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German Pages [348] Year 2005
Geschlecht & Wissen, Norm 6L Praxis, Lesen & Schreiben Monastische Reformgemeinschaften im 12. Jahrhundert
Veröffentlichungen des Instituts für Osterreichische Geschichtsforschung Band 43
DG
R. Oldenbourg Verlag Wien München
Christina Lutter
Geschlecht & Wissen, Norm & Praxis, Lesen & Schreiben Monastische Reformgemeinschaften im 12. Jahrhundert
R. Oldenbourg Verlag Wien München 2005
Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Wien
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2005 R. Oldenbourg Verlag Ges.m.b.H., Wien Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Herstellung: Grasl Druck & Neue Medien, A-2540 Bad Vöslau Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Umschlagabbildung: Cod. Admont. 638, fol. lr: Maria als Lehrerin ISBN 3-7029-0486-7 R. Oldenbourg Verlag Wien ISBN 3-486-57823-5 Oldenbourg Wissenschaftsverlag München
Inhalt Vorbemerkung TEIL 1 GESCHLECHTERORDNUNGEN - WISSENSORDNUNGEN
VII 1
1.1. Geschlecht und Wissen: soziale und analytische Kategorien Normen, Diskurse und Praxis 1.2. Ein Modell: Der Hortus deliciarum Text und Bild, Schrift und „ A u f f ü h r u n g "
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1.3. Wörter, Begriffe, Konzepte - Methodische Überlegungen 1.4. Organisations-und Lebensformen 1.4.1. Monastische Reformen im 12. Jahrhundert 1.4.2. Was man wissen soll und wie man es lernt: Wissen und „Bildung" im Kloster 1.4.3. Wissensvermittlung und Kommunikation: Schriftlichkeit und Mündlichkeit 1.5. Begriffe und Bilder in der Praxis
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TEIL 2 D A S BENEDIKTINERKLOSTER A D M O N T - EINE FALLSTUDIE
2.1. Geschichte und Skriptorium Quellen und Forschungen 2.2. Leben im Kloster 2.2.1. Die vorbildliche Lebensweise der Admonter Schwestern . . . . 2.2.2. Vita apostolica, cum monialium — Ansprüche und Realitäten . 2.2.3. Klausur - Theorie und Praxis 2.3. Wege zur Erkenntnis: Lesen, Schreiben, Beten, Wissen 2.3.1. Die „Vita magistrae" 2.3.2. Vita spiritualis 2.3.3. Abgeschlossenheit, Bildung und Zusammenarbeit ein Widerspruch? 2.3.4. Exempla et imitatio 2.4. Zugänge zum Selbstverständnis geistlicher Menschen 2.4.1. Carissimis in Christo sororibus - Aspekte der pastoralen Praxis in Admont 2.4.2. Predigt und Exegese, lectio und collatio: Zur Einübung der monastischen Lebensweise
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Inhalt
TEIL 3 ROLLENMODELLE UND IDENTIFIKATIONSMUSTER
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3.1. Tugenden und Laster 3 . 1 . 1 . Mulieres fortes, sanctimoniales litteratae 3.1.2. Traditionelle Heiligentypen und monastische Erneuerung. . . 3.1.3. Sünderinnen und Wunder der Erlösung 3.2. Bräute Christi 3.2.1. Virgines Christi, Keuschheit und Demut 3.2.2. Die Liebe zum himmlischen Bräutigam 3.2.3. Königliche Jungfrauen, Weisheit und die „wahre" Nobilität .
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3.3. Vom Umgang mit dem Körper 3.3.1. Bilder im Kopf — Körperbilder 3.3.2. Verborgene Körper - Körperwissen
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TEIL 4 GEISTIGE UND SOZIALE N E T Z E
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4.1. Soziale Kontexte innerhalb und außerhalb des Klosters 4.1.1. Die Admonter „Nonnenbriefe" 4.1.2. Eliten: Politik und Besitz
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4.2. Netzwerke 4.2.1. Versorgung und Repräsentation 4.2.2. Die Sorge für die Lebenden und die Toten 4.2.3. Memoria, soziales und gelehrtes Wissen. Für eine Geschichte der Möglichkeiten
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ANHÄNGE
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Schlüsseltexte aus Beständen des Admonter Frauenkonvents Anhang 1: Irimbert von Admont, Bericht über den Brand des Klosters 1152 Anhang 2: Vita einer ungenannten Admonter magistra (?) Anhang 3: Gerhoh von Reichersberg, Brief an ungenannte Sanktimonialen zur Assumptio Marias Anhang 4: De moniale lubrica De moniale stulta
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Abkürzungen
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Ungedruckte Quellen
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Gedruckte Quellen
242
Literatur
251
Register
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Abbildungen
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Vorbemerkung Eine Forschungsarbeit ist wie eine Reise. Im Grunde ist es schwierig zu bestimmen, wann und wo man sie begonnen hat, bei den Plänen, den Vorbereitungen oder beim Aufbruch zur ersten Station; und das Ende - die Vorlage eines „Reiseberichts"- ist immer ein wenig willkürlich: Meist geht ja das Unternehmen, mit dem man sich beschäftigt hat, in der einen oder anderen Weise weiter, dient der Zielort als Ausgangspunkt für neue Expeditionen. Dennoch tut es gut, in einem solchen Prozess gelegentlich einen Punkt zu machen oder - mit Heinrich Fichtenau und Herwig Wolfram - von der Wurst bzw. den Spaghetti (je nach Geschmack und Stil) abzubeißen, da man sich sonst daran verschluckt. Der Reisebericht, der heute „fertig" vor mir liegt, umfasst zahlreiche Etappen. Die folgenden einführenden Bemerkungen sollen sie umreißen und den Leserinnen und Lesern den einen oder anderen Hinweis zu seiner Lektüre geben. Die Forschungsarbeiten, die Grundlage für diesen Text sind, und seine Genese selbst waren durch einen beständigen Perspektivenwechsel zwischen „Theorie" und „Praxis" geprägt, zwischen grundsätzlichen Fragen an die Geschichte der Reformbewegungen des 12. Jahrhunderts einerseits, und der Suche nach Quellen zu ihrer Beantwortung und der Arbeit mit ihnen andererseits. Aus diesem Grund sind auch in der Darstellung Fragestellungen und Quellenarbeit verschränkt. Die vier thematischen Teile der Untersuchung markieren dabei wesentliche Stationen der Reise und ihre Wendungen. Gerade um solche Wendungen ebenso wie meine Hypothesen und Vermutungen sichtbar zu machen, die es im Verlauf der Untersuchung zu überprüfen galt, war es mir wichtig, auch in der Darstellung den Prozess der Entwicklung der Fragestellungen, der Arbeiten am handschriftlichen Material und der Textgenese transparent zu halten. Im ersten Teil finden sich die Leserinnen und Leser daher mit zahlreichen Fragen konfrontiert - mit zu vielen, wie manche vielleicht meinen werden. Tatsächlich werden die meisten dieser Fragen nicht zum ersten Mal gestellt, aber das ist wohl ein grundsätzliches „Theorie"-Problem, auf das gerade die Historikerin im Wissen um die Fülle des bereits Gesagten, von dem man den Großteil nicht einmal kennt, ständig zurückgeworfen wird. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb schien es mir lohnend, einige Jahre bzw. teilweise schon Jahrzehnte nach den diversen wissenschaftstheoretischen (linguistischen, kulturellen, piktoralen oder performativen) „turns" nun auch bereits wohl bekannte, „alte" Fragen der disziplinenübergreifenden Kultur- und Geschlechtergeschichte an „neuen" Quellen zu erproben, an die sie bislang kaum gestellt wurden. Umgekehrt sollen dieselben nunmehr „alten" Quellen der Mediävistik aus „neuen", d. h. veränderten Perspektiven betrachtet werden. Denn manchmal genügen Nuancen der Verschiebung des Blicks, um Verborgenes sichtbar werden zu lassen. Es gehört mittlerweile zu den Gemeinplätzen poststrukturalistischer Wissenschaftsbetrachtung, dass die jeweils „selbst-verständlichen" Wissensbestände akademischer Tra-
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Vorbemerkung
ditionen bzw. intellektueller Formationen von deren Erkenntnisinteresse und Methoden ebenso wie von den sozialen Konventionen „gemacht" sind, die Existenz und Bestand von Wissenschaft gewährleisten. Dieses Wissen hat jedoch die Praxis nur bedingt verändert. Daher lohnt es sich nach wie vor, gelegentlich einen Blick hinter die Kulissen a u f die Bedingungen von Wissensproduktion zu werfen. Vor diesem Hintergrund galt mein Interesse der Frage, was geschieht, wenn m a n die begrifflichen Instrumente der Kulturund Geschlechtergeschichte an Quellen des 12. Jahrhunderts erprobt und das hilfswissenschaftliche Instrumentarium ihrer Erschließung u m eine kulturwissenschaftliche Befragung erweitert. Insofern versteht sich die Arbeit auch als wissenschaftstheoretischer Versuch über die Reichweite verschiedener Einzeldisziplinen und die Möglichkeiten fächerübergreifenden Arbeitens. Einer der ersten längeren Aufenthalte auf meiner Reise war d e m Hortus deliciarum gewidmet. Die Rekonstruktion dieser eindrucksvollen Sammelhandschrift, die gegen Ende des 12. Jahrhunderts im elsässischen Frauenkonvent Hohenburg entstanden ist und 1870 beim Brand der Straßburger Bibliothek zerstört wurde, kann zwar allein aufgrund dieses Umstandes nicht als Basis für eine hilfswissenschaftliche Untersuchung dienen. Wohl aber scheint sie ein geeignetes Modell, anhand eines komplexen - wenn auch virtuellen - Beispiels das Netz von Problemstellungen zu den Bedeutungen von Geschlecht und Wissen, Schriftlichkeit und Spiritualität auszuwerfen und damit eine Bestandsaufnahme und Diskussion der Arbeiten und Ergebnisse der berührten Forschungsfelder zu verbinden. D a s Benediktinerkloster Admont, das aus einem Männer- und einem Frauenkonvent bestand, und die dort erhaltene, eindrucksvolle handschriftliche Uberlieferung bieten den konkreten Kontext und das Material, an dem die Fragen erprobt und das Modell überprüft wurden. Dabei muss vorausgeschickt werden, dass die Geschichte des Admonter Skriptoriums nach wie vor der systematischen Aufarbeitung und Darstellung harrt. Eine bibliotheksgeschichtliche, kodikologische, paläografische und editorische Herausforderung, wie sie U m f a n g und Komplexität der Admonter Bestände darstellt, würde nicht nur den Rahmen einer einzelnen Studie sprengen. Sie wäre vielmehr ausschließlich als Forschungsprojekt größerer Dimensionen denkbar, ftir das mit dieser Darstellung bescheiden geworben werden darf. D a z u kommt, dass die Provenienz der Admonter Bestände — und zwar des Männer- wie des Frauenkonvents — in den meisten Fällen nur indirekt erschlossen bzw. näherungsweise angegeben werden kann. Dies liegt nicht zuletzt an der zentralen Stellung des Klosters als Knotenpunkt in einem religiösen, intellektuellen und politischen Beziehungsgeflecht, innerhalb dessen Texte und Bücher verborgt und getauscht, kopiert und weitergegeben wurden. Dieser Umstand mahnt zur Vorsicht und zur Bescheidenheit. Die Quellen bieten eine Vielzahl von Ausgangspunkten für die Dekonstruktion selbstverständlich gewordener historischer „Tatsachen", bei denen es sich vielmehr u m „große Erzählungen" handelt, so etwa Abgeschlossenheit von höfischer und klösterlicher Ausbildung, monastischer und scholastischer „Wissenschaft", „Männer-Gelehrtheit" und „Frauen-Bildung", oder auch die Negation der bloßen Möglichkeit eines Skriptoriums im Frauenkloster. D o c h die Überlieferung belegt auch nur selten eindeutig das Gegenteil. Viel häufiger konfrontiert sie uns damit, was wir alles (noch) nicht wissen. D i e Quellen aus d e m Admonter Frauenkonvent, die ich im zweiten und dritten Teil der Untersuchung vorstelle und in Form von „dichten Beschreibungen" analysiere, verweisen jedenfalls auf zahlreichere und heterogenere mögliche Lesarten der Geschichte
Vorbemerkung
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von Geschlechterverhältnissen und Wissensordungen, als Teile der traditionellen Bildungs- und Frauengeschichtsschreibung wahrzunehmen erlaubten. Die vier Schlüsseltexte, die im Anhang zur Dokumentation der Textanalysen und der von mir angebotenen Lesarten wiedergegeben sind, machen ebenso wie die Bilddokumente aus Handschriften des Admonter Frauenkonvents eine Fülle möglicher Aspekte des Selbstverständnisses geistlicher Menschen, von Frauen wie Männern, deutlich, die im 12. Jahrhundert gemeinsam für Anliegen der religiösen Erneuerung und der monastischen Reform lebten und schrieben. Sie handeln vom spirituellen wie materiellen Wohlergehen der geistlichen Gemeinschaft und ihrer Mitglieder sowie all jener, mit denen sie durch verwandtschaftliche und freundschaftliche, politisch-soziale und geistig-geistliche Netzwerke verbunden waren. Mit diesen Netzwerken setzt sich der vierte und letzte Teil anhand weiterer Dokumente auseinander, in denen diese komplexen Beziehungen und einzelne, wenn auch oft namenlos bleibende Akteurinnen und Akteure sichtbar werden. Briefwechsel über Klostermauern hinweg verdeutlichen ebenso wie die urkundliche Uberlieferung, wie notwendig es ist, zentrale zeitgenössische „Konzepte" wie etwa das der Klausur und die darauf Bezug nehmenden programmatischen Texte in Hinblick auf ihre praktische Umsetzung auf verschiedenen Ebenen zu lesen und damit in Beziehung zu setzen. Die Ambivalenz von „gelebter Theorie", also der kontextspezifischen Ausgestaltung und Anpassung von normativen Vorgaben und kulturellen Mustern, und ihre Veränderung in und durch die Praxis zieht sich wie ein roter Faden durch alle untersuchten Texte. Hier hilft die Ergänzung der historischen Methoden um eine kulturwissenschaftliche Perspektive, die explizit sowohl Normen, Weltbilder und Wertvorstellungen wie auch die soziale und kulturelle Praxis ernstnimmt, ohne eine dieser Ebenen zu privilegieren, sondern von beständigen Wechselwirkungen zwischen ihnen ausgeht, deren spezifische Gestaltung jeweils für den zur Debatte stehenden historischen Kontext zu prüfen ist. Umgekehrt markiert das historische Handwerkszeug die Grenzen zwischen möglichen plausiblen Befunden und freudigen Spekulationen. Was wäre eine Reise ohne Begleitung und ohne Begegnungen, ohne all jene Freundinnen und Kolleginnen, die in unterschiedlicher Weise verschiedene Stücke des Weges mit mir zurücklegten oder die gesamte Reise begleitet und mitgestaltet haben? Karl Brunner hat die Arbeit wesentlich inspiriert: Viele der Fragestellungen wurden in gemeinsamen Gesprächen entwickelt und modifiziert; von ihm stammt auch der Hinweis auf das für dieses Projekt kaum zu überbietende Quellenmaterial in Admont. Der Stiftsarchivar des Klosters, Johann Tomaschek, hat mich mit seinem umfassenden Wissen über den Konvent und seine Geschichte ebenso wie durch seine Hilfe in allen Fragen betreffend die Archivalien unterstützt. Beiden sei an dieser Stelle besonders herzlich gedankt. Ein halbjähriger Forschungsaufenthalt in Berlin bot mir die Möglichkeit zu intensiven Literaturrecherchen und die nötige Muße, das ursprüngliche Konzept grundlegend zu überarbeiten, die ersten Textentwürfe zu verfassen und in mehreren wissenschaftlichen Arbeitskreisen zur Diskussion zu stellen. Mein Dank gilt Thomas Macho für die Einladung als Lehrbeauftragte an die Humboldt Universität, sowie Claudia Ulbrich für die Möglichkeit, als Gastwissenschafterin an der Freien Universität die hervorragende Infrastruktur des Friedrich-Meinecke-Instituts für Geschichte und das Forschungsnetzwerk ihres Fachbereichs zu nutzen. Ilse König und meinen Kolleginnen in der Abteilung Gesellschaftswissenschaften des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur danke ich für eine projekt-, ziel- und teamorientierte Zusammenarbeit, ohne die es - in einer
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Vorbemerkung
Zeit äußerst begrenzter personeller und materieller Ressourcen - kaum möglich gewesen wäre, Forschung, Lehre und eine anspruchsvolle wissenschaftsorganisatorische Tätigkeit zu vereinbaren - eine Chance des „trans-institutionellen" Arbeitens, die schließlich mittelbar auch inhaltlich in die Konzeption des Projekts eingeflossen ist. Diese Arbeit wurde am 6. Oktober 2003 als Habilitationsschrift für Mittelalterliche Geschichte an der Geistes- und Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien eingereicht. Mein Dank gilt allen Mitgliedern der Kommission, ganz besonders den drei Gutachtern Karl Brunner (Wien), Franz Feiten (Mainz) und Stefan Weinfurter (Heidelberg), von deren Lektüre und Anregungen der Text in der vorliegenden Fassung profitiert hat. Barbara Schedl (Wien) und Fritz Praschek (Wien) danke ich für ihre umfassende professionelle Unterstützung bei der Erstellung des Bild- und Planmaterials für die Veröffentlichung; Ursula Huber (Oldenbourg, Wien) für die ausgezeichnete Zusammenarbeit seitens des Verlages bei der Umsetzung dieses Buchprojekts; Karl Brunner für die Möglichkeit der Publikation dieser Arbeit im Rahmen der Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Dem Stift Admont bin ich für die Zuerkennung des Abt Engelbert-Preises 2004, der letztlich den Impetus für die Drucklegung der Arbeit gab, zu großem Dank verpflichtet. Diese Untersuchung versteht sich als an der Schnittstelle von Mediävistik, Geschlechtergeschichte und Kulturwissenschaften situiert. Sie entstand in einem Netzwerk unterschiedlicher Zugänge und Perspektiven. Für Inspiration und Ideen, Anregungen und Kritik, Hilfestellungen und Hinweise sowie für die kritische Lektüre von Vorträgen, Textfassungen und des Manuskripts danke ich Alison Beach (Williamsburgh), Katrinette Bodarwe (Göttingen), Eva Cescutti (Wien), Richard Corradini (Wien), Maximilian Diesenberger (Wien), Rachel Fulton (Chicago), Hans-Werner Goetz (Hamburg), Andrea Griesebner (Wien), Fiona GrifEths (New York), Lawrence Grossberg (Chapel Hill, N C ) , Karin Harrasser (Wien), Angelika Haselbauer (Wien), Paul Herold (Wien), Julie Hotchin (Melbourne), Gabriele Jancke (Berlin), Gerhard Jaritz (Krems/Budapest), Bernhard Jussen (Bielefeld), Martha Keil (Wien), Cornelia Klinger (Wien), Samo Koben ter (Wien), Christopher Laferl (Salzburg), Constant Mews (Melbourne), Marco Mostert (Utrecht), Gisela Muschiol (Köln), Lutz Musner (Wien), Meta Niederkorn (Wien), Walter Pohl (Wien), Morgan Powell (Lugano), Helmut Reimitz (Wien), Markus Reisenleitner (Hongkong), Barbara Rosenwein (Chicago), Barbara Schedl (Wien), Petra Schulte (Utrecht), Ralf Stammberger (Frankfurt/Main), Winfried Stelzer (Wien), Manfred Stoy (Wien), Rod Thomson (Tasmania), Claudia Ulbrich (Berlin), Birgit Wagner (Wien), Eva Waniek (Wien), Herwig Weigl (Wien), Horst Wenzel (Berlin). Sie alle werden in der einen oder anderen Weise Spuren aus den vielen Gesprächen, Diskussionen und e-mail-Wechseln und nicht zuletzt aus dem nicht zielgerichteten Zusammensein bei einem Glas Wein erkennen. Neben dem Umstand, dass ihre Begleitung mit zu diesem „Produkt" beigetragen hat, danke ich ihnen nicht zuletzt dafür, dass die Beschäftigung mit dem Projekt von Beginn an bis zuletzt in erster Linie ein - wenn auch herausforderndes — Vergnügen war. Stefan Erdei hat die Genese von Projekt und Manuskript in all ihren Phasen begleitet, es als Teil unseres gemeinsamen Lebens in den vergangenen Jahren angenommen und daran in jeder erdenklichen Weise partizipiert. Es verdankt ihm zu einem wesentlichen Teil seinen „Sitz im Leben" — nicht zuletzt deshalb, weil er mich täglich daran erinnert hat, dass es auch ein „anderes Leben" gibt. Wien, im Mai 2005
Teil 1 Geschlechterordnungen - Wissensordnungen 1.1. Geschlecht und Wissen: soziale und analytische Kategorien Am Beginn der vorliegenden Arbeit standen ein gewisses Unbehagen und große Neugier. Ersteres betraf die Kluft zwischen Theorien der Geschlechterforschung bzw. der Gender Studies und der Praxis der Geschichtswissenschaft. Seit der „kulturellen und konstruktivistischen Wende" in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften gilt es als selbstverständlich, dass Geschlecht nicht biologisch determiniert ist. Gender Studies setzen sich mit den sozialen Bedeutungen von Geschlecht, mit Geschlechteridentitäten, Geschlechterverhältnissen und -Ordnungen auseinander. Sie fragen, wie Vorstellungen von Geschlecht kulturell produziert und bestätigt werden und wie diese Prozesse mit Ein- und Ausschlüssen, sozialen Hierarchien und Unterdrückungsformen zusammenhängen. Mit dem Infragestellen von Vorstellungen der „Naturgegebenheit" und der „natürlichen Ordnung" von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen ging die Erkenntnis einher, dass gerade die alltäglichsten Bereiche unseres Lebens gleichzeitig am stärksten kulturell geformt sind. Die Rollen, die Menschen am selbstverständlichsten einnehmen, erscheinen deshalb gegeben und „notwendig", weil sie besonders umfassend sozial eingeübt sind. Dazu gehört auch die Wahrnehmung und Bewertung von physischen Unterschieden zwischen Männern und Frauen, die jedoch keine Konstante mit gleich bleibenden Konsequenzen sind. Soziale und kulturelle Bedeutungen des biologischen Geschlechts werden in physischen und psychischen Prozessen und innerhalb von historischen Wissensdiskursen und Machtbeziehungen geformt 1 und sind daher auch veränderbar. Materielle Körper werden in einer solchen Sichtweise nicht auf kulturelle Bedeutungen oder diskursive Praktiken reduziert. Vielmehr geht es darum, „Biologie" und „Kultur" als vielschichtige Prozesse aufzufassen, die in komplexen Wechselwirkungen miteinander stehen und damit „verkörperte" soziale Beziehungen, Identitäten und Differenzen bewirken 2 . Häufig wird aber, besonders in populären historischen Darstellungen, die historische Vielfalt und Komplexität von Geschlechterverhältnissen immer noch auf eine kohärente und universale Erzählung einer festen und damit ahistorischen binären Opposition von Männern und Frauen reduziert und als kausale Unterdrückungsgeschichte erzählt. Dadurch geraten erstens Formen sozialer Ausgrenzung oder Asymmetrie, die sich auf andere Kategorien der Wahrnehmung von Unterschieden gründen, tendenziell in Vgl. Foucault, Sexualität und Wahrheit. Grundlegend etwa Buder, Unbehagen der Geschlechter; dies., Körper von Gewicht; Fausto-Sterling, Sexing the Body. 1
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Geschlechterordnungen - Wissensordnungen
den Hintergrund. Zweitens wird es schwieriger zu fragen und zu analysieren, warum und wie Differenzkategorien kulturell erzeugt, bestätigt und wirksam werden 3 . Die amerikanische Historikerin Joan Scott hat auf diese Diskrepanz bereits in den 1980er Jahren in einem zentralen methodischen Aufsatz hingewiesen, in dem sie ein gleichzeitig komplexes und praktikables Modell ftir den methodischen Umgang mit der Kategorie Geschlecht in der Praxis historischer Forschung entwarf*. Geschlecht ist ihr zufolge zum einen „konstitutives Element sozialer Beziehungen, das auf der Wahrnehmung von Unterschieden zwischen Frauen und Männern basiert", und damit zum anderen ein zentraler Faktor in Machtbeziehungen: Scott plädiert dafür zu untersuchen, in welchen Prozessen die Wahrnehmung von Unterschieden zwischen Menschen zur Grundlage für weitere symbolische Klassifikationen wird und wie diese in und für soziale Beziehungen und Machtverhältnisse wirksam werden. Sie versteht Geschlecht daher als Kategorie sozialer Differenzierung und As analytisches Instrument ihrer Untersuchung. Die von Scott vorgeschlagene Definition lässt sich auch auf andere soziale Kategorien anwenden. Die mehrfache Relationalität von Kategorien, d. h. der Umstand, dass man nicht eine gegenüber den anderen privilegieren kann, sondern dass Lebensbedingungen und Handlungsspielräume von Menschen immer durch das Zusammenwirken mehrerer Kategorien bedingt sind, die sich manchmal verstärken, manchmal aber auch widersprüchlich wirken, stehen im Mittelpunkt meines Interesses5. Eine besondere Rolle spielen dabei die Wechselwirkungen zwischen sozialen Kontexten, symbolischen Bedeutungen und psychischen wie physischen Prozessen, in denen sich Individuen als solche wahrnehmen. Sprachliche und symbolische Klassifikationen bilden den Rahmen, innerhalb dessen Erfahrungen bestimmte Bedeutungen gegeben werden. Diese Bedeutungen sind die Grundlage für Identifikationen. Viele dieser Positionierungen erfolgen nahezu unbewusst. Identifikationsprozesse werden durch materielle und soziale Bedin-
3 Exemplarisch etwa Duby/Perrot, Geschichte der Frauen 1 - 5 oder Anderson/Zinsser, Eine eigene Geschichte. Selbstverständlich gibt es mittlerweile eine Vielzahl historischer Arbeiten, die sich explizit einem geschlechtertheoretischen und gleichzeitig fachübergreifenden Ansatz verpflichtet sehen. Grundlegend zum Unterschied zwischen frauen- und geschlechtergeschichtlichen Ansätzen etwa Pomata, Histoire des femmes and „gender history"; Aktuelle Ubersichten von Kessel/Signori, Geschichtswissenschaft, in: von Braun/Stephan, Gender-Studien; Frevert, Geschichte als Geschlechtergeschichte? Dies., Frauengeschichte - Männergeschichte - Geschlechtergeschichte; Hausen, Nicht-Einheit der Geschichte, in: Medick/Trepp, Geschlechtergeschichte und Allgemeine Geschichte; Hunt, The Challenge of Gender. Für eine Auswahl an mediävistischen Arbeiten, die sich methodisch über Ansätze der Frauenforschung hinaus an der Kategorie Geschlecht orientieren, vgl. unten Anm. 9. Einen guten Überblick über die kaum mehr überschaubare Literatur im Bereich der Mediävistik mit Schwerpunkt Frauenforschung und Frühmittelalter bieten die von der Forscherinnengruppe um Werner Affeldt und Anette Kuhn herausgegebenen kommentierten Bibliografien und Forschungsberichte, v. a. AfFeldt/Kuhn, Frauen in der Geschichte; Affeldt, Frauen im Frühmittelalter; Ders., Frauen und Geschlechterbeziehungen. Vgl. auch Goetz, Frauen im frühen Mittelalter 13-30 und ders. Moderne Mediävistik 318-329 mit weiteren Literaturverweisen. 4 Scott, Gender, A Useful Category (zitiert nach dem Wiederabdruck in Scott, Feminism & History), dt. Eine nützliche Kategorie der historischen Analyse. Ahnlich argumentierte bereits zehn Jahre früher Natalie Zemon Davis, Gesellschaft und Geschlechter. Vgl. auch Riley, Am I That Name? 5 Vgl. Griesebner/Lutter, Geschlecht und Kultur; Dies., Macht der Kategorien. Für eine aktuelle kritische Revision ihres eigenen theoretischen Ansatzes bzw. der Entwicklungen der Geschlechterforschung in den vergangenen beiden Jahrzehnten vgl. Scott, Millennial Fantasies sowie dies., Überlegungen zu Geschlechtsidentität und Politik.
Geschlecht und Wissen: soziale und analytische Kategorien
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gungen und kulturelle Muster mitbestimmt, die ihrerseits zeitlich und örtlich unterschiedlich sind. Das heißt aber, dass die Wahrnehmungen des Selbst ebenso wie der Beziehung zu anderen nie „autonom" oder „authentisch", sondern immer kontextabhängig und damit historisch spezifisch sind. Auch „Identitäten" sind nicht eindeutig und fest, sondern zeichnen sich durch eine Vielzahl bewusst oder unbewusst wahrgenommener Identifikationen aus6. In vielen der Wissenschaftsfelder, die mit diesen theoretischen Differenzierungen arbeiten, fehlt allerdings bislang eine explizit historische Perspektive7. Umgekehrt machen nicht alle historischen Untersuchungen ihr immer auch zeitbezogenes Frageinteresse deutlich. Das führt dazu, dass die Vorannahmen, auf denen die Begriffe, Konzepte und Kategorien, die jeder Untersuchung meist implizit, aber notwendigerweise zu Grunde liegen, zu selten diskutiert und kritisiert werden. So wichtig es ist, die Überschneidungen sozialer Kategorien in der Praxis sichtbar zu machen, so sehr ist dafiir analytische Trennschärfe Voraussetzung. Die Gegenstände wissenschaftlicher Beschäftigung unterliegen ihrerseits historisch bedingten Konventionen darüber, was als relevantes Wissen definiert wird, welche Methoden zu seiner Herstellung und Bewahrung als legitim gelten und welchen Zugangsbestimmungen die an seiner Produktion und Distribution Beteiligten unterworfen sind. Damit war und ist auch Wissen wie Geschlecht eine wesentliche Kategorie sozialer Differenzierung. Meine Neugier galt den historischen Bedeutungen der modernen Kategorien Geschlecht und Wissen: In welchen Zusammenhängen wirkten sie entscheidend für Zugang und Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und wo lieferten sie Argumente für Zugangsbeschränkungen oder den Ausschluss aus einem sozialen Gefiige? In welchem Verhältnis standen Wissensordnungen zu Geschlechterordnungen? Welche Konzepte von „Bildung" und „Ausbildung", von „Wissen" und „Wissenschaft", „Kenntnis" und „Erkenntnis" wurden in Verbindung mit Vorstellungen und Bildern von den Rollen und Aufgaben der Geschlechter gebracht? Welche Bedeutungen und Auswirkungen hatten diese Konzepte und Bilder in der Praxis, etwa für den Zugang zu Schriftlichkeit, den Umgang mit Texten, die Wechselwirkungen von Schriftlichkeit und Mündlichkeit? Was galt zu bestimmten historischen Zeitpunkten und in spezifischen Kontexten als relevantes bzw. wesentliches Wissen, und welchen Zwecken diente es? Wie unterscheidet es sich von dem, was wir als solches wahrnehmen? Und schließlich: In welchem Verhältnis stehen unsere modernen Begriffe und Kategorien zu denen unserer Quellen? In dieser Arbeit versuche ich der Frage nachzugehen, ob und inwieweit die soziokulturelle und analytische Kategorie „Geschlecht", wie sie in den letzten Jahrzehnten im Bereich der Gender Studies konzipiert wurde, für einen mittelalterlichen Kontext relevant ist, ob und wie sie thematisiert wird und wie sie sich zu anderen Kategorien verhält, die aus einer modern-westlichen Perspektive auf den ersten Blick eine untergeordnete oder oft nicht nachvollziehbare Rolle spielen, z. B. Religion und Spiritualität oder ordo. In den primär gegenwartsbezogenen bzw. die jüngere Vergangenheit betrachtenden Gender Studies, Cultural Studies und Postcolonial Studies wurde in Hinblick auf mehrfach relationale Kategorien zunächst die Trias „race — class — gender" verhandelt, die 6 Vgl. etwa Hall/Du Gay, Questions of Cultural Identity sowie die Beiträge in Scott, Feminism & History. 7 Vgl. etwa Lutter/Reisenleitner, Introducing History.
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Geschlechterordnungen - Wissensordnungen
mittlerweile konsequent um Ethnizität, Sexualität, Religion und weitere Formen der sozialen und symbolischen Zugehörigkeit erweitert wurde 8 . Bei aller Unterschiedlichkeit zwischen mittelalterlichen und modernen sozialen Kategorien sollte aber in Betracht gezogen werden, dass auf einer analytischen Ebene etwa die Kategorie „Klasse / class" mit dem vormodernen Konzept ordo, oder aber die Kategorie „race" mit jenem von „Ethnizität" bzw. Herkunft hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Funktionen und Wirkungsweisen durchaus verglichen werden können. Darüber hinaus ermöglicht gerade die Distanz und die Perspektive auf „fremde" kulturelle Formationen Einsichten in Zusammenhänge zwischen Worten und Symbolen, den Konzepten, die sie bezeichnen, und den sozialen Gegebenheiten, die sie beschreiben9. Ich vermute aber, dass die in der Mediävistik traditionell üblichen Begriffe von „Bildung" und „Wissenschaft" über weite Strecken auf Vorannahmen basieren, die moderne Vorstellungen unhinterfragt in die Vergangenheit projizieren. Sie erfassen ein letztlich sehr enges Feld einer akademischen Wissenschaft, die es in dieser Form allenfalls seit gut 200 Jahren gibt, und verwenden die Begriffe, die sich in und fiir diese Wissenschaft herausgebildet haben. Wann, warum und in welchen Prozessen dieses Modell aber erfolgreich geworden ist - und andere nicht — bleibt offen bzw. lässt sich als Frage in dieser engen Perspektivierung gar nicht stellen. Schließlich interessieren mich die Konzepte, Vorstellungen und Bilder, die Menschen im 12. Jahrhundert von sich selbst und ihren Beziehungen zu anderen hatten. Einer der Gründe, warum ich diesen Zeitraum für meine Untersuchung gewählt habe, bestand darin, dass sich im Zuge unterschiedlicher Erneuerungsbewegungen zahlreiche Denk- und Lebensformen und ihre Organisation veränderten, der Ausgang dieser Entwicklungen aber noch offen war. Monastische Reformen und scholastische Praxis bewirkten die Entwicklung neuer institutioneller Strukturen und hatten Auswirkungen auf die Lebenswirklichkeiten in Klöstern, Schulen und den damals entstehenden Universitäten. Es wurden neue Konzepte des Denkens, des Wissens und des Umgangs damit entwickelt, von einer Ausdifferenzierung funktional getrennter Denk- und Wissenssys-
8 Für einen Überblick vgl. etwa Lutter/Reisenleitner, Cultural Studies, mit weiterführenden Literaturangaben. 5 Historische Arbeiten, die explizit mit diesem analytischen Instrumentarium arbeiten, befassen sich primär mit dem 18. bis 20. Jahrhundert, vgl. aktuell etwa Hall, Civilizing Subjects. Selbstverständlich gibt es eine Reihe bemerkenswerter Ausnahmen, so etwa die von Pauline Stafford und Anneke B. Mulder-Bakker herausgegebene Sondernummer 12/3 (2000) der Zeitschrift Gender&History zum Thema „Gendering the Middle Ages", die sich anhand ausgewählter, aber durchaus repräsentativer Beispiele mit derartigen Fragen und Konzepten auseinander setzt. Exemplarisch und modell-bildend fiir mediävistische und frühneuzeitliche Fragestellungen waren bereits in den 1970er und 80er Jahren etwa die Arbeiten von Caroline W. Bynum und Natalie Z. Davis. Vgl. aber auch die Ansätze, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden und ähnlichen Überlegungen folgen, so etwa fiir frühmittelalterliche Forschungen am Wiener Institut fiir Geschichte des Mittelalters, z. B. Pohl/Reimitz, Strategies of Distinction; Pohl, Gender and Ethnicity, in: Brubaker/Smith, Gender and the Transformation of the Roman World; Corradini/Diesenberger/Reimitz, Construction of Communities, oder am Max-Planck-Institut fiir Geschichte in Göttingen mit Untersuchungen zur historischen Semantik anhand von vorwiegend spätmittelalterlichen Themen, z. B. Algazi, Sich selbst vergessen; Blänkner/Jussen, Institutionen und Ereignis; Jussen, Witwe; Jussen/Koslowsky, Kulturelle Reformation. Aus der mittlerweile kaum mehr überschaubaren Literatur zur „Fremdheit" historischer Gegenstände mit Schwerpunkt auf Fragen von Mittelalterbild und -rezeption vgl. exemplarisch Oexle, Das entzweite Mittelalter, und den von Peter Segl herausgegebenen Sammelband „Mittelalter und Moderne"; für eine Übersicht vgl. Goetz, Moderne Mediävistik 47-64.
Geschlecht und Wissen: soziale und analytische Kategorien
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teme „Kloster", „Schule" bzw. „Universität" war man aber noch weit entfernt. Gleichzeitig brachte die Dynamik der Erneuerung und die damit verbundene „institutionelle Kreativität" 10 zahlreiche neue Formen gemeinschaftlichen Lebens hervor. Damit setzten aber auch längerfristige Prozesse ein, in denen diese Lebensformen geregelt bzw. bereits bestehende Regeln an die veränderten Umstände adaptiert wurden. Diese Prozesse waren weder linear noch eindeutig, sondern von vielfältigen Debatten, Verhandlungen und Konflikten gekennzeichnet. Im Zuge solcher konzeptueller und praktischer Entwicklungsprozesse dachte man darüber nach, durch welche Werte, Haltungen und Eigenschaften sich Gemeinschaften definierten bzw. dies in Zukunft tun sollten, und wie man sich von anderen abgrenzte. Das, was bei der Lektüre von Texten dieser Zeit häufig als deutlicheres Selbst-Bewusstsein einzelner Autoren und Autorinnen, wie etwa im Briefwechsel zwischen Abaelard und Heloise, interpretiert und gelegentlich mit dem Begriff der „Entdeckung des Individuums" im 12. Jahrhundert bezeichnet wurde, lässt sich jedoch von deren Einbindung in soziale Gemeinschaften nicht trennen, „individuelles" oder „intentionales" Verhalten nicht von Rollenmodellen, von Bildern, die man von sich selbst und der Zugehörigkeit zu einer Gruppe sowie deren Abgrenzung von anderen hatte 11 . Die Annahme, dass Identifikationsprozesse notwendigerweise in und durch Beziehungen zu anderen stattfinden, kann man gerade anhand vormoderner gesellschaftlicher Formationen und der Bedeutung, die Gruppen und Gemeinschaften in ihnen haben, besonders gut untersuchen und überprüfen. Zudem erlaubt die „Offenheit" des 12. Jahrhunderts, die Gleichzeitigkeit möglicher Modelle in den Blick zu bekommen und damit auch besser nach den Wechselwirkungen von Norm und Praxis fragen zu können; also nicht nur nach den Konzepten und Bildern von „Geschlechtsnatur" und Geschlechterverhältnis sowie von „Bildung", „Wissensfähigkeit" und „Wissenschaft", von „Selbst" und „Individualität", sondern v. a. auch nach den Bedingungen und Prozessen ihrer Entstehung sowie nach den Auswirkungen auf und den Wechselwirkungen mit den konkreten Lebenswirklichkeiten von Frauen und Männern und auf die Möglichkeiten ihrer Lebensgestaltung. Warum setzen sich in bestimmten Zeiträumen gewisse Traditionen tatsächlich durch und andere nicht? Warum stehen vorhandene Alternativen irgendwann nicht mehr zur Verfügung? Die Prozesse, die hier am Werk sind, die „Erfolgsgeschichten" von Denkformen und -kategorien, sind immer in Machtverhältnisse eingebettet, werden von ihnen bedingt und ausgelöst. Indem man aber ihre Prozesshaftigkeit und „NichtNotwendigkeit" anerkennt, rücken gleichzeitig die „Geschichten der Möglichkeiten" 1 0 Zum Begriff Bynum, Individual; zu den monastischen Reformbewegungen des 1 1 . und 12. Jahrhunderts sowie zur Kritik an geschlossenen Bildungs- bzw. Schulbegriffen siehe unten Kapitel 1.4.2. und 1.4.3. 11 Vgl. Bynum, Individual mit einer ersten systematischen Kritik (ebd. 83—90) und Diskussion von traditionellen Konzepten der „Entdeckung" des Individuums in Verbindung mit solchen von „Humanismus" und „Renaissance" im kulturellen Leben des 12. Jahrhunderts, wie sie etwa bei Southern, The Making of the Middle Ages; ders., Medieval Humanism; Morris, Discovery entwickelt und argumentiert werden. Zur aktuellen Diskussion vgl. Gurjewitsch, Individuum, besonders das Kapitel „Das Individuum ist unfaßbar" 9 - 3 1 , der eine den genannten Ansätzen diametral entgegenstehende Position der ,Auflösung des Individuums" vertritt. Eine differenzierte Diskussion und Integration dieser Konzepte und bildlicher Darstellungen von Personen zwischen kulturellen Konventionen und individuellen Ausdrucksformen bietet der Beitrag von Reudenbach, Individuum ohne Bildnis. Siehe dazu auch unten S. 23f. am Beispiel der Personendarstellungen im Hortus deliciarum.
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stärker ins Blickfeld, die längerfristig nicht oder weniger offensichtlich erfolgreichen Geschichten, die gerade dadurch in Vergessenheit geraten sind, dass ihnen im wörtlichen Sinn nur noch schwer „auf die Spur" zu kommen ist. Diese Fragen ziehen damit gleichzeitig Überlegungen nach sich, wie tauglich Begriffe, Kategorien und Konzepte als Instrumente wissenschaftlicher Arbeit sind, diese Geschichten sichtbar zu machen, inwieweit sie Perspektiven verstellen und wo sie neue eröffnen können 12 . Normen, Diskurse und Praxis Es ist ein gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Topos, dass Frauen im mittelalterlichen Europa von „Bildung" und „Wissenschaft" weitgehend ausgeschlossen waren, dass dies mit der „weiblichen Schwäche" begründet wurde und weitreichende Konsequenzen für die Organisation moderner (westlicher) Wissenschaft hatte 13 . Meine Überlegungen zielen nun keineswegs darauf ab, die Wirkmächtigkeit dieses der Herkunft nach antiken Normativitätsdiskurses, der auf einigen - wiewohl dominant gewordenen - Lesarten ausgewählter antiker und mittelalterlicher Texte und Schriftkommentare basiert14, zu bestreiten. Vielmehr soll seine angebliche Einheitlichkeit und Exklusivität sowie die Kausalität seiner Entwicklung in Frage gestellt und seine zeit- und kontextspezifische Relevanz überprüft werden 15 : Was bedeuten Normen, wie und von wem werden sie aufgestellt? In welchen Prozessen gewinnen sie Gültigkeit? Wie werden sie Bestandteil diskursiver Ordnungen? Inwieweit werden sie eingehalten, wann verlieren sie in welchen Feldern ihre praktische Geltung, und aus welchen Gründen? Anders gefragt: Was sagen alle? Was sagen einige? Wer sagt etwas anderes als die anderen? Wessen Stimmen werden gehört und überliefert? Welche geraten in Vergessenheit? Warum werden Haltungen, die zunächst nur von Minderheiten vertreten werden, mehrheitsfähig und warum kommen bisherige Mehrheitshaltungen aus der Übung? 16 Normative diskursive Formationen sind nicht notwendigerweise dominant oder hegemonial, und wenn doch, sind sie es nicht „immer schon" gewesen. Gerade wenn man
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Vgl. Veyne, Geschichtsschreibung 152. Etwa Lundt, Auf der Suche nach den Frauen im Mittelalter, v. a. den Beitrag von Friederike Hassauer, Die alte und die neue Heloisa. Vgl. dazu die umfangreiche Literatur zur sog. Querelle desfemmes, der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Debatte um die Wissens- und Wissenschaftsfähigkeit von Frauen, v. a. Bidwell-Steiner/Aichinger/Bösch/Cescutti/Hassauer, Streitpunkt Geschlecht und dies., Querelle des femmes in der Romania. Siehe auch Hassauer, Homo. Academica und dies., Die Matrix des Wissens. 14 Eine erste systematische Untersuchung früh- und hochmittelalterlicher Bibelkommentare zu Schöpfung und Sündenfall (Gen 1-3), d. h. zeitgenössischer Interpretationen von Egalitäts- und Differenzdiskursen bietet mit einem Forschungsüberblick Goetz, Frauen im frühen Mittelalter 71—103. Zur Bedeutung des Paulusbriefes an die Galater (Gal 3, 28) als Beispiel für „egalitäre" Argumentationen vgl. Muschiol, Klausurkonzepte, Kap. 1.2. „Die Möglichkeiten der Kirchengeschichte", besonders Anm. 115—130 mit umfassenden Literaturangaben (Ich zitiere aus Formatierungsgründen nach Kapiteln und Fussnoten, da mir die Autorin freundlicherweise eine elektronische Version ihrer Arbeit zur Verfugung gestellt hat. " Für einen differenzierenden Zugang siehe etwa die Fallstudie von Eva Cescutti, Hrotsvith und die Männer; für einen Forschungsüberblick mit Schwerpunkt Frühmittelalter Goetz, Frauen im frühen Mittelalter. Kapitel: Frauenbild und Frauenleben im Frankenreich 31-71. 16 Dazu zentral das Werk von Michel Foucault, besonders: Archäologie des Wissens, Die Ordnung der Dinge, Sexualität und Wahrheit 1: Der Wille zum Wissen. Eine gute Einführung mit Überblick über die mittlerweile kaum mehr zu übersehende weiterführende bzw. kommentierende Literatur bietet FinkEitel, Foucault zur Einführung. Zum Verhältnis von Geschlecht und Wissen in der Neuzeit vgl. etwa Harding, Das Geschlecht des Wissens; Schiebinger, Am Busen der Natur. 13
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aber den dauerhaften Effekten von normierenden Vorstellungen nachgehen will, ist es unabdingbar, danach zu fragen, in welchen Zeiträumen sie wichtig und relevant geworden sind. Wann und wie wurden sie entwickelt und explizit argumentiert, warum und mit welchen Interessen? Wann, von wem und warum wurden Argumente rezipiert, angeeignet, „einverleibt", in und für welche Situationen und Handlungsfelder wurden sie Teil von symbolischen Formationen, selbstverständlichen Denkweisen und habituellen Lebensformen? 17 Erst durch solche Fragen und ihre Beantwortung können zum einen die komplexen Machtbeziehungen transparenter gemacht werden, in die diskursive Entwicklungen eingebettet sind und die sie gleichzeitig mitgestalten; zum anderen wird deutlich, dass diskursive und symbolische Ordnungen gerade dort am wirksamsten sind, wo sie am wenigsten sichtbar werden — je mehr Wahrnehmungen als selbstverständlich und „natürlich" erlebt werden, auf umso vielfältigere Weise werden solche Ordnungen in der Praxis effektiv und um so schwerer sind sie zu dekodieren 18 . Das Hauptinteresse der Arbeit gilt also dem Verhältnis von Geschlechterordnungen und Wissensordnungen als Ordnungssysteme, die besonders tief in gesellschaftliche Denk- und Handlungsmuster eingelassen zu sein scheinen, die sich in vielfältiger und komplexer Weise überschneiden und einander in ihren kulturellen Selbstverständlichkeiten verstärken, ohne dass dabei ihre Bedeutungen ein für allemal fixiert würden 19 . Aus wissenschaftshistorischer und -soziologischer Perspektive interessiert mich, wie Kategorien als Instrumente wissenschaftlicher Analysen konstruiert und begründet werden und wie sie sich zu ihrer Rolle als Bausteine sozialer Ordnungen verhalten. Daran schließt sich die Frage, in welchem Verhältnis sich diese analytischen Instrumente bzw. Kategorien sozialer Wahrnehmung zu semantischen Feldern der untersuchten historischen Kontexte verhalten. Anders gesagt: Ich frage nach dem Verhältnis sozialer und analytischer Kategorien und nach der Tauglichkeit letzterer für historische Fragestellungen. Gleichzeitig scheint mir die Historisierung und Relationierung der beiden Kategorien Geschlecht und Wissen geeignet, enge „moderne" Perspektiven auf die binär gedachte Opposition Männer vs. Frauen und auf das Feld „Wissenschaft" zu erweitern. Zur Kategorie Geschlecht frage ich, ob, wann und inwieweit die Wahrnehmung von Unterschieden zwischen Frauen und Männern aufgrund von „äußeren", biologischen
17 Dazu Bourdieu, Sens pratique, vgl. auch die ins Deutsche übersetzte Sammlung von Aufsätzen Pierre Bourdieus, Praktische Vernunft. Zur Nützlichkeit des Habitus- und weiterer Bourdieu'scher Begriffe fiir die historische Institutionenforschung vg. Göhler/Späth, Symbolische Macht. Zur Beziehung zwischen diskursiven Modellen und den „Prozessen sozialer Modellierung der Menschen" anhand mediävistischer Fragestellungen siehe Algazi, Sich selbst vergessen 388-391, das Zitat 389. 18 Zur Anwendung der Fragen nach dem Verhältnis von Sprache als sozialer Institution, semantischen und anderen symbolischen Sinnformationen und ihren habituellen Aneignungen in einem mediävistischen Kontext vgl. etwa Jussen, Witwe 35: „Die Geschichte des Witwenstandes ist ... die Geschichte eines Habitus, also eines einverleibten Teils der objektiven Bedingungen im Leben von Witwen. Wenn der Witwenstand ... tatsächlich eine soziale Institution war ..., muss [es] eine dauerhafte, einverleibte Bereitschaft von Witwen gegeben haben, die zu sozialen Erwartungen gewordenen kirchlichen Vorschriften anzuerkennen und zu erfüllen. Wenn eine Kategorie des religiösen Denkens zugleich soziale Institution war, dann muss sich ein gewisses Maß an Ubereinstimmung zwischen den Predigten der Priester und den Dispositionen der Witwen finden lassen." Vgl. dazu ausführlich Kap. 3.2. fiir die Kategorie der Jungfrauen, die mit dem geistlichen Stand der Mönche bzw. Sanktimonialen korrespondiert und fiir die dasselbe analog gilt. 19 Grundlegend Derrida, Grammatologie; Überblick und Diskussion bei Culler, On Deconstruction 156-179.
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bzw. anatomischen Kriterien in zeit- und kontextspezifischen Diskursen eine Rolle für weitere Differenzierungen spielte. Wann und wo wurde über den Unterschied zwischen den Geschlechtern gesprochen? Wann und wo galt Geschlecht theoretisch-argumentativ als Differenzkriterium, das auch zu symbolisch und kulturell unterschiedlichen Wahrnehmungen und Bewertungen von Frauen und Männern führte und sozial wirksam wurde? Wo werden einzelne Individuen „geschlechtsneutral", wo werden sie geschlechtsspezifisch dargestellt, d. h. als „Frauen" oder „Männer" sprachlich und symbolisch unterschiedlich markiert, zugeordnet, vereinheitlicht und bewertet? Zur Kategorie Wissen frage ich, was in welchen Zusammenhängen als sozial und kulturell relevantes Wissen gilt. Was bedeutet „Wissen" und welchen Zielen dient es? Welche gesellschaftlichen Funktionen und sozialen Rollen erfordern welche Kenntnisse? In welchen Kontexten wird „Wissen" thematisiert, wie wird es benannt? Welche Vorstellungen gibt es von unterschiedlichen Wissensformen und ihren Funktionsbereichen — von tradiertem und gelehrtem Wissen, von „Schulwissen" und pastoralem Wissen, von spirituellem und visionärem Wissen? Wie wird Wissen gesichert, vermittelt und weitergegeben? Wie werden Bildung und Ausbildung organisiert und institutionalisiert? Welche Lern- und Lektürekanones liegen ihnen zugrunde? Nach welchen Kriterien wird geordnet und systematisiert? Welche Rolle spielen dabei Prozesse funktionaler Ausdifferenzierung im Zusammenhang mit institutionellen Entwicklungen wie die Reorganisation monastischen Lebens seit dem 11. Jahrhundert oder die Monopolisierung und Spezialisierung „gelehrten" Wissens im Rahmen der europäischen Universitäten? Wie kommt man diesen „Wissensformationen" und möglichen Prozessen ihrer Umorientierung semantisch auf die Spur? Veränderungen werden etwa in neuen, expliziten Argumentationen deutlich, während gleichzeitig bestehende Denkweisen und ihre Ausdrucksmuster weiter existieren und sich nur allmählich ändern. Die funktionalen und moralischen Schemata der Einteilung der Gesellschaft in ordines, also die Modelle der gesellschaftlichen Dreiteilung (tria genera hominum) bedienen sich explizit und implizit der Kategorien Geschlecht und Wissen 20 . Die Konzepte, die ihnen zugrunde liegen, geraten im 11. und 12. Jahrhundert erneut in Bewegung. Da dies wiederum anhand des Gebrauchs bestimmter Wörter und semantischer Formationen deutlich wird, lassen sich Überlegungen zu möglichen diskursiven Stabilitäten davor und danach anstellen. Mein Interesse gilt dabei vor allem komplementären bzw. konkurrierenden Denkfiguren und Modellen sowie der Frage, welche von ihnen temporär erfolgreich sind und welche sich längerfristig durchsetzen21.
2 0 Aus den umfangreichen Forschungen zur mittelalterlichen Ständelehre siehe Constable, The Orders of Society; Duby, Ordnungen, und besonders die Arbeiten von Otto Gerhard Oexle, etwa Deutungsschemata, ders., Dreiteilung, ders., Tria Genera hominum. Zur Unterscheidung zwischen moralischen (Jungfrauen - Witwen - Verheiratete) und organisatorischen (Mönche - Kleriker - Laien; Beter Krieger - Arbeiter) Schemata vgl. Jussen, Witwe 33f. und 46f.; zur Frage von Geschlecht und ordo als Differenzkriterien im kanonischen Recht vgl. Synek, Status of Women; für den Zugang zu Schriftlichkeit und Bildung vgl. Cescutti, Hrotsvith. 21 Vgl. dazu exemplarisch Jussen, Witwe sowie ders., Religious Discourses; für eine aktuelle Einführung in die Problematik vgl. den Sammelband von Rolf Reichhard, Aufklärung und Historische Semantik, bes. die Einleitung des Herausgebers, Historische Semantik zwischen Lexicometrie und New Cultural History, ebd. 7 - 2 8 , und den Beitrag von Hans-Jürgen Lüsebrink, Begriffsgeschichte, ebd. 29—44. Vgl. auch Fromm/Harms/Ruberg, Verbum et Signum.
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Schwerpunkt der Untersuchung sind monastische Gemeinschaften als konkrete Orte der Praxis des Lesens und Schreibens. Der Ausgangspunkt im Kloster ist dabei nicht zuletzt in der Frage nach den Überlieferungschancen begründet: Zunächst soll die Suche nach „Frauen" in den Quellen und nach den Männern und Frauen, mit denen diese interagieren, Personen und ihr Handeln sichtbar machen. Dasselbe gilt für die methodische Suche nach spezifischen Texten und Textsorten als Objekte der Kategorie Schriftlichkeit, und für die Frage, wer mit ihnen was tat - also welche Rolle sie im monastischen Alltag spielten. Sozial relevantes Wissen scheint am ehesten über die Fragen nach Sinnproduktion in Gebrauchssituationen und nach erfolgreichem Handeln fassbar zu werden. Deshalb sollen spezifische Uberlieferungssituationen und Texte, die für den täglichen Gebrauch bestimmt waren, in Verbindung mit allgemeinen Aussagen zeitgenössischer Texte und moderner Wissenschaftstraditionen gebracht werden: Wie wirken sich bestehende Konzepte von Geschlecht, Wissensfähigkeit und Bildung auf die alltägliche Praxis aus? Ist der Umstand, litteratus/a zu sein, eine Kategorie sozialer Wahrnehmung wie Geschlecht, ordo — die Zugehörigkeit zu einer geistlichen Gemeinschaft und weitere Funktionen, die man in der ständischen Gesellschaft einnahm - , Alter oder Generation, und wenn ja, in welchem Verhältnis stehen diese Kategorien zueinander: Wirken sie verstärkend, kompensierend oder widersprüchlich? In und durch welche Medien und mittels welcher Praktiken werden sie wirksam, angepasst, festgeschrieben, verändert? Wie kommt man solchen Alltagspraktiken auf die Spur? Wie werden lesende und schreibende Personen in monastischen Uberlieferungszusammenhängen sichtbar? Wo, wann und wie werden Tätigkeiten, Funktionen, Techniken und Fertigkeiten des Lesens und Schreibens thematisiert? Wie werden sie bewertet? In welchem Verhältnis stehen Bedürfnisse und Funktionalitäten der alltäglichen Kommunikation zu den symbolischen Bedeutungen des geschriebenen Wortes? Werden solche Bedeutungen explizit hervorgehoben oder selbstverständlich gelebt, etwa im Rahmen des liturgischen Alltags und pastoraler Aufgaben oder auch in Hinblick auf die Praxis kollektiven Gedenkens und ihres Stellenwerts für die Gemeinschaft? In welchem Verhältnis stehen Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu Seelsorge und memoria, zur Sorge für die Lebenden und die Toten, um den Nächsten wie um das eigene Seelenheil? Welche semantischen Ausdrucksgefüge in den Quellen - Sprachbilder wie bildliche Darstellungen - korrespondieren mit welchen „Bildern im Kopf'? In welchen Zusammenhängen werden diese Konzepte und Bilder in der zeitgenössischen Praxis der Produktion und des Gebrauchs von Texten effektiv, d. h. wer erzeugt sie, liest sie, bestätigt sie, verändert sie — und welche Bedeutung hat das für die handelnden Personen? All diese Fragen in einer Untersuchung beantworten zu wollen, wäre vermessen. Sie sollen zunächst den Rahmen der Arbeit im Sinn eines Forschungsprogrammes umreißen, dessen Problemstellungen und Zielsetzungen anhand eines klar definierten Quellenbestandes konkretisiert und in der Folge überprüft werden sollen. Die reiche Admonter Überlieferung wird also in Hinblick auf die Tauglichkeit der Kategorien „Geschlecht" und Wissen" - wie auf den einleitenden Seiten dargestellt - befragt und in Verbindung mit anderen zeitgenössischen Quellenbeständen gebracht, die sich mit vergleichbaren Inhalten auseinander setzen. Dazu soll im Folgenden zuerst anhand einer einzelnen, dafür aber wesentlich bekannteren Handschrift, des am Ende des 12. Jahrhunderts im elsässischen Hohenburg entstandenen Hortus deliciarum, ein Modell vorgestellt werden, anhand dessen Problem-
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Geschlechterordnungen - Wissensordnungen
Stellungen und Methodik erläutert werden. Gleichzeitig verwende ich dieses „Musterbeispiel", um die Ubersicht über Stand und Perspektiven der betroffenen Forschungsbereiche in einen konkreten Zusammenhang zu stellen und damit die Bezüge zwischen ihnen besser sichtbar zu machen. Auf dieser Basis sollen die verschiedenen Themenkomplexe anhand von Admonter Quellenbeständen mit Schwerpunkt auf dem dortigen Frauenkonvent aufgerollt werden und ihre verschiedenen überlieferungsgeschichtlichen und inhaltlichen Aspekte durch vergleichende Textanalysen nach dem methodischen Prinzip der „dichten Beschreibung" Schritt für Schritt aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und einander gegenübergestellt werden22.
1.2. Ein Modell: Der Hortus
deliciarum23
Ende des 12. Jahrhunderts entstand im Elsässer Augustinerinnenkloster Hohenburg einer der faszinierendsten hochmittelalterlichen Kodices. Der Hortus deliciarum, wie die Hohenburger Priorin und Äbtissin Herrad das Buch selbst bezeichnet, versammelte Blüten (flores) aus der Heiligen Schrift und aus verschiedenen theologischen und philosophischen Schriften bis in die unmittelbare Gegenwart der Kompilation. Die illuminierte Sammelhandschrift im Großformat umfasste vermutlich mehr als 320 Folia. Der lateinische Haupttext des Kodex bestand aus über 1160 einzelnen Texten unterschiedlicher Länge und Provenienz in Prosa und Lyrik mit über 1250 volkssprachlichen und lateinischen Glossen und ca. 340 kolorierten Miniaturen. Zu vielen der lyrischen und hymnischen Gedichte gab es musikalische Notationen. Die Handschrift ist nicht datiert, jedoch vermutlich zwischen 1168 und 1178 entstanden. Der Kodex hat nur einen Fehler, der jedoch schwer wiegt: Er ist zusammen mit der einzigen Kopie dem Brand der Straßburger Bibliothek 1870 zum Opfer gefallen und existiert ausschließlich in rekonstruierter Form24.
22 Zum Begriff der „dichten Beschreibung" (thick description) des Ethnologen Clifford Geertz vgl. besonders die unter diesem Titel 1987 bei Suhrkamp erschienene Aufsatzsammlung in deutscher Ubersetzung; für diesen Zusammenhang z. B. Brunner, Realienkunde als Mentalitätsgeschichte. 23 Der folgende Abschnitt basiert auf meinem Vortrag beim Internationalen Kongress des Instituts für mittelalterliche Realienkunde zum Thema „Text als Realie" (3.-6. Oktober 2000, Krems/Donau), vgl. Lutter, Text und Geschlecht. Damals handelte es sich um eine programmatische Skizze einiger Problemstellungen, denen ich im Rahmen dieser Arbeit nachgehe. Für die Weiterentwicklung der forschungsleitenden Fragen haben sich v. a. die internationalen Konferenzen zum Thema „Manuscripts and Monastic Culture: Admont and the Twelfth-Century Renaissance in Germanic Lands" (7.-10. August 2002, Stift Admont) sowie „Trust in Writing. Fifth Utrecht Symposium on Medieval Literacy" (28.29. November 2002, Utrecht, im Rahmen des Pionier Project Verschriftelijking) als außerordentlich produktiv erwiesen. 24 Herrad von Hohenburg, Hortus deliciarum, ed. Rosalie Green u. a. (Studies of the Warburg Institute 36, 1 und 2) London-Leyden 1979 (in der Folge abgekürzt mit HD): erste und einzige umfassende und systematische Edition bzw. Rekonstruktion der Handschrift mit einer ausführlichen Einleitung; dort auch weitere umfangreiche Quellenangaben bzw. eine Zusammenstellung der älteren Literatur. Zur Materialbasis für die Rekonstruktion der Handschrift vgl. unten Anm. 26. Aktuell dazu die Arbeiten von Fiona Griffiths, Herrad, im 2001 erschienenen Sammelband von Constant Mews, Listen Daughter, der sich anhand des Speculum Virginum mit verschiedenen Aspekten der „Bildung" und „Ausbildung" in monastischen Frauengemeinschaften auseinandersetzt, dies., Nun's Memories, in: van Houts, Medieval Memories sowie Luff, Wissensvermittlung, der eine typologische Einordnung des HD bietet. Weiterfiih-
Ein Modell: Der Hortus
deliciarum
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Aus einer rein hilfswissenschaftlichen Perspektive wäre die Wahl einer nicht erhaltenen Handschrift zur Behandlung der skizzierten Fragestellungen reichlich unorthodox. Das Beispiel des Hortus deliciarum hat an dieser Stelle jedoch eine andere Funktion: Es soll einen Referenzrahmen bieten, in dem zu Beginn einige der zentralen Fragestellungen dieser Arbeit an einem konkreten Beispiel gebündelt und veranschaulicht werden sollen. Der Hortus deliciarum dient damit als Modell, dessen einzelne Aspekte im Folgenden mit Bezug auf die bisher allgemein formulierten Fragen vorgestellt werden sollen. In einem weiteren Schritt werden sie anhand des umfangreichen Materials des Benediktinerstiftes Admont in der Steiermark, das eine für die Problemstellung geradezu ideal typische Überlieferungssituation bietet 25 , in Form einer Fallstudie überprüft und modifiziert. Die Basis für die umfassende wissenschaftliche Rekonstruktion der Hohenburger Handschrift bilden Beschreibungen, Abschriften und Kopien der Miniaturen, die vor der Zerstörung des Originalmanuskriptes angefertigt wurden 2 6 . Aufgrund seines Umfanges wird angenommen, dass die Herstellung mehrere Jahre in Anspruch genommen hat. Die Überlieferung legt eine Entstehungszeit in den 60er und 70er Jahren des 12. Jahrhunderts nahe. Inhaltlich gilt dafür als terminus post quem ein Verscomputus, der dem Zeitraum zwischen 1156 und 1160 zugeordnet wird. Einen weiteren Hinweis auf einen längeren Entstehungszeitraum gibt außerdem der einzige sicher datierte Text der Handschrift -facta est hec pagina anno MCLXXV27. Dazu k o m m t die Verwendung zahlreicher zeitgenössischer Texte, etwa der Historia scholastica des Petrus Comestor, die zwischen 1169 und 1173 in Paris fertig gestellt wurde 2 8 . In einem der beiden Prologe nennt sich Herrad selbst als Kompilatorin des Werkes 29 . Herrad war die zweite Äbtissin der Elsässer Abtei auf dem Odilienberg (Mont-S.Odile) bei Straßburg nach deren materieller und spiritueller Restauration im 12. Jahrhundert 3 0 . Der Legende nach wurde die Abtei Ende des 7., Anfang des 8. Jahrhundert durch Herzog Adalrich gegründet, der seine Tochter Odilie als erste Äbtissin einsetzte. Als staufischer Hausbesitz wurde Hohenburg im 12. Jahrhundert vor allem von Friedrich Barbarossa unterstützt. Er setzte zwischen 1147 und 1162 eine Nonne namens Relinde als Äbtissin von Hohenburg ein, die als Reformäbtissin in enger Kooperation mit Bischof Burkhard von Straßburg tätig war und die Augustinusregel einführte 3 1 . Herrad setzte als Nachfolgerin Relindes deren Werk fort. Die Bedeutung des Klosters und seiner Äbtissin und ihre politischen Beziehungen spiegeln sich nicht zuletzt in zahlreichen kö-
rend außerdem Curschmann, Texte - Bilder - Strukturen; El Kholi, Lektüre 118-120; Freytag, Geistliches Leben, in: Brinker-Gabler, Deutsche Literatur von Frauen. 25 Dazu unten, Kapitel 2.1. 26 H D , Einleitung, Kap. 1: Michael Evans, Description of the Manuscript and the Reconstruction 1-8; 27 Angaben zur Datierung: H D nn. 1 1 5 6 - 1 1 6 1 , fol. 316r-321v, S. 4 9 2 - 5 0 2 . Z u m Verscomputus vgl. Curschmann, Art. Herrad in VerfLex 3 (1981), Sp. 1 1 3 8 - 1 1 4 4 , hier 1140. 28 Petrus Comestor, Historia Scholastica; dazu Morey, Peter Comestor. 29 Z u m Prosaprolog vgl. unten A n m . 45. 30 Vgl. allgemein Constable, Reformation; Hotchin, Female Religious Life; Griffiths, Herrad 235f., Für weiterführende Literaturangaben vgl. H D , Einleitung, Kap. 2., Christine BischofF, L'histoire 9 - 1 6 . 31 Dazu und zum folgenden H D , Einleitung, Kap. 2: Christine BischofF, L'Histoire 9 - 1 5 ; vgl. die Gründungslegende Vita Odiliae abbatis Hohenburgensis; vgl. dazu Cardot, Le pouvoir aristocratique, sowie Luff, Wissensvermittlung 132, mit A n m . 56.; zur Augustinusregel Dubled, Chanoines reguliers; zu Relinde siehe unten S. 23f. sowie Kap. 4.1.2., S. 1 8 8 - 1 9 0 .
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niglichen und herzoglichen Privilegien. In einer Urkunde Kaiser Friedrichs von 1178 wird sie als venerabilis Herrat Hohenburgensis ecclesiefidelis etprudens abbatissa tituliert 32 . Sowohl ihre Herkunft als auch der genaue Beginn ihrer Tätigkeit als Äbtissin sind allerdings unbekannt33. Zu ihrer Erziehung gibt die Handschrift selbst einen Hinweis: In einem Spruchband zur letzten Miniatur erfahren wir, dass Herrad von Relinde in Hohenburg unterwiesen worden sei34. Die umfangreiche urkundliche Überlieferung, die neben dem Hortus deliciarum ihre Tätigkeiten belegt und damit weitere Anhaltspunkte für die zeitliche Einordnung der Handschrift bietet, beginnt jedenfalls mit 1178 und endet 119635. Sie dokumentiert darüber hinaus Herrads strategisches Vorgehen bei der Sicherung der Besitzungen Hohenburgs und der pastoralen Betreuung seiner geistlichen Frauen: In ihrer Amtszeit wurden nicht nur zahlreiche der vorhandenen Privilegien bestätigt, sondern es erfolgten auch neue Schenkungen. Hinweise auf ihre spirituelle Vorsorge, ihr ökonomisches Kalkül und den Umfang ihres politischen Einflusses gibt aber vor allem die Gründung zweier Männerklöster durch Herrad bzw. auf ihre Initiative: 1178 veranlasste sie eine Landschenkung aus Hohenburger Besitz in St. Gorgon an die Prämonstratensermönche des benachbarten Klosters Etival. Die Gründungsurkunde von St. Gorgon ist zwar nicht erhalten, dafür aber Bestätigungen durch Kaiser Friedrich (1178), seinen Sohn, Herzog Friedrich V. von Elsaß (1181), Papst Lucius III. (1181) sowie Bischof Heinrich von Straßburg (1183) 36 . Zwei Jahre später erfolgte mit Truttenhausen die zweite Stiftung der Äbtissin von Hohenburg, die sie der spirituellen Obsorge der Augustiner Kanoniker von Marbach unterstellte. In diesem Fall nahm Herrad noch deutlicher aktiven Einfluss: Sie kaufte Land am Fuß des Odilienbergs und ließ dort Kirche und Kapelle, Wirtschaftsgebäude, ein Spital für die Armen und ein Hospiz für Pilger errichten. Aus Marbach kamen zwölf Geistliche, die nach der Augustinusregel und den Marbacher constitutiones lebten und zur Ehre Gottes und des Hohenburger Klosters tätig sein sollten. Auch diese Gründungsurkunde ist verloren, jedoch in den Bestätigungen durch Herzog Friedrich V. (1181) und den Papst (1185) dokumentiert37. 3 2 Original in den Archives Départementales du Bas-Rhin (ADBR), G 23, Belege bei Griffiths, Nuns' Memories 136, Anm. 29. 33 Auch in Teilen der neueren Forschungsliteratur wird Herrad häufig immer noch mit der Herkunftsbezeichnung „von Landsberg" tituliert (etwa 1997 in El-Kholi, Lektüre in Frauenkonventen). Die Verbindung mit dieser Elsässer Familie wurde im frühen 16. Jahrhundert von Jacob Wimpheling hergestellt (Argentinensium episcopum catalogus cum eorundem vita ..., Strasbourg 1508), lässt sich jedoch nicht aufrecht erhalten. Weder gibt es dafür zeitgenössische Belege, noch taucht der Name Herrad in der Genealogie der Landsbergs ein weiteres Mal auf. Siehe HD, Einleitung, Bischoff, L'Histoire 10, sowie ausführlich Will, Les origines. 34 HD fol. 323r, S. 505: Herrat Hohenburgensis abbatissapost Relmdam ordinata ac monitis et exemplis eius instituta. 35 Schoepflin, Alsatia; Würdtwein, Nova subsidia diplomatica. Teile der Überlieferung sind ediert in den Darstellungen von Pfister, Le duché und Albrecht, Historie. Zur urkundlichen Überlieferung siehe außerdem HD, Einleitung, Bischoff, L'Histoire, Anm. 13 und 17 mit Verweis auf die ältere Literatur; vgl. v. a. auch Griffiths, Nuns' Memories mit einer umfassenden Erläuterung und Diskussion der wichtigsten in den Archives Départementales du Bas-Rhin (ADBR) in Straßburg erhaltenen urkundlichen Überlieferung. 36 Ediert bei Würdtwein, Nova subsidia diplomatica 10, 65. Belege des archivalischen Materials bei Griffiths, Nuns memories l40f., Anm. 47-49. 37 Ad honorem Dei et Hohenburgensis cenobii. Zitat aus der Gründungsurkunde ebd., Anm. 52; die Bestätigungen Anm. 53. Edition: Schoepflin, Alsatia diplomatica 1, n. 335.
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Beide Gründungen hatten einen wesentlichen Zweck: Sie sicherten Hohenburg gegen die Ansprüche des rivalisierenden Benediktinerklosters Ebersheim ab, indem sie den Frauenkonvent von der Seelsorge durch diesen Männerkonvent unabhängig machten. Im Konflikt zwischen Hohenburg und Ebersheim um Besitzfragen konnten die Benediktiner, die bis dahin für die cum monialium der Hohenburger Nonnen zuständig waren, die Äbtissin damit unter Druck setzen, dass sie drohten, keine Priester für die Betreuung der Damen mehr zur Verfügung zu stellen38. Dies bedrohte deren spirituelles Leben aufs Empfindlichste, da sie aufgrund des Ausschlusses von Frauen von der Priesterweihe davon abhängig waren, die Sakramente von ihren geweihten männlichen Kollegen zu empfangen. Die beiden neuen Stiftungen schafften einen Ausweg aus dieser Zwangslage, indem sie das notwendige Personal bereitstellten, ohne eine neue Abhängigkeit zu begründen: Im Gegenteil: Beide unterstanden der Autorität der Hohenburger Äbtissin. Dadurch hatte diese den Rücken frei, sich ihren ökonomischen Auseinandersetzungen mit den Ebersheimern zu widmen. Hier werden verschiedene Wirkungsweisen der Kategorie Geschlecht und ihr unterschiedliches Zusammenwirken mit der Kategorie ordo deutlich: Erstere war kirchenrechtlich ein explizites, wenn auch in der Praxis jeweils unterschiedlich ausgelegtes Differenzkriterium zwischen Männern und Frauen und der Grund für den Ausschluss letzterer aus bestimmten Funktionen. Zwar gehörten Sanktimonialen und Kanonissen durch die Weihe dem geistlichen Stand an, welche sakramentalen Befugnisse sie jedoch hatten bzw. haben sollten, war bis ins 13. Jahrhundert umstritten und von unterschiedlichen Faktoren abhängig 39 . Der Ausschluss von geistlichen Funktionen konnte aber darüber hinaus weitere Einschränkungen begründen, wenn etwa eine Frauengemeinschaft durch die spirituelle Abhängigkeit von männlichen Priestern auch ökonomisch von einem Männerkonvent abhängig wurde und wie Hohenburg besitzrechtliche Nachteile in seinen Beziehungen zu Ebersheim zu gewärtigen hatte 40 . Wie sich aber mehrere Faktoren verstärken konnten, so musste dies nicht notwendigerweise der Fall sein, sie konnten auch ausgleichend wirken: Herrad fand mit ihren beiden Neugründungen eine bemerkenswerte Lösung, ihre politische und ökonomische Machtposition und ihr Wissen um ihre rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen und dadurch nicht nur das kirchenrechtlich definierte Defizit in Hinblick auf die Kategorie Geschlecht auszugleichen, sondern gleichzeitig ihren Status als Äbtissin und Klostergründerin zu bestätigen und auszubauen. Der soziale Stand {ordo) einer Äbtissin wie Herrad in Verbindung mit der Praxis der individuellen Verleihung auch spiritueller Rechte durch kirchliche und weltliche 38 Zu den Beziehungen zwischen Hohenburg und Ebersheim vgl. das Chronicon Ebersheimense 427-53, besonders 437f. zur spirituellen Betreuung der Hohenburger Nonnen; dazu Pfister, Le duche und zusammenfassend Griffiths, Nuns' memories 138. 35 Zur äußerst komplexen Frage der Weihe (Aufnahme in den sakralen Stand, ordo, und Befähigung zur Verrichtung geistlicher, besonders sakramentaler Funktionen) und der Weihefähigkeit von Frauen, die bis ins 13. Jahrhundert nicht nur in der Praxis unterschiedlich gehandhabt wurde, sondern über die es auch unter den Kanonisten unterschiedliche Ansichten gab, vgl. Synek, Status of Women und Macy, The Ordination of Women. Beide Arbeiten weisen daraufhin, dass auch die normative, kirchenrechtliche Realität wesentlich vielschichtiger und ambivalenter war, als sie sich aus einer ex post-Perspektive auf das kanonische Recht darstellt. Vgl. allg. auch Johnson, Equal in Monastic Profession. 40 Zur wirtschaftlichen Abhängigkeit grundsätzlich und mit Beispielen für englische und französische Frauenklöster siehe Venarde, Women's Monasticism 89-132. Vgl. auch Muschiol, Klausurkonzepte, Kapitel 2.3.3. „Schwester Armut".
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Autoritäten41 konnte außerdem in zahlreichen Fällen vom Frühmittelalter bis ins 12. Jahrhundert direkte Auswirkungen auf die Ausweitung der sakramentalen Befugnisse im Rahmen ihres geistlichen Standes (ordo) haben. Nicht zuletzt aufgrund der spezifischen Erfordernisse der monastischen Lebensform war es etwa Äbtissinnen häufig gestattet, ihren geistlichen Schwestern im Sakrament der Beichte beizustehen. Ähnliches gilt für die pastoralen Aufgaben des Predigens und des Vortrags des Evangeliums42 . Text und Bild, Schrift und .Aufführung" Der Hortus deliciarum beginnt mit einem lateinischen Widmungsgedicht, gefolgt von einem Prolog in lateinischer Prosa, in denen Herrad ihre Nonnen jeweils direkt anspricht und die beide auf eindrucksvolle Weise ihr Selbstverständnis verdeutlichen. Das Bild des Hortus deliciarum, das sie im Prosaprolog als Titel für die Sammelhandschrift verwendet, eröffnet eine komplexe Metaphorik, die den Rahmen für das gesamte Kompendium vorgibt. Als Garten der Köstlichkeiten hatte bereits Isidor von Sevilla das Paradies bezeichnet: Es liege im Osten, und sein Name werde aus dem Griechischen ins Lateinische mit „Garten" übersetzt. Das hebräische Eden wiederum bedeute in „unserer", also der lateinischen Sprache „Köstlichkeiten". Aus diesen beiden Elementen ergäbe sich daher „Garten der Köstlichkeiten"43. Herrad verwendet ein ähnliches Bild, mit dem sie gleichzeitig einen ersten Hinweis auf die Eigenschaft des Werkes als Florilegium oder Blütenlese gibt 44 . Sie spricht ihre Mädchen (virgunculae) in der ersten Person an und fordert sie zur Lektüre des Buches auf: Wie eine Biene habe sie unter Anleitung Gottes ihr Buch zu Lob und Ehre Christi und der Kirche wie zur Erbauung ihrer Nonnen, der dulcissimae Christi virgines, aus verschiedenen Blüten der Heiligen Schrift und philosophischer Werke zusammengetragen und gleichsam zu einer Honigwabe geformt. Sie sollen in diesem Buch eifrig willkommene Nahrung suchen und durch seinen süßen Strom ihren müden Geist erfrischen, damit sie, der Liebkosungen des himmlischen Bräutigams immer eingedenk und durch die geistlichen Freuden genährt, das irdische Leben sicher durchqueren und die ewige Glückseligkeit erlangen mögen. Sie selbst, Herrad, die [hier] auf gefährlichen (Meeres-)
4 1 So etwa in der Chronik Bernolds von Konstanz, wo zum Jahr 1095 unter den Beschlüssen des Konzils von Clermont-Ferrant — bekannt v. a. wegen des Kreuzzugaufrufs Papst Urban II. - auch die Bestimmung genannt wird, dass Priestern nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des jeweils zuständigen Bischofs die Spende des Beichtsakraments erlaubt sei: Itttm ut nulluspresbiter aliquos adpenitentiam reciperet, nisi cuiproprius episcopus hanc curam comrnisisset (Bernold, Chronik 520, vgl. dazu U. R. Blumenthal, Konzil von Clermont-Ferrant (18.-28. November 1095), in: LMA II, 2159f. 4 2 Dazu Macy, Ordination of Women; Morris, The Lady was a Bishop, Appendix 6, .Abbesses with Powers of Confession" 140-143 mit Diskussion entsprechender Bestimmungen in den regulae St. Columbani und St. Basilii sowie den regulae ad virgines des Waidebert und des Donatus von Besançon. Zur Frage der frühmittelalterliche regulae fiir Frauengemeinschaften siehe Heidebrecht/Nolte, Leben im Kloster; Crusius, Kollegiatstift und dies., Kanonissenstift; Schilp, Norm und Wirklichkeit; Zur Predigt und Lektüre der Heiligen Schrift in Admont siehe ausführlich unten Kap. 2.2.-2.4. vgl. auch Bériou, The Right of Women to Give Religious Instruction. 4 3 Isidor, Etymologiae XIV,3,2: Paradisus est locus in orientispartibus constitutus, cuius vocabulum ex Graeco in Latinum vertitur hortus: porro hebraice Eden dicitur, quod in nostra lingua deliciae interpretatur. Quod utrumque iunctum facit hortum deliciarum. Weitere Belege siehe Kap. 3.3.2., S. 170. 4 4 Zur Tradition und zu den Charakteristika mittelalterlicher Florilegien und ihrer Topik vgl. auch unten Anm. 57 sowie v. a. Kap. 1.4.2, S. 43—47.
Ein Modell: Der Hortus deliciarum
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Wegen wandle, sollen sie durch ihre fruchtbringenden Gebete in ihren irdischen Wünschen besänftigen und sie mit zur Liebe des himmlischen Geliebten führen 45 . Im Rithmus Herradis, dem gereimten Prolog, der den Kodex eröffnet, spricht die Äbtissin ihre Nonnen ebenfalls direkt als Bräute Christi an und ruft sie in 25 Strophen zu Treue und Liebe zu ihrem wahren Bräutigam auf 46 . Herrad ist ihren Mädchen gleichzeitig Mutter und Magd, singt ihnen das Hohelied und führt ihnen all jene Bilder vor Augen, die später durch die gesamte Kompilation des Hortus deliciarum als Grundmotive erscheinen: Sie sollen sich auf ihren Bräutigam und die himmlische Hochzeit vorbereiten, indem sie das irdische Leben und alle Anfechtungen und Laster besiegen, tugendhaft und ohne Makel leben und ihre Keuschheit bewahren. Der Kampf der Tugenden gegen die Laster, dem später einer der ausführlichsten Bildzyklen des Manuskripts gewidmet ist, wird in einer äußerst plastischen und sinnlichen Sprache geschildert: So hart er ist, so sehr winkt als Lohn die himmlische Vermählung der geistlichen Jungfrauen mit Christus, die Maria als Mutter des Bräutigams und Vorbild der Mädchen vorbereitet47. Beide Prologe verweisen auf zwei grundsätzliche Charakteristika des Hortus deliciarum und des Selbstverständnisses derjenigen Personen, die ihn zusammengestellt und gestaltet haben, ebenso wie seiner Leserinnen48. Sie bestehen zum einen in dem selbstverständlichen und untrennbaren Zusammenwirken von Text und Bild, Prosa und Dichtung, von typologischem, metaphorischem und allegorischem Denken, in einem Verständnis des Ineinandergreifens von geistiger und sinnlicher Wahrnehmung, das den gesamten Kodex bestimmt : Die 25 Strophen des gereimten Prologes konnten in der mittelalterlichen Zahlensymbolik auf die Quadratzahl der fünf menschlichen Sinne bezogen werden. Der Prolog enthielte somit eine implizite Aufforderung an die Hohenburger Nonnen, den Hortus deliciarum mit allen fünf Sinnen zu erfassen. Diese Vermutung wird durch die Tatsache unterstrichen, dass die letzte Strophe keinen zusätzlichen Inhalt mehr enthält, sondern ausschließlich aus der Wiederholung des Wortes „ A m e n " besteht, bis das vorgegebene Vermaß erfüllt ist. Dies legt die Annahme nahe, dass ein solcher Text vorgetragen bzw. gesungen wurde. Das Bild des Hortus deliciarum wiederum hatte im Verständnis des 12. Jahrhunderts verschiedene, einander überschneidende Bedeutungen: Er konnte ebenso das verlorene
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Item prosa per Herradem abbatissam predictis virgunculis causa exhortationis composita (n. 2, fol. 1 v,
S. 4, alle Zitate ohne Editionskommentar; meine Hervorhebungen): Herrat gratia
Dei
Hohenburgensis
ecclesie abbatissa licet indigna dulcissimis Christi virginibus in eadem ecclesia quasi in Christi vinea Domini fideliter laborantibus, graciam etgloriam, quam dabit Dominus. Sanctitati vestre insinuo, quod hunc librum qui intitulatur Hortus deliciarum ex diversis sacre et philosophice scripture floribus quasi apicula Deo inspirante comportavi et ad laudem et honorem Christi et Ecclesie, causaque dilectionis vestre quasi in unum mellifluum favum compaginavi. Quapropter in ipso libro oportet vos sedulo gratum querere postum et mellitis stillicidiis animum reficere lassum, ut sponsi blandiciis Semper occupate et spiritalibus deliciis saginate transitoria secure percurratis et eterna felici jucunditate possideatis, meque per varias maris semitas periculose gradientem fructuosis orationibus vestris a terrenis ajfectibus mitigatam una vobiscum in amorem dilecti vestri sursum trahatis. Amen. Vgl. die vollständige Ubersetzung bei Luff, Wissensvermittlung 123. 46 Rithmus Herradis abbatisseper quem Hohenburgenses virgunculas amabiliter salutai et ad veri sponsi fidem dilectionemquesalubriter invitatiti. 1, fol. lv, S. 2f.). 4 7 Beide Prologe sind bei Luff, Wissensvermittlung 119-128, abgedruckt, übersetzt und vergleichend interpretiert. 4 8 Zum Publikum ebd. 141-148. 4 9 Vgl. Luff, Wissensvermittlung 125f., Anm. 26. Grundlegend zur Zahlensymbolik Meyer/Suntrup, Lexikon der mittelalterlichen Zahlenbedeutungen, hier 685.
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Paradies, also den Garten Eden, und das endzeitliche Paradies bzw. das himmlische Jerusalem meinen, das den Auserwählten versprochen war, wie auch die christliche Seele, das reine Gewissen und die Jungfräulichkeit, verkörpert in der Jungfrau Maria, aber auch das klösterliche Leben und die Kirche 5 0 . Die Gleichsetzung des Hortus deliciarum mit dem Paradies, wie sie Isidor geprägt hat, nahm Honorius Augustodunensis auf, der ihn in seinem Speculum ecclesiae mit der Kirche assoziierte 51 . Die Interpretation als menschliche Seele findet sich etwa in den Sermones super Cantica canticorum des Bernhard von Clairvaux 5 2 . Bernhard gebraucht das Bild aber ebenso zur Beschreibung des geistlichen Paradieses, des Klosters, als ein fruchtbarer Garten und als ideale Lebensform 5 3 . Diesen Bezug zum monastischen Leben stellte im 12. Jahrhundert auch Konrad von Hirsau her, wenn er es explizit mit dem Garten der Lustbarkeiten gleichsetzt, w o floribundis deliciis sánete mentes inbibunt54. Die Geschlossenheit und gleichzeitig Fruchtbarkeit der monastischen Lebensform wird durch die Jungfrau Maria, Mutter Gottes und Braut Christi symbolisiert. Dieses Bild gehört zu den beliebtesten in der Hohelied-Rezeption des 12. Jahrhunderts. Es findet sich in Bernhards Hohelied-Auslegung, ebenso etwa bei Honorius und Rupert von Deutz 5 5 , und bietet das vielschichtigste Identifikationsmodell für Sanktimonialen als Bräute Christi. Herrads Kompilation soll den Hohenburger Nonnen dementsprechend zur Erlangung all dieser Ziele, die gleichzeitig ein einziges sind, als Leitfaden, Spiegel und spirituelle Nahrung dienen 5 6 .
50 Vgl. zum Folgenden mit zahlreichen weiteren Beispielen Brunner, Baumgarten; Cescutti, Hortus conclusus; Vavra, Suche nach dem verlorenen Paradies. Im Zusammenhang mit dem Hortus deliciarum auch Luff, Wissensvermittlung 137. Siehe dazu auch Kap. 3.3.2. 51 Z. B. Honorius Augustodunensis, Speculum ecclesiae 833. 52 Etwa Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica canticorum 23,1, 138-150. 53 Bernhard von Clairvaux, Sententiae 3,91, VI/2, 140: CUustralis vero estparadisus adsuavem spirantis austri clementiam, quasi totfloribus vernat, quot virtutibus abundat. 54 Konrad von Hirsau, Dialogus de mundi contemptu 13f.: Dixerim igitur vitam monasticam ortum deliciarum, ubi floribundis deliciis sanete mentes inbibunt. 55 Z. B. Rupert von Deutz 86, Cantica canticorum, CCCM 26, 76ff.: Hic hortus unus velsolus est et clausus vel conclusus hic uterus unus estfecundus et incorruptus. O igitur soror et sponsa mea quomodo gaudent amici quia talis hortus es talisfons. Corpore hortus conclusus mente vel anima fons signatus. Im Hortus deliciarum wird das Bild des hortus conclusus zweimal explizit evoziert, besonders eindrucksvoll aufgrund der erklärenden, teilweise volkssprachlichen Einschübe: HD, n. 314, fol. 86r, S. 138: In sermone ejusdem doctoris(\. e. Honorius Augustodunensis, Speculum Ecclesiae, vgl. HD, n. 312, fol. 85r, S. 137; Hervorhebungen und Anmerkungen im Text): ... Quando de orto (Anm. 1: idestparadiso) voluptatisfontemproduxit. Quis vero est ortus voluptatis nisi virgo domicilium virginitatis? De hac dicitur: Ortus conclusus, florenti cespite (Anm. 2: cespes wase quod sit circa pedes) vernans. Ortus equidem conclusus vallo graben pudicitie, non timens lubricum lapsum serpentis. Ortus, inquam, conclusus, nullo assultu clingunge virilis luxurie violatus. Fons vero de orto procedens Christus est de virginis palacio nascens (Anm. 3: id est natusj-, sowie n. 769, fol. 225r 3 ' S. 370f. Inhaltlich mit weiteren Belegstellen dazu ausführlich unten Kap. 3.2. und 3.3. 56 Die umfassendste Diskussion des Hoheliedes und seiner Rezeption und Interpretation des 12. Jahrhunderts findet sich im ausführlichen Kommentar von Friedrich Ohly zu seiner Edition des St. Trudperter Hoheliedes. Zum Vergleich des Bildes des Hortus conclusus in den Hohelied-Auslegungen von Honorius Augustodunensis, Rupert von Deutz und Bernhard von Clairvaux siehe Cescutti, Begehren, Körper, Text; zu Selbstverständnis und Identifikationsmodell vgl. Brunner, Selbstverständnis geistlicher Frauen im 12. Jahrhundert. Vgl. ausführlich unten Kap. 3.2. anhand von Admonter Quellen, bes. der Predigten des Gottfried bzw. Irimbert von Admont, Homiliae dominicales und Homiliae festivales. Dazu besonders die ungedruckte Dissertation von Ingrid Roitner, Mater misericordiae, die sich anhand der Admonter Predigten mit Fragen des Marienbildes im 12. Jahrhundert auseinander setzt. Vgl. auch Keller, Wort und Fleisch, und dies., Vom handfesten Geist und durchsichtigen Fleisch.
Ein Modell: Der Hortus
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D e m entsprechend orientieren sich Konzept und Aufbau des Hortus deliciarum in drei unterschiedlich langen Teilen nach dem Prinzip der mittelalterlichen Speculumbzw. Imago mundi-Werke an der Heilsgeschichte 5 7 : I m ersten Teil wird zunächst anhand einer Textauswahl aus dem Alten Testament die Ankunft Christi ankündigt und vorbereitet. D e r zweite Teil widmet sich im Wesentlichen den Evangelien folgend der Ankunft, der Lehre und den Leiden Christi. Im dritten Teil wird die Kirche sowohl als Jungfrau und sponsa wie auch als mystischer Körper Christi dargestellt und die göttliche Weltordnung erläutert. Schließlich wird das eschatologische Programm des Hortus in einem letzten Teil mit Erläuterungen der „Letzten Dinge" — des jüngsten Gerichts, der Hölle und des Himmlischen Jerusalem - beschlossen 5 8 . Die Geschichte des alten und des neuen Bundes folgt im wesentlichen dem „historischen" Ablauf der Bibel und ist von vergleichsweise wenigen Exkursen unterbrochen, die allerdings bereits erste Hinweise auf das Prinzip der Kompilation und das ihm zugrunde liegende Verständnis des typologischen Charakters der zusammengestellten Texte und ihrer Komposition zu einem sinnfälligen Ganzen geben. Der erste Exkurs über Fragen der Astronomie folgt direkt auf die Darstellung der Erschaffung der Welt in der Genesis. Nach der Sintflut und der auf sie folgenden neuen Ära innerhalb der Weltordnung gibt es einen weiteren Exkurs, diesmal über die Entwicklung der Philosophie und der artes liberales sowie, über die Musen, begleitet von allegorischen Darstellungen 5 9 . D e r dritte Teil ist in mehreren Abschnitten aufgebaut und weist eine weit komplexere Struktur auf. Die Grundthemen reichen von der salomonischen Theologie der Kirche über das Hohelied bis zur Darstellung von Struktur und Aufbau der zeitgenössischen Kirche im Sinn einer Interpretation der Weltordnung und enden mit den eschatologischen Fragen. Die Miniaturen in diesen Abschnitten verbinden Darstellungen König Salomons und des Kampfes der Tugenden gegen die Laster mit solchen des Glücksrades, der Tugendleiter oder des Kampfes Odysseus' gegen die Sirenen. Abwechselnd mit Texten und Szenen über Antichrist und Apokalypse finden sich Illustrationen des Mikrokosmos, eine Papstliste sowie einige komputistische Abhandlungen, bevor das Manuskript mit der Gründungsgeschichte von Hohenburg und der Darstellung des Klosters zur Zeit Herrads endet. D a m i t enthält der letzte Teil jene oft als „didaktisch"
5 7 Vgl. Saxl, Illustrated Medieval Encyclopedias 2 2 8 - 2 5 4 ; Luff, Wissensvermittlung 3 - 7 zu den Begriffen mit einer Problematisierung des modernen Enzyklopädie-Begriffes. Ahnlich aufgebaut sind etwa der Liber floridus des Lambert von St. Omer, der Liber sententiarum des Petrus Lombardus oder die Werke des Honorius Augustodunensis (Gemma animae, Speculum ecclesiae, Elucidarium); Weitere Beispiele bei H D , Einleitung: Bischoff, Le Texte 4 l f . Vgl. dazu unten Kap. 1.4.2., S. 4 3 ^ 4 7 . Für eine Analyse des Liber Floridus siehe die Edition von Albert Derolez, T h e Autograph Manuscript, sowie Lefevre, Le Liber Floridus. Zum Elucidarium vgl. das gleichlautende Kapitel in Luff, Wissensvermittlung; ebd. 117 zum Vergleich mit dem deutschsprachigen Lucidariur, grundlegend Flint, Homorius. Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen dem Hortus deliciarum und dem Speculum virginum bzw dem Liber Floridus siehe Griffiths, Herrad o f Hohenbourg 2 2 4 . 5 8 Für eine grundsätzliche Diskussion mittelalterlicher eschatologischer Konzepte unter Einbeziehung geschlechtergeschichlicher Perspektiven vgl. etwa die Arbeiten von Carolyn Bynum, besonders Fragmentierung und Erlösung, sowie den von derselben Autorin gemeinsam mit Paul Freedman herausgegebenen Sammelband „Last Things". 5 9 Erster Exkurs: fol. 10r-16v, S. 1 7 - 3 0 ; zweiter Exkurs: fol. 3 0 v - 3 2 r , S. 5 1 - 5 7 . Dazu H D , Einleitung, Kap. 3: Rosalie Green, T h e Miniatures 1 7 - 3 6 , hier 28. Umfassende Interpretationen der Bildprogramme der Miniaturen auch bei Cames, Allegories et symboles. Zur Funktion der Darstellung der artes liberales As Werkzeuge zur Erschließung des Wissens vgl. unten S. 25, Anm. 103 und Kap. 1.4.2., S. 4 5 .
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charakterisierten Themen, die dem Hortus deliciarum die Einordnung als „enzyklopädisches Sammelwerk" im modernen Sinn eingetragen haben 60 . Insgesamt wurden - wie erwähnt - für die Kompilation des Hortus deliciarum fast 1200 Texte unterschiedlicher Provenienz verwendet 61 . Einige Quellen dienten richtiggehend als Handbücher, aus denen Herrad über weite Strecken zitierte, sie jedoch ihrem eigenen Konzept unterordnete. Eine derartige Kompilation wirft eine Fülle von Fragen nach der Zirkulation von Wissen auf: Welche Texte hat man gekannt? Aus welchen Texten setzte sich der Hohenburger Bücherbestand zusammen? Wie wurden die Manuskripte weitergegeben und wie schnell wurden sie rezipiert? Was sagt uns die Auswahl der Texte über zeitgenössische Kriterien und Standards von Bildung und Wissen und über Modelle ihres Erwerbs, was über die Interessen und Intentionen, das Weltbild und die Visionen der Hohenburger Sanktimonialen? Neben der Heiligen Schrift wurden besonders häufig die Werke des Honorius Augustodunensis, vor allem das Elucidarium und das Speculum ecclesiae verwendet, weiters das Summarium Heinrici, eine zeitgenössische, äußerst populäre Version der Etymologiae des Isidor von Sevilla62, und die Historia Scholastica des Petrus Comestor, die zwischen 1169 und 1173 geschrieben wurde und das zeitgenössische Standardwerk zur Bibelgeschichte darstellte. Ihre Rezeption im Hortus deliciarum gibt damit einen wichtigen Hinweis auf die Geschwindigkeit der Verbreitung und Rezeption derartiger Texte63. Weitere häufig verwendete Quellen sind der Liber Sententiarum des Petrus Lombardus, der ebenfalls als zeitgenössisches Standardwerk zur systematischen Auslegung des christlichen Glaubens gelten darf 64 , und der Liber de divinis o f f i c i i s , das liturgische Handbuch des Rupert von Deutz, sowie seine Commentaria in Canticum canticorum, die besonders interessant für die Frage nach der Hohelied-Rezeption und seiner Auslegung und Bedeutung im 12. Jahrhundert sind, für die ja der Hortus deliciarum selbst repräsentativ ist 65 . Zwar fließen in den Hortus deliciarum enorm viele verschiedene Quellen ein. Dies betrifft sowohl die Rezeption traditioneller monastischer Autoren wie auch „moderner" Texte aus dem scholastischen Feld. Texte aus dem Milieu der Pariser Schulen wie die Sentenzen des Petrus Lombardus belegen Herrads Kenntnis zeitgenössischer intellektueller Standards. Im Unterschied zu vergleichbaren Werken, wie etwa dem Liber floridus des Lambert von St.-Omer (ca. 1120), setzte die Hohenburger Äbtissin allerdings klare inhaltliche Schwerpunkte, während andere Wissensbereiche kaum vertreten sind. Besonders hohen Stellenwert haben Texte aus der Heiligen Schrift selbst. Darüber hinaus repräsentiert der Hortus deliciarum im Bereich der Theologie (mit Petrus Lombardus) 60 Dieser enge Begriff etwa auch noch bei El-Kholi, Lektüre 119 mit Anm. 851. Zur Kritik an solchen Typisierungen siehe etwa Luff, Wissensvermittlung, vgl. oben Anm. 24. 61 Zum folgenden: HD, Einleitung, Kap. 4: Bischoff, Le Texte 37-62, besonders 43-56 zu Vorstellung und Kommentar der verwendeten Quellen mit Angaben weiterführender älterer Literatur. 62 Zu Isidor von Sevilla vgl. etwa oben Anm. 43. Rod Thomson verdanke ich den Hinweis, dass sich das Summarium Heinrici nur im deutschsprachigen Raum der erwähnten Beliebtheit erfreute, ansonsten aber kaum verbreitet war. 63 Literatur zu Belegen in Bibliothekskatalogen vgl. HD, Einleitung: BischofF, Le Texte 50, Anm. 49. Die Historia scholastica gilt somit gleichzeitig als terminus post quem für die Entstehung des Hortus deliciarum. 64 Dazu HD, Einleitung, Kap. 4: BischofF, Le Texte 50. 65 Zur Hohelied-Rezeption vgl. oben Anm. 56; außerdem Ohly, Hohelied-Studien, sowie ausfuhrlich unten Kap. 3.2. Zu Rupert von Deutz vgl. Van Engen, Rupert of Deutz.
Ein Modell: Der Horms
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und der Heilsgeschichte (mit Petrus Comestor) den aktuellen zeitgenössischen Wissensstand, weniger aber beispielsweise im kanonischen Recht. So wird das Decretum Gratiani nirgendwo erwähnt, geschweige denn verwendet, dafür aber die einige Jahrzehnte davor entstandene Panormia des Ivo von Chartres, die ebenfalls zu den Hauptwerken des kanonischen Rechts zählte66. Auffällig ist auch die geringe Verwendung von patristischen und frühmittelalterlichen Texten67. Die außerordentlich hohe Präsenz der Werke des Honorius Augustodunensis deutet vor allem auf die pastorale Ausrichtung des Hortus deliciarum hin. Die Form des Dialoges, die Honorius für sein Elucidarium gewählt hat und die Herrad bei der Übernahme von Zitaten über weite Strecken beibehielt, eignete sich besonders gut zur Unterweisung 68 . Eine ähnliche „praktische" Motivation ist für die Rezeption seiner späteren Werke im Hortus deliciarum zu vermuten: Sowohl die Predigten des Speculum ecclesiae als auch die Erläuterungen des Honorius zu liturgischen Fragen in der Gemma animae ebenso wie der Liber de divinis officiis des Rupert von Deutz dienten der Hohenburger Äbtissin als Material für eine an den pastoralen und spirituellen Bedürfnissen ihrer Sanktimonialen orientierte Zusammenstellung von Wissenswertem69. Dies korrespondiert auch mit der Methodik der Kompilation: Dem für solche Zusammenstellungen typischen und im Prolog geäußerten Prinzip der Blütenlese entsprechend, wurden die verwendeten Quellen dem Konzept und Zweck des Hortus deliciarum rigoros unterworfen, einzelne Textpassagen ganz bewusst aus ihrem Zusammenhang genommen und mit thematisch passenden Texten kombiniert. Programm und Ordnung der Ursprungstexte spielen dabei meist eine untergeordnete Rolle. So verwendet Herrad etwa Stellen aus dem Speculum ecclesiae zur Erläuterung der Miniaturen des Hortus deliciarum und und nutzt die Predigtsammlung des Honorius auf diese Weise als Repertoire symbolischer Interpretationen70. Dieses Prinzip korrespondiert mit der Bienenmetapher, mit der Herrad selbst ihre Tätigkeit im Prosaprolog zum Hortus deliciarum beschreibt: Das Bienengleichnis geht auf Seneca zurück, der die Tätigkeit des Dichters mit jener einer Biene vergleicht, und spielte eine wichtige Rolle für das antike und mittelalterliche imitatio-Verständnis - die Praxis des Zerlegens, Neuordnens und Verarbeitens von textuellen Autoritäten je nachdem, in welchem Kontext und für welche Zwecke der neue Text erstellt wurde und an
6 6 H D , Einleitung: Bischoff, Le Texte 41 f. und 50; zu Lamberts Liberfloridus vgl. Derolez, The Autograph Manuscript; Ivo von Chartres (t 1151/1116), Panormia. Vgl. A. Becker, Ivo von Chartres, in: L M A V , 839f. 6 7 Sturlese, Philosophie 222; Luff, Wissensvermittlung 139f., Griffiths, Herrad of Hohenbourg 228-230. 6 8 Griffiths, Herrad of Hohenbourg 229f. Vgl. auch die dialogische Form des Speculum virginum und vergleichbarer Lehrtexte, sowie selbstverständlich von Briefwechseln, die angefangen mit den Apostelbriefen und der Patristik zu einem der wichtigsten Medien der Unterweisung, Exegese und inhaltlichen Auseinandersetzung gehörten. Z u m Speculum viriginum siehe besonders die Beiträge im Sammelband von Mews, Listen Daughter. Zur patristischen Tradition der „Frauenlehrbriefe" vgl. Kap. 2.4.1., zum dialogischen Lehren und Lernen Kap. 1.4.2. und 2.4.2., zu den Admonter „Nonnenbriefen" Kap. 4.1.1. 6 9 Zu Honorius vgl. Flint, Honorius Augustodunensis, hier: 1 2 9 - 1 3 2 und 135-139; zum Hintergrund Ruperts und dem Liber de divinis officiis vgl. Van Engen, Rupert of Deutz 5 8 - 6 7 . 7 0 Vgl. H D , Einleitung: Bischofïf, Le Texte 48: „Speculum ecclesiae apparaît plus, dans l'Hortus deliciarum, comme un répertoire d'interprétations symboliques que comme un recueil destiné à la prédication".
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welche Personen er sich richtete 71 . Im 12. Jahrhundert erfreute es sich besonderer Beliebtheit, vor allem in Verbindung mit dem Bild der Blütenlese, so etwa auch im Liber floridus des Lambert von St. Omer, der ähnlich wie Herrad die Wahl der Bezeichnung floridus für sein Werk damit begründet, er habe sein Buch aus den Blüten verschiedenster Autoren zusammengetragen, wie die treuen Bienen auf dem himmlischen Feld72. Auch die Speisemetapher, das Bild der „Süßigkeit" der spirituellen Nahrung, die den Gläubigen Kraft und Erfrischung geben soll, findet sich nach Ambrosius bei Herrad wie bei Lambert 73 . Ähnlich wie das Bild des Hortus deliciarum hat die Bienenmetapher über ihre Funktion als Gleichnis für die Praxis der imitatio hinaus eine Reihe weiterer Bedeutungen, die gerade für das monastische Selbstverständnis von Belang sind. Die Biene symbolisiert ein selbstloses, gemeinschaftlich tätiges Wesen, wie es der idealen Repräsentation des klösterlichen Zusammenlebens entspricht 74 . Dieses Bild wurde im 11. Jahrhundert von Petrus Venerabiiis in Verbindung mit den Tugenden der Sorgfalt und des Fleißes gebracht. Darüber hinaus wurde die Biene seit Ambrosius' Abhandlung über den Stand der Jungfrauen zum Symbol für die Keuschheit 75 . Gemäß dem Blütenlese-Prinzip wurden auch lyrische Texte durchgehend gemischt mit Prosatexten jeweils dort eingefügt, wo sie zur Erläuterung, zum besseren Verständnis der Texte oder zu ihrer Einprägung geeignet erschienen 76 . Gleichzeitig sind die lyrischen Texte wesentlich mehr mit interlinearen und marginalen Glossen versehen als die Prosatexte. Die Glossen bestehen teilweise in Erklärungen und auch Kommentaren zu wenig gebräuchlichen Begriffen, zu Anspielungen und Metaphern, aber auch in Ubersetzungen ganzer Passagen. Ebenso werden explizit Verbindungen zwischen einzelnen Texten hergestellt oder wird von Texten auf Bilder und umgekehrt verwiesen: Hic lege!, lautet die Anweisung an das Publikum in zwei Miniaturen am Anfang der Handschrift 77 ; ebenso wie die Bilder als Gliederungshilfen dienen: Zu Beginn der alttestamentarischen
71 Vgl. dazu De Rentiis, Beitrag der Bienen, sowie dies., imitatio morum, besonders 163, 165 und 170. In Verbindung mit der monastischen Praxis der lectio und collatio vgl. grundlegend Küsters, Der verschlossene Garten. Dazu ausführlicher unten Kap. 2.3.4., 2.4.2. und 4.2.3. 72 Derolez, Autograph 4, fol. 3v (meine Hervorhebungen): ... libellum istum de diversorum auctorum floribus ... contexui, ut tamquam de celestiprato flore diverso coadunato fideles apiuncule adhunc confluerent saporisque celestis inde dulcitudinem haurirent. Quem ... floridum intitulavi. quia et variorum librorum omatibus floret. 73 Vgl. oben S. 15f., mit Anm. 45. Dazu auch Curtius, Literatur 144-146. 74 So etwa bei Ambrosius und Isidor von Sevilla, dazu Luff, Wissensvermittlung 136, mit Anm. 68. 75 Z. B. Ambrosius, De virginibus 1,8, 41; siehe etwa den Brief des Petrus Venerabiiis Brief an Helo'ise, in dem er sie als vere philosophica mulier lobt und ihr Wirken als Vorsteherin des Klosters Paraklet und Lehrerin ihrer Sanktimonialen u. a. mit der altestamentarischen Prophetin (prophetissa) Deborah vergleicht: Petrus Venerabiiis, Ep. 115, 303-308, hier 304f.: Et quia hoc nomen Debora, ut tua novit eruditio, lingua Hebraica apem designat, eris etiam in hoc et tu Debora, id est apis. Mettificabis enim tu, esed non soli tibi, quia quicquid boni per diversos et a diversis colligisti, exemplo, verbo, modisque quibus poteris, domesticis sororibus, seu quibuslibet aliis totum refundes. Zu diesem Brief vgl. außerdem S. 128 sowie S. 216. 76 Zu den lyrischen Texten mit einer Auflistung aller Gedichte und der Frage ihrer Autorinnenschaft vgl. Autenrieth, Zu den Gedichten im Hortus deliciarum. Zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Textes noch nicht erschienen Griffiths, Poetry of the Hortus deliciarum. 77 H D , n. 4, fol. 3v und n. 6, fol. 8r. Vgl. dazu Augustinus, Confessiones VIII 12: Tolle lege. Ahnlich auch im Admonter Matutinale, Cod. Admont. 18, fol. I64r. Vgl. dazu S. I48f., Anm. 120 und Abb. 9 im Anhang.
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Geschichten heisst es, sie würden die vorangehende bildliche Darstellung erläutern 78 . An anderer Stelle übernimmt Herrad die klassische dreiteilige Definition des Nutzens von Bildern aus der Gemma animae des Honorius Augustodunensis: Sie seien die Schrift der Laien, d. h. der nicht Schriftkundigen, dienten dem Schmuck des Hauses und der memoria der Vorfahren 79 . Es ist anzunehmen, dass viele der Passagen auswendig gelernt werden sollten, fordert Herrad die Hohenburger Nonnen doch im gereimten Prolog zum Hortus deliciarum ausdrücklich auf, sie mögen ihn in ihrem Herzen tragen 80 . Einen weiteren Hinweis auf eine solche Memorialpraxis und auf die das Lernen unterstützende Funktion des liturgischen Rezitierens bzw. Singens geben auch die musikalischen Notationen, die einige der Gedichte begleiten81. Dies korrespondiert mit der großen Bedeutung, die etwa auch Hildegard von Bingen dem Gotteslob mit liturgischem Gesang, dem Singen von Psalter und Hymnen für das spirituelle Wohlbefinden ihrer Sanktimonialen beimisst 82 . Insgesamt wird die bereits im Prolog festgehaltene causa scribendi durch den gesamten Kodex hindurch manifest. Sie besteht ausdrücklich darin, für die Nonnen ein Kompendium bzw. ein Handbuch zur Erbauung und zum besseren Verständnis der Heiligen Schrift und der christlichen Weltordnung im Himmel und auf Erden zu schaffen. Gelehrsamkeit, Unterricht und Bildung sind mit den Funktionen der Erbauung und als Instrument zur Erlangung des Seelenheiles, als intellektueller und spiritueller Horizont untrennbar mit einander verbunden. Dieses Programm, das dem Hortus deliciarum zugrunde liegt, macht die Art und Weise, wie die Texte ganz unterschiedlicher Autoritäten, die interlinearen und marginalen Glossen, die bildlichen Darstellungen und musikalischen Notationen miteinander verwoben wurden, umso nachvollziehbarer. Auswahl und Anordnung der Texte sind also keineswegs beliebig, sondern sie werden jeweils an der ihnen zugedachten Stelle sinnfällig83.
78 H D , n. 229, fol. 68r, S. 113: Incipiunt mysteria quedam veteris Testamenti que elucidant antecedentem picturam, excerpta de quodam libro qui dicitur Speculum ecclesiae. 79 H D , n. 789, fol. 228r-229r, S. 379-381, hier: 379 nach Honorius Augustodunensis, Gemma animael 126-149: Ob tres autem causas fit pictura: primo, quia est laicorum literatura, secundo, ut domus tali decore ometur, tercio, utpriorum vita in memoriam revocetur. Zur biblia pauperum, der Funktion von Bildern als Unterweisungsinstrument für jene, die nicht lesen können, vgl. den Brief Gregors d. Gr. an Serenus von Marseille, S. Gregorii Magni registrum epistularum libri V1II-XIV 11,10, 873-876; dazu Chazelle, Pictures, Books, and the Illiterate; für die Karolinger- bzw. Ottonenzeit differenzierend zu den für die Lektüre von Bilder notwendigen Kenntnissen und Voraussetzungen McKitterick, Uses of Literacy 297-318 sowie dies., Woraen in the Ottonian Church; fiir das 12. Jahrhundert anhand des Speculum virginum Powell, Audio-Visual Poetics 114, Anm. 19. Für die spätmittelalterliche cura monialium vgl. die Arbeiten von Jeffrey Hamburger, besonders Nuns as Artists sowie The Visual and the Visionary. 80 H D , n. l.fol. lv, S. 3,23. Strophe: Sit hie Uber utilis / Tibi delectabilis / Et non cesses volvere / Hunc in tuo pectore. 81 Dazu H D , nn. 1, 327-333, 374, 816, ll62f.; dazu Einleitung: Kenneth Levy, The Musical Notation, hier: 87f. sowie aktuell Jeffreys, „Listen, Daughters of Light". Zu verschiedenen Aspekten der memoria siehe ausführlich unten S. 23f., Kap. 4.2.2. und 4.2.3. 82 Hildegard, Ep. 23, 24; zur Bedeutung von Psalter und Hymnen; dazu mit Literaturangaben unten S. 43; zur Bedeutung der Musik als Bestandteil des Quadriviums vgl. Haas, Funktion der ars musica, und Hirschmann, Transformation der ars musia. 83 Dies unterstreicht die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen monastischem und scholastischem Denken und Lernen, so etwa Mews, Monastic Educational Culture Revisited mit einer Diskussion des traditionellen Zuganges, etwa bei Leclercq, L'Amour des lettres.
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All das illustriert gleichzeitig den didaktischen Zweck des Manuskripts, die Vielfalt seiner Facetten und Funktionen, und gibt Hinweise darauf, wie man sich den Umgang mit einem derartigen Text und seine sinnliche Wirkung auf die Menschen, die ihn benutzten, vorstellen kann. Seine Größe und sein Umfang, Ton, Bild und Schrift, Latein und Volkssprache machen gemeinsam ein größeres Ganzes aus, das im Wortsinn anschaulich und be-greiflich werden sollte. Schriftlichkeit, memoria und mündliche Aufführung wirken zusammen und machen Wissen als sinnliche Erfahrung und sinnliche Erfahrung als Wissen erlebbar 84 . In Übereinstimmung mit dem Zweck der Kompilation, für und mit den Hohenburger Nonnen ein Leit- und Lebensbild zu gestalten, kommt der Darstellung der Jungfrau Maria als Vorbild für die geistlichen Frauen ein besonderer Stellenwert zu 85 . Dies steht wiederum in enger Verbindung zur ausführlichen Beschäftigung mit dem Hohelied und dem in zahlreichen Miniaturen wiederkehrenden und in Texten wie Glossen kommentierten Bild von Maria als Braut und Christus als Bräutigam 86 . Hier verwendet Herrad besonders die Commentaria in Canticum canticorum des Benediktiners Rupert von Deutz, dessen Werk in sieben Büchern als Dialog zwischen den Brautleuten konzipiert ist. Im Hortus deliciarum werden daraus insgesamt vier Passagen in verschiedene Abhandlungen, etwa die Textserie über die Bedeutung der Jungfrauen, inseriert 87 . Aber nicht nur Maria und die geistlichen Frauen in ihrer Nachfolge, sondern auch die Kirche wird als himmlische Braut zur ewigen Glückseligkeit bei Gott gefuhrt 88 . Dieses Bild schließt die Vorstellung der göttlichen Weltordnung auf Erden mit ein: Die Barche repräsentiert als Braut Christi gleichzeitig auch seinen mystischen Körper, der alle Getauften - Frauen wie Männer - umfasst, die den ihnen bestimmten Platz und Rang einnehmen und die damit verbundenen Aufgaben erfüllen. Diese Vorstellung kommt auch in den letzten beiden Miniaturen des Hortus deliciarum im Zusammenhang mit der Gemeinschaft der Sanktimonialen im Kloster Hohenburg zum Ausdruck, die gleichzeitig in einem weiteren sozialen und politischen Kontext auf die geistliche und geistige Bedeutung des Klosters und seiner Äbtissinnen verweisen. Die beiden Miniaturen erzählen die Gründungsgeschichte von Hohenburg und seiner Reform im 12. Jahrhundert 89 . Die erste Darstellung zeigt die Gründerin des Klosters, die Hl. Odilie, im oberen Teil der Darstellung neben Johannes dem Täufer zur Linken Christi, zu dessen Rechten Maria und Petrus stehen. Darunter ist Odilie nochmals im Kreis der Hohenburger Nonnen abgebildet, wie ihr Vater, Herzog Adalrich, ihr die Ab-
84 Dazu grundlegend Wenzel, Hören und Sehen. Vgl. auch Luff, Wissensvermittlung, hier besonders 150-156, sowie bereits Saxl, Illustrated Médiéval Encyclopedias 245 zur Charakterisierung des Hortus deliciarum als „appropriate title for a Christian encyclopaedia dispensing knowledge for the benefit of body and soul". 85 Etwa H D , fol. 174r-179r, S. 301-305. Dazu Brunner, Selbstverständnis, hier v. a. 276-283, vgl. dazu ausführlich Teil 3 dieser Arbeit. 86 Zu den Bedeutungen der Brautmetaphorik ausführlich unten Kap. 3.2.2. und Kap. 3.3.1. 87 H D , fol. 177v, S. 305f.; fol. 205, S. 337f.; fol. 210, S. 343-345; fol. 225, S. 370-372; vgl. Bischoff, Le Texte 52, vgl. ebd. 51 zum Stellenwert, der in den Exzerpten des H D grundsätzlich den Stellen über die Ehe beigemessen wird (etwa bei der Verwendung des Liber sententiarum des Petrus Lombardus). Bischoff wertet dies als möglichen Hinweis darauf, dass in Hohenburg nicht nur junge Nonnen, sondern auch Mädchen unterrichtet wurden, die später das Kloster wieder verließen. Dazu unten Kap. 4.1. 88 Siehe S. I4f. 89 Fol. 322v, S. 504; fol. 323r, S. 505. Zur Gründungsgeschichte vgl. Pfister, Le duché, sowie H D , Einleitung: Bischoff, L'Histoire 9, und Griffiths, Nuns' Memories 136-142.
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tei symbolisch in Form eines Schlüssels überträgt. Daneben sieht man Relinde, die Vorgängerin Herrads, die in einer der inserierten Glossen als Reformatorin der Abtei beschrieben wird 90 . Die zweite Miniatur zeigt Herrad und insgesamt 46 Kanonissen und 12 Konversen, die alle namentlich genannt werden und bei denen es sich vermutlich mehrheitlich um adelige Damen aus dem Elsass und aus Schwaben handelt 91 . Herrad hält eine Schriftrolle in Händen, auf der ein Reim das Motiv der Prologe nochmals aufnimmt 92 . Besonders schön wird diese Darstellung durch ein ähnliches Bild auf einer im Kloster erhaltenen romanischen Steinstele ergänzt, auf der die Gründerin Odilie von ihrem Vater die Gründungsurkunde erhält, und die Reformäbtissinnen Relinde und Herrad der Mutter Gottes mit dem Kind ein offenes Buch präsentieren 93 . Beide Darstellungen erzählen die Gründungsgeschichte von Hohenburg, in beiden spielt Schriftlichkeit (Schriftrolle, Buch) für die „Befestigung" dieser Geschichte und ihre memoria eine explizite Rolle94. Gleichzeitig situieren die beiden Miniaturen die Gemeinschaft der Nonnen auf dem Odilienberg und ihre Geschichte durch die mehrfache Funktion der memoria sowohl im Zusammenhang mit der regionalen wie der politischen Rolle Hohenburgs als auch in seiner weiteren historischen Bedeutung. Gemeinschaft und Gedenken spielen auf mehreren Ebenen eine Rolle: Die Hohenburger Damen sind mit einander durch das monastische Leben verbunden. Ihre Darstellung als Sanktimonialen erscheint zwar einerseits stereotyp vereinheitlichend und symbolisiert damit den Vorrang der Gemeinschaft vor den einzelnen Personen. Andererseits werden die einzelnen Damen namentlich genannt und hinsichtlich ihrer Herkunft zugeordnet und differenziert. Hier - und in der Gegenüberstellung mit der memoria der Gründungsgeschichte Hohenburgs - wird deutlich, dass die liturgischen und historischen Aspekte gelebter memoria gerade im Spannungsverhältnis zwischen individuellen Personen, derer gedacht wird — besonders der „Ver-
90 Fol. 322v, S. 504: Relinda venerabilis Hohenburgensis ecclesie abbatissa tempore suo ejusdem ecclesie queque diruta diligenter restauravit et religionem divinum inibi pene destructam sapienter reformavit. Daneben eine weitere Glosse in Form eines Kreuzes: Rilindis Hohenburgensi congregationi: Opiegrex, cui celica lex, nulla dolifex / Ipse Syon mons adpatriampons, atque bonifons / Qui via, qui lux (darüber est), hic tibi sit dux, alma tegat crux / Quiplacidus ros ("darüber castitatis), qui stabilis dos (darüber eternitatis), virgineus flos (darüber Christus) / Ille regat te (darüber grex) commiserans me, Semper ubique; amen. Für eine Textinterpretation vgl. Luff, Wissensvermittlung 130, Anm. 42. Zur Herkunft von Relinde, besonders in Hinblick auf die oft angenommene Verbindung zu Admont vgl. unten S. 188-190. 91 Fol. 323r, S. 346: Conversarum nomina sunt hec. Vgl. dazu H D , Einleitung: Bischoff, L'Histoire 9f.; Wagner, Standesverhältnisse 81f. Zur grundsätzlichen Diskussion um die Frage von Herkunft und sozialem Rang der Sanktimonialen in Reformklöstern vgl. Kap. 4.2.1. 92 Fol. 323r, S. 346. Über der Figur, die Herrad darstellt: Herrad Hohenburgensis abbatissa post Rilindam ordinata ac monitis et exemplis eius instituta, darunter: Esto nostrorum pia merces Christe laborum / Nos electorum numerans in Sorte tuorum. Text auf der Rolle: O niveiflores dantes virtutes odores /Semper divinapausantes in theoria / Pulvere terreno contempto currite celo / Que (darüber celo) nunc absconsum valeatis cernere sponsum. 93 Vgl. dazu auch Will, Repertoire de la sculpture romane de l'Alsace 31 und 85f. mit Abb. XXXI. Siehe zum Vergleich die figürlichen Grabsteine der drei Quedlinburger Äbtissinnen des 11. Jahrhunderts, Adelheid I, Beatrix und Adelheid II): Bodarwe, Sanctimoniales litteratae 73f. 94 Dazu H D , Einleitung, Kap. 3: Rosalie Green, T h e Miniatures 24. Zur mediävistischen memoriaForschung in Verbindung mit aktuellen kulturwissenschaftlichen Fragestellungen siehe Goetz, Moderne Mediävistik, Abschnitt V: Die Mediävistik als „Historische Kulturwissenschaft"? 330-370, v. a. Kap. 3: Memoria als kulturelles Gedächtnis: „Memoria als Kultur" 365—370. Vgl. dazu unten Kap. 4.2.2.
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Gegenwärtigung" der Toten - , und der Gemeinschaft, in die sie eingebunden sind, ihre Entfaltung finden95. Schließlich erzählen die beiden Miniaturen wie die gesamte Handschrift eine Geschichte gebildeter Frauen, ihrer möglichen Selbstbilder und Tätigkeiten, die den normativen Konzepten der mangelnden Wissensfähigkeit des weiblichen Geschlechts entgegensteht. Dies betrifft ausgehend von den beiden Prologen Herrads ausdrückliche Tätigkeit als Kompilatorin von Texten männlicher Autoren für die intellektuellen und spirituellen Bedürfnisse ihrer Sanktimonialen sowie ihre Aufforderung an sie, den Hortus deliciarum in diesem Sinn zu nutzen. Dieses Selbstverständnis lesender und schreibender Frauen symbolisiert nicht zuletzt die allegorische Figur der Rhetorica mit stilus und tabula im Rahmen der Texte und Darstellungen zu den artes liberales und den Musen. Sie kann nicht zuletzt als Hinweis auf ein Skriptorium in Hohenburg gelesen werden, ebenso wie die Schreibinstrumente gleichzeitig als Werkzeuge der Interpretation gedeutet werden können 96 . Allerdings muss zwischen den historisierenden Darstellungen der Frauengemeinschaft auf dem Odilienberg und den allegorischen Darstellungen insofern differenziert werden, als nur wenige Abbildungen schreibender Frauen bekannt sind und die Repräsentation grammatikalisch und allegorisch traditionell weiblich markierter Figuren durch ihre typische Beschaffenheit grundsätzlich kein Hindernis darstellte, „reale" Frauen von Zugang und Repräsentation von Wissen, Bildung und Schriftlichkeit auszuschließen. Gerade die traditionellen allegorischen Frauendarstellungen dienten als Identifikationsmodelle für Männer, ohne dass damit notwendigerweise eine Legitimation für die Betätigung von Frauen in diesem Feld verbunden gewesen wäre. Im Kontext des Hortus deliciarum sind jedoch durch die Verbindung historischer und allegorischer Repräsentationen zusätzliche Identifikationsmöglichkeiten der als Publikum angesprochenen Frauen wahrscheinlich97. Leider wissen wir nichts über den Bücherbestand des Klosters. Dafür gibt es im Hortus deliciarum Hinweise auf über das Kloster hinausgehende Kooperationen bei der Herstellung der Handschrift. Für zwei Gedichte, die in die vorletzte Miniatur inseriert sind, werden Hugo Sacerdos und Conradus als Autoren genannt98. Sie könnten Kanoniker aus dem Kloster Marbach gewesen sein — eine Vermutung, die durch die engen politischen
9 5 Vgl. eine ähnliche Argumentation bei Reudenbach, Individuum ohne Bildnis 816f. im Unterschied zu Gurjewitsch, Individuum (vgl. oben A n m . 11), der in derartigen Darstellungen keinerlei „Individualität" erkennen will. Z u m Vergleich auch Bodarwe, Sanctimoniales litteratae 320f. für die Quedlinburger Annalen und des in ihnen dokumentierten Selbstverständnisses der dortigen Sanktimonialen. Dazu auch Kap. 4 . 2 . 3 . 9 6 H D , nn. 1 1 5 - 1 2 4 , fol. 3 0 v - 3 2 r , S. 5 2 - 5 7 und 1 0 3 - 1 0 6 ; zum Folgenden besonders Graf, Bildnisse 6 3 - 8 2 ; zu den Werkzeugen des Schreibens Brunner, Liber vitae 2 2 1 ; Die artes liberales selbst werden explizit als Instrumente der Erkenntnis erläutert. H D , n. 115, fol. 30v, S. 53f., hier 54: . . . septem li-
berales artes, que ideo dicuntur liberales, quia liberant animum a terrenis curis et faciunt eum expeditum (Anm. id estparatum) ad cognoscendum creatorem. Zu den artes unten Anm. 103. Zu dem hier angesprochenen Verständnis von Wissen S. 4 4 - 4 6 und Kap. 2 . 4 . 2 . 9 7 Vgl. Griffiths, Herrad o f Hohenbourg 2 3 4 mit Anm. 85; Für den Hinweis auf diese Funktionen allegorischer Darstellungen mit Bezug auf die Frühe Neuzeit danke ich Birgit Wagner. Vgl. dazu Smith, Scriba Ferninea 21 ff. und Verzeichnis 3 9 , sowie Graf, Bildnisse schreibender Frauen, sowie grundsätzlich mit ausführlichen Diskussionen der methodischen und Uberlieferungsproblematik Bodarwe, Sanctimoniales litteratae, besonders 9 0 - 9 9 , und Beach, W o m e n as Scribes. 9 8 H D , n. 1 1 6 2 f „ fol. 323v, S. 5 0 6 .
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und pastoralen Verbindungen zwischen den beiden Klöstern nahe liegt". Marbach verfügte über einen bedeutenden Bücherbestand, ein Skriptorium sowie eine Schule. Der Austausch von Büchern oder auch Hilfe bei der Kompilation des Hortus deliciarum wären daher gut vorstellbar, zumal Marbach auch mit anderen Frauengemeinschaften, namentlich mit dem Kloster Schwartzenthann, derartige Kooperationen pflegte: Hier schrieb die Nonne Guta, eine der wenigen Frauen, von der es eine Darstellung als Schreiberin gibt, einen Text, der mit Miniaturen des Marbacher Kanonikers Sintram versehen wurde 100 . Schließlich werden über die komplexe Metaphorik die Bezüge der Handschrift zwischen regionalem und historischem „Sitz im Leben" auf dem Odilienberg, seiner soziokulturellen Umgebung und ihrem heilsgeschichtlichen Konzept hergestellt. Die Hohenburger Damen werden von Herrad als Bräute Christi angesprochen, ihr Ziel besteht in der Vermählung mit ihm im ewigen Leben. Um dieses Ziel zu erreichen, benötigen sie allerdings geistige und physische Eigenschaften, Fähigkeiten und Kenntnisse, die in den normativen Diskursen meist als „männlich" charakterisiert werden. Im Hortus deliciarum erscheinen die Grenzen wesentlich fließender: Bereits im Einleitungsgedicht bedient sich Herrad, der Leitidee des contemptus mundi folgend, einer fast martialischen Sprache, um ihre Mädchen für den Kampf gegen die Anfechtungen des irdischen Lebens zu rüsten, in dem sie die Kriegerinnen sind 101 . Noch deutlicher wird dies im Bilderzyklus über den Kampf der Tugenden gegen die Laster. Die Kämpfenden sind - dem grammatikalischen Geschlecht und allegorischen Programm entsprechend — ausschließlich Frauen. In der bildlichen Darstellung wird ihr Geschlecht allerdings nur durch die langen „weiblichen" Gewänder markiert, die unter den „männlichen" Rüstungen Sichtbarwerden 102 . Und auch wesentliche Werkzeuge des Wissens, die artes liberales oder die Musen, sind grammatikalisch wie allegorisch weiblich markiert 103 . Hinsichtlich der Kategorien Geschlecht und Wissen und ihres Verhältnisses zueinander bietet der Hortus deliciarum damit eine Reihe von Ansatzpunkten, die Verwendung der (modernen) Begriffe für mittelalterliche Gesellschaften einer kritischen Revision zu unterziehen. Dies gilt ebenso für die Vorstellungen, die man von Wissenswertem im Rahmen und zum Zweck der spiri99
Vgl. oben S. 12f. Bischoff, L'Histoire lOf. Zu Schwarzenthan und zum Guta-Sintram-Codex vgl. Griffith, Herrad, 235f.; Z u m „Selbstbildnis" Gutas, die sich als peccatrix mulier bezeichnet, siehe etwa Reudenbach, Individuum ohne Bildnis 808f., Abb. 1: Homiliar, Frankfurt/Main, Universitäts- und Stadtbibiothek, Ms. Barth 42, fol. 1 lOv, sowie Graf, Bildnisse 59-61. 101 Rithmus Herradis abbatisse (n. 1, fol. lv, S. 2f., wie Anm. 46), etwa die Strophen 3 - 5 : Te salutat milies / Et exoptat in dies / Ut leta victoria / Vincas Transitoria. O multorum speculum / Sperne, sperrte seculum / Virtutes accumula / Veri spotisi turmula. Insistas luctamine /Diros hostes sternere / Te rex regum adjuvat / Quia te desiderat. Die Idee des contemptus mundi findet sich auch erläutert in H D nn. 125, 359, 715, 732f., 741, 750, 1164f. Dazu im Zusammenhang mit der militia Christi unten S. 128f. 102 Fol. 199v-204r, S. 3 2 6 - 3 3 5 . Vgl. H D , Einleitung: Green, T h e Miniatures 2 5 - 2 9 , hier 28f. zur Rekonstruktion der Miniaturen; grundlegend zur Rezeption der Psychomachia des Prudentius immer noch Katzenellenbogen, Allegories of the Virtues and Vices; Weiters Nugent, Allegory and Poetics, und dies., Virtus or virago? Für den H D vgl. besonders Cames, Allegories et symboles 45—73; McGuire, Psychomachia. Siehe dazu auch unten Anm. 110 und Kap. 3.1.1. 103 Vgl. dazu grundlegend die Beiträge in dem von Ursula Schäfer herausgegebenen Tagungsband „artes im Mittelalter", hier besonders Arnold, Bildung im Bild zu den Darstellungen der artes; siehe auch Griffiths, Herrad of Hohenbourg 226. Zur Bedeutung der allegorisch weiblichen Markierungen vgl. oben Anm. 97. 100
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tuellen Praxis hatte, wie auch für das Verhältnis zwischen traditioneller monastischer Theologie und beginnender Durchsetzung der Scholastik im 12. Jahrhundert 104 . Die Rekonstruktion von Inhalt, Herstellung und Benutzung der Handschrift verweist jedenfalls auf ein Verständnis von Wissen in der Praxis der Hohenburger Nonnen, das keinem abgeschlossenen Bildungs- oder gar Wissenschaftsbegriff verpflichtet war, sondern vielmehr einen integralen Bestandteil eines Gottes-, Welt- und Selbstverständnisses bildete, in dem intellektuelle und spirituelle, rationale und sinnliche, praktische und kontemplative Komponenten untrennbar auf einander bezogen waren. Ahnliches gilt für die Ambivalenzen und Überschneidungen des Selbstverständnisses von geistlichen Frauen und Männern in ihrem Zugang zu und Umgang mit Schrift, Schriftlichkeit und Wissen, ihren Rollen und der Funktionen ihrer Tätigkeiten im Rahmen der göttlichen Weltordnung.
1.3. Wörter, Begriffe, Konzepte - Methodische Überlegungen Die Kategorie Geschlecht wird im Hortus deliciarum und vergleichbaren Quellen 105 einerseits explizit als Teil des Selbstverständnisses geistlicher Personen artikuliert. Sie tritt nicht in den Hintergrund, sondern wird in den allegorischen, metaphorischen und typologischen Konzepten und Bildern wie jenen der Bräute Christi, der personifizierten Tugenden und Laster, des himmlischen Paradieses in Verbindung mit den Hoheliedauslegungen zum Gegenstand eines Diskurses über ein gottgefälliges Leben und die Wege zu seiner Realisierung gemacht. Geschlecht und Wissen werden in solchen Text-BildGefügen auf vielfältige Weise explizit und implizit thematisiert und in verschiedene symbolische Bedeutungszusammenhänge eingeordnet. Auffällig ist aber andererseits, dass die in der Kompilation zusammengefügten Texte nicht als „frauenspezifische" Lektüre bezeichnet werden können, sondern dem Standard dessen entsprechen, was gleichzeitig auch in Männerklöstern rezipiert und verwendet wurde, wie auch das monastische Ideal eines Lebens als „Braut Christi" nicht auf Frauen beschränkt war. Dass es ein Leitbild für geistliche Personen beiderlei Geschlechts war, zeigt sich im Hortus deliciarum etwa an den Darstellungen der göttlichen Weltordnung mit den Repräsentationen der gesamten Kirche und aller von ihr eingeschlossenen Menschen 106 . Derartige Quellenbefunde und das sprachliche und bildliche Material, das sie zur Verfügung stellen, bilden methodisch die Ausgangspunkte sowohl für Fragen nach der Konstituierung von symbolischen und sozialen Ordnungen, als auch für die an der monastischen Praxis orientierte Handschriftenuntersuchung. Die Fragen nach dem Verhältnis von Ordnungssystemen und Praxis sollen im Sinn eines laufenden Perspektivenwechsels107 aufeinander bezogen werden. Die aus der Lektüre der Quellentexte als bedeutsam angenommenen semantischen Muster werden also auf ihre Eigenart bzw. ihre Vergleichbarkeit befragt. Was sagen uns semantische Formationen (Ausdrucksgefüge) Siehe unten Kap. 1.4.2. Vgl. etwa am Beispiel des Speculum virginum die Beiträge in Mews, Listen Daughter, sowie Jussen, Witwe 95-101. 106 Vgl. S. 22 sowie ausführlich Kap. 3.2. 107 Vgl. Pomata, Close-Ups and Long Shots zu den methodischen Wechselbeziehungen der Konzepte von „Partikularität" und „Generalität". 104
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und ihre Organisation über Sinnformationen (symbolische, diskursive Formationen), und welche Hinweise geben uns diese wiederum auf soziale Ordnungen? Wer hat Einfluss darauf, soziale Ordnungssysteme über diskursive bzw. symbolische Ordnungen zu begründen, zu bestätigen, zu verändern? Unter welchen Bedingungen, in welchen Prozessen, über welche Zeiträume finden solche Konstruktionen und Veränderungen statt? Was ist zu welchem Zeitpunkt an welchen Orten und in welchen Kontexten sagbar, darstellbar, denkbar? Was wird explizit gesagt? Was kann nicht explizit gesagt werden und warum? Was ist so selbstverständlich, dass es nicht (mehr) explizit gesagt werden muss? Was wird implizit gesagt und wie? Wie verhalten sich implizite sprachliche Figurationen - Denkfiguren, Sinnfiguren, symbolische oder mentale Modelle - zu expliziten Argumentationen? Dienen ausdrückliche Argumentationen zur „Einübung" von Denkfiguren, deren Bedeutungen (später) in Gebrauchssituationen „selbst-verständlich" sind? Wann muss etwas besonders deutlich gesagt werden? Einige Beispiele: Wenn etwa Hildgard von Bingen sich in einem ihrer am häufigsten zitierten Briefe als paupercula feminea forma bezeichnet und gleichzeitig gegenüber ihrem männlichen Briefpartner keinen Zweifel daran lässt, dass sie sich unabhängig von ihrem Geschlecht intellektuell wie spirituell als Autoritätsperson wahrnimmt - eine Auffassung, die ganz offensichtlich von männlichen wie weiblichen Zeitgenossen geteilt wurde —, stellt sich die Frage nach der Beschaffenheit, dem Einsatz und der kontextspezifischen Bedeutung von Bescheidenheitstopoi 108 . Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten lassen sich beim Vergleich von Selbst- und Fremdbezeichnungen feststellen? Welche Rolle spielen ordo und Funktion der Verfasserinnen und Verfasser der untersuchten Texte sowie der soziale Kontext für die Verwendung der Begriffe? Hinweise geben Widmungsschreiben liturgischer, hagiografischer oder historiografischer Schriften oder Bitten um Gebetshilfe und pastoralen Rat. Idung von Prüfening grüßt um 1150 in dem Widmungsschreiben zu seinem Dialogus duorum monachorum die Äbtissin Kunigunde von Regensburg/Niedermünster mit den Worten „... peccator monachus humili prece etsincera devotione eternam in Christo optat salutem"W). Hier gebraucht also ein gebildeter Mönch den Bescheidenheitstopos gegenüber einer sozial und funktional höher gestellten Frau. Anfragen zur Bibelauslegung und Fragen zu liturgischen Abläufen lassen sich daraufhin untersuchen, wer über das notwendige exegetische und spirituelle Wissen verfügte und daher in geeigneter Form angesprochen werden musste. Welche Relationen bestanden zwischen den Personen hinsichtlich ihrer sozialen, rechtlichen, pastoralen bzw. klerikalen Stellung, zwischen ihrer Legitimation durch die Verwendung der Bescheidenheitstopik und ihren Wahrnehmungen von sozialem Rang?
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Hildegard von Bingen, Ep. 103 an Guibert von Gembloux 258-265, hier 260; zur Einschätzung der Autorität Hildegards vgl. aus der kaum mehr überschaubaren Literatur zu ihrer Person exemplarisch die aktuell anlässlich der wissenschaftlichen Tagungen zum 900-jährigen Hildegard-Jubiläum erschienenen Sammelbände von Berndt, Im Angesicht Gottes; Haverkamp, Hildegard; Ferrari/Grätzel, Hildegard. Grundsätzlich zur Tradition der antiken und christlichen Bescheidenheitstopik vgl. Curtius, Literatur; von Moos, Geschichte der Topik. Zur Tugend der humilitas vgl. außerdem Kap. 3.2. 105 Huygens, Le moine Idung 91: Domnae K. Inferioris Monasterii quod est Ratisponae venerandis venerandae abbatissae, I. peccator monachus humili prece et sincera devotione eternam in Christo optat salutem. ... Premissa salutatio, o domna laude digna, venerandis venerandam vos hoc insinuat, quodpio etprudenti regimine monasterii vestri cum studio religionis et honestatis venerabilibus personis vestram personam venerabilem fecisti. Vgl. dazu El-Kholi, Lektüre 156-159; Simon, Topik der Widmungsbriefe; Knapp, Literatur 66 zum Dialogus monachorum. Zu Idung von Prüfening mit weiteten Literaturangaben siehe S. 83.
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Geschlechterordnungen - Wissensordnungen
Wie verhält sich die Verwendung von geschlechtlich markierten Bescheidenheitstopoi zu ihrer Bedeutung als zentrale Kategorien mittelalterlicher Frömmigkeit, etwa humilitas YS. superbia, deren Stellenwert der Hortus deliciarum mit der Rezeption der Psychomachia des spätantiken Dichters Prudentius und der breiten Darstellung der Tugenden und Laster zum Ausdruck bringt 110 ? Die Thematisierung von Demut als wichtigste der Kardinaltugenden und Hochmut als schwerste Sünde richtete sich in unzähligen verschiedenen Texten an Männer wie Frauen und gehört im gelehrten Pariser Schul-Diskurs eines Abaelard ebenso wie in seinen Überlegungen zur Organisation des Frauenklosters Paraklet zu den zentralen Motiven. So etwa, wenn er argumentiert, dass Adelige und Mächtige von der Leitung des Paraclet ausgeschlossen sein sollen und dies u. a. mit der Gefahr der superbia begründet 111 . Diese Tugenden und Laster haben also nicht notwendigerweise und vor allem nicht ausschließlich eine geschlechtsspezifische Bedeutung, selbst dort, wo man die Kategorie Geschlecht explizit als Kriterium der Unterscheidung anführt. Gerade diese Gleichzeitigkeit kommt im Bilderzyklus des Hortus deliciarum besonders deutlich zum Ausdruck, wenn die Tugenden und Laster mit „männlich" konnotierten Rüstungen und „weiblichen" Gewändern dargestellt werden. Grammatikalisches Geschlecht und ein Teil des allegorischen Programms und seiner Inszenierung verweisen auf das kulturelle Geschlecht „Frau", ein anderer hat „männliche" Konnotationen, wie sie auch in der Bezeichnung virago zum Ausdruck kommen 112 . Diese Bilder bieten Rollen- und Identifikationsmodelle, die von ihren Betrachterinnen „verkörpert" werden können und in deren Rahmen verschiedene Bedeutungen unterschiedlich gewichtet werden113. Auf den Punkt bringt eine solche Differenzierung etwa jene Bestimmung der römischen Synode von 853, wonach Nonnen und Mönche die gleichen Bußen für ihre Sünden tun sollten, weil sie - wenn auch in Hinblick auf ihr Geschlecht verschieden - hinsichtlich ihrer Demut ohne Unterschied seien 114 . Dieselbe Auffassung gab es offensichtlich auch in Hinblick auf die militia Christi, so etwa wenn Bonifatius in einem seiner Briefe an die Äbtissin Bugga explizit von milites Christi utriusque sexus spricht 115 . Hier wird deutlich, dass Unterschiede sehr wohl wahrgenommen wurden. Welche Bedeutungen sie erhielten, ist allerdings jeweils vom Kontext abhängig. Wenn Geschlecht als Differenzkategorie wichtig wird, stellt sich die Frage, welche weiteren Differenzen und Ausschlüsse mit ihrer Hervorhebung begründet werden. Der 110 Siehe oben Anm. 102. Zu Rezeption und Popularität der Psychomachia des Prudentius vgl. außerdem Goetz, Frauen im frühen Mittelalter 311-314; Jussen, Witwe 248; exemplarisch Bodarwe, Sanctimoniales litteratae 272-275 und 349. 111 McLaughlin, Abaelards Rule 253f. Dazu Feiten, Soziale Zusammensetzung 211; Mews, Virginity, Theology, Pedagogy und ders., Hildegard, Speculum Virginum, Religious Reform. Dazu ausführlich Kap. 3.2.3. und 4.2.1. 1 1 2 Z. B. Jonas, Vita Columbani 2,10, 127: ... quem Christi virgo non femineo more, sed virili confund.it responsione-, Abbo von Saint Germain, Bella Pariciacae urbis 3,57, 804 definiert virago als eine femina virilis animi. 113 Zu den Identifikationsmodellen siehe Kap. 2.3.4. und v. a. Teil 3. 114 M G H Conc. 3, n. 32, c. 29, 326: ... quia, quamvis in sexu disparessint, in humilitate sine status dijferentia concordant. Vgl. 2 Cor 12,9. 1 , 5 Bonifatius, Ep. 94, 215. Zu Bonifatius und der Bedeutung von Frauen bei seiner Missionstätigkeit siehe Classen, Frauenbriefe; Urbahn, Bonifatius; zum Begriff im Zusammenhang mit der Kanonikerreform im 12. Jahrhundert siehe Zotz, Milites Christi. Beispiele aus den monastischen Reformbewegungen siehe S. 34f.
Wörter, Begriffe, Konzepte - Methodische Überlegungen
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Topos der weiblichen Schwäche (infirmitas, fragilitas, mollitia), die auch Männer schwach machen und vom richtigen Weg abbringen kann, spielte etwa in den Debatten des 12. Jahrhundert über die unterschiedliche Strenge monastischer Klausur für Frauen und Männer eine wichtige Rolle 116 . Wesentlich sind aber gerade auch hier die widersprüchlichen Bedeutungen solcher Zuschreibungen, etwa die Rolle der „christlichen Inversion", im Sinn der beati pauperes-. Ausgehend von der Bergpredigt, „Selig sind die Armen im Geiste, denn ihnen gehört das Himmelreich", wurden die „wahrhaftigeren Armen" als diejenigen definiert, die sich von der Welt abkehrten, um sich der vita apostolica zuzuwenden und Christus zu suchen. Dies gelte nicht nur für Männer, sondern ebenso für Frauen: Denn gerade ihr schwächeres Geschlecht steigere den Stellenwert ih117 . Dass solche Diskussionen rer virtus vor Gott: Nam virtus in infirmitateperficitur um Begriffe und Zuschreibungen im Zusammenhang mit den monastischen Erneuerungsbewegungen und dem in ihrem Rahmen artikulierten Bedürfnis, dass alle Menschen vor Gott jenseits von Stand, Rang, Herkunft und Geschlecht gleich sein sollten, verstärkt stattfanden, ist ein Indiz für die Verhandlung sozialer Kategorien118. Die Miniaturen auf den letzten Seiten des Hortus deliciarum stellen darüber hinaus eine Verbindung zwischen dem sozialen Umfeld und dem gemeinschaftlichen Leben der Hohenburger Sanktimonialen einerseits und dem Motivationshorizont der Kompilatorin Herrad und ihrer virgunculaeandererseits her: Die heilsgeschichtliche Dimension der mittelalterlichen Kategorie Wissen, das Hoffen auf Erlösung durch Wissen, das die gläubige Seele weiter auf ihrem Weg zu Gott bringt, ist zunächst nicht notwendigerweise geschlechtsspezifisch, wie die Vielfalt der Quellen für den Hortus deliciarum belegt, die ebenso in Männergemeinschaften rezipiert und verwendet wurden. Scientia - Wissen oder Wissenschaft—ist im Heilsgeschehen Mittel auf dem Weg zur göttlichen Weisheit 119 . Gleichzeitig ist aber im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis von Geschlecht und Wissen der zentrale Stellenwert der Wechselbezüge zwischen Weisheit und Liebe von Belang: Die Weisheit (sapientia) ist eine der sieben Gaben des Heiligen Geistes. Dieser wiederum versinnbildlicht die Caritas, die göttliche Liebe. In den zeitgenössischen Hohelied-Auslegungen des 12. Jahrhunderts wird die Frau ( m u l i e r ) häufig mit der Weisheit Gottes gleichgesetzt, diese wiederum mit Maria als Mutter Christi und mit diesem selbst, dessen Liebe die Menschen mit mütterlicher Zuneigung sucht, findet und erlöst 120 . 1 1 6 Grundlegend die ungedruckte Habilitationsschrift von Gisela Muschiol, Klausurkonzepte; in Hinblick auf die Frage nach Geschlecht als Ordnungskategorie außerdem Cescutti, Hrotsvith; siehe dazu ausfuhrlich unten Kap. 2.2.3.
117 „Beatipauperes spiritu quoniam ipsorum est regnum celorum ". Inter hos iterum qui Deipotius quam mundi sunt pauperes, nonnulla est differentia, cum alii plus egeant, alii minus! Alii obsequio Dei magis occupati sunt, alii minus. Hii quidem qui, seculo penitus abrenuntiantes, apostolicam imitantur vitam, veriores sunt pauperes et Deo propinquiores. Sed sunt hujus professionis non solummodo viri, sedetfemine. Quecumsint fragilioris sexus et infirmioris nature, tanto est earum virtus Domino acceptabilior atqueperfection quanto cum natura infirmior, juxta illud apostoli. „Nam virtus in infirmitate perficitur' (2 Cor 12, 9) ... . Guta-Sintram-
Kodex, fbl. 3v, Strasbourg, Bibliothèque du Grand Seminaire M S 37, zitiert nach Weis, Le Codex GutaSintram 8. Für den Hinweis auf den Guta-Sintram-Kodex danke ich herzlich Fiona Griffiths. 118 Vgl. etwa Feiten, Soziale Zusammensetzung. Dazu unten S. 200—204. 119 Dazu ausführlich Kap. 1.4.2., Kap. 2.4.2. und Kap. 4.2.3. Die Bezeichnung virgunculae findet
sich auch im Speculum 120
virginum,
Epith., Vers 25, 367: Virgo iuncta candidulis
/ festiva iam
virgunculis.
So etwa Aelred von Rievaulx, Sermo 33, Z. 57 (meine Hervorhebungen): Mulier in Scriptum
ali-
quando soletponi in mala significatione, aliquando in bona. ... Significai in his locis mulier Sapientiam Dei.
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Geschlechterordnungen — Wissensordnungen
Ahnlich wie bei der wieder gefundenen Lebensform der vita apostolica und dem reaktivierten Modell der beatipauperes werden hier einander überschneidende und oft ambivalente symbolische und metaphorische Figuren in der Praxis wirksam. Sie werden in den Tugenden, in der personifizierten Weisheit, vor allem aber in der Mutter Gottes verkörpert und dienen so als Vorbilder und Rollenmodelle. Damit stellt sich die Frage, ob die Veränderung solcher Modelle oder die Konjunktur bestimmter Muster, wie etwa jener Frauenbilder, die im Hohelied- und Minnediskurs des 12. Jahrhunderts verstärkt repräsentiert sind, durch Assoziationsketten wie Liebe - Weisheit - Wissen und ihre geschlechtsspezifischen Konnotationen andere Bewertungen klassischer Zuschreibungen etwa des Zuganges zu Wissen - ermöglichten. Schließlich soll dieser Diskurs über die Liebe in Bezug zu zeitgenössischen Körperdiskursen gebracht werden. Der Körperbezug in theologischen Metaphern wie in der mittelalterlichen Minnemetaphorik, die Rede über geistige und körperliche Schönheit ist Teil eines komplexen symbolischen Universums 121 . Im Hortus deliciarum schließt das Bild von Maria als Braut und Christus als Bräutigam die Vorstellung der göttlichen Weltordnung auf Erden mit ein: Der mystische Körper Christi wiederum ist die Kirche, in der alle Getauften - egal welchen Geschlechts — den ihnen bestimmten Platz und Rang einnehmen. Im St. Trudperter Hohelied wird der Leib Christi als Mikrokosmos der Kirche folgendermassen dargestellt: Der Kopf repräsentiert Gott, der Hals Maria als Mittlerin, der Bauch die Christenheit 122 . Auch Bernhard von Clairvaux beschreibt in seinem Kommentar zum Hohelied die Kirche als Gemahlin und gleichzeitig als Körper Christi: Sie nährt die Menschen und wird ihrerseits von Christus genährt. Sie ist damit gleichzeitig Mutter, ihr Körper wiederum umfasst alle Menschen 123 . Ein ähnliches Bild findet sich bei Honorius Augustodunensis, wo die weibliche Allegorie der humanitas von der Braut (sponsa) Christi gerettet wird, in der sie ihrerseits aufgeht. Sponsa symbolisiert sowohl die Kirche als auch Maria 124 . Der Leib Christi wird hier als weiblicher Körper dargestellt, der die Kirche und damit wieder Menschen beiderlei Geschlechts umfasst. Diese Beispiele zentraler mittelalterlicher Metaphorik machen also gleichzeitig auch deutlich, dass das zeitgenössische Verständnis der Beziehungen zwischen Körper und Geist, „Natur" und „Kultur", Frauen und Männern wesentlich komplexer und ambivalenter war, als es moderne Vorstellungen oft suggerieren, die sie meist als eindeutige bi-
id est Dominum nostrum Iesum Christum, propter nimiam caritatem qua nos materno affectu quaesivit. invenit, redemit (Eph. 2,4). Dazu am Beispiel der Admonter Marienpredigten Roitner, Mater misericordiae. Die Arbeit wurde mir von der Autorin freundlicherweise in elektronischer Form zur Verfügung gestellt und wird im Folgenden aus Gründen der unterschiedlichen Formatierung nach Kapiteln und Anmerkungen und nicht nach Seitenzahlen zitiert. Grundsätzlich in einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive Bynum, Jesus as Mother und dies., Fragmentierung und Erlösung, bes. Kap. „Geschichten und Symbole der Frauen - Eine Kritik an Victor Turners Theorie der Liminalität" 27-60. Dazu Kap. 3.2. und 3.3. 121 Vgl. Brunner, Selbstverständnis 294-297. 122 St. Trudperter Hohelied mit Kommentar Ohlys 371 ff.; dazu Brunner, Selbstverständnis 296; Keller, Geist 133; Boiadjev, Der menschliche Körper. 123 Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica canticorum, etwa die Predigten 9 und 10; dazu Bynum, Fragmentierung und Erlösung 73; vgl. auch Cescutti, Begehren, Körper, Text 89-100. Dazu ausführlich unten Kap. 3.2.2. und 3.3.1. 124 Honorius Augustodunensies, Cantica canticorum; dazu Bynum, Fragmentierung und Erlösung 74 mit einer Darstellung aus dem Cod. lat. 4550, fol. 4, Bayerische Staatsbibliothek München.
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näre Gegensatzpaare konstruieren und als solche in die Vergangenheit zurück projizieren. Menschen vereinigten in sich sowohl männliche als auch weibliche Merkmale, die gerade in Hinblick auf die vieldeutige religiöse und kulturelle Symbolik, in und durch die sie Bedeutung erhielten, viel stärker kontextabhängig waren. Dies führt zu der Frage, in welcher Weise solche symbolischen Modelle wirksam wurden und ob sie Auswirkungen auf „verkörperte" geschlechtliche Identitäten und Differenzen hatten 1 2 5 . In welchen Kontexten werden welche Bilder aktualisiert, finden welche Projektionen statt und welche Auswirkungen haben sie auf die (Selbst-) Wahrnehmung der Menschen? In welchen Zusammenhängen erhalten Begriffe und Konzepte von Körper und Geist, Erfüllung und Askese, Krankheit, Schwäche und Schmerzen, Prüfung und Leiden, Erkenntnis, Erleuchtung und Erlösung welche Bedeutungen? In welchen Kontexten werden sie geschlechtsspezifisch artikuliert, wie verhalten sich diese Artikulationen und ihre Effekte zu jenen anderer zeitspezifisch relevanter Diskurse und welche Widersprüchlichkeiten lassen sich dabei feststellen? Fragen wie diese eröffnen die Möglichkeit, traditionelle ideengeschichtliche Aussagen über zeitspezifisch dominante bzw. relevante Konzepte und Vorstellungen, die sich meist auf wenige Quellen stützen bzw. deren Kontexte nur begrenzt berücksichtigen, zu modifizieren. Ideengeschichtliche Fragen tendieren dazu, explizite Argumentationen in den Blick zu nehmen und diese für repräsentativ zu halten, während Fragestellungen nach diskursiven und symbolischen Ordnungen auf die impliziten Bedeutungen, die diskursiven „Selbst-Verständlichkeiten" fokussieren und auf die Weisen, wie sie über semantische Formationen in Gebrauchssituationen artikuliert werden. Mein Interesse gilt zudem der Frage, worauf sich unsere eigenen Vorstellungen davon, welche Konzepte für historische Kontexte signifikant waren, gründen und inwieweit wir methodisch die Möglichkeit haben, sie mittels solcher Untersuchungen zu überprüfen.
1.4. Organisations- und Lebensformen 1.4.1. Monastische Reformen i m 12. Jahrhundert Nach dem Prinzip von ordines organisierte Gesellschaften setzen Ungleichheit als Ordnungsprinzip voraus. In einem solchen Verständnis hat jeder Menschen seinem Rang und Stand entsprechend unterschiedliche Aufgaben und Funktionen innerhalb der göttlichen Weltordnung. Das gilt für die Einteilungen der Welt in organisatorische Kategorien wie jene der Kleriker ( c l e r i c i ) , Mönche (monachi/ae) und Laien ( l a i c i ) ebenso wie für moralische Qualifikationen - Jungfrauen ( v i r g i n e s ) , Witwen ( v i d u a e ) , Verheiratete {coniugati/ae oder nupti/ae) - , wie sie in der patristischen Typologie und hier besonders von Hieronymus, entwickelt wurden und bis ins 12. Jahrhundert die wichtigsten Ordnungsmodelle der lateinischen Christenheit darstellten 126 .
125 Eine Auswahl: Bynum, Jesus as Mother; dies. Fragmentierung und Erlösung; Cadden, Meanings of Sex difference; Kay/Rubin, Framing Medieval Bodies; Keller, Wort und Fleisch; Laferl, Kap. III: Sexuierte Autoritäten, in: Wagner/Laferl, Anspruch auf das Wort 127-143; Laqueur, Auf den Leib geschrieben. Dazu besonders Kap. 3.3. 126 Siehe S. 8, Anm. 20; zur Entwicklung der Argumentationen, besonders der „moralischen" ordines vgl. umfassend Jussen, Witwe, besonders 4 3 - 8 0 ; für Beispiele aus Texten des Hieronymus ebd. 71 ff. Dazu auch Kap. 2.1.
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Unterschiedliche Stände und Ränge einzunehmen bedeutete, um seinen Platz in der Welt zu wissen. Dies gab Halt und Sicherheit in unsicheren Zeiten. Man berief sich auf die gottgewollte Ordnung und die überkommenen Gewohnheiten. Die Welt war alt, und Neuerungen hatten keinen Wert an sich. Dennoch gerieten Ordnungsvorstellungen und Weltbilder besonders seit dem 11. Jahrhundert erneut spürbar in Bewegung127. Die Veränderungen begannen auf der geistlichen und politischen Ebene mit den Auseinandersetzungen um das Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt, die man unter dem zeitgenössischen Schlagwort der libertas ecclesiae, der „Freiheit der Kirche" [von der Welt], zusammengefasst hat 128 . Dies trifft die Problematik und ihre Komplexität wesentlich besser als der traditionelle Wissenschaftsbegriff des „Investiturstreites", ging es doch um viel mehr als um die Frage der Betrauung von Laien mit geistlichen Amtern. Zentral war die Frage nach der politischen Einflussnahme weltlicher Personen auf geistliche Institutionen, die in der Laieninvestitur nur eine von zahlreichen Ausdrucksformen fand 129 . Die Erneuerungsbewegungen setzten im monastischen Bereich allerdings schon früher ein. Eine besondere Rolle spielten dabei im 10. Jahrhundert Burgund und Lothringen mit den Gründungen der Klöster Cluny und Gorze als Gemeinschaften, die sowohl von den Bischöfen als auch von den jeweiligen weltlichen Gewalten unabhängig und direkt der obersten geistlichen Instanz in Rom unterstellt sein sollten 130 . Die Freiheit der Klöster betraf zunächst die autonome Verwaltung und Nutzung ihres Besitzes und die freie Abtwahl. Die monastischen Reformen blieben jedoch nicht auf die Klöster als abgeschlossener sozialer Raum beschränkt. Zum einen waren die Gemeinschaften wesentliche Bausteine der gesellschaftlichen Ordnung, wurden politische Einflussnahmen gerade deshalb als problematisch wahrgenommen, weil geistliche Institutionen wesentliche Faktoren in komplexen Verwandtschafts- und Besitzverhältnissen waren. Zum anderen war das Bedürfnis nach spiritueller Erneuerung ein Phänomen, das weit über kirchlich-institutionelle Grenzen hinausreichte. Wandte man sich einerseits gegen die Einflussnahme der weltlichen Mächtigen auf die Geistlichkeit, so brauchte man sie andererseits für Schutz, Hilfe und personellen „Nachschub", der die Reformbewegungen trug. Gleichzeitig wurden auch Formen institutionalisierter Religiosität kritisch in Frage gestellt, wie umgekehrt seit Ende des 11. Jahrhunderts die Anziehungskraft spirituell orientierter Lebensmodelle auf Laien wuchs. Persönliche Frömmigkeit und die Sorge um die individuelle Heilserwartung motivierten Menschen unterschiedlichster Herkunft, ihr Leben in den Dienst religiöser Bewegungen zu stellen 131 .
127
Vgl. Fichtenau, Lebensordnungen; vgl. auch Dean, World Grown Old; frühe Stellungnahmen zur Legitimität und Notwendigkeit von Neuerungen bei Brunner, Herzogtümer und Marken 225; zu Aufbruch und Erneuerung v. a. Fichtenau, Ketzer und Professoren, sowie Ladner, Idea of Reform. 128
Vgl. etwa den Liber de unitate ecclesiae conservandae 38, 266. Dazu Brunner, Herzogtümer und
Marken 225-242. 125 Vgl. etwa Hartmann, Investiturstreit; Laudage, Gregorianische Reform und Investiturstreit; für einen Überblick über die (kirchen-)politischen Entwicklungen vgl. etwa Haverkamp, Aufbruch und Gestaltung; Weinfurter/Siefahrt, Salier, Bd. 2: Die Reichskirche in der Salierzeit; Weinfurter/Seibert, Reformidee und Reformpolitik. 130 Zu den Reformbewegungen des 10. und 11. Jahrhunderts besonders die Arbeiten von Joachim Wollasch, zuletzt: Cluny - „Licht der Welt"; Kottje/Maurer, Monastische Reformen; Constable, Cluny. 131 Grundsätzlich sei an dieser Stelle betont, dass die hier einleitend und daher notwendigerweise nur schematisch skizzierten komplexen Problemfelder nicht allein für die Reformbewegungen des 10.12. Jahrhunderts charakteristisch sind. Debatten um Aufbruch und Erneuerung einerseits und Institu-
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Mehr noch, in den Reformbewegungen spielte mit den Gedanken der Abwendung von der Welt und der Rückkehr zu einem „ur-christlichen" Leben, zur vita apostolica in der Nachfolge Christi, die Betonung der grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen unabhängig von Stand, Geschlecht und Herkunft eine besondere Rolle 132 . Die spirituell und sozial motivierten gesellschaftlichen Prozesse, die in diesen Konzepten zum Ausdruck kommen und durch sie gefördert werden, sind etwa im Zusammenhang mit der Durchsetzung des Zölibats und der damit verbundenen Diskussion um die mangelnde Heilsfähigkeit der Frauen zu sehen — bzw. umgekehrt mit ihrer Wiederaufwertung durch die Gleichstellung im Urkirchenmodell. Die Versuche der Umsetzung solcher ideeller Entwürfe in die Praxis kommen in den zahlreichen Überlegungen zu Neuregelungen des gemeinschaftlichen Lebens ebenso zum Ausdruck wie in den zeitgenössischen Auseinandersetzungen zwischen Vertretern traditioneller Ordnungsvorstellungen und solchen neuer Konzepte. Zwar war gerade das 12. Jahrhundert von heftigen Diskussionen um Differenzierungen, etwa zwischen monastischer Lebensweise und jener der Regularkanoniker, und ihren argumentativen Legitimationen charakterisiert, gerade dies macht jedoch deutlich, dass der Beginn solcher Prozesse kaum eindeutig zu lokalisieren ist und wie fließend die Übergänge zwischen religiösen Lebensformen noch waren 133 . Viele von jenen, die Reformkonzepte entwickelten und vertraten und sich als pauperes Christi verstanden, kamen aus dem Umkreis der Hirsauer Bewegung, einer jener Reformbewegungen, die in der Nachfolge der monastischen Erneuerungsinitiative von Cluny seit dem späten 11. Jahrhundert ausgehend von Hirsau im Schwarzwald in weiten Teilen Süddeutschlands einflussreich wurde 134 . Abt Wilhelm, der aus dem Regensburger Kloster St. Emmeram nach Hirsau gekommen war, galt als einer der wichtigsten Vertreter der „neuen" Haltung, wonach klösterliche Gemeinschaften offen für Mentionalisierung andererseits prägen die Geschichte von religiösen Bewegungen und Institutionen zuvor und danach, sodass die Dialektik der Begriffe „traditionell" und „neu" immer zu kurz greifen muss. Bestimmte Leitthemen kehren immer wieder, finden aber kontext- und institutionenspezifisch unterschiedliche Ausprägungen. Ihnen soll daher im Folgenden in einem überschaubaren Raum und an konkreten Fallbeispielen nachgegangen werden. Zur grundsätzlichen Problematik vgl. Ladner, Idea of Reform; Rosenwein, Negotiating Space, sowie zum Vergleich und aktuell den Bericht von Franz Feiten vom 44. Deutschen Historikertag, Sektion 3.1. „Altes Herkommen und neue Frömmigkeit. Reform in Frauenklöstern des 15. Jahrhunderts" (13. 9. 2002, einzusehen im Archiv der von Katrinette Bodarwé (Göttingen) initiierten und betreuten Website www.frauenkloester.de). Aus der kaum mehr überschaubaren spezifischen Forschungsliteratur vgl. etwa Benson/Constable, Renaissance and Renewal; Constable, Reformation; Weinfurter/Seibert, Reformidee und Reformpolitik sowie Faust/Quarthal, Reformverbände. 132 Mit Bezug auf Geschlecht vgl. die berühmte Stelle in der Apostelgeschichte: Ac 1,14: Hii omnes
erant perseverantes unanimiter in oratione cum mulieribus et Maria matre Iesu et fratribus eius. 133 Zu konkurrierenden Ordnungsmodellen vgl. z. B. Fichtenau, Lebensordnungen 5 0 6 - 5 1 0 ; ebd. 160-164 zu Priesterehe und Zölibat; zur Kanonikerreform Weinfurter, Kanonikerreform und ders., Bistumsreform. 134 Vgl. den Aufsatz von Klaus Schreiner, Hirsauer Reform, in: Faust/Quarthal, Reformverbände, und die Beiträge in den beiden von Schreiner herausgegebenen Bänden zum 900-jährigen Jubiläum des Klosters: Hirsau, St. Peter und Paul, 1090—1991; für den österreichischen Raum außerdem Faust, Reformen. Von der älteren Literatur Jakobs, Hirsauer. Zu diesen und ähnlichen Reformkonzepten in der Kanonikerreform, auf die aus Gründen der Schwerpunktsetzung in dieser Untersuchung nur kursorisch eingegangen werden kann, vgl. v. a. die Arbeiten von Stefan Weinfurter, Regularkanoniker; ders., Kanonikerreform, sowie aktuell, Funktionalisierung und Gemeinschaftsmodell. Programmatisch zu den konzeptionellen Wechselwirkungen zwischen monastischen Reformmodellen und solchen der Kanonikerreform auch Bynum, Jesus as Mother, Kap. I: „The Spirituality of Regular Canons in the Twelfth Century", 2 2 - 5 8 .
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Geschlechterordnungen - Wissensordnungen
sehen jeglichen Hintergrundes sein sollten. Sein Biograf weiss zu berichten, dass sich der Abt an Mönche, Kleriker und Laien, Jungfrauen, Witwen und [verheiratete] Frauen wandte und sie in Worten und Taten unterwies, und alle kamen sie zu ihm wie an die Brust einer Mutter 135 ! Ganz ähnlich wurde in dem von Hirsau beeinflussten Kloster Petershausen bei Konstanz argumentiert: In der Bestimmung des Casus monasterii Petrihusensis über die Sanktimonialen heisst es, Frauen mögen in derselben Weise wie sie gemeinsam mit den Aposteln für Gott kämpften, zusammen mit den Mönchen im Kloster aufgenommen werden, damit beide Geschlechter, wenn auch [durch Klausur] von einander getrennt, an einem Ort gerettet würden 136 . Auch die Chronik von Petershausen ebenso wie weitere Hirsauer Quellen, etwa die Vita Theogers von St. Georgen im Schwarzwald oder die Chroniken Bertholds und Gottliebs von Zwiefalten berichten vom Interesse verschiedenster Menschen, die sich von der Welt abkehrten und den „inneren" Menschen in neuen gemeinschaftlichen Lebensformen suchten 137 . Dementsprechend änderten sich auch die spirituellen Leitbilder und mit ihnen die pastoralen Aufgaben. Die Bedeutung der Sakramente, besonders der Eucharistie, nahm zu, Seelsorge (cura pastoralis) und Überlegungen zur Unterweisung der neuen Gemeinschaftsmitglieder erhielten einen zentralen Stellenwert138. Die neuen Konzepte des monastischen Zusammenlebens nach apostolischem Vorbild 139 gingen Hand in Hand mit einer veränderten Praxis, die ganz unterschiedliche und oft auch nur kurzfristige Organisationsformen annehmen konnte. Bernold von Konstanz vermittelt in seiner Chronik, die Ende des 11. Jahrhunderts geschrieben wurde, einen Eindruck von der Vielfalt und Uneinheitlichkeit dieses sozialen und religiösen Phänomens: Männer und Frauen begaben sich in die spirituelle Obhut von Klerikern oder Mönchen und besorgten ihnen gelegentlich gleich auch den Haushalt. Junge 135 Vita Willihemi 218 (meine Hervorhebungen): Non solum autem monastica institutio eius aemulationeproferii, sed et singuli gradus ecclesiastici ordinis illius exemplis erudiebantur. Monachos namque humilitate, cantate, auetoritatepromovebat; laicos conversione et subiectione docebat; virgines. viduas. ac mulieres munditia et castitate informabat; pauperes Christi etperegrinos parvo esse contentos, ac mundum sub pedibus habere et omnem gloriam eius, verbis et operibus suadebat. Singuli fideles Christi ad illum quasi adsinum matris confugiebant, multumqueper eum in Deo proficiebat. Zur Metaphorik siehe unten Kap. 3.3. Z u den pauperes Christi siehe oben S. 29, Anm. 117. 136 Casus monasterii Petrihusensis, Pref. 9, 622: De sanetimonialibus. Ubi hoc quoque notandum, quod devote mulieres pariter cum sanetis diseipulis Deo militabant, et ideo hoc exemplo non est vituperabile, sed magis laudabile, si sanctimoniales feminae in servorum Dei monasteriis reeipiantur, ut uterque sexus, ab invicem tarnen sequestratus, uno loco salvetur. Dazu Ac. 1,14 vgl. oben Anm. 132. 137 Vita Theogeri; Zwiefalter Chroniken; vgl. dazu Feiten, Soziale Zusammensetzung 206. Z u m zeitgenössischen Gebrauch des homo exteriorund des homo interiorz. B. Honorius Augustodunensis, vgl. S. 44, Anm. 190. Dazu etwa auch den Brief Hildegards von Bingen an Bernhard von Clairvaux, in dem sie über ihre Bildung sagt: Scio enim in textu inferiorem intelligentiam expositionis Psalterii et Evangelii et aliorum voluminum, que monstrantur mihi de hac visione, que tangit pectus meum et animam sicut fiamma comburrens, docens me hecprofunda expositionis. Sed tarnen non docet me litteras in Teutonica lingua (!), quas nescio, sed tantum scio in simplicitate legere, non in abscisione textus. Et de hoc responde mihi, quid tibi inde videatur, quia homo (!) sum indocta de ulla magistratione cum exteriori materia, sed intus in anima mea sum docta (Ep. 1, 4, meine Hervorhebungen). Z u Lehr- bzw. Lerninhalten und Sprachgebrauch siehe die folgenden Kapitel. Für den Hinweis auf diesen Brief danke ich herzlich Rod Thomson. 138 Im Zusammenhang mit geschlechtergeschichtlichen Fragestellungen vgl. die Beiträge in Mews, Listen Daughter; vgl. auch Hotchin, Abbot as Guardian; dazu ausfuhrlich unten Kap. 2.2.2. 139 Zur gemeinschaftlichen Lebensweise in Anlehnung an die Apostelgeschichte (v. a. Ac 2,42-47) vgl. auch Constable, Reformation, Hotchin, Female Religious Life 6 1 - 6 6 mit weiteren Belegstellen.
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Frauen verweigerten die Ehe, um sich Priestern anzuschließen, und selbst verheiratete Frauen wandten sich Geistlichen zu, um ihnen mit größter Demut zu dienen 1 4 0 . Manche Frauen zogen sich als Reklusen von der Welt zurück und siedelten sich allein im Umkreis von Männergemeinschaften an. Eine der bekanntesten, deren Leben auch eine Vita gewidmet wurde, ist Herluca von Epfach (i" 1127/28). Sie gehörte wie Paulina (t 1107), von der ebenfalls eine Lebensbeschreibung erhalten ist, zum Hirsauer Kreis. Beide Frauen hatten enge Beziehungen zu Abt Wilhelm, der ihnen auch mit Rat zur Seite stand, auf welche Weise sie ihr religiöses Leben führen sollten 1 4 1 . Rückzug aus der Welt, verbunden mit Einkehr und Askese, war gerade bei Personen hochgestellter Herkunft beliebt und ein Zeichen für die spirituelle Neuorientierung hin zu Armut und Aufgabe aller weltlichen Bedürfnisse. Diese Haltung sollte jedoch der Umwelt nicht verborgen werden 1 4 2 . Im Gegenteil: Sie sollte exemplarisch sein und wirksam werden, und war daher zugleich oft mit der Praxis der Predigt verbunden. Dies betraf Frauen in derselben Weise wie Männer, mit dem — auf den ersten Blick paradoxen - Effekt, dass Reklusen wie Herluca oder auch Jutta ( 1 0 9 2 - 1 1 3 6 ) , die Sponheimer Grafentochter und Lehrerin der Hildegard von Bingen, und Frau Ava von Melk, durch ihre exemplarische Lebensweise und pastorale Tätigkeit hinter den Mauern ihrer Abgeschlossenheit deutlich sichtbarer wurden und blieben als viele ihrer Brüder und Schwestern in monastischen Gemeinschaften 1 4 3 . Ihre Popularität konnte auch dazu führen, dass sich andere entschlossen, ebenfalls eine solche Lebenweise aufzunehmen und sich in ihrer Nähe anzusiedeln oder sich zu eigenen Gruppen zusammenzuschließen. Auf diese Weise kam es zu einem bedeutenden Anstieg verschiedener gemeinschaftlicher Lebensformen unter starker Beteiligung von Frauen 1 4 4 . Eine Schätzung von Matthäus Bernards geht für den deutschsprachigen Raum von 150 Frauengemeinschaften um 1100 und 500 um 1250 aus 1 4 5 . So vorsichtig man mit absoluten Zahlen und Statistiken umgehen muss, so macht die zunehmend dichtere Uberlieferung eindrucksvoll die
140 Bernold, Chronicon 491: Non solum autem virorum, sed et feminarum innumerabilis multitudo his temporibus se ad huiusmodi vitam contulerunt, ut sub obedientia clericorum sive monachorum communiter viverent, eisque more ancillarum quotidiani serviciipensum devotissimepersolverent. In ipsis quoque villis filiae rusticorum innumerae, coniugio et seculo abrenunciare et sub alicuius sacerdotis obedientia vivere studuerunt. Sed et ipsi coniugati nichilominus religiose vivere et religiosis cum summa devotione non cessaverunt
obedire. 4.2.1.
Zum Spannungsverhältnis zwischen Reformrhetorik und -realität vgl. unten Kap. 4.1.2. und
141 Paul von Bernried, Vita beatae Herlucae; Vita Paulinae; zu Herluca siehe Signori, Eine Biographie als Freundschaftsbeweis, in: dies., Meine in Gott geliebte Freundin; zu Paulina siehe Badstübern-Kizik, Gründungs- und Frühgeschichte; vgl. weiters Küsters, Der verschlossene Garten 121-130. 142 So verfasste etwa Aelred von Rievaulx (um 1110-1167) eine Regel für weibliche Inklusen: Aelred von Rievaulx, De institutione inclusarum. Vgl. auch unten Kap. 4.1.2. und 4.2.1. 143 Mulder-Bakker, Reclusorium; Silvas, Jutta and Hildegard; zu Frau Ava vgl. Knapp, Literatur 117-123, sowie ausführlich Hintz, Persuasion and Pedagogy. 144 Eine Auswahl: Bönnen/Haverkamp/Hirschmann, Religiöse Frauengemeinschaften; Feiten, Frauenklöster; Hotchin, Female Religious Life; Küsters, Der verschlossene Garten und ders., Formen und Modelle; Parisse, Frauenstifte; Siegwart, Chorfrauen; Venarde, Women's Monasticism; Wilms, Amatrices Ecclesiarum. 145 Bernards, Speculum virginum 1. Vgl. dazu Schulenburg, Monastic Communities 5 0 0 - 1 1 0 0 ; für Frankreich und England: Venarde, Women's Monasticism 8 9 0 - 1 2 1 5 ; für Deutschland mit regionalen Schwerpunkten Feiten, Frauenklöster und -stifte im Rheinland; Bönnen/Haverkamp/Hirschmann, Religiöse Frauengemeinschaften.
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Beteiligung von Frauen an den religiösen Bewegungen ebenso wie die Vielfalt gemeinschaftlicher Lebensformen deutlich. Gerade am Beispiel des Hirsauer Reformkreises, dessen Bedeutung und Einfluss zwischen Ende des 11. und Mitte des 12. Jahrhunderts in Süddeutschland vom Schwarzwald bis nach Kärnten reichte, lässt sich erkennen, dass aus zunächst losen Zusammenschlüssen sowohl Doppelklöster 146 als auch separate Frauenkonvente entstanden, die allerdings meist Männerklöstern unterstellt waren. Die monastischen Gemeinschaften der benediktinischen Tradition Hirsauer Ausprägung, aber etwa auch Reformklöster in augustinischer Tradition 147 wie Marbach und Hohenburg sind Beispiele für die Vielfalt und Überschneidungen von Reforminitiativen und für konzeptionelle wie praktische Wechselbeziehungen von Frauen- und Männergemeinschaften. Sie zeigen darüber hinaus, in welchem Ausmaß Frauen an der Reform beteiligt waren, in diesem Zusammenhang sichtbar wurden und mit ihren männlichen Kollegen interagierten 148 . Viele Frauenkonvente der Hirsauer Bewegung hatten Mutterklöster, die sie in Hinblick auf die Regelung ihrer Lebensweise (consuetudines) bestimmten. Sie entstanden örtlich und zeitlich meist im Umfeld der Männerklöster, aber keineswegs in einheitlicher Weise: St. Georgen im Schwarzwald, eine der wichtigsten Hirsauer Gründungen (1083), dürfte zunächst Männer und Frauen beherbergt haben, die Frauengemeinschaft wurde jedoch bald nach Amtenhausen verlegt 149 . In Zwiefalten (gegründet 1089) gab es einen Männer- und einen Frauenkonvent. Knapp 40 Jahre später (1138) lebten dort laut der Chronik Bertholds 70 Mönche, 130 Laienbrüder und 62 Nonnen 1 5 0 . Im Fall des Klosters Schaffhausen trat ein Mitglied der Gründerfamilie, Graf Eberhard von Nellenberg, 1073 als Konverse in die Gemeinschaft ein, während seine Frau Ida gleichzeitig ein Leben als Rekluse begann. Die Frauen, die sich ihr anschlössen, wurden bald darauf durch Abt Siegfried in die Gemeinschaft von Schaffhausen integriert. Der so entstandene Frauenkonvent lebte wie das Männerkloster nach der Regula S. Benedicti und war dem Abt desselben unterstellt 151 . In Petershausen werden kurz nach Einführung der Hirsauer consuetudines durch den neuen Abt Dietrich (1116) Frauen erwähnt 152 . In Admont erfolgte die Reform nach der Ankunft von Hirsauer Mönchen aus St. Georgen im Schwarzwald (1115), in deren Folge die Frauen, die sich in der näheren Umgebung des Klosters angesiedelt hatten,
146 Der Begriff wird etwa verwendet von Hilpisch, Doppelklöster oder Elm/Parisse, Doppelklöster; zu seiner Problematisierung und Diskussion, da er eine allzu große organisatorische Planung und Einheitlichkeit suggeriert, vgl. Hotchin, Female Religious Life 68f. und zu vergleichbaren Formen gemeinschaftlichen Zusammenlebens die Fallstudien von Haarländer, „Schlangen unter den Fischen" und Kemper, Das benediktinische Doppelkloster Schönau. Aktuell dazu v. a. die ungedruckte Habilitationsschrift von Stefanie Haarländer, Symbiotische Konvente. 147 Vgl. dazu Hotchin, Female Religious Life 65 mit Beispielen. Zur grundsätzlichen Ausrichtung Brunner, Herzogtümer und Marken 242f., beide mit Angaben weiterführender Literatur; für eine Ubersicht Wendehorst/Benz, Verzeichnis der Augustiner-Chorherren und Chorfrauen; Andenna, Studi recenti. 148 Besonders Beach, Women as Scribes und dies., Claustration and Collaboration; vgl. Feiten, Frauenklöster; ders., Vita religiosa; Hotchin, Female religious life 66-73; vgl. dazu S. 24f., Anm. 99f. zu den Beziehungen zwischen Hohenburg und Marbach sowie Marbach und Schwarzenthann. 149 Grundlegend Bauerreiss, St. Georgen; Küsters, Der verschlossene Garten 147-150. 150 Berthold, Chronicon 43, 276fE; zur Gründung vgl. Ortlieb, Chronicon 20, 88ff. Dazu besonders Mews, Monastic Educational Culture. 151 Küsters, Formen und Modelle 202-204. 152 Casus monasterii Petrihusensis 18-20, 220ff.
Organisations- u n d Lebensformen
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aufgenommen und in die gemeinschaftliche Lebensweise nach der Regula S. Benedicti und den Hirsauer Gewohnheiten integriert wurden. Von Admont aus wurden wenige Jahre später einige tatkräftige Sanktimonialen zunächst in die Frauengemeinschaft von St. Georgen in Kärnten (1122) und dann in weitere Klöster geschickt, um diese nach Admonter Beispiel zu reformieren. Während allerdings die Debatten um das Zusammenleben von Männern und Frauen im Sinn der vita apostolica die Trennung der Geschlechter durch Klausur zur Bewahrung von Keuschheit und Seelenheil durchgehend zu einem zentralen Thema machten, lebten vor der Mitte des 12. Jahrhunderts Frauen und Männer häufig in denselben Klöstern. Erst danach kam es verstärkt auch zu einer strikten Trennung der Gebäude 153 . Vor diesem Hintergrund stellt sich um so mehr die Frage, in welchen Punkten bestehende regulae und ergänzende consuetudines die konkreten Lebensweisen definierten, welche Regeln sich die neuen Gemeinschaften selbst auferlegten und an welchen bestehenden Modellen sie sich aus welchen Gründen orientierten. Welche Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten sind zwischen Frauen- und Männerkonventen festzustellen? Welche zwischen Gemeinschaften unterschiedlicher Organisationsform, also etwa zwischen Regularkanonikern und Kanonissen in der Augustinus-Tradition nach der Kanonikerreform im 11. Jahrhundert und Mönchen bzw. Sanktimonialen, die nach der Benediktregel lebten? In den vergangenen Jahren haben Untersuchungen zu den Reformbewegungen des 11. und 12. Jahrhunderts zeigen können, dass das bislang geringe Wissen um die Verfasstheit von und die Lebensformen in monastischen Frauengemeinschaften nicht nur überlieferungsgeschichtlich begründet ist 154 . Vielmehr lagen die Gründe für ihre mangelnde Erforschung zunächst in ihrer Behandlung als „Nebenprodukt" der Erforschung männlicher Orden 155 . Mindestens genauso scheint die Problematik aber in der erwähnten Vielfalt und Uneinheitlichkeit der Formen monastischen Lebens zu liegen. Dies gilt — wenn auch in unterschiedlicher Weise — für Männer- wie für Frauengemeinschaften, besonders aber für die Notwendigkeit, die Überschneidungen dieser Problemfelder sichtbar zu machen. Es handelt sich also einmal mehr um das methodische Problem, moderne Ordnungsvorstellungen - in diesem Fall die Annahme einer kohärenten regulären Verfasstheit von Gemeinschaften - in eine Vergangenheit zurück zu projizieren, in der mit dieser Regelmäßigkeit kaum zu rechnen ist, und diese nach ebenfalls modernen Kriterien zu bewerten. Diese Problematik kommt in älteren Forschungsdebatten um die anachronistische Differenzierung zwischen „Frauenstiften" und „Frauenklöstern" ebenso zum Ausdruck wie in der dogmatischen Trennung der Kategorien „Kleriker" und „Mönche"
153 Z u A d m o n t und weiteren Reformaktivitäten von dort aus sowie zur Frage der Klausur siehe ausführlich das folgende Kapitel. 154 Angenendt, Kloster und Stift; Bodarwe, Sanctimoniales litteratae; Crusius, Kollegiatstift und dies., Kanonissenstift; Heidebrecht/Nolte, Leben im Kloster; Muschiol, Klausurkonzepte; Schilp, N o r m u n d Wirklichkeit. 155 So etwa Parisse, Frauenstifte u n d Frauenklöster in Sachsen 465f.; Schilp, N o r m u n d Wirklichkeit 15; Venarde, Women's Monasticism, besonders 13; Berman, Cistercian Nuns; aktuell Hotchin, Abbot as Guardian, A n m . 2. Forschungsprogramme u n d -ergebnisse, wie sie die Bände der Göttinger Reihe „Germania Sacra" dokumentieren, haben in den vergangenen Jahren Wesentliches zur Reduktion dieses Defizites beigetragen. Eine umfassende u n d laufend aktualisierte Dokumentation findet sich auf der Website www.frauenkloester.de (wie oben, Anm. 131).
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durch die moderne Forschung 156 . Sie wird anhand der dynamischen Veränderungen von Lebens- und Organisationsformen im 11. und 12. Jahrhundert besonders deutlich, ist aber ebenso für die Zeit davor von Bedeutung. Die Versuche organisatorischer Neuregelungen, wie sie in der Karolingerzeit auf königliche Initiative durch Bemühungen um eine zentrale Gesetzgebung unternommen wurden, sagen zunächst einmal nicht mehr, als dass die tatsächlichen Lebensverhältnisse als so ungeordnet wahrgenommen wurden, dass die an den entscheidenden Synoden beteiligten Personen und Personengruppen sie für regulierungsbedürftig hielten. Ob die Regeln in der Folge auch angewandt wurden, in welchem Ausmaß und mit welcher zeitlichen und räumlichen Wirksamkeit, sind Fragen, die sich nicht anhand normativer Quellen allein beantworten lassen. Sie geben allenfalls einen Rahmen vor, innerhalb dessen nach Entsprechungen bzw. Abweichungen von den normativ formulierten Vorstellungen gesucht werden kann 157 . Wird nach der Benediktinerreform ausgehend von Cluny und der Einführung der Benediktregel in den reformierten oder neu entstehenden Männergemeinschaften auch in den ihnen angegliederten Frauenkommunitäten in derselben Weise nach ihr gelebt? Wird dies explizit erwähnt, begründet oder auch abgelehnt? Admonter Quellen, die in den 40er und 50er Jahren des 12. Jahrhunderts vom klausurierten Leben der Sanktimonialen berichten, erwähnen häufig die Benediktregel und die Admonter Version der Constitutiones Hirsaugienses, auch wenn sich erstere ausschließlich, letztere primär an Männer richtete 158 . Nur wenige Jahre früher erklärte Heloi'se in ihrem berühmten Briefwechsel mit Abaelard, dass die Benediktregel in einigen wesentlichen Bestimmungen für Frauengemeinschaften ungeeignet sei und bat ihn, fiir das Kloster Paraklet, dem sie als Äbtissin vorstand, eine passende Regel zu verfassen159.
156 Z u r Kritik vgl. etwa Angenendt, Kloster u n d Stift; Schilp, N o r m und Wirklichkeit 17 u n d 2 1 4 zu den Vorteilen des Terminus „Frauengemeinschaften" gegenüber den zu stark einschränkenden Begriffen „Frauenstift" u n d „Frauenkloster"; fiir eine Diskussion der älteren Literatur vgl. ebd. 2 7 - 3 6 . 157 Schilp, N o r m u n d Wirklichkeit, vergleicht in seiner Fallstudie die lnstitutio sanctimonialium Aquisgranensis von 816 mit der gleichzeitig erlassenen lnstitutio canonicorum, der Benediktregel u n d der Regula sanctarum virginum des Caesarius von Arles aus dem 6. Jahrhundert (zu letzterer u n d den frühmittelalterlichen regulae sanctarum virginum des C o l u m b a n u n d des Donatus vgl. Heidebrecht/Nolte, Leben im Kloster). Er k o m m t u. a. zu d e m Schluss, dass es sich bei der Aachener Regel u m „Rahmenrichtlinien" handelt, die oft kaum von der Benediktregel zu unterscheiden sind (ebd. 215) sowie, „dass der Beschluß n u r als K o m p r o m i ß der an der Synode beteiligten Gruppen zu fassen ist" (ebd. 216). Ein solcher Befund legt u m so mehr nahe, die Bedeutung dieser Regeln gegenüber der Regula S. Benedicti in der Praxis nicht zu überschätzen. Vgl. dazu mit Schwerpunkt auf Fragen von Schriftlichkeit u n d Bildung die Fallstudien von Bodarwé, Sanctimoniales litteratae 3 5 5 - 3 6 0 , u n d zur Rezeption der Caesarius-Regel in der monastischen Praxis des 10. Jhdt. vgl. Cescutti, Hrotsvith. 158 Vgl. unten A n m . 178. 159 Mückle, T h e Letter of Heloise, u n d Abaelards Antwort: McLaughlin, Abelard's Rule for Religious W o m e n , vgl. dazu Mews, Love Letters 3 4 ^ 0 ; sowie ausfuhrlich Muschiol, Klausurkonzepte, Kap. 3 „Klausur im Paraklet: Die Vorstellungen Heloisas u n d Abaelards" mit umfassenden Literaturangaben. Diese Form der Erläuterung war im übrigen nicht notwendigerweise ein männliches Privileg gegenüber Frauen, wie Hildegards Kommentar zur Regula S. Benedicti zeigt, den sie auf Anfrage eines M ä n nerkonventes verfasste (PL 197, 1053B-1066A); dazu Constable, Hildegards Explanation, mit umfangreichen Editions- und Literaturangaben. Das Bedürfnis nach geschlechtsspezifischen Bestimmungen gab es allerdings nicht erst im 12. Jahrhundert: vgl. etwa den Prolog zur Nonnenregel des Donatus von Besançon (Regula virginum, PL 87, 273B) wo es heißt, die vorhandenen Regeln n ä h m e n zu wenig Rücksicht auf den sexus femineus.
Organisations- und Lebensformen
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Diese Schwierigkeit mit der für Männergemeinschaften konzipierten Regula S. Benedicti wird in einer U r k u n d e thematisiert, die an der W e n d e v o m 1 1 . z u m 12. Jahrhundert im ebenfalls z u m Hirsauer Reformkreis gehörigen Kloster Lippoldsberg an der W e ser entstanden ist 1 6 0 : Die Schwestern geloben ein klausuriertes Leben nach dem Vorbild der Sanktimonialen von Schaffhausen und versprechen, den Hirsauer consuetudines
zu
folgen. D a sie aber die in der Benediktregel vorgeschriebene manuelle Arbeit im Freien nicht leisten könnten, da sie für ihre Sünden eingekerkert seien, würden sie soweit m ö g lich jene Hand-Arbeiten verrichten, die der heilige Hieronymus in seinem Brief an Laeta für Sanktimonialen vorgeschrieben habe. Dieses Schreiben gehört zu seinen a m meisten rezipierten Lehrbriefen an Frauen. A u c h die karolingische Institutio
Sanctimonialium
überrnahm es über weite Strecken für das Kapitel über die Unterweisung der N o n n e n . D i e Lippoldsberger U r k u n d e ist darüber hinaus ein Beleg dafür, dass die Klausur in der monastischen Praxis des 12. Jahrhunderts für M ä n n e r offensichtlich deutlich weniger streng konzipiert war als für F r a u e n 1 6 1 . Selten erlauben uns die Quellen einen derartig klaren Blick a u f Fragen, welche die Menschen beschäftigten. Allerdings haben eine Reihe von Forschungsarbeiten zu Form e n „pragmatischer Schriftlichkeit" im monastischen Feld in den vergangenen Jahren besonders die Bedeutung der consuetudines
in den Reformbewegungen für die Erfor-
schung von Lebensgewohnheiten und die Motivation, sie zu verschriftlichen, hervorgeh o b e n 1 6 2 . Dabei wurde einerseits besonderes Augenmerk a u f die Konzeption solcher Texte gelegt, wie sie sich etwa anhand ihrer Prologe untersuchen lässt. Andererseits kann ihre Rezeption durch die Analyse der handschriftlichen Uberlieferung, etwa anhand des Verhältnisses von Text und interlinearen Ergänzungen oder der Spuren ihrer Benutzung, konkretisiert w e r d e n 1 6 3 .
160 MainzerUrkundenbuch l , n . 4 0 5 , 3 1 0 f . : N o s sororespromittendo laudamus inclusionem,sicuthactenushabueruntScafhusenses sanctimoniales, et infrahanc inclusionem imitari et observare, in quantumpossumus, ordinem et consuetudines Hirsowensium monachorum. Sed quia opus manuum, quodsanctus Benedictus in régula vinsprecepit, nos mulierespro peccatis nostris incarcerate implere non possumus, illudquodde opere manuum sanctus Jeronimus sanctimonialibus precepit, libenti animo, in quantum possumus, adimplere promittimus. 161 Vgl. dazu Hieronymus, Ep. 107: Ad Laetam de institutione filiae 2 9 0 - 3 0 5 . Zur Klausur siehe ausfuhrlich das folgende Kapitel 2.2. Zur Interpretation der Formulierung nos mulieres pro peccatis nostris incarcerate vgl. in Hinblick auf die Terminologie „Gefangenschaft" und „Kerker" S. 1 lOf. sowie S. 174— 176 bzgl. „Sünde" und „Erlösung". Eine umfassende Interpretation der Lippoldsberger Urkunde in diesem Zusammenhang gibt Gisela Muschiol, Klausurkonzepte, Kap. 2, Anm. 2; Zu Hieronymus vgl. Krumreich, Hieronymus und die christlichen Feminae Clarissimae; Laurence, Jérôme; Jussen, Witwe 71 ff. Zu seiner Rezeption in der Institutio Sanctimonialium vgl. Bodarwé, Sanctimoniales litteratae 3 5 6 3 6 0 ; sowie im 12. Jhdt. siehe Muschiol, Die Norm des Hieronymus; vgl. auch Mews, Un lecteur de Jerome. Zur Bedeutung der patristischen Lehrbriefe an Frauen vgl. unten Kap. 2.4.1. Zu den Handarbeiten in monastischen Gemeinschaften in geschlechterhistorischer Perspektive vgl. den Sammelband von Gabriela Signori, Lesen, Schreiben, Sticken und Erinnern. Für Admont vgl. besonders S. 2 0 5 - 2 0 7 mit weiteren Literaturangaben. Zu Schaffhausen siehe Beach, Claustration and Collaboration; Vgl. dazu auch Küsters, Der verschlossene Garten 1 4 2 - 1 5 5 , sowie für Lippoldsburg ebd., 1 6 2 - 1 6 4 . 1 6 2 Der Begriff der „pragmatischen Schriftlichkeit" stammt von Hagen Keller. Einen Überblick zum Münsteraner Sonderforschungsbereich und zur Entwicklung der consuetudines-^oisc\i\in% gibt Markus Späth in Goetz, Moderne Mediävistik 3 4 4 - 3 4 9 . Vgl. auch das „Pionier Project Verschriftelijking" an der Universität Utrecht (Publikationen im Rahmen der Utrecht Studies in Médiéval Literacy, siehe www.ucms.let.uu.nD und den Literaturüberblick bei Bodarwé, Sanctimoniales litteratae 1 Of. 1 6 3 Einige der wichtigsten Aufsätze dazu finden sich in den Sammelbänden von Keller/Neiske, Vom Kloster zum Klosterverband; Keller/Grubmüller/Staubach, Pragmatische Schriftlichkeit; vgl. grundlegend auch Melville, Zur Funktion der Schriftlichkeit, und Wollasch, Reformmönchtum und Schriftlich-
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Welche Hinweise kann uns der Umgang mit Texten in monastischen Gemeinschaften, der Ausdruck von Motivationen, das Rezeptionsverhalten und seine Veränderungen über die Entwicklungen des Klosterverbandes selbst sagen? Dazu kommt die Frage nach dem Verhältnis von Regeln und consuetudines in Verbindung mit Quellen, welche die liturgische und pastorale Praxis in monastischen Gemeinschafren dokumentieren. Chroniken, Viten, Gebetbücher und weitere Texte für den liturgischen Gebrauch geben darüber ebenso Aufschluss wie Kompendien wie der Hortus deliciarum. Grundsätzlich wird man von einer durchgehenden Ambivalenz ausgehen können, die schon allein in dem Umstand zu suchen ist, dass jede als notwendig wahrgenommene Normierung in einer gegenteiligen, zumindest aber widersprüchlichen Praxis begründet ist. Regeln für das Zusammenleben von Gruppen werden als Antwort auf die lebensweltliche Praxis verhandelt und formuliert und wirken ihrerseits auf sie ein. Angesichts der Tatsache, dass sogenannte „Normen", d. h. Regelungen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens, in der Praxis entstehen, in konkreten Zusammenhängen oft unterschiedlich bewertet, verhandelt, umgesetzt und erst längerfristig fixiert wurden, kommt jenen Quellen, welche die Vielfalt der Praxis dokumentieren, eine besondere Bedeutung zu. Aus dieser Perspektive scheint es deutlich vielversprechender, von der Praxis der Lebensformen auf die Bedeutung der bereits bekannten regulativen Bestimmungen zu blicken und nach ihrer Wirkung in konkreten Lebenszusammenhängen zu fragen. 1.4.2. Was man wissen soll und wie man es lernt: Wissen und „Bildung" im Kloster Ahnliches betrifft die Frage nach der Definition von „Bildung" und zeitgenössischen Bildungsstandards. Hinsichtlich der Lern- und Lektürekanones, die ihnen zugrunde liegen, wurden zumeist antike und patristische Texte, besonders aber ihre Rezeptionsformen im Rahmen der karolingischen Bildungsreformen und der „Renaissance des 12. Jahrhunderts" untersucht . Der Schwerpunkt lag dabei vorwiegend auf der Entwicklung scholastischen Denkens 165 . Diese Konzentration des Interesses ging vielfach Hand in Hand mit der Untersuchung der Vermittlung der Dialektik in den Dom- und Kathedralschulen, wobei besonders den nordfranzösischen Schulen und hier wiederum vor allem Paris und seinem intellektuellen wie politischen Einfluss eine herausragende Rolle beigemessen wurde 166 .
keit und ders., Zur Verschriftlichung. Vgl. die ausgezeichnete Fallstudie von Katrinette Bodarwe, Sanktimoniales litterate anhand der Frauengemeinschaften von Essen, Gandersheim und Quedlinburg im 10. Jahrhundert. Ich zitiere die Studie von Bodarwe nach ihrer ungedruckten Fassung, da sie mir zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Texts noch nicht veröffentlicht zugänglich war. 164 Der Begriff wurde 1927 von Charles Homer Haskins in seinem einflussreichen Buch „The Renaissance of the Twelfth Century" geprägt und wurde in der Folge stilbildend für die Beschreibung der Zunahme unterschiedlicher gelehrter Formationen im 12. Jahrhundert. Vgl. z. B. die Sammelbände jüngeren Datums von Benson/Constable, Renaissance and Renewal, und Wieland, Aufbruch - Wandel Erneuerung, sowie die Bibliografie von Ferguson, Europe in Transition. Für die Diskussion des Begriffs vgl. etwa Swanson, The Twelfth-Century Renaissance, und Moore, The First European Revolution. 165 Stilbildend auch die Arbeiten von Richard Southern zum intellektuellen Leben im 12. Jahrhundert unter dem Begriff des „Scholastic Humanism"; für eine gleichzeitig umfassende Würdigung und präzise Kritik an Southerns Ansatz vgl. aktuell Thomson, Richard Southern and the Twelfth-Century Intellectual World. 166 Für eine stärkere Kontextualisierung der Bedeutung der Pariser Schulen vgl. exemplarisch Mews, Love Letters, Kap. „Paris, the Schools, and the Politics of Sex" 57-85. Zu den Schulen im Vergleich zwi-
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Scholastisches Denken und dialektische Methode galten als Ausgangspunkt und „Messlatte" für die Entwicklung und Qualifikation von Wissenschaft in der westlichchristlichen Tradition. Mit der Konzentration auf die Dialektik gerieten jedoch zum einen die übrigen Bereiche der artes— und und zwar sowohl die beiden anderen Bestandteile des Triviums, Grammatik und Rhetorik, als auch das Quadrivium - häufig in den Hintergrund 167 . Ähnliches gilt für andere Felder von Bildung und Ausbildung, besonders das monastische. Scholastik und die Schulen wurden Klöstern vielfach diametral gegenübergestellt 168 . Monastische und scholastische, sowie später universitäre Bildung und Ausbildung wurden als zeitlich auf einander folgend konzipiert, erstere jedoch in Hinblick auf Wissens- und Bildungsformen und ihre Bedeutung nur begrenzt berücksichtigt 169 . Viele Darstellungen von Bildung und Ausbildung weisen damit erstaunliche Ähnlichkeiten mit dem eingangs erwähnten Diskurs des Ausschlusses von Frauen von Wissen und „Wissenschaft" auf. Wird bei der Frage nach der Beurteilung von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen oft nahtlos von der Patristik zur Scholastik übergegangen, vermittelt die Geschichtsschreibung mittelalterlicher Bildung und Ausbildung oft den Eindruck einer geschlossenen und kausalen Entwicklung vom Ideal der karolingischen Bildung 170 hin zu hochmittelalterlichen Hof- und Kathedralschulen und den im 12. Jahrhundert entstehenden Universitäten 171 . Zwar spielte die Einbeziehung sozialgeschichtlicher Aspekte wie etwa Fragen nach Bildungschancen und sozialer Mobilität, nach der Bedeutung und Auswirkung intellektueller Netzwerke und Patronageverhältnisse zunehmend eine wichtige Rolle 172 . Dennoch suggerieren besonders Begriffe wie sehen „Deutschland" und „Frankreich" vgl. zusammenfassend etwa Ehlers, Dom- und Klosterschulen, in: Kintzinger/Lorenz/Walter, Schule und Schüler 2 9 - 5 2 . 167 Vgl. dagegen etwa Englisch, Artes liberales, sowie den 1999 erschienenen interdisziplinären Sammelband, hg. von Ursula Schäfer, artes im Mittelalter, besonders Forschungsüberblick und Diskussion der theologischen Summenliteratur der Hochscholastik im Vergleich mit anderen Formen von Wissen und seiner Organisation, besonders den sententiae der Frühscholastik, und in Relation zu den artes, bei Knoch, Die theologische Summa. Siehe auch Jaeger, Envy of Angels. 168 Vgl. Southern, Scholastic Humanism 2, 23 (meine Hervorhebung): "In ancient monasteries, especially in the Rhineland and Austria, pre-scholastic forms of learning were not quickly, nor for that matter ever, abandoned." 169 Thomson, Southern and the Twelfth Century Intellectual World 2 6 8 - 2 7 0 betont die bisherige Vernachlässigung der Klöster und Kathedralschulen im deutschen Sprachraum und des intellektuellen Austausches zwischen ihnen durch die englischsprachige Forschung. 170 Für die aktuelle differenzierte Diskussion vgl. Bullough, Educational Tradtion, in: ders., Carolingian Renewal; de Jong, From Scolastici to Scioli; sowie die Beiträge in McKitterick, Carolingian Culture, besonders die Einleitung von Giles Brown 2 0 5 - 2 1 9 , und in McKitterick, The New Cambridge Medieval History II: c. 7 0 0 - 9 0 0 , besonders Contreni, Carolingian Renaissance, und Ganz, Book Production. 171 Fried, Schulen und Studium; Kintzinger/Lorenz/Walter, Schule und Schüler; Jaeger, Envy of Angel; besonders Ruegg, Universitäten. Für den österreichischen Raum vgl. Classen, Frühscholastik; Stelzer, Gelehrtes Recht; Engelbrecht, Bildungswesen; Kritik an einer derartigen Sichtweise bei Illmer, Erziehung und Wissensvermittlung; Luff, Wissensvermittlung; vgl. auch Bodarwe, Sanctimoniales litteratae, besonders 3 5 1 - 3 6 5 ; Kleinau/Opitz, Mädchen- und Frauenbildung; Mulder-Bakker, Metamorphosis. 172 Programmatisch etwa Seifert, Studium als soziales System, in: Fried, Schulen und Studium 601— 620. Methodisch exemplarisch die Arbeiten von Rainer Christoph Schwinges, z. B. Deutsche Universitätsbesucher, oder Artisten und Philosophen. Vgl. dazu ausfuhrlich die im Sommer 2003 erschienene Festschrift fiir Schwinges: Hesse/Immenhauser, Personen der Geschichte; sowie Barrow, Education and Recruitment, oder Jaeger, Envy of Angels. Vgl. aber auch schon ähnliche Fragestellungen bei Haskins in den 1920er Jahren, etwa The Life of Medieval Students.
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„Schul- oder Bildungswesen" ein Maß an modern gedachter, durchgehender Organisation und Einheitlichkeit, das nicht nur in der Praxis kaum erreicht wurde, sondern auch in Hinblick auf die Intentionen und Funktionen von Ausbildung und Wissensvermittlung nur bestimmte Bereiche abdecken kann. Diese Erzählung einer Geschichte „aus der Perspektive des Siegers"173 lässt eine ganze Reihe zeitgenössisch zentraler Formen von Wissen, Wissensvermittlung und intellektuellen Netzwerken in den Hintergrund treten, die besonders im monastischen Milieu sowie institutionenübergreifend angesiedelt waren. Die Auseinandersetzungen zwischen Bernhard von Clairvaux und Petrus Abaelard, um nur ein prominentes Beispiel zu nennen, können nicht nur als Beleg für die Unterschiedlichkeit zwischen monastischem und scholastischem Denken gelesen werden, sondern ebenso für den Dialog und die noch offenen Grenzen zwischen diesen Feldern im 12. Jahrhundert. Die fließenden Ubergänge werden noch deutlicher, wenn man sich etwa Abaelards Beziehungen zu Heloi'se in ihrer Funktion als Äbtissin des Paraklet in den Jahren nach ihrer Liebesgeschichte und zu den dortigen Sanktimonialen vergegenwärtigt. Dies betrifft nicht nur ihre gemeinsame Beschäftigung mit der cura monialium, sondern auch Abaelards ganz persönliche Sorge um seine eigene memoria und den Gebetsbeistand, den ihm die Sanktimonialen des Klosters leisten sollten, ebenso wie er in Cluny seine letzte Zeit verbrachte und im Paraklet seine letzte Ruhestatt fand 174 . Auch hier soll es nicht darum gehen, die Bedeutung der längerfristig erfolgreichen Institutionen und die nachhaltige Wirkung ihrer zunehmenden „Exklusivität" für die Wahrnehmung und Bewertung relevanten Wissens seit dem späten 12. und vor allem im 13. Jahrhundert grundsätzlich zu bestreiten 175 . Vielmehr soll anhand des monastischen Feldes versucht werden zu differenzieren, in welchen Prozessen sich diese teilweise Schließung vollzog, welche gleichzeitigen und alternativen Vorstellungen und Modelle von Wissen, Wissenserwerb und Wissensvermittlung es gab und an welchen Orten sie hervorgebracht, rezipiert und praktiziert wurden. Dies scheint am ehesten durch einen Blick auf die Praxis des Lehrens und Lernens möglich. Regeln und consuetudines ebenso wie Predigten und Erziehungstraktate 176 ge173 Thomson, Southern and the Twelfth Century Intellectual World 271 (meine Hervorhebung): „The other point that I am sure Southern would make is that scholasticism, like Gothic architecture, did become a pan-European phenomenon in the thirteenth century and did capture within its embrace much of the high culture of the time. T h e least that one might say of this is that it is a variant of history written from the victor's viewpoint". 174 Vgl. Clanchy, Abaelard; Mews, Love Letters und Muschiol, Klausurkonzepte; Schmid, Abaelard und Héloise zu dem zuletzt genannten Aspekt. Julie Hotchin, Abbot as Guardian, Anm. 26, weist in diesem Zusammenhang auf einen noch unveröffentlichten Aufsatz von Fiona Griffiths mit dem Titel „For it is always men's duty to provide for women's needs: Abelard, Heloise and their Evidence for the Cura Monialium hin. Dazu auch unten Kap. 4.2.2. 175 Die Bedeutung des 12. Jahrhundert fur die Entwicklung westlichen wissenschaftlichen Denkens heben auch hervor: Crombie, Augustine to Galileo; Dales, T h e Scientific Achievement; Stiefel, T h e Intellectual Revolution; kritisch etwa Lindberg, Beginnings of Western Science. 176 Zu den regulae des Caesarius von Arles bzw. der karolingischen Institutio Sanctimonialium vgl. oben Anm. 156. Übersichten über diese und weitere frühmittelalterliche Regeln für religiöse Frauengemeinschaften (etwa des Donatus von Besançon oder des Kolumban) bieten Diem, Keusch und rein; Heidebrecht/Nolte, Leben im Kloster; Muschiol, Famula Dei; Schilp, N o r m und Wirklichkeit; de Vogue, Règles monastiques anciennes; Roitner, Mater misericordiae, Kap. II. le. Dazu mit Schwerpunkt auf die hier interessierende Fragestellung Bodarwé, Sanctimoniales litteratae 351-360. Vgl. auch volkssprachliche Erziehungstraktate wie den des Thomasin von Zerclaere, vgl. dazu Wenzel, Hören und Sehen; in die-
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ben zahlreiche Hinweise auf das zeitgenössische Verständnis, das sich hinter den Bezeichnungen litterati und illiterati verbirgt 177 , auf Ziele und Funktionen des Lernens, auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Ausbildung in Klöstern und in Schulen sowie in Bezug auf verschiedene Inhalte, etwa die Kenntnis der Bibel und hier vor allem der Psalmen, die die Grundlage der Wissensvermittlung im Kloster bildeten. „Psallite sapientei*.", heisst es in der Regula S. Benedict^™. In den Hirsauer Konstitutionen werden die Bedingungen der Aufnahme unter die litterati im Kloster folgendermaßen definiert: Voraussetzung ist ein entsprechendes Alter, die Fähigkeit, sich gut auszudrücken und am liturgischen Gesang teilnehmen zu können, also im Stande zu sein, Psalmen, Hymnen und Responsorien zu singen und sich aktiv an der lectio zu beteiligen 179 . Auch in den frühmittelalterlichen Regeln für Frauengemeinschaften wird darauf hingewiesen, dass die Mädchen erst ins Kloster aufgenommen werden sollten, wenn sie ein lesefähiges Alter erreicht hätten 180 . Psalmen und Psalmenkommentare hatten dementsprechend im klösterlichen Alltag sowohl für das Erlernen und das Einüben der grundsätzlichen praktischen Fertigkeiten des Lesens und Schreibens als auch für die damit verbundene Vermittlung der wichtigsten Inhalte als Bausteine des christlichen Wissens eine zentrale Funktion. Durch sie wurde gleichzeitig die monastische Lebensform der vita communis eingeübt. Die Erziehungs- bzw. Ausbildungspraxis war somit untrennbar mit der liturgischen Praxis verbunden. Einübung und Perfektion waren ineinander übergehende Prozesse, die das monastische Leben bestimmten 181 . Auch die Auslegung der Heiligen Schrift knüpfte an diese verschränkte Praxis monastischen Lernens und Lebens an. Ahnliches gilt für specula, imagines mundi und Florilegien, die sich seit dem 12. Jahrhundert besonderer Beliebtheit erfreuten und die darüber hinaus auch für Fragen nach geschlechtsspezifischen Lehrinhalten und Unterweisungsmodellen aufschlussreich sind 182 . Das Bild, das uns der Hortus deliciarum von der nicht trennbaren Verbin-
sem Zusammenhang danke ich Rüdiger Schnell fiir den Hinweis auf seine aktuellen Forschungen, im Rahmen derer er laikale mit monastischen Erziehungsschriften für männliche und weibliche Jugendliche vergleicht. Siehe grundlegend Schnell, Text und Geschlecht. 177 Dazu grundlegend immer noch Grundmann, Litteratus — Illiteratus; Wendehorst, Wer konnte im Mittelalter lesen und schreiben? 19-25. Forschungsüberblick und Diskussion der älteren Literatur unter geschlechtergeschichtlichen Aspekten bei Bodarwé, Sanctimoniales litteratae 6—14. 178 Reg. S. Ben. 19,4. 179 Constitutiones Hirsaugienses 2,11, 1049 (meine Hervorhebungen): Nulli enim de conversis ibi inter litteratos locum conced.it nisi tarn bonae conversationis et tarn provectae aetatis fuerit, cantumque didicerit, utpsalmos. hymnos et responsoria rite psallere. lectionemque legere noverit. Zur Bedeutung der Tischlesungen vgl. auch die Aachener Synodalbeschlüsse, für die Sanktimonialen: Institutio Sanctimonialium, c. 10, M G H C o n c . 2,1,445. 180 Vgl. z. B. Caesarius von Arles, Regula ad Virgines, c. V: Et si potest fieri, aut difficile aut numquam in monasterio infantuU parvula, nisi ab annis sex aut Septem, quae iam et litteras discere et oboedientiae possit optemperare, suscipiatur. So auch in der Regel des Donatus, c. 6, und ähnlich in der Institutio Sanctimonialium, c. 9, M G H Conc. 2,1, 444f. Dazu Bodarwé, Sanctimoniales litteratae 79; de Jong, In Samuels Image 32f. und Muschiol, Famula Dei 301; Schilp, Norm und Wirklichkeit 74. 181 Zur Bedeutung des Psalters und mit Betonung des „praxisbezogenen" Lernens im Kloster siehe Illmer, Erziehung und Wissensvermittlung 153-158; Küsters, Der verschlossene Garten 50; MulderBakker, Metamorphosis; mehrfach auch bei Bodarwé, Sanctimoniales litteratae, besonders 85f., 346 und 352ff. Vgl. dazu Kap. 2.4.2. und 4.1.3. 182 Dazu v. a. Luff, Wissensvermittlung, zur Gattung der „Imago mundi"-Werke. Zu Fragen von monastischer Bildung und Geschlecht besonders die Beiträge in dem von Constant Mews herausgegebe-
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dung von Leben und Lernen im Kloster vermittelt, korrespondiert mit den entsprechenden Anweisungen in Regeln und consuetudines1^. Was den Hohenburger Nonnen an „Bildung" vermittelt wird, ist kein lexikalisches, abrufbares Handbuchwissen, sondern integraler Bestandteil einer Lebensform. Die Metaphern - imago mundi, speculum oder hortus deliciarum —, mit denen diese und ähnliche Textzusammenstellungen beschrieben werden184, bringen zum Ausdruck, was ihr Inhalt repräsentiert: Sie sind Abbild bzw. Spiegel der Welt und verweisen darüber hinaus auf die Ziele und Funktionen der Texte wie auf ihre Verwendung. Eine frühe Definition in diesem Sinn findet sich bei Honorius Augustodunensis, der die Wahl des Titels eines seiner Werke „Imago mundi' damit begründet, man solle in ihm die Ordnung der ganzen Welt wie in einem Spiegel erblicken können 185 . Es geht um nichts weniger als um die Darstellung der sichtbaren und darüber hinaus mit allen Sinnen wahrnehmbaren Welt als Schöpfung Gottes. Grundsätzlich ist die Welt selbst ein Buch, in dem man lesen kann, wenn man gelernt hat, die Zeichen zu verstehen 186 . Die Kompilatoren der mittelalterlichen specula bzw. imago-Texte bemühten sich daher um die Darstellung dieser „lesbaren" Welt und um die Vermittlung von Fertigkeiten zu ihrem Verständnis. Ein solches Kompendium verkörpert somit die Eigenschaften des Buches an sich: Es ist ein „Weltbuch" 187 . Mit dem Wissen, das es darstellt und zugänglich macht, spiegelt es die Welt und ihre verschiedenen Teile jedoch nicht nur wider, sondern es enthält sie - wenn auch in unvollkommener Weise, da es sich um ein von Menschen geschaffenes Abbild der Schöpfung Gottes handelt. Der Zweck solcher Kompilationen ist also die Vermittlung eines umfassenden Wissens von der Welt 188 . Dieses Wissen dient wiederum der Erkenntnis und ist als solches Werkzeug der Erlösung. Der Weg führt von der ignorantia mittels scientia zur göttlichen sapientia189. Honorius Augustodunensis (1. Hälfte 12. Jhdt.), der mit seinem „Elucidariurn eines der zu seiner Zeit populärsten Werke der „Erleuchtung" verfasst hat, setzte sich in seiner Schrift „De anima exsilio et putrid' mit dieser Thematik auseinander: So, wie für den „inneren Menschen" die Unwissenheit (ignorantia) das Exil sei, so ist ihm die Weisheit (sapientia) Heimat. Die in Unwissenheit Versetzten befänden sich in der Finsternis, während diejenigen, die sich in der Weisheit aufhielten, im Licht blieben. Den Weg aus dem Exil in die Heimat bereitet das Wissen (scientia). Dieses liegt in den irdischen Dingen, die Weisheit aber bei Gott 190 .
nen Sammelband „Listen, Daughter", die sich anhand des Speculum nen Aspekten dieser Problemstellung auseinander setzen.
virginum
umfassend mit verschiede-
Vgl. die Zusammenstellung von Belegen bei Bodarwi, Sanctimoniales litteratae 3 5 5 - 3 6 0 . Luff, Wissensvermittlung, befasst sich in der Einleitung zu seinem Buch ausfuhrlich mit der Problematik sowohl des modernen „Literaturbegriffes" als auch des „Enzyklopädiebegriffes", wie sie bislang zur Definition solcher Werke verwendet wurden (ebd. 1 - 1 9 ) , im Kontrast zu jenen zeitgenössischer Autoren. Zur Verwendung in der Antike sowie zur Begriffsgeschichte vgl. die Literaturzusammenstellung ebd. 5, Anm. 16. 183 184
185 186 187 188 189 190
Honorius Augustodunensis, Imago mundi 4 9 . Brunner, Liber vitae mit zahlreichen Beispielen. Meier, Grundzüge der mittelalterlichen Enzyklopädik 4 7 2 . „Weltbild-Wissen" bei Luff, Wissensvermittlung 4. Meier, Grundzüge der mittelalterlichen Enzyklopädik 4 7 4 . Honorius Augustodunensis, D e anima exsilio et patria 1 2 4 3 A - C (meine Hervorhebungen): Sic
interioris hominis exsilium est ignorantia. patria autem sapientia. In ignorantia quippe positi quasi in tenebrosa regione commorantur.... In sapientia autem locati quasi in lucida regione conservantur.... De hoc ex-
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Scientia ist also im mittelalterlich-christlichen Verständnis nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, ebenso wie doctrina, wie es etwa Hugo von St. Viktor ( f l 141) im „Didascalion" formuliert: „Vor allem anderen kommt die Weisheit, welche dem perfekten Guten Form gibt. Die Weisheit erleuchtet den Menschen, sodass er sich selbst erkennt. ... Der unsterbliche Geist wird durch die Weisheit erleuchtet und erkennt seinen Anfang. Dies geschieht durch doctrina, durch die wir unsere Natur erkennen. Daher ist das Höchste im Leben das Studium der Weisheit - wer sie findet, ist glücklich, wer sie besitzt, selig!"191 In derselben Weise wie scientia und doctrina haben auch die Septem artes liberales die Funktion, den Erwerb jenes Wissens zu ermöglichen, das man auf dem Weg zur Erkenntnis, Weisheit und damit zur Erlösung benötigt. Es handelt sich also um Fertigkeiten, um einen Teil des „Handwerkszeugs", das diesem höheren Ziel dient 192 . Ein derartiges Verständnis wird im Hortus deliciarum anhand der Kombination jener Textstellen, welche die artes ebenso wie die Tugenden und Laster erläutern, mit ihren bildlichen Darstellungen in den Miniaturen deutlich: „Der Heilige Geist ist der Urheber der sieben freien Künste, die da sind: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Musik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie", erklärt eine Glosse zur Allegorie der „Philosophia" 193 . Der Motivationshorizont dieser „Sammelwerke" und ihr Stellenwert im monastischen Alltag194 machen die Problematik moderner „Schul- und BildungswesensbegrifFe" besonders deutlich, denn mittels klassischer bildungsgeschichtlicher Zugänge wurden Textsammlungen wie der Hortus deliciarum nur begrenzt wahrgenommen und nach traditionellen literaturwissenschaftlichen Kriterien meist abwertend eingeschätzt 195 . Demgegenüber bestehen die methodischen Vorteile dieses und vergleichbarer erhaltener Werke darin, dass sie mehrere, einander überschneidende Ebenen von Wissen erkennen lassen und dadurch Fragen nach der Verbindlichkeit ihrer Inhalte, nach Traditionen und
silio adpatriam via est scientia. Scientia enim in rebusphysicis: sapientia vero consideratur in divinis. Zu Honorius vgl. v. a. die umfangreichen Arbeiten von Valerie Flint, besonders Honorius. Im Zusammenhang mit seinem „Elucidarium" siehe aktuell auch LufF, Wissensvermittlung, Kap. II „Das Elucidarium des Honorius Augustodunensis: ein Handbuch des Glaubens" 20—57; zum Vergleich mit dem deutschsprachigen „Lucidarius" ebd. 58-115. 191 Hugo von St. Victor, Didascalion. De studio legendi (ed. Buttimer 1939, hier zit. nach LufF, Wissensvermittlung 4, Anm. 13J: Omnium expendorum prima est sapientia. in qua perfecti boni forma consistit. Sapientia illuminât hominem ut seipsum agnoscat. qui ceteris similisfiiit cum seprae ceteris factum non intellexit. Immortalis quippe animus sapientia illustratus respicit principium suum .... Reparemur autem per doctrinam. ut nostram agnoscamus naturam ... summum igitur in vita solamen est Studium sapientiae, quam qui invenit felix est, et quipossideat beatus (meine Hervorhebungen). 192 Dazu im Vergleich die säkulare Definition der artes durch Cicero als Fertigkeiten bzw. Fähigkeiten, die Berufe charakterisieren; zit. bei Jussen, Witwe 48. 193 HD, fol. 32r, S. 57: Spiritus sanctus inventor est Septem liberalium artium que sunt grammatica, rhetorica, dialectica, musica, arithmetica, geometria, astronomia. Naturam universe rei queri docuit philosophia. Für Vergleichsbeispiele der Kombination von Darstellungen der philosophia, der artes und der poetae vgl. den Kommentar zu fol. 32r, S. 104f. Siehe auch die Einleitung zum HD, Kap. 3: Rosalie Green, The Miniatures 17-36, sowie besonders Cames, Allegories, Kap. I: „Âge d'or et néoplatonisme chrétien" 11-18. Einen Uberblick über bildliche Darstellungen der artes im Mittelalter gibt Arnold, Bildung im Bild. Dazu auch Griffiths, Herrad of Hohenbourg 226 mit Anm. 37 zum Verhältnis zwischen der christlichen Figur der Weisheit und der säkularen Philosophia. 194 Das „Elucidarium" des Honorius Augustodunensis ist z. B. in 380 Handschriften überliefert (vgl. Lufif, Wissensvermittlung 4, Anm. 14). 195 Wie oben Anm. 183.
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ihren Modifikationen in Hinblick auf spezifische Bedürfnisse ermöglichen, die sich etwa anhand der Auswahl der Texte differenzieren lassen. Dies betrifft vor allem auch sprachliche Mischformen bzw. Wechselwirkungen zwischen Latein als der nach wie vor dominanten Lehrsprache und den volkssprachlichen Erläuterungen und Auslegungen, deren didaktischen Zweck die umfangreiche zweisprachige Glossierung des Hortus deliciarum verdeutlicht 196 . Hier wird einmal mehr sichtbar, dass lineare Interpretationen und die Annahme eindeutiger Kausalzusammenhänge den Intentionen solcher Werke, wie sie auch in den Prologen artikuliert werden, und ihrer Rezeption nur begrenzt gerecht werden können 197 . Bezüge zwischen patristischen Traditionen und zeitgenössischer Theologie werden bewusst und unbewusst, explizit und implizit hergestellt. Grundsätzlich legt das Selbst- und Schriftverständnis der Autorinnen und Autoren nahe, bei der Interpretation solcher Texte eher von assoziativen Sinnzusammenhängen und inhaltlichen Kontingenzen auszugehen als von einer modern gedachten Konsistenz der jeweiligen Argumente. Sinnzusammenhänge sind vielfältig, Bedeutungen selbst wandlungsfähig und veränderlich. Sie entstehen in der Praxis der Interpretation und gelebten Exegese zwar nicht beliebig, sondern im Rahmen der jeweiligen Bedeutungshorizonte und Auslegungspraxis, aber dennoch mit Bezug auf den jeweiligen lebensweltlichen Kontext immer neu 198 . Ein solches Verständnis „lebendiger Bedeutungen" eröffnet zudem umfassendere Möglichkeiten der Textinterpretation. Im Unterschied zu traditionell hermeneutischen Verfahrensweisen geht es nicht um die Suche nach einem einzigen „Sinn", der in der Tiefe der Texte selbst zu finden wäre, sondern um die Frage, wie jeweils in Gebrauchssituationen Bedeutung und Sinn von und bei den betroffenen Menschen erzeugt wird. Im Mittelpunkt meines Interesses stehen demnach historisch spezifische Lesarten und ihre Effekte in der Praxis, also die jeweilige Aneignung und Adaptation in und an Lese- und Lebenssituationen. Diese vielfältige „historische Funktionalität" solcher Texte ist in Hinblick auf ihre Überlieferung und Rezeption, aber ebenso auf ihre Entstehungsbedingungen immer mitzubedenken 199 . Vergleichbares gilt für Bildformulierungen bzw. künstlerische Traditionen 200 . Damit lassen sich auch Einflüsse und Abhängigkeiten, „Zeitgeist" und Moden, vor allem aber die jeweiligen Akteure und die intellektuellen wie spirituellen Netzwerke, in die sie eingebunden waren, besser thematisieren. Daran schließt nochmals die Frage an, wie geschlossen oder durchlässig der monastische Diskurs gegenüber der Frühscholastik und den Schulen sowie dem höfischen Milieu im 12. Jahrhundert tatsächlich war 201 eine Frage, deren Beantwortung durch die lange Zeit vorherrschende Konzentration auf 196 Vgl. dazu am Beispiel der Hohelied-Exegese Küsters, Der verschlossene Garten 4 8 - 5 4 , zur Frage von Einflüssen und Abhängigkeiten in Hinblick auf die Entstehung und Rezeption des volkssprachlichen St. Trudperter Hoheliedes, vgl. S. 116, Anm. 301. 1 9 7 Zur Bedeutung der Prologe im Vergleich mit den antiken Rhetoriktraditionen vgl. Luff, Wissensvermittlung 116-128. 1 9 8 Dazu Jussen, Witwe 335, mit Verweis auf Constable, Orders 272; vgl. auch Brunner, Liber vitae 217. Zu Prinzip und Praxis der Exegese vgl. unten Kap. 2.4. sowie 3.2. 199 Küsters, Der verschlossene Garten 13. 2 0 0 Vgl. Green, Miniatures 34. Vgl. Curschmann, Pictura laicorum litteratura. Dazu ausfuhrlich unten Kapitel 3.2. am Beispiel Admonter Quellen. 2 0 1 Richtungweisend für die Wechselwirkungen zwischen höfischem und monastischem Feld etwa die Arbeiten von Horst Wenzel, besonders Hören und Sehen, aktuell und programmatisch etwa Wenzel/ Lechtermann, Repräsentation und Kinästhetik.
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einzelne Milieus erheblich erschwert wurde202. Ähnliches gilt für räumlich-politisch-soziale Zusammenhänge: In Hinblick auf die Bedeutung der großen Schulen ist besonders auf die Unterschiede zwischen „Deutschland" und „Frankreich" hingewiesen worden203. Darüber hinaus gibt es aber sowohl regionale Differenzierungen ebenso wie umgekehrt grenzüberschreitende Verbindungen. Dies legt etwa die Rezeption von Texten und Argumentationsmustern nahe, die ganz offensichtlich auch nicht durch große Distanzen behindert wurde. Das Decretum Gratiani (um 1140) oder der Liber sententiarum (1155-1157) des Petrus Lombardus wurden in nur wenigen Jahren nach ihrer Entstehung in ganz Europa verbreitet204. Letzterer war eine der am meisten verwendeten Quellen bei der Herstellung des Hortus deliciarum, ebenso wie die Historia scholastica des Petrus Comestor und der Liber de divinis officiis, das liturgische Handbuch des Rupert von Deutz 205 . Gerade der Hortus deliciarum zeigt aber andererseits, dass manche Textzusammenstellungen nur für einen beschränkten Rezipientenkreis gedacht waren: Seine Verbreitung ist über den Konvent von Hohenburg hinaus nicht nachweisbar. Die Gründe dafür liegen jedoch weniger in der Abgeschlossenheit der intellektuellen Milieus - dies belegt allein die Rezeption der Werke, die für die Kompilation des Kodex verwendet wurden - , sondern im jeweiligen Zweck und Gebrauch der Handschriften, im Fall von Hohenburg in der Eigenschaft des Hortus deliciarum als ein exklusives Haus- und Handbuch für die dortigen Sanktimonialen206. 1.4.3. Wissensvermittlung und Kommunikation: Schriftlichkeit und Mündlichkeit Der Hortus deliciarum dokumentiert sowohl den Stellenwert der schriftlichen Fixierung von Inhalten wie die Verbreitung von Texten und ihre Aktualisierung im Gebrauch. Er ist damit ein besonders gutes Beispiel, um den Wechselwirkungen von Schriftlichkeit und Mündlichkeit, von Text, erläuternden Glossen, bildlichen Darstellungen und musikalischen Notationen in Hinblick auf die Inszenierung und Aufführung von Texten nachzugehen. In Abgrenzung zu klassischen medienwissenschaftlichen Theorien 207 wird seit geraumer Zeit nicht mehr von einem allmählichen Ubergang von nicht-literaten zu literaten Gesellschaften als Indikator für kulturellen Fortschritt ausgegangen, sondern von Gleichzeitigkeiten und komplexen Überschneidungen und Wechselwirkungen zwischen
2 0 2 Vgl. jedoch die aktuellen Ausstellungskataloge Plotzek/Surmann, Glaube und Wissen im Mittelalter ( 1 9 9 8 ) und Vavra, Suche nach dem verlorenen Paradies ( 2 0 0 0 ) sowie methodisch richtungweisend die Sammelbände von Farmer/Rosenwein, Monks & Nuns, Saints & Outcasts, besonders der Beitrag von Alison Beach, Claustration and Collaboration, sowie Fersoco/Muessig, Medieval Monastic Education, besonders der Beitrag von Mews, Monastic Educational Culture Revisited. 203
Ehlers, D o m - und Klosterschulen.
Vgl. T h o m s o n , Southern and the Twelfth Century Intellectual World 269f. 2 0 5 Dazu Bischoff, Le Texte, besonders 4 1 - 4 3 und 51 f. 2 0 6 Ähnlich auch Bodarwe, Sanctimoniales litteratae 193 für die Frauenkommunitäten Essen, Gandersheim und Quedlinburg im 10. und 11. Jahrhundert. Zeitgenössisch vgl. z. B. die Admonter vita einer ungenannten gelehrten Nonne — vielleicht der ersten magistra des dortigen Frauenkonventes - , die als Nachtrag in das Admonter Exemplar des Magnum Legendarium ausschließlich dort überliefert ist. Dazu ausfuhrlich unten Kap. 2.3. 2 0 7 Exemplarisch etwa die Arbeiten von Jack Goody, z. B . Literalität in traditionalen Gesellschaften, und Walter Ong, Oralität und Literalität. 204
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Formen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit 208 . Welche Funktionen, welchen Stellenwert haben Schrift, Schriftlichkeit, ihr kontextspezifischer Gebrauch sowie die Praxis des Lesens und Schreibens? Welche verschiedenen Rezeptionsformen von Texten gibt es in unterschiedlichen Zusammenhängen, die ihrerseits unterschiedliche Anforderungen an diese Texte stellen? Die Dialektik von schriftlicher Fixierung einerseits und Performativität, Vergegenwärtigung und Präsenz andererseits spielt im Christentum als Schriftreligion eine besondere Rolle. Das geschriebene Wort an sich hat ausgehend von der Heiligen Schrift einen zentralen Stellenwert. Texte erhalten ihre Bedeutung aber immer auch aufs Neue in der und durch die Wahrnehmung der Menschen, durch Hören, Lesen, Rezitieren oder Singen des Wortes, Sehen und Berühren von Schrift und Buch, sowie im Rahmen ihres gemeinschaftlichen liturgischen und spirituellen Gebrauchs. Sowohl in Hagiografie und Liturgie wie auch in der Dichtung werden Texte in Hinblick auf ihre Lesung bzw. Auffuhrung geschrieben. Der Akt der Verschriftlichung ist von der Funktion des mündlichen Vortrages nicht zu trennen. Beides steht neben der gemeinschaftlichen Herstellung und Verbreitung von Texten im monastischen Milieu in engem Zusammenhang mit der vergleichsweise geringen Zahl an „Schriftkundigen" und den begrenzten Möglichkeiten der Herstellung schriftlicher „Produkte". Dementsprechend hoch war auch der Stellenwert, der ihnen eingeräumt wurde 209 . Fragestellungen wie diesen wurde zunächst in der germanistischen Mediävistik bzw. in literaturwissenschaftlichen Arbeiten Aufmerksamkeit geschenkt. Am meisten über die Gleichzeitigkeit und Verschränkungen mündlicher, schriftlicher und symbolischer Kommunikation und ihre Bedingungen, Regeln, Medien, Inhalte, Formen, Praktiken ist daher für den höfischen Kontext bekannt 210 . In derselben Weise können monastische Lebensformen und ihre Wechselwirkungen mit nicht-klösterlichen Lebenswelten untersucht werden 211 . Bildhaftigkeit der Sprache und Klang der Worte, Metaphern und Visualisierungen von Gefühlen ermöglichen Aktualisierungen von Glaubensinhalten 212 : Welche Verbindungen bestehen zwischen gelebter Frömmigkeit und ihren Artikulationsweisen, etwa in Gebet und Visionen, und in sozialer Kommunikation? Welche konzeptionellen und praktischen Wechselwirkungen gibt es zwischen Arbeit, Askese und
208 Grundlegend Clanchy, From Memory to Written Record; McKitterick, Uses of Literacy; mit Schwerpunkt auf dem 11. und 12. Jahrhundert Stock, The Implications of Literacy; aktuell Innes, Memory, orality and literacy; Mostert, Oraliteit und ders., New Approaches to Medieval Communication, Forschungsüberblick bei Goetz, Moderne Mediävistik 339—365, sowie mit Schwerpunkt auf die hier interessierenden Fragestellungen bei Bodarwe, Sanctimoniales litteratae 10-14 und 198f. 209 Dazu besonders Wenzel, Hören und Sehen, Schrift und Bild; aktuell z. B. der interdisziplinäre Sammelband von Wenzel/Seipel/Wunberg, Audiovisualität vor und nach Gutenberg. 210 Gumbrecht/Pfeiffer, Materialität der Kommunikation; Müller, „Aufführung" und „Schrift"; Röcke/Schäfer, Mündlichkeit - Schriftlichkeit - Weltbildwandel. Dazu aber auch die von Gert AlthofF initiierten Forschungsarbeiten zur symbolischen Kommunikation als einem der zentralen Aspekte frühmittelalterlicher politischer Kultur, z. B. Zur Bedeutung symbolischer Kommunikation; Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation. Zu aktuellen Forschungsarbeiten, etwa von Rüdiger Schnell hinsichtlich der Wechselbeziehungen zwischen monastischem und nicht-monastischem Kommunizieren, bes. in Bezug auf Erziehung und Ausbildung vgl. unten Kap. 4.2.3. 211 Grundlegend das Werk von Leclercq, etwa Wissenschaft und Gottverlangen, ders., L'Amour des lettres. Vgl. auch den Sammelband von Duchhardt/Melville, Im Spannungsfeld von Recht und Ritual, v. a. der Beitrag von Angenendt, Verschriftlichte Mündlichkeit - vermündlichte Schriftlichkeit. 212 Küsters, Der verschlossene Garten; Rosenwein, Emotions.
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Lektüre, Klausur und Gemeinschaft, Gebet und Meditation? Welche Rolle spielen dabei die Vorstellungen von gemeinschaftlichem und individuellem Handeln? 213 Für das ausgehende 11. und das 12. Jahrhundert kann man von einer vergleichsweise großen Offenheit in Hinblick auf die Wechselwirkungen und Verschränkungen mündlicher, schriftlicher und symbolischer Kommunikation ausgehen. Gleichzeitig diente Verschriftlichung zunehmend auch der Befestigung von Gesprochenem und hat somit eine zentrale Funktion bei der Fixierung und Approbation, der memoria und schließlich Kanonisierung von Inhalten, die als verbindlich aufgefasst wurden 214 . Mit Mary Carruthers kann memoria als „eine der Modalitäten mittelalterlicher Kultur" bezeichnet werden215. Die Sorge für und um sich selbst und die Menschen, mit denen man sich im Diesseits wie im Jenseits verbunden wusste, findet im gemeinschaftlichen Gedenken und Gebet für die Lebenden und die Toten ihren Ausdruck und ist einer der zentralen Aspekte für das mittelalterliche Verständnis der Beziehungen zwischen individueller Person und Gruppe: Gedenk- bzw. Verbrüderungsbücher (libri memoriales, libri vitae, libri confraternitatum) enthalten urkundliche Überlieferungen, Briefkorrespondenzen, Namens- und Nekrologeinträge der Männer und Frauen in anderen Gemeinschaften, aber auch in der nicht-monastischen Welt, mit denen Gebetsverbindungen bestanden 216 . Solche Aufzeichnungen geben eine Fülle von Hinweisen auf religiöse, soziale, politische und verwandtschaftliche Beziehungen einer monastischen Gemeinschaft und der Personen, die ihr angehörten. Dasselbe gilt für Quellen zum liturgischen Tagesablauf, zur Herstellung bzw. Aufzeichnung von Urkunden, zur Schreibpraxis in den mit einander verbundenen Gemeinschaften und somit für die Bedeutung und Bewertung von Schriftlichkeit. Darüber hinaus belegen sie nicht nur verschiedene Formen schriftlicher Kommunikation in und zwischen Konventen, sondern mehr noch ein komplexes Bewusstsein für die symbolische Bedeutung des geschriebenen Wortes, das wiederum im Rahmen des liturgischen Alltags ständig aktualisiert wurde. Die Praxis des Gebetsbeistandes, die Rituale und Funktionen des kollektiven Gedenkens verdeutlichen die Bedeutung der Gemeinschaft, die sozialen Netzwerke, in die die Menschen eingebunden waren 217 , und nicht zuletzt geschlechtsspezifisch differenzierte Rollen und Aufgaben 218 . Für die Genealogie und dynastische Geschichtsschreibung wiederum dienten verschriftlichte Mythen, „fundierende Geschichten" der Bekräftigung des Geschehenen,
2 1 3 Vgl. de Nie, Text, symbol and „oral culture"; Powell, Audiovisual Poetics; Signori, Ohnmacht des Körpers, und dies., Lesen, Schreiben, Sticken und Erinnern; Bynum, Individual. 2 1 4 Dazu exemplarisch Melville, Funktion der Schriftlichkeit und ders., Institutionen und Geschichte; Keller/Neiske, Vom Kloster zum Klosterverband. 2 1 5 Carruthers, The Book of Memory 260; vgl. auch Coleman, Ancient and Medieval Memories. 2 1 6 Zu memoria in der Praxis des liturgischen Gedenkens vgl. Schmid/Wollasch, Memoria; Schmid, Personen- und Memorialforschung; Oexle, Memoria und Memorialüberlieferung; zu memoria als sozialer Praxis: Geuenich/Oexle, Memoria in der Gesellschaft des Mittelalters; Fentress/Wickham, Social Memory; Geary, Phantoms of Remembrance; Oexle, Memoria als Kultur; aus germanistischer Perspektive etwa Haverkamp/Herzog/Lachmann, Memoria - Vergessen und Erinnern. Dazu ausführlich Kap. 4.2.2. und 4.2.3. 2 1 7 Methodisch grundlegend etwa Althoff, Verwandte, Freunde, Getreue. 2 1 8 Althoff, Gandersheim und Quedlinburg; Geary, Phantoms of Remembrance; van Houts, Women and the Writing of History; dies., Memory and Gender; Nelson, Perceptions du Pouvoir.
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von Besitz- und Herrschaftsansprüchen219. Gleichzeitig setzt Schrift aber neue Maßstäbe, indem sie - wenn auch oft mit erheblicher zeitlicher Verzögerung einen nachprüfbaren Diskurs über Quellen und Quellenkritik etabliert. Dasselbe gilt für den Bereich der Liturgie, wo die Bedeutung der „richtigen" Form zunehmend zu einer schriftlichen Fixierung der liturgischen Abläufe führt 220 , oder jenem der Hagiografie mit der Weitergabe von Rollenbildern und -modellen 221 . Diese Wechselwirkungen von Schriftlichkeit und Orthodoxie, Schriftlichkeit und Kanonisierung, Kodifizierung und Kanonisierung lassen sich für das Frühmittelalter zum Beispiel an der Durchsetzung der Regula S. Benedicti durch die karolingische Reform beobachten222. Ähnliches gilt für die monastischen Reformbewegungen des 12. Jahrhunderts ebenso wie für vergleichbare Prozesse bei Regularkanonikern, Ziesterziensern und Prämonstratensern besonders im Zusammenhang mit der Entwicklung und Rezeption scholastischen Denkens, die längerfristig zusammen mit einer Re-Institutionalisierung von Lebensformen zu einer zunehmenden Kanonisierung von Bildungs- und Wissensbegriffen sowie des Lehrbetriebes führten.
1.5. Begriffe und Bilder in der Praxis Die zeitgenössischen Begriffe und Kategorien von Bildung und Wissen sollen innerhalb dieses kontextuellen Rahmens anhand der kulturellen und sozialen Praktiken ihres Gebrauchs untersucht werden, um so eine Annäherung an zeitspezifische Diskurse zu ermöglichen, die neben, übereinstimmend mit oder im Widerspruch zu den „klassischen" antik-christlichen Normativitätsdiskursen über Egalität und Differenz bzw. über Geschlecht und Wissen(s-fähigkeit) bestanden. Sie sollen sodann auf ihre Wechselwirkungen mit und auf ihre Wirkmächtigkeit für Geschlechter- und Machtverhältnisse befragt werden. Für die Untersuchung der Gleichzeitigkeiten bzw. der Verschränkungen von mündlicher und schriftlicher, symbolischer und sozialer Kommunikation bietet sich darüber hinaus die Möglichkeit, symbol- und bedeutungsorientierte Zugänge der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung mit solchen zu verbinden, die sich für die lebensweltliche Praxis interessieren, wie es für die Cultural Studies der Birmingham-Tradition charakteristisch ist 223 . Dabei geht es vor allem darum zu fragen, wie Menschen unter spezi2 1 9 Vgl. etwa die Arbeiten von Jan und Aleida Assmann, besonders Assmann, Das kulturelle Gedächtnis; zentral Geary, Phantoms of Remembrance; vgl. die Beiträge in Magdalino, The Perception of the Past; aktuell: Aithoff/Fried/Geary, Medieval Concepts of the Past, und die Fallstudie von Walter Pohl, Werkstätte der Erinnerung. 2 2 0 Aus der umfangreichen Literatur exemplarisch die Beiträge des Sammelbandes: Angenendt, Verschriftlichte Mündlichkeit - vermündlichte Schriftlichkeit. 2 2 1 Methodisch exemplarisch die Arbeiten von Feiice Lifshitz für frühmittelalterliche Fragestellungen: Beyond Positivism and Genre; Gender and Exemplarity; The Martyr, the Tomb and the Matron; zeitlich übergreifend Mooney, Gendered Voices; Smith, Oral and Written: Saints, Miracles and Relics; Wogan-Browne, Saints' Lives and Women's Literary Culture. 2 2 2 Dazu die Arbeiten von Josef Semmler, etwa: Una regula - una consuetudo; ders., Benediktinisches Mönchtum; ders., Erbe. Vgl. dazu den Forschungsüberblick bei Schilp, Norm und Wirklichkeit 1 9 - 3 9 , sowie Geuenich, Kritische Anmerkungen. 2 2 3 Zur kulturwissenschaftlichen Memoria-Forschung mit Schwerpunkten auf Fragestellungen zu Schrift, Kultur, Erinnern und Vergessen vgl. etwa Assmann, Das kulturelle Gedächntnis; Assmann/Assmann/Hardmeier, Schrift und Gedächtnis; Assmann/Hölscher, Kultur und Gedächntnis; Haverkamp/
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fischen sozialen Bedingungen und innerhalb der Wertstrukturen, die ihr Leben bestimmen, Möglichkeiten für individuelles Handeln finden, welche Repertoires und Optionen 2 2 4 ihnen dafür zur Verfügung stehen, ob und wie sie diese nutzen und damit ihre konkreten Lebenswirklichkeiten mitgestalten und verändern. Es geht also um eine Dimension von Kultur, die sich nicht auf die hermeneutische Interpretation von Texten und Symbolen beschränkt. „Kultur" wird aus dieser Perspektive vielmehr im Sinn von produktiven Modellen verstanden, die das Handeln von Menschen und damit kulturelle Praktiken bedingen und gleichzeitig möglich machen. Solche Modelle können ganz unterschiedliche Formen haben: Sie sind durch „äußere", materielle Bedingungen strukturiert und transportieren als selbstverständlich wahrgenommene, unbewusste Handlungsmuster, wie das gerade an Geschlechterordnungen und Rollenbildern deutlich wird. Es geht daher immer auch um Machtverhältnisse, innerhalb derer konkrete Wirklichkeiten konstruiert und gelebt werden, und ihre Wirkungsweisen, die meist widersprüchlich sind. „Normen" und Konzepte beschreiben und begründen tendenziell all das, was vorgeschrieben bzw. verboten ist oder sein soll. Praxisnahe Quellen erzählen hingegen das, was unter gegebenen Bedingungen tatsächlich getan wird. Handschriftliche Quellen ermöglichen, die jeweiligen Bedeutungen, den Stellenwert der zur Debatte stehenden Konzepte und der in ihnen verhandelten Kategorien anhand konkreter sozialer Interaktionen zu überprüfen und darüber hinaus die Entstehung von „Normen" in der Praxis und ihre Stabilisierung wie ihre Veränderungen in den Blick zu nehmen 225 . Im Sinn der Definition von Gadi Algazi, Kultur ist „how to do what" 226 heißt das, dass kulturelle Vorstellungen und Bedeutungen, vor allem aber ihre unmittelbaren Wirkungen auf die betroffenen Menschen in der Praxis entstehen. Gerade weil Individuen aber in der Praxis immer an Schnittpunkten heterogener Diskurse konstituiert werden, eröffnet sich aus einer solchen Forschungsperspektive die Möglichkeit, Erkenntniswerkzeuge, konkret die Kategorien Geschlecht und Wissen, selbst zum Erkenntnisgegenstand zu machen. Mit diesem Verständnis von Geschlecht und Wissen als sozio-kulturelle Konstruktionen verbindet sich nicht nur die Verabschiedung eindimensionaler Erklärungen, sondern auch eine Dezentrierung der Kategorie Geschlecht selbst 227 . Darin liegt gleichzeitig die Chance, Frauen und Männer als Individuen ernst zu nehmen und stereotypen Geschlechterzuschreibungen entgegenzutreten.
Herzog/Lachmann, Memoria - Vergessen und Erinnern; Schmidt, Gedächtnis; zum Konnex mit der historischen Memoria-Forschung v. a. Oexle, etwa Memoria als Kultur; Für einen deutschsprachigen Überblick über die Kultur- und Bedeutungsbegriffe der British Cultural Studies vgl. Lutter/Reisenleitner, Cultural Studies; ftir die Anwendbarkeit von Ansätzen der Cultural Studies im Bereich der Geschichtswissenschaften siehe dies., Introducing History (in)To Cultural Studies, sowie Griesebner/Lutter, Geschlecht und Kultur. 2 2 4 Zu den Begriffen siehe Algazi, Kulturkult und die Rekonstruktion von Handlungsrepertoires; vgl. auch Klinger, Die Kategorie Geschlecht in der Dimension der Kultur 6 1 - 6 3 . 2 2 5 Exemplarisch, Mostert, Das Studium alter Handschriften. 226 227
Algazi, Kulturkult und die Rekonstruktion von Handlungsrepertoires 113. Dazu methodisch Griesebner, Konkurrierende Wahrheiten.
Teil 2 Das Benediktinerkloster Admont - eine Fallstudie 2.1. Geschichte und Skriptorium W o h l in den frühen 70er Jahren des 1 1 . Jahrhunderts wurde im heute steirischen Ennstal das Benediktinerkloster A d m o n t gebaut. 1 0 7 4 jedenfalls wurde die Neugründung Erzbischof Gebhards von Salzburg durch diesen selbst geweiht 1 . Seine Vita, die in einer Admonter Handschrift überliefert ist, vermittelt einen anschaulichen Eindruck von der Lage des Ortes, die im Sinn der districtior religio der Benediktinerreform geradezu ideal für die Gründung eines Reformklosters war: Gelegen inmitten der Berge Bayerns in einem Tal nächst der Enns sei es nur schwer zugänglich, ringsum gleichsam von der Natur selbst befestigt durch so hohe Berge, dass sie bis zum Himmel zu reichen schienen. W o h i n man auch blicke, sähe man nichts als Berge. Diese natürliche Vorgabe mache den O r t für den klösterlichen Abschluss [von der Welt] geeignet, weshalb er von den einen nah und fern geschätzt und gesucht, von den anderen jedoch gefürchtet und geflohen würde 2 . Bereits im Jahr 1 0 0 6 hatte Heinrich II. dem damaligen Salzburger Erzbischof Hartwig (993—1023) das königliche G u t Adamunta, gelegen in pago Ensitala, mit den dazu gehörigen Salzpfannen, Sudhäusern, Arbeitern und allem weiteren Zubehör persönlich geschenkt. Nach dessen Tod sollte es in den Besitz von St. Peter in Salzburg übergehen 3 . 1 Die umfassendste Darstellung der Geschichte des Benediktinerklosters Admont bietet immer noch die vierbändige Geschichte des Benediktiner-Stiftes Admont verfasst vom Abt und Archivar Jakob Wichner, die in den Jahren zwischen 1874 und 1880 erschienen ist. Für den Frauenkonvent gilt dasselbe fiir die erste Quellenzusammenstellung und Besprechung, die Wichner ein Jahr später (1881) vorlegte: Das ehemalige Nonnenkloster O.S.B, zu Admont. Einen aktuellen Uberblick bietet Naschenweng, Admont. Vgl. auch die Festschrift zur Neunhundertjahrfeier des Klosters (1974): List, Stift Admont 1074— 1974. Zu verschiedenen Aspekten der Admonter Geschichte, die im Folgenden angesprochen werden, vgl. Steinbock, Gründung; Mezler-Andelberg, Rechtliche Beziehung; zur Bau- und Entwicklungsgeschichte Mannewitz, Admont; Tomaschek, St. Georgen. Grundlegend fiir die politischen Hintergründe Dopsch, Salzburg im Hochmittelalter, v. a. 238 und 1037 und ders., Die Länder und das Reich. Im Zusammenhang mit der Salzburger Reform Weinfurter, Bischofsreform; mit der Hirsauer Reformbewegung Jakobs, Hirsauer; Arnold, Admont; Mezler-Andelberg, Admont und die Klosterreform; 2 Vita Gebehardi et successorum eius 2-3, 36: Locus hic inter montana Bawariae iuxta Anesum fluvium in valle situs est. Aditum difficilem viantibus prebet, adeo ipsa natura munitus per girum ut altissimorum montium ambitu caelo proxime dicas circummuratum. Prospectus nisi in montes aut sursum versus non est. Hoc monasticae conclusioniprestruente natura idoneum, hoc unum de ceteris quare locus a strenuis longe lateque amatur, expetitur, ab aliis horretur, fugitur. Cod. Admont. 475 und 497. Siehe dazu auch den Katalog der datierten Handschriften in Österreich VII (Stmk, hg. Mairhold), n. 66. Zum Topos der Abgeschiedenheit vgl. von der Nahmer, Klostergründung „in solitudine". 3 D H II 123 sowie Urkundenbuch des Herzogthums Steiermark , 41, n. 34; Wichner, Geschichte 1, 19 sowie ebd., Anhang 3, 225f.
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Zehn Jahre später (1016) schenkte Heinrich dem Grafen Wilhelm von Friesach, dem Ehemann der Heiligen Hemma von Gurk, umfangreiche Besitzungen, unter anderem einen bedeutenden Anteil an der Saline von Hall bei Admont 4 . Nach dem Tod ihres Mannes übergab Hemma jene Besitzungen im oberen Ennstal, die für die Gründung von Admont die Basis bildeten, an den Salzburger Erzbischof Balduin (1041-1060) mit dem ausdrücklichen Auftrag, sie für die Gründung und Ausstattung eines Klosters zu verwenden 5 . Die Gründung Admonts als dem Erzbistum Salzburg untergeordnetes Eigenkloster erfolgte erst unter Balduins Nachfolger Gebhard. Sein Besitz wurde in der Folge durch weitere Zuwendungen des Erzbischofs und adelige Schenkungen erweitert 6 . Die ersten Mönche für das neue Kloster wurden unter der Leitung eines gewissen Arnold von St. Peter in Salzburg nach Admont geschickt. Der erste Abt Isingrim kam ebenfalls aus St. Peter 7 . Über die Geschichte des Klosters in den folgenden Jahrzehnten ist ansonsten wenig bekannt - die Zeiten waren bewegt und die Aufbauarbeit schwierig, wie die Vita Gebhards zu berichten weiss 8 : Zu Beginn der 90er Jahre des 11. Jahrhunderts berief Thiemo, dessen Nachfolger im Salzburger Erzbistum, Gisilbert, der vorher Abt in Reinhardsbrunn war, zum Leiter der Admonter Gemeinschaft. Zehn Jahre später starben beide auf dem ersten Kreuzzug ins Heilige Land 9 . Erst mit der Berufung Wolfolds von Lohkirchen im Jahr 1115 wurden die Verhältnisse stabiler und die Nachrichten dichter. Wolfold wurde auf Initiative Erzbischof Konrads aus dem Hirsauer Reformkloster St. Georgen im Schwarzwald nach Admont berufen und brachte von dort Reformgedanken und -eifer mit, wie Konrad seinerseits eine zentrale Figur in der süddeutschen monastischen Reformbewegung war 10 .
4 D H II 3 4 6 sowie Monumenta histórica Ducatus Carinthiae 1,52, n. 13, Urkundenbuch des Herzogthums Steiermark 1 44f., n. 37; Wichner, Geschichte 1, Anhang 4, 226f. 5 Vita Gebehardi et successorum eius 2, 36: ... inprimis quae matrona quaedam nobilis Hemma co-
mitissa de Frisaco et de Truhsen, post mortem mariti sui Willíhalmi comitis et filiorum suorum Hartwici et Willihalmi, tempore Baldwini archiepiscopi sancto Rudperto dedit in valle Admuntia, cum aliis prediis ad coenobium ibidem fiindandum, etpraeterea... Zur urkundlichen Uberlieferung Tomaschek, Hemma-Ge-
denken 128f. Zur Hl. Hemma von Gurk vgl. auch die weiteren Beiträge des Ausstellungskataloges Hemma von Gurk, besonders Dopsch, Hemma. Eine Zusammenstellung weiterer Besitzbestätigungen bietet Roitner, Mater misericordiae, Kap. III.6: „Die soziale Zusammensetzung des Admonter Frauenkonvents". 6 Weinfurter, Salzburger Bistumsreform 1 1 7 Í ; Dopsch, Salzburg im Hochmittelalter 2 3 8 ; Steinbock, Gründung 61f. Zusammenstellung der Schenkungen im Salzburger Urkundenbuch 2, 176f., nn. 1 0 6 - 1 0 8 und 1 1 1 . 7 Vita Gebehardi et successorum eius 3, 37: ... Arnoldo monacho de monasterio sancii Petri adprovi-
sionem ipsius hei ascito, favente domno Reginwardo venerabili abbate sancii Petri. ... Isingrinus ab eodem archiepiscopo est substitutus. 8 Vita Gebehardi et successorum eius 11, 40: Venerabiiis ergo Tyemo archiepiscopi sicut in Hirsawiensi coenobio sub reverentissimo abbate Williheimo monasticae religionis institutione fitndatus ... Qui inveniens locum nostrum valde desolatum quasi pastor bonus religioni monasticae, quae tota iam apud nos periit, paterna pietate condulit (?) et de Saxonia Gisilbertum abbatem valde religiosum adduxit, qui in Hirsaugiensi coenobio secum quondam Christo militaverat et ob evitanda anathematis contagia assignatam sibi in Thuringia abbatiam, scilicet Reinersprunnen, zelo katholicae communionis reliquerat. Dazu Steinbock, Gründung; Mezler-Andelberg, Admont und die Klosterreform. 9 Vgl. Wichner, Geschichte 1, 5 6 - 6 4 ; Dopsch, Salzburg im Hochmittelalter 253f. 1 0 Zu Konrad vgl. v. a. die Vita Chuonradi archiepiscopi Salisburgensis, etwa4, 65\ ...
ut nomen eius non solum per totum occidentem se dilaverit (?), verum etiam usque in orientem fama cucurrerit. Ähnlich
auch die Vita Gebehardi et successorum eius 44, c. 20; zur Bestellung Wolfolds vgl. ebd. 42, c. 14; dazu Mezler-Andelberg, Die rechtlichen Beziehungen 33f. und ders., Admont 38f.; zu Wolfolds Biografie
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Das Benediktinerkloster Admont - eine Fallstudie
Unter Wolfolds Leitung (1115-1137) wurde Admont in den folgenden Jahrzehnten zu einem Reformzentrum, die Admuntina religio gelangte zu überregionaler Berühmtheit 11 . Dasselbe gilt für den Frauenkonvent, dessen Gründung in die ersten Jahre seines Abbatiats fällt. Die Admonter Annalen betonen die Reformtätigkeit Wolfolds mit Unterstützung des Salzburger Erzbischofs, die sich ausdrücklich an Männer wie Frauen richtete. Besonders hervorgehoben wird außerdem die hohe soziale Stellung der Admonter Damen - Fürsten, Grafen und zahlreiche Große schickten ihre Töchter in das neu gegründete Kloster12. Die bekannteste unter ihnen ist wohl die ungarische Prinzessin Sophia, Tochter Belas II, die in den 40er Jahren des 12. Jahrhunderts auf der Reise zu ihrem Bräutigam Heinrich, dem Sohn König Konrads III., nach einem langen, politisch bedingten Aufenthalt in Regensburg und dem Tod von Bräutigam und Schwiegervater beschloss, „das irdische Königreich mit dem himmlischen zu vertauschen", und als Ort für ihre Konversion das weithin berühmte Kloster Admont wählte 13 . Zwar ist ebenso wie für das Männerkloster keine Stiftungsurkunde erhalten, noch existieren sichere Belege, woher die ersten Nonnen des Frauenkonventes kamen. Die Vita einer ungenannten gelehrten Admonterin, die vermutlich knapp nach Wolfolds Tod entstanden ist14, lässt jedoch gemeinsam mit den Nachrichten des Chronicon Ad-
siehe Tomaschek, St. Georgen 36-39. Vgl. weiters Dopsch, Salzburg im Hochmittelalter, v. a. 254-259; Weinfurter, Salzburger Bistumsreform 154; zu St. Georgen im Schwarzwald Bauerreiss, St. Georgen; Wollasch, Anfänge; Jakobs, Hirsauer. Zu den Constitutiones Hirsaugienses und den Admonter Zusätzen vgl. Arnold, Admont. 11 Admuntina religio, que tune Celebris habebatur, heisst es in einer Urkunde, mit der das bayerische Kloster Atti Admont unterstellt wurde: Salzburger Urkundenbuch 1, 338f., n. 236. Vgl. auch die ältere Edition im Urkundenbuch des Herzogthums Steiermark 1, 247-249, n. 242: dort allerdings Admuntensium religio. Dem Salzburger Urkundenbuch ist laut freundlicher Auskunft des Stiftsarchivars, Dr. Johann Tomaschek der Vorzug zu geben, da sich das Urkundenbuch des Herzogthums Steiermark vielfach auf Abschriften und nicht auf die Originalüberlieferung stützt. Wichner, Geschichte 1, 66, 75, 241, n. 13. Vgl. in diesem Zusammenhang besonders jene Urkunden, die mit der Bestätigung aller Besitzungen Admonts durch den Salzburger Erzbischof die materielle Basis des Klosters absicherten: Zusammenstellung bei Tomaschek, St. Georgen 37, Anm. 8. 12 Cod. Admont. 501, fol. 22r: Eius [Chuonradi] igitur auxilio et misericordia praedictus pater Wolvoldus in omnibus sujfultus copiosam messem fidelium tarn virorum quam mulierum adunavit. Sanctimoniales primus apud nos instituit, quarum in brevi tantus favor honestatis ac religionis percrebruit, ut nonnulli etiam prineipum seu comitum, sed et plures nobilium filias suas domino ibidem sub regulari servituras institutione offerentes cenobium ipsum cunctis pene in Germania sanetimonialium monasteriis celebrius reddiderunt. Zitiert auch bei Wichner, Nonnenkloster 76, Anm. 1, vgl. auch die Vita Gebehardi et successorum eius 14,42: Cuius [Chuonradi] misericordiapredictus abbas noster domnus Wolvoldus in omnibus suffultus et quasi muro a dextris et sinistris undique vallatus, copiosam messem fidelium tarn virorum quam mulierum colligere coepit, quia congregatis monachis ac fratribus plurimis, eius obtentu sororibus quoque quas primus adunavit unde cumque advenientibus monasterium instituit apud nos. 13 Cod. Admont. 501, fol. 24v zu 1150. Per idem tempus Sophia Ungarorum regis Belae filia, a filio Chunradi regis desponsata, et regaliter ipsi cum inestimabili pecunia transmissa, mundo quodsuum est diligente scilicet bona temporalia, et fidem et veritatem negligente, predicta regina regnum caeleste pro terrestri commutavit. Consilio namque et auxilio comitissae Ratisponensis Liukardis Admuntense monasterium expetiit, et cum sacris virginibus humillima conversatione celibem vitam deineeps duxit. Zur zeitlichen Einordnung, Geschichte und Überlieferung vgl. die Dokumentation und Diskussion der älteren Literatur bei Roitner, Mater misericordiae Kap. III.6.C; vgl. dazu unten S. 190-193 sowie Abb. 16a. 14 „Vita magistrae" 3 (vgl. die vollständige Edition des Textes im Anhang 2): Succedente vero beate memorie Wolvoldo abbate, qui inspirante Domino primus tractabat de inclusarum interioris edificii receptaculo, unde in augmento gregis boni super ipsum autem effioruit sanctificatio Domini, ipsa Deo dilecta a con-
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montense und der Vita Gebehardi zweierlei vermuten: Zum einen, dass bereits in der Umgebung des Admonter Männerklosters als Inklusen lebende Frauen in den neuen Konvent aufgenommen wurden, wofür es in einer Reihe anderer Reformklöster vergleichbare Belege gibt 15 ; zum anderen, dass - ähnlich wie nach der Gründung des Männerkonvents — Sanktimonialen aus St. Peter in Salzburg nach Admont entsandt wurden. Beide Überlegungen schließen einander nicht aus, sondern verweisen vielmehr auf die organisatorische Offenheit gerade in den ersten Jahrzehnten der Institutionalisierung religiöser Reformaktivitäten. 1144 wurde das Frauenkloster jedenfalls bereits vermutlich aus Platzgründen südlich des Stiftes, auf der anderen Seite des Flusses, neu errichtet und das alte Gebäude in ein Spital umgewandelt 16 . War der Männerkonvent der Hl. Maria und dem Hirsauer Reformheiligen Blasius geweiht, wurde für den Frauenkonvent neben der Mutter Gottes der Hl. Martin als Patron gewählt 17 . Wie bei zahlreichen „Doppelklöstern" der Reformbewegung Hirsauer Einflusses, wurde das Admonter Frauenkloster von einer magistra geleitet, war jedoch dem Abt unterstellt. Diese Funktion ist fiir Admont mehrfach belegt. Zum einen wird sie in unterschiedlichen Zusammenhängen in einem Bericht über die Frauenge-
sororibus nostris, optime conversata clientela sancte Erindrudis, huc transmittebatur in cenobium quarundam noviciarum in commune viventium. Zu Titel, Überlieferung, zeitlicher und inhaltlicher Einordnung sowie zur Frage nach der Autorinnenschaft siehe unten S. 88-92; zur fehlenden Stiftungsurkunde Wichner, Nonnenkloster 77; vgl. auch Bauerreiss, St. Georgen 50 mit der unbelegten Annahme der Herkunft der ersten Admonter Nonnen aus Salzburg bzw. dem schwäbischen Amtenhausen. Zu den Inklusen vgl. oben S. 35. 15 Dies wird außerdem gestützt durch einen Eintrag im Necrologium Admuntense 289 zum 16. Januar: Heylwich inclusa m. n. c. Weitere Einträge von Inklusen lassen sich keinem bestimmten Kloster zuordnen, belegen aber die genannte Praxis: Necrologium Admuntense 291 zum 21. Februar: Hadewich m. inclusa, zum 26. 2: Gerd(rut) m. inclusa, Necrologium Admuntense 298 zum 24. Juni: Linhart inclusa. Dazu auch die Einleitung zur Vita magistrae 358f. sowie Ohly, Liebesgruß 14. 16 Cod. Admont. 475, fol. 23r—23v: Gotfridus de Wetervelt Christum cl. ..darum suarum habere cupiens heredem Admuntensi cenobio pecunias suas in auro et argento contulit cum quibus predia nonnulla coempta, sed maxima veropars in edificio monasterii sororum expensa est. Quod monasterium prius ex alia parte fluminis iuxta ecclesiam S. Amandi situm domini abbas Gotfridus in alium locum transtulit et anno incarnationis domini MCXLIIII consummavit. Siehe auch Wichner, Nonnenkloster 85, Anm. 3. Ebd. 303 erwähnt er ein Visitationsprotokoll von 1619, das Details zur damals noch existierenden Kirche der Nonnen wiedergibt, während laut einem „Rauchgeldregister" von 1570 das Nonnenkloster damals bereits unbewohnt war: Visitationsprotokoll zit. nach Cod. Admunt. 829a (Sammelhandschrift mit Abschriften aus dem 17. Jhdt. von verschiedenen Dokumenten zur Klostergeschichte): Visitatioprimae filialis ecclesiae S. Ruperti extra monasterium. Ecclesia ista ampla est et spatiosa, odaeum habet magnum, in quo altare prophanatum est, ideoque amoveripoterit. In hac ecclesia moniales erant ordinis S. Benedicti seu Scholasticae, altaria habentur quinque consecrata rebus necessariis, uti supra notatum est, instruenda. Sedile oblongum altari summo propinquum amoveatur, altariaque amplientur, ac duo postrema, ut sibi mutuo e diametro correspondeant, vertantur. Crucifixo in ecclesia pendenti Seraphim, quasi alii illudsustentans submittatur. Sacra fiunt diebus dedicationis etpatrociniorum. Claustrum vero penes ecclesiam in xenodochium conversum est, in quo 14 aliquandoplurespauperes, uti tempus fert, aluntur. Praedium cum agris P.R.D. abbas tenet, ex iispauperibus necessaria suppeditat. 17
Z u m Blasius-Patrozinium des Männerkonvents vgl. Roitner, Mater misericordiae, Kap. III. 1, Anm. 2 3 8 1 - 2 3 8 3 mit einer Zusammenstellung der älteren Literatur; den aktuellsten Stand der Forschung zum Martin-Patrozinium des Frauenkonvents (entgegen der lange Zeit vertretenen Annahme eines Doppel-Patroziniums - Rupert und Martin - im 12. Jahrhundert) repräsentiert Seeberg, Illustrationen 16f., die die bisherigen Argumentationen diskutiert und das Martin-Patrozinium u. a. anhand von Illuminationen der Handschriften des Frauenkonvents belegen kann. Vgl. dazu auch Wichner, Nonnenkloster 76; Ohly, Liebesgruß 14; Spitz, Zur Lokalisierung 174-176; Mannewitz, Admont 17.
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Das Benediktinerkloster Admont — eine Fallstudie
meinschaft erwähnt, den der damalige geistliche Betreuer der Nonnen Irimbert im Jahr 1152 verfasst hat 18 . Dazu kommen mehrere namentliche Nennungen von magistrae in den Admonter Nekrologen, die sich aber zeitlich nicht zuordnen lassen19. 1168 wird außerdem die Grafentochter Agnes von Wolfratshausen als magistra inibi virginum Christi bezeichnet, die damals zur Äbtissin des von Admont aus reformierten Klosters Neuburg an der Donau bestimmt wurde 20 . Wenn auch Namen und Herkunft der ersten Admonter Sanktimonialen nicht bekannt sind, so ermöglichen die umfangreichen Aufzeichnungen über Schenkungen von Besitz bzw. Ubergaben von Personen an das Kloster einen Einblick in die personelle Zusammensetzung und die ökonomische Situation des Klosters. Zwar wurden die Admonter Traditionsbücher beim letzten großen Brand des Stiftes 1856 zerstört, ihr Inhalt wurde aber auf der Basis von Abschriften rekonstruiert, und wird durch die Nekrologe und die urkundliche Überlieferung ergänzt 21 . Bereits 1122 wurden unter der Leitung von Uta die Admonter Nonnen Gisilla, Hazicha, Elisabeth, Gerdrut, Engila, Irmgart und Iudita nach Kärnten geschickt, um dort das Kloster St. Georgen am Längsee zu reformieren 22 . Der Bedarf nach einem geregelten Leben soll dort besonders hoch gewesen sein - die Uberlieferung spricht von schwangeren Nonnen und solchen mit Kleinkindern, die auf Wolfolds Gebot des Klosters verwiesen wurden 23 . So sehr bei derartigen Berichten die Konventionen der reformatorischen Topik mitgedacht werden müssen - die Zustände vor der Reform werden entsprechend drastisch geschildert, damit in der Folge die Umkehr zu einem heiligmäßigen Leben umso wirksamer und als besonderes Vorbild präsentiert werden kann: Dennoch haben solche Darstellungen immer auch einen Sitz im Leben, also einen Bezug zu tatsächlichen
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Vgl. die vollständige Edition des Textes im Anhang 1, sowie Kap. 2.2.; zu den „Doppelklöstern" der Hirsauer Reformbewegung mit einer Problematisierung des Begriffs siehe S. 136, Anm. 146. 19 Etwa zum 11. Dezember: Chunigunt mit dem Zusatz mag." m. n. c., und Iudita mit dem Zusatz m. n. c. mag.a sor."m im Necrologium Admuntense 308. 20 Cod. Admont. 475, fol. 26r zu 1168. 21 Wichner, Nonnenkloster 77; Hausmann, Salbücher. Eine erste Auswertung des steirischen Urkundenbuchs in Hinblick auf die soziale Zusammensetzung des Admonter Nonnenkonvents findet sich bei Roitner, Mater misericordiae, Kap. III.6. Vgl. dazu ausführlich unten Kap. 4.1.2.; zur ökonomischen Situation des Frauenkonvents vgl. auch das folgende Kapitel, besonders 2.2.3. zur Frage nach dem Bezug zwischen klausuriertem Leben und der materiellen Versorgung der Admonter Damen. 22 Necrologium Admuntense 288, 295, 298, 302, 308; Monumenta histórica Ducatus Carinthiae 3, 354, n. 917, zusammengestellt bei Roitner, Mater misericordiae, Kap. III 5, bes. Anm. 2520. 23 Vgl. Cod. Admont. 475, fol. 21 r zu 1122: Cenobium quoque sanctimonialium apud S. Georgium eius [Wolvoldi] eure ae regimini eommendavit anno incarnationis domini MCXXII quod et ipse ad spiritalis vite apostolice religionis decenter reformavit. Siehe auch Wichner, Nonnenkloster 78, Anm. 2. Vgl. Annales Admuntenses, Cod. Admont 501, fol. 22r zu 1122: Monasterium monialium saneti Georgii in Carinthia Chunradus archiepiscopus auetoritate sua clausit, et domni Wolvoldi abbatis eurae ac regimini traditum eommendavit,; ebd. fol. 23r-v zu 1137 zum Tod Wolfolds (meine Hervorhebungen): Clauso enim monasterio saneti Georgii in Karinthia idem beatuspater velud bonus hortulanus hortum consignatum volens emundare, eas moniales quae velantepepererant (sie!) vel iampregnantes erant, habitis super hoc eertis indieiis non omisit extirpare. Unde latus integrum unius chori sororum nostrarum radices profecto bonitatis, neccesse fiiit illo transplantare. Vgl. dazu Tomaschek, St. Georgen 37f. sowie ders., „Carinthischer Sommer 1151. Der Aufenthalt des Bibelkommentators, Nonnenseelsorgers und monastischen Theologen Irimbert von Admont im Benediktinerinnenkloster St. Georgen am Längsee" bei der Tagung „Frauen zwischen benediktinischem Ideal und monastischer Wirklichkeit" (29.-31. Mai 2003, St. Georgen am Längsee). Dazu auch unten Kap. 2.2.
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Gegebenheiten, selbst wenn sie nur Einzelfälle referieren oder wiedergeben, was man für grundsätzlich denkbar hielt 24 . Besonders unter Gottfried, der - diesmal bereits auf Initiative des Konvents selbst — ebenfalls aus St. Georgen im Schwarzwald nach Admont berufen wurde und Wolfold 1138 als Abt nachfolgte, wurden weitere Reformgemeinschaften von Admont aus beschickt: In den 27 Jahren seines Abbatiats (1138-1165) wurden dreizehn Admonter Mönche, die sich dort zuvor etwa als Priore oder in anderen Funktionen bewährt hatten, zu Äbten in Reformklöstern berufen, in denen fortan ebenfalls nach der strengen Lebensweise der Admonter Gemeinschaft gelebt wurde 25 . Unter Gottfried und seinen Nachfolgern wurden nach St. Georgen auch weitere Frauenkonvente reformiert. Erzbischof Eberhard II von Bamberg wandte sich 1156 an den Admonter Abt mit der Bitte um eine Äbtissin und weitere Nonnen für das Kloster Bergen bei Neuburg (Diözese Eichstätt) 26 . Zwölf Jahre später, 1168, sollte auf Wunsch Kaiser Friedrichs das Kloster Neuburg (bei Ingolstadt) reformiert werden. Dazu gibt das Chronicon Admonteme genauere Informationen über den Ablauf der Bestellung einer Admonter Äbtissin und der für ihre neue Aufgabe notwendigen personellen Unterstützung: Ähnlich wie im Fall von St. Georgen ist auch in Neuburg von erheblichen Missständen die Rede. Und so schickte man eine kaiserliche Gesandtschaft nach Admont, um Abt und Gemeinschaft zu ersuchen, die magistra Agnes, Tochter des Grafen Otto von Wolfratshausen, als Äbtissin für Neuburg zu bestellen, sodass dort wieder Ruhe wie in Admont einkehren möge. Auch ihr wurden mehrere Schwestern zur Seite gestellt — eine von ihnen, Elisabeth, nennt auch der Nekrolog ebenso wie einige Geistliche und geeignete Mönche für die externe Verwaltung 27 . In allen drei Fällen - St. Georgen, Bergen und Neuburg — erfolgten 1171 und 24
Z u m Topos der „disziplinlosen" Kanonissen vgl. Andermann, Kanonissen, am Beispiel sächsischer Frauenstifte vom 11.-13. Jahrhundert, und der Vortrag desselben, „Das Kärntner Stift St. Georgen und die Vertreibung seiner Sanktimonialen 1122 — Hintergründe, Motive, Ergebnisse" bei der oben, Anm. 23, genannten Tagung in St. Georgen am Längsee. Dieser Topos wurde in der älteren Literatur gern unhinterfragt übernommen, vgl. dazu die Diskussion bei Schilp, N o r m und Wirklichkeit, v. a. 2 1 24. 25 Vita Gebehardi et successorum eius 43, c. 18: Tredecim namque abbates ilio in tempore de nostro monasterio sunt ad alia coenobia assumpti. Ebd. 45 ... Admontensis congregationis stricta conversano. Zusammenstellung der betroffenen Personen mit Belegen und älterer Literatur bei Arnold, Admont 352f. Zur Person Gottfrieds v. a. Faust, Gottfried 278. Einen guten Uberblick mit den wichtigsten Daten sowie Belegen der urkundlichen Uberlieferung bietet Tomaschek, St. Georgen 39—44. 26 Vita Gebehardi et successorum eius 45, c. 22: ... domnus Eberhardis Babenbergensis episcopus ... interventu domni Adrianipapae licet laboriose obtinuit, ut monasterium sanctimonialium ad Bergin dictum, suae sedis dominio adiunctum, predicti abbatis Gotfridi et fratrum suorum opera ad spiritualis vitae servantiae meliorem statum informaretur. Voti ergo sui eompos est effectus, et ¡am dictum coenobium Admuntensibus fratribus est assignatum, anno incarnationis Domini 1156; vgl. Wichner, Nonnenkloster, 288. Das Necrologium Admuntense (293, 295, 297, 301, 302) verzeichnet neben Regilint folgende Nonnen, die nach Bergen gingen: Adelheid, Mathilt, Bertha, Hadewich und eine weitere Bertha, vgl. Roitner, Mater misericordiae, Kap. III 5, Anm. 2524. 27 Cod. Admont. 475, fol. 26r zu 1168: Imperator Fridericus monasterium monialium ad Niwenburch quod regiam ditionem specialiter attinebat volens ad. meliorem statum tarn in spiritualis ordinis religione quam in clausure districtione producere Consilio super hoc cum familiaribus principibus habito per Admuntensem abbatem et eius fratres idpotissimum digno effectui mancipare deliberavitperinde missa legatione ad Admuntensem congregationem petivit instantius domnam Agnetem magistram inibi virginum Christi, filiam Ottonis comitis de Diezen et Wolfrathuosen predicto loco in abbatissam destinari ad instituendam ibi Admuntensis ordinis observantiampollicens si quodem petebat obtineretpacem deinceps et omnimodam tranquil-
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Das Benediktinerkloster Admont - eine Fallstudie
1185 päpstliche Bestätigungen der umfassenden Rechte der Admonter Äbte, denen die reformierten Klöster weiterhin unterstanden. Sie betrafen neben besitzrechtlichen Bestimmungen - Veräußerungen durften nur mit Zustimmung des Abtes vorgenommen werden - auch die personellen Belange des Frauenkonventes: Sowohl bei der Wahl der magistrae als auch bei der Aufnahme von Novizinnen musste die Erlaubnis aus Admont eingeholt werden28. Den Umfang der Admonter Reformaktivitäten im 12. Jahrhundert und seine spirituelle wie politische Rolle als Knotenpunkt und Reformzentrum im österreichisch-süddeutschen Raum veranschaulichen jedoch über diese beeindruckende Entsendungspraxis hinaus die zahlreichen Erwähnungen der Admuntina religio. Ruf und Prominenz des Klosters werden etwa in der Vita des Salzburger Erzbischofs Konrad programmatisch hervorgehoben: Durch seine Zuwendungen sei das Kloster sowohl in spiritueller wie in materieller Hinsicht, besonders aber an Gott dienenden Männern und heiligen Frauen so sehr gewachsen, dass sein Name nicht nur im gesamten Okzident bekannt sei, sondern sein Ruf bis in den Orient reiche29. Die große Zahl politischer, spiritueller und intellektueller Kontakte ist jedoch nicht nur durch die historiografischen Quellen, sondern ebenso durch eine Reihe von Gebetsverbindungen sowie durch die urkundliche Überlieferung30 und durch zeitgenössische Korrespondenzen belegt. Die Admonter Briefsammlung enthält neben wichtigen kirchen- und reichspolitischen Stücken unter anderem den Briefwechsel Gottfrieds mit Erzbischof Eberhard von Salzburg (1147-1164) sowie seine Korrespondenz mit den Bischöfen von Passau und Bamberg und den Äbten von St. Emmeram und Prüfening. Direkte Kontakte gab es auch zu Idung von Prüfening, vor allem aber zu Gerhoh von Reichersberg, der dauerhafte Briefkontakte mit Admont pflegte und sich dort nachweislich auch häufig aufhielt. Gottfried widmete er seinen Liber contra duas haereses, zum Frauenkonvent hatte er enge Beziehungen als geistlicher Ratgeber und Mentor, was sich ebenfalls in mehreren erhaltenen Schreiben manifestiert31. Gerhoh wandte sich zur
litatem loco Admuntensi affuturam domna Agnes cum quibusdam religiosis sororibus a domno Liutoldo abbate tum pro animarum edificatione tum pro pacis apud nos forinsecus recuperatione per venerabilem domnum Rabanum priorem ad Niwenburgensem est locum honorifice transmissa deputatis ei nichilominus et sacerdotibus et ceteris ydoneis fratribus ad exteriorum administrationem. Quo facto ingruentium malorum utrumque Neunb(urc);
cessavit quassatio. Dazu das Necrologium Admuntense 299 zum 11. Juli: Elysabet m. n. c. vgl. Wichner, Nonnenkloster 2 9 0 .
Monumenta histórica Ducatus Carinthiae 4 3 2 £ , n. 115Of. und 4 9 8 , n. 1 3 2 0 ; Urkundenbuch des Herzogthums Steiermark 5 0 5 , n. 5 1 4 ; 5 1 2 , n. 5 4 4 ; 6 1 1 , n. 6 1 4 sowie Wichner, Geschichte 1, 303f., Anhang, n. 59, n. 6 1 . und ders, Nonnenkloster 15. Z u m Widerstand gegen diese Privilegien vgl. Roitner, Mater misericordiae Kap. III 5, Anm. 2 5 2 9 - 3 5 . 28
z
' Zur Admuntina
religio vgl. oben Anm. 11. Vgl. dazu die Vita Chuonradi archiepiscopi Salisbur-
gensis 65, zit. bei Arnold, Admont 353f. mit Anm. 27: Cuius utique dono idem monasterium
tarn in reli-
gione quam in possessionibus maximeque numero Deo servientium virorum et sanctarum mulierum in tantum crevit, ut nomen eius non solumper totum occidentem se dilataverit, verum etiam usque in orientem fama cucurrit. 3 0 Zu Gebetsverbrüderungen mit dem Domkapitel von Salzburg und den Klöstern Reichersberg und Rottenbuch vgl. Arnold, Admont 357f. mit weiteren Quellenangaben; zu Seckau Monumenta Necrología Seccoviensia 3 5 8 , 381—386, zu Wien und Regensburg siehe Wollasch, Hirsauer Verbrüderungen 181 f. Zur häufigen Präsenz Gottfrieds in den Urkunden der Salzburger Erzbischöfe Konrad und Eberhard vgl. Tomaschek, St. Georgen 40f. 3 1 Hödl/Classen, Briefsammlung; zu Gerhoh von Reichersberg vgl. die Arbeiten von Peter Classen, v. a. seine Biographie Gerhohs, und Van den Eynde, L'oeuvre littéraire; einen guten Überblick über seine
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Rechtfertigung seiner Sakramentenlehre persönlich an Bernhard von Clairvaux, erhielt aber keine Antwort 32 . Idung hingegen hebt in seinem Dialogus duorum monachorum Cluniacensis et Cisterciensis neben Bernhard und Abt Adam von Ebrach auch Gottfried von Admont besonders hervor 33 . Beider — Bernhards und Adams - wird auch im Admonter Nekrolog gedacht34. Ihren Niederschlag fanden diese Verbindungen zudem im außergewöhnlichen Handschriftenbestand des Klosters. Sowohl die materielle Unterstützung durch die Salzburger Erzbischöfe als auch die Reformtätigkeit wirkten sich auf die Entwicklung von Bibliothek und Skriptorium äußerst vorteilhaft aus35. Unter den Äbten Gottfried ( 1 1 3 8 - 1 1 6 5 ) und seinem Bruder Irimbert, der zunächst lange Zeit geistlicher Betreuer der Admonter Nonnen war, später zum Abt des Klosters Michelsberg bestellt wurde und schließlich wieder als Abt nach Admont zurückkehrte ( 1 1 7 2 - 1 1 7 7 ) , florierte die Handschriftenproduktion, an der die Nonnen maßgeblich beteiligt waren 36 . Zwar ist bedauerlicherweise kein zeitgenössischer Handschriftenkatalog erhalten — der älteste Katalog stammt von Peter Arbon aus dem 14. Jahrhundert 37 . Allerdings berichtet die Vita Gebehardi bereits zur Gründung des Klosters, dass die Schenkung des Salzburger Erzbischofes unter anderem eine äußerst wertvolle liturgische Ausstattung aus Gold und Silber enthielt, darunter Messgewänder, liturgische Bücher, Kelche und alles was für den Gottesdienst notwendig war 38 . Für das Abbatiat Gottfrieds ist mit 1 1 5 2 ein Hinweis auf ein Bücherverzeichnis bekannt, wenn es auch leider nicht erhalten ist. Überliefert ist außerdem ein Schreiben des Abtes an einen Mönch des Klosters Tegernsee, in dem Gottfried diesen bittet, jene Buchbestände, die in Tegernsee vorhanden seien, in Admont aber fehlten, entweder zur Abschrift in Admont oder bereits in Kopie
Werke bietet außerden Knapp, Literatur 65—74, hier 66. Zu seinen pastoralen Beziehungen zu den Admonter Damen siehe v. a. Kap. 2.4. 3 2 Knapp, Literatur 66. 3 3 Edition bei Huygens, Le moine Idung, Dialogus 19 für Gottfried; Arnold, Admont 357, mit Anm. 39 fiir Bernhard und Adam; vgl. auch Schmitz, Prüfening im 12. Jahrhundert. 3 4 Necrologium Admuntense 301 zum 20. August (Bernhard) und 307 zum 23. November (Adam); dazu Arnold, Admont 3 5 9 mit Anm. 52. 3 5 Dazu grundlegend Wattenbach, Schriftwesen im Mittelalter; Bischoff, Paläographie. Für Admont siehe Stelzer, Gelehrtes Recht das Kapitel über Admont 21—44, sowie auch Gonsa, Schreibschule. Vgl. das Habilitationsprojekt von Christoph Egger, Wien, zur Scholastik-Rezeption im ö. Raum. 3 6 Die wichtigste Orientierung bietet nach wie vor der handschriftliche Katalog Jakob Wichners von 1887/88. Da Wichner selbst seiner Zusammenstellung der Admonter Handschriften keinen Titel gegeben hat, wird er nach dem Titel der Reprodukion als Fotokopie als „Catalog of Manuscripts in Stift Admont, Austria" zitiert. Für diesen Hinweis wie für zahlreiche wesentliche Hintergrundinformationen zur Archivgeschichte Admonts möchte ich mich an dieser Stelle nochmals herzlich beim Admonter Stftsarchivar, Dr. Johann Tomaschek bedanken; vgl. auch Wichner, Admont und seine Beziehungen zur Wissenschaft 10; zum Skriptorium siehe Krause, Schreib- und Zeichnerschule; Zusammenstellung der illuminierten Handschriften bei Buberl, Handschriften, sowie Seeberg, Illustrationen; zu Irimbert als geistlichen Betreuer der Admonter Nonnen siehe ausfuhrlich das folgende Kapitel; zu seiner Bestellung zum Abt von Michelsberg vgl. Wichner, Geschichte 1, 129ff. und 274f., Braun, Irimbert 292ff. sowie Hödl/Classen, Admonter Briefsammlung 1, 404fF. Zur Beteiligung der Admonter Sanktimonialen an der Handschriftenproduktion siehe unten Kap. 2.2.3. 3 7 Edition des frühesten Handschriftenverzeichnisses von 1376 bzw. 1380 (2. Fassung) bei MöserMersky, Bibliothekskataloge 6; vgl. auch Seeberg, Illustrationen 23 mit Anm. 134. 3 8 Vita Gebehardi et successorum eius 36, c. 2: Ornamenta complura auro, argento etserico valdepre-
ciosa, vestimenta scilicet sacerdotalia, libros, calices et queque divinis ministeriis necessaria.
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zu übermitteln 39 . Dazu kommt eine Reihe von in den Kodices und Nekrologen namentlich genannten Schreibern 40 . A m eindrucksvollsten ist aber die Zahl der aus dem 12. Jahrhundert erhaltenen Handschriften selbst, die - neben Abschriften biblischer Texte und solcher antiker Autoren und der Kirchenväter — sowohl mit der Rezeption der Werke Bernhards von Clairvaux und Anselms von Canterbury, Honorius Augustodunensis und Hugos von St. Viktor sowie einer Reihe wichtiger scholastischer Werke den aktuellsten Stand zeitgenössischer intellektueller Auseinandersetzungen repräsentieren 41 . Mehr noch, die Admonter waren selbst an der Produktion exegetischer und homiletischer Schriften maßgeblich beteiligt. A m berühmtesten sind sicherlich die illustrierten Sonn- und Feiertagshomilien, die meist Abt Gottfried selbst zugeschrieben werden 4 2 . Einer der Kodices enthält eine Federzeichnung eines Mönches, der seinerseits eine Handschrift in Händen hält. Die Darstellung wirkt erstaunlich wenig stilisiert, nahezu „individuell", und lässt vermuten, dass wir es hier mit einem frühen Portrait des Abtes bzw. der predigenden Person, deren Texte in der Folge niedergeschrieben wurde, zu tun haben 4 3 . Dazu kommen weitere Predigt- und Kommentarhandschriften von Gottfrieds Bruder Irimbert 44 . Neben dem um39 Dazu mit weiteren Belegen Seeberg, Illustrationen 22f. Vgl. den Brief Gottfrieds in: PL 174, 1211, vgl. Wichner 1, 289, n. 50: De famoso illo vestro ecclesie armario aliquid, quodapudnos non est, vel scribendum vel a te scriptum, nobis transmitteres, quatenus ex vestra abundantia nostra suppleretur inopia. Derartige Bitten um Leihe oder Kopien von Büchern waren in Reformkreisen häufig. Ein gutes Beispiel bietet auch die Reinhardsbrunner Briefsammlung, deren Schreiben sich zu einem wichtigen Teil mit Fragen der Text- und Buchproduktion beschäftigen. Vgl. dazu Hotchin, Abbot as Guardian. 40 So etwa das 1180 datierte „Matutinale" des Frauenklosters, das zwei Schreibereinträge eines Priors namens Johannes und eines Udalricus enthält, deren Inhalt gleichzeitig belegt, dass die Handschrift für die Admonter Nonnen geschrieben wurde: Cod. Admont. 18, Vorsatzblatt. Johannes ist allerdings nur für 1169-1178 als Prior nachweisbar. Dazu Wichner Geschichte 2, 54. Zur Handschrift v. a. Seeberg, Illustrationen, sowie unten Anm. 49 und ausfuhrlich Kap. 3.2. Vgl. auch die Vita Gebehardi et successorum eius 43, c. 18, in der die Schreiber Berthold, Lambert und Gotschalk lobend hervorgehoben werden. 41 Dazu und zum Folgenden (neben Wichner, Catalog, wie Anm. 36) v. a. Band VII des Katalogs der datierten Handschriften in Österreich: Mairold, Handschriften 33-80 und 167-177. Siehe auch Möser-Mersky, Bibliothekskataloge; zu Bernhard vgl. Leclercq, Etudes; zu Honorius vgl. Flint, Honorius; zu Hugo von St. Viktor vgl. Ralf Stammberger, The Works of Hugo of St. Viktor at Admont: A Glance at an Intellectual Landscape: Papers presented at the international Conference „Manuscripts and Monastic Culture: Admont and the Twelth-Century Renaissance in Germanic Lands" (7.-10. August 2002, Stift Admont Drucklegung voraussichtlich 2005, in: Beach, Manuscripts and Monastic Culture; Zu den scholastischen Texten siehe Classen, Geschichte 270, besonders aber Stelzer, Gelehrtes Recht 21— 44; Stammberger, Hugh and his Works. 42 Die Homilienhandschriften in Cod. Admont. 58, 62, 63, 73 wurden seit Bernhard Pez, Ven. Godefridi homiliae. 2 Bde, 1724, Gottfried von Admont zugeschrieben, obwohl auch Pez bereits Zweifel daran äußerte, ob der Autor nicht auch Gottfrieds Bruder Irimbert gewesen sein könnte. Gottfried wurde ausgehend von Pez in der Folge weiterhin die Autorschaft zugeschrieben (vgl. etwa Faust, Gottfried 282; Braun, Irimbert 118-123). Es gibt allerdings keinerlei Hinweis auf eine Autorschaft Gottfrieds mit Ausnahme seiner Bedeutung als Abt des Klosters. So etwa auch Knapp, Literatur 75-79 und Borgehammar, Who Wrote the Admont Sermon Corpus. Einen Überblick über die inhaltliche Bedeutung der Homilien gibt Knapp, 76-79. Am ausführlichsten setzt sich Ingrid Roitner in ihrer 2002 fertig gestellten Dissertation, Mater misericordiae, mit den Texten auseinander, die in der Einleitung die unterschiedlichen Meinungen zur Autorenfrage zusammenstellt und diskutiert. Siehe dazu unten Kap. 2.3. und Kap. 3.2.3. 43 Cod. Admont. 58, fol. 3r. Dazu Buberl, Handschriften 40; Tomaschek, St. Georgen 42. Zur Problematik der „Individualität" siehe am Beispiel der Personendarstellungen im Hortus deliciarum, oben S. 23f. 44 Cod. Admont. 16 und 17 können Irimbert zugewiesen werden; Cod. Admont. 16 enthält seine Kommentare zu den Büchern der Könige, Cod. Admont. 17 zu den Büchern Josua, Judith und Ruth.
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fangreichen Urkundenbestand, den Nekrologen sowie weiteren Sammelhandschriften mit historiografischen und hagiografischen Texten verfügte die Admonter Bibliothek auch über eine bedeutende Anzahl an liturgischen Handschriften, von denen ein guter Teil reich illuminiert ist 45 . Der Frauenkonvent hatte einen eigenen Bücherbestand und höchstwahrscheinlich auch ein eigenes Skriptorium. Die Admonter Sanktimonialen galten als hochgebildet. In Urkunden aus dem 13. Jahrhundert werden sie bei Schenkungen und rechtsgeschäften mehrfach und selbstverständlich als sorores, sanctimoniales bzw. moniales litterate bezeichnet 46 . In mehreren Quellen wird ausdrücklich auf ihre Kenntnisse und Fähigkeiten hingewiesen, ebenso wie sie durch persönliche Kontakte und Briefwechsel mit zeitgenössischen Autoritäten belegt werden 47 . Zahlreiche Handschriften enthalten direkte - wenn auch später, meist im 14. und 15. Jahrhundert, nachgetragene - Besitzvermerke oder aber explizite Hinweise darauf, dass die enthaltenen Texte für den Frauenkonvent geschrieben wurden 48 . Besonders eindrucksvoll sind etwa die Schreibervermerke im sogenannten „Admonter Matutinale", einem Gebetbuch der Damen, das mit 1180 datiert ist. Der Prior Johannes und der Mönch Udalricus nennen in einem je eigenen zeitgenössischen Eintrag ihre Tätigkeit als Schreiber der Handschrift und bitten damit gleichzeitig die Nonnen um Fürsprache, auf dass sie selbst ins Buch des (ewigen) Lebens eingeschrieben würden 49 . In Urkunden, Nekrologeinträgen und Handschriften werden darüber hinaus Schreiberinnen genannt, so etwa in einer der exegetischen Schriften Irimberts, in der einmal die Schwester Regilind, ein anderes Mal Irmingart als Schreiberinnen der Auslegungen ihres pastoralen Betreuers angeführt werden, was dieser in einer Bemerkung in dem nämlichen Kodex selbst bestätigt 50 . Der Nekrolog verzeichnet außerdem eine arAußerdem gibt es einen Kommentar Irimberts zum Hohelied: Cod. Admont. 530, 682 sowie Cod. Vorau 193 (Druck bei B. Pez, Thesaurus novissimus anecdotorum 2,1. - Augsburg/Graz 1721, Sp. 3 6 9 424); Vgl. außerdem Braun, Irimbert 271; Ohly, Hohelied-Studien 268ff., Knapp, Literatur 75. 4 5 Einen guten Überblick bietet Seeberg, Illustrationen 21-26, Kap. „Admonts Bibliothek und Skriptorium" mit Angabe der älteren Literatur. 4 6 Admont, Stiftarchiv, PI, P2, P4. Ediert bei Wichner, Geschichte 2, 321, n. 163 vom 2. November 1244, St. Veit im Pongau: ... quodad relevendampenuriam quam sorores litterate aputAdmunde in vestibuspaciuntur, 324, n. 167 vom 2. November 1245, Kraubath: ... contuUrat litteratissanctimonialibus; und 337f., n. 188 vom 21. Juni 1257, Admont: ... moniales litteratas in Admunde. Zur Diskussion der Begriffe und ihrer Bedeutung grundlegend Bodarwe, Sanctimoniales litteratae. Zu Ausstattung und Kleidung der Admonter Sanktimonialen ausführlich Kap. 4.2.1. 4 7 Siehe dazu im Detail mit Bezug auf den Gebrauch dieser Begriffe die folgenden Kapitel 2.1.-2.3. 4 8 Zusammenstellungen bei Krause, Eigentumsvermerke 16; Möser-Mersky, Bibliothekskataloge 3; Seeberg, Illustrationen 22, Anm. 132. 4 5 Cod. Admont. 18, Vorsatzblatt: Notum sit omnibus tarn futuris quam presentibus qualiter ego frater Johannes prior Admuntensis hunc matutinalem librum sumptu et labore meo perfeci et karissimis sororibus nostris hic deo militantibus contradidi quatinus earum adiutus cum ipsis in libro vite merear conscribi et eterne beatitudinis premia adipisci. Ebd., fol. 295v: Rogo vos dilectissime sorores ut memores sitis Udalrici peccatoris in orationibus vestris, qui vobis praesentem librum cunctis in eo Christo servientibus cum magno Libore conscripsit. Librum hunc descripsimus anno ab incarnatione Domini Millesimo Centesimo Octogesimo. Scriptoris memores Udalrici queso sorores hoc optate sibi nomen super ethere scribi. Dazu Abb. 6 b im Anhang und Seeberg, Illustrationen 27-30, Abb. 12-13. 5 0 Cod. Admont. 17, p. 393: Explanatio huius hystorie descripta a sorore Regilinde (Abb. 5 im Anhang); ebd., p. 420: Explanatio huius hystorie descripta a sorore Irmingarde. Zur Beteiligung der Admonter Nonnen an der Herstellung dieser Handschriften liegt nunmehr eine umfassende Untersuchung von Alison Beach, Women as Scribes, vor. Vgl. auch dies., Female Scribes sowie Claustration and Collaboration.
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maria, d. h. eine Nonne, die für den dortigen Bücherbestand verantwortlich war 51 . Bemerkenswert sind schließlich die bildlichen Darstellungen in einigen Admonter Handschriften, die neben Marien- und Heiligendarstellungen auch eine Reihe von Nonnendarstellungen enthalten. Die erwähnten Homilienhandschriften zeigen etwa Frauen mit der für Sanktimonialen typischen Kopfbedeckung und Kodices in den Händen, andere Illustrationen bilden Schwestern in betender Haltung zu Füßen der Mutter Gottes ab. Mit Stefanie Seeberg liegt es nahe, erstere Darstellung als „Besitzvermerk des Nonnenkonvents in Bildform" zu verstehen 52 . Ebenso wie die Texte, die im und für das Nonnenkloster hergestellt wurden, repräsentieren sie gleichzeitig verschiedene Aspekte des Lebens, der Tätigkeiten und des möglichen Selbstverständnisses der Admonter Damen, denen in den folgenden Kapiteln nachgegangen werden soll. Quellen und Forschungen Diese bemerkenswerte Quellenlage macht es umso erstaunlicher, dass der Admonter Frauenkonvent und seine Beziehungen zum Männerkloster nach den grundlegenden Arbeiten Jakob Wichners lange Zeit mit wenigen Ausnahmen ein Stiefkind der Forschung geblieben ist53. Umso erfreulicher ist es, dass sich diese Situation in den vergangenen Jahren grundlegend geändert hat: Dies liegt sowohl am wieder zunehmenden Interesse an den Reformbewegungen des 12. Jahrhunderts als auch an damit verbundenen Fragen nach ihren Bedeutungen für und ihren Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Geschlechterrollen und -beziehungen und monastische Lebensformen von Männern und Frauen. In Verbindung mit einer verstärkten methodischen Wendung zu problemorientierten textkritischen Studien an Handschriften ist ein deutlicher Anstieg an einschlägigen Arbeiten zu verzeichnen, die nunmehr vergleichende Untersuchungen erleichtern bzw. zum Teil erst möglich machen 54 . Unter anderen monastischen Gemeinschaften hat Admont mit seiner hervorragenden Quellenlage das Interesse mehrerer Forscherinnen und Forscher geweckt, die sich mit unterschiedlichen, einander überlappenden und ergänzenden Fragestellungen auseinander setzen55. Auf der Basis ihrer Dissertation hat Alison Beach (Williamsburg) eine Vgl. außerdem Wichner, Nonnenkloster 288 und Braun, Irimbert 288. Dazu - besonders zu Irimberts Bemerkung - ausführlich unten Kap. 2.2.3. 51 Necrologium Admuntense 297 zum 22. Mai: Adlheit m.n.c. armaria-, vgl. außerdem ebd. zum 4. Juni: Mahthilt m.n.c. scriba sowie ebd. 300, zum 1. August: Dietmundis cv." n.c. scriptrix. Vgl. Anm. 74. 52 Cod. Admont 58, fol. lv und Cod. Admont. 62, fol. 2r: Homilienhandschriften, in den Bogenzwickeln der Kolumnenarchitektur Nonnen mit Kopfbedeckung und Büchern; Cod. Admont. 638: Miracula, betende Nonnen; beide Beschreibungen und das Zitat bei Seeberg, Illustrationen 24. Vgl. Abb. 14f. im Anhang sowie die Umschlagillustration. 53 V. a. Wichner, Nonnenkloster; von den älteren Arbeiten vgl. auch Braun, Irimbert; Ohly, Liebesgruß; den älteren Forschungsstand zusammenfassend Naschenweng, Admont. 54 Dazu oben Kap. 1.4. 55 Der größere Teil der Arbeiten ist nach 2000 veröffentlicht worden oder steht knapp vor der Publikation. Andere Untersuchungen liegen als unveröffentlichte Manuskripte bzw. Vortragsentwürfe vor und wurden mir von den Autorinnen freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Allen im Folgenden Genannten sei an dieser Stelle nochmals für Kooperationsbereitschaft, Hilfe, Austausch und Diskussion gedankt. Einen Uberblick über Themen, Fragestellungen und aktuelle Projekte gab die internationale Konferenz zum Thema „Manuscripts and Monastic Culture: Admont and the Twelfth-Century Renaissance in Germanic Lands" (7.-10. August 2002, Stift Admont), deren Beiträge zur Drucklegung bei Brepols vorbereitet werden: Beach, Manuscripts and Monastic Culture, voraussichtlich 2005.
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detaillierte Studie zur Rolle und Bedeutung von Frauen als Schreiberinnen von Handschriften und zur Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen bei der Herstellung von Kodices im Bayern des 12. Jahrhunderts vorgelegt 56 . Sie hat außerdem kürzlich eine vollständige Edition der sogenannten Admonter Nonnenbriefe fertig gestellt. Die Pergamentfragmente eines Formel- oder Konzeptbuches aus der Mitte des 12. Jahrhunderts mit insgesamt 19 Schreiben von Admonter Sanktimonialen sind deshalb erhalten, weil sie im 15. Jahrhundert als Umschlag eines Weindienstregisters gedient haben. Die Briefe sind in einer äußerst kleinen Handschrift übergangslos auf zwei stark beschädigten Doppelfolia in der Größe von 12,5 X 17 cm und 1 3 x 1 8 cm erhalten und durch die Textverluste nur schwer lesbar. Mit der minutiösen Transkriptionsarbeit von Beach steht nunmehr eine formal wie inhaltlich unschätzbare Quelle zur Schreibpraxis im Admonter Nonnenkonvent zur Verfugung. Darüber hinaus verweisen nahezu alle Schreiben auf die Kontakte der Admonter Damen zur Welt außerhalb der Klostermauern. Der größere Teil von ihnen befasst sich mit der ökonomischen und spirituellen Sorge um den Konvent und seine Mitglieder 57 . Das Admonter Predigtkorpus und hier besonders die Marienpredigten dienten Ingrid Roitner (Wien) als Hauptquelle für ihre ungedruckte Dissertation zum „Marienbild des Hochmittelalters". Ihre Arbeit bietet außerdem den Versuch einer ersten prosopografischen Auswertung der edierten Traditionsurkunden von etwa 1100 bis 1200 hinsichtlich der sozialen Herkunft der Mitglieder des Admonter Frauenkonvents 58 . Im Mittelpunkt der kunsthistorischen Studie von Stefanie Seeberg (München) des Admonter Skriptoriums stehen die Illustrationen des Admonter Matutinale, anhand derer sie Fragen nach ikonografischen Themen und ihren Entwicklungen und Veränderungen in Beziehung zu solchen nach Formen monastischer Frömmigkeit setzt 59 . Als eines der frühesten illustrierten Breviere überhaupt und gedacht für den täglichen Gebrauch geben Ausstattung des Kodex, Themen der Bilder und Bildformulierungen zahlreiche Hinweise auf die spirituelle Praxis der Admonter Sanktimonialen im 12. Jahrhundert. Ini-
5 6 Ihre Arbeit erfasst Schreiberinnen in den monastischen Gemeinschaften von Admont, Lamspringe, Lippoldsberg, Mallersdorf, Münsterbilsen, Regensburg, Niedermünster, Schäftlarn, Schwarzenthann, Wessobrunn und eines weiteren nicht identifizierten Klosters am Mittelrhein: Beach, Female Scribes; gedruckt 2 0 0 4 als Women as Scribes; dies., Claustration and Collaboration. Für Admont: Cod. Admont. 17, 6 5 0 , 6 8 2 . Im Detail dazu Kap. 2.2.3. 5 7 Admont, Stiftarchiv, Ii/1; zu den „Nonnenbriefen" vgl. Wichner, Nonnenkloster, Anhang n. 18, 318f.; Beach, Voices, hier bes. 38. Zu den Inhalten vgl. unten Kap. 2.1. sowie ausfuhrlich Kap. 4.1.1. 5 8 Vgl. Cod. Admont. 16, 17, 58, 6 2 , 6 3 , 73. Zu einer Übersicht über das Admonter Predigtkorpus siehe auch Borgehammar, T h e Admont Sermon Corpus sowie ders. „Who Wrote the Admont Sermon Corpus?" Roitners Arbeit, Mater misericordiae, ist allerdings nicht handschriftenkundlich orientiert, sondern bietet eine thematische Auswertung auf der Basis der Edition der Sonn- und Feiertagspredigten in PL 174, 2 1 - 6 3 2 (Homiliae dominicales) sowie 6 3 3 - 1 0 6 0 (Homiliae festivales). Zu den prosopografischen Untersuchungen vgl. das Kapitel „Die soziale Zusammensetzung des Admonter Frauenkonvents". Hier wird deutlich, wie vielversprechend zukünftige systematische Untersuchungen besonders unter Einbeziehung einer Auswertung der Admonter Nekrologe sein können. Dazu auch bereits Küsters, Der verschlossene Garten, 166ff. Vgl. dazu ausfuhrlich unten Kap. 4.1.2. 5 9 Seeberg, Illustrationen, zum Cod. Admont. 18 im Vergleich mit den genannten Predigthandschriften und weiteren illuminierten Kodices sowie einer umfassenden Aufarbeitung und Kommentierung der kunsthistorischen Literatur. Siehe auch oben Anm. 4 8 . Für Admont bzw. den süddeutschen Raum vgl. insbesondere Buberl, Handschriften; Borries-Schulten, Handschriften; Mazal, Buchkunst; Pippal, Scriptorien; Telesko, Lambach, Admont, und ders., Buchmalerei. Dazu ausführlich unten Kap. 2.4. und 3.2.
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tialen mit figürlichen und szenischen Darstellungen zu Heiligenviten und biblischen Themen, besonders aber die zahlreichen und außergewöhnlichen Darstellungen zum Fest Maria Himmelfahrt, die erste bekannte Darstellung einer Marienkrönung, sowie Illustrationen der Hoheliedexegese zeigen Maria als Braut Christi und geben der unio mystica einen zentralen Stellenwert. Rachel Fulton (Chicago) beschäftigt sich mit dem Admonter Gebetbuch aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive, sowie mit den Orationes et meditationes des Anselm von Canterbury, die ebenfalls in einer Handschrift des 12. Jahrhunderts in Admont überliefert sind (Cod. Admont 289) 6 0 . In all diesen Texten werden Stellenwert sowie unterschiedliche Aspekte von Maria als zentrales Vorbild und Rollenmodell für die Sanktimonialen deutlich. Sie werden ergänzt durch die Admonter Miracula, eine Handschrift mit einer bemerkenswerten illuminierten Darstellung von Nonnen, die Maria anbeten, die als Lehrerin der Sanktimonialen dargestellt ist. Der Kodex enthält zahlreiche Wundergeschichten, die ihrerseits Einblicke in die Vorstellungswelt der Menschen und die Adaptation von Glaubensinhalten an konkreten Lebenssituationen bieten61. Darüber hinaus hat vor wenigen Jahren Friedrich Ohly als bester Kenner der Materie eine umfassende kommentierte Neuausgabe des St. Trudperter Hoheliedes vorgelegt, das ebenfalls dem Admonter Kreis zugeordnet wird, wenn es auch keinen direkten Beleg dafür gibt, dass es in Admont entstanden ist. Jedenfalls ist diese frühe volkssprachliche Hohelied-Auslegung im Vergleich mit den genannten, mehrheitlich lateinischen Texten des monastischen Feldes eine unschätzbare Quelle für Fragen nach Vorstellungen, Bildern und Identifikationsmodellen, die gerade in den ÖfFnungsprozessen des 12. Jahrhunderts eine Rolle für das Selbstverständnis geistlicher Menschen gespielt haben mögen62. Diese Arbeiten markieren das Forschungsfeld, innerhalb dessen sich diese handschriftenkundliche Fallstudie situiert. Damit soll gleichzeitig versucht werden, dieses Feld durch weitere Quellenbestände und ihre thematische Verknüpfung mit bereits bestehenden Arbeiten weiter zu erschließen. Einen Beitrag dazu sollen die im Folgenden kurz erläuterten Editionen und ihre vergleichende Analyse mit den genannten Quellen und weiteren Untersuchungen von Texten aus dem Umfeld monastischer Reformbewegungen des 12. Jahrhunderts leisten. Wesentliche Anregungen für Fragestellungen und Vorgangsweise gab Karl Brunner (Wien) mit seinem Aufsatz zu ,,Aspekte[n] des Selbstverständnisses geistlicher Frauen im 12. Jahrhundert" (1999) und in zahlreichen gemeinsamen Lektüren und Gesprächen63. Einen Einblick in die Praxis des Lebens der Admonter Damen bietet der Bericht ihres geistlichen Betreuers und späteren Abtes Irimbert über den Brand des Klosters im Jahr 1152. Der Text findet sich in jener Handschrift, welche die Kommentare Irimberts
6 0 Vgl. Fulton, From Judgement to Passion; zu den pastoralen Beziehungen Anselms von Canterbury zu Frauengemeinschaften vgl. Vaughn, St. Anselm; vgl. dazu auch Kap. 2 . 4 . 6 1 Cod. Admont. 6 3 8 , fbl. 1; dazu die Umschlagillustration, auch bei Seeberg, Illustrationen, Abb. 54. Siehe dazu unten Anm. 81 sowie inhaltlich Teil 3. 6 2 Ohly, St. Trudperter Hohelied, und ders., Hohelied-Studien; Liebesgruß; vgl. die Rezension der Edition Ohlys von Urban Küsters in der Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 1 2 9 / 4 ( 2 0 0 0 ) 5 5 3 - 4 5 9 mit einer weiterführenden Auswahl der wichtigsten Literatur; in diesem Zusammenhang v. a. Spitz, Zur Lokalisierung; Brunner, Selbstverständnis; Küsters, Der verschlossene Garten. 6 3 Vgl. Brunner, Selbstverständnis. Ich möchte mich an dieser Stelle nochmals bei ihm als einem der wichtigsten kontinuierlichen Begleiter dieser Arbeit bedanken.
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zu den alttestamentarischen Büchern der Könige enthält. Irimbert war laut eigenen Angaben durch die nächtliche Brandkatastrophe überrascht worden, was ihn dazu veranlasste, die Geschehnisse an Ort und Stelle festzuhalten und bei dieser Gelegenheit einen Exkurs über die Lebensverhältnisse im Admonter Frauenkonvent anzufügen. Der Text wurde bereits 1725 von Bernhard Pez im Rahmen seiner „Biblioteca ascetica" ediert; Teile davon wurden von Jakob Wichner in seiner Darstellung der Geschichte Admonts übernommen 64 . Er gehört zu den wenigen erhaltenen Schlüsseltexten der Hirsauer Reformbewegung, die sich im Rahmen der zeitgenössischen Diskussionen um das monastische Zusammenleben von Frauen und Männern nach dem Vorbild der vita apostolica über einige kurze Bemerkungen hinaus mit Fragen der Praxis des klausurierten Lebens auseinander setzen65. Eine wichtige Erweiterung der vergleichenden Fragestellungen ermöglichte die Habilitationsschrift von Gisela Muschiol (Bonn) zu Klausurkonzepten des 12. Jahrhunderts aus kirchenhistorischer und geschlechtergeschichtlicher Perspektive. Sie gibt nicht nur einen Uberblick über die Geschichte der kirchenrechtlichen normativen Klausurbestimmungen, sondern diskutiert anhand des Briefwechsels zwischen Heloi'se und Abaelard, der Schrift des Idung von Prüfening Argumentum super quatuor questionibus sowie der Explanatio regulae S. Benedicti und der Korrespondenz Hildegards von Bingen einige der prominentesten Beispiele einer zunehmend auch „theoretisch-konzeptionell" geführten Auseinandersetzung über Fragen des „richtigen" Zusammenlebens, die sie wiederum in Bezug zu zeitgenössischen, stärker an der Praxis orientierten Quellen stellt66. Dasselbe gilt für die Neuedition des um 1140 entstandenen Speculum virginum als eine der zentralen zeitgenössischen Quellen für die Unterweisung von Frauen durch Männer im Rahmen der cura monialiurrP. Die Bedeutung der pastoralen Seelsorge über Geschlechtergrenzen hinweg, aber auch die damit verbundenen Gefahren für die Keuschheit und damit das Seelenheil beider Geschlechter, waren eines der wichtigsten Themen, die in den Reformbewegungen bei der Umsetzung der Vorstellungen der vita apostolica als vita monastica theoretisch wie praktisch debattiert wurden. Diese Fragen stehen seit einigen Jahren im Mittelpunkt der Arbeiten einer Gruppe von Forscherinnen und Forschern um Constant Mews (Melbourne), der 2001 mit dem Sammelband „Listen Daughter. The Speculum Virginum and the Formation of Religious Women in the Middle Ages" eine wichtige Aufsatzsammlung zu diesem Thema vorgelegt hat 68 . Der Bericht Irimberts über das vorbildliche klausurierte Leben der Admonterinnen scheint Teil dieser Debatten um die Bedingungen eines heiligmäßigen Lebens zu sein und weist dementsprechend eine Reihe von Widersprüchlichkeiten auf. Deshalb soll der 6 4 Cod. Admont. 16, pp. 618A-620; Edition bei B. Pez, Biblioteca ascetica VIII, 1725, 4 5 5 ^ 6 3 unter dem Titel Venerabiiis Irimberti de incendio monasterii sui ac vita et moribus virginum sanctimonialium parthenonis Admontensis narratio, siehe auch Wichner, Geschichte 1, 256—258, n. 22 und 2, 188f. Weitere mehr oder weniger ausführliche Darstellungen in Urkunden, Chroniken und Briefwechseln gibt es etwa für die Klöster Lippoldsberg, Zwiefalten, Petershausen, Reinhardsbrunn und Schönau, die zum Vergleich mit den Admonter Quellen herangezogen werden. Dazu unten Kap. 2.2. und 2.3. 6 6 Muschiol, Klausurkonzepte; vgl. dies., Reinheit und Gefärdung; Von Benedikt bis Bernhard, sowie Liturgie und Klausur. Eine Ubersicht auch bei Roitner, Mater misericordiae, Kap. II 3.a. 6 7 Seyfarth, Speculum virginum, sowie dies., The Speculum virginum: The Testimony of the Manuscripts 4 1 - 5 7 . Vgl. dazu ausführlich Kap. 2.2.-2.4. 6 8 Mews, Listen Daughter, besonders ders., Virginity, Theology, and Pedagogy, ebd. 15-40. Vgl. außerdem ders., Hildegard of Bingen, the Speculum virginum and Religious Reform, und ders., Monastic Educational Culture Revisited.
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Text durch eine Neuedition nicht nur in den in der Darstellung zitierten Passagen, sondern vollständig zur Diskussion gestellt werden. Dies erleichtert auch eine Bezugnahme zu weiteren Admonter Quellen, besonders zu historiografischen Notizen und zu den Admonter Zusätzen zu den Constitutiones Hirsaugienses, die ihrerseits Hinweise auf Ambivalenzen in der Admonter Praxis geben 69 . Dasselbe gilt für die sogenannte „ Vita magistrae", die Lebensbeschreibung einer namentlich nicht genannten gelehrten Admonterin, die vermutlich bald nach dem Tod Abt Wolfolds (1137) von einer gewissen Gertrud verfasst wurde, über die ebenfalls keine prosopografischen Nachrichten existieren. Der Uberlieferungszusammenhang ist ungleich komplexer als jener des Irimbert-Berichtes und lässt in einigen Fragen — etwa hinsichtlich der Autorinnenschaft der Geschichte ebenso wie der Identität ihrer Protagonistin — zwar plausible Vermutungen und Schlussfolgerungen, nicht aber eindeutige Nachweise zu. Die Vita ist in einer Sammlung hagiografischer Texte, dem Passionale Sanctorum aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts, als etwas späterer fragmentarischer Eintrag überliefert. Beginn und Ende fehlen, ebenso Titel oder Überschrift 70 . Inhaltlich bietet die Lebensbeschreibung ein weiteres Dokument zu gemeinschaftlichem Leben und liturgischer Praxis im Frauenkonvent und darüber hinaus zahlreiche Informationen zum sozialen Status der Hauptperson, ihrem Bildungshintergrund sowie den Vorstellungen, die man in Admont vom Stellenwert intellektueller Fähigkeiten, Bildung und Wissen hatte. Die Neuedition der Vita soll daher sowohl ein detailliertes „Gegen-Lesen" des Textes mit dem Irimbert-Bericht ermöglichen als auch die Verbindung zu den Fragen nach den konkreten Bedingungen und Abläufen von Textproduktion und Zusammenarbeit zwischen Mönchen und Nonnen herstellen. Wie die oben erwähnten Textbeispiele zur „Klausurpraxis" soll die Admonter Vita außerdem vergleichbaren Dokumenten gegenüber gestellt werden, so etwa dem Briefwechsel und der Lebensbeschreibung der Elisabeth von Schönau und der Reinhardsbrunner Briefsammlung, deren inhaltliche Gemeinsamkeiten besonders in der Fülle von Informationen über die monastische Lebenspraxis liegt. In beiden Fällen stehen mit den Texten von Joachim Kemper und Julie Hotchin jeweils aktuelle Untersuchungen zur Verfügung 71 . Siehe die Edition im Anhang 1, sowie das folgende Kapitel. Vgl. v. a. Cod. Admont. 475 und 501: Vita Gebehardi et succesorum eius; Chronicon et Diplomatarium Admuntense; Annales Admuntenses und Continuatio Admuntensis; dazu Mairold, Handschriften 60f., n. 66: Cod. Admont. 475, und 61, n. 68: Cod. Admont. 501. Vgl. außerdem die Constitutiones Hirsaugienses mit den Admonter Zusätzen: Cod. Admont. 497 und 518, letztere ediert bei Wichner, Geschichte 2, 3 1 - 3 3 (dt.) mit Anm. 36, 186f. (lat.) und Arnold, Admont 386f. 70 Vita, ut videtur, cuiusdam magistrae monialium Admuntensium in Styria saeculo XII, in: Analecta Bollandiana 12 (1893) 356—366. Beim Admonter Passionale Sanctorum handelt es sich um das dortige Exemplar der unter dem Titel Magnum Legendarium Austriacum in mehreren österreichischen Klöstern erhaltenen mehrbändigen hagiografischen Sammlung: Cod. Admont. 24 und 25; die Vita befindet sich in Cod. Admont. 25, fol. 235r-v. Siehe die Edition im Anhang 2, sowie Kap. 2.3., zu Überlieferung, Kodikologie und Inhalt. Dazu Ziegler, Katalog Zwettl 38 mit weiteren Literaturangaben. Vgl. auch die Abb. 12 im Anhang. 7 1 Hotchin, Abbot as Guardian untersucht ausgewählte Schreiben der Reinhardsbrunner Briefsammlung auf ihre Aussagen zur cura monialium und ihrer Bedeutung für die Wahrnehmung von Geschlechterverhältnissen. Joachim Kemper, Das benediktinische Doppelkloster Schönau, schließt einer systematischen Darstellung der Geschichte des „Doppelklosters" Schönau eine Untersuchung der Briefe und Visionen Elisabeths hinsichtlich ihres Aussagewertes zum klösterlichen Alltag an. Dazu v. a. auch die Arbeiten von Anne Clark, bes. ihre Monografie über Elisabeth sowie dies., Holy Woman or Unworthy Vessel.
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Schließlich sollen die von Alison Beach edierten „Nonnenbriefe" im Vergleich mit mehreren Schreiben Gerhohs von Reichersberg untersucht werden. Die Briefe des Propstes von Reichersberg sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Zum einen dokumentieren sie die engen pastoralen und intellektuellen Beziehungen Gerhohs zu den Admonter Damen 72 ; zum anderen zeigen sie einmal mehr das besondere Interesse und die eingehende Beschäftigung der Sanktimonialen mit exegetischen Fragen, zumal mariologischen Inhalts. In einem der Schreiben, das u. a. in zwei Admonter Handschriften, Cod. Admont. 579 und der teilweise illuminierten Sammelhandschrift Cod. Admont. 602 überliefert ist, wird zudem eine der aktuellsten und umstrittensten mariologischen Fragen der Zeit - jene nach der leiblichen Auferstehung Marias - umfassend in Zusammenhang mit solchen nach Bedeutung und Rolle des weiblichen Geschlechts und weisheitstheologischen Überlegungen gebracht. Der Brief stellt damit ein zentrales Bindeglied zwischen den bereits angeführten Quellen dar und wird aus diesem Grund ebenfalls vollständig im Anhang wieder gegeben 73 . Historiografische Quellen und die Admonter Nekrologe 74 werden überwiegend nach den vorhandenen älteren Editionen zitiert. In Fällen unsicherer Lesungen oder wenn die Texte nur in Auszügen wiedergegeben sind (etwa bei Wichner), wird direkt auf die Handschriften verwiesen. Darüber hinaus werden folgende Quellengruppen sowohl inhaltlich als auch regional übergreifend zur vergleichenden Analyse herangezogen: Für die thematisch übergreifenden Fragestellungen der Untersuchung sind Briefwechsel methodisch besonders interessant 75 . Zunächst handelt sich um eine Quellengattung, die es erlaubt, Geschlecht als relationale Kategorie in den Blick zu bekommen: Verglichen werden Briefwechsel zwischen Frauen, zwischen Männern sowie zwischen Frauen und Männern. Gefragt wird nach den Gegenständen der Diskussionen, den Rollen, welche die Schreibenden einnehmen, der (unterschiedlichen) Verwendung von Begriffen und Bescheidenheitstopoi. In diesem Zusammenhang ist zusätzlich von besonde7 2 Drei Schreiben aus einer Mondseer Handschrift aus dem 12. Jahrhundert heute Wien ÖNB cvp. 1754, Editionen: B. Pez, Thes. 6,1, 5 9 3 - 6 0 8 , PL 193, 6 0 7 - 6 1 8 ; Regesten bei Van den Eynde, L'ceuvre littéraire 198f., n. 28; 199f., n. 29; 228, n. 135; sowie Classen, Gethoh von Reichersberg 404, nn. 1 6 1 163; vgl. auch ders., Aus der Werkstatt; El Kholi, Lektüre in Frauenkonventen 96—99. Dazu v. a. Kap. 2.4. und 4.1. 7 3 Cod. Admont. 579, fol. 35r-38r (AD 1) dient als Basis für die Wiedergabe des Textes; eine weitere Fassung existiert in Cod. Admont. 602, fol. 15r—21 r (AD 2), vgl. Anhang 3 und S. 138 mit Anm. 64. Edition: Gerhohi Opera inédita 2,2: Tractatus et libelli, ed. D. und O. van den Eynde, A. Rijmersdael. Accedunt Gerhohi epistolae tres, ed. P. Classen (Spicilegium pontificii Athenaei Antoniani 8, Rom 1955). Weitere handschriftliche Uberlieferung, Regest und ältere Literatur bei Classen, Gerhoh von Reichersberg 403f., n. 160; Seeberg, Illustrationen 112-118 mit Abb. 23 und 76 zur Bedeutung der Himmelfahrt-Stelle. 7 4 Zu den wichtigsten historiografischen Quellen vgl. oben Anm. 69. Die Admonter Nekrologe sind in insgesamt drei Handschriften aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts bzw. dem Beginn des 13. Jahrhunderts überliefert (Cod. Admont. 184, 575a, 686a) und wurden 1904 gemeinsam von Sigismund Herzberg-Fränkel ediert. Zur Datierung ebd. 287, sowie auch Mairold, Handschriften 44, n. 27: Cod. Admont. 184 (1202-1205/08) und 70, n. 92: Cod. Admont 686a (1169-1171). Cod. Admont. 575a ist hier nicht erfasst. 7 5 Aus der kaum überschaubaren Literatur vgl. etwa Cherewatuk/Winthaus, Dear Sister; Classen, Frauenbriefe; Constable, Letters; Goldsmith, Writing the Female Voice; Signori, Meine in Gott geliebte Freundin.
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rem Interesse, dass die Kategorie Wissen — also Fragen von Schriftkundigkeit, Wissen, Wissensfähigkeit, der Austausch von Büchern oder das Abschreiben von Texten - selbst oft Thema der Briefe sind 76 . Lohnend ist auch ein - zumindest stichprobenartiger - Vergleich zwischen zeitgenössischen Briefen und solchen frühmittelalterlicher Autoritäten, v. a. der Kirchenväter. Sie sind gleichsam an der Schnittstelle zwischen normierenden Diskursen und Alltagspraxis angesiedelt. Viele der Begriffe und Konzepte, die erst allmählich Bestandteil kirchenrechtlicher Normen wurden, sind nicht zuletzt in den spätantiken und frühmittelalterlichen Briefwechseln der Patristik entwickelt und geprägt worden, d. h. in der Praxis des Austausches über grundsätzliche Fragen einer konkreten Wirklichkeit religiösen Lebens. An diesem Dialog waren damals wie im 12. Jahrhundert Männer wie Frauen beteiligt 77 . Dazu kommen hagiografische Quellen, die Frauen als Identifikationsmodelle für ein vorbildhaftes monastisches Leben präsentieren78, sowie Widmungsbriefe 79 . Schließlich wird versucht, die vorgestellten Texte in Bezug zu weiteren Quellentypen zu setzen, bei denen explizit nachvollziehbar oder implizit anzunehmen ist, dass sie sich an Frauen wie Männer als Publikum richteten, um auch hier nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten zu fragen. Dies sind etwa liturgische Bücher und Specula, Gebetbücher und Miracula und nicht zuletzt exegetische Schriften, besonders Hohelied-Auslegungen, wie sie in Admont in mehreren Handschriften vorhanden waren 80 . Zwei besonders eindrucksvolle Wundergeschichten aus dem Admonter Codex 638 werden in Teil 3 der Arbeit ausführlich diskutiert und ebenfalls im Anhang in vollständiger Edition wiedergegeben81. Die handschriftliche Uberlieferung wird ansonsten, wenn möglich, immer dort konsultiert, wo die Illustrationen der Texte für das Verständnis der Wechselwirkungen von Schrift und Bild in der liturgischen und „pädagogischen" Praxis des monastischen Lebens von Belang sind 82 .
7 6 Etwa in der Reinhardsbrunner Briefsammlung; dazu Hotchin, Abbot as Guardian sowie unten Kap. 2.3.3. 7 7 Vgl. v. a. Constable, The Reformation of the 12th Century, und die Beiträge in Signori, Meine in Gott geliebte Freundin. Dazu mit weiteren Literaturangaben besonders in Hinblick auf die pastorale Praxis Kap. 2.4.1. 78 Exemplarisch Smith, Oral and Written; Forschungsüberblick bei Goetz, Frauen im frühen Mittelalter 105-152, sowie zusammenfassend van Houts, Memory and Gender 181 f. Ausführlich dazu unten Kap. 2.3.4. und 3.1. 79 Vgl. das Beispiel Idungs von Prüfening und Kunigundes von Niedermünster S. 27. 80 Für Admont z. B. Cod. Admont. 602, fol. I4v: Incipit epistola domini Gerhohi de dormitione Sancte Marie qualiter de Greco translata sit in Latinum, Cod. Admont. 579: Honorius Augustodunensis, Sigillum Beatae Mariae; Cod. Admont. 229: Psalterium glossatum mit Darstellungen der hl. Ursula, Kunigunde, Katharina (vgl. Seeberg, Illustrationen 73 mit Anm. 363f., dort auch Verweis auf weitere Admonter Handschriften); Cod. Admont. 225: Honorius Augustodunensis, Expositio in Cantica Canticorum, und Cod. Admont. 530: Irimbert, Kommentar zum Hohelied; beide 2. H. 12. Jahrhundert. Zum Vergleich auch ein vermutlich aus dem Nonnberger Frauenkonvent stammendes Gebetbuch: St. Emmeram, Clm. 14848; dazu Heimerl, Mittelalterliche Frömmigkeit 21ff.; Zu den Admonter Beständen vgl. Wichner, Catalog (wie oben Anm. 36); Seeberg, Illustrationen 21-26 (mit weiterführender kunsthistorischer Literatur); inhaltlich dazu ausführlich Kap. 3.2. 81 Anhang 4: Cod. Admont. 638, fol. 66v-68r und 82r-83v. 82 Anhand des HD vgl. oben Kap. 1.2.; fur einen Vergleich zwischen dem Speculum virginum und Admonter Quellen: Powell, Audio-Visual Poetics of Women's Religious Instruction sowie dessen Vortrag „Mirror of Virgins or Mirror of Instruction? Enclosure, Collatio and Women's Instruction in the Specu-
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Schließlich sollen diese Fragen mit Blick auf die intellektuellen und personellen Netzwerke, also etwa die Rezeption von Autoren wie Honorius Augustodunensis und Rupert von Deutz, Bernhard von Clairvaux, Gerhoh von Reichersberg und Idung von Prüfening in Admont, gestellt weden. Man gewinnt nahezu den Eindruck eines diskursiven Netzes, in das eine Reihe von Personen im Rahmen ihrer Gemeinschaften eingebunden waren, in dem Bilder und Konzepte von einem gottgefälligen (und gleichzeitig privilegierten) Leben im Kloster entwickelt wurden, die sich einerseits aus dem bestehenden semantischen und symbolischen Reservoir speisten, aber andererseits neue Elemente enthielten. Dieser Diskurs scheint jedoch nicht gegenüber dem monastischen Denken abgeschlossen zu sein. Hier gilt es schließlich nach den Berührungspunkten und möglichen wechselseitigen Einflüssen zwischen diesen Texten und den in Admont entstandenen Quellen zu fragen 83 . Auch dabei werden in erster Linie die vorhandenen Editionen benutzt, außer wo ein direkter Bezug auf in Admont vorhandene Handschriftenbestände notwendig oder lohnend erscheint.
2.2. Leben im Kloster 2.2.1. Die vorbildliche Lebensweise der Admonter Schwestern In der Nacht vom 10. auf den 11. März des Jahres 1152 wurde das Admonter Kloster von einem Unglück geschlagen, das seinen Insassen einmal mehr die Vergänglichkeit des irdischen Lebens vor Augen führte. Und so beginnt der Bericht des geistlichen Betreuers der Admonterinnen und späteren Abtes Irimbert über den Brand des Klosters mit einem Zitat aus dem Hebräerbrief (13, 14): „Denn auf Erden gibt es keine Stadt, in der wir bleiben können. Wir warten auf die Stadt, die kommen wird" 84 . Dieser Text ist nicht zuletzt aufgrund seines Entstehungszusammenhanges interessant. Er befindet sich in einer der Predigthandschriften, welche die Kommentare Irimberts zu den alttestamentarischen Büchern der Könige enthält: Während seiner Ausführungen zum 4. Buch wurde Irimbert nach eigenen Angaben durch das Ereignis der nächtlichen Brandkatastrophe überrascht, was ihn dazu veranlasste, die Geschehnisse offenbar unmittelbar danach niederzuschreiben. Ein besonderer thematischer Zusammenhang zwischen dem Bericht Irimberts über den Brand und das Nonnenkloster einerseits und den Inhalten von 4 bzw. 2 Könige ließ sich nicht herstellen. Die Exegese der Kö-
lum Virginum" bei der Internationalen Konferenz „Manuscripts and Monastic Culture: Admont and the Twelfth-Century Renaissance in Germanic Lands" (7.-10. August 2002, Stift Admont). 83 Siehe dazu besonders den Vortrag von Rodney Thomson „The Place of the Germanic Lands in the Twelfth-Century Renaissance" (wie oben Anm. 82) sowie ders., Richard Southern and the TwelfthCentury Renaissance, der in beiden Texten ein mögliches Forschungsprogramm umreißt und in seiner Arbeit verfolgt. Im Zusammenhang mit Admont vgl. besonders Kap. 3.2. und 4.2. Rod Thomson gilt mein Dank für zahlreiche Anregungen und umfassende detaillierte Auskünfte zu den zeitgenössischen intellektuellen Netzwerken. 84 Irimbert, Bericht I (siehe Edition im Anhang 1 sowie Abb. 3): N o n enim habemus hic manentem civitatem, sed futuram inquirimus. Quae sententia doctoris gentium quanta veritate fulciatur, in ea, quae nobis accidit, rerumpermutatione declaratur. Pez, De Incendio 455, Anm a, weist das Zitat als Römer 13, 14 aus. Es handelt sich allerdings um Hebräer 13,14. Die exakte Angabe des Datums folgt erst am Ende des Berichtes, XX: ... Factum est autem istud incendium lugubre Admuntensis monasterii V. Idus marcii, qua nocte sequenti instabat festum beati Gregorii.
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nigsbücher gehörte im 12. Jahrhundert zum Standardrepertoire der Weisheitstheologie. Zu seinem Entschluss, die Kommentare dazu schriftlich festzuhalten, und zur Beteiligung der Admonter Sanktimonialen bei diesem Unternehmen äußert sich Irimbert im übrigen nicht nur an dieser Stelle, sondern mehrfach, meist gegen Ende der Prologe. So erfahren wir einiges über die Praxis der Seelsorge und auch der Textproduktion in Admont 85 . Irimbert hatte sich gemeinsam mit jenem Bruder, der ihm bei der Niederschrift seiner Bibelexegesen half, zum Stundengebet in der Marienkapelle aufgehalten, als sie durch lautes Geschrei in ihrer Andacht gestört wurden 86 : Als sie die Kapelle verließen, sahen sie zunächst nichts, sondern hörten nur erheblichen Lärm aus der Richtung des Spitals. Dort war nämlich einer der Knechte beim Feuermachen unachtsam gewesen, der starke Wind hatte das Haus in Flammen gesetzt und das Feuer breitete sich mit unglaublicher Geschwindigkeit aus. Irimbert — sein Bericht wechselt ins Präsenz — läuft daraufhin hinüber zur Kirche, wo die Mönche und Laienbrüder nach wie vor im Chor Psalmen singen. Von den Laienbrüdern, die hinten stehen, damit sie nicht sitzend beim nächtlichen Beten einschlafen, laufen schon die ersten ins Freie, um zu sehen, was es gäbe. In der Zwischenzeit haben die Flammen bereits vom Spital auf die Marienkapelle übergegriffen, und die Größe des Feuers und Stärke des Windes machen es unmöglich, der Gefahr beizukommen. Jetzt unterbrechen die Mönche ihr Gebet, und auch die Nonnen erhalten von Irimbert ein Zeichen und werfen sich unter Tränen zu Boden, um Buße zu tun. Nun erfassen die Flammen den (Männer-)Konvent — und Irimbert lässt es sich an dieser Stelle nicht nehmen, auch die bauliche Großartigkeit des Klosters zu betonen: Durch die Unterstützung des seligen Erzbischof Konrad nämlich sei es mit überaus wertvollen Marmorsäulen errichtet worden 87 . Der Abt (Gottfried) sieht, dass sich das Feuer unablässig auf alle Gebäude ausbreitet und nun auch droht, auf das Frauenkloster überzugreifen, und furchtet, dass die Nonnen die Klausur nicht mehr verlassen können. Er lässt daher nach dem Prior suchen, 85 Cod. Admont. 16, pp. 618A-620, Buch IV, c. 14, 7. Die Zählung ist jene der Vulgata, die insgesamt vier Bücher Könige von der Entstehung des biblischen Königtums an nennt. Die ersten beiden Bücher, 1 und 2 Könige, werden in der heutigen Einheitsübersetzung nach dem hebräischen Text als Samuelbücher - 1 und 2 Samuel - geführt: 1 und 2 Könige der Vulgata (d. h. sowohl der Predigten Irimberts als auch der Edition durch Pez) sind mit 1 und 2 Samuel wiederzugeben, während 3 und 4 Könige der Vulgata heute 1 und 2 Könige entsprechen. Vgl. Irimbert, Bericht II: Feria namque secunda medie quadragesime expositionem meam sero hic dimiseram. Vgl. dazu auch den Überblick bei Roitner, Mater misericordiae, Kap. V.9.a.: Weisheit und Weisheitstheologie in den kanonischen und außerkanonischen biblischen Schriften mit einer umfangreichen Bibliografie. 86 Irimbert, Bericht III; vgl. dazu Reg. S. Ben. 12 und 13 zu den Laudes an Sonn- und Werktagen. Bei der inhaltlichen Analyse gehe ich so vor, dass alle besprochenen Quellentexte zunächst ausführlich und im Detail vorgestellt, und in den folgenden Abschnitten und Kapiteln auf ihre verschiedenen textuellen und kontextuellen Aspekte, mögliche Lesarten und Interpretationsvarianten untersucht werden. Vgl. dazu auch die Erklärungsgrafiken Abb. a und b. im Anhang. 87 Irimbert, Bericht V: Luctus omnium oritur et matutini fratrum interrumpuntur. Sorores accepto a me signo in secundi nocturni initio deponunt matutinos et in supplicationem letaniae cum incomparabili lachrimarum effusione seprosternunt. FUmma ex una parte monasterium occupat, ex alia in claustrum se dilatat, cui vix simile in eis montanis partibus inveniri poterat, quia sumptibus beatae memoriae domini Chünradi archiepiscopi expreciosissimo marmore constructum fuemt, eisdemque sumptibus pretiosae columpnae monasterii eminebant. Zu Erzbischof Konrad von Salzburg und den Beziehungen zwischen dem Erzbistum und Admunt vgl. oben S. 53f.; zum Zeichen Irimberts an die Nonnen S. 85f.
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dem er die Schlüssel für das Kloster anvertraut hat. Dieser ist allerdings in der Dunkelheit und im allgemeinen Chaos nicht zu finden, worauf der Abt die Riegel der Pforte aufbrechen lässt und den Nonnen die Erlaubnis erteilt, das Kloster zu verlassen, sollte sich die Gefahr des Brandes nicht abwenden lassen. Die Schwestern - allen voran Agnes, die Tochter des Grafen Otto (von Wolfratshausen) - weinen und fragen, wohin sie denn gehen sollen, worauf ihnen der Abt ebenfalls unter Tränen antwortet, „wohin auch immer Euch das Erbarmen des höchsten Vaters führen möge" 88 . Dieser hat auch tatsächlich ein Einsehen, dass so viele hochgeborene Frauen, die sich aus Liebe zu Christus einschließen haben lassen, nicht ihrer Wohnung in seinem Kloster beraubt werden dürften 89 . In der Zwischenzeit hatte das Feuer bereits den größten Teil des Klosters vernichtet - Kirche und Kapelle, die Gebäude der Mönche und jene der Laienbrüder sowie den oberen Teil des Kellers, wo sich die Vorräte befanden — und begonnen, ins Innere des Vorratsgebäudes vorzudringen. Doch nun drehte sich endlich der Wind, wodurch die lebensnotwendigen Vorräte sowie das Frauenkloster von den Flammen verschont blieben. Irimbert nimmt nun die Gelegenheit wahr, detaillierte Angaben über die konkreten Modalitäten der strengen Klausurierung — districtio custodiae - der Nonnen zu machen 90 . Es gibt gegenüber dem Altar eine einzige Pforte zum Frauenkloster, die durch insgesamt drei Schlösser versperrt ist (XI). Zwei der Schlüssel werden in Gewahrsam zweier älterer Mönche gehalten, den dritten hat die Schwester magistra, die Leiterin der Frauengemeinschaft. Die Tür darf nur geöffnet werden, wenn eine Schwester in das Kloster eintritt bzw. eine verstorbene Nonne begraben werden soll. Mönche und Laienbrüder haben grundsätzlich keinen Zutritt, und auch Abt und Prior dürfen die Klausur nur anlässlich der letzten Kommunion, Ölung bzw. Beichte einer sterbenden Schwester betreten. Auch diese Kontakte dürfen ausschließlich in Anwesenheit von zwei bis drei Zeugen stattfinden. Darüber hinaus sind die Nonnen niemals allein, sondern immer in Gemeinschaft ihrer Mitschwestern, ob im Konvent oder in der Kirche, im Speise- oder im Schlafsaal (XII). Auch dies ist offenbar ein Mittel der wechselseitigen Aufsicht. Mit Außenstehenden - und dazu gehören auch Abt, Prior und Mitbrüder - können sie nur durch ein Fenster im Kapitelsaal sprechen, durch das sie auch geistliche Ermahnungen hören,
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Irimbert, Bericht VII: Quem cum domna Agnes, filia comitis Ottonis, fratris episcopi Ratisponensis lachrimabiliter inquireret, quorsum ire deberent, lachrimabiliter et ipse respondit, quocumque vos miseratici Summi Patris duxerit. Vgl. Joh 6, 69. Die Hervorhebung von Agnes, die als einzige - wenn auch einige Jahre später (1168) anlässlich ihrer Bestellung zur Äbtissin von Neuburg - namentlich als magistra genannt wird, lässt vermuten, dass sie diese Funktion schon zum Zeitpunkt des Brandes inne hatte. Dazu 56f. u n d 187f. 89 Irimbert, Bericht VIII: Jam tempus miserendi venerat, quia Celestis Pater in ira misericordiae memor esse debuerat, ne de habitatione sui monasterii tot sorores claris ortas natalibus nocturno tempore contingeret eici, quae se pro amore Filii Dei custodiae mancipaverant carcerali, cuius custodiae districtionem non debeo silentio praeterire. Sedprius ceptum ordinem incendii volo transire. Ebd. sowie XI: Ut autem de hoc ipso monasterio sororum, sicutpromisimus, aliqua succincte dicamus, beatae memorie domini Chùonradi Salzpurgensis archiepiscopi temporibus, ipsius Consilio et auxilio undecunque venientibus sororibus hocpraeparavit et ordinavitpiae memoriae domnus abbas Wolvoldus. Der Text ist
damit ein weiterer Beleg für die Datierung der Entstehung des Admonter Frauenkonvents. Vgl. S. 75, Anm. 12. Für Überlegungen, warum Irimbert seinen Bericht in diese Handschrift eingefügt haben mag, vgl. S. 8 4 - 8 7 sowie 103f.
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samstags beichten und sonntags die Kommunion empfangen. Alle Gespräche - ob mit dem Abt, geistlichen oder weltlichen Freunden oder Nahestehenden - mit Ausnahme der geheimen Beichte — müssen im Beisein von zwei bis drei älteren und erfahrenen Schwestern geführt werden. Außerdem muss dafür immer die Erlaubnis der magistra eingeholt werden, außer wenn der Abt zugegen ist, mit dem allein sie wie Töchter zu einem Vater sprechen 91 . Nach dieser Beschreibung der äußeren Bedingungen der Klausur erläutert Irimbert einige Aspekte des liturgischen Tagesablaufes und des Zusammenlebens der Admonter Nonnen (XIII): Die Schwestern erfüllen die in der Benediktinerregel vorgeschriebenen liturgischen Pflichten nicht anders als die Männer. Sie stehen im Sommer wie im Winter mit dem Klang der Glocke gleichzeitig mit ihnen zu den frühmorgendlichen Vigilien auf, die sich in der Winterzeit bis in den Tag hinein erstrecken 92 . Dasselbe gilt für Fasten und für die Kleidung, die nur der Erfüllung der notwendigsten Bedürfnisse dienen soll. Die Kleidung erhalten sie aus den Mitteln ihrer eigenen Kammer, mit Nahrung werden sie aus der Vorratshaltung der Mönche versorgt. Nur die kleinen Mädchen - so Irimbert - dürfen Leinengewänder tragen 93 . Auch bei der Versorgung mit Lebensmitteln gibt es ohne Rücksicht auf ihre hohe Herkunft keinen Uberfluss, und auch die Töchter der edelsten Fürsten werden wie Dienerinnen Christi behandelt und üben sich in der Tugend der Demut. Denn es gilt als besonders verabscheuenswürdig, sich über die anderen zu erheben (XV). Weiters erfahren wir, dass die Schwestern täglich unter dem Vorsitz der magistra oder ihrer Stellvertreterin ihr Kapitel abhalten. Sie sind äußerst gebildet und haben eine bewundernswerte Kenntnis der Heiligen Schrift, sodass einige von ihnen befähigt sind, bei Abwesenheit des Abtes an Festtagen die Aufgabe des Predigens zu übernehmen (XIV). Die Strenge ihrer Lebensweise bleibt kaum hinter den Vorschriften des Klostergründers zurück, im Gegenteil: in vielen Punkten gehen die Nonnen noch darüber hinaus, wenn sie sich „wie Schafe der Schlachtung" Fasten, nächtlichem Wachen und freiwilligen Geißelungen unterwerfen (XVII) 94 . Die Geißelungen, denen sich Männer wie Frauen aussetzen, sind im Übrigen auch Bestandteil des Totenoffiziums, auf das Irimbert im letzten Teil seiner Beschreibung ausführlich eingeht (XVIIIf.). Verstorbene Schwestern bleiben zunächst über Nacht im Frauenkloster, wo die übrigen die umfangreichen Totenfeierlichkeiten begehen 95 . In der Früh wird zunächst die Totenmesse im Frauenkonvent gelesen, sodann der Leichnam von dort zum Männerkloster getragen,
91 Irimbert, Bericht XVI: ... Nulla adfenestram accedit loquendi gratia nisi a magistra accepta licentia, nisi abbatem adesse videant, cui soli utfiliae patri loqui audeant. 92 Irimbert, Bericht XIII: Toto anni tempore, estate vel hieme adsonum campane ad Vigilius matutinas cum fratribus surgunt ordinemque vigiliarum toto tempore hiemali usque in diem extendunt. Die Regula S. Benedicti, c. 8 - 2 0 enthält die Bestimmungen zum gemeinsamen Gebet, für das man in verschiedene Tages- und Nachtzeiten, Sonn- und Werktage sowie Winter- und Sommerzeiten unterschied. Ebenso wird detailliert festgehalten, welche Lesungen und Gebete — also Psalmen, Responsorien, Antiphonen, Hymnen etc. - gelesen bzw. gesungen werden sollten; vgl. ebd., c. 9 - 1 1 zu den Vigilien. Zu den einzelnen Teilen des monastischen Offiziums, des täglichen Stundengebets vgl. neben der Benediktregel außerdem den Hirsauer Liber Ordinarius (ed. Hänggi 1957). Dazu auch Heinzer, liber Ordinarius. 93 Zur Versorgung und Kleidung vgl. unten Kap. 4.2.1.; zur Thematisierung von Kindern im Kloster siehe Kap. 4.1., besonders S. 184-186. 94 Irimbert, Bericht XVII: Nec inmerito, quippe quae cottidie propter Christum sicut oves occisionis ieiuniis, vigiliis et spontaneis flagellis mortificantur. Vgl. Ps 43, 22, zitiert in Rom 8, 36. 95 Zum „Sterben als Prozess" vgl. Kap. 2.3.2. und 3.3.1. am Beispiel der Vita magistrae.
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während die Nonnen unter Tränen das Responsorium „Quomodo confitebor' singen. Nun kümmern sich die Mönche um die weiteren Messfeierlichkeiten und um das Begräbnis auf dem gemeinsamen Friedhof, wo die Brüder auf der einen, die Schwestern auf der anderen Seite bestattet werden. Diese Darstellung wird auch von den Admonter Zusätzen zu den Hirsauer consuetudines bestätigt, in denen die Bestimmungen zum Totenoffizium ebenfalls eine außergewöhnlich prominente Stellung haben96. Die Admonter „Gewohnheiten" erläutern zunächst im Detail die Begräbnisfeierlichkeiten der Männer, die ebenfalls die ganze Nacht hindurch in den verschiedenen Kirchen bzw. Kapellen des Klosters stattfinden97. In der Folge gehen sie umfassend auf das Offizium beim Tod einer Nonne ein, indem sie dort fortsetzen, wo Irimberts Bericht aufhört, bzw. den Vorgang aus der Perspektive der Mönche darstellen. Besonders ausführlich werden die Einzelheiten der Prozessionen von der Kirche zum Frauenkloster und von dort zum Friedhof geschildert, an der die Frauen aufgrund ihrer Klausurierung nicht teilnehmen können98. Nach der Beschreibung des Totenoffiziums kehrt Irimbert wieder zu seiner Rahmenerzählung zurück und fragt nun sein Publikum direkt, ob es sich vorstellen könne, wieviel Schmerz die allerfrommsten Admonterinnen wohl angesichts all der geschilderten Vorteile eines spirituellen Lebens, derer sie durch die Brandkatastrophe beraubt zu werden drohten, bei der Gefahr, aus der Ruhe ihres Klosters vertrieben zu werden, empfunden hätten99. Nach einem kurzen Absatz zum Zeitpunkt des Brandes und zur Wiederaufnahme des monastischen Tagesablaufes (XXI) gibt der Autor die Intention seines Textes preis: Die Leute redeten viel, und unter anderem seien auch Stimmen laut geworden, wonach Nachlässigkeit oder Hochmut ( n e g l i g e n t i a velsuperbia) zur Brandkatastrophe als göttliche Bestrafung geführt hätten. Diesen Vorwurf weist er nun entschieden zurück: Niemand, der das Kloster vorher gesehen hätte, würde am Eifer seiner Insassen beim unablässigen Gottesdienst oder an ihrer Enthaltsamkeit und Demut (continentia et humilitate) zweifeln! Diese beiden monastischen Haupttugenden seien durch den Brand
9 6 Die Admonter Zusätze zu den Constitutione Hirsaugienses sind in zwei Admonter Handschriften aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts, Cod. Admont. 497 und 518, erhalten. In beiden Fällen wurden zunächst die Hirsauer consuetudines abgeschrieben und dann um die Zusatzbestimmungen ergänzt. Darüber hinaus gibt es einen weiteren Kodex aus dem 12. Jahrhundert aus dem oberösterreichen Kloster Garsten (nunmehr Studienbibliothek Linz, Cod. 287), der beide Texte enthält. Dazu kodikologisch und inhaltlich detailliert Arnold, Admont 3 6 1 - 3 6 7 mit einer Edition der Admonter Zusätze, ebd. 368f.
97 Admonter Zusätze 19, 368f.: Fratrem defunctum primum in ecclesiam sanctae Marineportamus et, donec oratio pro eo dicatur, ante altare sustentamus; dehinc ad maiorem basilicam transferetur, conventu interim Responsoria de maiori vigilia canente. Dum ad capellam funere portato stamus, priores et litterati prope altare, in ecclesia vero seniores versus ianuam, illiterati contra crucem consistunt. 98 Ebd. 21, 369: Soror dum obisse nuntiatur, indifferenter quodlibet tempus sit, omnia ugnapubantur; et dum expeditus a regulari ordine fiterit, conventus in capellam aggregatur et pro defuncta continuatim solita psalmodia recitatur. Cum ex ordine psalterium decantamus, „Pater noster" cum oratione post decem psalmos interponimus. Ante priorem missam cum cruce et candelabris et thuribulo ad monasterium sororum procedimus et corpus sepeliendum, incenso cum benedicta aqua adhibito, levamus at ad nostrum ecclesiam defenmus senioribus utraque vicepostremis in processione euntibus. In exitu psalmos ,J{d dominum cum tribularer", in reditu de maiori defiinctorum o f f i c i o Responsoria cantamus. 99 Irimbert, Bericht XX: Cum ergo his atque aliis multis spiritalis vitae commodis se sorores reliosissime [!] privati pertimescerent, si eas flammarum incendia de quiete sui monasterii exturbarent, quanti putatis in earum cordibus amaritudinum et dolorum fluctus se versarentur?
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nur noch gesteigert worden, der nicht als Bestrafung, sondern als Prüfung Gottes aufzufassen sei100. Der Bericht Irimberts ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Auf den ersten Blick scheint er vor allem die „realen" Lebensbedingungen der Admonter Nonnen in strenger Klausur zu schildern. Bei näherer Betrachtung gibt er aber mindestens genauso viele Hinweise darauf, wie man sich ein derartiges Leben idealiter vorstellte, mit welchem Selbstverständnis ein solches „beschränktes" Leben für die mit der cura monialium betrauten Männer verbunden war und wie dies von den ihnen anvertrauten Nonnen empfunden sein mochte. Als pastoraler Betreuer der Sanktimonialen legt Irimbert den Admonter Damen, allen voran der Grafentochter Agnes, eine Begründung für den Wunsch und das Bedürfnis der Nonnen nach einer klausurierten Lebensweise in den Mund, indem er auf die zahlreichen spirituellen Vorteile eines solchen Lebens hinweist 101 . Deutlich wird hier die Dialektik von Schutz und Begrenzung einerseits und Schutz und Freiheit andererseits: Irimbert betont besonders das Bedürfnis nach diesem Schutz durch die Klausur, deren Bedrohung durch den Brand damit zugleich die Gefahr des Verlustes des Schutzes bedeutet. Dieses Verständnis und die Ambivalenz von Schutz und Bewachung, Fürsorge und Aufsicht kommt auch in der gewählten Terminologie — {carceralt) custodia sowie custodia muniri— zum Ausdruck 102 . Allerdings gibt es - jenseits der räumlichen Trennung von Mönchen und Nonnen zahlreiche Hinweise auf ein Verständnis, das von keiner grundsätzlichen Ungleichheit der Geschlechter ausgeht. Dies gilt für spirituelle Fragen der liturgischen Praxis der Nonnen wie für Fragen der täglichen Versorgung, die im wesentlichen nicht von den Hirsauer Constitutiones abweichen, und reicht bis zu Überlegungen des Umgangs mit Gemeinsamkeit und Trennung, Gleichheit und Differenz über das irdische Leben hinaus: Zwar werden Nonnen und Mönche in getrennten Bereichen des Friedhofes beigesetzt. Das Totenoffizium ist jedoch gleich103, mit der Ausnahme, dass die Nonnen als Folge ihrer Klausur nicht an den Prozessionen und der Beisetzung ihrer Mitbrüder und -schwestern auf dem Friedhof teilnehmen können.
100 Irimbert, Bericht XXII: Diversi forsitan diversa locuntur et cum inscrutabilia esse Dei iudicia apostolus protestetur, ipsi divinorum iudiciorum scrutatores esse moliuntur. Proinde negligentiam vel superbiam tantae desolationis forsitan non verentur asserere causam et super divinae castigationisplagam suarum linguarum adduntpercussuram. Ceterum si quis spiritalis propositi conscius et amator ante incendii excidium illius monasterii statum vidisset, quantus in divino servicio fervor die noctuque flagraret, quanta inter se invicem continentia et humilitate decertarent hoc profecto de eis iudicium dare non dubitaret, quod adversum se Leviathan suscitassent et instar beati lob temptatoris manibus non ad condempnationem, sed adprobationem traditi fiiissent. Quod alii sentiant, nescio. Ego unum scio, quìa qui prius continentiae operam dabant et humilitati, cincti flagello Dei magis magisque in continentiae et humilitatis decore sunt compositi, quoniam iuxta apostoli testimonium diligentibus Deum omnia cooperantur in bonum. 101 Dazu unten Teil 3. 102 Irimbert, Bericht VIII und XIV. Z u diesem pastoralen Verständnis siehe ausführlicher S. 84—87 und S. 1 lOf. Zu den praktischen Aspekten derart strenger programmatischer Klausurbestimmungen und den Möglichkeiten ihrer Einhaltung vgl. Kap. 4.1. und 4.2.1. 103 Vgl. Admonter Zusätze 8, 368: FUgellum pro defiinctis fratribus nostris et sororibus in commune omnes accipimus sowie ebd. 21, 369 (wie oben Anm. 98): Soror dum obisse nuntiatur, indifferenter quodlibet tempus sit, omnia signa pulsantur mit Irimbert, Bericht XIX: Qualiscumque sit illa dies, pro defitncta sorore omnes tarn sorores quam monachi etfratres cum multa devotione flagella suscipiunt idemquepro monacho velfratre defuncto communiter omnes faciunt. Similiter cum obitus fratris appropinquare per tabulam nunciatur a sororibus ad aecclesiam festinatur eiusque transitus divinaepietati intentissime commentiatur.
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Doch auch die freiwilligen Geißelungen als Bußübung anlässlich des Todes einer Nonne, eines Mönches oder eines Laienbruders gelten ausnahmslos für alle Konventsangehörigen unabhängig von Stand, Funktion und Geschlecht der Lebenden wie der Toten. Letzteres ist darüber hinaus auch für die Gebetsgemeinschaft zwischen Admont und Salzburg belegt: In der plenaria fraternitas, die ebenfalls in die Zeit des Abbatiats Gottfrieds zu datieren ist, heisst es unter anderem, dass beim Tod eines (Salzburger) Kanonikers ein (Admonter) Mönch, bei dem einer Schwester eine Nonne und Laienbrüder für verstorbene Laienbrüder gegeißelt werden sollen 104 . 2.2.2. Vita apostolica,
cura monialium
— Ansprüche und Realitäten
Zahlreiche weitere Quellen der Hirsauer Reformbewegung belegen ähnliche Formen der Praxis des monastischen Zusammenlebens von Mönchen und Nonnen, wenn auch selten so umfassende Informationen gegeben werden, wie dies der Bericht Irimberts tut. Eine der wichtigsten Belegstellen, die gleich über zwei Hirsauer Reformklöster Auskunft gibt, ist die bereits erwähnte Lippoldsberger Urkunde (zw. 1095 und 1102), in der die dortigen Nonnen geloben, wie die Sanktimonialen von Schaffhausen ein Leben nach den Hirsauer consuetudines führen zu wollen und nur dort von diesen bzw. von der Benediktregel abzuweichen, wo die manuelle Arbeit betroffen ist. Begründet wird diese Einschränkung mit dem dafür notwendigen Verlassen des Klosters. Dies geht aus der bemerkenswerten Feststellung hervor, sie könnten die benediktinische Vorschrift als Frauen, die für ihre Sünden eingekerkert seien, nicht erfüllen und würden sich daher auf jene Tätigkeiten beschränken, die der Hl. Hieronymus aus diesem Grund für Sanktimonialen vorgesehen habe 105 . Ahnlich wie in Admont ist auch hier von einem mehrfach verschlossenen Klausurbereich die Rede. Für die Schlüssel sind von Abt und Konvent ausgewählte Personen verantwortlich. Auch in Lippoldsberg betritt selbst der Abt den abgeschlossenen Bereich nur zu Krankenbesuchen oder - hier von Irimberts Bericht abweichend — auf gemeinsamen Beschluss zum Empfang von Gästen, die sich allerdings nur solange wie notwendig und nur im Kapitel aufhalten dürfen. Den Kreuzgang und die Wirtschaftsgebäude dürfen sie zwar besichtigen, aber nicht dort bleiben, und auch Gespräche vor dem Fenster „zum Nutzen der Gemeinschaft" haben so kurz wie möglich zu sein. Durch ein Fenster der Küche soll die Nahrung in die Klausur gereicht werden 106 .
104
Gedruckt bei Wichner, Geschichte 1, 270f. nach einer Seckauer Handschrift, zitiert bei Arnold,
Admont 358, Anm. 46 und 48: ... Praebenda et flagella in hoc tantum variantur, ut videlicet pro canonico a monachis, pro fratre a fratribus, pro sorore a sororibus excipiantur. 105 Mainzer Urkundenbuch 1, n. 405, 310f.: Nos sorores promittendo Liudamus inclusionem, sicut hactenus habuerunt Scafliusenses sanctimoniales, et infra hanc inclusionem imitari et observare, in quantum possumus, ordinem et consuetudines Hirsowensium monachorum ... Sed quia opus manuum, quod sanctus Benedictus in regula viris precepit, nos mulieres pro peccatis nostris incarcerate implere non possumus, illud quod de opere manuum sanctus Jeronimus sanctimonialibus precepit, libenti animo, in quantum possumus, adimplere promittimus. 106 Ebd. ... Claves vero huius inclusionis ab Ulispersonis custodiantur, que ad hoc communi Consilio patris et congregationis eliguntur. Ipse quoque pater numquam ingrediatur nisi causa visitandi infirmas vel introducendi cum communi Consilio hospites. Ipse etenim hospites, si ingrediuntur, nusquam sedeant vel loquantur nisi in capitulo, quamdiu utilitas poposcit, et si claustrum vel offìcinas considerare desiderant, hoc non manendo, sed transeundo faciant et statim exeant. Et si diutius tractandum est de utilitate communi, hoc exterius ante fenestram capituli sub brevitate fiat. Quicquid ad victum pertinet, hoc tantummodo per fenestram coquine inferatur.
Dazu Parisse, Frauenstifte 489. Übersetzung und Diskussion auch bei Muschiol, Klau-
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Dass es aber sehr wohl Ausnahmen von der Regel gab, legt die Bestimmung nahe, wonach selbst die Äbtissin geloben muss, das Kloster niemals zu verlassen, außer wenn es unbedingt notwendig ist. Männer dürfen laut dieser Stelle der Urkunde das Kloster mit Ausnahme des Abtes niemals betreten, und auch sein Zutritt zum klausurierten Raum erfordert die Anwesenheit von Zeugen 1 0 7 . Die Chronik des Klosters Zwiefalten, die von einem Mönch namens Ortlieb zwischen 1135 und 1137 verfasst und von dessen Bruder und späteren Abt Berthold kurz darauf ergänzt wurde, berichtet Ähnliches 1 0 8 . W i e in Admont lebten dort Mönche und Laienbrüder einerseits und Nonnen andererseits zusammen, allerdings in getrennten Gebäuden. In beiden Fällen wurden die Häuser etwa zu jener Zeit an einen anderen Ort verlegt, als die Berichte über das Leben im Kloster entstanden 1 0 9 . Auch in Zwiefalten sollte der direkte Kontakt zwischen Männern und Frauen so weit wie möglich unterbunden werden. Auffällig ist hier, dass das Verbot auch fiir Gespräche gilt. Die Frage wird hier allerdings als Bestimmung für die Männer konkretisiert, die auch ihre weiblichen Verwandten nur mit Erlaubnis des Abtes treffen dürfen. M i t Ausnahme der magistri und „bestimmter Personen", mit denen solche mit besonderen pastoralen Kompetenzen gemeint sein könnten, ist Männern dementsprechend auch der Zugang zum Frauenkloster verwehrt 1 1 0 . Weniger streng als in Admont und Lippoldsberg wurde in Zwiefalten dafür offenbar die Trennung von Frauen und Männern nach ihrem Tod praktiziert. Hier erfahren wir mehrfach von Nahestehenden und Wohltätern des Klosters, die unter dem Kapitelsaal begraben wurden - und zwar unabhängig davon, ob sie tatsächlich dem Konvent angehörten, ebenso wie ungeachtet ihres Geschlechts 111 . In den Visionen der Elisabeth von Schönau (ab 1152), die ihr Bruder Ekbert niederschrieb, wird das alltägliche Leben im dortigen Doppelkloster ähnlich geschildert, wie es Irimbert in seinem Bericht über Admont tut. So ist die Rede von getrennten Räumlichkeiten — einer Kapelle sowie Kapitelsaal, Dormitorium und Refektorium - und dem obligaten Fenster, durch das die notwendigen Kontakte gepflegt wurden 1 1 2 . Diese finden
surkonzepte, Kap. 2 . 1 A n m . 1—9. Zu den Außenkontakten „zum Nutzen der Gemeinschaft" vgl. unten Kap. 4.1. und 4.2. 107 Ebd. 311 : ... laudando voveo et eligendo promitto coram deo et sanctis eius in presentiti abbatum me pro remedio anime mee hac contentam essepaupertate et laudo inclusionem solitam et obedientiam patri, non egredi nisi pro maxima necessitate et hoc non sine testimonio, interius et exterius cum testimonio conversari et cum testimonio iterum ingredi, ... numquam sinere infrapredictam inclusionem intrare masculum nec ipsum patrem absque magna necessitate et Semper cum testimonio intrent et exeant. 108 Vgl. dazu die Einleitung zur Edition der Zwiefalter Chroniken Ortliebs und Bertholds, ed. Wallach/König/Müller, 2 - 7 . 109 Zur Verlegung des Admonter Frauenklosters (1144) siehe S. 55. Für den Neubau des Zwiefalter Nonnenklosters siehe Zwiefalter Chroniken, Berthold 240, c. 32: Eodemfere tempore sanctimoniales, quae
prius in cella iuxta parrochialem ecclesiam commanebant, ad orientalem monasterii plagam secus decursus aquarum muro circumsaeptas communis fratrum consensus collocaverat. Zu den Kirchen in Zwiefalten vgl. Halder, Bau- und Kunstgeschichte sowie Muschiol, Klausurkonzepte, Kap. 2.4.1., Anm. 225f. 110 Vgl. Zwiefalter Chroniken, Ortlieb 90, c. 20 (meine Hervorhebung): Nullum ibi virorum
ac mu-
lierum vel in colloquio consortium nullus illic cognatam velgermanam aut etiam ipsam matrem suam cum alterius quam abbatis concessione permittitur'umquam adire, nullus praeter maristros earum et certas personas aliquando sine licentia sinitur ingredi ad illas. 111 Dazu Muschiol, Klausurkonzepte, Kap. 2.4.1., Anm. 2 2 7 - 2 3 3 mit Beispielen und weiterführender Literatur. 112 Geschichte des Klosters, Beschreibung der Quellenlage mit einer Diskussion der älteren Literatur sowie Belegstellen bei Kemper, Doppelkloster Schönau, hier: 94f.
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aus pastoralen Gründen statt, wobei in Schönau zur Messfeier oder Kommunionspende neben dem Abt auch anderen Mönchen Zugang zum Frauenkloster gewährt wird. Explizit erwähnt wird der Besuch des Abtes bei der kranken Elisabeth, der er während einer ihrer Visionen beisteht, ebenso ausdrücklich aber die Tatsache, dass keine Schwester jemals die Klausur verlässt 113 . Die Chronik des Doppelklosters Petershausen wiederum stellt eine besonders deutliche Verbindung zwischen der Programmatik der reformatorischen vita apostolica und den praktischen Anforderungen des monastischen Alltags her. Hier wird im Einklang mit der Argumentation Wilhelms von Hirsau selbst die Gleichwertigkeit von Männern u n d Frauen bei der Nachfolge und militia Christi hervorgehoben. Das gemeinsame Leben im Kloster sei nicht nur keineswegs tadelnswert, sondern im Gegenteil lobenswert, denn beide Geschlechter sollen — wenn auch räumlich von einander getrennt — an einem Ort gerettet werden 1 1 4 . Dementsprechend sind auch die Häuser der Kleriker, Mönche und Nonnen von Petershausen gleich weit vom Oratorium entfernt 1 1 5 . Allerdings ist auch in Petershausen von der Abschließung des Klosters nach außen die Rede. Diese ist allerdings hier in keiner Weise geschlechtsspezifisch konnotiert. Grundsätzlich geht es darum, die geistlichen Menschen vor äußeren „Feinden" - schlechten Einflüssen, die ihnen schaden könnten, - zu schützen 1 1 6 . Die monastische Gemeinschaft war insgesamt als hortus conclusus- als geschlossener und damit exklusiver Raum - konzipiert 117 . Texte wie der Bericht Irimberts erzählen von geistlichen Personen als Vorbilder für ein heiligmäßiges Leben und richten sich gleichzeitig an sie als ein spezifisches Publikum. Männer genauso wie Frauen, Nonnen ebenso wie Mönche galten zunächst unabhängig von ihrem Geschlecht als „Bräute Christi" und nahmen in den mittelalterlichen Ordnungskonzepten seit der Patristik den höchsten Rang ein 1 1 8 . Sie wurden aufgrund ihres ordo als zu einem höheren geistigen und geistlichen Verständnis befähigt und damit gleichzeitig gegenüber anderen Menschen als privilegiert erachtet.
113 Elisabeth, Visionen II 9, 44: Et nuntiatum est dono abbati de angustiis meis, et venit visitare me. Cumque invocasset dominum super me, ac mihi benedixisset, tandem facta sum in extasi, et sic requievi; sowie 277: ...ut nunquam extra limina celle procedat sororum congregano. Beide zitiert bei Kemper, Doppelldoster Schönau 95. 114 Casus Monasterii Petrishusensis, Prolog9, 24: (meine Hervorhebung): Ubi hoc quoque notandum, quod devote mulieres pariter cum sanctis discipulis Deo militabant. et ideo hoc exemplo non est vituperabile, sed magis laudabile, si sanctimoniales femine in servorum Dei monasteriis recipiantur, ut uterque sexus, ab invicem sequestratus, uno in loco salvetur. 115 Ebd. 16, 32: ... et sicut Uli tunc omnes unanimiter erant in porticu Sabmonis iuxta templum Domini, ita et isti sive clerici sive monachi, sive etiam femine sanctimoniales habitacula sibi circa oratoria faciunt, et cottidie sunt sicut et illiperdurantes unanimiter in oratione et simplicitate cordis, collaudantes Deum et habentes gratiam ad omnem plebem. 116 In Petershausen werden die äußeren Feinde typologisch mit den Juden beschrieben, das Bild des Schutzes vor ihnen durch klösterliche Abschließung von der Welt auf alle physischen Sinne übertragen: ebd. 7, 22 und 24: Hec itaque reclusio fitpropter metum Iudeorum. Quis est iste metus Iudeorum nisiformido irruentium vitiorum?... Cum enim lingua coercetur, ut sileat etiam a bonis, et alii similiter sensus custodiuntur, ne vitiis obsequantur, tunc recte fores sunt clause, ne hostes valeant irrumpere. Dazu Muschiol, Klausurkonzepte, Kap. 2.4.2. 117 Vgl. Kap. 1.2. sowie Kap. 3.3.1., besonders S. 170 zum Bild des klösterlichen hortus conclusus als hortus deliciarum. Dazu Cescutti, Hortus conclusus — fons signatus; in Hinblick auf das Konzept der Klausur Wogan-Browne, Saints' Lives. Z u m Konzept der „Bräute Christi" ausführlich unten Kap. 3.2. 118 Vgl. die Fallstudie von Cescutti, Hrotsvith. Dazu ausfuhrlich unten Kap. 3.2.
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Das Benediktinerkloster Admont - eine Fallstudie
Neben der funktionalen Dreiteilung der Menschen in Mönche, Kleriker und Laien seit Augustinus (f430) waren die moralischen ordines Jungfrauen, Witwen und Verheiratete eines der grundlegenden gesellschaftlichen Ordnungsschemata. Diese moralische Ökonomie wurde von Ambrosius (f397), Hieronymus (t419/20) und Caesarius von Arles (t542) verteidigt und im Sinn einer sozialen Klassifikation von Menschen beiderlei Geschlechts weiterentwickelt. Sie beruhte auf dem Prinzip der Enthaltsamkeit bzw. Keuschheit als Maßstab, an dem man im Diesseits, vor allem aber im Jenseits beurteilt und „sortiert" wurde119. Es ging also um nichts weniger als um die Heilserwartung der einzelnen Menschen, darum, „wie der Umgang mit dem eigenen Körper das jenseitige Leben sicherte". Je höher die ,Askeseleistung"'20, um so größer der zu erwartende Lohn im ewigen Leben. Dementsprechend nahmen männliche und weibliche Jungfrauen den höchsten Rang in dieser „Ordnung der Enthaltsamkeit" ein 121 . Ihre Heilserwartung galt als am größten, ihr Weg als direkter zu Gott führend als jene der Witwen und Verheirateten 122 . Gleichzeitig musste ihre Tugend jedoch besonders geschützt werden. Diese Aufgabe war den geistlichen Betreuern übertragen und kommt im Bild des bonus hortulanus, des guten Gärtners zum Ausdruck, der den klösterlichen Garten bestellt und pflegt123. Diese Rolle nahm Irimbert gegenüber den Admonter Nonnen ein. Die Sorge um ihr Wohlergehen kommt besonders deutlich zum Ausdruck, wenn er in bemerkenswerter Weise den geistlichen Wissensdurst der ihm anbefohlenen Sanktimonialen verteidigte, da sie ohnehin von jeglichen Eitelkeiten der Welt abgeschirmt seien und sich aller weltlichen Freuden enthielten124. Ähnlich wie Irimbert in Admont fasste man auch im Reformkloster Reinhardsbrunn, dessen erster Abt Gisilbert im Jahr 1085 mit zwölf Mönchen von Hirsau kam und später auch Reformabt in Admont wurde, die cura monialium für die Schwestern auf 125 . Die ausführlichsten Informationen über das dortige Zusammenleben gibt eine Briefsammlung, die über 100 Schreiben umfasst, von denen sich einige
1 1 9 Grundlegend Brown, Keuschheit der Engel. In Hinblick auf gesellschaftliche Ordnungskategorien Cameron, Ascetic Closure; Jussen, Witwe, v. a. 4 6 - 5 4 , 6 3 - 6 6 .
Das Zitat und der Begriff .Askeseleistung" bei Jussen, Witwe 52 bzw. 3 2 1 . Ambrosius, Ep. Extra Coli 15,2, C S E L 8 3 / 3 , 303: . . . nullum castitatis ordinem reservare. So auch Hieronymus, Adversus Jovianum 1 , 4 1 , 2 8 2 : ...et docebo virginitatem Semper tenuisse pudiciae principatum. 1 2 2 Für das 12. Jahrhundert etwa Bernhard von Clairvaux, Sermo ad abbates 2, V, 289. At continen120 121
tium quidem ordo etpontepertransit,
quod iter brevius etfacilius, etiam et securius esse nemo qui nesciat. Zur
Entwicklung und Veränderung dieser Vorstellungen zwischen Spätantike und Spätmittelalter grundlegend Jussen, Witwe, hier v. a. der 2. Teil „Jungfrauen - Witwen - Verheiratete: Formierung und Deformierung einer Denkfigur sozialer Ordnung" 4 3 - 1 4 7 und besonders das Kapitel 3.1. „Manche reden anders: Von der zaghaften Rückkehr des liebenden Gottes" 8 3 - 1 4 0 . Siehe dazu ausführlich unten Kap. 3.1. und v. a. 3.2. 1 2 3 Als „guter Gärtner" wird etwa der Admonter Abt Wolfold anlässlich der Reform des Kärntner Klosters St. Georgen am Längsee von Admont aus bezeichnet: Vgl. Annales Admontenses 578f.: Clauso
enim monasterio sancti Georgii in Karinthia idem beatus pater velut bonus hortulanus hortum consignatum volens emundare, eas moniales quae vel antepeperant vel iam pregnantes erant, habitis super hoc certis indiciis non omisit extirpare. Für weitere Beispiele besonders in den Briefen Hildegards von Bingen vgl. Hotchin, Abbot as Guardian, Anm. 35f. 1 2 4 Irimbert, Bericht XIV: ... Cumque nichil unquam de mundi vanitatibus videant, raro aliquid de secularibus audiant, cur non scientiam celestium mysteriorum habeant, quae ab omni communione mundanorum gaudiorum ieiunant? 12
' V g l . S. 53, Anm. 8 sowie Fenske, Adelsopposition 2 4 8 - 2 5 1 .
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mit den pastoralen Aufgaben des Abtes und der Mönche für die Gemeinschaft der Nonnen auseinandersetzen. In einem Brief des päpstlichen Legaten Oktavian an Abt Rudolph (1144-1168), der vermutlich ebenfalls aus den 50er Jahren des 12. Jahrhunderts stammt 126 , wird zuerst zwar die Notwendigkeit der monastischen Klausur zum Schutz der „Bräute Christi" beiderlei Geschlechts betont. Dann jedoch verwendet Oktavian den traditionellen Topos der Schwäche des weiblichen Geschlechts und der entsprechenden besonderen Schutzwürdigkeit geistlicher Frauen127. Dieser Schutz und die Anleitung zu einem heiligmäßigen Leben lagen in der Verantwortung ihrer pastoralen Betreuer, die damit gleichzeitig für die custodia, die „Bewachung" der Sanktimonialen, und ihre Unterweisung Sorge zu tragen hatten 128 . Die Aussage Oktavians ist nicht zu trennen von seiner Funktion als päpstlicher Legat, d. h. als Vermittler von normativen Positionen. Daraus erklärt sich seine Betonung grundsätzlicher programmatischer Aspekte und ihre Einbettung in die traditionellen Topoi129. In der pastoralen Praxis stellte sich die Problematik jedoch komplexer dar. Einerseits brachte die besonders eifrige und erfolgreiche Umsetzung des Ideals der vita apostolica den damit betrauten Männern entsprechendes „spirituelles Kapital" 130 . Andererseits war die Situation auch für das Seelenheil der Betreuer selbst, zumindest aber für ihren guten Ruf nicht ganz ungefährlich, mochten doch auch sie in Versuchung geführt werden, oder konnte derlei zumindest unterstellt werden. Dies zeigt das Beispiel des Admonter Reformabtes Wolfold (1115-1137), der sich in den ersten Jahren seines Amtes vorbildlich um das Zusammenleben der Mönche und Nonnen im Admonter „Doppelkloster" und darüber hinaus um die Verbesserung der Lebensweise in anderen Klöstern bemühte 131 . Im Zuge der Reform des Kärntner Frauenklosters St. Georgen am Längsee wurde dem Abt unterstellt, er beschäftige sich zu eingehend mit den dortigen Sanktimonialen und käme zu häufig zu ihnen zu Besuch. Mehr wurde nicht kolportiert - es reichte jedoch, um Wolfold, so die Admonter Annalen, zu einem eindrucksvollen Beweis seiner Unschuld zu motivieren oder anderenfalls sein Amt aufzugeben: Er ritt mit drei Brüdern zum Eisenbergwerk Piaberg, wo gerade ein Eisenklumpen geschmolzen wurde 132 . Den 126 Peeck, Reinhardsbrunner Briefsammlung, n. 17; dazu aktuell Hotchin, Abbot as Guardian, die sich dieser Fragestellung widmet, hier v. a. Anm. 19—28. Ihr möchte ich an dieser Stelle herzlich für die Überlassung des ungedruckten Manuskripts des genannten Aufsatzes danken. Zur Briefsammlung im Zusammenhang mit Fragen von Schriftlichkeit und Textproduktion vgl. unten Kap. 2.3., mit solchen der cura monialium siehe unten Kap. 2.4., jeweils im Vergleich mit den in Admont erhaltenen Briefen. 127 Dazu Hotchin, Abbot as Guardian 5 - 7 , Anm. 2 1 - 2 8 . 128 Zum Aspekt der Unterweisung ausführlich die folgenden beiden Kapitel 2.3. und 2.4. 129 Zur päpstlichen Gesetzgebung in Hinblick auf diese Fragen siehe den folgenden Abschnitt, S. 81f. 130 Der Begriff bei Hotchin, Abbot as Guardian 7, Anm. 30. 131 Siehe S. 5 3 - 5 6 . 132 Annales Admuntenes, Cod. Admont. 501, fol. 23v-24r zu 1137 (meine Hervorhebungen): Se-
creto a senioribus suis, Oudalrico custode Oudalrico Eisindorf et Witilone, percepit idem pater, penes congregationem sinistram se incurrisse opinionem pro frequenti visitatione monialium, quarum commodis. utilitatibus et eruditioni. utpoteprimus cultor novellaeplantationis illius, continue studuit invigilare. Quo audito noluit quidem vir prudentissimus bonam conscientiam suam precipitare, verum eisdem obiurgatoribus suis, qui vel de stupro illum purgari vel loco pastoris cedere iam deliberaverant, cum omni modestia sepromisit responsurum tercia die. Qua veniente peracto missae o f f i c i o abbas cum tribus fratribus Ulis equos ascendit, et ad vicinam ferri fodinam Plaberch accessit, ubi iam in fornace massa ferri coquebatur.
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Das Benediktinerkloster Admont — eine Fallstudie
ließ er aus dem Ofen nehmen und auf den Amboss legen, ergriff ihn mit bloßen Händen, hob ihn hoch und den zurückweichenden Umstehenden entgegen und legte ihn schließlich wieder nieder, ohne irgendeine Verletzung davon getragen zu haben 133 . Damit war jeder Verdacht entkräftigt, die Ankläger baten um Vergebung, die er ihnen nach dem Beispiel des Hl. Martin auch umgehend erteilte. Neben der topischen Stilisierung ist hier auch der Bezug Wolfolds zu jenem Heiligen als Vorbild bemerkenswert, dem das Admonter Frauenkloster geweiht war 134 . 2.2.3. Klausur - Theorie und Praxis Die reformerischen Konzepte der Rückkehr zur vita apostolica und die dadurch bedingte Bedeutung der cura monialium tragen also eine tiefgreifende Widersprüchlichkeit in sich: Sie setzen das gemeinschaftliche Zusammenleben von Männern und Frauen voraus, mehr noch: sie fordern es sogar ein, wodurch jedoch dessen Gefahren für die monastische Tugend der Jungfräulichkeit erst virulent werden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Reden über Zusammenleben oder Abschließung der Geschlechter gerade im Zusammenhang mit den Reformbewegungen an Umfang und Bedeutung zunimmt 135 . Allerdings ist physische Keuschheit nur ein - wenn auch ein wesentlicher Aspekt von Jungfräulichkeit, und damit „Klausur" nur ein Aspekt im Rahmen der Uberlegungen zur Bedeutung klösterlicher Abgeschiedenheit im Rahmen der grundsätzlichen Auseinandersetzung damit, wie das „richtige" geistig-geistliche und regelgetreue Leben zu gestalten sei. Dementsprechend wird ihr auch von verschiedenen zeitgenössischen Autoren und Autorinnen ein unterschiedlicher Stellenwert zugemessen . Der Begriff der Klausur, also des abgeschlossenen monastischen Lebens, umfasst mehrere Aspekte. Wie an den vorgestellten Beispielen zu sehen ist, bestand eine wesentliche Unterscheidung darin, dass sich einige Bestimmungen auf das Verlassen des abgegrenzten Klosterbereiches beziehen, während andere das Empfangen von Besuchen innerhalb desselben betreffen. Dazu kommen Überlegungen zu verschiedenen Formen materieller und geistiger Abgeschlossenheit. Erstere betrifft reale Räume - bauliche Maßnahmen wie Mauern, Tore und Schlösser sowie getrennte Gebäude - , letztere imaginäre Räume, d. h. die geistliche Praxis, die sich an Regeln und consuetudines der jewei-
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Os igitur fornacis aperiri iubet, massam forcipibus educi, super incudem mitti. Tune remotis ómnibus, presentibus solis tribus fratribus, ilk trium puerorum imitatorpurissimus de obiectione stupri sese purgaturus nudatis manibus candentem massam apprehendit, in aera tollit, stupentibus qui aderant ac retrocedentibus, licet fieri non posset capien¿iam protendit, tándem sine omni lesione super incudem remisit. 134 Arduum hoc abolendi genus, forma purgationis inaudita, non minus quam virginei corporis in ferventis olei dolium missi sospitas admiranda. Ceterum sicut de beato Martino (über der Zeile eingefügt) legitur: Non fuit difficilis laboris, a patre suo iam dictos fratres veniam mereri, qui non minus in ipso quam Brictius (sie!) in Martino videbantur offendisse. Zum Hl. Martin vgl. Sulpicius Severus, De vita beati Martini, PL 20, 159-183, sowie mit Bezug zum Admonter Martins-Patrozinium und weiterführender Literatur Seeberg, Illustrationen 16f. sowie 68f. 135 So bereits Leclercq, La clóture 369. 130 Diese verstärkte konzeptionelle Auseinandersetzung von Autoren und Autorinnen des 12. Jahrhunderts mit dem Thema „Klausur" als wesentlicher Bestandteil eines regelgetreuen monastischen Lebens ist Gegenstand der Habilitationsschrift von Gisela Muschiol, Klausurkonzepte. Die Arbeit bietet darüber hinaus einen umfassenden Uberblick über die spätantiken und frühmittelalterlichen Askeseund Klausurvorstellungen und die entsprechenden kirchenrechtlichen Bestimmungen (mit einem Ausblick bis zum Konzil von Trient, 1565).
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ligen Gemeinschaften orientierte und etwa Schweigegebote und Bestimmungen zum Umgang mit dem eigenen Körper umfasste 137 . Geschlechterdifferenzen sind in der Praxis bereits vor dem 12. Jahrhundert eindeutig feststellbar, am klarsten in Hinblick auf die aktive und passive Klausur 138 : Während Frauenkonventen meist strenge aktive Klausur vorgeschrieben war, thematisieren die Quellen diese Frage für Männerklöster grundsätzlich wenig, und zwar auch dort, wo es ansonsten durchaus strenge Regeln hinsichtlich der monastischen Askese gibt. Das Bemerkenswerte an der „theoretischen" Auseinandersetzung seit dem 12. Jahrhundert ist, dass hier die Frage von Gleichheit und Differenz der Geschlechter explizit zum Thema gemacht wird. Die Antworten fallen allerdings noch recht unterschiedlich aus. Wir haben es also offensichtlich mit einer Kategorie der Differenzierung zu tun, die im zeitgenössischen monastischen Diskurs eine wichtige Rolle spielte: In den von Männern wie Frauen verfassten Texten wird zwar die spirituelle Gleichheit von geistlichen Personen einhellig betont. Auseinandersetzungen mit zentralen Fragen wie Jungfräulichkeit, Keuschheit und ihrer Gefährdung werden aber tendenziell stärker mit dem Topos der „weiblichen Schwäche" verknüpft, der seinerseits allmählich auch zur Begründung einer spirituellen Unterlegenheit von Nonnen herangezogen wird. Dies wird an den im 12. Jahrhundert allmählich zunehmenden kirchenrechtlichen Bestimmungen zu dieser Frage deutlich, die zuvor lange Zeit nicht oder kaum thematisiert worden war 139 . Das 2. Laterankonzil (1139) wiederholt für Nonnen die Bestimmungen der Benedikt-, Basilius- und Augustinus-Regeln hinsichtlich des Verbotes von Privatbesitz und der Einschränkung von Besuchen weltlicher Personen 140 . Doch auch mit Blick auf die Männerklöster wird vor allem das Streben nach persönlichem Besitz und die Vernachlässigung der Gebetspflichten als tadelnswert hervorgehoben 1 4 1 . Mit der Trennung der Geschlechter setzt sich eine Bestimmung im Kapitel über Frauenklöster auseinander, wonach Sanktimonialen in der Kirche nicht in uno choro mit Kanonikern oder Mönchen zum Singen der Psalmen zusammen kommen sollen 142 . Solche Überlegungen wurden in der Folge sowohl in regional begrenzten wie auch gesamtkirchlichen Konzilien wiederholt, bekräftigt und ausgebaut. Eine wichtige Rolle spielten da137 Leclercq, La cloture 366f.; Muschiol, Klausurkonzepte, Kap. 2.1. zu den kategoriellen Unterscheidungen in „aktive" Klausur (Verlassen des abgeschlossenen Raumes) und „passive" Klausur (Empfangen von Besuchen), sowie „materielle" und „geistige" Klausur. Zu letzterer vgl. ausfuhrlich unten Teil 3. 138 Methodisch ausführlich und mit umfassenden Literaturangaben Muschiol, Klausurkonzepte, Kapitel 2.1. „Was heißt Klausur", sowie den historischen Uberblick in Kapitel 2.3. „Die Entwicklung der Klausurvorstellungen". 139 Eine Zusammenfassung der Bestimmungen seit den karolingischen Reforminitiativen bei Muschiol, Klausurkonzepte, Kap. 2.3.1.3. „Auf dem Weg in das 12. Jahrhundert" 140 Concilium Lateranense II 1139, 26, 203: Ad haecperniciosam et detestabilem consuetudinem quarundam mulierum, quae licet neque secundum regulam beati Benedicti neque Basilii aut Augustini vivant, sanctimoniales tarnen vulgo censeri desiderant, aboleri decemimus. Cum enim, iuxta regulam degentes in coenobiis, tarn in ecclesia quam in refectorio atque dormitorio communiter esse debeant, propria sibi aedificant receptacula etprivata domicilia, in quibus sub hospitalitatis veLtmine passim hospites et minus religiosos contra sacros canones et bonos mores suscipere nullatenus erubescunt. Dazu Muschiol, Klausurkonzepte, Kap. 2.3.1.4., Anm. 124. 141 Ebd., 9, 198: Avaritiae namque flammis accensi, sepatronos causarumfaciunt; et cumpsalmodiae et hymnis vacare debeant. 142 Ebd., 27, 203: Simili modo prohibemus, ne sanctimoniales simul cum canonicis vel monachis in ecclesia in uno choro conveniant adpsallendum.
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Das Benediktinerkloster Admont — eine Fallstudie
bei Tendenzen der Vereinheitlichung sowohl durch die Sammlung der entsprechenden Regeln im Decretum Gratiani143 als auch später durch die wachsende Formalisierung und Zentralisierung der Ordensstrukturen. Gisela Muschiol konnte in ihrer Untersuchung zu Klausurnormen und -konzepten zeigen, dass im Rahmen dieser Entwicklung bei der Frage nach monastischer Abschließung der Schwerpunkt immer stärker auf die Klausur von Nonnen gelegt wurde, während den männlichen Mitgliedern der Bettelorden im Unterschied zu ihren Schwestern das für den apostolischen Auftrag von Predigt und Seelsorge notwendige Verlassen des Klosters selbstverständlich zugestanden wurde 144 . Das Nachdenken über Klausur und die Begründungen dafür, warum ein von der Welt abgeschlossenes Leben im Kloster notwendig und erstrebenswert sei und wie man es gewährleisten könne, sahen im Laufe des 12. Jahrhunderts aber durchaus verschieden aus. Monastische Autoren und Autorinnen setzten unterschiedliche Schwerpunkte und entwarfen in einzelnen Punkten widersprüchliche Modelle, die ein Spektrum an Möglichkeiten von zeitgenössischen Frömmigkeitsvorstellungen ebenso wie Wertungen in Hinblick auf Geschlechterverhältnisse illustrieren. Heloi'se fragt etwa Abaelard anhand der konkreten Schwierigkeiten, die sie als Äbtissin mit der Anwendung der Benediktregel in ihrem Frauenkonvent hat, um Rat und bezieht sich dabei grundsätzlich wie er auf den Topos der Schwäche des weiblichen Geschlechts 145 . Dabei geht es ihr aber viel weniger um formale Fragen als darum, wie die Regeln entsprechend den praktischen Anforderungen des täglichen Lebens so zu interpretieren seien, dass ein Leben der Schwestern nach dem Evangelium gewährleistet werden könne 146 . Abaelard antwortet gemäß dem Konzept der cura monialium. Im Vordergrund steht bei ihm der Gedanke des Schutzes der Frauen als konzeptionell schwächerem Geschlecht, das aber gleichzeitig gerade deshalb durch die göttliche Gnade privilegiert sei147. Auch Hildegard von Bingen verwendet in ihren visionären Schriften und ihren Briefen wie Heloi'se gegenüber Abaelard den Topos der weiblichen Schwäche. In den praktischen Fragen der monastischen Alltagsanforderungen, auf die sie in ihren Erläuterungen zur Regula S. Benedicti einer Männergemeinschaft antwortet, steht bei ihr allerdings das Gebot der stabilitas im Vordergrund - und diese betrifft Männer in derselben Weise wie Frauen 148 . Wie kann ein regelgetreues Leben im Sinne Benedikts gewährleistet werden, das die Ortsgebundenheit als zentralen Bestandteil kennt, wenn gleichzeitig pastorale Pflichten und ökonomische Vorsorge für die Gemeinschaft ihre Insassen zwingen, das Kloster zu verlassen? Diese Problematik zeigt sich bei den erwähnten Bestimmungen der 143
Decretum Gratiani II, C. 20, q. 1, c. 1-4, 843-845; C. 20, q. 4, c. 1, 851. Dazu ebenso wie zu den Bettelorden vgl. umfassend Muschiol, Klausurkonzepte, Kap. 2.3.1.4. Zur Problematik von Mobilität und Versorgung vgl. auch unten Kap. 4.1. 145 Ich orientiere mich bei den im Folgenden vorgestellten repräsentativen Beispielen an den Ergebnissen von Muschiol, Klausurkonzepte, die dem Briefwechsel zwischen Heloi'se und Abaelard über eine Regel für die Nonnen des Paraklet, der Explanatio Regulae S. Benedicti der Hildegard von Bingen und dem Argumentum super quatuor questionibus des Idung von Prüfening jeweils einen Abschnitt ihres Buches widmet. 146 Ep. V, 243: Quodsipraedictae Regulae tenor a nobis impleri non potest, vereor ne illud apostoli Iacobi (Ep. 2, 10) in nostram quoque damnationem dictum sit: Quicunque totam legem observaverit offendat autem in uno factus est omnium reus. 147 Zu Abaelard und Heloi'se in Hinblick auf diese Frage vgl. Clanchy, Abaelard; Mews, Love Letters. 148 Zu Hildegards Explanatio vgl. Constable, Hildegards Explanation. 144
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Hirsauer Reformklöster, wenn zumindest den Äbtissinnen im Fall „äußerster Notwendigkeit" erlaubt ist, die Klausur zu verlassen 149 . Hildegard, die für ihre umfangreichen Predigtreisen bekannt ist, sieht dies — ebenso wie Heloi'se - als ein grundsätzliches Problem, dem letztlich weniger kategorisch als mit continentia, Enthaltsamkeit, einem weiteren Grundprinzip der Regula S. Benedicti, zu begegnen ist 150 . Ebenfalls ähnlich wie bei Heloise wirken die Überlegungen Hildegards gleichzeitig an der grundsätzlichen Frage einer regelgetreuen Nachfolge Christi orientiert und gerade deswegen pragmatisch. Sie unterscheiden sich damit grundlegend von den negativen Stereotypen, für die etwa der programmatische Text Idungs von Prüfening Argumentum super quatuor questionibus repräsentativ ist. Er geht rigoros von der „Schwäche des weiblichen Geschlechts" als zentralem Prinzip aus, dem in der Folge alle weiteren Fragen des klösterlichen Zusammenlebens unterzuordnen sind. Es gilt, Männer vor den schwachen Frauen und diese in ihrer Schwäche vor sich selbst zu schützen. Dementsprechend ist geistige und körperliche Keuschheit als höchste monastische Tugend ausschließlich durch strikteste Trennung der Geschlechter zu gewährleisten, die er konsequent bis ins kleinste Detail geregelt sehen will 151 . Auch hier ist aber immer der Kontext solcher Aussagen mitzubedenken. Idungs Schreiben an Kunigunde von Regensburg/Niedermünster, in dem er der Äbtissin den Dialogus monachorum, ein anderes seiner Werke widmet, vermittelt ein ausgesprochen hohes Maß an persönlicher, spiritueller und intellektueller Wertschätzung jenseits von abwertenden Gemeinplätzen über das weibliche Geschlecht 152 . Umso mehr stellt sich aber die Frage, wie eine derartige Ambivalenz zwischen „Theorie" und „Praxis" zu erklären ist und warum sie bei verschiedenen Autoren beiderlei Geschlechts unterschiedlich ausfällt. Darüber hinaus lässt sich nicht leugnen, dass sich das „kategorische Reden" über die Unterschiede zwischen den Geschlechtern gegenüber alternativen Lesarten durchsetzte, längerfristig erfolgreich blieb und die Praxis schließlich auch dort prägte, wo sie vorher anders war 153 . Idung jedenfalls war ein Zeitgenosse und Vertrauter der Admonter Brüder Gottfried und Irimbert 154 . Es ist davon auszugehen, dass er mit der Praxis des Zusammenlebens in Admont nach apostolischem Vorbild vertraut war. Vielleicht - und hier sind wir auf Spekulationen angewiesen - fallen seine grundsätzlichen Überlegungen gerade deshalb so kategorisch und harsch aus, und vielleicht wendet sich Irimberts Text unter anderem an Kritiker wie ihn. Dessen scheinbar spontaner und „unschuldiger" Bericht bringt jedenfalls genau die genannte Ambivalenz zum Ausdruck: zum einen bestand offenbar die Notwendigkeit, das regelgetreue Leben in Admont zu betonen - gerade in Zeiten, als die gemeinsame vita apostolica für Männer und Frauen in der Nachfolge Christi einen ho-
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151
Vgl. S. 7 6 , A n m . 107. Siehe dazu unten, Kap. 4.1.2. und 4.2.1.
Z. B. Idung von Prüfening, Argumentum 70f.: ... plena erit significatio
fragilem sexum et sanctae virginitatispropositum
complectens
duo,
scilicet
... quorum unum describit Virgilius sie: varium et mutabile
Semper femina ... Dazu ausführlich Muschiol, Klausurkonzepte, besonders Kap. 4.4. „Die dritte quaestio Idungs, oder: Die Ungleichheit von M ö n c h e n und Nonnen". 152 Vgl. S. 27, A n m . 109; Beispiele für derartige Widersprüche vgl. etwa auch bei Bos, Literature of Spiritual Formation, u n d die Beiträge in Mooney, Gendered Voices. 153 Dazu unten Kap. 4.2.3. 154 Vgl. den Überblick über Person, Umfeld u n d Werk Idungs bei Muschiol, Klausurkonzepte 2 2 1 229.
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hen spirituellen Stellenwert hatte. Darüber hinaus machten die ökonomische Vorsorge und die Erfordernisse des monastischen Reformalltags, allen voran die Herstellung von Texten und Büchern, ihre Zusammenarbeit auch praktisch notwendig 155 . Der Kommentar des geistlichen Betreuers der Admonter Damen kann damit als Verteidigung gegenüber möglichen oder tatsächlichen Kritikern gelesen werden — und dies an prominenter Stelle in einer viel benutzten Handschrift 156 . Der Text macht aber ebenso wie die erwähnten Beispiele aus anderen Reformklöstern deutlich, dass in der Praxis nicht nur die Bewahrung der jungfräulichen Keuschheit beider Geschlechter oder gar ausschließlich der Nonnen thematisiert wurde. So ist zwar mehrfach von der strengen Klausur (disctrictio cnstodiae bzw. custodia munin) der Admonter Damen die Rede, während wir nichts dergleichen für die Insassen des Männerklosters erfahren 157 . An keiner Stelle wird jedoch eine der traditionellen geschlechtsspezifisch differenzierenden Begründungen dafür angeführt. Über die Notwendigkeit, Frauen und Männer räumlich zu trennen und Kontakte so gering wie möglich zu halten, besteht ein weit reichender Konsens. Nur selten wird aber vom schwachen Geschlecht gesprochen, das geschützt werden müsse oder von dem die männlichen Bewohner des Doppelklosters zu ihrem eigenen Schutz getrennt werden müssten. Diese Argumentation spielt im Bericht des geistlichen Betreuers der Nonnen im Unterschied zu den kirchenrechtlich normativen Quellen ebenso wie zu den stärker „theoretisch" orientierten Abhandlungen eine deutlich untergeordnete Rolle. Dieselbe Beobachtung lässt sich auch bei anderen Texten machen, welche die Praxis des konkreten Zusammenlebens in Reformkonventen der Hirsauer Bewegung beschreiben. Auch die Chroniken von Zwiefalten und Petershausen betonen einerseits die Wichtigkeit des Zusammenlebens der Geschlechter im Sinn der vita apostolica und befassen sich andererseits ausführlich mit den notwendigen praktischen Vorkehrungen, diese auch regelkonform zu erfüllen. ,Anthropologische" Grundsatzdebatten über die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Hinblick auf ihre Keuschheit, wie sie sich in den Briefen und Traktaten von Abaelard und Heloise, Hildegard und Idung finden, haben hier wenig Platz158. Der Text Irimberts zielt vielmehr darauf ab, im Sinn der Rhetorik der Reform als „Komparativ", der über die Bestimmungen der Benediktregel hinausgeht, d i e A d m u n t i n a religio und ihre Qualität als „strengere Lebensweise" insgesamt als vorbildlich und nach-
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Zu Lehrtätigkeit und Buchproduktion in Admont ausfuhrlich das folgende Kapitel. Zu dieser Problematik vgl auch auch Powell, Mirror of Virgins, und Hotchin, Abbot as Guar-
dian. 157 Irimbert, Bericht VIII (meine Hervorhebungen): ... quae se pro amore Filii Dei custodiae mancipaverant carcerali. cuius custodiae districtionem non debeo silentio praeterire. Ebd. XIV: Cum enim post primum introitum nunquam de monasterio egrediantur, nisi vel mortuae efferantur vel vivae forsitan in aliud monasterium transponantur; ubi simili custodia muniantur. 158 Besonders bemerkenswert ist diese Differenzierung in der Chronik von Petershausen, die man mit Gisela Muschiol als „programmatischen Entwurf klösterlichen Lebens" bezeichnen kann. Muschiol stellt fest, dass das einzige Kapitel, das sich explizit mit „den heiligen Jungfrauen" auseinandersetzt, im Unterschied zu den übrigen Erörterungen keinerlei Bezug zur Lebenspraxis der in Petershausen klausurierten Nonnen herstellt; vgl. Casus Monasterii Petrishusensis, Prolog 19, 32 [vgl. 1 Kor 7, 25]. Dazu Muschiol, Klausurkonzepte, Kap. 2.4.2., hier Anm. 243. Für ein „Gegenbeispiel" vgl. den Brief des päpstlichen Legaten Oktavian an Abt Rudolph von Reinhardsbrunn, wo der Topos der weiblichen Schwäche programmatisch verwendet wird. Wie Anm. 126f.; vgl. dazu Hotchin, Abbot as Guardian.
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ahmenswert darzustellen 159 . Dazu verwendet er zahlreiche Stilmittel wie Tempuswechsel, scheinbar beiläufige Einschöbe und Vorgriffe in der Erzählung, um seinem Bericht Unmittelbarkeit zu verleihen und ihn damit gleichsam zu „authentifizieren". Am deutlichsten wird diese Strategie des Textes anhand des scheinbar spontanen Entschlusses des Autors, bei der Erwähnung des Nonnenklosters über die Strenge der Klausur der Frauen (districtio custodiae) einen längeren Exkurs einzufügen. Irimbert suggeriert, sich nahezu disziplinieren zu müssen, um die Geschichte des Brandes zu Ende zu erzählen, bevor er dann ausführlich auf die Lebensumstände der Admonter Nonnen zu sprechen kommt 160 . Das beginnt bei der mehrfachen Erwähnung der Einhaltung der benediktinischen Schweigegebote, besonders in der Nacht. Bereits am Anfang seiner Erzählung bemerkt Irimbert, dass man in Admont keinerlei nächtlichen Lärm gewöhnt war. Wenn er nun berichtet, dass er den Sanktimonialen anlässlich der Gefahr ein „Zeichen" gab, scheint dies - in Anbetracht der zuvor betonten Strenge des nächtlichen Schweigegebotes - zunächst auf eines der zahlreichen optischen Sprechzeichen hinzuweisen, welche die Regula S. Benedicti zur Kommunikation für die Zeiten der Stille anbietet. Die Dringlichkeit der Lage lässt allerdings hier wohl auch einen Zuruf des geistlichen Betreuers an die Nonnen denkbar scheinen 161 . Dies wirft die Frage auf, wo genau sich diese zum Zeitpunkt des Klosterbrandes aufhielten. Der weitere Verlauf der Erzählung — der Abt beschließt, im äußersten Notfall die mehrfach versperrte Pforte der Klausur aufbrechen zu lassen, wozu es dann jedoch mit Gottes Hilfe nicht kommt - und die folgende Beschreibung der strengen Klausur im Nonnenkloster wollen uns nahelegen, dass sich die Frauen in ihrem eigenen, separat gelegenen Gebäudekomplex befanden. Irimberts Bericht zufolge waren sie wie die Mönche und Laienbrüder zum nächtlichen Gebet in der Kirche versammelt, als seine Warnung sie erreichte, und warfen sich unter Tränen betend zu Boden. Wenn diese Szene sich also in der Kirche des abseits gelegenen Frauenklosters abspielte, wird wohl davon auszugehen sein, dass Irimberts „Zeichen" ein weit tragendes akustisches Signal war, etwa das Läuten der Glocken - diese Form der Verständigung über die Grenzen der Klausur hinweg ist auch in den Admonter Zusätzen zu den Constitutiones Hirsaugienses für die wechselseitige Benachrichtigung über einen Todesfall im Männer- oder Frauenkloster und als Signal für das gemeinsame Totengedenken belegt. Denkbar wäre allerdings auch, dass Irimbert zum Frauenkloster hinüber lief und mit den Nonnen durch das später erwähnte Fenster zur Klausur kommunizierte (Bericht XII) 162 .
155 Ähnlich auch in den Zwiefalter Chroniken, etwa Ortlieb 20, 88: (meine Hervorhebung): Quam e vestigio secuta est soror ipsius Hadewic nomine, quaeprius apud Erinstein in nonnarum seu monialium vixit conversatione, sed amore sororis, immo desiderio vitae artioris in hoc humili se reclusit errastulo. tanto Christi fervens amore, ut eius irreprehensihilis vita non solum feminis, set etiam viris possit exemplo fore. 160 Irimbert, Bericht IV: Curro in monasterium, ebd. VIII die Begründung für die folgende Beschreibung des Frauenklosters (meine Hervorhebung): cuius custodiae districtionem non debeo siUntiopraeterire. Sed prius ceptum ordinem incendii volo transire. Der Bericht über das Frauenkloster folgt dann ebd. X I XIX. 161 Irimbert, Bericht III: ... Cum ecce clamorem servi cuiusdam audientes obstupescimus, quia inAdmuntensi loco nocturno tempore aliquem perturbationis strepitum audire non consuevimuy, sowie ebd. V: Sorores accepto a me signo in secundi nocturni initio deponunt matutinos et in supplicationem letaniae cum incomparabili lachrimarum ejfusione seprosternunt. Dazu Reg. S. Ben. 6 und 42. Zu den Sprechzeichen vgl. auch die umfangreichen Bestimmungen der Constitutiones Hirsaugienses 6—25. 162 Für die Diskussion dieser Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten im Bericht des Admonter Seelsorgers sowie die Hilfe bei der Erstellung der Erklärungsgrafiken Abb. a und b (S. 320f.) danke
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Alternative Szenarien, welche die Anwesenheit der Sanktimonialen in der Kirche des Männerklosters zur Voraussetzung hätten, will der Bericht des Seelsorgers selbst ganz offenkundig ausschließen, ohne sie jedoch explizit anzusprechen oder zu verwerfen: Es wäre nach den liturgischen Abläufen, den Klausurbestimmungen und üblichen baulichen Gegebenheiten denkbar, dass die Nonnen ihr Gebet auf der Empore der Kirche des Männerklosters, also ohne verbotenen Sichtkontakt zu den Mönchen verrichteten. Dann hätten sie Irimbert, als er in die Kirche lief, um die Mitbrüder zu warnen, zwar vermutlich nicht sehen, aber wohl auf einen Zuruf von ihm auf die im Bericht geschilderte Weise reagieren können. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass für den Zeitpunkt des Brandes zwar die Existenz eines baulich abgetrennten Frauenklosters in Admont, allerdings noch nicht jene seiner Kirche gesichert ist. Die „Mitbenutzung" der Kirche des Männerklosters durch die Frauen wäre daher durchaus denkbar. Sie war zeitgenössisch üblich und stellte bei Unterbleiben des Sichtkontakts auch keinen Verstoß gegen die kanonischen Vorschriften dar - oder aber die Sanktimonialen verrichteten das Chorgebet regelwidrig überhaupt gemeinsam mit den Mönchen - ein Bild, das der Bericht Irimberts zumindest evoziert, gerade weil er seine Möglichkeit so heftig dementiert 163 . Die besonders strengen und regelkonformen äußeren Bedingungen des Lebens in Admont und die damit verbundene herausragende monastische Disziplin werden aber auch in Hinblick auf andere Aspekte nach und nach in den Bericht über die Brandkatastrophe eingeflochten: Mehrfach wird die Abgeschiedenheit des Klosters hervorgehoben, besonders als das Vorratsgebäude in Flammen aufzugehen droht. Hier betont Irimbert die schwer zugängliche Lage, die zu Versorgungsengpässen führen würde, sollte man durch das Feuer der Vorräte beraubt werden 164 . Die besondere klösterliche Disziplin in Admont kommt in Ubereinstimmung mit den Hirsauer Konstitutionen in der obligaten Erwähnung des Fastens, Nachtwachens und der freiwilligen Geißelungen zum Ausdruck 1 6 5 . Ebenso wichtig sind aber die beiläufig festgehaltenen Details - so etwa, dass die Laienbrüder beim nächtlichen Beten und Singen stehen müssen, damit sie nicht einschlafen, oder, dass im Frauenkloster niemand außer den kleinen Mädchen Gewänder aus Leinen tragen dürfe 166 . Schließlich hat die Erzählung von Brand und Rettung des Klosters selbst topischen Charakter. Ahnliche Prüfungen monastischer Gemeinschaften
ich Barbara Schedl, die sich in ihrem Habilitationsprojekt mit baulichen M a ß n a h m e n in Frauenklöstern des 13. Jahrhunderts beschäftigt. Z u m Totenoffizium siehe oben S. 7 3 - 7 5 . Nicht näher spezifizierte, aber wohl akustische Zeichen kennt auch die Reg. S. Ben. für die Ankündigung der Zeiten für Gebet u n d Gottesdienst (z. B. 43,1; 47,1; 48,12). 163 Z u den zeitgenössischen Diskussionen vgl. S. 81 f., besonders die Bestimmung des 2. Laterankonzils, wonach M ö n c h e u n d N o n n e n nicht in uno choro zusammen singen sollten (Concilium Lateranense II 1139, 27, 203). Vgl. Muschiol, Liturgie u n d Klausur, u n d dies., Klausurkonzepte, Kap. 6.1.3; zu den baulichen Gegebenheiten in A d m o n t vgl. Mannewitz, Admont; zur Kirche des Frauenklosters oben S. 55, A n m . 16. 164
Irimbert, Bericht IX ... cellarium superius devoravit et per ostium Ingrediens inferiores trabes invasit
et si ibi praevaluisset, consumptis stipendiis, quia monasterii situs valde estinvius, dubium non esset, quin et multitudo monachorum et fratrum in loco subsistere non posset. 165 Vgl. dazu Arnold, A d m o n t 3 6 1 - 3 6 9 . Irimbert, Bericht IV: ... Excurruntprimi fratres exteriores, quos omnesfere inveni solicite in orationibus stantes. Sic enim moris eis estpsalmodiae noctumae invigilare, ne contingat eos continue sedentes somni tepore marcescere sowie XIII: ... Nulla earum lineis vestibus utitur, nisi solae infantulae, si qtiae inter eas nutriuntur. Z u Kleidungsvorschriften und der diesbezüglichen Praxis in A d m o n t vgl. Kap. 4.2.1.
Wege zur Erkenntnis: Lesen, Schreiben, Beten, Wissen
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und die Errettung besonders der Frauenklöster vor den Flammen gibt es seit dem Frühmittelalter. Am bekanntesten ist der Bericht des Caesarius von Arles, von dem auch eine der wenigen frühen regulae für Frauenklöster stammt, über die wunderbare Errettung von Arles. Von einem ähnlichen Vorfall berichtete über 500 Jahre später Petrus Venerabiiis anlässlich einer Brandkatastrophe im französischen Kloster Marcigny. Und auch in Petershausen brannte es nahezu gleichzeitig wie in Admont. Hier war zwar die Klausur der Damen durch die Schäden, die das Feuer verursachte, beeinträchtigt, das Frauenkloster wurde jedoch - ebenso wie die Bibliothek - nicht direkt Opfer der Flammen 167 . Die Rettung der klausurierten Frauen kann also in der topischen Stilisierung praktisch und im übertragenen Sinn offensichtlich dort erfolgen, wo die Trennung der Geschlechter konsequent aufrechterhalten wurde. Dieser Topos hat wie jener von der idealen Abgeschiedenheit der klösterlichen Existenz offensichtlich einen realen Sitz im Leben der Menschen, wie besonders an den Details derartiger Berichte deutlich wird. Bereits zu Beginn seines Berichtes hatte Irimbert erzählt, dass Laienbrüder und Mönche, als sich das Feuer auszubreiten begann, das Weite suchten und etwa der Prior, der die Schlüssel zur Klausur der Frauen hatte, in der Finsternis nirgendwo mehr zu finden war. Und auch am Ende berichtet er von der Sorge des Abtes um das leibliche wie geistliche Wohl der Männer des Klosters, sollten sie sich überall hin zerstreuen. Schließlich gelang es aber offenbar, die „entlaufenen" Brüder wieder zusammen zu holen, und alle kehrten an ihre Arbeit zurück 168 . Die Schwestern hingegen — so suggeriert ihr geistlicher Betreuer - wurden für ihre Standhaftigkeit und das Verharren in der Klausur belohnt, indem ihr Kloster vom Feuer verschont wurde.
2.3. Wege zur Erkenntnis: Lesen, Schreiben, Beten, Wissen 2.3.1. Die „Vita magistrae" Während Irimbert in seinem Bericht über den Brand des Admonter Klosters und den Frauenkonvent einen Eindruck vom Idealbild monastischen Lebens vermittelt und außerdem einige Hinweise auf die äußeren Lebensbedingungen der Admonter Nonnen 167 Zum Feuer in Arles (6. Jhdt.) vgl. Vita C a e s a r i i 2 , 2 6 , 4 9 4 ; zum Feuer in Marcigny (12. Jhdt.) vgl. Petrus Venerabiiis, De miraculis 1, 22, hier 8 8 9 D - 8 9 1 B ; zu Petershausen Casus Monasterii Petrishusensis 5,42, 236. Zur Caesariusregel siehe Kap. 1.4.,Anm. 31 und 50. Für den Hinwies auf Arles und Marcigny danke ich Ingrid Roitner und Gisela Muschiol, Klausurkonzepte, die sich in Kap. 2.4.3., Anm. 263 ebenfalls mit der topischen Qualität dieser Berichte auseinander setzt. Siehe dort auch den Hinweis auf den Topos des sich drehenden Windes in der spätantiken Vita des Hl. Martin: Sulpitius Severus, Vita Martini c. 14, und den Hinweis Stefanie Haarländers auf die Vita Gebehardi, der zufolge der Admonter Brand offenbar auch für das Frauenkloster erhebliche Kosten verursacht hat, d. h. dieses wohl doch nicht ganz unbeschadet geblieben ist: Vita Gebehardi et successorum eius 44f., c. 22 ... cui etiam incendio miserabiliter
colUpso annuatim quousque reparetur; ... Admuntensi coenobio pecunias suas in auro et argento contulit, cum quibus predia nonnulla coempta sunt, maxima vero pars in aedificio monasterii sororum expensa est, sowie auf den Bericht über eine weitere Brandkatastrophe in Admont (ebd. Continuatio a. 1199-1259, 50, c. 32), wo der Topos nicht mehr bemüht wird und Frauen- wie Männerkloster den Flammen zum Opfer fallen. 168 So Irimbert, Bericht VI: ... Sed cum inveniri non posset, quippe cum omnibus de monasterio egressis et in tenebris noctis, ubi iste esset ille nesciret.... sowie XXI: Transacto itaque tantae desolationis infortunio abbas habito cum senioribus Consilio statuii secum omnes retiñere in loco, ne si huc et illuc disseminarentur, animarum suarumpericula fonassepaterentur. In domum ergo hospitum se omnes contulerunt ibique quo melius poterant sicut et in monasterio soliti erant, ordinem suum in divino servicio et in silentio et in ceteris omnibus servare decreverunt.
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g i b t , e r h a l t e n w i r d e n n o c h w e n i g A u s k u n f t ü b e r k o n k r e t e D e t a i l s ihres T a g e s a b l a u f s . M e h r d a r ü b e r erzählt die kleine L e b e n s b e s c h r e i b u n g einer A d m o n t e r N o n n e , die w o h l a u c h in d e r 2 . H ä l f t e d e s 1 2 . J a h r h u n d e r t s , j e d e n f a l l s a b e r n a c h d e m T o d v o n A b t W o l fold (1137) entstanden ist169. V e r m u t l i c h a u f g r u n d ihrer k o m p l i z i e r t e n Ü b e r l i e f e r u n g s s i t u a t i o n u n d d e r Tatsache, dass sich weder die Identität der beschriebenen Person n o c h j e n e der A u t o r i n letztgültig k l ä r e n l ä s s t , ist d i e s e r Q u e l l e b i s h e r v e r g l e i c h s w e i s e w e n i g A u f m e r k s a m k e i t g e s c h e n k t w o r d e n 1 7 0 . D i e V i t a ist i m z w e i t e n B a n d d e s Passionale
Sanctorum
des Klosters überlie-
f e r t . B e i d i e s e r S a m m l u n g v o n H e i l i g e n v i t e n h a n d e l t es s i c h u m d a s A d m o n t e r E x e m p l a r d e s Magnum
Legendarium,
einer der p r o m i n e n t e s t e n hagiografischen Z u s a m m e n -
stellungen i m süddeutschen R a u m , die insgesamt etwa 5 8 0 Heiligenlegenden umfasste u n d für den täglichen Offiziumsgebrauch diente171. D e r A d m o n t e r K o d e x 2 5 s t a m m t a u s der zweiten H ä l f t e des 12. J a h r h u n d e r t s . D e r z u r D e b a t t e s t e h e n d e T e x t ist in e i n e r k l e i n e r e n , w e n i g e r s t i l i s i e r t e n u n d s p ä t e r z u d a t i e r e n d e n M i n u s k e l , d i e d e u t l i c h m e h r K ü r z u n g e n als d e r H a u p t t e x t a u f w e i s t , a u f R a s u r n a c h g e t r a g e n 1 7 2 . D i e Blätter des g r o ß f o r m a t i g e n K o d e x sind beidseitig in jeweils zwei 1 6 9 Hinweise auf die zeitliche Einordnung gibt — neben den paläografischen und kodikologischen Befunden (vgl. unten Anm. 172) - die Vita selbst, ebenso auf ihre räumliche Zuordnung nach Admont. Der dritte Abschnitt befasst sich mit der Geschichte des Klosters und geht auch auf die Einrichtung des Frauenkonvents durch Wolfold beute memorie ein. Aus dieser Formulierung lässt sich schließen, dass der Text nach dem Tod des Abtes verfasst wurde: Succedente vero beate memorie Wolvotdo abbate, qui inspirante Domino primus tractabat de inclusarum interioris edifficii receptáculo. Vgl. dazu und zum Folgenden besonders die Einleitung zur bislang einzigen Edition Vita, ut videtur, cuiusdam magistrae monialium Admuntensium in Styria saeculo XII, in: Analecta Bollandiana 12 (1893) 3 5 6 - 3 6 6 (im Folgenden abgekürzt mit Vita magistrae, AnaBoll, Einleitung) sowie Ohly, Liebesgruß 23f., der den Prolog nach literaturwissenschaftlichen Kriterien ins späte 12. Jahrhundert datiert. 1 7 0 Cod. Admont. 25, fol. 235r-v. Wie Anm. 169 sowie die Edition im Anhang 2. Dieser Befund gilt allerdings nicht für die Forschungen von Friedrich Ohly und den überwiegenden Teil der oben, S. 6 2 - 6 6 erwähnten aktuellen Arbeiten zu diesem Fragenkomplex. Gegenwärtig wird außerdem von Constant Mews (Melbourne) und Julie Hotchin (Melbourne) eine Ubersetzung der Vita ins Englische vorbereitet, deren Entwurf sie mir dankenswerterweise zur Überprüfung meiner Edition bzw. der im Folgenden ins Deutsche übertragenen Passagen zur Verfügung gestellt haben. Vgl. außerdem Brunner, Herzogtümer und Marken 280f.; ders., Selbstverständnis, und ders., Liber Vitae 221. 1 7 1 Zur komplexen Entstehungs- und Uberlieferungsgeschichte des Magnum Legendarium (im Folgenden abgekürzt mit M L ) gibt es nach wie vor zahlreiche offene Fragen. In Admont sind nur zwei Bände (Cod. Admont. 24 und 25) des insgesamt vierbändigen Sammlung erhalten. Cod. Admont. 25 umfasst die Viten der Heiligen von Januar bis März. Vgl. De Magno Legendario Austríaco 31 f. und 51. Zur Bedeutung und Uberlieferungsgeschichte vgl. immer noch grundlegend Lhotsky, Quellenkunde 220f.; vgl. auch Kern, Magnum Legendarium. Ein aktuellerer Erklärungsversuch für die Uberlieferung der erhaltenen Exemplare des M L in österreichischen Benediktiner- und Zisterzienserbibliotheken und die Beziehungen zwischen ihnen stammt von Charlotte Ziegler in ihrer Einleitung zum Handschriftenkatalog Zwettl. Neben Admont ist das M L in Zwettl, Heiligenkreuz, Lilienfeld, Melk und der Handschriftensammlung der Osterreichischen Nationalbibliothek in Wien überliefert. Ziegler sieht aufgrund ihrer paläografischen und kunsthistorischen Befunde wie auch aus Gründen der Organisationsstruktur des Zisterzienserordens direkte Bezüge zwischen dem Heiligenkreuzer und dem Zwettler Exemplar und dem zisterziensischen Gründungskloster Citeaux. Ungeklärt bleiben dabei aber die Bezüge und Wechselwirkungen dieser Traditionen mit möglichen süddeutschen Einflüssen, wie sie Lhotsky und Kern angenommen haben, ebenso wie die Frage nach dem Verhältnis von ordensspezifischen, regionenübergreifenden und lokalen Traditionen offen bleibt. Siehe Ziegler, Katalog, besonders IX-XIII, sowie ebd. 38 mit weiterführender älterer Literatur, und dies., Buchmalerei. 1 7 2 Die Herausgeber der Analecta Bollandiana datieren das Admonter M L ebenso wie die Vita ins 13- Jahrhundert (Vita magistrae, AnaBoll, Einleitung 356). Ohly, Liebesgruß 20f., Anm. 3 datiert das
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Spalten beschrieben. Der Nachtrag auf Rasur beginnt auf fol. 235r im oberen Drittel der zweiten Spalte und endet am Ende der ersten Spalte von fol. 235v. Mit Ausnahme der Admonter Handschrift existiert die anonyme Lebensbeschreibung in keinem der übrigen fünf Exemplare des Magnum Legendarium'73. Die Vita beginnt mit einem Prolog in 15 Hexametern und setzt dann mit der Lebensbeschreibung fort. Die beiden Texte schließen paläografisch nahtlos aneinander an. Inhaltlich fehlt allerdings jeweils nach dem Prolog und vor dem Beginn des Haupttextes sowie am Schluss der Vita offensichtlich ein Stück des Textes, sodass man den Eindruck gewinnt, der Text sei dem durch Rasur frei gewordenen Raum angepasst worden - und zwar sowohl durch die kleinere Schrift als auch durch inhaltliche und formale Kürzungen, wo dies möglich erschien 174 . Die Admonter Vita folgt in der Handschrift auf die frühchristliche Vita der Hl. Gertrud von Nivelles ( f l 7 . März 659) und die Conversio der ägyptischen Prostituierten Thais zum 18. März, an welche eine weitere - gereimte — Fassung derselben Vita anschließt 175 , die Marbod von Rennes (ca. 1035-1123) zugeschrieben wird 176 . Der Prolog des Marbod-Gedichtes fehlt, der Text selbst endet nach etwa zwei Dritteln der Erzählung mitten im Satz, allerdings nach der inhaltlich wesentlichen Wendung - der Bekehrung der Sünderin Thais und ihrem Eintritt in die monastische Klausur. Danach beginnt die Rasur, auf der dann die Admonter Vita nachgetragen wurde. Ihr folgen auf der Admonter M L mit Bezug auf Gespräche mit dem Stiftsbibliothekar Adalbert Krause zwar in die 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts, den Nachtrag mit Hinweis auf dieselbe Quelle jedoch erst in die 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts. Beide Befunde sind paläografisch aufgrund des Gesamteindruckes der Handschrift wie des Buchstabenbestandes des Haupttextes und des späteren Textes der Vita nicht naheliegend. Ich danke Winfried Stelzer (Wien) und Rod Thomson (Tasmania) für ihre Hilfe bei der paläografischen und kodikologischen Einordnung des Kodex und des Textes der Vita. 1 7 3 Vgl. Abb. 12; Angaben zu Datierung und Inhalt nach den jeweiligen gedruckten und ungedruckten Handschriftenkatalogen sowie Analecta Bollandiana 17 (1898) 3 8 - 5 4 ; vgl. Ziegler, Katalog 38, für Zwettl; Gsell/Janauschek 124f. für Heiligenkreuz, und 501 f. für Lilienfeld; im Detail: Heiligenkreuz (12./13. Jhdt.): Cod. 11 (Januar-März), Cod. 12 (April-Juni), Cod. 13 (Juli-September); Cod. 14 (22. November-27. Dezember); Zwettl (Anfang 13. Jhdt.): Cod. 13 (Januar-März), Cod. 24 (AprilJuni), Cod. 14 (Oktober-November), Cod. 15 (Ende November-Dezember); Lilienfeld (13. Jhdt.): Cod. 58 (Januar-15. Februar), C o d 59 ( Ende Februar-März), Cod. 60 (Juli-September); Admont (2. Hälfte 12. Jhdt.): Cod. 25 (Januar-März), Cod. 24 (März-Juni); Melk (13. Jhdt.): Cod. 134 (JanuarMärz), Cod. 310 (15. Februar-April), Cod. 674 (Mai-Juni), Cod. 6 7 5 (Juü-August), Cod. 676 (September-Oktober), C o d . 677 (November), Cod. 678 (Dezember); Wien, Ö N B , cvp 336 (April-Juni). 1 7 4 Vgl. auch die Vermerke der Editoren der Analecta Bollandiana „Initium deest" und „Cetera desunt": Vita magistrae, AnaBoll 360 und 366. Es fehlen die in mittelalterlichen Viten üblichen Einleitungsformeln, Hinweise zum Eintritt ins Kloster etc. Dasselbe gilt für das abrupte Ende. Zur stilistischen Analyse des Prologs Ohly, Liebesgruß. 1 7 5 In der Reihenfolge der Handschrift: Vita Gertrudis (fol. 230v-234r), VitaThaisis (fol. 234r-v), Gedicht Marbods (fol. 234v-235r). Vgl. dazu Gertrudis abb. Nivialensis, t 6 5 9 . - Mart. 17., in: Biblioteca Hagiographica Latina (BHL) I, Bruxellis 1898/99, 5 2 1 - 5 2 3 , nn. 3 4 9 0 - 3 5 0 4 (Quellen und Editionen), im Folgenden zitiert: Vita Sanctae Geretrudis, ed. B. Krusch; Thais paenitens in Aegypto, saec. IV.-ct. 8, in: B H L II, Bruxellis 1900/01, 1116f., n. 8 0 1 2 - 8 0 1 9 ; n. 8012: PL 73 (1879, Vitae patrum 1) 6 6 1 - 6 6 2 sowie Acta Sanctorum Octobris. Tomus IV, 2 2 5 - 2 2 8 , Bruxellis 1780. Die beiden Fassungen korrespondieren miteinander, weichen jedoch stark von jener des Admonter M L ab; n. 8019: Vita metrica adscripta Marbodo: PL 171, 1629-1634; zu Thais vgl. LThK 9, 2000, 1374-1379; Zu Gertrud L M A 4 (1989) 1356f. Dazu unten Kap. 2.3.4., 3.1.2. und 3.1.3. 1 7 6 Für seine Heiligenviten und weitere Werke siehe PL 171; Vgl. auch Marbod von Rennes, Carmina; dazu Mews, Love Letters 94—97, mit Anm. 53 für die Editionen weiterer Werke und bibliografische Hinweise.
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zweiten Spalte von fol. 235v die Vita Ioannis Penariensis und weitere frühchristliche Heiligenlegenden 177 . Zusätzlich zu dieser kodikologisch komplizierten Situation lässt die Uberlieferung der Vita auch wesentliche Fragen zur Person ihrer Protagonistin sowie hinsichtlich der Autorinnenschaft der Lebensbeschreibung wie des Prologs offen. Der Haupttext der Lebensbeschreibung selbst nennt keinen Namen, noch gibt er einen Hinweis auf die Funktion der beschriebenen Person im Frauenkonvent von Admont. Dennoch sind die Herausgeber der Analecta Bollandiana in der vorsichtigen Wahl ihres Titels Vita, ut videtur, cuiusdam magistrae monialium Admuntensium zu unterstützen: Die topisch stilisierten Eigenschaften und Tätigkeiten der beschriebenen Person, ihr gottgefälliges Leben sowie die Autorität, die ihr die Erzählerin Dank ihres Alters, ihrer Würde und ihres Wissens offensichtlich zubilligte, korrespondieren mit den Nennungen in weiteren Admonter und anderen Quellen aus Hirsauer Klöstern von magistrae als Leiterinnen der Frauenkonvente, die ihrerseits jeweils den Reformäbten der Gemeinschaften unterstellt waren 178 . Während der Haupttext ausschließlich in der dritten Person über seine Protagonistin erzählt, richtet sich der Prolog einmal direkt an seine Adressatin. In der 11. Zeile spricht der Autor bzw. die Autorin das imaginäre Gegenüber persönlich in einer Mischform aus Latein und Volkssprache an: Docta quidem Gertrut — tu debes scire minen müt. Drei Zeilen davor wird die persönliche Äußerung noch unterstrichen: Hoc dicampro me, spricht die erzählende Person für sich selbst: „Der gerechte Lohn soll Gertrud nicht verwehrt werden, da sie ein verehrungswürdiges Leben beschreibt, das dem ewigen König gefällt und von ,uns' - wohl den Damen des Konvents - „nachgeahmt werden muss" 179 . Diese Passage legt nahe, dass es sich um zwei verschiedene Personen als Autorinnen des Prologs und der Vita selbst handelt. Gertrud, von der auch angenommen wurde, dass sie selbst die Protagonistin der Vita einer gelehrten Nonne sei 180 , scheint vielmehr
Cod. Admont. 25, fol. 235v-236r. Für Admont sind in zeitgenössischen Quellen Titel und Amt der magistra mehrfach in der Beschreibung des Klosterbrandes durch Irimbert bezeugt sowie in der Vita Gebehardi et successorum, Cod. 177 178
Admont. 475, fol. 26r zu 1168 mit Bezug auf die Gräfin Agnes, domnam Agnetem, magistram inibi virginum, die als abbatissa in Neuburg eingesetzt wird. Vgl. Vita magistrae, AnaBoll, Einleitung 358 und Ohly, Liebesgruß 14. Beide erwähnen außerdem den berühmten Brief Papst Innozenz' II aus dem Jahr 1139 an die Admonter Nonnen als Beleg für die Anrede magistrae dabei handelt es sich aber offenbar um einen Irrtum, da der Wortlaut des Schreibens keine entsprechende Nennung enthält, vgl. Wichner, Nonnenkloster 305. DazuAnm. 184. 179 Vita magistrae, Prolog (vgl. Anhang 2, meine Hervorhebungen): Fulgida vita Dei famule seu
forma trophei / Quo mundum vicit, hec splendida littera dicit; / Et bene virgineus stilus explanatpia gesta / Virginis electe, dignis ut sint manifesta. / Virgo virgineum per amorem scripsit amorem, / Quo dilexit Eum, qui solus confert amorem. / Quodplaceat pro se, laudando quisque loquatur; / Hoc dicam pro me. merces non iure negatur / Gerdrudi describenti vitam venerandam / Eterno placitam Ren nobis imitandam. / Docta quidem Gertrut. tu debes scire minen müt. / Hec que dixisti fervens in nomine Christi, / Sunt satis ornata, vera cum laude notata. / Scriptorem servans, o Rex terreque polique / Lectores salva, qui iusta tueris ubique. 180 Diese Überlegung stellen die Editoren der Vita magistrae, AnaBoll, Einleitung 357 an, indem sie auf die Möglichkeit verweisen, dass es sich beim Dativ Gerdrudi in Vers 9 um eine Verschreibung eines Genitivs Gertrudis auf einer möglichen Vorlage handeln könnte. Sie verwerfen diese These aber selbst als unwahrscheinlich. Ausführliche Diskussionen der Autorinnenschaft und der möglichen Identitäten der Protagonistin, der Verfasserinnen von Vita und Prolog und der Person, an die sich letzterer richtet, finden sich ebd., 3 5 6 - 3 5 9 , sowie bei Ohly, Liebesgruß, passim, zu dieser Frage 21. Leider sind wir auf textimmanente Interpretationen angewiesen, da die Admonter historiografischen Quellen, Urkunden und
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Autorin der Lebensbeschreibung einer Frau gewesen zu sein, die namentlich unbekannt bleibt. Die magistra191 - ebenso wie die Autorin Gertrud selbst — wird bereits im Prolog mehrfach als Jungfrau und „Braut Christi" qualifiziert: Ihre [Gertruds] jungfräuliche Feder beschreibe die frommen Taten der erwählten Jungfrau [der magistra], die es wert sind, offen gelegt zu werden. In Liebe schreibt die Jungfrau [Gertrud] über jungfräuliche Liebe [der magistra], wodurch sie den liebt, der allein Liebe schenkt 182 . Beide — Gertrud und die ungenannte magistra — waren nach diesen Formulierungen zu schließen wohl Mitglieder der Gemeinschaft der Admonter Schwestern. Dasselbe lässt sich auch für die mögliche Autorin des Prologes vermuten, die ihn der Vita voranstellte und an den eigenen Frauenkonvent richtete 183 . Gertrud wird persönlich als Vorbild angesprochen, und gleichzeitig das von ihr beschriebene verehrungswürdige Leben der magistra „uns" — den Admonter Nonnen - zur Nachahmung empfohlen. Friedrich Ohly vermutet dem gegenüber eine externe Person, etwa einen Patron, Mentor oder pastoralen Begleiter als externen Adressaten des Prologes, dem dieser gewidmet worden wäre. Er argumentiert dies mit Bezug auf eine Stelle im Haupttext der Vita, in der eine ansonsten ungenannte Person mit paternitas vestra direkt angesprochen wird. Ohly denkt in Verbindung mit einem Schreiben Innozenz' II. von 1139 an die Admonter Nonnen an den Papst als Adressaten dieser Anrede 184 . Dies würde mit seinem Tod 1143 auch einen Terminus ante quem für die Datierung des Prologes und damit auch für die Vita liefern. Die Formulierung des Textes ließe aber ebenso den Erzbischof von Salzburg als Adressaten des Prologes in Erwägung ziehen — auch angesichts seiner guten Beziehungen zu den Admonter Äbten und seiner materiellen wie spirituellen Unterstützung des Klosters185. Nekrologe keinerlei Anhaltspunkte zur Klärung der Identität Gertruds geben. Mein Dank fiir Kritik und Ergänzung der folgenden Überlegungen gilt Rod Thomson (Tasmania) und Michael Winterbottom (Oxford). Inhaltlich siehe Kap. 2.3.4. 181 Aus Gründen der Kongruenz mit Arbeiten, die sich auf die ältere Edition beziehen, sowie mangels naheliegender Alternativen einer Neubenennung der Quelle und der Person wird im Folgenden die üblich gewordene Kurzbezeichnung Vita magistrae weiter verwendet. 182
Wie oben Anm. 179: Vita magistrae, Prolog:... Et bene virgineus stilus expUnat pia gesta / Virgi-
nis elette, dignis ut sint manifesta. / Virgo virgineum per amorem scripsit amorem, / Quo dilexit eum, qui solus conferì amorem. 183 Zur Frage, ob es sich hier eher um eine Autorin oder um einen Autor gehandelt haben mag, siehe auch Anm. 189. 184 Vita magistrae 5; vgl. unten Anm. 208 und 211. Wichner, Nonnenkloster 305, Beilage III, Schreiben vom 1. April 1139, Lateran (nach Cod. Admont. 567; vgl. auch Wichner, Geschichte 1, 249, und Urkundenbuch des Herzogthums Steiermark I, n. 176). Der Brief ist ein schönes Beispiel für ein repräsentatives Schreiben, das alle wesentlichen Topoi eines lobenswerten Lebens geistlicher Frauen enthält, und ist damit gleichzeitig ein wichtiger Beleg für die Bedeutung, die der Admonter Frauenkonvent
offenbar hatte: Innocentius episcopus servus servorum Dei. Dilectis in Christo filiabus sanctimonialibus Admuntensis monasterii Deo magnas gratias agimus, qui in fragili sexu tantam virtutis constantiam dedit et sic vos in suo amore consolidavit et, ut ita dicamus, viriles in suo saneto o f f i c i o e f f e c i t . ... Sponso itaque immortali spiritus sancii cura desponsate, contemptis omnibus ad amplexum et aspectum eius sine intermissione suspirate 185
Vgl. dazu das folgende Kapitel 2.4.1.
Vita magistrae 5 (meine Hervorhebungen): Ante omnia scire libeatpaternitatem
vestram
quiafre-
quenter confecta vigiliis et ieiuniis, vacans psalmodiis, cum sederet vel staret tuxta lumen, operimenta capitis ignis assumpsit, ut penitus comburereturpeplum et velamen, et vix a periculis incenda eam liberare potuimus. Dictu mirabile, numquam aliquam lesionem perpessa est vel in uno crine vel in summa cute. Nos insipientes et stulte subsannavimus; sed ULa iustior Noe, non indignans nobis maledicebat, sed benedicens benedicebat.
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Schließlich wurde der Prolog auch Gertrud selbst zugeschrieben 186 . Dagegen wendet Ohly mit Recht ein, dass Formulierungen wie splendida littera (Vers 2) oder bene (Vers 3) zur Beschreibung des eigenen Werkes bzw. der eigenen Fähigkeiten der monastischen Bescheidenheitstopik entgegen stehen. Allerdings bringt Ohly noch eine weitere bedenkenswerte Variante ins Spiel. Eine stilistische Untersuchung des Prologes zeigt, dass sich von seinen 15 Versen zehn (3-10, 14-15) jeweils am Ende paarweise reimen, während es sich bei den übrigen fünf um leoninische Hexameter, d. h. mit dem Reim auf der Zäsur in der Verszeile, handelt. Lässt man diese weg, so ergibt sich ein vergleichsweise wesentlich kohärenteres Einleitungsgedicht, das sowohl dem Gegenstand als auch der zeitgenössischen Bescheidenheitstopik entspricht. Aus diesem Befund schließt Ohly auf Gertrud als Autorin von Vita und Prolog. Die zusätzlichen fünf Verse wären demzufolge später von jener Person, die den gesamten Text in das Passionale Sanctorum kopiert habe, zum Lob der Autorin ergänzt worden 187 . In diesem Kontext lässt sich dann auch die Passage in Vers 8 „Hoc dicam pro me" nochmals anders lesen: Die Autorin Gertrud spricht in diesem Fall demütig für sich und über sich in der dritten Person, angesprochen wird abermals das „Wir" der monastischen Gemeinschaft. Unabhängig davon aber, ob man der Lesart Ohlys folgt oder den Prolog einer einzigen Person zuschreiben will, scheint es plausibel, dass wir es mit insgesamt drei Frauen zu tun haben — der ungenannten magistra, Gertrud als Autorin zumindest der Vita, und einer ebenfalls ungenannten Schreiberin - , die schriftkundig und gebildet waren und ihre Gelehrsamkeit in den Dienst eines vorbildlichen bzw. nachahmungswürdigen Lebens als Jungfrauen und Bräute Christi stellten 188 . Von der Autorin bzw. Schreiberin des Prologes wissen wir nichts außer die Tatsache, dass sie wohl dem Admonter Frauenkonvent angehörte und Gertrud, die Autorin der Vita, vermutlich kannte 189 . Von dieser erfahren wir explizit, dass sie ebenfalls Jungfrau [Christi], also Nonne war und darüber hinaus als gebildet galt. Die meisten Informationen gibt allerdings der nun folgende ProsaText über die magistra selbst.
De cetero quid vos, domine, novi sedere in kathedra potestatis apostolice non exaltatum et elevatum, sedhumilem ad omnes et mansuetum, ea de causa loquendi et scribendi aucta est michi fiducia. Vgl. Ohly, Liebesgruß 18. Zu den Beziehungen zwischen Admont und Salzburg vgl. Kap. 2.1. 186 So Wilhelm Wattenbachs briefliche Äußerung gegenüber den Bollandisten: Er schrieb ohne weitere Begründung die ersten zehn Verse des Prologs der Autorin Gertrud zu, den Rest dem Schreiber bzw. der Schreiberin, die den Text später in den Admonter Kodex 25 übertragen hat (Vita magistrae, AnaBoll, Einleitung 357: putat nempe novem [!] priores versiculos ab ipsa Gertrude editos esse, reliquos quinque ab amanuensi additos). 187 Ohly, Liebesgruß 19-21, hier 19: [Virginis] virgineus stilus explanatpia gesta / Virginis electe, dignis ut sint manifesta. / Virgo virgineum per amorem scripsit amorem, / Quo dilexit Eum, qui solus confert amorem. / Quodplaceat pro se, laudando quisque loquatur; / Hoc dicam pro me, merces non iure negatur / Gerdrudi describenti vitam venerandam / Eterno placitam Regi nobis imitandam. / Scriptorem servans, o Rex terreque polique / Lectores salva, qui iusta tueris ubique. 188 Vgl. dazu etwa Irimbert, Bericht XIV: ... Valde quippe sunt litteratae et in scientia sacrae scripturae mirabiliter exercitate sowie oben S. 61 mit Anm. 46. Zum Bild der Jungfrauen und „Bräute Christi" vgl. besonders Kapitel 3.2. 189 Grundsätzlich ist auch ein Schreiber für die Übertragung beider Texte in den Kodex 25 und die Autorschaft bzw. Redaktion des Prologs vorstellbar. Der Gesamtkontext der Uberlieferungssituation zusammen mit den beschriebenen Klausurbedingungen macht m. E. aber eine Angehörige des Frauenkonvents wahrscheinlicher. Vgl. dazu besonders die beiden folgenden Abschnitte.
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2.3.2. Vita spiritualis Die Lebensbeschreibung der Admonter magistra beginnt abrupt mit einer Beschreibung ihres streng regelgetreuen Tagesablaufs. Sie übertraf die Vorschriften der Benediktregel sogar noch durch ihre besonders asketische Disziplin: Niemand könne sich erinnern, sie jemals mit den anderen aufstehen gesehen zu haben, denn sie schlief nicht liegend, sondern eher im Stehen oder wenn sie allzu große Müdigkeit erfasste, im Sitzen 190 . Wenn Benedikt Kinder und Greise von den strengen Fastenbestimmungen ausnahm 1 9 1 , so hielt sie es für frevelhaft, wenn jemand die Gebote der Enthaltsamkeit und des Wachens von Mitte September bis Ostern brach. Ihr genügten die von der Regel vorgeschriebenen zwei gekochten Mahlzeiten täglich, und oft unter Lobpreis Gottes auch nur eine einzige. Mit zunehmendem Alter ließen jedoch ihre Kräfte nach, denn der Geist sei willig, das Fleisch aber schwach 192 . Obwohl alt und gebrechlich, wirkte sie anmutig wie ein siebenjähriges Kind 193 . Niemals verließ sie den Konvent, und sie folgte seinen Vorschriften in allen Belangen. Mit Gottes Hilfe hatte sie die achte Stufe der Demut erklommen 1 9 4 . Hier verweist die Vita auf die Regula S. Benedicti, denn die magistra tat nichts, was nicht der Regel und dem Beispiel der Vorfahren entsprach 195 . Nach einer kurzen Aufzählung weiterer Tugenden der magistra — pietas, pax, misericordia - folgt die nächste detaillierte Bezugnahme auf die Benediktregel. Diesmal geht es um die Schweigegebote 196 . Die Lehrerin, so ihre Biografin, verharrte regelgetreu im Schweigen, bis es Zeit war zu sprechen, dann aber waren ihre Worte „über die Vergangenheit und Zukunft, den Ruhm der Gläubigen und die Unsterblichkeit der Heiligen" voll von Würde und Freundlichkeit 197 . ' 9 0 Vita magistrae 1: Nemo potest animadvertere si umquam viderit eam cum ceteris de lecto surgere; neque iacendo, sedpotius stando, ut cum nimia lassitudo eam compulisset, sompnum capiebat sedendo. 1,1 Reg. S. Ben. c. 37. 152 Vita magistrae 1: Verumtamen quia, psalmista attestante, universa vanitasomnis homo vivens, Valens vigore Spiritus, carnisfatiscens artubus, defecerat numerositate annorum simulque laborum. Für den expliziten Bezug auf die Psalmen vgl. Ps 38, 6: ecce mensurabiles posuisti dies meos etsubstantia mea tamquam nihilum ante te verumtamen universa vanitas omnis homo vivens. Vgl. außerdem z. B. Mt 26, 41 bzw. Mk 14, 38. 193 Ebd. ... gratia quodammodo septennispueri in ea videbatur. Auffällig ist, dass das hier wohl neutral mit „Kind" zu übersetzende, aber ebenso auch männlich konnotierte Wort puer gewählt wird und nicht das geschlechtsspezifische puella. Zum Topos der Schwäche vgl. unten, Anm. 205. Dazu Kap. 3.3. „Vom Umgang mit dem Körper". 194 Ebd. ... Octo beatitudines, Domino cooperante, exquisierat, in omnes suas voluntates intellegens et sequens, et sequendo fideliter apprehendensperinde et octavum gradum humilitatis sublimiter ascenderat. Das 7. Kapitel der Reg. S. Ben. (7,1-70) setzt sich mit der Demut als der wichtigsten monastischen Tugend auseinander. Der Weg zur Seligkeit ist als zwölf-stufige Leiter konzipiert, wie sie im AT Jakob erschienen ist (Gen 28,12). Hochmut (superbia) bedeutet Rückschritt auf der Stufenleiter, Vervollkommnung in Demut (humilitas) hingegen das Fortschreiten auf ihr (Reg. S. Ben. 7, 1-9). Die zwölfte Stufe bedeutet vollkommene Demut. Erreicht sie der (geistliche) Mensch, erlangt er vollkommene Gottesliebe und Freiheit von Furcht (ebd. 7,62-69). Zur Tugendleiter vgl. auch die entsprechende Miniatur im Hortus deliciarum. HD, fol. 215v, S. 352: Hec scala significat ascensum virtutum et religiosum sanctitatis exercicium quo eterne vite Corona adipiscitur. . . . . Zu den Tugenden vgl. ausführlich unten Kap. 3.1. 195 Reg. S. Ben. 7, 55: Octavus humilitatis gradus est si nihil agat monachus, nisi quod communis monasterii regula vel maiorum cohortantur exempla. 196 Grundsätzlich Reg. S. Ben. 7; ebd. 42 werden die konkreten Schweigegebote geregelt, insbesondere in den Nachtstunden nach der Komplet ist völliges Schweigen einzuhalten, ebd. 42, 1: Omni tempore silentium debent studere monachi, maxime tarnen noctumis horis. 197 Vita magistrae 1: ... quanta gravitate, quanta affabilitate loquens omnes nos admonuit; et totus sermo illius inter nos depraeteritis, de juturis, de fidelium gloria, de etemitate sanctorum fuit.
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Dieser Satz bildet gleichsam einen Übergang von der einleitenden Beschreibung der wichtigsten spirituellen Eigenschaften der magistra zur Erörterung ihrer sozialen Kompetenzen. Denn nicht nur im Gottesdienst {in divinis cultibus), sondern auch in den artes liberales (studiis quoque liberalibus) galt sie als unübertroffen, weshalb sie zunächst mehrfach an „andere Orte" geschickt wurde, um ihr beispielhaftes Leben weiterzugeben. An dieser Stelle gibt die Vita erstmals Hinweise auf die persönliche Lebensgeschichte der magistra. Geliebt von allen verbarg sie sich schließlich „bei uns zwischen den Bergen", da sie das falsche Lob der Menschen nicht schätzte 198 . Hier - in Admont - wirkte sie nun mit Worten und Werken. Gerechtigkeit, Wahrheit und Frömmigkeit übte sie durch Liebe, tadelte die Sünder und ermunterte die Reumütigen, wie sie auch für sie betete. Ihr Reden und Predigen (sermo) entsprach allen apostolischen Vorgaben 199 , es war gratiosus, acceptus, ordinatus, temperatus und herausragend in seiner erbaulichen Wirkung auf die Zuhörenden (praestans audientibus aedificationem). Nicht zuletzt das begründet wohl auch ihre interne und externe Autorität: So unterwies sie nicht nur ihresgleichen oder Personen von niedrigerem Rang (sui compares et similes vel se inferiores) und tadelte sie für ihre Verfehlungen, sondern sie vermied es ebensowenig, Bischöfe und auch Erzbischöfe und Mächtige zurechtzuweisen und zur Vernunft zu bringen. Im Folgenden geht die Vita auf die Herkunft der magistra und auf die Einrichtung des Frauenkonvents in Admont ein. Sie selbst stammte aus einer der wichtigsten Ministerialenfamilien Salzburgs, wurde dort als Mädchen über mehrere Jahre erzogen, bevor sie offenbar ins Salzburger Frauenkloster auf dem Nonnberg kam 2 0 0 . Nun wird die Gründungsgeschichte Admonts bis zum Abbatiat Wolfolds erzählt. „Doch", fährt die Vita fort, „wie in alten Zeiten, wenn ein noch ungebildetes Volk in geflochtenen Hütten lebte und weder das Wissen um die göttliche Religion und den Gottesdienst noch um die menschlichen Aufgaben gepflegt wurde, so machte auch dieser Ort so lange keine Fortschritte, bis er durch die Aufnahme von eingeschlossenen Jungfrauen und anderen frommen Enthaltsamen verändert wurde." 201 Dies geschah erst unter Abt Wolfold, der als erster ein eigenes „inneres" Gebäude für die Admonter Frauen einrichtete und das Kloster an Angehörigen und Ruhm ver198 Vita magistrae 2: ... quo sancte et iuste vivendo ab omnibus amaretur, fiigit e vestigio, cupiens apud nos in mediopetrarum delittescere abscondita, quia non delectabatur adulatione hominum falsa. Zum Topos
der Abgeschiedenheit, der hier besonders eindrucksvoll eine Verbindung zwischen dem „realen" Ort Admont und dem asketischen Ideal herstellt, vgl. auch S. 52, Anm. 2. 199 Vita magistrae 2: Sermo autem illius iuxta praeceptum apostoli erat in gratia sale conditus, id est .... Vgl. Col. 4, 6: sermo vester Semper in gratia sale sit conditus ut sciatis quomodo oporteat vos unicuique res-
pondere.
Vgl. dazu unten Kap. 3.1.2.
Vita magistrae 2: ... nam ex illustrissimis Salzpurgensis ecclesie ministris oriunda exstitit, ibique in superiori castro eiusdem urbis educata aliquos annos iuventutis sue exegit. Ea de causa quasi iure bereditario sanctum Rädbertum specialiter dilexit, et summa devotione servivit, omnesque suos successores iustos etpiosgloriabatur habere dominos etpatronos, sowie ebd. 3.... ipsa Deo dilecta a consororibus nostris, optime conversata clientela sancte Erindrudis, huc transmittebatur in cenobium quarundam noviciarum in commune viventium. 201 Vita magistrae 3: Sedsicut in diebus antiquis, cumpopulus adhuc rudis in contextis habitaret casulis, nec ratio colebatur divine religionis et servicii nec humani o f f i c i i , sic ilio tempore huius loci status non proficiebat Ulis provectibus, quamdiu conversabantur cum inclusis virginibus aliisque pie continentibus. Das Ar200
gument, dass erst die Aufnahme von weiblichen Inklusen zum spirituellen Aufschwung Admonts führte, halte ich im Rahmen der Begründungen für jene Form der vita monastica, die beide Geschlechter mit einbeziehen sollte, für besonders bemerkenswert. Zu den gesellschaftlichen Funktionen der Klöster mit Bezug auf die Geschlechterfrage vgl. unten Teil 4.
Wege zur Erkenntnis: Lesen, Schreiben, Beten, Wissen
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mehrte. Ob die Protagonistin der Geschichte von ihm nach Admont geholt wurde oder bereits dort war, ist nicht festzustellen. Jedenfalls wurde sie in diesen Jahren von den Schwestern zur Unterweisung der Novizinnen in ein weiteres Kloster geschickt 202 . Nun folgt ein umfangreicher Abschnitt über die intellektuellen und spirituellen Fähigkeiten der magistra sowie die Praxis des Lehrens und Lernens im Kloster203. Sie unterwies die Novizinnen in den „Schulfächern" (quas scholaribus disciplinis instruxit) ebenso wie sie eine umfassende Kenntnis der Heiligen Schrift hatte, mit der sie sich Tag und Nacht „mit Maria zu Füßen des Herrn sitzend" beschäftigte. In allen Dingen, die das „wahre Leben" ausmachen, war sie beispielgebend in ihrer spirituellen Strenge 204 . Vorbildlich war auch ihre bereits erwähnte asketische Disziplin, der sich die Vita nun widmet. Darauf folgt eine Beschreibung ihrer Visionen und schließlich ihres Sterbens in Anwesenheit aller Mitglieder des Frauenkonvents. Dieser Teil der Lebensbeschreibung - Körper und Askese, Fasten und Beten, Visionen und Sterben - nimmt fast die Hälfte der gesamten Darstellung in Anspruch und vermittelt eindrucksvoll die Vorstellungen von den zentralen Elementen der vita monastica. Als Ubergang zur Erörterung der physischen Zeichen der Heiligkeit der magistra dient der Autorin Gertrud die Passage über ihr nächtliches Schreiben. „War sie nicht Moses ähnlich?", fragt sie. Denn wie bei ihm wurden auch ihre Augen niemals müde, und obwohl sie gleich ihm sehr alt wurde, litt sie niemals unter Alters- oder einer sonstigen Schwäche 205 . Die Aussage über die Anzahl der Lebensjahre der Lehrerin - 120 wie Moses — modifiziert die Autorin allerdings gleich mit für eine topische Schilderung bemerkenswerter Offenheit: Da sie in allem die Wahrheit sagen wolle, müsse sie hinzufügen, dass der magistra selbst ihr genaues Alter entfallen war (e memoria sibi exciderat), diese ihre Vermutung darüber jedoch in einer Vision erhalten hatte 206 . Wenn auch offensichtlich hoch betagt, wurde sie durch ihr Leben in Christus vor aller Krankheit bewahrt, sodass sie keinerlei Heilmittel ( m e d i c i n a m carnalem) benötigte 207 .
2 0 2 W i e oben Anm. 199: Hier könnte z. B. das Kärntner Kloster St. Georgen gemeint sein, dass in den ersten Jahren des Abbatiats Wolfolds von Admont aus reformiert wurde. Vgl. dazu S. 56 und 79f. 2 0 3 Vgl. dazu den folgenden Abschnitt.
204 Vita magistrae 3: ... quia sacra Scriptum funditus erat erudita, qua meditabatur die ac nocte sedens adpedes Domini cum Maria; eius ori numquam Christus abfuit; sive iusticia vel quicquid ad veram vitam pertinet, hoc adhuc meritis ipsius in nostro ordine et spiritali rigore constat et apparet. Der Vergleich der ma-
gistra mit Maria, die zu Füßen Christi sitzt und von der es heißt, sie habe den besseren Teil gewählt, während ihre Schwester Martha das Essen zubereitet, ist häufig und ein gutes Beispiel für geschlechtsspezifi-
sche Rollenmodelle (Lc 10, 39: et huic erat soror nomine Maria quae etiam sedens secus pedes Domini audiebat verbum illius). Mit dieser Frage setzte sich z. B. auch Heloi'se in ihrem Schreiben an Abaelard mit der Bitte um eine für Sanktimonialen geeignete Regel auseinander: Ep. V (ed. Mückle, The Letter of He-
loise) 252: Sed numquidMaria otiose sedebat ut verba Christi audiret, Martha tarn ei quam Domino Laborante, et de quiete sororis tamquam invida murmurante, quasi quae sola pondus diei et aestus portaverit? (Mt 20, 12). 205 Vita magistrae 4: Nonne similis erat Moysi, vice illius non caligaverunt eius oculi; evi matura etiam eius coevula, non commovit eam tremula etas vel aliqua unquam gravis infirmitas,; sowie ebd Centum viginti annos vite sue computavit; tot et ipseprior annos etatis habuit. Vgl. Dt 34, 7: Moses centum et viginti annorum erat quando mortuus est non caligavit oculus eius nec dentes illius moti sunt. Vgl. hingegen oben
Anm. 193 und die dort angegebenen Verweise. 206 Ebd.: Sed ut veritatem in omnibus prosequar et plus minus quid non mentiar, hoc afßrmando non dixit, quia e memoria sibi exciderat, sed in sompnis per revelationem cuiusdam, ut asseruit, hanc supputationem didicerat. 207
Vgl. dazu unten Kap. 3.3.2.
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Das Benediktinerkloster Admont - eine Fallstudie
Wenn die magistra allerdings unter Schwäche litt, dann in Folge von Fasten und Wachen in der Nacht, um sich dem Psalter zu widmen. An dieser Stelle spricht Gertrud erstmals den Adressaten der Vita, patemitas vestra, persönlich an: Er soll wissen, dass die magistra häufig geschwächt durch ihre asketische Disziplin sitzend oder stehend so nahe an die offene Flamme geriet, dass ihre Kopfbedeckung, Gewand und Schleier fast Feuer fingen und die Mitschwestern Mühe hatten, sie davor zu bewahren. Dennoch wurde dabei niemals auch nur ein einziges Haar oder ein Stückchen Haut verletzt208. Ihre Unvergleichlichkeit und ihre Verdienste vor Gott zeigten sich jedoch vor allem in der Stunde ihres Todes. Ahnlich wie in den etwa zeitgleich entstandenen Quellen über das Leben und die Visionen der Elisabeth von Schönau wird auch das Sterben der magistra als Prozess beschrieben, der in das Gemeinschaftsleben eingebunden ist 209 . Er beginnt mit der Spende der Sterbesakramente - der letzten Ölung und der Kommunion sobald ihr Körper als Anzeichen des nahenden Todes von einem Fieber erfasst wurde. Ihr Geist aber blieb klar und erlaubte ihr, die Fragen zu ihren nun einsetzenden Visionen zu beantworten. Als Beistand ließ sie nach dem Priester rufen, der ihr die Sakramente gespendet hatte, nahm seine Hand und erläuterte, wie die Engel zu ihr von der alle anderen überragenden Würde des priesterlichen Amtes gesprochen hätten 210 . Eine solche angelische Vision wiederholte sich im Verlauf ihres Sterbens, während dessen alle Schwestern bei ihr zusammen kamen und Litaneien für sie sangen. Ihr Lob des apostolischen Amtes inkludierte in der Folge auch den Hl. Rupert, ihren erwählten Patron, den sie neben den übrigen Heiligen anrief 211 . Sieben Tage nach der letzten Ölung geriet sie in Ekstase, sie sah ihre Vergangenheit und Zukunft und begann ihren Mitschwestern zu predigen. Sie bediente sich dabei zur Ermunterung der Nonnen, die sich bereits über die Begräbnisfeierlichkeiten Gedanken zu machen begannen, besonders des Psalters: Im letzten Abschnitt der Darstellung wechseln direkte Psalmen-Zitate
208 Vita magistrae 5: Ante omnia scire libeat paternitatem vestram quia frequenter confetta vigiliis et ieiuniis, vacans psalmodiis, cum sederei vel starei iuxta lumen, operimenta capitis ignis assumpsit, utpenitus comburereturpeplum et velamen, et vix apericulis incendii eam liberarepotuimus. Dictu mirabile, numquam aliquam lesionem perpessa est vel in uno crine vel in summa cute. Nos insipientes et stulte subsannavimus; sed illa iustior Noe, non indignans nobis maledicebat, sed benedicens benedicebat. De cetero quia vos, domine, novi sedere in kathedra potestatis apostolice non exaltatum et elevatum, sed humilem ad omnes et mansuetum, ea de causa loquendi et scribendi aucta est michi fiducia. 2 0 9 Zu Elisabeth von Schönau vgl. die Edition der von ihrem Bruder Ekbert aufgezeichneten und redigierten Visionen und weiterer Werke von Roth, Visionen, sowie die aktuelle kritische Edition der Werke Elisabeths von Anne L. Clark, Complete Works (2000). Vgl. auch dies., Elisabeth of Schönau. Mit der Bedeutung der Visionen Elisabeths für Fragen nach dem alltäglichen Leben in monastischen Reformgemeinschaften unter besonderer Berücksichtigung der Eigenschaft Schönaus als „Doppelkoster" beschäftigt sich der aktuelle Beitrag von Kemper, Schönau. Vgl. dort auch die eingehende Diskussion des Forschungsstandes zum Kloster Schönau.
210 Vita magistrae 5: . • • Apprehendit ergo manus eius et benedixit dicens: O quanta, qualis dignitas sacerdotalis. Quid est quod domnus apostolicus suiquepontifices creduntur essepotestate et iure ligandi atque solvendi potiores et sublimiores? Nimirum omnis honor solo sacerdotio virtute est inferior. 211 Vita magistrae 6: Hanc igitur visionem angelicam non semel vidit, sed quando primum mori incipiebat, omnes super illam convenimus et letaniam cantavimus, nomen sancti Rüdperti electi etpraeelecti pa-
troni sui repetentes sepius invocavimus
prae ceteris sanctis. Die Betonung dieser der magistra zugeschriebe-
nen Vision verweist nicht nur nochmals auf ihre wahrscheinliche Herkunft aus Salzburg, sondern stützt auch die Vermutung, dass es sich bei dem von der Autorin Gertrud adressierten Patron um den Salzburger Erzbischof gehandelt haben könnte.
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mit einer Selbstbeschreibung der Admonter Nonnen, die danach trachteten, aus den physischen Zeichen zu deuten, wie weit das Sterben ihrer Lehrerin bereits fortgeschritten war. Schließlich befahl diese (iussit), dass ihr der Psalter gebracht werde, suchte eine bestimmte Stelle und begann erneut zu rezitieren. Zuletzt bat sie, dass ihr die Vespern gesungen würden, was die Nonnen gemeinsam taten. Sie richteten dabei alle ihre Sinne auf die sterbende magistra, und merkten nicht . . . . Hier bricht der Eintrag in den Kodex abrupt ab, und das gibt der Geschichte geradezu eine weitere spirituelle Komponente. Der eigentliche Augenblick des Sterbens entzieht sich - wenn auch vermutlich aus ganz pragmatischen Gründen des Platzmangels in der Handschrift - der Kenntnis der Überlieferung, und scheint so auch der Wahrnehmung durch die klösterliche Gemeinschaft entzogen. Bei dieser hat es sich vermutlich, korrespondierend mit dem Bericht Irimberts und den Hirsauer Constitutiones, mit Ausnahme des Priesters tatsächlich ausschließlich um die Mitglieder des Frauenkonvents gehandelt 212 . Im Unterschied zu den Darstellungen des Sterbens Elisabeths von Schönau oder auch Juttas von Sponheim, bei deren beider Tod jeweils von der Anwesenheit der Mitglieder des Frauen- wie des Männerkonventes die Rede ist 213 , hören wir in der Vita magistrae ausschließlich vom geistlichen Beistand der Mitschwestern sowie — regelkonform - von der Spende der Sterbesakramente durch einen Priester, vielleicht Irimberts selbst, und seinem geistlichen Beistand. Ansonsten folgt auch die Vita magistrae wie der Bericht Irimberts dem Idealbild der Hirsauer Reform und beschreibt die Mitglieder des Männer- und des Frauenkonvents auch im Sterben der Protagonistin zwar an einem Ort, aber räumlich von einander getrennt214. 2.3.3. Abgeschlossenheit, Bildung und Zusammenarbeit — ein Widerspruch? Die vita magistrae weist wie die Argumentation Irimberts in seinem Bericht über das Frauenkloster allerdings eine Reihe von Widersprüchen auf, wenn sie auch stilistisch und rhetorisch weniger gut „verpackt" und damit offensichtlicher sind. Auch hier ist das wichtigste Ziel der Darstellung, die vorbildliche Umsetzung der idealen vita monastica in Admont zu dokumentieren. Beide Quellen legen nahe — wenn auch auf unterschiedliche Weise dass man sich tatsächlich aktiv bemühte, das programmatisch gewünschte abgeschlossene Leben und damit auch die strikte Trennung der Geschlechter im „Doppelkloster" auch in die Praxis umzusetzen. Auffällig ist aber, dass die Frage der Trennung in der Vita nicht aktiv thematisiert wird. Sie ergibt sich ausschließlich aus den Details der Schilderung. Ebenso wenig wird dem Geschlecht der magistra eine besondere Bedeutung gegeben. Im Vordergrund steht vielmehr das Bestreben, die Idealform der vita spiritualis am Beispiel ihres gottgefälligen Lebens darzustellen, wie dies etwa auch in der Lebensbeschreibung der Elisabeth von Schönau zum Ausdruck kommt 215 . Siehe oben S. 73f. Zu Elisabeth siehe z. B. Visionen II 6, 4 2 ; zu den Visionen und zum Sterben Elisabeths vgl. Kemper, Doppelkloster Schönau 95—101, hier besonders Anm. 244f.; siehe auch Küsters, Der verschlossene Garten 260f. Zu Jutta vgl. Staab, Reform 1 8 2 - 1 8 5 , und Feiten, Hildegard l 4 7 f . 212
213
214
Vgl. Casus monasterii Petrihusensis, Prolog 9, 2 4 (meine Hervorhebung: . . . Ubi hoc quoque
no-
tandum, quod devote mulieres pariter cum sanctis discipulis Deo militabant, et ideo hoc exemplo non est vituperabile, sed magis laudabile, si sanctimoniales feminae in servorum Dei monasteriis recipiantur, ut uterque sexus. ab invicem tarnen sequestratus. uno loco salvetur. 215
Kemper, Doppelkloster Schönau, v. a. 85f. und 9 0 - 1 0 1 .
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Im Gegensatz zu dieser machen sowohl der Prolog zur Admonter Vita als auch diese selbst aber Schrift, Bildung und Wissen der Autorin und der als Vorbild verehrten Lehrerin deutlich häufiger zum Thema. Die Autorin wird als gelehrte (docta) Gertrud angesprochen. Die magistra hat eine Ausbildung genossen (educata), ihre profunden und unübertroffenen Kenntnisse betreffen sowohl die Heilige Schrift (sacra scriptum funditus erat erudita) und die liturgische Praxis (in divinis cultibus ... nulli secunda habebatur) als auch den mittelalterlichen „Schulbildungskanon" der artes liberales (studiis quoque liberalibus). Sie unterrichtet Novizinnen in diesen Fächern (... quas scholaribus disciplinis instruxit), ebenso wie sie ihnen auf ihre Bitten über Nacht Verse und Prosa auf Wachstäfelchen schreibt216. In der Nacht verfasst sie litteras und diktiert sie einer Schreiberin, wobei sie jedoch niemals die Schweigepflicht missachtet und nie ein deutsches Wort spricht (numquam aliqua theutonica verba protulit). Dies sind aber nur einige jener Aspekte gelehrten, spirituellen und sozialen Wissens, welche die Autorin der Vita als beispielhaft vorstellt: Auch der Prolog enthält eine ganze Reihe von Epitheta und Metaphern sowohl für die Autorin Gertrud als auch für die magistra, die Einblick in Bereiche der monastischen Vorstellungswelt geben, die ihrerseits mit den genannten Aspekten eng verknüpft sind: Sie werden als Dienerin Gottes ( f a mula Dei) und erwählte Jungfrau (... virginis electae) bezeichnet, ihre glänzenden Schriften ( s p l e n d i d a litterd) sind ausgezeichnet durch ihren jungfräulichen Stil (virgineus stilus). Allein in den wenigen Zeilen des Prologes wird also mehrfach verschränkt auf die schreibenden Tätigkeiten von Autorin und Protagonistin in Verbindung mit Begriffen der jungfräulichen Liebe hingewiesen, welche die zentrale Metapher der geistlichen Frauen als Bräute Christi evozieren und ihnen gleichzeitig den höchsten Platz auf der Stufenleiter der moralischen Ordnung Jungfrauen - Witwen - Verheiratete zuweisen 217 . Am Beispiel der Unterweisung der Novizinnen durch die magistra wird allerdings ähnlich wie im Bericht Irimberts eine Spannung zwischen Norm und Praxis spürbar: Die Schweigegebote der Benediktregel fordern relative Schweigsamkeit untertags und absolutes Schweigen in der Nacht, die mit dem liturgischen Abendgebet der Komplet begann 218 . Die Lebensbeschreibung der magistra vermittelt den Eindruck, dass die Einhaltung dieser Bestimmungen mit der Praxis des Unterrichtens und der schriftlichen Betätigung nicht leicht vereinbar war. Wenn die magistra in den Nachtstunden splendida littera konzipierte und einer Schreiberin diktierte, musste sie dafür notwendigerweise formal die Schweigegebote brechen. Für eine solche Interpretation spricht außerdem die besonders nachdrückliche Behauptung des Gegenteils - der Einhaltung der Vorschriften —, und dies vor allem durch ihre Konkretisierung hinsichtlich der theutonica verba1'1'3: Wenn sich die Lehrerin ohnehin an das nächtliche Schweigegebot hielt, wie ihre Biografin mehrfach behauptet, warum hielt diese es dann für notwendig hervorzuheben, dass sie sich „dabei" insbesondere nicht der deutschen Sprache bediente? Die Erfordernisse und Bedürfnisse des monastischen Alltags konnten offensichtlich nicht immer mit den formalen Vorschriften von Regel und consuetudines zur Deckung
216 Vita magistrae 4: ... tarnen cum rogaretur aparvulis, ut versus etprosaspraediceret Ulis, sicut erat piena karitate et dilecione, accepit tabulas et scripsit eis reddendos in crostino versus et prosas. 217 218
Ausführlich Kap. 3.2. Vgl. Reg. S. Ben. 7 und 42. Vgl. grundlegend Niederkorn, Sanctorale Salzburgs.
21!> Vita magistrae 4: Aliquando enim in tempestate nocte litteras composuit et scribentipraedixit, tarnen observantiam retinens numquam aliqua theutonica verba protulit.
silentii
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gebracht werden und führten zu Abweichungen. Gleichzeitig zeigt der Text, wie man nach Möglichkeiten suchte, sich einem regelgetreuen und damit gottgefälligen Leben so weit wie möglich praktisch und argumentativ anzunähern, aber dennoch Spielräume für das eigene Handeln zu finden. Die Autorin Gertrud kann das Leben ihrer Heldin im diskursiven Rahmen der vita monastica bzw. im Genre der Hagiografie kaum als vorbildhaft beschreiben und dabei gleichzeitig zugeben, dass sie explizit die wichtigsten Vorschriften für dieses Leben brach. Also muss ihr Handeln einerseits besonders nachdrücklich als regelgetreu betont und bestätigt werden. Andererseits werden ihre Abweichungen zwar „wahrheitsgemäß" erwähnt, aber gleichsam additiv, also ohne einen direkten Bezug zu ihrer Eigenschaft als Regelbruch 220 . Durch dieses Einbeziehen von Abweichungen in die Darstellung eines vorbildhaften Lebens wird aber gleichzeitig das typische Rollenmodell ein wenig modifiziert und erweitert. Das wichtigste Argument der Biografin ist dabei die Eigenschaft der magistra als gelehrte und lehrende Frau. Die Vorbildlichkeit dieser Charakteristika und die damit verbundenen Tätigkeiten rücken in den Vordergrund des nachzuahmenden Tugendkatalogs, die damit notwendigen Abweichungen werden — da sie nicht orthodox argumentiert werden können - strategisch hinter den als zentral betonten Faktoren verborgen und geraten in den Hintergrund. Als ein weiteres Element dieser „Verschleierungsstrategie" kann auch die Differenzierung zwischen schweren und weniger schweren Verstößen - hier anhand der Privilegierung der lateinischen gegenüber der deutschen Sprache - interpretiert werden. Da die magistra niemals ein deutsches Wort sprach, was ansonsten also offensichtlich vorkam, wird die Verwendung der lateinischen Sprache für ihre gelehrten Tätigkeiten trotz Regelbruch als gerechtfertigt dargestellt. Diese Bedeutung von „Gelehrtheit" in Admont und ihre praktischen Konsequenzen belegen auch eine Reihe von Handschriften aus dem dortigen Frauenkonvent, an deren Herstellung die Sanktimonialen selbst beteiligt waren. Im Prolog zu seinem Kommentar zum zweiten Buch der Könige221, in dem er ausführlich den Prozess seines Schreibens erläutert, berichtet Irimbert, dass einige der klausurierten Nonnen seine Predigten zu diesem Thema bereits einige Jahre vorher ohne sein Wissen auf Pergament mitgeschrieben hätten, was ihn nunmehr - nach dem durch den Brand des Klosters bedingten Zeitverlust bei der Arbeit — außerordentlich zur weiteren Beschäftigung motiviert habe. Jedenfalls habe er ihre Mitschriften ohne wesentliche Änderungen in seine Arbeit eingefügt und gekennzeichnet222. Der Vorgang ist durchaus gut nachvollziehbar, zumal auch der Bericht Irimberts über das Leben der Admonter Sanktimonialen von der Kommunikation zwischen den 2 2 0 Zur Bedeutung der „wahrhaftigen" Darstellung vgl. auch S. 95, Anm. 206, die Bemerkung Gertruds über ihre Angaben zum Alter der magistra-, da sie in allem die Wahrheit sagen, vielmehr noch nicht lügen wolle, müsse sie ihre „Quelle" differenzieren: Vita magistrae 4: ... Sedut veritatem in omnibuspro-
sequar et plus minus quid non mentiar, hoc affirmando non dixit, quia e memoria sibi exciderat, sed in sompnis per revelationem cuiusdam, ut asseruit, hanc supputationem didicerat. 221 222
Cod. Admont. 16. Vgl. S. 69f. Irimbert, Prologus in Librum Regum II, Cod. Admont. 16, p. 165-168, hier 167f.:
Incendium
enim monasterii Admuntensis in media Quadragesima heu invenerat, quod me ab expositionis meae cursu aliquantulum retardaverat. Quoniam autem sorores Admuntenses capitula quedam ex eodem libro regum ante annos aliquot a me audierant, que me nesciente ipse in membranis exceperant, per quod etiam Studium meum valde provocaverant, iudicavi non equum esse devotionis earum scripta abicere sedpotius, ut ab ipsis excepta fuerant, huic opusculo meo interserere eaque lectori vel curioso vel devoto his indiciis designate. Vgl. dazu Braun, Irimbert 319, und Beach, Women as Scribes.
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Nonnen und ihren pastoralen Betreuern durch das vergitterte Fenster erzählt 223 . Irimbert hätte demnach also durch das Fenster gepredigt, die Schwestern seine Worte notiert. Die in Handschriften und Nekrologen mehrfach bezeugten Nennungen von Admonter Nonnen als Schreiberinnen unterstützen die Annahme der Herstellung von Texten und Kodices innerhalb des abgeschlossenen Raumes des Frauenkonvents, ebenso wie die Quellen zu seiner ökonomischen Versorgung plausibel machen, dass das dafür notwendige Material in der Klausur vorhanden war 224 . Letzteres allerdings macht erneut skeptisch gegenüber Irimberts Behauptung, er hätte von der Initiative der Nonnen nichts gewusst. Die Formulierung erinnert vielmehr an den bereits mehrfach erwähnten Verteidigungsgestus gegenüber den Möglichkeiten und Gefahren einer spirituellen Zusammenarbeit zwischen dem geistlichen Betreuer und dem ihm anbefohlenen Sanktimonialen. Später jedenfalls wurde aus dem zunächst „inoffiziellen" Mitschreiben ein „offizielles" gemeinsames Projekt: Zwei Nonnen wurden schließlich laut Irimbert von jeder anderen Beschäftigung freigestellt, um regelmäßig seine Predigten auf Wachstafeln mit- und diese Mitschriften anschließend wohl wie bereits zuvor auf Pergament rein zuschreiben. Dabei hebt er unter eleganter Anwendung von Bescheidenheitstopik und Berufung auf Augustinus den bedeutenden Anteil der Sanktimonialen an seinem Werk hervor 225 . Von diesen beiden Schwestern sind die Namen nicht bekannt. Allerdings könnte es sich um dieselben - Regilind und Irmingart - handeln, die in der Endfassung von Irimberts Kommentaren zu den Büchern Ruth und Richter 19—21 namentlich genannt sind und deren Handschriften identisch mit den beiden Haupthänden in den früheren Redaktionen dieses Kodex sind. Für die Kommentare zu den Büchern Ruth und Richter konnte Alison Beach jedenfalls die Mitarbeit von insgesamt elf Händen des Konvents nachweisen 226 . Außerdem kann sie anhand der Struktur der einzelnen Lagen und der Unterschiede in den Schrifttypen zwischen den Konzeptversionen und den endgültigen Versionen der Texte einige äußerst plausible Schlussfolgerungen auf den Produktionsprozess der Handschriften machen: Die frühen Fassungen weisen eine deutlich weniger elaborierte Schrift auf, es wurde offenbar rasch geschrieben. Dazu kommen zahlreiche Handwechsel. Das Format der einzelnen Lageneinheiten war standardisiert. Einzelne 223
Vgl. S. 72, Anm. 91. Irimbert selbst spricht in demselben Prolog wenige Zeilen vorher von der ausgezeichneten Materialvorsorge für sein Kommentar-Unternehmen: p. 167: ... omne hoc opusculum in spacio sex mensium acceleravi, ipso meo preceptore, domino Admuntensi abbate, notarios et membranas michi ajfatim prebente. Vgl. auch die urkundlichen Quellen bei Wichner, Nonnenkloster, va. 304f., sowie auch 308—311; dazu unten Teil 4.1.2. 225 Irimbert, Prologus in Librum Regum II, Cod. Admont. 16, p. 525f., hier 526 (vgl. Abb. 2 im Anhang): Tanta autem in huius operis difßcultate earundem sororum utrimque recreatus sum liberalitate, ut duas mihi sorores ab omni occupatione liberas deputarent, que continue ac diligenter transscriberent, que a me dieta in tabulis excipi potuissent. Proinde si quid in hoc opusculo fiterit, quod alicui fidelium piacere potuerit, orationibus ex meritis sororum asscribendum noverit. ... Dicit enim beatus Augustinus, doctor ille eximius et expositorum maximus: Utile est plures libros a pluribus fieri diverso stilo non diversa fide etiam de questionibus eisdem, ut ad plurimas res ipsa perveniat, ad alios sic, ad alios autem sic (Augustinus, De trinitate 1,5, 823). Vgl. Braun, Irimbert 320. 226 Cod. Admont. 651 und 682 enthalten Konzeptversionen, Cod. Admont. 16 (Bücher der Könige) und 17 (Bücher Josua, Judith, Ruth, Richter) die Prachtausfertigungen der Handschriften. Vgl. Cod. Admont. 17, fol. 393: Explanatio huius hystorie descripta a sorore Regilinde (vgl. Abb. 5 im Anhang); ebd., fol. 420: Explanatio huius hystorie descripta a sorore Irmingarde. Dazu Beach, Claustration and Collaboration 63-67, sowie ausführlicher dies., Women as Scribes, Kap. 3. 224
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Textteile konnten also nach ihrer Fertigstellung von anderen Personen weiterbearbeitet, etwa Konzeptversionen kopiert werden. Dies konnte dann wiederum sowohl im eigenen Konvent als auch im Männerkloster erfolgen. All dies legt ebenso wie Irimberts Erwähnung der Beteiligung der Nonnen an der Niederschrift seiner Kommentare zu den Büchern der Könige nahe, dass man in Admont im Prozess der Handschriftenproduktion Strategien entwickelte, die der Nachfrage an Kodices und dem Bedürfnis nach einer möglichst großen Einheitlichkeit gerecht werden sollten 227 . Diese Befunde zeigen außerdem, dass die Herstellung von Büchern im Kloster ein gemeinschaftliches Unterfangen war. In diesem Fall scheint die Zusammenarbeit zwischen den Sanktimonialen und ihrem geistlichen Betreuer - von den ersten Mitschriften auf Wachstäfelchen 228 über Entwurfversionen auf Pergament bis hin zu Prachthandschriften - evident zu sein. Aber auch ein Zusammenwirken über die Grenzen zwischen Frauen- und Männerkloster hinaus erscheint unter diesen Umständen naheliegend. Korrespondierend mit den Texten Irimberts und Gertruds fand man also Möglichkeiten, strenge formale Bestimmungen ernst zu nehmen und, soweit machbar, einzuhalten und gleichzeitig innerhalb dieser Rahmenbedingungen Spielräume für die notwendige und offensichtlich von allen Beteiligten erwünschte Kommunikation zu finden. Wie wichtig schriftliche Kommunikation für die verschiedenen Aufgaben im Rahmen der Reformtätigkeiten war, geht außerdem aus den Briefwechseln mehrerer Reformklöster hervor 229 . Sie verweisen neben den zahlreichen Kontakten der Menschen innerhalb des Klosters zu „geistlichen und weltlichen Freunden" in anderen Gemeinschaften, aber auch außerhalb solcher auf die Bedeutung der Praxis des Schreibens in Reformzeiten und auf die Qualifikationen der involvierten Personen 230 . Die über hundert Schreiben der Reinhardsbrunner Briefsammlung etwa belegen nicht nur eindrucksvoll das Ausmaß dieser Form der Kommunikation. Eine Reihe von ihnen macht darüber hinaus Notwendigkeit und Praxis, Bedingungen und Beschränkungen der Herstellung von Texten und die Bedeutung des schriftlichen Dialogs zu ihrem Thema 2 3 1 . In einem zwischen 1140 und 1168 entstandenen Brief wendet sich die Nonne H. aus dem Kloster Lippoldsberg an ihren leiblichen Bruder Sindold, der damals Bibliothekar von Reinhardsbrunn war 2 3 2 . Sie berichtet, dass sie mit der aufgetragenen Abschrift eines Matutinale noch nicht fertig sei. Zwar habe sie mit äußerstem Eifer daran gearbeitet, ihre Tätigkeit aber wegen der Dunkelheit im Winter und wohl auch der Kälte bis Ostern weitgehend einstellen müssen. Sie hoffe aber, die Handschrift bis Maria Geburt (8. September) fertigzustellen und seinem Boten mitgeben zu können, und bittet den
227
Ebd.; vgl. auch das Werkverzeichnis bei Braun, Irimbert 271 und 287. Vgl. dazu auch die Vita magistraeA sowie Kap. 4.1.1. zu den „Nonnenbriefen". 229 Vgl. etwa auch die Admonter Briefsammlung, welche die reformpolitische Bedeutung des Klosters dokumentiert, unten S. 108f. 230 Diese Beziehungen erwähnt Irimberts Bericht XVI ebenso wie die vita magistrae 2. Zu den externen Kontakten siehe besonders Kap. 4.1. 231 Peeck, Reinhardsbrunner Briefsammlung 10, 34, 35, 72, 97; dazu Hotchin, Abbot as Guardian, Anm. 17. 232 Vier von Sindolds leiblichen Schwestern waren Nonnen in Lippoldsburg. Zum Folgenden, besonders zu den Beziehungen zwischen Lippoldsberg und Reinhardsbrunn sowie den genannten verwandtschaftlichen Verbindungen vgl. Hotchin, Abbot as Guardian, bes. 4. 228
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Bruder umgekehrt um zusätzliches Pergament, zwei Bücher depreceptis dictaminis sowie um ein Heilkraut 233 . Dieser und weitere Briefe belegen zum einen das pastorale Interesse und den spirituellen Austausch zwischen Männer- und Frauengemeinschaften, zum anderen die aktive Beteiligung der Nonnen an diesem Dialog. Nicht nur das Abschreiben von Texten für den täglichen liturgischen Gebrauch scheint selbstverständlich zu sein, sondern mit der Bitte um die beiden Handbücher der ars dictaminis auch die Kenntnis bzw. der gewünschte Erwerb der für weitere schriftliche Tätigkeiten notwendigen Hilfsmittel 234 . Auch aus den Admonter „Nonnenbriefen" geht hervor, dass die Sanktimonialen nicht nur komplexe Schreib- und Produktionstechniken beherrschten, sondern ebenso zumindest die Grundzüge der ars dictaminiP^. Darüber hinaus zeigen die Briefe nicht zuletzt, dass die Frauen ihre formale Beherrschung der Kunst des Schreibens ebenso wie ihre geistliche Bildung strategisch einsetzten, um Argumente zu verstärken und suggestiv wirken zu lassen . Das Verfassen und Abschreiben von Texten unterschiedlicher Art war im Admonter Frauenkloster offenbar keineswegs wie an manchen anderen Orten eine rein „technische" Tätigkeit. Dies kann Alison Beach etwa in einem Vergleich zwischen Admont und dem „Doppelkloster" Schäftlarn zeigen. Im Unterschied zu Schäftlarn lässt sich für Admont ein direkter Bezug zur Identifikation der Sanktimonialen mit den Inhalten vermuten 237 . Im Admonter Frauenkonvent hat man offenbar nicht nur verstanden, was geschrieben bzw. kopiert wurde — anders ist ein derart komplexer Produktionsprozess, wie ihn Irimbert für die Entstehung der Prachthandschriften beschreibt und die kodikologischen Befunde bestätigen, gar nicht denkbar 238 . Sowohl aus den Predigten Gottfrieds bzw. Irimberts wie auch den Briefen Gerhohs von Reichersberg lässt sich darüber hinaus auf das aktive Interesse der Admonter Damen an den behandelten Inhalten schließen. Dass Gerhoh den Admonterinnen auf ihre Bitten Bibelstellen und Texte der Kirchenvä-
233 p e e c | { ) R e i n h a r d s b r u n n e r Briefsammlung 8 0 f „ n. 97: . . . Matutinalem librum, quem vestra Caritas aput nos scribi postulavit, sciatis me summo cum studio usque ad Christi resurrectionem et non ultra perduxisse. Hiemis enim tempore, ne scriptum obscuraretur, atque illa et illa scribendo. Usque in pascha insistere huic operi non potui. Spero autem in nativitate beate virginis Marie nuncio vestro ad nos misso librum iam perfectum reportareposse. Et quia ad tres quaterniones de pergameno mihi deesse video, per nuncium vestrum quantum sufficiat et duos libellos de preceptis dictaminis G. sorori nostre et herbam que ientiana dicitur transmittite. Z u d e n technischen Behelfen u n d d e n praktischen Bedingungen, u n t e r d e n e n geschrieben wurde, vgl. Brunner, Liber vitae. 234 p e e c k v e r m u t : e t , dass m i t den beiden Büchern Adalbert von Samaria, Praecepta dictaminum und H u g o von Bologna, Rationes dictandiprosaice, g e m e i n t sind. Vgl. H o t c h i n , A b b o t as G u a r d i a n , A n m . 12. 235
Vgl. ebd. sowie Beach, Voices f r o m a D i s t a n t Land, hier v. a. 3 8 ^ i 2 . Vgl. u n t e n Kap. 4 . 1 . 1 . 237 Z u r kodikologischen u n d paläografischen A r g u m e n t a t i o n dieser A n n a h m e ( a n h a n d von Schreiberinnenvermerken, Handschriftenvergleich, Schriftqualität u n d Fehleranfälligkeit der Texte) vgl. Beach, Claustration a n d Collaboration, sowie dies., W o m e n as Scribes. Für das Prämonstratenserkloster Schäftlarn ergibt sich ein zusätzlicher wesentlicher A n h a l t s p u n k t daraus, dass die Regel des O r d e n s die Lektüre von Frauen inhaltlich explizit beschränkt, w ä h r e n d im Frauenkonvent von Schäftlarn — d u r c h Schreiberinnenvermerke nachweisbar — Texte von Frauen abgeschrieben w u r d e n , die u n t e r diese Bes c h r ä n k u n g fielen. Dies k ö n n t e neben technischen A r g u m e n t e n die A n n a h m e eines rein „mechanischen" Abschreibens stützen. 236
238 So auch Beach, Claustration a n d Collaboration 6 3 , A n m . 2 9 m i t Verweis auf Beriou, La predication 59—64 f ü r die komplexe u n d schwierige Tätigkeit des Mitschreibens von Predigten u n d die d a m i t v e r b u n d e n e „Mitautorschaft" (mein Begriff) der mitschreibenden Personen.
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ter auslegte, geht aus seinen Briefen an die dortigen und andere Sanktimonialen hervor 239 . Vor diesem Hintergrund lässt sich Irimberts Klausur-Bericht nochmals differenzierter lesen und wirkt umso mehr als programmatischer Text zur Verteidigung einer bestehenden Praxis. Ahnliches gilt für jene Passagen der Vita magistrae, die sich mit den schreibenden, lehrenden und predigenden Tätigkeiten ihrer Protagonistin auseinander setzen. Ebenso wie die ideale vita monastica Gleichheit von Frauen und Männern und ihr gemeinschaftliches Zusammenleben fordert und damit mögliche Konflikte bereits in sich trägt, stehen christliche Erkenntnis und die Schweigegebote der monastischen Regeln in einem unauflöslichen Spannungsverhältnis zu einander. Galt das Wort einerseits als direkter Zugang zur christlichen Wahrheit und seine Vermittlung in Sprache und Schrift als notwendiger Weg zur Erkenntnis, so war die Praxis des Sprechens immer auch mit der Gefahr der Sünde der „schlechten Worte" verbunden. Schweigen — d. h. die Enthaltsamkeit von müßigem Reden - wurde daher grundsätzlich als Tugend aufgefasst240. Dementsprechend war auch das Reden und Lehren primär Sache der geistlichen Lehrer und Lehrerinnen. Aufgabe der Schüler und Schülerinnen war hingegen das Zuhören und Lernen 241 . Dasselbe galt für die Lektüre bestimmter Bibeltexte. In den Bestimmungen der Benediktregel zum Schweigen nach der Komplet heißt es etwa, dass sich unter den erbaulichen Texten, die den Mönchen während der Zeit des Schweigens vorgelesen werden sollen, weder der Heptateuch noch die Bücher der Könige befinden sollten, da sie die weniger intellektuellen Gemüter überfordern und ihnen schaden könnten 242 . Dies galt in den Debatten der Reformgemeinschaften um die richtige Form der Unterweisung, die sich in diesen Jahren erst entwickelte243, umso mehr für weltliches Wissen. Vor diesem Hintergrund wird Irimberts verteidigende Bemerkung über den Wissensdurst der gebildeten Admonter Damen noch klarer: Wenn sie schon das Kloster nach ihrem Eintritt bis zu ihrem Tod niemals mehr verlassen würden und so geschützt niemals mit den Eitelkeiten der Welt in Berührung kämen und allen weltlichen Freuden entsagten, warum sollte ihnen dann auch das Wissen der himmlischen Geheimnisse vorenthalten werden244?
239 240 241
Vgl. dazu das folgende Kapitel 2 . 4 . 1 . Vgl. Ambrosius, De officiis 1, 2, 5. Reg. S. Ben. 7, 5.
242 Ebd. 42, 4: ... non autem Heptateuchum aut Regum, quia infirmis intellectibus non erit utile illa hora hanc ¡cripturam audire, aliis vero horis legantur. 2 4 3 In diesen Zusammenhang gehört auch die Entstehung des Speculum virginum. Es wird in aktuellen Untersuchungen als Handbuch für männliche pastorale Betreuer für ihre Lehrtätigkeit gegenüber Frauen im Rahmen ihrer Verpflichtung zur cura monialium interpretiert. Gleichzeitig reflektieren derartige Kompendien den Prozess, innerhalb dessen sich Maßstäbe für eine solche Unterweisung überhaupt erst herausbildeten. Vgl. dazu besonders die Beiträge in Mews, Listen Daughter sowie den Beitrag von Morgan Powell bei der internationalen Tagung in Admont „Manuscripts and Monastic Culture" (August 2 0 0 2 ) : „Mirror o f Virgins or Mirror o f Instruction? Enclosure, Collado and Women's Instruction in the Speculum Virginum". Siehe dazu auch das folgende Kapitel 2 . 4 .
244 Irimbert, Bericht XIV: . . . . Valde quippe sunt litteratae et in scientia sacrae scripturae mirabiliter exercitate. Cum enim postprimum introitum numquam de monasterio egrediantur, nisi vel mortuae efferantur vel vivaeforsitan in aliud monasterium transponantur, ubi simili custodia muniantur. Cumque nichil unquam de mundi vanitatibus videant, raro aliquid de secularibus audiant, cur non scientiam celestium mysteriorum habeant, quae ab omni communione mundanorum gaudiorum ieiunant?
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Das Benediktinerkloster Admont — eine Fallstudie
Hier werden indirekt Konflikte spürbar, denen wohl gerade Damen von gesellschaftlichem Rang ausgesetzt waren, wenn sie sich für ein Leben im Kloster entschieden. Was sie alles aufgaben, kommt in verschiedenen Bemerkungen zum Ausdruck; sowohl Irimbert als auch die Vita magistrae erwähnen den Preis für die Abkehr von der Welt. Das beginnt bei Nahrung und Kleidung und reicht bis hin zu den Kontakten, die sie vorher gepflegt hatten. Bildung und Wissen waren wohl diejenigen Bereiche, die sich am ehesten aus einem weltlichen Leben in die Abgeschiedenheit des Klosters „mitnehmen" und an die monastischen Ideale des geistlichen Wissens adaptieren ließen. Dass dieses Wissen praktiziert und ausgebaut werden konnte, wurde wohl zum einen durch die reformbedingt zunehmenden Anforderungen an Schriftlichkeit unterstützt, die für qualifizierte Menschen beiderlei Geschlechts pastoral begründete Tätigkeitsfelder schufen. Zum anderen stellten Schriften wie jene Irimberts und hagiografische Texte wie die Vita magistrae jene Rollenmodelle zur Verfügung oder entwickelten bestehende topische Muster anhand der gelebten Praxis weiter, die Wissenserwerb und -weitergäbe ebenso wie praktizierte Schriftlichkeit legitimierten und ihr einen konkreten Rahmen gaben. 2.3.4. Exempla et imitatio Leben und Lernen im Kloster bedeutete, sich zum einen an der Regel, zum anderen an Vorbildern zu orientieren und diese nachzuahmen 245 . So heißt es in der Vita magistrae an zentraler Stelle mit Bezug auf die Regula S. Benedicti, dass sich die Protagonistin in allem an der communis regula wie an den exempla maiorum orientierte. Die Bedeutung, die der Benediktregel in der Praxis des monastischen Alltags zukam, geht nicht zuletzt aus den zahlreichen direkten Zitaten in der Vita selbst und ihren indirekten Bezugnahmen auf sie ebenso wie auf die Bibel hervor 246 . Darüber hinaus wird hier der Bildungshorizont der Autorin und wohl auch ihres Publikums ersichtlich. Im liturgisch geprägten Tagesablauf der vita monastica hatten vor allem die Psalmen eine herausragende Bedeutung. Sie waren zentraler und integraler Bestandteil der monastischen Praxis und gehörten zum ersten, was Kinder, aber auch Konversen im Kloster lernten 247 . Gleichzeitig erforderte ihre Übung im täglichen Gebet nicht notwendigerweise die Beherrschung der Schrift. Egal, ob also eine Geschichte wie jene der magistra gelesen, vorgelesen oder erzählt wurde, die Lesenden und Zuhörenden erhielten durch die zahlreichen Verweise auf den biblischen Referenzrahmen über die Vorbildfunktion der Protagonistin hinaus eine Reihe weiterer Identifikationsangebote, die in der und durch die habituelle Selbst-
245 Vgl. dazu grundsätzlich Illmer, Erziehung und Wissensvermittlung, und aktuell Kintzinger, Wissen wird Macht, v. a. 37-62; für den hier dargestellten Zusammenhang Küsters, Der verschlossene Garten; aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive Mulder-Bakker, Metamorphosis. Aus der kaum überschaubaren Literatur zur Bedeutung und Kontextualisierung hagiografischer Quellen vgl. unten Kap. 3.1. und 3.2. 2 Interessanterweise finden sich in der Vita keine Bezugnahmen auf andere Regeln und nicht einmal auf die Constitutiones Hirsaugienses. 247 Vgl. dazu Illmer, Erziehung und Wissensvermittlung, Bodarwe, Sanctimoniales litteratae 85 mit Anm. 47-49, für die Betonung der Bedeutung des Psalters und der Unterweisung der Novizinnen in den sacrae scripturae in der Institutio Sanctimonialium, hier c. 22, M G H Conc. 2,1, 423: Ut erga puellas in monasteriis erudiendas magna adhibeatur diligentia sowie 452f. mit Bezug auf beatus Hieronimus in aepistola, quam ad Laetam de institutione filiae scripsit. Dazu Schilp, Norm und Wirklichkeit 73; zum Hieronymus-Brief auch oben S. 39, S. 75 und unten S. 205. Zum Leben und Lernen im Kloster siehe außerdem Kap. 2.4.2.
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Verständlichkeit des spirituellen Lebens aktualisiert werden konnten 248 . Umgekehrt wurden die täglich rezitierten Psalmen und oft erzählten Bibelgeschichten — wie etwa jene von Martha und Maria - in der hagiografischen Darstellung unmittelbar nachvollziehbar, da sie direkt den Erfahrungshorizont des Publikums im Kloster betrafen. Menschen, die — wie die magistra — ein gottgefälliges Leben führten, verkörperten die Vorgaben der Heiligen Schrift und die Vorschriften der Regeln und setzten sie in Bezug zur täglichen Praxis in der Gemeinschaft 249 . Diesen Bezug zur Lebenswelt ihrer Leserinnen und Leser stellt die Autorin der Vita darüber hinaus auch durch die Unmittelbarkeit ihrer Darstellung her, wenn sie etwa den Adressaten der Lebensbeschreibung - paternitas vestra, sei es nun der Abt, der Salzburger Erzbischof oder gar der Papst - direkt und persönlich anspricht und ihm das Leben der magistra als besonders bemerkenswert schildert 250 . Diese Stelle scheint eine interessante Parallele mit dem Bericht Irimberts über den Brand Admonts und das Frauenkloster aufzuweisen. In beiden Fällen wird die vorbildliche Lebensweise einmal der Admonter Nonnen im Allgemeinen, einmal der magistra im Speziellen derart stark betont, dass man versucht ist, nach einem Grund für diesen apologetischen Gestus zu suchen. Irimbert spricht am Ende seines Berichtes - wenn auch ungenannte - Kritiker des Lebens in Admont direkt an und trachtet, alle möglichen Vorwürfe mit seiner Schilderung des gottgefälligen gemeinschaftlichen Lebens zu widerlegen. In der Vita magistrae werden zwar explizit keine Vorwürfe thematisiert, dennoch machen die Widersprüche zwischen den Vorgaben der Benediktregel bzw. den Hirsauer Gewohnheiten, nach denen in Admont gelebt wurde 251 , und den Freiheiten, die sich die magistra durch ihre Lehr- und Schreibtätigkeit offensichtlich von ihnen nahm, ähnliche Kritiken leicht vorstellbar. Dass sich eine Widerlegung solcher Vorwürfe nicht nur an ihre möglichen Urheber außerhalb des Klosters richtete, sondern gerade auch innerhalb der eigenen Gemeinschaft entsprechend bekannt gemacht werden sollte, zeigt darüber hinaus beim Bericht Irimberts wie bei der Vita magistrae auch der Überlieferungszusammenhang. Ist jener in einer der im liturgischen Alltag häufig benutzten Predigthandschriften überliefert, findet sich diese im Admonter Exemplar des Magnum Legendarium, einer der wichtigsten zeitgenössischen Sammlungen von Heiligenviten im süddeutschen Raum 252 . Wohl wenig später auf Rasur nachgetragen, folgt die Admonter Vita innerhalb der Handschrift auf die frühchristliche Vita der Heiligen Gertrud und die zwei Versionen - einmal Prosa, einmal in Gedichtform - der äußerst beliebten Geschichte der ägyptischen Prostituierten Thais und ihrer Bekehrung zu einem gottgefälligen Leben. Neben dieser bemerkenswerten Zusammenstellung, insbesondere der doppelten Überlieferung der Thäis-Conversio, sind außerdem die Überlieferungsunterschiede in den erhaltenen Exemplaren des Magnum Legendarium (ML) auffällig. Die Marbod-Fassung der Conversio Thaisidis gibt
248 Vgl. Küsters, Der verschlossene Garten, sowie v. a. Wenzel, Hören und Sehen, für eine vergleichbare Zugangsweise zum Lernen im höfischen Kontext. Vgl. auch Peters, Mittelalterliche Literatur. Dazu Kap. 4.2.3. 245 Dazu etwa Geary, Saints, Scholars, and Society, v. a. 19ff. Exemplarisch Niederkorn, Sanctorale Salzburgs. 250 Vgl. oben S. 91, A n m . 184. 251 Vgl. oben S. 9 7 - 1 0 0 . Dazu auch Powell, Mirror of Virgins (wie oben A n m . 243). 252 Vgl. S. 8 8 - 9 0 .
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es außer im Admonter Kodex nur noch in der Heiligenkreuzer Handschrift. D i e Vita der magistra findet sich ausschließlich in der Admonter Handschrift 2 5 3 . Darüber hinaus legt die Parallelität lokaler und ordensspezifischer regionenübergreifender Einflüsse, wie sie etwa für das Zwettler Exemplar des Magnum Legendarium nachweisbar sind 2 5 4 , nahe, dass durch die spätere Einfügung der Vita magistrae ein Bezug zu lokalen Persönlichkeiten hergestellt wurde. Dafür könnte innerhalb des Kodex ein sinnfälliger Ort gesucht worden sein, der gleichzeitig auch formal und technisch die M ö g lichkeit eines Nachtrages bot. Darauf gibt zunächst der namentliche Bezug zwischen der Autorin der Admonter Vita, Gertrud, und der frühchristlichen Gertrud-Vita einen Hinweis. Direkt im Anschluss an die Vita Gertrudis bot die Handschrift aber keinen geeigneten Platz für den Nachtrag. Der dafür notwendige R a u m fand sich erst einige Folia später in der zweiten Spalte von fol. 235r und der ersten Spalte von fol. 235v. Letztere, also 235va war in der ursprünglichen Redaktion des Magnum Legendarium frei geblieben, der Platz reichte aber - trotz kleinerer Schrift und Kürzungen des Textes - nicht für den gesamten Nachtrag aus. M a n nutzte offenbar den bereits vorhandenen freien Platz (fol. 235va) im Kodex und erweiterte ihn durch Rasur der vorangehenden Spalte fol. 2 3 5 r b soweit wie möglich 2 5 5 . Die Rasur betrifft etwa die Hälfte des Marbod-Gedichtes, also einen Teil der zweiten Version der Thai's-Legende. Inhaltlich erscheint eine solche Entscheidung durchaus nachvollziehbar, konnte man doch auf den zweiten Teil des Marbod-Gedichtes schon deshalb leichter verzichten, da die Geschichte der Thais ohnehin — und unüblich genug — doppelt im Kodex vertreten war. Selbst der so gewonnene Platz reichte jedoch für eine vollständige Wiedergabe der Vita magistrae offenbar nicht aus. Entweder man hat sich bei der Kalkulation des dafür notwendigen Platzes verschätzt oder man wollte das Marbod-Gedicht trotz der doppelten Uberlieferung der Geschichte nicht seiner Pointe, der Conversio der Sünderin, berauben. Die Uberlieferungssituation verstärkt außerdem den Eindruck des Lehr- und Vorbildcharakters hagiografischer Texte durch die Verbindung mit der Aufnahme lokaler Traditionen und für die Klöster wichtiger Persönlichkeiten. Legendarien hatten eine zentrale Funktion für das monastische Offizium, sie wurden d e m Heiligenkalendarium folgend täglich gebraucht. Hier kann man sich eine besondere Wirkung auf das Publikum vorstellen, die durch mehrfache Identifikationsangebote ermöglicht wurde. Die Hl. Gertrud wies einen Bräutigam zugunsten des himmlischen Gemahls ab und wurde Äbtissin von Nivelles. Unter ihren Tugenden werden besonders Weisheit, asketische Disziplin und caritas hervorgehoben. Zunächst auch mit den weltlichen Belangen des Klosters befasst, übertrug sie diese den männlichen Mitgliedern der Gemeinschaft - wir haben es also ebenfalls mit einem „Doppelkloster zu t u n 2 5 6 — und beschränkte sich zu-
2 5 3 Exemplare des M L in Admont, Heiligenkreuz, Lilienfeld, Melk, Zwettl sowie in der Ö N B in Wien. Vgl. oben S. 89 für eine Übersicht über die kodikologischen Details der betroffenen Handschriften. Das Wiener Exemplar enthält nur den Band des M L mit den Monaten April-Juni und kann daher nicht auf die hier interessierende Heiligenfolge untersucht werden. 2 5 4 Vgl. Ziegler, Katalog XII. 2 5 5 Diese Überlegungen werden auch durch die Tatsache gestützt, dass bereits auf fol. 232vb in der Vita Gertrudis mehrere Zeilen radiert wurden, die dann - da der Platz nicht ausreichte - doch nicht genutzt wurden. Diese Beobachtung machte bereits Ohly, Liebesgruß 20f., Anm. 3. 2 5 6 Zu frühmittelalterlichen „Doppelklöstern" vgl. etwa Baltrusch-Schneider, Angelsächsische Doppelklöster, in: Elm/Parisse, Doppelklöster, sowie grundsätzlich zu Begriff und Diskussion S. 36, Anm. 146.
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nehmend auf ihre geistlichen Pflichten als Äbtissin, bis sie schließlich auch diese niederlegte und sich in den letzten Jahren ihres Lebens ausschließlich dem Gebet und der Buße widmete 257 . Die Legende von der Sünderin Thais wiederum war nicht zuletzt deshalb so beliebt bei einem sozial hochgestellten Publikum, weil ihre Protagonistin nicht nur die sexuell konnotierten Elemente der luxuria verkörpert, sondern auch deren Bedeutung des verderblichen Strebens nach irdischem Reichtum repräsentiert. Die Conversio aus dem 6. Jahrhundert erzählt folgende Geschichte 258 : Thais verkaufte ihren Körper an berühmte und reiche Männer, die bereit waren, alles für eine Liebesnacht mit der als über die Maßen schön beschriebenen Frau zu geben. Auf diese Weise kam sie mit der Zeit zu außergewöhnlichem Reichtum. Bischof Pafnutius hörte von diesem Treiben und entschloss sich, ihm Einhalt zu gebieten. Er wechselte seine geistlichen mit weltlichen Gewändern, besorgte sich Geschenke und stellte sich der Schönen als weiterer Freier vor. Als er vorgab, die Vorhänge schließen zu wollen, meinte sie, Gott sehe doch auch ins Verborgene. Auf seine Frage, warum sie dann ein Leben fern von Gott führe, wenn sie dies wisse, erfolgt unter Tränen das abrupte Bekehrungserlebnis. Thais schwört ihrem bisherigen Leben ab, geht ins Kloster und gelobt, Buße zu tun und zwei Jahre in Klausur zu verbringen. Dies ist aber noch nicht alles: Nach Ende der Bußzeit erscheint ihr das Leben als Braut Christi so erstrebenswert, dass sie sich entscheidet zu bleiben und ihr neues Leben im Kloster weiter zu führen und dort zu beschließen. Die vorbildhaften Geschichten der Äbtissin Gertrud und der gelehrten Admonter magistra weisen zahlreiche Parallelen auf. Neben der Namensgleichheit mit der Verfasserin der Admonter Vita repräsentiert die heilige Gertrud von Nivelles den traditionellen Typus der frühchristlichen Adelsheiligen und macht damit denjenigen unter den Admonter Damen, die einen vergleichbaren sozialen und politischen Hintergrund hatten — wie etwa die magistra - , gleich mehrere Identifikationsangebote. Weisheit, asketische Strenge und Liebe werden in beiden Viten als die wichtigsten Tugenden dargestellt. Wenn aber die Lebensläufe der drei Frauen und Form wie Zeitpunkt ihrer Conversio insgesamt unterschiedlich sind, so ist es die bedingungslose Entscheidung für ein Leben als Braut Christi und seine Darstellung als jener Weg, der am direktesten zur Seligkeit führt, welche auch die Verbindung zur Geschichte der Sünderin Thais herstellen259.
2.4. Zugänge zum Selbstverständnis geistlicher Menschen 2.4.1. Carissimis in Christo sororibus — Aspekte der pastoralen Praxis in Admont Die bisher vorgestellten Admonter Quellen geben eine Reihe von Hinweisen auf das Verständnis des gemeinschaftlichen Lebens im Frauenkonvent selbst, aber auch auf das apostolische Zusammenleben zwischen den Admonter Mönchen und Nonnen im Sinn der Hirsauer Reformvorstellungen. Dies betrifft besonders die cura monialium: Glaubt 2 5 7 Vita S. Geretrudis 1, 454f.: ... at illa quasi furore repleta, respuit illum cum iuramento et dixit nec illum nec alium terrenum nisi Christum dominum volebat habere sponsum, vgl. auch Artikel Gertrud in L M A I V , 1356f. 2 5 8 Vgl. S. 89, Anm. 175 sowie S. 137 zur Rezeption der Vita Thaisidis. 2 5 5 Zu den Funktionen und Bedeutungen der Heiligenlegenden als Rollenmodelle und Identifikationsmuster für Personen unterschiedlicher Herkunft und Lebensgeschichte, z. B. der Vita Thaisidis als Vorbild für ehemals verheirateten Konversinnen, vgl. im Detail unten Kap. 3.1. und 3.2.
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man den Berichten Irimberts über das Leben der Admonter Damen und die gemeinsame Arbeit an seinen Bibelkommentaren, wurde sie zumindest in den Jahren des Abbatiats seines Bruders Gottfried und später wohl auch seines eigenen vor allem durch geeignetes Personal im „Doppelkloster", also den Abt und seinen Bruder, gewährleistet260. Darüber hinaus belegt der „Brandbericht" aber ebenso wie die Vita magistrae, dass einige der spirituellen und pastoralen Aufgaben, so etwa das Predigen an Sonn- und Feiertagen, von den magistrae und wohl auch von anderen gelehrten Damen des Konvents selbst wahrgenommen werden konnten. Dies war etwa notwendig, so Irimbert, wenn der Abt diesen Tätigkeiten, wohl aufgrund externer Verpflichtungen nicht nachgehen konnte 261 . Mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit hören wir von der Beteiligung der Admonter Nonnen an der Text- und Handschriftenproduktion; in ähnlicher Weise ist in der Vita magistrae von der Unterweisung der Novizinnen durch die magistra die Rede 262 . Die Erfüllung mancher Aufgaben dürfte teilweise sogar über den abgeschlossenen Bereich des Frauenkonvents hinausgeführt haben, denkt man an die Bemerkungen in der Lebensbeschreibung der Admonter magistra, dass sie auch Bischöfe, Erzbischöfe und Mächtige zur Vernunft brachte 263 . Von solchen Außenkontakten ist auch bei Irimbert die Rede. Er berichtet von der regulären Kommunikation der Admonter Damen durch das Fenster ihrer Klausur, und zwar offensichtlich nicht nur mit Abt, Prior und dem spirituellem Betreuer des eigenen Konvents, sondern auch mit auswärtigen - geistlichen und weltlichen - Freunden und Vertrauten, wie dies auch für andere Hirsauer Reformgemeinschaften belegt ist 264 . Pastorale wie soziale Kontakte dokumentieren in Admont aber vor allem eine Reihe von Briefen und Briefwechseln265. Der größere Teil der Admonter „Nonnenbriefe" befasst sich mit Fragen der ökonomischen und spirituellen Sorge der Absenderinnen um den Konvent und seine Mitglieder oder enthält Interventionen zugunsten von Verwandten und anderen nahestehenden Personen bei hochgestellten Persönlichkeiten 266 . Für die Frage nach der cura monialium sind allerdings die Briefe Gerhohs von Reichersberg (1092-1169) interessanter, von denen der streitbare Propst einige an die Admonter Sanktimonialen und andere nicht genannte Frauen bzw. Frauenkonvente sandte. Gerhoh, der nach einer guten Ausbildung in mehreren bayerischen Domschu260
Etwa Irimbert, Bericht XVI: Nulla adfenestram accedit loquendi gratia nisi a magistra accepta licentia, nisi abbatem adesse videant, cui soli ut filiae patri loqui audeant. 261 Ebd. XIV: Et in festis diebus, cum abbas ad eas non potent venire, sunt inter easpersonae ad verbum exhortationis faciendum dispositae. 262 Irimbert, Prologus in Librum Regum 320; Vita magistrae 4. 263 Vita magistrae 2: Nimirum quasi leo confidens non solum sui compares et similes vel se inferiores de malo opere dampnabat et reprehendebat, verum etiam episcopos, archyepiscopos, potentes quoque invehere et de reddendo, ratione constanter ammonere non devitabat. 264 Wie Anm. 1 (meine Hervorhebung): Sunt inter eas certaepersonae designatae maturiori aetate, quae adfenestram loquentium assint audientiae in quorumlibet advenientium sive spiritalium sive secularium amicorum salutatione. So etwa auch in Lippoldsberg und Zwiefalten, vgl. dazu oben Kap. 2.2., besonders 104f. Zu Lippoldsburg und besonders den Besuchen, die der Reinhardsbrunner Bibliothekar seinen dort lebenden leiblichen Schwestern abstattete, vgl. Hotchin, Abbot as Guardian 3f., v. a. Anm. 16. 265 Die geistig-geistlichen wie politischen Beziehungen der Äbte des Admonter Reformklosters mit zeitgenössischen Autoritäten, besonders den Salzburger Erzbischöfen, aber auch einigen Päpsten, dokumentiert eindrucksvoll die Admonter Briefsammlung (hg. Hödl/Classen). Die erhaltenen Briefe an die Admonter Sanktimonialen werden hier allerdings nicht berücksichtigt. 266 Vgl. oben S. 63; zu den Inhalten ausfuhrlich Kap. 4.1.1. Edition und Diskussion bei Beach, Voices.
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len Kanoniker in Augsburg war, wurde im Zuge der Reformbewegungen zum pauper Christi und leidenschaftlichen Verfechter der Kirchenreform267. Schließlich wurde er 1132 auf päpsdiche Empfehlung beim Salzburger Erzbischof Konrad I. zum Propst des in der Diözese Passau gelegenen, aber zu Salzburg gehörigen Chorherrenstiftes Reichersberg am Inn bestellt. Er verfügte durch mehrere Reisen nach Rom über gute Kontakte an der Kurie und eine umfassende Kenntnis der kirchenpolitischen Verhältnisse. Außerdem nahm er in päpstlichem Auftrag an mehreren reformorientierten Visitationen teil. So vehement er die spirituelle Reform der Kirche unterstützte, so sehr war er expliziter Gegner kirchenrechtlicher Neuerungen und polemisierte gegen die gelehrten Juristen und die scholastische Methodik, etwa gegen Petrus von Wien. Seine Ablehnung argumentierte er etwa in seinem Brieftraktat (1155/1156) an Papst Hadrian IV. De novitatibus huius temporil. Er selbst befasste sich in mehreren Schriften mit der Sakramentenlehre und der traditionellen Bibelexegese, besonders in seinem umfangreichen Psalmenkommentar in insgesamt elf Teilen, an dem er von 1144 bis zu seinem Tod arbeitete 269 . Im Zuge der mit dem Schisma der Päpste Alexander III. und Viktor IV. (1159) 270 aufbrechenden kirchenpolitischen Konflikte zwischen Alexander und dem Salzburger Erzbischof geriet auch der Reichersberger Propst zwischen die Fronten und musste 1167 - zwei Jahre vor seinem Tod - ins Exil gehen. Wohin, ist nicht bekannt; aufgrund seiner ausgezeichneten Beziehungen zu Admont wird allerdings das Kloster als einer seiner möglichen Zufluchtsorte angenommen 271 . Zu Admont unterhielt Gerhoh spätestens seit seiner Bestellung zum Propst von Reichersberg gute Beziehungen. 1147 widmete er Abt Gottfried seinen Liber contra duas hereses, in dem er seine christologischen Thesen verteidigt 272 . Die exegetischen Kompetenzen Gerhohs kamen wohl auch den Interessen der Admonter Brüder entgegen, die ja ihrerseits mit umfangreichen Predigtcorpora auf dem Gebiet der Bibelauslegung tätig waren. Jedenfalls sind regelmäßige Kontakte und Besuche des Reichersberger Propstes im Doppelkloster belegt, und seine persönlichen und brieflichen Kontakte zu den dortigen Sanktimonialen 273 . Bedauerlicherweise sind die Adressatinnen der meisten der erhalte2 6 7 Zu Gerhoh vgl. mit zahlreichen Quellenbelegen die umfassende Biografie von Classen, Gerhoch von Reichersberg, sowie ders., Werkstatt; ders., Frühscholastik; Meuthen, Kirche und Heilsgeschichte; Lazzarino del Grosso, Armut und Reichtum. Von der älteren Literatur vgl. außerdem Jacobs, Studien und Fichtenau, Studien. Zu den Editionen seiner Werke vgl. oben Kap. 2.1., Anm. 32, 72 und 73; vgl. auch die Zusammenstellungen von Quellen und Literatur bei Knapp, Literatur 606 und El Kholi, Lektüre 9 6 - 9 9 . Siehe auch Werner, Pauperes Christi sowie Bosl, Verhältnis, bes. 483ff., und ders., Regularkanoniker und Seelsorge, zur Frage von Reform und Seelsorge bei den Regularkanonikern (Augustinern), sowie Weinfurter, Bemerkungen und Corrigenda, zu letztgenanntem Aufsatz Bosls. 2 6 8 Zu Petrus von Wien vgl. Fichtenau, Magister Petrus von Wien; Edition des Traktats De novitatibus huius temporis von Häring; Details bei Classen, Gerhoch von Reichersberg 4 l 9 f . Dazu inhaltlich Stelzer, Gelehrtes Recht 13-17; für die vergleichbar kritische Haltung des Bernhard von Clairvaux gegenüber dem römischen Recht vgl. Malecek, Kardinalskollegium 5 9 - 7 1 . 2 6 9 Für eine zusammenfassende Diskussion von Gerhohs Werken vgl. Knapp, Literatur 65—74. Vgl. außerdem Curschmann, Imagined Exegesis. 2 7 0 Vgl. dazu die Admoner Briefsammlung (wie oben Anm. 265), welche die kirchenpolitische Bedeutung des Klosters und besonders die vermittelnde Rolle seiner Äbte in diesen Konflikten dokumentiert. 2 7 1 Dazu Classen, Gerhoch von Reichersberg. 2 7 2 Vgl. oben S. 58. 2 7 3 Zum Admonter Predigtcorpus vgl. S. 63, Anm. 58, sowie ausführlich Kap. 3.3.; dazu Roitner, Mater misericordiae, die die Predigten in Hinblick auf die mariologischen Aspekte untersucht hat.
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nen Briefe Gerhohs an Frauen bzw. Frauengemeinschaften - mit Ausnahme eines einzigen Briefs, der explizit an die Admonterinnen adressiert ist - namentlich nicht genannt. Allerdings geben die vorhandenen Daten zusammen mit den Inhalten und Überlieferungszusammenhängen eine Reihe von Hinweisen auf Gerhohs Einsatz für die cura monialium und verweisen auch indirekt auf das Admonter Umfeld. Eines der Schreiben von ca. 1143/44 richtet sich an eine ungenannte Schwester, die ganz offensichtlich in keiner monastischen Gemeinschaft, zumindest nicht in Klausur lebte 274 : Er kenne, so Gerhoh, einige Bräute [Christi], die nicht eingeschlossen lebten und deren Keuschheit, Sittenstrenge und makellosen Lebenswandel er schätze, und von ihnen sei ihm die Adressatin seines Schreibens die Nächste und Liebste. Dennoch moniert er die Tatsache, dass sie und die anderen nicht durch klösterliche Klausur geschützt würden, handle es sich doch um einen beatus carcer. Er begründet diese Einschätzung mit einer eigenwilligen Auslegung der Worte Christi in Mt 25, 36: „Denn ich war im Gefängnis, und Du bist zu mir gekommen": Der Kerker wird dadurch zu einem „seligen Ort", dass Jesus sich freue, dort besucht zu werden 275 . Diesem Besuchswunsch, den Gerhoh ohne weitere Erläuterung in eine Besuchspflicht (visitationis obsequium) umdeutet, folge die Angesprochene ja auch selbst, wenn sie häufig zu „unseren Schwestern" [im Kloster] komme, was ihm lieb sei. Dennoch fordert er sie auf, einen Schritt weiter zu gehen und nicht mehr den Weg nach draußen zu suchen und ihre weltlichen Freundinnen besuchen zu wollen, sondern bei ihm - Christus - zu bleiben 276 ! Gerhoh verweist schließlich auch auf Maria, deren Besuch bei Elisabeth in Analogie zum metaphorischen Besuch in der Klausur dargestellt wird 277 . Dieser Brief ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert, denn er thematisiert verschiedene Formen spirituellen Lebens der Reformbewegungen und macht deutlich, dass die Übergänge zwischen ihnen fließend waren. Offensichtlich war es möglich oder zumindest nicht unüblich, dass sich die Entscheidung für ein Leben in dauerhafter klösterlicher Abgeschiedenheit schrittweise vollzog. Gerhoh, der hier als pastoraler Ratgeber spricht, bezieht zwar eine eindeutig wertende Position für ein gemeinschaftliches Leben in klösterlicher Abgeschlossenheit, zeigt aber durchaus Verständnis für die Haltung der von ihm angesprochenen „Schwester".
274 Gerhoh von Reichersberg, ep. 4: Edition in PL 193, 493 C, verzeichnet bei Van den Eynde n. 31, S. 200f. Sein Anlass bestand in der Absetzung der namentlich nicht bekannten Äbtissin des Klosters St. Georgen in Prag, wohl anlässlich der ersten apostolischen Visitation in Böhmen (1143) durch Kardinal-Diakon Gui de Castro Ficeclo, in Anwesenheit und mit Zustimmung Gerhohs. Die Ex-Abtissin bedrohte ihre Nachfolgerin Bertha in mehreren Briefen, worauf Gerhoh in seinem Schreiben an die ungenannte Schwester Bezug nimmt. Die Ereignisse dürften daher zum Zeitpunkt seiner Abfassung erst kurz zurück gelegen sein. 275 Ebd.: Novi etiam ego aliquas Dei sponsas non inclicsas, inter quas tu mihi espraecipua, etpraecipue dilecta, in quibus mihi placet castitas et morum probitas atque honesta conversatio sub nullo aut infirmo seu vili magisterio. Laudo eas, attamen in hoc non laudo, quod neque claustrali, neque, ut ipsae aiunt, carcerali muniuntur clausura. Est enim et carcer beatus, in quo se Christus gaudet visitatum, dicens: In carcere eram, et venistis ad me [Mt 25, 36]. Zur Terminologie der „Bräute Christi" vgl. den folgenden Abschnitt sowie ausführlich unten Kap. 3.2. 276 Ebd.: Huiuspiae visitationis obsequium et tu, soror in Christo dilecta, nuper implesti, quando sorores nostras visitasti: quod ut saepius facias, mihi gratum esse scias, imo Uli qui tibi dicturus est: Infirmus eram, et in carcere, et venistis ad me [Mt 25, 36]. Atque utinam sic ad illum in carcere manentem venias, ut ab ilio ulterius evagari non quaeras, nec ad charissimas amicas in saeculo visitandosi 277 Ebd., 494 AB. Zu den unterschiedlichen Gemeinschaftsformen vgl. auch S. 34—38.
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Darüber hinaus differenziert er genau zwischen jenen Eigenschaften — castitas, probitas, honesta conversatio - , die ein gottgefälliges Leben ausmachen und die als solche gewürdigt werden, und den äußeren Bedingungen — der Klausur - , die konzeptionell den idealen Rahmen dafür zur Verfügung stellen. Gerade die von Gerhoh gewählten Beispiele aus dem Neuen Testament stellen allerdings keinerlei Bezug zu den traditionellen topischen Begründungen für die Klausur her, die das Argument der „weiblichen Schwäche" als Ausgangspunkt nehmen. Ahnlich wie in anderen Quellen, die Auskunft über die Vorstellungen und die Praxis der cura monialium geben, fällt auch hier auf, dass der Topos der „weiblichen Schwäche" umso mehr bemüht wird, je weniger sich Texte auf die konkrete pastorale Praxis beziehen 278 . Wie ambivalent die Einschätzung der Attraktivität dieser Lebensweise zwischen Gefangenschaft und Schutz war, zeigt auch die von ihm verwendete Terminologie, die jener Irimberts über das Admonter Frauenkloster sehr ähnlich ist. In beiden Texten ist von carcerali custodia die Rede, beide verwenden die komplementären Verben munire und custodire. Beide zeigen Verständnis dafür, wie viel gerade adelige Damen hinter sich ließen, wenn sie sich für ein Leben als Braut Christi entschieden, und versuchen unter Berufung auf die Hl. Schrift neue spirituelle Modelle zu entwerfen, die einen Ersatz für das Aufgegebene, vielmehr noch eine grundsätzliche, weil individuell heilsgeschichtliche Verbesserung des Lebens der Betroffenen anbieten 2 7 9 . Darüber hinaus macht der Brief deutlich, dass sich Gerhohs Tätigkeit als Seelsorger nicht etwa auf einen Konvent beschränkte, sondern dass er seine pastoralen Aufgaben gegenüber einer Reihe von Personen und Gemeinschaften wahrnahm. So spricht er von mehreren ihm bekannten Frauen, die ihrem religiösen Leben außerhalb von Klöstern nachgingen, ebenso wie von einem Frauenkonvent - wohl Reichersberg, dem er seit 1138 vorstand —, zu dem die ungenannte Schwester Kontakte pflegte. Bekannt sind aber auch für die Zeit vor seiner Bestellung zum Propst von Reichersberg seine guten Beziehungen zum Reformkreis der Augustiner Chorherren von Rottenbuch, dem unter anderen Bischof Ulrich von Passau (1092-1121), Siegebot von Rottenbuch, der Gründer des
278 Vgl. hingegen Gerhohs Schreiben an ungenannte N o n n e n , das sich ausführlich mit diesem Topos beschäftigt, die Admonter N o n n e n aber davon ausnimmt, S. 115—119; sowie z. B. seine Auslegung von Ps. 64: Gerhoh, Tract. in Ps. 64, 23, 36: „In cenobiis regularibui', wo die Starken (Männer, Prediger) die schwachen weiblichen Personen (infirmisfemineispersonis) ... in Schrift und Wort (scripto veldicto) unterstützen. Für diesen Hinweis danke ich herzlich Karl Brunner. Weitere Beispiele oben Kap. 2.2.3. Eines der extremsten Bespiele für diese Diskrepanz liefert Idung von Prüfening mit seinen misogynen Abhandlungen über die besondere Notwendigkeit der strengen Klausur für Frauen, die in einem Spannungsverhältnis zum ansonsten respektvollen Ton dieses Autors in seinen persönlichen Briefen an Frauen steht. Eine Detailanalyse zu Idungs Haltung bietet Muschiol, Klausurkonzepte, Kap. 4; zur Theorie-Praxis-Diskrepanz vgl. S. 83f. 279 Irimbert, Bericht VIII spricht von den hochgeborenen Damen, ... quae se pro amore Filii Dei custodiae mancipaverant carcerali, cuius custodiae districtionem non debeo silentio praeterire; auch ebd. XIV ist von custodia muniri die Rede. D o r t erwähnt Irimbert auch die Aufgabe weltlicher Freuden. Auch in der Auslegung der beati pauperes-SxeWt der Bergpredigt (Mt 5, 3 u n d Lk 6, 20) im Guta-Sintram-Codex (vgl. S. 29, Anm. 117) wird M t 25, 36 - In carcere eram, et venistis ad me - zitiert und fortgesetzt (meine Hervorhebungen): NonnulU misericordia est eis subvenire, qui in carceribus hominum inviti tenentur. Sed maxima est subvenire his, que se sponte Domini carceribus in perpetuo mancipaverunt. donec sponso occurentes cum ipso intrent ad nuptias ... Zur ähnlichen Terminologie in der Reinhardsbrunner Briefsammlung vgl. S. 79, A n m . 126. Inhaltlich siehe dazu auch Bos, Literature of Spiritual Formation mit vergleichbaren Beispielen aus englischen u n d französischen Quellen des 12. Jahrhunderts. Dazu Kap. 4.1.
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Reformklosters Bernried, und der dortige Abt Paul, Biograf der Herluca von Epfach, angehörten 280 . Herluca wiederum ist eine der bekanntesten Inklusen ihrer Zeit und hielt ihrerseits briefliche Verbindung zu Diemut von Wessobrunn, die wie sie ein Leben in einsamer Abgeschiedenheit gewählt hatte, aber auch zu Agnes von Wolfratshausen, damals Nonne und später magistra in Admont, der sie ihre Karriere vorhersagte 281 . In Gerhohs Schriften finden sich unter anderem zwei Visionen Herlucas, die in ihrer Vita nicht erwähnt werden 282 . Auch dieser Umstand kann als ein Hinweis auf die persönliche Bekanntschaft zwischen den beiden gedeutet werden. Drei weitere Schreiben sind gemeinsam in einer Handschrift aus dem Kloster Mondsee aus dem 12. Jahrhundert überliefert 283 . Eines von ihnen richtet sich explizit an die Admonter Damen. Ein weiteres Schreiben an eine ungenannte Nonne nimmt auf diesen Brief inhaltlich direkt Bezug. Das dritte Schreiben ist wieder an mehrere nicht näher benannte Schwestern gerichtet, wobei eine Verbindung allenfalls indirekt über die Thematik der Bibelauslegungen Gerhohs hergestellt werden kann. In allen drei Briefen geht es um exegetische Unterweisungen der Schwestern durch den geistlichen Betreuer 284 . Aus allen geht außerdem hervor, dass schriftliche und mündliche Unterweisung Hand in Hand gingen. Einen Brief schreibt Gerhoh den Charissimis in Christo sororibus Admontensibus und beginnt mit einer umfassenden Entschuldigung: Da er sich — offenbar bei einer ihrer letzten mündlichen Unterredungen - unvermutet gezwungen sah, vorzeitig abzureisen, und deshalb seine mündlichen Auslegungen unterbrechen musste, wolle er ihnen nunmehr auf ihren Wunsch den Halbvers ut iustificeris in sermonibus tuis (Ps. 50,6 [51,6]) schriftlich auslegen. Er bittet sie gleichzeitig um Nachsicht für seine Abwesenheit wie auch darum, deshalb für ihn bei Gott Fürsprache zu leisten 285 . Die Anfrage der Damen betrifft eine Passage jenes Psalms, der sich mit der Reue König Davids nach seinem Ehebruch mit Bathseba auseinander setzt. Gerhoh legt den Sanktimonialen den betreffenden Vers in der exegetischen Tradition mit Schwerpunkt auf Beispielen aus dem Alten
280 Dazu Schnitzer, Vita 67f.; Maier, Freundeskreis 300f.; Roitner, Mater misericordiae 197 mit weiterführenden Quellenangaben und Literatur. 281 Paul von Bernried, Vita beatae Herlucae; zu Herluca vgl. auch S. 49. Siehe dazu Signori, Eine Biographie als Freundschaftsbeweis; zu ihrer Beziehung zu Diemut von Wessobrunn vgl. Bodarwé, Verlorene Zeugnisse; zu Agnes vgl. S. 56f. und S. 187f.; zu den Kontakten Herlucas zu Agnes die Vita beatae Herlucae II 32, S. 552. 282 Gerhoh, Expositio super canonem missae, in: Opera inédita, Bd. 2, 1, 43f. Zu den Visionen Herlucas vgl. Schnitzer, Vita 87ff. 283 Heute Wien ÖNB, cvp. 1754, fol. 135r-l44r. Editionen bei Pez, Thes. 6,1, 593-608; PL 193, nn. 26-28, 607-618. Ich zitiere im Folgenden aus letzterer und behalte auch die Nummerierung bei. Regesten bei Van den Eynde, L'œuvre littéraire n. 28, S. 198f., n. 29, S. 199f., n. 35, S. 228, sowie Classen, Gerhoch von Reichersberg 404, nn. 161-163; vgl. auch ders., Werkstatt; El Kholi, Lektüre 96-99. Van den Eynde datiert die ersten beiden — inhaltlich zusammen gehörenden — Briefe wegen der Gründung des Reichersberger Frauenkonvents 1138 sowie aus stilistischen Gründen in die Zeit zwischen 1139 und 1144, den dritten zwischen 1145 und 1169. 284 Dazu unten Anm. 294 und 317. 285 Gerhoh von Reichersberg, Ep. 26, 607—611, hier: 607C: Iucundissimis vestris inquisitionibus non potui ad plénum satisfacen coarctatus eundi festinatione. Quam tarnen festinationem forsitan Deus punivit, qui iter meum aliquantulum impedivit, et volentem a vobis festinare prope vos aliquandiu tenuit. Si ergo propter vos vapulavi, quia forsitan plurimum a vobis festinando peccavi, spero mihi Deum per vos posse placan, si pro me orabitis: quod idipsum rogo ut faciatis, atque hoc scriptum in recompensationem suscipiatis pro eo, quod minus dixi, quam congrueret sanctissimis inquisitionibus vestris.
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Testament aus und erläutert dabei zahlreiche Aspekte der christlichen Vorstellungen von Reue und Buße 286 . Dieser Brief enthält zudem in seiner abschließenden Aufforderung zur Stärke im Glauben einen weiteren eindrucksvollen Beleg für die Einschätzung der sozialen Herkunft der Admonter Sanktimonialen, wenn Gerhoh sie mit dilectissimae filiae regum, filiae patriarcharum anspricht 287 . Das in der Mondseer Handschrift: folgende Schreiben widmet sich demselben Thema: Eine ungenannte Schwester hatte den Seelsorger explizit darum gebeten, ihr jenen Psalm auszulegen, den er zuvor den Admonterinnen erläutert hatte. Allerdings nimmt ihre Anfrage Bezug auf die zweite Hälfte des Verses, nach dem jene gefragt hatten 288 . Leider gibt es über ihre ausdrückliche Erwähnung der Admonter Damen hinaus, womit klar ist, dass sie selbst nicht dem dortigen Frauenkonvent angehörte, keinen weiteren Hinweis auf ihre Identität. Peter Classen und Damian Van den Eynde halten die Zugehörigkeit der Schwester zum Konvent von Reichersberg für am wahrscheinlichsten, da Gerhoh seit 1138 dessen Propst war und der Brief über keine Adresse verfugt 289 . Allerdings lässt die Tatsache, dass Gerhoh zu verschiedenen Personen und Personengruppen briefliche Kontakte pflegte, die Frage eher offen scheinen, zumal er innerhalb seines eigenen Klosters wohl am ehesten die Möglichkeit einer mündlichen Auslegung gehabt hätte. Bemerkenswert ist jedenfalls das Wissen der filia in Christo charissima um Gerhohs Antwort an die Admonter Damen, das eine über die einzelnen monastischen Gemeinschaften hinaus reichende - wenn auch vermutlich regional begrenzte - Kommunikation über derartige Fragen und eine über die jeweiligen Adressatinnen hinaus gehende Rezeption dieser Briefe nahe legt 290 . Das dritte Schreiben in der Mondseer Sammlung richtet sich wieder an eine ungenannte Schwesterngemeinschaft 291 . Es beginnt wie der erste Brief an die Admonterin286 Ps 50 [51], 1 - 6 : Die unterschiedliche Zählung ergibt sich aus den Abweichungen zwischen der Vulgata u n d der heutigen Einheitsübersetzung. In den lateinischen Zitaten wird im Folgenden die Zählung der Vulgata jeweils voran gestellt (meine Hervorhebungen): In finem psalmus David / cum venit ad
eum Nathan propheta quando intravit ad Bethsabee / miserere mei Deus secundum (magnam) misericordiam tuam (et) secundum multitudinem miserationum tuarum dele iniquitatem meam / amplius lava me ab iniquitate mea et a peccato meo munda me / quoniam iniquitatem meam ego cognosco etpeccatum meum contra me est Semper / tibi solipeccavi et malum coram te feci ut iustificeris in sermonibus tuis et vincas cum iudicaris. Die deutsche Einheitsübersetzung des letzten Verses lautet „ ... darum bist D u im Recht, wenn D u mich schuldig sprichst; Deinem Urteil kann ich nicht widersprechen". 287
Gerhoh von Reichersberg, Ep. 26, 610D: Sic, o dilectissimae filiae regum, filiae patriarcharum,
cum Deo luctantium, et vos luctamini cum Christo precibus et desideriis ac lacrymisper fidem extorquendo ab ipso, ut adimpleat nostris in diebus, quidquid adhuc restât adimplendum de suispromisionibus. Weitere Belege z. B. S. 54, A n m . 12; S. 71, Anm. 89; S. 94, A n m . 200. 288
Gerhoh von Reichersberg, Ep. 27, 611-614: Rogas, et rogando cogis, filia in Christo charissima, ut
quomodo sororibus Admontensibus aliqua scripsi de illa iustificatione Dei, qua dicitur in sermonibus suis iustificari iuxta illud: Ut iustificeris in sermonibus tuis, etiam tibi aliquid scribam de illa Dei victoria, de qua Deo dicitur: Et vincas, cum iudicaris. 289 Classen, Gerhoch von Reichersberg 404, nn. 161-163, Van den Eynde, L'œuvre littéraire 199, n. 29: „De plus, le m a n q u e de toute adresse suggère qu'il ne s'agit pas d ' u n e vraie lettre, expédiée à une personne éloignée, mais plutôt d'une instruction, écrite pour une moniale, soit de Reichersberg même, soit d u voisinage immédiat." 250 Dazu mit Bezug auf die Mondseer Überlieferung Classen, Gerhoch von Reichersberg (wie Anm. 289) und ders., Werkstatt 383, n. 430. Für die Frage nach den historischen Adressatinnen von Gerhohs Schreiben u n d die Einordnung dieser Briefe innerhalb der seit der Patristik vorbildlichen Textgattung der Brieftraktate an Frauen vgl. unten A n m . 294 und 317. 291 Gerhoh von Reichersberg, Ep. 28, 614—618, hier 6 1 4 D : Charissimis in Christo sororibus, Fr. G.
devotas orationes. Aliquando vobis loquens et scribens formavi et suggessi vobis, quantum Deus dignatus est
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nen mit einer ausführlichen salutatio, in der Gerhoh die Parallelität seiner mündlichen und schriftlichen Unterweisungen thematisiert: Er habe seinen in Christus geliebten Schwestern 292 bereits in Wort und Schrift erklärt und vorgeschlagen, auf welche Weise sie Gott im Gebet würdigen sollten. Da er nun aber vermeiden wollte, dass sie im Glauben kleinmütig würden, wolle er ihnen die Bedeutung der Glaubensstärke anhand des Beispiels des Hauptmanns von Kafarnaum erklären, dessen Glauben so groß war, dass er darauf vertraute, dass nur ein Wort Christi seinen kranken Diener gesund machen könne 293 . Van den Eynde sieht in der Auslegung dieser Stelle eine inhaltliche Fortführung der Exegese von Psalm 50, 6 (51, 6) in den im Mondseer Kodex vorangehenden Briefen. Ein solcher inhaltlicher Bezug würde dementsprechend ein weiteres Argument für die Zuordnung der beiden Schreiben zu Admont bzw. Reichersberg liefern. Diese exegetische Verbindung muss allerdings nicht unbedingt gegeben sein, zieht man den Stellenwert und die große Popularität dieser neutestamentarischen Stelle in Betracht. Darüber hinaus steht auch dieses - wie die beiden anderen in der Mondseer Handschrift überlieferten - Schreiben Gerhohs in der patristischen Tradition der Lehrbriefe an gebildete und hochgestellte Frauen, wie sie etwa Augustinus und Hieronymus geprägt haben. Das zeitgenössisch selbstverständliche Wissen um diese Tradition und die Rolle, die den Admonter Frauen in der Kommunikation mit dem Seelsorger explizit zugeschrieben wurde, legen zusammen mit der gemeinsamen Überlieferung und dem Duktus der Schreiben — von der salutatio des ersten und des dritten Briefes bis zu Umfang und Niveau der Auslegung - eher einen topischen wie auch einen tatsächlichen Bezug zu eben dieser Frauengemeinschaft nahe. Dazu kommt der Hinweis auf wechselseitige Rezeptionen der Briefe Gerhohs im Admonter Umfeld im zweiten Schreiben an die ungenannte Frau, die sich auf ihre Admonter Schwestern bezogen hatte 294 . Auffällig ist, dass die drei Schreiben in der Mondseer Handschrift keinerlei Fragestellungen enthalten, in denen die Kategorie Geschlecht eine besondere Bedeutung hätte. Die als exemplarisch vorgestellten Personen — König David in den ersten beiden Briefen und der Hauptmann von Kafarnaum im dritten Schreiben - dienen in Hinblick auf die zu vermittelnden Glaubensinhalte offenbar für einen Frauenkonvent als nicht weniger taugliche Vorbilder als gegenüber einem männlichen Publikum. Zwar bringt Gerhoh im Verlauf seiner umfassenden Auslegungen eine Reihe von alt- wie neutestamentarischen Vergleichsbeispielen, in denen Frauen ebenso wie Männer eine Rolle spielen. Die beiden Hauptthemen „Schuld und bedingungslose Reue" sowie „blindes Vertrauen in Gott vs. Kleingläubigkeit" werden aber ohne geschlechtsspezifische Wahl von Beispielen, geschweige denn Zuschreibungen abgehandelt. Bei diesen Themen stehen
praestare, verba et sensum orationum, quas ad Deum mitteretis tanquam incensum suavissimi odoris. Sed postea nolens vos esse pusilUe fidei, quoniam pusillitas fidei multum obsistit orationis exauditioni, coepi donante Deo vos ad magnam fidem informare, cui omne, quod recte optatur, est cora, deo impetrabile. 292 Zur Tradition dieser Form der Anrede im mittelalterlichen Freundschafts- und Liebesdiskurs vgl. den Sammelband von Signori, Meine in Gott geliebte Freundin, sowie unten Kap. 3.3. 293 Gerhoh von Reichersberg, Ep. 28, 615 A: Probat hoc ille centurio cuius magnam fidem Dominus admirans ait: Non inveni tantam fidem in Israel. Vgl. Mt 8, 5—13; Lk 7, 1—10; Joh 4, 46—53. 294 Van den Eynde, L'œuvre littéraire 288, n. 135. Zur Tradition der „Frauenlehrbriefe" vgl. Krumreich, Hieronymus und die christlichen feminae clarissimae; Classen, Frauenbriefe an Bonifatius; sowie die Beiträge in Signori, Meine in Gott geliebte Freundin mit weiteren Literaturangaben. Dazu auch unten Anm. 317.
Z u g ä n g e z u m Selbstverständnis geistlicher M e n s c h e n
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die Eigenschaften der Adressatinnen als geistliche Menschen im Vordergrund gegenüber der Tatsache, dass es sich bei den angesprochenen Personen um Frauen handelt. Anders gesagt: Würden sich die Anreden der Briefe nicht explizit an ein weibliches Publikum richten, ließe sich dieser Umstand aus ihrem Inhalt nicht erschließen 295 . Anders verhält es sich mit dem vermutlich prominentesten Schreiben Gerhohs an einen Frauenkonvent, das - ähnlich wie der schon besprochene Brief an die nicht im Kloster lebende Frau - bemerkenswerte Aspekte seines pastoralen Verständnisses der bewusst geschlechtsspezifisch aufgefassten cum monialium bietet. Auch dieser Brief ist nicht datiert und gilt nicht näher genannten dilectis in Christo sororibus. Er ist in insgesamt sechs Handschriften aus dem 12. und 13. Jahrhundert überliefert. Zwei davon befinden sich in Admont und stammen aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, die übrigen in den Klöstern St. Emmeram in Regensburg, Aldersbach, Lilienfeld und Ebrach. Außerdem verzeichnet der Bibliothekskatalog von Reichersberg aus dem Jahr 1596 ein Deperditum aus diesem Kloster 296 . In allen Fällen ist der Brief des Propstes gemeinsam mit einer Schrift über die Himmelfahrt Marias überliefert, als dessen Prolog er dient 297 . Bevor Gerhoh sich allerdings ausführlich mit dem Inhalt dieses Traktats auseinander setzt, erläutert er ganz im Sinn der cura monialium die Vorteile des Lebens als Bräute Christi. So beginnt der Brief mit der programmatischen Aufforderung an die Schwestern, sie mögen wachsam sein und die Ankunft des Bräutigams erwarten 298 . Im folgenden ersten Drittel seiner pastoralen Erläuterungen stellt Gerhoh nun exemplarisch die sprichwörtliche „treulose Frau" (Prov 7, 1-27) der von Salomon gepriesenen Mulier fortis (Prov 31, 10-31) gegenüber und ruft sein Publikum auf, sich das Verhalten ersterer als negatives Beispiel vor Augen zu führen, die Lebensweise letzterer aber nachzuahmen 299 . Die mulier fortis dient Gerhoh dabei als Modell seiner Darstellung der idealen monastischen Lebensweise, verstärkt dadurch, dass er die Exegese des salomonischen Sprichwortes zum Hohelied der Liebe in Bezug setzt 300 . Diese exegetische Verbindung war im 12. Jahrhundert neu und findet
295
D a z u die beiden folgenden Abschnitte. Edition des Briefes bei Classen, G e r h o h i O p e r a inedita, Bd. 2, 2, 3 6 6 - 3 7 6 m i t ausführlichen Angaben zur Uberlieferung. Van d e n Eynde, L'oeuvre littéraire 2 4 5 datiert das Schreiben auf u m 1160. Vgl. dazu u n t e n S. 118f. Z u m Bibliothekskatalog von Reichersberg vgl. El Kholi, Lektüre 97. D i e beiden A d m o n t e r H a n d s c h r i f t e n fehlen in Classens Aufstellung, sind allerdings verzeichnet in ders., G e r h o c h von Reichersberg 403f., n. 160. In A d m o n t ist der Brief u n d die diskutierte Schrift in zwei H a n d s c h r i f ten überliefert: C o d . A d m o n t . 579, fol. 3 5 r - 3 8 r ( A D 1) u n d C o d . A d m o n t . 6 0 2 , fol. 1 5 r - 2 1 r ( A D 2). Vgl. die vollständige Transkription i m A n h a n g 3. 296
297
Siehe Anhang 3: Cod. Admont. 602, fol. I4v: Incipit epistola domini Gerhohi de dormitione Sancte Marie qtialiter de Greco translata sit in Latinum. Ebd., fol 15r, sowie Cod. 579, fol. 35r: Frater Gerhohus fratrum Richerspergensium servus dilectis in Christo sororibus. Vigilare et adventum sponsi observare. 298
Vgl. M t 25, 1 - 1 3 . Dazu ausfuhrlich u n t e n Kap. 3.2.3.
299
Gerhoh, Ep., Anhang 3, S. 232: ... An non vitanda seu cavenda est illa, que in principio parabolarum Salemonis describitur garrula et vaga quietis impatiens, an non videtur imitanda, quam in earundem fine parabolarum scribit sapientia sapientem, pariter et fortem. Nam ut in sexufragilitarn raram quam preclaram ostenderet fortitudinem dicit. M u l i e r e m f o r t e m quis inveniet? Item: Quesivit lanam et l i n u m et operata est Consilio m a n u u m s u a r u m . Facta est quasi navis institoris de longe portans p a n e m s u u m . Vgl. Prov 7, 1 0 - 1 1 sowie Prov 3 1 , 1 0 u n d 13. 300
Ebd.: Porro illa femina supra omnem sensum humanuni significatur admirabilis, quam in canticis canticorum Spiritus Sanctus admiratur dicens: Que est ista, que ascendit per desertum sicut virgula fumi ex aromatibus mirre et thuris et universi pulveris pigmentarii? Item. Q u e est ista q u e ascendit de deserto delictis afHuens et innitens super dilectum suum? Dilectus quoque ipse, de quo scriptum est. et vocabitur n o -
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sich z u e r s t b e i B e r n h a r d v o n C l a i r v a u x . A u f f ä l l i g ist, dass i h r in A d m o n t o f f e n s i c h t l i c h b e s o n d e r e A u f m e r k s a m k e i t g e s c h e n k t w u r d e . Sie findet sich s o w o h l i n d e n A d m o n t e r P r e d i g t e n als a u c h - e r s t m a l s v o l k s s p r a c h l i c h — i m St. T r u d p e r t e r H o h e l i e d , dessen E n t s t e h u n g in A d m o n t o d e r z u m i n d e s t i n s e i n e m U m f e l d z u lokalisieren ist 3 0 1 . G e r h o h j e d e n f a l l s n i m m t die Parabel S a l o m o n s ü b e r d i e t r e u l o s e F r a u z u m A n l a s s u m z u k l a g e n , w i e viele geschwätzige, rast- u n d r u h e l o s e F r a u e n es in dieser s c h l e c h t e n W e l t g ä b e u n d w i e d i e g e r i n g e Z a h l d e r G u t e n w i e ein K o r n in d e r S p r e u w i r k e 3 0 2 . D i e h e r v o r r a g e n d s t e n F r a u e n a b e r seien i m K l o s t e r z u finden, w o sie G o t t e r g e b e n i h r e m W e r k n a c h g e h e n u n d , w o h l n i c h t n u r m e t a p h o r i s c h , s p i n n e n u n d w e b e n - dies w i e d e r in A n a l o g i e z u r s a l o m o n i s c h e n mulierfortis,
die, w a n n i m m e r Z e i t ist, z u r S p i n d e l greift,
T ü c h e r u n d G ü r t e l a n f e r t i g t u n d sie a n H ä n d l e r v e r k a u f t 3 0 3 . Sie sollen - in d e n B i l d e r n des H o h e l i e d e s - sponsa, columba, formosa
et Sunamitis
g e n a n n t w e r d e n : B r a u t (sponsa)
w e g e n i h r e r Liebe z u C h r i s t u s , T a u b e (columba) w e g e n i h r e r A u f r i c h t i g k e i t u n d S a n f t m u t , s c h ö n (formosa) w e g e n i h r e r K e u s c h h e i t , S h u l a m i t w e g e n i h r e r D e m u t 3 0 4 . D i e Fig u r d e r S h u l a m i t w i e d e r u m e r l a u b t es G e r h o h m i t B e z u g a u f R u p e r t v o n D e u t z , e i n e V e r b i n d u n g z u r k l ö s t e r l i c h e n A b g e s c h l o s s e n h e i t h e r z u s t e l l e n , w a r d o c h a u c h sie v e r a c h t e t u n d G e f a n g e n e 3 0 5 . A u s all d i e s e n G r ü n d e n l o b t er seine in C h r i s t u s g e l i e b t e n
men eius admirabilis consiliarius admirabitur eam dicenr. Quam pulchra es amica mea, quam pulchra es et decora.Vgl. Cant 3, 6; 8, 5; 4,1. Vgl. dazu auch die folgenden Kapitel 3.1. und 3.2. 301 Bernhard von Clairvaux, In laudibus virginis matris, Homilia 2, 5, Opera I, 24; weitere Beispiele v. a. aus dem zisterziensischen Umfeld bei Roitner, Mater misericordiae 603, Anm. 5166; vgl. das St. Trudperter Hohelied 6, 1 - 5 : Wir haben vemomen von deme heiligen geht, wie er kösete durch den wtsen Salomdnem, daz er wünschte einis starken wibes. dar nclch begunde er singen cantica canticorum. nú sehen waz daz sane sí. Dazu Ohly, Kommentar zur Edition 500ff.; ders., Der Prolog 225; Küsters, Der verschlossene Garten 29f.; Brunner, Selbstverständnis, hier bes. 271-273; Cescutti, Begehren, Körper, Text. Zur Hohelied-Exegese ausführlich unten Kap. 3.2. Zur Überlieferung, Datierung und nach wie vor nicht ganz geklärten Lokalisierung in Admont vgl. Spitz, Lokalisierung, sowie die Rezension der Edition Ohlys von Küsters, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 129/4 (2000) 453—459. Die Frage, ob der Text in Admont selbst oder im Umfeld des Klosters entstanden ist, ist für meine Fragestellungen insofern sekundär, als es mir um materielle, soziale und diskursive Netzwerke geht. Gerade die Reformsituation der Jahrzehnte zwischen 1140 und 1190, die Anzahl der belegten organisatorischen und pastoralen Aktivitäten, die eine bemerkenswerte Textproduktion einschlössen, legt nahe, das Frageinteresse von den einzelnen Entstehungsorten zu jenen ihrer Rezeption und deren Bedeutung zu verlagern. 302 Gerhoh, Ep., Anhang 3, S. 233: Nam quantas feminas vagas et gárrulos quietis impacientes habeat mundus inmundus absque nostra demonstratione claret cum inter earum multas paleas paucitas bonarum quasi granorum vix appareat. Vgl. Prov 7, 10—11. Ebd.: Sane mulierem fortem nonnulle imitantur, que quod bonurn est operantur ad omnes máxime autem ad domésticos fidei quarum iudico praecipuas feminas Deo devotas in cenobiis operi operam dantes, inter quas dum aliam video nentem, aliam, quod est utile, textentem, verbi gratia cingulum vel stolam fortis illa mulier quasi oculis meis est conspicua, de qua legitur quod&xpú eius apprehenderunt fusum et quod cingulum tradidit Chananeo. Vgl. Prov 3 1 , 1 9 und 24. Zu den Tätigkeiten von Frauen in Klöstern in Analogie zu den in der Benediktregel vorgeschriebenen physischen Arbeiten der Männer vgl. S. 39 und S. 75. Dazu besonders Signori, Lesen, Schreiben, Sticken und Erinnern; Wunder, Gewirkte Geschichte, sowie mit Hinweisen auf „handwerkliche" Tätigkeiten der Admonterinnen S. 205f. mit weiteren Literaturangaben. 304 Ebd.: Admirabilem quoque illam, que in canticis canticorum sponsa, columba, formosa et Sunamitis appellatur, nec tarn in fortitudine operum quam in choris castrorum delectatur, sibiproposuerunt imitandam sánete feminepropter Christi amorem sponse, propter simplicitatem vel mansuetudinem columbe, propter castitatem formose, propter humilitatem Sunamites nominande. Vgl. Cant 5, 1; 6, 12; 7, 1. 305 Ebd.: Sunamitis namque interpretatur despecta vel captiva, que femine apud se humiles in hoc mundo volunt haberi despecte neque abnuunt esse captive, captivitate videlicet sánete obedientiae. Vgl. Ru-
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Schwestern fiir ihre Stärke, ihr Mahnen und ihre Liebe zu den Worten des Hoheliedes (icantica spiritalia diligentes fortes exactricesf06. Erst jetzt geht Gerhoh zur Anfrage der Sanktimonialen über. Sie hatten ihn nämlich um Erlaubnis für die Lektüre einer Schrift zur Himmelfahrt Marias gebeten, die angeblich durch Hieronymus als apokryph verworfen worden war. Gerhoh hatte den Schwestern offenbar bereits zuvor erlaubt, sie zu lesen, allerdings nicht im Rahmen der offiziellen Liturgie. Nun erteilte er ihnen seine Zustimmung, den Text auch in der Kirche lesen zu dürfen 307 . Dabei handelt es sich um jene Schrift, welche die Nonnen von Soissons im 9. Jahrhundert zum Anlass genommen hatten, Paschasius Radbertus (um 790—859) zur leiblichen Auferstehung der Jungfrau und Gottesmutter Maria zu befragen. Er hatte ihnen im Traktat Cogitis me, auch bekannt als Epistola 9 des Pseudo-Hieronymus an Paula und Eustochium, geantwortet 308 . Die Frage war seit dem Frühmittelalter umstritten, ihre Diskussion erzeugte eine Fülle an Kommentaren und apokrypher Literatur, so auch den genannten Traktat. Gerhoh selbst geht in der Begründung für seine Lektüreerlaubnis zwar fälschlicherweise davon aus, dass der Traktat über die ursprünglich zur Debatte stehende Schrift tatsächlich von Hieronymus verfasst worden sei. Dies setzt sein Argument gegenüber den angesprochenen Nonnen des 12. Jahrhunderts aber kaum außer Kraft: Der überlieferte Text sei nicht jener, den Hieronymus und andere verworfen hätten; vielmehr - so belegt er an vielen Beispielen — sei die Schrift durch zahlreiche Autoritäten gestützt und könne daher als glaubwürdig betrachtet werden. Deshalb sei ihre Lektüre anlässlich des Festes Maria Himmelfahrt legitim 309 . In der Entstehungszeit dieser pastoralen Erläuterung des Reichersberger Propstes war der Ausgang der exegetischen Frage, ob Maria nun mit ihrem Körper auferstanden sei oder nicht, noch offen. Dabei ging es allerdings nicht nur um den Aspekt ihrer Himpert von Deutz, In Canticum Canticorum, PL 168, 939. Zur Vorbildfunktion Ruperts (um 10701129/30) fiir Gerhoh vgl. etwa Knapp, Literatur 70. 300 Ebd., S. 234: Unde vos, carissime in Christo sorores, cantica spiritalia diligentes fortes exactrices estis mihi oportune inportune instantes, ut eliciatis nunc vinum dignum dilecto nostro ad potandum labiisque et dentibus illius ruminandum, nunc panem cottidianum de cottidiane psalmodiae farina confectum. Cant 7,9; vgl. auch ebd. 4, 11. Ebd.: Quibus decenter condiendis nunc a me novum quid exigitis, ut videlicet scriptum de transitu heatissime semper virginis Mariae, quod solita importunitate sanctaque aviditate optinuistis vobis concedi legendum non in ecclesiatico conventu, sed seorsum, nunc donem vobis etiam in ecclesia legendum. Vgl. Brunner, Selbstverständnis 289, Anm. 111. 308 Paschasius Radbertus, De assumptione sanctae Mariae; Ripberger, Der Pseudo-HieronymusBrief IX „ Cogitis me' zu Verfasserschaft, historischem Hintergrund, Quellen und Bedeutung des Traktates. Zum Folgenden bietet eine umfassende Aufarbeitung der Forschungsliteratur zur Assumptio-Frage mit zahlreichen Quellenbelegen und unter besonderer Berücksichtigung der Admonter Predigten Roitner, Mater misericordiae, Kap. „Dormitio und assumptio in der westlichen Liturgie und Theologie", v. a. 687fF. über die Entwicklung der Diskussion vom 10.-12. Jahrhundert und die Durchsetzung jener Haltung, die sich für eine leibliche Himmelfahrt Marias aussprach. 305 Gerhoh, Ep., Anhang 3, S. 234f.: Nos vero in hocsermone multa invenimus certa certis testibus conprobata singularem celsitudinem beatae Mariae multum decentia, utpatet in sequentibus. Illo ergo scripta in sua incertitudine relicto, utplacet beato Ieronimo, sermonem quem huicproemio subnectimus, ita ut in antiquis et emendatioribus exemplaribus cum invenimus, non est meum dare vobis vel auctorizare, quia modulo nostro contenti nullam nobis potestatem vendicamus aliquid tale donandi vel auctorizandi. Sed tarnen quia certis auctorizatus idem sermo subnixus est, nos eum quasi divinitus nobis donatum et certis testibus ac magnis patribus auctorizatum recipimus, immo iam dudum receptum cognoscimus vobisque, sorores in Christo dilectissimae, concedimus legendum in festo assumptionis Dominae nostrae beatae Semper virginis Mariae ....
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Das Benediktinerkloster Admont - eine Fallstudie
melfahrt, sondern um die mit der Leiblichkeit der Jungfrau und Mutter Gottes zusammenhängenden und theologisch ebenso brisanten Problemkreise ihrer Empfängnis und Jungfräulichkeit, ihrer Freiheit von der Erbsünde oder ihrer doppelten Heilung — bei der eigenen Geburt und der Empfängnis Christi310. Für das Selbstverständnis der von Gerhoh adressierten Sanktimonialen war die Bestätigung der leiblichen Auferstehung Marias offensichtlich wichtig. Es war ihr besonderer Wunsch, diesen Text lesen zu dürfen311. Vielleicht - und mehr als eine Vermutung lässt sich dazu nicht äußern — liefert dieses besondere Interesse der Schwestern ein Argument dafür, dass es sich auch bei den Adressatinnen dieses Schreibens um die Admonter Damen handelte. Mit den Marienpredigten der dortigen Äbte Gottfried bzw. Irimbert und dem St. Trudperter Hohelied kann Admont als ein Zentrum der damals aktuellen Hohelied-Exegese und Mariologie bezeichnet werden. Dies wird durch die überlieferten Gebetbücher bzw. Miracula-Handschriften des Frauenkonvents und die bildlichen Ausstattungen der Kodices gestützt312. In diesem Zusammenhang ist es allerdings besonders auffällig, dass gerade die Frage der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel in den Admonter Predigten nirgends thematisiert wird, sondern im Gegenteil die konservative Auslegung der Assumptio Mariae und die „alte" Erbsündenlehre vertreten wird313. Neben ihren geistlichen Betreuern vor Ort hatten die Admonter Damen in Gerhoh von Reichersberg aber einen weiteren pastoralen Freund, der ihnen über Jahre mit spirituellem Rat zur Seite stand. Es scheint sowohl für Gerhoh selbstverständlich gewesen zu sein, mehrere Personen und Personengruppen zu betreuen, wie auch die Admonterinnen offenbar nicht nur in ihren eigenen Äbten Ratgeber fanden314. Die Suche nach geeigneten Personen, die den Herausforderungen, aber auch Gefahren der cura monialium persönlich und intellektuell gewachsen waren, stellte sich in den Jahren der Reform durchaus nicht immer einfach dar und wird in den Quellen häufig thematisiert315. Dieser Personalmangel erforderte Flexibilität und bedingte gemeinsam mit den unterschiedlichen Wegen der Menschen ins Kloster und ihrer auch darüber hinaus weiter bestehenden Einbindung in soziale Netzwerke, dass die pastoralen Zuständigkeiten wohl meist weniger eindeutig waren, als dies ein moderner Blick vermuten lassen würde. Classen und Van den Eynde halten aufgrund von zwei Formulierungen des GerhohBriefes den Frauenkonvent von Reichersberg für den wahrscheinlicheren Adressatinnenkreis: Einmal sagt der Seelsorger, er antworte den Schwestern, wie Hieronymus Paula
3 1 0 Vgl. Roitner, Mater misericordiae (wie oben Anm. 308); eine anschauliche Zusammenfassung der Hauptdiskussionspunkte mit den wichtigsten Belegstellen bietet Brunner, Selbstverständnis 287— 291. Vgl. dazu auch Kap. 3.3.1. 311 Gerhoh, Ep., Anhang 3, S. 236: Legite itaque, carissime filiae, hunc desideratum de assumptione sanctae Mariae sermonem, filii eius et ipsius annuente dementia et concedente nostra licentia. Dazu unten Kap. 3.2. 3 1 2 Vgl. in diesem Zusammenhang für eine Differenzierung der Problematik neuer diskursiver Formationen und ihrer Durchsetzung, etwa am Beispiel Bernhards von Clairvaux, Jussen, Witwe 92—94. Zu Letzterem anhand von weiteren Admonter Handschriften ausführlich den folgenden Teil 3. 3 1 3 Dazu ausführlich Roitner, Mater misericordiae, besonders Kap. V.lO.e: „Gottfrieds Haltung in der Frage der assumptio corporalis"\ vgl. Brunner, Selbstverständnis 2 8 7 - 2 9 1 . Dazu den vorigen Abschnitt sowie Kap. 4.1.1. 315 Eine gute Einfuhrung in diese Problematik mit anschaulichen Beispielen aus dem „Doppelkloster" Reinhardsbrunn bietet Hotchin, Abbot as Guardian. Zu den „Gefahren" des gemeinschaftlichen Lebens und der gemischt-geschlechtlichen Unterweisung für die Keuschheit der Männer wie Frauen vgl. oben Kap. 2.2. und 2.3.
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und Eustochium geantwortet habe 316 . Dies wird als Hinweis auf seine pastorale Beziehung zu jenem Frauenkonvent gewertet, den er als Propst von Reichersberg selbst gegründet hatte. Ebenso sehr lässt sich die Stelle aber als topische Bezugnahme auf eine der bekanntesten pastoralen Beziehungen der Patristik und damit als Einschreibung in diese Tradition ebenso wie die damit verbundene Legitimation lesen317. Diese kann, muss aber nicht notwendiger Weise den eigenen Konvent betreffen. Darüber hinaus zeugt der an die Admonterinnen adressierte Brief Gerhohs von einem ähnlichen Nahverhältnis wie der Assumptio-Brief. Das zweite Argument gilt der Formulierung der Unsicherheit seiner Autorität in Fragen, die den Frauenkonvent betreffen318. Van den Eynde zieht hier neben einem Bescheidenheitstopos auch die politische Situation in Betracht: Wenn Gerhoh seine Auslegung des Himmelfahrts-Traktates tatsächlich nach 1167 geschrieben hat, hätte seine damals erfolgte Exilierung einen spirituellen Autoritätsverlust auch gegenüber seinem eigenen Konvent zur Folge haben können 319 . Unabhängig davon, ob der Brief nun an die Admonter oder Reichersberger Damen oder einen anderen Konvent gerichtet war, scheint ein „interner" pastoraler Legitimationsverlust aufgrund der politischen Wechselfälle weniger wahrscheinlich als eine exegetische „ A b s i c h e r u n g " seiner Verteidigung der apokryphen Schrift; dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass Gerhoh davon ausging, dass er sich mit seiner Opposition zu Hieronymus zumindest formal gegen eine der wichtigsten Autoritäten in diesen Fragen wandte. Dementsprechend sagt er auch nicht nur, dass es nicht an ihm läge, die Schrift zu autorisieren, sondern er hebt hervor, dass auch er ausschließlich der Tradition folge, indem er nachdrücklich ihre durch certis testibus ac magnis patribus bereits erfolgte Anerkennung betont. Beide Formulierungen liefern daher kaum ein Argument für die Annahme des Reichersberger Konvents als Adressaten, aber auch nicht gegen ihn. Sollte Gerhohs Brief allerdings tatsächlich nach 1167 verfasst worden sein, ergäbe sich daraus eine weitere interessante Überlegung für die Admonter Sanktimonialen als Adressatinnen. Zu diesem Zeitpunkt war Gottfried bereits gestorben, und Irimbert war Abt von Michelsberg, bevor er erst 1172 - drei Jahre nach dem Tod Gerhohs - wieder nach Admont zurückkehrte. Vielleicht haben die Admonterinnen das Vakuum ihrer Betreuung genutzt, um von einem eng vertrauten pastoralen Ratgeber eine Antwort auf eine Frage zu erhalten, die ihnen Gottfried und Irimbert nicht geben konnten oder wollten 320 . 2.4.2. Predigt und Exegese, lectio und collatio: Zur Einübung der monastischen Lebensweise Die Unterweisung von Frauen durch Männer im Rahmen der cura monialium ist von ihrer Einbindung in die Praxis des monastischen Lehrens und Lernens im weiteren Sinn nicht zu trennen. In Gerhohs Briefen kommen einige der grundsätzlichen und 3,6
Gerhoh, Ep., Anhang 3, S. 234: Despondi enim vos uni viro virginem castam exhibere Christo,
sicut vir illustris Paulam et Eustochium desponderat 317
eidem.
Vgl. dazu die oben, Anm. 294, angeführte Literatur, sowie Muschiol, Norm des Hieronymus.
318 Wie oben Anm. 309: ... vendicamus aliquid tale donandi vel auctorizandi. Sed tarnen quia certis auctorizatus idem sermo subnixus est, nos eum quasi divinitus nobis donatum et certis testibus ac magnis patribus auctorizatum recipimus, immo iam dudum receptum cognoscimus vobisque, sorores in Christo dilectissimae, concedimus legendum in festo assumptionis Dominae nostrae beatae Semper virginis Mariae. 319 320
Classen, Gerhoch von Reichersberg 404; Van den Eynde, L'œuvre littéraire 245, bes. A n m 3. Vgl. oben Anm. 313.
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Das Benediktinerkloster Admont - eine Fallstudie
nicht geschlechtsspezifisch differenzierenden Prinzipien der monastischen Unterweisung ebenso zum Ausdruck wie solche, die sich ausdrücklich an ein weibliches Publikum zu richten scheinen. Der klösterliche sermo, die Predigt, gehörte zu den wichtigsten Formen des gemeinschaftlichen Lehrens und Lernens und erforderte eine Reihe von Qualifikationen. Ende des 11. Jahrhunderts beschreibt die Vita des Anselm von Gembloux in Anlehnung an den Paulus-Brief an die Kolosser die pastoralen Qualitäten des Abtes folgendermaßen: Sein Predigen ist in Weisheit gegründet, nicht unmäßig durch Weitschweifigkeit, sondern für jedermann geeignet und den Fähigkeiten seines Publikums wie den zeitlichen Umständen angepasst. Dies entspricht übrigens im wesentlichen auch der Beschreibung der Kenntnisse und Fähigkeiten der Admonter magistra in Hinblick auf ihre Predigttätigkeit321. Die verschiedenen Formen des Predigens galten demnach idealiter als jeweils nach den seelsorgerischen Anforderungen und Bedürfnissen des Publikums abgestuft322. Dies betraf etwa Unterschiede zwischen monastischen Gemeinschaften und einem Laienpublikum ebenso wie die Differenzierung in litterati und illitterat?2i. Die klösterliche Predigt setzt einerseits mehr Kenntnisse seitens der Zuhörerschaft voraus. Andererseits ist die Entwicklung eines gemeinschaftlichen Verständnisses des Gehörten wichtig, das in und durch die Lektüre der Bibel und im gemeinsamen Gespräch entwickelt wird. Dies wird besonders anhand der Praxis der lectio und collatio als Grundformen der monastischen Kommunikation deutlich, wie sie in der Benediktregel grundlegend erörtert werden und sich etwa auch in den Hirsauer Konstitutionen finden. Der spezifischere Begriff der collatio wurde zunächst für den mündlichen Gedankenaustausch verwendet. In der Regula S. Benedicti wurde er zum Terminus technicus für die abendlichen Lesungen an Tagen, an denen nicht gefastet wurde. Aufgrund der benediktinischen Schweigegebote steht hier allerdings der gemeinschaftliche Aspekt im Vordergrund vor dem dialogischen. Die Lesungen erfolgen durch eine dafür qualifizierte Person, während die anderen dem Gebot des Schweigens und Zuhörens unterliegen324.
321 Vita Wieberti 554: Sermo domni abbatisAnselmi adquoscumquefiiit habitus, multo sapientiae sale erat conditus, non undecumque collecta verbositate immoderatus, sedpro audientium capacitate et temporis opportunitate moderatur, vgl. Vita magistrae 2: Sermo autem illius iuxta praeeeptum apostoli erat in gratia sale conditus, id estgraciosus, aeeeptus, ordinatus, temperatus, praestans audientibus edificationem. Vgl. Col 4, 6. 322 Vgl. dazu Küsters, Der verschlossene Garten 19; Jussen, Witwe 90 besonders in Hinblick auf Bernhard von Clairvaux. 323 Vgl. Constitutiones Hirsaugienses 2, 11, 1049; dazu Grundmann, Litteratus - Illiteratus, Wendehorst, Lesen und Schreiben, sowie besonders Bodarwé, Sanctimoniales litteratae, Kap. VIII.3, 355— 361: „Bildung von Sanktimonialen im Kontext kirchlicher Ansprüche" für einen Vergleich der Bestimmungen zur Ausbildung der Novizinnen in frühmittelalterlichen regulae für Frauengemeinschaften mit umfassenden Belegen und Literaturangaben. 324 Vgl. Reg. S. Ben. 42, 3-8: ... si tempus fueritprandii, mox surrexerint a cena, sedeant omnes in unum et legat unus Collationes vel Vitas Patrum aut certe aliud quod aedificet audientes, / non autem Heptateuchum aut Regum, quia infirmis intellectibus non erit utile illa hora hanc scripturam audire, aliis vero horis legantur. / Si autem ieiunii dies fuerit, dieta vespera parvo intervallo mox accedant ad lectionem Collationum, ut dixim-us. / Et lectis quattuor aut quinque foliis vel quantum hora permittit, / omnibus in unum occurrentibus per hanc moram lectionis, si qui forte in assignato sibi commissofuit occupatus, / omnes ergo in unum positi compleant et, exeuntes a completoriis, nulla sit licentia denuo cuiquam loqui aliquid. Vgl. auch Constitutiones Hirsaugienses, hier 997f. und 1036. Dazu Küsters, Der verschlossene Garten 24-39 mit umfangreicher weiterführender Literatur. Zu den Funktionen des Lehrens und Zuhörens vgl. auch Kap. 1.4.2., 1.4.3. und 4.2.3.
Zugänge zum Selbstverständnis geistlicher Menschen
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Darüber hinaus waren die lectiones zentraler Bestandteil der liturgischen Praxis. So beschreibt etwa Rupert von Deutz in seinem Liber de divinis officiis, dass in den Vigiliengottesdiensten des Sommers ab Pfingsten zunächst die vier Bücher der Könige, dann bis Ende August — das Buch Hiob und schließlich die drei salomonischen Bücher vorgelesen wurden. Diese Praxis bestätigen die Admonter Sonntags- und Festtagspredigten, die exegetischen Kommentare Irimberts ebenso wie das Admonter Matutinale'1''. Die traditionelle mittelalterliche Bibelexegese ging davon aus, dass die Schrift über mehrere Sinnebenen verfügte, die dementsprechend in mehreren Sinnbildungsschritten erschlossen werden mussten326. Für die Auslegung wurden der wörtliche oder historische Sinn (sensus litteralis vel historicus) einerseits von den drei spirituellen Sinnebenen andererseits unterschieden. Der typologisch-heilsgeschichtliche {sensus allegoricus), der moralisch-tropologische (sensus moralis vel tropologicus) und der eschatologische (sensus anagogicus) Sinn ergaben sich - nach Auffassung der Exegeten - im Unterschied zum historischen Sinn nicht aus dem biblischen Text selbst, sondern mussten erschlossen werden. Die Arbeit der spirituellen Auslegung und damit die Offenlegung des symbolischen Potentials der Bibel war Aufgabe der „Schriftgelehrten". Sie erforderte nicht nur die Kenntnis der Heiligen Schrift selbst, sondern ebenso die der exegetischen Tradition, vor allem der Kirchenväter, und spirituelle Kompetenzen der Sinndeutung. Nicht zuletzt diese Vielschichtigkeit symbolischer Bedeutungen ermöglichte in den Reformjahrzehnten die Entwicklung von Fest- und Themenpredigten als exegetische Praxis. Dabei handelt es sich um Predigtzyklen, in denen nicht nur der biblische Text ausgelegt wurde, sondern auf spezifische Kontexte, spirituelle Erfahrungen und seelsorgerische Bedürfnisse eingegangen werden konnte 327 . Diese Entwicklung steht außerdem in Verbindung mit Einflüssen der scholastischen Predigtlehre; die Grenzen zwischen „Schulwissen" und monastischem Wissen waren im 12. Jahrhundert fließend. Darüber hinaus fand die Beliebtheit der monastischen exegetischen Formen von sermo und collatio ihre Entsprechung in neuen Bedürfnissen und Formen der Kommunikation im Kloster. Konkrete spirituelle Fragen der Gemeinschaft und der einzelnen fidelis anima fanden durch dialogische Methoden der Auslegung einen Rahmen der Artikulation328. Verstehen, Verständnis und Begreifen geschieht in Interaktionen, es handelt sich um kommunikative Prozesse, die zwar formalen und diskursiven Regeln folgen, aber gleichzeitig offen für Veränderungen sind. Die Praxis der Auslegungen und Kommentare etwa in den Briefen Gerhohs und die immer wieder explizit hergestellten Bezüge zu vorangegangenen Gesprächen legen nahe, auch bei den Predigten von einer aktiven Beteiligung des Publikums auszugehen; davon, dass nachgefragt und kommentiert wurde, Unverständnis geäußert oder auf konkrete Situationen der Anwendung des Gehörten Bezug genommen wurde. Ähnlichen Prinzipien folgen die in Dialogform aufgebauten Streit-
3 2 5 Rupert von Deutz, Liber de divinis officiis 12, 2 4 . Zu Homilienhandschriften und Matutinale vgl. unten, v. a. Kap. 3 . 2 . und 3.3. 3 2 6 Dazu das Standardwerk von Lubac, Exégèse médievale; Ohly, Bedeutungsforschung; Dobschütz, Vom vierfachen Schriftsinne. 3 2 7 Küsters, Der verschlossene Garten 31 f.; Jussen, Witwe 9 0 . 3 2 8 Zu den Bestimmungen in der Institutio Sanctimonialium zur gemeinsamen und zur individuellen lectioder divinae scripturaebzvi. zu den divinae lectiones vgl. ebd., cc. 10, 14 und 15 M G H C o n c . 2,1, 4 4 5 und 4 4 8 ; dazu Schilp, Norm und Wirklichkeit 8 3 - 8 5 . Vgl. Bodarwé, Sanctimoniales litteratae 3 5 6 3 5 8 . Für die Bedeutung der schriftlichen und mündlichen Dialogform, besonders im 12. Jahrhundert vgl. Flanagan, Traditions o f Médiéval Dialogue, mit zahlreichen Beispielen.
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Das Benediktinerkloster Adraont - eine Fallstudie
bzw. Lehrgespräche von Reformvertretern über zentrale Glaubensfragen bzw. solche der spirituellen Praxis, etwa das Speculum virginum für die cura monialium und andere Specula bzw. imago ^««¿/¿-Schriften 329 . Als traditionsbildend gilt Rupert von Deutz' Liber de divinis officiis. Bekannt ist etwa sein unmittelbarer Einfluss auf Gerhoh von Reichersberg und Honorius Augustodunensis. Alle drei wurden in Reform- und „Doppelklöstern rezipiert . Der Zweck der monastischen Erziehung ist also eng mit der sozialen Praxis der geistlichen Menschen verbunden. Novizinnen und Novizen, auch Menschen, die sich zu einem späteren Zeitpunkt ihres Lebens für die monastische Lebensform entscheiden, werden im Kloster für ein Leben im Kloster erzogen: Es geht also darum, eine Lebensform zu erlernen und einzuüben. Dieses Wissen kann daher prinzipiell nicht „theoretisch" vermittelt, sondern muss in der und durch die Gemeinschaft praktisch einverleibt werden, bis es Bestandteil des habituellen Verhaltens ist 331 . In Hinblick auf die Reformbewegungen sind hier besonders all jene Menschen von Interesse, die bereits vor ihrem Eintritt ins Kloster über eine Reihe von Kenntnissen verfügten - wie etwa die Beherrschung von Schriftlichkeit - , die es ihnen dann erlaubten, in den Prozess des Einübens der monastischen Lebensform „einzusteigen" und diese Fähigkeiten zu integrieren. Daher wird auch die Gleichsetzung von conversi (bzw. conversae) mit illitterati/ae, wie sie etwa die Hirsauer Konstitutionen vornehmen, in der Praxis des Reformalltags kaum aufrecht zu halten gewesen sein. Ein solches gemischtes Zielpublikum legt außerdem nahe, dass es gerade im Rahmen von Erneuerungsbewegungen in der alltäglichen klösterlichen Lebenspraxis um eine gemeinsame Weiterentwicklung und Adaption der jeweils als wichtig und notwendig erachteten Kenntnisse an die bestehenden Gegebenheiten und Fähigkeiten gegangen sein wird und nicht nur um die Aneignung fest vorgegebener Wissensbestände. Dies kommt auch in den Veränderungen zum Ausdruck, der die didaktische pastorale Literatur in den Reformjahrzehnten des 12. Jahrhunderts unterworfen war. Sie werden etwa in den Unterschieden zwischen den traditionellen Wissens- und Kommunikationsformen deutlich, die das Speculum virginum repräsentiert, und jenen, die der Hortus deliciarum zum Ausdruck bringt 332 . Findet im ersten Fall Unterweisung, wenn auch mit zahlreichen neuen Elementen, in einem traditionellen hierarchischen Modellverhältnis von Lehrer und Schülerin statt, ist in Hohenburg die Äbtissin selbst offiziell Lehrerin ihrer Mädchen, die sie zwar als Mutter, aber auf äußerst partnerschaftliche Weise anspricht 333 .
329
Vgl. dazu auch die Beiträge in Mews, Listen Daughter, besonders Powell, Audio-Visual Poetics. Für Admont siehe S. 154f.; vergleichend besonders El-Kholi, Lektüre, sowie auch Beach, Women as Scribes; inhaltlich dazu Curschmann, Imagines Exegesis sowie Cescutti, Begehren, Körper, Text. Zur Bedeutung und Verbreitung der Schriften des Rupert von Deutz in den süddt. Reformklöstern vgl. Van Engen, Rupert von Deutz. 331 Vgl. oben Kap. 1.4., dazu grundlegend Illmer, Erziehung und Wissensvermittlung; Kintzinger, Wissen wird Macht; Küsters, Der verschlossene Garten, hier 42. Zum „verkörperten Wissen" siehe unten Kap. 3.3.2. 332 Zum Hortus deliciarum vgl. oben Kap. 1.2. Zum Vergleich auch S. 219. 333 Zum Speculum virginum vgl. die Beiträge in Mews, Listen Daughter, hier besonders ders., Introduction 10, sowie ders., Virginity, Theology, and Pedagogy, Powell, Audiovisual Poetics. Zu den verschiedenen Abstufungen im Lehrerinnen - Schülerinnen-Verhältnis vgl. ebd. Flanagan, Traditions of Medieval Dialogue 189-192. Zum Hortus deliciarum ebd. Griffiths, Herrad of Hohenbourg. Zu diesen Differenzierungen ausführlich unten Kap. 4.3. 330
Zugänge zum Selbstverständnis geistlicher Menschen
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Darüber hinaus können eruditio und sapientia, „Theorie" und Praxis, Produktion und Rezeption, Schriftlichkeit und Mündlichkeit nicht nur in der lebensweltlichen Praxis nicht voneinander getrennt werden, sondern sind auch konzeptionell als ineinander verschränkt gedacht 334 . Dementsprechend sind die Funktionen und Motive der klösterlichen Erziehung vielfältig: Sie reichen von der Verkündigung der Schrift und der Einfuhrung in die Lebensform (instructio morurri) über Ermahnung (admonitio), Trost (consolatio), Stärkung im Glauben (confortatio fidei) und aedificatio, die nicht nur „Erbauung", sondern .Aufbau" der bzw. „Fortschritt in der monastischen Lebensform" bezeichnet 335 . Wissen dient der Erkenntnis und ist als solches Werkzeug der Erlösung. Der Weg führt von der ignorantia mittels scientia zur göttlichen sapientia. Der Begriff der Weisheit umfasst zum einen das Wissen um das rechte Handeln 336 . Neben dieser praktischen Komponente ist aber die spirituelle Komponente der sapientia als höchste Form der Gotteserfahrung zentral: Sapientia ist die höchste der sieben Gaben des Heiligen Geistes, die Sieben-Gaben-Lehre gehörte zur monastischen Grundausbildung 337 . Diese Komponente macht erst das Streben nach Vollkommenheit, nach perfectio, verständlich, und damit auch die Erfüllung der damit verbundenen asketischen Leistungen 338 . Der Erwerb von Kenntnissen, die zur Erkenntnis fuhren sollen, ist auch Gegenstand des St. Trudperter Hoheliedes, es iz ain lere der minnichlichen gotes erkenntnuss^. Ein wesentlicher Aspekt der Kommunikation im Kloster besteht in der Hinfiihrung zu einem solchen Gottes- und Schriftverständnis, das durch den Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden hergestellt werden soll. Dabei wird in den Admonter Predigten Gottfrieds bzw. Irimberts die Braut-Metaphorik des Hohelieds auch für die Beziehung zwischen Predigenden und Zuhörenden herangezogen. Erstere spielen eine vermittelnde Rolle. Sie sollen die Seele durch ihre Lehre zur Gottesliebe fuhren. Sie haben damit die Funktion eines Tores zur civitas, indem sie die Braut (Seele) durch Unterweisung für den Bräutigam (Christus) bereit machen 340 . Die notwendig enge Beziehung zwischen Seelsorger und Zuhörerschaft, zwischen Lehrern und Schülern hat laut Gottfried die geistliche Salbung beider Partner zur Voraussetzung: Haec unctio valde necessaria est praedicatori et doctori, necessaria et audi-
334
Vgl. oben Kap. 1.4.2. Dazu Edelstein, Eruditio und sapientia. Küsters, Der verschlossene Garten, bes. 45f. mit zahlreichen Beispielen, z. B. Wolbero von St. Pantaleon, Praefatio 10l4f. zur Nennung der zentralen Begriffe bonitas, disciplina, scientia, docere, rationalitas, aedificatio, moralitas, amor sponsr, hier etwa aedificatio neben eruditio und sapientia. Exemplarisch etwa Peter von Moos, Consolatio. 336 So Küsters, Der verschlossene Garten 42. 337 Dazu ebd. 49; vgl. allg. Brunner, Selbstverständnis; Knapp. Literatur 71 f. mit Bezug auf die Sieben-Gaben-Lehre bei Gerhoh von Reichersberg. Vgl. dazu ausfuhrlich unten Kap. 3.3. 338 Vgl. Vita magistrae, bes. 4-5. Zur ,Askeseleistung" Jussen, Witwe 61-71. Zur Verbindung zwischen contemptus mundi und Umgang mit dem Körper vgl. etwa Muschiol, Reinheit und Gefährdung; ausfuhrlich dazu unten Kap. 3.3. 339 - f H 145, 9-10; dazu grundlegend die Arbeiten von Ohly, zuletzt der Kommentar zu seiner Edition des St. Trudperter Hoheliedes; vgl. auch Küsters, Verschlossener Garten, und Brunner, Selbstverständnis. 340 Homiliae dominicales 84, 585f. (meine Hervorhebungen): Dum enim praedicatores sancti, fidelem animam praedicatione sua et doctrina ad amorem Dei erudiunt et accedunt, ipsi quidem porta civitatis fiunt, quia sponsum ad sponsam. Deum videlicet ad beatam animam introducunt. Weitere Beispiele bei Faust, Gottfried von Admont 290f.; dazu Küsters, Der verschlossene Garten 22f. Dazu unten Kap. 3.2.2. 335
124
Das Benediktinerkloster Admont - eine Fallstudie
torPK Die monastische Gemeinschaft ist als hortus conclusus - als exklusiver Raum konzipiert342. Die Bräute Christi gelten aufgrund ihres ordo zum höheren geistigen und geistlichen Verständnis befähigt und damit gleichzeitig als privilegiert. Besonders interessant sind dabei die Bezüge zwischen Hohelied-Allegorese, Paradies-Allegorese und dem monastischen Raum. Die Predigttexte richten sich an ein spezifisches Publikum, das sich von anderen in mehrfacher Hinsicht unterscheidet: Die „Bräute Christi", geistliche Personen, d. h. zunächst einmal Frauen wie Männer, nehmen in den mittelalterlichen Ordnungskonzepten seit der Patristik den höchsten Platz ein. Mehreres ist dabei bemerkenswert: Zum einen existieren offenbar enge Bezüge zwischen den Auslegungen Bernhards von Clairvaux und den Admonter Predigern sowie den Brieftraktaten Gerhohs von Reichersberg, die in anderen zeitgenössischen Texten (noch) eine weniger große Rolle spielten343. Zum anderen waren die Admonter Predigten ebenso wie das St. Trudperter Hohelied in die liturgische Praxis eingebunden, die optimale Möglichkeiten der habituellen Aneignung ermöglichte. Der Bezug der monastischen collatio zu den liturgischen Zeiten und die Praxis einer lectio continua legen eine fortlaufende Hohelied-Auslegung nahe, wie dies etwa auch für die salomonischen Bücher üblich war 344 . Wir haben es offensichtlich mit einem spezifischen gesellschaftlichen Feld zu tun, wo die betroffenen Menschen durch ihre Lebensform in besonderer Weise angesprochen werden können. Als geistliche Personen, d. h. Jungfrauen, sind sie spirituell weiter auf dem Weg zu Gott. Dabei spielt ihre Bildung, ihr Verständnis der Schrift, eine wichtige Rolle. Dieser Status ist nicht notwendigerweise geschlechtsspezifisch konnotiert. Die individuelle fidelis anima wird unabhängig vom physischen Geschlecht, unabhängig davon, ob Mönch oder Nonne, als Braut zur Vermählung mit Christus als Bräutigam gefuhrt. Wenn auch der Bericht Irimberts über die Klausur der Admonter Damen eindeutig geschlechtsspezifisch konnotiert ist, scheinen es ihre geistlichen und geistigen Fähigkeiten nicht gewesen zu sein. Dies kommt auch in jenen Briefen Gerhohs zum Ausdruck, die sich thematisch mit Fragen auseinander setzen, die keinerlei geschlechtsspezifische Konnotation aufweisen. Auch die Admonter Predigten und exegetischen Kommentare, von denen einige von den Sanktimonialen mit- bzw. ins Reine geschrieben wurden, dürften sich inhaltlich ebenso an die Mönche wie an die Nonnen des Doppelklosters gerichtet haben. Es liegt nahe anzunehmen, dass in diesem Zusammenhang der soziale Hintergrund ebenso wie das Bildungsniveau, aber vor allem auch das soziale Wissen der betroffenen Personen eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Admonter Quellen deuten darauf hin, dass es sich bei einem bedeutenden Teil der geistlichen Menschen in diesem Kloster um Männern und Frauen handelte, die man in mehrfacher Hinsicht als Angehörige einer „sozialen Elite" bezeichnen kann. Davon zeugen die häufigen Nennungen von „hochgeborenen" Frauen (Irimbert) oder von „Töchtern von Königen und Kirchenfiirsten"
Homiliae festivales 92, 6 2 5 . Siehe oben Kap. 1.2. Dazu aktuell Cescutti, Begehren, Körper, Text 3 4 3 Dazu Jussen, Witwe 90; ausfuhrlicher unten Kap. 3.2. 3 4 4 Vgl. Institutio Sanctimonialium c. 22, M G H Conc. 2,1, 452f.; dazu Bodarwe, Sanctimoniales litteratae 3 5 7 ; A n einem frühmittelalterlichen Beispiel zu Fragen der Wechselwirkungen von liturgischen Normen und Praxis die Studie von Meta Niederkorn zum Sanctorale Salzburgs. Grundsätzlich Küsters, Der verschlossene Garten 29. 341
342
Zugänge zum Selbstverständnis geistlicher Menschen
125
(Gerhoh) 345 ; davon erzählt die Geschichte der Admonter magistra, wenn sie zahlreiche Hinweise auf deren Beziehungen zur Welt außerhalb des Klosters gibt. Und sie scheint kein Einzelfall gewesen zu sein: Neben den Briefen Gerhohs von Reichersberg zeugt der überwiegende Teil der „Nonnenbrief-Fragmente" von den externen Beziehungen der Admonter Damen 346 . Diesem Befund stehen strenge Klausurbestimmungen und die geschlechtsspezifisch konnotierte cura monialium zwar entgegen; sie stellen aber nur einen Aspekt im Rahmen der vita monastica dar. Von der Sakramentenspende über das Predigen innerhalb und außerhalb des Konvents bis zum Abschreiben von Büchern zur Verbreitung der christlichen Glaubensinhalte wurde in Admont mit Ausnahme der priesterlichen Aufgaben im engeren Sinn 347 ein Großteil der Aufgaben nachweislich auch von Frauen und in Austausch und Zusammenwirken zwischen ihnen und mit pastoralen Betreuern praktiziert.
345
Irimbert, Bericht VIII: ... tot sorores claris ortas natalibus ... und Gerhoh von Reichersberg,
Ep. 26, 610 D: ... dilectissimaefiliae regum, filiaepatriarcharum. 346
Vgl. dazu Kap. 4.2. Vgl. S. 13f. Außerhalb des Klosters predigte offenbar die Admonter magistra, bevor sie sich in die dortige Klausur zurückzog, vgl. Vita magistrae 2. 347
Teil 3 Rollenmodelle und Identifikationsmuster 3.1. Tugenden und Laster 3.1.1. Mulieres fortes, sanctimoniales
litteratae
Werden im Rahmen der cura monialium, so etwa im Schreiben Gerhohs über die Einordnung der Assumptio-Schrift, gelegendich traditionelle „Weiblichkeits"-Topoi zitiert, so sind diese Referenzen in den Admonter Quellen doch vergleichsweise selten. Jedenfalls scheinen sie weder theoretisch, vor allem aber nicht praktisch den „Wert" der betroffenen Frauen in Frage gestellt zu haben. Dieser Eindruck wird durch die Verbindung der Hohelied-Allegorese mit der salomonischen Beschreibung der Mulier fortis noch verstärkt1. „Wachsam sollen sie sein und die Ankunft des Bräutigams erwarten", unter dieses klassische biblische Motto - gleichzeitig zentrale Metapher für geistliche Menschen als Bräute Christi - stellt Gerhoh seinen exegetischen Brief zur Himmelfahrt Marias2. Sein ausführlicher einleitender Kommentar über die Charakteristika des vorbildlichen Lebens der Sanktimonialen als Bräute Christi kann gleichzeitig als Lob für die angesprochenen Schwestern und als Aufforderung an sie gelesen werden, in ihrer Standhaftigkeit nicht nachzulassen. Außerdem vermittelt das Schreiben einige der grundlegenden Begriffe, mit denen ein solches Leben beschrieben wurde, und der Bilder, die mit ihnen assoziiert wurden. Gleich zu Beginn erfolgt die Gegenüberstellung der topisch treulosen Frau, die im alttestamentarischen Buch der Sprüche Salomons in Abwesenheit ihres Ehemannes einen unschuldigen jungen Mann verführt, der damit durch seine Naivität selbst Schuld auf sich lädt, mit der ebenfalls salomonischen mulier fortis und der Geliebten aus dem Hohelied3. Die drei Frauen verkörpern Typen, die - so Gerhoh - seinen Adressatinnen jeweils als abschreckendes, nachahmenswertes und bewunderungswürdiges Beispiel dienen sollen4.
1 Vgl. S. 115f., sowie (Pseudo-)Beda, De muliere forti; Bruno von Segni, Expositio de muliere forti; weitere Belege bei Ohly, Prolog 223.
2
Gerhoh, Ep., Anhang 3, 232: Frater Gerhohus fratrum Richerspergensium
sororibus.
Vigilare et adventum
servus dilectis in Christo
sponsi observare mit Bezug auf das Gleichnis von den klugen und den tö-
richten Jungfrauen: Mt 25, 1—13; vgl. auch das Speculum virginum 5; dazu mit Details Mews, Virginity
26. 3
Prov 7 und ebd. 31, 1 0 - 3 1 ; Cant, hier v. a. 3.6.
Gerhoh, Ep., Anhang 3, S. 232: Scribenti mihi adfeminas Domino devotas trium feminarum nunc occurrit memoria, quas varia descriptione sapientia notabiles demonstrat. Proponitur enim una cavenda, secunda imitanda, tercia miranda. 4
Tugenden und Laster
127
Die „treulose Frau" ist zusätzlich mit den Eigenschaften der Geschwätzigkeit, Rastund Ruhelosigkeit konnotiert {garrula et vaga quietis inpaciensf. Über das Zitat und die stereotype Aussage hinaus, dass es in der schlechten irdischen Welt mehrheitlich solche Frauen gäbe, interessiert sich Gerhoh aber offensichtlich wenig für dieses Bild. Deutlich mehr Sitz im Leben der angesprochenen Sanktimonialen und ihres pastoralen Betreuers scheinen die beiden anderen Rollenmodelle zu haben: Die mulier fortis, die eine beim „schwachen Geschlecht" seltene und herausragende Stärke zeige, wird gleichsam als „praktisches" Vorbild für die geistlichen Frauen präsentiert. Hervorgehoben wird hier zum einen ihre exklusive Rolle (paucitas bonarum); zum anderen werden besonders diejenigen Passagen des Bibeltextes betont, in denen es um ihre Fähigkeiten in der Handarbeit geht6. Hier stellt Gerhoh über den Brief des Apostels Paulus an die Galater eine Verbindung zwischen den Arbeiten der Frauen - besonders hervorgehoben wird das Spinnen und Weben - und dem „häuslichen" Kontext dieser Tätigkeiten her: Explizit sagt er, dass sie seiner Ansicht nach im Kloster gepflogen werden sollen7. Am ausfuhrlichsten aber widmet sich der Seelsorger der femina admirabilis nach dem Vorbild der Geliebten des Hoheliedes. Zunächst zitiert er jene Stellen, die sie als Braut Christi beschreiben und ihre Schönheit hervorheben8, und stellt in der Folge metaphorische Verbindungen zwischen Bildern und Figuren des Bibeltextes (sponsa, columba,formosa, Sunamitis) und jenen Tugenden her, die mit der monastischen Lebensform korrespondieren: Neben der Liebe zu Christus (amor Christi) sind das Aufrichtigkeit und Sanftmut (simplicitas, mansuetudo), Keuschheit (castitas) und Demut (humilitas)9. Shulamit wiederum dient Gerhoh — mit Rupert von Deutz - als allegorisches Rollenbild zur Begründung der klösterlichen „Gefangenschaft" (captivitas): War sie als exemplarische Jungfrau verachtet (despecta) und gefangen (captiva), finden diese Eigenschaften ihre Entsprechung in den Tugenden der humilitas und des Gehorsams (oboedientid)w. Die Figur der Shulamit ermöglicht Gerhoh außerdem einen weiteren Bezug zu den Sanktimonialen als mulieres fortes: Sie versinnbildlicht die Verbindung von geistlichem Ebd.: ...An non vitanda seu cavenda est ilia, que in principio parabolarum Salemonis desaribitur garrula et vaga quietis impatiens (Prov. 7, 10—11 : ... et ecce mulier occurrit illi ornatu meretricio praeparata ad capiendas animas garrula et vaga quietis inpatiens nec Valens in domo consistere pedibus suis.) Ebd.: ...an non videtur imitanda, quam in earundem fine parabolarum scribit sapientia sapientem, pariter et fortem. Nam ut in sexu fragili tarn raram quam preclaram ostenderet fortitudinem dicit. Mulierem fortem quis inveniet? Item: Quesivit lanam et linum et operata est Consilio manuum suarum. Facta est quasi navis institoris de longe portans panem suum. 7 Ebd., S. 233 (meine Hervorhebungen): Nam quantas feminas vagas et gárrulos quietis impacientes habeat mundus inmundus absque nostra demonstration claret cum inter earum multas paleas paucitas bonarum quasi granorum vix appareat. Sane mulierem fortem nonnulle imitantur, que quod bonum est operantur ad omnes maxime autem ad domésticosfideiquarum iudico praecipuas feminas Deo devotas in cenobiis operi operam dantes, inter quas dum aliam video nentem, aliam, quod est utile, textentem, verbi gratia cingulum vel stolam fortis illa mulier quasi oculis meis est conspicua. Vgl. Gal 6, 10. Für Überlegungen zu einer metaphorischen Verbindung zwischen den Bedeutungen von texere im Sinn der Textilherstellung und der Herstellung von Texten S. 205f. 8 Cant 3, 6; 8, 5; 4,1. 9 Cant 5, 1; 6, 12; 7, 1; vgl. S. 162, Anm. 45. Ähnlich betont werden v. a. humilitas und castitas etwa im Speculum Virginum; dazu besonders Mews, Virginity, Theology, and Theology 26-30. 10 Gerhoh, Ep., Anhang 3, S. 233: Sunamitis nanque interpretatur despecta vel captiva, que femine apud se humiles in hoc mundo volunt haberi despecte neque abnuunt esse captive, captivitate videlicet sánete obedientiae. 5
128
Rollenmodelle und Identifikationsmuster
u n d w e l t l i c h e m K a m p f fiir d e n G l a u b e n , w e n n d i e g e i s t l i c h e n W a f f e n u n d das S i n g e n v o n P s a l m e n u n d H y m n e n g e g e n d i e u n s i c h t b a r e n F e i n d e g e f ü h r t w e r d e n . In ihrer Pers o n k a n n also das r e f o r m a t o r i s c h e P r i n z i p der militia
Christi i m K l o s t e r o h n e R ü c k s i c h t
auf geschlechtsspezifische Zuschreibungen symbolisiert w e r d e n 1 D i e s e s Bild entspricht d e n W o r t e n der Ä b t i s s i n H e r r a d i m g e r e i m t e n P r o l o g d e s Hortus ihre „ M ä d c h e n " i m S i n n d e s contemptus
mundi
deliciarum,
w e n n sie
i n kriegerischen B i l d e r n z u m K a m p f ge-
gen die weltlichen Feinde aufruft12. A h n l i c h w e r d e n a u c h d i e T u g e n d e n u n d Laster i n der R e z e p t i o n der b e l i e b t e n „Psyc h o m a c h i a " d e s s p ä t a n t i k e n D i c h t e r s P r u d e n t i u s i m a u s f ü h r l i c h s t e n Bilderzyklus d e s Hortus
deliciarum
als k ä m p f e n d e Frauen dargestellt. D i e allegorisch w e i b l i c h e n Figuren
w e r d e n m i t l a n g e n G e w ä n d e r n u n t e r R ü s t u n g e n u n d m i t w e i t e r e n A t t r i b u t e n der Kriegf ü h r u n g präsentiert 1 3 . Explizit g e s t e h t a u c h Petrus Venerabiiis i n s e i n e m Brief a n H e lo'ise der Ä b t i s s i n n i c h t n u r d e n b e w a f f n e t e n K a m p f g e g e n d i e F e i n d e d e s G l a u b e n s , s o n d e r n a u c h d i e H e e r f ü h r e r s c h a f t z u u n d zitiert als „historische" B e i s p i e l e s o w o h l P e n t h e silea u n d ihre A m a z o n e n als a u c h d i e a l t t e s t a m e n t a r i s c h e D e b o r a h 1 4 . In e i n e m G e b e t b u c h , das i m 12. J a h r h u n d e r t in e i n e m F r a u e n k o n v e n t , v e r m u t l i c h in N o n n b e r g , e n t s t a n d e n ist, h e i ß t es: „ B e d e c k e m e i n e n K ö r p e r m i t d e m S c h i l d d e s G l a u b e n s , setze m i r d e n H e l m d e s H e i l s a u f u n d g ü r t e m i c h m i t d e m g e i s t l i c h e n S c h w e r t , sodass i c h g e g e n d e n niederträchtigsten Feind k ä m p f e n kann"15.
11 Ebd.: Quid videtis in Sunamite nisi choros c a s t r o r u m R e s mira et admiratione digna. Choros nominamus multitudines concorditer cantantium. Castra nominamus multitudines fortiter pugnantium; et magna dissimüitudo inter choros et castra, sed in Sunamite horum fit convenientia, dum videntur in ea chori castrorum canendo pugnantes potiusque cantu quam armis tryumphantes, nisi quod ipsa spiritalia et amatoria cantica inpsalmis etymnis quedam sunt arma hostibus invisibilibus terribilia. Vgl. Cant. 7 , 1 . Vgl. die Widm u n g des Cod. Admont. 18, Vorsatzblatt: Notum sit omnibus tarn futuris quam presentibus qualiter ego frater Johannes prior Admuntensis hunc matutinalem librum sumptu et labore meo perfeci et karissimis sororibus nostris hic deo militantibus contradidi quatinus earum adiutus cum ipsis in libro vite merear conscribi et eteme beatitudinis premia adipisci (vgl. Abb. 6 b im Anhang). Zur militia Christi als Prinzip der Reformbewegungen vgl. auch S. 34f., dazu besonders Zotz, Milites Christi. Hinzuweisen ist hier besonders auf den Umstand, dass gerade in der Salzburger Bistumsreform des 12. Jahrhunderts der Kampf gegen weltliche Feinde mit geistigen und geistlichen Waffen eine sehr reale Bedeutung hatte und Teil der Reformkonzepte bzw. Rollenmodelle für Regularkanoniker wie auch für Mönche und Sanktimonialen war. Dazu besonders Weinfurter, Salzburger Bistumsreform und Bischofspolitik. 12 Wie oben S. 25, Anm. 101: Rithmus Herradis abbatisse (n. 1, fol. lv, S. 2f.), Str. 3 - 5 : Te salutai milies / Et exoptat in dies / Ut leta Victoria / Vincas Transitoria. O multorum speculum / Speme, speme seculum / Virtutes accumula / Veri sponsi turmula. Insistas luctamine / Diros hostes stemere / Terex regum adjuvat / Quia te desiderai. 13 H D , fol. 199v-204r, S. 3 2 6 - 3 3 5 . Vgl. ebd. Einleitung: Green, T h e Miniatures 2 5 - 2 9 ; dazu Katzenellenbogen, Allegories of the Virtues and Vices; Cames, Allegories et symboles 4 5 - 7 3 ; McGuire, Psychomachia. 14 Petrus Venerabiiis, Ep. 115, 303-308, hier 305: ... et apudgentiles, Amazonum regina Penthesilea cum suis Amazonibus non viris sed mulieribus Troiani belli tempore sepepugnasse scribitur; et in populo etiam dei, prophetissa Debora, Barach iudicem Israel contra ethnicos animasse legitur. Cur ergo non liceat feminas virtutis contra fortem armatum adpraelia procaedentes ductrices fieri exercitus domini, cum et illa quod quidam indecens videbatur, manu tarnen propria contra hostes pugnaverit, et haec nostra Debora viros ipsos ad bella divina commoverit, armaverit, accenderit? Die Amazonen dienen auch dem Autor des Speculum virginum als Beispiel: SV 4 , 1 0 3 - 6 0 9 , 4 , 5 8 1 - 5 8 5 und 9,194-99 (zitiert nach Mews, Virginity, Theology, and Pedagogy 25). Vorbild wohl Orosius, Historiarum 1, 15. 15 St. Emmeram, Clm. 14848, fol. 26v-27r: ... scuto fidi me circumtege, galeam salutis impone, gladio spiritali accinge, ut contra hostem nequissimum bellatura . . . . Dazu Heimerl, Frömmigkeit 21 ff. Die Handschrift lässt sich aufgrund mehrerer Formulierungen, v. a. Selbstbezeichnungen der Betenden, ein-
Tugenden und Laster
129
Die Bilder von kämpfenden geisdichen Menschen im kontemplativ definierten monastischen Raum erscheinen nur auf den ersten Blick widersprüchlich, wie auch Gerhoh in seiner Interpretation der Shulamit zunächst auf die scheinbare Unvereinbarkeit {magna dissimilitudo) von choros und castra, Gebets- und Kriegsort, verweist. In Hinblick auf geschlechtliche Zuschreibungen besteht die Gemeinsamkeit dieser Rollenmodelle darin, dass sie Elemente allegorisch „weiblich" konnotierter Merkmale mit solchen, die das kulturelle Geschlecht „Mann" charakterisieren, in sich vereinen 16 . Nicht zufällig wurden solche sprachlichen wie bildlichen Darstellungen offenbar gern gegenüber einem Publikum verwendet, das entweder ausdrücklich wie bei Gerhoh oder implizit wie bei Herrad mit dem Begriff der mulieres fortes bezeichnet wurde 17 . Ahnliches lässt sich für das Speculum virginum feststellen. Auch hier widmet der Autor einen umfangreichen Abschnitt der Diskussion der Tugenden und Laster. Ausgehend vom zentralen Gegensatzpaar superbia vs. humilitas werden die ihnen nachgeordneten Eigenschaften in einer Weise diskutiert, die bewusst auf die Gleichheit von Frauen und Männern in Hinblick auf die richtige Lebensweise abzielt. Auffällig ist außerdem, dass die Inhalte zwar nicht geschlechtsspezifisch konnotiert sind, jedoch an Beispielen „starker Frauen" exemplifiziert werden. Humilitas ist die Grundlage für ein gottgefälliges Leben und für die Liebe (Caritas)18. Stärke und Liebe sind in den Worten Gerhohs wie auch im Hortus deliciarum untrennbar aufeinander verwiesen. Die Liebe, wie sie im Hohelied beschrieben wird, verleiht den karissime in Christo sorores des spirituellen Betreuers ebenso wie den virgunculae der Hohenburger Äbtissin jene Eigenschaften, die sie auf ihrem Weg benötigen, mehr noch: sie ist ihnen die dafür notwendige Nahrung. Auch hier weist Gerhohs Brief Parallelen mit Herrads Prolog an die Hohenburger Damen auf, wenn er ihr Gebet und Singen der Psalmen mit dem täglichen Brot und dem Wein vergleicht, die im Hohelied dem Bräutigam gereicht werden 19 .
deutig einem Frauenkloster zuordnen, z. B. fol. 29r: me miseram famulam tuam, fol. 30v: me miseram et spurcissimam et immundissimam etpollutam, Für den Hinweis auf diese Handschrift und die Möglichkeit der Verwendung seiner Transkriptionen danke ich herzlich Karl Brunner. 16 Vgl. S 22. 17 Zum Vergleich aber auch Goetz, Frauen im Frühen Mittelalter 311-314, anhand einer Psychomachia-Handschrift aus dem späten 9. Jahrhundert aus dem Kloster St. Gallen (Bern, Burgerbibliothek, Cod. 264), die in Hinblick auf diese Frage sehr ähnliche Charakteristika aufweist; vgl. auch Homburger, Illustrierte Handschriften. Dies ist insofern besonders interessant, als es sich bei den Adressaten dieses Klosters um Männer handelte, die „geschlechter-übergreifende" Funktion solcher Darstellungen also offensichtlich sowohl für Frauen als auch für Männer als Publikum wirksam werden konnte. 18 SV 4,98-273 für die Tugenden und Laster; ebd. 4,103-609 für Beispiele v. a. aus dem Alten Testament. Dazu Mews, Virginity 25 mitAnm. 46 sowie ebd. 18,Anm. 17-19 zu den weiteren Werken des Autors des Speculum virginum, von denen sowohl der Dialogus de mundi contemptu vel amore als auch De fructibus camis et spiritus als Vorlage für die Argumentation des Speculum virginum gedient haben. Dabei ist wesentlich, dass beide Werke im Unterschied zum Speculum virginum, dessen ausdrückliches Ziel die Unterweisung von Frauen ist, nicht geschlechtsspezifisch im Sinn der cum monialium orientiert sind. 13 Gerhoh, Ep., Anhang 3, 234: Unde vos, carissime in Christo sorores, cantica spiritalia diligentes fortes exactrices estis mihi oportune inportune instantes, ut eliciatis nunc vinum dignum dilecto nostro ad potandum labiisque et dentibus illius ruminandum, nuncpanem cottidianum de cottidianepsalmodiae farina confectum. Et ego vicissim a vobis exigo non tarn mulieris fortis fortia opera quam mel et lac reconditum sub
130
Rollenmodelle und Identifikationsmuster
Ähnlich definiert Gerhoh auch in seinem Brief an jene ungenannte Schwester, die nicht in klösterlicher Abgeschlossenheit lebte, die wichtigsten monastischen Tugenden: Auch hier wird der grundsätzliche Stellenwert von Keuschheit, Rechtschaffenheit und einem wahrhaftigen Lebenswandel (castitas, probitas, honesta conversatio) betont, der allerdings durch die „Gefangenschaft" der Klausur (carcerali clausuni) wenn nicht bedingt, so doch gesteigert würde 20 . Auch in Irimberts Bericht über den Brand des Klosters Admont und die Lebensweise im dortigen Frauenkonvent gilt das Leben in Abgeschlossenheit als besondere Tugend 21 . Ansonsten dominieren in seiner Darstellung die klassischen benediktinischen Tugenden der Demut (humilitas) und der Enthaltsamkeit (continentia). Die Bedeutung der humilitas wird zunächst in Hinblick auf den sozialen Stand der Admonterinnen hervorgehoben: Trotz der hohen Herkunft einiger unter ihnen ist ihre Demut vorbildlich und gilt jede Überheblichkeit als verabscheuenswürdig 22 . Besonders im letzten Abschnitt des Textes, in dem Irimbert ausdrücklich allen tatsächlichen und möglichen Kritikern des monastischen Lebens in Admont widerspricht, werden die hervorragende continentia und humilitas dem Vorwurf der negligentia und superbia entgegen gesetzt, die offenbar gerüchteweise als Grund für den Klosterbrand angenommen worden waren 23 . An dieser Stelle bezieht sich Irimbert wieder explizit auf das gesamte Kloster, also seine männlichen wie weiblichen Mitglieder. Ebenso werden auch die traditionellen asketischen Übungen - Fasten, Nachtwachen und Selbstgeißelungen — als „praktische" Tugenden für den Frauenkonvent in derselben Weise wie für die Männer erwähnt 24 . Wie in zahlreichen Texten der monastischen Erneuerungsbewegungen spielt auch in Irimberts Darstellung das nicht geschlechtsspezifische Streben nach wahrer „Nobilität" eine zentrale Rolle, die nicht nur alle weltlichen Güter und ordines überragt, sondern mehr noch zu deren Geringschätzung und Aufgabe führt 25 . Darüber hinaus hebt der geistliche Betreuer der Admonter Nonnen an erster Stelle ihre besondere Bildung (valde ... litteratae) und ihre wunderbare Kenntnis der scientia der Heiligen Schrift als heraus-
lingua vestra et eructandum inter cantica spiritalia dilectione Dei tamquam melle dulcorata et dilectioneproximorum quasi lacte redundantia. Vgl. Cant 7, 9. 20 Gerhoh von Reichersberg, Ep. 4, 4 9 3 C: Novi etiam ego aliquas Dei sponsas non inclusas, inter quas tu mihi es praecipua, et praecipue diletta, in quibus mihi placet castitas et morum probitas atque honesta conversatio sub nullo aut infirmo seu vili magisterio. Laudo eas, attamen in hoc non laudo, quod neque claustrali, neque, ut ipsae aiunt, carcerali muniuntur clausura. 21 Irimbert, Bericht VIII und XIV; vgl. auch S. 83-87. 22 Irimbert, Bericht XV (meine Hervorhebungen): Cumque nobilissimorum principum filiae et aliae praeclaris ortae natalibus inter eas consistant, magnae inter se humilitatis conflictu adinvicem dimicant, quia valde detestabilis haberetur, si qua inter eas alicuius elationis vel iactantiae nota respergeretur. 23 Irimbert Bericht XXII (meine Hervorhebungen): ... Proinde negligentiam velsuperbiam tantae desolationis forsitan non verentur asserere causam et super divinae castigationis plagam suarum linguarum adduntpercussuram. ... Ego unum scio, quia quiprius continentiae operam dabant et humilitati. cinctiflagello Dei magis magisque in continentiae et humilitatis decore sunt compositi, quoniam iuxta apostoli testimonium diligentibus Deum omnia cooperantur in bonum. 24 Irimbert, Bericht XIII und XVII. Vgl. dazu S. 75. 25 Vgl. etwa SV 4,752-58, wo der Lehrer Peregrinus seiner Schülerin eindringlich erläutert, dass weltlicher Adel und Bildung ohne wahre D e m u t keinen Stellenwert vor Gott hätten; ebenso SV 9 , 5 1 0 11 und 9 , 5 2 3 - 2 5 zum Unterschied zwischen dem „wahren Adel des Geistes" im Unterschied zum „Ruhm der Herkunft". Dazu Kap. 3-2.3. und S. 2 0 0 - 2 0 4 .
Tugenden und Laster
131
ragende Eigenschaften hervor26. Diese Betonung korrespondiert zum einen implizit mit Stil und Inhalt der Briefe Gerhohs von Reichersberg an die Admonter und andere Sanktimonialen, die als ausgesprochen gebildete Gesprächspartnerinnen vorausgesetzt werden 27 . Zum anderen findet sie ihre Entsprechung explizit in der Vita magistrae, deren Protagonistin als Rollenmodell für ein vorbildliches monastisches Leben präsentiert wird, in dem Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit als integraler Bestandteil und wesentliche Voraussetzung auf dem Weg zur göttlichen sapientia erscheinen28. 3.1.2. Traditionelle Heiligentypen und monastische Erneuerung Die Vita magistrae bietet noch mehr konkrete Anhaltspunkte dafür, was man sich unter einem vorbildlichen Leben vorstellte. Zu Beginn werden die Tugenden der magistra klar in Anlehnung an die Regula S. Benedicti beschrieben29. Dazu gehört das Gebot der stabilitas, also das Kloster nicht zu verlassen (conventum ... nusquam deserens), die Einhaltung der Schweigegebote (in silentio persistebat), Fasten und Nachtwachen (ieiunia et vigilias noctium ... custodiens), kurz: alles, was das wahre, von geistlicher Strenge (spiritualis rigor) geprägte Leben ausmacht 30 . Sodann werden die wichtigsten Eigenschaften der Lehrerin benannt: Es sind dies Frömmigkeit (pietas), Friede (fax) und Barmherzigkeit (misericordia), die sich in Wort und Rede, Gesten und Taten äußern. Dazu kommt Würde (gravitas), gepaart mit Leutseligkeit ( a f f a b i l i t a s ) im Umgang mit ihren Mitmenschen 31 . Die Betonung der Tugenden einer geistigen und geistlichen Autoritätsperson wird verstärkt durch die Nennung von iustitia und veritas, zwei der wichtigsten Eigenschaften Marias. Dazu kommen ihre seelsorgerischen Tätigkeiten - Ermahnung (ammonitio), Trost (consolatio) und Erbauung ( a e d i f i c a t i o ) - sowie die Beschreibung ihres Predigens nach biblischem Vorbild32. Bemerkenswert ist, dass die im Bericht Irimberts und im Brief Gerhohs zentralen monastischen Reformtugenden der humilitas und castitas hier nicht explizit hervorgehoben werden. Nehmen Regeltreue, Enthaltsamkeit und Askese, also Strenge gegen sich selbst und als Voraussetzung für Autorität gegenüber anderen, einen zentralen Stellenwert im Tugendkatalog der magistra ein, überwiegen in der Darstellung diejenigen Irimbert, Bericht XIV; vgl. dazu oben Kap. 2.3. Ähnlich auch die Einschätzung der intellektuellen Fähigkeiten und des Wissens der Schülerin Theodora im Speculum vlrginum. Dazu Flanagan, Traditions of Medieval Dialogue, aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive anhand eines Vergleichs verschiedener Beispiele aus dem 12. Jahrhundert zur Gattung „Dialog", z. B. des Elucidarium des Honorius Augustodunensis, bes. 190—192. 28 Vgl. dazu v. a. das folgende Kapitel. 26 27
29 Vita magistrae 1 : ... Conventum tarnen nusquam deserens rite per omnes ordines sequebatur. Octo beatitudines, Domino cooperante, exquisierat, in omnes suas voluntates intellegens et sequens, et sequendo fideliter apprehendens perinde et octavum gradum humilitatis sublimiter ascenderai. Profecto nichil agere studebat, nisi quod communis regula vel maiorum cohortantur exempla. 30 Alle Zitate ebd.; sowie 3: ... quicquidad veram vitampertinet, hoc adhuc meritis ipsius in nostro ordine et spiritali rigore constai et apparet. 31 Vita magistrae 1 : Numquam in illius corde nisi pietas, nisi pax, nisi misericordia inerat; hoc gestibus, actibus, verbis, locutionibus comprobat. In silentiopersistebat reverenter usque ad tempus loquendi, quodpraenominatur regulariter; quanta gravitate, quanta affabilitate loquens omnes nos admonuit. 32 Ebd. 2: Zelum bonum iusticie et veritatis, immopietatis, ferventissimo Semper amore exercebat, delinquente! oc male viventes durius increpando et inclamando ammonebat, sed culpas suas recongnoscentes et satisfacientes benigne consolando fovebat et pro hiis supplicabat sowie ebd. Sermo autem illius iuxta praeceptum apostoli erat in grana sale conditus, id est graciosus, acceptus, ordinatus, temperatus, praestans audientibus
edificationem.
Zur Definition der guten Predigt vgl. S. 119, Anm. 318.
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Rollenmodelle und Identifikationsmuster
Elemente, die d e m Bild des meist männlich konnotierten Seelsorgers entsprechen 3 3 . D a z u k o m m e n jene Eigenschaften, die ihre eigene Lehrtätigkeit definieren: Sie übertrifft alle in divinis cultibus wie in studiis quoque liberalibus u n d verfugt über eine fundierte Bildung in der Heiligen Schrift {sacra scriptum funditus erat erudita). Diese Charakteristik wird konkretisiert, w e n n die Leserinnen u n d Leser erfahren, wie die magistra die N o v i z i n n e n unterrichtete, in der N a c h t litterae verfasste u n d einer Schreiberin dikuerte . Ihr Lehren ist aber nicht zu trennen v o n ihrer eigenen spirituellen Gelehrsamkeit: Sie trägt das Wort Gottes in ihrem Herzen (evangelium Christi gerebat in pectore suo), beschäftigt sich bei Tag u n d N a c h t mit der Heiligen Schrift (sacra scriptum, ... qua meditabatur die ac nocte) u n d verharrt unablässig in Gebet u n d contemplatio divina, wie sie auch w o h l w o l l e n d (benigna) u n d besonnen (moderata) den Worten ihrer Prälaten lauscht 3 5 . M i t dieser Beschreibung n i m m t die Vita magistrae einige der wesentlichen Elemente der klassischen frühmittelalterlichen Hagiografie auf u n d schließt an traditionelle Heiligentypen an, während sie in anderen Punkten deutlich v o n den vorgegebenen Grundmustern abweicht 3 6 . Auffallig sind etwa Parallelen zwischen der Lebensbeschreibung der ungenannten A d m o n t e r magistra u n d der Vita Gertrudis, also der N a mensvetterin der vermutlichen Autorin des A d m o n t e r Textes. D i e heilige Gertrud (ca. 6 2 6 - 6 5 9 ) ist als Tochter Pippins (des Alteren) klassische Repräsentantin des Typus der Adelsheiligen 3 7 . „Braut Christi" wird sie, i n d e m sie ihren weltlichen Bräutigam abweist 33 Vgl. oben Kap. 2.4. Die einzige Erwähnung der humilitas findet sich mit Bezug auf die zwölf Stufen der Demut in der Regula S. Benedicti 7: Vita magistrae 1: Octo beatitudines, Domino cooperante, exquisierat, in omnes suas voluntates intellegens et sequens, etsequendo fideliter apprehendensperinde et octavum gradum humilitatis sublimiter ascenderat. Als eine Ausnahme hinsichtlich der eigenen pastoralen Rolle der magistra kann die Formulierung gelesen werden, wonach sie, hier dargestellt in der Rolle der Schülerin und nicht der Lehrerin, den Worten ihrer Prälaten lauschte — allerdings abgeschwächt durch die beiden Adjektiva benigna et moderata. Vita magistrae 4: in tantum benigna et moderata ac dicto praelatorum suorum audiens. 34 Vita magistrae 2 und 4. 35 Vita magistrae 4. 36 Vgl. dazu Goetz, Frauen im frühen Mittelalter, Kap. Frauenviten und Heiligenideal 125—156, der neben einem Überblick über die Forschungsliteratur bis 1995 eine quantitative Auswertung von weiblichen Heiligenviten (6.-9. Jahrhundert, bes. die Tabellen ebd. 129-131) und einen instruktiven Versuch einer Typisierung der thematisierten Eigenschaften bietet. Soweit ich sehe, gibt es keine vergleichbaren Systematisierungen von hochmittelalterlichen Heiligentypen bzw. solchen der Reformbewegungen, wie grundsätzlich frühmittelalterliche hagiografische Texte wesentlich besser aufgearbeitet sind als jene späterer Jahrhunderte, weshalb ich hier die Untersuchung von Goetz als Referenzrahmen verwende. Methodisch und inhaltlich vielversprechend wären selbstverständlich neben diesem diachronen Vergleich systematische vergleichende Analysen der zeitgenössischen Viten wie etwa jene von Paulina oder Herluca von Epfach, Jutta von Sponheim oder Elisabeth von Schönau, die jedoch den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würden. Zu Paulina und Herluca vgl. S. 35; für punktuelle Vergleiche der Vita magistrae mit jenen von Jutta und Elisabeth vgl. S. 96f. Methodisch grundlegend die Arbeiten von Janet Nelson, besonders, Gender and Genre; Feiice Lifshitz, etwa Beyond Positivism and Genre; vgl. aber außerdem über das Frühmittelalter hinausgehend Muschiol, Zur Typologie. Aus gendertheoretischer, aber weniger typologischer Perspektive etwa den Sammelband von Mooney, Gendered Voices, sowie Smith, Oral and Written; Wogan-Browne, Saints' Lives. Vgl. außerdem Abou-el-Haj, Medieval Cult of Saints; Head, Medieval Hagiography, sowie Weinstein/Bell, Saints & Society. 37 Vgl. dazu, allerdings nur auf den frühmittelalterlichen männlichen Typus des Adelsheiligen bezogen, Bosl, Der „Adelsheilige"; Heinzelmann, Bischofsherrschaft; Prinz, Frühes Mönchtum, bes. 4 8 9 493, 496-501. Siehe auch unten Anm. 41.
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und sich nach Übernahme der Leitung des von ihrer Mutter Ita gegründeten Frauenkonvents von Nivelles zunehmend der geistlichen Verbindung mit dem himmlischen Bräutigam hingibt. Diesem Motiv entspricht der Prolog ihrer Vita zum Thema virginitas. Als Gertruds herausragende Eigenschaften nennt die unbekannte Autorenpersönlichkeit asketische Religiosität, Weisheit und karitative Fürsorge. Sie pflegt enge Kontakte zu Rom und irischen Missionaren und führt zunächst nicht nur die geistlichen, sondern auch die weltlichen Geschäfte des Klosters, überträgt letztere jedoch bald an Abt und Mitbrüder des Männerklosters. Schließlich zieht sie sich auch von der geistlichen Leitung des Konvents zurück, die sie ihrer Nichte Vulfetrude übergibt, und widmet sich vollständig der asketischen Einkehr, Gebet und Buße. Wird einerseits ihre Weisheit als besondere geistige Tugend hervorgehoben, betont ihre Vita andererseits ihr Streben nach Überwindung ihrer geistlichen Nichtswürdigkeit durch Wachen und Beten, Lesungen und Fasten38. Der typische Aufbau frühmittelalterlicher Heiligenviten ist vergleichsweise klar strukturiert, da es nicht um die Erzählung individueller Lebensgeschichten geht, sondern vielmehr darum, handlungsleitende Modelle als vorbildhaft zu präsentieren. Aufbau und Handlungsablauf sind dementsprechend gleichbleibend um Geburt und Jugend, das geistliche Leben der Protagonistin, das sich fast immer im Kloster vollzieht, und die entsprechenden Tugenden sowie ihren Tod mit vorangehenden Visionen und nachfolgenden Wundern organisiert39. Von diesen Grundmustern weicht die Vita magistrae auffallend stark ab, besonders was die „Rahmenerzählung" betrifft: Zwar ist auch hier das Kloster der Ort der „Heilig-Werdung", doch weder erfahren ihre Kindheit und Jugend eine besondere Erwähnung, noch ist von Wundern die Rede. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Vita aus Platzmangel an Anfang und Ende gekürzt wurde, um sie an geeigneter Stelle in der Handschrift unterzubringen. Es ist also durchaus denkbar, dass man gerade auf jene topischen Passagen verzichtet hat, die im Verständnis der zeitgenössischen Leser und Leserinnen selbstverständlich mitgedacht wurden40. Von den üblichen Modellen abgewichen wird zum einen in den narrativen Ergänzungen mit konkreten Bezügen zur Geschichte des Klosters Admont im Rahmen der monastischen Reformbewegung, zum anderen in der Integration von Tätigkeiten der magistra, die mit den Anforderungen der Reform korrespondieren. Gegebene Modelle werden also angeeignet und zu neuen zeitspezifisch relevanten Mustern umgeformt 41 . Ahnliches gilt auch für Gemeinsamkeiten und Abweichungen von den jeweils typischen Eigenschaften der Heiligen und ihren heiligmäßigen Tugenden. In seiner Auswertung von 21 Frauenviten vom 6. bis zum 9. Jahrhundert kann Hans-Werner Goetz 17 Personen adeliger bzw. königlicher Herkunft feststellen, 19 Frauen erhielten als Nonne oder Äbtissin eine Vita 42 . Unter ihren Tugenden werden Caritas und prudentia am häufigsten genannt (je acht Mal), gefolgt von pietas und Schönheit (je sieben Nennungen) 3 8 Vita Geretrudis 3, 4 5 7 f . : . . . in agone sancto vigiliis, orationibus, sanctis lectionibus et ieiuniis. Zur Vita S. Gertrudis vgl. auch S. 106f. Zusammenfassung von M . van Uytfanghe, Art. G . von Nivelles, in: L M A 4 ( 1 9 9 9 ) 1356f. sowie die ungedruckte Dissertation von Eveline Petraschka, Fränkischer Adel und irische peregini ( 1 9 9 8 ) ; fur den Hinweis auf diese Arbeit danke ich Franz Feiten. 3 9 Goetz, Frauen im frühen Mittelalter 128. 40
Zur Überlieferung vgl. S. 8 8 - 9 0 und S. 105f.
41
Vgl. dazu etwa Keller, „Adelsheiliger" und Pauper Christi. Goetz, Frauen im frühen Mittelalter 130f. Zu den adeligen Frauen ebd. 138.
42
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sowie Bildung, mores und humilitas. Keuschheit (castitas) folgt erst mit vier Nennungen hinter Freigiebigkeit (liberalitas). Bei den religiösen Übungen liegt das Fasten gleichauf mit der Armenfursorge als Dienst am Nächsten (je 13 Erwähnungen), Gebete und Almosen folgen mit zehn Nennungen, Askese mit acht, sonstige Kasteiungen erst mit drei Erwähnungen. Die wichtigsten spirituellen Anzeichen von Heiligkeit sind 15 Mal genannte Wunder noch zu Lebzeiten der jeweiligen Person, gefolgt von zwölf Nennungen von Visionen der Heiligen. Einen wichtigen Stellenwert nimmt auch die große Zahl (acht Mal) der Klostergründungen ein. Vergleicht man diesen Befund mit den Schwerpunkten der Vita magistrae, so fallen neben den Abweichungen bei der Rahmenerzählung einige wesentliche Ubereinstimmungen der Tugenden der Admonter Lehrerin mit jenen der frühmittelalterlichen Heiligentypik auf: Wie viele der klassischen Vorbilder dürfte sie aus einer sozial hochgestellten Familie gekommen sein und hatte bereits vor ihrem Eintritt ins Kloster eine mehrjährige Erziehung genossen43. Auch Bildung und Erziehung sind wichtige Bestandteile der Tugendkataloge, spätestens mit dem Beginn des monastischen Lebens der Frauen sind sie jedoch auch explizit geistlich konnotiert: Prudentia und pietas sind nicht von einander zu trennen. In derselben Weise werden die Kenntnisse der magistra in den artes liberales zusammen mit jenen in der monastischen Liturgie genannt, und ihre umfassende Bildung hinsichtlich der Heiligen Schrift kann nicht von Gebet, Meditation und contemplatio divina getrennt werden . Spielt bei den frühmittelalterlichen Frauenviten die Schönheit ihrer Protagonistinnen eine große Rolle45, so findet sich zwar dafür keine direkte Entsprechung in der Vita magistrae, wohl aber zwei derjenigen äußeren Charakteristika, die auf innere Schönheit verweisen: Gleich zu Beginn wird nach der Bemerkung über die Vergänglichkeit des menschlichen Körpers betont, dass die Lehrerin, die als sehr alt beschrieben wird, über die Anmut eines siebenjährigen Kindes verfügte; später wird ihr fröhlicher Blick (vultus hilaris — ein klassischer Topos) erwähnt 46 . Übereinstimmungen gibt es auch bei pietas
43 Vgl. Vita magistrae 2: ... non immemor originis, nam ex illustrissimis Salzpurgensis ecclesie ministris oriunda exstitit, ibique in superiori Castro eiusdem urbis educata aliquot annos iuventutis sue exegit. Zur komplexen Frage nach der Herkunft von geistlichen Personen in den Reformbewegungen, die zeitlich mit den grundlegenden Veränderungen in den gesellschaftlichen Strukturen von „alten" Adelsfamilien und durch soziale Mobilität entstandenen „neuen" Adels- und Ministerialengruppen zusammenfallen vgl. grundsätzlich Zotz, Formierung der Ministerialität; für den hier interessierenden Raum siehe Dopsch, Geschichte Salzburgs; vgl. auch den Überblick bei Brunner, Herzogtümer und Marken, Abschnitt „Werdendes Land" 333fF., sowie Dopsch/Brunner/Weltin, Die Länder und das Reich, besonders den Abschnitt „Herrschaftsbildung und Landwerdung im Ostalpenraum" 209ff. (Kap. II 2 1 8 - 2 6 1 und III 2 6 2 - 2 6 9 von Maximilian Weltin). In Zusammenhang mit den Reformbewegungen etwa Feiten, Soziale Zusammensetzung mit einer Diskussion der älteren Forschungsliteratur; dazu unten S. 2 0 0 - 2 0 4 . 44 Vita magistrae 2: Et quia in divinis cultibus, studiis quoque liberalibus nulli secunda habebatur ...; ebd. 3: ... quia sacra Scriptum fiinditus erat erudita, qua meditabatur die ac nocte sedens adpedes Domini cum Maria, sowie 4: Quamvis, utpraediximus, ab oratione numquam cessaretpermanens in contemplatione divina . . . . Vgl. dazu die Vita Geretrudis 1, 454: ... die noctuque verbo et sapientia Deo cara, hominibus amata super suas coaetanas crescebat. 45 Goetz, Frauen im frühen Mittelalter 141 f. 46 Vita magistrae 1: ... gratia quodammodo septennispueri in ea videbatur, ebd. 4: ... hilari vultu et animo complebat iniunctum sibi negotium in animo perfecto. Zur Betonung der Schönheit vgl. allerdings den Brief Gerhohs von Reichersberg über die Tugenden der Bräute Christi, oben S. 127 sowie das folgende Kapitel.
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und Caritas bzw. amor°. Wo die frühmittelalterlichen Viten allerdings wesentlich stärker auf Almosen und Armenfürsorge fokussieren, hebt die Vita magistrae die besonderen Eigenschaften ihrer Protagonistin bei Predigt und Unterweisung, Ermahnung und Erbauung hervor 48 . Gemeinsamkeiten gibt es wiederum bei der Hervorhebung verschiedener Formen monastischer Askese als besonders heiligmäßiges Verhalten: Verzicht auf Schlaf oder zumindest auf die Annehmlichkeiten des Schlafens im Liegen, auf Essen und Trinken über das Notwendigste hinaus, Schweigen und Nachtwachen, Beten, Singen und Meditation sind diejenigen Tugenden, denen die Vita magistrae die ausführlichsten Beschreibungen widmet und denen auch in der frühmittelalterlichen Hagiografie ein besonderer Stellenwert zukommt 4 9 . Damit erscheint die Charakteristik der Admonter Lehrerin trotz zeitspezifischer kontextueller Abweichungen insgesamt weniger Gemeinsamkeiten mit den zeitgenössischen Reformidealen zu haben als mit den frühmittelalterlichen Eigenschaften von .Adelsheiligen", deren weltliche Nobilität, Klugheit und Schönheit zwar in den geistlichen „Adel der Tugend" übergeführt und in ihm überhöht werden, aber deshalb um nichts weniger sichtbar bleiben 50 . Zwar hat die Gegenüberstellung von äußerer und innerer Nobilität, etwa die Betonung von Demut und innerer Reinheit gegenüber Stolz und Selbstgefälligkeit, auch in den monastischen Reformbewegungen einen höheren Stellenwert als die äußere Jungfräulichkeit 51 . Das in den religiösen Bewegungen des späten 11. und 12. Jahrhunderts zentrale „Tugendpaar" Demut und Keuschheit spielt in den frühmittelalterlichen Viten und in der Vita magistrae gegenüber Liebe und Frömmigkeit sowie Schönheit und Klugheit aber eine deutlich nachgeordnete Rolle. Dies äußert sich zum einen in der deutlich geringeren Anzahl an Nennungen dieser Eigenschaften - besonders der Keuschheit - in den Viten; in der Admonter Lebensbeschreibung fehlt überhaupt jegliche Erwähnung der castitas, die benediktinische humilitas wird einmal hervorgehoben. Zum anderen scheint die Zurückhaltung in der Erwähnung dieser Tugenden zugunsten anderer mit den Vorstellungen einer gottgefälligen bzw. heiligmäßigen Praxis zu korrespondieren. Von Zurückgezogenheit und Abgeschlossenheit des Lebens, die den Kontext für humilitas und castitas bieten, ist in der monastischen Praxis der adeligen Heiligen des Frühmittelalters wenig die Rede. Zwar wurde auch damals über Klausur gesprochen und ist das Kloster der Ort der Heiligkeit 52 . Almosen, Armenfürsorge und der Dienst an den Nächsten fanden jedoch notwendigerweise im ständigen Austausch zwischen den Welten innerhalb und außerhalb der Klostermauern statt. Ähnliches gilt für die Admonter magistra, mit dem Unterschied, dass die Nächstenliebe des frühmittelalterlichen Heiligentypus bei ihr in der geistlichen Für- und Seelsorge für ihre Mitschwestern, aber ebenso für Menschen außer-
47
Vita magistrae 2: Zelum bonum iusticie et veritatis, immo pietatis, ferventissimo Semper amore exer-
cebat. 48
Goetz, Frauen im frühen Mittelalter 145f. Ebd. 147f. mit zahlreichen Beispielen. 50 Beispiele ebd. 139f. 51 Vgl. den vorangehenden Abschnitt sowie Mews, Virginity, Theology, and Pedagogy; hier besonders 21 f. und 26, und unten Kap. 3.2.3. 52 Zu den Klausurbestimmungen und -Vorstellungen in Spätantike und Frühmittelalter vgl. den historischen Uberblick bei Muschiol, Klausurkonzepte 73-92, mit umfangreichen weiterführenden Literaturangaben. 49
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halb des Konvents zum Ausdruck kommt. Topisches Heiligenideal und sozialer Kontext scheinen hier besonders stark aufeinander verwiesen53. Erst im Verlauf und gegen Ende ihres Lebens zieht sich die Heilige Gertrud zunehmend auch aus der monastischen „Welt" zurück, legt nach einander zunächst die weltlichen und dann die geistlichen Geschäfte nieder und widmet sich schließlich ganz der spirituellen Einkehr, mit der sie sich gleichzeitig auf den Tod vorbereitet, dessen Zeitpunkt ihr in einer Vision angekündigt wird 54 . Ähnliches gilt für die Admonter magistra, deren Vorbereitung auf den Tod wie ihr Sterben selbst ebenfalls als Prozess beschrieben werden, der sich unter Anzeichen der Heiligkeit und begleitet durch die Gemeinschaft der Schwestern, die ihrer teilhaftig werden, vollzieht55. Ist also der Eintritt ins Kloster bereits eine Abkehr von der äußeren Welt, so scheinen die Übergänge zwischen ihr und dem monastischen Lebensraum in diesen Heiligengeschichten ebenso fließend wie sie auch innerhalb des Klosters ftir das Diesseits und das Jenseits wahrgenommen worden sein dürften. 3.1.3. Sünderinnen und Wunder der Erlösung Nicht alle Frauen in einem monastischen Reformkonvent konnten sich jedoch mit den Bildern der mulieres fortes, die Gerhoh von Reichersberg anspricht, oder den gelehrten Damen vom Typ der magistra identifizieren. Ist für das Admonter Frauenkloster zwar mehrfach von der hohen Herkunft seiner Sanktimonialen die Rede, so dokumentiert die urkundliche Uberlieferung ebenso soziale Unterschiede zwischen den Frauen. Die erzählenden Quellen berichten hier und in anderen Reformklöstern gerade in Zusammenhang mit den Bemühungen der Menschen um die Reformtugend humilitas von persönlichen Konflikten, womit wohl nicht zuletzt auch Rangstreitigkeiten angesprochen wurden. Umgekehrt wird in Texten wie jenem des geistlichen Betreuers der Admonterinnen, Irimbert, so nachdrücklich betont, dass es solche Auseinandersetzungen nicht gab, dass ihre Existenz dadurch umso mehr nahegelegt wird 56 . Jene, die nicht durch Herkunft, Klugheit und Bildung oder Schönheit privilegiert waren, taten sich wohl mit den Identifikationsmodellen der mulier fortis oder der sartctimonialis litterata schwerer. Umgekehrt zielt sowohl die monastische Lebensweise nach benediktinischem Modell als auch besonders der Reformgedanke der vita apostolica in der Nachfolge Christi auf die Umsetzung eines egalitären Ideals, wonach alle Menschen unabhängig von Rang, Stand, Herkunft und Geschlecht vor Gott gleich sein sollten, mehr noch: vor ihm seien die in der Welt Ersten die Letzten und die Letzten die Ersten 57 . Gleichzeitig zeigt das Lebensmodell geistlicher Menschen, sich von der Welt abzukehren und ihr Dasein ganz in den Dienst Gottes zu stellen, seinerseits eine elitäre Ausrichtung 58 .
Vgl. oben Kap. 2.3., zu diesen Wechselbezügen vgl. Teil 4. Vita S. Geretrudis 4 6 1 f . 5 5 Vgl. unten Kap. 3.3. Beispiele zu Wundern und Visionen als Zeichen der Heiligkeit bei Goetz, Frauen im frühen Mittelalter 1 5 0 - 1 5 6 . 53 54
56 Irimbert, Bericht XV: Cumque nobilissimorumprincipum filiae etaliaepraeclaris ortae natalibus inter eas consistant, magnae inter se humilitatis conflictu ad invicem dimicant, quia valde detestabilis haberetur, si qua inter eas alicuius elationis vel iactantiae nota respergeretur. Vgl. dazu unten Kap. 4.1. und 4.2.1. 57 58
Dazu S. 33 und S. 2 0 0 - 2 0 4 . Dazu S. 77 i. und unten Kap. 4.2.3.
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Die Männer und Frauen, die sich aus verschiedenen Gründen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten in ihrem Leben für den Weg ins Kloster entschieden, brauchten daher Idealbilder - Vorbilder, denen nachzueifern den besten Weg zur Erlösung bot - , die aber gleichzeitig genügend Bezugspunkte bieten mussten, um als Muster für eine persönliche Identifikation tauglich zu sein und daher auch handlungsleitend wirken zu können. Legenden wie die Conversio der ägyptischen Prostituierten Thais waren wohl nicht zuletzt deshalb so beliebt, weil sie einen konkreten Sitz im Leben von Menschen hatten, die ihr Leben ihrerseits nicht von Beginn an Gott geweiht hatten, sondern zu einem späteren Zeitpunkt „aus der Welt" ins Kloster kamen59. Im etwa zeitgleich mit den Admonter Quellen entstandenen Nonnberger Gebetbuch heißt es: „Denke an mich, Herr, wie Du auch an Pelagia gedacht hast, und an Thais, die einen Berg an Sünden aufgehäuft hat und sie täglich beweinte"60. Die Geschichte der wunderschönen Sünderin, die von vielen verschiedenen Männern begehrt wurde und sich ihnen für herrliche Geschenke hingab, machte gerade Frauen, die aus dem höfischen Umfeld kamen und sich im Kloster von der Welt abwandten, gleich mehrere Identifikationsangebote. Sie fungierte als Sinnbild der sexuell konnotierten Aspekte des Lasters der luxuria wie seiner materiellen Elemente. Gleichzeitig wies sie den Weg der Umkehr, wenn Thais sich nach Aufforderung des Bischofs Pafnutius von ihrem bisherigen Leben abwendet, Buße tut und schließlich darin und darüber hinaus als Braut Christi Erfüllung findet. Die Legende war so beliebt, dass sie von zahlreichen weltlichen und geistlichen Autoren verwendet wurde und sogar als Deklinationsbeispiel im monastischen Schulunterricht diente61. Alle bereits genannten Texte weisen jedenfalls zumindest teilweise daraufhin, dass sowohl die monastischen Tugenden und ihre Gegenbilder, etwa humilitas und superbia, als auch die Charakteristika der,Adelsheiligen", wie Klugheit und Schönheit, geschlechtlich markierte Elemente und Aspekte von Modellen enthalten, welche die Sanktimonialen bewusst als Frauen ansprechen sollten. Für die monastischen Tugenden scheint besonders das Bild der „Bräute Christi" neben und zusätzlich zu seinen geschlechtsneutralen Bedeutungen diese geschlechtsspezifische Rolle gespielt zu haben. Sie kommt im 12. Jahrhundert besonders im wachsenden Interesse für den Hohelied-Diskurs62, aber noch grundsätzlicher in der zeitgenössischen Marienverehrung zum Ausdruck.
" Zur Überlieferung der Conversio Thaisidis in Admont im Zusammenhang mit der Vita Geretrudis und der Vita magistraevgL S. 8 8 - 9 0 und 1 0 5 - 1 0 7 . Vgl. dazu Karras, Holy Harlots; Gauthier/Deremble, Saintes prostituées. Zu den Wegen ins Kloster vgl. Teil 4, besonders Kap. 4 . 1 . 2 . 6 0 Nonnberger Gebetbuch, St. Emmeram, Clm. 1 4 8 4 8 , hier fol. 110: . . . respice me Domine, sicut
respexisti Belagiam, ... Thaidem, quae sibi faciebat cumulum de peccatis suis et plangebat illa cottidie. Pela-
gia, Märtyrerin, 19. Okt.; vgl. Hrabanus Maurus, Martyrologium 10,19, Zeile 127: X I I I I KAL
NOV
Natale sanctae Pelagiae, quaeprimum fuit sub gentilitatis ritu meretricis officio fiincta et mundanis inlecebris dedita. 61
Vgl. z. B. Sedulius Scotus, In Donati artem maiorem 2, 116: Hic ergo phedria
cum amaret
quan-
dam meretricem pulcherrimam nomine Thaidem quae amabatur a quodam milite nomine Thraso ipsa rogante emit ei eunuchum iam vetulum nec non etpuellam ethiopissam. Für diesen Hinweis ebenso wie jenen auf die Nennungen von Pelagia und Thaïs im Nonnberger Gebetbuch danke ich herzlich Karl Brunner. Für die Rezeption vgl. auch das Gedicht Marbods im Cod. Admont. 2 5 , fol. 2 3 4 v - 2 3 5 r . Für weitere Vergleichsbeispiele siehe Schulenburg, Forgetful o f Their Sex 352f. 6 2 Z u m Hohelied-Diskurs des 12. Jahrhunderts im Allgemeinen und dem Bild der Bräute Christi im Besonderen und ihren in Hinblick auf die Kategorie Geschlecht mehrdeutigen Konnotationen vgl. die folgenden beiden Kapitel.
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Besonders eindrucksvoll belegen dies die Admonter Miracula, ein Bändchen mit Wundergeschichten, die mehr als alle bisher vorgestellten Texte eine Ahnung von der Vorstellungswelt der Admonter Nonnen, von ihren spirituellen Nöten und Hoffnungen, vermitteln63. Der Kodex weist in Schrift und Gestaltung große Ähnlichkeiten mit einer jener Sammelhandschriften auf, die unter anderem den Brief Gerhohs von Reichersberg und die apokryphe Schrift über die Assumptio Mariae enthält. Besonders auffällig sind in beiden Handschriften die — dem Inhalt entsprechenden — konsequenten Hervorhebungen des Namens Marias, teilweise durch Auszeichnungsschrift, teilweise auch durch deren Kolorierung in roter Farbe64. Der größte Teil der Miracula erzählt Geschichten über das wundersame Wirken der Mutter Gottes, die gleichzeitig als Vorbild, als Fürsprecherin und als Retterin der ihr anbefohlenen sündhaften Menschen vor der ewigen Verdammnis präsentiert wird. Die Texte sind relativ kurz, sehr prägnant und verweisen ganz offensichtlich auf den monastischen Alltag, wenn sie auch mehr über geistige und geistliche Vorstellungswelten erzählen und weniger auf konkrete Lebensumstände Bezug nehmen. Schauplatz sind meist nicht näher genannte Frauenklöster, die Akteurinnen ebenfalls nicht spezifizierte Sanktimonialen, magistrae und Äbtissinnen; Gegenstand die vielfältigen Formen der Versuchung und Sünde, denen man Menschen in der Welt ausgesetzt sah, sowie Reue und Erlösung mit Hilfe der Mutter Gottes. Die Geschichten bieten also gleichsam einen Blick auf die Kehrseite dessen, was erbauliche Texte und Predigten, hagiografische Darstellungen und Tugendkataloge als ein vorbildliches Leben und die dazugehörigen Eigenschaften präsentieren. „Es war einmal eine gewisse Sanktimoniale in einem bestimmten Konvent von Frauen, die dem höchsten Herrn dienten, die vor allen anderen Schwestern von allen geliebt wurde", beginnt eine der Erzählungen. Diese Verehrung rührte von ihrer vorbildlichen Lebensführung her: „Denn mehr als die anderen übte sie Fasten, Wachen, Seufzen und möglichst viele der anderen Tugenden, wodurch sie dem Höchsten und seiner Mutter gefiel."65 So lebte sie in Gehorsam, bis der Teufel, der sich von so viel Tugend besonders geschmäht fühlte, beschloss, sie zu verführen und sie dazu brachte, „die Gebote des Herrn zu missachten und ihre Jungfräulichkeit zu verlieren, die sie in Geist und Körper bewahrte"66. Auf welche Weise und mit welchen Konsequenzen dies geschah, lässt die Quelle jedoch im Dunkeln. Auch über das weitere Leben der nunmehr Gefallenen schweigt sie.
6 3 Cod. Admont. 638. Die beiden im Folgenden diskutierten Geschichten finden sich erstmals ediert im Anhang 4. 6 4 Cod. Admont. 602, vgl. Anhang 3 und 4. Diese Praxis findet sich darüber hinaus noch in weiteren Kodices des Frauenkonvents, so etwa in Cod. Admont 16, pag. 618A—620 (vgl. Abb. 3 und 16b im Anhang). Die Hervorhebungen beschränken sich zwar nicht auf den Namen Marias, sondern werden auch für jene anderer Heiliger und für das Kloster wichtiger Personen verwendet; die eindeutig größte Zahl betrifft aber Nennungen der Mutter Gottes. 6 5 Cod. Admont 638, fol. 66v-68r (in der Folge abgekürzt als Miracula, n. 1, auch wenn es sich nicht um die erste Wundergeschichte des Kodex handelt), Anhang 4, S. 237: Fuit quedam sanctimonialis in quodam conventu feminarum summo domino famulantium, que prae cunctis sororibus amabatur ab omnibus. Hec namque plus aliis ieiuniis studebat vigiliis ac gemitibus et aliis virtutibus quam plurimis quibus placens altissimo et eius genitrici. 6 6 Ebd.: ...ut vidit diabolus, qui semper est invidus, quod ab ea sie repulsus esset nec non despectus, suasit illi misere, dominipreeepta spemere, virginitatem, quam in mente et in corpore servabat, perdere.
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Der nächste „Akt" findet bereits nach dem Tod der sündigen Schwester statt: „Nachdem sie gestorben war, klagte sie bitter und bedauerte zutiefst ihr Vergehen und bereute, was sie getan hatte, weil sie den Herrn und seine allerfrommste Mutter beleidigt hatte."67 Alsbald erschien sie der Äbtissin des Klosters, die nicht erschrak, als sie die Verstorbene sah, sondern sie unverzüglich über die Strafen für ihre Verfehlungen befragte, ob sie noch immer andauerten oder sie bereits gebüßt habe und ob ihr die Sünden vergeben würden68. Sie büße immer noch, lautet die Antwort, bereue und „brenne heftig" {uror vehementer) dafür, dass sie ihr Leben als „reine und dem Herrn versprochene Jungfrau" {virgo casta ac domino dicata [sie!]), aufgegeben habe. Nun aber soll die Äbtissin auch erfahren, dass sie — die Sünderin — zukünftig durch das Wirken der Heiligsten Jungfrau gerettet würde 69 . Diese sei ihr nämlich, strahlend wie die Sonne, erschienen. Der nun folgende Bericht über den Dialog zwischen der Sünderin und der Mutter Gottes ist aufschlussreich für das zeitgenössische Verständnis des Verhältnisses von Lohngedanken einerseits und Gnade und Erlösung andererseits70. Unter Tränen bezichtigt sich die gefallene Nonne zunächst selbst. Dann beklagt sie ihr Leiden unter den Höllenfeuern und ruft Maria um Hilfe und Erlösung von diesen Schmerzen an, nicht ohne auf ihre Liebe und Ergebenheit zu Lebzeiten hinzuweisen. Außerdem möge die Mutter Gottes nicht vergessen, wie sie sich und alle, die der katholischen Kirche (ecclesia catholicd) angehören, ihr zu jeder Zeit empfohlen habe. Nun scheint es ihr, dass sie sich umsonst bemüht habe71. Darauf antwortet ihr Maria zunächst, wie zornig sie über die Verfehlung der Nonne gewesen sei. Ihre Sünde bestehe darin, dass sie als Christus versprochene und geweihte Jungfrau diesen verlassen und sich mit dem Teufel eingelassen habe. „Denn wer meinen Sohn verachtet, kann mich nicht ehren!"72 Gleichzeitig erkennt sie aber ihre guten Taten an: Täglich habe sie die Mutter Gottes gegrüßt, ihr gedient, sie verehrt, geliebt und zu ihr für sich und alle Christen gebetet. Deshalb werde sie nicht in alle Ewigkeit verstoßen, sondern gerettet werden. Nun wendet sich die verstorbene Nonne wieder an ihre ehemalige Äbtissin und leitet aus ihrer Geschichte einen konkreten Auftrag ab: Sie soll der Mutter Gottes dienen und untertänig gehorchen und darauf achten, sich mit denjenigen Liedern und Gebeten an sie zu wenden, die sie selbst zu ihren Lebzeiten gesungen habe. Die Äbtissin freut sich sehr, steht am nächsten Morgen früh auf und ruft die anderen Schwestern zusammen.
67 Ebd.: Postquam autem cecidit, ingemuit amare atque scelum perhorruit, quod fecerat, penituit, quia dominum et eiuspiissimam genitricem ojfensos habuit. 68 Ebd.: Mox vero ad pedes abbatisse cecidit quam, utviditnon expavit, sed confestim inquisivit in penis, an adhuc esset an ex Ulis vel si sua delieta Uli essent condonata. 69 Ebd. : Ad hec ilia ei narrat, queperpessa esset mala et que ad hue earn digne oporteret sustinere: Sum in penis, inquit, mater, et uror vehementer, et heu mihi misere nec commissa mea adhuc mihi facta dimissa, sed hoc scias, quia salva ero per beatissimam virginem in futuro. 70
Vgl. dazu ausführlich Jussen, Witwe, besonders 8 3 - 1 2 6 .
Ebd.: ... O domina Maria, mater Christi, iam succurrefestinanter et in his doloribus non sinasdiutius me esse, sed exaudi me clementer, quam te amavi et imploravi frequenter. Poteris ne oblivisci, quotiens te salutavi et quod tibi commendabam me semper et omnes, quos reeipit ecclesia catholica. Heu mihi, nunc apparet quam in vanum laboravi. 7 Ebd.: ... Nam peccasti quam plurimum relinquens meum filium, cui virgo desponsata eras atque consecrata te ipsam tradens diabolo et me quoque ad maximam iracundiam commovisti. Nam qui spemit meum natum, exhonorat me nimium. 71
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Rollenmodelle und Identifikationsmuster
Sie erzählt ihnen die Geschichte und ermahnt sie zu Liebe und Verehrung Marias, worauf diese voll Freude ein Loblied auf sie anstimmen 7 3 . Hier werden verschiedene Kategorien von „guten" und „schlechten" Eigenschaften und Handlungen deutlich. Wird zunächst die besonders vorbildhafte monastische asketische Praxis der ungenannten Schwester als Inbegriff der Tugend hervorgehoben, konzentriert sich die Erzählung in der Folge auf ihre Keuschheit und deren Verlust. D e r Text gibt zwar keinerlei Hinweise, ob es sich bei Versuchung und „Fall" der Sanktimoniale um ein ein- oder mehrmaliges Vergehen oder ein dauerhaftes Leben in Sünde gehandelt hat; er vermittelt aber durch seinen abrupten Szenenwechsel von ihrem Leben im Kloster zu den Leiden nach ihrem Tod den Eindruck von Größe und Unumkehrbarkeit ihrer Tat, sodass sich jede Debatte über den Rest des Lebens der Nonne zu erübrigen scheint. Der Verstoß gegen das Gebot der Keuschheit erscheint absolut, und dementsprechend furchterregend werden auch die Qualen der armen Seele geschildert. Erst in einem zweiten Schritt wird sichtbar, welche Haltungen und Handlungsweisen gleichsam als Gegengewicht gegen die Schwere des Bruchs der Verbindung mit dem himmlischen Bräutigam ins Treffen geführt werden können 7 4 . Es sind dies Liebe und Verehrung zu Maria als Vorbild und das Vertrauen auf sie als Fürsprecherin 7 5 . Diese Eigenschaften äußern sich in Buße und Gebet, und zwar sowohl für sich selbst als auch für die Nächsten. Besonders wird hier die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Verehrung der Mutter Gottes hervorgehoben. Diese Liebe der gefallenen Sanktimoniale zu Maria wirkt schließlich sowohl im Sinn des Lohngedankens — so argumentiert die Verstorbene, sie hoffe, ihr Bemühen zu Lebzeiten sei nicht umsonst gewesen — als auch im Sinn der Gnade, wenn die Mutter Gottes von der Schwere des Vergehens absieht und der Sünderin ihre Erlösung verspricht. Dieses Verhandeln um das Seelenheil ist Inhalt einer weiteren Wundergeschichte, die eindrucksvoll schildert, wie man sich den Einsatz der Mutter Gottes für die armen Seelen vorstellte. Unter dem Titel „De moniale stulta" erfahren wir von einer jungen Schwester ( q u e d a m iuvencula), „die dümmer war als die anderen, eitel in ihrem Herzen, lose in ihren Worten und schlecht in ihren Taten" 7 6 . Unter all diesen schlechten Eigenschaften hatte sie nur eine Tugend: Sie liebte die Mutter Gottes brennend. Während ihres täglichen Gebets zu ihr, wenn sie tränenüberströmt Buße tat und Maria huldigte, wich jegliche Schamlosigkeit von ihr. „Doch sobald die Stunde der Reue vorbei gegangen war, kehrte sie zu ihrer üblichen Dummheit zurück. Und so tat sie es alle Tage" 7 7 . Auch in dieser Erzählung wird das weitere Leben der Nonne übersprungen. D e r Rest der Geschichte widmet sich den Ereignissen rund um ihren Tod: Als sie im Sterben lag, bemächtigten sich ihrer böse Geister, quälten sie grausam und wollten ihre Seele
Ebd., S. 2 3 8 . Vgl. dazu das folgende Kapitel. 7 5 Aus der umfangreichen Literatur zur Marienverehrung vgl. besonders Schreiner, Maria. Leben, Legenden, Symbole; ders., Maria. Jungfrau, Mutter, Herrscherin; ders., „Deine Brüste sind süßer als Wein"; Signori, Maria zwischen Kathedrale, Kloster und Welt; Röckelein, Maria - Abbild oder Vorbild? Zu den Bedeutungen der Liebe vgl. auch unten Kap. 3 . 2 . 2 . 73
74
76
Cod. Admont 6 3 8 , fol. 8 2 - 8 3 v , in der Folge zitiert als Miracula, n. 2, Anhang 4, S. 2 3 8 : Fuit in
quodam claustro quedam iuvencula, que stultior aliis fuit, corde vana, verbis lasciva, opere turpis. In his malis hoc solum boni habebat, quod matrem domini ardentissime diligebat. 77 Ebd.: Sed, ubi hora compunctionispraeteriit, ad stulticiam consuetam rediit. Sic faciebat cunctis diebus.
Tugenden und Laster
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rauben. Da betritt Maria die Szene und beginnt ein Streitgespräch mit den Dämonen: „Diebe und Räuber, warum wollt Ihr mir meine Dienerin rauben? Darauf die Dämonen: Was sprichst Du, Herrin? Sie gehört uns, uns hat sie gedient, bei uns soll sie auch in Zukunft sein. Die Heilige Maria antwortet: Sie gehört mir, mir hat sie gedient, bei mir muss sie sein." 78 Und so geht die Auseinandersetzung eine Weile hin und her. Schließlich behauptet die Mutter Gottes, die Dämonen seien ungerecht, da sie ihr das Recht, das sie für sich in Anspruch nähmen, nicht zugestehen wollten. Darauf argumentieren die Geister mit einer Gegenüberstellung der Tugenden Marias und der Laster der todgeweihten Nonne: „Du bist demütig, sie ist hochmütig, du keusch, sie verrufen, du gerecht, sie ungerecht, du schließlich voll von allen Tugenden, sie von allen Lastern. W i e kann sie also Dir gehören, wenn sie dir in allen Dingen entgegengesetzt ist 79 ? Abermals wirft ihnen Maria vor, dass sie nicht gerecht seien, da sie die Sache der Frau unausgewogen darstellten. Sie habe zwar gesündigt, aber ebenso bereut. Nun zählt sie - ähnlich wie in der Geschichte der unkeuschen Nonne - alle Zeichen ihrer tätigen Verehrung für sie auf: Die Schwester habe sie im Geheimen aufgesucht, sich vor ihr niedergeworfen, ihr Lieder gesungen und sie unter vielen Tränen angebetet. Solche Reue müsse auch Erbarmen finden. Zur Bekräftigung dieses Arguments beruft sich Maria auf die Heilige Schrift 80 . Die Dämonen aber geben nicht auf und meinen, dass die Sünderin viel mehr Schlechtes als Gutes getan habe. Maria könne nicht der Gerechtigkeit widersprechen, da sie die Mutter der Gerechtigkeit sei. Ihre Antwort lautet, sie sei nicht nur Mutter der Gerechtigkeit (iusticia), sondern auch Mutter der Barmherzigkeit ( m i s e r i c o r did), jene aber überrage den Urteilspruch. Wenn also das Erbarmen stärker als die Verurteilung sei, warum sähen sie dann nicht ein, dass es dort wirksam werde, wo die guten Werke nicht ausreichten? „Fassen wir also zusammen", so Maria, „wenn sie mir wie Euch gedient hat, wenn die guten Werke entweder gleich viele sind wie die schlechten, oder - sollten sie weniger sein - das Erbarmen stärker als das Urteil ist, gehört sie also mir. Ihr also seid Diebe und Räuber; warum wolltet ihr mir meine Dienerin rauben" 81 ? Als die Dämonen aber immer noch nicht zur Vernunft kommen wollen und die arme Seele mit unverminderter Gewalt quälen, reißt der Mutter Gottes die Geduld. Sie öffnet ihr Gewand und zeigt ihnen ihre „allerkeuschesten und heiligsten Brüste" und beschwört sie: „Bei dem, den ich mit diesen Brüsten genährt habe, Ihr Diebe lasst ab von meiner Dienerin! Dem konnten die Dämonen nichts mehr entgegen setzen, und so schwiegen sie und ließen von der Sünderin ab. Die siegreiche Mutter Gottes aber entschwand „mit ihrer Beute" in den Himmel und wurde dort von frohlockenden Engeln empfangen 8 2 . 78 Ebd.: ... Furesetlatrones, cur michifamulam meamfurari voluistis?Etdemones: Quidais, inquilini, domina. Hec nostra est, nobis servivit, nobiscum fore debet. Beata Maria respondit: Ista mea est, mihi servivit, mecum debet esse. Repetunt Uh. repetiit et illa et hoc sepius. 79 Ebd.: ... Quo nampacto, domina, hec tua essepoterit? Tu humilis, ista superba, tu casta, ista turpis, tu iusta, ista iniusta, tu denique omnibus virtutibus piena, ista omnibus piena viciis. Hec ergo quo nam modo tua esse potest, que tibi contraria in omnibus invenitur? 80 Ebd., S. 239: ... Dicit enim Scriptum: Peccator quacumque hora ingemuerit, salvus erit, si ergo fecit mala, dicantur et eius bona. Vgl. Mt 20, 16. 81 Ebd. : Colligamus ergo, si mihi sicut et vobis servivit, si bona eius tot sunt quod mala, vel si quo minus, misericordia super exaltat in iudicio, hec ergo mea est. Vos ergo fures et latrones, cur mihifamuLim meam furari voluistis? 82 Ebd.: Cumque hec altercano diu habita esset, nec hostes quavis ratione vieti cederent, sed misere anime iam iamque nimio furore agitata vim inferre vellent, beata Maria eorum audaciam et inpudiciam diutius non
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Rollenmodelle und Identifikationsmuster
D i e Darstellung ist durch verschiedene stilistische Mittel derartig plastisch u n d lebensnah inszeniert, dass es gut vorstellbar ist, dass der Text mit verteilten Rollen aufgeführt wurde. Hinweise d a r a u f geben vor allem die dialogische Struktur u n d die Einteilung in „Szenen", die durch H e r v o r h e b u n g e n der Personenwechsel in der H a n d s c h r i f t gekennzeichnet s i n d 8 3 . D i e ausgesprochen dichte u n d gleichzeitig dynamische Erzählung vermittelt darüber hinaus in eindrucksvoller Weise wesentliche Aspekte der Vorstellungswelt geistlicher M e n s c h e n . D a b e i treten noch mehr als bei der Geschichte von der gefallenen J u n g f r a u die U m s t ä n d e von S c h u l d u n d S ü n d e der betroffenen N o n n e in den H i n t e r g r u n d . Informationen darüber, worin ihre topische stultitia bestand, fehlen mit A u s n a h m e des Komparativs, dass sie d ü m m e r war als alle anderen - vollständig. 8 4 D a f ü r aber geben beide miracula eine Reihe von Hinweisen a u f die Vorstellungen v o m Leben nach d e m T o d u n d den Ängsten vor den Strafen der H ö l l e u n d der ewigen V e r d a m m n i s 8 5 . D a s L e b e n in der Welt tritt gegenüber d e m nach d e m T o d deutlich in den H i n t e r g r u n d . E s wird jeweils in wenigen Sätzen abgehandelt, die i m G r u n d e ausschließlich dazu dienen, die S ü n d e n zu erläutern, deren B e d e u t u n g u n d Konsequenzen d a n n im Kontext des Sterbens verhandelt werden. Auffällig dabei ist einerseits die D o m i n a n z des R a u m e s zwischen Leben u n d T o d , dessen U b e r g ä n g e offensichtlich fließend konzipiert waren. Ist in der ersten Geschichte v o n den Schmerzen der N o n n e nach ihrem T o d die Rede, quälen die D ä m o n e n die „ d u m m e " Schwester bereits während ihres T o d e s k a m p f e s . A u c h die Möglichkeit des Eingreifens der Fürsprecherin M a r i a besteht sowohl vor als auch nach d e m Sterben u n d erscheint nicht durch den M o m e n t des Ü b e r g a n g e s von einer in eine andere Welt determiniert. E b e n s o wird das Überschreiten dieser Grenzen als k a u m überraschend geschildert. S o erschrickt die Äbtissin nicht, als ihr die verstorbene Schwester erscheint. Ihre furchtlose H a l t u n g wird zwar betont, aber eher als H e r v o r h e b u n g ihrer Besonnenheit. Gleichzeitig vermitteln beide Darstellungen den E i n d r u c k v o n „ N i c h t - O r t e n " als Schauplätzen des Geschehens, an d e m nur die Akteurinnen u n d Akteure konkret fassbar werden 8 6 . D i e handelnden Personen werden d a f ü r u m s o mehr nach d e m Vorbild von M e n schen modelliert. In der ersten Geschichte wechseln die D i a l o g e zwischen der Mutter Gottes u n d der Sanktimoniale, dieser u n d der Äbtissin sowie letzterer u n d d e n übrigen N o n n e n im K o n v e n t über alle Ebenen der Zugehörigkeit zu diesseitigen oder jenseitigen Welten. In der zweiten Geschichte bevölkern mit den bösen Geistern noch weitere Akteure die Szene, wobei ihre kategorielle Zugehörigkeit zur „Wirklichkeit" eine untergeordnete Rolle spielt. D i e „ d u m m e N o n n e " ist nur G e g e n s t a n d der Debatte. M a r i a u n d die D ä m o n e n agieren dafür wie „reale" Personen. Sie streiten in derselben Weise wie sufferens, sinum suum aperuit et ostensis castissimis et sanctissimis uberibus suis eorum audaciam frangens in hec verba iuravit: Per illum, quem uberibus istis lactavi, vosfures mihifamulam meam dimittetis! Ad hanc vocem maligni spiritus virtutem verbiferre non valentes diutius stare non potuerunt, dissiluerunt et ulterius non coparuerunt [!]. Sic beata Maria victoria potita cum praeda sua ad celos regreditur occurrentibus letantibus angelis excipitur. Zur Symbolik der Brüste Marias vgl. unten Kap. 3.2.2. und besonders 3.3.1. 8 3 Die Wechsel der sprechenden Personen sind jeweils durch kolorierte Großbuchstaben hervorgehoben (vgl. Abb. 16b im Anhang). Zu Text und Auffuhrung vgl. oben Kap. 1.2. und 1.4.3. sowie mit Bezug auf bildliche Darstellungen das folgende Kapitel. 8 4 Dazu mit Bezug auf das Bild der klugen und der törichten Jungfrauen das folgende Kapitel. 8 5 Vgl. aus der umfangreichen Literatur v. a. Bynum/Freedman, Last Things; Dinzelbacher, Letzte Dinge; Jetzier, Himmel, Hölle, Fegefeuer; Le Goff, Geburt des Fegefeuers. 8 6 Zum Sterben als Prozess vgl. unten Kap. 3.3. Zum Begriff „Fegefeuer" für diese „Nicht-Orte" etwa Le Goff, Geburt des Fegefeuers.
Bräute Christi
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diese und bemühen sich um schlüssige Argumentationen, um ihre Ziele durchzusetzen, wie Maria schlussendlich zu wirksameren symbolischen Mitteln greift, um „ihre Beute" zu erlangen. Gerade diese Darstellung macht deutlich, wie sehr man offensichtlich der Imagination vermittelnder Figuren zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen, dem Heiligen und dem Profanen bedurfte. Gleichzeitig sind die Handelnden auch nicht auf eine Rolle beschränkt, im Gegenteil: je größer ihre Heiligkeit, umso vielfältiger scheint das symbolische Potential und umso weiter ihr Aktionsradius zu sein. Deshalb kann die Mutter Gottes nicht nur gleichzeitig tugendhaftes Vorbild der Nonnen und ihre Fürsprecherin sein, sondern ebenso ein heftiges Streitgespräch mit bösen Geistern aufgrund ihrer argumentativen, strategischen und symbolischen Überlegenheit gewinnen. All diese Faktoren schließen einander nicht aus, sondern verstärken sich gegenseitig. Umso nachvollziehbarer wird auch ihre besondere Rolle als Identifikationsmodell für ganz unterschiedliche Personen.
3.2. Bräute Christi 3.2.1. Virgines Christi, Keuschheit und Demut Neben den Bildern vom Kampf der Tugenden gegen die Laster87 spielen die ebenso plastisch verkörperten Darstellungen von der Auseinandersetzung Marias mit dem Teufel bzw. bösen Geistern oder Dämonen in der monastischen Vorstellungswelt eine besondere Rolle. Dies verdeutlicht die Admonter Miracula-Sammlung in ihren lebensnahen Schilderungen. Ahnliche Darstellungen finden sich aber ebenso in anderen Quellen. Auch im Nonnberger Gebetbuch verhandelt die Mutter Gottes am Ende mit dem Teufel, um das Seelenheil einer ihrer Dienerinnen ( f a m u l a med). Und auch hier lautet die Argumentation, die arme Seele möge auf Marias Fürsprache vor Gottes Angesicht treten dürfen und Frieden finden, weil sie ihr gedient und auf sie gehofft habe 88 . In derselben Quelle findet sich kurz davor eine Passage im Gebet der Nonne selbst, die den Leserinnen als Vorbild dienen soll, ebenso wie der gesamte Text eine Modellvorlage für das persönliche Gebet ist 89 : Die Heilige Maria möge sie - die exemplarische Nonne - vor jedem Hinterhalt des Teufels sowie vor einem unerwarteten Tod bewahren, damit ihr nicht plötzlich in der Stunde ihres Todes die nötige Zeit zur Reue fehle und sie auf ewig verdammt würde. Vielmehr wolle sie durch die Sakramente vorbereitet und in Hoffnung auf die vollendete Liebe sterben90. Die Angst vor der Plötzlichkeit des Todes und davor, nicht mehr genug Zeit zur Buße zu haben, ist ein zentraler Bestandteil solcher Gebete. Denn Reue und Buße waren der notwendige eigene Beitrag für die Erlan-
87 88
Vgl. S. 25 und Kap. 3.1. Zum Nonnberger Gebetbuch, St. Emmeram, Clm. 14848, vgl. S. 128, Anm. 15, hier fbl. 122:
...ut famula mea quae mihi servivit et firmam spem in me habuit, me intercedente possit ante faciem Dei se cura pervenire. PAX. 89
Zur Gattung der Gebetbücher exemplarisch Ochsenbein, Gebetbuch.
Ebd., fol. 118r-l 19r: Liberei me ab omnibus insidiis diaboli et a subitanea et improvisa morte et a perpetua damnatione, ne subito die mortis praeoccupata queram spacium penitentiae ..., ut in tremenda bora exitus mei in sanctafide in spe in cantate perfecta, percepto sacro sancto mysterio corporis et sanguinis tui in remissionem peccatorum meorum merear. 90
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Rollenmodelle und Identifikationsmuster
gung des Seelenheiles, die gleichzeitig als Voraussetzung für die Wirksamkeit der göttlichen Gnade galten91. Diese Sorge kommt ebenso in den Bitten für die Mitmenschen — Verwandte und Vertraute, Lebende und Tote — zum Ausdruck, die im Nonnberger Gebetbuch mehrfach geäußert werden92. Die Kürze und vergleichsweise Bedeutungslosigkeit des irdischen Lebens und die Plötzlichkeit des Todes, der sich die Menschen ausgesetzt sahen, finden ihren Ausdruck auch in der Darstellung der beiden vorgestellten Miracula. In beiden Texten findet das diesseitige Leben nur insofern kurz Erwähnung, als es Raum und Rahmen für die Darstellung der Sünden der betroffenen Sanktimonialen wie ihrer guten Taten, besonders der tätigen Liebe zur Mutter Gottes, zur Verfügung stellt. Der deutlich umfangreichere Rest des Geschehens spielt sich in den Ubergangsräumen zum Jenseits ab 93 . Diese Ausgesetztheit, Hilflosigkeit und Schutzbedürftigkeit haben ihre Entsprechung im Stellenwert, den die Quellen der göttlichen Gnade beimessen. Um sie zu erlangen, bedurfte es zum einen der Unterstützung durch vermittelnde Personen - Heilige, aber vor allem Maria als Mutter Gottes - , gleichzeitig aber der guten Werke bzw. Tugenden der Menschen. Da diese aber gegen die Anfechtungen der Sünde, personifiziert durch den Teufel und seine Versuchungen, niemals ausreichen konnten, ist die Demut (humilitas) eine der wichtigsten Eigenschaften im monastischen Tugendkatalog für die Bräute Christi. Sie steht für die Erkenntnis, dass Erlösung nie aus eigener Kraft, sondern nur durch die Gnade und Liebe Gottes möglich sein kann94. „Gib mir, ... Deiner armen Dienerin", betet die Nonnberger Sanktimoniale zu Maria, „das Feuer Deiner Liebe, Hoffnung, Glaube, Demut, Feindesliebe, Geduld, Sanftmut, Eintracht" 95 . Die Macht der Mutter Gottes als Fürsprecherin rührt aus der Tatsache, dass sie selbst Inbegriff all dieser Tugenden und daher gleichzeitig das größte Vorbild für die Gläubigen ist. Sie verkörpert physische wie geistige Keuschheit und Liebe, Demut und Gehorsam96. In diesem Zusammenhang wird allerdings immer wieder hervorgehoben, dass es nicht nur auf die äußere, körperliche Jungfräulichkeit ankomme, sondern auf die innere Haltung, die Reinheit des Geistes, die tatsächliche, aber auch innerliche Zu9 1 Z u m Bußverständnis siehe Jussen, Witwe; Lutterbach, Sexualität; zum Verhältnis von Gerechtigkeit und Gnade vgl. außerdem Jussen, Gift, sowie Angenendt/Braucks/Busch/Lutterbach, Counting Piety. 9 2 W i e A n m . 8 8 , z. B . fol. 114v; 1 9 9 v - 1 2 0 r . Zu Bedeutungen und Funktionen der mittelalterlichen memoria vgl. unten Kap. 4 . 2 . 93
Vgl. S. 1 3 8 - 1 4 3 .
94
Vgl. etwa Augustinus, De civitate Dei 10,28: Sed haec est gratia, quae samt infirmos, non süperbe
iactantes falsam beatitudinem suam, sed humiliterpotius veram miseriam confitentes sowie Augustinus, De spiritu et littera 36,66, 228 unter Bezugnahme auf Jak 4,6: ... scio quod sicut inpossibilitas ita et iniquitas non est apuddeum; et scio ^««¿/superbis resistit, humilibus autem dat gratiam; vgl. auch die Reg. S. Ben. 7 De humilitate. Dazu auch S. 176. 95 Wie Anm. 88, fol. 28v—29r: Da mihi ignem amoris tui, spem, fidem, humilitatem, dilectionem inimicorum, pacientiam, mansuetudinem, concordiam ... me miseram famulam tuam. 96
Vgl. z. B . Bernhard von Clairvaux, Sermo in nativitate beatae Mariae, hier 2 8 1 : Erat enim
virgo
sancta corpore et spiritu .... Hortus conclusus, fons signatus, templum Domini, sacrarium spiritus sancti... Fervebat siquidem in quaerenda gratia caritatis, splendebat in carne virginitatis, humilitas in obsequio eminebat. Ähnlich das Speculum virginum 5, 114: Peregrinus beschreibt Maria als . . . . sanctae virginitatis
spe-
culum, in qua geminae virtutis insigne, id est humilitas et virginitas illum concipere meruit, ... uteri sui claudens sacrario verbum . . . . Vgl. dazu Power, From Ecclesiology to Mariology 94f. Zur Metaphorik vgl. unten Kap. 3 . 3 . 1 .
Bräute Christi
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rückweisung aller weltlichen Verlockungen. So wendet sich etwa Caesarius von Arles (ca. 470—542) mit der Frage an seine Mitbrüder, was es denn einem Mann oder einer Frau, einem Kleriker, Mönch oder einer Sanktimoniale nütze, die körperliche Jungfräulichkeit zu bewahren, wenn das Seelenheil durch schlechte Begierden verletzt würde97. Auch das Speculum virginum widmet sich ausführlich diesen Fragen, besonders in Hinblick auf die Zurückweisung jeglicher weltlicher Bedürfnisse zugunsten der wahren Nobilität des Geistes98. Die schwerste Sünde und das Gegenbild zur humilitas sind Stolz und Selbstgefälligkeit: Es sei „der größte Fehler der Stolzen", belehrt Peregrinus seine Schülerin Theodora, „dass sie sich schämen, aufgrund eines Vergehens getadelt zu werden und dass es sie ärgert, sich verbessern zu lassen, wovon das eine Zeichen von Unbesonnenheit, das andere von tödlicher Nachlässigkeit ist". Auch hier ist in der Folge vom Schaden der „schuldhaften Begierden" die Rede, die der „Tod der Tugenden" seien99. Dementsprechend hat die tätige Reue der Sünderinnen in den Admonter Wundergeschichten wie im Nonnberger Gebetbuch einen besonderen Stellenwert. In den Miracula werden die Details der Verehrung und der Buße gegenüber der Mutter Gottes als Argumente für die Rettung der gefallenen Sanktimonialen ins Treffen geführt: Sie haben Maria zu Lebzeiten geliebt und verehrt, ihr gehuldigt und zu ihr gesungen und gebetet, sich vor ihr niedergeworfen und viele Tränen vergossen100. All das soll sich nun zu Gunsten der Sünderinnen auswirken, und zwar nicht nur im Sinn des Lohnes ftir diese Haltungen und Handlungen als gute Taten, sondern vor allem, weil sie Ausdruck der bedingungslosen Liebe und Hingabe und des demütigen Hoffens auf Erlösung sind 101 . Der Text des Nonnberger Gebetbuchs bringt das Prinzip des demütigen Bittens um göttliche Gnade bereits vor dem individuellen Sündenfall, der dadurch abgewendet werden soll, zum Ausdruck. Gleichzeitig gibt er weitere Hinweise auf die zeitgenössischen Vorstellungen von den größten Anfechtungen eines gottgefälligen Lebens: Ahnlich wie die Nonnen in den Admonter Miracula sich vor Maria physisch zu Boden werfen, erniedrigt sich das Text-Ich im Gebet vor Gott 1 0 2 : „Sei mir, der unwürdigsten von allen Frauen, gnädig, ... befreie mich von aller Niedergeschlagenheit, Schande und Verwirrung, stärke zwischen mir und Deinen Dienerinnen feste Eintracht, besänftige und tilge jeglichen Hass, den sie gegen mich hegen" 103 .
97
Caesarius von Arles, Sermones Caesarii vel ex aliis fontivus hausti 1 5 5 , 3 , 1 : Et revera, fratres
caris-
simi, quidprodest viro vel feminae, clerico vel monacho vel sanctimoniali, si corpore virginitatis custoditur, quando per malas concupiscentias cordis integritas violatur. 9 8 So etwa das Speculum virginum 9, 2 6 6 - 2 6 8 ; vgl. dazu Mews, Virginity, Theology, and Pedagogy 30f., sowie unten Abschnitt 3 . 2 . 3 . sowie S. 2 0 0 - 2 0 4 .
9 9 Ebd.: 9, 268: Maximum superborum vitium est, quodpudet eos ex lapsu corripi etpiget corrigi, quorum alterum temeritatis, alterum mortiferi languoris indicium est. ... Quicquid enim male desideraveris,
mab tuo male cupitum habebis. Effectus iniqui desiderii mors virtutum est. Hier übernehme ich die Übertragung des lateinischen Textes ins Deutsche durch die Herausgeberin der aktuellsten Edition des Speculum virginum, Jutta Seyfarth. Vgl. oben Kap. 3 . 1 . 3 . , besonders S. 1 3 9 - 1 4 1 . W i e o b e n A n m . 5. 1 0 2 Z u m literaturwissenschaftlichen Begriff des „Text-Ichs" und seinem methodologischen Nutzen ftir die Relationierung von Texten und historischen Kontexten vgl. besonders Wagner, Das Ich der Texte, in: dies./Laferl, Anspruch auf das Wort 1 4 8 - 1 6 1 . 100 101
103 Wie Anm. 88, fbl. 83f.: • •. dignare me omnium mulierum indignissimam ...dt omni afßictione et infamia et confusione liberare ..., dignare inter me et famulas tuas stabilem firmare concordiam et omne odium, quod ad me declinant, mitigare et extinguere ....
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Rollenmodelle und Identifikationsmuster
Nun folgen die Bitten um Abwehr der fleischlichen Versuchungen: „Lösche in meinem Körper jeden Zunder des brennenden Verlangens; ... töte in meinen Gliedern die Stachel des Fleisches und alle begehrlichen Erregungen" 104 . Und schließlich wird Gott gebeten, „die Zahl der verschiedenen Gefahren für unsere Schwäche" zu vermindern und für „die Leiden und Beschwerden unseres Fleisches" Sorge zu tragen, sie zu pflegen und zu heilen. Er möge den Schwestern den versprochenen Heiligen Geist senden und in ihnen die Flamme der Liebe entzünden 105 . Eingebettet in diese recht stereotypen Formulierungen sind aber auch bemerkenswerte Hinweise auf Konflikte innerhalb der Gemeinschaft der Schwestern, die in den Bitten um Eintracht und Milderung von Streit zwischen ihnen und schließlich in der Fürbitte des Text-Ichs um Abwehr aller Gefahren „für unsere Schwäche" und „von unserem Fleisch" zum Ausdruck kommen 106 . Sie werden noch vor den Bedrohungen für die geistige und körperliche Jungfräulichkeit genannt, wie überhaupt sündhaftes physisches Begehren weniger und vor allem nicht so ausschließlich auf sexuelles Verlangen (concupiscentid) bezogen wird, wie dies moderne Vorstellungen oft auch für die mittelalterliche Vergangenheit annehmen. Grundsätzlich wurde das sündhafte Verhalten durch die Liebe zu den irdischen statt zu den ewigen Dingen definiert, und das betraf Völlerei und Habgier genauso wie Hochmut und Zorn 107 . In Bezug auf alle Sünden wird aber vor allem die Angst vor der Versuchung und den Folgen des ewigen Leidens deutlich artikuliert, wie sie auch in den Admonter Miracula zum Ausdruck kommt 108 . Dieser Befund korrespondiert mit den bildlichen Darstellungen im Admonter Matutinale oder Brevier (Cod. Admont. 18). Das großformatige Gebetbuch wurde 1180 für die Sanktimonialen des Klosters geschrieben und enthält Texte des täglichen monastischen Stundengebets, des Offiziums 109 . Die Anordnung der Texte und liturgischen Gesänge aus dem Alten und dem Neuen Testament wurde dem liturgischen Jahr ent-
104
Ebd. fbl. 99: ... extingue in corpore meo totumfomitem ardentis libidinis ...; mortifica in membris meis carnis stimulos omnesque libidinosas commotiones. 105 Ebd., fol. 106f.: ... numera diversa fragilitatis nostrae pericula, nutri, fove, procurepassiones et miserias carnis nostrae. Mitte promissum spiritum paraclitum ...et accende in nobis flammam totius dilectionis. Zu den verschiedenen Formen der Liebe und ihrer Bewertung vgl. den folgenden Abschnitt. 106 Vgl. S. 204 zu Hinweisen auf mögliche Probleme des Zusammenlebens innerhalb der monastischen Gemeinschaften. 107 Vgl. Johannes von Salisbury, Policraticus VIII 16, 776ab zu den Flüssen Epikurs in Analogie zu jenen des Paradieses: Er nennt Habgier, luxuria, Herrschgier und Gefallsucht. Für den Hinweis auf diese Stelle danke ich Karl Brunner. Vgl. dazu auch, mit weiteren Beispielen besonders für die Sünde der Völlerei, ders., Paradies. 108 Siehe Kap. 3.1.3., besonders S. 138-143. 109 Cod. Admont. 18: Zur Bezeichnung hunc matutinalem librum auf dem Vorsatzblatt der Handschrift (Abb. 6 b im Anhang) und zur Datierung, fbl. 295v, vgl. S. 61, Anm. 49. Zum Folgenden die Studie von Stefanie Seeberg, Illustrationen, die der gesamten Handschrift mit sämtlichen bildlichen Darstellungen eine vergleichende kunsthistorische Untersuchung gewidmet hat. Dort auch ausführlich und mit weiterführender Literatur zur Problematik der Bezeichnung: Der zeitgenössische Begriff liber matutinalis ist insofern irreführend, als damit heute das Offiziumsbuch bezeichnet wird, das nur die liturgischen Texte der Nachtandacht enthält. Die heute übliche Gattungsbezeichnung „Brevier", die Tages- und Nachthoren umfasst, ist allerdings erst seit dem 13. Jahrhundert nachweisbar und wurde außerdem nach dem 2. Vatikanum zugunsten des Begriffs „Stundenbuch" offiziell aufgegeben. Vgl. dazu Palazzo, Histoire des livres liturgiques 180. Da es sich bei meiner Arbeit um keine liturgiewissenschaftliche, sondern um eine historisch-kulturwissenschaftliche Untersuchung handelt, verwende ich im Folgenden den Quellenbegriff liber matutinalis bzw. Matutinale.
Bräute Christi
147
sprechend festgelegt und folgte nachweislich dem Hirsauer Liber Ordinarius, in dem auf der Grundlage der Benediktregel das Offizium der Reformbewegung definiert wurde 110 . Die Gebetszeiten waren beginnend mit der Matutin (Vigilie), etwa zwischen ein und zwei Uhr morgens, und endend mit dem Komplet am frühen Abend über den gesamten Tag und die halbe Nacht verteilt. Die genauen Stunden für das Chorgebet änderten sich mit den Jahreszeiten, abhängig von den Lichtverhältnissen und den Möglichkeiten der Arbeit im Freien. Außerdem wurde für die Länge des Gebetes, aber auch für die Zeiten, die zur persönlichen Lektüre zur Verfügung standen, nach Sonn- bzw. Festtagen und Werktagen differenziert111. Die Offizienbücher waren Gebrauchshandschriften für das officium missae und das officium horarum, die im Rahmen der monastischen Reformbewegungen neu definiert und gestaltet wurden. Musste man bislang für den alltäglichen Gebrauch verschiedene Kodices - also etwa Psalterien oder Lektionare - verwenden, sollten nun alle wichtigen Texte für den monastischen Tagesablauf in einer Handschrift zur Verfügung stehen. Auf diese Weise konnte der vermehrte Bedarf an Texten für die liturgische Praxis besser und schneller abgedeckt werden112. Gleichzeitig waren die Konventionen, wie die Offizienbücher zu gestalten seien, noch nicht genau festgelegt. Dementsprechend war ihre inhaltliche Organisation im 12. Jahrhundert uneinheitlich und offen für ordens- und konvents-spezifische oder auch regionale Modifikationen 113 . Für das Admonter Matutinale konnte die Kunsthistorikerin Stefanie Seeberg dazu noch eine Reihe von Besonderheiten in den Bildformulierungen feststellen, die weitere Hinweise auf Selbstverständnis, Wissen und Vorstellungswelten der Menschen in diesem Kloster geben. Am auffälligsten ist das Admonter Matutinale in Hinblick auf die Anzahl und die Gestaltung der Mariendarstellungen, die mit dem besonderen Interesse für HoheliedAuslegung und Marienfrömmigkeit korrespondiert, das auch der übrige Handschrifitenbestand des Klosters dokumentiert. Aber auch die anderen Illustrationen sind in mehrfacher Weise bemerkenswert. So gibt es einige Darstellungen von Maria und weiteren weiblichen Heiligen in aktueller höfischer Kleidung, die sie als Identifikationsmuster für sozial hochgestellte Sanktimonialen erkennbar machen 114 . Darüber hinaus bietet die Handschrift aber Einblicke in das spirituelle Verständnis im Admonter Frauenkonvent, die mit jenen der vorgestellten schriftlichen Quellen Gemeinsamkeiten aufweisen. Die Auseinandersetzung mit Sünde und Tod und die Präsenz des Teufels als Personifikation der Versuchung und Verfuhrung ist auch im Admonter Codex 18 ein wichtiges und wiederkehrendes Thema. Zum Festtag des Heiligen Martin am 11. November, 1 1 0 Seeberg, Illustrationen 32 mit A n m . 178 zur Überlieferung des Hirsauer Liber Ordinarius und zu den Ubereinstimmungen mit dem Admonter Matutinale. Vgl. Hänggi, Rheinauer Liber Ordinarius, und Heinzer, Hirsauer „liber Ordinarius". Dazu grundlegend die Studie von Meta Niederkorn-Bruck zum Sanctorale Salzburgs. 1 1 1 Vgl. Regula S. Benedicti, c. 8 - 2 0 ; dazu Leclercq, Wissenschaft und Gottverlangen, sowie wenn auch mit formalen Modifikationen, da anhand eines Zisterzienserklosters, Ebersbach im Rheingau - die schöne und aktuelle Darstellung von Palmer, Zisterzienser und ihre Bücher, v. a. Kap. „Lektüre und Lesungen" 1 5 3 - 1 7 0 . 1 1 2 Zur vermehrten Buchproduktion durch und in den monastischen Reformbewegungen vgl. Beach, Claustration and Collaboration; dies., Women as Scribes; Hotchin, Abbot as Guardian, und in Hinblick a u f die Ausbildung von Sanktimonialen in Reformklöstern des 12. Jahrhunderts die Beiträge in Mews, Listen Daughter. 1 1 3 Hughes, Medieval Manuscripts for Mass and Office 2 3 8 . 1 1 4 Dazu ausführlich Kap. 3.2.3., besonders S. 158f.
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Rollenmodelle und Identifikationsmuster
Bischof von Tours (ca. 336—397) und zweiter Patron des Frauenklosters neben Maria 115 , gibt es zwei Initialen mit historisierenden Motiven. In einer davon ist die letzte Begegnung des Heiligen mit dem Teufel vor der Aufnahme seiner Seele in den Himmel dargestellt1 16. Martins Sieg über den Teufel und die Vereinigung mit Gott finden ihre Entsprechung im monastischen Tugendideal der Reformbewegungen. Dieses orientiert sich nicht mehr in erster Linie an den frühchristlichen Märtyrerinnen und Märtyrern, deren höchste „Leistung" in der Hingabe ihre Lebens für ihren Glauben bestand. Das reformatorische Ideal der imitatio Christi bestand demgegenüber verstärkt in der Vorstellung seiner Nachfolge durch Vereinigung in der Liebe und in der Abwehr aller Versuchungen, die dieser unio mystica entgegen stehen konnten 117 . Diese wiederum wurden narrativ und bildlich durch Teufel und Dämonen verkörpert. Das Admonter Matutinale enthält eine Reihe weiterer derartiger Illustrationen, die sowohl Männer als auch eine Frau vom Teufel bedroht darstellen. Es sind dies der heilige Andreas und die alttestamentarischen Figuren des Hiob und des Tobias und seiner Frau Sarah 118 . Bemerkenswert ist dabei besonders, dass ein Teil dieser Miniaturen nicht die entsprechenden Lesungstexte illustriert, sondern Szenen ergänzt, die in den jeweiligen Textpassagen nicht wiedergegeben sind. Dies hängt mit der Gattung des Matutinale zusammen: Ahnlich wie in den Specula oder Imago mundi-Texx.cn wurden biblische Themen hier für den liturgischen Gebrauch in neue (Text-) Zusammenhänge gestellt. Lesungen wurden mit Responsorien, Homilien und Psalmen neu kombiniert, um die Anforderungen des monastischen Stundengebets möglichst umfassend zu erfüllen 119 . Auf diese Weise konnten mit der Auswahl der Lesungen und der Kombination der weiteren Texte inhaltliche Schwerpunkte gemäß spirituellen Interessen gesetzt werden. Einen Hinweis auf ein solches Verständnis eines Zusammenwirkens von Text- und Bildinterpretationen gibt etwa auch der Randvermerk „Audi filia et vide" zur Darstellung von sponsus und sponsa in der O-Initiale zum Beginn des Hoheliedes „Osculetur me osculo oris suo" (Cant. 1,2). Der Beginn von Psalm 44, der auch im Lehrverständnis des Speculum virginum eine herausragende Bedeutung hat, spricht die Leserinnen zusätzlich zum Text des Hoheliedes und der Initial-Miniatur als Bräute Christi an. Auch die Veränderung von Bildmotiven dürfte in diesem Zusammenhang zu sehen sein. Vorlagen wurden nicht mehr unverändert übernommen, sondern in ihrem neuen Kontext neu interpretiert. Anregungen dazu lieferten wohl außerdem die Themen der
115
Zu den Patrozinien Seeberg, Illustrationen l6f. Cod. Admont. 18, fol. 193r (Abb. 7 a im Anhang); dazu Seeberg, Illustrationen 68-72 und Abb. 15f.; Vgl. auch Demus, Antiphonar 238. 117 Zur unio mystica ausfuhrlicher unten Kap. 3.2.2, sowie in Hinblick auf den Erlösungsgedanken S. 175f. 118 Zur Beschreibung der einzelnen Darstellungen und Details der Bildformulierungen in ihrem kunsthistorischen Kontext vgl. Seeberg, Illustrationen 64-67 mit Abb. 14 für den hl. Andreas (fol. 197v); 87-91 mit Abb. 17 für Hiob (fol. 222v) sowie 92-94 mit Abb. 18 und 19 für Tobias und Sarah (fol. 224v und 225r, Abb. 7 b im Anhang). 119 Ebd. 87 für das Buch Hiob und 92 für das Buch Tobias mit detaillierten Angaben der Referenztexte aus dem Alten Testament. Zu den Ähnlichkeiten mit der Hiob-Auslegung bei Rupert von Deutz, Honorius Augustodunensis, dem Speculum Ecclesiae ebenso wie dem Hortus deliciarum vgl. ebd. 90 mit Anm. 446f. Grundsätzlich zur Gattung der specula und imago mundi-Texte vgl. S. 43f. und S. 122f., sowie die ähnliche Vorgangsweise der Ergänzung von Bild und Text im Hortus deliciarum, oben Kap. 1.2. 116
Bräute Christi
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G e s ä n g e u n d aktuelle D e u t u n g e n wie etwa in der zeitgenössischen Hohelied-Auslegung120. H i o b etwa war eine wichtige Identifikationsfigur der R e f o r m b e w e g u n g , da sein bereitwilliges Leiden u n d Ertragen aller Prüfungen Gottes als exemplarisch für die N a c h folge Christi galt. A u c h Irimbert weist in seinem Bericht über d e n B r a n d des Klosters A d m o n t , den er in diesem Sinn verstand, zweimal direkt u n d indirekt a u f die Vorbildf u n k t i o n H i o b s hin, besonders d a es i h m d a r u m ging, das U n g l ü c k des Konvents nicht als Strafe ftir unbotmäßiges Verhalten - etwa das gemeinschaftliche Z u s a m m e n l e b e n der A d m o n t e r M ö n c h e u n d N o n n e n im Sinn der cura monialium, jedoch mit zu engen K o n t a k t e n - , sondern vielmehr als P r ü f u n g des H e r r n nach d e m Beispiel H i o b s zu begründen121. I m A d m o n t e r Matutinale wird jedenfalls in der Hiob-Initiale der Teufel mit einer Geißel dargestellt. D a b e i handelt es sich u m eine Bildformulierung, die den aktuellen T h e m e n u n d theologischen Interessen entsprach, wie sie auch in anderen Q u e l l e n m o nastischer F r ö m m i g k e i t z u m A u s d r u c k k o m m e n . Bemerkenswert ist allerdings, dass eine bildliche Darstellung in dieser Weise in der A d m o n t e r H a n d s c h r i f t z u m ersten M a l vork o m m t , später allerdings durchaus verbreitet w a r 1 2 2 . E b e n s o wie bei der Geschichte H i o b s gibt es i m Matutinale zu Beginn der L e s u n g aus d e m B u c h Tobias eine szenische Initiale. Sie stellt die „Reise des jungen Tobias mit d e m Erzengel R a p h a e l " ( T b 6 , 1 ) dar. A u f derselben Seite zeigt eine weitere illustrierte „P"-Initiale das Bild seiner zukünftigen Frau S a r a h 1 2 3 . Sie markiert den Beginn eines Res p o n s o r i u m s , das Teile des biblischen Gebets Sarahs zu G o t t enthält ( T b 3, 15ff.). D i e Figur der betenden Sarah ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil es keine bekannten Vergleichsbeispiele für eine solche Darstellung g i b t 1 2 4 . Auffällig ist vor allem auch die Art der Repräsentation Sarahs mit offenen langen blonden Haaren, in die ein B a n d geflochten ist, u n d in einem m o d i s c h e n Kleid mit Trichterärmeln sowie spitzen Schuhen125. D e r Text des Alten Testaments erzählt w i e d e r u m die Geschichte des Gebetes der Frau: Sarah wandte sich an G o t t , d a sie von einem Teufel gequält wurde, der jeden Bräutigam noch vor der Hochzeitsnacht sterben ließ. Sie wurde erhört, i n d e m der Erzengel 120 Cod. Admont 18, fol. 164v, vgl. dazu Abb. 9 im Anhang sowie unten S. 218f., Anm. 72. Zu Ps 44, 11-12: Audifilia etvide et inclina aurem tuam et obliviscerepopulum tuum et domum patris tui et concupiscet rex decorum tuum (vgl. Dt 4,1; Rm 10,27: zur fides ex auditu). Dazu Titel und Beiträge in Mews, Listen Daughter, besonders Powell, Audio-Visual Poetics. Ahnlich auch die Text-Bild-Verbindungen im Hortus deliciarum, vgl. S. 20, Anm. 77f. Für die Frage der kontextuell veränderten Bildformulierungen vgl. Seeberg, Illustrationen, Abb. 24 und S. 119—132. Grundlegend zu Verhältnis und Wechselwirkungen von Text und Bild, allerdings mit Schwerpunkt auf den höfischen Raum, vgl. die Arbeiten von Horst Wenzel, besonders Hören und Sehen; sowie die aktuellen, von dems. mitherausgegebenen und diesem Thema gewidmeten Bände der Schriftenreihe des Kunsthistorischen Museums, Wien, etwa Bd. 6, hg. von Wenzel/Seipel/Wunberg, Ausiovisualität vor und nach Gutenberg. 121 Irimbert, Bericht I: Cum ecce nocte sequenti feriae tertiaegravis et intolerabilis mihi occurrit luctus tristiciae, ut iam cum lob merito possim exclamare: Versa est in luctum cythara mea et Organum meum in voce [!] flentium (Hiob 30,31) sowie ebd. XXII: ... non dubitaret, quodadversumseLeviathansuscitassent et instar beati lob temptatoris manibus non ad condempnationem, sed adprobationem traditi fiiissent. 122 Seeberg, Illustrationen 88 und 91. 123 Ebd. 92 mit Abb. 19. 124 Ebd. 93 mit Anm. 468. 125 Zur zeitgenössischen höfischen Mode, bei der hier offensichtlich Anleihen genommen wurden vgl. Brüggen, Kleidung, besonders 78ff.
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Rollenmodelle und Identifikationsmuster
Raphael den Teufel besiegte und Sarah schließlich Tobias als Bräutigam schickte. Die Darstellung des Gebets Sarahs stellt also gleichzeitig einen Bezug zum Bild der Braut (Christi) her, die geduldig auf den Bräutigam wartet 126 , wie auch zur Bedrohung der Menschen durch den Teufel. Die betende Frau in zeitgenössisch modischer Gewandung ist gut als Identifikationsmodell für die Admonter Nonnen vorstellbar, von denen viele über einen entsprechenden sozialen Hintergrund verfügten. Ex negativo bestätigt dies auch die ausdrückliche Betonung Irimberts in seinem Bericht über das Leben der Admonterinnen, dass trotz hohen Standes niemand außer den kleinen Kindern Leinengewänder trug. Egal, ob er damit Vorwürfe oder Vermutungen des Gegenteils widerlegen oder auf den Verzicht der Frauen auf die Annehmlichkeiten der gewohnten Kleidung hinweisen wollte — deutlich wird, dass die standesgemäße Kleidung grundsätzlich eine wichtige Rolle in ihrem Leben gespielt haben muss, selbst wenn sie im Kloster nur noch durch Abbildungen von Heiligen und anderen Vorbildfiguren imaginiert werden konnte 127 . Gleichzeitig machen die Darstellungen Hiobs und der Heiligen Martin und Andreas deutlich, dass das Bild der imitatio Christi im Kampf gegen den Teufel nicht geschlechtsspezifisch festgelegt war. Der Bedrohung durch seine vielfältigen Versuchungen war die menschliche Seele grundsätzlich und unabhängig von ihrem Geschlecht ausgesetzt. Die Vorbilder, die das Admonter Matutinale zur Verfugung stellt, machen - ähnlich wie die exegetischen Texte der Predigten Gottfrieds bzw. Irimberts oder die Briefe Gerhohs von Reichersberg — sowohl Identifikationsangebote, die auch über die Kategorie Geschlecht wirksam werden, wie auch andere, bei denen die Zuordnung zu den Gruppen „Männer" oder „Frauen", „Mönche" oder „Nonnen" offenbar keine wesentliche Rolle spielte 128 . 3.2.2. Die Liebe zum himmlischen Bräutigam In den Quellen der monastischen Reformbewegungen des 12. Jahrhunderts werden anknüpfend an spätantike und frühmittelalterliche Traditionen Frauen und Männer als Schülerinnen und Schüler Christi, als Kämpfende im Rahmen der militia Christi und als männliche wie weibliche Jungfrauen des Herrn angesprochen129. Auch die Tugenden der Demut und Keuschheit sind nicht primär geschlechtsspezifisch konnotiert, wenn auch letztere in Hinblick auf die besondere Schutzbedürftigkeit, die für Frauen angenommen wurde, mit strengeren Klausurformen als bei Männern verbunden war 130 . Ha1 2 6 Zur Deutung von Tobias und Sarah als Christus und seiner Braut Ecclesia vgl. Seeberg, Illustrationen 9 4 mit Anm. 4 7 1 .
127
Irimbert, Bericht 13: Nulla earum lineis vestibus utitur, nisi solae infantulae, si quae inter eas nu-
triuntur;
dazu ausfuhrlich Kap. 4.2.1. Zu den Admonter Predigten vgl. in diesem Zusammenhang besonders S. 229f., zu den Briefen Gerhohs von Reichersberg Kap. 2.4.1. 1 2 9 Schülerinnen und Schüler werden z. B. in Anlehnung an das Neue Testament im Nonnberger 128
Gebetbuch (Clm 14848, St. Emmeram) genannt: fol. 16r: O domine
discipulis
discipulabusque
tuis apa-
ruisti. Dabei handelt es sich um keinen wörtlichen Bibelbeleg! Frühmittelalterliche Beispiele zur militia Christi vgl. S. 28, Anm. 1 1 5 ; fiir die Reformbewegungen etwa S. 33f. Zu den Jungfrauen beiderlei Ge-
schlechts vgl. etwa die Vita S. Geretrudis, Prol., 453: ... si de vita velde
conversatione
sanctorum
sancta-
rumque Christi virginum ad edificationem velprofectum proximorum veraciter aliqua, licetpauca, scribendo autpraedicando studeo commovere, quatenus sanctorum sanctarumque virginum praecedentium exempla cordis nostri tenebras flamme caritatis et ardore sanctae conpunctionis valeant inluminare. 130
Siehe oben Kap. 2.2.2.
Bräute Christi
151
ben die konkreten Umsetzungen des Bildes der „Jungfrauen Christi" in die monastische Praxis also sehr wohl auch Aspekte, die Geschlechterdifferenzen zum Ausdruck bringen, so gilt ähnliches für jenes der „Bräute Christi". Auch dieses stellt grundsätzlich einen Identifikationsrahmen für Gläubige beiderlei Geschlechts bereit. Die metaphorische Braut des Hoheliedes bedeutet in der exegetischen Tradition besonders seit dem 12. Jahrhundert grundsätzlich jede fidelis anima, also die Seelen gläubiger Menschen beiderlei Geschlechts, zusammengefasst in der Gemeinschaft der Kirche 1 3 1 . Der Körper der Braut Ecclesia ist allerdings grammatikalisch und allegorisch weiblich markiert, ebenso wie jener Marias als exemplarischer Braut Christi. Dies ist aber kein Widerspruch, ebenso wie die symbolische Qualität dieser Bilder es auch möglich macht, dass die Gleichzeitigkeit der Eigenschaften Marias als Mutter und Braut Christi im zeitgenössischen Verständnis keinerlei negativ „inzestuösen" Beigeschmack hatte 1 3 2 . In Hinblick auf ihren geistlichen Stand galten jedenfalls Mönche wie Nonnen aufgrund ihrer jungfräulichen Lebensform als Bräute Christi dem himmlischen Bräutigam versprochen. Im Rahmen der monastischen Lebensform wurden ihre Seelen durch Unterweisung für ihn bereit gemacht 1 3 3 . „Braut Christi" zu sein bedeutet in diesem Zusammenhang also, dem geistlichen Stand als einem privilegierten ordo anzugehören. Damit wurden gleichzeitig Geschlechtergrenzen überschritten, indem grammatikalische und allegorische weibliche Markierungen auch für Männer verwendet wurden. Diese Vorstellungen finden sich mit Honorius Augustodunensis, Rupert von Deutz und Bernhard von Clairvaux bei den zeitgenössisch prominentesten Hohelied-Exegeten 1 3 4 . So heisst es bei Honorius von einem männlichen, jedoch als Braut grammatikalisch weiblich markierten Kleriker, er sei „äußerlich durch Nachtwachen und Fasten entstellt, aber innerlich mit Tugend geschmückt", „hässlich für die Fleischeswelt, aber schön in den Augen des Herrn" (formosa in oculis Domini)x^\ Das Geheimnis der Verbindung zwischen Christus und seinen männlichen und weiblichen Bräuten besteht in der besonderen Qualität der Liebe (dilectio, amorhTW. Caritas) zwischen ihnen 1 3 6 . Sie ist der Lohn
131 Vgl. z. B. Honorius Augustodunensis, Cantica Canticorum 348: Cantica Canticorum logicae contulit, in quibus rationalem animam per dilectionem Deo coniugi voluit. Dazu unten S. 152. 1 3 2 Zu Maria als Braut Christi vgl. unten S. 152-155 und die beiden folgenden Kapitel 3.2.3. und 3.3.1. 1 3 3 Vgl. S. 123, Anm. 340. ' ^ Honorius Augustodunensis (1. Hälfte 12. Jhdt.), Expositio in Cantica Canticorum; Rupert von Deutz (1075/80-1129/30), Commentaria in Canticum Canticorum; Bernhard von Clairvaux ( 1 0 9 0 1153), Sermones super Cantica canticorum; zu Rupert vgl. Van Engen, Rupert von Deutz; zu Honorius vgl. Flint, Honorius Augustodunensis; Garrigues, L'oeuvre D'Honorius Augustodunensis; aus der umfangreichen Literatur zu Bernhard vgl. etwa Dinzelbacher, Bernhard von Clairvaux; Hummel, Mystische Modelle; zum Vergleich ihrer Hohelied-Exegesen vgl. Curschmann, Imagined Exegesis, und aktuell Cescutti, Begehren, Körper, Text, mit weiterführenden Literaturangaben. 1 3 5 Honorius Augustodunensis, Cantica Canticorum 369: instar camis Christi exterius vigiliis et jeiuniis macerata, interius decorata virtutibus. Die Übersetzung stammt von Cescutti, Begehren, Körper, Text, hier 94, mit Anm. 18. Dort auch zahlreiche weitere Beispiele. , 3 S Z. B. Rupert von Deutz, Canticum Canticorum 17, C C C M 26, 264: O quam multi utriusque sexus propter hoc ita te diligent et similiter faciant. Vgl. Cescutti, Begehren, Körper, Text 96, mit Anm. 29. Vgl. besonders auch Aelred von Rievaulx, De speculo caritatis. Vgl. dazu die Zitate unten Anm. 142.
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Rollenmodelle und Identifikationsmuster
für den Preis ihrer Jungfräulichkeit und wird durch die geistig-geistlichen Fähigkeiten der spirituellen Elite, intellectus und ratio, zugänglich gemacht137. Das höchste Ziel der gläubigen Seelen als Bräute Christi besteht in der vollständigen Vereinigung mit dem himmlischen Bräutigam. Dies kommt in der Vorstellung der unio mystica zum Ausdruck, wie sie besonders durch Bernhard von Clairvaux geprägt wurde. In der vollendeten mystischen Verbindung wird die Seele mit dem göttlichen Logos vereint. Diese Vorstellung lässt wiederum an das monastisch-elitäre ordo-Ideal der jungfräulichen Bräute Christi anschließen, deren Leben die beste Voraussetzung für das Erreichen dieser liebenden Vereinigung ist 138 . Auch diese Aspekte werden in Körpermetaphern zum Ausdruck gebracht, welche die Kategorie Geschlecht durchlässig erscheinen lassen: Die Milch der Lehre (lac doctrinae) wird etwa bei Honorius auf die Brüste der Braut des Hoheliedes bezogen, die süßer als der Wein sind 139 . Die bräutlichen Brüste symbolisieren hier das Alte und das Neue Testament. Aus ihnen trinken die geistlichen Menschen die Milch der Lehre - zugleich geistliches Wissen und Liebe140. Hier ist der imaginierte Körper weiblich und mütterlich. Er kann also gleichzeitig mit dem Marias - in ihren Rollen als Braut und Mutter identifiziert werden. Doch auch geistliche Lehrer, etwa Abte, wurden in dieser Funktion der spirituell Nährenden gesehen141. Konnten männliche fideles in der Gesamtheit der Kirche Bräute Christi sein und männliche Seelsorger die Seelen/Bräute beiderlei Geschlechts mit der Milch der Lehre aus metaphorisch weiblichen Brüsten nähren, so gelten ähnliche Vorstellungen von Uberschreitungen des physischen Geschlechts auch für einzelne männliche Vor- und Rollenbilder. Am prominentesten ist sicherlich der Apostel und Evangelist Johannes, der mit seiner Liebe zu Jesus die männliche Braut Christi personifiziert. Repräsentiert Christus selbst die archetypische Jungfräulichkeit, gilt sein Lieblingsjünger als Sinnbild der hingebungsvollen und bedingungslosen Liebe zu ihm 142 . Johannes gilt darüber hinaus
137
Z. B. Honorius Augustodunensis, Cantica Canticorum 348, ebenfalls in der bräutlichen Meta-
phorik: Cantica Canticorum logicae contulit, in quibus rationalem animamper
dilectionem eo coniugi voluit.
Etwa Aelred von Rievaulx, De institutione inclusarum, Zeile 1087: speciale hoc virginitatisPrivilegium, quia virgo es electus (sic!) a domino et ideo inter caeteros maps dilectus. Cescutti, Begehren, Körper, Text 9 8 - 1 0 2 zu Bernhard von Clairvaux; vgl. weiterführend etwa Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik. 139 Vgl. Cant 1,1: osculetur me osculo oris sui quia meliora sunt ubera tua vino; dazu Cescutti, Begehren, Körper, Text 90f. 140 Honorius Augustodunensis, Cantica Canticorum 442ff. 141 Dazu v. a. Schreiner, „Deine Brüste sind süßer als Wein"; zusammenfassend ders., Maria. Leben, Legenden, Symbole 4 8 - 6 0 ; außerdem Bynum, Jesus as Mother und dies., Fragmentierung und Erlösung. Siehe dazu das folgende Kapitel. 142 Zur Jungfräulichkeit Christi vgl. Ambrosius, De virginibus 1,3,13, 116, sowie Aelred von Rievaulx, Speculum caritatis 3,39, Zeile 2122 (meine Hervorhebungen): ... cuius caritatis sacratissimum ge138
nus, ne cui improbandum videretur, ipse Iesus noster per omnia nobis condescendens, per omnia nobispatiens et compatiens, in suae dilectionis exhibitione transformans, uni, non omnibus, suavissimipectoris sui reclinatorium in signumpraecipue dilectionis indulsit. ut virgineum caput virgineipectoris floribus fulciretur. ac thalami caelestis odorifera secreta fragrantiam spiritalium unguentorum virgineis affectibus quanto vicinius, tanto copiosus instillarent. Zu Johannes vgl. die Stelle bei Joh. 12, 23 zum Letzten Abendmahl: erat ergo recumbens unus ex diseipulis eius in sinu Iesu quem diligebat Iesus; vgl. dazu Aelred von Rievaulx, De institutione inclusarum, Zeile 753: ... et si hoc placet, ad commendandam tibi virginitatis excellentiam, virgo mater in sua et virgo disipulus in sua iuxta crucem cernatur imagine, ut cogites quam grata sit Christo utriusque sexus virginitas. quam in matre etprae ceteris sibi dilecto diseipulo consecravit. Siehe auch Ambrosius, De in-
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auch in den wichtigsten weiteren Eigenschaften, die für die „Bräute Christi" charakteristisch sind, als vorbildlich: In Tugend und Heiligkeit, Jungfräulichkeit und Keuschheit wird er etwa von Petrus Chrysologus mit Begriffen beschrieben, die den exemplarischen Charakter und die Vorbildfunktion seines Lebens zum Ausdruck bringen 1 4 3 . Die Überschneidungen der unterschiedlichen Bedeutungen und ihrer Verkörperungen sind in den verschiedenen Sinnebenen der exegetischen Tradition begründet. Ihre Vielschichtigkeit ermöglichte in der Praxis der gelebten spirituellen Exegese über den wörtlichen - „historischen" - Sinn, der die unterste Ebene des Schriftverständnisses darstellte, hinaus eine Reihe weiterer Interpretationsmöglichkeiten 144 . Die heilsgeschichtlichen, moralisch-tropologischen und eschatologischen Auslegungen konnten einander überlagern, aber ebenso in ihren einzelnen Aspekten wirksam werden. Aus dieser Ambivalenz (eigentlich Polivalenz) von Bedeutungen resultiert also nicht, dass sie deswegen notwendigerweise widersprüchlich empfunden worden wären, da sie jeweils unterschiedlichen Sinnebenen zugeordnet wurden. Das Ausmaß, in dem sich die symbolischen Potentiale von metaphorischen Bildern und Auslegungsmodellen entfalten konnten, hängt zum einen gerade von dieser Vielschichtigkeit ab, die in und durch die exegetische Tradition geschaffen und weiter entwickelt wurde; zum anderen u n d in Wechselwirkung mit den traditionellen Vorgaben spielen dabei aber die konkrete Praxis der pastoralen Auslegung und die Bedürfnisse ihrer Rezipienten und Rezipientinnen eine Rolle. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür bietet die Konjunktur der Hohelied-Exegese und die Weiterentwicklung der Mariologie im 12. Jahrhundert 1 4 5 . Gerade wenn man aber die grundsätzliche Vielzahl von Bedeutungen im Rahmen der Bibelexegese in Betracht zieht, stellt sich die Frage, welche Rolle der Kategorie „Geschlecht" in diesen Darstellungen, Begriffen und Bildern implizit zugeschrieben wurde. Die Lektüre der zeitgenössischen Texte und Bilder legt nahe zu fragen, ob und inwieweit die weibliche Semantik und Symbolik der „Bräute Christi", der als kultureller Kategorie zunächst Männer genauso wie Frauen zugeordnet werden konnten, darüber hinaus Bedeutungen hatte, die an den Körpern dieser Menschen festgemacht u n d geschlechtsspezifisch wirksam wurden. Das Bild der „Bräute Christi", das Hohelied der Liebe und die Vorbild- und Identifikationsfigur Maria scheint für weibliche geistliche Personen zusätzliche — diesmal geschlechtsspezifische - Identifikationsmöglichkeiten bereitgestellt zu haben. Darauf deuten besonders die bildlichen Darstellungen hin, die sich in Legendarien und Gebetbüchern finden.
stitutione virginis 7,46—48, 144-148, wo Johannes als der spirituellste von allen Jüngern Christi beschrieben wird. 143 Peter Chrysologus, Sermo 127,2, 782: Iohannes virtutum schola, magisterium vitae, sanctitatis forma, norma morum, virginitatis speculum, pudicitiae titulus, castitatis exemplum poenitentiae. Ahnlich das Speculum virginum 5-535, 859-905. Die Zitate stammen von Power, From Ecclesiology to Mariology 92 m i t A n m . 3 2 - 3 5 . 144 Zur exegetischen Tradition vgl. S. 121. Vgl. dazu mit Bezug auf die verschiedenen Identifikationsmöglichkeiten mit der Mutter Gottes Kap. 3.2.3. sowie Brunner, Selbstverständnis 276—296. Vgl. dazu v. a. Ohly, Hohelied-Studien und ders., St. Trudperter Hohelied; mit inhaltlichem Schwerpunkt auf den Admonter Predigten in einer umfassenden kirchengeschichtlichen Einbettung v. a. Roitner, Mater misericordiae; außerdem Beumer, Der mariologische Gehalt; zum Vergleich, mit Schwerpunkt auf das Speculum Virginum Power, From Ecclesiology to Mariology; siehe auch den folgenden Abschnitt.
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Rollenmodelle und Identifikationsmuster
In Admont besaß man Mitte des 12. Jahrhunderts die wichtigsten Werke der zeitgenössischen Hohelied-Auslegung. Dazu gehörten besonders die Hohelied-Kommentare des Rupert von Deutz (Cod. Admont. 549) und des Honorius Augustodunensis (Cod. Admont. 255, 436) sowie Bernhards von Clairvaux Sermones super Cantica Canticorum (Cod. Admont. 273, 282). Von Honorius waren außerdem das Sigillum Beatae Mariae (Cod. Admont. 579) sowie sein Speculum ecclesiae (Cod. Admont. 131) vorhanden. Dazu kamen die Meditationes et orationes des Anselm von Canterbury (Cod. Admont. 289) 146 . Dass diese Handschriften auch im Frauenkonvent des Klosters benutzt wurden oder zumindest bekannt waren, legt Irimberts eigener Hohelied-Kommentar nahe 147 . Auch er liegt im zeitgenössischen Trend, wenn er die Braut Christi einerseits als die Kirche in ihrer Gesamtheit, andererseits als einzelne Seele deutet. Ahnliches gilt für die Admonter Predigten des geistlichen Betreuers der Nonnen bzw. seines Bruders Gottfried. Auch hier spielen die Brautsymbolik und ihre unterschiedlichen Interpretationsweisen ebenso wie mariologische Fragen eine wichtige Rolle 148 . Darüber hinaus konnte Stefanie Seeberg für die Illustrationen der Admonter Kodices aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts feststellen, dass das Brautpaar des Hoheliedes — sponsus und sponsa — das am häufigsten dargestellte Motiv ist 149 . Das Admonter Matutinale bietet allerdings das eindrucksvollste bildliche Anschauungsmaterial zur Repräsentation der Brautmetaphorik der Hoheliedes. Auffällig sind die Parallelen zwischen den Bildformulierungen dieses Stundenbuches und dem Text des etwa gleichzeitig entstandenen St. Trudperter Hoheliedes, die ein weiteres Argument für die Entstehung dieser ersten umfassenden Hohelied-Exegese in deutscher Sprache im Admonter Umfeld liefern 150 . Die Auslegung der Hochzeit des Hoheliedes erfolgte grundsätzlich nach dem exegetischen Muster des vierfachen Schriftsinns, also historisch, allegorisch, tropologisch und anagogisch 151 . Auf der historischen Ebene sind das Brautpaar die Figuren der alttestamentarischen Geschichte, also König Salomon und die Königin von Saba. Allegorisch wird der Bräutigam seit dem Frühmittelalter in erster Linie mit Christus, die Braut mit der Kirche (ecclesia) gleichgesetzt152. Darüber hinaus finden sich die ersten Interpretationen der Braut als Seele der einzelnen Gläubigen bei Origenes (t254), dem zufolge jede
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Vgl. obenAnm. 134. Cod. Admont. 530, 682 sowie Cod. Vorau 193 (Druck bei B. Pez, Thesaurus novissimus anecdotorum 2,1. Augsburg/Graz 1721, Sp. 369—424); alle drei Handschriften sind wahrscheinlich im 12. Jahrhundert in Admont entstanden. Vgl. Seeberg 119f., besonders Anm. 590; außerdem Braun, Irimbert 271; Ohly, Hohelied-Studien 268ff., Knapp, Literatur 75. 148 Vgl. dazu v. a. Roitner, Mater misericordiae, Teil V: Die Marienmetaphorik der Predigten, bes. Kap. 8c: Die Brautsymbolik bei Gottfried von Admont. Vgl. dazu unten 229f. 149 Seeberg 121, Anm. 592f. mit weiterführender Literatur; zusätzlich zu den Darstellungen im Cod. Admont. 18, dem Seeberg ihre umfassende kunsthistorische Studie gewidmet hat, gibt es derartige Illustrationen in den Hohelied-Kommentaren des Honorius Augustodunensis (Cod. Admont. 255, fol. 12) sowie Irimberts von Admont (Cod. Admont. 530, fol. 1). 150 Das St. Trudperter Hohelied wird zwischen 1160 und 1177 datiert; vgl. dazu Spitz, ez is sanc aller sänge 67; außerdem oben S. 116, Anm. 301; in diesem Zusammenhang Seeberg, Illustrationen 129— 132, besonders Anm. 632f. mit Bezug auf Ohly, St. Trudperter Hohelied. 151 So etwa Honorius Augustodunensis, Cantica Canticorum 349: Hic Uber agit de nuptiis quaefiunt quatuor modis, scilicet historice, allegorice, tropologice, anagogice. 152 Ohly, Hohelied-Studien 13-23 und 24f.; Power, From Ecclesiology to Mariology 86-88. 147
Bräute Christi
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einzelne fidelis anima eine individuelle Verbindung mit dem göttlichen Bräutigam eingeht 153 . Auch bei Ambrosius ist die Braut Verkörperung der Kirche, aber gleichzeitig der idealisierten Seele. Bei ihm wird sie allerdings auch mit Maria gleichgesetzt. Durch diese Auslegung, die im 12. Jahrhundert am einflussreichsten werden sollte, wurde Maria Vorbild und Modell für die Tugend der Jungfräulichkeit und den Stand der „Bräute Christi" und zugleich Symbol für die Kirche 154 . Die Hohelied-Deutungen, bei denen die Interpretation der Braut als Maria und als einzelne Seele des gläubigen Menschen gegenüber jener der Braut als Kirche im Vordergrund stehen, finden sich im 12. Jahrhundert besonders in den Exegesen des Canticum Canticorum des Honorius Augustodunensis, Rupert von Deutz und Bernhard von Clairvaux 155 . Charakteristisch für ihre Auslegungen ist ein stärker personalisiertes Verständnis, das die einzelnen Gläubigen zur imitatio motivieren sollte. Dies äußert sich etwa in den personen- und körperbezogenen Darstellungen, die nicht zufällig im Zusammenhang mit der Verteidigung der leiblichen Himmelfahrt Marias bei diesen Autoren stehen 156 . Besonders die spirituelle unio mystica, etwa in den Texten Bernhards von Clairvaux, wurde gemäß dem Vorbild des Hohelieds selbst ausdrücklich auch als physische Liebesbeziehung dargestellt. Die Umarmung der Liebenden ebenso wie ihr Kuss spielten dabei eine zentrale Rolle und wurden in mehrfachen Sinnbildungsketten unterschiedlich ausgelegt157. Im Admonter Matutinale hat die Repräsentation von Maria als Braut Christi, also der sponsa Maria, einen besonderen Stellenwert. Die Beziehung zwischen Braut und Bräutigam wird dabei auf unterschiedliche Weise dargestellt. Die Initiale zur HoheliedLesung zeigt die Umarmung zwischen dem Bräutigam Christus und seiner Braut Maria. Letztere wird dabei in durchaus traditioneller Weise mit einem einfachen Gewand abgebildet 158 . Auffällig ist an dieser Miniatur allerdings, dass das grüne, gegürtete Kleid Marias mit außergewöhnlich großen Trichterärmeln deutliche Ähnlichkeiten mit den Darstellungen von Nonnen in anderen Admonter Kodices aufweist. Vergleichbare Formen und Farben ihres Gewandes finden sich etwa in den Abbildungen der beiden Sanktimonialen mit Büchern in den Händen über den Inhaltsverzeichnissen in den Homilienhandschriften, in der Mariendarstellung zu Beginn des Traktates über die Assumptio der Mutter Gottes, sowie in der Miniatur zu Beginn der Miracula-Wzndschnft, in der Maria als Lehrerin der Sanktimonialen repräsentiert wird 159 .
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Origenes, In Canticum Canticorum 1,5,10-1,6,1-5. Ambrosius, De virginibus 1, 31, PL 16, 208 sowie ders. De institutione virginis 13, 81-83; 14, 87-17, 93 vgl. Power, From Ecclesiology to Mariology, Anm. 6; Küsters, Verschlossener Garten 55. 155 Wie oben Anm. 134. 156 Zur Assumptio Manne vgl. S. 117-119 sowie S. 157f. 157 Vgl. Cant 1,1: osculetur me osculo oris sui quia meliora sunt ubera tua vintr, vgl. dazu oben S. 214 sowie ausfuhrlich das folgende Kapitel. 158 Cod. Admont. 18, fol. I64v; dazu Seeberg, Illustrationen 132f. (mit Abb. 22) sowie ebd. Anm. 644 zum traditionellen Marientypus nach byzantinischem Vorbild. Ähnlichkeiten bestehen auch zur Darstellung des Marientodes, ebd. fol. 163r, in der Maria einen grünen Weihel, darunter einen blauen Mantel sowie ein rotes Kleid trägt, sowie zur Illustration der Hiob-Geschichte, ebd. fol. 222v, welche die Frau Hiobs zeigt. Vgl. dazu Abb. 8 - 9 im Anhang. 159 Cod. Admont. 58, fol. lv sowie entsprechende Mariendarstellungen, ebd. fol. 3, 11, 22; Cod. Admont. 62, fol. 2r; Cod. Admont. 602, fol. 21v. Bemerkenswert ist v. a. die Darstellung in Cod. Admont. 638, fol. lr, die Maria als Lehrerin der Sanktimonialen zeigt (neben dem Incipit Uber de miraculis 154
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Rollenmodelle und Identifikationsmuster
Hier liegt der Gedanke an eine bildliche Aufforderung zur spirituellen imitatio der bräutlichen Beziehung zwischen Christus und der gläubigen Seele nahe, für die Maria als Vorbild diente. Die Ähnlichkeit ihrer Repräsentation mit jener der Admonter Nonnen selbst könnte für diese eine Möglichkeit zur Identifikation und damit eine bessere Nachvollziehbarkeit des spirituellen Geschehens geboten haben. Diese Überlegung wird durch den Umstand gestützt, dass auch der Text des St. Trudperter Hoheliedes sein Publikum in vergleichbarer Weise explizit zur imitatio der dargestellten spirituellen Liebesbeziehung auffordert. Diese Aufforderung würde hier ihre bildliche Entsprechung finden 160 . Darüber hinaus gibt es einige Parallelen dieser Darstellungen mit weiteren Admonter Quellen, etwa mit jenen Passagen im Schreiben Gerhohs von Reichersberg zur Himmelfahrt Marias, wo die Sanktimonialen mit direktem Bezug auf das Hohelied als Bräute Christi angesprochen werden161. Ebenfalls mit ausdrücklichem Verweis auf die Hohelied-Metaphorik und mit direkten Zitaten wie interpretierenden Umschreibungen argumentiert der Seelsorger in seinem Brief an jene Schwester, die nicht in einer klausurierten Frauengemeinschaft lebte und die er zu dieser Lebensform bewegen wollte: Die eingeschlossenen Jungfrauen werden nach dem Bild der biblischen sponsa modelliert, welche die Vereinigung mit dem geliebten Bräutigam auf ihrem blütenbestreuten Brautlager (lectulus noster floridus) sucht162. In der Admonter Wundergeschichte von der „unkeuschen Sanktimoniale" wiederum besteht deren schwerste Sünde darin, dass sie durch die Aufgabe ihrer Jungfräulichkeit den himmlischen Bräutigam verletzt, wodurch sie sich auch den besonderen Zorn seiner Mutter Maria zuzieht163. Nur ihre Liebe zur Mutter Gottes kann sie schließlich vor der Verdammung retten. Umgekehrt verstößt die vorbildliche frühchristliche Heilige Gertrud, die in der Admonter Handschrift des Magnum Legendarium mit der lo-
gloriose virginis Marie): Die Mutter Gottes trägt einen grünen Weihel, ein rotes Kleid mit Kapuzze und einen blauen Umgang. Die Nonnen zu ihren Füßen, die sie aus einer Schriftrolle belehrt, tragen beide einen blauen Weihel, und jeweils ein grünes Kleid mit Kapuzze und Trichterärmeln. Dazu auch Seeberg, Illustrationen Abb. 52 und 53. Vgl. Abb. 1 4 - 1 5 im Anhang sowie die Umschlagillustration. 160 Vgl. Küsters, Verschlossener Garten 54ff.; Ruh, Frauenmystik 25ff.; Seeberg, Illustrationen 1 2 9 - 1 3 2 zu den Parallelen zwischen den sprachlichen und bildlichen Repräsentationen im St. Trudperter Hohelied und im Admonter Matutinale. 161 Vgl. Gerhoh, Ep. Anhang 3, S. 233: Admirabilem quoque illam, que in canticis canticorum sponsa, columba, formosa et Sunamitis appellatur, que nec tarn in fortitudine operum quam in choris castrorum delectatur, sibiproposuerunt imitandam sancte feminepropter Christi amorem sponse, propter simplicitatem vel mansuetudinem columbe, propter castitatem formose, propter humilitatem Sunamites nominande. Vgl. Cant
5, 1; 6, 12; 7, 1. 162 Gerhoh von Reichersberg, Ep. 4, 493C: Quod non ita loquor, quasi ipse diligat etiam solas virgines autpoenitentes inclusas, cum diligat etiam illam quae in Canticis canticorum ei loquitur: In lectulo meo quaesiviper noctem quem diligit anima mea: quaesivi illum, et non inveni. Surgam et circuibo civitatem; quaeram quem diligit anima mea (vgl. Ct 3, 3). Non ergo nos omnem sponsae circuitionem culpabilem notamus, cum sit laudabilis lila sponsae circuitio, in qua dilectus quaeritur et invenitur, quo et invento Statur, et lectulus ei demonstratur illa dicente ad illum: Lectulus noster floridus (Ct 1, 15) ... . Sponsa, quae sponsa demonstrat lectulum, satis indicat quod eam quies, non cursus dilectat, nisi forte post illum currat dicens: Trahe me post
te: in odorem curremus unguentorum tuorum (vgl. Ct 1, 2 - 3 ) . Zur Metaphorik vgl. das folgende Kapitel. 163 Miracula 1, S. 237: Nam peccasti quam plurimum relinquens meum filium, cui virgo desponsata eras atque consecrata te ipsam tradens diabolo et me quoque ad maximam iracundiam commovisti. Nam qui spernit meum natum, exhonorat me nimium.
Bräute Christi
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kalen Vita magistrae in Verbindung gebracht wird, den von ihren Eltern ausgesuchten weltlichen Bräutigam zugunsten des himmlischen sponsus und wird seine jungfräuliche Braut. Dasselbe gilt für die Sünderin Thais, die ihre Liebhaber und deren Reichtümer hinter sich lässt und durch ihre Abkehr von der Welt und Einkehr ins Kloster zur Braut Christi wird 164 . In allen Fällen wird die Liebe und Hingabe zu den Menschen durch jene zu Gott bzw. seiner Mutter Maria als Vorbild und Fürsprecherin ersetzt oder überhöht. Deshalb ist die radikale Umkehr und Liebe auch Motiv für Gnade und Erlösung 165 . Schließlich evoziert der Prolog der Vita magistrae selbst ein ähnliches Bild, wenn das Schreiben der gelehrten Frau als Ausdruck ihrer Liebesbeziehung zum himmlischen Bräutigam dargestellt wird 166 . Jeder der Texte präsentiert seinen Leserinnen Vorbilder und Muster einer geistig-spirituellen Lebensweise, wobei allerdings jeweils unterschiedliche Aspekte im Vordergrund stehen. Ist im Fall der heiligen Gertrud ihre Modellfunktion als adelige Jungfrau von Bedeutung, spielen bei der Geschichte der Thais und der Sanktimonialen in den Miracula die Faktoren der Sünde und der Möglichkeit zur Umkehr die wichtigste Rolle, während in der vita magistrae die spirituelle Gelehrsamkeit der Protagonistin und der Autorin als zentraler Bestandteil eines gottgefälligen Lebens dargestellt werden. In allen Fällen aber können diese unterschiedlich gewichteten Aspekte als Bestandteil des Selbstverständnisses der Sanktimonialen als Bräute Christi gedeutet werden, und werden als Werkzeuge und Ausdrucksformen ihrer Liebe zum himmlischen Bräutigam wirksam. 3.2.3. Königliche Jungfrauen, Weisheit und die „wahre" Nobilität Ebenso wie die hagiografischen Texte, Briefe und Miracula ihren Leserinnen unterschiedliche Identifikationsangebote machen, sprechen die Illustrationen in den Admonter Handschriften verschiedene Aspekte ihres möglichen Selbstverständnisses an. Neben den genannten Mariendarstellungen, die Ähnlichkeiten mit den Bildern von Nonnen selbst aufweisen 167 , ist die auffälligste Illustration des Admonter Matutinale allerdings die der Himmelfahrt und Krönung Marias. Zum Fest der Assumptio Mariae am 15. August gibt es eine eindrucksvolle Miniatur, die Tod, Auferstehung und Krönung der Mutter Gottes darstellt und den Text der Lesung zu diesem Tag begleitet 168 . Dabei handelt es sich um Auszüge aus dem Pseudo-Hieronymus-Brief „Cogitis me" des Paschasius Radpertus, also genau um jenen Text, der bis ins 12. Jahrhundert eine der Hauptautoritäten gegen die leibliche Himmelfahrt Marias war 169 . Die Darstellung der glänzenden Aufnahme Marias in den Himmel durch Christus präsentiert jedoch die gegenteilige Vorstellung, wie sie gerade in Admont auch durch weitere einflussreiche zeitgenössische Schriften vertreten war. Neben dem AssumptioBrief des Gerhoh von Reichersberg, der in gleich zwei Handschriften des Klosters über164 Cod. Admont. 25, fbl. 234r-v sowie das Gedicht Marbods von Rennes, fol. 234v-235r. Vgl. ausführlich S. 107, S. 132f. zu Gertrud und 107 sowie 137 zu Thais, mit Abb. 12 im Anhang. 165 Vgl. S. 137, Anm. 60 zu den Sünderinnen Thais und Pelagia im Nonnberger Gebetbuch, oder etwa St. Trudperter Hohelied 148, 4; Gottfried (bzw. Irimbert, Homiliae festivales 1026f.; weitere Beispiele bei Brunner, Selbstverständnis 304, Anm. 204. 166 Vita magistrae, Prolog ... Virgo virgineumper amorem scripsit amorem / Quo dilexit Eum, quisolus confert amorem. 167 Siehe oben Anm. 158f. 168 Cod. Admont 18, fol. 163r (Abb. 8 im Anhang); dazu Seeberg, Illustrationen 137-150. 169 Vgl. S. 117, Anm. 308.
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Rollenmodelle und Identifikationsmuster
liefert ist, war vor allem das Sigillum Beatae Mariae des Honorius Augustodunensis einer der wichtigsten Texte für die Argumentation der leiblichen Assumptio Marias 170 . Hier wird also zum einen das Interesse der Admonter Sanktimonialen an der Thematik deutlich, zum anderen aber der zum damaligen Zeitpunkt noch offene Ausgang dieser zentralen Streitfrage, der auch in der Vermeidung einer klaren Stellungnahme in den Marien-Predigten Gottfrieds bzw. Irimberts zum Ausdruck kommt 171 . Der Stellenwert der leiblichen Aufnahme der Mutter Gottes in den Himmel geht auch aus der Art ihrer Darstellung in der Illustration zur Auferstehung hervor. Maria ist in ganz unüblicher Weise als königliche Jungfrau repräsentiert. Sie hat lange, blonde gewellte Haare, die in der Mitte gescheitelt sind und von einem blau-weißen, mit einem Edelstein geschmückten Schapel gehalten werden. Sie trägt ein extravagantes, enges und dekolletiertes rotes Kleid mit einem Besatz am Ausschnitt. Beim Schnitt der Ärmel könnte es sich um einen eng anliegenden Wechselärmel handeln, der damals eines der extravagantesten Accessoires der zeitgenössischen höfischen Mode war. Insgesamt entspricht dieses Bild den Darstellungen weltlicher unverheirateter Frauen und nicht den zeitgenössischen Mariendarstellungen. Auf derselben Seite gibt es eine illustrierte Initiale, die Maria mit dem Jesuskind zeigt. Auch sie trägt nicht den in traditionellen Darstellungen üblichen Mantel mit Schleier, sondern ein enges Unterkleid, darüber ein modisches Gewand mit Trichterärmeln und einen pelzbesetzten langen Mantel 172 . Darüber hinaus gibt es große Ähnlichkeiten zwischen diesen Illustrationen und der Miniatur der Heiligen Ursula, die ebenfalls den Typus der königlichen Jungfrau verkörpert. Auch sie trägt ihre langen blonden Haare offen unter einer blau-roten, mit Gold und Edelsteinen besetzten Krone. Ihr blaues Kleid ist dekolletiert und eng anliegend, hat modische, mit Borten besetzte Ärmel und zusätzliche grüne Hängeärmel 173 . Die Krönungsszene wiederum zeigt die Mutter Gottes mit mit Krone und Szepter, den Attributen der Maria regincz174. Sie trägt einen locker geschwungenen grünen Weihel mit ockerfarbenem Innenfutter. Ihr grünes Kleid ist mit einer edelsteinbesetzten roten Borte verziert und hat Trichterärmel. Sie trägt modische spitze Schuhe mit aufwändiger Verzierung. Der rote Kronreif hat einen Lilienpalmettenbesatz und verfügt zudem über einen Bügel. Hier wird also die traditionelle Interpretation der Braut des Hoheliedes als Ecclesia mit jener von Maria als Königin zusammengeführt. Diese Auslegung wird außerdem durch die umstehenden liturgischen Texte und die Spruchbänder gestützt, welche die Miniaturen auf fol. 163 umrahmen. Sie zitieren jene Verse aus dem Canticum Canticorum, die metaphorisch Assoziationen mit der Himmelfahrt Marias erlauben 175 . Auch im Admonter Kodex 255, der den Hohelied-Kommentar des Honorius 170 Der Brief Gerhohs ist überliefert in Cod. Admont. 579, fol. 35r-38r, und Cod. Admont. 602, fol. 15r-21r; inhaltlich S. 115-119, zu den Editionen vgl. Anhang 3. Siehe dazu Classen, Gerhoch von Reichersberg 404. Das Sigillum Beatae Mariae ist ebenfalls in Cod. Admont. 579 überliefert. 171 Vgl. S. 118f. 172 Seeberg, Illustrationen 122f. sowie Brüggen, Kleidung 71—99. Für ihre Unterstützung bei den Details der Bildbeschreibungen danke ich besonders der Kunsthistorikerin Barbara Schedi. 173 Cod. Admont 18, fol. 186r (vgl. Abb. 10 im Anhang): Darstellung der Hl. Ursula; dazu Seeberg, Illustrationen 72f. mit Abb. 25 sowie ebd. 124 zur Repräsentation Marias. Vgl. außerdem Brüggen, Kleidung 71 ff. und 87. 174 Vgl. Roitner, Mater misericoridiae, Kap. V. 11 „Maria regina", besonders d. „Die Maria-regina Idee bei Gottfried von Admont". 175 Cant 2, 10: et dilectus meus loquitur mihi surge propera amica mea formosa mea et veni (fol. 165) sowie 3,6: quae est ista quae ascenditper desertum sicut virgula filmi ex aromatibus murrae et turis et universi
Bräute Christi
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Augustodunensis enthält, gibt es eine Initialminiatur mit der gekrönten Braut im höfischen Gewand. In der Handschrift mit Irimberts Auslegungen des Hoheliedes (Cod. Admont. 530) ist ihr Gewand zwar einfacher und sie trägt keine Krone, ist aber ebenso mit langen offenen Haaren unter einer Haube als unverheiratete Jungfrau erkennbar176. Diese Illustrationen verdeutlichen die Möglichkeit, im liturgischen Zusammenhang durch bildliche Ausdrucksformen bestehende Auslegungstraditionen und neue Interpretationen neben- und miteinander wirksam werden zu lassen177. Darüber hinaus vermitteln sie einen Eindruck, mit welchen Vorbildern sich die Admonter Nonnen als Rezipientinnen identifizieren konnten. Die Darstellungen Marias nicht nur als Mutter Gottes, sondern vor allem als königliche Jungfrau, gekennzeichnet durch Kleidung, Schmuck und offene Haare, verweisen auf die Bedeutung einer standesgemäßen Repräsentation für die Admonter Damen hoher Herkunft. Alle Darstellungen von Maria und den Nonnen zeichnen sich zudem dadurch aus, dass die Kopfbedeckung und Kleidung den Hals freilässt und eher an ein dekoratives, modisches Accessoire denken lässt als an eine Nonnentracht. Dies erinnert an die berühmte Auseinandersetzung zwischen Hildegard von Bingen und Tenxwind von Andernach darüber, ob die geistlichen Frauen im Kloster der Äbtissin Hildegard als Bräute Christi mit schönen Gewändern und offenen Haaren auftreten dürften oder ob dies - so die Kritik Tenxwinds, die ihrerseits Vorsteherin eines Reformklosters war - den egalitären Reformgedanken der vita apostolica und der pauperes Christi widerspräche178. Im Zusammenhang mit dem Aspekt der standesgemäßen Repräsentation und der möglichen Identifikation der Betrachterinnen über die Kategorie ordo, die im Bild der „Braut Christi" und besonders der sponsa Maria zusammengeführt werden, spielen darüber hinaus die Tugenden der Weisheit und der Klugheit eine wichtige Rolle. Die virgo regalis Ursula hält in der einen Hand einen Palmzweig als Kennzeichen ihrer Eigenschaft als königliche Märtyrerin, in der anderen eine Öllampe, das Symbol für die „klugen Jungfrauen" des neutestamentarischen Gleichnisses: Zehn Mädchen zogen mit ihren Lampen los, um den Bräutigam abzuholen. Fünf von ihnen waren klug und hatten Ol zum Nachfüllen mit, die anderen fünf nur die Lampen. Als sich der Bräutigam verspätete und die Lampen auszugehen drohten, mussten sich die „törichten Jungfrauen" erst neues Öl besorgen. Sie kamen zu spät zum Hochzeitsfest und blieben vor verschlossenen Türen stehen, während die „klugen Jungfrauen", die auf die ungewisse Stunde der Ankunft des Bräutigams vorbereitet waren, drinnen mit ihm Hochzeit feierten179. Die Illustration der Mutter Gottes mit dem Jesuskind auf fol. 163 wiederum gehört zur Initiale zum Text der Antiphon virgo prudentissima180. Beide Darstellungen kluger,
pulverispigmentarii (fol. 163, Spruchband). Vgl. Seeberg, Illustrationen 111 sowie Hänggi, Liber Ordinarius 198ff. zu den Hirsauer Regeln fur die liturgischen Gesänge. 1 7 6 Cod. Admont. 255, fol. 12 sowie Cod. Admont 530, fol. 1; dazu Seeberg, Illustrationen 127 mit Abb. 88f. und weiterführender kunsthistorischer Literatur. 1 7 7 Dazu Seeberg, Illustrationen 166f.; ähnlich zum Speculum virginum Powell, Audio-Visual Poetics of Women's Religious Instruction. 1 7 8 Hildegard, Ep. 52, 125-130; Haverkamp, Tenxwind von Andernach 543-545; Mews, Hildegard, Speculum Virginum and Religious Reform 238; Feiten, Soziale Zusammensetzung 189-192 und 219f. Das ZitatS. 201, Anm. 130. 179 Virgo regalis ist die Bezeichnung im Responsorium in Cod. Admont. 18, fol. 186r (vgl. Abb. 10 im Anhang). Vgl. Mt 25, 1-13. 1 8 0 Zu den liturgischen Gesängen vgl. S. 43; zur Antiphon vgl. Huebner, in LMA 1, 7 1 9 - 7 2 2 .
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Rollenmodelle und Identifikationsmuster
königlicher Jungfrauen korrespondieren mit dem Bild der biblischen Braut des Hoheliedes, der Königin von Saba 181 . Deren Besuch bei König Salomon ist ebenfalls eine Miniatur im Admonter Matutinale gewidmet 182 . Das königliche Paar wird im Kontext einer Lesung zum Kirchweihfest präsentiert, die auf die Besuchsszene Bezug nimmt. Der dazu gehörige alttestamentarische Text erzählt unter anderem von der prunkvollen Tafel am Hof Salomons, die in den Illustrationen der Handschrift durch die Darstellung von Mundschenk und Truchsess mit Schale und Gefäß repräsentiert wird 183 . Das Paar Salomon und Königin von Saba wurde in den Hohelied-Exegesen wenn, dann meist typologisch als Christus und Ecclesia gedeutet, so etwa bei Origenes, Augustinus, Prudentius oder Isidor von Sevilla 184 . Im 12. Jahrhundert findet sich diese Interpretation vor allem in der Expositio in Cantica Canticorum des Honorius Augustodunensis und bei Rupert von Deutz 185 . Beide - wie auch die Darstellung im Admonter Stundenbuch - heben das Gespräch zwischen König und Königin hervor: Sie stellt ihm Rätselfragen, mit deren Beantwortung er seine legendäre Weisheit unter Beweis stellt 186 . Eine ähnliche Bedeutung wie in Admont wird der Darstellung des Paares auch im Hortus deliciarum zugebilligt. In der Hohenburger Handschrift gibt es eine dreiteilige Illustration der Besuchsszene, die Passagen aus dem Kommentar des Rupert von Deutz zu dieser Stelle enthält. Abgebildet sind neben dem Gespräch und der Ubergabe von Geschenken die drei Jungfrauen vor dem salomonischen Thron. Diese Repräsentation stellt eine Verbindung zwischen der Weisheitsthematik und dem Motiv der „klugen Jungfrauen" her, die - ähnlich wie die Darstellungen der Hl. Ursula und der 11000 Märtyrerinnen im Admonter Matutinale - als Identifikationsmodell für die Sanktimonialen gedient haben könnten 187 . König Salomon war in der exegetischen Tradition Sinnbild und Personifikation der Weisheit, die ihrerseits in den alttestamentarischen Weisheitsbüchern mitgeteilt wurde 188 . Die Weisheit (sapientia) als Tugend der praktischen Vernunft und des spirituellen Wissens wurde in der griechischen Tradition aber auch durch die weibliche allegorische Figur der Sophia (Socpia) repräsentiert. Sie personifizierte gleichzeitig den von Gott geschaffenen Menschen und seine Mitschöpferin und Geliebte, Gastgeberin und
Vgl. dazu oben S. 154. Cod. Admont. 18, fol. 210v (vgl. Abb. 11 im Anhang); dazu Seeberg, Illustrationen 94-99 mit Abb. 20. 183 Ebd., vgl. 3 Könige 10, 4 (Zählung nach der Vulgata, vgl. S. 70, Anm. 85). 184 Insgesamt gibt es dazu aber vergleichsweise wenig Belegstellen, vgl. etwa Origenes, In Canticum Canticorum 2, 119: Sic ergo impletur, quod dixit, quid non fuit verbum, quod non enuntiaverit pacificus Dominus reginae Saba ecclesiae ex gentibus congregatae, dazu Watson, Die Königin von Saba 55. 185 Bei Honorius wird die Braut des Hoheliedes außerdem als Tochter Pharaos, Shulamit und als die ganze Menschheit gedeutet: Cantica Canticorum 347ff., 495-518. Vgl. dazu Seeberg, Illustrationen 98, Anm. 494. 186 Vgl. 3 Könige 10, 1-3. 187 Vgl. HD, fol. 204v, S. 336, fol. 209v, S. 342; die Texte n. 718-720, fol. 210r-211r, S. 3 4 3 345; zur Interpretation Cames, Allegories 77, 81-83; Curschmann, Texte - Bilder - Strukturen 4 0 1 405, 414. 188 Proverbia (Sprüche), Ecclesiastes (Prediger), Hiob und Psalmen; Sirach seu Ecclesiasticus (Sirach), Sapientia (Weisheit); zur Differenzierung zwischen den aus dem Hebräischen und dem Griechischen übersetzten Büchern der Vulgata vgl. Roitner, Mater misericordiae, Kap. V 9a „Weisheit und Weisheitstheologie in den kanonischen und außerkanonischen biblischen Schriften", bes. Anm. 5358 mit umfangreichen weiterführenden Literaturangaben. Ebd. auch ausführlich zum Folgenden. 181
182
Bräute Christi
161
Predigerin, Lehrerin und Ratgeberin von Königen189. Besonders seit dem 12. Jahrhundert wurden die Weisheitstexte verstärkt auf Maria angewandt und die Figuren der Zo dmfm ífrfVut cantad confulaidú bafir M C í bub dm arcaron" ^ua obran ha- dictr P l T dris. Ir. lirhüo qur afcmdifc S I H O nmiddmidrs/fal morir M • 1 1 1 *. I i . i y i i B R V A N € T A R & G Y M \ S e R I T TV R A Ài?' Q I í S l - p y Fj L i . i J u dr irna rfhfiri capnuaqur T VtfrV ticrf-licloqtmur y quu dr cridh # A f fjnmiano j j rrmirr.inii.tra. tf-mrfotm iini ticiríuim mbtuus mltí prt^?la^0nr Iy dlulnrtlIfJrputaia- abífanj; aíirs ñapw i "pi cddfu myihna ertquitutr >ndc mima t M buiuj'libri byth)na c u i u f j u d v r fpe fes
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Abb. 16b: C o d . Admont. 638, fol. 82v: De moniale stulta, Sprecher/innen- und Szenenwechsel