu erlösen. Wäre er aber ein Mensch geworden, dann hätte er das erst recht nicht vermocht.«560

»Ein Engel,« so hatte Hildebert von Le Mans die Passage schon vorher ergänzt, »durfte schon deshalb nicht zu diesem Dienst geschickt werden, weil er selbst sündigen konnte, da er zuerst in seinem Hochmut gesündigt hat.«561 Gott, so Honorius, konnte aber auch keinen neuen Menschen schaffen, weil sich das nicht mehr auf die Erlösung von Adams Geschlecht bezogen hätte. Erst recht kamen Patriarchen und Propheten nicht in Frage, weil sie selbst in Sünde gezeugt und geboren sind. Weil also ein Engel nicht erlösen durfte und ein Mensch das nicht vermochte, mußte der Gottessohn, durch den alles geschieht, auch die Erlösung herbeiführen, indem er zwei Naturen in einer Person annahm. Als Gott besiegte er den Teufel, der seinerseits den Menschen besiegt hatte, öffnete den Menschen den Himmel und machte sie den Engeln gleich, und das konnte er eben nur als Gott. Als Mensch aber erlöste er die Welt, indem er den Tod auf sich nahm. Das wiederum konnte nur ein Mensch, kein (unsterblicher) Engel tun.562 559 Gregor der Große, Moralia in Iob 4,7,12, CCL 143, S. 171: Idcirco namque redemptor noster non angelus, sed homo factus est, quia hoc procul dubio fieri debuit quod redemit; ut et perditum angelum non apprehendendo desereret et hominem in semetipso apprehendendo repararet. 560 Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,115, S. 381: D. Cur non misit angelum, ut eum redimeret? M. Si angelus hominem redemisset, tunc illius et servus esset; homo autem sic restitui debuit, ut aequalis angelis esset. Et aliud oberat: angelus in sua natura invalidus erat hominem redimere; si autem homo fieret, minus posset. 561 Hildebert von Le Mans, Sermones de tempore. Sermo 11 (In nativitate Domini), Sp. 390 D: Angelus tamen non erat mittendus in hac militia, quia peccare poterat, qui prius peccavit in superbia. 562 Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,116–118, S. 382: D. Quare non creavit [Deus] alium hominem de terra et misit eum pro perdito? M. Si novum hominem Deus creasset et misisset, tunc ad genus Adae redemptio non pertineret; de suo enim genere esse debuit, qui pro homine satisfaceret. D. Cur non misit patriarcham vel prophetam? M. Patriarchae et prophetae in peccatis concepti et nati erant; et ideo genus humanum redimere non poterant. D. Evolve caetera. M. Quia igitur angelus redimere non debuit et homo per se satisfacere non potuit, Dei Filius, per quem omnia, ut et redemptio fieret per eum, assumpsit plenum

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Damit greift Honorius noch einmal die Geschöpflichkeit der Engel, die Unterschiede zum Menschen als Geschöpf wie auch die heilsgeschichtliche Funktion aller vier Akteure (Gott, Engel, Teufel, Mensch) auf. Engel sind also nicht selbst Erlöser, sondern sie geleiten den erlösten Menschen in den Himmel und in die Seligkeit. Bei der Himmelfahrt Marias erschien Christus mit seinen Engeln: »Und siehe, der Herr Jesus kam mit seinen Engeln und nahm ihre Seele auf, übergab sie dem Erzengel Michael und kehrte zurück.« schreibt Gregor von Tours.563 Beim Tod eines Heiligen aber singen die Engel564 und führen ihn zum Ruhm.565 Beim Tod des heiligen Brendinus öffnete sich nach seiner Vita der Himmel und ganze Engelchöre stiegen herab, um seine Seele in Empfang zu nehmen und damit deren Erlauchtheit aller Welt offenkundig zu machen; sie trugen sie »über die Räume des Sternenhimmels hinaus in das Paradies«.566 Nach der Vita des Pachomius (in der lateinischen Übersetzung des Dionysius Exiguus) nahm gemäß der Vision eines Mönchs eine Menge heiliger Engel mit großer Freude die Seele des verstorbenen Silvanus in Empfang und reichte sie wie eine erwählte Hostie den Blicken Christi dar, um sie dann schnell unter Lobgesängen zum ewigen Leben heraufzuführen.567 Daß Engel, wie in diesem Fall, die Seele eines Verstorbenen in Empfang nehmen, ist eine weit verbreitete Vorstellung. Nach Remigius von Auxerre »führen die heiligen Engel täglich die Gläubigen aus diesem Leben in das

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hominem et in duabus naturis factus est una persona. Et in illa natura, qua Deus erat, vicit diabolum, ut et ipse vicit hominem et omnibus praedestinatis coelum aperuit et angelis coaequavit; quod solus Deus potuit. In ea autem natura, qua homo fuit, pro iniuria maius mundo solvit, cum mortem indebitam subiit; quod solus homo facere debuit. Die Passage findet sich ziemlich wörtlich bei Werner von St. Blasien, Liber deflorationum sive excerptionum. Sermo de nativitate Domini, Sp. 789f. Rupert von Deutz, De victoria verbi Dei 11,25, S. 365f., diskutiert, weshalb Gott nicht einfach einen Engel schicken konnte. Gregor von Tours, Liber in gloria martyrum 4, S. 39: et ecce Dominus Iesus advenit cum angelis suis et accipiens animam eius, tradidit Michaheli angelo et recessit. Vgl. Gregor von Tours, Liber in gloria martyrum 8 (oben Anm. 323). Vgl. Bruno der Kartäuser, Expositio in psalmos. In psalmum 49, Sp. 855 B: quandoquidem tempestas rapiet impios, vos angeli boni, quorum ministerio sancti ducentur ad gloriam, ›congregate‹ illi, id est ad honorem illius Filii ›sanctos eius‹, id est coelum et terram. Et determinat, qui sint illi sancti. Adamnanus von Iona, Vita Columbae 113a (3,12), S. 488: Vade tum, ait Sanctus, meae obsecundare iussioni debes. Hac enim nocte praeterita vidi subito apertum caelum, angelorumque choros sancti Brendini animae obvios discendere, quorum luminosa et inconparabili claritudine totus eadem hora inlustratus est mundi orbis. […] Meque, ait, hodie quamlibet indignus sim, ob venerationem illius animae, quae hac in nocte inter sanctos angelorum choros vecta ultra siderea caelorum spatia ad paradisum ascendit, sacra oportet eucharistiae celebrare mysteria. Vita Pachomii 38 (trad. Dionysius Exiguus), Sp. 257 BC: De cuius exitu testatus est beatus Pachomius, quod multitudo sanctorum angelorum cum magna laetitia sumentes animam eius, velut electam hostiam Christi conspectibus obtulerunt. Ebd. 40, Sp. 259 A: suspiciensque vidit ipsius fratris animam veloci cursu ab angelis Domini laudantibus ad beatam vitam perennemque sustolli.

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Himmelreich«.568 Nach Smaragd von Saint-Mihiel nehmen sie die Seele, trennen sie vom Körper und führen sie vor das Gericht des unsterblichen und furchterregenden Richters,569 wie es zuvor bereits Audoenus von Rouen über den Tod des Bischofs Eligius von Noyen geschrieben hatte: Im Anblick dieses Tribunals gedenkt die Seele ihrer üblen Taten, erzittert und möchte fliehen und um Verzeihung (wörtlich: um Waffenstillstand) bitten, bis die Engel kommen und sie an sich nehmen.570 Entsprechend sind Engel selbstverständlich Begleiter der Visionäre von Jenseitsvisionen. Die Seelen der Erlösten, die Furseus in seiner Vision sah, mußten durch ein von Dämonen bevölkertes Feuer gehen, das verbrannte, was man selbst an Unheil angezündet hatte, vor dem ihn aber drei Engel beschützten. Nachdem Engel und Dämonen über die Verdienste und Untaten der Verstorbenen gestritten hatten, kehrten die übrigen Engel zum Himmel zurück, während die drei Engel, die während der ganzen Vision seine Begleiter und Führer gewesen waren, weiterhin bei ihm blieben und ihn wohlbehalten zu seinem Körper zurückbrachten. Dabei teilten sie, wie schon auf dem Hinweg, die Flammen, damit er unverletzt passieren konnte.571 Hugo von Flavigny flicht in seine Chronik am Ende einer solchen Vision ein (über-)langes Zwiegespräch zwischen einer Seele und dem Erzengel Michael ein, das gerade in seinen vielen Wiederholungen und im Drängen der Seele sowohl die Bedeutung als auch die ängstliche Ungewißheit der Zukunft verdeutlicht: »Seele: ›O heiliger Michael, laß mich zu meinen Brüdern zurückkehren und mich ihnen alles erzählen.‹ Engel: ›Ich entlasse dich (noch) nicht. Komm und folge mir. Hab’ Vertrauen.‹ Seele: ›Herr, was für schöne Wohnungen; sag’ mir, wer darin wohnen soll.‹ Engel: ›Seele, das kannst du nicht wissen. Diese ist schön.‹ Seele: ›O heiliger Herr Michael, sag mir, was diese andere Wohnung ist. Sag mir, wer hier wohnen soll.‹ Engel: 568 Remigius von Auxerre, Enarationes in psalmos. Ps. 128, Sp. 783 B: Quod autem sequitur, nec ›sinum suum qui manipulos colligit‹, iidem sunt et qui metunt et qui manipulos colligunt, scilicet sancti angeli, qui quotidie abducunt fideles ab hac vita in regnum coelorum. 569 Smaragd von Saint-Mihiel, Diadema monachorum 88 (De hora exitus et separatione animae a corpore), Sp. 680f.: Beatus qui invenerit fiduciam in illa hora exitus sui, quando anima separabitur a corpore; cum magno namque metu magnisque doloribus sparatur. Venientque enim angeli assumere animam, et separabunt eam a corpore et perducent ante tribunal immortalis et metuendi iudicis. 570 Audoenus von Rouen, Vita Eligii 2,15, Sp. 543 B (der Abschnitt ist in der MGH-Ausgabe wiederum ausgelassen): Quod si vultis scire cum magno metu, charissimi, magnisque doloribus separatur anima a corpore, veniunt enim angeli eam assumere, ut perducant illam ante tribunal metuendi Iudicis, et tunc illa memorans opera sua mala, quae die noctuque gessit, contremiscit et quaerit ea fugere induciasque petere. 571 Beda Venerabilis, Historia ecclesiastica 3,19,5, S. 108: Qui cum uerba finissent et cum angelicis spiritibus ipsi quoque ad caelos redirent, remanserunt cum beato Furseo tres angeli, de quibus diximus, qui eum ad corpus referrent. Cumque praefato igni maximo appropiarent, diuisit quidem angelus, sicut prius, ignem flammae.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

›Friedrich.‹ Seele: ›O Herr, in dieser Wohnung gibt es kaum Abkühlung.‹ Engel: ›Sie ist noch nicht ganz recht.‹ Seele: ›Ich sehe, Herr, die Wohnung ist schön, wenn sie vollkommen wäre. O Herr Abt, viele Wunder hat der Herr durch dich offenbart. Maynus Friedrich, stark und lobenswert. O Herr, laß mich nicht hier stehen bleiben, laß mich zu meinen Brüdern gehen und ihnen alles erzählen, was ich gesehen habe.‹ Engel: ›Nein. Das steht nicht in meiner Macht, sondern in der des Erlösers.‹ Seele: ›O Herr, wie weit ist der Weg zum Paradies?‹ Engel: ›Laß uns dorthin gehen. Folge mir.‹ Seele: ›Ich folge dir. Ach Herr, sag mir, was das ist.‹ Seele: ›Das ist das eine Paradies.‹ Seele: ›Ach Adam, weshalb hast du deiner Frau geglaubt? Ach Eva, weshalb hast du deinen Mann getäuscht? O boshafte Schlange Leviathan, weshalb hast du die Frau verführt? O heiliger Petrus, heiliger Paulus, heiliger Johannes, großer heiliger Vedastus, Gnade. O fromme Maria, heilige, ruhmreiche Maria, erbarme dich. O Herr, laß mich gehen.‹ Seele: ›Ich laß dich nicht gehen. Setz dich, setz dich, setz dich.‹ Seele: ›Weshalb läßt du mich nicht gehen?‹ Engel: ›Ich lasse dich nicht gehen, bevor wir zum Heiland gekommen sind.‹ Seele: ›O heiliger Michael, sag mir, was das für eine andere Wohnung ist.‹ Engel: ›Das ist das andere Paradies.‹ Seele: ›Oh Herr, wer ist dieser Mann?‹ Engel: ›Die beiden sind die heiligen Elias und Enoch.‹ Seele: ›Oh, Herr, was machen sie dort?‹ Engel: ›Sie erwarten das Gottesgericht.‹ Seele: ›Oh Herr, was machen sie dann?‹ Engel: ›Sie werden dort sein, bis der Antichrist kommt.‹ Seele: ›Wann wird der Antichrist kommen, oh Herr, und was machen sie dann?‹ Engel: ›Dann erheben sie sich.‹ Seele: ›Wohin gehen sie?‹ Engel: ›Zu den irdischen Zeitaltern.‹«572

In dieser Weise geht es noch nahezu endlos weiter. Die Seele fragt nach dem Antichrist – das sei der große Teufel, der behauptet, Christus zu sein – und 572 Hugo von Flavigny, Chronicon 2, S. 382f.: Anima : ›O sancte Michael, dimitte me ire ad fratres meos, et dicam illis omnia.‹ Angelus : ›Non dimittam te, veni sequere me. Fide.‹ Anima: ›Domine, quam pulchras mansiones; dic mihi, quis debet in eas habitare. O quam pulcram mansionem. O sancte Michael, dic mihi.‹ Angelus : ›Anima, non potes scire. Ista bona est.‹ Anima: ›O domine sancte Michael, dic mihi, quae est ista altera mansio. Dic mihi quis debeat hic habitare.‹ Angelus : ›Fredericus.‹ Anima: ›O domine, parvum refrigerium est in ista mansione.‹ Angelus: ›Adhuc non est rectum.‹ Anima: ›Video domine, pulcra est mansio. si perfecta fuisset. O domnus abbas, multa mirabilia ostendit Dominus per te. Maynus Fredericus, fortis et laudabilis. O domine, non permittas me hic stare, dimitte me ire ad fratres meos, et dicam illis omnia quaecumque vidi.‹ Angelus : ›Non. Non est in mea potestate, sed in Salvatoris.‹ Anima: ›O domine, quam longa via est ubi est paradisus?‹ Angelus : ›Eamus, sequere me.‹ Anima: ›Sequor te. O domine, dic mihi quid est?‹ Angelus: ›Unus paradisus est.‹ Anima : ›O Adam, quare credidisti uxori tuae? O Eva, quare decepisti virum tuum? O maligne serpens Leviathan, quare seduxisti mulierem? O sancte Petre, sancte Paule, sancte Iohannes, magnus sanctus Vedastus, misericordiam. O pia Maria, sancta et gloriosa Maria, miserere. O domine, dimitte me.‹ Angelus: ›Anima, non dimittam te, sede, sede, sede.‹ Anima : ›Quare non dimittis me?‹ Angelus : ›Non dimittam te, nisi veniemus ad Salvatorem.‹ Angelus : ›Veni eamus.‹ Anima : ›O domine sancte Michael, dic mihi quae est ista altera mansio?‹ Angelus: ›Alter paradisus est.‹ Anima: ›O domine, quis est iste homo?‹ Angelus : ›Duo sancti Elias et Enoc.‹ Anima : ›O domine, quid faciunt hic ?‹ Angelus : ›Expectant iudicium Dei.‹ Anima: ›O domine, quid facient tunc?‹ Angelus : ›Erunt ibi quousque veniat Anticristus.‹ Anima : ›Quando veniet Anticristus, o domine, quid facient tunc?‹ Angelus : ›Tunc surgent illi.‹ Anima: ›Ubi pergent?‹ Angelus : ›Ad secula terrena.‹

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bekennt: »Oh, ihr Völker alle, glaubt ihm nicht; glaubt mir, daß der Heiland im Himmel ist. Wer das nicht glaubt, wird nicht das ewige Leben erhalten.«573 Der Engel klärt die Seele, die immer wieder fragt: »Was machen sie dann?«, über das Jüngste Gericht auf. Die Erde verbrennt, bis der Erlöser mit den Aposteln kommt und zur Auferstehung ruft. Auch das beschreibt der Engel widerstrebend – »Oh Seele, warum hörst du nicht auf zu fragen?« – der unaufhörlich fragenden Seele: Er erklärt das Alter der Auferstandenen und das Gericht der Apostel über die Völker Israel. »Oh Herr,« fragt die Seele, »wann kommt der Erlöser?« und erhält die Antwort: »Noch kommt er nicht.«574 Alle werden, ständeweise, gerichtet. Der Engel beschreibt kurz die ewige Seligkeit und die ewige Verdammnis. Am Ende führt er die Seele in das »große Paradies« und dann in die Hölle mit den Wohnungen der Teufel und dem »großen Wasser«, wo die Seelen derjenigen auf das Gericht warten, deren Schicksal noch nicht entschieden ist, und zur »bösen Hölle« mit den nicht mehr Erlösbaren. Aber auch die Guten müssen hier noch bis zum Jüngsten Gericht warten, und der Engel offenbart ihm noch das Schicksal bestimmter einzelner Menschen. Noch immer entläßt er die Seele nicht. Am Ende führt er sie vor den Erlöser, der sie fragt: »Quid quaeris?« und ihr mit dem Tod droht, falls sie jemand anderem als dem Abt erzählt, was sie gesehen hat. Am 17. April 1011 kehrte die Seele in ihren Körper zurück und berichtete alles, bevor der Mönch bald darauf tatsächlich verstarb.575 Mag es sich hier also um den Fiebertraum eines Sterbenden handeln, so gibt er doch gut die Vorstellungen von den letzten Dingen und der Rolle der Engel darin wider. Beim Jüngsten Gericht sind die Engel zugegen,576 und sie leiten es durch ihre Posaunenstöße ein.577 Bildliche Darstellungen bestätigen das vielfach. In der Bamberger Apokalypse bläst rechts oben im Himmel ein übergroßer Engel mit seiner Posaune (nach Apoc 9,13) das Gericht ein, während unter ihm die vier noch gefesselten Engel, die er dem Apokalypsentext zufolge zu befreien beginnt, zuschauen und auf der braun untermalten Erde unten drei bunt gepanzerte, apokalyptische Reiter auf feuer- und aschespeienden Pferden über

573 Ebd.: Anima: ›O omnes gentes non credatis illi; credite mihi, quia Salvator est in celo; qui hoc non credit, vitam aeternam non habebit. O omnes gentes non credatis isti seductori; non habebit potestatem.‹ 574 Ebd.: Anima: ›O domine, quando veniet Salvator?‹ Angelus: ›Adhuc non venit.‹ 575 Ebd.: His ita finitis, anima ad corpus reversa, in momento nobis videntibus frater ille erectus, aliquantulum ista tamen dissimulans est loquutus: Acta sunt hec 15 Kal. Mai, anno dominicae incarnationis 1011. 576 Die sieben Engel der Apokalypse kommentiert Rupert von Deutz ausführlich in seinem Apokalypsenkommentar Buch 5 und 6. 577 In den Apokalypsekommentaren ist das ausführlich beschrieben; vgl. zum Beispiel Richard von St. Viktor, In Apocalypsim Ioannis 3,1–8, Sp. 776–798.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

die Toten hinwegreiten (Abb. IV/26, S. 178).578 In der bereits um 800 geschriebenen Apokalypse von Saint-Amand leitet der Engel mit großer Tuba die fünfte Plage ein (Apoc 9,1f.), wonach aus dem Brunnen des Abgrunds Rauch wie aus einem großen Ofen aufsteigt und die Sonne verfinstert (Abb. IV/27, S. 179).579 Engel führen die Menschen heran, wägen die Seelen und führen die Erlösten in den Himmel, ja die Entscheidung über Erlösung oder Verworfensein stellt man sich als einen Kampf der Engel und Dämonen580 um die Seele des einzelnen vor. Das ist später noch genauer zu betrachten. Nach dem Jüngsten Gericht aber können die bösen Engel die Hölle nicht mehr verlassen und durch die Lüfte sausen, um jemanden zu gefährden.581 Jetzt werden daher auch die oben beschriebenen Funktionen der guten Engel im Hinblick auf den Menschen überflüssig. Bruno dem Kartäuser zufolge schuf Gott in den Engeln verschiedene Ämter um der Menschen willen, damit die Engel deren Heil dienen. Nach dem Jüngsten Gericht aber bedarf es dieser Aufgaben und Hilfen nicht mehr, da weder die guten Engel mehr die Menschen schützen noch die schlechten ihnen schaden müssen. Dann verlieren sich folgerichtig auch die Namen der verschiedenen Engelstände.582

578 Bamberger Apokalypse, um 1000. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 24v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek Bamberg. Die Abbildung weicht mehrfach vom Apokalypsentext ab. So trägt ein Reiter einen grünen und nicht einen »rauchblauen« Panzer, und die Pferde haben keine Löwenköpfe, wohl aber Schlangenschwänze. Das Motiv des Posaune blasenden Engels wird noch in mehreren Miniaturen wiederholt. 579 Apokalypse von Saint-Amand/Valenciennes, Mittelrhein, 9. Jahrhundert. Valenciennes. BibliothHque Municipale, ms 99, fol. 18. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der BibliothHque municipale in Valenciennes. Im Perikopenbuch Heinrichs II. leiten vier große, Tuba blasende Engel die ins Bild gesetzte Auferstehung der Menschen bei heftig aus den vier Ecken blasenden Winden ein (München, Bayerische Staatsbibliothek clm 4452, fol. 201v (Digitalisat Nr. 406). 580 Zum apokalyptischen Kampf zwischen Engeln und Dämonen vgl. Sandra Isetta, La guerra in cielo: angeli alleati dei santi, in: Accekos – Angelus S. 193–209. 581 Vgl. Radulfus Ardens, Homiliae de tempore 38: In festo angelorum. Sermo de Apocalypsi, Sp. 1457 D: Sequitur pars secunda, in qua ostenditur, quod mali angeli a bonis sunt superati, cum subditur. […] (Sp. 1458 A) Finito certamine bonorum et malorum angelorum, quod non erit usque in finem mundi, ex tunc angeli ita coarctabuntur in inferno, ut de caetero non habeant potestatem per aera discurrere vel aliquem infestare. 582 Bruno der Kartäuser, Expositio in omnes epistolas Pauli. Epistola ad Corinthios I, c. 15 (oben Anm. 420).

11. Die Engelerscheinungen

11.

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Die Engelerscheinungen

Funktionen und Wirken, Natur und Gestalt der Engel bündeln und konkretisieren sich in ihren zahlreichen Erscheinungen. »Auch wenn Engel mit dem körperlichen Sinn nicht wahrgenommen werden können, werden sie doch denen sichtbar, zu denen sie aufgrund der göttlichen Weisungen gelangen,« schreibt der konvertierte, spanische Jude Petrus Alfonsi im frühen 12. Jahrhundert.583 Engelerscheinungen bleiben keineswegs auf die Bibel beschränkt, sondern sind in mittelalterlichen Quellen insgesamt häufig bezeugt: in Viten, aber auch in historiographischen und theologischen Texten.584 Bedas Predigten sind geradezu mit Engelerscheinungen gefüllt. Apparuit angelus Domini wird ebenso zu einer stehenden Wendung wie misit angelum suum:585 Die Engel sind jeweils von Gott geschickt und handeln in seinem Auftrag. Gemäß ihren verschiedenen Funktionen erscheinen Engel in vielfacher Ausprägung. Johann Hafner unterscheidet Engelchristologien (Christus als Engel)586 sowie allein im Neuen Testament: Verkündigungsengel, Grabesengel, Gerichtsengel, Kampfengel, Seelengeleiter, Mächte und Gewalten.587 Sie erscheinen in unterschiedlicher Gestalt, mehrfach, besonders im frühen Mittelalter, auch als Taube, also eigentlich im Zeichen des Heiligen Geistes.588 Und sie treten, nicht zuletzt in Bildquellen, in den verschiedensten Situationen auf: im Alten Testament bei der Schöpfung, als Paradieswächter,589 bei der Arche Noah, 583 Petrus Alfonsi, Dialogi 5, S. 70: Licet angeli corporeo sensu non possint percipi, illis tamen, qui secundum mandata Dei incedunt, visibiles fiunt. Die künftig maßgebliche Neuedition von Carmen Cardelle de Hartmann war bis zur Drucklegung noch nicht erschienen. 584 Ausgesprochen viele Engelerscheinungen sind, um nur drei Beispiele zu nennen, bei Palladius Helenopolitanus, Historia Lausiaca, Sp. 1091ff., sowie in den vier Evangelienkommentaren des Beda Venerabilis zu den Engelerscheinungen in den Evangelien erwähnt. Adamnan von Iona beschreibt in seiner ›Vita Columbae‹, die verschiedenen Engelserscheinungen Columbas. Vgl. dazu Bruce, Prophecy (oben Anm. 476). 585 Nach den biblischen Vorlagen Iudic 13,3 und Mt 2,19. Vgl. beispielsweise Vita Wandregisili 9, S. 17. 586 Hafner, Angelologie S. 182–191. 587 Ebd. S. 192–225. 588 Vgl. etwa Vita Bavonis confessoris Gandavensis 12, S. 543: Cum vero se paululum sopori dedisset, angelum Domini in specie columbae super se venientem conspexit. Nach der Vita Nivardi episcopi Remensis 7, S. 165, umflog ein Engel in Gestalt einer Taube dreimal die gesamte Gegend: Tunc huiusmodi visum vidit, scilicet aperto celo angelum a Deo missum de superis in specie nivee columbe descendisse atque, libratis in aera pennis, trino volatu mire pulchritudinis ambitu spacium silve ac totum montis verticem circunvolasse ac deifico splendore omnem locum sanctificasse. Ähnlich Annales s. Bavonis Gandenses a. 631, S. 186: appropinquante sancti Bavonis vite termino, angelus eum Domini per visum in specie columbe visitavit, totam ipsius cellulam mira odoris fragrantia replens. 589 Isidor von Sevilla, Etymologiae 14,3,4, Bd. 2, S. 112f., berichtet vom Cherubim, der das Paradies vor den bösen Engeln schützt, nicht in seinem Abschnitt über Engel, sondern über Asien (wo er das Paradies ansiedelt).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

beim Turmbau von Babel, bei der Opferung Isaaks, auf der Jakobsleiter, bei Moses’ Empfang der Gesetzestafeln, bei Balaam, in Salomons Traum oder Daniel in der Löwengrube; im Neuen Testament bei der Verkündigung und der Inkarnation Christi, bei Hirten und Magiern, bei der Taufe, Versuchung und Kreuzigung Christi, bei der Eucharistie, später zusätzlich am Grab, bei der Auferstehung und Himmelfahrt, als »Tetramorph« (mit vier verschiedenen Köpfen als Sinnbild der vier Evangelisten), speziell als Symbol für den Evangelisten Matthäus (das als Mensch, aber auch als Engel gedeutet wird, recht häufig aber an seinen Flügeln als solcher erkennbar ist), in apokalyptischen Visionen, beim Drachenkampf (Michael) oder als Begleiter der Jungfrau,590 im Zusammenhang mit der Majestas Domini, Christi Geburt und Himmelfahrt, Mariä Krönung und Himmelfahrt oder beim Jüngsten Gericht.591 In der Bamberger Apokalypse erläutern unten auf der Erde zwei große Engel mit hoch aufragenden Flügeln den zu dem auf einer Wolke emporschwebenden Christus aufschauenden Menschen den Vorgang, während oben im rötlich gefärbten Himmel zwei Engel Christus in Empfang nehmen (Abb. IV/28, S. 180).592 Wie auch auf anderen Bildern dieser Handschrift sind Christus und die Engel gleich gekleidet. Ganz ähnlich ist der Vorgang in einem Bamberger Sakramentar (vor 1018) dargestellt, doch steigt Christus hier in einer Mandorla auf, die wiederum mit Sternen geschmückt ist (Abb. IV/29, S. 181).593 Engel sind aber auch bei den wichtigen Stationen im Leben eines Menschen zugegen: bei der Taufe, Firmung, Buße, Eucharistie, Ehe und Krankenölung,594 ferner bei der Messe595 sowie bei

590 So die unterscheidende Gliederung bei Stapert, L’ange roman S. 291–352. Zu Evangelistensymbolen vgl. auch Schmidt/Schmidt, Die vergessene Bildersprache S. 170–180. 591 So Hammerstein, Musik der Engel S. 222–236. Vgl. Gathercole, Depiction of Angels S. 25–47 (»Activities«). Danach begegnen Engel vor allem bei der Verkündigung Marias, der Geburt Christi, der Verkündigung an die Hirten, auf Maria-und-Christus-Bildern, in Visitationsszenen, bei der Kreuzigung und Auferstehung Christi sowie in Majestas-Darstellungen, im Paradies, beim Jüngsten Gericht, beim Drachenkampf oder zusammen mit Heiligen. Barral Rivadulla, ]ngeles y demonios, behandelt drei herausragende Bildmotive: den Engelfall, die himmlische Hierarchie und den Himmel. 592 Bamberger Apokalypse, um 1000. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 71v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek Bamberg. Vgl. den Kommentar bei Suckale-Redlefsen/Schemmel (Hg.), Das Buch mit 7 Siegeln S. 73. Das gleiche Bild auch im Evangelistar (Perikopenbuch) Heinrichs II. Reichenau 1007/ 1012). München, Bayerische Staatsbibliothek clm 4452, fol. 131v (Digitalisat Image 266). 593 Bamberger Sakramentar, Reichenau, nach 1018. The Bodleian Libraries, University of Oxford, MS. Canon. Liturg. 319, fol. 110v. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Bodleian Library Oxford aus: Josef Kirmeier/Bernd Schneidmüller/Stefan Weinfurter/Evamaria Brockhoff (Hg.), Kaiser Heinrich II. 1002–1024, Stuttgart 2002, Nr. 119, S. 282. 594 So Schipperges, Welt der Engel S. 136–146. 595 Vgl. Hinkmar von Reims, De cavendis vitiis et virtutibus exercendis 2,6 (oben Anm. 512).

11. Die Engelerscheinungen

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der Kirchweihe.596 Engel erscheinen insgesamt als »most active creatures«.597 Sie haben hier eine klare Gestalt und – nicht erst im Spätmittelalter – einen festen Ort: »Angels […] are associated with place because they act in place.«598 Wenn Beda Venerabilis und (danach oft) Ado von Vienne in ihren Martyrologien immer wieder Engelerscheinungen erwähnen, dann werden diese gewissermaßen zum Kennzeichen der Heiligen:599 Engel erscheinen selten x-beliebigen Menschen, sondern jeweils auserwählten Personen.600 Dem heiligen Remigius erschien beispielsweise ein Engel, »der ihm beistand und ihm alle Worte und Taten erzählte«.601 Der heilige Martin »verkehrte« in seiner Zelle nach Gregor von Tours geradezu ständig mit den ihn häufig aufsuchenden Engeln.602 Dem heiligen Pardulf erschien im Traum der Erzengel Michael, verkündete ihm seine Erwähltheit und gab ihm klare (symbolische) Anweisungen, auf die Himmelsleiter zu steigen: »Steh schnell auf, Pardulf, du Mann Gottes, und steige auf die Stufe dieser Leiter, lenke deinen Schritt mit der rechten Hand, aber gehe nie mit der linken voran, weil die Dunkelheit groß ist. Sieh den Herrn deinen Gott, den du liebst, oben auf der Leiter stehen, die Krone in der Hand haltend, die er auf dein Haupt setzen will, und den Stab, um sein Volk zu regieren, auf daß du denjenigen, der guten Werken folgt, den Weg des Heils lehrst.«603 596 Vgl. Matthias M. Tischler, Die Christus- und Engelweihe im Mittelalter. Texte, Bilder und Studien zu einem ekklesiologischen Erzählmotiv (Erudiri Sapientia 5), Berlin 2005, zu sogenannten Engelweihen, die danach tatsächlich aber Christusweihen sind. 597 So Gathercole, Depiction of Angels S. 45. 598 So John Marenbon, Abelard on Angels S. 63–71, zu Abaelard; das Zitat S. 70. 599 Vgl. etwa Beda Venerabilis, Martyrologium, Sp. 819 B (Vincentius); Sp. 828 B (Hippolyt); Sp. 870 A (Balbina); Sp. 888 B (Markus); Sp. 918 A (Torpes); Sp. 984 AB (Christina); Sp. 1140 A (Jungfrauen von Antiochia); Ado von Vienne, Martyrologium, Sp. 274 B (apparuit angelus Domini); Sp. 279 C; Sp. 282 D; Sp. 308 A (ubi iterum angelo visitante relevantur); Sp. 313 B (nocteque ab angelo visitatus). 600 Vgl. Vita Menelei abbatis Menatensis 2,14, S. 155f.; Vita Nivardi episcopi Remensis 8, ebd. S. 166. 601 Hinkmar von Reims, Vita Remigii episcopi Remensis 21, S. 303: Beatus quoque Remigius in cripta, que retro sedem erat aecclesiae sanctae Mariae Remi, pernoctabat in oratione et quasi dormiens in excessum est raptus et vidit angelum assistentem sibi, qui haec omnia, sicut dicta et gesta fuerant, narravit. 602 Gregor von Tours, De miraculis s. Martini 1,2, S. 138: Magnifica vero atque desiderabili paschali festivitate adveniente, populus ad beati cellulam, in qua commoratus saepe frequentaverat cum angelis, devotus advenit. 603 Vita Pardulfi abbatis Waractensis 8, S. 29: Dum quadam nocte paululum obdormisset, archangelum Micahelem coram se in somnis adsistentem vidit, qui clara voce ad eum ait: ›Pardulfe, vir Dei, surge velociter et ascende super hunc gradum scale istius, dextera manu gressus dirige, sinistra autem noli praeire, quia tenebre magne sunt! Ecce dominum Deum tuum, quem diligis, stantem ad summitatem scale, tenentem coronam in manibus, quam in capite tuo ponere velit, et baculum ad regendum populum eius, ut sectatorem bonorum operum viam salutis doceas!‹

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Dem Priester Odulphus aus dem Dorf Oerschot erschien in einer Vision ein von hellem Licht umgebener Engel Gottes und sagte mit rosenrotem Munde, er solle aufstehen und nach Utrecht eilen und mit den anderen dem Volk predigen.604 Nach Paschasius Radbertus nehmen die Auserwählten sogar bereits mit der Menge der Engel und aller Heiligen (im Himmel) die Mahlzeiten ein, weil sie schon jetzt zum ewigen Gastmahl des ewigen Gottes geladen sind.605 Bei ihren Erscheinungen nehmen die Engel, wie schon oben betont, »luftige Körper« an, »um sich uns darin zu offenbaren, die wir sie nicht in ihrer geistigen Wesenheit sehen können«.606 Überhaupt schälen sich stereotype »Erscheinungsmuster« heraus, welche die Engelerscheinungen durch durchweg positive Eindrücke herausheben und ihnen einen besonderen Charakter verleihen: Engel tragen nicht nur weiße Gewänder (nach Art der Priesterbekleidung bzw. ahmt diese umgekehrt Engelgewänder nach),607 sie stehen vielmehr in vollem Glanz, wie der Engel, der dem heiligen Otmar am Altar begegnete.608 Engel sind

604 Odbertus, Passio Friderici Episcopi Traiectensis 13, S. 350: In ipsa vero tempestate quidam sacerdos nomine Odulphus in vico qui dicitur Oerschot deguit sanctissimus, nobili de patre Bodgiso satus, praedicator populorum non minimus, Sacris deditus Scripturis et bonis in actibus nulli fuerat postponendus. Hic cum quadam nocte in suo fessus requiesceret stramine, vidit in visione angelum Dei sibi astantem, claro de lumine circumseptum et talia roseo ore verba proferentem: ›Surge, serve Ihesu Cristi, [surge]! Oportet te adire castrum, cui nomen est Traiectum, et cum ceteris Dei famulis [ibi] ad tuum conversare exitum, et ad praedicandum populo beati Frederici, cuius est illud pontificium, te decet esse fautorem, in quocumque iusserit locorum.‹ 605 Paschasius Radbertus, De corpore et sanguine domini. Prologus ad Karolum (Calvum), S. 9: Vbi si recte sapio, quotienslibet quicumque recumbit inter ea, de quibus agitur, inter angelorum frequentiam et sanctorum omnium epulas uersatur, quia conuiuium aeterni regis est ad quod ingreditur, ubi sponsus et sponsa dulcibus deliciarum fruuntur muneribus et rex totius creaturae cotidie ingreditur, ut uideat discumbentes, si uestem, in qua renati sunt, habeant nuptialem. 606 So Robert der Mönch (Robert von Saint-Remi), Historia Iherosolimitana 5 (9), ed. Kempf/ Bull S. 52 (RHC 3, S. 797): Ad hec capellanus: ›Cum Omnipotens Creator angelos suos sive iustorum spiritus mittere disponit in terram, tunc assumunt sibi aeria corpora, ut per ea nobis innotescant, qui videri non possunt in spiritali essentia sua.‹ Zur »Einkörperung« der Engel vgl. Hafner, Angelologie S. 148f. 607 Vgl. oben S. 78ff. 608 Vgl. Heito, Visio Wettini 3 (unten Anm. 610); Walahfrid Strabo, Vita Otmari 17, S. 47: Paucis deinde diebus exactis, quidam frater, dum nocturnas vigilias praeveniens idem oratorium orandi gratia quadam nocte fuisset ingressus, totoque affectu precibus insistens ad altare direxisset intuitum, nescio quam a dextris altaris in angelicae claritatis nitore vidit stare personam sacerdotali quidem habitu praefulgentem, facie autem ad orientem versa, gestu corporis intentissimae orationis specimen exhibentem; vestimenta vero ipsa tanti fuisse nitoris asseruit, ut humanae infirmitatis reverberarent obtutus; Caradocus von Llancarfan (Lancarbanensis), Vita Gildae, S. 110, aus dem 11. Jahrhundert, zu Gildas Tod: aegrotans valde multis videntibus splendorem angelicum circa corpus odoriferum et angelis consociantibus animae.

11. Die Engelerscheinungen

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gleichsam »Licht«609 (gemäß ihrer oben besprochenen Natur und Entstehung), und sie haben eine sanfte Stimme. Bezeichnend ist der Bericht der ›Visio Wettini‹: »Der Engel kam in unglaublich leuchtender Schönheit, und er trug ein Purpurkleid; er stand zu seinen Füßen und redete ihn mit freundlicher Stimme an und sagte: ›Zu Dir komme ich, geliebteste Seele.‹ […]. Wieder kam derselbe Engel, der ihm in der früheren Vision in Purpur gekleidet und zu seinen Füßen stehend erschienen war ; er stand jetzt in einem weißen Umhang an seinem Haupt, schimmerte in unglaublichem Glanz und redete ihn in wohltuender Rede an und lobte seinen Zufluchtsort.«610

»Damit Du aber nicht daran zweifelst, daß ich von Gott geschickt bin,« sagte der Engel, der Genebaudus erschien, »wird sich, so wie sich dir der Himmel öffnet, auch dieses Tor öffnen« (wie es dann auch geschah).611 Wenn Beda Venerabilis hervorhebt, daß im Alten Testament nirgends von Lichterscheinungen der Engel die Rede ist, diese also offensichtlich ein Privileg der christlichen Zeiten und Heiligen sind, zumal jetzt nicht nur einzelne Engel, sondern ganze Scharen auftreten, um Gott Lob zu singen, um damit die Hoffnung der Menschen auf Frieden unter einem Glauben anzuzeigen,612 dann mag man das als Indiz dafür werten, daß solche Vorstellungen genuin christlich-mittelalterlich sind. Die biblisch bezeugten Verkündigungen durch Engel (wie bei der Verkündigung Marias) fanden in der christlichen Geschichte jedenfalls vielfache Fortsetzungen, so daß Jacques Le Goff, vielleicht etwas überspitzt, folgern kann, in der mittelalterlichen Vorstellung seien die Engel ständig auf Jakobs Leiter zwi609 Vgl. etwa Hinkmar von Reims, Vita Remigii episcopi Remensis 16, S. 303: circa mediam noctem venit angelus Domini magna cum luce ad eum in oratorium; Beda Venerabilis, Homiliae evangelii 1,7 (unten Anm. 612); Vita Wandregisili 12 (unten Anm. 614); Liber de unitate ecclesiae conservanda 35,2, S. 262. Zu Engeln bei Beda vgl. Michael Alexander, Angels in Bede, Demons in Beowulf, in: Carruthers (Hg.), Anges et D8mons S. 29–37. 610 Heito, Visio Wettini 3, S. 269: venit angelus incredibili splendens pulchritudine, veste purpurea circumdatus, stans ad pedes eius, amicabili eum voce compellans: ›Ad te,‹ inquit, ›venio, dilectissima anima:‹ Ebd. 5, S. 269: venit isdem angelus, qui ei in priori visione ad pedes stans purpuratus apparuit, candidis amictus vestimentis ad caput stans, splendore incredibili fulgidus; eumque blandis alloquens sermonibus laudavit confugium eius. 611 Hinkmar von Reims, Vita s. Remigii episcopi Remensis 16, S. 303: ›Ut non dubites,‹ inquit, ›me a Domino missum, sicut patet tibi caelum, sic et ostium istud patebit.‹ Et statim, salvo sigillo ac sera, ostium illud apertum est. 612 Beda Venerabilis, Homiliae evangelii 1,7, S. 46: Nusquam enim in tota ueteris instrumenti serie repperimus angelos, qui tam sedulo apparuere patribus cum luce apparuisse, sed hoc priuilegium recte hodierno tempori seruatum est, quando exortum est in tenebris lumen rectis corde misericors et miserator dominus. Verum ne parua unius angeli uideretur auctoritas postquam unus sacramentum nouae natiuitatis edocuit, statim multitudo caelestium agminum, quae gloriam Deo caneret pacemque simul hominibus praedicaret, adfuit, aperte demonstrans, quia per hanc natiuitatem homines ad pacem unius fidei spei et dilectionis atque ad gloriam diuinae laudationis essent conuertendi.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

schen Himmel und Erde auf- und abgestiegen.613 Tatsächlich gibt es unzählige solcher und ähnlicher Geschichten (wie es ja auch unzählige Heilige gibt). Dennoch bleiben solche Erscheinungen stets besondere Ausnahmen, die sich an die Auserwählten richten. So sieht, um nur noch wenige Beispiele anzuführen, der heilige Wandregisel einen Engel in solcher Klarheit – ein typisches Merkmal –, daß dieser seine Wohnung mit unermeßlichem Licht und Duft erfüllte; der Engel aber verkündete ihm seine Auserwähltheit bei Gott: »Eines Nachts, als er in gottergebenem Gebet in seiner Zelle verharrte, stand plötzlich der Engel Gottes in solch großer, leuchtender Klarheit vor ihm, daß jene Wohnstätte in ungeheurem Licht schrecklich widerstrahlte und die Hütte von einem süßen Geruch erfüllt wurde. Und eine Stimme erhob sich und sagte zu ihm: ›Diener Gottes, der Du so leicht zur Furcht neigst, Friede sei mit dir, weil Du vor Gott groß bist und Deine Werke groß sind, die Du unablässig vollbringst; verharre so bis zum Ende, denn der Herr Jesus Christus hat Dir eine Krone bereitet und die Lieblichkeit des Paradieses geöffnet, damit Du ohne Ende mit ihm erhoben wirst.«614

Nach dieser Prophezeiung empfing ihn bei seinem Tod entsprechend die Heerschar der Engel, um ihn unter Psalmengesang ins Paradies zu geleiten, das Christus selbst ihm öffnete.615 Bildquellen616 bestätigen diese Feststellungen und setzen sie anschaulich um (und bieten dadurch weitere Einsichten in die mittelalterlichen Vorstellungen). 613 Le Goff, Civilisation S. 209. 614 Vita Wandregiseli abbatis Fontanellensis 12, S. 18f.: Quadam nocte, cum in oratione devotissimi in cella sua perdurarit, adstetit angelus Domini ante eum in tam magna claritate fulgente, ita ut habitaculus ille inmensa luce terribile resplenderetur et replevit odorem suavitatis tegurius ille. Et vox facta est ad eum, dicens: ›Servi Christi in timore Dei prumtissime, pax tecum, quia magnus es tu aput Deum et magne sunt opere tuae, quae incessabiliter facis; persevera usque in finem, quia dominus Iesus Christus tibi habit paratam coronam et amenetate paradisi reserata, qualiter cum ipso sine fine exulteris.‹ Zum Duft der Engel vgl. auch Caradocus von Llancarfan, Vita Gildae (oben Anm. 608); Annales s. Bavonis Gandenses a. 631 (oben Anm. 588). Vgl. auch Vita Bavonis confessoris Gandavensis 12, S. 543: Quem hoc visu perterritum statim divinae consolationis gratia refovet, atque totam cellulam, in qua idem vir Dei erat, inestimabilis suavitatis fraglantia replet, ut palam daretur intelligi angelum lucis et suavitatis illuc advenisse. 615 Vita Wandregiseli 20, S. 23: et ipsa sanctissima anima aegressa est de corpore, et receperunt eum agmina angelorum, qui ad eius exitum psallebant, et dominus Iesus Christus, cuius ipsi in hac vita devotissime servivit, reseravit ei amoenitatem paradisi. 616 Vgl. dazu die – ideologisch allerdings fragwürdige – Arbeit von Hans W. Hegemann, Der Engel in der deutschen Kunst, Brünn-München-Wien 1943, der eine strikte Entwicklung verfolgt: »Dem ottonischen Engel ›fehlt‹ noch vieles, was die Engel späterer Entwicklungsstufen der deutschen Kunst haben: die ›natürliche‹ Gestalt, der menschliche Ausdruck, der Umraum und die ›natürliche‹ Einbeziehung des Körpers in ihn« (S. 16). »Die glutvolle Dringlichkeit des deutschen Engelbildes in der ottonischen und salischen Ära mäßigt sich in der zweiten Hälfte des elften und im zwölften Jahrhundert« zugunsten einer einheitlichen Struktur, aber einer noch unorganischen, unzerlegbar starren Gesamtform (ebd. S. 16f.).

12. Fazit: Die Bedeutung der Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

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Vielfach sind Engel aber als »Boten«, wie in Verkündigungsszenen, etwa an die Hirten, dargestellt (vgl. Abb. IV/7, S. 160 und IV/16, S. 169). Engelerscheinungen sind gängige und nachhaltige, zunächst aber jeweils nur punktuelle und kurzzeitige Phänomene.

12.

Fazit: Die Bedeutung der Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Engel stehen, verglichen mit Gott, der Trinität und dem Heilsgeschehen, zwar nicht im Zentrum der mittelalterlichen Theologie, spielen jedoch eine nicht unbeträchtliche Rolle und sind ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der religiösen Vorstellungswelt des Mittelalters, und zwar keineswegs nur der volkstümlichen Vorstellungen, sondern auch der gelehrten Theologen. Daß eine Angelologie im Verlauf der mittelalterlichen Spiritualität zweitrangig wurde, wie Philippe Faure meint,617 wird man daher bezweifeln dürfen, zumal die Angelologie, wie Faure selbst betont, überhaupt erst (phasenweise) im frühen Mittelalter entwickelt wurde.618 Die mittelalterlichen Engelvorstellungen sind allenfalls in wenigen Grundbestandteilen biblisch begründet, sondern gelangen nahezu unmerklich in die Glaubenslehre. Dabei wächst das aus sehr verschiedenen Traditionen – aus Bibel und Judentum, Apokryphen, orientalischen und griechischen, anscheinend kaum jedoch keltisch-germanischen Vorstellungen – stammende Wissen über Engel seit der Spätantike, trotz aller Uneinheitlichkeiten und Varianten im einzelnen (etwa der neun Engelchöre), zu einem insgesamt recht kohärent wirkenden Konzept zusammen, das letztlich weit über die theologischen »Bedürfnisse« hinausgeht – rein theologisch hätte man auf Engel verzichten können – und die Engel tatsächlich zu einem wesentlichen und nahezu unverzichtbaren, voll in die Heilsgeschichte integrierten Bestandteil mittelalterlicher Vorstellungswelten macht. Engel sind, wie Faure feststellt, allgegenwärtig und ein beliebter Darstellungsgegenstand. Sie finden häufig nicht nur in die Kunst,619 sondern auch in die weltliche Dichtung Eingang.620 Anders als in der Gotteslehre werden Existenz, Natur und Wirken der Engel in den theologischen Schriften eher vorausgesetzt oder zusammengefaßt als kontrovers dis617 Faure, Anges Sp. 42. 618 Faure, L’ange du Haut Moyen ffge S. 42f. Der theophane Charakter der Engel war danach nie so stark wie im frühen Mittelalter : »du Ve au IXe siHcle, l’ange a s8duit l’Occident latin« (ebd. S. 43). 619 Vgl. dazu ausführlich, mit vielen Beispielen: Cattin/Faure, Les anges et leur image. 620 Zu Wolfram und den Traditionen seiner Engellehre vgl. Ulrich Ernst, Neue Perspektiven zum ›Parzival‹ Wolframs von Eschenbach. Angelologie im Spannungsfeld von Origenismus und Orthodoxie, in: Knoch (Hg.), Engel und Boten S. 86–109.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

kutiert, obwohl es durchaus unterschiedliche Positionen gibt. Auch das spricht für allgemeine, wenig problematische und in Text und Bild konsistente Engelvorstellungen (und ist vielleicht um so erstaunlicher, als das biblische Repertoire durchaus beschränkt war), mag aber auch daraus resultieren, daß Engel nicht im Zentrum dogmatischer Streitigkeiten stehen. Dabei sind Engel sicher kein ausschließlich monastisches Thema. Wenn Keck Leclercqs grundlegende Unterscheidung aufgreift und in seiner Studie zunächst die scholastischen621 und dann die monastischen Autoren behandelt,622 so beweist er damit den Engelglauben in allen kirchlichen Kreisen, während die Unterschiede in den Vorstellungen der beiden kirchlichen Gruppen letztlich vage bleiben und in seiner Studie nicht gezielt herausgearbeitet werden. Zumindest bis zum Ende des 12. Jahrhunderts entspricht eine solche Trennung jedenfalls nicht den hier vorgetragenen Beobachtungen. Auch wenn der doppelte Charakter der (guten und bösen) Geister – beide sind ursprünglich Engel gewesen – die ganze Zeit über bewußt bleibt, verbindet sich mit Engeln im Christentum in aller Regel die Vorstellung von guten Engeln, die, im Gegensatz zu den Dämonen, nach dem Engelfall im Himmel verblieben sind. Die Existenz der Engel ist dabei völlig unbestritten.623 Ihre Natur, ihre Gestalt und ihr Auftreten sind vertraute und doch zugleich außergewöhnliche Erscheinungen, über die es zu berichten lohnt und die die Distanz zum Menschen verdeutlichen. Allerdings wird die Engeltheologie kaum um ihrer selbst willen betrieben, sie verweist in ihrer theologischen Komponente vielmehr auf Gott und die Himmelsmächte. Trotz ihrer »Botendienste« auf Erden bleibt der »Ort« der Engel die himmlische Umgebung Gottes, in einem hierarchisch fein nach Funktion und Gestalt abgestuften »Himmelsstaat«. Es wäre für mittelalterliche Autoren undenkbar gewesen, eine Gleichheit aller Himmelsbewohner anzunehmen. Ebenso undenkbar aber wäre ein leerer Himmel, in dem die Engel nicht ohne Unterlaß den Schöpfer preisen. Ebensowenig aber wird man generell feststellen dürfen, daß die Engel ihren »theophanen« Charakter im späten Mittelalter verlieren, um immer menschlicher zu werden:624 Engel sind den irdischen Menschen von ihrer Natur und ihrer Seligkeit her vielmehr überlegen. Sie vermitteln nicht nur zwischen Himmel und Erde, sie stehen als geschöpfliche »Zwischenwesen« auch zwischen Gott und den Menschen.625 Sie sind Geist (wie Gott und die Seele), aber doch nicht reiner Geist, da ihnen zumeist noch eine 621 Keck, Angels S. 75–114. 622 Ebd. S. 115–159. 623 Vgl. Cattin/Faure, Les anges et leur image S. 95. Das gilt noch für das Spätmittelalter ; vgl. Gregory T. Doolan, Aquinas on the Demonstrability of Angels, in: Hoffmann (Hg.), A Companion to Angels S. 13–44: Thomas fragt nirgends nach dem Grund ihrer Existenz. 624 So Faure, Anges Sp. 50. 625 Vgl. Hafner, Angelologie S. 112ff. Vgl. oben S. 52 und 119f.

12. Fazit: Die Bedeutung der Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

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Gestalt eigen ist; sie sind selig und unsterblich von Beginn an, jedoch ebenfalls Geschöpfe. Die erwählten Menschen erreichen diesen Zustand erst nach dem Jüngsten Gericht. Das »engelgleiche« Wesen von Menschen bezieht sich tatsächlich auf (wenige) Heilige,626 die ja tatsächlich bereits jetzt mit den Engeln bei Gott »wohnen«, und damit auf das Jenseits, oder es ist, etwa in bezug auf das Mönchsleben, symbolisch als Nachahmung der Engel und zugleich als Vorbereitung auf ein wirklich engelhaftes Leben im Jenseits zu verstehen.627 Engel sind geradezu Beweis und Anhaltspunkt ewiger Seligkeit. Menschen können (und sollen) sie auf Erden nachahmen, werden ihnen aber erst im ewigen Leben gleichwertig und gleichgestellt, wenngleich auch dann noch nicht zwangsläufig gleich. Mittelalterliche Autoren betonen gern, daß die Menschen nicht einen zehnten Ordo im Himmel bilden, sondern den neun Engelordines eingegliedert werden. Bis dahin, also auf Erden, erscheinen Engel notwendig als Mittler zwischen Gott und den Menschen, da die göttliche Offenbarung mit dem Neuen Testament erfüllt ist, und sie übernehmen hier tatsächlich vielfältige Funktionen. Daß – ganz allgemein – (die guten) Engel die Menschen bis hin zum Jüngsten Gericht (und hier sogar ganz besonders) vor den Dämonen (den bösen Engeln) beschützen, ist eine alte Vorstellung, die sich besonders häufig in den Jenseitsdarstellungen findet. So schreibt Bernhard von Clairvaux: »Wenn indes die bösen Engel herabsteigen, um uns zu umgarnen, steigen auch die gütigen Engel herab, um uns zu Hilfe zu kommen und uns auf allen unseren Wegen zu behüten.«628 Vorstellungen von (persönlichen) Schutzengeln sind, auch wenn sie erst im späten Mittelalter weite Verbreitung finden,629 bereits seit der späten Patristik bekannt und werden gelegentlich, wie im 12. Jahrhundert durch Honorius Augustodunensis oder Hildegard von Bingen, aufgegriffen: Jedes Volk, jede Stadt habe einen Engel, der Rechte, Gesetze und Sitten gerecht regelt und ordnet, und jeder Mensch (oder jede Seele) habe einen Engel, der ihn (oder sie)

626 Vgl. etwa Wilhelm von Saint-Thierry, Vita Bernardi Claraeuallensis (Vita prima) 1,19, S. 47. 627 Zu Menschen als Engeln vgl. Maria Veronese, »Quia et homines angeli«. Uomini »angeli« nella riflessione dei Padri, in: Accekos – Angelus S. 211–229; zum engelgleichen Leben, auf Eremiten bezogen, Edoardo Ferrarini, Gli angeli e gli eremiti, in: ebd. S. 231–248. 628 Bernhard von Clairvaux, Sermones in psalmum ›Qui habitat‹ 12,2,4, Bd. 4,458: Ceterum si descendunt maligni ut circumveniant, gratias ei cuius mandato descendunt et benigni angeli, ut subveniant nobis, ut custodiant nos in omnibus viis nostris. Vgl. Knoch, Engellehre S. 17f. 629 Zu Gebeten an Schutzengel, vor allem an Michael, Formen des Schutzes und individuellen Schutzengeln im späten Mittelalter vgl. Philippe Faure, Les anges gardiens (XIIIe-XVe siHcles). Modes et finalit8s d’une protection rapproch8e, in: Cahiers de Recherches M8di8vales 8, 2001, S. 23–41. Persönliche Schutzengel sind vor allem in Stundenbüchern abgebildet.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

ständig zum Guten antreibt und Gott und den Engeln im Himmel von seinen Werken berichtet.630 In ihrer Reinheit und Makellosigkeit bieten Engel, wie schon angedeutet, zugleich Vorbilder für ein religiöses Leben, so daß besonders Gemeinschaften der »Religiosen«, nämlich Klostergemeinschaften, ein engelgleiches Leben (einschließlich des Gesangs) zum Vorbild nehmen (und damit ihrerseits ein Licht auf die Engelvorstellungen werfen).631 »Was die Engel ständig im Himmel tun, das machen die Brüder immerzu in den Kirchen,« schreibt Alkuin in seiner Vita des heiligen Vedastus von Arras.632 Die Engel sollen Gott die Geister der Gläubigen in den Himmel bringen, die durch Nachahmung des Lebens und Glaubens zu Söhnen der heiligen Apostel werden, meint Hrabanus Maurus.633 Eine mehrfach aufgegriffene Arengaformal spricht von Zuwendungen an »die Liebhaber des christlichen Glaubens und des engelhaften Lebenswandels«.634 Mönchsgemeinschaften, so verkündet bekanntlich Otto von Freising, führen schon auf Erden ein Leben in himmlischer, engelhafter Reinheit und Heiligkeit des Wandels und des Gewissens.635 Einige Orden deuten das Engelhafte bereits durch ihre Kleidung an, indem sie über dem rauhen Leibrock eine weitere, mit Kapuze versehene Kukulle tragen, die, gleich den sechs Flügeln der Seraphim, aus sechs Teilen besteht, mit denen sie Kopf, Ärmel und Leib bedecken, »als ob sie, wenn sie die Arme erheben, gleichsam in den Himmel fliegen«.636 In diesem 630 Honorius Augustodunensis, Elucidarium 2,88, S. 438: Unicuique genti, unicuique civitati praesunt angeli, qui iura, leges, mores iuste dispensant et ordinant. Unaquaeque etiam anima, dum in corpus mittitur, angelo committitur, qui eam semper ad bonum incitet et omnia opera eius Deo et angelis in caelis referat. Zu Engeln als Beschützern und Helfern der Menschen und zu Honorius vgl. Le Goff, Civilisation S. 209. 631 Das aufzuzeigen (und die Mönche damit herauszuheben), ist nach Lützelschwab, Angels S. 206f., auch das Ziel der Engelerwähnungen bei Aelred von Rievaulx. Zur besonderen Beziehung des Mönchtums zu Engeln (anhand der Regeln, vor allem der Magisterregel, und Gregors des Großen) vgl. Leyser, Angels; zur Spätantike Muehlberger S. 148ff. Eine solche Zuschreibung erfolgte danach zuerst von »außen« und nicht durch die Mönche selbst. 632 Alkuin, Vita Vedastis episcopi Atrebatensis II prol., S. 415: et quod angeli semper agunt in caelis, hoc fratres iugiter faciant in ecclesiis. 633 Hrabanus Maurus, Commentaria in Exodum 3,13, Sp. 166 D: Afferte Domino, omnes angeli Dei, quibus huius officii cura delegata est, afferte Domino in coelos spiritus fidelium, qui per imitationem vitae et fidei filii beatorum apostolorum fieri meruerunt. 634 Si christianae religionis et angelicae conversationis amatores nostrae liberalitatis beneficio, quo securius Deo servire possint, consolari studuerimus […]. Vgl. etwa (zuerst) DH II 455, DH III 299. 635 Otto von Freising, Chronicon 7,35, S. 370: Eque tamen omnes vitae et conscientiae puritate ac sanctimonia caelesti et angelica in terris vita degunt. 636 Ebd. S. 372: alii omnibus exterioribus occupationibus liberi angelicam vitam in veste pretendentes eius suavitatem forma pocius ipsa quam sui mollicie typice figurant. Ponunt enim ad carnem tunicas asperrimas superque eas alias cum caputiis latiores, ex senis partibus tamquam totidem alis ad instar Seraphim constantes. E quibus duabus, id est caputio, caput

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Sinn können aber auch anderweitig Parallelen gezogen werden (die zugleich der Funktionalisierung der Engel im Sinne einer Parteinahme dienen). So kann Benzo von Alba den Streit um die Papstwahl nach dem Tod Nikolaus II. 1061 zwischen den königlichen und den römischen Kräften mit dem Kampf der Engel gegen die Teufel vergleichen.637 Eine solche Nachahmung mag sich auch in der Namengebung mit Angel-* oder Angil*-Namen (wie Angilbert) niederschlagen, die sich etymologisch zwar von den Angeln ableiten lassen, doch scheint es mir keineswegs ausgeschlossen, daß solche Namen im Mittelalter, als man »Angeln« nur noch mit England in Verbindung bringt, mit »Engeln« assoziiert hat, wozu auch die Eindeutschung »Engel-« (wie Engelbert) beitragen mochte. Da mit den Erzengeln die engste Berührung besteht, werden sie besonders verehrt, allen voran Michael,638 Gabriel639 und Raphael.640 Sogar Kirchen werden ihnen geweiht, 789 ordnete Karl der Große offiziell ihre Verehrung an. Um den Erzengel Michael entwickelte sich ein regelrechter Kult (mit vielen Kirchenpatronaten, vor allem hochgelegener Kirchen, und eigenem Heiligentag am 29. September).641 Das Fresko des Erzengels Michael im Drachenkampf an der

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tegentes, duabus, id est manicis, omnem actionem suam velud manus ad Deum dirigendo ad superna volantes, duabus reliquum corpus ante et retro velantes, divina se gratia preveniente et subsequente, contra omnia seva temptatoris iacula se munitos ostendunt. Benzo von Alba, Ad Heinricum IV imperatorem 7,2, S. 598, zu Papst Alexander II.: Ecce pugna inter angelos et diabolos: dum rex cum episcopis ordinat suum papam iuste et legaliter, Prandellus cum Normannis e contrario suum symonialiter. Zur Ikonographie Michaels und der anderen Erzengel vgl. Schmidt/Schmidt, Die vergessene Bildersprache S. 149–160. Zur Ikonographie der Verkündigung in England im späten Mittelalter : Calvert, Gabriel of the Annunciation S. 17–27. Die beiden Kirchtürme des St. Galler Klosterplans sind Michael und Gabriel geweiht (vgl. Faure, L’ange du haut Moyen ffge S. 40). Vgl. dazu Andrea Schaller, Der Erzengel Michael im frühen Mittelalter. Ikonographie und Verehrung eines Heiligen ohne Vita (Vestigia Bibliae. Jahrbuch des Deutschen Bibel-Archivs Hamburg 26/27), Bern-Berlin-Bruxelles-Frankfurt a.M.-New York-Oxford-Wien 2006, die (ebd. S. 323) Michael als »Sonderfall« eines Heiligen bezeichnet. Der Kult breitete sich danach zunächst von Apulien aus in Süditalien, Rom und Gallien aus und erreichte in frühkarolingischer Zeit Irland und Mitteleuropa, blieb im frühen Mittelalter aber weitgehend auf den klösterlichen Bereich beschränkt. Ein regelrechter »Boom« setzte nach Schaller (ebd. S. 318f.) erst am Ende des 10. Jahrhunderts, eine »Popularisierung« erst in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts ein. Die frühe Verehrung arbeitet auf: John Charles Arnold, The Footprints of Michael the Archangel. The Formation and Diffusion of a Saintly Cult, c. 300-c. 800), New York 2013. Faure, L’ange du haut Moyen ffge S. 43, unterscheidet drei Perioden des frühen Michaelskultes: die der lehrhaften Synthese im 5./ 6. Jahrhundert, der Verbreitung durch Bischöfe und Mönche vom Ende des 6. bis ins 8. Jahrhundert und eine offizielle Förderung seit dem Ende des 8. Jahrhunderts, die sich dann jahrhundertelang hielt. Ferner Michel Rouche, Le combat des saints anges et des d8mons: la victoire de saint Michel, in: Santi e demoni nell’alto medioevo occidentale, secoli V–XI (Settimane di studio del Centro italiano di studi sull’alto medioevo 36), Bd. 1, S. 533–569 (571). Vgl. Faure, L’ange du haut Moyen ffge S. 38ff.: »Pour ma%triser durab-

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Kathedrale von Le Puy-en-Velay ist mit fünf Metern Höhe immerhin das größte Wandgemälde des französischen Mittelalters.642 Ikonographisch tritt Michael vor allem als Drachenkämpfer auf. Die älteste erhaltene, aber bereits ausgefeilte Darstellung ist eine Elfenbeinskulptur aus der Hofschule Karls des Großen; sie zeigt einen jugendlichen Michael mit gelockten, geradezu »frisierten« Haarbüscheln und verziertem Heiligenschein in einem leichten, mit einer kostbaren Fibel zusammengehaltenen Gewand, mit Armschutz, herunterhängendem, kleinen Schild in der linken und einem Speer in der rechten Hand, den er in den offenen Rachen des sich auf dem Boden windenden, demgegenüber sehr klein wirkenden Drachen stößt, den er geradezu spielerisch tänzelnd besiegt und siegreich seinen rechten Fuß auf ihn setzt (Abb. IV/30, S. 182).643 In einer LInitiale zu Beginn des Matthäus-Evangeliums im Ratmann-Sakramentar aus St. Aegidien in Braunschweig (um 1170/1190)(Abb. IV/31, S. 183)644 ist Michael ebenfalls als geradezu jugendlicher Kämpfer mit langen Haaren, schwingenden Flügeln, weiten Gewändern und Heiligenschein dargestellt, und auch er »schwebt« gleichsam über dem Boden (während er zugleich auf den besiegten, ebenfalls geflügelten Drachen tritt). Er ist nach Schaller hier bezeichnenderweise aber nicht als Heiliger, sondern als Stellvertreter Christi und als Symbol dargestellt. Im Wolfenbütteler ›Liber floridus‹ Lamberts von Saint-Omer (Abb. IV/ 32, S. 184) ist der Drachentöter Michael ein Heiliger mit breit aufragenden, gefiederten Flügeln, nur mäßig gerüstet (mit kleinem Schild, aber langem Speer, den er in das Maul des Drachens stößt), mit engem, nicht nur an den Rändern und an der Taille mit Borden geschmückten Kleid. Michael wird hier ebenfalls von vier kleinen Engeln mit Spießen oder Schwertern am rechten Rand unterstützt.645 Im Missale des Heinricus de Midel um 1160 ist Michael rundum von weiteren Engeln begleitet, die mit Schwertern und Lanzen auf Dämonen einhauen und einstechen, während der Drache bereits besiegt ist.646 Im hohen Mittelalter treten Motive als Kämpfer, Mönchspatron, Helfer, Typus Christi und

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lement la v8n8ration des Þtres invisibles, l’Pglise entend promouvoir une spiritualit8 qui donne aux archanges, et singuliHrement / Michel, une primaut8 incontest8e« (S. 38). Das betont Faure, Anges Sp. 45. Leipzig, GRASSI Museum für angewandte Kunst, Inv. Nr. 1953.50. Abbildung nach Vorlage (Foto: Gunter Binsack) und mit freundlicher Genehmigung des GRASSI Museums Leipzig. Braunschweig, Herzog Anton Ulrich Museum – Kunstmuseum des Landes Niedersachsen, MA 55, fol. 21r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung des Herzog Anton Ulrich-Museums. Lambert von Saint-Omer, Liber floridus. Nordfrankreich, 12. Jahrhundert. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1 Gud. lat., fol. 15r. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel aus: Heitzmann/Carmassi, Der Liber Floridus in Wolfenbüttel S. 101. Abbildung: Hermann Fillitz, Das Mittelalter I (Propyläen Kunstgeschichte 5), Berlin 1985, Abb. 416.

12. Fazit: Die Bedeutung der Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

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nicht zuletzt als Seelenwäger im Jüngsten Gericht hinzu.647 Beim Tod Marias, so weiß Gregor von Tours zu berichten, kam Jesus mit seinen Engeln herab, um ihre Seele in Empfang zu nehmen und dem Erzengel Michael zu übergeben, bevor er sich wieder zurückzog.648 Auch Raphael sind, vor allem in Südeuropa, Kirchen geweiht. Als regelrechter Heiligenkult eines Engels aber bildet der Michaelskult eine Ausnahme. Mit ihren vielfältigen Funktionen begleiten die – selbst zeitlosen – Engel die Schöpfung durch alle Zeiten bis zum Jüngsten Gericht. (Erst danach gehen alle Funktionen im Gotteslob auf.) »Angels are both fully engaged in temporal events and fully detached from them. Angels are historical and ubiquitous.«649 Engel sind aus dem Kosmos, mit dem Gott sie erschaffen hat, nicht wegzudenken. Sie sind, mit Heinrich Schipperges’ Worten, (als Teil des Kosmos) »Genotyp der Natur«,650 (durch ihre dauernde Anwesenheit) »Prototyp der Geschichte«, die sie begleiten und in die sie, nicht zuletzt als Schutzengel, eingreifen,651 und (dank des himmlischen Vorbilds einer gegliederten Gesellschaft) »Archetyp der Gesellschaft«.652 Die Bedeutung der Engel spiegelt sich in den zahlreichen schriftlichen Äußerungen ebenso wie in der Kunst wider.653 Engel sind Mittler, »Vermittler zwischen zwei Welten«,654 aber sie sind sicher weder einfach ein »Mittel der ›Vermenschlichung‹ eines transzendenten Schöpfer-Gottes«,655 sondern selbst Geschöpfe, noch dienen sie primär der »Enthüllung der Menschlichkeit des Menschen«656 (obwohl sie mit ihrer anderen Natur dazu beitragen können). Sie verweisen dem Menschen auf der Erde vielmehr bereits auf die Seligkeit, die ihm nach der Erlösung einst bevorstehen wird. Es überschätzt auch ihre Bedeutung, wenn man sie als »Regisseure der von Gott geschaffenen Weltordnung« (»les r8gisseurs du monde cr8e par Dieu«) bezeichnet.657 Sie offenbaren den Menschen in göttlichem Auftrag Gottes Wort,658 aber die »Regie« führt Gott selbst. In diesem Rahmen bilden sie jedoch einen wesentlichen Bestandteil der religiösen Vorstellungswelt des Mittelalters. 647 Dazu ausführlich Schaller, Der Erzengel Michael S. 173–261. 648 Gregor von Tours, Liber in gloria martyrum 4, S. 39: et ecce Dominus Iesus advenit cum angelis suis, et accipiens animam eius, tradidit Michahelo angelo et recessit. 649 So Keck, Angels S. 209. 650 So Schipperges, Welt der Engel S. 83–102, zu Hildegard von Bingen. 651 Ebd. S. 103–125. 652 Ebd. S. 126–149. 653 Das betont Bruderer Eichberg, Les neufs chœurs S. 92. 654 So Cattin/Faure, Les anges et leur image S. 23. 655 So ebd. S. 20. 656 So ebd. 657 So ebd. S. 180. 658 So ebd. S. 181f.

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abbildungen

Abb. IV/1: Beatus von Li8bana, Apokalypsenkommentar, Nordspanien, um 975. Gerona, Archiv der Kathedrale, Nfflm. Inv. 7 (11), fol. 192r : Geflügelte Engel im Himmel (zu S. 57).

Abbildungen

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Abb. IV/2: Augustinus, De Civitate Dei, Canterbury, um 1120. Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Ms. Plut. 12.17, fol. 2v : Engel in den oberen ›Etagen‹ des ›Gottesstaates‹ (zu S. 58).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/3: Sakramentar von Saint-Denis, vor 1050. Paris, BibliothHque Nationale de France, cod. lat. 9436, fol. 15v : Engel im Himmel (zu S. 58).

Abbildungen

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Abb. IV/4: Wolfenbütteler Evangeliar, spätes 10. Jahrhundert. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 16.1 Aug. 2, fol. 9r : Verkündigung an die Hirten (zu S. 59).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/5: Bamberger Apokalypse, um 1000. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 53r : Darstellung des Jüngsten Gerichts (zu S. 73).

Abbildungen

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Abb. IV/6a: Utrechtpsalter, um 830. Utrecht, Rijksuniversiteit, Universitätsbibliothek, ms. 32, fol. 59r (Ausschnitt): Engeldarstellung zu Psalm 32 (zu S. 81).

Abb. IV/6b: Utrechtpsalter, um 830. Utrecht, Rijksuniversiteit, Universitätsbibliothek, ms. 32, fol. 6v (Ausschnitt): Engeldarstellung zu Psalm (zu S. 81).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/7: St. Galler Sakramentar, 11. Jahrhundert. Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 341, S. 59: Verkündigung an die Hirten (zu S. 81).

Abbildungen

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Abb. IV/8: Ingeborgpsalter, um 1200. Chantilly, bibliothHque et archives du ch.teau (Mus8e Cond8), Ms. 9, fol. 10v : Bewirtung der drei Engel durch Abraham (zu S. 81).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/9: Bamberger Apokalypse, um 1000. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 10v : Evangelistensymbole (zu S. 81).

Abbildungen

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Abb. IV/10: Bamberger Apokalypse, um 1000. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 51r : Vertreibung und Lösung Satans (zu S. 82).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/11: Bamberger Apokalypse, um 1000. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 13v : Seraphim um den Thron Christi (zu S. 82).

Abbildungen

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Abb. IV/12: Bamberger Apokalypse, um 1000. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 40v : Engel der Apokalypse (zu S. 82).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/13: Bamberger Apokalypse, um 1000. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 46r : Engel mit dem Mühlstein (zu S. 82).

Abbildungen

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Abb. IV/14: Evangelistar (Perikopenbuch) Heinrichs II., Reichenau 1007/1012. Bayerische Staatsbibliothek München, clm 4452, fol. 8v : Verkündigung an die Hirten (zu S. 83).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/15: Reichenauer Lektionar und Kollektar, um 1010/1030. Hildesheim, Dombibliothek, Hs. 688, fol. 77r : Himmelfahrt Mariens (zu S. 83).

Abbildungen

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Abb. IV/16: Evangelistar (Perikopenbuch) Heinrichs II. für den Bamberger Dom, Reichenau, 1007/1012. München, Bayerische Staatsbibliothek, clm 4452, fol. 117r : Engel vor dem Grab Christi (zu S. 83).

Abb. IV/17: Bernwardtür des Hildesheimer Domes, 1015 (Ausschnitt): Vertreibung aus dem Paradies (zu S. 83).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/18: Psalter der Abtei St. Alban bei London (Albani-Psalter), um 1125. Hildesheim, St. Godehard, Kirchenschatz, fol. 3r : Verkündigungsengel (zu S. 84).

Abbildungen

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Abb. IV/19: Lambert von Saint-Omer, Liber floridus, Nordfrankreich, 12. Jahrhundert. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. I Gud. lat., fol. 12r : Apokalyptische Engel (zu S. 84).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/20: Hildegard von Bingen, Scivias 1,6. Original: Wiesbaden, Landesbibliothek, Rupertsberger Kodex. Handkopie der Abtei St. Hildegard, Rüdesheim-Eibingen, Tafel 9: Engelhierarchien (zu S. 113f.).

Abbildungen

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Abb. IV/21: Hrabanus Maurus, De laudibus sanctae crucis. 11. Jahrhundert. Orl8ans, BibliothHque Municipale Ms. 145, fol. 13: Seraphim und Cherubim (zu S. 114).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/22: Psalter aus Corbie, um 810. Amiens, BibliothHques d’Amiens-M8tropole, Ms 18 C, fol. 67v : Ein Engel empfängt die Worte des Psalmisten, um sie zu Gott zu tragen (zu S. 124).

Abbildungen

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Abb. IV/23: Bamberger Schreiberbild, 12. Jahrhundert, einer Ambrosiushandschrift vorgebunden: Ambrosius, De officiis ministrorum. Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Patr. 5, fol. 1v : Michael auf dem Dach der Klosterkirche (Schreibarbeiten, zu S. 128).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/24: Bamberger Apokalypse, um 1000. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 17v : Engel der Apokalypse halten die Winde zurück (zu S. 128).

Abbildungen

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Abb. IV/25: Bible de Marchiennes, 12. Jahrhundert. Douai, BibliothHque Municipale, ms. 2, fol. 7: Ein Cherubim schützt das Paradies (zu S. 134).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/26: Bamberger Apokalypse, um 1000. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 24v : Posaunenengel der Apokalypse (zu S. 140).

Abbildungen

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Abb. IV/27: Apokalypse von Saint-Amand/Valenciennes, Mittelrhein, 9. Jahrhundert. Valenciennes. BibliothHque Municipale, ms 99, fol. 18: Der Tubaengel leitet die fünfte Plage ein (zu S. 140).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/28: Bamberger Apokalypse, um 1000. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 71v : Engel bei der Himmelfahrt Christi (zu S. 142).

Abbildungen

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Abb. IV/29: Bamberger Sakramentar, Reichenau, nach 1018. Bodleian Library, University of Oxford, Ms. Canon. Liturg. 319, fol. 110v : Engel bei der Himmelfahrt Christi (zu S. 142).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/30: Elfenbeinskulptur aus der Hofschule Karls des Großen. Leipzig, GRASSI Museum für angewandte Kunst, Inv. Nr. 1953.50: Michael als Drachentöter (zu S. 152).

Abbildungen

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Abb. IV/31: Ratmann-Sakramentar, Braunschweig, St. Aegidien, um 1170/1190. Braunschweig, Herzog Anton Ulrich Museum, MA 55, fol. 21r : Michael als Drachentöter (zu S. 152).

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Kapitel 1: Engel in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Abb. IV/32: Lambert von Saint-Omer, Liber floridus, Nordfrankreich, 12. Jahrhundert. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1 Gud. lat., fol. 15r : Michael als Drachentöter (zu S. 152).

Kapitel 2: Teufel und Dämonen

1.

Bedeutung, Tradition und Forschungsstand

Wie die Vorstellungen vom Engel, so entstammen auch die Teufelsvorstellungen nicht ausschließlich der biblisch-jüdisch-christlichen Tradition, sondern sind aus verschiedenen Wurzeln gespeist, aber zu einer mehr oder weniger einheitlichen Lehre zusammengewachsen.1 Religionswissenschaftlich ist der Teufel gewissermaßen ein notwendiges Pendant zu Gott (und den Engeln), um das Böse in der Welt zu erklären.2 Er ist, auch im Christentum, Symbol für das Böse schlechthin. Im christlichen Mittelalter ist der Teufel jedoch nicht heidnisches Relikt, sondern Bestandteil der christlichen Heilsordnung. So interessant es ist, die Herkunft der einzelnen Elemente der Teufelsvorstellungen nachzuweisen, für die Vorstellungswelt der mittelalterlichen Menschen, die all das als christlich empfunden haben, sind die tatsächlichen, jeweiligen Ursprünge hingegen ohne allzu große Bedeutung. Im Alten Testament spielt der Teufel noch keine große Rolle.3 Satan wird überhaupt nur an wenigen Stellen erwähnt (wenngleich später viele weitere Stellen, darunter nicht zuletzt die paradiesische Schlange, als Teufel gedeutet 1 Einen »Amalgamirungsprocess« betont bereits Gustav Roskoff, Geschichte des Teufels. Eine kulturhistorische Satanologie von den Anfängen bis ins 18. Jahrhundert, 2 Bde., Leipzig 1869 (ND Nördlingen 1987), Bd. 2, S. 8ff. 2 Einen Überblick über den Glauben an das Wirken böser Kräfte in fast allen Religionen gibt Roskoff, Geschichte des Teufels, Bd. 1, S. 24–186. Einen detaillierten Überblick über die Vorstellungen vom Teufel als Gegner Gottes oder der Götter von Gilgamesch bis zu Augustin bietet Neil Forsyth, The Old Enemy. Satan and the Combat Myth, Princeton-New Jersey 1987. 3 Zum Teufel im Alten Testament vgl. Kirsten Nielsen, Teufel II (Altes Testament), S. 115–117; Roskoff, Geschichte des Teufels, Bd. 1, S. 186–199; Forsyth, The Old Enemy S. 107–123; zum Judentum Alfonso M. Di Nola, Il diavolo. Le forme, la storia, le vicende di Satana e la sua universale e malefica presenza presso tutti i popoli, dall’antichit/ ai nostri giorni (Magia e religioni 17), Rom 1987, S. 151–164 (dt. Der Teufel. Wesen, Wirkung und Geschichte, München 1990, S. 175–195). Zu den antiken und biblischen Traditionen vgl. Jeffrey Burton Russell, The Devil. Perceptions of Evil from Antiquity to Primitive Christianity, Ithaca, NYLondon 1977, zum Alten Testament ebd. S. 174–220.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

werden):4 als einer der ›Gottessöhne‹, die im Auftrag Gottes die Zuverlässigkeit der Menschen prüfen (Iob 1f.), als Ankläger Josuas (Zach 3,1ff.) und als Provokateur, der David zur Volkszählung überredet (1. Chr 21,1).5 Folglich ist der alttestamentliche Teufel noch nicht der große Gegenspieler Gottes, auf den vielmehr alles, Heil und Unheil, zurückgeht. Selbst die Schlange, die die Menschen zum Sündenfall verführt, wird in der Genesis noch nicht mit dem Teufel identifiziert, sondern erst im Neuen Testament (Apoc 12,9; 2. Kor. 11,3) in dieser Weise gedeutet. Im Mittelalter wird das zu einer selbstverständlichen Gewißheit und gar nicht mehr diskutiert. Bereits Augustin sieht in der Schlange ohne weitere Begründung den Teufel wirken.6 Im Neuen Testament gewinnt der Teufel dann eine feste, bereits vorausgesetzte und somit auf die spätjüdische Tradition zurückgehende Gestalt.7 Er ist der Feind des Menschen und der Herrscher über diese Welt, der in den Evangelien (wie schon in der außerbiblischen jüdischen Tradition)8 vor allem als Versucher Christi (und der Menschheit) auftritt (Mt 4; Lc 4); bei Johannes ist er als Mörder und Sünder von Anfang an, der nicht in der Wahrheit verharrte (Joh 8,44; 1. Joh. 3,8), verantwortlich für die Ablehnung Christi seitens der Juden und für den Verrat des Judas (Joh 13,2/27); bei Paulus gibt es zusätzlich Anklänge an die griechische Dämonenlehre. Bei den Kirchenvätern gewinnt der Teufel klarere Konturen.9 Bereits Tertullian erwähnt ihn in seiner Schrift ›De spectaculis‹ vielfach, ohne daraus ein geschlossenes Bild zu zeichnen. Bei Irenäus von Lyon steht der Mensch bereits unter der Gewalt des Teufels.10 4 Die lateinischen Übersetzungen (Vetus Latina und Vulgata) weisen im Alten Testament nur fünf, durchweg spätere diabolus-Belege (im Neuen Testament hingegen 34) sowie 15 SatanasBelege auf, davon allein neun im Buch Hiob (Iob 1f.) als Gesprächspartner Gottes. 5 Forsyth, The Old Enemy S. 121, betont, daß Satan hier erstmals in der Bibel als von Gott unabhängiger Akteur auftritt. 6 Augustinus, De Genesi ad litteram 11,12, S. 345: quid ergo mirum, si per serpentem aliquid agere permissus est diabolus, cum daemonia in porcos intrare Christus ipse permiserit? 7 Diabolos begegnet 34 mal, Satanas 36 mal; beide Begriffe werden völlig gleichbedeutend verwendet. Zum Teufel im Neuen Testament vgl. Otto Böcher, Teufel III (Neues Testament), S. 117–121; Di Nola, Teufel S. 198–207 (Il diavolo S. 167–174); Roskoff, Geschichte des Teufels, Bd. 1, S. 199–212; Russell, Devil S. 221–249. 8 Vgl. Gottfried Reeg, Teufel IV (Antikes Judentum), S. 121ff. 9 Zum Teufel in Frühchristentum und Patristik vgl. Roskoff, Geschichte des Teufels, Bd.1, S. 212–289, der detailreich aufzeigt, wie sich die einzelnen Elemente des Teufelsbildes entwickeln, sowie Gerard Bartelink, Benamingen en verschijningsvormen van duivel en demonen in oudchristelijke geschriften, in: Gerard Rooijakkers/LHne Dresen-Coenders/ Margreet Geerdes (Hg.), Duivelsbeelden. Een cultuurhistorische speurtocht door de Lage Landen, Baarn 1994, S. 54–70. 10 Vgl. Roskoff, Geschichte des Teufels, Bd. 1, S. 225f. Ausführlich zu den Teufelsvorstellungen der Kirchenväter : Jeffrey Burton Russell, Satan. The Early Christian Tradition, Ithaca, NYLondon 1981, zu Irenäus und Tertullian ebd. S. 80–106. Zu Irenäus’ Position und antihäretischer Motivation vgl. Forsyth, The Old Enemy S. 333–348; zu Frühchristentum und Kirchenvätern Di Nola, Teufel S. 208–219 (Il diavolo S. 175–185).

1. Bedeutung, Tradition und Forschungsstand

187

Wie verbreitet Dämonen- und Teufelsvorstellungen bereits in der Spätantike waren, zeigen im 4. Jahrhundert Autoren wie Athanasius, dessen Antoniusvita von zahlreichen Versuchungen des Teufels berichtet,11 und im frühen 5. Jahrhundert Cassian, für den gewissermaßen die ganze Luft voller Dämonen steckt. Lehren wie der Manichäismus, die aus persischen Einflüssen zwei prinzipiell gleiche Prinzipien, ein gutes und ein böses, übernahmen, die miteinander im Konflikt lagen und die Welt dadurch gewissermaßen in einem Gleichgewicht hielten, ließen sich hingegen nicht mit der christlichen Schöpfungslehre des einen Gottes in Übereinstimmung bringen und wurden schon früh als häretisch verurteilt. In solchen Zusammenhängen mußten sich die Kirchenväter mit dem Teufel auseinandersetzen. Augustins Schriften sind tatsächlich voll des Teufels,12 der vor allem in den Predigten, im Psalmenkommentar oder in ›De civitate Dei‹, aber auch in seinen beiden Schriften gegen den Pelagianer Julian von Aeclanum eine große Rolle spielt, doch sind die zahlreichen Äußerungen darin ebensowenig wie bei den Engeln bereits zu einer kohärenten Dogmatik des Teufelsglaubens zusammengefaßt. Andererseits deuten gerade die scheinbar zusammenhanglosen Belege an, daß Augustin hier vielfach bereits verbreitete Vorstellungen wiedergeben kann. Auch Hieronymus, der den Teufel allein in seinem Jesajakommentar mehr als 100 mal erwähnt, mußte das Wirken des Teufels nicht mehr näher erklären, sondern konnte es längst voraussetzen. Bei der Ausbildung der Teufelsvorstellungen hat neben orientalischen Einflüssen vor allem wieder die griechische Geister- und Dämonenlehre auf die Kirchenväter eingewirkt. Augustin setzt sich in seiner Schrift ›De civitate Dei‹ ausgiebig mit diesem Problem auseinander und sucht zu beweisen, daß die heidnischen Götter nicht Götter, sondern Dämonen und damit schlechter als die Menschen seien, auch wenn ihnen als Geistwesen ein höheres Wissen zur Verfügung steht: »Suche nicht die falschen, trügerischen Götter, wirf sie lieber von Dir und verachte sie und schwinge Dich zur wahren Freiheit auf. Denn das sind nicht Götter, sondern böse Geister, für die deine ewige Seligkeit nur Strafe ist.«13 11 Vgl. Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 42009, S. 154f. 12 Allein die (keineswegs vollständige) Library of Latin Texts weist bei Augustin weit mehr als 2500 diabolus-Belege aus. Zu Augustins antidualistischen Vorstellungen vgl. Forsyth, The Old Enemy S. 387–440; Russell, Satan S. 195–218. 13 Augustinus, De civitate Dei 2,29, CCL 47, S. 64: Noli deos falsos fallacesque requirere; abice potius atque contemne in ueram emicans libertatem. Non sunt dii, maligni sunt spiritus, quibus aeterna tua felicitas poena est. Vgl. bereits Cyprian von Karthago, Ad Quirinum 3,59, S. 150 (wörtliches Zitat aus Apoc 9,20f.): Et reliqui hominum, qui non sunt occisi in istis plagis nec paenitentiam egerunt opera factorum manuum suarum, ut non adorent daemonia et idola, id est simulacra aurea et argentea et aerea et lapidea et lignea, quae neque uidere possunt neque ambulare. Vgl. Brian Patrick McGuire, God – Man and the Devil in Medieval

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Hier verbinden sich zwanglos griechisch-antike mit christlichen Vorstellungen, während die Ursprünge des Teufels eindeutig (und fortan) mit dem – nur apokryph überlieferten! – Engelfall erklärt werden. Der Engelfall und seine Interpretationen lösen das Problem des Christentums, weshalb der gute Gott in seiner guten Schöpfung das Böse überhaupt zugelassen habe. In Abgrenzung von einem bösen Prinzip findet Augustin darüber hinaus eine philosophischontologische Erklärung, indem er das Böse als »Mangel«, als Nichtvorhandensein an Gutem definiert und ihm damit eine eigene Existenz, ein »Sein« (und eine Schöpfung) abspricht.14 Auch in der Kunst knüpft man, mit neuen Inhalten versehen, an antik-heidnische Traditionen an.15 Wie bei den Engeln, macht es auch beim Teufel jedoch wenig Sinn, strikt zwischen volkstümlichen Vorstellungen und theologischen Lehren zu unterscheiden. Wohl mögen auch volkstümliche Vorstellungen in das christliche Teufelsbild des Mittelalters eingedrungen sein,16 die man allerdings ebensogut (oder besser) als heidnische Traditionen ansehen könnte. Wie bei den Engeln, sind, unbeschadet einzelner Abstufungen, Theologie und Volksglaube wieder zu einem einheitlichen Weltbild verschmolzen. Insgesamt haben sich die mittelalterlichen Teufelsvorstellungen, mit Anbindung an das biblische Fundament, erst allmählich ausgebildet. An der Existenz des Teufels aber hat im Mittelalter niemand gezweifelt, auch wenn manche Züge seines Erscheinungsbildes undeutlich oder sogar unheimlich bleiben. Selbst ein Denker wie Peter Abaelard hat in seiner Schrift »Sic et non« unterschiedliche Positionen über die Natur und Körperlichkeit des Teufels oder über den Engelfall zur Diskussion, jedoch nirgends die Existenz des Teufels in Frage gestellt.17 Der Teufel lauert überall, um die Menschen auf immer neue Arten ins Verderben zu stürzen, ja er fährt ständig in die anschließend vom Teufel »Besessenen« hinein, um in ihnen zu wirken. Auch Bücher und der Skulpturenschmuck der Kirchen sind voll von Teufels- und Dämonengestalten.18 Es lohnt sich daher – und trifft

14 15 16 17

18

Theology and Culture, in: Cahiers de l’Institut du Moyen ffge Grec et Latin (Universit8 de Copenhague) 18, 1976, S. 18–82, hier S. 24f. Vgl. dazu Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, S. 167f. Vgl. Wolfgang Metternich, Teufel, Geister und Dämonen. Das Unheimliche in der Kunst des Mittelalters, Darmstadt 2011, S. 21ff. Vgl. dazu Jeffrey Burton Russell, Lucifer. The Devil in the Middle Ages, Ithaca, N.Y.-London 1984 (dt. Biographie des Teufels. Das radikal Böse und die Macht des Guten in der Welt, Wien 2000), S. 62–91 (das Kapitel »Folklore«). Man kommt umgekehrt dem mittelalterlichen Denken nicht näher, wenn man den ontologischen Beweis Anselms von Canterbury für die Existenz des Teufels als unhaltbar zurückweist, wie William L. Power, Ontological Arguments for Satan and Other Sorts of Evil Beings, in: Dialogue: Canadian Philosophical Review 31, 1992, S. 667–676. Vgl. dazu Peter Dinzelbacher, Monster und Dämonen am Kirchenbau, in: Ulrich Müller/ Werner Wunderlich (Hg.), Dämonen, Monster, Fabelwesen (Mittelalter-Mythen 2), St. Gallen 1999, S. 103–126.

1. Bedeutung, Tradition und Forschungsstand

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ein Kernstück mittelalterlicher Mentalität –, solchen Vorstellungen genauer nachzugehen. Zuvor aber ist, ohne auch nur annäherend Vollständigkeit erzielen zu können, noch kurz der Forschungsstand zu mittelalterlichen Teufelsvorstellungen zu überblicken. Er ist quantitativ zwar reichhaltig, insgesamt aber kaum befriedigender als zu den Engeln. Eine dogmatische Aufarbeitung des Themas fehlt (im Gegensatz zur Angelologie); auch das Handbuch der Dogmengeschichte enthält keinen Band über den Teufel. Das mag (ähnlich den Engeln) an einer auffälligen Zurückhaltung moderner, aufgeklärter Theologie gegenüber diesen Themen19 und an einem theologischen »Abschied vom Teufel« liegen,20 entspricht aber weder den verbreiteten, heutigen Vorstellungen, die von Verniedlichungen des Teufels – man denke an die amüsante, einfallsreiche Teufelsgestalt in den Comics von Toms »Touch8« – über eine Fülle satanischer Spielfilme (nicht erst seit Roman Polanskis »Rosemaries Baby«) bis zu regelrechten Satanskulten reicht, auch wenn das marginale Erscheinungen sein mögen, noch wird es gar den verbreiteten Teufelsvorstellungen des Mittelalters gerecht. Ein Teil der einschlägigen Literatur ist eher mit Vorsicht zu genießen und teils veraltet, wie die materialreiche, bis heute ausführlichste Arbeit von Gustav Roskoff,21 teils auch obskur, teils bieten sie einen breiten, aber sehr allgemeinen Überblick, wie die über sämtliche Kulturen und über den gesamten Zeitraum von der Antike bis zur Gegenwart handelnde Monographie von Alfonso di Nola,22 die das frühe und hohe Mittelalter nahezu ganz übergeht und nur kurz unter dem Aspekt des Antichrist streift23 und ansonsten von Augustin zu Luther und zum Hexenhammer springt; teils ist sie ohne genügende zeitliche Differenzierung gehalten. Andere Arbeiten streifen den Teufel in anders gelagerten Kontexten wie monströse Fremdheit,24 Magie25 oder Zauberei,26 oder sie betreffen das hier nicht 19 Zur Entwicklung der neuzeitlichen Teufelsbilder vgl. Jeffrey Burton Russell, Mephistopheles. The Devil in the Modern World, Ithaca-London 1986; Kurt Flasch, Der Teufel und seine Engel. Die neue Biographie, München 2015. 20 Vgl. Herbert Haag, Abschied vom Teufel. Vom christlichen Umgang mit dem Bösen, Düsseldorf-Zürich 1969 (91996). Schon Roskoff, Geschichte des Teufels, Bd. 2, S. 526–613, fragt am Ende des 19. Jahrhunderts ausführlich nach den »Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens«. Zu heutigen Zweifeln vgl. auch Russell, Satan S. 220ff. 21 Vgl. Roskoff, Geschichte des Teufels. Die materialreiche Arbeit führt im zweiten Band zahlreiche verschiedene Ereignisse auf, ohne sie allerdings unmittelbar mit den mittelalterlichen Teufelsvorstellungen in Verbindung zu bringen. Stattdessen geht es ihm um den großen Rahmen solcher Vorstellungen. 22 Di Nola, Teufel (Il diavolo). 23 Ebd. S. 237–244 (Il diavolo S. 199–205). 24 Vgl. etwa Albrecht Classen, Monsters, devils, giants, and other creatures: »the other« in medieval narratives and epics, with special emphasis on Middle High German narrative literature, in: Ders. (Hg.), Canon and Canon Transgression in Medieval German Literature (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 573), Göppingen 1993, S. 83–121.

190

Kapitel 2: Teufel und Dämonen

mehr behandelte Spätmittelalter.27 Werke, die sowohl Engel als auch Teufel behandeln, sind bereits in der Einleitung zum vorigen Kapitel genannt worden und oft sehr knapp gehalten.28 Neben kurzen, aber instruktiven Überblicken, etwa bei Angenendt oder Baschet,29 oder breiten, bis in die Gegenwart reichenden Darstellungen30 oder umgekehrt sehr speziellen Beiträgen zu einzelnen (und letztlich anders gelagerten) Aspekten, die, soweit benötigt, später genannt werden, etwa zum Exorzismus31 oder zu den Mächten des Guten und Bösen,32

25 Vgl. Valerie I.J. Flint, The Rise of Magic in Early Medieval Europe, Oxford 1991. Flint widmet der engen Beziehung zwischen Teufel und Magie keinen eigenen Abschnitt. Zum Wirken der verachtenswerten Dämonen vgl. aber ebd. S. 101ff. und 146ff. 26 Vgl. Norman Cohn, Europe’s Inner Demons. The Demonisation of Christians in Medieval Christendom, London 21993 (1. Aufl. New York 1975, mit abweichendem Untertitel: An Enquiry Inspired by the Great Witch-Hunt [The Columbus Centre Series. Studies in the Dynamics of Persecution and Extermination]); von volkskundlicher Seite: Christoph Daxelmüller, Zauberpraktiken. Eine Ideengeschichte der Magie, Zürich 1993, zum frühen und hohen Mittelalter S. 95–108. Zur mittelalterlichen Geisterwelt: Claude Lecouteux, D8mons et G8nies du terroir au Moyen ffge, Paris 1995. 27 Vgl. etwa Alain Boureau, Satan h8r8tique. Naissance de la d8monologie dans l’Occident m8di8val (1280–1330), Paris 2004, zu Scholastik und Mystik; Ders., Demons and the Christian Community, in: Miri Rubin/Walter Simons (Hg.), The Cambridge History of Christianity. Bd. 4: Christianity in Western Europe c. 1100-c. 1500, Cambridge 2009, S. 420– 432; Johannes Grabmayer, Satan im späten Mittelalter – vom gefallenen Engel zum Gegengott, in: Almut Schneider (Hg.), Mythen Europas, Bd. 3, Darmstadt 2005, S. 168–187. 28 Vgl. die diesbezüglichen Beiträge in: Herkommer/Schwinges (Hg.), Engel, Teufel und Dämonen; ferner Van der Eerden, Engelen en demonen; Rosenberg, Engel und Dämonen, S. 153–168 (Gestalt Satans), 168–185 (Monstren), 186–188 (Symbolfarben Satans); Jaritz, Angels, Devils. Zu künstlerischen Darstellungen: Gathercole, The Depiction of Angels and Devils; Giorgi, Angels and Demons; Barral Rivadulla, ]ngeles y demonios. Zur englischen Dichtung: Carruthers (Hg.), Anges et d8mons. 29 Angenendt, Religiosität S. 151–159; J8rime Baschet, Diable, in: Le Goff/Schmitt (Hg.), Dictionnaire raisonn8 de l’Occident m8di8val S. 260–272. Vgl. auch Hans-Werner Goetz, Weltliches Leben in frommer Gesinnung? Lebensformen und Vorstellungswelten im frühen und hohen Mittelalter, in: Gerd Althoff/Ders./Ernst Schubert, Menschen im Schatten der Kathedrale. Neuigkeiten aus dem Mittelalter, Darmstadt 1998, S. 111–228. Enzyklopädisch über alle Epochen und Kulturen: Rosemary Ellen Guiley, The Encyclopedia of Demons and Demonology, New York 2009, und (in der Kürze wenig ergiebig) Theresa Bane, Encyclopedia of Demons in World Religions and Cultures, Jefferson, NC-London 2012. 30 Vgl. Herbert Haag, Teufelsglaube, Tübingen 21974; Robert Muchembled, Une histoire du diable: XIIe-XXe siHcle (Livre de r8f8rence), Paris 2000 (engl. Fassung: A History of the Devil. From the Middle Ages to the Present, Cambridge 2004), beginnt seine Darstellung erst mit dem 12. Jahrhundert. 31 Vgl. Florence Chave-Mahir, L’exorcisme des poss8d8s dans l’Pglise d’Occident (Xe–XIVe siHcle) (BibliothHque d’histoire culturelle du Moyen ffge 10), Turnhout 2011. 32 Vgl. Albert Zimmermann (Hg.), Die Mächte des Guten und Bösen. Vorstellungen im XII. und XIII. Jahrhundert über ihr Wirken in der Heilsgeschichte. Für den Druck besorgt von Gudrun Vuillemin-Diem (Miscellanea Mediaevalia 11), Berlin-New York 1977. Es mag bezeichnend sein, daß in diesem vorwiegend philosophischen Sammelband der Teufel selbst nur in wenigen Aufsätzen eine Rolle spielt.

1. Bedeutung, Tradition und Forschungsstand

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und neben Studien zu bestimmten Gattungen, nicht zuletzt zur Hagiographie,33 oder zu einzelnen Autoren und Schriften34 sowie verschiedenen Sammelbänden35 und der weitgespannten, literaturwissenschaftlich-volkskundlichen Dissertation von Isabel Grübel, die vor allem auf eine Hierarchie in der Unterwelt abzielt,36 sind, als Teil einer Trilogie,37 vor allem die chronologisch und nach Richtungen geordnete und intern in der Regel nach Autoren gegliederte Darstellung Jeffrey Russells zum Teufel im Mittelalter, dem es jedoch mehr um theologische Einordnungen und Erklärungen als um die konkreten Vorstel33 Vgl. Frantisˇek Graus, Hagiographie und Dämonenglauben – zu ihren Funktionen in der Merowingerzeit, in: Santi e demoni, Bd. 1, S. 93–120; Giovanni Tabacco, Agiografia e demonologia come strumenti ideologici in et/ carolingia, ebd. S. 121–153; Michel Rubellin, Le diable, le saint et le clerc: deux visions de la soci8t8 chr8tienne au haut moyen .ge, in: Michel Sot (Hg.), Haut moyen-.ge. Culture, 8ducation et soci8t8. Etudes offertes / Pierre Rich8, La GarenneColombes 1990, S. 265–272 (mit quantitativen Analysen zur frühmittelalterlichen Hagiographie); zur spanischen Hagiographie: Vitalino Valcárcel, Los demonios en la hagiograf&a latina hispana: algunas calas, in: Cuadernos del CEMyR (Centro de Estudios Medievales y Renacentistas, Universidad de La Laguna) 11, 2003, S. 133–156. Zum Teufel in der frühmittelalterlichen monastischen Literatur vgl. Albrecht Diem, Encounters between Monks and Demons in Latin Texts of Late Antiquity and the Early Middle Ages, in: Karin E. Olsen/ Antonio Harbus/Tette Hofstra (Hg.), Miracles and the Miraculous in Medieval Germanic and Latin literature (Mediaevalia Groningana. New Series 6), Louvain 2004, S. 51–67; zur Magisterregel: Terrence G. Kardong, The Devil in the Rule of the Master, in: Studia monastica. Commentarium ad rem monasticam historice investigandam 30/1, 1988, S. 41–62. 34 Vgl. J.M. Blázquez Redondo, El diablo en la vidas de los fundadores del monacato en el Bajo Imperio: S. Antonio, S. Mart&n de Tours e Hilarijn de Gaza, in: Vicente ]ngel ]lvarez Palenzuela/Miguel Angel Ladero Quesada/Julio Valdeón Baruque (Hg.), Estudios de historia medieval: Homenaje a Luis Su#rez (Historia y Sociedad 18), Valladolid 1991, S. 51– 65, zu spätantiken Heiligenviten; Patricia Silber, Hrotsvit and the devil, in: Phyllis Rugg Brown/Linda A. McMillin/Katharina Margit Wilson (Hg.), Hrotsvit of Gandersheim: Contexts, Identities, Affinities, and Performances, Toronto-Buffalo-London 2004, S. 177– 192; R8gine Colliot, Rencontre du moine Raoul Glaber avec le diable d’aprHs ses Histoires, in: Le diable au Moyen ffge. Doctrine, ProblHmes moraux, Repr8sentations (S8n8fiance 6), Aix-en-Provence-Paris 1979, S. 117–132; Jacques Paul, Le d8moniaque et l’imaginaire dans le »De vita sua« de Guibert de Nogent, in: ebd. S. 371–399; zum frühen 13. Jahrhundert (mit einem Überblick über die frühere Tradition): Thomas B. De Mayo, The Demonology of William of Auvergne. By Fire and Sword, Lewiston-Queenston-Lampeter 2007. 35 Le diable au Moyen ffge; Santi e demoni; Petra Van Boheemen/Paul Dirkse (Hg), Duivels en demonen. De duivel in de Nederlandse beeldcultuur, Utrecht 1994; darin vor allem: Petra Van Boheemen, Duivels en demonen, ebd. S. 9–45; Müller/Wunderlich (Hg.), Dämonen, Monster, Fabelwesen. 36 Isabel Grübel, Die Hierarchie der Teufel. Studien zum christlichen Teufelsbild und zur Allegorisierung des Bösen in Theologie, Literatur und Kunst zwischen Frühmittelalter und Gegenreformation (Kulturgeschichtliche Forschungen 13), München 1991. Grübel spricht, über ihr engeres Thema hinaus, viele Aspekte an, vergleicht die theologischen Grundlagen aus Patristik und Frühmittelalter in der Regel aber mit spätmittelalterlichen literarischen Zeugnissen. 37 Vgl. Russell, Devil, zu den antiken Teufelsvorstellungen bis zu Neuem Testament und Frühchristentum; Ders., Satan, zu den Kirchenvätern bis Augustin.

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lungen geht,38 sowie die mentalitätsgeschichtliche Monographie Peter Dinzelbachers zur Teufelsangst39 nebst seinen verschiedenen Aufsätzen zu bestimmten Aspekten zu nennen,40 zum 12. Jahrhundert in Frankreich außerdem die Dissertation von Francisco Vicente Calle Calle.41 Einen Überblick über die Theologie des Teufels anhand ausgewählter, allerdings unterschiedlichen Gattungen zugehöriger Autoren gibt Brian McGuire.42 Einige Arbeiten thematisieren den Teufel in der Dichtung,43 auch in angelsächsischen Schriften44 und in den späteren Volkssprachen und nicht zuletzt in Mysterienspielen,45 und natürlich hat 38 Russell, Lucifer. In seinem Kapitel über »Early Medieval Diabology« (S. 93–128) betont Russell das Verhältnis zu Gott und zum freien Willen des Menschen. 39 Peter Dinzelbacher, Angst im Mittelalter. Teufels-, Todes- und Gotteserfahrung. Mentalitätsgeschichte und Ikonographie, Paderborn-München-Wien-Zürich 1996. 40 Vgl. Peter Dinzelbacher, Die Realität des Teufels im Mittelalter, in: Peter Segl (Hg.), Der Hexenhammer. Entstehung und Umfeld des Malleus maleficarum von 1487 (Bayreuther historische Kolloquien 2), Köln-Wien 1988, S. 151–175; Ders., Der Kampf der Heiligen mit den Dämonen, in: Santi e demoni, Bd. 2, S. 647–695; Ders., »Von der Hinterlist und den Tücken der Dämonen gegen die Menschen«. Wandlungen der zisterziensischen Ordensspiritualität im Hochmittelalter, in: Lars Bisgaard/Carsten Selch Jensen/Kurt Villads Jensen/John Lind (Hg.), Medieval Spirituality in Scandinavia and Europe: A Collection of Essays in Honour of Tore Nyberg (Studies in History and Social Sciences 234), Odense 2001, S. 99–113. 41 Francisco Vicente Calle Calle, Les Repr8sentations du diable et des Þtres diaboliques dans la litt8rature et l’art en France au XIIe siHcle, 2 Bde., Villeneuve d’Ascq 1997, Bd. 1. 42 McGuire, God – Man (zu Augustin und Gregor dem Großen, Beda und Gregor von Tours, Galbert von Brügge und Bernhard von Clairvaux, Thomas von Aquin und Dante, Caesarius von Heisterbach und Anders Sunesen, Piers Plowman und Langland sowie Luther). 43 Vgl. bereits Max Dreyer, Der Teufel in der deutschen Dichtung des Mittelalters. 1. T.: Von den Anfängen bis in das XIV. Jahrhundert, Diss. Rostock 1884. Neuere Arbeiten: Herbert Backes, Teufel, Götter und Heiden in geistlicher Ritterdichtung. Corpus Antichristi und Märtyrerliturgie, in: Zimmermann (Hg.), Die Mächte des Guten und Bösen S. 417–441; verschiedene Aufsätze zur Epik und zu den Chansons de geste in: Le diable au Moyen-Age; zu Hartmann von Aue: Danielle Buschinger, Le diable dans le Gregorius de Hartmann von Aue, in: ebd. S. 71–95; Calle Calle, Repr8sentations du diable, Bd. 2. 44 Vgl. Peter Dendle, Satan Unbound. The Devil in Old English Narrative Literature, TorontoBuffalo-London 2001; Russell, Lucifer S. 133ff.; Daniel Anlezark, The Fall of the Angels in Solomon and Saturn II, in: Kathryn Powell/Donald G. Scragg (Hg.), Apocryphal texts and traditions in Anglo-Saxon England (Publications of the Manchester Centre for Anglo-Saxon Studies 2), Cambridge 2003, S. 121–133; Teresa Pàroli, Santi e demoni nelle letterature germaniche dell’alto medioevo, in: Santi e demoni, Bd. 1, S. 411–489 (498); Arlette Sancery, Anges et d8mons dans le poHme anglo-saxon Salomon et Saturne, in: Carruthers (Hg,), Anges et D8mons S. 65–73. Zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen englischen Literatur, aber mit einem Vorspann zur biblischen und patristischen Tradition: Hannes Vatter, The Devil in English Literature (Schweizer Anglistische Arbeiten 97), Bern 1978. 45 Vgl. Russell, Lucifer S. 245–273 (»Lucifer on the Stage«). Zum Teufel in Spielen vgl. Maria Chiabò/Federico Doglio (Hg.), Diavoli e Mostri in Scena dal Medio Evo al Rinascimento. 128 Convegno di studi, Roma 30 giugno/3 luglio 1988, Viterbo 1989; in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen französischsprachigen Heiligenspielen: Plyse Dupras, Diables et saints. Rile des diables dans les mystHres hagiographiques franÅais (Publications romanes et franÅaises 243), Genf 2006.

1. Bedeutung, Tradition und Forschungsstand

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sich auch die Kunstgeschichte stärker mit der Teufelsgestalt befaßt46 oder hat man von geschichtswissenschaftlicher Seite her künstlerische Teufelsdarstellungen ausgewertet.47 Teufelsvorstellungen in anderen Kulturkreisen seien an dieser Stelle nur beiläufig erwähnt.48 Kurz vor Abschluss dieses Manuskripts ist die engagierte Studie des Philosophiehistorikers Kurt Flasch49 erschienen, der aber weniger einen Überblick bieten als die (neuzeitlichen) Wandlungen des mittelalterlichen Teufelsbildes aufzeigen will und dabei manche wichtigen Aspekte anspricht, aber nicht primär nach den mittelalterlichen Vorstellungen fragt, sondern sich auf die großen, philosophienahen Denker beschränkt. Zudem springt auch Flasch mit wenigen Ausnahmen (über Johannes Scotus

46 Vgl. neben Russell, Lucifer S. 129ff. (Frühmittelalter) und 208ff. (Spätmittelalter): Herbert Schade, Dämonen und Monstren. Gestaltungen des Bösen in der Kunst des frühen Mittelalters (Welt des Glaubens in der Kunst 2), Regensburg 1962; Huguette Legros, Le diable et l’enfer : repr8sentation dans la sculpture romane (Ptude faite / travers quelques exemple significatifs: Conques, Autun, Saint-Beno%t-sur-Loire), in: Le diable au Moyen ffge S. 307– 329; Jean-Pierre Bayard, Le diable dans l’Art Roman, Paris 1982; Luther Link, The Devil. A Mask without a Face (Picturing History), London 1995; Calle Calle, Repr8sentations du diable, S. 302–378; Gathercole, The Depiction of Angels and Devils S. 53–91; Barral Rivadulla, ]ngeles y demonios S. 218ff.; Sandrine Molinié, L’iconographie du diable dans la sculpture romane du Midi de la France et du Nord de l’Espagne, ThHse de l’histoire de l’art, Universit8 de Toulouse III, 4 Bde., 2008; Giorgi, Angels and Demons, mit Schwerpunkt auf den behandelten Motiven, aber nahezu durchweg spätmittelalterlichen Bildbelegen; Louis Goosen, Afbeeldingen van de duivel in de middeleeuwen, in: Rooijakkers/DresenCoenders/Geerdes (Hg.), Duivelsbeelden S. 71–88; zeitlich übergreifend zur niederländischen Malerei: Van Boheemen/Dirkse (Hg.), Duivels en Demonen; zuletzt im größeren Rahmen des »Unheimlichen« Metternich, Teufel, zu Teufel und Dämonen, mit fast ausschließlich spätmittelalterlichen Beispielen, nur S. 33–52. Zum Spätmittelalter ferner Dorothee Esser, »Ubique diabolus – der Teufel ist überall«. Aspekte mittelalterlicher Moralvorstellungen und die Kulmination moralisierender Tendenzen in deutschen und niederländischen Weltgerichtsbildern des 15. Jahrhunderts (Erlanger Studien 87), Erlangen 1991, der es aber um die Weltgerichtsdarstellungen insgesamt geht und die dem Teufel daher, trotz des Titels, einen eher marginalen Platz einräumt. Über die Zeiten hinweg (wenig zum früheren Mittelalter): Roland Villeneuve, Le diable dans l’art. Essay de l’iconographie compar8e / propos des rapports entre l’art et le satanisme, Paris 1957. Zur Hölle in der Kunst vgl. Clifford Davidson/Thomas H. Seiler (Hg.), The Iconography of Hell (Early Drama, Art, and Music Monograph Series 17), Kalamazoo, Michigan 1992 (durchweg spätmittelalterlich). Vgl. auch oben Anm. 28. 47 Vgl. Helmut Hundsbichler, Devils in Visual Proximity, in: Jaritz (Hg.), Angels, Devils S. 51–73, zur allegorischen Deutung spätmittelalterlicher Teufelsbilder. 48 Zu byzantinischen Vorstellungen vgl. Enrico Valdo Maltese, Il diavolo a Bisanzio: demonologia dotta e tradizioni populari, in: Ders., Dimensioni bizantine. Donne, angeli e demoni nel medioevo greco, Torino 1995, S. 49–68; Ders., ›Natura daemonum … habet corpus et versatur circa corpora‹: una lezione di demonologia dal Medioevo greco, in: ebd. S. 139–156; Spyros N. Troianos, Der Teufel im orthodoxen Kirchenrecht, in: Byzantinische Zeitschrift 90, 1997, S. 97–111. 49 Flasch, Teufel.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Eriugena) von Augustin in das 12. Jahrhundert und übergeht damit den Großteil der hier behandelten Epoche.50

2.

Begrifflichkeit und Etymologie: Isidor von Sevilla

Anders als bei den Engeln ist die Begrifflichkeit für den Teufel vielgestaltig. Der Teufel hat im christlichen Mittelalter tatsächlich viele Namen,51 von denen vor allem diabolus, aber auch Satan die weitaus gebräuchlichsten sind. Ursprünglich unterschieden, bezeichnen beide Begriffe schon bei Isidor und im Mittelalter in aller Regel dieselbe Gestalt. Diabolus ist dem griechischen diabolos (diabokos), »durcheinanderwerfend«, »verleumderisch«, entlehnt, und übersetzt in der Septuaginta das hebräische ›hasatan‹, »Verleumder«. Satan, der Widersacher, ist in der Bibel der Ankläger vor Gott, wird in apokryphen jüdischen Schriften und schon im Neuen Testament aber als der gefallene Engel verstanden und somit mit dem Teufel identifiziert, der in den Evangelien Christus versucht. Ein weiterer Begriff, Lucifer (Jes 14,12ff. zum untergehenden Morgenstern), der »Lichtbringer«,52 wird in der christlichen Auslegung ebenfalls zu dem gefallenen Erzengel, der vor seinem Fall leuchtend war. Laut Hildegard von Bingen stand er nach seiner Erschaffung und bis zu seinem Fall »so prächtig und groß da, daß ihm nichts an Schönheit und Stärke abzugehen schien«.53 Weitere Namen identifizieren weitere biblische Gestalten mit dem Teufel: Beelzebub, der »Herr der Fliegen«, im Alten Testament (2. Reg. 1,2ff.) ein Gott der Philister, wird schon im Neuen Testament mit Satan gleichgesetzt; Belial, eine Verkörperung des Bösen, wird seit der Bibelübersetzung des Hieronymus mit dem Teufel identifiziert. Oft wird der Name aber auch umschrieben: Der Teufel ist der Führer oder der Fürst der Hölle, vor allem aber »der alte Feind«, antiquus 50 Daß der Teufel seit dem 13. Jahrhundert seine Körperhaftigkeit verlor und als reines Geistwesen verstanden wurde, wie Flasch mehrfach betont, trifft tatsächlich nur auf die großen Denker zu. Flaschs Überblick bleibt ein philosophisches Werk, wenn er am Ende (S. 409f.) schließt: »Vermutlich muß Gott fahren lassen, wer Satan wirklich loswerden will« und Gott und den Teufel nur noch als Symbole für Gut und Böse verstanden wissen will. 51 Vgl. dazu Maria Giovanna Arcamone, Nomi medievali di santi e demoni, in: Santi e demoni, Bd. 2, S. 759–781, hier S. 771–781. Zum Deutschen vgl. Meinolf Schumacher, Der Teufel als »Tausendkünstler«. Ein wortgeschichtlicher Beitrag, in: Mittellateinisches Jahrbuch: Internationale Zeitschrift für Mediävistik / International Journal of Medieval Studies / Revue internationale des 8tudes m8di8vales / Rivista internazionale di studi medievali 27, 1992 (ersch. 1993), S. 65–76. 52 Vgl. zu diesem Motiv Grübel, Hierarchie der Teufel S. 85ff. 53 Hildegard von Bingen, Scivias 1,2,2, CCM 43, S. 14f.: Sed Lucifer, qui ob superbiam suam de caelesti gloria eiectus est, in initio creationis suae talis ac tantus exstitit, quod nullum defectum nec in decore nec in fortitudine sua sensit.

2. Begrifflichkeit und Etymologie: Isidor von Sevilla

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hostis.54 Mit dieser Wendung wird in der Auslegung der Kirchenväter (zuerst wohl bei Augustin) der Drache von Apoc 12,955 oder der König von Babylon bezeichnet;56 sie wird dann vor allem von Gregor dem Großen, besonders in seinen ›Moralia in Iob‹, und später von Beda aufgegriffen und hier zumindest gelegentlich schon implizit mit dem Teufel gleichgesetzt57 und ist seither verbreitet. Die ersten expliziten Gleichsetzungen mit dem Teufel finden sich, soweit ich sehe, bei Haymo von Auxerre im 9.58 und in der Mauriliusvita Archanalds von Angers zu Beginn des 10. Jahrhunderts.59 Wenngleich Teufel und Dämonen nicht identisch sind, gehören sie doch so eng zusammen, daß der Teufelsbegriff, wenn auch relativ selten, sogar im Plural (diaboli) verwendet werden kann. Eine frühe Zusammenfassung der Teufelsvorstellungen liefert im 7. Jahrhundert wieder Isidor von Sevilla in seinen einflußreichen ›Etymologiae‹. Seine Lehren mögen deshalb erneut als ein Ausgangspunkt dienen. Isidor geht dabei wieder von den Begriffen aus, die er in seinem Abschnitt über die gefallenen Engel, erneut keineswegs korrekt, aber nichtsdestotrotz bezeichnend für die dahinter stehenden Vorstellungen, etymologisch erklärt und damit eine große Nachwirkung erzielt. Bezeichnenderweise behandelt Isidor das alles im Rahmen seines Kapitels über die Götter der Heiden, die für ihn, mit Augustin, Dämonen sind und sich aus dem Engelsturz ableiten:

54 Vgl. Forsyth, The Old Enemy. Auch in der deutschen Dichtung ist Satan der »alte ewige Menschenfeind«; vgl. Dreyer, Teufel S. 14f. 55 »Und jener große Drache, die alte Schlange, die Teufel und Satan genannt wird und die die ganz Welt verführt, wurde verjagt; er wurde auf die Erde vertrieben, und mit ihm wurden seine Engel vertrieben.« (Et proiectus est draco ille magnus, serpens antiquus, qui vocatur Diabolus et Satanas, qui seducit universum orbem; proiectus est in terram, et angeli eius cum illo proiecti sunt.) 56 Vgl. Augustinus, Enarrationes in psalmos. Ps. 103. Sermo 4,7, CCL 40, S. 1526: Hic ergo draco, antiquus hostis noster, ira feruidus, insidiis adstutus, in mari magno est. 57 Vgl. Gregor der Große, Moralia in Iob 24,7,14, CCL 143B, S. 1197: Quod enim in paradiso egit, hoc cotidie antiquus hostis agere non desistit; ebd. 2,24,43, CCL 143, Turnhout 1979, S. 86: Antiquus hostis redemptorem humani generis debellatorem suum in mundum uenisse cognouit, unde et per obsessum hominem in euangelio dicitur : ›Quid nobis et tibi fili Dei?‹ (Mt 8,29). Danach wörtlich Beda Venerabilis, In Lucae evangelium expositio 1,4,3, S. 95. Vgl. auch Beatus von Li8bana, Tractatus de Apocalypsin 6,2, CCM 107C, S. 656: et expulsus est draco magnus, anguis antiquus, qui dicitur diabolus et Satanas, seducens totum orbem (abgewandelt nach Apoc 12,9). Zu Gregors Teufelsvorstellungen vgl. Russell, Lucifer S. 94ff. 58 Haymo von Auxerre, Expositio in Apocalypsin 3,11 (unten Anm. 69). 59 Archanald von Angers, Vita Maurilii episcopi Andegavensis 13, Sp. 569 A (hier unter der Autorschaft des Venantius Fortunatus ediert): ut antiquus hostis diabolus Ecclesiam nullam ex sibi creditis ovibus tentando posset laedere aut auferre.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

»Teufel (diabolus) heißt auf hebräisch der abwärts Fließende [oder: Herabfallende], weil er es verachtete, ruhig auf dem Himmelsgipfel zu stehen, sondern durch das Gewicht seines Hochmuts abstürzte und herabfiel.«60

Für Isidor erklärt sich der Begriff des Teufels somit überhaupt erst aus dem Engelsturz, ist also nicht sein ursprünglicher Name. »Auf Griechisch heißt der Teufel Ankläger [oder : Verleumder], weil er entweder Gott die Verbrechen mitteilt [bezeichnend ist hier vielleicht die wörtliche Übersetzung: »zu Gott zurückträgt«], zu denen er selbst verführt, oder weil er die Unschuld der Erwählten mit erfundenen Verbrechen anklagt.«61

Satan wiederum »bedeutet [eigentlich: dröhnt] im Lateinischen der Widersacher oder Übertreter. Er ist nämlich der Widersacher, welcher der Feind der Wahrheit ist und beständig versucht, gegen die Tugenden der Heiligen anzugehen. Er ist zugleich der Übertreter, weil er seine Pflichten gegenüber der Wahrheit verletzt hat, in der er geschaffen wurde, aber nicht verharrte. Außerdem ist er der Versucher, weil er für sich in Anspruch nimmt, die Unschuld der Gerechten zu versuchen, wie das im Buch Hiob beschrieben wird.«62

Satan hat demnach das Gebot der Wahrheit verletzt (was seinen Sturz verursacht hat) und geht nun beständig gegen die Wahrheit (und damit gegen Gott) an, um die Menschen zu versuchen und zu verführen. In beiden Fällen (Teufel und Satan) ist der Teufel also der Verführer und zugleich Ankläger vor Gott über die Verbrechen, zu denen er selbst angestiftet hat: Sein Name verweist auf seine Funktionen. Es ist bezeichnend, wenn Isidor dem im nächsten Abschnitt einen Paragraphen über den Antichrist hinzufügt und Teufel und Antichrist damit in eine enge, bis zur Identifikation neigende Beziehung rückt. Der Teufel heißt nicht Antichrist, weil er der Ankunft Christi vorausgeht (Antechrist), wie einfache Menschen glauben, schreibt Isidor, sondern weil er der Gegner Christi und diesem in allem entgegengesetzt ist (und eben das hat er mit dem Teufel gemeinsam).63 Im folgenden nennt Isidor noch die biblischen Götternamen Bel 60 Isidor von Sevilla, Etymologiae 8,11,18, Bd. 1, S. 330: Diabolus Hebraice dicitur deorsum fluens, quia quietus in caeli culmine stare contempsit, sed superbiae pondere deorsum corruens cecidit. Die Übersetzung deorsum fluens stammt von Hieronymus, Liber interpretationis hebraicorum nominum, S. 160. 61 Isidor von Sevilla, Etymologiae 8,11,18, Bd. 1, S. 330: Graece vero diabolus criminator vocatur, quod vel crimina, in qua ipse inlicit, ad Deum referat, vel quia electorum innocentiam criminibus fictis accusat. Zum Teufel als Ankläger vgl. Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 282–291. 62 Isidor von Sevilla, Etymologiae 8,11,19, Bd. 1, S. 330: Satanas in Latino sonat adversarius, sive transgressor. Ipse est enim adversarius, qui est veritatis inimicus et semper sanctorum virtutibus contraire nititur. Ipse et transgressor, quia praevaricator effectus in veritate, qua conditus est, non stetit. Idem et temptator, quia temptandam iustorum innocentiam postulat, sicut in Iob scribitur. 63 Ebd. 8,11,20, S. 330: Antichristus appellatur, quia contra Christum venturus est. Non, quo-

2. Begrifflichkeit und Etymologie: Isidor von Sevilla

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(Assyrer), Baal (Moabiter), Belzebub (Accaron) und Belial, bevor er auf die römischen Götter eingeht. Die verschiedenen Teufelsnamen vereinigen bei Isidor somit die unterschiedlichen Aspekte der Herkunft des Teufels und seines Wirkens. »Schließlich sind die Begriffe, mit denen der Teufel und Satan bezeichnet wird, aus seinem Handeln heraus entworfen und nicht aus seiner Natur,« hatte schon der sogenannte Ambrosiaster geschrieben.64 In seinen Sentenzen ergänzt Isidor, daß der Teufel in der Bibel Behemoth, Tier, genannt werde, weil er vom Himmel auf die Erde fiel, Leviathan, Wasserschlange, weil er sich im Meer dieser Welt mit wandelbarer List bewegt, oder auch Vogel, weil er sich hochmütig in die Höhe erhob. Zugleich symbolisieren diese drei Namen, daß die Luft seinen Kerker bildet (Vogel), daß er ein wildes Tier ist (Erde) und daß er in unsinniger Unstetigkeit in das Meer dieser Welt geworfen wird.65 Was der Teufel mit seinen einzelnen Gliedern macht, verleiht ihm seine Namen.66 Als Tier verführt er zu Fleischeslust, als Schlange ist er die Bosheit der Begierde und des Schadens, als Vogel ist er der Sturz des Hochmuts (oder : aus Hochmut); wen er auf diese Weise nicht täuschen kann, dem stellt er einen Hinterhalt.67 Solche und weitere Vorstellungen werden im Mittelalter aufgegriffen und weitertradiert. So verbindet Beda Isidors Erklärungen mit der Gleichsetzung mit dem Drachen und der Schlange: »›Und er ergriff den Drachen, die alte Schlange, die der Teufel und Satan ist (Apoc 20,2).‹ Teufel (diabolus) wird als ›abwärts fließend‹ gedeutet, heißt auf griechisch aber ›Ankläger‹, Satan (aber) ›Widersacher‹ und ›Pflichtverletzer‹. Der Drache also heißt so wegen seiner Bosheit, Leid zuzufügen, die Schlange wegen ihrer List zu täuschen, der Teufel wegen des (Ab-)Falls von seinem Stand, Satan wegen seines Starrsinns, dem Herrn entgegenzutreten.«68

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modo quidam simplices intellegunt, Antichristum ideo dictum, quod ante Christum venturus sit, id est post eum veniat Christus. Non sic, sed Antichristus Graece dicitur, quod est Latine contrarius Christo. Ambrosiaster, Quaestiones Veteris et Novi Testamenti, qu. 98,1, S. 187: denique nomina, quibus appellatur diabolus et satanas, ab actu eius conposita sunt, non ex natura. Isidor von Sevilla, Sententiae 3,5,27–28, S. 211f.: Ideo diabolus in sacris eloquiis Behemoth, id est animal, dicitur, quia de caelis lapsus ad terras cecidit. Ideo Leuiathan, id est serpens de aquis, quia in huius saeculi mare uolubili uersatur astutia. Auis uero propterea nominatur, quia per superbiam ad alta sustollitur. Et recte his tribus uocabulis appellatur, quia pro suo merito aerem quasi auis pro carcere meruit; terram, ut animal brutum sit; serpens, ut in huius saeculi mare insana iactetur fluctuatione. Ebd. S. 212: Ex id enim quod per membra sua diabolus operatur, sortitur uocabula, ita ut quod singuli agunt, incitante illo, ipse nominetur ex eo. Ebd.: Quem enim non decipit diabolus? Vnde animal est, hoc est per carnis luxuriam temptat. Vnde serpens est, hoc est cupiditatis ac nocendi malitia. Quem autem nec sic decipit, insidiatur. Vnde auis est, hoc est superbiae ruina. Beda Venerabilis, Explanatio Apocalypseos 3,35, S. 503, zu Apoc. 20,2: ›Et adprehendit draconem serpentem antiquum, qui est diabolus et Satanas.‹ Diabolus ›deorsum fluens‹ in-

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Etwas anders erklärt auf gleicher Grundlage im 9. Jahrhundert Haymo von Auxerre Apoc 12,9, indem er den Akzent auf die Verführung der Menschen und die inneren Eigenschaften des Teufels legt (und damit gewissermaßen seinerseits Isidors und Bedas etymologische Erklärungen auslegt): »Wie schon gesagt, wird jener alte Feind Drachen genannt wegen der Entsetzlichkeit seines Verbrechens und groß wegen seiner versteckten Fallen; und da er seit langer Zeit schadet, heißt er die alte Schlange, weil er den ersten Menschen durch die Schlange betrügerisch getäuscht und ihn auf diese Weise durch das Gift der Verdorbenheit zugrunde gerichtet hat. Er wird Teufel, das heißt abwärts fließend, oder Ankläger genannt, weil er täglich aus den Herzen der Gläubigen fließt, und heißt daher Satan, das heißt der Widersacher, weil er die Guten verfolgt, deren Werke ihm entgegengesetzt sind. ›Er verführt die ganze Welt,‹ nämlich das, was untergeht, also einen Teil der Welt.69

Für Rupert von Deutz im 12. Jahrhundert ist die Gleichsetzung völlig selbstverständlich geworden, und er weitet das noch aus und erklärt den Zusammenhang, indem er, in wörtlicher und allegorischer Auslegung, einen zweifachen Bezug der Schlange annimmt: »Also ist der Teufel oder Satan zwar jener große Drache und jene alte Schlange. Doch er verführte den unglücklichen Menschen nicht allein, sondern durch eine andere Schlange, die mit irdischem Hauch belebt auf jenen einsprach, und zwar gleich doppelt, indem er sowohl seinen Geist durch das Gift der Einflüsterung als auch seinen Körper mit der verbotenen Speise vergiftete und ihm dadurch nicht weniger als einen doppelten Tod, des Körpers und der Seele, eintrug. Der Wortlaut zwingt uns nämlich, das als ein irdisches Tier zu verstehen, wenn es heißt: ›Diese Schlange war listiger als alle Tiere der Erde.‹ Und im Hinblick auf diese Täuschung wird der Teufel in den heiligen Schriften nicht Löwe, sondern Schlange oder Drache genannt, weil er unseren Tod nicht durch Gewalt, sondern durch List bewirkt hat, zumal im Menschen bis dahin noch kein Recht war und er jenen folglich nicht gegen seinen Willen zur Sünde verführen konnte.«70 terpretatur, grece autem dicitur ›criminator‹, satan ›aduersarius‹ siue ›praeuaricator‹; draco ergo propter nocendi malitiam, serpens propter fallendi astutiam, diabolus propter status sui casum, satan propter obstinationem domino aduersandi nominatur. Danach wörtlich Hrabanus Maurus, Commentaria in Ezechielem 13,39, Sp. 876f. 69 Haymo von Auxerre, Expositio in Apocalypsin 3,12, Sp. 1086 CD: ›Et proiectus est draco ille magnus, serpens antiquus, qui vocatur diabolus et Satanas‹ (Apoc 12,9). Ipse antiquus hostis, ut iam dictum est, draco appellatur propter immanitatem sceleris, magnus propter occultas insidias: et quia ex multo tempore nocet, serpens antiquus, quia per serpentem primum hominem decepit fraude et sic eum veneno nequitiae interemit. Vocatur quoque diabolus, id est deorsum fluens, sive criminator, quia quotidie de cordibus fidelium fluit, et inde dicitur Satanas, id est contrarius, quia bonos insequitur, quorum illi opera sunt contraria. ›Qui seducit universum orbem‹ (Apoc 12,9). In his videlicet quae pereunt, id est partem orbis. 70 Rupert von Deutz, De sancta trinitate et operibus eius. In Genesim 3,3, CCM 21, S. 237f.: Igitur diabolus quidem, siue Satanas, ipse draco magnus et serpens antiquus est. Verumtamen non solus, sed alio serpente, id est, terreno animante inuectus, dupliciter hominem decepit infelicem, dum et mentem eius suggestionis ueneno et carnem uetito inficiens cibo, duplicem

2. Begrifflichkeit und Etymologie: Isidor von Sevilla

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Nach Angelomus von Luxeuil hat der Teufel sich mit der Schlange ein ihm wahrhaft angemessenes Tier ausgewählt, das sich ständig windet und schlüpfrig glatt ist und mit dem folglich treffend seine Verschlagenheit und seine Schlüpfrigkeit symbolisiert sind. Die Schlange selbst hätte solche Worte nicht sprechen können, da Gott ihr diese Fähigkeit nicht verliehen hat. Vielmehr hat der Teufel sie sich zu eigen gemacht und als Werkzeug benutzt, durch das er seine deutlichen sprachlichen Töne ausstieß, um seine Bosheit zu begehen.71 Rupert und seine Vorgänger greifen damit zugleich die gängigen Allegorien für den Teufel auf. Neben Schlange und Drachen72 kann das auch der Skorpion oder die Dunkelheit,73 der Fürst der bösen Geister (Benadad, nach 1. Reg 20 der feindliche König der Syrer),74 wie schon erwähnt, der anklägerische Verleumder (criminator)75 oder der »Fürst dieser Welt« (princeps huius mundi) und der »Herrscher über die Finsternis« sein.76 Wen er sich aber sozusagen zum eigenen Nachwuchs erkoren hat, meint Peter Abaelard, sind die Töchter Belials.77 Das

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nihilominus animae et carnis intulit mortem. Terrenum quippe animal nos littera cogit intelligere, dum dicit, qui ›serpens erat callidior cunctis animantibus terrae‹ (Gen 3,1). Et huius deceptionis intuitu diabolus in Scripturis sanctis non leo, sed serpens siue draco dicitur, quia uidelicet non per uim, sed per calliditatem effectum nostrae mortis est adeptus, quippe qui in homine nihil adhuc iuris habuerat nec inuitum ad aliquod peccatum pertrahere poterat. Angelomus von Luxeuil, Commentarius in Genesin 3,1, Sp. 136 A: Elegitque sibi diabolus animal naturae suae aptum, tortuosum, lubricum, per quod loqueretur, ut per hoc sua dolositas et tortuositas designaretur. Verum ipse serpens loqui non poterat, quia hoc a Creatore non acceperat. Assumpsit illum diabolus, utens eo velut organo, per quem articulatum sonum emitteret ad perpetrandam malitiam suam. Per illum quippe verba faciebat. Vgl. auch Hrabanus Maurus, De rerum naturis 8,2, Sp. 233f. Ebd. Sp. 234 AB. Vgl. Glossa ordinaria. Liber regum tertius (secundum Hebraeos primus Malachim) 20, Migne PL 113, Sp. 609 AB (mit Berufung auf Hraban): Benadad significat diabolum, qui diversos exercitus malignorum spirituum ad subvertendum populum Dei contrahit, sed per pueros principum Israel vincitur, id est, per bonos auditores doctorum, quia quod auribus audiunt, factis implent. Antiquus hostis in fugam vertitur. Vgl. etwa Smaragd von St. Mihiel, Collectiones in epistolas et evangelia. Hebdodama XXII post Pentecost. Ad Ephesios 6, Sp. 492 A: Diabolus autem nomen Graecum est, quod interpretatur criminator; Sedulius Scotus, Collectanea in omnes b. Pauli epistolas 2. In epistolam ad Ephesios 4, Sp. 205 BC: Diabolus est Graecum verbum, quod Latine dicitur criminator, lingua vero Hebraica Satanas appellatur adversarius sive contrarius. Vgl. Smaragd von Saint-Mihiel, Summarium in epistolas et evangelia quae leguntur in templis per circuitum anni 14,17, Sp. 566 A: Diabolus huius mundi princeps dicitur et rector tenebrarum harum, hoc est impiorum hominum, non quod coelo et terrae imperet. Petrus Abaelardus, Heloissae Paraclitensis diaconissae problemata cum Petri Abaelardi solutionibus 31 (Solutio Abaelardi), Sp. 715 BC: Filius Belial specialiter appellat, quas sibi diabolus, tanquam propriam prolem generat. Anschließend wiederholt Abaelard die verschiedenen Deutungen Isidors.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

alles bezeichnet dasselbe. »Obwohl Teufel und Satan verschiedene Namen sind, bezeichnen sie doch ein und denselben Feind,« schreibt Haymo von Auxerre.78

3.

Ursprung, Fall und Wohnstätte des Teufels

In der christlichen Lehre ist auch der Teufel ein Geschöpf Gottes. Das wird immer wieder betont, um damit Lehren von zwei gleichwertigen Prinzipien, dem guten und dem bösen, entgegenzuwirken. Vor allem Augustin hat diese Vorstellung in seinem Kampf gegen die Manichäer hervorgehoben und verbreitet. Für Isidor von Sevilla ist der Teufel sogar das allererste Geschöpf Gottes: »Vor aller Schöpfung der Welt wurden die Engel geschaffen und vor aller Schöpfung der Engel wurde der Teufel geschaffen, wie es geschrieben steht: ›Er ist der Anfang der Wege Gottes‹ (Hiob 40,4).79 Deshalb wurde er im Unterschied zu den Engeln auch Erzengel genannt. Daß er zuerst geschaffen wurde, bezieht sich aber auf seinen Vorzug im Rang, nicht auf die Menge an Zeit [d. h. auf einen zeitlichen Vorsprung].«80

Der Teufel hatte folglich den Primat unter den Engeln inne.81 Daß er vor aller Kreatur geschaffen wurde, betont, die Worte Isidors wiederholend, selbst ein Autor wie Aethicus Ister in seiner ›Kosmographie‹.82 Wer behauptet, der Teufel sei zuvor nicht ein guter Engel gewesen und von Gott erschaffen worden oder seine Natur sei nicht Gottes Werk, sondern ohne Schöpfer aus Chaos und Dunkelheit erstiegen und selbst Urheber und Substanz des Bösen, wie es Manichaeus oder Priscillian getan haben, der ist Häretiker und muß verdammt werden, bestimmte gar das westgotische Konzil von Braga von 561.83 Wie die

78 Haymo von Auxerre, Expositio in Apocalypsin 7, v. 20, Sp. 1182 B: diabolus et satanas licet plura sint nomina, unum tamen eumdem hostem significant. 79 Das Hiobzitat bezieht sich zwar auf Behemoth, wird im Mittelalter aber durchweg auf den Teufel bezogen. 80 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,10,4, S. 30: Ante omnem creationem mundi creati sunt angeli, et ante omnem creationem angelorum diabolus conditus est, sicut scriptum est: ›Ipse est principium uiarum Dei‹ (Iob 40,14). Vnde et ad conparationem angelorum archangelus appellatus est. Prius enim creatus exstitit ordinis praelatione, non temporis quantitate. 81 Ebd. 1,10,5 (unten Anm. 88). Bei den Bogomilen findet sich sogar die (häretische) Ansicht, Satan sei der Erstgeborene Gottes; vgl. Milan Loos, Satan als erstgeborener Gottes. (Ein Beitrag zur Analyse des bogomilischen Mythus), in: Byzantinobulgarica 3, 1969, S. 23–35. 82 Aethicus Ister, Cosmographia 1, S. 95: Hoc utique ante omnem creaturam mundi creati sunt angeli et ante omnem creaturam angelorum conditus est diabolus. 83 Konzil von Braga I, in: Vives, Concilios visigjticos Nr. 10, c. 7, S. 4: Si quis dicit diabolum non fuisse prius angelum a Deo factum nec Dei opificium fuisse naturam eius, sed dicit eum ex chao et tenebris emersisse, nec aliquem sui habere auctorem, sed ipsum esse principium atque substantiam mali, sicut Manicheus et Priscillianus dixerunt, anathema sit.

3. Ursprung, Fall und Wohnstätte des Teufels

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Engel, wurde der Teufel aber nicht im Himmel erschaffen, sondern auf der Erde, die damals noch finster und chaotisch war.84 Sein Ursprung (als Teufel) aber liegt im – bereits oben behandelten – Engelfall.85 Dabei konnte man sich auf Apoc 12,986 und Lc 10,18 stützen: videbam Satanan sicut fulgur de caelo cadentem. Isidor hatte bei der Erklärung seines Namens entsprechend klargestellt:87 »Den Primat unter den Engeln hatte der Teufel inne, doch er fiel von dieser Vertrauensstellung derart ab, daß er ohne [Aussicht auf] Wiederherstellung fiel.«88 Er, Lucifer, war der vorzüglichste aller Engel, der durch den Engelfall zum Teufel wurde. »Denn sobald er geschaffen wurde, verfiel er in Hochmut und stürzte kopfüber aus dem Himmel.«89 Mensch und Teufel fielen also gleichermaßen. Während der Mensch sich jedoch nach seinem Sündenfall unterwarf und Buße tat, begnügte sich der Teufel nicht einmal damit, sich als Gott gleich zu erachten, sondern behauptete darüber hinaus sogar, über Gott zu stehen.90 Dieser Ursprung des Teufels war anfangs noch keineswegs eindeutig gewesen. Biblisch ist er nicht bezeugt, sondern erst im apokryphen Buch Henoch wohl aus dem 2. Jahrhundert vor Christus, aber auch hier wohl nur in einem späteren,

84 Vgl. oben S. 49f. zu Engeln. 85 Vgl. dazu Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 176ff.; Keck, Angels S. 13–27; Grübel, Hierarchie der Teufel S. 36ff.; Faure, L’ange du haut Moyen ffge S. 32ff. (aus unterschiedlichen Motiven: aus Geilheit bei Enoch, Nachlässigkeit bei Origenes, Hochmut bei Augustin und Gregor dem Großen, Neid bei Augustin und Thomas von Aquin, Maßlosigkeit bei Anselm); Hafner, Angelologie S. 121ff. (zum prälapsalen und postapokalyptischen Zustand der Engel); Schmidt/Schmidt, Die vergessene Bildersprache S. 137ff.; Van Boheemen, Duivels en demonen S. 10ff. Zum Engelsturz bei Hildegard von Bingen vgl. Schipperges, Welt der Engel S. 65–79. Zu Aelfric: Mensah, Anges et d8mons S. 49ff. Zu Augustin und Anselm von Canterbury : Peter King, Augustine and Anselm on Angelic Sin, in: Hoffmann (Hg.), A Companion to Angels S. 261–281. Zum späten Mittelalter : Tobias Hoffmann, Theories of Angelic Sin from Aquinas to Ockham, in: ebd. S. 283–316. Zur oströmisch-byzantinischen Tradition des Engelfalls vgl. Andr8 Guillou, Satan, le c8leste rebelle, in: Marie Theres Fögen (Hg.), Ordnung und Aufruhr im Mittelalter. Historische und juristische Studien zur Rebellion (Ius Commune. Sonderhefte 70), Frankfurt a.M. 1995, S. 185–194. Zum Engelfall in der deutschen Dichtung vgl. Dreyer, Teufel S. 6–12. 86 Vgl. oben Anm. 55. 87 Isidor von Sevilla, Etymologiae 8,11,18 (oben Anm. 60). 88 Ders., Sententiae 1,10,5, S. 30: Primatum habuisse inter angelos diabolum, ex qua fiducia cecidit, ita ut sine reparatione laberetur (nach Gregor dem Großen, Moralia in Iob 32,23,47, CCL 143B, S. 1665). 89 Ebd. 1,10,7, S. 31: Nam mox ut factus est, in superbiam erupit et praecipitatus de caelo est (nach Augustinus, De Genesi ad litteram 2,23, S. 355). 90 Ebd. 1,10,8, S. 31: Vno superbiae lapsu […] et homo cecidit et diabolus. Sed homo reuersus ad poenitentiam Deo se inferiorem esse cognoscit. Diabolus uero non solum in hoc contentus, quod se Deo aequalem existimans cecidit, insuper etiam superiorem Deo se dicit, secundum apostoli dicta, qui ait de Antichristo: ›Qui aduersatur et extollitur supra omne quod dicitur Deus aut colitur‹ (2. Thess 2,4).

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

zeitlich schwer zuzuordnenden Einschub.91 »Weshalb schreibt Moses (die Genesis) nur über den Fall des Menschen, geht aber stillschweigend über den Engelfall hinweg?« fragt daher im 12. Jahrhundert Honorius und meint, daß die Absicht seines entsprechend angepaßten Berichts eben der allegorische Hinweis auf die Wiederherstellung des Menschengeschlechts durch Christus war.92 Dass der Engelfall nicht biblisch ist, ist den Autoren also durchaus bewußt. Dennoch halten sie daran unverbrüchlich fest. Von den Kirchenvätern greift das zuerst wohl Origenes im 3. Jahrhundert bereits als vorherrschende Ansicht auf,93 betont jedoch, wie unklar das Ganze ist. In der lateinischen Übersetzung seines Werkes ›De principiis‹ schreibt Rufin: »Auch vom Teufel, seinen Engeln und den feindlichen Mächten hat die kirchliche Verkündigung gelehrt, daß sie zwar sind; aber was sie sind oder wie sie beschaffen sind, hat sie nicht hinreichend deutlich dargelegt. Bei den meisten herrscht jedoch die Meinung, daß der Teufel ein Engel gewesen sei, der, selbst abtrünnig geworden, dann möglichst viele von den Engeln dazu überredet habe, mit ihm abzufallen, und diese werden bis heute seine Engel genannt.«94

Diese Vorstellung setzt sich in der Folgezeit immer mehr durch. Im Mittelalter ist der Engelfall bereits gängige, nicht mehr bezweifelte Lehre. »Vielleicht fragt man aber, woher der Teufel kommt,« schreibt Haymo von Auxerre. »Natürlich daher, woher auch die anderen Engel kommen. Die übrigen aber verharrten in ihrem Gehorsam; jener Engel hingegen fiel aus Ungehorsam und Hochmut und wurde zum Teufel.«95

Er bestritt, daß Gott sein Schöpfer sei, und behauptete, selbst Gott zu sein, meint Rupert von Deutz.96 Für Isidor sind der Teufel und seine (gefallenen) Anhänger unter den Engeln die »abgefallenen Engel« (apostatae angeli), die keinerlei 91 Vgl. Henry Ansgar Kelly, Teufel V (Kirchengeschichtlich), S. 124–134. Zum gesamten Umkreis vgl. Forsyth, The Old Enemy S. 160–181. 92 Honorius Augustodunensis, Hexaemeron 1, Sp. 253 B: primis quaeritur, cur Moyses de lapsu hominis scripserit, casum vero angeli reticuerit? […] Intentio quippe Moysis est restaurationem humani generis per Christum figuraliter narrare, quam intentionem omnimode satagit suae materiae adaptare. 93 Vgl. Kelly, Teufel V (Kirchengeschichtlich), S. 124ff. 94 Origenes, De principiis praef. 6, in der lateinischen Übersetzung des Rufinus, S. 84: De diabolo quoque et angelis eius contrariisque uirtutibus ecclesiastica praedicatio docuit, quoniam sint quidem haec, quae autem sint uel quomodo sint, non satis clare exposuit. Apud plurimos tamen ista habetur opinio, quod angelus fuerit iste diabolus et apostata effectus quam plurimos angelorum secum declinare persuaserit, qui et nunc usque angeli ipsius nuncupantur. Zu der (originellen) Position des Origenes vgl. Russell, Satan S. 123–148. 95 Haymo von Auxerre, Homiliae de tempore 32, Sp. 216 D: Quaeritur autem fortasse, unde ipse diabolus est. Inde utique, unde et caeteri angeli. Sed caeteri in sua obedientia perstiterunt, ille inobediendo et superbiendo lapsus est angelus et factus est diabolus. 96 Rupert von Deutz, De victoria verbi Dei 1,8, S. 15: Negavit quippe deum esse creatorem suum, dixit et se esse deum.

3. Ursprung, Fall und Wohnstätte des Teufels

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Gnade mehr finden konnten,97 eine Vorstellung, die aus den nachbiblischspätjüdischen Schriften stammte und auch im rabbinischen Schrifttum des Mittelalters weiterwirkte.98 Eine (fälschlich Paulus Diaconus zugeschriebene) Predigt verbindet das mit einer Veränderung seines Wesens: »Er wurde nämlich als Ebenbild und Gott ähnlich erschaffen, aber durch seinen Hochmut behielt er zwar das Ebenbild, weil er nämlich nicht die Natur der Unsterblichkeit verlor, doch er büßte die wahre Ähnlichkeit ein, weil aus dem gerechten, guten Engel der ungerechte, böse Teufel wurde.«99

Obwohl er es besser hätte wissen müssen, erhob er sich gegen Gott, meint Hildegard von Bingen: »Denn in seiner Furcht vor den Urteilen Gottes weiß er, daß er Gott keineswegs widerstehen kann. Dennoch schneidet er die Äste jenes Werkes ab, wie er es bei den ersten Menschen getan hat, indem er nämlich diejenigen verführt, die ihm von ganzem Herzen zustimmen.«100

Für seinen Sturz ist der Teufel daher selbst verantwortlich, wie Honorius, ebenfalls im 12. Jahrhundert, betont: »Man muß aber wissen, daß der Teufel von Gott gut erschaffen wurde, sich aus sich selbst heraus jedoch zum Bösen verwandelte.«101 Man soll nicht glauben, so lehrt schon Augustin, daß der Teufel von Beginn an, sobald er erschaffen wurde, gesündigt hat, sondern vielmehr vom Beginn der Sünde an, die seinem Hochmut entsprang.102 Anselm von Canterbury interpretiert den Fall als Verlassen der Gerechtigkeit.103 Aus dem schönsten und leuchtendsten, so Honorius, wurde dadurch der schwärzeste und finsterste, aus 97 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,10,11, S. 32. 98 Vgl. dazu Thoma, Engel und Dämonen im Judentum, S. 33–41. 99 Homiliae de tempore 76. In feria quinta post Invocavit, Sp. 1227 C: Factus enim fuerat ad imaginem et similitudinem Dei, sed superbiendo retinuit quidem imaginem, quia non perdidit naturam immortalitatis, amisit tamen veritatem similitudinis, quia ex iusto et bono angelo diabolus iniustus et malus factus est. Danach später wörtlich Heiric von Auxerre, Homiliae per circulum anni, pars hiemalis, hom. 32, CCM 116, S. 279. 100 Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 3,4,10, S. 398f.: Nam in timore iudiciorum Dei nouit, quod Deo nequaquam resistere potest; sed tamen ramos operis illius abscidit, sicut in primis hominibus fecit, illos uidelicet seducendo, qui ei ex toto corde consentiunt. 101 Honorius Augustodunensis, Hexaemeron 3, Sp. 259 A: Sed sciendum est, quod diabolus a Deo quidem bonus sit creatus, a se ipso autem in malum commutatus. 102 Augustinus, De civitate Dei 11,15, CCL 47, S. 335 (zu Joh 3,8: Ab initio diabolus peccat): non ab initio, ex quo creatus est, peccare putandus est, sed ab initio peccati, quod ab ipsius superbia coeperit esse peccatum. 103 Anselm von Canterbury, De casu diaboli 4, S. 240ff. Vgl. Russell, Lucifer S. 161ff.; Daniel Deme, The ›Origin‹ of Evil according to Anselm of Canterbury, in: The Heythrop Journal 43, 2002, S. 170–184; Kevin E. Miller, Giving the Devil his Due? St Anselm on Justice and Satisfaction, in: New Blackfriars 78/914, 1997, S. 178–186. Zu den Motiven der Schrift vgl. Gillian R. Evans, Why the Fall of Satan?, in: Recherches de Th8ologie ancienne et m8di8vale 45, 1978, S. 130–146.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

dem lobenswertesten der verächtlichste Engel.104 Bildlich ist der Engelfall erstmals in der Trierer Apokalypse des frühen 9. Jahrhunderts dargestellt, wo die geflügelten Engel mit der Schlange von den himmlischen Engeln mit Heiligenschein aus dem Himmel auf die Erde verstoßen werden (Abb. IV/33, S. 349).105 Der Teufel fiel also vom Himmel: »Von wo fiel er?« fragt Rupert von Deutz. »Vom Himmel. Nicht aus seinem, sondern aus Gottes Himmel, weil er nicht einmal im Himmel erschaffen worden war, sondern nachdem er erschaffen wurde, wurde er von dem, der den Himmel und ihn selbst erschaffen hatte, in den Himmel versetzt. Ganz so, wie völlig deutlich der Mensch nicht im Paradies erschaffen wurde; nach seiner Schöpfung nahm ihn vielmehr sein Schöpfer und versetzte ihn in das Paradies der Lüste. Genauso wurde auch (der Teufel) nicht im Himmel erschaffen, sondern (Gott) versetzte den Erschaffenen in den Himmel. […] Wohin aber fiel er? Glaubst du, auf die Erde? Nun, durchaus auf die Erde, allerdings nicht auf eine solche, wie wir sie heute sehen. Denn damals war die Erde wüst und leer, und Finsternis herrschte über dem Anblick des Abgrunds. […] Es herrschte ein großes Chaos.«106

Der zweite Himmel (Firmament) war noch gar nicht erschaffen, als der Teufel fiel, meint Rupert, sondern nur der erste Himmel, die Heimat der Engel. Die Anfänge des Teufels zeichnen sich für die mittelalterlichen Autoren demnach trotz unklarer Überlieferung einigermaßen deutlich ab: Der Teufel ist ein Geschöpf Gottes (wie alles außer Gott selbst). Er war nicht nur ein Engel, sondern der vornehmste Engel, verspielte diese Stellung aber durch seinen Hochmut. Daraus entstand, wie Honorius es ausdrückt, »der erste Bürgerkrieg« (primum civile bellum) im Himmel, »als der Erzengel Lucifer dem höchsten Kaiser ähnlich sein wollte«.107 Der Ursprung des Teufels (als Teufel) liegt in seiner Rebellion, die manche Autoren, wie Radulfus Ardens, mit Apoc 12 und in Ver104 Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,34, S. 367: De palatio est propulsus et in carcerem est retrusus et, sicut prius pulcherimus, ita post factus et nigerrimus; qui prius splendidissimus, postea tenebrosissimus; qui prius omni honore laudabilis, post omni horrore execrabilis. 105 Trierer Apokalypse, um 800/820. Trier, Stadtbibliothek/Stadtarchiv, Hs 31, fol. 38r. Abbildung nach Vorlage (Foto: Anja Runkel) und mit freundlicher Genehmigung der Stadtbibliothek Trier. Zu bildlichen Darstellungen des Falls vgl. Link, Devil S. 165–182. 106 Rupert von Deutz, De victoria verbi Dei 1,25, S. 37: ›Cecidit Sathanas‹ (Lc 10,19). Unde cecidit? ›De ce˛lo‹, inquit. De ce˛lo utique non suo sed domini, quia nec saltem in ce˛lo conditus fuit, sed postquam conditus est, positus fuit in ce˛lo ab eo, qui et ce˛lum et ipsum condidit. Plane sicut homo non in paradyso factus fuit, sed postquam factus est, tulit eum factor eius et posuit eum in paradyso voluptatis. Sic et illum non in ce˛lo fecit, sed factum in ce˛lo posuit. […] Ubi autem cecidit? Putas in terram? Utique in terram, verumtamen non talem, ut nunc videmus eam. Tunc enim terra inanis erat et vacua, et tenebre˛ erant super faciem abyssi. […] Chaos erat magnum. 107 Honorius Augustodunensis, Speculum ecclesiae. In conventu populi, Sp. 1093f.: Gott hatte im Himmel einen glänzenden Staat eingerichtet und die Erzengel als Senat, die Engel als Heerscharen eingesetzt: In hac republica quidam princeps tyrannidem arripuit, qui primus civile bellum sociis intulit, dum Lucifer archangelus altissimo imperatori similis esse voluit.

3. Ursprung, Fall und Wohnstätte des Teufels

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mischung mit der Eschatologie, als einen regelrechten Kampf zwischen den guten und bösen Engeln beschreiben: »Und im Himmel entfachte sich eine große Schlacht: Michael und seine Engel kämpften gegen den Drachen, und der Drache kämpfte mit seinen Engeln.«108 In dieser Schlacht im Himmel aber besiegte der Erzengel Michael den Drachen, so Bruno von Asti: »›und der Drache kämpfte und seine Engel, aber sie behielten nicht die Oberhand, und fortan finden sie keinen Platz mehr im Himmel‹ (Apoc 12,7f.). Und jene alte Schlange, die der Teufel und Satan ist, wurde auf die Erde hinuntergeworfen, und alle seine Engel stürzten mit ihm. Das ist die große Schlacht, in der Michael, der Fürst der Engel, mit dem Teufel, dem Fürst der Dämonen, kämpft.«109

Im Anschluß deutet Bruno diesen (für ihn ›historischen‹) Sachverhalt aber symbolisch als den alltäglichen Kampf des Menschen: »Diese Schlacht aber findet täglich in der Kirche statt, zumal auch die Kirche ›Himmel‹ genannt wird. Lies im Evangelium nach, und überall spricht der Herr : ›Das Himmelreich ist jenem ähnlich‹, und so wird es besonders und eigentümlich von der heiligen Kirche verstanden. Ähnlich wird aber auch in der Apokalypse die Kirche häufig ›Himmel‹ genannt.«110

Die Erklärung Brunos zeigt, daß er die apokalyptische Prophetie nicht auf einen Kampf in der künftigen Endzeit, sondern in der Vergangenheit am Anfang aller Geschichte bezieht.111 Rufinus von Sorrent wiederum betont, daß »jene Schlacht

108 Radulfus Ardens, Homiliae de tempore 38: In festo angelorum. Sermo de Apocalypsi, Sp. 1456 AB: ›Factum est praelium magnum in coelo, Michael et angeli eius praeliabantur cum dracone, et draco pugnabat et angeli eius‹ (Apoc. 12,7f.). […] Sunt autem huius lectionis tres partes. Primo enim dicit praelium magnum factum esse in coelo inter Michaelem et draconem. Secundo dicit draconem victum. Tertio dicit hinc magnam exsultationem in coelo factam esse. Zum Motiv des Kampfes zwischen guten und bösen Engeln schon bei Gregor dem Großen und dann wieder im 12. Jahrhundert (bei Anselm von Canterbury, Honorius Augustodunensis und Rupert von Deutz) vgl. Poirel, L’ange gothique S. 126ff. Zum Engelkampf insgesamt vgl. Rouche, Le combat des saint anges et des d8mons, sowie Dinzelbacher, Kampf der Heiligen. 109 Bruno von Asti, Sententiae 6,3, Sermo 5: De sancto Michaele archangelo, Sp. 1075 BC: ›Factum est praelium magnum in coelo, Michael et angeli eius praeliabantur cum dracone, et draco pugnabat et angeli eius et non praevaluerunt neque locus inventus est eorum amplius in coelo.‹ (Apoc. 12,7f.) Et proiectus est in terram serpens ille antiquus, qui est diabolus et Satanas, et omnes angeli eius in terram missi sunt. Magnum praelium, in quo Michael princeps angelorum pugnat cum diabolo principe daemoniorum. 110 Ebd. Sp. 1075 C: Hoc praelium quotidie fit in Ecclesia; quoniam Ecclesia coelum vocatur. Lege in Evangelio, et ubicunque Dominus dicit: ›Simile est regnum coelorum illi‹, et illi specialiter et proprie de S. Ecclesia intelligitur. Similiter autem et in Apocalypsi frequenter Ecclesia coelum vocatur. Der Bibelvers findet sich sechsmal in den Evangelien des Johannes und Lukas, wird dort aber natürlich nirgends auf die Kirche bezogen. 111 Auch in der Ikonographie werden Engelkampf und apokalyptischer Drachenkampf gern vermischt; vgl. Sigrid Metken, Den Drachen besiegen. Engel und Heilige im Kampf gegen

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zwischen den Engeln« nicht materiell mit Waffen, sondern mit intellektuellem Eifer aus dem Gegensatz der Leidenschaften heraus geschlagen wurde, als sich »der Teufel mit seinen Komplizen per typum superbiae, sozusagen in bildlichem Hochmut, genauso weit gegen Gott erhob, wie Michael und die ihm Ähnlichen es für sich erwählten, sich durch ergebene Demut den Befehlen des ewigen Königs zu unterwerfen.«112 Der Sturz des Teufels aber hatte gleich mehrere, unwiderrufliche Folgen. Erstens war er für immer aus dem Himmel verbannt, während die anderen Engel für immer im Himmel verblieben, wie (mit vielen anderen) etwa Hildegard von Bingen betont: »Denn als die Engel vorausgingen, stürzte ein Teil von ihnen unwiderruflich, weil sie ihren Schöpfer verleugneten, ein Teil aber beharrte in seinem Dienst und in der Liebe zu ihm.«113

Zweitens verlor der Teufel (damit) seine Engelnatur (nicht aber sein geistiges Wesen). »Überheblichkeit ist nämlich stets Gefährdung des Heils, durch die schon ihr Erfinder, der Teufel, seiner Engelsmacht beraubt wurde,« heißt es in einem frühmittelalterlichen Brief des Papstes Hormisdas an Bischof Caesarius von Arles, in dem es eigentlich um Häresien geht.114 Fortan wurden Teufel und Engel unterschieden: »Deshalb meine ich und scheint mir besonders jener Mittag das Ziel unserer Wünsche zu sein, damit wir bei klarem Licht die Listen des Teufels wahrnehmen und jenen Engel Satans, der sich in den Engel des Lichts verwandelt (2. Kor 11,14), um so leichter von unserem Engel unterscheiden können. Anders nämlich vermögen wir uns nicht vor dem mittäglichen, dämonischen Ansturm zu bewahren (Ps 90,6) außer gleichfalls im mittäglichen Licht,«

schreibt Bernhard von Clairvaux.115 Drittens war der Teufel nicht nur in die Hölle verbannt, sondern auf ewig verdammt und konnte keine Gnade mehr finden.

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das Böse, in: Sylvia Hand/Dies./Peter B. Steiner (Hg.), Sanct Georg: Der Ritter mit dem Drachen (Kataloge und Schriften 24), Lindenberg im Allgäu 2001, S. 38–42, hier S. 40. Rufinus von Sorrent, De bono pacis 1,9 (De bono angelorum), S. 76: Nam ›proiectus est draco ille magnus, qui vocatur diabolus et Sathanas, proiectus est in terram et angeli eius cum eo missi sunt‹ (Apoc 12,7ff.). Prelium vero istud, quod inter angelos fuit, non est putandum factum materiali ferro, sed intellectuali studio, non commissione armorum, sed contrarietate affectuum, dum, quantum diabolus et eius complices per typum superbie contra Deum erecti sunt, tantum Michael sibique similes per humilitatis devotionem regis eterni subici imperiis elegerunt. Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 3,5,4, S. 410: Nam cum angeli processerunt, quidam ex ipsis creatorem suum negligentes inreuocabiliter corruerunt, quidam uero in seruitute et dilectione illius perstiterunt. Vgl. oben S. 50f. zu Engeln. Epistolae Arelatenses genuinae 30, S. 43: Elatio enim semper affert saluti periculum, per quam ipsius inventor diabolus angelica potestate privatus est. Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica canticorum 33,9, S. 239f.: propter hos,

3. Ursprung, Fall und Wohnstätte des Teufels

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»Und statt aller Sündentaten von Toten und Sterblichen, weil nämlich der Tod durch die Sünde erfolgt und so auf alle Menschen übertragen wurde, starb nur er allein unter allen Toten frei den schuldigen Tod, der dem Menschen das ewige Reich und dem Teufel das ewige Feuer bereitet hat,«116

verkündet Hinkmar von Reims in der Remigiusvita im Hinblick auf Christus, und Hildegard von Bingen dramatisiert: »Denn durch die Kraft des Zornes Gottes wurde der Teufel in den Abgrund versenkt, und alles Licht wurde ihm genommen, so daß er keinen Schimmer der Glückseligkeit sieht; denn er ist vollkommen geblendet, weil er die Ähnlichkeit mit jenem erstrebt hat, der von keinem herstammt, sondern durch sich selbst ist.«117

Sein »Domizil« aber ist, wie es schon mehrfach angeklungen ist, der unterste Ort der Schöpfung überhaupt, infernus, die Hölle.118 Der Engel des Lichts119 wurde zum Herrn der Finsternis, meint Rupert von Deutz: »Denn als er die Liebe, mit der der Engel des Lichts geschaffen wurde, verlor, wurde der Teufel zum Fürst der Finsternis« (wie auch der Mensch ohne Liebe böse und zum Teufelssohn wird).120 Viertens schließlich entsprang daraus sein böses Wirken nicht erst auf Erden, sondern schon gleich im Paradies, indem er die Menschen zum Sündenfall verführte: »Als der Teufel also durch seinen Hochmut vom Himmel fiel, streckte er den ersten Menschen nieder und vertrieb ihn aus dem Paradies,«121 meint Jonas von Orl8ans. Die biblisch von Gott befohlene und durch einen Engel

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inquam, et maxime videtur mihi illa meridies optanda etiam nobis, ut clara luce deprehendamus astutias diaboli atque angelum Satanae illum, qui se transfigurat in angelum lucis (2. Kor 11,14), ab angelo nostro facillime discernamus. Non enim aliter nos custodire sufficimus ab incursu et daemonio meridiano (Ps 90,6) nisi in meridiano aeque lumine. Hinkmar von Reims, Vita Remigii episcopi Remensis 8, S. 281: Et pro omnibus peccato mortuis ac mortalibus factis, quia per peccatum mors et ita in omnes homines pertransivit, mortuus est a debito mortis solus inter mortuos liber, qui regnum aeternum homini et ignem aeternum diabolo preparavit. Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 3,4,10, S. 398f.: Per uim enim zeli Dei diabolus in abyssum dimersus est omneque lumen illi ablatum est, ita ut iam nullum fulgorem beatitudinis uideat, quia omnino excecatus est, quoniam similitudinem illius, qui de nullo, sed qui per semetipsum est, habere uoluit. Zu den mittelalterlichen Höllenvorstellungen vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 111–131; Grübel, Hierarchie der Teufel S. 46–73. Die Tradition der auf 2. Kor. 11,14 zurückgehenden Vorstellungen, daß Satan sich in einen Engel des Lichts verwandelt, bei den Kirchenvätern von Tertullian bis zu Gregor dem Großen und Hrabanus Maurus sowie in der englischen Bibeldichtung (Genesis B) behandelt Jane Morgan Barry, The Angel of Light Tradition in Biblical Commentary and English Literature of the Middle Ages and Renaissance, Diss. University of Wisconsin-Madison 1976 (Xerox University Microfilms, Ann Arbor, Michigan 48106). Rupert von Deutz, Liber de divinis officiis 11,12, S. 384: Amissa namque dilectione, qui angelus lucis creatus fuerat, diabolus princeps tenebrarum factus. Et homo similiter absque dilectione malus et eiusdem diaboli filius est. Zum Motiv des princeps tenebrarum vgl. Grübel, Hierarchie der Teufel S. 88ff. Jonas von Orl8ans, De institutione laicali 3,3, S. 198 (unten Anm. 198).

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vollzogene Vertreibung aus dem Paradies wird hier demnach zu einem Werk des Teufels stilisiert. Engelfall und Sündenfall haben somit denselben Ursprung, denn Teufel und Mensch, so Isidor, fielen aus demselben Motiv heraus: dem Hochmut.122 Beide machen also eine ähnliche (und doch verschiedene) Entwicklung durch. So schreibt Hildebert von Le Mans: »Denn es hatten zwei Geschöpfe gesündigt, nämlich der Teufel und der Mensch; der eine freilich durch sich selbst, der andere durch einen anderen. Weil der Teufel aber durch sich selbst sündigte, verdiente er es nicht, wiederhergestellt zu werden, zumal er in einer so feinen, geistlichen Wesensart verharrte; weil der Mensch aber aus Erde [wörtlich: aus Schmutz] geschaffen wurde und weil er von einem so listigen Versucher verführt wurde, hat er die Hoffnung auf Gnade nicht verloren.«123

Während der Teufel daher auf ewig verdammt ist,124 steht dem Menschen durch die Menschwerdung und Passion Christi der Weg zum Heil wieder offen.125 Fortan aber suchte der böse Teufel die Menschen von diesem Weg abzubringen, und vor allem darin besteht sein gleich noch näher zu betrachtendes Wirken. Im 12. Jahrhundert erstellt Hugo von St. Viktor in seiner ›Summa sententiarum‹ aus einschlägigen Väterstellen gewissermaßen ein Gesamtbild des teuflischen Ursprungs, faßt damit die einzelnen Elemente zusammen und bringt sie zugleich in einen inhaltlichen Zusammenhang, der bereits auf die Natur des Teufels und seiner Engel vorausweist: Hiob und Ezechiel bezeugen die Exzellenz des Teufels, der alle anderen Engel, und nicht nur die gefallenen, übertraf und nach Gregor dem Großen feiner und schöner war und heller strahlte als alle anderen; deshalb hieß er Lucifer. Doch er erhob sich sogleich nach seiner Schöpfung gegen Gott, wie Isidor von Sevilla erklärt, und wollte ihm (nach Jesaja) nicht nur ähnlich oder gar gleich sein, sondern ihn nach Paulus sogar überragen.126 Deshalb wurde er mit allen seinen Verbündeten fortan aus dem 122 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,10,8, S. 31: Vno superbiae lapsu, dum Deo per tumorem se conferunt, et homo cecidit et diabolus. 123 Hildebert von Le Mans, Sermones de sanctis 71: In festo exaltationis sanctae crucis, Sp. 683 CD: Duae creaturae peccaverant, scilicet diabolus et homo; sed alius per se, alius per alterum. Quia igitur per se diabolus peccavit, reparari non meruit, praesertim cum tam subtilis et spiritualis essentiae persisteret; homo, quia de limo factus est, cum a tam callido tentatore deceptus [fuerit], spem veniae non amisit. 124 Auf einige gegenteilige Ansichten bei Origenes und in der byzantinischen Literatur macht aufmerksam: Constantinos A. Patrides, The Salvation of Satan, in: Journal of the History of Ideas 28, 1967, S. 467–478. 125 Zu Heilsweg und Heilsmitteln vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 245–261. Vgl. auch Kapitel 3, unten S. 400. 126 Hugo von St. Viktor, Summa sententiarum 2,4: De excellentia Luciferi ante lapsum et poena post lapsum, Sp. 83f.: Inter eos qui ceciderunt unus fuit excellentior omnibus aliis, et non solum illis, qui ceciderunt, sed et aliis omnibus eum fuisse excellentiorem videntur auctores velle. Quemadmodum Iob dixit: ›Ipse est principium viarum Dei‹ (Iob 40,19). Et in Ezechiele:

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Himmel, dem wahren Vaterland, in die Luft verbannt, die ihm bis zum Jüngsten Gericht zum Kerker wurde, um von hier aus die Menschen zu versuchen (nicht aber auf die Erde, damit er die Menschen nicht zu sehr gefährdete). Dann aber stürzte er nach Matthäus in die Hölle; hier haben er und seine Engel, die verschieden viel wissen, auch unterschiedliche Vorzüge und sind teils einer Provinz, teils einem Menschen, teils einem Laster zugeordnet. Vielleicht ist ein Teil aber schon jetzt in der unteren Hölle. Ob alle bis zum Jüngsten Gericht in der Luft schweben oder ob zumindest ein Teil von ihnen bereits in der untersten Hölle schmort, ist nicht hinreichend durch eine Autorität geklärt. Jedenfalls glauben einige, wie Origenes, daß Lucifer, weil er am meisten sündigte, und mit ihm einige gefallene Engel sogleich in die Hölle verstoßen wurden, damit er keinen Schaden mehr anrichten kann, was Hugo für recht wahrscheinlich hält.127 Wie nun die guten Engel durch den Sturz so gefestigt waren, daß sie nicht mehr sündigen konnten, so wurden die schlechten in ihrer Bosheit/Schlechtigkeit so widerspenstig, daß sie nichts Gutes mehr tun konnten. Sie müssen folglich einen freien Willen besessen haben, der ihnen (zunächst) die Entscheidung nach beiden Seiten hin erlaubte und somit Teil der Engelsnatur ist: Engel sind nach ›Tu signaculum similitudinis plenus scientia et perfectione decoris in deliciis paradisi‹ (Ezech 28,12). Quod sic exponit Gregorius: Quanto in eo subtilior est natura; tanto in illo imago Dei similius insinuatur expressa. Item in Ezechiele: ›Omnis lapis pretiosus operimentum eius‹ (Ezech 28,13), id est omnis angelus operimentum eius; quia, ut dicit Gregorius, in aliorum comparatione caeteris clarior fuit. Unde appellatus est Lucifer; quia non unus ordo, sed unus spiritus putandus est. Quia, ut dicit Isidorus, postquam creatus est absque aliquo intervallo profunditatem suae scientiae perpendens in suum Creatorem superbivit, et ut dicitur in Isaia Deo aequari voluit, dicens: ›In coelum conscendam, super astra coeli exaltabo solium meum, et ero similis Altissimo‹ (Isa 14,14). Similis esse voluit; non per imitationem, sed per aequalitatem, et non solum aequalis, sed etiam quod superior esse voluit videtur auctoritas illa velle: ›Extollitur supra omne, quod dicitur aut quod colitur Deus‹ (2. Thess 2,4). 127 Ebd.: Et quia contra Creatorem suum in tantum superbivit, deiectus est in istum caliginosum aerem cum omnibus illis, qui ei consenserunt; et hoc ad nostri probationem, ut sint nobis adminiculum exercitationis. Non est eis concessum habitare in coelo, quae est clara patria; nec in terra, ne homines nimis infestarent; sed in aere caliginoso, qui est carcer eis usque in diem iudicii. Tunc enim detrudentur in barathrum inferni secundum illud: ›Ite, maledicti, in ignem aeternum, qui praeparatus est diabolo et angelis eius‹ (Mt 25,41). Et sicut maioris scientiae sunt vel minoris, ita habent maiores vel minores praelationes; quia quidam uni provinciae, quidam uni homini, quidam uni vitio praesunt. Unde dicitur spiritus superbiae, spiritus luxuriae. De hoc autem dubitatio est, utrum modo omnes in isto aere sint usque in diem iudicii an aliqui eorum in inferno inferiori sint, quod de auctoritate non multum certum habemus. Quidam tamen volunt dicere, quod Lucifer, qui plus caeteris peccavit, statim illuc demersus sit; et etiam quidam ex aliis. Origenes etiam dicit, quod illi, qui a sanctis iuste et pudice viventibus vincuntur, non habent potestatem amplius tentandi alios, sed statim illic demerguntur : quod satis verisimile est. Origenes: Puto etiam sane quod sancti repugnantes adversus illos tentatores et vincentes minuant exercitum daemonum velut quam plurimos eorum interimant; nec ultra fas sit ullum spiritum, qui ab ullo sancto caste et pudice vivendo victus est, iterum impugnare alium hominem.

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Isidor von Natur aus veränderlich und können daher sündigen; sie sind nur aus Gnade unveränderlich und frei von Sünden. Denn nur Gott allein ist, wie Hieronymus bezeugt, ohne Sünde. Die gefallenen Engel sind nun boshaft böse, bewahren aber ihre Natur und ihr dreifaches Wissen und sind nach Augustin und Isidor durch ihre feingeistige Natur, die Erfahrung der Zeit und die Enthüllung des Übermenschlichen den Menschen überlegen, ja manchmal predigen sie sogar aus göttlicher Eingebung und prophezeien Künftiges. Ihren Fall aber haben sie nicht vorhergewußt. Denn entweder wollten sie dem nicht entgehen oder sie konnten es nicht. Wenn sie ihm aber nicht entgehen wollten, wären sie einfach zu dumm gewesen, ihm zu entgehen, und sie wären bereits vor dem Fall böse gewesen;128 wenn sie dem Sturz hingegen nicht entgehen konnten, wären sie bereits vor dem Fall elend gewesen. Folglich haben sie diesen, wie schon Augustin bekräftigt, nicht vorherwissen können. Hugos Darstellung ist ein Versuch, die verschiedenen Aussagen über den Teufel zu einem Gesamtbild zu vereinigen. Dabei ist Hugo der Ort, an den der Teufel verbannt wurde, nicht völlig eindeutig. Einerseits ist die Erde vorerst sein Wirkungskreis, und sein – gleich noch näher zu besprechendes – niederträchtiges Wirken ist den Autoren selbstverständlich. Andererseits halten sich Teufel und Dämonen in der Luft (gemäß dem luftigen Körper der Dämonen), schließlich und vor allem aber in der Hölle auf. Teufel und Hölle werden in mittelalterlichen Schriften wie auch in bildlichen Darstellungen129 immer wieder wie selbstverständlich in einen engen Zusammenhang gebracht. (Nach der 128 Ebd.: Sciendum quoque est, quod boni angeli ita sunt confirmati per gratiam, quod peccare non possunt; mali autem ita obstinati per malitiam, quod bonum facere non possunt. Ad hoc opponitur, quod liberum arbitrium habent; ergo in utramque partem possunt flecti. Sed inde non dicitur liberum arbitrium, ut in loco suo ostendemus, sed liberum, id est voluntarium; et boni non necessitate cogente, sed libera voluntate a malo abstinent; similiter et mali a bono. Item opponitur de hoc, quod Hieronymus dicit: Solus Deus est, in quem peccatum cadere non potest; caetera cum liberi arbitrii sint in utramque partem flectere voluntatem suam possunt. Sed qualiter hoc intelligendum sit, ex his verbis Isidori conicere possumus. Angeli mutabiles natura, immutabiles gratia. Unde videtur concedendum: Boni angeli possunt peccare ex sua natura, id est, eorum natura non ad hoc repugnat, nec tamen concedendum est, boni angeli possunt peccare, sed potius non possunt peccare, id est gratia, per quam sunt confirmati, ad hoc repugnat. Et quanquam mali sint per malitiam obstinati, tamen vivacem sensum non amiserunt: Quia, ut dicit Isidorus, triplici acumine scientiae vigent: subtilitate naturae, experientia temporum, revelatione superiorum potestatum. Augustinus: Spiritibus malis quidam vera de temporalibus rebus nosse permittuntur, partim sensus subtilitate, partim experientia temporum callidiore propter tam magnam longitudinem vitae; partim a sanctis angelis, quod ipsi ab omnipotente Deo discunt et iussu eius sibi revelantibus. Aliquando autem idem nefandi spiritus etiam, quae ipsius auctoris sunt, velut divinando praedicunt. Quaeritur utrum praescii fuerint sui casus. Sed si suum casum praescierunt aut vitare noluerunt, et ita stulti et maligni erant ante casum; aut vitare voluerunt, sed non potuerunt, et ita erant miseri, antequam caderent. Propter haec inconvenientia dicit Augustinus super Genesim eos sui casus non fuisse praescios. 129 Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 129f.

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Apokalypse ist der Teufel hier tausend Jahre lang angekettet.130) Hierher verschleppt er – schon jetzt oder erst nach dem Jüngsten Gericht – die verdammten Menschen (und macht damit seine Strafe zu der ihren). Die Hölle, das sind zugleich seine Diener, in denen er wohnt.131 Der Teufel, schreibt Rupert von Deutz, wird geradezu durch den Begriff der Hölle gekennzeichnet.132 In einer Miniatur zum Apokalypstenkommentar des Beatus von Li8bana quälen ein mit einer Feuerkrone gekrönter Satan mit grimassenartigem Gesicht und seine tierund monsterartigen Dämonen die Verdammten in der Hölle auf verschiedene Arten (Abb. IV/34, S. 350).133 In einer bildlichen Darstellung Herrads von Landsberg über die verschiedenen Höllenstrafen134 thront der Teufel, schwarz, bärtig und übermenschlich groß, ganz unten in der untersten Hölle auf einem Feuerthron, von dem nach oben hohe Flammen in die nächstobere Abteilung der Hölle ausstrahlen. Wie Maria mit Kind hält er einen Menschen im Arm, doch offenbar nur, um einen nach dem anderen besonders zu quälen, denn während ein Mensch noch scheinbar friedlich in seinen Armen weilt, hat er den vorigen bereits nach rechts zur weiteren Tortur durch die Dämonen geworfen, während links schon der nächste wartet. Ist der Engelstaat ein ganz auf Gott ausgerichteter, perfekt durchorganisierter Organismus mit verschiedenen Ständen und Funktionen, so klingen ähnliche Vorstellungen von einem ›Teufelsstaat‹ nirgends an: Obwohl Engel aus allen Ständen abgefallen sein sollen,135 läßt sich daraus nicht, wie Isabel Grübel meint,136 auch bei den gefallenen Engeln eine entsprechende Hierarchie aus neun Ständen bzw. eine »Antihierarchie« ableiten. Der Teufel wird von seinen Helfern 130 Zu diesem Motiv vgl. Grübel, Hierarchie der Teufel S. 80ff. 131 So Glossa ordinaria, Commentaria in apocalypsim 1,18 (unten Anm. 190); Rupert von Deutz, Commentarii in apocalypsim 4,6 (unten Anm. 196). 132 Rupert von Deutz, Commentarii in duodecim prophetas minores. In Osee prophetam 6, Sp. 197 B: diabolus namque, qui designatur nomine inferni. 133 Beatus von Li8bana, Apokalypsenkommentar, Saint-Sever, um 1028. Paris, BN ms. lat. 8878, fol. 145. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Bibliothek nationale de France (BnF) aus: Roland Villeneuve, La beaut8 du Diable, Paris 1994, S. 9. 134 Herrad von Landsberg, Hortus deliciarum, 12. Jahrhundert. Paris, BibliothHque Nationale de France, fol. 459, planche 44. Abbildung bei Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Abb. II/ 15, bei S. 58. 135 Vgl. Kapitel 1, oben S. 97. 136 Grübel, Hierarchie der Teufel S. 39ff., wo für diese These nur wenige, eher allgemeine Belege gegeben werden. Für eine »Arbeitsteilung in der Hölle« oder eine Spezialisierung der einzelnen Lastern zugeordneten »Lasterteufel« (ebd. S. 150–219) kann Grübel nur Belege aus spätmittelalterlichen Spielen beibringen, die zudem nicht zwingend Ausdruck einer »Hierarchie« sind. Ihre eigenen Beispiele belegen nicht einen »pyramidenförmige[n] Aufbau der Teufelshierarchie«, sondern, wie sie selbst zusammenfassend (S. 221) feststellt, weniger Ober- und Unterordnungsverhältnisse als eine Spezialisierung. Auch das scheint mir aber fast ausschließlich Kennzeichen der Mysterienspiele zu sein. Für das frühe und hohe Mittelalter trifft es jedenfalls nicht zu.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

(satellites) abgehoben,137 die in sich durchaus differenziert sein mochten. Eine klare Standesstruktur ist hier, im Gegensatz zu den Engeln, im Früh- und Hochmittelalter jedoch nicht zu erkennen. Die Hölle ist eher durch das Gegenteil, durch Unordnung, geprägt. Als Herr der Hölle wirkt der Teufel kräftig gegen das Heilsgeschehen an und hat dabei viele Helfer, die anscheinend aber jeweils einzeln in seinem Auftrag handeln und nicht untereinander ›organisiert‹ sind. Die gefallenen Engel aber unterstehen dem Teufel. Diabolus et angeli eius bleibt eine feste Redewendung, auch nach dem Fall. Augustin etwa spricht vielfach vom »Teufel und seinen Engeln«, aber, soweit ich sehe, nirgends vom Teufel und seinen Dämonen.

4.

Die Dämonen

Schwieriger als mit dem Teufel verhält es sich mit den Dämonen, in denen noch mehr außerbiblische Elemente zusammenfließen.138 Während der Teufel eine einigermaßen klar faßbare Gestalt ist, behält der Begriff ›Dämonen‹ durchweg etwas Schillerndes. Ursprünglich bezeichnete der aus dem Griechischen stammende Begriff dailom alle Geistwesen, als Zwischenwesen zwischen Göttern und Menschen, insbesondere aber auch die abgeschiedenen Geister der Verstorbenen. Er hat daher noch nicht von vornherein eine negative Bedeutung, und in dieser Tradition kann noch im Mittelalter von »guten Dämonen« gesprochen werden.139 In den altägyptischen und altorientalischen Religionen war die Welt insgesamt von guten und bösen Geistern bevölkert, eine Vorstellung, die über das Judentum (schedim) in das Christentum eindrang. Nach der griechischen Philosophie (Plato) gibt es in mittelalterlicher Rezeption, wie im 12. Jahrhundert 137 Dazu ebd. S. 109–172. 138 Vgl. Metternich, Teufel S. 43ff., der allerdings auch alle Fabelwesen und Monstren der Kategorie »Dämonen« zuordnet. Zur frühchristlichen und patristischen Dämonologie vgl. Gerard Bartelink, De demonologie van het vroege christendom, in: Rooijakkers/ Dresen-Coenders/Geerdes (Hg.), Duivelsbeelden S. 21–53; zur frühmittelalterlichen Dämonenlehre vgl. Flint, The Rise of Magic S. 110ff.; zur mittelalterlichen Dämonologie, allerdings mit überwiegend spätmittelalterlichen Beispielen: Cohn, Europe’s Inner Demons; zur griechischen Tradition auch Grübel, Hierarchie der Teufel S. 109ff., zur Gestalt ebd. S. 121ff. Zum frühmittelalterlichen Dämonenglauben Graus, Hagiographie und Dämonenglauben S. 106ff.; Werner Wunderlich, Dämonen, Monster, Fabelwesen. Eine kleine Einführung in Mythen und Typen phantastischer Geschöpfe, in: Müller/Ders., Dämonen, Monster, Fabelwesen S. 12–38, hier S. 18–23. 139 Vgl. etwa Augustinus, De civitate Dei 10,1, CCL 47, S. 272: Videndum ac disserendum est, quantum Deus donat, inmortales ac beati in caelestibus sedibus dominationibus, principatibus, potestatibus constituti, quos isti deos et ex quibus quosdam uel bonos daemones uel nobiscum angelos nominant. Danach wörtlich Agobard von Lyon, De picturis et imaginibus 2, S. 152.

4. Die Dämonen

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etwa von Wilhelm von Conches, drei Arten von Dämonen: Die erste Klasse lebt im Äther (in den obersten, feurigen Luftschichten) und besteht aus unsichtbaren, vernunftbegabten, unsterblichen und leidensunfähigen, aus Luft bestehenden Lebewesen, die zweite lebt in den oberen Luftregionen und ist ebenfalls vernunftbegabt und unsterblich, aber leidensfähig; sie beeinflußt die Menschen; die dritte Klasse im unteren, feuchten Luftbereich ist in ihrer Natur den anderen ähnlich, sucht die Menschen aber zu Lastern wie Neid anzustacheln; die beiden oberen Klassen sind gute, Gutes fühlende (Kalodämonen), die unteren schlechte, Böses fühlende Dämonen (Kakodämonen).140 Über den Neoplatonismus, der, in Kongruenz mit dem Bibelbericht, die gesamte Seinslehre der Kirchenväter maßgeblich beeinflußt hat, drang diese Lehre in das Christentum ein. Nach der antiken Dämonenlehre, schreibt Augustin, gibt es drei rationale Wesen mit unterschiedlichen Wirkräumen und Naturen: Götter, Menschen und Dämonen. Götter bewohnen den Himmel als obersten Ort, Dämonen die Luft, Menschen die Erde. Die Dämonen sind räumlich demnach in der Mitte und somit über den Menschen anzusiedeln, die unter ihnen wohnen; die Götter sind mächtiger als die Menschen. Aber nicht nur vom Raum, sondern auch von ihrer Natur, der Anordnung der Elemente und von ihrem Verdienst her stehen die Dämonen über den Menschen und sind ihnen überlegen. Mit den Göttern haben sie die Unsterblichkeit des Leibes, mit den Menschen hingegen die Leidenschaften des Geistes gemeinsam.141 Tatsächlich, so hält Augustin dieser – so sicherlich vereinfacht rezipierten – antiken Lehre entgegen (und greift damit die negative Konnotation der Dämonen auf), sind die Dämonen jedoch keineswegs besser als die Menschen. Viele Tiere sind den Menschen an Sinnesschärfe und Körperkraft überlegen, ohne daß man sie deshalb dem Menschen vorziehen würde; den höheren Ort aber haben auch die Vögel den Menschen voraus, ohne diese zu überragen.142 Entscheidend für den Christen ist vielmehr der gute Lebenswandel, und darin sind die Menschen nun umgekehrt besser als die Dämonen, weil deren Verzweiflung bzw. Hoffnungslosigkeit nicht mit der Hoffnung frommer 140 Wilhelm von Conches, Philosophia 1,5,14f., S. 23f.; Ders., Dragmaticon philosophiae 1,5,1, S. 17. 141 Augustinus, De civitate Dei 8,14, CCL 47, S. 230f.: Omnium, inquiunt, animalium, in quibus est anima rationalis, tripertita diuisio est, in deos, homines, daemones. Dii excelsissimum locum tenent, homines infimum, daemones medium. Nam deorum sedes in caelo est, hominum in terra, in aere daemonum. Sicut eis diuersa dignitas est locorum, ita etiam naturarum. Proinde dii sunt hominibus daemonibusque potiores; homines uero infra deos et daemones constituti sunt, ut elementorum ordine, sic differentia meritorum. Daemones igitur medii, quem ad modum diis, quibus inferius habitant, postponendi, ita hominibus, quibus superius, praeferendi sunt. Habent enim cum diis communem inmortalitatem corporum, animorum autem cum hominibus passiones. Daß Götter den Himmel, Menschen die Erde und Dämonen die Luft bewohnen, greift, darauf gestützt, auch Abaelard, Expositio in Hexaemeron 180, S. 44, auf. Ebenso Ders., Theologia scholarium 1,116, S. 364. 142 Augustinus, De civitate Dei 8,15, CCL 47, S. 232.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Menschen zu vergleichen ist.143 Hier identifiziert der Kirchenvater die Dämonen bereits implizit mit bösen Geistern. Augustin streitet die Existenz der Dämonen also keineswegs ab. Wenn er im folgenden Apuleius zitiert, um das Wesen der Dämonen zu charakterisieren, und dann lediglich zuordnet, was sie davon jeweils mit Göttern und Menschen gemeinsam haben, erkennt er die Charakterisierung an sich ganz offenbar an. Dämonen sind danach (für Apuleius wie für Augustin) »der Gattung nach Lebewesen, dem Gemüte nach leidenschaftlich, dem Verstande nach vernünftig, dem Leibe nach luftartig und der Dauer nach ewig«.144 Wenn Dämonen aber (wie Menschen) von Leidenschaften beseelt sind, dann folgt daraus für Augustin, daß sie nicht selige, sondern unselige Wesen sind.145 Die Kirchenväter, allen voran Augustin betrachten auch die heidnischen Götter als Dämonen, eine Anschauung, die gut mit dem Alten Testament in Übereinstimmung zu halten ist, da heidnische Götter dort ebenfalls mehrfach als solche Geister angesehen werden. Damit ist ihre Existenz als Geistwesen anerkannt und ihr Wirken erklärt, gleichzeitig aber bewiesen, daß sie keine Götter sind und auch keinerlei Mittlerfunktion zu Gott wahrnehmen. Auf diese Weise bringt Augustin Heidentum und Dämonenkult in eine enge Verbindung:146 Die heidnischen Götter seien weder Götter noch unsterblich, sondern Dämonen, denen es dank ihres Wissens gelungen sei, von den Menschen als Götter verehrt zu werden,147 während die Götzenbilder menschliche Geschöpfe und somit gänzlich unnütz und ohnmächtig seien.148 Augustin unterscheidet damit deutlich zwischen den (völlig nichtigen) Idolen und der (anerkannten) Existenz übermenschlicher Wesen, wenngleich diese nach christlichem Glauben natürlich weder göttlich noch gottgleich sein können, sondern im Gegenteil Dämonen und Teufelsdiener sind. Hingegen erklärt Isidor von Sevilla (mit der antiken Mythologie), die heidnischen Götter seien Menschen einer frühen Vergangenheit gewesen, die man nach ihrem Tod, wegen ihres Lebens, ihrer 143 Ebd.: sed ideo eis homines praeferendi sint, quoniam spei piorum hominum nequaquam illorum desperatio comparanda est. 144 Ebd. 8,16, S. 233: Breuitas autem eos definiens ait daemones esse genera animalia, animo passiua, mente rationalia, corpore aerea, tempore aeterna. 145 Ebd. 8,17, S. 234: restat ut daemones sicut homines ideo perturbentur, quod animalia sunt non beata, sed misera. 146 Vgl. Jean-Claude Schmitt, Heidenspaß und Höllenangst. Aberglaube im Mittelalter, Frankfurt a.M.-New York-Paris 1993, S. 19ff.; Hans-Werner Goetz, Die Wahrnehmung anderer Religionen und christlich-abendländisches Selbstverständnis im frühen und hohen Mittelalter (5.–12. Jahrhundert), 2 Bde., Berlin 2013, vor allem Bd. 1, S. 73ff. 147 Vgl. Augustinus, De civitate Dei 2,29, CCL 47, S. 64; ebd. 9,23, S. 269ff. Diese Vorstellung geht bereits auf Justin zurück. Zu den Anfängen dieser Lehre bis Augustin vgl. Hans Reinhard Seeliger, Gefallene Engel und schnelle Quälgeister : Aspekte der patristischen Dämonologie, in: Theologische Quartalschrift 188, 2008, S. 171–180. 148 Augustinus, De civitate Dei 6,1, CCL 47, S. 164ff.

4. Die Dämonen

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Verdienste und nicht zuletzt wegen ihrer Künste, auf dämonische Eingebung hin als Götter verehrt habe.149 Isidor stellt die heidnischen Götter selbst damit wieder über die Dämonen. Die augustinischen Anschauungen wirken im Mittelalter weiter. Im 8. Jahrhundert beschreibt Willibald in seiner zeitnahen Bonifatiusvita den Heidenglauben als sacrilega demonum cultura:150 Heidentum ist, wie vielfach betont wird,151 Dämonen- (und Teufels-)Kult.152 Während eines Sturms hielt Gregor von Tours den Heiden, die jeweils andere Götter wie Jupiter und Merkur, Minerva und Venus anriefen, entgegen: »Ruft doch nicht diese an, denn das sind nicht Götter, sondern Dämonen.«153 Der heilige Amandus sagte zu einer blinden heidnischen Frau: »Wo du deinen Schöpfer und Erlöser anbeten solltest, betest du Dämonen und stumme Götzen an, die weder dir noch sich selbst nützen können.«154 Und Papst Gregor II. ermahnt in einem Brief die Sachsen, nicht von Menschenhand gemachte Bilder aus Gold, Silber, Erz oder Stein anzubeten: »Solche Truggottheiten wurden von den Heiden in alten Zeiten gleichsam als Götter bezeichnet, aber in ihnen wohnen bekanntlich Dämonen, ›denn alle Götter der Heiden sind‹, wie die Schrift sagt, ›Dämonen‹; der Herr unser Gott aber ›hat die Himmel erschaffen‹.«155

149 Isidor von Sevilla, Etymologiae 8,11,1, Bd. 1, S. 327f.; ebd. 8,11,5, S. 328. Zu Isidors Kapitel über die heidnischen Götter und zu seinen Quellen vgl. Katherine Nell Macfarlane, Isidore of Seville on the Pagan Gods (Origines VIII.11), in: Transactions of the American Philiosophical Society 70/3, 1980, S. 1–40. 150 Willibald, Vita Bonifatii 6, S. 29. Vgl. ebd. S. 27: Similiter et iuxta fines Saxonum Hessorum populum paganicis adhuc ritibus oberrantem a demoniorum euangelica praedicando mandata captivitate liberavit. 151 Vgl. beispielsweise Passio Kiliani martyris Wirziburgensis 3, S. 723: populus sibi subiectus adhuc paganico vivebant more, idola daemonum colentes, Deum vero caeli et terrae minime agnosenctes; Brief des Iren Clemens an Herzog Tassilo III. von Bayern, Epistolae variorum Carolo Magno regnante scriptae 1, S. 496: Qui sunt a[utem] pagani atque gentiles, qui non credunt Deum vestrum, sed adorant idula, simulacra demoniorum; Einhard, Vita Karoli 7, S. 10: ut etiam cultum daemonum dimittere et Christianae religioni se subdere velle promitterent; Landolfus Sagax, Historia Romana 12,3, Bd. 1 (Fonti 49), S. 310: Nam et gentiles festiuitates agebant demonibus ministrantes; Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum 4,18, S. 245: propter familiaritatem deorum vel potius demonum; Anselm von Laon, Enarrationes in evangelium Matthaei 6, Sp. 1304 C: Gentiles qui serviebant daemoniis non credebant. 152 Vgl. Goetz, Wahrnehmung anderer Religionen S. 73ff. und S. 164ff. 153 Gregor von Tours, Liber vitae patrum 17,5, S. 282: ›Nolite, o viri, nolite hos invocare, non sunt enim dii isti, sed daemones.‹ 154 Vita Amandi I 24, S. 447: cum factorem et redemptorem tuum adorare debeas, adoras daemones et idola muta, quae nec tibi nec sibi possunt prodesse. 155 Bonifatius, ep. 21, S. 35: ut in quocumque metallo salutem vestram quaeratis, adorantes idola manu facta, aurea, argentea, aerea, lapidea vel de quacumque materia facta. Qui falsidica numina a paganis antiquitus quasi dii vocati sunt, in quibus demones habitare noscuntur ; ›quoniam omnes dii gentium‹, ut ait scriptura, ›demonia sunt; dominus autem‹

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Ähnlich belehrte der Dänenbischof Poppo nach Widukind von Corvey König Harald (Blauzahn) von Dänemark, daß die Götzen Dämonen und nicht Götter seien (und bewies das durch ein Wunder, das dann die Bekehrung des Königs bewirkte).156 Solche Vorstellungen sind also vollkommen selbstverständlich geworden. »Daß die Heiden ihren Göttern bzw. eher ihren Verführern, den Dämonen, aber Tempel errichtet haben, erfahren wir nicht nur aus ihren eigenen Büchern, sondern auch aus den Zeugnissen der göttlichen Schrift,«

verkündet Walahfrid Strabo.157 »Fana,« so etymologisiert Isidor von Sevilla, »sind nach den Faunen benannt, denen der Irrtum der Heiden Tempel gebaut hat; von dort holen die Ratsuchenden die Antworten der Dämonen.«158 Noch die ›Capitulatio de partibus Saxonum‹ Karls des Großen verbietet Gelübde an Quellen, Bäumen und heiligen Orten nach Art der Heiden (more gentilium) zu Ehren der Dämonen.159 Bei Isidor von Sevilla haben sich die antiken Vorstellungen vom Dämonenwesen außerdem bereits mit der (inzwischen) christlichen Lehre vom Engelfall verbunden, indem nämlich die abgefallenen Engel als Dämonen gedeutet werden, die damit einen Ursprung nah am Anfang der Schöpfung erhalten: Wie Satan nach dem Fall Teufel heißt, so sind auch die gefallenen Engel, die vorher Engel waren, jetzt seine Diener und heißen Dämonen, so daß sich ihr Name mit ihrem ›Verdienst‹ gewandelt hat. Manchmal werden sie deshalb aber auch immer noch Engel genannt.160 Augustin hat ein solches Verständnis bereits angedeutet, wenn er zwischen den guten Engeln, den Engeln Gottes, und den bösen Engeln unterscheidet, »die wir [Christen] Engel des Teufels oder Dämonen nennen.«161 Die Dämonen werden damit zu Anhängern und Helfern des Teufels. Sie erhalten

156 157 158 159 160

161

Deus noster ›caelos fecit‹ (Ps 95,5). Vgl. auch Beda Venerabilis, Historia ecclesiastica 2,10,4. Bd. 1, S. 342. Widukind von Corvey, Res gestae Saxonicae 3,65, S. 140f. Walahfrid Strabo, De exordiis et incrementis rerum ecclesiasticarum 1, MGH Capit. 2, S. 476: Paganos etiam templa fecisse diis suis vel potius daemonibus seductoribus suis non solum ex ipsorum libris, sed etiam ex divinae scripturae testimoniis agnoscimus. Isidor von Sevilla, Etymologiae 15,4,8, Bd. 2, S. 168: Fana dicta a Faunis, (q)uibus templa error gentilium construebat, unde consulentes daemonum responsa audirent. Capitulatio de partibus Saxoniae 21, MGH Capit. 1, Nr. 26, S. 69. Isidor von Sevilla, De ordine creaturarum 8,1, Sp. 931 AB: Sed ille princeps Satanas et diabolus nominatur, reliqui vero spiritus ipsius principis ministri, qui prius angeli fuerant, nunc daemones vocantur. Quemadmodum etenim merita, sic et nomina mutaverunt et loca; sed tamen et nunc per Scripturas antiquo vocabulo, eo quod isti nequitiae sunt nuntii, sicut boni spiritus sunt nuntii iustitiae, saepe angeli vocantur. Augustinus, De civitate Dei 5,9, CCL 47, S. 139: Angelorum autem uoluntates dico seu bonorum, quos angelos Dei dicimus, seu malorum, quos angelos diaboli uel etiam daemones appellamus: sic et hominum, et bonorum scilicet et malorum. Vgl. ebd. 10,8, S. 280: mali angeli, hoc est daemones.

4. Die Dämonen

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nun einen ausgesprochen negativen Charakter und sind in derselben Weise tätig wie der Teufel, nämlich den Menschen vom Heilsweg abzubringen. Die Verdammung cum Sathanas et angelis eius wird zu einer häufigen, selbst in Poenformeln von Urkunden gebrauchten Wendung.162 Zwar wird Isidors eindeutige Gleichsetzung im Mittelalter nur noch gelegentlich ähnlich deutlich wiederholt, wie etwa bei Rupert von Deutz,163 Aelred von Rievaulx164 oder Petrus Lombardus,165 der abwertende Sinn und der Teufelsbezug aber bleiben fortan gängig, und der doppelte Ursprung ist durchweg bewußt. »Wie kann etwas gleichzeitig gut und ein Dämon sein?« fragt der Herzog den Philosophen in dem Dialog ›Dragmaticon philosophiae‹ Wilhelms von Conches und erhält die (philosophische) Antwort: »Weil das eine nach der Sprache des Volkes ausgedrückt ist.«166 (Der Philosoph weiß demgegenüber um das antike Verständnis.) Den mittelalterlichen Autoren erscheint es somit recht eindeutig, daß sowohl die abgefallenen Engel als auch die heidnischen Götter Dämonen sind. Tatsächlich lassen sich die beiden ursprünglich unterschiedlichen Deutungen mühelos miteinander vereinbaren, wenn man die heidnischen Götter als abgefallene Engel betrachtet. Wilhelm von Conches betont aber ausdrücklich, daß Teufel und Dämonen nicht dasselbe sind: »Du glaubst nämlich, wie ich deinen Worten entnehme, daß der Dämon das Gleiche ist wie der Teufel. Dämon ist tatsächlich aber alles Unsichtbare, das sich der Vernunft bedient und gleichsam ›wissend‹ ist.«167 Weniger eindeutig als Ursprung und Wirken der Dämonen ist hingegen die Frage zu klären, ob sich der Dämonenglaube ganz auf die Identifikation mit den gefallenen Engeln beschränkt und dem antiken Glauben zuzurechnende Geister (wie Plagegeister oder gar Gespenster) in dieser Weise ebenfalls als gefallene Engel gedeutet werden. Entsprechende Geschichten zeugen jedenfalls vom Glauben an solche Geister, rekurrieren jedoch nirgends unmittelbar auf den Engelfall, während Behandlungen des Engelfalls wiederum nicht auf das spätere Wirken der Dämonen eingehen. Dämonen wirken (und beeinträchtigen das 162 Zum Beispiel DO I 439 (allerdings eine Fälschung des 13. Jahrhunderts); DO II 259; DH II 433; D Beatrix 7 (DD F I Bd. 4). 163 Rupert von Deutz, De victoria verbi Dei 2,27, S. 77: Angelos quippe et non etiam homines aeris substantia vehit, in quem angeli de˛mones facti de ce˛lo sunt precipitati. 164 Aelred von Rievaulx, Sermo 115,26 (in natali sancti Benedicti) (collectio Radingensis), CCM 2C, S. 173: apostatae angeli, id est daemones. 165 Petrus Lombardus, Sententiae 2, dist. 7, c. 3, S. 360: Nam et angeli peccaverunt, et daemones facti sunt; quorum diabolus est princeps. 166 Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae 1,5,1, S. 17: DUX: […] Quomodo enim poterit unum et idem bonum et daemon esse? PHILOSOPHVS: Quasi unus ex uulgo modo locutus est. 167 Ebd.: Putas namque, ut ex uerbis tuis conicio, quod daemon idem sit quod diabolus, quod tamen non est. Daemon enim dicitur omne inuisibile quod ratione utitur, quasi ›sciens‹.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Geschehen) vielmehr in jeweils in sich abgeschlossenen Geschichten. Ihr Treiben und ihre Existenz sind den mittelalterlichen Autoren völlig selbstverständlich, während die dahinter stehenden Lehren und die Zusammenhänge mit den Ursprüngen kaum je erläutert werden. Solche »volkstümlich« anmutenden Vorstellungen, die teils mit Magie in Verbindung gebracht und als heidnisch verurteilt, großenteils aber auch von Klerus und Mönchen als selbstverständlich geglaubt werden, finden sich immer wieder. Schon Isidor von Sevilla sieht »die Eitelkeit der magischen Künste aus der Übermittlung der bösen Engel« in den meisten Jahrhunderten auf der ganzen Erde verbreitet und im Wissen um das Künftige und im Aufruf aus der Hölle manifestiert; auf sie gehen Opferschau, Weissagungen, Orakel und Totenbeschwörungen zurück.168 Regino von Prüm nimmt in seine Canones- und Kapitulariensammlung ein Gebot (unbekannter Herkunft) auf, Frauen, die behaupteten, durch maleficia oder Beschwörungen die menschlichen Sinne umwandeln zu können, indem sie Liebe in Haß wandelten oder umgekehrt, oder solche, die verkündeten, mit einer Schar von Dämonen in Frauengestalt nächtlich auf bestimmten Tieren herumzureiten, aus der Gemeinde zu verstoßen.169 Notker von St. Gallen flechtet in seine ›Gesta Karoli‹ gar eine Geschichte ein, in der ein Dämon in einem regelrechten ›Teufelspakt‹ einem Schmied gegen das Versprechen einer täglich gefüllten Weinflasche das Zugeständnis abringt, in der Schmiede poltern und in den bischöflichen Weinkeller eindringen zu dürfen. Bei dem Versuch, den geizigen Bischöf zu berauben, wird er jedoch erwischt und ausgepeitscht (und bedauert nichts mehr, als daß er das »Pfand« des Bundes, die Weinflasche, verloren hat, sei es um des verlustig gegangenen Weines willen, sei es, weil mit diesem Zeichen auch der Pakt beendet ist).170 In dem Dorf Kempten bei Bingen warfen nach dem Bericht der Fuldaer Annalen Dämonen drei Jahre lang Steine und klopften wie mit Hämmern an die Häuser ; dieser Tat wurde zunächst ein Einwohner verdächtigt und aus dem Ort vertrieben, weil nämlich jedes Haus, das er betrat, in Flammen aufging, doch konnte er sich durch ein Gottesurteil reinigen.171 Thietmar von Merseburg erscheint es nahezu selbstverständlich, daß ›Geister‹, nämlich in diesem Fall die Seelen der Toten, die Friedhöfe bevölkern (und Thietmar unterscheidet im folgenden drei Arten von

168 Isidor von Sevilla, Etymologiae 8,9,3, Bd. 1, S. 323: Itaque haec vanitas magicarum artium ex traditione angelorum malorum in toto terrarum orbe plurimis saeculis valuit, per quamdam scientiam futurorum et infernorum et vocationes eorum inventa sunt aruspicia, augurationes et ipsa quae dicuntur oracula et necromantia. 169 Regino von Prüm, De synodalibus causis et disciplinis ecclesiasticis 2,5,45, ed. Wasserschleben S. 212; ed. Hartmann S. 244. 170 Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni imperatoris 1,23, S. 31f. 171 Annales Fuldenses a. 858, S. 51f.

4. Die Dämonen

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›Geistern‹).172 Die Beispiele ließen sich mühelos vermehren: Der Glaube an solche Geister war allgemein verbreitet. Mit dem Dämonenglauben und seinem engen Zusammenhang mit teuflischem Wirken hängt es wohl auch zusammen, wenn ›Teufel‹ gelegentlich, insgesamt aber doch auffällig selten, auch im Plural verwendet werden kann. Im Buch Daniel, schreibt Aelred von Rievaulx im Hinblick auf die heidnischen Reiche, ist der Fürst des Griechenreichs ein anderer Teufel als der des Perserreichs,173 und Beatus von Li8bana deutet die Pferde der Apokalypse als Teufel.174 Der Teufel ist tatsächlich der Herr, Fürst oder König der Dämonen.175 Entsprechend häufig werden Dämonen und Hölle miteinander in Verbindung gebracht. Als Beispiel dafür sei auf die Vita des Bischofs Landibert von Tongern/ Maastricht verwiesen, der in einer nächtlichen Vision den Tod seines Widersachers Dodo wahrnahm und sah, wie dieser in die Hölle verschleppt wurde. Dort traf er auf zahllose Blutsverwandte, die sich mit ihren Schwertern gegenseitig umgebracht hatten. »Andere wurden von Dämonen gequält, sie jaulten und heulten laut in verschiedenen Tonarten, ihnen grauste vor dem heiligen Namen Gottes und sie schrien, und die menschliche Natur erzittert, wenn sie davon hört, wie viele und welche verschiedenen und enstellten, schlimmsten, schändlichsten und grausamsten Tätigkeiten die Dämonen an ihren Körpern bis zum Ende des Lebens ausübten. So wurde ihr Leichentum vorweggenommen und gemäß ihren ›Verdiensten‹ in der Hölle abgezahlt.«176

Solcherlei wird gern bildlich dargestellt. Berühmt ist das gegen Mitte des 12. Jahrhunderts entstandene Kapitell der Kirche von Chauvigny : Der geflügelte, mit großen Klauen und großem Maul versehene Teufel in Löwengestalt verschlingt geradezu den hilflosen Menschen, den er festhält und dessen halber 172 Thietmar von Merseburg, Chronicon 1,11–13, S. 16/18. Vgl. zu diesem Glauben, allerdings an überwiegend spätmittelalterlichen Beispielen: Katharina Simon-Muscheid, Lebende, Tote und Dämonen: der Friedhof als Ort der Begegnung, in: Herkommer/Schwinges (Hg.), Engel, Teufel und Dämonen S. 103–118, besonders S. 110ff. 173 Aelred von Rievaulx, Sermo 40,6 (coll. Claraeuallensis secunda), CCM 2 A, S. 319: Inuenimus in Daniele alium diabolum esse principem regni Graecorum, alium regni Persarum. 174 Beatus von Li8bana, Tractatus in Apocalypsin 4,1,42, CCL 107C, S. 483: Hos autem equites diabolus esse et suos sexto sigillo manifestat, dum prelio ultimo equos dicit congredi. 175 Hrabanus Maurus, Enarrationes in epistolas b. Pauli. Expositio in epistolam ad Corinthios primam 13,11, Sp. 220 C: diabolus rex est daemoniorum (nach Augustinus, Enarrationes in psalmos. Ps. 90, sermo 2,9, CCL 39, S. 1276). Vgl. auch Bruno von Asti, Sententiae 6,3, sermo 5 (oben Anm. 109); Petrus Lombardus, Sententiae 2, dist. 7 (oben Anm. 165). 176 Vita Landiberti episcopi Traiectensis vetutissima 24, S. 377f.: Alii a demonibus vexati, ullulantes et diversa genera vocum heiulantes, sancti Dei nomine formitantes et clamantes, perversas operas et deformissimas facientes, quem humana natura contremiscit audire, quanta et qualia pessima et turpissima adque crudelissima sunt operati demones in corpora eorum usque in finem vitae ipsorum, et sic praeducti funestis pro meritis solvuntur in inferis.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Kopf bereits im Maul des Teufels mit seinen vielen spitzen Zähnen verschwindet (Abb. IV/35, S. 351).177

5.

Die Natur des Teufels (und seiner Dämonen)

Als ehemalige Engel haben Teufel und Dämonen prinzipiell die gleiche, bereits im vorigen Kapitel über die Engel beschriebene Natur.178 Sie sind Geistwesen (was sich gerade auch im Begriff »Dämonen« widerspiegelt oder daraus ergibt). Für Wilhelm von Conches sind Dämonen ebenfalls Geister, denen dennoch eine gewisse Körperhaftigkeit zukommt.179 Prinzipiell trifft daher auch auf sie zu, was oben über die Natur der Engel gesagt wurde, allerdings ist nun alles ins Böse pervertiert. Schon Isidor von Sevilla hatte Dämonen als unreine Geister beschrieben, deren Körper aus Luft besteht. Sie sind rational und ewig (wie die Engel), aber mit Leidenschaften versehen und zudem schädlich, hochmütig, falsch und trügerisch und somit Feinde der Menschheit, der sie schaden wollen. Sie beeinflussen Sinne und Gemüt der Menschen, bringen deren Leben durcheinander und stören den Schlaf; sie bewirken Krankheiten, erschrecken den Geist und verdrehen die Glieder, beherrschen Orakel (und damit heidnische Praktiken) und täuschen Weissagung vor und erzeugen ein Verlangen nach Lust und Liebe. So erscheinen sie den Menschen häufig und wahrhaftig, sind da, wenn man sie anruft, und dem Wahren sehr ähnlich. Sie erscheinen in unterschiedlicher Gestalt und oft gerade auch als Engel, die sie ja eigentlich sind bzw. bis zu ihrem Fall waren. Jetzt aber leben sie in den Lüften.180 Isidor verbindet hier deutlich die antiken Vorstellungen mit der christlichen Lehre und schreibt den Dämonen dabei jeden schädlichen Einfluß auf den Menschen zu. Der Fall, so 177 Chauvigny, Kirche Saint-Pierre, Kapitell. Abbildung aus: Harald Busch/Bernd Lohse (Hg.), Vorromanische Kunst und ihre Wurzeln (Einleitung von Louis Grodecki, Bilderläuterungen von Eva-Maria Wagner) (Monumente des Abendlandes), Frankfurt a.M. 1965, S. 73. Zum Motiv des Verschlingens in Skulpturen vgl. Molinié, L’iconographie du diable S. 251–272. 178 Vgl. Baschet, Diable S. 263. 179 Wilhelm von Conches, Philosophia 1,6,16–18, S. 24ff. Zur Problematik vgl. (anhand von Bildern) Jean-Claude Schmitt, Le corps des fantimes, in: I discorsi di corpi S. 19–25. 180 Isidor von Sevilla, Differentiae (De differentiis rerum) 2,14,42, Sp. 76 BC: Daemones sunt impuri spiritus, subtiles et vagi, animo passibiles, mente rationabiles, corpore aerei, tempore aeterni, humanitatis inimici, nocendi cupidi, superbia tumidi, fallacia callidi, semper in fraude novi. Commovent sensus, fingunt affectus, vitam turbant, somnos inquietant, morbos inferunt, mentes terrent, membra distorquent, sortes regunt, praestigiis oracula fingunt, cupidinem amoris illiciunt, ardorem cupiditatis infundunt, in consecratis imaginibus delitescunt; invocati adsunt, veris similia metiuntur, mutantur in diversis figuris, interdum in angelorum imaginibus transformantur. Hi quondam a sede coelesti ob superbiam lapsi, nunc in aere commorantur.

5. Die Natur des Teufels (und seiner Dämonen)

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lehrt schon Gregor der Große im frühen 6. Jahrhundert, hat die gefallenen Engel verändert. Teufel und Dämonen sind zwar unkörperlich, werden aber wie Körper im Feuer bestraft.181 Der Teufel ist nun nicht nur (einstiger) Engel, sondern von Anbeginn an gleichsam auch der ›Gegenspieler‹ Gottes. Er ist nicht nur der gefallene Engel, sondern, wie Haymo von Auxerre verdeutlicht, in allem Gott genau entgegengesetzt: Deshalb kann der Mensch (mit den Evangelien) nicht zugleich zwei Herren, nämlich Gott und dem Teufel, dienen, der eben nicht »der Herr« ist, der »Herrschaft« ausübt; das steht nämlich insbesondere demjenigen zu, der nicht nur Herrscher, sondern auch Schöpfer ist, während der Teufel mißbräuchlich eine Tyrannei über diejenigen ausübt, die er sich durch ihre schlechten Werke unterworfen hat.182 Der Teufel macht nämlich genau das Gegenteil von dem, was Gott befiehlt: Wo Gott Demut befohlen hat, suggeriert der Teufel Hochmut; Gott ruft zur Keuschheit auf, der Teufel stachelt zur Genußsucht an; Gott befiehlt Freigebigkeit und Almosen, der Teufel Geiz, Gott Frieden, der Teufel Zwietracht, Gott Liebe, der Teufel Haß. Gott ruft zu Tugenden, der Teufel zu Lastern auf. Von daher ist es unmöglich, beiden gleichzeitig zu dienen.183 »Weil das Reich Christi und das Reich des Teufels weit voneinander geschieden sind,« so schreibt auch Paschasius Radbertus, »können wir nicht in beiden gleichzeitig Kriegsdienste leisten.«184 Selbst der Gottessohn Christus, meint Rupert von Deutz später, bewirkt (nach Joh 5,30) etwas nicht aus sich selbst. Wer das tut, ist ungerecht (oder tut Unrecht), was Gott niemals sein (oder tun) kann. Unrecht ist vielmehr das 181 Gregor der Große, Dialogi 4,30, S. 102 (aufgenommen bei Petrus Abaelardus, Sic et non 44, S. 203): Si igitur diabolus eiusque angeli cum sint incorporei, corporeo sunt igne cruciandi. 182 Haymo von Auxerre, Homiliae in Evangelia de tempore et sanctis 127, Sp. 680 C: ›Nemo potest duobus dominis servire‹ (Mt 6,24; Lc 16,13). Et reliqua. Cum ad unius Dei culturam Dominus Iesus Christus mentes hominum provocaret, sciens humanam naturam Deo simul et diabolo subditam esse non posse, ait inter caetera: ›Nemo potest duobus dominis servire.‹ Duo domini, Deus et diabolus intelliguntur : Dominus enim a dominatu nomen accepit, quod nomen illi specialiter convenit, qui non solum gubernator, sed etiam conditor est totius creaturae, qui est Rex regum et Dominus dominantium. Diabolus enim non proprie, sed abusive Dominus dictus est, eo quod dominium suae tyrannidis in eorum mentibus, qui ei per mala opera subduntur, exerceat. 183 Ebd.: His ergo duobus dominis unus idemque homo, uno eodemque tempore servire simul non potest: quia valde inter se contraria sunt et diversa, quae Dominus praecepit et diabolus suggerit; verbi gratia: Dominus praecepit humilitatem et diabolus suggerit superbiam; Dominus vocat ad castitatem, diabolus persuadet luxuriam; Dominus largitatis eleemosynam imperat, diabolus avaritiam; Dominus pacem, diabolus discordiam; Dominus dilectionem, diabolus odium. Et ut cuncta breviter concludam, Dominus vocat ad virtutes, diabolus ad vitia. Et ideo non est humana mens tam ampla et capax, ut utramque voluntatem, utramque servitutem in se simul retinere possit. 184 Paschasius Radbertus, Expositio in Matheo 4 (v. 6,24), CCM 56, S. 416: Sed quia regnum Christi et regnum diaboli longe inter sese diuiduntur, idcirco simul in utroque non possumus militare.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Wesen des Teufels.185 Für Petrus Damiani ist der Teufel praktisch tot, eben weil er von Gott getrennt ist, und er begräbt jeden Geist, den er bewohnt.186 Der Mensch aber hat die Wahl, entweder der Sünde oder der Gerechtigkeit zu dienen. Für Hrabanus Maurus ist der Teufel für die Sünde verantwortlich; er bewirkt sie entweder aus der Notwendigkeit der Natur oder aus der verhängnisvollen Situation oder aus dem Lauf der Sterne.187 Dabei bleibt er zugleich Werkzeug Gottes: Der Teufel ist die Rache Gottes an den Bösen, meint Bruno der Kartäuser.188 Als Urheber der Sünde189 aber ist der Teufel zugleich der Grund für den Tod, denn mit der Sünde (dem Sündenfall) brachte er als Sündenstrafe den Tod in die Welt; seine Diener sind die Hölle, wo er seinen Platz hat.190 Der Spruch Salomos (Sap 2,24), »Durch den Neid des Teufels, sagt er, trat der Tod in den Erdkreis ein,«191 wird daher immer wieder aufgegriffen.192 Der Teufel selbst, meint Petrus Lombardus später, ist mit dem Namen des Todes gekennzeichnet.193 Auch

185 Rupert von Deutz, De gloria et honore filii hominis super Matthaeum 13, Sp. 1627f.: Utrum in potestate Dei fuerit, quatenus nec iste de coelo, nec homo illum imitans caderet, sive eiceretur de paradiso, dicat ipse Dei Filius, omnipotens ex omnipotente, Deus ex Deo: ›Non possum, ait, ego a meipso facere quidquam; sicut audio, iudico‹ (Ioh 5,30). Unde sciendum, quia iudex iniustus est, qui a semetipso facit, id est, qui aliter iudicat quam audit, sive intelligit. Hoc facere Deo impossibile est, iniustus enim [esse] omnino non potest. 186 Petrus Damiani, ep. 162, Bd. 4, S. 162: Sepultura vero domus est mortuorum, et quia diabolus mortuus est, quoniam a Deo, vera scilicet vita, disiunctus est, omnem mentem, quam inhabitat, facit absque dubio sepulturam. 187 Hrabanus Maurus, Homiliae in Evangelia 132, Sp. 399 A: Constat ergo ex his sermonibus Pauli, quibus dicit, quia ›cui vos exhibetis servos ad obediendum servi estis eius, cui obedistis, sive peccati sive iustitiae‹, quia sponte nostra ipsi exhibemus nullo cogente vel peccato servire vel iustitiae per obedientiam nostram, et ideo horum semper meminisse debemus, ne inanes querelas in peccati excusatione proferamus, dicentes quia diabolus fecit, ut peccator essem, aut naturae necessitas aut fatalis conditio aut cursus astrorum. Zu Teufel und Sünde vgl. unten Abschnitt 7.a, S. 243ff. 188 Bruno der Kartäuser, Expositio in psalmos. In psalmum XXXIV, Sp. 776 A: ›Angelus Domini‹, id est angelus malignus, qui vindex est Domini in malos, sit ›coarctans eos‹ suggestionibus ad illicita. Zum Teufel als Werkzeug Gottes vgl. unten S. 307ff. 189 Vgl. Rupert von Deutz, Commentarius in Iob c. 3 v. 10, Sp. 979 B: Hactenus in ipsum noctem, id est diabolum peccati auctorem, invectus est. 190 So die Glossa ordinaria, Commentaria in Apocalypsin 1,18, Migne PL 114, Sp. 714 A: Diabolus est mors, quia causa est peccati, id est mortis; ministri eius sunt infernus, in quibus habet locum. 191 Invidia autem diaboli mors introivit in orbem terrarum. 192 Vgl. etwa Epistolae Wisigoticae 8 (König Sisebut, 612–620), S. 670; Konzil von Aachen 816, MGH Conc. 2,1, Nr. 39, c. 105, S. 381; Hinkmar von Reims, ep. 37, S. 18; Ders., De cavendis vitiis et virtutibus exercendis 1,6 (zum Kapitel ›Neid‹), S. 151, und öfter. Vgl. auch die folgenden Belege. 193 Petrus Lombardus, Collectanea in omnes Pauli apostoli epistolas. In epistolam I ad Corinthios 15, Sp. 1692 B: Vel nomine mortis significatus est diabolus.

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Humbert von Silva Candida macht den Teufel für Sünde und Tod verantwortlich, hebt das aber von der Seele ab: »Die Seele stirbt, indem sie gebärt, jener Ehebrecher aber, der Teufel, stirbt in geschlechtlicher Vereinigung, indem er zu Schlechtem überredet; das Haupt eben dieses Teufels ist nämlich seine Überredung, die den Samen und Beginn aller Sünde bewirkt, wenn sie angenommen wird. Damit nun aber nicht jemand glaubt, daß er durch die Suggestion des Bösen nicht sterben könne, möge er den Teufel selbst begreifen, nämlich die geistige [wie auch die geistliche] Schlange, die so oft stirbt, wie sie den Menschen Böses eingibt.«194

Man müsse sich daher hüten, meint Ambrosius Autpertus in seinem Tugendspiegel, den Teufel nachzuahmen, indem man andere wegen ihres himmlisches Ortes beneidet.195 Der Teufel und seine Diener aber heißen »metonym«, in Übertragung des Namens, deshalb Tod und Hölle, so erläutert Rupert von Deutz, weil sie für viele der Grund des Todes und der Höllenbewohner sind.196 »Seht den Tod, seht die Hölle, seht den Teufel,« mahnt ebenfalls im 12. Jahrhundert Petrus von Celle, der Abt von Saint-Remi und Bischof von Chartres, und bringt damit Tod und Teufel in engsten Zusammenhang: »Der Tod (ist) unersättlich, bitter, blutig, schauderhaft, scheußlich und ekelhaft; unersättlich, weil er einer der vier unersättlichen Dinge ist und das gesamte Menschengeschlecht verschlingt und damit weder seinen Hunger stillt noch seinen Bauch füllt, sondern seinen Geschmack um so gieriger hinterläßt; so viele Todesarten es auf der Welt gibt, so viele Gänge bereitet er auf seiner Tafel.«197

Vorrangiges Kennzeichen des Teufels aber ist sein Hochmut (superbia), die Ursache seines Falls und das Laster schlechthin. 194 Humbert von Silva Candida, Adversus simoniacos 2,12, S. 152, zu Ezech 18,4 (Anima, quae peccaverit, ipsa morietur): Sed anima moritur parturiendo, adulterator illius, id est diabolus, coeundo, prava utique suadendo; ipsius enim diaboli caput suasio eius est, quae si recipitur, omnis peccati seminarium et initium efficitur. Et ne putet quisquam se suggerendo mala posse non mori, intellegat ipsum diabolum, spiritualem scilicet viperam, totiens mori, quotiens mala hominibus suggerit. 195 Ambrosius Autpertus, Libellus de conflictu uitiorum atque uirtutum 6, S. 913: Caue prorsus, ne dum aliis locum celsitudinis inuides, illum imiteris, de quo scriptum retines: ›Inuidia diaboli mors introiuit in orbem terrarum; imitantur autem illum, qui sunt ex parte illius‹ (Sap 2,24f.). 196 Rupert von Deutz, Commentarii in apocalypsim 4,6, Sp. 946f.: Quia videlicet ›invidia diaboli mors introivit in orbem terrarum‹ (Sap 2,24), ipse quoque diabolus et ministri eius letymulij_r mors et infernus dicti sunt, eo quod multis mortis causa et infernorum sint. 197 Petrus von Celle, Sermo 82 (In communi confessorum), Sp. 888 A: Videte mortem, videte infernum, videte diabolum, mors avara, amara, cruenta, horrida, foeda et fetida; avara quia unum est de quatuor insaturabilibus, universum genus hominum devorans, nec famem sedat, nec ventrem implet, gustu suo avidior redditur ; et quot genera in mundo habet mortium, tot quasi in mensa sua praeparat genera ferculorum.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

»So wie der Hochmut aus den Engeln Dämonen macht, so macht die Demut aus den Menschen Mitbürger der Engel. Als der Teufel also aus Hochmut vom Himmel fiel, da warf er den ersten Menschen nieder und vertrieb ihn aus dem Paradies. Christus aber, der Sohn Gottes, kam demütig in die Welt, um das Menschengeschlecht zu erlösen [wörtlich: freizukaufen],«

schreibt Jonas von Orl8ans im 9. Jahrhundert in seinem ›Laienspiegel‹ für den Grafen Matfrid von Orl8ans,198 und ganz ähnlich äußert sich noch im 12. Jahrhundert Richard von St. Viktor : »Der Demütige baut auf Stein, der Hochmütige auf Sand. Alle Hochmütigen sind folglich Jünger des Teufels, der selbst König und Lehrer über die Söhne des Hochmuts ist. Alle Demütigen sind hingegen Jünger Christi, der sich eben dazu gedemütigt hat, um Demut zu lehren und Meister der Demut zu werden.«199

Schon nach der Kanonikerregel Chrodegangs von Metz sind daher alle Hochmütigen unzweifelhaft Söhne des Teufels und alle Demütigen Gottessöhne.200 »Der hochmütige Mensch gleicht dem Teufel,« faßt ein anonymer Autor (von Migne Bernhard von Clairvaux zugeschrieben) prägnant zusammen.201 Den Teufel kennzeichnen nicht minder auch die anderen Laster jeweils im Höchstmaß. Er ist nicht nur eitel, sondern der »Fürst der Eitelkeit«, meint Rupert von Deutz, weil er es verachtete, sich an Gott zu erfreuen, und nicht er selbst bleiben wollte.202 Der Fall aber macht ihn neidisch auf alles Gute, schreibt Ado von Vienne, so daß er den »Mann Gottes« (in diesem Fall den heiligen Theudar) von seiner Bestimmung ablenken will, wie er schon den ersten Menschen durch die Schlange das Gift seiner Treulosigkeit eingab, und er schreckt nicht davor zurück, immer wieder danach zu trachten, indem er in die Schlange hineingeht und den Zorn der wilden Tiere erregt. Der Heilige aber schützt sich vor der Verschlagenheit des Teufels mit den Waffen des Gebets, und so wird der Betrug

198 Jonas von Orl8ans, De institutione laicali 3,3, S. 196/198: Sicut superbia de angelis daemones, ita humilitas de hominibus angelorum efficit cives. Diabolus itaque per superbiam corruens de coelo, hominem primum strauit et de paradiso expulit. Christus autem Deus Dei filius ad redimendum genus humanum humilis uenit in mundum. 199 Richard von St. Viktor, Tractatus de gemino paschate. Sermo in die paschae, Sp. 1068 AB: Humilis aedificat super petram, superbus super arenam. Omnes ergo superbi discipuli sunt diaboli, qui est rex et magister super filios superbiae. Omnes vero humiles discipuli sunt Christi, qui ad hoc ut humilitatem doceret et fieret magister humilitatis, humilis factus est. 200 Chrodegang von Metz, Regula canonicorum (secundum Dacherii recensionem) 1, Sp. 1059 AB: Nam quemcunque superbum videris, filium diaboli esse non dubites; et quemcunque humilem prospexeris, Dei filium esse credere debes. 201 Liber de modo bene vivendi 37, Sp. 1258 C: Superbus homo similis est diabolo. 202 Rupert von Deutz, De gloria et honore filii hominis super Matthaeum 13, Sp. 1627 D: Et ipse diabolus non solummodo vanus, verum etiam totius vanitatis est princeps, quia Deo frui contempsit et in semetipso rema[ne]re noluit, ut iam dictum est.

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des Teufels besiegt und verschwindet.203 Der Neid des Teufels auf die Guten ist ein ständig wiederkehrendes Motiv ;204 den »neidischen Feind aller guten Dinge« nennt Eigil den Teufel.205 Neid wird geradezu zum »teuflischen Laster« (diabolicum vitium).206 Der neidische Mensch ist daher nach Sap 2,24 Teil des Teufels. Ein weiteres hervorstechendes Kennzeichen des Teufels ist die Lüge. »Euer Vater ist der Teufel,« hatte Jesus den ungläubigen Juden nach dem Johannesevangelium vorgeworfen, »und ihr wollt die Wünsche eures Vaters erfüllen. Er (aber) war von Anfang an ein Mörder und verharrte nicht in der Wahrheit, weil in ihm keine Wahrheit ist. Wenn er lügt, spricht er aus sich selbst heraus, weil er selbst die Lüge und deren Vater ist.«207

Der Teufel hat nicht der Wahrheit ferngestanden, sondern ihr nicht standgehalten. Er ist die Lüge (und der Mord), meint deshalb, weithin Augustin folgend, Beda Venerabilis in seiner Auslegung des Johanneswortes: »Er war von Anfang an ein Mörder, weil er den ersten Menschen ermordet hat. Und er verharrte nicht in der Wahrheit, weil er von der Wahrheit abgefallen ist. ›Wenn er aber Lügen spricht, dann spricht der Teufel von sich selbst‹ (de proprio). Denn der Teufel selbst spricht die Lüge aus eigenem (Wesen), ›weil er die Lüge selbst und ihr Vater ist.‹ Der Teufel aber war in eigener Person die Lüge und gebar selbst seine Lüge. Zuvor hatte er nämlich von niemandem Lügen hören können. Wie Gott der Vater den Sohn, die Wahrheit, geboren hat, so gebar der Teufel gleichsam die Lüge als Sohn. Er gebar die Lüge, weil er nicht in der Wahrheit verharrte. Denn jeder, der bei Gott bleibt, verharrt in der Wahrheit, weil Gott die Wahrheit ist. Wer sich aber von Gott entfernt, wird ein Lügner sein, wie der Psalmist sagt: ›Jeder Mensch ist ein Lügner‹ (Ps 116,11). Soweit sich der Mensch von Gott entfernt, wird er in demselben Maße zum Lügner, wie er von der Wahrheit abweicht; folglich wird er ein Sünder sein, weil alle Sünde nicht Wahrheit, sondern Lüge ist, weil sich von Gott entfernen nicht Wahrheit enthält. Der Teufel aber wurde gut erschaffen und ist aus sich selbst heraus schlecht geworden, indem er vom höchsten Gut abwich. Dehalb sagt man, er sei ex propriis (aus eigenem Wesen) zur Lüge 203 So Ado von Vienne, Vita Theudarii abbatis Viennensis 12, S. 529: Sed invidus omnis boni diabolus, ut virum Dei ab intentione coepti retraheret, sicut per serpentem primis hominibus venena suae perfidiae propinavit, iterum serpentem ingressus et ferarum iras movens, appetere non timuit. Cuius versutias vir Dei praenoscens, armis orationum se muniens, intrepidus stetit, ac sic fraus diaboli victa evanescendo subcubuit. Ähnlich Passiones Leudegarii episcopi et martyris Augustodunensis I 8, S. 290: Vir autem Domini, ut cognovit contra se invidiam diaboli recalescere, tunc iuxta apostolum sumens loricam fidei et galeam salutis et gladium Spiritus, quod est Dei verbum, contra antiquum hostem inivit singulare certamine. 204 Vgl. etwa Vita Rusticulae sive Marciae abbatissae Arelatensis 9 (unten Anm. 363). Invidia diaboli mehrfach auch bei Hugo von St. Viktor, De archa Noe 3,11, S. 75. 205 Eigil, Vita Sturmi 11, S. 142: invidus omnium bonarum rerum diabolus. 206 So Jonas von Orl8ans, De institutione laicali 3,5, S. 222, mit Berufung auf Augustin, De disciplina christianorum 7,7, CCL 46, S. 214. 207 Joh 8,44: Vos ex patre diabolo estis et desideria patris vestri vultis facere. Ille homicida erat ab initio et in veritate non stabat, quia non est veritas in eo. Cum loquitur mendacium, ex propriis loquitur, quia mendax est et pater eius.

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geworden, weil er in sich selbst das fand, wodurch er zum Lügner wurde. Der Mensch hingegen wurde vom Teufel getäuscht und vom Teufel zum Lügner gemacht; daher ist er nicht von Natur aus Sohn des Teufels, sondern durch Nachahmung.«208

In der Auslegung Bedas verbindet sich die Lüge als Kennzeichen des Teufels demnach mit seinem Ursprung und Fall ebenso wie mit seiner Erscheinung als Gegenbild Gottes. Immer wieder wird der Teufel als Vater der Lüge bezeichnet,209 aber auch mit weiteren Lastern gekennzeichnet. Genau genommen, hat der Teufel nämlich viele Söhne. Für Hildegard von Bingen ist er der »Vater des Ungehorsams« (und alle, die mit ihm darin übereinstimmen, sind seine Glieder),210 für Augustin ist er der Vater gemäß allem Weltlichen (und vor allem der Ungläubigen),211 für Paschasius Radbertus der Vater der Ungläubigen,212 für einen anonymen Ruthkommentar wohl des 12. Jahrhundert ist er der Vater aller Kinder des Hochmuts.213 208 Beda Venerabilis, Expositio in evangelium Ioannis 8, Sp. 753 B-D: ›Ille homicida erat ab initio‹, verum est: nam primum hominem occidit. Et in veritate non stetit, quia de veritate lapsus est. ›Cum loquitur mendacium, utique ipse diabolus de proprio loquitur.‹ Mendacium utique ipse diabolus de proprio loquitur, quia mendax est et pater eius. Diabolus autem a semetipso mendax fuit, et mendacium suum ipse genuit. A nemine audivit prius mendacium. Quomodo Deus Pater genuit Filium veritatem, sic diabolus genuit quasi filium mendacium. Mendacium genuit, quia in veritate non stetit. Omnis enim, qui in Deo manet, quia Deus veritas est, in veritate stat. Si quis vero a Deo recesserit, mendax erit, dicente Psalmographo: ›Omnis homo mendax‹ (Ps 116,11). In quantum vero homo a Deo recedit, in tantum mendax erit, dum a veritate declinaverit; et inde peccator erit, quia omne peccatum non est veritas, sed mendacium, quia recedendo a Deo non habet veritatem. Diabolus vero bonus creatus est, sed per seipsum malus factus est, declinando a summo bono. Ideo ex propriis locutus est mendacium, quia in seipso invenit, unde esset mendax. Homo vero deceptus a diabolo, factus est a diabolo mendax; ideoque filius diaboli non natura, sed imitatione. Danach wörtlich Alkuin, Commentaria in s. Iohannis evangelium 22, Sp. 873 (und mehrfach); Haymo von Auxerre, Homilia in evangelia de tempore et sanctis. Homiliae de tempore 32, Sp. 217 BC. Beda folgt hier in weiten Teilen, aber immer wieder davon abweichend, Augustinus, Tractatus CCXXIV in Ioannis evangelium 42,12f., S. 370f. 209 Vgl. beispielsweise Augustinus, De civitate Dei 14,3, CCL 48, S. 418; Eucherius von Lyon, Instructiones 1,6, S. 156; Prosper Tiro von Aquitanien, Expositio psalmorum. Ps. 134,11, S. 155; Hieronymus, Commentarii in Isaiam 9,28,14, S. 362; Beatus von Li8bana und Heterius von Osma, Adversus Elipandum 2,5, S. 107; Rupert von Deutz, Commentaria in duodecim prophetas minores. In Michaeam 1, Sp. 462 C (und noch viele Male bei Rupert). 210 Hildegard von Bingen, Liber vitae meritorum 5,39, S. 245: Diabolus namque pater inobedientie est, et omnes qui consilio inobedientie consentientes precepta Dei contemnunt, sic perseuerantes membra diaboli sunt. 211 Augustinus, Enarrationes in psalmos. Ps. 26, enarr. 26,18, S. 164: Pater secundum saeculum diabolus est, et fuit nobis pater cum essemus infideles; nam infidelibus dicit dominus: ›Vos a patre diabolo estis‹ (Ioh 8,44). 212 Paschasius Radbertus, Expositio in psalmum XLIV 3, S. 82: Quod autem diabolus pater sit infidelium testatur Dominus ad Iudaeos: ›Vos inquit ex patre diabolo estis‹ (Ioh 8,44). 213 Commentarium in Ruth (e codice Genouensi 45) 1, S. 66: et alii in quibus regnat et quos regit rex omnium filiorum superbiae, pater diabolus.

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Dem Teufel werden daher immer wieder entsprechende Tribute zugeschrieben. So spricht Gregor der Große in seinen Briefen und in seinem ›Liber sacramentorum‹ (wie nach ihm viele andere) vom Hochmut (superbia) des Teufels,214 von seiner Falschheit (falsitas),215 seinem Wüten (saevitia)216 und seinem Neid (invidia)217 im Psalmenkommentar von seiner Verschlagenheit (versutia),218 in seinen ›Moralia in Iob‹ von der Ungerechtigkeit des Teufels (iniquitas diaboli),219 Isidor von Sevilla von Betrug (fraus)220 und Hinterhalt (insidiae),221 die Glossa ordinaria von seiner List (astutia) und Nichtswürdigkeit (nequitia).222 Für Hrabanus Maurus ist der Teufel geradezu selbst das Verderben, der Zorn und der Tod.223 Die vielen Belege bei Hraban beziehen sich, ganz im Gegensatz zu den Engeln, zumeist auf die Ausdeutung biblischer Worte und Sachverhalte auf den Teufel. Wie beim Engel, so ist auch beim Teufel das höhere Wissen eine zunächst noch offene Frage: »Wissen Dämonen alles?« fragt der Schüler im ›Elucidarium‹ des Honorius und erhält die Antwort: »Von der Natur eines Engels her ist ihnen sehr viel Wissen eigen, doch wissen sie nicht alles. Da ihre Natur so viel feiner ist als die der Menschen, sind sie in allen Künsten jedoch um so erfahrener als jeder Mensch. Die Zukunft kennen sie hingegen nicht oder nur so weit, wie sie sie aus dem Vergangenen erschließen und Gott sie das wissen läßt.«224

Sie können Künftiges verkünden, schreibt Honorius selbst, etwas abweichend, an anderer Stelle, nämlich in seiner ›Scala coeli‹, weil ihr spirituelles Sehen schärfer ist als das körperliche des Menschen.225 Christian Druthmar von Stablo leitet das Wissen aus ihrem Namen ab: Gregor der Große, Registrum epistolarum 5,44, CCL 140, S. 334. Ders., Liber sacramentorum. Dominica post Natalem Domini, Sp. 38 B. Ebd. Non. Feb. Natalis s. Agathae martyris, Sp. 47 B. Ebd. Orationes ad reconciliandum poenitentem, Sp. 213 D. Ders., Expositio in septem psalmos poenitentiales 3,20, Sp. 579 A. Ders., Moralia in Iob 33,14,28, CCL 143 B, S. 1698. Isidor von Sevilla, Sententiae 3,5,2, S. 204. Ebd. 3,5,5, S. 204. Glossa ordinaria. Liber Tobiae 6, Migne PL 113, Sp. 729 A. Astutia diaboli auch Haymo von Auxerre, Homiliae in Evangelia. Homiliae de tempore 93, Sp. 609 A. 223 Hrabanus Maurus, Enarrationes in epistolas beati Pauli 17. Expositio in epistolam ad Ephesios 2, Sp. 402 C: Diabolus enim perditio est et ira et mors (nach Hieronymus, Commentarii in epistolam ad Ephesios 1, Sp. 467 C). 224 Honorius, Elucidarium 1,48, S. 369: D. Sciunt daemones omnia? M. Ex angelica natura inest eis plurima scientia, non tamen sciunt omnia. Et quanto illorum natura est subtilior hominum, tanto in omnibus artibus peritiores sunt quam ullus hominum. Futura nesciunt, nisi quantum ex transactis colligunt et quantum eos Deus sinit scire. Zur Dämonologie im Elucidarium vgl. Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 67–83. 225 Honorius Augustodunensis, Scala coeli maior 13, Sp. 1235 B.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

»Dämonen heißen auf griechisch gleichsam ›demne‹, das heißt: ›die Erfahrenen‹ und ›die um die Dinge wissen‹: Sie wissen nämlich vieles aus der Zukunft voraus, teils aus dem scharfen Verstand ihres feinen Empfindens, teils aus der Erfahrung ihres überlangen Lebens, teils auch auf Gottes Geheiß hin durch Offenbarung der Engel, zumal die Natur ihrer luftigen Körper Lebenskraft spendet.«226

Sehr konkret hat schon Isidor von Sevilla dem Teufel in seinem Traktat gegen die Juden ein genaues und doch zugleich beschränktes Wissen über die Heilslehre zugeschrieben: »Wenngleich der Teufel die genaue Ordnung unserer Befreiung nicht kennt, so weiß er doch, daß Christus zur Rettung der Menschen gekommen ist, aber daß er uns durch seinen eigenen Tod erlöst, das weiß er nicht; deshalb tötet (der Teufel) auch ihn. Denn hätte jener (der Teufel) gewußt, daß Christus durch seinen Tod das Menschengeschlecht erlöst, dann hätte er ihn gewiss nicht umgebracht.«227

Daß der Teufel aber um Christi Mission zum Heil der Menschen weiß, bezeugt das Evangelium mit den Worten: »Was nützt das uns und Dich, Gottessohn? Du bist vor der Zeit gekommen, uns zu töten« (Mt 8,29).228 Durch den Tod Christi aber wird der Teufel verhöhnt.229 Während er in Christus folglich das Fleisch seiner Menschheit angreift, die ihm ausgesetzt ist, wird der Mensch gleichsam von seiner verborgenen Göttlichkeit ergriffen.230 Rufinus, der in seinem Buch »Über das Gut des Friedens« den Frieden der Engel mit den Menschen herausgestellt hat,231 hält den Frieden des Teufels für nichts anderes als den sicheren Besitz des Menschengeschlechts; erst dann lebt der Teufel folglich (mit sich selbst) in Frieden, der ihm daher nicht aus der Macht 226 Christian Druthmar von Stablo, Expositio super librum generationis (Expositio in euangelium Matthaei) 10, S. 220: Daemones dicti Grece quasi demne, id est ›periti‹ ac ›rerum scii‹: praesciunt enim futura multa partim subtilioris sensus acumine, partim experientia longissimae uitae, partim per Dei iussum angelica reuelatione, corporum aereorum natura uigente. Hinter ›Demne‹ dürfte sich bei dem des Griechischen unkundigen Schreiber das Wort daglom verbergen, das bei Platon in der Bedeutung ›kundig‹ verwendet wird. Für den Hinweis danke ich meinem Hamburger Kollegen Christoph Brockmann. Vgl. Hugo von St. Viktor, Summa sententiarum 2,4 (oben Anm. 126). 227 Isidor von Sevilla, De fide catholica contra Iudaeos 1,14,10, Sp. 567 A: Quamvis ordinem nostrae liberationis nescierit diabolus, scivit tamen, quod pro salutatione hominum Christus advenit, sed quod sua idem nos morte redimeret ignoravit; unde et eum occidit. Nam si ille Christum per mortem redimere humanum genus scisset, non eum utique peremisset. 228 Ebd. 14,11, Sp. 567 A: Quod noverit diabolus pro salute humani generis Christum venisse, Evangelii testimonio docetur ; quem ut vidit, cognoscendo pertimuit, dicens: ›Quid nobis et tibi, Fili Dei? Venisti ante tempus perdere nos.‹ (Bei Matthäus steht in der Vulgata torquere statt perdere, doch haben viele Autoren Isidors Version übernommen.) 229 Ebd. 14,13, Sp. 567 B: Illusus est diabolus morte Domini, quasi avis. 230 Ebd. 14,14, Sp. 567 B: Diabolus dum in Christo carnem humanitatis impetit, quae patebat, quasi homo divinitate eius captus est, quae latebat. 231 Vgl. oben Kapitel 1, Anm. 258.

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seiner eigenen Tugend, sondern aus der Dummheit unserer Trägheit bereitet wird. Von Natur aus, so fügt Rufinus an, ist der Teufel nämlich feige und flieht sofort, sobald ihm jemand widersteht.232 Nur der Teufel, schließt Petrus Cantor, ist nämlich von jenem Frieden (zwischen Gott und den Geschöpfen) ausgeschlossen, weil er als erster Zwietracht zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen säte.233 Natur, Schicksal und Wirken des Teufels erscheinen auf diese Weise eng miteinander verbunden.

6.

Die Gestalt des Teufels

Teufel und Dämonen sind in den Erzählungen des frühen und hohen Mittelalters allgegenwärtig. Teufelserscheinungen und Berichte lassen Natur und Wirken des Teufels erkennen, sie zeigen, wie er dabei vorging und wie man dem begegnete (aber auch, wie man ihn entlarven konnte). Das soll in den folgenden Abschnitten näher erläutert werden. Die Beispiele zeigen zugleich, in welcher Gestalt der Teufel auftrat und wie man sich ihn eigentlich vorgestellt hat. Wie Engel können sich nämlich auch Teufel und Dämonen nicht nur sichtbar machen und eine körperhafte Form annehmen, sondern sie begegnen letztlich durchweg in konkreten Erscheinungen, während bei den Engeln eher die geistig-unkörperliche Natur hervorgehoben wird und körperliche Ausmaße auf die Situationen beschränkt bleiben, in denen sie den Menschen erscheinen. Auch wenn sich manche Merkmale stereotyp wiederholen, zeugt die Gestalt des Teufels noch keineswegs von ganz verfestigten Vorstellungen. Vielmehr gehört es gerade zur Effizienz seines Wirkens, daß er eine sehr verschiedenartige Gestalt annehmen konnte, so daß gerade die Vielgestaltigkeit zum Kennzeichen des Teufels wird.234 »Zahlreich sind die Gestalten des Teufels«, heißt es in der Eparchiusvita.235 »Wie nun Menschen ihren Körper verfärben, nämlich weißen oder schwärzen oder mit einem Gewand bekleiden können, so können auch Dämonen ihren Körper in ver232 Rufinus von Sorrent, De bono pacis 1,7, S. 72: Hec pax diaboli aliud nichil erat quam secura generis humani possessio. Quam videlicet pacem diabolo non proprie virtutis potentia, sed ignavie nostre stoliditas comparavit. Timidus est enim diabolus; qui, si ei resistitur, continuo fugatur. 233 Petrus Cantor, [Summa quae dicitur] Verbum adbreuiatum (textus conflatus) 2,21, S. 675: Solus diabolus exclusus est ab hac pace, quia primus inter Creatorem et creaturam discordiam seminauit. Ebenso ebd. (textus prior) 100, S. 561. 234 Die Vielfalt der Erscheinungs- und Wirkmöglichkeiten ist schon mehrfach betont worden; vgl. Graus, Hagiographie und Dämonenglauben; Dinzelbacher, Von der Hinterlist; Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 229ff.; Van Boheemen, Duivels en demonen S. 15f.; zur angelsächsischen Literatur Dendle, Satan Unbound S. 118ff. Solche Vielfalt zeigt sich schon bei den frühen Kirchenvätern; vgl. Bartelink, Benamingen S. 59ff. 235 Vita et virtutes Eparchii reclusi Ecolismensis 19, S. 559: multa esse figmenta diaboli.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

schiedene Formen überführen und sich entweder in schönem Glanz zeigen, um zu täuschen, oder in häßlicher Gestalt, um zu erschrecken,«

lehrt Honorius.236 Oft wird der Teufel von vornherein häßlich dargestellt (oder er entlarvt sich am Ende entsprechend). Nicht selten erscheint er in den Vorstellungen der Menschen als Tier (oder verwandelt sich vor den Augen der Menschen in ein Tier):237 als Schlange (wie im Paradies) oder als Drache (der Apokalypse),238 aber auch als Löwe:239 Einem Vater und seinem Sohn, die im gleichen Bett schliefen, erschien, so vermelden die Benediktmirakel, ein gewaltiger Löwe, den der Mann besänftigen konnte. »Der Teufel aber, der ihm eben in der Gestalt des Löwen erschienen war, fuhr in ihn hinein und begann ihn nach einigen Tagen heftigst zu quälen.«240 Dem heiligen Norbert von Xanten, dem Gründer des Prämonstratenserordens und späteren Erzbischof von Magdeburg, erschien der Teufel als Bär.241 Bezeichnenderweise verlor der Heilige (!) der Vita zufolge in dem Moment seine Angst, als er den Teufel erkannte (und hätte nach dieser hagiographischen Stilisierung demnach wilde Tiere mehr gefürchtet als den Teufel). In einer Anekdote Notkers von St. Gallen verwandelte sich der Teufel in ein Maultier und überredete einen Armen dazu, das Tier einem habgierigen Bischof zu verkaufen.242 In all diesen Tieren konnte man, mit anderen Worten, wenn den Geschichten wahre Begebenheiten und nicht ausschließlich symbolische Zuweisungen zugrunde liegen, (gegebenenfalls) den Teufel wähnen. Entsprechendes bestätigt auch die Exegese: Rupert von Deutz etwa deutet die Sehkraft des Pferdes als Teufel,

236 Honorius Augustodunensis, Liber XII quaestionum 11, Sp. 1183 B: et sicut homines possunt sua corpora decolorare, videlicet dealbare et denigrare aut aliqua veste contegere: ita possunt daemones sua corpora in varias formas transfigurare, aut splendida ad decipiendum, aut tetra ad terrendum demonstrare. Zur häßlichen Gestalt des Teufels in französischen Epen vgl. Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 551ff. 237 Zum Teufel in Tiergestalt vgl. ebd. S. 144–156 und S. 230–239. Vgl. Molinié, L’iconographie du diable S. 468: »Le diable se m8tamorphose en revÞtant diverses apparences animales.« 238 Vgl. oben S. 205. 239 Hingegen hatte Rupert von Deutz, De sancta trinitate et operibus eius. In Genesim 3,3, betont, daß der Teufel gerade nicht Löwe genannt wird (oben Anm. 70). 240 Desiderius von Monte Cassino, Dialogi de miraculis sancti Benedicti 2,14, S. 1134: Ille vero immanem leonem contra se venientem tremebundus ac palpitans vidisse se retulit. Quem pater blanditiis demulcens in ulnis propriis acceptum reduxit ad lectulum. Sed diabolus, qui in specie sibi leonis apparuerat, in eum ingressus post aliquot dies vehementissime vexare coepit. Zum Fortgang der Geschichte vgl. unten Anm. 606. 241 Vita Norberti archiepiscopi Magdeburgensis 17, S. 692. 242 Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni imperatoris 1,24, S. 32f.

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»der alles Höhere sieht und gemäß der Natur des hochmütigen und flatterhaften Pferdes den Geist des Menschen zum Hochmut aufbäumt und sein ausschweifendes Fleisch gleich der Ausgelassenheit eines Pferdes besudelt«.243

In einer Vision Hildegards von Bingen gleitet das Tierartige deutlich ins Monströse ab. Der Teufel erschien hier als ein riesiger, schrecklicher, unbeschreiblicher, schwarzer, stachelinger Wurm voller Geschwüre und Pusteln, dessen Leib vom Kopf bis zu den Füßen in fünf verschiedenen Farben schillerte: grün, weiß, rot, gelb und schwarz, die alle voll von tödlichem Gift waren; sein Kopf wirkte zerschmettert, seine linke Backe war in Auflösung begriffen, die Augen waren äußerlich blutunterlaufen und innerlich voller Feuer, die Ohren kugelrund und borstig, Nase, Maul und Füße die einer Schlange (Viper), die Hände hingegen menschlich, und er hatte einen kurzen, gräßlichen Schwanz.244 An seinem Hals aber war eine Kette angebracht, die auch Hände und Füße fesselte und mit der er an einem Stein im Abgrund so festgebunden war, daß er sich nirgendwo mehr hinbewegen konnte, wohin sein schändlicher Wille ihn drängte. Aus seinem Maul aber spien große Flammen hervor, die sich in vier Richtungen teilten: eine reichte bis zu den Wolken und hinderte die Menschen daran, den Himmel zu erreichen, die zweite erfaßte die Laien, die dritte die Geistlichen, die vierte aber ging bis in den Abgrund und trug die verschiedenen Strafen für all diejenigen in sich, die nicht getauft waren und Satan verehrten.245 Auch wenn es sich hier um eine symboli(sti)sche Ausdeutung der Reichweite des Teufels handelt und Hil243 Rupert von Deutz, De sancta trinitate et operibus eius 21 (In librum Iudicum) 6, CCM 22, S. 1158: Equi uisio diabolus est, qui omne sublime uidet, qui secundum naturam equi superbi et fluxi spiritum hominis in superbiam erigit carnemque luxuriosam uelut equino fluxu polluit. 244 Hildegard von Bingen, Scivias 2,7, CCM 43, S. 308f.: Sed et ante multitudinem istam quasi in quadam uia uelut quidam uermis mirae magnitudinis et longitudinis supinus iacebat, qui tanti horroris et insaniae uidebatur, ultra quam homo effari potest. […] Vermis autem ille niger et hirsutus atque ulceribus et pustulis plenus erat, quinque uarietates a capite per uentrem suum usque ad pedes in modum zonarum descendentes in se habens, quarum una uiridis, alia alba, alia rubea, quaedam crocea, quaedam nigra apparebat, plenae ueneno mortifero. Sed caput eius ita contritum fuit, quod et sinistra maxilla ipsius iam dissolui uidebatur. Oculi uero eius extrinsecus sanguinei et intrinsecus ignei, aures autem rotundae et hispidae, nares uero et os secundum nares et os uiperae, sed manus secundum manus hominis, pedes autem ut pedes uiperae et cauda breuis et horribilis apparebat. 245 Ebd. S. 309f.: Et collo eius catena imposita fuerat, quae et manus et pedes ipsius alligauerat, ita quod et eadem catena in lapidem abyssi fortissime firmata illum tam ualide constrinxerat, quod se nec hac nec illac secundum nequitiam uoluntatis suae mouere poterat. Ex ore autem eius multae flammae exeuntes in quattuor partes se diuiserunt, quarum pars una usque ad nubes ascendebat, et alia inter saeculares homines, alia autem inter spiritales se extendebat, quaedam uero usque in abyssum descendebat. Sed flamma illa, quae nubes petebat, contra homines illos proeliabatur, qui ad caelos ire uolebant. […] Sed flamma, quae abyssum petebat, diuersas poenas illorum in se habebat, qui per fontem baptismatis non loti lucem ueritatis et fidei ignorantes Satanam pro Deo coluerant.

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degard dessen (gräßliche) Gestalt mit seinem heilsgeschichtlichen Wirken verbindet, wird die Vorstellung von der Häßlichkeit des Teufels doch überdeutlich herausgestellt. Der allseits bekannten Sündenfallgeschichte zum Trotz zeigt sich der Teufel vornehmlich jedoch nicht in tierischer, sondern in menschlicher, häufig jedoch deformierter Gestalt.246 Hrabanus Maurus, der schon Gott symbolisch nach seinen Körperteilen charakterisiert hat,247 beschreibt auch den Teufel, bezeichnenderweise im Abschnitt über den Menschen, mit seinen menschlichen, nun allerdings durchweg negativ konnotierten Organen (bzw. beschreibt er, wie die menschlichen Organe allegorisch jeweils dem Teufel, dem Haupt aller Bösen, zugeordnet werden können) und macht das jeweils an Hiobversen fest: Sein Körper besteht aus den verworfenen Menschen, seine Augen und Zähne symbolisieren alle Häretiker oder schlechten Lehrer, die Nase seine üblen Einflüsterungen, sein Mund die Reden, mit denen er die Herzen der Menschen mit verborgenen Gedanken anspricht; seine Zunge (oder Sprache) ist die weltliche Weisheit oder die Lehre der Häretiker, seine Knochen sind die in der Bosheit Starken und Mächtigen oder Häretiker, der demgegenüber weniger starke Knorpel weist hingegen auf die weniger Mächtigen. Sein Atem ist die heimliche Einflüsterung, mit der er die Herzen der Sünder zu fleischlicher Liebe entfacht, sein Gesicht die Ankunft des Antichrist oder auch seine offene Bosheit. Sein Fleisch sind die Schwachen in seinem Körper und die weniger Mächtigen, die sündigen. Seine Hoden sind wiederum die Häretiker oder die bösen Gedanken, in deren Fesseln sich die Sünder fangen. Sein Schwanz ist der Antichrist oder die Gewohnheit des Sündigens. »Den Teufel schlafen« bedeutet im Herzen der Verworfenen ruhen, »den Teufel weiden«, sich an den Sünden der Gottlosen erfreuen.248 246 Vgl. Baschet, Diable S. 263; Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 163–168 und 239– 260. 247 Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, S. 156–159. 248 Hrabanus Maurus, De rerum naturis 6,3, Sp. 179f.: Nam caput omnium malorum diabolus est. […] Corpus vero diaboli reprobi homines. Unde de Vehemoth legitur in libro beati Iob: ›Corpus eius sicut scuta fusilia‹ (Iob 41,6). Oculi eius vel dentes haeretici sive pravi omnes doctores, ut in praedicto libro scriptum est: ›Oculi eius sicut palpebrae: in circuitu dentium eius formido‹ (Iob 41,10). Nares diaboli, inspirationes illius pravae, ut in Iob: ›Et de naribus eius fumus procedit‹ (Iob 41,12). Os diaboli, locutiones eius, quibus corda hominum occultis cogitationibus alloquitur, ut est illud in Iob: ›De ore eius flamma procedet‹ (Iob 41,13). Lingua diaboli, sapientia saeculi huius, vel haereticorum dogma, ut est illud in Iob: ›Et fune ligabis linguam eius‹ (Iob 40,25). Ossa diaboli, potentes quique et fortes in malitia, sive haeretici, ut est illud in Iob: ›Ossa eius, fistula aeris‹ (Iob 40,18). Cartilago eius minus potentes quam hi, qui ossa nominantur, ut est illud in Iob: ›Cartilago eius sicut laminae ferreae‹ (Iob 40,18). Halitus diaboli, inspiratio occulta, per quam corda peccatorum amore carnali ardere facit, ut est illud in Iob: ›Halitus eius prunas ardere facit‹ (Iob. 41,13). Facies diaboli, Antichristi adventus vel aperta eius malitia, ut est illud in Iob: ›Faciem eius prae-

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In ihrem Brief an Elipand von Toledo erinnern Beatus von Li8bana und Heterius von Osma an das auf den Verräter Judas bezogene Wort Christi: »Habe ich nicht zwölf von euch ausgewählt? Einer von euch aber ist der Teufel« – in den Evangelien (Mc 14,18; Joh 13,21) ist allerdings nur vom Verrat und vom Menschenfeind, nicht aber unmittelbar vom Teufel die Rede –, um dem hinzuzufügen: »In der Heiligen Schrift wird auch der Mensch ›Teufel‹ und der Teufel ›Mensch‹ genannt.« »Während der Familienvater schlief, säte [nach Mt 13,24ff.] der Feind Mensch Teufel Unkraut unter den Acker, auf dem Gott guten Samen gesät hatte. Der Grund dafür, daß der Mensch zum Teufel und der Teufel zum Menschen wird, liegt darin, daß der böse Engel und der böse Mensch denselben schlechten Körper haben, die den Menschen beide böse machen. Der Körper des Teufels ist der Mensch. Der Teufel aber ist das Haupt des Körpers.«249

Oft erscheint der Teufel in menschlicher Gestalt.250 Das ausgesprochen Menschliche am Teufel macht gerade seine Unberechenbarkeit aus, zumal er jeweils die spezielle Situation ausnutzt. Entscheidend ist eben die Verstellung: »Denn stets versteckt sich der Teufel unter seinem Gewand und zeigt sich, indem er etwas vorspiegelt, vor dem die Personen erschaudern und durch die er mit aller Kraft zu täuschen versucht.«251 Er ist »der Täuscher« schlechthin.252 In den

cedit egestas‹ (Iob 41,13). Carnes diaboli, infirmi quique in corpore eius et minus valentes peccare, ut est illud in Iob: ›Membra carnium eius cohaerentia‹ sibi (Iob 41,15). Testiculi diaboli, vel haeretici vel pravae cogitationes subtiliter vinculis peccatores ligantes, ut est illud in Iob: ›Nervi testiculorum eius perplexi sunt‹ (Iob 40,17). Cauda diaboli, Antichristus vel consuetudo peccandi, ut est illud: ›Stringit caudam suam quasi cedrum‹ (Iob 40,17). Dormire diabolum, est in corde reproborum requiescere, ut est illud in Iob: ›Sub umbra dormit in secreto calami‹ (Iob 40,21). Pascere diaboli, est in peccatis impiorum delectari, ut est illud in Iob: ›Huic montes herbas ferunt‹. Eine Vorlage für Hrabans Zusammenstellung konnte ich nicht ausmachen. Allenfalls leichte Anklänge finden sich bei Pseudo-Melito, Clavis 3,4, S. 57f. (wo die Tiernamen des Teufels, nicht aber die Körperteile ausgedeutet werden). 249 Beatus von Li8bana und Heterius von Osma, Adversus Elipandum 2,11, S. 111f.: Nam quod homo malus qui homini facit malum, dicatur diabolus, Dominus de Iuda in Evangelio apostolis dicit: ›Nonne ego vos duodecim elegi? Sed unus ex vobis diabolus est‹ (Joh 6,71). In Scribtura sacra et homo dicitur diabolus et diabolus homo. Nam quod diabolus dicitur homo, in Evangelio Dominus dicit: ›Inimicus homo hoc fecit‹ (Mt 13,28), qum dormiente patrifamilias, inimicus homo diabolus zizania superseminauit in agro, ubi Dominus bonum semen seminaverat (Mt 13,25). Quae est ergo causa, quae hominem faciat diabolum et diabolum hominem, nisi quia unum corpus sunt angelus malus et homo malus, quia utrique homini faciunt malum? Corpus diaboli homo. Corporis caput diabolus est. 250 Zur menschlichen Gestalt des Teufels in der romanischen Skulptur vgl. Molinié, L’iconographie du diable S. 322–385. Vgl. auch die Beispiele unten im Abschnitt über die Teufelserscheinungen. 251 So Ivo von Chartres, Decretum 11,69, Sp. 764 C: Semper enim diabolus sub velamine latens prodit se, dum ea confingit, quae abhorreant personis, per quas fallere nititur.

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›Gesta Karoli‹ Notkers von St. Gallen ist der Teufel Handlungsfigur mehrerer Erzählungen, in denen er unter verschiedenen Namen bzw. Umschreibungen (antiquus hostis, antiquus fur, callidus adversarius, hostis callidus, fraudulentus hostis, adversarius invidiarum peritus, antiquus ille Belial) und in unterschiedlicher Gestalt, persönlich oder durch Helfer in Aktion tritt, aber stets eine konkrete Gestalt annimmt: Dem vorhin erwähnten Armen, der einen habsüchtigen Bischof überlisten sollte, erschien er zunächst als Mensch, um sich dann in ein Maultier zu verwandeln, das den Bischof ins Verderben stürzte;253 einem mit Armenfürsorge büßenden Bischof offenbarte er sich passend als Leprakranker, blieb aber durch seine monströse Gestalt erkennbar.254 Auch ein Dämon fiel durch seine Behaarung (pilosus) auf.255 Der Teufel kann sogar die Gestalt von bekannten Menschen annehmen (und dadurch um so leichter verführen). In einer Erzählung Otlohs von St. Emmeram tarnte er sich als reicher Herr.256 Den Brüdern von Pr8montr8 zeigte er sich, umgeben von zahlreichen Anhängern, in Gestalt von Menschen, die einst ihre Todfeinde gewesen waren, und reizte sie so zum Kampf.257 In den Historien Rodulf Glabers erschien er, der jeweiligen Verführbarkeit angepaßt, einem überheblichen Grammatikgelehrten in der Gestalt antiker Autoren,258 einem Laien als dessen Nachbarn.259 Das bedeutet zugleich, von ›hinten‹ gelesen, daß man (bekannte) Menschen für den Teufel oder Dämonen halten konnte oder daß diese von den Bekannten Besitz ergriffen oder deren Gestalt angenommen hatten. Das machte gerade die Subtilität und Gefährlichkeit ihres Wirkens aus, so daß man nirgends vor ihren Anfechtungen sicher sein konnte: Jeder Mensch konnte vom Teufel besessen oder ein verkleideter Teufel sein; in jedem Menschen konnte man jederzeit den Teufel vermuten. Bischof Hermann von Bamberg, transfiguratus in angelum lucis angelus Satanae (2. Kor 11,14), vertrieb (im Zuge der Reform) die Kleriker aus den Kirchen.260 Ganz ähnlich nennt Lampert 252 Vgl. Rupert von Deutz, Commentarius in Iob 3,10, Sp. 979 C: non sic accusare debet deceptorem diabolum, ut excuset seipsum. 253 Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni imperatoris 1,24, S. 32f.: Quod diabolus advertens cuidam pauperculo avaritia tamen non evacuato, in humana se obvium tulit specie, pollicitus non mediocriter illum esse ditandum, si societatis vinculo in perpetuum sibi delegisset adnecti. Quod cum miser profiteri non abnueret, dixit hostis callidus: ›Converto me in mulum praestantissimum, tu vero ascende super me et vade ad curtem episcopi.‹ 254 Ebd. 1,21, S. 29. Vgl. unten S. 236f. Zur monströsen Gestalt vgl. Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 156–161. 255 Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni imperatoris 1,23, S. 31. 256 Otloh von St. Emmeram, Liber visionum 23, S. 109 (unten S. 276ff.). 257 Vita Norberti 13, S. 685. 258 Rodulf Glaber, Historiae 2,12,23, S. 92. 259 Ebd. 2,12,20, S. 86: cernit ante se, super pontem quasi unum uicinorum suorum, reuera ergo diabolum, contra se uenientem, de quo etiam dubitare non posset. 260 Lampert von Hersfeld, Annales a. 1075, S. 205.

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von Hersfeld den »falschen Mönch« (pseudomonachus) Robert »von Bamberg«, der schon im Kloster Wuchergeschäfte betrieb und durch Simonie Abt der Reichenau wurde, »den Engel Satans, der sich in den Engel des Lichts verwandelte und dadurch das heilige und engelhafte Bekenntnis der Mönche so in Verruf brachte, entehrte und schändete, daß die Mönche in unseren Zeiten und in diesen Gegenden nicht nach Unschuld und Unbescholtenheit des Lebens, sondern nach der Menge an Geld bewertet wurden, und bei der Wahl von Äbten wurde nicht gefragt, wer (die Gemeinschaft) würdiger führen, sondern wer die Abtei teurer erkaufen könne«.261

Verstellung und Transfiguration lassen den Teufel als Personifikation eines konkreten Menschen erscheinen, der zur Personifikation des Teufels wird. Sicherlich ist das hier bildlich gemeint, nutzt aber treffend solche Identifikationen aus und weist zugleich auf das unten noch näher zu behandelnde Wirken und auf die Funktionalisierung des Teufels voraus. (Umgekehrt hielt man die Mönche aus Siegburg und St. Pantaleon, die Erzbischof Anno von Köln in Saalfeld einsetzte, nachdem er die dortigen Kanoniker vertrieben hatte, »nicht für Menschen, sondern für Engel, nicht für Fleisch, sondern für Geist«, weil »der auf Neues erpichte Sinn der Leute das Unbekannte stets mehr anstaunt«.262) Auch das nutzt verbreitete Vorstellungen zu einer Gegenwartskritik. Der Teufel kann sich, wie in einigen Beispielen bereits angedeutet, also sogar in sein Gegenteil verkehren und als Engel, also in seiner ursprünglichen Gestalt, erscheinen (und damit die Verwirrung der Menschen, die hier eine göttliche Botschaft erwarten, auf die Spitze treiben). »Häufig verwandelt sich der Teufel nämlich in den Engel des Lichts, um durch diesen Betrug die Unschuldigen zu täuschen,« meint schon Gregor von Tours.263 In dieser Verkleidung erschien er nach verschiedenen (christlichen) Berichten auch Mohammed.264 Nach Hugo 261 Ebd. a. 1071, S. 127f.: Is pseudomonachus […], is angelus Satanae transfiguratus in angelum lucis (2. Kor 11,14) ita sanctam et angelicam monachorum professionem infamavit, corrupit, viciavit, ut monachi nostris temporibus atque in his regionibus non innocentia estimentur atque integritate vitae, sed quantitate pecuniae, nec queratur in abbatibus elegendis, quis dignius preesse, sed quis carius abbatiam possit emere. Zur Metapher des »Engels des Lichts« vgl. oben Anm. 119. 262 Ebd. a. 1071, S. 132: Denique, sicut vulgo assiduitate vilescunt omnia et popularium animi novarum rerum avidi magis semper stupent ad incognitas nos, quos usu noverant, nihili estimabant, et hos, quia novum inusitatumque aliquid preferre videbantur, non homines, sed angelos, non carnem, sed spiritum arbitrabantur. 263 Gregor von Tours, Liber vitae patrum 9 (Patroclus abbas 2), S. 254: Transfigurat enim se saepe diabolus in angelum lucis, ut hac fraude decipiat innocentes. 264 Zuerst im spanischen Pasionario Hisp#nico 23: Nuniljn y Alodia 5, ed. Pilar Riesco Chueca (Filosof&a y Letras 131), Sevilla 1995, S. 286–304, hier S. 288. Vgl. dazu Claudia Valenzuela, The Faith of the Saracens. Forms of Knowledge of Islam in the Christian Kingdoms of the North of the Iberian Peninsula until the 12th Century, in: Millennium. Jahrbuch zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends nach Chr. 10, 2013, S. 311–330, hier S. 315ff.

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von Flavigny erschien er dem Propheten, der in christlichen Schulen etwas über das Christentum erfahren und das seinen darüber verwunderten Volksgenossen mitgeteilt hatte, eines Tages mit goldenem Mund, behauptete, der von Gott gesandte Erzengel Gabriel zu sein, und trug ihm auf, seinem Volk zu predigen, was er gehört hatte und wusste.265 Mit solchen Darstellungen wird der Islam von vornherein als Teufelsreligion gebrandmarkt. Gerade seine Vielgestaltigkeit macht den Teufel so gefährlich und erfolgreich. Sie ist Teil seiner Verstellung, mit der er die Menschen um so leichter zu verführen trachtet. Nicht selten erscheint der Teufel daher in harmloser oder gar vertrauter Menschengestalt, um sich erst nach seinem Erfolg triumphierend zu ›outen‹ (und so seinen Triumph erst recht auszuspielen). Als Heinrich I. nach einer Erzählung Thietmars von Merseburg einmal in der Fastenzeit, angetrunken und »vom Teufel getrieben«, seiner sich sträubenden Gemahlin beiwohnte, verriet »der Anstifter solchen Vergehens, Satan, der Schädiger des menschlichen Heils«, das anschließend einer ehrwürdigen Frau mit den Worten: »Nun hat doch eben Königin Mathilde auf mein Anstiften hin in das Verlangen ihres Gemahls eingewilligt und einen Sohn empfangen, der mir sicher ist.« Das sollte sie zwar für sich behalten, erzählte es aber (natürlich) sofort der Königin.266 Hat der Teufel hier nur mit seinem Erfolg geprahlt und seine Macht demonstriert, so offenbart er an anderer Stelle häufig gewissermaßen seine wahre Gestalt, die an Abstrusitäten erkennbar ist. In einer Erzählung Notkers von St. Gallen verspürte ein Bischof während der Fastenzeit einen solchen Heißhunger auf Fleisch, daß er, sogar mit Billigung seiner Kleriker, die ihm dafür anschließend eine Buße auferlegten, gegen das Fastengebot verstieß. Beim Genuß ergriff ihn jedoch ein solcher Ekel, daß er daran erkannte, einer teuflischen Täuschung erlegen zu sein.267 Als er dafür mit asketischer Armenfürsorge büßte, indem er eigenhändig Arme und Kranke wusch und versorgte, erschien ihm ganz zuletzt in der Reihe der Bedürftigen der Teufel selbst als Aussätziger, den der Bischof, der schon für das Hochamt gekleidet war, noch versorgte. Als er ihn aber rasierte, wuchs sein 265 Hugo von Flavigny, Chronicon 1, S. 323: Anno Heraclii imperii 5. natus est Mahamet […]. Cumque adolevisset cepit per scolas christianorum ire et auditoriis interesse, et quae ibi audiebat, domi hominibus gentis suae referebat. At illi mirabantur iam tum in eo sapientiam, cum audirent ab eo, quae audierant. Die igitur quadam cum reverteretur ab auditorio, obviam habuit diabolum habentem os aureum et dicentem se esse Gabrielem archangelum missum a Deo ad ipsum, ut praedicaret genti suae, quae audierat et sciebat. 266 Thietmar, Chronicon 1,24, S. 30: In cena Domini nimis inebriatus, in sequenti nocte uxori suae multum repugnanti diabolico instinctu inlicite coniunctus est. Hoc factum auctor tanti sceleris et humanae salutis irretitor Satanas cuidam venerandae sic prodidit matronae: ›Mahtild regina, nuper hortatu meo maritali consentiens voluptati, concepit filium sine omni dubio meum; et tu vide, ut tantum optime celes commissum.‹ Zum Fortgang der Erzählungen vgl. unten S. 285f. (mit Anm. 508). 267 Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni imperatoris 1,21, S. 27ff., hier S. 28: quia diabolica se illusione deceptum cognosceret.

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Bart sofort immer wieder nach und am Hals erschien ein großes Auge und sagte: »Dieses Auge hat scharf darauf geachtet, als du in der Fastenzeit Fleisch zu dir nahmst.«268 Die einfache Geschichte vereint in sich tatsächlich verschiedene, wesentliche Vorstellungen: Natürlich steckt der Teufel – hier noch unsichtbar – hinter dem Fehlverhalten des Bischofs. Er nimmt eine der Situation entsprechende Gestalt an (hier eben als Aussätziger) und offenbart sich dann durch widernatürliche Abstrusitäten (nachwachsender Bart, Auge am Hals) und gibt sich dadurch als Teufel zu erkennen. Der Bischof sprang denn auch entsetzt zurück und bekreuzigte sich sogleich im Namen Christi. Letzteres zwang den Teufel zum Abgang, und er »verschwand wie Rauch«. Das ist zugleich wieder ein Hinweis auf seine nichtkörperliche, geistige Eigengestalt. Sehr häufig fällt der Teufel nämlich, wie in Notkers Geschichte, durch seine abstruse oder deformierte Gestalt auf (und ist eben dadurch als Teufel zu erkennen).269 Der Karolingerkönig Pippin wurde im Bad in Aachen angeblich von einem Schatten in Menschengestalt angegriffen. Als er sein Schwert in diesen Schatten bohrte, füllte sich das Wasser mit Moder, Blut und Fett.270 Bei einem Besessenen ›entlarvte‹ er sich als kohlschwarzes Linsenkorn auf der Zunge.271 Bei Leo von Montecassino hat der hier als hoher Herr verkleidete Teufel lange Finger und Nägel.272 Dem Alkuin zeigte er sich seiner Vita zufolge »sichtbar in einer körperlichen Gestalt, gleichsam als ein großer Mensch, tiefschwarz, ungestaltet und mit Bart«, um Alkuin seinerseits als Heuchler zu beschuldigen, der sich verstelle und die Menschen täusche.273 Der heiligen Liutbirg erschien derselbe Teufel nacheinander in sich steigernder Abstrusität zunächst als Knabe, dann zusätzlich als Hund und als Ziegenbock, um ihr Angst einzuflößen. Später ließ er einen Mäuseschwarm in ihre Zelle einfallen.274 Schließlich kam er in fürchterlicher, pechschwarzer Gestalt, die Schwefelfeuer aus Mund und Nase blies und Feuer aus den Augen sprühte, und hatte lange Krallen.275 Die Teufel in der Vision 268 269 270 271 272

Ebd. S. 29: ›Iste oculus vigilanter intendit, quando carnem in quadragesima comedisti.‹ Vgl. Russell, Lucifer S. 67ff. Notker, Gesta Karoli 2,15, S. 80. So Vita Norberti 14, S. 687. Leo, Chronica monasterii Casinensis 3,48, S. 418f.: diabolum in via stantem repperit statura procerum digitos ac ungulas habentem valde longissimos virgamque in manu tenentem et rusticum torvo vultu aspicientem. Zu dieser Erzählung vgl. unten S. 482. 273 Vita Alcuini 22, S. 195: Qua in hora corporali se specie diabolus praebuit ei visibilem, homo quasi magnus, nigerrimus ac deformis barbatusque, blasphemiae in eum aggerens iacula: ›Quid, inquit, hypocrita agis, Alcuine? Cur coram hominibus iustum te videri conaris, cum deceptor sis magnusque simulator? An putas his tuis fictionibus acceptabilem posse te habere Christum?‹ 274 Vita Liutbirgae 26, S. 29f. 275 Ebd. 30, S. 36: cum subito superveniens malignus spiritus in tam terribili forma, ignem ex ore et naribus sulphureum efflantem, oculis micantibus ignem, corpore nigerrimo, unguibus ultra mensuram praevalidis. Als Gestalten, die aus Mund und Nase Feuer sprühten, erschienen einem

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des Furseus waren schwarz und verkrümmt, hatten lange magere Hälse und angeschwollene Köpfe.276 Das Gräßlich-Höllische betont auch Hieronymus von Raggiolo (Radiolensis) in seinem Walbertmirakeln, wenn er den Florentiner Florentius dem heiligen Johannes sagen läßt: »Mit Verwunderung schaute ich Elender von Angesicht zu Angesicht den Teufel, wie aus seinem ganzen Mund eine heiße Flamme und aus seiner gespaltenen Nase ein Verderben bringender Schwefelrauch hervorkam.«277 Gregor der Große, Isidor von Sevilla und Hrabanus Maurus scheinen sich den Teufel in eigentlich schwarzer, aber weiß getünchter Gestalt vorzustellen, wenn sie ihn in dem biblischen Begriff »Tünche« (dealbatio) wiedererkennen: »Unter Tünchung wird man aber nicht unangemessen den Teufel begreifen müssen, weil er aus seinem ›Verdienst‹ heraus dunkel ist.«278 Rodulf Glaber, dem der Teufel in der Nacht erschien, liefert geradezu eine porträtgenaue Beschreibung (soweit er in der Dämmerung überhaupt etwas klar erkennen konnte …): Danach war der Teufel ein mittelgroßes Männchen mit dürrem Hals, hagerem Gesicht, pechschwarzen Augen, runzliger, eingezogener Stirn, eingedrückter Nase, breitem Mund, geschwollenen Lippen, vorstehendem, ganz schmalen Kinn mit Ziegenbart, borstigen, spitzen Ohren, abstehenden, struppigen Haaren, Hundegebiß, hohem Hinterkopf, schwellender Brust, buckligem Rücken und wedelndem Steiß. Er trug schmutzige Kleider, und sein Körper schien bei jeder Bewegung kopfüber zu stürzen.279 In diesem Bericht ist fast nichts ausgelassen, was den Teufel gräßlich aussehen läßt. Der Teufel hat zwar die Gestalt eines Menschen, wird durch die vielen Unebenheiten aber zu einer Art Horrorfigur. Ziegenbart, struppiges, abstehendes Haar und Schwanz entsprechen schon hier, im 11. Jahrhundert, den später gängigen Vorstellungen. Auf Rodulf verfehlte das seine Wirkung nicht: Der Mönch rannte sogleich in die

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Visionär auch die Teufel in der Hölle: Beda Venerabilis, Historia ecclesiastica gentis Anglorum 5,12,3, Bd. 3, S. 74. Vita Fursei 6, S. 284f. Hieronymus von Raggiolo (Mönch aus Vallumbrosa), Miracula Iohannes Gualberti 1,1,5, Sp. 814 B: Diabolum toto ex ore flammam ignitam et naribus hiulcis pestiferum sulphureumque fumum edentem cominus me miserum intueor! Gregor der Große, Moralia in Iob 30,25,72, CCL 143B, S. 1539: Laban quippe interpretatur dealbatio. Dealbatio autem diabolus non inconuenienter accipitur, quia cum sit tenebrosus ex merito, ›transfigurat se in angelum lucis‹ (2. Kor 11,14). Wiederholt bei Isidor von Sevilla, Mysticorum expositiones sacramentorum seu Quaestiones in Vetus Testamentum. In Genesim 26,2, Sp. 265 A, und Hrabanus Maurus, De rerum naturis 2,2, Sp. 41 C. Rodulf Glaber, Historiae 5,2, S. 218: Erat enim, quantum a me dignosci potuit, statura mediocris, collo gracili, facie macilenta, occulis nigerrimis, fronte rugosa et contracta, depressis naribus, os exporrectum, labellis tumentibus, mento subtracto ac perangusto, barba caprina, aures irtas et pre˛acutas, capillis stantibus et incompositis, dentibus caninis, occipitio acuto, pectore tumido, dorso gibato, clunibus agitantibus, uestibus sordidis, conatu aestuans ac toto corpore preceps.

6. Die Gestalt des Teufels

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Kirche, warf sich vor dem Benediktaltar nieder und bekannte alle seine von kleinauf begangenen Sünden.280 Oft blieb der Teufel aber auch unsichtbar oder trieb auf diese Weise seinen Schabernack mit dem Menschen. Im Dorf Sülfeld in seiner Nachbarschaft, so berichtet Thietmar von Merseburg, hörte eine Frau vor ihrem Haus – sie war allein mit ihren Kindern – vor dem Morgengrauen großen Lärm. Als die Nachbarn auf ihr Geschrei hin herbeieilten, wurden sie durch Steinwürfe zurückgehalten, konnten aber nichts finden oder entdecken, »da es sich um ein (unsichtbares) Unwesen (monstrum) handelte«. Daraufhin reinigte der Priester das Haus mit Weihwasser und Reliquien.281 Von der Stimme des Teufels ist kaum die Rede. Wenn er mit Menschen sprach, benutzte er offenbar die menschliche Stimme. Waren die Engel aber durch ihren himmlischen Engelsgesang gekennzeichnet, so konnten Teufel und Dämonen nicht singen und pervertierten die Musik.282 In der Ikonographie entwickelten sich die später üblichen Merkmale der Teufelsfigur erst spät und kaum vor dem 9. Jahrhundert und sie sind auch später keineswegs völlig einheitlich. Können literarische Texte den Teufel zunächst als Menschen erscheinen und sich erst allmählich entlarven lassen, so mußte er auf Bildern allerdings sofort eindeutig erkennbar sein, so daß hier von vornherein die negativ kennzeichnenden Merkmale überwiegen. Zwar gibt es ikonographisch keine Einheitlichkeit, werden antike Elemente mit nachantiken Vorstellungen vermischt, dennoch läßt sich erneut eine Entwicklung zu einer Art Kanon feststellen: Der Teufel erscheint, wie in den Schriftquellen, als Tier283 oder menschenähnlich, aber oft, und deutlicher noch als in Schriften, monströs und bestienhaft.284 Solche unnatürlichen Elemente der ansonsten menschen- (oder auch engel-)artigen Teufelsgestalt, wie abstehende Haare und gefletschte Zähne,285 überwiegen zunehmend, so daß man, nicht ganz zu Recht, von einer 280 Ebd. S. 218: Ilico denique a lectulo exiliens cucurri in monasterium, atque ante altere sanctissimi patris Benedicti prostratus ac nimium pauefactus diutine decubui, cepique acerrime ad memoriam reducere quicquid ab ineunte aetate offensionum grauiumque peccaminum procaciter seu neglegenter commiseram. Zu den verschiedenen Teufelsgeschichten bei Rodulf vgl. R8gine Colliot, Rencontres du moine, zu Rodulfs persönlichen Erfahrungen ebd. S. 125ff.: Der Teufel war bösartig und lügnerisch, aber durchweg erfolglos. 281 Thietmar von Merseburg, Chronicon 7,68, S. 482. 282 Vgl. dazu Michael Walter, Der Teufel und die Kunstmusik. Zur Musik der Karolingerzeit, in: Martin Kintzinger/Wolfgang Stürner/Johannes Zahlten (Hg.), Das Andere wahrnehmen. Beiträge zur europäischen Geschichte. August Nitschke zum 65. Geburtstag gewidmet, Köln-Weimar-Wien 1991, S. 63–74. 283 Vgl. Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 345–361. 284 Zur bestialen Gestalt des Teufels in romanischen Skulpturen vgl. Molinié, L’iconograpie du diable S. 102–202. 285 Vgl. Barral Rivadulla, ]ngeles y demonios S. 220; Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 344f.; Alexander E. Makhov, … In diversas figuras nequitiae. The Devil’s Image

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

»Maske ohne Gesicht« gesprochen hat.286 Im Gegensatz zu den Engeln erscheinen Teufel und Dämonen fast immer nackt,287 wie Adam und Eva im Paradies, aber auch als Symbol der Sünde,288 und schwarz oder dunkelhäutig, um das Böse zu repräsentieren.289 Manchmal trägt der Teufel aber auch einen Rock, wie im Eadwin-Psalter, einer Kopie des Utrecht-Psalters, aus dem frühen 11. Jahrhundert (Abb. IV/36, S. 352).290 Der Teufel in der Hölle im Stuttgarter Bilderpsalter des 9. Jahrhunderts ist ein graues, feuerspeiendes Monster mit Klauenfüßen, das gemeinsam mit einem dunklen Gehilfen ein neues »Opfer« – einen verstorbenen »Sünder«, wie es im Bibeltext heißt – in die Hölle führt und das Feuer schürt, in dem bereits andere Verdammte brennen (Abb. IV/37, S. 352).291 Ganz ähnlich sitzt in der Beatushandschrift von Gerona ein pechschwarzer Teufel mit erschreckenden weißen Augen und Mund und stachelartig hochgekämmten Haaren inmitten der Unterwelt und sieht zu, wie die Menschen kopfüber herabpurzeln (Abb. IV/38, S. 353).292 In der Beatus-Handschrift aus Silos bzw. einem vorgeschalteten Antiphonar stechen gleich mehrere struppige Gestalten in der Hölle auf die Menschen ein: Alle sind schwarz und haben lange Klauen; einer hat wild gelocktes, zwei weitere haben in langen Strähnen abstehendes Haar, einer hat bereits Hörner (Abb. IV/39, S. 353).293 Im Codex Aureus von Echternach ist der Teufel – hier bei der Versuchung Christi – als zwar men-

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from the Viewpoint of Rhetoric, in: Jaritz (Hg.), Angels, Devils S. 29–50. Zur Entwicklung der Gestalt Satans in der Kunst vgl. auch Rosenberg, Engel und Dämonen S. 153–168. So der Untertitel von Link, Devil. So Barral Rivadulla, ]ngeles y demonios S. 222; vgl. Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 333ff. Diese Erklärungen gibt Link, Devil S. 53f. Ebd.; Russell, Lucifer S. 132f.; Rosenberg, Engel und Dämonen S. 186f., zu Abwandlungen ebd. S. 187f. In spätmittelalterlichen Handschriften sind Teufel oft schwarz und fledermausartig; »(t)hese devils have tails, horns, long thin legs, and large hands, along with their wings«; so Gathercole, The Depiction of Angels and Devils S. 60. Eadwin-Psalter. Cambridge, Trinity College, ms. R.17.1 (Folioangabe nicht bekannt), zu Psalm 38. Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Trinity College Cambridge aus: Link, Devil Abb. 16, S. 60; zum Bild vgl. ebd. S. 59ff., mit Diskussion möglicher Vorlagen. Stuttgarter Bilderpsalter, Saint-Germain, um 820/830. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Fol. 23, fol. 10v (Ausschnitt). Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart aus: Gerd Althoff/Hans-Werner Goetz/ Ernst Schubert (Hg.), Menschen im Schatten der Kathedrale. Neuigkeiten aus dem Mittelalter, Darmstadt 1998, Abb. 26, S. 207. Beatus von Li8bana, Tractatus in apocalypsen, Gerona 975. Gerona. Museo de la Catedral di Girona, Num. Inv. 7, fol. 16v. Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Kathedralmuseums Gerona aus: Link, Devil Abb. 59, S. 138. Zum Teufel in den Beatusillustrationen vgl. ebd. S. 88ff. Beatus von Li8bana, Tractatus in apocalypsen. Silos, um 1100. London, T The British Library Board, Add. Ms. 11695, fol. 2r. Abbildung mit freundlicher Genehmigung und nach Vorlage (Digitalisat) der British Library. Das Bild stammt nach den dortigen Angaben aus einem mozarabischen Antiphonar, das dem Beatuskommentar in der Handschrift vorgeschaltet ist.

6. Die Gestalt des Teufels

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schenähnliche, aber schwarze, monströse Gestalt mit großen Flügeln, Schwanz, heraushängender Zunge, struppigen, abstehenden Haaren und weiblichen Brüsten dargestellt (Abb. IV/40, S. 354).294 Bei der Darstellung des Lazarus in dem ebenfalls aus Echternach stammenden Evangelistar Heinrichs III. bedrohen lauter struppige, tierähnliche, teils geflügelte Gestalten mit ihren Tatzen und langen Klauen die in der Hölle zusammengepferchten Menschen, denen ein weiterer Teufel ›Nachschub‹ bringt (Abb. IV/41, S. 355).295 Der Versucher Christi im (erst dem 13. Jahrhundert angehörenden) Bamberger Psalter kommt aus der Luft und ist eine dunkle, bärtige, affenartige, nur unten bekleidete Gestalt mit Flügeln (Abb. IV/42, S. 356).296 Ausgesprochen monströs wirkt an einem Kapitell der Kathedrale von Autun aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts (Abb. IV/ 43, S. 357)297 auch der langgeflügelte Teufel mit abstehenden Haaren und offen gefletschtem Maul, der bei dem Selbstmord des Judas mitwirkt, indem er kräftig an dem Strick zieht, mit dem Judas sich an einem Baum erhängt. Im Tympanon des Portals der romanischen Klosterkirche Sainte-Foy in Conques hat der Teufel ein furchterregendes, zur Grimasse verzerrtes Gesicht mit abstehenden, zu Strähnen zusammengefaßten Haaren, großen Augen und gefletschtem Mund. Er ist außerdem mit zwei herabhängenden Penes dargestellt, von tierähnlichen Dämonen umgeben, und um seine Beine winden sich Schlangen, aber er thront, christusähnlich, in seinem Reich der Hölle, ist hier allerdings nicht das symmetrische Pendant zu Christus, sondern zu dem oben verbildlichten Abraham (Abb. IV/44, S. 358).298 Aggressivität und Feindlichkeit sind nach Molini8 die Kennzeichen der teuflischen Skulpturgestalten.299 Ob der gotische Teufel später seinen Schrecken verliert und menschenähnlicher dargestellt wird,300 sei dahingestellt. Jedenfalls ist schon der Teufel in den Federstrichzeichnungen der altenglischen Genesis B 294 Codex Aureus Epternacensis, Echternach um 1030. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 156142, fol. 20r. Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg aus: Althoff/Goetz/Schubert (Hg.), Menschen im Schatten der Kathedrale Abb. 28, S. 215. Vgl. auch Codex Aureus Epternacensis fol. 78r. Abbildung: Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Abb. II/13, bei S. 57. 295 Evangelistar (Perikopenbuch) Heinrichs III. Echternach, um 1030/1040. Bremen, Staatsund Universitätsbibliothek, msb. 021, fol. 77r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen. 296 Bamberger Psalter, um 1230. Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Bibl. 48, fol. 61r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek Bamberg. 297 Autun, Kathedrale, um 1125/1130. Autun, Mus8e Lapidaire, Kapitelsaal. Abbildung: George Zarnecki, Romanik (Belser Stilgeschichte 6), Stuttgart 1970, Abb. 84, S. 68. 298 Vgl. dazu Legros, Le diable et l’enfer S. 311ff. Abbildung: ebd. S. 312. Zum Tympanon der Kathedrale von Conques auch Molinié, L’iconographie du diable S. 402–422. 299 Molinié, L’iconographie du diable, als Überschrift zum Großabschnitt S. 101–319; zur Gewalt des Teufels ebd. S. 203–286. 300 So ebd. S. 320f.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

aus dem 9. Jahrhundert bei der Versuchung zunächst noch ein schöner, geflügelter Engel, teils mit gepflegtem, langen Haar, der das Geschehen nach dem Sündenfall jedoch als Engel mit krausem Haar und bereits mit einem langen Schwanz versehen betrachtet.301 Auf einer anderen Miniatur eilt der nackte, mit kleinen Hörnern und großen Flügeln versehene Teufel aus der – bislang erst mit kleinen, gefallenen Engeln bestückten – Hölle ins Paradies, um dort als Schlange Eva zu verführen.302 Hörner sind somit schon relativ früh als Teufelsattribut bezeugt, werden aber erst später häufiger, während die an die frühere Engelsnatur erinnernden Flügel später kaum mehr begegnen und eben durch eine dunkle, monströse Gestalt abgelöst werden. Der Teufel zeigt auch ikonographisch seine Vielgestaltigkeit,303 gewinnt aber durchaus Kontur, und er versinnbildlicht die (üblen) Tätigkeiten, die ihm auch die Theologen zuschreiben und denen sich der nächste Abschnitt zuwendet. Wenn Luther Link aus dem ikonographischen Befund folgert, der Teufel sei nur ein Kostüm ohne inhärente Bedeutung (»No other creature in the arts with such a long history is so empty of intrinsic meaning. No other sign or supposed symbol is so flat«),304 dann negiert das nicht nur die Sinngebung des Teufels in den mittelalterlichen Schriftquellen, sondern missversteht zudem, dass die Ikonographie den Teufel auf seinen »Sinn«, das Böse wirkmächtig zu machen, zuspitzt.305 Nicht zuletzt deshalb wirkt der Teufel in der Ikonographie vielleicht einseitiger, aber auch eindeutiger. Er soll Furcht einflößen.306 Doch wird hier ebenfalls ein breites Spektrum teuflischen Wirkens abgebildet,307 wie es den Schriftquellen ohnehin eigen ist.

301 Genesis B. Oxford, The Bodleian Libraries. The University of Oxford, Ms Junius 11, fol. 28. Abbildung: Ute Schwab, Die Bruchstücke der altsächsischen Genesis und ihrer altenglischen Übertragung: Abbildungen der gesamten Überlieferung. Einführung, Text und Übersetzungen (Litterae. Göppinger Beiträge zur Textgeschichte 29), Göppingen 1991, Faksimile XXII (Abbildung der oberen Hälfte bei Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Abb. III/6, bei S. 211). Vgl. auch ebd. fol. 31. Abbildung bei Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Abb. III/5, bei S. 211. 302 Genesis B. Oxford, The Bodleian Libraries. The University of Oxford, Ms Junius 11, fol. 24. Abbildung: Schwab, Bruchstücke, Faksimile S. 20; Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Abb. III/4, bei S. 211. Zu den Zeichnungen vgl. Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 348ff. Zur Einzigartigkeit dieser Zeichnungen (ohne Vorläufer, ohne Nachfolger) vgl. Link, Devil S. 167ff. 303 Vgl. Molinié, L’iconographie du diable S. 401–467 (»La multiplicit8 des formes«). 304 Link, Devil S. 193. 305 Es zielt deshalb ebenso am Kern vorbei, wenn Link, ebd. S. 189, folgert: »These simple examples should be enough to undermine any attempt to suggest that the Devil is a symbol for evil. He is not. He is only evil as defined by any Christian sect for its own self-interest.« Das mag heutiger Sichtweise durchaus entsprechen, nicht aber der mittelalterlichen. 306 So Molinié, L’iconographie du diable S. 471. 307 Vgl. ebd. S. 470: Kaum zwei Teufel romanischer Skulpturen gleichen einander.

7. Das Wirken des Teufels 1: Versuchung und Sünde

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Das Wirken des Teufels 1: Versuchung und Sünde

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Die Prinzipien und die Vielfalt des Wirkens

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»Der listenreiche Widersacher, der uns auf dem Weg, auf dem wir gehen, verborgene Schlingen zu legen pflegt, läßt nicht davon ab, den einen durch dieses, den andern durch jenes Laster zu Fall zu bringen.«308 So vielfältig wie seine Gestalt stellt man sich auch das Wirken des Teufels vor, das jedoch stets dasselbe Ziel hat: den Menschen vom rechten Weg abzuführen. Die Menschen stehen ständig zwischen Gott und dem Teufel, der mit seinen Helfern in vielfältiger Weise um die Seelen der Gläubigen ringt und auf die Menschen einwirkt oder in ihnen wirkt. Die mittelalterlichen Autoren sehen den Teufel quasi dauernd und überall dort wirken, wo Böses geschieht: in Versuchungen, Besessenen, Erscheinungen, Wahrsagungen oder einfach sinnlosem Tun.309 Der Teufel schloß – auch wenn die Belege dafür spärlich bleiben – mit ihm hörigen Menschen einen regelrechten Pakt310 oder ließ seine Poltergeister Schabernack treiben. Dem Chronisten Rodulf Glaber erschien er im Schlaf und schlug immer wieder gegen sein Bett, um ihn daraus zu vertreiben;311 einem Mönch in Pr8montr8 schüttelte er mehrfach das aus Farnkraut hergerichtete »Bett« durcheinander.312 Sein Wirken war zwar heilsbedrohlich ernst, mochte auf diese Weise oft aber auch belustigend wirken. Das Wirken des Teufels entsprang zunächst jedoch vor allem theologischen oder glaubensinhaltlichen Ursprüngen und Prinzipien, die wiederum im Engelfall lagen und vorab darzustellen sind. Der Engelfall hatte nämlich schwere Folgen für die Menschen. Vor allem Honorius beschreibt das recht plastisch: Nach seinem Aufstand im Himmel313 wurde der Teufel aus dem Himmel in die Hölle,314 »aus dem Palast in den Kerker«315 verbannt und mußte nun mit allen 308 So Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni imperatoris 1,25, S. 33: Insidiarum peritus adversarius, in via qua ambulamus laqueos nobis abscondere solitus, alium quidem hoc, alium vero alio vicio supplantare non desistit. 309 Zum Wirken des Teufels vgl. Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 168–227; Van Boheemen, Duivels en demonen S. 15ff. 310 Vgl. Russell, Lucifer S. 82ff.; zum späten Mittelalter : Boureau, Satan h8r8tique S. 93–123. Einzelne Legenden eines Teufelspaktes bespricht Eliseo Frank Diamico, The Diabolical Pact in Literature: Its Transition From Legend to Literary Theme, Diss. Univ. of Michigan 1979 (University Microfilms International, Ann Arbor, Mi 48106, 79–25136), Ann Arbor 1979. 311 Rodulf Glaber, Historiae 5,2, S. 218: arripiensque summitatem strati, in quo cubabam, totum terribiliter concussit lectulum ac deinde infit: ›Non tu in hoc loco ultra manebis.‹ 312 Vita Norberti 14, S. 687. 313 Vgl. oben Anm. 107. 314 Vgl. Honorius Augustodunensis, Speculum ecclesiae. In conventu populi, Sp. 1094 A: Cum hoc ergo Michahel archangelus, princeps miliciae coelestis exercitus, bellum conseruit, victorque

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

seinen Anhängern im Exil auf Erden leben, wo Gott das Paradies als Kastell gegen seine Anfechtungen errichtete, das der Teufel jedoch mit List erobern konnte.316 Auf Erden aber, so auch Hugo von St. Viktor, übte der Teufel eine sich selbstherrlich angemaßte Tyrannei aus und suchte die Menschen zunächst mit List und dann mit Gewalt für sich zu gewinnen.317 Dieses teuflische Wirken auf Erden ist der wesentliche Inhalt (fast) aller Teufelsgeschichten. Der Teufel ist daher zuallererst für den Sündenfall verantwortlich.318 Weil er nicht durch Gewalt schaden konnte, verlegte er sich auf Täuschung, um den Menschen, den er nicht an Tugend zu überwinden vermochte, durch List zu besiegen. Hugo von St. Viktor zufolge nahm er deshalb eine andere Gestalt an, um nicht gleich erkannt zu werden, doch durfte er nur eine solche Gestalt annehmen, die seine Bosheit nicht ganz verschleierte. (Das würde zugleich die monströse Gestalt des Teufels erklären.) Nicht in eigener Gestalt zu erscheinen, war sein eigener Wille, eine andere, Bosheit offenbarende Gestalt anzunehmen, hingegen von Gott bestimmt. So zeigte er sich den Menschen als Schlange, während er selbst gern als Taube gekommen wäre.319 Während der Teufel den Menschen zwar zu Unrecht in Besitz hält, wird der Mensch doch zu Recht von ihm besessen; der Teufel hat es nämlich nimmermehr verdient, den ihm unterworfenen Menschen zu unterdrücken; der Mensch hingegen verdiente es

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existens eum cum omnibus suis de finibus supernae civitatis expulit atque huius mundi exilium subire compulit. Ders., Elucidarium 1,34, S. 367: De palatio est propulsus et in carcerem est retrusus (oben Anm. 104). Vgl. Hugo von St. Viktor, Summa sententiarum 2,4 (oben Anm. 127). Honorius Augustodunensis, Speculum ecclesiae. In conventu populi, Sp. 1094 B: Qui cum in exilio adhuc non solum rebellaret, verum etiam regnum sibi impudens usurparet, aeternus imperator paradysum, quasi quoddam castellum in amoenissimo loco plantavit, in quo primum hominem quasi quendam principem ad expugnandum tyrannum collocavit, quem tyrannus dolo circumventum suae ditioni subegit, captumque secum in exilium abire coegit. Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,8,11, Sp. 312 A; ed. Berndt S. 202: Postquam primus parens generis humani propter inobedientiae culpam a paradiso exsulans venit in hunc mundum, diabolus ius tyrannicum in illo exercens, sicut cum prius fraudulenter seduxerat, ita postmodum violenter possidebat. Zum Sündenfall vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 188–201. So Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,7,2, ed. Migne Sp. 287 B-C; ed. Berndt S. 169: Quia vero per violentiam nocere non potuit, ad fraudem se convertit, ut dolo hominem supplantaret, quem virtute superare non posset. Ne autem fraus illius omnino nulla esset, si nimis manifestaretur, in propria forma venire non debuit, ne manifeste cognosceretur et nullatenus reciperetur. Iterum ne nimis violenta esset eius fraus, si prorsus occultaretur et homo simul (si Deus eum tali fraude quae caveri non posset decipi permitteret) iniuriam pati videretur, in aliena quidem forma venire permissus est; sed tali in qua eius malitia prorsus non celaretur. Ut igitur in propria forma [non veniret sua voluntate factum est, ut autem aliam formam] nisi talem, quae malitiae suae conveniret, habere non posset, divina ordinatione dispositum est. Venit ergo ad hominem in serpente callidus hostis, qui fortassis, si permissus [Berndt: supermissus] fuisset, in forma columbae venire maluisset. Die Einklammerung fehlt in Berndts Edition, dürfte aber auf einen Zeilensprung zurückgehen.

7. Das Wirken des Teufels 1: Versuchung und Sünde

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durch eigene Schuld, vom Teufel unterdrückt zu werden.320 Selbst gottlos geworden, meint auch Bernhard von Clairvaux, täuschte der Teufel seinerseits die ins Paradies gesetzten Menschen und ließ sie durch seinen Betrug von ihrer Frömmigkeit abfallen, um sie zu Teilhabern an seinem Irrtum und an seiner Ungerechtigkeit zu machen.321 Damit, so Herveus von D8ols, wurde Christus ausgeschlossen und der Teufel eingelassen.322 Beide Menschen aber wurden daraufhin aus dem Paradies vertrieben und konnten der Macht des Teufels nicht widerstehen.323 Gemäß seiner Natur kann der Teufel nichts Gutes tun: »Wenn der Teufel böse ist, kann er keine guten Werke vollbringen. Wenn du hingegen siehst, daß das Geschaffene gut ist, so folgt daraus, daß es nicht der Teufel ist, der das bewirkt. Ebensowenig kann es geschehen, daß aus Bösem Gutes oder aus Gutem Böses erwächst,«

lehrt Hieronymus (und mit ihm Hrabanus Maurus).324 Wo Frieden und Eintracht sind, dort ist auch Liebe, also ist dort zweifellos auch Gott. Wo aber Zwietracht ist, dort ist Zank und Haß; folglich ist dort wahrhaftig ein böser Geist am Werk, schreibt Radulfus Ardens.325 So wie er Gott entgegengesetzt ist, so verleugnet er Gott und weiß dabei doch, daß er sich täuscht, denn da ihm bewußt ist, daß er selbst existiert, weiß er ebenso, daß Gott existiert, meint Hildegard von Bingen.326 320 So ebd. 1,8,4, ed. Migne Sp. 308 A; ed. Berndt S. 196: Iniuste ergo diabolus hominem tenet, sed homo iuste tenetur ; quia diabolus nunquam meruit, ut hominem sibi subiectum premeret, sed homo meruit per culpam suam, ut ab eo premi permitteretur. 321 Bernhard von Clairvaux, Sermo de diversis 72,1 (De via impiorum et via Domini), Bd. 6,1, S. 307: Horum caput et princeps est diabolus, qui primus a pietate recessit et, impius factus, etiam homines in paradiso positos ab eadem pietate fraude sua deiecit, volens eos habere socios sui erroris et participes iniquitatis. 322 Herveus von Bourg-Dieu (D8ols), Commentarii in epistolas Pauli. In epistolam II ad Corinthios 11, Sp. 1097 D: Immittunt diabolum, excludunt Christum; immittunt adulterum, excludunt Sponsum. Quando enim mentem falsitas possidet, tunc serpens eam possidet. 323 So Petrus Lombardus, Commentarium in psalmos. Ps. 35, v. 13, Sp. 366 C: Quasi dicat: De alto, qui operantur adhuc iniquitatem, scilicet diabolus et primus homo, expulsi sunt a paradiso, diabolus primo, et postea homo; nec potuerunt stare vi sua. Vgl. Gerhoh von Reichersberg, Commentarium in psalmos. Pars septima, ps. 68, v. 5, Sp. 229 D: Dem Raub folgte die gerechte Strafe. 324 Hieronymus, Commentarii in euangelium Matthaei 2, S. 95: Si, inquit, diabolus malus est, bona opera facere non potest; si autem bona sunt, quae facta cernitis, sequitur, ut non sit diabolus, qui ea facit. Neque enim fieri potest, ut ex malo bonum aut ex bono oriatur malum. Danach nahezu wörtlich Hrabanus Maurus, Expositio in Matthaeum 4,12, S. 362, der den Teufel im Folgenden als »bösen Baum« (arbor mala) bezeichnet. 325 Radulfus Ardens, Homiliae in dominicalia epistolas et evangelia. Homilia 1,72: In die sancto pentecostes, Sp. 1937 C: Ubi quippe pax et concordia, ibi charitas, procul dubio est et Deus. Ubi vero discordia, lis et odium est, ibi profecto malignus spiritus est. 326 So Hildegard von Bingen, ep. 155 R, S. 347: Quandam enim nigram et malam uicissitudi-

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Wie schon früher dargelegt,327 verübt der Teufel Unrecht sowohl gegenüber Gott als auch gegenüber den Menschen: gegenüber Gott, weil er ihm dessen Knecht, den Menschen, betrügerisch abspenstig macht und mit Gewalt in Besitz nimmt, und gegenüber dem Menschen, weil er ihn täuscht, indem er ihm Gutes verspricht, und ihm schadet, indem er ihm Böses einflößt.328 Die oben dargestellte Natur des Teufels mit dessen schlimmen Eigenschaften (Hochmut, Neid, Ungerechtigkeit) wirkt sich nun in seinem Handeln aus: Mit seiner Verschlagenheit (versutia),329 seinen Anfeindungen (diabolicas infestationes)330 und seinen Versuchungen (tentamenta diaboli)331 steht er den Menschen überall feindlich gegenüber.332 Immer wieder wird deshalb betont, daß der Teufel, »das Haupt alles Bösen«,333 mit dem Sündenfall das Böse in die Welt brachte (und, wie oben schon ausgeführt,334 zugleich den Tod verursacht hat). »Wer will denn bestreiten, daß der Teufel der Urheber der Bosheit ist?« fragt Haymo von Auxerre;335 er stiftet ständig zum Bösen an, meint Hrabanus Maurus.336 Mit dem Fall des Teufels und der Täuschung des Menschen, meint Rupert von Deutz, trat das Böse ein, um dessentwillen Gott den Menschen weise gemacht hatte, so daß nur noch Christi Tod die Menschen erlösen konnte.337 Folglich ist, wie Richard von St. Viktor

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nem suggestio diaboli ad hominem fiat, cum Deum negat. Cum enim diabolus esse Deum negat, se fallacem scit, quia cum se esse scit, Deum esse nouit. Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 194f. So Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,8,4, ed. Migne Sp. 307f.; ed. Berndt S. 196: Diabolus iniuriam Deo fecisse convincitur, quia servum eius hominem et fraudulenter abduxit et violenter tenuit. […] Item diabolus homini iniuriam fecisse convincitur, quia illum et prius bona promittendo decepit et post mala inferendo nocuit. Ähnlich Ders., De sacramentis legis naturalis et scriptae Sp. 20 AB. Gregor der Große, Expositio in septem psalmos poenitentiales 3,20, Sp. 579 A. Ebd. 3,23, Sp. 580 C. Ebd. 3,24, Sp. 580 D. Ebd. Sp. 581 A: novit quia omni tempore diabolus sibi adversatur. Zum Teufel als Versucher in der angelsächsischen Literatur vgl. Dendle, Satan Unbound S. 19–39; zum Teufel als Versucher und zu seiner Hinterlist in der romanischen Kunst Molinié, L’iconographie du diable S. 288–319. Hrabanus Maurus, De rerum naturis 6,3, Sp. 179 B: Nam caput omnium malorum diabolus est. Oben S. 222f. Haymo von Auxerre, Homiliae in Evangelia de tempore et sanctis 89, Sp. 523 D : Quis enim diabolum auctorem malitiae esse neget […]? Hrabanus Maurus, Enarrationes in epistolas b. Pauli 17. Expositio in epistolam ad Ephesios 18,6, Sp. 467 D: Quia quomodo eos, qui lux sunt, Christus gubernat et regit, sic eos, qui tenebrae sunt, ad omne malum diabolus praecipitat et instigat (nach Augustinus, Sermo 167, fragm. 12, S. 255). Rupert von Deutz, De gloria et honore filii hominis super Matthaeum 13, Sp. 1628 A: Salva igitur omnipotentia, salva benevolentia Dei, ruente diabolo et homine decepto, malum accidit, propter quod Deum sapientem laudabiliter hominem fieri, et pro omnibus mori oportuit, aliterque homo salvari non potuit.

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betont, »der Teufel, dessen Soldaten die Dämonen und dessen Kriegspferde die schlechten Menschen sind, der Fürst [und Urheber] aller Übel.« Richard zufolge besteht des Teufels Heer aus 30 000 Helfern, von denen 20 000 gegen die Heiligen des Neuen Testaments, die das Gesetz sowohl dem Wortlaut als auch der übertragenen Bedeutung nach beachten, 10 000 gegen die Gerechten des Alten Testaments angehen, die es lediglich im Wortlaut erfüllen.338 Als Urheber aller Bosheit, so Petrus Cantor, will der Teufel das Talent (die hohe Geldsumme) der Sünde nicht wieder abgeben, denn je länger er es behält, desto mehr vervielfacht es sich. Dadurch erweist er sich schlimmer als ein Wucherer.339 Allerdings hat der Teufel das Böse nicht geschaffen, sondern bereits vorgefunden (oder auch: erfunden), wie schon Isidor von Sevilla betont: Das Böse ist nichts, da alles, das ohne Gott gemacht wird, nichts ist.340 Der Teufel ist folglich nicht Urheber, sondern Anstifter unreiner Gedanken, erläutert Jonas von Orl8ans,341 weil er, so ergänzt die Glossa ordinaria, das Innere (des Menschen) lediglich durch dessen Erscheinung und Haltung erkennt.342 Er ist nicht Urheber der Gedanken, sondern flößt sie ein; er kann dazu raten, sie aber nicht mit Gewalt einpfropfen, da es in der Macht des Menschen liegt, dem zuzustimmen oder nicht zuzustimmen.343 Entsprechend folgert Remigius von Auxerre: 338 Richard von St. Viktor, In apocalypsim Joannis 3,7, Sp. 787 B: Diabolus est omnium malorum princeps, cuius milites sunt daemones, equi militum pravi homines. Huius exercitus numerus vicesies millies dena millia esse perhibetur, ut vicesies millies contra sanctos novi testamenti, qui quaedam praecepta legis et secundum litteram et secundum spiritualem intelligentiam observant, et dena millia contra antiquos iustos, qui legem ad litteram, utpote futurorum tunc figuram, simpliciter observabant, eos belligerare luce clarius manifestentur. 339 Petrus Cantor, Verbum abbreviatum (textis prior) 43: Contra fenatores, ed. Monique Boutry, S. 290: Et sicut diabolus talentum peccati non vult sibi reddi, quia quanto diutius detinetur, tanto amplius multiplicatur, sic nec fenerator talentum pecunie creditum proximo. Qui etiam dando ad usuram peior est exactore diabolo, quia diabolus auctor omnis malitie talentum suum, non alienum, mutuo dat. 340 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,9,1, S. 25: Malum a diabolo non est creatum, sed inuentum; et ideo nihil est malum, quia sine Deo factum est nihil. Deus autem malum non fecit. 341 Jonas von Orl8ans, De institutione laicali 1,17, Sp. 266: Non ergo diabolus auctor, sed incentor est inmundarum cogitationum. Sinngemäß nach Hieronymus, Commentarii in evangelium Matthaei 2, S. 132. 342 Glossa ordinaria. Evangelium secundum Matthaeum 15, v. 19, Migne PL 114: Diabolus enim incentor est non auctor, quia nec interiora nisi per habitus et gestus novit. Als Vorlage wird hier Hieronymus, Commentarii in euangelium Matthaei 2, S. 132, gedient haben: diabolus adiutor esse et incentor malarum cogitationum potest, auctor esse non potest. Das vollständige Zitat wurde mehrfach, etwa von Beda Venerabilis, Heiric von Auxerre oder Hrabanus Maurus wiederholt. 343 So Radulfus Ardens, Homiliae in epistolas et evangelia dominicalia. Homilia 1,48, Sp. 1839 BC: Diabolus enim non est auctor cogitationum, sed suggestor, suadere potest, non violenter immittere. In potestate autem hominis est consentire vel non consentire. Beide Gedanken verbindet Anselm von Laon, Enarrationes in evangelium Matthaei 15, Sp. 1388 C: Diabolus enim adiutor et incentor malarum cogitationum potest esse, non auctor, quia nec interiora, nisi per quosdam habitus et gestus exteriores novit.

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»Denn der Teufel kann zwar Helfer und Einflüsterer übler Gedanken, doch keinesfalls deren Urheber sein. Wenn der Teufel nämlich irgendeinen leichten Funken übler Gedanken mit dem Zunder seiner Bosheit entfacht und entflammt, dürfen wir daraus nicht schließen, daß er das Innere unseres Herzens zu erkunden vermag oder unsere Gedanken erkennt, sondern bisweilen erschließt er nur das Innere aus der Gestalt und Bewegung des äußeren Menschen.«344

Der Teufel ist Erfinder und Urheber alles Bösen, wirkt aber meist, selbst unsichtbar, durch Menschen, meint, zwischen beiden Positionen vermittelnd, Agobard von Lyon, während der Sündenfall durch eine Schlange bewirkt wurde, weil es noch keine anderen Menschen gab, die den ersten Menschen hätten verführen können.345 Böse Menschen werden deshalb gern als typus oder figura diaboli bezeichnet, etwa bei Hrabanus Maurus, schlechte Handlungen der Menschen werden immer wieder als diabolica instigatione oder diabolico instinctu bewirkt charakterisiert. Diabolico instinctu verließ etwa ein Mönch sein Kloster,346 diabolo instigante verfing sich die scheidungswillige Gräfin Engeltrud, die Gemahlin Bosos von der Provence, in den Fesseln des Meineids und wich vom Weg der Wahrheit ab.347 Wie der Teufel den Sündenfall des Menschen verursacht hat und wie er alles Böse bewirkt und Urheber der Sünde ist, so ist er selbstverständlich auch für alle Sünden verantwortlich. Alle Sünde kommt vom Teufel: »Denn jeder, der eine Sünde begeht, ist aus dem Teufel geboren und zählt zur Zahl seiner Zweige,« meint Hrabanus Maurus.348 Das Gleiche gilt für den Betrug. »Wir räumen ein, daß der Betrug durch sein Wirken im Urteil des Teufels lag,« schreibt Hinkmar 344 Remigius von Auxerre, Homiliae 12, Sp. 930 D: Diabolus namque adiutor et incentor malarum cogitationum esse potest, sed auctor nullo modo potest existere. Cum enim diabolus aliquam levem scintillam malarum cogitationum fomite suae malitiae succendit et inflammat, non debemus intelligere, quia ipse interiora cordis nostri valeat investigare aut cogitationes intelligere, sed aliquando per habitum et motum exterioris hominis cognoscit interiora. 345 Agobard von Lyon, De fidei veritate et totius boni institutione 15, S. 268: Et diabolus quidem est inuentor et causa omnis mali. Tamquam hominibus mortaliter uiuentibus inuisibilis est et homicida est ab initio. Vniuersa mala, que˛ operatus est, quam maxime per homines exercuit et exercet. Illum autem primum malum, quod in deceptione primorum hominum perpetratus est, per serpentem fecit, quia necdum erat homo, per quem primi homines seducerentur. 346 So Gregor der Große, Registrum epistolarium 10,3, CCL 140 A, S. 828f. 347 So Epistolae ad divortium Lotharii II regis pertinentes 11 (Brief des päpstlichen Gesandten, des Bischofs Arsenius von Orte), S. 226: Et diabolo instigante in periurii laqueum est ingressa et a nostrae salubritatis praedicatione pedem retorsit et a tramite veritatis discessit. Die Formeln diabolo instigante, diabolica audacia, diabolica suasione und ähnliche Wendungen begegnen mehrfach auch in den Urkunden Konrads II. und Heinrichs III. 348 Hrabanus Maurus, Commentarii in Ezechielem 12,31, Sp. 817 C: ›Omnis enim qui facit peccatum de diabolo natus est‹, et de ramorum eius numero computatur. Das Zitat entstammt Ezech 31,6 bzw. Hieronymus, Commentarii in Ezechielem 10,31, S. 442.

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von Reims, »der, auch wenn er den Glanz der Geister der Engel verloren hatte, doch nicht die Feinheit seiner Natur verlor.«349 Diabolica fraude seductus ist eine entsprechend geläufige Wendung.350 So ließe sich die Reihe der Einflüsse noch lange fortführen (und wird im nächsten Abschnitt über das konkrete Wirken noch einmal aufgegriffen). Wie der Teufel den Tod in die Welt gebracht hat,351 so nehmen beim Tod eines Menschen Engel die Seele, Dämonen aber den Körper in Empfang. So schreibt Ademar von Chabannes zum Tod Kaiser Lothars I., der kurz vor seinem Tod als Mönch in das Kloster Prüm eingetreten war, in Form eines scheinheiligen Zwiegesprächs zwischen Engeln und Dämonen: »Die heiligen Engel aber sagten: ›Uns hat Gott nicht zum Kaiser, sondern zu dem Mönch geschickt; nehmt ihr den Kaiser in Empfang, wir aber führen den Mönch mit uns fort.‹ Die heiligen Engel aber nahmen die Seele mit sich, die Dämonen empfingen den Körper und sie begannen, ihn vor aller Augen gewaltsam aus dem Haus zu zerren, doch durch die Gebete der Brüder wurden sie verjagt und verschwanden.«352

b.

Versuchung und Verführung zum Bösen

Das Wirken des Teufels konzentriert sich insgesamt – ganz neutestamentlich – vor allem darauf, die Menschen zu verführen, wie er es bereits im (und seit dem) Sündenfall praktiziert, denn seither, nach der Sünde, ist der Mensch, so Isidor, ihm praktisch ausgeliefert, seit er hörte: »Erde bist du, und zur Erde sollst du werden« (Gen 3,19).353 »Der Teufel, der Adam in seinem schwachen Fleisch besiegt hat,«354 hat also, so Haymo von Auxerre,

349 Hinkmar von Reims, De divortio Lotharii regis et Theutbergae reginae 9, S. 164: Sed concedamus, ut fraus in iudicio fuerit operatione diaboli, qui licet perdiderit angelici spiritus gloriam, sed non amisit naturae subtilitatem. Das Zitat folgt sinngemäß Gregor dem Großen, Moralia in Iob 32,12,17, CCL 143 B, S. 1642. 350 Vgl. etwa Annales Bertiniani a. 868, S. 148, zu dem päpstlichen Bibliothekar Anastasius. Diabolica fraus auch mehrfach in den Briefen Gregors des Großen, z. B. Registrum epistolarium 4,35, CCL 140, S. 256; ep. 6,57, ebd. S. 430; ep. 6,64, ebd. S. 440. Vgl. auch Alkuin, ep. 113, S. 166; ep. 116, S. 171; ep. 219, S. 363. 351 Vgl. oben S. 222f. 352 Ademar von Chabannes, Chronicon 3,19 (recensiones Beta und Gamma), S. 138: Sancti angeli dixerunt: ›Nos non misit Deus ad imperatorem sed ad monachum; vos accipite imperatorem, nos nobiscum ducemus monachum.‹ Angeli sancti secum duxerunt animam, demones acceperunt corpus, et violenter a domo extrahere cunctis videntibus ceperunt, sed orationibus fratrum fugati evanuerunt. 353 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,11,7, S. 39: Homo propter peccatum tunc traditus est diabolo, quando audiuit: ›Terra es, et in terra ibis‹ (Gen 3,19, nach der Vetus Latina-Version). 354 So Sacramentarium Gallicanum seu Liber sacramentorum ecclesiae Gallicanae. Missa in inventione sanctae, Sp. 512 B: et diabolus, qui Adam in fragili carne divicerat. Danach

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»durch Überredung den ersten Menschen gefangengenommen, als er ihn sich unterwarf, und danach ebenso sein gesamtes Geschlecht in einem Maße, daß er ihn dazu überredete, ein Götzenbild statt des wahren Gottes anzubeten. Diese Gefangenschaft des Menschengeschlechts, das der Teufel zum Tod gefangengenommen hatte [bzw. gefangengenommen hatte, um es zum Tod zu bestimmen], aber haben die Apostel mit den Waffen ihrer Predigt und der Tugend ihrer Wunder ihrerseits gefangengenommen (und) zu Christus und zum ewigen Leben geführt.«355

Dabei erfindet »der Fürst der Finsternis, der tausend Wege weiß, um uns zu schaden«,356 immer neue Mittel. Wo er nur kann, sucht der Teufel den Gottesdienst zu verhindern357 und die Menschen ins Verderben zu führen: »Er,« so erläutert Bischof Wulfram von Sens dessen Vita zufolge dem Friesenfürsten Radbod, »der wegen seines Hochmuts vom hohen Himmel auf die Erde fiel und aus einem gütigen Engel zu einem garstigen Dämon wurde,« möchte, daß alle untergehen und niemand erlöst wird. »Er ist der Verführer, der die ganze Welt verführt. […] Durch seinen Neid trat der Tod in die Welt ein, als er den ersten Menschen Begierde beibrachte und ihn zur Schuld des Ungehorsams zog. Denn während er seinen Gläubigen verspricht, sie mit goldenen Wohnungen auszustatten, führt er sie tatsächlich auf ewig in die Hölle, zu seinem Sitz und dem stinkenden See der Unterwelt.«

Nur die Taufe rettet vor der ewigen Strafe.358 Der Teufel setzt seine Rebellion im Himmel gleichsam auf Erden fort: Wie er

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Gregor der Große, Liber sacramentorum. Dominica IV post theophaniam, Sp 48 B, und in verschiedenen liturgischen Büchern. Haymo von Auxerre, Expositio in divi Pauli epistolas. In epistolam II ad Corinthios 10, Sp. 649 A: Diabolus ergo persuasione captivavit primum hominem, quando illum sibi subdidit, et postea omne genus eius in tantum, ut idola ei suaderet adorare pro Deo vero. Sed ipsam captivitatem humani generis, quam diabolus captivaverat ad mortem, apostoli per arma praedicationis et virtutem miraculorum captivabant ad Christum et ad vitam aeternam. Gregor von Tours, Historiae 8,34, S. 403: et quia princeps tenebrarum mille habet artes nocendi (mit Anklang an Vergil, Aeneis 7,338). So Marbod von Rennes, Vita sancti Licinii ep. Andegavensis 3,14, Sp. 1499 C: Intellexit vir sanctus conatum diaboli, cuius studium est semper, quantum potest, Dei servitium impedire. Vita Vulframni episcopi Senonici 10, S. 669: Qui evigilans, sancto pontifici Vulframno cuncta per ordinem pandit. At ille congemiscens eius dampnationi, ait: ›Haec inlusio diaboli est, qui omnes vult perire et neminem salvari. Quapropter salva temet ipsum, vir nobilis, credendo in Christum et festina ad fontem baptismi, in quo est remissio omnium peccatorum, et nullo modo fidem accommodes verbis diaboli mendacibus. Ipse est enim seductor, ›qui universum seducit orbem‹ (Apoc 12,9), qui propter suam superbiam de alto caeli culmine prostratus ruit in terram et ex angelo benigno daemon teterrimus effectus est. Cuius ›invidia mors introivit in orbem terrarum‹ (Sap 2,24), dum primo homini concupiscentiam docuit atque ad inoboedientiae culpam traxit. Nam qui promittit aureas largiri mansiones sibi credentibus, tartareas potius inferi deducit ad sedes foetidumque lacum Cocyti. Unde ut ab his poenis eripi valeas et bonis frui aeternalibus, festina in Christo baptizari, in quo est remissio omnium peccatorum et per quem vitae caelestis tribuitur ingressus.‹

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im Himmel gegen Gott kämpfte, meint Hildegard von Bingen, so sucht er jetzt auf Erden in dem verlorenen Menschen gegen die Menschwerdung Christi anzugehen.359 Er machte die Juden blind und trennte sie so von ihren Brüdern, teilte die Apostel und ließ jene (die Juden) sie hinauswerfen und lieber die fremden Völker bekehren, meint Rupert von Deutz.360 Besonders neidisch ist der Teufel auf die Heiligen. Je heiliger sein Opfer ist, um so mehr geht er dagegen an, um alles Heilige zu zerstören.361 Nachdem sich der heilige Wandregisel aus der Welt in ein Kloster zurückgezogen hatte, ließen der Teufel selbst oder seine Helfer ihn entsprechend nicht mehr zur Ruhe kommen, konnten dem »mit dem Helm des Heils und dem Schild des Glaubens Geschützten« jedoch nichts anhaben.362 Gegen die heilige Rusticula ging der neidische Teufel deshalb anders vor, indem er den Bischof und einen weltlichen Fürsten dazu brachte, sie beim König zu verklagen.363 Der heiligen Liutbirg, die als Klausnerin in einem abgeschlossenen Raum lebte, wollte der Teufel Angst machen, indem er ihr in verschiedenen Formen erschien.364 Bald erschreckte er sie, bald machte er ihr Vorwürfe. Dann wiederum suchte er sie zu verlocken und ließ ihr Tag und Nacht keine Ruhe, gaukelte ihr verschiedene Trugbilder vor und gab sich als Engel, Apostel oder gar als Christus selbst aus und befahl ihr, ihn anzubeten.365 Ihr selbst wollte er das 359 Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 3,5,32, S. 455: Et sicut Lucifer in celo contra Deum pugnauit, ita etiam per hunc perditum hominem in terra aduersus humanitatem filii Dei certare temptabit. 360 Rupert von Deutz, Commentarii in duodecim prophetas minores. In Osee prophetam 6, Sp. 197 B: diabolus namque, qui designatur nomine inferni, Iudaeos excaecando a fratribus ipsorum et apostolis eius divisit, ut eicerent eos et oporteret illos evangelizare potius gentibus extraneis. Rupert folgt hier Origenes (secundum translationem Rufini), In epistolam Pauli ad Romanos 6,3, S. 464. 361 So Rimbert, Vita Anskarii 1, S. 19: Et inimicus humani generis diabolus, quanto sanctiorem ac religiosiorem quemque conspexerit ducere vitam, tanto maiori conamine adversa quaeque obicit, ut ea quae sancta sunt destruat et, ne ab aliis imitentur, callida persuasione ac pravis intentionibus auferat. 362 Vita Wandregiseli 6, S. 16: Sed quia diabolus invidiosus est ad nocendum et contra bonitatis formam pugnat malicia, invidia diabulus maxima in eum exarserit, que per semetipsum seu per suos fautoris eum inquietare non cessabat. Sed ipsi, precinctus galleam salutis et scutum fidei, contra omnis sagittas inimici fortiter demicabat. 363 Vita Rusticulae sive Marciae abbatissae Arelatensis 9, S. 344: Diabolus vero bonis semper invidens, consilio suo maligno suasit cuidam episcopo Maximo nomine, nam non opere, et cuidam principi nobili secundum saeculum, nam non apud Deum, nomine Riccimiri, ut falsum testimonium cogitarent adversum famulam Christi, quod illa occulte regem nutriret, et abeuntes ad regem Chlotharium, accusaverunt eam. 364 Vita Liutbirgae 26, S. 29ff. 365 Ebd. 28, S. 32f.: His igitur atque aliis innumeris suae machinationis nequitiae praestrigiis versutus eam hostis accederat, nunc terrendo, nunc exprobando, nunc convitiis dilacerando, nunc delectationibus insistendo, quietis ei tempus diebus ac noctibus non relinquens, nunc per diversas figuras fallaciae suae ludificatas ymagines ostendens, quotiens se angelum aut aliquem sanctorum vel apostolum referens, sed et aliquando suae incitatus vesaniae et inflatus superbia, ut se Christum dicere non metuit ac se, ut ei propitiaretur, orare praecepit. Vgl. ebd. 24, S. 27:

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Klausnerleben ausreden (ein geradezu klassisches Versuchungsmotiv bei Heiligen).366 In den Viten bleiben die immer wieder beschriebenen Versuchungen der Heiligen hingegen ebenso wirkungslos wie die Versuchungen Christi; schließlich macht es die Heiligen heilig, daß sie dem Teufel nicht erliegen.367 Im Codex Aureus von Echternach stürzt der Teufel am Ende vom Berg herab, weil Christus der Versuchung widersteht.368 Im Scheitern der Versuchung erweist sich gleichsam die Heiligkeit. So ist es kaum ein Zufall, dass der Teufel in Notkers ›Gesta Karoli‹ teils unfromme Bischöfe und Geistliche erfolgreich ausnutzt, die mit einem Laster – bei Notker sind das vor allem Geiz oder Habsucht – behaftet sind, teils aber auch gerade heiligmäßig lebende Bischöfe (bei Notker in der Regel ebenfalls mit Erfolg) zu einem Vergehen anstachelt (und ein sündiger Bischof sieht sofort sein Heil gefährdet).369 In Notkers Anekdoten läßt der Teufel gleich mehrere »heilige« Bischöfe ihren Sünden erliegen: Einer bricht das Fastengebot, ein anderer gibt sich den Verführungskünsten einer Frau hin, ein dritter strotzt vor Geiz.370 Notkers Sünder verlangen, wie der Teufel selbst im Engelfall, nach etwas, das ihnen nicht zusteht: der »Heilige« nach Gottgleichheit,371 der Bischof nach dem Königsszepter,372 die Großen nach der Königskrone, eine Tat, die Notker ausdrücklich als diabolica factio bezeichnet.373 Notkers Teufelsgeschichten warnen vor der Gefährlichkeit des Teufels, dem sogar ›heilige‹ Bischöfe erliegen; sie betonen allerdings nicht minder die reinigende Kraft der Sühne. Versuchungen der Menschen nach biblischem Vorbild, um sie zur Sünde zu verleiten oder von Gott abspenstig zu machen, stellen jedenfalls das ›klassische‹ Wirkmotiv des Teufels dar. Der Teufel stellt den Menschen listige Fallen (insidiae)374 und sucht besonders die Guten zu verführen.

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Iam vero quantas inimicorum pertulerit insidias ac varias ludificationes perpessa sit zabuli, seu per diversorum machinationes terrorum, sive per astutae calliditatis suae fantasias, sive per ostensiones et assumptas in se supernorum civium ymagines, et suae semper seductionis more vera quandoque falsis permiscens, ut cognitione veritatis facilius animum incautum valeat ad falsa protrahere, nulli possibile est enarrare. Ebd. 25, S. 28f. Vgl. Angenendt, Religiosität S. 156. Codex Aureus Epternacensis, fol. 20r (oben Abb. 40, S. 241). Notker, Gesta Karoli Magni imperatoris 1,21, S. 28: sed et lucis ipsius et vite˛ praesentis cum salutis sue˛ desperatione correptus est. Ebd. 1,21ff., S. 27ff. Ebd. 1,20, S. 26f. Ebd. 1,17, S. 21f. Ebd. 2,12, S. 71. Vgl. Vita Norberti 13, S. 685: In cuius absentia fratribus Praemonstrati remanentibus innumeras antiquus hostis molitus est insidias.

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»Laßt euch ja nicht zum Bösen verführen,« ermahnt der heilige Norbert seine Mitbrüder, »denn seine Bosheit ist so groß, daß er allen Guten schaden und sie um ihren guten Ruf bringen will, soviel er nur vermag.«375

Dabei paßt der Teufel sein Wirken den Schwächen des einzelnen an. Um die Stiftsgründung Norberts von Xanten zu vereiteln, suchte er die Mönche in jeweils anderer Weise an guten Werken zu hindern: den einen an der Kontemplation, den zweiten an seiner Weisheit, den dritten am Fasten.376 Der Teufel versucht die Menschen, wo immer er kann, aus Wut auf die Kirche, weil er der Fürst der falschen Worte ist, wie die Glossa ordinaria schreibt. Das kann er allerdings nur einzeln, heimlich und verstreut tun; dürfte er das offen ausführen, dann würde sich nämlich seine ganze Wut gegen jene richten und mit seinen gefletschten Zähnen und schrecklichen Augen auf sie schauen.377 Versucht der Teufel nämlich einerseits ständig die Gerechten, so vermag er andererseits jedoch nur soviel, wie Gott zuläßt: Seine Macht über den Menschen ist daher beschränkt, wie schon Augustin378 und nach ihm viele Autoren betonen. Teils ist sie ihm von Gott verliehen, teils hat er sie usurpiert.379 Dämonen können nur soviel Böses wollen, wie es ihnen von den guten Engeln gewährt wird, lehrt Honorius,380 zumal sie nur die schlechten Vorstellungen der Menschen sehen.381 Das trifft bereits auf den Sündenfall zu, wie Augustin und Beda herausstellen, damit das Menschengeschlecht nicht fortan unaufhörlich versucht würde.382 Auf diese Weise kann er nicht soviel schaden, wie er gern möchte, 375 Ebd. 10, S. 680: ›Sed nolite scandalizari, quia talis est nequitia eius, ut bonis omnibus derogare et quantum potest infames eos facere velit.‹ 376 Ebd. 9, S. 679: Verum huius sanctae professionis iniciis non defuere antiqui hostis insidiae, qui in singulis singulas considerans actiones, in quibusdam videlicet contemplationis affectum, in aliis sapientiae desiderium, in aliis ieiunii propositum, cuilibet impedimento esse temptabat. 377 Glossa ordinaria. Liber Iob 16,10, Migne PL 113, Sp. 800 D: Diabolus, princeps falsiloquii, habet nunc contra Ecclesiam furorem, sed sparsus est, quia occultas tentationes per singulos movet. Cum vero contra eam accepta licentia aperte saevierit, furorem suum in eam colligit, quia in eius afflictionem tota se intentione constringit. Qui contra eam dentibus fremit eamque terribilibus oculis intuetur, quia per alios contra eam crudelia exercet, et per alios quae exerceat providet. 378 Augustinus, Enarrationes in psalmos. Ps. 100,12, CCL 39, S. 1416: Nam diabolus nulli nocet, nisi acceperit potestatem a Deo. 379 So Russell, Lucifer S. 104. 380 Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,49, S. 370: Bonum quidem nec volunt nec omnino poterunt. Ad malum vero valde efficaces sunt; non tamen tantum, quantum volunt, sed quantum a bonis angelis permittuntur. 381 Ders., Scala coeli maior 12, Sp. 1235 B. 382 Augustinus, De Genesi ad litteram 11,6, S. 339: Sic autem quidam mouentur de hac primi hominis temptatione, quod eam fieri permiserit Deus quasi nunc non uideant uniuersum genus humanum diaboli insidiis sine cessatione temtari, cur et hoc permittit Deus? Danach wörtlich Beda Venerabilis, In principium Genesis usque ad natiuitatem Isaac et eiectionem Ismaelis adnotationum 1,3,1, S. 59.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

sondern eben nur soviel, wie ihm zugestanden wird.383 Obwohl der Wille des Teufels ungerecht ist, ist sein Handeln daher doch zugleich gerecht nach Gottes Erlaubnis,384 denn Teufel und Dämonen handeln im Auftrag Gottes, wie Florus von Lyon noch einmal betont.385 Gott würde es jedoch niemals zulassen, wenn er die Menschen damit nicht demütig machen wollte.386 Überhaupt ist der Mensch nur durch den Schutz Gottes gegen den Teufel gewappnet, denkt Hrabanus Maurus und bittet Gott um Hilfe. Sobald Gott nämlich den Menschen verläßt, fällt er sogleich in die Fallen des Teufels. Wenn wir zu Gott beten, daß er uns von dem Übel befreien möge, dann ist mit dem »Übel« eben die Dauerbestürmung durch den Teufel gemeint.387 Der Satz zeigt in seiner Argumentationslinie deutlich, daß der Teufel als reale Gestalt Übles bewirkt und nicht lediglich ein Symbol für das Böse ist. Der Teufel läßt sich aber, wie J8rime Baschet betont, nicht ohne die gleichzeitigen Kräfte verstehen, die ihn kontrollieren.388 Der Mensch muss selbst sorgfältig abwägen, damit er nicht der teuflischen Täuschung anheimfällt.389 Abaelard unterscheidet deshalb zwischen den Versuchungen des Teufels, den irdischen Gegebenheiten und der Eigensünde des Menschen: »Dreierlei ist aber für unsere Versuchungen verantwortlich: das Fleisch, die Welt und der Teufel. Das Fleisch führt uns durch Vielfräßigkeit und Genußsucht in Versuchung, die Welt durch Glück und Unglück: durch das Glück, indem es täuscht, durch das Unglück, indem es uns zerbricht. Der Teufel aber geht uns auf alle möglichen Weisen an und sucht uns zu jeder Verdorbenheit zu verführen.«390 383 Vgl. Angelomus von Luxeuil, Commentarius in Genesim 3, v. 1, Sp. 136 AB: Sed ille nesciebat naturae rationalis expers, sicut daemoniacus et mente captus loquitur, quae nescit, sed tantum per eum non quantum voluit, sed quantum a Creatore concessum est, peregit. 384 So Isidor von Sevilla, Sententiae 3,5,5 (unten Anm. 398). 385 Florus von Lyon, Liber adversus Ioannis Scoti Erigenae erroneas definitiones 3, Sp. 123 AB: Ubi, etiamsi diabolus et caeteri angeli maligni aliquid agunt, ministri sunt divinae ultionis atque vindictae, non iudices vel auctores. 386 So Arnold von St. Emmeram, De miraculis et memoria beati Emmerammi 2 (Dialogus), Sp. 1079 D: Diabolus omnino potestatem non habet nocendi et fatigandi te, nisi permissus a Deo. Deus autem nunquam ista fieri permitteret, nisi te humiliare vellet. 387 Hrabanus Maurus, Liber de sacris ordinibus 19, Sp. 1189 BC: ›Et ne nos inducas in tentationem‹; hoc est, ne intremus in illam tentationem, in qua diabolus nos tentat, et ei non consentiamus, sed Dominus ipse nos defendat, ne inducamur in tentationem diabolicam; quod si nos Deus dimittit, statim introducimur in laqueum diaboli; et ideo postulamus, ut ipse nos liberet a malo, hoc est ab omni impugnatione diaboli. 388 Baschet, Diable S. 271. 389 So Otloh von St. Emmeram, Libellus de suis tentationibus 1, Sp. 38 B: Diabolo enim iusto Dei iudicio fatigare te ad tempus permittitur; sed sollicitudo tua nisibus omnimodis hoc debet perpendere, ne ille delusione sua te valeat subvertere. 390 Petrus Abaelardus, Expositio orationis dominicae. Petitio sexta, Sp. 617 AB: Tria autem sunt, quae nos tentant, caro, mundus, diabolus. Caro nos tentat per gulam et luxuriam, mundus per prospera et adversa: per prospera ut decipiat, per adversa ut frangat. Diabolus omnibus modis nos aggreditur et ad omnem nequitiam nos perducere conatur.

7. Das Wirken des Teufels 1: Versuchung und Sünde

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Die teuflischen Versuchungen wären danach die schlimmsten. Nach dem Jüngsten Gericht hat der Teufel hingegen keine Macht mehr, die Menschen zu versuchen.391

c.

Die Versuchungen nach Isidor von Sevilla

Isidor von Sevilla fügt seinen ›Sententiae‹ ein ganzes Kapitel »Über die Versuchungen des Teufels« ein,392 das zeitlich zwar am Anfang der Beschäftigung mit diesem Thema steht, hier aber hintangestellt werden soll, weil es die bereits dargelegten Vorstellungen über die teuflischen Versuchungen (schon früh) noch einmal bündig zusammenstellt. Dabei geht es Isidor weniger um die Vielzahl verschiedenartiger Versuchungen als vielmehr um die Wirkung und Struktur der Versuchungen, die andauernd drohen: »Mit vielen Versuchungen, die zum Unheil führen, wird der Geist des Gerechten in diesem Leben geschlagen; deshalb wünscht er sich, ganz aus dieser Welt entrissen zu werden, um frei zu sein von Mühsal und dort feste Sicherheit zu finden.«393

Ständig versuchen die bösen Geister, das, was der Mensch rein halten will, zu beschmutzen.394 Solche Versuchungen sind teils körperlich, teils, was noch schlimmer ist, geistiger Art. Ersteren kann man je nach Ort und Zeit entgehen, letzteren aber nie und nirgends.395 Da der Teufel die Erwählten, wie wir schon wissen, aber nicht mehr zu versuchen vermag, als es ihm Gottes Wille erlaubt, dienen solche Versuchungen nämlich zugleich dem Erfolg der Heiligen, denn dieselben Versuchungen gereichen, ganz entgegen dem Wunsch des Teufels, denen, die er nicht zu täuschen vermag und die ihm durch ihre Tugenden widerstehen, zum Heil.396 Die Heiligen wissen sich nämlich vor Verunreinigungen 391 Vgl. Glossa ordinaria. Commentaria in Apocalypsin 17, v. 16, Migne PL 114, Sp. 741 B: Diabolus habet potestatem faciendi signa ad decipiendum, hanc perdet completo numero bonorum, quia postea tentatio non habebit locum. 392 Isidor von Sevilla, Sententiae 3,5, S. 204ff. Das wird im 9. Jahrhundert nahezu wörtlich von Smaragd von Saint-Mihiel, Diadema monachorum 33, Sp. 627f., zur Warnung der Mönche aufgegriffen. 393 Isidor von Sevilla, Sententiae 3,5,1, S. 204: Multis calamitatum temptationibus mens iusti in hac uita pulsatur ; unde et optat ab hoc saeculo funditus euelli, quo et aerumnas careat et fixam illuc securitatem inueniat. 394 Ebd. 3,5,21, S. 209: Maligni spiritus hoc, quod intra nos mundari cupimus, sine intermissione temptant iterum sordidare. 395 Ebd. 3,5,2, S. 204: Inter eas poenas, quas iustus in corpore patitur, atque eas, quas mente per fraudem diaboli tolerat, multum interest. Nam grauius fert, quas interius luget, quam eas, quas exterius sustinet. Has enim et loco euitat et tempore; illas nec loco potest euitare nec tempore. 396 Ebd. 3,5,3f., S. 204: Non amplius temptat electos diabolus, quam Dei uoluntas permittit. Temptando autem sanctorum profectibus seruit. Etsi nolens, utilitati tamen sanctorum

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

zu schützen, sich dem Weltlichen zu entziehen und daraus heilige Werke zu schöpfen.397 Zwar kann der Teufel den Menschen ohne Gottes Zustimmung nicht schaden; dennoch gehen solche Versuchungen nicht von Gott aus, denn sie und der Wille des Teufels sind ungerecht, während die ihm von Gott zugestandenen Versuchungen gerecht sind.398 So spiegelt sich die Ungerechtigkeit des Teufels und die Gerechtigkeit Gottes in ein und demselben Ereignis wider. Der Teufel, so lehrt auch Isidor, ruft zum Laster auf; er ist dessen Erreger oder Auslöser (incentor), aber nicht dessen Anstifter bzw. nicht derjenige, der dem Menschen das eingibt und auf ihn einwirkt (immissor),399 wenngleich der Unterschied zwischen beiden Begriffen nicht sehr deutlich wird: Der Teufel, will Isidor wieder sagen, stachelt uns zum Laster an, das selbst aber bereits im Menschen vorhanden ist und nicht erst vom Teufel in ihn hineingetragen wird. Insofern bleibt der Mensch selbst verantwortlich: »Denn nirgends entzündet (der Teufel) die Glut der Begierde, wenn er nicht vorher schon den Reiz böser Gedanken erblickt hat, und er zieht zweifellos verwirrt wieder ab, wenn wir sie verwerfen.«400

Die Erwählten aber täuscht der Teufel, indem er sich als Engel ausgibt. Die Heiligen müssen daher lernen, zwischen Engeln und Teufel zu unterscheiden und die falschen Lehren des Teufels zu erkennen, um nicht von ihm getäuscht zu werden.401 Viele aber werden vom Teufel verführt und merken es gar nicht, weil

397 398

399 400 401

seruit diabolus, quando eos temptationibus suis non decipit, sed potius erudit. Nam temptationes, quas ille ad humanum interitum mouet, interdum Christus ad exercitium uirtutum salubri utilitate conuertit. Ebd. 3,5,21, S. 209: Sancti autem praesago spiritu eorum insidias praecognoscunt, et quicquid in semetipsis terrenum sentiunt, indesinenter operibus sanctis exhauriunt, ut de intimis puri inueniantur. Ebd. 3,5,5f., S. 204f.: Insidiae diaboli atque astutiae, quamuis huc atque illuc, ›quaerentes quem deuorent‹ (1. Petr 5,8), diffundantur, a potestate tamen diuina non egrediuntur, ne tantum noceant, quantum malitiose contendunt. Nam quando sanctorum uirtus tanta tolerare potuisset, si superna dispensatio pio moderamine nequitiam daemonum non frenaret? Et licet diabolus temptationem iustorum semper inferre cupiat, tamen, si a Deo potestatem non accepit, nullatenus adipiscere potest, quod appetit. Vnde et omnis uoluntas diaboli iniusta est, et tamen, permittente Deo, omnis potestas iusta. Ex se enim temptare quoslibet iniuste appetit, sed eos, qui temptandi sunt et prout temptandi sunt, nonnisi temptari Deus iuste permittit. Ebd. 3,5,7, S. 205: Diabolus non est inmissor, sed incentor potius uitiorum. Ebd.: Neque enim alibi concupiscentiae fomenta succendit, nisi ubi prius prauae cogitationis delectationes aspexerit; quas si a nobis spernimus, sine dubio ille confusus abscedit. Ebd. 3,5,9f., S. 206f.: Saepe fraus Satanae sanctorum cordibus aperitur, quando, per speciem boni angelum se simulans lucis, dum nititur electos decipere, detegitur atque contemnitur. Sic et uerba fallacis doctrinae sanctos suos Deus facit intellegere, quatenus diabolicum errorem interius cognoscant ac sollicite caueant. Discretio sanctorum tanta esse debet, ut inter bonum et malum praediti ratione diiudicent, ne eos diabolus per speciem boni fallat. […] Tunc enim bene de se iudicant sancti, quando eos Deus fallacia daemonum temptamenta facit intellegi.

7. Das Wirken des Teufels 1: Versuchung und Sünde

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»die Herzen der Achtlosen nicht verstehen«.402 So ist sein Schrecken bei den Fleischlichen groß, in den Augen der Erwählten hingegen gering. Von den Ungläubigen wird er gefürchtet wie ein Löwe, von den Glaubensstarken aber wie ein Wurm verachtet.403 Isidor geht es eben um diesen Widerstand, nicht um die Versuchungen selbst: Wer den Einflüsterungen der schlüpfrigen Schlange nicht von Beginn an widersteht, dem gleiten sie in das Innere seines Herzens hinein, ohne daß er es merkt. Wer ihnen aber widersteht, wird nicht in seine Fallen tappen.404 Anfangs sind die Versuchungen noch schwach, werden durch die Gewohnheit jedoch immer stärker, so daß es immer schwieriger und schließlich fast unmöglich wird, ihn zu besiegen.405 Besonders gern sucht der Teufel die Menschen am Ende ihres Lebens heim (wenn die Zeit zur Sühne dahinschmilzt).406 Da der Teufel die Heiligen nicht besitzt, muss er sie, die er nicht von innen beherrscht, von außen bekämpfen,407 und Beispiele in den folgenden Abschnitten werden noch zeigen, daß die mittelalterlichen Autoren das, auch ohne es zu reflektieren, verinnerlicht haben. Ein solcher, äußerlicher Kampf ist für Isidor jedoch gleichsam nur der Ausweg (oder die Rache für den Mißerfolg); Ziel des Teufels ist es vielmehr, das Innere des Menschen zu beherrschen. »So wütet der Teufel gegenüber demjenigen, den er besitzt, um so heftiger, wenn er erkennt, daß die himmlische Tugend aus ihm vertrieben wird; und der unreine Geist rupft den Jungen, in dem er wohnt, um so stärker, wenn er von ihm gezwungen wird, Christi Reich zu verlassen.«408 402 Ebd. 3,5,11, S. 207: Multi decipiuntur a diabolo et ignorant se esse deceptos, Oseae prophetae testimonio declarante: ›Comederunt, inquit, alieni robur eius et ipse ignorauit (Osea 7,9). Alieni namque maligni spiritus significantur, qui uirtutes mentis comedunt; sed hoc corda neglegentium non intellegunt. 403 Ebd. 3,5,13, S. 207: In oculis carnalium diabolus terribilis est, in oculis electorum terror eius uilis est. Ab incredulis ut leo timetur ; a fortibus in fide ut uermis contemnitur, atque ad momentum ostensus repellitur. 404 Ebd. 3,5,14, S. 207f.: Qui suggestiones diaboli non recipit, in eius insidias minime transit. Nam facile in consequenti opere repellitur, si prima oblectamenta illius respuantur. Diabolus enim serpens est lubricus, cuius si capiti, id est primae suggestioni non resistitur, totus in interna cordis, dum non sentitur, inlabitur. 405 Ebd. 3,5,15, S. 208: Temptationum diabolicarum initia fragilia sunt, quae, si non caueantur, sed per usum in consuetudinem transeant, in nouissimis fortiter conualescunt, ita ut aut nunquam aut cum difficultate uincantur. 406 Ebd. 3,5,16, S. 208: Dum in tota uita diabolus praeuaricare hominem cupiat, amplius tamen in finem molitur decipere. 407 Ebd. 3,5,18, S. 209: Diabolus sanctos omnes non tenendo possidet, sed temptando persequitur. Nam quia non in eis intrinsecus regnat, contra eos extrinsecus pugnat. Et qui interius amisit dominium, exterius commouet bellum. 408 Ebd. 3,5,19, S. 209: Tunc contra eum, quem possidet, diabolus acrius saeuit, quando se uirtute diuina ab eo expellendum cognoscit. Vnde inmundus spiritus tunc decerpit grauius puerum, in quo habitabat, quando ad Christi imperium exire ab eo coactus est.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Am meisten vermag der Teufel bei den Menschen, die ihm ihrerseits gegenüber anderen von Nutzen sind.409 Die Versuchungen selbst aber sind nicht anders als jene, mit denen der Teufel bereits die ersten Menschen im Paradies erfolgreich getäuscht hatte: Er schmeichelt sich ein, prüft und verschlingt die Gesinnung der Verworfenen durch vorgegaukelte Laster, täuscht bald, indem er Versprechungen macht, verlockt, indem er Vergängliches als notwendig hinstellt oder selbst die Höllenstrafen als harmlos und vorübergehend schildert und so die Herzen der Elenden zu Begierde und Ausschweifungen hinschmelzen lässt und mit sich in die Hölle führt.410 So sät er den Stoff für Machenschaften und gießt schlechte Gedanken in die Herzen der Menschen, deren Geist er auf diese Weise oft und überall so in Besitz nimmt und listig in die Enge treibt, daß man sich ihnen kaum mehr gefahrlos entziehen kann: Wenn man beispielsweise schwört, etwas Schlimmes zu tun, und das ausführt, dann ist das Sünde; tut man es aber nicht, macht man sich eines Meineides schuldig. In solchen Fällen, meint Isidor, sei das kleinere Übel zu wählen.411 Wenn der Teufel aber jemanden verführen will, dann richtet er seine Aufmerksamkeit zuerst auf dessen Wesen, erkundet die Schwächen jedes einzelnen Menschen und wendet dann die Mittel an, die danach am meisten geeignet sind, zur Sünde zu verführen.412 Überall bereitet er auf immer neue Arten Listen, um auf immer neuen Wegen die Unachtsamen zu täuschen.413 Schon Isidor deutet an, daß der Teufel dabei in Gestalt anderer Menschen auftritt (bzw. daß biblische, historische oder auch zeitgenössische Gestalten tatsächlich der Teufel sind): »Lies nach über Baal, der als Figur des Teufels gegen das Gottesvolk verderblich befahl, Schlingen zu legen, mit denen er, wie er wußte, sie leichter

409 Ebd. 3,5,20, S. 209: Plus contra eos diabolum diuersis temptationibus insistere, qui possint et aliis sua utilitate prodesse, ut dum illi inpediuntur, non proficiant, qui docendi sunt. 410 Ebd. 3,5,22, S. 210: Eodem blandimento decipiuntur nunc per diabolum homines, quo protoplausti in paradiso sunt decepti. Multis enim uitiorum praestigiis mentes reproborum pertemptando deglutit. Nunc enim promissis decipit; nunc rebus transitoriis quasi necessariis inlicit; nunc etiam ipsa inferni supplicia quasi leuia et transitoria suggerit, quatenus miserorum corda in cupiditatem lasciuiamque dissoluat secumque ad tartara ducat. 411 Ebd. 3,5,23, S. 210: Argumenta machinationum malarumque cogitationum semina, quae in cordibus hominum diabolus fundit, ita saepe undique captam inplicant mentem, ut ex qua parte euadere quisque temptauerit, sine periculo exire non possit, ueluti si iures hoc facere, quod si feceris, pecces, si non feceris, reus periurii sis. In tanto ergo mali discrimine, ut euadendi aditus pateat, minora potius eligenda sunt, ut maiora uitentur. 412 Ebd, 3,5,24, S. 210: Diabolus quando decipere quemquam quaerit, prius naturam uniuscuiusque intendit, et inde se adplicat, unde aptum hominem ad peccandum inspexerit. 413 Ebd. 3,5,28, S. 212: Vndique enim dolos praeparat, quousque inueniat uiam, per quam incautum decipiat.

7. Das Wirken des Teufels 1: Versuchung und Sünde

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fangen konnte.«414 Dabei ist jedoch zu unterscheiden, ob der Teufel in den Geist eines Menschen eintritt oder ob er ihn regelrecht »bewohnt«. Im ersten Fall suggeriert er Böses, führt das aber nicht in seinem Körper aus und wird durch die Glaubensglut vertrieben; im zweiten Fall sind die Einflüsterungen regelrecht sein Tempel.415 Wer vom gierigen Mund des Teufels verschlungen wird, kann dank Gottes Barmherzigkeit jedoch wieder gerettet werden, indem der Teufel aus dem Mund des Menschen wieder ausfährt; wer durch teuflische Eingebung im Schlund der Ausschweifungen versinkt, kann dank göttlicher Kraft durch Buße daraus wieder herausgezogen werden.416 Dabei sind die guten Menschen des Teufels Vorzugsspeise, die »Erwählten« des Teufels aber vor Gott Heu.417 »Verspeist« ist man allerdings erst dann, wenn man ein Verbrechen bereits vollendet begangen hat.418 Mit seinem Mund, nämlich seinen Worten gibt der Teufel den Menschen heimlich Einflüsterungen ein und brennt ihren Herzen heimlich Begierden ein.419 Niemals ruht er gegenüber einem gerechten Menschen; entweder verursacht er ihm Herzensnöte oder körperliche Schmerzen,420 und er quält seinen Geist und treibt ihn bis zur Verzweiflung in die Enge.421 Die Dämonen können einen unverbesserlich ungerechten Menschen dabei körperlich, aber nicht zwangsläufig auch geistlich in ihrer Gewalt halten und quälen, da jener sich in solcher Bedrängnis immer noch erniedrigen, bereuen und dadurch gerettet werden kann.422 Denn was auf Antrieb unreiner Geister geschieht, er414 Ebd. 3,5,25, S. 211: Lege Balaam, qui in figura diaboli contra populum Dei ex ea parte praecepit perniciosus praetendere laqueos, ex qua sentit eos facilius esse lapsuros. 415 Ebd. 3,5,29, S. 212: Aliud est intrare in mentem cuiquam diabolum, aliud uero inhabitare. Nam et in cordibus sanctorum ingreditur, dum malas suggestiones insinuat; sed non habitat in eis, quia in suo corpore non eos transducit. Qui uero in corpore eius sunt, ipsos inhabitat, quia ipsi sunt templum eius. Et si subripiat mentibus electorum diabolus, non autem in eis requiescit, sicut in cordibus reproborum; nam calore fidei mox excitatur, ut exeat ab electis. 416 Ebd. 3,5,30, S. 212f.: Nonnulli, quos iam auido ore diabolus deuorauerat, rursus diuini iudicii occulta miseratione ab eius ore eripiuntur et saluti restituuntur. Nam saepe multos, quos antiquus hostis luxuriae uoragine mersos tenuit, potentia diuina per paenitentiam ab eius faucibus traxit. 417 Ebd. 3,5,31, S. 213: Quomodo bonorum interitum propheta electam dicit esse diaboli escam, dum alibi scriptum sit de illo: ›Fenum sicut bos comedet‹ (Iob 40,10), nisi quod in oculis Dei fenum sunt, qui electus cibus secundum homines esse uidentur? Ac per hoc, qui de bonorum numero pereunt, apud homines electi, apud Deum fenum existunt. 418 Ebd. 3,5,32, S. 213: Eum diabolus iam deglutisse dicitur, quem iam perfecto scelere deuorasse uidetur. Eum uero, quem non deglutiuit operis perfectione, sed temptationum inlecebris mordet, ut deuoret, adhuc quasi in maxillam mandit. 419 Ebd. 3,5,33, S. 213: Os diaboli uerba eius sunt. Verba uero eius inspirationes occultae sunt, quibus corda hominum adloquens occultis urit cupiditatibus. 420 Ebd. 3,5,35, S. 214: Numquam uacat diabolus aduersus hominem iustum. Aut enim tribulationes cordis illi exaggerat aut dolores corporis suscitat. 421 Ebd. 3,5,36, S. 214: Saepe iusti mentem uariis uexationum doloribus uis daemonum cruciat, unde interdum usque ad desperationis angustiam coarctatur. 422 Ebd. 3,5,34, S. 213f.: Quidam ob incorreptibilem iniquitatem, quia sponte non corriguntur,

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

folgt, wie Isidor noch einmal betont, doch stets mit Gottes Erlaubnis.423 Manche Menschen werden den Dämonen nämlich zu ihrem Verderben, andere aber zu ihrer Läuterung überantwortet.424 Denn wer dem Teufel widersteht, dem gereicht das zum Verdienst.425 Was Dämonen an Unglück provozieren, kann dem Seelenheil des Gerechten daher nicht schaden: Was ohne Wunsch oder Begierde geschieht, wird Gnade finden.426 Gott aber erlaubt dem Teufel, die sündige Seele aus dem Körper an sich zu ziehen, wie es (in einem konkreten Fall) in der Visio Baronti heißt.427 Isidors Kurztraktat, der um seiner Geschlossenheit willen hier mehr oder weniger vollständig vorgestellt wurde, legt die wesentlichen Grundlagen vom teuflischen Wirken offen: die dauernde Gefahr, die von ihm ausgeht, und die ständige Bedrängung von innen und außen, körperlich und geistig, die immer neuen Täuschungen, die er sich aussinnt und bei denen er sich der von ihm beherrschten Menschen als Werkzeuge bedient, aber auch die Grenzen seines Wirkens, die nicht zuletzt in den Schranken liegen, die Gott ihm setzt. Mehr noch: Das Wirken des Teufels ist Teil der Heilsgeschichte, denn die Versuchungen dienen ja gerade dazu, Erwählte und Verworfene zu erkennen und zu trennen. Darauf ist noch zurückzukommen. Vorab sei das Wirken des Teufels noch etwas genauer betrachtet.

d.

Verführung zum Laster

Wichtigstes Mittel der Verführung ist das Laster. Alle Laster und Irrtümer der Menschen gehören zum Reich des Teufels, meint schon Augustin.428 Der Teufel verführt zum Reichtum, zum Genuß und zum Laster, mahnt Hildegard von

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427 428

inmundis spiritibus uexandi traduntur, ut arripiendi eos daemones corporaliter habeant potestatem, terroribusque eorum afflicti humilientur, paeniteant et saluentur. Ebd. 3,5,36, S. 214f.: Nam siue in animo seu in corpore, per instinctum inmundorum spirituum quaelibet aduersa iustus patiatur, ex Dei utique permissu id patitur. Ebd. 3,5,34, S. 214: Quidam autem potestati daemonum ad emendationem deputantur ; quidam uero despecti ad solam perditionem traduntur. Ebd. 3,5,36, S. 214: Permanenti autem in Dei amore animae et ipsa talis angustia ad meritum proficit. Ebd. 3,5,37, S. 215: Multa iustus aduersa in anima patitur instigatione daemonum, sed talibus temptamentis perire uitae aeternae non potest, quia pius Dominus ad damnationem culpae non reputat, quod de suae maiestatis permissu nolens qui patitur portat. Nam ibi peccamus, ubi cupiditate uel uoluntate deflectimus; ubi uero uiolenter addicimur, etsi facinus aut flagitium non est, miseria tamen pro flagitio et facinore est. Visio Baronti monachi Longoretensis 20, S. 393: Hoc et sanctus Gregorius confirmat, quia animam peccatricem ideo Dominus diabolum a corpore trahere permittit, ut cumpulsa discat, cui se sponte in praesenti vita tradidit in culpa. Augustinus, Sermo 71,4, S. 68: omnia uitia erroresque mortalium inter se contrarii, diuisi sunt aduersum se, et omnes ad regnum pertinent diaboli.

7. Das Wirken des Teufels 1: Versuchung und Sünde

261

Bingen.429 Wie alles Böse vom Teufel kommt, so eben auch das Laster, da es böse ist. (Es hatte ja durch seinen Hochmut den guten zum bösen Engel gemacht. Das Böse aber wurde – wiederum – nicht vom Teufel geschaffen, sondern aufgefunden.430) Im gleichen Zwiespalt, wie schon oben zum Verhältnis des Teufels zum Bösen festgestellt, schreibt Isidor dagegen: »Der Teufel ist nicht (einfach) der Anstifter, sondern der Auslöser (oder Erreger) der Laster.«431 Wie Christus das Haupt aller Erwählten und aller Tugenden ist und alle Erwählten und alle Tugenden seinen Körper bilden, ergänzt Haymo von Auxerre, so ist der Teufel das Haupt aller Verworfenen und aller Laster, die alle seinen Körper bilden. Nach Origenes könne der Körper der Sünde nämlich als Gesamtheit aller Laster bezeichnet werden, die zusammen eben den Körper der Sünde bilden; die einzelnen Laster aber sind dessen Glieder.432 Der Teufel greift das Menschengeschlecht durch die sieben Hauptlaster an, meint Hrabanus Maurus, die folglich als Teufelswerk gelten, denen nicht unangemessen aber sieben Kardinaltugenden gegenüberstehen, die zum Heil führen.433 Dabei herrschen nach Isidor von Sevilla Hochmut des Geistes und Genußsucht des Körpers vor: Während sich der Geist zum Hochmut aufrichtet, verdirbt die Genußsucht den Leib.434 Nach Rupert von Deutz wiederum hat der Teufel, nun ganz auf das Leibliche konzentriert, zwei Töchter, die Genußsucht und die Habgier, die beide vollkommen unersättlich sind und ständig schreien: »Gib es mir, gib es mir.«435 Ständig stacheln die Dämonen den Menschen zu dem

429 Vgl. Hildegard von Bingen, Scivias 2,7,4, CCM 43, S. 312. 430 So Taio von Zaragossa, Sententiae 1,15, Sp. 748 C: Non ergo alicubi, aut aliquando erat malum, unde fieret diabolus malus, sed quia vitium est malum, dum esset angelus bonus, superbiendo effectus est malus. Ideoque recte dicitur ab eo inventum malum; malum igitur a diabolo non est creatum, sed inventum; et ideo malum nihil est, quia nullius substantiae est: nam sine Deo factum est nihil, Deus autem malum non fecit. 431 Isidor von Sevilla, Sententiae 3,5,7, S. 205 (oben Anm. 399). 432 Haymo von Auxerre, Expositio in divi Pauli epistolas. In epistolam ad Romanos 6, Sp. 413f.: Sicut Christus caput est omnium electorum et omnium virtutum, omnesque electi et omnes virtutes sunt corpus eius, ita diabolus caput est omnium reproborum omniumque vitiorum omnesque reprobi et omnia vitia corpus illius sunt; […] aliter secundum Origenem corpus peccati potest appellari universitas vitiorum, quae faciunt unum corpus quodammodo peccati; singula autem vitia membra sunt universitatis. 433 So Hrabanus Maurus, Liber de sacris ordinibus 12, Sp. 1173 A: Septem itaque principalia vitia, quibus diabolus genus humanum infestat, non incongrue opera Satanae dicere possumus; quibus opponuntur septem principales virtutes, quae opera sunt procul dubio salutaria. Zur Wirkung der Tugenden und Laster vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 250–261. 434 Isidor von Sevilla, Sententiae 2,39,5, S. 171: Principaliter his duobus uitiis humano generi dominatur, id est per superbiam mentis et luxuriam carnis. […] Per haec enim duo uitia diabolus humanum possidet genus, uel dum mentem in superbiam erigit, uel dum per luxuriam carnem corrumpit. 435 Rupert von Deutz, Commentarius in librum Ecclesiastes 2, Sp. 1233 BC: Sanguis enim suga

262

Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Laster an, dem sie jeweils vorstehen. Wird einer der Dämonen aber vom Menschen besiegt, dann wird er von dem Schutzengel in die tiefste Hölle gestürzt, glaubt Honorius und bringt die Vorstellung von Schutzengeln damit in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Wirken (und Versagen) des Teufels.436 Der Mensch ist nach Haymo mit der Taufe nämlich dazu aufgerufen, alle Laster (und damit den Körper des Teufels) zu zerstören, damit wir nicht länger dem Teufel dienen.437 Radulfus Ardens ruft die Brüder auf, sich zu versammeln, um die »diabolischen Menschen« zu zerstreuen. Wie Gott die Menschen nämlich in der Tugend des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe sammelt und schließlich in der Einheit der Gottesschau und des Friedens zusammenführen wird, so zerstreut der Teufel die Menschen durch die Irrtümer des Götzenkultes, des Mißtrauens, des Hasses, der Zwietracht und der Belästigungen.438

e.

Ständiger Kampf

Der Teufel verfolgt die Menschen von Beginn an bis jetzt, um, so Orosius (an einer der wenigen Stellen, an denen er in seinem gegen die Heiden gerichteten Werk überhaupt den Teufel bemüht), ihre schwankenden Herzen vom wahren Glauben abzubringen und die Nebel der Irrtümer hineinzugießen. Hatte er früher die Christen von außen bedroht, so sucht er sie jetzt von innen heim: Nachdem nämlich die römischen Kaiser, die zuvor Christen verfolgt hatten, selbst christlich geworden waren, hatte er sich neue Wege gesucht, um jetzt (mit Bezug auf die häretischen römischen Kaiser) die Kirche durch christliche Kaiser zu quälen.439 Daher ist immer und überall mit ihm zu rechnen: »Du sollst sicher

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diabolus est habens duas filias, luxuriam et avaritiam, quae assidue dicunt ›Affer, affer‹, quia utraeque inexplebiles sunt et insatiabiles. Honorius Augustodunensis, Elucidarium 2,92, S. 439: Unicuique vitio praesunt daemones. […] Si quis tamen illorum ab aliquo iustorum pugnans vincitur, mox ab angelo custode eius in abyssum retruditur. Haymo von Auxerre, Expositio in divi Pauli epistolas. In epistolam ad Romanos 6, Sp. 414 A: et ad hoc delata est vita et conversatio veteris hominis Adae semel in baptismo, ut destruatur universitas vitiorum, quae est corpus diaboli, ut ultra non serviamus diabolo. Radulfus Ardens, Homiliae (de tempore) 4, Sp. 1314 B: Est autem, fratres mei, congregare, Dei et divinorum hominum, sicut dispergere est diaboli et diabolicorum hominum. Unde Dominus: ›Qui non colligit, inquit, mecum, dispergit‹ (Mt 11,23). Deus colligit homines in virtutem fidei, spei et charitatis et ad ultimum in unionem divinae visionis et pacis. Et econtra diabolus dispergit homines per errores idololatriae, diffidentiarum, odiorum, discordiarum et inquietudinum. Orosius, Historiae adversum paganos 7,29,2, Bd. 3, S. 79f.: Interea maligna semper aduersus Deum uerum diaboli insectatio, quae ab initio mundi usque ad nunc a sincero fidei religionisque tramite offusis errorum nebulis lubrica hominum corda perturbat, postquam Christianis imperatoribus summam regiae potestatis in meliora uertentibus Ecclesiam

7. Das Wirken des Teufels 1: Versuchung und Sünde

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wissen,« so warnt der heilige Hugbert von Utrecht seine Schüler, die der Teufel in der Nacht heimgesucht hatte, »daß jener Versucher, der alte Feind, der Teufel, der nicht aufhört, den Menschen zu verfolgen, sich hier in diesem Haus aufhält.« Gleichwohl kann man sich vor ihm schützen, und so antwortet einer der Schüler : »Herr Vater und guter Hirte, weshalb sagst du das, wo er doch dort, wo du bist, keinerlei Macht und Mut hat; sind wir alle daher nicht durch dich gerettet und der Verfolgung des Teufels entrissen?«440 Der Teufel aber hört nie auf, die Gerechten zu versuchen.441 Mit seinem Wirken führt der Teufel nach der ›Glossa ordinaria‹ einen Kampf gegen die Kirche442 und wird, so Hugo von St. Viktor, zum Feind der Kirche, der die Gläubigen in ständigem Haß verfolgt.443 Er ist »unser Feind«, der uns gegenüber fröhlich gestimmt ist, wenn diejenigen, die uns von außen anhängen, ihm dazu Gelegenheit bieten;444 er ist der Feind des Menschen445 und des ganzen Menschengeschlechts,446 der Feind des christlichen Namens,447 der Feind der von Gott Erwählten, die er ständig bekämpft,448 der »alte Feind« schlechthin, »der Hammer der ganzen Erde«.449 Seine Waffe ist die List – astutia diaboli ist eine häufige Wendung450 –; er kämpft nicht, sondern stellt dem Menschen hinterlistige Fallen; insidiae diaboli ist ebenfalls eine beliebte Wendung. Der Teufel

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Christi zelo idolatriae persequi destitit, aliud machinamentum, quo per eosdem Christianos imperatores Christi Ecclesiam uexaret, inuenit. Vita Hugberti episcopi Traiectensis 13, S. 490f.: Ob hoc mandavi tibi, ut tu scias certe, quia hic est in ista domo temptator ille antiquus hostis diabolus, qui non cessat hominem persequi.‹ At ille dixit: ›Domine pater et pastor bone, cur ista dicis, quia nullam habet potestatem nec virtutem, ubi tu es, unde nos omnes per te salvati sumus et erepti a diaboli persecutione?‹ So Isidor von Sevilla, Sententiae 3,5,35, S. 214 (oben Anm. 420). Glossa ordinaria. Liber secundus Samuelis (Secundus Regum) 10,4, Migne PL 113, Sp. 570 D: Significant haec bellum diaboli contra Ecclesiam. Hugo von St. Viktor, Adnotatiunculae elucidatoriae in threnos Ieremiae, Sp. 304 CD: Singularis inimicus Ecclesiae diabolus est, qui perpetuo odio fideles insectatur. Ebd. Sp. 305 C: Singularis inimicus noster diabolus est, qui contra nos laetificatur, quando in iis, quae foris nobis adhaerent, potestas ei conceditur. So Hrabanus Maurus, Commentarii in Ezechielem 12,32, Sp. 822 A: Inimicus autem homo diabolus est (nach Hieronymus, Commentarii in Ezechielem 10,32, S. 450). Vgl. Vita Sigiramni abbatis Longoretensis 21, S. 618: tunc inimicus umani generis diabolus, eius felicibus invidens actibus, inmisit in corde cuiusdam pueri […], ut hunc Dei electum suis argumentacionum decipulis insultaret. Vgl. Vitae patrum Iurensium Romani, Lupicini, Eugendi. I. Vita s. Romani abbatis 10, S. 136: Dum hec admirabili conversatione geruntur, inimicus nominis christiani diabolus indigne ferens, multorum vitam copiosa cotidie abrenuntiatione succrescere […]. So Hildegard von Bingen, Scivias 3,9,2, CCM 43 A, S. 519: Aedificemus turres et confirmemus eas coelestibus propugnaculis, quoniam diabolus aduersarius et repugnator est electorum Dei. So Hrabanus Maurus, De rerum naturis 4,1, Sp. 83 D: [Pilatus] significat diabolum, qui est malleus universae terrae (nach Cassiodor, Expositio psalmorum. Ps. 97,6, S. 879: Malleus enim est diabolus, de quo propheta dicit: ›contritus est malleus uniuersae terrae‹ [Ier 50,23]). Vgl. etwa Bonifatius, ep. 17, S. 30 (in einem Brief Papst Gregors II.).

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»fesselt« die Menschen, die er erobert hat, an sich – und so begegnet auch laquei diaboli im Mittelalter, wie schon bei Paulus (1. Tim 3,7; 2. Tim 2,26), ausgesprochen häufig – und verhindert damit, daß sie die Gottesleiter hinaufsteigen.451 Plastisch dargestellt ist das in Herrad von Landsbergs ›Hortus deliciarum‹, wenn hier zwei wolfsartig aussehende Dämonen die Menschen auf der Himmelsleiter regelrecht mit Pfeil und Bogen abschießen, so daß sie gleich reihenweise auf die Erde zurückpurzeln.452

f.

Konkretisierungen teuflischen Handelns

In mittelalterlicher Vorstellung konnte sich das Wirken des Teufels, bei aller Subtilität, in bestimmten Situationen und Vorgängen konkretisieren und oft in recht handgreiflichen Eingriffen äußern.453 Die folgenden Beispiele erheben weder den Anspruch, eine Systematik des Gesamtwirkens zu erstellen, noch wollen sie die verschiedenen Wirkungsarten des Teufels quantitativ hierarchisieren, sondern lediglich die Vielfalt dieses Wirkens vorführen und verdeutlichen, was die Autoren alles dem Teufel zuschreiben. Dabei ging es durchaus nicht immer um das Seelenheil. Einen Bauern einer Kirche in Südfrankreich hielt der Teufel durch Fragen einfach nur von der Arbeit ab, geriet aber in Wut, als er den Namen Norbert hörte.454 Wenn der Teufel in einer der Erzählungen Notkers von St. Gallen einen habgierigen Bischof seines Weines beraubte,455 dann ist hier nicht nur das Seelenheil (das hätte der Bischof aufgrund seiner Habgier ohne Umkehr ohnehin bereits verloren), sondern sind auch die irdischen Güter von den dämonischen Kräften bedroht. Wenn der Teufel in Gestalt eines Maultiers einen habgierigen Bischof in einen Fluß mitriß, dann trachtete er dem Menschen hier sogar nach dem Leben.456 Woher aber wußte Notker, daß in dem Maultier der Teufel steckte? Von außen betrachtet, wähnte man den Teufel offenbar bereits in einem störrischen Esel. Der Mensch mußte wachsam sein, weil ihn überall teuflische Mächte bedrohten. So verwundert es nicht, daß der Teufel auch in anderen Erzählungen sehr konkret wirken konnte. Er, der Feind der Eintracht, der neidisch auf den Frieden 451 Vgl. Aelred von Rievaulx, Sermones 24 (In nativitate sanctae Mariae), 3,25 (unten Anm. 489). Zum Motiv der Himmelsleiter vgl. oben Kapitel 1, S. 122f. mit Anm. 489, sowie Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 248ff. 452 Herrad von Landsberg, Hortus Deliciarum. Paris, BibliothHque Nationale de France, fol 459, planche 38. Abbildung bei Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Abb. III/8, bei S. 244. 453 Vgl. Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 264ff. 454 Vita Norberti 15, S. 690. 455 Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni imperatoris 1,23, S. 31f. 456 Ebd. 1,24, S. 32f.

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ist, sät Zwietracht; wie er nach dem Abendmahl Christi den Apostel Judas zu seiner verruchten Tat, dem Verrat Christi, anstachelte, so ließ er die Bürger nach Adalbolds Vita Heinrichs II., »indem er ihnen das Gift der Trunkenheit eingab«, trotz ihres Treueids gegen die königliche Majestät vorgehen.457 In einer Abendmahldarstellung (vielleicht in einem Evangelistar Heinrichs III.) springt bei der bildlichen Darstellung des Abendmahls, bei dem Christus einen der Jünger als Verräter bezeichnet, der Teufel als kleine Gestalt aus dem Mund des Judas (Abb. IV/45, S. 359).458 Der Teufel ist der Urheber von Morden: Barabbas, so legt Hrabanus Maurus diesen Namen aus, »bedeutet Sohn des Lehrers, nämlich zweifellos des Lehrers der Juden, nämlich des Teufels, des Urhebers der Morde, der bis heute in ihnen verdammt ist«.459 Er ist, schon weniger einsichtig, aber gleichermaßen Urheber von Krankheiten, wie es in der Vita des Eparchius heißt: »Denn viele, die vom Teufel mit körperlichen Gebrechen gequält wurden, wurden [von dem Heiligen] davon befreit, und sehr viele Kranke und Schwache wurden von ihrer verschiedenartigen Entkräftung geheilt, Fieberkranke mit Kaltschauern, mit viertägigem oder täglichem Fieber und mit Geschwülsten sowie mit geheimeren Krankheiten erhielten die Heilung und Gesundheit ihres Körpers zurück.«460

Manchmal wandte der Teufel regelrecht Gewalt an.461 Nach der aus dem früheren 8. Jahrhundert stammenden Vita des angelsächsischen Einsiedlers Guthlac brachen eines Nachts ganze Horden von Dämonen in die Zelle des Heiligen ein; sie fesselten ihn, zerrten ihn aus der Zelle und tauchten ihn in Sumpfgewässer, geißelten ihn mit eisernen Peitschen und zeigten ihm die Höl457 Adalbold, Vita Heinrici II imperatoris 37, S. 692: Tandem, declinante iam die, diabolus, pacis invidus, concordiae inimicus, discordiae seminator fervidus, quo post mysterium corporis et sanguinis dominici Iudas ad perpetrandum nefas infandissimum suscepto intumuit eodemque suadente in supplicium perpetuitatis crepuit – is et cives post manuum redditionem, post fidei promissionem, post sacramenti securitatem, nulla, quae in rationem digne deduci posset, laesione coactos, adversus regiam maiestatem, veneno ebrietatis immisso, commovit. 458 Abbildung: Russell, Lucifer S. 45. Danach angeblich aus dem Evangelistar (Perikopenbuch) Heinrichs III. In der Bremer, Darmstädter und Brüsseler Handschrift findet sich das Bild jedoch nicht. Die Vorlage konnte leider nicht ermittelt werden. 459 Hrabanus Maurus, De rerum naturis 4,1, Sp. 83 CD: Barabbas enim ›filius magistri‹ eorum, absque dubio Iudaeorum magister, qui est diabolus, homicidiorum auctor, qui usque hodie damnatur in eis. Nur der erste Teil entstammt Eucherius von Lyon, Instructiones 2, S. 191. 460 Vita et virtutes Eparchii reclusi Ecolismensis 17, S. 564: Nam multi, qui oppressis corporibus a diabolo vexabantur, liberati sunt, et plures infirmi et imbecilles a diversis langoribus, febricitantes typo frigoris, quartanis et cotidianis et stromatibus ac secretiores infirmitates medelam corporis receperunt ac sanitatem. Ich danke meiner Leipziger Kollegin Ortrun Riha für ihre Hilfe. 461 Vgl. Molinié, L’iconographie du diable S. 469: »Le diable et violent dans ses actes et dans sa forme.« Zu physischen Bedrohungen vgl. Roskoff, Geschichte des Teufels, Bd. 2, S. 166ff.

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lenqualen, bis sie vom heiligen Bartholomäus gezwungen wurden, den Heiligen in seine Zelle zurückzutragen.462 Im teuflischen Vorgehen offenbart sich die ganze Vielfalt seines Wirkens. Einem hessischen Mann namens Benno, der wenige Tage nach dem Tod des heiligen Haimrad dessen Grabstätte passierte, schoß er regelrecht einen Pfeil ins Herz. Daraufhin begann dieser Mensch das Leben des Heiligen zu verspotten, wurde sogleich vom Teufel besessen und dessen Beute, so daß er ihm nicht mehr mit geistlichen Waffen Widerstand leisten konnte. Erst als man ihn zum Grab des Heiligen führte und Tag und Nacht für ihn betete, wurde er an Körper und Geist geheilt.463 Den reichen Ado, der am Heiligabend betete, umringte der Teufel plötzlich mit zahllosen Dämonen und verabreichte ihm Schläge, um seine Seele zu gewinnen.464 Den Mönch Maio von Montecassino wollte er in den Tod treiben. Als der bejahrte, altersschwache Mönch am Weihnachtstag auf der Krankenstation des Klosters danieder lag und auf die Toilette (»den einsamen Ort«) gehen wollte, erschien ihm der Teufel in menschlicher Gestalt und bot ihm seine Hilfe an: »Ich weiß, wohin du gehst, doch da du bereits von Alterschwäche matt bist, wirst Du ohne Stütze mitten in der dunklen Nacht keineswegs dorthin gelangen können; folge mir deshalb; ich werde deinen Weg geleiten.«

Da der Mönch ihn für einen Menschen hielt, folgte er ihm und wurde an ein großes Fenster mitten in der Pfalz geführt, wo der Teufel ihn eigenhändig in den Tod stürzte. Erst nach langem Suchen fand man den Toten, der nämlich einem anderen Mönch im Traum offenbarte, was tatsächlich geschehen war. Doch auch diesen Mönch konnte der heilige Benedikt wenigstens vor dem ewigen Feuer retten, in das der Teufel ihn stürzen wollte.465 Von ›hinten‹ gelesen, wird der 462 Felix, Vita Guthlaci 31ff., S. 100ff. Die Stelle ist ausführlich besprochen bei Dinzelbacher, Angst im Mittelalter S. 46ff. 463 Ekkebert von Hersfeld, Vita s. Haimeradi presbiteri 24, S. 605: Quidam enim de gente Hassonum Benno nomine pretergrediebatur locum, in quo sancti confessoris Christi Heimeradi corpus requiescit, undecimo post obitum eius die. Hic, quoniam scutum fidei abiecerat, sagitta diaboli cor eius penetrante, sancto illi detrahere et vitam eius derisui cepit habere; qui statim invasus a diabolo, totus miser in predam cessit, utpote abiectis miliciae suae armis spiritualibus, quibus ei resistere debuit. Quem ilico sui ad sepulchrum viri Dei adducentes ac pro eo ieiuniis et oracionibus die noctuque insistentes, et corporis ei sanitatem et hoste pulso pristinam mentis obtinuerunt libertatem. 464 Leo, Chronica monasterii Casinensis 3,48, S. 426 (unten Anm. 481). 465 Ebd. 4,4, S. 469f.: Hoc preterea tempore quidam frater in hoc cenobio Maio dictus est; qui qualiter a diabolo interfectus qualiterque per sanctissimum patrem Benedictum ereptus sit, presens textus declarat. Hic igitur dum in domo infirmorum senio fessus maneret, in nativitate Domini ob sui corporis necessitatem ad secessus pergebat. Cui diabolus in humana effigie apparens dixit ad eum: ›Scio, quo pergis, sed quia decrepito iam senio fessus absque amminiculo tendere illuc inter noctis tenebras minime vales, sequere me; ego ero dux itineris tui.‹ Hec dum supradictus frater audisset, putans eum hominem, non diabolum esse post eum pergere cepit. Cumque ad fenestram magnam, que in medio palatii est, pervenissent, anti-

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Fenstersturz (oder eventuell sogar der Selbstmord) eines alten Mönchs hier als Teufelswerk interpretiert. Wie im Fall Rusticulas466 bediente sich der Teufel gern anderer Menschen, um sein Ziel zu erreichen (und hatte damit gegebenenfalls gleich doppelten Erfolg: bei seinem Werkzeug und dem von diesem Verführten). Der Teufel wirkt gleichsam in den von ihm besessenen Menschen. Seine Helfer sind also nicht nur die Dämonen und gefallenen Engel, sondern letztlich alle Menschen, die ihm verfallen sind. Nach der Vita des Bischofs Vivian von Saintes ließ er einen Dieb die Rinder des Bischofs stehlen.467 Nach der Gallusvita Walahfrid Strabos stimmte ein Armer aus Rottweil, der selbst nichts besaß, das er als Opfer hätte darbringen können, »dem Rat des Teufels zu«, brach in das Atrium eines Reichen ein und beraubte diesen, um das Diebesgut anschließend dem heiligen Gallus (dem Kloster St. Gallen) darbieten zu können.468 Raub wird in diesen beiden Fällen also ebenfalls auf teuflisches Wirken zurückgeführt, die fromme Schenkung des Räubers aber wird durch die unrechtmäßige Aneignung unwirksam. Eine besondere Note erhielt das Verführungsmotiv, wenn der Teufel Geistliche oder Mönche zur Unzucht verleiten wollte. Dem heiligen Gallus erschienen zwei Dämonen in Gestalt nackter, badender Frauen, »die ihre schändlichen Körper zur Schau stellten«, ihn aber auch mit Steinen bewarfen.469 Dem Mönch erschienen hier offenbar wieder nur nackte Frauengestalten am Ufer, die den Voyeur mit Steinwürfen bedachten, als teuflische Versuchung. Indem der Teufel aber in anderen Menschen wirkt, können diese mit dem Teufel

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quus hostis senem in eandem fenestram inponens eumque exinde precipitans interfecit. Fratres vero eum per totam noctem inquirentes non invenerunt. Igitur cum eum ubique quererent et non invenirent, monachus quidam ad eandem fenestram accedens eumque mortuum aspiciens fratribus, ubi iaceret, ostendit. Alio vero die idem abbas eterne iustitie reseratorem precibus pulsare fratres admonuit, ut, qualiter vel quo ordine predictus frater ex hoc mundo recessisset, pandere dignaretur. Tunc is, qui defunctus fuerat, cuidam fratri per visionem apparens, quid circa se actum fuerat, narravit adiungens, quia, postquam defunctus est, cum eum diabolus per viam carbonibus plenam duceret et illum sepissime in eodem igne volutaret, pater ilico Benedictus adveniens eumque de potestate demonum auferens suo cetui aggregavit. Oben Anm. 363. Vita Bibiani vel Viviani episcopi Santonensis 5, S. 97: Accidit ergo, ut quidam latro diabolicae suggestionis instinctu boves, qui pontificis carri vehiculum ad civitatem usque pertraxerant, furtiva praesumptione subtraheret. Walahfrid Strabo, Vita Galli 2,8, S. 317f.: Pauperculus quidam iuxta regiam possessionem, quae Rotunwila dicitur commanens, dum ad cellulam sancti Galli pergere voluisset nec haberet aliquid, quod ob devotionis indicium illuc deferre potuisset, diabolo suadenti consentiens, atrium cuiusdam divitis irrupit, et alvear cum melle et apibus furtim auferens, intulit domui suae. Wetti, Vita s. Galli 12, ebd. S. 263: Ubi cum niteretur rete laxare, apparuerunt ei duo demonia in mulierum specie, nudae ad litus stantes, quasi ad balneum ingredi volentes, turpitudinemque corporis sui ei demonstrantes, insuper et lapides contra eum iactantes.

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identifiziert werden. »Herodes ist der Teufel«, meint Beatus von Li8bana.470 »Denn was ist Herodes anderes als der Teufel, der in den Lastern regiert? […] Denn niemand kann auf das eigene Land zurückkehren, wenn der Teufel nicht tot, das heißt; ausgeschlossen ist.«471 Besonders subtil wurde es, wenn der Teufel, wie schon in manchen Interpretationen des Sündenfalls, mit dem Anspruch auftrat, im Namen Gottes zu sprechen.472 Daß ein Mann aus der Gegend von Bourges beim Holzfällen im Wald von einem Fliegenschwarm angefallen wurde und zwei Jahre lang geistig verwirrt blieb, schreibt Gregor von Tours ohne weiteres dem Teufel zu.473 Der Mann kleidete sich nämlich in Felle, zog in die Provence und behauptete, Christus zu sein und zog mit seinen »durch teuflische Künste und wer weiß welche Zaubereien«474 bewirkten Wahrsagungen viel Volk und selbst Geistliche an, die ihn anbeteten. Dann begann er (lange vor Robin Hood), Reiche zu berauben und das Erbeutete an die Armen zu verteilen, bis »dieser Christus, den man lieber Antichrist nennen sollte«, vor Puy-en-Velay von einem Bediensteten des dortigen Bischofs Aurelius getötet wurde.475 Gregor zufolge war das kein Einzelfall. Vielmehr hätten sich damals überall in Gallien Menschen als Heilige ausgegeben. Einem Mönch aus dem Umkreis des heiligen Norbert von Xanten begegnete der Teufel sowohl mit theologischen Argumenten als auch mit körperlicher Entstellung, indem er mit drei Köpfen erschien und behauptete, die heilige Trinität zu sein.476 Gleichzeitig aber versuchte er ihn mit fleischlichen Anfechtungen und flößte ihm – als beliebtes Motiv – in der Fastenzeit Hunger ein. Der Teufel war zwar überall, doch gab es durchaus bevorzugte Räume der Dämonen. In der Frühzeit waren das vor allem die heidnischen, noch nicht geweihten Stätten, aus denen die Dämonen durch die monastische und kirchliche Erschließung und konkret durch die Weihe und oft unter lautem Wehklagen vertrieben wurden.477 Als Gallus sein Kloster an der Steinach (das spätere 470 Beatus von Li8bana, Tractatus in Apocalypsin 6,2,11, CCL 107C, S. 660f.: Erodes diabolus est. 471 Ebd. 6,2,29, S. 664: Quid est Herodes nisi diabolus, qui in uitiis regnat? Quid est terra pueri, nisi celestis Ierusalem? Nemo potest ad terram propriam reuerti, nisi diabolo mortuo, id est excluso. 472 Zur Darstellung des Falls in der altenglischen Genesis B vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 207–211, zur Teufelsdarstellung Barry, Angel of Light Tradition S. 102–140. 473 Gregor von Tours, Historiae 10,25, S. 517f.: unde intellegi datur, diabolici emissionis fuisse nequitiam. 474 Ebd. S. 518: Sed haec omnia diabolicis artibus et praestigiis nescio quibus agebant. 475 Ebd. S. 519: ceciditque Christus ille, qui magis Antechristus nominare debet, et mortuus est. 476 Vita Norberti 9, S. 679: Et hiis dictis apparuit tria gestans capita, Trinitatem se esse contestans. 477 Vgl. Dinzelbacher, Kampf der Heiligen S. 666ff. Zum Vorgang der Umwandlung heidnischer Stätten zu Kirchen und der Bedeutung der Weihe als Vertreibung der Dämonen im frühen Mittelalter vgl. Francesco Gandolfo, Luoghi dei santi e luoghi dei demoni: il riuso dei templi nel medio evo, in: Santi e demoni, Bd. 2, S. 883–916 (923), und Cosimo Damiano Fonseca, ‘eti

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Kloster St. Gallen) errichtete und die sich in verschiedener Gestalt widersetzenden Dämonen vertrieb, klagten diese, daß ihnen wegen dieses fremden Eindringlings nun kein Raum mehr bleibe.478 In der neu errichteten Kölner Domkirche hörte man in der Nacht vor der Weihe das laute Klagen der bösen Geister, die nun aus der Kirche vertrieben wurden,479 und den Exorzismuserfolg des Severus sollen die Dämonen regelrecht mit den Worten beklagt haben: »Wehe uns Elenden, die wir diese Gegend, die wir so lange besessen haben, wegen der Ankunft des Severus jetzt verlassen müssen; fortan werden wir in dieser Gegend nie mehr dieselbe Macht besitzen, wie wir sie bisher innehatten.«480

Das teuflische Wirken besteht in solchen Erzählungen durchweg nicht mehr (nur) im ›Angriff‹ (der Versuchung), sondern in der Verteidigung gegenüber der Bedrohung durch die Heiligen.

g.

Teufelsbegegnungen, Zwiegespräche, Verkehr mit dem Teufel

Eine spezielle Art der Teufelserzählungen sind regelrechte Teufelsbegegnungen und Zwiegespräche. So erschien der Teufel, umgeben von unzähligen Dämonen, dem Mönch Guinizo, der mit einem reichen Mann namens Ado befreundet war, beim Gebet am Heiligabend. Guinizo fragte: »›Weshalb bist du so vergnügt, Elendigster?‹ Der Teufel antwortete: ›Weil ich soeben über die Seele Ados gesiegt habe, denn jetzt habe ich ihn unter die Unsrigen aufgenommen.‹ Und mit diesen Worten zeigte er (dem Mönch) die besagte Seele, die er nach Art des Zugviehs zur Marter gebunden hinter sich herzog. Daraufhin nahm der Gottesmann die ganze Last der Buße für den Reichen auf sich und bat den allmächtigen Gott, daß er diese Seele für würdig erachte, sie der Macht des alten Feindes zu entreißen. Als aber die Nacht hereinbrach, stellte sich auch der Teufel ein und prügelte derart auf ihn ein, daß er ihn halbtot zurückließ und noch sagte: ›Weshalb hast du es gewagt, Gott anzuflehen für diesen (Menschen), dessen zahllose Verbrechen es doch erfordern, daß er in unsere Rechtsgewalt gerät?‹ Doch der Gottesmann ließ darüber keineswegs von seinem Gebet ab, so lange, bis der Engel des Herrn erschien und sagte: ›Bis jetzt haben spgekaiom sata§ijom, akka §aom ‘aciom accekijom. La dedicazione di chiese e altari tra paradigmi ideologici e strutture istituzionali, in: ebd. S. 925–946 (950). 478 Wetti, Vita s. Galli 12, S. 263f.: Man hörte zwei Frauenstimmen wie bei einem Totengesang klagen: ›Quid agimus vel quo pergimus? Non licet nobis propter istum [peregrinum] neque inter homines neque in heremis habitare!‹ 479 Annales Fuldenses a. 870, S. 72: Feruntur etiam in eadem nocte, quando basilica mane erat consecranda, voce malignorum spirituum audiri inter se loquentium et valde dolentium, se ab obsessis diutissime sedibus expelle debere. 480 Liutolf, Translatio Severi 3, S. 293: ›Vae nobis miseris, qui hanc regionem diutissime a nobis possessam deserere modo debemus propter adventum sancti Severi; non enim deinceps talem in ista regione habebimus potestatem, sicuti hactenus habuimus.‹

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ich und meine Genossen uns um Ado bemüht, aber sage Gott Dank, weil er jetzt befreit und unseren Mitbürgern beigesellt ist.‹ Als der Mönch nun eines Nachts in seinem Bett lag, das an der Tür eines gesonderten Raumes am Eingang der Kirche stand, sah er die Brüder zusammenstehen und gleichsam einzeln Weihrauch opfern; von jeder einzelnen Sitzbank schien Rauch aufzusteigen, dessen Schwaden sich über dem Altar des heiligen Benedikt sammelten. Als er das sah, erschien wieder der Engel Gottes und sagte: ›Was du siehst, sind die Gebete der Brüder, die sich deshalb auf dem Altar zusammenhäufen, damit der heilige Benedikt sie vor dem Sitz des Erhabenen vertritt.‹«481

Manches an dieser Geschichte ist bezeichnend: daß der Teufel sich wieder seines Erfolgs brüstet, daß er mit der Finsternis verbunden wird und nachts erscheint, daß er ein Gespräch führt, aber auch, daß er handgreiflich wird und sich mit Schlägen rächt, als man ihm seinen Triumph wieder streitig macht. Engel und Teufel streiten um die Seele, die durch die Gebete der Mönche sowie – und hier liegt die Tendenz der Erzählung – die Fürsprache des Klosterheiligen, Benedikt, gerettet wird (oder gerettet werden kann, denn zu diesem Zeitpunkt ist noch nichts Endgültiges entschieden). Die Gegenwehr gegen den Teufel, die gleich noch näher zu betrachten ist, steigert sich hier ins Grundsätzliche und entscheidet über Tod oder Leben im Jenseits. Nach einer anderen Geschichte Leos von Montecassino kehrte ein Bauer nach dem Begräbnis des Vizegrafen Johannes Benafranus vom Kloster zurück aufs Land. »Als er bei der Kirche des früheren Bischofs Severus von Montecassino ankam, die auf dem Berg liegt, traf er dort auf den Teufel, der sich ihm in den Weg stellte und die Gestalt eines der Großen angenommen hatte; er hatte sehr lange Finger und Nägel, hielt einen Stab in der Hand und blickte den Bauern mit finsterem Blick an. Als der Bauer zu ihm gelangt war, sagte der Teufel: ›Woher kommst du?‹ Da jener ihn für einen Menschen hielt, sagte er : ›Vom Kloster Montecassino.‹ Darauf der Teufel: ›Was ist mit dem 481 Leo, Chronica monasterii Casinensis 3,48, S. 426: In vigiliis autem natalis Domini oranti ei diabolus innumera demonum caterva stipatus affuit. Quem vir Dei sciscitatus est dicens: ›Unde iocundaris, miserrime?‹ Et diabolus: ›Quoniam ex anima Adonis modo triumphavi, nunc enim inter nostros eam suscepi.‹ Et his dictis ostendit predictam animam iumentorum more ligatam ad supplicia trahi. Tunc vir Dei onus penitentie divitis sibi imponens cepit omnipotentem Deum rogare, ut eandem animam de antiqui hostis potestate eripere dignaretur. Nocte vero adveniente diabolus affuit eumque flagellis ita cecidit, ut seminecem eum relinqueret dicens: ›Cur pro eo ausus fuisti Deum rogare, qui suis sceleribus innumeris exigentibus in nostra iura devenit?‹ Non tamen pro hoc vir Dei ab oratione cessavit, usquequo angelus Domini apparens dixit: ›Actenus ego meique sodales pro Adone laboravimus, sed age gratias Deo, quia modo liberatus et nostris est concivibus aggregatus.‹ Nocte quadam, dum in stratu suo, quod est ante secretarii ianuam in ipso aditu basilice, resideret, visi sunt in choro stare fratres et quasi viritim turificaretur, a singulis subselliis videbatur exire fumus, cuius virgule supra beati Benedicti colligerentur altarium. Cumque ad hoc cerneret, angelus Domini apparens dixit: ›Quod vides, orationes sunt fratrum, que propterea in altari congeruntur, ut sanctus Benedictus representet eas ante sedem Maiestatis.‹

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Vizegrafen Johannes geschehen?‹ Darauf der Bauer : ›Gleich nachdem er Mönch geworden war, hat er die Welt verlassen.‹ Als der Teufel das hörte, brach er in Wehklagen aus und sagte: ›Ach Benedikt! Ach Benedikt! Weshalb machst du meine Diener täglich zu deinen? Warum hörst du nicht auf, mich so unmäßig und so grausam zu verfolgen?‹ Als er das gesagt hatte, sah er den Bauern mit wutschnaubendem, flammendem Blick an und sagte: ›Wisse ganz sicher, daß ich dich, wenn du nicht heute im Kloster Benedikts Speise und Trank zu dir genommen und von diesem Ort Brot in deinem Kleiderbausch herbeigeschafft hättest, ohne Zögern unverzüglich getötet hätte‹, und sogleich stürzte er sich kopfüber vom Hang des Berges hinab und riß dabei wie ein Sturm Steine und Bäume mit sich. Als der Bauer das sah, stieg er zitternd den Berg hinab und erzählte der Reihe nach alles, was er gesehen und gehört hatte. Als er aber an dem Bach mit Namen Cassino angekommen war, erschien ihm der Teufel abermals und sagte: ›Gehst du immer noch durch dieses Land?‹ und er knirschte zwischen den Zähnen hervor, was er schon vorher gesagt hatte, schug mit seinem Stab auf heftigste auf den Wasserlauf Cassino ein und verschwand. Bei diesem Geräusch sah der Bauer, wie die ganze Erde bebte; das Flußwasser aber wurde wie bei einem Sturm hoch in die Luft hinaus getragen. Zum Bach Matrix zurückgekehrt, wurde er von einer großen Mattigkeit ergriffen und starb am dritten Tag.«482

Auch diese Geschichte fängt unauffällig an. Nur der Leser weiß bereits, daß es sich bei der seltsamen Begegnung um den Teufel handelt. Der Teufel erscheint wieder in menschlicher Gestalt, nämlich eines mächtigen Herrn, fällt aber durch seine ungewöhnlich langen Finger und Fingernägel auf. Sein Opfer ist ein Bauer (oder bäuerischer Mensch, denn rusticus ist in der Sprache der Zeit meist jemand, der durch sein bäuerisches, unkultiviertes Verhalten auffällt und dadurch jedenfalls den Anschein erweckt, »vom Land« zu kommen). Eigentlich gibt es 482 Ebd., S. 418f.: Illo autem sepulto rusticus quidam de monasterio egrediens ad campestria loca tendebat. Cumque sub ecclesia sancti Severi olim Casinensis episcopi, que in hoc monte sita est, advenisset, diabolum in via stantem repperit statura procerum digitos ac ungulas habentem valde longissimos virgamque in manu tenentem et rusticum torvo vultu aspicientem. Cumque ad eum rusticus pervenisset, diabolus ait: ›Unde venis?‹ Ille autem hominem eum esse existimans dixit: ›A Casinensi cenobio.‹ Et diabolus: ›Quid actum est de Iohanne vicecomite?‹ Tum rusticus: ›Postquam monachus factus est, statim e mundo recessit.‹ Diabolus autem hec audiens cepit conqueri dicens: ›Hei Benedicte michi! Hei Benedicte michi! Cur meos cotidie ad te servos convertis? Cur me tam immaniter, tam crudeliter persequi non desistis?‹ Hec cum dixisset, furibundo et flammanti rusticum vultu respiciens ait: ›Scito certissime, quia, nisi hodie in monasterio Benedicti cibum potumque sumpsisses et panem de eodem loco allatum nunc in sinum tuum teneres, nulla interposita mora te confestim occiderem‹, statimque per montis latus se precipitem dedit lapides et arbores in modum turbinis trahens. Rusticus autem hoc viso tremebundus de monte descendit et cuncta, que viderat vel audierat, per ordinem pandit. Cumque ad aquam, que Casinus vocatur, advenisset, iterato diabolus eidem apparens dixit: ›Adhuc per terram istam ambulas?‹, frendensque ea, que prius locutus fuerat, protulit et Casini aquam cum virga, quam tenebat, validissime percussit atque disparuit. Ad cuius sonitum rustico visum est, quod tota terra tremuisset; aqua vero fluminis more tempestatis sursum in aera ferebatur. Reversusque in Rivo Matricis ad domum suam languore corripitur atque post diem tertium vitam finivit.

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keinen besonderen Anlaß. Der rusticus hat weder bereits große Sünden begangen, noch soll er verführt werden, sondern informiert den Teufel lediglich über die Vorfälle im Kloster. Im Gegensatz zu vielen anderen Geschichten erscheint der Teufel hier seltsam unwissend und muß sich über das Geschehene erst erkundigen. Die Mönchwerdung des vorher völlig lasterhaft lebenden Vizegrafen sozusagen in den letzten Stunden vor seinem Tod aber rettet seine Seele, und das bildet den eigentlichen Anlaß der Geschichte: Der Teufel klagt darüber, daß er am Ende immer wieder schon sicher geglaubte Seelen verstorbener Menschen verliert, weil sie noch kurz vor dem Tod ins Kloster eintreten und macht deshalb den Gründerheiligen Benedikt von Nursia für diesen ›Verlust‹ verantwortlich. In der Geschichte zu Ehren des Klosterheiligen werden somit auch die üblichen Funktionen vertauscht: Nicht der Teufel versucht den Heiligen wie in vielen Viten, sondern der – hier längst bei Gott im Himmel weilende – Heilige rettet andere Seelen vor dem Teufel. Statt dessen läßt dieser nun seine ganze Wut an dem unschuldigen Bauern aus, zeigt mehrfach seine überirdischen Kräfte und bewirkt schließlich den Tod des Landmanns, den er allerdings noch um ein paar Tage hinauszögern muß, da die ›klostergeweihte‹ Speise, die das Opfer im Kloster zu sich genommen hat, sein Wirken offenbar verhindert. Das Motiv ist bloße Rache. Es ist natürlich kein Zufall, daß sich diese Anekdote gerade in einer Klosterchronik findet und somit geradezu propagandistisch wirkt und die Macht des eigenen Heiligen, Benedikt, heraushebt: Die Klostermauern schützen vor dem Teufel, der Klosterheilige beschützt die ihm Anvertrauten.483 Beängstigend – und erneut eher ungewöhnlich – wirkt nicht minder, daß der Teufel sich für seinen Verlust an anscheinend unschuldigen Opfern rächt, die ihm zufällig über den Weg laufen, und daß er dabei handgreiflich wird und nicht das Seelenheil verhindert, sondern mit dem Tod des Mannes irdisches Unheil anrichtet. Seine Unwissenheit steht dabei in blankem Gegensatz zu seinen in der Erzählung mehrfach betonten übermenschlichen und übernatürlichen, Naturkatastrophen ähnelnden Kräften. War es hier ein einfacher Landmann, mit dem sich der Teufel einließ, so ist es nicht selten ein ›prominenter‹ Zeitgenosse. So erschien der Teufel nach der vierten Vita Bernhards von Clairvaux wohl aus den 1180er Jahren einmal auch dem großen Zisterzienserabt: »Als der heilige Bernhard eines Tages mit wenigen Schülern [oder : Jüngern] in seiner Zelle war und gemäß seiner Gewohnheit seine Sandalen einfettete, da erschien ihm der Teufel, einem schwarzen Mönch ähnlich, und sprach zu ihm: ›Abt, wie verhältst du dich da? Ich bin aus weit entfernten Ländern gekommen, um dich zu sehen, und treffe dich dabei an, wie du Schuhe salbst. Das solltest du nicht selbst tun, sondern deine Sklaven 483 Zusammentreffen von Mönchen und Dämonen fanden daher vornehmlich außerhalb des Klosters statt; so Diem, Encounters S. 66.

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und Diener.‹ Der Gottesmann antwortete: ›Ich habe keine Sklaven und möchte auch niemals welche haben. Ich habe Söhne, die ich Christus durch das Evangelium geboren habe und die mir mit großer Liebe und Freundlichkeit dienen; und diese liebe ich wahrhaftig und lehre sie den Weg zum Himmelreich, indem ich mich selbst nach dem Beispiel des obersten Lehrers erniedrige, der gesagt hat: ›Wer sich erniedrigt, wird erhöht werden‹ (Lc 14,11). Er selbst hat uns durch Ausweis vielfacher Demut, ja höchster und außerordentlicher Erniedrigung ein Beispiel hinterlassen, damit wir seinen Spuren folgen. Wenn ich also meinen Herrn nachahme und aus Liebe zu ihm niedrige Sklavendienste ausführe, dann ist das nicht nur keine Belastung, sondern eine wahre Freude. Geh und sag deinem Abt, er solle es auch so machen.‹ Der Teufel antwortete: ›Gib mir die Sandalen, damit ich sie einfette.‹ Und als der selige Mann ihn betrachtete, erkannte er durch Eingabe des Heiligen Geistes, daß es der Teufel war ; und er sagte zu ihm, indem er ihn unwillig verspottete: ›Es ist nicht recht, daß derjenige, der von Beginn an von Gott in höchster Seligkeit und Schönheit geschaffen wurde, meine Schuhe einfettet, da ich Staub und Asche bin.‹ Und er fügte hinzu: ›Weiche zurück, Satan. Ich beschwöre dich durch Jesus Christus, daß Du mir und meinen Söhnen in keiner Weise schadest.‹ Nach diesen Worten verwandelte (der Teufel) sich sogleich in ein winziges Tier, wie alle Anwesenden sehen konnten, und sofort entschwand er aus ihren Augen. Solches aber pflegte uns der Abt Gerhard (Morensis) zu erzählen, ein heiliger und in seinen Worten stets wahrer Mann; seinen Worten keinen Glauben zu schenken, heißt die Wahrheit zurückweisen.‹484

Natürlich ist der Autor sich der Unglaubhaftigkeit solcher Geschichten bewußt, wie die Schlußsätze zeigen, und doch hält er alles für glaubhaft. Der Teufel nimmt wieder eine menschliche, aber doch irgendwie entstellte Gestalt an, sei es als schwarzer Mönch – die Herkunft »aus fremden Ländern« deutet an, daß er 484 Johannes eremita, Vita Bernardi abbatis Claraevallensis (Vita quarta) 16, Sp. 549 AB: Beatus Bernardus, cum esset die quadam in cella sua cum paucis discipulis et ungeret sandalia sua secundum consuetudinem suam, apparuit ei diabolus in similitudinem monachi nigri, dicens ei: ›Abba, quomodo te habes? Ego de longinquis terris veni, ut te viderem, et te calceos ungentem invenio. Non debuisses hoc facere, sed servi et ministri tui.‹ Cui respondit Vir Dei: ›Ego, inquit, servos non habeo, nec volui unquam habere. Filios habeo, quos genui Christo per evangelium, qui mihi ministrant cum magna charitate et mansuetudine; et ego illos in veritate diligo et viam regni coelorum doceo, humilians me ipsum exemplo summi Magistri, dicentis: Qui se humiliat exaltabitur (Lc 14,11). Ipse autem multimoda humilitatis exhibitione, imo summe et praecipue sese humiliando, nobis reliquit exemplum, ut sequamur vestigia eius. Imitando igitur Dominum meum, vilia et servilia opera pro amore ipsius exsequi non tantum non gravat, sed et plurimum delectat. Vade, et dic abbati tuo, ut faciat similiter.‹ Cui respondit diabolus: ›Da mihi sandalia ut ungam.‹ Et respiciens eum Vir beatus, cognovit Spiritu sancto revelante, quod esset diabolus; et ait ad eum, cum indignatione insultando illi: ›Non est rectum, ut ille, qui ab initio in summa beatitudine et pulchritudine creatus fuit a Deo, ungat calceamenta mea, cum sim pulvis et cinis.‹ Et adiecit: ›Vade retro, Satana. Adiuro te per Iesum Christum, ne mihi vel filiis meis in aliquo noceas.‹ Quo dicto, statim transfiguravit se in similitudinem minuti animantis, cunctis videntibus, qui aderant: et statim evanuit ab oculis eorum. Haec narrare nobis solebat domnus abbas Morensis, Girardus nomine, vir sanctus et verax in verbis suis; cuius verbis fidem non adhibere, quasi ipsi veritati repugnare est.

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wohl aus Afrika stammt und nicht etwa einen Cluniazensermönch, als ›Gegenpol‹ und Angriffsziel des neuen Zisterzienserordens, repräsentiert, mit dem auch Bernhard selbst sich auseinandergesetzt hat –, sei es als unscheinbares Tier, in das er sich erst nach seinem Mißerfolg und der Gottesanrufung Bernhards verwandelt. Inhaltlich handelt es sich um eine klassische Verführungsszene, die den heiligen Abt – natürlich vergeblich – von seiner Demut abbringen will. Formal aber ist sie wieder zu einem Zwiegespräch stilisiert. Otloh von St. Emmeram fügt in sein Buch der Visionen eine dieser (endlos langen) Teufelsbegegnungen ein, obwohl sie, wie er selbst bemerkt, keine Vision im eigentlichen Sinn ist, und zwar ausdrücklich in der Absicht, damit die Leser sich fortan vor dem Teufel schützen können: »zur Erbauung aller, die teuflischen Täuschungen entgehen wollen«. Zu der Hochzeit eines sächsischen Großen reisten, wie üblich, viele Spielleute an, darunter auch ein Spielmann namens Vollarc mit acht weiteren Gefährten: »Als sie auf diese Weise gemeinsam zu Pferd aufbrachen, geschah es, dass der Teufel, der einer bekannten Persönlichkeit ähnelte, ebenfalls zu Pferd, sich ihnen anschloß, die an nichts weniger als an so etwas glaubten. Als sie so also alle gemeinsam ihren Weg fortsetzten, unterhielten sie sich, wie es unter Bekannten üblich ist. Dabei fragten sie unter anderem nach seinem Namen. Der Teufel aber antwortete: ›Ich heiße Nithard‹, was auf Latein soviel wie verhaßt oder sehr boshaft bedeuten kann. Zu Recht aber legte er, von dem aller Haß und alles Übel in dieser Welt ausgeht, sich diesen Namen zu.«

Vollarc und seine Begleiter aber merkten an dem Hinweis seines Namens noch nicht, wer dieser Mitreisende wirklich war. Als sie bei Sonnenuntergang überlegten, wo sie in dieser Nacht bleiben könnten, sagte der Teufel: »›Wenn ihr mit mir kommen wollt, so werde ich euch mit allem Notwendigen versorgen. Denn mein Haus und meine Wohnung liegen ganz nah. Ihr müßt nur sorgfältig beachten, daß ich ganz nichtsnutzige Diener und Vasallen in meinem Hause habe und sich keiner von euch mit ihnen in eine Tätigkeit oder eine Unterhaltung einläßt.‹«

Als die anderen das versprachen und ihm folgten, führte der Teufel sie in ein langes Tal. Als es immer dunkler wurde, führte er sie in einen dichten Wald, in dem ihnen lauter Gestalten mit Leuchten und Fackeln entgegenkamen. Sie waren teilweise mit prächtigen Gewändern bekleidet und stritten darum, wer zuerst ihre Pferde und sie selbst in Empfang nehmen durften, und hatten alles dabei, was zur Gastfreundschaft notwendig war. So versorgten sie die Ankömmlinge mit allem Notwendigen und führten sie schließlich in das Fürstenhaus. Dort war ihnen bereits ein Mahl mit den besten Gerichten und Getränken aus goldenen und silbernen Gefäßen bereitet. Auch die Wände waren mit kostbaren Tüchern und Vorhängen behängt. Vollarc und seine Begleiter wunderten sich darüber, hielten aber alles für echt, dachten jedoch immerhin an jene Ermahnung, die eher göttlicher Gnade als einer teuflischen Vision zu entstammen schien, und

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hielten sie streng ein. Nach dem Mahl wurden die Pferde reichlich versorgt, und sie gingen zu Bett. »Als sie am nächsten Morgen früh aufstanden und den Fürsten baten, sie nun zu ihrem Ziel gehen zu lassen, sagte dieser : ›Noch nicht heute, sondern erst morgen lasse ich euch aufbrechen, dann aber mit so vielen Geschenken, wie sie mir zu geben und euch zu empfangen geziemt. Denn heute möchte ich mit euch gemeinsam Freude und Mahl teilen, damit ihr später anderen erzählen könnt, wie groß mein Ruhm ist und welchen Dank ihr von mir erhalten habt.‹«

Sie wagten nicht zu widersprechen und taten, wie ihnen befohlen wurde, und erkannten immer noch nicht die Macht teuflischer Täuschung. Zur Mahlzeit aber erschienen unzählige Diener mit solcher Menge an Speisen und Gefäßen, wie man sie kaum bei den reichsten Königen findet. Alles, so der Autor, glich mehr einer Erscheinung als wirklichem Geschehen. Nach Speis und Trank aber fragte Vollarc den Teufel: »›Wenn ich mir das anmaßen darf, würde ich dich gern etwas fragen. Denn ich wundere ich mich sehr, woher dieser ganze Reichtum an Gold, Silber und anderen Dingen kommt, die ich nicht nur in Speise und Trank, sondern von denen ich auch an allerlei weiteren Kostbarkeiten mehr vor dir sehe, als ich sie sonst je vor irgendeinem Fürsten ausgebreitet gesehen hätte.‹ Der Teufel antwortete: ›Du mußt dich darüber nicht wundern, weil alle Güter, die Kirchen oder heiligen Klöstern, Armen und Witwen oder wem auch immer zu Unrecht entzogen werden, mir gehören und meiner Macht unterstehen.‹ Als Vollarc das hörte, begann er vor lauter Angst zu zittern. Damit seine Furcht beim Teufel aber keinen Verdacht erregte, enthielt er sich jeden Ausdrucks an Trauer und rief mit fröhlichem Blick und nur im Glauben und mit Absicht Gott an.«

Nach dem Mahl setzten sich alle nieder, Vollarc aber trat hinaus, rief heimlich seine Begleiter und sagte: »Wehe uns Armen, denn wir sind in die Falle des Verderbens geraten. Dieser Fürst, der uns hierher geführt und mit solcher Gastfreundschaft empfangen hat und der uns heute solchen Ruhm seiner Macht gezeigt hat, ist zweifellos der Teufel. Ich bitte euch deshalb: Vertraut euch Gott an und fleht mit ganzem Herzen, daß er sich seiner Barmherzigkeit erinnere und uns für würdig genug hält, uns aus dieser Lage zu entreißen. Seid aber in allem achtsam, damit ihr nicht trauriger erscheint als gewöhnlich. Laßt uns schnell zu ihm zurückkehren, damit wir hier nicht zusammen gesehen werden.«

Sie tranken weiter, aber noch immer ließ der Teufel sie nicht abreisen, sondern vertröstete sie auf den nächsten Morgen. Wieder blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich trotz ihrer Furcht in ihr Schicksal zu fügen. Am Nachmittag schaffte man goldene und silberne Gefäße und herausragende Kleider herbei, die der Teufel fröhlich an jeden einzelnen verteilte. Dann erlaubte er ihnen, ihr Quartier aufzusuchen, und sagte:

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»Seht, alles, was ich euch versprochen habe, habe ich nun hinreichend erfüllt. Bei dem einzigen, was noch aussteht, werde ich euch morgen auf euren Weg führen.‹ Und er sagte zu den Umstehenden: ›Führt diese Gäste morgen, wann sie selbst wollen, zu dem Ort, an dem sie wiedererkennen, wo sie vom Weg hierher abgewichen sind.‹

Vollarc und seine Begleiter begaben sich daraufhin in ihre Herberge und konnten den Morgen kaum abwarten. Denn trotz der reichen Geschenke, des Mahls und Tranks konnten sie nicht ruhen, sondern riefen die ganze Nacht Gott an, er möge sie aus ihrer Not befreien. Am Morgen wurden sie an die Stelle geführt, von der an sie sich wieder auskannten, und sahen ihre Führer nie mehr wieder, während sie sich selbst wie auch ihre Pferde äußerst schwach fühlten. In ihrem Gepäck aber fanden sie anstelle der Geschenke nichts als Spinngewebe: »Daran wurde zweifelsfrei als wahr erwiesen, was der Herr im Evangelium über den Teufel sagt: ›Er ist ein Mörder von Anbeginn an und verharrt nicht in der Wahrheit. Wenn er lügt, dann kennzeichnet er sich selbst. Nichts ist schlimmer als er, weil er die Lüge selbst und deren Vater ist‹ (Joh 8,44). Wer auch immer aber dieses liest, wird künftig vorsichtiger gegenüber den mannigfachen Fallen des Dämon sein.«485 485 Otloh von St. Emmeram, Liber visionum 23, S. 109ff.: Mirum quoddam nuper audivi, quod licet inter visiones suprascriptas nequeat computari, tamen quia e˛dificationem magnam conferre potest omnibus, qui delusiones diabolicas cupiunt evadere, volo hic scribere. Dictum namque mihi est, ut recolo, quia cum in Saxonia nuptie˛ cuiusdam prepotentis essent agende˛, et ad has hystriones multi, sicut vulgo solent, properarent venire, quidam hystrio et fama et dignitate caeteris prestantior, nomine Vollarc, simul properavit. Sed ne tante˛ dignitatis vir solus pergere videretur, acquisivit sibi alios eiusdem artis gnaros octo, et cum eis quasi militibus stipatus ad nuptias profectus est. Cumque simul equitantes pergerent, contigit, ut et diabolus in similitudine celebris persone˛ se coniungeret equitando, illis nil minus quam factum hoc arbitrantibus. Unde et simul pergentes omnia, quibus noti et familiares uti solent, verba conferebant. Sed et hoc exquirebant ab eo, quod illi nomen esset. At diabolus respondit dicens: ›Nithart vocor‹, quod Latina lingua odiosus vel valde malignus dici potest. Et merito tali nomine sese dicebat nuncupatum, a quo odium omnisque malitia venit in mundum. Veruntamen nec Vollarc nec eius comites per nominis huius indicium attendebant, quem conviatorem haberent. Sole autem ad occasum appropinquante coeperunt tractare, ubi nocte illa potissimum valerent manere. Tunc diabolus: ›Si‹, inquit, ›mecum proficisci volueritis, dabo cuncta necessaria vobis. Est enim contigua domus et habitatio mea. Sed in hoc sollicite vos debetis observare, ut quia servos et milites nequissimos habeo in domo mea, nullus vestrum in aliquo negocio vel colloquio se commisceat illis.‹ Hanc igitur promissionem et admonitionem fideliter factam credentes libenter audierunt, et secum proficisci, quocunque ipse vellet, decreverunt. Moxque ipse diabolus quasi dux itineris precessit, et eos in vallem quandam magne˛ longitudinis deduxit. Deinde vero cum iam magis ac magis nox tenebrosa immineret, duxit illos in silvam densissimam; in qua aliquamdiu profecti subito viderunt plurimos sibi cum lampadibus et facibus honorifice occurrentes. Inter quos etiam nonnulli, qui videbantur splendidis preciosisque vestibus induti, prorumpebant certantes, quis eorum prius equos advenentium vel ipsos susciperet et ad hospitia omnigenis necessariis referta deduceret. Postquam vero omnia, que˛ hospitibus grata et necessaria esse solent tam in se quam in equis pascendis copiosissime exhibita sunt, convocabantur ad principis domum. Qui statim advenientes iussi sunt considere. Deinde mensa praeparata itur ad cenam, in qua optimi generis fercula et pocula non nisi aureis vel argenteis vasis afferri videbantur. Sed et

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ipsius domus parietes atque laquearia palliis cortinisque preciosissimis circumdata monstrabantur. At Vollarc eiusque comites, licet de his omnibus mirarentur, et in veritate facta arbitrarentur, memores tamen praedicte˛ admonitionis, que˛ magis ex gratia divina quam pro visione diabolica evenisse credenda est, sub omni disciplina sese continuerunt. Cumque cena peracta videretur, ad cubitum ire iussi sunt, equisque suis abundans pabulum praeberi iubebatur. Altera autem die mature surgentes et ad principem venientes petierunt, ut ad predestinata loca ire permitterentur. At ille: ›Non‹, inquit, ›hodie, sed cras vos proficisci permitto, et tunc cum donis talibus, que˛ et me decet dare et vos suscipere. Hodie enim volo nobis sit communis le˛titia, commune convivium, ut postmodum aliis enarrare valeatis, que sit et gloria mea et que˛ gratia vobis sit a me exhibita.‹ His auditis nil contradicere presumpserunt, sed ita, ut iussi sunt, fecerunt, necdum sentientes diabolice˛ delusionis potentiam. At ubi prandii tempus adesse videbatur et mensa ponebatur, tanta multitudo servientium, talis ciborum apparatus, tanta vasorum insignium copia erat, ut vix apud reges ditissimos huic simile inveniretur. Cumque Vollarc esu potuque satis percepto hilarior effectus sibi videretur – nam omnia visa potius quam gesta sunt –, assumens fiduciam, ut hystriones solent, interrogat diabolum dicens: ›Si, domine, presumerem, libenter te pro quadam re interrogarem. Valde namque miror, unde venerit tibi tanta copia auri atque argenti aliarumque rerum, quas non solum in cibo et potu, sed etiam in omnigenis ornamentis plus coram te video, quam coram principe ullo vidissem appositas.‹ Cui respondens diabolus dixit: ›Noli ergo in hoc mirari, quia omnia bona, que˛ vel ecclesiis et monasteriis sanctis vel pauperibus et viduis vel cuiquam iniuste rapiuntur, mea sunt mee˛que potestati subiciuntur.‹ Quo audito Vollarc obstupuit et nimio pavore contremuit. Veruntamen ne aliqua diaboli suspicione ipse pavor agnosceretur, continuit se ab omni tristitie˛ habitu, et hilari constitit vultu, sola fide et intentione Deum invocans. Finito autem huiusmodi convivio, et universis circumquaque secedentibus, Vollarc etiam egressus est et comites suos clam convocans ait: ›Ve˛ nobis miseris, quoniam venimus in foveam perditionis. Iste enim princeps, qui nos huc tantopere secum ducens hospitio recepit quique hodie tantam potentie˛ suae gloriam nobis ostendit, ipse pro certo diabolus est. Unde, queso, commendate vos Deo, tota mente supplicantes, ut ›recordatus misericordie˛ sue˛‹ (Lc 1,54) hinc nos eripere dignetur. In omnibus tamen estote cauti, ne plus solito tristiores videamini. Sed iam cito ad eum revertamur, ne diutius hic simul stantes videamur.‹ Moxque ingressi domum convivii eodem quo prius habitu et animo apparuerunt. Deinde interrogati, si quid vellent plus bibere, responderunt se velle. Cumque allato poculo se satis bibere simulassent, Vollarc petiit diabolum, ut se suosque sequaces abire permitteret. At ille: ›Non modo‹, inquit, ›sed cras abire permitto. Hunc enim diem totum le˛ti et convivantes debemus simul perducere. Sed et dona, que˛ vobis promisi, hodie sunt danda, ut cras, quantocius vultis, abire valeatis.‹ His igitur dictis licet formidolosi consenserunt promittentes omnia secundum eius imperium semet facturos. Facta autem vespertina hora videbantur afferri coram diabolo multifaria dona tam in aureis et argenteis vasis quam in vestibus eximiis. Que˛ omnia ille singulis le˛tanter distribuit et ad hospitium ire permittens dixit: ›Ecce omnia, que˛ vobis promisi, iam satis implevi. Ad he˛c etiam, quod solum restat, faciam vos cras deduci in viam itineris vestri.‹ Moxque astantibus quibusdam dixit: ›Cras hora, qua ipsi voluerint, ducite hos hospites in illum locum, ubi se recognoscant huc divertisse.‹ Que˛ postquam dicta sunt, Vollarc eiusque sequaces egressi sunt ad hospitium invisum, prestolantes vix mane futurum. Nam licet viderentur muneribus ditati, cibo potuque repleti, maxima tamen cura impediebat eos quiescere. Ideoque tota nocte illa clamaverunt ad Dominum, ut de necessitatibus eorum liberaret eos. Mane igitur facto venerunt duces itineris et ducentes eos in locum, ubi se recognoscebant, dixerunt: ›Numquid adhuc in viam notam venistis?‹ At illi dixerunt: ›Utique. Iam enim satis agnoscimus, quo pergere debeamus.‹ Porro duces missi nusquam sunt postea visi. At Vollarc eiusque comites tantam mox infirmitatem pre inedia et in se et in equis suis sentiebant, ut vix ultra progredi valerent. Querentes etiam dona in sarcinis re-

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Diese außergewöhnliche, geradezu märchenhafte Geschichte ist dennoch wiederum bezeichnend. Der Teufel verkleidet sich geschickt, um zu täuschen, tritt dem äußeren Schein nach als reicher Herr auf und täuscht mit seinen Geschenken wirkliche Macht vor, verrät sich aber durch seinen Namen, seine dunklen Begleiter und die unheimliche Wohnstätte, auch wenn es für die Getäuschten dann zu spät ist. Otloh gibt dem Leser mehrfach Hinweise auf die Teufelserscheinung, während die Spielleute erst allmählich begreifen, wen sie vor sich haben. Erst als die goldenen Geschenke verschwunden sind, ist der Betrug endgültig aufgedeckt. Ungewöhnlich ist die Erzählung dennoch, denn am Ende kommt niemand zu Schaden (zumal der Teufel selbst vor einem Umgang mit seinen Dienern warnt, ohne daß die Gründe dafür erkennbar wären, und auch Vollarc und seine Begleiter das eher für eine göttliche Warnung halten). Wenn der Reichtum des Teufels (nach eigenen Worten) sich aber aus dem zusammensetzt, was Kirchen und Schutzbefohlenen zu Unrecht geraubt wird, dann würden gleichsam die Räuber bestraft, da sie selbst von dem Raub nichts haben, bzw. haben sie den Raub von vornherein wieder für den Teufel begangen (und natürlich ist das eine Warnung an alle, sich nicht am Kirchenbesitz zu bereichern). Das Ganze bleibt wohl einfach eine Parabel der Warnung, sich nicht mit dem Teufel einzulassen. Denn dort ist alles nur Schein: nam omnia visa potius quam gesta sunt; der ganze Vorgang ist eher Vision als Geschehen. Letztlich aber hat wieder nur das Gottvertrauen diese Opfer des Teufels gerettet, während es dem Teufel selbst vor allem darauf ankommt, seine Macht zu demonstrieren. Ein langes Zwiegespräch mit dem Teufel fügt auch Hugo von Flavigny in seine Chronik ein, die zunächst wieder einem klassischen Muster zu folgen scheint, aber anders gelagert ist, weil es sich um eine Jenseitsvision handelt: Die Seele eines kranken Mönchs, die bereits vorher in den Himmel entrückt worden war,486 wird nun in die Hölle geführt. Der Teufel gibt sich hier als Gott aus und will, daß man ihn anbetet, wird von dem Mönch aber sogleich erkannt: »Der Teufel hingegen antwortete ihm: ›So wird es nicht sein; du hast das nicht bekannt. Ich bin Gott. Denn ich weiß alles, was du gemacht hast, und keine aus Nachlässigkeit erfolgte Sünde widerfährt deinen Brüdern, ohne daß ich dabei bin. Bete mich an; ich habe dich und einen deiner Brüder in meiner Gewalt. Ja, hast Du mich denn nicht einst dort gesehen, wo, weil du in meiner Gewalt warst, einen Schauder gefühlt hast, als ich deinen Bruder durch plötzlichen Tod ersticken mußte, so daß ich ihn verlieren mußte? posita nihil invenerunt nisi que˛dam aranearum texta. In qua nimirum causa verum esse probatur, quod Dominus in euangelio dicit de diabolo: ›Ille homicida erat ab initio et in veritate non stetit. Cum loquitur mendacium, ex propriis loquitur‹. Quo nihil est peius, ›quia mendax et pater eius‹ (Joh 8,44). He˛c quicumque legit, hinc cautior esse valebit adversus varias demonis insidias. 486 Vgl. Kapitel 1, S. 137f.

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Du aber hast das getan, was Du an der Wand geschrieben gesehen hast. Wenn du nun von diesen Qualen befreit werden möchtest, dann bete mich an, denn du weißt, das ich der Engel Gottes bin.‹ Daraufhin war jene Seele bereits in den Tod bis hin zum Geißeln, verbunden mit Feuer, überwunden und sagte: ›Oh Herr, mein Gott, Gnade. Ich brenne, Herr, durch eigene Schuld; heiliger Michael, hilf mir!‹ ›Oh Herr, warum hast du mich verlassen? Zahlreich, Herr, sind, wie ich weiß, meine Sünden. Der Herr Abt weiß es. Oh Gott, wie groß sind Deine Gerichte! Ach, Satan, weshalb läßt du mich nicht frei? Ich bete dich nicht an; auch ich weiß, daß du alles weißt, aber die Macht des Herrn ist im Himmel und auf Erden, und diese soll zwischen mir und dir richten. Wenn du Gott bist, wo sind dann deine Engel? Zeig’ mir dein Gesicht. Pfui! Du lügst! Ich habe schon einen anderen Engel gesehen, du lügst! Du bist kein Engel. Ich erkenne dich; du bist der Teufel. Ich weiß, daß du ein Engel warst, aber durch deinen Hochmut bist du vom Himmel gefallen. Daß ich also in deinen Fesseln bin, ist die Macht und der Wille des Herrn, nicht deiner. Und sag mir, wer ist mein Bruder, den du (in deiner Gewalt) hast?‹ Wenn doch die irdische Seele in dieser Wohnung von ihrer ganzen Weisheit und Erinnerung ledig ist. Er erinnerte sich nämlich, weil er dabei war, daß jener Bruder neun Tage, nachdem er nach dem Gebet der Matutin sich mit den anderen noch ein wenig auf sein Bett legte, durch eine Krankheit, die wir nicht kannten, geschwächt, in der Gefahr seines gegenwärtigen Todes von den Brüdern aus dem Bett entrissen wurde und nach einer Stunde kaum den Lebensgeist zurückerhalten hatte; seinen plötzlichen Tod bemitleidete er um so mehr, als er vorwurfsvoll im Blick auf die tödlichen Fallen des Feindes sagte: ›O Satan, alles ziehst du an dich. Weshalb hast du ihn getäuscht? Darin irrst aber auch du, weil er nicht dein Diener sein wird; denn er ist sehr gutmütig und demütig und zeigt allen gegenüber Gehorsam und liebevolle Anhänglichkeit, und deshalb wird er sich bekehren und leben; und weil die Barmherzigkeit Gottes, die nicht den Tod, sondern die Reue des Sünders wünscht, kein Ende kennt, wird er nicht dein sein, sondern sich bekehren und leben. O Bruder, paß auf, achte auf seine Fallen, damit er dich nicht täuscht. Erlöser der Welt, hilf mir. Heiliger Michael, weshalb hast Du mich verlassen? Heiliger Vater, Barmherzigkeit! Ich brenne, Herr, ich brenne. Ach Satan, weshalb bestrafst du mich immer wieder den ganzen Tag lang?‹«

So ging das Gespräch weiter, und der Mönch wäre durch Hiebe und Flammen tatsächlich bald überwunden worden und hätte den Teufel angebetet, wenn ihm nicht schließlich ein Engel zu Hilfe gekommen wäre und ihm die Kraft zurückgegeben hätte: »›Ach Satan,‹ sagte er, ›viele Übel erwarten dich am Tag des Herrn, weil du das Verderben des Menschengeschlechts und der Grund für dessen Verderben bist. Bald hältst du mich nicht mehr, bald du wirst dich meiner nicht länger erfreuen, jetzt bete ich dich nicht an; daß du Gott bist, ist eine Lüge; du hast keine Gewalt mehr über mich. O heiliger Michael, wo bist du? Gnade, o Herr ; meine Schuld, Herr ; ich sehe mein Übel, weil ich deinen Geboten nicht gehorcht habe. O heiliger Michael, Gnade. Ich bessere mich, Herr, ich bessere mich; ich gelobe Gott und dem heiligen Petrus und dem heiligen Paulus und allen Heiligen, alles zu tun, was du von mir verlangst. Hilf mir, Herr, ich brenne!‹ Der Engel aber sagte zu ihm: ›Schweig, das ist der Wille Gottes; vielmehr folge mir.‹ Und jene (die Seele): ›Ich folge dir, Herr, und bin bereit, mit dir bis

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in den Tod zu gehen. Aber sag mir, Herr, was wird mein Bruder machen, von dem mir der Teufel sagt, daß er ihn getäuscht hat? O heiliger Michael, übe Nachsicht und Barmherzigheit, Herr, an ihm; laß mich zu meinen Brüdern zurückgehen; sie werden sich bessern! Sag es mir, Herr. Ich könnte ihm sagen: Alles ist gut.‹«487

487 Hugo von Flavigny, Chronicon 2,12, S. 387f.: Cui econtra diabolus respondebat: ›Non erit ita; tu non ea confessus fuisti. Deus ego sum. Scio enim omnia, quae fecisti, nec ulla peccati negligentia evenit fratribus tuis, cui non intersim; me adora; habeo siquidem te in mea potestate et de fratribus tuis unum. Hem. Num me ibi dudum vidisti, ubi, quia et in potestate mea eras, horrens praesensisti, et fratrem tuum per subitaneam mortem, ut eum mihi perdere deberem suffocare debui? Tu etiam hec fecisti, quae in pariete hoc inscripta vidisti. Sed si vis ab his tormentis liberari, me adora, quem angelum Dei esse cognovisti.‹ Hinc anima illa in mortem usque flagris et adhibito igne iam superata dicebat: ›O domine Deus, misericordiam. Ardeo, Domine, mea culpa, sancte Michael, succurre mihi!‹ et: ›Quare me domine dereliquisti? Multa sunt, scio, Domine, peccata mea. Domnus abbas scit ea. O Deus, quam magna sunt iudicia tua? O Satan, quare non dimittis me? Non te adoro; scio et ego, quia tu omnia scis, sed Domini potestas est in caelo et in terra, et ipsa iudicet inter me et te. Quodsi tu Deus es, ubi sunt angeli tui? Ostende mihi faciem tuam. Phi! mentiris! Alterum angelum vidi, mentiris! non es angelus. Ego te recognosco; diabolus es. Scio quia angelus fuisti, sed superbia tua de celo cecidisti. Quod ergo in vinculis tuis sum, Domini potestas est et voluntas, non tua. Et dic mihi, quis est frater meus ille quem habes?‹ et quum totius scientiae et memoriae est anima terrena hac habitatione soluta. Reminiscebatur enim, quia et interfuit, quod frater ille novem transactis diebus, cum expleto matutinarum officio paululum cum ceteris se reclinaret in lecto, nobis nescientibus quo infirmitatis morbo, sed cum praesenti mortis suae periculo emissus a fratribus fuisset e lecto et post unius horae spacium vix recepisset vitae spiritum; eius subitaneae morti eo amplius condolens, mortiferas hostis insidias exprobrabat dicens: ›O Satan, omnia trahis ad te. Quare decepisti illum? In hoc et tu mentiris, quia servus tuus non erit; mansuetus est multum et humilis et magnae erga omnes obedientiae et pietatis, ac per hoc convertetur et vivet; et quia nullus est misericordiae Dei finis, qui non mortem sed penitentiam desiderat peccatoris, tuus non erit, sed convertetur et vivet. O frater, cave, cave frater insidias eius, ne decipiat te. Salvator mundi, succurre mihi. Sancte Michael, quare dereliquisti me? Pater sancte, misericordiam! Domine, ardeo, ardeo. O Satan, ut quid me tota die punis et punis?‹ Hec et alia plura his similia, quae propter importunitatem multiplicitatis lectoribus nova quaeque fastidientibus minus congruum ingerere vilipendimus. Cum eiusmodi confabulatus altrinsecus infatigabili altercatione consererent anima et diabolus, consumptaque flagris cum iam pene se victam, ut eum adoraret, profiteretur, quam non impetus ignis ardentis et lucentis a longe ad eius auxilium veniens cepit comparere angelus, cuius placidissimae praesentiae gratia resumptis viribus conviciis amplius insistebat, perfidis inimici praesumptionibus resistens et dicens: ›O Satan, Satan, multa te in die Domini expectant mala, quia es humani generis perditio et perditionis causa. Modo non me tenebis, de me diutius non gaudebis, modo te non adoro; quia tu Deus sis, mentiris; nichil potestatis habes amplius in me. O sancte Michael, ubi es? O Domine, misericordiam; mea culpa, Domine; video malum meum, quia praeceptis tuis non obedivi. O sancte Michael, misericordiam. Emendo, Domine, emendo; Deo promitto et sancto Petro et sancto Paulo et omnibus sanctis, omnia quidquid rogas faciam. Adiuva me, Domine, ego ardeo!‹ Ad quem angelus: ›Tace, hoc est voluntas Dei; sed sequere me.‹ Et illa: ›Sequor te, domine, et tecum paratus sum in mortem usque ire. Sed quid, dic mihi, domine, ille frater meus faciet, de quo dixit mihi diabolus, quod decepisset illum? O sancte Michael, indulgentiam, misericordiam domine de eo, dimitte me pergere ad fratres meos; emendabunt se! Dic mihi, domine. Possum ad illum loqui: Bene omnia.‹

7. Das Wirken des Teufels 1: Versuchung und Sünde

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Am Ende folgte die Seele dem Engel und wurde gerettet. Die Geschichte verknüpft das klassische Verführungsmotiv nicht nur mit dem teuflischen Anspruch, Gott zu sein und als Gott verehrt zu werden – das hatte bereits seinen Fall verursacht –, sondern zusätzlich mit der Gewalt über bestimmte Menschen (hier einen Mönch), dem Visionsmotiv wie auch dem Widerstand, den der entrückte Mönch hier (wie oben Bernhard) dem Teufel entgegensetzt, und vereinigt damit fast alle Motive solcher Erzählungen. Sie zeigt, wie konkret die Vorstellungen vom teuflischen Wirken sein können. Der Teufel verlangt, was er schon von Jesus (vergeblich) verlangt hatte, daß man ihn als Gott anbete, und bringt die Menschen so in seine Gewalt. Der Mensch aber kann dem widerstehen: durch Gottes Gnade und die Hilfe der Engel, die hier in ihrem Wirken als Gegenkraft gegen den Teufel in einen direkten Bezug zu solchem Geschehen gesetzt werden, und auch die Erinnerung an den Ursprung des Teufels im Engelfall fehlt nicht. Am Ende warnt der Mönch den (bereits verstorbenen) Mitbruder vor dem Teufel. Die sämtlich literarisch anmutenden Teufelsbegnungen entstammen tatsächlich alle dem klösterlichen Schrifttum: Chroniken, Viten und Visionsbüchern. Sie laufen alle nach einem ähnlichen Schema ab und zeigen doch eine große Variationsbreite. Der Teufel zeigt sich zunächst unverfänglich als Mensch und reagiert mit menschlichen Emotionen, verwickelt sein Gegenüber in ein Gespräch (oder wird umgekehrt in ein Gespräch verwickelt), spielt sein Wissen aus oder fragt selbst sein Gegenüber aus, wird dann aber entlarvt oder gibt sich im Laufe des Gesprächs durch sein ungewöhnliches und übernatürliches Verhalten selbst als Teufel zu erkennen. Teils freut er sich seines Erfolgs und brüstet sich damit, teils beklagt er seine Verluste (und rächt sich dann, indem er seinem neuen Opfer Schaden zufügt). In der Regel geht es hier jedoch gar nicht (oder nur indirekt) um Verführungen. Statt dessen beweist der Teufel seine ganze Bosheit, treibt seinen Schabernack mit seinem Opfer, bietet ihm scheinbare, tatsächlich aber nichtige Wohltaten und Geschenke, fügt ihm Schaden zu oder bewirkt gar seinen Tod. Das Ganze gleicht anekdotischen Erzählungen. Während Berichte über Gott und die Engel aber der Erbauung dienen, sollen diese Geschichten, auch wenn sie vordergründig oft lustig erscheinen, abschrecken oder, mehr noch, mahnen, ständig auf der Hut zu sein, gerade weil der Teufel so unverfänglich wirken kann, aber stets Böses im Sinn hat und Übles bewirkt. Das wird explizit in Otlohs Geschichte gesagt und wird wieder deutlich in der Mönchsvision. Gottvertrauen und die Hilfe der Engel, auch das zeigen die Erzählungen auf, helfen, den Teufel zu überwinden oder ihm zumindest zu widerstehen. Sind die Teufelsbegegnungen jeweils eigene Episoden, in denen der Teufel die Initiative ergreift, einem Menschen erscheint und ihn in ein Gespräch verwickelt, so kann sich das bei Menschen, die dem Teufel verfallen sind, zu einem regelrechten Verkehr mit dem Teufel verdichten. So berichtet Hugo von Flavigny

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im Anschluß an den Tod des Herzogs Richard II. von der Normandie und der Nachfolge Richards III.: »Damals lebte ein gewisser Bretone namens Ermenold, ein Mann von ganz verkehrtem Geist und verabscheuungswürdigem Ruf, der sein ganzes Leben dem Teufel geweiht hatte, wie man später aus untrüglichen Beweisen erfuhr. Zu allen Stunden und Minuten sprach er mit dem Teufel und richtete sein ganzes Handeln nach der dunklen (oder : schwer verständlichen) Unterredung aus. Durch die angenommenen Ratschläge der Ungerechtigkeit zur völligen Ungerechtigkeit erzogen, wurde er wahrhaft ein Glied des Teufels, der Zündstoff der Bosheit und Zwietracht sowie jeder Verdorbenheit ist, und klagte vor dem besagten Fürsten alle Großen des ganzen Reiches an, sie würden auf seinen Sturz und Tod sinnen; dadurch brachte er das gesamte Reich in Unruhe, ganz wie das als für den Teufel wahrhaft notwendig und als sein Handwerk und sein Einfall anerkannt ist.«

Der Fürst wurde gegen die Großen aufgebracht, und in der ganzen Normandie entstand ein Bürgerkrieg, bis der Herzog und der Erzbischof von Rouen den Frieden wiederherstellten. Ermenold aber wurde überführt, »weil vor dem Anblick der Diener Gottes alle List des Teufels zunichte gemacht wird«, und nach Verdun gebracht, wo er die Mönchstracht anlegen mußte, »und der Mann, der sich in den Fesseln des Teufels verstrickt hatte, lernte, die Dämonen zu verachten«, verfiel jedoch alsbald erneut dem Teufel und brachte neue Unordnung, bis er schließlich geblendet und getötet wurde.488 Der Teufel bindet die Menschen regelrecht an sich. »Man muß nämlich wissen, daß zeitliche Güter und weltliche Beschäftigungen gewissermaßen die Fesseln sind, mit denen der Teufel die Menschen gebunden hält, damit sie nicht frei auf der Gottesleiter aufsteigen können,« schreibt der Zisterzienser Aelred von Rievaulx im 12. Jahrhundert, und er erinnert an das Gleichnis von dem Reichen, dem Christus befahl, alle seine Güter zu verkaufen und ihm zu folgen (Mt 19). Der Reiche aber zog traurig davon, denn, so erklärt der Evangelist 488 Ebd. 2,28, S. 401: Tunc extitit quidam Britto nomine Ermenoldus, homo mentis perversae, detestandae famae, qui totam vitam suam diabolo dicaverat, ut post experimentis probatissimis compertum est. Hic horis et momentis omnibus cum diabolo loquebatur, et quidquid sibi agendum foret illius nebuloso colloquio disponebatur. Hic per suscepta iniquitatis consilia ad plenam iniquitatem enutritus et vere membrum illius factus, qui est fomes maliciae et discordiae et omnis nequiciae, apud praefatum principem omnes optimates totius regni accusavit, quasi qui eius meditati essent deiectionem et necem, et ita statum totius terrae perturbavit, ut vere diaboli hoc opus esse, eius hoc artificium, eius commentum agnosceretur. Inflammatur princeps adversus optimates, fiunt discidia, excitantur iurgia, et uno intestino bello tota debachatur Normannia. Hac crescente discordia, comitatum pater Richardus adire compellitur, et adiuncto sibi domno Ermenfrido Rotomagum advenit, et pace inter principes restituta, praedictum Ermenoldum alisquantisper mitiorem, quia ante conspectum servorum Dei cassabatur omnis diabolica astutia, convictum et correptum secum Virdunum deduxit, monasticis vestimentis induit, et hominem diaboli laqueis irretitum, quae sunt daemonis spernere docebat.

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ausdrücklich: »›Er hatte nämlich viele Güter.‹ Der Teufel hielt ihn nämlich durch seine weltlichen Beschäftigungen wie mit Fesseln gebunden.«489 Wer sich hingegen von seinen Gütern trenne, könne leicht die Gottesleiter hinaufsteigen und den Teufel überlisten, »denn auf keine andere Weise kann der Mensch dem Teufel leichter eins auswischen als durch Gottesfurcht, die wie ein scharfes Messer wirkt, das die Fesseln zerschneidet, mit denen der Teufel ihn gebunden hält.«490 Der Teufel hingegen kann niemanden heilen [das heißt: zum Heil bringen], den er in seiner Gewalt hat und der seiner Begierde dient und seine Gelüste befriedigt. Wer seine Gelüste hingegen abwirft und gegen die Wünsche seines Fleisches ankämpft, der fügt dem Teufel Schmerz zu. »Wen der Teufel bekämpft, der darf nicht abfallen, sondern soll umso höher steigen und den Teufel und alle seine Beweismittel verachten.« Der Teufel aber hält ihm die Reichtümer, deren er sich entledigt hat, vor Augen und will ihn dazu bringen, zu seinem Erbrochenen zurückzukehren.491 Das führt zu den schon mehrfachen angedeuteten Möglichkeiten menschlicher Gegenwehr.

8.

Gegenwehr

Aelred, wie auch andere der zitierten Beispiele, ja letztlich die Teufelserzählungen überhaupt, wollen den Menschen tatsächlich verdeutlichen, daß und wie sie sich gegen den Teufel wehren können.492 Da der Teufel die Menschen ständig 489 Aelred von Rievaulx, Sermones (Collectio claraeuallensis prima). Sermo 24 (in nativitate b. Mariae) 25, CCM 2 A, S. 196: Scire autem debemus, quia temporales diuitiae et occupationes mundi sunt quasi quaedam uincula, quibus diabolus tenet homines ligatos, ut non possint libere ascendere scalam Dei. Ideo quidam diues, quia audiuit a Domino: ›Vade et uende omnia, quae habes, et da pauperibus, et ueni, sequere me, abiit tristis‹ (Mt 19,21). Quare autem abierit tristis, euangelista nobis ostendit qui ait: ›Erat enim habens multas possessiones‹ (Mt 19,22). Tenebat enim eum ligatum diabolus occupationibus mundi quasi quibusdam uinculis. 490 Ebd. 26, S. 196f.: Qui ergo proiecerit propter timorem Dei et amorem diuitias huius mundi, facile potest scalam Dei ascendere et diabolum supplantare, quia nullo modo potest homo leuius supplantare diabolum quam per timorem Dei quasi quadam acuta nouacula abscidendo ista uincula, quibus diabolus tenet eum ligatum. 491 Ebd. 27f., S. 197: Non enim curat diabolus temptare hominem, quem in potestate sua habet. Qui enim propriae concupiscentiae in omnibus oboedit et satisfacit desideriis carnis suae, non curat diabolus ad illum accedere; sed si coeperit ipsas concupiscentias abicere et niti contra desideria carnis suae, tunc dolet diabolus et aggreditur eum acriori certamine. Is quem diabolus impugnat non deficiat, sed superius ascendat, et diabolum et omnia eius argumenta despiciat […] Ponit diabolus ante oculos diuitias mundi, quas abiecit homo, et uult eum facere redire ›ad uomitum suum‹ (Prov 26,11). 492 Dinzelbacher, Angst im Mittelalter S. 37ff. und S. 59ff., und Ders., Kampf der Heiligen S. 657ff. und 675ff., stellt im einzelnen (meist sehr frühmittelalterliche) Beispiele für die Mittel gegen die Versuchungen (Askese, Kasteiung, Indifferenz), die Gegenangriffe der Heiligen

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versucht und zur Sünde verleiten will, bleibt diesen nur die Möglichkeit (und die Pflicht), sich vor diesen Versuchungen zu schützen, ihnen zu widerstehen und in Tugend zu verharren. Der Mensch muß lernen, Gott und nicht dem Teufel zu gehorchen, heißt es in der Columbanvita.493 Er muß sich nicht nur vor den Fallen des Teufels hüten,494 sondern ihm abschwören und widerstehen.495 Wer seine Einflüsterungen nicht aufnimmt, fällt auch nicht in seine Fallen, wie Isidor von Sevilla vermerkt.496 »Wir führen also Krieg gegen die Leiter dieser Finsternis,« schreibt Augustin, »die Lenker der Ungläubigen, den Teufel und seine Engel, die Lenker jenes Schwerts, mit dem der Teufel gegen die Gläubigen kämpft. […] Denn der Teufel und seine Engel stellen nicht auf die Probe, wenn in dir nicht schon etwas fleischlich beherrscht wird.«497

Nichts hilft dabei wirksamer und besiegt und verwirrt den Teufel, verrät Otloh von St. Emmeram, als ihm die Heilige Schrift entgegenzuhalten, wie auch Christus selbst lehre (und Otloh denkt dabei offensichtlich an die konkreten Begegnungen).498 Die schon mehrfach angesprochenen Teufelsgeschichten Notkers von St. Gallen stellen deshalb nicht nur die Sünde heraus, sondern zeigen damit gleichzeitig, wie wichtig das Erkennen und Bereuen einer begangenen Sünde ist, und sie stellen den Lastern einen ganzen Tugendkatalog entgegen.499 Die Er-

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(Vertreibung aus dem Land und aus den Menschen) und ebd. S. 675ff. die Mittel dazu (Wort, Zeichen, Sakramentalien, physische Gewalt) zusammen. Jonas von Bobbio, Vita Columbani 2,22, S. 279: et post poenas inlatas cognoscere, non diabolo, sed creatori debere creaturam obedire. Vgl. Vita Bertilae abbatissae Calensis 5, S. 105: Irascens igitur amabatur et arridens timebatur et filias quasque vel ceteros sub suo degentes regimine ad bene agendum et diaboli insidias praecavendum spiritali arte muniebat et semet ipsam cunctis bonae operibus lucis exemplum monstrabat abundeque subsidia corporum necessaria providebat. Vgl. Hinkmar von Reims, Vita Remigii episcopi Remensis 14, S. 294f.: Nuntiantur haec sancto Remigio. Ille quoque gaudio magno repletus, regem et populum, qualiter diabolo et operibus ac pompis eius abrenuntiare et in Deum credere deberent, apertis et brevibus verbis instruxit. Isidor von Sevilla, Sententiae 3,5,14, Sp. 662: Qui suggestiones diaboli non recipit, in eius insidias minime transit. Augustinus, Enarrationes in psalmos. Ps. 143,4f., CCL 40, S. 2075: Ergo bellum gerimus aduersus rectores tenebrarum harum, rectores scilicet infidelium, diabolum et angelos eius, rectores gladii eius, de quo pugnat diabolus aduersus fideles. […] Non enim tentat diabolus uel angeli eius, nisi quod in te carnale dominatur. Zur Eigenverantwortlichkeit des Menschen vgl. oben S. 256. Otloh von St. Emmeram, Libellus de suis tentationibus 1, Sp. 39 A: Diabolus enim nullo modo magis convincitur et confunditur, quam cum ei a fidelibus Scriptura sacra obicitur, quod etiam ex Iesu Christi testimonio manifestissime comprobatur. Zur Magie als Mittel gegen Dämonen vgl. Flint, The Rise of Magic S. 173ff. Vgl. Goetz, Strukturen S. 67. Zum Zusammenhang von Teufel und Tugend bei Anselm von Canterbury vgl. Arjo Vanderjagt, The Devil and Virtue: Anselm of Canterbury’s Universal

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zählung des betrunkenen Bischofs, der mit einer Nonne schläft, führt geradezu den Sühneprozeß als einen geregelten Kampf zwischen Sünde und Erlösung vor : Dem Fehltritt folgt das Erkennen des Fehlers, so daß er auf dem Gewissen lastet500 und der Sünder seinen Fehler bekennt und bereut;501 die Reue aber führt zusammen mit der Fürsprache anderer zur Vergebung durch die Gnade Gottes.502 Ohne Gottes Gnade ist der Mensch hingegen dem Teufel verfallen. Er muß sich folglich um sie bemühen. Wo hingegen die Reue fehlt, setzt Gottes Strafe ein:503 Gottesurteile bestrafen Sünden, die der Teufel bewirkt hat, und sie bestrafen den Sünder gleich doppelt: durch Unglück im irdischen Leben und mit dem Verlust des ewigen Lebens. Bei Notker (und anderen) gewähren Weihwasser, Kreuzeszeichen oder Anrufung Christi jedoch einen allgegenwärtigen Schutz.504 Christus erlöst den Menschen durch seine Menschwerdung aus der Knechtschaft des Teufels, in die er durch die Sünde geraten war, hatte schon Gregor von Tours in seiner Religionsdebatte dem Juden Priscus entgegengehalten.505 Nicht minder wichtig ist die Fürsprache der Heiligen. Lampert von Hersfeld erzählt die Geschichte eines Fremden, der im Traum sah, wie ein wunderschöner Mann krächzende Raben aus der Stadt vertrieb und das Volk von der unnötigen Angst befreite. Als er nach der Bedeutung des Traums fragte, erfuhr er, daß die Stadt wegen der Sünden des Volks der Herrschaft des Teufels übergeben worden war, aber durch die Fürsprache des heiligen Märtyrers Georg befreit wurde und so dem von Gott eigentlich schon vorherbestimmten Untergang entging.506 Ein sehr konkretes, von dem biblischen Verführungsmodell abweichendes Wirken des Teufels und menschliche Gegenwehr stehen auch im Vordergrund verschiedener Teufelsgeschichten in der Chronik Thietmars von Merseburg. Als

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Order, in: Istv#n P. Bejczy/Richard Newhauser (Hg.), Virtue and Ethics in the Twelfth Century (Brill’s Studies in Intellectual History 130), Leiden-Boston 2005, S. 33–51. Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni imperatoris 1,22, S. 30: ante inevitabilis vere˛ deitatis oculos maculata conscientia processit. Ebd.: contritum cor episcopi; ebd. S. 31: exemplum vere˛ pe˛nitentie˛. Ebd.: tandem clementia conditoris et vota devoti populi […] miserata. So ebd. 1,25, S. 33f., über den Tod eines Priesters, der trotz seines Fehltritts die Messe liest. Zu den Belegen vgl. Goetz, Strukturen S. 68. Gregor von Tours, Historiae 6,5, S. 269: Nam captivum peccato homine et diaboli servitute subiectum redemere non potuerat, nisi hominem adsumpsisset. Vgl. McGuire, God – Man S. 34f. Lampert von Hersfeld, Annales a. 1074, S. 193: Is vidit per somnium corvum quendam horrendae magnitudinis per totam volitare Coloniam et terribiliter crocitando populum tali spectaculo attonitum huc et illuc agitare, supervenire post haec virum tam veste quam forma precellentem, qui et corvum horrifico sonitu perstrepentem urbe expelleret et populum mente consternatum iamque extrema omnia formidantem cassa formidine absolverit. Cumque a circumstantibus interpretationem somnii horrore concussus quereret, audivit, quod civitas propter peccata populi diabolo in potestatem tradita fuisset, sed interventu Georgii martiris liberata instantis iam atque a Deo predestinati interitus necessitatem evasisset.

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der schon oben erwähnte Fehltritt Heinrichs I. gegenüber der Königin, die mit einem in der Fastenzeit gezeugten Kind (Heinrichs gleichnamigem Sohn) schwanger war, als Teufelswerk entlarvt wurde (und das Kind nun dem Teufel gehören sollte),507 hatte diese fortan beständig Bischöfe und Priester um sich, damit diese das Kind gleich bei der Geburt durch das Taufwasser reinwaschen sollten. Damit war das Kind dem Teufel zwar entrissen, der sich – mit einer Anspielung auf die späteren Aufstände im Haus der Ottonen – aber doch wieder anderweitig für diesen Verlust rächte: »Ist auch jetzt meine Absicht durch dein lästerisches Schwatzen vereitelt, das eine habe ich doch an ihm gewonnen: Meine Gefährtin, die Zwietracht, wird ihn und alle, die später seinen Lenden entstammen, niemals verlassen; nie sollen sie ruhigen Frieden genießen!«508

Genaugenommen deutet Thietmar hier die Aufstände Heinrichs (des rebellischen Bruders Ottos des Großen und späteren Herzogs von Bayern) und dessen Sohnes Heinrichs des Zänkers aus der vom Teufel inspirierten, verbotenen Zeugung ihres Vaters und Großvaters! Teuflisches Wirken erklärt hier die Geschichte. Dennoch konnte Schlimmeres durch die sofortige Taufe verhindert werden. Eine ähnlich seltsame Geschichte erzählt Thietmar von der Äbtissin Gerberga anlässlich des Todes des Erzbischofs Gero von Köln. Auch hier trat der Teufel als Wahrsager auf und vertraute Gerberga, die kein Geheimnis für sich behalten konnte, unter dem Siegel der Verschwiegenheit an, dass der Erzbischof drei Tage lang sehr krank werden und sterben würde, falls in dieser Zeit nicht ständig jemand bei ihm wachte. Falls sie dieses Geheimnis aber verriete, müsse sie selbst sterben. Gerberga berichtete das Ganze dennoch sogleich dem Erzbischof. »Als der Teufel das merkte, fiel er derart über sie her, daß sie nach wenigen Tagen dieses hinfällige Leben mit dem ewigen tauschte.«509 Einerseits entlarvt sich der 507 Vgl. oben S. 236 mit Anm. 266. 508 Thietmar von Merseburg, Chronicon 1,24, S. 30/32: ›Etsi mea nunc sit voluntas tuis frustrata blasfemiis, tamen in hoc profeci, quod ex eo et ex omnibus de lumbis eiusdem umquam progredientibus numquam deerit mea comes discordia, nec proveniet eis pax firma.‹ 509 Ebd. 3,3, S. 100: Huius obitum cuidam abbatissae Gerbergae, quam propter castitatem mentis et corporis idem multum dilexerat secumque sepe detinuit, diabolus bonorum invidus omnium, sicut prius solebat in ceteris, prodidit: ›Vellem tibi meum aperire secretum, ni te scirem cuncta hactenus numquam servavisse commissa. Sed si fideliter hoc continere mihi promittis, ea dico ratione, quandocumque alicui vis aperire, vitam tibi me non dubites tollere. Gero, tuus familiaris, in hoc anno tantam incidet infirmitatem tres dies, ut mortuus credatur ; et si ab aliquo hoc spacium custoditur, tale potest securus evadere periculum.‹ Sed ancilla Christi, verbis obstupefacta talibus, fideli se silentio haec promisit omnibus occultare. Haec cum eundem videret evanescere, directo mox itinere archiepiscopo universa narravit. Quod diabolus intelligens in tantum eam cecidit, ut post innumeros dies vitam hanc fragilem vita mutaret aeterna.

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Teufel hier wieder als derjenige, der für den Tod eines Menschen verantwortlich ist. Andererseits verführt er hier niemanden, sondern spielt nur sein Vorherwissen aus. Niemand begeht hier eine Sünde. Dem Teufel, dem ein geschickter ›Schachzug‹ gelingt, da, sofern seine Prophezeiungen sich bewahrheiteten, in jedem Fall jemand sterben musste, aber wird hier die Macht zugeschrieben, Gerberga in den Tod zu treiben. Die Gegenwehr erfolgte hier erst nachträglich: Der Erzbischof gewährte und forderte von allen Sündennachlaß für Gerberga, damit sie noch ins ewige Leben einziehen konnte.510 Wie man den Versuchungen des Teufels widerstehen kann, zeigt Thietmar in einer weiteren Erzählung über seinen Mitkleriker Husward, den der Teufel, »unser schlauer Nachsteller«, häufig nachts heimsuchte, um sich zu ihm zu legen und ihn schließlich zu seinem Diener zu machen. Husward aber verlangte, zuerst den Lohn zu sehen, und vertrieb den zweideutig antwortenden Teufel dann »mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und harschen Scheltworten«. Der ›Lohn‹ aber hätte, wie sich schließlich herausstellte, darin bestanden, daß er sich wie ein anderer Geistlicher im Westen wegen seiner schweren Vergehen erhängt hätte.511 Ob Huswards Tod noch im gleichen Jahr mit dieser Begebenheit im Zusammenhang steht, läßt Thietmar offen. Statt dessen wundert er sich über die Dreistigkeit des Teufels: »Erstaunlich ist dieses Wagnis des Bösen, obwohl doch an jedem Sonntag das wahre Kreuz Christi in unseren Schlafsaal getragen wurde.«512 Ganz unerklärlich bleibt zunächst auch der Sinn eines Teufelsspuks im Dorf Sülfeld, über den Thietmar berichtet,513 denn hier ist wieder nirgends von Sünde oder Verführung die Rede. Um so deutlicher aber hebt Thietmar noch einmal das Gegenmittel hervor: Am nächsten Morgen rief die Frau nämlich sogleich den Priester herbei, der das ganze Haus mit Heiligenreliquien und Weihwasser reinigte.514 Den Vorfall wertet Thietmar zugleich aber als Vorzeichen: »Wo sich so 510 Ebd.: Archiepiscopus autem, in die depositionis eius missam celebrans, meritum eius cunctis asstantibus indixit indulgentiamque ei ab his postulavit et ipse fecit. 511 Ebd. 4,67, S. 206: Nec lateat te lectorem cuiusdam fratris mei constantia Huswardi; ad quem iuxta me tunc dormientem cum diabolus, insidiator noster callidus, in nocte crebro accederet ac prope eum iacendi locum frustra peteret, ad ultimum, ut sibi pro accipienda mercede voluisset servire, suppliciter rogavit. At ille pius votique non inmemor dominici, ut promissum sibi premium inprimis ostenderet posteaque responsum suimet perciperet, postulavit. Tunc is: ›Consimili‹, infit, ›bravio, quo meum in occidente nuper ditavi ministrum, te mihi consensurum remunerabo.‹ Auditis talibus alloquiis presbiter hic venerandus, ut sepe antea consueverat, signo sanctae crucis et increpacionibus asperis hunc effugavit; cumque in occiduis partibus quendam clericum ob criminis sui magnitudinem laqueo suspensum esse conperiret, nobis omnibus et antecedens ac consequens intimavit. 512 Ebd. S. 206/208: Et mirum est, cum omni dominica die ad dormitorium illud Christi crux vera portaretur, ille malignus talia facere est ausus. 513 Vgl. oben S. 239. 514 Ebd. 7,68, S. 482: qui omnem hanc domum reliquiis sanctorum et aqua lustravit benedicta.

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etwas ereignet, kündigt es eine Veränderung an«515 (die er im folgenden allerdings nicht konkretisiert). Statt dessen ermuntert er noch einmal zur gläubigen Gegenwehr : »Kein Gläubiger braucht sich vor solchem Schrecken zu fürchen. Er bekenne nur von Herzen seine Sündhaftigkeit, schütze sich sofort mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und weise so jede feindliche Macht ab. In dieser Weise spottet der Feind nämlich nur der Unvorsichtigen und betrügt schließlich alle, die irgendwie auf ihn bauen. Wo gerade Verzweiflung herrscht, aus der eine Missetat oder eine Veränderung folgt, geschehen solche Vorzeichen.«516

Damit gibt Thietmar am Ende aber doch eine Erklärung für das teuflische Wirken: »Es ist gar nicht seltsam, daß sich in dieser Gegend ein solches Vorzeichen ereignet hat. Denn die Bevölkerung geht dort selten in die Kirche und kümmert sich überhaupt nicht um den Besuch ihrer Hirten. Sie verehren ihre eigenen Hausgötter, hoffen fest auf deren Hilfe und opfern ihnen.«517

Die halbheidnische, slawische Gegend – und Thietmar läßt noch ein Beispiel für den Aberglauben folgen – bietet ein (traditionelles) Wirkungsfeld des Teufels. Die Geschichte selbst aber ist ein Plädoyer des Bischofs an die eigene Gemeinde, von den heidnischen Gebräuchen abzulassen. Der gelehrte Bischof flechtet in seine Chronik immer wieder solche Teufelsgeschichten ein, die uns wie Volksglauben erscheinen, die er selbst aber äußerst ernst nimmt. Thietmar selbst träumte von seltsamen Gestalten, die ihn zwangen, aus einer Schale einen Trank mit allerlei Kräutern zu trinken; indem er notgedrungen nachgab, den Trank aber im Namen Gottes zu sich nahm – was den bösen Geistern, wie er betont, äußerst mißfiel –, wurde er vorerst gerettet,518 wandte also erneut ein wirksames Gegenmittel an: »Hätte ich damals nicht den Namen des Herrn angerufen, so wäre mein ewiges Heil verloren gewesen.«519 Dennoch hatte er seither, wie er meinte, immer wieder unter Anfechtungen und schlimmen Gedanken zu leiden, die ihn sogar während des Gottesdienstes behelligten, die er dank Gottes Hilfe jedoch jeweils abwenden konnte. »Ich fürchte 515 Ebd. 7,69, S. 482: Tale aliquid, ubicumque evenit, novum aliquit pretendit. 516 Ebd.: Unusquisque fidelium non sibi timeat terrorem illum; se peccatorem ex corde cognoscat et signo sanctae crucis iugiter se muniens omnem adversariam potestatem prorsus excludat. Hostis incautos quosque sic inludit et in se aliquid credentes ad ultimum decepit. Ubi desolatio tunc est aut facinus subsecuturum est vel aliqua mutacio, talis rei precedit indicio. 517 Ebd. S. 482/484: Non est admirandum, quod in hiis partibus tale ostantatur prodigium. Nam habitatores illi raro ad aecclesiam venientes de suorum visitatione custodum nil curant; domesticos colunt deos multumque sibi prodesse eosdem sperantes hiis inmolant. 518 Ebd. 8,15f., S. 510–514. 519 Ebd. S. 512: et nisi tunc Dominicum nomen invocarem, sine perpetua salute manerem.

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weder ihr Drohen,« meint Thietmar, »noch glaube ich ihren Verlockungen, denn sie sind nichtig wie ihre Urheber. Nur wegen meines großen Vergehens bin ich besorgt.«520 Und er fügt hinzu: »Natürlich weiß ich, daß eine solche Erscheinung an sich den Menschen nicht schadet, obwohl sie körperlich zu sein scheint. Geben wir Gott aber durch Sündigen Anlaß, sein Antlitz von uns zu wenden, dann fallen wir elendiglich in die wahnsinnigen Hände dieser Wesen, die niemanden verschonen. Doch auch davon können wir freikommen, wenn wir uns selbst bekehren oder wenn Gottes Erwählte uns immer wieder durch ihr Eintreten begnadigen.«521

Sein Erlebnis aber führt Thietmar auf eine persönliche Feindschaft der bösen Mächte zurück: Sie hätten ihn vernichten wollen, weil er als Priester und Bischof selbst viele Menschen vor solchen Versuchungen gerettet habe (und er hofft weiterhin auf Gottes Hilfe).522 Damit gibt der Bischof noch einmal zu erkennen, wie tief verwurzelt solcher Dämonenglaube in ihm und der ihm anvertrauten Gemeinde tatsächlich war. Dem Gläubigen gilt der Teufel als Bedrohung seines Heils, dem Theologen als Erklärung für begangene Sünden, wobei gerade Thietmars Bericht mit seinen scheinbar volkstümlichen Elementen zeigt, daß auch die Vorstellungen des gelehrten Bischofs längst nicht nur auf einer theologischen Dogmatik fußen. Die teuflischen Anfechtungen sollen eben aktiv zum Widerstand gegen den Teufel anstacheln. In mittelalterlichen Heiligenviten ist der »Dämonenkampf« ein verbreitetes Erzählmotiv,523 das die Standhaftigkeit der Heiligen dokumentieren (und zum Nachahmen anregen) soll. Gegenüber Heiligen verliefen die teuflischen Anfechtungen natürlich erfolglos.524 Obwohl das ein durchgängiges Motiv ist, sieht Peter Dinzelbacher darin nicht zu Unrecht ein Kennzeichen monastischer Kreise des Frühmittelalters.525 520 Ebd.: Illorum minas nec timeo nec blandiciis credo, quia haec cum auctoribus suis vanitas est; commissi quantitatem mei admodum vereor. 521 Ebd. 8,16, S. 512: Et veraciter id scio, quod talis fantasia, quamvis corporaliter appareat, per se hominibus non noceat. Sed cum peccando faciem divinam a nobis avertimus, illorum vesanas manus nemini parcentes miseri incidimus; et ab hiis protinus absolvimur, cum aut ipsi convertimur vel ab electis Dei visitatione crebra fovemur. 522 Ebd. S. 514: Unde autem predicta temptatio mihi evenerit, fidelibus tuis auribus infundo. Multis hominibus a predictorum vexacione hostium laborantibus subvenire studui et propter hoc ad insidiandum mihi eosdem accendi vehementer, quamvis in malum proni sint semper. Spero autem in Deum omnipotentem, ut non ad consumendum me hiis tradat, sed post purgationem diram clementer eripiat. 523 Vgl. Le Goff, Civilisation S. 205f.; Peter Dinzelbacher, Kampf der Heiligen; Ders., Angst im Mittelalter S. 27–80; Graus, Hagiographie und Dämonenglauben; Tabacco, Agiografia e demonologia. 524 Vgl. Diem, Encounters S. 58: »Demons are reduced to bit players in the great performance of the saint’s sanctity.« Vgl. oben S. 252 und 255f. 525 Dinzelbacher, Angst im Mittelalter S. 78f.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Aber auch das Mönchsleben als »Imitatio Christi« und der Engel erscheint als eine geradezu stete Auseinandersetzung mit dem Bösen,526 ein Ringen um die Seelen der Gläubigen und Ungläubigen.527 Dabei wurde man sogar handgreiflich,528 wie Ekkehard von St. Gallen es ebenso humorvoll wie anekdotisch über Notker den Stammler berichtet, der unter anderem auf den Teufel in Hundsgestalt, pikanterweise mit dem Abtsstab des heiligen Gallus, der darüber zerbrach, so lange einprügelte, bis dieser in deutscher Sprache »Au weh mir, weh« rief, nachdem Notker dem Hundsteufel im Namen des Herrn und der Heiligen befohlen hatte, in derselbsen Hundsgestalt auf ihn zu warten. Daß es sich bei dem Hund um den Teufel handelte, glaubte Notker daran zu erkennen, daß sich das Knurren des Hundes mit dem Grunzen eines Schweins vermischte:529 »Bist du abermals da? Wie recht ist dir geschehen, Elender,« so sprach Notker mit Anspielung auf den Engelfall den Hund an, »wenn du jetzt knurren und grunzen mußt, nach jenen strahlenden Stimmen, die du im Himmel besessen hast.«530

Wer dem Teufel hingegen erliegt, wer ihn anbetet oder ihm nur zuhört und seine Einflüsterungen den Geboten Gottes vorzieht, fällt unweigerlich wie einst im Sündenfall, wie Christian von Stablo meint.531 Eben darin liegt die Wirkung des Teufels.

9.

Das Wirken des Teufels und Gegenwehr 2: Der Teufel im Menschen – Besessenheit und Exorzismus

Der alte Glaube, daß Menschen vom Teufel regelrecht – und im wahrsten Sinn des Wortes – ›besessen‹ sein konnten,532 daß er nämlich in ihnen steckte und durch sie wirkte, ist im Mittelalter weit verbreitet. Schon im Neuen Testament und bei den Kirchenvätern findet sich dafür häufig die Wendung »einen Dämon 526 So Dinzelbacher, Kampf der Heiligen S. 649f., 658f. 527 So Graus, Hagiographie und Dämonenglauben S. 119, der (modern) von einem »Widerhall des Ringens um die Einstellung der Menschen gegenüber überirdischen Kräften und der Gemeinschaft« spricht. 528 Vgl. Dinzelbacher, Kampf der Heiligen S. 681f. 529 Ekkehard, Casus sancti Galli 41, ed. Meyer von Knonau S. 147f. (ed. Haefele S. 92). 530 Ebd., ed. Meyer von Knonau S. 147: ,Esne tu, inquit iterum ibi? Quam bene tibi, miser, contigit nunc mussitanti et grunnienti post gloriosas voces illas, quas in caelis habueras!‹ 531 Christian (Druthmar) von Stablo, Expositio in Matthaeum evangelistam 4 (De tentatione Domini), S. 128: Sciendum est vero, secundum dictum ipsius, quia cadit omnis, qui adorat diabolum; et non solum qui adorat, sed etiam qui auscultat, quia adorare uenerari est; quia tunc homo illum ueneratur, quando eius suggestiones Dei mandatis prefert, et illum auscultat, et Deum prohibentem dimittit. 532 Di Nola, Teufel S. 329–357 (Il diavolo S. 275–298, behandelt Besessenheit als ein zeitloses, interkulturelles Phänomen; zum Mittelalter nur kurz ebd. S. 350ff. (Il diavolo S. 292ff.).

9. Das Wirken des Teufels und Gegenwehr 2: Besessenheit

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haben«, die auch im Mittelalter noch vielfach weiterverwendet wurde (häufig etwa noch bei Rupert von Deutz), aber konkretisiert und ausgestaltet wurde. Daß der Teufel den Menschen »in Besitz nahm«, wurde durchaus wörtlich verstanden und als »Besessenheit« gedeutet: Der Teufel fuhr in einen Menschen hinein, der damit zu seinem Werkzeug oder, in der Quellensprache, zu seinem »Gefäß«, zu seiner »Wohnung« oder zu seinem »Sklaven« wurde und mit dessen Stimme er selbst sprach (obwohl er bei den Teufelsbegegnungen ja auch einfach Menschengestalt annehmen konnte). So sagte er von einem Priester : »Dieser ist mein eigener Knecht, denn von wem einer überwunden wird, dessen Knecht ist er.«533 Das geschah allerdings nicht von ungefähr und war seinerseits Sündenstrafe.534 In diesem Fall hatte der Priester, wie der Teufel hinzufügte, »neulich auf mein Überreden hin mit der Tochter des Verwalters dieses Gutes geschlafen«,535 war also einer teuflischen Verführung erlegen. Als der Bischof Priscus von Lyon und seine Frau Susanna die Vertrauten des Vorgängers Nicetius verfolgten, »strafte die göttliche Majestät den Frevel an der Familie des Priscus«: Dessen Frau »wurde von einem bösen Geist ergriffen und im Wahnsinn mit fliegenden Haaren durch die ganze Stadt getrieben«.536 Ein Einsiedler, der sich ständig betrank, wurde schließlich vom Teufel besessen und bedrohte Menschen mit einem Messer.537 Im Grunde wird hier also die Aggressivität eines Betrunkenen als Besessenheit gedeutet und dem Opfer selbst angelastet. In einen Mann aus Eichstätt konnte der Teufel fahren, weil jener bei der Plünderung Augsburgs durch die Ungarn zuvor ein Stück billiges Tuch hatte mitgehen lassen (und er wurde erst dann erlöst, als er das Geraubte zurückbrachte).538 Berichte über ›Besessene‹ und die Austreibung des Teufels, den Exorzismus, sind ausgesprochen häufig539 und oft performativ ausgestaltet.540 Sie gehören zum Standardrepertoire der Heiligenviten und Mirakelberichte, wo sie als 533 Annales Fuldenses a. 858, S. 52: ›Meus,‹ inquit, ›proprius est servus; a quo enim quis superatur, huius et servus est.‹ 534 Anders Rubellin, Diable S. 267f., für das frühe Mittelalter: Nur in 8 von 75 Vitenberichten des 6. bis 9. Jahrhunderts war Besessenheit Strafe für einen Fehler. 535 Annales Fuldenses a. 858, S. 52: quia nuper me suadente cum filia procuratoris istius villae concubuit. 536 Gregor von Tours, Historiae 4,36, S. 168f.: Sed pro his commota tandem divina maiestas ulta est in familia Prisci episcopi. Nam coniux eius daemone arrepta, dimissis crinibus per totam urbem insana vexabatur. 537 Ebd. 8,34, S. 403: a daemonio correptus. 538 Gerhard, Vita Udalrici II 20 (unten S. 305f.). 539 Nach der Zählung von Rubellin, Diable S. 267, sind sie schon in der frühmittelalterlichen Hagiographie mit 75 (72,8 %) Belegen weit häufiger als bloße Erscheinungen mit 28 Belegen (27,2 %). Rubellin selbst gibt (ebd.) falsche Prozentrechnungen zu seinen eigenen Zahlen an. 540 Vgl. Chave-Mahir, L’exorcisme S. 177–221 (»Le th8.tre de l’exorcisme au XIIe siHcle«). »Theatralische« Darstellungen finden sich aber auch schon vor dem 12. Jahrhundert.

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Heilungswunder die Wundertätigkeit des Heiligen dokumentieren.541 Das konnte sich verschieden äußern. Auch Epilepsie (obwohl medizinisch als Krankheit bekannt) konnte, allerdings nur unter anderem, als Besessenheit gedeutet werden. So heißt es bei Agobard von Lyon: »Wir kennen wohl eure besorgte Klugheit, da man jetzt von jenem Ereignis hören muß, als in einem gewissen Ort gewisse Schläge begannen, so daß einige wie Epileptiker niederfielen oder wie solche, die das Volk für von Dämonen besessen hält und so bezeichnet.«542

Während Agobard selbst Epilepsie und Besessenheit also noch sorgsam auseinanderhält, weiß er doch um deren gängige Gleichsetzung, die auch in Chroniken begegnet. An Epilepsie litt, nach den Symptomen zu urteilen, beispielsweise Karl, der jüngste Sohn Ludwigs des Deutschen, den bei seinen Anfällen sechs Männer nicht zu halten vermochten und der schrie und um sich biß und mißtönende Laute von sich gab. Auch Karl war keineswegs schuldlos, weil er sich zuvor nämlich gegen den Vater aufgelehnt hatte: »Siehst Du, mein Sohn,« so läßt der Autor den König anschließend zu seinem anderen Sohn (Ludwig dem Jüngeren) sagen, »wessen Herrschaft ihr dient, du und dein Bruder, wenn ihr gegen mich etwas Widerwärtiges auszuführen gewillt seid? […] Bekenne also deine Sünden und tu Buße und bitte Gott demütig, daß sie dir erlassen werden.«543

Auch der ostfränkische Annalist zweifelt also nicht an der Besessenheit des Königssohnes, wie es weitherhin die Xantener Annalen bestätigen, wonach Karl den Vater der Herrschaft berauben und eine Tyrannis errichten wollte: »Aber Gott, der gerechte und geduldige Richter, erwies ebenda öffentlich vor allen ein großes Wunder : Der böse Geist fuhr vor aller Augen in Karl und quälte ihn schrecklich unter mißtönenden Lauten. Aber noch am selben Tag wurde er durch die Gebete und Beschwörungen verschiedener Priester ausgetrieben.«544

541 Vgl. Dinzelbacher, Kampf der Heiligen S. 669ff. Nach Rubellin, Diable S. 267, beherrschten Berichte über Besessene vor allem die Viten bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts. Tatsächlich sind sie weit darüber hinaus gängig. 542 Agobard von Lyon, De quorundam inlusione signorum 1, S. 238: Cognouimus sollicitam esse prudentiam uestram, quonam modo accipi debeat illud, quod in quodam loco ce˛perunt fieri que˛dam percussiones, ita ut caderent quidam more epilemticorum uel e˛orum, quos uulgus de˛moniacos putat uel nominat. 543 Annales Fuldenses a. 873, S. 77: malignus spiritus Karolum filium eius minimum invasit et graviter vexavit, ita ut a sex viris fortissimis vix teneri potuisset, et quidam satis iuste. […] Conversus itaque rex ad aequivocum suum ait: ›Videsne, o fili, cuius dominio vos mancipatis, tu et frater tuus, quando contra me aliquid sinistrum machinari cogitatis? […] Confitere ergo peccata tua et ›age poenitentiam et Deum humiliter postula, ut tibi relaxentur.‹ 544 Annales Xantenses a. 873, S. 31f.: Sed ›Deus, iustus iudex et patiens‹ (Ps 7,12), grande miraculum palam omnibus ibidem monstravit, ita ut malignus spiritus videntibus cunctis

9. Das Wirken des Teufels und Gegenwehr 2: Besessenheit

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Als der ältere Bruder, Ludwig, das sah, unterwarf er sich sogleich. Der westfränkische Chronist Hinkmar von Reims stilisiert dieselbe Episode noch narrativ aus: Karl sei zuvor nicht nur regelrecht vom Teufel verführt worden, der ihm als Engel des Lichts erschien und ihm die Herrschaft versprochen habe, sondern habe sogar die Kommunion aus den Händen des Teufels entgegengenommen, der daraufhin in ihn gefahren sei.545 Der Teufel aber wird damit zu einem genauen Gegenpart Christi stilisiert, der sogar mit eigenen Sakramenten aufwartet und seine Anhänger, wie Christus die Christen, durch die Kommunion um sich schart. Erneut wird aber auch deutlich, wie konkret man sich das teuflische Wirken vorstellt – und hier schreibt wieder ein hochgelehrter Erzbischof! Ähnliche Vorurteile zeigen sich in verschiedener Hinsicht. Der heilige Norbert von Xanten ließ beispielsweise einem zwölfjährigen Mädchen zunächst die langen, blonden Haare abschneiden, weil er diese für die Ursache ihrer Besessenheit hielt: »damit der Teufel nicht wegen ihrer Haare die Gelegenheit zur Macht über sie erhielt«.546 ›Besessenheit‹ mag sich aus heutiger Sicht demnach aus ungewöhnlichem Verhalten erklären lassen, die Erzählungen offenbaren aber deutlich die mittelalterlichen Teufelsvorstellungen. Daß Menschen vom Teufel besessen waren, konnte man nicht zulassen, sondern mußte versuchen, den Teufel wieder aus dem betroffenen Menschen ›auszutreiben‹. Ein solcher Exorzismus547 wurde nach festen, wenngleich anfangs noch unterschiedlichen, aber auch später verschiedenartigen Formen und Riten durchgeführt548 und bedurfte erfahrener und heilsträchtiger Vollstrecker.549 Secundum consuetudinem wurden das Evangelium oder »die Exorzismen«, wie es bei Einhard heißt, oft über dem Haupt eines Besessenen gelesen,550 oder man brachte einen libellus exorcismi herbei, um daraus vorzulesen.551

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Karolum invasit eumque horribiliter discrepantibus vocibus agitavit. Sed in eodem die orationum suffragiis et coniurationibus diversorum sacerdotum eiectus est. Annales Bertiniani a. 873, S. 190f. Vita Norberti 10, S. 680: Et quia flavis erat venusta capillis, sacerdos verens ne occasione crinium dyabolus in ea potestatem haberet, eam tonderi iussit. Vgl. dazu Dinzelbacher, Angst im Mittelalter S. 54ff., sowie detailliert Chave-Mahir, L’exorcisme. Zu den Quellen ebd. S. 133–175. In Anhang 1 (ebd. S. 343–348) werden 26 liturgische Bücher des 9. bis 11. Jahrhunderts aufgeführt, die Exorzismusformulare enthalten. Anhang 4 (ebd. S. 362–384) druckt Formulare des 12. Jahrhunderts ab. Im Folgenden geht es mir hier jedoch nicht um den Exorzismus als solchen, sondern um die bislang weniger beachteten, in den Exorzismusberichten durchscheinenden Teufelsvorstellungen. Zum Ritual des Exorzismus vgl. ebd. S. 93–132. Die frühesten erhaltenen Formulare stammen aus dem 8. Jahrhundert. Zu den Exorzisten vgl. ebd. S. 59–91. Die Exorzisten mussten Geistliche sein, doch handelte es sich vielfach um besonders herausgehobene Personen. So Einhard, Translatio et miracula ss. Marcellini et Petri 3,14 (unten Anm. 562). Vgl. Vita Norberti 10, S. 680: albis et stola vestitus super puellam iam duodennem exorcismum legit. Cumque super caput eius legeret euangelia, demon irridens respondit […].

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Ein »Gebet gegen das Dämonische« wohl aus dem 10. Jahrhundert hat folgenden Wortlaut: »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Ich beschwöre dich und rufe dich, Teufel, durch den Namen unseres Herrn Jesu Christi und seines Reichs und durch die Tugend der heiligen Trinität und durch ihre Allmacht, auf daß du ausfährst, Satan, und alle teuflische Gewalt über diesen Menschen (verlierst), ohne Schaden an seiner Seele und an seinem Körper. Fahr ganz und gar aus und wage nicht, dich dort aufzuhalten, dich auszubreiten, dich verborgen zu halten, in seinem Körper, seinem Geist, seiner Seele oder in seiner Kleidung zu dienen, sondern fliehe hinweg und verschwinde. Laß weder Spur noch Schmerz in seiner Seele, seinem Fleisch oder seinen Knochen zurück. Fahr hinaus, unreiner Geist, wer immer du bist, ob einer oder mehrere und wie immer eure Namen lauten mögen.«552

Sogar gleich mehrere Dämonen konnten demnach in einen Menschen fahren. Das Gebet zeigt, daß man offenbar Folgen nicht nur an der Seele, sondern auch am Körper befürchtete. Es offenbart aber auch eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber einem letztlich unbekannten Feind. Man suchte den Teufel mit Reliquien und Kreuzen, Kreuzzeichen und Bittgebeten und vor allem mit Weihwasser auszutreiben. Nach Hrabanus Maurus rief das dem Teufel seinen Untergang in Erinnerung.553 Norbert von Xanten sperrte einen besessenen Mönch ein und legte ihm exorziertes Salz in den Mund (das der ›Dämon‹ ihm in diesem Fall wieder ins Gesicht zurückspuckte).554 In schweren Fällen legte man den Besessenen ganz in Weihwasser,555 wandte aber auch andere Mittel an. Den Viten zufolge beteiligten sich vor allem Heilige an der Teufelsaustreibung, deren Erfolg als Wunder verstanden wurde und dem Heiligen Wunderkraft zuwies. In unmittelbarer Nachahmung Christi, der in den Evangelien mehrere Besessene geheilt hat,556 widerstand der Heilige hier nicht nur persönlich den Versuchungen des Teufels, sondern besiegte diesen und befreite sein Opfer. Manche Heilige scheinen sich regelrecht auf Exorzismen ›spezialisiert‹ zu 551 So Liutolf, Translatio S. Severi. Translatio 3, S. 292: Is cum libellum exorcismi super daemoniacam legere coepisset […]. 552 Oratio contra daemoniacum, Sp. 1149f.: In nomine Dei Patris, et Filii et Spiritus sci. Coniuro te et obtestor te diabole, per nomen D(omi)ni n(ost)ri Ih(es)u Xp(ist)i et imperium eius et per virtutem sanctae Trinitatis et per omnipotentiam eius, ut exeas, Satanas et omnis diabolica potestas, de homine isto N. absque laesione animae et corporis sui. Exeas omnino nec stare nec discurrere nec latere nec servire in corpore istius et spiritu et anima aut vestimento praesumas, sed profugus abscedas. Nullumque vestigium aut dolorem in anima istius vel in carne seu ossibus derelinquas. Exite inmundi spiritus, quicunque estis, aut unus aut plures qualecunque vobis sit nomen. 553 Hrabanus Maurus, De institutione clericorum 1,27, S. 194. 554 Vita Norberti 14, S. 688: Et cum salem exorzizatum ori eius immuisset, illo magno impetu in faciem et in oculis sacerdotis exspuit. 555 Vgl. ebd. S. 687: Ponitur in aqua exorzizata, leguntur exorcismi. 556 Vgl. Chave-Mahir, L’exorcisme S. 79ff.

9. Das Wirken des Teufels und Gegenwehr 2: Besessenheit

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haben und wurden wegen ihres entsprechenden Rufes herbeigeholt. Helmold von Bosau schreibt eine solche Gabe dem Oldenburger Bischof Vizelin zu, dessen Haus so voll von herbeigeschleppten Besessenen gewesen sei, daß die Brüder gar keine Ruhe mehr fanden, weil die Dämonen aus den Besessenen schrien, die Gegenwart der heiligen Männer entfache ihre Feuer.557 Es gab Priester, denen (angeblich) kein Dämon widerstehen konnte und vor denen die Dämonen regelrecht Angst hatten. Manche Viten suchten entsprechende Fähigkeiten ihres Heiligen herauszustellen. Ein so begnadeter Heiliger war auch Norbert von Xanten, der Gründer des Prämonstratenserordens und spätere Erzbischof von Magdeburg, der vom ganzen Volk wegen seiner erfolgreichen Exorzismen gerühmt wurde.558 Seine Vita spiegelt Vielfalt, Typus und Symbolik des Vorgehens beim Exorzismus geradezu idealtypisch wider. Wichtig war zunächst die Unterstützung durch geistliche Handlungen seitens der Umstehenden. So fasteten Norbert und seine Ordensbrüder und kasteiten sich während der Exorzismen.559 Nach der Vita der heiligen Afra vermochte ein Dämon nur dann über Nacht zu bleiben, falls der Bischof und die Brüder in dieser Zeit davon ablassen würden, die Hände gen Himmel zu strecken, niederzuknien und Psalmen zu singen. Durch solche Handlungen konnte er also vertrieben werden.560 Wie bei den Teufelsbegegnungen ging dem Exorzismus oft eine regelrechte Inquisition voran: Der Teufel wurde befragt, gab dabei über den Mund des Besessenen bereitwillig Antwort und teilte mit, wie, wann und weshalb er in den Menschen gefahren war. Beispielhaft wird das etwa in Einhards ›Translatio Marcellini et Petri‹ aus dem 9. Jahrhundert an einem etwa sechzehnjähriges Mädchen aus Höchst im Niddagau, einem zum Kloster Lorsch gehörigen Gut, vorgeführt, das von einem »umherschweifenden Geist« besessen war und deshalb von seinen Eltern zur Kirche der Märtyrer geführt wurde.561 Der Priester 557 Helmold von Bosau, Chronicon 1,55, S. 108: Obsessorum, qui late advecti sunt, plena erat domus, ita ut fratres quiescere non possent, clamantes sanctorum virorum presentia ignes suos accendi. 558 Vita Norberti 10, S. 681. 559 Ebd. 14, S. 688: fatigati qui aderant ieiunio et vigiliis noctis praecedentis. 560 Conversio et passio Afrae 6, S. 59f.: Dicit ei demon: ›Modo iube me hic manere ista nocte.‹ Dicit ei Narcissus: ›Si potes nobiscum manere, mane.‹ Dicit ei demon: ›Si non expandas ad caelum manus tuas et non flectas genua tua et non psallas Deo tuo, possum hic manere.‹ Dicit ei Narcissus: ›Numquam si tibi bene, inmunde spiritus! Non solum autem ego, sed et isti omnes mecum per totam noctem Deo nostro flectent genua et laudes ei una nobiscum canent.‹ Tunc demon dirae vocis ululatum teterrimum emittens, nusquam conparuit. 561 Einhard, Translatio et miracula Marcellini et Petri 3,14, ed. Waitz S. 253; ed. Drumm u. a. S. 96: Sub idem fere tempus, cum Ratleicus a nobis ad basilicam martyrum regressus est, adlatus est nobis inde alter libellus, continens verba et ratiocinationem cuiusdam daemonis, qui se Wiggonem nominavit; quae facta est ab eo coram multis testibus ante altare iuxta quod sacri martyrum cineres repositi sunt, ad interrogationem presbiteri, qui exorcismum

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

begann die Befragung in lateinischer Sprache, und der Dämon antwortete durch den Mund des Mädchens ebenfalls auf Latein (oder aber auf Französisch, Romana locutione), dessen das Mädchen, wie Einhard betont, gar nicht mächtig war und sich sonst nur in der »barbarischen« Volkssprache (in diesem Fall also so etwas wie Althessisch) verständigen konnte.562 Er sprach über sich selbst und verriet dabei offenbar sogar seinen Namen, denn Einhard weiß, daß er Wiggo hieß.563 Als der Priester aber nach ihren – dort anwesenden – Eltern fragte, antwortete der Dämon: »Meine Eltern habe ich niemals gesehen.«564 »›Du aber,‹ fragte der Priester, ›woher kommst du, wenn das hier nicht deine Eltern sind?‹ Und der Dämon sagte durch das Mädchen: ›Ich bin ein Anhänger und Schüler Satans und war schon seit langem Torsteher der Hölle.«

Das alles sagte der Teufel auf Latein!565 Am Ende befahl der Priester dem Teufel auszufahren.566 Das Mädchen lag noch eine Zeitlang wie schlafend am Boden, doch als es erwachte, war es vollkommen geheilt.567 Einen Besessenen erkannte man daran, daß er plötzlich Dinge konnte, die unmöglich waren, wie soeben in den Erzählungen Einhards und Norberts, in denen jeweils ein Mädchen in einer Fremdsprache redete. Der Dämon Wiggo sprach auf Latein, damit, wie Einhard ausdrücklich erklärt: »man öffentlich merken konnte, daß es [das Mädchen] nicht selbst, sondern daß der Dämon durch ihren Mund gesprochen hatte.«568 Ein anderes Mädchen der Norbertvita sagte das Hohelied von Anfang bis Ende auf lateinisch, französisch und deutsch auf (dabei hatte es, wie der Autor versichert, bislang nur den Psalter gelernt).569

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super energuminum legerat; quod hoc modo contigisse narratur. Praedium est in pago Nitahgaowe vocabulo Hecgistat, pertinens ad monasterium Sancti Nazarii, de quo puella quaedam annorum circiter XVI, ab eodem erratico spiritu possessa, ad basilicam martyrum a parentibus suis adducta est. Ebd.: Quae cum ante tumbam sacra corpora continentem venisset, et presbiter super caput eius exorcismum secundum consuetudinem perlegisset, ac deinde daemonem, qualiter et quando in eam fuisset ingressus, percontari coepisset, non barbara lingua, quam solam puella noverat, sed Romana locutione presbitero respondit. Oben Anm. 561. Ebd.: Cumque presbiter miraretur atque interrogaret, unde illi Latinae linguae notitia, cum parentes eius, qui ibi praesentes adstabant, huiuscemodi sermonem penitus ignorarent: ›Parentes‹, inquit, ›meos numquam vidisti.‹ Ebd.; ed. Drumm S. 98: Haec omnia daemon per os barbarae puellae Latine locutus est. Ebd.: Et cum eum presbiter imperando urgere coepisset, ut exiret. Ebd. S. 253f.; ed. Drumm S. 98: His dictis, puellam in pavimentum proiecit atque ibi aliquantulum velut dormientem prono corpore iacere fecit. Post paululum vero, illo recedente, quasi de somno evigilans, per virtutem Christi et merita beatorum martyrum puella, cunctis qui aderant cernentibus atque mirantibus, sana surrexit. Vgl. zu dieser Geschichte auch Abschnitt 10, unten S. 307 und 334f. Ebd. ed. Waitz S. 254; ed. Drumm S. 98: Nec post exactum a se daemonem Latine loqui potuit, ut palam posset intellegi, non illam per se, sed a daemonem per os eius fuisse locutum. Vita Norberti 10, S. 680: Moxque demon scientiam suam ostentans, cantica canticorum a

9. Das Wirken des Teufels und Gegenwehr 2: Besessenheit

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Einfältige Brüder konnten plötzlich die Bibel auslegen und ihre Prophetien deuten; ein Bruder gab vor, eine Jenseitsvision gehabt zu haben und sagte das (glorreiche) Schicksal der anderen voraus,570 und auch Notker erkannte nach einer schon erwähnten Anekdote Ekkehards von St. Gallen den Teufel in einem Hund daran, daß dieser ›Fremdsprachen‹ beherrschte, nämlich zunächst wie ein Schwein grunzte und dann auf deutsch fluchte.571 Nach der Vita der heiligen Afra führte Bischof Narcissus von Gerona eine regelrechte Befragung über den Christusglauben durch und fragte den bösen Geist, ob er wisse, daß Christus versucht, gegeißelt, mit einer Dornenkrone verhöhnt, gekreuzigt, gestorben und begraben, am dritten Tag aber von den Toten wieder auferstanden sei. »›Wie sollte ich das nicht wissen?‹ antwortete der Dämon, ›da doch von jener Stunde an, da er gekreuzigt wurde, unser Fürst entfloh.‹«572 Der Bischof fragte daraufhin nach dem Namen jenes Fürsten und entlockte dem Dämon das Geständnis, daß Christus nie gesündigt habe, sondern für die Sünden der Menschen gestorben sei, um ihn damit zu überzeugen, daß er die Menschen nicht behelligen könne. Wie noch öfter, zeigten sich der Teufel und seine Dämonen wohlinformiert über den christlichen Glauben, von dem sie die Menschen abzubringen suchten. Der Dämon aber antwortete (mit Bibelworten!), daß niemand Fremdes wegnehmen, der Bischof ihm seine Funktion folglich nicht entziehen könne; auch er sei ein Geschöpf Gottes und habe seine Aufgabe.573 Tatsächlich konnte der Exorzismus nur im Einzelfall erfolgreich sein; das Wirken des Teufels insgesamt, das, wie sich gerade im letzten Beispiel andeutet und gleich noch näher auszuführen ist, mit der Verführung zum Unheil doch zugleich heilsgeschichtliche Funktionen ausübte, konnte man nicht verhindern. Schaden konnte der Teufel, wie schon oben vermerkt, hingegen nur, soweit Gott ihm die Macht dazu gab. Als ein besessenes Mädchen den heiligen Norbert mit seiner eigenen Stola erwürgen wollte und die Anwesenden das zu verhindern suchten, sagte der Heilige: »Laßt das! Laßt sie nur machen. Wenn sie

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principio usque ad finem per os puellae edidit et iterans verbum ex verbo eadem cantica canticorum gallice interpretatus est itemque reiterans verbum ex verbo in Teutonico totum expressit ore puellae illius, quae dum sana esset, nichil nisi psalterium didicerat. Ebd. 13, S. 685f.: Quosdam, cum quibus aliquando voluntatis suae receptaculum habebat, tanta fallacia replevit, ut qui prius vix aliqua in libro legere poterant, nunc de libris magna quaedam dicerent et futura prophetando maiora et stupenda praedicarent. Ekkehard, Casus s. Galli 41 (oben Anm. 529). Conversio et passio Afrae 6, S. 58–60, hier S. 58: Respondit demon et dixit: ›Utinam mihi hoc nescire licuisset, nam ex ea ora, qua crucifixus est, princeps noster fugit.‹ Ebd. S. 59: Dicit ei demon: ›Quare docet lex sancta et iubet, ut res alienas non tollat aliquis? (Ex. 20,15) Tu, qui sanctus es, res meas quare tollis? Quid mihi tollis animas, quas lucratus sum?‹ Dicit ei Narcissus episcopus: ›Effractor et fur ab initio tu es, damnate et inveterate, nam istas animas a Creatore suo et Domino suo tu separasti. Ego te modo furem teneo et Creatori creaturam suam restituo.‹ Respondit ei demon, dicens: ›Et ego creatura eius non sum? Ergo et me Creatori meo restituae.‹

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

von Gott Macht erhalten hat, so tue sie, was sie kann.« Daraufhin ließ das Mädchen die Hand wie von selbst sinken.574 Als der Teufel dem Prior von Pr8montr8 drohte, antwortete dieser : »So wirst du handeln, wenn du Macht dazu erhalten hast.«575 Ein nicht zu unterschätzendes Problem der Exorzisten war die Widerspenstigkeit des Teufels, der sich nicht immer leicht austreiben ließ und den Exorzismus offenbar als Herausforderung empfand und mit weiteren Inbesitznahmen drohten.576 Auch wenn die Dämonen vor manchen Exorzisten regelrecht Angst hatten, erwiesen sie sich nicht selten als besonders widerspenstig. »Sieh an, da kommt schon die Dienerin Gottes, um uns zu martern und aus unserer Wohnstätte hinauszuwerfen,« klagten die Besessenen, als die heilige Rusticula nahte.577 In der Vita Norberti führte der Prior von Pr8montr8 ein langes Gespräch mit dem Teufel (das heißt mit dem Besessenen, um festzustellen, daß es der Teufel war.) Dieser erwiderte: »Fragst du mich, was ich rede, oder wer ich bin, der ich rede? Weder das eine noch das andere werde ich dir sagen.«578 Und er drohte sogar, ihm Gewalt anzutun und mit vielen anderen zum Kampf zu kommen.579 Auch Norbert selbst, der doch vom ganzen Volk wegen seiner exorzistischen Fähigkeiten gerühmt wurde, hatte oft große Schwierigkeiten, den Teufel auszutreiben. Bei einem zwölfjährigen, besessenen Mädchen brauchte er dazu mehrere Tage und zahlreiche Versuche, während der Teufel über die üblichen Verfahren nur lachen konnte: »Dieses Geleier habe ich doch schon oft gehört; deshalb werde ich nicht aus meiner Wohnung ausfahren, weder dir noch einem von denen da zuliebe, denn wem zuliebe sollte ich schon weichen? Die Säulen der Kirche sind eingestürzt.«580

574 Vita Norberti 10, S. 680: Tunc puella manum iniecit ad stolam eius, ut collum ipsius astringeret. Cumque qui aderant vellent manus eius amovere: ›Nolite!‹ inquit, ›permittite illam; si potestatem a Deo accepit, faciat quod potest.‹ Hoc audito ipsa manus sponte relaxavit. 575 Ebd. 14, S. 687: ›Sic facies, si accepisti potestatem.‹ 576 Vgl. etwa Liutolf, Translatio Severi 3, S. 292: Erat autem in eodem itinere prepiter quidam nomine Reginharius, postea chorepiscopus, quem tu quoque saepissime vidisti, cui Dominus tantam gratiam in eiciendis daemoniis contulit, ut nullus ei daemon resistere auderet. Als er vertrieben wurde, drohte der Dämon: ›En eicis me hinc per verbum Domini et merita sui confessoris, sed antequam ad Erphesfurt pervenias, invenies me non semel neque bis tibi adversantem.‹ 577 Vita Rusticulae 13, S. 345: Ecce famula Dei iam venit, ut non torqueat et de habitatione nostra eiciat. Vgl. Dinzelbacher, Angst im Mittelalter S. 58. 578 Vita Norberti 14, S. 686: ›lnterrogas me, quid loquar, an quis sim qui loquor? Neutrum indicabo tibi.‹ 579 Ebd. S. 687: Coepit igitur ille fremere et cum magno strepitu clamare. ›Veniant hinc hoc ad bellum, plures enim sumus et conteremus eos, ut a lapide grana conteruntur, et prorsus delebimus.‹ 580 Ebd. 10, S. 680: ›Huiusmodi liras frequenter audivi; unde neque pro te neque pro omnibus istis de habitaculo isto egrediar. Nam pro quibus recedam? Columpnae ecclesiae ruerunt.‹

9. Das Wirken des Teufels und Gegenwehr 2: Besessenheit

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Der Teufel betrachtete das als Kampf und drohte erneut, seine zahlreichen Gefährten herbeizurufen: »Was soll das? Ich werde heute weder deinet- noch eines anderen wegen ausfahren. Wenn du mich aber schreien hörst, werden sogleich unzählige von den Meinen, das heißt von den Schwarzen, zum Kampfe kommen, hei, zum Kampf, hei, zum Kampf.«581

Selbst als Norbert das Mädchen in Weihwasser legen ließ, nutzte das nichts, und er mußte den Versuch fürs erste abbrechen, während der Teufel spottete: »Ha, ha, he! Jetzt machst du’s gut, und noch immer hast du mir das Gott wohlgefällige Werk nicht getan. Den ganzen Tag hast du nutzlos vergeudet.«582

Der Heilige verbrachte die ganze Nacht mit Fasten und las am nächsten Morgen das Evangelium und die Messe über dem Kopf des Mädchens, doch selbst bei der Eucharistiefeier höhnte der Teufel: »›Schaut, schaut, da hält er sein Göttchen in der Hand.‹« Und der Autor kommentierte das mit den Worten: »Teufel bekennen nämlich, was Häretiker leugnen«583 (ohne auf diese unverschämte Blasphemie einzugehen, die andernorts ja ebenfalls als Kennzeichen gerade auch von Häretikern und Ungläubigen gilt). Erst als Norbert sein Werk forcierte, schrie der Teufel schließlich: »›Au, ich brenne, au, ich brenne, au, ich sterbe, au, ich sterbe!‹ sowie: ›Ich will ausfahren, ich will ausfahren, laß mich frei!‹«584

Ein anderes Mal aber höhnte der Teufel, indem er betonte, dass er fern aller menschlichen Bestrafungen sei: »Du hast schon angeregt, mich in Wasser zu legen, damit ich dort fürchterlich gegeißelt und fast totgeschlagen werde; aber deine Mühen sind umsonst; mich verletzen deine Schläge nicht, deine Geißeln schrecken mich nicht, der Tod quält mich nicht, und die Fesseln des Todes binden mich nicht.«585

Einmal mußte Norbert den Exorzismus sogar ganz aufgeben, weil – so lautete die Begründung seines Biographen – die Sünden des besessenen Mannes einfach zu 581 Ebd.: ›Quid agis?‹ inquit, ›neque pro te neque pro alio hodie exibo. Quod si videris me exclamare, iam tot de meis, id est de nigris, ad bellum venient, eia ad bellum, eia ad bellum.‹ 582 Ebd.: ›Ha, ha, he! modo bene facis et nondum fecisti michi opus a Deo beneplacitum. Totam etenim diem consumpsisti vane.‹ 583 Ebd. S. 681: ›Videte, videte, ecce iste deiculum suum manibus suis tenet.‹ Fatentur enim demones, quod haeretici negant. Ähnlich ebd. 14 (unten Anm. 598). 584 Ebd. 10, S. 681: ›En ardeo, en ardeo, en morior, en morior!‹ itemque: ›Volo exire, volo exire, dimitte me!‹ 585 Ebd. 14, S. 688: ›Iam tu consilium dedisti, ut in aquam mitterer, ut ibidem durissimis caesus flagellis usque ad mortem fere verberarer; frustra niteris, me tua flagella non laedunt, minae tuae non terrent, mors non cruciat, nec me mortis vincula ligant.‹

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groß waren.586 Drei Tage mußte der Teufel diesen Menschen erst quälen, bevor er endlich ausfuhr. Erneut wird hier Besessenheit als Strafe Gottes für menschliche Sünden gedeutet. »Ich fahre nicht aus, nur weil du es befiehlst,« antwortete der Dämon Wiggo am Ende dem exorzierenden Priester, »sondern wegen der Kraft der Heiligen, die mir nicht gestatten, länger in diesem Mädchen zu verweilen.«587

Im Erfolgsfall fuhr der Teufel dann durch die Körperöffnungen hinaus, durch die er auch hineingefahren war : Mund, Harnblase oder Hinterteil, nicht ohne einen entsprechend widerlichen Gestank zu hinterlassen. So heißt es in der im 7. oder sogar erst am Ende des 8. Jahrhunderts entstandenen Vita des um 580 verstorbenen heiligen Dalmatius von Rodez zum Exorzismus an einem jungen Mädchen in der Kirche: »Da der grausame Feind keine Öffnung im oberen Teil des Körpers finden konnte, um zu entfahren, wurde er über den Ort der Verdauung, eine ihm würdige Öffnung, herausgezwungen und entfuhr von dort. Der Raum aber, an dem sonst dem ewigen König heilige Verehrung zuteil wird, füllte sich mit einem solchen Gestank, daß es dafür keine Erklärung gab, außer daß der Teufel von dort ausgefahren sei.«588

Bei dem schon erwähnten, von Norbert an einem Mädchen vorgenommenen Exorzismus entschwand der Teufel beim Urinieren.589 Ein anderes Mal hinterließ er wieder einen entsetzlichen Gestank.590 Im Hitda-Codex aus dem frühen 11. Jahrhundert heilt Christus einen Besessenen, aus dessen Mund der Teufel als kleine, schwarz-grüne Gestalt mit Flügeln und Klauen rücklings ausfährt (Abb. IV/46, S. 360).591 Ein beim Exorzismus durch den Mund des Besessenen ausfahrender Teufel ist auch in einer D-Initiale des Drogo-Sakramentars aus dem 9. Jahrhundert zu einem Wunder Arnulfs von Metz dargestellt (Abb. IV/47, 586 Ebd.: ›Non,‹ inquit, ›modo a suo tortore liberari poterit, quia peccatis suis exigentibus hoc ei accidit.‹ 587 Einhard, Translatio Marcellini et Petri 3,14, ed. Waitz S. 253; ed. Drumm u. a. S. 98: ›Exibo‹, inquit, ›non propter tuum imperium, sed propter sanctorum potestatem, qui me in illa diutius manere non permittunt.‹ 588 Vita Dalmatii episcopi Ruteni 6, S. 547: Post haec cum iam nullum ad egrediendum aditum in superna corporis parte poterat reperire, ad digestorium locum digno sibi adito crudelis inimicus effertur, indeque egressus est. Tanto scilicet locum quo sacre inpendebantur aeterno regi cerimoniae paedore replevit, ut nullum alium foret inditium, nisi illinc diabolum processisse. 589 Vita Norberti 10, S. 681: spiritus immundus foetentissimae urinae foeda reliquens vestigia aufugit, vasque possessum reliquit. 590 Ebd. 14, S. 687: non post multum exivit, intolerabiliter foeda relinquens vestigia. 591 Hitda-Codex, Köln, um 1020. Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Hs. 1640, fol. 76r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt.

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S. 361),592 und ein ganz ähnliches und demnach sehr gängiges Motiv findet sich auf einem Portalrelief der Kirche San Zeno Maggiore in Verona: Auch hier entweicht ein bärtiger Teufel infolge des Exorzismus durch den heiligen Zeno aus dem Mund einer besessenen Frau, nämlich, der Vita zufolge, der Tochter des Kaisers Gallienus (Abb. IV/48, S. 362).593 Nicht selten fuhr der Teufel aber sogleich in den nächsten Menschen hinein und schuf so eine regelrechte Kette von Besessenheiten. Nach der Geschichte der Vita Severi befiel der Teufel unmittelbar aufeinanderfolgend der Reihe und dem Alter nach vier Schwestern.594 Manchmal machte er es sogar zur Bedingung, weiterwirken zu dürfen. So versprach er dem heiligen Norbert, aus einem Mädchen auszufahren, wenn der Heilige ihm statt dessen erlaubte, dafür einen der anwesenden Mönche (und damit eine noch höherwertige Beute) in Besitz zu nehmen.595 Der Dämon, den Bischof Narcissus in der Afravita befragte, bat diesen um eine einzige Seele; diesen Menschen wolle er anschließend töten und seine Seele gewinnen.596 Voraussetzung für eine erfolgreiche Austreibung war zunächst die Tatsache, daß der Teufel als solcher erkannt wurde. Dem Prior von Pr8montr8 gegenüber blieb er so lange widerspenstig, bis jener ihm vorwarf, von Beginn an ein Lügner zu sein.597 Die größte Angst hatte der Teufel vor Christus, der ihn überwunden hatte. Daher befahl ihm der Prior, im Namen Christi zu antworten: »Da streckte jener die Hände gegen ihn aus und sagte: ›Glaubst du wohl, du bist der Meister der anderen?‹ Dann deutete er mit den Fingern auf das Kreuz, das sich dort befand, und sagte: ›Der da ist mein Meister, nicht du. Für dich tun wir nichts; dieser aber ist es, von dem ich gequält werde.‹«598

592 Drogo-Sakramentar, Metz 850/55. Paris, Bibl. nat. Ms. lat. 9428, fol. 91r. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der BibliothHque nationale de France nach dem Faksimiledruck: Codices selecti 49, Graz 1974. Foto: Medienwerkstatt der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky. 593 Verona, San Zeno Maggiore, Portal, 11./12. Jahrhundert. Abbildung aus: Schade, Dämonen und Monstren, Abb. 40. 594 Liutolf, Translatio Severi 3, S. 292f. 595 Vita Norberti 10, S. 680: ›Si hinc me eicis, permitte me intrare in monachum praesentem,‹ et nominavit eum. 596 Conversio et passio Afrae 6, S. 59: Dicit ei demon: ›Fac piaetatem super me et da mihi vel unam animam in potestatem.‹ Dicit ei Narcissus episcopus: ›Si dedero tibi animam in potestatem, quid de ea facies?‹ Dicit ei demon: ›Interficio hominem et lucro animam eius.‹ 597 Vita Norberti 14, S. 687: ›Mendax es et ab initio in veritate non stetisti nec tibi in aliquo credendum est,‹ non post multum exivit. 598 Ebd.: ille manibus contra eum extensis ait: ›Putasne, te istorum esse magistrum?‹ Et extensis digitis ad crucem, quae ibi tenebatur: ›Ille,‹ inquit, ›est magister, non tu. Pro te nichil facimus, sed ille est a quo torqueor.‹ Demones enim dominum nostrum Iesum Christum crucifixum fatentur et timent. Iudaei et falsi christiani non agnoscunt, sed detestantur et rident.

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Deshalb beschwor ihn der Prior bei Christus, dem Sohn Gottes, der ihn am Kreuz besiegt habe.599 Ein sicheres Mittel, den Teufel auszutreiben, war es ferner, ihn an seine eigenen Ursprünge und daran zu erinnern, was er verloren hatte. Deshalb warf der Prior dem Teufel den Engelfall vor (dessen Kenntnis der Autor bei den Lesern voraussetzt): »Elender, Elendigster, du, einst Lucifer, bist du in der Früh aufgegangen, hast die Wonnen des Paradieses genossen; doch weil sie dir nicht genügten, sprachst du: ›Ich will meinen Sitz aufschlagen im Norden, dem Allmächtigsten werde ich gleich sein.‹ Da hast du verloren, was du warst, hast das Licht mit der Finsternis, die Seligkeit mit dem Elend, den Ort der Wonnen mit dem stinkenden Platz bei den Schweinen vertauscht. Was für ein würdiger Tausch und eine angemessene Wandlung! Also geh, hier ist kein Platz für dich, wälze dich in stinkenden Kloaken wie die Säue und warte an schmutzigen Orten auf die Zeit deiner Prüfung!«600

Das verwirrte den Teufel, und er entschwand. Ganz ähnlich reagierte ein anderer Mönch: »O du Erbärmlicher, du Unseliger, du jämmerlichste aller Kreaturen! Du bist das vornehmste Ebenbild Gottes gewesen und hast durch deinen Hochmut die Erkenntnis der Wahrheit verloren. Wie kannst du nicht nur frech behaupten, die Dreifaltigkeit zu kennen, sondern sie sogar selber zu sein? Du hast ja nicht einmal die Macht erhalten, sie kennen zu wollen. Hinweg, sage ich, hinweg, und wage es nicht, mich noch einmal zu belästigen, da ich auf deinen Trug nicht eingehe!«

Sogleich verließ ihn der Teufel (kehrte in diesem Fall später allerdings noch einmal zurück).601 Die Erinnerung an den Engelfall sollte ihm seine tatsächliche Machtlosigkeit vor Augen führen: »Auf solche Weise nämlich,« so fügt der Autor hinzu, »verwirrt und beschämt man den bösen Geist, wenn man ihm die Freuden vorhält, die er verloren hat, und ebenso fürchtet er sich und erbebt, wenn ihm in Beschwörungen die Drohungen und Schrecknisse des Letzten Gerichts vorgestellt werden. Daher ist es alte Sitte in der 599 Ebd. S. 686: ›Adiuro te,‹ inquit, ›per Iesum Christum filium Dei, qui tuas in cruce vicit insidias et potestatem.‹ 600 Ebd. S. 687: ›Miser et miserrime tu quondam Lucifer, qui mane oriebaris, in deliciis paradysi fuisti, sed cum tibi non sufficerent, haec et diceres: »Ponam sedem meam ad aquilonem, ero similis Altissimo« (Isa 14,14), idem quod eras amisisti, pro luce tenebras, pro beatitudine miseriam, pro loco deliciarum foetorem cum porcis eligens commutasti. En dignum concambium, idonea commutatio. Eia non hic tibi locus est, sed in foetore cloacarum te volutans porcis assimilare et in locis putentibus districti tempus examinis praestolare.‹ Recessit confusus, nec ad hunc fratrem de caetero in aliqua visibili effigie temptator accessit. 601 Ebd. 9, S. 679: ›O miser et infelix et omnibus creaturis deterior! tu, inquam, qui signaculum similitudinis Dei fuisti et superbiendo veritatis huius cognitionem perdidisti, quomodo praesumis non tantum te scire Trinitatem, sed ipsam temet ipsum esse, qui te scire velle penitus potestatem non accepisti? Recede,‹ inquit, ›recede, et me tuis fraudulentiis non obedientem ulterius non praesumas inquietare.‹ Statim recessit, post haec ad eundem reversurus.

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heiligen Kirche, daß alle Exorzismen zusammenfassend mit den Worten schließen: ›Ich exorziere dich durch den, der kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten und die Welt durch Feuer.«602

An solchen Stellen fließen die theologischen Vorstellungen vom Engelfall und vom Jüngsten Gericht in die Exorzismusberichte ein. Der Exorzismus war daher eine heilsgeschichtliche und heilsbedingende Notwendigkeit: »Wißt ihr denn nicht,« so schalt Norbert die Brüder, die ihn wegen der fortgeschrittenen Zeit von der Fortführung eines Exorzismus abbringen wollten, »daß durch die innere Feindschaft des Teufels der Tod in die Welt gekommen ist und noch immer in ihr ist und daß er niemals den Willen zur Reue haben wird?«603

Exorzismen und Teufelserscheinungen haben aber noch eine ganz andere, in den Berichten immer wieder angesprochene ›Nebenwirkung‹: Indem er nicht nur Künftiges prophezeit, sondern Geheimnisse verrät, spielt der Teufel sein Wissen aus.604 Er offenbart während der Exorzismen nämlich nicht nur sich selbst oder verrät etwas über sein Opfer, den Besessenen, sondern er deckt durch den Mund der Besessenen auch Verfehlungen und Missetaten der Menschen öffentlich auf und sorgt damit oft für nicht geringe Aufregung. Einem Vater mit seinem Sohn erschien der Teufel als Löwe,605 fuhr in den Jungen hinein und quälte ihn tagelang. Als der Knabe sich in die Kirche flüchtete und mit geschlossenen Augen vor dem Altar des heiligen Benedikt niederwarf, sagte ihm eine Stimme jeweils, wer die Kirche betrat. Als ein Mönch unrechtmäßig zwölf Denare, die ihm für das Kloster geschenkt worden waren, für sich behalten wollte, offenbarte der Teufel durch den Mund des Jungen vor allen Mönchen die Regelverstöße dieses Bruders: »Dieser Mönch, der von einem Mann zwölf Denare erhalten hat, hat sie gegen die Regel seines Ordens um seines persönlichen Vorteils willen in seiner Rockfalte versteckt.« Daraufhin bekannte der Mönch seine Schuld.606 602 Ebd. 14, S. 687: Sic enim confunditur et verecundatur spiritus nequam, dum illi deliciae quas perdidit obiciuntur, sicut pavet et contremiscit, dum illi minae et terrores iudicii venturi in adiurationibus proferuntur. Inde sacrae mos inolevit ecclesiae, ut omnium exorzismorum conclusio in fine sic sonet: ›Exorzizo te per eum, qui venturus est iudicare vivos et mortuos et saeculum per ignem.‹ 603 Ebd.: ›Nescitis, fratres, quia invidia dyaboli mors introivit in orbem terrarum, quae et adhuc in eo perseverat, nec resipiscendi umquam habebit voluntatem.‹ 604 Zu seinem Wissen vgl. Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,48, S. 369 (oben Anm. 224). Daß der Besessene in artikulierter Sprache eine Unterhaltung führt und den Menschen die Wahrheit verrät, ist daher nicht erst eine Entwicklung des 13. Jahrhunderts, wie Chave-Mahir, L’exorcisme S, 258, meint. 605 Vgl. oben Anm. 240. 606 Desiderius von Montecassino, Dialogi de miraculis sancti Benedicti 2,14, S. 1134: Cumque ad ecclesiam ante altare beati Benedicti esset adductus, mirum in modum in pavimento clausis oculis prostratus iacens, quicunque monasterii portam ingrediebatur, mox eius

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

In einem zweiten, sich unmittelbar anschließenden Fall nahm ein Gastmönch aus einem anderen Kloster zu den nächtlichen Vigilien die Lesung vor, als der Teufel erneut aus dem Munde des besagten Knaben sprach, er wisse zuverlässig alles, was da vorgelesen werde, und sei dabei gewesen, und er warf darüber hinaus dem Leser vor: »Wollte ich aber alles, was ich über dich weiß, hier vor den Anwesenden ausbreiten, dann könnte ich dir in der Tat große Scham verursachen.« Tatsächlich hatte dieser Mönch in seinem Kloster nämlich recht weltlich gelebt. Der Junge aber wurde nach vielen Gebeten der Mönche von seiner Besessenheit geheilt.607 Der Teufel spielt hier mit seinem Wissen und kostet es aus. Dabei verführt er nicht nur zur Sünde, sondern überführt den Verführten anschließend öffentlich, indem er aus dem Mund von Menschen spricht. Wenn er hier in beiden Fällen Regelverstöße der Mönche verrät, dann mag das überraschen, denn eigentlich müßte er ja zu dieser Tat verführt haben (was man hier sicher assoziativ voraussetzen darf) und nicht sein eigenes Vergehen aufdecken. Es paßt aber zu der Vorstellung, daß der Teufel sich anschließend, wie in den oben zitierten Erzählungen Thietmars, seiner Taten brüstet (und damit in diesem Fall zugleich zur zweifellos fälligen Bestrafung des Verführten beiträgt). In der mittelalterlichen Vorstellung ist es dem Teufel offenbar wichtiger, seinen Triumph auszuspielen, obwohl er dem Entlarvten damit gleichzeitig die Gelegenheit zur Buße gibt. Ähnliches wiederholt sich mehrfach. Der bereits erwähnte Dämon in Kempten deckte Diebstähle auf und stiftete dadurch Zwietracht im Dorf. Er gab sogar an, mit dem Priester selbst, der den Exorzismus vornahm, im Bunde gestanden zu haben.608 In Rodulf Glabers Historien enthüllte der Teufel die nomen exprimebat, dicens: ›Talis vel talis homo per portam modo monasterii ingreditur.‹ Quidam etiam frater cum causa oboedientiae e monasterio ad civitatem descendisset, duodecim a quodam accipiens denarios eosque propriae utilitatis gratia occultare cupiens sibi in sinum misit. Cum autem ad monasterium reversus ad puerum in locum, quo vexabatur, accessisset, statim diabolus hoc modo eum per os pueri coram fratribus infamare coepit, dicens: ›Monachus iste contra regulam sui ordinis duodecim denarios a tali viro accipiens causa proprii commodi occultatos retinet in sinu.‹ Igitur cum a fratribus interrogaretur, utrumnam vera essent convicia, quae antiquus hostis per os vexati sibi obiceret, mox ille suam clamitans culpam omnino id ita esse professus est. 607 Ebd.: Alter quoque frater, cuius nomen, ne verecundiam patiatur, omitto, ex alio monasterio suae salutis causa ad nostrum deductus quadam nocte ad nocturnas vigilias lectionem de veteri testamento in ecclesia more solito fratribus residentibus recitabat, cum forte puer, qui vexabatur, aderat. Et ecce subito diabolus per os eius exclamans illa omnia, quae legebantur, sese ad liquidum nosse ibique fuisse protestabatur et adiungens huiusmodi lectori verba exprobrabat: ›Sed si ea‹, inquit, ›quae de te scio, referre coram praesentibus vellem, magnam profecto tibi verecundiam incutere possem.‹ Et re vera fratrem illum abunde in suo monasterio seculariter vixisse compertum est. Postquam igitur pro vexato puero ante sepulcrum beati patris Benedicti diutius a fratribus est oratum, ita sanus effectus est, ut amplius a maligno spiritu vexari minime visus esset. 608 Annales Fuldenses a. 858, S. 52 (oben Anm. 535).

9. Das Wirken des Teufels und Gegenwehr 2: Besessenheit

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uneheliche Geburt des Autors.609 Als ein Dämon in Utrecht, den der heilige Norbert austreiben wollte, durch den Mund eines Besessenen plötzlich in aller Öffentlichkeit »das lasterhafte Leben, Ehebruch und Unzucht vieler anderer Leute enthüllte«, verursachte das größten Ärger in der Stadt, und die Menschen verließen den heiligen Norbert.610 Das wollten sie offensichtlich nicht hören! Der Teufel aber übernimmt hier gleichsam die Rolle des Predigers. Nach der Vita Udalrichs von Augsburg wurde eine reiche Adlige so grausam vom Teufel besessen, daß fünf Bischöfe zum Exorzismus herbeikamen, um ihren Körper durch Gebete und Beschwörungen vom bösen Geist zu befreien. Der Dämon aber antwortete: »Ehe nicht etwas vom Besitz des heiligen Udalrich hierherkommt, werde ich das besessene Gefäß doch wegen Eurer Befehle nicht verlassen,« und er wiederholte das immer und immer wieder : Der Exorzismus konnte nicht gelingen, wenn dessen Ursache nicht beseitigt war. Also ließen die Bischöfe etwas von Udalrichs Besitz aus Augsburg herbeischaffen. Der Teufel aber rief durch den Mund der Frau: »Weh mir, weh mir, in der Nähe befindet sich ein Priester, der ein priesterliches Schultertuch (Amikt) hat, das zuvor dem genannten Bischof gehörte.« Nicht freiwillig, sondern auf Gottes Befehl hin nannte er den Priester beim Namen und verriet seinen Aufenthaltsort. Der Priester wurde daraufhin herbeigeholt und trug das Schultertuch, während der Dämon, noch bevor der Priester das Haus betreten hatte, ausrief: »Wehe, wehe, jetzt trägt er das Schultertuch des Bischofs.« Dann verließ er schreiend und unter Schmerzen den Körper der Frau und ließ sie völlig erschlafft zurück. Nach den Umständen befragt, erklärte der Priester, daß der Bischof auf dem Weg zu einer königlichen Versammlung einst seine Kirche besucht und ihm befohlen habe, ihm eine Messe zu lesen. Als er ohne Schultertuch erschien, fragte der Bischof: »Wo ist dein Schultertuch?« »Ich besitze keines,« antwortete der Priester. Darauf befahl der Bischof, ihm dieses Schultertuch zu schenken. Die geheilte Frau aber stiftete dem Grab des Bischofs die kostbaren Kleider und Schuhe, die sie an jenem Tage trug.611 Abgesehen von Besessenheit und Exorzismus bringt der 609 Rodulf Glaber, Historiae 5,1,3, S. 218. 610 Vita Norberti 14, S. 688: Cum ergo circumstarent et clerus et populus, alii ob curiositatem, alii ob pietatem, pessimus ille demon per os invasi hominis multorum reprobam vitam, adulteria et fornicationes coepit detegere; et quicquid confessione tectum non fuerat, malicioso eius ore detegebatur. Hoc audientes coeperunt omnes hac illacque diffugere, paucis cum patre Norberto remanentibus. 611 Gerhard, Vita s. Udalrici episcopi II 20, S. 374/376: Fuit quadam matrona in Francorum provincia praedives et nobilis, quae arrepta a diabolo nimie laborabat. Ad cuius ereptionem quinque episcopi cum aliis plurimis convenerunt. Qui cum diabolum orationibus et coniurationibus artarent, ut obsessum corpus dimitteret, clamans et heiulans dixit: ›Nisi aliquid de rebus episcopi Uodalrici huc venerit, propter vestra praecepta possessum vas non dimitto.‹ Cumque iterum atque iterum eadem responsa iteraret, aestimare ceperunt, ut legatos ad Augustam mitterent, ut aliquid adquirerent de rebus episcopi. Interim vero, cum haec inter se arbitrarentur, clamavit diabolus per os matronae: ›Vae mihi, vae mihi, hic in vicinitate est

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Teufel hier wieder verborgene Dinge ans Licht, die dieses Mal allerdings nicht einer Missetat entsprechen, da der Priester das Tuch rechtmäßig erhalten hat. Weshalb die Frau vom Teufel besessen wird – vermutlich wegen ihres Geizes, von dem sie durch diesen Vorfall kuriert wird –, wird ebensowenig expliziert wie das Interesse des Teufels: Letztlich offenbart die Geschichte das Wissen des Teufels, das durch den Versuch, ihn auszutreiben, verraten wird, und er tut damit am Ende sogar ein gutes Werk. Manchmal ist aber auch bloße Rache das Motiv des Teufels. Als die tadellose Jungfrau Ymme vom Teufel besessen und zu Bischof Vizelin gebracht wurde und dieser ihn fragte, »weshalb er, selbst Urheber des Makels, sich angemaßt habe, ein so makelloses Geschöpf zu entehren,« antwortete der Dämon: »Weil sie mich dreimal beleidigt hat.« Auf weiteres Nachfragen erklärte er : »Sie hat meine Arbeit behindert; zweimal habe ich Diebe gesandt, ein Haus zu durchstöbern, sie aber saß am Herd und verscheuchte sie durch ihr Geschrei. Jetzt stand sie mir im Weg, als ich mich anschickte, in Dänemark einen Auftrag unseres Fürsten auszuführen. Zur Rache dafür, daß sie mir zum dritten Mal hinderlich gewesen ist, bin ich in sie selbst hineingefahren.«612 Die Austreibung war in diesem Fall sehr einfach, weil der Dämon schon selbst bereit war zu entweichen, um sich wieder seinen Gefährten im Nachbardorf zuzugesellen. Auch dieser Dämon verriet noch seinen Namen, Rufin, und die Namen derer, die seine beiden Gefährten besessen hatten. Vor dem Hintergrund solcher, oft geradezu literarisch anmutenden Erzählungen wird man sich mit dem theologischen Erklärungsmodell der Sündenstrafe allein kaum begnügen dürfen. Der Teufel wurde nicht »erfunden«, um die Menschen zum rechten Glauben zu führen, sondern die vorhandenen Teufelspresbiter unus, qui habet humerale, quod fuit praefati episcopi.‹ Quamvis non sponte, sed Deo iubente nominavit presbiterum et locum, ubi habitavit. Cumque accersitus presbiter cum humerali veniret, antequam domum intraret, demon dixit: ›Ve, ve, nunc tenit humerale episcopi.‹ His dictis, clamando et dolendo corpus matronae valde fatigatum reliquid. Interrogatus autem presbiter, unde ei humerale veniret, respondens dixit: ›Episcopus aliquando ad regale colloquium pergendo, ad nostram aecclesiam venit et nos sibi missam cantare rogavit. Cumque alba nos indui sine humerale velle videret, dixit: »Ubi est vestrum humerale?« Cui ego respondi: »Non habeo humerale.« Tunc ille istud humerale iussit mihi donari.‹ Matrona autem a doemonio liberata et sensui sanitatique restituta, tota vestimenta sua, quibus eo die induebatur, cum caligis et calciamentis ad sepulchrum sancti Oudalrici per nuntios misit. 612 Helmold von Bosau, Chronicon 1,55, S. 108: In diebus illis contigit virginem quandam Ymme dictam vexari a demone et ad Vicelinum sacerdotem perduci. Quem cum interrogacionibus urgeret, cur vas incorruptum ipse auctor curruptelae temerare presumpsisset, ille diserta voce respondit: ›Quia‹, inquit, ›tercio me offendit.‹ ›In quo‹, ait, ›te offendit?‹ ›Quia‹, inquit, ›negocium meum prepedivit. Bis enim transmisi fures ad perfodiendum domum, sed haec assidens focis clamoribus suis eos absterruit. Nunc quoque legacione principis nostri in Daniam functurus hanc in via offendi ulturusque, quod michi tercio offendiculo fuerit, subter ipsam devolutus sum.‹

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vorstellungen werden von den Theologen und klösterlichen Autoren entsprechend genutzt. Darauf ist im Abschnitt über eine (pragmatische) Funktionalisierung der Teufelserscheinungen noch einmal zurückzukommen.

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Heilsgeschichtliches Wirken

Indem der Teufel die Menschen zu verführen sucht, wird er einerseits zum Gegenspieler Gottes, dem er die Schäflein abspenstig zu machen sucht. Andererseits (bzw. gleichzeitig mit diesem Wirken) handelt er gewissermaßen im Dienst und im Sinne Gottes, indem er (unabsichtlich) dabei hilft, die Erwählten und die Verworfenen zu ermitteln und zu trennen. Es ist bezeichnend für die mittelalterliche Vorstellungswelt, daß die teuflischen Anfechtungen zwar dem einzelnen schaden, aber keineswegs immer zum Schaden des Heilsplans gereichen, sondern im Gegenteil gerechte (göttliche) Strafen vollziehen. Der Teufel ist auf zweierlei Weise in Gottes Heilsplan eingebunden: einmal sehr konkret, gewissermaßen ›mikrohistorisch‹, in der Verführung des Einzelnen, zum andern grundsätzlich (oder ›makrohistorisch‹) durch seine Rolle in der gesamten Geschichte und im gesamten Heilsplan. Das ist für mittelalterliche Überzeugungen kein Gegensatz, sondern läßt sich ähnlich auch beim Gottesbild erkennen, wenn Gott über allem steht und Herr der gesamten Geschichte ist, aber ebenfalls immer wieder konkret in einzelne Ereignisse einzugreifen scheint. Das konkrete Einzelwirken summiert sich beim Teufel sozusagen zum Gesamtergebnis und bestätigt darin seine heilsgeschichtliche Rolle. Wie schon mehrfach deutlich wurde, bestraft der Teufel, indem er zur Sünde verführt, gleichzeitig den Sünder. Nach Liutprand von Cremona traf er den ruchlosen Papst Johannes gerade in dem Moment, als dieser sich mit einer verheirateten Frau einließ, derart an der Schläfe, daß er binnen acht Tagen an der Wunde verstarb!613 Der Teufel wird hier zum Rächer der Sünden. Ähnlich handelt der Dämon Wiggo, der mit seinen zwölf Kumpanen jahrelang das Frankenreich wegen der herrschenden Unmoral heimgesucht hatte.614 Nicht nur die analog den Aposteln gebildete Zwölfzahl der Dämonen ist bezeichnend, sondern auch das sehr konkret beschriebene Wirken und dessen noch konkreter benannte Ursachen in den Zeitumständen und den Sünden der Menschen. Vom Priester befragt, bekannte der Dämon: 613 Liutprand von Cremona, Historia Ottonis (De Ottone rege) 20, S. 181: quadam nocte extra Romam, dum se cum viri cuiusdam uxore oblectaret, in timporibus adeo a diabolo est percussus, ut infra dierum octo spacium eodem sit vulnere mortuus. 614 Einhard, Translatio et miracula Marcellini et Petri 3,14, S. 253. Vgl. Abschnitt 9, oben S. 295f.

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»Jetzt habe ich einige Jahre lang mit meinen elf Kumpanen das Frankenreich verwüstet. Wir haben, wie es uns befohlen wurde, Getreide, Wein und alle anderen Früchte allmählich vernichtet, welche die Erde zum Nutzen der Menschen hervorbringt, das Vieh an Seuchen zugrundegehen lassen und den Menschen Krankheiten und Epidemien gebracht; und auch jeden Schaden und alle Übel, die sie schon lange wegen ihrer ›Verdienste‹ erdulden, haben wir verursacht und ihnen zugefügt.‹«615

Der Dämon ›outete‹ sich also und gestand, für quasi das ganze jahrelange Unheil im Frankenreich verantwortlich zu sein. Dieses Unheil aber war wieder selbstverschuldet: »Und als der Priester ihn fragte, aus welchem Grund ihm eine solche Macht verliehen worden sei, antwortete er : ›Wegen der Bosheit dieses Volkes und der vielfachen Ungerechtigkeiten derer, die es regieren und die statt der Gerechtigkeit die Geschenke lieben, mehr die Menschen als Gott fürchten, die Armen bedrängen, Witwen und Waisen, die sich an sie wenden, nicht anhören wollen und allen Gerechtigkeit nur gegen entsprechende Leistungen widerfahren lassen. Außerdem werden von diesem Volk und seinen Führern täglich unzählige weitere Übel begangen, wie Meineide, Gefräßigkeit, Ehebrüche, Morde, Diebstähle und Raub; niemand verbietet das, und wenn es geschieht, wird es von niemandem bestraft. Die Mächtigeren dienen schändlichem Gewinn und mißbrauchen ihre höhere Stellung, die sie zur Lenkung der Niedrigeren empfangen haben, zu Stolz und eitlem Ruhm. Haß und Neid herrschen nicht weniger unter Fremden als unter Verwandten und Verschwägerten. Der Freund glaubt dem Freund nicht, der Bruder haßt den Bruder, der Vater liebt nicht seinen Sohn. Nur wenige zahlen treu und willig ihren Zehnten, noch wenigere geben Almosen, und zwar, weil sie glauben, daß das, was Gott und den Armen zu geben befohlen ist, sie selbst in den Untergang treibt. Sie scheuen sich nicht, gegen Gottes Gebot falsches Maß und falsche Gewichte anzulegen, betrügen sich gegenseitig und legen schamlos falsches Zeugnis ab. Sonn- und Feiertage beachten sie nicht, sondern arbeiten hier nach Belieben wie an anderen Tagen. Deshalb und wegen manchem anderen, weil dieses Volk in seiner Sturheit die Gebote nicht beachtet, die Gott den Menschen gab, damit sie sich daran halten, oder mit denen er verbot, etwas zu tun, ist es uns erlaubt, ja geradezu befohlen worden, so an den Menschen zu handeln, wie ich es beschrieben habe, damit sie mit Strafen für ihre Treulosigkeit büßen. Sie sind nämlich treulos und lügnerisch, wenn sie nicht Sorge tragen, das zu bewahren, was sie bei der Taufe versprochen haben.‹«616 615 Ebd.: Tum presbiteri ›Tu ergo‹, inquit, ›unde es, si isti non sunt parentes tui?‹ Et daemon per puellam: ›Ego‹, ait, ›sum satelles atque discipulus Satanae et multo iam tempore apud inferos ianitor fui, sed modo per annos aliquot cum sociis meis undecim regnum Francorum vastavi; frumentum et vinum et omnes alias fruges, quae ad usum hominum de terra nascuntur, iuxta quod iussi eramus, enecando delevimus, pecora morbis interfecimus, luem ac pestilentiam in ipsos homines inmisimus; omnes quoque adversitates et cuncta mala, quae iam diu pro meritis suis patiuntur, nobis facientibus atque ingerentibus eis acciderunt.‹ 616 Ebd.: Hic cum presbiter ab eo quaereret, quanam de causa eis fuisset huiusmodi concessa potestas: ›Propter malitiam,‹ inquit, ›populi huius et multimodas iniquitates eorum, qui super eum constituti sunt, qui munera et non iustitiam diligunt; qui plus hominem quam

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Auch hier straften Dämonen die Untaten der Menschen, in einer Weise, daß sich ihr Wirken von einem göttlichen Strafgericht nicht unterschied. Der Teufel wirkt hier im Sinne der Heilsgeschichte, indem er gleichsam im Auftrag und als Werkzeug Gottes die Sünden dieses boshaften Volkes und seiner Führer bestraft. Einhard findet in solchen Vorfällen daher nicht nur eine Erklärung für das teuflische Wirken, sondern er nutzt es offensichtlich zu einer umfassenden Zeitkritik: »Oh je! zu welchem Elend ist unsere Zeit gekommen, in der nicht die guten Menschen, sondern die bösen Dämonen unsere Lehrer sind und diejenigen, die zum Laster anstiften und zum Verbrechen überreden, uns zur Besserung mahnen.«617

So verwundert es nicht, daß der Teufel die Menschen immer wieder an frühere Sünden erinnert und damit gleichsam an das Gewissen des Menschen appelliert bzw. anders ausgedrückt: das Gewissen erhält die Funktion des Widerstands gegen teuflische Anfechtungen. Eine Anekdote Ekkehards von St. Gallen verdeutlicht das recht plastisch:618 Notker, der das Chorgebet versäumte, sah später den Teufel auf einem Dachbalken sitzen und nahm wahr, wie jener mit einem Griffel etwas auf eine Tafel schrieb. Auf die Frage, was er da aufschreibe, sagte der Teufel: »Die Non notiere ich, die du Bösewicht dir heute erspart hast.«619 Als Notker daraufhin sogleich Gott um Hilfe anrief, sah er noch, wie der Teufel das Geschriebene wieder tilgte: Die Reue machte das Fehlverhalten geDeum metuunt; qui pauperes opprimunt, viduas et pupillos ad se vociferantes exaudire nolunt, nulli iustitiam nisi mercanti faciunt. Praeter haec sunt et alia multa ac pene innumerabilia, quae tam ab ipso populo quam a rectoribus eius cotidie committuntur, ut sunt periuria, ebrietates, adulteria, homicidia, furta, rapinae; quae nemo fieri prohibet, et cum facta fuerint, non est, qui vindicet. Potentiores quique turpibus lucris inserviunt et loco superiore, quem propter regendos inferiores acceperunt, ad superbiam et inanem gloriam abutuntur. Odium et invidia non tam inter extraneos quam inter propinquos et adfinitate coniunctos exercentur. Amicus amico non credit, frater fratrem odit, pater filium non diligit. Rari sunt qui fideliter ac devote decimas dent, rariores qui eleimosinas faciant. Et hoc ideo, quia quicquid Deo vel pauperibus dare iubentur, id sibi perire arbitrantur. Iniquas mensuras et iniusta pondera contra Dei praeceptum habere non verentur. Fraude se alterutrum circumveniunt; falsa testimonia dicere non erubescunt. Dies dominicos ac feriatos non custodiunt, sed in his acsi in caeteris prout voluntas eorum tulerit operantur. Propter haec et alia multa, quae Deus aut praecepit hominibus ut facerent aut prohibuit ne facerent, quia populus hic per contumaciam mandatis eius inobediens effectus est, permissi, immo iussi sumus ea facere in rebus humanis quae superius enumeravi, ut perfidiae suae poenas luant. Sunt enim perfidi atque mendaces, cum hoc servare non curant, quod in baptismo promiserunt.‹ 617 Ebd.: Heu pro dolor! ad quantas miserias tempora nostra sunt devoluta, in quibus non boni homines, sed mali daemones doctores sunt et incentores vitiorum ac persuasores criminum de nostra nos correctione commonent. 618 Ekkehard, Casus s. Galli 42, S. 150–152. 619 Ebd. S. 151: videt super se in laquearii interrupti trabibus diabolum consedisse et stilo in tabula scribere. Quem cum, quid scelus scriberet, interrogasset: ›Nonam‹, inquit, ›quam tu scelus hodie supersederas, scribo.‹

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wissermaßen rückgängig. Der Teufel aber rächte sich nach dieser Geschichte für das entgangene Sündeverhalten, indem er Notker später mit jener Tafel bewarf (und ihn dadurch gegen alle Vorschriften zwang, während des Stundengebets aufzuspringen, um dem Wurf zu entgehen). Notker aber drohte dem Teufel mit Schlägen, wie er sie vorher dem »Hundsteufel« verpaßt hatte.620 Einerseits »registriert« der Teufel also die Missetaten (zu denen er angestachelt hat, denn Notkers Fehlen wird man bereits als Werk des Teufels deuten müssen). Der Teufel selbst erinnert Notker hier an dessen Versäumnis und wirkt damit gewissermaßen mahnend im Sinne Gottes. Andererseits bleibt der Gegensatz zu Gott deutlich gewahrt, und die Anrufung Gottes macht sein Werk wieder zunichte. ›Rückwärts‹ gelesen, erkennt Notker durch die ›Teufelsvision‹ sein eigenes Fehlverhalten als Werk des Teufels. Daß dieser sich schließlich mit handgreiflichen Aktivitäten für seinen Mißerfolg rächt, ist aber nicht minder bezeichnend für Ekkehards sehr konkrete Vorstellungen vom teuflischen Wirken. Eine (eigentlich göttliche) Strafe verübte der Teufel auch an dem vornehmen Grafensohn Wolo, der ständig trotzig und ungehorsam war. Als er zum Glockenturm hinaufstieg, stürzte er, impulsu, ut creditur, satane˛, in den Tod.621 Teufelserscheinungen mahnen den Menschen somit gleichzeitig zur Umkehr. Rodulf Glaber suchte nach seiner Teufelserscheinung sein ganzes Leben nach begangenen Sünden ab.622 Die heilige Liutbirg machte sich Gewissensbisse, weil sie Mäuse, die in ihre Zelle eingefallen waren, als teuflische Boten mit Weihwasser vertrieben hatte, anstatt sie asketisch zu ertragen, wie es sich für eine Inkluse gehörte.623 Sogar ihre einfache Bettstelle schien ihr plötzlich zu »luxuriös« für ein asketisches Inklusenleben.624 Ein anderes Mal erinnerte sich die reife Heilige an kindliche Sünden, etwa an einen Streich, den sie einem anderen Mädchen gespielt hatte (sie hatte ihr eine zerbrochene Nadel untergeschoben).625 Die Versuchungen haben hier eindeutig heilsgeschichtliche Funktionen: Der Teufel mahnt die Menschen, ganz gegen seinen eigenen Willen, zur Besserung. Damit wirkt er derart im Sinne Gottes, daß er von göttlichen Eingebungen kaum mehr zu unterscheiden ist.626 So fügt der Autor der Liutbirgvita entsprechend hinzu: »Aber wir geben zu, daß auch dieses, wie schon vorhin erwähnt, eher eine Ermahnung der göttlichen Güte gewesen sein mag als eine Bekundung des Teufels, der ja seine 620 621 622 623 624

Ebd. 41. Vgl. oben S. 290. Ebd. 43, S. 152–155. Rodulf Glaber, Historiae 5,2 (oben Anm. 280). Vita Liutbirgae 27, S. 31f. Ebd. 24, S. 27: Audivit vocem, nescio cuius spiritus, dicentem sibi: ›Talem volens vitam ducere tali non debet in lectulo pausare.‹ 625 Ebd. 28, S. 32: Haec illa ita gesta esse cuncta in infantia sua commemorat annis. 626 Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, S. 107ff.

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Freude mehr darin findet, wenn die Vergehen zur Belastung des Sünders verborgen bleiben, als wenn sie durch Bekennen und Buße zur Vergebung kommen.«627

Wenn aber auch teuflisches Wirken den Sünder läutern konnte, fiel es den Autoren tatsächlich keineswegs immer leicht, teuflisches vom göttlichen Wirken zu unterscheiden. Die Unsicherheit wird besonders in solchen Fällen deutlich, in denen der Teufel seine subtilsten Verführungskünste anwandte, seine Einflüsterungen als Eingebungen Gottes ausgab und eine entsprechende Gestalt annahm. Der heiligen Liutbirg erschien er als Engel, Heiliger, Apostel und sogar als Christus.628 Der heilige Columban war sich keineswegs sicher, ob verschiedene Bedrohungen durch wilde Tiere und wilde Sueben auf seinem Weg in die Einöde Wirklichkeit oder Wahnbilder des Teufels waren.629 Ob es sich aber um Engel oder Dämonen handelt, so beantwortet Agobard von Lyon in einem Brief eine entsprechende, an ihn gestellte Frage: stets handeln sie im Auftrag Gottes.630 Meist entlarven den Teufel, wie oben schon ausgeführt,631 am Ende aber wieder »Defekte«. So behauptete er in der Norbertvita zwar, die Trinität zu sein, erzeugte aber einen ungeheuren Wind und verbreitete einen schrecklichen Gestank:632 Am Ende kann der Teufel in solchen Geschichten seine wahre Natur nicht verbergen. Menschliche Handlungen und geschichtliche Ereignisse aber erklären sich auf diese Weise als teuflische Verführungen. Der Nonnenaufstand im Kloster Poitiers war nach Gregor von Tours auf die Verführung der Königstochter Chrodechilde durch den Teufel zurückzuführen,633 Chlodwig II. ließ, instigante diabulo, einen Arm des heiligen Dionysius abschneiden (was wiederum un-

627 Vita Liutbirgae 28, S. 32: Sed hanc, ut praetulimus, ammonitionem divinae potius clementiae quam zabuli declaratione concedimus, qui plus ad reatum gaudet occultare delicta quam ad veniam poenitendo pervenire confessa. Vgl. ebd. 24, S. 28: Sed et hoc, qualicumque virtute peractum est, divinitus procul dubio permissum esse confidimus, quia nichil fieri credimus sine iussione vel permissione divina. 628 Ebd. 28, S. 33. 629 Jonas von Bobbio, Vita Columbani 1,8, S. 167: Sed hoc utrum diaboli fallacia finxerit an rei veritas gestivit, patule non agnovit. 630 Agobard von Lyon, ep. 12, S. 206: Quis namque ita stultus est, qui nesciat et visibiliter et invisibiliter omnipotentem Dominum flagellare homines ad eruditionem et conversionem; non solum per homines et daemones, sed etiam per bestias et per minutissima et vilissima que˛que animantia. 631 Vgl. oben S. 230ff. 632 Vita Norberti 9, S. 679: At ille expavescens, paululum tamen praemeditatus, cum ex hac visione ventum turbinis foetidissimum sentiret. Ebd. S. 680: Cumque […] Norbertus reverteretur, in ipso introitu suo horror nimius et ventus turbinis circumvallavit eum. 633 Gregor von Tours, Historiae 9,39, S. 460: In monastirio vero Pectavinse, insidiante diabolo in corde Chrodieldis, qui se Chariberthi quondam regis filiam adserebat, orto scalando. Vgl. auch ebd. S. 463: Einige Nonnen, die das Kloster verließen, vermählten sich ut inimici consilio, sicut Eva eiecta de paradiso, einem Manne, diabolo captivante.

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heilvolle Schicksalsschläge für das Frankenreich zur Folge hatte).634 Thietmar von Merseburg berichtet über mehrere solcher Geschichten. So hatte etwa ein junger Mann, der instinctu diabolico in finsterer Nacht den Schatz des heiligen Mauritius in Magdeburg stehlen wollte, nach eigenem Geständnis vorher eine aufmunternde Stimme gehört.635 Die Beispiele sind tatsächlich zahllos. Damit bietet der Teufel zugleich die Begründung und Erklärung schlechter oder auch nur nachteiliger Handlungen oder Entwicklungen: Alles (in den Augen des jeweiligen Autors) Unmoralische oder Schlimme ließ sich dem Teufel anlasten: Häresien,636 Mord, Selbstmord, Eidbruch, Streitigkeiten, politische Wirren, Aufstände und vieles mehr. Aus der Fülle der Beispiele sei dafür nur noch weniges zur Veranschaulichung angeführt. So ist das Blutvergießen in der Hilariuskirche in Poitiers für Gregor von Tours »Teufelswerk« (diabolo cooperante),637 einen Streit zwischen Bischöfen kommentiert Gregor mit den Worten, zwischen ihnen »wuchere das Unkraut des Teufels«,638 und den politisch bedingten Selbstmord des Palladius wertet er als ein Verbrechen, das »nicht ohne Beistand des Teufels« geschah.639 Eigil deutet die Ermordung des Bonifatius als Eingabe eines bösen Geistes;640 einen Mordversuch an dem Erzbischof Norbert von Magdeburg (auf Anstiften führender Kirchenmänner) lastet Norbert selbst »dem alten Feind« an, der auch die Juden zur Ermordung Christi angestachelt habe.641 Karls des Kahlen gleichnamigem Sohn spaltete ein junger Adliger »auf Anstiften des Teufels« mit dem Schwert den Schädel.642 Bernold von St. Blasien (bzw. ein Kommentator seiner Chronik) lastet bezeichnenderweise nicht etwa die Judenpogrome vor dem Ersten Kreuzzug, sondern den Selbstmord der vor die Alternative »Tod oder Taufe« gestellten Juden dem Teufel an.643 Solche und zahlreiche ähnliche 634 Liber historiae Francorum 44, S. 316: Eo tempore Chlodoveus brachium beati Dionisii martyris abscidit, instigante diabulo. Per id tempus concidit regnum Francorum casibus pestiferis. 635 Thietmar von Merseburg, Chronicon 4,66, S. 206. Vgl. ebd. 4,67, S. 206f., zu Husward; oben S. 287. 636 Vgl. ebd. 4,5, S. 191: hostis humani generis diabolus intus eam lacescere adtemptat. […] spurcissimus Arrius presbyter nefandissimam heresim de inaequalitate trinitatis condidit. 637 Gregor von Tours, Historiae 9,41, S. 467. 638 Ebd. 8,7, S. 376: cur inter sacerdotes Domini taliter zezania diabuli pollularet. 639 Ebd. 4,39, S. 171: Quod non sine diabuli opere scelus perfectum mirati sumus; nam prima eum plaga interficere potuit, si non diabulus sustentaculum praebuisset, quod haec nefanda peragerit. 640 Eigil, Vita Sturmi 15, S. 148: spirito maligno inflati. 641 Vita Norberti 18, S. 696: non esse mirum, si has ei hostis antiquus moliretur insidias, qui eadem sacratissima nocte in mortem domini nostri Iesu Christi Iudaeos grassari persuasit. 642 Annales Bertiniani a. 864, S. 105: operante diabolo ab Albuino iuvene in capite spatha percutitur pene usque ad cerebrum. 643 Bernold von St. Blasien, Chronik a. 1096, S. 529 (in einer nicht von Bernolds Hand geschriebenen Randnotiz des Autographs): Et eadem hora episcopi cubiculum intrantes, nostris foras

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Beispiele belegen, daß man dem Teufel in jeglichem Bösen wirken sah. Mit der Wertung nimmt der Autor zu den von ihm beschriebenen Ereignissen aber zugleich moralisch Stellung und gibt deutlich seine eigene Haltung zu erkennen. Für Gregor von Tours verhinderte der Teufel, »der immerdar denen zu schaden bemüht ist, die Gott suchen«, die Christianisierung,644 für den Kirchenreformer Bernold hingegen das Aufblühen frommen, gemeinschaftlichen Lebens unter Mönchen, Klerikern und Laien.645 Darauf ist im nächsten Abschnitt noch einmal zurückzukommen. Man wird aus solchen und weiteren Beispielen folgern dürfen, daß die mittelalterlichen Geschichtsschreiber den Teufel mehr oder weniger deutlich als geschichtswirkende Kraft (oder Gegenkraft) in ihren Bericht eingliedern und damit nicht nur den Glauben an ein teuflisches Wirken bezeugen, sondern auch die bisher gewonnenen Beobachtungen bestätigen. Bei Otto von Freising ist der Teufel geradezu das Oberhaupt des sich durch die gesamte Heilsgeschichte ziehenden Weltstaates. Obwohl er ›Gegenspieler‹ Gottes ist, der dessen Werk zerstören und ihm die Menschen abspenstig machen will, handelt er letztlich doch im Auftrag Gottes zur Bestrafung der Sünden.646 In einem größeren geschichtstheologischen Rahmen »sammelt« der Teufel seine Anhänger, indem er sie zur Sünde verführt und damit von Gott löst: »Wer aber sündigt,« meint Paschasius Radbertus, ist nicht aus Gott, sondern aus dem Teufel, weil der Teufel von Anfang an sündigt.«647 Der Mensch entscheidet sich damit für Gott und gegen den Teufel oder für den Teufel und gegen Gott. Einen ›Mittelweg‹ kann es folglich nicht geben, wohl aber einen Wandel im Laufe des menschlichen Lebens von einer zur anderen Entscheidung. Diese Entscheidung fällt allerdings nicht bereits durch die Sünde selbst, da schließlich jeder Mensch sündig ist, sondern im Hinblick auf sein endgültiges Schicksal. Der Mensch umschließt beide ›Naturen‹, er ist »Sünder-Mensch«, meint Augustin. Als Mensch gehört er Gott, als Sünder dem Teufel.648 Alle Verdammten sind Glieder

644 645 646 647 648

expectantibus quid responsuri essent, diabolo et propria duricia persuadente, se ipsos interfecerunt. Gregor von Tours, Historiae 8,15, S. 382: Et quia semper ipse invidus Deum quaerentibus nocere conatur […]. Bernold von St. Blasien, Chronik a. 1091, S. 490: Quapropter invidia diaboli contra eorumdem fratrum probatissimam conversationem quosdam emulos incitavit, qui eorum vitam malivolo dente coroderent. Vgl. Otto von Freising, Chronik 4,1, S. 184f.: Maxentius, der in Rom Untaten (magicae artis nefanda prestigia) verübte, die demoniaca arte compositis waren, wurde schließlich nutu Dei demoniaco raptus spiritu in eine Falle gelockt. Paschasius Radbertus, Expositio in Matheo 4 (v. 6,9), CCM 56, S. 381: Qui autem peccatum facit, non est ex Deo, sed ex diabolo, quia diabolus ab initio peccat (wörtlich nach Chromatius von Aquileja, Tractatus in Mathaeum 28,5, S. 330, in Ergänzung von Ioh 3,8). Augustinus, De duabus animabus 9, S. 63: nisi quia homines peccatores, eo quod sunt homines, ad Deum, eo uero, quod peccatores, ad diabolum pertinent.

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des Teufels, »des Hauptes der Verworfenen«; sämtliche Glieder dieses Hauptes aber sind ungerecht, meint Haymo von Auxerre.649 Der üble Wille macht sie dazu, denn sie wenden sich dem Teufel aus freiem Willen zu. Die Natur des Menschen ist gut, aber durch den bösen Willen verdorben und deshalb dem Teufel verfallen; sie werden, mit abgewandeltem Verweis auf Joh 8,44, zu Söhnen des Teufels, dieser zu ihrem Vater.650 Der Abfall zum Bösen resultiert deshalb nicht aus der Natur des Menschen, sondern aus der Nachahmung (und Haymo ruft zur Umkehr zur Wahrheit und zum Vater der Wahrheit auf).651 Auf diese Weise sammeln sich die Anhänger des Teufels zu einer Gemeinschaft aller Ungerechten, deren Haupt der Teufel ist; von Kain bis zum Ende der Welt bilden sie ein einziges Geschlecht, meint Remigius von Auxerre.652 Alle Ungerechten sind Glieder des Teufels, der sie zu den verschiedenen Zeiten »mit teuflischem Geist« gegen die Kirche einsetzt und dabei viel Blut vergießt, meint auch Rupert von Deutz im 12. Jahrhundert.653 Die Ungerechten dieser Welt aber bilden den Körper des Teufels, lehrt gleichzeitig Honorius mit einer beliebten Wendung.654 Sich selbst tut der Teufel damit allerdings keinen Gefallen: Er, der das Menschengeschlecht nahezu seit dem Beginn der Welt beherrscht hat (und der deshalb ›der Alte‹ genannt wird), sei ein wahrhaft dummer König, denn je mehr Menschen er täuscht, desto mehr Strafe häuft er auf sich selbst an, meint 649 Haymo von Auxerre, Homiliae de tempore 28, Sp. 191 C: Pro certo enim scimus, quoniam omnium reproborum caput diabolus est et huius capitis membra omnes sunt iniqui. Von den Verworfenen (reprobi homines) als Körper des Teufels und vom Teufel als Haupt aller Ungerechtigkeit spricht auch Hrabanus Maurus, De rerum naturis 6,3, Sp. 179 B. 650 So Haymo von Auxerre, Homiliae de tempore 32, Sp. 216 C: Quantum vero se subicit per liberum arbitrium diabolo, a patre diabolo est. Bona est enim hominis natura, sed vitiata erat per malam voluntatem et inde erat a patre diabolo. Quod fecit Deus, non potest esse malum, si ipse homo non sit sibi ipsi malus. 651 Ebd. Sp. 217 C: Diabolus vero bonus creatus est, sed per seipsum malus factus est, declinando se a summo bono. Ideo ex propriis locutus est mendacium, quia in seipso invenit unde esset mendax. Homo vero deceptus a diabolo mendax; ideoque filius diaboli, non natura, sed imitatione. Recedamus ergo a patre mendacii, curramus ad Patrem veritatis. Amplectamur veritatem, ut accipiamus veram libertatem. Haymo folgt hier Beda Venerabilis, Expositio in evangelium Iohannes 8 (oben Anm. 208), der die Menschen wegen der Nachahmung als Söhne des Teufels bezeichnet. 652 Remigius von Auxerre, Homiliae 5, Sp. 893 C: Diabolus vero caput est omnium iniquorum et omnes iniqui membra sunt ipsius; omnium ergo impiorum a Cain usque ad finem saeculi una erit generatio. 653 Rupert von Deutz, Commentarii in duodecim prophetas minores. In Naum prophetam 1, Sp. 530 B: Quomodo iniqui omnis membra diaboli dicuntur et sunt, sic eadem regna draconis iam dicti capita fuerunt, quorum singula suis temporibus contra mulierem in utero habentem, id est contra Ecclesiam in verbo promissionis sperantem, diabolico spiritu exagitata steterunt plurimumque sanguinem fuderunt. 654 Vgl. Honorius Augustodunensis, Expositio selectorum psalmorum. In quinquagesimum primum psalmum (c. 11), Sp. 293 C: Hoc totum potest referri ad corpus diaboli, quod sunt omnes iniqui, qui sunt membra Antichristi.

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Honorius. (Unter der Herrschaft dieses dummen alten Königs aber wurde Christus geboren, der ›König der Könige und Herrscher der Herrscher‹.655) Der aus allen Ungerechten dieser Welt bestehende Körper des Teufels erhält dadurch wieder eine heilsgeschichtliche Dimension. Der Körper des Teufels wird – als Gegenstück zur Kirche als Körper Christi – zur Gemeinschaft aller Verworfenen: »Wie nämlich der Körper Christi, also die Kirche, Christus genannt wird,« schreibt der Zisterzienser Aelred von Rievaulx, »so spricht man auf dieselbe Weise vom Körper des Teufels, dessen Haupt der Teufel selbst ist; daher heißt gerade jene Masse der Gottlosen, und besonders derer, die von Christus oder der Kirche wie ›aus dem Himmel‹ herabgefallen sind, Teufel; in seinem Körper wird vieles figürlich benannt, das weniger dem Haupt als vielmehr dem Körper entspricht.«656

Mit der Entscheidung für Gott oder den Teufel teilt sich die Menschheit folglich in zwei gegensätzliche Gemeinschaften, Christi und des Teufels, wie es bereits im ersten Johannesbrief anklingt: »Darin manifestieren sich Gottessöhne und Teufelssöhne, und jeder, der nicht gerecht ist und der nicht seinen Bruder liebt, ist nicht von Gott.«657 Das entspricht den beiden augustinischen Civitates, die im Mittelalter enorm viel Nachwirkung in verschiedenen Zusammenhängen entfaltet haben.658 (Von der civitas diaboli spricht im 9. Jahrhundert etwa mehrfach auch Ambrosius Autpertus in seinem Apokalypsenkommentar.) Wie bei Augustin, wird diese Vorstellung nämlich vom Ende her entwickelt, an dem sich im Jüngsten Gericht die Gemeinschaften scheiden. So schreibt Hinkmar von Reims in seiner Remigiusvita: »Nachdem jenes vorübergehende Feuer und der ganze Tag des Endgerichts erfüllt sind, teilen sich die beiden Gemeinschaften der Heiligen und der Gottlosen, die eine Christi, die andere des Teufels, die eine der Guten, die andere der Bösen, und beide umfassen Engel und Menschen.«659

655 Ders., Quaestiones et ad easdem responsiones in duos Salomonis libros Proverbia et Ecclesiasten. In ecclesiasten 4, Sp. 340 AB (zu Kol 2,9): Diabolus, qui pene ab ipso mundi exordio regnavit in genere humano et ideo senex vocatur et vere stultus est rex, quia quanto plures decipit, tanto sibi poenam accumulat. In regno quippe huius regis senis et stulti, id est diaboli, natus est puer optimus, Dominus videlicet Iesus Christus, qui factus est ›Rex regum, et Dominus dominantium‹ (Apoc 17,14 und 19,16). 656 Aelred von Rievaulx, Homiliae de oneribus propheticis Isaiae. Hom. 16,4, S. 141: Sicut enim corpus Christi, quod est Ecclesia, dicitur Christus, eodem modo corpus diaboli, cui caput est diabolus, id est ipsa impiorum multitudo maximeque eorum, qui a Christo uel de Ecclesia sicut ›de caelo‹ decidunt, dicitur diabolus, et in ipsum corpus figurate multa dicuntur, quae non tam capiti quam corpori conueniunt. 657 1. Joh 3,10: in hoc manifesti sunt filii Dei et filii diaboli; omnis, qui non est iustus, non est de Deo. et qui non diligit fratrem suum. 658 Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 235–243. 659 Hinkmar von Reims, Vita Remigii episcopi Remensis 9, S. 288: Illoque transitorio igne et

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Wie bei Augustin, wirkt diese Trennung aber auch auf die gesamte irdische Geschichte zurück, wenngleich das, trotz aller zunehmenden Konkretisierung, etwa bei Otto von Freising, stets ein figurales Gleichnis bleibt und, jedenfalls innerhalb der christlichen Gesellschaft, eher die Struktur der Gemeinschaften als Ganzes denn deren konkrete Identifizierbarkeit betrifft. »Wie die katholischen Autoren überliefert haben, gibt es nämlich zwei Civitates,« schreibt Otto, »die eine zeitlich, die andere ewig, die eine weltlich, die andere himmlisch, die eine des Teufels, die andere Christi, jene Babylon, diese Jerusalem.«660

Dieses Motiv wird vor allem im 12. Jahrhundert von mehreren Autoren aufgegriffen.661 Dezidiert schreibt Hugo von St. Viktor : »So begann sich das Menschengeschlecht also alsbald in zwei gegensätzliche Parteien zu spalten: Die einen empfingen die Sakramente des Teufels, die anderen aber die Sakramente Christi. Und so entstanden zwei Familien, die eine Christi, die andere des Teufels.«662

Christus und der Teufel werden auf diese Weise mit ihren jeweiligen Anhängern zu Gegenspielern in der Weltgeschichte, die sich insgesamt als Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Gruppen begreifen läßt. Zwischen diesen beiden Staaten oder Völkern, den Gott liebenden Bürgern Jerusalems und den die Welt liebenden Bürgern Babylons, und ihren beiden Königen, Christus und dem Teufel, herrschen auf Erden nämlich dauernder Krieg und ständige Zwietracht. Die Könige kennzeichnen ihre Kämpfer (milites), damit sie sich und ihren König erkennen und von diesem erkannt werden, und die Krieger folgen jeweils ihrem König.663 Jede der beiden Familien besitzt ihre eigenen Sakramente

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toto extremi iudicii die completo, dividentur duae congregationes sanctorum et impiorum, una Christi, altera diaboli, una bonorum, altera malorum, utraque angelorum et hominum. Otto von Freising, Chronica 1 prol., S. 6: Cum enim duae sint civitates, una temporalis, alia eterna, una mundialis, alia caelestis, una diaboli, alia Christi, Babyloniam hanc, Hierusalem illam esse katholici prodidere scriptores. Vgl. Honorius Augustodunensis, Inevitabile, Sp. 1221 AB; Pseudo-Hildebert von Le Mans, Sermones 83 und 113, Sp. 733f.; 864ff.; vgl. Sermo 113, ebd. Sp. 864 A: Sunt ergo, fratres charissimi, in mundo duo regna, duo principes et duae familiae. Alterum enim regnum Dei est; alterum diaboli. Familiae utriusque regni sibi semper adversantur, ab initio mundi. Russell, Lucifer S. 105f. unterscheidet von der Kampfvorstellung zwischen Christus und Teufel eine zweite, nach der Christus als Lösegeld für den Teufel wirkte. Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,8,11, ed. Migne Sp. 312 B; ed. Berndt S. 202: Coepit ergo genus humanum mox in partes contrarias dividi, aliis diaboli sacramenta suscipientibus, aliis vero suscipientibus sacramenta Christi. Et factae sunt duae familiae, una Christi, altera diaboli. Ders. (?), Miscellanea 1,48, Sp. 496 A: Duae sunt civitates, Ierusalem et Babylon, et duo populi, amatores Dei cives Ierusalem et amatores mundi cives Babylonis. Et duo reges, Christus rex Ierusalem et diabolus rex Babylonis. Inter has civitates et duos populos et duos reges bellum est iugiter et discordia et pugna; et signat uterque milites suos, Christus suos, et diabolus suos, ut

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und kämpft mit unterschiedlichen »Waffen«: hier mit Demut, Geduld und Armut, dort mit Reichtum, Hochmut und Ungeduld.664 Ganz ähnlich äußert sich Honorius. Gleichzeitig aber sind die »Bürger« auf dieser Welt in einem Heer vermischt und kämpfen teils heimlich, teils offen gegeneinander. Dieser Kampf zwischen den beiden Staaten wird danach andauern, solange die Welt besteht, und erst mit dem Jüngsten Gericht und dem Sieg Christi sowie der endgültigen Vertreibung Lucifers durch Michael beendet.665 Eine interessante Deutung bietet auch eine früher Hildebert von Le Mans zugeschriebene Predigt, die das ganze Leben als Bau der Himmelsstadt, also des ewigen Lebens, beschreibt:666 Während die Bauleute auf dem Fundament der Apostel und Propheten Stein auf Stein legen, um den Bau ganz allmählich zu vollenden, suchen die adversarii Dei, nämlich die Dämonen, sie ständig daran zu hindern, nehmen die Baumeister gefangen und zerstören die Steine, während die Engel sie bewachen und die Seelen der Gläubigen in den Himmel transportieren. Täglich kommt es darüber zum Streit zwischen den Bauleuten und den Gegnern Gottes. Insgesamt aber schreitet der Bau der »Gottesstadt« voran.667 Die Deutung der augustinischen civitas mundi als civitas diaboli erfährt hier eine beachtliche Konkretisierung. Diese Teufelsgemeinschaft aber kann niemals zur Gemeinschaft Christi werden, meint im 9. Jahrhundert Paschasius Radbertus: Weil das Reich Christi und das Reich des Teufels weit voneinander getrennt sind, kann man nicht gleichzeitig in beiden Kriegsdienste leisten.668 Man sammelt sich entweder hier oder dort, aber niemals ist der Leib des Teufels bei Christus, noch sammelt er

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agnoscant quique regem suum et agnoscantur ab eo et sequantur eum […]. Milites Christi sequuntur regem suum et milites diaboli sequuntur regem suum. Ebd. Sp. 496 BC. Honorius Augustodunensis, Speculum ecclesiae. In conventu populi Sp. 1093 C: Nempe, fratres, duae sunt civitates, quarum una Hierosolima, altera vocatur Babylonia. Huius rex est Christus, illius vero diabolus; utriusque autem cives sunt hic permixti et quasi uni miliciae ascripti; sed magna discordia inter se flagrant et nunc clam, nunc palam alterutrum acriter impugnant, et hoc certamen tamdiu durabit, quamdiu mundus iste stabit. Ad extremum vero cives Hierusalem cum suo rege in superna curia triumphabunt, cives autem Babyloniae in infernali ergastulo aeterna supplicia cum suo rege cruciabunt. Zum Kampf Michaels in diesem Zusammenhang vgl. Rouche, Le combat des saints anges et des d8mons. Zum Sieg Christi über den Teufel in der deutschen Dichtung vgl. Dreyer, Teufel S. 16ff. (Pseudo-)Hildebert von Le Mans, Sermones de sanctis. Sermo 83, Sp. 733ff. Ebd. Sp. 733 C: Haec in coelo aedificatur, sed in terra lapides quadrantur et postea ad coelum sublevantur. Laborant omnes angeli in aedificatione eius […]. Coementarii multi et operarii huiusmodi in mundo locuti sunt; et qui bene operantur, non pecuniam, sed regnum sibi acquirunt; qui vero male, in carcere aeterno religantur. Ebd. Sp. 733f.: Sed summus Rex […] multos adversarios habet, qui illud aedificium conantur destruere et praeparatores student omnibus modis impedire et multoties ipsos maiores artifices captivos ducunt et lapides, quos praeparabant, destruunt. […] Quotidie inter artifices et adversarios Dei est conflictatio, et aliquando adversarii fugiunt, aliquando artifices succumbunt. Nec tamen ideo desistunt, quin aliquos lapides praeparent; et ita quotidie aedificatio crescit. Paschasius Radbertus, Expositio in Matheo 4 (oben Anm. 184).

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sich mit diesem, weder drinnen noch draußen, »gemäß dem inneren Menschen, der von Tag zu Tag in der Erkenntnis der Wahrheit erneuert wird und sich durch die Liebe in der Einheit des Körpers Christi innig vereinigt.«669 Dazwischen gibt es nichts. »Wer nämlich nicht Glied Christi ist, ist Glied des Teufels,« schreibt wieder der sogenannte normannische Anonymus in einem Streitschriftentraktat zum Investiturstreit. »Glied Christi aber kann nicht sein, wer nicht sein Schüler ist. Es ist aber nicht sein Schüler, wer nicht allem entsagt, das er besitzt.«670 Wer das Heil erlangen will, muß folglich die Gemeinschaft mit Dämonen meiden, hatte bereits Augustin geraten.671 Christus aber, der wie ein Mensch vom Teufel verführt werden sollte, hat dessen Versuchungen wie ein Gott überwunden672 und dem Menschen damit das Paradies wiederhergestellt.673 Damit ist der heilsgeschichtliche Kreis von der Schöpfung zum Heil über den Verlust des Heils im Sündenfall zur Wiederherstellung durch Christus erfüllt. Dieser Kernsatz christlicher Dogmatik aber wird in der mittelalterlichen Anschauung durch den Teufel ergänzt: Die Zeit zwischen dem Sündenfall und der Erlösung ist geprägt durch den Widerstand gegen die andauernden Angriffe des Teufels. In seiner Schrift ›De victoria verbi Dei‹ beschreibt Rupert von Deutz den Kampf Gottes gegen den siebenköpfigen Drachen im Verlauf der gesamten (Heils-)Geschichte.674 Dadurch wird die ganze Geschichte als ein einziger Kampf des Teufels gegen Gott (oder als Kampf zwischen Christus und dem Teufel) gedeutet, der als ›Gegenspieler‹ somit geradezu mit in das Zentrum des Geschehens rückt, wenngleich am Ausgang dieses Kampfes und am Sieg Christi über den Teufel nie ein Zweifel bestehen kann. Im Mittelpunkt des ersten Buches steht der Kampf Satans gegen den Erzengel Michael, also der Kampf im Himmel, 669 Ebd. 6, CCM 56 A, S. 670 (zu Mt 12,30): Hinc quoque colligitur hinc inde, quod nunquam corpus diaboli cum Christo est neque cum eo colligit intus forisue, secundum interiorem hominem, qui renouatur de die in diem in agnitionem veritatis et consociatur per caritatem in unitate corporis Christi. 670 Tractatus Eboracenses III: Apologia archiepiscopi Rotomagensis, ed. Boehmer, S. 661; ed. Pellens, J4, S. 44: Idem quippe esset, ac si Christo preferretur diabolus. Nam qui non sunt menbra Christi, menbra sunt diaboli. Menbrum Christi non est, qui discipulus eius non est. Discipulus autem eius non est, quisquis non renunciat omnibus, que˛ possidet. Autor und Herkunft dieser »Yorker Traktate« sind umstritten. 671 Augustinus, De civitate Dei 2,29, CCL 47, S. 65: Proinde si ad beatam peruenire desideras ciuitatem, deuita daemonum societatem. 672 So Haymo von Auxerre, Homiliae de tempore 28, Sp. 190 C: Quod enim quadraginta diebus et quadraginta noctibus ieiunavit, declaratio est divinae potestatis; quod vero, consummatis illis, esuriit ut homo, quasi homo a diabolo tentatus est, sed quasi Deus tentationes diaboli superavit. 673 So Gregor der Große, Liber sacramentorum. Hebdomada XIX post pentecosten, Sp. 185 B: Pater omnipotens, aeterne Deus, per Christum Dominum nostrum, qui vicit diabolum et mundum hominemque paradiso restituit. 674 Rupert von Deutz, De victoria verbi Dei.

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der zum Engelfall führt. Der Ehrgeiz (ambitio) des Teufels aber läßt den wütigen Tyrannen nach seiner Vertreibung aus dem Himmel nun nach der Herrschaft auf der Erde streben.675 Mit diesem »schauerlichen Ehrgeiz« bezweckt der Teufel dreierlei: den Menschen durch Verführung sich selbst anzugleichen, ihn dadurch dem Schöpfer zu rauben und sich selbst den Rang einer Gottheit anzueignen.676 Tatsächlich aber führt die Verführung des Menschen zur Verfluchung des Teufels durch Gott.677 Dennoch gibt der Teufel sein Vorhaben nicht auf. Immer wieder führt Rupert den Neid des Teufels (invidia diaboli) als Motiv seines Handelns an.678 Der Mensch soll nicht erreichen, was ihm selbst verwehrt ist. Der Teufel wirkt in den Königen, welche ihrerseits die sechs Drachenhäupter der Apokalypse symbolisieren – damit ist er mit ihnen und mit dem Drachen der Apokalypse identisch –,679 und in ihren Reichen:680 »Erwäge jetzt also genau, mit welchem Recht und wie sachgerecht dieser große Drache, die alte Schlange, die man Teufel und Satan nennt, gleichfalls Leviathan genannt wird, was soviel heißt wie ›ihr Anhang‹.«681

Entsprechend hat der Teufel auch in Herodes gewirkt: »Dieser unreine Herodes, oder vielmehr der Teufel, dem Herodes diente« – an anderer Stelle nennt Rupert Herodes sogar den ganz besonderen unter den Söhnen des Teufels682 –, habe nicht ahnen können, daß er auf die Höhe des Throns aufsteige.683 Alle Reiche aber entspringen letztlich der Herrschaft des Teufels: »Wenn der Teufel der Fürst dieser ganzen Welt ist, müssen dann nicht folgerichtig die Fürsten der Teile dieser Welt, nämlich der Perser und Griechen, als üble Mächte richtig so verstanden werden, daß sie dem Teufel als dem größeren Fürsten als Helfershelfer dienen? Denn Perser und Griechen waren nicht Verehrer Gottes, sondern sie dienten eher dem Geschöpf als dem Schöpfer und verehrten nicht Gott, sondern Dämonen an Stelle Gottes: die Perser die Sonne, die sie auch Apollo nannten, die Griechen Minerva unter dem Namen oder dem Deckmantel der Weisheit; andere Völker (verehrten) 675 Ebd. 2,6, S. 52: Proiectus de ce˛lo principatum arripere presumpsit tyrannus furiosus in hoc mundo. 676 Ebd. S. 53: Hanc horribilem spirans ambitionem tria simul intendit, scilicet ut et hominem in primis decipiens faceret sui similem, deinde omnis creature˛ honore vel obsequio, quantum in se erat, spoliaret creatorem et sibimet deitatis usurparet incommunicabile nomen. 677 Ebd. 2,15, S. 62. 678 Vgl. besonders ebd. 3,10, S. 94f. 679 Vgl. ebd. 5,1, S. 152: draco ille magnus, serpens antiquus, qui vocatur diabolus et sathanas. 680 Ebd. 6,24, S. 207f. 681 So ebd. 9,25, S. 302: Perpende nunc, quam recte et quanta pro re draco iste magnus serpens antiquus, qui vocabatur diabolus et sathanas, vocetur etiam Leviathan, quod interpretatur ›additamentum eorum‹. 682 Ebd. 12,3, S. 374: ut vere unus vel precipuus filiorum diaboli. 683 Vgl. ebd. 11,17, S. 357: unde impurus Herodes, immo diabolus, cui serviebat Herodes, nihil posset suspicari, quod valeret procedere ad celsitudinem throni. Zur Personifizierung des Herodes als Teufel vgl. oben S. 268 mit Anm. 470 und 471.

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andere Scheusale von Göttern [oder : völlig erdichtete Götter], jedes einzelne Volk den eigenen vor den übrigen, doch alle verehrten unter dem Namen Jupiters gemeinsam den Fürsten der Dämonen und den Fürsten der Welt, den Teufel, und warfen sich vor solchen Fürsten und so bösen Geistern vor deren Abbildern nieder.«684

Alle Ungerechten (iniqui) aber sind Glieder des Teufels (membra diaboli), weil sie in teuflischem Geist das Gotteswort hassen.685 Ihr Schicksal ist ebenso vorherbestimmt wie das des Teufels: »Daraus läßt sich leicht erkennen, wie außerordentlich gerecht es ist, daß sowohl diese alte Schlange und alle ihre Häupter als auch überhaupt alle Ungerechten, die Glieder oder Leib des Teufels heißen und sind, sich dem harten, großen und tapferen Schwert, das heißt dem großen Zorn Gottes, ergeben müssen, weil sie es selbst den Erwählten noch hinzufügen wollten, die, wie gesagt, nur geringen Zorn ertragen müssen.«686

Im 12. Buch erwähnt Rupert die Versuchungen Christi,687 und der Teufel ist auch für Christi Tod verantwortlich,688 ohne von den heilsamen Wirkungen der Sakramente zu wissen.689 Im 13. Buch entführt Rupert die Leser schließlich in die Zukunft der Apokalypse (zum Kampf Michaels mit dem siebenköpfigen Drachen, der seine Macht auf den Antichrist überträgt). Am Ende tötet Christus den Antichrist spiritu oris sui (Isa 11,4).690 Damit ist der Sieg des Gotteswortes erfüllt.691 Auch Otto von Freising, der im achten Buch seiner Chronik bekanntlich die Überlieferungen und Deutungen bezüglich der Endzeit diskutiert, weiß, daß die Civitas Dei wegen ihrer Verdienste gekrönt, die Civitas mundi mit ihrem Haupt, dem Teufel, und ihrem Fürsten und Verführer, dem Antichrist, hingegen zu 684 Ebd. 9,4, S. 280: Si totius mundi princeps diabolus, nonne consequenter partium mundi, scilicet Persarum atque Grecorum principes, male˛ potestates maiori principi diabolo subministrantes recte intelliguntur? Non enim Perse˛ et Greci Dei cultores erant, sed potius creature˛ quam creatori serviebant, non Deum, sed pro Deo de˛monia colebant, Perse˛ solem, quem et dicebant Appollinem, Greci sub nomine vel obtentu sapientie˛ sue˛ Minervam, alie˛que gentes alia deorum portenta, gens unaque˛que suum pre ce˛teris singulariter, omnes autem universaliter sub nomine Iovis principem de˛monum, principem mundi diabolum colebant et eiusmodi principibus tam malis spiritibus coram simulachris suis sese prosternebant. 685 Ebd. 6,1, S. 184: quia diabolico spiritu pleni oderunt verbum Dei. 686 Ebd. 9,26, S. 303: Unde animadvertere promptum est valde iustum esse, ut et ipse serpens antiquus et omnia capita eius, omnes omnino impii, qui dicuntur et sunt diaboli membra vel corpus, gladium durum, gladium grandem et fortem, id est magnam Dei subeant iram, quoniam hanc ipse superaddere voluerunt electis parvam (ut iam dictum est) sustinentibus iram. Zur ikonographischen Umsetzung des Kampfes zwischen Christus und dem Teufel vgl. Kathleen M. Openshaw, The Battle between Christ and Satan in the Tiberius Psalter, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 52, 1989, S. 14–33. 687 Ebd. 12,4, S. 375f. 688 Ebd. 12,10, S. 382. 689 Ebd. 12,14, S. 386. 690 Ebd. 13,14, S. 418f. 691 Ebd. 13,15, S. 420f.: Illa destructio mortis consummatio erit victorie˛ verbi Dei.

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ewigen Strafen verdammt werden wird, wie es in der Apokalypse vorausgesagt wird: »Und der Teufel, der sie verführt hat, wird auf den Weg des Feuers und Schwefels geschickt, wo die Bestie und der Pseudoprophet Tag und Nacht in alle Ewigkeit gekreuzigt werden« (Apoc 20,9).692 Ähnlich schreibt Honorius in seiner Predigt ›In conventu populi‹: »Am Ende aber werden die Bürger Jerusalems mit ihrem König am himmlischen Hof triumphieren, die Bürger Babylons aber werden mit ihrem König im Gefängnis der Hölle mit ewigen Strafen gemartert.«693

Die Vorstellungen von der Rolle des Teufels in der Endzeit und seinem nochmaligen und endgültigen Sturz gehen auf die Apokalypse zurück (Apoc 12,7–12). Nach dem »eschatologischen Krieg« (Apoc 16,13–16; 19,11–21; 20,7– 10) wird Satan für tausend Jahre gefesselt und in den Abgrund versenkt (Apoc 20,2f.). Am Sieg Christi über den Teufel konnte kein Zweifel bestehen, und er ist auch ein beliebtes Kunstmotiv.694 Schließlich konnte es im Christentum nicht zwei Prinzipien auf gleicher Höhe, das Gute und das Böse, geben, sondern nur ein Prinzip, für das man sich zu entscheiden hatte. Es paßt also völlig zur heilsgeschichtlichen Rolle des Teufels, daß er seine Funktion mit dem Jüngsten Gericht zwangsläufig verlieren wird, da sich die erlösten Menschen anschließend genauso wenig mehr verführen lassen werden wie längst schon die guten Engel. Seine heilsgeschichtliche Funktion ändert allerdings nichts daran, daß sich damit auch für den Teufel die ewige Verdammnis fortsetzt. Vorher aber erhält der Teufel noch einmal eine letzte, entscheidende, ›historische‹ Funktion, da man sich das Jüngste Gericht gern als einen Kampf oder als eine regelrechte Gerichtsdisputation zwischen Engeln und Dämonen um die Seelen der einzelnen Menschen vorstellt:695 Die Engel verweisen auf die guten Taten des Menschen, die Dämonen auf dessen Missetaten und schlechten Cha692 Otto von Freising, Chronica 8,20, S. 418: Restat, ut de fine utriusque civitatis, qui profecto resurrectionem iudiciumque sequitur, inquiramus. Discussa enim, ut dictum est, in iudicio ambarum causa, illa pro qualitate meritorum coronabitur, ista cum capite suo diabolo principeque ac seductore suo Antichristo eternis penis condempnabitur. Quod Iohannes in Apocalipsi previdens ait: ›Et diabolus, qui seducebat eos, missus est in caminum ignis et sulphuris, ubi et bestia et pseudopropheta cruciabuntur die ac nocte in secula seculorum.‹ Das Apokalypsezitat (Apoc 20,9) findet sich bereits bei Augustinus, De civitate Dei 20,8, CCL 48, S. 712; 20,14, S. 723; 20,15, S. 726; 21,23, S. 788. 693 Honorius Augustodunensis, Speculum ecclesiae. In conventu populi, Sp. 1093 D: Ad extremum vero cives Hierusalem cum suo rege in superna curia triumphabunt, cives autem Babyloniae in infernali ergastulo aeterna supplicia cum suo rege cruciabunt. 694 Vgl. Molinié, L’iconographie du diable S. 273–286. 695 In der mittelhochdeutschen Dichtung ist das Motiv deutlich etwa bei Reinbot von Durne, Heiliger Georg v. 1246–1250, S. 48, ausgedrückt: als beide 0f [bergen] und ze tal der engel und der tiufel vlugen, die [beide] wider strit zugen die sÞle her unde wider, die eine 0f die ander nider. Vgl. Dreyer, Teufel S. 20f.

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rakter.696 So berichtet Bonifatius von einem Visionär, der zusehen durfte (oder mußte), wie die Seele seines früheren Abtes vorgeführt wurde. Die Dämonen rissen sie sofort an sich »und behaupteten, sie gehöre zu ihrem Anteil und zu ihrer Art. Nun antwortete einer aus dem Chor der Engel, indem er sagte: ›Ich werde euch, ihr unseligen Geister, rasch zeigen, daß diese Seele erwiesenermaßen nicht in eure Gewalt gehört.‹ Nach diesen Worten kam plötzlich eine große Schar weiß gekleideter Seelen herbei, die sagten: ›Er ist unser Oberhaupt und Lehrer gewesen und hat uns alle durch seine Lehre für Gott gewonnen; und um diesen Preis wurde er erlöst, und daran erkennt man, daß er nicht euch gehört‹, und sie begannen gleichsam mit den Engeln den Kampf gegen die Dämonen. Und mit Hilfe der Engel entrissen sie die Seele aus der Gewalt der bösen Geister und befreiten sie. Und der Engel schalt die Dämonen und sagte: ›Ihr wißt und begreift, daß ihr diese Seele ohne jedes Recht geraubt habt; also verschwindet, ihr elenden Geister, in das ewige Feuer.‹ Daraufhin erhoben die bösen Geister sofort ein gewaltiges Heulen und Wehklagen; im Nu und sozusagen in einem einzigen Augenblick stürzten sie sich in raschem Flug in die glühenden Feuerschächte, und als sie nach kurzer Zeit wieder auftauchten, stritten sie auf diesem Gerichtstag wieder um die Wette über die Verdienste der [nächsten] Seelen.«697

Dieser Kampf wird anschaulich in der Vita des Furseus beschrieben.698 Hier schossen die Schlachtreihen der Dämonen mit verformten, schwarzen Körpern Feuerpfeile auf die Seelen der Menschen ab, doch löschten Engel schnell das Feuer. Danach begann auch hier eine regelrechte Gerichtsverhandlung zwischen dem Ankläger, dem Teufel, und dem Verteidiger, dem Engel, bei dem nach längerer Diskussion am Ende jeweils der Engel den Sieg davontrug: »Und nachdem der wie eine Schlange zertretene Satan das giftige Haupt wieder erhoben hatte, sagte er : ›Müßige Reden hat er oft geführt‹, und deshalb dürfe er nicht unangefochten die Seligkeit genießen. Der heilige Engel antwortete: ›Wenn du nicht Hauptsünden vorbringst: wegen geringster Sünden wird er nicht zugrunde gehen.‹ Der 696 Vgl. Kapitel 1 über die Engel, oben S. 139f. Genauer wird dieses Thema noch im abschließenden zweiten Band erörtert werden. Vgl. auch Grübel, Hiearchie der Teufel S. 160ff. 697 Bonifatius, Ep. 10, S. 12f.: Quam maligni spiritus rapientes contendebant sortis eorum et condicionis fuisse. Respondit ergo unus ex choro angelorum dicens: ›Ostendam vobis cito, miserrimi spiritus, quia vestrae potestatis anima illa probatur non esse‹. Et his dictis repente intervenit magna choors [= cohors oder chorus?] candidarum animarum, quae dicebant: ›Senior et doctor noster fuit iste et nos omnes suo magisterio lucratus est Deo et hoc pretio redemptus est et vestri iuris non esse dinoscitur‹, et quasi cum angelis contra de˛mones pugnam inirent. Et adminiculo angelorum eripientes illam animam de potestate malignorum spirituum liberaverunt. Et tum increpans angelus de˛mones dixit: ›Scitote modo et intellegite, quod animam istam sine iure rapuistis; et discedite, miserrimi spiritus, in ignem aeternum‹. Cum vero hoc dixisset angelus, ilico maligni spiritus levaverunt fletum et ululatum magnum; in momento et quasi in ictu oculi pernici volatu iactabant se in supradictos puteos ignis ardentis et post modicum intervallum emersi certantes in illo conventu iterum de animarum meritis disputabant. 698 Vita Fursei 6f., S. 284ff.

10. Heilsgeschichtliches Wirken

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alte Ankläger sagte: ›Es ist geschrieben: Wenn ihr den Menschen nicht ihre Sünden nachlaßt, wird euer himmlischer Vater auch euch eure Sünden nicht erlassen‹ (Mc 11,26). Der heilige Engel antwortete: ›Wo hat er sich gerächt und wem tat er unrecht?‹ Der Teufel sagte: ›Es ist nicht geschrieben: ›Wenn ihr rächt, sondern wenn ihr nicht aus ganzem Herzen vergebt‹ (Mt 18,35). Der heilige Engel sagte entschuldigend: ›Nachsicht hatte er im Herzen, aber er beschränkte sie nach Menschenbrauch.‹ Der Teufel antwortete: ›So wie er aus Gewohnheit das Böse angenommen hat, so soll er vom obersten Richter Vergeltung empfangen.‹ Der Engel des Herrn sagte: ›Lasset uns vor dem Herrn richten.‹ Da erneuerte der besiegte Feind sein Schlangengift, indem er sagte: ›Wenn Gott gerecht ist, wird dieser Mensch nicht ins Himmelreich eingehen. Geschrieben steht nämlich: »Wenn ihr euch nicht bekehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich eingehen« (Mt 18,3). Dieses Wort hat er überhaupt nicht erfüllt.‹ Der heilige Engel sprach: ›Lasset uns vor dem Herrn richten.‹ Da aber der heilige Engel stritt, wurden die Widersacher zermalmt.«699

Die Seelen mußten hernach durch ein Feuer gehen, das von den Engeln geteilt wurde, während die Dämonen durch das Feuer flogen. Danach begannen Kampf und Wortgefechte von neuem.700 Der Teufel schlüpft hier einerseits in seine alttestamentliche Rolle des Anklägers vor Gericht, um die Verdammung der Sünder zu erwirken, und ist somit erneut zentral in das Heilsgeschehen des Jüngsten Gerichts integriert. Der Engel ist dort gleichsam der Verteidiger. Andererseits sucht der Teufel mit seinen Anklagen sein eigenes irdisches Wirken buchstäblich bis zur letzten Sekunde zu retten und setzt damit konsequent fort, was er stets getan hat: die Seligkeit des Menschen, die ihm selbst verwehrt ist, zu verhindern. Er sucht alle Argumente zusammen, um die Seele nun definitiv für sich zu gewinnen, wie er es im Einzelfall beständig bereits im irdischen Leben versucht hat, ruft die schlechten Handlungen und Eigenschaften in Erinnerung, zu denen er selbst angestachelt hatte, und verteidigt in699 Ebd. 7, S. 285f.: Cumque uictus Satanas sicut contritus coluber caput releuasset uenenosum, dixit: ›Otiosos sermones saepe protulit‹, nec debere eum inlaesum uita perfrui beata. Sanctus angelus dixit: ›Nisi principalia protuleris crimina, propter minima non peribit.‹ Accusator antiquus dixit: ›Scriptum est: »Si non remiseritis hominibus peccata eorum, nec pater uester caelestis dimittet vobis peccata uestra« (Mc 11,26). Sanctus angelus respondit: ›Ubi se uindicauit uel cui iniuriam fecit?‹ Diabolus dixit: ›Non est scriptum: si non uindicetis, sed: »si non remiseritis de cordibus uestris«‹ (Mt 18,35). Sanctus angelus excusans dixit: ›Indulgentiam in corde habuit, sed consuetudine humana continuit.‹ Diabolus respondit: ›Sicut accepit malum ex consuetudine, ita accipiat uindictam a superno iudice.‹ Dixit angelus Domini: ›Iudicemur ante dominum.‹ Victus inimicus uiperea restaurat uenena dicens: ›Si iustus est Deus, hic homo non intrabit in regnum caelorum. Scriptum est enim: »Nisi conuersi fueritis et efficiamini sicut paruuli, non intrabitis in regnum caelorum« (Mt 18,3). Hoc uerbum minime impleuit.‹ Sanctus angelus dixit: ›Iudicemur ante dominum.‹ Praeliante sancto angelo contriti sunt aduersarii. 700 Ebd. 8–10, S. 286–291. Der Bericht wird von Beda Venerabilis, Historia ecclesiastica gentis Anglorum 3,19, Bd. 2, S. 102ff., aufgenommen, der seiner Kirchengeschichte noch zwei weitere Höllen- bzw. Purgatoriumsvisionen einfügt (ebd. 5,12, Bd. 3, S. 68ff., und 5,14, ebd. S. 90ff.).

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

sofern auch seine eigenen Bemühungen. Dabei erweist er sich als ebenso bibelfest wie listig und unterliegt am Ende nur durch die Geduld und die Verteidigung des Engels. Gutes und Böses aber wird gegeneinander aufgewogen und entscheidet schließlich über das Schicksal des Menschen. Das bedeutet zugleich, daß das oben beschriebene teuflische Wirken auf Erden noch keine Entscheidung bringt, sondern vor dem Gericht noch einmal gerechtfertigt werden muß. Doch selbst dieser Gerichtsstreit ist noch vorläufig. Die Entscheidung liegt bei Gott, und so kann der Engel immer wieder sagen: »Lasset uns vor dem Herrn streiten.« Nach der Vorstellung dieses Autors läßt aber bereits die Tatsache, daß der Engel für die Seele des Menschen eintritt, auf Erlösung hoffen, während der Teufel es offenbar in jedem Fall versucht, ihm die Seele noch zu entreißen, jedoch am Ende aufgeben muß. Bezeichnenderweise vermerken solche Visionen nämlich nirgends einen Sieg des Teufels, obwohl die Zahl der Verdammten (nach Hugo von St. Viktor) doch die Zahl der Erlösten übersteigt.701 Offenbar unternehmen die Engel in diesen Fällen gar nicht erst den Versuch der Verteidigung, während der Teufel auch dann streitet, wenn seine Versuche tatsächlich aussichtslos sind. Ähnliche, zwangsläufig auf das Geschehen selbst stilisierte Vorstellungen finden sich in der bildlichen Kunst. Im Tympanon des Portals der Kathedrale von Autun wird die Seele des Gläubigen vom Erzengel Gabriel regelrecht gewogen, während der Teufel auf der anderen Seite die Waagschale mit aller Kraft herunterzudrücken sucht. Auch hier streiten Engel und Teufel um die Seele, erweist sich der Engel aber als stärker : Die Schale senkt sich zugunsten des Verstorbenen (Abb. IV/49, S. 363).702 In Wort und Bild werden die theologischen Vorstellungen vom Wirken des Teufels am Weltende anschaulich ausgeschmückt und konkretisiert, aber doch dogmatisch konsistent umgesetzt.

11.

Die Andersgläubigen als Glieder des Teufels

Geht es bei der heilsgeschichtlichen Betrachtungsweise zunächst einmal um das Generelle, das Schicksal der Menschen an sich, die (am Ende) entweder erwählt oder verworfen sind (und von daher von Anfang an zwei Gemeinschaften bil701 Vgl. Kapitel 1, oben S. 76 mit Anm. 253. 702 Kathedrale von Autun, Tympanon des Weltgerichtsportals, zm 1140. Abbildung: Althoff/ Goetz/Schubert, Menschen im Schatten der Kathedrale Abb. 27, S. 212. Zu Weltgerichtsdarstellungen in der Kunst vgl. Esser, Ubique diabolus S. 32–52. Auf dem Portal werden zugleich die Laster vorgeführt. Vgl. Matthias Vollmer, Das Weltgerichtsportal als Ort der Selbsterforschung: Sünde, Krankheit und Buße als Elemente religiöser Kommunikation, in: Thomas Honegger/Gerlinde Huber-Rebenich/Volker Leppin (Hg.), Gottes Werk und Adams Beitrag. Formen der Interaktion zwischen Mensch und Gott im Mittelalter Berlin 2014, S. 185–201.

11. Die Andersgläubigen als Glieder des Teufels

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den), und richten sich die Ermahnungen zunächst an die Christen, handelt es sich bei dem Leib Christi und des Teufels also um gute und schlechte Christen, so wird eine andere Identifizierung der Gruppen sehr deutlich bereits auf Erden vorgenommen: Wer nicht Christ ist, kann nicht Glied des Körpers Christi (und damit der Kirche) sein und folglich auch nicht erlöst werden. Das heißt umgekehrt, daß alle Andersgläubigen zwangsläufig zur Gemeinschaft des Teufels zählen.703 Ambrosius Autpertus sieht den Leib des Teufels in vier Teile gegliedert, von denen einer, die schlechten Christen, in der Kirche ist, drei aber außerhalb der Kirche stehen und Heiden, Juden und Häretiker repräsentieren.704 Die Welt teilt sich in zwei Teile, schreibt, übergreifend, aber im gleichen Sinn klassifizierend, Alkuin: einen Teil Christi und einen Teil des Teufels. Im Gegensatz zu dem ungeteilten Teil Christi gliedert sich der Teil des Teufels seinerseits in vier Teile, nämlich in Heiden, Juden, Häretiker und schlechte Christen;705 die ersten drei stehen außerhalb, der letzte, die »falschen Brüder«, innerhalb der Kirche,706 so daß sich die beiden Gemeinschaften hier überlappen. An anderer Stelle werden Juden und Häretiker zu einem Drittel zusammengefaßt.707 Nach Haymo von Auxerre herrscht der Teufel über alle vier Teile der Verworfenen, Häretiker, Heiden, Juden und falsche Christen, wie über die vier Erdteile und bekämpft mit ihnen die eine Kirche Christi.708 Tatsächlich werden also alle Nichtchristen, ganz unabhängig von ihrem jeweiligen Glauben, aber auch die »falschen Christen« in der Kirche, mit dem Teufel (und mit Teufelskult) in Verbindung gebracht.709 Erst die Taufe entreißt die Ungläubigen dem Teufel.710 703 Vgl. dazu Goetz, Wahrnehmung anderer Religionen, besonders Bd. 2, S. 808ff. 704 Ambrosius Autpertus, Expositio in Apocalypsin 4,6,8b, S. 282f.: Pars autem diaboli, in quattuor subdiuiditur partes, foris uidelicet in gentilitatis stultitiam, in Iudaicam perfidiam, in hereticam pertinaciam, et intra Ecclesiam, in reprobam quorundam Christianorum uitam. 705 Alkuin, Commentaria in Apocalypsin 4,6, Sp. 1125 D: Duae sunt in hoc mundo partes, id est Christi et diaboli; sed Christi pars non est divisa; iuxta illud: ›Una est columba mea‹ (Cant 6,8). Pars vero diaboli in quatuor dividitur partes, in paganos, Iudaeos, haereticos et malos catholicos. Tot igitur sunt plagae, quot diaboli partes. 706 Ebd. 4,8, Sp. 1136 D: Nam cum in quatuor partes distinguit diaboli corpus, unam vult intelligi in Ecclesia, in falsis fratribus, et tres foris, id est haereticos, Iudaeos et paganos. 707 Ebd. Sp. 1136f.: Cum vero totum corpus in tribus tertiis describit, una intus intelligenda est in pravis fidelibus simplex, altera foris in Iudaeis atque haereticis duplex, tertia foris in gentibus et ipsa simplex. 708 Haymo von Auxerre, Expositio in Apocalypsin 2,6, Sp. 1028 BC: Sive etiam quatuor partes terrae, in quibus potestatem accepit diabolus, intelligamus haereticos, paganos, Iudaeos et falsos christianos. Super has quatuor partes terrae, id est terrenorum hominum, et per desiderium terram inhabitantium habet potestatem diabolus et cum his contra unam Christi pugnat Ecclesiam, quam ideo scindere non potest, quia fide Christi est unita. 709 Vgl. auch Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 271–280. 710 Vgl. Beda Venerabilis, Homilia 3,109, Sp. 514 A: sed et quotidie in sancta Ecclesia geritur, cum per sanctos praedicatores quis ab infidelitate convertitur ad fidem, ut expulso et ab-

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Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Bei Heiden wird die Beziehung zum Teufel besonders deutlich herausgestellt: Isidors Teufelsdefinition steht nicht zufällig im Abschnitt über die heidnischen Götter.711 Laut Gregor von Tours hat der Teufel selbst den Götzendienst erfunden,712 und nach der ›Glossa ordinaria‹ ist der Teufel von den Juden in dem Augenblick gewichen, als sie das Gesetz und die Verehrung des einen Gottes annahmen, und in die Heiden gefahren.713 Götzenkult ist Teufelsdienst (da die Götzen als Dämonen gelten), die Bekehrung ist seit dem 3. Jahrhundert entsprechend von einem Taufexorzismus begleitet.714 So wird den neu bekehrten Sachsen im Altsächsischen Taufgelöbnis aus dem 8. Jahrhundert zunächst die Absage an den dämonischen Götterglauben abverlangt, bevor ein Bekenntnis zur Trinität folgt: Fors#chistu diobolae? et respondeat: ec forsacho diabolae. end allum diobolgeldae? respondeat: end ec forsacho allum diobolgeldae. End allum dioboles uuercum? respondeat: end ec forsacho allum dioboles uuercum and uuordum thunaer ende woden ende saxnote ende allum them unholdum the hira genotas sint.715

Entsagst Du dem Teufel? Die Antwort soll sein: Ich entsage dem Teufel. Und allem Teufelsgeld? Antwort: Und ich entsage allem Teufelsgeld. Und allem Teufelswerk? Antwort: Und ich entsage allem Teufelswerk und -wort, Donar und Wodan und Saxnot und all den Unholden, die ihre Genossen sind.

Zuerst müsse man den Heiden fragen, ob er dem Teufel mit seinen verdammenswerten Werken und seinem falschen Prunk abschwört und seinen Irrtum ablegt, bevor er sich dem (wahren) Glauben nähern kann, schreibt auch Hrabanus Maurus in seiner Anweisung für Kleriker.716 Als der Friesenmissionar

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renuntiato diabolo, cui ante servivit, ad fidei lumen redit et ad agnitionem superni Creatoris venit. Isidor von Sevilla, Etymologiae 8,11,18 (oben Anm. 60 und 61). Gregor von Tours, Historiae 1,5, S. 7: Hic fuit totius artis magicae, inbuente diabolo, et primus idolatriae adinventor. Glossa ordinaria. Evangelium secundum Lucam 11,24, Migne PL 114, Sp. 291 A: Exivit diabolus a Iudaeis, quando legem et cultum unius Dei populus iste suscepit, et transivit ad gentes, quae erant a pinguedine Spiritus sancti et dilectione proximi aridae et steriles. Vgl. Arnold Angenendt, Der Taufexorzismus und seine Kritik in der Theologie des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Zimmermann (Hg.), Die Mächte des Guten und Bösen S. 388–409. Ausführlich zur Ausbildung des Rituals: Henry Asgar Kelly, The Devil at Baptism. Ritual, Theology, and Drama, Ithaca-London 1985, zur römisch-fränkischen Liturgie ebd. S. 201– 231, der der Taufe von Anfang an einen dämonologischen Aspekt der Entsagung des Teufels zuschreibt (ebd. S. 272f.). Entsprechend interpretiert eine Szene der altenglischen Literatur : David F. Johnson, Hagiographical Demon or Liturgical Devil? Demonology and Baptismal Imagery in Cynewulf ’s Elene, in: Leeds Studies in English n.s. 37, 2006, S. 9–29. MGH Capit. 1, Nr. 107, S. 222. Hrabanus Maurus, De institutione clericorum 1,27, Bd. 1, S. 192: Primum interrogatur

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Willibrord den Stammesfürsten Radbod bekehren wollte, begann er sein Anliegen nach Alkuin mit den Worten: »Den du verehrst, ist kein Gott, sondern der Teufel, der dich, König, im schlimmsten Irrtum getäuscht hat, auf daß er deine Seele ewigen Flammen überantworten kann.«717 Eine blinde heidnische Frau führte den heiligen Amandus zu einem »dem Teufel geweihten Baum«, an dem sie den Götzen zu verehren pflegte,718 der Schwedenmissionar Ansgar fand bei seiner Ankunft in Birka das Volk auf Antrieb des Teufels in tiefem Irrglauben befangen vor,719 und nach Regino von Prüm haben die Heiden ihre Lieder und Tänze, die nicht nur dem christlichen Glauben, sondern sogar der menschlichen Natur insgesamt widersprechen, auf Antrieb des Teufels erfunden.720 Heiden, so Humbert von Silva Candida, sind von Anfang an im Besitz des Teufels,721 des »Vaters der Heiden«, der sie nach Gerhoh von Reichersberg in Babylon, »dem Haus der Verwirrung des unreinen Götzendienstes«, erzeugte.722 Wer Götzen verehrt, warnt Hrabanus Maurus, betet den Teufel an; er beleidigt Gott und wird der ewigen Strafe nicht entgehen.723 Kein anderer als der Teufel ist der Lehrmeister und Urheber der heidnischen Bräuche, meint auch Papst Johannes

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paganus, si abrenuntiet diabolo et omnibus damnosis eius operibus atque fallacibus pompis, ut primum respuat errorem et sic adpropinquet ad veritatem, possitque iuxta Apostolum ›deponere veterem hominem secundum pristinam conversationem, qui corrumpitur secundum desideria erroris‹ (Eph 4,22), ›abnegans impietatem et saecularia desideria‹ (Tit 2,12). Alkuin, Vita Willibrordi 11, S. 125: ›Non est Deus, quem colis, sed diabolus, qui te pessimo errore, o rex, deceptum habet, ut animam tuam aeternis tradat flammis. Vita Amandi episcopi 1,24, S. 447: insuper ostendente ei locum, in quo praedictum idolum adorare consueverat, scilicet arborem, quae erat daemoni dedicata. Rimbert, Vita Anskarii 26, S. 56: Ubi invenit regem et multitudinem populi nimio errore confusam. Regino von Prüm, De synodalibus causis 1,398, ed. Wasserschleben S. 180; ed. Hartmann S. 200: Nullus ibi praesumat diabolica carmina cantare non ioca et saltationes facere, quae pagani diabolo docente adinvenerunt. Quis enim nesciat diabolicum esse et non solum a religione Christiana alienum, sed etiam humanae naturae esse contrarium, ibi cantari, laetari, inebriari et cachinnis ora dissolvi? Vgl. Humbert von Silva Candida, Adversus Simoniacos 2,46, S. 195: Gentilibus siquidem ab initio a diabolo possessis et Iudaeis ab antichristo pervasis draco et bestia iam securi otiantur, quia solus pseudopropheta seducendis sibique subiugandis christianis posse praevalere non dubitatur. Gerhoh von Reichersberg, Commentarius aureus in psalmos et cantica ferialia 5, In Ps. 44, Sp. 1570 D [früher Honorius zugeschrieben]: Pater gentilitatis fuit diabolus, qui eam in civitate Babyloniae, id est in domo confusionis immundae idololatriae genuit, siliquiis porcorum, id est figmentis poetarum nutrivit, sed filius regis Ierusalem eam in coniugium tulit. Patrem ergo diabolum et domum idololatriae et populum vitiorum deserendo obliviscere. Hrabanus Maurus, Homiliae in Evangelia et epistolas 130, Sp. 395 BC: Scimus enim quia idolum nihil est nisi vana superstitio et offensio Dei, et qui idola colit, diabolum colit et Deum fortiter offendit, unde similis illi dicitur, qui confidit in eo, nisi quod idolum pertransiit uno momento, poena autem, quae idolum colentibus praeparatur, nunquam praeteribit, sed aeterna est.

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VIII.724 Heiden müssen daher den Fesseln des Teufels entrissen werden, fordert Bonifatius.725 Christliche Mission dient folglich nicht nur der Bekehrung der Heiden, sondern mit der Entpaganisierung zugleich der Vertreibung des Teufels und seiner Dämonen.726 Teufelsbezüge der Sarazenen sind zwar erheblich seltener als bei Heiden, doch auch die Sarazenen, die in der Regel ohnehin als Heiden angesehen oder zumindest bezeichnet werden, sind für Autoren wie Ekkehard von St. Gallen, ganz wie die heidnischen Ungarn, »Teufelssöhne«, »Partei der Dämonen« und »die erwähltesten Krieger des Teufels«;727 die Enzyklika des Kardinals Daimbert setzt die Streitkräfte der Sarazenen ebenfalls mit den Streitkräften des Teufels gleich,728 und den Kreuzzugschronisten erscheinen die in Moscheen umgewandelten Kirchen des Heiligen Landes als »Tempel des Teufels«.729 Die Sarazenen des Rolandsliedes kämpfen sogar für und mit dem Teufel (während die Christen für Gott und ihren Glauben streiten),730 das Sarazenenheer ist »des Teufels Schwarm«.731 Petrus Venerabilis identifiziert den Teufel gar mit Mohammed persönlich. Der Islam ist für Petrus – nach Arius und vor dem Antichrist – eine der drei großen Gefahren, die der Teufel gegen das Christentum auffährt: Sie alle streiten die Göttlichkeit Christi ab.732 Nach verschiedenen, 724 Johannes VIII., Fragmenta registri, ep. 17, S. 282: Precipue cum hec pessima consuetudo ex paganorum more remanserit, quorum in talibus non alius nisi ipse diabolus erat magister et auctor. 725 Bonifatius, ep. 46, S. 74f.: Fraternitatis vestrae clementiam intimis obsecramus precibus […], ut praecibus pietatis vestrae impetrare studeatis, ut deus et dominus noster Iesus Christus, ›qui vult omnes homines salvos fieri et ad agnitionem Dei venire‹ (1. Tim 2,4), convertat ad catholicam fidem corda paganorum Saxonum et resipiscant a diabuli laqueis, a quibus capti tenentur, et adgregentur filiis matris ecclesiae. 726 Vgl. Rainer Christoph Schwinges, Wider Heiden und Dämonen – Mission im Mittelalter, in: Herkommer/Schwinges (Hg.), Engel, Teufel und Dämonen S. 9–32, hier besonders S. 20. 727 Ekkehard IV., Casus s. Galli 65, S. 235: Tam diversorum denomum utra pars vicerit, nemini sit cure˛. […] Confligunt tandem in conspectu regis in acie prospectantis electissimi satane˛ milites et filii. Der von den Sarazenen von La Garde-Freinet gefangene Abt Maiolus von Cluny hatte die Sarazenen (erstmals) bereits 972 als »Söhne Belials« bezeichnet. 728 Brief Erzbischofs Daimbert von Pisa an Papst Paschal II. (Enzyclica Daimberts, Gottfrieds von Bouillon und Graf Raimunds von S. Aegidius), ep. 3, von 1100, Sp. 450 C: in pre˛senti bello confractis viribus Sarracenorum et diaboli, regnum Christi et Ecclesiae a mari usque ad mare usquequaque dilataret. 729 Vgl. Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum 10,31, S. 75: et de domo diabolica templum Deo uiuo et uero et oracula sanctorum consecraret. 730 Rolandslied v. 4692ff., S. 324: nu sehet ir, wie die haiden / betent an des tiuveles getroc. / n0 tuot irz durch den Þwigen got (Seht euch nur an, wie die Heiden das Blendwerk des Teufels anbeten. Ihr aber handelt um des ewigen Gottes willen). 731 Ebd. v. 3379f., S. 238: die ander du warne, / hie ist des tiuveles geswerme (warne die übrigen, die Teufelshorden sind da). Zum »diabolischen Sarazenen« in der französischen Epik vgl. Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 583–626. 732 Petrus Venerabilis, Summa totius haeresis Saracenorum 13, S. 14: Quae quidem olim dia-

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sogenannten Mohammedviten wurde der Prophet durch den Teufel, nämlich den ›Engel des Lichts‹ in Gestalt des Erzengels Gabriel,733 nach Hugo von Flavigniy durch den Teufel mit goldenem Mund getäuscht.734 Die ganze Religionslehre des Islam wird damit zu einem vom Teufel inspirierten Irrglauben stilisiert. Für Rupert von Deutz beten Sarazenen gar »bis heute« den Teufel an.735 Das klingt auf den ersten Blick abstrus, paßt aber letztlich zu der Vorstellung, daß alle Ungläubigen Teufelsdiener sind. Ähnlich sind Juden dem Teufel verfallen736 und, wie Augustin737 und Beda,738 seither mehrfach aufgegriffen, schreiben, zwar nicht von Geburt oder Abstammung, wohl aber durch Nachahmung Söhne des Teufels (und damit zugleich von den Heiden unterschieden). Mit der apokalyptischen Wendung bilden sie die »Synagoge des Teufels« (Apoc 2,8f.). Immer wieder, so schreibt der Chronist Rodulf Glaber mit Blick auf die Arroganz der Juden in Orl8ans nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahre 1010, gibt »der neidische Teufel den Verehrern des wahren Glaubens das Gift seiner Nichtswürdigkeit wie üblich durch das Volk der Juden« ein.739 Die Juden werden hier zu Werkzeugen des Teufels. Mit ihrem Unglauben gegenüber Christus versucht der Teufel die Christen durch die Juden.740 Für den Erzbischof Agobard von Lyon sind sie

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boli machinatione concepta, primo per Arium seminata, deinde per istum Satanan scilicet Mahumetum provecta per Antichristum vero ex toto secundum diabolicam intentionem complebitur. […] merito impiissimus Mahumetus inter utrumque medius a diabolo provisus ac praeparatus esse videtur, qui et Arii quodammodo supplementum et Antichristi peiora dicturi apud infidelium mentes maximum fieret nutrimentum. Pasionario Hisp#nico 5 (oben Anm. 264). Hugo von Flavigny, Chronicon 1, S. 323. Rupert von Deutz, Commentarii in duodecim prophetas minores. Im Amos prophetam 3, Sp. 334 B: sidus Dei vestri, id est Luciferi, quam huc usque venerantur Saraceni. Das Zitat entstammt (gekürzt) Hieronymus, Commentarii in prophetas minores. In Amos 2,5,25, S. 296. Zur Vorstellung vom »Judenteufel« im (späten) Mittelalter vgl. Robert Bonfil, The Devil and the Jews in the Christian Consciousness of the Middle Ages, in: Shmuel Almog (Hg.), Antisemitism Through the Ages, Oxford u. a. 1988, S. 91–98. Gilbert Dahan, Saints, d8mons et Juifs, in: Santi e demoni, Bd. 2, S. 609–642 (645), hier S. 638ff., will dagegen kaum Beispiele für einen unmittelbaren Teufelsbezug finden. Augustinus, Tractatus in Iohannis evangelium 42,10, S. 369: unde ergo Iudaei filii diaboli? imitando, non nascendo. Beda Venerabilis, Expositio in evangelio Iohannes 8, Sp. 752 C: Inde ergo Iudaei dicti sunt filii diaboli, non nascendo, sed imitando. Danach Haymo von Auxerre, Homiliae de tempore 32, Sp. 216 C. Rodulf Glaber, Historiae 3,7,24, S. 132/134: rursus coepit inuidus diabolus per assuetam sibi Iudaeorum gentem uere˛ fidei cultoribus uenenum sue˛ nequitie˛ propinare. So Hildegard von Bingen, Expositiones evangeliorum 25, S. 258, zur Versuchung Christi: Et dixit ei diabolus per Iudeos: ›Si Filius Dei es‹, quia multa signa circa terram in terrenis causis facis, fac etiam signa de celo, quae nobis incognita sint, et ita ›mitte te deorsum‹ (Mt 4,6), in rumore descende ad homines.

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»Gefäße des Teufels«.741 Ihm zufolge durfte es keine Gemeinschaft der Christen mit der »Gemeinschaft der Synagoge« geben, die er (mit 2. Kor 6,14) als »Gemeinschaft der Finsternis« deutet.742 Als sie Christus banden, täuschten, kreuzigten und töteten, haben die Juden »die Taten des Teufels ausgeführt«, meint Isidor von Sevilla.743 Trotz ihrer einstigen Erwählung sind auch Juden ungläubig und damit dem Teufel verfallen. Für Isidor ist der Teufel ihr Lehrmeister, der sie bis heute beherrscht.744 Als »Söhne des Teufels« sind die Juden, die einstigen Erben Gottes, inzwischen aber »enterbt«.745 Besonders deutlich wird der Teufelsbezug bei Häretikern.746 Hieronymus bezeichnet den Teufel gar als »Fürsten der Häretiker«, princeps haereticorum (obwohl seine eigentliche Gemeinschaft die Synagoge ist).747 Der Barbar Sigi741 Agobard von Lyon, De Iudaicis superstitionibus et erroribus 1, S. 199: Et quidem si, sicut nunc multa necessitas poscit, ausi essemus aut ualuissemus auribus uestris ingerere dampna animarum, que˛ per uasa diaboli, mentes uidelicet Iude˛orum, fidelibus inferuntur, adhiberi omnino iuberet pietas uestra remedium. Als Diener des Teufels bezeichnet auch Agobards Nachfolger Amulo von Lyon, Contra Iudaeos 42, Sp. 171 A, die Juden. 742 Agobard von Lyon, De cavendo convictu et societate Iudaica, S. 231: ut se, tamquam ueri cultores christiane˛ fidei, omni obseruantia ab infidelium consortio segregarent […]. Quia et satis indignum ac fidei nostrae inconueniens esse uidebatur filios lucis tenebrarum societate fuscari et Ecclesiam Christi, quam decet sine macula et ruga sponsi caelestis amplexibus praeparari, maculose˛, rugose˛ ac repudiate˛ synagoge contubernio decolorari. 743 Isidor von Sevilla, Mysticorum expositiones sacramentorum seu Quaestiones in Vetus Testamentum. In Regem I, 20,4, Sp. 407 B: Quod si illud in Evangelio nos ideo non conturbat, quia Dominus voluit atque permisit, nulla diminutione suae potestatis et divinitatis id fieri, sicut ab ipsis Iudaeis, quanquam perversis atque immundis et facta diaboli facientibus, et teneri se et vinciri et illudi et crucifigi atque interfici passus est. 744 Ders., Etymologiae 7,10,10, Bd. 1, S. 298: absque dubio Iudaeorum magistri, qui est diabolus, homicidiorum auctor, qui usque hodie regnat in eis. 745 So Agobard von Lyon, De Iudaicis superstitionibus et erroribus 22, S. 216: Cum he˛c ergo ita se habeant, qua ratione seruis Dei serui peccati, filiis libere filii ancille˛, heredibus exheredati, Dei filiis filii diaboli praeferentur, quos Dominus per Esaiam prophetam tanta a seruis suis diuisione seiungit, ut et nomen pristinum eos amisisse et inter mortuos ostendat iam deputatos esse. Juden als »Söhne des Teufels« begegnet mehrfach auch in der karolingischen Exegese; vgl. Johannes Heil, Kompilation oder Konstruktion? Die Juden in den Pauluskommentaren des 9. Jahrhunderts (Forschungen zur Geschichte der Juden A 6), Hannover 1998, S. 159–174. 746 Vgl. Cohn, Europe’s Inner Demons S. 16–59; Andr8 Vauchez, Diables et h8r8tiques: Les r8actions de l’8glise et de la soci8t8 en Occident face aux mouvements religieux dissidents, de la fin du Xe au d8but du XIIe siHcle, in: Santi e demoni, Bd. 2, S. 573–607; Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 195ff.; Baschet, Diable S. 270. Auch hier setzt der »Prozess der Diabolisation« der Häretiker aber schon früh und nicht erst um das Jahr 1000 ein, wie Baschet meint. 747 Hieronymus, Commentarii in Ezechielem 10,32, S. 461: ›ibi Assur et omnis multitudo (uel synagoga) eius‹ (Ez 32,22); princeps enim haereticorum diabolus – cuius uere congregatio synagoga est, de qua in Apocalypsi dicitur : ›qui sunt synagoga satanae‹ (Apoc 2,9); ebd. 11,38, S. 531: hoc diabolus princeps haereticorum loquitur. Danach Hrabanus Maurus, Commentaria in Ezechielem 13,38, Sp. 870 C.

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funsus, so der Autor der Vita des Priesters Eptadius von Cervon im Bistum Autun, sei in seiner Häresie in teuflischer Kunst unterrichtet worden.748 Der Chronist von St. Hubert bei Angers macht Häretiker, die sich aus Habsucht vom Leib Christi entfernt haben, zu »Pfeilen des Teufels, Zähnen im Maul des Antichrist, heimtückischen Nachkommen der Viper und Gliedern der alten Schlange«.749 Der Häretiker Cherintus ist ihm »ein Anhänger des Antichrist und der Streitwagen und der treue Wagenlenker Satans«, und Simon magus (dem ersten Simonisten des Neuen Testaments) ähnlich.750 Bruno von Würzburg nennt die Fürsten der Häretiker – in Umkehrung der augustinischen Erlösungsbegriffe – sogar die »Auserwählten des Teufels«, die, als Gegenstück zu den Heiligen als den Auserwählten Gottes, bei den Verdammten als auserwählt gelten, während doch alle im Verbrechen Auserwählten solche des Teufels seien.751 Für Remigius von Auxerre töten Häretiker mit ihren Irrtümern die Seele und sind dadurch wie das böse Schwert des Teufels, das von den Guten trennt (im Gegensatz zum milden Schwert Christi, das von den Bösen trennt).752 Der Teufel verführt aber nicht nur zum Mord, sondern beherrscht sogar die Sakramente der Häretiker, wie Gregor von Tours feststellt, als eine westgotische, arianische Prinzessin ihre Mutter ausgerechnet mit einem Trank in dem Kelch vergiftete, den ausschließlich die königliche Familie zur Kommunion benutzte.753 Für Bruno von Asti sind Häretiker »nicht nur die Tore, sondern auch die Zähne des Teufels, weil sie ihre Beute, die sie verschlingen, dem Teufel vorführen«.754 Wer 748 Vita Eptadii presbyteri Cervidunensis 19, S. 192: Itemque in ereticorum sectam barbarus comitiva exercens nomine Sigifunsus, arti diabolica instructus, conversationem et vitam beati viri per se ipsum callide cupiens explorare, ad cellam viliter excurrit. 749 Chronicon s. Huberti Andaginensis 71 (83), S. 605: docensque nullam habendam communionem cum illis, qui per haeresim sese praecidunt a corpore Christi, quique per avaritiam fiunt sagittae diaboli, dentes in faucibus antichristi, subdola viperarum progenies, organa serpentis antiqui. 750 Ebd. (mit Anspielung auf Eusebius, Historia ecclesiastica 4,14): Cherintus in quo deterior Otberto? Cherintus sola fraude catholicae fidei nocuit, calliditate perfidiae suae quoscumque potuit ad consensum sui erroris attraxit Otbertus pecuniam dedit, ut fieret haereticus, ut fornax cupiditatis et avaritiae, templum totius religionis et veritatis obrueret […]. Ecce verus antichristi satelles, currus sathanae et fidelis auriga, Simonis magi quaedam similitudo vera, molitur destruere regnum Christi. 751 Bruno von Würzburg, Expositio psalmorum. Ps. 140,5, Sp. 505 A: Sicut enim Dominus habet electos suos sanctos: ita et diabolus habet electos suos, sicut principes haereticorum, qui apud reprobos electi putantur ; sed et omnes electi in scelere electi diaboli dicuntur. 752 Remigius von Auxerre, Enarrationes in psalmos. Ps. 43, Sp. 827 BC: Et ut necessitatem eripiendo ostendat, ›Eripe me‹, inquit, ›de gladio maligno‹, id est, de erroribus haereticorum, qui interimunt animam. Vel de gladio diaboli, qui est malignus, quia dividit a bonis. Christi vero gladius est benignus, quia separat a malis. 753 Gregor von Tours, Historiae 3,31, S. 127: Quid contra haec miseri heretici respondebunt, ut in sanctam eorum locum habeat inimicus? 754 Bruno von Asti, Expositio in Iob 41, Sp. 689 A: Non solum enim portae, sed et dentes diaboli dicuntur haeretici, quia quos capiendo devorant, diabolo repraesentant.

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die Bibel weltlich, mit Syllogismen und Sophismen, auslegt, der Kirche widerspricht und Lügen verbreitet – all das sind verbreitete Vorwürfe gegen Häretiker –, ist ein Lügner, vom Teufel verleitet und ihm unterworfen.755 Atto von Vercelli vergleicht Häretiker mit Leuten, die sich, in Nachahmung des Teufels, in ein Haus eingeschlichen haben, um dort mit listigen Worten die Frauen zu überreden, die dann, wie einst Eva gegenüber Adam, ihrerseits die Männer täuschen.756 Solche und ähnliche Belege ließen sich mühelos vermehren. Mit ihrem falschen Glauben und ihrem Mangel an Wahrheit, ihren Lügen und Räubereien stehen Häretiker in enger Beziehung zum Teufel,757 »der von Anfang an ein Räuber und Lügner war und nicht in der Wahrheit verharrte«, wie Haymo von Auxerre im 9. Jahrhundert, mit dem immer wieder aufgegriffenen (aber abgewandelten) Zitat aus Joh 8,44, vermerkt.758 Häretiker sind in den Augen der kirchlichen Autoren Teufelsdiener.759 Andr8 Vauchez bezeichnet Häresie folgerichtig als »une ph8nomHne diabolique«.760 Alger von Lüttich hält Häretiker gar für noch schlimmer als den Teufel, weil dieser, auch wenn er seine Pflicht verletzt, immerhin noch einen Glauben habe und nicht selbst Häretiker sei; bei den Häretikern aber herrsche ein verderbter, unvollkommener Glaube.761 Alger meint daher, daß die (affenartigen) Häretiker gar keine Menschen seien, sondern nur die Gestalt von Menschen nachahmten und das Aussehen und Autorität der katholischen Kirche beanspruchten, aber 755 Ebd. 16, Sp. 608 AB: Sed quia haeretici et caeteri iniqui filii Ecclesiae sunt, qui et in locutione sunt duplices et mala vetustate senescentes, rugosa facie matris pulchritudinem amiserunt. Ideo sancta Ecclesia rugas habere perhibetur. Et hae quidem rugae adversum eam testimonium dicunt, quia duplicitate sermonis et syllogismorum sophismatibus semper haeretici Ecclesiae contradicunt. Hi autem sunt falsiloqui et mendaces, qui ut veritati resistant, a diabolo suscitantur ; unde adhuc subditur. 756 Atto von Vercelli, Expositio epistolarum s. Pauli. Epistola II ad Timotheum (c. 3), Sp. 695 AB: Quamvis omnibus haereticis hoc conveniat, ut subintrantes domos, mulieres subdolis et versutis verbis capiant, ut per eas viros decipiant, more patris sui diaboli, qui per Evam Adam circumvenit. 757 Das bestätigt sich auch in bildlichen Darstellungen; vgl. Alessia Trivellone, L’h8r8tique imagin8. H8t8rodoxie et iconographie dans l’Occident m8di8val, de l’8poque carolingienne / l’Inquisition (Collection d’8tudes m8di8vales de Nice 10), Turnhout 2009, S. 390f. 758 Vgl. Haymo von Auxerre, Homiliae de tempore 42, Sp. 260 BC: Quamquam haec sententia de Iudaeis et haereticis possit intelligi, tamen specialiter ad diabolum pertinet, qui ab initio fur fuit et mendax et in veritate non stetit. Zum Johanneszitat vgl. oben S. 186. 759 Vgl. Alexander Patschovsky, Der Ketzer als Teufelsdiener, in: Hubert Mordek (Hg.), Papsttum, Kirche und Recht im Mittelalter. Festschrift für Horst Fuhrmann zum 65. Geburtstag, Tübingen 1991, S. 317–334. 760 Vauchez, Diables et h8r8tiques S. 583. 761 Alger von Lüttich, Liber de misericordia et iustitia 3,6, Sp. 935 D: Quapropter diabolus melior est haeretico; quia, cum fidem habeat, quamvis praevaricator, tamen haereticus non est. Unde cum baptizati in ecclesiasticis peccatoribus sine nota recipiantur, quia in his quamvis malis perfecta fides perfectum sacramentum tribuit, in haereticis autem corrupta fides imperfectum.

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selbst nicht in der Kirche seien.762 Die Bindung an den Teufel ist zwar kein spezifisches Kennzeichen der Häretiker, doch trifft der Vorwurf diese um nichts weniger als die nichtchristlichen Religionen. Heiden, lehrt Isidor von Sevilla, gehören dem Teufel, weil sie niemals zum Gottesvolk zählten, Häretiker, weil sie es verlassen haben.763 Es mag bezeichnend für ein christliches Zusammengehörigkeitsgefühl beider Kirchen sein, dass der griechisch-orthodoxe Glaube kaum oder nur dort, wo er mit Häresien in Zusammenhang gebracht wird, ebenfalls zum Teufelswerk wird. So bedauert etwa Gregor VII., daß die östliche Kirche auf Antrieb des Teufels vom katholischen Glauben abgefallen sei,764 und wertet das Schisma von 1054 damit als Indiz, daß die Griechen sich aus der Hand Gottes in die Hand des Teufels begeben hätten. Solche expliziten Hinweise bleiben jedoch selten. Vielleicht mit dieser letzten Ausnahme aber gelten alle anderen Religionen als Teufelsdienst,765 denn »das Haupt aller Ungerechten und Ungläubigen ist der Teufel.«766 Wer nicht Gott dient, dient zwangsläufig dem Teufel. Heiden und Juden, so schon Augustin, sind Feinde Christi und gehören daher zum »Reich des Teufels«.767 Nach Hrabanus Maurus sucht der Teufel teils durch Heiden, teils durch Häretiker, teils durch falsche Christen zu verhindern, daß die Kirchenlehrer sich mit ihren geistlichen Waffen den kämpfenden Christen anpassen: Die Heiden verhinderten nämlich, daß Christen in den ihnen so wichtigen freien Wissenschaften unterrichtet würden; die Häretiker überredeten die Kaiser, die Verteidiger des christlichen Glaubens ins Exil zu vertreiben, um das Volk um so leichter von der Wahrheit abbringen zu können; jetzt aber suche der alte Feind die Führer des Volkes auf ganz ähnliche Weise von jeder Bildung abzuhalten, 762 Ebd. 3,29, Sp. 944 BC: Nam haeretici, simiarum more, quae cum homines non sint, formam hominis imitantur, vultum Ecclesiae catholicae et auctoritatem sibi vindicant et veritatem, cum ipsi in Ecclesia non sint. Die Affenähnlichkeit wiederholen später Gratian und Petrus Lombardus. 763 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,16,14, S. 58: Paganus et hereticus, ille quia nunquam fuit cum Dei populo, iste quia recessit a Dei populo, uterque recedentes a Christo, ad diaboli pertinent corpus. 764 Gregor VII., ep. 2,49, S. 189, an Hugo von Cluny : Circumvallat enim me dolor immanis et tristitia universalis, quia orientalis ecclesia instinctu diaboli a catholica fide deficit et per sua membra ipse antiquus hostis christianos passim occidit. 765 Bildliche Darstellungen bringen Andersgläubige hingegen erst sehr spät (und meines Erachtens oft nur vage) mit dem Teufel in Verbindung, wie sie auf Bildern überhaupt kaum vor dem 12./13. Jahrhundert als solche kenntlich gemacht werden. Zu Juden und Sarazenen vgl. Debra Higgs Strickland, Saracens, Demons, and Jews. Making Monsters in Medieval Art, Princeton-Oxford 2003, die als ein Ergebnis (S. 241ff.) zudem überrascht feststellt, dass die »Monster« durchaus nicht durchweg negativ gesehen werden. 766 So Hrabanus Maurus, Commentaria in Ecclesiasticum 8,7, Sp. 1018 C: Caput omnium iniquorum et infidelium diabolus est. 767 Augustinus, Sermones. Sermo 71,4, S. 68: Paganus hostis Christi et Iudaeus hostis Christi, diuisi sunt aduersum se; et ambo ad regnum pertinent diaboli.

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damit sie den ihnen Untergebenen nicht die Lehre der Wahrheit anhaften und sie um so leichter täuschen können.768

12.

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Hielten viele Autoren es von ihrem Geschichtsverständnis her durchaus für angebracht, Schilderungen von Teufelserscheinungen und Besessenen in den chronikalischen Bericht einzufügen und den Teufel mehr oder weniger deutlich als geschichtswirkende Kraft (oder Gegenkraft) darzustellen,769 so konnten sie umgekehrt auch politische Untaten oder Katastrophen dem teuflischem Treiben zuordnen und damit einen Gegner diffamieren,770 wie einige oben genannte Beispiele bereits gezeigt haben.771 Notker der Stammler bringt die Blendung des Papstes Leo III. mit dem Wirken des Teufels in Zusammenhang,772 und er bereitet diesen Bericht darüber hinaus gut vor, indem er ihm eine ganze Reihe von Teufelserzählungen voranstellt. Nach Widukind von Corvey betrachteten die Stadt- und Burgbewohner die heidnischen Ungarn wegen ihres schrecklichen Aussehens als böse Geister.773 Im Zusammenhang von Exorzismen bekannte der Dämon Wiggo durch den Mund eines besessenen Mädchens, wie schon oben erwähnt, mit seinen elf Gefährten jahrelang das Frankenreich verwüstet, die Ernten vernichtet, Viehseuchen und menschliche Epidemien verursacht zu 768 Hrabanus Maurus, Commentaria in libros IV Regum. In Librum Primum 13, Sp. 42 B: quod diabolus partim per paganos, partim per haereticos, partim per falsos Christianos prohibere studet, ne sint doctores in Ecclesia, qui, spiritualia arma fabricantes, accommodent pugnantibus Christianis. Pagani enim (ut in historiis legimus) prohibuerunt, ne Christiani liberalibus studiis, quae illi pro maximo ducebant, imbuerentur. Haereticos similiter legimus persuasisse principibus gentium, ut catholicae fidei defensores in exsilium truderent, quo facilius plebem pastore destitutam a veritate avertere possent. Nunc etiam idem hostis antiquus simili modo in pace Ecclesiae eos, qui populis praesunt, quoscunque potest, ab instantia eruditionis avertere satagit, ne subditis dogma veritatis impendant, quatenus illos incautos lenius decipere possit. 769 Vgl. Abschnitt 10, oben S. 307ff. 770 Vgl. Dinzelbacher, Realität S. 174; Baschet, Diable S. 264f. Zum Dualismus zwischen guten und bösen Mächten in der Geschichte vgl. Joachim Ehlers, Gut und Böse in der hochmittelalterlichen Historiographie, in: Zimmermann (Hg.), Die Mächte des Guten und Bösen S. 27–71. 771 Vgl. die entsprechende Verurteilung des Pseudomönchs Robert durch Lampert von Hersfeld (oben Anm. 261) oder der Aufständischen gegen Kaiser Heinrich II. in dessen Vita (Adalbold, Vita Heinrici II imperatoris 37, oben Anm. 457) sowie verschiedene andere Kommentare. 772 Notker, Gesta Karoli 1,26, S. 34f.: his et huiuscemodi fraudibus a diabolo vel satellitibus eius illusis. 773 Widukind von Corvey, Res gestae Saxonicae 1,18, S. 29: cum ignotam multitudinem et corpora cultu habitoque horrenda vidissent, daemonia esse credentes fugiebant.

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haben.774 Einhard übt damit eine deutliche Kritik an den Zeitverhältnissen im Frankenreich. Nicht nur alles Unmoralische, sondern auch alle negativen Entwicklungen lastete man dem Teufel an. »Wer sich Zwietracht und Streit widmet, ist zweifellos ein Teufelssohn,« verkündet allgemein Papst Gregor VII. und appelliert damit doch zugleich an den böhmischen Herzog, Frieden zu halten.775 Der Teufel greift ein, um die Ruhe zu stören. So empfindet er der anonymen Vita Ludwigs des Frommen zufolge den Frieden zwischen dem Kaiser und seinen Söhnen als Provokation und bewirkt einen erneuten Zwiespalt.776 Politisch wirkt sich das teuflische Treiben daher vor allem in Kriegen, Aufständen und Wirren aus: Nach Liutprand von Cremona ist »der schlaue Feind des Menschengeschlechts mit größtem Eifer und Scharfsinn durch Untergraben ihrer Freundschaft darum bemüht, die Menschen eidbrüchig zu machen« (in diesem Fall bewirkte er den Krieg zwischen Berengar und Wido um die Herrschaft in Italien).777 Der Autor der Vita des Bischofs Udalrich von Augsburg macht ebenso wie Ruotger in seiner Vita des Erzbischofs Bruno von Köln den Teufel für den Aufstand Liudolfs gegen seinen Vater, Otto I., verantwortlich778 und verurteilt damit dessen Rebellion. Nach Bonizo von Sutri verhinderte der Teufel ein »heilsames Konzil«, das inmitten der Kämpfe zwischen Heinrich IV. und dem Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden hätte feststellen sollen, wer denn der rechtmäßige König war.779 Menschliche Handlungen erklären sich auf diese Weise ebenso als teuflische Verführungen wie geschichtliche Ereignisse. Indem der Teufel aber zur Begründung und Erklärung nachteiliger Handlungen und Entwicklungen herangezogen und ihm alles Unmoralische und 774 Einhard, Translatio Marcellini et Petri 3,14 (oben Anm. 615 und 616). 775 Gregor VII., ep. 2,71, S. 231: qui discordie et litibus vacant, procul dubio diaboli sunt filii. 776 Astronomus, Vita Hludowici imperatoris 48, S. 472: Humano porro generi pacique contrarius diabolus nequaquam ab imperatoris infestatione feriabatur, sed per satellitum suorum versutias filios sollicitabat persuadens illis, quod pater eos ultro perdere vellet. 777 Liutprand von Cremona, Antapodosis 1,14, S. 18: sane quidem callidissimus ille humano generi inimicus, ut homines praevaricatores sui faciat sacramenti, celerius sagatiusque ad inrumpendam amicitiam laborat. Vgl. auch die Rede Heinrichs vor der Ungarnschlacht, ebd. 2,27, S. 47: Conectet invicem unitatis caritas, si quos diaboli divisit calliditas. Vgl. Ders., Relatio de legatione Constantinopolitana 5, ebd. S. 189: Berengar und Adalbert brachen Otto I. suggerente diabolo die Treue. 778 Gerhard, Vita Udalrici I 10, S. 172/174: et diabolus eum in hoc culmine virtutum stantem videret, omnigenis malitiae suae astuciis nitebatur in aliquam difficultatis voraginem inmergere, et ab inceptis bonis impedire. Ebd. 28, S. 312, entflammte ex machinatione male suadentis satanae ein Streit zwischen den Herzögen Otto von Schwaben und Heinrich von Bayern. Vgl. ähnlich Ruotger, Vita Brunonis 10, S. 10f., zum Liudolfaufstand: ita ut quidam Sathane sotii, invidie˛ spiritu distenti, imperatorem ipsum […] conarentur extinguere; ebd. 15, S. 14: sediciosis nostre˛ rei publice˛ civibus, quos inflammavit spiritus Satane˛ insurgere in christum Domini, erat spes que˛dam Colonia potiundi. 779 Bonizo von Sutri, Liber ad amicum 8, S. 611: Quod salubre concilium diabolo instigante interruptum est.

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Schlimme angelastet wird, läßt er sich leicht in die (politische) Tendenz des Autors einbinden, und es überrascht nicht, wenn Geschichtsschreiber ihre Gegner immer wieder diffamieren, indem sie ihnen eine Beziehung zum Teufel unterstellen. So soll Bischof Arsenius von Orte, dessen Sohn eine Tochter des Papstes entführt hatte, in eben diesem Zusammenhang noch im Sterben mit bösen Geistern gesprochen haben.780 Während des Aufstandes der Kölner Bürger gegen ihren Erzbischof Anno II., so meint Lampert von Hersfeld, hätten einige gar gesehen, »wie der Dämon (Teufel) selber, der Anstifter dieses Wütens, vor dem rasenden Volk daherlief, behelmt und gepanzert, mit einem feurigen Schwert schrecklich blitzend und niemandem vergleichbar als sich selbst.«781

Der bischofstreue Mönch verdammt den Aufstand gegen den Erzbischof damit nicht nur als Teufelswerk, sondern sieht den Teufel selbst daran aktiv beteiligt. An anderer Stelle deutet Lampert den plötzlichen Tod des Halberstädter Bischofs Burchard und dessen Erzpriesters Uto als göttliche Strafe dafür, daß sie seinem Kloster den Anspruch auf die sächsischen Zehnten entzogen hatten: Uto sei, wie man munkelt, »vom Teufel selbst erwürgt worden«.782 Wieder hätte der Teufel hier im Sinne Gottes gehandelt und bestraft, wozu er selbst angestachelt hat. Im Krieg Friedrich Barbarossas gegen die Langobarden vergleicht Rahewin den Hauptgegner Mailand mit dem Teufel und macht damit unweigerlich klar, auf wessen Seite das Recht steht: »Der erste unter den Engeln wurde auch Lucifer genannt; du aber bist die erste unter den Städten Italiens und eine der ersten unter (den Städten) der Welt; jenem hat es unter den Genüssen des Paradieses, dir unter den Genüssen dieser Welt an nichts gemangelt.«783

Damit ist die Weltgeschichte mit der Geschichte der Dämonen verknüpft, wird Mailands Abfall nicht nur zu einem Werk des Teufels, sondern zu einem dem Sündenfall kaum nachstehenden Sakrileg stilisiert. Besonders deutlich werden solche politischen Tendenzen im Investiturstreit. Papst Gregor VII. greift die Vorstellungen der beiden Gemeinschaften Christi und des Teufels784 bei seiner Darlegung der Überordnung der geistlichen Gewalt 780 Annales Bertiniani a. 868, S. 144: et, ut dicebatur, cum daemonibus confabulans, sine communione abiit in locum suum. 781 Lampert von Hersfeld, Annales a. 1074, S. 188: Inter haec conspicantur quam plurimi ipsum talium furiarum incentorem demonem precurrere insanienti populo, galeatum, loricatum, igneo mucrone terribiliter fulgurantem nec ulli quam sibi similiorem. 782 Ebd. a. 1059, S. 76: a diabolo, ut fama vulgacior loquebatur, suffocatus. 783 Rahewin, Gesta Frederici 4,26, S. 574: Ille inter angelos primus et Lucifer appellatus, tu inter urbes Italiae prima, inter orbis una de primis; ille in deliciis paradysi, tu in delicias huius mundi nullius indiga fuisti. 784 Vgl. Abschnitt 10, oben S. 315ff.

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über die weltliche auf und unterscheidet hier zwischen guten Christen und schlechten Herrschern. Jene nämlich suchen den Gottesruhm und beherrschen sich brav selbst, während diese nicht nach dem, was Gottes ist, sondern nach sich selbst urteilen und andere Feinde tyrannisch bedrängen. Jene aber sind der Körper des Königs Christus, diese der Körper des Teufels. Die ersten beherrschen sich mit dem Ziel, in Ewigkeit mit dem größten Kaiser zu herrschen; letztere hingegen werden mit dem Fürst der Finsternis, dem König über alle Söhne des Hochmuts, in ewiger Verdammung zugrunde gehen (und Gregor schließt zeitkritisch noch eine Identifizierung der Letzteren mit den schlimmen, simonistischen Bischöfen an).785 »Wie sich aber die Erwählten unlösbar mit ihrem Haupt vereinigen, so verbünden sich auch die Verworfenen hartnäckig mit demjenigen, der das Haupt der Bosheit ist, vor allem gegen die Bösen. Gegen sie kann man sich zuverlässig weniger mit Worten auseinandersetzen, sondern muß vielmehr mit tränenreicher Trauer für sie seufzen, damit der allmächtige Gott sie den Fesseln Satans, mit denen dieser sie gefangenhält, entreißt und sie einst nach den Gefahren endlich zur Erkenntnis der Wahrheit führt.«786

Auch Heinrich IV. und seine Bischöfe bezeichnet Gregor in seinen Briefen mehrfach als Handlanger des Teufels und ruft die Getreuen auf, sie aus der Hand des Teufels zu befreien.787 Die zweite Exkommunikation des Königs begründet Gregor mit den Worten: »Glieder des Teufels haben begonnen, sich gegen mich zu erheben, und es gewagt, ihre Hände bis aufs Blut gegen mich zu richten.«788 Nach dem gregorianischen Chronisten Berthold wurden Heinrichs Soldaten, die erbarmungslos die schwäbischen Kirchen geplündert, entweiht und in Brand gesteckt hatten, »von unreinen Geistern ergriffen und bis auf den Tod gepei785 Gregor VII., ep. 8,21, ed. S. 557: Ad summam, quoslibet bonos christianos multo convenientius quam malos principes reges intelligi decet. Isti enim gloriam Dei querendo se ipsos strenue regunt, at illi non, que˛ Dei sunt, sed sua querentes sibimet hostes alios tyrannice opprimunt. Hi veri regis Christi, illi vero diaboli corpus sunt. Isti ad hoc sibi imperant, ut cum summo imperatore e˛ternaliter regnent, illorum vero id potestas agit, ut cum tenebrarum principe, qui rex est super omnes fiiios superbie, e˛terna dampnatione dispereant. Nec valde sane mirandum est, quod mali pontifices iniquo regi, quem adeptis male per eum honoribus diligunt metuuntque, consentiunt; qui symoniace quoslibet ordinando Deum pro vili etiam pretio vendunt. Den Brief inseriert Hugo von Flavigny, Chronicon 2, a. 1081, S. 456. 786 Ebd. S. 557f. (Gregorbrief): Nam sicut electi insolubiliter suo capiti uniuntur, ita et reprobi maxime contra bonos ei, qui malitie˛ caput est, pertinaciter fe˛derantur. Contra quos profecto non tam disserendum quam pro eis est lacrimosis planctibus ingemendum, ut omnipotens Deus illos a laqueis sathane˛, quibus captivi tenentur, eripiat et vel post pericula ad agnitionem veritatis tandem aliquando perducat. 787 Vgl. etwa Gregor VII., ep. IV,1, S. 291: Quicunque autem episcoporum vel laicorum timore vel gratia humana seducti a communione regis se non subtraxerunt, sed ei faventes animam suam et illius diabolo tradere non timuerunt, si non resipuerint et condignam pe˛nitentiam egerint, nullam cum eis communionem vel amicitiam habeatis. 788 Ebd. 7,14a, Epp. sel. 2,2, S. 483: membra diaboli contra me ce˛perunt insurgere et usque ad sanguinem presumpserunt in me manus suas inicere.

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nigt«.789 Für Bernold von St. Blasien hielt sich der Gegenpapst Wibert von Ravenna nur dank der Werkzeuge (organa) des Teufels auf dem Papstthron,790 für Hugo von Flavigny hetzte Heinrich IV., dessen schlechtes Leben sich von allen Geboten der heiligen Väter abwandte, die Anhänger des Teufels gegen den Papst auf,791 und für Bonizo von Sutri war die ebenso berühmte wie folgenreiche Absetzung des Papstes durch einen Laien (den König) auf der Wormser Synode von 1076 eindeutig ein Teufelswerk: »Erfüllt vom Geist des Teufels, untersagte er ihm inmitten der Synode von seiten des Königs, also eines Laien, das Priesteramt und befahl ihm, von seinem Thron herabzusteigen.«792 Die wachsende Bedrängnis des Papstes lastet Bonizo ebenfalls diesem »Feind des Menschengeschlechts« an.793 Berthold von Zwiefalten sieht an Heinrich IV. gar das Evangelienwort erfüllt: »Und der Satan wird euch aufsuchen, um euch wie Weizen zu sieben (Lc 22,31).«794 Petrus Damiani vergleicht in einem Wortspiel den Gegenpapst Kadalus sogar unmittelbar mit dem Teufel: Wie der Name des Teufels der rücklings Herabfallende bedeutet, so leitet sich auch Kadalus vom Fallen (cadere) ab und klingt wie Untergang des Volkes, so daß beiden wahrlich ein angemessener Name anhaftet.795 Gleiches gilt für die Angriffspunkte der Kirchenreform: Simonie ist für Rudolf von St. Trond Teufelswerk: »Der heilige Augustinus sagt von den Häretikern, daß sie ohne Zweifel Simonisten sind: ›Ihr seid aus uns hervorgegangen, aber ihr wart nie von uns‹ (1. Joh 2,19), und von denen, die (Weihen) verkaufen oder kaufen, über Johannes: ›Sie verkaufen, sagt er, Schafe, sie verkaufen Rinder, nämlich das elendige Volk‹ [das damit gemeint ist]. Und wem verkauften sie es, wenn nicht dem Teufel? Oh beweinenswertes Übel! Diese Söhne Satans verkaufen ihrem Vater, dem Teufel, diejenigen, die der Gottessohn mit seinem

789 Berthold von Reichenau, Chronicon (2. Fassung) a. 1078, S. 337f.: quidam namque illorum, ut aiunt, ab immundis spiritibus arrepti, usque ad mortem vexabantur. 790 Ebd. S. 463: Etsi enim ipse illam cum pace nequiverit obtinere, adeo tamen per organa diaboli praevaluit, ut iam biennio sedes apostolica pastorali gubernatione caruerit. 791 Hugo von Flavigny, Chronicon 2, S. 424: Heinricus enim, Heinrici imperatoris filius, adversus Deum et matrem omnium catholicorum Romanam aecclesiam superbe tumidus, quia vita eius prava sanctorum patrum decretis et canonicis aversabatur institutis, adversus Deum et adversus christum eius insurrexit, aecclesiasticis sanctionibus impie factus rebellis, menbra diaboli contra eum incitando. 792 Bonizo von Sutri, Liber ad amicum 7, S. 606f.: Is diaboli repletus spiritu in media sinodo ex parte regis, laici scilicet hominis, pontificale ei interdixit officium eique precepit, ut de sede descenderet. Tatsächlich wurde Gregor durch die deutschen Bischöfe abgesetzt. 793 Ebd. 7, S. 605: Que res inimico humani generis ad decertandum contulit arma. 794 Berthold von Zwiefalten, Chronicon 7, S. 160: Horum temporibus impletum est illud evangelicum: ›Expetivit vos Satanas, ut cribraret sicut triticum‹ (Lc 22,31). 795 Petrus Damiani, ep. 89, Bd. 2, S. 569: Per quod manifeste colligitur diabolum adhuc in deteriora posse corruere. Et quia diabolus interpretatur deorsum fluens, Kadalous a cadendo dictus ruinam populi sonat, ipsis quoque nominibus aptissime invicem uterque concordat.

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eigenen, kostbaren Blut aus der Hand des Feindes errettet hat. Welch übler Verkäufer, wo es einen noch übleren Käufer gibt.«796

Damit werden beide Seiten der an der Simonie Beteiligten, Käufer und Verkäufer der Weihen, gleichermaßen verurteilt. Manchmal genügt eine typologische Anspielung, wie die Bezeichnung als »Sohn Belials«,797 den biblischen Fürsten der Finsternis, um solche Bezüge zu verdeutlichen.

13.

Fazit: Ubique diabolus – Die Realität des allgegenwärtigen Teufels im Mittelalter

Ubique diabolus – der Teufel ist überall, so schrieb zuerst wohl Hieronymus.798 Die Ubiquität des Teufels ist tatsächlich ein Charakteristikum des Mittelalters. Teufel und Dämonen, so scheint es, bilden im menschlichen (und mönchischen) Leben des frühen und hohen Mittelalters (und weit darüber hinaus) eine allgegenwärtige und alltägliche Erscheinung.799 »Die ganze Welt war voller Dämonen.«800 Albrecht Diem zählt allein in der merowingischen Hagiographie rund 100 Zusammentreffen von Mönchen und Dämonen.801 Der Teufel ist »assur8ment l’une des figures les plus importantes de l’univers de l’Occident m8di8val«.802 Das gilt auch für die Kunst.803 796 Rodulf von Saint-Trond, Epistolae. Rescriptum Rodulfi ad epistolam missam ei de coenobio sancti Pantaleonis, S. 324: Beatus Augustinus dicit de hereticis, quod procul dubio sunt symoniaci: ›Ex nobis exierunt, sed non erant ex nobis‹, et de vendentibus et ementibus super Iohannem: ›Vendunt, inquit, oves, vendunt boves, id est miseras plebes.‹ Et cui vendunt, nisi diabolo? O lacrimabile malum! Quos filius Dei redemit de manu inimici precioso sanguine suo, isti filii diaboli vendunt patri suo diabolo. O quam malus venditor, ubi tam pessimus est emptor! Das Zitat bezieht sich auf Augustinus, In Iohannis evangelium tractatus 10,8, S. 105. 797 So beispielsweise Liber historiae Francorum 50, S. 325, zum Heiden Rantgar, der Pippin ermordete. 798 Hieronymus, In Hieremiam prophetam 1,17,2, S. 14: semper enim in periculo consistimus et ubique diabolus tendit laqueos suos. Esser, Ubique diabolus, gibt trotz des Titels keine Referenz an. Die häufiger anzutreffende Berufung auf Thomas von Aquin, Sententiae IV. Distinctio 45, quaestio 1, articulus 1, quaestiuncula 3, sed contra 2, ed. Roberto Busa, S. Thomae Aquinatis Opera Omnia, Bd. 1, Stuttgart/Bad Canstatt-Mailand 1980, S. 652, drückt das zwar inhaltlich, aber nicht im Wortlaut aus: cum Diabolus et Daemones toto vagentur orbe, et celeritate nimia ubique praesentes sint. 799 Vgl. McGuire, God – Man S. 18: »present in all aspects of medieval life«. 800 So Graus, Hagiographie und Dämonenglauben S. 110. Vgl. auch Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 799. 801 Diem, Encounters S. 64. Nach der Magisterregel konzentriert sich der Teufel geradezu auf die Mönche, da er die anderen ohnehin »im Griff« hat; vgl. Kardong, Devil S. 61. 802 So Baschet, Diable S. 260. 803 Vgl. Molinié, L’iconographie du diable S. 468: »Le diable […], symbole du Mal, fait partie int8grante de la vie du Moyen ffge«.

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Wenngleich manche Vorstellungen in antik-heidnische und jüdische Traditionen zurückreichten, so sind sie nicht nur erst in Spätantike und frühem Mittelalter (allmählich) zu einer ganzheitlichen Lehre zusammengewachsen, sondern sie spielen im Christentum auch durchgängig eine besondere Rolle, weil sie das Böse in der Welt gegenüber Gott rechtfertigen.804 Wenn die Teufelspräzenz in der Kunst wellenartig auf- und abschwillen mag805 oder das 12. Jahrhundert in der Skulptur eine »Explosion der Formen des Teufels« erlebte,806 dann bleibt das Motiv in den Schriftquellen doch eher durchgängig. Eine Dämonologie wurde, mit dem Titel von Alain Boureau,807 nicht erst im 13. Jahrhundert »geboren«, »ein erstes Überhandnehmen der Dämonen beobachtet man [bereits] in der romanischen Kunst«808 und in den Schriftquellen noch viel früher. Wenn Robert Muchembled seine Geschichte des Teufels erst im 12. Jahrhundert beginnt, weil Satan in der westlichen Kultur erst jetzt eine Macht wurde, mit der zu rechnen war, und eine »wirkliche Bedeutung« erst im 12./ 13. Jahrhundert erhielt,809 wenn Jacques Le Goff vornehmlich aus bildlichen Darstellungen folgert, der Teufel sei im frühen Mittelalter keine besonders wichtige Figur gewesen und habe erst seit dem 11. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung gewonnen,810 oder wenn Peter Dinzelbacher, gleichfalls vornehmlich auf Bildmaterial gestützt, etwas vorsichtiger zumindest eine »Zunahme des Diabolischen« seit dem Ende des 12. Jahrhunderts811 und eine »Intensivierung der Teufelsfurcht im Spätmittelalter« erkennt,812 dann trifft das auf die immer stärker fratzenartigen Teufels- und Dämonenskulpturen zu, ist vom Gesamtbestand der Teufelsvorstellungen hingegen kaum haltbar.813 Weder beginnt »die 804 So zu Recht Dinzelbacher, Realität des Teufels S. 168ff. 805 Schade, Dämonen und Monstren S. 82, spricht von »Gezeiten des Dämönischen in der abendländischen Kunst«. 806 So Molinié, L’iconographie du diable S. 470. 807 Boureau, Satan h8r8tique. 808 So Schade, Dämonen und Monstren S. 81. 809 Muchembled, Histoire du diable S. 20. 810 Le Goff, Civilisation S. 205: »Satan n’a pas dans le Haut Moyen ffge de rile de premier plan, enore moins de personnalit8 accus8e.« Die These ist immer wiederholt worden, etwa von Van der Eerden, Engelen en demonen S. 143. Sie geht letztlich bereits auf Roskoff, Geschichte des Teufels zurück, der (gemäß den Überschriften) die »Völlige Ausbildung des Teufels« in das 7. bis 13. Jahrhundert verlegt (ebd., Bd. 1, S. 289–317) und erst in der Zeit danach die »Eigentliche Teufelsperiode« angebrochen sieht (ebd. S. 317–349). 811 Dinzelbacher, Angst im Mittelalter S. 81ff., das Zitat ebd. S. 90. 812 Ebd. S. 95ff. Ders., Realität des Teufels S. 172, sieht die »übergroße Macht des Höllenfürsten vor allem in der scholastischen Theologie seit dem weltuntergangsbesessenen 13. Jahrhundert entwickelt«. Zu Wandlungen zistierziensischer Vorstellungen Ders., Von der Hinterlist. Hingegen betont Valcárcel, Demonios, zusammenfassend S. 149, daß die Heiligen des 13. Jahrhunderts weit weniger unter teuflischen Angriffen zu leiden hatten als die frühmittelalterlichen Heiligen. 813 So stellt Rubellin, Diable S. 267, eine Präsenz des Teufels schon in den frühen Viten des 6. bis

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eigentliche Teufelsperiode« erst im 13. Jahrhundert, wie schon Roskoff meint,814 noch ist erst das 15. bis 17. Jahrhundert »die große Epoche des katholischen Teufelsglaubens«.815 Die Menschen stehen (auch vorher) ständig zwischen Gott und dem Teufel, der keineswegs eine »Schöpfung der Feudalgesellschaft« (»une cr8ation de la soci8t8 f8odale«) oder ein »Inbild des abtrünnigen Vasallen« (»le type mÞme du vassal f8lon«)816 ist, wenn man den Begriff nicht einfach als Epochenbezeichnung verstehen will. In der Kunst mag der Teufel seit dem 12. Jahrhundert seine menschliche Gestalt immer mehr verloren und immer stärker monströse Züge angenommen haben.817 Die Vorstellung von seiner schwarzen, unförmigen Gestalt ist hingegen älter. Eine sicherlich vorhandene Entwicklung der Teufelsvorstellungen im Verlauf des frühen und hohen Mittelalters darf folglich nicht allzu schematisch gesehen werden:818 Die Teufelsvorstellungen selbst bleiben in diesem Zeitraum im wesentlichen konstant. Allerdings haben sie sich – wie schon die Engellehre – erst allmählich (und ohne deutlich erkennbare Zäsuren) zu einer relativ geschlossenen Teufelslehre ausgebildet, die den Teufel, trotz vielfältiger Wurzeln zu einer der bemerkenswertesten und originellsten Schöpfungen des Christentums machen.819 Sie ist bereits bei den Kirchenvätern im Kern vorhanden, wird aber erst bei Isidor systematisch zusammengefaßt und in der Folgezeit, jedoch nicht erst im hohen und späten Mittelalter, wie Wolfgang Metternich meint,820 zu einem in sich konsistenten Bild, wenn auch mit manchen Varianten, weiterentwickelt und weitertradiert. Trotz seiner Natur als geistiges Wesen und der daraus folgenden Unsichtbarkeit macht sich der Teufel andauernd sichtbar.821 Kennzeichnend bleibt dabei eine Vielgestaltigkeit des Aussehens, des Wirkens, der Erscheinungen und der Instrumentalisierungen, die ihn zu einer (bewußt) schillernden Figur macht, bleibt aber auch die unmittelbare Begegnung bis hin zu Gesprächen mit dem

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9. Jahrhundert fest und deutet das als Spiegelung einer christlichen Gesellschaft, die über das Böse siegt (ebd. S. 272). So Roskoff, Geschichte des Teufels (siehe Anm. 810). So Di Nola, Teufel S. 265–269 (Il diavolo S. 221–224). So Le Goff, Civilisation S. 205. Vgl. Bayard, Diable S. 13. Tatsächlich bewegen sich aber auch die Skulpturen »zwischen Realität und Imaginärem«; vgl. Molinié, L’iconographie du diable S. 321–400. Zu undifferenziert auch Rosette Dubal, La Psychanalyse du diable. Essai (Le chemin de la vie) Paris 1953, S. 190f., wonach der Teufel im Frühmittelalter als Verführer und gefallener Engel, im 11./12. Jahrhundert als scheußliches Monster gesehen wurde und im 13. Jahrhundert seinen Schrecken verlor. So Baschet, Diable S. 260 (»l’une des cr8ations les plus remarquables et les plus originales du christianisme«). Metternich, Teufel S. 34. Vgl. Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 800.

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Teufel.822 Wenn man verschiedene (literarische) »Teufelstypen« unterscheiden will,823 darf darüber doch nicht übersehen werden, daß es sich eigentlich nur um verschiedene Erscheinungs- oder Darstellungsformen ein und desselben Teufels handelt. Bei aller Vielgestaltigkeit, auch in der Dichtung,824 bis hin zur Gestalt bekannter Menschen, schreckt der Teufel letztlich, und in der Kunst sogar durchweg, durch seine Häßlichkeit ab.825 Durchgängiges Element ist bei aller Multifunktionalität826 das Böse und Schädliche (und sei es nur, daß er seinen Schabernack mit den Menschen treibt): Der Teufel verkörpert das Böse in der Welt,827 seit er wegen seines Anspruchs auf Gottgleichheit aus dem Himmel verstoßen wurde, und sucht seither den Menschen mit List und Heimtücke zu schaden und sie von Gott (und damit vom Seelenheil) abzuwenden. Ständig lauert er dem Menschen auf und bringt Gefahr für das Seelenheil,828 denn ihm ist, wie der Autor der Vita des Bischofs Benno von Osnabrück schreibt, »nichts mehr zuwider und verhaßt, als wenn jemand dem Willen Gottes folgt und durch geistliche Übungen die Voraussetzung zur Rettung seiner Seele schafft«.829

Erstaunlicher noch ist es, wie häufig man dem Teufel irdischen Schaden (oder den Tod) zuschreibt oder ihn Sünden bestrafen läßt, denn letztlich wirkt auch der Teufel, wenngleich wider eigenen Willen, als Werkzeug Gottes. Dieses Wirken wird vielfach sowohl in konkreten Einzelepisoden ausgemalt als auch, besonders im hohen Mittelalter, zu regelrechten heilsgeschichtlichen ›Systemen‹ eines Weltkampfes zwischen Christus und dem Teufel verarbeitet. 822 Sie sind auch für die angelsächsische Literatur charakteristisch; vgl. Dendle, Satan Unbound S. 117f. 823 Vatter, Devil S. 60–66, unterscheidet in der Tradition sechs »Teufelstypen« (allerdings nur solche, die in der späteren Literatur auftauchen): das Werkzeug Gottes, den Todesengel, den gefallenen Engel, den Höllenfürsten, den Versucher und den komischen Teufel. 824 Vgl. Calle Calle, Repr8sentations du diable S. 800. 825 Vgl. ebd.; Molinié, L’iconographie du diable S. 91 (»une cr8ature laide« seit dem 9. Jahrhundert) und S. 332–334. Nicht die Gestalt, sondern die Häßlichkeit sei das entscheidende Element (ebd. S. 468). 826 Auf die Vielfalt der Funktionen schon in der Spätantike verweist Diem, Encounters S. 55. 827 Bernd-Ulrich Hergemöller, Die Freunde des Bösen. Malographie, Schwarze Legende und Hate Crime im Mittelalter (Hergemöllers historiographische Libelli 5), Hamburg 2007, hat für alle diesbezüglichen Geschichten den Begriff Malographie geprägt, der den Teufels- und Dämonenglauben jedoch wiederum übersteigt. Letzterer wird in dieser Arbeit und tatsächlich nur gestreift. 828 Vgl. dazu Santi e demoni; darin vor allem die Aufsätze von Graus, Tabacco und Dinzelbacher; zur antiken Tradition: Charles Pietri, Saints et d8mons: l’h8ritage de l’hagiographie antique, ebd. Bd. 1, S. 15–90. Beispiele in fränkischen Frauenviten finden sich bei Hans-Werner Goetz, Frauen im frühen Mittelalter. Frauenbild und Frauenleben im Frankenreich, WeimarKöln-Wien 1995, S. 150f. 829 Norbert von Iburg, Vita Bennonis 21, S. 20f.: diaboli firmans affirmansque fraudibus talia evenire solere, cui nihil magis adversum nihilque odiosius esset, quam divinae aliquem obsequi voluntati spiritalisque exercitii instrumenta animabus parare salvandis.

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Nicht nur das Leben des einzelnen, sondern auch die irdische Geschichte insgesamt konnte so als Kampf mit dem Teufel interpretiert werden, der sich vom Sündenfall bis zum Jüngsten Gericht mit dem Streit zwischen Engeln und Dämonen um die Seelen der einzelnen Menschen erstreckte. In dieser Hinsicht ist der Teufel, »der Schädiger des menschlichen Heils«,830 zugleich Teil der Heilsgeschichte und des göttlichen Heilsplans und in das religiöse Leben integriert, indem er (gegen seinen Willen) hilft, Gute und Böse zu scheiden, auch wenn er hier jeweils das Gott Entgegengesetzte verkörpert und überhaupt »une instance contre« darstellt.831 Die (oft erbaulichen) Erzählungen aber sollten somit zur Gegenwehr ermahnen. Wenn die zahlreichen Teufelsgeschichten Angst vor dem Teufel (und damit Angst um das Seelenheil) schüren wollten,832 so bieten sie doch gleichzeitig aufbauende Exempla, ihm zu widerstehen. Eine »deutliche Dominanz der Angstvorstellungen im kirchlich vermittelten Christentum des Mittelalters«833 läßt sich daher vielleicht wiederum aus bildlichen Darstellungen, nicht aber aus den Schriftquellen herauslesen, so daß es mir fraglich erscheint, ob die angstbetonenden Aspekte die der Hoffnung quantitativ und qualitativ tatsächlich übertroffen haben.834 Der erbauliche Charakter konnte in unterhaltsamen Geschichten manchmal sogar bis zur Verharmlosung des ertappten und seinerseits entmachteten Teufels führen (und damit zeigen, daß man dem Teufel zu widerstehen vermag): So ernst und gefährlich sein Wirken auch ist, konnte der Teufel doch schon im frühen Mittelalter (wie bei Notker) in jene komische Rolle gedrängt werden, die ihm (teilweise) in der spätmittelalterlichen Dichtung zuteil wurde,835 auch wenn solche Aspekte zunächst noch selten begegnen. Obwohl in der konkreten Ausgestaltung nur bedingt biblisch und theologisch nicht zwingend notwendig – das Böse in der Welt mußte überhaupt erst begründet werden –,836 ist der Teufel eine nicht wegzudenkende, zentrale Figur der religiösen Vorstellungswelt des Mittelalters, die nicht nur als Symbol für das

830 So Thietmar von Merseburg, Chronicon 1,24, S. 30 (oben Anm. 266): Hoc factum auctor tanti sceleris et humanae salutis irretitor Satanas. 831 So Baschet, Diable S. 271. 832 Für Dinzelbacher, Angst im Mittelalter S. 251ff., hat die mittelalterliche Kirche ihre Bedeutung erst dadurch erlangen können, daß sie den Gläubigen ständig Angst einflößte. Relativierend allerdings ebd. S. 261. 833 So ebd. S. 276. 834 So ebd. S. 264. 835 Vgl. dazu Baschet, Diable S. 267f.; Roskoff, Geschichte des Teufels Bd. 1, S. 394–404. Roskoff (ebd. S. 399) sucht die Anfänge des »dummen Teufels« hingegen erst am Ende des 11. Jahrhunderts. 836 Zu scholastischen Positionen vgl. Zimmermann (Hg.), Die Mächte des Guten und Bösen. Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, S. 167 (zu Augustin).

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Böse oder als »roi de l’imaginaire«,837 sondern zweifellos, wie Peter Dinzelbacher zu Recht betont, als »Realität« und als reale Figur verstanden worden ist.838 Über die Gründe und Motive dieser realen Teufelserscheinungen (und eine entsprechende Erklärung)839 wird man aus heutiger Sicht nur mutmaßen dürfen. Man hat sie modern als psychische Autosuggestion oder einfach als Einbildung (weg)interpretieren wollen.840 Falls das zutrifft – und von außen betrachtet spricht manches durchaus dafür –, wäre es den mittelalterlichen Autoren allerdings nicht nur nicht bewußt gewesen, sondern sie hätten im Gegenteil lauthals widersprochen und den Wahrheitsgehalt ihrer Geschichten und die Realität des Teufels vehement verteidigt. Die Berichte über (angebliche) Teufelserscheinungen setzen schließlich einen festen Glauben der Autoren wie auch der Rezipienten an die Existenz, das Wirken und Aussehen des Teufels bereits zwingend voraus und resultieren erst aus dem Teufelsglauben. Auf dieser Grundlage konnte allerdings alles Außergewöhnliche den Menschen leicht als teuflisch erscheinen: ein Dieb ebenso wie ein störrisches Maultier. Die Brüder von Pr8montr8 sahen in einem Wurm im reinen Wasserglas ein Teufelswerk.841 In allem Widerwärtigen und Schädlichen konnte man ein Teufelswerk und in den Gegnern den Teufel selbst vermuten. Aus heutiger Sicht erklärt sich sicherlich manches recht zwanglos aus den Begleitumständen, wie einige (bereits behandelte) Beispiele das exemplarisch verdeutlichen mögen. Rodulf Glaber erschien der Teufel nach eigenen Worten im Traum, wenngleich der Autor beteuert, es sei einer jener Träume gewesen, die sich beim Aufwachen fortsetzen.842 (Immerhin war es zu dunkel für eine deutliche Wahrnehmung.) Rodulf wußte also sehr wohl, daß er geträumt hatte. 837 So Alain Boureau, Le prince des d8mons, in: Anne-H8lHne Allirot/Gilles Lecuppre/ Lydwine Scordia (Hg.), Royaut8s imaginaires (XIIe-XVIe siHcles). Actes du colloque organis8 par le Centre de recherche d’histoire sociale et culturelle (CHSCO) de l’universit8 de Paris X-Nanterre (26 et 27 septembre 2003) (Culture et soci8t8 m8di8vales 9), Turnhout 2005, S. 135–145, hier S. 135. Der Aufsatz selbst über den Teufel als »imaginären König« handelt über das 13. Jahrhundert. 838 Vgl. dazu Dinzelbacher, Realität des Teufels, allerdings durchweg mit spätmittelalterlichen Beispielen; zum Frühmittelalter bereits Graus, Hagiographie und Dämonenglauben S. 107f. 839 Dinzelbacher, Kampf der Heiligen S. 654ff., erklärt die Vorstellung des Dämonenkampfes S. 691ff. damit, daß das frühe Mittelalter eine Epoche der Gewalt war. Das Motiv wirkt allerdings, wie Dinzelbacher selbst, ebd. S. 693ff. zugeben muß, auch im hohen und späten Mittelalter weiter. 840 Ders., Realität des Teufels S. 165, und Ders., Angst im Mittelalter S. 24, führt drei mögliche Erklärungen an: die tatsächliche Existenz des Teufels, die als dämonisch erlebte Existenz und die innerpsychische Autosuggestion bzw. die theologische (Dualismus), spiritistische (Geisterwelt) und profan-innerweltliche Erklärung (Einbildung). 841 Vita Norberti 17, S. 691f. 842 Rodulf Glaber, Historiae 5,1,2, S. 218: At ego territus euigilansque, sicuti repente fieri contingit, aspexi talem quem prescripsi.

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Dennoch nahm er diesen Traum als unbezweifelbare Wirklichkeit wahr, wie das auch in anderen Traumvisionen, wie in den zahlreichen Jenseitsvisionen, gang und gäbe war. Heilige wie die Inklusin Liutbirg mußten in jeder Versuchung den Teufel sehen, und so glaubte Liutbirg, ihn in einem ihr von früher her bekannten Drechsler zu erkennen, der ihr drei Schalen als Geschenk brachte und sie damit an das frühere, luxuriöse Leben erinnerte, das sie mit ihrem Klausnerleben ja gerade asketisch überwinden wollte.843 Die Teufelserscheinungen werden hier zum Ausdruck des menschlichen Gewissens844 und ermahnen zu guter Lebensführung (oder sie sollen die Leser dazu ermahnen). Unbestreitbar galt den mittelalterlichen Menschen auch die biblisch bezeugte Besessenheit als reales Teufelswerk, das zur Folge hatte, ungewöhnlich agierende Menschen als Besessene zu betrachten. Epileptiker wie Karl III. hielt man, wider besseres medizinisches Wissen, ebenso für besessen wie Betrunkene, die wild wüteten,845 ja, selbst Taubstummheit ließ sich auf Besessenheit zurückführen.846 In einer Miniatur (Abb. IV/50, S. 364)847 gibt Christus, wie die Beischrift ausdrücklich erläutert, »einem Stummen die Sprache zurück, nachdem er den Dämon vertrieben hat«.848 Der Teufel entweicht als kleine, geflügelte Gestalt durch den Mund des gefesselten Besessenen. Die modernen, rationalen Erklärungen von Teufelserscheinungen lassen die davon völlig unbeeinflußte mittelalterliche Mentalität nur um so deutlicher hervortreten. Es ist unabweisbar, daß die Menschen im Mittelalter fest an die Realität des Teufels glaubten und sie doch zugleich für ihre Zwecke zu instrumentalisieren wußten, daß sich hier also erneut fromme Religiosität und weltliche Funktionalität trafen. Diese Feststellung wird auch nicht dadurch relativiert, daß ein guter Teil der Geschichten mehr oder weniger erfunden oder jedenfalls erheblich ausgeschmückt sein mag. »Erfindungen« beweisen nur die »innere« Realität und Glaubwürdigkeit, da sie auf die Akzeptanz seitens des Leser- und Hörerkreises angewiesen sind, den man mit diesen Geschichten erreichen und überzeugen wollte, in aller Regel aber schon entsprechende Vorstellungen beim Autor voraussetzen. Das mittelalterliche Verständnis spiegelt sich sinnfällig in einer Erläuterung der Liutbirgvita wider : Die teuflischen Erscheinungen seien Trugbilder, die Wahres mit Falschem vermischten.849 Der 843 Vita Liutbirgae 25, S. 28f. 844 Vgl. Baschet, Diable S. 268ff., der diese Funktion zu Unrecht aber erst im hohen Mittelalter verwirklicht sieht. 845 Vgl. Gregor von Tours, Historiae 8,34, S. 403. 846 Ebd. 6,6, S. 273ff. 847 Evangelistar Heinrichs III., Echternach, um 1030. Bremen, Staats- und Universitätsbibliothek, ms 021, fol. 32r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen. 848 Sermonem muto dat IHC doemone pulso. 849 Vita Liutbirgae 24 (oben Anm. 624).

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Teufel war für die mittelalterlichen Menschen eine reale Gestalt, doch er gaukelte ihnen Falsches vor, um sie für sich zu gewinnen. Deshalb erschien er in verschiedener, jeweils der Situation angepaßter Gestalt. Seine Gefährlichkeit lag gerade in dem Umstand, daß letztlich jeder Mensch vom Teufel besessen oder ein verkleideter Teufel sein konnte, oder, anders ausgedrückt, man in jedem Menschen den Teufel vermuten konnte. Ein weiteres Kennzeichen scheint mir die innige Verflechtung der vielfältigen Elemente zu einer Gesamtvorstellung zu sein. Man mag, von außen gesehen, theologische Dogmen auf der einen und volkstümliche Vorstellungen auf der anderen Seite als zwei verschiedene Traditionen auseinanderhalten wollen;850 für die (ja fast durchweg geistlichen) Schreiber gab es solche Unterschiede jedoch nicht; in ihren Erzählungen vermischten sich die verschiedenen Traditionen und die vielfältigen Vorstellungen vielmehr unauflösbar zu einem weithin geschlossenen Bild vom Teufel.851 Ein bis zur Ununterscheidbarkeit reichendes Verschmelzen theologischer und volkstümlicher Traditionen zeigt sich tatsächlich wohl nirgends deutlicher als in den Teufelsvorstellungen, die auch dort, wo sie uns volkstümlich anmuten, von gelehrten Klerikern und Mönchen präsentiert werden. Es ist auffällig, daß sich in den Quellen im Hinblick auf den Teufel kaum Warnungen finden, die bestimmte Vorstellungen als unchristlich zurückweisen (wie es beispielsweise, trotz aller synkretistischen Tendenzen, hinreichend Verurteilungen bestimmter Gebräuche als heidnisch gab). Es ist daher unzweifelhaft, daß die monastischen und geistlichen Autoren selbst an die Existenz und Wirkung des Teufels geglaubt haben, wie etwa die Teufelserzählungen Notkers von St. Gallen oder Thietmars von Merseburg deutlich erkennen lassen. Ein Zusammenwirken religiöser und weltlicher Motive zeigt sich nicht zuletzt in der Funktionalität der Teufelserzählungen und der Teufelsgestalt in diesen Erzählungen. Sicher konnte eine Teufelsgeschichte einem Chronisten als so wesentlich erscheinen, daß er sie einfach mitten unter die Taten der Herrschenden in seinen Chronikbericht einfügte. Das hat zunächst einen didaktischen Zweck (und sollte auf den Leser wie ein heutiges Verkehrsschild wirken: »Achtung! Auf der Straße des Lebens kreuzt der Teufel ständig die Fahrbahn«). Es sollte zur christlichen Moral und Lebensführung erziehen, zumal alle anderen Religionen ebenfalls als Teufelswerk betrachtet wurden. Es entspringt ferner der geschichtstheologischen Überzeugung, daß der Teufel überall versucht, zum Schaden der Menschen einzugreifen, und deshalb ständig in die Geschichte 850 Klar abgegrenzt auch für das Mittelalter etwa bei Di Nola, Teufel S. 377–402 (Il diavolo S. 313–334). 851 Vgl. mit ähnlichem Ergebnis, zu Braulio von Zaragoza, Denis Menjot, Le diable dans la Vita Sancti Emiliani de Braulio de Saragosse (585?–651?), in: Le diable au Moyen ffge S. 354–369, hier S. 356f.

13. Fazit: Ubique diabolus

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hineinwirkte. Darüber hinaus aber enthalten die Erzählungen vielfach deutliche politische Stellungnahmen und konnten, möglicherweise in gutem Glauben, im Sinne der eigenen (politischen) Tendenz »benutzt« werden, um Gegner durch deren Beziehung zum Teufel zu diffamieren: Was immer den eigenen (moralisch-kirchlichen ebenso wie politisch-weltlichen) Vorstellungen zuwider lief, war Teufelswerk. Der politische oder kirchenpolitische Gegner erschien den Autoren als in den Klauen des Teufels verstrickt. Solche Tendenzen schmälern nicht die (primäre) Rolle des Teufels in der religiösen Vorstellungswelt, sie setzen sie vielmehr voraus. Von Beginn an bis zum Ende der Welt ist der Teufel für alles Schlechte in der Welt und für alle Sünden verantwortlich. Das entschuldigt die Fehltritte der Menschen und begründet ihre Heilsfähigkeit trotz des Sündenfalls. Es ändert allerdings nichts an der Eigenverantwortlichkeit des Menschen, mit dem sich das nächste Kapitel befassen wird. Daß der Mensch seine Sünden selbst zu verantworten hat, ist jedoch wiederum nicht erst ein Kennzeichen der Hochscholastik, noch ist es, ebensowenig wie die Tatsache, daß der Teufel nicht in allen Schriften vorkommt, ein Indiz für eine Skepsis gegenüber dem Teufelsglauben, wie Jean-Charles Payen meint.852 Einmal mehr ist in den Teufelsvorstellungen vielmehr das unlösbare Ineinander nicht nur von Theologie und Volkstümlichkeit, sondern auch von Heilsgeschichte und Politik, von »Kirche« und »Welt« Kennzeichen der früh- und hochmittelalterlichen Mentalität. Aus heutiger Sicht erscheint die Aussicht, daß der Teufel und damit das Böse in der Welt je endgültig besiegt und vernichtet werden könne, als Utopie. Für das christliche Mittelalter war es Bestandteil und schließliches Ergebnis des Heilsplans. Teufelsglaube ist nie ein Dogma gewesen, hat aber die Vorstellungen der Menschen im Mittelalter beherrscht wie kaum ein anderes Thema. Die Teufelserzählungen vermitteln von alldem einen plastischen Eindruck und sind gewissermaßen ein Kernstück religiöser Vorstellungen. Mit der – in dieser Hinsicht von der Forschung noch zu wenig beachteten – Gestalt des Teufels erfassen wir daher einen guten Teil dieser religiösen Mentalität. Manche dieser Vorstellungen, von der Gestalt bis zum Handeln des Teufels, aber wirken, trotz aller Säkularisierung, bis heute weiter oder werden immer wieder aktiviert: in Romanen, Spielfilmen oder gar regelrechten Teufelssekten,853 auch wenn das vielfach nur noch Metapher für menschliche Gerissenheit ist (wie etwa in Fay Weldon’s Roman »Die Teufelin«, der im amerikanischen Original allerdings den harmlosen Titel »The Fat Woman’s Joke« trug). Aber auch das ist Weiterwirken. 852 Jean-Charles Payen, Pour en finir avec le diable m8di8val, ou Pourquoi poHtes et th8ologiens du Moyen ffge ont-ils scrupule / croire au d8mon? in: Le diable au Moyen ffge S. 401– 425. 853 Vgl. dazu Di Nola, Teufel S. 415–435 (Il diavolo S. 345–363); Muchembled, Histoire du diable S. 299–354.

348

Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Möglicherweise nimmt die Konkretisierung des Teufels im Mittelalter ihm sogar etwas von seiner Wirkkraft: Was man real sehen kann, erscheint greifbarer und daher vielleicht weniger gefährlich als das, was verborgen im Hintergrund mitschwebt. Heute ist der Teufel oft nur noch Symbol für das Böse, und die konkretisierten Vorstellungen geraten leicht zu Karikaturen. Der mittelalterliche Teufel ist hingegen beides: reale Gestalt und Symbol. Wort und Sache, Symbol und Bedeutung trennen zu wollen, widerspräche früh- und hochmittelalterlichem Denken gründlich.

Abbildungen

349

Abbildungen

Abb. IV/33: Trierer Apokalypse, um 800/820. Trier, Stadtbibliothek, Hs. 31, fol. 38r : Engelfall (zu S. 204).

350

Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Abb. IV/34: Beatus von Li8bana, Apokalypsenkommentar, Saint-Sever, um 1028. Paris, BN ms. lat. 8878, fol. 145: Satan in der Hölle (zu S. 211).

Abbildungen

351

Abb. IV/35: Chauvigny, Kirche Saint-Pierre, Kapitell, Mitte 12. Jahrhundert: Teufel in Löwengestalt (zu S. 220).

352

Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Abb. IV/36: Eadwine-Psalter, frühes 11. Jahrhundert. Cambridge, Trinity College, ms. R.17.1: Bekleideter Engel (zu S. 240).

Abb. IV/37: Stuttgarter Bilderpsalter, Saint-Germain, um 820/830. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Fol. 23, fol. 10v (Ausschnitt): Teufel in der Hölle (zu S. 240).

Abbildungen

353

Abb. IV/38: Beatus von Li8bana, Tractatus in apocalypsen, Gerona, 975. Museo de la Catedral di Girona, Num. Inv. 7, fol. 16v : Hölle (zu S. 240).

Abb. IV/39: Beatus von Li8bana, Tractatus in apocalypsen, Silos, um 1100. London, T British Library Board, Add. Ms. II 695, fol. 17v : Hölle (zu S. 240).

354

Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Abb. IV/40: Codex Aureus Epternacensis, Echternach um 1030. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 156142, fol. 20r : Versuchung Christi (zu S. 241).

Abbildungen

355

Abb. IV/41: Evangelistar (Perikopenbuch) Heinrichs III. Echternach, um 1030/1040. Bremen, Staats- und Universitätsbibliothek, msb. 021, fol. 77r : Lazarus in Abrahams Schoß – Menschen in der Hölle (zu S. 241).

356

Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Abb. IV/42: Bamberger Psalter, um 1230. Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Bibl. 48, fol. 61r : Versuchung Christi (zu S. 241).

Abbildungen

357

Abb. IV/43: Autun, Kathedrale, um 1125/1130. Autun, Mus8e Lapidaire, Kapitelsaal: Teufel als Monstrum (zu S. 241).

358

Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Abb. IV/44: Conques, Sainte-Foy, Tympanon: Teufel als Monstrum (zu S. 241).

Abbildungen

359

Abb. IV/45: Evangeliar Heinrichs III. (?): Abendmahl und Verrat des Judas durch den Teufel (zu S. 265).

360

Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Abb. IV/46: Hitda-Codex, Köln, um 1020. Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Hs. 1640, fol. 76r : Exorzismus (zu S. 300).

Abbildungen

361

Abb. IV/47: Drogo-Sakramentar, Metz 850/55. Paris, Bibl. nat. Ms. lat. 9428, fol. 91r : Exorzismus (zu S. 300f.).

362

Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Abb. IV/48: Verona, San Zeno Maggiore, Portal, 11./12. Jahrhundert: Exorzismus (zu S. 301).

Abbildungen

363

Abb. IV/49: Kathedrale von Autun, Tympanon des Weltgerichtsportals, um 1140: Seelenwägen im Jüngsten Gericht (zu S. 324).

364

Kapitel 2: Teufel und Dämonen

Abb. IV/50: Evangelistar Heinrichs III., Echternach, um 1030. Bremen, Staats- und Universitätsbibliothek, mss 021, fol. 32r : Exorzismus (zu S. 345).

Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

1.

Einführung und Forschungsstand

Obwohl der Mensch im Mittelpunkt der Geschichtsbetrachtung steht und in einer anthropologischen Geschichtswissenschaft (anders als in der Strukturgeschichte) wieder ganz in den Mittelpunkt rückt,1 ist dem mittelalterlichen Menschenbild relativ wenig Beachtung geschenkt worden. Es mag bezeichnend für ein solches Desinteresse sein, daß sich im ›Lexikon des Mittelalters‹ unter dem Stichwort »Mensch« nur ein anthropologisch-naturwissenschaftlicher und ein – spezieller – theologischer Artikel, nicht aber ein geschichts-, literatur- und kunstwissenschaftlicher Beitrag zum Menschenbild findet. Zwar gibt es zu Menschen im Mittelalter eine durchaus umfangreiche Bibliographie, die sich bei näherem Hinsehen aber – wenngleich mit Ausnahmen – eher auf den Menschen in seinen Lebenssituationen als auf die mittelalterlichen Vorstellungen vom Menschen richtet. Auch in diesem Kapitel können daher erst vorläufige Beobachtungen zusammengestellt werden, die sich zudem, unserem Thema gemäß, auf das Menschenbild in der religiösen Vorstellungswelt des Mittelalters konzentrieren werden. Nach den bisherigen Ausführungen dürfte es bereits klar erkennbar sein, daß auch der Mensch sich in die Gesamtsicht der religiösen Heilsgeschichte einerseits und des Kosmos und der Schöpfung andererseits einfügt. Dennoch fällt eine Abgrenzung in diesem Kapitel am wenigsten leicht. Haben sich Engel und Teufel sowohl von den Belegen wie von den Inhalten her ohne allzu große Mühen eingrenzen und im Rahmen der mittelalterlichen Vorstellungswelt darstellen lassen, so gehören zum Menschenbild, direkt oder indirekt, letztlich alle die oder einen Menschen betreffenden Aussagen, läßt doch fast jede 1 Zu theoretischen Betrachtungen vgl. Helmut Hundsbichler, Der Faktor Mensch in der interdisziplinären Kulturforschung. »Experimentelle« Thesen aus mediävistischer Sicht, in: Konrad Bedal/Sabine Fechter/Hermann Heidrich (Hg.), Haus und Kultur im Spätmittelalter (Quellen und Materialien zur Hausforschung in Bayern 10), Bad Winsheim 1998, S. 9– 18.

366

Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

noch so kleine Bemerkung (selbst in ihrer Atypik) etwas über das Wesen des Menschen und in der Gesamtheit das typisch Menschliche erkennen. Das alles in einem breiten Rahmen auszuwerten, wäre jedoch schier unmöglich bzw. nur an einzelnen Werken machbar. Stattdessen muß sich die Materialgrundlage der folgenden Auswertung auf solche Stellen beschränken, die nicht etwas über einen bestimmten Menschen – und das wäre die große Mehrzahl aller Belege –, sondern über den Menschen an sich, über den oder die Menschen als Menschen vornehmlich in ihrer religiösen Bestimmung aussagen, sind zum Vergleich aber wieder auch anthropologisch-kosmologische Aussagen zu berücksichtigen. Der Forschungsstand zu diesem Thema läßt sich in allen seinen Aspekten nur schwer zusammenfassen. Der folgende Überblick vermag daher – ohne den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit – nur einen exemplarischen Einblick zu geben. Wenngleich das Menschenbild in zahlreichen mediävistischen Arbeiten zwangsläufig gestreift wird und in einer Reihe von Studien wichtige Einzelaspekte behandelt werden, wird man ohne Untertreibung doch feststellen müssen, daß das Menschenbild im engeren Sinn bislang ausgesprochen selten unmittelbar thematisiert worden ist. Selbst Arbeiten zur Alltags- und zur Mentalitätsgeschichte des Mittelalters streifen das Thema allenfalls beiläufig.2 Die anthropologische Forschung konzentriert sich insgesamt weit überwiegend auf theologische und philosophische Arbeiten, ergänzt durch medizingeschichtliche Studien. Soziale Kategorien, wie sie heute vorherrschend sind, sind im Mittelalter ohnehin weitgehend unbekannt geblieben, doch wird man grundsätzlich gleichwohl auch zwischen den einzelnen Ständen und Gruppen unterscheiden können (Ritterbild, Bauernbild, Bild des Klerus, Frauenbild etc.), haben Dichtung und Kunst ein jeweils eigenes Menschenbild hervorgebracht, das dennoch den theologischen Grundlagen verpflichtet bleibt. Solche Differenzierungen werden im Folgenden allerdings weitgehend ausgeklammert oder auf wenige Bemerkungen beschränkt, da sie jeweils eigene Studien verlangten. Nur ganz wenige Arbeiten sind dem mittelalterlichen Menschenbild mit

2 In dieser Hinsicht ist es vielleicht ebenso bezeichnend wie verbreitet, daß die wichtige und weitgespannte Arbeit von Hans-Henning Kortüm, Menschen und Mentalitäten. Einführung in Vorstellungswelten des Mittelalters, Berlin 1996, zwar durchweg anthropologische Themen behandelt, dem Menschenbild selbst trotz des Titels aber keinen eigenen Abschnitt widmet. Auch Jacques Le Goff, La Civilisation de l’Occident m8di8val, Paris 1967, geht in seinem wegweisenden Überblick auf den Menschen selbst, bis auf einen ganz kurzen Abschnitt im Glossar (S. 602, s.v. Homme) nicht ein. Eine Ausnahme bildet Robert Fossier, Ces gens du Moyen ffge, Paris 2007, allerdings mit dem Akzent auf einigen wenigen Aspekten: dem »nackten« Menschen (nämlich wie er erschaffen war, S. 15–48), den Lebensaltern (im tatsächlichen Leben, nicht in der Theorie, S. 49–157) und dem Menschen selbst (»L’homme en lui-mÞme«, S. 237–400), mit Abschnitten über das menschliche Miteinander, das Wissen und die Seele.

1. Einführung und Forschungsstand

367

seinen grundsätzlichen Strukturen und Tendenzen gewidmet,3 wie der in zeitgeschichtlich prägender Situation im November 1945 gehaltene und posthum gedruckte, kurze Vortrag über das Menschenbild des christlichen Mittelalters seitens des (zuletzt Tübinger) Moraltheologen Theodor Steinbüchel,4 der dezidiert die christlichen Elemente betont, aber von vier Perspektiven her (symbolistisches, scholastisches, künstlerisches und höfisch-literarisches Menschenbild) versucht, die Ganzheit des mittelalterlichen Menschenbildes zu erfassen: Der Mensch steht danach fest in Gottes Welt und ihrem Ordo.5 Letztlich geht es Steinbüchel aber um das – sich in den drei Epochen der mittelalterlichen Geschichte weiterentwickelnde – Verhältnis des Menschen zu Gott. Ein Gesamtbild war hier nicht beabsichtigt, und es fehlt auch weiterhin. Auf den scholastisch-philosophischen Diskurs über das Menschenbild vor allem in Aristoteleskommentaren des 13. Jahrhunderts beschränken sich die umfassenden Studien Theodor Köhlers,6 arbeiten aber erschöpfend das naturphilosophische Menschenbild der Scholastik heraus (wobei es Köhler nicht zuletzt auf den Nachweis ankommt, daß philosophische Perspektiven die theologischen verdrängen, eine Sichtweise, die die mittelalterlichen Texte zumindest sehr »von außen« betrachtet und auf das frühere Mittelalter gar nicht zuträfe).7 Verschiedene Sammelbände, wie, schon früh, die beiden von Christian Wenin herausgegebenen, materialreichen Bände über den Menschen und das

3 Knappe Überblicke über das religiöse Menschenbild gibt Arnold Angenendt, Grundformen der Frömmigkeit im Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 68), München 2003, S. 29–30, und Ders., Geschichte der Religiosität im Mittelalter S. 235–261. 4 Theodor Steinbüchel, Vom Menschenbild des christlichen Mittelalters, Tübingen 1951 (ND in der Reihe Libelli 1, Darmstadt 1965). 5 Ebd. S. 18. 6 Theodor W. Köhler, Grundlagen des philosophisch-anthropologischen Diskurses im 13. Jahrhundert. Die Erkenntnisbemühung um den Menschen im zeitgenössischen Verständnis (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 94), Leiden-Boston-Köln 2000; Ders., Homo animal nobilissimum. Konturen des spezifisch Menschlichen in der naturphilosophischen Aristoteleskommentierung des dreizehnten Jahrhunderts (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 94 und 114/1 und 2), 2 Bde., Leiden-Boston 2008– 2014. Im ersten Band geht es Köhler um die Herausbildung einer Art Anthropologie als Wissenschaft vom Menschen, im zweiten um deren Inhalte. Trotz der erschöpfenden Analyse bleibt die auf philosophische Texte begrenzte Quellengrundlage einseitig. Zur philosophischen Anthropologie des Spätmittelalters vgl. auch Loris Sturlese, Von der Würde des unwürdigen Menschen. Theologische und philosophische Anthropologie im Spätmittelalter, in: Martina Neumeyer (Hg.), Mittelalterliche Menschenbilder (Eichstätter Kolloquium 8), Regensburg 2000, S. 21–34. 7 Zur Kritik am ersten Band vgl. Georg Wielandt, Quid est homo? Anmerkungen zu einer Frage und zu einem Buch, in: Recherches de th8ologie et de philosophie du Moyen ffge 68, 2001, S. 371–381, und Adelheid Krah, Wo bleibt der Mensch? Das Dilemma der Typologisierung des Sujets in hagiographischen Texten des Mittelalters, in: MIÖG 111, 2003, S. 267– 285.

368

Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Universum8 oder später der einschlägige Band von Martina Neumeyer,9 gehen in der Regel nicht dem mittelalterlichen Menschenbild nach, sondern zeichnen bestimmte, soziale oder medizinische Typen nach, wie es ganz bewußt auch der von Jacques Le Goff herausgegebene Band »Der Mensch des Mittelalters« (mit seinen Kapiteln über Mönche, Krieger, Bauern, Städter, Intellektuelle, Künstler, Kaufleute, Frau und Familie, Heilige und Außenseiter) praktiziert,10 oder sie beschränken sich auf bestimmte Perspektiven (wie Natur oder Raum).11 Gegen Vorurteile im modernen wissenschaftlichen Verständnis des mittelalterlichen Menschen- und Gesellschaftsbildes wendet sich Otto Gerhard Oexle.12 Solche Arbeiten, deren Eigenwert selbstverständlich nicht bestritten werden soll, bieten für unser Thema allenfalls einen Hintergrund oder streifen das Menschenbild in bestimmten Einzelaspekten. Andere Arbeiten sind von vornherein einzelnen Aspekten des Menschenbildes gewidmet (und später wieder aufzugreifen): beispielsweise der Dichotomie von Körper und Seele,13 der Körpergeschichte (Körper14 und Körperteilen15 8 Christian Wenin (Hg.), L’homme et son univers au Moyen Age. Actes du septiHme congrHs international de philosophie m8di8vale (30 ao0t – 4 septembre 1982) (Philosophes M8di8vaux 26–27), 2 Bde., Louvain-La-Neuve 1986 (allerdings überwiegend spätmittelalterlich). Gegen einen Bruch des Menschenbildes von der Antike zum Mittelalter : Gerard Verbeke, L’homme et son univers: de l’antiquit8 classique au Moyen ffge, in: ebd. Bd. 1, S. 16–41. 9 Neumeyer (Hg.), Mittelalterliche Menschenbilder. Die Beiträge behandeln jeweils einzelne Menschentypen. 10 Jacques Le Goff (Hg.), Der Mensch des Mittelalters, Frankfurt-New York 1989 (Originalausgabe: L’uomo medievale, Rom 1987). Eine ähnliche Struktur haben Kortüm, Menschen und Mentalitäten, im zweiten, gesellschaftlich orientierten Teil seines Werkes, und Arno Borst, Lebensformen im Mittelalter, Frankfurt/M.-Berlin 1973, in seinem zweiten Abschnitt über die »Societas Humana«, wie auch schon, in Anlage und Inhalt seiner Zeit voraus, Adolf Waas, Der Mensch im deutschen Mittelalter, Graz-Köln 1964 (mit Kapiteln über den Bauern, Ritter, König, Geistliche und Mönche, den Bürger und die fahrenden Leute). 11 Vgl. Albert Zimmermann/Andreas Speer (Hg.), Mensch und Natur im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 21/1–2), 2 Bde., Berlin-New York 1991/1992 (allerdings weit mehr zur Natur als zum Menschen und fast durchweg spätmittelalterlich). Der Schwerpunkt des gänzlich frühmittelalterlichen Bandes Uomo e spazio nell’alto medioevo (Settimane di studio del centro italiano di studi sull’alto medioevo 50), Spoleto 2003, liegt gleichfalls ausschließlich auf dem Raum und nicht auf dem Menschen. Nicht um mittelalterliche Menschenbilder, sondern um Menschenleben und das Verhältnis von Individuum und Gruppe im späten Mittelalter geht es in der Festschrift für Werner Paravicini: Stephan Selzer/Ulf Christian Ewert (Hg.), Menschenbilder – Menschenbildner. Individuum und Gruppe im Blick des Historikers (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 2), Berlin 2002. 12 Otto Gerhard Oexle, Das Menschenbild der Historiker (Gerda Henkel Vorlesung), Münster 2002. 13 Vgl. Carla Casagrande/Silvana Vecchio (Hg.), Anima e corpo nella cultura medievale. Atti del V Convegno di studi della Societ/ Italiana per lo Studio del Pensiero Medievale, Venezia, 25–28 settembre 1995 (Millennio Medievale 15. Atti di Convegni 3), Firenze 1999. Vgl. unten Abschnitt 5.

1. Einführung und Forschungsstand

369

oder den fünf Sinnen16) oder den mittelalterlichen Naturvorstellungen mit der aus Kosmologie und Elementenlehre entwickelten Anschauung vom Menschen als Mikrokosmos,17 auch von medizingeschichtlicher Seite her.18 Wichtig wegen des Symbolgehalts ist ein jüngerer, allerdings wieder überwiegend spätmittelalterlich orientierter Band über Adam, den ersten Menschen, im mittelalterlichen Verständnis.19 Von den dezidiert religiösen Aspekten ist beispielsweise ausführlich die Gotteskindschaft behandelt worden.20 Mehrfach sind auch die Grenzen des Menschseins, sind Tiermenschen21 und Monster22 thematisiert worden. Bedeutsam sind ferner die Arbeiten zu Individuum und Gruppe23 oder 14 Vgl. I discorsi dei corpi / Discourses of the Body (Micrologus 1), Turnhout-Lausanne-Paris 1993 (fast durchweg spätmittelalterlich); Le corps du prince (Micrologus 22), Florenz 2014; Benjamin C. Withers/Jonathan Wilcox (Hg.), Naked Before God. Uncovering the Body in Anglo-Saxon England (Medieval European Studies 3), Morgantown 2003; Linda Kalof (Hg.), A Cultural History of the Human Body in the Medieval Age, Oxford-New York 2010. Ikonograpisch: Jean Wirth, L’image du corps au Moyen ffge (Micrologus’ Library 56), Florenz 2013. 15 Vgl. verschiedene (spätmittelalterlich orientierte) Bände der »Micrologus«-Reihe: Il cuore / The Heart (Micrologus 11), Florenz 2003; La pelle umana / The Human Skin (Micrologus 13), Florenz 2005; Estremit/ e escrescenze del corpo / Extremities and Excrescences of the Body (Micrologus 20), Florenz 2012. 16 I cinque sensi / The Five Senses (Micrologus 10), Florenz 2002; Richard Newhauser (Hg.), A Cultural History of the Senses in the Middle Ages, London 2014. 17 Vgl. Marie-Th8rHse d’Alverny, L’homme comme symbole. Le microcosme, in: Simboli e simbologia nell’alto medioevo (SSCI 23), Bd. 1, Spoleto 1976, S. 123–183 (195); Gerhard E. Sollbach, Die mittelalterliche Lehre vom Mikrokosmos und Makrokosmos, Hamburg 1995; Ruth Finckh, Minor Mundus Homo. Studien zur Mikrokosmos-Idee in der mittelalterlichen Literatur (Palaestra. Untersuchungen aus der deutschen und skandinavischen Philologie 306), Göttingen 1999; Harald Derschka, Die Viersäftelehre als Persönlichkeitstheorie. Zur Weiterentwicklung eines antiken Konzepts im 12. Jahrhundert, Ostfildern 2013. 18 Vgl. Danielle Jacquart, Recherches m8di8vales sur la nature humaine. Essais sur la r8flexion m8dicale (XIIe-XVe siHcle) (Micrologus Library 63), Florenz 2014 (überwiegend spätmittelalterliche Aufsatzsammlung zur medizinischen Natur des Menschen). 19 Agostino Paravicini Bagliani (Hg.), Adam, le premier homme (Micrologus’ Library 45), Florenz 2012. 20 Vgl. Hubertus Lutterbach, Gotteskindschaft. Kultur- und Sozialgeschichte eines christlichen Ideals, Freiburg-Basel-Wien 2003. Während Lutterbach hauptsächlich nach den Auswirkungen auf das Verhältnis zu Kindern fragt, scheint mir in unserem Zusammenhang die Metapher der Gottessohnschaft der Menschen (als filii Dei) noch wichtiger zu sein. 21 Vgl. aus germanistischer Sicht Udo Friedrich, Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter (Historische Semantik 5), Göttingen 2009; Ders., Grenzmetaphorik. Zur Interferenz von Natur und Kultur in mittelalterlichen Körperdiskursen, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 83, 2009, S. 26–52, zu den Grenzen des Menschseins (»wilder Mann« und TierMensch). 22 Vgl. dazu unten Abschnitt 11. 23 Vgl. Selzer/Ewert (Hg.), Menschenbilder – Menschenbildner; Colin Morris, The Discovery of the Individual, 1050–1200, London 1972; Aaron J. Gurjewitsch, Das Individuum

370

Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

zur Persönlichkeit,24 die in der Regel allerdings erneut nicht auf das Menschenbild selbst abzielen. Das Thema ist schließlich von literatur-25 und kunstgeschichtlicher Seite26 her angegangen oder konkret auf einzelne mittelalterliche Autoren wie Hildegard von Bingen27 oder Hugo von St. Viktor28 konzentriert worden. Nur wenige Arbeiten haben das Thema von geschichtswissenschaftlicher Seite her betrachtet. Die folgenden Ausführungen können sich auf die genannten und weitere Studien stützen, fragen aber stärker nach dem Menschenbild der mittelalterli-

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im europäischen Mittelalter (Europa bauen), München 1994 (russische Originalausgabe 9YUYSYU S 6Sa_`V [baVU^VSV[_SmV], 1994); Ders., Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen, München 1980, S. 327–351; Peter Von Moos (Hg.), Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit 23), Köln-Weimar-Wien 2004; Jan A. Aertsen/Andreas Speer (Hg.), Individuum und Individualität im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 24), Berlin-New York 1996 (auch dieser Band ist überwiegend spätmittelalterlich orientiert; einige Beiträge behandeln gerade die »Entdeckung« des Individualitätsprinzips erst im späten Mittelalter); spätmittelalterlich auch: Brigitte Miriam Bedos-Rezak/Dominique Iogna-Prat (Hg.), L’individu au Moyen ffge. Individuation et individualisation avant la modernit8, Paris 2005, und Günther Mensching (Hg.), Selbstbewußtsein und Person im Mittelalter. Symposium des Philosophischen Seminars der Universität Hannover vom 24. bis 26. Februar 2004 (Contradictio. Studien zur Philosophie und ihrer Geschichte 6), Würzburg 2005; zuletzt Harald Derschka, Individuum und Persönlichkeit im Hochmittelalter, Stuttgart 2014. Zum Individium in der politischen Theorie (überwiegend neuzeitlich): Janet Coleman (Hg.), The Individual in Political Theory and Practice (The Origins of the Modern state in Europe. 13th to 18th Centuries), Oxford 1996. Zum Mönchtum: Gert Melville/ Markus Schürer (Hg.), Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter 16), Münster-Hamburg-London 2002. In breitem Überblick: Richard Van Dülmen (Hg.), Die Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln-Weimar-Wien 2001; zum Mittelalter : Karl-Heinz Ohlig, Christentum – Individuum – Kirche, in: ebd. S. 11–40. Vgl. Thomas Michael Krüger, Persönlichkeitsausdruck und Persönlichkeitswahrnehmung im Zeitalter der Investiturkonflikte. Studien zu den Briefsammlungen des Anselm von Canterbury (Spolia Berolinensia. Berliner Beiträge zur Geistes- und Kulturgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit 22), Hildesheim 2002. Vgl. etwa Jutta Goheen, Natur- und Menschenbild in der Lyrik Neidharts, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 94, 1972, S. 348–378, der es allerdings nicht um das Menschenbild Neidhards ingesamt, sondern um menschliches, standes- und unstandesgemäßges Verhalten geht. Vgl. Elisabeth Vavra (Hg.), Bild und Abbild vom Menschen im Mittelalter (Schriftenreihe der Akademie Friesach 6), Klagenfurt 1999 (wiederum fast durchweg spätmittelalterlich und mehrfach zu abweichenden Typen und Anomalitäten wie Monstern, Schwarzen, Hexen oder Narren); spätmittelalterlich ist auch der Band von Kristin Marek/RaphaHle Preisinger/ Katrin Kärcher u. a. (Hg.), Bild und Körper im Mittelalter, München 2006. Vgl. Adelgundis Führkötter (Hg.), Kosmos und Mensch aus der Sicht Hildegards von Bingen (Quellen und Abhandlungen zur Mittelrheinischen Kirchengeschichte 60), Mainz 1987. Vgl. U. Possekel, Der Mensch in der Mitte. Aspekte der Anthropologie Hugos von St. Viktor, in: Recherches de Th8ologie ancienne et m8di8vale 61, 1994, S. 5–21.

1. Einführung und Forschungsstand

371

chen Autoren im Rahmen ihrer Vorstellungswelten und sind vor dem skizzierten Forschungsstand erneut erst als ein Aufriß zu verstehen, der nicht das ganze Menschenbild abhandeln, sondern nur wichtige Facetten quellennah vorstellen möchte. Dabei ist der Spezifik mittelalterlicher Vorstellungswelten Rechnung zu tragen. »Der Mensch des Mittelalters ist […] ein Anderer, und muß daher in seiner unwiederholbaren Spezifik begriffen werden.«29 Das theologische Menschenbild des Mittelalters wurde erneut in der Patristik entwickelt und von hier weitertradiert, vor allem in der Frühscholastik des 12. Jahrhunderts aber systematischer zusammengefaßt und eingeordnet. Als Einstieg interessant für das Verständnis vom Menschen ist vielleicht bereits eine Übersicht über die exegetischen Bedeutungen, die Hrabanus Maurus zusammengestellt hat, nämlich wie homo in der Bibel jeweils allegorisch verstanden werden kann (unter Angabe entsprechender Bibelstellen).30 Dabei ist es kein Zufall, daß Hraban mit Gottvater und vor allem den Christusbezügen (und der menschlichen Natur Christi) beginnt:31 homo bezieht sich in der Bibel mehrfach auf Christus oder den Erlöser der Welt (redemptor mundi), kann umgekehrt aber auch den Antichrist und den Teufel symbolisieren, »nicht wegen seiner Natur, sondern wegen der Schuld und Schwäche des Sündenmenschen (homo peccati)«, wie Hraban hinzufügt.32 Homo ist sodann der Prediger oder Verkündiger (praedicator) oder der Evangelist Matthäus (dessen Symbol ja ein Mensch ist). Auf die menschliche Natur bezogen ist die Deutung als »Verstand des Geistes« (ratio mentis). Die Verbindung von Mensch und Menschheit zeigt sich, wenn »unter dem Begriff des Menschen das ganze Menschengeschlecht verstanden wird«.33 Homines sind aber auch die »Erzväter« (patriarchae)34 oder die »Menschensöhne« (filii hominum);35 dabei ist jeder Menschensohn stets ein Mensch, aber nicht jeder Mensch ein Menschensohn (als es nur einen Menschen gab, traf eine solche Unterscheidung zum Beispiel noch gar nicht zu): Diejenigen, die wie Adam den Menschen nachahmen, heißen Menschen, die aber Christus, den »Menschensohn«, nachahmen, werden Menschensöhne genannt.36 Alle exege29 So Gurjewitsch, Individuum S. 307. 30 Hrabanus Maurus, Allegoriae in sacram scripturum, Sp. 955–958, s.v. homo. 31 Ebd. Sp. 955 CD. Einblicke das Menschenbild gibt, allerdings verklärt, natürlich auch die Abgrenzung der menschlichen Natur Christi von der göttlichen; zur Christologie vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, S. 223–252. 32 Hrabanus Maurus, Allegoriae in sacram scripturum, Sp. 957 AB: Homo dicitur diabolus, non propter naturam, sed propter culpam et infirmitatem. 33 Ebd. Sp. 957 B: Hominis nomine genus humanum intelligitur. 34 Ebd. Sp. 957 C. 35 Ebd. Sp. 958 A. 36 Ebd. Sp. 957f.: Et notandum, quod omnis filius hominis est homo; non autem omnis homo filius hominis. Adam enim Deo creante factus est; unde nonnunquam distinguuntur homines et filii hominum; qui ut Adam hominem imitantur, homines vocantur, et qui Christum, filium hominis, filii hominis nominentur.

372

Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

tischen Deutungen erscheinen zugleich wertend und heilsgeschichtlich ausgerichtet; die menschliche Natur wird nur beiläufig erwähnt. »Man muß aber wissen,« so faßt Hraban zusammen und läßt damit die Spannbreite der Assoziationen erkennen, »daß der Mensch manchmal wegen seiner Natur, manchmal wegen seiner Schuld, manchmal wegen seiner Vernunft, manchmal wegen seiner Schwäche, manchmal wegen der Ähnlichkeit, manchmal wegen seiner Tugend und manchmal wegen seiner Einfalt so benannt wird.«37

Menschsein schließt Natur und Verstand ebenso ein wie Tugend, Schuld und Schwäche. Menschen haben das Menschliche gemeinsam, können aber sehr Verschiedenes (und sogar Gegensätzliches) symbolisieren.

2.

Der Mensch als Geschöpf und seine Bestimmung

a.

Der geschaffene Mensch

Das mittelalterliche Menschenbild ist, unbeschadet antiker Traditionen, zutiefst theologisch (und philosophisch) bestimmt – beides ist für früh- und hochmittelalterliche Denker bekanntlich kein Gegensatz – und ordnet sich in eine heilsgeschichtliche Sichtweise ein, die, wie schon beim Weltbild, aber mit dem tradierten (natur-)wissenschaftlichen und medizinischen Wissen in Übereinstimmung gehalten werden mußte. Bei einer solchen Betrachtungsweise rückt, parallel zu Engeln und Teufel, die Geschöpflichkeit des Menschen in den Mittelpunkt. »Was ist also der Mensch für die christliche Anthropologie des Mittelalters? Er ist das Geschöpf Gottes,« resümiert Jacques Le Goff.38 Er ist zunächst allerdings ein Geschöpf neben anderen (und jedes hat seine Funktion und Daseinsberechtigung). »Denn jede Kreatur erfreut sich auf ihre Weise an der Güte ihres Schöpfergottes,« meint Honorius Augustodunensis im 12. Jahrhundert. »Die einen, weil sie existieren, die anderen, weil sie leben, die einen, weil sie fühlen, die anderen, weil sie verstehen.«39 Daß der Mensch wie die Engel ein Geschöpf Gottes ist, steht für das Mittelalter natürlich nicht nur außer Frage, sondern beeinflußt das Bild vom Menschen in 37 Ebd. Sp. 558 AB: Sciendum vero quod homo aliquando dicitur per naturam, aliquando per culpam, aliquando per rationem, aliquando per infirmitatem, aliquando per similitudinem, aliquando per virtutem, aliquando per fatuitatem. 38 Jacques Le Goff, Einführung: Der Mensch des Mittelalters, in: Ders. (Hg.), Der Mensch des Mittelalters S. 7–45, hier S. 10. 39 Honorius Augustodunensis, Inevitabile Sp. 1203 A: Omnis namque creatura aliquo modo fruitur bonitatis creatoris Dei: quaedam quod sunt, quaedam quod vivunt, quaedam quod sentiunt, quaedam quod intelligunt.

2. Der Mensch als Geschöpf und seine Bestimmung

373

einer Weise, daß hier in der Schöpfung bereits alle wichtigen religiösen Vorstellungen zusammenlaufen. Da Adam, der Prototyp und Ahnherr der Menschheit, dem Namen nach nichts anderes als ›Mensch‹ bedeutet und die gesamte Menschheit sich von den paradiesischen Ureltern ableitet, sind Aussagen über ihn zugleich Spiegelungen des Menschenbildes an sich. Adam und Eva sind »figures paradigmatiques de l’homme et de la femme«.40 Die in diesem Abschnitt dargelegten Vorstellungen vom Menschen als Geschöpf wirken daher in alle folgenden Abschnitte hinein und sind dort detaillierter zu vertiefen. Die biblischen Aussagen über die Schöpfung des Menschen sind folglich konstitutiv für das Menschenbild, ihre exegetische Auslegung bietet tiefe Einblicke in die mittelalterlichen Vorstellungen und wird deshalb, neben anderen theologischen Schriften, Enzyklopädien und Bildern sowie, eher in exemplarischen Einzelfällen, historiographischen, hagiographischen und anderen Werken auch hier im Mittelpunkt stehen. Der Schöpfungsbericht gelangte in spezifischer Auslegung sogar in Handschriften, die man als Priesterhandbücher gedeutet hat.41 Der Mensch ist also Gottes Geschöpf, Gott ist sein Schöpfer.42 Der Mensch ist von Gott selbst und nicht von den Engeln erschaffen worden, wie Bruno von Asti betont, denn in diesem Fall hätte er nicht einen, sondern mehrere Schöpfer ; vielmehr ist allein Gott Schöpfer von allem.43 Adam, schreibt Augustin, wurde in 40 So Agostino Paravicini Bagliani, Introduction, in: Ders. (Hg.), Adam, le premier homme S. VII–XIV, hier S. XIII. Verbreitet ist auch die Deutung von Adams Namen aus den Anfangsbuchstaben der griechischen Bezeichnungen der vier Himmelsrichungen. Vgl. Dominique Cerbelaud, Le nom d’Adam et les points cardinaux. Recherches sur un thHme patristique, in: Vigiliae christianae 38, 1984, S. 285–301. 41 Darauf macht Steffen Patzold, Adam im religiösen Wissen der Karolingerzeit, erscheint in: Renate Dürr/Annette Gerok-Reiter/Andreas Holzem/Ders. (Hg.), Religiöses Wissen im vormodernen Europa, Paderborn 2016, aufmerksam, in Auswertung, Einordnung und Edition einer Handschrift aus dem früheren 9. Jahrhundert (Laon, BibliothHque Municipale, Ms. 288, fol. 55r-59r). Ich danke Steffen Patzold herzlich für die Vorabeinsicht in diesen Beitrag. Der entsprechende Abschnitt der Handschrift behandelt die Zusammensetzung Adams aus den Elementen, die Schöpfung bis zur Vertreibung aus dem Paradies und die sechs Sünden Adams. Die sehr ähnlichen Versionen der Berliner und Wiener Handschrift sind mit Angaben zur Herkunft ediert bei Klaus-Dietrich Fischer, De coelo vita – de terra mors. Zwei Zeugnisse zur physischen Anthropologie aus dem frühen Mittelalter, in: Richard Faber/Bernd Seidensticker (Hg.), Worte, Bilder, Töne. Studien zur Antike und Antikenrezeption. Bernhard Kytzler zu ehren, Würzburg 1996, S. 213–229. In der Pariser Handschrift ist der Text der (lateinischen) Vita Adae et Evae vorangestellt (ed. Jean-Pierre Pettorelli und Jean-Daniel Kaestli, CC Series apocryphorum 18, Turnhout 2012). 42 Zu bildlichen Darstellungen des 12. Jahrhunderts von der Schöpfung Adams vgl. Christiane Kruse, »Faciamus hominem«. Die Erschaffung Adams und die Begründung des Bildschaffens aus der göttlichen Kunst, in: Paravicini Bagliani (Hg.), Adam, le premier homme S. 199–217. 43 Bruno von Asti, Expositio in Pentateuchon. Expositio in Genesim 1, Sp. 157 A: Non enim ab angelis creatus est homo; alioquin non unus, sed multi creatores essent, ut solus Deus est omnium Creator.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

seiner vollkommenen Männlichkeit im Sechs-Tage-Werk so geschaffen wie alles andere auch, da das von vornherein Gottes Wille war und Gott nicht gegen seinen Willen handelt.44 Der Mensch ist aber nicht nur Geschöpf Gottes, sondern, am sechsten Tag und damit am Ende der Schöpfung erschaffen, gleichsam deren Höhepunkt. Standen die Engel am Anfang, so bildet der Mensch den Abschluß des göttlichen Schöpfungswerkes. Gregor von Tours beginnt seine ›Historien‹ folglich mit dem Schöpfungsbericht, der gewissermaßen auf den Menschen zuläuft: »Am Anfang formte der Herr Himmel und Erde in seinem Christus, der der Anfang von allem ist, das heißt in seinem Sohn, der nach der Erschaffung der Elemente der ganzen Welt ein Stück Erde vom vergänglichen Schlamm aufnahm, daraus den Menschen nach seinem Ebenbild und nach seiner Ähnlichkeit formte und ihm den Hauch des Lebens in sein Gesicht einblies und ihn so zu einer lebendigen Seele machte. Im Schlaf aber entfernte er ihm eine Rippe und schuf daraus die Frau, Eva.«45

Die aus dem Schöpfungsbericht bekannten Faktoren erhalten hier eine entscheidende Akzentuierung: Erde und Geist sind die Bestandteile des Menschen; erst letzterer verleiht ihm das Leben. Auf das Abbild Gottes ist gleich noch zurückzukommen. Bei der Schöpfung des Menschen aber nahm Gott zwei Substanzen für die beiden Bestandteile (und unterschied den Menschen damit von den anderen Geschöpfen): »Gott machte den Menschen daher aus einer doppelten Substanz: den Körper nahm er gemäß seiner Materie [bzw. Natur] aus der Erde, die Seele aber gestaltete er ohne Materie aus dem Nichts,«

lehrt Hugo von St. Viktor.46 Physikalische Vorstellungen aufgreifend, auf die später noch näher einzugehen ist, weitet auch der Dichter des Ezzolieds die biblische Nachricht, daß Gott 44 Augustinus, De Genesi ad litteram 6,18, S. 192: Quapropter, si omnium futurorum causae mundo sunt insitae, cum ille factus est dies, quando Deus creauit omnia simul, non aliter Adam factus est, cum de limo formatus est, sicut est credibilius iam perfectae uirilitatis, quam erat in illis causis, ubi Deus hominem in sex dierum operibus fecit. Ibi enim erat non solum, ut ita fieri posset, uerum etiam ut ita eum fieri necesse esset. Tam enim non facit Deus contra causam, quam sine dubio uolens praestituit, quam contra uoluntatem suam non facit. 45 Gregor von Tours, Historiae 1,1, S. 5: Principio Dominus caelum terramque in Christo suo, qui est omnium principium, id est in Filio suo, furmavit, qui post creata mundi totius elementa, glebam adsumens fragilis limi, hominem ad suam imaginem similitudinemque plasmavit et insufflavit in faciem eius spiraculum vitae et factus est in animam viventem. Cuius dormienti ablata costa, mulier Ewa creata est. 46 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,6,1, ed. Migne Sp. 264 C; ed. Berndt S. 136f.: Fecit itaque Deus hominem ex duplici substantia: corpus secundum materiam [Berndt: naturam] de terra sumens; animam vero sine materia de nihilo fingens. Zu Hugos Menschenbild vgl. Possekel, Der Mensch in der Mitte.

2. Der Mensch als Geschöpf und seine Bestimmung

375

den Menschen aus Erde (oder Lehm) schuf, differenzierend aus und läßt den Menschen aus acht Teilen zusammengesetzt sein: »Gott wirkte durch seine Macht mannigfaltige Zeichen. Er schuf den einen Menschen körperlich aus acht Teilen. Vom Lehm gab er ihm das Fleisch, der Tau entspricht dem Schweiße, vom Steine gab er ihm die Knochen, darüber besteht kein Zweifel, von den Wurzeln gab er ihm die Adern, vom Grase gab er ihm das Haar, vom Meere gab er ihm das Blut, von den Wolken den Geist. Er hat ihm die Augen von der Sonne gegeben, er verlieh ihm seinen Atem, damit wir ihm den bewahren, und seinen Verstand, damit wir stets für ihn gedeihen.«47

Verschiedene Materien der Erde schaffen hier verschiedene Körperteile und stellen so eine Verbindung zwischen dem Menschen und der elementaren Welt her. Nur noch das Fleisch ist aus Erde/Lehm, die Knochen aber sind aus Stein, während Pflanzen (Wurzeln und Gras) Adern und Haar schaffen. Ganz offensichtlich wird hier, anders als in der unten noch anzusprechenden Mikrokosmoslehre, von der Form her gedacht. Daß der Mensch aber nicht nur aus Erde, 47 Ezzolied v. 37–54, S. 145: Got mit siner gewalt, der wrchet zeichen uil manecualt. der worhte den mennischen einen uzzen uon aht teilen: uon dem leime gab er ime daz fleisch! der tow becechenit den sweiz, uon dem steine gab er ime das pein, des nist zwiuil nehein, uon den wrcen gab er ime di adren, uon dem grase gab er ime daz har, uon dem mere gab er ime daz pluot, uon den wolchen daz muot. dvo habet er ime begunnen der ovgen uon der sunnen. er verleh ime sinen atem, daz wir ime de behilten, unte sinen gesin daz wir ime imer wocherente sin.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

sondern aus allen Elementen besteht, wird hier wiederum konkretisiert, indem der Dichter das Fleisch der Erde, das Blut dem Meer (Wasser), den Geist den Wolken (Luft) und die Augen der Sonne (Himmel = Feuer) zuweist. Atem und Verstand aber stammen von Gott selbst, an dem der Mensch somit, wenn auch nur in Teilen, partizipiert. Aus acht Teilen, nämlich kosmischen Ursprüngen, jedoch anders zugeordnet, läßt aber auch das schon oben erwähnte ›Priesterhandbuch‹ aus dem 9. Jahrhundert Adam bestehen, und es ordnet diese kosmischen Elemente ebenfalls Körperteilen zu: aus dem Lehm entstand das Herz, aus dem Meer (wie bei Ezzo) das Blut, aus der Sonne entstanden (wie bei Ezzo) die Augen, aus den Wolken am Himmel hingegen (konkreter als der Geist) die guten und bösen Gedanken, aus dem Wind der Atem, aus den Steinen wieder wie bei Ezzo die Knochen. Dem fügt der Autor (oder Kompilator) noch den Heiligen Geist und Christus als Licht der Welt hinzu, die so ebenfalls zu Bestandteilen des Menschen gemacht werden.48

b.

Die Bestimmung des Menschen

Gott, »der möchte, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen«,49 schuf den Menschen von vornherein mit dem Ziel der Seligkeit: »Der absolut gute und unveränderlich gute Gott, der weiß, daß er seine Seligkeit vermitteln, aber keineswegs verringern kann, schuf die rationale Kreatur, um sie an seiner Seligkeit teilhaben zu lassen.«50 Zwar wußte Gott natürlich voraus, daß der Mensch sündigen würde, meint der westgotische Bischof Isidor von Sevilla, aber er wußte gleichermaßen voraus, wie seine Gnade das 48 Vgl. dazu Patzold, Adam (mit der Edition im Anhang): unde factus est corpus adam. Qui respondens dixit pater autem eius: id est omnipotens deus qui formauit eum; de octo partes fecit corpus prima autem parte de limo terre, IIconda parte de mare, III parte de sole; IIII parte de nubibus caeli, V parte de uente, VI parte de lapidibus terrae, VII parte de spirito sancto, VIII parte de luce mundi. Prim[a] parte de limo terrae, inde est cor eius; IIda parte de mare, inde est sanguis eius; III parte de sol[e], inde sunt oculi eius; IIII parte de nubibus caeli, inde sunt cogitationes bonas et malas; V parte de uento, inde est alena uel flatus eius; VIta parte de lapidibus terre, inde sunt ossa eius; VII parte de spiritu sancto qui est [in omnem] positus [a Deo]; [VIIIta parte de luce mundi, quod interpretatur Christus]. Die Teile in eckigen Klammern sind von einer anderen Hand nachgetragen. In leicht abgewandelter Form findet sich der Text noch in weiteren Handschriften; dort stammt allerdings nicht das Herz, sondern (wie im Ezzolied) das Fleisch aus der Erde. Vgl. Patzold, Adam, und Fischer, De coelo vita, oben Anm. 41. 49 So, oft wiederholt, 1. Tim 2,4: qui omnes homines vult salvos fieri et ad agnitionem venire veritatis. Das Zitat findet sich mehrfach etwa bei Augustin, Beda oder Bernhard von Clairvaux; vgl. auch Bonifatius, ep. 101, S. 224, und viele weitere Belege. 50 So Richard von St. Viktor, Excerptiones allegoricae I,1,1, S. 104: Deus summe bonus et immutabiliter bonus, sciens suam beatitudinem communicari posse et minui omnino non posse, fecit creaturam rationalem, ut eam faceret suae beatitudinis esse participem.

2. Der Mensch als Geschöpf und seine Bestimmung

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wiedergutmachen und den erlösen würde, der aus eigenem Willen hätte untergehen können.51 Die Seligkeit macht den Menschen unsterblich: »Kein Mensch kann untergehen wie jedes Tier,« schreibt Alkuin. »Denn nach diesem Leben wird er in Ewigkeit leben: entweder gut aufgrund guter Werke oder schlecht aufgrund böser Werke.«52 »Vom Beginn seiner Schöpfung an wird gezeigt, daß der Mensch durch die Bestimmung der himmlischen Ordnung im vorangehenden Werk der Lehre bis zur Gnade der himmlischen Wiedergeburt gelangt ist,« bestätigt Ildefons von Toledo.53 Allerdings erfolgt das (wegen des Sündenfalls) nur in Stufen: »Und zuerst wurde der Mensch zwar selig erschaffen; beim zweiten Mal, bei der Wiedergeburt, ist der Mensch noch seliger ; dazwischen aber ist er sehr schlecht und sterblich und sowohl durch seine ganze Unglückseligkeit verächtlich als auch zu gerechter Strafe verdammt.«54

Damit der über die Gebärmutter zum Tod geborene Mensch aber zum Leben wiedergeboren werden kann, wurde das Wort Gottes zu Fleisch.55 Die Unterschiede zwischen irdischem und ewigem Leben sind entscheidend für den Glauben an die Zukunft, müssen hier aber nicht mehr näher erläutert werden. »Der Mensch wurde zur mühseligen Arbeit in der Welt geboren, die Erwählten aber gehen durch den Tod aus der Welt zur Ruhe hinüber,« meint Beda.56 Nach Bernhard von Clairvaux hat der Mensch, wenn er die Arme ausbreitet, wegen seiner Bestimmung zum Heil die Form eines Kreuzes.57 Der erste Mensch vor der Sünde, so Hugo von St. Viktor, hatte es noch nicht nötig, daß Gott von außen zu ihm sprach, weil er im Inneren ein Ohr des Herzens hatte, mit dem er die Stimme Gottes auf geistliche Weise hören konnte.58 Die Unterschei51 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,11,3, S. 39: Sicut praesciuit Deus hominem peccaturum, ita et praesciuit, qualiter illum per suam gratiam repararet, qui suo arbitrio deperire potuisset. 52 Alkuin, ep. 18, MGH Epp. 4, S. 50: Nullatenus homo perire poterit, sicut animal quodlibet. Sed post hanc vitam victurus erit in aeternum: bene propter bona opera, male propter mala opera. 53 Ildefons von Toledo, De itinere deserti 1, S. 439: Ab exordio conditionis suae per dispositionem ordinis caelestis doctrinae praecedenti opere ostensus est homo peruenisse usque ad gratiam regenerationis diuinae. 54 Ebd. 2, S. 439: Et primo quidem conditus beatus homo; item secundo renatus beatior homo; media eius pessima et mortalia, tamque omni infelicitate sordentia quam et iusta ultione damnata. 55 Ebd. 4, S. 440: Sed ut esset uterus, quo homo in mortem natus ad uitam posset esse renatus, Verbum Dei incarnatum est. 56 Beda Venerabilis, In Marci euangelium expositio 2,6,21, S. 508: Homo enim ad laborem nascitur in mundo, et electi ad requiem per mortem transeunt e mundo. 57 Bernhard von Clairvaux, Sermones in uigilia natiuitatis 4,7, Opera Bd. 4, S. 225: Homo enim formam crucis habet, quam si manus extenderit, exprimet manifestius. 58 Hugo von St. Viktor, De archa Noe 4,4, S. 95: Primus homo antequam peccaret non opus habuit, ut ei extrinsecus loqueretur Deus, quia aurem cordis intrinsecus habuit, qua uocem Dei spiritaliter audire posset.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

dung des Menschen vor und nach dem Sündenfall (samt seinen Folgen) wird uns im Folgenden immer wieder begegnen. Im Blick auf die ewige Seligkeit ließ sich die Funktion des Menschen sogar noch konkreter beschreiben: Der Mensch ist dazu bestimmt, die abgefallenen Engel im Himmel zu ersetzen (ohne daß man deren Zahl gekannt hätte, die nur Gott genauestens bekannt ist und die er exakt festgelegt hat),59 denn, so Honorius Augustodunensis, im Gegensatz zum Engelfall war der Sündenfall im Paradies »reparabel«: »Und weil die Zahl sich durch die gefallenen Engel verkleinert hat, wird sie durch die nachwachsenden Menschen ersetzt.«60 Damit ist gleichsam auch die Dauer der irdischen Geschichte vorgegeben, nämlich bis zur Vervollkommnung dieser Zahl der Erwählten,61 ohne daß die Menschen diesen Zeitpunkt allerdings kennen oder vorherwissen können. Auch diese Vorstellung ist im übrigen eine Folge des Falls, der, wie gern betont wird, seinerseits nicht Voraussetzung für die Seligkeit der Menschen war : »Wenn alle Engel im Himmel verblieben wären, so hätte der Mensch doch seinen eigenen Platz im Himmel in vollem Umfang erhalten.«62 Der Mensch ist demnach nicht wegen der abgefallenen Engel, sondern um seiner selbst erschaffen worden, auch wenn er deren Platz im Himmel einnehmen wird. Andernfalls hätte das zu einer »Dissonanz im ganzen Universum« geführt.63 Die Menschen bilden dereinst – nach der Erlösung – gleichsam den zehnten Ordo der himmlischen Heerscharen, um die Neunzahl der Engelchöre zu vervollkommnen,64 werden, wie Honorius und Otto

59 Honorius Augustodunensis, Inevitabile Sp. 1211 CD: Praescivit etiam, qui et quot secum essent permansuri, qui et quot essent recessuri, qui et quot ad se reversuri. Si enim hoc ignorasset, praescius futurorum non esset. Et si certus numerus electorum non esset, tunc regnum Dei, non ordinata dispositione, sed fortuito casu constaret, ad quod incerti numeri frequentia conflueret. Sed cum apud Deum sit certus numerus capillorum, multo magis est apud Deum praefixus numerus electorum. Quot autem sunt in hoc numero a Deo praescripti hi ante mundi constitutionem sunt ad beatitudinem electi. De his nullus peribit, sed ad praedestinatam gloriam toto conamine quisque festinabit. Qui autem super hunc numerum multiplicantur, inter oves Christi non numerantur. Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 177. Zum Sündenfall ebd. S. 188–201. Mit dem Sündenfall befaßt sich das ganze 14. Buch von Augustins ›De civitate Dei‹. 60 Honorius Augustodunensis, Inevitabile Sp. 1211 D: Et quia hic numerus angelis cadentibus est imminutus, hominibus nascentibus est restitutus. 61 Ebd. Sp. 1211f.: Et ideo sicut ab uno numerare incipimus, sic ab uno homine numerus est incoeptus. Et sicut numerus crescit ad perfectionem, ita propago humana successit usque ad electorum completionem. 62 Ders., Liber XII quaestionum 3, Sp. 1180 A: si omnes angeli in coelo permansissent, homo in coelo proprium locum pleniter habuisset. 63 Ebd.: ita et homo in universitate habet suum proprium locum, sicut et angelus suum proprium. Igitur homo non est pro angelo, sed pro seipso creatus, alioquin maioris dignitatis vermis esset, qui proprium haberet, quam homo, qui proprio loco careret; et alterius locum occuparet sicque dissonantia in universitate fieret. 64 Ders., Libellus VIII quaest. 1, Sp. 1185 CD: quia nimirum electorum numerus non in solis

2. Der Mensch als Geschöpf und seine Bestimmung

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von Freising betonen, aber nicht einen eigenen (neuen) Chor bilden, sondern je nach Verdienst in die neun Engelshierarchien eingegliedert.65 Der aus dem Gleichnis vom verlorenen Groschen im Lukasevangelium (Lc 15,8ff) abgeleitete »zehnte Teil« (»zehnter Denar« oder – griechisch – Drachme) sei, so Otto, also nur als Sinn-Symbol (significatio) zu verstehen: Der Fall der einen sei der Aufstieg der anderen. Dabei sei es wahrscheinlich, so Hugo, wie schon oben betont,66 daß mehr Engel im Himmel verblieben als gefallen waren. Die Zahl der schlechten Menschen sei daher größer als die der erwählten Menschen. Die Zahl der guten Menschen sei dennoch größer als die Zahl der schlechten Engel.67 Schon Gregor der Große aber habe gelehrt, so erinnert Hermann von Tournai, daß die Zahl der erlösten Menschen der Zahl der im Himmel verbliebenen Engel entspreche.68 Gott hat den Menschen aber nicht nur zur ewigen Seligkeit, sondern auch zum Herrn über die irdische Schöpfung bestimmt: Um seinetwillen hat Gott den Menschen, um des Menschen willen aber die Erde geschaffen. Infolge solcher Vorzüge gilt der am letzten Schöpfungstag erschaffene Mensch nicht nur als »Schmuck der Welt«, sondern als Krone der Schöpfung und Herr der Erde, den Gott eigens dazu erschaffen hat, die Erde und die gesamte übrige Schöpfung als deren »Herr und Besitzer« zu beherrschen und zu lenken:69 »Der Mensch ist erschaffen, um Gott zu dienen, um dessentwillen er erschaffen wurde; die Welt aber ist erschaffen, um dem Menschen zu dienen, um dessentwillen sie geschaffen ist.«70 Die Welt ist nicht nur dem Menschen dienstbar (»Macht euch die Erde untertan«), sondern die ganze Schöpfung ist gleichsam für den Menschen gemacht: »Alles unter dem Himmel wurde des Menschen wegen gemacht, der Mensch aber um seinetwillen. Deshalb bezieht sich alles figürlich auf die Ähn-

65 66 67 68

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70

constitit angelis, sed in angelis simul et hominibus, et quia in novem ordinibus angelorum non erat perfectus numerus electorum, ut hic impleretur numerus, est homo decimus ordo creatus. Ders., Liber XII quaestionum 5f., Sp. 1181 B/1181f.; Otto von Freising, Chronicon 8,32, S. 448ff. Kapitel 1, oben S. 76. Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,5,31 (oben Kapitel 1, Anm. 253). Hermann von Tournai, Tractatus de incarnatione Iesu Christi domini nostri, Kap. 4 (Quod homo Deo abstulit, quando de ligno vetito comederit), Sp. 16 D: Dicit etiam beatus Gregorius, in praefata Homilia decem drachmarum, quod tantum numerum credimus ad eam ascensurum electorum hominum, quantum illic contigit remansisse electorum angelorum. Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,1,25, ed. Migne Sp. 203 A; ed. Berndt S. 56: Homo autem nouissimo die factus est de terra et in terra, non tamen ad terram neque propter terram, sed ad coelum, et propter eum, qui fecit terram et coelum. Ergo factus est homo non quasi ornatus terrae, sed dominus et possessor, ut non ad terram referatur conditio eius, propter quem facta est terra; Ders., De sacramentis legis scriptae et naturalis Sp. 20 C. Ders., De sacramentis Christianae fidei 1,2,1, ed. Migne Sp. 205 C; ed. Berndt S. 59: Nam et homo factus est, ut Deo serviret, propter quem factus est, et mundus factus est, ut serviret homini, propter quem factus est.

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lichkeit mit ihm,« schreibt Isidor von Sevilla.71 Alle von Natur aus existenten Dinge sind dem Menschen gemeinsam, in ihm selbst ist das alles enthalten und in ihm besteht die Natur aller Dinge.72 Darauf ist im nächsten Abschnitt über die menschliche Natur noch zurückzukommen. Während der Mensch einerseits Teil der Schöpfung ist, ragt er doch in gleichem Maße über alles Übrige hinaus, wie er dem Bild Gottes näher steht.73 Wie die zitierten Belege zeigen, ist die zentrale Stellung des Menschen auf Erden allerdings weder eine Neuerung der ›Renaissance‹ des 12. Jahrhunderts noch bezieht sie sich auf die gesamte Schöpfung.74

c.

Die aus der Bestimmung erwachsenden Eigenschaften des Menschen: die Gottebenbildlichkeit und ihre Inhalte

»Laßt uns einen Menschen nach unserem Bild und uns ähnlich machen« (Gen 1,26).75 Zwecks der Bestimmung zur Seligkeit schuf Gott den Menschen nach seinem ›Ebenbild‹ und gab ihm die Vernunft, mit deren Hilfe die menschliche Natur von vornherein ganz auf Gott ausgerichtet war, wie (mit vielen anderen) Hugo von St. Viktor betont: »Die Natur des ersten Menschen wurde von Gott so angelegt und eingerichtet, daß die Seele, die dem Körper vorsteht, die Dienste des Körpers zwar nach außen durch die Sinne erfüllt, sich innen jedoch durch die Vernunft stets auf ihren Schöpfer ausrichtet.«76

Der Mensch ist – nach dem biblischen Schöpfungsbericht und zugleich wiederum in christlich umgedeuteter, neoplatonischer Ansicht und symbolistischfigurativer Auslegung – als beseeltes Geschöpf Abbild (oder Ebenbild) Gottes 71 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,11,1a, S. 38: Omnia sub caelo propter hominem facta sunt, homo autem propter seipsum. Inde et omnia per figuram ad eius similitudinem referuntur. 72 Ebd. 1,11,1b, S. 38: Communia homini omnia naturalia esse cum omnibus rebus quae constant, et in homine omnia contineri atque in eo omnium rerum naturam consistere. 73 Ebd. 1,11,1c, S. 38: Vniuersitati creaturae homo magna quaedam portio est, tantoque gradu est ceteris excellentior, quanto imagini diuinae uicinior. 74 Beides postuliert Possekel, Der Mensch in der Mitte, im Hinblick auf Hugo von St. Viktor, die Hugos Position völlig zutreffend beschreibt, aber die Unterschiede zu Augustin überinterpretiert, wenn sie (etwa S. 12) die Erde bei Augustin als einen alles andere als »angenehme[n] Aufenthaltsort« betrachtet: Augustin hebt an der zitierten Stelle (De civitate Dei 12,22, CCL 48, S. 380) die Erde vielmehr als Strafort gegenüber dem Paradies ab. Ebensowenig hat die Arbeit des Menschen »einen Zweck in sich selbst« (so Possekel, Der Mensch in der Mitte S. 18). 75 Et ait: ›faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram‹. 76 Hugo von St. Viktor, De archa Noe 4,5, S. 98: Primi hominis natura ita a Deo ordinata et instituta fuerat, ut anima, que corpori preerat, per sensus quidem ministeria corporis foris impleret, sed intus per rationem semper ad creatorem suum intenderet.

2. Der Mensch als Geschöpf und seine Bestimmung

381

(imago Dei) oder Gott ähnlich (similitudo Dei).77 Diese biblisch bezeugte Gottebenbildlichkeit des Menschen78 wird im Mittelalter immer wieder aufgegriffen, interpretiert und differenziert und dient eben diesem Ziel der Erkenntnisfähigkeit: Da Gott wollte, daß der Geist des Menschen gut ist, schreibt Petrus Damiani im 11. Jahrhundert, schuf er ihn nach dem Bild und der Ähnlichkeit Gottes als einen mit Vernunft begabten Menschen, damit er so der göttlichen Gnade und Erleuchtung fähig sei.79 Bereits an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert hat der Kirchenvater Tertullian das auf die geistige Natur (den Hauch Gottes) bezogen, denn Gott ist Geist, aber zugleich betont, daß der Mensch lediglich Abbild dieses Geistes ist und sich nicht mit dem wirklichen Bild Gottes vergleichen kann; wie aber der reine Geist kein Vergehen kennt, so darf auch sein Abbild kein Vergehen zulassen.80 Augustin greift das auf: Die Seele wurde von Gott eingehaucht, ist aber nicht wesensgleich mit Gott.81 Daraus folgert Augustin an anderer Stelle zugleich auf die Fähigkeit einerseits der Gotteserkenntnis, andererseits der Beherrschung der Erde und spannt die Ebenbildlichkeit als Voraussetzung der menschlichen Bestimmung in den großen heilsgeschichtlichen Rahmen ein: »Wie Körper erst durch den Geist belebt und lebendig werden, so machte Gott den Menschen nach seinem Bild; und wie Gott selbst durch seine Allmacht der gesamten Schöpfung vorsteht, so steht der Mensch dank seiner Intelligenz, mit der er seinen

77 Ders., De sacramentis Christianae fidei 1,6,2, ed. Migne Sp. 264 CD; ed. Berndt S. 137f. 78 Vgl. dazu Ludwig Hödl, Zur Entwicklung der frühscholastischen Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen, in: Leo Scheffczyk (Hg.), Der Mensch als Bild Gottes (Wege der Forschung 124), Darmstadt 1969, S. 192–205; Thomas A. Fay, Imago Dei. Augustine’s Metaphysics of Man, in: Antonianum 49, 1974, S. 173–197. Zur mittelalterlichen Kunst: Gerhart B. Ladner, Ad Imaginem Dei. The Image of Man in Mediaeval Art, Latrobe, Pa. 1965. Allerdings ist es gefährlich, aus der Ähnlichkeit von Christusbildern auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen zu schließen, da hier schließlich zunächst die menschliche Natur Christi dargestellt (und um Attribute der Göttlichkeit erhöht) wird. Vgl. dazu Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, S. 272ff. Die Gottebenbildlichkeit könnte letztlich zwar implizieren, daß man sich Gott in irgendwie menschlicher Gestalt vorstellt, doch werden, wie im folgenden Abschnitt herausgestellt wird, die fundamentalen Unterschiede zum Menschen gewahrt. 79 Petrus Damiani, ep. 28, Bd. 1, S. 254: Et bene cum spiritu hominis esse Deus optatur, quia in mente et spiritu ad imaginem et similitudinem Dei homo rationalis est conditus atque ibi divinae gratiae et illuminationis est capax. 80 Tertullian, Adversus Marcionem 2,9,2, S. 485: Nam et ideo homo imago dei, id est spiritus; deus enim spiritus. […] Sic et adflatus, cum imago sit spiritus, non potest ita imaginem Dei comparare, ut, quia ueritas, id est spiritus, id est Deus, sine delicto est, ideo et imago, id est adflatus, non debuerit admisisse delictum. 81 Augustinus, De Genesi ad litteram 7,2, S. 202: animam sic esse a Deo tamquam rem, quam fecerat, non tamquam naturae, cuius ipse est, siue genuerit quoquo modo protulerit; ebd. 7,3, S. 202f.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Schöpfer erkennt und verehrt, allen irdischen Lebewesen vor. […] Daher ist selbst der sündige Mensch besser als jedes Tier.«82

Worin besteht denn die Gottebenbildlichkeit? fragt Augustin und antwortet: »Im (geistigen) Verständnis, im (inneren) Sinn (oder : Geist), im inneren Menschen; darin daß er die Wahrheit begreift, zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit unterscheidet [oder : entscheidet], daß er weiß, von wem er geschaffen ist und seinen Schöpfer erkennen und seinen Schöpfer loben kann. Er besitzt dieses Verständnis, weil er Klugheit besitzt.«83

Gotteserkenntnis wird bei Gregor dem Großen geradezu zum Kennzeichen des Menschseins überhaupt: »Jeder Mensch muß eben dadurch, daß er Mensch ist, seinen Schöpfer verstehen und um so mehr dessen Wunsch dienen, je weniger er von sich selbst denkt, weil er aus sich selbst heraus nämlich nichts ist.«84 Auch Beda Venerabilis bezieht die Gottebenbildlichkeit in erster Linie auf den Verstand: »Der Mensch wurde zum Bilde Gottes gemacht, […] er wurde nämlich zur Vernunft fähig erschaffen.« Dadurch übertrifft er zugleich die vernunftlosen Geschöpfe und ist fähig, die Welt richtig zu lenken und die Schöpfung durch seine Erkenntnisfähigkeit zu genießen.85 Remigius von Auxerre faßt die Positionen zusammen. indem er die Gottebenbildlichkeit auf den Geist (mens), nämlich Verstand (ratio) und Verständnis (intelligentia) bezieht: »Diese Worte [der Bibel] zeigen hinreichend, wodurch der Mensch zum Bilde Gottes erschaffen wurde: nämlich im Geist, das heißt in Verstand und Verständnis [oder Intelligenz]. Denn wenn dieser Geist über das Ewige nachdenkt, ist er das Abbild Gottes. Gott machte den Menschen daher nach seinem Ebenbild, das heißt, er schuf ihm eine solche Seele, durch die er sich dank seines herausragenden Verstandes und Verständnisses [oder seiner Intelligenz] gegenüber allen (anderen) Lebewesen auf der Erde, im Meer und in der Luft auszeichnete. […] Der Mensch wurde also zum Ebenbild 82 Ders., De catechizandis rudibus 18,29,1f., S. 154: sicuti sunt spiritus, quibus corpora uegetantur et uiuificantur ; fecit et hominem ad imaginem suam; ut quemadmodum ipse per omnipotentiam suam praeest uniuersae creaturae, sic homo per intellegentiam, qua etiam creatorem suum cognoscit et colit, praeesset omnibus terrenis animalibus; ebd. 18,30,4, S. 154: et utique melior est homo etiam peccator quam bestia. 83 Augustinus, In Iohannis epistolam ad Parthos tractatus 8,6, S. 330: Quia homo ex eo habet potestatem, ex quo factus est ad imaginem Dei. Vbi autem factus est ad imaginem Dei? In intellectu, in mente, in interiore homine; in eo quod intellegit veritatem, diiudicat iustitiam et iniustitiam, novit a quo factus est, potest intellegere creatorem suum, laudare creatorem suum. Habet hanc intellegentiam, quia habet prudentiam. 84 Gregor der Große, Moralia in Iob praef. 2,4, CCL 143, S. 10: Omnis homo eo ipso, quo homo est, suum intellegere debet auctorem, cuius uoluntati tanto magis seruiat, quanto se, quia de se ipso nihil sit, pensat. 85 Beda Venerabilis, In principium Genesis usque ad natiuitatem Isaac (Hexaemeron) 1,1,26, S. 27: Quia nimirum in hoc maxime factus est homo ad imaginem Dei, in quo inrationabilibus antecellit, capax uidelicet rationis conditus, per quam et creata quaeque in mundo recte gubernare et eius, qui cuncta creauit, posset agnitione perfrui.

2. Der Mensch als Geschöpf und seine Bestimmung

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Gottes geschaffen, damit, wie Gott heilig, gerecht und wahr ist und zwischen Gut und Böse unterscheidet, so auch er [der Mensch] auf seine Weise heilig, gerecht und wahr sei und die Unterscheidungskraft zwischen gut und böse beibehielt. Nichtsdestoweniger wurde er zur Ähnlichkeit Gottes geschaffen, damit der Mensch, gleichwie Gott dauerhaft und unsterblich ist, ähnlich unsterblich und ewig sei.«86

Ebenbild und Ähnlichkeit mit Gott beziehen sich für Remigius und die anderen Autoren allein auf den Geist und nicht auf den Körper. Die Unterscheidung (von Ebenbild und Ähnlichkeit) aber rührt daher, daß das Ebenbild sich auf Sitten und Heiligkeit, die Ähnlichkeit aber auf die Ewigkeit bezieht.87 Die Gottebenbildlichkeit hat also verschiedenartige Folgen: Der Verstand befähigt den Menschen zur Gotteserkenntnis und sichert ihm die Herrschaft über die Tierwelt zu. Die Ebenbildlichkeit macht ihn heilig und läßt ihn das Gute erkennen, die Ähnlichkeit macht ihn ewig und unsterblich, jedenfalls bis zum Sündenfall. Der Mensch kann sich selbst definieren und verstehen, meint Johannes Scotus Eriugena.88 Ganz ähnlich wie Remigius im 9. begründet im 12. Jahrhundert Andreas von St. Viktor die Ebenbildlichkeit aus Vernunft, Geist und Verständnis, konkretisiert die Unsterblichkeit aber als Unsterblichkeit der Seele (die durch den Sündenfall eben nicht beeinträchtigt wurde) und bezieht die Gottähnlichkeit auf Unschuld und Gerechtigkeit, Heiligkeit der Sitten und Gerechtfertigtheit.89 Liutprand von Cremona hat beides noch zusammengefaßt, um es auf das Bewußtsein vom Gottesgesetz, die Vernunftfähigkeit und die Fähigkeit, zu lieben und zu hassen, zu beziehen (und damit das traditionelle Spektrum noch einmal zu erweitern).90 Die Deutungen ließen durchaus einen Spielraum. 86 Remigius von Auxerre, Expositio super Genesim 1,26, S. 28: Satis ostendens his uerbis, ubi sit homo creatus ad imaginem Dei, in mente scilicet, id est in ratione et intellegentia. Ipsa etenim mens, quando cogitat ea, quae sunt aeterna, imago Dei est. Fecit igitur Deus hominem ad imaginem suam, id est talem illi animam creauit, qua per excellentiam rationis atque intellegentiae omnibus praestantior esset animalibus terrestribus, natatilibus et uolatilibus. […] Creatus est ergo homo ad imaginem Dei, ut sicut Deus est sanctus, iustus et uerus, discernens inter bonum et malum, ita et ipse esset pro modo suo sanctus, iustus et uerus discretionemque boni maliue retineret. Ad similitudinem nihilominus Dei factus est, ut sicut est Deus perpetuus et immortalis, esset etiam homo similiter immortalis atque aeternus. 87 Ebd.: Taliter, ut dixi, homo non in corpore sed in mente ad imaginem et similitudinem Dei factus est, ea tamen distinctione seruata ut imago accipiatur in moribus et sanctitate, similitudo autem in aeternitate. 88 Vgl. dazu Dermot Moran, »Officina omnium« or »notio quaedam intellectualis in mente divina aeternaliter facta«. The Problem of the Definition of Man in the Philosophy of John Scottus Eriugena, in: Wenin, L’homme, Bd. 1, S. 195–204. 89 Andreas von St. Viktor, Expositio super Heptateuchum. In Genesim 1,26, S. 20: Ad imaginem ergo Dei factus est homo in ratione, in mente, in intelligentia, in immortalitate animae. Ad similitudinem uero Dei in innocentia et iustitia, in morum sanctitate et iustificatione. 90 Liutprand von Cremona, Antapodosis 1,13, S. 17: homo autem, ad imaginem similitudinemque Dei formatus, legis Dei conscius, rationis capax, non solum proximum non amare iuvat, sed et odisse plurimum valeat.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Aber auch im 12. Jahrhundert führt Bruno von Asti die bei Remigius getrennten Auswirkungen wieder zusammen: »Sehen wir nun, nach wessen Ähnlichkeit der Mensch erschaffen ist. ›Nach unserem Bild und nach unserer Ähnlichkeit,‹ sagt er. Denn obwohl Bild und Ähnlichkeit durchaus etwas anderes sind, besagen Bild und Ähnlichkeit an dieser Stelle doch dasselbe; denn so wurde der Mensch zur Ähnlichkeit Gottes erschaffen: er ist weise, gerecht und gut, unsterblich und unvergänglich erschaffen, zumal Gott all das ist. Die Unsterblichkeit verlor der Mensch allerdings, als er sündigte, und darin wurde er Gott unähnlich erschaffen, wenngleich überhaupt nichts Gott in allem ähnlich ist. So oft wir gesündigt haben, haben wir die Gottähnlichkeit verloren.«91

Mit diesen Worten füllt Bruno die Gottähnlichkeit, in etwas anderer Weise als in den bislang besprochenen Belegen, nicht nur mit konkreten Eigenschaften (Weisheit, Gerechtigkeit, Güte, Unsterblichkeit und Unvergänglichkeit), sondern stellt sie zugleich in einen Zusammenhang mit Schöpfung und Sündenfall: Die Gottähnlichkeit des Menschen ist ein Produkt der Schöpfung, ihr Verlust ist Folge des Falls. Hingegen unterscheidet Honorius (wie zuvor Remigius, aber auf andere Weise) wieder zwischen Gottebenbildlichkeit und Gottähnlichkeit, indem er erstere auf die Form, letztere aber auf Beschaffenheit und Umfang bezieht und die Ebenbildlichkeit der Seele zuordnet und mit der Erinnerung (memoria), die Vergangenes erinnert, dem Verstehen (intellectus), um Gegenwärtiges und Unsichtbares zu erfassen, und dem Willen (voluntas) verknüpft, um das Böse zurückzuweisen und das Gute zu wählen, während er die Ähnlichkeit mit der Tugendfähigkeit verbindet: Wie in Gott alle Tugenden sind, so ist die Seele zu allem fähig.92 Honorius differenziert also eher nach der Wirkungsweise. Wie die ganze Schöpfung von Gott ausgeht, so gehen von einem einzigen sämtliche Menschen aus.93 Die Deutungen lassen also durchaus Spielräume. Seit frühscholastischer Zeit, zuerst bei Anselm von Laon, wird aber noch schärfer zwi91 Bruno von Asti, Expositio in Pentateuchon. Exposition in Genesim 1, Sp. 157f.: videamus etiam, ad cuius similitudinem factus sit homo. ›Ad imaginem, inquit, et similitudinem nostram.‹ Quamvis enim aliud sit imago, aliud similitudo, hoc tamen in loco idipsum significat et imago et similitudo, sic ad Dei similitudinem factus est homo; sapiens quidem, iustus et bonus, immortalis et incorruptubilis factus est; siquidem Deus talis est. Sed immortalitatem quidem tunc homo amisit, quando peccavit, atque in hoc Deo dissimilis factus est, quamvis nihil Deo per omnia simile sit. Quoties ergo peccavimus, Dei similitudinem amisimus. 92 Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,61, S. 371f.: Quae imago vel similitudo? M. Imago in forma accipitur, similitudo in qualitate vel quantitate consideratur. Divinitas consistit in Trinitate; huius imaginem tenet anima, quae habet memoriam, per quam praeterita et futura recolit, habet intellectum, quo praesentia et invisibilia intelligit, habet voluntatem, qua mala respuit et bona eligit. In Deo consistunt omnes virtutes: huius similitudinem habet anima, quae capax est omnium virtutum. 93 Ebd. 1,72, S. 374.

2. Der Mensch als Geschöpf und seine Bestimmung

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schen Bild und Ähnlichkeit im Sinne einer naturhaften Gottebenbildlichkeit und einer gnadenvoll tugendhaften Gottähnlichkeit unterschieden.94 Hugo von St. Viktor schreibt ersteres dem Verstand und dem Wissen um die Wahrheit, aber auch dem Wissen schlechthin, letzteres der Liebe und Tugendliebe sowie der Substanz zu. Das Bild ist der Weisheit gemäß, die Ähnlichkeit der einen, einfachen Wesenheit (essentia). Das Bild ist vernunftgemäß, die Ähnlichkeit geistlich, das Bild figürlich, die Ähnlichkeit natürlich (und deshalb ausschließlich durch die Seele gewährleistet, da der Körper die Ähnlichkeit Gottes nicht erfassen kann).95 Der Erkenntnis Gottes dient aber auch der aufrechte Gang, der den Menschen noch einmal vom Tier unterscheidet: »Die aufrechte, gen Himmel gerichtete Form des Körpers fordert den Menschen auf zu wissen, was da oben ist.«96 Isidor von Sevilla führt das noch weiter aus: »Der Mensch aber wurde gerade ausgestreckt und aufrecht erschaffen, damit er den Himmel betrachten kann, nicht wie die Tiere, die sich zum Boden neigen und senken; und an der Spitze wurde der Kopf angebracht und ihm wurde eben dieser Name [caput] gegeben, weil von hier Sinne und Nerven ihren Anfang nehmen.«97

Der aufrechte Gang entspricht somit der rationalen Natur des Menschen.98 Gott schuf den Menschen, so betont Hugo von St. Viktor, am letzten Tag aus Erde und auf der Erde, jedoch weder »zur Erde hin« (wie die Tiere) noch »um der Erde willen«, sondern zum Himmel ausgerichtet.99 94 Vgl. Hödl, Zur Entwicklung. 95 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,6,2, ed. Migne Sp. 264 CD; ed. Berndt S. 137f.: Factus est homo ad imaginem et similitudinem Dei, quia in anima (quae potior pars est hominis, vel potius ipse homo erat) fuit imago et similitudo Dei. Imago secundum rationem, similitudo secundum dilectionem; imago secundum cognitionem veritatis, similitudo secundum amorem virtutis. Vel imago secundum scientiam, similitudo secundum substantiam. Imago, quia omnia in ipsa secundum sapientiam; similitudo, quia una et simplex ipsa secundum essentiam. Imago quia rationalis, similitudo quia spiritualis. Imago pertinet ad figuram, similitudo ad naturam. Haec autem in anima sola facta sunt, quia corporea [Berndt: coopera] natura similitudinem capere non potuit Divinitatis, quae ab eius excellentia et similitudine in hoc ipso longe fuit, quod corporea fuit. 96 So Augustinus, De civitate Dei 22,24, CCL 48, S. 849: Non enim ut animalia rationis expertia prono esse uidemus in terram, ita creatus est homo; sed erecta in caelum corporis forma admonet eum, quae sursum sunt sapere. 97 Isidor von Sevilla, Differentiae 2 (De differentiis rerum) 17,50, Sp. 78 A: Factus est autem homo ad contemplationem coeli rigidus et erectus, non sicut pecora in humum prona atque vergentia; in cuius summitate caput est collocatum datumque illi hoc nomen, quod hinc capiant initium sensus et nervi. Vgl. Ders., Etymologiae 11,1,5, Bd. 2, S. 1: Graeci autem hominem %mhqypom appellaverunt, eo quod sursum spectet sublevatus ab humo ad contemplationem artificis sui. […] Qui ideo erectus caelum aspicit, ut Deum quaerat, non ut terram intendat veluti pecora, quae natura prona et ventri oboedientia finxit. 98 So Beda Venerabilis, In principium Genesis usque ad natiuitatem Isaac 1,26, S. 26. 99 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,1,25, ed. Migne Sp. 203 A; ed. Berndt

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Daß die ›Ausstattung‹ des Menschen, Vernunft, aufrechter Gang und Gottebenbildlichkeit, allesamt der Gotteserkenntnis dienen, faßt noch einmal Otto von Freising klar zusammen: »Jeder Mensch ist zu dem Zweck mit Vernunft begabt, daß er Gott als seinen Schöpfer erkenne, an seinen Werken nicht blinden Herzens vorübergehe und sie nicht tauben Ohres überhöre. Daß der Mensch dazu erschaffen ist, beweist auch die Gestalt seines Körpers, die nicht wie bei den übrigen Lebewesen (nach unten) geneigt, sondern nach oben gerichtet ist, damit er zum Himmel aufblicke. Ebenso ist das Innere des Menschen nach dem Ebenbild seines Schöpfers gestaltet, indem er die Materie zur Erkenntnis der Wahrheit nicht nur von außen in anderen schönen, großen Geschöpfen, sondern auch in seinem eigenen Inneren findet, ›weil der Herr das Licht seines Antlitzes über ihn leuchten läßt‹.«100

Der Schöpfungsakt erklärt darüber hinaus die Einheit und Einheitlichkeit des Menschengeschlechts, wie zuerst Augustin und später Beda, Honorius und Hugo von St. Viktor erläutern, indem Gott anders als bei den Tieren, die er jeweils nach bestimmten Arten schuf, aber auch als bei den Engeln, die er allesamt in einem Akt schuf, zunächst nur einen Menschen als Mann und Frau bzw. in zwei Akten zuerst den Mann erschuf und diesem dann die Frau zugesellte, so daß sich das gesamte Menschengeschlecht durch Fortpflanzung von diesem einen Stammelternpaar ableiten konnte.101 Bei den Tieren hatte Gott nicht eines, sondern gleich viele geschaffen, ergänzt Remigius von Auxerre und schließt daraus, daß alle Menschen sich untereinander so lieben müssen, als seien sie sämtlich von einem Vater und einer Mutter geboren.102 Das mittelalterlich-genealogische S. 56: Homo autem novissimo die factus est de terra et in terra, non tamen ad terram neque propter terram, sed ad coelum [Berndt ergänzt: et propter eum, qui fecit terram et celum]. 100 Otto von Freising, Chronicon 7 prol., S. 307: Omnis homo capax ad hoc rationis est, ut auctorem suum Deum cognoscat factaque sua ceco corde non transeat, surdis auribus non audiat. Denique ad hoc creatum hominem esse forma quoque corporis non in modum ceterorum animantium acclinis, sed caelum respiciendo sublimis probat. Interior etiam homo ad imaginem creatoris sui factus materiam investigandae veritatis non solum in creaturis aliis pulchris et magnis foris accipit, sed et in se ipso, eo quod ›lumen vultus Domini super se signatum habeat, intus invenit‹ (Ps 4.7). 101 Vgl. Augustinus, De civitate Dei 14,22, CCL 48, S. 444: sed sicut euidentissime apparet in diuersi sexus corporibus, masculam et feminam ita creatus, ut prolem generando crescerent et multiplicarentur et implerent terram, magnae absurditatis est reluctari; Beda Venerabilis, In principium Genesis usque ad natiuitatem Isaac 1,1, S. 28: non ut animantia cetera, quae in singulis generibus non singula sed plura creauit, ut per hoc humanum genus artiore ad inuicem copula caritatis constringeret, quod se ex uno totum parente ortum esse meminisset. Vgl. auch Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,6,34, ed. Migne Sp. 284 AB; ed. Berndt S. 164; Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,72 (oben Anm. 93). 102 Remigius von Auxerre, Expositio super Genesim 1,27, S. 30: Notandum quoque est, quod in ceteris animalibus non unum sed plura creauit. In hominibus autem masculum unum unamque condidit feminam, ut ita uidelicet se omnes homines mutuo diligerent ac si uno patre uel matre progeniti.

2. Der Mensch als Geschöpf und seine Bestimmung

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Denken wird hier auf die gesamte Menschheit angewandt. Aus dem gleichen Grund wurde die Frau aus dem Mann geschaffen, damit das ganze Menschengeschlecht sich aus einem einzigen Menschen verbreite;103 sie wurde als Zeichen ihrer Liebesgemeinschaft (consortium dilectionis) aus der Seite des Mannes gemacht.104 Die Bestimmung des Menschen bedeutete zugleich eine Verpflichtung, wie besonders Hugo von St. Viktor betont: Der Mensch ist mit Wissen (scientia) und Tugend (mores) ausgestattet und hat (mit der Schöpfung) zwei »Vorschriften« (praecepta) erhalten: das Gebot der »Natur« (im Inneren, durch den Sinn, zur Bewahrung) und der »Disziplin« (nach außen hin, durch das Wort, als Mittel dorthin). Das Gebot der Natur umfaßt Gebot, Verbot und Erlaubnis und beinhaltet die natürliche Unterscheidungskraft, etwas zu tun oder zu lassen.105 Der Mensch ist daher (rechtlichen und moralischen) Regeln und Normen unterworfen und somit selbst vor Gott für sein Handeln verantwortlich. Dabei verfügt er (wie die Engel, aber abgewandelt) nach Hugo über ein dreifaches Wissen: die Kenntnis seines Schöpfers, um zu erkennen, von wem er geschaffen ist, die Kenntnis seiner selbst, um zu erkennen, als was er erschaffen ist und was er zu tun habe, und die Kenntnis der übrigen Schöpfung, um zu erkennen, was er damit und darin machen solle.106 Das mittelalterliche (theologische) Menschenbild mißt dem Menschen insgesamt eine absolut zentrale (und beherrschende) Funktion in der Schöpfung zu. Theologisch definiert sich der Mensch ganz aus dem Glauben heraus durch seine Ausrichtung auf Gott, ja seine Unmittelbarkeit zu Gott, die ihrerseits seine Stellung in der Heilsgeschichte begründet: Als mit Vernunft und Erkenntnisfähigkeit ausgestattetes Ebenbild Gottes ist er (unbeschadet teuflischen Wirkens) der Herr der Erde. Mit Gott und den Engeln teilt er die (potentielle) 103 So Augustinus, De civitate Dei 12,22, CCL 48, S. 380: non est arduum uidere multo fuisse melius quod factum est, ut ex uno homine, quem primum condidit, multiplicaret genus humanum, quam si id incohasset a pluribus. 104 So Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,6,35 (unten Anm. 707). 105 Ebd. 1,6,7, ed. Migne Sp. 268 BC; ed. Berndt S. 142f.: Duo ista praecepta data sunt homini: praeceptum naturae et praeceptum disciplinae. Praeceptum naturae fuit, quod intus aspiratum est per naturam; praeceptum vero disciplinae, quod foris appositum est ad disciplinam: intus per sensum, foris per verbum. In his duobus mandatis totum continetur quidquid bonum [Berndt: homini] vel faciendum vel cavendum, praecipitur. In praecepto naturae tria sunt: praeceptio, prohibitio, concessio. Praeceptum autem naturae nos nihil aliud intelligimus, quam ipsam discretionem naturalem, quae intrinsecus inspirata est, ut per eam homo erudiretur de his, quae sibi vel appetenda vel fugienda fuerunt. 106 Ebd. 1,6,12, ed. Migne Sp. 270 D; ed. Berndt S. 146: Triplici autem cognitione primum hominem eruditum constat, cognitione scilicet creatoris sui, ut cognosceret, a quo factus erat, et cognitione sui, ut cognosceret, quid factus erat et quid sibi faciendum erat. Deinde cognitione quoque illius, quod secum factum erat et quid sibi de illo et in illo faciendum erat. Vgl. die Parallele zu den Engeln: ebd. 1,5,14 (oben Kapitel 1, Anm. 212).

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Unsterblichkeit der Seele. Aus dieser Stellung des Menschen heraus aber erwächst seine Würde (dignitas) vor den anderen Geschöpfen.107 Erst als Ebenbild Gottes, wie es sich im übrigen – als »homo caelestis« – auch in der Kunst widerspiegelt, werde der Mensch überhaupt menschlich, so hat man gemeint. Vor solchem Hintergrund konnte man gar behaupten, »das hohe Lied von der Würde des Menschen (sei) nie so erklungen wie im christlichen Mittelalter«.108 In diesem Sinn hat man bei Hugo von St. Viktor geradezu von einer mittelalterlichen Anthropologie – als Abkehr von der theozentrischen Sicht Augustins – und von einem positiven, dynamischen Menschenbild gesprochen, das den Menschen in den Mittelpunkt der Welt ebenso wie in die Mitte zwischen seinem Schöpfer und der (übrigen) Schöpfung stellt,109 doch selbstverständlich gilt das auch im 12. Jahrhundert nur für den irdischen Bereich der Schöpfung, über der der Schöpfer selbst (mitsamt den Engeln) himmelhochweit erhaben ist, dem der Mensch, wie Hugo von St. Viktor gleich bewußt hinzufügt, zu dienen hat. Der Mensch nimmt daher nicht »eine mittlere Position zwischen Schöpfung und Schöpfer«,110 sondern zwischen Gott und den himmlischen Geschöpfen einerseits und den übrigen irdischen Lebewesen andererseits ein. Zugleich bleibt er als Gottes Geschöpf nämlich strikt von der göttlichen Natur unterschieden. Christus ist das Bild selbst, schreibt Petrus Lombardus, er wurde geboren, nicht geschaffen und ist Gott in allem ähnlich; der Mensch aber wurde nur ad imaginem Dei erschaffen, nicht geboren, nicht Gott gleich, sondern durch Ähnlichkeit angenähert, gottebenbildlich durch ungleiche Ähnlichkeit.111

d.

Die Unterschiede zwischen Schöpfer und Geschöpf

Hat der Mensch einerseits also durch die Gottebenbildlichkeit in gewisser Weise teil an der Natur seines Schöpfers, so ist er als Geschöpf andererseits grundsätzlich von Gott unterschieden. Du mußt erkennen, schreibt Rather von Verona mit einem Vergleich aus dem mittelalterlichen Rechtsleben, daß Gott nicht wie 107 Vgl. Michael A. Smith, Human Dignity and the Common Good in the Aristotelian-Thomistic Tradition, Lewiston-Queenston-Lampeter 1995. 108 Steinbüchel, Vom Menschenbild des Mittelalters S. 22. 109 So Possekel, Der Mensch in der Mitte S. 19, mit Bezug auf Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,2,1, Sp. 205 D: Ita positus est in medio homo, ut et ei serviretur et ipse serviret. 110 So Possekel, Der Mensch in der Mitte S. 10. 111 Petrus Lombardus, Sententiae 2, dist. 16, par. 4, S. 409: Quocirca homo et imago dicitur, et ad imaginem; Filius autem imago, non ad imaginem, quia natus, non creatus, aequalis et in nullo dissimilis. Homo creatus est a Deo, non genitus; non parilitate aequalis, sed quadam similitudine accedens ei. […] dictus est ergo homo ad imaginem, propter imparem similitudinem.

2. Der Mensch als Geschöpf und seine Bestimmung

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der Mensch ist: »Denn Gott ist Schöpfer, der Mensch geschaffen, Gott Erlöser, der Mensch erlöst, Gott ist Richter, der Mensch nach seinen Taten zu richten«, und zwar nicht nach dem weltlichen, sondern nach dem göttlichen Gesetz: ohne Zeugen, ohne Verteidiger, ohne Eidhelfer.112 »Es sind zwei,« schreibt Hugo von St. Viktor später : »der Schöpfer und das Geschöpf. Der gesunde Glaube hat beides derart zu unterscheiden, daß er dem Geschöpf nicht die Göttlichkeit des Schöpfers zuweist noch dem Schöpfer die Schwachheit des Geschöpfs zuschreibt, das heißt, daß er Gott weder in der Zeit einschließt noch das Geschöpf auf die Ewigkeit ausdehnt.«113

Damit ist auf der einen Seite ein enges Verhältnis zwischen Gott und den Menschen vorhanden, auf der anderen Seite sind beide aber von grundauf verschieden. Nur Gott, so stellt schon Isidor von Sevilla mit Bezug auf platonisches Gedankengut fest, kann nie in Verderbnis geraten, weil er unveränderlich ist, weil er nämlich das höchste Gut ist. Das Geschöpf hingegen kann gut, aber niemals unveränderlich sein, weil es zwar gut, aber nicht das höchste Gut ist.114 Veränderlich aber ist, wer aus Materie besteht, um existieren zu können, und deshalb »Form« und Gestalt annimmt.115 Theologisch erklärt sich das mittelalterliche Menschenbild nicht zuletzt aus diesem Vergleich mit Gott. Petrus Lombardus faßt den Wesensunterschied von seinem Ursprung her in eine kurze Formel: »Der Mensch ist von Gott erschaffen, nicht gezeugt; er ist Gott daher nicht an Gleichheit gleich (non parilitate aequalis), sondern durch eine gewisse Ähnlichkeit angenähert.«116 Damit ist der Mensch zugleich von Christus als Gottes Sohn abgehoben. So also ist die Gottebenbildlichkeit (imago Dei) als Ähnlichkeit (similitudo) zu verstehen:

112 Rather von Verona, ep. 15, S. 71: Agnosce, frater, si ante non agnovisti, recogita, propter Deum te adiuro et contestor, si nunquam recogitare dignatus es, quia non est Deus quod homo: Deus enim creator, homo creatus, Deus redemptor, homo redemptus, Deus iudex, homo iudicandus et secundum quod egerit iudicandus nec ista lege, que˛ in foris et, ut apertius dicam, in mallis modo est, sed longe alia, longe contraria iudicandus, sine testibus quippe, sine aliquo patrono vel defensore, sine fideiussore. 113 Hugo von St. Viktor, De sacramentis legis naturalis et scriptae dialogus, Sp. 36 BC: Duo sunt: Creator et creatura. Haec sana fides ita discernere debet, ut nec creaturae divinitatem Creatoris attribuat nec Creatori infirmitatem creaturae asscribat; id est, nec Deum concludat tempore nec creaturam tendat aeternitate. 114 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,1,1, S. 7: Summum bonum Deus est, quia incommutabilis est et corrumpi omnino non potest. Creatura uero bonum, sed non summum est, quia mutabilis est, ut, dum sit quidem bonum, non tamen esse potest et summum. 115 Ebd. 1,1,3, S. 7: Quod materiam habet unde existat, mutabile est, quia de informi ad formam transit. Quod uero non habet materiam, inmutabile est, sicut Deus utique est. 116 Petrus Lombardus, Sententiae 2, dist. 16, cap. 4, par. 1, S. 409: Homo creatus est a Deo, non genitus; non parilitate aequalis, sed quadam similitudine accedens ei.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

»Weil jenes Bild ihn nun aber in keiner Weise jenem gleich macht, als wäre er gleichsam nicht von ihm erzeugt, sondern von ihm erschaffen worden, deshalb spricht man vom ›Bild‹ eben als einem Bild [wörtlich: ›nach dem Bild‹], weil es nicht durch Gleichheit gleich macht, sondern zu einer gewissen Ähnlichkeit annähert. Der Sohn aber ist das Bild (selbst), jedoch eben nicht als Bild, weil er dem Vater gleich ist. Beim Menschen heißt es ›nach dem Bild‹ wegen der ungleichen Ähnlichkeit; wenn der Mensch als Abbild der Trinität verstanden werden kann, dann ist das doch nicht der Trinität gleich, wie der Sohn dem Vater (gleich ist). So ist aufgezeigt, daß der Mensch nur relativ (in bezug auf etwas) Gott ähnlich ist, nämlich in bezug auf seine Seele. In bezug auf den Körper kann man sagen, er sei zur Ähnlichkeit Gottes gemacht.«117

Bei der fast wörtlichen Wiederholung des ganzen Absatzes wenig später differenziert Petrus den letzten Satz, indem er dem Körper eine gewisse spezifische Eigenheit zuschreibt, weil er von aufrechter Gestalt ist; dadurch daß er gen Himmel gerichtet ist, entspricht der Körper der vernunftbegabten Seele.118 Niemand hat die Unterschiede zwischen Gott und dem Menschen deutlicher zum Ausdruck gebracht als Otto von Freising, der, gestützt auf Boethius und Gilbert von Poitiers, seinen ›Gesta Frederici‹ damit einen philosophisch-heilsgeschichtlichen Rahmen verleiht.119 Quicquid est, genuinum est aut nativum, so beginnt Otto seine langen Ausführungen: »Alles Seiende ist entweder ›genuin‹ (›angestammt‹ und ›unverfälscht‹) oder ›nativ‹ (›geboren‹ oder ›geschaffen‹).« Gott ist »genuin«, nämlich aus sich heraus existent und ungeschaffen, das Geschöpf hingegen »nativ«, seine Existenz ist erst durch die Schöpfung bewirkt. Aus solcher Differenz ergibt sich für Otto ein dreifacher Gegensatz, der Schöpfer und Geschöpf nicht nur grundlegend voneinander unterscheidet, sondern diese Unterschiede – in ontologischem Denken – durch die zugeordneten Eigenschaften zwangsläufig zum theologischen Kern des Menschenbildes werden läßt:

117 Ebd.: Sed quia non omnino aequalis fiebat illa imago, tamquam non ab illo nata, sed ab eo creata, ideo ita imago dicitur, quod et ad imaginem, quia non aequatur parilitate, sed accedit quadam similitudine. Filius autem est imago, sed non ad imaginem, quia aequalis patri. Dictus est ergo homo ad imaginem propter imparem similitudinem; et ideo nostram, ut imago Trinitatis esse homo intelligatur, non Trinitati aequalis, sicut Filius Patri. Ecce ostensum est secundum quid homo sit similis Deo, scilicet secundum animam. Quod secundum corpus potest dici factus ad similitudinem Dei. 118 Ebd. 2, dist. 16, par. 5, S. 409: Sed in corpore quamdam proprietatem habet, quae hoc indicat, quia est erecta statura, secundum quam corpus animae rationali congruit, quia in coelum erectum est. 119 Otto von Freising, Gesta Frederici 1,5, ed. Schmale S. 128–142 (ed. Waitz/von Simson S. 16– 22). Vgl. mit Verweis auf die ältere Literatur, Hans-Werner Goetz, Das Geschichtsbild Ottos von Freising. Ein Beitrag zur historischen Vorstellungswelt und zur Geschichte des 12. Jahrhunderts (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 19), Köln-Wien 1984, S. 110– 130.

2. Der Mensch als Geschöpf und seine Bestimmung

Der Schöpfer ist – einfach (simplex), – einzigartig (singularis), – »alleinig« (solitarius),

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das Geschöpf ist – zusammengesetzt (compositum), – gleichartig (conforme), – zusammengewachsen (concretum).

Gott kann nicht anders als einfach, einzigartig und »alleinig« (mit ›Alleinstellungsmerkmal‹), der Mensch kann nicht anders als zusammengesetzt, gleichartig und zusammengewachsen sein. Unterliegt Gott selbst keinerlei Schöpfung oder Entstehung (oder gar Fortpflanzung) – er »ist« eben, wie er immer ist –, so ist das Geschöpf ohne eine solche gar nicht denkbar. Es ist eben nicht aus sich selbst heraus geboren, also, im Gegensatz zu Gott, nicht der Ursprung aller Dinge. Alles hat Anfang und Ende und kann daher weder ohne Schöpfer noch ohne Beginn sein, bestätigt ensprechend Hugo von St. Viktor : »Alles Vergängliche hat zwangsläufig irgendwann einmal nicht existiert; denn wenn es in seiner Gegenwart nicht verharren kann, dann beweist das, daß es einst, bevor es war, noch nicht war.«120 »Niemand außer Gott hat etwas, das er nicht empfangen hat,« schreibt auch Honorius Augustodunensis, »und wenn es ihm gewährt wird, dann durch die Gnade (Gottes).«121 Im neoplatonischen Denken ist daher nur Gott vollkommen und wahrhaft, während die Qualitäten der Geschöpfe sich von Gottes wahrem Sein ableiten und wegen dieser Ableitung einerseits zwar daran teilhaben, andererseits jedoch nur unvollkommen daran teilhaben können. Die Teilhabe am wahren Sein aber macht den Menschen – platonisch – zum Abbild dieses Seins, in dem sich das Wahre ›symbolisch‹ widerspiegelt. Der erschaffene Mensch besteht nach Otto aus verschiedenen Bestandteilen: aus der Materie bzw. der (zugleich wesenverleihenden) »Substanz« auf der einen und aus der differenzierenden »Form« auf der anderen Seite: Die Form »informiert« die Substanz, das heißt: sie gibt dieser erst eine Gestalt. Damit unterscheiden sich das Sein (esse) und das »So Sein« (id quod est). Auch hier folgt Otto Gilbert von Poitiers, der in Auslegung des Boethius ganz ähnlich unterschieden hatte zwischen dem, was ist (id quod est), der Existenz des Menschen, und dem, wodurch es ist (id quo est), dem Menschsein (humanitas), das durch die Formgebung (»Information«) der Wesenssubstanz erreicht wird (während

120 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,3,10, ed. Migne Sp. 219 D; ed. Berndt S. 77: quia ortum et occasum habentia cuncta, sine auctore nec originem habere possent nec reparationem. […] Omne autem, quod mutabile est, aliquando non fuisse necesse est; quia quod stare non potuit, cum praesens fuit, indicat se aliquando non fuisse priusquam fuit. 121 Honorius Augustodunensis, Inevitabile, Sp. 1201 A: Hanc autem non habitam, per se habere non potest: quia nullus (excepto Deo) habet, quod non accepit, quae si ei datur, gratia eius est.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

im göttlichen Wesen beides zusammenfällt).122 Analog schreibt auch Hugo von St. Viktor : »Zu sagen, der Mensch sei das, was er (als) Mensch ist, ist eines, und (zu sagen), er sei das, was in dem Menschen ist, etwas anderes.«123 Form und Substanz, so Otto, aber machen die Menschen gleichartig oder artgleich (conforme), nämlich »substantiell ähnlich« (da von gleicher Substanz), und heben sie als Menschen von anderen Geschöpfen ab, während das Zusammengewachsene oder die Zusammensetzung (concretio) aus verschiedenen »Akzidenzien«, den nicht-seinsbestimmenden Äußerlichkeiten oder Zusätzen, eine Differenzierung zwischen den einzelnen Menschen bewirkt, die sich trotz ihrer Artgleichheit folglich wiederum voneinander unterscheiden: Plato und Sokrates sind zwar beide Menschen, jedoch zwei verschiedene Menschen (oder Individuen). Mehr noch: Während Gott durch seine Eigenschaften zeitlos-ewig und unveränderlich ist und weder Anfang noch Ende kennt, ist der Mensch als das am meisten und zudem aus Gegensätzlichem (nämlich einander abstoßenden Elementen) zusammengesetzte Geschöpf bzw. ist die gesamte Schöpfung der Zeit und der Veränderung – und damit auch der geschichtlichen Entwicklung – unterworfen. Otto erklärt die Veränderlichkeit der Welt und der Menschen also auf philosophisch-theologischen Grundlagen aus ihrer Geschöpflichkeit, aber auch »physikalisch«-naturwissenschaftlich aus der Art ihrer Geschöpflichkeit: der Zusammensetzung aus »Form« und Materie (subsistens) sowie aus den – drei verschiedenen Arten der – Akzidenzien: den allgemeinen, den unterscheidenden und den zufälligen. Wenn Geschöpfe wie die Engel oder die einst erlösten Menschen sich davon befreien können, dann allein durch Gottes Gnade, nicht aber von ihrer Natur her. Hier setzt – bei Otto und vielen anderen Autoren – die Naturlehre ein, auf die unten noch näher einzugehen sein wird: Wie die Welt (der Makrokosmos) ist der Mensch (als Mikrokosmos) aus den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde zusammengesetzt, deren Wechselspiel die ständige Bewegung und die schließliche Auflösung (des Körpers) bewirkt. Als das am meisten zusammengesetzte Geschöpf unterliegt er nach Otto einem fließenden Wandel der Formen (fluxus formarum) und ist folglich sogar in besonderem Maße von der Auflösung bedroht: »Unter allem Entstandenen aber findet sich nichts mehr Zusammengesetztes als der Mensch, der nicht nur ein aus dem Sein zusammengesetztes Sein hat und ein Bestehendes aus Bestehendem (subsistens), sondern auch aus entgegengesetztem Bestehendem zusammengefügt ist [wie Körper und Seele] und sowohl die Verbindung von 122 Gilbert von Poitiers, In Boethium De trinitate 3,4ff., S. 51f. 123 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 2,1,11, ed. Migne Sp. 403 D; ed. Berndt S. 322: Aliud uero est, cum homo dicitur esse id, quod homo est, atque aliud, cum dicitur esse id, quod est in homine.

2. Der Mensch als Geschöpf und seine Bestimmung

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einander entgegengesetztem Bestehenden wie die Zusammensetzung von solch unterschiedlichem Bestehenden empfängt. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn er als ein ganz und gar und aus einer so großen Zusammensetzung Zusammengefügter leichter der Auflösung unterliegt. Und da nach der neunten Regel des Boethius alle Verschiedenheit uneins ist und nach Ähnlichkeit streben muß, und das, was etwas anderes erstrebt, sich damit seiner Natur nach selber als ein solches erweist, wie es eben jenes ist, das es erstrebt, darum neigen wir um so stärker zur Auflösung, je zwieträchtiger wir aus entgegengesetzten Teilen bestehen. Zum Beispiel: Was könnte es Ungleichartigeres geben als den Körper, der aus den vier Elementen, aus Feuer, das ihn nach oben, aus Erde, die ihn nach unten zieht, aus Wasser und Luft, die ihn gleichsam nach verschiedenen Seiten auseinanderreißen, und der auf diese Weise aus einander widerstreitenden Teilen zusammengefügt ist? Dasselbe erfassen zwar nicht die Sinne, wohl aber die Vernunft in der Zusammensetzung der Form. Dazu kommt, daß nicht nur die Form, die das sein Wesen ausmachende Sein ist, ihrerseits ebenfalls aus Formen zusammengesetzt ist, sondern auch Komponenten der Form selbst, bald entstehend, bald vergehend, niemals in gleichbleibender, fester Erschaffung ihrer Existenz verharren und so das ihnen Unterworfene niemals zur Ruhe kommen lassen. Während daher die einen schwinden, folgen ohne Unterlaß immer andere nach. Da diesem überaus raschen Fließen der Formen ein Zerfließen der Unterbrechungen folgt, entsteht eine so zugespitzte Zeit, daß deren Gegenwart kaum oder niemals angeschaut werden kann. Daher haben diejenigen, die eine solche Veränderlichkeit der Natur und des Verweilens betrachten, zutreffend gesagt: ›Besser zur Höhe als auf der Höhe,‹ denn wenn es nichts mehr gibt, wohin man weiterwachsen kann, wird man zwangsläufig abnehmen.«124

124 Otto von Freising, Gesta Frederici 1,5, ed. Schmale S. 140 (ed. Waitz/von Simson S. 21f.): Inter omnia vero nativa nichil magis compositum invenitur quam homo, qui non solum ex esse compositum habet esse vel subsistentem ex subsistentibus, sed et ex oppositis compactus subsistentibus oppositorum subsistentium iuncturam et eorumdem diversarum subsistentiarum compositionem recipit. Quare haut mirandum, si ex tota et tanta compositione compactus facilius resolutioni subiacet. Item cum iuxta Boetii nonam regulam ›omnis diversitas discors, similitudo appetenda sit, et quod appetit aliud, tale ipsum esse naturaliter ostenditur, quale est illud hoc ipsum, quod appetitur,‹ tanto vehementius ad dissolutionem tendimus, quanto dissidentius ex oppositis partibus constamus. Verbi causa: Corpore ex IIII elementis compacto, igne sursum, terra deorsum, aqua et ere quasi e regione distrahentibus sibique hoc modo partibus disidentibus, quid inequalis esse poterit? Id ipsum etsi non sensus, ratio tamen in compositione forme percipit. Accedit ad hoc, quod non solum forma, que substantiale est esse, ex formis est composita, sed quod ipse forme componentes, nunc nascentes, nunc occidentes, neque umquam in existendi conditione constanti et rata perseverantes subiectum quiescere non permittunt. Unde, decedentibus aliis, alie semper sine intervallo succedunt. Quem celerrimum fluxum formarum cum sequatur fluxus morarum, tempus tam acutum emergit, ut eius instans vix vel numquam conspici queat. Bene ergo a tam mutabilitatem nature quam more considerantibus dictum est: ›Melius est ad summum quam in summo‹, quia, cum amplius, quo crescat, non habeat, decrescere necesse est. Das erste Zitat entstammt Boethius, De hebdomadibus (Quomodo substantiae in eo, quod sint, bonae sint) 9, S. 188. Das zweite Zitat scheint so nicht nachweisbar, könnte aber von Hippokrates abgeleitet sein.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

An diesem Schlußsatz wird deutlich – und deshalb fügt Otto den philosophischen »Exkurs«, tatsächlich ein Kernstück seiner geschichtstheologischen Anschauungen, überhaupt in sein Geschichtswerk ein –, daß diese Vorstellungen zugleich große Auswirkungen auf Geschichtsbild und Geschichtsverlauf haben.

3.

Die Natur des Menschen

a.

Begriff und Charakter

Die »Natur«, nämlich – im mittelalterlichen Sinn125 – das »Wesen« des Menschen, ergibt sich aus dem Schöpfungsakt selbst und den damit verbundenen Implikationen (wie der Gottebenbildlichkeit). Das Naturverständnis setzt bereits bei der Begrifflichkeit an, denn »Mensch wird er genannt, soweit sich das auf die menschliche Natur erstreckt.«126 Homo leitet sich von humus ab, etymologisiert Isidor von Sevilla: »Er heißt Mensch, weil er aus Erde gemacht ist,« wie es die Genesis bezeugt.127 »Aus Erde ist nämlich das Fleisch geschaffen, und Erdboden war die Materie, aus der der Mensch geschaffen wurde.«128 Homo, so erläutert im 12. Jahrhundert Peter Abaelard, weist nicht zufällig eine sprachliche Ähnlichkeit zu humus auf, weil es feststeht, daß der Mensch aus Erde erschaffen ist (sich als Lebewesen mit dem ähnlichen, doch unterscheidenden Begriff aber zugleich vom Erdboden abhebt).129 Im Gegensatz zum Engel ist der Mensch Fleisch und Geist.130 Menschlichem Wesen entspricht daher die Weisheit: Was nicht weise ist, kann nicht zu Recht Mensch genannt werden, meint schon Laktanz.131 Die Sünde zählte (bei der 125 Zum mittelalterlichen Naturbegriff vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 23–38; zur menschlichen Natur ebd. S. 28ff. 126 So Cassiodor, Expositio psalmorum. Ps. 21,7, S. 193: Homo ergo dicitur, quantum pertinet ad humanam naturam. Idem non homo appellatur, quia quod est proprium hominis, peccata non habuit. 127 Isidor von Sevilla, Etymologiae 11,1,4, Bd. 2, S. 1: Homo dictus, quia ex humo est factus, sicut [et] in Genesi dicitur : ›Et creauit Deus hominem de humo terrae‹ (Gen 2,7). 128 Ebd. 7,6,4, Bd. 1, S. 278: Ex terra enim facta est caro, et humus hominis faciendi materies fuit. 129 Petrus Abaelardus, Theologia Summa Boni 3,82, S. 193: Nam et ille homo qui hoc nomen ›homo‹ imposuit et fecit ipsum secundum similitudinem huius nominis ›humus‹, pro eo quod homo ex humo constat, non tamen ›humus‹, per hoc nomen ›homo‹ notare uoluit, quod ex humo constet, sed tantum ›animal rationale mortale‹. Vgl. Thaddaeus Kucia, Die Anthropologie bei Peter Abaelard, in: Rudolf Thomas (Hg.), Petrus Abaelardus (1079–1142). Person, Werk und Wirkung (Trierer Theologische Studien 38), Trier 1980, S. 223–231. 130 Vgl. Gregor der Große, Moralia in Iob 4,3,8 (oben Kapitel 1, Anm. 219). 131 Lactanz, Divinae institutiones 4,1,10, S. 276: nemo enim potest iure dici homo nisi qui sapiens est.

3. Die Natur des Menschen

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Schöpfung) zwar noch nicht zur menschlichen Natur (und ist deshalb nicht eine dem menschlichen Wesen untrennbar verbundene Eigenschaft).132 Dennoch ist die potentielle Schlechtigkeit ein wesentlicher Faktor des Menschen: Obwohl er nach allgemeiner Überzeugung gut erschaffen wurde – und Gott nur Gutes tun kann –, hat der Mensch dank seiner freien Willensentscheidung die Möglichkeit, sich für das Böse zu entscheiden.133 Das verleiht seiner Natur (neben der Güte) eine generelle Schlechtigkeit, die nach Augustin überhand nimmt und aus dem Menschen selbst kommt und die sich in vielerlei Gestalt manifestieren kann (wie Raub oder Ehebruch), so daß Augustin mit dem Psalmvers beten kann: »Befreie mich, o Herr, von dem schlechten Menschen.«134 Diese menschliche Schlechtigkeit macht den Menschen quasi »unbrauchbar«: »Betrachte bitte das ganze menschliche Geschlecht als ein gleichsam vertrocknetes Holz,« rät der englische Zisterziensermönch Aelred von Rievaulx, »ein unfruchtbares Holz, ein Holz, das schon in seiner Wurzel verdorben ist, gleichsam von dem Gift der alten Schlange infiziert [oder : durchtränkt], hochgerechtermaßen den Flammen ausgesetzt, zum Feuer bestimmt und zur Verdammung verurteilt.«135

Spätestens seit Augustin wird also die – eng mit der freien Willensentscheidung verbundene – Zweipoligkeit menschlichen Wesens betont, doch auch Augustin stellt klar, daß der böse Wille nicht zwangsläufig zur menschlichen Natur gehört, die hier vielmehr nach beiden Seiten hin offen ist und gut oder böse sein (oder werden) kann: Der böse Wille ist möglich, aber nicht notwendigerweise möglich.136 Otto von Freising setzt geradezu umgekehrt voraus, daß Güte zum Wesen des Menschen gehört, wenn er aus dieser Ansicht heraus auf die Göttlichkeit Gottes schließt: Der Mensch ist weise, weil er an der Weisheit teilhat, und er ist 132 Vgl. Cassiodor, Expositio psalmorum. Ps. 21,7 (oben Anm. 126). Zum Menschen als Sünder vgl. Abschnitt 8, unten S. 490ff. 133 Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 261–276. 134 Augustinus, Sermo 297,6,9, Migne PL 38, Sp. 1363: abundant mala homini ab homine. Furta ab homine, adulterium passus est in uxore ab homine, seductus est ei servus ab homine, celatus est ab homine, proscriptus est ab homine, expugnatus est ab homine, captiuus ductus est ab homine. ›Libera me, Domine, ab homine malo‹ (Ps 139,2). 135 Aelred von Rievaulx, De speculo caritatis 1,15,43, S. 30: Cogita, quaeso, totum humanum genus quasi lignum aridum, lignum infructuosum, lignum in ipsa radice uitiatum, utpote ueneno antiqui serpentis inficiatum, iustissime addictum flammis, igni destinatum, adiudicatum damnationi. 136 Augustinus, Contra Iulianum opus imperfectum 5,62,2f., S. 279f.: Cur, inquam, ascribis homini malam voluntatem, ut non iniuste possit malae voluntatis merito poenas luere, et quod ascribis homini, naturae non vis ascribere, quasi ullo modo possit homo non esse natura? Quanto satius est te sana loqui et dicere hominis voluntatem malam nonnisi alicuius esse naturae, quia omnis homo natura est, sed istam naturam, cum primo malum egit, non ex necessario, sed ex possibili habuisse voluntatem malam, quandoquidem his nominibus tibi placuit duo ista discernere, quorum in uno intellegitur id fieri, quod necesse est, in altero autem id, quod fieri quidem potest, sed necesse non est, quia et non fieri potest?

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

gut, weil er an der Güte nicht nur teilhat, sondern geradezu danach benannt ist. Aber er ist veränderlich (während nur Gott unveränderlich und aus sich selbst, aus eigener Weisheit und Güte heraus, also eben nicht durch Teilhabe, gut und weise ist):137 Die Schöpfung ist gut, kann aber mißbraucht werden.138 Außerdem kann sich der Mensch jederzeit wandeln: »Willst du nicht, daß ich glaube, daß der, der mich aus Erde zum Menschen gemacht hat, mich auch aus einem Verbrecher zu einem Unschuldigen machen kann?« fragt Rufin von Aquileja.139 Schlechtigkeit und naturhaft gute Gottebenbildlichkeit des Menschen stehen letztlich unverbunden nebeneinander bzw. sind sie durch das liberum arbitrium, die Entscheidungsfreiheit des Menschen, verknüpft, der zwar von Natur aus (auch) schlecht ist, sich aber für das Gute entscheiden kann (und soll). Präzedenzfall dafür ist eben der paradiesische Sündenfall, der beweist, daß die Schlechtigkeit im Menschen nicht erst ein irdischer Charakterzug ist. Ist der Tod Folge des Sündenfalls (und somit ein Teil der irdischen Natur des Menschen), so ist die Sünde selbst daher schon vorher potentiell im Menschen angelegt, hätte es sonst doch gar nicht erst zum Sündenfall im paradiesischen Leben kommen können. Der Mensch mußte sich seiner Gottebenbildlichkeit würdig erweisen – und wurde eben deshalb bereits im Paradies vom Teufel versucht –, wie Bonifatius in einem Brief an König Aethelbald von Mercia schreibt, den er von seinem schändlichen Lebenswandel abbringen will: Der König solle daran denken, »daß es unschicklich erscheinen muß, daß Du das Ebenbild Gottes, das in Dir erschaffen ist, durch Ausschweifung verwandelst in das Ebenbild und die Gestalt des bösen Teufels und daß Du, den nicht eigene Verdienste, sondern Gottes reiche Güte zum König und Fürsten über viele gemacht hat, Dich selbst durch Ausschweifung zum Sklaven des bösen Geistes machst, denn nach dem Spruch des Apostels macht sich der Mensch, wenn immer er eine Sünde begeht, zu deren Diener.«140

Die Schöpfung ließ dem Menschen die Wahl zwischen Gut und Böse, zwischen dem Ebenbild Gottes und dem Ebenbild des Teufels; sie gab ihm die Voraus-

137 Otto von Freising, Chronicon 7 prol., S. 307: Quod si homo id mutabilitati subiacens, participatione sapientiae sapiens, participatione, inmo denominatione bonitatis bonus, facere novit, quanto magis Deus solus inmutabilis, solus sua sapientia sapiens, solus sua bonitate bonus et idcirco solus bonus, facere credendus est! 138 Vgl. Wilhelm Kölmel, Ornatus mundi – contemptus mundi: Zum Weltbild und Menschenbild des 12. Jahrhunderts, in: Wenin (Hg.), L’homme, Bd. 1, S. 356–364. 139 Rufinus von Aquileja, Expositio symboli 38, S. 174: Non uis ut ei, qui me ex terra hominem fecit, credam quod ex criminoso me faciat innocentem? 140 Bonifatius, ep. 73, S. 149f.: et memor sis, quia indecens esse conprobatur, ut imaginem Dei, que˛ in te creata est, per luxoriam ad imaginem et similitudinem maligni diaboli convertas et tu, quem non propria merita, sed larga pietas Dei regem ac principem multorum constituit, te ipsum per luxoriam servum maligno spiritui constituas, quia iuxta dictum apostoli quodcumque peccatum fecerit homo, huius servus est.

3. Die Natur des Menschen

397

setzung und die Möglichkeit zu ersterem, aber auch die Drohung, letzterem zu verfallen.

b.

Humanitas: Sterblichkeit und Vernunft

Dennoch übt der Sündenfall seine Wirkung auch auf das Verständnis der menschlichen Natur aus, so daß Alkuin den – in der Schöpfung ebenso wie in der endgültigen Bestimmung ja unsterblich erschaffenen – Menschen als »von der Unvermeidlicheit des Todes her sterblich« bezeichnen kann, so wie der Mensch aus seiner ›Menschlichkeit‹ oder, um etwaigen Übersetzern in andere Sprachen das Leben schwer zu machen: aus seiner ›Menschheitlichkeit‹ (humanitas), nämlich seiner Menschennatur, Mensch und irdisch von der Erde her ist, aus der alles erzeugt wurde.141 Adam und Eva waren unsterblich durch ihre Seele, aber (erst durch den Sündenfall) sterblich in ihrem Körper.142 Die Wandelbarkeit (mutabilitas) war dem Menschen zwar nicht schon mit der Schöpfung eingegeben, sondern ist die Folge seiner allerersten Pflichtüberschreitung (eben des Sündenfalls), meint Isidor von Sevilla; dennoch gehöre sie gleichsam zu seiner Natur, weil sie ursprünglich genauso wie der Tod vom ersten Menschen auf alle Menschen überging.143 Adams Leib ist, wie schon Augustin betont, zugleich sterblich, weil er sterben, und unsterblich, weil er nicht sterben konnte; vor dem Sündenfall war er beides auf andere Weise.144 Im Paradies, so präzisiert Hugo von St. Viktor, konnte der Mensch sterben oder nicht sterben, so wie er sündigen und nicht sündigen konnte. Auf Erden kann er sterben, aber nicht nicht sterben (und sündigen), er muß folglich sterben, weil er lebt (und sündigen, weil ihm die Gnade abhanden gekommen ist). Im Jenseits aber wird er dann gar nicht mehr sterben (und sündigen) können, und zwar wieder nicht von seiner Natur her, sondern aus Gnade.145 »Der Mensch muß im Fleisch für die Welt sterben, damit 141 Alkuin, De dialectica 3 (De disciplinis), Sp. 955 C: homo, mortalis, terrenus. Homo ab humanitate, mortalis a necessitate mortis, terrenus a terra, in qua omnia gignuntur. 142 So der Pelagianer Rufinus aus Palästina, Libellus fidei 5,29, Sp. 468 D: Illos igitur primos homines, Adam dico et Evam, licet immortales secundum animam creatos esse dixerim, mortales vero secundum corpus; numquam mortem gustassent, siquidem mandatum Dei servare voluissent. 143 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,11,10, S. 41: Quamuis eadem mutabilitas non sit homini concreata, sed pro merito primae praeuaricationis illi accesserit, iam tamen naturalis facta est, quia originaliter a primo homine, sicut et mors, in omnes homines transiit. 144 Augustinus, De Genesi ad litteram 6,25, S. 197: Illud quippe ante peccatum et mortale secundum aliam et inmortale secundum aliam causam dici poterat; id est mortale, quia poterat mori, inmortale, quia poterat non more. 145 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,6,18, ed. Migne Sp. 275 AB; ed. Berndt S. 151f.: Primus igitur homo quantum ad naturam corporis terreni et immortalis factus est secundum aliquid, quia potuit non mori; et secundum aliquid mortalis, quia

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

er nicht auch in der Seele für Christus stirbt,« lehrt Isidor.146 »Wenn Du mich fragtest, was der Mensch sei, dann würde ich ihn folgendermaßen definieren,« meint Augustin: »Der Mensch ist ein sterbliches Lebewesen,«147 fügt allerdings gleich selbst hinzu, daß der Mensch damit allein noch nicht erfaßt ist, weil dieselbe Definition auch auf das Tier zutrifft.148 Deshalb müsse man hinzufügen, daß der Mensch Vernunft besitzt, er ist also ein »vernünftiges, sterbliches Lebewesen«; erst dann ist der Satz umkehrbar und kennzeichnet eindeutig und ausschließlich den Menschen.149 Ebenso falsch wäre ja die Folgerung, daß jedes sterbliche, rationale Lebewesen ein (Sprach-)Gelehrter ist; wohl aber ist jeder rationale, sterbliche (Sprach-)Gelehrte ein Mensch.150 Augustins syllogistische (bzw. syllogismuskritische) Überlegungen verdeutlichen zugleich, daß der Mensch nur als Gattung eine Einheit bildet, während diese Gattung in sich wiederum sehr ausdifferenziert ist. In der Tradition des Boethius, der die Zusammenstellung dieser drei Begriffe für den Menschen geradezu als unlösbare Einheit betrachtet, versteht die mittelalterliche Philosophie den Menschen (wie Augustin) daher immer wieder als »mit Vernunft begabtes (rationales), sterbliches Lebewesen«151 und verleiht ihm damit drei

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potuit mori. Sicut enim in illo primo statu habuit posse peccare et posse non peccare, quia haec fuit prima arbitrii libertas, ita etiam in eodem statu habuit posse non mori, et etiam posse mori, quia ista fuit prima corporis humani immortalitas. In secundo statu habet posse mori et non posse non mori, sicut etiam posse peccare et non posse non peccare habet; quoniam in hoc statu est et moriendi et peccandi necessitas. Moriendi necessitas quandiu adest vita; peccandi necessitas quandiu abest gratia. In tertio statu habebit posse non mori et non posse mori, sicut etiam posse non peccare et non posse peccare, quoniam ad hunc statum pertinet et moriendi et peccandi impossibilitas. Utroque tamen ex gratia et non ex natura. Das greift Petrus Lombardus, Sententiae 2,8,1, S. 37, auf, der in diesem Kapitel insgesamt den Menschen vor und in Kapitel 2,19, S. 137ff., den Menschen nach dem Sündenfall charakterisiert. Isidor von Sevilla, Sententiae 3,61,6, S. 327: Mori oportet hominem in carne mundo, ne moriatur in anima Christo. Augustinus, De quantitate animae 25,47, S. 190: si enim me rogares, quid esset homo, et eum hoc modo definirem; homo est animal mortale. Ebd.: non continuo, quia verum dictum est, etiam definitionem probare deberes, sed superposita ei particula, id est, omnis, convertere illam et intueri, utrum etiam conversa vera esset: hoc est, utrum quemadmodum verum est, omnis homo animal mortale est; ita esset verum, omne animal mortale homo est, quo aliter invento, improbare definitionem propter illud vitium, quo aliena comprehendit; non enim solus homo est animal mortale, sed etiam quaevis bestia. Ebd.: Haec igitur hominis definitio perfici solet, cum additur mortali rationale: nam homo est animal mortale rationale; atque ut omnis homo animal rationale mortale est, ita omne animal rationale mortale homo est. Ebd. S. 9: Falsum est enim, omnis homo animal rationale mortale grammaticum est; sed uerum est, omne animal rationale mortale grammaticum homo est. Vgl. Boethius, In librum Aristotelis Peri hermeneias 5,11, S. 355: si quis enim sic dicat: animal rationale mortale homo est, simul iungens animal rationale mortale, quoniam continue dictum est et ex his unum aliquid fit, una est affirmatio (und häufig); Wilhelm von

3. Die Natur des Menschen

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unabhänderliche Wesenszuschreibungen: Rationalität, Sterblichkeit und den Charakter eines Lebewesens, das dem Wort nach (animal) mit dem Tier identisch ist. (Das Verhältnis zum Tier wird uns weiter unten noch beschäftigen.) Isidor fügt dem noch die Fähigkeit zu Sinn und Bildung (oder Zucht) hinzu.152 Das Mensch-Sein (oder die Menschlichkeit), humanitas, macht den Menschen zum Menschen und verleiht ihm seine spezifisch menschliche Natur. »Menschlichkeit ist das, was den Menschen (zum Menschen) macht« (wie Göttlichkeit zu Gott macht), definiert der frühere Pariser Lehrer und spätere Zisterzienser Everard von Ypern gegen Ende des 12. Jahrhunderts.153 Die »Rationalität«, die Ausstattung mit Vernunft, aber hat wiederum denselben Zweck, den die Gottebenbildlichkeit besitzt, aus der sie erwachsen ist, nämlich die Betrachtung der ewigen Wahrheit. Der Mensch wäre nämlich nicht Ebenbild Gottes, wenn das nicht eine (rationale) Betrachtung der unveränderlichen Ewigkeit einschließen würde. Genauer gefaßt, hat die menschliche Vernunft sogar eine doppelte Funktion, indem sie den Menschen nach Augustin neben rationaler Betrachtung der Wahrheit auch zur Verwaltung der irdischen Dinge (die ihm nach dem Schöpfungsbericht ja anvertraut sind) befähigt.154 Der Mensch als rationale Kreatur wird uns gleich noch etwas näher beschäftigen. Mit den genannten Faktoren ist die menschliche Natur allerdings immer noch nicht erschöpfend beschrieben, auch wenn die anderen Eigenschaften sich letztlich aus jenen prinzipiellen Bestimmungen ergeben. Wenn Augustin Christi Wirken auf Erden aus seiner menschlichen Natur heraus beschreibt und jeweils aufzählt, was er »wie ein Mensch« tat, dann sind das sämtlich Charakterisierungen, die dem Menschen eigen sind (und ihn von Gott und der göttlichen Natur Christi abheben): »Er (Christus) war ein Kind, er wuchs heran wie ein Mensch, ging umher wie ein Mensch, verspürte Hunger wie ein Mensch und Durst wie ein Mensch, er schlief wie ein Mensch, und am Ende litt er wie in Mensch, wurde an ein Holz gehängt, getötet und begraben wie ein Mensch. Und in derselben Gestalt ist er wiederauferstanden, in Conches, Glosae super Boetium. In consolationem 5, Prosa 4, S. 329; Petrus Abaelardus, Theologia Summa Boni 3,82 (oben Anm. 129). 152 Isidor von Sevilla, Etymologiae 2,29,2, Bd. 1, S. 116: Prima species definitionis est ousiydgr, id est substantialis, quae proprie et vere dicitur definitio, ut est: ›Homo animal rationale, mortale, sensus disciplinaeque capax‹. 153 Everardus Yprensis, Dialogus Ratii et Everardi, S. 270: Et est sensus humanitas est humanitas, id est res, quae est humanitas est humanitas, id est facit hominem; et deitas est deitas, id est res, quae est deitas, facit Deum. 154 Augustinus, De Genesi ad litteram 3,22, S. 88: licet enim subtilissime disseratur ipsam mentem hominis, in qua factus est ad imaginem Dei, quandam scilicet rationalem vitam, distribui in aeternae contemplationis veritatem et in rerum temporalium administrationem, atque ita fieri quasi masculum et feminam illa parte consulente, hac obtemperante: in hac tamen distributione non recte dicitur imago Dei, nisi illud, quod inhaeret contemplandae incommutabili veritati.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

derselben Gestalt fuhr er vor den Augen der Jünger gen Himmel, in derselben Gestalt wird er auch zum Gericht wiederkehren.«155

Nur der Mensch Christus kennt, mit anderen Worten, Altersstufen (mit Wachsen und Vergehen), die Notwendigkeit der Ernährung und des Schlafes oder der Müdigkeit (Gott ist immer wach), Leiden, Schmerz und Leidenschaften. Die Diskussion über die humanitas, das Mensch-Sein als das Gemeinsame in der differenzierten Verschiedenheit einzelner Menschen, hat sich im Mittelalter im übrigen nicht zuletzt in bezug auf die beiden untrennbaren Naturen Christi entzündet: »Cur Deus homo?« fragt Anselm von Canterbury und entwickelt daraus eine aus der freien Entscheidung des Menschen für Gott geprägte Erlösungslehre, welche die Notwendigkeit von Christi Opfertod betont.156 Christus, in dem der Gottmensch vollkommen verwirklicht und eine untrennbare Einheit ist, ist Mensch wegen seines fleischlichen Todes und wahrhaft lebendig wegen seiner Göttlichkeit.157 Zum Wesen des Menschen als Lebewesen gehören schließlich auch die fünf Sinne:158 Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, die weiter unten noch näher zu besprechen sind. Auffällig selten ist meinem Eindruck nach dagegen im früheren Mittelalter explizit die Sprache als menschliches Charakteristikum thematisiert, obwohl es doch eine der ersten paradiesischen Tätigkeiten Adams war, den Tieren Namen zu geben.159 Es steht fest, meint Beda, daß Adam in derselben Sprache gesprochen hat wie alle Menschen vor dem Turmbau zu 155 Augustinus, In Iohannis evangelium tractatus 40,4, S. 352: Infans fuit, creuit ut homo, ambulauit ut homo, esuriuit, sitiuit ut homo, dormiuit ut homo, postremo passus ut homo, suspensus in ligno, occisus, sepultus ut homo; in eadem forma resurrexit, in eadem forma ante oculos discipulorum adscendit in caelum, in eadem forma uenturus est ad iudicium. 156 Zu Anselms Denken, seinen Quellen und seinem Einfluß vgl. Paul Gilbert/Helmut Kohlenberger/Elmar Salmann (Hg.), Cur Deus homo. Atti del Congresso Anselmiano Internazionale. Roma, 21–23 maggio 1998 (Studia Anselmiana 128), Rom 1999. Zur (theologischen) Christologie vgl. etwa D#niel Deme, The Christology of Anselm of Canterbury, Farnharm-Burlington 2003. 157 Vgl. Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 2,1,11, ed. Migne Sp. 411 D; ed. Berndt S. 331: Christus ergo et vere mortuus fuit propter mortuam carnem, et vere vivus permansit propter immortalem divinitatem; et verus Deus simul et verus homo fuit propter inseparabilem divinitatis et humanitatis unionem; zur göttlichen und menschlichen Natur Christi auch ebd. 2,1,3, ed. Migne Sp. 373f.; ed. Berndt S. 283ff., und 2,1,6, ed. Migne Sp. 383ff.; ed. Berndt S. 297ff. 158 Dazu (überwiegend spätmittelalterlich) I cinque sensi; zur Bedeutung der fünf Sinne bei den Naturphilosophen des späten 12. Jahrhunderts vgl. Peter Dronke, Les cinq sens chez Bernard Silvestre et Alain de Lille, in: ebd. S. 1–14. Vgl. unten Abschnitt 6.b, S. 438f. 159 Vgl. Jo[lle Ducos, La langue d’Adam, in: Paravicini Bagliani (Hg.), Adam, le premier homme S. 49–68: Die Sprache Adams war die Sprache schlechthin. Zu den Vorstellungen der menschlichen Sprachen bzw. der Sprachen der Völker vgl. ausführlich Arno Borst, Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker, 4 Bde., Stuttgart 1957–1963.

3. Die Natur des Menschen

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Babel.160 Daß Sprache etwas Menschliches ist, wird in solchen Bemerkungen jedoch allenfalls implizit vorausgesetzt. Man kann noch weiter gehen und auch die Emotionen, über die zuletzt viel geschrieben worden ist,161 zur Natur des Menschen zählen. (Gott hat keine Emotionen, jedenfalls nicht im menschlichen Sinn.162) Soweit ich sehe, werden Emotionen als solche im Mittelalter selbst jedoch kaum als Teil des Menschenbildes diskutiert (wenngleich auch das noch näherer Prüfung bedürfte) und seien deshalb hier ausgeklammert. Welche religiösen Aspekte in dem Thema stecken, hat aber Klaus Schreiner in verschiedenen Arbeiten zum späteren Mittelalter ausgeführt.163

c.

Lebensalter

War der erste Mensch gleichsam »fertig« geschaffen worden (und letztlich bleibt unklar, auf welche Weise sich die Menschheit im Paradies ohne den Sündenfall weiterentwickelt und fortgepflanzt hätte), so ist das irdische Leben durch ein Werden gekennzeichnet: einen Beginn, ein Altern und ein Sterben. Geburt und Tod rahmen das (irdische) Leben des Menschen mit seinen verschiedenen Altersstufen ein. Die aus der griechischen Antike stammende Lehre von sechs Lebensaltern164 wurde von Augustinus systematisiert165 und über Isidor von 160 Beda Venerabilis, In principium Genesis usque ad nativitatem Isaac 1,2, S. 55: Constat Adam in ea lingua, qua totum genus humanum usque ad constructionem turris, in qua linguae diuisae sunt, loquebatur, animantibus terrae et uolatilibus caeli nomen imposuisse. 161 Vgl. Barbara Rosenwein, Emotional Communities in the Early Middle Ages, Ithaca, N.Y.London 2006. Differenzierend zur hochmittelalterlichen englischen Geschichtsschreibung Bele Freudenberg, Irarum Nutrix. Emotionen und Ehrverletzungen bei William of Newburgh, Richard of Devizes und Walter Map, Bochum 2014. Zur Fundamentalkritik an der geschichtswissenschaftlichen Emotionsforschung vgl. Rüdiger Schnell, Haben Gefühle eine Geschichte? Aporien einer History of Emotions, 2 Bde., Göttingen 2015. 162 Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, S. 57, 63f., 154f. 163 Vgl. etwa Klaus Schreiner, »Brot der Tränen«. Emotionale Ausdrucksformen monastischer Spiritualität, in: Klaus Ridder/Otto Langer (Hg.), Körperinszenierungen in mittelalterlicher Literatur. Kollquium am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (18. bis 20. März 1999) (Körper – Zeichen – Kultur 11), Berlin 2002, S. 193– 248, sowie, stellvertretend, seine Aufsatzsammlung: Klaus Schreiner, Rituale, Zeichen, Bilder. Formen und Funktionen symbolischer Kommunikation im Mittelalter, hg. v. Ulrich Meier, Gabriela Signori und Gerd Schwerhoff, Köln-Weimar-Wien 2011. 164 Vgl. Karl-Heinz Schwarte, Die Vorgeschichte der augustinischen Weltalterlehre (Antiquitas. Reihe 1. Abhandlungen zur Alten Geschichte 12), Bonn 1966, besonders S. 43ff., zur römischen Geschichte im Spiegel der Lebensalter (bei Cicero, Seneca, Florus, Ammian und anderen), der dem Lebensaltervergleich ansonsten aber kaum Beachtung schenkt; zu den antiken Anfängen der Lebensalterlehre vgl. Reinhard Häussler, Vom Ursprung und Wandel des Lebensaltervergleichs, in: Hermes 92, 1964, 313–341. Zur Tradition der Lebensalterlehren vgl. auch Elizabeth Sears, The Ages of Man. Medieval Interpretations of the Life Cycle, Princeton 1986, S. 9–37.

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Sevilla166 und Beda Venerabilis167 dem Mittelalter überliefert und hier vielfach (ganz oder teilweise, unverändert oder variiert) aufgegriffen, nicht zuletzt in der

165 Augustinus, De Genesi contra Manichaeos 1,23,35–41, S. 104–111: video enim per totum textum divinarum scripturarum sex quasdam aetates operosas. […] Primordia enim generis humani, in quibus ista luce frui coepit, bene comparantur primo diei, quo fecit Deus lucem. Haec aetas tamquam infantia deputanda est ipsius universi saeculi, quod tamquam unum hominem proportione magnitudinis suae cogitare debemus, quia et unusquisque homo, cum primo nascitur et exit ad lucem, primam aetatem agit infantiam. Haec tenditur ab Adam usque ad Noe generationibus decem. Quasi vespera huius diei fit diluvium; quia et infantia nostra tamquam oblivionis diluvio deletur. Et incipit mane a temporibus Noe secunda aetas tamquam pueritia, et tenditur haec aetas usque ad Abraham aliis generationibus decem. Et bene comparatur secundo diei, quo factum est firmamentum inter aquam et aquam, quia et arca, in qua erat Noe cum suis, firmamentum erat inter aquas inferiores, in quibus natabat, et superiores, quibus compluebatur. Haec aetas non diluvio deletur, quia et pueritia nostra non oblivione tergitur de memoria. Meminimus enim nos fuisse pueros, infantes autem non meminimus. […] Sed nec ista aetas secunda generavit populum Dei, quia nec pueritia apta est ad generandum. Mane ergo fit ab Abraham, et succedit aetas tertia similis adolescentiae. Et bene comparatur diei tertio, quo ab aquis terra separata est. […] Haec enim aetas potuit iam generare populum Deo, quia et tertia aetas, id est adolescentia, filios habere iam potest. […] Et inde fit mane regnum David. Haec aetas similis iuventutis est. Et revera inter omnes aetates regnat iuventus, et ipsa est firmum ornamentum aetatum omnium: et ideo bene comparatur quarto diei, quo facta sunt sidera caeli in firmamento caeli. […] Et fit mane transmigratio in Babyloniam, cum in ea captivitate populus leniter in peregrino otio collocatus est. Et porrigitur haec aetas usque ad adventum Domini nostri, id est quinta aetas, declinatio a iuventute ad senectutem, nondum senectus, sed iam non iuventus: quae senioris aetas est […]. Et revera sic ista aetas a regni robore inclinata et fracta est in populo Iudaeorum, quemadmodum homo a iuventute fit senior. […] et finitur dies quintus, incipit sextus, in quo senectus veteris hominis apparet. Hac enim aetate carnale illud regnum vehementer attritum est, quando et templum deiectum est et sacrificia ipsa cessaverunt; et nunc ea gens, quantum ad regni sui vires attinet, quasi extremam vitam trahit. In ista tamen aetate tamquam in senectute veteris hominis, homo novus nascitur, qui iam spiritualiter vivit. 166 Isidor von Sevilla, Etymologiae 11,2,1–10, 15f., 25, 27f., Bd. 2, S. 21–26: Gradus aetatis sex sunt: infantia, pueritia, adolescentia, iuventus, gravitas atque senectus. Prima aetas infantia est pueri nascentis ad lucem, quae porrigitur in septem annis. Secunda aetas pueritia, id est pura et necdum ad generandum apta, tendens usque ad quartumdecimum annum. Tertia adolescentia ad gignendum adulta, quae porrigitur usque ad viginti octo annos. Quarta iuventus firmissima aetatum omnium, finiens in quinquagesimo anno. Quinta aetas senioris, id est gravitas, quae est declinatio a iuventute in senectutem; nondum senectus sed iam nondum iuventus, quia senioris aetas est, quam Graeci pqesbutgm vocant. Nam senex apud Graecos non presbyter, sed ceqym dicitur. Quae aetas a quinquagesimo anno incipiens septuagesimo terminatur. Sexta aetas senectus, quae nullo annorum tempore finitur; sed post quinque illas aetates quantumcumque vitae est, senectuti deputatur. Senium autem pars est ultima senectutis, dicta quod sit terminus sextae aetatis. […] Infans dicitur homo primae aetatis; dictus autem infans, quia adhuc fari nescit, id est loqui non potest. Nondum enim bene ordinatis dentibus minus est sermonis expressio. Puer a puritate vocatus, quia purus est, et necdum lanuginem floremque genarum habens. […] Adolescens dictus, eo quod sit ad gignendum adultus, siue a crescere et augeri. Iuvenis vocatus, quod iuvare posse incipit […]. Est enim iuvenis in ipso aetatis incremento positus, et ad auxilium praeparatus. […]

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weitverbreiteten Enzyklopädie ›De imagine mundi‹ des Honorius Augustodunensis.168 Das ist schon vielfach behandelt worden169 und soll deshalb hier nur noch in seinen Grundzügen in Erinnerung gerufen werden. Unbeschadet dessen, daß es unter den zahlreichen Lebensaltervergleichen – Isabelle Cochelin zählt, Senior est adhuc viridior. […] Senes autem quidam dictos putant a sensus diminutione, eo quod iam per vetustatem desipiant. (Fortsetzung Anm. 173). 167 Beda Venerabilis, De temporum ratione 66 (= Chronica maiora), S. 463f.: De sex huius mundi aetatibus ac septima uel octaua quietis uitaeque caelestis et supra in conparatione primae ebdomadis, in qua mundus ornatus est, aliquanta perstrinximus, et nunc in conparatione aeui unius hominis, qui microcosmos Grecae a philosophis, hoc est, minor mundus solet nuncupari, de eisdem aliquanto latius exponemus. Prima est ergo mundi huius aetas ab Adam usque ad Noe, continens annos iuxta Hebraicam veritatem mille DCLVI, iuxta LXX interpretes ¯I¯IMCCXLII, generationes iuxta utramque editionem numero X. Quae uniuersali est deleta diluuio, sicut primam cuiusque hominis obliuio demergere consueuit aetatem; quotus enim quisque est, qui suam recordetur infantiam? Secunda aetas a Noe usque ad Abraham generationes iuxta Hebraicam auctoritatem conplexa X, annos autem CCXII, porro iuxta LXX interpretes ann. CCLXXII, generationes uero XI. Haec quasi pueritia fuit generis populi Dei et ideo in lingua inuenta est, id est Hebrea, a pueritia namque homo incipit nosse loqui post infantiam, quae hinc appellata est, quod fari non potest. Tertia ab Abraham usque ad Dauid generationes iuxta utramque auctoritatem XIIII, annos uero DCCCCXLII conplectens. Haec quaedam uelut adolescentia fuit populi Dei, a qua aetate, quia incipit homo posse generare, propterea Matheus euangelista generationum ex Abraham sumsit exordium, qui etiam pater gentium constitutus est, quando mutatum nomen accepit. Quarta a Dauid usque ad transmigrationem Babylonis, habens annos iuxta Hebraicam veritatem CCCCLXXIII, iuxta LXX translationem XII amplius, generationes iuxta utrosque codices XVII; quas tamen euangelista Matheus certi mysterii gratia XIIII ponit. A qua uelut iuuenali aetate in populo Dei regum tempora coeperunt, haec namque in hominibus aetas apta gubernando solet existere regno. Quinta quasi senilis aetas a transmigratione Babylonis usque in aduentum Domini saluatoris in carnem, generationibus et ipsa XIIII, porro annis DLXXXVIIII extenta. In qua, ut graui senectute fessa, malis crebrioribus plebs Hebrea quassatur. Sexta, que nunc agitur, aetas, nulla generationum uel temporum serie certa, sed ut aetas decrepita ipsa totius saeculi morte consumenda. Has erumnosas plenasque laboribus mundi aetates quique felici morte uicerunt; septima iam sabbati perennis aetate suscepti, octauam beatae resurrectionis aetatem, in qua semper cum domino regnent, exspectant. 168 Honorius Augustodunensis, Imago mundi 2,78 (De aetate), S. 110. 169 Kurze Überblicke darüber bieten: Klaus Arnold, »Lebensalter (Mittelalter)«, in: Peter Dinzelbacher (Hg.), Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen (Kröners Taschenbuchausgabe 469), Stuttgart 22008, S. 248–255, und Kortüm, Menschen und Mentalitäten S. 252–257. An ausführlichen Darstellungen seien genannt: John Anthony Burrow, The Ages of Man. A Study in Medieval Writing and Thought, Oxford 1986; Sears, Ages of Man (ist eher an den symbolischen Deutungen interessiert); Henri Dubois/Michel Zink (Hg.), Les .ges de la vie au moyen .ge. Actes du colloque du D8partement d’Ptudes M8di8vales de l’Universit8 de Paris-Sorbonne et de l’Universit8 Friedrich-Wilhelm de Bonn, Provins, 16–17 mars 1990 (Cultures et civilisations m8di8vales 7), Paris 1992; Isabelle Cochelin/Karen Smyth (Hg.), Medieval Life Cycles. Continuity and Change (International Medieval Research 18), Turnhout 2013. Zum Spätmittelalter : Michael E. Goodich, From Birth to Old Age. The Human Life Cycle in Medieval Thought, 1250–1350, Lanham-New York-London 1989; Deborah Youngs, The Life Cycle in Western Europe, c. 1300–c. 1500 (Manchester medieval studies), Manchester-New York 2006.

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auf bisherige Erwähnungen gestützt und gewiß noch nicht vollständig, vom 3. bis zum Ende des 12. Jahrhunderts 77 Textzeugen bei 44 Autoren170 – zahlreiche Varianten gibt, daß man Systeme von vier, fünf, sechs oder sieben Lebensaltern antrifft,171 daß immer wieder zwei Lebensalter zusammengefaßt werden172 und daß die Altersgrenzen weit voneinander differieren, zeigt die tabellarische Übersicht bei Cochelin doch zweierlei: Erstens fügen sich alle Belege, trotz mancher Variationen, insgesamt in ein recht einheitliches System ein, und zweitens sind auch die Begriffe für die einzelnen Lebensalter erstaunlich stabil. Da die einander sehr ähnlichen Systeme Augustins und Isidors am weitesten verbreitet sind, seien sie auch hier exemplarisch zugrunde gelegt. Das Lebensalter des Menschen unterteilt sich danach in sechs Stufen, die (nach Isidor) jeweils eine bestimmte Dauer haben und mit denen sich, nach ihren Begriffen, bei beiden Autoren gleichzeitig bestimmte Charakterisierungen verbinden (Tabelle 2). Tabelle 2: Die Lebensalter nach Augustin und Isidor Begriff (nach Isidor, in Klammern Augustin) infantia pueritia adolescentia iuventus gravitas (senior) (senectus) senectus (aetas decrepita)

Dauer

Charakter

bis 7 Jahre

seit der Geburt (ans Licht kommen); ohne Sprechvermögen (da ohne Zähne) und ohne Erinnerungsvermögen bis 14 Jahre sprech- und erinnerungsfähig rein (purus; a puritate), aber ohne Zeugungskraft und ohne Bartwuchs bis 28 Jahre zeugungsfähig, wächst und erstarkt bis 50 Jahre (weil er helfen kann: iuvare): ad auxilium praeparatus; Höhepunkt der Kraft (firmissima aetatum omnium) bis 70 Jahre Nachlassen der Kraft, zwischen Mannes- und Greisenalter bis zum Tod Nachlassen der Sinne (a sensus diminutione) (keine feste und des Wissens Jahresanzahl) positiv : Nachlassen der Begierden, Weisheit und Reife negativ : Gebrechlichkeit und Haß

170 Isabelle Cochelin, Introduction: Pre-Thirteenth-Century Definitions of the Life Cycle, in: Dies./Smyth (Hg.), Medieval Life Cycles S. 1–54, die Grafiken ebd. S. 3–7. Im Anhang (S. 18–44) sind die Quellenbelege, allerdings ohne die entsprechenden Zitate, mit den Lebensaltern (und Altersangaben) aufgeschlüsselt. 171 Sears, Ages of Man, gliedert ihre Kapitel geradezu nach der Anzahl der Lebensalter : Kapitel 1 (S. 9–37): drei oder vier Alter, Kapitel 2 (S. 38–53): sieben Alter, Kapitel 3 (S. 54– 79): sechs Alter, parallel den Weltaltern. 172 Cochelin, Introduction S. 6ff., sieht danach pueritia, iuventus und senectus als die drei Hauptphasen an, die in sich jeweils oft wieder zweigeteilt sind.

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»Mit diesen sechs Abschnitten,« schreibt Isidor, »haben die Philosophen das menschliche Leben beschrieben, in denen es sich wandelt, verläuft und zum Endpunkt mit dem Tod gelangt.«173 Solche Schemata sind zunächst einmal Theorie, wie schon die sehr unrealistischen (antiken) Altersgrenzen zeigen, da das Durchschnittsalter eines mittelalterlichen Menschen, je nach Geschlecht, irgendwo zwischen 44 und 47 Jahren lag, aber sie zeugen nichtsdestotrotz von den mittelalterlichen Vorstellungen vom Alter. Bis zum Mannesalter (iuventus) ist das gewissermaßen ein (allmählicher) Aufstieg, bei dem sich – stufenweise – Erinnerungs- und Sprechvermögen (Knabenalter), Geschlechtlichkeit, Zeugungskraft und Stärke (adolescentia) entwickeln. Im Mannesalter erlangt der Mensch seine größte Kraft. Danach beginnt der Abstieg: die Altersschwäche (aber auch die Alterswürde) in der gravitas, die über das Greisenalter, in dem die Sinne wegen der Körperkälte nachlassen und die Rede wirr wird (andererseits das weiße Haar und die Altersweisheit aber Ehrfurcht gebieten), schließlich zum Tod führt (ganz unabhängig davon, daß der Tod in jedem Alter einsetzen kann und Säuglingssterblichkeit gerade im Mittelalter weit verbreitet war ; in die Lebensalterlehre werden solche Praxiserfahrungen nicht aufgenommen). Klugheit bedarf der Wärme, um sich in den mittleren Lebensabschnitten zu entwickeln. Kinder und Greise haben (gemäß der Humoralpathologie) hingegen die Kälte gemeinsam: Kinder sind noch nicht hinreichend warm, Greise bereits wieder erkaltet; daher ist in beiden das Wissen aus unterschiedlichen Gründen geringer : Kinder wissen wegen ihrer Ausgelassenheit noch nicht, was sie tun, Greise reden wegen ihres fortgeschrittenen Alters irre.174 Das Greisenalter bringt Gutes (wie Freiheit von Herrschaft, Mäßigung der Gelüste, Weisheit und reife Ratschläge; Bezähmung der Wollust) ebenso wie Schlechtes (wie körperliche Gebrechlichkeit oder Haß).175 Es ist bekannt, aber nichtsdestoweniger bemerkenswert, daß die heidnischantiker Lehre entnommenen Altersstufen aus christlicher Sicht von vornherein mit heilsgeschichtlichen Periodisierungen parallellisiert werden (Tabelle 3) und damit ihrerseits nicht nur einen heilsgeschichtlichen, sondern einen unverbrüchlichen Charakter erhalten, und es ist bezeichnend, daß Augustin und Beda in den obigen Zitaten die bereits vorausgesetzte Lebensalterlehre nur aufgreifen, 173 Isidor von Sevilla, Etymologiae 11,2,8, Bd. 2, S. 22: In his igitur sex spatiis philosophi vitam discripserunt humanam, in quibus mutatur et currit et ad mortis terminum pervenit. 174 So ebd. 11,2,27, S. 24f.: Nam physici dicunt stultos esse homines frigidioris sanguinis, prudentes calidi: unde et senes, in quibus iam friget, et pueri, in quibus necdum calet, minus sapiunt. Inde est quod convenit sibi infantum aetas et senum: senes enim per nimiam aetatem delirant; pueri per lasciviam et infantiam ignorant quid agant. 175 Ebd. 11,2,30, S. 25: Senectus autem multa secum et bona adfert et mala. Bona, quia nos ab inpotentissimis dominis liberat, voluptatibus inponit modum, libidinis frangit impetus, auget sapientiam, dat maturiora consilia. Mala autem, quia senium miserrimum est debilitate et odio.

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um damit die Weltalter zu erklären: Die sechs Altersstufen entsprechen den sechs Schöpfungstagen ebenso wie den sechs Weltaltern (aetates) der Heilsgeschichte und zugleich den ›Lebensaltern‹ des Volkes Israel, im Viererschema aber auch den vier Jahreszeiten, den vier Elementen bzw. den vier davon bestimmten Körpersäften (Blut, rote Galle, schwarze Galle, Schleim) mit ihren Eigenschaften (warm, kalt, feucht, trocken) und Temperamenten (Choleriker, Sanguiniker, Phlegmatiker und Melancholiker),176 und zwar unter Übergehung der pueritia sowie entweder der adolescentia (wie bei Honorius) oder der iuventus (wie bei Beda). Das Siebenerschema wird wiederum mit den sieben Planeten parallelisiert. Tabelle 3: Die heilsgeschichtliche Einordnung der Lebensalterlehre Lebensalter

Schöpfungstag

Weltalter (Dauer)

infantia

1. Tag: Licht

prima aetas: Adam bis Noah

pueritia

Jahreszeit177 Elemente/ Temperament/ Körpersaft Frühling sanguis: feucht und warm

2. Tag: Firmament adolescentia 3. Tag: Scheidung von Wasser und Erde

secunda aetas: Noah bis Abraham tertia aetas: Abraham bis David

iuventus

4. Tag: Sterne

gravitas (senectus)

5. Tag: Tiere in Wasser und Luft

quarta aetas: David bis Babylonische Gefangenschaft quita aetas: Herbst Babyl. Gefangenschaft bis Christus

senectus (aetas decrepita)

6. Tag: anima viva

seit Christus

Sommer

Winter

cholera rubea (Beda): trocken und warm cholera rubea (Honorius) melancholia/ cholera nigra: feucht und kalt phlegma: trocken und kalt

Die Lebensalter gleichen damit dem Weltlauf, im Kleinen wie im Großen: dem Jahreslauf der vier Jahreszeiten, mit ihren aus der Elementenlehre abgeleiteten 176 Vgl. dazu Thomas Bein, »Lebensalter und Säfte. Aspekte der antik-mittelalterlichen Humoralpathologie und ihre Reflexe in Dichtung und Kunst«, in: Dubois / Zink (Hg.), ffges S. 85–106; Sears, Ages of Man S. 97–120 (»Popular cosmology«). Zum Melancholiker in der hochmittelalterlichen Epik vgl. Walter Blank, Der Melancholikertypus in mittelalterlichen Texten, in: Neumeyer (Hg.), Mittelalterliche Menschenbilder S. 119–145. Vgl. unten S. 434ff. 177 Der Vergleich mit Jahreszeiten und Temperamenten findet sich etwa bei Beda und Honorius.

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Eigenschaften, ebenso wie dem Weltenlauf der Zeitalter, die wiederum den Schöpfungstagen entsprechen. Schöpfungstag, Weltalter und Menschenalter werden dabei unmittelbar argumentativ aufeinander bezogen, wenn Augustin (und Beda, der zudem die Dauer der Weltalter angibt),178 im Hinblick auf den ersten Schöpfungstag, den Beginn der Kindheit etwa als das Alter bezeichnet, in dem der Mensch das Licht erblickt, ihr Ende aber, mit Bezug auf die erste aetas, mit dem Vergessen durch die Sintflut vergleicht: An die Kindheit gibt es keine Erinnerung mehr. Oder wenn Augustin die iuventus als »festen Schmuck aller Alter« (firmum ornamentum omnium aetatum), das fünfte Lebensalter, die senior aetas, aber als »Neige(zeit) vom Mannes- zum Greisenalter« (declinatio a iuventute in senectutem), »nicht mehr iuventus und noch nicht senectus« bezeichnet, wie in der fünften aetas die Kraft des Judenreichs gebrochen wurde. Wie das am fünften Tag geschaffene Leben in Wasser und Luft, so ist auch dieses Menschenalter instabil. In bzw. am Ende des sechsten Lebensalters aber wird, wie Christus dieses Weltalter einleitet, der »neue Mensch geboren, der bereits geistlich lebt«. Die Vorstellung von verschiedenen Lebensaltern und, damit verbunden, Weltaltern umschließt zugleich die Überzeugung einer Entwicklung des Menschen ebenso wie der Geschichte: Die menschlichen Eigenschaften bzw. die Fähigkeiten der Menschheit sind nicht von Anfang an vorhanden, sondern allmählich (oder phasenweise) gewachsen. So ist der Mensch gemäß Augustin in seiner Kindheit biologisch noch nicht sprechfähig, biologisch und moralisch (wie auch theologisch) aber noch ohne Widerstand und daher ganz dem Fleisch unterworfen. Das Knabenalter besitzt ebenfalls noch keine Vernunft und ist daher den lasterhaften Vergnügungen ausgesetzt. In diesem Alter ist der Mensch zwar bereits sprechfähig, da aber der Geist noch nicht ausgeprägt ist, ist er noch nicht fähig zum Verständnis der Gebote.179 Sobald er aber das Gesetz versteht und diesem unterworfen werden kann, muß er gegen Laster und Sünden ankämpfen.180 In diesem Sinne wertet auch Honorius die Lebensalter (mit etwas anderer Kategorisierung nach insgesamt 14 Dekaden und zugleich auf das Alter 178 Vgl. oben Anm. 165 und 167. 179 Augustinus, De civitate Dei 21,16, CCL 48, S. 782: Verum tanta est Dei misericordia in uasa misericordiae, quae praeparauit in gloriam, ut etiam prima hominis aetas, id est infantia, quae sine ullo renisu subiacet carni, et secunda, quae pueritia nuncupatur, ubi nondum ratio suscepit hanc pugnam et fere sub omnibus uitiosis delectationibus iacet, quia, licet fari iam ualeat et ideo infantiam transisse uideatur, nondum in ea est praecepti capax infirmitas mentis, si sacramenta Mediatoris acceperit, etiamsi hanc in eis annis uitam finiat, translata scilicet a potestate tenebrarum in regnum Christi non solum poenis non praeparetur aeternis, sed ne ulla quidem post mortem purgatoria tormenta patiatur. 180 Ebd.: cum autem uentum fuerit ad aetatem, quae praeceptum iam capit et subdi potest legis imperio, suscipiendum est bellum contra uitia et gerendum acriter, ne ad damnabilia peccata perducat.

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der Kirche bezogen) moralisch aus: In der Kindheit muß der Mensch von der Sünde abgehalten werden, das Knabenalter erzieht zur Wahrheit, die Adoleszenz zur Geduld, die Jugend zur Buße und Standhaftigkeit – sie gebiert den Wunsch nach Gott als Quell des Lebens –, das Mannesalter (virilis aetas) erzieht zum Kampf gegen die Laster und ermahnt zur Weltverachtung, im reifen Alter (matura aetas) berauscht man sich am Trank der Wissenschaft und erfreut sich am Becher der Weisheit, im bejahrten Alter (senior aetas) gibt man die eingesogene Lehre anderen weiter und spornt zum Gebet an, im Greisenalter (senectus) wird man durch die Furcht der Heiligen belehrt, vom Lärm der Welt über die Stufen der Tugenden zum Frieden Jerusalems aufzusteigen, im Verfallsalter (decrepitas) besänftigt man sich zur Milde und wird zur Ausdauer des Bekennens überzeugt.181 An anderer Stelle vergleicht Honorius die vier Menschenalter symbolisch mit den vier Bräuten Christi und deutet sie figürlich als Epochen aus: das Knabenalter entspricht der Braut aus dem Osten (der Tochter des Pharao), als die Menge der Gläubigen im Zeitalter vor dem Gesetz (noch) im Glauben der Patriarchen erwählt war ; sie hat daher die Patriarchen, Propheten und alle Gerechten in ihrem Gefolge. Das Mannesalter entspricht der Braut aus dem Süden (der Tochter des Königs von Babylon), als sich die Völkerschar im Zeitalter unter dem Gesetz im Glauben der Propheten versammelte und an die Zukunft glaubte; sie hat Apostel, Märtyrer, Bekenner, Jungfrauen und alle Erwählten im Gefolge. Das Greisenalter entspricht der Braut aus dem Westen (Sunamitis), als die Menge 181 Honorius Augustodunensis, Expositio selectorum psalmorum. Epilogus psalterii, Sp. 308ff.: In prima itaque decade, infantia Ecclesiae quasi lacte nutritur, dum a via peccatorum prohibetur, et in lege Domini meditari edocetur […]. In secunda decade […] pueritiam Ecclesiae ad veritatem informant, quae oculos cordis eius illuminat […]. In tertia decade, Christi exemplo adolescentia Ecclesiae instruitur patientia, quia factus est opprobrium hominum, cuius regnum dominabitur gentium. […] In quarta decade, iuventus Ecclesiae in chamo et freno ad poenitentiam constringitur […]. In quinta decade, iuventus Ecclesiae flagellis erudita et constantia contra adversa superata, ad Deum fontem vitae desiderat, qui eius iuventutem laetificat. […] In sexta decade, virilis aetas Ecclesiae iam solido pane cibatur, dum ad pugnam contra vitia fortitudine informatur. […] In septima decade, virilis aetas solido cibo refecta, ad contemptum mundi admonetur […]. In octava decade, matura aetas Ecclesiae potu scientiae inebriatur […]. In nona decade, eadem matura aetas Ecclesiae poculo sapientiae laetificatur […]. In decima decade, senior aetas Ecclesiae inebriata doctrinam aliis eructat […] In undecima decade, eadem aetas Ecclesiae ad orationem instigatur […]. In duodecima decade, senectus Ecclesiae timore sanctorum eruditur, quem gloriae et divitiae in memoria aeterna sequuntur […]. In tertia decima decade, eadem Ecclesiae aetas de strepitu saeculi ascendere per gradus virtutum ad pacem Ierusalem docetur. […] In quarta decima decade, decrepita aetas Ecclesiae ad mansuetudinem permulcetur, quam sibi elegit in habitationem et requiem, in qua fratres in unum habitantes, Deum in noctibus benedicunt, qui habitat in Ierusalem […]. In quinta decima decade, eadem aetas Ecclesiae ad perseverantiam confessionis persuadetur, quam iusti exspectant, donec eis Dominus retribuat.

3. Die Natur des Menschen

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der Völker im Zeitalter der Gnade durch die Apostel zum Glauben an Christus geführt wurde; sie hat alle im Gefolge, die nach der Vorhersage Enochs und Elias’ und unter der Verfolgung des Antichrist ihr Blut für Christus vergossen haben. Das Verfallsalter schließlich entspricht der Braut aus dem Norden (Mandragora), wenn die Schar der Ungläubigen in der Zeit des Antichrist zum Glauben geführt wird. Sie hat alle im Gefolge, die nach dem Tod des Antichrist auf der ganzen Welt zur Buße bekehrt werden.182 Hat Honorius die Charakterisierungen der Menschenalter schon auf die Etappen der Kirche angewandt, so überträgt Otto von Freising das Wachsen des menschlichen Geistes auf die ganze Geschichte. Sind die Fähigkeiten des Menschen naturgegeben bzw. ihm von Gott mit der Schöpfung eingegeben, so vervollkommnen sie sich nicht nur in den Lebensaltern des einzelnen Menschen (wie bei Augustin), sondern auch »historisch« und werden im Verlauf der Menschheitsgeschichte erlernt: Die ersten Menschen, schreibt Otto über die Zeit des ersten, durch den Assyrerkönig Ninus begründeten Weltreiches, waren noch ungebildet und unzivilisiert: Sie waren »roh und bäuerisch, weder durch Waffen geschützt noch kriegserfahren noch mit einem Wissen über die Kriegskunst ausgestattet, ja sie vereinigten sich nicht einmal durch Gesetze oder Unterricht [bzw. Zucht] zu einer Einheit«.183

Deshalb, so Otto, konnte Christus erst so spät und nicht schon im frühen Lebensalter geboren werden, und er gibt dem sowohl eine moralische als auch eine entwicklungsgeschichtliche Begründung:

182 Ders., Expositio in Cantica canticorum (Prolog 1), Sp. 351ff.: Ab oriente est sponsa adducta, quando multitudo electorum ante legem in fidem patriarcharum est electa […]. A meridie est sponsa adducta, quando turba populorum sub lege in fidem prophetarum est collecta, qui crediderunt hoc futurum […]. Ab occidente sponsa est adducta, quando multitudo gentium sub gratia per apostolos ad fidem Christi est attracta. Ab aquilone sponsa adducitur, quando sub Antichristo turba infidelium ad fidem convertitur. Aliter per orientem puerilis aetas, per meridiem iuvenilis aetas, per occidentem senilis, per aquilonem decrepita accipitur: de quibus multitudo magna quotidie per fidem et dilectionem in amplexum sponsi colligitur. Quae divisio in ipso libro per quatuor personas dividitur, quibus unaquaeque pars assignatur, scilicet, per filiam Pharaonis, per filiam regis Babylonis, per Sunamitem, per Mandragoram. […] Zu den Verkörperungen ebd. (Prolog 2), Sp. 358 BC: Nec hoc praetereundum, quod filia Pharaonis habet in comitatu patriarchas et prophetas et omnes iustos ab Abel usque ad latronem. Filia autem regis Babylonis habet in comitatu apostolos, martyres, confessores, virgines et omnes electos a centurione […]. Sunamitis vero habet in comitatu omnes, qui sub praedicatione Eliae et Enoch et sub persecutione Antichristi pro Christo sanguinem fuderint vel in fide Christi obierint. Mandragora autem habet in comitatu omnes, qui post mortem Antichristi per totum orbem ad poenitentiam conversi fuerint. 183 Otto von Freising, Chronicon 1,6, S. 44: Quod tanto liberius facere potuit, quo homines adhuc rudes et agrestes nec armis tutati nec bellis exercitati nec rerum bellicarum scientia prediti fuerant, quippe qui nullis adhuc legibus aut disciplinis in unum coierant.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

»Denn die Menschen, von Eltern geboren, die das Gesetz übertreten hatten, und in ihrer durch Ungehorsam verdorbenen Natur um so mehr zunehmend geneigt, Böses zu tun, gebrauchten, mehr nach Art wilder und anderer Tiere, noch nicht ihren Verstand, sondern vergaßen ihr natürliches Gut, irrten umher und hatten noch nicht gelernt, gemeinschaftlich zu leben, sich durch Gesetze zu bilden, mit Tugenden zu schmücken oder mit ihrer Verstandeskraft zur Erkenntnis der Wahrheit erleuchtet zu werden.«184

Körper, Verstand, Moralbewußtsein, Wahrheitserkenntnis, politisches Verständnis und Gemeinschaftsleben wuchsen gleichsam parallel zueinander im menschlichen Leben und in der Geschichte immer weiter an. Der Mensch mit seinem spezifischen Charakter (seiner ›Natur‹) ist Teil der ›Natur‹ als physischer Gesamtheit der Schöpfung und zugleich deren ›zivilisiertes‹ Lebewesen. Die vielbeschworene Dichotomie von Natur und Kultur trifft daher nicht das mittelalterliche Verständnis, in dem vielmehr beides im Menschen zusammenfließt (und zwar nicht nur in den Grenzbereichen zwischen Tier und Mensch, denen sich die Arbeiten Udo Friedrichs widmen).185

4.

Der Mensch in der »Mitte« der Kreaturen – Vernunft als Unterschied zum Tier

Im Unterschied zu den anderen irdischen Geschöpfen ist der Mensch, wie schon mehrfach angeklungen ist, sowohl von seiner Bestimmung in der Schöpfung wie von seiner Natur her, als Folge der Schöpfung, der Gottebenbildlichkeit und der Zusammensetzung aller Menschen aus Körper und Seele, eine vernunftbegabte Kreatur (rationalis creatura).186 Als animal rationale mortale ist er ein vernunftbegabtes, sterbliches Lebewesen.187 Die Vernunft ist ihm auch nach dem Sündenfall nicht gänzlich abhanden gekommen.188 Selbst nach dem Sündenfall, so Otto von Freising, »beließ der barmherzige Gott ihnen zumindest die Spur einer Wahrheitserkenntnis«.189 184 Ebd. 3 prol., S. 132f.: Nec in primeva hominum etate id facere debuit. Homines enim ex transgressoribus parentibus nati viciataque per inobedientiam natura proniores et accliviores ad malum facti necdum ratione utentes, ferino magis ac beluino more, obliterato in eis naturali bono, oberrantes non socialiter vivere, non legibus informari, non virtutibus adornari, non rationis vi ad cognoscendam veritatem illuminari didicerant. 185 Friedrich, Menschentier und Tiermensch; Ders., Grenzmetaphorik. 186 Das betont noch einmal Johannes Scotus Eriugena, Periphyseon 2, CCM 162, S. 76: Simul enim ac semel in illo uno homine, qui ad imaginem Dei factus est, omnium hominum rationes secundum corpus et animam creatae sunt. 187 Vgl. Petrus Abaelard, Dialectica III,1, S. 331ff.; Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae 6,7,1, S. 203. Vgl. oben S. 397ff. 188 Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 29, Anm. 92, zu Haymo von Auxerre. 189 Otto von Freising, Chronicon 4,4, S. 188: Ut enim altius repetam, primo homine creato ac a

4. Der Mensch in der »Mitte« der Kreaturen

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Aufgrund seiner ihn von anderen Wesen unterscheidenden Natur und seiner Eigenschaften steht der Mensch in der Mitte zwischen den Engeln und den niederen Geschöpfen. Gott, so Augustin, hat ihm eine Natur in der Mitte zwischen Engeln und Tieren gegeben.190 Teilt der Mensch mit den Engeln (als Geistwesen) die Vernunft, aber auch die Bestimmung zur Seligkeit, so unterscheidet er sich von ihnen hingegen durch Körperlichkeit, Sterblichkeit und irdische Verhaftung. Die Vernunft unterscheidet ihn wiederum von den Tieren, mit denen er aber die Existenz als animal, Körper und Sinne und die Eigenschaft der Sterblichkeit teilt. »Markiert der Geist traditionell die spezifische Differenz zwischen Tier und Mensch, Natur und Kultur, so ist der Körper die elementare Schnittstelle.«191 Der »Sinn« (sensus) der Engel, so Hugo von St. Viktor, ist nach innen, der der Tiere nach außen gerichtet, so daß sie Unsichtbares nur über das Sichtbare wahrnehmen können; der sensus des Menschen aber ist – als sensus rationalis – nach innen »zum Unsichtbaren hin« (ad invisibilia) und – als sensus carnis – nach außen »zum Sichtbaren hin« (ad visibilia) gerichtet: Mit dem Körper kann der Mensch das Sichtbare wahrnehmen, mit der Seele kann er es durch seinen Verstand erkennen.192 Der Mensch steht daher zwischen Engeln und Tieren, mit denen ihn jeweils eine Eigenschaft verbindet, mit den Tieren die Sterblichkeit, mit den Engeln die Vernunft: »Der Mensch allein aber besteht aus beidem; das eine hat er mit den Engeln, das andere mit den übrigen Lebewesen gemeinsam. Tiere sind sterblich und ohne Vernunft. Der Mensch aber hat mit beiden jeweils eines gemeinsam.«193

190 191 192

193

deliciis paradisi lapso in hac valle lacrimarum vestigium cognoscendae veritatis misericors Deus reliquit. Augustinus, De civitate Dei 12,22, CCL 48, S. 380: Hominem uero, cuius naturam quodam modo mediam inter angelos bestiasque condebat […]. Zu den Unterschieden zwischen Engeln und Menschen vgl. Kapitel 1.6, oben S. 69ff. So Friedrich, Grenzmetaphorik S. 40. Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,6,5, ed. Migne Sp. 266 CD; ed. Berndt S. 140: Sensus angelorum intus erat, et sensus brutorum animalium foris erat. Angeli, quorum sensus intus erat, contemplabantur, quae intus erant, et per ea, quae foris erant. Bruta animalia, quorum sensus foris erat, contingebant visibilia, quae foris erant, sed non per ea similiter invisibilia, quae intus erant, quoniam qui invisibilia vident, in ipsis visibilia vident; quoniam visibilia invisibilibus cognoscuntur, sed non aeque, qui visibilia vident invisibilia in eis vident, quia sensus, quo invisibilia percipiuntur, in summis infima comprehendit, sed sensus, quo visibilia continguntur, in infimis summa non capit. Sic itaque una creatura erat, cuius sensus totus intus erat, et alia creatura erat, cuius sensus totus foris erat. Et positus est in medio homo ut intus et foris sensum haberet. Intus ad invisibilia, foris ad visibilia. Intus per sensum rationis, foris per sensum carnis, ut ingrederetur et contemplaretur; et egrederetur et contemplaretur, intus sapientiam, foris opera sapientiae, ut utrumque contemplaretur et utrinque reficeretur ; videret et gauderet, amaret et laudaret. So Alkuin, De dialectica 2, Sp. 953 D: Angeli enim rationales et immortales sunt. Animalia vero caetera mortalia sunt, sed non rationalia. Homo autem solus ex utrisque constat; hoc habens cum angelis commune, illud cum caeteris animantibus.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Alkuin betrachtet diese bereits oben beschriebene Zwischenstellung des Menschen als besondere Gabe und Alleinstellungsmerkmal und jauchzt: »Was für ein bewunderswertes ›Tier‹ (oder Lebewesen)! Mit einem Teil ist er himmlisch, mit dem anderen irdisch.«194

An Gestalt sei er zwar klein, doch an Kraft seiner Seele gewaltig, schreibt die Visionärin Hildegard von Bingen im 12. Jahrhundert.195 Die Stellung des Menschen in schematischer Darstellung: Engel Vernunft Mensch Körper, Sinne, Sterblichkeit Tier

Die Grammatik nutzt die ebenso gängige wie zentrale Formel vom rationalen Wesen sogar zur Definition und Diskussion und setzt somit bereits voraus, daß der Leser sie kennt. So schreibt schon Cassiodor : »Wenn der Hauptsatz/Vordersatz eine generelle Bejahung und der Nebensatz eine spezielle Verneinung ist, liegt ein Paralogismus vor, etwa: Jeder Mensch ist ein animal (Tier oder Lebewesen), manches Lesewesen ist nicht vernunftbegabt; also ist mancher Mensch auch nicht vernunftbegabt. […] Widersprüchlich ist: Kein Mensch ist rational. Mancher Mensch ist nicht rational. Aus beiden (ergeben sich) unbegrenzte/unbestimmte Grenzen. Jeder Nicht-Mensch ist nicht rational. Kein Nicht-Mensch ist nicht rational. Mancher Nicht-Mensch ist nicht rational. Mancher Nicht-Mensch ist nicht nicht rational. Ebenso aus dem unbegrenzten (oder : unbestimmten) Subjekt: Jeder Nicht-Mensch ist rational. Kein Nicht-Mensch ist rational. Mancher Nicht-Mensch ist rational. Mancher Nicht-Mensch ist nicht rational. Ebenso aus dem unbestimmten Prädikat: Jeder Mensch ist nicht rational. Kein Mensch ist nicht rational. Mancher Mensch ist nicht rational. Mancher Mensch ist nicht nicht rational. Ebenso, was 194 Ebd.: O mirum animal! una parte coeleste, et altera terrenum! 195 Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 1,2,15, S. 74 (unten Anm. 306).

4. Der Mensch in der »Mitte« der Kreaturen

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übereinstimmt: Jeder Mensch ist rational. Kein Mensch ist nicht rational. Jeder Mensch ist nicht rational. Kein Mensch ist nicht rational. Mancher Mensch ist rational. Mancher Mensch ist nicht nicht rational. Mancher Mensch ist nicht rational. Mancher Mensch ist nicht nicht rational. Jedes Nicht-Lebewesen ist kein Mensch. Kein NichtLebewesen ist kein Mensch. Manches Nicht-Lebewesen ist kein Mensch. Manches Nicht-Lebewesen ist nicht kein Mensch. Ebenso umgekehrt aus dem unbestimmten Prädikat: Jedes Nicht-Lebewesen ist ein Mensch. Kein Nicht-Lebewesen ist ein Mensch. Manches Nicht-Lebewesen ist ein Mensch. Manches Nicht-Lebewesen ist kein Mensch. Ebenso umgekehrt aus dem unbestimmten Subjekt: Jedes Lebewesen ist kein Mensch. Kein Lebewesen ist kein Mensch. Manches Lebewesen ist kein Mensch. Manches Lebewesen ist nicht kein Mensch.«196

Bernhard von Clairvaux wiederum benutzt die Nicht-Umkehrbarkeit des Satzes – aus der Tatsache, daß der Mensch ein Tier ist, folgt mitnichten, daß das Tier ein Mensch ist –, um Abaelard, der eine solche Folgerung vergleichend auf die Trinität angewandt habe, zum Häretiker zu stempeln, weil er lehre, der Sohn sei der Vater, aber nicht umgekehrt.197 Trotz (oder auch mittels) solcher Wort»spielereien« sind Mensch und Ra196 Cassiodor, De artibus ac disciplinis libaralium litterarum 3 (De dialectica), Sp. 1194 D: Idem, si maior propositio affirmativa fuerit universalis et minor propositio negativa fuerit particularis, paralogismus erit, hoc modo: Omnis homo animal est; quoddam animal rationabile non est: quidam igitur homo rationabilis non est. […] (Sp. 1195 B–1196 A): Contradictoriae: Nullus homo rationalis est. Quidam homo rationalis non est. Ex utrisque terminis infinitis. Omnis non homo non rationalis est. Nullus non homo non rationalis est. Quidam non homo non rationalis est. Quidam non homo non rationalis non est. Item ex infinito subiecto. Omnis non homo rationalis est. Nullus non homo rationalis est. Quidam non homo rationalis est. Quidam non homo rationalis non est. Item ex infinito praedicato. Omnis homo non rationalis est. Nullus homo non rationalis est. Quidam homo non rationalis est. Quidam homo non rationalis non est. Item quae conveniunt. Omnis homo rationalis est. Nullus homo non rationalis est. Omnis homo non rationalis est. Nullus homo non rationalis est. Quidam homo rationalis est. Quidam homo non rationalis non est. Quidam homo non rationalis est. Quidam homo non rationalis non est. Item. Omne non animal non homo est. Nullum non animal non homo est. Quiddam non animal non homo est. Quiddam non animal non homo non est. Item conversae ex praedicato infinito. Omne non animal homo est. Nullum non animal homo est. Quoddam non animal homo est. Quoddam non animal homo non est. Item conversae ex infinito subiecto. Omne animal non homo est. Nullum animal non homo est. Quiddam animal non homo est. Quoddam animal non homo non est. 197 Bernhard von Clairvaux, ep. 190 (Epistola de erroribus Petri Abaelardi), Bd. 8, S. 22f.: Et quod dicit manifestis declarat exemplis, asserens potentiam discernendi, quae est Filius, ita quamdam esse potentiam, quemadmodum homo quoddam est animal, et sigillum aereum quoddam est aes, atque hoc esse potentiam discernendi, ad gerendi discernendique potentiam, id est Filium ad Patrem, quod homo ad animal est, quod aereum sigillum ad aes. ›Sicut enim,‹ inquit, ›ex eo quod est aereum sigillum, exigit necessario ut aes sit, et ex eo quod est homo, ut animal sit, sed non e converso, ita divina sapientia, quae est potentia discernendi, exigit, quod sit divina potentia, sed non e converso.‹ Quid igitur? Vis ut iuxta tuam similitudinem, ad instar praecedentium, etiam ex hoc, quod Filius est exigat, ut Pater sit, hoc est ut qui Filius est Pater sit, quamquam non e converso? Si hoc dicis, haereticus es; si non dicis, vacat similitudo. Das Zitat entstammt Petrus Abaelardus, Theologia Scholarium 2, S. 465.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

tionalität unlösbar miteinander verbunden, jedenfalls insofern, wie Gerbert von Aurillac betont, als die Fähigkeit (zur Vernunft) potentiell auch zur Handlung führen kann: »Weil Cicero ein Mensch ist, der Mensch aber als verstandesbegabt bezeichnet wird, ist Cicero insofern verstandesbegabt, als er den Verstand gebrauchen kann, das heißt, er kann eine Handlung vollziehen, weil sie aus der Fähigkeit zu beidem erwächst.«198 Das bedeutet umgekehrt aber : »Der Mensch ist stets vernunftbegabt, aber er gebraucht seine Vernunft nicht immer. Der Vernunftgebrauch an sich ist daher kein unterscheidendes Wesensmerkmal.«199 Mit anderen Worten: Die Tatsache, daß der Mensch vernunftbegabt ist, bedeutet noch nicht, daß er seinen Verstand auch benutzt (wie wir alle wissen). Ratio, so schränkt schon Augustin ein, ist nur die Vernunftfähigkeit, die weder ausschließt noch verhindert, daß es tatsächlich viele dumme Menschen gibt.200 Wie schon oben betont, dient der Verstand der Gotteserkenntnis, aber selbst hier warnt Abaelard (der selbst bezichtigt wurde, in der Anwendung logischer Argumente auf theologische Fragen zu weit gegangen zu sein), daß der Verstand nicht wirklich die Wahrheit erfassen, sondern nur etwas der Wahrheit Nahekommendes oder Ähnliches, dem menschlichen Verstand Angemessenes vorbringen könne, das der Heiligen Schrift nicht widersprechen dürfe; alle Menschen seien Tiere (oder Lebewesen), aber nur sehr wenige seien geistige Lebewesen.201 Die Vernunftbegabung unterscheidet den Menschen aber nicht nur vom Tier,202 sondern stellt ihn zugleich über alle Tiere: über die Fische im Meer und die Vögel in der Luft ebenso wie die wilden Tiere und Reptilien auf dem Land. Augustin folgert das erneut aus der Gottebenbildlichkeit.203 »Denn der Mensch 198 Gerbert von Aurillac, De rationale et ratione uti 11, Sp. 165 C: Ibi formae vel actus sempiterni sunt; hic potestas, quae ad actum pervenire possit, ut, quoniam Cicero homo est, homo vero rationalis dicitur, Cicero rationalis, quod ratione uti possit, id est, eum actum exercere, quia venit a potestate, quae est ad utrumlibet; potest enim Cicero uti ratione et potest non uti. 199 Ebd. 12, Sp. 166 A: Item homo semper rationalis est, non autem semper utitur ratione. Non est igitur ratione uti substantialis differentia. 200 Vgl. Augustinus, De libero arbitrio 1,9,66, S. 223: Credo etiam te illud scire, plerosque homines stultos esse. 201 Petrus Abaelardus, Theologia Summi Boni 2,26, S. 123: De quo quidem nos docere ueritatem non promittimus, quam neque nos neque aliquem mortalium scire constat, sed saltem aliquid uerisimile atque humane rationi uicinum nec sacre scripture contrarium proponere libet aduersus eos, qui humanis rationibus fidem se inpugnare gloriantur, nec nisi humanas curant rationes multosque facile assentatores inueniunt, cum fere omnes animales sint homines ac paucissimi spirituales. 202 Zu scholastischen Positionen im 13. Jahrhundert vgl. Köhler, Homo animal nobilissimum, Bd. 1, S. 233–272. 203 Augustinus, In Iohannis epistolam ad Parthos tractatus 8,6, S. 330: Ergo, fratres, legimus quemadmodum factus sit homo ad imaginem et similitudinem Dei. Et quid de illo dixit Deus? ›Et habeat potestatem piscium maris et uolatilium caeli et omnium pecorum, quae repunt super terram‹ (Gen 1,26). Numquid dixit: habeat potestatem hominum? habeat

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ist mehr als das Tier, weil der Mensch vernunftbegabt, das Tier aber nicht vernunftbegabt ist,« erläutert Odo von Cambrai.204 Der Mensch steht dank seiner Vernunft nicht nur würdiger über den vernunftlosen Tieren, sondern kann auch alle ihre Naturen zähmen oder beherrschen (und ist eben aus diesem Grund vernunftbegabt), wie Rupert von Deutz betont.205 Menschen mit schlimmen Begierden aber löschen diese Gottebenbildlichkeit aus und sind wie Pferd und Maultier, denen jede Einsicht fehlt.206 Was beim Menschen die Vernunft bewirkt, ist beim Tier Natur (bzw. natürlicher Instinkt).207 Als »Lebewesen« haben Mensch und Pferd dieselbe Substanz, meint Boethius – und deshalb ist auch der Mensch, gerade bei Boethius und seinen Kommentatoren, ein animal –, während der Verstand beide von grundauf unterscheidet.208 »Denn der Mensch ist ein vernunftbegabtes Tier (oder Lebewesen), die übrigen Tiere sind hingegen unvernünftig (bzw. vernunftlos),« schreibt kurz und knapp Johannes Scotus Eriugena209 und verdeutlicht damit beides: daß auch der Mensch ein ›Tier‹ ist und sich doch zugleich grundlegend von den Tieren unterscheidet. ›Tier‹ ist der Mensch im Mittelalter nämlich noch nicht im Hobbes’schen Sinn, sondern einfach (und wertfrei) als Lebewesen. Für Johannes (und das Mittelalter) ist das kein Widerspruch. Der Aussage »Der Mensch ist ein Tier« entspricht eben nicht die Umkehrung »Das Tier ist ein Mensch.«210 Und auch Johannes führt die Gottebenbildlichkeit an, die allein dem Menschen unter allen Tieren eigen ist.211

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potestatem, ait; dedit potestatem naturalem. Quorum? Habeat potestatem piscium maris, uolatilium caeli, et omnium repentium, quae repunt super terram. Es folgt das Zitat aus Anm. 83. Odo von Cambrai, De peccato originali 2, Sp. 1079 A: Plus enim homo quam animal, quia rationalis est homo et non est rationale animal. Rupert von Deutz, De sancta trinitate et operibus eius 2. In Genesim 2, CCM 21, S. 189: Vnde enim piscibus maris et uolatilibus caeli, bestiis quoque et reptilibus terrae homo praeest, nisi ex eo, quod ipse rationalis est, illa autem irrationalia sunt, haec nempe differentia multum omnibus illis hominem praeponit, quia non quomodocumque illis praeest, ut solummodo dignior sit, sed ita etiam, ut omnium illorum naturas domare possit. Ergo ad hoc, ut illis praesit homo, rationalem illum esse satis est. So Augustinus, In Iohannis epistolam ad Parthos tractatus 8,6, S. 330: Ideo multi cum per cupiditates malas detererent in se imaginem Dei et ipsam quodammodo flammam intellegentiae peruersitate morum extinguerent, clamat illis Scriptura: ›Nolite fieri sicut equus et mulus, quibus non est intellectus‹ (Ps 31,9), hoc est dicere: praeposui te equo et mulo. Te ad imaginem meam feci. (Die als CCL 37 angekündigte Neuedition des Traktats durch John William Mountain ist noch nicht erschienen.) Vgl. Augustinus, Soliloquia 2,9,16 (unten Anm. 229). Boethius, In Isagogen Porphyrii commenta 2,1, S. 86: nam quoniam homo atque equus quantum ad quod animalia erant, una illis erat substantia, ueniens rationale disgregauit omnino speciem et funditus alteram fecit. Johannes Scotus Eriugena, Periphyseon 4, CCM 164, S. 22: Est enim homo animal rationale, caetera uero animalia irrationabilia. Ebd. S. 23f., als Frage des Schülers: Quare ergo dixisti in uno eodemque subiecto duo

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Schon Ambrosiaster hatte aber betont, daß man daraus keineswegs auf eine Unvollkommenheit des Tieres schließen dürfe; alles sei nämlich in seiner Art und an seinem Platz in jeweiliger Abstufung vollkommen.212 Noch deutlicher differenziert Peter Abaelard: »Man kann ja ein ›Tier‹ (oder Lebewesen) sein, ohne Mensch zu sein; hingegen kann der Mensch nicht sein, ohne gleichzeitig ›Tier‹ zu sein; das ›Tier‹ (in ihm) erfordert lediglich, daß er beseelt [oder : belebt] und sinnlich [oder : mit Gefühl begabt] ist, doch ist der Mensch nicht nur beides, sondern darüber hinaus vernunftbegabt und sterblich.«213

Wenn die Philosophen sagen, daß eine Art oder Gestalt (species) aus einer Gattung (genus) ge- (oder er-)zeugt wird, wie der Mensch aus dem Tier, so daß dasselbe Lebewesen gleichzeitig Mensch und Tier ist (oder : daß Mensch und Tier dasselbe sind), so ist die tierische Natur doch niemals eher im Menschen gewesen als die menschliche, da er niemals eher ›Tier‹ war, als er Mensch war.214 Beides ist also gleichzeitig und gemeinsam im Menschen vorhanden. »Wahrhaftig ist das Tier würdiger als der Mensch,« schließt Abaelard, »während die Natur des Menschen die Natur des Tieres weit zu übertreffen scheint, da der Mensch von sich aus vernünftig ist, das Tier aber nicht.215 Und Benzo von Alba dichtet:

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proloquia sibimet aduersantia falsa simul aut uera simul esse non posse, sed si unum sit uerum, necessario alterum erit falsum, cum uidearis asserere contradictoria proloquia uera simul posse esse in homine: ›Homo animal est‹, ›Non est animal homo?‹ Ebd. S. 25: Quid igitur mirum, si de homine, qui solus inter caetera animalia ad imaginem Dei factus est, uere simul possit praedicari ›Homo animal est‹, ›Non est animal homo‹, ut per hoc saltem intelligamus ad imaginem Dei illud animal specialiter esse conditum, de quo pugnantia sibimet in aliis animantibus proloquia uere simul praedicantur? Ambrosiaster, Quaestiones Veteris et Novi Testamenti. Quaestio 123,5, S. 375: Itaque quia praestantior est homo ceteris animalibus, idcirco illa inperfecta dicenda sunt? aut quia sancti angeli non sunt, quod est Deus, inperfecti sunt? […] omnia enim pro locis et gradibus suis firma et perfecta sunt, ut impleant ad id, quod facta sunt. Petrus Abaelardus, Theologia Summi Boni 2,97, S. 148: Animal quippe esse potest ita, quod non sit homo, sed homo non potest esse ita, quod non sit animal; et animal hoc tantum exigit, ut sit animatum et sensibile, homo uero non hoc tantummodo, sed insuper, ut sit rationale ac mortale. Wörtlich Ders., Theologia christiana 3,155, S. 253. Ders., Theologia Summi Boni 3,54, S. 180: et eo locutionis modo, quo philosophi dicunt speciem ex genere gigni, utpote hominem ex animali, cum idem tamen sit ›homo‹ quod ›animal‹, nec umquam prius animalis natura in homine fuerit quam hominis, cum ipse numquam prius animal fuerit quam homo. Ebd. 3,85, S. 195: Sed profecto hoc modo animal dignius est homine, cum magis natura hominis naturam animalis precellere uideatur, cum homo ex se rationalis sit, quod non habet animal ex se.

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»Der Mensch als Geschöpf Gottes ist ehrenwert, im Vergleich zum Vieh ist er wundervoll, (doch) was seine Tugend ihm unterbreitet, ist sehr grausig.«216

So kann der Mensch andererseits aber auch ein »tierischer Mensch« und voller Gelüste sein, der an die geistlichen Geheimnisse nicht heranreicht (wie es Arnulf von Lisieux dem Grafen Girard von Poitiers unterstellt).217 Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist daher ein zweifaches: einerseits unterschieden, anderseits ähnlich. Einerseits beherrscht der Mensch die Tierwelt,218 andererseits kann er sich dem Animalischen eben wegen der Gemeinsamkeiten weithin, allerdings als Abnorm, annähern,219 einerseits Herdentier sein, andererseits zur Bestie werden.220 Die mittelalterliche Literatur bietet hier »ein ganzes Arsenal an Grenzüberschreitungen«.221 Dank seiner Vernunft und seines Wissens unterscheidet sich aber auch das Verhalten des Menschen von dem anderer Kreaturen: als kognitives (intelligens) ebenso wie als gesellschaftlich-moralisches oder als religiöses Verhalten. »Wer nur nach seinem Sinn [d. h. letztlich: Instinkt] urteilt, urteilt wie ein Tier. Der Mensch, der durch seinen Verstand über dem Tier steht, muß nach seinem Verstand urteilen und nicht nach seinem Sinn,« schreibt Wilhelm von Conches im 12. Jahrhundert.222 »Wer immer nach seinem Verlangen redet und handelt, hat den Verstand (mu˚t) des Viehs,« heißt es etwas drastischer noch im »Welschen Gast« des Thomasin von Zerklaere, einer didaktischen Dichtung des 13. Jahrhunderts, denn »Tugend« und »Sinn« unterschieden den Menschen vom Tier.223 Nach Wilhelm von Conches unterscheidet sich der Mensch von den Tieren ferner durch Körperhaltung und Redefähigkeit, aber auch dadurch, daß 216 Benzo von Alba, Ad Heinricum imperatorem 7,6, S. 636: Homo est factura Dei valde honorabilis; Non se comparet iumentis, quibus est mirabilis, Que˛ substernit eius virtus multum formidabilis. 217 Arnulf von Lisieux, Invectiva in Girardum 8, S. 719: Huic numero solus Pictaviensis comes adicitur, voluptatum vir, animalis homo arcana spiritalium non attingens, ob repulsam petitionis illicitae mancipatus errori. 218 Vgl. dazu Friedrich, Menschentier und Tiermensch S. 145–190 (zum späteren Mittelalter seit dem 12. Jahrhundert); zur politischen Tiermetaphorik ebd. S. 191–249. 219 Dazu ebd. S. 215–224. 220 So ebd., zusammenfassend S. 390. 221 So ebd. S. 387. 222 Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae 2,2,3, S. 36: Bestialiter iudicat, qui secundum solum sensum iudicat. Homo igitur, qui ratione bestiis praestat, ratione, non sensu, de rebus iudicet. 223 Thomasin von Zirklaere, Der welsche Gast v. 1337ff., Bd. 1, S. 138: Swer gar sinen willen spricht und tuot, / der hat genuich viehlichen muot. / der man der sol sinne han, / wab daz vihe ist sinnes an. / anders ist niht zwischen in / niwan tuogene unde sin. / der ein bescheidet einen man / von dem viehe, daz niht enchan.

418

Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

er nicht nur die Gegenwart wahrnimmt, sondern sich der Vergangenheit erinnern und die Zukunft ermitteln kann:224 Der Mensch besitzt folglich ein Geschichtsbild und ein Geschichtsbewußtsein, das im Dienst der Heilsgeschichte steht. »Der betriebsame Mensch macht, wie man sagt, alles mit Überlegung und Vorbedacht,« meint Andreas von St. Viktor.225 Gregor der Große wendet die Lehre gleichsam auf die Gesellschaft an, wenn er daraus auf eine Gleichheit aller Menschen schließt: »Der Mensch besitzt von seiner Natur her ja einen Vorzug gegenüber den wilden Tieren, nicht aber gegenüber den anderen Menschen.«226 Darauf ist bei den Gesellschaftsvorstellungen noch einmal zurückzukommen.

5.

Körper und Seele

a.

anima – animal »Der Mensch ist ein lebendiges Lebewesen, das aus Körper und lebendiger Seele zusammengesetzt ist und das aus geistlicher Zusammenfügung geformt ist, das aus dem Verstand und dem Willen zur freien Entscheidung besteht und zu Lastern ebenso wie zu Tugenden fähig ist,«

so faßt Isidor von Sevilla bündig den schon oben behandelten Charakter des Menschen als eines aus verschiedenen Teilen zusammengesetzten Wesens zusammen. Diese Eigenschaften unterscheiden ihn vom unvernünftigen, sterblichen Tier, das ganz aus der Regung von Fleisch und Blut lebt und dessen Seele sich beim Tod mit dem Körper auflöst, mit dem der Mensch aber doch manches gemeinsam hat.227 Wenn der Mensch ein »Lebewesen« (animal) ist, dann gebrauchen die Autoren – nicht immer unterscheidbar – eben den gleichen Begriff auch für das Tier. Animal aber leitet sich von anima ab: Mensch und Tier sind animalia, Lebewesen, weil sie ›beseelt‹, mit Lebenshauch versehen, sind: »Die 224 Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae 6,9,2, S. 212. 225 Andreas von St. Viktor, Expositio historica in librum Regum I 9, v. 9,24, S. 41: Industrius homo dicitur premeditate et consulte omnia faciens. 226 Gregor der Große, Regula pastoralis 2,6, S. 204: Homo quippe brutis animalibus, non autem hominibus ceteris natura praelatus est. 227 Isidor von Sevilla, Differentiae (De differentiis rerum) 2,46, Sp. 77 BC: Homo est animal ex corpore animaque vivente compositum atque spirituali compactione formatum, subsistens ratione, liberique arbitrii voluntate, vitiorum capax atque virtutum; at contra pecus est animal irrationale, mortale, motu carnis et sanguinis animatum; unde et anima eorum post mortem simul cum carne dissolvitur. Detailliert zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zur Herausarbeitung des spezifisch Menschlichen in der Scholastik des 13. Jahrhunderts (im Hinblick auf Körperkonstitution, Vernunft, Sinneswahrnehmung, Sprechen, Handeln, emotionales Verhalten und Lebensformen): Köhler, Homo animal nobilissimum. Die Arbeit beschränkt sich strikt auf die untersuchten Aristoteleskommentare ohne Rückblick auf die Tradition.

5. Körper und Seele

419

Seele aber ist sein unterer [oder : schwächerer] Teil, durch den der Körper beseelt wird, und deshalb wird der Mensch ›animalisch‹ genannt,« schreibt Paschasius Radbertus und betont noch einmal, daß das keineswegs der Wahrnehmung Gottes gleicht: »Der beseelte Mensch aber nimmt nicht das wahr, was der Geist Gottes ist.«228 Darin steckt durchaus eine Ambivalenz (die aber wohl nicht diskutiert wird). Mensch und Tier sind (beseelte) Lebewesen, aber nur der Mensch besitzt eine unsterbliche Seele, die ihn wiederum strikt vom Tier abhebt. Ohne die Seele, lehrt Augustin, kann der Mensch nicht verstehen, und er erklärt den menschlichen Trieb zum Fehltritt oder zur Täuschung (appetitus fallendi) eben aus dieser Tatsache: Dieses Verlangen resultiert teils aus dem Verstand, teils aus der Natur, nämlich aus dem Verstand im Menschen als rationalem Lebewesen, hingegen aus der Natur in den Tieren, wie bei dem schlauen Fuchs.229 Nicht nur der Körper des Menschen ist aus den Elementen zusammengesetzt230 – das unterscheidet den Menschen noch nicht vom Tier –, entscheidend ist vielmehr die Polarität von Körper und Seele: Das Vorhandensein der (unsterblichen) Seele erst macht den Menschen zum Menschen. Mit der Seele verbinden sich Vernunft, liberum arbitrium einer Entscheidung für oder gegen Gott und damit die Handhabung der göttlichen Gaben: ob der Mensch zum Laster oder zur Tugend neigt bzw. sich für Laster oder Tugend entscheidet. Körper und Seele repräsentieren damit auch die schon angesprochenen, widersprüchlichen Pole menschlicher Natur: Der Körper ist Materie und vergänglich, also sterblich, die Seele ist Geist und daher unsterblich.231 Aus der Seele wiederum erwächst der Geist (mens) und bewirkt, daß der Mensch sich erinnern kann.232

228 Paschasius Radbertus, De corpore et sanguine Domini 11,2, S. 75: anima uero inferior eius portio, qua corpus animatur et homo animalis dicitur. Animalis autem homo non percipit ea, quae sunt Spiritus Dei. 229 Augustinus, Soliloquia 2,9,16, S. 66: nam fallax id recte dicitur, quod habet quendam fallendi adpetitum; qui sine anima intelligi non potest: sed partim ratione fit, partim natura; ratione in animalibus rationalibus, ut in homine; natura, in bestiis, tamquam in vulpecula. 230 Vgl. unten S. 430ff. Zu Vorstellungen einer Körperlichkeit auch der Seele vgl. Peter Dinzelbacher, Über die Körperlichkeit in der mittelalterlichen Frömmigkeit, in: Vavra (Hg.), Bild und Abbild S. 49–87, hier S. 75–84. 231 Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiae 11,1,6/14, Bd. 2, S. 2f. Zum Ursprung der Seele vgl. Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,6,3, ed. Migne Sp. 264f.; ed. Berndt S. 138. 232 Isidor von Sevilla, Etymologiae 11,1,11f., Bd. 2, S. 2.

420 b.

Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Zusammenwirken von Gegensätzen

Daß der Mensch aus Körper und Seele besteht, ist eine so gängige Überzeugung, daß sie kaum der Belege bedarf.233 Interessant ist dennoch die gängige Formulierung, daß der Mensch Körper und Seele »ist«. Beide gehören nicht nur zu seinem Wesen, sondern sie sind mit ihm quasi identisch: Körper und Seele machen den Menschen (zum Menschen), in einem Maße, daß beide Begriffe zu Synonymen für den Menschen werden können. So schreibt schon der Kirchenvater Ambrosius: »Was ist also der Mensch? Ist er Seele oder Fleisch oder die Verbindung aus beidem? Denn wir sind eines, das Unsrige ein anderes, derjenige, der sich bekleidet, ein anderer als sein Kleid. Im Alten Testament lesen wir : ›Alle Seelen, die nach Ägypten zogen‹, von den Menschen gesagt. Und an anderer Stelle heißt es: ›Mein Geist wird nicht in diesen Menschen bleiben, weil sie Fleisch sind.‹ Von einem anderen wiederum lesen wir, daß er sowohl von der Seele wie vom Fleisch her Mensch genannt wird. Diese Unterscheidung aber bedeutet dort, wo von der Seele als vom Menschen gesprochen wird, daß der Hebräer Gott anhängt, nicht dem Körper, wie dort: ›Jede gesegnete Seele ist einfach‹; wo aber das Fleisch anstelle des Menschen genannt wird, drückt es den Sünder aus, wie hier : ›Ich aber bin fleischlich, verkauft unter der Sünde. Denn was ich tue, verstehe ich nicht; denn ich tue nicht das, was ich will, sondern mache das, was ich hasse.‹234

Schon im Schöpfungsakt werden beide Bestandteile nach mittelalterlicher Auslegung unterschieden und aus verschiedenen »Materialien« hergestellt: die Seele aus dem Nichts, der Körper aus Erde.235 Fälschlich, so schon Isidor von Sevilla, leitet man beide aus der Erde (humus) ab, aus der der Mensch erschaffen ist; tatsächlich ist jedoch nur der Körper, nicht aber die Seele aus Erde ge233 Zu Körper und Seele vgl. Peter Dinzelbacher/Rolf Sprandel, Körper und Seele (Mittelalter), in: Dinzelbacher (Hg.), Europäische Mentalitätsgeschichte S. 182–202. Überwiegend spätmittelalterlich: Casagrande/Vecchio (Hg.), Anima e corpo nella cultura medievale. 234 Ambrosius, De Isaac uel anima 1,2,3, S. 643f.: Quid est itaque homo? Utrum anima an caro an utriusque copula? Aliud enim nos sumus, aliud nostrum, alius qui induitur et aliud uestimentum. Legimus in ueteri testamento: ›Omnes animae, quae descenderunt in Aegyptum‹ (abgewandelt nach Gen 46,26) de hominibus dictum. Et alibi dictum est: ›Non permanebit spiritus meus in hominibus istis, quoniam carnes sunt‹ (abgewandelt nach Gen 6,3). De alterutro ergo legitur, quia homo dicitur et de anima et de carne. Sed illa discretio, quod, ubi anima pro homine dicitur, Hebraeus significatur Deo adhaerens, non corpori, ut est illud: ›Anima benedicta omnis simplex‹ (Prov 11,25), ubi autem caro pro homine nuncupatur, peccator exprimitur, ut est illud: ›Ego autem carnalis sum, uenundatus sub peccato. Quod enim operor, non cognosco; non enim quod uolo ago, sed quod odi illud facio‹ (Rom 7,14f.). 235 So Remigius von Auxerre, Expositio super Genesim v. 2,7, S. 39: Dedit autem Deus homini animam de nihilo, corpus uero de limo.

5. Körper und Seele

421

macht.236 Ebenso warnt Isidor davor, die Seele des – aus den vier Elementen gefügten – Menschen mit der Luft gleichzusetzen, wie manche glauben, die sich ihre Natur nicht körperlos vorstellen können; die Seele ist vielmehr Geist (spiritus). Als Seele bedingt sie das Leben, als Geist sowohl die geistige Natur des Menschen als auch die Beseelung des Körpers.237 Von der Seele unterscheidet Isidor im folgenden den – im Prinzip zwar damit identischen – (mentalen) Geist (animus), der sich im Gegensatz zur Seele jedoch nicht auf das Leben, sondern auf die Überlegung bezieht, sowie den Geist als Verstand (mens), der aus der Seele herausragt und die Erinnerung bewirkt und der den Menschen wiederum zum Ebenbild Gottes macht.238 Alle zusammen aber sind so mit der Seele verbunden, daß alles als ein einziges scheint, und bezeichnen die verschiedenen Wirkungsweisen derselben Seele:239 Als Seele belebt sie den Körper, als animus ist sie der Wille, als mens das Wissen, als memoria Erinnerung, als ratio das rechte Urteil, als spiritus der Atem, als sensus der Sinn.240 Durch ihre Sinneskraft, so Isidor, hält die Seele den ganzen Körper ständig in Bewegung.241 Schon Augustin hatte zur Schöpfung betont, daß die Seele weder aus Materie noch überhaupt aus einem körperlichen Element242 oder aus den Elementen bestehe,243 sondern selbst ganz und gar unkörperlich sei,244 sich mit dem Leib aber aus einem natürlichen Verlangen heraus vereinige.245 Da allerdings auch Geister eine (gewisse) Form haben und Engel und Dämonen körperhafte Gestalten annehmen können, bleibt diese Ansicht ebenfalls nicht gänzlich unstrittig. So sind 236 Isidor von Sevilla, Etymologiae 11,1,4, Bd. 2, S. 1 (vgl. oben Anm. 127): Abusive autem pronuntiatur ex utraque substantia totus homo, id est ex societate animae et corporis. Nam proprie homo ab humo. 237 Ebd. 11,1,8–10, S. 2: Non est igitur aer anima, quod putaverunt quidam, qui non potuerunt incorpoream eius cogitare naturam. Spiritum idem esse quod animam Euangelista pronuntiat dicens: ›Potestatem habeo ponendi animam meam et rursus potestatem habeo sumendi eam (Ioh 10,18).‹ […] Quid est enim emittere spiritum nisi quod animam ponere? Sed anima dicta propter quod vivit: spiritus autem vel pro spiritali natura vel pro eo, quod inspiret in corpore. 238 Ebd. 11,1,11f., S. 2: Item animum idem esse quod animam; sed anima vitae est, animus consilii. […] Mens autem vocata, quod emineat in anima, vel quod meminit. Vnde et inmemores amentes. Quapropter non anima, sed quod excellit in anima mens vocatur, tamquam caput eius vel oculus. Vnde et ipse homo secundum mentem imago Dei dicitur. 239 Ebd. 11,1,12, S. 2: Ita autem haec omnia adiuncta sunt animae, ut una res sit. Pro efficientiis enim causarum diversa nomina sortita est anima. 240 Ebd. 11,1,13, S. 2f.: Nam et memoria mens est, unde et inmemores amentes. Dum ergo vivificat corpus, anima est: dum vult, animus est: dum scit, mens est: dum recolit, memoria est: dum rectum iudicat, ratio est: dum spirat, spiritus est: dum aliquid sentit, sensus est. 241 Ebd. 11,1,19, S. 3: Sensus dicti, quia per eos anima subtilissime totum corpus agitat vigore sentiendi. 242 Augustinus, De Genesi ad litteram 7,18, S. 215. 243 Ebd. 7,20, S. 216f. 244 Ebd. 7,21, S. 217; 7,27ff., S. 224ff. 245 Ebd. 7,27, S. 224f.

422

Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

offenbar die in Visionen ins Jenseits entrückten Seelen wie auch die Seelen der Toten in gewisser Weise als Körper verstanden worden.246 Es scheint aber bezeichnend, daß entsprechende Vorstellungen auf solche Ausnahmeerscheinungen beschränkt bleiben, während sich die Seele in der Gegenüberstellung mit dem Körper ja gerade von diesem durch ihre geistige Natur unterscheiden mußte. In der Vereinigung von Körper und Seele spiegelt sich im Menschen gewissermaßen die gesamte Schöpfung. »Ob die Seele aber innerhalb oder außerhalb des Körpers geschaffen wurde, ist ebenso schwierig zu erkennen, wie es gefährlich ist, es nicht zu wissen,« meint Hugo von St. Viktor.247 »Und mit seinem Haupt wurde der ganze Körper verbunden,« schreibt Hildegard von Bingen im Vergleich des Körpers mit kosmischen Funktionen, »wie auch die Erde mit allen ihren Anhängseln dem Firmament angehaftet wurde; und der Mensch lenkt alles mit der Sinnlichkeit seines Hauptes, so wie auch durch das Firmament etliche Dienste der Erde erfüllt werden. […] Die Seele aber ist ebenfalls die Jugendfrische des Fleisches, weil der Leib des Menschen durch sie wächst und gedeiht, wie die Erde erst durch die Feuchtigkeit fruchtbar wird; so ist auch diese Seele die Feuchtigkeit des Körpers, weil sie ihn befeuchtet, damit er nicht vertrocknet, so wie der Regen die Erde begießt.«248

Körper und Seele sind aufeinander angewiesen. Sie ergänzen einander, wenn auch nicht gleichberechtigt, gerade wegen ihrer substantiellen Gegensätzlichkeit249 und machen erst zusammen den Menschen lebensfähig und zum Menschen. Die Seele verweist dabei auf die himmlische, der Körper auf die irdische Existenz. Wenn der Mensch aus der rationalen Substanz bestehe, lehrt Hugo von St. Viktor, dann beziehe sich das nicht auf das Ganze, sondern allein auf die Seele, weil nur sie im eigentlichen Sinn als vernüftige Substanz bezeichnet werden kann. Wenn der Mensch ein rationales Wesen ist, dann verdankt er das folglich einzig der rationalen Seele, die aus sich selbst heraus rational ist und 246 Vgl. Peter Dinzelbacher, Il corpo nelle visioni dell’aldil/, in: I discorsi dei corpi S. 301– 326. Vgl. auch Jean-Claude Schmitt, Le corps des fantimes, in: ebd. S. 19–25. 247 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,6,3, ed. Migne Sp. 265 A; ed. Berndt S. 138: Utrum vero in corpore an extra corpus creata sit, quanto difficilius est scire, tanto minus est periculosum ignorare. 248 Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 1,4,21, S. 152: Et totum corpus hominis capiti suo adiunctum est, sicut et terra cum omnibus appenditiis suis firmamento adheret; atque homo per sensualitatem capitis totus regitur, quemadmodum et per firmamentum que˛que officia terre˛ complentur. […] Anima quoque uiriditas carnis est, quoniam corpus hominis per illam crescit et proficit, quemadmodum terra per humiditatem fructifera est; et etiam eadem anima humiditas corporis est, quia illud humectat ne arescat, sicut imber terram infundit. Vgl. unten S. 459ff. zum Mikrokosmos. 249 Vgl. Giacinta Spinosa, Vista, spiritus e immaginazione intermediari tra l’anima e il corpo nel platonismo medievale dei secoli XII e XIII, in: Casagrande/Vecchio (Hg.), Anima e corpo S. 207–230.

5. Körper und Seele

423

»Rationalität«, nämlich die Vernunftfähigkeit besitzt.250 Wenn der Mensch aber auch ein ›Tier‹ (oder Lebewesen) ist und das Tier ein Körper, dann ist folglich der ganze Mensch ein Körper.251 Er ist Körper, weil er aus Erde (oder Lehm) gemacht ist, durch die Verbindung mit der Seele aber hat er Empfindungen.252 Der Mensch ist für Hugo daher Tier, Körper und Person zugleich: Tier, weil er durch die Seele belebt wird, Körper, weil das aus Erde Erschaffene und von der Seele Belebte Körper ist, und Person, weil sich der aus Erde erschaffene Körper mit der Seele in der Person vereinigt.253 Nach Honorius verfällt der Körper dem Sinnlichen und vergißt dann seinen geistigen Ursprung.254 Jeder der beiden Bestandteile hat seine Aufgaben, Eigenschaften und Wirkungen: Insofern der Mensch Geist ist, ist er frei, lehrt ein Traktat über die Sitten des Abtes Lambert von Saint-Bertin, der Wissenden und Unwissenden das vermittelt habe: »insofern er aber mit der Fessel des Körpers verknüpft ist, ist er voll von verschiedenartigen, einander entgegengesetzten Eigenschaften. Der Körper lenkt die wahrnehmbaren (oder : verstandesgemäßen) Sinne und erhält sie; nimmt man ihn weg, dann lebt der Körper weder, noch weiß er etwas, weil er bereits leblos ist. Der Mensch besteht aus Seele und Körper. Nimmt man eines dieser Materialien weg – wohlgemerkt: entweder die Seele oder den Körper –, kann man ihn nicht mehr unter die Menschen zählen. Denn weder ist die Seele ohne den Körper noch ist der Körper ohne die Seele ein Mensch.«255

250 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 2,1,11, ed. Migne Sp. 406 AB; ed. Berndt S. 324: Nam si homo rationalis substantia esse dicitur, non propter totum dicitur, sed propter animam solam, quae proprie rationalis substantia dicitur. Homo enim secundum animam tantum rationalis est; quia ipse animam rationalem habet. Anima autem secundum se rationalis est; quia ipsa in se rationem vel rationalitatem, id est rationis capacitatem habet. 251 Ebd. ed. Migne Sp. 408 A; ed. Berndt S. 326: Omnis homo est animal, et omne animal est corpus. Igitur omnis homo est corpus. 252 Ebd. ed. Migne Sp. 409 C; ed. Berndt S. 328: Nam quod persona rationalis homo dicitur, vel anima vel corpus a parte sola vocabula sumpta sunt; quia in homine solum corpus hominis esse corpus et ab humo sumptum esse et ex coniunctione animae sensificatum esse invenitur. 253 Ebd. ed. Migne Sp. 410 BC; ed. Berndt S. 329: Homo est animal. Verum est propter id, quod in homine sensificatum est ab anima. Homo est corpus. Verum est, quia id quod sensificatum est in homine et de humo sumptum est, ipsum est corpus. Homo est persona. Verum est, quia id quod ab humo sumptum est animae iunctum est in persona. 254 Honorius Augustodunensis, Elucidarium 2,33i, S. 419. 255 Tractatus de moribus Lamberti abbatis s. Bertini 6, S. 950: In hoc, quod spiritus est, libera est; in hoc vero, quod corporali vinculo colligata est, variis et diversis qualitatibus plena est. Regit corpus intelligibiles sensus prestando; qua subtracta, corpus nec vivit nec sapit, quia iam exanime est. Homo ex anima et corpore constat. Una ex his materiis ablata – intelligendum est: aut anima aut corpore –, homo non reputatur. Neque anima sine corpore homo est neque corpus sine anima homo est. Haec et his similia beatissimus pater Lambertus de thesauro cordis sui notis pariter et ignotis ob sui memoriam transmisit.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

»Denn Gott hat den Menschen wunderbar aus Seele und Leib gebildet,« schreibt auch Hildegard von Bingen. »Weder existiert die Seele ohne den Leib noch der Leib ohne die Seele, und die Seele wirkt mit dem Leib und der Leib mit der Seele«.256 »Der Leib ist nämlich das Zelt und die Stütze aller Seelenkräfte; denn die Seele wohnt im Leib und wirkt mit dem Leib, und der Leib mit ihr, Gutes oder Böses.«257 Die (komplementär verstandene) Dichotomie von Körper und Seele macht ein Verständnis der Seele als »Zweitkörper«258 zumindest mißverständlich.

c.

Die Seele als Herrin des Körpers

Daß Körper und Seele nicht gleichwertig, sondern die Seele dem Körper überlegen ist, ist schon mehrfach angeklungen. Die Seele ist nach verbreiteter Meinung gleichsam im Körper ›eingekerkert‹.259 »Es gibt keine Epoche in der europäischen Geschichte, die die Seele mehr auf- und den Körper tiefer abgewertet hat, als das Mittelalter.«260 Zumal in moralischen (und monastischen) Zusammenhängen führt das immer wieder dazu, in der Seele einen guten, im Körper einen bösen Bestandteil zu erblicken. Isidor von Sevilla leitet corpus von corruptus, »verdorben«, ab, bezieht das allerdings nicht auf die Moral, sondern auf Auflösung und Sterblichkeit.261 Die Seele ist dem Körper überlegen, schreibt Hildegard von Bingen: »Wie nämlich der Leib des Menschen sein Herz an Größe übertrifft, so sind auch die Seelenkräfte dem Körper des Menschen an Tugend überlegen, und wie das Herz des Menschen im Körper verborgen ruht, so ist der Körper des Menschen von den Seelenkräften umgeben, weil diese sich über den gesamten Erdkreis erstrecken.«262 256 Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 3,5,14, S. 431: nec anima sine corpore, nec corpus sine anima homo existit, animaque cum corpore et corpus cum anima operatur. 257 Dies., Scivias 1,4,23, CCM 43, S. 82: Corpus autem omnium uirium animae tabernaculum et subleuamen est, quoniam anima in corpore manens cum corpore operatur et corpus cum illa, siue bonum siue malum sit. 258 Vgl. etwa Dinzelbacher/Sprandel, Körper und Seele S. 191. 259 Vgl. Ilario Tolomio, »Corpus carcer« nell’alto medioevo. Metamorfosi di un concetto, in: Casagrande/Vecchio (Hg.), Anima e corpo S. 3–19. 260 So Dinzelbacher/Sprandel, Körper und Seele S. 183. 261 Isidor von Sevilla, Etymologiae 11,1,14, Bd. 2, S. 3: Corpus dictum eo quod corruptum perit. Solubile enim atque mortale est et aliquando solvendum. Vgl. oben S. 397ff. und S. 419 zum sterblichen Körper. 262 Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 1,2,15, S. 74: Quemadmodum enim corpus hominis cor suum magnitudine sua excedit, ita et uires anime˛ corpus hominis uirtute sua superant; et ut cor hominis in corpore eius latet, sic corpus hominis uiribus anime˛ circumdatum est, cum ille per totum orbem terre˛ se extendunt.

5. Körper und Seele

425

Mehr noch: der Körper drückt die Seele zu irdischer Begierlichkeit nieder, während die Seele dem zu widerstehen sucht: »Solange der Mensch in Seele und Körper lebt, stören die Seele des Menschen viele unsichtbare Versuchungen, die sie durch die Verführung des Fleisches häufig zu Sünden irdischer Begierden anstacheln. Doch sie sammelt ihre Kräfte, richtet sich mannhaft auf und widersteht ihnen tapfer,«

lehrt Hildegard von Bingen.263 »So muß sich auch der Leib der Seele unterwerfen, wie die Magd der Herrin,« schreibt sie an anderer Stelle: »Die Seele wird jedoch durch den Leib, wie die Herrin durch die Magd, vielfach überwunden. Sie selbst wirkt alles Gute im Menschen, wie auch die Jahreszeit des Sommers alle Früchte zur Reife bringt. Doch wenn der Leib sich in der Fäulnis der Sünde wälzt und im Gegensatz zur Seele steht, sagt der Mensch bei sich: ›In solcher Härte vermag ich nicht zu leben, daß ich meinem Fleisch ganz verweigern kann, was es begehrt, doch genügt es mir, das zu tun, was ich kann.‹«264

Danach aber bereut der Mensch seine Sünden. Wenngleich Sünden körperlich sind, meint Hildegard von Bingen, berühren sie nämlich auch die Seele: »Denn an den Sünden erfreut sich die Seele nicht, obwohl sie mit dem Körper zusammenwirkt, wie auch die Elemente, die den Menschen aufrechterhalten, ihn nicht zur Sünde zwingen, ihn aber doch durch das Urteil Gottes in seinen Sünden aburteilen; in den guten Werken aber zeigen sie an ihm Sanftheit und Milde.«265

d.

Abwertung des Körpers?

Das Verhältnis von Körper und Seele im Menschen ist zweifellos ein zentrales Problem der mittelalterlichen Denker. Die zitierten – kontextgebundenen – Urteile dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Mensch erst beiden Bestandteilen sein menschliches Leben verdankt und daß die Autoren 263 Hildegard von Bingen, Scivias 1,4,27, CCM 43, S. 84: hoc est quod animam hominis, quamdiu homo in anima et in corpore uiuit, multae inuisibiles tentationes perturbant, quae ipsam per delectationem carnis multoties ad peccata terrenarum concupiscentiarum inclinant, sed illa resumptis uiribus se uiriliter erigens eis fortiter resistit. 264 Dies., Liber divinorum operum 1,4,60, S. 192f.: Hoc modo et corpus anime˛, uelut ancilla domine˛, subiacere debet, que˛ per corpus, sicut domina per ancillam, multociens superatur ; ipsaque omnia bona in homine operatur, uelut etiam estiuum tempus omnes fructus ad maturitatem producit. Sed cum corpus in putredine peccatorum inuolutum contrarium anime˛ existit, homo intra se sic dicit: ›Ego in tanta duricia uiuere nequeo, ut carni mee˛, que˛ desiderat prorsus negare ualeam, sed idipsum quod possum facere michi sufficit.‹ 265 Ebd. 1,4,32, S. 169: Nam in peccatis anima non delectatur, quamuis illa cum corpore operetur ; ut etiam elementa, que˛ hominem sustinent, ipsum ad peccatum non cogunt, sed tamen eum per iudicium Dei in peccatis diiudicant; in operibus autem bonis suauitatem et lenitatem super illum ostendunt.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

auch dem (schönen) Körper durchaus Beachtung schenken.266 Man wird daher zwar von einer ›Rangordnung‹ zwischen Seele und Körper, jedoch nicht von einer durchweg negativen Einstellung zum Körper sprechen dürfen und sich vor Einseitigkeiten hüten müssen. Wenn Jacques Le Goff pauschal feststellt: »Der Körper ist das Gefängnis […] der Seele.« (Ergastulum ist ursprünglich ein Gefängnis für Sklaven). »Das Entsetzen vor dem Körper kulminiert in seinen sexuellen Aspekten. […] Der Abscheu vor Körper und Sexus erreicht seinen Höhepunkt beim weiblichen Körper«,267

dann gäbe es für solche Aussagen zwar durchaus Quellenbelege, die aber erstens in ihrem – religiös-asketischen – Kontext zu sehen sind: Die Seele ist im Körper gefangen, aber doch hier wirksam und auf ein Zusammenleben angewiesen; die Sexualität ist der Feind des asketisch lebenden Mönchs und der Nonne, nicht oder nur bedingt aber auch des Laien. Zweitens folgt aus der Hierarchie von Seele und Körper keineswegs eine grundsätzliche Abwertung des Leibes, die – tendenzbetont – vielmehr oft im Zusammenhang der menschlichen Elends schlechthin steht.268 Dem stehen nämlich nicht nur die vielen dichterischen und historiographischen Beschreibungen weiblicher (und männlicher!) irdischer Schönheit entgegen,269 sondern nicht zuletzt auch der vielfach diskutierte Glaube an eine Auferstehung im Fleisch in aller Schönheit wie auch die Verehrung des Reliquienkörpers in der Heiligenverehrung.270 Niemand hat ernsthaft daran gezweifelt, daß die Auferstehung im Fleisch, in Materie und Form, erfolgen wird (und nicht nur die – ja ohnehin unsterblichen – Seelen betrifft).271 Wenn Gregor von Tours von einem Priester berichtet, der, als Sonderfall, nicht an eine körperliche Auferstehung der Menschen glauben wollte, dann weisen er

266 Vgl. (überwiegend zum Spätmittelalter) Dinzelbacher, Über die Körperlichkeit. 267 Jacques Le Goff, L’imaginaire m8di8vale. Essais. Nouvelle Edition, Paris 21991 (11985), S. 124 (dt. Ders., Phantasie und Realität des Mittelalters, Stuttgart 1990, S. 143): »Le corps est la prison (ergastulum – prison pour esclaves) de l’.me, c’est, plus que son image habituelle, sa d8finition. L’horreur du corps culmine dans ses aspects sexuels. […] L’abomination du corps et du sexe est / son comble dans le corps f8minin.« 268 Ein geradezu extremes Beispiel bietet später die Jugendschrift Lothars von Segni (Papst Innozenz III.) ›De miseria humane conditionis‹, die zugleich aber auch das Interesse an Körperlichkeit repräsentiert. Vgl. dazu Annette Kehnel, Päpstliche Kurie und menschlicher Körper. Zur historischen Kontextualisierung der Schrift De miseria humane conditionis des Lothar von Segni (1194), in: Archiv für Kulturgeschichte 87, 2005, S. 27–52. 269 Vgl. Montserrat Cabré, Beautiful Bodies, in: Kalof (Hg.), A Cultural History S. 121–139. 270 Vgl. Lucas Burkart, Der Körper und das Blut der Heiligen in mittelalterlichen Schätzen, in: Thalia Brero (Hg.), Le corps et sa parure. The Body and its Adornment (Micrologus 15), Firenze 2007, S. 139–156. 271 Zur Auferstehung vgl. Caroline Walker Bynum, The Resurrection of the Body in Western Christianity, 200–1336 (Lectures on the history of religions n.s. 15), New York u. a. 1995.

5. Körper und Seele

427

und seine Mitgeistlichen eine solche Auffassung doch sofort zurück, widerlegen sie mit Bibelworten und überzeugen damit den Zweifler.272 Leib und Seele vereinigen sich im irdischen Leben zum Lebewesen und werden erst durch den Tod wieder getrennt. (Der tote Mensch sei kein Mensch mehr, meinte Hugo, sondern nur der lebendige).273 Beim Tod wird die Seele durch die guten oder bösen Geister entrückt und erst im Jüngsten Gericht wieder mit dem Körper zusammengeführt. (Im »zweiten Tod« der ewigen Verdammung wird die Seele dann – endgültig – von Gott getrennt.) Die Trennung zeigt sich schön in dem schon oben beschriebenen Streit von Engeln und Dämonen um die Seele des Kaisers Lothar I., der kurz vor seinem Tod in das Kloster Prüm eingetreten war, auch wenn Ademars Bericht hier von den üblichen Vorstellungen (Streit allein um die Seele) abweicht: Die Engel nehmen die Seele, die Dämonen den Körper des toten Kaisers in Empfang.274

e.

Aufwertung des Körpers

Es wäre daher falsch, dem Mittelalter über der Bedeutung der Seele ein Verhältnis zum Körper absprechen zu wollen. Körper und Mensch gehören gewissermaßen (bis zur Individualität) zusammen: »Dieser Mensch ist dieser Körper,« schreibt Abaelard; »da dieser Körper aber immer ist, ist auch dieser Mensch immer. Ebenso: Dieser Mensch ist dieser Körper und dieser Körper ist die Materie dieses Menschen, oder dieser Mensch wurde geschaffen bzw. wurde sie eher geschaffen als der Mensch, folglich ist dieser Mensch die Materie dieses Menschen oder wurde dieser Mensch geschaffen bzw. wurde sie eher geschaffen als der Mensch.«275

Schon seit einiger Zeit widmet die Mediävistik dem menschlichen Körper im Mittelalter besondere Aufmerksamkeit, so daß sich daraus regelrecht eine eigene Körpergeschichte entwickelt hat276 (wobei allerdings davor zu warnen ist, den 272 Gregor von Tours, Historiae 10,13, S. 496–500. 273 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 2,1,11, ed. Migne Sp. 410 D; ed. Berndt S. 330: Nunquid similiter concedemus homo mortuus non est homo? Homo, quando vivens est homo. Si autem homo mortuus non est homo, ergo homo, quando vivere desinit, homo esse desinit. 274 Ademar von Chabannes, Chronicon 3,19 (oben Kapitel 2, Anm. 352). 275 Petrus Abaelardus, Theologia Summi Boni 3,43, S. 176: Quales sunt huiusmodi complexiones: ›hic homo est hoc corpus, sed hoc corpus semper est, ergo hic homo est semper‹; item: ›Hic homo est hoc corpus et hoc corpus est materia huius hominis, uel factum est hic homo uel prius est hoc homine, ergo hic homo est materia huius hominis uel factus est hic homo uel prior est hoc homine‹. 276 Vgl. allgemein Maren Lorenz, Leibhaftige Vergangenheit. Einführung in die Körpergeschichte (Historische Einführungen 4), Tübingen 2000. Zum Mittelalter, in breitem

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

heute betriebenen Körperkult auf das Mittelalter zu übertragen; vielmehr ist vorsichtig zu fragen, welche Rolle dem Körper in mittelalterlicher Anschauung zukommt). Im Hinblick auf die elementare Zusammensetzung der Geschöpfe und das Verständnis vom Menschen als rationalem, aus Körper und Seele bestehenden Geschöpf ist eine solche Bedeutung, wie oben beschrieben, ebenso unabweisbar wie im medizinischen Bereich, aber auch im Recht spielt der Körper eine wichtige Rolle, mit klarer Differenzierung nach dem Wert der einzelnen Körperteile in den frühen ›Volksrechten‹ durch das Kompensationsgeld bei Verstümmelungen, während der Körper als Ganzes hier eher als Leichnam in den Blick gerät.277 Man hat selbst den Kirchenbau als Körper betrachten wollen.278 Körpervorstellungen färben auf andere Bereiche ab. Sie werden nicht zuletzt in Dichtungen übernommen und ausgestaltet,279 in denen körperliche Schönheit bei beiden Geschlechtern eine große Rolle spielt,280 und führen hier, aber auch in der Geschichtsschreibung, zu eigenständigen Körpervorstellungen. Gemäß dem Verhältnis von Körper und Seele drückt aber auch der dichterische Körper etwas von dem Inneren des Menschen aus.281 Man kann geradezu nach Körperdiskursen suchen.282 Die Hautfarbe etwa zeigt die innere Zusammensetzung nach außen an,283 der weiße Körper gilt als Ideal: Beim Tod der Nonne

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Überblick: Jacques Le Goff/Nicolas Truong, Une histoire du corps au Moyen ffge, Paris 2003 (dt. Die Geschichte des Körpers im Mittelalter, Stuttgart 2007), einschließlich Medizin und Hygiene, Fasten, Nacktheit, Manieren, Körpermetaphern (aber ohne alle Nachweise). Ebenfalls allgemein (und überwiegend spätmittelalterlich): Kalof (Hg.), A Cultural History. Zum religiösen Charakter vgl. die (vor allem spätmittelalterliche) Aufsatzsammlung von Peter Dinzelbacher, Körper und Frömmigkeit in der mittelalterlichen Mentalitätsgeschichte, Paderborn-München-Wien-Zürich 2007. Vgl. dazu Przemysław Tyszka, The Human Body in Barbarian Laws, c. 500–c. 800. Corpus Hominis as a Cultural Category, Frankfurt a.M.-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Warszawa-Wien 2014. Demgegenüber ganz zurückhaltend Mary P. Richards, The Body as Text in Early Anglo-Saxon Law, in: Withers/Wilcox (Hg.), Naked Before God S. 97–115, die die Bußtarife (ebd. S. 113) als »primitive eye-for-an-eye concept« betrachtet, das erst unter christlichem Einfluß verschwindet. Vgl. Dawn Marie Hayes, Body and Sacred Place in Medieval Europe, 1100–1389 (Studies in Medieval History and Culture 18), New York-London 2003. Vgl. dazu Ridder/Langer (Hg.), Körperinszenierungen; Friedrich Wolfzettel (Hg.), Körperkonzepte im arthurischen Roman, Tübingen 2007. Vgl. Barbara Haupt, Der schöne Körper in der höfischen Epik, in: Ridder/Langer (Hg.), Körperinszenierungen S. 47–73. Zum ästhetischen Empfinden im Mittelalter vgl. Mary Carruthers, The Experience of Beauty in the Middle Ages (Oxford – Warburg Studies), Oxford 2013. Vgl. Annette Gerok-Reiter, Körper – Zeichen. Narrative Steuermodi körperlicher Präsenz am Beispiel von Hartmanns Erec, in: Wolfzettel (Hg.), Körperkonzepte S. 405–430. Vgl. dazu, allerdings fast durchweg spätmittelalterlich orientiert, I discorsi dei corpi. Zum Herzen: Il cuore; zu den Extremitäten: Estremit/. Aus kunstgeschichtlicher Perspektive (ebenfalls überwiegend spätmittelalterlich): Wirth, L’image du corps; zu einzelnen Körperteilen ebd. S. 49–72 (Haut), 73–94 (Busen), 95–118 (Fuß), 129–149 (Herz). Zur Haut (und Hautfarbe!) vgl. La pelle umana; zur Hautfarbe als Indikator Maaike Van

5. Körper und Seele

429

Disciola in Poitiers ließ sich kein Leinenbezug finden, der weißer als ihr Leichnam war.284 Auch in den Körpervorstellungen hat man einen Wandel seit dem 12. Jahrhundert wahrnehmen wollen, den Alain Boureau allerdings nicht als Entdeckung des Körpers, sondern als Wiederentdeckung der Autonomie des Körpers beschreibt (das an dieser Stelle allerdings nur an Schlafwandlern festmacht).285 Daß bis dahin der theologische Diskurs überwiegt, ist schon deutlich geworden, aber auch vorher sind nicht alle Körperbeschreibungen allein davon motiviert (wie umgekehrt die »Autonomie« vielleicht noch im späten Mittelalter beschränkt bleibt). Würdigungen hoher Persönlichkeiten wie Königen oder Bischöfen, meist anläßlich ihres Todes, zählen nicht nur die politischen und religiösen Tugenden auf, sondern betonen oft auch die vollkommene Gestalt:286 schön, stark und fruchtbar.287 In den literarisch-exempelartigen Königsporträts Notkers des Stammlers sind nicht nur Gestalt, Kleidung, Würde und Anlaß fein aufeinander abgestimmt,288 sondern zu den von Notker betonten Vorzügen Ludwigs des Deutschen gehören auch – sogar den inneren Tugenden vorangestellt – der perfekte Körperbau (statura optimus, forma decorus), die wie Sterne funkelnden Augen und die klare, männliche Stimme,289 nicht zu vergessen die körperliche Stärke, wenn Ludwig die Klinge eines normannischen Schwertes mit bloßen Händen bis zum Griff hin zu biegen vermag und damit die normannischen Gesandten tief beeindruckt.290 Das alles zählt erneut zum Herrscherideal (und doch berichtet es Notker so nur von Ludwig dem Deutschen). Bezeichnend ist darüber hinaus, wenn der Körper, natürlich in antiker Tradition, als Modell für Staat und Gesellschaft begriffen wird, deren Teile gemäß den Körperteilen bestimmte Funktionen ausüben.291 Diese kurzen Hinweise mögen

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der Lugt, La peau noire dans la science m8di8vale, in: ebd. S. 439–475. Zur vielfältigen Aussagekraft der Haut vgl. Ulrich Ernst, Haut-Diskurse. Semiotik der Körperoberfläche in der Erzählliteratur des hohen Mittelalters, in: Wolfzettel (Hg.), Körperkonzepte S. 149– 200. Vgl. Gregor von Tours, Historiae 6,29, S. 296. Alain Boureau, La red8couverte de l’autonomie du corps: l’emergence du somnabule (XIIe–XIVe siHcle), in: I discorsi dei corpi S. 27–42. Krüger, Persönlichkeitsausdruck, S. 25ff., bezeichnet die Investiturkonflikte geradezu »als Katalysatoren des ›Individualisierungsprozesses‹ im Mittelalter«. Ausführlich zum »Körper« des Fürsten, aber erneut, obwohl in diesem Fall nicht notwendigerweise, nahezu ausschließlich spätmittelalterlich, Le Corps du Prince (Micrologus 22), Florenz 2014. Auf die unterschiedliche Darstellung der normannischen Herrscher in Süditalien (Robert Guiskard als Athlet, Tancred als »Zwerg«) macht Francesca Sivo, Nani e giganti nel mezzogiorno in et/ normanna, in: ebd. S. 487–557, aufmerksam. Vgl. Wim Blockmans, Beau, fort et fertile: l’id8al du corps princier, in: ebd. S. 767–781. Vgl. etwa Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni imperatoris 1,34, S. 46f. Ebd. 2,11, S. 67f. Ebd. 2,18, S. 88f. Ausführlich zur »organologischen Staatsauffassung« des Mittelalters: Tilman Struve, Die

430

Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

hier genügen, da das Thema, wenn auch selten unter den hier verfolgten Aspekten, bereits mehrfach aufgearbeitet wurde.

6.

Der Mensch als Mikrokosmos

a.

Widerspiegelung des Kosmos: ›elementare‹ Strukturen

Während die Zusammensetzung des Menschen aus Körper und Seele theologische und weltlich-wissenschaftliche Vorstellungen miteinander verzahnt, ist die Beschaffenheit des menschlichen Körpers zunächst ganz den antiken Vorstellungen verpflichtet, denen erst sekundär religiöse Deutungen beigegeben werden. Wie die gesamte Schöpfung nach antik-mittelalterlicher Überzeugung aus den vier Elementen (Erde, Wasser, Luft und Feuer) besteht,292 so auch der Mensch, also, wie Agobard von Lyon verdeutlicht, auch Christus als Mensch: »Und niemand zweifelt daran, daß Christus als Mensch aus den vier Elementen besteht. Es gehört zur Natur des Menschen, daß er aus Erde, Wasser, Luft und Feuer besteht. Als er [Christus] die Natur eines Menschen angenommen hat, hat er auch diese vier Elemente angenommen. Sie [die Elemente] hängen am Kreuz mitten zwischen den beiden Räubern.«293

Wie die Welt aus den vier gegensätzlichen Elementen besteht, die nach dem Willen des Schöpfers gleichwohl in harmonischem Gleichgewicht übereinstimmen, so ist auch der Mensch nicht nur aus denselben gegensätzlichen Elementen, sondern zudem aus ganz unterschiedlichen Teilen zusammengefügt, meint Hrotsvith von Gandersheim.294 Der Mensch wird daher, im (inhaltlichen, nicht begrifflichen) Rückgriff auf Plato bzw. die spätantike Platorezeption, gern als Welt im Kleinen, als MikroEntwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 16), Stuttgart 1978. Vgl. auch Jean-Marie Moeglin, Corps de l’Empire et corps de l’empereur (XIe-XVe siHcle), in: Le Corps du Prince S. 37–65; Fr8d8rique Lachaud, Corps du prince, corps de la res publica. Pcriture m8taphorique et construction politique dans le Policraticus de Jean de Salisbury, in: ebd. S. 171–199. 292 Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 39–59 und S. 64–67. 293 Agobard von Lyon, Contra libros quattuor Amalarii abbatis 8, S. 360 (als Zitat aus Amalar von Metz, Liber officialis (De ecclesiasticis officiis) 1,13,4, S. 91f.): Nullique dubium, quin Christus homo ex quattuor elementis consisteret. Naturale est homini, ut ex terra et aqua et aere et igne consistat. Quando naturam hominis assumpsit, hec quattuor elementa assumpsit. Illa pendebant in cruce inter medios duos latrones. 294 Hrotsvith von Gandersheim, Pafnutius 1,5, S. 163: Sicut enim maior mundus ex IIII contrariis elementis, sed ad votum Creatoris secundum armonicam moderationem concordantibus perficitur, ita et homo non solum ab eisdem elementis, sed etiam ex magis contrariis partibus coaptatur. Vgl. Finckh, Minor Mundus Homo S. 71ff.

6. Der Mensch als Mikrokosmos

431

kosmos,295 bezeichnet,296 in dem sich gewissermaßen die ganze Welt spiegelt, als ein verkleinertes Abbild der Welt (minor mundus), wie etwa Honorius Augustodunensis im 12. Jahrhundert im Anschluß an Isidor von Sevilla in seiner ›Imago mundi‹ definiert.297 Der Mensch ist ein Mikrokosmos, weil er – in neoplatonischer Lehre, aus theologischer Sicht nach dem Sündenfall allerdings nur noch partiell und unvollkommen – teilhat am vollkommenen Sein, am Makrokosmos. Er ist ein Mikrokosmos, weil, so Wilhelm von Conches298 und Honorius Augustodunensis299 mit den am meisten verbreiteten Argumenten, sein Körper aus allen vier, die ganze Materie konstituierenden Elementen besteht: aus Erde das Fleisch – daher kommt die Kälte – , aus Wasser das Blut – daher kommt die Feuchtigkeit –, aus Luft der Atem (oder Geist) – daher kommt die Trockenheit – , 295 Vgl. d’Alverny, L’homme comme symbole; Finckh, Minor Mundus Homo, über die Rezeption in der mittelhochdeutschen Literatur (mit einem ausführlichen Überblick über die antike und patristische Tradition, ebd. S. 24–61, und die früh- und hochmittelalterlichen Belege, ebd. S. 62–82; zu Bernardus Silvestris ebd. S. 116–158); Sollbach, Die mittelalterliche Lehre vom Mikrokosmos S. 20–28; Georgi Kapriev, Der Mensch als kosmisches Atom in der mittelalterlichen Historiographie (9.–11. Jh.), in: Zimmermann/Speer (Hg.), Mensch und Natur, Bd. 1, S. 28–40; Marian Kurdziałek, Der Mensch als Abbild des Kosmos, in: Albert Zimmermann (Hg.), Der Begriff der Repraesentatio im Mittelalter. Stellvertretung, Symbol, Zeichen, Bild (Miscellanea Mediaevalia 8), Berlin-New York 1971, S. 35–75; Gurjewitsch, Weltbild S. 43–97. Zu einzelnen Autoren: Monika Klaes, Zur Schau und Deutung des Kosmos bei Hildegard von Bingen, in: Führkötter (Hg.), Kosmos und Mensch S. 37–115, zum Mikrokosmos ebd. S. 80–97; Carlos Steel, La cr8ation de l’univers dans l’homme selon Jean Scot PrigHne, in: Wenin (Hg.), L’homme, Bd. 1, S. 205–210; Michel Lemoine, L’homme comme microcosme chez Guillaume de SaintThierry, in: ebd. S. 341–346; Mariano Brasa Diez, Micro y macrocosmos de Juan de Salisbury, in: ebd. S. 347–355. Zum 13. Jahrhundert: James McEvoy, Philosophical Developments of the Microcosm and the Macrocosm in the Thirteenth Century, in: ebd. S. 374–381. Zu kosmischen Bezügen zwischen Erde und Mensch vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 133ff. 296 Der Mensch als minor mundus (apud philosophos) schon bei Hieronymus, Commentarius in Ecclesiasten 9,13, S. 331; später vielfach, etwa bei Boethius, Cassiodor, Beda Venerabilis, Petrus Damiani oder Rupert von Deutz. 297 Honorius Augustodunensis, Imago mundi 1,87, S. 80: Unde et homo lijqoj|slor, id est minor mundus dicitur, dum sic consono numero coelesti musice˛ par cognoscitur ; vgl. Ders., Elucidarium 1,59, S. 371: D. Unde corporalis? M. De quatuor elementis; unde et microcosmus, id est minor mundus dicitur; Ders., Sacramentarium 6, Sp. 773 C. Zum Mikrokosmos bei Honorius vgl. Maria Lodovica Arduini, »Rerum mutabilitas«. Mondo, tempo, immagine dell’uomo e »corpus ecclesiae christianitatis« in Onorio di Ratisbona (Augustodunensis). Per la comprensione di un razionalismo politico nel secolo XII, in: Wenin (Hg.), L’homme, Bd. 1, S. 365–373, besonders S. 369f. Kurdziałek, Der Mensch als Abbild des Kosmos S. 51ff., stellt bei Honorius einen dreifachen Mikrokosmosbezug des Menschen fest: äußerlich wegen seiner Bestandteile, innerlich wegen seiner Seele sowie ganzheitlich hinsichtlich der Analogien zur Struktur des Weltalls. 298 Zu Wilhelm vgl. Derschka, Viersäftelehre S. 89–95. 299 Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 6, Sp. 743 B: homo constat quatuor elementis: terra, aqua, igne, aere.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

aus Feuer die Wärme (und die Seele).300 Damit sind die elementaren Eigenschaften auf den Menschen übertragen und dank seiner verschiedenen Körperteile in ihm wirksam. Der Mensch ist folglich auch deshalb ein Mikrokosmos, weil seine Glieder den Kosmos widerspiegeln: Hugo von St. Viktor weist den Körper der Erde, die Seele aber dem Himmel zu. In der großen Welt liegt die Erde im Himmel, in der kleinen Welt ist es umgekehrt, befindet sich die Seele im Körper (und dennoch sei der Himmel der kleineren Welt, also des Menschen, größer als der Himmel der größeren Welt).301 Nach Honorius symbolisieren das runde Haupt die himmlische Sphäre, die Augen Sonne und Mond, die Brust oder Lunge mit Husten und Atem gleicht der Luft mit Wind und Regen; der Magen ist wie das Meer – er nimmt Speise und Trank auf wie das Meer die Flüsse –, die Füße, die den ganzen Körper tragen, sind wie die Erde, die alles trägt.302 Tabelle 4: Elemente und Körper (nach Honorius): Erde Wasser Luft Feuer

Fleisch Blut Atem Seele

Kälte Feuchtigkeit Trockenheit Wärme

Füße Bauch Brust Haupt

Dem entspricht eine Harmonie mit der Himmelsmusik: Der siebenstimmige Gesang korrespondiert mit den sieben Tönen der Weltmusik, und so ist auch der Mensch aus sieben Teilen, nämlich den vier Elementen und den drei Seelen300 Ders., Elucidarium 1,59, S. 371: Habet enim ex terra carnem, ex aqua sanguinem, ex aere flatum, ex igne calorem; Ders., Sacramentarium 50, Sp. 773 C: Ex terra habet carnem, ex aqua sanguinem, ex aere spiritum, ex igne animam; ex terra habet frigus, ex aqua humorem, ex aere siccitatem, ex igne calorem. 301 Hugo von St. Viktor, Homiliae in Salomonis Ecclesiasten 12, Sp. 191 CD: Nam et ipse homo mundus est et minor mundus dictus est homo. Huius terra est caro eius, et coelum eius anima eius. Sed in hoc mundo maiore intra coelum terra est, in mundo autem minore coelum intra terram. Et tamen mundi minoris coelum maius est quam coelum mundi maioris. 302 Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 50, Sp. 773 BC: Homo dicitur Graece microcosmus, id est minor mundus, caput eius in modum spherae coeli rotundum, in quo duo oculi lucent, ut sol in coelo et luna. Pectus in forma aeris, in quo tussis et anhelitus, sicut in aere venti et pluviae. Venter instar maris, qui recipit cibos et potus, ut mare flumina. Pedes similitudinem habent terrae, qui totum corpus sustentant ut terra omnes res. Ganz ähnlich Ders., Elucidarium 1,59, S. 371: Caput eius in rotundum in caelestis sphaerae modum; in quo duo oculi, ut duo luminaria in aelo, micant; quod etiam septem foramina, ut septem caeli harmoniae, ornant. Pectus in quo flatus et tussis versatur, simulat aerem, in quo venti et tonitrua concitantur. Venter omnes liquores, ut mare omnia fluvia, recipit. Pedes totum corporis pondus, ut terra cuncta sustinent. Neben Haupt und Augen, Brust (hier ist von Wind und Donner die Rede) und Bauch (der alle Flüssigkeiten aufnimmt wie das Meer die Flüsse) sowie Füßen (die das ganze Körpergewicht tragen) verkörpern hier zusätzlich die sieben Körperöffnungen die sieben Himmelsharmonien. Zur ikonographischen Symbolik der Füße vgl. Jean Wirth, L’iconographie m8di8vale du pied, in: Estremit/ S. 411–432. Daß solche Vorstellungen schon vorher verbreitet waren, zeigen das Ezzolied und die Handschrift aus Laon aus dem 9. Jahrhundert; vgl. oben S. 374ff.

6. Der Mensch als Mikrokosmos

433

kräften, zusammengesetzt, die durch die Kunst der Musik einen natürlichen Ausgleich schaffen.303 Deshalb ist (vor allem) David oft als »Himmelsmusiker« dargestellt (wie in der Vivianbibel),304 wo er sogar in einer Art Mandorla sitzt und inmitten verschiedener Musikanten selbst Harfe spielt, während außen an den Ecken die vier Kardinaltugenden abgebildet sind. Aus den vier Elementen besteht hauptsächlich der Schmuck der Welt, mit den vier Tugenden aber soll sich die kleinere Welt, nämlich der Mensch, schmücken, lehrt kurz und knapp Alkuin305 und verbindet damit ebenfalls die physische Struktur des Menschen mit der ethischen. Nach Hildegard von Bingen ist der Mensch schließlich auch deshalb ein Mikrokosmos, weil er im Mittelpunkt der Welt steht: »Das bedeutet, daß der Mensch gleichsam in der Mitte des Weltenbaus steht, weil er mächtiger ist als alle übrigen Geschöpfe, die darin leben. Von Statur zwar klein, ist er doch groß an der Tugend der Seele. Sein Haupt aufwärts, die Füße aber nach unten gerichtet, bewegt er sich sowohl den oberen als auch den unteren Elementen zu, und durchdringt jenen [den Weltenbau] mit seinen Werken zur Rechten und Linken durch das, was er mit seinen Händen bewirkt, weil in den Kräften des inneren Menschen die Macht steckt, solches ins Werk zu setzen.«306

Bischof Aldhelm von Sherborne leitet den Mikrokosmoscharakter am Ende des 7. Jahrhunderts hingegen aus den beiden, sich aus der Substanz ergebenden Naturen des Menschen ab: der sichtbaren äußerlichen Natur, der Gestalt und der inneren Eigenschaft, die mit dem himmlischen Hauch in den Menschen hin303 Honorius Augustodunensis, Imago mundi 1,87, S. 80: Sicut enim hic mundus VII tonis et nostra musica septem VII distinguitur, sic compago nostri corporis VII modis coniungitur, dum corpus IIII elementis, anima III viribus copulatur, que˛ musica arte naturaliter reconciliatur. 304 Paris, Bibl. Nat., Cod. lat. I, f. 215v. Abbildung: Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Abb. III/11, bei S. 244. 305 Alkuin, ep. 81, MGH Epp. 4, S. 124: Quatuor sunt elementa, quibus mundi ornatus constat maxime. Quatuor sunt virtutes, quibus minor mundus, id est homo, ornari debet. 306 Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 1,2,15, S. 74: hoc designat, quod in structura mundi quasi in medio eius homo est, quia ceteris creaturis in illa degentibus potentior existit, statura quidem pusillus, sed uirtute anime˛ magnus; caput scilicet sursum, pedes uero deorsum ad elementa tam superiora quam inferiora mouendo, necnon a dextris et a sinistris operibus, que˛ manibus operatur, illa penetrando; quando in uiribus interioris hominis potentiam hanc operandi habet. Zur Parallelität der Zeit des Kosmos und des Menschen vgl. Jean-Claude Schmitt, Quand la lune nourrissait le temps avec du lait. Le temps du cosmos et des images chez Hildegarde de Bingen (1098–1179) (L’histoire et ses repr8sentations 7), Paris 2009, S. 75f. Zu Hildegards Mikrokosmoslehre vgl. ausführlich Finckh, Minor Mundus Homo S. 200–250; ferner Heinrich Schipperges, Kosmologische Aspekte der Lebensordnung und Lebensführung bei Hildegard von Bingen, in: Führkötter (Hg.), Kosmos und Mensch S. 1–25; Klaes, Zur Schau und Deutung, besonders S. 46–53 und 80–97; Hans-Joachim Werner, Homo cum creatura. Der kosmische Moralismus in den Visionen der Hildegard von Bingen, in: Zimmermann/Speer (Hg.), Mensch und Natur im Mittelalter, Bd. 1, S. 67–88.

434

Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

einkam; so kommt auch der Fleiß der Schüler nicht aus den Regungen des äußeren, sondern aus den Bewegungen des inneren Menschen.307

b.

Säftelehre und Zeitverlauf

Mit den Elementen aber verbinden sich – nach einer im Ursprung auf Hippokrates zurückgehenden und über Galen dem Mittelalter tradierten Lehre – die Körpersäfte,308 die wiederum jeweils bestimmten Organen zugeordnet werden: das Blut (sanguis) der Leber, die Rote (oder Gelbe) Galle (colera) der Galle, die Schwarze Galle (melancolia) der Milz, den Schleim (flegma) der Lunge (Schema).309 Die Mischung dieser Säfte aber bestimmt, je nach Lebensalter und individueller Ausprägung einzelner Elemente, wiederum Charakter und Wesen, Gestalt, »Temperament« und Gesundheitszustand des (einzelnen) Menschen: Zuviel Hitze (Feuer) schafft den Choleriker, zuviel Feuchtigkeit (Wasser) den Phlegmatiker, zuviel Trockenheit (Erde) den Melancholiker, zuviel Kälte den Sanguiniker. So kann Honorius schreiben: »Wer viel Blut besitzt, ist fröhlich, mitleidig, lacht und spricht gern. Wenn die Rote Galle vorherrscht, ist man mager, gefräßig, schnell, kühn, jähzörnig und beweglich. Wo die Schwarze Galle überwiegt, ist man standhaft, schwerfällig (oder auch: dick oder bedächtig), ordentlich gesittet und listenreich. Wo das Phlegma vorherrscht, ist man langsam, schläfrig und vergeßlich.«310 307 Aldhelm von Sherborne (Malmesbury), Prosa de virginitate (De laudibus virginitatis sive de virginitate sanctorum) 3, S. 43f.: Et quidem uniuersa haec, quae per gimnosofistas exerceri deprompsimus inter scolares saecularium disciplinas, apud uestri discipulatus industriam non exterioris hominis motibus aguntur, sed interioris gestibus geruntur, siquidem microcosmum, id est minorem mundum, ex duplici et gemina materiae substantia constare uestrae sagacitatis solertiam non arbitror latere, quin potius, sicut exterioris hominis natura, qui in propatulo formatus uisibiliter conspicitur, haud difficillime deprehendi potest, ita interioris qualitatem, qui caelesti afflatus spiraculo iuxta Geneseos relatum creditur, a uestra prudentia membratim et particulatim subtiliter inuestigatam reor. 308 Vgl. dazu im 12. Jahrhundert Derschka, Viersäftelehre; zu antiken und frühmittelalterlichen Grundlagen ebd. S. 16–68. 309 Vgl. Wilhelm von Conches, Philosophia 4,17,26–28 (unten S. 452f. mit Anm. 391) sowie (ansatzweise) Wilhelm von Saint-Thierry, De natura corporis et animae 17, S. 109: Et cum propter humiditatem suam et abundantiam sanguis et flegma facilius ferantur, et superfluitates suas foras eiciant, per renes eas et uesicam egerunt nulla propria uasa habentes, sicut cholera rubea fel, melancholia splen. Melancholia enim in splene sedem habet, ubi ab hepatis sanguine decolatur, et inde iterum ad os stomachi remittitur, ut appetitum confortet. 310 Honorius Augustodunensis, Imago mundi 2,60, S. 106: In quibus sanguis pollet sunt hilares, misericordes, ridentes, loquaces. In quibus colera rubea sunt macilenti, voraces, veloces, audaces, iracundi, agiles. In quibus nigra colera stabiles, graves, compositi moribus et dolosi sunt. In quibus flegmata tardi, somnolenti, obliviosi sunt. Zur analogen Deutung Wilhelms von Conches vgl. unten S. 453. Das ›Priesterhandbuch‹ des 9. Jahrhunderts erschließt Eigenschaften aus dem Überwiegen eines der acht Teile, aus denen der Mensch besteht (vgl.

6. Der Mensch als Mikrokosmos

435

Beim ersten Menschen war dieses Verhältnis zwischen den Elementen noch ausgeglichen gewesen, es war eben noch »Temperament«. Nach dem Sündenfall aber verlor der Mensch über der harten Arbeit seine natürliche Wärme und wurde trocken und kalt.311 Wilhelm von Saint-Thierry bringt die vier Säfte nicht nur eindeutig mit den vier Elementen und ihren Eigenschaften in Verbindung, sondern lehrt auch, daß sie sich gegenseitig verderben und den Körper zerstören, wenn sie sich nicht, wie es die natürliche Ordnung vorgesehen hat, gleichmäßig verteilen und zusammensetzen und sich gegenseitig in ihren Eigenschaften mäßigen.312 Die Körpersäfte entsprechen zugleich den Jahreszeiten (Tabelle 5): »Es gibt vier Elemente,« so faßt (wahrscheinlich) Hugo von Fouilloy im 12. Jahrhundert zusammen: »Feuer, Luft, Erde und Wasser. Vier Säfte des menschlichen Körpers: Blut, Rote Galle, Schwarze Galle und Phlegma. Vier Jahreszeiten: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. […] Also stimmen die Elemente mit den Säften, die Säfte mit den (Jahres-)Zeiten überein.«313

Schon Beda ordnet die Säfte klar den Jahreszeiten zu, in denen jeweils ein Saft überwiegt, bezieht das aber auf den Menschen als Mikrokosmos: Das feuchtwarme Blut wächst im Frühjahr, die feucht-trockene Rote Galle im Sommer, die

oben S. 376): zuviel Erde macht den Menschen faul, zuviel Wasser macht ihn weise und tiefgründig, zuviel Sonne macht ihn ansehnlich und wohlgestaltet, zuviel Wolken machen ihn leichtfertig und ausschweifend, zuviel Wind macht ihn schnell und aufbrausend, zuviel Steine machen ihn habsüchtig und ungläubig, zuviel Heiliger Geist und Licht der Welt machen ihn hingegen in jeder Hinsicht gut, züchtig, und vortrefflich. 311 So Wilhelm von Conches, Philosophia 6,13,2, S. 227: Primus enim homo inter quatuor qualitates fuit temperatus. Sed postquam amoenitate paradisi expulsus in ualle lacrimarum et miseriae in labore manuum suarum coepit uesci pane, suo labore uigiliis ieiuniis cepit desiccare atque naturalis calor extingui. 312 Wilhelm von Saint-Thierry, De natura corporis et animae 3ff. (das folgende Zitat 4f.), S. 104: Ex his quoque quatuor elementis, quatuor in corpore animali creantur humores, propter quod et ipsorum filii dicuntur, sicut elementa mundo, sic isti corpori animali uitae et incolumitatis materiam et ordinem administrantes, si suo modo et ordine suo dispensentur et non uitio uel incuria corrumpantur. Alioquin sicut aqua mutatur in terram densata et terra in aquam lutificata, sic ipsi humores cum in se inuicem uel ab inuicem corrumpuntur, corrumpunt et destruunt corpus suum, quod uiuificare et ordinare debuerant. Itaque in corpore animali sua propria est complexio prima et naturalis in ipso elementorum coniunctio, quae si aequalis est et bene composita, ut contraria non impugnentur uel destruantur a contrariis, sed calida temperentur a frigidis, frigida a calidis, sic que de reliquis, bona fit complexio, et consentiente natura fit eucrasia, bona scilicet temperantia quatuor qualitatum. Zum Mikrokosmos ebd. 11, S. 107: homo, id est microcosmos. 313 Hugo von Folieto (?), De medicina animae 2, Sp. 1184f.: Quatuor sunt elementa mundi, ignis, aer, terra et aqua. Quatuor humores corporis humani, sanguis, cholera rubra, cholera nigra et phlegma. Quatuor vero tempora anni: ver, aestas, autumnus, hiems. […] Elementa igitur congruunt humoribus, humores temporibus.

Jahreszeit Frühling

Sommer

Herbst

Winter

Element Luft

Feuer

Erde

Wasser

Alter

Mannesalter

Jugend

Lebensalter Kindheit

Körpersaft Blut (sanguis) Gelbe Galle (colera) Schwarze Galle (melancolia) Schleim (flegma) Lunge

Milz

Galle

Körperteil Leber

Phlegmatiker

Melancholiker

Choleriker

Menschentyp Sanguiniker

kalt / feucht

trocken / kalt

warm / trocken

Eigenschaften feucht / warm

Tabelle 5: Schematische Darstellung des Zusammenhangs von Körpersäften und Menschentyp

klein / dick

klein / mager

lang / mager

Gestalt lang / dick

Schmecken

Sehen (Feuer) Hören (Äther) Fühlen

Sinne Riechen

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6. Der Mensch als Mikrokosmos

437

trocken-kalte Schwarze Galle im Herbst, das kalt-feuchte Phlegma im Winter an.314 Wie die Elemente die Jahreszeiten, so bestimmen die Körpersäfte auch das jeweilige Lebensalter des Menschen: »Durch diese Eigenschaften ist der menschliche Körper in das rechte Maß gebracht,« schreibt Honorius. »Deshalb wird er Mikrokosmos, eine Welt im Kleinen, genannt. Das Blut nämlich, das im Frühling anwächst, ist feucht und warm und wirkt vor allem in den Kindern. Die Rote Galle wächst im Sommer an; sie ist warm und trocken und ist vor allem im Mannesalter (wörtlich: bei Jugendlichen) vorhanden. Die Melancholie wächst aus der Schwarzen Galle im Herbst (und) im fortgeschrittenen Alter an. Das Phlegma herrscht im Winter (und) bei den Greisen vor.«315

Der Tag ist Wissen, die Nacht Unwissen.316 Wie der Mensch im Knaben- und »jugendlichem« Alter in Blüte steht, schreibt Hildegard von Bingen, im Greisenalter aber zur Trockenheit neigt, so wird auch die Erde im Sommer durch das Grün der Blüten geschmückt und verblaßt im Winter durch die Kälte.317 Die Parallele zu den Lebensaltern bezieht sich nach Isidor aber auch auf Anfang und Ende: »Wie sich der Mensch durch die Abmessung der Lebensaltersstufen hindurch dem Ende entgegenneigt, so schwindet auch die Welt dahin, weil sie sich zeitlich erstreckt, da der Mensch und die Welt, so wie sie wachsen, beide gleichermaßen wieder abnehmen.«318

314 Vgl. Beda Venerabilis, De temporum ratione 35, S. 392: Sed et homo ipse, qui a sapientibus microcosmos, id est minor mundus, appellatur, hisdem per omnia qualitatibus habet temperatum corpus, imitantibus nimirum singulis eius, quibus constat humoribus, modum temporum, quibus maxime pollet. Sanguis siquidem, qui uere crescit, humidus et calidus; cholera rubea, quae aestate, calida et sicca; cholera nigra, quae autumno, sicca et frigida; phlegmata, quae hieme, frigida sunt et humida. Die vier Jahreszeiten erhalten hier die Eigenschaften der vier Elemente. 315 Honorius Augustodunensis, Imago mundi 2,59, S. 106: Hisdem qualitatibus est humanum corpus temperatum, unde et microcosmus, id est minor mundus appellatur. Sanguis namque qui vere crescit, est humidus et calidus, et hic viget in infantibus. Colera rubea crescens in aestate est calida et sicca, et he˛c habundat in iuvenibus. Melancholia a colera nigra crescens autumno in provectioribus. Flegmata, que˛ hieme dominantur in senibus. Vgl. Ders., Sacramentarium 50, Sp. 773 C: Quatuor tempora anni habet, ver, pueritiam; aestatem, iuventutem; autumnum, senectutem; hiemem, aetatem decrepitam. Ähnlich Wilhelm von Saint-Thierry, De natura corporis et animae 46f., S. 119, der die feucht-warme Eigenschaft des Blutes allerdings nicht der Kindheit, sondern erst der adolescentia zuschreibt. 316 Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 50, Sp. 773 C: Scientia in eo lucet ut dies, ignorantia tenebrescit, ut nox. 317 Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 1,4,78, S. 209: Et homo in puerili et in iuuenili etate florendo perficitur, ac postmodum per senectutem in ariditatem inclinatur ; sicut et terra in estate per uiriditatem florendo decoratur, et postmodum in hieme per frigus in pallorem uertitur. 318 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,8,2, S. 20: Nam sicut per dimensiones aetatum ad finem

438

Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Der Zusammenhang mit den Jahreszeiten (sowie mit den Tageszeiten), der sich im Mikrokosmos widerspiegelt, bestimmt wiederum das Verhalten: Im Winter, so Hildegard, schläft der Mensch, im Sommer ist er wach. Ähnliches gilt für die einzelnen Monate: Wie der Juli (um nur ein Beispiel anzuführen) durch die glühende Sonne die Früchte der Erde reifen und austrocknen läßt, so stößt das Blut jetzt das Gift aus den Körpersäften aus.319 Das läßt sich noch weiterführen. So erklärt Hildegard beispielsweise den Haarausfall mit der sich ins Gehirn fortsetzenden, durch Hitze bewirkten Trockenheit (bzw. Austrockung) des Körpers.320 Vorstellungen vom Zusammenhang von Geschlecht, Elementenlehre und Verhalten fließen auch in die Dichtung ein, wenn Neidhart von Reuenthal den (unstandesgemäßen) Dörper dem groben Winter, das Mädchen hingegen dem vitalen Sommer verwandt sieht.321 Auch die fünf Sinne des Menschen – Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack und Tastsinn322 – gehen nach Honorius auf die Elemente zurück (wobei er die Fünfzahl aus der Unterscheidung von Feuer und Äther gewinnt): Das Sehen kommt aus dem Feuer, das Hören aus dem Äther, das Riechen aus der Luft, das Schmecken aus dem Wasser und das Fühlen aus der Erde.323 »Der Mensch nimmt mit dem Gesicht wahr. Er sieht mit den Augen, hört mit den Ohren, öffnet den Mund zum Reden, tastet mit den Händen und geht mit den Füßen und daher ist im Menschen der Sinn wie Edelsteine und ein wertvoller Schatz, der gut in einem Gefäß verwahrt wird.«324 Jeder der fünf Sinne aber hat seine eigene Natur und seinen eigenen Körperteil.325 Das Sehen ist »gläserne Flüssigkeit« und sowohl äußerlich durch das Licht im Äther als auch innerlich durch den erleuchteten

319 320 321 322

323

324 325

homo uergitur, ita et mundus per hoc, quod distenditur tempore, deficit, quia unde homo atque mundus crescere uidetur, inde uterque minuitur. Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 1,4,98, S. 232ff., zum Juli S. 236. Ebd. 1,4,47, S. 180. Vgl. Goheen, Natur- und Menschenbild S. 367 und 377. Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiae 11,1,18, Bd. 2, S. 3: Sensus corporis quinque sunt: visus, auditus, odoratus, gustus et tactus. Sie werden von Isidor im folgenden einzeln beschrieben. Zu den Sinnen vgl. I cinque sensi. Zur symbolischen Ausdeutung im hohen Mittelalter : Jean-Yves Tilliette, Le symbolisme des cinq sens dans la litt8rature morale et spirituelle des XIe et XIIe siHcles, in: ebd. S. 15–32; zur Klassifizierung parallel den Sünden: Carla Casagrande, Sistema dei sensi e classificazione dei peccati (secoli XII–XIII), in: ebd. S. 33–53. Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 50, Sp. 773 C: Visum habet ex igne, auditum ex aethere, odoratum ex aere, gustum ex aqua, tactum de terra. Dem läßt Honorius aber noch folgen, der Mensch habe die Knochen aus Steinen, die Nägel aus dem Bäumen, die Haare aus Kräutern etc. So Hildegard von Bingen, Scivias 1,4,24, CCM 43, S. 83: Homo in facie cognoscitur, oculis uidet, auribus audit, os ad loquendum aperit, manibus palpat, pedibus ambulat et ideo sensus est in homine uelut pretiosi lapides et ut pretiosus thesaurus in uase signatus. Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiae 11,1,24, Bd. 2, S. 4: Vnicuique autem sensui propriam naturam datam. Nam quod videndum est, oculis capitur, quod audiendum est, auribus: mollia et dura tactu aestimantur, sapor gustu, odor naribus ducitur.

6. Der Mensch als Mikrokosmos

439

Geist (oder geistige Erleuchtung) möglich;326 das Sehen ist nach Isidor der lebenskräftigste, schnellste und oberste Sinn, weil er dem Gehirn am nächsten ist und der Erinnerung dient; aus ihm leiten sich die anderen Sinne letztlich erst ab (so daß man sagt »Sieh, wie das klingt« oder »Sieh, woher er das weiß«).327 Das Ohr hört Stimmen und Töne durch die Luftschläge, der Geruch wirkt durch Berührung des Luftgeruchs.328 Auch dabei wirken also die Elemente. Der Tastsinn aber erfühlt, was die anderen Sinne nicht wahrnehmen und beurteilen können. Wie beim Sehen gibt es hier ein äußeres und ein inneres Tasten.329

c.

›Physik‹ des Körpers bei Isidor von Sevilla und Wilhelm von Conches

Grundlage solcher Deutungen ist eine (weltlich-biologische) Beschreibung des menschlichen Körpers, wie sie Isidor von Sevilla bietet330 und wie sie, etwa von Hrabanus Maurus im 9.331 oder Hugo von Folieto im 12. Jahrhundert mit nur wenigen Ergänzungen und Änderungen,332 und in anderer Weise dann von Wilhelm von Conches, Wilhelm von Saint-Thierry und Hildegard von Bingen aufgegriffen und erweitert wird. An diesen Beispielen sei das hier exemplarisch verdeutlicht. Isidor erklärt, wie stets in seiner Schrift, die Begriffe etymologisch (erneut bei den Assoziationen sprachlich nicht immer zutreffend), um daraus zugleich ihren (tieferen) Sinn zu erhellen.333 »Der« Mensch ist ein ganzes

326 Ebd. 11,1,20, S. 3: Visus est qui a philosophis humor vitreus appellatur. Visum autem fieri quidam adseverant aut externa aetherea luce, aut interno spiritu lucido per tenues vias a cerebro venientes, atque penetratis tunicis in aerem exeuntes, et tunc conmixtione similis materiae visum dantes. 327 Ebd. 11,1,21, S. 3f.: Visus dictus, quod vivacior sit ceteris sensibus ac praestantior sive velocior, ampliusque vigeat, quantum memoria inter cetera mentis officia. Vicinior est enim cerebro, unde omnia manant; ex quo fit, ut ea. Quae ad alios pertinent sensus, ›vide‹ dicamus; veluti cum dicimus: ›Vide quomodo sonat‹, ›vide quomodo sapit‹, sic et cetera. 328 Ebd. 11,1,22, S. 4: Auditus appellatus, quod voces auriat; hoc est aere verberato suscipiat sonos. Odoratus quasi aeris odoris adtactus. Tacto enim aere sentitur. Sic et olfactus, quod odoribus adficiatur. Gustus a gutture dictus. 329 Ebd. 11,1,23, S. 4: Tactus, eo quod pertractet et tangat et per omnia membra vigorem sensus aspergat. Nam tactu probamus, quidquid ceteris sensibus iudicare non possumus. Duo autem genera tactus esse; nam aut extrinsecus venit quod feriat, aut intus in ipso corpore oritur. 330 Ebd. 11,1 (De homine et partibus eius), S. 1–21. 331 Hrabanus Maurus, De rerum naturis 6,1, Sp. 137–178. 332 Hugo von Folieto (Fouilloy), De bestiis et aliis rebus 3,60, Sp. 121–132. Zu Hugos (weit originellerer) mikrokosmischer Viersäftelehre in seiner Schrift De medicina animae vgl. Derschka, Viersäftelehre S. 98–116. 333 Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,6,1f. (De hominibus), Bd. 1, S. 278: Plerique primorum hominum ex propriis causis originem nominum habent. Quibus ita prophetice indita sunt vocabula, ut aut futuris aut praecedentibus eorum causis conveniant. In quibus tamen manente spiritali sacramento, nunc tantum ad litteram intellectum historiae per-

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Menschengeschlecht (genus), weil er zeugungsfähig ist; das wiederum gleicht der fruchtbaren Erde, die alles hervorbringt (und aus der nicht zufällig auch der Mensch selbst erschaffen ist).334 Das Leben (vita) aber leitet sich von der Kraft (vigor oder vis) des Gebärens und Wachsens ab (wie bei Bäumen).335 Die begriffliche Erklärung fügt sich bei Isidor zu einem »theologisch-wissenschaftlichen System« zusammen, auch wenn er dazu etymologische Klimmzüge vollziehen und caro von creare ableiten muß, um damit zugleich die Fortpflanzung zu verbinden.336 Isidor unterscheidet aber Fleisch und Körper, obwohl beide beim lebendigen Menschen eine Einheit bilden: Im Fleisch steckt immer ein Körper, jedoch nicht umgekehrt; ›Körper‹ ist auch der Leichnam nach dem Tod, also ohne Leben.337 Die etymologische Besprechung der einzelnen Körperteile legt zugleich deren (sich daraus ergebende) Funktion offen (vgl. Tabelle 6, S. 444ff.).338 So ist der Kopf (caput), um das an nur wenigen Beispielen zu verdeutlichen, der erste (und zugleich ›primäre‹) Körperteil, weil alle Sinne und Fasern von dort ihren Anfang nehmen und alle Lebenskraft von dort ausgeht und der Kopf gewissermaßen sogar die Seele trägt, die den ganzen Körper berät.339 Das Haar (capilli, quasi capitis pili) schmückt den Kopf und schützt das Gehirn vor Kälte und Hitze.340 Die Augen, die jede Regung anzeigen, liegen geschützt weit innen und sind der Seele am nächsten.341 Der Mund (os) heißt so, weil er wie durch eine Tür (ostium) nach innen hin Nahrung aufnimmt und nach außen hin Speichel und Reden

334

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sequimur. Vbi autem etymologiae interpretationem non attigimus, solam ipsam in Latino etymologiam posuimus. Ebd. 11,1,1f., Bd. 2, S. 1: Natura dicta ab eo quod nasci aliquid faciat. Gignendi enim et faciendi potens est. Hanc quidam Deum esse dixerunt, a quo omnia creata sunt et existunt. Genus a gignendo dictum, cui derivatum nomen a terra, ex qua omnia gignuntur ; c/ enim Graece terra dicitur. Ebd. 11,1,3, S. 1: Vita dicta propter vigorem, vel quod vim teneat nascendi atque crescendi. Vnde et arbores vitam habere dicuntur, quia gignuntur et crescunt. Ebd. 11,1,15, S. 3: Caro autem a creando est appellata. Crementum enim semen est masculi, unde animalium et hominum corpora concipiuntur. Hinc et parentes creatores vocantur. Ebd. 11,1,17, S. 3: Caro autem et corpus diversa significant. In carne semper corpus est, non semper in corpore caro. Nam caro est quae vivit, idem et corpus. Corpus, quod non vivit, idem non caro. Nam corpus dici aut quod post vitam est mortuum aut sine vita est conditum. Ebd. 11,1,25–147, S. 4–21. Ebd. 11,1,25, S. 4: Prima pars corporis caput; datumque illi hoc nomen, eo quod sensus omnes et nervi inde initium capiant atque ex eo omnis vigendi causa oriatur. Ibi enim omnes sensus apparent. Vnde ipsius animae, quae consulit corpori, quodammodo personam gerit. Ebd. 11,1,28, S. 4: Capilli vocati quasi capitis pili facti, ut et decorem praestent et cerebrum aduersus frigus muniant atque a sole defendant. Ebd. 11,1,36, S. 5: Oculi vocati, sive quia eos ciliorum tegmina occulant, ne qua incidentis iniuriae offensione laedantur, sive quia occultum lumen habeant, id est secretum vel intus positum. Hi inter omnes sensus viciniores animae existunt.

6. Der Mensch als Mikrokosmos

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ausspuckt.342 Die Gebärmutter (uterus) heißt so, weil sie doppelt ist und sich auf beiden Seiten zweiteilt (oder weil sich die Leibesfrucht darin ergießt).343 Die Blase (vesica) sammelt den Urin wie ein Gefäß (vas) aus den Nieren auf.344 Alle Begriffe haben eine Etymologie, aber längst nicht bei allen Körperteilen gibt Isidor auch die Funktion an, sondern unterscheidet zwischen Nutzen und Zierde. Manche Organe dienen lediglich der Ausschmückung (wie das Zahnfleisch): »In unserem Körper ist manches lediglich zum Nutzen geschaffen worden, wie die Eingeweide, manches zum Nutzen und zur Zierde, wie die Sinne(sorgane) im Gesicht und Hände und Füße am Körper : bei diesen Gliedern ist sowohl der Nutzen groß als auch das Aussehen wohlgestaltet.«345

Ausschließlich der Zierde dienen beispielsweise die Brustwarzen des Mannes oder der Nabel bei beiden Geschlechtern.346 Nur gelegentlich fügt Isidor noch biologische Erklärungen an; so fließt etwa nach einer Geburt überschüssiges, rotes Blut aus dem Uterus in die Brüste und wird dort in weiße Milch umgewandelt.347 Wieder andere Körperteile dienen der Unterscheidung der Geschlechter, wie Genitalien, Bart und breite Brust des Mannes oder die glatten Wangen, die schmale Brust und die zum Gebären breiten Hüften der Frau.348 Als Drittes (neben Etymologie und Funktion) unterscheidet Isidor entsprechend dort, wo es möglich ist, daher zwischen den Geschlechtern: So sind Haarausfall und Tonsur nur Männern eigen, während Locken (crines) spezifisch weiblich349 und der Bart natürlich ausschließlich männlich ist;350 Männer haben 342 Ebd. 11,1,49, S. 8: Os dictum, quod per ipsum quasi per ostium et cibos intus mittimus et sputum foris proicimus; vel quia inde ingrediuntur cibi, inde egrediuntur sermones. 343 Ebd. 11,1,134, S. 19: Vocatus autem uterus, quod duplex sit et ab utraque in duas se dividat partes, quae in diversum diffusae ac replexae circumplicantur in modum cornu arietis; vel quod interius inpleatur foetu. 344 Ebd. 11,1,137, S. 19: Vesica dicta, quia sicut vas aqua, ita de renibus urina collecta conpletur et humore distenditur. 345 Ebd. 11,1,146, S. 21: In corpore nostro quaedam tantum utilitatis causa facta sunt, ut viscera, quaedam et utilitatis et decoris, ut sensus in facie et in corpore manus ac pedes, quorum membrorum et utilitas magna est et species decentissima. 346 Ebd. 11,1,147, S. 21: Quaedam tantum decoris, ut mamillae in viris et in utroque sexu umbilicus. 347 Ebd. 11,1,77, S. 11f.: Nam post partum si quid sanguinis nondum fuerit uteri nutrimento consumptum, naturali meatu fluit in mammas, et earum uirtute albescens lactis accipit qualitatem. 348 Ebd. 11,1,147, S. 21: Quaedam discretionis, ut in viris genitalia, barba promissa, pectus amplum; in mulieribus leves genae et angustum pectus; ad concipiendos autem et portandos foetus renes et latera dilatata. 349 Ebd. 11,1,29/31, S. 4f.: Caesaries a caedendo vocata, ideoque tantum virorum est. Virum enim tonsum decet, mulierem non decet. […] Crines proprie mulierum sunt. 350 Ebd. 11,1,45, S. 7: Barbam veteres vocaverunt, quod virorum sit, non mulierum.

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mehr Zähne,351 nur Frauen eine Gebärmutter,352 und nur die Frau ist ein »menstruierendes Lebewesen« (animal menstruale).353 Der Grund sexueller Begierde kommt beim Mann aus den Lenden, bei der Frau aus dem Nabel.354 Auch die Gefühlsregungen verbinden sich mit bestimmten Körperteilen: »Von der Milz her lachen wir, von der Galle her erzürnen wir, mit dem Herzen denken wir, von der Leber her lieben wir. Erst mit diesen vier Elementen ist ein Lebewesen vollständig.«355

Das Blut gehört der Seele; deshalb reißen sich trauernde Frauen die Wangen auf, damit es blutet.356 Die (Begriffe der) Körperteile unterscheiden den Menschen zugleich wieder vom Tier. So kann nur der Mensch auf dem Rücken (terga) liegen.357 Nur gelegentlich, vor allem aber bei den Organen, kommen noch medizinische Erläuterungen hinzu, etwa daß man drei Tage vor dem Tod keine Pupillen mehr hat.358 Das Blut ist nur bei jüngeren Menschen (iuvenes) noch vollständig; im Alter schwindet es (deshalb zittern alte Menschen).359 Das Herz ist Sitz jeglicher Sorge und alles Wissens; weil es sich leicht aufregt, liegt es gleich neben der Lunge, um sich durch ihren Einfluß wieder zu beherrschen.360 In der heißen Leber werden die den Speisen entnommenen Säfte in Blut umgewandelt, das die anderen Organe ernährt.361 Der Darm mit seinen vielen Windungen verdaut die Speisen

351 Ebd. 11,1,53, S. 8: Dentium autem numerum discernit qualitas sexus. Nam in viris plures, in feminis pauciores existunt. 352 Ebd. 11,1,134f., S. 19: Vterum solae mulieres habent, in quo concipiunt, ad similitudinem cauliculi. 353 Ebd. 11,1,140, S. 20: Haec et muliebria nuncupantur ; nam mulier solum animal menstruale est. 354 Ebd. 11,1, 98, S. 14: Lumbi ob libidinis lasciviam dicti, quia in viris causa corporeae voluptatis in ipsis est, sicut in umbilico feminis. 355 Ebd. 11,1,127, S. 18: Nam splene ridemus, felle irascimur, corde sapimus, iecore amamus. Quibus quattuor elementis constantibus integrum est animal. 356 Ebd. 11,1,123, S. 17: Proprie autem sanguis animae possessio est: indegenas lacerare mulieres in luctu solent; inde et purpureae vestes et flores purpurei mortuis praebentur. 357 Ebd. 11,1,92, S. 13: Terga, quia in ea supini iacemus in terra, quod solus homo potest. Nam muta animalia tantum aut in ventre aut in latere iacent. 358 Ebd. 11,1,37, S. 6: Physici dicunt easdem pupillas, quas videmus in oculis, morituros ante triduum non habere, quibus non visis certa est desperatio. 359 Ebd. 11,1,123, S. 17: Sanguis autem non est integer, nisi in iuvenibus. Nam dicunt physici minui sanguinem per aetatem; unde et in senibus tremor est. 360 Ebd. 11,1,118, S. 16f.: In eo enim omnis sollicitudo et scientiae causa manet. Qui ideo pulmoni vicinus est ut, cum ira accenditur, pulmonis humore temperetur. 361 Ebd. 1,11,125, S. 18: Inde ad oculos ceterosque sensus et membra diffunditur, et calore suo ad se sucum ex cibo tractum vertit in sanguinem, quem ad usum pascendi nutriendique singulis membris praebet.

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ganz allmählich, damit neue Speisen diesen Vorgang nicht behindern.362 Gesundheit oder Krankheit erkennt man am Puls363 wie auch am Urin.364 Mit den Organen verbinden sich zudem die menschlichen Eigenschaften. So kommen Lust und Begierde aus der Leber.365 Den Samen begreift Isidor als einen abgekochten Körpersaft, der über Adern und Mark verteilt wird und in den Nieren wie Hefe aufgeht. Wenn er im Geschlechtsverkehr ausgestoßen und von der Gebärmutter aufgenommen wird, wird er durch die Wärme der Eingeweide und das Begießen mit Menstruationsblut (dem überschüssigen Blut der Frauen) zu einem Körper geformt.366 Das verbindet sich mit Volkstümlichem: Nach Berührung mit Menstruationsblut reifen die Früchte nicht mehr, wird der Most sauer, sterben die Kräuter, verlieren Bäume ihre Früchte, wird Eisen rostig, Erz schwarz, und Hunde, die es fressen, werden wild367 (na also), und Isidor erklärt damit die Unfruchtbarkeit an vielen Monatstagen, an denen es noch nicht genügend Menstruationsblut gibt, um den Samen durchzuspülen. Zu schwacher Samen fällt von den weiblichen Organen ab, zu dicker Samen kann sich mit dem Blut der Frau nicht vermischen (und beides erklärt die Unfruchtbarkeit).368 Schließlich beschreibt Isidor das Wachsen des Kleinkindes im Mutterleib: Zuerst entstehe das Herz, in dem das ganze Leben und die ganze Weisheit steckt, nach anderen beginnt das Wachstum aber auch mit dem Kopf. Wie man aus Fehlgeburten weiß, ist das Werk am 40. Tag vollendet.369 Das Geschlecht des 362 Ebd. 1,11,129, S. 18: Intestina dicuntur, eo quod corporis interiore parte cohibentur ; quae idcirco longis nexibus in circulorum ordinata sunt modo, ut susceptas escas paulatim digerant, et superadditis cibis non inpediantur. 363 Ebd. 11,1,120, S. 17: Pulsus vocatus, quod palpitet; cuius indicio aut infirmitatem intellegimus aut salutem. 364 Ebd. 1,11,138, S. 19: Vrina autem dicta, sive quod urat, seu quia ex renibus egeritur. Cuius indicio et salus et aegritudo futura monstratur. 365 Ebd. 1,11,125, S. 18: In iecore autem consistit voluptas et concupiscentia iuxta eos. Qui de physicis disputant. 366 Ebd. 1,11,139, S. 19f.: Est enim liquor ex cibi et corporis decoctione factus ac diffusus per venas atque medullas, qui inde desudatus in modum sentinae concrescit in renibus, eiectusque per coitum et in utero mulieris susceptus calore quodammodo viscerum et menstrualis sanguinis inrigatione formatur in corpore. Menstrua supervacuus mulierum sanguis. 367 Ebd. 11,1,141, S. 20: Cuius cruoris contactu fruges non germinant, acescunt musta, moriuntur herbae, amittunt arbores fetus, ferrum rubigo corripit, nigrescunt aera. Si qui canes inde ederint, in rabiem efferuntur. 368 Ebd. 11,1,142, S. 20: Post plurimos autem dies menstruos ideo semen non esse germinabile, quia iam non est menstrualis sanguis, a quo perfusum inrigetur. Tenue semen locis muliebribus non adhaerere; labitur enim nec habet vim adhaerendi. Similiter et crassum vim non habet gignendi, quia muliebri sanguini miscere se non potest propter nimiam sui spissitudinem. 369 Ebd. 11,1,143, S. 20: Primum autem aiunt cor hominis fingi, quod in eo sit et vita omnis et sapientia; deinde quadragesimo die totum opus expleri; quod ex abortionibus, ut ferunt, collecta sunt.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Kindes bestimmt sich nach der Dominanz des Samens der Eltern: Wenn der männliche Samen stärker ist, gleicht das Kind dem Vater, ist der weibliche Samen stärker, gleicht es der Mutter. Gleicht es aber beiden Elternteilen, dann haben sich männlicher und weiblicher Samen gleichmäßig vermischt370 (und so können Mädchen aus männlichem und Jungen aus weiblichem Samen entstehen). Aber auch den Großeltern und Urgroßeltern kann ein Kind ähneln, weil deren Samen, ähnlich dem Samen in der Erde, in den Eltern verborgen ist. Tabelle 6: Etymologie und Funktion der Körperteile nach Isidor von Sevilla Körperteil Kopf (caput)(25) Scheitel/Kopfhaut (vertex)(26) Schädel (calvaria)(27) Haare (capilli, pilus) (28) Haupthaar (caesaries) Haupthaar (coma)(30) Schläfe (tempora)(32) Gesicht (facies)(33) Blick (vultus)(34) Stirn (frons)(35) Augen (oculi)(36) Pupillen (pupillae)(37) Iris (circulus)(38) Augenliderhaare (palpebrae)(39f.), Augenlider (cilia) und Augenbrauen (supercilia) (42) Tränen (lacrimae) Wangen (genae)(43)

Etymologie Ausgang aller Sinne und Fasern von caesaries vertitur (Hugo: capilli revertuntur) ab ossibus calvis quasi capitis pili; pilus: dicti a pelle a cedendo (Haarausfall) von griech. caimos a secando bewegen sich wie die Zeiten ab effigie (Bildnis)

Beschreibung und Funktion Sitz von Lebenskraft und Seele Haarwuchs

Zierde und Schutz des Gehirns vor Kälte und Hitze

zum Erkennen/Unterscheiden der Menschen zeigt die jeweilige Gefühlsempfindung an zeigt Gefühlsbewegung (froh oder traurig) an zeigt jede innere Regung an

per eum animi uoluntas ostenditur ab oculorum foraminibus nominata (Augenlöcher) quia eos ciliorum tegmina occulant [occultant?] oder : occultum lumen so heißen die Kleinen (par- Mittelpunkt des Auges: vuli), die noch rein und Sehkraft unbefleckt sind heißt corona, weil sie die Pupillen kreisförmig schmückt a palpitatio (Zucken), weil schützen die Augen und sie sich ständig bewegen; lassen sie nachts ruhen cilia a celare (verbergen) a laceratione mentis von griech. geneion, Bart

370 Ebd. 11,1,145, S. 20f.: Nasci autem patribus similes aiunt, si paternum semen validius sit; matribus, si matris; hac ratione similes exprimi vultus: qui autem utriusque parentis figuram reddunt, aequaliter mixto paterno maternoque semine concipiuntur.

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6. Der Mensch als Mikrokosmos

(Fortsetzung) Körperteil Backe (malae) und Kinnlade (maxilla)(44f.) Ohren (aures)(46)

Etymologie wegen ihrer Rundung kleine malae a vocibus hauriendis

Nase (nares)(47)

quia per eas uel odor uel spiritus nare (fließen) non desinit weil Nahrungsaufnahme quasi per ostium (wie durch eine Tür) a lambendo (lecken) a lingendo cibo (Speise belecken) oder per articulatos sonos uerba ligat (aus deutlichen Tönen Wörter herstellen) von griech. adºmter canini: hundeähnlich

Mund (os)(49) Lippen (labia)(50) Zunge (lingua)(51)

Zähne (dentes)(52) (Schneide-, Eck-, Backenzähne) (praecisores, canini, molares) Zahnfleisch (gingiva)(54) a gignendis dentibus Gaumen (palatum)(55) Kehle (fauces)(56) Luftröhre (arteria)(56)

griech. oqqam¹m a fundendis vocibus a pulmone aer

Kinn (mentum)(57)

quod inde mandibulae oriantur a gutture deshalb spricht man bei Tieren vom Wiederkäuen (ruminare) weil starr wie eine Säule (columna) quasi cerebri via

Gurgel (gurgulio)(58) Speiseröhre (rumen) Hals (collum)(60) Nacken (cervix)(61) Schultern (humeri)(62) Arme (brachchia)(63)

Ellenbogen (cubitum)(64)

Beschreibung und Funktion Schutz der Augen Hörsinn/Hören der Stimmen Geruchssinn Nahrungsaufnahme; Austritt von Speichel und Reden Sprache (51); Differenzierung der Laute (56)

zum Schmuck der Zähne, damit sie nicht »nackt« erscheinen wie ein Himmel produziert die Stimme Atemweg und Produktion der Stimme

»Quetschen« der Laute Aufnahme von Speise und Trank trägt den Kopf lenkt das Gehirn ins Rückenmark

quasi armi (wie Oberschenkel) bei Tieren wegen der Stärke (griech. Sitz der Muskeln baq») Muskeln (tori), weil das Fleisch in ihnen gedreht ist zum Abstützen (cubare) beim Essen

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

(Fortsetzung) Körperteil Hand (manus)(66)

Etymologie quod sit totius corporis munus a dando

Beschreibung und Funktion Vielfachdienst (Geben und Nehmen) rechte Hand (dextra)(67) gibt man zum Frieden, Treueid, Gruß linke Hand (sinistra)(68) quasi sine dextra; a sinendo läßt etwas geschehen Handfläche (palma) = aus- wie Palmenzweige, gestreckt Hand, im Gegen- pugnus von pugillus satz zur Faust (pugnus)(69) (Faustkämpfer) Finger (digiti)(70) uel quia decem sunt, uel sie vereinigen perfekte Zahl quia decenter iuncti eximit geziemender Ordnung stunt Daumen (pollux)(70) eo quod inter ceteros polleat uirtute et potestate Zeigefinger (index)(70) Grüßen und Zeigen Mittelfinger (impudicus: zeigt oft Verhöhnung von »Schamlosfinger«)(71) Schandtaten an Ringfinger (anularis)(71) trägt Ring Kleiner Finger (auriculaweil man damit in den ris)(71) Ohren bohrt Fingernagel (ungula)(72) vom Griechischen her (Hugo: ab unguendo, Salben) Rumpf (truncus)(72) Körpermitte, von Hals bis zur Leiste Thorax oder arca (73) weil dort das Verborgene Vorderrumpf (arcana) sitzt Brust (pectus)(74) weil zwischen dem Busen gekämmt (pexus) Busen (mamillae)(74) weil sie rund sind wie Bakken (malae) Brustwarzen (papillae)(75) weil Säuglinge dort beim Brustspitzen, nach denen Euter (ubera)(76) Saugen essen (pappant); Säuglinge greifen weil milchreich (lacte urberta) Haut (cutis, pellis)(78) von griech. jutir, incisio, äußerste Teil des Körpers, Einschnitt, weil man verdeckt Verletzungen und Schnitte dort zuerst erleihält Regen, Wind und det; pellis: quod externas Sonne ab iniurias corporis tegendo pellat Fett (arvina)(81) Hautfett Muskel (pulpa)(81) weil es zuckt (palpitet) Fleisch ohne Fett; zieht sich oft zusammen Gelenk (artus)(82) ab artando (einzwängen) verbindet die Glieder

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(Fortsetzung) Körperteil Etymologie Sehnen/Nerven (nervi)(83) von griech. meOqa Knochen (ossa)(86)

Mark (medulla)(87) Gelenke (vertibula)(87)

von ustus, verbrannt, weil man sie früher verbrannt hat (oder von os, weil sie sich am Mund öffnen) weil sie die Knochen befeuchten (madefaciant) weil sie die Glieder beugen (vertantur)

Knorpel (cartaligenes)(88) Rippen (costae)(88) Seite (latus)(90)

Rücken (dorsum)(91) (terga)(92) Rückgrat (spina)(95)

von Schützen (custodiantur) weil sie beim Liegen verborgen ist (latet)

weil die härtere (durior) Körperoberfläche terga, weil man darauf in terra ruht wegen seiner Stacheln

Nieren (renes)(97)

weil sie Flüsse (rives) anstößiger Flüssigkeit aussondern

Lenden (lumbi)(98)

wegen der Zügellosigkeit der Begierde (ob libidinis lasciviam) = umbus iliorum (Buckel der Eingeweide, wie beim Schildbuckel) griech. weil wir uns beim Sitzen darauf stützen (innitimur)

Nabel (umbilicus) Eingeweide (ilia)(99) Steiß (clunes) und Gesäß (nates)(101) Genitalien (genitalia)(102f.), auch pudenda oder veretrum

Beschreibung und Funktion Substanz der Stärke (je dichter, desto stärker) Gerüst (solidamentum) des Körpers: Ort der Kraft fettet und stärkt die Knochen Knoten an den Knochenenden weicher Knochen ohne Mark weil sie die inneren Organe schützen linke Körperseite: stärker ; rechte Körperseite: beweglicher ; trägt die Waffen, damit die Rechte frei zum Handeln ist vom Nacken bis zu den Nieren Verbindungsband des Rükkens nehmen aus Adern und Mark Flüssigkeit auf und wandeln sie durch ihre Hitze um

Körpermitte; ernährt das Kind im Mutterleib

fleischig, damit das Körpergewicht nicht die Knochen schmerzt von gignere, zeugen, zur Zeugung und Fortpudenda wegen Scham oder pflanzung, kein zierlicher Schamhaaren (pubes), veAnblick retrum wegen des männlichen Saftes (virus)

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

(Fortsetzung) Körperteil Hoden (testiculi)(104)

Etymologie kleine Zeugen (testes)

Hintern (posteriora)(105) Gang (meatus)(105)

weil über ihn der Kot ausgeschieden wird Oberschenkel, aber auch weil sich der Mann hier männliches Glied vom Geschlecht der Frau (femur)(106) (femina) unterscheidet Hüften (coxae)(107) quasi coniunctae axes Hüftgelenk (vertebra)(107) von drehen (vertuntur) Knie (genua)(108f.) weil sie in der Gebärmutter, in der der Menschen zusammengewickelt liegt, den Wangen (oder Augen: genae) gegenüber liegen Unterschenkel (crura)(110) weil wir mit ihnen laufen (currimus) Schienbein (tibia)(110) quasi tubae (Trompeten) Knöchel (talus)(111)

Beschreibung und Funktion beschaffen den Samen zur Zeugung aus Knochenmark, Nieren und Lenden dem Gesicht abgewandt

vom Unterleib bis zum Knie

bewegen die Oberschenkel Verbindung von Ober- und Unterschenkeln

vom Knie bis zur Wade von gleicher Länge und Gestalt unter dem Unterschenkel, über der Ferse bewegen sich abwechselnd auf dem Boden flach und lang, nicht rund wie bei Vierfüßlern, damit der Körper fest steht, aus vielen Knochen

Füße (pedes)(112)

von tolus (hervorstehende Rundung) griech. (pºdar)

Fußsohlen (plantae)(113)

a planitie (Ebene)

Fersen (calces)(114)

von Schwielen (callum), womit wir den Boden betreten (calcamus) der tragende Boden (solum) unterster Teil des Fußes, trägt das ganze Körpergewicht a visco und weil dort das alles unterhalb des Herzens Leben liegt (vitalia) von griech. jaqd¸am (sive a Sitz aller Sorgen und allen cura) Wissens; zwei Adern (mehr Blut in der rechten) nahe am Herzen nimmt die Sinne auf

Sohle (solum)(115) Eingeweide (viscera)(116) Herz (cor)(118) Zwerchfell (praecordia)(119) Puls (120)

von pellere, weil er zuckt

mit einfachem oder Doppelschlag; zeigt Gesundheit oder Krankheit wie auch nahenden Tod an

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6. Der Mensch als Mikrokosmos

(Fortsetzung) Körperteil Adern (venae)(121) Blut (sanguis)(122)

Etymologie viae natantis sanguinis (Wege des schwimmenden Blutes) aus dem Griechischen

Lunge (pulmo)(124)

aus dem Griechischen

Leber (iecur)(125)

Sitz des Feuers

Milz (splen)(127)

heißt so, weil es die der Leber gegenüberliegende Seite füllt = das Blättchen (folliculum), das den Gallensaft enthält

Galle (fel)(128) Magen (stomachus)(128) Gedärme (intestina)(129)

weil sie im innersten Teil des Körpers liegen

Bauch (venter)(132)

weil er die Nährstoffe des Lebens in den ganzen Körper weiterleitet weil er die Speisen reinigt (abluatur) weil er zweigeteilt ist

Magen (alvus)(133) Gebärmutter (uterus)(134f.), auch matrix (136) oder vulva (137) Blase (vesica)(138)

wie ein Gefäß (vas)

Urin (urina)(138)

weil es verbrennt (urat)

Samen (semen)(139)

was ausgestoßen und aufgenommen wird (sumitur) vom monatlichen Rhythmus weil er noch im Mutterleib ernärt wird (foveatur)

Menstruation (menstrua)(140) Leibesfrucht (foetus)(144)

Beschreibung und Funktion Blutbahnen: bewässern den ganzen Körper belebt, erhält und hält lebendig »Fächer des Herzens«: Sitz des Geistes (spiritus), atmet ein und aus durch ihre Hitze wandelt sie die Säfte aus den Speisen in lebensnotwendiges Blut um

nimmt die Speisen auf und transportiert sie in den Darm nehmen die Speisen auf und verdauen sie (wörtlich: verteilen sie: digerant) ganz allmählich in ihren vielen Windungen nimmt die Speisen auf und verdaut reinigt die Speisen zur Empfängnis (wie zarte Stengel) sammelt den Urin aus den Nieren zeigt Gesundheit oder Krankheit an zur Zeugung von Frucht und Leibesfrucht

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Ist es Isidor im 7. Jahrhundert vor allem um Etymologie und Funktionsbeschreibung gegangen, so behandelt Wilhelm von Conches das Thema im 12. Jahrhundert in seiner ›Philosophia‹ und, modifiziert, noch einmal in seinem ›Dragmaticon philosophiae‹, nicht zuletzt, um die Vorgänge im Körper zu beschreiben und wissenschaftlich zu erklären, und er verknüpft das mit den Lebensaltern und mit dem Geschlecht.371 Wilhelm beginnt mit Zeugung und Geburt und glaubt, daß bereits das Sperma sich aus der reinen Substanz aller Körperteile zusammensetzt, die später daraus entstehen werden, da in der Natur Ähnliches nur aus Ähnlichem entstehen kann (und er ›beweist‹ das am Beispiel der Erbkrankheiten, während die Natur Defekte wie fehlende Hände oder Beine ausgleichen kann).372 Die Zeugung geschieht im Koitus, zu dem die Menschen im Alter von ca. 14 Jahren fähig werden. Kinder sind das, obwohl das Knabenalter warm und feucht und daher eigentlich für den Samen günstig ist, noch nicht, weil die entsprechenden Gänge für den Samen noch zu eng sind.373 Die Zeit nach dem Essen ist für den Koitus ungünstig, weil die Körperwärme für die Verdauung gebraucht wird; der günstigste Moment für den Beischlaf ist daher die Zeit nach dem Schlafen, wenn die Speisen verdaut sind; Frühling und Winter sind günstiger als Sommer und Herbst.374 Die Gebärmutter nimmt den Samen auf; sie ist innen rauh, damit sie ihn leichter festhalten kann und hat sieben kleine Zellen, in denen die menschliche Gestalt wie in einer Münzstätte vorgeprägt ist. (Deshalb kann eine Frau höchstens sieben Kinder gebären.) Die Gebärmutter ist unfruchtbar, wenn eine Eigenschaft (Wärme, Kälte, Trockenheit, Feuchtigkeit) zu groß wird, weil der wohltemperierte Samen dann nicht die erforderlichen Bedingungen vorfindet, oder wenn umgekehrt der männliche Samen zu heiß, zu kalt, zu feucht oder zu trocken ist oder wenn der Eingang wegen Fettleibigkeit verstopft ist oder auch bei zu häufigem Koitus, weil die Gebärmutter dann zu glatt wird und den Samen nicht festhalten kann. In allen anderen Fällen aber schließt sich die Gebärmutter, so daß eine Empfängnis stattgefunden hat.375 Unfruchtbarkeit, so ergänzt Wilhelm im ›Dragmaticon philosophiae‹,376 kann aber noch weitere Ursachen haben, die im weiblichen und männlichen Samen begründet sind: Wenn die Kräfte, den Samen abzustoßen, 371 Wilhelm von Conches, Philosophia 4,7,15–4,11,18, S. 94–97; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,7–10, S. 203–216. 372 Ders., Philosophia 4,8,16, S. 95: Cum igitur ex spermate conceptio hominis fiat, de ipso aliquid dicamus. Sperma est virile semen ex pura substantia omnium membrorum compositum. Quod vero ex substantia omnium membrorum illud sit compositum, ex hoc apparet, quod omnia membra inde formantur naturaque est, ut similia ex similibus nascantur. Ähnlich Ders., Dragmaticon philosophiae 6,7,2, S. 204. 373 Ders., Philosophia 4,9,16, S. 95f.; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,8,1f., S. 205f. 374 Ders., Philosophia 4,9,16, S. 96; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,8,3–5, S. 206ff. 375 Ders., Philosophia 4,10,17, S. 96f.; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,8,8, S. 209. 376 Ebd. 6,8,11–14, S. 210f.

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größer sind, als ihn zu halten, oder wenn die Muskeln zu schwach sind. Zur Zeugung bedarf es – gegen andere Ansichten – zusätzlich des weiblichen Samens (eine verbreitete mittelalterliche Anschauung) und eines gemeinsamen Lustempfindens. (Wenn aber aus einer Vergewaltigung Kinder entstehen können, dann deshalb, so Wilhelm, weil die Frau, auch wenn sie sich anfangs sträubt, am Ende doch etwas Lust empfindet.)377 Wenn Tiere nach der Empfängnis keinen Verkehr mehr haben, Frauen jetzt aber um so größere Lust empfinden, so liege das daran, daß Menschen sich – in diesem Fall der vorangegangenen Freuden – erinnern können.378 Die Menstruation379 erklärt sich für Wilhelm aus der Kälte der von Natur aus kalten und feuchten Frau – selbst die wärmste Frau ist kälter als der kälteste Mann,380 doch gleichwohl wollüstiger381 (ein von Wilhelm nicht bemerkter Widerspruch) –; die Kälte verhindert, daß die Speisen restlos verdaut werden können; sie werden daher durch die Menstruation ausgeschieden. Während der Schwangerschaft gibt es hingegen keine Menstruation, weil die Frau dann wärmer wird und die Speisen besser verdaut. (Isidor von Sevilla hatte die Menstruation hingegen als überzähliges Blut gedeutet.382) Die Menstruation ist nach Wilhelm dank ihres unreinen Blutes auch dafür verantwortlich, daß Neugeborene, im Gegensatz zu Tieren, die keine Menstruation kennen, nicht gleich laufen können.383 Bleibt der Foetus auf der rechten, dank der Leber wärmeren Seite liegen, so wird ein Junge geboren, auf der linken, kälteren Seite hingegen ein Mädchen, in der jeweiligen Randregion entsteht ein verweiblichter Junge bzw. ein mannhaftes Mädchen.384 (Isidor hatte noch vereinfacht gelehrt, daß aus männlichem Samen ein Mädchen, aus weiblichem ein Junge würde.385) Die Verdauung sorgt für die notwendige Wärme, die Trockenheit aber läßt die Fruchtblase entstehen, die das 377 Ders., Philosophia 4,11,18, S. 97; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,8,6–10, S. 208ff. Hier betont Wilhelm allerdings, daß Prostituierte selten Kinder bekommen, weil sie beim Geschlechtsverkehr keine Lust empfinden. 378 Ders., Dragmaticon philosophiae 6,9,2, S. 212f. 379 Ders., Philosophia 4,11,19, S. 97; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,9,1f., S. 212f. 380 Ders., Philosophia 1,13,43, S. 28 (zum corpus mulieris): nec ita temperata ut homo, quia calidissima frigidior est frigidissimo viro. Erneut ebd. 4,11,19, S. 97. Ders., Dragmaticon philosophiae 6,8,13, S. 211 (mit Berufung auf Hippokrates): Calidissima mulier frigidior est frigidissimo uiro; ebd. 6,9,1, S. 212: mulier […] naturaliter est frigida; ebd. 6,17,5, S. 236: Femina uero est frigida et humida. Vgl. Joan Cadden, Meanings of Sex Difference in the Middle Ages. Medicine, Science, and Culture (Cambridge History of Medicine), Cambridge 1993, S. 171. 381 Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae 6,8,3, S. 206: Cum mulier naturaliter sit frigida et humida, unde est quod feruentior est uiro in libidine? 382 Isidor von Sevilla, Etymologiae 11,1,139 (oben Anm. 366). 383 Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae 6,10,4, S. 216. 384 Ders., Philosophia 4,12,19, S. 98; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,9,3, S. 213. 385 Isidor von Sevilla, Etymologiae 11,1,145 (oben Anm. 370).

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

werdende Kind, das sich von der fünften bis siebten Woche an zu formen beginnt, schützt. Vom 70. (bei Frühgeburten) oder vom 90. Tag an herrscht Leben, indem das Kind sich bewegt.386 Da es durch Stränge über die Nabelschnur aus dem Blut der Leber ernährt wird, kann es dabei diese Stränge zerreißen. Im siebten und neunten Monat ist es lebensfähig, im achten nicht, weil es durch die Bewegung im siebten geschwächt ist.387 In der bis zum 7. Lebensjahr dauernden Kindheit – infantia, weil das Kind nur unvollkommen sprechen kann – ist der Mensch noch warm und feucht; daher kann das Neugeborene sofort Speise aufnehmen und verdauen.388 Es nimmt wahr, versteht aber noch nicht, weil der ›Verdauungsrauch‹ das Gehirn verwirrt.389 Die Jugend, so ergänzt Wilhelm gegen Ende seines Traktats, ist warm und trocken; daher beginnt der Mensch zu begreifen, weil das Gehirn weniger verwirrt wird. Dieses Alter ist daher günstig zum Lernen (wobei Sanguiniker dazu besonders geeignet sind). Das Greisenalter hingegen ist kalt und trocken; daher ist das Gedächtnis noch stark, während die Körperkräfte schwinden. Die Senilität schließlich ist kalt und feucht, so daß auch das Gedächtnis schwindet. Der Tod aber erfolgt zwangsläufig, weil der Mensch ohne die natürliche Wärme auf Dauer nicht leben kann.390 Anläßlich der Ernährung des ungeborenen Kindes erklärt Wilhelm die Vorgänge bei der (dreifachen) Verdauung: Die Zunge testet den Geschmack der Speisen und führt sie unter die Zähne, die sie magengerecht zerkleinern. Im Magen, der, da er aus Muskeln besteht, von Natur aus kalt ist, aber von Leber, Galle und Herz eingerahmt und daher erwärmt wird, werden sie verbrannt und in einen Brei umgewandelt. Ein Teil der Speise wird im Zwölffingerdarm zurückgehalten, der Rest über den Mastdarm ausgeschieden. Der zurückbehaltene Teil geht teils zurück in den Magen, teils in Galle und Milz, teils in die Leber, wo es zu einer zweiten Verdauung kommt. Der Überschuß wird über den Mastdarm, die Flüssigkeit über Nieren und Harnblase ausgeschieden. Die Leber selbst aber trennt und verteilt die vier lebenswichtigen Flüssigkeiten (Galle, schwarze Galle, Blut und Schleim), die dennoch jeweils ihren eigenen Ort haben: Blut entsteht in der Leber, »choler« (Rote Galle) in der Gallenblase, Melancholie (Schwarze

386 Wilhelm von Conches, Philosophia 4,13,20, S. 98f.; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,9,4– 6, S. 213f., wo Wilhelm die Entwicklung noch genauer nach einzelnen Monaten differenziert. 387 Ders., Philosophia 4,14,22, S. 99: Ders., Dragmaticon philosophiae 6,10,1f., S. 215. 388 Ders., Philosophia 4,16,24, S. 100. Das Kind hat noch keine Zähne, so erläutert hingegen Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 1,4,42, S. 177, weil es kalt ist (und es ist kalt, weil sein Blut noch nicht stark genug ist). Bei Greisen nimmt das Blut und damit die Wärme ab, so daß die Zähne wieder ausfallen. 389 Wilhelm von Conches, Philosophia 4,15,23, S. 100; ebd. 4,29,54, S. 113. 390 Ebd. 4,29,54, S. 113f.; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,26,11, S. 270.

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Galle) in der Milz, Phlegma in der Lunge.391 Diese Vorgänge bewirken das Wachstum in die Höhe (nach oben) durch die aufsteigende Wärme und in die Breite durch die Feuchtigkeit, die dick macht. Die Eigenschaften dieser Flüssigkeiten und ihr Verhältnis bei der Zusammensetzung aber bewirken auch bei Wilhelm Charakter und Körperbau und prägen die verschiedenen Charaktere der Menschen (Choleriker, Phlegmatiker, Melancholiker, Sanguiniker). Zwar sind alle Menschen warm und feucht, doch ist die Zusammensetzung nicht in allen Menschen ausgewogen, so daß sie je nach Maß den Charakter bestimmt: Der Choleriker ist dank der größeren Wärme groß und dank der Trockenheit schlank, der Sanguiniker durch die Wärme groß und die Feuchtigkeit fett, der Phlegmatiker ist wegen der Kälte klein und wegen der Feuchtigkeit fett, der Melancholiker aufgrund der Kälte klein und aufgrund der Trockenheit schlank. Deshalb ist auch ihr Wachstum unterschiedlich.392 Auch der Atem entsteht als Dampf in der Leber, durchläuft die Adern zum Herzen, erweitert es und zieht Luft ein, woraufhin das Herz sich zusammenzieht und die Luft mit Hilfe der Lunge wieder ausstößt.393 Der Schlaf aber ist der Ruhezustand; die Sinne versagen, wenn die Feuchtigkeit in die oberen Körperregionen vordringt, während Träume Rückstände der Gedanken (und weiterer Ursachen, wie Speise und Trank, Zeit, Zusammensetzung und Schlaflage) sind.394 Im Anschluß beschreibt Wilhelm die verschiedenen Sinnesorgane:395 den runden Kopf396 mit dem durch diese Rundung und zwei Membrane geschützten Gehirn, das aus drei Kammern besteht: der warmen und trockenen Sehkammer zur Wahrnehmung, der warmen und feuchten Vernunftkammer, um das Wahrgenommene zu erkennen, und der kalten und trockenen Gedächtniskammer, um das Erkannte in Erinnerung zu behalten.397 Je feuchter oder kälter

391 Ders., Philosophia 4,17,26–28, S. 101f.; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,12, S. 218–224. Vgl. oben S. 434. 392 Ders., Philosophia 4,18,30f., S. 103f.; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,13,1f., S. 227. Wilhelm beschreibt hier die Auswirkungen auf die Gestalt, während Honorius (oben Anm. 310) den Charakter im Blick hat. 393 So ebd. 6,15,2, S. 233. Zum Herzen als »Sonne des Körpers« in der Schule von Chartres vgl. Thomas Ricklin, Le coeur, soleil du corps: une red8couverte symbolique du XIIe siHcle, in: Il cuore S. 123–143. 394 Wilhelm von Conches, Philosophia 4,19,32f., S. 104f.; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,14,1, S. 229f. 395 Ders., Philosophia 4,20,34–24,44, S. 105–110; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,17,1– 6,22,4, S. 235–260. 396 Ders., Philosophia 4,20,34. S. 105; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,17,1, S. 235. 397 Ders., Philosophia 4,21,37, S, 106f.: Ders., Dragmaticon philosophiae 6,18,4f., S. 240f. Hier nennt Wilhelm die drei Kammern (zusätzlich) phantastica, logistica und memoralis. Von diesem Kammern aber wisse man durch Verwundungen, in deren Folge eine dieser Ei-

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diese Kammern sind, um so mehr ist der Mensch durch Dummheit oder langsames Denken und Vergessen geprägt.398 Außen am Kopf befinden sich die Haare, die aus »Rauch« – unter fumus hat man sich hier einen dichten, feuchten Dampf vorzustellen – bestehen, der aus dem Körper austritt.399 Wenn immer mehr ›Rauch‹ nach oben dringt, wachsen die Haare. (Frauen haben keine Barthaare, weil sie kälter sind als Männer, Kindern fehlt der Bart, weil die Poren noch zu eng sind.)400 Die Haarfarbe aber ist wiederum eine Folge der ›Temperamente‹.401 Ähnliches gilt für die Sinnesorgange Augen und Ohren.402 Wilhelm glaubt, daß ein »seelischer Sinneshauch« (animalis spiritus) – im ›Dragmaticon‹ spricht er dann von einer »luftigen und subtilen Substanz«403 – aus dem Körper austritt, die Dinge wahrnimmt und die Eindrücke zu den Sinnesorganen zurückträgt, die sie über die Nerven in die Seh- und Vernunftkammer des Gehirns weiterleiten. (Deshalb kann der Mensch sich auf diese Weise anstecken, für Wilhelm ein Beweis dafür, daß der Hauch zu den Gegenständen vordringt und der Kontakt nicht nur über die Luft hergestellt wird.404) Zum Sehen bedarf es daher dreier Dinge: des inneren Strahls, der äußeren Helligkeit und eines wahrzunehmenden Gegenstandes (obstaculum rei). Auf die gleiche Weise werden Bewegungen des Körpers in Gang gesetzt, indem jene Substanz vom Gehirn über die Nerven in die entsprechenden Körperteile transportiert wird.405 Was der Mensch über die Augen mit der Sehkammer sieht, wird in der Vernunftkammer erkannt und in der Gedächtniskammer in Erinnerung gehalten.406 Damit sind die Hauptfunktionen des Gehirns erklärt, nämlich Verstehen (intellectus), Vernunft (ratio) und Gedächtnis (memoria).407 Der Kopf ist daher der Sitz des Verstandes, der den Menschen weise macht. Die oben beschriebenen, mit der Schöpfung verliehenen Eigenschaften der menschlichen Natur, die den Menschen zum Menschen machen und die bei Isidor zu einer Beschreibung der Organe geführt haben, werden bei Wilhelm in ihrer (weltlich-wissenschaftlichen) Funktionsweise erklärt und sämtlich in

398 399 400 401 402 403 404 405 406 407

genschaften unwirksam wird (Ders., Philosophia 4,21,38, S. 107; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,18,7f., S. 242f.). Ders., Dragmaticon philosophiae 6,18,6, S. 241. Ders., Philosophia 4,20,34f., S. 105f.; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,17,3, S. 236. Ders., Philosophia 4,20,34f., S. 106f.; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,17, S. 236f. (eine Frau mit Barthaaren ist wärmer als andere Frauen). Ders., Dragmaticon philosophiae 6,17,4, S. 236: Choleriker haben rotblonde, Phlegmatiker weiße, Melancholiker schwarze, Sanguiniker gemischtfarbige Haare. Ders., Philosophia 4,22,39–4,24,44, S. 107–110. Ders., Dragmaticon philosophiae 6,19,4, S. 244. Ders., Philosophia 4,23,40f., S. 108; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,19, S. 243–250. Ders., Philosophia 4,20,34, S. 105. Ebd. 4,21,37, S. 106f. Ebd. 4,21,38, S. 107; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,18,8, S. 242f.: intelligentia, ratio und memoria machen gemeinsam die Weisheit (sapientia) aus.

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einen systematischen Zusammenhang gebracht. So ist das Auge rund, um sich nach allen Seiten drehen zu können, und abgeflacht, um Form und Farbe besser wahrzunehmen, während es durch sieben Häutchen geschützt ist. Der Mensch hat zwei Augen, damit er bei Verletzung des einen noch mit dem anderen sehen kann.408 Die Ohren wiederum sind rund und gewölbt und können so die Schwingungen der Luft als Geräusch wahrnehmen, das der ›Rauch‹ wiederum in die Vernunftkammer des Gehirns transportiert.409 Alle Organe arbeiten bei Wilhelm nicht nur zusammen, sondern ihre Funktionsweise erklärt sich jeweils wieder aus ihrer ›elementaren‹ Natur. Dem schließt sich als letztes ein Abschnitt über die Seele an, die über das Wahrgenommene urteilt.410 Die Seele ist nicht einfach das geistige (und geistliche) Organ, sondern selbst spiritus, das geistige Gegenstück zum Körper, mit dem sie verbunden ist. Sie ist für das Erkennen (discernere) und Verstehen (intelligere) verantwortlich (und Wilhelm erschließt diese Funktion daraus, daß diese Fähigkeiten um nichts zunehmen, wenn der Körper besonders gepflegt wird).411 Der aus Körper und Seele bestehende Mensch vereinigt die Fähigkeiten aller Geschöpfe in sich: die Existenz (existere) wie bei leblosen Körpern, das Leben (vivere) wie bei Pflanzen und Bäumen, das Empfinden (sentire) wie bei vernunftlosen Tieren und das Erkennen (discernere) wie bei Geistwesen.412 Genau daran aber läßt sich ausmachen, welche Funktionen dem Körper und welche der Seele zuzuschreiben sind, nämlich ersteres ist all das, was der Mensch mit Tieren und leblosen Körpern gemeinsam hat, alles andere aber, das Tieren nicht eigen ist, gehört zur Seele. Diese überwacht die Handlungen des Körpers (und wird nachlässig, wenn sie ihn nicht beherrscht).413 Die Seele ist dem Körper weder angefügt (apposita) – denn dann wäre sie außerhalb des Körpers – noch mit ihm zusammengewachsen (concreta) – denn dann hätten beide dieselbe Substanz – noch mit ihm vermischt – denn sonst nähme sie einen anderen Charakter an und wäre eins mit dem Körper –, sondern, unter unversehrter Beibehaltung des eigenen Charakters, untrennbar mit dem Körper verbunden (coniuncta), solange dieser lebt (und sie bleibt es auch, wenn ein Körperteil abhanden kommt,414 denn sie ist in jedem einzelnen Körperteil als Ganzes vorhanden).415 Die Seele ist daher wie der Körper und alle Kreatur gleichzeitig 408 Ders., Philosophia 4,22,39, S. 107f.; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,19,2, S. 244. 409 Ders., Philosophia 4,24,44, S. 109f.; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,21, S. 253–256. 410 Ders., Philosophia 4,25,45–29,54, S. 110–114; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,25f., S. 263–270. 411 Ders., Philosophia 4,25,45, S. 110; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,25,1, S. 263. 412 Ders., Philosophia 4,25,45, S. 110. 413 Ebd. 4,26,46f., S. 110f. 414 Ebd. 4,27,48f., S. 111f.; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,25,1f., S. 263. 415 Ebd. 6,25,5, S. 264: Nulla est pars corporis humani, in qua anima tota non sit.

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von Gott erschaffen, steht diesem jedoch näher.416 Mittels der Seele besitzt der Mensch Verstand (intelligentia), um Unkörperliches »mit sicherer Vernunft« zu erkennen und die Ursachen zu begreifen, Vernunft (ratio), um eine Sache zu erkennen und von anderen zu unterscheiden, sowie Erinnerung (memoria), um das zuvor Erkannte im Gedächtnis zu bewahren,417 also gerade jene oben dem Gehirn zugeschriebenen, menschenspezifischen Funktionen.418 Nach dem Sündenfall mit der Verderbnis der Menschheit und der Last des Fleisches aber muß all das mit der Schöpfung vollkommen Vorhandene erst allmählich erlernt und erfahren werden, so daß ein Kind diese Dinge noch nicht erkennen kann.419 Wilhelm bringt das oben beschriebene Verhältnis von Körper und Seele in einen engen Zusammenhang mit seiner ›physikalischen‹ Körpererklärung. Wie schon in seiner Lehre vom Aufbau der Welt,420 setzt er auch bei der Besprechung der »kleinen Welt«, des Menschen, Gottes Schöpfung voraus, sucht die Bestandteile (Leib und Seele), Körperteile, deren Funktionen und Wirkweise und den Charakter aber ›naturwissenschaftlich‹ zu beschreiben und zu erklären und schafft damit eine enge Verbindung von Glauben und Wissen. Es ist kein Zufall (und dem Charakter der Schrift als Lehrschrift geschuldet, daß sich dem noch ein Abschnitt über das Verhältnis von Lehrer und Schüler anschließt.

d.

Religiös-kosmologische Ausdeutung des Körpers bei Wilhelm von Saint-Thierry und Hildegard von Bingen

Noch weit deutlicher wird ein solcher Zusammenhang bei dem Abt Wilhelm von Saint-Thierry, einem Freund (und Biographen) Bernhards von Clairvaux, der in höherem Alter 1135 als einfacher Mönch in das Zisterzienserkloster Signy eintrat und in theologischen Fragen dezidierter Gegner Wilhelms von Conches war,421 in seiner Schrift ›De natura corporis et animae‹ aber gleichfalls eine – wenn auch weniger vollständige – auf Constantinus beruhende und doch andere Körperbeschreibung bietet.422 Wilhelm von Saint-Thierry geht dabei vom Magen und von der Verdauung aus,423 sieht die vier Körpersäfte, die, obwohl sie gegensätzliche Eigenschaften besitzen, nach den Regeln der Natur bestens zur 416 417 418 419 420 421 422

Ders., Philosophia 4,27,50–4,28,51, S. 112. Ebd. 4,29,52, S. 112; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,26,4–7, S. 267f. Vgl. oben Anm. 407. Ders., Philosophia 4,29,53, S. 113; Ders., Dragmaticon philosophiae 6,26,8f., S. 268f. Vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 45ff. Vgl. seine Schrift ›Epistola de erroribus Guillelmi de Conchis‹, S. 61–71. Wilhelm von Saint-Thierry, De natura corporis et animae 7–50, S. 105–121 (De physica humani corporis, so ebd. 50, S. 121). Dem schließt sich ab Kapitel 51 eine Beschreibung der Seele an. 423 Ebd. 7, S. 105f.

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vollkommenen Gesundheit zusammenwirken, jedoch sämtlich in der Leber produziert, um sich von hier aus in den ganzen Körper zu verteilen.424 Dabei reinigen sie die Organe: Die cholera reinigt die Ohren, die melancholia die Augen, das flegma Nase und Mund, das Blut den Urin.425 Die cholera kommt aus der Galle, gibt die überschüssigen Säfte aber an die Milz ab, während aus dem Überschuß in den Nieren Blut entsteht.426 In ähnlicher Weise bespricht Wilhelm im Folgenden Herz,427 Schädel und Gehirn,428 Nerven,429 Rückgrat430 und Sinnesorgane.431 Das Einatmen der Luft ist lebensnotwendig.432 Bezeichnenderweise zieht Wilhelm dann aber Parallelen zwischen Körper und Seele, die dem Körper kosmologisch-biologische, der Seele aber moralische Funktionen zuweisen: Wie der Körper aus vier Elementen besteht, so die Seele aus den »vier Elementen der Tugenden« (virtutum elementa), nämlich (in der Nachfolge Ciceros) den vier Kardinaltugenden Klugheit (prudentia), Mäßigung (temperantia), Tapferkeit (fortitudo) und Gerechtigkeit (iustitia), die wiederum die rationalitas animae und damit eine vernunftgemäße Lebensform ausmachen:433 Tugend und Moral sind Ausfluß der Vernunft, die ihren Sitz eben in der Seele hat. Die drei Tugenden oder Kräfte des natürlichen, körperlichen Lebens (corporalis uitae naturae) haben ihren Sitz in den drei entscheidenden Organen und üben ihrerseits wiederum drei lebensnotwendige Wirkungen (effectus) aus: die natürliche Kraft kommt aus der Leber und ist nährend, die geistliche kommt aus dem Herzen und ist belebend, die ›animalische‹ kommt aus dem Gehirn und ist wahrnehmend oder sinnlich (sensualis). Ganz entsprechend aber hat auch der geistliche und verstandesgemäße Gebrauch der Seele drei Kräfte mit drei – jetzt aber religiösen – Wirkungen: die Vernunftfähigkeit bewirkt den Glauben (fides), die Fähigkeit des Begehrens (concupiscibilitas) die Hoffnung (spes), die Fähig-

424 Ebd. 10, S. 106f.: Sic igitur humores quatuor in hepate creati et ab hepate in totum corpus distributi, si secundum rectam naturae regulam incedunt, quamuis diuersae sint qualitatis, unam tamen formam operantur sanitatis, inuicem cooperando, inuicem se adiuuando. Zur Verteilung der Säfte im Körper ebd. 13–16, S. 107ff., zum Blut ebd. 11, S. 107. Bei Wilhelm von Conches übernimmt die Leber nur die Aufgabe der Trennung und Verteilung. 425 Ebd. 17, S. 109. 426 Ebd. 20, S. 110. 427 Ebd. 21, S. 110. 428 Ebd. 24, S. 111f. 429 Ebd. 31, S. 114. 430 Ebd. 32, S. 114. 431 Ebd. 41–46, S. 117ff. 432 Ebd. 43, S. 118. 433 Ebd. 88, S. 134: Ad quod sicut corpus ex quatuor constat elementis, ut uiuat, sic anima rationalis naturaliter habet quaedam quatuor uirtutum elementa, quae sunt prudentia, temperantia, fortitudo, iustitia. Ex his igitur quatuor quasi elementis rationalitas animae formatur, ea rationalitas quae uiuendi modus est secundum rationem.

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keit zum Zorn (irascibilitas) die Liebe (caritas).434 Weit mehr noch als Wilhelm von Conches verknüpft Wilhelm von Saint-Thierry damit nicht nur Körper und Seele, physische und seelische Eigenschaften, sondern auch Seele und Glauben, die in ihrer Parallelität und gegenseitigen Einwirkung eine Einheit bilden. Die Seele erst bewirkt (eben durch den Verstand) den Glauben. Was Wilhelm von Conches physisch erklärt und auf die Seele zurückführt, verknüpft Wilhelm von Saint-Thierry mit den Glaubenstugenden. Die Seele ist auch für die über die Sinnesorgane wahrgenommenen Sinne435 sowie für alle Gemütsbewegungen (affectus) und somit auch für die Liebe (caritas) verantwortlich.436 »Es ist eben diese Seele, die fühlt [oder empfindet]« und die den Körper belebt, der ohne sie das Wahrgenommene gar nicht verstehen könnte.437 Nur die in ihrer Substanz einfache, in ihrer Gestalt natürliche und von der körperlichen Materie geschiedene Seele438 hält den Körper mit seinen Organen am Leben.439 Sie ist von Gott zur Vernunft fähig und unsterblich erschaffen, aber zum Guten wie zum Bösen hin veränderlich.440 Damit spannt Wilhelm den Bogen zu den oben beschriebenen, aus der Schöpfung resultierenden Eigenschaften des Menschen. Zwar sind auch andere Lebewesen beseelt (sonst könnten sie nicht leben), aber nur der Mensch hat eine wahre vollkommene Seele, die Verstand und Verständnis voraussetzt.441 Auf diese Weise sind zugleich die oben behandelten Unterschiede zwischen Mensch und Tier noch einmal von dieser Seite her erklärt. Das alles ist noch kein Widerspruch zu der Position Wilhelms von Conches, setzt aber deutlich andere Akzente. 434 Ebd. 89, S. 134: Et sicut tota corporalis uitae natura tribus se agit uirtutibus, naturali uidelicet in hepate, spirituali in corde, animali in cerebro, sic spiritualis uel rationalis usus in tres se exerit potentias, scilicet rationalitatem, concupiscibilitatem, irascibilitatem. Et sicut tres illae uirtutes tres de se generant effectus sine quibus uita humana non subsistit, naturalis scilicet uirtus in hepate nutritiuum, spiritualis in corde uiuificatiuum, animalis in cerebro sensualem, sic ad spiritualem uel rationalem uitam ordinandam uel consummandam in rationalitate fundatur fides, in concupiscibilitate spes, in irascibilitate caritas. 435 Dazu ebd. 92ff., S. 135ff. 436 Ebd. 98, S. 137f. 437 Ebd. 97, S. 137: Ipsaque est anima quae sentit, ipsa quae quod sentit non intelligit, ipsa quae nec sentiendo nec intelligendo uegetat corpus et uiuificat, per quod sentit, quod per seipsam non intelligit. 438 Ebd. 51, S. 121: Anima, sicut philosophi huius mundi dicunt, substantia est simplex, species naturalis, distans a materia corporis sui organum membrorum et uirtutem uitae habens. 439 Ebd. 54ff., S. 122f. 440 Ebd. 51, S. 121: Porro secundum nostros, id est ecclesiasticos doctores, anima spiritualis propriaque est substantia a Deo creata, sui corporis uiuificatrix, rationabilis, immortalis, sed in bonum malumque conuertibilis. 441 Ebd. 61, S. 124: Bruta uero animalia, per motum uoluntarium et adiectionem sensuum, dignius aliquo modo uiuere uidentur quam herbae uel arbores, non tamen usque ad perfectionem, quae in rationis et intelligentiae gratia consistit. Propterea dicimus ueram quidem perfectamque animam humanam esse solam, quae in omni ualet actione.

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Ganz besonders deutlich wird ein solches Anliegen religiöser Deutung aber bei Hildegard von Bingen.442 Hier spiegeln sich die einzelnen Körperteile, ähnlich Honorius und Wilhelm von Conches, zunächst sowohl wieder in den Gestirnen und anderen kosmischen Parallelen wie dann, ähnlich Wilhelm von Saint-Thierry und über diesen hinaus, auch in der Seele wider. Der Mikrokosmoscharakter des menschlichen Körpers zeigt sich in den vielfältigen Parallelen: Die gleichmäßige Rundheit des Kopfes mit seinem rechten Maß entspricht der gleichmäßigen Rundung des Himmels (Firmaments);443 wie der Körper durch den Kopf gelenkt wird, so die Erde durch die Sphären;444 wie der Mensch am Tag arbeitet und nachts schläft, so begibt sich auch die Sonne, die tagsüber über der Erde scheint, des Nachts unter die Erde;445 wie das Gehirn den ganzen Körper zusammenhält, so stärkt die Sonne alles Höhere und erleuchtet das Firmament nach oben und nach unten (mit Ausnahme des hohen Nordens).446 Die Augen mit ihrem Glanz gleichen den leuchtenden Sternen,447 die Tränen dem Meer und den anderen Gewässern sowie dem Regen aus den Wolken.448 Wie Sonne, Mond und Sterne das Firmament lenken und erleuchten, so regieren die Augen das Sehen, Hören, Sprechen und Fühlen.449 Die Augenbrauen entsprechen den Mondbahnen; sie beschützen die Augen wie der Mond die Sterne.450 Die Nase entspricht dem Element der Luft, die das Wasser bewegt, während der Mund auf das Wasser verweist, dessen Rauschen die Ohren offenbaren, wenn es übereinstimmend durch den Wind der wasserreichen (feuchten) Luft und das Auf-

442 Zu Hildegards (eigenwilliger) Viersäftelehre vgl. ausführlich Derschka, Viersäftelehre S. 165–182, zu Hildegard insgesamt ebd. S. 123–217. 443 Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 1,4,16, S. 147: Sed et in rotunditate capitis hominis rotunditas firmamenti ostenditur et in recta equalique mensura eiusdem capitis recta et equalis mensura firmamenti demonstratur, quia idem caput rectam mensuram ubique habet, ut etiam firmamentum equali mensura constitutum est. 444 Ebd. 1,4,21, S. 152: atque homo per sensualitatem capitis totus regitur, quemadmodum et per firmamentum que˛que officia terre˛ complentur. 445 Ebd. 1,4,23, S. 156: Et homo in die operatur et in nocte dormit, ut sol predictis duobus modis super terram et subtus terra operatur, dum in die super terram lucet et in nocte cum descensu illius terra superius obtenebratur. 446 Ebd. 1,4,29, S. 163: Et sicut prefatum est, per uires cerebri totum corpus hominis retinetur, quemadmodum et per solem superiora roborantur. Sol namque in superiora et subteriora lucet totumque firmamentum, excepta plaga aquilonis, circuit. 447 Ebd. 1,4,31, S. 166: Oculi enim, qui plurima conspiciunt, stellas firmamenti, que˛ undique lucent, ostendunt. 448 Ebd. 1,4,32, S. 167ff. 449 Ebd. 1,4,37, S. 172: Sed et per uisum oculorum auditus, odoratus racionalitasque oris et tactus reguntur et cognoscuntur, sic utique ut sciatur, uel quid sint uel quomodo sint, sicut et per solem ac lunam et per stellas omnis constitutio firmamenti regitur et illuminatur. 450 Ebd. 1,4,38, S. 173: Supercilia uero hominis itinera lune˛ declarant […]. Et supercilia defensio et munimentum oculorum sunt, uelut et luna tutamen et nutrimentum stellarum est.

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steigen der Wolken überfließt. Wie das Gehör den inneren Menschen erschüttert, so durchdringt der Klang der oberen Wasser die anderen Elemente.451 Dem schließen sich bei Hildegard noch viele weitere Parallelen zwischen Körperteilen und Welt an. So entspricht beispielsweise die Zunge einer Überschwemmung der Gewässer : wie sie beim Sprechen Worte bildet, so entstehen durch das Ansteigen der Gewässer Wellen;452 die Zähne zermahlen die Speisen wie eine Wassermühle;453 Kinn und Hals, die das Gesicht des Menschen beugen oder aufrichten können und es fest tragen und die Speisen zum Magen weiterleiten, vergleicht Hildegard mit den unterschiedlichen Wolken, die aufgrund des schweren Regens teils tief über der Erde herabhängen und sich abregnen, teils hingegen hoch am Himmel stehen und heiteres Wetter bringen können,454 die vom Kopf herabfallenden Haare mit den einzeln aus den Wolken fallenden Regentropfen, welche die ganze Erde bewässern und sie lebendig und fruchtbar machen.455 Die Brust, die die wichtigsten inneren Organe umschließt, gleicht der Vollkommenheit der Luft, die gleichzeitig Wärme, Trockenheit und Feuchtigkeit in sich aufnimmt:456 Wie die Wärme des Herzens, die Trockenheit der Leber und die Feuchtigkeit der Lunge den Menschen beleben, so stärken Wärme, Trockenheit und Feuchtigkeit der Luft und der Lüfte die ganze Welt.457 Die Brüste (ubera), die mit ihren Schwellungen Stärke und Fülle des Menschen aufzeigen, spiegeln die Fruchtbarkeit (ubertas) der Luft wider, die ihrerseits die Frucht-

451 Ebd. 1,4,39, S. 173: nasus hominis aerem, qui aquas mouet, significat; os uero in racionalitate humiditatem earum demonstrat; aures autem strepitum et sonum ipsarum aquarum manifestant, que˛ per uentum aquosi aeris et per eleuationem nubium conuenienter inundant. Nam auditu auris interiora hominis concutiuntur, sicut et sono superiorum aquarum elementa penetrantur. 452 Ebd. 1,4,40, S. 175: In lingua uero eleuatio aquarum, qua ad inundationem sustolluntur, ostenditur ; quia ut per linguam uerba formantur, ita per eleuationem ipse˛ aque˛ in undas procreantur. 453 Ebd. 1,4,41, S. 176: In dentibus autem retentaculum earundem aquarum monstratur, quod secundum modum dentium forte et firmum est. 454 Ebd. 1,4,45, S. 179: Per mentum autem, quod quasi arcus incuruatum dependet et faciem hominis eleuat, et per guttur, quod omnem fortitudinem refectionis recipit et uentri temperate inmittit, et per collum, quod etiam totum caput fortitudine sua sustentat, diuersitas nubium designatur ; quarum que˛dam pluuiis grauate˛ aliquantulum se deorsum inclinant, in serenitate uero uelut hilaritatem superiorum demonstrant. 455 Ebd. 1,4,46, S. 180: Sed crines de capite dependentes guttas pluuiarum ostendunt, que˛ per nubes singulariter descendunt et totam terram irrigando per uiriditatem ad fructuositatem perducunt. 456 Ebd. 1,4,61, S. 193: Pectus autem hominis plenitudinem et perfectionem eiusdem aeris ostendit; quoniam ut pectus cor et iecur ac pulmonem et ce˛tera interiora uentris in se retinet, sic et aer iste calorem, siccitatem et humiditatem aurarum in se comprehendit. 457 Ebd. 1,4,62, S. 194: Nam cor hominis calorem, iecur siccitatem, pulmo humiditatem illius demonstrant; quia ut calor cordis et siccitas iecoris et humiditas pulmonis hominem uegetant, ita et calor, siccitas humiditasque aeris et aurarum ea, que˛ in mundo sunt confortant.

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barkeit (fertilitas) der Erde bewirkt;458 die Blutgefäße, die den ganzen Körper mit Blut versorgen und stärken, entsprechen den in das von der Luft bewegte Meer mündenden Flüssen, die die ganze Erde bewässern,459 die Jahreszeiten (und Lebensalter) den Seelenkräften,460 und wie das Innere des Magens am Nabel hängt und dessen Stärke ist, so bezieht sich der Umkreis und Umfang der Erde auf die gesamte Schöpfung und ist der Behälter aller Geschöpfe.461 »Das Herz erwärmt auch den Bauch, die Leber stärkt ihn, die Lunge gibt ihm Feuchtigkeit, so daß er die aufgenommenen Speisen bis zur Ausscheidung aufbewahrt, wie auch, wie oben aufgezeigt, die Luft die grüne Farbe, Wärme und Feuchtigkeit aller keimenden Früchte bis zu ihrer Reife erzeugt.«462

Der durch Rippen und Knochen getragene Bauch selbst aber versinnbildlicht die weiche und fruchtbare, mit Steinen durchsetzte Erde,463 der Magen, der die Speisen aufnimmt und weitergibt, die Fassungskraft der Welt, die die Geschöpfe gedeihen und »mit leerem Magen« (inanis) wieder untergehen läßt.464 Die Geschlechtsorgane mit ihrer Manneskraft gleichen der fruchtbaren Fettigkeit der Erde (und wie der Mensch manchmal unnütze Kräfte erzeugt, so bringt auch die Erde mit mäßigem Fett Früchte, mit unmäßigem hingegen Unkraut hervor);465 458 Ebd. 1,4,64, S. 195: quidam tumores carnium insurgentes in ubera uertuntur, que˛ ubertatem suprademonstrati aeris designant; quoniam ut ubera fortitudinem et plenitudinem hominis ostendunt, ita et eiusdem aeris ubertatem ad fertilitatem terre˛ manifestant. 459 Ebd. 1,4,59, S. 191f.: Iste etiam aer cum aquoso aere mare mouet, a quo flumina diuisa fluunt, que˛ terram irrigant et confirmant; quod etiam uene sibi conexe˛ totum hominem cum sanguine confortantes ostendunt. 460 Ebd. 1,4,72, S. 203f.: Ipsa etiam in similitudine aeris cum homine operatur, qui uires suas terre˛ inmittit, per quas fructifera est et fructus suos perficit, et qui frigiditate hiemis totam terram arefacit; que˛ tamen ad fructuositatem terre˛ calorem in se conseruat, quoniam per uires anime˛ puericia, adolescentia, iuuentus et senectus fructus bonorum operum operantur et perficiunt, que˛ decrepita etas per defectum quasi arefacit. 461 Ebd. 1,4,76, S. 207: Et umbilico omnia interiora uentris adherent, sicut et ad circuitum terre˛ relique˛ creature˛ respiciunt; quia umbilicus fortitudo uentris est, sicut et ambitus terre˛ receptaculum ceterarum creaturarum existit. 462 Ebd. 1,4,67, S. 198: Sed cor uentrem etiam calefacit iecurque eum confirmat et pulmo humectat, ita ut ille receptionem ciborum usque ad egestionem conseruet; sicut et suprademonstratus aer uiriditatem, calorem et humiditatem omnium germinantium fructuum usque ad maturitatem ipsorum producat. 463 Ebd. 1,4,69, S. 199: Et uenter, qui costis et aliis ossibus, que˛ sucum medulle˛ non habent, sustentatur, mollem fructiferamque terram, que˛ lapidibus interposita est, designat. 464 Ebd. 1,4,71, S. 201: Sed stomachus, cuius sedes in uentre est et cui cibi inmittuntur et a quo emittuntur, et qui ut saccus ligatus est cum uisceribus, capacitatem mundi ostendit; quem creature˛ germinando et crescendo replent et quem deficiendo quasi inanem reddunt. 465 Ebd. 1,4,79, S. 209: In renibus autem, in quibus et fortitudo et lubrica petulantia diffunditur, pinguedo terre˛ notatur ; quoniam ut in illis aliquando uires hominis, aliquando quoque ea, que˛ incongrua sunt, exurgunt, ita etiam moderata pinguedo terre˛ ubertatem fructuum, inmoderata uero inanes fructus, quamuis plurimi appareant, interdum producit. Zu Hildegards Sexuallehre vgl. Derschka, Viersäftelehre S. 182–202.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

der After (»die Orte, an denen die Verdauung der Speisen und Getränke ausgeschieden wird«) gleicht dem Ausgang unterirdischer Flüsse, die ebenfalls ausstoßen, was sie hervorgebracht haben.466 Die Füße schließlich, die auf den Unterschenkeln ruhen, gleichen den Flüssen, die sich über die ganze Erde ausbreiten und sie bewässern, ihre Kraft aber aus dem Meer schöpfen.467 Überall erkennt Hildegard im menschlichen Körper kosmische Zusammenhänge. Mit ausgebreiteten Armen weist der Mensch auf die vier Himmelsrichtungen: in seiner Länge nach Osten und Westen, der rechte Arm nach Süden, der linke nach Norden.468 Die Körperteile spiegeln damit die Vollkommenheit der Schöpfung wider, indem sie sich mit unterschiedlichen Funktionen aufeinander beziehen und zugleich Übermenschlich-Kosmisches symbolisieren. Gleichzeitig aber deutet Hildegard diese physikalische Parallelität von Körperteilen und Elementen religiös aus: Die Tätigkeit der Zähne etwa symbolisiert, daß der menschliche Geist mit der Gnade Gottes durch die Seele gestärkt wird, damit er sich nicht zu sehr durch schlechte Gedanken auflöst;469 wie der Mensch aus den vier Elementen besteht, so wirkt die Seele durch die Fähigkeit der Vernunft.470 Wenn vom Meer die Rede ist, erinnert das Hildegard daran, daß die Seele mit ihren guten Gedanken den Menschen vor Schiffbruch bewahrt.471 Die Erde mit ihren entgegengesetzten Jahreszeiten Sommer und Winter gleicht dem aus Körper und Seele bestehenden Menschen.472 Wie das Herz den Menschen wärmt und stärkt, so kräftigt die Seele mit ihren von Gott verliehenen Tugenden seine Handlungen und führt ihn zu guten Werken;473 will der Mensch aus den Gelüsten des Fleisches heraus nämlich Böses tun, dann fängt die Seele an zu 466 Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 1,4,85, S. 214: In locis autem, ubi digestio ciborum et potuum emittitur, secreti ac subterranei meatus predictorum fluminum designantur ; quia ut digestio in corpore hominis permanere non potest, sed eiecta apparet, ita quoque et meatus isti flumina eiciunt illaque ad apertam manifestationem producunt. 467 Ebd. 1,4,92, S. 223: Pedes quoque cetera flumina demonstrant, que˛ se per totam terram diuidentes illam ubique irrigant. Et sicut idem pedes cruribus, et ut manus brachiis adherent, sic et flumina ista uires suas ab oceano sumunt. 468 Ebd. 1,4,48, S. 181f.: Homo itaque ad orientem uersus et uelut occidens ad orientem respiciens brachiaque sua extendens, quemadmodum auster et septentrio ab inuicem separati sunt, brachium suum dextrum ad austrum, sinistrum uero ad septentrionem dirigit. 469 Ebd. 1,4,41, S. 146: Per hoc ostenditur quod mens hominis cum gratia Dei per animam firmatur et retinetur, ne per malas cogitationes nimis diffluat. 470 Ebd. 1,4,44, S. 178f.: Sic anima etiam in quatuor elementis, ex quibus homo creatus est, que˛cumque uult homo per capacitatem racionalitatis operatur. 471 Ebd. 1,4,59, S. 192: Idem etiam homo naufragium sepe patitur, cum per bonas cogitationes anime˛ non consentiens de peccatis suis in magnam confusionem dimergitur. 472 Ebd. 1,4,60, S. 192: Terra enim de calore estatis et de frigore hiemis semper lutulenta est, et lutum istud ad germinandum eam inpregnat. Zur Fortsetzung vgl. oben Anm. 264. 473 Ebd. 1,4,62, S. 194: Pari ratione sicut cor cum omnibus sibi coherentibus uitalibus hominem calefacit et roborat, sic anima cum sibi collatis uirtutibus a Deo actus hominis perficit, sanctum desiderium ad bona opera ei tribuens.

6. Der Mensch als Mikrokosmos

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weinen, weil ihr die bösen Werke mißfallen, obwohl sie sie ertragen muß.474 Die guten und bösen Werke des Menschen aber entsprechen gemäß den vier Elementen den vier Winden in den höheren Luftschichten (die zugleich Schmutz abladen) sowie den vier menschlichen Kräften: Denken, Sprechen, Wollen und Seufzen.475 Wie der Schöpfer das Firmament mit seinen vier Wänden gleichmäßig erschaffen hat, so hat auch die Seele von Anfang bis Ende eine gleichmäßige Wirkkraft mit dem Wissen um Gut und Böse, die niemals ohne das jeweils andere wirken.476 Nahezu durchweg schließt Hildegard jeweils mit einem Verweis auf die Seele, betont also (noch einmal) die schon angesprochene Wechselwirkung von Körper und Seele im Menschen: »So sendet die Seele, die vernunftbegabt und feurig ist, die Vernunft mit dem Wind aus, wie auch das brennende Feuer seine Flamme nicht ohne Wind ausstößt. Im dem sie umgebenden Kreis ihres Wissens um Gut und Böse unterscheidet sie auch die Aufgaben und Namen der Geschöpfe mit der Vernunft, durch die sie erkennt, was Gott gefällt oder mißfällt; dadurch erkennt sie ebenso, daß Gott die schlechte Gewohnheit der Sünden in seinem Eifer verbrennt.«477

Wie die – unsichtbare und unberührbare – Luft gleichsam »die Seele der Erde« ist und die Feuchtigkeit der Erde mit ihrem Hauch berührt und sie grünen läßt und wie ihr Grün im Körper das Blut und ihre Feuchtigkeit den Schweiß symbolisiert, so wärmt auch die unsichtbare Seele im Leib das unberührbare Blut und wirkt darin unsichtbar durch ihre Vernunft.478 Die Unerbittlichkeit des Leibes aber, gegen die die Seele nicht ankommt, vergleicht Hildegard mit den 474 Ebd. 1,4,63, S. 195: Cum enim homo mala opera secundum desiderium carnis operatur, tamen ex uirtute anime˛ interdum conpunctus lacrimas fundit, quia mala opera carnis anime˛ displicent, quamuis in consensu eorum carni subiecta multociens famuletur. 475 Ebd. 1,4,49, S. 183: Homo namque omnia opera sua bona uel mala cum quatuor elementis operatur in modum quatuor uentorum, qui in superioribus partibus aeris uires suas exercent et tamen flatus suos interdum in sordes et in inmundicias luti deponunt. Quatuor enim principalibus uentis quatuor uires in homine, scilicet cogitatio, locutio, intentio et gemitus assimilantur. 476 Ebd. 1,4,53, S. 186f.: Sicut enim summus artifex firmamentum cum parietibus suis equali mensura constituit, sic anima, que˛ in corpore operatur, a principio operis sui usque in finem equalem possibilitatem operandi cum scientia boni et mali habet, quarum neutra sine altera operatur. 477 Ebd. 1,4,67, S. 198: Sic etiam anima, que˛ rationalis et ignea est, racionalitatem cum uento, sicut et ardens ignis flammam suam sine uento non emittit. In circuente quoque circulo scientie˛ boni et mali cum racionalitate, per quam cognoscit, quid Deo placeat uel displiceat, officia et nomina creaturarum discernit; per quam etiam intelligit, quod Deus malam consuetudinem peccatorum in zelo suo comburit. 478 Ebd. 1,4,73, S. 204: Idem uero aer quasi anima terre˛ existit, cuius humiditatem flatu suo tangens eam uirescere facit; et sicut aer iste, cuius uiriditas sanguinem et humiditas sudorem in homine significat, in terra inuisibilis et inpalpabilis est, sic anima in corpore inpalpabilis sanguinem calefacit et per racionalitatem in illo inuisibiliter operatur.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

unbewohnbaren Teilen der Erde.479 Wie die Erde gegenüber der Sonne so positioniert ist, daß sie von dieser überall temperiert wird, so wird auch die Seele durch die Weisheit temperiert und der Mensch von Gott als ihrer Quelle benetzt.480 Wie die Erde inmitten der Luft positioniert ist, die über, unter und in der Erde ist und diese zusammenhält, so hält auch die Seele mitten im Körper das Ganze zusammen, damit der Mensch in diesem mühseligen Leben geduldig Gottes Geboten gehorcht, denn Leib und Seele sind eigentlich genauso weit voneinander entfernt wie Himmel und Erde (und sie mahnt, daß das Wissen nicht alles begreifen kann, sondern sich dem Schöpfer in Geduld und Gehorsam zuwenden und tun muß, was er verlangt).481 Entsprechend verbinden sich mit den Himmelsrichtungen und den Winden, die man nicht sieht, aber hört482 und die Hildegard wieder mit Körperteilen parallelisiert,483 Wertungen: Der gefährliche Westwind ist wie die gute Absicht des Menschen, die nie ohne Angst einher kommt,484 der Nordwind, der das Grün der Erde austrocknet, zeigt mit seinen Seitenwinden dem Menschen, fleischliche Sehnsüchte nach dem Wunsch und Vergnügen seines Herzens auszuführen;485 dem Ostwind wohnt die Stärke der morgendlichen Sonne inne, die den Tau der Nacht auflöst.486 Der Mensch selbst ist wie der Südwind und wie der Sonnenlauf, der mit guten Absichten im Osten beginnt, im Süden die größte Hitze entwickelt 479 Ebd. 1,4,88, S. 217: Homo quoque cum delectationem carnis amplectitur, anima in spiritali natura sua dicit: O ue molliciei gustus carnis, quam ego affligo et a qua affligor! […] Nam et ex inmoderato feruore solis et ex inmoderato frigore iste˛ partes terre˛ inhabitabiles sunt. 480 Ebd. 1,4,81, S. 211: Terra enim ad cursum solis sic posita est, ut in omni loco suo per ipsum temperetur. Sic et anima, que˛ cum sapientia temperata est, per guttas salientis fontis, qui Deus est, hominem imbuit. 481 Ebd. 1,4,83, S. 213: In medio quoque aeris terra posita est; ita scilicet ut aer e˛quali mensura super terram ac sub terra et in utraque parte terre˛ sit. Anima etiam, que˛ uiuens spiraculum a Deo in corpus missa est, hominem, ut cum pacientia preceptis Dei in hac laboriosa uita obediat, instruit, in qua in tanta dissocietate, quanta celum et terra distant, inhabitant; monetque ut, qui scientia sua quid ipse sit pleniter comprehendere non ualet, in labore certaminis sui cum pacientia et obedientia ad creatorem suum tendendo respiciat. Sicut enim aer in medio terre˛ eam sustentando et continendo est, sic anima in medio corporis illud totum sustinendo habitat, et in illo secundum quod ab ea postulat operatur. 482 Ebd. 1,4,95, S. 225: anima, in corpore in similitudine uentorum, quorum flatus non uidetur sed auditur, manens. 483 Ebd. S. 226: In flexuris namque membrorum hominis Deus quatuor uentos cum collateralibus ipsorum signauit: in humeris, in ulnis, in manibus et in lumbis, in genibus ac in pedibus. 484 Ebd. S. 225: Occidentalis enim uentus, qui aliquantum timendus est, bonam intentionem hominis, que˛ numquam sine timore esse debet […] ostendit. 485 Ebd. S. 226: Aquilo autem, qui flatu suo omnem uiriditatem terre˛ arefacit, ad quod eum collaterales uenti sui adiuuant, ostendit hominem secundum uoluntatem et delectationem cordis sui desideria carnis perficientem […]. 486 Ebd.: quorum unus, scilicet orientalis uentus, fortitudini aurore˛ adiunctus est, que˛ de frigiditate noctis rorem habet, quem super terram mittit.

6. Der Mensch als Mikrokosmos

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und im Westen abflaut; so beginnt auch der Mensch im Osten mit heiligen Werken und beendet schließlich im Westen die unruhigen Kriege, wenn die Seele den Körper zähmt.487 Wie die Sonne am Morgen anfängt zu leuchten, in der ersten Stunde den Tag erleuchtet, in der dritten zu brennen beginnt und in der sechsten ihre stärkste Kraft entfaltet, so atmet der Mensch zuerst gute Absicht, dann weint er, danach beginnt er mit guten Werken, die er schließlich mit großen Eifer vollendet.488 Gleichzeitig ist er dem gefährlichen Nordwind ausgesetzt, der schlimmer ist als alle anderen Winde: »Er wurde nämlich beim Sturz des Teufels, als Gott diesen in den Abgrund der äußeren Finsternis warf, wo er fern von jedem Licht im Finstern verbleibt, selbst finster. Denn seit Adams Fall schicken die bösen Geister ihr Blasen aus der Finsternis, in der sie sind, in die ganze Welt hinaus und drängen die Menschen in den Irrtum.«489

Bei Hildegard wird die religiöse Deutung von Körper und Seele wie auch der einzelnen Körperteile ebenso deutlich herausgestellt wie der Zusammenhang von Mikro- und Makrokosmos, Mensch und Welt. Während Wilhelm von Conches nach einer natürlichen Erklärung der Vorgänge im Körper sucht, nutzt Hildegard dieses (allerdings nicht auf gleicher ›wissenschaftlicher‹ Ebene der Zeit stehende) Wissen und das System des Makrokosmos und erweitert es von vornherein mit Bezug auf die Seele über die symbolisch-kosmischen Bezüge hinaus zusätzlich um die moralisch-seelischen Implikationen und zieht daraus stets auch moralische Folgerungen. Gerade das aber macht den Menschen zu einem Mikrokosmos. Der Mensch ist wie mit einer Rüstung mit allen Kräften der Natur und der Geschöpfe bekleidet: »Durch das Sehen erkennt er die Geschöpfe, mit dem Hören versteht er sie, mit dem Geruchssinn unterscheidet er sie, mit seinem Geschmack wird er von ihnen ernährt, und mit dem Tastsinn beherrscht er sie. Daher soll er den wahren Gott als Schöpfer aller Kreaturen erkennen und nicht seine Kräfte aufbieten, um gegen ihn zu kämpfen, obwohl er durch den Rat der alten Schlange oft getäuscht wird.«490 487 Ebd. S. 227: Homo namque, qui in sancta conuersatione bonorum operum fortiter ardet, uelut auster est, qui prius per suspiria et bonam intentionem uelut in oriente sancte uiuere incepit; sed postea uelut in occidente inquieta bella, quibus anima corpus domabat, cessant, quemadmodum estus solis, qui in oriente incipit et in austro pleniter ardet, in occidente tepescit. 488 Ebd. 1,4,95, S. 226: In mane enim aurora lucet, in prima sol diem illuminat, in tercia ardere incipit, et in sexta plenitudinem ardoris apprehendit. Per quod designatur, quod homo per bonam intentionem primum suspirat, postea lacrimatur, post lacrimas bona opera incipit, que˛ postea magno studio bone˛ intentionis complet. 489 Ebd. 1,4,96, S. 228: Aquilo enim aliis uentis peior est, quoniam in casu diaboli, quando Deus illum in lacum exteriorum tenebrarum proiecit, ubi in tenebris absque omni luce manet, tenebrosus factus est. Ex quo enim Adam cecidit maligni spiritus flatum suum de tenebris, in quibus sunt, in totum mundum homines in errorem urgendi emittunt. 490 Ebd. 1,4,97, S. 231: ita ut per uisum creaturas cognoscat, per auditum eas intelligat, per

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Hildegards Art, Körperbeschreibung und Makrokosmos, Äußeres und Inneres, Physikalisches und Religiöses zwanglos miteinander zu verbinden und, bei aller assoziativen Denkstruktur, insgesamt zu einem geschlossenen Bild zu vernetzen, ist durchaus originell. Die gelegentliche Unterscheidung der beiden Geschlechter darin491 ist hingegen keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal der Autorin, sondern findet sich, wie schon oben aufgezeigt, ebenso bei Isidor von Sevilla oder später bei Wilhelm von Conches. Abbildungen in den Werken Hildegards von Bingen symbolisieren ihre Vorstellungen bildlich und illustrieren den Zusammenhang von Gott, Kosmos und dem Menschen als Mikrokosmos.492 So füllt der Mensch in dem bekannten LuccaCodex der Hildegard-Schriften mit seiner ganzen Gestalt und ausgebreiteten Armen gleichsam den von Meeren umschlungenen Erdkreis aus, in den von allen Seiten die Winde hineinwehen und der außen von den Armen der hinter dem Erdkreis stehenden Gestalt Christi umschlossen wird, dessen Kopf oben und dessen Füße unten sichtbar sind, während das Antlitz Gottes (oder Christi als Gott) oben noch über dem Kopf Christi (als Mensch) aus dem Rahmen herausragt.493 In einer zweiten, sehr ähnlichen Miniatur fehlt die Gestalt Christi, während nun Fische und ein Menschenkopf Winde um den Erdkreis blasen (Abb. IV/51, S. 535).494 Der – muskulös dargestellte – »Kosmos-Mensch« erscheint hier gleichsam als Beherrscher des Erdkreises und Herrscher über die Natur. Auch im ›Glossarium Salomonis‹ aus dem Kloster Prüfening (um 1165) (Abb. IV/52, S. 536)495 ist der Mensch als Mikrokosmos dargestellt (und durch die Überschrift sogar unmittelbar so bezeichnet), indem die Körperteile zeichnerisch wie mittels der Beschriftung mit den Elementen parallelisiert werden: Der Kopf entspricht dem Feuer, die Brust (mit Atem und Husten) der

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odoratum discernat, per gustum ab eis pascatur et per tactum eis dominetur. Vnde et ipse uerum Deum creatorem omnium creaturarum scire debet nec aduersus eum preliari condendat, quamuis per consilium antiqui serpentis multociens decipiatur. Diesen Aspekt betont Elisabeth Gössmann, Die Makro-Mikrokosmik als umfassendes Denkmodell Hildegards von Bingen, in: B8atrice Acklin Zimmermann (Hg.), Denkmodelle von Frauen im Mittelalter (Dokimion 15), Freiburg 1994, S. 19–41. Zu diesen Abbildungen vgl. Schmitt, Quand la lune; zum symbolischen Zusammenhang ebd. S. 83; allgemein zu Mikrokosmosabbildungen: Dieter Blume, Körper und Kosmos im Mittelalter, in: Marek/Preisinger/Kärcher u. a. (Hg.), Bild und Körper im Mittelalter S. 225– 241. Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum, 12. Jahrhundert. Lucca, Biblioteca Statale (BSL) ms. 1942, fol. 9r. Abbildung: Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, Abb. I/21, bei S. 282. Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum. Lucca, Biblioteca Statale (BSL) ms. 1942, fol. 28v. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Biblioteca Statale Lucca (previa autorizzazzione del Ministro dei Beni e delle Attivit/ culturali e del Turismo), aus: Schipperges, Welt der Hildegard von Bingen, Abb. 41, S. 84. Glossarium Salomonis. Kloster Prüfening, 1158/1165. München, Bayerische Staatsbibliothek, clm 13002, fol. 7v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Staatsbibliothek München.

7. Das »Individuum« als »Typus«

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Luft (mit Winden und Donnern), der Bauch (»in dem alles zusammenfließt«) dem Meer (»wie die Flüsse in das Meer«), die Füße der Erde: »Wie die Füße das Gewicht des Körpers, so trägt die Erde alles« (Ut pedes molem corporis, terra sustentat omnia), heißt es dazu in der Umschrift, und die Erde wird durch Pflanzen symbolisiert. (Isidor hatte hingegen die Erde mit dem Fleisch, die Luft mit dem Atem, das Wasser bzw. die Feuchtigkeit mit dem Blut und das Feuer mit der Lebenshitze ›koordiniert‹.496) Der Mikrokosmoscharakter wird vollends deutlich, wenn die himmlische Sphäre den Kopf umkreist und die Gestirne, Sonne, Mond und Planeten, von hier aus auf den Menschen einwirken. In den vier Ecken sind noch einmal die vier Elemente abgebildet, die den Menschen ihrerseits beeinflussen.

7.

Der Mensch als »Individuum« oder »Person« und als Glied der Gesellschaft: Das »Individuum« als »Typus«

Die Herleitung des menschlichen Charakters und seiner ›Persönlichkeit‹ aus der Elementen- und Viersäftelehre bildet ein Bindeglied zur mittelalterlichen Persönlichkeitsbetrachtung des Menschen.497 Ist allen Menschen, wie oben festgestellt,498 die humanitas (als Mensch-Sein, nicht oder nur selten auch als Menschlichkeit) gemeinsam, so unterscheiden sie sich doch in ihrer jeweiligen Komplexion, der Mischung der Natursäfte, und in deren Auswirkung auf den Charakter. Dabei bleibt allerdings zu beachten, daß die ganz spezifische Mischung der Säfte und Eigenschaften, die besonders Wilhelm von Conches betont, zwar auch den individuellen Charakter des einzelnen Menschen bestimmen kann, die ganze Lehre zunächst aber auf eine Einteilung in (vier) Menschentypen hinausläuft, die jeweils deutlich voneinander unterschieden sind, in erster Linie aber gerade nicht eine Individualität ausformen. Es bleibt vielmehr bezeichnend, daß diese Mischung an sich betont wird, die individuelle Prägung in der mittelalterlichen Theorie hingegen keine Rolle spielt. Seit einigen Jahrzehnten hat sich die mediävistische Geschichtswissenschaft von der (sozialen) Gruppe her aber stärker auch dem Individuum zugewandt.499 496 Isidor von Sevilla, Etymologiae 11,1,16, Bd. 2, S. 3: Caro autem ex quattuor elementis conpacta est. Nam terra in carne est, aer in halitu, humor in sanguine, ignis in calore vitali. Habent enim in nobis elementa suam quaeque partem, cuius quid debetur conpage resoluta. 497 Vgl. dazu Derschka, Viersäftelehre. 498 Vgl. in diesem Kapitel, oben S. 399f. 499 Vgl. Jörg Wettlaufer, Von der Gruppe zum Individuum. Probleme und Perspektiven einer ›evolutionären Geschichtswissenschaft‹, in: Selzer/Ewert (Hg.), Menschenbilder – Menschenbildner S. 25–51.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Viel ist seit der Initialstudie von Colin Morris500 vor allem über die (angebliche) »Entdeckung des Individuums« im 12. Jahrhundert geschrieben worden.501 In der Regel geht es dabei um das »Selbst« und das Selbstbewußtsein. Wenn Caroline Walker Bynum in dieser Zeit (gegen Morris) nicht das Individuum im modernen Sinn als Ausdruck einzigartiger, von fester Gruppenzugehörigkeit befreiter Individualität, sondern das eigene Selbst entdeckt sehen will, dieses zugleich aber in den Kontext einer Gottesbeziehung und einer »discovery of model for behaviour« stellt,502 oder wenn Jean-Claude Schmitt503 lieber von der Persönlichkeit oder vom Selbstbewußtsein als vom Individuum sprechen möchte, dann kommt man, zumal im letzten Fall, mittelalterlichen Anschauungen schon näher, doch verschiebt sich das Problem dadurch nicht grundlegend, da alle diese Begriffe unzeitgemäß und als Phänomen erst zeitgemäß zu füllen sind. (Es kann in der Mediävistik auch gar nicht darum gehen, der Moderne genau Entsprechendes schon im Mittelalter aufzufinden; das wäre nicht nur unmöglich, sondern würde vom mittelalterlichen Verständnis geradezu wegführen – ganz abgesehen davon, daß es nach der obigen Definition Bynums auch heute kein einziges wirkliches Individuum geben würde.) Barbara Rosenwein findet ein »Ich« ganz entsprechend schon im Mittelalter, wenn sie die Perspektive auf eine emotionale Ebene verschiebt.504 Wie gegensätzlich die Positionen sind, zeigt wohl nichts deutlicher als die Argumentation Caroline Bynums, der ein »Individuum« im Mittelalter schon deshalb nicht möglich erscheint, weil der Mensch sich in dieser Epoche nicht 500 Morris, Discovery of the Individual. 501 Vgl. Gurjewitsch, Individuum; Ders., Weltbild S. 327–351; Von Moos (Hg.), Unverwechselbarkeit; Aertsen/Speer (Hg.), Individuum und Individualität; Bedos-Rezak/ Iogna-Prat (Hg.), L’individu au Moyen ffge; Mensching (Hg.), Selbstbewußtsein und Person im Mittelalter. Zum Individuum in der politischen Theorie (überwiegend neuzeitlich): Coleman (Hg.), The Individual in Political Theory and Practice. Zum Mönchtum: Melville/Schürer (Hg.), Das Eigene und das Ganze. In breitem Überblick: Van Dülmen (Hg.), Die Entdeckung des Ich; zum Mittelalter : Ohlig, Christentum. 502 Caroline Walker Bynum, Did the Twelfth Century Discover the Individual?, in: The Journal of Ecclesiastical History 31, 1980, S. 1–17 (abgedruckt in: Dies., Jesus as Mother. Studies in the Spirituality of the High Middle Ages, Berkeley-Los Angeles 1982, S. 82–109); zusammenfassend S. 15: »if the twelfth century did not ›discover the individual‹ in the modern meaning of expression of unique personality and isolation of the person from firm group membership, it did in some sense discover – or rediscover – the self, the inner mystery, the inner man, the inner landscape«. Dazu die Antwort von Colin Morris, Individualism in Twelfth-Century Religion. Some Further Reflections, in: The Journal of Ecclesiastical History 31, 1980, S. 195–206. 503 Jean-Claude Schmitt, La »d8couverte de l’individu«: Une fiction historiographique? in: Paul Mengal/FranÅoise Parot (Hg.), La fabrique, la figure et la feinte. Fictions et statut des fictions en Psychologie, Paris 1989, S. 213–236. 504 Barbara Rosenwein, Y avait-il un »moi« au haut Moyen ffge?, in: Revue historique 307 (633), 2005, S. 31–52.

7. Das »Individuum« als »Typus«

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ohne Gott versteht und daher nicht autonom ist,505 während theologische Positionen Ansätze einer Individualität gerade in der christlichen Bindung suchen.506 Das Vorhandensein einer Individualität im Mittelalter hängt folglich ganz von den jeweils angelegten Kriterien ab (und wird zwangsläufig verneint, wenn diese modernen Ursprungs sind).507 Zuletzt hat sich Harald Derschka noch einmal gründlich mit den Thesen auseinandergesetzt (und sich gegen die Begriffe »Entdeckung« und »Individuum« gewandt),508 aber an einem »Innovationsschub«, einem wachsenden Verständnis der Persönlichkeit und einem »fundamentalen Einstellungswandel« gegenüber Empfindungen im hohen Mittelalter festgehalten. Die »erste eigenständige Persönlichkeitstheorie« sieht er um 1100 in der medizinischen Schule von Salerno entwickelt: »Die komplexeren Denkstrukturen erlaubten erstmals ein klares Verständnis für die menschliche Persönlichkeit; die humorale Charaktertypologie war der Versuch, diesem Verständnis eine systematische Form zu geben.«509 Ohne einen Wandel im hohen Mittelalter abstreiten zu wollen, bleibt doch das Verhältnis zur individuellen Persönlichkeit in den früheren Jahrhunderten stärker zu beachten. Die Säftelehre, Derschkas Ausgangspunkt, ist im 12. Jahrhundert zwar ebenfalls systematischer dargelegt worden als zuvor, hat in allen ihren Ausprägungen aber nicht nur unbestreitbar weit ältere Wurzeln, sondern unterscheidet darüber hinaus eben nicht zwischen Individuen, sondern, wie schon betont, zwischen den vier ›Persönlichkeitstypen‹. Und wenn die Kunstgeschichte immer wieder in der seit dem 12. Jahrhundert weiter verbreiteten namentlichen Nennung des Künstlers eine Form der Individualisierung erkennen möchte, wie will man dann die zu allen Zeiten des Mittelalters geradezu übliche Nennung der Autoren schriftlicher Werke erklären?510 Insgesamt ist sicherlich Vorsicht geboten. »Die Neigung mancher heutigen Forscher, die Individualität eines mittelalterlichen Autors aus ihrem konkreten kulturellen Zusammenhang mit der Epoche zu lösen und sie mit den Mitteln psychoanalytischer Verfahren zu erklären, ist kaum zu rechtfertigen,« mahnte schon Aaron 505 Bynum, Did the Twelfth Century Discover the Individual? 506 Ohlig, Christentum. 507 Eine (spät-)mittelalterliche Herangehensweise versucht Eva Schlotheuber, Norm und Innerlichkeit. Zur problematischen Suche nach den Anfängen der Individualität, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31, 2004, S. 329–357, die im späten Mittelalter die Fähigkeit des Menschen zur Selbstbeobachtung (im Rahmen der göttlichen Ordnung) wachsen sieht. 508 Derschka, Individuum und Persönlichkeit. 509 So resümierend ebd. S. 211. 510 Christel Meier, Autorschaft im 12. Jahrhundert. Persönliche Identität und Rollenkonstrukt, in: Von Moos (Hg.), Unverwechselbarkeit S. 207–266, arbeitet an acht Fallbeispielen einen neuen Autortyp des 12. Jahrhunderts heraus, der aus der persona auctoris heraus argumentiert. Dafür fänden sich allerdings ebenfalls bereits frühere Beispiele (wie Thietmar von Merseburg).

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Gurjewitsch.511 Das viel diskutierte Problem kann hier in der Kürze natürlich nicht noch einmal umfassend aufgegriffen werden. Vielmehr geht es im Folgenden im Rahmen dieses Buches darum, es als Teil des mittelalterlichen Menschenbildes von der (religiösen) Vorstellungswelt und damit vor allem von zeitgemäßen Kriterien her zu beleuchten. Wie so häufig, ist auch hier zunächst unbedingt wieder zwischen unseren und den mittelalterlichen Begriffen zu unterscheiden, die eben nicht übereinstimmen. Man hat zum einen daher zu fragen, was »Individuum« im Mittelalter bedeutet, kann zum andern aber erkunden – und darauf zielt die bisherige Forschung fast ausschließlich ab –, ob bereits im Mittelalter so etwas wie ein Individuum im heutigen Sinn wahrgenommen wurde (und ob und wie beides zusammenpaßt). Der (lateinische) Begriff individuum ist zwar mittelalterlich, meint tatsächlich aber etwas ganz anderes als heute. »Individuum« wird im Mittelalter durchaus wörtlich begriffen und theologisch in den oben dargestellten Zusammenhang der Geschöpflichkeit des Menschen gestellt: Es ist zunächst »das Unteilbare«.512 Es fügt sich in mittelalterlicher Auffassung zudem in die Vorstellungen von Gottheit und Trinität ein: Beide sind unteilbar.513 Auf den Menschen bezogen, verweist es ebenso auf die Artgleichheit wie auch auf die Unterschiedlichkeit. ›Unteilbar‹ ist etwas, schreibt Otto von Freising, der hier wieder Boethius und Gilbert von Poitiers514 verpflichtet ist, das etwas nicht mit einem anderen Subjekt teilt, sondern in seiner Einzigartigkeit und Besonderheit von dem Menschsein an sich abhebt.515 Hier gelangen wir zumindest in Randzonen des modernen Individuum-Begriffs, indem eine spezifische Natur des Einzelmenschen anerkannt wird, doch ist sie hier rein formal als Unterscheidungsmerkmal benutzt und bezieht sich gerade nicht auf ein Persönlichkeitsbewußtsein. Daß individuum im Mittelalter etwas anderes bedeutet als heute, beweist natürlich noch nicht eine mangelnde Wahrnehmung von Individualität, es deutet aber bereits auf eine andere Denk- und Wahrnehmungsweise. Wenn allerdings auch andere Begriffe fehlen, die dem heutigen Individualkonzept entsprechen oder nahekommen könnten, dann hat man offenbar nicht in ähnlicher Weise gedacht. Auch die »Person« (persona), ursprünglich ein Terminus der

511 Gurjewitsch, Individuum S. 189. 512 Vgl. auch Aertsen, Einleitung, in: Ders./Speer (Hg.), Individuum S. XVf. 513 Etwa bei Petrus Damiani, Richard von St. Viktor und Peter Abaelard; vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, S. 166f., 169 und 208ff. 514 Zu Gilbert vgl. Klaus Jacobi, Einzelnes – Individuum – Person. Gilbert von Poitiers’ Philosophie des Individuellen, in: Aertsen/Speer (Hg.), Individuum S. 3–21. 515 Otto von Freising, Gesta Frederici 1,56, ed. Schmale S. 242–246 (ed. Waitz/von Simson 1,55, S. 77–79): Ex quo patet alterum membrum, quare videlicet singularem, individualem vel particularem dixerim proprietatem, eam nimirum, que suum subiectum non assimilat aliis, ut humanitas, sed ab aliis dividit, discernit, partitur.

7. Das »Individuum« als »Typus«

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antiken Theatersprache,516 ist vorab ebenfalls ein theologisch-philosophischer, auf die Trinität wie auf die Geschöpflichkeit bezogener Begriff,517 der eng mit der Definition des Individuums zusammenhängt, ohne jedoch damit identisch zu sein und sich im letzteren Sinn auf die rationale Kreatur, also ausschließlich auf Engel und Menschen, beschränkt: »Person«, so definieren – im Anschluß an Boethius – Gilbert von Poitiers und Otto von Freising sowie später die Scholastiker, sei »die unteilbare Substanz einer rationalen Natur« (Persona est rationalis nature individua substantia).518 Daraus folgt, »daß nicht jedes Individuum Person ist, weil nicht jedes Individuum ein rationales Wesen ist«.519 »Individuum« im mittelalterlichen Sinn, also unteilbar, kann auch die (leblose) Substanz, Person können hingegen nur Engel und Menschen sein (was sie jedoch wieder sämtlich gemeinsam haben). Daraus folgt zwar, daß der Mensch als rationale Natur, trotz aller Zusammensetzung (die gerade Otto betont, der den Menschen als das am meisten zusammengesetzte Wesen versteht),520 etwas »Individuelles«, etwas Unteilbares, an sich hat, aber auch das gilt zunächst für alle Menschen und bedeutet noch keine individuelle Unterscheidung. Leib und Seele, so Hugo von St. Viktor, schaffen den Menschen als Person: Der Mensch (an sich) sei, wie schon oben betont, Tier (animal), Körper (corpus) und Person (persona) zugleich.521 Individualität im heutigen Sinn ist das nicht. Man wird daher vorsichtiger den mittelalterlichen Denkrichtungen nachgehen und fragen müssen, wieweit sich innerhalb dieser Stränge »Individuelles« nachweisen läßt. Bei aller Andersar516 Vgl. Hans Rheinfelder, Das Wort »Persona«. Geschichte seiner Bedeutungen mit besonderer Berücksichtigung des französischen und italienischen Mittelalters, Halle/S. 1928. 517 Vgl. zu diesem Zusammenhang Jacobi. Einzelnes; Berthold Wald, »Rationalis naturae individua substantia«. Aristoteles, Boethius und der Begriff der Person im Mittelalter, in: Aertsen/Speer (Hg.), Individuum S. 371–388 (jeder Mensch ist als Vernunftwesen einzigartig und daher Person, Person aber ist nicht der Mensch an sich, sondern der einzelne Mensch). Ausführlich: Heinz Wipfler, Die Trinitätsspekulation des Petrus von Poitiers und die Trinitätsspekulation des Richard von St. Viktor. Ein Vergleich (Beiträge zur Geschichte des Philosophie und Theologie des Mittelalters. Texte und Untersuchungen 41), Münster 1965, zum Personenbegriff bei Petrus von Poitiers (S. 38–53) und Richard von St. Viktor (S. 53–91), der die Definition des Boethius für das Göttliche ausdrücklich zurückweist; zu Richard außerdem: Nico Den Bok, Richard de Saint-Victor et la quÞte de l’individualit8 essentielle, in: Bedos-Rezak/Iogna-Prat (Hg.), L’individu au Moyen ffge S. 123–143; Schmitt, La d8couverte de l’individu S. 227ff. 518 Otto von Freising, Gesta Frederici 1,56, ed. Schmale S. 244 (ed. Waitz/von Simson 1,44, S. 77), nach Boethius, Contra Eutychen et Nestorium 3, S. 214. 519 Ebd., ed. Schmale S. 244 (ed. Waitz/von Simson 1,55, S. 79): Persona est rationalis nature individua substantia. Patet igitur, quod non omne individuum est persona, quia non omnis individua substantia est rationalis natura. 520 Vgl. oben S. 392f. 521 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 2,1,11, ed. Migne Sp. 410; ed. Berndt S. 329 (oben Anm. 250–253).

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tigkeit des Begriffsverständnisses und der philosophischen Erklärungen sind die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Individualität des Menschen auch in unserem Sinn mit den zitierten Definitionen zwar grundsätzlich vorhanden, die ihrem Zweck nach, wie in der Mikrokosmoslehre und ihren Menschentypen, zunächst jedoch wieder auf eine Kategorisierung und nicht auf eine Individualisierung hinauslaufen. Tatsächlich ist entsprechend seit langem erkannt und wird vielfach betont, daß die frühmittelalterlichen Autoren individuellen Zügen oder der Verwirklichung individueller Fähigkeiten der Menschen wenig Bedeutung beimessen, weil es ihnen weit mehr um das Typische geht, das der einzelne repräsentiert: die Funktion, den Stand, die soziale Gruppe, die Gemeinschaft, die Religionsgemeinschaft, das religiöse oder ethische Verhalten. Der Mensch interessiere, so meint man, im früheren Mittelalter nicht wirklich als Individuum, er sei vielmehr restlos in seine Gruppe oder Gemeinschaft integriert522 und von ihr und von seiner Funktion darin her definiert. »Versuchen wir die Menschen des mittelalterlichen Abendlandes als Individuen zu fassen, so zeigt sich nicht nur, daß der einzelne, wie in jeder Gesellschaft, mehreren Gruppen oder Gemeinschaften angehört, sondern auch, daß er im Mittelalter geradezu in ihnen untergeht. […] Bezeichnenderweise existiert das Individuum als solches für das Mittelalter lange Zeit gar nicht.«523 »Ich kenne keinen mittelalterlichen Text, der vor dem 11. Jahrhundert vom Verhalten des Einzelmenschen zu sich selbst spräche,« schreibt Arno Borst. »Der einzelne wird erst zum Thema, wenn die bergenden Lebensformen zerbrechen.«524 Giles Constable hat das andere Denken des Mittelalters geradezu als »Abstraktion persönlicher Qualitäten« bezeichnet.525 Menschenbilder werden als Typen wahrgenommen, Typisches aber ent522 Vgl. Selzer/Ewert (Hg.), Menschenbilder – Menschenbildner. Zum sozialen Rahmen des Individuellen vgl. an verschiedenen Beispielen: Yuri L. Bessmertny/Otto Gerhard Oexle (Hg.), Das Individuum und die Seinen. Individualität in der okzidentalen und in der russischen Kultur in Mittelalter und früher Neuzeit (Veröffentlichungen des Max-PlanckInstituts für Geschichte 163), Göttingen 2001. Zum Menschen als gruppenbezogenem Wesen vgl. auch Fossier, Ces gens du Moyen ffge S. 239–308. 523 So Le Goff, Civilisation S. 348 (deutsche Fassung, leicht abweichend, S. 469): »Si nous cherchons / approcher les hommes de l’Occident m8di8val dans leur individualit8, nous reconnaissons bientit que non seulement, comme dans toute soci8t8, les individus appartiennent chacun / plusieurs groupes ou communaut8s, mais, au Moyen ffge, ils semblent s’y dissoudre plus que s’y affirmer. […] Il est significatif que pendant longtemps l’individu m8di8val n’existe pas dans sa singularit8 physique.« 524 Borst, Lebensformen S. 252. Es ist daher bezeichnend, daß Borst im Kapitel über »Mensch und Gemeinschaft« neben Abschnitten über soziale Gruppen nur einen Abschnitt über Mitmenschen hat, während der Abschnitt über den Einzelmenschen exzeptionelle Einzelszenen (wie Hartmanns Iwein) bespricht. 525 Giles Constable, The Abstraction of Personal Qualities in the Middle Ages, in: Von Moos (Hg.), Unverwechselbarkeit S. 99–122.

7. Das »Individuum« als »Typus«

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sprechend personifiziert. Der Mensch gilt somit stets auch als »Typus« für bestimmte Phänomene, bedarf seinerseits aber einer Konkretisierung (in Menschengestalt). Homo meint zwar auch den einzelnen Menschen (meist als ille homo oder in ähnlichen Wendungen), ist in der Regel aber der Mensch an sich (als Mensch). In der Kunst526 und in der Dichtung527 werden Menschen in der Regel ebenfalls nicht porträthaft als Individuen, sondern vornehmlich als Funktionsträger, als »Typen« oder als Personifikationen von Handlungen und Antitypen wahrgenommen. Könige sind an ihren Insignien, vor allem der Krone (Abb. IV/53, S. 537),528 Bischöfe und Mönche an ihrer Kleidung, letztere an der Tonsur erkennbar (Abb. IV/54, S. 538);529 Bischöfe haben häufig ein Buch oder den Bischofsstab als Zeichen, oder sie tragen eine Stola (Abb. IV/55, S. 539),530 Kirchenstifter haben ein Kirchenmodell in der Hand (Abb. IV/56, S. 540);531 die vier Evangelisten haben jeweils ihr eigenes Symbol (Matthäus den Engel oder Menschen, Markus den Löwen, Lukas den Stier und Johannes den Adler) und häufig den Schreibgriffel in der Hand und das Evangelium auf den Knien (Abb. 526 Die Beispiele bei Agostino Paravicini Bagliani/Jean-Michel Spieser/Jean Wirth (Hg.), Le portrait. La repr8sentation de l’individu (Micrologus library 17), Florenz 2007, sind bezeichnenderweise spätmittelalterlich. 527 Zur Problematik literarischer Porträts vgl. Dieter Kartschoke, Der ain was gr., der ander was chal. Über das Erkennen und Wiedererkennen physiognomischer Individualität im Mittelalter, in: Johannes Janota/Paul Sappler/Frieder Schanze/Konrad Vollmann/Gisela Vollmann-Profe/Hans-Joachim Ziegeler (Hg.), Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger, Bd. 1, Tübingen 1992, S. 1–24. Zur narrativen Darstellung des Selbst vgl. Mireille Schnyder, Ich-Geschichten. Die (Er)findung des Selbst, in: Martin Baisch/ Jutta Eming/Hendrikje Haufe/Andrea Sieber (Hg.), Inszenierungen von Subjektivität in der Literatur des Mittelalters, Königstein/Ts. 2005, S. 75–90. In der Frage nach ständischer Identität ist der Einzelne allerdings wiederum auf die Gruppe bezogen; vgl. dazu Jan-Dirk Müller, Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik, Tübingen 2007, Kapitel 4, S. 225–271. Für wichtige Literaturhinweise danke ich meinem Hamburger germanistischen Kollegen Martin Baisch. 528 Grabplatte des Gegenkönigs Rudolfs von Rheinfelden (in vollem Ornat!). Merseburg, Dom, bald nach 1080. Abbildung: Vereinigte Domstifter, Bildarchiv Merseburg. Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Leiters der Domstiftsbibliothek und des Domstiftsarchivs Merseburg. 529 Notker Balbulus. Titelbild zu Notkers Hymnenbuch. Minden 1022/1025. Berlin, SBB-PK, Ms. theol. lat. qu. 11 (derzeitiger Aufbewahrungsort Krakau, Jagiellonen-Bibliothek: Berol. SBB-PK, Ms. theol. lat. qu. 11). Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin und der Jagiellonen-Bibliothek Krakau aus: Werner Vogler (Hg.), Die Kultur der Abtei Sankt Gallen, Zürich 1990, Taf. 9, S. 81. 530 Hrabanus Maurus, De laudibus sanctae crucis. Fulda, um 840. Wien, Österreichische Nationalbibliothek Cod. 652, fol. 1v (Dedikationsbild): Alkuin und Hrabanus Maurus übergeben ihrem Erzbischof Otgar von Mainz, der durch Buch und Stola ausgezeichnet ist, die Schrift, die eigentlich allerdings dem heiligen Martin von Tours gewidmet war. Abbildung nach Vorlage (Faksimile) und mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. 531 Mals, Wandmalerei in der Benediktkirche, vor 881 (geistlicher Stifter). Abbildung: Von den Steinen, Homo Caelestis, Bd. 2, Abb. 77c; vgl. die Beschreibung ebd. Bd. 1, S. 231.

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IV/57, S. 541),532 Frauen tragen oft Kopftuch oder Schleier. Beim Aufstieg der Seligen in den Himmel (zu Gott, den Engeln und Heiligen) in einer Reichenauer Hoheliedhandschrift gehen, deutlich voneinander geschieden, die Mönche voran, dann folgen männliche Laien, dann Frauen.533 Gerade wegen dieser Typik wird die individuelle Person letztlich erst durch die Beschriftung identifiziert. Umgekehrt werden Abstrakta wie Artes oder Tugenden zumeist aber als (menschliche) Personifikationen dargestellt, wie beispielsweise die durchweg als Frauengestalten abgebildeten Tugenden und Laster in der ›Psychomachia‹ des Prudentius.534 Das gilt auch für die bildliche Darstellung von Rechtshandlungen mit entsprechenden Gesten (etwa in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels).535 Wenn man sich also heute bemüht, das Individuelle im Mittelalter zu erforschen, so wird doch sofort die Einbindung in die Institution erkennbar. Besonders deutlich erscheint das etwa im Mönchtum.536 Selbstverständlich sind Mönche Menschen, und Bilder können sogar einen bestimmten Mönch abbilden, aber entscheidend ist doch ihr spezifischer Stand, und so werden sie eben in erster Linie – durch Tonsur und Habit – als Mönche kenntlich gemacht und in zweiter Linie in ihrer jeweiligen Tätigkeit beschrieben (zum Beispiel als schreibende oder als betende Mönche). Siegelbilder sind individuell zugeordnet537 und lassen sich doch, wie die Sphragistik seit langem erarbeitet hat, nicht nur gut nach bestimmten Typierungen kategorisieren, sondern sind oft auch 532 Evangelist Matthäus mit dem Engelsymbol: Evangeliar aus Centula, Hofschule Karls des Großen, kurz vor 800. Abbeville, BibliothHque municipale, Ms. 4, fol. 17v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der BibliothHque municipale Abbeville (Foto: T Yazid Medmoun [42]). Vgl. dazu die Beschreibung bei Von den Steinen, Homo Caelestis, Bd. 1, S. 229. 533 Hoheliedhandschrift, Reichenau, kurz vor 1000. Bamberg, Staatliche Bibliothek, Msc. bibl. 22, fol. 5r. Abbildung: Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Abb. II/7, bei S. 58. In der gegenüberliegenden Miniatur gehen hingegen die Frauen voran, es folgen Mönche, Männer und Könige. 534 Handschrift des ausgehenden 9. Jahrhunderts aus St. Gallen (?). Bern, Burgerbibliothek Cod. 264. Mehrere Abbildungen daraus: Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, Abb. III/12– 14, bei S. 244. 535 Vgl. Wolfgang Schild, Menschen im Recht. Darstellungen in frühen Rechtstexten, in: Vavra (Hg.), Bild und Abbild S. 293–311. 536 Kennzeichnend ist dafür der Sammelband von Melville/Schürer (Hg.), Das Eigene und das Ganze. In vielen Beiträgen geht es hier bezeichnenderweise aber auch um das ›Individuelle‹, nämlich das Andere, am Mönchtum, im Vergleich zur Gesamtgesellschaft. 537 Brigitte Miriam Bedos-Rezak, Medieval Identity. A Sign and a Concept, in: American Historical Review 105, 2000, S. 1489–1533; Dies., Du modHle / l’image: les signes de l’identit8 urbaine au Moyen ffge, in: Marc Boone/Plodie Lecuppre-Desjardin/JeanPierre Sosson (Hg.), Le verbe, l’image et les repr8sentations de la soci8t8 urbaine au Moyen ffge (Studien in Urban Social, Economic and Political History of Medieval and Early Modern Low Countries 13), Löwen 2002, S. 189–205; Dies., Du sujet / l’objet. La formulation identitaire et ses enjeux culturels, in: Von Moos (Hg.), Unverwechselbarkeit S. 63–83.

7. Das »Individuum« als »Typus«

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geradezu in die entsprechende ›Gruppe‹ oder Institution eingeordnet.538 In der Dichtung wird sogar das Erkennen einer Person problematisiert: Als »schwieriges Erkennen« hat man die »Personenidentifizierung« in der mittelalterlichen Epik charakterisiert.539 Sie wird in der Dichtung oft weniger am Aussehen als an körperlichen, äußerlichen (Gestalt, Kleidung, Gebärde, Rüstung) ebenso wie inneren Merkmalen festgemacht, bleibt hier aber zumindest möglich.540 Auch dabei geht es aber oft um tiefere Werte, um die »Ablesbarkeit des Seins am Seienden«.541 Wird der Mensch allgemein als Mensch abgebildet – wie in den Mikrokosmosdarstellungen –, dann verkörpert er zugleich den Typus des Geschöpfs (im Unterschied zu Engeln oder Tieren). Wird er als ein bestimmter Mensch dargestellt, dann verkörpert er Stand oder Funktion. In den Federzeichnungen der Chronik Ottos von Freising werden die »römischen« Kaiser wie Augustus, Karl oder Otto der Große durch die Beschriftung zwar eindeutig auf diese bestimmten, historischen Personen bezogen, in Aussehen und Gestalt, Kleidung und Insignien jedoch völlig identisch in ritueller Haltung thronend dargestellt, weil sie in ihrer Person zugleich und vor allem den Herrscher und Kaiser des römischen Weltreichs verkörpern, darüber hinaus aber noch einen bestimmten historischen Wandel symbolisieren, nämlich in diesem Fall die translatio imperii des von Augustus begründeten Römischen Reiches auf neue Träger : die Franken (Karl) und – bereits im Rückblick des 12. Jahrhunderts – die Deutschen (Otto).542 Dennoch ist mit solchen Feststellungen über die Typik mittelalterlicher Personendarstellungen nicht die ganze Wahrheit erfaßt. Mittelalterliche Autobiographien sind vor allem (religiöse) »Bekenntnisse« (nach dem Vorbild Augustins) und beleuchten damit nur eine Seite des Lebens, aber eben doch eine sehr innerliche und persönliche Seite, die manches von den Besorgnissen und Überlegungen des Autors preisgibt.543 Mit Bekehrung und religiösen Problemen 538 Vgl. Markus Späth, Individuum und Gruppe. Zu einem Bildkonzept nord- und ostfranzösischer Stadtsiegel des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Francia 36, 2009, S. 67–90. 539 Vgl. Armin Schulz, Schwieriges Erkennen. Personenidentifizierung in der mittelhochdeutschen Epik (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 135), Tübingen 2008. 540 Vgl. Ingrid Hahn, Zur Theorie der Personerkenntnis in der deutschen Literatur des 12. bis 14. Jahrhunderts, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 99, 1977, S. 395–444. 541 So ebd. S. 444. 542 Abbildung bei Hans-Werner Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 1), Berlin 22008, S. 212, Abb. 13a–c. 543 Vgl. auch Wilhelm Kölmel, Autobiographien der Frühzeit, in: Aertsen/Speer (Hg.), Individuum S. 667–682, der gleichwohl (und in diesem Fall zu Recht) den Wandel im 12. Jahrhundert betont.

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wollen auch sie zugleich etwas Einmaliges wie ›Typisches‹ darlegen, das anderen eigene, aber wiederholbare Situationen vor Augen stellen soll. Selbst Peter Abaelards singulär wirkende ›Historia calamitatum‹ bleibt im Rahmen der heilsgeschichtlichen Typologien und bietet doch eine persönliche, subjektiv gefärbte Geschichte der eigenen Tragik, die gleichzeitig wieder Allgemeingültiges vermitteln will.544 Autobiographien sind zumindest teilweise, wenn auch nur sehr partielle Selbstreflektionen und damit (auch) Widerspiegelungen innerer Individualität im Rahmen des Typischen. Früh- und hochmittelalterliche Briefe lassen, bei aller Stilisierung, im Vergleich ebenfalls manche persönlichen Eigenarten erkennen,545 und manche Chronisten wie Gregor von Tours,546 Thietmar von Merseburg547 oder auch Hermann von Reichenau flechten in den großen Geschichtsbericht immer wieder Nachrichten über sich selbst und die eigene Familie ein.548 Viele gestalten ihr Bild großer Persönlichkeiten, vor allem von Königen, nicht selten als Nachruf, zu typisierten (Ideal-)Schilderungen aus, die gleichwohl individuelle Züge enthalten, und Gleiches gilt für manche Heiligenviten.549 Selbst die Jenseitsvorstellungen enthalten eine ähnliche Dichotomie: Im Jenseits fügen sich (der verstorbene) Körper und die (unsterbliche) Seele wieder zu der Person zusammen, zu der sie einst gehört haben, doch 544 So Sverre Bagge, The Autobiography of Abelard and Medieval Individualism, in: Journal of Medieval History 19, 1993, S. 327–350. Zu Abaelards ›Historia calamitatum‹ vgl. auch Michael Clanchy, Documenting the Self: Abelard and the Individual in History, in: Historical Research 76 (193), 2003, S. 293–309. 545 Vgl. exemplarisch zu den Briefen Anselms von Canterbury Krüger, Persönlichkeitsausdruck. 546 Vgl. Martin Heinzelmann, Gregor von Tours (538–594). ›Zehn Bücher Geschichte‹. Historiographie und Gesellschaftskonzept im 6. Jahrhundert, Darmstadt 1994, S. 32–83. 547 Vgl. Hans-Werner Goetz, Die Chronik Thietmars von Merseburg als Ego-Dokument: ein Bischof mit gespaltenem Selbstverständnis, in: Richard Corradini/Matthew Gillis/Rosamond McKitterick/Irene van Renswoude (Hg.), Ego-Trouble. Authors and Their Identities in the Early Middle Ages (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Phil.hist. Klasse. Denkschriften 185 = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 15), Wien 2010, S. 259–270. 548 Vgl. Michael Borgolte, Über die persönlichen und familiengeschichtlichen Aufzeichnungen Hermanns des Lahmen, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 127, 1979, S. 1–15 (mit einer Zusammenstellung aller Nachrichten ebd. S. 2ff.); Brigitte Englisch, Zum Spannungsfeld von Chronographie und Autobiographie in der Weltchronistik des Hermann von Reichenau, in: Gudrun Gleba (Hg.), Instrumentalisierung von Historiographie im Mittelalter (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung, Bd. 5,2), Berlin 2000, S. 17–29; Thomas Zotz, Hermann und seine Familie, die Grafen von Altshausen, in: Felix Heinzer/Ders. (Hg.), Hermannus Contractus. Reichenauer Mönch und Universalgelehrter des 11. Jahrhunderts (im Druck). Allgemein: Wolfgang Giese, Beobachtungen und Gedanken zu autobiographischen Einschüben in der Historiographie des früheren Mittelalters (800–1150), in: Innsbrucker Historische Studien 4, 1981, S. 7–16. 549 Zu individuellen Motiven inmitten der Typisierung in bestimmten Heiligenviten (Vita Udalrici und Vita Bernwardi) vgl. Krah, Wo bleibt der Mensch?

7. Das »Individuum« als »Typus«

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nehmen die menschlichen Körper dabei ihre Idealgestalt an: die (verklärte) Gestalt, die sie in ihrer Blüte hatten oder gehabt hätten (nach Augustin ist das mit 33 Jahren das Sterbealter Christi). Dennoch haben Visionäre zumeist anscheinend keine große Mühe, im Jenseits bekannte Gesichter wiederzuerkennen. Das Typische in mittelalterlichen Persönlichkeitsdarstellungen ist unverkennbar.550 Bei aller Stilisierung als Typus (des Herrschers oder Ritters, des Bischofs oder Mönchs, des Guten oder Bösen) scheinen in den Darstellungen jedoch immer wieder individuelle Charakterisierungen des einzelnen Menschen durch,551 die über der Typik nicht gänzlich vernachlässigt werden sollten. Es geht vielmehr darum, (jeweils) diesen Zusammenhang und die geradezu untrennbare Einheit beider Perspektiven als ein Charakteristikum mittelalterlicher Persönlichkeitsdarstellungen zu erkennen und zu hinterfragen.552 Wenige Beispiele mögen das veranschaulichen. Betrachten wir daraufhin exemplarisch etwa die Darstellung Karls des Großen bei Einhard,553 so betont der ehemalige Vertraute des Kaisers zwar Karls Idealgestalt (die Größe, aber zugleich das richtige Maß) und seine »würdige und stattliche Erscheinung«, und er präsentiert das sowohl als zeitloses Herrscherideal als auch als sehr zeitgebundene Kritik an seiner eigenen Gegenwart. Dennoch enthält sein Kaiserporträt mehr oder weniger individuelle Züge und spart über aller Idealisierung bekanntlich selbst gewisse Mängel nicht aus: den breiten, kräftigen Körperbau, die etwas zu große Nase, den zu feisten, kurzen Nacken und den Bauchansatz (wenngleich er vom Ebenmaß der anderen Glieder 550 Zu (den Grenzen der) Persönlichkeitsschilderungen der Stauferzeit vgl. bereits Hildebrand Troll, Persönlichkeitsschilderungen in der historischen Literatur der Stauferzeit, Diss. München 1948. 551 Zu verschiedenen Traditionen hinsichtlich des Individuums bei Otto und anderen Geschichtsschreibern des hohen Mittelalters vgl. Sverre Bagge, The Individual in Medieval Historiography, in: Coleman (Hg.), The Individual in Political Theory and Practice S. 35– 57. Das Verhältnis von Gruppenidentität und Individualität reflektiert am Investiturstreit Hagen Keller, Identitäten und Individualität in den Krisenerfahrungen des europäischen Hochmittelalters (11./12. Jahrhundert), in: Frühmittelalterliche Studien 46, 2012, S. 221– 240. 552 Ähnlich schon, aus der Perspektive der Kunstgeschichte, Bruno Reudenbach, Individuum ohne Bildnis? Zum Problem künstlerischer Ausdrucksformen von Individualität im Mittelalter, in: Aertsen/Speer (Hg.), Individuum S. 807–818. Für eine Zusammenschau beider Aspekte plädieren auch Susan R. Kramer/Caroline W. Bynum, Revisiting the Twelfth-Century Individual. The Inner Self and the Christian Community, in: Melville/ Schürer (Hg.), Das Eigene und das Ganze S. 57–85, mit dem Ergebnis (S. 85): »the discovery of the individual not only leads to a discovery of groups, roles and models; the discovery of the individual i s the discovery of the model.« Zur Individualität in der (monastischen) Gruppe auch Franz Neiske, »Bei deinem Namen habe ich dich gerufen«. Individuum und Seelenheil in der frühmittelalterlichen Klostergemeinschaft, in: ebd. S. 89–106. 553 Einhard, Vita Karoli 22, S. 26f.

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verdeckt werde) oder die für Karls stattliche Gestalt zu hohe Fistelstimme. Auch Thegans deutlich an Einhard orientiertes »Porträt« Ludwigs des Frommen klingt bei allem Bemühen um Idealisierung immer noch recht realitätsnah: »Er hatte eine mäßig große Gestalt, große, helle Augen, ein leuchtendes Antlitz, eine lange und gerade Nase, Lippen, die weder zu dick noch zu dünn waren, eine starke Brust, breite Schultern, sehr starke Arme, so daß ihm niemand im Bogenschießen oder Lanzenwerfen gleichkam; seine Hände waren lang, seine Finger gerade, seine Beine lang und im Verhältnis [oder auch: im (rechten) Maß] schlank, seine Füße lang; seine Stimme männlich.«554

Ähnliches gilt für das Verhalten des Kaisers:555 Ludwig verschmähte die in seiner Jugend erlernten heidnischen Dichter, war ausgesprochen rührig, nur schwer in Zorn, aber leicht in Mitleid zu versetzen (wohl zu leicht für einen König, wie verschiedene Handlungen zeigen); und er, der mit allen guten Sitten geschmückt erscheint, war, mehr als je jemand vor ihm, so über alle Maßen freigebig (eigentlich eine Tugend), daß er die von den Vorfahren mühsam erworbenen Königsgüter auf alle Zeiten an seine Getreuen verschenkte (und damit zu freigebig für einen an das Staatswohl denkenden König): Die Idealgestalt zeigt hier gewissermaßen Schwächen durch Übertreibung der idealen Tugenden – ihr fehlt daher gelegentlich das an Karl gelobte und hier ebenfalls vordergründig verbreitete und doch relativierte rechte Maß –, so daß das Ideale erneut im persönlichen Umgang damit beschrieben wird. Damit dienen aber auch die Schwächen immer noch der den Lesern hier vorgeführten Darstellung der Ideale. Thegan lobt darüber hinaus Ludwigs bescheidenes Auftreten, das jeden Prunk, außer zu Ehren Gottes an Festtagen, ablehnte, und schließlich konnte der Kaiser sich derart beherrschen, daß er, »selbst wenn das Volk in seiner Gegenwart maßvoll lachte, niemals seine weißen Zähne beim Lachen zeigte«.556 Ein drittes Beispiel bietet die Charakterisierung des Erzbischofs Brun von 554 Thegan, Vita Hludowici 19, S. 200: Erat enim statura mediocri, oculis magnis et claris, vulto lucido, naso longo et recto, labiis non nimis densis nec nimis tenuis, forti pectore, scapulis latis, brachiis fortissimis, ita ut nullus ei in arcu vel lancea sagittando equiperare poterat, manibus longis, digitis rectis, tibiis longis et ad mensuram gracilis, pedibus longis, voce virili. 555 Ebd. S. 200/202: Poetica carmina gentilia, que˛ in iuventute didicerat, respuit nec legere nec audire nec docere voluit. Erat fortis in membris suis, agilis et impiger, tardus ad irascendum et facilis ad miserandum. Quociens mane in cottidianis diebus ad e˛cclesiam perrexerat causa orationis flexis genibus fronte tetigit pavimentum, humiliter diu orans, aliquando cum lacrimis. Et omnibus moribus bonis semper ornatus. In tantum largus, ut antea nec in antiquis libris nec modernis temporibus auditum est, ut villas regias, que˛ erant patris sui et avi et triavi, fidelibus suis tradidit eas in possessionem sempiternam. 556 Ebd. S. 204: Numquam in risum exaltavit vocem suam, nec quando in summis festivitatibus ad le˛ticiam populi procedebant themicili, scurri et mimi cum coraulis et citharistas ad mensam coram eo, tunc ad mensuram ridebat populus coram eo, ille numquam nec dentes candidos suos in risum ostendit.

7. Das »Individuum« als »Typus«

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Köln (des Bruders Ottos des Großen) bei seinem Hagiographen Ruotger.557 An Brun, so verkündet dieser, könne man erkennen, worin ein Mensch über andere hinausrage, »vereinigten sich doch in diesem einen Menschen Dinge ganz unterschiedlicher Art: edle Abstammung, hohe Ämter und Würden und eine solche Erhabenheit an Wissen, wie es sonst gewöhnlich eitel macht, so daß es nicht zu übertreffen war, zugleich aber eine solche Demut im Innern und in der äußeren Erscheinung […], daß man hätte glauben können, es gehe nicht mehr tiefer hinab. In seiner Mitte war, beides verbindend, die Liebe.«558

Auch Ruotger harmonisiert in seiner Darstellung also Allgemein-Menschliches mit Individuellem, worin Brun nämlich alle seine Mitmenschen überragt und damit gewissermaßen ein Hyperideal repräsentiert, indem er die sonst auf verschiedene Menschen verteilten Extreme gleichsam in sich vereinigt. Selbst seine hochberühmten Vorfahren übertraf Bruno noch »durch seine wohlgefällige Gestalt, den Ruhm in den Wissenschaften und seine rege Tätigkeit auf allen geistigen Gebieten«.559 Auch Ruotgers Darstellung ist natürlich kein lebensnahes Porträt, sondern ein Idealbild, das äußere Werte (und Würden!) ebenso schätzt wie innere und mit der Vereinigung aller Tugenden in höchstem Maß zugleich sich Widersprechendes zum Maßvollen harmonisiert. Ohne seine hohe Herkunft und seine Ämter hätte Bruno kaum Beachtung gefunden, ohne seine Tugenden und Fähigkeiten, bei gleichzeitiger, christlich-demütiger Selbsterniedrigung, würde er nicht als ideales Vorbild dienen können. Eben diese Vorbildfunktion (nicht die Biographie selbst) ist nach Ruotgers eigenen Worten sogar Anlaß der Schrift: »Das Beispiel seines Lebens, so dünkt uns, kann vielen zu heilsamer Belehrung dienen.«560 Selbst stereotyp wirkende Heiligenviten lassen noch die Persönlichkeit des Heiligen erkennen.561 Allerdings ist das nicht eine moderne, sondern eine mittelalterliche Persönlichkeit, die – bei Heiligen – Askese und Nächstenliebe, Gottesnähe und Wirken für den Glauben in den Mittelpunkt rückt; bei Königen sind das – neben Ansätzen zu tiefen religiösen Tugenden – natürlich vor allem die politischen Tugenden. Porträts in Historiound Hagiographie – oft sind das Nachrufe – ähneln vielfach Fürstenspiegeln, die 557 Ruotger, Vita Brunonis archiepiscopi Coloniensis 2, S. 3f. 558 Ebd. S. 2: Erant enim in uno illo homine res valde dissimiles: natalium nobilitas, honorum dignitas, scientie˛, que˛ inflare solet, tanta sublimitas, ut nihil supra, animi vero et habitus humilitas, […] ut nihil infra putares; media caritate constrata sunt. 559 Ebd.: Attavorum eius attavi usque ad hominum memoriam omnes nobilissimi, nullus in eorum stirpe ignotus, nullus degener facile reperitur, hic tamen omnes, salva augustorum et regum excellentia, omnino perspicacissime liniamentorum gratia, artium gloria et omnigena animi superabat industria. 560 Ebd.: Cuius conversationis exemplo plurimos salubriter institui posse credimus. 561 Vgl. Krah, Wo bleibt der Mensch?

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richtiges Verhalten als Norm ›predigen‹, dabei die unterschiedlichen Fähigkeiten der einzelnen Menschen aber durchaus anerkennen: Gott hat jeden Menschen an seinen Platz gestellt und mit seinen Talenten ausgestattet: Einer besitzt die Redegabe, ein anderer Weisheit, ein dritter Reichtümer, ein vierter Verwaltungsfähigkeiten, schreibt Alkuin.562 Bemerkenswert sind, als letztes Beispiel, die Porträts, die Ekkehard von St. Gallen von den St. Galler Mönchen und Lehrern Iso, Notker, Tuotilo und Ratpert zeichnet.563 Isos Biographie beginnt mit einem langen Bericht über die unkanonische Zeugung (am Karsamstag) und die Vergebung dieser Sünde durch Empfang der Hostie am Ostersonntag. Geradezu hagiographisch wird der Mutter die Geburt eines Sohnes prophezeit, den sie dem heiligen Gallus widmen werde. Iso selbst hingegen wird dann nur noch ganz kurz als Lehrer präsentiert, der bedeutende Schüler hervorbrachte. Um so genauer aber werden diese beschrieben. Notkers berühmt gewordenes, geradezu liebevolles Porträt ist dennoch kein Idealbild, sondern spart (wie schon Einhards Karlsporträt) äußere und innere Schwächen keineswegs aus: »Notker, dürr am Leib, aber nicht an der Seele, stammelnd in der Rede, aber nicht im Geiste, hochragend in göttlichen Dingen, geduldig in irdischem Ungemach, milde bei allem, drang bei den Unsrigen auf scharfe Zucht. Vor jähen und überraschenden Geschehnissen verzagte er leicht, nur nicht vor dem Angriff der Dämonen, denen er sich regelmäßig kühn entgegenstellte. Im Beten, im Lesen, im Dichten war er unermüdlich. Und um all die Gaben seiner Heiligkeiten bündig zusammenzufassen: er war ein so überquellendes Gefäß des Heiligen Geistes, wie es zu seiner Zeit kein anderes gab.«564

Körperliche Mängel sind hier nicht, wie oft in der Dichtung, äußeres Zeichen innerer Defizite. Im Gegenteil. Sie verhindern ebensowenig wie seine Schreckhaftigkeit, daß Ekkehard seinen Notker doch zur Idealgestalt stilisiert, aber eben nicht unter Aussparung dem entgegenstehender Elemente. Schließlich ist Notker kein Heiliger. Gerade diese Gegensätze machen hier vielmehr Notkers Individualität aus. Tuotilos Persönlichkeit wiederum liegt in den Gegensätzen zu Notker : Tuotilo war ähnlich gut und nützlich, aber völlig anders geartet (longe aliter)!565 Er war ein Athlet, beredt und ein Meister der Ziselier- und Malkunst 562 Alkuin, ep. 111, MGH Epp. 5, S. 160: Sed unicuique pensandum est, in quo gradu statuisset eum Deus et quo talento ditasset eum. […] Alius est, qui talentum praedicationis accepit; alius sapientiae; alius divitiarum; alius cuiuslibet ammistrationis. 563 Ekkehard, Casus s. Galli 30–34, S. 116–130. 564 Ebd. 33, S. 128: No(t)ker corpore non animo gracilis, voce non spiritu balbulus, in divinis erectus, in adversis patiens, ad omnia mitis, in nostratium acer erat exactor disciplinis, ad repentina timidulus et inopinata praeter demones infestantes erat, quibus quidem se audenter opponere solebat; in orando, legendo, dictando creberrimus, et ut omnis sanctitatis eius in brevi conplectar dotes: sancti spiritus erat vasculum, quo suo tempore habundantius nullum. Zu Notkers Dämonenkämpfen vgl. oben Kapitel 2, S. 290 und 309f. 565 Ebd. 34, S. 128.

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ebenso wie der Musik und der Dichtkunst, und er war entsprechend sensibel (»im Verborgenen aber voller Tränen«), dabei jedoch so lustig, wie es sich für einen Mönch eigentlich nicht ziemt (so daß Karl III., wie Ekkehard hinzufügt, einmal gesagt haben soll, er verwünsche denjenigen, der diesen Mann zum Mönch gemacht habe), und auch auf seinen vielen Reisen – itinerarius nennt ihn Ekkehard566 – habe man dem Künstler oft gar nicht angemerkt, daß er Mönch sei.567 Hingegen war er in seiner Keuschheit, also wieder innerlich, voll und ganz Mönch. Ratpert schließlich stand in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen. Er war ein ebenso verständnisvoller wie strenger Lehrer, verließ das Kloster nur selten (ganz anders als Tuotilo), während er über seinen geistigen Beschäftigungen oft die Stundengebete und Kapitelversammlungen vergaß und damit einen schweren Regelverstoß beging, den er mit dem geistreich-ironischen Wortspiel entschuldigte, er habe schließlich das schwierigste Amt des »Kapitelns« (capitulandi) und Strafens.568 Alle drei hoben sich aus der »Masse« der Mönche heraus (die nach Ekkehard häufig über sie lästerten).569 Bemerkenswert an diesen Porträts ist nicht zuletzt, wie unterschiedlich, ja geradezu individuell, Ekkehard diese dicken Freunde, die »ein Herz und eine Seele«570 und »unzertrennlich« (inseparabiles) waren,571 als drei Personen(typen) porträtiert und wie in ein und demselben Kontext ihre jeweils ganz andersartigen Fertigkeiten und Vorzüge herausgestellt werden. Ekkehard schreibt zwei Jahrhunderte später und hat diese Mönche nur noch aus späteren Erzählungen kennen können. Aber er läßt deutlich erkennen, wie sehr er in der Lage ist, individuelle Unterschiede wahrzunehmen. Und dennoch verkörpern alle drei zugleich das Mönchsideal – und weichen in den folgenden Erzählungen sämtlich zugleich davon ab – wie auch drei unterschiedliche Mönchstypen: den Regelbewußten (Notker), den Künstler (Tuotilo) und den Lehrer (Ratpert), und in manchen anderen Geschichten über die Regeltreue in St. Gallen ist es ein wichtiges Anliegen Ekkehards zu zeigen, daß man dem Ideal der Regel durchaus auf verschiedene Weise nachkommen kann, wenn nur die innere Einstellung stimmt. Es ist daher nicht minder bezeichnend, daß Ekkehard dem nun mehrere anekdotische Geschichten hinzufügt, in denen sich der soeben dargestellte Charakter im jeweiligen Verhalten widerspiegelt. So verdrosch Tuotilo einen neidischen Mönch, der die geistlichen Gespräche der drei belauschen wollte,572 566 567 568 569 570 571 572

Ebd. 40, S. 143. So ebd. 39, S. 142. Ebd. 34, S. 130. Ebd. 35, S. 130–133. Ebd. 33, S. 126f., mit Act 4,32. Ebd. 36, S. 133. Ebd. 36, S. 134f.

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wie auch, mit ›Grüßen‹ vom heiligen Gallus, einen klösterlichen Aufseher, der einer verheirateten Frau an den Busen griff;573 Notker verprügelte einen Hund, in dem er den Teufel zu erkennen glaubte,574 und ließ auch sonst »die Strenge der Liebe« (caritatis censura) walten.575 Ratpert vernachlässigte selbst bei Krankheit nicht seinen Unterricht (und starb am Ende inmitten seiner Schüler).576 Notker trotzte aber auch dem listigen Spott eines hochmütigen Kaplans in der königlichen Gefolgschaft, der »den gelehrtesten Mann im Reich Karls« mit der Frage bloßstellen wollte, ob er wisse, was Gott gerade tue. Notker ist um die Antwort nicht verlegen: Gott mache das, was er immerzu mache: er erhöhe die Demütigen und erniedrige die Stolzen, und spricht damit zugleich eine Prophezeiung aus, die sich am nächsten Tag erfüllen sollte, als der Kaplan vom Pferd stürzte und sich ein Bein brach.577 Das ist natürlich eine allgemeine Parabel, die man ebensogut von anderen hätte erzählen können, doch Ekkehard integriert sie geschickt in das Porträt seines an Klug- und Weisheit kaum zu übertreffenden Notker, der hier letztlich doch geradezu zu einem Heiligen stilisiert wird, wenn er nicht nur das gerecht strafende Unglück prophezeite, sondern auch der einzige war, der den Knochenbruch durch Berührung wieder zur Heilung bringen konnte und wenig später Fürbitte für den sündigen, jungen, adligen Mönch Wolo nach dessen Todessturz bei den heiligen Jungfrauen tat:578 Das »Porträt« ist noch bei Ekkehard individuelle Persönlichkeitsschilderung und ideale Stilisierung zugleich. Ob das Individuum zuerst im Kloster entdeckt wurde,579 sei dahingestellt. (Hier haben wir einfach die beste Quellenlage.) Daß Individuelles in der Typik des Menschenbildes jedoch selbst in einem auf Einheitlichung und Normierung ausgerichteten Kloster keineswegs ausgeschlossen ist, bleibt unabweisbar. Viel behandelt und als innovativ bewertet worden ist die Persönlichkeitsschilderung, die nur wenig später als Ekkehard Adam von Bremen dem Erzbischof Adalbert zuteil werden läßt, dem er das gesamte dritte Buch seiner ›Gesta‹ widmet.580 Auffällig ist hier nicht nur die Mischung guter und schlechter Ei573 574 575 576 577 578 579

Ebd. 40, S. 144f. Ebd. 41, S. 147ff. Ebd. 37, S. 138. Ebd. 44, S. 157. Ebd. 38, S. 139ff. Ebd. 43, S. 152ff. So Jennifer A. Harris, Peter Damian and the Architecture of the Self, in: Melville/ Schürer (Hg.), Das Eigene und das Ganze S. 131–157, hier S. 156. 580 Von den neueren Arbeiten seien hier ledinglich zwei genannt: Sverre Bagge, Decline and Fall. Deterioration of Character as Described by Adam of Bremen and Sturla NjrMarson, in: Aertsen/Speer (Hg.), Individuum S. 530–548, hier S. 531–539; Eva Schlotheuber, Persönlichkeitsdarstellung und mittelalterliche Morallehre. Das Leben Erzbischof Adalberts in der Beschreibung Adams von Bremen, in: DA 59, 2003, S. 495–548.

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genschaften, sondern auch der Charakterwandel zum Schlechten hin am Ende seines Lebens (wobei von der Forschung vielleicht zu wenig beachtet worden ist, daß Adams Kriterium in erster Linie nicht die Persönlichkeit, sondern der Nutzen oder Schaden für das Erzbistum bildet und Adalbert, je nach Situation, zu beidem viel beigetragen hat). Der Maßstab ist daher nicht mehr so sehr gut oder böse, sondern gut oder schlecht. Sicherlich kann Adam, der Adalbert nahestand, dabei innerhalb des vorgegebenen Rahmens persönliche Erfahrungen in die Individualdarstellung einfließen lassen. »Thus, medieval conventions and paradigms do not necessarily prevent authors from describing their own personal observations and reflections any more than do the corresponding modern ideas of the ›historicist individual‹.«581 Neu an Adams Konzeption ist allerdings weder die Persönlichkeitsschilderung an sich noch ein Charakterwandel, sondern die Tatsache, daß beides hier ungewöhnlich ausführlich zur Sprache kommt und damit geradezu in den Vordergrund rückt. Traditionell bleibt allerdings der Zweck, zu dem Adalberts Charakter und Verhalten nur das Mittel ist: Es erklärt das (wechselvolle) Geschehen um das Erzbistum Hamburg-Bremen. Die Diskussion um eine ›Entdeckung‹ des Individuums hat sich seit geraumer Zeit voll und ganz vom 15. (bei Jacob Burckhardt) auf das (lange) 12. Jahrhundert verlagert. Wenn – und das soll gar nicht bestritten werden – sich im hohen Mittelalter nach verbreiteter Ansicht vielleicht ein Umschwung und sicher eine Intensivierung in der Persönlichkeitswahrnehmung andeutet – und Ekkehard steht dieser Zeit bereits nahe –, so belegen die zitierten (und viele andere) Persönlichkeitsbeschreibungen einerseits, daß, wenn man den Begriff nicht allzu unangemessen modern einengt, Individuelles bereits im frühen Mittelalter durchaus wahrgenommen, allerdings in ein Ideal (oder aber zur Abschreckung in dessen Gegenteil) überführt oder daran gemessen worden ist,582 daß es jedoch auch im und nach dem 12. Jahrhundert zeitverhaftet bleibt. Größere Porträtähnlichkeit bedeutet noch im späteren Mittelalter nicht bereits »Individualität«. »Von einer ›Entdeckung des Individuums‹ in dem als ›Protorenaissance‹ gewerteten 12. Jahrhundert kann keine Rede sein,« schließt Thomas Michael Krüger aus seiner Untersuchung der Anselmbriefe.583 Die sogenannte »Entdeckung des Individuums« im 12. Jahrhundert ist daher etwas anderes: nicht die Entdeckung porträthafter Züge, sondern eher eine stärkere Herausstilisierung der eigenen und besonders der inneren Individualität innerhalb des charakteristischen Rahmens. Man wird Typik und Individualität tatsächlich nicht zu 581 So Bagge, Decline and Fall S. 539. 582 Gurjewitsch, Individuum S. 305f., sieht den Höhepunkt in der Entwicklung der Persönlichkeit bereits mit Augustins ›Confessiones‹ erreicht. 583 Krüger, Persönlichkeitsausdruck S. 226.

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strikt auseinandertrennen dürfen, wie etwa Memorialbilder zeigen (die natürlich der einzelnen Person gewidmet sind, derer hier gedacht werden sollte): »Memorialbilder des Mittelalters zeigen immer Individuen, auch wenn diese Darstellungen nicht Porträtähnlichkeit im modernen Sinn anstreben.«584 Man wird hier außerdem auf die Namensnennung verweisen dürfen, die zunächst stets die individuelle Person, zugleich aber die zugehörige Gruppe, in einer familienspezifischen Namengebung des früheren Mittelalters also in erster Linie die Familie bzw. die Person in ihrer Familienbindung kennzeichnen soll. In solchem Sinn sind »Individuen«, Persönlichkeiten, Persönlichkeitsschilderungen und Identifikationen nie neu entdeckt worden, sondern auch im früheren Mittelalter bekannt. Sie prägen sich – zeitspezifisch – nur jeweils anders aus. Das darstellungswürdige Individuum des früheren Mittelalters verkörpert tatsächlich dreierlei: die individuelle Person, den Typus der Gruppe oder des Amtes, den sie repräsentiert (etwa das Königtum als Gruppe der Könige und als Funktion) und ein idealisiertes, in Aussehen und Handeln vorbildhaftes Exempel. Einen Widerspruch werden darin nur bornierte moderne Geister sehen können. Es ist vielmehr Ausdruck zeitgemäßen, mittelalterlichen Verständnisses. ›Menschentypen‹ kennt die mittelalterliche Theorie aber noch in ganz anderer Hinsicht. Vor allem Hugo von St. Viktor parallelisiert heilsgeschichtlich die verschiedenen Epochen der Weltgeschichte585 mit unterschiedlichen Menschentypen. Nach den jeweiligen »Gesetzen«, die Leben und Glauben bestimmt haben, unterscheidet Hugo im Verlauf der Menschheitsgeschichte nicht nur die drei Zeitalter des Naturgesetzes (Zeitalter der Heiden, von Adam bis Moses), des geschriebenen Gesetzes (Zeitalter der Juden, von Moses bis Christus) und der Gnade (Zeitalter der Christen, von Christus bis zum Ende der Welt), sondern weist ihnen auch jeweils spezifische, ebenfalls religiöse »Menschentypen« (genera hominum) zu, die zwar sämtlich zu allen Zeiten existieren, aber von ihrer Zahl und/oder ihrem bestimmenden Einfluß her jeweils eine dieser drei Epochen prägen und dominieren: Die erkennbar bösen Ungläubigen, also die Heiden, bestimmen ganz und gar die Zeit des Naturgesetzes; sie leben ausschließlich nach der Vernunft der Natur und in jener Begierde, in der sie geboren sind. Die Menschen des Schriftgesetzes sind die verdeckt (oder scheinbar) Guten, aber im Glauben Schwachen, nämlich die Juden, die das gute Leben ganz nach äußerlichen Vorschriften ausrichten und Gott nur aus Furcht dienen. Die Menschen der Gnade schließlich sind die wahrhaft guten Gläubigen, also die Christen, die 584 So Otto Gerhard Oexle, Memoria als Kultur, in: Ders. (Hg.), Memoria als Kultur (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 121) Göttingen 1995, S. 9–78, hier S. 52f. 585 Vgl. dazu Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 215–235.

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durch den Heiligen Geist erleuchtet und entflammt sind und das Gute erkennen, lieben und durchführen; sie bilden zwar nicht die Mehrheit, bestimmen aber das Zeitalter, weil sie darin herausragen.586 An anderer Stelle differenziert Hugo, jetzt über die Zeiten hinweg, nach dem (religiös-ethischen) Verhalten im irdischen Leben zwischen den »Fleischmenschen« (homines carnales), die gleichsam ihrem Körper und ihren Gelüsten gehorchen und sich keinem Gesetz unterwerfen, den »Tiermenschen« (homines animales), die zwischen den beiden anderen weder ganz nach dem Fleisch leben noch geistig zur Weltverachtung gelangen, und den »Geistmenschen« (homines spirituales), die eben Letzteres erreichen.587 (Zwei weitere Status betreffen die Trennung von Leib und Seele mit dem Tod und die Wiedervereinigung bei der Auferstehung.) Es läßt sich aber auch einfach nach dem Glauben differenzieren. Bis zur Ankunft Christi, meint Aelred von Rievaulx, war das Menschengeschlecht in zwei Gruppen geteilt:

586 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,8,11, ed. Migne Sp. 312f.; ed. Berndt S. 203f.: Tria enim sunt tempora, per quae praesentis saeculi spatium decurrit. Primum est tempus naturalis legis; secundum tempus scriptae legis; tertium tempus gratiae. […] Similiter tria sunt genera hominum; id est homines naturalis legis, homines scriptae legis, homines gratiae. Homines naturalis legis dici possunt, qui sola naturali ratione vitam suam dirigunt. Vel homines potius homines naturalis legis dicuntur, qui secundum concupiscentiam, in qua nati sunt, ambulant. Homines scriptae legis sunt ii, qui exterioribus praeceptis ad bene vivendum informantur. Homines gratiae sunt ii, qui per inspirationem Spiritus sancti afflati et illuminantur, ut bonum, quod faciendum est, agnoscant et inflammantur, ut diligunt, et corroborantur, ut perficiant. Et ut idem manifestiori distinctione signemus: homines naturalis legis sunt aperte mali, homines scriptae legis ficte boni, homines gratiae vere boni. […] In primo genere continentur pagani; in secundo genere Iudaei, in tertio genere Christiani. Ista tria genera hominum ab initio nunquam ullo tempore defuerunt. Tempus tamen naturalis legis ad aperte malos pertinet, quia illi tunc et numero plures et statu excellentiores fuerunt. Tempus scriptae legis ad ficte bonos, quia tunc homines in timore servientes opus mundabant non animum. Tempus gratiae ad vere bonos pertinet, qui modo etsi numero plures non sint, tamen statu sunt excellentiores, et Dei gratia publice ante feruntur, etiam ab iis, qui eis moribus contradicunt. 587 Ders., De arca Noe (morali) 1,5, S. 27/30: Primus status est illorum hominum, qui dicuntur carnales, de quibus dicit Apostolus: ›Non potui loqui uobis quasi spiritalibus, sed quasi carnalibus lac uobis potum dedi, non escam‹ (1. Kor 3,1f.). Secundus status est illorum hominum, qui uocantur animales, de quibus dicit rursum: ›Animalis homo non percipit ea, que sunt Dei‹ (1. Kor 2,14). Tertius status est spiritalium, de quibus ait: ›Spiritalis diiudicat omnia, et ipse a nemine iudicatur‹ (1. Kor 2,15). […] (ebd. S. 30) Carnalis uoluntas est laxare frena concupiscentie, desideriis carnalibus per omnia sine retractatione obaudire, legi non subesse, neminem timere, quicquid libuerit facere. Cui econtra concupiscentia spiritus aduersata ita desiderat tota spiritualibus studiis inherere, ut etiam necessarios carnis usus optet excludere. […] (S. 28) Secunda abhinc mansio continet cibaria animalium, per que conuenienter designantur ii, qui in sancta Ecclesia quendam medium statum tenent, qui neque prorsus per illicita desideria carni succumbunt neque per contemptum mundi ad dignitatem spiritualium pertingere possunt. […] Tertia denique mansio animalia quidem tenet sed immansueta, per que designatur uita spiritalium, qui quandiu in hac corruptione tenentur, et legi Dei per rationem subiecti sunt.

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Beschneidung und Vorhaut, Juden und Heiden.588 Nach der augustinischen Civitas-Lehre ließ sich die Menschheit in die Anhänger Christi und des Teufels gliedern.589 Die Ausrichtung auf das Jenseits schuf darüber hinaus das Bild des homo viator,590 der, wie die irdische Civitas Dei nach Augustin erst die Pilgerschaft (peregrinatio) zum eigentlichen Ziel symbolisiert, auf dieser Welt als fremder, wandernder Pilger ständig unterwegs zu seinem höheren (ewigen) Ziel ist und mit der Erkenntnis des Guten und des Bösen dabei immer wieder am Scheideweg (in bivio) steht.591 Allerdings findet sich die Formel vom homo viator unmittelbar nahezu bei keinem einzigen patristischen oder früh- und hochmittelalterlichen Autor. Dem tritt das Bild des büßenden Menschen (homo penitens) auf der vom Sündenfall geprägten Erde zur Seite. Sind Menschentypen erst einmal (wie bei Hugo) dem zeitlichen Wandel unterworfen, dann kann sich das leicht mit einer Zeitkritik verbinden: Sein Zeitalter, so klagt bereits Petrus Crassus gleich zu Beginn seiner Streitschrift zur Verteidigung Heinrichs IV. im Investiturstreit, habe einen Menschentyp (genus hominum) hervorgebracht, der sich von den Sitten und der Unbescholtenheit des vorigen Zeitalters völlig entfernt und seiner Natur entfremdet habe.592 Solche Abweichungen, bedeutet das wiederum, gehören nicht zur menschlichen Natur, die vielmehr durch Treue, Gerechtigkeit, Wahrheit und die anderen Tugenden geprägt ist. Auch wenn Petrus’ Traktat Polemik gegenüber den Gregorianern ist,

588 Aelred von Rievaulx, Sermones (collectio Radingensis), CCM 2C, S. 135: Nouit dilectio uestra, fratres carissimi, ante aduentum Domini omne humanum genus in duo fuisse diuisum, id est circumcisionem et praeputium, in Iudaeos et gentes. 589 So etwa Agobard von Lyon, De spe et timore, S. 450: Quoniam autem de duabus sotietatibus generis humani, una cui capud est Christus, altera cui diabolus, pauca diximus, nunc quid beatus euangelista Iohannes in Apocalipsi sua et de unius damnatione sub nomine Babilonis et de alterius glorificatione sub nomine Israel testetur audiamus. Es folgt ein Zitat aus Apoc 16,19 und 18,1ff. 590 Vgl. dazu Gerhart B. Ladner, Homo Viator: Mediaeval Ideas on Alienation and Order, in: Speculum 42, 1967, S. 233–259. Die Wendung ist im Wortsinn des reisenden Menschen verstanden bei Arnold Esch, Homo viator: L’esperienza di spazio e distanza, in: Uomo e spazio, Bd. 2, S. 745–770 (771). 591 Vgl. etwa Hildegard von Bingen, Scivias 1,4,30, CCM 43, S. 87: Sed tu, o homo, cum habes recordationem boni et mali, uelut in biuio positus es. Es gibt nämlich nicht nur den einen richtigen Glaubensweg, sondern viele dubiose Wege, meint schon Beda Venerabilis, In Marci evangelium expositio 3,11,4, S. 572: Et recte in biuio, quia non unam certus uitae fideique uiam tenebat sed plures dubiosque sectarum calles sequebatur erroneus. Zur Y-Metapher des Scheidewegs vgl. Wolfgang Harms, Homo viator in bivio. Studien zur Bildlichkeit des Weges (Medium Aevum. Philologische Studien 21), München 1970. 592 Petrus Crassus, Defensio Heinrici IV. regis 1, S. 434: Haec aetas inter multa humanae vitae adversa protulit quoddam genus hominum, quod in tantum a moribus atque ab integritate vitae prioris aetatis discrepat, ut pene ipsi incognitum habeatur naturae, de qua aestimatur, ut aut ipse in productione aberrasset aut ipsum genus hominum a prioris aetatis stirpe originem penitus non duxisset.

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kann er doch die Vorstellungen vom Menschen, von der menschlichen Natur und von den Menschentypen aufgreifen und für seine Zwecke entfremden. Es kann nicht beabsichtigt sein, in diesem Band das ganze mittelalterliche Gesellschaftsbild darzulegen. Das wäre ein eigenes, neues und umfassendes Thema. Die religiösen Vorstellungen einer Gesellschaftslehre im Blick auf den paradiesischen Urzustand und die Folgen des Sündenfalls sind zudem ausführlich und grundlegend von Bernhard Töpfer dargelegt worden.593 Daß die Gesellschaftsordnung eine Über- und Unterordnung verlangt, daß die Untergebenen die Herrschenden fürchten müssen, hat schon Gregor der Große, bezeichnenderweise im Zusammenhang mit der These einer (ursprünglichen) Gleichheit aller Menschen, betont594 und ist dem Mittelalter selbstverständlich. Im hiesigen Rahmen spielt das Gesellschaftsbild daher nur eine Rolle bezüglich seiner Rückwirkungen auf das Menschenbild, wie es oben bereits bezüglich der Einbindung des Einzelnen in die (soziale) Gruppe angesprochen wurde. Soweit ich sehe, wird die Frage, ob eine (differenzierte) Gesellschaftsordnung etwas spezifisch Menschliches ist, im früheren Mittelalter kaum erörtert. Ohnehin wäre hier zu betonen, daß ›Gesellschaft‹ im modernen Sinn als Bezeichnung für eine soziologische Perspektive auf die Menschheit dem Mittelalter mit seinem Sinn für das Konkrete unbekannt ist. Societas bezieht sich in aller Regel auf eine bestimmte Gemeinschaft von Menschen (wie die Gemeinschaft der Engel, der Heiligen, der Heiden, der Christen oder der Dämonen – und damit wieder auf eine Gruppe gleichartiger Individuen), auf eine Vereinigung bestimmter Gruppen oder auf die Menschheit als Menschheit (humana societas), nicht aber wie heute auf die Gesamtgesellschaft eines Raumes, einer Zeit oder eines Reiches. Wohl aber ist der Mensch nicht nur – aristotelisch – ein zoon politicon, sondern auch ein animal sociale, wie sich das in der römischen Kaiserzeit schon bei Seneca findet, der das auf ein Gemeinwohl bezieht und vom Einzelwillen abhebt,595 und im Mittelalter zumindest gelegentlich, vor Thomas von Aquin allerdings sehr selten, aufgegriffen wird, etwa bei Sedulius Scottus, der das Po593 Bernhard Töpfer, Urzustand und Sündenfall in der mittelalterlichen Gesellschafts- und Staatstheorie (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 45), Stuttgart 1999. 594 Gregor der Große, Regula pastoralis 2,6, S. 204: Vnde cuncti qui praesunt, non in se potestatem debent ordinis, sed aequalitatem pensare condicionis; nec praeesse se hominibus gaudeant, sed prodesse. Antiqui etenim patres nostri non reges hominum, sed pastores pecorum fuisse memorantur. […] Et tamen necesse est ut rectores a subditis timeantur, quando ab eis deum minime timeri deprehendunt; ut humana saltem formidine peccare metuant, qui diuina iudicia non formidant. Zu Gregors Position vgl. Töpfer, Urzustand S. 79ff. 595 Seneca, De clementia 1,3,2, S. 214: Nullam ex omnibus virtutibus homini magis convenire, cum sit nulla humanior, constet necesse est non solum inter nos, qui hominem sociale animal communi bono genitum videri volumus, sed etiam inter illos, qui hominem voluptati donant, quorum omnia dicta factaque ad utilitates suas spectant; nam si quietem petit et otium, hanc virtutem naturae suae nanctus est, quae pacem amat et manus retinet.

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litische am Menschen gerade auf sein soziales Wesen zurückführt,596 oder bei Bernhard von Clairvaux, der aus der Tatsache, daß der Mensch ein soziales Wesen ist, eine Übertragung des Inneren des Menschen auf seine Umwelt folgert und auf ein Friedensbedürfnis schließt.597 Das ›soziale‹ Element wird in solcher Argumentation bereits vorausgesetzt. Da der Mensch stets ein Teil des Menschengeschlechts und die menschliche Natur ›sozial‹, nämlich auf Gemeinschaft ausgerichtet ist, besitzt er auch das große, natürliche Gut der Freundschaft, so leitet Augustin seinen Traktat über die Ehe ein. Deshalb wollte Gott die Menschen von einem Menschen ausgehend schaffen, damit ihre Gemeinschaft nicht nur durch die Gleichheit der Art, sondern zusätzlich durch das Band der Verwandtschaft zusammengehalten werde.598 (Jeder Mensch braucht einen treuen Freund, dem er sich anvertrauen kann, meint Bonifatius.599) Laut Rupert von Deutz schafft eine »einträchtige Gemeinschaft« – hier von Vater und Sohn – eine »soziale Eintracht«.600 Anschließen ließe sich allenfalls noch ein kurzer Abschnitt über das »höfische Menschenbild« der höfischen Dichtung,601 dem man einen eigenen Charakter zugeschrieben hat, das mit seinen Tugend- und Ritteridealen, die zugleich Standestugenden repräsentieren, in der deutschen Epik aber auch zur Verchristlichung des Ritters drängte. Die Epenfiguren des 12. Jahrhunderts sind zumeist ideale Heldengestalten, denen es oft dennoch – teils verschuldet, teils unverschuldet – an wesentlichen Merkmalen des Idealen fehlt oder die darüber schuldig werden und sich im Verlauf der Erzählung bewähren müssen. Der aus 596 Sedulius Scottus, Collectaneum miscellaneum divisio 46,3, S. 220: Itaque politica hominis est, qua sociale animal est. 597 Bernhard von Clairvaux, Sermones de diversis 16,3, Bd. 6,1, S. 146: Et quia sociale animal sumus, ex his, quae in nobis sunt, ad ea, quae circa nos sunt, transeamus, ut, si fieri potest, quod ex nobis est, pacem habeamus cum omnibus hominibus. 598 Augustinus, De bono coniugali 1,1, S. 187: Quoniam unusquisque homo humani generis pars est et sociale quiddam est humana natura magnumque habet et naturale bonum, uim quoque amicitiae, ob hoc ex uno Deus uoluit omnes homines condere, ut in sua societate non sola similitudine generis, sed etiam cognationis uinculo tenerentur. Das Zitat wird später von Rather von Verona, Praeloquia 1,22, S. 23, aufgegriffen. 599 Bonifatius, ep. 14, S. 24: Omnis homo in sua causa deficiens et in suis consiliis diffidens querit sibi amicum fidelem, in cuius consiliis confidat, qui in suis diffidet, et talem fiduciam habeat in illo, ut omnem secretum sui pectoris pandet et aperiat. 600 Rupert von Deutz, Commentaria in euangelii sancti Iohannis 5, S. 262f.: Sed et adhuc parum dictum est. Nondum enim satis aperte claret, unde sit illa tam concors societas tamque socialis concordia, ut alter sine altero, id est Pater sine Filio uel Filius sine Patre nil faciat. 601 Das Höfische sticht in der Dichtung weit mehr hervor als in der Geschichtsschreibung. Der ausführliche Aufsatz von Werner Rösener, Die höfische Frau im Hochmittelalter, in: Josef Fleckenstein (Hg.), Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 100), Göttingen 1990, S. 171– 230, etwa widmet sich ausschließlich der Stellung und nicht dem (komplexen) Bild der höfischen Frau.

7. Das »Individuum« als »Typus«

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dem Inzest zweier Geschwister erwachsene Herzogssohn Gregorius bei Hartmann von Aue602 wurde ausgesetzt und wuchs bei Fischern auf, schlief später, als Ritter zum Herzogshof zurückgekehrt, wenn auch unwissentlich, mit seiner eigenen Mutter, wurde dadurch zum zweiten Mal todsündig und hatte für den Rest seines Lebens genug zu büßen. Siebzehn Jahre lebte er angekettet auf einem einsamen Felsen, bevor er entdeckt wurde und man den Schlüssel zu seinen Fußfesseln im Magen eines Fisches fand. Damit hatte er seine Sünden verbüßt und wurde schließlich sogar Papst. Es dürfte klar sein, daß sich in solchen Schicksalen nicht das Menschenbild repräsentiert, und wie schwierig es ist, aus solchen Schilderungen Elemente des Menschenbildes herauszuschälen, beendet Hartmann von Aue seine Erzählung doch geradezu mit der Mahnung, dieser fromme Sünder könne keinem Menschen ein Vorbild sein, und niemand dürfe glauben, er werde ebenso gerettet werden.603 Epen halten eben das ganz Besondere fest. Ihre Auswertung verlangt eine besondere Quellenkritik, die Funktionen und Absichten dieser Dichtungen ebenso berücksichtigt wie die Spiegelbildlichkeit sowohl von Literatur und Gesellschaft als auch von epischer Darstellung und mittelalterlicher Vorstellungswelt. Die Gestalten der Epik spiegeln in ihrem Aussehen, Verhalten und Handeln daher zwar nicht bereits das Menschenbild wider. Wohl aber korrespondieren gerade in der Dichtung Rang und Aussehen, Charakter und Verhalten (und wenn nicht, liegt damit ein fehlerhaftes, zu korrigierendes Mißverhältnis vor), so daß auch die epischen Gestalten ›Figuren‹ und ›Typen‹ sind, die wiedergeben, wie man sich solche Menschen vorstellt (einschließlich der vielen Abweichungen von der ›Norm‹). In der Beschreibung Didos in Heinrich von Veldekes ›Eneit‹ stimmen beispielsweise Gestalt, Kleidung und Stand vollkommen überein.604 Der alte Mann in Hartmann von Aues ›Erec‹605 hat hingegen schneeweißes Haar (als Zeichen des Alters), aber das Aussehen eines Herrn, obwohl er verarmt war : Er war arm, hatte aber die Gesinnung eines Reichen, indem er den Gast (Erec) standesgemäß aufnahm und ihm alle Fürsorge angedeihen ließ (einschließlich seiner schönen Tochter). Auch diese trug ein ärmliches, zerrissenes Kleid, war aber schön von Gestalt (tatsächlich war sie, wie der Dichter betont, das allerschönste Mädchen, von dem man je gehört hatte), so daß ihr schwanenweißer Körper durch das 602 Hartmann von Aue, Gregorius. 603 Ebd. v. 3960ff., S. 139f.: B% disen guoten mæren / von disen sündæren, / wi si n.h grizer schulde / erwurben gotes hulde, / d. ensol niemer an / dehein sündiger man / genemen bœsez bilde, / s% er gote wilde, / daz er iht gedenke alsi: / ›n0 wis d0 vrävel unde vri : / sie soldest0 verw.zen wesen? / s%t daz dise sint genesen / n.ch ir grizen meint.t, / si wirt d%n alsi guot r.t : / und ist daz ich genesen sol, / si genise ich alsi wol.‹ / swen des der tiuvel schündet / daz er 0f den trist sündet, / den h.t er überwunden / und in s%nen gewalt gebunden. 604 Heinrich von Veldeke, Eneide (Eneasroman) v. 287ff., S. 22. 605 Hartmann von Aue, Erec, v. 270ff., S. 8f.

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zerrissene, abgeschabte und schmutzige Hemd hindurchschimmerte. Zur idealen Gestalt gehört nicht zuletzt der schöne Körper, zur Vollkommenheit zählen aber auch Stand und Reichtum. In diesem Fall passen Kleider und Stand (oder Herkunft) zunächst nicht, wie üblich, zusammen, stellen sich später aber als passend heraus. Denn tatsächlich ist die Familie, bei der Erec Aufnahme findet, ja nicht wirklich arm: »Man sagt, daß niemals ein junges Mädchen eine so vollkommene Gestalt gehabt habe, und wäre sie reich gewesen, so hätte ihr nichts dazu gefehlt.«606 Wäre Enite reich gewesen, so wäre sie eine wünschenswerte Ehefrau (was sie dann auch wird). Der Minnesang wiederum propagiert sexuelle Selbstdisziplinierung als neues Männerbild.607

8.

Der Mensch als Sünder und als Lügner

Kein Mensch kann der Sünde entgehen. »Kein Mensch ist nämlich ohne Sünde,« meint Isidor von Sevilla, »und niemand kann vor Gottes Gericht sicher sein, wenn er sich für die haßerfüllten Worte rechtfertigen muß.«608 Sündigen gehört gewissermaßen zum Menschsein. »Als ob der sündige Mensch kein Mensch sei!« heißt es in einem Schreiben des flandrischen Klerus an Erzbischof Reinald. »Wäre nämlich der Mensch als Sünder kein Mensch, dann hätte der Herr Jesus niemals einen Menschen erlöst.«609 Der Makel der Sünde war in der Anlage des Menschen von vornherein vorhanden, ist aber erst durch den Sündenfall zum allgemeinen Kennzeichen geworden: »Dieweil wir nämlich von Natur aus gut erschaffen sind, haben wir uns gewissermaßen durch das Vergehen [eigentlich: ›Verdienst‹] unserer Schuld gegen die Natur entwickelt.«610 Sünde ist für Isidor demnach Verlassen der ursprünglichen Natur des erschaffenen, paradiesischen Menschen, bestimmt sein irdisches Leben aber in einem Maße, daß dieses nicht mehr ohne Sünde möglich ist. Der Mensch ist damit zwar nicht zur Sünde (und auch nicht als Sünder) erschaffen worden, und dennoch gehört die Sünde zu seiner geschöpflichen Natur. Nach dem Sündenfall aber wurde der Mensch dem 606 Ebd. v. 331ff., S. 10: man saget daz nie kint gewan / einen l%p si gar dem wunsche gel%ch: / und wære si gewesen r%ch, / si gebræste niht ir l%be / ze lobel%chem w%be. 607 So Rüdiger Schnell, Liebe und Freiheit. Ein literarischer Entwurf des männlichen Adels, in: Neumeyer (Hg.), Mittelalterliche Menschenbilder S. 35–78. 608 Isidor von Sevilla, Sententiae 3,62,9, S. 330: Nullus est enim homo absque peccato; nec quisquam potest de Dei securus esse iudicio, cum etiam et de otiosis uerbis reddenda sit ratio. 609 Genealogiae comitum Flandriae (Lambert von Saint-Omer?) 6, S. 310: acsi peccator homo non esset homo! Nam si homo peccator homo non esset, nequaquam dominus Iesus hominem redimisset. 610 So Isidor von Sevilla, Sententiae 1,11,2, S. 39: Quia enim boni sumus naturaliter conditi, culpae quodammodo merito contra naturam sumus effecti.

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Teufel (zum Verzehr) übergeben und zu dessen Speise, meint Isidor,611 doch kann er sich durch gutes Handeln wieder aufrichten (wie es auch den ersten Menschen möglich gewesen wäre).612 Zwar hat, wie oben dargestellt, (erst) der Teufel die Sünde in die Welt gebracht und stachelt seit dem ersten Sündenfall ständig dazu an,613 doch bleibt der Mensch eigenverantwortlich (er muß sich ja nicht zwingend verführen lassen). Aber – und das ist entscheidend – er ist nicht nur anfällig, sondern eben weil er der Sünde nie vollständig entgehen kann, ist er letzlich doch schon von Natur aus ein (potentieller) Sünder, und zwar nicht erst von seiner irdischen Natur aus, denn die erste, entscheidende Sünde fand ja bereits im Paradies statt. Hatte der Mensch damals allerdings noch die Wahl gehabt, so wurde das Sündigen auf Erden unvermeidlich. »Unter den Menschen findet man jedoch keinen Menschen ohne Sünde, weil sie, in Begierde geboren, sämtlich der Sünde unterworfen sind,« stellt noch der Zisterzienser Aelred von Rievaulx im 12. Jahrhundert fest.614 Allein Christus ist ohne jede Sünde. Dabei spielt die von Augustin betonte Erbsünde eine gewichtige Rolle: Der Sündenfall der ersten Menschen wirkt sich nach Isidor auf alle Nachkommen (und somit auf alle Menschen) aus. »Wenn Teilung und Kampf in der Gesinnung des Menschen liegen, dann hat sich das als Sündenstrafe vom ersten Menschen auf alle seine Nachkommen fortgepflanzt, damit derjenige, der nicht mit Gott vereint sein wollte, auch in sich selbst [bzw. untereinander] geteilt sei, und wer sich Gottes Befehl nicht beugen wollte, auch gegen sich selbst [oder untereinander] aufrührerisch und widerspenstig sei.«615

In seinem Traktat über die Ursünde macht Odo von Cambrai die Auswirkungen von Adams Fall auf alle Nachkommen anschaulich deutlich: »Man sagt also, auch Adam habe gesündigt, weil die Seele, die er besaß, gesündigt habe. Wenn Adam aber gesündigt hat, dann hat der Mensch gesündigt; denn wenn der Mensch selbst gesündigt hat, dann hat die menschliche Natur gesündigt, denn sie ist 611 Ebd. 1,11,7, S. 39f.: Homo propter peccatum tunc traditus est diabolo quando audiuit: ›Terra es, et in terra ibis‹ (Gen 3,19/Vet. lat.). Tunc enim dictum est diabolo: ›Terram manducabis‹ (Gen 3,14/Vet. lat.). Vnde et propheta ait: ›Serpenti, puluis panis eius‹ (Is 65,25). Serpens enim diabolus, puluis impii; et ipsi sunt cibus diaboli. 612 Ebd. 1,11,8, S. 40: Quia praua uoluntate ad ima conlabimur, recte ad bene agendum cum labore consurgimus; quod non ita esset, si delectatio flagitium primorum hominum non persuasisset, quibus ad bene uiuendum tantum uelle sufficeret et sine difficultate statim actio obtemperaret. 613 Vgl. Kapitel 2, oben S. 221f. und S. 248. 614 Aelred von Rievaulx, Sermones 165,2, CCM 2C, S. 515: Homo autem sine peccato inueniri non potuit inter homines, quia in concupiscentia nati, peccato subiacebant omnes. 615 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,11,9, S. 40: Diuisio et pugna ut sit in hominis animo, poena peccati est ex primo homine in omnes eius filios propagata, ut, qui noluit cum Deo esse unitus, esset in semetipso diuisus, et qui imperanti Domino noluit esse subiectus, fieret sibimetipsi rebellis atque contrarius.

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der Mensch. Damals aber war die menschliche Natur in ihm noch ganz [oder auch: sie war noch ganz in ihm], und es gab nirgendwo einen speziellen Menschen. Da also die Person, nämlich der Mensch selbst, gesündigt hat, hat seine ganze Natur gesündigt, nämlich der ›allgemeine‹ Mensch [oder : der Mensch im allgemeinen]. Und in der Sünde der Person wurde der Mensch von seiner allgemeinen [oder : allen gemeinsamen] Natur her schuldig. Und was Adam der menschlichen Natur an sich selbst angetan hat, das vermachte er in gleicher Weise allen Nachkommen nach ihm.«616

Odo erklärt die Erbsünde damit nicht ausschließlich aus der Erblichkeit, sondern aus der Beschaffenheit des Menschen: der sündigen Seele, die zur Natur des Menschen gehört. Gleichzeitig aber setzt er voraus, daß alles, was Adam, »der Mensch«, tat, für die ganze Menschheit bzw. für jeden Menschen gilt. Wenn Hermann von Tournai in seinem Traktat über die Menschwerdung Christi noch einmal ausführlich erläutert, weshalb nur Christus den Menschen erlösen konnte, dann erklärt auch er das aus Sündenfall und Erbsünde: »Als der Mensch nämlich sündigte, indem er das göttliche Gebot überschritt, hat er Gott damit so viele Seelen entzogen, wie Gott selbst sie dafür vorgesehen hatte, sie mit den Engeln in den Himmel zu erheben.«617 Wenn der Mensch aber Gott versöhnen will, um ins Paradies zurückzukehren, dann muß er zuerst den Schaden wiedergutmachen, den er Gott angetan hat, und ihm folglich genauso viele Menschen zurückzahlen, wie Gott sie in den Himmel erheben wollte, und zwar sämtlich derart reine, von jeder Sünde freie Menschen, wie es Adam vor dem Sündenfall gewesen war.618 Woher aber soll es so viele reine Menschen geben können, wenn man nicht einmal einen einzigen Menschen finden kann, der in seiner ganzen Natur so ist, wie Adam es im Paradies war?619 Denn mit der Sünde hat Adam seine Unschuld und Reinheit verloren; er wurde ein Sünder und unrein. Wie er aber selbst wurde, so zeugte er auch seine Nachkommen, »denn 616 Odo von Cambrai, De peccato originali 3, Sp. 1088 CD: Dicitur ergo et Adam peccasse, quia peccavit anima, quam habuit ipse. Et si peccavit Adam, peccavit homo; quia si peccavit ipse homo, peccavit humana natura, quae est homo. Sed humana natura tota tunc erat in ipso, nec usquam erat alibi specialis homo. Cum ergo peccavit persona, scilicet ipse homo, peccavit tota natura, scilicet communis homo. Et in peccato personae, culpabilis factus est homo communis naturae. Et qualem Adam fecit humanam naturam in se, talem posteris eam tradidit post se. 617 Hermann von Tournai, Tractatus de incarnatione Iesu Christi domini nostri 4 (Quod homo Deo abstulit, quando de ligno vetito comederit), Sp. 16 D: Cum ergo praeceptum divinum transgrediens peccavit, tot utique animas Deo abstulit, quot ipse in coelum levare disposuerat cum angelis. 618 Ebd.: Itaque si vult Deo reconciliari et ad paradisum reverti, oportet ut primo solvat ei damnum, quod intulit, tot scilicet homines, quot Deus disposuit in coelum levare, et tam mundos atque ab omni peccato immunes, sicut fuit Adam antequam peccasset. 619 Ebd. Sp. 17 AB: Reddat ergo homo, reddat Deo, quod ei abstulit, ut gratiam eius recipere possit. Sed quomodo reddet ei tot homines tales, quales fuit Adam antequam peccasset? Ut de tot hominibus taceam, unum certe solum hominem talem, qualis fuit Adam antequam peccasset in toto genere suo, id est in tota natura humana, non inveniet.

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als Sünder und Unreiner konnte er keine anderen Nachkommen zeugen als lauter Sünder und Unreine. Folglich findet sich in der ganzen Generationenfolge der Menschen kein einziger Mensch ohne Sünde, geschweige denn eine Menge von vielen Tausenden.«620 Gab es aber nichts anderes, das der Mensch Gott zurückgeben konnte? fragt Hermann weiter und verneint diese Frage: Auf der ganzen Welt und unter allen Menschen findet sich nichts dergleichen.621 Tieropfer reichten dazu nicht aus, weil Tiere keine rationale Seele haben. Gott hätte zu diesem Zweck nicht einmal einen neuen Adam erschaffen können, weil dieser nur sich selbst, nicht aber die ganze Menschheit würde erlösen können, denn nur derjenige, der selbst gesündigt hat, kann für den Sünder büßen.622 Kein anderes Geschöpf, kein Engel, kein Mensch, kein Tier kann das vollbringen. Nur Gott selbst vermag es. Wenn es aber nur Gott vermag, jedoch ein Mensch tun muß, kann es zwangsläufig nur ein Gottmensch vollbringen (und deshalb war die Menschwerdung Gottes notwendig).623 Mit diesem Beweis der Gottheit Christi und der Notwendigkeit des Gottmenschen zur Erlösung der Menschen verdeutlicht Hermann zugleich seine Vorstellungen von der Ur- und Erbsünde. Mit dem Bild vom Menschen als Krone der Schöpfung einerseits und als Sünder andererseits hat die mittelalterliche Vorstellungswelt zwei – scheinbar – widersprüchliche Vorstellungen hervorgebracht, die prinzipiell gegensätzlich sind, doch lösen sich die Widersprüche auf, wenn man es von der Funktion und 620 Ebd. Sp. 17 B: Quando enim peccavit Adam, innocentiam et munditiam suam perdidit, peccatorque et immundus factus est. Qualis autem factus est, tales utique generavit, quia peccator et immundus nonnisi peccatores et immundos generare potuit. […] In tota ergo linea generationis humanae, non reperietur unus homo sine peccato, nedum tot millium multitudo. 621 Ebd. Sp. 17 CD: Sed nunquid saltem quod tantumdem valeat reddere poterit? Non utique. […] Et animam rationalem habet, et in fine saeculi resuscitandus et ad iudicium est venturus, postque in aeternum, licet in poenis, victurus. Nec damnum ergo, quod Deo intulit, nec quod tantumdem valeat, potest homo reddere de toto mundo vel de suo genere. 622 Ebd. Sp. 17 D: Sed si Deus novum aliquem hominem iustum et mundum faceret, sicut fecit Adam, qui se pro peccatis omnium hominum in sacrificium Deo offerret, possetne sufficiens hostia esse? Nequaquam. Unus enim homo, talis qualis fuit Adam antequam peccasset, non valeret nisi solum Adam redimere, aut unum hominem, solum ei similem; et sanguis unius talis hominis non valeret nisi ad redemptionem unius solius hominis. […] (Sp. 18 B:) Novus itaque et sanctus ille homo, ab omni peccato liber et immunis, non debet puniri pro peccatore, sed qui peccavit, debet poenam et supplicium subire peccati. 623 Ebd. Sp. 18 CD: Patet itaque, quod nec angelus, nec novus aliquis homo, nedum vetus et peccator, potest humanum genus redimere. Quamobrem nulla omnino creatura neque totus mundus potest pro peccato primi hominis digne satisfacere. Sed quod non potest angelus vel homo vel totus mundus facere, Deus utique, qui omnipotens est, posset facere. […] Quoniam itaque non potest illam facere nisi Deus, nec debet illam facere nisi homo, necesse est, ut eam faciat Deus homo. Vgl. auch die Argumentation bei Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,8,4 (vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, S. 230). Zu der Ansicht, daß Engel nicht selbst Erlöser sein können, vgl. Kapitel 1, Abschnitt 3, oben S. 52, und Kapitel 1, Abschnitt 10, oben S. 134f.

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Ausrichtung der Geschöpfe her betrachtet: Der Mensch ist zum Heil erschaffen, das er durch seine Sünden jedoch verwirkt hat und sich wiedererwerben muß. Die (oben beschriebene) geschöpfliche Würde des Menschen ist durch die Sündhaftigkeit des (im irdischen Sündenstand) in Zeitablauf, Wandelbarkeit, Sterblichkeit, Geschichtlichkeit wie eben Sündenanfälligkeit eingebundenen irdischen Menschen betroffen. Die Erde ist für ihn nach dem Sündenfall zugleich Strafort und Bewährungsprobe. Nach Hugo von St. Viktor zog der Sündenfall als Strafe nicht nur den Verlust des Paradieses, der Unsterblichkeit und der Seligkeit, sondern vor allem auch der Gerechtigkeit (iustitia) nach sich.624 Recht und Gerechtigkeit werden bei Hugo zu Zentralbegriffen, die aber (wiederum) auf die richtige Entscheidung und auf richtiges Handeln im Sinne der christlichen Ethik abzielen. Nicht ganz so selbstverständlich einsichtig wie die Sündhaftigkeit des Menschen ist die Tatsache, daß der Mensch gern als Lügner bezeichnet wird.625 Doch der Psalmspruch Omnis homo mendax (Ps 115,11) gehört zu den ausgesprochen häufig zitierten Redewendungen. (Die ›Library of Latin Texts‹ wirft 234, die ›Patrologia Latina Database‹ 258 Belege aus.) Wenn jeder Mensch ein Sünder ist, kann er nicht wahr sein, meint Augustin.626 »Vater der Lüge« ist (nach Joh 8,44) wiederum der Teufel, »der nicht in der Wahrheit verharrte«;627 da der Teufel aber auch Urheber der Sünde ist, tritt beides in einen engen Zusammenhang: »Und weshalb ist er (der Teufel) ein Lügner?« fragt Heiric von Auxerre: »Weil er nicht in der Wahrheit verharrte, das heißt: weil er nicht in Gott blieb, weil Gott die Wahrheit ist.« Hier kommt wieder der Mensch ins Spiel: »Denn weil auch der Mensch selbst von der Wahrheit abwich und sich durch sein Sündigen von Gott abwandte, wird er ein Lügner genannt, wie der Psalmist sagt: ›Jeder Mensch ist ein Lügner‹. Und weil der Mensch vom Teufel verführt und zum Lügner gemacht worden war, ist er ein Sohn des Teufels, nicht von Natur aus, sondern, wie gesagt, durch Nachahmung.«628

624 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,7,12, ed. Migne Sp. 292; ed. Berndt S. 175f. 625 Daß der Mensch lügnerisch und nur Gott wahr ist, hat schon Cyprian mehrfach betont; vgl. etwa Cyprian, ep. 67,8,3, S. 460; vgl. auch Origenes (sec. translationem Rufini), In epistolam Pauli ad Romanos explanationes 2,10, S. 188; Augustinus, ep. 238,1, S. 539. 626 Augustinus, In Iohannis evangelium tractatus 39,8, S. 349: cuius particeps si non fuerit anima, omnis homo mendax; si omnis homo mendax, nullus homo de suo uerax. 627 Vgl. Kapitel 2, oben S. 186 und 332; Beda Venerabilis, Expositio in evangelium Ioannis 8 (Kapitel 2, Anm. 208); Haymo von Auxerre, Homiliae de tempore 32 (Kapitel 2, Anm. 651). 628 Heiric von Auxerre, Homiliae per circulum anni. Pars hiemalis. Hom. 32, CCM 116, S. 279: Et quare mendax est? Quia in ueritate non stetit, hoc est in Deo non mansit, quia Deus ueritas est; nam et homo, quia et ipse a ueritate declinauit et peccando a Deo discessit, mendax uocatur psalmista dicente: ›Omnis homo mendax‹. Et quia homo a diabolo deceptus et mendax effectus fuerat, ideo filius diaboli erat non natura, ut dictum est, sed imitatione.

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Deutlicher läßt sich der Zusammenhang zwischen Lügen und Sündigen kaum fassen. Der Teufel beeilte sich, das Menschengeschlecht zu täuschen, um den nach Gottes Bild erschaffenen Menschen zu verunreinigen.629 Auch Lügen gehört daher wiederum gleichsam zur Natur des Menschen: »Denn insoweit jeder Mensch ein Mensch ist und das von sich selbst annimmt, ist er ein Lügner.«630 (Isidor bezieht mendax etymologisch – und inhaltlich – auf mens: Lügner ist, wer den Geist eines anderen täuscht.631) Was sich bei Remigius im späten 9. Jahrhundert bereits andeutet, differenziert Petrus Cantor im 12. Jahrhundert aus: »Jeder Mensch ist in sich selbst Lügner, in Gott hingegen wahr.«632 Der Mensch, so legt Bernhard von Clairvaux den Psalmvers aus, ist schwach, elend und machtlos, denn er kann weder sich selbst noch andere erlösen. Ebenso ist er ein Lügner, weil er hinfällig und wandelbar ist und das Heil weder aus sich selbst heraus noch von einem anderen erhoffen kann.633 Darunter fällt auch das Vortäuschen falscher Sachverhalte. »Tatsächlich sind Menschen, deren neuartiges Auftreten in Kleidung und Lebensweise Lob findet, oft nicht das, was sie scheinen,« warnt Thietmar von Merseburg im Hinblick auf das Reformmönchtum.634 Augustin, der zwei Traktate über die Lüge (›De mendatio‹ und ›Contra mendatium‹) verfaßt hat, definiert Lügen als Aussagen wider besseres Wissen, nämlich als eine bewußte, in Worten oder Zeichen manifestierte Äußerung, die von dem, was man tatsächlich denkt, abweicht.635 (Verschweigen ist ebensowenig Lüge wie Irrtum). Mit Aristoteles werden im Mittelalter aber auch drei Arten der Lüge unterschieden: Nutzlügen, Scherzlügen und Bosheitslügen. Nur Letztere sind vollkommen verwerflich.636 In der Forschung gehen die Ansichten über die 629 Ebd. Hom. 45, CCM 116 A, S. 411f.: Et ideo dominus haec opera cogitationes uocat, quarum indicia hostis callidus per quasdam habitudines morum inuestigans, humanum genus decipere festinat et ad agenda quae diuinus sermo prohibet instigat, ut hominem ad imaginem Dei conditum polluat. 630 So Remigius von Auxerre, Enarrationes in psalmos. Ps. 115, Sp. 726 CD: Quandoquidem omnis homo, in quantum homo est et de se praesumens, mendax est. 631 Isidor von Sevilla, Etymologiae 10,175, Bd. 1, S. 411. 632 Petrus Cantor, Summa quae dicitur Verbum adbreviatum (Textus prior) 108, CCM 196 A, S. 592: Omnis etiam homo in se mendax est, sed in Deo uerax. 633 Bernhard von Clairvaux, Liber de gradibus humilitatis et superbiae 16, Opera Bd. 3, S. 28: Quid est: ›Omnis homo mendax?‹ Omnis homo infirmus, omnis homo miser et impotens, qui nec se nec alium possit salvare. Sicut dicitur : ›Fallax equus ad salutem‹ (Ps 32,17), non quod equus aliquem fallat, sed quia is seipsum fallit, qui in fortitudine eius confidit: sic omnis homo dicitur mendax, id est fragilis, mutabilis, a quo salus non possit vel sua vel aliena sperari. 634 Thietmar von Merseburg, Chronicon 6,21, S. 298: Verum est, quod hii, quorum nova conversatio et in habitu et in victu laudabilis extat, vero non sunt sepe, quod simulant. 635 Augustinus, De mendatio 3, S. 415: quapropter ille mentitur, qui aliud habet in animo et aliud uerbis uel quibuslibet significationibus enuntiat. 636 Vgl. etwa Petrus Lombardus, Commentarium in psalmos. In ps. 5,6, Sp. 98 BC: Sunt enim

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mittelalterliche Bewertung der Lüge allerdings weit auseinander :637 »Nichts verabscheut das Mittelalter mehr als die Lüge.« schreibt Jacques Le Goff,638 während Heuchelei für andere zu den durchaus lobenswerten Eigenschaften gehören kann.639 Für Augustin ist hingegen jede Lüge Sünde und daher auch dann nicht erlaubt, wenn sie nützlich ist:640 Wer glaubt, bestimmte Lügen seien nicht sündhaft, täuscht sich selbst, wenn er sich anderen gegenüber für einen ehrlichen Betrüger hält.641 Nicht einmal um des Seelenheils willen ist Lügen erlaubt.642 »Keine Lüge ist lobenswert«, denn »jede Lüge ist schädlich, weil sie Sünde ist«, bestätigt Hrabanus Maurus,643 während für Petrus von Poitiers differenzierend zwar jede Lüge Sünde, doch nur die Lüge ex animi duplicitate eine Todsünde ist.644 Schließlich haben selbst die biblischen Väter gelegentlich gelogen (wie Jakob, der sich vor seinem Vater für Esau ausgab, um gesegnet zu werden). Der Psalmvers Omnis homo mendax ist vor diesem Hintergrund aber nicht einfach eine anthropologische Feststellung, sondern enthält eine ethische Mahnung zur Wahrheit.645 Notorische Lügner wurden auch vor Gericht nicht als Zeugen zugelassen und Verträge und Erwerbungen, die durch Lügen zustande gekommen waren, sollten gerichtlich keinen Bestand haben.646 Der Wahrheit fühlten sich, in Prologen hundertfach betont, auch die Geschichtsschreiber verpflichtet, wenngleich das Theorie bleiben mochte: Wenn etwa Bruno von

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tria genera mendaciorum. Nam sunt mendacia quaedam pro salute vel commodo alicuius, non malitia, sed benignitate dicta. […] Est etiam aliud mendacii genus, quod fit ioco, quod non fallit. […] Et haec duo genera mendaciorum non sunt sine culpa, sed non cum magna. […] Tertium vero genus mendacii est, quod ex malignitate et duplicitate procedit, quod omnibus et summopere cavendum est. Zu mittelalterlichem Verständnis und Bewertung der Lüge vgl. Hans-Werner Goetz, Konzept, Bewertung und Funktion der Lüge in Theologie, Recht und Geschichtsschreibung des frühen und hohen Mittelalters, in: Ulrich Ernst (Hg.), Homo mendax. Lüge als kulturelles Phänomen im Mittelalter (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 9/2), Berlin 2004, S. 54–72 (und weitere Beiträge in diesem Heft). Le Goff, Civilisation S. 436: »Ce que le Moyen ffge d8teste le plus, c’est le mensonge.« Vgl. etwa Borst, Lebensformen S. 229ff., zum Verhalten Chlodwigs. Augustinus, De mendacio 9, S. 425: prius enim docent iniquitatem esse mendacium multis documentis litterarum sanctarum; ebd. S. 427: quo dubitare debeamus numquam omnino esse mentiendum? Ebd. 42, S. 465: quisquis autem esse aliquod genus mendacii, quod peccatum non sit, putaverit, decipiet se ipsum torpiter, cum honestum se deceptorem arbitratur aliorum. Ebd. 41, S. 461ff. Hrabanus Maurus, Commentarium in Ecclesiasticum 2,7, Sp. 804f.: Si nullum mendacium laudabile est, et cuiquam scandalum in ferre perniciosum, quanto magis contra amicum aliquid per fraudem moliri vituperabile est? […] Omne mendacium noxium est, quia peccatum est. Petrus von Poitiers, Sententiae 4,5, Sp. 1182f. Vgl. Augustinus, Sermo 257, ed. Poque S. 342: Dictum est ergo nobis ›Omnis homo mendax‹, ut fugiamus nos ipsos et curramus ad Deum, qui solus est uerus. Vgl. Goetz, Konzept S. 61f. (mit Belegen).

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Merseburg beteuert, sein ›Buch vom Sachsenkrieg‹ breviter et veraciter schreiben zu wollen,647 dann ist seine polemisch gegen Heinrich IV. gerichtete Darstellung tatsächlich weit von dieser Absicht entfernt. Wenn Lüge aber der Wahrheit entgegengesetzt ist, bleibt sie auch in der Chronistik verwerflich. Gregor von Tours läßt den bedrängten Thronprätendenten Gundowald geradezu beten: »Ewiger Richter und wahrer Rächer der Unschuld, Du Gott, von dem alle Gerechtigkeit ausgeht, dem die Lüge mißfällt und bei dem kein Falsch und keine List der Bosheit bestehen kann, Dir empfehle ich meine Sache an und bitte dich, daß Du schnell zur Rache herbeieilst.«648

Lügen ist menschlich, Wahrheit göttlich. Man erwartet daher gleichsam ein Gottesurteil, um Lügner zu strafen. Am schlimmsten ist es folglich, Gott zu belügen, wie eine christliche Frau im heidnischen Schweden nach der Vita Anskarii argumentierte, als sie den Götzen opfern sollte.649 Lügner (wie Heinrich IV.) sind verdammt, wie Papst Gregor VII. in einem Brief an die deutschen Fürsten schreibt; Lügen wird damit (umgekehrt) zur Gewohnheit der Verworfenen, die die dadurch bewirkte Verdammung für nichts erachten.650 (Politische) Gegner werden daher, wie hier, gern (und wirksam) als Lügner diffamiert, die Verträge brechen. »Du lügst,« tadelt der byzantinische Basileus Nikephoros Phokas aber auch den Gesandten Ottos des Großen, Liutprand von Cremona, als dieser die Erhabenheit und Größe seines Kaisers zu preisen begann.651 Lügen und Täuschen gehörten zum Alltag der Politik und konnten sogar zum Ziel führen. Das mochte sie, wenn es einem guten Zweck diente, entschuldigen. Von erlaubter Lüge oder gar »bewunderter List«652 kann allerdings keine Rede sein. Nicht zufällig werden Lügen vor allem dem Gegner angelastet.

647 Brunos Buch vom Sachsenkrieg prol., S. 13. 648 Gregor von Tours, Historiae 7,38, S. 361: ›Iudex aeterne et ultio vera innocentium, Deus, a quo omnes iustitia procedit, cui mendacium non placet, in quo nullus dolus neque versutia malitiae continetur, tibi commendo causam meam, dipraecens, ut sis velociter ultor super eos, qui me insontem in manibus tradiderunt inimicorum.‹ 649 Rimbert, Vita Anskarii 20, S. 44: Si enim malum est, inquit, hominibus mentiri, quanto magis Deo? 650 Gregor VII., ep. 8,21, Bd. 2, S. 548 (an Hermann von Metz): mos est enim reproborum ob sue˛ nequitie˛ protectionem niti consimiles sibi defendere, quia pro nichilo habent mendatii perditionem incurrere. 651 Liutprand von Cremona, Relatio de legatione Constantinopolitana 11, S. 192. 652 So Heinrich Fichtenau, Lebensordnungen des 10. Jahrhunderts. Studien über Denkart und Existenz im einstigen Karolingerreich (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 30), 2 Halbbde., Stuttgart 1984, S. 531; zu Lüge und Betrug ebd. S. 527–543.

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9.

Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Der »doppelte« Mensch 1 (theologisch): erster und zweiter, innerer und äußerer, alter und neuer, irdischer und himmlicher Mensch, Adam und Christus

Um die innere Spaltung im Menschen (Seele – Körper, Gottebenbildlichkeit – Sündigkeit) und zugleich die (künftige) Entwicklung zu verdeutlichen, unterscheiden die christlichen Autoren theologisch gern zwischen erstem und zweitem, altem und neuem oder innerem und äußerem Menschen: »Doppelt aber ist der Mensch,« schreibt Isidor von Sevilla: »als innerer und als äußerer (Mensch). Der innere Mensch ist die Seele, der äußere Mensch der Körper. Die Seele aber hat ihren Namen von den Heiden erhalten, weil sie ein ›Wind‹ ist. Daher heißt Wind auf griechisch amilos, weil wir durch die Luft zu leben scheinen, die wir durch den Mund einatmen; doch ist das ganz offensichtlich falsch, weil die Seele weit früher erzeugt wird, als sie Luft über den Mund aufnehmen kann, weil sie ja bereits in der Gebärmutter der erzeugenden Mutter lebt.«653

Isidors ›biologisches‹, auf Körper und Seele bezogenes Verständnis hatte Augustin von vornherein geistlich begriffen, wenn er geradezu zwischen zwei Menschenarten (genera hominum) unterscheidet: »eine der sich Abmühenden, die andere derer, unter denen sie sich abmühen; die einen denken an die Erde, die anderen an den Himmel; die einen schicken ihr Herz in den Abgrund, die anderen vereinigen ihr Herz mit den Engeln; die einen setzen ihre Hoffnung auf Irdisches, durch das diese Welt verseucht wird, die anderen erwarten im voraus das Himmlische, das Gott, der nicht lügt, versprochen hat. Doch sind diese beiden Gruppen vermischt.«654

Wie bei den ›Bürgern‹ der beiden civitates sind also auch diese beiden Menschenarten zwar prinzipiell (und erst vom Ende her) unterschieden, manifestieren sich aber schon auf dieser Welt durch ihr unterschiedliches, auf Diesseits oder Jenseits ausgerichtetes Verhalten (ohne damit gleich erkennbare Gruppen zu bilden). Sterblich ist der Mensch allemal. Schlimm aber ist der Tod der Verworfenen, meint Ambrosius Autpertus: das ist der Tod des inneren Men653 Isidor von Sevilla, Etymologiae 11,1,6f., Bd. 2, S. 1f.: Duplex est autem homo: interior et exterior. Interior homo anima, [et] exterior homo corpus. Anima autem a gentilibus nomen accepit, eo quod ventus sit. Vnde et Graece ventus amelor dicitur, quod ore trahentes aerem vivere videamur : sed apertissime falsum est, quia multo prius gignitur anima quam concipi aer ore possit, quia iam in genetricis utero vivit. 654 Augustinus, Enarratio in psalmos. Ps. 51,6, CCL 39, S. 627: Duo genera hominum adtendite: unum laborantium, alterum eorum, inter quos laboratur ; unum de terra, alterum de caelo cogitantium; unum in profundum cor mittentium, alterum cor angelis coniungentium; unum sperantium de terrenis, quibus pollet hic mundus, alterum praesumentium de caelestibus, quae promisit non mendax Deus. Sed mixta sunt ista genera hominum.

9. Der »doppelte« Mensch 1 (theologisch)

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schen, wenn er nämlich Gott verläßt.655 Der äußere Mensch wird verdorben, der innere (von Tag zu Tag) erneuert.656 Hugo von Fouilloy wendet die Unterscheidung auf die Mönchsklausur an: »Die Mönche schaffen sich klösterliche Schranken (claustrum), die der äußere Mensch einhalten kann; ach könnten sie doch solche schaffen, die auch der innere Mensch geregelt einhalten könnte,« klagt er657 (und greift diesen Unterschied in den folgenden Kapiteln immer wieder auf). Der »innere Mensch« richtet sein Leben (schon jetzt) auf Gott und das Jenseits aus. Daß äußerer und innerer Mensch jeweils mit dem alten und neuen Menschen identisch sind, macht Alkuin deutlich, indem er beides gleichsetzt.658 In konkreter Manifestation aber verteilen sich die beiden Menschenarten auf die beiden ›Prototypen‹: Adam und Christus.659 So schreibt Augustin (mit Paulus): »Der erste Mensch war also aus Erde (und) irdisch, (nämlich) jener Adam, der aus Lehm erschaffen wurde; der zweite Mensch aber ist aus dem Himmel (und) himmlisch, (nämlich) der Herr Jesus Christus,«660

der bekanntlich vielfach als »zweiter Adam« bezeichnet wird.661 »Es ist unzweifelhaft,« schreibt Gregor von Tours mit Blick auf die Erschaffung Evas aus der Seite Adams, »daß dieser erste Mensch, Adam, bevor er gesündigt hat,

655 Ambrosius Autpertus, Expositio in Apocalypsin 8,18, v. 7b–8, S. 683: Mors namque reproborum principalis illa est, qua Deo deserente interior moritur homo, manente exteriore cruciatu, quo et exterior et interior affligitur homo. 656 So (sinngemäß mit vielen anderen, nach 2. Kor 4,16, wo im Menschen zwischen intus und foris unterschieden wird) etwa Beatus von Li8bana, Tractatus in Apocalipsin 4,5,106, CCL 107C, S. 543: et si exterior homo noster corrumpitur, sed interior renovatur ; Florus von Lyon, Expositio in epistolas beati Pauli ex operibus s. Augustini. In epistolam II ad Corinthios, exc. 118, S. 101: Et si exterior inquit homo noster corrumpitur, sed interior renouatur de die in diem. 657 Hugo de Folieto (Fouilloy), De claustro animae 1,1, Sp. 1020 A: Monachi faciunt sibi claustra, quibus homo exterior teneri possit; sed utinam claustra facerent, quibus homo interior ordinate teneretur! 658 Alkuin, Commentaria in s. Iohannis evangelium 2,7, Sp. 792 D: Et quoniam exterior est homo vetus et novus interior, dictum est ab Apostolo: ›Et si exterior homo noster corrumpitur, interior autem renovatur de die in diem‹ (2. Kor 4,16). 659 Zu Adam als Präfiguration Christi in der Ebstorfkarte (um 1300) und ihren theologischen Vorbildern vgl. Alessandro Scafi, Le premier homme comme microcosme et pr8figuration du Christ. La mappemonde d’Ebstorf et le nom d’Adam, in: Paravicini Bagliani (Hg.), Adam, le premier homme S. 183–197. 660 Augustinus, Contra Faustum 2,4, S. 257: Primus itaque homo de terra terrenus, ille Adam de limo formatus; secundus autem homo de coelo coelestis, Dominus Iesus Christus. Die paulinische Wendung »aus Erde irdisch, vom Himmel himmlisch« (1. Kor 15,47) findet sich vor, bei und nach Augustin ausgesprochen häufig. 661 Zu Christus als zweitem Adam vgl. Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, S. 224f.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

bereits das (figürliche) Bild des Herrn (und) Erlösers in sich voraustrug,« und Gregor verdeutlicht das in einem symbolischen Vergleich: »Als dieser nämlich im Todesschlaf seiner Passion einschlief und aus seiner Seite Wasser und Blut hervorbrachte, stellte er damit die jungfräuliche und unbefleckte Kirche dar, die durch Blut erlöst und durch Flüssigkeit völlig gereinigt ist und ›weder Makel noch Falte hat‹, weil nämlich der Makel durch das Wasser abgewaschen ist und sich die Falte zum Kreuz ausgeweitet hat.«662

In religiöser Hinsicht verteilen sich Verderben und Erlösung auf den ersten und zweiten, mit irdischem und himmlischem identischen Menschen. »Adam, der erste Mensch, wurde zur lebendigen Seele, der jüngste Adam aber wird zum wiederbelebenden Geist erschaffen,« schreibt Otto von Freising, »nicht primär, weil er geistlich ist, sondern weil er ein Lebewesen ist, und erst dann auch, weil er geistlich ist. Der erste Mensch ist aus Erde (und) irdisch, der zweite aus dem Himmel (und) himmlisch. […] Der erste Mensch hat uns durch seine irdischen Werke zugrunde gerichtet, aber der zweite stellt uns durch das himmlische Leben wieder her.«663

Der neue (erlöste) Mensch ist der Mensch der Zukunft, auf die der »alte Mensch« aber bereits hinarbeiten muß (und wieder bilden die Heiligen hier das Vorbild). Deshalb ist der neue Mensch auch der (irdische) Mensch, »der nach dem Geist zu leben weiß.«664 Der alte Mensch wird abgelegt und der neue angenommen; er stirbt durch seine Sünden, um für die Gerechtigkeit zu leben; er soll den Elementen entsagen, um sich Christus zuzugesellen und seinem Beispiel der Auferstehung zu folgen.665 »Alter Mensch (ist) an Leben alt, neuer Mensch (ist) neues Leben; alt an Leben leitet sich von Adam ab, das neue bildet sich in Christus,« schreibt Augustin.666 Den alten Menschen legt ab, wer seine früheren 662 Gregor von Tours, Historiae 1,1, S. 5f.: Nec dubium enim est, quod hic primus homo Adam, antequam peccaret, tipum Redemptoris domini praetulisset. Ipsi enim in passionis sopore obdormiens, de latere suo dum aquam cruoremque producit, virginem inmaculatamque eclesiam sibi exhibuit, redemptam sanguine, latice emundatam, ›non habentem maculam aut rugam‹ (Eph 5,27), id est limphis ablutam propter maculam, extensam in crucem propter rugam. 663 Otto von Freising, Chronicon 8,27, S. 437: ›Factus est primus homo Adam in animam viventem, novissimus Adam in spiritum vivificantem; sed non prius quod spiritale est, sed quod animale est, deinde quod spiritale. Primus homo de terra terrenus, secundus homo de caelo caelestis‹ (1. Kor 15,45). […] Primus homo terrenis operibus nos perdidit, sed secundus caelesti vita nos reparavit. 664 So Marius Victorinus, Commentarii in epistolas Pauli. In epistolam ad Ephesios 2,4, v. 23, S. 69: Ut dixi, novus homo est, qui secundum spiritum sapit. 665 So Ambrosiaster, Commentarius ad Pauli epistola ad Colossenses 2,12, S. 184: illic enim homo vetus deponitur et novus adsumitur, peccatis moritur, ut vivat iustitiae, elementis abrenuntiat, ut Christo societur, resurrectionis futurae tenens pignus exemplo (exemplum) salvatoris, qui resurrexit ex mortuis. 666 Augustinus, Enarrationes in psalmos. Ps. 97,1, CCL 39, S. 1372: Vetus homo est uetus uita, et nouus homo noua uita: uetus uita ex Adam trahitur, noua uita in Christo formatur.

9. Der »doppelte« Mensch 1 (theologisch)

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Irrtümer von sich weist, und bekleidet den neuen Menschen, meint Cassiodor,667 der alte Mensch begeht alle Greuel der Menschheit, der neue baut auf aller Heiligung der Tugenden, Hildegard von Bingen.668 Da nur das Christentum diesen Weg ins Jenseits eröffnet, liegt es nahe, solche Begriffe auch auf Taufe und Bekehrung zu beziehen und den alten Menschen, nämlich den Heiden, zum bekehrten neuen Menschen, zum Christen, werden zu lassen. So läßt Alkuin den Missionar Willibrord zu dem Friesenkönig Ratbod sagen: »Und im Glauben an den einen allmächtigen Gott, unseren Herrn Jesus Christus, und getauft im Quell des Lebens, sollst du alle deine Sünden reinwaschen und, wenn du alle Unbilligkeit und Ungerechtigkeit von dir geworfen hast, dann wirst du fortan als neuer Mensch in ganzer Besonnenheit, Gerechtigkeit und Heiligkeit leben.«669

So grundverschieden also der erste Mensch, Adam, der dem Sündenfall anheimfiel, und der Erlöser, Christus, oder auch nur der irdisch-diesseitige und der (künftige) himmlisch-jenseitige Mensch sind, so ist der Vergleich zugleich Ausdruck der menschlichen (und göttlichen) Natur Christi, und so bleibt, wie bei Augustin, die jetzige Ausrichtung bereits entscheidend für die zukünftige Verwirklichung (und damit auch für die Kategorisierung), wie es etwa Alberich von Troisfontaines im 12. Jahrhundert in seinem Kommentar zu Hildegard von Bingen erkennen läßt: »Die Visionen, die sie hatte, hat sie weder im Traum noch im Schlaf noch im Wahnsinn oder mit den körperlichen Augen und Ohren des äußeren Menschen und auch nicht an abgelegenen Orten wahrgenommen, sondern sie hat sie nach dem Willen Gottes in wachem Zustand ringsherum mit ihrem reinen Geist mit den Augen und Ohren des inneren Menschen an offen zugänglichen Orten empfangen; auf welche Weise das aber geschehen ist, das zu erkunden ist für den fleischlichen Menschen über alle Maßen schwierig.«670

667 Primasius, Commentaria in epistolas s. Pauli. Ad Ephesios 4, Sp. 619: Exposuit quid sit vetus homo, et quomodo deponatur, scilicet qui pristinos errores repudiat, et secundum conversationem Christi mutatur. […] Et induite novum hominem. 668 Hildegard von Bingen, Scivias 2,5,31, CCM 43, S. 201: quia uetus homo omnes abominationes hominum profert, nouus autem omnem sanctificationem uirtutum aedificat. 669 Alkuin, Vita Willibrordi 11, S. 125: et credens in unum Deum omnipotentem, dominum nostrum Iesum Christum, et vitae fonte baptizatus, abluas omnia peccata tua et, proiecta omni iniquitate et iniustitia, deinceps novus homo vivas in omni sobrietate, iustitia et sanctitate. Vgl. Petrus Damiani, Sermo 13, S. 60: Quatinus qui in Christo per baptismum nouus homo renascitur, non iam pellicias tunicas, mortalitatis uidelicet indices, uestiat. 670 Alberich von Troisfontaines, Chronicon a. 1141, S. 834: Visiones autem, quas vidit, non in sompniis nec dormiens nec in frenesi nec corporeis oculis aut auribus exterioris hominis nec in abditis locis percepit, sed eas vigilans et circumspecta in pura mente, oculis et auribus interioris hominis in apertis locis secundum voluntatem Dei accepit, quod quomodo factum sit, carnali homini perquirere nimis esset difficile.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Überall aber zeigt sich die zweifache christliche ›Verdoppelung‹: die doppelte Sinnzuordnung des Menschen sowohl auf Diesseits und Jenseits als auch auf richtiges und falsches Verhalten im Diesseits.

10.

Der doppelte Mensch 2 (biologisch): Mann und Frau im religiös-theologischen Geschlechterbild – Geschlechterdifferenz und Geschlechtergemeinschaft

»Doppelt« ist der Mensch aber von Anfang an noch in einer anderen Weise, da er nach dem Schöpfungsbericht als Mann und Frau erschaffen worden ist. Auch das ist hier nur ansatzweise, nämlich soweit es die religiöse Vorstellungswelt betrifft, zu behandeln, der jedoch bereits durch diesen Ursprung ein zentraler Stellenwert zukommt. Es erscheint allerdings insofern notwendig, als Frauenbild und Geschlechterverhältnis des Mittelalters bislang in aller Regel im Rahmen der Frauen- und Geschlechtergeschichte betrachtet worden sind und die religiösen Vorstellungen (aber auch die Vorstellungen an sich) dabei eher in den Hintergrund geraten: So sehr sich die Frauen- und Geschlechtergeschichte auch mit den mittelalterlichen Frauen oder mit der Geschlechterdifferenz befaßt hat, die mittelalterlichen Vorstellungen von den Geschlechtern wurden dabei meist eher gestreift als explizit untersucht.671 Am geschlossensten ist das Problem anhand medizinischer und naturphilosophischer, scholastischer Schriften bei Joan Cadden behandelt, deren Arbeit allerdings erst im 12. Jahrhundert einsetzt;672 dem stellt sich eine Auswertung der karolingischen Exegese an die Seite.673 671 Zur Frauen- und Geschlechtergeschichte vgl. den ausführlichen Forschungsbericht von Werner Affeldt, Frauen und Geschlechterbeziehungen im Frühmittelalter. Ein Forschungsbericht, in: Mediaevistik 10, 1997, S. 15–156, allerdings ohne einen eigenen Abschnitt zum Frauenbild. Einen theoretisch geleiteten Überblick versucht, in den Beispielen aber überwiegend spätmittelalterlich orientiert und einseitig die Benachteiligung der Frauen betonend, Bernd-Ulrich Hergemöller, Masculus et femina. Systematische Grundlinien einer mediävistischen Geschlechtergeschichte (Hergemöllers Historiographische Libelli 1), Hamburg 22005. Das der Sozialstruktur zugrundeliegende Frauenbild wird hier ebenfalls ganz ausgeklammert. Zu den verschiedenen Funktionen von Frauen im Rahmen einer Geschlechtergeschichte vom germanistischen Standpunkt aus vgl. Rüdiger Schnell, Geschlechtergeschichte, Diskursgeschichte und Literaturgeschichte. Eine Studie zu konkurrierenden Männerbildern in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: FMSt 32, 1998, S. 307–364. 672 Cadden, Meanings of Sex Difference. Einen aktuellen Überblick über die theologischen Positionen gibt Cordula Nolte, Frauen und Männer in der Gesellschaft des Mittelalters (Geschichte kompakt), Darmstadt 2011, S. 36–47. 673 Hans-Werner Goetz, Frauen im frühen Mittelalter S. 71–103; Klaus Schreiner, Si homo non peccasset … Der Sündenfall Adams und Evas in seiner Bedeutung für die soziale, seelische und körperliche Verfaßtheit des Menschen, in: Ders./Norbert Schnitzler (Hg.),

10. Der doppelte Mensch 2 (biologisch)

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Der Schöpfungsbericht als Grundlage mittelalterlichen Denkens birgt wegen der Unterschiede in den beiden überlieferten Versionen allerdings sofort Probleme in sich. Während der erste Schöpfungsbericht (Gen 1,27) hier lediglich von der Schöpfung des Menschen als Mann und Frau spricht – »und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie« –,674 bietet der ausführlichere, heute aber für älter erachtete und in der Exegese mehr beachtete zweite Schöpfungsbericht bekanntlich die differenzierte Fassung eines gestreckten Prozesses, nach der Gott zuerst den Mann (homo) aus Erde (Gen 2,7) und erst anschließend bereits im Paradies, weil »es nicht gut ist, daß der Mensch alleine sei« (Gen 2,18), die Frau aus einer Rippe des schlafenden Adam erschuf, die Adam dann als »Knochen aus meinen Knochen und Fleisch aus meinem Fleisch« erkannte und virago nannte, weil sie vom Mann genommen war.675 (Honorius will im 12. Jahrhundert daher sogar wissen, daß der Mann in Hebron erschaffen und dann ins Paradies gesetzt wurde, während die Frau erst im Paradies erschaffen wurde.676) Die mittelalterlichen Exegeten mußten nicht nur erklären, weshalb es zwei unterschiedliche Schöpfungsberichte gab, sondern es war von vornherein und mit der Autorität der Bibel unabweisbar festgestellt, daß der Mensch sich in zwei Geschlechtern manifestierte. Diese bereits in der Schöpfung angelegte Teilung des Menschen ist für die mittelalterlichen Autoren folglich ein schlechterdings nicht zu bezweifelndes Faktum, das die Frage nach den Unterschieden zwischen den Geschlechtern geradezu provoziert. Das ist zunächst einmal eine biologische Geschlechterdifferenz, wie sie bei der Beschreibung der Körperteile, etwa im Hinblick auf Isidor von Sevilla im 7. und Wilhelm von Conches im 12. Jahrhundert schon oben angesprochen wurde,677 die aber doch weitergehende Folgen für körperliche und mentale Unterschiede hat, durch entsprechende Erklärungen und Deutungen Bestandteil auch der religiösen Vorstellungswelt ist und auf das Menschenbild als Ganzes zurückwirkt.678 In bildlichen Darstellungen

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Gepeinigt, begehrt, vergessen. Symbolik und Sozialbezug des Körpers im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, München 1992, S. 41–84. Gen 1,27: et creavit Deus hominem ad imaginem suam, ad imaginem Dei creavit illum, masculum et feminam creavit eos. Gen 2,21–23: inmisit ergo Dominus Deus soporem in Adam cumque obdormisset, tulit unam de costis eius et replevit carnem pro ea et aedificavit Dominus Deus costam, quam tulerat de Adam, in mulierem et adduxit eam ad Adam dixitque Adam: ›hoc nunc os ex ossibus meis et caro de carne mea‹; haec vocabitur virago, quoniam de viro sumpta est. Honorius Augustodunensis, Elucidarium 1,68, S. 373. So auch schon Remigius von Auxerre, Expositio super Genesim 2, v. 2,9, S. 40: Wie die Hebräer glauben, wurde Adam dort geschaffen, wo er begraben wurde (Aiunt namque Hebraei Adam in Hebron ciuitate, in qua et sepultus est, fuisse formatum). Vgl. oben S. 441f. und 450ff. Zur Geschlechterdifferenz in der Scholastik des 13. Jahrhunderts vgl. Köhler, Homo animal nobilissimum, Bd. 1, S. 449–596.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

werden solche Unterschiede schon rein äußerlich sowohl an Geschlechtsmerkmalen wie dem Busen679 sowie an sozialen Verhaltensweisen wie Haartracht oder Kopfbedeckung, Kleidung oder Schmuck verdeutlicht, wie bei dem Königspaar (Abb. IV/58a, S. 542)680 oder bei den Eltern mit Sohn des Stuttgarter Bilderpsalters (Abb. IV/58b, S. 542).681 Die religiöse Komponente aber wird schon darin deutlich, daß sich die Genesisexegese umfassend mit diesem Problem befaßt hat. Die Wahrnehmung einer Geschlechterdifferenz ist daher bereits dem Mittelalter selbstverständlich, auch wenn sie hier eine ganz andere Ausprägung und einen anderen Stellenwert hat als in der modernen Gesellschaft oder gar in einer modernen feministischen Wissenschaft. Wie sehen also frühmittelalterliche Autoren das Geschlechterverhältnis? Isidor von Sevilla stellt zunächst die Vereinbarkeit beider Schöpfungsberichte fest: »Ursprünglich sind Adam und Eva gleichzeitig erschaffen worden. Im Besonderen aber wurde die Frau später aus der Seite des Mannes geformt,« um dem eine Erklärung anzufügen: »Beide wurden daher gleich im Hinblick auf die Ordnung [oder Reihenfolge] der Vernunft erschaffen, hingegen nicht gleich im Hinblick auf die Einheit der Zeit.«682 In solcher Deutung hat der zeitliche Abstand der Schöpfung von Mann und Frau demnach noch keinerlei Auswirkung auf mentale Unterschiede. Dennoch ergibt sich aus der zeitlichen Abfolge eine (im platonisch denkenden Mittelalter nicht unwichtige) Stufenfolge der Ableitung, wenn Isidor fortfährt: »Der Mann wurde nach dem Bild Gottes, die Frau hingegen nach dem Bild des Mannes geformt« (also sozusagen in zweiter Ableitung), und wenn er daraus praktische Statusfolgen resultieren läßt: »Deshalb ist sie ihm nach dem Naturgesetz untergeben.«683 Der unterschiedliche Ursprung wirkt auf das Rangverhältnis ebenso zurück wie auf die Funktion: »Gleichermaßen wurde der Mann um seiner selbst willen, die Frau aber als Hilfe des Mannes erschaffen.«684 Aus dem Sündenfall erklärt Isidor, später vielfach wiederholt, auch den Namen Eva und gibt ihm 679 Zum Busen in der Kunst vgl. Wirth, L’image du corps S. 73–94; zu den Federzeichnungen der Genesis B: Mary Dockray-Miller, Breasts and Babies: The Maternal Body of Eve in the Junius 11 Genesis, in: Withers/Wilcox (Hg.), Naked Before God S. 221–256. 680 Stuttgarter Bilderpsalter. Saint-Germain-des-Pr8s, um 830. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Bibl. Fol 23, fol. 57v, als Illustration zu Ps 44,10ff. (Ausschnitt). Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. 681 Ebd. fol. 33v, als Illustration zu Ps 26,10 (Ausschnitt). Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. 682 Isidor von Sevilla, Sententiae 1,11,4, S. 39: Originaliter Adam et Eua simul creati sunt. Specialiter uero postea mulier de latere uiri formata est. Pariter ergo conditi sunt utrique rationis ordine, non pariter temporis unitate. 683 Ebd. 1,11,5, S. 39: Vir ad imaginem Dei factus est, mulier ad imaginem uiri formata est, unde et illi lege naturae subiecta est. 684 Ebd. 1,11,6, S. 39: Item uir propter semetipsum factus est, mulier ob adiutorium uiri creata est.

10. Der doppelte Mensch 2 (biologisch)

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damit nicht nur einen gleichzeitig positiven wie negativen Beiklang – jede einseitige Wertung wäre damit allerdings verfehlt –, sondern zeichnet zudem die beiden zentralen Funktionen der (paradiesischen) Frau, Gebären und Verführen, nach: »Eva wird als Leben oder als Unheil oder Unglück (Wehe) gedeutet: als Leben, weil sie der Ursprung des Gebärens war ; Unheil und Unglück, weil sie wegen der Pflichtüberschreitung der Grund für das Sterben war. Vom Fall her aber nahm sie den Namen Unheil an. Andere aber sagen, Eva sei deswegen Leben und Unheil genannt worden, weil die Frau für den Mann häufig der Grund des Heils, häufig (aber auch) des Unheils und Todes, also des Wehs, ist.«685

Die Existenz zweier Geschlechter erklärt Isidor wieder etymologisch, um das zugleich mit biologischen Unterschieden zu verbinden: »Der Mann (vir) wird so genannt, weil in ihm eine größere Kraft (vis) steckt als in den Frauen; von daher erhält auch die Manneskraft (virtus) ihren Namen, damit er die Frau durch (seine) Kraft leite. Die Frau (mulier) hingegen ist nach der Schwäche [aber auch: Weichheit und Zärtlichkeit] (mollities) so benannt, gleichsam als mollier, der man einen Buchstaben entzogen und abgeändert hat.«686

Der etymologisch richtige Zusammenhang von vir und virtus erscheint problemlos, wenn virtus als Manneskraft verstanden wird, doch die (im Mittelalter viel häufigeren) übertragenen Bedeutungen »Tüchtigkeit« oder gar »Tugend« bargen zumindest die Gefahr in sich, auch diese Attribute ausschließlich oder zumindest vornehmlich dem Mann zuzuschreiben, sind, soweit ich sehe, bemerkenswerterweise jedoch kaum entsprechend ausgedeutet worden. Für die Schwäche der Frau bedurfte es hingegen jener kleinen etymologischen Vergewaltigung des Begriffs bei Isidor, die um so mehr anzeigt, wie sehr diese Eigenschaft als spezifisch weiblich galt. Unzählige Beispiele belegen das. Körperliche Stärke und Schwäche sind auf diese Weise klar auf die beiden Geschlechter verteilt: »Denn beide werden durch die Stärke [oder Tapferkeit] und Schwäche des Körpers voneinander getrennt. Daher ist die Kraft (virtus) des Mannes am größten, der Frau hingegen kleiner, damit sie den Mann erdulde [viel zutreffender, meine lieben Leserinnen, wäre im Deutschen selbstverständlich die ebenso mögliche Übersetzung: damit sie den Mann erleide, doch fährt Isidor immerhin fort:], damit die Wollust, wenn 685 Isidor von Sevilla, Etymologiae 7,6,5f., Bd. 1, S. 278f.: Eva interpretatur vita sive calamitas sive vae. Vita, quia origo fuit nascendi, calamitas et vae, quia praevaricatione causa extitit moriendi. A cadendo enim nomen sumpsit calamitas. Alii autem dicunt: ob hoc Eva vita et calamitas appellata, quia saepe mulier viro causa salutis est, saepe calamitatis et mortis, quod est vae. 686 Ebd. 11,2,17f., Bd. 2, S. 23: Vir nuncupatus, quia maior in eo vis est quam in feminis; unde et virtus nomen accepit; sive quod vi agat feminam. Mulier vero a mollitie, tamquam mollier, detracta littera vel mutata, appellata est mulier.

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

Frauen sich widersetzen, die Männer nämlich nicht zwingt, etwas anderes zu begehren oder sich auf das andere Geschlecht zu stürzen.«687

Um zugleich aber einer Abwertung vorzubeugen, fügt Isidor hinzu: »Die Frau aber heißt so nach ihrem weiblichen Geschlecht, nicht jedoch nach der Verderbnis ihrer Unversehrtheit [oder : Unschuld], nämlich nach der Sprache der Heiligen Schrift. Denn Eva wurde sogleich, nachdem sie aus der Seite des Mannes geschaffen war und noch bevor sie vom Mann berührt wurde, Frau genannt, als es in der Schrift heißt: ›Und er formte sie zu einer Frau‹.«688

Früher, fügt Isidor hinzu, hieß die Frau aber auch (nach dem Mann) Männin (vira).689 Virago aber heiße (jetzt) das ›Mannweib‹, das männliche Arbeiten verrichtet und so stark ist wie ein Mann.690 (Nicht alle Frauen sind folglich schwach, doch ist das eine Abweichung von der ›Norm‹.) Femina wiederum leitet sich von den Körperteilen, nämlich vom Oberschenkel (femur) ab, weil die Frau sich besonders hier vom Mann unterscheidet, vielleicht aber auch von der ›feurigen Kraft‹ im Griechischen, weil Frauen heftiger begehren und sowohl bei Menschenfrauen (mulieres) als auch bei weiblichen Tieren wollüstiger seien als die Männer. Die antiken Autoren hätten übermäßige Liebe daher als »weiblich« (femineus) bezeichnet.691 Mit seinen etymologischen Erklärungen transportiert Isidor also deutlich Vorstellungen über die Geschlechter weiter, die im Mittelalter nachwirken sollten. Aus dem Bibelbericht wird eine Unterordnung der Frau unter den Mann abgeleitet bzw. die bestehende Sozialordnung biblisch legitimiert, weil sie aus seinem Körper und ihm zur Hilfe erschaffen wurde. »Das geschah gleichsam als Mann und Frau«, so folgert schon Augustin, »indem jener Teil berät [oder auch: beschließt], während dieser gehorcht.«692 Die sich schon in den Begriffen niederschlagenden biologischen Unterschiede spiegeln ihrerseits wiederum we687 Ebd. 12,1,19, S. 23: Vtrique enim fortitudine et inbecillitate corporum separantur. Sed ideo virtus maxima viri, mulieris minor, ut patiens viri esset; scilicet, ne feminis repugnantibus libido cogeret viros aliud appetere aut in alium sexum proruere. 688 Ebd. 12,1,20, S. 23f.: Dicitur igitur mulier secundum femineum sexum, non secundum corruptionem integritatis; et hoc ex lingua sacrae Scripturae. Nam Eva statim facta de latere viri sui, nondum contacta a viro, mulier appellata est dicente Scriptura: ›Et formavit eam in mulierem‹ (Gen 2,23). Der häufig in dieser Form zitierte Satz steht so nicht in der Vulgata. 689 Ebd. 12,1,23, S. 24: Quae vero nunc femina, antiquitus vira vocabatur ; sicut a servo serva, sicut a famulo famula, ita a viro vira. 690 Ebd. 12,1,22, S. 24: Virago vocata, quia virum agit, hoc est opera virilia facit et masculini vigoris est. Antiqui enim fortes feminas ita vocabant. 691 Ebd. 12,1,24, S. 24: Femina vero a partibus femorum dicta, ubi sexus species a viro distinguitur. Alii Graeca etymologia feminam ab ignea vi dictam putant, quia vehementer concupiscit. Libidinosiores enim viris feminas esse tam in mulieribus quam in animalibus. Vnde nimius amor apud antiquos femineus vocabatur. 692 Augustinus, De Genesi ad litteram 3,22, S. 88 (oben Anm. 154).

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sentliche Körpermerkmale und Eigenschaften, wie Stärke und Schwäche – und dieser Unterschied weist ebenfalls auf die Unterordnung der Frau –, aber auch unterschiedliches Liebesverlangen, wider und verteilen sich unterschiedlich auf die beiden Geschlechter. Der Sündenfall (die Verderbnis) ergibt sich hingegen nicht aus der Begrifflichkeit, sondern aus dem Personennamen Eva, der in der Wertung dank seiner Doppelbedeutung aber ambivalent ist und sowohl Gutes (Leben) wie Schlechtes (Wehe) symbolisiert. Die aus dem Schöpfungsbericht entnommenen und seit Isidor etymologisch untermauerten Vorstellungen von der Wesensverschiedenheit der Geschlechter ließen sich zugleich wieder mit der oben schon behandelten Elementen- und Säftelehre verbinden, die der Frau ebenfalls eine vom Mann verschiedene Konstitution, vor allem mangelnde Körperwärme, zuschreibt. Alle Kriterien laufen für die mittelalterlichen Autoren daher auf ein hierarchisch strukturiertes Geschlechterverhältnis hinaus. Die mittelalterliche Bibelexegese, aber auch andere Schriften greifen solche Vorstellungen auf und entwickeln sie weiter. Selbst der gern als ›weiblicher‹ denkend in Anspruch genommenen Hildegard von Bingen kommt es im 12. Jahrhundert überhaupt nicht in den Sinn, an der Schwäche der Frau und den Geschlechterrollen zu rütteln, wenn sie schreibt: »Deshalb ist auch die Frau schwächlich und auf den Mann ausgerichtet, damit sie von ihm umsorgt wird, so wie der Mond seine Kraft von der Sonne empfängt. Deshalb muß sie dem Mann stets unterworfen und stets bereit sein, ihm zu dienen.«693

Und auch Hildegard erklärt das aus der Schöpfung: »Gott aber erschuf das Element der Erde, die durch die Kräfte der anderen Elemente aufkeimt, wie auch die Frau erst durch die Kräfte des Mannes fruchtbar wird.«694

Selbst Wilhelm von Conches folgert die elementar-physikalischen Unterschiede der Geschlechter, etwa hinsichtlich der Körperwärme, aus der Schöpfung: Gott habe die Frau nicht aus dem gleichen, sondern aus benachbartem Lehm erschaffen; daher sei sie dem Mann ähnlich, aber nicht gleich.695 Im – seltenen – Extremfall mochten gelegentlich sogar Zweifel aufkommen, ob Frauen überhaupt »Menschen« waren – schließlich verwendet das Lateinische mit homo für »Mann« und »Mensch« den gleichen Begriff –, doch bleiben das bezeichnende Ausnahmen. Auf der Synode von M.con 585, so berichtet Gregor von Tours in 693 Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 1,4,65, S. 197: Vnde et mulier debilis est et ad uirum aspicit, ut per eum procuretur, quemadmodum luna fortitudinem suam a sole recipit; ideoque et uiro subdita et ad seruiendum parata semper esse debet. 694 Ebd. 1,4,92, S. 223: Deus quippe elementum terre˛ creauit, que˛ per uires ceterorum elementorum germinat, ut etiam mulier per uires uiri feta existit. 695 Wilhelm von Conches, Philosophia 1,13,43, S. 28: Sed quoniam […] ex vicino limo terrae corpus mulieris esse creatum verisimile est, et ideo nec penitus idem quod homo nec penitus diversa ab homine. Zur Fortsetzung des Zitats vgl. oben Anm. 380.

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seinen Historien, habe ein Bischof gerade mit Bezug auf den Wortlaut des Schöpfungsberichts behauptet, man könne die Frau nicht als Menschen bezeichnen (mulierem hominem non posse vocitare), doch konnte er von den anderen Bischöfen, mit Berufung auf diesen Bericht und andere Bibelzitate, in denen Mann und Frau als homo bezeichnet werden, sogleich widerlegt und überzeugt werden.696 Vielmehr unterlag es keinem Zweifel, daß auch die Frau Ebenbild Gottes und vernunftbegabt ist. Schon Augustin hatte klargestellt, daß Mann und Frau körperlich unterschieden seien, die Frau ihrem Körper nach demnach Frau ist, »in ihrem Geist und Gemüt (in spiritu mentis) jedoch zur Erkenntnis Gottes gemäß seinem Ebenbild erneuert« sei. Wenngleich dem Wortlaut nach zunächst nur der Mann Ebenbild Gottes ist, besitzt »in dieser ersten Schöpfung des Menschen doch auch die Frau, weil sie ein Mensch ist, den gleichen vernünftigen Sinn, gemäß dem sie gleichfalls als Ebenbild Gottes erschaffen wurde«.697 Und Beda Venerabilis legt Wert auf die Feststellung, der Schöpfungsbericht betone zwar, daß Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen habe, doch nur bei dem Mann werde hinzufügt, daß er ihn als Ebenbild Gottes erschaffen habe; dennoch sei die Frau ebenfalls insofern Ebenbild Gottes, als auch sie einen vernünftigen Geist besitzt. Daher deutet Beda selbst den Bericht anders und bezieht ihn auf die Vereinigung von Mann und Frau.698 696 Gregor von Tours, Historiae 8,20, S. 386f. 697 Augustin, De Genesi ad litteram 3,22, S. 89: itaque quamuis hoc in duobus hominibus diuersi sexus exterius secundum corpus figuratum sit, quod etiam in una hominis interius mente intellegitur, tamen et femina, quia corpore femina est, renouatur etiam ipsa in spiritu mentis suae in agnitionem Dei secundum imaginem eius, qui creauit, ubi non est masculus et femina. Sicut enim ab hac gratia renouationis et reformatione imaginis Dei non separantur feminae, quamuis in sexu corporis earum aliud figuratum sit, secundum quod uir solus dicitur esse imago et gloria Dei, sic et in ipsa prima conditione hominis secundum id, quod et femina homo erat, habebat utique mentem suam eandemque rationalem, secundum quam ipsa quoque facta est ad imaginem Dei. Zum Evabild Augustins vgl. Gerald Bonner, The Figure of Eve in Augustine’s Theology, in: E.A. Livingstone (Hg.), Augustine and his opponents, Jerome, other Latin Fathers after Nicaea, orientialia. Papers presented at the 12th International Conference on Patristic Studies held in Oxford 1995 (Studia patristica 33), Leuven 1997, S. 22–34 (vgl. ebd. S. 25: »Eve was, then, made in the image of God not less than Adam«). Ausführlich zu Augustins Bild der Frau: Silvia Soennecken, Misogynie oder Philogynie? Philologisch-theologische Untersuchungen zum Wortfeld Frau bei Augustinus (Kontexte. Neue Beiträge zur historischen und systematischen Theologie 13), Frankfurt a.M-Berlin-Bern-New York u. a. 1993 (aus begriffsgeschichtlicher Betrachtung), und (sehr ausgewogen) Larissa Carina Seelbach, »Das weibliche Geschlecht ist ja kein Gebrechen …«. Die Frau und ihre Gottebenbildlichkeit bei Augustin (Cassiciacum 50), Würzburg 2002, S. 171–237. Zur Tradition der Gottesebenbildlichkeit der Frau vgl. Kari Elisabeth Børresen (Hg.), The Image of God. Gender Models in Judaeo-Christian Tradition, Minneapolis 1995. 698 Beda Venerabilis, In principium Genesis usque ad natiuitatem Isaac 1,1, Turnhout 1967, S. 28: Cuius causa unionis scriptura sacra cum dixisset: ›Et creauit Deus hominem, ad

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Eine Gleichheit der Geschlechter erwuchs daraus jedoch nicht. Im Quellenbild unterstand die Frau, biblisch abgestützt, dem Mann: »Und weil der Mann das Haupt der Frau und Christus das Haupt des Mannes ist,« so argumentiert Isidor von Sevilla, »macht sich jede Frau, die sich nicht ihrem Mann, das heißt ihrem Haupt, unterstellt, desselben Vergehens schuldig wie der Mann, der sich nicht Christus als seinem Haupt unterstellt.«699

Politisch-rechtliche Erlasse argumentieren auf ähnliche Weise. So verfügt ein Kapitular Karls des Großen von 802: »Frauen sind Untergebene ihres Mannes in aller guten Gesinnung und Sittsamkeit; sie sollen sich hüten vor Unzucht, Begünstigungen und Habsucht, denn wer das tut, widersetzt sich Gott. Sie sollen ihre Kinder in Gottesfurcht erziehen und soviel Almosen geben, wie sie dazu aufgelegt und guten Willens sind. Die Männer aber sollen ihre Frau lieben, ihr keine unanständigen Worte sagen und ihr Haus mit Gutmütigkeit leiten.«700

Es ist bezeichnend für die mittelalterliche Lebensordnung ebenso wie für das mittelalterliche Weltbild, daß die unbestrittene Rangordnung der Geschlechter nicht nur eine Über- und Unterordnung bedeutet, sondern mit der Stellung des Mannes zugleich Pflichten der Rücksichtnahme verlangt, wie sie der letzte Satz des Kapitulars deutlich ausdrückt: Wie der König sein Reich nach den richtigen Prinzipien zu leiten hat, so verpflichtet die Herrschaft (jedenfalls in der moralischen Norm) auch den Hausherrn zur Fürsorge und zu einem angemessenen, liebevollen Verhalten gegenüber den ihm Untergebenen, einschließlich der Frau. Das gebot allein schon die Schwäche der Frau: »Wer aber eine Frau hat,« schreibt die von Jonas von Orl8ans beeinflußte ›Relatio episcoporum‹ von 829, »darf keine Geliebte oder Konkubine halten; vielmehr sollen sie ihre Ehefrau in Keuschheit lieben und ihnen als den gleichsam Schwächeren die schuldige Ehre erweisen.«701 imaginem Dei creauit illum‹, statimque subiungeret, ›Masculum et feminam creauit eos‹, noluit addere, ›ad imaginem Dei creauit eos‹. Et femina enim ad imaginem Dei creata est secundum id, quod et ipsa habebat mentem rationalem; sed addendum hoc de illa non putauit Scriptura, quod propter unitatem coniunctionis etiam in illa intelligendum reliquit. Immo in omni quod de eis ortum est genere humano intelligendum esse signauit. 699 Isidor von Sevilla, De ecclesiasticis officiis 2,20,14, S. 95: et cum ›caput mulieris uir‹ sit, ›caput‹ autem ›uiri Christus‹ (1. Kor 11,3), quaecumque uxor non subicitur uiro, hoc est capiti suo, eiusdem criminis rea est, cuius et uir, si non subicitur Christo capiti suo. 700 MGH Capit. 1, Nr. 121 (von 801/812), S. 240: Mulier sint subiecti viri sui in omni bonitate et pudicitia, custodiant se a fornicatione et beneficiis et abaritiis, quoniam qui hec facit Deo repugnant. Nutriant filios suos in Dei timore et faciant aelemosinas ex tantum, quantum habet hilarem mentem et bona voluntatem. Viri diligant uxorem suam et inhonesta verba non dicat ei, guberne domus suas in bonitate. 701 MGH Capit. 2, Nr. 196, c. 54, S. 45: et uxores habentes neque pellicem neque concubinam habere debeant; quomodo in castitate uxores suas diligere eisque utpote quasi infirmioribus honorem debitum debeant inpendere.

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Männer sollen die Frau ehren. Uxor, so Isidor in seinen ›Etymologiae‹, leite sich nämlich von unxor ab:702 Die Ehefrau ist gleichsam eine Gesalbte. Schon die Bußbestimmungen der frühen Volksrechte lassen erkennen, wie aus der Schwäche des weiblichen Geschlechts folgerichtig ein besonderer Schutz der Frauen (und ihrer Funktionen) erwächst (und erwachsen muß): Frauen müssen rechtlich geschützt werden, da sie sich selbst als das schwache Geschlecht nicht (mit Waffen) verteidigen können. Wenn die gebärfähige Frau nach der ›Lex Salica‹ ein dreifaches Wergeld des männlichen Freien genießt, dann steht sie in ihrem Wert gleichsam dreifach über dem wehrfähigen Mann! Solche Bestimmungen zeugen zunächst zwar von der Wertschätzung werdenden Lebens, damit zugleich aber von einer Achtung und Ehrung der Frau, die das gewährleistet: Soziale Unterordnung und rechtliche Minderstellung auf der einen und Wertschätzung und Ehrerbietung auf der anderen Seite schließen sich folglich keineswegs aus, sondern bedingen im Gegenteil einander. Uns mag ein solches Frauenbild als ambivalent erscheinen. Der mittelalterlichen Vorstellungswelt ist es ganz ›natürlich‹. Aus der Schwäche der Frau erwachsen nämlich auch sittliche Ermahnungen, die zugleich jedoch in Tugenden einfließen und damit wieder positiv umgewertet werden: »Du bist eine Frau?«, fragt Rather von Verona in seinem »Ständespiegel« im Rahmen seiner ›Praeloquia‹. »Dann strebe danach, die Schwäche, die du schon im Namen erkennen läßt, zur Tugend des Gehorsams und nicht zum Laster der Auflösung zu wenden. ›Männin‹ (virago), das heißt doch: starke Frau, wurdest du nämlich am Beginn genannt, damit du dich ganz und gar daran erinnerst, daß du stark gegenüber den Lastern, doch geschmeidig in der Unterwerfung unter Gottes Gebote zu sein hast. Der Mann richtet sich durch seinen Geist, die Frau durch ihr Fleisch auf; so bemühe auch du dich gegen den Geist, die ungesunden Anfechtungen der Laster und Vergnügungen mit starker Geisteskraft zu besiegen.«703

Theologische Autoren stellen daher nicht nur Wesensunterschiede und Rangordnung heraus, sondern gehen oft weiter in Richtung einer (gewissen) Gleichberechtigung und Gleichheit (vor Gott und dem Jüngsten Gericht ohnehin) oder, zutreffender ausgedrückt, einer Gemeinschaft und Partnerschaft der Geschlechter, nicht zuletzt in der Ehe, indem sie das Aufeinanderangewiesensein beider Geschlechter hervorheben (während man von Vorstellungen eines 702 Isidor von Sevilla, Etymologiae 9,7,12, Bd. 1, S. 387: Vxores vocatae, quasi unxiores. 703 Rather von Verona, Praeloquia 2,3, S. 47: Mulier es? Mollitiem, quam prefers nomine, ad obedientiae uirtutem, non ad dissolutionis uitium, transferre stude. Virago enim, id est fortis mulier, uocata es in principio, ut et fortem te contra uitia et flexibilem in subiectione Domini preceptorum esse debere memineris omnino. Vir itaque mente, mulier carne, insurgentes et tu aduersus spiritum insanos uitiorum uoluptatumque tumultus forti mentis uigore stude deuincere.

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›Kampfes der Geschlechter‹ weit entfernt ist). Schon Isidor begründet das (sowie nicht nur die Ehe an sich, sondern speziell als Einehe) wiederum aus dem Schöpfungsbericht: »Daß aber nicht ein Mann und viele Frauen, sondern ein Mann und eine Frau sich vereinigen, das zeigt beispielhaft diese erste, von Gott bewirkte Vereinigung. Denn als Gott den Menschen geschaffen hatte und die Notwendigkeit eines gleichartigen Pendants vorhersah, entlehnte er ihm eine Rippe und machte ihm daraus eine Frau, und so heiligen Adam und seine Frau Eva, indem sie gemeinsam eine Hochzeit vollzogen, den Menschen diese Form aus der Autorität des Ursprungs und aus dem ersten Willen Gottes heraus.«704

Angelomus von Luxeuil folgert aus dieser Schöpfung aus der Seite des Mannes, daß die Erde sich durch ihre gegenseitige Vereinigung füllen sollte.705 Gott, so auch Remigius von Auxerre im Hinblick auf die ganze Menschheit, habe einen Mann und eine Frau erschaffen, damit sich auf diese Weise alle Menschen gegenseitig liebten, gleich als ob sie von einem Vater und einer Mutter gezeugt wären.706 Hugo von St. Viktor greift das im 12. Jahrhundert in prägnanter Auslegung des Schöpfungsberichts auf: »(Die Frau) aber wurde aus der Seite des Mannes geschaffen, um anzuzeigen, daß sie zur Liebesgemeinschaft geschaffen waren; wäre sie aus seinem Kopf erschaffen, so schiene sie ihn zu beherrschen; wäre sie aus den Füßen erschaffen, so wäre sie ihm zum Dienst untergeben. Weil sie aber weder als Herrin noch als Magd, sondern als Gefährtin des Mannes bereitet war, ging sie weder aus seinem Haupt noch aus seinen Füßen, sondern aus seiner Seite hervor, damit er erkenne, daß er sie neben sich zu stellen habe.«707

Die beiden Geschlechter waren demnach zwar unterschieden, aber (gerade deshalb) in ihrem Lebenskreis zugleich eng aufeinander bezogen und aufeinander angewiesen. Dem von Gott erschaffenen Menschen, so Hildegard von 704 Isidor von Sevilla, De ecclesiasticis officiis 2,20, S. 90: Quod autem non unus et multae, sed unus et una copulantur, ipsa prima diuinitus facta coniunctio in exemplo est. Nam cum Deus hominem figurasset eique parem necessariam prospexisset, unam de costis eius mutuatus unam illi feminam finxit, sicque Adam et mulier Eua, unis inter se nuptiis functi, formam hominibus de originis auctoritate et prima Dei uoluntate sancxerunt. 705 Angelomus von Luxeuil, Commentarius in Genesin, Sp. 123 B, zu Gen 1,27: Unde mulierem ex viri latere formavit, ut mutua illorum coniunctione terram esse implendam doceret. 706 Remigius von Auxerre, Expositio super Genesim 1,27, S. 30: In hominibus autem masculum unum unamque condidit feminam, ut ita uidelicet se omnes homines mutuo diligerent ac si uno patre uel matre progeniti. 707 Hugo von St. Viktor, De sacramentis Christianae fidei 1,6,35, ed. Migne Sp. 284 C; ed. Berndt S. 164: Facta est autem de latere viri, ut ostenderetur, quod in consortium creabatur dilectionis, ne forte si fuisset de capite facta, praeferenda videretur viro ad dominationem [Migne: damnationem], aut si de pedibus subicienda ad servitutem. Quia igitur viro nec domina nec ancilla parabatur sed socia, nec de capite nec de pedibus, sed de latere fuerat producenda, ut iuxta se ponendam cognosceret.

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Bingen, fehlte eine Hilfe, also schuf Gott die Frau (und ermöglichte erst dadurch die Vermehrung der Menschen): »In ihr war das gesamte Menschengeschlecht verborgen, das in der Schöpferkraft Gottes hervorgebracht werden sollte, wie er auch den ersten Menschen in der Macht seiner Schöpferkraft vollendet hatte. Mann und Frau sind daher so eng miteinander verbunden, daß sie einander benötigen. Denn ohne die Frau würde der Mann gar nicht Mann heißen, und ebenso würde die Frau ohne den Mann nicht Frau genannt. Die Frau ist nämlich Werk des Mannes und der Mann ist Anblick des Trostes für die Frau, und keiner von beiden könnte ohne den anderen sein.«708

Das gilt nicht nur für die Fortpflanzung, es legt zudem einen Leib-Seele-Vergleich nahe, und so schreibt Hildegard zu einer anderen Vision: »Denn wenn der Mann allein wäre oder die Frau allein bliebe, würde kein Mensch entstehen. So sind auch Mann und Frau eins, denn der Mann ist gleichsam die Seele, die Frau aber wie der Leib.«709

Dieser Rückbezug (aus der Feder einer Frau!) ist ebenso treffend wie auffällig: Wie der Mensch erst aus der Vereinigung von Körper und Seele zum Menschen wird, so besteht und entsteht das Menschengeschlecht aus der Vereinigung von Mann und Frau. Allerdings kommt der Seele, unbeschadet der Notwendigkeit des Leibes, stets die höherwertige Funktion zu. Die Bibelexegese des Schöpfungsberichts und das Bild Evas bieten wegen ihres paradigmatischen Charakters ein gutes Beispiel für die Geschlechtervorstellungen. Hatte die ältere Forschung Eva, die für den Sündenfall verantwortlich war, vielfach als typisches Beispiel des Frauenbildes gewertet – Eva sei die Frau im allgemeinen, meint noch Jacques Le Goff, die Verführerin, die große Sünderin und Helferin des Teufels,710 und so stellen sie auch die Bibelillustrationen dar –, so belehrt uns ein genauerer Blick in die Exegese schnell eines anderen.711 Wie aus den obigen Beispielen ersichtlich, werden hier nämlich neben der Unterordnung die Gleichheit und die Gemeinschaft von Mann und Frau betont. Augustin712 und Beda713 heben die Gleichheit von Mann und Frau als vernunftbe708 Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum 1,4,100, S. 243: in qua omne humanum genus latuit, quod in ui fortitudinis Dei producendum erat, sicut et primum hominem in ui fortitudinis sue˛ perfecerat. Vir itaque et femina sic ad inuicem admixti sunt, ut opus alterum per alterum est; quia uir sine femina uir non uocaretur nec femina sine uiro femina nominaretur. Femina enim opus uiri est, et uir aspectus consolationis femine est; et neuter eorum absque altero esse posset. 709 Ebd. 2,1,43, S. 329: Nam si masculus solus uel si femina sola esset, nullus homo generaretur. Vnde etiam uir et femina unum sunt, quoniam uir est quasi anima, femina uero uelut corpus. 710 Le Goff, Civilisation S. 206f., 354, 592. 711 Vgl. Goetz, Frauen im frühen Mittelalter, Kapitel 2, S. 71–103; Schreiner, Si homo non peccasset. 712 Augustinus, De trinitate 12,7,10, S. 364: Ad imaginem quippe Dei naturam ipsam humanam

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gabtes Abbild Gottes hervor – daher ist auch die Frau vernunftbegabt –, während die Tatsache, daß sie aus der Seite (oder Rippe) Adams geschaffen wurde, sich nach Beda und Hrabanus Maurus auf die »Kraft der Vereinigung« bezieht714 und damit sicher nicht eine Gleichheit, aber doch eine Gleichartigkeit der beiden Geschlechter des Menschen symbolisiert (die nicht wie Tiere in verschiedene Spezies unterteilt sind). Ein rundherum negatives Frauenbild ist darin also gewiß nicht zu erkennen. Hatte Gregor von Tours (gemäß dem »doppelten Menschen«) eine figürliche Parallele zwischen Adam und Christus gezogen, so gilt ihm (und vielen anderen) Eva als Figur der unbefleckten Kirche715 und ganz ähnlich werten Isidor von Sevilla und nach ihm viele andere Eva als Figur der aus der Seite des am Kreuz sterbenden Christus erwachsenden Kirche.716 Anders verhält es sich jedoch zweifellos mit dem Sündenfall selbst, bei dem nach dem Bibelbericht eindeutig die Frau zuerst verführt wurde. »Freilich wurde auch er verführt,« schreibt Hrabanus Maurus, dem es tatsächlich um die Frage geht, welche Schuld jedem Geschlecht zur Last zu legen ist: »Weil man aber allgemein darüber streitet, welche Sünden von den Frauen, welche von den Männern hereingebracht wurden, so ist es gut, daß nicht er, sondern sie verführt wurde, weil man daran nämlich sieht, daß die Frau der Grund für seine Verführung ist und daß man diesen Grund keineswegs umkehren kann.«717

Das bedeutet jedoch weder eine Alleinschuld noch eine höhere Schuld der Frau, noch führt es zu einer (einseitigen) Verurteilung der Frau: Hätte nur Eva gesündigt, so argumentiert Augustin, wäre nur sie mit dem Tod bestraft worden.718

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factam dicit, quae sexu utroque completur, nec ab intellegenda imagine Dei separat feminam. Vgl. Seelbach, Das weibliche Geschlecht S. 171–237. Beda Venerabilis, In principium Genesis usque ad natiuitatem Isaac 1, S. 28 (oben Anm. 698). Ebd. S. 50, zu Gen 2,20–22: Quod mulier uiri de latere facta est, propter ipsius coniunctionis uim commendandum ita fieri oportuisse credendum est; danach Hrabanus Maurus, Commentarii in Genesim 1,7, Sp. 461 B/462 A. Gregor von Tours, Historiae 1,1 (oben Anm. 662). Isidor von Sevilla, Allegoriae quaedam sacrae scripturae 4, Sp. 99 A: Eva designat Ecclesiam factam per mysterium lavacri, quae de latere in cruce morientis Christi fluxit, sicut Eva de costa hominis dormientis. Vgl. Beda Venerabilis, Libri quatuor in principium Genesis usque ad natiuitatem Isaac 1, S. 58, zu Gen 2,24; Alkuin, ep. 307, S. 468: Igitur ut de dormientis Adam latere Eva, quae interpretatur vita, formata est, sic de Christo latere, dormientis in cruce, prolatum est ecclesiae precium; Hrabanus Maurus, Commentarii in Genesim 1,14, Sp. 485f.; Angelomus von Luxeuil, Commentarius in Genesim, Sp. 134 CD (zu Gen 2,21) und viele andere. Hrabanus Maurus, Enarrationes in epistolas beati Pauli. In epistolam I ad Timotheum 2, Sp. 595 BC: ›Et quidem seductus est et ille.‹ Sed quoniam in commune disputabat, discernens, quae quidem a mulieribus fuissent peccata admissa, quae vero a viris, bene illum quidem non fuisse seductum, hanc vere seductam, eo quod illius seductionis mulier causa exstitisse videbatur, quia in illam causam vertere nequaquam poterant. Augustinus, De trinitate 12,12,18, S. 372f. Vgl. Bonner, The figure of Eve S. 27.

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Eva sündigte als erste, weil die Frau nun einmal das größte Verführungspotential des Mannes ist. Sie wird aber nicht schlechthin verdammt, und so fügt Hraban gleich im Anschluß hinzu: Das bedeutet jedoch nicht, »daß Frauen zur Frömmigkeit ungeeignet sind.« Wohl aber ist die Verführung allen Frauen eigen.719 Entsprechend betonen auch hier die meisten Autoren, daß beide, Adam und Eva, gleichermaßen Schuld auf sich geladen haben: »Der Verstand (des Mannes),« so hatte schon Isidor von Sevilla gemeint, »konnte nicht verführt werden, wenn er nicht zuerst durch die fleischliche Schwäche verführt wurde.«720 Das mag (uns) wieder wie eine Abwertung der Frau (sowie als einseitige Schuldzuweisung) erscheinen, greift aber nur die allseits vorhandenen Vorstellungen auf und wendet sie auf den Sündenfall bzw. auf dessen Exegese an: Der Sündenfall resultiert aus der menschlichen Schwäche und der fleischlichen Verführung; die Frau aber ist schwächer als der Mann und daher leichter zu verführen. Solche Vorstellungen legen daher erneut zugleich die mittelalterlichen Empfindungen über die Geschlechterdifferenz offen: Offenbar hat man geglaubt, daß die Frau fleischlicher Verführung leichter zugänglich sei als geistiger, während der Mann wiederum leichter der körperlichen Verführung gerade durch Frauen erliegt. »Was der Teufel selbst nicht vermochte, durch Eva hinterging er Adam, das erste Geschöpf. Adam aber fand den Untergang durch seine Frau, die er von Gott zur Hilfe empfangen hatte,« schreibt ein (patristischer oder mittelalterlicher) Autor.721 Frauen sind mehr durch Leib und Gefühl, und vor allem wiederum durch Schwäche, charakterisiert, Männer stärker durch den Verstand, der nur eine große Schwäche kennt: eben die Frau (wobei man nicht übersehen darf, daß hier geistliche und monastische Autoren schreiben, für deren Zölibatsgebot Frauen tatsächlich eine ernste Bedrohung darstellten). So wurde Eva gleichsam zur Bedingung des Sündenfalls Adams, der nur durch sie verführt werden konnte, und das wird seither zu einer ständigen Bedrohung (nicht des Mannes, sondern) seiner Tugendhaftigkeit. »Erinnerst du dich denn nicht daran,« fragt Jonas von Bobbio in der Columbanvita, »daß Adam durch Evas Überzeugungskunst fiel, Samson von Delila verführt und David 719 Hrabanus Maurus, Enarrationes in epistolas beati Pauli. In epistolam I ad Timotheum 2, Sp. 595 BC: et ut ne videretur de genere mulierum pronuntiare, quasi inutile ad pietatem quia ritus ille et ius in omni genere mulierum pertinere videtur. Seducta est illa, id ipsum iustitia et ratio depostulat in omnibus videri mulieribus. 720 Isidor von Sevilla, Mysticorum expositiones sacramentorum seu Quaestiones in Vetus Testamentum. In Genesim 4,3, Sp. 218f.: Quia non potest ratio nostra seduci ad peccandum, nisi praecedente delectatione in carnalis infirmitatis affectu, qui obtemperare debet rationi, tanquam viro dominanti. 721 (Pseudo-)Paulus Diaconus, Homiliae de tempore 62, Sp. 1208 D: Diabolus quod per se non potuit, per uxorem Adam protoplastum circumvenit. Adam vero per uxorem invenit interitum, quam a Deo acceperat in auxilium. Die bei Migne Paulus zugeschriebene Schrift ist aber wohl einem anderen Autor, vermutlich schon Johannes Chrysostomus, zuzuordnen.

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durch die Schönheit Bathsebas gegenüber seiner früheren Gerechtigkeit verdorben wurde, ja daß selbst der hochweise Salomon sich aus Liebe zu Frauen verleiten ließ?«722

Die altenglische Dichtung Genesis B setzt das unmittelbar in die Nacherzählung des Sündenfalls um:723 Danach versuchte der Teufel zunächst Adam und erst, als ihm das mißlang, Eva.724 Dabei argumentierte er jeweils unterschiedlich: Adam stellte er sich als Gottesbote, also als Engel vor – er sehe aber nicht aus wie ein Engel, meinte Adam –, während er Eva mit dem Versprechen köderte, sie könne Adams Widerspenstigkeit wiedergutmachen und damit Gottes Strafe abwenden.725 Eva war hier demnach sogar fest davon überzeugt, das vollkommen Richtige zu tun, weil sie nämlich aus Sorge und Liebe für Adam handelte, doch sie brauchte einen ganzen Tag, um ihn endlich zum Nachgeben und zum Biß in den Apfel zu bewegen.726 Eva, die »aus Treu und Glauben« (thurh holdne hyge), wie man es von einer Frau erwartete, handelte, wird hier gewissermaßen entschuldigt. Solche Vorstellungen erklären den Sündenfall auf dem Hintergrund des damaligen Wissens. Eine einseitige Schuldzuweisung ist das noch nicht. Eva ist schwächer und den Einflüsterungen des Teufels leichter zugänglich, doch wird sie keineswegs allein für den Sündenfall verantwortlich gemacht.727 In der apokryphen Vita Adams und Evas erklärt die Schlange der Frau, daß sie erst durch den Sündenfall Macht über sie erlangt habe.728 Eva selbst erscheint folglich wie eine ambivalente Gestalt: positiv in der Schöpfung, negativ als Sünderin, aber dasselbe gilt auch für Adam. Als Stammutter aller Menschen ist Eva zugleich eine Art »Prototyp« der Frau, so daß das Evabild in gewisser Weise durchaus Züge des (allgemeinen) Frauenbildes erkennen läßt, und tatsächlich sprechen die Bibelexegeten weit öfter von »der Frau« und benennen sie nur gelegentlich mit ihrem Namen, Eva. Doch selbstverständlich haben sie nicht geschrieben, um ein Frauenbild zu verbreiten, das vielmehr bereits vorhanden ist und zumeist mehr oder weniger unbewußt in ihre 722 Jonas von Bobbio, Vita Columbani 1,3, S. 68f.: Non reminisceris suasu Evae Adam dilapsum, Samsonem a Dalila seductum, David a pristina iustitia pulchritudine Bersabeae corruptum, sapientissimum Salomonem mulierum amor deceptum? 723 Vgl. dazu Goetz, Gott und die Welt, Teilband 2, S. 207ff., und Jane Chance, Women as Hero in Old English Literature, Syracuse University 1986, S. 65ff. 724 Genesis B, v. 491ff., S. 102/104. 725 Ebd. v. 547ff., S. 104/106. 726 Ebd. v. 626ff., S. 110/112. 727 Zumindest sehr einseitig ist die Deutung von Dockray-Miller, Breasts and Babies S. 227ff., wenn sie die »gender hierarchy« in der Genesis B – sie ist eben allen Autoren selbstverständlich – herausstellt und darüber die Differenzierungen dieser erstaunlich mehrschichtigen Schrift übersieht. Vgl. ebd. S. 234: »Eve’s physical body thus serves Adam’s masculine status by producing children that are very specifically defined as his.« Gebären ist vielmehr ein (wichtiger) Aspekt der ›Arbeitsteilung‹ zwischen den Geschlechtern. 728 Vita Adae et Evae 38, S. 370/372.

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Auslegung des Bibelberichts einfließt, das aber gerade deshalb für unsere Frage aussagekräftig ist, weil die Autoren nämlich ihre gängigen Vorstellungen benutzt haben, um die Bibel zu erklären. Darin ist gleichermaßen die Überzeugung sowohl von einer Hierarchie wie von einer Partnerschaft der Geschlechter enthalten. Beides wird, anders als von manchen modernen Interpreten, keineswegs als Widerspruch empfunden. Die hierarchische Unterordnung der Frau ist den mittelalterlichen Autoren völlig selbstverständlich (und in ihren Augen nicht zu leugnen). Sie verfolgen, in fester Überzeugung der Richtigkeit ihrer Anschauungen, sicherlich nicht die Absicht, Frauen zu diskriminieren, obwohl sie, von außen betrachtet, dafür doch unweigerliche Grundlagen schaffen, wenn sie von der Frau Gehorsam gegenüber dem Mann fordern. Gerade diese Hierarchie aber verlangt auf der anderen Seite den Ausgleich, und deshalb fordern die Autoren gleichzeitig Schutz, Partnerschaft und Miteinander. Wieweit solche Forderungen, die ja auch eine Reaktion auf die Realität sind, sich in der Praxis durchsetzen konnten, entzieht sich unserer Kenntnis, ist aber auch nicht mehr Gegenstand dieser Untersuchung. Am deutlichsten zeigt sich die Geschlechterdifferenz wohl in der frühmittelalterlichen Vorstellung von der Bestrafung des Sündenfalls: Dem Mann wurden bekanntlich harte Arbeit, der Frau Geburtsschmerzen – die Strafe bestand nicht in diesen ›Tätigkeiten‹, sondern in der Mühsal –, aber auch ihre Unterordnung unter den Mann auferlegt, die jedoch zugleich wieder als ›Naturgesetz‹ und nicht als Sündenstrafe interpretiert wird. »Man solle nicht glauben, daß die Frau vor der Sünde anders beschaffen war, als daß der Mann sie beherrschte und sie lebte, um ihm zu dienen« bzw. »unter seiner Gewalt lebte,« meinen Augustin und, ihm etwas abgewandelt folgend, Beda, und folgern, daß die Knechtschaft eher dem Zustand (oder dem Stand, conditio) als der Liebe entspringt.729 Im Paradies wäre die Frau aus Liebe ohne Furcht »Sklavin« des Mannes gewesen, jetzt aber sei sie es aus Furcht in strenger Zucht, kommentiert Alkuin,730 und Remigius von Auxerre weitet das noch klarer aus: Auch wenn die Frau nicht gesündigt hätte, hätte sie fortan unter der Herrschaft des Mannes 729 Augustinus, De Genesi ad litteram 11,37, S. 372: Neque enim et ante peccatum aliter factum fuisse decet credere mulierem, nisi ut vir ei dominaretur, et ad eum ipsa seruiendo conuerteretur. Sed recte accipi potest hanc seruitutem significatam, quae cuiusdam condicionis est potius quam dilectionis. Danach Beda Venerabilis, Libri quatuor in principium Genesis usque ad natiuitatem Isaac 1, S. 67, zu Gen 3,16: Cum et ante peccatum aliter factum fuisse non deceat credere mulierem, nisi ut vir ei dominaretur, et sub eius ipsa potestate degeret, recte accipi potest hanc seruitutem significatam, quae cuiusdam conditionis est potius quam dilectionis. 730 Alkuin, Interrogationes et responsiones in Genesim 78, Sp. 524 CD: si ante peccatum [quoque] mulier sub potestate viri esset? Responsio: Fuit utique, sed ea servitute, quae per dilectionem operatur, et foras mittit timorem; post vero, conditionali servitutis timore, quae per discipolinam operatur.

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gestanden. Diese Unterordnung war damals jedoch freiwillig, jetzt aber ist sie ihr notwendig als Sündenstrafe auferlegt731 (so daß sie dem Mann nun auch dann unterworfen ist, wenn sie es gar nicht will).732 Die Geschlechterhierarchie selbst gilt somit erneut als Teil der göttlichen Weltordnung und als unweigerliche Folge der Geschlechterdifferenz (und der Schwäche des weiblichen Geschlechts), während ihre konkrete Ausprägung den Strafcharakter im Sündenstand ausdrückt. Eine völlige Gleichheit der Geschlechter wäre im Mittelalter daher unvorstellbar gewesen. Gott bestimmte mit der Schöpfung, »daß ein Teil zur Herrschaft geboren sei, wie der Mann, ein anderer Teil dazu, beherrscht zu werden, wie die Frau«, schreibt Hrabanus Maurus.733 Auf Bildern stehen Frauen entsprechend zumeist rechts von den Männern und somit auf dem rangniedrigeren Platz. In einer Miniatur des Stuttgarter Bilderpsalters ist der Mann, wie später bei Hildegard von Bingen,734 der Sonne, die Frau dem Mond zugewandt (Abb. IV/58c, S. 542).735 In dieses Frauenbild fügen sich, wie schon mehrfach angeklungen ist, nun geradezu zwanglos auch die Vorstellungen von der Ehe ein,736 wird Eva doch bereits im Paradies als Ehefrau (uxor) Adams und als Stammutter aller Menschen betrachtet,737 und auch andere Frauen fungieren in mittelalterlichen 731 Remigius von Auxerre, Expositio super Genesim 3,16, S. 62: Numquid sub uiri potestate non erat etiam ante peccatum? Nimirum erat. Sed illa subiectio prima uoluntaria fuit, ista autem qua nunc mulieres uiris subditae sunt, ex necessitate et poena peccati descendit. 732 Der Text bei Migne PL 131, Sp. 66 D, weicht hier beträchtlich ab: Etiamsi non peccasset, sub potestate viri futura erat. Sed illa subiectio minus poenalis esset, quia ex dilectione procederet, quae nunc ei pro poena imponitur ut etiam nolens viro subdatur. 733 Hrabanus Maurus, Commentarii in Genesim 1,14, Sp. 485 B: et tunc in seipso vel quae praeesse debeant viriliter vel quae subesse possint infirma distinguit, ut aliud in ipso sit, quod regere valeat tanquam vir, aliud tanquam femina, quod regatur. 734 Vgl. oben Anm. 693. 735 Stuttgarter Bilderpsalter. Saint-Germain-des-Pr8s, um 830. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Bibl. Fol. 23, fol. 143v (Ausschnitt), als Illustration zu Psalm 120,6. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. 736 Zur frühmittelalterlichen Ehevorstellung vgl. Goetz, Frauen im frühen Mittelalter, Kapitel 4, S. 165–196; zu Ehefrauen ebd. Kapitel 5, S. 199–242. Zur Ehe das Standardwerk von Suzanne Fonay Wemple, Women in Frankish Society. Marriage and the Cloister. 500 to 900, Philadelphia 1981. Zum Recht: Ines Weber, Ein Gesetz für Männer und Frauen. Die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur (Mittelalter-Forschungen 24), Ostfildern 2008, der es darum geht, die Ehe im Kontext der frühmittelalterlichen Gesellschaft zu betrachten (zusammenfassend S. 367–395). Zu den biblischen Begründungen resümierend S. 386–389. 737 Eva als uxor schon bei Tertullian, Ad uxorem 1,2,1, S. 374; vgl Augustinus, De civitate Dei 15,16, CCL 48, S. 477; Eva als mater omnium viventium zuerst bei Ambrosius, Expositio evangelii secundum Lucam 2, S. 70. Danach vielfach wiederholt. Zur mater omnium viventium macht Ado von Vienne, Chronicon, Sp. 23f., Eva sogar in seiner Weltchronik: de cuius latere dormientis matrem omnium viventium Evam produxit. Eva mater uiuentium aber auch schon bei Tertullian, De virginibus velandis 5, S. 1215.

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Herkunftsmythen oder im genealogischen Familienbewußtsein als ›Stammütter‹.738 Die Ehe gilt somit, wie schon oben betont, als eine paradiesische, von Gott eingesetzte Institution (und wird folglich keineswegs geringgeschätzt, wie man oft lesen kann).739 Bereits Augustin hat vielmehr mit seiner Schrift ›De bono coniugali‹ das »Gut« der Ehe herausgestellt und die Ehe hier als natürliche Gemeinschaft der zwei verschiedenen Geschlechter definiert, die einander lieben sollen.740 »Man darf die Hochzeit, die Gott in der Gnade seines himmlischen Segens zur Fortpflanzung der Menschheit und zur Auffüllung der Erde gestiftet hat, keineswegs verdammen,« meint Beda.741 Jonas von Orl8ans, der das ganze zweite Buch seines Laienspiegels ›De institutione laicali‹ der Ehe widmet, greift das im 9. Jahrhundert auf: Die Ehe ist eine von Gott von Anfang an eingerichtete Institution und nicht erst Folge des Sündenfalls, jetzt aber in Schuld verkehrt.742 Die Ehe an sich ist daher ebensowenig Sünde wie der Geschlechtsverkehr (sofern er der Fortpflanzung dient).743 »Weder Mann noch Frau dürfen sich gegenseitig den Sexualverkehr entziehen,« schreibt deshalb Haymo von Auxerre in Auslegung der paulinischen Bestimmungen. »Wenn ein Mann mit seiner Frau schlafen will, soll sie ihm dazu Gelegenheit und Erlaubnis geben. Ebenso muß der Mann seiner Frau dienlich sein und seine Pflicht zum Beischlaf ihr gegenüber erfüllen, wenn sie es fordert […] So sind sie einander gegenseitig Schuldner und, mehr noch, Diener, damit im Naturgesetz ein einziger Wille herrscht.«744

738 Vgl. dazu Patrick J. Geary, Women at the Beginning. Origin Myths from the Amazons to the Virgin Mary, Princeton 2006 (dt. Am Anfang waren die Frauen. Ursprungsmythen von den Amazonen bis zur Jungfrau Maria, München 2006). Zum Amazonenbild: Christine Reinle, Exempla weiblicher Stärke? Zu den Ausprägungen des mittelalterlichen Amazonenbildes, in: Historische Zeitschrift 270, 2000, S. 1–38. 739 So beispielsweise Chiara Frugoni, La femme imagin8e, in: Christiane Klapisch-Zuber (Hg.), Histoire des femmes en Occident. Bd. 2: Moyen ffge, Paris 1991, S. 357–437, hier S. 360. 740 Zu Augustins Ehelehre vgl. Seelbach, Das weibliche Geschlecht S. 156–170; zu den Folgen des Sündenfalls ebd. S. 186ff. 741 Beda Venerabilis, In principium Genesis usque ad nativitatem Isaac 1,1, S. 28, zu Gen 1,28: Non ergo damnandae sunt nuptiae, quas ad propagationem generis humani terramque replendam supernae gratia benedictionis instituit. Danach fast wörtlich Hrabanus Maurus, Commenentarii in Genesim 1,7, Sp. 461 D. 742 Jonas von Orl8ans, De institutione laicali 2,1, SC 549, S. 314/316: Inter quae bonum esse coniugium et in exordio creationis humanae a Deo esse institutum, liber demonstrat Geneseos. […] Quod autem, si causa libidinis et non potius fructu propaginis adpetatur, tantum bonum in culpam conuertatur. 743 Ebd. 2,6, S. 370: Notandum quod coitus cum uxore, nisi causa prolis fiat, inmunditia et luxuria ab Apostolo nominetur. 744 Haymo von Auxerre, Expositio in divi Pauli epistolas. In epistolam I ad Corinthios 7, Sp. 543 D/544 A: ›Uxori vir debitum reddat, similiter autem et uxor viri‹ (1. Kor 7,3), id est non se subtrahant ab invicem a coitu; volente viro concumbere, locum det et licentiam mulier.

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Beiderseitige Pflichten bestehen für Jonas von Orl8ans auch in der Jungfräulichkeit vor und der Treue in der Ehe, die keineswegs auf die Ehefrau beschränkt bleiben, wenngleich das (gerade wegen seiner Ermahnungen) wieder nicht unbedingt der Realität entsprochen haben mag: »Einige Laien,« schreibt Jonas, »werden von ihrer Liebe zur Wollust überwältigt, andere vom Wunsch verleitet, die irdische Ehre, ja die Zeit des Abwartens, auf daß sie die Ehren der Welt erlangen können, zu umgehen, und sie wälzen sich inzwischen im Schmutz ihrer Geilheit, noch bevor sie zur ehelichen Bindung schreiten, verderben sich auf verschiedene Weise und verlieren so die jungfräuliche Zierde, die sie bis zum Augenblick bewahren sollten, in dem sie eine rechtmäßige Ehefrau empfangen.«745

Das führe zu der verwerflichen Situation, daß Braut und Bräutigam während der Messe nur noch selten gesegnet würden und daß uneheliche Kinder auch freier Eltern deren Güter nicht erben könnten.746 Aus diesem zeitkritischen Sittenspiegel zieht Jonas die Folgerungen: Brautleute sollten heiraten und eheliche Kinder zeugen, sich mit Ehepartnern des gleichen Standes verbinden und bis dahin Keuschheit bewahren. Jonas vermittelt uns außerdem sein Bild der idealen Ehefrau: Männer sollten nämlich nicht ausschließlich auf deren körperliche Schönheit, fleischliche Begierde, Abkunft und Reichtum achten (was er gewissermaßen voraussetzt), sondern mehr noch auf Anmut des Geistes, reine Liebe, Sittsamkeit und Sittenreinheit.747 Jonas widmet der ehelichen Liebe ein ganzes, langes Kapitel.748 Wenn er darin die Ehemänner ermahnt, ihre Frauen zu lieben und das eben mit deren Unterordnung begründet, dann wird noch einmal deutlich, wie wenig sich beides im mittelalterlichen Denken ausschließt, sondern sich vielmehr geradezu

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Similiter et vir serviet mulieri, reddens ei debitum concumbendi. […] Sic sibi sunt invicem debitores, et quod maius est, servi, ut una debeat esse voluntas in lege naturae. Jonas von Orleans, De institutione laicali 2,2, S. 330: Quidam laicorum amore libidinis superati, quidam uero ambiendi honoris terreni cupiditate ducti, immo praestolandi tempus, quo honores mundi nancisci ualeant, interim in coeno luxuriae se uolutantes, antequam ad copulam connubii accedant, diuersissimis modis se corrumpunt et uirginale decus, quod usque ad tempus legitimae uxoris accipiendae conseruare debuerant, amittunt. Ebd. S. 332: Vnde et emendanda consuetudo inoleuit, ut perraro sponsus et sponsa in missarum celebratione secundum praemissum ordinem benedicantur. Nam et filii, qui ex tali concubitu generati sunt, licet uterque parens liberae sit conditionis, in hereditate tamen cum fratribus ex legitimo matrimonio natis, quod dolendum est, minime succedere ualent. Ebd. 2,5, S. 366/368: Qui ergo magis pulchritudinem corporis et desiderium uoluptatis quam decorem mentis in uxoribus diligunt, audiant, quid praefatus Ambrosius in memorato primo libro dicat […]. ›Non enim tam pulchritudo mulieris quam uirtus eius et grauitas delectat uirum.‹ […] Perpendant itaque coniugati quod, sicut praemissa documenta delarant, exterior pulchritudo et carnalis uxorum delectatio earum interiori casto amore nullatenus sit praeferenda. Non sint igitur in uxoribus diuitiae tantum et pulchritudo, sed potius pudicitia et morum probitas quaerenda. Das Zitat stammt aus Ambrosius, De Abraham 1,15,41, S. 506. Jonas von Orleans, De institutione laicali 2,6, S. 368–380.

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wechselseitig bedingt: Eheliche Hierarchie und Zuneigung stehen in engster Verbindung. Nebenbei wird man daran aber auch die verbreitete Ansicht korrigieren müssen, daß Liebe bei der Eheschließung und in der Ehe im Mittelalter keine Rolle gespielt habe: Es ist unschön, wenn ein emotionsloses Zeitalter wie das heutige dem Mittelalter ebenfalls jegliche Emotionen absprechen möchte. In dem berühmten »Handbuch« der Dhuoda, das die Gemahlin des Grafen (und Rebellen gegen den König) Bernhard von Septimanien für ihren Sohn Wilhelm verfaßt hat, bestätigt die Gräfin mit ihrer Schrift nicht nur, wie sehr den Frauen die Erziehung ihrer Kinder obliegt – Dhuoda schreibt hier allerdings in Abwesenheit und Stellvertretung ihres Gatten –, sondern die Schrift zeigt darüber hinaus das enge Familienbewußtsein der Gräfin, die den Sohn immer wieder zum Gehorsam gegenüber dem Vater und zum Gebetsgedenken seiner Verwandten ermahnt.749 Denn das hierarchische Verhältnis von Mann und Frau galt natürlich auch in der Ehe. »Du bist eine Ehefrau?« so fragt Rather von Verona (in Fortsetzung seiner Charakterisierung der Frauen insgesamt).750 »Bedenke, daß auf dich alles zutrifft, was wir vorweg dargestellt haben. Dem ist hinzufügen, was dir Gott der Schöpfer an sich selbst wie durch seine Diener, und zwar sowohl durch beispielhaftes Handeln wie durch Worte, am meisten aber durch den Apostel, besonders befohlen hat: ›Unter des Mannes Gewalt wirst du stehen, und er soll dein Herr sein.‹«751

Eheleute konnten (und sollten) einander lieben (oder einander liebend dienen). Eine Umkehrung der Machtverhältnisse und damit eine Frauenherrschaft aber habe der Apostel (Paulus) streng verurteilt.752 Folgerichtig und dem oben beschriebenen Geschlechterbild entsprechend werden beiden Geschlechtern auch unterschiedliche Funktionen zugeschrieben: öffentliche Ämter für den Mann, häusliche Angelegenheiten für die Frau, wie es 749 Dhuoda, Manuale. Vgl. dazu Joachim Wollasch, Eine adlige Familie des frühen Mittelalters. Ihr Selbstverständnis und ihre Wirklichkeit, in: Archiv für Kulturgeschichte 39, 1957, S. 150–188; Yuri Bessmertny, Le monde vu par une femme noble au IXe siHcle. La perception du monde dans l’aristocratie carolingienne, in: Le Moyen ffge 93, 1987, S. 161–184; R8gine Le Jan, Dhuoda ou l’opportunit8 du discours f8minin, in: Cristina La Rocca (Hg.), Agire da Donna. Modelli e pratiche di rappresentazione (secoli VI–X). Atti del convegno (Padova, 18–19 febbraio 2005) (Haut Moyen ffge 3), Turnhout 2007, S. 109–128 (und unzählige weitere Arbeiten). 750 Oben Anm. 703. 751 Rather von Verona, Praeloquia 2,11, S. 54: Vxor es? Omnia tibi conuenire cogita, quae prelibauimus, superadditis his, quae et per semetipsum et per seruos suos tam exemplis quam uerbis, maxime uero per Apostolum tibi spetialiter ipse mandauit conditor Deus: ›Sub uiri,‹ inquiens, ›potestate eris, et ipse dominabitur tui‹ (Gen 3,16). 752 So Beda Venerabilis, Libri quatuor in principium Genesis usque ad natiuitatem Isaac 1, S. 67: Inuicem dominamini. Possunt itaque coniuges per caritatem seruire inuicem; sed mulierem non permittit Apostolus dominari in uirum.

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in Bibelilluminationen des Sündenfalls dargestellt ist. Wenn der Illuminator des Sündenfalls in der Grandval-Bibel753 Eva als ihr Kind säugende Mutter unter dem die häusliche Sphäre andeutenden Zeltdach, Adam aber draußen bei der Landarbeit mit der Hacke darstellt, so geht es zum einen in beiden Fällen um die Strafe für den (gemeinsamen) Sündenfall, zum andern aber werden die (sicher auch klischeehaften, damit aber nicht weniger bezeichnenden) Geschlechtervorstellungen bildlich umgesetzt. Dabei wird die Frau einerseits aus der (öffentlichen) Sphäre des Mannes herausgedrängt, doch bleibt ihr andererseits – aus Rücksicht auf ihr schwaches Geschlecht – die schwere Männerarbeit erspart! Es würde die mittelalterlichen Quellen erneut fehlinterpretieren, wenn man nur eines dieser beiden Elemente verabsolutiert. Wenngleich diese klischeehafte Vorstellung durchaus nicht der sozialen Praxis entsprochen haben mag – die frühmittelalterliche Frau war keineswegs an das Haus ›gefesselt‹ –, so hat sie doch deutlich das Frauenbild bestimmt. Bildliche Darstellungen stellen entsprechend gern die Mutterrolle heraus und ordnen (zumal kleinere) Kinder überwiegend der Frau zu, wie es bildlich etwa im Utrechtpsalter zum Ausdruck kommt (Abb. IV/59, S. 543).754 Gleichzeitig aber betonen die(selben) Autoren nicht minder nachdrücklich, daß sich die Geschlechter gegenseitig ergänzen. Es geht ihnen nicht darum, die Geschlechter zu trennen, sondern die in ihrer Natur unterschiedenen Geschlechter im Gegenteil in ihrer Unterschiedlichkeit zu vereinen und erst so zu einem Ganzen zusammenzufügen: Erst die Gemeinsamkeit von Mann und Frau schafft die (ideale) Gemeinschaft. Daß das Geschlechterverhältnis im Mittelalter trotz solcher Ermahnungen nicht gerade von einer Gleichberechtigung oder gar von Emanzipation geprägt ist, liegt auf der Hand, und doch bedarf es hier erneut einer Differenzierung. Frauen wurden keineswegs als »minderwertig« betrachtet, auch wenn sie von ihrer rechtlichen, politischen und sozialen Stellung her zweifellos minderberechtigt waren: Mit geistlichen Weihen verbundene geistliche Funktionen (nicht aber das Kloster- und Stiftsleben) waren ihnen ebenso verwehrt wie gerichtliche Funktionen – Frauen benötigten vor Gericht in der Regel einen Anwalt oder Vormund – und politische Ämter – in denen sie gleichwohl als Königin, Herzogin, Gräfin etc. ebenso wichtige wie einflußreiche Funktionen bekleideten und als Regentinnen für den abwesenden Mann oder den minderjährigen Sohn selbst fürstlich handelnd agieren konnten –, und Ehefrauen und Töchter unterstanden der Munt des Mannes, 753 Bibel von Moutier-Grandval, Tours 834/841. London, British Library, Add. 10546, fol. 5v. Faksimileausgabe Bern 1971. Abbildung: Goetz, Gott und die Welt, Teilband 1, Abb. I/2, bei S. 282. 754 Utrechtpsalter. Reims, um 830. Utrecht, Universitätsbibliothek Hs. 32, fol. 74v (Ausschnitt), als Illustration zu Psalm 130. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Utrecht. Ich danke Herrn Frans Sellies herzlich für sein Entgegenkommen.

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Hausherrn oder Familienoberhauptes (deren praktische Konsequenzen allerdings noch wenig erforscht sind). Diese Unterordnung ließ sich – wohlgemerkt: in mittelalterlichem Denken und mittelalterlicher Auslegung – mühelos sowohl biologisch-medizinisch wie religiös anhand des Schöpfungsberichts abstützen, wurde zugleich aber durch Funktionsteilung, gemeinsames Handeln und Miteinander, Zuneigung und Fürsorge kompensiert: Der Unterordnung auf der einen stand auf der anderen Seite Liebe als zwangsläufiges Korrelat der Unterordnung gegenüber. Längst bekannt sind natürlich auch die großen Unterschiede zwischen Norm und Wirklichkeit im politischen wie im Rechtsleben, wo Frauen immer wieder als Besitzerinnen und Schenkerinnen auftreten und durchaus im eigenen Namen agieren konnten, sowie in der Umsetzung der dargelegten Vorstellungen: Nicht jeder Hausherr wird seine moralischen Pflichten gegenüber der Frau hinreichend ernst genommen haben, aber auch nicht jeder wird ständig seine familiäre Herrschaftsgewalt gewaltsam durchgesetzt haben. Während die frühe feministische Frauenforschung gern eines der beiden Extreme zu beweisen suchte und auf der einen Seite (zunächst) die strikte Unterordnung der Frauen,755 auf der anderen Seite dann deren tatsächlichen Einfluß und ihre Rolle in der Geschichte herausgestellt hat, ist, mittelalterlich gesehen, beides nicht nur vereinbar, sondern in der mittelalterlichen Vorstellungswelt geradezu untrennbar miteinander verknüpft. Die Belege müssen aber sehr vorsichtig aus ihrem jeweiligen (textlichen) Kontext heraus gedeutet werden. Dazu zählt bereits die wichtige Prämisse, daß das Geschlecht für die heutige Wissenschaft eine wichtige Kategorie darstellt, im Mittelalter aber weit hinter anderen Kriterien (wie Stand oder Glaube) zurücktritt. Wenn man früher beispielsweise das Nonnenleben als Flucht vor oder aus der Ehe (und somit als Flucht vor dem Mann) gedeutet hat,756 dann kann sich das zwar auf zeitgenössische hagiographische Quellenbelege, stützen, übersieht aber geflissentlich, daß darin nicht die (normale) Frau, sondern eine Heilige porträtiert wird, die als solche weniger (grundsätzlich) vor dem Mann und vor der Ehe als vielmehr vor weltlicher Verunreinigung flieht. Außerdem dürfte der zitierte Erklärungsansatz größte Schwierigkeiten haben zu erklären, weshalb es im Mittelalter so viele Mönche (und zwar noch erheblich mehr als Nonnen) gab, die nach solchen Kriterien alle vor ihren Frauen geflüchtet sein müßten …: Nicht Ehe oder Geschlecht, sondern Glaube und Frömmigkeit bilden hier natürlich die Kriterien für die Wahl des monastischen Lebens. Gänzlich unmittelalterlich wäre daher auch ein Bewußtsein der Zusammengehörigkeit aller Frauen (als »vierter Stand«, wie Shulamith Shahar ihr Buch über mittelalterliche Frauen provokativ 755 Vgl. etwa Gerda Lerner, The Majority Finds its Past. Placing Women in History, New YorkOxford 1979. 756 So beispielsweise noch Wemple, Women in Frankish Society S. 190f.

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betitelt hat).757 Das ist eine moderne, keine mittelalterliche Erscheinung. Dhuodas ›Handbuch‹ zeigt deutlich, wo die Identität der Gräfin liegt: nicht in ihrem Geschlecht, sondern bei ihrem Mann und ihrer Familie. Frauen werden im Mittelalter durchaus von ihrem Geschlecht her wahrgenommen und auch um ihres Geschlechtes willen beachtet, aber nicht aufgrund ihres Geschlechtes behandelt. Wo von Frauen die Rede ist, schreiben mittelalterliche Autoren kaum oder nur in bestimmten Zusammenhängen über Frauen als Frauen. Von den mittelalterlichen Vorstellungen her wäre es aber völlig verfehlt, dem Mittelalter eine Frauenfeindlichkeit vorzuwerfen (was nicht ausschließt, daß uns heute manches daran frauenfeindlich erscheinen mag). Achtung, Schutz und Ehre gegenüber der Frau sprechen eine andere Sprache, auch wenn sie aus ihrer Schwäche und Unterordnung resultieren. Selbst im frühmittelalterlichen Recht wird gelegentlich eine Gleichheit der Geschlechter propagiert: Una lex est de viris et feminis, bestimmen Kapitularien:758 Beide Geschlechter sollten vor dem Gesetz gleich sein, wenngleich diese Forderung wieder nur bedingt der sozialen Wirklichkeit wie auch dem dieser zugrunde liegenden Denken entsprochen haben mag.759 Solchem ambivalenten oder besser zweiseitigen Eindruck entspricht das Frauenbild, dem erst in der jüngeren Forschung ansatzweise auch die Frage nach mittelalterlichen Männlichkeitsidealen an die Seite getreten ist,760 bei denen das Krieger- und Stärkeideal sicherlich eine zentrale Rolle spielt.761 Dabei ist aller-

757 Shulamith Shahar, The Fourth Estate, London-New York 1983 (dt. verharmlost unter dem Titel: Die Frau im Mittelalter, Königstein/Ts. 1981). 758 MGH Capit. 1, Nr. 15, c. 4, S. 38 (mit Bezug auf Inzest); ebd. c. 8, S. 38 (mit Bezug auf ständische Mischehen); sinngemäß auch Synode von Mainz 852, MGH Conc. 3, Nr. 26, c. 13, S. 250 (in bezug auf den Gattenmord): equum iudicium sit super eos. Zum rechtlichen Gleichheitsgrundsatz vgl. Weber, Ein Gesetz für Männer und Frauen, besonders S. 86–116. 759 Vgl. Goetz, Frauen im frühen Mittelalter S. 201ff. 760 Vgl. vor allem Birgit Studt, Helden und Heilige. Männlichkeitsentwürfe im frühen und hohen Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 276, 2003, S. 1–36, und Rachel Stone, Morality and Masculinity in the Carolingian Empire (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought. Fourth Series 81), Cambridge 2012. Die einschlägigen frühen Sammelbände enthalten meist nur wenige Beiträge zu den frühmittelalterlichen Vorstellungen von Männlichkeit; vgl. etwa Clare A. Lees (Hg., with the assistance of Thelma Fenster and Jo Ann McNamara), Medieval masculinities. Regarding men in the Middle Ages (Medieval Cultures 7), Minneapolis-London 1994; Jeffrey Jerome Cohen/Bonnie Wheeler (Hg.), Becoming Male in the Middle Ages (The New Middle Ages), New York-London 1997; Patricia H. Cullum/Katherine J. Lewis (Hg.), Holiness and Masculinity in the Middle Ages (Religion and Culture in the Middle Ages), Cardiff 2004; Frederick Kiefer (Hg.), Masculinities and Femininities in the Middle Ages and Renaissance (Arizona Studies in the Middle Ages and the Renaissance 23), Turnhout 2009 (überwiegend spätmittelalterlich). Zur Dichtung: Susanne Hafner, Maskulinität in der höfischen Erzählliteratur (Hamburger Beiträge zur Germanistik 40), Frankfurt a.M. 2004. 761 Vgl. zur Merowingerzeit Laury Sarti, Perceiving War and the Military in Early Christian

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dings zweierlei bezeichnend: Erstens folgen Männlichkeits- und Weiblichkeitsideale erneut erst in zweiter Linie oder jedenfalls nicht ausschließlich dem Geschlecht, sondern vornehmlich dem Stand und der Lebensform. Die Männlichkeitsideale sind, trotz mancher Überlappungen, daher im Kriegeradel nicht die gleichen wie in der Geistlichkeit oder in der Hofgesellschaft. Letzteres ist auch, aber nicht ausschließlich eine Frage der Entwicklung,762 sondern ein (sich überlagerndes und zugleich geradezu kontrastierendes) Nebeneinander. Es galt also, dem jeweiligen Ideal nachzueifern. Zweitens aber bleibt der Mann der Maßstab. Es konnte letztlich kein höheres Lob für – vor allem asketisch lebende – Frauen geben, als ihren männlichen Sinn und ihr männliches Verhalten herauszustellen.763 Dem galt es offenbar nachzustreben, aber das konnte man auch erlangen. Hingegen gilt ein verweiblichter Mann in der Regel als verächtlich.764 Vieles ließe sich noch über das Geschlechterbild anfügen, vor allem in bezug auf die soziale Vorstellungswelt der Menschen. In diesem Zusammenhang geht es jedoch allein darum, es aus seinem religiösen Kontext heraus zu verstehen. Geschlechterdifferenzen aber werden, wie dieser Abschnitt zeigen sollte, nicht nur wahrgenommen, sondern religiös erklärt und in ihren Auswirkungen auf Praxis und Zusammenleben erkannt bzw. angewandt. An der Vorstellung eines »doppelten« Menschen zweierlei Geschlechts konnte es keinerlei Zweifel geben.

11.

Das Bild der »Anderen«: Menschen(un)ähnliche Wesen am Rande der Menschheit

Am Ende dieses Kapitels sei nur noch ein kurzer Abschnitt über ›Randfiguren‹ menschlicher Existenz angeschlossen, deren Menschsein aber weder eindeutig scheint, noch werden sie durch primär religiöse Deutungen erfaßt. Außerdem gibt es über Monster immerhin einen so beträchtlichen Forschungsstand,765 daß

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Gaul (ca. 400–700 A.D.)(Brill’s Series on the Early Middle Ages 22), Leiden-Boston 2013, besonders S. 102–129 und 249–288. Die Entwicklung vom frühmittelalterlichen Kriegerideal zu alternativen Männlichkeiten in den religiösen Reformbewegungenen und zu den ritterlichen Männlichkeiten des hohen Mittelalters betont Studt, Helden und Heilige, zusammenfassend S. 36. Vgl. ebd. S. 10ff.; Goetz, Frauen im frühen Mittelalter S. 159f.; Anne-Marie Helvétius, Virgo et virago: r8flexions sur le pouvoir du voile consacr8 d’aprHs les sources hagiographiques de la Gaule du nord, in: St8phane Lebecq/Alain Dierkens/R8gine Le Jan/JeanMarie Sansterre (Hg.), Femmes et pouvoirs des femmes / Byzance et en Occident (VIe – XIe siHcle), Lille 1999, S. 189–203 (virgo als geistliche virago). Vgl. Stone, Masculinities and Morality S. 320f. Im Folgenden seien nur einige wichtige und neuere Arbeiten genannt; vgl. etwa John Block Friedman, The Monstrous Races in Medieval Art and Thought, Cambridge, Mass.-London 1981 (ND. Syracuse 2000), zu Buchminiaturen ebd. S. 131–162; Valerie I.J. Flint, Monsters and the Antipodes in the Early Middle Ages and Enlightenment, in: Viator 15, 1984, S. 65–80

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man überspitzt fast folgern könnte, über Monster sei mehr geschrieben worden als über Menschen. Das soll hier nicht im einzelnen aufgegriffen werden. Interessant ist in unserem Zusammenhang letztlich nur die – in der Literatur weniger behandelte – Frage, wieweit diese Monster überhaupt noch als Menschen wahrgenommen werden und ob ihnen religiöse Funktionen zukommen. ›Wissenschaftlich‹ (im mittelalterlichen Sinn) spielt im Hinblick auf das Weltbild zunächst die Frage der Antipoden eine Rolle, deren Menschsein kaum diskutiert wird, die aber auch nicht als Monster klassifiziert werden (obwohl diese meist die fernen Ränder der Landkarten ›bevölkerten‹). Augustin hat die Existenz von Antipoden noch bestritten (auf der anderen Seite der Erde, wo die Sonne aufgeht, wenn sie bei uns untergeht, sei vermutlich nur Wasser, und selbst wenn das Land dort trocken sei, beweise das noch nicht die Existenz von Menschen).766 Dem folgen Isidor von Sevilla – weder die Festigkeit noch das Zentrum der Erde ließen es zu, daß Menschen auf der anderen Erdseite uns mit uns zugewandten Füßen gegenüberstehen –767 und sogar Beda Venerabilis, wenn auch mit ›wissenschaftlich-empirischer‹ Begründung: Kein Geschichtsschreiber habe je erzählt, daß ein Mensch gen Süden durch die heiße Erdzone in die gemäßigte Zone auf der anderen Erdseite vorgedrungen sei und die Sonne im Rücken gehabt habe.768 Papst Zacharias bezeichnet in seiner Antwort auf eine (abgedr. in: Dies., Ideas in the Medieval West: Texts and their Contexts [Variorum Collected Studies Series 268], London 1988, Nr. IV); Bettina Bildhauer/Robert Mills (Hg.), The Monstrous Middle Ages, Cardiff 2003 (mit interessanten, allerdings vorwiegend spätmittelalterlichen Beiträgen); David Williams, Deformed Discourse. The Function of the Monster in Mediaeval Thought and Literature, Exeter 1996; Müller/Wunderlich (Hg.), Dämonen, Monster, Fabelwesen; Metternich, Teufel, Geister und Dämonen S. 103– 114; zuletzt Rudolf Simek, Monster im Mittelalter. Die phantastische Welt der Wundervölker und Fabelwesen, Köln-Wien-Weimar 2015. Abbildungen: Alixe Bovey, Monsters and Grotesques in Medieval Manuscripts, London (The British Library) 2002 (das schön bebilderte Buch mit eher magerem Text gibt zumindest einen guten Überblick über die Vielfalt der Monster, denen die Bestien allerdings eingegliedert werden). Über alle Zeiten und Kulturen hinweg: Asa Simon Mittman/Peter J. Dendle (Hg.), The Ashgate Research Companion to Monsters and the Monstrous, Farnham-Burlington 2012. 766 Augustinus, De civitate Dei 16,9, CCL 48, S. 510: quod uero et antipodas esse fabulantur, id est homines a contraria parte terrae, ubi sol oritur, quando occidit nobis, aduersa pedibus nostris calcare uestigia: nulla ratione credendum est. […] Nec adtendunt, etiamsi figura conglobata et rutunda mundus esse credatur siue aliqua ratione monstretur, non tamen esse consequens, ut etiam ex illa parte ab aquarum congerie nuda sit terra; deinde etiamsi nuda sit, neque hoc statim necesse esse, ut homines habeat. Vgl. Flint, Monsters S. 68f. 767 Isidor von Sevilla, Etymologiae 9,2,133, Bd. 1, S. 301f.: Iam vero ii, qui Antipodae dicuntur, eo quod contrarii esse vestigiis nostris putantur, ut quasi sub terris positi adversa pedibus nostris calcent vestigia, nulla ratione credendum est, quia nec soliditas patitur nec centrum terrae. Vgl. Flint, Monsters S. 68. 768 Beda Venerabilis, De temporum ratione 34, S. 390: Quamuis unam solummodo [der beiden bewohnbaren Zonen der Erde] probare possunt habitatam, neque enim uel antipodarum ullatenus est fabulis accomodandus assensus, uel aliquis refert historicus uidisse uel audisse uel legisse se, qui meridianas in partes solem transierunt hibernum ita, ut eo post tergum

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entsprechende Anfrage des Bonifatius die Ansicht Virgils (des späteren Erzbischofs von Salzburg), »daß sich unterhalb der Erde eine weitere Welt mit anderen Menschen befinde« – und Zacharias verbindet das mit der Existenz einer weiteren Sonne und eines weiteren Mondes auf der anderen Erdseite –, als »eine verkehrte und ungerechte, gegen Gott und seine Seele gerichtete Lehre«, die zur Aberkennung der Priesterweihe führen müsse.769 Solche im Frühmittelalter noch gängigen Ansichten haben sich auf Dauer aber nicht durchsetzen können. Antipoden, so schreibt Wilhelm von Conches, bewohnen den unteren Teil des bewohnbaren Teils der Erde; die Jahreszeiten sind bei ihnen gleichzeitig mit unseren, Tag und Nacht aber genau entgegengesetzt.770 Offenbar glaubt Wilhelm, daß die Sonne sich zwar um die Erde dreht (und in der Nacht verschwindet, um die andere Seite zu beleuchten), ihre Entfernung von der Erde (und damit die Jahreszeiten) aber davon unabhängig sind und vielmehr von der Nähe zu den Polen abhängen. Die Antoeken leben hingegen im oberen Teil des anderen bewohnbaren Teils und haben mit uns, da sie sich auf derselben Halbkugel befinden, Tag und Nacht gemeinsam, während die Jahreszeiten umgekehrt verlaufen, denn die Sonne steht ihnen fern, wenn sie uns nahe ist771 (eine in sich logische, wenngleich sachlich falsche Erklärung). Die Antipoden der Antoeken aber haben weder Tag und Nacht noch Jahreszeiten mit uns gemeinsam.772 Über die Gestalt von Antipoden und Antoeken verlautet hier nichts. Daß es sich dabei um andere Wesen als um Menschen handeln könnte, wird in allen diesen Beispielen nicht erwogen. Mittelalterliche Vorstellungen von Monstern unterscheiden sich daher grundlegend von den Ansichten oder Spekulationen über Antipoden773 und

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relicto, transgressis Aethiopum feruoribus, temperatas ultra eos hinc calore illinc rigore atque habitabiles mortalium repererint sedes. Vgl. Flint, Monsters S. 67. Bonifatius, ep. 80, S. 178f.: De perversa enim et iniqua doctrina, quae contra Deum et animam suam locutus est […], quod alius mundus et alii homines sub terra sint seu sol et luna, hunc habito concilio ab e˛cclesia pelle sacerdotii honore privatum. Vgl. Flint, Monsters S. 65f. Wilhelm von Conches, Philosophia 4,2,6f., S. 89f. Ebd. 4,2,9, S. 91. Ebd. 4,2,10, S. 91. Lediglich Flint, Monsters S. 76, konstruiert einen (reziproken) Bezug zwischen Antipoden und Monstern: »I have tried to suggest in the foregoing pages that the early medieval view of the Antipodes had, within the context within which it was propounded, a lot to be said in its favour. I have attempted to prove that attitudes towards monstrous births and unfamiliar forms of humanity, and attitudes towards the existence of Antipodean inhabitants, are very closely linked, and I have concluded that the rejection of the idea of an inhabited Antipodes was, at the time at which it was rejected, necessary to the sustenance of a credible plea for tolerance and ›humanity‹.« Ebd. S. 80: »belief in the possible humanity of accessible monsters involved disbelief in the existence of the inaccessible and possibly monstrous inhabitants of the Antipodes«. Einen solchen Zusammenhang vermag ich nicht zu ent-

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fügen sich zunächst ein in die Vorstellungen vom ›Anderen‹, innerhalb und außerhalb der Menschheit. Schon das Menschenbild gegenüber dem ›Anderen‹ innerhalb der Menschheit, gegenüber dem anderen ›Stand‹ (Bauernbild) ebenso wie gegenüber dem ›Anderen‹, nicht zuletzt dem weiblichen Geschlecht, gegenüber den Fremden oder, in diesem Zusammenhang, gegenüber den Barbaren wie auch, im Mittelalter damit verbunden, gegenüber Andersgläubigen, ist vielfach, wenngleich nicht ausschließlich, von Vorurteilen, Stereotypen und Abwertungen geprägt. Lediglich im Fall der Barbaren ließe sich jedoch darüber streiten, ob es sich in mittelalterlichen Augen noch um (wirkliche) Menschen handelt. Zwar wird wohl nirgends bestritten, daß Barbaren Menschen sind – schließlich sollten sie bekehrt werden –, aber ihnen fehlt doch die Kultur und damit das, was den Menschen als Menschen ausmacht, so wie es ihm mit der Schöpfung bestimmt ist. Monster im eigentlichen Sinn sind menschenähnliche, jedoch irgendwie ›unmenschliche‹ Gestalten, ›Halbmenschen‹ einerseits zwischen Mensch und Tier, andererseits zwischen Mensch und Dämonen, die von der normalen menschlichen Gestalt signifikant abweichen. Grenzwertig ist daher auch die »Animalisierung des Menschen«.774 Monster sind vor allem körperlich verformt: mit fehlenden, zusätzlichen, falsch angebrachten oder tierischen Körperteilen, zum Beispiel kopflos oder doppelköpfig, einfüßig, mit nur einem Auge auf der Stirn oder etlichen anderen Eigenarten, etwa extrem ausgeprägten Sexualorganen, mit ungewöhnlichem Körpermaß (Riesen und Zwerge) oder Mischgestaltungen aus Mensch und Tier (wie die hundsköpfigen Kynokephalen).775 Simek spricht von »wunderbaren Menschenrassen«.776 Die in den vielen erhaltenen Darstellungen phantasievoll beschriebenen Monster werden im Mittelalter, und auch in der mittelalterlichen Wissenschaft,777 aber durchaus als reale Wesen begriffen. Vorstellungen von Monstern gehen auf antike Traditionen zurück,778 werden schon bei Plinius beschrieben779 – die englische Forschung nennt Monster geradezu »the Plinian peoples« –, im Mittelalter immer wieder aufgegriffen und, neben Einzelnennungen, vor allem in ethnographischen Beschreibungen, Enzyklopädien, Bestiarien sowie auf Weltkarten benannt, beschrieben und oft auch bildlich umgesetzt. Das erreicht seine Grenzen in der grotesken, nahezu diabolischen Verformung des Körpers auf spätmittelalterlichen Bildern. Dämo-

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decken. Antipoden und Monster werden in den mittelalterlichen Belegen selbst in keinen Zusammenhang gestellt. So Friedrich, Grenzmetaphorik S. 35f. Zur Gestalt der Körper vgl. ausführlich Williams, Deformed Discourse S. 107–176. Simek, Monster S. 48. Zu Monstern in der Scholastik des 13. Jahrhunderts vgl. Köhler, Homo animal nobilissimum, Bd. 1, S. 387–411. Vgl. dazu Simek, Monster S. 25–37. Vgl. Friedman, Monstrous Races S. 9–21.

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nenartige Bestien zieren als Skulpturen zudem Außenwände und Säulen der Kirchen; ihre Deutung – »difficult questions to answer«780 – ist jedoch strittig (vorchristliche Relikte? symbolische Zeichen? Darstellung der natürlichen und göttlichen Ordnung? Schutzgestalten vor Unheil?),781 zumal sie hier auch sehr schön gestaltet sein können.782 Und schließlich treten Monsterwesen in der Dichtung auf. Als »Monster« werden aber auch mißgebildete Menschen bezeichnet,783 wie sie die Quedlinburger Annalen im Bericht über die Geburt eines Kindes in Hordorf an der Bode beschreiben, dessen Hinterteil dem eines Vogels oder einer Gans glich und das unterhalb weder mehr einen Körper noch Geschlechtsorgane besaß, dessen rechtes Ohr und Auge größer war als das linke, das safranfarbene Zähne und an der linken Hand nur einen Daumen hatte, dem der rechte Arm fehlte und das die Annalen als »halben Menschen« charakterisieren.784 Da man das Kind schnell taufte, wurde es offenbar dennoch als Mensch angesehen (auch wenn es bald darauf starb). Thietmar von Merseburg erzählt ähnlich von der Geburt von Zwillingen mit gänseähnlichen Gesichtern und Armen sowie mit Zähnen.785 Bei Thietmar ist das Ausfluß der Sünde: Als ein Magdeburger Bürger seine Frau ausgerechnet am Tag der Unschuldigen Kinder (28.12.) zum Beischlaf zwang, gebar diese neun Monate später geradezu zwangsläufig ein Kind mit verkrüppelten Zehen.786 Probleme bereitet die Erklärung der Existenz von Monstern. Eine Herkunft aus dem Sündenfall787 reicht allein kaum aus, da das schließlich alle Menschen 780 So Kirk Ambrose, The Marvellous and the Monstrous in the Sculpture of Twelfth-Century Europe (Boydell Studies in Medieval Art and Architecture), Woodbridge-Rochester 2013, S. 145. 781 Vgl. dazu Simek, Monster S. 146–166, der ausschließlich der letzten Deutung zuneigt; Peter Dinzelbacher, Monster und Dämonen am Kirchenbau, in: Müller/Wunderlich (Hg.), Dämonen, Monster, Fabelwesen S. 103–126; Ambrose, The Marvellous and the Monstrous, der (ebd. S. 146) zu Recht warnt, daß »Romanesque monsters resist containment within modern interpretive categories and offer testimony to the density and nuance of the medieval imagination«. 782 Vgl. dazu Ambrose, The Marvellous and the Monstrous S. 40–63. 783 Vgl. Friedman, Monstrous Races S. 178ff. 784 Annales Quedlinburgensis a. 995, S. 489: In Halberstadensis territorio ecclesiae, Hordorpio nomine, natus est infans nihil corporis habens a posterioribus deorsum nec crura nec membrum virile aut muliebre, sed tantummodo dimidius homo, habens posteriora quasi auce sine plumis, aurem dextram maiorem sinistra et oculum similiter sinistro maiorem; dentibus vero crocei coloris horribilis, sinistro brachio absque quatuor digitis solo cum pollice integro, dextro penitus erat brachio privatus. Qui ante baptismum attonitus videns oculis, post baptismum autem oculos nunquam aperiens, quarto suae nativitatis die infandum moritur monstrum. 785 Thietmar von Merseburg, Chronicon 6,82, S. 372. 786 Ebd. 1,25, S. 32. Zur Mißgeburt aus Sünde (in der Wiener Genesis) vgl. auch Simek, Monster S. 143. 787 Vgl. Friedrich, Grenzmetaphorik S. 38.

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beträfe. Geographisch werden die Monster in ferne, abgelegene und damit ganz unbekannte Gegenden, zumeist an die Ränder der Erde, verdrängt,788 zeitlich aber auch mit dem Ende der Zeiten (oder mit der Frühzeit der Vergangenheit) verbunden.789 Honorius kommt auf sie nicht zufällig in der Erdbeschreibung im ersten Buch seiner ›Imago mundi‹ zu sprechen und siedelt sie hinter dem entferntesten Land in Indien an.790 Adam von Bremen glaubt an die Existenz von Amazonen, Kynokephalen (Hundsköpfen), einäugigen Kyklopen, auf einem Fuß hüpfenden Himantopoden und Menschenfressern im äußersten Norden Schwedens791 und von Riesen und übergroßen Hunden auf einer Insel im Nordmeer.792 Manchmal werden Monster als Nachkommen Kains und, nach der Sintflut, des Noahsohnes Ham gedeutet793 (die aber beide vielfältigen, typologischen Deutungen unterliegen). Sie wären dann zwar Teil der göttlichen Schöpfung, aber degeneriert und verdammt .794 Friedman bezeichnet sie als »Signs of God’s Will«, die vor allem der Warnung dienen.795 Die Frage, ob nicht nur mißgebildete Kinder, sondern auch ganze Monstervölker am Rande der Welt von den mittelalterlichen Autoren noch als Menschen angesehen werden, wird in der Forschung zwar gelegentlich angesprochen, aber nicht einhellig beantwortet.796 Sofern es sich nicht nur um grausame oder wilde Menschen handelt,797 wird sie tatsächlich schon im Mittelalter nicht klar bejaht oder verneint, wenngleich sie am Rande der Welt gelegentlich durchaus so etwas 788 Vgl. Friedman, Monstrous Races S. 37–58; Chet Van Duzer, Hic sunt dracones: The Geography and Cartography of Monsters, in: Mittman/Dendle (Hg.), The Ashgate Research Companion to Monsters S. 387–435. 789 Vgl. dazu Rudolf Simek, Erde und Kosmos im Mittelalter. Das Weltbild vor Kolumbus, München 1992, S. 105–123. 790 Honorius Augustodunensis, Imago mundi 1,11, S. 54. Im folgenden zählt er die Mißgestalten auf (nach hinten gerichtete Fußsohlen, acht oder 16 Zehen, Hundsköpfe mit gekrümmten Zehnägeln, Tierfell und Gebell, Einäugige, Kopflose mit Augen auf den Schultern und Nase und Mund auf der Brust und anderes mehr. Dem schließt sich ein Kapitel über die ›Bestien‹ (in Indien) an (ebd. 1,12, S. 54f.). 791 Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum 4,25, S. 256. 792 Ebd. 4,41, S. 278. 793 Vgl. dazu Friedman, Monstrous Races S. 87–107; Simek, Monster S. 141f. 794 So Friedman, Monstrous Races S. 89. 795 Ebd. S. 108–130. 796 Vgl. etwa Karl Steel, Centaurs, Satyrs, and Cynocephali: Medieval Scholarly Teratology and the Question of the Human, in: Mittman/Dendle (Hg.), The Ashgate Research Companion to Monsters S. 257–274, hier S. 265ff.; Friedman, Monstrous Races S. 178–196 (abgewogen); Simek, Monster S. 133ff. (bejahend). Die Belege sind mit ganz wenigen Ausnahmen durchweg spätmittelalterlich. 797 In der Forschung werden die verschiedenen devianten Arten oft zu sehr unter dem Label »Monster« zusammengefaßt. So zählt Simek beispielsweise auch die Amazonen oder die Völker Gog und Magog hinzu, die zwar ebenfalls an den Rändern der Erde siedeln, die man jedoch nicht mit den kopflosen Akephalen in eine Rubrik setzen sollte: Solche ›Monsterfrauen‹ sind keine ›Monster‹.

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wie eine soziale Ordnung bilden konnten798 und die körperliche Grundstruktur immer noch Ähnlichkeiten mit der menschlichen Gestalt aufweist. Schon eine Autorität wie Augustin hat sich die Frage gestellt, ob solche Monster ebenfalls von Adam abstammen – und dann zwangsläufig Menschen sind – oder nicht und darauf eine offene bzw. differenzierende Antwort gegeben, die wiederum von der Definition des Menschen ausgeht – auch Affen könnte man für Monster halten, wenn man nicht wüßte, daß sie Tiere sind, meint Augustin –, dabei aber wieder zwischen Mißgeburten und Monstervölkern unterschieden:799 Es handelt sich um Menschen, sofern es eben rationale, sterbliche Lebewesen sind (was für die Mißgeburten zutrifft).800 Die Wundervölker aber sind, wenn die Geschichten überhaupt wahr sind, entweder Menschen oder keine Menschen; nur im ersten Fall stammen sie von Adam ab.801 Beides hält er folglich für möglich. Es ist aber bezeichnend (und zu bedenken), daß Augustin nicht fragt, ob Monster Menschen sind, sondern ob sie von Adam abstammen und damit die – nicht zu lösende – Antwort auf die erste Frage von der zweiten abhängig macht.802 Unstrittig ist für ihn lediglich, daß alle Nachkommen Adams Menschen sind: Die Abstammung von Adam wird damit zum Kriterium für das Menschsein. Bei den Monstern ist das jedoch kaum zu entscheiden. Auch Honorius hält die »Monster« später entsprechend teils für Menschen, teils für Tiere (bestiae), die er anschließend im einzelnen bespricht.803 Rathramnus von Corbie glaubt, von dem Schwedenmissionar Rimbert danach befragt, ob Monster der Nachkommenschaft Adams zuzurechnen seien oder die Seelen von Tieren hätten, in einer der wenigen expliziten Äußerungen zu der Frage des Menschseins, daß die hundsköpfigen Kynokephalen im äußersten Norden trotz ihrer Tiergestalt noch als Menschen angesehen werden können, weil sie nach Rimberts Bericht offenbar in Dörfern und nach Gemeinschaftsrecht lebten, Ackerbau betrieben und die Ernte einbrächten, menschliche Scham empfänden und deshalb bekleidet 798 Vgl. Friedman, Monstrous Races S. 163–177. 799 Augustinus, De civitate Dei 16,8, CCL 48, S. 508ff. 800 Ebd. S. 508f.: Verum quisquis uspiam nascitur homo, id est animal rationale mortale, quamlibet nostris inusitatam sensibus gerat corporis formam seu colorem siue motum siue sonum siue qualibet ui, qualibet parte, qualibet qualitate naturam: ex illo […] uno protoplasto originem nullus fidelium dubitauerit. 801 Ebd. S. 510: Quapropter ut istam quaestionem pedetemtim cauteque concludam: aut illa, quae talia de quibusdam gentibus scripta sunt, omnino nulla sunt; aut si sunt, homines non sunt; aut ex Adam sunt, si homines sunt. 802 Vgl. Flint, Monsters S. 73f., die richtig betont, daß die Abstammung von Adam für Augustin der springende Punkt ist, diese Argumentationslinie (ebd. S. 72) aber ungerechtfertigt umkehrt: »As long as we lack the certainty that these monsters are animals, the presumption must be that they are human, and so descended, as Genesis tells us, from the race of Adam.« Das sagt Augustin so eben nicht. 803 Honorius Augustodunensis, Imago mundi 1,11, S. 54: Sunt ibi quaedam monstra, que˛ quodam hominibus, quidam bestiis ascribitur.

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seien und darüber hinaus sogar Haustiere hielten. Das alles spräche für eine »rationale Seele«, wie sie nur Menschen eigen ist, und darin sieht auch Rathramnus (mit Augustin) das Unterscheidungskriterium: Was auf Verstand (ratio) deutet, verweist auf ein Menschsein. Die Kynokephalen seien daher eher Menschen als Tiere.804 Isidor von Sevilla hatte das hingegen gerade umgekehrt gesehen: Sie seien eher Tiere als Menschen.805 Einigkeit besteht demnach in dieser Frage nicht. Doch auch Rathramn will seine Antwort, wie er am Ende des Briefs ausdrücklich betont, nur auf diesen Fall bezogen und keineswegs generell auf Monster angewandt wissen, deren Menschsein somit für jeden Einzelfall nach den angegebenen Kriterien für ein Menschsein schlechthin zu prüfen wäre. Die Frage wird folglich – auch später noch806 – keineswegs einhellig beantwortet und bleibt eher offen. Das zeigt ja schon Rimberts Nachfrage, die wohl auf eine Missionswürdigkeit abzielt: Missionswürdig sind sie eben nur dann, wenn sie Menschen sind. Genau das aber bleibt unsicher. In der Regel dienen die Monster tatsächlich eher der Abgrenzung,807 wenn auch mit fließenden Übergängen zwischen Mensch und Tier einerseits und zwischen Mensch und Dämon andererseits, die damit zumindest anzeigen, daß eine Trennung nicht ganz so eindeutig verläuft wie in der Theorie.808 Das schließt eine Instrumentalisierung natürlich nicht aus, wenn etwa Liutprand von Cremona glaubt, daß die Hunde, die Hugo von Arles dem byzantinischen Kaiser Romanos als Geschenk mitgebracht hatte und die diesen beinahe zerfleischt hatten, ihn in seiner seltsamen Kleidung eher für ein Monster als für einen Menschen gehalten hätten.809 Mag die Frage des Menschseins der Monster auch strittig sein, so werden sie jedenfalls nicht (oder nur in Abhebung) als Bestandteil des normalen Menschenbildes behandelt, und ebensowenig eindeutig 804 Rathramnus von Corbie, Epistolae Variorum 12 (Brief an Rimbert), S. 155–157. Die Stelle ist bei Friedman, Monstrous Races S. 188ff., und danach bei Simek, Monster S. 137, besprochen. 805 Isidor von Sevilla, Etymologiae 11,3,15, Bd. 2, S. 29: magis bestias quam homines confitetur. 806 Spätmittelalterliche Autoren machen die Antwort davon abhängig, ob diese Wesen Seelen haben; vgl. Friedman, Monstrous Races S. 182ff. Während Alexander von Hales die Frage eher widerwillig bejahe, werde sie von Peter von Auvergne klar verneint (ebd. S. 185ff., 193f.). 807 Zu den verschiedenen Erklärungstheorien zur Bedeutung der Monster im Mittelalter vgl. (zu Recht kritisch) Simek, Monster S. 146ff. Wenig überzeugend erscheint mir aber auch die von Simek akzeptierte Deutung der Monster als Aufruf zur Mission (ebd. S. 152f.) zu sein. 808 Weniger eindeutig erscheint die Abgrenzung zwischen Bestie und Dämon. Simek möchte bei den Kirchenskulpturen strikt zwischen beiden unterscheiden, doch ist das im Einzelfall selten möglich (zumal er selbst einen äußerst weiten Monsterbegriff anlegt). 809 Liutprand von Cremona, Antapodosis 3,23, S. 76: Puto enim, quia, dum hunc Grecorum more teristro opertum habituque insolito viderunt indutum, non hominem sed monstrum aliquod putaverunt.

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ist ein Bezug zur religiösen Vorstellungswelt herzustellen. Das Thema muß an dieser Stelle daher nicht näher vertieft werden.

12.

Fazit: ein ambivalentes Menschenbild zwischen Auserwähltheit und Sündigkeit

»Die Theologie dominiert zwar den Diskurs [über das Verhältnis von Mensch und Tier], sie beherrscht ihn aber nicht«, folgert Udo Friedrich aus seiner Untersuchung der Grenzmetaphorik.810 Dieser Schluß ist verständlich, weil sich die theologischen Erklärungen (und Interessen) in dem Maße verringern, wie sie an die Grenzen des Menschlichen stoßen. Zu ähnlichen Ergebnissen könnte man gelangen, wenn man allein das philosophische bzw. naturwissenschaftliche Menschenbild betrachtet. Wenn es noch im 13. Jahrhundert keine eigene Anthropologie gibt, wie Theodor W. Köhler feststellt, dann resultiert das eben aus der Tatsache, daß das Menschenbild sich in die theologisch-naturwissenschaftlichen Diskurse eingliedert. Im früheren Mittelalter ist das Menschenbild jedenfalls eindeutig, wenngleich nie ausschließlich religiös bestimmt. Daß dem Menschen wenig Beachtung geschenkt wurde, läßt sich hingegen kaum behaupten (und davon zeugen für die spätere Zeit ja auch Köhlers eigene, geradezu überbordende Belege). Wie Engeln und Teufel werden dem Menschen zwar keine eigenen Schriften und nur gelegentlich zumindest ganze Kapitel gewidmet, doch die zahlreichen Einzelbetrachtungen und Diskurse lassen auch hier ausgeprägte Vorstellungen und Überzeugungen vom Menschen an sich erkennen. Jacques Le Goff stellt zwei in der Tat wichtige Menschenbilder im Mittelalter als vorrangig heraus: das des homo viator und das des Büßers811 (wobei ersteres eher dem Inhalt des irdischen Menschen auf dem Weg zum Seelenheil nach wichtig ist, als sprachliche Formel hingegen nur selten begegnet). Die ganze Vielfalt (und Konsistenz!) des mittelalterlichen Menschenbildes ist damit jedoch nicht erfaßt, und die anderen, zu einem Ganzen zusammengefügten Elemente erscheinen darin mindestens ebenso bedeutend. Die religiöse Prägung bestimmt sich nicht zuletzt vom Schöpfungsbericht (und dessen nachträglichen Deutungen) her, in denen sich bereits alle wesentlichen, durchaus ambivalenten Vorstellungen spiegeln, einschließlich der Schöpfung in zwei Geschlechtern und des daraus resultierenden Geschlechterverhältnisses. Der Mensch ist danach Zentrum und Krone der Schöpfung, aber in seiner (unvollkommenen) Natur doch deutlich von den Engeln und erst recht von Gott unterschieden. Er ist als Gottes Ebenbild erschaffen und doch geschöpflich weit entfernt 810 Friedrich, Grenzmetaphorik S. 29. 811 Le Goff, Einführung. Der Mensch S. 14f.

12. Fazit: ein ambivalentes Menschenbild

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von der Vollkommenheit göttlichen Seins und Wesens. Er ist zur unsterblichen Seligkeit erschaffen, deren er sich durch seinen Sündenfall jedoch zunächst selbst beraubt hat und zu einem sterblichen Lebewesen geworden ist. Er ist Herr und Herrscher über die Erde und doch deren Gefahren ausgeliefert. Er ist vollkommen erschaffen worden, aber seit dem Fall ein unvollkommener Sünder, der nicht nur lebens-, sondern geradezu ›weltlänglich‹, bis zum Ende der Zeiten, um sein Seelenheil bangen muß. Er ist mit Verstand begabt und damit vom Tier unterschieden, ohne seinen Verstand auch immer richtig anzuwenden. (Hier bieten sich zugleich Spielräume zur Diffamierung von Gegnern.) Die positiven Eigenschaften sind dem Menschen mit der Schöpfung verliehen worden, die negativen Folgen sind sämtlich selbst verschuldet. Sie gehören (als seine Anlagen) zur menschlichen Natur, werden aber erst mit dem Sündenfall und dessen Straffolgen dauerhaft wirksam. Von seiner mit der Schöpfung verliehenen Natur her bleibt der Mensch dank seiner Gottebenbildlichkeit und der daraus resultierenden Vernunft dennoch nicht nur über alle anderen Erd-, Wasser- und Luftbewohner, die ihm sämtlich zu dienen haben, meilenweit erhaben, sondern ist von seiner Bestimmung her auch den Engeln, zwar nicht in seiner Natur, jedoch in seinem Rang gleichgestellt. Anders als Engel und Tiere bilden die Menschen dank ihrer Abstammung von einem einzigen Menschenpaar aber auch ein einziges, ganzes Menschengeschlecht, das alle Menschen gleichartig macht und heilsgeschichtlich bis in die Erlösung durch Christus hineinwirkt, der eben deshalb mit seinem Tod gleich alle Menschen erlösen kann. Wie im Hinblick auf das Weltbild, wenn auch etwas weniger durchdringend, kombinieren sich die religiösen Vorstellungen jedoch erneut mit dem (natur-)wissenschaftlichen Menschenbild: Der Mensch wird als Geschöpf mit der (materiellen) Schöpfung verknüpft, von seinen Bestandteilen, den Elementen, her begriffen und als Mikrokosmos in Beziehung zur Weltstruktur gesetzt. Daraus werden aber auch seine Eigenschaften und sein Wesen, samt der Unterteilung in ›Elementartypen‹, abgeleitet, lassen sich die ›gleichartigen‹ Menschen nach den vorherrschenden Körpersäften dennoch in ›Menschentypen‹ einteilen wie auch individuell unterscheiden, werden Geschlecht, Körperbau und Organe in ihren biologischen Funktionen mit den geistig-religiösen Aufgaben der Seele in Beziehung gesetzt, wird der Mensch als Ganzes aus der ebenso unvermeidlichen wie lebensnotwendigen Verbindung von Körper und Seele erklärt. Die kontext- und lebensweltbezogenen Menschenbilder in Dichtung und Kunst bleiben bei aller Konkretisierung, Stand- und Funktionsgebundenheit ebenso an diese Grundlagen gebunden wie die Eingliederung des einzelnen in die Gesellschaft: Als soziales Wesen ist der Mensch als Individuum letztlich nur in der Gemeinschaft lebensfähig, die ihrerseits jedoch wiederum als ein organisches Gebilde nach dem Vorbild und Maßstab des menschlichen Körpers begriffen und erklärt und damit vom Menschenbild abhängig gemacht wird. Bei

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Kapitel 3: Der Mensch in der mittelalterlichen Vorstellungswelt

allen Differenzierungen bestimmt daher ein einheitliches Menschenbild, das religiöse und naturwissenschaftliche (und naturphilosophische) Elemente zwanglos zu verbinden weiß und zur gegenseitigen Erklärung heranzieht, zumindest das gelehrte Denken des Mittelalters. Aus der Natur des Menschen als eines rationalen Geschöpfs, seinem Charakter der Gottebenbildlichkeit und seiner Bestimmung zur Seligkeit erwachsen dem Menschen theologischerseits aber auch Pflichten und führen zu ständigen Ermahnungen der kirchlichen Autoren, die – unvermeidlichen – Sünden möglichst gering zu halten und auf jeden Fall zu büßen. Der Mensch, so meint Thietmar von Merseburg in einer Art versöhnlicher Minimallösung, ist durchweg lasterhaft und anfällig, sollte sich aber wenigstens der Todsünden enthalten und zumindest an Festtagen seine Reinheit bewahren.812 Hinkmar von Reims läßt den Apostel Johannes zwei Jugendliche, die sich darüber lustig machen, daß ein alter Mann noch wie ein Kind mit einem Rebhuhn spielt, mit einem Gleichnis zurechtweisen: Wie ein Bogen seine Spannkraft verliert, wenn er zu lange gespannt wird, so auch der Mensch, wenn er nicht ab und zu seiner menschlichen Schwäche nachgibt.813 Andere Autoren fordern allerdings weit mehr. Der Mensch soll sein ganzes Leben nach der Ewigkeit ausrichten und überhaupt menschengemäß leben: »Vivere ut homo«, das im 13. Jahrhundert zu einer wichtigen Maxime wird,814 ist inhaltlich längst vorher angelegt und bezieht sich bezeichnenderweise sowohl auf eine rationale wie eine moralische Lebensweise, ja die Vernunft dient gerade dazu, gemäß Gottes Willen zu leben. Asketen und Heilige – und damit wirkt erneut die religiöse Ebene hinein – können dabei als Vorbilder dienen. Solche Ansichten machen den Forschungsstreit um Vernunft oder Autorität obsolet. 812 Thietmar von Merseburg, Chronicon 1,25, S. 32: et quia fragilitas carnis sine aliqua contagione non valet esse, a capitalibus se criminibus abstineat et in sollempnitatibus universis mundiciam servet. 813 Hinkmar von Reims, Vita Remigii episcopi Remensis 5, S. 267 (nach Johannes Cassianus, Collationes 24,21): Fertur relatione maiorum, quia cum beato Iohanni apostolo avis, quae perdix vocatur, viva et sana a quodam oblata fuisset, cepit eam leni manu demulcendo tractare. Quod quidam adolescentium videns, ad coevos suos ridendo dixit: ›Videte‹, quomodo ille senex cum avicula sicut et puer ludit.‹ Beatus vero apostolus per spiritum ista cognoscens, vocavit ad se iuvenem, interrogans, quid manu teneret. Cui iuvenis: ›Arcum,‹ inquid. Et beatus Ioannes: ›Quod habet officium illud quod manu tenes?‹ Et iuvenis: ›Sagittamus,‹ inquid, ›inde bestias sive aves vel alia queque.‹ Et beatus Iohannes: ›Quomodo,‹ inquit, ›vel quo ordine?‹ Et iuvenis, curvato arcu, tetendit illum et tensum in manu tenuit. Sed cum beatus Iohannes nihil ei subsecutus loquendo fuit, post aliquod spatium iuvenis arcum distendit. Cui beatus Iohannes: ›Cur,‹ inquit, ›arcum distendisti?‹ Ad quem iuvenis: ›Quia si diutius tensus tenoretur, infirmius tela iactaret.‹ Et ad haec sanctus apostolus: ›Sic et humana fragilitas, si semper in rigore contemplationis persistat et suae fragilitati non condescendat, minus necessario valida contemplationis penna sublevatur.‹ 814 Vgl. Köhler, Homo animal nobilissimum, Bd. 2/2, S. 841–909.

Abbildungen

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Abbildungen

Abb. IV/51: Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum, 12. Jahrhundert. Lucca, Biblioteca Statale (BSL) ms. 1942, fol. 28v : Der Mensch im Kosmos (zu S. 466).

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Abb. IV/52: Glossarium Salomonis, Kloster Prüfening, 1158/1165. München, Bayerische Staatsbibliothek, clm 13002, fol. 7v : Der Mensch als Mikrokosmos (zu S. 466).

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Abb. IV/53: Grabplatte des Gegenkönigs Rudolfs von Rheinfelden (in vollem Ornat!), bald nach 1080. Merseburg, Dom (zu S. 473).

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Abb. IV/54: Notker Balbulus. Titelbild zu Notkers Hymnenbuch, Minden 1022/1025. Berlin, SBB-PK, Ms. theol. lat. qu. 11 (derzeitiger Aufbewahrungsort Krakau, Jagiellonen-Bibliothek: Berol. SBB-PK, Ms. theol. lat. qu. 11): Notker als schreibender Mönch (zu S. 473).

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Abb. IV/55: Hrabanus Maurus, De laudibus sanctae crucis, Fulda, um 840. Wien, Österreichische Nationalbibliothek Cod. 652, fol. 1v (Dedikationsbild): Alkuin und Hrabanus Maurus übergeben die Schrift dem Erzbischof Otgar von Mainz, der durch Buch und Stola ausgezeichnet ist (zu S. 473).

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Abb. IV/56: Mals, Wandmalerei in der Benediktkirche, vor 881: geistlicher Kirchenstifter (zu S. 473).

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Abb. IV/57: Evangeliar aus Centula, Hofschule Karls des Großen, kurz vor 800. Abbeville, BibliothHque municipale, Ms. 4, fol. 17v : Der Evangelist Matthäus mit dem Engelsymbol (zu S. 474).

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Abb. IV/58a: Stuttgarter Bilderpsalter, Saint-Germain-des-Pr8s, um 830. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Bibl. Fol 23, fol. 57v (Ausschnitt): Illustration zu Ps 44,10ff.: Königspaar (zu S. 504).

Abb. IV/58b: Stuttgarter Bilderpsalter, Saint-Germain-des-Pr8s, um 830. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Bibl. Fol 23, fol. 33v (Ausschnitt): Illustration zu Ps 26,10: Eltern mit Sohn (zu S. 504).

Abb. IV/58c: Stuttgarter Bilderpsalter, Saint-Germain-des-Pr8s, um 830. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Bibl. Fol. 23, fol. 143v (Ausschnitt): Illustration zu Psalm 120,6: Frau unter dem Mond, Mann strebt zur Sonne (zu S. 517).

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Abb. IV/59: Utrechtpsalter. Reims, um 830. Utrecht, Universitätsbibliothek Hs. 32, fol. 74v (Ausschnitt): Illustration zu Psalm 130: Frau mit Kleinkind (zu S. 521).

Rückblick: Die Vorstellungen von Gottes Geschöpfen im Rahmen des mittelalterlichen Weltbildes

Eher aus organisatorischen Gründen – als Ausgangspunkt der eigenen, bisherigen Forschungen und zur Zusammenbindung mit dem Weltbild im wörtlichen Sinn in einem Band – ist der Abschnitt über Gottes Heilsplan und die Funktion des Menschen darin bereits im zweiten Teilband behandelt worden. Sachlich hätte das sicherlich ebensogut an das Ende gesetzt werden können, denn nach Gott als Schöpfer, Lenker und Richter können erst Natur und Wirken aller Geschöpfe: der Engel, Dämonen und Menschen, das Heilsgeschehen insgesamt erklären, geht es darin doch hauptsächlich um den geschichtlichen Weg des Menschen zur Seligkeit – Teufel und Dämonen sind ohnehin verdammt –, in den jedoch Engel (helfend) und Teufel (hindernd) maßgeblich eingreifen. Dieser dritte Teilband hat aber wohl auch vor Augen geführt, daß die mittelalterlichen Vorstellungen über die Geschöpfe umfassender und reichhaltiger sind, als es eine Beschränkung auf den Heilsplan nahelegen würde. Geschöpfe sind sie allemal, sämtlich zur Erlösung, aber von vornherein mit einer je anderen Natur und folglich mit je eigenen Eigenschaften erschaffen. Dabei werden die aus der Bibel geschöpften Vorstellungen wieder mit dem Wissen der Zeit angereichert und erklärt. Unterschiedlich ist den einzelnen Arten der Geschöpfe aber auch der Gebrauch der Natur und sind dessen Folgen im Strafgericht Gottes. Waren Engel und Menschen zur Seligkeit erschaffen, so teilte der Aufstand des Teufels im Himmel gegen Gott und der daraus folgende Engelfall die Engel in zwei Gruppen (nahezu) gleichen Wesens, aber unterschiedlichen Wollens und Wirkens, mit engegengesetztem Schicksal und mit geschiedenen Wirkungsräumen (und erneut verzahnen sich Weltbild und Bild der Geschöpfe): den Himmel als Raum der bereits in ewiger Seligkeit lebenden (guten) Engel, die Hölle bzw., in antiker Tradition, die Luft als Raum des Teufels und seiner Dämonen, deren antike Ursprünge hier in die biblisch-christlichen, wenngleich apokryphen Vorstellungen vom Engelfall integriert werden. Beide aber gelangen um der Menschen willen ständig auf die Erde: die einen, um ihnen beizustehen und Gottes Bot-

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Rückblick: Die Vorstellungen von Gottes Geschöpfen

schaften zu vermitteln, die anderen, um ihnen den Weg zur Seligkeit mit allen Mitteln zu verwehren. Dem im zweiten Teilband angesprochenen liberum arbitrium, der freien Willensentscheidung für oder gegen Gott, kommt dabei eine entscheidende Rolle zu: bei den Engeln ebenso wie bei den Menschen. Der Sündenfall des Menschen hatte, anders als bei den Engeln, keine sofortige Teilung der Menschheit, aber auch keine endgültig unwiderrufliche Verdammung ohne jede Aussicht auf Erlösung wie bei den gefallenen Engeln, sondern eine sofortige, aber noch vorläufige Verdammung in Form einer Bußzeit auf der Erde als Lebensraum zur Folge: Der Mensch behielt die Aussicht auf Erlösung, um am Ende, nach dem Jüngsten Gericht, mit den Engeln ins ewige Leben einziehen zu können. Dieses Ziel aber wird nur noch ein Teil der Menschheit erreichen; es muß erst erworben werden. Die im Gegensatz zu den sämtlich in einem Zug erschaffenen Engeln auf Fortpflanzung ausgerichtete Vermehrung der Menschheit bietet zugleich die Erklärung dafür, daß das Schicksal Adams und Evas sich in beiderlei Gestalt, der Erlösung ebenso wie des Fluchs und der sündigen Verdammung, auf alle Menschen übertragen hat. Erst auf Erden entscheidet sich deren Schicksal, und zwar eben unter dem Wirken von Engeln und Teufeln, aber in voller Eigenverantwortlichkeit der Menschen, wenngleich auch das immer noch eine vorläufige Entscheidung ist, die erst am Ende der Zeiten (und der Welt) im Jüngsten Gericht offenbar werden wird. Solche Überzeugungen erklären wiederum religiöse Vorstellungen von der Wirkung und Notwendigkeit des Gebetsgedenkens und vom Einfluß der Heiligen in Form der Fürbitte für die Menschen bei Gott auch nach deren Tod. Theologisch aber reichen weder Memoria noch die Fürbitte der Heiligen noch Eigenverdienst aus. Es zählt bekanntlich zu den spezifisch christlichen Elementen, die Erlösung mit der Gottessohnschaft Christi und dessen Opfertod zu verbinden: Nach dem Sündenfall kann das Heil nur noch durch die Gnade Gottes erworben und eine Wiedergutmachung des Sündenfalls nur durch die Sühne eines selbst nicht nur völlig schuldlosen, sondern auch von jeglicher Sünde freien Menschen erreicht werden – und das kann wiederum nur ein Gott sein. Die Formel vom ersten und zweiten Adam oder vom ersten und zweiten Menschen symbolisiert diesen Sachverhalt in typologischer Form. Wie problematisch solche Vorstellungen im Hinblick auf eine Vernunftgemäßheit sind, ist den mittelalterlichen Autoren selbst durchaus bewußt gewesen. Daß die Menschwerdung Gottes sich philosophisch-rational nicht stringent beweisen, sondern letztlich nur glauben läßt, hat man immer wieder betont und dennoch nur bedingt akzeptiert, sondern, durchweg, aber verstärkt im 12. Jahrhundert, mit immer neuen Argumenten Trinität und Gottessohnschaft Christi zu beweisen gesucht. Schließlich ist der Mensch nach theologischer Überzeugung als Vernunftwesen erschaffen worden, damit er Gott erkennen kann. Daß solche Beweise philosophisch nicht überzeugen können, sondern den

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festen Glauben bereits voraussetzen, hat man im Mittelalter hingegen nicht erkannt, weil ein solcher Glaube wie selbstverständlich vorhanden ist und nicht bezweifelt wird und daher seinerseits (selbst bei Anselm von Canterburys scheinbar voraussetzunglosen Gottesbeweisen) als Grundlage der Argumentation dient, obwohl man grundsätzlich weiß, daß nicht alles in der Religion eine vernünftige Erklärung finden kann, sondern geglaubt werden muß. Im 12. Jahrhundert brechen hier die Grenzen der Anwendung philosophischen Denkens auf die göttliche Schöpfung und vor allem auf das ÜbergeschöpflichGöttliche auf und enden in den ersten Gelehrtenprozessen. Doch nicht solche Anstrengungen an sich, sondern unangemessene Übertragungen weltlicher Wissenschaft auf das Göttliche sind seither unter Häresieverdacht geraten. Hier ist nicht der Ort für eine Glaubenskritik. Vielmehr offenbaren gerade solche Überzeugungen mittelalterliches Denken, um das es hier geht. Die Menschwerdung Gottes in Gestalt Christi mit seinen beiden Naturen bietet den mittelalterlichen Autoren daher die Erklärung für eine eigentlich vertane Chance, trotz des Falls doch noch zur Seligkeit zu gelangen. Nichtrationale Geschöpfe sind hingegen von vornherein nicht zur Erlösung geschaffen worden und davon wie selbstverständlich ausgeschlossen, und entsprechend werden Mensch und Tierwelt, trotz gemeinsamer Eigenschaften, strikt voneinander getrennt. Meines Wissens hat sich daher auch niemand gefragt, weshalb es sehr wohl Tiere im Paradies gegeben hat, nicht aber im Jenseits geben wird. Die Erde ist nun nicht nur Strafort, die irdische Zeit nicht nur Strafzeit, sondern beide sind von Anfang an als Lebens- und Herrschaftsraum des Menschen vorgesehen. Auch das Paradies liegt auf der Erde. Damit ist der Mensch sowohl als Geschöpf wie vom Lebensraum her in der Mitte zwischen Engeln und Tieren angesiedelt, mit denen er jeweils bestimmte Eigenschaften teilt: Verstand und Seele mit den Engeln, Körperlichkeit und Sterblichkeit mit den Tieren, die zur irdischen Herrschaft des Menschen gehören. Der Mensch soll die Erde mitsamt ihren Bewohnern nutzen und beherrschen, und eben dazu zeichnen ihn die ihm mit der Schöpfung verliehenen Eigenschaften aus: die Gottebenbildlichkeit mit dem Verstand und dem aufrechten Gang, die ihn zur Himmelsschau und zur Erkenntnis des wahren Gottes befähigen sollen. Die dem Menschen spezifische Zusammensetzung aus Körper und Seele (Geist) schafft einerseits eine Polarität, die die innere Zerrissenheit ebenso erklären kann wie die Entscheidungen zwischen richtig und falsch, gut und böse; andererseits macht sie den Menschen aber auch erst in ihrem Zusammenwirken zum Menschen. Es ist bezeichnend für ein solches Denken, daß sich Körper und Seele zwar mit dem Tod trennen – ohne »Geist« und den »Hauch« Gottes ist der Körper nicht lebensfähig –, daß dies aber dennoch als eine vorübergehende Trennung begriffen wird: Die unsterbliche Seele lebt nicht nur nach dem Tode des Menschen weiter (und provoziert somit auch Vorstellungen vom Wirken der Geister als Seelen

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Rückblick: Die Vorstellungen von Gottes Geschöpfen

verstorbener Menschen), sondern wird sich bei der Auferstehung erneut mit dem Körper verbinden: Man zweifelt also nicht an einer Auferstehung des Fleisches und an einer Form der Seligkeit in ursprünglich zugedachter Gestalt, und zwar (seit Augustin) als (vergeistigter) Idealgestalt. (Deshalb können Visionäre die ihnen bekannten, seligen Menschen nicht immer gleich auf Anhieb erkennen, wie auch die Jünger Christus nach der Auferstehung nicht sofort an seinem Aussehen erkannt haben.) Die Bewährungszeit auf der Erde führt also zum ursprünglichen Zustand zurück (und doch zugleich in den neuen Zustand ewiger und nicht mehr zerstörbarer Seligkeit, wie ihn die Engel von Anfang an genießen dürfen). Engel, Teufel und Menschen sind aber nicht nur (unterschiedliche) Geschöpfe, sondern sie stehen in ständiger Wechselbeziehung. Der Mensch sucht sich mit aller Anstrengung das verlorene Seelenheil zu sichern (jedenfalls sollte er das tun). Der Teufel ist der Widersacher, der sich dabei zwischen Gott und die Menschen stellt und den göttlichen Heilsplan ebenso zu stören sucht, wie er den Heilsweg des einzelnen Menschen verhindern will. Ersteres kann ihm nicht gelingen, in Letzterem aber kann er durchaus erfolgreich sein, zumindest vorläufig, da die endgültige Entscheidung erst im Jüngsten Gericht fällt. Rupert von Deutz verbindet die menschliche Entscheidung mit dem Wesen und der Natur des Menschen: Wer die Vernunft nicht anwendet, ist wie ein wildes Tier ; wer keine Liebe kennt, gehört dem Teufel.1 Jede einzelne Sünde ist ein Triumph des Teufels, während im Jüngsten Gericht die Gesamtleistung bemessen wird. In der auf den einzelnen Menschen bezogenen, religiösen Wirkungsweise zeigt sich hier im übrigen eine ganz andere, mittelaltergemäße Individualisierung, als sie die Individualismusdebatte der Forschung in moderner Perspektive entdecken möchte. Die Engel wiederum sind durch ihre aus dauerndem Gotteslob bestehende Lebensweise nicht nur Vorbild (vor allem für die Klöster), sondern sie stehen den Menschen auch konkret in ihrem Kampf gegen den Teufel bei: auf Erden wie im Jüngsten Gericht. Der Kampf des Menschen um sein Seelenheil ist den mittelalterlichen Autoren ohne das (helfende) Wirken der Engel und das (hemmende) Wirken des Teufels und seiner Dämonen kaum mehr vorstellbar, die folglich auch auf Erden, außerhalb ihrer eigentlichen Sphäre, tätig sind, und er wird bis zum seligen (oder bitteren) Ende andauern. Der Teufel tritt ständig auf die ›Heilsbühne‹ und wirkt wider eigenen Willen im Sinn des Heilsplans. Möglicherweise sind Engel und Teufel geradezu andauernd zugegen, und Engel berichten Gott über 1 Vgl. Rupert von Deutz, Liber de divinis officiis 11,12, S. 384: Amissa namque dilectione, qui angelus lucis creatus fuerat, diabolus princeps tenebrarum factus. Et homo similiter absque dilectione malus et eiusdem diaboli filius est. Quod si rationalitas desit, brutum est omne, quod uiuit et sentit.

Rückblick: Die Vorstellungen von Gottes Geschöpfen

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das Tun der Menschen. Dennoch wird man sich ihr Wirken aus mittelalterlicher Sicht nicht einseitig mit Jacques Le Goff als eine Art Überwachungsstaat vorstellen dürfen: »So werden also die mittelalterlichen Menschen von zwei Seiten ständig überwacht und bespitzelt. Sie sind niemals allein. Keiner ist sein eigener Herr. Alle sind bis in Einzelheiten hinein von der irdischen und der himmlischen Hierarchie abhängig.«2

Engel kommen auch als ›Kontrolleure‹, in erster Linie aber als Helfer der Menschen. Der Teufel wiederum versucht die Menschen ständig, doch sie selbst, nicht der Teufel begehen die Sünden. Teufel und Engel beeinträchtigen weder die Eigenentscheidung noch die Eigenverantwortlichkeit des Menschen. Daher ist es wiederum nur aus heutiger Sicht berechtigt, wird den mittelalterlichen Vorstellungen jedoch kaum gerecht, wenn Le Goff aus dem Wirken von Engeln (und Teufeln) auf eine Ohnmacht der Menschen schließt: »Diese Vorstellungswelt hat eine ausgesprochen lähmende Wirkung. Der Mensch kann am Aufbau der irdischen Gesellschaft nicht rütteln, ohne zugleich die himmlische Gesellschaft ins Wanken zu bringen.«3

Die Menschen des Mittelalters »zappeln« nicht »zwischen den Klauen der Dämonen und den Millionen Flügeln, die Himmel und Erde mit ihrem Rauschen erfüllen und das Leben zum Alptraum voller geflügelter Wesen machen.«4 Ihnen ist vielmehr bewußt, wie sehr Engel und Dämonen Bestandteil der Schöpfung und des Kosmos und somit in die religiöse Vorstellungswelt – und in das religiöse Leben – integriert sind. Engel und Teufel sind dabei nicht etwa nur Symbole, sondern – als Gottes Geschöpfe, auch als geistige Wesen – reale Gestalten. Daher sind auch die Vorstellungen bezeichnend, die man sich über die Gestalt und das Wirken von Engeln und Dämonen gemacht hat. Hier bleibt für die mittelalterlichen Autoren zunächst der Widerspruch zwischen körperlosen, unsichtbaren Geistwesen und ihren sichtbaren Erscheinungen zu lösen, und dazu nimmt man ebenfalls die physikalischen Vorstellungen zu Hilfe. Wie die Welt, so bestehen auch die Geschöpfe aus der Materie der vier Elemente, eben nur in sehr unterschiedlicher Ausprägung. Die dem Feuer (und damit dem Himmel) zugeordneten Geistwesen 2 Le Goff, Civilisation S. 210: »Ainsi les hommes du Moyen ffge vivent sous ce double espionnage constant. Ils ne sont jamais seuls. Aucun n’est ind8pendant. Tous sont pris dans un r8seau de d8pendances terrestres et c8lestes.« (Die deutsche Fassung S. 280 weicht davon ab.) 3 Le Goff, Civilisation S. 210: »Cette pens8e paralysante qui empÞche les hommes de toucher / l’8difice de la soci8t8 terrestre sans 8branler du mÞme coup la soci8t8 c8leste, qui emprisonne les mortels dans les mailles du r8seau ang8lique […]« (in der deutschen Fassung S. 281). 4 So ebd.: »Les hommes du Moyen ffge se d8battent entre les griffes des d8mons et l’empÞtrement de ces millions d’ailes qui battent sur la terre comme au ciel et font de la vie un cauchemar de palpitations ail8es« (in der deutschen Fassung S. 281).

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sind folglich nicht völlig körperlos, Dämonen und Teufel sogar zu einer gewissen Körperlichkeit verdammt, wie sie dem Menschen ohnehin von vornherein zu eigen ist. Engel und Teufel können jederzeit die Gestalt von Menschen (oder gar Bekannten) annehmen und dadurch Zweifel beim Menschen hinterlassen, ob es sich jeweils um gute, von Gott gesandte, oder um böse, Gott und den Menschen widrige Geister handelt. Gerade die zahlreichen moralisierenden, teils aber auch humorvollen Teufelsgeschichten setzen nicht nur ein relativ einheitliches Bild voraus, das man sich vom Teufel macht, sondern offenbaren die ungeheure Vielfalt seines Wirkens und seiner immer neuen Einfälle, den Menschen, auch physisch, zu schaden. Es ist bezeichnend für das mittelalterliche Denken, daß solcher Schaden oft gar nicht mehr auf das Seelenheil, sondern auf irdische Verluste und Tod gerichtet ist und sich das Wirken der bösen Mächte damit weithin sogar von der ihm eigentlich zugeschriebenen Funktion lösen und im Sinne Gottes wirken kann, wenn der angerichtete Schaden zugleich Sündenstrafe ist. Darin kündigen sich zugleich bereits die spätmittelalterliche (komische) Rolle des Teufels in Spielen wie auch seine bis zur Gleichsetzung neigende Zusammenführung mit dem Tod an. Mit anderen Worten läßt sich jedes – allerdings durch die Sünden bewirkte – Unglück auf den Teufel zurückführen. Ohne es zu wissen, arbeitet auch der Teufel als Werkzeug Gottes (und bestraft Sünden, zu denen er selbst verführt hat). *

Der Überblick über die ›Trias‹ von Schöpfer (Teilband 1), Schöpfung (Teilband 2) und Geschöpfen (Teilband 3) in der früh- und hochmittelalterlichen Vorstellungswelt ist mit den drei vorgelegten Bänden meinerseits erst einmal abgeschlossen. Insgesamt ergibt sich, bei aller Unvollkommenheit und Vorläufigkeit der langen Ausführungen, erst in der Zusammenschau von den Vorstellungen über den Schöpfer, die Schöpfung, die Geschöpfe und den Geschichtsablauf ein enger Zusammenhang zwischen den einzelnen Faktoren und ein Gesamtbild, in dem alle einzelnen Elemente von Beginn an miteinander verknüpft sind und miteinander verbunden bleiben. Materielle und personelle Schöpfung gehen nicht nur gleichermaßen auf Gott zurück, sondern bestehen darüber hinaus aus der gleichen Materie (den Elementen) mit den gleichen Eigenschaften. Deshalb ist der Mensch ein Mikrokosmos, in dem sich die ganze Welt im Kleinen widerspiegelt. Doch die Elemente sind in den Geschöpfarten wie auch in den einzelnen Menschen unterschiedlich zusammengesetzt und prägen daher je nach Vorherrschen eines Elements einen unterschiedlichen Charakter und ein divergierendes Aussehen aus. Ebenso sind die Menschen dem Heilsplan ein- und untergeordnet, den Gott ihnen zugedacht hat, in den Gott selbst aber immer wieder lenkend eingreift. Die irdische Geschichte läuft damit nicht einfach auf ihr Ende, das Jüngste Gericht, zu, sondern

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ist in typologischer Auslegung und Ausrichtung ständig mit der Eschatologie und mit der Ewigkeit verbunden und verweist darauf. Es sollte gerade aus der – manchmal sicher auch ›erdrückenden‹ – Fülle der Belege deutlich geworden sein, daß solche Vorstellungen im einzelnen eine lange Tradition haben und längst schon im früheren Mittelalter vorhanden sind. (Mit ›Positivismus‹5 hat dieser zielgerichtete, auf das menschliche Denken ausgerichtete Ansatz, der mit der Fülle der Belege zugleich deren Repräsentativität wie auch ihre Variationsbreite vor Augen führt, ganz sicher gar nichts zu tun.) Gegenstand dieses Bandes bzw. der drei Teilbände ist die Darlegung eben der verbreiteten christlich-abendländischen Vorstellungen von Gott, der Schöpfung und den Geschöpfen, nicht ein Vergleich mit außerchristlichen Anschauungen (der wäre erst noch zu leisten, wenn entsprechende Studien für diese vorliegen), aber auch nicht die Betonung wenig repräsentativer Einzelstimmen. Dennoch zeigt sich in dieser konsistent anmutenden Vorstellungswelt ein breites Spektrum unterschiedlicher Ansichten und Deutungen, die nebeneinander existente, berechtigte Richtungen repräsentieren. Eine ›Anthropologie‹ ist allerdings nicht erst im Spätmittelalter und in der Hochscholastik entstanden,6 sie hat jetzt lediglich andere Züge angenommen, und das Gleiche gilt für das Gottesbild und die Vorstellungen von Natur, Welt und Weltgeschehen. Ebensowenig hat eine neue Anthropologie des 12. Jahrhunderts (in Abhebung von der Tradition) die bisherige Theozentrik durch eine Anthropozentrik abgelöst.7 Das Weltbild des hohen Mittelalters bleibt einerseits natürlich theozentrisch, und andererseits ist die Handlungsfreiheit des Menschen längst vorher betont worden, ist die Welt nicht erst jetzt das Betätigungsfeld des Menschen,8 kommen eine »positive, welt- und handlungsorientierte Interpretation der Mittelstellung des Menschen«,9 ein »positives, dynamisches Menschenbild«,10 das sich als »autonom der Natur gegenüber« erweist,11 nicht erst im 12. Jahrhundert auf. Solche pauschalen Abgrenzungen werden dem Frühmittelalter in keiner Weise gerecht; die nicht zu bezweifelnden Wandlungen sind weit nuancierter und lassen sich nicht an einzelnen Beispielen festmachen, sondern müssen an deren Repräsentativität überprüft werden (und machen auch deshalb die Fülle der Belege notwendig). Dabei lassen sich manche Thesen relativieren. Wohl aber werden seit dem späteren 11. und dem 5 So der wiederholt vorgebrachte Vorwurf von Michael Borgolte in seiner Rezension zu Goetz, Wahrnehmung anderer Religionen in: Deutsches Archiv 70, 2014, S. 804–806. 6 So Köhler, Grundlagen. 7 So Possekel, Der Mensch in der Mitte S. 19. 8 So ebd. S. 20. 9 So ebd. S. 19. 10 So ebd. S. 20. 11 So ebd. S. 21.

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Rückblick: Die Vorstellungen von Gottes Geschöpfen

12. Jahrhundert die Erkenntniswege unbezweifelbar erweitert und diskutiert, verstärkt sich vor allem eine auf Ausgleich und Erklärung bedachte, systematische Zusammenschau und Zusammenfassung aller Faktoren. Es hat sich demgegenüber wohl als ein lohnenswertes Unterfangen erwiesen, die frühmittelalterlichen Jahrhunderte nicht nur in ihrer (negativen) Abgrenzung vom hochmittelalterlichen ›Aufbruch‹, sondern von ihren eigenen Vorstellungen von Schöpfer, Schöpfung und Geschöpfen und von ihren spezifischen Voraussetzungen und Denkweisen her zu betrachten. Dazu gehört (in allen hier behandelten Jahrhunderten) aber auch, daß sich die religiöse Vorstellungswelt, die hier dargestellt werden sollte, untrennbar mit der profanen Tradition verknüpft und letztlich als eine Einheit verstanden wird, die es zu erfassen gilt. Die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Faktoren, zwischen antiker Tradition und biblischer Offenbarung, zwischen tradierten und neuen Erkenntnissen und Vorstellungen werden in den mittelalterlichen Schriften gewiß nicht an jeder Stelle expliziert, doch zeigen die vielfachen Bezüge, daß sie den Autoren grundsätzlich bewußt sind und in Teilen immer wieder angesprochen werden. Nichts zeigt das deutlicher als die ständigen Versuche, eines durch das andere zu erklären. Biblische Vorgaben können dabei gedeutet (und umgedeutet), aber nicht umgangen werden. Aber auch das ›physikalische‹ Wissen um die Natur der Schöpfung und der Geschöpfe bleibt unabweisbar : Es ist schließlich das Wissen, vor dessen Hintergrund man Bibel und Glaubenselemente erklärt und erfaßt. Die Anwendung der Vernunft zum Verständnis des Glaubens ist in allen Jahrhunderten des früheren Mittelalters geboten; die von den Autoritäten der Bibel und der Kirchenvater gesetzten Glaubensgrundsätze sollen dadurch gefestigt, dürfen aber nicht in Frage gestellt werden. Thema und Ziel der (fast durchweg ›kirchlichen‹) Autoren bleiben die religiösen Glaubensvorstellungen, -erklärungen und -propagierungen, denen die weltliche Wissenschaft zu dienen hat und denen sie gegebenenfalls auch weichen muß, wenn man nicht Erklärungen findet, die beides miteinander vereinbaren – und gerade dazu hat es immer wieder enorme Anstrengungen gegeben. Die religiösen Vorstellungen stehen und bleiben daher bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts (und noch darüber hinaus) im Zentrum der gesamten Vorstellungswelt (und ich bleibe skeptisch, ob sich das in der Folgezeit wirklich so grundlegend gewandelt hat, auch wenn eine Trennung von Religiösem und Weltlichem jetzt vielfach deutlicher in den Blick gerät; eine Durchdringung beider Sphären bleibt jedenfalls noch weiterhin erhalten). Bei weitem nicht alles in dieser Bandfolge ist neu, und bei weitem nicht alles, was über das Thema geschrieben wurde, konnte berücksichtigt und ausgewertet werden. Dennoch darf wohl behauptet werden, daß der hier vorgelegte Ansatz, das Thema konsequent von der mittelalterlichen Vorstellungswelt her zu be-

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trachten, neue Perspektiven eröffnet und eine Darstellung produziert, wie es sie in dieser Form bislang noch nicht gegeben hat. Erst dadurch eröffnen sich konsequent die mittelalterlichen Sichtweisen (was natürlich, auch in diesen Bänden, nicht ausschließt, daß die moderne Deutung dieser Sichtweisen Fehlern unterliegen kann). Die Bände verstehen sich ebenso als ein relativ geschlossener und dennoch nicht nur oberflächlicher Überblick wie als ein Angebot zur weiteren Diskussion und eine Ermunterung zur Fortführung auf diesen Wegen.12 Dabei wird sich sicherlich vieles ergänzen und diskutieren, manches auch zurechtrücken und modifizieren lassen. Das zentrale Anliegen und Ergebnis der vorgelegten Untersuchungen aber ist die Feststellung, daß die religiösen Vorstellungen des frühen und hohen, abendländischen Mittelalters von Schöpfer, Schöpfung und Geschöpfen, bei aller Ausrichtung mittelalterlicher Autoren auf die Tradition, zeitspezifisch, eben mittelalterlich, sind. Die religiösen Vorstellungen der abendländischen Christenheit sind nicht einfach »christlich«, sondern, wie das Christentum (und alle anderen Phänomene auch) der Geschichte und damit dem Wandel und der zeitgemäßen Ausprägung unterworfen. Das herauszuarbeiten, ist die vorrangige Absicht dieser drei Bände gewesen. Erst das erlaubt nicht nur eine geschichtswissenschaftliche Betrachtung des Themas, sondern es macht eine solche dringend notwendig. Und erst das macht eine gegenwartsbezogene Funktion mediävistischer Studien sinnvoll: nicht in der Feststellung des allzeit Gültigen (oder bescheidener : dessen, was schon im Mittelalter feststellbar ist), sondern in der konstruktiven Konfrontation mit vergangenen Ansichten und Überzeugungen. In diesem Sinn bleibt die Mediävistik allzeit aktuell.

12 Nur als solche kann ich auch die Bemerkungen von Matthias Tischler in seiner Rezension im zweiten Teilband in MIÖG 121/1, 2013, S. 165–167, verstehen, dessen Besprechung sich weithin in einer Aufzählung dessen erschöpft, was in diesem Band alles fehlt. Arbeitskraft und fachspezifisches Wissen sind nun einmal endlich.

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1.

Abbildungsverzeichnis

Abb. IV/1: Beatus von Li8bana, Apokalypsenkommentar. Nordspanien, um 975. Gerona, Archiv der Kathedrale, Nfflm. Inv. 7 (11), fol. 192r. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Kathedralarchivs Gerona, aus: Unterkircher, Buchmalerei, Tafel V, S. 55. Abb. IV/2: Augustinus, De Civitate Dei. Canterbury, um 1120. Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Ms. Plut. 12.17, fol. 2v. Abbildung nach der Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz. (ð vietata ogni ulteriore riproduzione con qualsiasi mezzo). Abb. IV/3: Sakramentar von Saint-Denis, vor 1050. Paris, BibliothHque Nationale de France, cod. lat. 9436, fol. 15v. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der BibliothHque nationale de France (BnF) aus: von den Steinen, Homo caelestis, Bd. 2, Nr. 153. Abb. IV/4: Wolfenbütteler Evangeliar, spätes 10. Jahrhundert. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Cod. Guelf. 16.1 Aug. 2, fol. 9r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Abb. IV/5: Bamberger Apokalypse, frühes 11. Jahrhundert. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 53r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek Bamberg. Foto: Gerald Raab. Abb. IV/6a: Utrechtpsalter, um 830. Utrecht, Rijksuniversiteit, Universitätsbibliothek, ms. 32, fol. 59r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Utrecht. Abb. IV/6b: Utrechtpsalter, um 830. Utrecht, Universitätsbibliothek, ms. 32, fol. 6v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Utrecht. Abb. IV/7: St. Galler Sakramentar, 11. Jahrhundert. Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 341, S. 59. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Stiftsbibliothek St. Gallen. Abb. IV/8: Ingeborgpsalter, 1193/1213. Chantilly, bibliothHque et archives du ch.teau, Ms. 9 (früher Mus8e Cond8 MS. 1695, fol. 10v). Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Schloßbibliothek Chantilly aus: Franz, Spätromanik, S. 186.

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Abb. IV/9: Bamberger Apokalypse, frühes 11. Jahrhundert. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 10v. Abbildungen 9–13 nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek Bamberg. Foto: Gerald Raab. Abb. IV/10: Ebd. fol. 51r. Foto: Gerald Raab. Abb. IV/11: Ebd. fol. 13v. Foto: Gerald Raab. Abb. IV/12: Ebd. fol. 40v. Foto: Gerald Raab. Abb. IV/13: Ebd. fol. 46r. Foto: Gerald Raab. Abb. IV/14: Evangelistar (Perikopenbuch) Heinrichs II., Reichenau 1007/1012. Bayerische Staatsbibliothek München, clm 4452, fol. 8v. (Digitalisat Image 20). Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Staatsbibliothek München. Abb. IV/15: Reichenauer Lektionar und Kollektar, 1010/1030. Hildesheim, Dombibliothek, Hs. 688, fol. 77r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Dombibliothek Hildesheim. Abb. IV/16: Evangelistar (Perikopenbuch) Heinrichs II. für den Bamberger Dom, Reichenau, 1007/1012. München, Bayerische Staatsbibliothek, clm 4452, fol. 117r (Digitalisat Image 237). Abbildung: Bayerische Staatsbibliothek München. Abb. IV/17: Bernwardtür des Hildesheimer Domes (Ausschnitt), 1015. Abbildung: Von den Steinen, Homo Caelestis. Bildband, zwischen S. 22 und 23. Abb. IV/18: Psalter der Abtei St. Alban bei London (Albani-Psalter), um 1125. Hildesheim, St. Godehard, Kirchenschatz, fol. 3r. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Abtei St. Godehard aus: Krönig, Engel, Nr. 6. Foto: Medienwerkstatt der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky. Abb. IV/19: Lambert von Saint-Omer, Liber floridus. Nordfrankreich, 12. Jahrhundert. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. I Gud. lat., fol. 12r. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek aus: Heitzmann/Carmassi, Liber Floridus, S. 95. Abb. IV/20: Hildegard von Bingen, Scivias 1,6. Original: Wiesbaden, Landesbibliothek, Rupertsberger Kodex (heute verloren). Handkopie der Abtei St. Hildegard, Rüdesheim-Eibingen, Tafel 9. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Abtei St. Hildegard. Abb. IV/21: Hrabanus Maurus, De laudibus sanctae crucis. 11. Jahrhundert. Orl8ans, BibliothHque Municipale Ms. 145, fol. 13. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der BibliothHque Municipale Orl8ans. Abb. IV/22: Psalter aus Corbie, um 810. Amiens, BibliothHques d’Amiens-M8tropole, Ms 18 C, fol. 67v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der BibliothHques d’Amiens M8tropole. Abb. IV/23: Bamberger Schreiberbild, 12. Jahrhundert, einer Ambrosiushandschrift vorgebunden: Ambrosius, De officiis ministrorum. Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Patr. 5, fol. 1v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek Bamberg. Foto: Gerald Raab. Abb. IV/24: Bamberger Apokalypse, um 1000. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 17v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek Bamberg. Foto: Gerald Raab.

Abbildungsverzeichnis

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Abb. IV/25: Bible de Marchiennes, 12. Jahrhundert. Douai, BibliothHque Municipale, ms. 2, fol. 7. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der BibliothHque Municipale Douai aus: Cattin/Faure, Les anges et leur image, Abb. 140, S. 258. Abb. IV/26: Bamberger Apokalypse, frühes 11. Jahrhundert. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 24v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek Bamberg. Foto: Gerald Raab. Abb. IV/27: Apokalypse von Saint-Amand/Valenciennes, Mittelrhein, 9. Jahrhundert. Valenciennes. BibliothHque Municipale, ms 99, fol. 18. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der BibliothHque municipale Valenciennes. Abb. IV/28: Bamberger Apokalypse, frühes 11. Jahrhundert. Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 140, fol. 71v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek Bamberg. Foto: Gerald Raab. Abb. IV/29: Bamberger Sakramentar, Reichenau, nach 1018. Bodleian Library, University of Oxford, Ms. Canon. Liturg. 319, fol. 110v. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Bodleian Library Oxford aus: Kirmeier/Schneidmüller/Weinfurter/Brockhoff (Hg.), Kaiser Heinrich II., Nr. 119, S. 282. Abb. IV/30: Elfenbeinskulpur aus der Hofschule Karls des Großen. Leipzig, GRASSI Museum für angewandte Kunst, Inv. Nr. 1953.50. Abbildung nach Vorlage (Foto: Gunter Binsack) und mit freundlicher Genehmigung des GRASSI Museums Leipzig. Abb. IV/31: Ratmann-Sakramentar, Braunschweig, St. Aegidien, um 1170/1190. Braunschweig, Herzog Anton Ulrich Museum – Kunstmuseum des Landes Niedersachsen, MA 55, fol. 21r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung des Herzog Anton Ulrich-Museums. Abb. IV/32: Lambert von Saint-Omer, Liber floridus. Nordfrankreich, 12. Jahrhundert. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1 Gud. lat., fol. 15r. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel aus: Heitzmann/Carmassi, Liber Floridus S. 101. Abb. IV/33: Trierer Apokalypse, um 800/820. Trier, Stadtbibliothek/Stadtarchiv, Hs 31, fol. 38r. Abbildung nach Vorlage (Foto: Anja Runkel) und mit freundlicher Genehmigung der Stadtbibliothek Trier. Abb. IV/34: Beatus von Li8bana, Apokalypsenkommentar, Saint-Sever, um 1028. Paris, BN ms. lat. 8878, fol. 145. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Bibliothek nationale de France (BnF) aus: Roland Villeneuve, La beaut8 du Diable, Paris 1994, S. 9. Abb. IV/35: Chauvigny, Kirche Saint-Pierre, Kapitell, Mitte 12. Jahrhundert. Abbildung aus: Busch/Lohse (Hg.), Vorromanische Kunst, S. 73. Abb. IV/36: Eadwine-Psalter, frühes 11. Jahrhundert. Cambridge, Trinity College, ms. R.17.1 (Folioangabe nicht bekannt). Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Trinity College Cambridge aus: Link, Devil Abb. 16, S. 60. Abb. IV/37: Stuttgarter Bilderpsalter, Saint-Germain, um 820/830. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Fol. 23, fol. 10v (Ausschnitt). Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart aus: Althoff/ Goetz/Schubert (Hg.), Menschen im Schatten der Kathedrale, Abb. 26, S. 207. Abb. IV/38: Beatus von Li8bana, Tractatus in apocalypsen. Gerona, 975. Gerona. Museo de la Catedral di Girona, Num. Inv. 7, fol. 16v. Abbildung Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Kathedralmuseums Gerona aus: Link, Devil Abb. 59, S. 138.

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Abb. IV/39: Beatus von Li8bana, Tractatus in apocalypsen. Silos, um 1100. London, T British Library Board, Add. Ms. 11695, fol. 2r (dem Beatustext vorgebunden). Abbildung mit freundlicher Genehmigung und nach Vorlage (Digitalisat) der British Library. Abb. IV/40: Codex Aureus Epternacensis, Echternach um 1030. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 156142, fol. 20r. Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg aus: Althoff/Goetz/Schubert (Hg.), Menschen im Schatten der Kathedrale Abb. 28, S. 215. Abb. IV/41: Evangelistar (Perikopenbuch) Heinrichs III. Echternach, um 1030/1040. Bremen, Staats- und Universitätsbibliothek, msb. 021, fol. 77r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen. Abb. IV/42: Bamberger Psalter, um 1230. Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Bibl. 48, fol. 61r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek Bamberg. Foto: Gerald Raab. Abb. IV/43: Autun, Kathedrale, um 1125/1130. Autun, Mus8e Lapidaire, Kapitelsaal. Abbildung: Zarnecki, Romanik, Abb. 84, S. 68. Abb. IV/44: Conques, Kathedrale, Tympanon. Abbildung: Legros, Le diable et l’enfer S. 312. Abb. IV/45: Abbildung: Russell, Lucifer S. 45. Die dortige Herkunftsangabe (Evangelistar Heinrichs III.) trifft auf die dort angegebene Faksimileausgabe der Bremer Handschrift nicht zu. Die Vorlage konnte nicht ermittelt werden. Abb. IV/46: Hitda-Codex, Köln, um 1020. Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Hs. 1640, fol. 76r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt. Abb. IV/47: Drogo-Sakramentar, Metz 850/55. Paris, Bibl. nat. Ms. lat. 9428, fol. 91r. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der BibliothHque nationale de France nach dem Faksimiledruck: Codices selecti 49, Graz 1974. Foto: Medienwerkstatt der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky. Abb. IV/48: Verona, San Zeno Maggiore, Portal, 11./12. Jahrhundert. Abbildung: Schade, Dämonen und Monstren, Abb. 40. Abb. IV/49: Autun, Kathedrale, Tympanon des Weltgerichtsportals, um 1140. Abbildung: Althoff/Goetz/Schubert, Menschen im Schatten der Kathedrale Abb. 27, S. 212. Abb. IV/50: Evangelistar Heinrichs III., Echternach, um 1030. Bremen, Staats- und Universitätsbibliothek, ms 021, fol. 32r. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen. Abb. IV/51: Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum, 12. Jahrhundert. Lucca, Biblioteca Statale (BSL) ms. 1942, fol. 28v. Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Biblioteca Statale Lucca (previa autorizzazzione del Ministro dei Beni e delle Attivit/ culturali e del Turismo), aus: Schipperges, Welt der Hildegard, Abb. 41, S. 84. Abb. IV/52: Glossarium Salomonis, Kloster Prüfening, 1158/1165. München, Bayerische Staatsbibliothek, clm 13002, fol. 7v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Staatsbibliothek München. Abb. IV/53: Grabplatte des Gegenkönigs Rudolfs von Rheinfelden (in vollem Ornat!). Merseburg, Dom, bald nach 1080. Abbildung: Vereinigte Domstifter, Bildarchiv Merseburg, mit freundlicher Genehmigung des Leiters der Domstiftsbibliothek und des Domstiftsarchivs Merseburg.

Abbildungsverzeichnis

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Abb. IV/54: Notker Balbulus. Titelbild zu Notkers Hymnenbuch. Minden 1022/1025. Berlin, SBB-PK, Ms. theol. lat. qu. 11 (derzeitiger Aufbewahrungsort Krakau, Jagiellonen-Bibliothek: Berol. SBB-PK, Ms. theol. lat. qu. 11). Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin und der Jagiellonen-Bibliothek Krakau aus: Vogler (Hg.), Kultur der Abtei Sankt Gallen, Taf. 9, S. 81. Abb. IV/55: Hrabanus Maurus, De laudibus sanctae crucis. Fulda, um 840. Wien, Österreichische Nationalbibliothek Cod. 652, fol. 1v (Dedikationsbild). Abbildung nach Vorlage (Faksimile) und mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Abb. IV/56: Mals, Wandmalerei in der Benediktkirche, vor 881 (geistlicher Stifter). Abbildung: Von den Steinen, Homo Caelestis, Bd. 2, Abb. 77c. Abb. IV/57: Evangeliar aus Centula, Hofschule Karls des Großen, kurz vor 800. Abbeville, BibliothHque municipale, Ms. 4, fol. 17v. Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der BibliothHque municipale Abbeville (Foto: T Yazid Medmoun [42]). Abb. IV/58a: Stuttgarter Bilderpsalter, Saint-Germain-des-Pr8s, um 830. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Bibl. Fol. 23, fol. 57v (Ausschnitt). Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Abb. IV/58b: Ebd. fol. 33v (Ausschnitt), Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Abb. IV/58c: Ebd. fol. 143v (Ausschnitt), Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Abb. IV/59: Utrechtpsalter, Reims, um 830. Utrecht, Universitätsbibliothek Hs. 32, fol. 74v (Ausschnitt). Abbildung nach Vorlage und mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Utrecht.

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2.

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Abkürzungsverzeichnis

Abb. Bd./Bde. B.T. CCL CCM CSEL FSGA MGH AA Dt. MA Epp. Epp. sel. Ldl SS SSrG SSrL SSrM QGG Migne PL

Abbildung Band / Bände Bibliothecana Teubneriana Corpus Christianorum. Series latina Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe Monumenta Germaniae Historica Auctores antiquissimi Deutsches Mittelalter Epistolae Epistolae selectae Libelli de lite Scriptores Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum Scriptores rerum Merovingicarum Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters Jacques Paul Migne: Patrologiae cursus completus […] Series Latina Misc. Med. Miscellanea Mediaevalia ND Nachdruck n. F. Neue Folge n.s. nova series / new series RHC Hist. Occ. Recueil des historiens des croisades, Historiens occidentaux S. Seite SChr Sources chr8tiennes Sp. Spalte SSCI Settimane di studio del Centro italiano di studi sull’alto medioevo TRE Theologische Realenzyklopädie

Quellenverzeichnis

3.

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Quellenverzeichnis

Abaelard, Expositio in Hexaemeron, ed. Mary Romig und David Luscome, CCM 15, Turnhout 2004, S. 1–111. Abaelard, Theologia scholarium, ed. Eligius M. Buytaert und Constant J. Mews, CCM 13, Turnhout 1987, S. 313–549. Adalbold, Vita Heinrici II imperatoris, ed. Georg Waitz, MGH SS 4, Hannover 1841, S. 679– 695. Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, ed. Bernhard Schmeidler, MGH SSrG 2, Hannover-Leipzig 31917. Adamnanus von Iona, Vita Columbae, ed. Alan Orr und Marjorie Ogilvie Anderson, Adomnan’s Life of Columba, London 1961. Ademar von Chabannes, Chronicon, ed. Pascale Bourgain (unter Mitarbeit von Richard Landes und Georges Pon), CCM 129, Turnhout 1999. Ado von Vienne, Chronicon, Migne PL 123, Paris 1852 (ND Turnhout 1990), Sp. 23–138. Ado von Vienne, Martyrologium, Migne PL 123, Paris 1852 (ND Turnhout 1990), Sp. 201– 420. Ado von Vienne, Vita Theudarii abbatis Viennensis, ed. Bruno Krusch, MGH SSrM 3, Hannover-Leipzig 1896, S. 525–530. Aelred von Rievaulx, De speculo caritatis, ed. C.H. Talbot, CCM 1, Turnhout 1971, S. 3–161. Aelred von Rievaulx, Homiliae de oneribus propheticis Isaiae, ed. Gaetano Raciti, CCM 2D, Turnhout 2005. Aelred von Rievaulx, Sermones, CCM 2 A-C, ed. Gaetano Raciti, Turnhout 1989–2012. Aethicus Ister, Cosmographia, ed. Otto Prinz, MGH QGG 14, München 1993. Agnellus von Ravenna, Liber pontificalis ecclesiae Ravennatis, ed. Deborah Mauskopf Deliyannis, CCM 199, Turnhout 2006. Agobard von Lyon, Contra libros quattuor Amalarii abbatis, ed. Lieven Van Acker, CCM 52, Turnhout 1981, S. 252–267. Agobard von Lyon, De cavendo convictu et societate Iudaica, ed. Lieven Van Acker, CCM 52, Turnhout 1981, S. 229–234. Agobard von Lyon, De fidei veritate et totius boni institutione, ed. Lieven Van Acker, CCM 52, Turnhout 1981, S. 251–279. Agobard von Lyon, De Iudaicis superstitionibus et erroribus, ed. Lieven Van Acker, CCM 52, Turnhout 1981, S. 197–221. Agobard von Lyon, De picturis et imaginibus, ed. Lieven Van Acker, CCM 52, Turnhout 1981, S. 149–181. Agobard von Lyon, De quorundam inlusione signorum, ed. Lieven Van Acker, CCM 52, Turnhout 1981, S. 235–243. Agobard von Lyon, De spe et timore, ed. Lieven Van Acker, CCM 52, Turnhout 1981, S. 427– 454. Agobard von Lyon, Epistolae, ed. Ernst Dümmler, MGH Epp. 5, Berlin 1899, S. 150–239. Alberich von Troisfontaines, Chronicon, ed. Paul Scheffer-Boichorst, MGH SS 23, Hannover 1874, S. 631–950. Aldhelm von Sherborne (Malmesbury), Prosa de virginitate (De laudibus virginitatis sive de virginitate sanctorum), ed. Scott Gwara, CCL 124A, Turnhout 2001.

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Alger von Lüttich, Liber de misericordia et iustitia, Migne PL 180, Paris 1855 (ND Turnhout 1998), Sp. 857–969. Alkuin, Contra Felicem Urgellitanum episcopum, Migne PL 101, Paris 1851 (ND Turnhout 1980), Sp. 119–230. Alkuin, Commentaria in Apocalypsin, Migne PL 100, Paris 1851 (ND Turnhout 1982), Sp. 1085–1156. Alkuin, Commentaria in s. Iohannis evangelium, Migne PL 100, Paris 1851 (ND Turnhout 1982), Sp. 734–1008. Alkuin (?), Confessio fidei, Migne PL 101, Paris 1851 (ND Turnhout 1980), Sp. 1027–1098. Alkuin, De dialectica, Migne PL 101, Paris 1851 (ND Turnhout 1980), Sp. 949–976. Alkuin (?), De divinis officiis, Migne PL 101, Paris 1851 (ND Turnhout 1980), Sp. 1173– 1286. Alkuin, De fide sanctae et individuae trinitatis, ed. Eric Knibbs und E. Ann Matter, CCM 249, Turnhout 2012. Alkuin, Epistolae, ed. Ernst Dümmler, MGH Epp. 4, Berlin 1895, S. 1–481. Alkuin, Interrogationes et responsiones in Genesin, Migne PL 100, Paris 1851 (ND Turnhout 1982), Sp. 515–570. Alkuin, Opusculum de psalmorum usu, Migne PL 101, Paris 1851 (ND Turnhout 1980), Sp. 465–508. Alkuin, Vita (II) Vedastis episcopi Atrebatensis, ed. Bruno Krusch, MGH SSrM 3, Hannover 1896, S. 414–427. Alkuin, Vita Willibrordi, ed. Wilhelm Levison, MGH SSrM 7, Hannover-Leipzig 1920, S. 81–141. Amalar von Metz, Liber officialis (De ecclesiasticis officiis), ed. Jean Michel Hanssens, Amalarii episcopi opera liturgica omnia, Bd. 2 (Studi e testi 139), Vatican 1948. Amalar von Metz, Liber de ordine antiphonarii, ed. Jean Michel Hanssens, Amalarii episcopi opera liturgica omnia, Bd. 3 (Studi e testi 140), Vatican 1950. Ambrosiaster, Commentarius in epistolas Paulinas CXXVII, ed. Heinrich Joseph Vogels, CSEL 81,3, Wien 1969. Ambrosiaster, Quaestiones Veteris et Novi Testamenti, ed. Alexander Souter, CSEL 50, Wien-Leipzig 1908. Ambrosius, Expositio psalmi CXVIII, ed. Michael Petschenig, CSEL 62, Wien-Leipzig 1913. Ambrosius, De Abraham, ed. Karl Schenkl, CSEL 32/2, Prag-Wien-Leipzig 1897, S. 501– 638. Ambrosius, De Isaac uel anima, ed. Karl Schenkl, CSEL 32/2, Prag-Wien-Leipzig 1897, S. 641–700. Ambrosius, Epistolae extra collectionem traditae, ed. Michaela Zelzer, CSEL 82,3, Wien 1982, S. 145–311. Ambrosius, Explanatio psalmorum XII, ed. Michael Petschenig, CSEL 64, Wien-Leipzig 1919. Ambrosius, Expositio evangelii secundum Lucam, ed. Mark Adriaen, CCL 14, Turnhout 1957, S. 1–400. Ambrosius Autpertus, Expositio in Apocalypsin, ed. Robert Weber, CCM 27, Turnhout 1975. Ambrosius Autpertus, Libellus de conflictu uitiorum atque uirtutum, ed. Robert Weber, CCM 27B, Turnhout 1979, S. 907–931.

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564

Verzeichnisse

Arnold von St. Emmeram, De miraculis et memoria beati Emmerammi (Dialogus), Migne PL 141, Paris 1853 (ND Turnhout 1985), Sp. 989–1090. Arnulf von Lisieux, Invectiva in Girardum, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 12, S. 707– 720. Astronomus, Vita Hludowici imperatoris, ed. Ernst Tremp, MGH SSrG 64, Hannover 1995, S. 279–555. Atto von Vercelli, Expositio epistolarum s. Pauli, Migne PL 134, Paris 1853 (ND Turnhout 1990), Sp. 125–834. Auctor incertus (Isidor von Sevilla?), Sermones, Migne PL 83, Paris 1850 (ND Turnhout 1979), Sp. 1217–1228. Auctor incertus, Homiliae de tempore, Migne PL 95, Paris 1851 (ND Turnhout 1980), Sp. 1159–1458. Audoenus von Rouen, Vita Eligii, Migne PL 87, Paris 1851 (ND Turnhout 1982), Sp. 473– 594. Augustinus, De baptismo, ed. Michael Petschenig, CSEL 51, Wien-Leipzig 1908, S. 145– 376. Augustinus, Contra Faustum, ed. Josef Zycha, CSEL 25, Prag-Wien-Leipzig 1891, S. 251– 797. Augustinus, Contra Iulianum opus imperfectum, ed. Michaela Zelzer, CSEL 85,2, Wien 2004. Augustinus, De bono coniugali, ed. Joseph Zycha, CSEL 41, Prag-Wien-Leipzig 1900, S. 187–231. Augustinus, De catechizandis rudibus, ed. Johann-Baptist Bauer, CCL 46, Turnhout 1969, S. 117–178. Augustinus, De civitate Dei, ed. Bernhard Dombart und Alfons Kalb, CCL 47/48, Turnhout 1955 (nach der Ausgabe von Dombart/Kalb, B.T., Leipzig 1928). Augustinus, De correptione et gratia, Migne PL 44, Paris 1841 (ND Turnhout 1993), Sp. 915–946. Augustinus, De duabus animabus, ed. Josef Zycha, CSEL 25,1, Prag-Wien-Leipzig 1891, S. 51–80. Augustinus, De Genesi ad litteram, ed. Joseph Zycha, CSEL 28/1, Prag-Wien-Leipzig 1899, S. 1–435. Augustinus, De Genesi contra Manichaeos, ed. Dorothea Weber, CSEL 91, Wien 1998. Augustinus, De libero arbitrio, ed. William M. Green und Klaus D. Daur, CCL 29, Turnhout 1970, S. 209–321. Augustinus, De mendatio, hg. v. Joseph Zycha, CSEL 41, Prag-Wien-Leipzig 1900, S. 413– 466. Augustinus, De quantitate animae, ed. Wolfgang Hörmann, CSEL 89, Wien 1986, S. 131– 231. Augustinus, De sermone Domini in monte, ed. A. Mutzenbacher, CCL 35, Turnhout 1967. Augustinus, De trinitate, ed. William John Mountain und FranÅois Glorie, CCL 50/50A, Turnhout 1968. Augustinus, Enarrationes in psalmos, ed. Eligius Dekkers und Jean Fraipont, CCL 38–40, Turnhout 1956. Augustinus, Epistulae, ed. Alois Goldbacher, CSEL 34,2 und 57, Wien-Leipzig 1898/1911.

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Verzeichnisse

Beda Venerabilis, In primam partem Samuhelis, ed. David Hurst, CCL 119, Turnhout 1962, S. 1–273. Beda Venerabilis, In principium Genesis usque ad natiuitatem Isaac, ed. Charles William Jones, CCL 118A, Turnhout 1967. Beda Venerabilis, In prouerbia Salomonis, ed. David Hurst, CCL 119B, Turnhout 1983, S. 23–163. Beda Venerabilis, Martyrologium, Migne PL 94, Paris 1850 (ND Turnhout 1968), Sp. 797– 1148. Beda Venerabilis, Vita Cuthberti, ed. Bertram Colgrave, Two Lives of Saint Cuthbert, Cambridge 1940, S. 141–307. Benzo von Alba, Ad Heinricum IV imperatorem, ed. Hans Seyffert, MGH SSrG 65, Hannover 1996. Bernhard von Clairvaux, De consideratione ad Eugenium papam, ed. Jean Leclercq und Henri M. Rochais, Sancti Bernardi Opera Bd. 3, Rom 1963, S. 393–493. Bernhard von Clairvaux, Epistolae, ed. Jean Leclercq und Henri M. Rochais, Sancti Bernardi Opera Bd. 7 und 8, Rom 1974/1975. Bernhard von Clairvaux, Liber de gradibus humilitatis et superbiae, ed. Jean Leclercq und Henri M. Rochais, Sancti Bernardi Opera Bd. 3, Rom 1963, S. 13–58. Bernhard von Clairvaux, Sententiae, ed. Jean Leclercq und Henri M. Rochais, Sancti Bernardi Opera Bd. 6/2, Rom 1972, S. 7–255. Bernhard von Clairvaux, Sermones in dominica in kalendis novembris, ed. Jean Leclercq und Henri M. Rochais, Sancti Bernardi Opera Bd. 5, Rom 1963, S. 304–326. Bernhard von Clairvaux, Sermones in uigilia natiuitatis, ed. Jean Leclercq, C.H. Talbot und Henri M. Rochais, Sancti Bernardi Opera Bd. 4, Rom 1966, S. 197–244. Bernhard von Clairvaux, Sermones de diversis, ed. Jean Leclercq und Henri M. Rochais, Sancti Bernardi Opera Bd. 6,1, Rom 1970, S. 73–406. Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica canticorum, ed. Jean Leclercq, C.H. Talbot und Henri M. Rochais, Opera Bd. 1 und 2, Paris 1957/1958. Bernhard von Clairvaux, Sermones in psalmum ›Qui habitat‹, ed. Jean Leclercq, C.H. Talbot und Henri M. Rochais, Opera Bd. 4, Rom 1966, S. 383–492. Bernold von St. Blasien, Chronicon, ed. Ian Stuart Robinson, MGH SSrG n.s. 14, Hannover 2003. Berthold von Reichenau, Chronicon, ed. Ian Stuart Robinson, MGH SSrG n.s. 14, Hannover 2003. Berthold von Zwiefalten, Chronicon, ed. Luitpold Wallach, Erich König und Karl Otto Müller (Schwäbische Chroniken der Stauferzeit 2), Stuttgart 1941 (ND Sigmaringen 1978). Boethius, Contra Eutychen et Nestorium, ed. Claudio Moreschini, München-Leipzig 2000 (B.T.), S. 206–241. Boethius, De hebdomadibus (Quomodo substantiae in eo, quod sint, bonae sint), ed. Claudia Moreschini (B.T.) , München-Leipzig 2000, S. 186–194. Boethius, In Isagogen Porphyrii commenta, ed. Samuel Brandt, CSEL 48, Wien-Leipzig 1906. Boethius, In librum Aristotelis Peri hermeneias. Pars prior, ed. Karl Meiser, Leipzig 1877. Bonifatius, Epistolae, ed. Michael Tangl, MGH Epp. sel. 1, Berlin 1916 (21955). Bonizo von Sutri, Liber ad amicum, ed. Ernst Dümmler (nach der Edition von Philipp Jaff8), MGH Ldl 1, Hannover 1891, S. 568–620.

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568

Verzeichnisse

Conversio et passio Afrae, ed. Bruno Krusch, MGH SSrM 3, Hannover 1896, S. 41–64. Cyprian von Karthago, Ad Quirinum, ed. Robert Weber, CCL 3, Turnhout 1972, S. 1–179. Cyprian von Karthago, Epistolae, ed. G. F. Diercks, CCL 3B und 3C, Turnhout 1994–1996. Gennadius (?), De ecclesiasticis dogmatibus, Migne PL 83, Paris 1850 (ND Turnhout 1979), Sp. 1227–1244. Desiderius von Monte Cassino, Dialogi de miraculis sancti Benedicti, ed. Gerhard Schwartz und Adolf Hofmeister, MGH SS 30/2, Hannover 1934, S. 1111–1151. Dhuoda, Liber manualis, ed. Pierre Rich8 (SChr 225bis), Paris 21991. Dialogus quaestionum LXV, Migne PL 40, Paris 1841, Sp. 733–752. Dionysios Areopagita, s. Ps.-Dionysios Areopagita Donatus, Vita Trudonis confessoris Hasbaniensis, ed. Wilhelm Levison, MGH SSrM 6, Hannover-Leipzig 1913, S. 264–298. Eadmer, Liber de sancti Anselmi similitudinibus, Migne PL 159, Paris 1854 (ND Turnhout 1992), Sp. 605–708. Eadmer, Vita Anselmi, ed. Richard William Southern, The Life of St Anselm, Archbishop of Canterbury, by Eadmer (Oxford Medieval Texts), Oxford 1962 (ND 1972). Eigil, Vita Sturmi, ed. Pius Engelbert, Die Vita Sturmi des Eigil von Fulda. Literarkritischhistorische Untersuchung und Edition (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck 29), Marburg 1968, S. 131–163. Einhard, Translatio et miracula Marcellini et Petri, ed. Georg Waitz, MGH SS 15/1, Hannover 1887, S. 238–264; ed. Denis Drumm. Annette Grabowsky, Clemens Radl und Monika Wenz, Einhard, Translatio et miracula sanctorum Marcellini et Petri (Acta Einhardi. Jahrbuch der Einhard-Gesellschaft e.V., Seligenstadt 2), Seligenstadt 2015, S. 42–141. Einhard, Vita Karoli, ed. Oswald Holder-Egger, MGH SSrG 25, Hannover-Leipzig 61911. Ekkebert, Vita s. Haimeradi presbiteri, ed. Rudolf Köpke, MGH SS 10, Hannover 1852, S. 598–607. Ekkehard IV., Casus s. Galli, ed. von Gerold Meyer von Knonau (Mittheilungen zur vaterländischen Geschichte 15/16 = N. F. 5/6), St. Gallen 1877; ed. Hans F. Haefele, FSGA 10, Darmstadt 42002.] Eligius von Noyen, Homiliae, Migne PL 87, Paris 1851 (ND Turnhout 1982), Sp. 593–654. Encyclica Daimberti, siehe Epistolae diversorum Epistolae ad divortium Lotharii II regis pertinentes, ed. Ernst Dümmler, MGH Epp. 6, Berlin 1925, S. 207–240. Epistolae Arelatenses genuinae, ed. Wilhelm Gundlach, MGH Epp. 3, Berlin 1957, S. 1–83. Epistolae diversorum ad Paschalem papam (Enzyclica Daimberts, Gottfrieds von Bouillon und Graf Raimunds von S. Aegidius), Migne PL 163, Paris 1854 (ND Turnhout 1990), Sp. 447–470. Epistolae variorum Carolo magno regnante scriptae, ed. Ernst Dümmler, MGH Epp. 4, Berlin 1895, S. 494–567. Epistolae Wisigoticae, ed. Wilhelm Gundlach, MGH Epp. 3, Berlin 1957, S. 658–690. Eucherius von Lyon, Instructiones, ed. Carleen Mandolfo, CCL 66, Turnhout 2004, S. 77– 216. Eucherius von Lyon, Passio Acaunensium martyrum, ed. Bruno Krusch, MGH SSrM 3, Hannover 1896, S. 20–41.

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Verzeichnisse

Gregor der Große, Expositio in septem psalmos poenitentiales, Migne PL 79, Paris 1849 (ND Turnhout 1986), Sp. 549–658. Gregor der Große, Homiliae in Evangelia, ed. Raymond Ptaix, CCL 141, Turnhout 1999. Gregor der Große, Homiliae in Ezechielem prophetam, ed. Mark Adriaen, CCL 142, Turnhout 1971, S. 3–398. Gregor der Große, Liber sacramentorum, Migne PL 78, Paris 1849 (ND Turnhout 1986), Sp. 9–240. Gregor der Große, Moralia in Iob, ed. Mark Adriaen, CCL 143/143A/143B, Turnhout 1979– 1985. Gregor der Große, Registrum epistolarium, ed. Dag Norberg, CCL 140/140A, Turnhout 1982. Gregor der Große, Regula pastoralis, ed. Floribert Rommel, SChr 381, Paris 1992. Gregor VII., Epistolae (Register), ed. Erich Caspar, 2 Bde., MGH Epp. sel. 2, Berlin 1920– 1923. Gregor von Tours, De miraculis s. Martini, ed. Bruno Krusch, MGH SSrM 1,2, Hannover 1885, S. 134–210. Gregor von Tours, Historiae, ed. Bruno Krusch und Wilhelm Levison, MGH SSrM 1,1, Hannover 1951. Gregor von Tours, Liber in gloria martyrum, ed. Bruno Krusch, MGH SSrM 1,2, Hannover 1885, S. 284–370. Gregor von Tours, Liber vitae patrum, ed. Bruno Krusch, MGH SSrM 1,2, Hannover 1885, S. 661–744. Guibert von Nogent, De incarnatione contra Iudaeos, Migne PL 156, Paris 1853 (ND Turnhout 1990), Sp. 489–528. Guibert von Nogent, De virginitate, Migne PL 156, Paris 1853 (ND Turnhout 1990), Sp. 579–608. Guibert von Nogent, Moralia in Genesin, Migne PL 156, Paris 1853 (ND Turnhout 1990), Sp. 19–337. Hartmann von Aue, Erec, ed. Albert Leitzmann, 7. Aufl., besorgt von Kurt Gärtner (Altdeutsche Textbibliothek 39), Tübingen 2006. Hartmann von Aue, Gregorius, ed. Hermann Paul, neu bearb. von Burghart Wachinger (Altdeutsche Textbibliothek 2), 15. Aufl., Tübingen 2004. Haymo von Auxerre, Commentarium in Cantica canticorum, Migne PL 117, Paris 1852 (ND Turnhout 1995), Sp. 295–358. Haymo von Auxerre, De varietate librorum sive de amore coelestis patriae, Migne PL 118, Paris 1852 (ND Turnhout 1993), Sp. 875–958. Haymo von Auxerre, Expositio in Apocalypsin, Migne PL 117, Paris 1852 (ND Turnhout 1995), Sp. 937–1220. Haymo von Auxerre, Expositio in divi Pauli epistolas, Migne PL 117, Paris 1852 (ND Turnhout 1995), Sp. 361–938. Haymo von Auxerre, Homiliae de tempore, Migne PL 118, Paris 1852 (ND Turnhout 1993), Sp. 11–746. Heinrich von Veldeke, Eneide (Eneasroman), ed. Gabriele Schieb und Theodor Frings (Deutsche Texte des Mittelalters 58), Berlin 1964. Heiric von Auxerre, Homiliae per circulum anni, CCM 116, 116A, 116B, ed. Ricardo Quadri, Turnhout 1992–1994.

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Verzeichnisse

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Verzeichnisse

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Autorenregister (einschließlich anonymer und Bildquellen) Die Erläuterungen dienen ausschließlich der Identifizierung und sind so knapp wie möglich gehalten. Sofern nicht anders angegeben, beziehen sich die Amtsangaben auf den Ort im Namenszusatz. Autoren und Personen sind normal, anonyme Werke, Handschriften sowie unhistorische bzw. historisch nicht nachweisbare Personen kursiv gesetzt. Verwendete Abkürzungen: A. = Abt; Äbt. = Äbtissin; ags. = angelsächsisch; Anf. = Anfang; Ap. = Apostel; Bf. = Bischof; bibl. = biblisch; Br. = Bruder ; byz. = byzantinisch; chr. = christlich; Dia. = Diakon; E. = Ende; Ebf. = Erzbischof; engl. = englisch; Ev. = Evangelist; frk. = fränkisch; frz. = französisch; Gel. = Gelehrter ; Gem. = Gemahlin; Gesch. = Geschichte/Geschichts-; Gf. = Graf; gr. = griechisch; ital. = italienisch; H. = Hälfte; Hl. = Heiliger ; Hz. = Herzog; ir. = irisch; Jh. = Jahrhundert; jüd. = jüdisch; Kan. = Kanoniker/Kanonisse; Kard. = Kardinal; Kg. = König; Kl. = Kloster ; Ks. = Kaiser; L. = Lehrer; lang. = langobardisch; M. = Mönch; Mgr. = Markgraf; Mt. = Mitte; mhd. = mittelhochdeutsch; N. = Nonne; P. = Papst; Pr. = Priester ; röm. = römisch, S. = Sohn; T. = Tochter ; Vf. = Verfasser. Abaelard, s. Petrus Abaelardus Adalbold von Utrecht (Vita Heinrici II) (ca. 970–1026), Bf. st. 1010 265, 334 Adam von Bremen († ca.1085), Domscholaster 26, 215, 482f., 529 Adamnan von Iona (Vita Columbae) (ca. 624–704), A. v. Iona st. 679 25, 119, 136, 141 Ademar von Chabannes (ca. 988–1034), M. von St. Martial in Limoges 249, 427 Ado von Vienne (ca. 800–875), Ebf. st. 859/ 60 143, 224f., 517 Aelfric (ca. 955–ca. 1025), A. v. Eynsham 117, 201 Aelred von Rievaulx (ca. 1100–1167), Zisterzienser-A. st. 1147 36, 39, 54f., 75, 122, 150, 217, 219, 264, 282f., 315, 395, 485f., 491 Aethicus Ister, (angebl.) Verf. einer Kosmographie, wohl Mitte 8. Jh. 200 Agnellus von Ravenna (ca. 800/805– n. 846), Pr. 91, 106

Agobard von Lyon (ca. 769–840), Ebf. st. 816 212, 248, 292, 311, 329f., 430, 486 Alberich von Troisfontaines († n. 1252), Zisterzienser-M., Vf. einer Weltchronik 501 Aldhelm von Sherborne (Malmesbury) (ca. 640–709), 675 A. v. Malmesbury, 705 Bf. v. Sherborne 433f. Alexander von Hales (ca. 1185–1245), Franziskaner-M., L. in Paris 531 Alger von Lüttich († ca. 1131/32), L. in Lüttich, st. 1121 M. in Cluny 332f. Alkuin (ca. 730–804), ags. Gel. am Hof Karls d. Gr., st. 796 A. in Tours 43f., 53, 56, 61, 65, 77, 86, 91, 98, 118, 124, 127–129, 150, 226, 249, 325, 327, 377, 397, 411f., 433, 473, 480, 499, 501, 513, 516 Altsächsisches Taufgelöbnis (E. 8. Jh.) 326 Amalar von Metz (ca. 775–850), Ebf. v. Trier st. 809 53f., 89f., 430

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Autorenregister (einschließlich anonymer und Bildquellen)

Ambrosiaster (2. H. 4. Jh.), Exeget 197, 416, 500 Ambrosius Autpertus († 784), A. v. San Vincenzo b. Capua st. 777 86, 91, 223, 315, 325, 498f. Ambrosius von Mailand (ca. 339–397), Bf. st. 374 55, 91, 122, 128, 175, 420, 517, 519 Amulo von Lyon († 852), Ebf. st. 841 330 Anastasius Bibliothecarius (811/15–879), päpstl. Bibliothekar 69f. Andreas von St. Viktor († 1175), Kan. in Paris, A. v. Wigmore in England st. 1147/48 383, 418 Angelomus von Luxeuil († ca. 855), M. u. Exeget 55, 91, 199, 254, 511, 513 Annales Bertiniani (741–882, als Fortsetzung der Annales regni Francorum, 835–861 verf. v. Prudentius v. Troyes, ab 861 v. Hinkmar v. Reims) 249, 293, 312, 336 Annales Fuldenses (714–901, als Fortsetzung der Annales regni Francorum) 218, 269, 291f., 304 Annales Quedlinburgenses (Weltchronik, bis 1025) 48, 528 Annales s. Bavonis Gandenses 141, 146 Annales Xantenses (640–873, am Niederrhein verf.) 292f. Anselm von Canterbury (ca. 1033–1109), Ebf. st. 1093 19, 34, 51, 55, 61, 69f., 74f., 127, 133, 188, 201, 203, 205, 284, 400, 476, 483, 547 Anselm von Laon († 1117), L. der Domschule st. ca. 1080 215, 247, 384 Apokalypse (Bibelbuch) 73, 81f., 84, 89, 128, 139f., 142, 171, 176, 178, 186, 195, 197f., 201, 204f., 211, 219, 230, 319–321, 329, 486 Apokalypse von Saint-Amand 140, 179 Apuleius (ca. 121–n. 170), röm.-heidn. Philosoph 214 Archanald von Angers (Vita Maurilii) (Anf. 10. Jh.), Dia. 195 Arnold von St. Emmeram, Propst 1. H. 11. Jh. 254

Arnulf von Lisieux (vor 1109–ca. 1182), Bf. st. 1141 417 Astronomus (Vita Hludowici Pii), Kaplan am Ks.hof 335 Athanasius (ca. 295–373), Bf. v. Alexandria st. 328, Vf. d. Antoniusvita 187 Atto von Vercelli († vor 964), Bf. st. 924 119, 332 Audoenus (Audoin, Ouen) von Rouen (Vita Eligii) († 684), Bf. st. 640/41 133, 137 Augustinus (354–430), Kirchenvater, Bf. v. Hippo Regius st. 396 14f., 29f., 33, 38f., 43–51, 54f., 58, 60–62, 71, 85–88, 91, 118, 155, 185–189, 191f., 194f., 200f., 203, 210, 212–216, 219, 225f., 246, 253, 260, 284, 313, 315–318, 321, 329, 331, 333, 338f., 343, 373f., 376, 378, 380–382, 385–388, 395, 397–402, 404f., 407, 409, 411, 414f., 419, 421, 475, 477, 483, 486, 488, 491, 494–496, 498–501, 506, 508, 512f., 516–518, 525, 530f., 548 Bamberger Apokalypse 73, 81f., 128, 139f., 142, 158, 162–166, 176, 178, 180 Bamberger Psalter 241, 356 Bamberger Sakramentar 142, 181 Beatus von Li8bana († n. 798), M. in Asturien 56f., 91, 116, 154, 195, 211, 219, 233, 240, 268, 350, 353, 499 Beda Venerabilis (673/74–735), M. in Jarrow 23, 29, 48, 54–56, 59f., 62–64, 66f., 78–80, 85f., 91, 97, 118, 122, 126, 130, 137, 141, 143, 145, 192, 195, 197f., 216, 225f., 238, 247, 253, 314, 323, 325f., 329, 376f., 382, 385f., 400–403, 405– 407, 431, 435, 437, 486, 494, 508f., 512f., 516, 518, 520, 525f. Benzo von Alba (ca. 1010–ca. 1089), Bf. v. Alba b. 1076/77 151, 416f. Bernhard von Clairvaux (1090–1153), A. st. 1115 61–63, 78, 91, 94, 104f., 107– 110, 115–118, 120, 130, 149, 192, 206f., 224, 245, 274, 376f., 413, 456, 488, 495 Bernold von St. Blasien (Konstanz) (ca. 1050–1100), Pr. in Konstanz, M. in St.

Autorenregister (einschließlich anonymer und Bildquellen)

Blasien (st. 1085?) und Schaffhausen (st. 1092) 312f., 338 Berthold von Reichenau († 1088), M. 337f. Berthold von Zwiefalten (ca. 1090–n. 1169), A. st. 1139 338 Bibel Gebhards von Admont 128 Bibel von Marchiennes 134, 177 Boethius (Anicius Manlius Severinus B.) (ca. 475/480–524), Gel. im Ostgotenreich, Magister officiorum st. 522 20, 390f., 393, 398, 415, 431, 470f. Bonifatius (ca. 672/75–754), ags. Missionar, Bf. v. Mainz st. 743. Hl. 41, 53f., 215f., 263, 322, 328, 376, 396, 488, 526 Bonizo von Sutri (ca. 1045–ca. 1090/94), B. spätestens 1078 335, 338 Braulio von Zaragoza (Vita Aemiliani) (n. 581–ca. 651), Bf. st. 631 346 Bruno der Kartäuser (ca. 1030–1101), L. in Köln, M. bei Grenoble, Begründer des Kartäuserordens 88f., 105f., 116, 129, 136, 140, 222 Bruno von Asti (1040/50–1123), Bf. v. Segni st. 1079/80 205, 219, 331f., 373, 384 Bruno von Merseburg (Liber de bello Saxonico, verf. 1082) 496f. Bruno von Würzburg (ca. 1005–1045), Bf. st. 1034, Vf. e. Psalmenkommentars 331 Bru(u)n Candidus († 845), M. in Fulda, Vf. d. Vita Eigilis 126 Burchard von Worms (ca. 965–1025), Bf. st. 1000 45f., 50, 59, 62, 117, 132 Candidus (Priester zur Zeit Karls des Großen) 63 Capitulatio de partibus Saxonum 216 Caradocus von Llancarfan (Lancarbanensis), Vita Gildae (vf. im 12. Jh.) 144, 146 Cassian (Johannes Cassianus) (360– ca. 430/35), L. in St. Viktor in Marseille 46, 134, 187, 534 Cassiodor(us) (Flavius Magnus Aurelius C.) (ca. 485–ca. 580), Amtsträger u. Gel.

611

im Ostgotenreich 40, 121f., 263, 394f., 412f., 431, 501 Christian (Druthmar) von Stablo (Mt. 9. Jh.), M. u. Gel. in Corbie u. Stablo 120, 134, 227f., 290 Chrodegang von Metz († 766), Bf. n. 742 224 Chromatius von Aquileja († 407), Bf. st. 387 313 Chronica monasterii Casinensis, s. Leo v. Montecassino Chronicon s. Huberti Andaginensis (ca. 700–1106) 331 Chronicon s. Michaelis in pago Virdunense 71 Clemens, ir. Missionar, 2. H. 8. Jh. 215 Clemens, s. Ps.-Clemens Codex Aureus Epternacensis 240f., 252, 354 Codex Aureus von El Escorial 57 Commentarium in Ruth (12. Jh.) 226 Conversio et passio Afrae (8. Jh.?) 295, 297, 301 Daimbert (Dagobert) (Enzyclica) († 1107), Kard., Ebf. v. Pisa 1088–1099, Patriarch v. Jerusalem 1099–1102 328 Defensio Heinrici IV, s. Petrus Crassus Desiderius von Monte Cassino (Dialogi de miraculis sancti Benedicti) (1027– 1087), A. st. 1058, P. st. 1086 (Viktor III.) 230, 303f. Dhuoda (806/811–n. 843), westfrk. Gf.in, Gem. Bernhards v. Septimanien, Vf.in eines Liber manualis (841/843) 52, 66, 85, 520, 523 (Pseudo-)Dionysios Areopagita, angebl. erster Bf. v. Athen; die unter seinem Namen kursierende Schrift über die Engelhierarchien gehört frühestens dem 5. Jh. an 38f., 42, 75f., 95f., 100, 110, 115–118 Dionysius Exiguus (ca. 470–ca. 540), Komputist u. Übersetzer in Rom 136 Donatus von Metz (Vita Trudonis) (8. Jh.) 54

612 Drogo-Sakramentar

Autorenregister (einschließlich anonymer und Bildquellen)

300f., 361

Eadmer von Canterbury (ca. 1060–n. 1128), M. u. Gel. im Umkreis Anselms v. Canterbury 73–75, 130 Eadwin-Psalter 240, 352 Eigil (ca. 750–822), A. von Fulda st. 818 225, 312 Einhard (ca. 770–840), Gel. am Hof und Biograph Karls d. Gr. 215, 293, 295f., 300, 307–309, 335, 477f., 480 Ekkebert von Hersfeld (Vita s. Haimeradi presbiteri, 1085/1090), M. 266 Ekkehard IV. von St. Gallen (Casus s. Galli) (ca. 980/90–n. 1056), M. u. L. 290, 297, 309f., 328, 480–483 Eligius von Noyon (588–660), Bf. st. 640 131 Epistolae Visigoticae 222 Eucherius von Lyon (ca. 380–449), Bf. st. ca. 434 91, 226, 265 Eusebius von Cäsarea (ca. 260/64–ca. 339/ 40), Bf. st. ca. 313 331 Evangeliar Heinrichs des Löwen 48f., 57, 359 Evangelistar Heinrichs II. 82f., 142, 167, 169 Evangelistar (Perikopenbuch) Heinrichs III. 241, 265, 345, 355, 364 Everard von Ypern (Mt. 12. Jh.), Gel. in Paris, Zisterzienser-M. in Moutier en Argonne 399 Ezechiel (Bibelbuch) 102, 208f., 223, 248 Ezzolied (Bamberg, um 1060) 374–376, 432 Felix (Vita Guthlaci) 265f. Florus von Lyon († ca. 860), Dia. 70, 119, 254, 499 Frutolf von Michelsberg († 1103), M. u. Gesch.schreiber in Bamberg 125f. Genealogiae comitum Flandriae (Lambert von Saint-Omer?) 490

Genesis (Bibelbuch) 43, 45, 81, 120f., 186, 202, 394, 420, 503f., 511, 513, 516, 518, 530 Genesis B (ags. Bibeldichtung des 9. oder frühen 10. Jh.) 207, 241f., 268, 504, 515 Gennadius von Marseille († 496), Pr. 62 Gerbert von Aurillac (ca. 945–1003), Gel., Ebf. v. Reims 991–996 und Ravenna 998, P. st. 999 (Silvester II.) 414 Gerhard (Vita Oudalrici), Kan. u. Propst in Augsburg (10. Jh.) 291, 305f., 335 Gerhoh von Reichersberg (1092/93–1169), Propst st. 1132 122, 245, 327 Gesta episcoporum Halberstadensium (780–1208, vf. 1208/15) 80 Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum (spät. 1101) 328 Gilbert von Poitiers (ca. 1080–1154), L. in Chartres u. Paris, Bf. st. 1142 20, 390– 392, 470f. Glossa ordinaria (Bibelkommentar d. 12. Jh.) 199, 211, 222, 227, 247, 253, 255, 263, 326 Glossarium Salomonis (lexikalisches Werk, 9. Jh.) 466, 536 Gottfried von Vendime (ca. 1070–1132), A. st. 1093 72, 117 Grandvalbibel (Bibel von Moutier-Grandval) 49, 521 Gratian († um 1150), Kanonist 117, 333 Gregor der Große (ca. 540–604), P. st. 590 33, 36, 38–41, 46f., 50, 55, 62f., 65, 69, 71, 75, 77f., 85f., 91, 94, 97, 99–102, 107, 110, 115–120, 129, 132, 135, 150, 192, 195, 201, 205, 207–209, 221, 227, 238, 246, 248–250, 260, 318, 379, 382, 394, 418, 487 Gregor II. (669–731), P. st. 715 215f., 263 Gregor VII. (ca. 1020/25–1085), P. st. 1073 91, 333, 335–338, 497 Gregor von Tours (538/39–593), Bf. st. 573 79, 89, 91, 121, 124, 130, 136, 143, 153, 192, 215, 235, 250, 268, 285, 291, 311–313, 326, 331, 345, 374, 426f., 429, 476, 497, 499f., 507f., 513

Autorenregister (einschließlich anonymer und Bildquellen)

Guibert von Nogent (ca. 1055–ca. 1125), A. st. 1104 52, 70, 72f., 120 Hartmann von Aue, Ependichter des späten 12. Jh. 192, 472, 489f. Haymo von Auxerre (Mitte 9. Jh.), M., L. u. Exeget 73, 76f., 87, 98, 117, 126, 195, 198, 200, 202, 221, 226f., 246, 249f., 261f., 314, 318, 325, 329, 332, 410, 494, 518 Heinrich von Veldeke († um 1200), Vf. d. Eneasromans 489 Heiric von Auxerre (841–n. 875), M. u. L. 91, 115, 203, 247, 494f. Heito (Visio Wettini) (762/63–836, M. u. A. d. Reichenau, Bf. v. Basel 802/05– 823) 85, 133, 144f. Helmold von Bosau (ca. 1120–n. 1170), Pr. u. Gesch.schreiber 295, 306 Henoch (apkryphes Bibelbuch) 37, 201 Hermann von Reichenau (1013–1054), M. u. Gel. 476 Hermann von Tournai (1095–1147), A. u. Gesch.schreiber 379, 492f. Herrad von Landsberg († 1196), Äbt. v. Hohenburg im Elsass 123, 211, 264 Herveus von D8ols (Bourg-Dieu) († ca. 1149/50), M. u. Gel. 96f., 116, 245 Heterius von Osma (8. Jh.), M. 226, 233 Hieronymus (347/48–419/20), Pr., Gel., Kirchenvater 91f., 95, 125f., 187, 194, 196, 210, 226f., 245, 247f., 263, 329f., 339, 431 Hieronymus von Raggiolo (Miracula Iohannes Gualberti) 238 Hildebert von Le Mans (Lavardin) (1056– 1134), Bf. v. Le Mans st. 1085, Ebf. v. Tours st. 1125 48, 116, 135, 208, 316f. Hildegard von Bingen (1098–1127), N. u. L.in in Disibodenberg und auf dem Rupertsberg b. Bingen 36, 51, 53, 74, 77, 88, 93, 95, 97, 100, 110–114, 116, 118–120, 149, 153, 172, 194, 201, 203, 206f., 226, 231f., 245f., 251, 260f., 263, 329, 370, 412, 422, 424f., 433, 437–439,

613

452, 456, 459–466, 486, 501, 507, 511f., 517, 535 Hilduin von Saint-Denis (ca. 775–ca. 855), A. st. 814 38, 75, 89 Hinkmar von Reims († 882), Ebf. st. 845 59, 66, 71, 85, 87f., 91, 119, 126, 142f., 145, 207, 222, 248f., 284, 293, 315f., 534 Hiob (Bibelbuch) 45, 186, 196, 200, 208, 232f. Historia Lausiaca, s. Palladius Helenopolitanus Hitda-Codex 300, 360 Honorius Augustodunensis (ca. 1080– ca. 1156), M. 22, 28, 41, 48–52, 54f., 60, 63–66, 68, 72, 74f., 88, 93, 97f., 102f., 116, 118, 120, 127, 132, 135f., 149f., 202–205, 227, 230, 243f., 253, 262, 303, 314–317, 321, 327, 372, 378f., 384, 386, 391, 403, 406–409, 423, 431–434, 437f., 453, 459, 503, 529f. Hormisdas († 523), P. st. 514 206 Hrabanus Maurus (ca. 780–856), A. v. Fulda 822–842, Ebf. v. Mainz st. 847 39, 55f., 73, 76, 86, 91–93, 97f., 102, 114–120, 124f., 132f., 150, 173, 198f., 207, 219, 222, 227, 232f., 238, 245–248, 254, 261, 263, 265, 294, 314, 326f., 330, 333f., 371f., 439, 473, 496, 513f., 517f., 539 Hrotsvith von Gandersheim (ca. 935–975), Kan. u. Dichterin 430 Hugo von Flavigny (1065–1114), A. 1096– 1110, A. v. St. Vanne 1111–1114 137– 139, 235f., 278–282, 329, 337f. Hugo von Fouilloy (de Folieto) (ca. 1100– 172/74), Prior 1132 v. Saint-Nicolas de Regny, st. 1152/52 v. St-Laurent-auxBois 435, 439, 444, 446, 499 Hugo von St. Viktor († 1141), Kan. u. L. in Paris 19, 38f., 48, 50, 53, 59, 67f., 75f., 86, 95f., 98, 115–117, 120, 122, 134, 208– 210, 225, 228, 244–246, 263, 316f., 324, 370, 374, 377, 379–381, 385–389, 391f., 397, 400, 411, 419, 422f., 427, 432, 471, 484–486, 493f., 511

614

Autorenregister (einschließlich anonymer und Bildquellen)

Humbert von Silva Candida († 1061), M. in Moyenmoutier, Kard.bf. st. 1050 223, 327 Ildefons von Toledo (ca. 607–667), Eb. st. 657 91, 377 Ingeborgpsalter 81, 161 Irenäus von Lyon (ca. 135–ca. 202), Bf. st. 177/178 37, 44, 186 Isidor von Sevilla (ca. 560–636), Bf. st. 599/ 600 38–44, 50, 53, 58f., 65f., 77–79, 85f., 89, 91, 95, 99–102, 107, 110f., 115– 117, 120–124, 131f., 134, 141, 194–203, 208–210, 214–218, 220, 227f., 238, 247, 249, 254–261, 263, 284, 326, 330, 333, 341, 376f., 380, 385, 389, 394, 397–399, 401f., 404f., 418–421, 424, 431, 437– 451, 454, 466f., 490f., 495, 498, 503–507, 509–511, 513f., 525, 531 Ivo von Chartres (ca. 1040–1115/16), Bf. st. 1090 233 Jesaja, bibl. Prophet 57, 79, 114, 194, 208, 320 Johannes, Ev. 47, 89, 186, 205, 221, 225, 233, 276, 314f., 332, 338, 494 Johannes Cassianus (ca. 360–430/35), M. u. Gel. in St. Viktor b. Marseille 46, 134, 534 Johannes Chrysostomos († 407), gr. Gel., Bf. v. Konstantinopel 95, 514 Johannes eremita (Vita quarta Bernardi) (1. H. 12. Jh.) 272f. Johannes Scotus Eriugena (9. Jh.), Gel. am Hof Karls d. Kahlen 22, 24, 38, 55, 60f., 71f., 75, 93, 98f., 116f., 134, 193f., 383, 410, 415f. Johannes VIII. († 882), P. st. 872 327f. Jonas von Bobbio (Vita Columbani) († n. 659), M. 89, 284, 311, 514f. Jonas von Orl8ans (vor 780–843), Bf. st. 818 92, 132, 207, 224f., 247, 509, 518f. Konzil von Aachen 816 Krönungsordines 90

222

Laktanz (Lucius Caecilius Firmianus qui et Lactantius) (frühes 4. Jh.), Kirchenvater 394 Lambert von Saint-Omer (Anf. 12. Jh.), Kan. u. Gel. 84, 152, 171, 184, 490 Lampert von Hersfeld (ca. 1028–n. 1081), M. u. Gesch.schreiber 234f., 285, 334, 336 Landolfus Sagax (E. 10./Anf. 11. Jh.), südital. Gesch.schreiber 215 Leo von Montecassino (Leo Marsicanus; Chronica monasterii Casinensis) (vor 1050–1115), M. u. Gesch.schreiber, Kard.bf. v. Ostia 237, 266, 270f. Lex Salica 510 Liber de bello Saxonico, s. Bruno von Merseburg Liber de modo bene vivendi (E. 12./13. Jh.) 224 Liber de unitate ecclesiae conservanda (1080/1100) 145 Liber historiae Francorum (bis 727, vf. 726/ 799) 312, 339 Liutolf von Mainz (Translatio Severi) (Mt. 9. Jh.), Pr. 269, 294, 298, 301 Liutprand von Cremona (ca. 920–970/72), Gesch.schreiber, Bf. st. 961 307, 335, 383, 497, 531 Lukas, Ev. 132, 201, 205, 273, 338, 379 Marbod von Rennes (ca. 1035–1123), Dichter, Bf. st. 1096 250 Marius Victorinus (ca. 281/91–n. 365), chr. Philosoph 500 Markus, Ev. 50, 233, 323 Melito, s. Ps.-Melito Miracula Iohannes Gualberti, s. Hieronymus von Raggiolo Missale des Heinricus de Midel (1160/70) 152 Neidhart von Reuenthal (1. H. 13. Jh.), mhd. Dichter 370, 438 Norbert von Iburg (Vita Bennonis) († 1117), A. st. 1080 342

Autorenregister (einschließlich anonymer und Bildquellen)

Notker Balbulus (ca. 840–912), M. u. Gel. in St. Gallen 90, 218, 230, 234, 236f., 243, 252, 264, 284f., 334, 343, 346, 429, 473, 480, 538 Odbertus, Passio Friderici Episcopi Traiectensis 144 Odo von Cambrai († 1113), M. u. Gel., A. v. Saint-Martin in Tournai st. 1095, Bf. 1105–1110 415, 491f. Oratio contra daemoniacum (10. Jh.?) 294 Origenes (ca. 185-ca. 254), gr. (häret.) Gel. 201f., 208f., 251, 261, 494 Orosius (380/85–ca. 418), span. Pr. u. Gesch.schreiber 50, 91, 262 Otloh von St. Emmeram (ca. 1010–n. 1079), M. st. 1032, L. u. Dekan 23, 41, 116, 234, 254, 274–278, 281, 284 Otto von Freising (ca. 1112–1158), Gesch.schreiber, Zisterzienser-M., Bf. st. 1138 69, 116, 150, 313, 316, 320f., 378f., 386, 390–396, 409f., 470f., 475, 477, 500 Palladius Helenopolitanus (Historia Lausiaca) (363/64–ca. 420/30), M., Bf. v. Helenopolis st. 400 141 Paschasius Radbertus (ca. 790–ca. 865), A. v. Corbie 343/44–851) 21, 75, 86, 91f., 118, 144, 221, 226, 313, 317, 419 Pasionario Hisp#nico (7.–11. Jh.) 235, 329 Passio Friderici Episcopi Traiectensis, s. Odbertus Passio Kiliani martyris Wirziburgensis (9. Jh.) 215 Passiones Leudegarii episcopi Augustodunensis (E. 7. u. 8. Jh.) 89, 225 Paulus (Ap.) 77, 87f., 95, 100, 102, 186, 208, 264, 499, 520 Paulus Diaconus (ca. 720/30–ca. 799), lang. M. in Montecassino u. Gesch.schreiber, Gel. am Hof Karls d. Gr. 125, 129, 203, 514

615

Peter von Auvergne († 1304), L. in Paris, Bf. v. Clermont st. 1302 531 Petrus Abaelardus (1079–1142), L. in Paris 20, 59, 71, 91, 116, 143, 188, 199, 213, 221, 254, 394, 399, 410, 413f., 416, 427, 470, 476 Petrus Alfonsi (ca. 1075–1130), jüd. Gel. u. Konvertit 141 Petrus Cantor (ca. 1130–1197), Kan. u. Lehrer an Notre Dame in Paris 229, 247, 495 Petrus Crassus (Defensio Heinrici IV, 1084), Rechtsgel. in Ravenna 486 Petrus Damiani (1007–1072), Kard.-Bf. von Ostia 1057–1067 55, 68, 86, 117, 130f., 222, 338, 381, 431, 470, 501 Petrus Lombardus (ca. 1095/1100–1160), L. an Notre Dame in Paris, 1159 Bf. v. Paris 20, 33, 35, 50, 53f., 68f., 75, 85, 95f., 115–117, 217, 219, 222, 245, 333, 388–390, 398, 495 Petrus Venerabilis (1092/94–1156), A. v. Cluny st. 1122 328 Petrus von Celle (Montier-la-Celle) (ca. 1115–1183), A. 1145, A. v. St-Remi st. 1162 223 Petrus von Poitiers (ca. 1140–1250), 1167 L., 1193 Kanzler in Paris 25, 471, 496 Plinius (der Ältere, C. P. Secundus Maior) (23–79), röm. Gel. 527 Primasius (Mt. 6. Jh.), Exeget u. Bf. v. Hadrumetum/Sousse in Tunesien 501 Prosper Tiro von Aquitanien (ca. 390– 463), Gesch.schreiber u. Sekretär P. Leos I. 134, 226 Prudentius von Troyes († 861), Bf. st. 843 117 Prudentius (Aurelius Prudentius Clemens, Vf. der Psychomachia) (349–n. 405), chr. Dichter 474 Psalter von Corbie 124, 174 Psalter von St. Alban 83f., 170 Ps.-Clemens (2./3. Jh.; Vf. der angeblich dem Petrusnachfolger zugeschriebenen Schriften) 55

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Autorenregister (einschließlich anonymer und Bildquellen)

Ps.-Melito (Vf. e. Kompilation, die nicht von dem Bf. v. Sardes des 2. Jh. stammt) 233 Radulfus Ardens (ca. 1140–ca. 1200), frz. Gel. im Dienst d. engl. Kg.s Richard I. 48, 128f., 131f., 140, 204f., 245, 247, 262 Rahewin († 1170/77), Kan. in Freising u. Gesch.schreiber (Fortsetzer Ottos v. Freising) 336 Rather von Verona (ca. 887–974), M. in Lobbes, Bf. 931–934, 946–948, 962–968, Bf. v. Lüttich 953–955 88, 91, 388f., 488, 510, 520 Ratmann-Sakramentar 152, 193 Rathramnus von Corbie († ca. 870), M. u. Gel. 21, 530f. Regino von Prüm (ca. 840–915), A. 892– 899, dann A. v. St. Martin in Trier 126, 218, 327 Regula Magistri (Mönchsregel d. 6. Jh.) 37, 90, 122, 150, 191, 339 Reichenauer Lektionar 83, 168 Reinbot von Durne (Vf. e. Georgsromans, Mt. 13. Jh.) 321 Remigius von Auxerre (ca. 841–908), M. u. L. in St-Germain d’A. 131, 136f., 247f., 314, 331, 382–384, 386, 420, 495, 503, 511, 516f. Remigius von Lyon († 875), Ebf. st. 852 51 Richard von St. Viktor († 1173), Kan. u. L., Prior st. 1162 75f., 105, 117, 139, 224, 246f., 376, 470f. Rimbert (Vita Anskarii) (ca. 830–888), Ebf. v. Hamburg-Bremen st. 865 251, 327, 497, 530f. Robert von Saint-Remi (Robertus monachus) (Anf. 12. Jh.), Kreuzzugschronist 78f., 85, 120, 144 Rodulf Glaber (ca. 980/85–1047), M. in Cluny, Auxerre u. a., Gesch.schreiber 234, 238f., 243, 304f., 310, 329, 344 Rolandslied (des Pfaffen Konrad, um 1170) 328

Rudolf von Saint-Trond (ca. 1070–1138), A. st. 1108, Gesch.schreiber 338f. Rufinus (Pelagianer aus Palästina) 397 Rufinus von Aquileja (ca. 345–411/12), M. u. Gel., Übersetzer gr. Texte ins Lateinische 55, 202, 251, 396 Rufinus von Sorrent († spät. 1192), M. (Montecassino), Ebf. 77f., 106f., 116f., 205f., 228f. Ruotger (Vita Brunonis, c. 968/69) († n. 968/ 69), M. in St. Pantaleon in Köln 335, 479 Rupert von Deutz (1075/80–1129/39), A. v. St. Heribert st. 1120 50, 53, 60, 91, 97, 116f., 136, 139, 198f., 202, 204f., 207, 211, 217, 221–224, 226, 230f., 234, 246, 251, 261, 291, 314, 318–320, 329, 415, 431, 488, 548 Sachsenspiegel (1220/35, Vf.: Eike von Repgow) 474 Sacramentarium Gallicanum (7. Jh.) 249 Sakramentar von Saint-Denis 58, 156 Sedulius Scottus (Mt. 9. Jh.), ir. Gel. in Lüttich 101, 116, 125, 199, 487f. Seneca († 65), röm. Philosoph 401, 487 Sigebert von Gembloux (ca. 1026/29– 1112), M. u. Gesch.schreiber 44 Smaragd von Saint-Mihiel († ca. 1030), A. st. spät. 809 56, 78, 137, 199, 255 Stephanus (Vita Wilfridi, Anf. 8. Jh.) 78 St. Galler Sakramentar 81, 160 Stuttgarter Bilderpsalter 240, 352, 504, 517, 542 Taio von Zaragossa († spät. 683), Bf. st. 651 116, 261 Tertullian (Q. Septimus Florens T.) (n. 150– n. 220), frühchr. Schriftsteller u. Kirchenvater 91, 186, 207, 381, 517 Thegan (vor 800–849/53), Chorbf. in Trier, Biograph Ks. Ludwigs d. Fr. 478 Thietmar von Merseburg (975–1018), Bf. st. 1009 u. Gesch.schreiber 28, 218f., 236, 239, 285–289, 304, 312, 343, 346, 469, 476, 495, 528, 534

Autorenregister (einschließlich anonymer und Bildquellen)

Thomas von Aquin (1224/25–1274), Dominikaner-M., L. in Paris u. Rom, Hauptvertreter d. Scholastik 15, 19, 33, 148, 192, 201, 339, 487 Thomasin von Zerklaere (ca. 1186– ca. 1235/38), mhd. Lehrdichter am Bf.shof in Aquileja 417 Tractatus de moribus Lamberti abbatis s. Bertini (n. 1125) 423 Tractatus Eboracenses (um 1100) 318 Translatio Marcellini et Petri, s. Einhard Translatio Severi, s. Liutolf von Mainz Trierer Apokalypse 81, 128, 204, 349 Utrechtpsalter

81, 159, 521, 543

Visio Baronti (n. 678/79) 260 Visio Wettini, s. Heito Vita Adae et Evae 373, 515 Vita Aemiliani, s. Braulio von Zaragoza Vita Alcuini (820/30) 237 Vita Amandi (Anf. 8. Jh.) 215, 327 Vita Anskarii, s. Rimbert Vita Bavonis confessoris Gandavensis (1. H. 9. Jh.) 141, 146 Vita Bennonis, s. Norbert von Iburg Vita Bernardi (von Clairvaux), s. Johannes eremita Vita Bernwardi (Thangmar, um 1019) 476 Vita Bertilae abbatissae Calensis (um 800) 284 Vita Bibiani vel Viviani episcopi Santonensis (8. Jh.) 267 Vita Bonifatii, s. Willibald von Mainz und Otloh von St. Emmeram Vita Boniti (Anf. 8. Jh.) 54, 124 Vita Brunonis, s. Ruotger Vita Columbae, s. Adamnan von Iona Vita Columbani, s. Jonas von Bobblio Vita Dalmatii episcopi Ruteni (8./9. Jh.) 300 Vita Eigilis, s. Bruun Candidus Vita Eligii, s. Audoenus von Rouen Vita Eptadii presbyteri Cervidunensis (E. 8. Jh.) 331

617

Vita et virtutes Eparchii reclusi Ecolismensis (A. 9. Jh.) 229, 265 Vita Fursei (um 653) 238, 322f. Vita Gildae, s. Caradocus von Llancarfan Vita Guthlaci, s. Felix Vita Haimeradi, s. Ekkebert von Hersfeld Vita Heinrici II imperatoris, s. Adalbold von Utrecht Vita Hludowici Pii, s. Astronomus Vita Hugberti episcopi Traiectensis (8. Jh.) 263 Vita Landiberti episcopi Traiectensis vetutissima (1.H. 8. Jh.) 219 Vita Liutbirgae (E. 8. Jh.) 237, 251f., 310f., 345 Vita Lupi episcopi Senonensis (8. Jh.) 89f. Vita Maurilii, s. Archanald von Angers Vita Menelei abbatis Menatensis (11. Jh.) 143 Vita Nivardi episcopi Remensis (9. Jh.) 141, 143 Vita Norberti archiepiscopi Magdeburgensis (12. Jh.) 230, 234, 237, 243, 252f., 264, 268, 293–303, 305, 311f., 344 Vita Oudalrici, s. Gerhard von Augsburg Vita Pachomii (um 365) 136 Vita Pardulfi abbatis Waractensis (8. Jh.) 122, 143 Vita Remigii, s. Hinkmar von Reims Vita Romani abbatis (Vitae patrum Iurensium) (Anf. 6. Jh.?) 263 Vita Rusticulae sive Marciae abbatissae Arelatensis (9. Jh.?) 225, 251, 298 Vita Sigiramni abbatis Longoretensis (7. Jh.) 263 Vita Trudonis, s. Donatus von Metz Vita Vulframni episcopi Senonici (Anf. 9. Jh.) 250 Vita Wandregisili abbatis Fontanellensis (E. 7. Jh.) 91, 141, 145f., 251 Vita Wilfridi, s. Stephanus Vivianbibel 433 Walahfrid Strabo (808/9–849), A. d. Reichenau st. 838 89f., 127, 144, 216, 267

618

Autorenregister (einschließlich anonymer und Bildquellen)

Werner von St. Blasien († 1178), A. st. 1170 136 Wetti (Vita Galli) († 824), M. u. L. im Kl. Reichenau 267, 269 Widukind von Corvey († n. 973), M. u. Gesch.schreiber 216, 334 Wilhelm von Conches (ca. 1080–1154), L. in Chartres 28, 63f., 213, 217, 220, 398f., 410, 417f., 431, 434f., 439, 450– 459, 465–467, 503, 507, 526

Wilhelm von Saint-Thierry (1085/90–1148/ 49), A. st. 1119/21 21, 85, 88, 149, 434f., 437, 439, 456–459 Willibald von Mainz (Vita Bonifatii) (M. 8. Jh.), Kler. 215 Wolfenbütteler Evangeliar 59 Wolfram von Eschenbach (E. 12./13. Jh.), mhd. Ependichter 147 Zacharias I. († 752), P. st. 741

525f.

Personenregister (nicht historisch oder biblisch bezeugte und nicht identifizierbare Personen sind kursiv gesetzt)

Abraham, bibl. Erzvater 65, 81, 161, 241, 355, 402f., 406, 519 Adalbert (ca. 1000–1072), Ebf. v. Hamburg-Bremen st. 1043 482f. Adalbert (932/36–972/75), S. Berengars II. u. Mitkg. v. Italien 950/961 335 Adam, bibl. Gestalt 49, 51, 69, 83, 94, 135, 138, 240, 249, 332, 369, 371, 373f., 376f., 380, 397, 400–403, 406, 465, 484, 491– 493, 498–504, 508, 511–515, 517, 521, 530, 546 Adinus, apokrypher Erzengel 41 Ado (Adliger) 266, 269f. Aethelbald († 757), Kg. v. Mercia st. 716 396 Agilulf († 615/16), lang. Kg. st. 591 127 Aldebert (8. Jh.), häret. Wanderprediger 41 Alexander d. Große (356–323 v. Chr.), Kg. v. Makedonien st. 336 v. Chr. 25 Alexander II. (1010/15–1073), P. st. 1061 151 Alkuin (ca. 730–804), s. Autorenregister 237, 539 Amandus (ca. 600–ca. 676/84), frk. Missionsbf. in Flandern, Hl. 215, 327 Anastasius Bibliothecarius (811/15–879), s. Autorenregister 249 Anno II. (ca. 1010–1075), Ebf. v. Köln st. 1056 235, 336 Ansgar (ca. 801–865), Ebf. v. Hamburg st. ca. 831/34, Bf. v. Bremen st. 847, Hl. 327

Aristoteles (384–322 v. Chr.), gr. Philosoph 495 Arius († ca. 336), Pr. in Alexandria, Urheber d. Arianismus 20, 328 Arnulf (ca. 582–ca. 640), Bf. v. Metz 614– 629, Hl. 300f. Arsenius († 868), Bf. v. Orte st. 855 248, 336 Augustus (C. Octavianus A.) (63. v.–14 n. Chr.), röm. Ks. st. 31/27 v. Chr. 475 Aurelius (E. 6. Jh.), Bf. v. Le Puy 268 Balaam, bibl. Prophet 142, 259 Barabbas, bibl. Gestalt 265 Bartholomäus, Hl. 266 Bathseba, bibl. Gestalt, Gem. Davids u. Mutter Salomos 515 Beda Venerabilis, s. Autorenregister 124 Benedikt v. Nursia (ca. 480–ca. 560), Gründer-A. v. Montecassino, Hl. 128, 266, 270–272, 303 Berengar II. (ca. 900–966), ital. Kg. 950– 961 335 Bernhard († 844), Gf. v. Barcelona und Septimanien st. 826 bzw. 828 520 Bernhard v. Clairvaux (1090–1153), s. Autorenregister 272f., 281 Bonifatius (ca. 672/75–754), Hl., s. Autorenregister 312, 526 Boso († 887), Gf. v. Vienne st. 870, Kg. d. Provence st. 879 248 Brendinus (Brendan) (ca. 483–ca. 577), ir. Kl.gründer, Hl. 136

620 Bruno I. (925–965), S. Kg. Heinrichs I., Ebf. v. Köln st. 953 335, 608f. Bugga (8. Jh.), ags. Äbt. 53f. Burchard I. (1000–1059), Bf. v. Halberstadt st. 1036 336 Cäcilia (fr. 3. Jh.), hl. Märtyrerin in Rom 66 Caesarius (ca. 470–542), Bf. v. Arles st. 502 206 Candidus, Pr. zur Zeit Karls d. Gr. 63 Charibert (518/23–567), frk. Kg. st. 561 121 Cherintus, Häretiker 331 Chilperich I. (ca. 537–584), frk. Kg. st. 561 121 Chlodwig II. (633/34–657), frk. Kg. st. 639 311 Chrodechilde (um 590), frk. Prinzessin (T. Chariberts I.), N. in Poitiers 311 Cicero (M.Tullius C.) (106–43 v. Chr.), röm. Redner, Autor u. Politiker 401, 414, 457 Columban (der Jüngere) (ca. 543–615), ir. Missionar u. Kl.gründer ; Hl. 127, 311 Cuthbert (ca. 635–687), Bf. v. Lindisfarne 685–686/87, Hl. 79 Daniel, bibl. Prophet 65f., 75, 100, 128, 142, 192, 219 David (um 1000 v. Chr.), bibl. jüd. Kg. 186, 402, 406, 433, 514f. Delila, bibl. Gestalt 514 Dido, Epenfigur 489 Dionysius (Mt. 2. Jh.), erster Bf. v. Paris, hl. Märtyrer 311f. Disciola († 583), N. in Poitiers, Visionärin 428f. Dodo († ca. 705), Gegner Bf. Landiberts v. Tongern/Maastricht 219 Ebo (ca. 778–851), Ebf. v. Reims 816–835 u. 840/41, Bf. v. Hildesheim st. 845 132 Elias, bibl. Gestalt 138, 409 Eligius v. Noyen, s. Autorenregister 137

Personenregister

Elipand v. Toledo (716–n. 798), Ebf. st. ca. 750 233 Engeltrud († vor 896), Gem. Bosos v. d. Provence 248 Enite, Epenfigur 489f. Enoch, bibl. Gestalt, s. Autorenregister unter Henoch 138, 201, 409 Erec, Epenfigur 489f. Ermenold, Bretone 282 Eugen III. († 1153), P. st. 1145 61 Eulalia († ca. 1106), Äbt. v. Shaftesbury st. 1074 133 Eva, bibl. Gestalt 49, 83, 138, 240, 242, 311, 332, 373f., 386f., 397, 499, 502, 504–508, 511–517, 521, 546 Felix v. Urgel († 818), häret. Bf. 783–ca. 792 u. ca. 798–799 118 Florentius, Bürger aus Florenz 238 Friedrich I. Barbarossa (n. 1122–1190), dt. Kg. st. 1152, Ks. st. 1155 336 Furseus (Fursa) († 649/50), A. v. Lagny, ir. Visionär u. Hl. 130, 137, 237f., 322 Gabriel, Erzengel 41, 65f., 99f., 104, 129f., 151, 236, 324, 329 Gallienus (ca. 218–268), röm. Ks. st. 253/ 60 301 Gallus († ca. 650), irofrk. Missionar, Kl.gründer u. Hl. 79, 121, 267–269, 290, 480, 482 Gardolf († 1201), Bf. v. Halberstadt st. 1193 80 Genebaudus, Visionär 145 Gerberga (10. Jh.), Äbt. in Köln 286f. Gerhard (Moriensis), A. 273 Gero († 976), Ebf. v. Köln st. 969 286f. Girard (12. Jh.), Gf. v. Poitiers 417 Gregor VII. (ca 1020/25–1085), P. st. 1073, s. Autorenregister 338 Gregorius, Epenfigur, »P.« 489 Guinizo, M. in Montecassino 269 Guntchramn (ca. 532–592), frk. Kg. st. 561 121 Ham, bibl. Gestalt, S. Noahs

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Personenregister

Harald Blauzahn (Bl,tand) († ca. 987), dän. Kg. st. ca. 936/58 216 Heinrich I. (ca. 876–936), ostfrk. Kg. st. 919 236, 286, 335 Heinrich II. (ca. 973–1024), dt. Kg. st. 1002 334 Heinrich III. (1017–1056), dt. Kg. st. 1028/ 39, Ks. st. 1046 248 Heinrich IV. (1050–1106), dt. Kg. st. 1053/ 56, Ks. st. 1084 335, 337f., 486, 497 Heinrich d. Löwe (ca. 1129/30–1195), Hz. v. Sachsen 1142–1180, Hz. v. Bayern 1154/56–1180 48f., 57 Heinrich I. (ca. 919/922–955), Br. Ottos d. Gr., Hz. v. Bayern st. 948 286, 335 Heinrich II. d. Zänker (951–995), Hz. v. Bayern 955–976 u. st. 985 286 Heito (762/63–836), Bf. v. Basel ca. 803– 823, A. d. Reichenau 806–823, Visionär 133 Herlefrid (Adliger) 89 Hermann v. Bamberg († 1084), Bf. 1065– 1075 234 Hermann v. Metz (vor 1040–1090), Bf. st. 1073 497 Herodes (ca. 73–4 v. Chr.), Kg. v. Iudäa st. 37 v. Chr. 268, 319 Hiob, bibl. Gestalt 23 Hippokrates (ca. 460– ca. 370 v. Chr.), gr. Arzt 393, 434, 451 Hugbert (Hubertus) (ca. 655–727), Bf. v. Tongern-Maastricht st. ca. 705, Hl. 263 Hugo v. Arles (ca. 880–947/48), Gf., Kg. v. Niederburgund st. 924, Kg. v. Italien 926–942/46 531 Husward (E. 11. Jh.), Kan. in Magdeburg 287, 312 Isaak, bibl. Gestalt, S. Abrahmas 142 Iso (ca. 830–871), Kl.-L. in St. Gallen 480 Jakob, bibl. Gestalt, S. Isaaks 121f., 142, 145, 496 Jesaja, bibl. Prophet 102, 126, 185

621 Johannes, Ap. u. Ev. 82, 89, 138, 238, 473, 534 Johannes XII. (ca. 937–964), P. 955–963 307 Johannes Benafranus, Vizegf. Jordans I. v. Capua (um Montecassino) 270f. Josua, bibl. Gestalt 65, 186 Judas, Ap. 186, 233, 241, 265, 359 Judas Makkabäus († 160 v. Chr.), bibl. Gestalt, jüd. Freiheitskämpfer 80 Julian v. Aeclanum (ca. 380/86–443/55), häret. Bf. st. ca. 416 187 Justin († 165), Kirchenlehrer 147 Kadalus v. Parma (1009/10–1071/72), Bf. st. 1045, Gegen-P. (Honorius II.) 1061– 64 338 Kain, bibl. Gestalt, S. Adam u. Evas 314, 529 Karl d. Große (747/48–814), frk. Kg. st. 768, Ks. st. 800 19, 41, 63, 130, 134, 151f., 182, 216, 475, 477f., 480, 482, 509 Karl (II.) d. Kahle (823–877), westfrk. Kg. st. 840, Ks. st. 875 312 Karl (III.) d. Dicke (839–888), frk. Kg. st. 876, Ks. st. 881 292f., 345, 481 Konrad II. (ca. 990–1039), dt. Kg. st. 1024, Ks. st. 1027 248 Kunibert/Cunincpert († 700), langob. Kg. st. 680/88 125 Lambert (ca. 1061–1125), A. v. Saint-Bertin st. 1095 423 Lazarus, bibl. Gestalt 241, 355 Leo III. († 816), P. st. 795 334 Liudolf (ca. 930–957), S. Ottos I., Hz. v. Schwaben 950–954 335 Liutbirg († um 870), Inklusin im Kl. Wendhusen/Thale 237, 251, 310f., 345 Lothar I. (795–855), frk. Kg. u. Ks. st. 817/ 40 132, 249, 427 Ludwig (I.) d. Fromme (778–840), frk. Kg. u. Ks. st. 813/14 478 Ludwig (II.) (ca. 805–876), ostfrk. Kg. st. 840 292, 429

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Personenregister

Ludwig (III.) d. Jüngere (ca. 835–882), ostfrk. Kg. st. 876 292f. Lukas, Ev. 473 Luther, Martin (1483–1546), Reformator 19, 189, 192

v. Magdeburg st. 1126, Hl. 230, 253, 264, 268, 293–301, 303, 305, 311f. Notker Balbulus (ca. 840–912), s. Autorenregister 290, 297, 309f., 480–482, 538

Maio, M. in Montecassino 266 Maiolus (n. 909–994), A. v. Cluny st. 954 328 Manichaeus, Mani (3. Jh.), Begründer der manichäischen Häresie 200 Maria, bibl. Gestalt, Mutter Christi 66, 83, 89, 104, 136, 138, 142, 145, 153, 211 Markus, Ev. 143, 473 Martin v. Tours (ca. 316/17–397), M., Bf. st. 371, Hl. 89, 143, 473 Matfrid († 836/37), Gf. v. Orl8ans 132, 224 Mathilde (ca. 896–968), ostfrk.-dt. Kg.in 916–936, Gem. Heinrichs I., Hl. 236 Matthäus, Ev. 81, 142, 371, 473f., 541 Mauritius († ca. 287), angebl. Führer d. Thebaischen Legion, Hl. 312 Michael, Erzengel 41, 65, 74, 77, 99f., 102f., 127–130, 136–138, 142f., 149, 151–153, 175, 182–184, 205f., 279f., 317f., 320 Minerva, röm. Göttin 215, 319f. Mohammed (ca. 569–632), Begründer d. Islam 235, 328f. Moses, bibl. Gestalt 56, 142, 202, 484

Odulphus, Pr. u. Missionar 144 Otmar (ca. 689–759), A. v. St. Gallen st. 719, Hl. 144 Otto I. d. Große (912–973), ostfrk.-dt. Kg. st. 936, Ks. st. 962 286, 335, 475, 479, 497 Otto I. (954–982), Hz. v. Schwaben st. 973, Hz. v. Bayern st. 976 335

Narcissus († 307), Bf. v. Gerona, hl. Märtyrer 295, 297, 301 Nestor († ca. 451), häretischer Ebf. v. Konstantinopel 428–431 20 Nicetius († 572), Bf. v. Lyon st. 551, Hl. 291 Nikephoros II. Phokas (912–969), byz. Ks. st. 963 497 Nikolaus II. (ca. 990/95–1061), P. st. 1058 151 Ninus (ca. 2150 v. Chr.), myth. Kg. d. Assyrer 409 Noah, bibl. Gestalt 141, 406, 529 Norbert v. Xanten (ca. 1080/85–1134), Gründer-A. v. Pr8montr8 st. 1120, Ebf.

Pachomius (ca. 292–346), Kl.gründer, Hl. 136 Palladius, Selbstmörder 312 Pardulf († ca. 737), A. v. Gu8ret, Hl. 143 Paulus, Ap. 38, 96, 100, 138, 279, 520 Petrus, Ap. 74, 138, 279 Pippin II. (ca. 640/50–714), frk. Hausmeier st. 680/87 339 Pippin III. (714–768), frk. Hausmeier st. 741, Kg. st. 751 237 Plato(n) (428/27–348/47 v. Chr.), gr. Philosoph 60f., 63, 212, 228, 392, 430 Poppo († um 1000), Bf. v. Schleswig st. ca. 995, Dänenmissionar 216 Priscillian (ca. 340–385), Häretiker 200 Priscus, Bf. v. Lyon (573–585/89) 291 Priscus, Jude am Hof Kg. Chilperichs 285 Radbod († 719), Friesenfürst st. ca. 679 250, 327 Raguel, apokrypher Erzengel 41 Rantgar, Heide 339 Raphael, Erzengel 41, 65f., 80, 99f., 129, 151, 153 Ratpert († 900/911), M. u. L. in St. Gallen 480–482 Remigius v. Reims (ca. 437–ca. 533), Bf. st. 459, Hl. 143 Richard II. († 1026), Hz. d. Normandie st. 996 282

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Personenregister

Richard III. (ca. 1001–1027), Hz. d. Normandie st. 1026 282 Rimbert (ca. 830–888) s. Autorenregister 530f. Robert, M. in Bamberg 235 Roland († 778), Mgf. d. Bretagne, legendärer Held in den Sarazenenkriegen Karls d. Gr. 130 Romanos I. (ca. 870–948), byz. Ks. 920– 944 531 Rudolf v. Rheinfelden (ca. 1020/30–1080), Hz. v. Schwaben st. 1057, Gegenkg. st. 1077 335, 473, 537 Rufin, Dämon 306 Rusticula († ca. 632), Äbt. in Arles, Hl. 251, 267, 298 Sabaoc, apokrypher Erzengel 41 Salomon (10. Jh. v. Chr.), bibl. Gestalt, jüd. Kg. 102, 142, 192, 515 Samson, bibl. Gestalt 133, 514f. Sara, bibl. Gestalt, Frau Abrahams 66 Sebastian (3. Jh.), hl. Märtyrer 125f. Severus, Bf., hl. M. in Montecassino 270 Severus von Ravenna († ca. 345), Bf., Hl. 269 Sigifunsus, ›Barbar‹ 331 Silvanus, hl. M. 136 Simiel, apokrypher Erzengel 41 Simon Magus, bibl. Gestalt, Urbild des Häretikers 331 Sokrates (ca. 469–399 v. Chr.), gr. Philosoph 392 Susanna, Gem. d. Bf. Priscus v. Lyon 291 Tassilo III. (ca. 741–n. 794), Hz. v. Bayern 748–788 215 Theudar († ca. 575), A. v. Vienne, Hl. 224f, Tobias, bibl. Gestalt 65f., 99 Trudo († ca. 698), Missionar des Hasbengaus, Hl. 54 Tubuas, apokrypher Erzengel 41

Tubuel, apokrypher Erzengel 41 Tuotilo (ca. 850–ca. 913/15), M. u. Künstler in St. Gallen 480f. Udalrich (ca. 890–973), Bf. v. Augsburg st. 923, Hl. 305 Uriel, Erzengel 41, 99f. Uto, Erzpr. in Halberstadt 336 Vedastus († ca. 540), Bf. v. Arras, Hl. 138, 150 Venantius (5. Jh.), A. v. St. Martin in Tours 89 Virgil (ca. 700–784), Bf. v. Salzburg st. 749, Hl. 526 Vizelin (ca. 1090–1154), Bf. v. Oldenburg st. 1149, Hl. 295, 306 Vollarc, Spielmann 274–278 Wandregisel († 668), A. v. Fontanelle, Hl. 146, 251 Wibert (ca. 1020/30–1100), Ebf. v. Ravenna st. 1072, Gegenp. Clemens III. st. 1080/ 84 338 Wido IV. († 894), Hz. v. Spoleto, ital. Kg. st. 889, Ks. st. 891 335 Wiggo, Dämon 295f., 300, 307f., 334f. Wilhelm (826–850), S. Dhuodas, Gf. v. Barcelona u. Septimanien st. 848 52, 520 Willibrord (ca. 657/58–739), ags. Missionar, Ebf. d. Friesen st. 695, Hl. 326f., 501 Wolo, M. in St. Gallen 310, 482 Wulfram († 711?), ags. Missionar, Ebf. v. Sens 693–695, Hl. 250 Ymme, Jungfrau

306

Zacharias, bibl. Prophet 95 Zeno († ca. 380), Bf. v. Verona st. ca. 362 (?), Hl. 301, 362