Germanistische Lexikographie [Reprint 2017 ed.] 9783111347356, 9783110993882


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German Pages 184 Year 1987

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Table of contents :
INHALT
1.0 Zur Einführung
2.0 Das Interesse an der Lexikographie
3.0 Der Gegenstand lexikographischen Interesses: Das Wörterbuch
4.0 Die Lexikographie - historisch betrachtet
5.0 Die Lexikographie - systematisch betrachtet: Funktionen, Benutzung, Typen von Wörterbüchern
6.0 Die Lexikographie - systematisch betrachtet: Makrostruktur und Mikrostruktur von Wörterbüchern
7.0 Was ist Lexikographie? Wörterbücher und Schriften über Lexikographie
8.0 Lexikographie in der Praxis
9.0 Lexikographie in der Theorie
10.0 LITERATUR
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Germanistische Lexikographie [Reprint 2017 ed.]
 9783111347356, 9783110993882

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LEXICOGRAPHICA Series Maior Supplementary Volumes to the International Annual for Lexicography Suppléments à la Revue Internationale de Lexicographie Supplementbände zum Internationalen Jahrbuch für Lexikographie

Edited by Sture Allén, Pierre Corbin, Reinhard R. K. Hartmann, Franz Josef Hausmann, Hans-Peder Kromann, Oskar Reichmann, Ladislav Zgusta

21

Published in cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography (EURALEX)

Burkhard Schaeder

Germanistische Lexikographie

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1987

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schaeder, Burkhard : Germanistische Lexikographie / Burkhard Schaeder. Tübingen : Niemeyer, 1987. (Lexicographica : Series maior 21) NE: Lexicographica / Series maior ISBN 3-484-30921-0 ISSN 0175-9264 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1987 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt.

V

I N H A L T

1.0

2.0

Zur Einführung

1

1.1 1.2

1 5

Das Interesse an der Lexikographie 2.1 2.2

3.0

3.2 3.3

Was ist ein Wörterbuch? Wörterbücher über Wörterbuch Was ist ein Wörterbuch? Abhandlungen über Wörterbuch Das Umfeld der Wörterbücher: Ober- und Nebengeordnetes

Die Lexikographie - historisch betrachtet 4.1 4.2 4.3 4.4

5.0

Das allgemeine Interesse an der Lexikographie Das linguistische Interesse an der Lexikographie

Der Gegenstand lexikographischen Interesses: Das Wörterbuch 3.1

4.0

Ausgerechnet Wörterbücher Inhalt und Aufbau der Arbeit

Probleme einer Geschichte der deutschen Lexikographie Notwendigkeit einer Darstellung der Geschichte der deutschen Lexikographie Das Problem der Anfangssetzung einer Geschichte der deutschen Lexikographie Das Problem der Periodisierung einer Geschichte der deutschen Lexikographie

Die Lexikographie - systematisch betrachtet: Funktionen, Benutzung, Typen von Wörterbüchern ... 5.1 5.2 5.3 5.4

Ein Oberblick über die gegenwärtige Forschung Funktionen und Zwecke von Wörterbüchern Benutzung, Benutzer, Nutzen von Wörterbüchern Die Vielfalt der Wörterbücher: Sortenprobleme

10 10 18

22 23 29 39 48 48 50 53 56

63 63 67 72 77

VI

6.0

Die Lexikographie - systematisch betrachtet: Makro- und Mikrostruktur von Wörterbüchern 6.1 6.2

7.0

Was ist Lexikographie? Wörterbücher und Schriften über Lexikographie 7.1 7.2

8.0

Was ist Lexikographie? Wörterbücher über Lexikographie Was ist Lexikographie? Schriften zur Lexikographie über Lexikographie

83 : .

..

95

108 108 116

Lexikographie in der Praxis

129

8.1 8.2

129

8.3 8.4 9.0

Makrostruktur: Inhalt und Aufbau von Wörterbüchern Mikrostruktur: Inhalt und Aufbau von Wörterbuchartikeln

83

Das Handwerk der Lexikographie Richtlinien für die lexikographische Praxis Die Entstehung von Wörterbüchern Kosten der Lexikographie

Lexikographie in der Theorie 9.1 9.2

Begründung einer Theorie der Lexikographie Konzeption einer Theorie der Lexikographie

132 135 142 145 145 147

10.0 Literatur

156

10.1 10.2 10.3

156 156

10.4

Bibliographien Wörterbücher Darstellungen zur Geschichte der deutschen Lexikographie und ihrer Erforschung Darstellungen zur Theorie und Praxis der Lexikographie

162 165

1

1.0 Zur Einführung 1.1 Ausgerechnet Wörterbücher "Ein neues Buch zu erstehen, fordert heute gar keine Vorkenntnis. Man tritt einfach ins nächste bessere Gewölbe, seis selbst im edelsten Dunkelpommern oder Uraltbayern, erschrecke und erfreue den Verkäufer durchs Wunschwort: 'Ich möchte ein Buch!' Alles Weitere wickelt sich alsdann ab, logisch und zu gegenseitigem Behagen [...]. Bei dem hohen Niveau und der nach abgelaufener 'Ersatz'-Zeit wieder untadelig gewordenen Ausstattungsmoral unseres Verlegertums mag der Käufer heute gewiss sein, ein anständig geheftetes, dauerhaft gebundenes, fast immer geschmackvoll erstelltes, in Einband und Druckanordnung vor jedem Auge und Urteil standhaltendes Stück zu erhalten. Und wenn er nicht einmal weiss, was er überhaupt gern hätte oder weiter verschenkte - solcher herrlich unberührter buchund literaturkeuscher Seelen gibt es, soll man nicht gottlob sagen?, weit mehr als uns vom Bau gemeinlich klar ist: ja also, auf ein solch unbeschriebenes Blatt setzt jeder halbswegs sichere Sortimenter schon die richtige Anschrift. Und an Auswahl mangelt es nicht." (K.WOLFSKEHL: Anleitung zur praktischen Bibliophilie. Gesammelte Werke Bd.2. Hamburg 1960, 516) Wörterbücher jedweder Art zählen fraglos zu den meist gekauften Büchern, auch wenn sie auf keiner Bestsellerliste erscheinen. Trotzdem ist es mehr als unwahrscheinlich, daß der "halbswegs sichere Sortimenter" demjenigen, der ihn durchs "Wunschwort: Ich möchte ein Buch!" überrascht, ausgerechnet ein Wörterbuch zum Kauf anbieten wird. Bestseller also sind sie schon, die Wörterbücher, doch keine der Art, wie sie etwa Tageszeitungen als Fortsetzungsserien drucken oder wie man sie in den Ferien liest - sei es zur Entspannung oder zum Zwecke der Bildung. JACOB GRIMM hatte dies vorgeschwebt: das Wörterbuch als Hausbuch der ganzen Familie. Im Vorwort des "Deutschen Wörterbuchs" (1854, Sp. XII f.) schreibt er: "Einen häufen bücher mit übelerfundenen titeln gibt es, die hausieren gehn und das bunteste und unverdaulichste gemisch des manigfalten Wissens feil tragen. fände bei den leuten die einfache kost der heimischen spräche eingang , so könnte das Wörterbuch zum hausbedarf, und mit verlangen, oft mit andacht gelesen werden. warum sollte nicht der vater ein paar Wörter ausheben und sie abends mit den knaben durchgehend zugleich ihre sprachgabe prüfen und die eigene anfrischen? die mutter würde gern zuhören." Sind Wörterbücher vielleicht gar literarische Werke besonderer Art? Einer solchen Annahme wird sicher kaum jemand zustimmen wollen.

2 Immerhin finden sich in ihnen zur Demonstration des Gebrauchs einzelner Wörter oft auch Belege aus der Literatur; und so gesehen, lassen sich manche Artikel im GRIMMschen Wörterbuch etwa wie Ausschnitte aus einer Literaturgeschichte betrachten PAUL IMBS etwa preist den unter seiner Leitung entstehenden "Trésor de la langue française" im Vorwort des 1. Bandes (Paris 1971) auch als eine Sammlung ausgewählter Textstücke der klassischen französischen Literatur an und wünscht sich Benutzer, die in diesem Wörterbuch lesen: "un vrais recueil de morceaux choisis à lire le soir au coin du feu, par un lecteur sensible au langage articulé [...]." Ein frommer Wunsch! Selbst der Umstand daß ARAGON bei einer Versammlung der Pariser Dadda-Gruppe (vgl. H. JUIN: Aragon. Paris 1960, 25) Wörterbuchartikel aus dem "Petit Larousse" vorlas, dürfte kaum als Nachweis der Einschätzung von Wörterbüchern als literarischen Werken genügen. Vielleicht bedarf es auch nur einer besonderen Anleitung, um Wörterbücher wie Romane lesen zu können. Ein Beispiel gibt uns LUISE F. PUSCH (1984, 135-144). "Bis vor kurzem hätte ich auch nicht geglaubt, daß ein Wörterbuch so spannend sein kann wie ein Krimi und so tief aufwühlend wie ein Roman von Konsalik." Durch eine Zusammenstellung von Beispielsätzen allein aus der Alphabetstrecke von Aal bis Axt stellt sie "Das DUDEN-Bedeutungswörterbuch als Trivialroman" vor (d.h. dessen 1.Auflage von 1970), der in erster Linie von Männern und nebenbei auch von einigen Frauen handelt - in einer für unsere Gesellschaft (wie LUISE F. PUSCH nachweisen möchte:) typischen Rollenverteilung. Einen Roman als Wörterbuch hat (1. Auflage Salzburg 1970):

ANDREAS OKOPENKO

geschrieben

LEXIKON einer sentimentalen Reise zum Exporteurtreffen in Druden ROMAN Unter dem Stichwort Lexikonromane heißt es u.a.: 'Die Möglichkeit Lexikonroman ist ein Topos, also ein Platz, der von allen begangen, behinkt, schlittschuhbelaufen werden kann. Hierzu rufe ich nachgerade auf, nicht nur einzelne, sondern auch Kollektive.' Die Wörterbuchartikel reichen von A bis Zz. Unter dem Stichwort bzw. Lemma A ist zu lesen: 'Sie sind es gewohnt, ein Buch - unter Umgehung des Vorwortes - von vorn nach hinten zu lesen. Sehr praktisch. Aber diesmal schlagen Sie, bitte, zur GEBRAUCHSANWEISUNG zurück, denn ohne die werden Sie das Buch nicht zum Roman machen. Ja: dieses Buch müssen erst Sie zum Roman machen. Im neuen Theater spielt das Publikum mit. Warum nicht im neuen Roman?"

3 Gleich einem Wörterbuch enthält dieser Wörterbuch-Roman weise zu seiner Benutzung, eine G e b r a u c h s a n w e i s u n g .

Hin-

"Dieses B u c h hat eine Gebrauchsanweisung, denn es wäre hübsch, wenn Sie sich aus ihm einen R o m a n b a s t e l n wollten. Die sentimentale Reise zum E x p o r t e u r t r e f f e n in D r u d e n muß erst v o l l z o g e n w e r d e n . [...] Das M a t e r i a l ist alphabetisch geordnet, d a m i t Sie es m ü h e l o s a u f f i n d e n . Wie in e i n e m L e x i kon. Aus d e m L e x i k o n sind I h n e n auch die H i n w e i s p f e i l e ( -> ) bekannt, die I h n e n r a t e n sollen, wie Sie am b e s t e n w e i t e r g e hen, wie Sie sich z u s ä t z l i c h i n f o r m i e r e n oder wie Sie vom Hundertsten ins T a u s e n d s t e g e l a n g e n können. Wie im L e x i k o n h a b e n Sie die Freiheit, j e d e n H i n w e i s p f e i l zu b e h e r z i g e n oder zu ü b e r g e h e n [...]". Selbst w e n n hier das W ö r t e r b u c h als V o r b i l d d a z u dient, e i n e n literarischen Stoff in einer für R o m a n l e s e r ungewöhnlichen Weise zu zerlegen, a n z u o r d n e n u n d d u r c h V e r w e i s e n e u zu v e r knüpfen, w i r d hier n i c h t d a s W ö r t e r b u c h als Literatur, sond e r n u m g e k e h r t e i n Stück L i t e r a t u r als W ö r t e r b u c h g e b o t e n . Daß W ö r t e r b ü c h e r G e g e n s t a n d v i e l l e i c h t n i c h t literarischen, so d o c h l i t e r a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n I n t e r e s s e s sein könnten, ließe sich i m m e r h i n aus der T a t s a c h e schließen, daß "Kindlers L i t e r a t u r Lexikon" (Zürich 1974, 2594f u n d 10486f) z.B. dem "Deutschen W ö r t e r b u c h " (1854-1970) der B r ü d e r G R I M M u n d der " A u s f ü h r l i c h e n A r b e i t v o n der T e u t s c h e n H a u b t S p r a c h e " (1663) v o n SCHOTTELIUS eigene A r t i k e l w i d m e t . E i n Blick in d e n v o n H E L M U T D E BOOR b e s o r g t e n B a n d 1 der "Geschichte d e r d e u t s c h e n L i t e r a t u r " (7. Aufl. M ü n c h e n 1966, 16) ist g e e i g n e t , d i e s e n E i n d r u c k zu b e s t ä t i g e n . "Die a l l e r e r s t e n V e r s u c h e , d e u t s c h zu schreiben, geschehen, w e n n wir v o n d e n e i n g e s t r e u t e n d e u t s c h e n W ö r t e r n der l a t e i n i s c h e n V o l k s r e c h t e absehen, auf d e m G e b i e t des Wörterbuchs oder G l o s s a r s . [...] An die Spitze des d e u t s c h e n S c h r i f t t u m s s t e l l e n wir d a m i t d e n A b r o g a n s . [...] Eine d e u t s c h e B e a r b e i tung d i e s e s G l o s s a r s , der d e u t s c h e A b r o g a n s , ist das älteste uns b e k a n n t e Schriftwerk in d e u t s c h e r Sprache." E i n l a t e i n i s c h - d e u t s c h e s Glossar, e i n W ö r t e r b u c h also, ents t a n d e n in der z w e i t e n H ä l f t e des 8. J a h r h u n d e r t s , ist d a m i t das älteste uns ü b e r l i e f e r t e B u c h in d e u t s c h e r Sprache überhaupt. Für die ältere G e r m a n i s t i k stellen dieses Glossar und andere G l o s s a r e m i t d e u t s c h e n G l o s s e n das M a t e r i a l dar, das e r k e n n e n läßt, wie sich das D e u t s c h e in a l t h o c h d e u t s c h e r Z e i t in der A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t dem L a t e i n i s c h e n h e r a u s g e b i l d e t hat. Da die l a t e i n i s c h - d e u t s c h e n G l o s s a r e n i c h t nur die V o r schule für das O b e r s e t z e n g a n z e r T e x t e u n d auch h ä u f i g g e nutzte ö b e r s e t z u n g s h i l f e n bilden, s o n d e r n in d e n F ä l l e n der Interlinearversionen (wie z.B. "Tatian") die e r s t e n D i c h t u n g e n in d e u t s c h e r Sprache d a r s t e l l e n , ist es v e r s t ä n d l i c h , daß sich die L i t e r a t u r w i s s e n s c h a f t m i t i h n e n b e s c h ä f t i g t .

4 Im übrigen aber hat sich die Literaturwissenschaft bisher nicht sonderlich um die Wörterbücher des Deutschen gekümmert. Wörterbücher als "Bücher, die die Welt verändern"? Wenn man den Veranstaltern einer Ausstellung Glauben schenkt, die 1963 in London stattfand, gehören auch Wörterbücher dazu. Der Katalog (Deutsche Ausgabe hrsg. von K. BUSSE. Darmstadt 1969) führt immerhin unter den 424 Büchern, denen dieser Rang zuerkannt wurde, sechs bedeutende Wörterbücher auf: 1 "Vocabolario Italiano-Teutonico" (Venedig 1477); "Vocabolario degli Accademici della Crusca" (Venedig 1612); "A Dictionary of the English Language" von SAMUEL JOHNSON (2 Bde. London 1755); "An American Dictionary of the English Language" von NOAH WEBSTER (2 Bde. New York 1828); "A New [seit 1895: The Oxford] English Dictionary on Historical Principles", hrsg. von J. MURRAY, H. BRADLEY, W.A. CRAIGIE und C.T. ONIONS (11 Bde. Oxford 1884-1928; Ergänzungsband 1933) und "A Dictionary of Modern English Usage" von H.W. FOWLER (Oxford 1926) . Wörterbücher als Ärgernis? Vielleicht können sie einmal dazu wenn man nicht findet, wonach man in ihnen suchte. werden, Aber ansonsten? AMBROSE BIERCE veröffentlichte 1906 "The Cynic's Word Book", das ab 1911 dann unter dem Titel "The Devil's Dictionary" erschien. Zu dem Stichwort Dictionary ist dort als Erklärung zu lesen (ich zitiere aus einer deutscher Obersetzung): 2 Wörterbuch subst. neutr. 'Eine bösartige literarische Vorrichtung, die das Wachstum einer Sprache hemmt und sie starr und unelastisch macht. Das vorliegende Wörterbuch hingegen ist ein höchst nützliches Werk.' 1

Möglichen Einwänden gegen die Auswahl begegnet das Vorwort zur deutschen Ausgabe (Darmstadt 1976, 8) mit dem Hinweis auf den englischen Initiator, den englischen Veranstalter und den Veranstaltungsort London. Aus diesen Umständen ergäbe sich "der natürliche Vorrang der englischen Bücher in dieser Sammlung" . 2 AMBROSE BIERCE: Aus dem Wörterbuch des Teufels. Auswahl, Obersetzung und Nachwort von D.E. ZIMMER. Frankfurt/M 1966. Nur darauf hinweisen möchte ich, daß das "Wörterbuch des Teufels" auch ein Stichwort Lexikograph enthält - nicht weniger satirisch erklärt als das hier aufgeführte. LANDAU (1984, 5), ein bedeutender amerikanischer Lexikograph, schreibt: "Had Ambrose Bierce called his work 'Bierce's Aphorisms' instead of 'The Devil's Dictionary' the book would have suffered the neglect it deserved, but I suppose one must give the devil his due." Als ernsthafter Lexikograph muß man vielleicht so denken.

5

Schon einige Z e i t früher h a t t e ANTOINE DE RIVAROL, französischer S c h r i f t s t e l l e r u n d b e k a n n t e r D a n t e - Ö b e r s e t z e r , e r k l ä r t : "Die L e x i k a sind F r i e d h ö f e v e r s t a u b t e r Wörter, die eines g r o ß e n A u t o r s harren, d e r sie in ihrem v o l l e n G l ä n z e a u f e r s t e h e n läßt." (Zitiert n a c h LENZ 1974, 10) Aus all d i e s e n B l i c k w i n k e l n l a s s e n s i c h W ö r t e r b ü c h e r , läßt sich die L e x i k o g r a p h i e b e t r a c h t e n . Für d i e j e n i g e n , die d a e i n e n Blick auf W ö r t e r b ü c h e r w e r f e n , sind sie eher v o n r a n d l i chem Interesse. T r o t z d e m w e r d e n F r a g e n a n g e s c h n i t t e n , die v o n e r h e b l i c h e r B e d e u t u n g sind. Das m e i s t e v o n dem, was d o r t der Blick nur g e s t r e i f t u n d n i c h t e i g e n t l i c h als P r o b l e m gesehen hat, w i r d in d e n w e i t e r e n A u s f ü h r u n g e n zum T h e m a erhoben. Ins Z e n t r u m der A u f m e r k s a m k e i t g e r ü c k t wurde die Lexikograp h i e d u r c h die L i n g u i s t i k , die sich m i t d i e s e m T h e m a s e i t e i niger Z e i t intensiv b e s c h ä f t i g t . O b e r die G r ü n d e d i e s e r Zuwendung, die etwa zu g l e i c h e r Zeit a u c h die O r t h o g r a p h i e e r lebte, soll an d i e s e r Stelle n i c h t n a c h g e d a c h t werden; was n i c h t h e i ß e n soll, daß d i e s n i c h t l o h n e n d wäre. Im G e g e n t e i l . Welche M o t i v e u n d w e l c h e E r k e n n t n i s i n t e r e s s e n ein F a c h hat, etwas zu e i n e m b e s t i m m t e n Z e i t p u n k t zum wissenschaftlichen Gegenstand zu e r h e b e n u n d d a r ü b e r Theorien zu errichten, sollte des N a c h d e n k e n s w e r t sein. Solches N a c h d e n k e n dient der K l ä r u n g des S e l b s t v e r s t ä n d n i s s e s einer W i s s e n s c h a f t , d a s w i e d e r u m auf ihre F o r s c h u n g s p r a x i s z u r ü c k w i r k t . 1.2 I n h a l t u n d A u f b a u der A r b e i t Die L e x i k o g r a p h i e , im e n g e r e n Sinne v e r s t a n d e n als die T ä t i g k e i t des V e r f a s s e n s v o n W ö r t e r b ü c h e r n , h a t eine lange und ehrwürdige Tradition, d e r e n A n f ä n g e bis in die o r i e n t a l i s c h e Antike zurückreichen. Das älteste uns bekannte Wörterbuch w u r d e 1975 in Ebla (Syrien) g e f u n d e n . Es b e s t e h t aus Tontafeln, auf d e n e n ca. 3000 W ö r t e r auf S u m e r i s c h u n d E b l a i t i s c h mit Angaben zur A u s s p r a c h e in g u a s i a l p h a b e t i s c h e r Ordnung v e r z e i c h n e t sind. In der h i e r v o r l i e g e n d e n A r b e i t w i r d die Lexikographie am Beispiel der deutschsprachigen Lexikographie vorgestellt, der e n ä l t e s t e s u n s ü b e r l i e f e r t e s E r z e u g n i s der "Abrogans" ist, ein l a t e i n i s c h - d e u t s c h e s W ö r t e r b u c h (genauer: Glossar), ents t a n d e n in der z w e i t e n H ä l f t e des 8. J a h r h u n d e r t s , u n d " A b r o g a n s " b e n a n n t n a c h d e m an e r s t e r Stelle a u f g e f ü h r t e n (lateinischen) Stichwort. E i n e n E i n d r u c k v o n d e r Fülle u n d V i e l f a l t der L e x i k o g r a p h i e des D e u t s c h e n v e r m i t t e l t e i n Blick in die s y s t e m a t i s c h e B i b l i o g r a p h i e "Deutsche Wörterbücher" von KÜHN (1978), in der r u n d 2700 W e r k e a u f g e f ü h r t u n d n a c h b e s t i m m t e n T y p o l o g i s i e r u n g s k r i t e r i e n zu G r u p p e n z u s a m m e n g e s t e l l t sind. 3 3

über die L e i s t u n g e n der d e u t s c h e n L e x i k o g r a p h i e i n f o r m i e r t W I E G A N D (1984d) u n d (1985b).

seit 1945

6

Was in dieser Bibliographie (abgesehen von einigen fachsprachlichen Wörterbüchern) ausgespart wurde, muß auch in dieser Arbeit unberücksichtigt bleiben, nämlich die zwei- und mehrsprachige Lexikographie und ihre Produkte, die sogenannten Aquivalenzwörterbücher. Für diese Lexikographie ergeben sich ganz spezielle Probleme, die sich nicht nur am Rande darstellen und diskutieren lassen.4 In dieser Arbeit geht es aber nicht allein um die Praxis der Lexikographie, sondern vor allem um die ihr gewidmete Forschung, die Wörterbuchforschung also. "Lexikographie" wird hier somit auch in einem weiteren Sinne verstanden, nämlich als die Gesamtheit der Beschäftigung mit Wörterbüchern. Und noch eines sei einschränkend vorausgeschickt. Wenn nicht ausdrücklich anderes vermerkt wird, ist mit "Lexikographie" im Rahmen dieser Abhandlung immer die Sprachlexikographie gemeint, die trotz fließender Obergänge grundsätzlich von der Sachlexikographie zu unterscheiden ist. In welcher Weise dies erfolgen kann, wird uns verschiedentlich beschäftigen. Insgesamt verfolgt die Arbeit das Ziel, einen Begriff von dem zu gewinnen, was seit geraumer Zeit "germanistische Lexikographie" heißt. Gemeint ist - vorerst noch sehr allgemein ausgedrückt - die Gesamtheit der (sich derzeit zu einer eigenen Disziplin entwickelnden) wissenschaftlichen Beschäftigung mit deutschsprachigen Wörterbüchern. Mit der Erkundung des Gegenstands verbunden ist der Versuch einer Gliederung des Gegenstandsbereichs. Dieses Ziel soll auf mehreren Wegen angestrebt werden, die schließlich dort zusammenlaufen, wo eine Theorie der Lexikographie zur Diskussion steht. Nach einer Betrachtung des gegenwärtig zu beobachtenden allgemeinen und des spezifisch linguistischen Interesses an der Lexikographie (Kapitel 2) wird zunächst versucht, Einvernehmen darüber herzustellen, was ein Wörterbuch ist bzw. mit dem Ausdruck Wörterbuch bezeichnet wird (Kapitel 3). Dies zu bestimmen, werden zum einen die Erklärungen von Wörterbüchern, zum anderen solche aus Schriften herangezogen, die von Wörterbüchern bzw. Lexikographie handeln. Das Resümee aus dieser ersten Annäherung an das Objekt lexikographischen Interesses zeigt eine weitgehende Einhelligkeit der Meinungen, wobei die auf den ersten Blick geringfügig erscheinenden Differenzen aber erste Einsichten in die Probleme von Praxis und Theorie der Lexikographie eröffnen. Wer sich einem Stoff wie dem hier behandelten widmet, kann nicht von einer Betrachtung der historischen Entwicklung ab4 Vgl. Lexicographica 2 (1986), welcher Band die zweisprachige Lexikographie als Themenschwerpunkt behandelt.

7 absehen. Eine Geschichte der deutschsprachigen Lexikographie ist noch nicht geschrieben worden. Daß dies bisher unterblieb, muß der Germanistik als Versäumnis angelastet werden. Wünschenswert wäre eine Darstellung, die derjenigen von JELLINEK (1913/14) über die "Geschichte der neuhochdeutschen Grammatik" in der Anlage gleicht. Ein Problem, das er sah und löste, besteht in folgendem: "Das chronologische und das sachliche Prinzip geraten oft in Streit. Das zeitliche Kontinuum kann nur auf Grund charakteristischer Eigenschaften des die Zeit erfüllenden Stoffes [...] in Abschnitte zerlegt werden; aber die kennzeichnenden Merkmale binden sich nicht immer an zeitliche Grenzen." (JELLINEK 1913, 31) Er gliederte darum seine "Geschichte der neuhochdeutschen Grammatik" in "zwei Hauptteile: einen historischen, der, so weit es möglich ist, chronologisch vorgeht und die Stellung des einzelnen Werkes in der Entwicklung der Grammatik charakterisiert, und einen systematischen, dem als Leitfaden die grammatischen Kategorien dienen". (JELLINEK 1913, 32) Niemand wird erwarten, daß solches im Rahmen einer Arbeit wie der hier vorgelegten geleistet werden könnte. Zunächst war immerhin geplant, anhand ausgewählter Beispiele einen kurzen Oberblick über die Geschichte der deutschen Lexikographie zu bieten. Obwohl vorgesehen war, nur wenige besonders hervorragende Beispiele anzuführen, drohte selbst diese begrenzte Darstellung auszuufern. Obriggeblieben ist schließlich das, was zunächst nur als Einleitung zu diesem, der Historie der deutschen Lexikographie gewidmeten Kapitel (Kapitel 4) gedacht war: (1) Begründungen für die Notwendigkeit einer Darstellung der Geschichte der deutschen Lexikographie, (2) ein Oberblick über Arbeiten, die die Geschichte der deutschen Lexikographie insgesamt oder in größeren Ausschnitten darstellen, (3) Probleme einer Periodisierung der Geschichte der deutschen Lexikographie. Die systematische Betrachtung der Lexikographie ist auf Kapitel verteilt.

zwei

Zunächst (Kapitel 5) wird eine Oberblick über den Stand und die Schwerpunkte der gegenwärtigen Forschung geboten. Dadurch wird auch eine erste Strukturierung des Gegenstandsbereichs lexikographischer Forschung erkennbar. Dem schließt sich eine Erörterung der Funktionen und Zwecke von Wörterbüchern an. Ihr folgt die Auseinandersetzung mit einem Thema, das lange vernachlässigt wurde und zur Zeit mit Sorgfalt bedacht wird: die Frage nach denjenigen, für die Wörterbücher geschaffen werden, die Frage mithin nach den Benutzern. In enger Verbindung mit der Frage, wer wann aus welchem Grund zum Wörterbuch greift, steht diejenige, wie sich die Vielfalt der Arten von Wörterbüchern ordnen und typologisieren läßt. Die Beschäftigung mit diesem Problem bildet den Abschluß des Kapitels.

8 Dem Inhalt und Aufbau von Wörterbüchern, d.h. der Makrostruktur, sowie dem Inhalt und Aufbau von Wörterbuchartikeln, d.h. der Mikrostruktur, ist der zweite Teil der systematischen Betrachtung der Lexikographie gewidmet (Kapitel 6). Besprochen werden zunächst die Auswahl und Anordnung der Lemmata, um sodann auf das einzugehen, was neben dem Wörterverzeichnis einen weiteren obligatorischen Bestandteil eines jeden Wörterbuchs bildet: die Anleitung zu seiner Benutzung. Der Besprechung der Mikrostruktur geht die Frage voran, was eigentlich ein Lemma ist und in welcher Hinsicht das Lemma zum Wörterbuchartikel gehört, im Extremfall gar allein einen Wörterbuchartikel darstellt. Nach der Beschreibung des formalen Aufbaus von Wörterbuchartikeln, ihrer Charakterisierung als Texte zur Anleitung eines regelgerechten Sprachgebrauchs und der Skizzierung des Inhalts der einzelnen Wörterbuchartikelpositionen wird abschließend noch auf die Möglichkeiten eingegangen, die durch die alphabetische Anordnung der Lemmata zunächst einmal unkenntlich gewordenen Wortschatzstrukturen wieder erkennbar zu machen; mit anderen Worten: welche Möglichkeiten zur onomasiologischen Aufbereitung semasiologischer Wörterbücher genutzt werden können. Damit ist die dann gestellte Frage (Kapitel 7) hinreichend vorbereitet: Was ist Lexikographie? Praxis oder Theorie? Oder sowohl Praxis als auch Theorie? Die Konsultation von Wörterbüchern fördert dabei ein überraschendes Ergebnis zutage. Nimmt man nämlich die jeweiligen Erklärungen darüber, was ein Lexikograph ist, hinzu, dann ergibt sich, daß die Lexikographie nach dem Verständnis etlicher Wörterbuchverfasser offensichtlich nicht zu dem gehört, was Lexikographen tun. Danach werden Definitionen von "Lexikographie" diskutiert, die sich in der wissenschaftlichen Literatur finden. Ein besonderes Augenmerk gilt wiederum dem Theorie-Praxis-Problem. Ober die Praxis der Lexikographie (Kapitel 8) ist Außenstehenden nur wenig bekannt, nicht zuletzt deshalb, weil uns nur wenige Berichte aus der Werkstatt zur Verfügung stehen. Dies mag ein Grund dafür sein, daß die konkrete Tätigkeit der Erarbeitung bisher stets weniger die Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte als deren Resultat, das Wörterbücher. Dargestellt werden die drei Phasen, die jedes Wörterbuch durchläuft: die Planungs- oder Konzeptionsphase, die Erarbeitungsphase und die Produktionsphase. Damit sind die Ausführungen an dem Punkt angelangt, an dem es geboten ist, die Beiträge zu würdigen, die darstellen, wie eine Theorie der Lexikographie gedacht und formuliert werden kann (Kapitel 9). Es gilt, in einer solchen Theorie die bisherigen Forschungen über Lexikographie zusammenzuführen und durch die Systematisierung ihrer Ergebnisse ein Konzept von dem zu schaffen, was Lexikographie ist und sein könnte.

9

Der Arbeit ist ein umfängliches Literaturverzeichnis beigefügt (Kapitel 10); gegliedert in die Teile (1) Bibliographien (14 Titel), (2) Wörterbücher (rd. 120 Titel), (3) Darstellungen zur Geschichte der Lexikographie (rd. 80 Titel) und (4) Darstellungen zur Theorie und Praxis der Lexikographie (rd. 370 Titel). Die Aufteilung der Darstellungen in die genannten Gruppen hat notwendigerweise einen Zug von Willkür, da Darstellungen zur Geschichte der Lexikographie allermeist auch solche zur Theorie und Praxis der Lexikographie sind, wie umgekehrt die in der Rubrik "Darstellungen zur Theorie und Praxis der Lexikographie" verzeichneten Arbeiten bisweilen auch Ausführungen zu ihrer Geschichte enthalten. Die Aufteilung wurde aus zwei Gründen vorgenommen. Zum einen lassen sich in der Gesamtheit der Arbeiten zur Lexikographie noch am ehesten diejenigen zu ihrer Geschichte separieren, die ohnehin ein eigenes Feld der Forschung bildet. Zum anderen trifft für die in das Literaturverzeichnis aufgenommenen Arbeiten zur Geschichte der Lexikographie nicht zu, was in großem Maße für die anderen Darstellungen gilt, daß diese Literatur nämlich über die verschiedenen Kapitel thematisch gezielt erschlossen werden kann. "Im übrigen bleibe der geneigte Leser versichert, daß das ganze Wercklein mit solcher Treue zusammen getragen, als sich ein vernünftiger Mensch selbst schuldig ist, das ist mit dem größten Grad derselben. [...] Wird dieses Wercklein des geneigten Lesers Gutheißen erhalten, werde ich dadurch zu dergleichen Arbeit ferner aufgemuntert werden. Welche Aufmunterung wegen der Mühe und des Verdrusses dabey absonderlich vonnöthen ist." Mit diesen Worten schließt JOHANN LEONHARD FRISCH, einer der großen deutschen Lexikographen, die Vorrede zu seinem in erster Auflage 1712 veröffentlichten "Nouveau Dictionnaire des Passagers François-Allemand et Allemand-François Oder Neues Frantzösisch-Teutsches und Teutsch-Frantzösisches WörterBuch" . Dem Umstand, daß es immer wieder solche gab und gibt, wie jenen JOHANN LEONARD FRISCH, der von sich (in der Vorrede zu seinem 1741 erschienenen "Teutsch-Lateinischen Wörter-Buch") erklärt, ihn hätte aller Mühe und allem Verdruß zum Trotz zuletzt die "Lexikophilia oder Liebe zum Lexikon-Schreiben", mehr noch die "Lexikomania oder damit vorgehende Raserey" ergriffen, verdanken - das sei nicht vergessen - die Arbeiten zur Lexikographie ihren Stoff und damit ihre Entstehung auch die hier vorgelegte. Bleibt mir zum Schluß, den Herausgebern der "Lexicographica, Series Maior" für die Aufnahme meiner Arbeit in ihre Reihe zu danken, allen voran Oskar Reichmann, der das Manuskript sorgfältig studiert und mir während der Überarbeitung jederzeit als Diskussionspartner zur Verfügung gestanden hat.

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2.0 Das Interesse an der Lexikographie 2.1 Das allgemeine Interesse an der Lexikographie "Alle reden vom Wetter - wir nicht. Allen hilft alle Zeit das Allbuch. Die sind auch nicht arm an Sprüchen. Das Allbuch weiß Rat. Das Allbuch weiß alles. Das Allbuch ist auf der Höhe der Zeit. Das legt sich prächtig aus. Mit dem Allbuch geht alles leichter. Das Allbuch macht alle anderen Bücher überflüssig. " Mit diesen Worten läßt OTTO JÄGERSBERG seinen Roman "Nette Leute" (Zürich 1967) beginnen. Es sind - unterbrochen von kurzen Reflexionen - die Sprüche, die Hugo, von dessen Berufsmühen und auch Gefährdungen als Vertreter des Heimbuch-Verlags der Roman handelt, einstudiert, um den Leuten an den Haustüren das "Allbuch" anpreisen und schließlich auch verkaufen zu können. Kaum ein Wörterbuch verzeichnet heute noch ein Stichwort Allbuch. MACKENSEN-DW macht eine Ausnahme und erklärt: 'umfassendes Nachschlagebuch'. Das, was hier noch Allbuch heißt, wird heute als Lexikothek vertrieben. Lexikothek '[...]: Sammlung von verschiedenen Lexika', heißt es im DUDEN-FREMDWÖRTERBUCH. WAHRIG-DW erklärt zum selben Stichwort: '[...] (Warenzeichen für) Sammlung von Nachschlagewerken verschiedener Gattung [zu Lexikon + Bibliothek ]'; "Warenzeichen" deshalb, weil der Bertelsmann Lexikon-Verlag einführte und diese Bezeichnung beim Patentamt Lexikothek München als Warenzeichen eintragen ließ. Wörterbücher sind also auch eine Ware, und das Interesse an Wörterbüchern läßt sich zuallerst an den Verkaufszahlen ablesen. Zwar weiß niemand genau zu sagen, wer welche Wörterbücher besitzt, doch kennen wir immerhin einige grobe Zahlen. Nach einer 1965 vom Herder-Verlag publizierten Marktanalyse gab es zu dieser Zeit in 40 Prozent aller bundesdeutschen Haushaltungen ein Wörterbuch bzw. Lexikon. Emnid ermittelte 1966, daß es gar 49 Prozent wären; was bedeuten würde: In jedem zweiten Haushalt dieses Landes findet sich irgendeine Art von Wörterbuch. (Vgl. LENZ 1974, 30) Fest steht in jedem Fall, daß Wörterbücher zu den gekauften Büchern überhaupt gehören, auch wenn sie Bestsellerliste auftauchen. Schon ein Blick auf die der Auflagen, die viele Wörterbücher erfahren, kann nen Eindruck vermitteln. Von den wenigen bekannten zahlen seien einige genannt.

häufigst in keiner hohe Zahl davon eiVerkaufs-

"Deutscher Wortschatz. Ein Wegweiser zum treffenden Ausdruck" von WEHRLE/EGGERS, wurde bis 1961 (d.h. bis zur 12. Auflage) laut Vorwort in "über 100000 Exemplaren" verkauft. Das Schulwörterbuch "Unser Wortschatz" (Neubearb. Aufl. Braunschweig

11 1985) von H. MAIWORM und W. MENZEL brachte es nach Angaben des Verlages gar auf mehr als eine Million verkaufter Exemplare; ein Sonderfall, ist man geneigt zu sagen, weil Schüler die Zielgruppe sind. Das aber gilt etwa nicht für WAHRIGs "Deutsches Wörterbuch", das 1966 zum ersten Mal (noch mit dem Titel "Das Große Deutsche Wörterbuch") erschien und bereits "bis 1974 in mehr als 500000 Exemplaren" (vgl. LENZ 1974, 45) und bis zum heutigen Tag nach Verlagsangaben in mehr als einer Million Exemplaren verkauft wurde.1 Noch übertreffen dürfte diese Zahl der Rechtschreib-Duden aus Mannheim, der 1986 seine 19. Auflage erlebte. Doch da das Bibliographische Institut, "der Verlag der Duden-Bücher", Angaben über die Höhe der Auflagen und über Verkaufszahlen zu den bestgehüteten Geschäftgeheimnissen rechnet, wissen wir darüber nichts Genaues zu sagen. Den Rekord hält ein einbändiges enzyklopädisches Wörterbuch. "Mit rund 20 Millionen Exemplaren in 31 Auflagen während der Jahre 1906-1967 dürfte der 'Petit Larousse' wohl das meistgekaufte Nachschlagewerk dieser Art sein." (LENZ 1974, 89) Welche Gründe kann es dafür geben, ein Wörterbuch zu kaufen? Von KARL FRIEDRICH ZELTER, dem als ein wenig eitel bekannten Freund GOETHES, ist uns die Anekdote überliefert, daß er sich habe überreden lassen, ein Lexikon zu subskribieren, wozu er sich endlich vor allem deshalb bereit fand, weil er im letzten Band seinen Namen zu finden hoffte. Er fand tatsächlich ein Stichwort Zelter, doch anders erklärt, als er erwartet hatte: 'mittelalterlicher Ausdruck für Pferd mit Paßgang ' .2 Renommiergehabe kann ganz sicher ein Grund auch für den Kauf von Wörterbüchern bzw. Lexika sein; besonders dann, wenn sie mehrbändig, prunkvoll ausgestattet und damit geeignet sind, den Bücherschrank oder den Schreibtisch zu zieren. Doch nicht jeder hat das Geld, sich ein Wörterbuch allein zu Dekorationszwecken anzuschaffen. Schenkt man den Verlagen Glauben, so ist es erforderlich, Wörterbücher jederzeit zur Hand zu haben, weil man sie "für die tägliche Praxis" benötige, "für den beruflichen und privaten Alltag", weil sie unentbehrlich seien "für das tägliche Wissen-Wollen und WissenMüssen" 1 Nach einem Rechtstreit, den der Verlag Bertelsmann verlor, mußte der Titel geändert werden. Den Titel "Das große Wörterbuch der deutschen Sprache" trägt jetzt das 1976 bis 1981 im Verlag Bibliographisches Institut erschienene Wörterbuch in sechs Bänden. « Vgl. LENZ (1974, 10). 3 Aus dem Werbeprospekt Ausgabe 1985/1 des Bibliographischen Instituts.

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Wörterbücher sind zuallererst Gebrauchsgegenstände. Doch wozu werden sie gebraucht? Welchen Nutzen verspricht man sich von Wörterbüchern? MARK TWAIN, einmal nach seiner Ansicht über den Nutzen von Büchern gefragt, gab zum besten: "Der Wert eines Buches richtet sich vor allem nach bestimmten Eigenschaften. In Leder gebundene Bände können beispielsweise beim Abziehen von Rasierklingen unbezahlbare Dienste leisten. Dünne Broschüren dagegen eignen sich vortrefflich dazu, wackelnden Tischchen das Gleichgewicht wiederzugeben. Ein Lexikon ist hervorragend geeignet, einen Einbrecher gefechtsunfähig zu machen, und ein Atlas kann als Ersatz für zerbrochene Fensterscheiben Verwendung finden."4 In seinem Gedicht "Der Bücherfreund" empfiehlt RINGELNATZ: "[...] Morgens zwölfmal nur/nüchtern zwanzig Brockhausbände heben - /Hei! Das gibt den Muskeln die Latur." Von anderen Literaten wissen wir, daß sie Wörterbücher zu usuellen Zwecken benutzt haben.

auch

GUSTAV FREYTAG, THEODOR FONTANE, HUGO VON HOFMANNSTHAL haben nachweislich in Wörterbüchern nachgeschlagen. In einem Brief vom 26. Januar 1904 schreibt SCHILLER an GOETHE: "Den Adelung erbitte mir, wenn Sie ihn nicht mehr brauchen. Ich habe allerlei Fragen an dieses Orakel zu thun." Daß GOETHE das Wörterbuch von ADELUNG geschätzt haben muß, darf man aus einem Brief schließen, den er am 6. November 1788 an seinen Verleger und Buchhändler verfaßte und in dem zu lesen steht: "Senden Sie mir doch baldigst von Adelungs Wörterbuch den letzten Band. Die vier ersten besitze ich." Um einen neueren Autor zu erwähnen, sei ARNO SCHMIDT bemüht. Der zum Fotographieren bestellte Freund ROLF BECKS notierte in seinem Tagebuch: "Donnerstag. Fototag: Zuerst Schmidts Arbeitszimmer. Vor dem Fenster (nach Osten) eine große Schreibplatte (Gotthelf fecit), in Griffnähe der Handapparat (ein Bibelwörterbuch, Webster's Dictionary, Muret-Sanders, ein Landwirtschaftslexikon, Meyers Handatlas, das zweibändige DDR-Lexikon, The Oxford Dictionary of English Proverbs [...]" (zitiert nach einem Prospekt des Verlags Stahlberg. Karlsruhe 1965, 12). Der Wörterbüchern eigentlich zugedachte Zweck ist, Informationen zu liefern, die man als Benutzer dann erhält, wenn man in ihnen nachschlägt. Doch wen interessieren welche Informationen? Gewiß, kaum jemand wird in einem Rechtschreib-Wörterbuch des Deutschen nachschlagen, wenn er erfahren möchte, wie ein bestimmtes Wort ins Englische zu übersetzen ist; niemand aus * Zitiert nach LENZ (1974, 13).

13 einem A u s s p r a c h e - W ö r t e r b u c h zu e r f a h r e n trachten, w e r w e n wo zum e r s t e n Mal als e i n " w a n d e l n d e s W ö r t e r b u c h " oder " l e b e n d i ges K o n v e r s a t i o n s l e x i k o n " b e z e i c h n e t hat. Wozu ein "Wörterbuch Deutsch-Englisch" dient, braucht man w a h r s c h e i n l i c h n i e m a n d e m zu e r k l ä r e n ; u n d S p e z i a l w ö r t e r b ü c h e r der v e r s c h i e d e n s t e n A r t t u n in aller R e g e l s c h o n d u r c h i h r e n Titel kund, w a s sie g e n e r e l l an I n f o r m a t i o n e n zu b i e t e n haben: " F r e m d w ö r t e r b u c h " , "Wörter u n d G e g e n w ö r t e r . A n t o n y m e der deutschen Sprache", "Kleines W ö r t e r b u c h d e s DDR-Wortschatzes", " R e i m w ö r t e r b u c h " , " W ö r t e r b u c h g e o g r a p h i s c h e r N a m e n " . W e l c h e I n f o r m a t i o n e n aber s i n d es im Detail, die B e n u t z e r im Wörterbuch suchen? Vor a l l e m im e i n s p r a c h i g e n allgemeinen Wörterbuch? Da es b i s h e r so g u t wie keine U m f r a g e n gibt, die dies einmal zu e r m i t t e l n v e r s u c h t hätten, h a t alles, w a s sich h i e r z u s a g e n läßt, a l l e n f a l l s d e n C h a r a k t e r v o n M u t m a ß u n g e n . 9 In einer U m f r a g e unter D e u t s c h l e h r e r n fanden KÜHN/PÜSCHEL (1982) heraus, daß zwei D r i t t e l der B e f r a g t e n w e d e r e i n a l l g e m e i n e s e i n s p r a c h i g e s d e u t s c h e s W ö r t e r b u c h b e s a ß e n , n o c h ihn e n solche W ö r t e r b ü c h e r zur V e r f ü g u n g standen. Das r e s t l i c h e Drittel gab an, e i n W ö r t e r b u c h vor allem zur L ö s u n g von Rechtschreibproblemen und zur K l ä r u n g der Bedeutungen von F r e m d w ö r t e r n zu b e n u t z e n . "Der D u d e n r e i c h t mir", w a r d a n n d i e j e n i g e A n t w o r t , d i e KÜHN/ P Ü S C H E L am h ä u f i g s t e n auf ihre Frage zu h ö r e n bekamen, welches d e n n die b e n u t z t e n W ö r t e r b ü c h e r w ä r e n . G e m e i n t w a r stets der R e c h t s c h r e i b - D u d e n , was die s c h o n im V o r w o r t der 15. A u f lage (1961) v o n d e n H e r a u s g e b e r n g e ä u ß e r t e V e r m u t u n g zu bes t ä t i g e n scheint, daß "ein g r o ß e r Teil u n s e r e r S p r a c h g e m e i n s c h a f t k e i n anderes W ö r t e r b u c h b e s i t z t " . Seit s e i n e m e r s t e n E r s c h e i n e n im Jahre 1880 h a t sich "der D u den" , w o m i t g e m e i n h i n der R e c h t s c h r e i b - D u d e n g e m e i n t ist, zum Nachschlagewerk n i c h t nur in R e c h t s c h r e i b f r a g e n entwickelt, das m i t s e i n e n - w e n n auch s p ä r l i c h e n - z u s ä t z l i c h e n A n g a b e n zur A u s s p r a c h e , Etymologie und Grammatik inzwischen durchaus Züge eines allgemeinen einsprachigen Wörterbuchs aufweist. Für n i c h t w e n i g e ist in der Folge so auch "Duden" nahezu g l e i c h b e d e u t e n d m i t "Wörterbuch". A u c h aus d e n A n f r a g e n , die z.B. an die S p r a c h b e r a t u n g s s t e l l e n v o n W ö r t e r b u c h v e r l a g e n g e r i c h t e t werden, l a s s e n sich manche Rückschlüsse auf die A r t der I n f o r m a t i o n e n ziehen, die in Wörterbüchern gesucht werden. N e b e n P r o b l e m e n der R e c h t s c h r e i b u n g u n d der Z e i c h e n s e t z u n g sind es h ä u f i g vor a l l e m w o r t s e m a n t i s c h e U n s i c h e r h e i t e n , die A n l a ß geben, im W ö r t e r b u c h n a c h z u s c h l a g e n und, w e n n das keine 9 Zur Frage der B e n u t z e r u n d der B e n u t z u n g vgl. K a p i t e l 5.3.

von Wörterbüchern

14 Hilfe leistet, in der Sprachberatungsstelle Solche A n f r a g e n l a u t e n z.B.: 6

nachzufragen.

"Worin b e s t e h t der U n t e r s c h i e d z w i s c h e n sofort und unverzüglich ? - "Worin b e s t e h t d e r U n t e r s c h i e d z w i s c h e n Propaganda u n d Werbung ?" - "Was ist r i c h t i g : Die A n t r ä g e s i n d wie bisher (oder: wie seither ) in d r e i f a c h e r A u s f e r t i g u n g v o r z u legen? - "In der K a u f m a n n s p r a c h e w i r d das W o r t bemerken in der B e d e u t u n g 'schriftlich v e r m e r k e n , zur K e n n t n i s n o t i e r e n , erwähnen' g e b r a u c h t . Ist das r i c h t i g ? " - "Gibt es - a b g e s e h e n vom S t i l i s t i s c h e n - ü b e r h a u p t e i n e n U n t e r s c h i e d z w i s c h e n Urkunde u n d Bescheinigung ?" "Wie u n t e r s c h e i d e n sich die W ö r t e r gemeinsam u n d gemeinschaftlich ?" - "Wie u n t e r s c h e i d e n sich ideal u n d ideell ?" Um semantische Verträglichkeiten g e h t es in der A n f r a g e , "ob das W o r t Mann das A d j e k t i v hübsch als A t t r i b u t erhalten kann". Was in d e n 60er J a h r e n n o c h ein P r o b l e m war, scheint heute k e i n e s mehr zu sein. D u d e n - G W B führt (als Folge d i e s e r A n f r a g e vielleicht?) als B e l e g an: "Es w a r e n zwei junge M ä n ner ..., zwei h ü b s c h e M a t r o s e n (Koeppen, R u ß l a n d 203)". Im ü b r i g e n b e u r t e i l e n B e n u t z e r aber d e n W e r t eines Wörterbuchs h ä u f i g n i c h t so sehr n a c h der Q u a l i t ä t seiner Worterklärungen, s o n d e r n z u a l l e r e r s t n a c h der Q u a n t i t ä t u n d der A k tualität des k o d i f i z i e r t e n W o r t s c h a t z e s . "Sehr g e e h r t e Herren, w i r e r h i e l t e n Ihren B a n d 1 des großen W ö r t e r b u c h s in 6 B ä n d e n u n d m u ß t e n b e i m e r s t e n G e b r a u c h f e s t stellen, daß er n i c h t einmal Bayer, bayerisch usw. e n t h ä l t (s. Seite 311), also u n v o l l k o m m e n e r ist als der einbändige große D u d e n (s. Seite 160, 17. A u f l a g e ) . W a s für n e c k i s c h e Dinge, groß BDM zu b r i n g e n u n d Bayern a u s z u l a s s e n . W i r lehnen ein s o l c h u n v o l l k o m m e n e s W e r k ab [...]." 7 "Sehr g e e h r t e D a m e n u n d H e r r e n ! Das Buch kaum gekauft, entdecke ich s c h o n eine Lücke d a r i n - oder sollte es sich nicht um eine s o l c h e h a n d e l n ? E i n junges Ehepaar, beide D e u t s c h e , Schwaben, t a u f t e n ihren e r s t g e b o r e n e n Sohn 'Brent'. Ich k a n n mir n i c h t v o r s t e l l e n , daß sich diese E l t e r n bei der N a m e n g e bung auf eine F r e m d s p r a c h e g e s t ü t z t hätten. K ö n n e n Sie mir sagen, ob es sich hier u m eine eigene E r f i n d u n g eines V o r n a mens h a n d e l t oder ob m e i n e o.a. Frage B e r e c h t i g u n g h a t ! " Das zeigt, was Benutzer in e i n e m W ö r t e r b u c h f i n d e n wollen, was sie unter e i n e m v o l l s t ä n d i g e n W ö r t e r b u c h v e r s t e h e n . V o l l • Die f o l g e n d e n B e i s p i e l e s t a m m e n v o n M O L L E R (1968, 63-65). Dort f i n d e n sich auch die A n t w o r t e n , die v o n der S p r a c h b e r a t u n g s s t e l l e der D u d e n r e d a k t i o n auf diese F r a g e n g e g e b e n w u r den. W e i t e r e B e i s p i e l e f i n d e n s i c h bei D R O S D O W S K I (1977, 127) und SCHAEDER (1981, 93f). 7 DROSDOWSKI; zitiert n a c h SCHAEDER (1981, 93). Das n ä c h s t e B e i s p i e l s t a m m t aus D R O S D O W S K I (1977, 127)

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ständig aber soll nach weit verbreiteter Ansicht ein Wörterbuch vor allem sein - und auf dem neuesten Stand. Kein Wunder ist es mithin, wenn ein Wörterbuchverlag potentiellen Käufern versichert, daß seine Redaktion "ständig 'die Hand am Puls der Sprache'" habe und sein Wörterbuch darum "von höchster Aktualität" sei. 8 "Wörterbücher seien wie Uhren, bemerkt Samuel Johnson, der bekannteste Wörterbuchmacher Englands im 18. Jahrhundert: Die schlechteste sei besser als gar keine; und von den besten könne man nicht erwarten, daß sie ganz genau gehe. Zumeist gehen die Wörterbücher etwas nach", meint HENNE 1977, 9. Das kann seinen Grund darin haben, daß die Bearbeitung eines Wörterbuchs wenigstens etliche Jahre, nicht selten auch Jahrzehnte in Anspruch nimmt; auf der anderen Seite fällt die Entscheidung nicht immer leicht, ob ein neuer Ausdruck kodifikationswürdig ist. Lexikographen können ein Lied davon singen. Apropos Lied. Als vor Jahren in dem Film "Mary Poppins" ein Schlager mit dem angeblich längsten Wort der englischen Sprache aufwartete, verlangten manche, daß dieses Wort eben darum ins Wörterbuch aufzunehmen sei: supercalifragilisticexpialidocious. Nicht nur, daß es sich hierbei natürlich um eine Nonsensebildung handelt, für die in Wörterbüchern kein Platz ist, selbst das Englische kennt weit längere Wörter, z.B. pneumo9 noultramicroskopicsilicovolcanoconiosis. Auf seinen Nasen schreitet einher das Nasobem, von seinem Kind begleitet. Es steht noch nicht im Brehm. Es steht noch nicht im Meyer, und auch im Brockhaus nicht. Es trat aus meiner Leyer zum ersten Mal ans Licht. Auf seiner Nasen schreitet (wie schon gesagt) seitdem, von seinem Kind begleitet, einher das Nasobem. So dichtete einst CHRISTIAN M O R G E N S T E R N . Auch das Nasobem hat, so meint man, nichts im Wörterbuch verloren. Doch kann man es dort inzwischen finden, und zwar - wer hätte das gedacht - in DUDEN-DAS FREMDWÖRTERBUCH, fein säuberlich analysiert und für den allgemeinen Gebrauch zubereitet: • Das Zitat stammt aus einem Werbeprospekt für DUDEN-DUW. Zum Thema "Aktualität" in diesem Wörterbuch vgl. BERGENHOLfZ/MUGDAN (1986, 19-25). 9 Vgl. V O I G T (1981, 26).

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Nasobem '[aus nasus = latinisierte Form von "Nase" und gr. bema = Schritt, Gang] das ; -s, -e: (von Christian Morgenstern erdachtes) Fabeltier (in den "Galgenliedern"), das auf seinen Nasen schreitet' Ganz so streng scheint der generelle Grundsatz "Nonsensebildungen gehören nicht ins Wörterbuch" doch nicht gehandhabt zu werden. Oder haben wir es hier vielleicht mit einem Fall lekographischer Ehrerbietung zu tun? Ein ganz anderes Problem sind die "Phantomwörter", wie HAUSMANN (1977, 30) sie nennt; Wörter, "die es nie gegeben hat, durch jahrhunderte Abschreibserien bis in die Gegenwart erhalten" . Was HAUSMANN und andere den Lexikographen hier ankreiden, daß sie nämlich unbesehen, bedenkenlos und ohne Nachweis voneinander abschreiben, wissen und nutzen manche Wörterbuchschreiber, um sich gegenseitig des Plagiierens zu überführen. So berichtet VOIGT (1981, 30), es werde "bei manchen WörterbuchVerlagen [...] sogar mit völlig unsinnigen Wörtern gearbeitet, also mit Wörtern, die eigentlich gar nicht existieren. Omphalophobie (krankhaftes Entsetzen vor dem eigenen Nabel) soll ein solches sein. Findet sich dann ein solches Wort in einem anderen Wörterbuch, so hat man den Abschreiber ertappt." Im übrigen aber haben die Wörterbuchverfasser sorgfältig abzuwägen, ob ein bestimmter neuer Ausdruck nur ein "Modewort" ('neues Wort, das eine begrenzte Zeit lang in Mode ist, dann aber wieder seinen Reiz verliert', wie DUDEN-DUW erklärt) und damit eine lexikalische Eintagsfliege ist, oder ob es sich um einen dauerhaften Neologismus handelt. Wer hätte schon vorauszusagen gewagt, daß joggen und Jogging dereinst Eingang in allgemeine einsprachige deutsche Wörterbücher finden würden? In einem Artikel "Was ist all this double Deutsch?" spöttelte die "Times" vom 3.4.1981 noch: "The Germans, who actually invented it, now say Jogging instead of Dauerlauf or Waldlauf . " Wörterbücher genießen Ansehen, besitzen Prestige, gelten als Werke, die nicht nur verläßliche, sondern auch letztgültige Auskünfte geben. Wer wagt schon zu widersprechen, wenn ihm "Es steht so im Wörterbuch" entgegengehalten wird? Autoritative Geltung auf der einen Seite korrespondiert mit Gläubigkeit auf der anderen. Das kennzeichnet nicht etwa nur den Rechtschreib-Duden, dem durch einen Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 18./19.11.1955 amtlicher Segen zuteil wurde: "In Zweifelsfällen sind die im 'Duden' gebrauchten Schreibweisen und Regel verbindlich."10 10

Zur Geschichte und Funktion von Rechtschreib-Wörterbüchern des Deutschen, insbesondere auch der Duden-Rechtschreibung, vgl. SCHAEDER (1986).

17 Daß solche G l ä u b i g k e i t auch a n d e r e n W ö r t e r b ü c h e r n e n t g e g e n g e b r a c h t wird, k o n n t e der V e r f a s s e r d i e s e r Schrift erfahren, als er e i n e n am 5.1.1984 v e r f a ß t e n Brief erhielt, in dem ein Professor, A n g e h ö r i g e r des F a c h b e r e i c h s "Bauingenieurwesen, Architektur, R a u m - u n d U m w e l t p l a n u n g " einer bundesdeutschen Hochschule, um v e r b i n d l i c h e A u s k u n f t in folgender A n g e l e g e n h e i t bat (ich zitiere w ö r t l i c h aus seinem Brief): "Mehrfach mußte ich s c h o n in G u t a c h t e n zu t e c h n i s c h e n B e g r i f fen Stellung nehmen. Ein Beispiel m ö g e Ihnen dies erläutern. In der Entwässerungstechnik von Grundstücken und Gebäuden taucht der Begriff 'Rückstau' auf. In der F a c h l i t e r a t u r des B a u w e s e n s ist d i e s e r Begriff m e h r f a c h u n d u n t e r s c h i e d l i c h g e normt. Wenn dann unterschiedliche Definitionen vorhanden sind, k o m m t es i n s b e s o n d e r e bei P a t e n t a n s p r ü c h e n - u n d einen s o l c h e n Fall h a t t e ich vor einiger Zeit b e i m Bundesgerichtshof - d a n n taucht immer w i e d e r die Frage auf: Was sagt eiIn den g e n t l i c h das o f f i z i e l l e d e u t s c h e W ö r t e r b u c h h i e r z u ? m e i s t e n F ä l l e n w i r d d a n n n a c h dem R e c h t s c h r e i b b u c h 'Duden' gefragt, was ich v e r n e i n e u n d auf das "Deutsche W ö r t e r b u c h " von WAHRIG verweise. Vor längerer Zeit hat mir ein S a c h v e r s t ä n d i g e r des B a u w e s e n s erläutert, daß d i e s e s W ö r t e r b u c h o f fiziell d u r c h e i n e n Erlaß der B u n d e s r e g i e r u n g e i n g e f ü h r t sein soll, das Buch erscheint im B e r t e l s m a n n - L e x i k o n - V e r l a g u n d werde v o n der B u n d e s r e g i e r u n g aus d i e s e m G r u n d e auch e r h e b lich b e z u s c h u ß t . Meine B e m ü h u n g e n , d i e s e n S a c h s t a n d b e s t ä t i g t zu erhalten, ist m i r b i s h e r n i c h t g e l u n g e n . " Der Brief endet mit der (wiederum w ö r t l i c h wiedergegebenen) Anfrage: "Gibt es e i n o f f i z i e l l e s DEUTSCHES WÖRT E R B U C H ? U n d wo k a n n m a n d i e s e n E i n f ü h r u n g s e r l a ß n a c h l e s e n ? " [Sperrung u n d V e r s a l i e n im Original; B.S.] Zu seinem B e d a u e r n mußte ich dem F r a g e s t e l l e r antworten, daß es k e i n e n d e r a r t i g e n Erlaß der B u n d e s r e g i e r u n g und mithin auch n i c h t das v o n ihm g e s u c h t e "offizielle W ö r t e r b u c h " gebe; d e n R e c h t s c h r e i b - D u d e n ausgenommen, dem aber o f f i z i e l l e V e r b i n d l i c h k e i t - wie oben schon e r w ä h n t w u r d e - a l l e i n in Z w e i f e l s f ä l l e n der R e c h t s c h r e i b u n g z u g e b i l l i g t w o r d e n s e i . 1 1 Ich habe d e n Fall hier d e s h a l b ein w e n i g a u s f ü h r l i c h e r a u s g e breitet, weil er erhellt, was ich v o r h i n zum T h e m a "Wörterb u c h g l ä u b i g k e i t " anmerkte. Hier m ö c h t e ein in seinem Gebiet a u s g e w i e s e n e r F a c h m a n n d e n D e f i n i t i o n e n in der Fachliteratur (vor a l l e m dann, w e n n sie n i c h t e i n h e i t l i c h sind), ja selbst seiner e i g e n e n f a c h l i c h e n K o m p e t e n z weniger Glauben schenken 11

Der V o l l s t ä n d i g k e i t h a l b e r sei erwähnt, daß ich auch noch schrieb, daß mir davon, daß W A H R I G s "Deutsches Wörterbuch" "von der B u n d e s r e g i e r u n g [...] e r h e b l i c h b e z u s c h u ß t " worden sei, n i c h t s b e k a n n t wäre, ü b e r z e u g t h a t s c h l i e ß l i c h m e i n A r gument, daß es sich der B e r t e l m a n n s - V e r l a g sicher nicht hätte e n t g e h e n lassen, mit dem E t i k e t t "offizielles W ö r t e r b u c h " für W A H R I G s "Deutsches W ö r t e r b u c h " zu w e r b e n .

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als den Bedeutungsangaben in einem Sprachwörterbuch, die niemals Definitionen im eigentlichen Sinne dieses Wortes sind. Nicht immer ist das außerlinguistische Interesse an der Lexikographie, das vor allem ein Interesse an ihren Produkten, den Wörterbücher, ist, nur von andächtiger Ehrfurcht geprägt. Wörterbücher werden in Zeitungen und Zeitschriften vorgestellt, besprochen, auch hin und wieder kritisch auf ihren Gebrauchswert hin geprüft. So unternahm die "Stiftung Warentest" (vgl."test 10" vom Oktober 1985, 83-88: Kinder- und Jugendlexika. Viele Fragen bleiben offen) "zum ersten Mal in ihrer zwanzigjährigen Geschichte [...] den Versuch, Lexika zu prüfen und zu vergleichen - anders als Gedicht- oder Romanbände sind sie schließlich eine Art Handwerkszeug und müssen bestimmte Anforderungen an Korrektheit, Übersichtlichkeit und Haltbarkeit erfüllen" (S. 83). 12 Der Umstand, daß die Förderung der Lexikographie in der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (Helsinki 1975) ausdrücklich als eine Aufgabe von hohem gesellschaftlichen Rang erwähnt wird, belegt eindrucksvoll das der Lexikographie auch von seiten der Politik entgegengebrachte öffentliche Interesse. 2.2 Das linguistische Interesse an der Lexikographie Selbstverständlich geraten auch Linguisten bei der Textrezeption und Textproduktion bisweilen in aktuelle Kommunikationskonflikte, zu deren Lösung sie Wörterbücher heranziehen. In dieser Hinsicht haben sie gleiche Interessen und machen sie dieselben oder ähnliche Erfahrungen wie andere Wörterbuchbenutzer auch. Hier geht es aber um Wörterbuchfragesituationen außerhalb aktueller Kommunikationskonflikte, um solche nämlich, bei denen Wörterbücher nicht als Hilfsmittel genutzt werden, sondern als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung von Interesse sind. Die Fragen betreffen Einzelheiten der lexikographischen Praxis, insbesondere ihrer empirischen und theoretischen Fundierung. In Zusammenhang damit gelten die Erörterungen u.a. auch den Problemen der Berücksichtigung und Umsetzung der Ergebnisse wissenschaftlicher, vor allem linguistischer Forschungen . "No doubt that the main purpose of any dictionary remains what it has been, namely the description of the specifities of the respective language(s), the consequence which is that each dictionary must have 12

Die in den öffentlichen Medien vorgetragene Wörterbuchkritik ist ein noch ungeschriebenes Kapitel lexikographischer Forschung. Vgl. z.B. den Wörterbuchtest von ZIMMER (1986).

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its o w n c h a r a c t e r i s t i c p r o p e r t i e s ; still, there are g e n e r a l , c o m m o n features of l e x i c o g r a p h i c w o r k that t r a n s c e n d those i d i o s y n c r a s i e s . A study of such g e n e r a l i t i e s can then be c o n c e i v e d as a c o m p r e h e n s i v e study of d i c t i o n a r i e s w h i c h can p e r h a p s be d e v e l oped into a theory a n d a m e t h o d o l o g y of l e x i c o g r a phy, or w h i c h c a n at l e a s t y i e l d r e s u l t s of a v a l i dity sufficiently g e n e r a l to allow the a s s u m p t i o n that their a p p l i c a t i o n will, in its turn, improve lexicographic activities i r r e s p e c t i v e of the l a n g u a g e (s) treated." (Vorwort zu L e x i c o g r a p h i c a 1. 1985, IX) A u s g e l ö s t d u r c h die D i s k u s s i o n e n um das P r o j e k t eines großen i n t e r d i s z i p l i n ä r e n W ö r t e r b u c h s der d e u t s c h e n Gegenwartssprache (vgl. H E N N E / M E N T R U P / M Ö H N / W E I N R I C H 1978), das i n z w i s c h e n "aus f i n a n z i e l l e n G r ü n d e n in die s c h o n s t a t t l i c h e Zahl nicht r e a l i s i e r t e r W ö r t e r b u c h p r o g r a m m e e i n g e r e i h t " w o r d e n ist (HENN E / M E N T R U P 1983, 7), u n d b e l e b t d u r c h eine z u n e h m e n d e K o o p e r a t i o n z w i s c h e n denen, die W ö r t e r b ü c h e r h e r s t e l l e n , u n d d e n jenigen, die sich dem " N a c h d e n k e n ü b e r W ö r t e r b ü c h e r " (DROSDOWSKI/HENNE/WIEGAND (1977) v e r s c h r i e b e n haben, wurden Arb e i t e n in s t e i g e n d e r Zahl l e x i k o g r a p h i s c h e n T h e m e n der v e r schiedensten Art gewidmet. Neben Problemen, die die L e x i k o g r a p h i e s e i t alters her beschäftigen, wie d e n j e n i g e n der A u s w a h l u n d A n o r d n u n g der für e i n W ö r t e r b u c h v o r g e s e h e n e n S t i c h w ö r t e r , der B e r ü c k s i c h t i g u n g u n d a n g e m e s s e n e n B e s c h r e i b u n g z.B. v o n F a c h w o r t s c h ä t z e n , d i a topischen und diastratischen Varietäten sowie den Problemen der stilistischen Markierungen sind d e r w e i l F r a g e n in d e n Blick gerückt, die b i s h e r nur g e r i n g e oder auch gar keine B e achtung g e f u n d e n haben. "Die g e r m a n i s t i s c h e D i s k u s s i o n im l e t z t e n J a h r z e h n t hat dazu beigetragen, daß die E i n s c h ä t z u n g , L e x i k o g r a p h i e sei wenig mehr als eine Praxis für fleißige P h i l o l o g e n , heute weniger w e i t v e r b r e i t e t ist", s c h r i e b W I E G A N D (1981,3) im V o r w o r t des e r s t e n B a n d e s der v o n ihm h e r a u s g e g e b e n e n u n d i n z w i s c h e n auf sechs Bände a n g e w a c h s e n e n " S t u d i e n zur n e u h o c h d e u t s c h e n L e x i kographie" . Das g i l t heute, g u t sechs Jahre später, in w e i t h ö h e r e m Maße. V o n dem n i c h t nur a n h a l t e n d e n , sondern auch weiterhin expandierenden Interesse zeugt an erster Stelle die große A n z a h l u n d V i e l f a l t der P u b l i k a t i o n e n . Das d i e s e r A r b e i t b e i g e f ü g t e und in k e i n e r Weise Vollständigkeit beanspruchende Literaturverzeichnis mag immerhin genügen, hiervon einen ersten 13 Eindruck zu v e r m i t t e l n . 13 Eine laufende, alphabetisch geordnete B i b l i o g r a p h i e zur L e x i k o g r a p h i e auf der Basis v o n 122 a u s g e w ä h l t e n Zeitschriften b i e t e t "Lexicographica"; d a n e b e n auch stets "short r e views". V g l . auch ZGUSTA (1987).

20 In seiner Aufzählung der Versäumnisse der Sprachgermanistik hatte WIEGAND (1981, 3) neben anderen dieses erwähnt: "Wünschenswert wäre auch ein spezielles Periodikum als Diskussionsforum für Theoretiker und Praktiker der Lexikographie." Auch dieses gibt es derweil: "Lexicographica. Internationales Jahrbuch für Lexikographie", hrsg. von A. KUCERA, A. REY, H.E. WIEGAND, L. ZGUSTA, Tübingen 1985ff; daneben die Reihe "Lexicographica, Series Maior", Tübingen 1984ff. Hinzu kommen die Lexikographie-Kongresse, stattgefunden haben und stattfinden.14

die Jahr für Jahr

Was eine Zeitlang nur als Idee vorhanden war, ist inzwischen Wirklichkeit geworden: die Gründung einer wissenschaftlichen Gesellschaft für Lexikographie. Im Jahre 1983 entstand die "European Association for Lexicography (EURALEX)". Als Anzeichen eines gestiegenen Interesses an der Lexikographie darf auch gewertet werden, daß 1985 an der Neuphilologischen Fakultät der Universität Heidelberg ein Forschungsschwerpunkt "Lexikographie" eingerichtet wurde und daß an der Universität Gesamthochschule Essen die Gründung eines "Instituts für Lexikographie" geplant ist. Bleibt noch das Großprojekt "Wörterbücher. Dictionaries. Dictionnaires. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie" zu erwähnen, das in 37 Kapiteln mit insgesamt rund 335 Artikeln einen umfassenden Überblick über Theorie und Praxis der Lexikographie bieten wird (vgl. HAUS MANN/REICHMANN/WIEGAND/ ZGUSTA 1984 und 1986). Nicht nur, daß das Interesse an lexikographischen Fragestellungen stetig zugenommen hat, die Lexikographie ist auf dem besten Wege, sich zu einem eigenen, interdisziplinär organisierten, universitären Fach zu entwickeln. Ihre Existenz verdankt die lexikographische Forschung - das sei nicht vergessen - dem Umstand, daß es eine lexikographische Praxis und vor allem - als ihre wesentlichen Resultate - Wörterbücher gibt. Auf der anderen Seite kommt keine lexikographische Praxis, die den Anspruch erhebt, wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen, ohne Reflexion ihrer theoretischen Grundlagen aus. Es gibt mithin eine wechselseitige Abhängigkeit von Praxis und Theorie der Lexikographie. 14

Die Chronik der laufenden Ereignisse hat WIEGAND (1981), (1982), (1983), (1984), (1984a) und (1986) in den jeweiligen Vorworten zu den von ihm herausgegebenen "Studien zur neuhochdeutschen Lexikographie" aufgezeichnet. Einen Überblick über "German dictionaries and research on the lexicography of German from 1945 to the present" bietet WIEGAND (1985b).

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Da sich beides oft in ein und derselben Person miteinander verbindet, läßt sich die Menge derer, die sich in einem weiten Sinne mit Lexikographie beschäftigen, nicht ohne weiteres in die disjunkten Teilmengen der Praktiker und der Theoretiker untergliedern. Immer wieder haben die sogenannten Praktiker theoretische Überlegungen angestellt und auch publiziert; und gerade in neuerer Zeit läßt sich beobachten, daß sich solche, die sich bisher vornehmlich als sogenannte Theoretiker hervorgetan haben, nun auch als Lexikographen betätigen und einen Namen machen. Beide Seiten aber, d.h. jene, die ihre (meist auch als Beruf ausgeübte) Hauptaufgabe in der Praxis sehen, und solche, deren (ebenfalls professionell betriebenes) Geschäft die Theorie ist, sind in letzter Zeit ein gutes Stück aufeinander zugekommen. Die besonders hierzulande häufig sorgfältig auseinandergehaltenen Domänen scheinen zusammenzurücken. Ausgegangen ist der Anstoß hierzu von der Sprachwissenschaft. Und so sieht es WOLFGANG MÜLLER (1984, 361f), ein Lexikograph mit langjähriger Erfahrung in der Praxis des Erarbeitens von Wörterbüchern: "Lexikographie war bis vor kurzem auch an den Universitäten im allgemeinen kein Thema. Das ist auch ein Grund dafür, daß sich die deutsche Lexikographie bis in die jüngste Vergangenheit hinein noch oft als eine eigenartig unterentwickelte Disziplin darstellt." Inzwischen habe sich das gründlich geändert, meint er im weiteren: "Lexikographie ist von den Sprachwissenschaftlern entdeckt worden; Lexikographie ist 'in'. Theoretiker und Methodologen haben begonnen, sich mit der Materie zu beschäftigen;" MÜLLER fährt fort mit einer Bemerkung, die er wohl den zuvor erwähnten Sprachwissenschaftlern ins Stammbuch geschrieben wissen möchte: "ihre Wunschliste ist lang, und in ihren Anforderungen an den Lexikographen, das im Grunde unbekannte Wesen, sind sie nicht zimperlich." Mit anderen Worten: Es mag manches geben, das jenen, die sich nicht hinreichend in den Bedingungen auskennen, unter denen Wörterbücher produziert werden, als wünschbar erscheint, das letztlich aber nicht realisierbar ist. Vonnöten sind theoretisch fundierte Konzepte, die die berechtigten Bedürfnisse der potentiellen Wörterbuchbenutzer, den Stand lexikographischer Forschung sowie auch die Erfordernisse lexikographischer Praxis angemessen berücksichtigen.

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3.0 Der Gegenstand lexikographischen Interesses: Das Wörterbuch In einer ersten Annäherung an die Bestimmung dessen, was Lexikographie ist bzw. was Lexikographie meint, soll zuerst versucht werden, ein Verständnis von dem Gegenstand zu gewinnen, der unbestritten im Zentrum jeglichen lexikographischen Interesses steht, ein Verständnis mithin von Wörterbüchern bzw. von Wörterbuch . Als Erklärung von lexikographisch soll hier genügen, was Wörterbücher (in Form einer "Schema-F-Kodifikation", wie WIEGAND 1977, 102 solche Art des Definierens einmal charakterisierte) als Explikation anbieten: 'die Lexikographie betreffend' In aller vorerst gebotenen Behutsamkeit läßt sich wohl sagen, daß ein die Lexikographie betreffendes Interesse primär praktischer oder primär theoretischer Natur sein kann; primär praktischer Natur ist es dann, wenn es auf das Verfassen eines bestimmten Wörterbuchs und die damit verbundenen Aktivitäten der inhaltlichen Konzeption und technisch-organisatorischen Planung, der Vorbereitung und Durchführung sowie der Endredaktion gerichtet ist, primär theoretischer Natur ist dieses Interesse dann, wenn es den Bedingungen, Konzepten, Resultaten lexikographischer Praxis und deren historischer Entwicklung gilt. Wir werden später noch zu untersuchen haben, ob die hier angenommene Unterscheidung von Praxis und Theorie, von lexikographischer Praxis und lexikographischer Theorie oder auch von Praxis der Lexikographie und Theorie der Lexikographie aufrechtzuerhalten ist, ob es sich (wie z.B. WAHRIG-DW ausführt: Theorie Ggs. Praxis , und vice versa: Praxis Ggs. Theorie ) notwendig um gegensätzliche Begriffe handeln muß und ob ein derartiges Verständnis eine hinreichende Basis für die Beschreibung dessen liefert, was Lexikographie umfaßt. Doch wenden wir uns der Frage zu, was ein Wörterbuch ist bzw. was Wörterbuch meint. Der Antwort soll auf zwei Wegen nachgegangen werden; zum einen werden Wörterbücher konsultiert, zum anderen Auskünfte bei jenen eingeholt, die dieses Problem einer wissenschaftlichen Betrachtung unterzogen haben. In einem dritten Abschnitt werden wir einen Blick auf die Vielfalt der Sorten jener Werke werfen, die den Nachschlagewerken zugerechnet werden. Ziel dieses Exkurses ist es, zu überprüfen, ob sich Wörterbuch gegen andere (zum Teil konkurrierende) Bezeichnungen abgrenzen und das Gesamt der Nachschlagewerke terminologisch ordnen läßt. 1

Ähnlich etwa: orthographisch 'die Orthographie betreffend', geographisch 'die Geographie betreffend', bibliographisch 'die Bibliographie betreffend' (DUDEN-DUW).

23 3.1 Was ist ein Wörterbuch? Wörterbücher über Wörterbuch Formulieren wir "Was ist ein Wörterbuch?", so stellen wir eine eher sachbezügliche Frage. Wollen wir aber erfahren, was die Bedeutung des Wortes Wörterbuch ist, hat unsere Frage einen eher sprachbezüglichen Charakter.2 Beginnen wir unsere Exploration dort, wo kundige Antwort zu erwarten ist, nämlich in Wörterbüchern, und zwar unter dem Stichwort bzw. Lemma Wörterbuch. Welches Verständnis haben Experten der Wörterbuchherstellung vom Produkt ihres Tuns? Wir erhalten folgende Auskünfte ("Bedeutungserklärungen" genannt; im folgenden abgekürzt = BE):3 BEi: 'Nachschlagewerk, in dem die Wörter einer Sprache nach bestimmten Gesichtspunkten ausgewählt, angeordnet u. erklärt sind* (DUDEN-GWB und DUDEN-DUW) BE2: 'nach dem Alphabet geordnetes Verzeichnis der Wörter einer Sprache u. ihrer Erklärung bzw. ihrer Übersetzung in eine andere Sprache (Fremdsprachen -); aiphabet. Verzeichnis der Wörter eines Fachgebietes od. eines besonderen Teils einer Sprache (Fach -, Fremd - )' (WAHRIG-DW) BE3: 'meist alphabetisch geordnetes Verzeichnis von Wörtern, die nach bestimmten Gesichtspunkten ausgewählt und erklärt sind' (WDG) * Auf die Geschichte der Entstehung und des Gebrauchs des Ausdrucks Wörterbuch kann ich hier nicht eingehen, möchte aber wenigstens einige Aussagen hierzu zitieren. So meint M0RIZ HEYNE (Bd.3, 2. Aufl. 1906): "Verdeutschung von lexicon durch Gueinz: so wäre es gut, dasz ein Wörterbuch (lexicon).. ans tagelicht kerne Brief an Fürst Ludwig v. Anhalt vom l.März 1640; schnell eingebürgert"; F.L.K. WEIGAND (Bd.2, 4. Aufl. 1882): "mit dem Genitiv des Plurals, also uneigentlich zusammenges., scheint zuerst 1641 bei Schottelius teutsche Sprachkunst S.9, nachher 1663 HaubtSprache S.5 vorzukommen; isländ. die ordabök (orda ist Gen. PI.), schwed. die ordbok, dän. ordbog. Der ältere Ausdruck war die eigentliche Zusammensetzung Wortbuch"; HERMANN PAUL (5. Aufl. 1966): "um 1630, viell. nach älterem mnl. woordboeck , das viell. Lbi. für mlat. vocabularium , franz. vocabulaire ist. Vgl. ZfdWf. 15, 16"; FRIEDRICH KLUGE (8. Aufl. 1960): "Ersatzwort für Lexikon (s.d.), zuerst bei Commenius 1631 Sprachentür, Vorrede A 3 a ff.; Zesen 1641 Helicon II, Nachrede. Seit Gueintz und Schottel 1641 in allen Sprachlehren: Leser 1914 Zs.f.dt.Wortf 15, 16." Die umfänglichste Darstellung enthält das GRIMMsche Wörterbuch (Bd. XIV, II, 1960), wo sich noch weitere Verweise finden. 3 Die vollständigen bibliographischen Angaben zu den hier angeführten Wörterbüchern finden sich im Literaturverzeichnis

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BE«: 'Nachschlagewerk, das aus einem Verzeichnis nach bestimmten Gesichtspunkten ausgewählter und angeordneter Wörter besteht, zu denen bestimmte Aussagen gemacht werden' (HWDG) BEs: 'nach Stichworten geordnetes Nachschlagebuch' (MACKENSEN-DW) BEs: 'alphabetisch geordnetes (in Buchform erschienenes) Verzeichnis von Wörtern einer bestimmten [Fach]spräche mit [anderssprachiger Bedeutungsangabe u.] Erklärungen der verschiedensten Art' (ULLSTEIN-LdS) BE?: 'alphabetisch od. nach bestimmten begrifflichen Gesichtspunkten geordnetes Verzeichnis des Wortschatzes einer Sprache od. Mundart od. eines Teils der Sprache, i.d.R. mit Erklärungen zu Form u./od. Inhalt u./od. Geschichte der Wörter od. mit Obersetzungen in eine andere Sprache* (BROCKHAUS-WAHRIG) Unmittelbar fällt auf, daß DUDEN-GWB und das aus ihm erarbeitete DUDEN-DUW mit derselben Erklärung aufwarten, daß sich das WDG und das HWDG einerseits und WAHRIG-DW und BROCKHAUSWAHRIG andererseits in ihren Erklärungen voneinander unterscheiden. Kaum zu glauben ist es, daß in einem zweisprachigen Wörterbuch das jeweilige Wort der Zielsprache eine "Bedeutungsangabe" zu dem entsprechenden Wort der Ausgangssprache sein soll (BEe läßt diese Lesart zu); schwer einsehbar erscheint es zudem, daß Wörter eines Fachgebietes nicht einen besonderen Teil einer Sprache darstellen (BE2), ebensowenig wie die Wörter einer Mundart (BE7). Verwunderung löst aus, wenn in BEe (Wörterbuch :'in Buchform erschienenes Verzeichnis') suggeriert wird, daß sich von "Wörterbuch" immer nur als einem je bestimmten, schon konkret existierenden sprechen läßt. Was haben wir im übrigen erfahren? (a) Ein Wörterbuch ist ein Nachschlagewerk (BEi , BE'Wörterbuchforschung' Lexikographie2: 'eine wissenschaftliche Praxis, die darauf ausgerichtet ist, daß Wörterbücher entstehen; praktische ->Wörterbuchforschung' Metalexikographie: 'eine Wissenschaft, die Wörterbücher zum Gegenstand hat, ohne auf das Machen von Wörterbüchern ausgerichtet zu sein; theoretische ->Wörterbuchforschung' Wörterbuchforschung: 'das Gesamt der auf Wörterbücher ausgerichteten wissenschaftlichen Theorie und Praxis, wobei unterschieden werden (a) theoretische Wörterbuchforschung (auch: ->Metalexikographie) und (b) praktische Wörterbuchforschung (auch: ->Lexikographie2)' So willkommen es auf der einen Seite sein muß, über einen Terminus zu verfügen, der die Lexikographie als Praxis und als Theorie umgreift, so problematisch erscheint es auf der anderen Seite, wenn durch das oben dargestellte terminologische Angebot die Praxis der Lexikographie zur "praktischen Wörterbuchforschung" erklärt und der Theorie der Lexikographie als der "theoretischen Wörterbuchforschung" bzw. Metalexikographie an die Seite gestellt wird. In HAUSMANN/REICHMANN/WIEGAND/ZGUSTA (1984, 489) wird Metalexikographie erklärt als "die Gesamtheit all derjenigen wissenschaftlichen Bemühungen, deren Ergebnis nicht selbst ein Wörterbuch ist, sondern die darauf abzielen, alle mit dem Erarbeiten von Wörterbüchern verbundenen theoretischen Fragestellungen und methodischen Verfahrensweisen zu registrieren, zu beschreiben, zu bewerten und dadurch zur Verbesserung der lexikographischen Praxis beizutragen". Die Metalexikographie wird - wie unmittelbar vor der hier zitierten Stelle zu lesen ist - nicht etwa der Lexikographie (verstanden als wissenschaftlicher Praxis) nebengeordnet, sondern in einem über ihr gelegenen Bereich angesiedelt, zum Metabereich erhoben. Es "dienen alle lexikographischen Tätigkeiten dem Ziel, daß ein Gebrauchsgegenstand, nämlich ein Nachschlagewerk entsteht", während "Schreiben über Lexikographie eine metalexikographische Tätigkeit ist und die Theorie der Lexikographie nicht zur Lexikographie, sondern zur Metalexikographie gehört" (WIEGAND 1984c, 558).

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In einem neueren Beitrag scheint W I E G A N D (1986, III) dem terminologischen Vorschlag H A U S M A N N s zu folgen, wenn er im Vorwort des Bandes VI,1 der "Studien zur neuhochdeutschen Lexikographie" schreibt, mit seinen Ausführungen wolle er "weitere Bausteine zur Zeitgeschichte der Lexikographie und Wörterbuchforschung liefern". Wie die parataktische Fügung "Lexikographie u n d W ö r t e r b u c h f o r s c h u n g " allerdings zeigt, möchte W I E G A N D strenger als H A U S M A N N Praxis und Theorie der Lexikographie auseinanderhalten. Während für H A U S M A N N Wörterbuchbeides umfaßt ("das Gesamt der auf Wörterbücher forschung ausgerichteten Theorie und Praxis"), verwendet W I E G A N D Wörsynonym zu Metalexikographie (explizit in: terbuchforschung W I E G A N D 1987b, 1: "Wörterbuchforschung = Metalexikographie"), welche Bezeichnung er für die theoretische Beschäftigung mit der Praxis der Lexikographie reserviert sehen möchte. Der Terminus Lexikographie (engl. lexicography , franz. lexicographie , ital. lessicografia , span. lexicografía ) dient neben den schon erwähnten Verwendungsweisen nicht zuletzt als Bezeichnung für jene Disziplin, die sich der Wörterbuchforschung widmet und deren Vertreter sich derzeit anschicken, "die Lexikographie zu einer von Wissenschaftlern lehrbaren und von Studenten lernbaren praxisorientierten Disziplin weiterzuentwickeln bzw. erst als eine solche Disziplin zu begründen" ( H A U S M A N N / R E I C H M A N N / W I E G A N D / Z G U S T A 1984, 490). Um noch einmal auf das Theorie-Praxis-Problem zurückzukommen, d.h. der Frage, ob denn Lexikographie nun eine Praxis oder eine Theorie oder sowohl eine Praxis als auch eine Theorie ist, so läßt sich abschließend sagen, daß vor oder im Rahmen einer Antwort zu d i f f e r e n z i e r e n und zu klären ist: (a) was mit Lexikographie gemeint ist, (b) was jeweils unter Theorie und Praxis verstanden und wie ihr Verhältnis zueinander gesehen wird, (c) aus welcher Perspektive das Problem betrachtet werden soll. Darüber, was mit Lexikographie gemeint sein kann, haben wir gesprochen. Je nach Auffassung kann die Lexikographie allein als Praxis oder zugleich als Praxis und Theorie begriffen werden. Nicht eingehen möchte ich auf die unterschiedlichen Ansichten über "Theorie" und das Verhältnis von Theorie und Praxis zueinander stehen, weil dies nicht in der gebotenen Kürze darzustellen ist. Soviel aber scheint mir möglich zu sagen, daß - bezogen wohl nicht nur auf die Lexikographie Praxis nicht unabhängig von Theorie verläuft und diese nicht unabhängig von jener. Ihr Verhältnis ist - und dies mag die Betonung der Wissenschaftlichkeit lexikographischer Praxis ausdrücken - nicht von der Art eines bloßen Ineinanderübergehens; in keinem Fall das von Subordination. Aus der Perspektive eines theoretischen Zugangs, etwa bei der Konstruktion einer Theorie der Lexikographie, mag eine strikte Trennung von Theorie und Praxis vertretbar sein, solange nicht unterschlagen wird, daß sie allein hypothetischer Natur

1 28

ist. Aus der Sicht der Praxis erscheint diese Trennung weder sinnvoll noch möglich. WIEGAND (1983b, 38) merkt - wie oben im Zusammenhang mit der Frage, ob Lexikographie angewandte Linguistik sei, schon einmal zitiert wurde - an: "Die lexikographischen Tätigkeiten bestehen nicht nur darin, daß linguistische Theorien und Methoden 'angewendet' werden." Es bedeutet wohl keine Fehlinterpretation, wenn man dieser Äußerung auch entnimmt, daß lexikographische Tätigkeit mehr bedeutet als nur die Anwendung linguistischer Methoden und Theorien; und zwar "mehr" in zweierlei Hinsicht. Zum einen braucht ein Lexikograph zur Ausübung seiner Tätigkeit (und zwar besonders bei der Konzipierung und Erarbeitung von Fachund Spezialwörterbüchern) auch andere als linguistische Kenntnisse sowie zudem eine Reihe von spezifischen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Zum anderen sind linguistische Theorien in der Regel nicht in solcher Weise verfügbar, daß jedermann sie ohne weiteres anwenden könnte. WIEGAND (1983b, 37) betont ausdrücklich, daß sein Einspruch gegen die Ansicht, Lexikographie sei eine Wissenschaft, nicht etwa bedeute, "daß Theorien bei der Planung und Erarbeitung [von Wörterbüchern, d.h. bei lexikographischer Praxis, B.S.] keine Rolle spielen". Sie spielen in der Tat sehr häufig eine wichtige Rolle. Von der Bedeutsamkeit der Lexikologie war schon die Rede; auch davon, daß es für die Konzeption und Erarbeitung von fachsprachlichen Wörterbüchern der Kenntnis des betreffenden Faches bedarf. Etymologische Wörterbücher lassen sich wohl kaum ohne Kenntnis der Etymologie, historische Wörterbücher nicht ohne Kenntnis der zu kodifizierenden Sprachstadien, Aussprache-Wörterbücher nicht ohne Kenntnis der Phonetik, Dialekt-Wörterbücher nicht ohne Kenntnis der betreffenden Varietät usw. konzipieren und erarbeiten. Bei der Spezialisierung, die auch die Linguistik inzwischen erfahren hat, dürfte es selbst unter Linguisten kaum jemanden geben, der für sich in Anspruch nehmen könnte, auf all ihren Gebieten gleichermaßen beschlagen zu sein. Doch es gibt natürlich die Etymologie, die Dialektologie, die Phonetik usw. und ihre Fachleute. Für die Konzeption und Erarbeitung von Wörterbüchern eines je speziellen Typs sind die entsprechenden Spezialisten gefragt, immer schon am Werk gewesen und auch weiterhin am Werk. Außer Frage steht, daß einen guten Lexikographen darüberhinaus weitere Qualifikationen auszeichnen. (Vgl. hierzu Kapitel 8) Es dürfte deutlich geworden sein, daß gerade im Falle der Speziallexikographie Theorie und Praxis in besonderem Maße und kaum trennbar ineinandergreifen.

1 29 8.0 L e x i k o g r a p h i e in der P r a x i s 8.1 Das H a n d w e r k der

Lexikographie

S e i n e n V o r t r a g "Die W a h r h e i t der W ö r t e r b ü c h e r " , der d e n Beg i n n einer bis h e u t e a n h a l t e n d e n D i s k u s s i o n über Theorie und Praxis der L e x i k o g r a p h i e m a r k i e r t , e r ö f f n e t e HARALD W E I N R I C H (1976, 347) damit, den Wörterbuchmachern öffentlich seinen "Respekt zu b e z e u g e n " . "Ein W ö r t e r b u c h zu machen, ist n ä m l i c h ein h ö c h s t m ü h s e l i g e s Geschäft, zu dem außer s o l c h e n spektakulären wissenschaftlichen Befähigungen wie Scharfsinn, Phantasie, K o n s e q u e n z u n d U r t e i l s k r a f t auch viele unauffällige, einem handwerklichen E t h o s v e r w a n d t e T u g e n d e n g e h ö r e n wie Geduld, Fleiß, B e s t ä n d i g k e i t , G e n a u i g k e i t im D e t a i l u n d - an l e t z ter, aber n i c h t g e r i n g s t e r Stelle - eine große Sammelleidenschaft. " Wie aber w i r d d i e s e s "höchst m ü h s e l i g e G e s c h ä f t " besorgt? Wie werden Wörterbücher gemacht? Dies in E r f a h r u n g zu bringen, fällt dem A u ß e n s t e h e n d e n nicht leicht, so er keine M ö g l i c h k e i t hat, Praktiker zu befragen oder bei ihrer T ä t i g k e i t zu b e o b a c h t e n . Wohl v e r f ü g e n wir neben einer Reihe v o n D a r s t e l l u n g e n p r a k t i z i e r e n d e r Lexikographen über die B e h a n d l u n g v e r s c h i e d e n e r lexikographischer Einzelprobleme - über e i n i g e w e n i g e B e r i c h t e aus der Werkstatt (vgl. etwa W A H R I G 1966 u n d 1968, S C H M I D T 1985, M A L I G E K L A P P E N B A C H 1986), d o c h e r g e b e n sie kein v o l l s t ä n d i g e s , allenfalls e i n vages Bild v o n der l e x i k o g r a p h i s c h e n Praxis. Den im v o r a n g e h e n d e n K a p i t e l b e s p r o c h e n e n E r k l ä r u n g e n etlicher S p r a c h w ö r t e r b ü c h e r zum S t i c h w o r t L e x i k o g r a p h i e war zu entnehmen, daß es in d i e s e r Praxis d a r u m geht, Wörterbücher bzw. W ö r t e r b u c h a r t i k e l a b z u f a s s e n , zu b e a r b e i t e n , h e r z u s t e l len, zu v e r f a s s e n , z u s a m m e n z u s t e l l e n . D U D E N - D U W (=a) , W A H R I G DW (=b) u n d H W D G (=c) g e b e n zu d e n e n t s p r e c h e n d e n V e r b e n die folgenden Erklärungen: abfassen:

(a) '1. e i n e m v o r g e g e b e n e n , n i c h t a l l z u u m f a n g r e i c h e n Stoff die e n t s p r e c h e n d e s p r a c h liche F o r m geben'; (b) 'verfassen, schreiben, formulieren'; (c) 'etw. s c h r i f t l i c h formulieren'.

herstellen:

(a) '1. g e w e r b s m ä ß i g in laufender P r o d u k tion a n f e r t i g e n ; 2. a) d u r c h b e s t i m m t e A n strengungen zustande bringen, schaffen'; (b) 'anfertigen, (neu) machen, produzieren, erzeugen'; (c) '1.1. e i n P r o d u k t erzeugen, etw. f e r t i gen, p r o d u z i e r e n ' ;

130 bearbeiten:

(a) '4.a) unter einem b e s t i m m t e n Gesichtspunkt neu gestalten, überarbeiten, verändern; b) durchforschen, untersuchen; über etw. w i s s e n s c h a f t l i c h arbeiten'; (b) '1 arbeiten an, sich eingehend beschäftigen mit' ; (c) '2.2 einen vorliegenden Text unter einem b e s t i m m t e n Gesichtspunkt, zu einem bestimmten Zweck neu gestalten, überarbeiten; 2.3 etw. w i s s e n s c h a f t l i c h untersuchen, erforschen ' ;

verfassen:

(a) 'gedanklich ausarbeiten und niederschreiben ' ; (b) 'schreiben, schriftlich herstellen'; (c) 'einen Text formulieren (und schriftlich niederlegen)';

zusammenstellen:

(a) '2. etw. unter einem b e s t i m m t e n Aspekt Ausgewähltes so anordnen, gestalten, daß etw. Einheitliches, Z u s a m m e n h ä n g e n d e s entsteht ' ; (b) 'Teile auswählen u. zu etwas vereinigen ' ; (c) '2. die einzelnen Teile für ein in sich geschlossenes Ganzes auswählen und festlegen' .

Auch diese Erklärungen geben - wie bei Erklärungen in Sprachwörterbüchern nicht anders zu erwarten - keine erschöpfende Auskunft über die Sache. Immerhin liefern sie einige nicht unwesentliche M o s a i k s t e i n e . Hervorheben möchte ich den Aspekt des handwerklichen, gewerbsmäßigen Produzierens, den Aspekt des gedanklichen, wissenschaftlichen Erforschens und Erarbeitens, den Aspekt des Formulierens, Gestaltens, A n o r d n e n s von Texten und schließlich den Aspekt der angestrebten Einheitlichkeit und Geschlossenheit, des Zusammenhangs der Teile als Teile eines Ganzen. Der Artikel aus der B R O C K H A U S - E N Z Y K L O P Ä D I E (BD. 11, Wiesbaden 1970, 401-402), einem Sachwörterbuch also, der Lexikographie (unzureichend zwar, aber unzweifelhaft allein) als Praxis erklärt, teilt im Abschnitt "Gestaltung" vor allem etwas über die Anordnung der Stichwörter in verschiedenen Typen von Wörterbüchern mit, um im folgenden Abschnitt "Ausarbeitung" sich daß "jeder Herausgeber mit dem Hinweis darauf zu begnügen, eines größeren Wörterbuches seinen Mitarbeitern umfangreiche Arbeitsanweisungen an die Hand (gibt)". Diese Arbeitsanweisungen sind gut gehütete verlagsinterne Schriften und für den Außenstehenden in aller Regel nicht zugänglich. "Auch ein Lehr- oder Handbuch zur Lexikographie nicht", stellt WOLFGANG MÜLLER (1984, 362) fest. dieser Äußerung notierten Anmerkung heißt es dann:

gibt es In der zu "Eine Art

131 l e x i k o g r a p h i s c h e s V a d e m e c u m sind die D a r l e g u n g e n von GÜNTER K E M P C K E (1977), d e s s e n l a n g j ä h r i g e E r f a h r u n g e n am Wörterbuch der d e u t s c h e n G e g e n w a r t s s p r a c h e in d e n L i n g u i s t i s c h e n S t u d i e n und in d e m z w e i b ä n d i g e n H a n d w ö r t e r b u c h (1984) [gemeint ist das HWDG; B.S.] N i e d e r s c h l a g g e f u n d e n h a b e n . " In d i e s e r Schrift, die G r u n d s ä t z e der E r a r b e i t u n g des HWDG sowie eine n i c h t geringe A n z a h l v o n P r o b e a r t i k e l n vorstellt, e r f ä h r t der Leser E i n z e l h e i t e n über (1) Z i e l s t e l l u n g u n d A u f gaben, (2) S t i c h w o r t a u s w a h l , (3) D e f i n i t i o n der Lexeme, (4) D a r s t e l l u n g des i d e o l o g i e g e b u n d e n e n W o r t s c h a t z e s , (5) A u f b a u der W ö r t e r b u c h a r t i k e l , (6) g r a m m a t i s c h e A n g a b e n , (7) Kennz e i c h n u n g e n u n d A n w e n d u n g s b e d i n g u n g e n u n d (8) A u s s p r a c h e a n g a ben. Im H i n b l i c k auf die Praxis der L e x i k o g r a p h i e s c h r e i b t MÜLLER (1984, 362f) u n t e r der Ü b e r s c h r i f t "Das H a n d w e r k L e x i k o g r a phie - E i n e fällige B e s t a n d s a u f n a h m e " : "Wer e i n e n Beruf erlernt, a b s o l v i e r t ü b l i c h e r w e i s e eine Lehrzeit, in d e r er p r a k t i s c h e u n d t h e o r e t i sche A n l e i t u n g e n b e k o m m t , die ihm das R ü s t z e u g u n d die Q u a l i f i k a t i o n für die spätere A u s ü b u n g d i e s e s B e r u f e s g e b e n sollen. A u c h die L e x i k o g r a p h i e ist e i n H a n d w e r k , eigentlich ein K u n s t h a n d w e r k , d o c h g i b t es d a f ü r keine v o r g e s c h r i e b e n e L e h r z e i t , keine G e s e l l e n - u n d k e i ne M e i s t e r p r ü f u n g . Zum L e x i k o g r a p h e n e r n a n n t e m a n sich b i s h e r immer selbst, oder m a n g e l a n g t e d u r c h G u n s t oder U n g u n s t der V e r h ä l t n i s s e zu d i e s e m Job. [...]. Jeder, der an e i n e m W ö r t e r b u c h zu s c h r e i b e n beginnt, fängt m i t m a n g e l n d e m R ü s t z e u g an, macht selbst. [...] W e n n ein alle Fehler e r s t einmal W ö r t e r b u c h g e p l a n t wird, werden allgemeine Richtl i n i e n [u.a.; B.S.] für d e n A u f b a u der W ö r t e r b u c h a r t i k e l festgelegt. Diesen Richtlinien gehen allgemeine Überlegungen voraus, für die natürlich auch andere W ö r t e r b ü c h e r als V e r g l e i c h h e r a n g e z o gen werden. E r s t bei der p r a k t i s c h e n A r b e i t , w e n n m a n also am A l p h a b e t h e r u n t e r a r b e i t e t , s t e l l e n die W ö r t e r b u c h m a c h e r fest, daß ihre R i c h t l i n i e n L ü c k e n haben, daß immer w i e d e r S o n d e r f ä l l e auftreten, an die m a n bei d e n t h e o r e t i s c h e n Ü b e r l e g u n g e n nicht g e d a c h t hat, so daß die R i c h t l i n i e n immer w i e d e r wenn man ergänzt werden müssen. E i g e n t l i c h erst, e i n W ö r t e r b u c h v o n A bis Z f e r t i g g e s t e l l t hat, ist m a n in der Lage, W ö r t e r b u c h a r b e i t zu s y s t e m a t i s i e ren; erst auf d e n E r f a h r u n g e n läßt sich eine M e thode u n d eine A r t T h e o r i e a u f b a u e n . Ist das W ö r t e r b u c h aber zu Ende g e s c h r i e b e n , d a n n b e s t e h t in der Regel k e i n akuter A n l a ß mehr, die bei der A r beit gemachten Erfahrungen auszuwerten u n d zu e i ner S y s t e m a t i k a u s z u a r b e i t e n , a b g e s e h e n davon, daß

132

die vielen Einzelheiten schon während der Arbeit an dem Unternehmen hätten notiert und gesammelt werden müssen, woran im allgemeinen gar nicht oder erst zu spät gedacht wird oder was aus Zeitmangel unterbleibt." WOLFGANG MÜLLER gehört - worüber der Beitrag "Bedeutungserklärung und semantische Umkehrprobe", aus dem das obige Zitat stammt, beredtes Zeugnis ablegt - zu jenen Lexikographen, die Buch führen. Praktiker wie Theoretiker können aus seinen Reflexionen über Bedeutungserklärungen in Wörterbüchern manches lernen. Eine Dokumentation lexikographischer Praxis ist MÜLLERS Beitrag nicht, will er auch nicht sein; auch keine Anleitung für die Erarbeitung von Bedeutungserklärungen, selbst wenn er implizit wie explizit zahlreiche Vorschläge zu deren Verbesserung unterbreitet. 8.2 Richtlinien für die lexikographische

Praxis

Von "Arbeitsanweisungen" ist im Artikel zu Lexikographie des BROCKHAUS-WAHRIG), von "Richtlinien" bei MÜLLER die Rede. Es handelt sich um Instruktionsschriften, die die praktische lexikographische Arbeit anleiten. Im weiteren Sinne umfassen sie sämtliche die Konzeption eines Wörterbuchs betreffenden Komponenten, im engeren Sinne sind damit insbesondere die Grundsätze für die formale und inhaltliche Gestaltung der Wörterbuchartikel gemeint. "Style manuals" oder kurz "manuals" werden diese zuletzt erwähnten Richtlinien in der englischsprachigen Lexikographie genannt. ZGUSTAs "Manual of Lexicography" (1971) bietet einen Einblick in den möglichen Inhalt solcher Schriften. Die meisten Verlage verfügen über Richtlinien zur Erstellung von Manuskripten, die sie ihren Autoren an die Hand geben und die u.a. die Art und Kennzeichnung von Abschnittsgliederungen, die Verwendung verschiedener Schrifttypen, die Behandlung von Anmerkungen bzw. Fußnoten, die Anlage des Literaturverzeichnisses u.a.m. regeln. Wörterbücher aber stellen einen so spezialisierten Typ von Texten dar, daß für deren Manuskriptgestaltung eigene Richtlinien, style manuals benötigt werden. LANDAU (1984, 243) erklärt: "The dictionary style manual is an alphabetical arranged reference guide to every aspect of editing dictionary copy. Though called a style manual, it is in fact also a teaching manual. It discusses the general defining style to be employed, with illustrations of various kinds of definition. It explains, often in great detail, how particular grammatical forms [...] are to be treated. It illus-

133 trates how each part of type-styled or, in the coded. The more p r o b l e m s a n t i c i p a t e by d e a l i n g w i t h al, the better off he will

the d e f i n i t i o n is to be age of c o m p u t e r i z a t i o n , the e d i t o r - i n - c h i e f can them in the style m a n u be later on."

Für jedes W ö r t e r b u c h sind n e b e n g e n e r e l l e n P r o b l e m e n stets auch jeweils spezifische, nur für e b e n d i e s e s W ö r t e r b u c h a n stehende Probleme zu lösen, w e s h a l b sich die R i c h t l i n i e n auch v o n Fall zu Fall mehr oder w e n i g e r stark unterscheiden. Diese u n d die folgende Seite z e i g e n die S t i c h w o r t l i s t e eines style m a n u a l s , das L A N D A U (1984, 244-246) für e i n K i n d e r - W ö r terbuch a u s g e a r b e i t e t hat. In-house Children's I ctionary Style Manual Abbreviations 5. Colors as main entries 1. As main entries Combining Forms 2. Used in the dictionary Compare (use of) Acronyms Compass Points Act o f . . . Contractions Cross-References A.D. Adjectives 1. As main entries 1. Comparative degrees 2. As run ins a. When to include 3. X-refs to particular defs. b. When to separately enter 4. Geographic x-refs and pronounce 5. When to use comparatives 6. Including more than one part c. Variants of speech 2. Introductory phrases used in Dates the def. of adjectives Defining, Techniques of Adjective Uses of Nouns and Division of Words Verbals Especially (use of) Archaic and Obsolete Defs. Etymologies Australian Examples B.C. Foreign-language Labels Biblical References Formerly (use of) British Geographic Entries 1. Briticisms for which there is Geographic Variants either an exact AmericanHomographs English synonym or a parallel Hyphenated Words word or phrase Illustrations (pictorial) Illustrative Phrases and Sentences 2. Words describing something Inflected Forms peculiar to Britain 3. Pronunciation and spelling 1. When to include 4. For multi-def. entries in which 2. Where to include all defs. are British . . . 3. X-refs By (use in measures) 4. Inflected forms in phrasal Canadian main entries Capitalization Inverted Entries 1. What to capitalize Italics (use of) 2. Capitalized main entries Main Entries 3. Lower-case main entries Main Entry Variants 4. See Order of Entries Mythological Entries Center Period (used in Names pronunciations) Nouns Chemical Elements 1. When to show the plural as an Color Terms inflected form 1. Adj. + color ("light blue 2. Form of the plural as an wall") inflected form 2. Adj. + adj. ("light colored") 3. When to pronounce plurals as 3. Color + color ("blue-green") inflected forms 4. Use of black-and-white, etc. 4. Variant plurals as inflected (set phrases) forms

5. Plurals as main entries 6. Nouns ending in -ics 7. Methods of defining nouns Numbering of Definitions Numbers 1. When to write out and when to use numerals 2. Ordinal numbers beyond ten 3. Dates 4. Use of commas 5. In hyphenated unit modifiers ("five-toed") Offensive Words Old-fashioned Words Or 1. Typeface 2. When to use Order of Definitions Order of Entries (i.e., alphabetic system: Do capitalized forms precede lower-case forms? Do forms written solid precede hyphenated forms?) A listing of theoretical possibilities in proper order should be included here, such as: sc, sc-, sc., s/c, s.c., -sc, Sc, Sc-, etc. Ordinal Numbers Parentheses (use of) Part-of-speech Labels 1. Entries taking part of speech labels 2. Entries having only one part of speech 3. Entries having two or more parts of speech 4. Entries showing inflected forms 5. Parenthetical information 6. Defs. having more than one part of speech Phrasal Entries Prefixes Pronunciations 1. Pronunciation key 2. Form of typescript (i.e., how to represent pronunciation symbols in typescript) 3. Placement of pronunciations

134

4. 5. 6. 7. 8.

Variants Optional syllables or sounds Order of pronunciations Foreign names and words When to pronounce a main entry Qualifying Words (i.e., "usually," "chiefly," etc.) Rare Regional Labels Run-on Derivatives 1. Suffixes used to form run-on derivatives (a list of suffixes that may be used) 2. When to pronounce 3. When to include as derivative, when as main entry, when to omit 4. Phrasal run-ons 5. Variants Run-ins (defined phrasal entries "run in" to other articles: usually idioms) Sample Entries (actual samples shown in each category) 1. One def., one part of speech 2. Multiple defs, one part of speech 3. Multiple parts of speech (Many different situations are exemplified.) See (use of) See under (use of) Semicolon Series Entries (Sometimes called category enfries, these entries include series of terms that comprise semantic sets and hence can all be defined according to the same or similar formulas. In practice some members of the series require individual treatment, but the identification of series entries and the establishment of a uniform style for each series is an important timesaver as well as a way of maintaining consistent

treatment of like terms. Normally, one definer will be assigned to define all the members of a series. Dictionaries differ in how many kinds of entries they regard as belonging to series. Some common series entries are listed below. Each series entry is exemplified with one or several prototypes.) 1. Alphabet, English and Greek 2. Notes of musical scale 3. Musical directions 4. Musical instruments 5. Numbers, cardinal and ordinal 6. Units of measure 7. Days of the week 8. Months of the year 9. Compass points and directions 10. Countries (Many other geographic entries can be placed in series.) 11. Colors 12. Nationality designations 13. Military ranks 14. Chemical elements Signs and Symbols Small caps (use of) Stress in Pronunciations 1. How shown 2. When to show stress Suffixes 1. As main entries 2. Form of definition Syllabication 1. In main entries 2. Inflected forms 3. Run-on derivations 4. Pronunciations

S. Variants Synonym and Antonym Lists Synonym Discriminations Taxonomic Classifications Technical Entries That and Which (use of) Time Trademarks U.S. (as label and nationality designation) Usage Labels 1. Which will be used 2. Placement Usage Notes 1. Kinds of notes 2. Information conveyed by usage notes 3. Idiomatic use of prepositions and adverbs 4. Words referring to a particular thing ("said of") 5. Words with contemptuous or offensive connotations Variants Verbs 1. Style of defining 2. Principal parts 3. When to separately enter (and pronounce) principal parts 4. Pronouncing principal parts within an entry 5. Archaic or nonstandard variants of principal parts 6. Treatment of transitive and intransitive verbs Words Not In (list of prefixes, suffixes, and combining forms that may be used to form words in definitions even though they are not separately entered, e.g., -ish, -like, -shaped)

D i e s e s style m a n u a l u m f a ß t r u n d 80 Seiten, wie L A N D A U (1984, S. 243) m i t t e i l t . Andere mögen kürzer oder auch wesentlich u m f ä n g l i c h e r sein. E i n Teil der in i h n e n e n t h a l t e n e n I n f o r m a t i o n e n findet E i n g a n g in die B e n u t z u n g s h i n w e i s e oder andere Teile des W ö r t e r b u c h v o r s p a n n s bzw. in d e n Wörterbuchnachspann. Wie die m e i s t e n solcher R i c h t l i n i e n so s i n d auch diese a l l e i n für d e n h a u s e i g e n e n G e b r a u c h b e s t i m m t (gewesen), existieren l e d i g l i c h als L o s e b l a t t s a m m l u n g in F o r m eines T y p o s k r i p t s .

135 8.3 Die E n t s t e h u n g v o n W ö r t e r b ü c h e r n Richtlinien der oben d e m o n s t r i e r t e n A r t s p i e g e l n zwar den e n t s c h e i d e n d e n Teil l e x i k o g r a p h i s c h e r Praxis, k e i n e s w e g s aber die G e s a m t h e i t aller für die E n t s t e h u n g eines Wörterbuchs e r f o r d e r l i c h e n Schritte w i d e r . LANDAU (1984, 227-271) unterscheidet drei H a u p t p h a s e n , die ein W ö r t e r b u c h auf dem W e g e seiner Entstehung durchläuft: (I) p l a n n i n g , (II) w r i t i n g , (III) p r o d u c i n g . N a c h s e i n e n in gut 20 J a h r e n g e s a m m e l t e n E r f a h r u n g e n sieht die zeitliche V e r t e i l u n g so aus: "The p l a n n i n g stage u s u a l l y r e q u i r e s a b o u t 30 p e r c e n t of the entire d u r a t i o n of a c o m m e r c i a l project, the w r i t i n g stage at least 50 percent, and the producing stage the r e m a i n d e r . " Zur P l a n u n g eines W ö r t e r b u c h s g e h ö r t für ihn - i n s b e sondere, w e n n es u n t e r k o m m e r z i e l l e n G e s i c h t s p u n k t e n p r o j e k tiert w i r d - an e r s t e r Stelle eine E i n s c h ä t z u n g des M a r k t e s für ein n e u e s W ö r t e r b u c h . G i b t es I n t e r e s s e n t e n , p o t e n t i e l l e Kaufer, B e n u t z e r ? In a u s r e i c h e n d e r Zahl? Wie sind im H i n b l i c k auf Typ, Inhalt, Format, S t i c h w o r t a n z a h l seine C h a n c e n g e g e n über m ö g l i c h e r w e i s e v o r h a n d e n e r K o n k u r r e n z ? D i e s e F r a g e n sind v o r a b zu b e a n t w o r t e n , n i c h t zuletzt um d e n f i n a n z i e l l e n R a h m e n a b s t e c k e n zu können, in d e m s i c h die K o s t e n für die P r o duktion bewegen werden. Sind d a n a c h (1) Inhalt, Typ, Format, S t i c h w o r t a n z a h l des g e p l a n t e n W ö r t e r b u c h s , die A n z a h l u n d A r t der H i t a r b e i t e r (verl a g s e i g e n e u n d / o d e r freie) u n d der bzw. die H e r a u s g e b e r bestimmt, g i l t es, (2) die S t i c h w o r t l i s t e zu e r s t e l l e n u n d die Quellen, die M a t e r i a l b a s i s zur G e w i n n u n g von Erklärungen festzulegen. Dazu gehören in jedem Fall schon existierende W ö r t e r b ü c h e r , m ö g l i c h e r w e i s e auch " c o m p u t e r i z e d corpora" bzw. "citation files" (vgl. S. 279-284). Dem folgt (3) die E r s t e l l u n g eines Z e i t p l a n s - a u s g e w i e s e n in "editor-weeks" - u n d eines aus d e m z e i t l i c h e n Bedarf heraus b e g r ü n d e t e n K o s t e n v o r a n s c h l a g s . 1 "Scheduling of dictionaries is n o t o r i o u s l y inaccurate, m o s t d r a m a t i c a l l y in the p r e p a r a tion of s c h o l a r l y d i c t i o n a r i e s but also of c o m m e r c i a l ventures", vermerkt L A N D A U (1984, 229); und ZGUSTA (1971, 348) 1

L A N D A U (1984, 233) zeigt eine "Editorial E x p e n s e Chart", ein F o r m u l a r , das Z e i t - u n d K o s t e n a u f w a n d für folgende L e i s t u n g e n e i n z u t r a g e n sind: P r e l i m i n a r y (style book, w o r d list, C o n s u l t a n t s ) , p r e p a r a t i o n of m a n u s c r i p t (first d e f i n i n g , special assignments, contributing editors/nonstaff, review), artwork, editorial p r e p a r a t i o n of art (selection, r e s e a r c h , c o o r d i n a t i o n ) , c o m p o s i t i o n (proof 1st gals., proof 2nd gals., proof pages, other), supervision. Es folgt am Schluß eine Spalte, in w e l c h e die aus d e n v o r h e r g e h e n d e n B e r e c h n u n g e n r e s u l t i e r e n d e G e s a m t l a u f z e i t u n d die s i c h e n d l i c h d a r a u s ergeb e n d e n G e s a m t k o s t e n e i n z u t r a g e n sind.

136 g i b t zu P r o t o k o l l : "I c e r t a i n l y do not know all l e x i c o g r a p h i c projects past and present; but of those I know n o t a single one w a s f i n i s h e d in the time and for the m o n e y originally p l a n n e d . " Der G r u n d h i e r f ü r ist m e i s t e n s der, daß auf der e i n e n Seite die G e l d g e b e r auf eine m ö g l i c h s t knappe K a l k u l a t i o n v o n Z e i t u n d K o s t e n drängen, w ä h r e n d auf der a n d e r e n Seite solche Pläne n o t w e n d i g immer eine Reihe v o n F a k t o r e n e n t h a l ten, die n i c h t im e i n z e l n e n v o r a u s g e s e h e n oder exakt b e r e c h n e t w e r d e n können. D a m i t ist (4) der Z e i t p u n k t g e k o m m e n , die M i t a r b e i t e r a u s z u wählen, (5) die S t i c h w o r t l i s t e f e s t z u l e g e n u n d (6) das style manual zu e r a r b e i t e n . E i n w i c h t i g e r Punkt, der vor B e g i n n der eigentlichen E r a r b e i t u n g des W ö r t e r b u c h s g e k l ä r t sein muß, ist (7) die B e s t i m m u n g d e r m i t t l e r e n Länge eines Wörterbuchartikels, die s i c h aus d e m v o r g e s e h e n S e i t e n - bzw. S p a l t e n u m fang, der A n z a h l der zu b u c h e n d e n S t i c h w ö r t e r u n d d e m U m s t a n d ergibt, daß ein bestimmter Prozentsatz aller Stichwörter H a u p t s t i c h w ö r t e r (Hauptlemmata, m a i n entries) sind. LANDAU (1984, 249) s t e l l t fest, daß "in college d i c t i o n a r i e s b e t w e e n 44 a n d 48 p e r c e n t of the total entries are m a i n e n t r i e s " . Die zweite Phase ist das E r a r b e i t e n des W ö r t e r b u c h s ("writing the d i c t i o n a r y " ) . H i e r z u g e h ö r t n a c h L A N D A U (1984, 252-261) (1) die V e r t e i l u n g der A u f g a b e n u n t e r die M i t a r b e i ter u n d (2) die A r b e i t des V e r f a s s e n s der e i n z e l n e n Wörterb u c h a r t i k e l ("defining"). "In a g e n e r a l m o n o l i n g u a l d i c t i o n a ry, d e f i n i n g always r e q u i r e s at least two stages: p r e l i m i n a r y or 'first-run' d e f i n i n g , a n d r e v i e w or final editing" (LANDAU 1984, 255). Dazwischen liegen weitere Korrekturlesungen; jede v o n jeweils a n d e r e n P e r s o n e n d u r c h g e f ü h r t . Hinzu kommen (3) eventuell v o r g e s e h e n e Listen, Tabellen, Illustrationen, das V o r w o r t u n d die H i n w e i s e zur B e n u t z u n g . Die d r i t t e Phase b i l d e t d i e P r o d u k t i o n ("producing the d i c t i o n a r y " ) . Bevor das W ö r t e r b u c h in D r u c k geht, ist (1) das M a n u s k r i p t - soweit n i c h t s c h o n bei d e r E r a r b e i t u n g geschehen - auszuzeichnen, d i e äußere u n d an e r s t e r Stelle die typographische Gestaltung auszuarbeiten. Inzwischen wird dabei n a c h M ö g l i c h k e i t die Hilfe v o n C o m p u t e r n in A n s p r u c h genommen. S o b a l d sie v o r l i e g e n , sind (2) K o r r e k t u r f a h n e n d u r c h zusehen, auch d e r e n jeweils zweite, w o m ö g l i c h auch dritte Version. Die E n d r e d a k t i o n w i r d in aller R e g e l d u r c h d e n oder die v e r a n t w o r t l i c h e n H e r a u s g e b e r b e s o r g t . "The final stage of any book is its m a n u f a c t u r e , c o m m o n l y r e f e r r e d to as paper, p r i n t i n g , a n d b i n d i n g . " (LANDAU 1984, 265) L A N D A U (1984) s c h l i e ß t das K a p i t e l "Dictionary M a k i n g " ab m i t Überlegungen zu d e n n o t w e n d i g e n V o r a r b e i t e n für eine revidierte Fassung, die b e g o n n e n w e r d e n sollten, n o c h ehe das b e t r e f f e n d e W ö r t e r b u c h e r s c h i e n e n ist, u n d fügt dem e n d l i c h e i nige B e m e r k u n g e n an, die die m ö g l i c h e H e r a u s g a b e gekürzter Fassungen von schon publizierten großen Wörterbüchern betreffen.

1 37 Eine A r b e i t , die v e r s u c h t , d e s k r i p t i v "den Prozeß der E r a r beitung von alphabetisch geordneten Nachschlagewerken und deren Wesenszüge darzustellen", b i e t e t das v o n RIEDEL/WILLE Biblio(1979) v e r f a ß t e B e i h e f t 91 zum Z e n t r a l b l a t t für das thekswesen mit dem Titel "Ober die E r a r b e i t u n g v o n L e x i k a G r u n d s ä t z e u n d K r i t e r i e n " (Leipzig: V E B B i b l i o g r a p h i s c h e s Ins t i t u t 1979, 5). Auf i n s g e s a m t 214 S e i t e n w e r d e n "die h a u p t s ä c h l i c h e n A r b e i t s s t u f e n [...] soweit als m ö g l i c h in d e r R e i h e n f o l g e ihrer D u r c h f ü h r u n g b e h a n d e l t " , wie es in der E i n l e i tung w e i t e r h e i ß t . "Mit der K o n z e p t i o n b e g i n n e n d , w e i t e r über die Erarbeitung der Stichwortlisten, die A r t e n u n d d e n Inhalt der Artikel f o l g e n A u s s a g e n über l e x i k o g r a p h i s c h e H i l f s m i t t e l (Verweisungen, R e g i s t e r , L i t e r a t u r a n g a b e n ) . Es s c h l i e ß e n sich B e t r a c h tungen zur ä u ß e r e n u n d t y p o g r a p h i s c h e n G e s t a l t u n g sowie zur Aktualisierung v o n N a c h s c h l a g e w e r k e n vor u n d n a c h ihrem Ers c h e i n e n an." R I E D E L / W I L L E (1979, 5) v e r s t e h e n ihre aus einer D i s s e r t a t i o n hervorgegangene A r b e i t als B e i t r a g für die Erarbeitung von einheitlichen Richtlinien, "zur D u r c h s e t z u n g einheitlicher l e x i k o g r a p h i s c h e r G r u n d s ä t z e in der DDR". A n a l y s i e r t u n d a u s g e w e r t e t w u r d e n (a) " A r b e i t s m a t e r i a l i e n aus der p r a k t i s c h e n l e x i k o g r a p h i s c h e n A r b e i t der V e r l a g e d e r DDR sowie d e r L i t e r a t u r a r b e i t s g e m e i n s c h a f t (LAG) L e x i k a u n d N a c h s c h l a g e w e r k e " , (b) V o r w o r t e v o n N a c h s c h l a g e w e r k e n , (c) R e z e n s i o n e n ü b e r N a c h s c h l a g e w e r k e u n d n i c h t z u l e t z t (d) 45 Nachs c h l a g e w e r k e selbst. Der A n a l y s e lagen folgende K r i t e r i e n zugrunde: Titel; H e r a u s g e b e r ; M i t a r b e i t e r der H e r a u s g e b e r / w i s senschaftliche Redaktion; Autoren; Bandzahl u n d Format; U m fang (Seiten, D r u c k b o g e n ) ; A n z a h l der A r t i k e l (einschließlich Verweisungsartikel); Verweisungsartikel; Verweisungen im Text; A b b i l d u n g e n , Karten, T a f e l n u.a.; L i t e r a t u r a n g a b e n ; R e gister; Benutzungshinweise; Autorenverzeichnis; Signierung der A r t i k e l ; A b k ü r z u n g e n im Text; Stichwortwiedergabe im Text; A r t der a l p h a b e t i s c h e n O r d n u n g ; Form d e r S t i c h w ö r t e r ; lebende K o l u m n e n t i t e l , S a t z s p i e g e l , f r e m d s p r a c h i g e Ä q u i v a l e n te der S t i c h w ö r t e r ; B e s o n d e r h e i t e n (etwa: A u f l a g e n h ö h e , O b e r s e t z u n g e n ins D e u t s c h e , zusätzliche Verzeichnisse, Quellenn a c h w e i s e , S c h r i f t g r a d ) . (Vgl. R I E D E L / W I L L E 1979, 159-164) E i n b e s o n d e r e s Problem, auf das die V e r f a s s e r bei i h r e n Unt e r s u c h u n g e n stießen, war d a s der u n e i n h e i t l i c h verwendeten Terminologie. Sie h a b e n s i c h in ihrer D a r s t e l l u n g d a r u m bemüht, "die ihrer M e i n u n g n a c h z u t r e f f e n d e n F a c h a u s d r ü c k e zu verwenden", u n d v e r f o l g e n d a m i t g l e i c h z e i t i g das Ziel, "die V e r e i n h e i t l i c h u n g der F a c h t e r m i n i ein w e n i g zu steuern", wie sie in d e r E i n l e i t u n g v e r s i c h e r n . Bevor ich aus d e n A u s f ü h r u n g e n v o n R I E D E L / W I L L E z u s a m m e n s t e l le, was für u n s e r e F r a g e s t e l l u n g v o n R e l e v a n z ist, sind zwei Anmerkungen vonnöten. Die erste A n m e r k u n g b e t r i f f t d e n Um-

138 stand, daß die A u s f ü h r u n g e n (alphabetisch geordneten) Sachw ö r t e r b ü c h e r n gelten. D i e s fällt nur u n m e r k l i c h ins Gewicht, da sich die A r b e i t s s c h r i t t e bei der E r a r b e i t u n g v o n Sprachwörterbüchern in i n h a l t l i c h e r H i n s i c h t zwar erheblich, in formaler H i n s i c h t aber nur u n w e s e n t l i c h unterscheiden. Die zweite A n m e r k u n g , die ich v o r w e g s c h i c k e n möchte, b e t r i f f t d e n v o n d e n A u t o r e n b e k u n d e t e n W i l l e n zur Vereinheitlichung. Stimmigkeit bestimmter Merkmale der Makro- und Mikrostruktur der A r t i k e l eines e i n z e l n e n W ö r t e r b u c h s sind K e n n z e i c h e n s e i ner Q u a l i t ä t . Ob u n d in w e l c h e m M a ß E i n h e i t l i c h k e i t v o n W ö r t e r b ü c h e r n und ihrer B e s t a n d t e i l e i n s g e s a m t w ü n s c h e n s w e r t ist, muß u n d soll W ä h r e n d eine g e w i s s e Einheithier n i c h t d i s k u t i e r t w e r d e n . l i c h k e i t der G e s t a l t u n g (wie sie etwa d u r c h die " I n t e r n a t i o nal O r g a n i z a t i o n for S t a n d a r d i z a t i o n ISO" z.B. für die VerWörterwendung von bestimmten Symbolen und den Aufbau von buchartikeln in F a c h w ö r t e r b ü c h e r n vereinbart wurden)2 wüns c h e n s w e r t erscheint, k a n n eine E i n h e i t l i c h k e i t , die zu formal u n d inhaltlich stereotypen Wörterbüchern führen würde, naturgemäß niemand wollen. A u c h für R I E D E L / W I L L E (1979, 21) steht am B e g i n n eines Wört e r b u c h p r o j e k t s eine K o n z e p t i o n . U n t e r einer K o n zeption wird von i h n e n "ein zu d e n G r u n d f r a g e n - Z i e l s t e l lung, Umfang, P r o p o r t i o n e n , G e s t a l t u n g s p r i n z i p i e n - u n d zum Ablauf s e i n e r F e r t i g u n g S t e l l u n g b e z i e h e n d e s , v o n d e n H e r a u s gebern und/oder den Verlagsredaktionen erarbeitetes Material verstanden, das als G r u n d l a g e für d e n V e r t r a g s a b s c h l u ß mit d e n H e r a u s g e b e r n (falls diese vorhanden) u n d d a m i t d i e s e n u n d d e n e i n z u b e z i e h e n d e n V e r l a g s m i t a r b e i t e r n als A r b e i t s g r u n d l a g e dient, das aber, ggf. a u s z u g s w e i s e , auch d e n b e t e i l i g t e n A u toren als G r u n d o r i e n t i e r u n g z u g e h e n kann". Einer a u s g e a r b e i t e t e n K o n z e p t i o n s b e s c h r e i b u n g g e h t h ä u f i g e i ne Reihe v o n V o r ü b e r l e g u n g e n voraus, die in e i n e m E x p o s é n i e dergelegt sein k ö n n e n u n d die d a z u dienen, d a r ü b e r zu entscheiden, ob das W e r k ü b e r h a u p t in A n g r i f f g e n o m m e n werden soll. In die V o r ü b e r l e g u n g e n e i n g e h e n s o l l t e n A u s k ü n f t e über: die geplanten p o t e n t i e l l e n B e n u t z e r u n d d e n m ö g l i c h e n A b s a t z des Wörterbuchs; den fachlichen, k u l t u r p o l i t i s c h e n usw. N u t z e n ; den Neuigkeitsgrad, d.h. d e n G r a d der q u a l i t a t i v e n u n d q u a n 2

Vgl. ISO-Norm 1951-1973 " L e x i c o g r a p h i c a l symbols particularly for use in c l a s s i f i e d d e f i n i n g v o c a b u l a r i e s " und die e n t s p r e c h e n d e N o r m D I N 2333 " L e x i k o g r a p h i s c h e Z e i c h e n für m a nuell e r s t e l l t e F a c h w ö r t e r b ü c h e r " ; die E m p f e h l u n g ISO/R 9191969 "Guide for the p r e p a r a t i o n of c l a s s i f i e d v o c a b u l a r i e s " u n d die e n t s p r e c h e n d e N o r m D I N 2333 " F a c h w ö r t e r b ü c h e r . S t u f e n der A u s a r b e i t u n g " ; ISO/R 1149-1970 "Layout of multilingual classified vocabularies".

139 t i t a t i v e n Spezifik (gegenüber v e r g l e i c h b a r e n , b e r e i t s v o r h a n d e n e n W e r k e n ) ; die S t i c h w o r t a n z a h l u n d d e n U m f a n g der e i n z e l nen Artikel; die A r t der A r t i k e l (Einzelartikel, O b e r s i c h t s artikel) ; das v o r g e s e h e n e F o r m a t (einbändig oder m e h r b ä n d i g ) ; d e n Z e i t p l a n für die E r a r b e i t u n g . N a c h M ö g l i c h k e i t sollte - so m e i n e n R I E D E L / W I L L E (1979, 25) das S t i c h w o r t v e r z e i c h n i s s c h o n vor der A u s a r b e i t u n g der endg ü l t i g e n K o n z e p t i o n w e n i g s t e n s "als E n t w u r f s f a s s u n g " vorliegen. Das e n d g ü l t i g e K o n z e p t i o n s p a p i e r , d e s s e n E r a r b e i t u n g ein w e s e n t l i c h e r B e s t a n d t e i l der auf die A n f e r t i g u n g eines Wörterbuchs a u s g e r i c h t e t e n l e x i k o g r a p h i s c h e n Praxis ist, b e s t e h t in der Regel aus f o l g e n d e n T e i l e n (RIEDEL/WILLE 1979, 26-31): K o n z e p t i o n 1. I n h a l t l i c h - w i s s e n s c h a f t l i c h e K o n z e p t i o n (Funktion, Zweck, Z i e l s t e l l u n g e n des W e r k e s ) ; 2. U m f a n g s k o n z e p t i o n ; 3. T e x t k o n z e p t i o n (einschließlich d e r A r t i k e l k o n zeption) ; 4. B i l d k o n z e p t i o n (falls I l l u s t r a t i o n e n vorgeseh e n sind); 5. O r g a n i s a t o r i s c h - t e c h n i s c h e K o n z e p t i o n . 3 Von (1) d e r i n h a l t l i c h - w i s s e n s c h a f t l i c h e Konzeption werden A u s k ü n f t e e r w a r t e t über (a) die a l l g e m e i n e Z i e l s e t z u n g , (b) den ins A u g e g e f a ß t e n Benutzerkreis, (c) das sich aus der allgemeinen Z i e l s e t z u n g u n d d e m ins A u g e gefaßten Benutzerkreis e r g e b e n d e N i v e a u der D a r s t e l l u n g (wozu auch die V e r w e n dung von Fachterminologie gehört), (d) b e s o n d e r e Z i e l s e t z u n gen, (e) A r t u n d N o t w e n d i g k e i t der A u f n a h m e v o n A b b i l d u n g e n , T a b e l l e n , R e g i s t e r n usw. A u s (2) d e r U m f a n g s k o n z e p t i o n soll jeweils b e g r ü n d e t hervorgehen, (a) w e l c h e n U m f a n g das W e r k i n s g e s a m t u n d seine einzelnen Teile (Vorspann, W ö r t e r v e r z e i c h n i s , Nachspann) haben s o l l e n (angegeben in Zahl der Bogen, Spalten, Zeilen), (b) A n z a h l der S t i c h w ö r t e r (wenn s c h o n e r a r b e i t e t , k a n n die v o r (mittleläufige Liste der S t i c h w ö r t e r b e i g e f ü g t sein), (c) rer) U m f a n g der W ö r t e r b u c h a r t i k e l . In (3) der T e x t k o n z e p t i o n ist d a r z u l e g e n , (a) w e l c h e A r t i k e l arten in w e l c h e r V e r t e i l u n g v o r g e s e h e n sind (Einzelartikel, Obersichtsartikel, Verweisartikel), (b) auf w e l c h e A r t i k e l s o n d e r f o r m e n (Personenartikel, L ä n d e r a r t i k e l usw.) aus welchen G r ü n d e n v e r z i c h t e t wird, (c) wie das Verweisungssystem a u s s e h e n soll, (d) w e l c h e A r t v o n T r a n s k r i p t i o n oder T r a n s l i t e r a t i o n ins Auge g e f a ß t ist. Als b e s o n d e r e r Punkt v e r l a n g t 3

U n t e r s c h l a g e n habe ich die in d i e s e r Z u s a m m e n s t e l l u n g noch aufgeführte "Kartenkonzeption".

auch

1 40

(e) die v o r g e s e h e n e s p r a c h l i c h e G e s t a l t u n g d e t a i l l i e r t e führungen.

Aus-

Ins einzelne g e h e n d e E r l ä u t e r u n g e n zu der A r t i k e l s t r u k t u r , zu d e n in A r t i k e l n v e r s c h i e d e n e n T y p s e n t h a l t e n e n I n f o r m a t i o n e n , d e r e n A n o r d n u n g u n d e v e n t u e l l e C o d i e r u n g sowie zur H a n d h a b u n g der V e r w e i s u n g e n sollte n a c h A u f f a s s u n g von RIEDEL/WILLE (1979, 28) in die A r b e i t s r i c h t l i n i e n eingehen, die für sie zur o r g a n i s a t o r i s c h - t e c h n i s c h e n K o n z e p t i o n g e h ö r e n . Für (4) die B i l d k o n z e p t i o n g i l t sinngemäß d a s s e l b e , w a s zur T e x t k o n z e p t i o n g e s a g t w u r d e .

schon

Bleibt (5) die organisatorisch-technische Konzeption. Sie enthält als w e s e n t l i c h e n B e s t a n d t e i l (a) d e n A b l a u f p l a n der Erarbeitung, der die e i n z e l n e n S t u f e n d e r F e r t i g s t e l l u n g , die A r b e i t s a n t e i l e aller M i t a r b e i t e r u n d die w i c h t i g s t e n Termine festlegt. Bei g r ö ß e r e n U n t e r n e h m u n g e n e m p f i e h l t es sich, d e n A b l a u f p l a n in F o r m eines N e t z w e r k p l a n e s zu e n t w e r f e n . Hinzu k o m m e n (b) A r b e i t s r i c h t l i n i e n für die A u t o r e n , in d e n e n vor a l l e m d a r z u l e g e n u n d a n h a n d v o n B e i s p i e l e n zu demonstrieren ist, wie die W ö r t e r b u c h a r t i k e l formal, i n h a l t l i c h u n d s p r a c h lich zu g e s t a l t e n u n d wie vor allem auch Verweisungen zu h a n d h a b e n sind. 4 N i c h t zuletzt w i r d hier g e r e g e l t , w e l c h e Form die e n d l i c h a b z u l i e f e r n d e n M a n u s k r i p t e h a b e n sollen. Ist die K o n z e p t i o n a u s g e a r b e i t e t , steht die k o n k r e t e E r a r b e i tung an. Ohne daß R I E D E L / W I L L E (1979, 32-135) d i e s a u s d r ü c k lich sagen, b e t r e f f e n die H a u p t t e i l e ihrer A u s f ü h r u n g e n die Phase der E r a r b e i t u n g . D a b e i u n t e r s c h e i d e n sie die f o l g e n d e n Schwerpunkte. E r a r b e i t u n g 1. Z u s a m m e n s t e l l u n g , E r g ä n z u n g bzw. R e d u k t i o n u n d Verabschiedung der Stichwortliste; Bestimmung des Prinzips ihrer A n o r d n u n g ; 2. Z u s a m m e n s t e l l u n g d e r M a t e r i a l b a s i s für die E r a r b e i t u n g der e i n z e l n e n A r t i k e l ; 3. A u s a r b e i t u n g der W ö r t e r b u c h a r t i k e l ; 4. A u s w a h l u n d (falls notwendig) E r a r b e i t u n g von Illustrationen, Tabellen und sonstigen Beigaben; 5. E r s t e l l u n g bzw. Kontrolle der l e x i k o g r a p h i schen Hilfsmittel; 6. V e r f a s s e n der B e n u t z u n g s a n l e i t u n g (u.a. auch die Erläuterung des lexikographischen Apparats, d.h. der bei der E r a r b e i t u n g a n g e w a n d t e n Regeln und Arbeitsmethoden); 7. L a u f e n d e K o r r e k t u r e n u n d A k t u a l i s i e r u n g e n ; 8. E n d r e d a k t i o n . « Hierauf g e h e n R I E D E L / W I L L E (1979, 86-93; 98-104; an anderer Stelle g e s o n d e r t ein.

110-114)

1 41 Besonderen Wert legen R I E D E L / W I L L E (1979, 109-135) auf die D a r s t e l l u n g der v o n ihnen so b e z e i c h n e t e n "lexikographischen H i l f s m i t t e l " . D a r u n t e r v e r s t e h e n sie alle M i t t e l , die der E r s c h l i e ß u n g u n d H a n d h a b u n g eines N a c h s c h l a g e w e r k s d i e n e n . "Die Zugriffszeit zu einer g e s u c h t e n I n f o r m a t i o n w i r d n i c h t nur vom i n h a l t l i c h e n Faktor, d e m V e r s t e h e n der g e f u n d e n e n I n f o r mation, b e s t i m m t , s o n d e r n zu d e n w e s e n t l i c h e n K r i t e r i e n sind auch die A r t u n d W e i s e der A u f f i n d u n g , die Suchwege zu zählen." (S. 109) E i n f l u ß auf die Z u g r i f f s z e i t haben: der T i t e l des W e r k e s ; die A n l e i t u n g zu seiner B e n u t z u n g ; die K o l u m n e n t i t e l , die A r t der Alphabetisierung (bzw. d e r Systematik der A n o r d n u n g der Stichwörter), die A u s z e i c h n u n g der S t i c h w ö r t e r u n d ihre B e die S t r u k t u r i e r u n g der e i n nennung, das Verweisungssystem; zelnen Artikel (Gliederung, Absatzgestaltung, Auszeichnungen) . Die letzte Phase im Prozeß d e r E n t s t e h u n g eines Wörterbuchs ist seine D r u c k l e g u n g . Zuvor sind n o c h einige E n t s c h e i d u n g e n zu treffen, die n i c h t z u l e t z t d e s h a l b auch v o n l e x i k o g r a p h i schem I n t e r e s s e sind, weil sie E i n f l u ß auf die Gebrauchseig e n s c h a f t e n eines N a c h s c h l a g e w e r k s h a b e n . D r u c k v o r b e r e i t u n g 1. F e s t l e g u n g der ä u ß e r e n G e s t a l t u n g (Format, B a n d zahl, Einband, Papier), die a u s s c h l a g g e b e n d vor a l l e m für die H a n d l i c h k e i t des j e w e i l i g e n W e r k e s ist; 2. B e s t i m m u n g d e r t y p o g r a p h i s c h e n G e s t a l t u n g (u.a. Satzspiegel, Schriftarten, Schriftgrößen), wobei die l e i t e n d e n P r i n z i p i e n sein sollten: K l a r heit, E i n f a c h h e i t , Ü b e r s i c h t l i c h k e i t , L e s e r l i c h keit. Die W ö r t e r b u c h k r i t i k ist e i n eigener Zweig der Wörterbuchforschung. Sie h a t b e a c h t e n s w e r t e L e i s t u n g e n v o r z u w e i s e n , wie etwa d i e n e u e r e n W ö r t e r b ü c h e r n g e l t e n d e n B e i t r ä g e von WIEG A N D / K U Î E R A (1981 u n d 1982: zu B R O C K H A U S - W A H R I G ) u n d B E R G E N H O L T Z / M U G D A N (1986: zu DUDEN-DUW) zeigen. D o c h auf d i e s e K r i t i k e n t r i f f t zu, w a s H. K U N Z E (in: G e s t a l t u n g s f r a g e n w i s s e n s c h a f t l i c h e r L i t e r a t u r . In: H. KUNZE: Alles über das Buch. L e i p z i g 1974, 216) b e k l a g t : "Es ist eine T a t sache, daß wir, i n t e r n a t i o n a l gesehen, eine m e h r oder w e n i g e r g u t e n t w i c k e l t e L i t e r a t u r k r i t i k a u f z u w e i s e n haben, aber keine ebenso s y s t e m a t i s c h v o r g e h e n d e G e s t a l t u n g s k r i t i k . Es ist d e n Interessen u n d dem B e l i e b e n d e r R e z e n s e n t e n überlassen, am GestaltungsefRande oder gar n i c h t auf A u s s a g e k r a f t u n d d e n fekt w i s s e n s c h a f t l i c h e r L i t e r a t u r einzugehen. Leider läßt sich feststellen, daß bei F a c h w i s s e n s c h a f t l e r n des öfteren ein k u r z s i c h t i g e s D e s i n t e r e s s e an d i e s e n F r a g e n b e s t e h t . "

1 42

Mit dem E r s c h e i n e n eines W ö r t e r b u c h s ist die A r b e i t an ihm n i c h t a b g e s c h l o s s e n . W ö r t e r b ü c h e r e n t h a l t e n w i e andere B ü c h e r auch Fehler der v e r s c h i e d e n s t e n Art, die v o n d e n Autoren selbst, v o n R e z e n s e n t e n u n d auch a n d e r e n B e n u t z e r n entdeckt w e r d e n . Zudem v e r ä n d e r t s i c h der W o r t s c h a t z m i t d e r Zeit. D e m tragen die V e r l a g e R e c h n u n g , indem sie d a r ü b e r B u c h führen u n d z.B. n a c h e i n i g e r Zeit d e r ersten Auflage einen durchgesehenen N a c h d r u c k oder auch eine revidierte Fassung f o l g e n lassen. Supplementbände herauszubringen, ist (bisher jedenfalls) nur bei g r ö ß e r e n S a c h w ö r t e r b ü c h e r n üblich. Eine neue M ö g l i c h k e i t , über die zur Zeit intensiv nachgedacht wird, sind N e o l o g i s m e n w ö r t e r b ü c h e r (vgl. H E R B E R G 1988). Eine neue Technik nutzend, b i e t e t das B i b l i o g r a p h i s c h e Institut über B i l d s c h i r m t e x t (BTX) "Duden - N e u e W ö r t e r " an. N a c h g e r a u m e r Zeit k a n n es s c h l i e ß l i c h die M e n g e der als n o t wendig angesehenen Korrekturen, Änderungen, Ergänzungen erfordern, eine v ö l l i g n e u b e a r b e i t e t e V e r s i o n ins A u g e zu f a s sen, für die o b e n d r e i n n o c h n e u e Konzepte der lexikalischen Beschreibung berücksichtigenswert erscheinen. 8.4 K o s t e n der

Lexikographie

Zum Schluß d i e s e s K a p i t e l s soll n o c h einmal an s e i n e n Beginn erinnert werden. Das H e r s t e l l e n eines W ö r t e r b u c h s ist eine komplexe u n d k o m p l i z i e r t e , d a z u eine m ü h e v o l l e u n d auch k o s t spielige A n g e l e g e n h e i t . Ober die A u s b i l d u n g jener, die als nachzudenL e x i k o g r a p h e n tätig sind, b e g i n n t m a n g e r a d e erst ken. (vgl. H A U S M A N N 1986b) "Most users b e l i e v e that the l e x i c o g r a p h e r simply sits d o w n and 'writes' a d i c t i o n a r y . T h i s is far from the true!" (KIPFER 1984, 1) Es d ü r f t e d e u t l i c h g e w o r d e n sein, daß es d a m i t n i c h t getan ist. W e l c h e M ü h s a l das V e r f a s s e n eines W ö r t e r b u c h s b e r e i t e t , tun S t o ß s e u f z e r kund, m i t d e n e n einige L e x i k o g r a p h e n ihrem H e r z e n v e r n e h m b a r L u f t g e m a c h t haben. V o n J.J. SCALIGER (16./ 17.Jh.) sind uns l a t e i n i s c h e V e r s e ü b e r l i e f e r t , die STIELER in der V o r r e d e zu seinem W ö r t e r b u c h (1691) z i t i e r t u n d "zur Lust also v e r t e u t s c h e t " : W e n s t r e n g e n R i c h t e r s S p r u c h zur l a n g e n Q v a l v e r t e i l t / sein L e b e n k ü m m e r l i c h m i t A c h u n d W e h zurädern: Dem darf k e i n Z u c h t h a u s n i c h t der K r ä f t e M a r k entädern; n i c h t S c h ü r f e n / S t e i n s c h n i t t n i c h t / u n d / w e n n er E i s e n feilt. M a n laß' ein W ö r t e r b u c h nur d e n V e r d a m t e n schreiben. Dies' A n g s t w i r d wol der Kern v o n a l l e n M a r t e r n b l e i b e n . GLEASON, ein Zeuge aus jüngster Zeit, erklärt: "Dictionary m a k i n g is tedious in the extreme. It is e x a c t i n g . It is an i n c r e d i b l y large job." (zitiert n a c h ZGUSTA 1971, 15).

143 SAMUEL JOHNSON, u m e i n e n w e i t e r e n L e x i k o g r a p h e n früherer Z e i ten zu zitieren, n o t i e r t im V o r w o r t seines 1755 e r s c h i e n e n e n Wörterbuchs "A New U n i v e r s a l English Dictionary": "Every other a u t h o u r m a y aspire to praise; the l e x i c o g r a p h e r c a n o n ly hope to escape r e p r o a c h , and even this n e g a t i v e r e c o m p e n s e has b e e n g r a n t e d to very few." Sein W ö r t e r b u c h trug ihm m a n c h e Kritik u n d später auch beträchtlichen R u h m ein, aber "it d i d n o t make money", wie "Dollars and DictionaSLEED (1972, 120) in s e i n e m A u f s a t z ries" b e m e r k t . Obwohl d i e s e s T h e m a jeden b e s c h ä f t i g e n muß, der ein Wörterbuch schreibt, herstellt, verlegt, w i r d h i e r z u l a n d e nur selten publik, daß das W ö r t e r b u c h - G e s c h ä f t auch G e l d kostet, b i s w e i l e n ein, aber n i c h t immer auch e i n e n V e r d i e n s t b e d e u t e t O f f e n a u s g e s p r o c h e n hatte d i e s n o c h M A T T H I A S K R A M E R im "Hochnöthigen Vor-Bericht" zu s e i n e m "Herrlich G r o s s e n T e u t s c h I t a l i ä n i s c h e n D i c t i o n a r i u m " (2. Aufl. 1724): "Verwundere d i c h e n d l i c h a u c h über m e i n e g r o s s e Gedult, indem ich, der ich w e d e r R e n t e n n o c h Einkommen, u n d an statt einer e i n t r ä g l i c h e n Charge e i n rechte Charge (Last) das ist, ein austrägliches H a u ß h a l t e n , u n d so fort m i t d e m l i e b e n A r m u t zu k ä m p f e n habe, d i e s e s a r b e i t s e l i g e Werck, G O T T zu Lob u n d Ehren, und meinem N e c h s t e n zum besten, ohne einiges M e n s c h e n H ü l l f e oder H a n d bietung, n i c h t allein, wie es da vor Augen, sondern auch, (welches bey w e i t e n schwerer) m i t der zierlich Toscanischoder R o m a n i s c h - l t a l i ä n i s c h e r S p r a c h v e r g e s e l l e t , ans Licht g e b r a c h t habe." (Nürnberg, d e n 4. A p r i l 1724) N i c h t o h n e B i t t e r k e i t b e k l a g t e er schon früher, daß ihm k e i nerlei U n t e r s t ü t z u n g zuteil w e r d e u n d seine l e x i k o g r a p h i s c h e n A r b e i t e n n i c h t ausreichten, den notwendigen Lebensunterhalt zu b e s t r e i t e n . So h ä t t e er, wie er in der V o r r e d e zum e r s t e n B a n d s e i n e s W ö r t e r b u c h s "Das neue D i c t i o n a r i u m oder W o r t - B u c h in I t a l i ä n i s c h - T e u t s c h e r u n d T e u t s c h - I t a l i ä n i s c h e r Sprach" (1676) schreibt, "gern g e s e h e n , daß e t w a n ein gantzes C o l l e g i u m v o n G e l e h r t e n (wie e h e d e s s e n die A c a d e m i c i d e l l a Crusca, die I n t r o n a t i di Siena waren) [...] diese b l u t s a u r e F r o h n a r b e i t [...] auf sich g e n o m m e n [...] h ä t t e n " . Nachdrücklich forderte KRAMER, auch in D e u t s c h l a n d Wörterb u c h - U n t e r n e h m u n g e n ö f f e n t l i c h zu u n t e r s t ü t z e n u n d d a f ü r Sorge zu tragen, daß d i e j e n i g e n , die diese "blutsaure F r o h n a r b e i t " auf sich nehmen, h i n r e i c h e n d v e r s o r g t sind. "Wie w ä r e es dann, w a n n i r g e n d ein C h r i s t l i c h e r u n d G e m e i n b e s t e s - s u c h e n d e r a l l e r g n ä d i g s t e r P o t e n t a t mir auch etwa eine hinlängliche Ehren-Pension anzuschaffen sich allergnädigst g e f a l l e n liesse, d a m i t ich m i t w ü r c k l i c h e r I n f o r m a t i o n der dummen Jugend unbemühsäliget, auch ein so v o l l k o m m e n [...] D i c t i o n a r i u m [...] e l a b o r i e r e n könte [...]. O wie w i r d d o c h sonst so m a n c h s c h ö n Stück G e l d e s so l i e d e r l i c h und F r u c h t -

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los a n g e w a n d t . " (Vorrede zur 1. A u f l a g e des n i s c h e n D i c t i o n a r i u m " v o n 1700/1702)

"Teutsch-Italiä-

A u c h n o c h m e h r als 100 Jahre später war es u m das ö f f e n t l i c h e I n t e r e s s e an l e x i k o g r a p h i s c h e n G r o ß u n t e r n e h m e n n i c h t wesentlich b e s s e r b e s t e l l t , wie der Klage JACOB G R I M M s zu e n t n e h m e n ist, die er 1838 in der Leipziger Allgemeinen Zeitung vortrug: " W ö r t e r b ü c h e r h a t m a n a u c h bei a n d e r n V ö l k e r n stets als w a h r e nationalunternehmungen a n g e s e h e n [...]. was in d e n meisten ü b r i g e n l ä n d e r n lange s c h o n m i t g r o s z e m a u f w ä n d e v o n mittein unter d e m r e i c h e n schütze k ö n i g l i c h e r a k a d e m i e n zu stände g e k o m m e n ist, v e r s u c h e n in D e u t s c h l a n d u n b e g ü n s t i g t e p r i v a t g e lehrte unter d e r b l o s z e n b e i h ü l f e b e f r e u n d e t e r m i t a r b e i t e r . " (J. GRIMM: K l e i n e r e Schriften. Bd.8. G ü t e r s l o h 1890, 543) L A N D A U (1984, lOf), amerikanischer Lexikograph u n d im Auss p r e c h e n solcher W a h r h e i t e n n i c h t so z u r ü c k h a l t e n d wie seine e u r o p ä i s c h e n Kollegen, u n t e r s c h e i d e t W ö r t e r b ü c h e r auch in d e r Hinsicht, "how they are f i n a n c e d and in the e x p e c t a t i o n of profit. Scholarly d i c t i o n a r i e s [...] are o f t e n f i n a n c e d by government or f o u n d a t i o n g r a n t s in a d d i t i o n to university support, and are not d e s i g n e d p r i n c i p a l l y to make m o n e y for investors. Commercial d i c t i o n a r i e s [...] are supported by p r i v a t e i n v e s t o r s w h o e x p e c t to m a k e m o n e y by their sale". "Zeit u n d G e l d sind die F a k t o r e n , w e l c h e die K o m p i l a t i o n e i nes I d e a l w ö r t e r b u c h s v e r h i n d e r n " , m e i n t V O I G T (1981, 31); u n d SLEED (1972, 128) fügt e r g ä n z e n d hinzu: "No p u b l i s h e r , h o w ever, who w a n t s an i m m e d i a t e p r o f i t can a t t e m p t the k i n d of d i c t i o n a r y that w e n e e d today; [...] really u s e f u l things in l e x i c o g r a p h y c a n now be d o n e only by large, p e r m a n e n t staffs, o p e r a t i n g u n d e r the d i r e c t i o n of scholarly editors w i t h p l e n ty of m o n e y at their d i s p o s a l and under no p r e s s u r e to recover w h a t they spend. But p r o f i t is w h a t c o m m e r c i a l p u b l i s h i n g is all about." LANDAU (1984, 13) setzt d a g e g e n : "The i n d i g n a n t tone with which Sleed accuses b u s i n e s s m e n of d e n y i n g q u a l i t y to d i c t i o n a r i e s is m i s p l a c e d , for once a g a i n the case is o v e r s t a t e d . Businessmen do n o t tell the l e x i c o g r a p h e r w h a t s h o u l d go in his d i c t i o n a r y . [...] Y e s there are limits to his freedom, p a i n f u l ones that Sleed rightly d e p l o r e s ; b u t the p r o b l e m is not simply that p r o f i t s may d e c l i n e slightly if a particular item that e n h a n c e s q u a l i t y is i n c o r p o r a t e d . The p r o b l e m is that many i n n o v a t i o n s u r g e d by scholars m i g h t c o s t a company many m i l l i o n s of d o l l a r s in sales." So b e r e c h t i g t e i n solches A r g u m e n t im Einzelfall auch sein mag, es d i e n t e in der V e r g a n g e n h e i t n i c h t s e l t e n vor allem dazu, j e d w e d e n N e u e r u n g s v o r s c h l a g als u n b e r e c h t i g t e Kritik, als u t o p i s c h u n d aus Z e i t - u n d K o s t e n g r ü n d e n als n i c h t r e a l i sierbar z u r ü c k z u w e i s e n .

145 9.0 L e x i k o g r a p h i e in d e r T h e o r i e In d e n v o r a n g e h e n d e n K a p i t e l n w u r d e n v e r s c h i e d e n e (im w e s e n t lichen induktiv gewonnene) Zugänge zu dem eröffnet, was m a n eine T h e o r i e d e r L e x i k o g r a p h i e n e n n e n k ö n n t e : (1) d u r c h Betrachtung des S e l b s t v e r s t ä n d n i s s e s d e r e r , die Wörterbücher v e r f a s s e n , (2) d u r c h die U n t e r s u c h u n g v o n A u s s a g e n derer, die über W ö r t e r b ü c h e r schreiben, (3) d u r c h Ü b e r l e g u n g e n zur Historie der L e x i k o g r a p h i e , (4) d u r c h s y s t e m a t i s c h e Analysen v o n B e i t r ä g e n zur W ö r t e r b u c h f o r s c h u n g u n d (5) d u r c h d e n Versuch einer R e k o n s t r u k t i o n l e x i k o g r a p h i s c h e r Praxis. D a m i t s i n d wir an d e m P u n k t angelangt, an d e m es gilt, in e i nem v o r l ä u f i g e n R e s ü m m e k r i t i s c h die B e i t r ä g e zu würdigen, die b i s h e r zur B e g r ü n d u n g u n d K o n z e p t i o n einer Theorie der L e x i k o g r a p h i e v o r g e l e g t w o r d e n sind. 1.0 B e g r ü n d u n g einer T h e o r i e der

Lexikographie

In seiner A r b e i t "Die S p r a c h w i s s e n s c h a f t . Ihre A u f g a b e n , M e thoden u n d b i s h e r i g e n E r g e b n i s s e " s c h r e i b t G E O R G V O N DER G A B E L E N T Z (1901, 121): "Das W ö r t e r b u c h im g e w ö h n l i c h e n Sinne d i e n t d e m Zwecke des N a c h s c h l a g e n s u n d nur d i e s e m ; seine w i s s e n s c h a f t l i c h e n V o r z ü g e s i n d V o r z ü g e seiner e i n z e l n e n Theile, v i e l l e i c h t aller Theile, d . h . aller A r t i k e l , n i c h t aber des G a n z e n als einer Einheit. [...] Ist das W ö r t e r b u c h nur N a c h schlagebuch, so d i e n t es a l l e i n d e m Bequemlichkeitszwecke. D a n n h a t es in der W i s s e n s c h a f t ü b e r h a u p t keine Stätte, es sei d e n n d i e j e n i g e , die m a n im S t u d i e r z i m m e r dem Sopha g ö n n t . " N a c h d i e s e r z u n ä c h s t einmal e r n ü c h t e r n d e n E i n s c h ä t z u n g fährt er fort: "Nun aber g e h ö r t zu einer Sprache der S p r a c h s c h a t z n i c h t m i n d e r , als der Sprachbau, f o l g l i c h zur D a r s t e l l u n g e i ner Sprache das W ö r t e r b u c h n i c h t minder, als die G r a m m a t i k . W a r u m soll also die eine w i s s e n s c h a f t l i c h sein, u n d das a n d e re n i c h t ? " Zwei G r ü n d e s p r e c h e n n a c h G A B E L E N T Z (1901, 122f) für eine systematische Trennung von Grammatik und Wörterbuch: "Erstens: So innig in einer Sprache Stoff u n d F o r m e i n a n d e r d u r c h d r i n g e n mögen, so w e s e n t l i c h v e r s c h i e d e n sind d o c h Beider F u n c t i onen. [...] Zweitens: Die e i n z e l s p r a c h l i c h e G r a m m a t i k lehrt das Zulässige, m i t h i n das, was in jedem A u g e n b l i c k e t h a t s ä c h lich w e r d e n kann. Das W ö r t e r b u c h h i n g e g e n [...] darf u n d kann nur b e s a g e n , was w i r k l i c h T h a t s a c h e g e w o r d e n ist." U n d er b e schließt seine A u s f ü h r u n g e n zu d i e s e m Punkt m i t der Bemerkung: "Die w i s s e n s c h a f t l i c h e B e r e c h t i g u n g , ja N o t h w e n d i g k e i t des W ö r t e r b u c h e s ist, denke ich, h i e r m i t b e w i e s e n . D a m i t ist aber die A u f g a b e g e s t e l l t , für das W ö r t e r b u c h eine wissenschaftliche, d a s s h e i s s t o r g a n i s c h e i n h e i t l i c h e Form zu find e n ."

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Zu d e n f r ü h e s t e n A r b e i t e n , die sich m i t dem Problem einer T h e o r i e der L e x i k o g r a p h i e b e s c h ä f t i g e n , gehört diejenige von StERBA (1982), die e r s t m a l i g 1940 e r s c h i e n u n d m i t f o l g e n d e n W o r t e n b e g i n n t : "Obwohl die M e n s c h h e i t sehr früh a n g e f a n g e n hat, sich m i t der E r s t e l l u n g von Wörterbüchern verschiedener Typen zu b e s c h ä f t i g e n , e x i s t i e r t s c h e i n b a r bis heute noch keine a l l g e m e i n e l e x i k o g r a p h i s c h e T h e o r i e . " (äÖERBA 1982, 17) Bei d e n z e n t r a l e n Fragen, die es für äÖERBA im R a h m e n einer a l l g e m e i n e n T h e o r i e der L e x i k o g r a p h i e zu k l ä r e n gilt, steht seiner M e i n u n g n a c h d i e j e n i g e einer Wörterbuchtypologie an erster Stelle. "Sie b e s i t z t eine u n m i t t e l b a r e p r a k t i s c h e B e d e u t u n g , u n d sie wurde u n d w i r d e m p i r i s c h immer irgendwie g e löst" (S.17; v g l . h i e r z u im ü b r i g e n K a p i t e l 5.4). ä£ERBA (1982, 17) erklärt weiter: "Der h i e r vorgeschlagene V e r s u c h einer s o l c h e n T h e o r i e r e c h n e t n i c h t damit, d i e s e L ü k ke g ä n z l i c h s c h l i e ß e n zu können, s o n d e r n h a t l e d i g l i c h im A u ge, die G r u n d l a g e n einer z u k ü n f t i g e n T h e o r i e zu u m r e i ß e n . " Obwohl über L e x i k o g r a p h i e seitdem, d.h. in d e n mehr als v i e r zig Jahren, die seit d e m E r s c h e i n e n v o n ¿»¿ERBAs A u f s a t z v e r g a n g e n sind, g r ü n d l i c h n a c h g e d a c h t w o r d e n ist, gab es bis v o r k u r z e m k e i n e n V e r s u c h , eine k o m p l e x e T h e o r i e zu e n t w e r f e n . iuch HENNE (1972, VII), v o n dem " l e x i k a l i s c h e Kodifikation u n d L e x i k o g r a p h i e g l e i c h g e s e t z t " werden, "so daß f o l g e r i c h t i g auch v o n einer T h e o r i e d e r L t x i k o g r a p h i e gesprochen werden könnte", bemerkt einschränkend, daß, w e n n in s e i n e r A r b e i t "von T h e o r i e g e s p r o c h e n " w e r d e , "immer nur A s p e k t e einer T h e orie g e m e i n t " seien. I n z w i s c h e n w e r d e n die U m r i s s e , die Struktur u n d die Inhalte einer k o m p l e x e n T h e o r i e e r k e n n b a r . Die g r u n d l e g e n d e n B e i t r ä g e hierzu bilden zum e i n e n die A r b e i t e n v o n W I E G A N D (1983b), (1983c) u n d (1984c), zum a n d e r e n die K o n z e p t i o n des " I n t e r n a tionalen Handbuchs zur L e x i k o g r a p h i e " (HAUSMANN/REICHMANN/ W I E G A N D / Z G U S T A 1984 u n d 1986). Zwei F r a g e n s t e l l e n s i c h im Z u s a m m e n h a n g m i t der F o r m u l i e r u n g bzw. b e i m E n t w e r f e n einer T h e o r i e der L e x i k o g r a p h i e , die e n t w e d e r e x p l i z i t d u r c h e n t s p r e c h e n d e E r k l ä r u n g e n oder implizit d u r c h eine b e s t i m m t e K o n z e p t i o n b e a n t w o r t e t w e r d e n : (1) W a s ist (2) W a s ist

"Lexikographie"? "Theorie"?

Auf die erste Frage w u r d e n A n t w o r t e n in d e n K a p i t e l n 7 u n d 8 d i e s e r A r b e i t zu g e b e n v e r s u c h t , wobei deutlich werden sollte, daß bei jeder A n t w o r t b e s t i m m t e V o r a n n a h m e n eine w e s e n t liche Rolle spielen, z.B. auch darüber, was jeweils unter "Theorie" v e r s t a n d e n u n d w i e ihr V e r h ä l t n i s zu dem gesehen wird, was g e m e i n h i n als "Praxis" b e z e i c h n e t wird.

147 Damit ist auch schon etwas über mögliche Antworten auf die zweite der oben gestellten Fragen gesagt. Auf eine eingehende Erörterung soll hier nicht zuletzt deshalb verzichtet werden, weil darüber, was Theorie ist, weder innerhalb einer Wissenschaft noch innerhalb d e r Wissenschaft Einvernehmen herrscht. Zu jedem Verständnis von "Theorie" scheint zu gehören, daß die Entwicklung von Theorien eine genuine Aufgabe jeder Wissenschaft ist, daß eine Theorie eine systematisch geordnete Menge von Aussagen über einen Objektbereich in verallgemeinerter Form darstellt mit dem Ziel, Erklärungen zu liefern (und, sofern es um die Feststellung von Gesetzmäßigkeiten geht, Prognosen über Zukünftiges zu ermöglichen). Die Ansichten treten spätestens dann auseinander, wenn zu bestimmen ist, was Praxis meint, und es im weiteren um die Relation dessen geht, was die - häufig paarig und allermeist in der hier vorgeführten Reihenfolge verwendeten - Ausdrücke Theorie und Praxis bezeichnen sollen. Dabei soll - so ist zu vermuten - gleichzeitig auch eine Rangfolge angezeigt werden derart, daß das eine das andere voraussetze und diese jener zu folgen habe. Es ist aber nicht nur fraglich, ob sich Theorie und Praxis begrifflich in einer Weise trennen lassen, daß das eine dem anderen oppositionell gegenübersteht; zweifelhaft ist zudem, ob sich die Abhängigkeit, in der Theorie und Praxis zueinander stehen, angemessen als eine hierarchische Relation darstellen läßt. 9.2 Konzeption einer Theorie der Lexikographie Den bisher umfassensten und detailliertesten Versuch, einen Begriff von "Lexikographie" zu gewinnen, den Gegenstand einer Theorie der "Lexikographie" zu bestimmen und den Gegenstandsbereich systematisch zu gliedern, stellt das Konzept zu einem internationalen Handbuch der Lexikographie dar: "Wörterbücher. Dictionaries. Dictionnaires. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie. International Encyclopedia of Lexicography. Encyclopédie internationale de lexicographie." In der Vorstellung des Projekts (vgl. HAUSMANN/REICHMANN/WIEGAND/ZGUSTA 1984 und 1986) kommt u.a. auch ein bestimmtes Verständnis von Theorie zum Ausdruck. Sie ist danach "die Gesamtheit all derjenigen wissenschaftlichen Bemühungen, die darauf abzielen, alle mit dem Erarbeiten von Wörterbüchern verbundenen theoretischen Fragestellungen und methodischen Verfahrensweisen zu registrieren, zu beschreiben, zu bewerten" . Demgegenüber wird Praxis verstanden als die Gesamtheit derjenigen wissenschaftlichen Bemühungen, deren Ergebnis ein Wörterbuch ist; ein je bestimmtes, wie zu schließen ist. Auch das Verhältnis von Theorie und Praxis kommt zur Sprache,

148 indem n ä m l i c h g e s a g t wird, daß "die w i s s e n s c h a f t l i c h e n B e m ü hungen, deren Ergebnis nicht selbst e i n W ö r t e r b u c h ist", l e t z t e n d l i c h "darauf abzielen, [...] zur V e r b e s s e r u n g der l e x i k o g r a p h i s c h e n Praxis b e i z u t r a g e n " . " S c h l ü s s e l t man", wie es in der a n s c h l i e ß e n d e n Passage heißt, "das G e g e n s t a n d s g e b i e t etwas w e i t e r auf, so e r g e b e n sich für das H a n d b u c h v o r allem die A u f g a b e n , - die l e x i k o g r a p h i s c h e P r a x i s aller S p r a c h k r e i s e der E r d e zu r e g i s t r i e r e n u n d für die g r ö ß e r e n , vor a l lem die e u r o p ä i s c h e n S p r a c h e n u n d ihre V a r i e t ä t e n d e t a i l l i e r t zu b e s c h r e i b e n - d e n Status u n d die F u n k t i o n v o n W ö r t e r b ü c h e r n u n d und ihren unterschiedlichen Typen im K u l t u r s y s t e m v o n G e s e l l s c h a f t e n zu b e s c h r e i b e n - die G e s c h i c h t e der Lexikographie an Beispielen größerer e u r o p ä i s c h e r S p r a c h g e s e l l s c h a f t e n zu b e schreiben - auf der G r u n d l a g e der K e n n t n i s der W ö r t e r b u c h f u n k t i o n e n u n d der W ö r t e r b u c h g e s c h i c h t e u n d im H i n blick auf die S t e l l u n g des L e x i k o n s im S p r a c h g a n zen B a u s t e i n e zu einer A l l g e m e i n e n T h e o r i e der L e x i k o g r a p h i e zu l i e f e r n - die M e t h o d i k der Lexikographie von der äußeren Arbeitsorganisation der W ö r t e r b u c h k a n z l e i e n bis h i n zu m e t h o d i s c h e n E i n z e l v e r f a h r e n (wie z.B. D a tenerhebung, Rechnereinsatz, Bedeutungserschließung) zu b e s c h r e i b e n u n d w e i t e r z u e n t w i c k e l n - auf die U n t e r s c h i e d e zwischen lexikographischen M ö g l i c h k e i t e n u n d l e x i k o g r a p h i s c h e r Praxis hinzuw e i s e n u n d aus d e r K e n n t n i s von lexikographischen D e f i z i t e n n e u e P r o j e k t e zu b e g r ü n d e n - m i t all d e m die L e x i k o g r a p h i e zu einer v o n W i s s e n schaftlern lehrbaren und von Studenten lernbaren praxisorientierten Disziplin weiterzuentwickeln b z w . e r s t als eine solche D i s z i p l i n zu b e g r ü n d e n . " ( H A U S M A N N / R E I C H M A N N / W I E G A N D / Z G U S T A 1984, 489t) 1 Die S c h w e r p u n k t e sind d a n a c h : (a) R e g i s t r i e r e n d e r l e x i k o g r a p h i s c h e n Praxis aller S p r a c h k r e i s e der E r d e (was d o c h wohl in erster Linie h e i ß t : ihrer E r g e b n i s s e , d.h. der W ö r t e r b ü c h e r ) ; (b) B e s c h r e i b u n g v o n Status u n d F u n k t i o n der u n t e r s c h i e d l i chen T y p e n v o n W ö r t e r b ü c h e r n im j e w e i l i g e n k u l t u r e l l e n R a h m e n v e r s c h i e d e n e r G e s e l l s c h a f t e n (was u.a. eine W ö r t e r b u c h t y p o l o gie v o r a u s s e t z t ) ; (c) H i s t o r i o g r a p h i e der L e x i k o g r a p h i e (eingeschränkt auf die L e x i k o g r a p h i e "größerer europäischer S p r a c h g e s e l l s c h a f t e n " ) ; (d) K o n z e p t i o n einer A l l g e m e i n e n T h e orie der L e x i k o g r a p h i e ; (e) B e s c h r e i b u n g u n d Weiterentwicklung der M e t h o d i k der L e x i k o g r a p h i e (gemeint sind das System 1 Die (auf E n g l i s c h d a r g e b o t e n e n ) Ausführungen in H A U S M A N N / R E I C H M A N N / W I E G A N D / Z G U S T A (1986, 272) sind m i t d e n hier w i e d e r g e g e b e n e n im w e s e n t l i c h e n identisch.

149

der M e t h o d e n , einschließlich der A r b e i t s o r g a n i s a t i o n , w i e auch die e i n z e l n e n M e t h o d e n , "die m e t h o d i s c h e n E i n z e l v e r f a h ren", selbst). W a s im w e i t e r e n a u f g e f ü h r t wird, g e h ö r t n i c h t e i g e n t l i c h zum G e g e n s t a n d s b e r e i c h der L e x i k o g r a p h i e , sondern g i b t Ziele an, zu d e r e n E r r e i c h e n das H a n d b u c h u.a. b e i t r a g e n möchte: zum e i n e n die B e g r ü n d u n g v o n Projekten, die die b e stehende D i s k r e p a n z z w i s c h e n g ä n g i g e r l e x i k o g r a p h i s c h e r Praxis und lexikographischen Möglichkeiten zu v e r r i n g e r n bzw. aufzuheben g e e i g n e t sind; zum a n d e r e n die B e g r ü n d u n g einer wissenschaftlichen Disziplin "Lexikographie". "Nach m e i n e r O b e r z e u g u n g k ö n n e n e m p i r i s c h e T h e o r i e n im Rahm e n der S o z i a l w i s s e n s c h a f t e n n i c h t g e m a c h t w e r d e n ohne vorhergehende genaue und gründliche Kenntnis desjenigen Gegenstandsbereichs, über d e n eine T h e o r i e formuliert werden soll", e r k l ä r t W I E G A N D (1983b, 53). Solche K e n n t n i s s e erwirbt m a n auf m e h r e r l e i W e i s e : d u r c h (die selbstverständlich mindestens durch bestimmte Hypothesen geleitete, also n i c h t g ä n z l i c h theorielose) B e o b a c h t u n g u n d a u c h d u r c h s e k u n d ä r e E r f a h r u n g e n (z.B. in der A u s e i n a n d e r s e t zung m i t B e o b a c h t u n g e n u n d t h e o r e t i s c h e n E n t w ü r f e n a n d e r e r ) . Der A u f b a u einer T h e o r i e u n d die B e o b a c h t u n g s t e h e n in einem Wechselverhältnis, i n s o f e r n eines d a s andere anleitet. Gilt die T h e o r i e e i n e m G e g e n s t a n d s b e r e i c h , der - w i e im Falle d e r L e x i k o g r a p h i e - auch T ä t i g k e i t e n umfaßt, h a t die K o n s t r u k t i o n einer T h e o r i e w e n i g s t e n s in T e i l e n auch e i n e n r e k o n s t r u k t i v e n Charakter. Wie s c h o n m e h r f a c h b e t o n t w u r d e u n d aus d e n b i s h e r i g e n A u s führungen erkennbar g e w o r d e n sein sollte, hat die intensive u n d v i e l f ä l t i g e B e s c h ä f t i g u n g m i t der Lexikographie inzwischen u n s e r e K e n n t n i s s e ü b e r d i e s e n G e g e n s t a n d s b e r e i c h e r h e b lich e r w e i t e r t u n d v e r t i e f t . I n z w i s c h e n ist die Entwicklung so w e i t f o r t g e s c h r i t t e n , daß es g e r a t e n e r s c h e i n t , die b i s h e r i g e n E r g e b n i s s e d e r F o r s c h u n g s y s t e m a t i s c h zu o r d n e n u n d in eine T h e o r i e zu ü b e r f ü h r e n . erzielD u r c h eine Theorie s o l l e n aber n i c h t bloß die b i s h e r ten E r g e b n i s s e b e s c h r i e b e n , registriert u n d in eine O r d n u n g g e b r a c h t , s o n d e r n auch E r k l ä r u n g e n g e l i e f e r t werden, u n d zwar derart, daß B e g r ü n d u n g e n für das W a r u m u n d Wie d e s B e s c h r i e b e n e n u n d der B e s c h r e i b u n g g e g e b e n sowie neue F r a g e s t e l l u n g e n eröffnet werden. D e n e r s t e n Entwurf einer u m f a s s e n d e n T h e o r i e verdanken wir W I E G A N D (vgl. vor a l l e m W I E G A N D 1983b; 1983c; 1984b; 1984c), w e l c h e F e s t s t e l l u n g k e i n e s w e g s b e d e u t e t , daß etwa die t h e o r e t i s c h e n B e i t r ä g e anderer v e r n a c h l ä s s i g t w e r d e n k ö n n t e n und sollten. Sie sind zum Teil in W I E G A N D s K o n z e p t i o n eingegangen, was er d a n n a u c h jeweils d u r c h e n t s p r e c h e n d e Hinweise vermerkt.

150 Soweit das auf dem begrenzten Raum, der hier zur Verfügung steht, überhaupt möglich ist, soll diese Konzeption hier dargestellt und kommentiert werden, wobei ich mich im wesentlichen auf die oben angeführten Arbeiten beziehe. WIEGANDs (1983b, 36) Ausführungen vorangestellt ist die grundsätzliche, ausdrücklich zunächst allein auf die Sprachlexikographie bezogene Frage: "Wissen wir eigentlich genau genug, was Lexikographie ist? Oder anders ausgedrückt: Verstehen Experten unter dem Ausdruck Lexikographie (bzw. lexicographie, lexicography, lesetc.) stets das gleiche oder wenigsicografia, lexicografía stens weitgehend das gleiche?" Nach der Diskussion entsprechender Erklärungen, folgenden Schlüssen:

kommt er

zu

(1) "Die Lexikographie ist keine Wissenschaft." (S. 37) (2) "Die lexikographischen Tätigkeiten bestehen nicht nur darin, daß linguistische Theorien und Methoden 'angewendet' werden, und daher ist Lexikographie nicht nur angewandte Linguistik." (S. 38) Noch entschiedener heißt es zu diesem Punkt in WIEGAND (1984c, 558): "Lexikographie ist keine Teildisziplin der sog. Angewandten Linguistik (oder: Sprachwissenschaft), denn die Lexikographie ist insgesamt mehr als die Anwendung von linguistischen Theorien und Methoden oder die sekundäre Verwertung von linguistischen und/oder philologischen Ergebnissen." (3) Lexikographie ist "keineswegs nur angewandte Lexikologie oder ein 'Zweig', eine 'Unterdisziplin' etc. der Lexikogie". (S. 41) Mit anderen Worten ausgedrückt: "Lexikographie ist kein Zweig der Lexikologie, und die Lexikographie wird keineswegs theoretisch ausschließlich von der Lexikologie determiniert." (WIEGAND 1984c, 558f) (4) "Auch ist die Lexikographie nicht nur 'angewandte Semasiologie'." (WIEGAND 1984c, 558) Bevor ich referiere, worauf die Argumentation hinausläuft, sei eines angemerkt. Was immer man unter "angewandter Linguistik" versteht, WIEGANDs Einwand trifft auf alles zu, womit sich diese Disziplin beschäftigt. Immer handelt es sich um "insgesamt mehr als die Anwendung von linguistischen Theorien und Methoden oder die sekundäre Verwertung von linguistischen und/oder philologischen Ergebnissen". Wie auch die Lexikographie sind die Teildisziplinen jeder Art von "Angewandter Linguistik" interdisziplinär ausgerichtet, welche Feststellung nun keineswegs bedeuten soll, daß man deshalb umgekehrt auch schließen könne, die Lexikographie sei angewandte Linguistik. WIEGAND (1983b, 39) führt seine Argumentation folgendermaßen fort. Zwar sei gegen Ausdrücke wie "Lexikographie als Theo-

151 rie" vs. " L e x i k o g r a p h i e als Praxis" oder " t h e o r e t i s c h e L e x i k o g r a p h i e " vs. "praktische L e x i k o g r a p h i e " usw. "gar nichts einzuwenden, w e n n sie ihren Zweck e r f ü l l e n , so daß klar ist, w o r ü b e r g e r a d e k o m m u n i z i e r t wird. W e n n es j e d o c h u m die Frage geht, was L e x i k o g r a p h i e ist, u n d die A n t w o r t dazu dienen Gesoll, den Gegenstandsbereich und den wissenschaftlichen genstand einer a l l g e m e i n e n T h e o r i e der L e x i k o g r a p h i e zu bestimmen, d a n n ist die A u f f a s s u n g , Lexikographie sei Praxis und zugleich Theorie, problematisch." Sein Fazit: "Lexikographie ist eine w i s s e n s c h a f t l i c h e Praxis, die darauf a u s g e r i c h t e t ist, daß W ö r t e r b ü c h e r entstehen, u n d die als je k o n k r e t e , historisch einmalige den Gegenstandsbereich bildet, aus dem eine a l l g e m e i n e T h e o r i e der L e x i k o g r a p h i e ihren G e g e n s t a n d g e w i n n t . " (WIEGAND 1983b, 41) D a die a l l g e m e i n e T h e o r i e der L e x i k o g r a p h i e , (genauer: der Sprachlexikographie) v o n W I E G A N D w i e d e r u m n u r als ein B e r e i c h t h e o r e t i s c h e r R e f l e x i o n n e b e n a n d e r e n a n g e s e h e n wird, setzt er o b e r h a l b eine w e i t e r e Ebene an, die er "Meta-Lexikographie", die w i e d e r u m a u f g e t e i l t ist in " M e t a - S p r a c h l e x i k o g r a phie" auf der e i n e n Seite u n d "Meta-Sachlexikographie" auf der a n d e r e n . 2 Zusammenfassend definiert WIEGAND

(1984c,

559):

" S p r a c h l e x i k o g r a p h i e ist [...] eine w i s s e n s c h a f t l i che Praxis, die darauf a u s g e r i c h t e t ist, daß N a c h s c h l a g e w e r k e zur Sprache ( = S p r a c h n a c h s c h l a g e w e r k e ) , i n s b e s o n d e r e S p r a c h w ö r t e r b ü c h e r als G e b r a u c h s g e g e n stände entstehen, so daß durch diese eine andere Praxis, n ä m l i c h die der W ö r t e r b u c h b e n u t z u n g , e r m ö g licht wird. [...] Die S p r a c h l e x i k o g r a p h i e als w i s s e n s c h a f t l i c h e P r a x i s ist d e r G e g e n s t a n d s b e r e i c h , aus dem die M e t a Sprachlexikographie ihren wissenschaftlichen Gegenstand gewinnt." klar voneinander Damit sind für W I E G A N D T h e o r i e u n d P r a x i s geschieden: hier die w i s s e n s c h a f t l i c h e Praxis der L e x i k o g r a phie als die G e s a m t h e i t d e r T ä t i g k e i t e n , die auf das H e r s t e l len v o n W ö r t e r b ü c h e r n bzw. S p r a c h n a c h s c h l a g e w e r k e n gerichtet sind, u n d d a die M e t a - L e x i k o g r a p h i e bzw. M e t a - S p r a c h l e x i k o graphie, die aus d i e s e r P r a x i s bzw. in der E r f o r s c h u n g d i e s e r Praxis i h r e n w i s s e n s c h a f t l i c h e n G e g e n s t a n d g e w i n n t . Im f o l g e n d e n soll v e r s u c h t w e r d e n , für S c h r i t t zu entfalten.

WIEGANDs Konzept

Schritt

Wie oben bereits erwähnt wurde, s i n d z u a l l e r e r s t als T e i l b e reiche der M e t a l e x i k o g r a p h i e zu u n t e r s c h e i d e n : die M e t a - S a c h l e x i k o g r a p h i e u n d die M e t a - S p r a c h l e x i k o g r a p h i e . * Zum T e r m i n o l o g i e - P r o b l e m vgl. Kap. 7 u n d SCHAEDER

(1987).

152 Metalexikographie Meta-Sprachlexikographie

Meta-Sachlexikographie

Ob diese U n t e r s c h e i d u n g h i n r e i c h t , muß eine Typologie N a c h s c h l a g e w e r k e erweisen, die b i s h e r n o c h aussteht.

der

Die w e i t e r e n A u s f ü h r u n g e n sind auf die Meta-Sprachlexikographie beschränkt. Manches, was im w e i t e r e n über die MetaS p r a c h l e x i k o g r a p h i e a u s g e s a g t wird, d ü r f t e auch für die M e t a S a c h l e x i k o g r a p h i e gelten, anderes nicht. "In A n l e h n u n g an H a u s m a n n " (=HAUSMANN 1985a, 368) teilt W I E GAND (1984c, 559) die M e t a - S p r a c h l e x i k o g r a p h i e in die f o l g e n d e n vier " F o r s c h u n g s g e b i e t e " ein: Meta-Sprachlexikographie

Forschungsg e b i e t I: Benutzungsforschung

Forschungsg e b i e t II: K r i t i k der Nachschlagewerke

Forschungsg e b i e t III: Geschichte der Sprachlexikographie

Forschungsg e b i e t IV: Allgemeine Theorie der Sprachlexikographie

Wie in K a p i t e l 5.3 n a c h z u l e s e n ist, g i l t d e m F o r s c h u n g s g e b i e t "Benutzungsforschung" derzeit ein vermehrtes Interesse. In s e i n e n Ü b e r l e g u n g e n "Zur h a n d l u n g s t h e o r e t i s c h e n Grundlegung der W ö r t e r b u c h b e n u t z u n g s f o r s c h u n g " führt W I E G A N D (1987b, 19) aus, daß eine "wichtige A u f g a b e d e r B e n u t z u n g s f o r s c h u n g offenbar d a r i n b e s t e h t , auf d e r B a s i s v o n e m p i r i s c h e n D a t e n e x pandierte Handlungsbeschreibungen von tatsächlichen Benutz u n g s h a n d l u n g e n zu m a c h e n , so daß ein b i s h e r n i c h t v o r h a n d e ner O b e r b l i c k über die v e r s c h i e d e n e n A u s f ü h r u n g s m ö g l i c h k e i t e n von Handlungen entsteht, die zu d e m H a n d l u n g s t y p E I N W Ö R T E R BUCH BENUTZEN gehören." Auf folgende F r a g e n soll die Benutzungsforschung empirisch a b g e s i c h e r t e A n t w o r t e n liefern: (a) Wer b e n u t z t (b) auf w e l che W e i s e (c) u n t e r w e l c h e n ä u ß e r e n U m s t ä n d e n (d) zu w e l c h e m Zeitpunkt (e) für w e l c h e D a u e r (f) an w e l c h e m O r t (g) w a r u m (h) aus w e l c h e m A n l a ß (i) m i t w e l c h e m Ziel (j) m i t w e l c h e m E r f o l g u n d (k) m i t w e l c h e n K o n s e g u e n z e n e i n W ö r t e r b u c h ? Zur S t r u k t u r i e r u n g des F o r s c h u n g s g e b i e t s II "Kritik d e r N a c h s c h l a g e w e r k e " f e h l e n b i s h e r e x p l i z i t e V o r s c h l ä g e , obwohl u.a. m i t d e n B e i t r ä g e n v o n W I E G A N D / K U i E R A (1981) u n d (1982) sowie von BERGENHOLTZ/MUGDAN (1986) b e i s p i e l h a f t e Exemplare von Wörterbuchkritik vorliegen. So g u t w i e gar n i c h t w u r d e bis zum h e u t i g e n Tage über die Probleme nachgedacht, zu d e r e n L ö s u n g die w i s s e n s c h a f t l i c h e n

153 U n t e r s u c h u n g e n im R a h m e n d e s F o r s c h u n g s g e b i e t s III " G e s c h i c h te der S p r a c h l e x i k o g r a p h i e " b e i t r a g e n sollen. So verwundert es n i c h t , daß eine S t r u k t u r i e r u n g d i e s e s Forschungsgebietes noch aussteht. Auf einige P r o b l e m e w u r d e im K a p i t e l 4 d i e s e r A r b e i t a u f m e r k s a m gemacht. Zu d e n A u f g a b e n in d i e s e m F o r s c h u n g s g e b i e t g e h ö r e n n e b e n D a r s t e l l u n g e n der G e s c h i c h t e d e r Sprachlexikographie u n d ihrer E r f o r s c h u n g zuerst Ü b e r l e g u n g e n a l l g e m e i n e r Art, die d e n P r o b l e m e n e i n e r H i s t o r i o g r a p h i e d e r S p r a c h l e x i k o g r a p h i e zu gelten haben, u.a. d e m P r o b l e m der P e r i o d i s i e r u n g . Die E i n t e i l u n g e n d e r G e s c h i c h t e d e r d e u t s c h e n S p r a c h l e x i k o g r a p h i e , die bisher vorgenommen wurden, g e n ü g e n n i c h t d e n A n s p r ü c h e n , die aus w i s s e n s c h a f t l i c h e r S i c h t zu s t e l l e n sind. Denken ließe s i c h etwa f o l g e n d e S t r u k t u r i e r u n g dieses Fors c h u n g s g e b i e t s "Geschichte der S p r a c h l e x i k o g r a p h i e des Deutschen" : (1) A l l g e m e i n e r Teil m i t d e n T e i l g e b i e t e n (la) G r u n d s ä t z l i c h e Ü b e r l e g u n g e n zu einer H i s t o r i o g r a p h i e (z.B. E r k e n n t n i s i n t e r esse, Gegenstandsbestimmung, Geschichtsverständnis, Periodisierung); (lb) B e z i e h u n g e n zur g e r m a n i s t i s c h e n L i t e r a t u r w i s s e n s c h a f t ; (lc) B e z i e h u n g e n zu a n d e r e n D i s z i p l i n e n (an e r s t e r Stelle zur G e s c h i c h t s w i s s e n s c h a f t ; aber a u c h - so es die G e schichte der F a c h l e x i k o g r a p h i e b e t r i f f t - zu d e n e n t s p r e c h e n den Fächern); (2) H i s t o r i o g r a p h i e der E r f o r s c h u n g der G e s c h i c h t e der deutschen Sprachlexikographie ; (3) H i s t o r i o g r a p h i e d e r G e s c h i c h t e d e r d e u t s c h e n Sprachlexik o g r a p h i e m i t u.a. f o l g e n d e n T e i l g e b i e t e n (3a) W ö r t e r b u c h p r o gramme; (3b) W ö r t e r b u c h r e z e p t i o n u n d W ö r t e r b u c h k r i t i k ; (3c) einsprachige allgemeine Wörterbücher; (3d) e i n s p r a c h i g e Spezialwörterbücher (wiederum zu u n t e r g l i e d e r n n a c h d e n vers c h i e d e n e n T y p e n ; (3e) z w e i s p r a c h i g e a l l g e m e i n e W ö r t e r b ü c h e r ; (3f) z w e i s p r a c h i g e S p e z i a l w ö r t e r b ü c h e r (ebenfalls zu unterg l i e d e r n n a c h d e n v e r s c h i e d e n e n Typen). (4) H i s t o r i o g r a p h i e der W i r k u n g s g e s c h i c h t e . A m g r ü n d l i c h s t e n h a t W I E G A N D (1983c; 1984b; 1984c) b i s h e r das F o r s c h u n g s g e b i e t IV "Allgemeine Theorie der Lexikographie" strukturiert. F o r s c h u n g s g e b i e t IV (Ausschnitt) Allgemeine Theorie der L e x i k o g r a p h i e T e i l t h e o r i e A: Allgemeiner Teil

T e i l t h e o r i e B: Organisationstheorie

T e i l t h e o r i e C: T h e o r i e der lexikographischen Spracherforschung

T e i l t h e o r i e D: T h e o r i e der lexikographischen S p r a c h beschreibung

1 54 Zur T e i l t h e o r i e A (Allgemeiner Teil) z ä h l e n die K o m p o n e n t e n (nach W I E G A N D 1983c, 112; 1984c, 560):

folgenden

1. K o m p o n e n t e : Zwecke v o n W ö r t e r b ü c h e r n 2. K o m p o n e n t e : B e z i e h u n g e n zu a n d e r e n T h e o r i e n 3. K o m p o n e n t e : P r i n z i p i e n aus der G e s c h i c h t e der Lexikographie Ich ü b e r g e h e die 1. u n d die 2. K o m p o n e n t e u n d komme kurz auf das zu sprechen, was u n t e r "Prinzip" zu v e r s t e h e n ist (vgl. d a z u d i e a u s f ü h r l i c h e D a r s t e l l u n g in W I E G A N D 1984c, 5 6 1 - 5 6 8 ) . Damit e i n W ö r t e r b u c h als G e b r a u c h s g e g e n s t a n d seinem Zweck entsprechend b e n u t z t w e r d e n kann, muß es b e s t i m m t e Eigenschaften haben. Diese E i g e n s c h a f t e n e r h ä l t es d a d u r c h , daß bei seiner Herstellung bestimmte Prinzipien befolgt werden. D a z u gehört, daß (a) ü b e r h a u p t D a t e n e r h o b e n werden, daß (b) ein S p e i c h e r m e d i u m zu b e s t i m m e n ist (Papier, Film, Magnetband, - p l a t t e , - d i s k e t t e u s w . ) , daß (c) die D a t e n zu f i x i e r e n sind (z.B. in einer b e s t i m m t e n Schrift), daß (d) die D a t e n in einer b e s t i m m t e n Weise, d.h. n a c h einer b e s t i m m t e n Methode a n g e o r d n e t w e r d e n m ü s s e n (z.B. a l p h a b e t i s c h ) , daß (e) die D a ten e n t w e d e r s e l b s t i n f o r m a t i o n s h a l t i g zu sein h a b e n oder zusätzliche Informationen gegeben werden müssen. W ä h r e n d die g e n a n n t e n P r i n z i p i e n "universelle" und nicht spezifisch "lexikographische Prinzipien" darstellen, ist das "Grundprinzip d e r L e x i k o g r a p h i e " jenes, "in d e m die fünf P r i n z i p i e n zu einer E i n h e i t i n t e g r i e r t sind. Dieses Prinzip soll P r i n z i p der l e x i k o g r a p h i s c h e n Textkonstituierung heißen", d.h. daß "zu einer l e x i k a l i s i e r t e n E i n h e i t e i n l e x i k o g r a p h i s c h e r T e x t zu f o r m u l i e r e n ist", n ä m l i c h e i n W ö r t e r b u c h artikel. (WIEGAND 1984c, 564f) In d e r T e i l t h e o r i e B (Organisationstheorie) "werden G r u n d s ä t ze f e s t g e l e g t , n a c h d e n e n die l e x i k o g r a p h i s c h e A r b e i t in a l len drei T ä t i g k e i t s f e l d e r n [Wörterbuchplan; lexikographische Kartothek, d . i . eine e n t s p r e c h e n d a u f b e r e i t e t e W ö r t e r b u c h b a sis; W ö r t e r b u c h ; B.S.] zu o r g a n i s i e r e n u n d zu koordinieren ist". (WIEGAND 1983c, 101) Die T e i l t h e o r i e C (Theorie der l e x i k o g r a p h i s c h e n S p r a c h e r f o r schung) b e s t e h t aus j e n e n K o m p o n e n t e n , die (nach WIEGAND) (1) die D a t e n e r h e b u n g und (2) die D a t e n b e a r b e i t u n g betreffen. "Entweder m u ß in b e i d e n K o m p o n e n t e n die Rolle des Rechners b e r ü c k s i c h t i g t w e r d e n , oder aber m a n setzt eine d r i t t e K o m p o nente an, die eine T h e o r i e d a r ü b e r ist, wie der R e c h n e r in der L e x i k o g r a p h i e e i n g e s e t z t w e r d e n kann", erklärt WIEGAND (1983c, 102). In SCHAEDER (1986a, 263-266) wird dafür a r g u m e n t i e r t , keine eigene K o m p o n e n t e für d e n R e c h n e r e i n s a t z v o r z u s e h e n , sondern die T e i l t h e o r i e C (Theorie der l e x i k o g r a p h i s c h e n S p r a c h e r f o r schung) wie folgt zu g l i e d e r n :

155 1. K o m p o n e n t e : D a t e n e r h e b u n g u n d D a t e n e r f a s s u n g 2. K o m p o n e n t e : D a t e n v e r a r b e i t u n g u n d D a t e n b e r e i t s t e l l u n g 3. K o m p o n e n t e : D a t e n a u s w e r t u n g u n d D a t e n p r ä s e n t a t i o n . Die g e n a n n t e n A r b e i t e n s i n d in jedem Fall zu e r l e d i g e n . Ob dabei die Hilfe eines R e c h n e r s in A n s p r u c h g e n o m m e n wird, h ä n g t v o n v e r s c h i e d e n e n F a k t o r e n ab. B l e i b t a b s c h l i e ß e n d n o c h zu erklären, welche Komponenten von W I E G A N D (1984c, 560) für die T e i l t h e o r i e D (Theorie der l e x i kographischen Sprachbeschreibung) angeführt werden: 1. K o m p o n e n t e : W ö r t e r b u c h t y p o l o g i e 2. K o m p o n e n t e : T e x t t h e o r i e für l e x i k o g r a p h i s c h e

Texte.

Auf die M ö g l i c h k e i t e n u n d P r o b l e m e einer Wörterbuchtypologie wurde b e r e i t s m e h r f a c h e i n g e g a n g e n (mit H i n w e i s e n auf entsprechende Literatur). Die sechste der "20 B a d H o m b u r g e r T h e s e n " zum P r o j e k t e i n i n terdiszipinären Wörterbuchs der deutschen Gegenwartssprache ( H E N N E / M E N T R U P / M Ö H N / W E I N R I C H 1978, 281) lautet: "Die T e x t s o r te W ö r t e r b u c h a r t i k e l soll h i n s i c h t l i c h ihrer T e x t s t r u k t u r im a l l g e m e i n e n wie auch h i n s i c h t l i c h ihrer E x p l i k a t i o n s t y p i k im besonderen untersucht werden. Die B r a u c h b a r k e i t u n t e r s c h i e d licher E x p l i k a t i o n s t y p e n (Erklärungsmuster) für d e n gemeinu n d f a c h s p r a c h l i c h e n W o r t s c h a t z ist zu b e g r ü n d e n . " Die T e x t s o r t e " W ö r t e r b u c h a r t i k e l " ist b i s h e r nicht hinreic h e n d u n t e r s u c h t worden, w a s n i c h t etwa h e i ß e n soll, daß n o c h keine Ü b e r l e g u n g e n zu d i e s e m T h e m a a n g e s t e l l t worden wären (als j ü n g s t e n B e i t r a g vgl. W I E G A N D 1987d). W ö r t e r b u c h a r t i k e l z e i c h n e n s i c h d a d u r c h aus, daß sie in m e h r oder w e n i g e r s t a n d a r d i s i e r t e r Form v e r f a ß t , in aller Regel h o c h g r a d i g k o m p r i m i e r t sind. Sie b e s c h r e i b e n n i c h t nur e i n e n bestimmten Sprachgebrauch, sondern wollen zu e i n e m r e g e l gerechten Sprachgebrauch anleiten. Aus diesem Grund gehören sie zur Sorte der A n l e i t u n g s t e x t e . B e i m V e r f a s s e n eines W ö r t e r b u c h a r t i k e l s h a t d e r Lexikograph die v e r m e i n t l i c h e n oder t a t s ä c h l i c h e n Nachschlagebedürfnisse p o t e n t i e l l e r B e n u t z e r zu a n t i z i p i e r e n . In dem A u g e n b l i c k , in dem ein B e n u t z e r im W ö r t e r b u c h n a c h s c h l ä g t u n d e i n e n bzw. in einem W ö r t e r b u c h a r t i k e l liest, wird dieser Wörterbuchartikel zu einem T e x t in F u n k t i o n . Der P r o d u z e n t u n d der Rezipient des betreffenden W ö r t e r b u c h a r t i k e l t r e t e n über das Medium W ö r t e r b u c h in eine z e i t l i c h v e r s e t z t e K o m m u n i k a t i o n m i t e i n a n d e r ein. So t r i f f t e n d l i c h auch zu, w a s DUBOIS "Le d i c t i o n n a i r e est une f o r m d e

(1967, 101)

communication."

schreibt:

156 10.0

LITERATUR

10.1

Bibliographien

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162

10.3

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