Geschichte der Europäischen Staaten: Band 1 Geschichte Frankreichs [Reprint 2022 ed.]
 9783112635162

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Geschichte

Frankreichs

von

Karl Ludewig Weltmann.

Berlin. Bei Johann

Friedrich Unger.

1797.

Geschichte der

Europäischen Staaten vvn

Karl Ludewig Woltmann.

Erster

Band

Berlin. Bei Johann

Friedrich

1797.

Unger.

Vorrede.

*VVün Zdeal einer Geschichte der europai« schen Staaten habe ich in der folgenden Einleitung geschildert,

mehr wegen meiner

Liebe für die Historie,

als weil ich hoffen

durste, bei meinen eignen Versuchen ihm nahe zu kommen.

Ich glaube, daß der EnthusiaS«

mus für seine Wissenschaft im Gelehrten fast

mit jedem Tage glühender wird; doch hoffe ich auch, daß seine Unzufriedenheit mit seiner a »

eige-

Vorrede.

IV

eigenen Arbeit nicht immer in demselben Ver­ hältnisse steigt, und daß endlich ein Zeitpunkt kommt, wo er mit Gerechtigkeit über dieselbe

urtheilt.

Es gehört wenig Kultur dazu, daß

man sein Werk mit Redlichkeit verwerfen und

ungerecht gegen dasselbe seyn kann; aber auf

welcher Stufe der Ausbildung wird man stehn

müssen, um zu jenem Zeitpunkte gelangt zu

seyn!

«Von weit höherm Werth,

als der

Kranz der Bescheidenheit, welchen uns andre reichen, ist der Kranz der Gerechtigkeit, wel­

chen wir uns selbst zusprechen können.

Zn den Zeiten, ehe man dies vermag, ist

es ein tröstender Gedanke,

daß man durch

seine Bemühung in den Wissenschaften, wenn

sie gleich weit hinter demjenigen zurückbleibt, was man für diese thun wollte, einem gegenwarti-

Vorrede.

V

wattigen Bedürfnisse seiner Mitbürger einiger­

maßen abhilft.

Sicher ist es nach der politi*

schen Richtung, welche unser Zeitalter bekom­

men hat/ nothwendiger als je geworden, die

Geschichte der Staaten aus einem Gesichts­ punkte zu betrachten, wie er hier angegeben ist;

und fehlt es nicht gänzlich an einem Werk über dieselbe, welches aus emem solchen Gesichts­

punkte gearbeitet,

und nicht entweder für

die Lesewelt, besonders für Geschäftsmänner zu ausführlich, oder zu aphoristifch wäre, als

daß man es ohne Erläuterungen, ohne eignes Studium gebrauchen könnte?

Wenn man eine Menge von Materialien

in einem kleinen Raum anordnen will, so wird es ausserordentlich schwer, der Darstellung das gehörige Licht, der Sprache Leichtigkeit zu ge-

a 3

ben,

vi

den,

Vorrede.

und man muß im voraus Verzicht

darauf thun, daß dieses gelungen sei, sobald

man nicht den Platz, wo ein Faktum, eine

Aeusserung stehn soll, mit Aengstlichkeit ge­ wählt, und die Größe des Raumes, welchen sie einnehmen dürfen, genau berechnet hat-

Bei der Bemühung, dieser nothwendigen Fo-

derung nachzukommen, kostet nichts mehr An­

strengung, als wenn man sich zwingen muß,

da nur wenige Striche zu thun, wo man ein vollendetes Gemälde entwerfen könnte.

Ich

werde hausig einen Mangel an dieser Selbstü­

berwindung verrathen haben.

Cs war völlig unmöglich,

eines historischen Werkes,

den Inhalt

das so gedrängt

seyn soll, mit einer ununterbrochnen Anfüh­ rung der Quellen zu begleiten, und eben so

un mög-

Vorrede.

VII

unmöglich, daß ich ihn ganz aus denselben un­

Nur bisweilen ging

mittelbar hervorbrachte.

ich zu den Quellen, wenn es mich zuversichtlich ahndete, daß die historischen Meinungen, wel­ che im Gange waren, aus einer einseitigen oder

gänzlich falschen Benutzung derselben ihren Ursprung gehabt hatten.

Von neuen Recher­

chen wird man hier deshalb nicht häufig Spu­ ren finden; aber möchte es mir gelungen seyn,

desto mehr für die historische Wahrheit durch eine neue Behandlung der vorhandenen Ma­

terialien gethan zu haben!

Im Allgemeinen

wollte ich weder die Quellen, noch die Bear-

beiter der Geschichte angeben, theils weil es

für die Klaffe von Lesern,

für welche diese

Schrift zunächst bestimmt ward, nicht Bedürf­

niß zu seyn scheint, theils weil die Literatur einer Wissenschaft etwas so gänzlich von ihr perschiedenes ist, daß sie mich einem ganz ana 4

dern

viii

Vorrede.

dem Gesichtspunkt bearbeitet werden muß. Ich hoffe, in einem besondern Bande eine Kri­ tik der Quellen für die Staatengeschichte lie­

fern und zugleich anzeigen zu können, wie man

dieselben bisher benutzt Habe-

Ich kann diese Dorerinnerungen nicht schliessen, ohne des Abrisses von der Geschichte

der französischen Revolution zu erwähnen, der sich am Ende dieses Bandes sindet, nicht um mich wegen einiger Aeusserungen vor einem

andern, ais einem historischen Forum zu recht­ fertigen , denn ich achte mich selbst zu sehr, als

daß ich mir Urtheile erlauben sollte, die mir

von der Regierung könnten verargt werden,

unter welcher ich lebe, sondern nur, um die Bemerkung zu machen, daß sich durch psycho­ logische Forschung vielleicht noch Licht über manche

Vorrede.

ix

manche dunkle Parthie in der Geschichte der-

Revolution verbreiten lasse.

Man hat über

die Manner, welche bis zum Sturz Robespierre's eine bedeutende Rolle spielten, Nachrich­

ten genug,

um mit einiger Sicherheit eine

solche psychologische Forschung anstellen zu

können, und selbst in denjenigen Nachrichten, in welchen Begebenheiten absichtlich unwahr

dargestcllt sind,

sindet man oft für dieselbe

eine vorzügllche Quelle.

Auch möchte es

kaum für die Nachwelt möglich seyn,

nach

Entwicklung der großen Grundursachen der Revolution, deren vornehmste sicher in dem

Gange liegt, welchen die französische Kultur nahm,

irgend einen andern durchführenden

Gesichtspunkt zu nehmen, als den psychologi­ schen.

Wann ist je das Schicksal einer Welt­

begebenheit so sehr das Werk von der Jndivia 5

duali-

dualität einzelner Manner gewesen,

als die

Revolutionen der französischen Revolution? Gern möchte ich die wenigen Züge, mit wel­

chen hier der Charakter der Hauptfiguren ange­ deutet ist, dereinst zu Gemälden machen.

Jena, den r. April 1796

Weltmann.

Einlel-

Einleitung «brr

die Disziplin der

Staatengeschichte.

Einleitung.

.cker; A

aber

1

Frankreich.

aber zugleich mit dem Gemeinsinn, welchen es erweckte, mußte «s Neugierde, Leichtsinn und Nationalstolz hervorbringen. Wenigstens finden wir diese Züge im Charakter der alten Dewohner Galliens. Indem Caesar als Vertheidiger der angebeteten Nationillfreiheit auftrat und ihrs bewundernd« Danke barkeit in Anspruch nahm, konnte er unbemerkt den Grund zur Ausführung seiner Plane legen; und welche häufige Gelegenheit gab ihm der getäuschte Stolz dieses reizbaren Volke« in seinen vielen Ausbrüchen, um unter einem schicklichen VorIvande auch den letzten Nest der Freiheit vertilgen zu könne» l Em Glück war es für das ganze Land zwischen den Pyrenäen und dem Rhein, welches Caesar eroberte, daß es erst unter August durch Agrippa römische Provinzialverfassung bekam, denn da brauchte es rticht mehr zu fürchten, der Raubsucht von Statt/ Haltern Preis gegeben zu werden. Die römischen Einrichtun-en mußten leicht in Gallien-gedeihen, da sie in einer von den vier Provinzen, in welche es jetzt gecheilt »vurde, schon so im Gange waren, daß August sie an den Senat abgeben konnte, also in ihr keine Ausübung der Zmperatorsgewalt tnehr nöthig glaubte. Zweifelhaft ist es, ob Konstantins Po­ litik, die bürgerliche und militärische Gewalt so viel als mög­ lich zu trennen, vortheilhaft für Gallien wirkte; gewiß ist dies von der Anwesenheit eines so aufgeklärten Helden, wie Zulian war. Alles hatte schon das Gepräge der Römer, als die große Völkerwanderung ausbrach. Verderblicher für das Land waren wohl die Durchzüge barbarischer Horden nach Spanien, alö es die Westgothen und Burgunder buvdj ihre Niederlassung, iene zwischen den Pyrenäen und der Loire, diese zwischen der Rhone und dem Aarfluß wlirdem Doch sowohl

Frankreich.

3

sowohl diese Völker- als auch die alten Provinzialen und dl« britannischen Flüchtlinge an der nördlichen Küste mußten flch unter die Herrschaft der Franken beugen.

§. 2. Warum kam fränkische Herrschaft so leicht itt GaklikN empor, und wie erhielt sie sich so lange? Die Franken hatten

den gropen Vortheil, daß sie am spätesten unter den germantt schen

Nationen die gallischen Provinzen

überschwemmten;

man war schon getvöhiit an die harte Rohheit der Barbaren, und haßte diese neuen Ankömmlinge auch deshalb nicht so

sehr, wie die ersten, «eil sie als Heiden kamen und bald sich

zur rechtgläubigen Kirche bekannten, zU welcher die Provine

zialen gehörten,

da hingegen Westgothen und Burgunder

«rianrsche Ketzer waren.

Alle andre germanische Völker vett

sahen eS in ihren neuen Wohnsitzen darin, daß sie sich zu sehr an Sitten und Vorstellungsaik der Ueberwuttdcnen g«

wöhnten,

denN vermischt Mit diesen Mußten sie, die rohe»

Sieger, bald die Fesseln der kultkvirten Besiegten tragen ; die

Franken blieben lange,

in weiter Entfernung von den Eine

heimischen, ihren väterlichen Sitten getreu,

und behielten

die rüstige Kraft, welche sie in den deutschen Wäldern hatt len, unterdessen andre Germanen Weichlinge unter den Nöe

mern wurden.

Ein besonderes Glück für sie war es, daß

sie ihre alten Wohnsitze nicht aufzugebsn brauchten, uNd als Grundlage ihrer neuen Herrschaft benutzen konnten; ein ber

sondereS Glück, daß ihnen keine mächtigern Barbaren nach­ drangen.

Die Provsyzialen mußten sich unter der ftankie A x

schett

Frankreich.

4

sehen Regierung glücklicher fühlen, als unter der römischen; her neue Hof kannte keine Bedürfnisse des Luxus, keine Abgar

die zur

den,

prächtige

Befriedigung derselben

erhoben werden; an

öffentliche Anstalten war gleichfalls nicht zu den

Wenn sie von der Rauhigkeit der neuen Herrscher auch

ken.

einiges Ungemach zu tragen hatten: so mußte dies sehr ver­ ringert werden durch den Uebertritt derselben zur christlichen

Religion, denn nun erhielt die Geistlichkeit des Landes großen

Einfluß auf die Staatsgeschäste, und sie entstand noch lange hin einzig aus der Mitte der alten Einheimischen.

Ein helleres Licht über den Charakter der Kultur und der Verfassung in der merovingischen Periode verbreitet die Auf­

suchung der Ursachen, welche den Verfall des Staates in dersel­ ben bewirkten. Die vorzüglichste liegt wohl darin, daß dir Fran­

ken einen Zeitpunkt menschlicher Kultur nicht vermeiden konn­ ten, in welchem Individuen und Nationen dem Abgrunde nahe

sind.

Die deutschen Barbaren, bisher weder tugendhaft noch

lasterhaft, traten mit einem rüstigen Körper und einem gedankenr

leeren Kopfe in die römischen Provinzen, wo ihnen tausend neue Gegenstände aufstoßen, und

ihnen

erwecken.

Nicht

durch

ungewohnte Begierden in Moralität,

auch

nicht

einmal durch ein Gefühl für konventionelle Schicklichkeit werden ihre Triebe vom wilden Ausbruch zurückgehaltcn, und nun erfolgt

jener Zustand, bei dessen Betrachtung der gebildete Mensch zwei­

felhaft wird,

ob er mehr über die Laster in demselben, oder

über die Kräfte staunen soll, welche zur Befriedigung lasterhafter

Begierden verwandt werden! Welche Geschichte kann diesenGeist

anschauender darstellen, al- die Erzählung von Brunehilds und Frede-

Frankreich, Fredegundens Feindschaft?

S

Ein zweiter Grund lag in der

boshaften Schwache der merovingischen Könige, welche fast alle von der Natur verwahrloset, wenigstens nicht zu Regem

len gestempelt, durch ihre Lage noch schlechter und ohnmäch­ Zn den unaufhörlichen bürgerlichen

tiger werden mußten.

Kriegen, welche aus den immer wiedcrhohiten Theilungen entstan­ den, hatte auch ein guter Charakter verdorben werden müssen. Alle Familienbande wurden zerrissen, und man gewöhnte sich zur Grausamkeit gegen sein eigenes Blut.

Sehr viel mußte

zum Verfall des Staates die Entstehung des Benefiziensystemes beitragen.

Wir finden keine Spur, daß Chlodowig bet

der Eroberung Galliens ein« ganz neue Theilung der Aecker vorge«

nommen hätt«; er gab wohl jedem seiner fteien Gefährten so viel

Grundeigenthum, als ihm nöthig war, und der König selbst

wurde

der

mächtigste

Güterbesitzer,

wodurch er sich bald

im Stande sah, zwischen sich und einigen seiner Unterthanen «ine engere Verbindung zu stiften, als das Nationalband des Heerbannes hervorbrachte.

Bei

den vielen Privatfehden,

welche die Meroving«r hatten, nutzte ihnen dieser wenig; der

Wunsch mußte in ihnen aufkommen, daß sie doch viele solcher trauten Gefährten hätten,

welche schon unter den ältesten

Germanen ihr Daseyn mit dem Leben ihres Anführers unauf­ löslich vereinigten.

Damals wurden dieie Trauten nur durch

die Ehre gefesselt; wodurch konnten sie in der mervvingischen Periode, sobald man anfieng, den Werth deS Grundeigeyr

thums ganz zu schätzen, leichter erworben werden, als wenn der König einen Theil seiner Ländereien einem freien Mann ein­ räumte, welcher dafür in die Zahl seiner Leute treten mußt«,

«r mochte nun jenes Benefiz auf bestimmte Zahr« oder auf

A 3

sein

6

Frankreich.

fjtjn ganzes Leben erhalten haben! Anfänglich hielt sich 6ev Güterbesiher, welcher nur der Nation verpflichtet war, wohl für besser, als der Mann deck Königs; aber dieser gewann durch die Verbindung mit dem Haupt» des Volkes und durch die erhaltenen Benefizien so augenschein­ lich, daß man sich bald in die Klasse der königlichen Leute drängte. Den Königen wurde es nun immer leichter ihre» Hang zu verderblichen Fehden zu befriedigen, und im Staad bildete sich em doppeltes, sich entgegengesetztes Interesse; der Thron und seine Leute hatten ein andres, als die freien Gürerber sitzer. Ant meisten litt zuletzt bei dieser Veränderung derjenige, tpelcher sie seines Vortheils wegen einführte, denn allmählig wuß­ ten die Leute Allod und Benefiz so mit einander zu vereinigen, daß sie ein Erbrecht auch auf dieses behaupten konnten, und so die Domainen des Thrones immer kleiner machten. Ei» König, der nichts mehr zu vergeben hatte, tpard von sei­ nen Leuten verachtet, und sobald er kein großer Güterbesiher mehr war, von der übrigen Nation nicht geschähet. Schon unter Karl Martell erhielt das System der Leute eine solche Bestimmung, daß man sagen kann, es ward Vasallensystem» T>er Heerbann wurde seltener aufgeboten , das Heer der Leut? reichte gewöhnlich zu; hie Nationalversammlungen im März wurden nicht fleißig mehr besucht, der König mit seinen Leur ren hatte doch daS llebergew.icht; die Geistlichkeit suchte auch Benefiz ien vom Thron zu erhalten, und die alten Provinzia­ len waren ihres besten Schutzes beraubt.

Bei einer Zerrüttung des Staates, wie sie dies« Ursache» hewrrken mußten, war eS wohl kein Wunder, daß die Gewalt

Frankreich.

T

walt des Major Domus zuletzt über den Thron hinaus« wuchs. Er stand an der Spitze des königlichen Hauöwe« fenti / und hatt« also die Aufsicht über hie Dmnainen; wie viel mußte der vermögen, welcher mir dem schaltete, was der Gegenstand des allgemeine» Strebens war! Als nun der Nakionalbund durch das Dasallrnsysiem verdrängt ward, und die Staatsverfaffuog durch die königliche >auS« Verfassung, da wußte der erste Diener der regierenden Fa» inilie erster Diener des Staats werden. Waren nun diese Majores Domus oft Manner von planvoller Klugheit, kamen drei ausgezeichnete Helden, wie Pipin von Heristall, Karl Martell und Pipi» auf einander; was Wunder, wenn endlich der meropingische Schatten - eines Königs, der schon so lange quf. dem,Throne dämmerte, ganz verschwand ? Schlau war es von Pipin, daß er den Ehrfurcht errege»« gcndcn Glanz, welchen auch die letzten Meroviuger, «iei wohl sie auf ihre» Meierhöfen von allen StaatSgeschaftech entfernt lebten, durch eine lang« Reihe königlicher Vorfah­ ren hatte», such du^ch bis Religion z« erwerben suchte». Seine Familie «ar- schozr her Liebling Her Kixche, Karl Martell hatte die Christenheit gerettet durch seine Siegn über, die Araber, und ihr eiyen wesentlichen Dienst durch, dir Unterstützung des. Heidenbekehrers Bonifaz geleistet, di« einheimische Geistlichkeit halte Pipin für sich gewonnen, und. der Erzbischof von Mqinz, wie der römische Bischof, be« rechneten ihren Vortheil nicht unrichtig, wenn, sie einer fei« chen Familie auch die königliche Würde zu,Erschaffen suchten. Auf einem Reichstage zu Soiffons stieß 75a, Pipi» den Merovinger Childerich ppm Thron, ES A4 »eigtk-

8

Frankreich»

zeigt« sich hier, daß in die Nationaldenkart die Maxime aus­ genommen sei, nickt die Geburt, nur das Verdienst gebe «in Recht auf die königliche Würde; und auch das zarteste Gewissen ward durch die Antwort des römischen Bischofs beruhigt. Pipin wurde überdies zweimal zum Gesalbte« des Herrn gemacht!

§♦



Welche schöne Harmonie zwischen dem Geiste, welcher die beiden ersten Könige aus der neuen regierenden Familie belebte, und ihrer Lage! Der planvolle, aber nicht schöpferi­ sche Pipin durfte die Verfassung nicht sehr verändern; aber der alles umschaffende Karl konnte es sich auf dem schon mehr befestigten Thron erlauben. Wie vortreflich war die Grundidee, auf welche er sein ganzes System der StaatsVeränderungen baute! ein fest angrzogenes Band mußte alle Glieder des Reichs umschlingen; Nationalversammlung und Heerbann mußten ihr alteS Ansehn wieder erhalten. Kein« Einrichtung konnte zweckmäßiger seyn, als das Ver­ hältniß der Herbstversammlungen zu den FrühlingSkvnven« trn. In jenen ließ 'Karl dir erfahrensten Männer sich über alles das berathschlage», was in der nächsten Maiversamm­ lung vorkommen sollte. Das heiligste Stillschweigen wurde über alles beobachtet, was hier verabredet war; unbemerkt konnten alle nöthigen Maaöregrln genommen werden, um das sogleich auSzusühren, was der Frühlingskonvent be­ schloß. Den Stürmen demokratischer Versammlungen war vorgebrugt, indem der rrnstrrt und weisere Theil der Na« tion

Frankreich

9

tion die Bcrathschlagungen leitete. Man kann sich aber der Frage nicht erwehren, wie ein solcher Nakioualkonvent in einem so ungeheuren Öitide möglich war? jeder freie Mann sollte und konnte doch zu demselben kommen! Allein zuerst sind solche Slaarseinrichtungen, wie diese, wohl nur für den knltivirteren Theil der fränkischen Nation getroffen; für die nördlichen und östlichen Barbaren waren sie nicht laug, lid), und Karl der Große dachte viel zu aufgeklärt, als daß er Menschen von verschiedener Kultur und Denkart nach derselben Regel hatte behandeln können. Ferner war auch die Zahl der freien Güterbestyer nicht außerordentlich groß, denn welchen langen Strich Landes besaß «in einziger unter den Großen deS Reichs, wie viel« Gegenden lagen und«, bauet, welche weitläuftige Ländereien gehörten schon Kirche» und Klöstern! auch machten die einzelnen ; rovinzialversanrmlungrn, auf welchen so manches für den Reichstag verhau* delt wurde, es möglich, daß eine Provinz nur Deputirte zu diesem schickte. Sehr strenge hielt Karl auf den Heer» bann. Wer ihn verabsäumt«, mußte den ganzen Heerbann bezahlen, und wer das Verbrechen der Herischlitz begienq, ward am Leden gestraft. Ein sehr nothwendiger usay mochte es für diese Zeiten seyn, daß jeder, welcher sich im Lager betrank, bis zur Besserung Wasser trinken wußte! Von einem politischen Geiste, wie Karl, ließ es sich erwarten, daß er alles thun würde, um den Weg zu ver­ rammel» , auf welchem seine Familie auf den Thron gekomr men war. Die großen Herzogsstellen suchte er zu vernich­ ten, und die Geschäfte des Major Domuö verrheilte er in A 5 meh,

mehrere kleine Aemter; selbst als die Aristokratie ihr Haupt erhob, kam kein Major DomuS wieder empor. Sein Reich theilte er in Gauen, weichen Grafen vorgesetzt waren, die freilich di« höchste bürgerliche und militärische Gewalt hatt ken, sich aber von den königlichen Ländereien in ihrem Gau entfernt halten mußten. Die Domainrn standen unter eit »em besonder» Aufseher, welcher freilich dem Grafen eia Dor» im Aug« war, dafür aber auch den. Aufpasser gegen ihn spielte. Ueberhaupt wußte Karl'die Eifersucht, welche jwischen den verschiedenen Standen und Dienern in seinem Reich herrschte, trefiich $u benutzen, um eine gute Staats» Verwaltung einzuführen. Die Fehler, welche sich in diesel« h« einschlichen, konnten den vielen Kommissaren nicht ent« gehn, welche er durch sein Reich versandte. Alles wäre «ortreflich berechnet gewesen, wcnn er nur. den Grafen nicht erlaubt hatte, sich Grundeigenthum in ihren Gaurn zu «r< «erben. Druck der Unterthanen war so eher möglich, u»6i baldige Vererbung des gräflichen Amtes von Vater auf Sohn unvermeidlich.

Wie: ftgensreich hätte Karls. Eifer für Dolkskultur und für die Wissenschaften de» folgenden Zeiten werden Müssen, wenn durch ihr« Stürme nicht das Schicksal gezeig; hätte, daß es die Pflanzungen auch der größten Geister zu nichte machen könne. Man traut kaum den Nachrichten, «elche uns von einer Akademie der Wissenschaften erzählen. Mochtr» diese literarischen Beschäftigungen »och fp. dürftig seyn, eine. Gesellschaft von Mannern, die sich mit b«n Gchriftsteller» des griechischen und römischen Alterthums,

Frankreich.

ii

mit Kultivirung der Muttersprache beschäftigen/ eine Geselspbaft, wo der König einer großen Msne-rchw und ei» eng* lischer Mönch, wo König David und der Bruche Homer mit einander ihren Geist übe», ist doch dttc schöne Erfchei« tiung in diesem düstern Zeitalter! Welche« glutfudje« Ei«, fluß mußte ein solches Beispiel aus die Ration z» einer Zeit haben, da bei jedem angesehnen Kloster, Mer großen Kir­ che Schaken zur wissenschaftlichen Bildung derfttber» und al­ lenthalben Anstalten für tue Volkserziehung. m welcher selbst für den Unterricht de« weiblichen Geschlechte« gesorgt ward, durch Karl« Fürsorge eingerichtet wurden!

Di« Bewunderung eine« solchen Mannes wird dadurch Nicht verringert, wen» man untersucht, wie er alles ver­ mögt«, was er vollbrachte. Zurrst wird man flch doch auf die Allgewalt genialischer Geister berufe» müssen, wel­ che oft durch die kleinsten Veranlassungen, die im Buche der Geschichte nie ausgezeichnet werden konnten, zur schnel­ len Entwicklung ihrer Kraft gcüieke» wurde». Sehr viel, gewann Karl durch feinen ununterbrochenen Verkehr mit Menschen; wie viel mußt« ein einziger Mann, wie Alkuin, an ihm Hervorrufen und zur Reif« bringen! Bei der Fr, fiigkeit seiner Regierung darf man nie vergessen, baß fi« bi« in das sechs und vierzigste Jahr dauerte; 768-814. daß ferner, sei» Vater durch die großen Allodialgü, • «er, welche rr zu den Domainen bracht«, dem Throne einen weit sicherern Grund gegeben, als er unter de» spätern Mer rovingern hakt«; daß endlich ein großer Mann zur Zeit der Unkultur und in einer unbestimmt«« Verfassung weit planvoller

volley regieren kann, als wenn der Staat schon fest« Formen hat. Was die Neuheit von Karls Einrichtungen der Re» gierung anbctrift: so darf man nicht verhehlen, daß di« Grundlinien zu denselben schon in der frühern iranklschen Verfassung waren. In der Dauer der Regierung, a« Glück, auch in der Vergrößerung ihrer Macht, an Talen­ ten des Staatsmannes und des Feldherrn, an Kraft des Willens und Hang zur literarischen Muße, sind er und Friedrich der Einzige von Preußen sich gleich. Beide gleis chen sich auch darin, daß zwei von ihren nächsten Vorfahr ren für ihre Plane sehr viel vorgearbeitet hatten. Karl hatte leider einen Nachfolger an Ludwig dem Frommen, welcher nichts als den Buchstaben seiner Einrichtungen kann­ te, und den erfahrenste«, liebsten Rath des Vaters ver­ abschiedete. An seinem Beispiele sah man die Wahrheit des Satzes, daß im Mittelalter oft ein ganzer Staat zu Grabe geht, wen» «in großer Regent stirbt. Die Schwachen seines Nachfolgers hakten keine andre gut« Folge, als daß Frank­ reich durch de» Vertrag zu Verdun ein für sich beste? «43. hendes Reich ward, dessen Gränzen die Rhone, Saone, Maas, Schelde, und der Ebro waren.

Erste

Periode.

Vom Gedeihen der Aristokratie bis zur ersten Ver«

fammlung von drei Reichsständen.

§. 4. Der vorzüglichst« Grund, warum sich die Feudalaristokratie so schnell und so früh in Frankreich erhob, lag in dem charaktee ristischen

volley regieren kann, als wenn der Staat schon fest« Formen hat. Was die Neuheit von Karls Einrichtungen der Re» gierung anbctrift: so darf man nicht verhehlen, daß di« Grundlinien zu denselben schon in der frühern iranklschen Verfassung waren. In der Dauer der Regierung, a« Glück, auch in der Vergrößerung ihrer Macht, an Talen­ ten des Staatsmannes und des Feldherrn, an Kraft des Willens und Hang zur literarischen Muße, sind er und Friedrich der Einzige von Preußen sich gleich. Beide gleis chen sich auch darin, daß zwei von ihren nächsten Vorfahr ren für ihre Plane sehr viel vorgearbeitet hatten. Karl hatte leider einen Nachfolger an Ludwig dem Frommen, welcher nichts als den Buchstaben seiner Einrichtungen kann­ te, und den erfahrenste«, liebsten Rath des Vaters ver­ abschiedete. An seinem Beispiele sah man die Wahrheit des Satzes, daß im Mittelalter oft ein ganzer Staat zu Grabe geht, wen» «in großer Regent stirbt. Die Schwachen seines Nachfolgers hakten keine andre gut« Folge, als daß Frank­ reich durch de» Vertrag zu Verdun ein für sich beste? «43. hendes Reich ward, dessen Gränzen die Rhone, Saone, Maas, Schelde, und der Ebro waren.

Erste

Periode.

Vom Gedeihen der Aristokratie bis zur ersten Ver«

fammlung von drei Reichsständen.

§. 4. Der vorzüglichst« Grund, warum sich die Feudalaristokratie so schnell und so früh in Frankreich erhob, lag in dem charaktee ristischen

Frankreich. «Mischen

Fehler von

den

13

Staatseinrichtungen

Karls des

Großen, daß er zu viel auf den Geist des Regenten gerechnet hatte.

Das Schicksal schien alle traurige Folgen,

welch«

dieser Fehler haben konnte, an den Tag bringen zu wollens indeni es dem französischen Thron in kurzer Zeit viele und

schlechte Könige aus dem karolingischen Hause gab, und gerade fetzt, da das Nationalsystem immer mehr zerfiel, den gewale

tigsten Sturm der Abentheurer aus dem Norden gegen Frank, reich richtete.

Indem Karl der Kahle den Rückzug der

Normänner erkaufte, gab er ihnen ein Signal, daß sie immer

Wiederkehre« sollten;

und

ihre

Verheerungen trafen nicht

blos die Küsten des Landes, denn mit ihren flachen Schiffen

drangen sie auch auf dkn kleinen Flüssen in das Innere des, selben, und hauseten da nach Sitte der Seeräuber.

Der

Heerbann war zerfallen, das Ansehn der Großen erhob sich,

weil ihnen Vertheidigung des Vaterlandes oblag, und bald

wählten sie sich den tapfern zum König Schwärme.

Grafen Odo von Paris

und Anführer gegen

die

normännischen

888

Durch ein solches RettungSmittek streg die

Schwäche des Staates,

denn selbst die Großen wollten nur

zu den Zeiten der Gefahr einen muthigen und klugen König, und die innerlichen Unruhen wurden durch einen bürgerlichen Krieg zwischen dem Neuerwählten und der alten regierenden

Familie vermehret.

Nichts half gegen die Verwüstungen der

Normänner, als daß man einen Schwarm von ihnen in das Land aufnahm, und den Anführer desselben zum Kronvasall

machte.

Rollo erhielt das Land von der Andelle und

Eure bis ans Meer als ein Erbherzogthum, und den

Grafen von Bretagne als feinen Vasall.

4

9II

Dir schöne

vier.

Frankreich.

14

vierzehnjährige Tochter von Karl dem Einfältigen zu heirs«

ihen >

gefiel dem sechszigjährigen Normann wohl besser, als

die Deiehnungsceremonie, die Taufe und der Name Roberte

Auch von den einheimischen -Feinden suchten die Karo»

linger Ruhe zu erkaufen, und machten deshalb so viele Schene kungen an die Großen, daß an keinen Frieden zu denken war.

Schon unter Karls des Kahlen Regierung lassen sich zwei Epochen festgcgründeter Feudalaristokratie bemerken-

Welche

demüthige Sprache herrscht in dem Anträge zu einem Ver­ gleich, welchen er den mißvergnügten Großen im I. 856 thun ließ! Er bittet sie, daß sie ihn seine Pflicht lehren sollen,

er verspricht,

nur nach ihrer Leitung zu regieren, er billigt

einen solchen Vergleich unter ihnen, daß sie

jeden aus ihrer

Milte, welchen der König ohne «in Iüdicimn parium strafen wolle, nach vergeblicher Erinnerung im Guten, mit Gewalt

vertheidigen müssen; und wenn sich einer von ihnen gegen di» Krone vergangen hat, so liegt es ihnen ob, ihn zu bestrafen. Diese Punkte sollen beide Partheien für ihre Nachkommen

festsetzen-.

Noch merkwürdiger ist eine Akte vom Z. 877.

Nachdem Karl versprochen, daß er einen jeglichen in seiner Würde lassen, und jeglichem Stande seine Gesetze erhalten

wolle, fügt er über die Erblichkeit der Grafenstrllcn Bestim­ mungen hinzu, die in jekßm Worte das Zeitalter charakteri,

flren.

Wenn ein Graf stirbt und einen Sohn hinterläßt, so

sollen die vertrautesten Freunde

des

Verstorbenen mit best

Staatsdienern in der Grafschaft und dem Bischof, zu dessen Porochie sie gehört, die Regiermrgsgeschäfte besorgen, bis es dem Könige kund gethan ist, daß er den Sohn mit der väter­

lichen

tzchen Würde bekleide. Hinterließ der Graf aber keine mSniw licht Nachkommen, so soll jemand ernannt werden, der mit den genannten Personen die Geschäfte besorge, bis die Stelle vergeben ist, da jener dann nicht zürnen soll, wenn sieeiiiem andern gegeben wird. Zn derselben Akte wild auch Erblichkeit der KronbenefizieN anerkannt; Über zugleich sollen die Großen eine solche Erblichkeit auch ihren Leuten zugestehn. Freilich wurde in beiden Akten nichts festgesetzt, was nicht scholl im Gange War; aber ein mächtiger König konnte bi'shsr mit allem Recht das Gegentheil von diesen Bestimmungen thun, welche Nun konstitutionsmäßig wurden. Alle diese Vortheile errang die Geistlichkeit so gut, als die weltlichen Vasallen, und sie wußte überdies «och andre zu erschleichest. Schon im Anfang der Regierung Karls des Kahlen ließ sie sich alle ihre Güter und Privilegien, welche besonders in der Immunität bestanden, schriftlich zusichern. Schon früh wirkten zu ihrem Vortheils die Dekretalien des Pseudoisidors, welche nicht so sehe unerhörte Grundsätze anfstellten, als daß sie alle Maximen­ weiche bisher «er Bischof von Rom gegen dis auswärtig» Geistlichkeit und die Staaten, uNd die Geistlichen gegen die weltliche Macht mit Hülfe des Geistes der Zeiten aufgebracht und häufig durchgesetzt hatten, als längst hergebracht und schriftlich darstellten. Die schlaue Kunst dss Betrügers, Melcher din Inhalt ist so verschiedene Formen goß, hätte nimmermehr obgesiegt, wenn der Geist dieses Zeitalters und der folgenden nicht mit tzinem Betrug übereingestimmt hätten

ib

Frankreich.

§» 5» Zu verwundern ist es, das; die Theile eines solchen

Staates nicht gänzlich auseinander fielen, zumal da durch die Entstehung des Königreichs von Provence in den südöstlichen

Provinzen den Großen schon ein verführerisches Beispiel ge­ geben war. Anfänglich hielt wohl der Druck von aussen,

»7,

der Kampf mit den Normännern den Staat zusammen, und

als diese wegfiel, Furcht vor dem grüßen Herzog der Normandie.

Wie leicht hätte dieser unternehmende und planmäßige Abentheurer bei einer Zertrümmerung des Reichs über die einzelnen

fränkischen Großen die Oberhand erhalten können! Ein star­ kes Band war auch die Besorgniß der Geistlichkeit, daß die weltlichenKronvasallen sie plündern möchten, wenn sie von kei­

nem König mehr geschühet ward.

Nur durch den Thron

konnte sie den Raub sichern, welchen sie am Throne verübt

hatte.

Dann half es gleichfalls, daß es vorzüglich ungebil­

deten Menschen so äußerst schwer wird, sich von früh empfan­

genen Eindrücken und Meinungen loszure-.ssen.

Schon die

Belehnungsfeterlichkeil hatte die Großen an die Zdee gewöhnt, wenigstens der Schatten eines Königs müßte ein Mittelpunkt für sie alle sehn.

solcher Schatten.

Die Karolinger waren nichts mehr, al« «in Wer bürgte dafür, daß bei einem allge­

meinen Losreissen der Großen vom Throne nicht der mäch­ tigste, schlauste von ihnen emporkam, und ein wahrer König

wurde?

Durch solche schwache Bande war das Reich noch immer

unter den karolingischen Königen zusammengehalten, als der letzte

Frankreich. letzte von ihnen,

Ludwig der Fünfte starb.

*7 Zum Glück hatte

sich unterdessen eine Farwüe unter den Feudalarsstokraren so

gehoben, daß sie keine Mrtwerberum den Thron zu fürchten brauchte»

Hugo der Große, Herzog von Neustrien, Burgund

und Francien war der Vater von dem König, welcher der Stammvater aller folgenden

französischen Monarchen ward.

Seine Besitzungen waren die größte aristokratische Macht in

Frankreich, und einige ans dieser Familie

Krone getragen.

hatten schon die

Sehr schlau war es vou Hugo Kaper, daß

er den einzigen Großen, welchen er harre fürchten müssen, wenn-,

derselbe kein Fremder gewesen wäre, daß er den normamrft schen Herzog für sieh zu gewinnen wußte.

Nun durfte er es

wagen, eine Versammlung, welche den Karolinger, Herzog Karl von

Lothringen, auf dtn Thron fetzen wollte, auseinander

zu jagen, und sich von seiner Parthie zum König ausrufen zu Lassen.

Alles war gewonnen, nachdem er vom Erzbischof

zu Reims gekrönt und gesalbt war, und hatte verhindern

können,

98?

daß, sein tapfrer Gegner eine bischöstiche Gab

bung erhielt.

Ueberdies bekam er denselben bald^ durch Vew

rarhexei. in seine Gewalt.

§♦ 6. Die Geistlichkeit wußte die Stühe auch dieses neuen Königs werden, und deshalb behielt sie rucht nur alles, was sie

schon erschlichen hatte, sondern er schenkte rhr auch die reichen Pfründen, welche er besaß, und reizte die übrigen Großen durch

sein Beispiel zu einer ähnlichen Freigebtgkett.

Was ein Klor

ster durch weltliche Raubsucht verlohren harre, ward mtt großer B

Mühe

Frankreich.

13

Mühe wieder Herbeigeschaft,

obgleich sonst durch die eidliche

Zusage des Königs jede in der allgemeinen Verwirrung errune

gene Beute rechtmäßiges Eigenthum

ward.

Ein Zustand

der Nation, aus welchem sich für die königliche Würde die schlimmsten Vorbedeutungen ergaben, schien durch eine solche

Legitimirung des Raubes Ursache zu werden, daß die Macht deS

Thrones auch durch die schlausten und kühnsten Könige nicht gegen die Feudalaristokratie emporkommen konnte.

Ein Staat

war nicht mehr da; der Huldigungseid, welchen die zahllosen Häupter und Häuptlinge dem König und sich untereinander schworen, konnte sie unmöglich zu einem bürgerlichen Ganzen vereinigen.

Zeder Vasall übte in seinen nun unbezweifelt er6#

lichen Lehen und jeder Aftervasall wiederum in seinen Afterlee

hen die Souverainetätsrechte aus.

Seitdem Karl der Kahle

in der Akte von Wersen i« Zahr 847 erklärt hatte, daß jeder freie Wann entweder ihn oder einen der Großen zum Lehnsr Herrn annehmen könne, war Ordnung selbst in den kleinsten

Theilen nicht möglich.

Zn dieser Anarchie ward Freiheit das

höchste Unglück; man mußte Despot oder Knecht seyn.

sich gegen alle Lockungen,

gegen allen Druck der weltlichen

Großen als Men Wann erhielt, der Geistlichkeit.

Wer

der erlag der Verführung

Zn dem Gewebe von Banden, wodurch

diese eine Nation in Sklaverei bringen kann,

mußte das

Lehneband schnell furchtbar wirksam werden.

Man zweifelt beim Anfang der kapetingischen Regierung

gen, ob aus einer solchen Zerstücklung je wieder ein Staat hervorgehn könne,

und fühlt sich auf das angenehmste über*

rascht, wenn man schon am Ende des dreizehnten Zahchum

derts

Frankreich.

19

berts ein festes Ganzes aus diesem ChaoS hervorragen steht.

Es ist eine reizende Beschäftigung, zu erforschen, wie dasselbe unter

den stürmischen

Fluten allmählig

aufgcbauet ward.

Wie machte der König die vieleü Souverains wieder zu Um terthanen? i. Unverkennbar ist es, daß die Ideen, welche durch den

Pseudoisidor als längst bekannte Wahrheiten der Kirche gc/ stempelt waren,

sehr viel zur Erhebung des königlichen Am

sehns beitrugen.

Das Bedürfniß der Ordnung findet stch

Manche

doch bald auch unter den w.ldesten Menschen ein.

Kronva'allen waren froh,

wenn sie bei Streitigkeiten unter

sich, oder mit ihren Untervasallen, im König einen Schiedst richter fanden.

Entschied dieser zum Vortheil des Mächtigern,

so hatte er in ihm einen Freund; sprach er zu Gunsten des

Schwächer», so verband sich dieser nut ihm, um das Urtheil

voliführen zu

können.

Allmählig

entstanden nun wieder

Ideen von rechtlichen Verhältnissen zwischen dem König und dem Heere der Vasallen.

Um in dem Gewirre derselben bald zur

Deutlichkeit zu gelangen, nahmfich der ungebildete Vasallen,

geist das nächste und einzige ihm bekannte System von Ver, hälknissen zum Muster, also das kirchliche.

Schien es nicht,

als wenn eine Subordination, wie sie zwischen Bischof, Erz,

bischof und Pabst war, leicht auf den Asterlehnsträger, Krom

vasall und König angewendet werden könnte? konnte dann

der

Krone

jener

pseudoisidorische

Wie nützlich Grundsatz

werden, daß von den Bischöfen und Erzbischöfen Appellation

nach Rom ginge! i. Sehr viel trugen auch die Kreuzzüge zur Wie-

-erhersiellung des königlichen Anschns bei.

B 3

Weil so manche

ee

Frankreich,

manche Schwärme von dürftigem Gesindel nach Palästina zogen, ward Wohlhabenheit der Dauern und der städtischen Menschen leichter möglich; und überdies mußte diejenige Volksklasse, welche sich bald zu einem dritten Stande gegen die Feudal­ aristokratie erheben sollte, bei den vielen Privilegien, welch» auch die Kreuzfahrer aus ihrer Mitte erhielten, und bei dem ge« meinschaftlichen Ziele, welches ihre frommen Wünsche und di« Schwärmerei der Geehrte» im Volk hatten, zu größerer Ehre durch die Kreuzzüge gelangen. Sonderbar ist es freilich, daß bei dem Strome von französischen Großen, welcher so» gleich nach Palästina floß, die Krone nicht sogleich viel Grundeigenthum gewann; der schwärmerische Geist hatte durch seine erste Gahrung eine verwirrte Betäubung vom Thron bis zu bey Untersten im Volke verbreitet; aber es bleibt doch unleugbar, daß di« KreuHÜAe auf hie häufigen Fälle, wodurch von 1195 bis 1303 so viele große Vasallenbesitzungen mit der Krone vereinigt wurden, mittelbarund unmittelbar bee trächtltchen Einfluß gehabt haben. Wie viel mußte die Feudale aristokratie selbst dadurch veriiehren, daß die Großen, vom heiligen Eifer geblendet, so verschwenderisch mit ihren schön­ sten Ländern umgingen? daß die ältesten adelichen Familieir gänzlich verschwanden, weil sie entweder auf den Zügen und in Palästina ihren Untergang fanden, oder in Asten blieben und Reiche stifteten? Plane der Aristokratie gegen den Thron waren wenigstens nicht möglich bei diesem unaufhörlichen Wechsel derselben, und die Könige konnten dagegen ihre Absich­ ten unbemerkt verfolgen. Freilich ließen auch sie sich verführen, nach Palästina zu ziehen; doch findet man nicht, daß diese Züge dem königlichen Ansehn geschadet haben, zumal da die Staats-

Frankreich.

21

Staatsverwaltung während denselben gewöhnlich in treflichen

Hand n war.

Ein Fremder durfte kühnere Schritte gegen

die Aristokraten thun, als der König selbst; er erschien nicht in einem so gehässigen Licht, weil er sie für einen andern that. Ueberdirs hatten die Könige den Gewinn, daß die Großen ihres Reichs, weil diese im Heere der Kreuzfahrer doch unter

ihrem Befehl standen, sich wieder daran gewöhnten, in ihnen ihre allgemeinen sehen.

Anführer, wie in der Vorzeit, zu

Treflich benutzte Philipp August den Hang zu um

Kreuzzügen, um eine allgemeine Steuer vom Lande zu

fordern.

Wer nicht mit ihm zog, mußte den Saiadinszehn»

len von allen beweglichen Gütern und Einkünften erlegen;

und es kam seinen Nachfolgern zu

Gute,

daß er auf daS

Sträuben der Geistlichkeit, diese Steuer nidyt zu bezahlen, keine Rücksicht nahm; er hatte sie ja auch fürs erste nur auf

Eni Jahr, nur von beweglichen Gütern gefordert! Selbst ein späteres, aber gleich wichsiges Phänomen, als diese General» steuer, nemlich der Briefadel, hätte vielleicht ohne die Kreuze Züge sich nicht so bald gezeigt

Wäre das aste Korps des

Adels ungeschwächt geblieben:

so hatte Philipp der Dritte

trotz der Revolution der Meinungen, die schon zu ferner Zeit

vorging,

es wohl nicht wagen dürfen, seinen bürger­

lichen Sitberbewahrer in den Adelstand eigenmächtig zu 1283

erheben.

§• 7. 3. Mehrmals alle andere Ursachen trug zum Sturz der Feudalaristokratie die Entstehung eines dritten Standes bei, die erfreulichste Erscheinung in der Geschichte der europäischen B 3

Staa,

Staaten.

Schon langst harren die Bewohner der befestig;

ten Oerter von dem Herrn, in dessen Gebäre diese lagen, einzelne Freiheiten erhalten.

Alle Industrie, die es noch gab,

war unter i-MN, und das Äeld,

welches sie dadurch erwärm

ben, setzte sie bald m den Stand, sich von dem.Zöche derKnechtt

schäft loszukauftn,

und von ihrem geldbedürftigen Herrn so

viel zu erhalten, daß statt der nnllkührlichen Auslagen, welche er bisher gefodert harte, eine unveränderliche Taxe tlos# 1137 festgesetzet ward.

Allein unter Ludwigs des Sech^

sten Regierung zeigen sich städtische Kommunen. Sie erhielten zwar nicht alle das Recht, sich selbst ihre Obrigr

keir zu wählen;

sehr viele mußten die Ernennung derselben

nur mehr oder weniger Emschrankung ihrem Herrn überlassen;

aber allgemein charakteristisch ist es bei diesen Gemeinheiten, daß sie ihre eigenthümliche Obrigkeit haben. WahrscheinUch btt saßen auch , alle das Recht,, sich zu bewafnen, denn nichts en laubte ihnen der Herr lieber, als diese Freiheit; er konnte sie nicht

schützen, wenn ein benachbarter räuberischer Baron den Reiche

thum der städtischen Menschen plündern wollte, und. der Ritter hielt es auch eine Ze-tlang nicht der Mühe werth, wegen

dieser verachteten Volksklasse nur einem Rttter in

sich

zu

verwackeln.

Wurden

doch

Fehden

diese Kommunen bald

Rotzig gegen ihn . selbst, und. erlaubten sich. Deutungen des Freiheltkbriefts, welche er nimmer geahndet hatte! Eine schöne

nahe Aussicht eröfnete sich für den König, wenn er den Geist der Kommunen betrachtete ; so weit ging der Scharfsinn die; fes ZMalters nicht, daß man hätte vorausiehn können, welche Ge; fahr in der Zukunft dem Thron von demselben Geist bevorstehe!

Ludwig der Sechse beförderte vorzüglich auf feinen Dornak

Frankreich.

23

neu das Aufkommen dieser Gemeinheiten; denn ein Vortheil,

welchen er sogleich von der

Begünstigung derselben erndtete,

war Vermehrung seiner Kriegsmacht.

D-e kriegerische Mann-

schäft der jungen Bürger zog unter der Fahne eines Heiligen der Stadt in das königliche Lager, und es herrschte ein fester Gemetnstnn unter derselben, wie er sich in keinem ritteruchen Heere regte.

Wie vortreflich konnte

die

Bürgerschaft ge
-r scher, bei welchem

die Blüthe jugendlichen Sinnes d.,rey früh gereifte Regem tenschlauhert bewahret ward,

ot wieher Regent war nöthig,

«m mit starkem Arm die kecken Vasallen niederzuschlagen, und zugleich mit zarter Hand die Utuerdrückien im Volke gegen

die

rr

Frankreich.

die Feudalaristokratie zu erheben; ein solcher König war eine« Minister« werth, wie der Abt Suger, welchem der Blick auf

die lombardischen Städte Freude machte.

Ludwig

Sein Sohn,

der Siebente (f 1180) dürfte ruhig nach Palästina ziehn, da dieser

Minister Reichsregent

in

seiner Abwesenheit

war.

Die Verläumdung nahm freilich den jungen König gegen den

großen Mann auch am Grabe des Heilandes ein; aber wel­

cher Triumph für die Tugend , als der Monarch nach der Heimkehr in sein Land, wo Friede und Uebcrfinß herrschte, seinen treuen Diener vereint mit der Stimme

des Volk«

den Vater des Vaterlandes nannte! Nur unter der Leitung

dieses Ministers konnt« der Feuereifer des Abts Bernhard

von Clairvaux dem- Staat ersprießlich werden.

Lange hatte

Suger eine Handlung seines Könige verhindert, welche diesem

als

Privatmann

Ruhe, dem

bringen

Staate Verderben

konnte; aber sobald er gestorben war ( 1152), ging die Ehe­ scheidung von der Königin Eleonore dennoch vor sich.

Das

junge wollüstige Weib, Erbin des Herzogthums Guyenne, heiralhete ihren Liebhaber,

den Herzog Heinrich der Nor­

mandie, der bald darauf den englischen Thron bestieg (1154.)

In dem Kampfe, welchen der französische König nun mit seinem mächtigsten Vasall führen mußte, schien seine noch so

zarte Macht gänzlich ein Raub der Feudalaristokratie werden zu müssen; und noch nie war sie so unabhängig und fest er­ schienen,, als unter

der folgenden Regierung.

Zu keiner

Zeit war ein König, wie Philipp August (s-i 2 2 z), welcher mit

dem Gefühl überwiegender Kraft einen nichts schonenden Stolz verband, so sehr Bedürfniß gewesen, als jetzt/ ba der mächtig­ ste der Vasallen, der selbst eine Krone.'trug, gedemürhigt werden

mußte.

Fra nkreich.



mußte. Vvrtheilhaft für Frankreich war das Verhältniß, welchesich zwischen den Charakteren von Philipp August und Richard

Löwenherz fand. Jener war ein so treflicher Ritter, daß ihn selbst

dieser achten mußte; aber er besaß zugleich Schlauheit genug,

qm den romantischen übersprudelnden Rilterstnn seines Neben«

buhlerü zu seinem Vortheil zu benutzen.

Als ihm das Schick;

sal den schwachen Johann ohne Land in seine Gewalt gab, da

ließ er die Gelegenheit nicht vorbeigehn, den mächtigsten unr ter den Feud'alaristokraten zu stürzen.

Unter sein Zoch muß­

ten sich nun die trotzigen Vasallen schmiegen;

seine Schatzkam­

mer war treflich gefüllt, und er nahm schon Truppen in Sold.

So fest ward durch ihn die königliche Macht gegründet, daß er zuerst von Hugo Kapets Beispiel abging, und seinen Sohn nicht während seiner Regierung zum König krönen ließ.

Mit

völlig ausgebildetem Charakter und nicht ohne Ruhm bestieg der sechs und dreissigjährige Ludwig der Acl)te (f 12 26) den

Thron und verhinderte wenigstens nicht das Wachsen der vä­ terlichen Pflanzung; aber unter Ludwig dem Heillgen (f 12 70) kam des

Himmels schönster Segen über dreselöe.

durfte ein König nicht unternehmen,

War

dessen persönliche Ach­

tung durch alle Vorzüge dieses Zeitalter-, welche in ihm vereinigt

waren

emporgehalten wurde?

Den Widerstreit

zwischen Ludwigs mönchischer Denkart in religiösen Dingen

und

politischer Aufklärung würde man wunderbar finden,

wenn man nicht wüßte, wie in den hellsten Seelen oft reli­ giöse Finsterniß herrscht, und so manches, welches man für

ein Zeichen hoher AufUärung hält, nur einem gutmüthigen

Herzen sein Daseyn verdanket.

Nach einer so frommen Re­

gierung mochte immerhin ein bald vorübergehender Sturm

unter

Frankreich.

33

unter einem kriegerischen Nachfolger kommen; der Dritte (t. 1185.



Philipp

— er diente nur dazu,dem Unterschied«

zwischen ihr und der geschmeidigen

Philipps des

Bosheit

Schönen (st. 1314.) das auffallende zu nehmen.

Wenn unter

deut frommen Großvater der Himmel das königliche Anschn

segnete; so schien unter dem bösen Enkel ein teuflisches Wese»

mit dem

Himmel

rivalisiren

wollen;

zu

und

es erhielt

den Sieg!

Die

vorzüglichsten

Länder,

welche

während dieser

ersten Periode mit der Kron« vereinigt wurden, stnd folgende: die Graffchaft Alen^on 1J95,

das Land

von Auvergne 1J98, Gr. Artois 1199, Gr. Evreux j2oo, die Gr. Touraine,

Maine und An;ou 1103,

Herz.Normandie 1205, Gr. Poitou 1206,bit Graf­ schaften Vermandois und Valois 12:5, die Gr. Carcas­

sonne, Deziers und Nismes 1229, Gr. Perche 1240, Gr. Macon 1245, Gr. Boulogne i26r,Gr. Toulouse

1272, Gr. Chartres 1254, Gr. dLla Marche izoz.

9.

Mit dem furchtbaren Gefühl, daß seinen großen Kräfte»

nie durch Gewissenhaftigkeit der Spielraum würde beengt wer­ den, bestiegPhilipp der Schön« den Thron seiner Väter, und

spannte sogleich nach allen Seiten seine Netze zum Fang aus. Als wäre die Schlichtung eines Streites zwischen englischen Seeleuten

und französischen Normännern seine« unwürdig,

gab er diesen arglistig Erlaubniß zur Selbstrache; denn di«

C

G«,

S4

Fra nkkeich.

Gewaltthätigkeiten zwischen so wilden Menschen mußten bald so ungestüm werden, daß sie Veranlassung zu einem Bruch -wischen den Kronen gaben. Kaum war feine Vermuthung eingetroffen, so machte er seine oberlehneherrlichen Recht« gegen England mit einem Trotze geltend, welcher durch kein« Aufopferungen schien biegsam werden zu können; und wie geschmeidig war er dennoch in den Unterhandlungen mit dem Grafen Edmund von Lankaster! Zudem er den König Eduard mit den Schotten schreckte, wußte er den Gesandten desselben durch süße Wort« von Weiberlippen einzuschläfern, und bei allem Scheine von Unbefangenheit sich das Herzogthum Gu> yenne zu erschwahen, bis er die Schlummerer durch einen dorbereiteten Schlag der schändlichsten Treulosigkeit plötzlich erweckt«. Der Krieg war jetzt unvermeidlich; aber er gab ihm nur Gelegenheit, einen andern Fallstrick zuzuziehen, neben welchem er schon lange auf «inen Fang gelauert hatte. Gegen den mächtigen Grasen Veit den Zweiten von Flandern war seine Arglist schon rege gewesen, nur hatte er ihm noch nicht -equem genug beikommen können, als sein lauschendes Ohr von Unterhandlungen zwischen Veit und König Eduard hörte: der Sohn von diesem sollte die Tochter von jenem heirathen. Phi, Upp verschwieg, was er erfahren hatte, und ließ den Grasen nebst seiner Gemahlin freundlich zu sich einladen; aber statt d«S Gastgebotes fanden beide ein Gefängniß, und wurden nur dann erst au« demselben entlassen, als sie Aufhebung des Bündnisses mit England gelobet und die Braut als Geissel übergeben hatten. Gefahrvoll schien freilich der Ausbruch «ine« Krieges mit zwei so grob beleidigten und so mächti, -en Feinden (1295); Philipp benutzte ihn auf eine zweifach« Art

Frankreich»

s;

Art, um dar königliche Ansehn zu vergrößern.

Er verbot auf

das strengste während demselben alle Privatkriege; weil das

Vaterland in solcher Gefahr sich befand, sollten alle Streitige

keilen auf dem

ruhigen Wege der Justiz, also durch den

König beigelegt werden: um den Kampf mit England für die Nationalehre glücklich zu endigen,

erhob er sehr hohe Abga«

den von seinen Domanialunterthanen.

Anfänglich brand­

schatzte er nur die Zuduftrie der städtischen Menschen;

bei

diesen gaben die Baronen es leicht zu, wenigste gleich auf

ihren Gütern lebten; denn sie galten schon einigermaßen alt königliche Unterthanen.

Heimlich hatt« Philipp seinen Btt

amten Befehl gegeben,

«inen Versuch zu niachen, die festge­

setzten Abgaben von den Ländereien der Baronen zu heben, so

heimlich,

daß

er

ihnen

sogar die

Gründe verlegte,

warum diese Verordnung ein Geheimniß seyn müßte.

Mi»

Welcher Aengstlichkeit empfiehlt er ihnen die sanfteste Werse di« Steuern da einzutreiben, wo man dieHebmrg derselben zuge-

sleht, und wie bittet er sie, ihm sogleich die Namen derjenigen

Herren zu melden, welche gegen die Auflage murrten! Dies« «rmüdete er dann durch Privatunkerhandlungen, und fing sie durch süße, arglistige Worte.

Wenn die Baronen einen Der«

ficherungsbrief vom König erhielten, daß diese Auflage nur als freiwilliges Geschenk für das gegenwärtige Bedürfniß btt

trachtet werden sollte: so schienen sie ja bei dieser Neuerung «ichts zu verliehren.

Mochten ihre Unterthanen etwas ärmer

»der reicher seyn, was sie ihnen abtragen mußten, war einmal festgesetzt.

Kühner und ofner verfuhr Philipp, um auch von

der Geistlichkeit trotz Men Immunitäten die neuen Steuern tzv echalktN, denn er Wußte recht gut, daß gegen diese seine £ r

schien

Frankreich,

36

schleichende Politik nicht so wirksam seyn würde ; und ohn» Zweifel machte es ihm Freude, daß er dadurch Gelegenheit

erhielt,

einen Pabst zu demüthigen,

dessen aufbrausender

Hochmuth seinen festwandelnden Stolz schon empfindlich gekränkt hatte.

Bonifaz der Achte wäre gern der Richter aller Könige

gewesen, und die Pflicht eines Hirten der Kirche, allenthalt den Frieden zu stiften, konnte seinem Hochmuth« leicht einen Schleier umyxerfen. Allein derselbe war zu nahe mit Zähzorn und

blinder Rachgierde verwandt.

Sein päbstliches Ansehn hatte

entscheiden sollen zwischen Eduard und Philipp, dessen Betragen ihm schon damals die ganze Furchtbarkeit eines Gegners hätte zeigen können, welchen er durch seine berüchtigte Dulle zum hart­ näckigsten Kamps aufrief

1295).

Er verbot freilich in ihr

jeder geistlichen Perse n bei Strafe des Interdikts, einem Weltli­

chen ohne Einwilligung des päbstlichett Stuhl« die geringste Abgabe zu erlegen; aber der König von Frankreich konnte seine Verordnung geltend machen, daß kein Gold und Silber ohne schriftliche Erlaubniß von Ihm aus seinem Lande gebracht werden

sollte.

Der Pabst war nun bald kriechend, bald trotzig, Philipp

stets geschmeidigund stolz, bis jener wüthend betheuerte, daß er seinen Gegner durch alle Blitze des Vatikans zum Gehorsam brin­

gen wollte (1300).

Er mußte seinen Donner einigemale rollen

lauen, eh- der Monarch ihm antwortete: "Deine große Narr­ heit tviffe,

daß wir in weltlichen Dingen niemand unterwor­

fen sind, und daß wir kraft unsrer königlichen Rechte die erle­ digten Pfründen vergeben könnenehe er den kühnen Ente, schluß faßte, eine der großsprecherischen Dullen tu Paris vor einer großen Versammlung verbrennen zu lassen (1302. FebrZ

Der

Frankreich.

37

Der heilige Vater mußte verzweifeln an der päbstlichen Allge» walt, denn auch seine furchtbarsten Waffen, welche er von dem aufrührischen Geist abergläubischer und mißvergnügter Ilm terthanen lieh, wurden gegen diesen König unbrauchbar, welr cher durch den Beifall einer Versammlung von drei Reichs, ständen sein Betragen rechtfertigte. Wie schlau (i gva Apr. io.) war es, für diesen Fall zum erstenmale auch Deputirte von Len Stadtekummunrn zu berufen! Bei einer andern Gel« zenheit, wo es das gegenseitige Verhältniß der Bewohner Frankreichs galt, hätten die beiden bisherigen Reichsstände wohl keinen dritten zuerst aufkommen lassen! jetzt betraf die Derathschlagung ja eine Sache, wo kein Ansehn der Person statt finden konnte. Ueberdies hatte Philipp den Vortheil, Laß er nun auf zwei Stimmen für sich rechnen konnte; von den Prälaten befürchtete er die Wtdersctzlichkerr, wetcke sie tm Anfang auch wirklich äusserten. Er freute fichhrrzlrch einer sole chen Reichsversammlung, er wiederhohlte sie zweimal im folgend den Jahre, und die Stände gaben ihr« Dertrittsurkunde zu feiner Appellation an «in allgemeines Konzilium, nachdem ihn der Pabst in den Dann gethan hatte. Doch entscheidender war Wilhelm Nogarets verwegener Angriff auf den hriligen Vater, denn er bewirkte Wahnsinn und Tod desselben.

So schlau Philipp gegen Auswärtige feinen Vortheil zu behaupten wußte, lernt man doch die Schlangenwrge, welche seine Politik ging, nur durch seine häuslichen Bübereien ganz kennen, unter welchen seine Münzverfälschungen sicher sein Meisterstück sind. Daß in einem Lande, wo das Recht des Schlagschatzes viele von den Halbsouvrrains, welche die Fern € 3 dalr

Frankreich,

38

balaristokratl, Mus, ausüben dürfen, eine schreckliche Verwirr'

rung l.i dem 'A'ilr.tfuy entstehe, ist unvermeidlich; und wie sie in F> ankreick, um die Zeit war, kann un» die Münzsteuer lehren.

Drückend war die unaufhörliche Veränderung untr

die immer zunehmende Verringerung des innern Gehalts der Mü'izsorten,

und die feinsten Faden des gesellschaftlichen Lee

bens mußte» dadurch in einander verwickelt werden; doch half es etwas, daß man alle Kontrakte nicht nach den gangbare»

Sorten, sondern nach Marken Silber berechnete.

Philipp

verbot dies geradezu und verringerte dann den Werth seiner

Münze auf die unverschämteste Weise so häufig, daß sich die Nation um einen großen Theil ihres Verinögens durch de»

königlichen Diebstahl gebracht sah.

Wie er sogar keine Ahne

düng von Scham hatte, sah man aus der Frechheit, mit welcher er de» Vorwürfe» und dem Marren seiner Unterthai

neu Trotz bot, weil er sich nicht davor zu fürchten brauchte, indem die mächtigsten Großen ihre eigne Münze besaßen, und eil gern sahen, daß ihr König noch schändlicher raubte als sie.

Sie berechneten aber blos seine Habsucht, und bemerkten die Grube nicht, welche er ihnen unter ihren Augen grub.

Er

stellte sich plötzlich, -als empfände er das innigste Mitleiden mit

dem armen Volke, und ließ Münzsorten prägen, welche «ine» ungewöhnlich großen innern Gehalt hatten,

unterdessen er

mit der innigsten Freude bemerkte, daß die Baronen unbe­ sonnen genug waren,

schiessen zu lassen.

ihrer Habsucht immer freier de» Zügel

Ais der Unwille des Volks gegen diese bis

znm höchsten Grade gestiegen war, wurde sein Mitleidrn an#

begränzr, und nur darum schien er zu verordnen, daß ein kö#

mglicher Official sich in jeder Münze befinden, und sein Waradein

«sse

Frankreich. alle Münzsorten untersuchen sollte. So maßte er sich Hoi heilsiechte übet das Hoheitsrecht der Prälaten und Datonen an, und that dadurch einen großen Schritt zu seinem Ziele, nämlich, ihnen ihr Recht ganz zu entreissen. Um feine guten Münzsorten schnell fertig zu bekommen , raubte er ihnen ihre Arbeiter, um sie in seiner Münze zu gebrauchen, und verbot ihnen, bis zu einer bestimmten Zeit neue Münzsorten prägen zu lassen. Alle die Großen welche den Schlagschatz ausübten, durften sich nicht dagegen sträuben, denn die ganze übrige Nation hätte di« Waffen für den großmüthigen König ergriffen, welcher bald keck genug wurde, ihnen zu untersagen, je wieder Gold- und Silbermünze zu prägen. Daß er solche Schleichwege ging, baß er seines Vortheils wegen die Nation eine Zeitlang im« mer tiefer ins Elend stieß, war schändlich; aber teuflisch war die Frechheit, mit welcher er die Larve des Betrügers abnahm l

In einem bessern Licht erscheint Philipps Politik, wenn fie durch eine neue Einrichtung des Zustizwesens jenes allmäh« lige Verbreiten der königlichen Jurisdiktion über die Lände, reien der Herren zu befördern sucht. Das Parlewentz« Paris, das Oberappellationsgericht zu Rouen und der Gericht« Hof zu Troyes vetlohren nicht nur die Wandelbarkeit ihrer Mitglieder; sondern es wurde auch geuau bestimmt, wann sie sich versammeln sollten, und für den Gang der Geschäft« wurden Regeln festgesetzt. Auf die große Verschiedenheit zwischen Sprache und Recht der Länder Languedok und Lam guedoyl nahm der König sorgfältig Rücksicht. Bei einem andern Regenten würde man nur reine Erfüllung seiner Pflicht in soft chen Anordnungen bemerken ; aber bei Philipp dem Schönen C 4 denkt

Frankreich. denkt man selbst dann an eigennützig« Absichten, wenn er seinen Beamten verbietet, sich mit einer Familie, bk innerhalb ihrer

Amtssphäre lebt, durch Heirathen zu verbinden.

Bei einem

so planmäßigen König ist «S gleichfalls wol zu verzeihen, wenn man in seiner Zusammenrnfung von drei Reichsständen einen weitern Plan entdeckt, als blos den Wunsch, sich durch sie gegen die pabstlieben Angriffe zu schützen,

©eine Schleichkünste

gegen seine Unterthanen hatten ihm viel Geld und Zeit ge,

kostet, und die Unterhandlungen mit so vielen einzelnen Mene schen brachten oft seine Unternehmungen in einen zu verwickel,

ken Zusammenhang.

ALeS dies fies weg, so bald er die Na,

tistt rsprätzntlrr sah; er braucht« nur die ständische Versamm­ lung zu hintergehn, um das ganze Volk zu betrügen.

Auf

der andern Seite vermied er alles, was bk Reichsstände zu einem festen Korps hätte -mache« können, welches dem Throne

selbst gefährlich würde.

Wie gern hielt er noch Versammlung

gen von den Ständen einzelner Provinzen, und wie sorgfäl, tig hütete er sich, irgend einen Ort, irgend eine Zeit festzu,

feien, wo und wann sich die Reichsstande immer versammeln

sollten.

Mag es aber temporäres Bedürfniß, mag es tiefer

Plan gewesen seyn,

daß er Repräsentanten der ganzen Na­

tion zusamchenkommen ließ; soviel ist gewiß, daß seine Re­ gierung dadurch zur wichtigen Epoche geworden ist.

§» IO. Das Gedeihen des städtischen Lebens ist theils Ursache

von einer glücklichen Revolution in der Kultur der Wissen, schäften und Sitten, theils gleichzeitig mit derselben.

Solang« der

Frankreich.

4i

der Kampf mit den Normtnnern und die Stürpie der Aristsr

kratie währten, konnte unmöglich irgend eine Pflanze der Kult

tut aufblühen.

Nur in Klöstern fanden die Wissenschaften

und Künste einige Rllhe; aber durch den Geist, welchen ihr re Herberge ihnen aufdrückte, mußten sie dieselbe theuer bezah­ len.

Doch ist es ein angenehmer Anblick, wie ihr au-gestreur

ter Saame sogar in Klostermauern aufteimt, und hierhin und

dorthin seine wuchernden Ränke verbreitet.

Selbst im neun-

ten und zehnten Jahrhundert verlohr sich in Frankreich nie

ganz das Studium der Alten, die emsigen Mönche liehen sich einander die Werke derselben zur Abschrift; und daß man

ihren Werth nicht ganz verkannte, beweiset Gerberts Idee,

die einreissende Barbarei durch Ciceros Schriften zurückdrängen zu wollen.

Auch die sonst so schädliche Vernächlässigung eine

heimischer Rechte hatte den Vortheil,

daß nicht alle gelehrte

Kenntniß verschwinden konnte, denn da- fleissige Studium der

Quellen de« kanonischen Rechts gewöhnte doch an da- Ar

.ft

sen fremder Ideen, und ward ein Band zwischen dem düstern

Mittelalter und dem römischen Alterthum,

Die Rohheit,

welche die Sitten während den aristokratischen Stürmen err

halten mußten, ist bei weitem nicht so unangenehm, als jene

Mischung in derselben von herrischem und sklavischem Geiste, wel­ che die unausbleiblich« Wirkung der siegenden Aristokratie und

der christlichen Religion in ihrer damaligen Gestalt war.

Um

den unangenehmen Eindruck, welchen eine solche Mischung macht, ganz zu etnpfinden, braucht man nur einen Blick auf

die Poesie dirftb Zelten zu werfen, und besonders aus die Vergleichungen der Dichter zu merken.

An Verfeinerung der

Sitten und wissenschaftliche Bildung war nicht zu denke«,

C 5

wenn

4*

Frankreich.

«en» nicht die Aristokratie einen» andern Geist erhielt, oder einen großen Theil ihrer Macht verlohr. Jenes geschah durch die Kreuzzüge und das Ritterwesen, welches theils Ursache, theils Wirkung derselben war, und für die Kultur der franz-» fischen Nation die glückliche Veranlassung ward, daß st« Ihren Anfang von Kultur der Phantasie nahm; dieses war nothwendig, sobald da« königliche. Ansehn stieg und sich in den Städten Gemeinheiten bildeten. Eine wunderbare Reg» famkeit zeigte sich jetzt im französischen Geiste, die sich nicht nur auf Industrie, auf Künste und Wissenschaften erstreckte; sondern sogar Ideen der Schulen in Verbindung mit politi» .schen Verhältnissen brachte. Das feine Gewebe der scholasti» schen Philosophie ward freilich auch über die Theologie gewor­ fen; aber wer hätte vermuthen können, daß schon Abälard« Dchüler Arnold von .Brescia eine politische Revolution bewir­ ken werde? Ging diese Frankreich zwar nicht unmittelbar an, so herrschten doch dieselben Ideen, welche in Italien so auf» fallend wirkten, vorzüglich in dem philosophisch.- theologischen System der denkenden Franzosen. Selbst die Meinungen der Albigemer in den südlichen Provinzen, welche aus Aufklärung der Empfindung flössen, hingen mit ihnen zusammen. Wenn Streben nach Wahrheit erst Aufruhr in das bürgerliche Leben gebracht hat: so kann man sicher seyn, daß der Geist einer Nation nicht wieder in den Schlummer der Dummheit zu» rückkehren werde.

Auch jene scholastischen Feinheiten waren ein Produkt der rege gewordenen Einbildungskraft; der phantasieret che Denker verliehrt sich am leichtesten in Hyperabstraktiv« neu;

Frankreich

43

Mett; aber ihre schönsten Blüthen zeigte die junge Phantast«

In dem dichterischen Leben,

das zuerst in der Provence im

Anfang des zwölften Jahrhundert« begann, von wannen t» fld) bald durch das übrige Frankreich verbreitete, und der gau»

zen französischen Kultur einen Charakter aufdrückte, welcher in seiner Eigenthümlichkeit nie den Ursprung in den schönen süd» lichen

Provinzen verleugnete.

Welcher

reizende Anblick,

wenn eine Gesellschaft von wandernden Troubadours und Jon, gleurs bei den Vergnügungen der Großen erschien, und die wilde Freude zur poetischen Milde gewöhnte! welchen bilden»

den Einfluß mußt« ein Institut, wie die Gerichtshöfe der Liebe, auf die Sitten haben! Das dichterische Genie schwang mit aller Anstrengung seine Flügel, denn durch seine» Gesang

konnt« auch der Mann von modriger Herkunft den höchsten Preis dieser Zeit,

Damenliebe,

erwerben,

und neben den

Rosen der Liebe im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts die

goldenen und silbernen Blumen der poetischen Akademie zn Toulouse.

Kein Wunder, daß nun eine phantastische Stim­

mung der Gemüther auch in allen religiöse» Gebräuchen sicht, bar wurde.

Am Pfingstfest« goß man Blumen über die christ­

liche Gemeine aus, und Tauben ließ man während dem Gott

lesdienst in der Kirche umherflattern.

Frühe Verwilderung

der Phantasie zeigt sich in dem religiösen Feste, die Eselsfrier genannt.

Eine Jungfrau, welche Maria auf der Flucht nach

Aegypten vorstellte, war nebst dem Esel, auf welchem sie saß, ver Gegenstand der Andacht.

Es ist ein Zeichen von hoher

Frivolität, wenn «in Volk religiöse Erbauung in einem Ger schrei des Priesters findet, welches dem Esel nachgeahmt ist,

And sein« Andacht in einem gleichen Geschrei ausströmet.

Im

Miß,

Frankreich.

44

zwölften Jahrhundert war Frivolität in den meiste« Sitten der Nation schon sehr auffallend.

wirb

ein

Nur durch Kultur der Phantast«

Volk zur sittlichen

Kultur

fortgehn;

aber so

lange jene nicht vollendet ist, wird sie das Laster begünstigen, indem jle seine Häßlichkeit mit ihren Blüthen bedeckt.

Durch

die vielen Freiheiten, welche vorzüglich Philipp August der hohen Schule zu Pari- gab, um den Flor der Wissenschaften zu

befördern, wurde die Frechheit der Sitten in der Hauptstadt im­ mer zügelloser. Jene lasterhafte Mtkhung von Ueberresten alter

Feudalrohheil und der Ueppigkeit neuer Kultur macht einen schneidenden Eindruck in der Mitte des dreizehnten Zahrhun-

derts, da ein König von solcher nüchternen Rechtschaffenheit, wie Ludwig der Heilige, auf dem Throne saß!

Zweite Periode. Von der ersten Versammlung der drei Reichsstände

bis zum Verfall der ständischen Verfassung am Ende des fünfzehnten §.

Jahrhunderts.

ii.

Unter den vielen Kabalen Philipp- des Schönen gelang keine so über alle Erwartung, als die Ränke, wodurch er den Stuhl de- heiligen Vaters nach Frankreich brachte.

Durch

feine Bemühungen lenkte sich die Wahl der Kardinale auf einen Franzosen: der Erzbischof von

Dourdeaux sollte Pabst wer­

den, wenn Philipp damit zufrieden wäre.

Ihm war es an­

genehm, daß man einen seiner ärgsten Feinde wählen wollte; einen solchen konnte er mit Anstand zwingen,

den Gewinn de-großen Loose-

Frankreich.

44

zwölften Jahrhundert war Frivolität in den meiste« Sitten der Nation schon sehr auffallend.

wirb

ein

Nur durch Kultur der Phantast«

Volk zur sittlichen

Kultur

fortgehn;

aber so

lange jene nicht vollendet ist, wird sie das Laster begünstigen, indem jle seine Häßlichkeit mit ihren Blüthen bedeckt.

Durch

die vielen Freiheiten, welche vorzüglich Philipp August der hohen Schule zu Pari- gab, um den Flor der Wissenschaften zu

befördern, wurde die Frechheit der Sitten in der Hauptstadt im­ mer zügelloser. Jene lasterhafte Mtkhung von Ueberresten alter

Feudalrohheil und der Ueppigkeit neuer Kultur macht einen schneidenden Eindruck in der Mitte des dreizehnten Zahrhun-

derts, da ein König von solcher nüchternen Rechtschaffenheit, wie Ludwig der Heilige, auf dem Throne saß!

Zweite Periode. Von der ersten Versammlung der drei Reichsstände

bis zum Verfall der ständischen Verfassung am Ende des fünfzehnten §.

Jahrhunderts.

ii.

Unter den vielen Kabalen Philipp- des Schönen gelang keine so über alle Erwartung, als die Ränke, wodurch er den Stuhl de- heiligen Vaters nach Frankreich brachte.

Durch

feine Bemühungen lenkte sich die Wahl der Kardinale auf einen Franzosen: der Erzbischof von

Dourdeaux sollte Pabst wer­

den, wenn Philipp damit zufrieden wäre.

Ihm war es an­

genehm, daß man einen seiner ärgsten Feinde wählen wollte; einen solchen konnte er mit Anstand zwingen,

den Gewinn de-großen Loose-

Frankreich.

45

Sooft« mit ihm zu theilen. Zn der schönen Natur von Avig­ non, wo Klemen- der fünfte den päbstlichen Stuhl bestieg (1305), mußte den Päbsten wohl seyn, zumal da sie hier mehr Unabhängigkeit, als in Nom hoffen dursten, denn dort legte der unruhige Geist der Großen ihnen oft Fesseln an. Allein schon Philipp ließ Klemen- den Fünften bei dem grau­ samen Prozesse gegen die Tempelherrn fühlen, wie abhängig jetzt die päbstliche Macht von dem französischen Throne fei. Die Weise, wie zuerst der Schleier von den Verbrechen dersel­ ben gezogen wurde, erzählt man sehr verschieden, aber gewiß dann am richtigsten, wenn der König eine heimtückische Roll« dabei spielet. Wie künstlich machte er den Ungläubigen, als «r die ersten Aussagen hörte, deren Inhalt höchst wahrschein­ lich ihm schon vorher bekannt, vielleicht von ihm selbst mobifü zirt war. Nicht nur die Begierde, die großen Güter des Orden« an sich zu bringen, sondern auch Rachsucht bewog ihn zur Verfolgung derselben, denn di« Tempelritter hatten sich Lei seinen Betrügereien mit der Münz« nicht ganz ruhig verhalten. Dennoch ist es möglich, daß auch nicht eine einzig« Beschuldigung gegen dieselben ganz ungegründet gewesen sei. Jede geheime Gesellschaft muß verwildern, sobald sie länger besteht, als der Zweck, für welchen sie gestiftet wurde, zumal wenn die Sitten verschiedener Länder und Welttheile auf ihren Charakter Einfluß gehabt haben; die verworfensten Glieder eine- Ordens finden sich bald einander aus und verhüllen ihr« Abscheulichkeiten mit dem Schleier desselben selbst vor den nicht so verdorbenen Brüdern; und dann ist manche Sitte blos Ceremonie, in welche ein Uneingeweihter leicht einen entehrens den Sinn legen kann. An demselben Tage und in derselben Mor­ gen-

Frankreich.

46 genstunbe wurden

alle Tempelherrn im ganzen Königreiche

gefangen genommen (13. Oktober 1307), und auf der Synode zu Vienne (3. Apnl 1312) wurde der Orden durch eine päbstr liche Balle für aufgehoben erklärt, freilich nur provisorisch;

aber er blieb auf immer zerstöret.

Der Pabst selbst gestehe

daß die bisherige gerichtliche Untersuchung ihit nicht zu einer gänzlichen Aufhebung desselben berechtige;

der Orden

als

Orden war keiner Verbrechen überwiesen, die ein Endurtheil rechtfertigen konnten. Alle unbewegliche Güter der Tempelherrn

sollten nach dieser Bulle den Johanniterrittern gehören; aber wie wollten diese ihr Eigenthum gegen die Macht der Kit

nige schützen, welche jetzt in

trat?

die Jahrhunderte ihrer Größe

Die furchtbare Hinrichtung des Großmeisters Jakob

Molay auf königlichen Befehl und ohne Wissen irgend eine­

geistlichen Gtrichts (39. Nov. 13x4), nachdem eine große

Anzahl seiner Untergebenen schon zu Tod« gemartert war, ist 4in Meisterstreich, mit welchem Philipp seine habsüchtige und

grausame Negierung rühmlich endigte.

Schon bei födcrationen,

seinem Leben begannen die Stände

um ihre Freiheit zu sichern,

Kon,

und bei seinem

Tode schien für sie ein glücklicher Zeitpunkt zu einem großen Sturme gekommen zu seyn; allein der Sohn des despotischen Königs, der junge Monarch Ludwig der Zehnte (1314-16) wußte ihn durch unbestimmte Versprechungen, durch einzelne

zweideutige

Urkunden,

die

man

nach

Gefallen erklären

konnte, und durch die Aufopferung des Lieblings seines Va. ters, Enguerrand von Marigni, zu besänftigen.

Gegen die,

sen mußte, weil er Oberaufseher der Finanzen war, der stän
8

Sinn ward durch die weise Standhaftigkeit des Admirals von Koligni treflich unterstützt.

Als der Vorschlag von die­

sem, sich mit den Hugnrnotten zu verbinden, Beifall gefun­ den hatte, mußte Frankreich durch den Kampf zwischen bei­ den Parthien um so heftiger erschüttert werden, je wüthender

unter Franz dem Zweiten die Religionsverfolgungen fortge­ setzt wurden, welche durch die Merkuriale, die ihrer Be­ stimmung nach ein löbliches Mittel der Censur über das Parlemcnt waren, jedcm Patrioten den Muth rauben muß­ ten,

für die unglücklichen Protestanten zu sprechen.

WaS

die Guisen dadurch bei dem katholischen Pöbel gewannen,

verlohren sie bei dem edleren Theil der Nation, und selbst bei diesem'entstand die Meinung,

Waffen gegen sie zu ergreiffen.

daß es erlaubt sei, die

Dies geschah wirklich durch

die Verschwörung, an deren Spitze man LaRenaudie gestellt

hatte, dessen Absicht, die Brüder aufzuhcben, aber verrathen wurde und mislang,

sobald der Angriff nicht mehr ge­

gen Blois geschehen konnte, sondern gegen Amboise gerich­ tet werden mußte.

Franz von Guise ward Generalstatthal­

ter deS Königs (Lieutenant general du roi), um der Ge­

fahr nachdrücklich begegnen zu können, und schlau war es von ihm,

daß er dem Prinzen von Konde' selbst einen der

Hauptpostcn zur Vertheidigung gab; doch wagte seine Par-

thie nicht denselben mit Ernst anzugreiffen, obgleich er durch die feierliche Versichrung, daß die ganze Verschwörung dem König und seinem Hause keinesweges gegolten habe, feine

Theilnahme an derselben gestand (i 560 im Marz).

Das Edikt

Frankreich. Edikt von Romorantin folgte

109

bald nach Hinrichtung der

meisten Verschwort»», und durch die Verfügung desselben,

daß in religiösen Angelegenheiten die Jurisdiktion des ParlementS einem geistlichen Gericht übergeben ward, fehlte we­

nig , um die Schrecken der spanischen Inquisition durch die Hofparthie zur Freude ihres Bundesgenossen, des Königs

Philipp, auch in Frankreich eingeführt zu sehn.

§. 22. Schlauer betrug sich bei dem Kampf der Parthien nie­

mand, als Katharina von Medizis, aber zu ihrer Rolle ge­ hörte auch ihre ganze Gewiffenslosigkcit.

Wenn die Guifcn

ihr zu mächtig schienen, neigte sie sich etwas zu den Hugurnottcn, nur gingen ihr diese sogleich zu kühn und rasch zu Werke. Alle Freude von der ausserordentlichen Versammlung

der Großen, welche sie zu Fontainebleau hielt,

ward ihr

durch Koligni verdorben, welcher «ine Bittschrift der Refor«

mitten mit starken Aeusserungen dem König überreichte. Nur hätte die schnelle Einwilligung des Hofes in eine Ver­

sammlung der Rcichsstände de» Admiral argwöhnisch machen sollen,

denn offenbahr floß sie auS der Hofnung,

daß

man sich der Häupter der Gegenparthir würde bemächtigen können.

Unmittelbar nachher ward ein neuer Plan Kondek

entdeckt, wodurch er sich und seinen Bruder von Navarra an das StaatSruder bringen wollte.

Alle Anstalten des

Hofes zeigten, daß er um diesen Plan wußte, selbst die

dringenden Einladungen an die beiden Prinzen vom Geblüt zum

Frankreich.

iio

zum Reichstag »ach Orleans verriethen das Gewitter, wel­

und

ches ihnen drohte;

beide gingen hin, nachdem ihnen

das königliche Wort volle Freiheit, und dem Prinzen von

Konde, der sich jetzt öffentlich zur Lehre der Huguenotten bekannte,

auch religiöse Zwanglosigkeit

versprochen hatte.

Ich würde lieber mit dem Degen in der Faust, als auf dem Blutgerüste sterben, sagte diesem seine Gemahlin.

Vor dem Gefängniß, in welches er sogleich nach seiner Ankunft in Orleans gebracht wurde, pflanzte man Kanonen

auf; seine Appellation, als ihm der Prozeß gemacht war,

von dem schlecht

berichteten an

König, konnte sein

den besser zu berichtende»

Todes urtheil nicht zurückhalten, und

selbst der Umstand, daß ein Prinz nicht durch eine willkührlich gesetzte Kommission,

sondern nur durch die Pairs ge­

richtet werden durfte, nicht verhindern, daß man schon den Tag der Exekution bestimmte.

Wann am zehnten Dezem­

ber (i 560) der Reichstag eröffnet würde, sollte er auf dem Blutgerüst sterben.

Katharina war jetzt die Tiefbetrübte,

denn sie wollte von dem Trauerspiel, das gegeben werden soll­ te, nur dle Vortheile eincrndten, und jeden gehässigen Ein­ druck, welchen es machen konnte, den Guisen zu Gute kommen

lassen.

Indem diese gegen das Leben des Königs von Na­

varra meuchclmörderische Versuche machten, ließ sie ihm ver­ trauliche Schmeichelein sagen, bis die plötzliche gefährliche

Krankheit und der Tod

des Königs (r 560-Dezemb. 5) sie

j» einer Aussöhnung mit ihm veranlaßten.

Sie ergriff nun,

ohne

Frankreich.

in

ohne zur Regentin erklärt zu seyn, ganz das StaatSrudec wahrend der Minderjährigkeit ihres zweiten Sohns,

zehnjährigen Karl des Neunten, Freiheit wieder,

des

und Konde' erhielt feine

indem sein Bruder sich glücklich pries,

daß er Generalstatthalter des Königs hieß.

§. 23. Die katholische Parthie, oder das Triumvirat (Fran;

von Guise, Könnet.

Montmorenci, Marschall von S. An­

dre') arbeiteten mit'dem Pabst und mit Philipp von Spa­ nien dahin - den schwachen König von Navarra auf ihre Sei­

te zu ziehn,

und eö gelang wirklich, da man ihm das Kö­

nigreich vvn Sardinien als Ersatz für den Theil von Navar­

ra versprach,

welcher

unter

spanischer Herrschaft stand.

Aber wieviel verlohr man durch seinen Beitritt, da Katharina sich nun sogleich enger mit Konde und Koligni verband, und

durch das Edikt vom Januar (1-562 Jan. 17), worin den Reformirten zuerst einigermaßen freie Religionsübung bis zur Entscheidung einer allgemeinen Kirchenversammlung ver­

stattet ward, auffallend zeigte,

was sie durchsetzen konnte.

Kaum war rö erschienen, so stieg die Parthie der Huguenotten gewaltig, floß aber auch zu Vrssi daS erste Blut, durch

Religionshaß vergossen (1562 März 1),

und brachten die

Triumvirn den jungen König gleichsam gefangen nach Paris,

ohne daß Konde" und Katharina es verhindern konnten. Jetzt

war ganz Frankreich im Zustande des Krieges, und nach­ dem bei der Unterredung zu Talsi List durch List geschlagen war,

112 war,

Frankreich» begann der

erste Religion krieg unter schrecklichen

Grausamkeiten, in welchen die Katholiken es den Huguenot-

tcn zuvorthaten.

Hatte Elisabeth von England es nur halb

so ernstlich mit diesen,

wie Piltpp es mit jenen gemeint!

Sie sorgte weit mehr für sich, als für den Vortheil ihrer

Religion, und indem sie sich für sparsamen Beistand Havre de Grace einraumcn ließ, war sie Ursache, daß Kondes An­ sehn sank.

Sonst in den Augen seiner Landsleute ein glück­

licher Nebenbuhler des Herzogs von Guise, war er letzt un­ ter demselben;

dieser hatte die Engländer aus Frankreich

vertrieben, und er brachte sie wieder hinein.

§. 24. Bei der Belagerung von Rouen war König Anton von

Navarra geblieben und hatte sich auch in feinen letzten Ta­

gen schwach^ wie in seinem ganzen Leben gezeigt. Namen hatte nun

Seinen

die katholische Parthie verlohren,

bald

aber ereignete sich eine gewaltige Veränderung mit den wah­ ren Anführern.

In der Schlacht bei Dreux in der Norman­

die (1562 Dez. 19) nahm Kondeö siegreiche Reuterei den

Knnetable Montmorenci gefangen.

Vom Siege berauscht

unterstützte sie das Fußvolk nicht,

es ward geschlagen und

der Sohn des Konnetable umringte den Prinzen, der sein Ge­ fangner ward.

Koligni erneuerte die Schlacht, und dec

Marschall von S. Andre" ward erschossen. ließ der Admiral das Schlachtfeld,

ringsten Schein von Flucht..

In der Nacht ver­

wiewohl ohne den ge­

Die beiden Helden Franz von

Guise

Frankreich.

uz

Guife unv Konde' schliefen zusammen in Einem Bett, und

doch war dieser dem Blutgerüste so nahe gewesen, welches jener ihm erbaut hatte; Montmorencis Aufenthalt war Or­

leans, die einzige große Stadt, welche die Hugurnotten ausser Lyon noch befaßen. Mit dem größten Ungestüm fetzte der Herzog von Guife den Krieg fort und bestürmte Orleans; aber die vergifteten

Kugeln des fanatischen Poltrot von Merey machten seinem Leben ein Ende.

Auf dem Sterbebette konnte ihn sein Ehr­

geiz zu keinem Laster mehr fortreissen, und nun zeigte er nur große Gesinnungen (i 563 Febr. 17).

Bei solcher

Sehnsucht, wie sie jetzt Katharinas Politik, die auf dem

Schlachtfelde doch ihren Platz nicht fand, nach dem Friede» hegen mußte, hatten die Hugurnotten wol bessere Bedingun­

gen,

als welche das Edikt von Amboife enthielt (1563

Marz 19), verlangen können, wen» nicht KondeS Herz über Frankreichs Unglück geblutet, und er die Gefangenschaft

zu ungeduldig ertragen hatte.

Wiewol sie in jedem Di­

strikt, von welchem die Appellation unmittelbar an das

Parlement ging, eine Stadt zur freien Religionsübung erhiel, ten, und diese in jeder Stadt fortsetzen durften, wo sie bis z»

dem siebenten Marz dieses Jahrs sie gehabt hatten: so war ihnen doch schon die Bedingung, daß sie in Paris und dem ganzen Bezirk desselben keine religiöse Versammlung halte»

sollten, auserst nachtheilig, denn nun war der Mittelpunkt für sie verlohren, von welchem sie ihre Lehren durch das

H

ganze

Frankreich«

"4

ganze Land verbreiten, und durch welchen sie dem Hofe vor­

züglich furchtbar werden konnte».

Unmittelbar nach dem

Frieden trug Konde selbst dazu bei, daß de» Engländern Havre d« Grare wieder abgenommen ward (1563Jul. 2s).

§. 25.

Sicher wäre der zweite Religionskrieg schon früher auS» gebrochen, wenn die katholische Parthie durch die Eifersucht deS Hauses Montmorenci gegen das guisische nicht Ware be­

schäftigt worden.

Der eitle Kardinal von Lothringen ward

Nun durch seinen großen Bruder nicht mehr gedeckt! Die

absichtsvolle Reife des HofcS durch das Reich, die geheim, Nißvollen Unterredungen Katharinas mit dem berüchtigten Herzog von Alba zu Bayonne, und der Zug desselben nach

den Niederlanden, welcher den Schleier von diesen Unterre­ dungen zu nehmen schien, brachten die Huguenotten zu dm

gewaltsamsten Entwürfen.

Zeigten doch die leidenschaftlichen

Aeusserungen des jungen König-,

mit welchen Gesinnungen

ihn seine Mutter erfüllt hatte! WaS müßte man von ihm nicht fürchten, der Schwachheit mit ungebändigtem Stolz

verband, und Leichtgläubigkeit in einem fanatischen Tigergemüth hegte, der in der Schule teusticher Derstollung gebildet ward,

dessen kranker Körper seine kranke Seele fast in Wahnsinn stürzte?

Sorglos war der Hof auf feinem Landhause zu Monceaux, unterdeß Koligni und Konde" ihre Anstalten gegen ihn

so

Frankreich. so heik vollendet hatten, daß bei dem leisesten Fingerdruck

all« ihre Maschinen plötzlich hervorspringen konnten, den« diesem war Verlust seiner Freiheit,

jenem Verlust seine«

Leben« zugleich mit Widerrufung des letzten Edikts durch ei­

nen geheimen Schluß des StaatSratheS gedroht, der aber bekannt wurde.

Zwei Tage vorher, ehe die Flammen des

Kriegs in allen Gegenden Frankreichs emporschlugen (1567

Septbr. 28), fand ein Gesandter des Königs den Admiral bei den ländlichen Freuden der Weinlese; und selbst in der Nähe von Meaux,

wohin der Hof sich gezogen hatte, er«

schien Konde' sogleich mit Meuterei.

Muth von sechs tausend Schweizern,

Allein am

treue«

welche den König und

und seine Begleitung in ein Viereck einschlossen, und glück­

lich nach Paris brachten, scheiterte der Entwurf, ihn auf­ zuheben , oder wenigstens vom Kardinal von Lothringen auf

immer loSzureiffen, und eine allgemeine öffentliche Religions­

übung

der Hugurnotten zu erzwingen.

Rach diesem fehl­

geschlagnen Versuch konnte man nicht ohne unvermeidliches

Verderben die Waffen niedcrlcgen auf den Befehl des Kö­

nigs , und auf die versprochn« Begnadigung bauen.

Mit

einer gewaltigen Ucbermacht griff der Konnetable Montmo« renci den Prinzen von Konde auf der Ebene bei S. DeuyS

an (i 567 Nov. 10), und der achtzigjährige Greis, der unversöhnliche Verfolger der protestantische» Lehre, starb an

sechs Wunden; ein solcher Rückzug, wie ihn der Prinz wach­

te nach einem solchen Widerstände, verdiente die Ehre eines Sieges.

Beiden Parthien kamen deutsche Truppen zu Hülfe,

H 2

und

uns der Hof schloß den Frieden

zu Longjumeau-(i 568

März 23), in welchem das Edikt von Amboise gegen jeden Betrug gesichert werden sollte, um nur das feindliche Heer

Aber auch die Hugurnotten erfüllten den Frie­

aufzulösen.

den nicht, denn sie räumten einige Platze nicht, genommen hatten.

die sie ein­

Nur mit der größten Gefahr entranne»

Kovd^ «ndKoligni dem Netze, mit welchem man sie zu NoyerS

«mzogen hatte; Rochelle ward ihr Zufluchtsort.

Der dritte

Religionskrig wurde fürchterlicher, als die beiden vorherge­

henden, denn die Huguenotten sahn an dec Wiederrufung der Toleranzedikte, Faktion galt.

daß es jetzt mehr ihnen selbst, als einer

Der Herzog von Anjou, in welchem sich die

Mutter Katharina vollständiger, aufieben sah,

als in dem König wieder

war als Generalstatthalter der Anführer des

katholischen HeerS;

der Vikomte von TavaneS leitete seine

Jugend.

§. 26. Im

Gedränge

der

Schlacht

bei

Iarnak

(1569

März 13) stürzte der edle Ludwig von Konde', kniccnd focht er lange von Feinden umringt, und war schon im Hauptquartier

als Gefangner, da der Baron von Montesqiou ihm mcu-

chelmörderisch eine Pistolcnkugel durch den Kopf schoß. Mehr

als die vcrlohrne Schlacht schlug Vieser Verlust die Huguc-

notten nieder;

aber Koligni war desto muthigrr und uner­

schöpflicher an Vertheidigungsmitteln ,

je mehr auf ihn be-

-ruht« und je drohender die Gefahr ward.

Auch die verwittwcke

Frankreich»

ii 7

«ittwete Königin von Navarra kam nach Tonnai - Charente, wo er eine Versammlung der protestantischen Großen hielt. Mancher war zu eitel,

um unter ihm zu dienen; aber als

diese große Frau mit der Heldenseele anftrat, als sie ihren

sechszehnjährigen Heinrich, dessen Mienen schon hohen Muth verriethen, mit Erhabenheit den Verzagten darstellte, und die

Worte seines großen Schwurs, daß er ihre Religion und ge­ meinschaftliche Sache bis zum Tod oder zum Siege verthei­ digen werde, der noch jüngere Prinz Heinrich von Konde',

des Ermordeten Sohn, in seinen Geberden wiederhohlte, da wurden alle von neuem Muth belebt,

und alle gehorchten

gern dem Prinzen von Bear» als ihrem Oberbefehlshaber. Dieser ward seiner Mutter, und sein Gefährte Konde seines

Vaters werth.

Durch eine große Verstärkung, welche ihnen der Her­ zog Wolfgang von Zweibrücken zuführte, stieg der Muth der

Huguenotten noch höher, und doch ward sie ihnen schädlich.

Viele vom Adel glaubten nun mit ihrem Gefolge das Lager verlassen zu können, und daher war Koligni in der Schlacht

bei Montkontour (1569 Oktb. 3) schwacher als der Herzog von Anjou,

wiewol eigentlich die Schweizer durch ihre

überwiegende Tapferkeit, und TavaneS durch feine Geistesge­

genwart im entscheidenden Augenblick die Niederlage der Reformirten bewirkten.

Daß der letzte seinen Abschied auf

Verlangen erhielt, rettete nebst der unerschütterlichen Stand­ haftigkeit des Admirals diese vom Untergang, H 5

und beschleu-

nigce

Frankreich.

rrS

nigte den Frieden zu S. Germain en Laye (1570 Aug. 8).

Nicht nur ward das Edikt von Amboise bestätigt, sondem

Vie Huguenotten wurden auch aller Aemter würdig erklärt, und auf zwei Jahre bewilligte man ihnen vier sehr wichtige

Sicherheitsplätze.

gekommen zu

Endlich schien der glückliche Zeitpunkt

seyn,

wo beide Parthien selbst durch eine

trauliche Freundschaft würden vereinigt werden.

Der Hof

schlug eine Vermählung vor zwischen Heinrich von Navarra

und Margaretha von Valois,

der Schwester König Karls;

er gab Winke, daß er auf einen Krieg mit dem König von

Spanien,

dem grausamsten Verfolger der neuen Lehre sinne;

Koligni ward eingcladcn, um den Plan zu diesem Kriege zu

entwerfen , Ludwig von Nassau als Unterhändler wohl ausge­ nommen; und mit welchem Triumph empfing man die Köni­

gin von Navarra! Aber dieser Triumph ward über sie und Vie Huguenotten vom Hof gefeiert.

Habe ich meine Rolle

gut gespielt? fragte Karl, der so traulich gegen sie gewesen war, die bösartige Katharina; und diese beschwor ihn, daß

er sie bis zum Ende,

wie beim Anfang spielen möchte-

Heinrichs Mutter starb noch vor feinem Hochzeitgfeste, und

es verbreitete sich das Gerücht, sie wäre vergiftet.

Um so

wehr warnte man den Admiral; aber jede Warnung war bei ihm vcrlohrcn, denn seine große Seele,

die für alle Unter­

nehmungen entflammt war, wodurch ein Unterdrücker gestraft werden sollte,

dachte nur an den Krieg zur Befreiung der

Niederlande; und wirklich hätten auch seine edle Freimüthig­

feit und fei» herzlicher Ton dm jungen König auf bessere

Wege

Frankreich.

"S

Wege geführt, wenn diesen nicht seine Mutter mit immer

neuen Schlaugenkrümmungen umgeben hätte. man es

nicht,

ihm etwas

von dem

Doch wagte

meuchelmörderifchen

Schuß vorher zu sagen, welchen Katharina und der Herzog

von Anjou nach dem verehrten Helden thun ließen (i 57a Aug. 22).

Durch welche Aeusserungen eines wahren Wohl«

wollens und Mitleidcns suchte er ihn bei seinem Besuch zu

trösten! die Wahrheit dieser Empfindungen ward das Ver­ derben seines Vaters, wie er ihn nannte, denn nun ent­

deckte man ihm die eigentlichen Urheber des verfehlten Mor­ des, aber bestürmte ihn zugleich mit so schrecklichen Schilde­

rungen von den schwarzen Planen der Bekenner der neue»

Lehre und besonders des Admirals,

daß er ausrief, man

sollte sogleich die Befehle zum Tode desselben und zum Un­ tergang aller Huguenotten ausfertigen.

§. 27. Im Blutrathe, der unter Katharinas Vorfitz zur Aus­

übung dieser Befehle gehalten ward, hatte Karl nicht Sitz

und Stimme, denn selbst er besaß dazu noch zu viel Menschlich­ keit; auch nicht Herzog Heinrich von Guise, welcher den un­

ternehmenden Geist seines Vaters mit der rachsüchtigen Ei­ telkeit seinesOheimS vereinigte; aber dieser nur deshalb Nicht, weil die Königin Mutter fein Haus haßte, denn er empfing

mit Freude den Auftrag, durch die Ermordung Kokignis das Zeichen zum Dkutbade in der Rächt des heiligen BarthokomanS

zu geben.

Wie mit einem furchtbare» Gewitter nahte schauerH 4

lich

ISO

Frankreich,

lich still diese Sommernacht.

Dee erste Pistolenschuß, wel­

cher fiel, weckte in Karl und seinem Bruder und selbst in

seiner Mutter die Menschheit zum letzten kurzen Kampf, durch welchen der Admiral nicht mehr gerettet ward.

Dar

Getyse und Geschrei der Mörder und Wehklagen und Wim­

mern der Sterbenden bewies genug die Vollziehung der Mord­ befehle ; sobald das Zeichen mit der Glocke des PallasteS ge-

gebeu war, wüthete jedes Laster auf den Straßen der Haupt­

stadt.

Karl schoß selbst aus dem Fenster auf vorbeilaufcnde

Hugucnocten, und zog über die Leichname der Ermordete»

triumphircnd durch Paris;

auf seinen Befehl ward das

Blutbad in den Provinzen fortgesetzt.

Wüthende Leiden­

schaften, die beim Morden sinnreich sind, und wenige große rvmautische Züge in diesen schrecklichen Tagen, beide erin­ nerten an den französischen Rationalcharakter, an die herr­ schende Phantasie in demselben, die aber Leidenschaften zu ih
«> dachtige Quell« erhallen hatte.

Wer Aktie» auf die

geuden am Misstfippi «ahm und sich in feine« Hoffmmzm betrogen sah, konnte nicht die Versprechungen Laws

tu

Frankreich.

25Z

der Regierung anklagen, sondern nur seine Leichtgläubigkeit . gegen übertriebene Gerüchte.

Verschiedene unmittelbar

ifiuf einander folgende Operationen, die Verwandlung der

bisherigen Privatbank in eine königliche (1718 Dez. 4), die Verbindung der Missisippigesellfchaft mit der ostinvischen Kompagnie und die Ertheilung des MünzrechtS nnd der

Lobackspacht an diese,

brachten LawS

System immer

mehr in Schwung, und es ist sehr zu verwundern, daß

«r trotz den vielen falschen Schritten, die man that, so­

bald er

nicht mehr unumschränkt über die Bank gebot,

doch so lange den Grundsatz, worauf alles Papiergeld

beruht, durchführen konnte, nämlich dahin zu sehen, daß

nie mehr Noten der Dank zuströmen,

Geld umgesetzt werden können.

als in baarcs

Von 500 Livres

ließ

man die Aktien bis zu 5000, zuletzt gar bis zu 9000 -steigen, und

zwei Monathe nachher setzte man sie dann

wieder auf 5000 herab.

Dies veranlaßte, daß ein un­

geheurer Wechsel des Vermögens durch das Aktienspirl «iutrat, schwächte den Kredit, aber deffenohngeachtet und trotz der schrecklichen Vervielfältigung der Noten, welche

der Regent seinen Roueö zu gefallen vornahm, trotz dem falschen Papiergelde, das in Frankreich eingeführt ward, hätte Law

das Jdralvermögen der Regierung,

er geschaffen hatte,

erhalten können,

welches

wenn nicht gegen

alle seine Erinnerungen rin königliches Edikt die Bank­ noten auf die Halste ihres ZahlwertheS herabgesetzt hätt« (1720 Mai 21).

Die wilde» Maßregeln, welch« man

Frankreich.

r;6

gegen Las Parlement nahm, dir Gewaltthätigkeiten, wel, che man sich erlaubte, um die Gegenden am Missisippi zu bevölkern, die Verrätherei DargensonS, der eigentlich durjch

seine elenden Rathschläge den Verfall der Bank verandlaßt hatte, aber sich jetzt gegen dieselbe verschwor, nachdem er Lurch sie reich geworden war, wirkten nun zusammen,

um

dem System deS Schottländers den letzten Stoß j/it geben, und er war noch glücklich genug,

daß er als Verbrecher

aus dem Königreich entfiiehn konnte.

Er gewann nichts,

weil er die großen Reichthümer, auch an basrem Gelde, die er sich erworben,

immer wieder aufopferte, um den

Kredit der Banknoten zu erhalten.

Daß andre seine»

Plan verdorben hatten, dafür ward er gestraft.

Durch diese unglücklich« Ausführung von sehr an,

wendbaren Vorschlägen war eine große Verwirrung in da» bürgerlicheöeben gekommen und nicht weniger in die könig­

lichen Finanzen.

Um sie einigermaßen zu heben, zwang

man mehrere Aktienspieler, ihren Gewinn wieder herauszu­ geben, und ließ ein« Kommission, Le Visa genannt, welche schon beim Anfang der Regentschaft war nicdergesetzt wor­ den, um die Schulden der Krone in Ordnung zu bringen, »Ott neuem beginnen.

Je unglücklicher Law geendigt hatte, desto höher stieg Dubois, welcher am meisten wegen der Richtung merk­

würdig

Frankreich.

2Z7

würdig ist, die er dem bisherigen politischen System Frank«

rrichö in Hinsicht auf die auswärtigen Angelegenheiten gab.

Die zweite Gemahlin Philipps des Fünften von Spanien, unterstützt von einem so unternehmenden Mini­ ster, wie Alberoni war, hatte ihren sehnlichsten Wunsch,

die im letzten Frieden verlornen italiänischen Nebenlander für ihren Schn wieder zu erobern, wahrscheinlich bei der

damaligen politischen Lage des Kaisers erreicht, wenn matt in Frankreich noch Ludwigs des Vierzehnten Maximen gefolgt wäre.

Allein theils fürchtete der Herzog von Orleans

die Entwürfe des spanischen Hofes gegen ihn und fein Haus, theils war sein vornehmster Rathgeber der Abbe'Du­ bois eitel genug, um rin neues System aufbringen zu wol­

len, wozu dann noch die Macht des englischen Goldes kam. Durch die Unterhandlungen zu London ward ein Friedens­

projekt zu Stande gebracht, welches fich der Kaiser gern gefallen ließ, Alberoni aber und die Königin von Spanien

mit Uebermuth verwarfen, denn sie sollten nach demselben die ganze Unternehmung aufgrben,

indem Spanien das

Versprechen der eventuellen Erbfolge in Toskana, Parma

und Piacenza erhielt.

Nach der glücklichen Eroberung

Sardiniens harte sich der spanische Minister einen siegrei­ chen Fortgang des Krieges versprochen; aber gerade jene

war sein erster großer Fehler gewesen, denn durch sie hatte er, ohne bedeutende Folge» von ihr erwarten zu können,

die übrigen Mächte aufgeregt.. . Zu spät geschah der Schlag N

auf

Frankreich.

258

auf Sizilien, denn bald nach der Besitznehmung von Pa­ lermo ward die Quadrupelallianz zu London zwischen Frank­

reich, Großbritannien und dem Kaiser geschlossen, deren Name schon «»zeigt, wie unfehlbar man sich den Zutritt

einer vierten Macht, nämlich Hollands gedacht hatte, der aber nie erfolgte (1718 Aug. 2).

Nachteiliger als die Seeschlacht, welche die Spanier

gegen den Admiral Ding verloren, war der gewaltige Ein­

fluß, welchen Dubois, Law und Dargenson jetzt erhielten, für AlbrroniS Plane, und die Ausführung derselben ward unmöglich, wenn es ihm nicht gelang, in Frankreich selbst

eine Revolution zu bewirken.

Jesuiten und dem Anhang

Er mußte sich daher mit den der legitimirten Prinzen in

Verbindung setzen, welche beide Partheien, jene wegen des

Schutzes, den die Iasenisten fanden, diese wegen der Ver«ichtung der Rechte eines Prinzen von Geblüt, die Ludwig

der Vierzehnte

te,

seinen unehlichen Söhnen

gegen den Regenten

äuserst

gegeben hat­

aufgebracht

waren.

Vorzüglich dürstete die Herzogin von Maine nach Rache, da hingegen ihr Gemahl eben so geduldig wie der Graf von

Toulouse es würde ertrage» haben, daß er nur als Pair von Frankreich sollte angesehn werden.

Sir hatte bisher

nur die Waffen des Spottes und der Schmähung gegen

den Herzog von Orleans gebraucht; jetzt aber ward sie die Seele der Verschwörung, welche in Frankreich gegen die

Begentschaft unter spanischer Leitung angesponne» wurde.

Frankreich.

259

Ihre Heftigkeit und Entschlossenheit, die Feinheit des Jesui­ ten Tournemine und der Fanatifm der Parthie deS alten

HofcS

fanden nur

nicht

hinreichende Unterstützung bei

dem Prinzen von Cellamare, dem spanischen Gesandten, dec einfältig genug war, um alle Welt in seine geheimsten Charten blicken zu lassen.

Die Grundbedingung bei allen Verabredungen dec Derschwornrn war, daß dk Herzog von Orleans die Re­ gentschaft verlieren solle, und man sich seiner Person be,

mächtigen müsse.

Eine Schaar von Abentheurern war

gedungen, diesen Streich auszuführen, der aber mislang, weil man es für gewagt hielt, ihnen zu sagen, daß der R«.

gent derjenige sei, welchen sie auffangen sollten.

Die übri­

gen Entwürfe, um den Fehlstreich wieder gut zu machen, kamen nicht einmal bis zum Versuch der Ausführung, denn

die dumme Unvorsichtigkeit des Prinzen von Cellamare ging so weit, daß er die wichtigsten Papiere der Verschwornen

Abschreibern anvertraute, die gar nicht in die Verschwö­ rung hinein gezogen waren.

Durch einen derselben ward

sie an DüboiS verrathen, wiewvl auch von andern Seiten

her, selbst aus England, unbestimmte Nachrichten über ge­ heime Plane gegen den Regenten an diesen kamen.

Ein

Theil der Verschwornen entfloh, viele wurden nach der Da­ stille gebracht, auch der Herzog von Maine Und seine Ge-

mahlin wurden gefangen genommen.

Die Frau von Main«

tenon erschrack in ihrer Einsamkeit zu Er. Cyr auf daS heft R L

tigste

26S

Frankreich

tigste über dieses Schicksal ihres Lieblings, zumal da die Erhebung der legitimirten Prinzen einzig ihr Werk gewesen war;

ihre ^Todetzkrankheit war eine Folge dieses Schre­

ckens.

Die Kriegserklärung gegen Spanien war eine der er­ sten Wirkungen von dieser Entdeckung (1719), und der

Herzog von Berwick drang mit dreissigtauscnd Mann vor den Augen des Königs und der Königin von Spanien glücklich in Biskaya ein; ater gegen die Vcrschwornen i»

Frankreich ward mir einer Milde gehandelt,

welche dem

Regenten desto mehr zur Ehre gereicht, je geneigter Dar-

genson und DüboiS zu Gewaltthätigkeiten waren,

und

sicher ist eö ihnen einzig zuzuschreiben, daß vier Patrioten

von den Ständen in Bretagne,

welche vielleicht bei dem

Eifer, die Freiheiten ihrer Provinz wieder hcrzustcllen, spa­

nischen Anträgen Gehör gegeben hatten, auf dem Blutge­ rüst zu Nantes sterben mußten.

Spanien ließ sich, nach­

dem Alberoni gestürzt war, durch Hollands Drohungen

bervegen, sich nach dem Willen der Quadrupelallianz zu

bequemen (1720 Febr. 17).

Dubois hatte also sein politisches System triumphiren gesehn und zugleich Gelegenheit gehabt, den Anhän­ gern des alten Hofes den letzten Stoß zu geben; er war

Erzbischof und Kardinal geworden und regierte desto sichrer als Premierminister, je mehr er für den Regenten durch

seine

Frankreich.

261

seine erfinderische Einbildungskraft in wollüstigen Freuden unentbehrlich

war.

Allein bei der raschen Begierde nach

neuem Genuß, welche den lctzkern trieb, und bei der tiefen

Verachtung, die seine bessere Natur gegen seinen schändli­ chen Lehrer hegte, war es Zeit, wenn sie in Frieden schei­

den sollten, daß der Tod sie trennte.

Dubois starb an den

Folgen seiner viehischen Ausschweifungen auf eine empö­

rende Weise, der Regent in demselben Jahr, wahrschein­ lich ein Opfer seiner Sorglosigkeit (1723).

§-

45»

Kur; vor diesem doppelten Todesfall war Ludwig der Fünfzehnte volljährig

geworden.

Dir Natur hatte ihn

mit keinen vorzüglichen Anlagen des Geistes uud Charak­ ters beschenkt, ein kränklicher Körper hatte die Schwache derselben vermehrt, und durch die Erziehung war ihm alle

Kraft genommen, indem sie von zwei Mannern geleitet ward- von welchen der eine, nämlich der Herzog vonVille-

roi, ihn nach den Grundsätzen der Frau von Maintenon

zu einer entkräftenden Frömmelei gewöhnte, und der andre

voll schleichenden Ehrgeizes, der Bischof von FrrjuS, alles that, um ihn in ewiger Kindheit zu erhalten.

Zum erstenmal behandelte FleNry den jungen König zum großen Nachtheil des Staates als Kind bei der Wahl

eines Premierministers.

Als der Herzog von Bourbon

R 3

zu

Frankreich.

s6r

zu thuen trat und um die Stelle desselben ansuchte, sah

Ludwig den Bischof an.

Dieser schnneg gleichfalls eine

Zeitlang, bis er endlich zum Herzog sagte:

„Sie sehen,

dah der König ihr Gesuch bewilligt und Sie zum ersten Minister ernennt!"

So

kam da- StaatSruder

Mannes,

welcher

gänzlich

von

die

Hönde eines

einem

intriguenvol-

in

len Weibe, wie die Frau von Prie beherrschet wurde,

die

in Frankreich alle Künste spielen ließ, welche sie in Italien

während der Gesandtschaft ihres Mannes beim Hofe von

Turin gelernt hatte.

Das Meisterstück ihrer Intriguen

war dir Zurücksendung der Infantin, die nach einem Ver­

trag , welcher während der Regentschaft mit dem spanischen

Hofe geschlossen ward, zur Gemahlin des jungen Königs bestimmt war, und die Vermahlung desselben mit der Toch­

ter von dem entthronten polnischen König Stanislaus Les-

Die Frau von Prie wollte eine Königin, die ein­

zinsky.

zig ihr die Erhebung auf den Thron verdankte, und über­

dies war die gewählte Prinzessin ei» harmloses, lenksames

Geschöpf. Rolle,

Fleury spielte bei dem ganze» Geschäft die

daß er seinen Zögling durch Gemählde von de»

Pflichten des Ehestandes zu r «errichten suchte; aber bal-

besiegte sein Ehrgeiz, vielleicht auch 9) Kleiden mit Frank­

reich seine Liebe zur Ruhe, und er befaß zu viel Gewalt über den König, als daß es rhm nicht hätte gelinge» sollen,

de»

26z

Frankreich.

den Herzog von Bourbon und dir Fra« von Prie vom

Hofe zu verdrängen (1726).

Im

allgemeinen

war Fleurys

Staatsverwaltung

(von 1726 bis 1743) nach der stolzen Verschwendung

unter Ludwig dem Vierzehnten uud der üppigen Zügellosig­ keit, die mit der Regentschaft begann, ein Glück für Frank­ reich wegen ihres einfachclz und sparsamen Geistes.

Dir

Einfalt seiner Sitten, welche noch prciSwürdiger gewesen wäre, einer

wenn sie mehr aus Selbstbeherrschung, wie auck gewissen

Beschränktheit

dcS

Verstandes und der

Denkart ihren Ursprung gehabt hatte, wollte der Bischof

gern zum Charakter der Regierung machen und seine häus­

liche Sparsamkeit in die Staatsökonomie einführen.

Dies

letzte gelang ihm einigermaßen, zumal da er soviel wie mög­ lich einen Krieg vermied, und sein Andenken würde ganz

gesegnet worden seyn, wenn er die emporstrebenden Geister nicht niedergedrückt und seine unaufgeklärte Denkungsart

durch seine lebhafte Theilnahme an dem Kampf,

durch die Bulle UnigenituS veranlaßt war,

verrathen hätte.

welcher

nicht zu sehr

Dies warf um so mehr Schatte» auf

seine Staatsverwaltung, da er dadurch verleitet wurde,

das Parlement, in welchem die schönsten Talente auf vor Seite der Iansenisten waren, und dessen Gerichtsbarkeit in geistlichen Sachen ihn bei seinen religiösen Verfügungen

beschränkte, despotisch zu behandeln;

und nie hätte ein

solcher Schatten auffallender werden können,

R 4

als gerade

jetzt,

264 jetzt,

Frankreich. da das Morgenroth ter Philosophie in Frankreich

angebrochen war.

In nichts ließ sich der Kardinal so ungern ein, als in das Projekt nach dem Tode des Königs August von

Polen den Schwiegervater Ludwigs wieder auf den Thron zu setzen.

Wenn man von allen Seiten mit der Vorstel­

lung auf ihn eindrang,

daß die Ehre Frankreichs dies

erfodre, erklärte er laut, daü Stanislaus Leszinöky, nach­ dem er einmal Verzicht auf die polnische Krone geleistet

habe, kein Recht mehr an dieselbe besitze, und wozu man nach Polen Geld ftlickeii sollte, das nie wieder zurückkom­

me?

Endlich gab er doch eine Million und sechSmalhun-

derttausend Livres her zur Erkausung von Stimmen, und nun konnte man sicher darauf rechnen, daß er mehr geben werde, um nur die ersten Anklagen nicht zu verlieren.

An

eine Bewegung der französische» Truppen war nicht zu

denken, als wenn er eine große Summe zu erhalten su­ chen mußte.

Nachdem Stanislaus »ach Polen geschickt und wirk­ lich gewählt «ar,

konnte sich Fleury nicht mehr zurück-

ziehn, obgleich sich Rußland, Oesterreich und Preussen auf

das entscheidendste für den Churfürsten von Sachsen erklär­ ten,

der gleichfalls von seiner Parthie

gewählt

ward.

War der Kardinal nun gleich wider seinen Willen zum Kriege

gebracht, so wußte er doch die besten Vortheile davon zu zieh».

Mit Sardinien und Spanien hatte er in der größ­

ten

Frankrei ch.

265

ten Eile ein Bündniß gegen den Kaiser geschlossen.

Zwei

Helden, die sich im Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten aus­ gezeichnet hatten, die Marschalle von Derwick und DillarS «ihielten, jener am Rhein, dieser in Italien das Kom­

mando.

ein

Kehl ward erobert und Lothringen, dessen Herzog

eifriger Anhänger des

österreichischen Hauses

wurde von französischen Truppen besetzt.

war,

Hatte der Kar­

dinal Fleury nun nicht die Trohungen der Seemächte zu

sehr gefürchtet, so würde die Rhcinarmee. glanzende Ero­ berungen gemacht haben können (1733 im Oktober).

Noch'

vor dem Ende dieses Jahrs hatten der Marschall von Vil­ lars und der König von Sardinien das ganze Mailand

erobert.

Jener,

ein achtzigjähriger Greis und als ein

Mann bekannt, der keine schmeichelnden Sitten hatte, be­ hauptete den Charakter seiner Nation durch den Zug, daß

er den schönsten Damen von Mailand einen Ball gab, auf

welchem er selbst tanzte, indeß zu gleicher Zeit ein schreckli­ ches Feuer gegen die Citadelle der Stadt fortdauerte.



Italien ward der Kaiser immer unglücklicher, undPhilppö-

burg ging, nachdem cs auch zum Kriege mit dem Reiche

gekommen war, an die Franzosen über (1734 Jun. 18).

Dem Herzog von Derwick raubte eine Kanonenkugel bei her Belagerung dieser Festung das Leben.

Hab' ich'S nicht

gesagt, rief VillarS auf seinem Sterbelager in Turin bei dieser Nachricht aus, indem er die Hände emporhob, hab'

ich's nicht immer gesagt,

daß

Derwick ein

glücklicher

Mann ist? R 5

MaS

Frankreich.

265

Was Fleury durch den Krieg erreiche» wollte, die

Desitznchmung Lothringens, das war ihm geglückt, am

Schicksal LeSjinskys,

welcher sich mit Lebensgefahr aus

-cm belagerten Danzig gerettet hatte, lag ihm wenig, im

Gegentheil wünschte er daö Unglück desselben, damit die

Königin nur durch ihren Vater nicht bedeutender werde, und er zitterte vor dem Geldaufwand« bei der Fortsetzung

des Krieges.

Plötzlich bot er dem Hofe zu Wien Frieden

an, und die Präliminarartikel desselben wurden bald unter,

zeichnet (1735 Off. 3).

Der König von Sardinien ließ

sich dieselben zuerst gefallen, nur nach hartnäckigem Wider­ stande die Königin von Spanien,

obgleich sie für ihren

Sohn Neapel und Sizilien erhielt;

Stanislaus bekam

Lothringen und Bar, welche nach seinem Tode an Frank­

reich fallen sollten, für den Herzog von Lothringen ward zum Ersatz das Großherzogthum Toskana bestimmt.

erreichte ein alter friedliebender Kardinal,

So

was zwei so

stürmische kraftvolle Kardinale, wie Richelieu und Alberoni

nicht hatten durchsetzen können.

Unterdessen Fleury das Staatsruder so vorsichtig und so glücklich leitete, wachte er zugleich mit Sorgfalt über

dem Privatleben des Königs; er mußte immer im Ver­ hältniß des Lehrers zum Zögling gegen ihn bleiben, wenn sein Stur; bei der Schwäche Ludwigs nicht unvermeidlich

werden sollte.

Nichts konnte ihm so große Besorgniß

machen, als das glühende Temperament desselben, welches durchaus

Frankreich.

267

durchaus den Weiber» große» Einfluß auf ihn verschaffen

Es wurde endlich so stürmisch, der Versuchuw.

mußte.

gen waren so viele, die Königin ward mit jedem Tage so viel kälter gegen die sinnliche« Genüsse der Ehe, daß Fleu­ ry nur dahin sehn konnte,

dem König eine Geliebte zu

geben, welche keine Hrrrschsucht besaß.

Er fand sie in

der Frau von Mailly, einem sanften, liebevollen Geschöpf,

das sich Ludwig dem Mann hingab, ohne an de» Herrscher über Millionen zu denken.

Mann,

Rur mußte ein so schwacher-

nachdem er die erste Schüchternheit der Tugend

oder vielmehr die erste Angst vor seinen Vorurtheilen über­

wunden hatte, schnell zur frechsten Wollust übergeh», wie

Frankreich bald zu seinem Nachtheil erfuhr und der alte

Kardinal mit steigender Unrnhe wahrnahm.

Die Schwe­

stern der Frau vorn Mailly hatte er nicht gekannt, als er sie wählte.

Eine derselben, Mademoiselle von Nesle lebt«

im Kloster, und entwarf sich da eine» Plan, ihn zu stür­ zen.

„Meine Schwester, sagte sie, ist ein gutes Geschöpf:

diese wird mich zu sich rufen. herrsche über Frankreich,

mich verlievt machen."

Fleury wird verjagt und ich

denn ich werde den König in

Zwar fehlte ihr alle Schönheit;

aber sie besaß eine Energie des Charakters und eine»

Schwung der Phantasie, wodurch der schwache Ludwig zu Boden gedrückt werden mußten

Auch gelang ihr Borha-

habe» in kurzer Beit so, daß die Fra» von Mailly ihr de«

ersten Play

eim'aumtt.

Sie

ward

in

großer Eile

mit einem Marquis von Mntimille, einem Anverwandte» des

Franke eich

268

des Erzbischofs von Paris vermählt, und dieser alte Geist­ liche gab seinen Segen dazu im erzbischöfliche« Pallast.

Zwischen der Frau von Vintimille und dem Kardinal

begann nun sogleich der Krieg, und eö ist zweifelhaft, wer

endlich würde gesiegt haben, wenn die Favoritin nicht schon

in ihrem ersten Wochenbette gestorben wäre.

Sie starb

unter fürchterlichen Schmerzen, und ihr Deichvater, wel­ cher

ihren letzten Stunden der

von

Frau von Mailly

Bericht erstatten wollte, sank todt hin, wie er in das Zim­ mer

derselben

trat.

Der betäubte König verbarg sich

in feinem Bette, und ließ Messen lesen. Fleury

erhielt

aber doch keine Ruhe, denn zwei

andre Schwestern der Frau' von Mailly, welche die jüngern und schönsten waren,

liessen sich am Hofe blicken.

Die eine derselben, Frau von Flavakourt, achtete freilich

weibliche

Tugend,

aber ihre Schwester, die Frau von

Tourncüe wußte sich des.wollüstigen Monarchen zu be­

mächtigen.

Mochte

die

Mailly

alle

Gewalt

ihrer

nicht verschwundenen Liebe aufbieken, sie ward doch vom

Hofe entfernt;

Mädchen

mochte der

für den König

alte Fleury

die schönste»

aussuchen, die Intriguen

dritten Schwester siegten völlig.

der

Als noch die Herzogin

von Lauraguais an den Hof und in die Gunst des Kö­ nigs kam, war der Kreis der vier berüchtigten Favori­

tinnen da.

Welcher schöne Anblick,

neben vier solchen

Schwe-

Frankreich.

269

Schwestern die Frau von Flavakourt unverdorben und voll Sinn für eheliche Freudey zu seh», ob sie gleich die reizendste unter ihnen war.

Nachdem daö Leben des Königs eine solche Wen­ dung genommen hatte,

konnte Fleury das Staatscuver

nicht mehr nach seinen Maximen führen, und ward sogar

gezwungen, sich in einen kühnen Entwurf einzulassen, vor

welchem er zurückgrbebt war.

Frankreich hattk'die pragma-

tische Sanktion Kaiser Karls des Sechsten garantirt, und dennoch erhob sich eine mächtige Parthie am französischen Hofe, zum Ruin des Hauses Oesterreich.

Die Seele der­

selben waren zwei Brüder von Belle -Isle, von welche« wenigstens der älteste einen kraftvollen Geist und einen um­

fassenden Blick mit aller Gewandtheit des Hofmannes ver­ einigte.

Er gewann in kurzer Zeit den ganzen Hof und

den König selbst für seine« Plan.

Nach demselben sollten

die Reichsfürsten, Spanien und Sardinien zum Kriege gegen Oesterreich aufgereizt werden; im Norden und mit dec Pforte wollte man sogleich Unterhandlungen beginnen;

die Ungarn und Böhmen müßten durchaus eine gänzliche

Wahlfeciheit haben; der Churfürst von Baier» sollte die Kaiserkrone, der König von Preussen diejenigen Länder von

der österreichischen Monarchie erhalten,

auf welche sein

Wunsch gehe, und eine französische Armee von hundert und funfzigtausend Mann würde nach Deutschland geschickt, um mit dem letzten im Einverstaudniß zu agiren.

Der Plan

war

Frankreich»

270

war gut berechnet und die Ausführung desselben fiel i» ei­

nen Zeitpunkt, wo eine junge verlaßne Prinzessin die Macht

des verhaßteste» Hauses Zusammenhalte«! sollte; aber der alte Fleury schrie;

„hundert und funzigtausend Mann!

ach, Herr Graf, damit könnte man die ganze Welt ero«

der», und man hätte daran noch zu viel.

Vierzigtausend

Mann, und Sie führe» dadurch auö, was Ihnen beliebt!"

Diese Kargheit des alten Ministers vertrug sich durch­ aus nicht mit der Kühnheit des Planes, und wozu seine

Behutsamkeit, daß Frankreich nur als Alliirtcr von Baiern den Krieg anfange» durfte?

Der Vorwand, daß man

die pragmatische Sanktion noch immer garantirrn wolle, aber doch die Rechte eines alten Alliirten, wie der Chur,

fürst von Baiern, vertheidigen müsse, war doch zu elend.

Unter dem Oberkommando des Churfürsten, mit wel­

chem man den vornehmsten Vertrag zu Nymphenburg ge­ schlossen hatt« (1741 Mai 18), drangen funfzigtausend

Franzosen vereint mit den baierischen Truppen dis gegen

Wien vor; fechSzigtausend Mann rückten in Westphalen ein, um Georg den Zweiten durch Bedrohung seiner Erb-

lande zur Neutralität zu zwingen.

Der Churfürst von

Baiern beging den großen Fehler, daß er nicht eine Un­ ternehmung auf Wien wagte, sondern sich nach Böhmen wandte, um sich nur in Prag krönen zu lassen.

Nun war

es bei weitem nicht mehr von so wichtigen Folgen, daß Frank-

Frankreich.

271

Frankreich seine Wahl zum Kaiser durchsetzte (1742 Jan.

34)/ als es sonst hatte seyn können;

er mußte zuletzt

seine Residenz in Frankfurt nehmen, nachdem der König

von Preussen den Breslauerfrieden mit Maria Theresia geschloffen hatte, und die Franzosen in Böhmen eö noch

für ein großes Glück hatten achten müssen, daß sie nach

dem schrecklichsten Verlust aus Prag unter dem kühnen Belle-

Jsle entflieh» konnten.

Als sie zwei und zwanzigtausend

Mann stark, indem sich alle Umstande gegen sie verschwo­ ren, in der Hauptstadt Böhmens eingesperrt waren, hatte

Fleury sich mit der Betrachtung begnügt, daß ihre Lage wol bedenklich sei, und zu spat hatte seine Kargheit sich entschlossen, ihnen Hülse unter dem Marschall von Maille-

bois zu schicken.

Zu seinem Glück entschlief er vor den

Schlagen, welche die französische Macht im Jahr 1743. erhielt, in dessen erstem Monath er starb.

Georg der Zweite führte selbst ein Heer von fünfzig­ tausend Hannoveranern, Engländern und Oestrrreichern an, hatte aber durch seinen Uebergang über den Main eine s» unglückliche Stellung bekommen, daß der Marschall von

NoailleS

sich

gegründete

Hofnung

machte,

ihn

ganz

umzingeln zu können, weil er keinen andern Ausweg, al»

einen engen Paß und in demselben vor sich die Franzosen, auf beiden Seiten ihre Artillerie hatte.

Allein der Neffe

des französischen Befehlshaber», der Herzog von Gram» mont, vernachlässigte de« Befehl, nur an dem bestimmten Ort

Fcankeei ch.

272

Ort und zur bestimmten Stunde anzugreifen, und gerieth

dadurch mit seiner Kavallerie in eine solche Stellung, daß

der Feind nicht nur einen Ausweg erhielt, sondern auch den Marschall, der in der gefahrvollsten Lage schlagen mußte,

zwang das Feld zu raumen.

So nachtheilig diese Nieder­

lage bei Dettingen (1743 Jun. 27) durch ihre Folgen für den ganzen Krieg war,

auserte Ludwig doch keine andre

Empfindung bei der Nachricht von derselben, als die Vesorgniß, daß der Ruf des Herzogs von Grammont bei der

Armee dadurch leiden möchte. Allmählig kam das franzöfischc Ministerium wieder

auf die alte Erfahrung, daß es suchen müsse, die Nieder­ lande zum Schauplatz des Krieges zu machen.

Gegen

England und Oesterreich ward er jetzt auch erklärt (1744 Marz 15. April 2 7) und Ludwig selbst ging zu der Armee ab, welche in die Niederlande einrückte.

Als die Oester­

reicher bald nachher in den Elsaß einfielen, zog er ihnen entgegen,

entfernte fich aber sogleich wieder zum Glück

des Heeres, denn nun trat der Graf von Sachsen, ei»

Sohn Königs August des Ersten von Polen und der Grä­ fin Königsmark an die Spitze desselben.

Er führte eS un­

widerstehlich zum Siege und Frankreich ersetzte feinen Man­

gel an eingebornen Helden, indem es ihn als seinen Sohn aufnahm.

Zwei deutsche Genien waren es, die jetzt zn

gleicher Zeit zum Unglück des österreichischen Hauses han­

delten, denn auch der König von Preussen hatte von neuem loSgeschlagcn. Der

Frankreich.

273

Der Graf von Sachsen gründete seinen Ruhm durch

das Treffen bei Fontenoi (1745 Mai n).

Dörnick sollte

entsetzt werden, welches schon mehr als zwei Monate bela-

gert war.

Der Herzog von Kumbrrland,

ein Sohn de«

Königs von Großbritannien drang unter einem fürchter­ lichen französischen Feuer bis in die vortheilhafteste Stellung

vor, und die Franzosen wurden auf allen Seiten zurüclgedrangt; nur der linke Flügel, welchen die Hollander ausmachten, that seine Pflicht nickt.

Mit einem Verlust von

neuntausend Mann mußte sich die alliirte Armee zurückziehn.

Hier sehn Sie, worauf es bei Schlachten ankommt,

sagte

der Graf von Sachsen zum gegenwärtigen König;

und

man ist zweifelhaft bei dieser Aeusserung,

ob er durch sie

auf das Kriegsglück deutete, oder auf seinen Einfall, ge­

rade auf die englische Kolonne einen Theil der Artillerie z«

richten und sie mit den sogenannten königlichen Haustrup­ pen anzugreife».

ES ward immer nothwendiger, daß er in den Nieder­ landen den französischen Waffen einen neuen Glanz gab, denn in Italien wurden sie vom Unglück verfolgt und der

König von Preussen hatte von neuem Frieden geschlossen; auch hatte der Gemahl von Maria Theresia nach dem Tod« Kaiser Karls des Siebenten die Kaiserkrone erhalten, und der Einfall des jungen Prätendenten in England, nicht ge­

nug unterstützt von Frankreich, ein trauriges Ende genom­ men.

Dagegen wurden die sämmtlichen österreichischen Nie-

S

der-

Frankreich.

274

verlande bis auf Luxemburg erobert, und ein wichtiger Sieg

bei Raukoux über den Prinzen Karl erfochten (1766Oft.11)> dagegen erhielt nach Eroberung des holländischen Flandern,

wodurch man die Hollander zwingen wollte, ihrem Haffe gegen Frankreich, welchen sie seit Ludwig dem Vierzehnten hegte»,

nicht

mehr

zu folgen,

der

Marschall

von Sachsen

durch die Schuld des Herzogs von Kumbcrland einen Sieg über dieAliiirte» bei dem Dorfe Laffeld im Lüttichischcn

(e 747 Iuk 2).

„Ich habe einen Sieg, schrieb der Kö.

nig, welcher gegenwärtig gewesen, durch die augenschein­ liche Defchützung der heiligen Jungfrau erhalten. Schlacht ward an einem Marientage geliefert."

Die

Mehr al-

dieses religiöse Vertrauen, ehrt ihn die Gutmäthigkrit in der Frage, welche er an einen gefangnen Feldherrn that, ob es nicht besser wäre, mit Ernst auf Frieden zu denken, als so viele brave Leute aufzuopfcrn?

Fünftausend waren

auf jeder Seite geblieben.

Wie der Graf von Sachsen bei Laffeld,

war ein

andrer Ausländer i» französischen Diensten, der Graf von Löwendahl, ein geborner Däne, bei der Belagerung vo»

Bergen op Zoom zur größten Schande der Alliirten glück­

lich.

Das ganze Heer derselben lag hinter der Festung

und gab ihr immer frische Mannschaft, auch unter weniger glücklichen Umstanden ward sie für unüberwindlich gehalten, und zwanzigtausend Mann hatten die Franzosen schon vor

ihr verloren.

Zum Glück für diese kommandirtr ein alter holläN-

Frankreich.

^75

holländischer General an dem Tage, als sie mit Ungestüm

einen Sturm wagten;

die Besatzung entfloh vor ihnen in

das Lager der Alliirten (i?47 Sept. 16).

So glanzend das Glück der Franzosen in den Rieders landen war, kam es doch dem Uebcrgcwicht nicht gleicht,wel-

ches die Engländer zur See hatten.

Der alte Fleury war

viel zu sparsam, sei» Gesichtskreis viel zu eingeschränkt ge­ wesen, als daß er den großen Aufwand, welchen die Ma-

rine crfoderte, gehörig bestritten hätte.

Der ausserordent­

liche Muth, mit welchem die Franzosen auch zur See foch-

tta, half ihnen daher wenig.

Die Geschichte dieses See­

krieges und der Begebenheiten in Westindien, Amerika und Ostindien ist in der Geschichte Englands ein glänzendes Ge­

Rur einmal schien das Glück in Ostindien den Fran­

mälde.

zosen lächeln zu wollen.

Der Kommandant auf der Insel

Bourbon, Bourdannaye hatte rin englisches Geschwader an

der Küste Koromanvel geschlagen und eroberte Madras, wo

die reichste Niederlage der Engländer war. Cencralstatthalter zu Pondichrry, gleich,

Allein Düpleix,

mißbilligte einen Ver­

welchen Bourdonnaye mit den Einwohnern von

Madras geschloffen hatte, und wütete gegen einen Mann, dessen Verdienst ihn verdunkelte, so ungestüm, daß er ihn nach Europa zurück und in die Bastille brachte.

Wenn Frankreich nicht alle sein« Kolonien verlieren

wollte, nicht noch daS einzige dienstfähig« Hauptschiff, wel­

ches ihm dir Engländer gelassen hatten, so mußte der Friede

S a

sehr

276

Frankreich.

sehr beschleunigt werden.

Schon standen in Deutschland

sieben And dreissigtausend Mann Russen, die als österrei­ chische HülfSvölker nach den Niederlanden bestimmt waren.

Die Intendanten selbst in den reichsten Provinzen Frank»

reichs versicherten,

daß

sie innerhalb ihrer Atmssphäre

selbst bei der dringendsten Noth keine hunderttausend LivreS zusammentreiben könnten.

Auch durfte sich Maria Theresia

einen minder nachtheiligen Frieden versprechen, da schon

die Frau von Pompadour am französischen Hofe herrschte, und ein so schlauer und kenntnißccichcr Mann,

wie der

Graf von Kaunitz, als österreichischer Gesandter zum Kon­

greß nach Aachen geschickt werden konnte. in Mastricht,

Der Friede ist

sagte der Graf von Sachsen,

nnd wirklich

machte die Belagerung dieser Festung, daß man ihn schloss (1748 Apr. 30).

Ludwig mußte seine Eroberungen in

den Niederlanden wieder herausgebe» und erhielt zurück, waö ihm die Engländer abgenommen hatten.

Was Maria

Theresia verlor, war unbedeutend im Vergleich mit den an­ fänglichen Planen zur Zerstücklung ihrer Macht, und selbst wenn sie weit mehr wäre geschwächt worden,

auch

hätte dies,

bei einem andern Gange der politischen Verhältnisse,

als sie bald nahmen, Ersatz für den Aufwand eines solche»

Krieges für Frankreich seyn können ?

Doch vergaß man dies

über den schmählichen Fricdenöarrikel, daß man denPcakev-

denten aus Frankreich wegschaffen müsse; und auf welche Weise erfüllte man ihn!

der Oper

Wie ein Verbrecher ward der Prinz in

gefangen genommen und über die Gränze gebracht. Welcher

Frankreich.

277

Welcher Kontrast mit jenen Zeiten, da Jakob der Zweite in

Frankreich Truppen und Flotten fand, um die Eroberung seiner Königreiche ju versuchen 3

Mit dem Frieden zu Aachen hat das goldne Zeitalter von der Regierung Ludwigs des Fünfzehnten sein Ende er­

reicht, denn in Vergleichung mit d crFrau von Pompadour oder gar der Gräfin Dübarry erscheinen die vier Favoritin­ nen als die Wohlthäterinnen Frankreichs.

Lange war schon die Intrigue geknüpft, durch welche

dasselbe eine neue Beherrscherin erhalten sollte und die junge schöne Frau von Etioles war dazu bestimmt.

Ihre Mut­

ter hatte sich ihr eifrigstes Geschäft daraus gemacht,

sie

gleichsam zur Maitresse des Königs zu erziehen, ihr Anver­

wandter Binet, Kammerdiener beim Dauphin, leitete die

Ausführung der geheimen Plane, und sie selbst lebte nur im

Glanz ihrer künftigen Größe.

In einem flüchtigen Phae­

ton erschien sie wie die Göttin der Liebe im rosenfarbnen

Gewände zuerst dem König im Gehölze bei SenarS; aber

der Eindruck,

welchen sie auf ihn gemacht hatte, wäre

wahrscheinlich nicht herrschend geworden, wenn nicht die Parthie der Frömmlinge oder der Jesuiten,

die sich des

Dauphins gänzlich bemächtigt hatten, zu sehr gesucht hätte,

sie nicht emporkommen zu lassen, denn sie stand in Verbin­ dung mit den schönen Geistern und Philosophen,

welche

der Geistlichkeit jetzt so furchtbar wurden.

S 3

So-

Fravkreich.

278

Sobald die Frau von Etiölcs zur königlichen Favo­ ritin erklärt war, erhielt sie den Namen der Marquise von Pompadour, unter welchem sie so bekannt geworden ist,

und Voltaire verbreitete nun ihre» Ruhm.

Der schwächt

Ludwig ließ sich durch sie hinreissen, alles mit dem größte» Leichtsinn zu behandeln, was eine ernste Behandlung erfo-

Wen» feine Minister ihm Berichte über Staatsge­

derke.

schäfte vorlasen, so lachte er über sie mit der Frau von

Pompadour; hielten sie daun ei», so rief er:

immer fort­

gefahren, ich verstehe Sir recht gut', und steckte dieZmrge

heraus.

Dem Grafe» von Maurepas hörte er bisweilen

»och zu.

Da»» fiel aber die Maitreffe eia: so eilen Sie

doch', gewiß bekommt der König noch die Gelbsucht!

Allein

mitten i» ihrer Herrschaft, «nrer den großen Reichthümern, hie sie erworben, im Genuß einer fein geschmeichelten Sinn­

lichkeit zitterte sie doch unaufhörlich vor der Möglichkeit, ge­

stürzt zu werden, und nichts machte ihr mehr Unruhe, als die Frömmelei, von welcher sie de» König nicht loSreiffen

konnte.

verlesen!

Wie oft wollte er ihr aus Andachtsbüchern etwas

Rahm diese fromme Schwäche dereinst so zu,

daß keine Sinnlichkeit und Liebe ihr entgegenzuarbeiken ver­ mochten, oder starb der König bald, welche Aussicht für

sie,

wen« der Dauphin und die Jesuiten an das Ruder

kamen!

Für niemand konnte daher der Mordanfchlag des

verrückte» Damiens auf Ludwigs Leben so schreckend seyn, als für sie ft757 Ian. gegen: «das sind wir alle'.» Er hoste die Girondisten da­

durch zu schrecken, daß er den Einzelnen aufforderte, der es wagen würde, die Anklage wider ihn zu unterschreiben;

und der schöne junge Darbaroux von Marseille

stand

auf, rief: «ich will dich anklagen!« Darauf bewies er,

daß eS allerdings eine Rotte gebe, welche die Diktatur für Robespierre suche, und ein andrer Repräsentant trat

als

Zeuge

für

die

auf.

Wahrheit seiner Aussagen

Plötzlich sprang Marat auf den Rednerstuhl, und eig­

nete sich die Zdee von einem Diktator als sein Eigen­

thum zu, von einem allgewaltigen Patrioten, der ohne Ansehn der Person, das Beil der Gerechtigkeit auf den

Nacken aller Verbrecher fallen ließe.

»Wenn eure Ge­

sinnung, so schloß er mit dem lächerlichsten Uebermuth, sich nicht bis zur Höh« der meinigen erheben kann, so ist der Nachtheil auf eurer Sette!«

Während dem Gelächter hierüber schritt Vergniaud

zur Rednerbühne, und sprach tief betrübt: »Ich zittere

vor Abscheu, daß ich hier auf einer Stelle stehen muß, welche kaum ein Mann verließ, der sich in Galle und

Blut herumwälzt.«

Man drang auf ein Anklagedekret

wider das Ungeheuer: und als der Vorschlag verwor­ fen

rief,

wurde,

zog Marat

indem er sie sich an

tet ihr

ein

Anklagedekret

eine

Pistole

die Stirne beschlossen,

heraus,

hielt:

und

»Hät­

wahrlich, vor

euren

Frankreich.

4l6

euren Augen würde ich

mir den Kopf zerschmettert

haben.« Durch

die rasende

Narrheit dieses Dösewichts,

wurde der Konvent immer wieder von ernsten Maßre-

gellt wider die Rotten abgelenkt, welche die Munizipa lität der Hauptstadt

wider ihn gleichsam in Krieges»

stand versetzten, und wirwol selbst der Plan zu einer

Wache der

Repräsentanten

aus

allen

Departements

vorgelesen wurde, Zeit genug gewannen, um alle Sek­ tionen von Paris sich wider denselben erklären zu lassen..

Er mußte aufgegeben werden, und die Gironde mußte

ihren Schutz-von Marseillern erwarten, welche Barba-

roux nach der Hauptstadt rief. Indessen sah Robespierre, und alle die zu seiner

Fahne gehörten, ferner «ine Rotte von Jakobinern, die

im Solde von Feinden des Vaterlandes stand,

wohl ein,

recht

daß sie weder für vergangne Verbrechen un­

gestraft bleiben,

noch ihre Zwecke für die Zukunft er-

reichen konnten, so lange die Girondisten, und fast alle

rechtschafne oder welches

Mitglieder des Konventes nicht entkräftet, einerlei war, völlig vertilgt wären; zu

Danton'» nothwendiger Selbstvertheidigung gegen die

Verfolger seiner Laster, gesellt» sich die Rachsucht, weil er von der Gironde verstoßen war.

Der furchtbarste

Feind der Rotten war der Minister der innern Ange­ legenheiten, der alte muthige Roland.

Als

Frankreich.

417

Als er am neun und zwanzigsten Oktober einen De, richt über die Frevelthaten des Bürgerralhes von Pari« abstattete, an dessen Ende behauptet wurde, daß die Dö, fewichter laut erklärten, die ganze Parthie von Roland und Bristol müßte hingerichter, und Robespierre an das Ruder des Staates gestellt werben; als bei diesem Namen rin Repräsentant rief: «der Nichtswürdige!» so sprang der angeklagte Demagog wieder auf die Nednerbühne; aber umsonst bemühte der Präsident Guadet, ob» gleich eines der Häupter der Gironde, sich lange mit der höchsten Anstrengung, ihm vor dem stürmenden Unwillen der Versammlung Gehör zu verschaffen. «Ver­ leumdung ist Mode geworden, rief RobeSpierre, nachdem er die erhaltene Erlaubniß zu reden zu langen Schmeiche­ leien gegen sich selbst angewandt hatte; und Verleum­ dung gegen wen? Gegen den eifrigsten Freund des Va­ terlandes. Wer ist aber unter euch, der aufstehn, mir in die Augen blicken, und mich anklazen darf?»

Eine schauerliche Pause. Ich! ertönte es vom fer, nen Ende des Saales. Aehnlich einem strafenden Gespenste, vom gerechtm Verhängniß abgesandt, schritt eine hagere, bleiche Gestalt durch die Versammlung, und ein Schauer ging durch die ganze Gesellschaft, als sie sich der Rednerbühne gegenüber stellte, dem zitternden Bösewtchr fest in« Angesicht blickte. Feierlich sprach sie: Robeepierre, ich klage dich an! Eine unwillkührliche, verDd

4i8

Frankreich.

wirrte Bewegung rauschte bei diesen Worten rings in der Versammlung. Die furchtbare Gestalt ging zur Redner­ bühne hinauf. Mil starren Augen, blaß, rückwärts gebeugt, blickte Nobespierre sie an, und trat, als würde ihm das ver­ dammende Urtheil für die Ewigkeit gesprochen, entseelt zur Seite, da sie sich in die Mitte der Bühne stellte.

Ich klage dich an', sprach Louvet noch einmal; und das Schrecken, welches er verbreitete, hatte sich selbst der Rotten auf den Gallerten bemächtigt, daß sie schwer, gend blieben, als Danton rief: «Sprich, Robespierre, sprich weiter! hier sind viele gute Bürger, die dich hi, ren.'» Vergebens erscholl seine Donnerstimme durch den Saal, vergebens entsagte er aller Gemeinschaft mit Ma, rat; die Aufmerksamkeit der Bersqmmlung blieb auf Robeepierre gerichtet, und Louvet beharrte mit dem männ­ lichsten Muth bei dem Vorhaben, seine Anklage weiter fortsehen zu wollen. Mit fürchterlicher Beredsamkeit riß er den Schleier von allen.Verbrechen des Bürgerrathee; jedes feiner Worte war ein Dolch für Robespierre, jede seiner Wendungen war «in Feuerbrand, in die Seele des­ sen geschleudert, den sie betraf. Als er der Tage des Septembers erwähnte, da die besten Patrioten dem Tode gewidmet, alle Minister als Verräther geschildert wur­ den, einen einzigen ausgenommen, immer denselben; da wandte er sich gegen Danton: «Ach, Danton, möchtest du wegen dieser Ausnahme dich rechtfertigen können!

Frankreich.

419

wirst du vermögen, bei der Nachwelt deinen Charakter rein zu waschen, nml diese Auenahme dich traf?» äU er des Ungeheuers erwähnte, dem Danton heute entsagt hatte, welches man, in der Weltgeschichte einzig, in je, ncn Tagen au« seinen untertrrdischen Höhlen mit Ent, setzen wieder hervorkommen lab, des Ungeheuers, welche« Robespierre in der Wahlversammlung als einen würSt, gen Repräsentanten vorstellte; als ihm die Wendung ent­ schlüpfte: «Ich war da! ich sah Marat!» da fuhr er mit Entsetze« zurück: «Himmel, ich habe feinen Namen ausgesprochen!»

Durch Louvets Rede fühlte sich RobeSpierre so ver, nichtet, daß er bat, sich nach acht Tagen erst verant­ worten zu dürfen. Der Tag seiner Vertheidigung kam, und der unmenschliche Pöbel, über welchen er gebot, war im Konvent selbst' und in der Gegend desselben in Bewe, gur.g. Zwei Stunden hindurch st>rach er, und Louvet trat an seine Stelle mit der Erklärung, daß er bereit wäre, jeden Grund, jeden Schatten eines Grundes in dieser Vertheidigung zu widerlegen. Allein weder er, noch andre, die für und wider Robespierre reden woll, ten, konnten Gehör bekommen, und die Häuprer der Gironde, Vergniaud, Drissot, Guadet stimmten selbst dahin, daß man zur Tagesordnung übergehn foll'e; ihr Stolz, welchem es mißfiel, daß Robespterre al« eine so wichtige Person behandelt wurde, verleitete sie zu dem unver, Dd i

420

Frankreich,

zeihlichen Fehler, daß sie den unerschrockenen Louvet an diesem Tage nicht unterstützten, und überhaupt nicht oft genug die verworfnen Demagogen bestürmten.

Ganj

nach ihrem Geiste sprach der glatte Darrere, daß man

die kleinen Revolutionsunternehmer nicht höher achten müßte, als sie werth wären, daß er unter so mittelmäßi­

gen Köpfen weder einen Sylla, noch einen Kromwell er­ blickte, und daß Ls, anstatt auf die Schleichwege dersel­

ben zu achten,

den Repräsentanten besser anstehe, die

ffir das Wohl des Freistaates wichtigen Fragen zu erörtern.

Zur Tagesordnung war man bei einer solchen An­

klage übergegaygen, wodurch RobeSpierre als Verbrecher

gebrandmarket war, und die Häupter der Gironde glaub­ ten, daß er nun za verächtlich sey, «m furchtbar werden

zu können; allein sie wurden hier offenbar wieder durch den Grundfehler ihres ganzen Betragens verführt, daß

sie ihren zu geringen Begriff von den Fähigkeiten, und zu hohen von dem sittlichen Werth gewöhnlicher Menfchen, durch alle Erfahrungen, die ihm widersprachen, z«

ihrem Unglücke nicht verlernten.

Diese Wendung des wüthigen Angriffes von Louvet

hatte sichtbar einen doppelten Einfluß auf das Schicksal des unglücklichen Königs.

Zuerst war es nothwendig ge­

worben, daß Robeöpierre und feine Rotte die öffentliche Aufmerksamkeit von sich durch irgend ein Schauspiel eine Zeit-

Frankreich.

421

Zeitlang ablenkten, und dann hatten sie in dem lehten

Kampfe die Gironde genug kennen lernen, um einzusehn,

daß sie nicht Entschlossenheit und Klugheit genug habe«

würde, den König zu retten, wenn die Jakobiner ihn

auf da« Blutgerüste bringen wollten.

Welcher Mittel sie

sich bedienen würden, um diesen Zweck zu erreichen, ergab sich aus dem Vorschläge, welchen Manuel für nothwen­

dig hielt, daß nämlich durch einen besondem Schluß alle

diejmigen Repräsentanten, welche für Ludewig redeten, unter dem Schutze des Gesetzes seyn sollten.

Man ging

zur Ordnung des Tages über bei diesem Verlangen, weil es eine Beleidigung für die Nation wäre, an diesem

Schutze für jene Männer nur einen Augenblick zweifeln

zu wollen.

Nichts untergrub das Ansehn de« National­

konventes mehr, als daß er, um dem Sinne der Nation einen Lobspruch beilegen zu können, so häufig die noth,

wendigen Maßregeln wider einzelne Rotten verabsäumte.

Als am dreizehnten November 1791 nach Ablesung

eines Berichte« über die Einrichtung des Prozesses wider den König Debatten über die Frage begannen, ob er durch den Nationalkonvent gerichtet werden könne, schien

es, als würde man mit einer gewissen Ruhe und Würde handeln; aber es währte nicht lange, so verlangten schon einige von diesen Richtern mit Geschrei die Todesstrafe

über Ludewig, ohne daß man ihn nur verhört hätte.

E« war noch der bessere Theil der Repräsentanten, wel«

422

Frankreich.

«her bett Beschluß durchtrieb, baß eine Kommission von Einundzwanzig binnen zwei Tagen die Anklageakte ver, fertigen und alle Belege für dieselbe ordnen,, der König bann den folgenden Tag vor die Schranken geführt und über vorgelegte Kragen vernommen werden sollte. Am eilfeen Dezember las Barbaroux, als Mitglied der Kommission der Einundzwanzig, die Anklageakte vor, und nur das scheusliche Ungeheuer Marat, welcher an dem Tage, da Ludewig vor den Schranken erscheinen sollte, seine schmutzige Kleidung mit einem festlichen sei? denen Gewände vertauscht hatte, nur er bemerkte, daß in dieser Akte alle die Berbrechen ausgelassen werben müß­ ten, welche dem Könige vor der Genehmigung der Kon­ stitution zugerechnet würden, denn unmittelbar nach der­ selben wäre Amnestie deshalb verkündet worden.

An diesem Tage war die ganze Bürgermiltz der Hauptstadt unter den Waffen und das kriegerische Getöse derselben entging schon am frühen Morgen den Gefangnen im Tempel nicht: die Unruhe Ludewigs ward durch ban­ ge Ahndungen sichtbar vermehrt, als der Maire Chambon in sein Zimmer trat, und ihm den Beschluß vorlas, daß Ludewig Kaper vor die Schranken des Nationalkon­ venter gebracht werden sollte, Der Anblick der bewaff­ neten Menge schreckte ihn, da er die Treppe hinabgestie­ gen war; er glaubte, daß er zum Tode geführt werde. Traurig

Frankreich.

413

Traurig betrachtete er, als er über den Schloßhof ging,

den Thurm feines Gefängnisses; sein Blick verweilte an den Fenstern des Zimmers»

wo feine Familie gefangen

war; Thränen rollten über feine Wangen-

Mit dem Maire und zwei Deputirten des Bürger,

rathe« fuhr der König in einem schlechten Miethwagen

durch eine dreifache ununterbrochene bewaffnete Reihe,

welche bei Ankunft des Zuges die Gewehre senkte: Män, «er mit Piken umgaben den Wagen, vor und nach dem,

selben wurden Kanonen gezogen.

strich alle die Straßen,

Schweres Geschütz be­

welche der Zug berührte;

die

Bürgernnliz drohte, auf einen jeden zu feuern, der ein

Fenster, eine Thüre der Häuser an denselben zu öfnen wagte; eine schauerliche Stille kündigte das Gericht an,

welches ein Verbrechen war.

Heiter in seiner Unschuld stand der König vor den

Schranken des Nationalkonventes, und gefesselt durch ein

Gemisch von Mitieiden und Bewundrung, weiche auch der schwache Mensch erregt, wenn das Bewußtseyn, daß

er frei von den Verbrechen sey, deren man ihn ankiagt,

Standhaftigkeit wider

die

sich

thürmenden Gefahren

ihm Verleihs, sahn stillschweigend alle Zuschauer auf den Angeklagten.

Unvorbereitet wider eine große Gesellschaft

von Männern, die seine Kläger und Richter waren, und

sich mehrere Tage wider ihn gerüstet hatten, antwortete Dd 4

Ludewig

424

§ rankreich.

Ludewig zwei Stunden hindurch im Tone ruhiger Un, schuld und mit einer Klarheit des Geistes, die man ihm nie zugetraut hatte, auf alle Fragen, auf die Punkte der Anklage. Nicht die Erinnerung seiner ehmaligen Macht bei dem Zurufe des Präsidenten Barrere: «Lauter, Lu, dewig!» wann er leiser sprach; nicht das wiederholte Getöse von Barbaren auf den Gallerten; nicht der An, bllck des Herzogs von Orleans, der als Philipp Egalitä unter den Repräsentanten saß, wie er seinen jüngsten Sohn mitgebracht hatte, um ihm das gefallene Haus Bourbon, die auch durch seine Ränke «irdergeschmetterte Majestät zu zeigen: alles dieses raubte dem König auch nicht auf , einen Augenblick die Fassung; aber als man ihm unter den Belegen für feine Verbrechen auch ein Tagebuch der Geschenke aus feiner Schatulle gab, da rief er wehmüthig aus: «Großer Gott, dies ist ein Verzeich, niß der Almosen, die ich gegeben habe; auch das wird mir nun zum Verbrechen gemacht!» Seine Wehmukh schien sich bet diesen Worten über die Versammlung zu verbreiten.

Er bat um die Freiheit, sich Vertheidiger wählen zu dürfen, und ward in ein Nebenzimmer geführt, damit man über seine Bitte sich berathschlagen konnte. E« war Abend, und er hatte noch nichts gespetser; man gab ihm ein Stück hartes Brod. Er stand neben einem Wand, leuch ter, und las in der Konstitution, unlerdeß unter dem

Frankreich.

425

Pöbel ein Gemurmel ging, ob er den König ermorden wollte, so daß diesen der Präsident schnell nach dem Tem, pel zurückschickm mußte. Empörender als diese Drohun, gen des Pöbels war die Wuth vieler Repräsentanten, welche dem Angeklagten keinen Vertheidiger und keine Untersuchung der Belege für die Anklage zugestehn woll­ ten. Eine große Stimmenmehrheit entschied endlich wi­ der diese verruchten Richter. Nach der Ueberwindung vieler Hindernisse bekam der König endlich Vertheidiger, die aber der Bürgerrath durch barbarische Beschlüsse, über sie zurückzuschrecken suchte. Als der Nationalkonvent diese vernichtete, rief RobeSpierre: «Zch weiß gar wohl, daß es eine Parthei in dieser Ver­ sammlung giebt, welche Ludewig den Verräther zu retten sucht; nur wundre ich mich, baß diejenigen, welche so empfindsam sind und den Tyrannen so herzlich bemitlei, den, «ichls dergleichen für das gute, von ihm unter, drückte Volk fühlen.» So machte dieser Demagoge bei jeder Gelegenheit da« Volk zu seinem Götzen, damit er Eitze desselben werde.

Abgerissen von seiner Familie, unter den Gefahren um ihn her selbst der häuslichen Freude beraubt, für welche er ein so schönes Herz hatte, arbeitete Ludewig mit seinen Sachwaltern an seiner Vertheldigung, und erschien am sechs und zwanzigsten Dezember mit denselben vor Dd f dem

426

Frankreich.

dem Nakionalkonvent. Einer von ihnen, de Seze, las dir von ihm verfaßte Schutzschrift vor. Auf eine vor' trefliche Weife war in ihr, durch Beleuchtung des Cha­ rakters und Lebens des Königs vor der Revolution, das Licht über fein Betragen während derselben verbreitet, in welchem es die Unpartheilichkeit erblickt; vortreflich war in ihr dasjenige von einander geschieden, was auf die Rechnung Ludewigs oder der Minister gehörte. Auch war glücklich der Schleier von dem Verfahren der Jako­ biner gezogen, welche ihre Plane zu Verbrechen dem Hofe unterschoben. Mochte auch mancher, der zu diesem gehörte, Kabalen geschmiedet haben, über welche die neue Ord­ nung dec Dinge den Stab brechen mußte: so gab es durchaus keinen Beweis von einer Genehmigung derfel, den durch den König, welcher, auch nicht durch seine Un­ schuld vertheidigt, hinlänglichen Schutz wider jeden Angriff auf sein Leben in der Unverletzbarkeit finden mußt«, die ihm von der Konstitution gegeben war. Möcht« fie mit dieser hingefallen seyn, so behielt sie doch ihre Kraft für alles, was vor diesem Zeitpunkte geschehn. Nachdem der König mit seinen Vertheidigern den Nationalkonvent wieder verlassen hatte, begannen Szenen, vor welchen die Menschheit mit Abscheu zurückbebt. Die Rotten, welch« zu Robespierree Fahne gehörten, schrien voll Sehnsucht nach dem Blute des sogenannten Tyran­ nen. Die Girondisten hatten mancherlei versucht, was zur

Frankreich.

427

zur Rettung Ludwigs beitragen konnte. Sie hatten den besoldeten Pöbel der Jakobiner von den Gallerien ver­ drängen wollen; sie hatten sich bemüht, den Herzog von Orleans mit seiner Familie zu verbannen. Aber wegen ihrer eigenen Nachläßigkeit nach dem ersten wüthigen An­ griff, und durch die Schuld des glattzüngigen Darrere, war nicht» zur Ausführung gekommen. Nun mußten sie alle« aufbieten, um durch die Appellation an das Volk es dahin zu bringen, daß dieses in den Urversammkungen dem Könige da« Artheii sprach. Robespierre wütete wider ei, nen solchen Versuch, den er freilich mit Gründen nicht bekämpfen konnte, aber dagegen suchte er die Urheber desselben mitten unter seinen Klagen wegen deS gemiß­ handelten Volkes, als Freunde des Königthumes, als " Genossen von La Fayette anzuschwärzen. Wider seine Raserei erhob sich VergniaudS Beredsamkeit zuerst mit der Bemerkung, daß es eine Verletzung der Rechte des Volkes wäre, wenn man ohne seine Einwilligung das To, desurtheil über Ludwig de« Skchszehnten aussprechen wollte, da die Macht des Konventes nur eine vorläufige, der Genehmigung des Volkes unterworfene Gewalt wäre. «Man klagt diejenigen, sagte er, welche dieser Meinung beitreten, als Derschworne wider die Freiheit an. Daö wun, dert mich nicht. Eö giebt Menschen, bei welchen jeder Hauch ihrer Lippen eine Lüge wird; die Verleumdung ist ih­ rer Nutur eigenthümlich, so wie es der Natur der Schlange eigen ist, daß sie beständig Gift »bsondert. Man

428

Fr ankreich.

Man klagt uns an!

O wenn wir den schamlosen Stolj

oder den heuchlerischen Ehrgeiz unsrer Ankläger besäße«/ bann würden wir erzähle«/ mit welchem ununterbrochenen

Muthe wir wider die Tyrannei der Könige/ aber auch

wider die gefährlichere Tyrannei der Räuber gekämpft haben, welche im Monath September auf den Trümmern der königlichen Herrschaft ihre eigene gründen wollten.»»

Er zeigte darauf, daß der Hinrichtung des Königes sichex

die Kriegserklärung von England und Spanien, und als ein weit größeres Unglück, die völlige Herabwürdigung des Konvents folgen werde: wie eine Parthie jezr von der

Theurung des Brodes, der Seltenheit baarer Münze, dem schlechten Zustand der Armeen, den Ebenbildern des Elen, des, auf welche man täglich stößt, die schuldige Ursache

immer im Tempel fände, indem sie recht gut wüßte, daß

«S ganz andere Gründe davon gebe; so würde sie alsdann alle Last des Unglückes auf die Konvention wälzen.

Auch Gensonne hielt eine herrliche Rede für die Ap­

pellation an das Volk; aber je größer der Triumph der Beredsamkeit auf der Seite der Girondisten war, desto

mehr suchten die Jakobiner Furcht und Schrecken in der Hauptstadt zu verbreiten, desto wilder wurde di« Stimme der Anarchie.

Die Debatten über den Prozeß des Königs

wurden für geschloffen erklärt, und am vierzehnten Ja,

nuar wollte man anfangen, die Stimmen über das Schick, fal Ludwigs zu sammeln.

Namentlich sollten die Reprä,

sen,

Frankreich.

429

smtanten zur Ablegung ihrer Stimmen aufgerufen wer, den, damit der Furchtsame es nicht wage, zur Rettung des Angeklagten zu stimmen, und ein noch bestehendes Gesetz, daß zum Todesurtheile zwei Drittheile der rlch, tenden Stimmen erfordert wurden, hob man für den ge, genwärtigen Fall ausdrücklich auf, damit die bloße Mehr» heit entscheide. Zuerst ward über die Frage gestimmt: ob Ludewig Capet einer Verschwörung wider die Freiheit eines Angriffes auf die Sicherheit de- Staates schuldig sei oder nicht? Sechshundert sechs und achtzig Stim, men bejahten es unbedingt, daß er schuldig sei; nicht ei, ne einzige sprach ihn unbedingt frei. Bel der zweiten Frage. Soll dasUrtheil einer Sanktion des Volkes unter­ worfen seyn? stimmten zweihundert drei und achtzig für die Appellation; durch eine beträchtliche Stimmenmehr, heit ward diese verworfen. Nun ward zuletzt die furcht­ bare Frage entschieden: Welche Strafe hat Ludewig Ka, pet verdienet? Da sprachen Kersaint, Lanjuinais, Manuel für die Gefangenschaft desselben bis zum Frieden, für seine Verbannung nach diesem Zeitpunkte. «Zch stimme für den Tod, sagte Brissot, mit dem Vorbehalte, daß dieses Urtheil erst nach Genehmigung der Konstitu­ tion vollzogen werde.» Auch Düzot verlangte, daß ein Zeitraum zwischen dem Urtheilsspruche und der Vollzie­ hung bestimmt werden sollte.» Gestern, sprach Vergniaud, habe ich bereits den Angeklagten der Verschwörung wider die Freiheit und die Sicherheit der Nation schuldig er­ klärt;

43°

Frankreich.

klärt; heute darf ich nicht anstehn, die verdiente Strafe über ihn auszusprechen. Das Gesetz spricht; es spricht den Tod.» Doch verlangte er, wie auch Louvet und Guadet, daß man wenigsten« über die Aufschiebung der Vollziehung, wenn da« Todeeurtheil ausgesprochen wäre, sich berathschlagen sollte. Sie hosten, durch ein solches Zögern zu bewirken, daß sich die Stimme der Nation laut gegen die Hinrichtung des Königs erheben möchte, und wenigstens das zu erreichen, daß durch di« vollendete Konstitution, der Anarchie, die nach dem Königsmord» noch furchtbarer einzureißen drohte, ein Damm entgegen, gestellt werden konnte- Einige Girondisten stimmten doch unbedingt für den Tod Ludewigs; unter ihnen auch Gen, sonne, welcher zugleich den Beschluß verlangte, daß die Mörder des zweiten Septembers gerichtlich verfolgt wer­ den sollten. Ein Geräusch de« Unwillens entstand in der Versammlung, als der Herzog von Orleans den Tod über das Haupt der Bourbons aussprach. «Ich verstehe e« nicht, sagte Robrepterre nach einer langen Rede, sinnleere Worte, unverständliche Auslegungen dem Gebote der Pflicht und fest bestimmten Grundsätzen entgegenzustellen: ich stimme für den Tod. «Mit Tyrannen giebt e« keine Unterhandlung, riefDanton.» Den Tod, ohne Umschweif,» sagte SieyrS. «Der Baum der Freiheit, so. redete Bar, rere, wächst nur begossen mit dem Blute aller Gattungen von Tyrannen. Das Gesetz spricht dm Tod aus, und ich bin blos der Mund, durch welchen es spricht.» Durch

Frankreich.

431

Durch eine Mehrheit von fünf Stimmen wurde Lu, dewig zum Tode verurrheilt am siebzehnten Zanuar; unter dem Vorwande, daß unrichtig gezählt wäre, streg diese Mehrheit bei einer neuen Umfrage am foigenden Tage durch einige wenige Stimmen. Kersainl und Manuel legten ihre Repräsentantenstellen in einer Versammlung nieder, wo die Furcht tyrannlsirte, wo nach ihrem Aus­ drucke keine Männer waren. Hätte brr Maklonalkonvent auch nicht das TodeSurtheil über den König ausgesprochen; so wäre sein Leben doch nicht gerettet worden. Auf jenen Fall nämlich hat­ te die Rotte von Robespierre, in Verbindung mit dem Herzog von Orleans, dessen Geld sie brauchte, einen Auf, stand beschlossen, während welchem man sich der königli­ chen Familie bemächtigen und Ludewig morden wollte. Wäre dieser Mord vollbracht, so hätte die Nation durch die förmliche Hinrichtung ihres Königs nicht die Schuld eines nicht auszuföhnenden Verbrechens auf sich geladen.

Sobald das Todesurtheil ausgesprochen war, schickte der Herzog von Orleans seinen Mohr ab, daß er unter dem Femster des unglücklichen Ludewigs mit lauter Stim­ me es auerufen sollte, und die Rotten, die ihm gleich waren, trieben im Nationalkonvent ihren unmenschlichen Scherz mit dem Gedanken, daß die Menschlichkeit es ver­ biete, die Hinrichtung Kapers aufzufchieben, daß man barm,

432

Frankreich.

barmherzig seyn tinb ihn auf das Blutgerüste schicken wolle, um seiner Angst ein Ende zu machen. Es ward beschlossen, daß die Hinrichtung ohne Aufschub vollzogen werden müßte. Der Justizminister Garat stammelte und war ver, wirrt, als er dem Könige das Todesurtheil ankündigte'» dieser vernahm ei mit Ruhe und entließ seine. Tobesengel nicht ohne gelaßne Würde. Ed bat um einen Geistlichen, die Freiheit, mit feiner Familie ohne Zeugen reden zu dürfen, und um «inen Aufschub der Hinrichtung von drei Tagen, damit er sich vorbereiten könne, in der Gegen, wart Gotte« zu erscheinen. Diese letzte Ditte ward ihm abgeschlagen; der Beichtvater seiner Schwester Elisabeth eilte in da« königliche Zimmer. Durch die Unterredung mit ihm glaubte der fromme König Stärke genug ge­ wonnen zu haben, um seine Familie sprechen za können.

Die Königin erschien; der Schmerz hatte alle Tiefen ihres feurigen Geistes durchwühlt: einst angebetet wegen ihres Ursprung« au« dem größten Hause und wegen der Gaben, von der Natur ihr geschenkt, war sie nun eine Sklavin verachteter Leute. Ruhgier war die Prinzessin Elisabeth, und sie zähmte ihren Schmerz beim Anblick der Leiden ihres Bruders: glücklicher durch die Beschränkt, heil der Zugend fühlten die Dauphine und der Dauphin nur die Leiden der Eltern. Drei

Frankreich.

433

Drei Stunden war Ludewig unter ihnen/ stets käm­ pfend mit der Qual, die ihn übermannen wollte. «Sie hoste ihn am folgenden Morgen wieder zu sehn,» sagte seine Schwester beim Abschied; er schwieg. Die Königin stürzte zur Erde und zerschlug sich die Brust; unter den fürchterlichsten Verwünschungen wider ihre Feinde, drohte das Aechzen ihre« Jammers ihr Herz zu brechen. Vor den Zimmern lauschend« Jakobiner wurden erweicht. Der König sah starr auf den Boden, al« dir Seinigen sich entfernt hatten. Da« war ein schrecklicher Augenblick! sagte er endlich mit einem tiefen Seufzer. Er hatte diejenigen zum letztenmal und bedroht von einer furcht, baren Zukunst gesehn, welche die Freude seine« Lebens ge­ wesen waren. Die Religion, in welcher er erzogen, verwandelte alle seine Schwachen in Stärke. Nachdem er am Morgen des ein und zwanzigsten Januar« 1793, des Tages seiner Hin­ richtung, die Messe gehört hatte, folgte er ruhig dem Ge, neralkommandanten Santerre, welcher ihn zum Revolutionsplatze führen sollte; in der Kutsche deS Maire fuhr er zu demselben. Seine Todesgebete auf dem Wege ga­ ben ihm Heiterkeit und Kraft. Am Fußgelielle der zer­ trümmerten Statüe Ludewigs des Fünfzehnten war das Blutgerüste errichtet. Wehmüthig wandte der König von demselben den Blick nach den Thuillerien, in deren An, gesicht er hingerichtct werden sollte, auf die unzählige E e Men,

Frankreich.

434

die bewafnete Bürger-

Menge des schweigenden Volkes,

miliz, das schwere Geschütz, welches das Blutgerüste be
daß Großbrittannien, nach dem Ausdrucke von

Fox, auf dem Punkte stand, einen Krieg der Meinungen zu führen.

Entrüstet wider das englische Ministerium

sagte Drissot im Nationalkonvent, e« wäre der barbari­

sche Wunsch des König« von Großbritannien, daß Eng, land lieber zu Grunde gehn sollte,

als daß er die Befe­

stigung der französischen Republik sehn müßte;

eS wäre

nur die Absicht der englischen Negierung, den Schein des

Angriffes zu vermeiden, und die französische Nation des­

Diese letzte würde,

selben vor der brittischen anzuklagen.

nicht hingerissen durch die Lästerungen der Minister, in der Revolution der Franzosen nichts als die Wiedcrerobernng ihrer Rechte,

in der Stiftung des Freistaates

nichts al« das sicherste Mittel, Freiheit und Gleichheit

zu erhalten, in der Hinrichtung Ludewigs nichts weiter erblickt haben, als ein großes Beispiel der GerechtigkeitDer Redner sprach dann die prophetischen Worte aus,

daß die gegenwärtigen brittischen Minister ihre Tage nicht im Schooße der Ruhe endigen würden,

seine Genossen für da« Verbrechen

wie North und

de« Krieges wider

Nordamerika durch den Verlust ihrer Stellen für hin­

länglich bestraft wären gehalten worden; sondern daß der­ einst die englische Nation den am Ruder sitzenden Verräkhern ihr Recht anthun, Strafford uud

daß es noch einmal für di«

die Laud der gegenwärtigen Negierung

Blutgerüste geben werde.

Durch den großen Gedanken,

baß der französische Bürger für alle Nationen Europa«

Ee?

strei-

438

Frankreich.

strrtte, daß schon einige seiner Feinde die Früchte seines Muthes sammle», und drei Millionen Menschen in Irr, land frei seyn werden, weil seine Grundsätze an ihren Ufern landen würden, begeisterte er den Narionalkonvent für die Kriegserklärung wider Großbritannien. Doch er, klärte, den Ausdrücken des Beschlusses der Repräsentan­ ten gemäß, die französische Nation, daß sie nur mir dem Könige von England, und zuglelch mit dem Statthalter der vereinigten Niederlande, im Kriege begriffen sei.

Am ersten Februar hatte Driffot wider Großbrit­ tannien-geredet; am siebenten März drang Barrere auf die Kriegserklärung wider Spanien, welches offenbar seit der Hinrichtung Ludewigs des Sechszehnten Frankreich mit einem Kriege bedrohte, vor welchem es .sich selbst wegen seiner Ohnmacht scheute; es vertraute zu sehr auf die Macht, die wider den gemeinschaftlichen Feind zusammen getreten war, und hattenachherKlugheit genug, diesen Fehler zur rechten Zeit einzusehn. «Laßt uns, sagte Barrere, Frei­ heit und Gleichheit nach Spanien bringen, bann werden wir mit Wahrheit sagen können: ««giebt keine Pyrenäen mehr! Wir werden e« zum Glück der Welt sage») können!,» Der Nationalkonvent erklärte, daß die französische Nation mit dem Könige von Spanien im Kriege begnffen sei, Portugals, welches ohnedies wie Holland, von Großbri­ tannien abhängig war, konnte sich dem Bündnisse, weft ches zwischen dem englischen und spanischen Hofe geschlos­ sen

Frankreich.

439

sen wurde, mcht entzieh», und die Franzosen Hatten also an ihm einen neuen Feind. Sehr froh war der König von Sardinien, welcher schon viel verloren halte, daß er ein Mikg • d des Bundes werden konnte, welchen da» brittische Ministerium nun mit rastlosem Elfer wider Frankreich zu Stande brachte: später trat der neapolita­ nische Hof in denselben, denn er durfte es nicht wagen, so lange noch keine englische und spanische Seemacht zu fer­ nem Schutz im mittelländischen Meer erschienen war. Dümouriez hätte gern schon vor der Kriegserklärung wider das Haus Oranten eiyen Einfall in Holland ge­ than, wo man in keiner Hinsicht zum Kriege vorbereitet war, und die Patrioten bereit standen, sich mit dem Her, re der Freiheit zu vereinigen, zumal da der französische Feldherr es verstand, ihnen zu verbergen, welche Freiheit er ihnen brachte, aber alle Wunden ihres Haffes wider die Preussen wieder blutend zu machen. «Bataver, sagte er in einem Manifeste, nicht ohne eine Praleret, welche selbst die Politik nich; billigt: fasset Zutrauen zu einem Manne, dessen Namen euch bekannt ist, welcher stets hielt, was er versprach, welcher freie Männer zum Kampf anführt, und vor welchem die Preussen, jene Trabanten eurer Tyrannen, schon geflohen sind, und noch fliehen werden.»

Die große Schnelligkeit, mit welcher Dümouriez zu derselben Zeit, da er Mastricht belagern ließ, den Anfang